Raub und Rettung: Russische Museen im Zweiten Weltkrieg [1 ed.] 9783412504298, 1918194517, 9783412501884

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Raub und Rettung: Russische Museen im Zweiten Weltkrieg [1 ed.]
 9783412504298, 1918194517, 9783412501884

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Corinna Kuhr-Korolev Ulrike Schmiegelt-Rietig Elena Zubkova Wolfgang Eichwede

RUSSISCHE MUSEEN IM ZWEITEN WELTKRIEG

RAUB UND RETTUNG

Studien zu kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern Herausgegeben von der Kulturstiftung der Länder und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Band 1

Corinna Kuhr-Korolev · Ulrike Schmiegelt-Rietig · Elena Zubkova In Zusammenarbeit mit Wolfgang Eichwede

Raub und Rettung Russische Museen im Zweiten Weltkrieg

BÖHLAU VERLAG  WIEN KÖLN WEIMAR

Gefördert durch VolkswagenStiftung

Kulturstiftung der Länder

Stiftung Preußischer Kulturbesitz

© 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Vorderseite: Privatarchiv Arnold Körte Rückseite: BArch, Bild 101I-234-0924-25/Kripgans Korrektorat: Elena Mohr, Köln Satz: Punkt für Punkt Mediendesign, Düsseldorf Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-50429-8

Inhalt Vorwort der Reihenherausgeber

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Einleitung 13 „Wart’ auf mich, ich komm’ zurück ...“ 13 1 Deutschland und die Sowjetunion 1918–1945 17 Nähe in Gegensätzen 17  Die Sowjetunion Stalins: Industrialisierung und Terror 19 Das nationalsozialistische Deutschland: „Herrenmenschen“ und „Lebensraum“ 20 Der Vernichtungskrieg im Osten 23  Der Kunstraub: Größenordnungen und Institutionen 27

2 Zum Buch 29 Fragen zur Mikrogeschichte der Museen im russischen Nordwesten 33 Akteure innerhalb und außerhalb der Institutionen 34  Autorinnen des Projekts und Kooperationspartner 35  Neue Quellen und Dank 35

Hinweise für den Leser 37 Verzeichnis der wichtigsten Akteurinnen und Akteure 37 Transkription und Schreibweisen 41

I Russlands Kulturerbe und die sowjetische Museumspolitik 43 1 Oktoberrevolution: „Krieg den Palästen“? 43 2 Anfänge einer staatlichen Museumspolitik 44 3 Die 1920er Jahre: Neues Leben für Schlösser und Kirchen 46 Die Vorortschlösser: Zwischen Vergangenheit und Zukunft 46 Novgorod und Pskov: Hinwendung zur altrussischen Kunst 48

4 Kultur zwischen Kommerz und Politik 53 Die Beschlagnahmung von Kirchenschätzen 1921/22 53 „Ohne kunsthistorischen Wert“: Der Verkauf von Museumsschätzen 56

5 Museen als Instrumente der Kulturrevolution 59 Kulturerbe oder Freizeitpark: Die Vorortschlösser 60 Museumsstädte: Pskov und Novgorod 63

Inhalt

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II Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“ 67 1 „Deutsche“ Kunst im Ausland als Objekt der Begierde 67 2 Führervorbehalt, „Ostministerium“ und der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg 69 3 Konkurrenz durch Auswärtiges Amt und SS: Das Sonderkommando Künsberg 72 4 Ein unterschätzter Akteur: Der militärische Kunstschutz 74 5 Aktiv im Kunstschutz 81

III Die Museen im Krieg 95 Die Besetzung des russischen Nordwestens 97 1 Die Schlösser in Puškin: Bernsteinzimmer, Fronttourismus, Hungersnot 101 Kriegsbeginn und Evakuierung 101  Unter deutscher Besatzung 103  Erste Abtransporte: Der Abbau des Bernsteinzimmers 110  „Fronttourismus“ und Lagebeschreibungen des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg 115  Abtransporte im Sommer 1942 121 Der Abtransport des Gottorfer Globus 124  Letzte Beute: „Herkules“ und „Flora“ 126 Das Schicksal der Zivilbevölkerung 127  Die Befreiung der Stadt Puškin 134

2 Pavlovsk: die unbemerkte Ausraubung eines Palastes 139 Anna Zelenova – lernen und leben für die Museumsarbeit 139  In letzter Minute: Evakuierungen und Schutzmaßnahmen 141  Unter deutscher Besatzung 144 Die Verluste der Pavlovsker Sammlungen 149  Rückkehr nach Pavlovsk 153

3 Die Sammlungen und ihre Hüter 157 Der Kampf um Leningrad 157  Museumsarbeit während der Leningrader Blockade 159 Unterwegs zum Ural und nach Sibirien 163

4 Peterhof: zerstört und geplündert 173 Die Evakuierung der Sammlungen 173  Die Einnahme Peterhofs 175  Abtransporte oder Plünderungen? 178  Der Abtransport des Neptunbrunnens 180  Zum Verschwinden des „Samson“ 183  Körte und Keller: Zwei Freunde im Einsatz für den „Kunstschutz“ 186 Die Befreiung eines Mythos 192

5 Krasnogvardejsk: Umschlagplatz für Truppen und Güter 197 Die Hüterin von Schloss Gatčina 197  Fatale Konsequenzen einer fehlerhaften Planung 198 Einnahme und Plünderung 201  Verbrechen des Besatzungsregimes 207 Etappenstadt Krasnogvardejsk 212  Organisierte Abtransporte in den Jahren 1942/43 214 Rückkehr in eine Brandruine 219

6 Novgorod: Museumsstadt unter Beschuss 223 Vorkehrungen in letzter Minute 223  Russische Stadtverwaltung und deutsche Besatzung 227 Dokumentationen deutscher und russischer Fachleute 231  Schutzmaßnahmen durch Vasilij Ponomarev 237  Übergabe in Riga: Die Bücher der Novgoroder Bibliothek 242  Das Schicksal der Ikonen 244  Nachlese 251

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Inhalt

7 Pskov – Hauptquartier mit zivilem Leben 255 Eroberung und Übergang zum Besatzungsalltag 255  Berichte über die Kunstgüter Pskovs 262 Bergung der Kirchenschätze aus Tichvin 263  Schwungvoller Ikonenhandel 268  Anfänge einer Museumstätigkeit 275  Rückzug auf Raten und die Folgen 285 Letzte Beutekunst-Ausstellungen der Heeresgruppe Nord 287

IV Kulturgüter in der Verfügung der Alliierten 293 1 Sowjetische, amerikanische und britische Planungen 293 2 Königsberg und die Suche nach dem Bernsteinzimmer 294 3 Rückführungen aus sowjetisch besetzten Gebieten 298 4 Der Central Collecting Point in München 303 5 Die Restitution des Neptunbrunnens 309 6 Verwirrspiele um die „Muttergottes von Tichvin“ 311 7 Fazit 315

V Sowjetische Museen in der Nachkriegszeit 317 1 Die Verluste der Vorortschlösser 317 Prioritäten des Wiederaufbaus 319  Kontrovers: Die Prinzipien der Restaurierung 320 Konkrete Maßnahmen 323

2 Kulturreservat oder sozialistische Stadt? 329 Novgorod: Eine Ruinenstadt 330  Pskov: Ein mühevoller Neubeginn 336  Die Ideen des Architekten Jurij Spegaľski 338  Das Nachkriegsschicksal des Pskover Landeskundlichen Museums 340

3 Plan und Wirklichkeit: Denkmalschutz vor und nach Stalins Tod 341

Anhang 347 Dank 347 Abkürzungsverzeichnis 349 Archivverzeichnis 352 Literaturverzeichnis 358 Bildnachweis 375 Personenregister 379

Inhalt

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Vorwort der Reihenherausgeber Hermann Parzinger Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, deutscher Sprecher des Deutsch-Russischen Museumsdialogs Britta Kaiser-Schuster Dezernentin der Kulturstiftung der Länder, Leiterin des Deutsch-Russischen Museumsdialogs Der Deutsch-Russische Museumsdialog DRMD startet seine Schriftenreihe mit der vorliegenden Publikation der Ergebnisse des von ihm initiierten wissenschaftlichen Forschungsprojektes „Russische Museen im Zweiten Weltkrieg“. Unabhängige bilaterale Forschung ist die Voraussetzung, die Geschichte von Museen und Sammlungen im Zweiten Weltkrieg sowohl in Russland wie in Deutschland wissenschaftlich aufzuarbeiten. Mit diesem Ziel wurde der Deutsch-Russische Museumsdialog 2005 in Berlin von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Kulturstiftung der Länder und über 80 deutschen Museen gegründet. Der DRMD hat es sich zur Aufgabe gemacht, Aktivitäten und Kontakte zwischen deutschen und russischen Museen auf der Fachebene zu ermöglichen oder zu intensivieren und kollegial-vertrauensvolle Zusammenarbeit zu fördern. Im Fokus steht die gemeinsame Erforschung der deutschen wie der russischen Kriegsverluste: die Aufklärung über die kriegsbedingt verbrachten Kunst- und Kulturgüter in Deutschland und Russland, die Rekonstruktion der Sammlungsgeschichte und die Geschichte der einzelnen Kunstwerke in Kriegs- und Nachkriegszeit. In den letzten Jahren hat sich der DRMD zu einem wichtigen Fundament deutsch-russischer Kulturbeziehungen entwickelt. Er ist vertrauensvoller Ansprechpartner für Museen und Kultureinrichtungen in beiden Ländern und übernimmt zunehmend Beratung wie Organisation bei Restitutionen von Kunstwerken, die aus Deutschland an die russischen Ursprungsmuseen zurückgegeben werden. So wurde 2013 auf Basis der Forschungen zum vorliegenden Buch ein umfangreiches Buch-Konvolut der Rossi-Bibliothek aus deutschem Privatbesitz nach Schloss Pavlovsk zurückgeführt. Seit 2015 konnten aus Privatbesitz mehrere Rückgaben an ein weiteres Partnermuseum in Novgorod erfolgen. 2017 kehrte nach über 70 Jahren das Gemälde „Waldweiher“ (1881) von Vasilij D. Polenov aufgrund eines durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts der Kieler Kunsthalle ins südrussische Taganrog zurück. Diese Rückgaben werden mit großer Freude gefeiert und stehen für den hohen Stellenwert dieser einzelnen Gesten von Wiedergutmachung, die aller Mühen wert ist. Mit der Beforschung der Verluste deutscher Museen in Kriegs- und Nachkriegszeit hinsichtlich kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter in die Sowjetunion, sehr konkret der Rekon-

Vorwort der Reihenherausgeber

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struktion der Geschichte der einzelnen Objekte, unterstützt der DRMD seit 2008 die Museen darin, Klarheit über Art und Umfang ihrer verlorenen Kunstwerke zu gewinnen. Auf dieser Basis können deren Wege von deutschen und russischen Kollegen gemeinsam untersucht sowie in Publikationen und Ausstellungen der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden. Gelungene Beispiele auf Basis der detaillierten Objektrecherchen des DRMD sind die Kooperationen zwischen den Gemälde- und Skulpturensammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin und dem Puschkin-Museum in Moskau im Rahmen des Ausstellungsprojektes „Das verschwundene Museum“ und des Donatello-Forschungsprojektes. Auch die Untersuchungen zu den vermissten Kunstwerken des Museums Schloss Friedenstein in Gotha mündeten in eine Zusammenarbeit mit dem Puschkin-Museum in Moskau, das 2016 nicht nur die erste große Cranach-Ausstellung in Russland, sondern auch erstmals wieder nach dem Zweiten Weltkrieg die komplette Gothaer Cranach-Sammlung zeigte. 2017 war das Puschkin-Museum dann zu Gast in Gotha mit Meisterwerken der französischen Kunst. Jenseits der Verlustgeschichte deutscher Museen ist es ein besonderes Anliegen des DRMD, die Aufarbeitung der Geschichte der russischen Verluste zu intensivieren und zu unterstützen. Deshalb widmete sich dieses deutsch-russische Forschungsprojekt in den vergangenen Jahren den Russischen Museen im Zweiten Weltkrieg. Das Projekt wurde großzügig unterstützt durch die VolkswagenStiftung im Rahmen des Programms „Forschung in Museen“ gemeinsam mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Kulturstiftung der Länder. Antragsteller war der Deutsch-Russische Museumsdialog über die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Mehr als 170 russische Museen waren von Kriegsverlusten betroffen. Untersucht wurden deshalb exemplarisch die bedeutendsten Sammlungen in Novgorod und Pskov sowie der vier Zarenschlösser um St. Petersburg, Carskoe Selo, Peterhof, Gatčina und Pavlovsk von 1941 bis in die frühen 1950er Jahre. Nachgezeichnet wurden weniger die Geschichte der einzelnen Kunstwerke, sondern der jeweiligen Sammlungen, die Wege zurück in ihr Heimatmuseum, ihre Weitertransporte innerhalb der Sowjetunion oder ihre Verlagerung durch die Deutsche Wehrmacht. Im Mittelpunkt des Projekts standen Fragen nach den historischen Umständen, unter denen die Museen den Krieg erfahren hatten. Insgesamt wurden aus den Vorortschlössern rund ein Drittel der Kunstwerke evakuiert, der Rest fiel Raub und Plünderung zum Opfer. Das Forschungsprojekt nahm die russischen wie die deutschen Akteurinnen und Akteure in den Blick. Untersucht wurden die konkreten Auswirkungen ihres Handelns auf die Museen, wobei die Aktionen und Biografien einzelner Personen neues Quellenmaterial darstellten. Zur Vorbereitung hatte die VolkswagenStiftung ein Vorprojekt gefördert, in dessen Rahmen 2009 eine Recherchereise zu den vier Vorortschlössern von St. Petersburg sowie nach Pskov und Novgorod stattfand. Dies mündete in ein Kolloquium mit Vertreterinnen und Vertretern der ausgewählten russischen Museen, russischer und deutscher Archive, Fachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, dem russischen Kulturministerium sowie

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Vorwort der Reihenherausgeber

Repräsentanten des Museumsdialogs, das 2010 in Moskau abgehalten wurde, um gemeinsam das Profil und die Schwerpunkte des avisierten Forschungsprojektes zu beraten und festzulegen. Um die Geschichte der Museen und ihrer Sammlungen im Krieg rekonstruieren zu können, bedurfte es des Fachwissens der Museen selbst, der profunden Kenntnis der Kultur- und Kunstgeschichte, der Zeitgeschichte sowie der deutschen und russischen Archive. Innerhalb der Kultur- und Kunstgeschichte spielten Aspekte der musealen Organisation und der Identifikation von Sammlungen eine besondere Rolle, innerhalb der Zeitgeschichte Fragen der Verwaltungsstrukturen, institutionellen Zuständigkeiten, persönlichen Verantwortlichkeiten. In der Erklärung der beteiligten russischen Museen hieß es: „Die Museen begrüßen einhellig die deutsche Initiative. Das avisierte Projekt eröffnet für die Museen erstmalig die Möglichkeit, das Schicksal ihrer Häuser und Sammlungen während des Krieges in einer komplementären und systematischen Auswertung deutscher und russischer (auch alliierter) Aktenbestände zu untersuchen. Unsere Erwartung ist groß, auf diese Weise nicht nur neue historische Einsichten zu erfahren, sondern auch Spuren zu finden, wo einzelne Kunstwerke geblieben sein können. Trotz der Registratur der Verluste und eigener Recherchen sind wir noch immer auf Vermutungen und Spekulationen angewiesen. In unseren Museen sind weder die finanziellen Mittel noch die personellen Möglichkeiten vorhanden, die erforderlichen Forschungen allein durchzuführen. Daher kommt das Projekt einem Durchbruch gleich. Wir sind nicht nur zur Mitarbeit bereit, sondern auf das Vorhaben geradezu angewiesen“ (Larisa Bardovskaja/Carskoe Selo, Julija Kantor/Eremitage, Aleksej Guzanov/Pavlovsk, und Nataľja Tkačeva/Pskov). Das Projektteam (wissenschaftliche Leitung Wolfgang Eichwede/Universität Bremen, Projektleitung 2009–2014 Britta Kaiser-Schuster) hat mit und in den Museen gearbeitet. Svetlana Nekrasowa, ehem. Leiterin der Abteilung Museen im russischen Kulturministerium, koordinierte in der Anfangsphase auf russischer Seite die teilnehmenden Museen. Das Projekt war im Rahmen des DRMD in Planung und Durchführung ein russischdeutsches Gemeinschaftsunternehmen. Mit der Publikation als erstem Band in der neuen Schriftenreihe setzt der Deutsch-Russische Museumsdialog damit ein Zeichen für die bilaterale wissenschaftliche Kooperation, in den Bemühungen um Transparenz in der Aufarbeitung unserer gemeinsamen Geschichte. Allen Beteiligten sagen wir herzlichen Dank. Berlin, im Juni 2018

Vorwort der Reihenherausgeber

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Einleitung Wolfgang Eichwede Wissenschaftlicher Leiter

„Wart’ auf mich, ich komm’ zurück ...“ Wer das heutige Velikij (Groß-)Novgorod besucht, bewundert den Kremľ mit seiner Sophien­kathedrale, staunt über die wuchtig-harmonische Architektur der Kirchen, die vom vormaligen Reichtum der mittelalterlichen Stadtrepublik Zeugnis ablegen, und versucht, sich ein Bild von der immensen Ausdehnung des Novgoroder Reichs im Norden Russlands zu machen. Keine 150 Kilometer nördlich geht man durch die Raumfluchten des Katharinenpalasts in Carskoe Selo, um sich in der Weite des in Gold glitzernden Thronsaals ebenso frei wie klein zu fühlen. Die weitläufigen Parkanlagen von Peterhof erinnern an die Größe eines Reiches, das sich als Imperium verstand. Sie zeugen vom Glanz einstiger Macht und Größe. Nur Fotoserien in Eingangshallen oder Ausstellungsräumen erinnern daran, dass hier vor einem Dreivierteljahrhundert rundum Trümmerfelder waren. Novgorod war Frontstadt gewesen, ein Ruinenfeld, die Zarenschlösser zusammengeschossen, ausgebrannt und von der Wehrmacht okkupiert. Zwischen der großen Vergangenheit und der imponierenden Pracht der Gegenwart klafft eine Lücke, ein Kahlschlag, den die Betrachtenden zur Kenntnis nehmen, um sich sogleich wieder der Schönheit des Augenblicks zuzuwenden. Der Krieg ist dennoch nicht vergessen. In den Opfern, die er forderte, und ungezählten, persönlichen Leidenswegen bleibt er präsent. Schwer gelitten hat auch die Kultur des ­Landes. Ihr Schicksal im Krieg ist Gegenstand dieses Buches. Was auf den ersten Blick als historisches Thema erscheint, erweist sich auf den zweiten als eine Frage, die tief in die Gegenwart hineinreicht. Und dies nicht nur durch die unwiederbringlichen Verluste, die Zerstörung und Raub hinterlassen haben, sondern – im Gegenteil – auch durch überraschende Funde verloren geglaubter Kunstwerke, die bis heute in der Bundesrepublik gemacht werden und an ihren Heimatort zurückkehren. Viele Museen berichten von Deutschen, die bei ihnen vorbeikommen, um eine Vase oder kleine Statue abzugeben: ihr Vater oder Großvater sei als Soldat im Kriege vor Leningrad gewesen ... Bei der Arbeitsgruppe der Bremer Forschungsstelle Osteuropa, die sich mit dem Schicksal verlorener Kunst befasste, rief Mitte der neunziger Jahre eine hochbetagte Dame an, ihr Mann habe zu den Einheiten der Wehrmacht gehört, die Carskoe Selo besetzt hätten, und ihr einige offenkundig wertvolle Bücher aus dem 18. Jahrhundert als Erinnerung zukommen lassen. Er selbst sei noch 1945 gefallen, sie aber wolle „das“ vor ihrem Tod „in Ordnung bringen“. Ob man ihr helfen könne, die Dinge zurückzugeben? Es waren neben Bänden aus der Bibliothek des Schlosses auch ein Atlas Nordeuropas von 1703 aus Pskov. Die – private –

„Wart’ auf mich, ich komm’ zurück ...“

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Übergabe im Katharinenpalast gestaltete sich zu einem kleinen Staatsakt. Sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten sich in einem der Festsäle versammelt und feierten die Heimkehr von vier oder fünf Büchern bei tausenden von verlorenen Objekten. In den Akten des Auswärtigen Amts fanden die Bremer Wissenschaftlerinnen Hinweise, dass Friedrich Werner von der Schulenburg, bis 1941 deutscher Botschafter in der UdSSR, im November 1942 über 170 Bücher als „Geschenk“ erhalten hatte, die aus Schloss Pavlovsk bei Leningrad stammten. Sie waren zuvor vom SS-Sonderkommando des Auswärtigen Amtes „Gruppe Künsberg“ aus der berühmten Rossi-Bibliothek geraubt worden.1 Eine erste Kontaktaufnahme zur Familie blieb ohne weiterführende Spur. 1997 wurden die Dokumente veröffentlicht, die Schulenburgs erneut zweimal über einen mit ihnen verwandten ­Diplomaten angesprochen, wieder ohne Ergebnis. Erst als der Fall 2013 drohte, über eine Veröffentlichung der „Süddeutschen Zeitung“ eine größere Öffentlichkeit zu erreichen, fanden sich „überraschend“ 135 der Bände in der Familienbibliothek auf Burg Falkenberg in der Oberpfalz.2 Mit Hilfe des DeutschRussischen Museumsdialogs gingen sie nach Pavlovsk zurück. Erst kürzlich meldete sich bei dem Autor eine Unternehmerin aus dem Münsterland. Im Nachlass ihres gerade gestorbenen Abb. 1  Die Ikone der Gottesmutter „Skoroposluščnica“ schenkten Mönche des Vaters befinde sich eine Berges Athos dem Großfürsten Aleksej Aleksandrovič am 21. Mai 1875 – so die Ikone, die dieser schon vor rückseitige Widmung. 1 2

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Ulrike Hartung, Raubzüge in der Sowjetunion. Das Sonderkommando Künsberg 1941–1943, Bremen 1997, S. 89, 104–113. Tim Neshitov, Die verlorenen Bücher kehren heim, in: „Süddeutsche Zeitung“, 24.06.2013.

Einleitung

Jahrzehnten von seinem Bruder geschenkt bekommen habe – der Bruder war Soldat in der Heeresgruppe Nord gewesen. Auf der Rückseite der Ikone seien Buchstaben, Siegel, Inschriften und Zahlen, die es zu entziffern gelte. Das Problem war schnell gelöst. Die, wie sich herausstellte, „wundertätige“ Ikone trug eine Inventarnummer des Katharinenschlosses in Carskoe Selo – sie war dem Bruder des Zaren Alexander III. 1875 von russischen Mönchen auf dem Berg Athos in Griechenland geschenkt worden. In einer bewegenden Aktion gab die Familie sie 2016 an das Eigentümerschloss zurück. Der sicher spektakulärste Fall war die Rückgabe eines Mosaiks aus dem Bernsteinzimmer.3 1756/57 hatte die Habsburger Kaiserin Maria Theresia der russischen Zarin Elisabeth vier Florentiner Mosaike geschenkt, die in das Bernsteinzimmer eingebaut wurden. 1941 brach offenbar ein Angehöriger der Wehrmacht das Mosaik aus der Wand und eignete es sich an, noch ehe das gesamte Zimmer „offiziell“ abgebaut und abtransportiert wurde. 1997 versuchte der Sohn des Soldaten, das geerbte Stück (über einen Rechtsanwalt) „unter der Hand“ in Bremen zu verkaufen. Das schlug fehl. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte das Mosaik, was jedoch einen lebhaften Rechtsstreit provozierte. In Gesprächen mit der Justiz

Abb. 2  Eines der vier Florentiner Mosaiken aus dem Bernsteinzimmer wurde noch vor dem Abtransport der Wandverkleidung entwendet und fand sich im Jahr 1997 in Bremen wieder.

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Zum Folgenden vgl. Vol’fgang Ajchvede, Vozvraščenie mozaika – s černogo rynka v jantarnuju komnatu Carskogo Sela, in: I. K. Bott (Hrsg.), Gorod Puškin. Dvorcy i ljudi, St. Petersburg 2015, S. 258–277.

„Wart’ auf mich, ich komm’ zurück ...“

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der Hansestadt einerseits sowie über ein „Lösegeld“ an die Erben des Soldaten andererseits gelang es, einen jahrelangen Prozess zu vermeiden und das Mosaik freizubekommen. Im April 2000 kehrte es in seinen Heimatort zurück – der russische Präsident nahm es persönlich entgegen. Zeitgleich ermöglichte Russland die Ausfuhr von 101 kostbaren Zeichnungen der Bremer Kunsthalle, die am Ende des Krieges von sowjetischen Soldaten am Auslagerungsort in Brandenburg mitgenommen und 1993 an die deutsche Botschaft übergeben worden waren. Aber auch die Rückgabe der wertvollen Mariä-Schutz-Ikone aus Pskov war eine Sensation. Schon in einem Ausstellungskatalog von 1970 gezeigt, entwickelte das russische Kulturministerium erst 1998 Interesse an dem Verbleib. Sie fand sich im Besitz einer 90-jährigen Dame in Berchtesgaden. Die Fälle von Rückgaben lassen sich vervielfachen. In allen steckt ein Stück Kriegsgeschichte, das oftmals kaum mehr zu entwirren ist. Erzählungen deutscher Soldaten zufolge kam es in den besetzten ­Territorien auf dem blühenden (wenngleich formell untersagten) Schwarzmarkt nicht selten zum ­„Erwerb“ von Ikonen. Pastoren erhielten als „Dank“ für

Abb. 3  Die äußerst wertvolle, wundertätige Ikone „Muttergottes von Pskov-Pokrov“ konnte im Jahr 1998 in Berchtesgaden in deutschem Privatbesitz aufgefunden und 2002 nach Pskov restituiert werden.

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Einleitung

Taufen Gottesbilder. Ärzte wurden für medizinische Hilfe mit Bildern oder Volkskunst bezahlt. Andere wiederum „retteten“ historische Fotografien, Vasen oder Aquarelle „in letzter Minute aus den Flammen“ oder „überfluteten Kellern“. Die Erzählungen folgen immer den gleichen Mustern. Die Grenzen zwischen Plünderung, Ausnutzung von Notlagen und illegalem „Kauf “ waren f­ ließend. Offensichtlich fehlte den Soldaten aber als Besatzern ein Unrechtsbewusstsein. Die beachtliche Zahl von Funden, die bis heute immer wieder verzeichnet werden, erhärtet die Vermutung, dass private Mitnahmen zur Tagesordnung des deutschen Krieges gehörten. Auf ihrer Folie schreiben die Rückgaben in dem Wunsch, „etwas in Ordnung zu bringen“ oder wiedergutzumachen, was die „Väter“ angerichtet haben, ihrerseits die Geschichte weiter. Gleichzeitig verweisen sie auf eine Dimension des Krieges, die erst nach und nach in das öffentliche Bewusstsein tritt: den deutschen Kunstraub in der Sowjetunion.4 Die Autorinnen dieses Buches haben sich die Aufgabe gestellt, ihn am Beispiel von sechs ausgewählten Orten im Nordwesten Russlands – den Museen von Novgorod und Pskov sowie den vier Zarenschlössern bei Leningrad, Peterhof, Carskoe Selo, Pavlovsk und Gatčina – zu veranschaulichen und zu analysieren. Um die Tragweite des Geschehens vor Ort zu verstehen, muss einleitend mit wenigen Strichen der historische Rahmen skizziert werden.

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Deutschland und die Sowjetunion 1918–1945 Nähe in Gegensätzen

Selten haben sich zwei Völker und Kulturen so nah zueinander definiert wie Russen und Deutsche. Selten haben sie sich dann in zwei Weltkriegen so bitter bekämpft und verletzt. Die Verbindung von Nähe und Tod frappiert bis heute. Vom 18. Jahrhundert an wirkten die philosophischen Schulen des einen Landes auf die geistige Welt des anderen. Die russische Literatur fand Eingang in die deutsche und umgekehrt. Künstler und Künstlerinnen pflegten einen regen Austausch. Während – nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon – auf staatlicher Ebene zunächst das Königsreich Preußen, später das kaiserliche Deutschland und das zaristische Russland ihre machtpolitischen Allianzen schmiedeten, blickten auf gesellschaftlicher Ebene vom späten 19. Jahrhundert an die russischen Revolutionäre auf ihre deutschen Vordenker von Karl Marx bis Karl Kautsky. Die Idee der Weltrevolution war für Lenin und seine Genossen ohne Deutschland nicht vorstellbar. Doch gab es immer auch ein mächtiges Potential an Ressentiments und nationalen Vorurteilen, das, wie der Erste Weltkrieg zeigte, zwischen den Völkern massiv und ungezügelt mobilisiert werden konnte.

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Corinna Kuhr-Korolev/Ulrike Schmiegelt-Rietig, Geklaut haben immer die anderen! Ausblendungen und Rechtfertigungsstrategien: Der NS-Kunstraub in Osteuropa, in: Osteuropa 67 (2017), H. 3–4, S. 167–180.

Deutschland und die Sowjetunion 1918–1945

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Die russische Revolution von 1917 forderte die herrschenden Gesellschaftsverhältnisse in ihren Fundamenten heraus. Während sie sich ursprünglich als Auftakt gesamteuropä­ ischer Umwälzungen verstand und von dem Gedanken getragen war, die bürgerliche Welt in toto aus den Angeln zu heben, führte sie letztendlich zu einem Wettkampf der Systeme – des sozialistischen und des kapitalistischen –, der über ein Dreivierteljahrhundert in wechselnden Konstellationen die internationale Politik bestimmen sollte. Zu Beginn stand Deutschland im Zentrum aller Erwartungen der Bolschewiki. Nach dem Frieden von Brest-Litovsk, den die Mittelmächte noch im Frühjahr 1918 dem revolutionären, aber ohnmächtigen Russland aufgezwungen hatten, schienen schon im Herbst der Sturz der Hohenzollernmonarchie und die Niederlage des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg die europäische Perspektive der Revolution einzulösen. Doch weit gefehlt. Die Moskauer Hoffnungen auf einen sozialistischen Umsturz in Berlin verflogen bald. Stattdessen sahen sich die junge Sowjetrepublik und die ebenfalls junge Weimarer Demokratie als Opfer, die von der Versailler Ordnung ausgeschlossen oder in die Rolle von Outcasts gedrängt worden waren, aufeinander angewiesen oder gar zu einer Partnerschaft gezwungen.5 Und dies, obgleich ihre politischen Verfassungen in scharfem Gegensatz zueinander standen und die Erfahrungen des Weltkriegs erst wenige Jahre zurücklagen. Mit dem Vertrag von Rapallo im April 1922, der die Aufnahme diplomatischer Beziehungen regelte, begann eine Phase gegenseitiger Abstimmung, der es zeitweise nicht an Intimität fehlte. Die streng vertrauliche Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee war eines ihrer Kernstücke. Auch die wirtschaftlichen Verbindungen lebten in den zwanziger Jahren auf – Russland erschien immer als verlockender Markt, Deutschland als Quelle moderner Technik. Gleichzeitig fungierte die sowjetische Botschaft Unter den Linden jenseits diplomatischer Gepflogenheiten als Kontaktstelle zur KPD, die auch nach dem Scheitern aller revolutionären Illusionen die wichtigste Sektion der von Moskau gesteuerten Kommunistischen Internationale blieb. Die deutsch-sowjetischen Beziehungen bis 1933 besaßen ihre eigene Brisanz – sie bewegten sich in schillernden Kontrasten, die sich dennoch zusammenfügten.6

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Wolfgang Eichwede, Der Eintritt Sowjetrusslands in die Internationale Politik, 1921–1927, in: Dietrich Geyer (Hrsg.), Osteuropa-Handbuch Sowjetunion. Außenpolitik I: 1917–1955, Köln/Wien 1972, S. 150–212. Aus der Fülle der Literatur zu den russisch- bzw. sowjetisch-deutschen Beziehungen der Zwischenkriegszeit seien nur drei Titel genannt: Fritz Mierau, Russen in Berlin 1918–1933, Weinheim/Berlin 1988; Karl Schlögel, Berlin – Ostbahnhof Europas. Russen und Deutsche in ihrem Jahrhundert, Berlin 1998; Karl Eimermacher/Astrid Volpert (Hrsg.), Stürmische Aufbrüche und enttäuschte Hoffnungen. Russen und Deutsche in der Zwischenkriegszeit, unter Mitarbeit von Gennadij Bordjugow, München 2006.

Einleitung

Das alte Russland und die neue Sowjetunion sind aus dem intellektuellen Leben der Weimarer Republik nicht wegzudenken. In Gesellschaft und Kultur der Goldenen Zwanziger waren sie in all ihren Widersprüchen präsent. Während die großen Romanciers des 19. Jahrhunderts fortwirkten, zogen die Experimente einer neuen Welt, wie sie aus Moskau und Kiew, aus Leningrad (Petrograd) und Char’kov berichtet wurden, auch viele in ihren Bann, die keineswegs der kommunistischen Weltanschauung anhingen. Die Avantgarde in der Malerei ist ohne das Oszillieren zwischen der russischen und deutschen Kunstszene überhaupt nicht vorstellbar. Dabei erwiesen sich die 300.000 Emigranten jeglicher Couleur, die allein in Berlin, in „Charlottengrad“, wohnten, eher als Sog denn als Barriere. Die Stadt wurde zu einer Begegnungsstätte beider Kulturen. In der „Ersten Russischen Kunstausstellung“ 1922 in Berlin wurde der Bogen vom späten 19. Jahrhundert bis zum Konstruktivismus der Moderne geschlagen – sie sollte bald legendär werden. 1929 wiederum lenkte eine große Ikonenausstellung die Aufmerksamkeit auf die altrussische Kunst, um nur zwei herausragende Beispiele zu nennen. Sowjetische Musiker, Tänzer, Schriftsteller, Wissenschaftler und Politiker beiderlei Geschlechts gaben sich gegenseitig die Klinke in die Hand. Besucher und Besucherinnen aus dem großen Nachbarland zählten zur Berliner Gesellschaft. Kritik stand neben Neugier, Ablehnung neben Bewunderung. Während Verlage kontinuierlich und zeitnah Neuerscheinungen aus dem Russischen ins Deutsche übersetzten, berichteten die großen Zeitungen und Zeitschriften, auch russischsprachige, laufend über das Geschehen in der Sowjetunion. Reisen hatten Konjunktur. So war die deutsche Öffentlichkeit über die ökonomischen Umbrüche, die Zementierung des Einparteienstaats und die Einschränkung der Denkräume wohl informiert, um dennoch auf ambivalente Weise interessiert oder gar beeindruckt zu bleiben.

Die Sowjetunion Stalins: Industrialisierung und Terror Tatsächlich bot die Sowjetmacht in ihren ersten Jahren ein Bild dramatischer Gegensätze.7 Mit dem Tag der Oktoberrevolution ließen die Bolschewiki nicht den geringsten Zweifel, dass sie eine Diktatur „des Proletariats“ errichten und für ihre politischen Gegenspieler keinerlei Toleranz kennen würden. So gehörte der Aufbau der „Außerordentlichen Kommission“ – der Geheimpolizei – zu ihren ersten Schritten. Im Bürgerkrieg und „Kriegskommunismus“ verbanden sich Revolutionsutopien und Gewalt zu einer unheilvollen Kombination. Die in der revolutionären Euphorie avisierte Schaffung eines „Neuen Menschen“ eröffnete der Avantgarde in Literatur und Kunst für wenige Jahre ungeahnte Gestaltungsmöglichkeiten. Gleichzeitig aber wurden tausende von Angehörigen der akademischen Schichten in die Emigration getrieben oder zuhause Repressionen und Verfolgung

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Als Überblick vgl. Manfred Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion 1917–1991. Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates, München 1998; Martin Malia, The Soviet Tragedy. A History of Socialism in Russia, 1917–1991, New York 1994.

Deutschland und die Sowjetunion 1918–1945

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ausgesetzt. Seit 1921 erzwangen die Verluste des gewonnenen Bürgerkriegs in der „Neuen Ökonomischen Politik“ eine Strategie des sozialen Ausgleichs. Sie jedoch wurde zur Folie heftiger Machtkämpfe innerhalb der kommunistischen Partei. Oppositionelle Stimmen wurden ausgeschaltet. Mit Stalin als Sieger erlebte die Parteidiktatur eine nochmals neue Qualität. Wohl brachten seit 1929 die Fünfjahrespläne für nicht wenige Sowjetbürger Aufstiegschancen mit sich, doch stürzte die Kollektivierung das flache Land in den Tod, in Hungersnot, Deportationen und Elend, in der Ukraine in den „Holodomor“.8 Das Ziel, die UdSSR um jeden Preis und ohne jeden gesellschaftlichen Kompromiss zu industrialisieren, wurde begleitet von Terror gegen die einstige Revolutionselite, aber auch flächendeckend gegen die eigenen Apparate und die eigenen Völker. Das Jahr 1937 wurde zum Jahr des „Großen Terrors“.9 Hunderttausende wurden physisch „liquidiert“ oder in den GULag geschickt. Betroffen war auch eine hohe Zahl kommunistischer Spitzenfunktionäre und Emigranten, die aus dem nationalsozialistischen Deutschland geflohen waren und in Moskau Zuflucht gesucht hatten.10 Ein Kapitel von dramatischer Bedeutung für den nahen Krieg ist die Hinrichtung der führenden Militärs, unter ihnen Russlands legendärer Marschall Michail Tuchačevskij. 1937 und 1938 wurden nach unterschiedlichen Berechnungen mehr als 30.000 Offiziere der Roten Armee verhaftet oder aus dem Dienst entlassen, drei von fünf Marschällen, insgesamt über 60 Prozent der obersten Armeeführung erschossen.11 Stalins ungehemmter Machtwille nahm keine Rücksicht auf die Sicherheitsinteressen des Landes.

Das nationalsozialistische Deutschland: „Herrenmenschen“ und „Lebensraum“ Nach Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 wurden zügig alle demokratischen Strukturen zerschlagen und die nationalsozialistische Diktatur etabliert. Die proklamierte „Volksgemeinschaft“ grenzte alle aus, die als „rassisch“ fremd, als „biologisch nicht gesund“ oder als andersdenkend definiert wurden, durch Negation oder gar Tötung sollte nach innen eine homogene Gemeinschaft geschaffen werden. Außenpolitisch zielte der NS-Staat darauf, die bestehende europäische Staatenordnung aus den Angeln zu heben. Ziel war ein ethnisch

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J. Arch Getty/Oleg V. Naumov, The Road to Terror. Stalin and the Self-Destruction of the Bolsheviks, 1932–1939, in: Annals of Communism Series, New Haven/London 1999. Zur neueren Diskussion: Manfred Sapper/Volker Weichsel (Hrsg.): Im Profil. Stalin, der Stalinismus und die Gewalt, Berlin 2012 [Osteuropa 62 (2012), H. 4]. 9 Karl Schlögel, Terror und Traum. Moskau 1937, München 2008. 10 William J. Chase, Enemies Within the Gates. The Comintern and the Stalinist Repression, 1934–1939, in: Annals of Communism Series, New Haven/London 2001. 11 Nicolas Werth, Ein Staat gegen sein Volk. Gewalt, Unterdrückung und Terror in der Sowjetunion, in: Stephane Courtois u. a. (Hrsg.), Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München/ Zürich 1997, S. 51–295, hier S. 221; Oleg F. Suvenirov, Tragedija RKKA 1937–1938, Moskau 1998, S. 315 (RKKA = Raboče-Kresťjanskaja Krasnaja Armija). Zu den Größenordnungen und genauen Zahlen gibt es bis heute in Russland eine intensive militärgeschichtliche Forschung.

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„entmischtes“ Europa ohne Juden unter nationalsozialistischer (auch wirtschaftlicher) Vorherrschaft.12 Dennoch fanden die beiden Diktatoren am 23. August 1939 in dem „Nichtangriffsvertrag“, bekannt als Hitler-Stalin-Pakt, eine gemeinsame Sprache. Während das Deutsche Reich zu diesem Zeitpunkt die UdSSR in dem von ihm geplanten Krieg neutralisieren wollte, ging es umgekehrt der Sowjetunion darum, nicht in diesen Krieg hineingezogen zu werden. Vor allem aber vereinbarten die Vertragspartner in einem geheimen Zusatzprotokoll, Polen und die baltischen Staaten unter sich aufzuteilen, so dass beide Mächte die Gewinner waren. Am 1. September 1939 marschierte Deutschland, am 17. September die Sowjetunion in Polen ein. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs sah Hitler und Stalin faktisch als Verbündete, die in mehreren Zusatzverabredungen am 28. September ihre neue „Freundschaft“ feierten.13 Doch täuschten die wechselseitigen Versicherungen. Schon im Frühjahr 1940 aktualisierte Hitler seine Angriffsabsichten gegenüber Russland. Nach dem Sieg über Frankreich war das nächste Ziel, die eigene Rohstoffbasis zu erweitern und den Kontinent in seiner Gesamtheit zu beherrschen, noch ehe die USA mit ihrem wachsenden Rüstungspotential auf den Plan träten. Großbritannien, das keinen Frieden schließen wollte, würde damit die Spekulation auf einen kontinentalen Partner genommen. Aus allen Argumenten sprach ein durch und durch imperiales Denken. Hitler und seine Gefolgschaft hatten zu keinem Zeitpunkt von ihren Vernichtungsvisionen gegenüber Russland und der „Schaffung eines Kolonialreichs in Osteuropa“ abgelassen.14 „Der Kampf um die Hegemonie in der Welt“ werde durch die Eroberung „des russischen Raumes“ entschieden, er mache „Europa zum blockadefestesten Ort der Welt.“15 In gleichem Zuge gelte es, „die Gefahr des Bolschewismus ,ein für allemal‘ aus der Welt zu schaffen“16. Notwendig sei „die Anwendung bru­ talster Gewalt.“17 Die deutsche Armeeführung, im Hochgefühl ihrer militärischen Erfolge 12 Vgl. Götz Aly/Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Frankfurt a. M. 1993. Als Überblick: Michael Wildt, Geschichte des Nationalsozialismus, Göttingen 2008; Ludolf Herbst, Das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Die Entfesselung der Gewalt: Rassismus und Krieg, Frankfurt a. M. 1996; Norbert Frei, Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933–1945, München 3. Aufl. 1993; Ulrich Herbert, Das Dritte Reich. Geschichte einer Diktatur, München 3. Aufl. 2018. 13 Vgl. Werner Markert/Dietrich Geyer (Hrsg.), Osteuropa-Handbuch Sowjetunion. Verträge und Abkommen 1917– 1962, Köln/Graz 1967, S. 152–154. 14 Ulrich Herbert, „Barbarossa“. Strategische Planungen und politische Vorentscheidungen, Juni 1940–Juni 1941, in: Peter Jahn/Florian Wieler/Daniel Ziemer (Hrsg.), Der deutsche Krieg um „Lebensraum im Osten“ 1939–1945. Ereignisse und Erinnerung, Berlin 2017, S. 21–45, hier S. 22. 15 Hitler zit. nach Jürgen Förster, Hitlers Entscheidung für den Krieg gegen die Sowjetunion, in: Horst Boog/Jürgen Förster/Joachim Hoffmann (Hrsg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 4: Der Angriff auf die So­ wjetunion, Frankfurt a.M. 1991 [1983], S. 43. 16 Wiederum Hitler nach den Aufzeichnungen des Generalmajors Warlimont, zit. bei Gerd R. Ueberschär, Hitlers Entschluss zum „Lebensraum“-Krieg im Osten, in: ders./Wolfram Wette (Hrsg.), Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion „Unternehmen Barbarossa“ 1941, Frankfurt a.M. 1991, S. 13–44, hier S. 31. 17 Hitler im März 1941, zit. nach: Jürgen Förster, Das „Unternehmen Barbarossa“ als Eroberungs- und Vernichtungskrieg, in: Boog/Förster/Hoffmann 1991b, S. 498–538, hier S. 501.

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in Westeuropa, zeigte sich überzeugt, einen „Blitzkrieg“18 wiederholen und binnen dreier Monate siegen zu können. Ein schneller Erfolg war auch notwendig, denn auf einen langen Krieg war Deutschland nicht vorbereitet. Am 31. Juli 1940 fiel die Entscheidung, den Krieg zu planen, am 18. Dezember folgte unter der „Weisung Nr. 21 Fall Barbarossa“ der Befehl zum „schnellen Feldzug“ voraussichtlich im Mai 1941 mit dem Ziel, bis zur Wolga vorzustoßen. Fortan überschlugen sich die Einrichtung von Operations- und Wirtschaftsstäben „Ost“ sowie die Abfassung von Denkschriften, Planungspapieren und „Richtlinien für die Führung der Wirtschaft in den neu besetzten Ostgebieten“, an denen sich unter Federführung Hermann Görings eine Vielzahl von Ministerien, aber auch das Reichssicherheitshauptamt beteiligten.19 Alfred Rosenberg, dem Reichsleiter der NSDAP, sodann „Beauftragten“ und designierten Minister für die zu erobernden Länder, fiel eine besondere Rolle zu. Eingebunden waren auch renommierte Forschungsinstitute, die bereitwillig ihr Wissen zur Verfügung stellten. Alle Planungen liefen auf eine exzessive Ausbeutung der verlockenden Ressourcen, insbesondere in der Agrarwirtschaft und im Energiesektor, darunter den Ölvorkommen des Kaukasus, hinaus. Die dort lebende (einheimische) Bevölkerung galt als Größe, auf die keine Rücksicht zu nehmen war. In seinen unterschiedlichen Versionen sah der „Generalplan Ost“, an dessen Erstellung unter anderen das Institut für Agrarwesen der Berliner Universität mitwirkte, das Sterben, die Tötung oder Deportation von 30 Millionen Angehörigen der slavischen Völker vor, um die Kolonisierung durch Deutsche zu ermöglichen.20 Das „moskowitische“ Reich sollte „zertrümmert“, seine „jüdisch-bolschewistische Staatsverwaltung“ vernichtet und in einzelne, von Deutschland abhängige Staatsgebilde oder Reichskommissariate aufgelöst werden.21 In immer wiederkehrenden Formulierungen stimmte Hitler die Wehrmacht auf einen gnadenlosen Krieg ein. Es werde ein „Kampf von Rasse zu Rasse“ sein, „der Kommunist“ sei „vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad. [...] Wir führen nicht Krieg, um den Feind zu konservieren.“22 Seitens der Obersten Heeresleitung gab es keinen nennenswerten 18 Hans-Ulrich Thamer spricht gar von einem „Weltblitzkrieg“, in: ders., Verführung und Gewalt. Deutschland 1933– 1945, Berlin 1994, S. 653. 19 Vgl. Rolf-Dieter Müller, Von der Wirtschaftsallianz zum kolonialen Ausbeutungskrieg, in: Boog/Förster/Hoffmann 1991, S. 141–209; ders., Hitlers Ostkrieg und die deutsche Siedlungspolitik. Die Zusammenarbeit von Wehrmacht, Wirtschaft und SS, Frankfurt a.M. 1991; Gert Carsten Luebbers, Wehrmacht und Wirtschaftsplanung für das Unternehmen „Barbarossa“. Deutsche Ausbeutungspolitik in den besetzten Gebieten der Sowjetunion während des Zweiten Weltkrieges, Dissertation, Münster 2010. 20 Mechthild Rössler/Sabine Schleiermacher (Hrsg.), Der „Generalplan Ost“. Hauptlinien der nationalsozialistischen Planungs- und Vernichtungspolitik, Berlin 1993; Czeslaw Madajczyk, Vom Generalplan Ost zum Generalsiedlungsplan, München 1994; Isabel Heinemann, Wissenschaft und Homogenisierungsplanungen für Osteuropa. Konrad Meyer, der „Generalplan Ost“ und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, in: dies./Patrick Wagner (Hrsg.), Wissenschaft  – Planung  – Vertreibung. Neuordnungskonzepte und Umsiedlungspolitik im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006, S. 45–72. 21 Dazu Förster 1991b, S. 498 ff. 22 Hitler nach einer Aufzeichnung des Generalstabschefs Halder am 30.3.1941, zit. nach Christian Streit, Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941–1945, Stuttgart 2. Aufl. 1980, S. 34.

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Widerspruch, wie eine Notiz Georg von Küchlers, des Oberbefehlshabers der 18. Armee, die im Untersuchungsgebiet dieses Buches zum Einsatz kam, vom April 1941 demonstriert. Deutschland und Russland seien „weltanschaulich und rassisch“ durch einen „Abgrund“ getrennt. Wolle man „für Generationen“ die aus dem Osten drohende Gefahr ausschalten, könne es nur „ein Ziel“ geben, „das europäische Russland zu vernichten.“23 Für die Realität des Krieges kam dem berüchtigten Kommissarbefehl, genauer: den „Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare“ richtungsweisende Bedeutung zu. Sie wurden Anfang Juni vom Oberkommando der Wehrmacht (OKW) erlassen. Kommissare und „Funktionäre“ der sowjetischen Armee seien „sofort mit der Waffe zu erledigen.“24 Als „Urheber barbarisch asiatischer Kampfmethoden“ würden sie nicht unter die Regeln des Völkerrechts fallen. Die „Erledigung“ habe möglichst „außerhalb der eigentlichen Kampfzone unauffällig“ zu erfolgen.25

Der Vernichtungskrieg im Osten Ohne vorherige Kriegserklärung griff in den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941 das Deutsche Reich (gefolgt von Rumänien, der Slowakei, Finnland, Ungarn und Italien) die UdSSR auf einer Front von nahezu 8.000 Kilometern mit mehr als 3,5 Millionen Soldaten an. Der Überraschungseffekt war durchschlagend, die darauf nicht vorbereitete sowjetische Armee erlitt katastrophale Verluste. Über Monate hatte Stalin alle Warnungen und Geheimdienstinformationen aus Washington und London ignoriert. Nun benötigte er zehn Tage, um seinen Schock zu überwinden und sich an die eigene Bevölkerung zu wenden, um den „Großen Vaterländischen Krieg“ auszurufen.26 Währenddessen gewannen die Invasionsarmeen angesichts der konfusen Verteidigungsmaßnahmen Schlacht um Schlacht, machten hunderttausende von Gefangenen und erzielten in ihren drei Hauptstoßrichtungen im Norden gegen Leningrad, in der Mitte gegen Moskau und im Süden gegen die Ukraine riesige Geländegewinne. Hitler sprach schon vom nahen Sieg. Nicht nur er erwartete, noch im Herbst die Siegesparade in Moskau abhalten zu können.27 Eine Entscheidung gelang jedoch nicht. In seinen Aufzeichnungen notierte der Chef des deutschen Generalstabs, Franz Halder, schon Anfang August, man habe den „Koloss Russland [...] unterschätzt“. Zu Beginn des Krieges haben „wir“ mit 200 feindlichen Divisionen gerechnet, jetzt zähle man 360. Wo ein Dutzend Divisionen zerschlagen worden sei, gebe es sofort eine neues Dutzend.28 Schon im November musste Halder einräumen: „Wir

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Zit. nach Förster 1991a, S. 49. Zit. nach Förster 1991b, S. 523. Zit. nach ebd., S. 522 f. Zur Geschichte und Einordnung des Kommissarbefehls auch: Streit 1980, S. 28–61. Zur sowjetischen Reaktion vgl. Joachim Hoffmann, Die Kriegführung aus der Sicht der Sowjetunion, in: Boog/ Förster/Hoffmann 1991, S. 848–872. 27 Zum Kriegsverlauf vgl. die oben angegebene Literatur. 28 Halder zit. nach Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 436.

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sind am Ende unserer personellen und materiellen Kraft.“29 Am 5. Dezember begann vor Moskau in klirrender Kälte die sowjetische Gegenoffensive. Die Strategie des Blitzkriegs war gescheitert. Ende 1941 hatte die Wehrmacht eine Million Gefallene zu beklagen, das war nahezu ein Drittel der ursprünglichen Angriffsarmee. Mochten auch die Verluste auf sowjetischer Seite höher gewesen sein, waren doch die eigenen nicht auszugleichen. Die Niederlage vor Moskau fiel fast auf den Tag genau zusammen mit einer radikalen Veränderung der globalen Kräfteverhältnisse. Nach dem Angriff Japans auf Pearl Harbor am 7. Dezember erklärten das Deutsche Reich und Italien am 11. Dezember den USA den Krieg. Die gesamte Welt stand in Flammen. Die Realität des Krieges in der Sowjetunion war noch unmenschlicher, als die Planungen ahnen ließen. Im Vorfeld war dazu aufgerufen worden, kein Mitleid mit dem Feind zu haben. Nun wurden Millionen Menschen dem Hungertod anheimgegeben. Es war ein eiserner Grundsatz, dass sich die Truppen aus dem besetzten Land zu ernähren hatten. Bedürfnisse der dort ansässigen Bevölkerung wurden ignoriert. Hatte es anfangs nicht an Sympathiebekundungen für die deutschen Armeen gefehlt, war schon nach wenigen Monaten klar, dass sie keine Befreier vom stalinistischen Joch, sondern Eroberer waren. Die Kriegswirklichkeit entsprach in ihrer Brutalität den Vorgaben der nationalsozialistischen Weltanschauung. In deutscher Hand starben – entgegen allen internationalen Konventionen – aufgrund fehlender Versorgung oder durch Erschießungen weit mehr als die Hälfte aller sowjetischen Kriegsgefangenen. In willkürlichen Vergeltungsmaßnahmen für tatsächliche oder angebliche Partisanenanschläge wurden Zehntausende hingerichtet.30 In dem fast vollständig eingeschlossenen Leningrad verhungerten Hundertausende. Knapp drei Millionen Menschen wurden als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ins Reich verschleppt. Die Vernichtung der in Russland und der Ukraine, in Weißrussland und den baltischen Republiken lebenden jüdischen Bevölkerung geschah nicht ohne Mithilfe der Wehrmacht, wie die Ermordung der 30.000 Kiewer Juden in Babi Jar am 29. und 30. September 1941 auf erschreckende Weise dokumentiert.31 Um den Widerstandswillen in der Bevölkerung zu stärken, belebte der sowjetische Staat das Bild vom „Mütterchen Russland“, griff in großem Stil auf nationale Symbole zurück, erweiterte den Spielraum der orthodoxen Kirche und erinnerte an den Untergang der napoleonischen Armeen.32 In ihren von Schmerz und Tod gezeichneten Versen glaubte Russlands große Lyrikerin Anna Achmatova dennoch an das Weiterleben der russischen Sprache: 29 Zit. nach Gerd R. Ueberschär, Das Scheitern des „Unternehmens Barbarossa“. Der deutsch-sowjetische Krieg vom Überfall bis zur Wende vor Moskau im Winter 1941/42, in: ders./Wette 1991, S. 85–122, hier S. 107. 30 Omer Bartov, Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges, Hamburg 1995; Dieter Pohl, Die Herrschaft der Wehrmacht. Deutsche Militärbesatzung und einheimische Bevölkerung in der Sowjet­union. 1941–1945, München 2. Aufl. 2009; Hannes Heer, Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, Ausst.-kat., Hamburg 3. Aufl. 1997. 31 Helmut Krausnick/Hans-Heinrich Wilhelm, Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938–1942, Stuttgart 1981; Wolfram Wette, Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden, Frankfurt a.M. überarb. Ausg. 2005. 32 Alexander Werth, Russland im Krieg 1941–1945, München/Zürich 1965, S. 294 ff.

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Wir werden dich weitertragen, frei und rein, dich unseren Enkeln übergeben und dich vor der Knechtschaft bewahren, für immer. 33

Dmitri Schostakowitsch schrieb seine Siebte, die Leningrader Symphonie, als Ausdruck des Widerstandswillens gegen die Deutschen und brachte sie im August 1942 in der belagerten, ausgehungerten Stadt zur Aufführung. Das bewegende Konzert wurde über Lautsprecher auf die Straßen übertragen. Schon 1941 geschrieben, wurde Konstantin Simonovs Gedicht „Wart auf mich“ zum Volksgut. Bis heute kennt es in Russland nahezu jeder: Wart’ auf mich, ich komm zurück, aber warte sehr. [...] Warte, wenn der Schneesturm tobt, wenn der Sommer glüht. Warte, wenn die andern längst, längst des Wartens müd [...]. Warte – bis auf Erden nichts Deinem Warten gleicht. Wart auf mich, ich komm zurück, ja, zum Trotz dem Tod, der mich hundert-, tausendfach Tag und Nacht bedroht. Für die Freiheit meines Lands, rings umdröhnt, umblitzt, kämpfend fühl‘ ich, wie im Kampf mich dein Warten schützt [...].34

Es gab es auch Zeilen voller Wut und Hass, so das Gedicht „Ich hasse“ von Aleksej Surkov: Mein Herz ist hart wie Stein, meine bösen Erinnerungen sind ohne Zahl, mit diesen meinen Händen habe ich die Leichen von Kindern aufgehoben .... Und mit diesen meinen Händen möchte ich jeden von ihnen [den Preußen W.E.] erwürgen. 35

33 Anna Achmatova, Mut, zit. nach: Werth 1965, S. 294. 34 Konstantin Simonow, Wart’ auf mich (1941), in: Efim Etkind (Hrsg.), Russische Lyrik. Gedichte aus drei Jahrhunderten, München/Zürich 1981, S. 398. 35 Aleksej Surkov, Ich hasse (1941), zit. nach: Werth 1965, S. 296.

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Das Entsetzen über die deutsche Kriegsführung war groß. So kam es auch auf sowjetischer Seite zu Erschießungen deutscher, zumeist gefangener Soldaten und zu Gewaltaktionen, die den völkerrechtlichen Normen widersprachen. Nicht unerwähnt bleiben kann, dass Repressionen gegen vermeintliche Feinde in den eigenen Reihen selbst während des Krieges nicht aufhörten. Im zweiten Kriegsjahr, 1942, wurde aus deutscher Sicht die Front nochmals stabilisiert, doch konnte sich die Wehrmacht von ihrer Niederlage vor Moskau nicht mehr erholen. Leningrad blieb eingeschlossen. Aus dem „Blitzkrieg“ war ein Abnutzungskrieg geworden, in dessen Rahmen die deutsche Führung ihre militärischen Anstrengungen nun ganz auf den Süden verlegte in der verwegenen Hoffnung, nicht nur den Donbass, sondern insbesondere die Ölfelder von Majkop und Baku im Kaukasus als neue Energiebasis zu gewinnen. Tatsächlich erreichte die Wehrmacht Majkop, nicht aber die viel reicheren Vorkommen von Baku. Doch waren auch die eroberten Anlagen – da zerstört – weitgehend funktionsunfähig. So tat sich für die deutsche Seite eine fatale Schere auf. Während die militärischen Optionen die Kräfte des Deutschen Reiches immer offensichtlicher überstiegen und mit enormen Verlusten verbunden waren, blieb ihr ökonomischer Nutzen höchst bescheiden. So gnadenlos der Raubbau, so gering der Ertrag. Umgekehrt gelang es der Sowjetunion, immer neue Soldaten zu mobilisieren, die Produktionskapazitäten ihrer Rüstungsindustrie drastisch zu steigern und ihre Schlagkraft zu erhöhen. Vor allem aber professionalisierte sich die sowjetische Kriegsführung seit Frühjahr 1942. Stalin, der für verheerende Fehlentscheidungen der ersten Monate unmittelbar verantwortlich war, zog sich aus der operativen Leitung zurück. Parallel zu ihrem Sieg bei Stalingrad vermochte die Rote Armee im Januar 1943 den Belagerungsring um Leningrad an einer Stelle zu durchbrechen. Ein deutscher Offensivversuch im Sommer bei Kursk schlug fehl. Im November 1943 wurde Kiew befreit, im Januar 1944 die Belagerung Leningrads vollständig beendet, im März die polnische Vorkriegsgrenze überschritten, im Oktober die Ostgrenze des Deutsches Reiches erreicht. Die Wehrmacht exekutierte auf ihrem Rückzug die Politik der „verbrannten Erde“: „Jeder einzelne hat die Pflicht dafür zu sorgen, dass das dem Feind überlassene Gebiet für jede militärische und landwirtschaftliche Nutzung auf absehbare Zeit hinaus ausfällt.“36

36 So ein Befehl des BeRück Nord vom 21.9.1943, zitiert nach: Christian Hartmann, Verbrecherischer Krieg – verbrecherische Wehrmacht? Überlegungen zur Struktur des deutschen Ostheeres, in: Christian Hartmann/Johannes Hürter/Peter Lieb/Dieter Pohl, Der deutsche Krieg im Osten 1941–1944. Facetten einer Grenzüberschreitung, München 2009, S. 3–71, hier S. 60.

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Der Kunstraub: Größenordnungen und Institutionen Opfer des Krieges war auch die Kultur.37 Die Vernichtungspläne der Deutschen galten nicht nur den Menschen und Staaten. Von 1941 bis 1944 erlebten die Kulturlandschaften zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer, in der Ukraine, im heutigen Belarus und in Nordwestrussland einen wahren Kahlschlag. Mittelalterliche Stadtkerne wurden dem Erdboden gleichgemacht, Gotteshäuser und Klöster niedergebrannt, Gemäldesammlungen aus Museen, Ikonen aus Kirchen, Möbel aus Palästen, Millionen von Büchern aus Bibliotheken verschleppt. Die russische bzw. sowjetische Kultur sollte wie die jüdische ausgelöscht werden. Selbst jüdische Friedhöfe wurden geschändet. Nach einer aktuellen Zählung von 2016 beklagt allein Russland „1.177.291 Objekte“ von kulturellem Wert, darunter eine hohe Zahl musealer Exponate, bibliophiler Raritäten und unersetzbarer archivalischer Quellen wie jahrhundertealter Urkunden, wobei diese Angaben ausdrücklich als „vorläufig“ bezeichnet werden.38 Seit 1999 ediert das Moskauer Kulturministerium Ort für Ort, aber auch nach Sachgebieten einen „Gesamtkatalog der während des Zweiten Weltkriegs geraubten und verlorenen Kulturschätze“, in dessen Rahmen bislang mehr als 18 Bände in 50 Büchern erschienen sind.39 Schon 1943 hatten erstmals eine Außerordentliche Staatliche Kommission und ein Expertenbüro aus hochkarätigen Sachverständigen begonnen, die kulturellen Verluste der UdSSR zu registrieren40. Heute liegen die Schätzungen allein für das russische Territorium deutlich über den früheren Daten für die gesamte Union, obgleich die Ukraine die weitaus größten Schäden zu verzeichnen hatte. Die Kategorien der Zählung und Berechnungsmethoden variierten vielfach oder erwiesen sich als inkompatibel. Nicht selten waren die Inventarverzeichnisse zerstört oder fehlten Angaben zu den Vorkriegsbeständen. Was an einmaligen Werten der Zerstörung, Beschlagnahmung und Plünderung anheimfiel, vermögen summarische Listen oder Zahlen, die in die Millionen gehen, ohnehin nicht in angemessener Weise wiederzugeben.

37 Als Überblick über den gesamten deutschen Kunstraub im Zweiten Weltkrieg vgl. Lynn H. Nicholas, Der Raub der Europa. Das Schicksal europäischer Kunstwerke im Dritten Reich, München 1997; Elizabeth Simpson (Hrsg.), The Spoils of War. World War II and Its Aftermath. The Loss, Reappearance, and Recovery of Cultural Property, New York 1977; Patricia Kennedy Grimsted, Trophies of War and Empire. The Archival Heritage of Ukraine, World War II, and the International Politics of Restitution, Harvard 2001; Manfred Sapper/Claudia von Selle/Volker Weichsel (Hrsg.), Kunst im Konflikt. Kriegsfolgen und Kooperationsfelder in Europa, Berlin 2006 [Osteuropa 56 (2006), H. 1–2]; Wolfgang Eichwede/Ulrike Hartung (Hrsg.), „Betr.: Sicherstellung“. NS-Kunstraub in der Sowjetunion, Bremen 1998; Ulrike Hartung (Hrsg.), Verschleppt und verschollen. Eine Dokumentation deutscher, sowjetischer und amerikanischer Akten zum NS-Kunstraub in der Sowjetunion (1941–1948), Bremen 2000. 38 Ministerstvo Kuľtury Rossijskoj Federacii (Min. Kuľtury RF) (Hrsg.), Kuľturnye cennosti – žertvy vojny, in: http:// www.lostart.ru/ru/svodnyj_katalog/, S. 2. 39 Min. Kuľtury RF (Hrsg.), Svodnyj katalog kuľturnych cennostej pochiščennych i utračennych v period Vtoroj mirovoj vojny, bislang 18 Bände in 50 Büchern, Moskau 1999 ff. 40 Dazu M. S. Zinič, Pochiščennye sokrovišča: Vyvoz nacistami rossijskich kuľturnych cennostej, Moskau 2005; Grigorij Koslow, Wie und mit welchem Ziel Stalin seine Kulturverluste im Krieg zählte, in: Eichwede/Hartung 1998, S. 141–168; Julija Kantor, Nevidimyj front. Muzei Rossii v 1941–1945gg., Moskva 2017.

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Um einen Raub von Staats wegen in diesen Größenordnungen zu ermöglichen, war ein ganzes Netzwerk an Organisationen vonnöten. Dazu zählten: 1. Der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ (ERR) als zentrale Institution des NS-Kulturraubs. Ihm fiel die Aufgabe zu, für die geplante Parteiuniversität der NSDAP, die „Hohe Schule“, im besetzten Europa „alle Kulturgüter sicherzustellen, die zur Erforschung der Tätigkeit der Gegner des Nationalsozialismus sowie für die nationalsozialistische Forschung im Allgemeinen geeignet“ seien.41 2. Das „Sonderkommando Künsberg“, dem Reichsaußenminister unterstellt, aber der SS eingegliedert. Es sollte sich auf für die Außenpolitik relevante Akten konzentrieren, griff aber auch nach Kunstwerken und Bibliotheken. 3. Das Amt „Ahnenerbe“, eine Einrichtung der SS, dessen erklärte Absicht es war, insbesondere im Süden der UdSSR Spuren einer „urgermanischen“ Besiedlung nachzuweisen. 4. Die Wehrmacht, die mit Fragen des „Kunstschutzes“, wie sie selbst formulierte, im Kampfgeschehen und im unmittelbaren Frontgebiet konfrontiert war.42 Nicht selten agierten die einzelnen Stäbe in heftiger Rivalität untereinander. Phasenweise kann gar von einem Wettlauf in der Jagd nach Beutegut gesprochen werden. Wer war als Erster vor Ort? Wer hatte das Sagen? Wer verfügte über das Personal und die erforderlichen Transportmittel? Fraglos konnte der flächendeckende Raub nicht realisiert werden ohne die Hinzuziehung hunderter von Fachkräften und Experten aus Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen des Reichs, ohne Archivare und Bibliothekare, ohne Ostforscher, Geografen, Prä- und Kunsthistoriker, um nur einige Berufsprofile zu nennen.43 Die Rolle deutscher Forschungsinstitutionen und Universitäten, auch die Begehrlichkeiten deutscher Museen und Archive sind noch längst nicht hinreichend aufgeklärt. In nicht wenigen Fällen wurden ortsansässige Kräfte zur Mitarbeit genötigt. Zum Aussortieren jiddischsprachiger Bibliotheken wurden jüdische Häftlinge aus Konzentrationslagern gezwungen. Konkrete Angaben über das, was die deutschen Stellen abtransportierten, lassen sich in einer Fülle von Einzelfällen gewinnen. In der Summe allerdings erlauben die Beschlagnahmungsakten bislang keine verlässlichen Hochrechnungen. Zu viele untereinander nicht 41 Zit. nach Gabriele Freitag/Andreas Grenzer, Der nationalsozialistische Kunstraub in der Sowjetunion, in: Eichwede/Hartung 1998, S. 20–66, hier S. 32. 42 Ausführliche Beschreibungen der Aufgaben und Tätigkeitsfelder der einzelnen NS-Organisationen finden sich in Kap. II: Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“. 43 Wegweisende methodische Überlegungen zu diesem Themenfeld bei Doris Kaufmann, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung, Band 1–2, Göttingen 2000, S. 9–17; Susanne Heim, „Vordenker der Vernichtung“. Wissenschaftliche Experten als Berater der nationalsozialistischen Politik, in: Kaufmann 2000, S. 77–91. Zu einzelnen Disziplinen vgl. Michael Fahlbusch, Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ von 1931 bis 1945, Baden-Baden 1999; Frank-Rutger Hausmann (Hrsg.), Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich, 1933–1945, München 2002. Als Beispiel eines Prähistorikers siehe Dirk Mahrsarski, Herbert Jankuhn (1905–1990). Ein deutscher Prähistoriker zwischen nationalsozialistischer Ideologie und wissenschaftlicher Objektivität, Rahden/Westf. 2011.

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koordinierte Behörden waren beteiligt, zu unterschiedlich die Methoden der Erfassung und Registratur (wenn es sie denn gab), zu verschiedenartig die Umstände der Konfiskation und Verpackung – sei es in den ersten Tagen nach der Eroberung, sei es während der späteren Besatzungszeit oder in der Hektik des Rückzugs. Zerstörungsgrade und wilde Plünderungen tauchen in den deutschen Unterlagen ohnehin nicht oder nur pauschal auf. Was hat die Sowjetunion nach dem Krieg offiziell zurückerhalten oder bei ihrem Vormarsch selbst gefunden? Bis heute lässt sich auch diese Frage nur unvollständig beantworten. Belastungsfähige Zahlen liegen nur für Restitutionen durch die Westalliierten vor. Als Einzelstück etwa ging der Neptunbrunnen aus Peterhof schon 1947 zurück. Zwischen 1945 und 1948 übergaben die USA 534.120 Objekte an die UdSSR, die in NS-Depots in Süddeutschland gefunden und zunächst in US-Collecting Points in München, Offenbach und Wiesbaden zusammengeführt worden waren, darunter Ikonen, Bücher, Möbel und Kostbarkeiten der Volkskunst.44 Großbritannien restituierte im Mai 1946 rund 55.000 Bände, die in Kloster Tanzenberg, Österreich, eingelagert worden waren.45 Weitere sogenannte „shipments“ folgten. Hingegen ist unser Wissen über die Funde und Rückführungen durch die Rote Armee aus den von ihr befreiten Gebieten des östlichen Europa bis in die Gegenwart noch höchst begrenzt. Die russischen Militärarchive, die darüber Aufschluss geben könnten, sind bislang der internationalen Forschung nicht zugänglich.

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Die Studie „Raub und Rettung. Russische Museen im Zweiten Weltkrieg“ nimmt viele der hier skizzierten Fragen auf, gibt ihnen aber eine neue Wendung. Kunstraub ist nicht nur und nicht einmal primär eine Sache der Statistiken und Zahlen – so erschütternd ihre Größenordnungen sein mögen. Kunstraub ist auch nicht allein über die NS-Planungen und Einsatzstäbe zu beschreiben. Um ein realitätsnahes Bild des Kunstraubs zu bekommen, müssen seine unmittelbaren Opfer – die Museen und ihre Sammlungen – in den Mittelpunkt treten. Erst die Rekonstruktion ihrer Geschichte erlaubt es, die tatsächlichen Dimensionen dessen, was zerstört und verschleppt worden ist, zu ermessen. Zielte der Krieg darauf, den Museen ihre Identität zu nehmen, ist der hier konzipierte Forschungsansatz von der vorsichtigen Hoffnung getragen, ihnen diese – auch für die Epoche des Krieges – wenigstens in Bruchstücken zurückzugeben. Die Mikrogeschichte soll helfen, den Leidensweg der Kunst in seinen

44 Wolfgang Eichwede/Ulrike Hartung (Hrsg.), Property Cards Art, Claims and Shipments auf CD-ROM. Amerikanische Rückführungen sowjetischer Kulturgüter an die UdSSR nach dem Zweiten Weltkrieg. Copyright Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen 1996 (Limitierte Ausgabe); Gabriele Freitag, Die Restitution von NS-Raubgut nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Eichwede/Hartung 1998, S. 170–208; Natalia Volkert, Kunst- und Kulturraub im Zweiten Weltkrieg – Versuch eines Vergleichs zwischen den Zielsetzungen und Praktiken der deutschen und der sowjetischen Beuteorganisationen unter Berücksichtigung der Restitutionsfragen, Frankfurt a.M. u. a. 2000. 45 Vgl. Grimsted 2001, S. 232.

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konkreten Details nachzuzeichnen, die Praxis all der NS-Richtlinien zu veranschaulichen und die Verantwortlichkeiten vor Ort offen zu legen. Gleichzeitig ergeben sich aus ihr neue Erkenntnisse und Fragestellungen, die für die Analyse und Beurteilung der Kriegsführung in ihrer Gesamtheit von Bedeutung sind. Nicht zuletzt leisten die Forschungen über die betroffenen Orte und das Schicksal verschleppter Kunst einen Beitrag zu dem, was heute in Museen als Provenienzrecherche etabliert wird. Die Städte Novgorod und Pskov sowie die Zarenschlösser in Peterhof, Carskoe Selo, Pavlovsk und Gatčina lagen alle im Nordwesten Russlands und damit im Befehlsbereich der deutschen Heeresgruppe Nord. Pskov wurde schon am 9. Juli 1941, gut zwei Wochen nach dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion besetzt, Novgorod fiel am 15. August. Am 13. September erreichte die Wehrmacht Gatčina, in Zweitagesabständen Pavlovsk und Carskoe Selo, am 23. September Peterhof. Niemand hatte mit einer derart schnellen

Abb. 4  Die historische Ansichtskarte Novgorods (Beginn des 20. Jahrhunderts) zeigt die Sophienkathedrale aus dem 11. Jahrhundert, eines der ältesten sakralen Gebäude Russlands. Auf der anderen Seite des Flusses Volchov ist die Handelsseite mit ihren zahlreichen Kirchen zu sehen.

Abb. 5  Die Aufnahme des deutschen PK-Fotografen Eugen Fink zeigt den Pskover Kremľ mit der Dreifaltigkeitskathedrale. Der Blick geht über den Fluss Velikaja nach Osten.

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Einleitung

Eroberung gerechnet, die Zeit für Schutz- und Rettungsmaßnahmen schmolz für die Museumsleute auf wenige Tage und Wochen zusammen. Strategisches Ziel der 18. Armee (Heeresgruppe Nord) war die Eroberung Leningrads, die aber schon im Oktober zugunsten der Belagerung und Aushungerung der Stadt aufgegeben wurde. Mit Ausnahme Gatčinas waren die okkupierten Paläste Teil des Rings um die Metropole, Novgorod lag während des gesamten Krieges unmittelbar an der Volchov-Front. Pskov, rund 200 Kilometer im Hinterland gelegen, wurde zum zentralen Umschlagplatz der Besatzungsmacht für die Nordregion. Zweieinviertel Jahre später, Ende Januar 1944, gelang der sowjetischen Armee die Befreiung Novgorods und der Zarenschlösser, am 23. Juli, nach einer mehr als dreijährigen Besatzung, die Pskovs.

Abb. 6  Die historische Aufnahme von Schloss Gatčina vom Ende des 19. Jahrhunderts vermittelt einen Eindruck von der strengen Architektur des Palasts.

Abb. 7  Die große Kaskade bildet den Mittelpunkt des Schloss- und Parkensembles Peterhof, das als das russische Versailles gilt.

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Abb. 8 Charakteristisch für den Katharinenpalast in Carskoe Selo/Puškin ist die langgestreckte Fassade im Stil des Barock. In den Em­pfangsräumen der Beletage befand sich das verschollene Bernsteinzimmer, das heute rekonstruiert wieder zu bewundern ist.

Abb. 9  Schloss Pavlovsk – die im Stil des Klassizismus erbaute Sommerresidenz der Zarenfamilie – liegt malerisch in einem englischen Landschaftsgarten.

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Einleitung

Novgorod und Pskov zählen zu den stolzen Städten des russischen Mittelalters, die Zarenschlösser repräsentieren vom 18. Jahrhundert an den Anspruch des Landes, die Geschicke Europas mitzubestimmen.46 Sie gehören alle zu den Herzstücken der russischen Geschichte und Kultur. Gleichzeitig stehen sie auf sehr unterschiedliche Weise über viele Jahrhunderte für besondere Beziehungen zur Geschichte deutscher Länder, die beiden altrussischen Städte zur mittelalterlichen Hanse, die Paläste über dynastische Verbindungen zu deutschen Fürstenhäusern. Der Heeresgruppe Nord und ihren Kommandeuren mag davon wenig bewusst gewesen sein. Dennoch gehörte es auch zu ihrem Auftrag, Kulturgüter „sicherzustellen“ und ins Reich „zurück“ zu bringen, die deutscher Herkunft waren. Das aus Preußen stammende Bernsteinzimmer ist das spektakulärste Beispiel. Nicht weniger bestimmend ist für diese Studie aber ein gänzlich anderer Aspekt. Mit der Heeresgruppe Nord war über die gesamte Zeitspanne des Krieges hinweg ein einheitlicher Befehls- und Zuständigkeitsrahmen gegeben. So können die Abläufe des Kunstraubs von der ersten Sichtung bis zum Abtransport, ebenso die Evakuierung und spätere Suche nach den Verlusten nicht nur an den gleichen Orten, sondern in einem gemeinsamen Kontext nachgezeichnet werden.

Fragen zur Mikrogeschichte der Museen im russischen Nordwesten Welcher Stellenwert kam den Orten und Sammlungen in den Augen jener zu, die sie zu schützen hatten? Wie aufgezeigt wird, hatte der Umgang mit dem kulturellen Erbe in Russland seit der Revolution von 1917 heftigen Umbrüchen unterlegen. Welche Objekte galt es nun – unter den Bedingungen eines unaufhaltsam scheinenden Vormarsches des Feindes – in Sicherheit zu bringen, über welche Ressourcen verfügten die lokalen Kräfte überhaupt? Wie agierten sie unter dem dramatischen Zeitdruck? (Kapitel I) Umgekehrt: Hatten die deutschen Eroberer einen Begriff von der Kultur des Landes, das sie unterwarfen? Galt ihnen in diesem Staat der „Barbarei“ und des „jüdischen Bolschewismus“ – so die NS-Propaganda – nicht alles als minderwertig? Existierten Ranglisten oder Prioritäten beim Suchen und Erfassen der Beute? (Kapitel II) In welchen Formen vollzogen sich die Beschlagnahmungen und „Sicherstellungen“? Wie organisierte und gliederte sich der „Kunstschutz“ innerhalb der Wehrmacht? Wie gestaltete sich in konkreten Situationen das gespannte Verhältnis zu den anderen NS-Organisationen? Gab es Formen der erzwungenen, freiwilligen oder in der Sache bedingten Kooperation mit einheimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Museen? Was geschah mit den konfiszierten Sammlungen, welche Routen nahmen sie ins Deutsche Reich, welchen Odysseen unterlagen sie? (Kapitel III) Die Frage leitet über zu den Suchaktionen nach dem Krieg und zu Rückgaben, denen hier nur in Einzelfällen nachgegangen werden kann. (Kapitel IV) 46 Eine kurze Einführung in die jeweilige Geschichte findet sich zu Beginn der entsprechenden Kapitel.

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Der Krieg veränderte in der UdSSR den Blick auf die eigene Geschichte. Beförderten die Verluste und Zerstörungen ein neues Bewusstsein ihres großen Erbes? Wie gestalteten sich die Anfänge der Wiederaufbauarbeiten, wurden sie zu einer „nationalen“, gesamtstaatlichen Aufgabe erklärt? Die Sowjetunion hatte zwar gesiegt, ihre Infrastruktur aber lag am Boden, die Verluste an Menschen übersteigen die Vorstellungskraft. Wer ergriff in dieser Situation die Initiative zur Bewahrung und Wiederauffindung dessen, was noch irgendwie zu retten war? Welche Programme wurden entworfen, welche Mittel bewilligt? (Kapitel V) Während des Forschungsprozesses selbst gewannen zwei Themenbereiche ein Gewicht, das sie zu Beginn des Projektes nicht hatten. Ihre Bearbeitung zählt zu den Innovationen des Vorhabens. Sie ergänzen und korrigieren die bisherige Wahrnehmung der Ereignisse. Gemeint sind die Fragen nach den Akteuren auf beiden Seiten und nach dem Umfang der Plünderungen.

Akteure innerhalb und außerhalb der Institutionen Ein Blick auf die Institutionen genügt nicht, um auf sowjetischer Seite die verzweifelten Versuche der Rettung, auf deutscher die Abläufe und Organisation des Abtransports von Kunst zu verstehen. Es waren konkrete Personen, Museumsdirektorinnen und Kustoden hier, Offiziere und Soldaten dort, die dem Geschehen unter vielfach improvisierten Bedingungen ihre eigene Handschrift aufdrückten. Während die Beschützerinnen ihre Häuser erst im letzten Augenblick verließen, darauf bedacht, noch ein allerletztes Exponat zu verbergen, bewegten sich die Eroberer in einem für sie fremden Land. Wer waren die deutschen „Kunstschützer“? Welche Ausbildung, welche beruflichen Erfahrungen brachten sie mit? Hatten sie Affinitäten zur Ideologie der Nationalsozialismus oder dachten sie in den Bahnen eines fachlichen Interesses? Gab es eigene Handlungsspielräume vor Ort und wenn ja, welche? Antworten auf derartige Fragen erlauben Aufzeichnungen und persönliche Briefe, die aus Nachlässen und privaten Archiven von Wehrmachtsangehörigen stammen. Auf ihrer Basis können erste Antworten zu dem Verhältnis von professionellem Ethos und Raubkrieg versucht werden. Was für technische Berufe schon lange Gegenstand der Forschung ist, stellt sich auch als Frage für den weiten Bereich der Kultur. Doch eröffnet der biografische Zugang nicht nur für die deutsche Seite neue Perspektiven. Für die russische sind die Lebenswege und persönlichen Erfahrungen derer, die um die Erhaltung ihrer Kunstschätze vor Ort, in der Evakuierung oder auf der Suche nach dem Krieg rangen, nicht weniger aufschlussreich. Tagebücher und Memoiren vermitteln hier ein packendes Bild. Ein zweiter Komplex, in dem die Mikrogeschichte einzelner Museen zu neuen Spuren führt, sind die privaten Plünderungen durch Soldaten der Besatzungsmacht. Sie wurden eingangs schon angesprochen. Wiederholt notieren Berichte der Wehrmacht oder der Einsatzstäbe, dass, noch ehe sie mit ihren „Sicherstellungen“ hätten beginnen können, die Paläste, Kirchen oder Bibliotheken von den eigenen Leuten oder verbündeten Einheiten verwüstet und leergeräumt worden seien. Mitgenommen wurden Kunstgegenstände aller

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Einleitung

Art, Bücher oder Geschirr aus kaiserlichem Besitz. Aktenvermerke und Notizen in persönlichen Briefen von Soldaten der Heeresgruppe Nord, die zwischen Pskov und Peterhof lagen, geben Einblick in die Anatomie des „kleinen“ Raubes.

Autorinnen des Projekts und Kooperationspartner Die Studie ist Ergebnis einer engen deutsch-russischen Zusammenarbeit. Ihre Autorinnen sind Wissenschaftlerinnen aus beiden Ländern, die gemeinsam für den Band verantwortlich zeichnen. In der Arbeitsteilung innerhalb des Projekts wurden ◾◾ die Kapitel zur Vor- und Nachkriegszeit (I und V) von Elena Zubkova aus Moskau geschrieben, ◾◾ die Kapitel zu den deutschen Interessen, zu Novgorod und Pskov (II, III.6 und III.7) von Ulrike Schmiegelt-Rietig aus Berlin und ◾◾ die Kapitel zu den vier Zarenschlössern sowie zur Suche nach dem Krieg (III.1 bis III.5 und IV.) von Corinna Kuhr-Korolev, ebenfalls aus Berlin. Das Gesamtmanuskript lektorierte Marlene Hiller, Badenweiler. Dabei beschränkte sich ihre Arbeit keineswegs auf stilistische und redaktionelle Angleichungen, sondern umfasste ebenso konzeptionelle wie inhaltliche Abstimmungen. Zu den Zielsetzungen der Studie gehörte von Beginn an, nicht nur über die Museen, sondern zusammen mit ihnen über ihre Geschichte im Krieg und ihre Verluste zu forschen. Tatsächlich entwickelte sich über die Jahre von 2012 bis 2018 weit mehr als ein intensiver Informationsfluss in beide Richtungen. Kontinuierliche Arbeitszusammenhänge entstanden, Fragestellungen wurden vertieft, Anregungen aufgenommen und neue Materialien wechselseitig ausgetauscht. In Sammelbänden der Museen publizierten die Autorinnen Teilergebnisse ihrer Forschungen, in einer Vielzahl von Konferenzen und Arbeitstreffen gab es Gelegenheit zu ebenso lebhaften wie weiterführenden Diskussionen. Wie die Mitarbeiterinnen des Projekts Quellenbestände der Museen nutzen konnten, standen den russischen Kustodinnen die umfangreichen Bremen-Berliner Materialsammlungen zur Verfügung. In einigen Fällen organisierten der Autor und die Wissenschaftlerinnen Rückgaben von Ikonen an ihre Partnermuseen oder halfen, sie bei ihrer Spurensuche mit Informationen auszustatten. So birgt die gemeinsame Aufarbeitung des deutschen Kunstraubs die Chance in sich, zu einem kleinen Pfeiler im Brückenbau zwischen den Kulturen beider Länder zu werden.

Neue Quellen und Dank Als Schlüssel in der Entdeckung und Erschließung neuer Quellen erwiesen sich die Kontakte zu Töchtern und Söhnen deutscher Soldaten, die uns Einblicke in die Nachlässe, darunter

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auch in Tagesnotizen und Briefe ihrer Väter aus den Kriegsjahren erlaubten. Erst mit Hilfe dieser bislang überhaupt nicht ausgewerteten Unterlagen wurde es möglich, die biografische Perspektive des Projekts zu entwickeln. Gleichzeitig war die Bereitschaft der Kinder, auch vertrauliche Zeugnisse ihrer Eltern der Forschung zugänglich zu machen, ein bedeutsamer Schritt auf Russland zu. Ergänzt wurden diese Funde durch Recherchen im Bundesarchiv in Berlin und Koblenz, dort auch in den fotografischen Beständen, im Militärarchiv in Freiburg, im Bildarchiv Foto Marburg, in verschiedenen Universitäts- und Stadtarchiven, in den Staatlichen Russischen Archiven in Moskau und St. Petersburg sowie in den Museumsarchiven. Eine genaue Auflistung findet sich im Quellen- und Literaturverzeichnis. Von großem Nutzen war, dass die Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen ihre in den 1990er Jahren angelegte Dokumentation zu dem deutschen Kunstraub in der UdSSR in vollem Umfang zur Verfügung stellte. Die Bremer Forschungen zu den sowjetischen Evakuierungen, dem Institutionengefüge des deutschen Raubes und den Restitutionen durch die USA nach dem Krieg erwiesen sich als wertvolle Grundlage des Projekts. Wer zu diesem Themenfeld arbeitet, kann nicht umhin, aus dem Kreis der einschlägigen Wissenschaftler eine Persönlichkeit namentlich zu nennen, Patricia Kennedy Grimsted vom Ukrainian Research Institute der Harvard University. In ihren Archivrecherchen ebenso wie mit ihren Publikationen ist sie zu einer Institution der Forschung über Kulturverluste im Zweiten Weltkrieg geworden. Allen Kooperationspartnern – den russischen Museen, den privaten Archivgebern, den staatlichen Archiven beider Länder, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, allen Kolleginnen und Kollegen, die uns halfen, gilt unser großer, außerordentlicher Dank. Ebenso herzlich möchten wir uns bei der VolkswagenStiftung, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Kulturstiftung der Länder für die institutionelle Förderung und Unterstützung unserer Arbeit bedanken. Der Band „Raub und Rettung. Russische Museen im Zweiten Weltkrieg“ untersucht nur eine Region, den Nordwesten Russlands. Seine Erkenntnisse aber sind ein Appell, die Forschungen auf andere Regionen und Länder der früheren Sowjetunion auszudehnen. Mehr als 70 Jahre nach dem Krieg ist es an der Zeit, mehr Aufklärung in das düstere Kapitel des deutschen Kunstraubs zu bringen. Seit der Neuordnung Europas 1991 streiten sich Russland und Deutschland um die Frage der „kriegsbedingt verlagerten Kulturgüter“, wie es in der diplomatischen Sprache beschönigend heißt. Im Mittelpunkt des Tauziehens stehen deutsche Kulturschätze, die – nach 1945 von der UdSSR in ihrer Besatzungszone beschlagnahmt – noch immer in Russland lagern. In der Vorstellung großer Teile der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit verbinden sich Kulturverluste im Krieg daher bis heute primär mit deutschen Verlusten. Das Buch macht deutlich, dass hier ein grundlegender Perspektivenwechsel vonnöten ist. Sie geht aber noch einen Schritt weiter. Als deutsch-russische Gemeinschaftsarbeit mag sie dazu beitragen, auch in dieser Frage der Kulturpolitik gemeinsame Wege zu gehen – und so aus Beute Botschafter zu machen. Berlin, im Januar 2019

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Einleitung

Hinweise für den Leser Verzeichnis der wichtigsten Akteurinnen und Akteure Anisimov, Alexander I.

Balaeva, Serafima N. Baumann, Ernst Belechov, Nikolaj N. Bogusevič, Vladimir A.

Bolongaro-Crevenna, Alfred De Bary, Lothar Davydov, Sergej N. Esser, Karl Heinz

Fink, Eugen

Gippius, Nataľja N. und Gippius, Taťjana N. Grabar’, Igor’ E.

Gündel, Christian

Hahlweg, Werner

Kunsthistoriker, Restaurator; führender Spezialist für die Restaurierung von Ikonen und Fresken, 1937 im Lager Solovkij hingerichtet. Hauptkustodin des Schlossmuseums von Gatčina (vor 1941 und nach 1944). Fotograf; Bildberichterstatter bei dem 2. SS-Kriegsberichter-Zug der SS-Totenkopf-Division. Leiter der Denkmalsschutzbehörde in Leningrad. Historiker und Archäologe; Direktor der Wissenschaftsabteilung in der Novgoroder Museumsverwaltung, verantwortlich für die Evakuierung der Novgoroder Kulturgüter. Oberst; Standortkommandant in Pskov im Herbst 1941. Postbeamter; Kulturreferent in Pskov. Architekt, Restaurator; federführend bei Rettung der Novgoroder Architekturdenkmäler nach dem Krieg. Kunsthistoriker; Zuständiger für Fragen der Kunst bei der HAG Ostland des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg. Fotograf; Mitarbeiter im militärischen Kunstschutz, Gruppe „Sammeloffizier“ von Ernstotto Graf zu Solms-Laubach. Novgoroder Künstlerinnen; während der deutschen Besatzung Mitarbeit in der Gruppe „Sammeloffizier“ von Ernstotto Graf zu Solms-Laubach in Pskov. Moskauer Künstler, Kunsthistoriker, Restaurator; arbeitete seit 1919 immer wieder in Novgorod; führende Rolle bei der Verlusterfassung, Restaurierung und Restitution sowjetischer Kunst. Kunsthistoriker; Mitarbeiter im militärischen Kunstschutz, Gruppe „Sammeloffizier“ von Ernstotto Graf zu Solms-Laubach, Nachfolger von Helmut Perseke. Militärhistoriker in der Gruppe „Sammeloffizier“ von Ernstotto Graf zu Solms-Laubach; vertrat die Dienststelle Chef der Heeresmuseen.

Verzeichnis der wichtigsten Akteurinnen und Akteure

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Hehn, Jürgen von

Hubmann, Hanns Jermošin, Ivan D.

Keller, Harald Konstantinova, Tamara M. Körte, Werner

Krusenstjern, Georg von Küchler, Georg von

Kučumov, Anatolij M.

Künsberg, Eberhard Freiherr von Lemus, Vera V. Mantejfeľ, Boris K.

Mommsen, Wolfgang

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Einleitung

Historiker; Mitglied der SS, Mitglied beim Einsatzkommando „Hamburg“ des Sonderkommandos Künsberg, Leiter des Vorkommandos Leningrad mit der Dienststelle in Siverskij Fotograf; u. a. Bildreporter für das NS-Auslandsjournal „Signal“. Architekt und Ingenieur aus Puškin; Kustos des Katharinen- und des Alexanderpalasts während der deutschen Besatzung. Kunsthistoriker; militärischer Kunstschutz in Peterhof im Winter 1941/42. In der Vorkriegszeit Mitarbeiterin des Novgoroder Museums, seit 1944 dessen Direktorin. Kunsthistoriker; im Sommer 1942 Mitarbeiter im militärischen Kunstschutz, Gruppe „Sammeloffizier“ von Ernstotto Graf zu Solms-Laubach. Sippenforscher; Mitarbeiter des Revaler Büros des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg. Generaloberst; Oberbefehlshabers der 18. Armee; seit 17. Januar 1942 Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord, am 20. Juni 1942 zum Generalfeldmarschall ernannt; wurde im Januar 1944 seiner Aufgaben enthoben. Kunsthistoriker; Mitarbeiter der Schlossmuseen von Puškin in führenden Positionen, 1941 verantwortlich für die Evakuierung der dortigen Kunstschätze; seit Mai 1944 Leiter der Abteilung für Museen und Denkmäler bei der Verwaltung für die Künste beim Exekutivkomitee des Leningrader Stadtsowjets und Direktor des Zentraldepots. SS-Mitglied; Leiter des nach ihm benannten Sonderkommandos beim Auswärtigen Amt und der Waffen-SS. Kunsthistorikerin; vor und nach dem Krieg leitende Mitarbeiterin der Schlossmuseen von Puškin. Archäologe und Landeskundler; Leiter der Landeskundlichen Abteilung in der Novgoroder Museumsverwaltung, verantwortlich für die Evakuierung der Novgoroder Kulturgüter. Archivrat: stellvertretender Leiter des „Sonderstabs Archive“ des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg für das Rückwärtige Heeresgebiet Nord.

Peredoľskij, Vasilij S. Perseke, Helmut

Poensgen, Georg

Ponomarev, Vasilij S.

Porfiridov, Nikolaj G.

Reitzenstein, Alexander von

Roques, Franz von

Roskamp, Dietrich

Sahm, Arthur

Solms-Laubach, Ernstotto Graf zu

Speer, Helmut Spegaľskij, Jurij P. Sponholz, Axel

Jurist, Archäologe; Begründer des Novgoroder Heimatmuseums zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Kunsthistoriker; Mitarbeiter im militärischen Kunstschutz, Gruppe „Sammeloffizier“ von Ernstotto Graf zu Solms-Laubach. Kunsthistoriker; Mitarbeiter im militärischen Kunstschutz, unterstellt der Dienststelle Chef der Heeresmuseen Berlin, später Wien. Archäologe; Leiter des Antireligiösen Museums in der Sophienkathedrale in Novgorod seit 1929, während der deutschen Besatzung Mitarbeit in der Gruppe „Sammeloffizier“ von Ernstotto Graf zu Solms-Laubach in Pskov. Leiter der Abteilung für Museumswesen in Novgorod bis zu seiner Verhaftung 1933; maßgeblicher Mitarbeiter bei der Evakuierung der Novgoroder Kulturgüter. Kunsthistoriker; Mitarbeiter im militärischen Kunstschutz, unterstellt der Dienststelle Chef der Heeresmuseen. General; Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebiets der Heeresgruppe Nord; verantwortlich für die Partisanenbekämpfung. Kunsthistoriker; Sonderstab Kunst des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg, zeitweise abgeordnet ins Baltikum, hauptsächlich in Kiew tätig. Gymnasiallehrer; als Dolmetscher im Einsatz im Bereich der Heeresgruppe Nord, zeitweise mit der Bergung von Kulturgütern beauftragt. Kunsthistoriker; Konservator, später Leiter eines Arbeitsstabs für militärischen Kunstschutz bei der Heeresgruppe Nord mit Sitz in Pskov, als Sammeloffizier auch der Dienststelle Chef der Heeresmuseen unterstellt. Sippenforscher; Mitarbeiter des Revaler Büros des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg. Architekt; federführend für den Wiederaufbau der Architekturdenkmäler Pskovs nach dem Krieg. Maler, Restaurator und Dolmetscher für Russisch; Mitarbeiter im militärischen Kunstschutz, Gruppe „Sammeloffizier“ von Ernstotto Graf zu Solms-Laubach.

Verzeichnis der wichtigsten Akteurinnen und Akteure

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Stöve, Günther Strenger, Reinhold Strokov, Aleksandr A. Tichomirova, Marina A. Trončinskij, Stanislav V. Turova, Evgenija L. Utikal, Gerhard

Wahl, Paul

Wunder, Gerhard Zelenova, Anna P. Zubov, Valentin Graf

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Einleitung

Publizist; Mitarbeiter der HAG Ostland des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg. Kunsthistoriker; Kriegsverwaltungsassessor; vom OKH als Beobachter entsandt. Archäologe; Direktor des Museums für Altrussische Kunst in Novgorod. Hauptkustodin der Schlösser und Parks von Peterhof seit 1945. Leiter der Leningrader Museumsabteilung, auch für die Vorortschlösser verantwortlich. Vor und nach dem Krieg Wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Schlossmuseen von Puškin. Nationalsozialist; Leiter des Berliner Zentralamts im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, dessen Einsätze in der besetzten UdSSR er seit Mitte 1941 organisierte. Historiker, Bibliothekar; Beauftragter des Wehrmachtsbefehlshabers Ostland für die Sicherung von Bibliotheken. Bibliothekswissenschaftler; Mitarbeiter in der HAG Ostland des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg. Kunsthistorikerin; Direktorin von Schloss Pavlovsk vor und nach der deutschen Besatzung Kunsthistoriker, Gründer des Kunsthistorischen Instituts in Petrograd, Gründungsdirektor des Schlossmuseums Gatčina, emigrierte 1925 nach Paris

Transkription und Schreibweisen Die konsequente Umschrift der kyrillischen in die lateinische Schrift stellt immer eine Herausforderung dar. Wir haben uns für die wissenschaftliche Transkription entschieden, weil sie erlaubt, wenig bekannte Namen von Personen und Orten problemlos ins Russische zurückzubringen. Auch gängige Ortszeichnungen wie Pskov und Novgorod werden deshalb mit einem „v“ geschrieben, statt des im Deutschen üblichen „w“, und aus Zarskoje Selo wird Carskoe Selo. Regeln haben Ausnahmen, so auch hier: In Fällen, in denen eine eingebürgerte deutsche Form vorhanden ist, benutzen wir diese. Das trifft auf Moskau zu, das sonst Moskva heißen müsste, aber auch auf Kiew (statt Kyiv). Ebenfalls werden die deutschen Schreibweisen bei den Namen der Zaren gewählt, also Paul statt Pawel, Katharina statt Ekaterina und ­Alexander statt Aleksandr. Zusätzliche Verwirrung stiften die in den deutschen Quellen oder der deutschen Fachliteratur verwendeten Schreibweisen, die in der Regel der deutschen Dudenumschrift folgen oder deutsche Ortsbezeichnungen statt der russischen verwenden, wie beispielsweise Pleskau für Pskov. Bei Zitaten oder Literaturverweisen bleibt diese Schreibweise erhalten. Weitere Verständnisschwierigkeiten können bei Ortsnamen entstehen, die in der hier behandelten historischen Periode manchmal mehrfach umbenannt wurden. Die folgende Tabelle soll Orientierung bieten, die halbfett gedruckten Bezeichnungen geben die Verwendung an, die im Text am häufigsten vorkommt: heute

historisch

historisch

deutsche Schreibweisen

Museen

Sankt-Peterburg

Petrograd (1914–1924)

Leningrad (1924–1991)

St. Petersburg

Puškin

Carskoe Selo (bis 1918)

Detskoe Selo (1918–1937)

Puschkin Zarskoje Selo Detskoje Selo

Katharinenpalast Alexanderpalast

Pavlovsk

Sluck (1918–1944)

Pawlowsk Slutzk

Schloss Pavlovsk

Petergof

Petrodvorec (1944–1997)

Peterhof

Schloss Peterhof

Gatčina

Trock (1923–1929)

Gattschina Trotzk Krasnogwardejsk

Schloss Gatčina

Pskow Pleskau

Museumskomplex Pskov

Weliki Nowgorod

Museumskomplex Novgorod

Pskov Velikij Novgorod

Novgorod (bis 1999)

Krasnogvardejsk (1929–1944)

Transkription und Schreibweisen

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I Russlands Kulturerbe und die sowjetische Museumspolitik

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Oktoberrevolution: „Krieg den Palästen“?

Museen bewahren die Vergangenheit für zukünftige Generationen, sind aber zugleich selbst Teil von Geschichte, deren Brüche und Geschehnisse sie spiegeln. Die Revolution von 1917 teilte die Geschichte Russlands in ein „Vorher“ und ein „Nachher“, und sie hatte – wie jede Revolution – den Drang, einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen. „Sagen wir uns von der alten Welt los! Streifen wir ihren Staub von den Füßen!“ Mit diesen Worten auf die Melodie der „Marseillaise“ begann die neue Hymne Russlands, welche die Provisorische Regierung nach der Abdankung von Zar Nikolaus II. beschlossen hatte; die Rede war darin auch vom Hass auf die Reichen und die Zarenpaläste. Lenin, der Führer der Bolschewiki, beendete 1917 seinen Aufruf an die Soldaten mit den Worten: „Friede den Hütten – Krieg den Palästen!“ und nahm damit eine ursprünglich metaphorisch gemeinte Formulierung aus der Französischen Revolution auf.1 Den Kulturdenkmälern in Petrograd und Umgebung hatten die revolutionären Kämpfe und die Kriegshandlungen des Jahres 1917 wenig Schaden zugefügt, doch waren die Paläste von St. Petersburg, Carskoe Selo, Gatčina und Peterhof nach der Abdankung des Zaren am 2. März 1917 de facto herrenlos, nur in Pavlovsk wohnten weiterhin Angehörige des Konstantinovič-Zweigs der Familie Romanov.2 Damit drohten den einzigartigen Architekturensembles und ihren Kunstsammlungen Zerstörung und Plünderung. Am prekärsten war die Lage von Gatčina. Dort hatte zuerst der Stab des Chefs der Provisorischen Regierung, Aleksandr Kerenskij, mit einer Kosakeneinheit Quartier gefunden, später folgten den Kosaken bewaffnete Einheiten der Bolschewiki, Matrosen und Teile der Roten Garde. Aber selbst unter diesen Umständen gelang es, den Basisbestand an Kunstgütern sowie die wertvollen Interieurs zu bewahren. Im Mai 1917 setzte die Provisorische Regierung Kommissionen zur Übernahme und zum Schutz der ehemaligen Zarenschlösser ein (die späteren Kunsthistorischen Kommissionen), die auch die ersten wissenschaftlichen Beschreibungen der Sammlungen erstellten. Nicht nur in Russland, auch im restlichen Europa gab es wenig Erfahrung mit der Umwand1

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Die ursprüngliche Losung „Guerre aux chateaux! Paix aux chaumières!“ hatte der deutsche Revolutionär und Schriftsteller Georg Büchner 1834 verändert in „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“; die russische Fassung geht auf die deutsche Version zurück. Am 13. Juli 1918 verabschiedete die Regierung der Bolschewiki, der Rat der Volkskommissare der RSFSR, ein Dekret zur Enteignung des Besitzes aller Mitglieder der Romanov-Familie.

Oktoberrevolution: „Krieg den Palästen“?

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lung von Herrscherresidenzen in Museen. Die beiden bedeutendsten Beispiele, der Louvre und Versailles, standen für zwei unterschiedliche Konzeptionen: ein Museum im ehemaligen Palast einzurichten oder ein Palastmuseum als einen Komplex aus historischer Architektur und kunstvoller Ausstattung zu schaffen. Zu denen, die die ehemaligen Zarenresidenzen in nationale Museen umwandeln wollten, gehörte Graf Valentin Zubov: „Ein Schlossmuseum ist vor allem ein Denkmal des Lebens, ein Bilderbuch, das treffender als alle Worte die Atmosphäre der bekannten Epochen wiedererschaffen kann.“3 Am 25. Oktober 1917 (dem 7. November nach dem neuen Kalender)4 kamen in Russland die Bolschewiki an die Macht. Entgegen pessimistischer Prognosen verkündete die neue Führung ihre Absicht, Kulturdenkmäler zu schützen. Die ehemaligen Zarenresidenzen wurden für unantastbar erklärt und durften nicht konfisziert werden, es sei denn mit Erlaubnis der zuständigen Staatsorgane; die Schlösser sollten sich darauf vorbereiten, den Status staatlicher Museen zu erhalten.5 Diese ersten Schritte unterstützte ein beträchtlicher Teil der Intellektuellen und der Mitarbeiter in den Kultureinrichtungen. Selbst wenn sie die politischen Positionen der Bolschewiki nicht teilten, waren viele Künstler, Kunsthistoriker, Architekten und Wissenschaftler zur Zusammenarbeit mit der neuen Macht im Staat bereit. „Ich spiele jede beliebige Rolle, nehme jede beliebige politische Färbung an, um die geistigen Werte zu schützen, die sich weniger leicht ersetzen lassen als Menschen“, schrieb Zubov in seinen Memoiren.6

2

Anfänge einer staatlichen Museumspolitik

Die Zarenschlösser waren keineswegs die einzigen Aufbewahrungsorte für Kunstschätze, die Schutz brauchten. Allen historischen Kulturdenkmälern, den Symbolen der „verfluchten Vergangenheit“, drohte Gefahr, meist durch einfachen Raub und Vandalismus. Viele Kunstwerke nahmen ihre Besitzer mit in die Emigration, andere wurden privat angeeignet. Angesichts des Wohnungsmangels wurden historische Gebäude als Wohngebäude genutzt – noch gab es keine Gesetze zum Denkmalschutz und zur Nutzung der Kulturdenkmäler. Eine eigene Kulturpolitik begannen die Bolschewiki mit der Nationalisierung der bedeutendsten kulturhistorischen Sammlungen, die in staatliche Museen verwandelt wurden. Im Frühjahr und Sommer 1918 wurden im Rahmen des Volkskommissariats für Bildung Strukturen

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Valentin P. Zubov, Stradnye gody Rossii. Vospominanija o revoljucii (1917–1925), Moskau 2004, S. 148 f. Am 14. Februar 1918 ersetzte die bolschewistische Regierung den in Russland noch gültigen julianischen durch den gregorianischen Kalender, damit wurden auf einen Schlag 13 Tage übersprungen. G. A. Kuzina, Gosudarstvennaja politika v oblasti muzejnogo dela, in: Muzei i vlasť. Gosudarstvennaja politika v oblaste muzejnogo dela (XVIII–XXvv.), Bd. 1, Moskau 1991, S. 100 f. Zubov 2004, S. 59. Zubov, der in Gatčina und Pavlovsk arbeitete, wurde zweimal verhaftet, kam jedoch beide Male frei. 1925 machte er eine Dienstreise ins Ausland und kehrte nicht mehr in die UdSSR zurück.

Russlands Kulturerbe und die sowjetische Museumspolitik

geschaffen, welche die Verantwortung für das Museumswesen und den Denkmalschutz übernehmen sollten: zuerst ein Kollegium, später eine eigene Abteilung für Museumsfragen und Denkmalschutz in Kunst und Altertum (abgekürzt Glavmuzej)7, deren Mitarbeiter von dem Künstler, Kunsthistoriker und Restaurator Igor’ E. Grabar’ nach strikt fachlichen Gesichtspunkten ausgesucht wurden. Neben ihrer praktischen Tätigkeit erarbeitete die Museumsabteilung Gesetze zum Schutz von Kulturdenkmälern. Am 19. September verabschiedete der Rat der Volkskommissare ein Dekret zum Verbot der Ausfuhr und des Verkaufs von Kunstgütern ins Ausland. Künftig wurde dazu die explizite Erlaubnis der Museumsabteilung benötigt. Am 5. Oktober erschien das Dekret zur Erfassung, Schätzung und zum Schutz von Kulturgütern, die im Besitz von Privatleuten oder verschiedenster Gesellschaften und Einrichtungen waren. Schritt für Schritt wurde die rechtliche Basis für die Organisation des Denkmalschutzes im ganzen Land geschaffen, eine außerordentlich wichtige Maßnahme, die es erlaubte, die Welle von Zerstörungen zu stoppen. Allerdings gingen schon die ersten Verstöße gegen die neuen Gesetze auf das Konto eben der Macht, in deren Namen sie verabschiedet worden waren. Bereits 1920/21 begannen staatliche Institutionen mit dem Ausverkauf von Museumssammlungen, 1922 wurde die Kampagne zur Beschlagnahmung von Kirchenschätzen, die bereits in den ersten Monaten nach der Revolution begonnen hatte, massiv verstärkt. Legitimiert wurde dies jedes Mal mit Hinweis auf „Interessen des Staates“, nur die Details variierten: Zuerst galt es den Haushalt aufzustocken, dann den Hungernden zu helfen, schließlich die Industrialisierung zu finanzieren. Die gesamten 1920er Jahre hindurch musste sich das Volkskommissariat für Bildung gegen Behörden wehren, die Anspruch auf historische Gebäude, Kunstwerke oder andere Kulturobjekte erhoben. Eine wichtige Form der Gegenwehr bestand darin, die historischen Denkmäler in Museen umzuwandeln, doch stieß diese Idee vielfach auf Widerstand. Selbst unter den Intellektuellen fanden sich viele Befürworter der Vernichtung der Vergangenheit: Die kulturelle Sphäre sollte „gesäubert“ werden, damit eine neue Kultur entstehen könnte. Normalbürger konnten der Idee, das „Romanov’sche Gerümpel“, wie die Zarenschlösser manchmal betitelt wurden, zu bewahren, noch weniger abgewinnen. Für den Volkskommissar für Bildung, Anatolij V. Lunačarskij, sollten die Museen dagegen Zentren mit vielen verschiedenen Funktionen sein: Archive von Schätzen des Altertums und der Künste, Zentren der Bildung und der Wissenschaft sowie Orte ästhetischen und intellektuellen Genusses.8 In der Praxis wurde die Bildungsfunktion der Museen jedoch häufig anders verstanden, nämlich als „politische Aufklärung“, als Agitations- und Propagandaarbeit.

7 8

Vollständig: Zentrales Komitee für Fragen der Museen und für den Schutz von Denkmälern der Kunst, des Altertums und der Natur beim Volkskommissariat für Bildung der RSFSR. Kuzina 1991, S. 117 f.

Anfänge einer staatlichen Museumspolitik

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3

Die 1920er Jahre: Neues Leben für Schlösser und Kirchen Die Vorortschlösser: Zwischen Vergangenheit und Zukunft

Für die Vorortschlösser begann der Kampf der Bolschewiki gegen das Gedächtnis der Vergangenheit mit einer Umbenennung: Carskoe Selo (Zarendorf) wurde 1918 zu Detskoe Selo (Kinderdorf), Gatčina 1923 zu Trock (nach dem Revolutionär Leo Trotzki) und 1929 zu Krasnogvardejsk (nach den revolutionären Roten Garden), Pavlovsk zwischen 1918 und 1944 zu Sluck (nach der Revolutionärin Vera Sluckaja). Nur Peterhof behielt den historischen Namen und öffnete zudem als erste der ehemaligen Vorortresidenzen ihre Tore als Museum: Am 18. Mai 1918 besuchte eine kleine Gruppe von Arbeitern die Säle des Großen Palasts, am 2. Juni kamen schon 400 Besucher. Im Sommer wurden die Museen in Carskoe Selo und in Gatčina eröffnet. Die Besucher in Carskoe Selo zogen am Eingang der Säle sogenannte Museumspuschen über ihre Schuhe. Diese Praxis schützte nicht nur die einzigartigen Parkettböden, sie bereitete die Besucher auch psychologisch auf die Begegnung mit dem Schönen vor.9

Abb. 10  Schloss Peterhof öffnete als Erstes der zu Museen umgeformten ehemaligen Zarenresidenzen seine Türen. Die Fotografie vom Mai 1918 zeigt die erste, noch kleine Besuchergruppe im Ballsaal – mit den obligatorischen Filzpantoffeln über den Straßenschuhen.

9

46

Anatolij V. Lunačarskij, Sovetskaja vlasť i pamjatniki stariny, in: Anatolij V. Lunačarskij, Ob izobraziteľnom iskusstve, Bd. 2, Moskau 1967, S. 54.

Russlands Kulturerbe und die sowjetische Museumspolitik

Abb. 11  Die Aufnahme aus den 1920er Jahren zeigt die wasserlose Große Kaskade, die in Stufen und Kanälen vom Schloss bis zum Finnischen Meerbusen hinabführt. Sie gibt einen Eindruck vom riesigen Umfang der Restaurierungsmaßnahmen.

In Peterhof musste das ausgeklügelte System der Springbrunnen dringend restauriert werden. Dieser Aufgabe widmete sich seit 1925 Nikolaj I. Archipov, der noch vor der Revolution eine Ausbildung an der historisch-philologischen Fakultät der Petersburger Universität und am Archäologischen Institut erhalten hatte. Als er 1924 zum Direktor ernannt wurde, gab es keinen Plan für die Restaurierung der Schlösser und Parks, ja es gab noch nicht einmal eine Dokumentation der Gebäude und sonstigen Anlagen, auf die man sich hätte stützen können. Das Archiv wurde zufällig in einem der Gebäude im Park gefunden und bildete dann die Grundlage für die Restaurierungsarbeiten.10 Damit Peterhof erneut als das „russische Versailles“ gerühmt werden konnte, musste Archipov die Schlösser und Parks aber nicht nur vor zeitbedingtem Zerfall schützen, sondern auch vor diversen Projekten zu ihrer zweckentfremdeten Nutzung. Konflikte mit der Leningrader Verwaltung blieben nicht aus. 1937 wurde Archipov aus der Partei ausgeschlossen, dann verhaftet und wegen „konterrevolutionärer Tätigkeit“ zu fünf Jahren Arbeitslager zur Umerziehung verurteilt; rehabilitiert wurde er erst 1956.11

10 A. G. Raskin/T. V. Uvarova, Vozvraščenie imeni: Nikolaj Iľic Archipov, in: Pskov (2010), Nr. 33, S. 133 f. 11 P. V. Petrov, Nikolaj Iľič Archipov (1887–1967), Kratkij biografičeskij očerk, in: Nikolaj Iľič Archipov, Issledovanija po istorii Petergofa, St. Petersburg 2016, S. 30–46.

Die 1920er Jahre: Neues Leben für Schlösser und Kirchen

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In den 1920er Jahren waren in allen Schlossensembles Reparatur- und Restaurierungsarbeiten erforderlich. Auf einer Konferenz der Museen von Moskau und Petrograd im Juli 1922 wurde der „katastrophale Zustand der Museumsgebäude“ beklagt, „von denen viele Denkmäler von Weltgeltung sind“.12 Im September 1922 bewilligte der Staat dafür Sondermittel, doch reichten diese von Anfang an nicht aus. Ganz Russland erlebte damals eine Wirtschaftskrise, denn die infolge von Revolution und Bürgerkrieg (seit 1918) entstandenen Probleme intensivierten sich noch infolge der Wirtschaftspolitik des „Kriegskommunismus“ (1918–1921). In einer Wirtschafts- und Finanzkrise spart jeder Staat zuerst an der Kultur, und die Bolschewiki bildeten keine Ausnahme. 1922 schlug der stellvertretende Vorsitzende des Rats der Volkskommissare, Aleksej I. Rykov, vor, die Ausgaben für den Denkmalschutz zu kürzen.13 Auch die Ausgaben für die Museen wurden beschnitten und deren Sammlungen darüber hinaus als Quelle für das Staatsbudget angesehen: In dieser Zeit begannen die ersten Verkäufe von Objekten aus den Museumsdepots.

Novgorod und Pskov: Hinwendung zur altrussischen Kunst Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Novgorod und Pskov zwei gewöhnliche russische Provinzstädte. Das Bewusstsein ihrer besonderen historischen und kulturellen Rolle entwickelte sich erst allmählich und hing mit dem wachsenden Interesse für die Geschichte des alten Russlands zusammen. Die Beschäftigung mit der Lokalgeschichte hatte seit den Reformen der 1860er Jahre begonnen, zu Anfang des neuen Jahrhunderts vollzog sich in den intellektuellen Kreisen Russlands dann eine weitere Wende: hin zur altrussischen Kunst in Malerei und Architektur.14 Man begann, sich intensiv mit dem Kulturerbe von Novgorod und Pskov zu beschäftigen und entdeckte die altrussischen Denkmäler als herausragende Phänomene nicht nur der russischen, sondern auch der Weltkultur. Landeskundliche Nachforschungen verknüpften sich mit kulturellen Entdeckungen, und so begann auch eine Diskussion über Museen. Die ersten Museen wurden von jeweils einer staatlichen beziehungsweise kommunalen und einer kirchlichen Institution initiiert; sie unterstanden diesen auch, weshalb es in jeder Stadt in der Regel zwei Museen mit jeweils vergleichbaren Sammlungen und ähnlichen Namen gab, so in Novgorod das Museum der Altertümer und das Altertumsmagazin und in Pskov das Museum der Archäologischen Gesellschaft und das Museum des archäologischen Komitees der Kirche. Die Museen, besonders die in lokaler Selbstverwaltung, besaßen noch kein scharfes Profil, nebeneinander wurden teilweise

12 Kuzina 1991, S. 150. 13 Kuzina 1991, S. 128. 14 Vassilij S. Ponomarev, Sud’by monumentaľnych pamjatnikov, in: Ežegodnik Novgoroskogo gosudarstvennogo ob-edinnenogo muzeja-zapovednika 2005, Velikij Novgorod 2006, S. 230 f.; Nikolaj G. Porfiridov: Novgorod. 1917–1941. Vospominanija, Leningrad 1987, S. 166.

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Ikonensammlungen, Waffensammlungen, archäologische Funde, Alltagsgegenstände, Bilder, Handschriften und Bücher archiviert. Einen wichtigen Beitrag zum Aufbau von Museen leisteten private Sammler, die ihre eigenen Museen eröffneten, in Novgorod etwa Vasilij S. Peredoľskij, in Pskov Fedor M. Pljuškin.15 Peredoľskij, ein Jurist, erforschte als einer der Ersten die Geschichte des Novgoroder Gebiets; auf seine Initiative hin gründete sich die Novgoroder Gesellschaft der Freunde von Altertümern, eine Bürgerorganisation, die viel für den Erhalt und das Studium der Kulturdenkmäler Novgorods getan hat. In Pskov war der Unternehmer Fedor Pljuškin Mitglied der Archäologischen Gesellschaft; seine Sammlung, die seltene Ikonen, in kirchenslavischer Schrift gedruckte Bücher, Handschriften, Pläne und Karten von Pskov, Waffen, russische Kleidungsstücke sowie eine einzigartige Münzensammlung umfasste, zählte zu den größten in Russland. Die wichtigsten Architekturdenkmäler in Novgorod und Pskov gehörten vor der Revolution der Russisch-Orthodoxen Kirche: Kirchen und Klöster, in denen lebendige Gemeinden und Gemeinschaften aktiv waren. Sie beherbergten die besten Exemplare altrussischer Malerei und altrussischen Kunsthandwerks wie Freskomalerei, Ikonen und Kirchengerät. Im Verlauf mehrerer Jahrhunderte waren viele Bauwerke marode geworden, andere hatten Umbauten oder Renovierungen erlebt. Unter Letzteren litt vor allem die Malerei, alte Fresken wurden von neuer Wandmalerei überdeckt. Als die Georgskathedrale im Novgoroder Jur’evkloster zwischen 1825 und 1827 instandgesetzt worden war, waren Fresken aus dem 12. Jahrhundert abgeschlagen und danach die Wände neu übermalt worden. Ende des 19. Jahrhunderts begann die grundlegende Sanierung der Sophienkathedrale aus dem 11. Jahrhundert, der Hauptkirche Novgorods und einer der ältesten russischen Kirchen. Die Sanierung folgte dem Prinzip der „Modernisierung“, verschlang beträchtliche Mittel und entstellte das altrussische architektonische Erscheinungsbild der Kathedrale.16 Die Haltung der Kirche zu den Schätzen in ihrem Besitz änderte sich, nachdem Arsenij (Stadnickij)17 1910 Erzbischof von Novgorod geworden war. Als Geistlicher, als Gelehrter und als anerkannter Kirchenhistoriker besaß er nicht nur in Kirchenkreisen Autorität, sondern auch bei Kunsthistorikern, Archäologen und Künstlern. Viele traten der von ihm gegründeten Novgoroder kirchenarchäologischen Gesellschaft bei. Er gab auch den Anstoß, in Novgorod und Pskov Kirchenschätze auszustellen, die keine liturgische Funktion besaßen; faktisch handelte es sich dabei um die ersten umfassenden Ausstellungen altrussischer Kunst. Kraft seiner Autorität und durch praktische Hilfe unterstützte der Erzbischof die Erfassung, den Schutz und die wissenschaftlich fundierte Restaurierung von Denkmälern in Novgorod und Pskov. Umfassend restauriert wurde 1903/04 eine Perle der russischen Architektur, die 1198 gebaute Erlöserkirche von Neredica, einem Hügel in der Umgebung Novgorods. Bedauer-

15 Porfiridov 1987, S. 27–32. 16 N. Brunov/N. Travin, Sobor Sofii v Nogorode, in: Soobščenija instituta Istorii i Teorii architektury 1947, H. 7, S. 2. 17 Arsenij (Stadnickij). Pravoslavnaja ėnciklopedija, http://www. pravenc.ru/text/76250.html [1.5.2018].

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Abb. 12  Die Erlöserkirche von Neredica bei Novgorod enthielt eines der bedeutendsten Denkmäler der altrussischen Monumentalmalerei. 1919 wurde sie aufwändig mit traditionellen Techniken restauriert.

licherweise gelang es auch hier nicht, technische Fehler zu vermeiden: Um die Stabilität der Wände zu stärken, wurden sie mit Zement statt mit Kalk verputzt. Das Ergebnis war eine mangelhafte Luftzirkulation, die Wände hörten auf zu „atmen“, was die Fresken gefährdete. 1919 wurde dieser Fehler korrigiert und wieder traditioneller Kalkputz aufgetragen.18 Die ersten Erfahrungen mit der Freilegung von Fresken in Novgorod, das heißt die Entfernung von später aufgetragenen Schichten, stammen aus den Jahren 1910/11. Damals wurden Fresken in der Kirche Theodor Stratilat „am Bach“ aus dem 14. Jahrhundert freigelegt. Das Ergebnis wurde nachgerade zu einer wissenschaftlichen Sensation. Man hatte nicht nur wunderbare Exemplare altrussischer Malerei wieder sichtbar gemacht, sondern eine Neuerung in der Restauratorentätigkeit durchgesetzt: Erstmals waren in Russland alle Fresken

18 Ponomarev 2006, S. 231/32; Porfiridov 1987, S. 168–170.

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einer Kirche rundum freigelegt worden.19 Der Erste Weltkrieg unterbrach diese Untersuchungen allerdings, sie wurden erst nach der Revolution wieder aufgenommen. 1919 kam eine Gruppe Moskauer Künstler und Restauratoren unter der Leitung von Igor’ Grabar’, um erneut die Wände der Erlöserkirche von Neredica zu restaurieren, doch vor allem legten sie Fresken frei und reinigten Ikonen.20 Unter den Bedingungen von Bürgerkrieg und wirtschaftlicher Zerrüttung, finanziell nur spärlich alimentiert, begann hier die neue Zeit der kulturellen Wiedergeburt von Novgorods Denkmälern. Umfang und Ergebnis dieser Restaurierungsarbeiten hätten noch bedeutender sein können, hätten sich die Experten nicht gegenseitig Konkurrenz gemacht. Außer den Moskauer Restauratoren arbeiteten in der Stadt Fachleute der Petrograder Restaurierungskommission unter der Leitung von Nikolaj P. Syčev. Beide Gruppen verfügten über anerkannte Abb. 13  Einer der einflussreichsten Museumsleute Spezialisten für altrussische Kunst und Architektur, in der jungen Sowjetunion und bis weit in die und ihre Auseinandersetzungen steigerten sich nach- Nachkriegszeit hinein war der Kunsthistoriker und Restaurator Igor Grabar’ (Aufnahme von 1950). gerade zum Richtungsstreit zweier wissenschaftlicher Schulen.21 Da Novgorod der Petrograder Verwaltung unterstand, besaßen die dortigen Kulturbeamten formal das Recht, die Arbeit der Moskauer Gruppe von Zeit zu Zeit zu stoppen. In Pskov setzte die Restaurierung der Baudenkmäler planmäßig erst seit 1925 ein, als eine Moskauer Gruppe unter der Leitung des Kunstwissenschaftlers Alexander N. Anisimov die Kirchen inspizierte. Auch sie legte Freskomalereien frei; daneben erstellte Anisimov Listen, welche Ikonen 1922 aus den Kirchen entfernt und an das Pskover Museum übergeben worden waren, suchte die besten unter ihnen aus und schickte sie in Moskauer Restaurierungswerkstätten. Um Ikonen auch vor Ort von Übermalungen befreien zu können, wurde eine an das Pskover Museum angeschlossene Restaurierungswerkstatt eingerichtet. Bis die Restaurierungen 1929 eingestellt wurden, gelang es, einige Meisterwerke der Pskover Ikonenmalerei sichtbar zu machen. Im In- und Ausland wurden Ikonen aus Pskov erstmals auf Ausstellungen altrussischer Malerei gezeigt, so auch 1929 in Deutschland.22 De facto 19 20 21 22

Ponomarev 2006, S. 231. Ponomarev 2006, S. 232. Porfiridov 1987, S. 173–175, hier S. 184 f. Denkmäler altrussischer Malerei. Russische Ikonen vom 12.–18. Jahrhundert. Ausstellung des Volksbildungskommissariats der RSFSR und der Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas in Berlin, Köln, Hamburg, Frankfurt a.M. und München, Februar–Mai 1929.

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wurde die einzigartige Pskover Schule altrussischer Ikonenmalerei überhaupt erst Mitte der 1920er Jahre entdeckt.23 Nach der Revolution entwickelten sich die Restaurierungsarbeiten in Novgorod und Pskov eindrucksvoll. Vor dem Ersten Weltkrieg waren in Novgorod nur in drei Kirchen die Fresken freigelegt worden, bis zum Zweiten Weltkrieg waren es bereits neun, in anderen Kirchen wurden die Wandmalereien fixiert und genau untersucht.24 Anders als vor der Revolution konzentrierten sich die Restauratoren nicht auf die Wandmalereien einer Kirche, sondern arbeiteten gleichzeitig in verschiedenen Kirchen. Dahinter stand vor allem die Absicht, möglichst viele Kulturdenkmäler vor den Begehrlichkeiten städtischer Verwaltungen zu schützen, denn der Beginn von Restaurierungsarbeiten diente als Beleg der kunsthistorischen Bedeutung der Kirche und damit als Argument gegen eine rein Abb. 14  Der Kunsthistoriker Nikolaj G. Porfiridov wurde 1918 zum Leiter der Unterabteilung für Museumsutilitaristische Verwendung.25 wesen im Gouvernement Novgorod ernannt. Seine Ver­Eine weitere Möglichkeit, historische Gedienste um die Bewahrung und Rettung der Novgoroder bäude als kulturhistorische Denkmäler zu erKunstschätze während der 1920er Jahre und noch einmal 1941 sind nicht hoch genug zu schätzen. halten, lag darin, sie Institutionen des Museumswesens zu unterstellen. Seit 1918 gehörten die Museen und der Denkmalschutz in Novgorod zu einer Untergliederung der Gouvernementsabteilung für Volksbildung (Gubmuzej); ihr Leiter war Nikolaj G. Porfiridov.26 Er gehörte zur ersten Generation sowjetischer Museumsfachleute. Sie waren formal sowjetische Beamte, doch passten diese Enthusiasten nach Herkunft, Ausbildung und Überzeugung nicht in das gängige Klischee. Porfiridov stammte aus der Familie eines Geistlichen aus einem Dorf des Novgoroder Bezirks, studierte an der St. Petersburger Geistlichen Akademie Archäologie und Kunstgeschichte und beschäftigte sich auch praktisch mit der Freskomalerei in den Novgoroder Kirchen. Nach Studien am Archäologischen Institut in Petrograd wurde er im April 1918 in der Novgoroder Bezirksabteilung für Volksbildung eingesetzt. Zuerst arbeitete er im Museum für Altertümer, danach wurde er Leiter der Unterabteilung für das Museums23 Ju. G. Bobrov, Otkrytie Pskovskoj ikonopisi, http://news.pskovonline.ru/cultura/Otkrytie-Pskovskoi-ikonopisi/ [1.5.2018]. 24 Ponomarev 2006, S. 237. 25 Ponomarev 2006, S. 238. 26 Ė. A. Gordienko, N. G. Porfiridov, in: Novgorodskij istoričeskij vestnik 16 (1999), Nr. 6, S. 318–323.

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Russlands Kulturerbe und die sowjetische Museumspolitik

wesen. Ungeachtet seiner soliden Bildung musste er sich dieses Tätigkeitsfeld ganz neu erarbeiten. Später bekannte er: „Wir, die erste Generation sowjetischer Museumsmitarbeiter, waren nicht sehr beschlagen in Museumsangelegenheiten. Das galt auch für die, die auf den Hochschulen mehr oder weniger benachbarte Fächer studiert hatten.“27 Unter Porfiridovs Leitung wurden die Museen Novgorods reorganisiert, so dass aus einzelnen Sammlungen ein Netz an Museen entstand, in dem jedes Museum sein besonderes Profil erhielt (historischarchäologisch, Kunst, Alltagskultur). Der Schutz der Denkmäler vor zeitbedingtem Verfall, aber auch – besonders – vor menschlicher Ignoranz wurde zu Porfiridovs Lebensaufgabe. 1933 wurde er verhaftet, antisowjetischer Tätigkeit beschuldigt und zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt. Er kam vorzeitig frei und kehrte nach Novgorod zurück, wo er hauptsächlich wissenschaftlich arbeitete. 1941 rettete er erneut Schätze der Novgoroder Museen, dieses Mal vor Bomben und Plünderung.

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Kultur zwischen Kommerz und Politik

In den 1920er Jahren verfolgte der Staat eine widersprüchliche Politik im Blick auf das kulturelle Erbe. Auf der einen Seite bemühte er sich, kunsthistorische Denkmäler zu erhalten und stellte sie unter Denkmalschutz, auf der anderen Seite trug er selbst zur Zerstörung der Kulturlandschaft Russlands bei. Das geschah teilweise, indem man historische Denkmäler umnutzte, aber, wie erwähnt, auch durch den Verkauf von Kulturgütern ins Ausland: Aus Edelmetallen und Edelsteinen sowie aus Objekten, die aus diesen Materialien hergestellt waren, sollte eine Gold- und Währungsreserve für Außenhandels- und Finanztransaktionen angelegt werden. Auf Beschluss des Rats der Volkskommissare wurde im Februar 1920 die Staatliche Schatzkammer der RSFSR (Gochran) eingerichtet. Das Dekret sah ausdrücklich vor, Kulturschätze aus Museen, Kirchen und Klöstern nicht dorthin zu verbringen; sie sollten allerdings inventarisiert werden28, und diese Listen wurden in der Folgezeit dazu benutzt, dort verzeichnete wertvolle Objekte doch zu beschlagnahmen.

Die Beschlagnahmung von Kirchenschätzen 1921/22 Gochran war zunächst nur eine Schatzkammer, die gefüllt werden musste. Diesem Zweck widmete sich seit November 1921 eine Sonderkommission „zur Sammlung und Bestandsaufnahme von Wertobjekten“ unter dem Vorsitz von Leo Trotzki, dem Volkskommissar für Kriegswesen und Vorsitzenden des Revolutionären Kriegsrats. Später wurden – ebenfalls

27 Porfiridov 1987, S. 62. 28 Sobranie uzakonenij i rasporjaženij praviteľstva za 1920g. Upravlenie Delami Sovnarkoma SSSR, Moskau 1943, S. 92 f.

Kultur zwischen Kommerz und Politik

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unter der Aufsicht Trotzkis – weitere Kommissionen gegründet, die häufig parallel arbeiteten.29 Die erste Kampagnenwelle „zur Sammlung von Wertobjekten“ traf bereits geschlossene Kirchen und Klöster, doch war die Schonfrist für Kirchen mit aktiven Gemeinden nur kurz, denn in einigen Regionen des Landes, besonders an der Wolga, war es seit dem Frühjahr zu einer großen Hungersnot gekommen, man geht heute von einer Million Hungertoten bis 1922 aus.30 Erste Hilfe kam von gesellschaftlichen und religiösen Vereinigungen aus Russland und dem Ausland, doch die politisch Verantwortlichen, die jeder bürgerlichen Eigeninitiative mit Misstrauen begegneten, zögerten, sie anzunehmen. Im Gegenteil: Sie nahmen die Hungersnot zum Anlass, mit der Zerschlagung der Orthodoxen Kirche zu beginnen, kaschierten diese Absicht aber, indem sie die Konfiskation von Kirchenschätzen als Hungerhilfe deklarierten.31 Neben dem politischen Ziel verfolgte die Kampagne zudem die Absicht, die Staatskasse zu füllen sowie die Gold- und Währungsreserven aufzustocken. Der Partei- und Regierungschef Vladimir I. Lenin überzeugte seine Genossen, dass die Kirche über „gigantische Reichtümer“ verfüge; er erwartete, durch Enteignungen „einige hundert Millionen [...] oder sogar einige Milliarden“32 Goldrubel einnehmen zu können.33 Betroffen war nicht nur die Institution Kirche, sondern die Kampagne zeitigte unbeabsichtigt auch desaströse Folgen für die russische Kultur. Kirchen und Klöster hatten über Jahrhunderte die Kulturlandschaft Russlands geprägt. Während der Vorbereitungen zur Enteignung ging man davon aus, dass die künstlerisch wertvollsten Teile des Kirchenschmucks und der Liturgie (Ikonen, Kirchengerät, Gegenstände aus Edelmetallen und besetzt mit Edelsteinen, geistliche Gewänder) an Museen weitergegeben würden. Dabei übersah man vollständig, dass die Kirchengebäude und ihre Interieurs eine historische und künstlerische Einheit bildeten, so dass jeder Eingriff einen Verlust für das kulturelle Gedächtnis bedeutete. Die faktischen Ergebnisse der Aktion erwiesen sich als schlimmer als die düstersten Prognosen. Viele Kunstobjekte – einzigartige Ikonostasen, Abdeckungen von Ikonen, schmückende Gegenstände – kamen nie in den Museen an; sie wurden nur nach ihrem Materialwert behandelt, zerlegt und eingeschmolzen. Konnten sich die Mitglieder der lokalen Enteignungskommissionen nicht einigen, wurde das umstrittene Objekt zur Begutachtung nach Moskau geschickt, und zwar nicht in die Museumsabteilung, sondern an die Verwaltung von Gochran.34 Von dort kehrten sie allerdings nur selten zurück, selbst wenn ihr

29 N. N. Pokrovskij/S. G. Petrov (Hrsg.), Archivy Kremlja. Politbjuro i Cerkov’. 1922–1925gg., Bd. 1, Moskau 1997, S. 18. 30 Ju. A. Poljakov (Hrsg.), Naselenie Rossii v XX veke. Istoričeskie očerki, Bd. 1. 1900–1939, Moskau 2000, S. 130, 133. 31 Ausführlicher zur Kampagne der Konfiszierung von Kirchenschätzen 1921/22 vgl. Pokrovskij/Petrov 1997; N. A. Krivova, Vlasť i Cerkov’ v 1922–1925gg. Politbjuro i GPU v bor’be za cerkovnye cennosti i političeskoe podčinenie duchovenstva, Moskau 1997; M. N. Petrov: Krest pod molotom, Novgorod 2000. 32 Vladimir I. Lenin, Pis’mo členam Politbjuro 19 marta 1922g., in: Pokrovskij/Petrov 1997, S. 141. 33 Das Dekret über die Beschlagnahme von Kirchenschätzen wurde am 23. Februar 1922 bekanntgegeben. Sobranie uzakonenij 1943, S. 217, 297 f. 34 Sobranie uzakonenij 1943, S. 59.

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kulturhistorischer Wert bestätigt wurde. Das galt etwa für ein Meisterwerk russischen Kunsthandwerks aus dem Novgoroder Jur’evkloster. Das Gefäß aus gehämmertem Silber, das in Form eines Adlers gestaltet war und 32 Kilogramm wog, blieb nach der Moskauer Expertise in der Rüstkammer des Moskauer Kreml; alle Bemühungen der Kustoden aus Novgorod, es zurückzubekommen, fruchteten nicht.35 Um den Wert eines Objekts zu bestimmten, richtete man sich formal nach dessen Alter, als Orientierung diente das Ende des 18. Jahrhunderts, gelegentlich auch das Jahr 1725. Viele Meisterwerke gingen folglich verloren, nur weil sie aus dem 19. Jahrhundert stammten. Es gelang beispielsweise nicht, in der Novgoroder Sophienkathedrale die silberne Abdeckung der Hauptikonostase und silberne Reliquienschreine vor dem Einschmelzen zu retten.36 Der Goldgehalt entschied über das Schicksal der goldenen Einfassung der Muttergottes­ ikone „Znamenie“ (Maria orans bzw. Muttergottes vom Zeichen) aus Novgorod.37 Die Ikone wurde in der Znamenskijkathedrale aufbewahrt und gehörte zu den meistverehrten Ikonen Novgorods. Sie hatte zwei Einfassungen, eine für Feiertage aus Gold und eine „gewöhnliche“ aus Silber. Die goldene war in den 1870er Jahren massiv aus hochkarätigem Rotgold gefertigt worden und mit 2.615 Edelsteinen, vorwiegend Brillanten, besetzt, sie wog etwa sechs Kilogramm. Die silberne Einfassung war wesentlich älter und zeichnete sich durch eine Anzahl kleiner Ikonen aus dem 12. Jahrhundert in Cloisonnétechnik aus. Die silberne Einfassung konnte für das Museum gerettet werden, indem man die Feiertagseinfassung opferte. Um ihre Reliquien zu retten, baten manche Gläubige die lokalen politischen Führungen, sie gegen das gleiche Gewicht an Gold oder Silber „freikaufen“ zu dürfen. Dies gelang in einigen Gemeinden des Pskover Gouvernements38; es wurde nicht gern gesehen, konnte aber in „Ausnahmefällen“ zugelassen werden.39 Insgesamt wurden im Pskover Gouvernement knapp vier Tonnen an Gold, Silber und Wertgegenständen konfisziert.40 Aus Novgorod erhielt Gochran 83 Kisten Silber, drei Kisten Gold, drei Kisten mit Edelsteinen, teilweise in Goldfassung, sowie zwei Kisten mit Goldund Silbermünzen.41 Nach modernen Berechnungen belief sich der Wert der konfiszierten Kirchengüter in Novgorod auf 140.000 damalige Rubel  – was etwa den Kosten für die Durchführung der Aktion entsprach.42 Finanziell gewonnen war also nichts. Nicht viel anders war das Bild für Russland insgesamt: Im Jahr 1922 wurden der Kirche Objekte im

35 Porfiridov 1987, S. 138. 36 S. M. Smirnov, Vospominanija o vremeni moej raboty v Novgorodskom muzee, in: Novgorodskij istoričeskij sbornik 16 (1997), H. 6, S. 328. 37 Porfiridov 1987, S. 137. 38 M. A. Ivanova, Kampanija po iz–jatiju cerkovnych cennostej v Pskovskoj gubernii v 1922g., in: Pskov (2006), Nr. 24, S. 153–161, hier S. 155 f. 39 Pokrovskij/Petrov 1997, S. 56. 40 Ivanova 2006, S. 159. 41 I. D. Savinova, Bespoščadnoe sraženie s Cerkov’ju: Samym rešiteľnym obrozom , in: Čelo (2010), Nr. 2–3 (47–48), S. 29. 42 Savinova 2010, S. 29.

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Wert von 4.650.810 Goldrubel genommen43, was weit entfernt war von den „Hunderten von Millionen“, mit denen Lenin gerechnet hatte. Davon wurde für eine Million Brot für die Hungernden gekauft, der Rest wog lediglich die Kosten für die Kampagne auf.44 Die Verluste für die Kultur wären noch ungleich größer gewesen, hätten nicht die Mitarbeiter der Museen die wertvollsten Werke altrussischer Malerei, Juwelierkunst und altrussischen Kunstgewerbes bewahrt, indem sie sie zu Museumsexponaten machten. Angesichts des staatlichen Feldzugs zur Zerschlagung der Kirche gab es für die Kirchenschätze nur die Alternative: ins Museum oder ins Staatsbudget. Für die Museen zeitigte dies ein paradoxes Ergebnis: Durch die Enteignungskampagne, die Kirchen und Klöster verwüstete, füllten sich ihre Magazine mit herausragenden Werken, allein die Novgoroder Museen erhielten damals 400 Objekte.45

„Ohne kunsthistorischen Wert“: Der Verkauf von Museumsschätzen 1922 richtete die „Kommission zur Sammlung und Bestandsaufnahme von Wertobjekten“ ihre Aufmerksamkeit neben den Kirchen auch auf Museen, darunter die Schlossmuseen von Carskoe Selo, Gatčina, Pavlovsk und Peterhof. Suche und Auswahl verliefen weitgehend analog zu den Konfiskationen in Kirchen und Klöstern. Auszugliedern waren wertvolle Objekte nach dem Prinzip „ohne kunsthistorischen Wert für das Museum“, nicht angerührt werden sollten Werke aus der Zeit vor 1725, „ausnahmsweise“ konnten jene aus der Zeit zwischen 1725 und 1835 entfernt werden, ansonsten alles von 1835 an, ausgenommen diejenigen Exponate, die „hochkarätige künstlerische Bedeutung“ besaßen.46 Die Ungenauigkeit der Auswahlkriterien ließ den Museumsfachleuten Manövrierfreiheit und erlaubte ihnen, den Ausverkauf ihrer wertvollsten Sammlungen abzuwenden. Die Beschlagnahmungen von 1922 hinterließen daher keinen großen Schaden, doch waren sie nur das erste Glied in einer Kette von Verkaufsaktionen. Deren Erlöse sollten nicht nur den Staatshaushalt alimentieren, sondern den Museen zugleich die Eigenfinanzierung ermöglichen. Aus ihren Sammlungen wurden seit 1924 sogenannte staatliche Bestände „ohne museale Bedeutung“ (kurz Gosfond genannt) zusammengestellt, die beschlagnahmt und dann verkauft werden sollten; von den Erlösen sollte der Staat 40  Prozent erhalten, 60  Prozent sollten für den Erhalt der Museen sowie für allfällige Reparaturen verwandt werden.47

43 Pokrovskij/Petrov 1997, S. 79. 44 Pokrovskij/Petrov 1997, S. 79. 45 G. K. Markina, Letopis’ muzejnogo dela v Novgorodskom krae (1865–1999), in: Ežegodnik Novgorodskogo gosudarstvennogo ob-edinennogo muzeja-zapovednika. 2005, Velikij Novgorod 2006, S. 58. 46 Rifat R. Gafifullin, Komissija Gosfondov („Vnutrennij ėksport“ iz prigorodnych dvorcov-muzeev. 1922–1934gg.), in: Pavlovsk. Imperatorskij dvorec. Stranicy istorii, St. Petersburg 2004, S. 232. 47 Gafifullin 2004, S. 233 f.

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Russlands Kulturerbe und die sowjetische Museumspolitik

Die erste Auswahl trafen die Museumsleute selbst, vorwiegend, indem sie sich von doppelt vorhandenen Gegenständen trennten und von solchen, die sich ohne Verlust für die Sammlung als Ganzes durch andere ersetzen ließen (in erster Linie Porzellanservices, persönliche Gegenstände von Mitgliedern der Zarenfamilie und einzelne Objekte der Schlossinterieurs). Dann intervenierten die Mitglieder von Gosfond und bestanden darauf, auch Exponate aus den ständigen Ausstellungen in die Auswahl aufzunehmen. Die Verkäufe begannen im Juni 1924 in Leningrad. Trotz der Sorge, dass derartige Aktionen von der ausländischen Presse für antisowjetische Berichte missbraucht werden könnten, hatte man beschlossen, die Versteigerungen im Winterpalais, der ehemaligen Hauptresidenz der Zaren, durchzuführen.48 Schon diese frühen Inlandsverkäufe erregten das Interesse ausländischer Käufer.49 Allein 1926 wurden mehr als 140.000 Objekte aus den Schlossmuseen an den Gosfond übergeben, deren Wert auf etwa eine Million Rubel geschätzt wurde.50 Der wirtschaftliche Effekt war allerdings mehr als bescheiden. Die Zeit des großen Interesses an Antiquitäten war noch nicht angebrochen, und die Preise auf dem Antiquitätenmarkt waren extrem niedrig. Die entscheidende Wende für die Museen kam 1927, als die UdSSR mit der forcierten Industrialisierung begann. Bauprojekte sowie der Ankauf von Maschinen usw. verschlangen enorme Mittel in ausländischer Währung. Die Organisation der Ankäufe lag beim Volkskommissariat für Binnen- und Außenhandel, und dort wurde auch der Einfall geboren, die Währungsreserven durch den Verkauf von Museumsschätzen zu erhöhen; die Regierung machte sich diese Idee im März 1928 zu eigen.51 Die dafür geschaffene Dienststelle Antiquariat52 sollte Auswahl und Verkauf von Objekten aus den Museumssammlungen durchführen, ihre Mitarbeiter bestanden allerdings hauptsächlich aus kulturfernen Personen. Am 16. August 1928 beschloss das Politbüro, im Haushaltsjahr 1928/29 durch den Export von Bildern und Museumsgütern 30 Millionen Rubel einzunehmen53  – wofür allerdings auch Meisterwerke von Weltrang in den Verkauf gehen mussten. Die Museumsleute und die Intellektuellen Russlands sahen diese Entscheidung als riskante kulturpolitische Wendung an, die unwiederbringliche Verluste nach sich ziehen würde. Da ihnen klar war, dass für diejenigen, die die Entscheidungen trafen, kommerzielle Interessen im Vordergrund

48 Die Vorkriegsverkäufe aus den sowjetischen Museen werden ausführlich geschildert in Waltraud Bayer (Hrsg.), Verkaufte Kultur. Die sowjetischen Kunst- und Antiquitätenexporte, 1919–1938, Frankfurt a. M. u. a. 2001, besonders Rifat Gafifullin, Kunst und Antiquitäten aus den Leningrader Schlossmuseen, 1926–1934, S. 63–86, hier S. 64 f. 49 Elena Solomacha, Verkäufe aus der Eremitage, 1926–1933, in: Bayer 2001, S. 41–62, hier S. 44. 50 Kuzina 1991, S. 152/53; Gafifullin 2004, S. 235. 51 Elena A. Osokina, Antiquariat (Ob ėksporte chudožestvennych cennostej v gody pervoj pjatiletki), in: Ėkonomičeskaja istorija, Ežegodnik 2000, Moskau 2003, S. 234. 52 Antiquariat: Zentrale staatliche Firma zum An- und Verkauf von Antiquitäten, ursprünglich bei der Dienststelle für Im- und Export der RSFSR (Gostorg RSFSR) angesiedelt, erhielt 1929 den Status einer Allunionsbehörde und hieß von da an „Staatliches Allunions-Handelskontor Antiquariat“. 53 Jurij N. Žukov, Stalin: operacija „Ėrmitaž“, Moskau 2005, http://www.many-books.org/auth/7511/book/24837/ jukov.../stalin_operatsiya_ermitaj [1.5.2018].

Kultur zwischen Kommerz und Politik

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standen, stellten sie den geringen wirtschaftlichen Nutzen des Geschäfts mit der Kunst heraus. So verwies etwa der Direktor der Museen von Carskoe Selo und Pavlovsk, Vsevolod I. Jakovlev, auf den mangelnden Erfolg der ersten Verkaufsaktionen und rief dazu auf, sie einzustellen, „solange es noch nicht zu spät“ sei.54 Derartige Argumente, zu denen noch Hinweise auf das Risiko eines drohenden Reputationsverlusts kamen, wurden jedoch nicht zur Kenntnis genommen, auch wenn bereits die ersten Auktionen im Ausland und die Verkäufe an Privatsammler zeigten, wie berechtigt die Zweifel waren, „für jeden Rembrandt einen Konvoi von Traktoren“55 zu erhalten. Die erste große Auktion russischer Antiquitäten und Kunstschätze führte im November 1928 das Berliner Kunstauktionshaus Rudolph Lepke durch. Zum Verkauf kamen Möbel, Kunstobjekte aus Bronze, Gold, Porzellan, Gobelins und Bilder aus den Leningrader und den Vorortschlössern, vor allem von französischen und deutschen Meistern des 18. Jahrhunderts.56 Antiquariat und die sowjetische Handelsvertretung in Berlin maßen der Auktion große Bedeutung bei und wiesen ihre Mitarbeiter an, erstklassige Objekte auszuwählen, „um nicht nur das übliche Publikum, sondern die größten Sammler aus der ganzen Welt anzuziehen“57. Die Auktion beruhte auf einem Vertrag zwischen dem Volkskommissariat für Handel und dem Auktionshaus.58 Im Vorwort zu dem vierbändigen Auktionskatalog betonte der ehemalige Generaldirektor der Berliner Museen, Wilhelm von Bode, es handele sich bei den angebotenen Objekten um Besitztümer russischer Adelsfamilien, die als Folge der Revolution in die Museen gelangt seien59, keineswegs würden durch den Verkauf die eigentlichen Sammlungen angetastet: „Die öffentlichen Sammlungen in Russland sind durch Verstaatlichung privaten Kunstbesitzes derart aufgefüllt und ausgedehnt worden, dass die Abgabe auch sehr hochwertiger Kunstwerke ohne merkliche Schädigung der Museen möglich geworden ist.“60 Allerdings führte eben diese Herkunft auf der Auktion zu einem Skandal. Russische Emigranten aus Deutschland und England reklamierten ihre Rechte an einem Teil der Exponate; 61 der 447 zum Aufruf gekommenen Objekte wurden beschlagnahmt.61 Der Umsatz belief sich auf 2.056.660 Mark und lag damit weit unter den sowjetischen Erwartungen, besonders nach Abzug des Anteils des Auktionshauses.

54 Iraida K. Bott, Iz-jatie predmetov iz Detskoseľskich dvorcov-muzeev v 1920–1930-ch gg., in: Bott 2015, S. 31. 55 Osokina 2003, S. 236. 56 Otto von Falke, Kunstwerke aus den Beständen Leningrader Museen und Schlösser. Teil 1: Eremitage, Palais Michailoff, Gatschina u. a., Rudolph Lepke‘s Kunst-Auctions-Haus, Versteigerung 6./7.11.1928, Berlin 1928, http:// digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/lepke1928_11_06bd1/0015 [1.5.2018]. 57 Zit. nach Žukov 2005. 58 Die Geschichte der Berliner Auktion wird in der Literatur detailliert behandelt. Vgl. Solomacha 2001, S. 41–62; Žukov 2005. 59 Falke 1928. 60 Falke 1928, S. 17. 61 Die nachfolgenden Klagen der Emigranten vor Gericht wurden mit Verweis auf die sowjetische Gesetzgebung abgewiesen: Solomacha 2001, S. 41–62; Žukov 2005.

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Russlands Kulturerbe und die sowjetische Museumspolitik

Der Kunsthandel wurde zur Kampfarena zweier Ministerien, des Volkskommissariats für Handel und des Volkskommissariats für Bildung. Die führenden Vertreter des Letzteren protestierten wiederholt öffentlich gegen den Handel mit Kunst. Ihre Position war eher defensiv: Sie verlangten nur, ihn „in vernünftigen Grenzen“ zu halten.62 Letztlich setzte sich das Volkskommissariat für Handel durch. Da sich der Kunstmarkt als Folge der Weltwirtschaftskrise seit 1929 radikal veränderte – die Nachfrage nach Objekten „ohne museale Bedeutung“ fiel dramatisch, Interesse bestand nur an herausragenden Meisterwerken –, verlagerte sich der Export immer mehr auf hochkarätige Werke, die allerdings ebenfalls einen Preisverfall erlebten. Antiquariat entschloss sich daher zum großangelegten Abverkauf von Meisterwerken aus den russischen Kunstsammlungen, von Werken von Botticelli, Van Dyck, Jan van Eyck, Velázquez, Raffael, Rubens, Tizian, Rembrandt, Frans Hals und weiteren. Zudem wurden Objekte aus den Museen der Vorortschlösser konfisziert, denn Schlossinventar hatte nach wie vor seine Käufer, vor allem unter Privatsammlern. Die Spitze der Entnahmen durch Antiquariat lag zwischen 1929 und 1932.63 Das Ausmaß des Schadens, den die Verkäufe den Sammlungen von Gatčina, Carskoe Selo und Pavlovsk zufügten, ist kaum einzuschätzen, weil ein großer Teil der Museumsarchive in den Jahren des Zweiten Weltkriegs verlorenging.64 Erhalten geblieben sind jedoch die Aussagen von Augenzeugen, denn die Mitarbeiter der Museen hatten notgedrungen an der Auswahl teilgenommen. Die Hauptkustodin des Schlossmuseums Gatčina, Serafima N. Balaeva, etwa hielt in ihrem Tagebuch die Übergaben an Antiquariat detailliert fest: Porzellan, Bronze, Möbel, Bücher usw. Der Export von Museumsgütern setzte sich bis in die Mitte der 1930er Jahre fort. Auch englische, französische und österreichische Auktionshäuser zeigten Interesse, ebenso gab es in den USA Sammler, die für bestimmte Objekte beträchtliche Summen auszugeben bereit waren. Dem sowjetischen Staat brachten die Verkäufe rund 40 Millionen Rubel ein, etwa so viel, wie die Ausrüstung eines neuen Industriegiganten kostete. Das Geschäft mit der Kultur brachte also nicht die erhofften Einnahmen, der Kulturverlust und der materielle Erfolg standen in keinem Verhältnis zueinander.

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Museen als Instrumente der Kulturrevolution

Ende der 1920er Jahre änderte sich die sowjetische Museumspolitik. Museen wurden nun in erster Linie als Einrichtungen der politischen Bildung angesehen und erst danach als Orte der Kultur. Der neue Leiter des Volkskommissariats für Bildung, Andrej S. Bubnov, rief dazu auf, „die Museen als Kunstkammern hinter sich zu lassen und sie zum „Instrument der

62 Osokina 2003, S. 241. 63 Gafifullin 2004, S. 239. 64 Bott 2015a, S. 23 f.; Gafifullin 2004, S. 239.

Museen als Instrumente der Kulturrevolution

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Kulturrevolution“ zu machen65; ihre Mitarbeiter sollten sich „der Gegenwart zuwenden“ und ständige Ausstellungen zu Themen wie Aufbau des Sozialismus, Industrialisierung, neue Lebensweise oder sowjetische Feiertage vorbereiten. Der Mangel an Exponaten wurde mit Agitationsplakaten, Diagrammen und Texten kompensiert. Propaganda für die sowjetischen Errungenschaften war verbindlich, auch für die davon thematisch weit entfernten Schlossmuseen. Künftig tauchten in den ehemaligen Zarenresidenzen Ausstellungen zu den Industrialisierungserfolgen auf, und Kirchen wurden in antireligiöse Museen umgewandelt. Immer mehr Anhänger fand auch die Idee, die Schloss- und Parkanlagen in Erholungsund Freizeitparks umzugestalten. Parallel dazu erfolgte ein Umbau im Museumswesen: 1930 wurde die Museumsabteilung im Volkskommissariat für Bildung aufgelöst66, zurück blieb eine „Museumsgruppe“, die weder die Ressourcen noch die Führungspersönlichkeiten besaß, um die Interessen der Museen adäquat verteidigen zu können. Der schwerste Schlag traf die Mitarbeiter. Viele von ihnen stammten aus den Bildungsschichten des Zarenreichs. War die Sowjetmacht zunächst noch gezwungen gewesen, sich auf dieses Personal zu stützen, so wurden die hochgebildeten Spezialisten nun als „ehemalige Leute“ gebrandmarkt. Sie waren der Diffamierung als „Schädlinge“ und „Spione“ ausgesetzt und wurden durch Mitarbeiter verdrängt, die zwar einen Parteiausweis besaßen, denen es aber oft genug an Professionalität fehlte.67 Viele ehemalige Museumsmitarbeiter erlitten Repressionen oder kamen in Lagern um. Von denen, welche die „großen Säuberungen“ überlebten, konnten nur einzelne in die Museen zurückkehren.

Kulturerbe oder Freizeitpark: Die Vorortschlösser Die Idee, die Schloss- und Parkanlagen in „Kultur- und Freizeitparks“ umzuwandeln, wurde Ende 1931 auch durch einen Aufruf von Partei und Regierung an die Leningrader Stadtverwaltung vorangetrieben. Neben anderen Maßnahmen wurde darin die „rationalere Nutzung der großen Vorortschlösser und Parks“ eingefordert, welche die „neuen Brennpunkte der kulturellen Erholung und Unterhaltung der Arbeitenden“ werden sollten.68 Trotz entschiedenen Widerstands der Kustoden, die argumentierten, die Verwirklichung von sowjetischen Lunaparks würde die Schlossensembles zerstören, gingen die Planungen weiter. 1935/36 war lediglich der Katharinenpalast in Carskoe Selo von der Neuausrichtung ausgenommen und erhielt sogar Zuwendungen für Reparatur- und Restaurierungsarbeiten69,

65 Kuzina 1991, S. 142. 66 Die Museumsabteilung wurde 1933 wieder geschaffen; 1939 wurde sie in Abteilung für Museen und Landeskunde umbenannt. 67 Gafifullin 2004, S. 236. 68 Obraščenie CK VKP(b) i SNK SSSR „O žiliščno-kommunaľnom chozjajstve Leningrada“, 3 dekabrja 1931g., https:// www.lawmix.ru/sssr/15676/ [1.5.2018]. 69 CGAIPD SPb, f. 25, op. 2. d, 115. l. 36.

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Russlands Kulturerbe und die sowjetische Museumspolitik

Abb. 15  In den Schlössern wurden die Besucher in Gruppen durch die Säle geführt, hier durch die Česmenskaja-Galerie in Schloss Gatčina.

insgesamt mussten die Museen sich damit abfinden, dass es in den Parks jetzt Cafés, Schießbuden und Karussells gab und manches Gebäude von staatlichen und Parteiinstitutionen übernommen wurde. Von den 36 Objekten beispielsweise, die 1924 in Peterhof als Teil der Museumsanlage ausgewiesen worden waren, waren 1937 nur elf übriggeblieben.70 Dennoch: Ungeachtet der Versuche, die Schlösser in Erholungsorte für Werktätige und in Kombinate der politischen Aufklärung umzuwandeln, überlebten die Museen die schwere Zeit und bewahrten im Großen und Ganzen ihren Charakter. Ihnen wurden dafür Erfindungsgeist, Fähigkeit zum Kompromiss, oft auch Mut und die Bereitschaft, ein Risiko einzugehen, abverlangt. Die politischen Herausforderungen ganz zu ignorieren konnten sie sich nicht leisten. Stattdessen verlegte man sich auf die Praxis ideologischer Tarnung, indem man beispielsweise die ständige Ausstellung durch befristete Ausstellungen zu aktuellen Themen ergänzte oder argumentierte, mit der ständigen Ausstellung werde das „reaktionäre Wesen“ der Autokratie entlarvt. Ähnlich begründeten die Museumsmitarbeiter Semen Gejčenko und Anatolij Šemanskij ein erfolgreiches, wenn auch nicht unumstrittenes Projekt: die Einrichtung eines Museums im Unteren Palais in Peterhof71, der von der Zarenfamilie besonders geliebten „Unteren Datscha“. Die Ausstellung in den erhaltenen Interieurs hieß „Der Zusammenbruch der Selbstherrschaft“, de facto zeigte sie die Geschichte Russlands während der Herrschaft Nikolajs II.72 Den unerlässlichen Tribut an den „Klassenstandpunkt“ leisteten 70 N. V. Meľnikova, „O prošlom Petergofa s ulybkoj govoriť ...“. Iz istorii stanovlenija ėkskursionnogo dela v Peter­ gofe, in: Istorija Peterburga 53 (2010), Nr. 1, S. 61. 71 E. Jaroslavceva, Semen Stepanovič Gejčenko – chraniteľ dvorcov-muzeev v Petergofe, in: Chraniteli. Materialy XVI Fevraľskich čtenij pamjati S. S. Gejčenko, H. 60, Michajlovskoe 2013, S. 16 f. 72 Ergänzend kamen später einige Waggons des Zuges dazu, in dem der Zar seine Abdankung unterschrieben hatte, sie wurden während des Krieges weitgehend vernichtet. Jaroslavceva 2013, S. 20/21.

Museen als Instrumente der Kulturrevolution

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Abb. 16  Auf der Aufnahme aus den 1930er Jahren ist zu erkennen, dass die restaurierten Wasserspiele die Hauptattraktion für die Besucher des Schlossparks von Peterhof waren.

Abb. 17  Am 1. Mai 1935 fanden auf dem Paradeplatz von Schloss Pavlovsk die Feierlichkeiten zum Internationalen Tag der Arbeiter statt.

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Russlands Kulturerbe und die sowjetische Museumspolitik

vor allem die Stadt- und Museumsführer, welche die Vorortmuseen beispielsweise als „hervorragendes Instrument, die alptraumartige Vergangenheit zu erschließen“73, bezeichneten. Auch bei den Erbauern der Paläste wurden die obligatorischen Akzente gesetzt: Der Architekt Bartolomeo Francesco Rastrelli wurde als „Interpret der Bedürfnisse des russischen Adels während der Hochzeit der Leibeigenschaft“ vorgestellt, die wirklichen Schöpfer der Paläste seien die russischen Baumeister gewesen, die „in ständiger Angst vor grausamen Strafen in ungeheuerlicher Unterdrückung“ arbeiteten.74 Mitte der 1930er Jahre änderte sich der Ton erneut. Dahinter stand eine ideologische Wende: Die Rhetorik von Staat und Partei betonte nicht länger den „proletarischen Internationalismus“, vielmehr versuchte Stalin, das Imperium in modernisierter Form zu restaurieren und betonte nationale Traditionen. So galten die Schlossmuseen nun als „authentische Denkmäler und Dokumente der Vergangenheit“, welche die „Aneignung einer historischen Perspektive“ förderten75; der Akzent lag auf dem künstlerischen, kulturellen Wert der Schlösser, und ihre Erbauer wurden als herausragende Architekten und Künstler vorgestellt, die in Russland Meisterwerke von Weltrang geschaffen hatten. 1936 hieß es im Peterhof-Führer: Die Schlösser der Leningrader Umgebung [...] bilden einen zusammengehörenden Museumskomplex und haben ihren besonderen Platz unter den kulturhistorischen Museen insgesamt. Indem sie zwei Jahrhunderte des russischen Zarismus illustrieren, gehören sie zu den historischen Museen. Als erstrangige Denkmäler der Architektur, Skulptur und Malerei sind die Schlösser Kunstmuseen [...].76

Museumsstädte: Pskov und Novgorod Die geschilderten kulturpolitischen Wendungen beeinflussten auch das Schicksal der Denkmäler von Novgorod und Pskov. Bereits in den 1920er Jahren waren hier zwei diametral entgegengesetzte Vorstellungen der künftigen städtischen Entwicklung sichtbar geworden: die Städte als Museen zu bewahren oder sie, dem Zeitgeist entsprechend, in „sozialistische Städte“ umzuwandeln. So forderte etwa die Kommunalverwaltung mit Hinweis auf den Mangel an Wohn- und Gewerberaum, Kirchen entweder in Museen umzuwandeln oder sie für nützliche Zwecke freizugeben. Als der Staat Ende der 1920er Jahre die antireligiöse Propaganda verstärkte, wurden in den Museen sogenannte antireligiöse Abteilungen eröffnet, im nächsten Schritt entstanden dann antireligiöse Museen, die  – als symbolische Geste  – in bedeutenden ehemaligen 73 A. Ikonnikov/A. Matveev, Detskoe Selo i Sluck (Pavlovsk). Putevoditeľ po okrestnostjam Leningrada, Leningrad 1933, S. 3. 74 Ikonnikov/Matveev 1033, S. 7, 13, 51. 75 Archangeľskaja, Pavlovsk, Leningrad 1936, S. 5 f. 76 Anatolij V. Šemanskij, Aleksandrija, Petergof, Leningrad 1936.

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Abb. 18  Die Ansichtskarte hält die Festparade zum 1. Mai fest, deren Schauplatz in den 1930er Jahren auch der Novgoroder Kremľ war.

Abb. 19  In Pskov zog unter anderem die Gemäldegalerie die Besucher an. Sie enthielt zahlreiche Kunstwerke, die aus den umliegenden Adelssitzen stammten.

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Russlands Kulturerbe und die sowjetische Museumspolitik

Gotteshäusern untergebracht werden sollten: in Novgorod in der Sophien-, in Pskov in der Dreifaltigkeitskathedrale. Die Sophienkathedrale war 1922 dem Gouvernementskomitee für Museumsangelegenheiten als Denkmal von historischer und kultureller Bedeutung unterstellt worden, zugleich fanden in ihr aber noch Gottesdienste statt. Diese Doppelfunktion endete 1929, als in der Kathedrale das Antireligiöse Museum organisiert wurde. Zu seinem Leiter wurde der junge Historiker und Archäologe Vasilij S. Ponomarev berufen, ein Enkel des bekannten Novgoroder Sammlers und Begründers der Novgoroder Gesellschaft der Freunde des Altertums, Vasilij Peredoľskij. Ponomarev wollte sein gesamtes Leben der Erforschung der archäologischen Denkmäler der Region und der altrussischen Kunst widmen. 1933 wurde er verhaftet und zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt.77 Danach kehrte er in das Novgoroder Museum zurück. Auch in Pskov richtete man 1936 ein antireligiöses Museum ein. Hier war der Hintergrund reichlich absurd, denn nachdem die Ikonen 1922 konfisziert und ins Stadtmuseum gebracht worden waren, waren die Gläubigen ihnen einfach gefolgt. Der „Pskover Kolchosnik“ kommentierte: „Hier findet absolut keine antireligiöse Arbeit statt. Hierher kommen alte Betschwestern, verbeugen sich und küssen Kreuze, Reliquienschreine und Ähnliches.“78 Die Arbeit am antireligiösen Museum in der Hauptkirche der Stadt, der Dreifaltigkeits­ kathedrale, zog sich allerdings bis 1939 hin. Nach dem Beispiel des antireligiösen Museums in der Isaakskathedrale in Leningrad wurde in der Kuppel der Dreifaltigkeitskathedrale ein Foucaultsches Pendel angebracht, als Symbol für „die Macht der Wissenschaft und die Ohnmacht der Religion“79. Das Drängen von Museumsleuten, Kunstwissenschaftlern und Historikern, Novgorod und Pskov zu denkmalgeschützten Territorien, das heißt zu Museumsstädten, zu erklären, führte dazu, dass im März 1930 eine Expertenkommission alle Denkmäler Novgorods untersuchte und in drei Kategorien einteilte: 23 kirchliche und zivile Architekturdenkmäler wurden der höchsten Kategorie zugeschlagen, standen damit unter Denkmalschutz und wurden nicht anderweitig genutzt; auch für weitere 45 Objekte galt der Denkmalschutz, sie durften jedoch auch anderweitig genutzt werden – „bei gleichzeitiger Erhaltung ihrer charakteristischen Elemente“, also ohne Beschädigung ihrer historischen Gestalt80; andere Gebäude wurden aus der Denkmalschutzliste gestrichen. Dennoch gelang es, wie Ponomarev bezeugte, den vereinten Anstrengungen, sämtliche hochkarätigen Denkmäler Novgorods zu bewahren.81 1932 bestätigte das Volkskommissariat für Bildung das Projekt, Novgorod und Pskov in repräsentative Museumsstädte umzuwandeln, das vor dem Krieg aber nicht mehr

77 78 79 80

Rehabilitierungsurkunde von V. S. Ponomarev vom 10. Oktober 2009. Persönliches Archiv von A. V. Peredol’skaja. A. V. Filimonov, Antireligioznyj muzej v Pskove, in: Pskov (2005), Nr. 23, S. 137. Filimonov 2005, S. 139 f. Vladimir Ju. Korovajnikov, Dokumenty Centraľnogo archiva goroda Moskvy o restavracii pamjatnikov architektury Novgoroda v 1920-ch–1930-ch gg., in: Novgorodskij archivnyj Vestnik, Velikij Novgorod 2007, S. 234. 81 Ponomarev 2006, S. 233.

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umgesetzt wurde.82 Ungeachtet der veränderten politischen Konjunktur setzten die Fachleute die Erforschung der Denkmäler von Novgorod und Pskov auch in den 1930er Jahren fort. So wurden etwa die unterbrochenen Arbeiten zur Freilegung der monumentalen Wand­ malereien in den Novgoroder Kirchen wieder aufgenommen. Aus Pskov wurden Ikonen zur Restaurierung nach Moskau und Leningrad verschickt; die meisten fanden sich später in den Sammlungen der Treťjakov-Galerie und des Russischen Museums wieder, in Pskov verblieben nur wenige von ihnen. Weitere Ikonen warteten in den Magazinen des Pskover Museums darauf, ebenfalls restauriert zu werden, was jedoch durch den Krieg zunächst verhindert wurde.83 Rückblickend können die geleisteten Restaurierungs- und Forschungsarbeiten nicht hoch genug bewertet werden, fanden sie doch in einer Atmosphäre rigiden politischen Drucks statt, in der die altrussische Malerei als „religiös“, „schädlich“ und die Beschäftigung mit ihr zunehmend als anrüchig eingestuft wurde. Überraschenderweise führte die Diskreditierung der altrussischen Kunst allerdings zum Aufblühen einer anderen Forschungsrichtung: Wissenschaftler wanderten in die Archäologie ab.84 In Novgorod zeigte bereits die erste Grabungskampagne 1932 das riesige Potential, das sich hier zur Erforschung der Stadtgeschichte und der mittelalterlichen Rus’ auftat85, nach dem Krieg waren die archäologischen Funde ein Hauptargument dafür, Novgorod den Status „Museumsstadt“ zu verleihen. Erst seit Mitte der 1930er Jahre und besonders im Vorfeld des Krieges vollzog die sowjetische Propaganda eine neuerliche Kehrtwende und besann sich auf Patriotismus und historische Traditionen. „Rehabilitiert“ wurde in diesem Zusammenhang auch die altrussische Malerei.

82 Markina 2006, S. 63. 83 Ju. G. Bobrov, Otkrytie Pskovskoj ikonopisi, http://news.pskovonline.ru/cultura/Otkrytie-Pskovskoi-ikonopisi [1.5.2018]. 84 Ponomarev 2006, S. 238. 85 Zur Geschichte der Novgoroder archäologischen Expedition 1932 vgl. Petr G. Gajdukov, 1932 god – načalo polnomernogo archeologičeskogo izučenija Novgoroda, in: Novgorodskie archeologičeskie čtenija, Novgorod 1994, S. 35–53.

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Russlands Kulturerbe und die sowjetische Museumspolitik

II Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

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„Deutsche“ Kunst im Ausland als Objekt der Begierde

Ein wichtiger Bestandteil deutscher Kriegführung war die wirtschaftliche Ausbeutung der besetzten Länder. Die Truppen sollten sich zu Lasten der einheimischen Bevölkerung aus dem jeweiligen Land ernähren, und die lokale Industrie sollte den deutschen Interessen dienen. Deutsche Institutionen nahmen auch die Kulturgüter der besetzten Länder ins Visier. Damit sollten, so die legalistische Begründung, die durch den Ersten Weltkrieg und den Friedensvertrag von Versailles erlittenen Verluste kompensiert werden. Die Aneignung von Kulturgütern – zumal aus jüdischem Besitz – war aber auch ein Instrument zur vollständigen Auslöschung als feindlich deklarierter Gruppen: Neben der wirtschaftlichen und der physischen wurde auch die kulturelle und historische Existenz der Menschen zerstört. Nicht zuletzt boten Kunstwerke und Antiquitäten die Möglichkeit persönlicher Bereicherung, oft im Rahmen einer vorgeblichen Legalität.1 Ausmaß und Umsetzung des Kunstraubs fielen in den einzelnen Ländern jedoch ganz unterschiedlich aus. Vorbereitet wurden die Maßnahmen durch deutsche Kunsthistoriker und Museumsleute, die unter verschiedenen Aspekten Listen von Kunstwerken in den besetzten beziehungsweise noch zu besetzenden Gebieten erstellten. Bezeichnend für die vorherrschende Denkweise ist der sogenannte Kümmel-Bericht, eine Aufstellung von Kunstwerken, „die in den letzten drei Jahrhunderten aus dem Gebiete des jetzigen Großdeutschen Reiches und aus den besetzten Westgebieten, soweit sie um 1500 Bestandteil des Deutschen Reiches waren oder zu späterer Zeit wurden, ohne unseren Willen entfernt [...] oder [...] zerstört worden sind“; Otto Kümmel, der Generaldirektor der Berliner Museen, ließ ihn 1940 im Auftrag von Joseph Goebbels, dem Minister für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP), anfertigen.2

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Auf die konstruierte Legalität vieler Maßnahmen wurde vielfach hingewiesen, vgl. etwa Hannes Hartung, Kunstraub in Krieg und Verfolgung. Die Restitution der Beute- und Raubkunst im Kollisions- und Völkerrecht, Berlin 2005, S. 26 f. Zu Sammelwut und Bereicherung bei Hitler und Göring vgl. Nicholas 1997, S. 46–55, sowie Hector Feliciano, Le musée disparu: Enquête sur le pillage des œuvres d’art françaises, Paris 2003, S. 35–43, bei Angehörigen der NS-Elite vgl. Jonathan Petropoulos, Kunstraub und Sammelwahn. Kunst und Politik im Dritten Reich, Berlin 1999, S. 234–300. Otto Kümmel, 2. Bericht auf Erlass des Herrn Reichsministers und Chefs der Staatskanzlei RK 118 II A vom 19. August 1940 und auf Erlass des Herrn Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda BK 9900 – 02/13.8.40/89 – 1/6 vom 20. August 1940. Betr. Kunstwerke und geschichtlich bedeutsame Gegenstände, die seit 1500 ohne unseren Willen oder auf Grund zweifelhafter Rechtsgeschäfte in ausländischen Besitz gelangt sind. Teil I–III, Abgeschlossen 31. Dezember 1940, Abdruck No 7, Staatsbibliothek zu Berlin.

„Deutsche“ Kunst im Ausland als Objekt der Begierde

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Nach dem Bekunden des Verfassers handelte es sich um ein „erstes und übersichtliches Bild des an Deutschland begangenen Kunstraubes“. Unberücksichtigt blieben Werke, die von Russland und Italien „weggenommen“ worden waren, vermutlich, weil beide Staaten zu diesem Zeitpunkt Bündnispartner des Deutschen Reichs waren; für Kunstwerke in Polen lag ein gesonderter Auftrag vor. Als Hauptverantwortlichen benannte der Bericht Frankreich, weshalb beispielsweise auch Objekte, die während der napoleonischen Kriege aus der Kasseler Gemäldegalerie nach Frankreich und später nach Russland gelangt waren und sich 1940 in der Eremitage befanden, aufgeführt wurden.3 Otto Kümmel hatte für seinen Bericht Helfer, so etwa den Deutschbalten Niels von Holst, der seit 1938 sein Mitarbeiter bei den Staatlichen Museen zu Berlin gewesen war.4 Holst erarbeitete eine weitere, eigene Liste, in der er Kunstwerke anführte, die seiner Meinung nach ebenfalls in deutsche Museen gehörten. Die Informationen dazu trug er als Mitglied einer Delegation des Auswärtigen Amtes zusammen, die Ende 1939 und 1940 in die UdSSR reiste, um über die Freigabe deutschbaltischer Kulturgüter zu verhandeln. Die Reise ist vor dem Hintergrund des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts vom 23. August beziehungsweise des anschließenden Grenz- und Freundschaftsvertrags vom 28. September 1939 und ihren geheimen Zusatzprotokollen zu sehen: Unter anderem die baltischen Staaten, aber auch Bessarabien und die Nordbukowina wurden darin dem sowjetischen Interessengebiet zugeschlagen. In der Folge drängte Berlin die deutschbaltischen Familien, aber auch sogenannte Volksdeutsche aus Rumänien, zur Umsiedlung „heim ins Reich“.5 Im in Westpolen neugeschaffenen, völkerrechtswidrig an das Deutsche Reich angegliederten „Reichsgau Wartheland“, aus dem mehr als eine halbe Million Polen nach Osten, ins ebenfalls neugeschaffene Generalgouvernement vertrieben wurden, sollten sie mit Land entschädigt werden. Über die Freigabe der baltischen Kulturgüter verhandelte das Auswärtige Amt Ende 1939 mit den formal noch selbstständigen Staaten Estland und Lettland, nach deren Annexion durch die UdSSR im Sommer 1940 dann mit Moskau. Holst nutzte die Verhandlungen, um die Moskauer und Leningrader Museen sowie die Vorortschlösser zu besuchen, und hielt wie nebenbei Ausschau nach im weitesten Sinne deutscher und westlicher Kunst.6 Es ist nicht klar, ob er aus eigenem Antrieb, im Auftrag seines Dienstherrn oder eines Dritten handelte; im März 1941 sollte er sich in einem Brief an die deutsche Botschaft in Moskau sowohl auf Kümmel als auch auf Hans Posse, den Direktor der 3

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Kümmel 1940, S. 5 f.; Erläuterung des Berichts und eine historische Einordnung zuletzt bei Shlomit Steinberg, Outlining the Kümmel Report: Between German Nationality and Aesthetics, https://ehri-project.eu/outliningkümmel-report [1.5.2018]. Mit Niels von Holst hat sich Christoph Frank, Università della Svizzera Italiana Mendrisio, eingehend befasst. Für viele wertvolle Hinweise und die Überlassung von Material danken wir ihm sehr. Eine gute Übersicht der wichtigsten Literatur zur Umsiedlung der Deutschbalten bieten drei Texte von Inesis Feldmanis, Jānis Urbanovičs, Igor Jurgens, Juris Paiders, Silvija Ģibiete und Lāsma Ģibiete samt der einleitenden Bemerkungen von Detlef Henning, Lüneburg 2016, http://www.ikgn.de/cms/index.php/uebersetzte-geschichte/ beitraege/umsiedlung-der-deutschbalten [1.5.2018]. Hierzu auch Timo Saalmann, Kunstpolitik der Berliner Museen 1919–1959, Berlin 2014, S. 222.

Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

Dresdener Gemäldegalerie und Sonderbeauftragten für das Projekt des „Führermuseums“ in Linz, berufen.7 Jedenfalls stellte er eine nach Museen geordnete Liste von Kunstwerken zusammen, die er deutschen Museumsdirektoren zum Erwerb vorschlug.8 Niels von Holst positionierte sich auch durch die Teilnahme an einer weiteren Aktion als Spezialist für Kunstfragen im Osten. Zusammen mit dem Marburger Kunsthistoriker Richard Hamann-MacLean organisierte er zwischen März und November 1940 eine Fotokampagne zur Dokumentation des nicht beweglichen deutschen Kulturguts im Baltikum.9 Die Aktion erlaubt verschiedene Deutungen. Entweder hielt man das Baltikum als deutschen Kulturraum für endgültig verloren: Dann wäre es darum gegangen, die dortige deutsche Baukunst zumindest im Bild zu dokumentieren. Für diese Interpretation könnte sprechen, dass die Fotografien dem Bildarchiv des preußischen Forschungsinstituts für Kunstgeschichte in Marburg eingefügt werden sollten.10 Oder die Fotografien waren – analog zu der vorausgegangenen Fotokampagne im besetzten Frankreich11 – als Dokumentation des aktuellen Zustands und somit als vorsorgliche Beweismittel für den Fall von Kriegsschäden gedacht. Mit Blick auf die NS-Ideologie vom zu erobernden „Lebensraum im Osten“ erscheint Letzteres als wahrscheinlicher.

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Führervorbehalt, „Ostministerium“ und der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg

An den Sammlungen sowjetischer Museen, Bibliotheken und Archive waren dieselben In­ stitutionen interessiert, die schon in den anderen besetzten Ländern Europas tätig geworden waren. Den ersten Zugriff beanspruchte jeweils Adolf Hitler mittels „Führervorbehalt“ zugunsten des in Linz geplanten „Führermuseums“.12 Laut Anweisung vom 20. Juli 1941 sollte

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Günther Wermusch, Tatumstände (un)bekannt. Kunstraub unter den Augen der Alliierten, Braunschweig 1991, S. 36. 8 Ein entsprechendes Schreiben mit einer Kopie dieser Liste findet sich im Archiv des Städelmuseums. Akte 610, o. Fol. 9 Zu dieser Fotokampagne liegt ein Bericht von Richard Hamann-MacLean vor. Universitätsbibliothek Marburg, Nachlass Richard Hamann, 1026 U 101, o. Fol. 10 Bericht Richard Hamann-MacLean, Universitätsbibliothek Marburg, Nachlass Richard Hamann, 1026 U 101, o. Fol. 11 Franz Graf Wolff-Metternich, Abschließender Bericht über die Tätigkeit des kunstwissenschaftlichen Arbeitsstabes in Frankreich in der Zeit vom 1.10.1940–30.9. (bzw. 31.12.) 1941, Paris 1942. Unv. Typoskript, Staatsbibliothek Berlin. 12 Von „Führervorbehalt“ wurde erstmals 1938 in Wien gesprochen, als SS und Polizei Sammlungen beschlagnahmten; Hanns Christian Löhr, Das Braune Haus der Kunst. Hitler und der „Sonderauftrag Linz“. Visionen, Verbrechen, Verluste, Berlin 2005, S. 22 f. Zum sogenannten Führermuseum siehe ferner Birgit Schwarz, Hitlers Museum. Die Fotoalben „Gemäldegalerie Linz“. Dokumente zum „Führermuseum“, Wien 2004; dies., Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub, Darmstadt 2014, hier vor allem S. 39–55; Kathrin Iselt, „Sonderbeauftragter des Führers“. Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884–1969), Köln 2010; AnjaDaniela Gudell, Kunsterwerb im Dritten Reich. Dr. Hans Posse und der Sonderauftrag Linz, Weimar 2014.

Führervorbehalt, „Ostministerium“ und der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg

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der „Führervorbehalt“ auch in der UdSSR gelten.13 Hans Posse empfahl, Niels von Holst, der sich damals im Baltikum aufhielt, mit sogenannten Sicherungsaufgaben für das „Führermuseum“ zu betrauen14; als die wertvollen Kunstschätze der Eremitage nach der Entscheidung, Leningrad nicht einzunehmen, unerreichbar waren, lässt sich in den Quellen kein weiteres Engagement Posses nachweisen.15 Holst blieb in Riga und spielte für die „Sicherungsarbeiten“ im russischen Nordwesten keine weitere Rolle. Von einer Einmischung der obersten Parteiführung in Fragen des Abtransports von Kunst aus dem nordwestlichen Russland wird später nur in zwei Fällen auszugehen sein, wobei selbst diese in den Quellen nur indirekt nachweisbar sind: beim Abtransport des Bernsteinzimmers sowie beim Abbau und der Verschickung des Neptunbrunnens.16 Diese Einschränkung bedeutet nicht, dass höhere Parteifunktionäre und Amtsträger kein Interesse an Kunstgütern in der Sowjetunion zeigten. In den Gebieten, in denen eine Zivilverwaltung eingerichtet werden konnte, nutzten sie ihre Position, um sich diese institutionell ebenso wie persönlich anzueignen. Geplant war, in allen besetzten Gebieten so bald wie möglich eine deutsche Zivilverwaltung aufzubauen. Unter Leitung des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete (RMO), zu dessen Leiter Hitler am 17. Juli 1941 den Deutschbalten Alfred Rosenberg ernannte17, entstanden das Reichskommissariat Ostland (RKO) und das Reichskommissariat Ukraine (dessen Kommissar Erich Koch sich eine bedeutende Privatsammlung zusammenraubte18). Gebiete, die umkämpft blieben, gab die Militärverwaltung nicht ab. Dazu gehörte der Nordwesten Russlands. Zugriffsmöglichkeiten für persönliche Bereicherung lagen hier eher bei den Angehörigen der Wehrmacht und der SS, im Hinterland zudem bei Angehörigen nichtmilitärischer Institutionen wie der Organisation Todt (OT), der Reichsbahn usw.19 Eine besondere Rolle im Zusammenhang mit dem Kunstraub in besetzten Gebieten spielte Alfred Rosenberg. Seit Hitler ihn, der seit 1934 als „Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ fungierte, im Januar 1940 zum Leiter der Zentralstelle für nationalsozialistische 13 Anja Heuss, Kunst- und Kulturgutraub. Eine vergleichende Studie zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion, Heidelberg 2000, S. 65; Schwarz 2014, S. 211. 14 Heuss 2000, S. 66 ff. 15 Letztlich wurde für das Führermuseum nur ein einziges Gemälde in der Sowjetunion erworben, „Die Amalekiterschlacht“ von Frans Francken d. J. (Linz Nr. 2426), das im Juli 1941 im ukrainischen Belaja Cerkov durch eine Wehrmachtseinheit „sichergestellt“ und an Posse abgegeben wurde; Heuss 2000, S. 66 ff.; Löhr 2005, S. 166. 16 Dazu Kap. III.1: Die Schlösser in Puškin und III.4: Peterhof. 17 Zur Person Rosenbergs siehe den kurzen Überblick von Patricia Kennedy Grimsted, Reconstructing the Record of Nazi Cultural Plunder. A Survey of the Dispersed Archives of the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR), http://www.errproject.org/survey.php, [1.5.2018], S. 21 f.; dort wird auch ein Überblick über die einschlägige ältere Literatur zu Rosenberg gegeben. 18 Vor allem Patricia Kenedy Grimsted: Art and Icons Lost in East Prussia. The Fate of German Seizures from Kyiv Museums, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 61 (2013), S. 47–91; dies.: Nazi-Looted Art from East and West Prussia: Initial Findings on the Erich Koch Collection, in: International Journal of Cultural Property 22 (2015), H. 1, S. 7–60. 19 BArch – Militärarchiv, RH 19 III 253 Heeresgruppe Nord – Belegung von Pleskau 1943.

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Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

Weltanschauungs- und Erziehungsforschung ernannt hatte, richtete er mit dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) eine Arbeitsgruppe ein, deren Hauptaufgabe es war, im besetzten Westeuropa sowie später auf dem Balkan und in Griechenland die Bibliotheken und Archive nach für Deutschland wertvollen Schriften sowie die Kanzleien der hohen Kirchenbehörden und Logen nach antideutschen Unterlagen zu durchsuchen und das Material beschlagnahmen zu lassen.20 Leiter der entsprechenden Arbeitsstellen sowie der Sonderstäbe für Musik, Bildende Kunst, Vorgeschichte und Bibliotheken war, zentral vom Berliner Büro des ERR aus, Gerhard Utikal. Utikal erhielt kurz nach der Einrichtung des RMO den Auftrag, die Einsätze in der besetzten Sowjetunion zu organisieren. Angelehnt an die Struktur der Zivilverwaltung wurden drei Hauptarbeitsgruppen (HAG) mit je einem Leiter eingerichtet: Ostland, Mitte und Ukraine.21 Ihnen waren Arbeitsgruppen zugeordnet, die ihren Sitz am Ort der jeweiligen Gebiets- und Kreiskommissariate hatten und üblicherweise nach ihrem Amtssitz benannt wurden. In den Gebieten, die unter Militärverwaltung standen, übernahmen Außenstellen diese Aufgaben; ihre Bezeichnung folgte in der Regel ihrem spezifischen Aufgabenbereich, also „Sonderstab Bildende Kunst“, „Sonderstab Musik“ usw. Die Sonderstäbe kamen auch in der UdSSR zum Einsatz, um das Material sowjetischer Kultureinrichtungen zu sichten und bis zum (partiellen) Abtransport zu bearbeiten.22 Im Bereich der Heeresgruppe Nord lag die Führung des ERR bei der HAG Ostland, die ihren Sitz in Riga hatte. Den frühzeitig formulierten Auftrag, nach Material zu suchen, das zur Erforschung der Gegner Deutschlands und des Nationalsozialismus dienen konnte, hatte der ERR bereits im besetzten Frankreich denkbar großzügig ausgelegt. Damit war er allerdings in direkte Konkurrenz zu anderen NS-Behörden geraten, zudem kam es zu Konflikten mit dem deutschen Militärbefehlshaber in Frankreich, General Otto von Stülpnagel, der seine im militärischen Kunstschutz begründeten Ansprüche nicht ohne weiteres aufzugeben bereit war, in der Auseinandersetzung aber letztlich unterlag.23 Das ERR-Raubgut sollte zur Ausstattung der „Hohen Schule der NSdAP“ dienen, einer von Rosenberg errichteten zentralen Stelle der nationalsozialistischen Forschung, Lehre und Erziehung, die durch Führererlass genehmigt worden war, sich wegen des Kriegsbeginns jedoch auf die Schaffung einer Bibliothek be20 21 22 23

Freitag/Grenzer 1998, S. 30 f. Grimsted, http://www.errproject.org/survey.php [1.5.2018], S. 24. Freitag/Grenzer 1998, S. 32 f. Eine ausführliche, allerdings in eigener Sache verfasste und deshalb streckenweise fragwürdige Beschreibung der Konflikte zwischen dem militärischen Kunstschutz und dem Einsatzstab im besetzten Frankreich lieferte der Mitarbeiter Stülpnagels und spätere Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit Walter Bargatzky. Der Bericht wurde veröffentlicht von Wilhelm Treue, Zum nationalsozialistischen Kunstraub in Frankreich. Der „Bargatzky-Bericht“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 13 (1965), H. 3, S. 285–337; siehe außerdem Metternichs „abschließenden Bericht“ über seinen Einsatz in Frankreich, Bundesarchiv – Militärarchiv, MSG/2/3244, sowie den „Bericht über die Wegnahme französischer Kunstschätze durch die Deutsche Botschaft und den Einsatzstab Rosenberg in Frankreich. (Als geheime Denkschrift im Winter 1944 verfasst von Militärverwaltungsrat Walter Bargatzky, früher Mitglied der Rechtsabteilung des Militärbefehlshabers in Frankreich), Archiv des LVR, Nachlass Franz Graf Wolf-Metternich, 2; für den Hinweis auf das Dokument danken wir Christoph Frank.

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schränken sollte. Rosenberg argumentierte, das Eigentum (Bücher, Archivalien, Kunst- und Musikwerke usw.) wirklicher und vermeintlicher NS-Gegner  – von Juden, Freimaurern, religiösen Gruppen und letztlich auch der großen Kirchen – müsse zum Zweck der „Feinderkennung“ beschlagnahmt werden. Die Ernennung zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete schien ihm den nahezu alleinigen Anspruch auf alles Kulturgut aus den Gebieten östlich von Deutschland zu sichern.24 In der bisherigen Forschung wurde von diesen institutionellen Voraussetzungen auf tatsächliche Aktivitäten des ERR geschlossen. Im Hinblick auf den russischen Nordwesten führte das zu der Einschätzung, der ERR habe die führende Rolle gespielt. Wie zu zeigen sein wird, traf das nicht zu: Da das Gebiet unter militärischer Verwaltung blieb, waren seine Aktionsmöglichkeiten dort eingeschränkt.

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Konkurrenz durch Auswärtiges Amt und SS: Das Sonderkommando Künsberg

Im Auswärtigen Amt bereitete man sich darauf vor, Material von außenpolitischem Interesse für den Geographischen Dienst25 auch in besetzten sowjetischen Gebieten zu konfiszieren. Für die Beschaffung des Materials bestand seit 1939 ein Sonderkommando unter Leitung von Eberhard Freiherr von Künsberg.26 Die Erfahrungen der ersten Kriegsjahre zeigten, dass dieses Kommando in militärische Strukturen eingebunden sein musste, wenn es schnell an potentiellen Einsatzorten sein und seine Zugriffsrechte durchsetzen wollte. Eben darum bemühte sich Künsberg im Vorfeld des Ostfeldzugs, doch lehnte es das Oberkommando des Heeres (OKH) ab, das Sonderkommando zu übernehmen. Künsberg, SS-Mitglied seit den frühen 1930er Jahren, machte daher im Januar 1941 einen Vorstoß in Richtung Waffen-SS. Mit Erfolg: Zum 1. August 1941 wurde das Sonderkommando Künsberg in die Waffen-SS eingegliedert. Allerdings blieben die Befehlsstrukturen unübersichtlich, denn das Kommando unterstand formal weiterhin dem Auswärtigen Amt, hinsichtlich der Ausrüstung jedoch der Waffen-SS und damit dem SS-Führungshauptamt, und beim OKH wurde es als Einheit des Feindnachrichtendienstes geführt.27 An der Front wurden die operativen Untergliederungen des Sonderkommandos, die sogenannten Einsatzkommandos, den Truppenformationen der Waffen-SS eingegliedert; 24 Den besten Überblick über den Kulturraub des ERR und die Quellenlage bietet Grimsted, http://www.errproject. org/survey.php [1.5.2018]. 25 Der Geographische Dienst war 1940 als „Kartenstelle“ der Abteilung Deutschland im Auswärtigen Amt aufgebaut und nach dem Frankreichfeldzug umbenannt worden. Heuss 2000, S. 308. 26 Hartung 1997, S. 13; zum Sonderkommando Künsberg außerdem Freitag/Grenzer 1998, S. 24–28; Anja Heuss, Die „Beuteorganisation“ des Auswärtigen Amtes: Das Sonderkommando Künsberg und der Kulturgutraub in der Sowjetunion, in: Vierteljahreshfte für Zeitgeschichte 4 (1997), S. 535–556. 27 Zur Herausbildung des Sonderkommandos Künsberg auch Eckart Conze/Norbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010, S. 216; außerdem Hartung 1997, S. 18 f.

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Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

sie waren damit in deren Befehlsstruktur eingebunden und aktiv an den Kämpfen beteiligt.28 Bei konkreten Sicherungsaufgaben musste man sich hingegen eng mit den Einheiten der militärischen Abwehr abstimmen, die ebenfalls für die Sicherstellung von „Feindmaterial“ zuständig waren. Die Mitarbeiter der Einsatzkommandos handelten folglich sowohl unter Führung des jeweiligen Abwehroffiziers (Ic) der Armeeoberkommandos (AOK) als auch in Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD). Die Frage, wem genau die einzelnen Mitarbeiter unterstellt waren, ist nicht immer zu klären, die Unterstellung war uneinheitlich und änderte sich durch Abkommandierungen ständig. Manche Wissenschaftliche Sachbearbeiter blieben zunächst Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, während andere direkt der Waffen-SS unterstellt wurden.29 Der Leiter der Länderabteilung, Wilfried Krallert, arbeitete schon seit 1939 für den Auslandsgeheimdienst des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) und nahm wohl auch als Mitarbeiter des Sonderkommandos Künsberg Aufgaben für diesen Dienst wahr.30 Auf ihn ging es offenbar 1943 zurück, dass das Sonderkommando als Einheit des Auswärtigen Amts aufgelöst und als „Reichsstiftung für Länderkunde“ in die Abteilung VI des RSHA, Gruppe G, eingefügt wurde. Der Einfluss der SS, der immer bestanden hatte, mündete schließlich in die vollständige Einbindung des Kommandos in den SS-Apparat. Eberhard von Künsberg selbst, ein undurchsichtiger Parteikarrierist und Geschäftemacher, hatte zu diesem Zeitpunkt schon jeden politischen Einfluss verloren.31 1941, in den ersten Monaten des Einsatzes in der Sowjetunion, konnte das Kommando jedoch selbstständig und im Sinne des Auswärtigen Amtes agieren. Künsberg blieb Leiter der Einheit und war als solcher mit den disziplinarischen Befugnissen eines Bataillonskommandeurs ausgestattet. Das Sonderkommando bestand aus 20 Offizieren, aus Beamten auf den Hierarchiestufen von Offizieren und Unteroffizieren sowie aus rund 70 Personen mit Dienstgraden von Mannschaften und Unterführern der SS, und es verfügte über 20 LKW, zwölf PKW und zehn Motorräder mit Beiwagen. Als Teil der vorrückenden Truppe besaß es eine Sanitätseinheit, eine Funkstelle und weitere sechs LKW für den Nachschub an Munition, Kraftstoff und Verpflegung. Das gesamte Sonderkommando bestand aus einem wissenschaftlichen Mitarbeiterstab im Auswärtigen Amt und drei Einsatzkommandos, von denen jedes einer der Heeresgruppen in der Sowjetunion zugeordnet war. Im Raum der Heeresgruppe Nord nannte sich das entsprechende Einsatzkommando „Stettin“ bzw. später „Hamburg“.32 28 Hartung 1997, S. 14. 29 So etwa Peter Scheibert, der als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Auswärtigen Amt eingestellt worden war und seit Juli 1941 für das Sonderkommando Künsberg arbeitete. Vgl. Esther Abel, Kunstraub – Ostforschung – Hochschulkarriere. Der Osteuropahistoriker Peter Scheibert, Paderborn 2016, S. 34–68. 30 Vgl. Michael Fahlbusch: Wilfried Krallert (1912–1969). Ein Geograf und Historiker im Dienst der SS, in: Karel Hruza (Hrsg.): Österreichische Historiker 1900–1945: Lebensläufe und Karrieren in Österreich, Deutschland und der Tschechoslowakei in wissenschaftsgeschichtlichen Portraits, Bd. 1, Wien 2008, S. 793–836. 31 Zu ihm vgl. Hartung 1997, S. 114–118. 32 Hartung 1997, S. 15, 27.

Konkurrenz durch Auswärtiges Amt und SS: Das Sonderkommando Künsberg

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Der Auftrag des Sonderkommandos bestand darin, in den besetzten Ländern Botschaften, Konsulate und Gesandtschaften von „Feindstaaten“ zu erfassen, das Aktenmaterial zu sichern und dem Auswärtigen Amt zuzuleiten. Hierzu sollte einzig das Sonderkommando Künsberg befugt sein.33 An anderer Stelle heißt es, das Sonderkommando solle alles in Russland anfallende politische Beutematerial oder alles für die politische Kriegführung wichtige außenpolitische Material für das Auswärtige Amt sichern.34 Ausdrücklich sollten seine Einsatzkommandos zusammen mit den kämpfenden Truppen in die eroberten Städte einrücken, um tatsächlich den ersten Zugriff auf die Einrichtungen zu haben, die für ihren Auftrag relevant waren. Alles interessante Material war zu beschlagnahmen, mitzunehmen und bei nächster Gelegenheit nach Berlin zu schaffen. Von Kunstwerken oder anderen Kulturgütern ist in den Aufträgen nicht die Rede. Dennoch beschlagnahmten die Einsatzkommandos auch Kulturgüter außerhalb der definierten Zuständigkeit, wenn sich die Gelegenheit bot, so etwa in den wertvollen Bibliotheken der Zarenschlösser in Gatčina, Pavlovsk und im Alexanderpalast in Puškin.35 Das Einsatzkommando für den Nordwesten hatte wie das AOK der 18. Armee seinen Standort nicht weit hinter der Frontlinie in Siverskij, etwa 60 Kilometer südlich von Leningrad. Damit war es deutlich näher am Geschehen als der ERR in Riga. Wie im Einzelnen zu zeigen sein wird, spielte das Sonderkommando Künsberg im Bereich der Heeresgruppe Nord eine wichtige Rolle. Ganz anders war das im Fall des „Ahnenerbes“, einer Organisation, die unmittelbar dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, unterstellt war. Deren Interesse lag stärker auf archäologischen Artefakten, und so betätigte sich das „Ahnenerbe“ vor allem mit Grabungen in Südrussland und der Ukraine. Im Bereich der Heeresgruppe Nord nahm sich dagegen der Sonderstab Frühgeschichte des ERR der Archäologie an.

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Ein unterschätzter Akteur: Der militärische Kunstschutz

Über Dienststellen, zu deren Aufgaben grundsätzlich auch das Sammeln von Material gehörte, verfügte auch die Wehrmacht. Material zur Feindaufklärung übernahmen die militärische Abwehr und die Aufklärung; seitens der Dienststelle Chef der Heeresbibliotheken bestand Interesse an Bibliotheken, und auf die militärisch relevanten Archive wartete die Dienststelle Chef der Heeresarchive. 1938 wurde zudem eine neue Dienststelle beim Oberkommando des Heeres geschaffen: Chef der Heeresmuseen. Eine verbindliche Arbeitsanweisung für diese Dienststelle ist nicht überliefert36, nachweislich wurden koordinierende Aufgaben wahrgenommen,

33 So legte es der OKH-Befehl vom 11.6.1941, Nr. 200/41 g, fest, in dem Wehrmacht und Auswärtiges Amt den Einsatz des Sonderkommandos einvernehmlich regelten. Hartung 1997, S. 19. 34 Hartung 1997, S. 19. 35 Vgl. dazu Kapitel III: Die Museen im Krieg sowie Hartung 1997, S. 47 f. 36 Chef der Heeresmuseen, RH 62, (1840–1914) 1923, 1930–1945, 1958–1962, bearbeitet von Martina Baumann/ Sven Schulz, Koblenz 2008, https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/AZLG6HNVIUGAUTUG4ASGTAJE C4ZA6R4Q [1.5.2018].

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Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

nach Kriegsbeginn sicherten und erfassten die Mitarbeiter in den Kriegsgebieten das Beutematerial, in der Regel Waffen, Uniformteile oder andere Ausrüstungsgegenstände.37 Im Verlauf des Krieges gelangten auf diese Weise vereinzelt auch Kulturgüter und Kunstwerke in die Hände des Chefs der Heeresmuseen bzw. in die unterstellten Museen; auch gibt es Hinweise, dass zumindest ein weiteres Heeresmuseum geplant wurde, das entsprechend hätte ausgestattet werden sollen.38 Die Anzahl der Kulturgüter, die aus besetzten Gebieten in die Heeresmuseen gelangten, ist allerdings marginal gemessen an den Mengen, die sich andere NS-Behörden aneigneten.39 Viel wichtiger als die Heeresmuseen wurde der militärische Kunstschutz, der zuerst beim deutschen Militärbefehlshaber in Frankreich eingerichtet wurde. Das Vorbild lieferte der militärische Kunstschutz im Ersten Weltkrieg, als Fachleute, meist Kunsthistoriker und Denkmalpfleger, zum Schutz von Kulturgütern eingesetzt worden waren. Die Tätigkeit der deutschen Kunstschützer – im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg – ist bis heute vergleichsweise wenig erforscht.40 Im Ersten Weltkrieg wurden zahllose immobile Kulturgüter zerstört. Ein verheerendes Beispiel für die Verwüstung durch deutsche Truppen ist die Zerstörung der historischen Altstadt von Leuven/Löwen (Belgien), der unter anderem die Universitätsbibliothek mit ihrer kostbaren Sammlung mittelalterlicher Handschriften und Inkunabeln zum Opfer fiel. In der Folge lasteten die Kriegsgegner die Verluste von Kulturgütern vor allem Deutschland an. Auf diese Vorwürfe  – insbesondere aus Belgien und Frankreich  – reagierte der Bonner Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Paul Clemen 1919 mit zwei Sammelbänden, deren Autoren, allesamt Kunsthistoriker, schrieben, die deutschen Planungen zum Kunstschutz hätten vorgesehen, wertvolle historische Baubestände zu schonen, indem man die eigenen Truppen entsprechend aufklärte.41 De facto war der deutsche Kunstschutz allerdings weit weniger erfolgreich als dargestellt, auch im eigenen Land meldeten sich nach der Publikation

37 Manfred Lachmann, Zur Geschichte und zum Charakter der imperialistischen deutschen Armeemuseen, in: Zeitschrift für Militärgeschichte 5 (1966), H. 6, Berlin 1966, S. 700. 38 Dies geht aus einem Aktenvermerk über eine Besprechung im Stab der Heeresgruppe Nord am 21. April 1944 hervor. BArch – Militärarchiv, RH 19 III/385, Bl. 7. 39 Einen Eindruck vermitteln die überlieferten Eingangsbücher des Berliner Zeughauses, DHM Akten des Zeughauses, Erwerbungen bis 1942; siehe außerdem die Berichte Werner Hahlwegs über seinen Einsatz als Sammeloffizier bei der Heeresgruppe Nord. 40 Siehe aber Christian Fuhrmeister, Die Abteilung Kunstschutz in Italien. Kunstgeschichte, Politik und Propaganda. 1936–1963, Köln u. a. 2019; Ders./Johannes Griebel/Stephan Klingen/Ralf Peters (Hrsg.), Kunsthistoriker im Krieg. Deutscher Militärischer Kunstschutz in Italien 1943–1945, Köln u. a. 2012; Christina Kott, Der deutsche „Kunstschutz“ im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Ein Vergleich, in: Ulrich Pfeil (Hrsg.), Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionsgeschichtlicher Ansatz, München 2007, S. 137– 153; dies., Préserver l’art de l’ennemi? Le patrimoine artistique en Belgique et en France occupées, 1914–1918, Brüssel u. a. 2006; Lutz Klinkhammer, Kunstschutz im Propagandakrieg. Der Kampf um die Sicherstellung der italienischen Kunstschätze 1943–1945, in: Fuhrmeister/Griebel/Klingen/Peters 2012, S. 49–73, hier S. 49. 41 Paul Clemen (Hrsg.), Kunstschutz im Kriege. Berichte über den Zustand der Kunstdenkmäler auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen und über die deutschen und österreichischen Maßnahmen zu ihrer Erhaltung, Errettung, Erforschung, 2 Bde., Leipzig 1919. Siehe auch Kott 2007, S. 142.

Ein unterschätzter Akteur: Der militärische Kunstschutz

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kritische Stimmen.42 Für die Rezeption spielten die Gegendarstellungen jedoch kaum eine Rolle; die beiden Bände begründeten vielmehr eine grundsätzlich positive Wahrnehmung des deutschen militärischen Kunstschutzes im Ersten Weltkrieg, die sich bis in die 1990er Jahre hielt.43 Ungeachtet dieser Vorgeschichte plante die Wehrmacht bei ihren Kriegsvorbereitungen keine entsprechende Instanz ein. Vermutlich wurde der Vorschlag, erneut einen militärischen Kunstschutz einzurichten, von außen an die Wehrmachtsführung herangetragen. So behauptete nach dem Zweiten Weltkrieg der frühere Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Breslau, Dagobert Frey, einen derartigen Impuls gegeben zu haben: Er habe seine Idee beim Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) vorgestellt, sich jedoch nicht durchsetzen können.44 Festzuhalten bleibt aber, dass es letztlich Kunstschutzeinheiten bei der Wehrmacht gab. Am bekanntesten wurde der Einsatz des Kunsthistorikers und Kurators der Rheinprovinz, Franz Graf Wolff-Metternich zur Gracht, der im Mai 1940 zum militärischen Kunstschützer für das besetzte Frankreich bestellt wurde. Ohne selbst einen militärischen Rang zu besitzen, unterstand er direkt dem Generalquartiermeister beim OKH.45 Für die Einrichtung des Kunstschutzes werden die unterschiedlichsten Motive eine Rolle gespielt haben: ernsthaftes konservatorisches Interesse einzelner Offiziere ebenso wie die grundsätzliche Anerkennung von Kunstschutz als völkerrechtliche Verpflichtung. Gleichzeitig dürften sich die Verantwortlichen im OKH bewusst gewesen sein, wie gut der Kunstschutz zu Propagandazwecken und zur Legitimation jeglicher Beschlagnahme und Aneignung von Kulturgütern zu nutzen war. In dem Maß, in dem die deutschen Truppen weitere Länder besetzten, wurde auch der militärische Kunstschutz ausgedehnt. Neben Frankreich, Belgien und den Niederlanden war diese Abteilung der Militärverwaltung seit 1941 in Griechenland und Serbien und nach 1943 in Italien aktiv.46

42 Hermann Burg, Kunstschutz an der Westfront. Kritische Betrachtungen und Erinnerungen, Charlottenburg 1920. 43 Kott 2006, S. 19 f.; dies. 2007, S. 136 f. 44 Dagobert Frey, Bericht über meine Tätigkeit in Polen, NARA, OMGUS – Cultural Affairs Branch, Records Relating to Monuments, Museums, Libraries, Archives, and Fine Arts, Dagobert Frey, s.p. [BL. 44–65]. Frey schilderte dies im Dezember 1947 als Rechtfertigung in einem Bericht gegenüber der US-Militärverwaltung über seine Tätigkeit in Polen. Sabine Arend zufolge wurde Frey vermutlich als Beauftragter des REM nach Krakau gesandt, um dort den Kunstschutz zu organisieren. Sabine Arend, Studien zur deutschen kunsthistorischen „Ostforschung“ im Nationalsozialismus. Die Kunsthistorischen Institute an den (Reichs-)Universitäten Breslau und Posen und ihre Protagonisten im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik, Phil. Diss. Berlin 2009, http://edoc.hu-berlin.de/ dissertationen/arend-sabine-2009-07-15/PDF/arend.pdf [1.5.2018], S. 571; vermutlich bezieht sich auch Lynn Nicholas auf dieses Dokument, leider ohne direkt darauf zu verweisen; Nicholas 1997, S. 103. 45 Dies betonte Wolff-Metternich selbst: Über meine Tätigkeit als Beauftragter des Oberkommandos des Heeres für den Schutz der Werke der Bildenden Kunst von 1940–42. Grundsätze und Arbeitsmethoden von Franz Graf Wolff Metternich, Bundesarchiv – Militärarchiv, MSG 2/3244; das Dokument wurde in französischer Übersetzung publiziert in dem Band von Jean Cassou (Hrsg.), Le pillage par les allemands des œuvres d’art et des bibliothèques appartenant à des juifs en France. Recueil des documents, Paris 1947, S. 149–177. 46 BArch – Militärarchiv, RH 3/154, Bl. 5–39, Franz Wolff-Metternich, Abschließender Bericht über die Arbeit des Kunstschutzbeauftragten in der Zeit von Mai 1940 – September 1944, Bl. 22. Für den Hinweis auf dieses Dokument danken wir Christian Fuhrmeister.

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Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

Zu den Mitarbeitern gehörten Kunsthistoriker, Historiker und Archäologen. Wie ihre Vorgänger im Ersten Weltkrieg gestalteten sie ihren Aufgabenbereich je nach fachlichen und persönlichen Interessen zumindest teilweise selbstständig. In den besetzten Gebieten der Sowjetunion stellte sich die Situation anders dar als in Westeuropa. In der Forschungsliteratur wird bis heute die These vertreten, es habe im Krieg gegen die Sowjetunion gar keinen militärischen Kunstschutz gegeben. Tatsächlich gibt es kaum Hinweise darauf, dass hier in gleicher Weise wie für Westeuropa ein militärischer Kunstschutz geplant worden wäre. Lediglich im abschließenden Bericht Wolff-Metternichs von 1944 findet sich ein Indiz. Dort heißt es, „in den ersten Monaten der Besetzung russischer Gebiete bis zur Errichtung des Ostministeriums“ sei ein Beauftragter entsandt worden, der den Aufbau einer Kunstschutzorganisation habe vorbereiten sollen.47 Andererseits antwortete Wolff-Metternich im Juli 1941 auf die Anfrage eines Interessenten nach einer möglichen Mitarbeit beim Kunstschutz im Osten, dass in Russland kein militärischer Kunstschutz eingerichtet werde.48 Diese Diskrepanz lässt sich mit der  – rasch enttäuschten  – Erwartung erklären, nach schnellen Eroberungen würden in der UdSSR alsbald zivile Verwaltungen aufgebaut, ein militärischer Kunstschutz wäre damit obsolet. In Wolff-Metternichs Nachlass befindet sich ein Schreiben des OKH an Erziehungsminister Rust vom 3. Juli 1941, in dem diesem auf eine Anfrage hin mitgeteilt wird, dass „in den besetzten sowjetrussischen Gebieten [...] eine ständige Militärverwaltung nicht eingerichtet“ werde; über dieses Schreiben sollte Wolff-Metternich laut Vermerk ausdrücklich in Kenntnis gesetzt werden. Weiter heißt es, sobald die Militäroperationen weit genug fortgeschritten seien, sollten Reichskommissariate eingerichtet werden, die Reichsleiter Rosenberg unterstünden. Bis dahin würden die militärischen Verhältnisse „vertiefende Massnahmen zur Sicherung der Museen und Kunstdenkmäler nicht zulassen“. Natürlich seien die Truppen aber angewiesen, „wertvolle Kunstdenkmäler nach Möglichkeit zu schonen“. Auch sei es möglich, für besonders wertvolle Objekte detailliertere Schutzmaßnahmen anordnen zu lassen.49 Unbekannt ist bisher, welche Reaktionen diese Mitteilung auslöste. Unwidersprochen blieb die Position des OKH aber nicht, und offensichtlich wurde, sobald die militärische Lage dies erlaubte, ein junger Berliner Kunsthistoriker, Kriegsverwaltungsassessor Reinhold Strenger, als Beobachter entsandt.50 Er sollte sich in den eroberten Orten ein Bild machen und nötigenfalls den jeweiligen Kommandanturen Maßnahmen zum Schutz gefährdeter 47 BArch – Militärarchiv, RH 3/154, Metternich, Abschließender Bericht, Bl. 17 f. 48 Bei dem Bewerber handelte es sich um den Restaurator Otto Klein, der in einer deutschen Unternehmerfamilie in der Ukraine aufgewachsen war und seine Ausbildung in Dresden bekommen hatte. Vgl. Ivan Bentchev, Gerettete und verschollene Kirchenschätze. Otto Klein und der deutsche „Kunstschutz“ in Kiev 1941–1943, in: Hermeneia. Zeitschrift für ostkirchliche Kunst (1997), H-1, S. 27–40, hier S. 27, 31. 49 Archiv des LVR, Nachlass Franz Graf Wolff-Metternich, S. 68, s.p. 50 Hier und im Folgenden werden gegebenenfalls die Dissertationen derjenigen erwähnt, die am militärischen Kunstschutz in der UdSSR beteiligt waren: Sie geben zum einen Auskunft über die jeweiligen wissenschaftlichen Interessen und bieten zum anderen häufig den ersten, mitunter auch den einzigen Zugang zur Biografie. Reinhold Strenger, Zum Problem des Raumes bei den griechischen Giebelskulpturen, Phil. Diss. Berlin 1935/1942.

Ein unterschätzter Akteur: Der militärische Kunstschutz

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Kunstdenkmäler, Kulturgüter und Kultureinrichtungen empfehlen. Strenger berichtete im August 1941 aus Minsk, Anfang September reiste er nach Novgorod und anschließend nach Smolensk, im Oktober war er in Kiew, Černigov und Dnepropetrovsk. Seine Berichte enthielten Listen der örtlichen Baudenkmäler, Kirchen und Museen, er notierte deren Zustand, gegebenenfalls auch die aktuelle Nutzung. Teilweise kommentierte er den Umgang der sowjetischen Verwaltung mit den Kulturgütern, und er formulierte differenziert Wünsche und Empfehlungen. Mehrmals äußerte er sich lobend über Maßnahmen, die Kommandanten vor Ort eigenständig ergriffen hatten, in Minsk etwa seien die Sammlungen der Gemäldegalerie und des Historischen Museums durch die Initiative des Feldkommandanten Generalmajor Wilhelm Stubenrauch vor der Zerstörung bewahrt worden. Wer im OKH die Entsendung Strengers veranlasste, lässt sich anhand der vorliegenden Quellen nicht klären, sicher aber ist, dass die Berichte Wolff-Metternich vorgelegt wurden.51 Allerdings wurden sie wohl auch Mitarbeitern des ERR zugänglich gemacht, jedenfalls findet sich eine Kurzfassung des Berichts über Novgorod in deren Akten.52 In den baltischen Staaten und in der Ukraine wurden tatsächlich wie angekündigt bald zivile Verwaltungen aufgebaut, schon am 25. Juli 1941 wurden Litauen und Lettland zum Reichskommissariat Ostland umgewandelt, zwischen September und November folgten große Teile Weißrusslands und Estland. Der Verwaltungssitz war zuerst im litauischen Kaunas, seit Mitte August in Riga. Anders stellte sich die Situation in Nordwestrussland dar, dem Gebiet, das die Heeresgruppe Nord besetzt hatte. Nach der Anfang Oktober gefallenen Entscheidung, Leningrad nicht zu erobern, sondern zu belagern, entstand ein dauerhafter Stellungskrieg, der die Errichtung einer Zivilverwaltung unmöglich machte. Das Gebiet blieb während des gesamten Krieges unter militärischer Verwaltung und dazu gehörte, geplant oder nicht, auch der militärische Kunstschutz. Eine kleine Kunstschutzeinheit, die unmittelbar dem Oberkommando der Heeresgruppe zugeordnet war, wurde beauftragt, die Kunstgüter der Region zu sichern. Damit entstand im Wechselspiel der verschiedenen Organisationen eine im Vergleich zu übrigen besetzten Gebieten grundlegend andere Situation. Die Mitarbeiter des ERR und des Sonderkommandos Künsberg konnten nur in Absprache mit dem militärischen Kunstschutz operieren, der im Gebiet der Heeresgruppe Nord den alleinigen Zugriff auf die Kunstschätze hatte. Bei anderen Kulturgütern arbeiteten die Behörden dagegen zusammen. Der ERR bekam die Erlaubnis, seinem Auftrag entsprechend Archive sicherzustellen und abzutransportieren, das Sonderkommando Künsberg übernahm wertvolle Bibliotheken. Die Rolle des militärischen Kunstschutzes in der Heeresgruppe Nord wurde in der Forschung bisher übersehen, weil die Überlieferung außerordentlich schlecht ist. Die Akten der Einheit sind bisher nicht auffindbar. Auf die Existenz des Kunstschutzes in der Heeres-

51 Sie sind in dessen Nachlass überliefert und teilweise in mehreren Durchschlägen vorhanden. Archiv des LVR, Nachlass Franz Graf Wolff-Metternich, 68. 52 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, ll. 550 f.

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Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

gruppe Nord lässt sich nur durch Stellenbesetzungspläne, spärliche Parallelüberlieferung und persönliche Zeugnisse schließen. Der bekannteste Akteur und einer der Protagonisten des militärischen Kunstschutzes in Nordwestrussland war Ernstotto Graf zu SolmsLaubach53. Dass er eine Rolle spielte, wurde überhaupt nur bekannt, weil er im Oktober 1941 gemeinsam mit Georg Poensgen den Abbau des Bernsteinzimmers im Katharinenpalast in Puškin organisiert hatte.54 Offiziell erhielt Solms Ende September 1941 den Auftrag, die Kunstschätze im Gebiet der Heeresgruppe Nord zu sichern. In den Stellenbesetzungslisten des Stabs der Heeresgruppe erschien er zunächst als Konservator, später als Leiter eines Arbeitsstabs für Kunstschutz. Wie aus einem Artikel im „Frankfurter Generalanzeiger“ vom 15. September 1941 hervorgeht, der über Solms’ Tätigkeit in Pskov berichtete, muss er jedoch deutlich früher damit betraut worden sein, sich zumindest um die Kunstschätze und Kulturgüter im Bereich seiner militärischen Einheit zu kümmern: Solms habe im Museum der Stadt, dem Pogankinhaus, innerhalb weniger Wochen aus den vorgefundenen Kunstwerken eine Ausstellung arrangiert: „[...] einerseits einen Ort des stillen Beschauens und der geistigen Erholung für die deutschen Soldaten und andererseits eine würdige und sachverständige Aufbewahrung alter europäischer Kunstwerke [...].“ Besonders beeindruckten offenbar die Menge und die Qualität der Objekte, vorwiegend wohl Arbeiten deutscher oder westeuropäischer Künstler, doch gab es auch Werke russischer Herkunft, vor allem Ikonen und kirchliches Kunsthandwerk, Messgewänder, Evangeliare und Messbücher; sie seien vermutlich nach der Evakuierung der wertvollsten Objekte in der Stadt zurückgeblieben.55 Den konkurrierenden NS-Behörden blieben die Aktivitäten des militärischen Kunstschutzes in der Heeresgruppe Nord wenigstens zu Anfang verborgen oder sie wurden als Provisorium abgetan. Zumindest die Mitarbeiter des ERR hatten diese Konkurrenz nicht erwartet. Nur so ist ein Schreiben Gerhard Utikals an den Generalquartiermeister des Heeres, General Eduard Wagner, vom 1. Oktober 1941 zu erklären, in dem er um die Schaffung geeigneter Arbeitsbedingungen für die Sicherung der Kulturgüter in der Sowjetunion bittet. Ausdrücklich stellte Utikal fest, dass im „Gegensatz zu der Handhabung im Westen und auf dem Balkan in den besetzten Ostgebieten seitens der Wehrmacht keine eigenen Einrichtungen für Kunst-, Bibliotheks- und Archivschutz vorhanden“ seien; die „Sicherung von Kulturgütern aller Art im rückwärtigen Heeresgebiet“ sei ausschließlich der Initiative der Propagandastaffeln überlassen und werde von diesen nur so weit übernommen, wie „entsprechende Fachkräfte“ zur Verfügung stünden.56

53 Die Schreibweise des Vornamens variiert, Solms selbst hat die in einem Wort geschriebene Variante am häufig­ sten verwendet, sie wird daher hier beibehalten. 54 Die Dokumente, die dies belegten, recherchierte und veröffentlichte in Westdeutschland als Erster der „Bernsteinzimmerforscher“ Georg Stein. Die knappen Hinweise finden sich in den Akten des Quartiermeisters im AOK der 18. Armee (BA – MA, RH 20-18/1203, Bl. 205v) sowie in einem Hinweis des 50. Armeekorps (BA – MA, RH 2450/163, Bl. 8). 55 Frankfurter Generalanzeiger, 15.9.1941. 56 BArch, R 6/170, Bl. 16.

Ein unterschätzter Akteur: Der militärische Kunstschutz

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Als die Propagandatruppen 1938 geschaffen wurden, hatten sich das OKW und das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) auf einen Kompromiss geeinigt: Sie wurden innerhalb der Wehrmacht aufgestellt und unterstanden hinsichtlich ihres Einsatzes dem Kommando des jeweiligen militärischen Hauptquartiers, inhaltlich war dagegen das RMVP weisungsbefugt. Ihre bekanntesten Einheiten waren die Propagandakompanien (PK). Sie dienten ausschließlich der psychologischen Kriegsführung, zunächst vor allem als nach innen gerichtete Kriegsberichterstattung, nach dem Stocken der militärischen Offensive 1941/42 zunehmend auch als demoralisierende Kampfpropaganda, deren Adressaten die feindlichen Soldaten und die Bevölkerung in den besetzten Gebieten war. Im Verlauf des Krieges wuchs der Stellenwert der Propaganda, Ende 1942 waren rund 15.000 sogenannte Kriegsberichter im Einsatz. Aufgrund der besonderen Aufgabenstellung fanden sich in ihren Reihen überdurchschnittlich viele Journalisten, Geisteswissenschaftler, Schriftsteller und Künstler; vermutlich war dies der Grund, weshalb sie provisorisch auch für den Kunstschutz einsetzbar schienen. Sie produzierten eine riesige Menge an Bild- und Tonmaterial. Beides wird noch heute gern zur Veranschaulichung eingesetzt, so auch im vorliegenden Band. Das ist keineswegs ohne Tücken. Man sollte sich immer vor Augen halten, dass es sich dabei um inszeniertes, auf jeden Fall aber um unter einem bestimmten Blickwinkel geschaffenes Propagandamaterial handelt und durchaus echte Kriegsbilder so ein falsches Bild vom Krieg vermitteln.57 Auch die Waffen-SS gründete seit Januar 1940 Kriegsberichter-Kompanien, im August 1941 kamen auf der darunterliegenden Befehlsebene weitere Kriegsberichter-Züge hinzu. Im Unterschied zu anderen PK-Bildberichterstattern erhielten sie eine militärische Ausbildung und nahmen unmittelbar an Kampfhandlungen teil, weshalb sich in der SS-Fotografie mehr Aufnahmen finden, die unmittelbar beim Vormarsch oder nach der Einnahme eines Ortes gemacht wurden.58 Als die Mitarbeiter des ERR erkannten, dass der militärische Kunstschutz der Heeresgruppe Nord kein Provisorium, sondern wie in Frankreich ein Hindernis, wenn nicht gar eine ernsthafte Konkurrenz bei der Aneignung der Kulturgüter war, hinterfragten sie die Legitimität des Auftrags. Sie vermuteten dahinter Wolff-Metternich, doch schien dieser von den Vorgängen bei der Heeresgruppe Nord nichts zu wissen.59 Das berichtete jedenfalls der Kunstexperte bei der HAG Ostland, Karl Heinz Esser, der mit großen Ambitionen nach Riga gekommen war und das Baltikum ebenso wie Nordwestrussland als sein Revier betrachtete.60 Solms selbst äußerte im April 1942 in einem Brief an den Verbindungsoffizier der 18. Armee

57 Vgl. Jörn Echternkamp, Der Zweite Weltkrieg, München 2010, S. 77; Rolf Sachsse, Die Erziehung zum Wegsehen. Fotografie im NS-Staat, Dresden 2003, S. 185–192; Gerhard Paul, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn 2004, S. 225–235. 58 Vgl. Eric Kaden, Das Wort als Waffe. Der Propagandakrieg der Waffen-SS und die SS-Standarte Kurt Eggers, Dresden 2009; Werner H. Krause, SS-Standarte „Kurt Eggers“ – Die Propagandaeinheit der Waffen-SS. Bericht und Dokumentation, Stegen am Ammersee 2009. 59 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, l. 609. 60 Siehe dazu unten Kap. II.5: Aktiv im „Kunstschutz“.

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Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

im Auswärtigen Amt, Reinhold von Ungern-Sternberg, sein Erstaunen über das spät erwachte Interesse. Er sei auf eigene Initiative hin mit der Aufgabe des Konservators betraut, zunächst nur kommandiert und erst im Dezember durch das OKH formell auf diese Stelle versetzt worden.61 Ganz anders stellte Solms seinen Einsatz als Kunstschützer 1948 dar: Im Nürnberger OKW-Prozess gab er an, sein Einsatz sei auf eine Initiative des Oberbefehlshabers der 18. Armee, Georg von Küchler, zurückgegangen, der die russischen Kulturgüter vor der Zerstörung durch Kriegseinwirkungen, aber auch vor den Begehrlichkeiten anderer Behörden habe schützen wollen.62 Die Aussage sollte sicherlich in erster Linie Küchler entlasten, dem neben Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, der Umsetzung des „Kommissarbefehls“ und anderen Kriegsverbrechen auch die Zerstörung von Kulturgütern in der Sowjetunion vorgeworfen wurde. Solms’ Argumentation entspricht der Darstellung der Ereignisse, die Franz Graf Wolff-Metternich und Walter Bargatzky zum militärischen Kunstschutz in Frankreich abgaben. Deren Wortlaut muss Solms nicht gekannt haben. Indem er dieselbe Strategie wählte, nämlich andere NS-Behörden für den Raub verantwortlich zu machen und auf diese Weise die „gute“ Wehrmacht gegen die NS-Hierarchie abzugrenzen, folgte er einer weitverbreiteten Geschichtsdeutung durch das deutsche Militär nach Kriegsende. Ob Küchler die Initiative ergriff oder ob der militärische Kunstschutz bei der Heeresgruppe Nord aufgrund anderer Anregungen eingerichtet wurde, lässt sich nicht mehr abschließend klären. Ohne Küchlers grundsätzliche Zustimmung hätte der militärische Kunstschutz in seinem Befehlsbereich aber kaum etabliert, geschweige denn aktiv werden können. Am wahrscheinlichsten scheint es daher, dass Solms selbst aktiv auf die Einrichtung des Kunstschutzes und seiner eigenen Stelle hinwirkte und dabei von Küchler unterstützt wurde.63

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Aktiv im „Kunstschutz“

Für die Vermutung, dass der Kunstschutz bei der Heeresgruppe Nord als Reaktion auf die Gegebenheiten entstand, spricht der Umstand, dass seine Mitarbeiter sich – mit einer Ausnahme  – zum Zeitpunkt ihrer Abkommandierung bereits als Soldaten oder Offiziere mit ihren regulären Einheiten vor Ort befanden. Das traf auch auf Ernstotto Graf zu Solms-Laubach zu. Der 1890 Geborene hatte zunächst Medizin studiert, nach der Teilnahme im Ersten Weltkrieg aber ein kunsthistorisches Studium begonnen und war in Marburg promoviert worden.64 Im Oktober 1925 trat er als wissenschaftlicher Direktoral-Assistent im 61 PA – AA, R 60769. 62 Eidesstattliche Erklärung von Solms für v. Küchler im Nürnberger Prozess gegen das Oberkommando der Wehrmacht. Staatsarchiv Nürnberg, Rep. 501, IV, KV-Prozesse, Fall 12, F 3, Dok. Nr. 62. 63 Werner Körte erwähnte in einem Brief die guten Beziehungen zwischen Solms und Küchler sowie den Umstand, dass Küchler bei der Umsetzung der Aufgaben hilfreich sei. Werner Körte am 8.7.1942, Privatarchiv Arnold Körte. 64 Ernst Otto Graf zu Solms-Laubach, Die Wormser Bauschule in Hessen und ihre Grundlagen in Deutschland und Oberitalien, Phil. Diss. Marburg 1927. Siehe Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Personalakten, Dr. Graf zu Solms-Laubach, Bl. 1.

Aktiv im „Kunstschutz“

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Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt ein65, wo er bis 1938 blieb, zunächst als Assistent, später als Kustos der Skulpturensammlung.66 In diesem Jahr übernahm Solms die Leitung des Stadtgeschichtlichen Museums Frankfurt. Seine Pläne für dessen Neustrukturierung konnte er nur begrenzt verwirklichen, denn im August 1939 wurde er zum Wehrdienst einberufen. Die Stadtverwaltung bemühte sich zwar, ihn „unabkömmlich“ stellen zu lassen67, doch ließ sich die Einberufung nur hinauszögern. Am 1. März 1941 musste Solms sich bei einer Kavallerie-Ersatzabteilung zum Dienst melden.68 Er hatte bereits im Ersten Weltkrieg als Offizier gekämpft und wurde nun zum Rittmeister (das entsprach dem Dienstrang eines Hauptmanns) befördert. Im Mai wurde er zu einer in seinem hessischen Wehrkreis neu aufgestellten Feldkommandantur versetzt, die der 285. Sicherungs-Division und damit dem BeAbb. 20  Ernstotto Graf zu Solms-Laubach war einer der Protagonisten des militärischen Kunstschutzes in fehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebietes Nordwestrussland. Nach seiner Einberufung im Frühjahr (BeRück) Nord unterstellt war. 1941 erhielt er Ende September den Auftrag, die Kunstschätze im Gebiet der Heeresgruppe Nord zu sichern. Zu dessen Aufgaben gehörte neben der Sicherung des eroberten Territoriums der Aufbau der Militärverwaltung. Die Verwaltungsaufgaben vor Ort übernahmen 50 bis 150 Mann starke Feldkommandanturen, denen größere Bezirke rund um wichtige Städte zugewiesen und mehrere Ortskommandanturen unterstellt waren. Das Personal bestand meist aus älteren Reserveoffizieren und nicht für die Front geeigneten Soldaten.69 Man darf also annehmen, dass Solms bereits bei seinem Wechsel zur Feldkommandantur für eine Verwendung in der Militärverwaltung vorgesehen war, ja, dass dies der eigentliche Grund für den Wechsel war. Welche Aufgabe er konkret übernehmen sollte, ist anhand der verfügbaren Quellen nicht ersichtlich. Solms’ Einheit war in Pskov stationiert, wo auch die Stäbe des Oberkommandos der Heeresgruppe Nord ihren Sitz hatten. Von hier aus entfaltete er seine Initiativen

65 Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Personalakten, Dr. Graf zu Solms-Laubach, Bl. 2. 66 Wegen dieser Aufgabe wird Solms in der Literatur häufig auch als Direktor des Liebieghauses, der Skulpturensammlung des Städelschen Kunstinstituts, bezeichnet. 67 Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Personalakten, Dr. Graf zu Solms-Laubach, Bl. 95a. 68 Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Personalakten, Dr. Graf zu Solms-Laubach, Bl. 122. 69 Jörn Hasenclever, Wehrmacht und Besatzungspolitik in der Sowjetunion. Die Befehlshaber der rückwärtigen Heeresgebiete 1941–1943, Paderborn u. a. 2010, S. 149 f.

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Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

Abb. 21   Ernstotto Graf zu Solms-Laubach nahm das Pogankinhaus, das Kunstmuseum Pskovs, wohl bald nach der Besetzung wieder in Betrieb. Die Aufnahme von Eugen Fink zeigt den Blick in einen der großen Säle 1942, als die Ausstellung durch neue Objekte erweitert worden war.

Abb. 22  Im Pogankinhaus wurden die in Pskov versammelten Objekte inventarisiert und bei Bedarf auch restauriert. Hier arbeitet eine russische Restauratorin an einer großen Mariä-Himmelfahrt-Ikone aus Novgorod. Rechts im Bild ist Solms, links ein deutscher Restaurator zu sehen.

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als Leiter der Gruppe „Sammeloffizier“ beziehungsweise „Konservator“.70 Wie erwähnt ließ er im September das Museum wiedereröffnen, dann nahm er in den Schlössern hinter der Frontlinie sogenannte Sicherungsaufgaben wahr. Im Pskover Pogankinhaus richtete Solms ein zentrales Depot für die Kunstschätze der Region ein. Unter seiner Leitung entstand ein kleiner Arbeitsstab, dessen Fachleute sich mit der Inventarisierung, der Ausstellung, fotografischen Erfassung und schließlich dem Abtransport der Kunstobjekte befassten.71 In diesem Stab arbeitete vermutlich die gesamte Zeit über der aus dem Baltikum stammende Maler und Restaurator Axel Sponholz mit. Er sprach Russisch und war deshalb als Dolmetscher eingesetzt. Ohne eine entsprechende militärische Ausbildung stand er im September 1940 im Rang eines Hauptmanns als Sonderführer (K)72 beim AOK 18, im Juni 1942 in gleicher Position bei der Heeresgruppe Nord. Nach Angaben Essers war er im Juni 1942 Mitarbeiter in der Gruppe „Sammeloffizier“. In den militärischen Dokumenten lässt sich Sponholz’ Anwesenheit im Stab des OKH Nord erst im August 1942 sicher nachweisen. In Pskov war er zumindest nominell für die Restaurierung von Ikonen verantwortlich. Sein Name taucht in den Quellen zu verschiedenen Zeitpunkten auf, was indirekt darauf hindeutet, dass er ständiger Begleiter und Dolmetscher von Solms war.73 Zur Arbeitsgruppe gehörte über einen langen Zeitraum hinweg wohl auch der Fotograf Eugen Fink. Er war vor seiner Einberufung am Preußischen Forschungsinstitut für Kunstgeschichte in Marburg tätig und von dort aus an den Fotokampagnen in Frankreich beteiligt gewesen. Möglicherweise kannte Solms ihn aus seiner eigenen Marburger Zeit. Fink befand sich als Fotograf einer Propagandakompanie im Pskover Raum und kam von dort in den Stab von Solms.74 Seine Aufgabe war es, die sichergestellten Objekte zu fotografieren. Zufällig blieb ein kleiner Teil – rund 300 – dieser Fotografien erhalten; sie befinden sich heute im Bildarchiv Foto Marburg, wohin vermutlich Fink selbst sie übergeben hat. Zu einem frühen Zeitpunkt kam der Kunsthistoriker Helmut Perseke als Mitarbeiter zu Solms. Geboren 1908 in Berlin hatte er Theologie, Kunstgeschichte und Geschichte studiert und war 1935 in Freiburg i. Br. promoviert worden.75 Ein Volontariat im Thaulow-Museum in Kiel wurde 1940 durch die Einberufung zum Militärdienst beendet; Perseke wurde nach Belgien an die Front geschickt. Im Herbst 1941 gehörte er der Überlieferung seiner Familie zufolge zu den Soldaten, die beim Abbau und Abtransport des Bernsteinzimmers mitarbeiteten. 70 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, l. 453. Die Gruppe wurde im Oktober 1941 beim Stab der Heeresgruppe Nord geschaffen, um die Position von Solms zu institutionalisieren. 71 Zur Person Ernstotto Graf zu Solms-Laubachs ausführlich Ulrike Schmiegelt-Rietig, Graf Ernstotto zu SolmsLaubach. Biografičeskij očerk, in: Gorod Puskin. Dvorcy i ljudi. St. Petersburg 2015. S. 146–163; dies.: Ernst Otto Graf zu Solms-Laubach. Museumsdirektor in Frieden und Krieg, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst (in Vorbereitung zum Druck). 72 Der 1937 für den Fall der Mobilmachung in allen Waffengattungen geschaffene Dienstrang eines Sonderführers diente dazu, die zivilen Kenntnisse von Soldaten nutzbar zu machen, die keine oder nur eine geringe militärische Ausbildung besaßen. Der Sonderführer (K) entsprach in der Heereshierarchie einem Hauptmann oder Rittmeister. 73 Persönliche Unterlagen bei der Deutschen Dienststelle – WASt. 74 Persönliche Unterlagen bei der Deutschen Dienststelle – WASt. 75 Helmut Perseke, Hans Baldungs Schaffen in Freiburg, Phil. Diss. Freiburg i. Br. 1935, Freiburg i. Br. 1940.

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Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

Dies lässt sich anhand der Dokumente zu seiner militärischen Biografie zwar nicht belegen, ist aber auch nicht auszuschließen, denn aus einem Eintrag in seinem Soldbuch geht hervor, dass er zu dieser Zeit im Verband der 18. und der 11. Armee eingesetzt war.76 Karl Heinz Esser erwähnte ihn in einem Bericht vom Juni 1942 als Mitarbeiter des Kunstschutzbeauftragten der Heeresgruppe Nord77, spätestens im Frühling oder Frühsommer 1942 muss er also in Pskov beim Stab der Heeresgruppe angekommen sein. In seinen persönlichen militärischen Dokumenten lässt sich die Mitarbeit Persekes beim militärischen Kunstschutz erst seit November 1942 nachweisen.78 Seinen eigenen Aufzeichnungen zufolge blieb er dort bis Anfang Mai 1943.79 Dann gab sein Vorgesetzter Solms endlich Persekes Wunsch nach, zu seiner vorherigen Abb. 23  Helmut Perseke gehörte wahrscheinEinheit bei der 58. Infanteriedivision zurückkehren lich zu den ersten Mitarbeitern des militärischen Kunstschutzes in Pskov – und zu denen, die am zu können; neben dem Wunsch, Offizier zu werden, längsten dabeiblieben. Erst im Mai 1943 kehrte scheint dabei die höhere Besoldung eine Rolle ge- er zu seiner militärischen Einheit zurück. spielt zu haben. 1944 nach einem Gefecht an der Narva vermisst, ist er entweder gefallen oder in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten und bald darauf gestorben.80 Sein Tagebuch gibt in knapper Form Aufschluss über seine Tätigkeiten bei der Arbeitsgruppe81, in der er neben seinen eigentlichen Aufgaben kleine Ausstellungen mit Soldatenkunst organisierte und sich der Einrichtung und Pflege von Soldatenfriedhöfen widmete. Vermutlich als Ersatz für Perseke stieß im März 1943 ein weiterer Kunsthistoriker zur Arbeitsgruppe, der 1903 in Berlin geborene Leutnant Christian Gündel. 82 Er blieb, bis er zum 25. März 1944 in die Führerreserve versetzt wurde. In der Führerreserve wurden vorübergehend nicht beschäftigte Offiziere untergebracht, die sich bei vollen Bezügen am zugewiesenen Dienstort für eine weitere Verwendung zur Verfügung halten mussten. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr wurde die Versetzung in die Führerreserve auch ein Mittel, als politisch unzuverlässig oder militärisch erfolglos eingestufte hohe Offiziere quasi in den einstweiligen Ruhestand zu schicken. Auf Gündel traf dies nicht zu. Er folgte Solms, der sich aufgrund eines 76 77 78 79 80

Privatarchiv Katrin Paehler. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, l. 453. Soldbuch Helmut Perseke, Privatarchiv Katrin Paehler. Taschenkalender Helmut Perseke am 6.5.1943, Privatarchiv Katrin Paehler. Auskunft des Deutschen Roten Kreuzes für die Angehörigen, Privatarchiv; Persönliche Unterlagen bei der Deutschen Dienststelle – WASt. 81 Tagebuch Helmut Perseke, Privatarchiv Katrin Paehler. 82 Christian Gündel, Das schlesische Tumbengrab im XIII. Jahrhundert, Phil. Diss. Breslau 1925, Straßburg 1926.

Aktiv im „Kunstschutz“

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Personalwechsels beim Kommando der Heeresgruppe Nord zum Chef der Heeresmuseen hatte versetzen lassen, zu dessen neuer Dienststelle nach; zuvor hatte er in Solms’ Auftrag die Breslauer Ausstellung „Pflug und Schwert in Russlands Norden“ erarbeitet – für ihn ein Heimspiel, denn bis zu seiner Einberufung war er bei den Städtischen Kunstsammlungen Breslau tätig gewesen. Nach 1945 wurde Gündel Kustos am Diözesanmuseum in Mainz. Im Juli 1942 arbeitete der Kunsthistoriker Werner Körte gut fünf Wochen lang in der Arbeitsgruppe mit – gegen seinen erklärten Willen; in seinem Tagebuch notierte er am 1. Juli: „Leider Kommando zum Kunstschutz nach Pleskau.“83 Er war unter anderem für die Inventarisierung der Ikonen verantwortlich, die kurz zuvor aus Novgorod nach Pskov gebracht worden waren. Körte, 1905 in Basel geboren, hatte Kunstgeschichte, Archäologie, Geschichte und Philosophie studiert; 1929 wurde er an der Universität Leipzig promoviert. 84 Im Anschluss war er Mitarbeiter an der Bibliotheca Hertziana in Rom gewesen, hatte sich dann in Freiburg habilitiert und 1939 in Innsbruck eine Professur für Kunstgeschichte erhalten. Körte hatte sich früh in der SA engagiert und war ein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus. Bestärkt worden war er darin während seiner Freiburger Jahre durch den Ordinarius für Kunstgeschichte, Kurt Bauch, der einen engen Kreis gleichgesinnter Nachwuchswissenschaftler um sich scharte und diesen nach 1939 durch eine Serie von „Kriegsrundbriefen“ zusammenhielt.85 Zu denen, die sich dem Kampf um eine neue, germanisch dominierte europäische Kultur widmen wollten, gehörte neben Körte auch der oben erwähnte Helmut Perseke. Nach der Einberufung 1939 diente Körte bei einem Artillerie-Regiment, zunächst in Frankreich, dann in der Sowjetunion. Am 1. November 1941 wurde er zum Oberleutnant befördert, als solcher befehligte er eine Einheit der Küstenwache in Peterhof. Hier beschäftigte er sich aus fachlichem Interesse mit der Geschichte der Zarenschlösser, führte höhere Offiziere durch die Schlossanlage und hielt die zunehmenden Zerstörungen in Privatbriefen fest, bis ihn Solms für die Arbeitsgruppe Sammeloffizier anforderte. Dieser Einsatz war am 3. August 1942 beendet und Körte kehrte zu seinem Truppenteil zurück – erleichtert, wie er am 6. August an seine Frau, die seine ideologischen Überzeugungen teilte, schrieb: Liebste Elisabeth! Wir sind gerade unterwegs, gottlob langsam zurück zu meiner Einheit, nach der ich mich schon längst sehne, denn dieses Faulenzerdasein habe ich recht satt, so interessant es mal für ein paar Wochen war. Die Rückreise geht im Auto des Grafen vor sich, und führt durch schönes sommerliches Land: morgen zu dem grossartigsten und reichsten Barockschloss des Zaren, von dem Italiener Rastrelli erbaut, und dann zu einem klassizistischen Schloss in der Nähe, in dessen Garten die Antiken stehen, die ich beurteilen soll. Um den 10. hoffe ich wieder in meinem Unterstand zu sein und hoffe dort alle noch am Leben zu treffen.86

83 Werner Körte, Tagebuch für 1942, Privatarchiv Arnold Körte. 84 Werner Körte, Die Wiederaufnahme romanischer Bauformen in der niederländischen und deutschen Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts, Phil. Diss. Leipzig 1930, Wolfenbüttel 1930. 85 Universitätsarchiv Freiburg. 86 Werner Körte an Elisabeth Körte, vom 6.8.1942, Privatarchiv Arnold Körte.

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Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

In einem Brief an den Bonner Kunsthistoriker Professor Alfred Stange, ebenfalls ein überzeugter Nationalsozialist, hatte er seine Option für den Fronteinsatz bereits im März 1942 begründet: Dass ich im Herbst aufgefordert wurde, mich dem Ostland-Ministerium Rosenberg zur Verfügung zu stellen, geht gewiss auf Ihren Vorschlag zurück und darum bin ich Ihnen wohl eine Erklärung darüber schuldig, warum ich diesen Vorschlag ablehnte. Ich gehöre meinem Wesen nach in die vorderste Front und will in ihr bleiben, umso mehr, als ich 1933 zu spät kam. So liege ich denn auch hier in der allervordersten Linie und bin für einen bestimmten Abschnitt der grossen europäischen Front verantwortlich  – ein Hochgefühl, das ich gar nicht mehr entbehren möchte. So war es mir leicht der Versuchung zu widerstehen, ein Kommando in die vielen Kunstschutzkommissionen anzunehmen, die wie Pilze aus dem Boden schiessen und allerlei fragwürdige Existenzen um sich sammeln.87

Abb. 24  Der Kunsthistoriker Werner Körte arbeitete im Juli 1942 fünf Wochen lang für den militärischen Kunstschutz in Pskov. Danach kehrte er zu seinem Truppenteil zurück. Das Porträt wurde 1944 aufgenommen.

Bis Herbst 1944 war Werner Körte an verschiedenen Orten eingesetzt. Noch Anfang September hielt er fest: „Jetzt fällt die Entscheidung, nicht ‚demnächst‘ oder zu ‚gegebener Zeit‘. Nicht das ist unsere Schuld vor Europa, dass wir notgedrungen diesen Krieg entfachten, sondern nur, dass wir nicht entschlossen genug waren, ihn mit letztem Fanatismus zu führen.“88 Zwischenzeitlich in die Führerreserve versetzt, meldete er sich im Frühjahr 1945 erneut freiwillig zur Wehrmacht. Es war sein Wunsch, am „großen Schicksalskampf “ teilzunehmen. Als Mitglied einer Gebirgsjägereinheit wurde er im April 1945 von serbischen Partisanen erschossen.89 Für kurze Zeit schickte das Berliner Zeughaus den Militärhistoriker Werner Hahlweg, der für das Sammeln militärischer Beutestücke (Waffen, Uniformteile, Fahnen und ähnliches) 87 Brief von Werner Körte an Alfred Stange, 21.3.1942, Archiv des Kunsthistorischen Instituts der Universität Bonn. 88 Brief von Werner Körte an Elisabeth Körte vom 4.9.1944, Privatarchiv Arnold Körte. 89 Stellenbesetzungslisten; persönliche Briefe und Aufzeichnungen Werner Körtes, Privatarchiv Arnold Körte; Persönliche Unterlagen bei der Deutschen Dienststelle – WASt.

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zuständig war, zur Arbeitsgruppe Sammeloffizier nach Pskov.90 Er war deren einziger Mitarbeiter, der sich nicht bereits vor Ort befand, sondern eigens in die besetzte Sowjetunion abgeordnet wurde. Das Sammeln und Weitergeben militärischer Objekte gehörte vermutlich immer zu den Aufgaben der Arbeitsgruppe, lässt sich aber nur für die Zeit des Einsatzes von Werner Hahlweg aufgrund von dessen Berichten nachweisen.91 Neben den deutschen waren in der Arbeitsgruppe auch russische Fachleute tätig. Der wichtigste war der Novgoroder Archäologe Vasilij Ponomarev, der während der gesamten Besatzungszeit für den deutschen Kunstschutz arbeitete, zunächst in Novgorod und seit Sommer 1942 in Pskov. Sein großes Verdienst war die systematische Inventarisierung der Novgoroder und Pskover Ikonen92, was ihre spätere Restitution und Zuordnung sehr Abb. 25  Der Archäologe und Kunsthistoriker Vasilij Ponomarev kooperierte mit den erleichterte. Wegen dieser Kooperation war er höchst Besatzern. Um nicht als Kollaborateur gefährdet und verließ deshalb 1944 mit den deutschen bestraft zu werden, verließ er 1944 mit den Truppen das Land. Er lebte bis in die 1970er Jahre in deutschen Truppen die UdSSR. Das Porträt wurde in den 1950er Jahren in seinem Marburg. Marburger Exil aufgenommen. Ebenfalls aus Novgorod stammten die Künstlerinnen Nataľja und Taťjana Gippius (Hippius), die Schwestern der im Pariser Exil lebenden russischen Dichterin Zinaida Hippius. In Pskov restaurierten die beiden alten Damen, denen „der Bolschewismus übel mitgespielt hat“, wie Werner Körte seiner Frau in einem Brief mitteilte93, Ikonen und verdienten mit volkstümlichen Handarbeiten etwas zu ihrem Lebensunterhalt hinzu. Sie arbeiteten nicht nur in Novgorod für den deutschen Kunstschutz, sondern zumindest eine Zeitlang auch in Pskov, was sie bei ihrer Rückkehr nach Kriegsende verständlicherweise verschwiegen.94 Auch sie wurden beim Rückzug evakuiert und nach Deutschland gebracht. Nach dem Krieg kehrten sie nach Novgorod zurück. Zwar wurden auch sie zunächst der Kollaboration verdächtigt und vom NKVD verhört, erhielten aber keine Strafen. In der Folge arbeiteten beide beim Wiederaufbau der Novgoroder Museen mit und halfen bei den ersten Nachkriegsausstellungen. 90 Werner Hahlweg, Die Grundzüge der Danziger Wehrverfassung 1454–1793, Phil. Diss. Berlin 1937, Berlin 1937. 91 Werner Hahlweg war seit 1933 SS- und seit 1936 NSdAP-Mitglied. In der Nachkriegszeit hatte er an der Universität Münster den einzigen Lehrstuhl für Militärgeschichte in Deutschland inne. Für Unterlagen zu Hahlweg danken wir Rolf-Dieter Müller. 92 Siehe dazu mehr in Kap. VI.6: Novgorod, Dramatische Verluste. 93 Werner Körte, Brief an Elisabeth Körte vom 19.7.1942, Privatarchiv Arnold Körte. 94 Im Verhör durch den NKVD nannte Nataľja Gippius zwar den Namen Ponomarevs, sagte aber nichts über ihre gemeinsame Tätigkeit. Boris N. Kovalev, Kollaboracionnizm v Rossii v 1941–1945 gg.: tipy i formy, Velikij Novgorod 2009.

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Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

Abb. 26  In Ponomarevs Nachlass im Marburger Herder-Institut sind einige Fotografien einer Grabung in Novgorod überliefert, die der Archäologe mithilfe der Besatzer vorantreiben konnte. Wie beim militärischen Kunstschutz herrschte offenbar auch hier eine Professionalität wie in Friedenszeiten.

Abb. 27  Wie die Aufnahme zeigt, waren an Ponomarevs Ausgrabung russische Helfer beteiligt, auf einigen Bildern der Serie sind auch Deutsche in Uniform anwesend.

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Mitunter ergriffen, wie von Reinhold Strenger beschrieben, auch Kommandeure der Truppenverbände vor Ort spontan und aus eigenem Antrieb Maßnahmen zum Schutz der Kulturgüter. Die eigentlichen Zuständigkeiten wurden anschließend geklärt. So erhielt der Kunsthistoriker Harald Keller, der mit einer Einheit der 212. Infanterie-Division bei Schloss Peterhof lag, im November 1941 den Befehl, sich um die Kunstgegenstände des Gebiets zu kümmern.95 Soweit sich aus Kellers Briefen schließen lässt, beauftragte der Kommandeur Theodor Endres den Kunsthistoriker, der seiner Division als Unteroffizier angehörte, aus eigenem Antrieb und ohne Rücksprache mit der Führung der Heeresgruppe, die Aufgaben eines Kunstschutzoffiziers wahrzunehmen.96 Keller sollte die Kunstwerke, die er im Schloss und in den umgebenden Palais noch vorfand, sichern und Objekte aus den Büros des Stabes und aus dem Offizierskasino zurückholen. Das geht aus einem Schreiben Kellers an Werner Körte hervor, in dem er diesen vor der Tätigkeit im Kunstschutz der Heeresgruppe ausdrücklich warnte und sie als extrem unangenehme Aufgabe darstellte97; die beiden Fachkollegen waren, obwohl sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, eng befreundet. Der 1903 in Kassel geborene Harald Keller hatte Kunstgeschichte studiert, 1929 war er in München promoviert worden.98 Nach einer Tätigkeit am Museum und fünf Jahren als Stipendiat und Assistent an der Bibliotheca Hertziana in Rom hatte er sich 1935 habilitiert; im selben Jahr war er als Privatdozent an die Universität München gegangen. Keller galt als eigenwilliger Charakter. Im Unterschied zu Werner Körte lag ihm weder das Militärische noch war er überzeugter Nationalsozialist. Doch er arrangierte sich, anders als seine Ehefrau Gerda, die politisch kritischer dachte und der Bekennenden Kirche nahestand. Nach seinem Einsatz als Kunstschützer in Peterhof kehrte er – enttäuscht von der Sinnlosigkeit seiner Tätigkeit – in den normalen Dienst zurück. Gegenüber seiner Frau räsonierte er: Ich will im Krieg Soldat sein – und sonst nichts, wenn ich schon an der Front bin. Um die Nachlese der zerstörten Kunstwerke, lauter Ware 6., 7. Ranges, zu bergen, dafür nehme ich die Trennung von Dir und den Kindern und meiner Lebensarbeit nicht auf mich! Für einen so hohen Einsatz muss auch etwas herausspringen  – und das tut es im Offiziersdienst [als Kunstschützer bekleidete Keller den Rang eines Feldwebels] eher!99

Auf einen Versuch von Solms (April 1942), ihn als Mitarbeiter für die Gruppe Sammeloffizier in Pskov zu gewinnen, war Keller daher nicht eingegangen und hatte erleichtert zur Kenntnis genommen, dass sein Divisionskommandeur Solms’ Gesuch ablehnte. Am 1. Juli 1942 wurde Keller wie erhofft zum Leutnant befördert. Wenig später, im August, schwer 95 96 97 98

Harald Keller am 22.11.1941, Privatarchiv Ulrich Keller. Harald Keller am 25.11.1941, Privatarchiv Ulrich Keller. Brief von Harald Keller an Werner Körte vom 14.6.1942, Privatarchiv Arnold Körte. Harald Keller, Das Treppenhaus im deutschen Schloss- und Klosterbau des Barock, Phil. Diss. München 1929, München 1936. 99 Brief von Harald an Gerda Keller (ohne Datum, August 1942), Privatarchiv Ulrich Keller.

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verwundet kam er nach seiner Genesung im Dezember desselben Jahres als garnisonsverwendungsfähig zum Infanterie-Ersatz-Bataillon 423 in Neuburg an der Donau. Anfang Dezember 1943 wurde er nochmals versetzt, zurück an die Ostfront und zur 18. Armee, zum Stab des Generalkommandos des 26. Armeekorps. Seine letzte nachgewiesene Verwendung war im stellvertretenden Generalkommando des 1. Armeekorps in Königsberg.100 Er hatte das Glück, der Kriegsgefangenschaft zu entgehen. Von 1948 an war er Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Frankfurt a. M.101 Auch im Befehlsbereich des Kommandanten des Rückwärtigen Armeegebiets 584 war zeitweise ein Kunstschützer im Auftrag der Armeeführung tätig, ohne dass sich eine Verbindung zu Solms nachwei- Abb. 28  Der Kunsthistoriker Harald Keller war sen lässt. Es handelte sich um den Historiker Artur als militärischer Kunstschützer seiner Division in Peterhof tätig. Das Porträt entstammt seinem Karl Sahm, der aus Dünaburg stammte, in Moskau Soldbuch. und in Kiel studiert hatte und 1926 in Kiel promoviert worden war.102 Im Zivilberuf war er Lehrer gewesen. Aufgrund seiner Russischkenntnisse wurde er im Sommer 1942 in der Ortskommandantur von Dno bei Pskov als Sonderführer mit den Aufgaben eines Dolmetschers betraut.103 Sahm stellte, wie aus mehreren Dokumenten in den Akten des ERR hervorgeht, in Novgorod Ikonen und andere Museumsgegenstände sicher, die anschließend der Militärverwaltung in Pskov übergeben wurden.104 Es ist anzunehmen, dass er, ähnlich wie Keller in Peterhof, im Auftrag eines Vorgesetzten agierte, allerdings lassen sich in seinem Fall die näheren Umstände nicht klären. Von den im Kunstschutz tätigen Fachleuten wurden nur zwei regelrecht nach Nordwestrussland entsandt. Der eine war der schon erwähnte Werner Hahlweg, der andere Georg Poensgen. Beide vertraten die Dienststelle Chef der Heeresmuseen. Poensgen stammte aus einer wohlhabenden Industriellenfamilie, hatte Kunstgeschichte studiert und war 1924 in 100 Persönliche Unterlagen bei der Deutschen Dienststelle – WASt; Briefwechsel mit Werner Körte, Privatarchiv. 101 Vgl. Christian Fuhrmeister, Optionen, Kompromisse und Karrieren. Überlegungen zu den Münchner Privatdozenten Hans Gerhard Evers, Harald Keller und Oskar Schürer, in: Nikola Doll/Christian Fuhrmeister/Michael H. Sprenger (Hrsg.), Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005, S. 219–242. 102 Artur Sahm, Genealogische Beziehungen Rigaer und Lübecker führender Geschlechter. Ein Beitrag zur Kolonisation des Ostens, Phil. Diss. Kiel 1926. 103 Biografische Angaben zu Sahm finden sich in der Archivdatenbank der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, http://bbf.dipf.de/kataloge/archivdatenbank/digiakt.pl?id=p186984&dok=PEB-0103&f=PEB-0103-010301&l=PEB-0103-0103-08&c=PEB-0103-0103-01 [28.6.2016]; die Angaben zu seinem Einsatz bei der Wehrmacht nach persönlichen Unterlagen bei der Deutschen Dienststelle – WASt. 104 Beispielsweise in CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 142, l. 37; CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 143, ll. 132–136.

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Freiburg promoviert worden105; anschließend hatte er bei der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in Berlin gearbeitet. An der Ostfront war er anfangs gemeinsam mit Solms für die Sicherung der Kunstschätze im Gebiet um Leningrad verantwortlich, blieb aber nur wenige Wochen. Nach seiner Beteiligung am Abtransport von Kunstgegenständen und dem Abbau des Bernsteinzimmers meldete er seinem Dienstherrn, sein weiterer Einsatz sei überflüssig, denn die militärische Lage deute nicht auf eine Veränderung hin – die Absicht, Leningrad einzunehmen, war bereits aufgegeben worden, die Schlösser sah Poensgen offenbar als verloren an. Der Anblick des verwüsteten Katharinenpalasts hatte ihn tief berührt, er schauderte bei dem Gedanken, sich an der weiteren Ausräumung beteiligen zu müssen. In einer späten Autobiografie schrieb er: Es waren aber noch zahlreiche, höchst reizvolle Gemälde, Zeichnungen, Stiche und kunstgewerbliche Objekte von nicht unmittelbar historischem Gewicht zurückgeblieben, die nun, der Willkür des Kriegsgeschehens ausgesetzt, jammervoll geschändet umher lagen. Sie muteten wie menschliche Kadaver an. Man schlich mit dem gleichen Gefühl von Grauen und Ohnmacht an ihnen vorbei, über sie hinweg wie auf Schlachtfeldern unter dem Zwang seinesgleichen, das vom Tod ereilt war, unbeachtet zurückgelassen. Ihre Stummheit war und blieb namenlose Qual.106

Inwieweit er seine damalige Gefühlslage im Rückblick zutreffend schilderte, muss offenbleiben. Es scheint freilich, als sei er vor allem darauf bedacht und schließlich froh gewesen zu sein, dass ihm der Fronteinsatz erspart blieb. Poensgen ging als Mitarbeiter des Chefs der Heeresmuseen zunächst nach Berlin zurück, als diese Dienststelle nach Wien verlegt wurde, zog er mit und nahm von Wien aus an Sammelaktionen im jugoslawischen Frontbereich teil. Nach 1945 fand er eine Stelle in einem kleinen Heimatmuseum am Bodensee. Von dort aus kam er an das Kurpfälzische Museum in Heidelberg und blieb dessen Direktor bis zu seiner Pensionierung 1964.107 Insgesamt bestätigt der Überblick die These, dass für die Einrichtung des militärischen Kunstschutzes im russischen Nordwesten kein wohldurchdachter Plan vorlag, sondern die Einheit aus den Gegebenheiten vor Ort entstand. Solms, der seine Vorstellungen aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung, seines Alters, der fachlichen Kompetenz und den guten Beziehungen durchsetzen konnte, spielte dabei die entscheidende Rolle. Im Vergleich gingen der ERR und das Sonderkommando Künsberg weitaus planvoller vor, konnten sich jedoch gegen das Militär nur schwer behaupten. Auch diese beiden 105 Georg Poensgen, Der Landschaftsstil des Esaias van den Velde, Phil. Diss. Freiburg i. Br. 1924. 106 Georg Poensgen, Leben in Bildern, unv. Manuskript, o. O. o. J., Privatarchiv Inge Hubert, S. 53 f. Unser großer Dank gilt Herrn Tobias A. Poensgen, der uns das Manuskript zur Verfügung gestellt hat. 107 Vgl. Susanne Schunter-Kleemann, Cohnitz und Company. Lebenswege einer rheinischen Kaufmannsfamilie, 1750–1950, Bremen 2014, S. 196–203; Georg und Emma Poensgen-Stiftung (Hrsg.), Ein Haus für Künstler im Alter. Die Georg und Emma Poensgen-Stiftung, verfasst von Kristina Vagt, Hamburg 2017.

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Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

Organisationen arbeiteten mit Fachleuten, die jedoch „unabkömmlich“ gestellt waren und schon vor ihrem Einsatz in der UdSSR mit der „Sicherstellung“ von Kunstgütern oder der Auswertung von Material zu tun gehabt hatten; in den Jahren 1941 bis 1944 waren sie dann für einen Teil der Kulturgüter im russischen Nordwesten zuständig. Für das Sonderkommando Künsberg war das der Historiker Jürgen von Hehn vom Einsatzkommando „Hamburg“; er war Leiter des Vorkommandos Leningrad, dann Leiter der Dienststelle Siverskij im unmittelbaren Frontbereich. 1912 in Riga geboren hatte er in Dorpat und Königsberg studiert und war dort mit einer Arbeit zur lettischen Geschichte promoviert worden.108 Für den Einsatz brachte er beste sprachliche und landeskundliche Kenntnisse mit. Er war an der Um- Abb. 29  Georg Poensgen war als Repräsensiedlung der deutschen Bevölkerung aus Lettland in tant der Dienststelle „Chef der Heeresmuseen“ beim Abbau des Bernsteinzimmers im den Warthegau beteiligt gewesen und dann bei Katharinenpalast in Carskoe Selo dabei. verschiedenen Dienststellen mit der Auswertung von Materialien beschäftigt, die zum Teil im besetzten Polen beschlagnahmt worden waren. Seit Juli 1941 gehörte er zum Geographischen Dienst des Auswärtigen Amtes und war dem Sonderkommando Künsberg zugeordnet. Hehn war überzeugter Nationalsozialist, SS-Mitglied. Von 1943 an war er der Stellvertreter Wilfried Krallerts in der „Reichsstiftung für Länderkunde“ und damit direkt dem RSHA zugeordnet. Nach 1945 arbeitete er weiter an historischen Themen, konnte aber aufgrund seiner NS-Vergangenheit im akademischen Leben nicht mehr Fuß fassen.109 Auch beim ERR gab es an den Standorten in Riga und Reval mehrere deutschbaltische Mitarbeiter, so die Historikerin Irene Neander und die Sippenforscher Helmut Speer und Georg von Krusenstjern. Durch ihre hervorragenden Landes- und Sprachkenntnisse waren sie wichtige Mitarbeiter. Von Krusenstjern, der aus der Familie des bekannten russischen Weltumseglers stammte, besuchte zwischen Herbst 1941 und Winter 1943 alle hier untersuchten Orte, arbeitete phasenweise eng mit Solms zusammen und hinterließ aufschlussreiche Zeugnisse über die Kriegsjahre. Er hatte 1917/18 im Baltenregiment gegen die Rote Armee gekämpft, war überzeugter Antikommunist und Anhänger des Nationalsozialismus. Wie Hehn hatte er die Umsiedlung der Deutschbalten mitorganisiert, in seinem Fall von

108 Jürgen von Hehn, Die lettisch-literarische Gesellschaft und das Lettentum, Phil. Diss. Königsberg 1938, Königsberg 1938. 109 Vgl. Michael Fahlbusch, Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften von 1931–1945, Baden-Baden 1999, S. 133, S. 490 f.; Hartung 1997, S. 122.

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Estland nach Posen. Er nutzte die Rückkehr in die alte Heimat, um zurückgebliebene deutschbaltische Kulturgüter aufzuspüren und sie den alten Besitzern zukommen zu lassen, auch sammelte er überall in Estland Zeugnisse deutschbaltischen Lebens wie Fotoalben und Kirchenbücher ein. Im russischen, zeitweise auch im weißrussischen Gebiet war er vor allem für die Sicherung von Archiven zuständig. Nach dem Krieg baute er in München eine Auskunftstelle für die Deutschbalten auf.110 Ein Kunsthistoriker, der zwar nicht über regionale Vorkenntnisse verfügte, aber sehr aktiv versuchte, Zugriff auf die Kunstschätze des russischen Nordwestens zu bekommen, war der schon mehrfach erwähnte Karl Heinz Esser, der vom ERR als Kunstexperte für die Region vorgesehen war. Esser hatte in Marburg studiert Abb. 30  Der Deutschbalte Georg von Krusenstjern war als Sippenforscher für den und war in Bonn bei Alfred Stange promoviert worden.111 Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg vor allem Auf dessen Vermittlung kam er zum ERR, für den er im Baltikum tätig, gelangte aber auch nach Pskov und Novgorod, worüber er ausführlich außer in Estland in Belgien und in der Ukraine eingeberichtete. setzt war. Der ehrgeizige Esser war aktives NSDAPMitglied. In den 1950er Jahren wurde er Direktor der Städtischen Gemäldegalerie und des Altertumsmuseums in Mainz, die unter seiner Leitung zum Mittelrheinischen Landesmuseum vereint wurden.112 Am Ende bleibt die Frage nach der Motivation, die zur Einrichtung des militärischen Kunstschutzes bei der Heeresgruppe Nord führte. War es, wie Solms es darstellte, eine uneigennützige Rettungsaktion, um die Kulturgüter vor den unmittelbaren Kriegseinwirkungen zu schützen? Wollte man dem Beispiel Wolff-Metternichs beim Militärbefehlshaber in Frankreich folgend andere NS-Behörden daran hindern, sich die Kulturgüter des besetzten Gebiets anzueignen? Oder bestand beziehungsweise entwickelte sich bei der Führung der Heeresgruppe oder des OKH im Verlauf der Arbeit doch ein eigenes Sammelinteresse? 110 Sein umfangreiches Fotoarchiv befindet sich bei „Foto Marburg“, schriftliche Zeugnisse im Archiv des HerderInstituts für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg sowie im Familienarchiv Krusenstjern. Zu seiner Person vgl. Malle Salupere, Georg von Krusenstjern und seine Tätigkeit im Einsatzstab Rosenberg (1941–1942), http://www.aai.ee/abks/Wiewares.html [1.5.2018]. 111 Karl Heinz Esser, Der Architektur-Raum als Erlebnisraum: eine kunstwissenschaftliche Wesens- und Begriffsbestimmung, Phil. Diss. Bonn 1939, Bonn 1939. 112 Eine kurze Biografie Essers wurde aus den Dokumenten des ERR zusammengetragen von Jens Hoppe, Dr. Karl Heinz Esser. Selbstverständnis eines beim Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg tätigen Kunsthistorikers im besetzten Baltikum, in: Magdalena Bushart/Agnieszka Gąsior/Alena Janatková (Hrsg.), Kunstgeschichte in den besetzten Gebieten 1939–1945, Köln u. a. 2016, S. 255–273; ders., Ein Kunsthistoriker im Dienste einer NS-Organisation. Dr. Karl Heinz Esser beim Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg für die besetzten Gebiete, in: Mainzer Zeitschrift. Mittelrheinisches Jahrbuch für Archäologie, Kunst und Geschichte 105 (2010), S. 179–199.

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Kunstwerke im Visier von „Kunstschützern“

III Die Museen im Krieg Der Krieg traf die Museen unvorbereitet. Vorsorgemaßnahmen waren nur für die Vorortschlösser diskutiert worden, und auch diese stellten sich später als vollkommen unzureichend heraus. „Für unvorhersehbare und Notfälle“ hatten die Behörden 1936 aus sämtlichen Vorortschlössern überhaupt nur 4.871 Objekte vorgesehen1, dass die Region Leningrad Kampfgebiet werden könnte, zog man überhaupt nicht in Betracht. Wie haltlos die Planungen waren, zeigte sich 1938 bei einer Generalinventur: Allein in den Schlossmuseen von Puškin wurden 108.632 Objekte gezählt2, in allen Vorortschlössern zusammen rund 300.000.3 Auf Anweisung des Leningrader Stadtsowjets erstellten die Museumsdirektoren folglich neue Objektlisten.4 Neue Evakuierungspläne wurden dagegen ein Opfer politischer Fehleinschätzungen: Die sowjetische Militärdoktrin sah langandauernde Kriegshandlungen auf eigenem Gebiet nicht vor. Der Generalstab der Roten Armee, der dafür ausschließlich zuständig war, beschäftigte sich folglich nie ernsthaft mit Evakuierungsplänen, weder 1939 noch 1940 reagierte er auf entsprechende Vorstöße des für die Vorortschlösser zuständigen Volkskommissariats für Bildung.5 Tatsächlich begannen Evakuierungsplanungen erst nach dem 22. Juni 1941. An diesem Tag wurde der Kriegszustand ausgerufen und die Mobilisierung in den westlichen Gebieten angeordnet. Das Leben der Bevölkerung änderte sich schlagartig. Männer im wehrfähigen Alter meldeten sich zum Kriegsdienst, hunderttausende Zivilisten wurden zu Schanzarbeiten herangezogen, denn zwischen dem Finnischen Meerbusen und Novgorod sollte in aller Eile eine Verteidigungslinie gebaut und als letztes Bollwerk ein befestigtes Gebiet Krasnogvardejsk eingerichtet werden. Zwischen Leningrad und den Orten im Umland herrschte in diesen Wochen lebhafter Verkehr: Die einen, unter ihnen jüdische Bürger, versuchten, in die Stadt zu gelangen, andere verließen sie, weil sie befürchteten, Leningrad würde bis zum Letzten verteidigt werden. Im August begann man, Fabriken und ihre Arbeiter, ferner Parteimitglieder, Kinderheime und Krankenhäuser zu evakuieren. Die kontinuierlichen deutschen Bombenangriffe machten Transporte zu riskanten Unternehmungen. Es ging chaotisch zu, auch, weil die Verhaftung vermeintlich regimefeindlicher Bürger und die Angst vor Spionen zunahmen. Die Ereignisse entwickelten sich so rasant – alle Anstrengungen konnten den zügigen Vormarsch der deutschen Truppen nur verlangsamen, nicht aufhalten –, dass alle Planungen schnell obsolet waren. 6 In dieser Situation gehörten Museen nicht zu 1

2 3 4 5 6

N. V. Fatigarova, Muzejnoe delo v RSFSR v gody Velikoj Otečestvennoj vojny (aspekty gosudarstvennoj politiki), in: Muzei i vlasť. Gosudarstvennaja politika v oblaste muzejnogo dela (XVIII–XXvv.). Časť pervaja, Moskau 1991, S. 173–225, hier S. 176 f.; Nikolaj Treťjakov, Gatčinskij dvorec, gody ispytanij, St. Peterburg 1992, S. 137 f.; Andreas Grenzer, Die Reaktion: Sowjetische Evakuierungen und Sicherungsmaßnahmen, in Eichwede/Hartung 1998, S. 124–140, hier S. 124 f. A. O. Šutilova, Stanovlenie sistemy muzejnogo učeta. 1917–1938, in: Bott 2015, S. 17. Fatigarova 1991, S. 216. Treťjakov 1992, S. 138. Fatigarova 1991, S. 177. Fatigarova 1991, S. 176.

Die Museen im Krieg

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Frontlage während der Leningrader Blockade

N

FINNISCHE S Ü D O S TA R M E E

S

Ladogasee

von Finnland besetzt

2 3 . A R ME E

8 . A R ME E

Finnischer Meerbusen

Leningrad

Peterhof

»OranienbaumerKessel«

Osinovec

hiffa

h rt s w e g

Eisstra

54. ARMEE

ße

Lednevo

4 2 . A R ME E

Kronstadt Oranienbaum

Sc

Urick

Streľna

XXV I . ARME E KORPS

Krasnogvardejsk/ Gatcina ˇ

nach Volchov

5 5 . A R MEE

Ne

va

Puškin/Carskoe Selo Krasnoje Selo

Schlüsselburg

Mga Sluck/Pavlovsk X X VIII. ARMEEK ORP S

Tosno

L. ARME E KORPS

Siverskij

nach Narva

1 8 . A R ME E nach Pskov

HEERESGRUPPE NORD (von Leeb)

vom Deutschen Reich und seinen Verbündeten kontrolliertes Gebiet untersuchteLuga Museumsorte in der Umgebung Leningrads

96

Die Museen im Krieg

nach Moskau nach Novgorod

nach Vitebsk

0

10

ov

von der Sowjetunion kontrolliertes Gebiet

ˇ Cudovo

Vo lch

Lug Frontverlauf am a 5. Dezember 1941

20

30

40

50 km

den Prioritäten der Militärbehörde. Als der Krieg entgegen allen Erwartungen auf eigenem Territorium stattfand und auch die Region Leningrad erreichte, mussten die Museumsmitarbeiter die Probleme weitgehend ad hoc lösen.

Die Besetzung des russischen Nordwestens Der russische Nordwesten ist geprägt durch viele Seen, darunter die drei großen – Peipus-, Ilmen- und Ladogasee – sowie durch Wälder, Moore und Sümpfe. Es war eine wenig entwickelte und sehr dünn besiedelte Region. Nur ein geringer Teil des Gebiets war landwirtschaftlich nutzbar, und die mageren Sand- und Lehmböden brachten wenig Ertrag. Industrie hatte sich vor allem um Leningrad herum entwickelt. Zu den wichtigsten Städten gehörten neben Leningrad mit über drei Millionen Einwohnern Pskov und Novgorod (rund 40.000) sowie Puškin und Krasnogvardejsk (20.000–30.000).7 Dieses Gebiet hatte die Heeresgruppe Nord im Visier, als sie am 22. Juni 1941 unter Führung von Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb von Ostpreußen aus die Grenze zur UdSSR überschritt. Ihr gegenüber kämpften – aussichtslos – Truppen der sowjetischen Nordwestfront. Im Norden rückte die 18. Armee unter Führung von Generaloberst Georg von Küchler in Litauen ein und erreichte bereits Ende Juli das lettische Riga. Dort teilte sie sich. Während der linke Flügel parallel zur Ostseeküste nach Estland vorankam, unterstützte der rechte Flügel südlich des Peipussees die motorisierte Panzergruppe 4 unter Generaloberst Erich Hoeppner, der Richtung Pskov vorstieß. Die Stadt wurde am 9. Juli eingenommen. Dann allerdings blieb die Panzergruppe im sumpfigen Gelände stecken. Erst am 10. August konnte der Angriff wieder aufgenommen werden. Am 15. des Monats eroberte sie – gemeinsam mit dem südlichen Flügel der Heeresgruppe Nord (16. Armee) Novgorod. Die 16. Armee blieb im Raum Novgorod, während die 18. Armee und die 4. Panzergruppe von Westen, Südwesten und Süden Richtung Leningrad vorstießen. Am 8. September nahmen sie sowohl Krasnogvardejsk als auch das 35 Kilometer östlich Leningrads am Ladogasee gelegene Šlisselburg (Schlüsselburg) ein. Der Ring um Leningrad war damit geschlossen.8 Die etwa 30 Kilometer vor der Stadtgrenze gelegenen Orte Puškin und Sluck (Slutzk/Pavlovsk) kamen am 17. September unter deutsche Besatzung, Peterhof wurde nach heftigen Kämpfen am 24. September eingenommen. Die von Süden auf Peterhof vorrückenden deutschen Truppen spalteten die sowjetische 8. Armee, ein Teil wurde im Gebiet um Oranienbaum westlich von Peterhof eingekesselt (sogenannter Oranienbaumer Kessel).9 Da spätestens seit Mitte September feststand, dass die Wehrmacht Leningrad nicht einnehmen, sondern belagern würde10, 7

Die Zahlenangaben schwanken sehr. Vgl. Čislennosť naselenija SSSR na 17 janvarja 1939g., Moskau 1941, S. 62 f., http://istmat.info/files/uploads/46314/rgae_7971.16.54_naselenie_po_perepisi_1939.pdf [1.5.2018]. 8 Siehe dazu und zu den Folgen Kap. IV.3: Sammlungen. 9 Siehe auch Kap. III.4: Die Einnahme Peterhofs. 10 Über die Gründe für diese Entscheidung ist viel diskutiert worden. Einen aktuellen Überblick über die Forschungs­ literatur bieten Jürgen Kilian, Wehrmacht und Besatzungsherrschaft im Russischen Nordwesten 1941–1944. Praxis und Alltag im Militärverwaltungsgebiet der Heeresgruppe Nord, Paderborn u. a. 2012; Jörg Ganzenmüller, Das belagerte Leningrad 1941–1944: Die Stadt in den Strategien von Angreifern und Verteidigern, Paderborn u. a. 2005.

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wurden die motorisierten Einheiten der 4. Panzergruppe nun der Heeresgruppe Mitte unterstellt, um den deutschen Vorstoß nach Moskau zu unterstützen; der 18. Armee kam dagegen bis 1943 die Rolle einer Belagerungsarmee zu. Die 16. Armee konnte im Oktober 1941 noch die nordöstlich Novgorods gelegene Stadt Tichvin erobern, aber nur bis Dezember 1941 halten. Sie zog sich wieder auf die Frontlinie entlang des Volchov zurück, die in der Folge bis zur sowjetischen Gegenoffensive im Herbst 1943 weitgehend unverändert blieb: Sie verlief im Halbkreis um Leningrad: vom Finnischen Meerbusen bis Šlisselburg, von dort entlang des Volchov nach Süden Richtung Novgorod und zum Frontbereich der Heeresgruppe Mitte (Smolensk).11 Das gesamte westlich der Frontlinie gelegene Gebiet befand sich zwischen August/September 1941 und Januar 1944 unter deutscher Besatzung und unterstand der Verwaltung der Heeresgruppe Nord. Es war aufgeteilt in das rückwärtige Armeegebiet – ein rund 30 Kilometer breiter Streifen direkt hinter dem Gefechtsgebiet – und das daran anschließende rückwärtige Heeresgebiet Nord. Beide militärischen Verwaltungseinheiten waren, wie alle von der Wehrmacht besetzten Gebiete, Schauplätze des Verbrechens an sowjetischen Kriegsgefangenen12 und an der Zivilbevölkerung. Die Planungen für das „Unternehmen Barbarossa“ hatten von Beginn an die Ausbeutung des Landes und die vollständige Entnahme der Lebensmittel vorgesehen und damit den Hungertod der Zivilbevölkerung und der Gefangenen einkalkuliert.13 Im Bereich der Heeresgruppe Nord hatte diese Strategie aufgrund des Klimas und der niedrigen landwirtschaftlichen Erträge besonders dramatische Auswirkungen. Zwar gab es im Oberkommando der 18. Armee Ende September 1941 noch die Vorstellung, die Kriegsgefangenen nach den geltenden Regeln des Völkerrechts ernähren und Nahrung auf dem Wege der Truppenverpflegung anfordern zu können, doch stellte sich schnell heraus, dass dies von der Wehrmachtsführung nicht gewollt war. Wegen der auch für die Truppe schwierigen Versorgungslage – der Nachschub blieb immer häufiger aus und Lebensmittel, die man hätte requirieren können, gab es nicht mehr – senkte Generalquartiermeister Eduard Wagner am 21. Oktober 1941 die Rationen für sowjetische Bürger und bestätigte erneut, dass die Verpflegung aus dem Land zu entnehmen sei. Er nannte eine Dringlichkeitsliste, nach der 1. arbeitende Zivilpersonen, 2. arbeitende Kriegsgefangene, 3. nichtarbeitende Kriegsgefangene und 4. nichtarbeitende Zivilisten ernährt werden sollten. Die Vorräte reichten jedoch gerade noch für die erste Kategorie, so dass dieser Beschluss einem Todesurteil für die Mehrheit der Kriegsgefangenen und vieler Zivilisten gleichkam.14 11 Karl-Heinz Frieser u. a., Die Ostfront 1943/44. Der Krieg im Osten und an den Nebenfronten, München 2007. 12 Siehe dazu oben Einleitung. Eine ausführliche Diskussion zu Opferzahlen und Statistiken bei Reinhard Otto/Rolf Keller/Jens Nagel, Sowjetische Kriegsgefangene in deutschem Gewahrsam 1941–1945. Zahlen und Dimensionen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56 (2008), H. 4, S. 557–602. 13 Allgemein zum Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen: Jörg Osterloh, Sowjetische Kriegsgefangene 1941–1945 im Spiegel nationaler und internationaler Untersuchungen, Dresden 1996; Günter Bischof/Stefan Karner/Barbara Stelzl-Marx (Hrsg.), Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges. Gefangennahme – Lagerleben – Rückkehr, Wien 2005; Rüdiger Overmans, Die Kriegsgefangenenpolitik des Deutschen Reiches 1939–1945, in: Jörg Echternkamp (Hrsg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 9/2: Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945, München 2005, S. 729–875. 14 Dazu detailliert Johannes Hürter, Die Wehrmacht vor Leningrad. Krieg und Besatzungspolitik der 18. Armee im Herbst und Winter 1941/42, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 49 (2001), H. 3, S. 377–440.

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Rücksichtslos wurde nun die geheime Anweisung des Armeeoberkommandos „Betreff: Verhalten der Truppe im Ostraum“ vom 10. Oktober 1941 umgesetzt, in der es hieß: Das Verpflegen von Landeseinwohnern und Kriegsgefangenen, die nicht im Dienste der Wehrmacht stehen, in Truppenküchen, ist eine ebenso mißverstandene Menschlichkeit wie das Verschenken von Zigaretten und Brot. Was die Heimat unter großer Entsagung entbehrt, was die Führung unter größten Schwierigkeiten nach vorne bringt, hat nicht der Soldat an den Feind zu verschenken, auch nicht, wenn es aus der Beute stammt. Sie ist ein notwendiger Teil unserer Versorgung.15

Die Soldaten der Wehrmacht sollten auf einen rücksichtslosen Vernichtungskrieg gegen die sowjetischen Armeeangehörigen und die Bevölkerung eingeschworen werden, geltende Regeln des Völkerrechts hätten in diesem Krieg ebenso wenig eine Rolle zu spielen wie humanitäre Regungen des einzelnen deutschen Soldaten, und es wurde dazu aufgefordert, vermeintliche Spione oder Partisanen auf der Stelle zu erschießen. Diesen sogenannten Reichenau-Befehl gab Georg von Küchler am 3. November 1941 an die 18. Armee weiter. Für die verbliebene sowjetische Bevölkerung hatte das katastrophale Konsequenzen. Es kam es zu einer Hungersnot, der Zehntausende zum Opfer fielen. Hinzu kam das massenhafte Sterben der Kriegsgefangenen, die vom Gefechtsgebiet in Lager des rückwärtigen Armeegebiets abgeschoben wurden und dort nicht einmal mit dem Nötigsten versorgt werden konnten.16 Mitglieder der SS-Einsatzgruppen und der Sicherungsdivisionen der Wehrmacht gingen gegen echte oder vermeintliche Banden, politische Kommissare und Partisanen vor und verübten in diesem Zusammenhang Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung. Der Einsatzgruppe A ist der Mord an der in diesem Gebiet allerdings nicht sehr zahlreichen jüdischen Bevölkerung und der Mord an den Insassen verschiedener Heilanstalten für geistig Behinderte anzulasten.17 Die Situation in den besetzten baltischen Gebieten gestaltete sich anders als im russischen Nordwesten, denn durch die Schaffung des Reichskommissariats Ostland ging die militärische in eine Zivilverwaltung über.18 Insbesondere in Riga etablierte sich eine große Zahl deutscher Institutionen, und das RKO diente als eine Art Ausgangs- und Rückzugsgebiet für die deutsche Kriegsführung im Bereich der Heeresgruppe Nord. Das galt auch für die verschiedenen Sonderkommandos zur Sicherung von Dokumenten und Kulturgütern, die Büros in Riga, Reval/Tallinn und Dorpat/Tartu unterhielten und von dort aus ihre Einsätze im russischen Gebiet koordinierten.

15 MA Freiburg, RH 20-18/1209, Bl. 241–243. Ausführlich dazu Pohl 2009; Kilian 2012; Hürter 2001. 16 Kilian schätzt aufgrund der deutschen Akten, dass zwischen Oktober 1941 und April 1942 mehr als 51.000 sowjetische Kriegsgefangene im Gebiet der Heeresgruppe Nord umgekommen sind, davon 16.000 im Bereich der 18. Armee. Kilian, 2012 S. 451. 17 Vgl. dazu ausführlich Kilian 2012; Hürter 2001. 18 Siehe auch Kap. II.4: Ein unterschätzter Akteur.

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Das Schlossensemble von Carskoe Selo Die heutige Stadt Puškin, früher Carskoe Selo (Zarendorf), ist aus einer Sommerresidenz der Zaren entstanden. Das Zentrum des ausladenden Park- und Schlossensembles bildet der Katharinenpalast, der auf eine wechselvolle Baugeschichte zurückblicken kann. Zar Peter der Große schenkte seiner späteren Frau Katharina ein Anwesen, auf dem sie ein kleines Schlösschen errichten ließ. Deren Tochter, Zarin Elisabeth I., nahm nach der Thronbesteigung 1741 mit ihrem Hofarchitekten, dem Italiener Francesco Bartolomeo Rastrelli, den Umbau zu einem prunkvollen Schloss im Stil des Rokoko in Angriff. 1755 wurde hier das später legendär gewordene Bernsteinzimmer eingebaut. Katharina II. – die Große – ließ den Palast mit Hilfe des schottischen Architekten Charles Cameron abermals gründlich umgestalten und die Anlage um neoklassizistische Anbauten, ein Pantheon, eine Thermenanlage und einen eindrucksvollen Landschaftspark erweitern. Diese Zarin, die das Schloss zumal in den Sommermonaten kontinuierlich nutzte, gab auch den Auftrag, hier für ihren Enkel, den späteren Alexander I., den Alexanderpalast zu bauen. Um den von dem italienischen Architekten Giacomo Quarenghi im Stil des Neoklassizismus entworfenen Palast erstreckt sich ebenfalls ein großer Park mit Brücken und Pavillons zum Teil im chinesischen Stil. Die beiden Paläste mit ihren Parks bilden ein geschlossenes Ensemble, das aus dem Ort nicht wegzudenken ist. Sie beherbergen große Gemäldesammlungen, einzigartige Antiquitäten aus aller Herren Länder und eine „kaiserliche Bibliothek“ mit tausenden von Bänden. Dem Katharinenpalast angeschlossen war ein Lyzeum, dessen berühmtester Zögling von 1811 bis 1817 der spätere Dichter Alexander Puschkin war. Nach ihm ist die Stadt seit 1937 benannt.

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Die Schlösser in Puškin: Bernsteinzimmer, Fronttourismus, Hungersnot Kriegsbeginn und Evakuierung

Die Evakuierung der Museumssammlungen von Puškin und die Sicherung der Gebäude fanden in einer Situation von Chaos und Unklarheit über den Kriegsverlauf statt.19 Unter Geheimhaltung begannen die ersten Vorbereitungen schon am 23. Juni. Laut Vera Lemus, einer der leitenden Mitarbeiterinnen20, ging es insgesamt um 72.554 Objekte, davon befanden sich laut Inventarbüchern 42.172 im Katharinenpalast, im kleineren Alexanderpalast waren es 30.382. Lemus zufolge gelang es, 17.599 Objekte zu evakuieren.21 Der Direktor des Museumsensembles, Vladimir Laduchin, bestimmte die Hauptkustoden Galina Netunachina (Katharinenpalast) und Anatolij Kučumov (Alexanderpalast) als Verantwortliche für die Evakuierung. Wie Kučumov sich später erinnerte, versicherte ihm Laduchin: „Die Partei vertraut diese verantwortungsvolle Aufgabe Dir an, Kučumov, Dir als Komsomolzen, als demjenigen Arbeiter, der am besten mit der Museumsarbeit vertraut ist.“22 Kučumov war gerade 29 Jahre alt. Er kam aus bäuerlichen Verhältnissen und hatte zunächst eine Ausbildung als Elektrochemiker abgeschlossen, profitierte dann aber von den sowjetischen Bildungsangeboten. Nach berufsbegleitenden Kursen in der Leningrader Eremitage arbeitete er 1932 in Schloss Pavlovsk bei der Inventarisierung mit, im selben Jahr wurde er wissenschaftlich-technischer Mitarbeiter im Katharinenpalast, 1938 stieg er zum Direktor des Alexanderpalasts auf. Offenbar genoss er das besondere Vertrauen der Leningrader Parteiorganisation, denn er sollte die Museumsobjekte der ersten Kategorie in die Evakuierung begleiten. Vertraulich teilte ihm Laduchin mit, sie würden in das östlich von Moskau gelegene Gor’kij (das frühere und heutige Nižnij Novgorod) gebracht. In den ersten Tagen nach Kriegsbeginn wurden die Objekte der ersten Kategorie in 52 Kisten verpackt, insgesamt 1.928 Objekte.23 Es handelte sich vor allem um wertvolle Stücke aus 19 Während der Arbeit an diesem Kapitel bestand ein ständiger Austausch von Dokumenten und Fachliteratur mit den Kolleginnen des Schlossmuseums von Carskoe Selo. Die neueste Forschung zur Geschichte des Museums wurde in einem Sammelband zusammengefasst: Bott 2015. 20 Vera Lemus (1905–1987) besuchte die Moskauer Universität und arbeitete seit 1934 im Katharinenpalast. Sie begleitete 1941 Teile der evakuierten Sammlung in die Leningrader Isaakskathedrale. 1942 wurde sie, völlig unterernährt, aus Leningrad ins Hinterland evakuiert. Seit Sommer 1943 arbeitete sie in Sarapul als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Depot der Leningrader Museumsbestände, 1944–1957 im Zentraldepot, 1957–1972 war sie in Puškin stellvertretende Leiterin für wissenschaftliche Fragen. 21 Archiv GMZ Carskoe Selo, Vera V. Lemus: Ėvakuacija musejnych cennostej iz g. Puškina (1941–1945). Istoričeskaja spravka. S. 5 f. Veröffentlicht von G. D. Chodasevič, in: Chraniteli. Materialy XI Carskoseľskoj naučnoj konferencii, St. Petersburg 2005. 22 Anatolij M. Kučumov: Staťi, vospominanija, pis’ma, St. Petersburg 2004, S. 61. Ein Komsomolze war ein Mitglied des sowjetischen kommunistischen Jugendverbands. 23 CGALI SPb, f. 468, op. 1, d. 108, I. 1. Bei diesem Dokument handelt es sich um einen Bericht Kučumovs vom 11.10.1941 über die Evakuierung der Exponate aus den Schlössern Puškins. Nicht Turova oder Lemus, die unmittelbar vor Ort tätig gewesen waren, verfassten also den Bericht, sondern Kučumov; vermutlich verwendete er dafür die Berichte der beiden Mitarbeiterinnen.

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Edelmetall oder Edelsteinen, so eine Sammlung von Gegenständen aus dem Bernsteinzimmer, reichverzierte Waffen aus dem Türkischen Zimmer Alexanders II. oder zwei italienische Mosaike aus dem Achatzimmer. Aus dem Alexanderpalast kamen wichtige Werke der russischen Maler Nikolaj K. Rerich, Karl P. Brjullov, Michail V. Nesterov, Vasilij I. Surikov und Iľja E. Repin sowie bedeutender westeuropäischer Künstler hinzu. Nachdem diese Stücke verpackt waren, erhielten die Mitarbeiter die Erlaubnis, weitere Kunstwerke zu evakuieren. Als Auswahlkriterium galt der künstlerisch-historische und der materielle Wert der Objekte, bei den Möbeln versuchte man, jeweils einen Teil einer Garnitur zu retten. 24 Zwei Tage später waren alle Gegenstände transportfertig. Nun stellte sich heraus, dass es gar keine Transportmittel gab. Um die wertvollen Gegenstände nicht ungesichert auf dem Vorplatz stehen zu lassen, wurden sie heimlich und unter Aufsicht des NKVD in einen Keller gebracht; erst am 30. Juni konnten sie verladen werden. In seinen Erinnerungen schildert Kučumov, wie ein Zug mit Auslagerungsgütern aus dem Leningrader Raum zusammengestellt wurde, der dann, immer wieder von Stopps unterbrochen, bis vor Moskau und von dort nach Gor’kij gelangte. Vom 31. Juli an trug Kučumov die Gesamtverantwortung für alle dort eintreffenden Sammlungen der Vorortschlösser. Es standen zwei Lagerorte zur Verfügung, in denen die Kisten zum Teil umgepackt und auf ihren Zustand untersucht wurden. Doch dann lag auch Gor’kij unter Beschuss. Erneut verlud man alles auf mittlerweile 17 Waggons, im November 1941 rollten sie Richtung Tomsk beziehungsweise Novosibirsk in Sibirien.25 Währenddessen setzten die zurückgebliebenen Mitarbeiterinnen die Packarbeiten fort und vergruben die Parkskulpturen. Galina Netunachina und Z. M. Skoblikova begleiteten am 6. und 13. Juli den zweiten (46 Kisten mit 1.943 Objekten) und den dritten (47 Kisten mit 8.304 Stücken) Transport nach Gor’kij.26 Auch Museumsmitarbeiterinnen mit Kindern konnten die Gelegenheit nutzen und Puškin verlassen. Vom wissenschaftlichen Personal blieben nur drei junge Frauen zurück: Vera Lemus, Tamara Popova und Evgenija Turova.27 Sie arbeiteten unter immer schwierigeren Bedingungen. Da es an Verpackungsmaterial fehlte, mussten sie teilweise auf schlecht getrocknetes Heu zurückgreifen.28 Andere Arbeitskräfte wurden zu Schanzarbeiten abgezogen. Seit Mitte August nahmen die Luftangriffe zu. Zunächst galten die Bomben militärischen Einrichtungen, aber bald gab es auch Einschläge in den Parks. Es fuhren kaum noch 24 25 26 27

Vgl. Lemus 2005. Vgl. Kučumov 2004, S. 64–82, ferner Kap. III.3: Unterwegs zum Ural und nach Sibirien. CGALI SPb, f. 468, op. 1, d. 108, ll. 4/5ob. Evgenija Leonidovna Turova (1911–1971) stammte aus einer gebildeten Petersburger Familie, die vor der Revolution nach Carskoe Selo zog. Vermutlich dieser bürgerlichen Herkunft wegen konnte sie nicht studieren und arbeitete schon als 16-Jährige, erst als Verwaltungskraft, dann als Metallschlosserin in den Kirov-Werken sowie als Sekretärin. Seit 1935 konnte sie als Museumsführerin arbeiten und von 1938 an eine Weiterbildung machen. 1939 trat sie in die KPdSU ein. Sie wurde als Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei den Museen Puškins angestellt und mit der Pflege der Parks und ihrer Bauten betraut. 28 Neben dem Transportraum war fehlendes Verpackungsmaterial von Anfang an ein großes Problem. Vgl. dazu CGALI SPb, f. 468, op.  1, d. 108, ll. 1–3. Zur schlechten Vorbereitung der Evakuierung siehe den Bericht von Trončinskij vom 25.10.1941, CGALI SPb, f. 468, op. 1, d. 110, ll. 13 f.

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Transporter, die mit Museumsstücken beladen und zum Bahnhof geschickt werden konnten. Lemus schildert, dass sie manchmal Stunden am Tor wartete, um einen Lastwagen abzupassen. Wenn der Fahrer rief, „bringt die Sachen“, rannte sie los, und in aller Eile schleppten sie und ihre Helferinnen unverpackte Möbelstücke herbei, die sie notdürftig verluden.29 Am 20. und am 22. August brachten sie die vierte und die fünfte Waggonladung auf den Weg. Der Zug fuhr ohne Zwischenstopp nach Sarapul, ganz im Osten des europäischen Teils von Russland; mit dabei waren die Bronzebüsten aus der Cameron-Galerie sowie weitere bronzene und stählerne Objekte, wertvolle Teppiche aus dem Alexanderpalast und Objekte aus dem chinesischen Theater. Besonders wichtig für die spätere Rekonstruktion erwies sich die Evakuierung von Plänen der Schlösser und Gärten, von Aufnahmen der Räume, Inventarbüchern und sonstigen Dokumentationen. Insgesamt konnten mit der vierten Ladung 95 Kisten mit 4.343 Objekten und mit der fünften Sendung 66 Kisten und Kästen mit 725 Objekten sowie 92 unverpackte Teile verschickt werden. Ende August brachen die Bahnverbindungen zusammen. Nach einer kurzen Pause setzte das Museumspersonal die Evakuierungsbemühungen per Lastwagen fort. Zwischen dem 1. und dem 10. September – die Kämpfe um das 20 Kilometer entfernte Gatčina waren bereits zu hören – gelang es, weitere 2.508 große Gegenstände (Skulpturen und Möbel) in 177 Kisten und 57 Objekte unverpackt nach Leningrad in die Isaakskathedrale zu bringen.30

Unter deutscher Besatzung Wir besitzen zahlreiche Zeugenaussagen zur deutschen Besatzung Puškins, die nach dem Krieg in der Sowjetunion gesammelt wurden31; ergänzt werden sie durch das auf Russisch verfasste, aber in Deutschland nach dem Krieg zum Druck vorbereitete „Tagebuch einer Kollaborierenden“ von Lidija Osipova (eigentlich Olimpiada Poljakova).32 Osipova und ihr Mann gehörten zur russischen Intelligencija und standen dem bolschewistischen Regime ablehnend

29 Vgl. Lemus, zit. nach Vladimir Cypin, Gorod Puškin v gody vojny, St. Petersburg 2010, S. 240. 30 CGALI SPb, f. 468, op. 1, d. 108, ll. 4/5ob. Die genannten Zahlen stammen aus einem offiziellen Bericht Kučumovs vom 11. Oktober. Insgesamt kam er auf 19.808 evakuierte Objekte, Lemus dagegen auf 17.599. Es muss offenbleiben, wie die Abweichung zustande kommt. Denkbar ist, dass anders zwischen einzelnem Objekt und Sammlungseinheit unterschieden wurde, möglicherweise stellte Lemus die Zahlen aber auch in der Nachkriegszeit zusammen, so dass die Verluste durch Transport- und Lagerungsschäden bereits eingeschlossen waren. 31 Eine reiche Zusammenstellung von Biografien, Erinnerungen und einigen Dokumenten findet sich in Cypin 2010, außerdem online unter http://tsarselo.ru/content/0/yenciklopedija-carskogo-sela/velikaja-otechestvennaja-voinai-okkupacija-pushkina#.U4Mhviiubcs [1.5.2018]. 32 Oleg Budnickij: „Sveršilos’. Prišli nemcy!“ Idejnyj kollaboracionizm v SSSR v period Velikoj Otečestvennoj vojny, Moskau 2012, S. 65–187. Der Moskauer Historiker hat das Tagebuch hier in ganzer Länge nach einem maschinengeschriebenen Manuskript veröffentlicht, das sich im Archiv der Hoover-Institution (Universität Stanford) befindet. Auszüge hatte zuvor schon der St. Petersburger Historiker Lomagin zitiert. Eine erste gekürzte Fassung war 1954 in Nummer 21 von „Grani“, einer Zeitschrift der russischen Emigration in Deutschland, abgedruckt worden. Die deutschen Übersetzungen im folgenden Text stammen von Corinna Kuhr-Korolev.

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gegenüber. Da sie die Deutschen als Befreier erwarteten, besaßen sie einen anderen Blick auf die Geschehnisse als andere sowjetische Zeitzeugen. In der Zusammenschau erlauben es die Erinnerungen, die Situation unmittelbar vor und nach dem Einmarsch der deutschen Truppen detailliert zu beschreiben. Ende August spürten die Einwohner Puškins das Nahen der Front immer stärker. Genaue Informationen besaßen sie allerdings nicht. Die Evakuierung von Frauen und Kindern scheiterte teilweise am Mangel an Transportkapazitäten. Osipova notierte am 27., Mütter säßen mit ihren Kindern schon seit fünf Tagen unversorgt auf dem Bahnhof fest und könnten weder die Stadt verlassen noch dürften sie in ihre Häuser zurückkehren.33 Manche Bewohner versteckten sich in Kellern oder schnell errichteten Deckungsgräben. Die deutschen Bomber konzentrierten sich zunächst auf den örtlichen Flughafen, dann nahmen sie das Viertel um den Bahnhof und die Bahnstrecke zwischen Puškin und Pavlovsk unter Beschuss. Osipova spricht von mehreren Hundert Toten unter der Zivilbevölkerung.34 Nach dem 13. September stand Puškin unter Dauerbeschuss durch Luftwaffe und Artillerie. Selbst auf dem kurzen Weg zwischen dem Katharinenpalast und den Dienstgebäuden mussten die Museumsleute häufig Schutz suchen. Eine Granate schlug seitlich in die Beletage des Katharinenpalasts ein und zerstörte zwei Räume: das kleine Esszimmer und das Arbeitszimmer Alexanders I.35 Teile der Bevölkerung flüchteten in die Keller des Palasts. Sowohl Osipova als auch Lemus berichten von einer Begebenheit, die zeigt, wie verzweifelt die Menschen waren: Als das Gerücht kursierte, die verbliebenen örtlichen Partei- und Staatsvertreter setzten sich ab und würden vorher den Palast sprengen, gerieten die Menschen in Panik und wollten den Keller verlassen, wurden daran aber von der Polizei gehindert. Die beiden Zeitzeuginnen interpretierten den Vorfall unterschiedlich. Während Osipova ihn als bezeichnend für das Misstrauen des Volkes gegenüber der Führung wertete36, erwähnte Lemus ihn, um zu erklären, warum sie und ihre Kolleginnen beim Verlassen der Stadt Zeit verloren und daher nicht, wie angeordnet, mit den letzten Fahrzeugen nach Leningrad hätten fahren können: Sie hätten zunächst versucht, die Menschen zu beruhigen. Erst am 16. September machten sie sich zu Fuß auf den Weg. Die Bewohner Puškins nahmen in diesen Tagen den Rückzug der eigenen Truppen wahr. In kleinen Trüppchen zogen Soldaten, die manchmal Verwundete trugen und um Essen baten, in Richtung Leningrad. Die Erinnerungen an die Situation unmittelbar vor dem Einrücken der deutschen Truppen unterscheiden sich. Die einen sprechen von andauerndem Beschuss, andere von bedeutungsschwerer Stille; mal ist vom disziplinierten Verhalten der Bürger die Rede, mal davon, dass alle versuchten, sich noch mit Lebensmitteln zu versorgen.37

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Budnickij 2012, S. 73. Vgl. Budnickij 2012, S. 75. Vgl. Lemus 2010, S. 241 f. Vgl. Budnickij 2012, S. 80 f. Vgl. Cypin 2010, S. 48–50, 82, 97; Budnickij 2012, S. 81; Julija Aleksandrovna Chordikajnen/Sof’ja Aleksandrovna Nuridžanova: Žizn’ v okkupacii i v pervye poslevoennye gody. Puškin, Gatčina, Ėstonija. Dnevnik Ljusi Chordikajnen, St. Petersburg 3. Aufl. 2011, S. 17.

Die Museen im Krieg

Schätzungsweise 20.000 Menschen blieben zurück, darunter einige, die eng mit den Museen verbunden waren. Dazu gehörte der Architekt und Maler Vsevolod I. Jakovlev (1884– 1950), der seit der Oktoberrevolution bis zu seiner Verhaftung 1931 Hauptkustos des Katharinenpalasts gewesen war.38 Auch der Ingenieur und Architekt Ivan D. Jermošin (1886– 1968) blieb. Wie Jakovlev war er bäuerlicher Herkunft. Zunächst hatte er als Vorarbeiter auf Baustellen gearbeitet, sich in den 1920er Jahren dann als Techniker, Ingenieur, vor allem aber als Architekt weitergebildet und war am 30. März 1931 Technischer Ingenieur und Architekt für die Restaurierung der Schlossmuseen und Pavillons von Puškin und Pavlovsk geworden, die damals administrativ eine Einheit bildeten. Im Vorfeld der deutschen Besatzung war er maßgeblich daran beteiligt, die Parkskulpturen zu vergraben.39 Auch eine MitAbb. 31  Vor der Hauptfassade des gut erhaltenen arbeiterin der Direktion der Puškiner Museen, Alexanderpalasts legte die SS-Polizeidivision im Herbst Anna A. Aleksandrovna (geb. 1898), blieb zu- 1941 für ihre Gefallenen einen Friedhof an. rück. Diese drei werden vor allem deswegen erwähnt, weil ihre Geschichte belegt, dass nicht – wie die Erinnerungen der Museumsmitarbeiter meist suggerieren – das gesamte Personal evakuiert wurde. Es bleibt unklar, welche Rolle dabei der Zufall spielte, ob sie keine Parteimitglieder waren und als politisch weniger zuverlässig galten oder ob sie möglicherweise aufgrund von Deutschkenntnissen sogar angewiesen wurden zu bleiben, um der sowjetischen Aufklärung zu dienen. Den Kriegstagebüchern der deutschen Verbände nach begann der direkte Angriff auf Puškin und Pavlovsk am 15. September, am 17. marschierte das Polizei-Schützen-Regiment 2 der SS-Polizei-Division im Verband des L. Armeekorps in Puškin ein, wo es sich zur Verteidigung einrichten sollte. Da die Entscheidung, Leningrad nicht einzunehmen, bereits gefallen war, stoppte der Vormarsch nun im Großen und Ganzen und der Frontverlauf veränderte sich bis zur Winteroffensive der Roten Armee 1943/44 nur wenig.40 Da die Front ein 38 Vgl. Vsevolod V. Abramov, V. I. Jakovlev. Architektor, iskusstvoved, muzejnyj rabotnik, unver. Manuskript, St. Petersburg 2008 (Archiv des GMZ Carskoe Selo). 39 Vgl. Vsevolod V. Abramov, Kratkaja spravka o žizni i dejateľnosti I. D. Jermošina, unver. Manuskript, St. Petersburg 2011 (Archiv des GMZ Carskoe Selo). 40 Vgl. Friedrich Husemann, Die guten Glaubens waren, Geschichte der SS-Polizei-Division (4. SS-Polizei-PanzerGrenadier-Division), Bd. I, 1939–1942, Osnabrück 1971, S. 108–128.

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bis drei Kilometer nördlich des Stadtrands von Puškin verlief, befanden sich die Schlösser und Parkanlagen die gesamte Zeit über in unmittelbarer Nähe zum Kampfgeschehen und unter ständigem Beschuss. Die Einwohner Puškins berichteten übereinstimmend, dass die Einnahme unspektakulär verlief. Die sowjetischen Truppen hatten sich zurückgezogen, so dass die deutschen Bodentruppen kampflos vorrücken konnten. Langsam rollten die Soldaten auf Motorrädern ein und versicherten sich, dass sie nicht auf Widerstand trafen. Svetlana Beljaeva, die Tochter des Schriftstellers Aleksandr R. Beljaev, schildert, wie sie mit ihrer Familie in einem Deckungsgraben wartete, bis deutsche Soldaten auftauchten. Diese suchten nach russischen Soldaten, und als sie keine fanden, schickten sie die Leute in ihre Häuser zurück.41 Osipova berichtet unter dem 19. September von einer Szene, welche die Unsicherheit auf beiden Seiten erkennen lässt: Vollbracht. Die Deutschen sind gekommen! Zuerst konnte man es kaum glauben. Wir krabbelten aus unseren Gräben und sehen  – da kommen zwei echte deutsche Soldaten. Alle stürzten sich auf sie. Der eine hat ein angeknackstes Ei in der Hand und hat große Angst, es ganz und gar zu zerbrechen. Trägt es auf der Handfläche. Die Weiber verschwanden sofort im Graben und brachten den Deutschen Bonbons, Zuckerstücke und weißen Zwieback. Alle ihre Schätze, welche zu essen, sie sich nicht hatten entschließen können. Aber den Soldaten brachten sie sie. Die Deutschen waren offenbar sehr verwirrt. Aber Aggression haben sie keine gezeigt. Fragten, wo man sich waschen kann. Wir führten sie zu unserm Teich. [...] Die Deutschen verstanden an der Intonation und der Mimik, dass wir nichts gegen sie haben und wurden etwas zutraulicher. Lachten zu laut über einen Witz. Als wir vom Teich kamen, zeigte ich auf die Glassplitter, die den Hof bedeckten und sagte: das ist Eure Arbeit. Sie lachten länger als der Witz es verdiente. Es entlud sich irgendeine Anspannung. Warum haben sie Angst vor uns? Einen kriegerischen Eindruck haben diese Deutschen nicht gemacht.42

Die Fotografien, die SS-Bildberichterstatter unmittelbar nach dem Einmarsch machten, bestätigen die geschilderte Stimmung: Ratlosigkeit vermischt mit Neugier auf beiden Seiten, junge Soldaten im Gespräch mit älteren Bürgern. Die Situation änderte sich innerhalb der nächsten Tage. Auch Osipova erkannte bald, dass die Deutschen nicht als Befreier, sondern als Eroberer gekommen waren. Schnell etablierte sich ein Besatzungsregime mit strengen Verhaltensregeln für die Zivilbevölkerung. Alle Bewohner mussten sich registrieren lassen und wurden nach Alter, Geschlecht, nationaler Zugehörigkeit und Arbeitsfähigkeit in unterschiedliche Kategorien eingeteilt. Systematisch durchsuchten Soldaten den Ort nach Menschen, die jüdischer Herkunft oder irgendwie verdächtig waren. Nach Aussage mancher Zeitzeugen wurden sie auf dem Platz vor dem 41 Vgl. Svetlana Beljaeva, Vospominanija ob otce, St. Petersburg 2009. 42 Budnickij 2012, S. 82.

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Abb. 32  Der SS-Bildberichterstatter Raudis hielt im September 1941 fest, wie zwei Männer gehängt werden.

Katharinenpalast erschossen, andere berichten von Erschießungen im Park oder Hinrichtungen am Galgen.43 Die Vorgänge sind kaum dokumentiert. In den überlieferten deutschen Militärakten und auf Fotografien finden sich Hinweise, aber rekonstruieren lassen sich die Verbrechen an der Zivilbevölkerung nicht. Schätzungen des Historikers Vladimir Cypin zufolge sollen zwischen 250 und 800 Juden ermordet worden sein. Die Zahlen der sowjetischen Außerordentlichen Kommission, welche die durch die deutschen Eroberer begangenen Verbrechen seit 1942 dokumentierte, scheinen überhöht.44 Sie bezifferte die Opfer unter der Zivilbevölkerung für die gesamte Kriegszeit mit 285 Toten bei Luftangriffen, 9.514 Hungertoten, 6.267 Erschossenen, 1.105 Toten durch Erhängen und 1.214 Menschen, die an Auszehrung starben, also insge43 Vgl. Vladimir Cypin, Cholokost v Puškine, http://tsarselo.ru/yenciklopedija-carskogo-sela/velikaja-otechestvennajavoina-i-okkupacija-pushkina/holokost-v-pushkine.html#.WU-jR-lCQ2w [1.5.2018]. 44 Die Außerordentliche Staatliche Kommission war eine Untersuchungskommission für die Verbrechen der deutschen Eroberer und ihrer Verbündeten. Sie wurde am 2. November 1942 durch Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets gegründet.

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samt 18.368 Toten.45 In den namentlichen Opferlisten, die in denselben Akten zu finden sind, beläuft sich die Zahl der Gehängten jedoch auf knapp über 40. Die Angaben klaffen also weit auseinander, und es fehlen Quellen, um die Differenz zu erklären. Aber auch ohne Kenntnis der genauen Opferzahlen lässt sich sagen, dass der Zivilbevölkerung nach dem deutschen Einmarsch eine grauenhafte Zeit bevorstand und die Gesamtzahl der zivilen Opfer mit großer Wahrscheinlichkeit über 10.000 lag. Der Großteil der in Puškin verbliebenen Einwohner starb im Winter 1941/42 an Hunger und Auszehrung. Bereits in den ersten Tagen der Besatzung stellte sich für die Kommandeure der SS-Polizei-Division und des L. Armeekorps die Frage, was mit der Zivilbevölkerung geschehen sollte. Schon am 26. September meldete der in Puškin stationierte Quartiermeister, dass „Gesundheitszustand und Verpflegungsverhältnisse der Zivilbevölkerung in Puschkin untragbar“ seien. Er beantragte die Evakuierung, die zunächst aber nicht durchgeführt wurde, weil nach Meinung der Kommandeure „der Feind bei der Beschießung von Puschkin Rücksicht auf die Zivilbevölkerung walten läßt. Bei einer Räumung würde das Art.-Feuer sich entschieden verstärken.“46 Um eine moderne Formulierung zu verwenden: Die Militärs wollten die Zivilbevölkerung als Schutzschild nutzen. Am 2. Oktober mussten sich alle Jungen und Männer im Alter zwischen 15 und 55 Jahren auf dem Schlossplatz einfinden. Sie wurden in ein Durchgangslager (Dulag 154) nach Krasnogvardejsk abtransportiert.47 Da dieses bereits hoffnungslos überfüllt war, versuchten die zuständigen militärischen Stellen, die Gefangenen in das rückwärtige Heeresgebiet abzuschieben, aber auch dort füllten sich die Lager und die Versorgungs- und Unterkunftssituation war katastrophal. Bis Anfang November sollte das Frontgebiet geräumt werden, daher mussten noch mehr Einwohner Puškin in Richtung Krasnogvardejsk verlassen, insgesamt etwa 5.000 Menschen, teilweise bei Schnee und Temperaturen bis zu minus 13 Grad.48 Die meisten erwarteten Lagerhaft und Zwangsarbeit, viele starben an Hunger und Krankheiten.49 Eine Notiz unter dem 14. Oktober im Kriegstagebuch des Quartiermeisters der SS-Polizei-Division zeigt, dass teilweise Widerstand geleistet wurde: „Beginn der Evakuierung der Bevölkerung aus Puschkin. Da sich die Evakuierung nicht ohne Zwang durchführen läßt, werden von zu evakuierenden Personen aus Sabotage vier Häuser abgebrannt.“50 Ein Teil der Stadt wurde bald nach der Besatzung zur Sicherheitszone erklärt. Die dortigen Bewohner durften nicht in ihre Häuser zurückkehren und verloren damit ihre wenigen Habseligkeiten. Osipova notierte am 5. Oktober:

45 CGA StP, f. 8557, d. 1100, l. 89. 46 BArch – Militärarchiv, RH 20-18/1632. 47 Dazu auch die Erinnerungen eines Lehrers aus Puškin: Konstantin Šatrov, Mobilizovanyj sovesť, St. Petersburg 2017. Mehr zu den Lagern in Kap. III. 5: Krasnogvardejsk. 48 BArch – Militärarchiv, RS 3–4/16. 49 Vgl. Cypin 2010, S. 59–63. 50 BArch – Militärarchiv, RS 3–4/16, Bl. 18.

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Abb. 33  Nach der Einnahme Puškins fand die Registrierung der Zivilbevölkerung statt. Die Männer wurden nach Gatčina ins Dulag 154 abgeführt.

Abb. 34  Die Anweisung, alle in der Stadt verbliebenen Einwohner aus dem Frontgebiet zu evakuieren, wurde nicht konsequent umgesetzt – nicht zuletzt wegen organisatorischer Probleme.

„Die deutsche Idylle ist vorbei. Es beginnt die Tragödie des Krieges. Gestern haben die Deutschen gegenüber der Apotheke zwei Männer und ein Mädchen gehängt. Gehängt für Plünderung. Sie sind in das verbotene Territorium zwischen den deutschen und russischen Schützengräben gegangen und haben leere Häuser geplündert.“51

Viele versuchten, den Ort irgendwie zu verlassen. Diejenigen, die blieben, saßen in ihren Häusern unter ständigem Beschuss von beiden Seiten. Die Strom- und Wasserversorgung war zusammengebrochen, es gab fast keine Lebensmittel mehr.

51 Budnickij 2012, S. 84.

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Erste Abtransporte: Der Abbau des Bernsteinzimmers Bis September warteten alle Kommandos, die mit der „Sicherung“ von Kunst- und Kulturgut, Archiven, Bibliotheken, Karten und sippenkundlichem Material beauftragt waren52, auf die Einnahme Leningrads, die Mitarbeiter des ERR in Riga und Reval sogar bis November. Von Pskov aus agierte der militärische Kunstschutzbeauftragte Graf zu Solms-Laubach. Ein Vorkommando des Sonderkommandos Künsberg hatte seit Ende September unter Führung Jürgen von Hehns am Vormarsch auf Leningrad teilgenommen und sein Quartier beim Stab der 18. Armee in Siverskij eingerichtet. Dieser motorisierten Gruppe gelang es offenbar als erster, die ehemaligen Zarenschlösser zu besuchen. In seinen späteren Erinnerungen schwärmte Hehn von den Schlössern und bestätigte, dass man sie gut erhalten vorgefunden habe: Kaum eine andere Hauptstadt der Welt ist von einem so dichten Kranz schönster und prächtigster Vororte umgeben wie die ehemalige Kaiserstadt Petersburg. Neben dem Glanz und der Pracht von Zarskoe Selo, von den Roten in Puschkin umbenannt, und Peterhof verblassen Sanssouci und Potsdam und wohl auch Versailles. [...] Manches mag während des ersten Weltkriegs und im russischen Bürgerkrieg zerstört worden sein, aber die Sowjets haben es sich angelegen sein lassen, möglichst die alte Pracht und Herrlichkeit zu erhalten. [...] Jedenfalls fanden wir Deutsche, als wir im September 1941 die Vororte Leningrads erreichten, noch vielfach die alte Herrlichkeit unversehrt vor. Lediglich von der kostbaren Innenausstattung der Schlösser hatten die abziehenden Sowjets die wertvollsten Stücke evakuiert.53

Hehn teilte seine Eindrücke offenbar Künsberg mit, woraufhin dieser am 6. Oktober an Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop schrieb: Am 28. und 29.9. Schlösser von Djetskoje Selo früher Zarskoje Selo durchsucht. Gebäude meist geräumt, doch fand sich interessantes historisches Kartenmaterial. Im AlexanderSchloss gute Bibliothek des letzten Zaren fast völlig erhalten. Erbitte Weisung, ob wertvolles Büchermaterial sicherzustellen, da Schloss dicht hinter Front und im Artilleriebereich liegt. Es besteht Gefahr, dass Bibliothek in wenigen Tagen zerstört [ist].54

Die Erlaubnis wurde erteilt; im Lauf des Oktobers wurde die etwa 10.000 Bände umfassende Bibliothek nach Siverskij, von dort nach Reval und später nach Berlin abtransportiert.55 52 Für eine zusammenfassende Darstellung der Abtransporte von Kunstwerken, rekonstruiert auf der Grundlage der deutschen Quellen siehe Corinna Kuhr-Korolev, Poteri kuľturnych cennostej carskoseľskich dvorcov v gody Vtoroj mirovoj vojny. Chronologija na osnove nemecich dokumentov, in: Bott 2015, S. 121–145. 53 Jürgen von Hehn, Aus meinem Leben. Erinnerungen und Betrachtungen, Selbstverlag 1946/49, unver. Manuskript, Privatarchiv Paul von Hehn, S. 173 f. 54 PA – AA 27557, o. Fol. 55 Vgl. Patricia Kennedy Grimsted, Ot Jantarnoj komnaty k knigam iz russkich imperatorskich dvorcov: identifikacija i rekonstrucija peremeščenych kuľtur’ych cennostej, http://www.lostart.ru/ru/studys/?ELEMENT_ID=1110 [1.5.2018].

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Einen repräsentativen Ausschnitt präsentierte Künsberg im März 1942 einem ausgewählten Publikum in einer Ausstellung. In dem 22-seitigen Ausstellungsführer56 sind unter anderem Bücher aus den Bibliotheken des Katharinen- und des Alexanderpalasts verzeichnet. In den ersten Tagen nach der Einnahme kam im Auftrag des Chefs der Heeresmuseen auch der Kunsthistoriker Georg Poensgen nach Puškin. In seinen Erinnerungen berichtete er, er habe den Befehl erhalten, sich „beim Oberkommando der vor Leningrad liegenden Armee zu melden, um diesem nach der vermutlich baldigen Einnahme der einstigen russischen Hauptstadt für Kunstschutzfragen zur Verfügung zu stehen.“57 Unterkunft nahm er in Schloss Gatčina. Die Eindrücke von den Zerstörungen in Puškin schildert er mit großer Betroffenheit: Dieses Schloss der Zarin Katharina II. hatte zeitweise in der Frontlinie gelegen und wurde auch jetzt noch in Abständen von schwerer Artillerie beschossen, da die Beobachtungsstelle einer SS-Einheit dort untergebracht war. Die Außenmauern standen noch, so daß sich bei der Anfahrt durch den herrlichen Park zunächst ein fast friedlicher Eindruck bot. Kam man dann aber näher heran, sah, daß keine einzige Fenster- oder Glastürscheibe mehr intakt war, daß im Inneren große Schutthaufen unter klaffenden Löchern in den Decken trostlose Verwüstungen offenbarten, daß Kunstwerke aller Art, wie wertloses Gerümpel behandelt, auf Treppenstufen, auf jenen Schutthaufen, auf zerbrochenen, zerfetzten Möbelstücken oder gar in Binnenhöfen unter freiem Himmel umherlagen, dann konnte man den Glauben an den Wert alles Schönen vollends verlieren.58

Als Mitarbeiter der staatlichen Schlösserverwaltung in Berlin kannte sich Poensgen sehr gut mit der Art von Kunstschätzen aus, die sich in den Zarenschlössern befanden, vor allem mit der Malerei des 18. Jahrhunderts. Um die Geschichte des ursprünglich für Schloss Charlottenburg bestimmten Bernsteinzimmers, das der preußische König Friedrich Wilhelm I. 1720 Zar Peter dem Großen geschenkt hatte, wusste er zweifelsohne. Es handelte sich um Wandverkleidungen aus Holzpaneelen, auf denen Ornamente aus Bernstein aufgebracht waren. Ihr Entwurf wird dem preußischen Hofarchitekten Andreas Schlüter oder seinem Konkurrenten Johann F. Eosander von Göthe zugeschrieben. In Russland wurden die Paneele zunächst nicht verwendet, dann aber auf Wunsch von Zarin Elisabeth als Wandverkleidung in einem der Prunksäle des Katharinenpalasts eingebaut. Da die Paneele die Wände nicht ganz ausfüllten, fügte man zusätzlich Spiegelpilaster und vergoldete Holzschnitzereien im Stil des Barock ein. Unter Zarin Katharina II. kamen aus Bernstein geschnitzte Sockel und vier florentinische Steinmosaike hinzu. In dieser Ausgestaltung bildete das Kabinett seit 1770 einen festen Bestandteil der prunkvollen Innenausstattung des

56 Hartung 1997, S. 95–110. 57 Poensgen o. J., S. 52. 58 Poensgen o. J., S. 52.

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Katharinenpalasts. Auch eine wertvolle Sammlung handwerklicher Stücke aus Bernstein hatte hier ihren Platz.59 Das Bernsteinkabinett stand auf der Liste derjenigen Kunstschätze, die als „Werke deutscher Herkunft“ ins Reichsgebiet zurückgebracht werden sollten.60 Die Annahme scheint daher berechtigt, dass mit Poensgens Abkommandierung der Befehl verbunden war, an der sogenannten Sicherung des Bernsteinzimmers teilzunehmen. Der erste Eindruck war offenbar erschütternd: Jetzt war es in dem fensterlos gewordenen Raume jeglichen Witterungsschäden ausgesetzt. Verschiedene Bernsteinstücke und Mosaikmedaillons waren bereits aus den Wandungen herausgebrochen oder lagen zertrümmert auf dem Fußboden umher. Hier mußte schleunigst eingegriffen werden, wenn überhaupt Kunstschutz noch einen Sinn haben sollte. Jeder neue Tag konnte weitere Verluste durch mutwillige Zerstörungen, Diebstähle oder Einschüsse herbeiführen. Ich erstattete dementsprechende Meldung und erhielt Befehl, die kostbare, aus mehreren Tafeln zusammengesetzte Wandverkleidung mit Hilfe einer Baukompanie unverzüglich abmontieren und in Sicherheit bringen zu lassen.61

Die Beschreibung bezieht sich auf den Zustand zwischen Anfang und Mitte Oktober. Auf unmittelbare Kriegseinwirkungen ließen sich die geschilderten Zerstörungen nicht zurückführen, denn bei der Eroberung war nur der große Saal in der Mitte des Schlosses durch Artilleriebeschuss schwer getroffen worden. Und die Fenster in der Beletage, auch die des Bernsteinzimmers, waren mit Holzbrettern vernagelt worden und daher nicht wie viele andere unter dem Dauerbeschuss geborsten. Die Zerstörungen müssen also kurz nach der Einnahme durch die deutschen Truppen erfolgt sein. Mit dem Hinweis auf „weitere Diebstähle und mutwillige Zerstörungen“ beschrieb Poensgen die Vorgänge unzweideutig. Nach dem Krieg wurde immer wieder gefragt, warum das Bernsteinzimmer nicht evakuiert worden war. Wie Lemus sich erinnerte, war eine Einnahme des Schlosses zunächst gar nicht in Betracht gezogen worden, weshalb man vor allem Brandschutzmaßnahmen traf: Die Decken des großen Saals und der Kirche wurden mit Superphosphat bestrichen, die Teppiche falsch herum auf das Parkett gelegt und mit Sand bestreut, überall Wassereimer und Gefäße mit Sand aufgestellt. Als der Beschuss zunahm, gelang es noch, die Hälfte der Palastfenster zu vernageln. Die Paneele aus Bernstein wurden zum Schutz mit Seidenpapier beklebt.62 In einem viele Jahre später verfassten Buch betonte Kučumov hingegen, 59 Zur künstlerischen Gestaltung des Bernsteinzimmers Ivan P. Sautov, Das Bernsteinzimmer. Drei Jahrhunderte Geschichte, St. Petersburg 2003; M.G. Voronov/A. M. Kučumov, Jantarnaja komnata. Šedevry dekorativnoprikladnogo iskusstva iz jantarja v sobranii Ekaterinskogo Dvorca-Muzeja, Leningrad 1989. 60 Siehe dazu Kap. II.1: „Deutsche“ Kunst im Ausland. 61 Poensgen o. J., S. 53. 62 Lemus 2010, S. 236.

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Abb. 35  Bei den Kämpfen um Puškin traf eine Bombe den Katharinenpalast und zerstörte die Decke des gro­ßen Thronsaals schwer (Aufnahme vom September 1941).

eine Evakuierung sei durchaus vorgesehen gewesen, Versuche, die Paneele abzunehmen, hätten jedoch gezeigt, dass die auf Holz aufgebrachten Bernsteine abfielen. Um allzu große Schäden zu vermeiden, habe man daraufhin gemeinsam mit Vertretern des Leningrader Stadtsowjets den Entschluss gefasst, das Bernsteinzimmer an Ort und Stelle zu belassen. Zum Schutz seien die Paneele mit Mullstoff und Wattebezügen bedeckt und die Fenster doppelt vernagelt worden.63 In Kučumovs früher publizierten Erinnerungen tauchte diese Schilderung nicht auf, hatte er Puškin doch wenige Tage nach dem deutschen Überfall mit dem ersten Evakuierungstransport verlassen. Er berichtet hier also aus zweiter Hand und wollte sich vermutlich rechtfertigen, denn als Verantwortlicher für die Evakuierung konnte ihm der Verlust angelastet werden. Das Kriegstagebuch des L. Armeekorps vermerkt unter dem 1. Oktober, Poensgen und Solms seien vom Oberkommando der 18. Armee, General von Küchler, „mit der Sicherstellung von Kunstgegenständen im Befehlsbereich“ beauftragt worden.64 Über die genauen Umstände, den Ablauf des Einsatzes und die Zusammenarbeit der beiden Kunsthistoriker ist nichts bekannt. Poensgen erwähnt Solms in seinem Bericht an keiner Stelle, Solms äußerte in einer Nachkriegsaussage vage, seiner Erinnerung nach sei Poensgen am Abbau des Bernsteinzimmers nicht beteiligt gewesen.65 Da sie sich während des Krieges in ihrer Funktion als Sammeloffiziere im Dienst des Chefs der Heeresmuseen trafen66, war ihnen nach dem Krieg sicherlich klar, dass sie als Mitverantwortliche für den NS-Kunstraub auf dem Gebiet der Sowjetunion galten, und sie vermieden es, sich gegenseitig zu belasten. 63 Voronov/Kučumov 1989, S. 161. 64 BArch – Militärarchiv, RH 24-50, Bd, 163, Bl. 8. 65 Staatsarchiv Nürnberg, KV-Prozesse, Fall 12, v. Küchler, Dokument Nr. 62, Eidesstattliche Erklärung von Erbgraf zu Solms-Laubach vom 6.4.1948. 66 Beide tauchen beispielsweise auf der Teilnehmerliste einer Besprechung beim Chef der Heeresmuseen (22.–24.2.1944) in Wien auf. NARA M1946, Roll 0132.

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Unter dem 4. Oktober ist im Kriegstagebuch der 18. Armee zu lesen, Solms habe ein Arbeitskommando erhalten, um „die Räumung des Schlosses Djetskoje-Selo durchzuführen“.67 Der Abbau des Bernsteinzimmers und der Abtransport wertvoller Gemälde und Möbel nach Krasnogvardejsk fand laut Kriegstagebuch des L. Armeekommandos in den folgenden Tagen statt: „Krasnogvardejsk. Abtransport der durch die Kunstsachverständigen, Rittmeister Dr. Graf Solms und Hptm. Dr. Pönsgen, in Gatschina und Puskin sichergestellten Kunstgegenstände, u. a. der Wandbekleidungen des Bernsteinsaals aus Schloß Puskin (Zarskoje-Selo) nach Königsberg.“68 Weitere Berichte, die Solms für übergeordnete Stellen zweifellos anfertigen musste, sind nicht erhalten, ebenso fehlen Inventarisierungslisten oder Fotografien. Über die Menge der damals abtransportierten Kunstgüter gibt es von Solms nur vage Aussagen. In einem Brief an den Verbindungsmann des Außenministeriums, Legationsrat Reinhold von Ungern-Sternberg, sprach er von fünf Waggons, in denen sich neben den Paneelen des Bernsteinzimmers auch Möbel und 300 Bilder aus den Schlössern von Puškin und Gatčina befunden hätten.69 In einem Augenzeugenbericht, den Solms mit großem zeitlichen Abstand in der Nachkriegszeit verfasst hat, lassen sich zwar einige Unstimmigkeiten feststellen, aber die Umstände und der konkrete Abbau des Bernsteinzimmers finden sich hier gut beschrieben.70 Solms berichtet, dass das Zimmer „das Ziel der Neugier vieler Offiziere“ gewesen sei, „wobei höhere Offiziere, besonders Generäle, mit ihrem spitzen Dolch sich gern Bernsteinstücke aus den kostbar eingelegten und geschnitzten Vertäfelungen als Erinnerungsstücke absprengten“.71 Zum Schutz vor Beschädigungen und Diebstählen habe er „Posten unter Gewehr“ aufstellen lassen. Zum Abbau forderte Solms eine Pioniergruppe an, deren Arbeit er folgendermaßen beschreibt: „Die einzelnen hohen Wandfelder wurden aus ihrem Verbande gelöst, flach hingelegt, beklebt und mit dicken Teppichstücken bedeckt, die sie gegen jeden Stoß schützen sollten. Dann wurden die Teile in Gardinenstoffe gewickelt und verschnürt in Lattengestelle verpackt.“72 In vier flachen langen Kisten seien die Paneele nach Königsberg gelangt. Aus dem Abtransport des Bernsteinzimmers wurde kein Geheimnis gemacht, die deutsche Presse berichtete vielmehr mit Stolz von seiner Rückkehr auf das Reichsgebiet. Im März 1942 hieß es in der Soldatenzeitung „Die Front“, das Bernsteinzimmer sei in seine „eigentliche Heimat 67 BArch – Militärarchiv, RH 20-18/1204, o. Fol. Mit den Abbauarbeiten wurde die 3. Kompanie des Nachschubbataillons 553 beauftragt. Das geht aus einem Schreiben Rohdes an Major i. G. Pitschmann, Quartiermeisterabteilung der 18. Armee, hervor, in dem er Solms um die Nachsendung zweier vergessener Türen aus dem Bernsteinzimmer bat. Vgl. BArch – Militärarchiv, RH 20-18/1289, Bl. 1087. 68 Eintragung vom 14.10.1941. BArch – Militärarchiv, RH 24-50, Bd, 163, o. Fol. 69 PA – AA, R 60769, o. Fol. Interessanterweise erwähnt Krusenstjern, Solms habe Kunstgegenstände auch nach Reval gebracht. Dieser Hinweis findet sich in verschiedenen Quellen, doch gibt es keine Angaben, um welche Gegenstände es ging und wo sie untergebracht wurden. 70 Dr. Ernstotto Graf zu Solms-Laubach, Augenzeugenbericht, in Absprache mit Prof. Dr. Poensgen, Das Bernsteinzimmer, o. O., o. J., Privatarchiv Friedrich Ernst Graf zu Solms-Laubach. 71 Solms-Laubach o. J., S. 4. 72 Solms-Laubach o. J., S. 4

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zurückgekehrt73. Die anderen nach Königsberg verfrachteten Möbel und Gemälde fanden keine Erwähnung. Der Abtransport lag zweifelsfrei in der Verantwortung der Wehrmacht, denn den Befehl an Solms erteilte der Oberkommandierende der 18. Armee. Ob Küchler seinerseits auf eine Weisung höherer Stellen reagierte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Unzutreffend ist jedenfalls die in der Fachliteratur oft wiederholte Feststellung, der ERR habe das Bernsteinzimmer abtransportiert: Dessen Mitarbeiter befanden sich zum damaligen Zeitpunkt gar nicht im Frontgebiet und hatten zudem weder die Befugnis noch die Möglichkeit, die Maßnahme durchzuführen. Während Solms als „Konservator“ weiter im Einsatz blieb, ließ sich Poensgen auf eigenen Wunsch nach Berlin zurückversetzen.

„Fronttourismus“ und Lagebeschreibungen des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg Während Poensgen für das Kriegsgeschehen wenig übrig zu haben schien, fanden andere Fachleute, die mit einem Sonderauftrag an die Leningrader Front kamen, daran durchaus Gefallen. Sichtbar wird dies beispielsweise an den Fotografien des in der Vor- und Nachkriegszeit in Deutschland bekannten Fotografen Hanns Hubmann.74 Er war kein gewöhnlicher Bildberichterstatter, der als Mitglied einer Propagandaabteilung den Vormarsch begleitete, sondern unterstand als Fotoreporter der ausschließlich außerhalb Deutschlands zu Propagandazwecken vertriebenen Zeitschrift „Signal“75. So gelangte er mit dem Flugzeug an diejenigen Frontabschnitte, denen jeweils besondere Aufmerksamkeit galt. Ende September 1941 besuchte er die Vorortschlösser und fotografierte sie teilweise sogar in Farbe. Ein Geist von Fronttourismus ist auch in Reiseberichten vom November 1941 zu spüren, die Mitglieder des ERR verfassten. Zwei Gruppen, die eine aus Riga, die andere aus Reval, 73 Vgl. BArch – Militärarchiv, RHD 53/54, „Die Front“ vom 20.3.1941, Nr. 319, S. 3; ebenso in „Deutsche Zeitung im Ostland“, 28.5.1942. 74 Hanns Hubmann (1910–1996) fotografierte schon als Student für die „Münchner Illustrierte Presse“, seit 1935 für die „Berliner Illustrirte Zeitung“. Vor dem Krieg sammelte er kurz Erfahrungen als Fotoreporter für die amerikanische „Life“. Während des Krieges arbeitete er für „Signal“. Schon im August 1945 konnte er bei der USZeitschrift „Stars and Stripes“ mitarbeiten, 1948 wurde er Mitgründer der Illustrierten „Quick“. Vgl. Hanns Hubmann, Augenzeuge: 1933–1945, München 1980. Sein fotografischer Nachlass befindet sich im Bildarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. 75 Die Zeitschrift „Signal“ orientierte sich in der hochwertigen Aufmachung an „Life“ und gehörte als Sonderausgabe zur „Berliner Illustrirten Zeitung“. Sie wurde zwischen 1940 und 1945 in 25 Sprachen herausgegeben und erreichte 1943 eine Auflage von 2,4 Millionen Exemplaren. Als Instrument der Auslandspropaganda der Wehrmacht hatte sie die Aufgabe, eine neue Ordnung in Europa unter deutscher Führung zu propagieren. Die Gestaltung war ansprechend, es gab viele großformatige Farbfotografien, viele führende deutsche Journalisten und Bildjournalisten arbeiteten mit. Die NS-Rassenideologie wurde eher zurückhaltend thematisiert, stattdessen wurde das Bild eines modernen Deutschlands gezeigt, unter dessen Führung Europa in eine neue Zukunft gehen könne. Vgl. Rainer Rutz, Signal. Eine deutsche Auslandsillustrierte als Propagandainstrument im Zweiten Weltkrieg. Essen 2007. Weiterführende Materialien unter http://www.signalmagazine.com/signal.htm [1.5.2018].

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machten sich parallel auf den Weg in die Region Leningrad. Von Reval aus fuhren die Sippenforscher Georg von Krusenstjern und Helmut Speer sowie der Kunsthistoriker Karl-Heinz Esser in Richtung Gatčina, von Riga aus traten die Bibliothekswissenschaftler Gerhard Wunder und der Publizist Günther Stöve mit Dolmetscher und Fahrer die Reise an. Am 23. November trafen sie sich in der Unterkunft der Künsberg-Mitarbeiter in Siverskij. Da Jürgen von Hehn, der Leiter des Künsberg-Vorkommandos, ebenfalls mit der Sichtung von Archivmaterialien beauftragt war und Krusenstjern persönlich gut kannte, lagen Austausch und Zusammenarbeit nahe. Die offiziellen und die persönlichen Reiseberichte vom Spätherbst 1941 stellen die detailliertesten und aufschlussreichsten Zeugnisse darüber dar, in welchem Zustand sich die Schlösser zu Beginn der deutschen Besatzung befanden. Sie geben daneben Einblicke in die Situation der ZivilbevölkeAbb. 36  Der PK-Fotograf Hanns Hubmann unternahm im Herbst 1941 eine Rundreise an die Front um Leningrad. rung und schildern die Zerstörungen, eher In Carskoe Selo posierte er mit einem Beutehut vor dem beiläufig liefern sie auch ein Bild von der Katharinenpalast. Stimmung, der politischen Einstellung und den Ambitionen ihrer Verfasser.76 Besonders ausführlich sind die tagebuchartigen Aufzeichnungen Krusenstjerns. Über seinen ersten Eindruck vom Katharinenpalast berichtete er: Wir gehen durch endlose wunderbare Prunkgemächer, die Potsdam weit in den Schatten stellen. Auch von hier haben die Sowjets Möbel, Bilder und Kunstschätze evakuiert, dann hat Graf Solms waggonweise nach Reval und ins Reich geschafft und den Rest haben die hiesigen Militärstellen sich wegorganisiert. Die herrlichen Räume sind jetzt ziemlich leer, jedoch in ihrer Aufmachung nicht so geplündert und lediert wie in Gatschina. In mehreren in

76 Berichte über die Zarenschlösser liegen teilweise doppelt vor und finden sich u. a. in folgenden Akten: CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 122, ll. 125–157; d. 148, ll. 1–5; d. 149, ll. 263–284. Neben den Berichten fertigten die Mitarbeiter des ERR bei dieser Reise eine Sammlung von Karteikarten an, auf denen sie knapp den Zustand einzelner Gebäude und Sammlungen vermerkten. Die Kartothek befindet sich im sogenannten Moskauer Sonderarchiv im Russischen Staatlichen Militärarchiv Fond 1401. Veröffentlicht: M. A. Bojcov/T. A. Vasiľeva (Hrsg.), Kartoteka Z Operativnogo štaba „Rejchslejter Rozenberg“: Cennosti kuľtury na okkupirovannych territorijach Rossii, Ukrainy i Belorussii, 1941–1942, Moskau 1998.

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einem Flügel gelegenen Zimmern des Erdgeschosses sind noch zahlreiche kostbare Möbel, Säulen, Leuchter, Truhen, Gobbelins [sic!], Bilder und kleinere Gebrauchsgegenstände zusammengetragen worden, sowie auch Bücher aus der kaiserlichen Bibliothek.77

Krusenstjern bestätigt also im Wesentlichen Poensgens Schilderungen. Unumwunden erwähnt er, dass militärische Einheiten viel entnommen hatten. Es ist keineswegs erstaunlich, dass in der Kriegssituation Einrichtungsgegenstände für Offiziersunterkünfte genutzt und einzelne Objekte trotz Plünderungsverbots als Andenken mitgenommen wurden. In offiziellen Berichten hieß es meist neutral, Dinge seien verschleppt worden, in propagandistischen Zeitungsartikeln wurden die Zerstörung und der Verlust von Kulturgütern dagegen den Bolschewiken angelastet.78 Als die ERR-Mitarbeiter Puškin besuchten, war der Katharinenpalast von einer SD-Einheit, einer Artillerieabteilung der SS-Polizei-Division und zwei Truppenverbandplätzen (Sanitätseinheiten) belegt. Der Leiter der SD-Einheit, SS-Hauptsturmführer Pechau79, fungierte als Hausherr. Er begrüßte die Besucher und ließ sie durch das Schloss führen. Aus den Berichten geht hervor, dass der SD für die Verwahrung der verbliebenen Kunstgegenstände zuständig war; von außen hatten andere zu diesem Zeitpunkt kaum Zugriffsmöglichkeiten. Im Auftrag des SD kümmerte sich der oben erwähnte Architekt Ivan Jermošin um die Sicherheit der Objekte. Jermošin, der seinen Posten als Kustos behalten hatte, besaß offenbar Schlüssel zu den Räumen und war für den Zustand der Gebäude verantwortlich.80 Krusen­ stjern schildert ihn mit Anteilnahme: „Er selbst hat im Auftrage der Sowjets die Evakuation und Sicherung sowie das Vergraben eines Teils der Kunstschätze geleitet. Er ist tief erschüttert über die heute herrschenden Zustände und kämpft mit bescheidenen Mitteln einen erbitterten Kampf gegen die Pietätlosigkeit unserer Soldateska.“81 Auch Gerhard Wunders Bericht legt nahe, dass Jermošin versuchte, weitere Plünderungen zu verhindern und das Wenige, das noch zu retten war, in Sicherheit zu bringen: Die restlichen Bücher, unter denen sich noch sehr schöne bibliophile und historische Werke des 18. Jahrhunderts befinden, wurden durch Jermoschin in die Räume des sogenannten 77 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 122, l. 143. 78 BArch  – Militärarchiv, RHD 53/54, „Die Front“ vom 14./15. Oktober 1941, Nr. 180, „Entschwundene Pracht. Zarskoe Selo stirbt“, S. 4 f. 79 Diese Einheiten nennt Gerhard Wunder übereinstimmend mit Krusenstjern in seinem Bericht vom 3.12.1941, CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 148, l. 1. Pechau wird nur mit Nachnamen genannt, doch handelt es sich höchstwahrscheinlich um den Germanisten Manfred Pechau, geb. 1909 in Halle a. d. S., der zu diesem Zeitpunkt aus dem RSHA abkommandiert und für die Einsatzgruppe A im Einsatz war. 1942 war er in Weißrussland an einer Vergeltungsaktion gegen Partisanen beteiligt. Vgl. Gerd Simon, NS-Sprache aus der Innensicht. Der Linguist Manfred Pechau und die Rolle seines SS-Sonderkommandos bei dem Massenmord in den Sümpfen Weißrusslands, online unter http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/pechau.pdf [1.5.2018]. 80 Vgl. Vsevolod V. Abramov, Jermošin, unver. Manuskript, St. Petersburg 2008 (Archiv des GMZ Carskoe Selo), S. 2 f. 81 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 122, l. 143.

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Abb. 37  Die Enfiladen des Katharinenpalasts waren nach der Einnahme zunächst nur wenig beschädigt. Das Inventar hatten die Museums­ mitarbeiter im unteren Stockwerk eingelagert.

Abb. 38  Das im Chinesischen Saal des Katharinenpalasts eingelagerte Museumsinventar sollte vom Sicherheitsdienst (SD) unter Verschluss genommen werden.

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Puschkinmuseums im Schloss verbracht und sind dort verhältnismäßig gut aufgehoben. Ein späterer Abtransport ist zu empfehlen. Die Gemächer der Kaiserin Katharina II befinden sich noch in einem verhältnismäßig guten Zustand, baulich erhalten, teilweise sogar noch mit Wandbezügen und einzelnen Möbelstücken. Möbel und Stoffe wurden vielfach von Soldaten und Offizieren zur Einrichtung ihrer Unterstände und Quartiere entnommen; das ist das gute Recht der kämpfenden Truppe im Winter. Darüber hinaus wurden aber auch Bilder und andere Kunstgegenstände entnommen, einige davon wurden auf Jermoschins Betreiben wieder aufgefunden und zurückgebracht. So ergibt sich ein Gesamtbild von ziemlicher Zerstörung.82

An einer anderen Stelle erwähnt Wunder, dass sich der Plan der im Park vergrabenen Marmorstatuen „in den Händen des SD bzw. des Architekten Jermoschin“ befinde.83 Jermošin wurde nach Kriegsende verhaftet und wegen Kollaboration zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt; als besonders belastend galt, dass er für die Deutschen nicht nur unter Zwang gearbeitet, sondern sein Wissen über die Sicherungsorte der Kunstwerke an sie weitergegeben habe. Bis heute ist ungeklärt, ob er, wie ihm vorgeworfen wurde, die Stellen verraten hat, an denen die Skulpturen vergraben waren, und damit ihre Entwendung ermöglichte. Über Jermošins Einstellung zur deutschen Besatzungsmacht und zum Sowjetstaat lassen sich keine gesicherten Aussagen machen. In einem weiteren, internen Bericht Wunders, der ausdrücklich als „vertraulich“ gekennzeichnet ist, findet sich allerdings ein Hinweis, wonach auch Jermošin mit dem deutschen Einmarsch zunächst positive Erwartungen verbunden hatte: Jermoschin äußerte bezeichnenderweise, er habe sich anfangs über den Einzug der Deutschen gefreut, die er als traditions- und kunstverständiges Volk kenne; er war seit über 30 Jahren im Schloß, hatte durch die Roten als ehemaliger Leibgardist des Zaren viel ausgestanden und hing mit persönlicher Liebe an jedem einzelnen Kunstgegenstand. Aber die zahlreichen Vorfälle der geschilderten Art [der Plünderungen], übrigens auch die etwas eilige Entfernung der besseren Bilder und des Bernsteinkabinetts durch Graf Solms, enttäuschte ihn nachträglich doch. Die Notwendigkeiten des Krieges sah er wohl ein, nicht aber die unnötigen Akte.84

Wunder, ein überzeugter Nationalsozialist, gab in seinen Berichten eher beiläufig wichtige Hinweise, wie mit wertvollen Objekten umgegangen wurde, aus denen sich heute aber Rückschlüsse zum Verbleib vieler verlorener Objekte ziehen lassen. Auch wird eine Kategorisierung der Kunstgüter erkennbar, über die offenbar Konsens bestand. So gab es die Kategorie der sehr wertvollen Objekte, die durch Spezialisten (Kunsthistoriker, Archivare, Bibliothekare)

82 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 148, l. 2. 83 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 148, ll. 1–2. 84 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 273.

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Abb. 39  Das Aquarell des Hofmalers M. A. Ziči zeigt die Eheschließung von Zar Nikolaus II. mit Alexandra Fedorovna (1895). Es gelangte in den Besitz von General Eberhard Kinzel, 1943/1944 Generalstabschef der Heeresgruppe Nord. Das Aquarell kehrte über die Forschungsstelle Osteuropa, Bremen im Jahre 2000 nach Carskoe Selo zurück.

gekennzeichnet und durch Sicherheitskräfte, meist den SD, vor Zugriff von außen geschützt werden sollten; sie galten als Gut, das dem Deutschen Reich gehörte und – mit der Ausnahme von Mitgliedern der NS-Führungsriege – nicht von Einzelnen beansprucht werden durfte. Im Gebiet der Heeresgruppe Nord lag die Verantwortung für ihre Kennzeichnung und Sicherstellung bei der Wehrmacht, konkret bei Solms. Zur zweiten Kategorie gehörten weniger bedeutende Kunstgegenstände, Gemälde und Ikonen. Sie sollten zunächst nur gesammelt werden, ihr Abtransport galt als nachrangig. Zu dieser Kategorie gehörten offenbar die Objekte, die Jermošin zusammengetragen hatte. Objekte einer dritten Kategorie schließlich wurden der Truppe zur Verfügung gestellt, so Stoffe, Möbel und andere Einrichtungsgegenstände, die für die Soldaten nützlich waren, sowie kleinere Gegenstände wie Fotos und Ikonen, die als Andenken mitgenommen werden konnten. Hier gab es eine Grauzone zwischen der stillschweigend akzeptierten Aneignung kleiner Souvenirs und der mit Strafe belegten Plünderung. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass eine begrenzte Zahl wertvoller

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Gegenstände gezielt abtransportiert wurde, viele Möbel und Einrichtungsgegenstände dagegen eher spontan verwendet, verschlissen und verschleppt wurden und eine unüberschaubare Menge kleiner Objekte in den Besitz von Offizieren und Soldaten gelangt sein muss. Die zwei ERR-Gruppen besuchten im November 1941 nicht nur den Katharinenpalast, sondern Jermošin führte sie auch durch den Alexanderpalast, wo sich der Schilderung Krusenstjerns zufolge ein ähnliches Bild ergab: Erhalten und als Museum gezeigt, wurden während der Bolschewikenzeit die Prunkgemächer im Erdgeschoss und die Wohnzimmer des letzten Zarenpaares. Leider sind auch hier während der deutschen Besatzungszeit viele Möbel abhanden gekommen. [...] Architekt Jermoschin, der das Palais zur Zarenzeit gut gekannt hat, ist uns ein angenehmer Führer und erzählt mit Ausführlichkeit von jedem Raum und wozu er gedient hat, wo Zar und Zarin gesessen, ihre Gäste empfangen oder gearbeitet haben. [...] Nicht ohne Bitterkeit zeigt Jermoschin uns einen Riesendivan der mit einem kostbaren teppichartigen Stoff bezogen gewesen war, einem Geschenk eines Chans der Buchara, dieser kostbare Überzug war von Soldaten mit Messern heruntergeschnitten worden. Im Schlafgemach des Zarenpaares und einer kleinen Betkammer nebenan soll die Kaiserin an den Wänden über 2000 kleine Ikonen teilweise von grossem Wert gehabt haben. Bis auf einen kleinen auf einem Regal zusammengelegten Rest derselben sollen unsere Landser und Offiziere alles auseinandergeschleppt haben.85

Abtransporte im Sommer 1942 Im ersten Halbjahr 1942 wechselte die Belegung von Puškin mehrfach. Im Februar wurden die Einheiten der SS-Polizei-Division von der sogenannten Kampfgruppe Jeckeln abgelöst, einer SS-Einheit unter Führung des Höheren SS- und Polizeiführers Russland-Nord und Ostland Friedrich Jeckeln, der zuvor in der Ukraine und im Baltikum eine aktive Rolle bei den Massenmorden an Juden gespielt hatte; zur Kampfgruppe gehörte unter anderem das Reserve-Polizei-Bataillon 102, das in Hamburg zusammengestellt worden war. 86 In den Frontbereich wurden im Frühjahr/Sommer 1942 außerdem die 2. SS-Brigade und die SS-Freiwilligen-Legion Norwegen verlegt; sie gehörten zum L. Armeekorps, dessen Stab seinen Hauptsitz in Gatčina hatte und das der 18. Armee unterstand. Kurzzeitig befanden sich auch österreichische Gebirgsjäger (5. Gebirgs-Division) in Puškin. Für den Kunstschutz im gesamten Gebiet der Heeresgruppe Nord blieb Solms zuständig, der aber wegen eines schweren Unfalls zwischen Spätherbst 1941 und März/April 1942 nicht vor Ort war. Belegt ist aber die Anwesenheit des Dolmetschers und Restaurators Axel Sponholz,

85 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 122, l. 144. 86 Ein Fotoalbum eines der Angehörigen der Einheit ist online zugänglich und vermittelt einen guten Eindruck vom Zustand der Vorortschlösser im Jahr 1942: http://www.militaria-archive.com/albums3.html [1.5.2018].

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des Historikers Werner Hahlweg und des Kunsthistorikers Helmut Perseke in Pskov, dem Sitz des Kunstschutzes. Auch die Mitarbeiter des ERR zeigten sich weiterhin in der Region. Im Februar besuchten Karl-Heinz Esser und Gerhard Stöve nochmals die Schlösser und verfassten anschließend einen Bericht, demzufolge sich seit dem letzten Besuch im November wenig geändert hatte. Im Katharinenpalast suchten sie vier Bilder von Hubert Robert, einem französischen Maler des 18. Jahrhunderts, von denen Esser gehört hatte. Die großformatigen, zum Teil bereits zerstörten Gemälde, hingen noch im Treppenaufgang.87 Aufgrund ihrer Größe konnten Esser und Stöve sie nicht, wie ursprünglich geplant, nach Gatčina abtransportieren und baten den SD, die Bilder unter Verschluss zu nehmen. Reste der Schlossbibliothek verblieben ebenfalls in den Händen des SD.88 Im Frühjahr bekam der ERR vom Stab der Heeresgruppe die Erlaubnis, in Puškin ein Vorkommando einzurichten. Von Riga und Reval aus unterstützte Wunder das Kommando, das Stöve übernahm. Wunder hielt auch Kontakt zu verschiedenen Berliner Stellen. So erstattete er im April dem Auswärtigen Amt – wo man offenbar befürchtete, die Zerstörung der Schlösser könnte der feindlichen Propaganda dienen – Bericht über den Zustand der Schlösser und meldete, es bestehe kein akuter Handlungsbedarf.89 In den folgenden Monaten betrieb Stöve vor Ort Nachlese. In einer Kirche entdeckte er ein Lager mit einer beachtlichen Anzahl bolschewistischer Filme, die er mit Unterstützung durch den neuen örtlichen SD-Chef, Obersturmführer Zöller,90 abtransportieren ließ. Drei der dem SD anvertrauten Gemälde von Hubert Robert habe der SD mittlerweile sicherstellen lassen, hieß es in einem Bericht vom späten April.91 Deutsche Wissenschaftler waren nicht nur an Kunst interessiert, auch die seit 1921 in Puškin bestehende Versuchsstation des Vavilov-Instituts für Pflanzenzucht erfreute sich ihrer besonderen Aufmerksamkeit. Im Rang eines Kriegsrats besuchte Walter Hertzsch, Leiter der Zweigstelle Ostpreußen des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Züchtungsforschung und Referent für Forschung und landwirtschaftliches Fachschulwesen beim Reichskommissar Ostland, die Stadt. Da er zunächst offenbar keinen Zugriff auf ein Auto hatte, ließ er sich von Stöve mitnehmen. Die Institutsbibliothek, die er in Sicherheit bringen wollte, befand sich im April 1942 aber schon in einem so desolaten Zustand, dass auf den Abtransport verzichtet wurde. Im Sommer übernahm Hertzsch die Leitung der Versuchsstation, an der weiterhin einige russische Mitarbeiter tätig waren.92 87 Vermutlich handelte es sich um die im Verlustkatalog unter Nr. 21 und 22 geführten Gemälde, Inv. Nr. E–23, EDM–35, und Inv. Nr. E–25, EDM–39. Vgl. Min. Kuľtury RF (Hrsg.), Svodnyj Katalog, Bd. 1, GMZ Carskoe Selo. Ėkaterinskij Dvorec, Moskau 1999/2000, Buch 1, S. 21. 88 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 354. 89 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, ll. 191–192; Bl. 199; Parallelüberlieferung: PA – AA. 90 Vermutlich handelt es sich um Harry Zöller, geboren 1909 in Dresden, Mitglied der Einsatzgruppe A. Zu Zöller vgl. Carsten Schreiber, Elite im Verborgenen, Ideologie und regionale Herrschaftspraxis des Sicherheitsdienstes der SS und seines Netzwerks am Beispiel Sachsens, München 2008, S. 245 ff. 91 Von den vier Gemälden war eines vermutlich zu beschädigt. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 339. 92 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, ll. 338–340; Susanne Heim, „Die reine Luft der wissenschaftlichen Forschung“. Zum Selbstverständnis der Wissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Berlin 2002, S. 21, online unter http:// www.mpiwg-berlin.mpg.de/KWG/Ergebnisse/Ergebnisse7.pdf [1.5.2018].

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Stöve hielt sich mit einem Dolmetscher und einem Fahrer bis zum Juli 1942 in Puškin auf, fand für sich jedoch kein Betätigungsfeld und kehrte in Absprache mit allen beteiligten Stellen ins Baltikum zurück. Seinem Bericht nach war der Alexanderpalast gut erhalten; Heizung, Wasser, Licht, alles sei intakt. Dagegen sei der Katharinenpalast durch einen Brand schwer beschädigt: In der Nacht vom 13. auf den 14. Mai ist der Mitteltrakt infolge russischen Bombardements (eine Spreng- und eine Brandbombe trafen) vom Thronsaal ostwärts in der Länge von 125 m (von insgesamt 300 m Front) ausgebrannt. Dabei auch der Teil, in dem die von uns früher dem SD übergebenen drei Gemälde von Hubert Robert hingen. Der SD-Führer berichtete ausführlich über den Brand. Er hat mit seinen wenigen Männern die Löscharbeiten geleistet. Auch der Raum des sichergestellten Bernstein-Kabinetts ist ausgebrannt.93

Einige Tage später schaute sich Stöve den Brandort selbst an: „Es stehen wirklich nur noch die Mauern. Über die halb zerstörte Treppe des Hauptaufgangs kamen wir bis ins erste Stockwerk, von wo aus jeder weitere Schritt unmöglich war.“94 Bei allem Engagement scheint Stöve sich doch an die Absprachen zwischen der Heeresgruppe und dem ERR gehalten zu haben, wonach nur der Solms’sche Stab Kunstwerke abtransportieren durfte. Auch der SD verwahrte die verbliebenen Gegenstände nur, um sie dann an Solms zu übergeben. Jedenfalls konnte der Kunsthistoriker Werner Körte, der sich im Sommer 1942 kurzeitig im Gebiet der Vorortschlösser aufhielt, berichten, er und sein Chef Solms hätten im August großformatige Arbeiten des zeitgenössischen Malers Fritz Krüger sowie der Maler Johann Baptist von Lampi (1798–1857) und Friedrich Tiedemann (1865–1893) verpackt. Vermutlich nahmen sie die Gemälde mit nach Gatčina und ließen sie dort verladen; ob sie nach Pskov oder eher nach Königsberg gelangten, bleibt ungeklärt.95 Aus einem Brief Helmut Persekes an seinen Doktorvater Kurt Bauch geht ebenfalls hervor, dass die Einheit von Solms während des Sommers noch viel abtransportierte, vor allem aus Gatčina, aber auch aus Puškin. Aus dem ausgebrannten Teil des Katharinenschlosses baute Perseke mit Hilfe eines Pionier-Kommandos einen Kachelofen ab und ließ ihn in 42 Kisten verpacken; darüber hinaus wurden zwei Parkettböden zum Abtransport vorbereitet. Das alles geschah unter Beschuss. „Der Russe“ habe sogar mitgeholfen, denn „4 große Wandgemälde hätten wir nicht herausnehmen können, wenn er nicht am Tage zuvor die Außenwand eingeschossen hätte.“96

93 94 95 96

CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 318. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 316. Tagebucheinträge von Werner Körte am 7. und 8.8.1942. Brief von Helmut Perseke an Kurt Bauch vom Nov. 1942, im Nachlass Bauch, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg.

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Der Abtransport des Gottorfer Globus Zufrieden schrieb Perseke in seinem Brief an Bauch, während des Urlaubs von Solms im September habe man endlich auch den Gottorfer Globus verpackt. Dieser befand sich nicht auf der Liste derjenigen Kunstwerke deutscher Herkunft, die man unbedingt nach Deutschland bringen wollte97, seiner Geschichte und Bedeutung nach gehörte er aber zweifellos in diese Kategorie. Er war im 17. Jahrhundert von dem in Diensten des Herzogs von Schleswig-Holstein-Gottorf stehenden Mathematiker und Philosophen Adam Olearius entworfen und von verschiedenen deutschen Technikern und Mechanikern gebaut worden. Die stoffbezogene kupferne Kugelkonstruktion besitzt einen Durchmesser von drei Metern und wiegt mehr als drei Tonnen. Betrachtet man die Kugel von außen, ist die Erdoberfläche zu sehen, betritt man das Innere, entdeckt man Sternenhimmel und Sonnenlauf, so wie sie von der Erde aus zu sehen sind. Im Inneren können bis zu zwölf Personen sitzen und mit dem Globus, der sich um seine eigene Achse dreht, „fahren“. Ursprünglich stand er im Globushaus im Park von Schloss Gottorf. Als Zar Peter der Große während des dritten Nordischen Krieges 1713 auf Gottorf mit dem dänischen König Friedrich IV. zusammenkam98, ließ er sich den Globus zum Geschenk machen. Nach vierjähriger Reise erreichte dieser St. Petersburg und wurde in der Kunstkammer ausgestellt. Bei einem Brand Mitte des 18. Jahrhunderts stark in Mitleidenschaft gezogen, wurde er unter Leitung des Wissenschaftlers Michail V. Lomonosov rekonstruiert, wobei man die in der Zwischenzeit gewonnenen Erkenntnisse über das Universum berücksichtigte. 1901 fand der Globus schließlich seinen Platz in der sogenannten Admiralität im Park des Katharinenpalasts.99 Solms hatte den Globus bereits bei einem früheren Besuch in der Admiralität ausfindig gemacht und die aus dem 17. Jahrhundert stammende Originaltüre mit nach Pskov genommen, wo er sie im Pogankinhaus ausstellte.100 Der Abtransport des großen, schweren Globus stellte unter Kriegsbedingungen keine leichte Aufgabe dar. Für Belange der Kunst war es in der Regel schwierig, Arbeitskräfte und Transportraum zu bekommen. In diesem Fall scheint der Wille der Parteiführung eine Rolle gespielt zu haben. Der Schriftwechsel, den es im Vorfeld unter anderem zu der Frage gegeben haben muss, wohin der Globus kommen sollte, liegt nicht vor. Helmut Perseke, vor dem Krieg Mitarbeiter am Kieler Thaulow-Museum, rühmte sich, für Schleswig plädiert zu haben101, diskutiert wurden auch München und 97 PA – AA, R 60786, Berichte von Reinhold Ungern-Sternberg, Konzept vom 8. Juli 1941, gez. von Rantzau. 98 Die staatsrechtliche Zugehörigkeit Schleswig-Holstein-Gottorfs war zweigeteilt: Lehnsherr des Herzogs war nördlich des Flusses Eider der König von Dänemark, südlich davon der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. 99 Herwig Guratzsch (Hrsg.), Der neue Gottorfer Globus, Leipzig 2005; Engel Petrovic Karpeev, Boľšoj Gottorpskij globus, St. Petersburg 2003; Felix Lühning, Der Gottorfer Globus und das Globushaus im „Newen Werck“, Ausst.kat. IV, Sonderausstellung „Gottorf im Glanz des Barock“, Schleswig 1997; Ernst Schlee, Der Gottorfer Globus Herzog Friedrichs III., Heide 2002. 100 BArch – Bildarchiv, Bild 101 I 234 09 24 34, Fotograf Kripgans, Oktober 1942. 101 Brief von Helmut Perseke an Kurt Bauch vom November 1942.

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Nürnberg. Ausschlaggebend wird Hinrich Lohse gewesen sein, der gleichzeitig Gauleiter von Schleswig-Holstein und Reichskommissar Ostland war. Jedenfalls haben die verschiedenen deutschen Organisationen in diesem Fall reibungslos zusammengearbeitet: Lohse gab die Anordnung zur Überführung nach Deutschland, Solms ließ abbauen, der ERR nahm den Globus in Riga in Empfang und sorgte für den Weitertransport nach Deutschland. Am 7. Oktober 1942 wurde der Globus in Puškin verpackt, am 8. wandte sich der Abwehroffizier (Ic) des Oberkommandos der Heeresgruppe Nord mit einem Fernschreiben an Lohse und bat um die Erlaubnis zum Abtransport nach Riga.102 Der dortige ERR-Hauptgruppenleiter Otto Nerling (1904–1997) erteilte sie umgehend.103 Einige Tage später ließ Solms Nerling brieflich wissen, dass die „Tür zum Einstieg in den Globus, die die einzigen Reste alter Bemalung der Außenseite zeigt [...], schon früher im Pogankinhaus in Pleskau sichergestellt“ worden sei. Er bat um Mitteilung über den endgültigen Aufstellungsort, damit er die Türe dorthin nachschicken könne.104 Dann verschwand das Kunstwerk für einige Monate. Im März 1943 wunderte man sich in Riga, wo der Globus geblieben war, und fragte bei Solms nach.105 Eine Antwort ist nicht überliefert. Im Juni 1943 meldeten verschiedene deutsche Zeitungen, er sei „bereits wieder auf schleswig-holsteinischem Boden sichergestellt“ worden.106 Vor Ort hatte sich Landeshauptmann Wilhelm Schow der Angelegenheit angenommen: Eine Wand des leerstehenden sogenannten Weißen Hauses, eines Gebäudes am Eingang zur Anlage der Landesheilanstalt Neustadt in Holstein, an dem passenderweise Bahngleise vorbeiführten, war eingerissen worden, um den Globus hineinverfrachten zu können. Die gesamte Reise hatte er auf einem speziellen Tiefladewaggon zurückgelegt. Ernst Schlee, dem späteren Direktor von Schloss Gottorf, zufolge war die „ganze Eisenbahnstrecke Leningrad-Lübeck bzw. Neustadt/Holstein [...] darauf hin geprüft [worden], ob der Bretterverschlag mit dem Globus die Tunnel, Unterführungen usw. unbeschadet würde passieren können“107. Es ist nicht bekannt, ob Schlee an den Planungen selbst beteiligt war. Es ist gut denkbar, dass sich Perseke mit ihm verständigt hatte, denn vor dem Krieg waren beide Kollegen gewesen. Der Globus überstand den Krieg unbeschadet und wurde von der britischen Besatzungsmacht bereits 1948 in die Sowjetunion restituiert. Heute ist der 2003 auch mit deutscher Finanzhilfe restaurierte Globus in der Kunstkammer, einem Museum innerhalb der Russischen Akademie der Wissenschaften zu bewundern, im Gottorfer Park steht in dem rekonstruierten Globushaus seit 2005 eine Replik.

102 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 303. 103 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 302. 104 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 143, l. 413. 105 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 143, l. 364. 106 Hamburger Fremdenblatt vom 23. Juni 1943, Frankfurter Zeitung vom 27. Juni 1943. Erhalten sind diese Zeitungsausschnitte im Nachlass Perseke (Privatarchiv Katrin Paehler). Perseke wurde in den Artikeln als „junger Kieler Kunsthistoriker“ erwähnt. 107 Schlee 2002, S. 91.

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Letzte Beute: „Herkules“ und „Flora“ Viele PK-Fotografen haben den Katharinenpalast und den ihn umgebenden Park bildlich festgehalten. Manchmal klammerten sie das Kriegsgeschehen bewusst aus, dann entstanden stimmungsvolle Landschaftsaufnahmen, ganz als ob sich die Fotografen auf einer touristischen Reise in Friedenszeiten befänden. Die Cameron-Galerie, die sich rechtwinklig vom Westflügel bis nah an den See erstreckt, bildete ein besonders beliebtes Motiv. Am Ende der Kolonnade, rechts und links der großen Freitreppe, standen erhöht die Bronzefiguren „Herkules“ und „Flora“. Die über zwei Meter hohen Skulpturen waren 1787/88 von den Bildhauern Fedor G. Gordeev und Vasilij B. Možalov für die Cameron-Galerie geschaffen worden. Der „Herkules“ ist eine von Gordeev leicht abgewandelte Kopie des antiken „Herkules Farnese“; auch die „Flora“ schuf Gordeev nach antikem Vorbild. Wie viele Fotografien belegen, standen die beiden Skulpturen bis Herbst 1942 unberührt an ihrem Platz. In keinem der erhaltenen Wehrmachts- oder ERR-Dokumente wurden sie erwähnt. Möglicherweise liegt eine Lücke in den Quellen vor, wahrscheinlicher ist jedoch, dass die deutschen Kunstexperten die Skulpturen künstlerisch für zu unbedeutend hielten, um den komplizierten Abbau und Abtransport zu rechtfertigten; Kopien antiker Skulpturen standen nicht hoch im Kurs. Zudem handelte es sich bei „Herkules“ und „Flora“ um Arbeiten russischer Meister, für die man sich nicht zuständig fühlte. Im Sommer 1942 war im Gebiet der Heeresgruppe Nord aber auch der Wirtschaftsstab Ost aktiv und ließ in großem Maßstab Rohstoffe sammeln, etwa Metalle jeder Art bis hin zu Fenstergriffen. Die Durchführung oblag speziellen Wehrerfassungskommandos108, und sie tragen vermutlich die Verantwortung für den Abbau und den Abtransport von „Herkules“ und „Flora“, die ihren Weg in eine Metallgießerei in Halle nahmen. Dort fanden sie sowjetische Einheiten nach dem Krieg. Ob sie aus Zeitgründen nicht mehr eingeschmolzen werden konnten oder ob jemand Skrupel hatte, sich an ihnen zu vergreifen, muss offenbleiben. Bis heute verschollen bleiben dagegen weitere Bronzen, die vermutlich gleichzeitig mit „Herkules“ und „Flora“ abtransportiert wurden: eine Büste des Kaisers Titus aus der Cameron-Galerie, eine über zwei Meter große Skulptur der Nioba mit Kind von 1786, die 2,5 auf 1,5 Meter große Bronzeskulptur „Schlafende Ariadne“ und zwei Denkmäler der Zarin Katharina II.109 Bei einem (2,8 auf 2,2 Meter) handelte es sich um das Modell des Katharina-Denkmals von Michail O. Mikešin, das heute am Nevskij Prospekt in St. Petersburg steht.110

108 Rolf-Dieter Müller, Die deutsche Wirtschaftspolitik in den besetzten sowjetischen Gebieten 1941–1943: der Abschlußbericht des Wirtschaftsstabes Ost und Aufzeichnungen eines Angehörigen des Wirtschaftskommandos Kiew, Boppard am Rhein 1991, S. 34, 290. 109 Min. Kuľtury RF (Hrsg.), Svodnyj Katalog, Bd. 1, GMZ Carskoe Selo. Ėkaterinskij Dvorec, Buch 3. http://www.lostart.ru/ catalog/ru/tom1/2549/2794/ und http://www.lostart.ru/catalog/ru/tom1/2549/2796/ [1.5.2018]. 110 Michail Osipovič Mikešin (1835–1896) hat auch das Novgoroder Denkmal „Das Tausendjährige Russland“ geschaffen.

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Abb. 40  Rechts und links der Freitreppe der CameronGalerie standen im September 1941 noch die überlebensgroßen Bronzestatuen Herkules und Flora.

Das Schicksal der Zivilbevölkerung Abtransport, Zerstörung und Plünderung von Kulturgut fanden in einer Situation statt, die von ständigen Kampfhandlungen und einer sich bald dramatisch zuspitzenden Versorgungskrise bestimmt war. Puškin stand seit August/September 1941 kontinuierlich unter Beschuss, erst durch die Wehrmacht, dann durch die nur wenige Kilometer vor der Stadtgrenze stehende Rote Armee. Die Folge war eine zerstörte Infrastruktur. Es gab keine Versorgung mit Wasser und Strom. Viele Gebäude hatten gebrannt oder waren durch Bomben schwer beschädigt. Die Wehrmacht ließ Teile der Bevölkerung evakuieren. Einzelne machten sich allen Verboten zum Trotz auf den Weg und suchten im Hinterland bessere Lebensbedingungen. Osipova schätzte, dass sich Ende November noch 8.500 Menschen in der Stadt befanden. Die Versorgungssituation für die Verbliebenen gestaltete sich dramatisch. Es gab keine Lebensmittel mehr zu kaufen; die Menschen konnten sich nur mit dem versorgen, was die Besatzungsmacht verteilte. Anfangs standen dieser noch Vorräte aus requirierten Lebensmitteln und dem Nachschub zur Verfügung; mit ihnen wurde eine Kantine betrieben, in der sich die Menschen eine wässerige Suppe und kleine Brotfladen kaufen konnten. Notdürftig wurden damit auch die Insassen des von der Ortskommandantur eingerichteten Kinder- und des Invalidenheims versorgt; ebenso erhielten diejenigen, die für die Besatzungsmacht arbeiteten – auch die in Puškin eingesetzten Kriegsgefangenen –, eine bescheidene Lebensmittelzuteilung. Im Spätherbst spitzte sich die Lage jedoch weiter zu.111 Osipova beschrieb eindringlich, wie sie und ihr Mann und die anderen Einwohner zu überleben versuchten. Sie selbst arbeitete zunächst als Aufseherin in ihrem Häuserblock, dann als Heizerin in einer banja, in der die Kriegsgefangenen sich wuschen und sich regelmäßig einer Desinfizierungsmaßnahme 111 Siehe Kap. III: Die Besetzung des russischen Nordwestens.

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gegen Läuse unterziehen mussten. Frauen arbeiteten in allen Bereichen, vom Holzhacken bis zum Küchendienst, auch Prostitution bot eine Möglichkeit zu überleben. Etwas besser dran waren die russischen Bürger, die direkt für die Stadtverwaltung oder die deutsche Kommandantur tätig waren, am besten ging es den Köchen. Die Deutschen kümmerten sich in eingeschränktem Maß um ihre lokalen Unterstützer, ohne die das Besatzungsregime nicht funktioniert hätte. Osipova bewertete das Verhalten der Kollaborateure in den Kategorien, die sie unter sowjetischer Herrschaft entwickelt hatte: Es gebe Menschen, die sich immer opportun verhielten und nur auf den eigenen Vorteil bedacht seien, und es gebe die anderen, die auch in einer hoffnungslosen Situation ihre Menschlichkeit und ihren Anstand nicht verlören. Mit Respekt berichtete sie von der Familie Ivanov-Razumnik, die lieber den Hungertod in Kauf nehme als für die Deutschen zu arbeiten.112 Sie dagegen sah es als ihre Pflicht an, den Krieg zu überleben, um später am Aufbau eines neuen Russlands mitzuarbeiten. Damit rechtfertigte sie auch ihre Informationsdienste für den SD, die ihr einige wenige zusätzliche Lebensmittel einbrachten. Trotzdem war das Überleben schwierig. Anfang November notierte sie: Mit dem Essen wird es immer schlimmer. [...] Sie [die Deutschen] konfiszieren alle Lebensmittel. Und weil unsere Bevölkerung keine Lebensmittel hat, so sind alle Gemüsegärten unter Beschlag [...]. Wir sammeln Eicheln. Aber mit ihnen muss man umgehen können. [...] Eicheln muss man schälen und kochen und dabei immer das Wasser wechseln, bis das Wasser gar nicht mehr weiß, sondern durchsichtig ist. So verlieren sie die Tannine.113

Mitte November stellte Osipova fest, sie führten ein Leben wie Robinson auf der Insel. Es gebe nichts mehr und selbst die sowjetische Armut komme ihnen nun wie ein unerreichbarer Reichtum vor. Einige Tage später konstatierte sie: „Schon richtiger Frost. Die Bevölkerung beginnt zu sterben. Was wird bloß im Winter?“114 Am 24. November notierte sie, dass ihr Mann Kolja bettlägerig geworden sei. Um für ihn etwas Essen zu tauschen, ließ sie ihre Goldkronen herausnehmen; dem Zahnarzt gab sie dafür einen Laib Brot, beim Verkauf der Kronen erhielt sie zwei Brote, eine Packung Margarine, eine Tüte Bonbons und eine halbe Packung Zigaretten. Ende Dezember spitzte sich die Situation weiter zu. Die Großmutter von Osipovas Mitbewohnerin starb im Invalidenheim, ohne dass die Angehörigen benachrichtigt wurden. Als sie sich auf die Suche nach der Toten machten, fanden sie die Leiche unter der Kellertreppe. „Was wir dort sahen, unterliegt keiner Beschreibung: ungefähr zehn ganz und gar nackte Leichen waren dort hingeworfen worden, wie es gerade kam. Bei dem einen stand das Bein raus, bei dem anderen der Arm. Unter den Leichen war auch unsere Großmutter.“115 112 Budnickij 2012, S. 104. Vasiľevič Ivanov-Razumnik (1878–1946) war ein bekannter Literaturkritiker, Philosoph, Soziologe und Schriftsteller. Nach mehreren Verhaftungen in den 1920er und 1930er Jahren lebte er zu Kriegsbeginn in Puškin. 1942 wurde er mit seiner Familie in ein Lager in Ostpreußen gebracht. Das Kriegsende erlebte er in München, wo er 1946 starb. 113 Budnickij 2012, S. 90. 114 Budnickij 2012, S. 95. 115 Budnickij 2012, S. 103.

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Die Gedanken der Menschen drehten sich nur noch ums Essen. Osipova beobachtete, wie sich der Hunger auf die Psyche der Menschen auswirkte, auch ihr gelang es nicht, Distanz zur eigenen Situation zu bewahren. Ihre Notizen kreisten immer mehr um Essen, so am 23. Dezember 1941: Man darf auch nicht das kleine Stückchen Fleisch kochen oder braten. Manchmal geben sie uns in der Ration 25 oder 30 Gramm. Davon bleibt nichts übrig. Man muss den Knochen kochen und mit der „Bouillon“ einen Eintopf machen, das Fleisch aber muss man einfrieren, in kleine Stückchen schneiden und sorgfältig kauen. Erstens isst man dann viel länger und zweitens ist das auch ein wunderbares Mittel gegen Skorbut. [...] Aleksandr Nilovič Karcev ist gestorben. Starb, obwohl er einige Pfund Buchweizen und Mehl hatte. Er ist am Hunger gestorben, obwohl er nach unserer Vorstellung viel Gold hatte. Das ist auch eine Art Selbstmord. Die Leute haben Angst vor zukünftigem Hunger und hungern sich deshalb jetzt zu Tode, und sterben auf ihren Lebensmitteln. Buchstäblich „auf den Lebensmitteln“, weil die Leute jetzt alles Wertvolle bei sich behalten, in den Taschen oder unter dem Bett oder dem Kissen. Bei M. F. beginnt auch die Psychopathologie. Sie hat Angst vor der Zukunft. Aber die Gegenwart ist so, dass es wahrscheinlich keine Zukunft geben wird. Das Gehen wird immer schwerer. Einen Schritt zu machen oder die Hand zu heben ist jetzt so schwer, wie es früher schwer war, ein Pud zu heben.“116

Zu Weihnachten fielen von den Weihnachtsrationen für die Soldaten auch für die Bevölkerung Kleinigkeiten ab. An der Gesamtlage änderte das nichts, wie Osipovas Eintrag vom 26. Dezember zeigt: Professor Černov ist gestorben. Es heißt, seine Frau hätte dem gleichgültig gegenübergestanden. Der Instinkt der Selbsterhaltung überwiegt in dieser Familie alles andere. Kann es sein, dass wir auch noch so weit kommen? [...] Aber es wird immer schwerer, seine Psyche zu schützen. Beispielsweise habe ich mich vor ein paar Tagen dabei ertappt, dass ich unsere taube Hausfrau Nadtočij nicht in unser Zimmer lassen wollte, weil auf dem Tisch eine dicke Brotsuppe stand. Sie spürte den Geruch und ich sah wie sich ihr Gesicht verzerrte und sie ihre Spucke schluckte. Sie hat einen 12-jährigen Sohn, dem sie alle ihre Krümel gibt. Und ich hatte Angst gehabt, ihr ein paar Löffel Suppe zu geben. Um mich zu bestrafen, gab ich ihr einen Teller voll. Man muss gesehen habe, wie sie ihn aß. Aß und weinte. Ich wusste, warum sie weinte. Weil sie isst und ihr Sohn nicht. Und wie viele solcher Ehefrauen und Mütter gibt es jetzt. Um sie ein bisschen zu beruhigen, gab ich ihr einen Kanten Brot für den Sohn. Sie sagte nichts, aber wir verstanden uns.117

Es gibt viele derartige Einträge, dazwischen kleine Berichte über zufällig getauschte Lebensmittel. Im Februar stellte Osipova fest, die Stadt sterbe aus, jeden Morgen würden die nackten Leichen abtransportiert. Evakuierung erschien als letzte Rettung. Die Menschen meldeten 116 Budnickij 2012, S. 107. 117 Budnickij 2012, S. 111.

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sich freiwillig zum Arbeitseinsatz im Deutschen Reich. Im Februar wurden alle sogenannten Volksdeutschen evakuiert, teils freiwillig, teils unter Zwang. Darunter waren auch Svetlana Beljaeva, deren Vater, der Schriftsteller Aleksandr R. Beljaev, im Januar an Tuberkulose und Hunger gestorben war, ihre Mutter und die Großmutter: Sie galten als „volksdeutsch“, weil die Großmutter schwedischer Herkunft war und deutsch sprach. Am 6. Februar verließen sie Puškin. Wegen des Frosts hatten sie die Leiche des Vaters noch nicht beerdigen können und mussten sich auf die Zusage des deutschen Kommandeurs verlassen, ihn nicht in ein Massengrab zu werfen. Ihr Weg führte zunächst in ein Arbeitslager in Ostpreußen. Beim späteren Vormarsch der Roten Armee wurden dessen Insassen Richtung Westen gebracht, bei Kriegsende befanden sie sich in einem Lager in Österreich. Dort wurden sie von sowjetischen Truppen „befreit“ und ohne Gerichtsbeschluss nach Sibirien ins Altaigebiet verbannt – der Verdacht auf Kollaboration genügte als Grund für eine zehnjährige Verbannung. Erst 1956 konnte Beljaeva mit ihrer Mutter nach Puškin zurückkehren.118 Osipova bekam im Frühjahr Fleckfieber, das sich während des Winters epidemisch ausgebreitet hatte. Sie wurde ins Krankenhaus eingeliefert und überlebte nur, weil ihr Mann ihr täglich einen Teil seiner Essensration brachte. Ende April konnte sie das Krankenhaus verlassen. Zu ihrem Erstaunen bekam sie eine Lebensmittelzuteilung, obwohl sie nicht arbeiten konnte; ihre vielfältigen Kontakte zu den deutschen Besatzern schienen zu helfen. Ende Mai bekamen sie und ihr Mann die Erlaubnis, Puškin zu verlassen und nach Sluck/Pavlovsk zu ziehen, das immerhin drei Kilometer weiter von der Front entfernt war. Osipova vermutete, dass zu diesem Zeitpunkt noch rund 2.500 Menschen in Puškin lebten.119 Die dramatischen Lebensbedingungen haben nur scheinbar nichts mit dem Verlust von Kulturgütern zu tun, doch sie bildeten den Hintergrund für den lebhaften Handel mit allem, was an Gebrauchsgegenständen, Wertsachen und Nahrungsmitteln noch vorhanden war. Osipova hat ihr Tagebuch nach dem Krieg sicher für die Veröffentlichung bearbeitet; ihr war daran gelegen, die Zusammenarbeit mit den Deutschen zu rechtfertigen. Vergleicht man ihren Text mit Berichten anderer Zeitzeugen, erweisen sich ihre Beschreibungen aber als zutreffend. Sie mag einige Begebenheiten später weggelassen oder geschönt haben, dennoch zieht sich eine Thematik durch das gesamte Tagebuch: Ihr Überleben und das ihres Mannes ließen sich nur durch eine Vielzahl kleiner Geschäfte mit den Deutschen sichern. Bemerkenswert ist, dass sich offenbar immer noch etwas zum Verkauf fand und dass die deutschen Besatzer Osipovas Beschreibung zufolge gierig nach allem griffen. Das galt zu Beginn des Winters vor allem für warme Kleidung. Osipova wunderte sich, wie schlecht die Deutschen für den Winter ausgerüstet waren. Besonders an Wolle und Pelzen seien die Soldaten interessiert, Filzstiefel seien den Einwohnern auf der Straße ausgezogen worden. Die leerstehenden Häuser würden regelrecht geplündert, die Offiziere nähmen sich die wertvol118 Beljaeva 2009, S. 91 f. 119 Budnickij 2012, S. 130. Deutsche Quellen bestätigen die katastrophale Situation, wenngleich die Einzelheiten nicht so deutlich werden wie in dem Bericht Osipovas. Vgl. beispielsweise CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, ll. 350– 356 (Fahrtbericht von Gerhard Stöve zu den Schlössern vom Februar 1942).

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leren Dinge, die Soldaten noch die wertlosesten Lumpen. Wie Trödler kamen sie Osipova vor. Sie schämte sich geradezu für diese Deutschen, die so gar nicht zu ihrer Vorstellung passten. Osipova selbst verkaufte ein Porzellanservice, Schmuck, Goldkronen, Bücher und einen großen türkischen Teppich. Letzterer stammte aus einem der Paläste, angeblich fand sie ihn in einem Holzschuppen, wo ihn jemand bereitgestellt und dann nicht abgeholt hatte. Ihrer Meinung lag der Teppich früher im Haus des Schriftstellers Alexej N. Tolstoj, das zum Haus der Schriftsteller umfunktioniert worden war. Ihr Mann gab zu Bedenken, ob es nicht zu sehr nach Plünderung aussehe, wenn sie den Teppich mitnähmen, doch da sie wussten, dass „die Deutschen nach Teppichen genauso und sogar noch mehr auf der Jagd sind als nach Pelzen oder Gold“120, schleppten sie das schwere Stück nach Hause. Sie tauschten den Teppich später gegen Mehl und Brot. Der neue Besitzer war der Sohn des ehemaligen russischen Generals Gromann, der in einer deutschen Einheit diente. Osipova erwähnt einen zweiten blauen Teppich, der ebenfalls aus einem der Schlösser stammte und nun im Zimmer des deutschen Kommandanten lag.121 Ein häufiger Gast bei den Osipovs war ein örtlicher SD-Führer, ein gewisser Reichel. Er war besonders an Gold interessiert. Eine weitere Einnahmequelle stellten Bücher dar, die in den verlassenen und geplünderten Häusern herumlagen. Nahezu alles, was einen materiellen Wert besaß oder den deutschen Soldaten nützlich war, wechselte den Besitzer. Das musste dem einzelnen deutschen Soldaten nicht unmoralisch vorkommen, wurden die Gegenstände doch gegen Lebensmittel getauscht und damit ein Geschäft vollzogen, das den Menschen zu überleben half. Auch das Mitgefühl einzelner Offiziere und Soldaten, die versuchten, den Menschen etwas zuzustecken, obwohl es verboten war, ist in den Erinnerungen russischer Bürger vielfach belegt. Allerdings: Unter den geschilderten Besatzungsbedingungen konnte es keinen fairen Handel geben, die Verkäufer befanden sich durchweg in einer Notsituation und hatten keine Alternative, als ihre Habe zu verkaufen. Aussagen, in welchem Umfang Inventar aus den Puškiner Schlössern über Privatgeschäfte den Besitzer wechselte, lassen sich nicht machen. Inwieweit Bürger der Stadt überhaupt Zugang zu ihnen hatten und Gegenstände hätten entwenden können, ist fraglich. Das Risiko war jedenfalls sehr hoch, auf Plünderung stand in diesem Fall der Tod. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass Objekte aus den Zarenpalästen als Tauschware einen besonders hohen Wert besaßen; verkauft gegen Lebensmittel konnten sie unter Umständen Leben retten. Für moralische Skrupel war nicht der richtige Zeitpunkt. Nach dem Hungerwinter 1941/42 wurden viele der Überlebenden im Frühjahr 1942 ins Hinterland oder nach Deutschland geschickt. Danach besserte sich wenigstens die Nahrungssituation für die wenigen Verbliebenen etwas. Unverändert bestimmte aber die Nähe zur Hauptkampflinie das Alltagsleben. Alle arbeitsfähigen Bewohner mussten arbeiten, die Einteilung übernahm der von der Besatzungsmacht eingesetzte russische Bürgermeister Vsevolod Seleznev. Zu Ende des Sommers 1942 wurden alle im nördlichen Stadtteil Sophia unter lager­ähnlichen Bedingungen zusammengefasst. Nach Berichten eines Jugendlichen entstand 120 Budnickij 2012, S. 101. 121 Budnickij 2012, S. 90.

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unter ihnen eine verschworene Gemeinschaft. Eine funktionierende Wasserleitung, Strom, eine banja und eine Mensa erleichterten das Leben, für die Kinder wurde Schulunterricht organisiert und gelegentlich fand ein Gottesdienst statt. Auch zu musikalischen Abenden kamen die wenigen Verbliebenen zusammen. Zwischen September 1942 und April 1943 befand sich im Wesentlichen das 2. SS-Bataillon in Puškin, in dessen Reihen norwegische, flämische, niederländische und lettische Freiwillige kämpften. Im September 1942 traf die sogenannte Blaue Division im Frontbereich ein – sie war aus spanischen Freiwilligen zur 250. Infanterie-Division zusammengestellt worden – und im April 1943 die 170. Infanterie-Division. Nach der Auflösung der Blauen Division im Oktober 1943 übernahm die 215. Infanterie-Division die Aufgabe, die Front zu halten. In dieser Zeit änderte sich die Frontlage wenig. Durch die deutsche Niederlage in Stalingrad und erfolgreiche sowjetische Sommeroffensiven im Bereich der Heeresgruppe Mitte und der Heeresgruppe Süd erhöhte sich 1943 der Druck aber auch im russischen Nordwesten, zudem gewann auch hier die Partisanenbewegung an Bedeutung. Nach den Erinnerungen des oben erwähnten Jugendlichen veränderte sich das Besatzungsregime in dieser Zeit: „Der Fritz von 1943 war schon nicht mehr der von 1941.“122 Das mag auch an der Zusammensetzung der Besatzungstruppen gelegen haben. Während zuerst mit der SS-Polizei-Division eine ideologisch gefestigte Einheit in Puškin stationiert war, kamen jetzt Freiwilligeneinheiten verschiedener Nationalität. Ihre Mitglieder hatten sich aus unterschiedlichen Gründen zum Dienst in der Wehrmacht gemeldet, manche aus Überzeugung, andere eher aus praktischen Erwägungen oder aufgrund von Druck. Besonders auffällig war die Präsenz der Soldaten der Blauen Division. Diese Infanterie-Division war unmittelbar nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion von der Falange-Regierung in Spanien als Geste der Solidarität mit dem Deutschen Reich aufgestellt worden, um an der Seite der Wehrmacht „aktiv am Kampf gegen den Bolschewismus“ teilzunehmen. Ihren Namen trug sie nach den blauen Falange-Hemden, die ihre Angehörigen unter der deutschen Heeresuniform trugen.123 Die ersten 18.000 spanischen Freiwilligen trafen Mitte Juli 1941 in Deutschland ein, wo sie auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr bei Nürnberg ausgebildet und ausgerüstet wurden. Nur vier Wochen später begann der Fronteinsatz im Bereich der Heeresgruppe Nord. Alle Stäbe und rückwärtigen Einheiten waren zunächst in Novgorod und den umliegenden Dörfern stationiert. Nach dem für die Blaue Division extrem verlustreichen Winter 1941/42 beorderte Franco einen Teil der Freiwilligen zurück nach Spanien. Danach wurde ein Rotationsverfahren eingeführt, durch das bis zum Oktober 1943 insgesamt 47.000 Spanier an die Ostfront kamen.124 Von 122 V. P. Pivovarun, Čuť-čuť o vojne v našem gorode, unter: http://tsarselo.ru/content/0/yenciklopedija-carskogo-sela/ velikaja-otechestvennaja-voina-i-okkupacija-pushkina/pivovarun-vp-chut-chut-o-voine-v-nashem-gorode.html#. VDUUIxauaUk [1.5.2018]. 123 Emilio Esteban-Infantes, „Blaue Division“. Spaniens Freiwillige an der Ostfront, Leoni 1958; Xosé M. Núñez-Seixas, Die spanische Blaue Division an der Ostfront (1941–1945). Zwischen Kriegserfahrung und Erinnerung, Münster 2016; Boris N. Kovalev, Dobrovolcy na čužoj vojne. Očerki istorii goluboj divizii, Velikij Novgorod 2014. 124 Rolf-Dieter Müller, An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ 1941–1945, Frankfurt a. M. 2010, [erste Ausgabe Berlin 2007], S. 116–1919; Hans Werner Neulen, An deutscher Seite. Internationale Freiwillige von Wehrmacht und Waffen-SS, München 1985, S. 116–125.

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Novgorod verschob sich das Einsatzgebiet 1942/43 in Richtung Leningrad, so dass die Spanier unter anderem auch in Puškin und Pavlovsk stationiert wurden. Klagen über Disziplinlosigkeit und Respektlosigkeit gegenüber Offizieren waren ebenso ein wiederkehrendes Motiv der Wehrmachtsdokumente zum Einsatz der Spanier wie Bewunderung für ihre Furchtlosigkeit und ihre Erfolge im Kampf.125 Von Beginn an häuften sich Vorwürfe über Plünderungen. Der Wehrmacht missfiel auch der lockere Umgang spanischer Soldaten mit der russischen Bevölkerung, was der erwähnte Jugendliche aus Puškin verständlicherweise positiv in Erinnerung behielt. Die heutigen Museumsmitarbeiter fällen ein eher negatives Urteil und verdächtigen spanische Soldaten in Novgorod und Pskov sowie in Pavlovsk und Puškin des Diebstahls von Kunstgütern. Einige Rückgaben aus Spanien bestätigen diese Vermutung. Hinsichtlich der Schlösser in Puškin mögen allerdings Zweifel angebracht sein, ob zu dem Zeitpunkt, zu dem die Blaue Division dort stationiert war, überhaupt noch etwas zu holen war. Wie die oben zitierten deutschen Quellen belegen, befanden sich spätestens im Herbst 1942 keine Wertgegenstände mehr in den Schlössern; allenfalls im Alexanderpalast mag es noch Mobiliar gegeben haben, das die SS-PolizeiDivision zur weiteren Nutzung zurückgelassen hatte. Im Sommer 1943 begannen auch in Puškin Maßnahmen zur Evakuierung der verbliebenen Zivilbevölkerung ins rückwärtige Heeresgebiet, wo die Betroffenen – meist in Estland – in Durchgangslager kamen und sehen mussten, wie sie irgendwie überlebten. Die deutschen Truppen hatten die Anweisung, nichts und niemanden in die Hände der Roten Armee fallen zu lassen, das galt auch für die Arbeitskräfte. Allerdings konnte die Wehrmacht weder deren Unterbringung noch ihre Versorgung sicherstellen. Bisher gibt es nur vage Schätzungen, wie viele Menschen aufgrund der verbrecherischen Rückzugspolitik im letzten Kriegsjahr ihr Leben verloren.126 Denjenigen, die überlebten, haftete in der Nachkriegszeit das Stigma an, unter deutscher Besatzung gelebt und mit den Deutschen zusammengearbeitet zu haben. Die meisten mussten sich einer Überprüfung und Befragung durch den NKVD unterziehen. Für die Mehrheit blieb das ohne Folgen; man brauchte Menschen für den Aufbau des Landes. Manche Bürger versuchten, der Evakuierung zu entkommen und das Gebiet auf eigene Faust zu verlassen. Ivan Jermošin beispielsweise verließ im Herbst 1943 Puškin und flüchtete angeblich Richtung Westen.127 Andere, wie Lilija Osipova und ihr Mann, die eng mit den Deutschen zusammengearbeitet hatten, schlossen sich beim Rückzug den deutschen Truppen an; für sie war das Risiko, wegen Kollaboration belangt zu werden, zu groß.

125 In den Akten der Heeresgruppe Nord existiert ein Dossier über die 250. Infanterie-Division voller Klagen über die Disziplinlosigkeit der spanischen Soldaten. BArch – Militärarchiv, RH III 774. 126 Jürgen Kilian, Wehrmacht, Partisanenkrieg und Rückzugsverbrechen an der nördlichen Ostfront 1943, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 61 (2013) H. 2, S, 173–200. Siehe auch Kap. III.5: Krasnogvardejsk. Verbrechen des Besatzungsregimes. 127 Jermošin kehrte schon 1944 in die Gegend zurück und lebte zunächst bei einer Verwandten in Gatčina. Bereits im April 1944 war er wieder in Puškin und nahm seine alte Funktion als Kommandant des Schlosses ein. Im Sommer 1945 wurde er verhaftet und wegen Kollaboration zu 15 Jahren Lagerhaft verurteilt. Vgl. Abramov 2008.

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Die Befreiung der Stadt Puškin Spätestens seit Herbst 1943 war abzusehen, dass sich die deutschen Truppen würden zurückziehen müssen. Die Front konnte nur notdürftig gehalten werden. Als im Raum Leningrad am 15. Januar 1944 der große Gegenangriff der Roten Armee begann, hatte die deutsche 215. Infanterie-Division ihm wenig entgegenzusetzen. Am 23. Januar bekam sie den Befehl, Puškin zu räumen, am 24. Januar um 12:30 Uhr nahm die 56. InfanterieDivision der Leningrader Front die Stadt ein. Einen Tag später berichteten Redakteure des Leningrader Radiokomitees aus den Vororten. Mit dabei war die Schriftstellerin und Dichterin Oľga F. Berggoľc, für die Leningrader eine vertraute Stimme, hatte sie den Menschen doch in vielen Sendungen während der Blockade Mut zugesprochen. Berggoľc beschrieb die Fahrt wie den Besuch bei einem Familienmitglied, das zur Geisel des Feindes geworden war, und zeichnete Puškin als verlorenen Sehnsuchtsort aller Leningrader. Im Gegensatz zu dem Hunger, dem Tod und der Finsternis der Kriegszeit stehe das Puškin der Vorkriegszeit für Frieden, Licht, Poesie, Schönheit und Freude. Das sei nun auf entsetzliche Weise verloren. Und doch findet Berggoľc an der Stätte der Zerstörung Worte der Hoffnung. Es könne gelingen, die alte Schönheit wiederherzustellen, die Wunden des Krieges zu überwinden und ein neues Leben zu beginnen, man werde „diese dem Herzen so lieben Ruinen“ wiederaufbauen. „Und wenn sich das Wunder des vollständigen Leningrader Sieges vollzogen hat, erfüllt sich auch das Wunder der Wiedergeburt – der Wiedergeburt von allem, was die Eroberer in Ruinen, in Wüste und Asche verwandelt haben [...].“128 Anteilnehmend schilderte sie den Zustand der beiden Paläste, der Parks und der Pavillons sowie der Stadt. Mit Trauer erfüllte sie, dass sie niemandem begegneten – als sei der Lebensgeist aus der Stadt gewichen. Schließlich trafen sie auf einige Militärs, die mit der Entschärfung von Bomben beschäftigt waren: Sie hätten gerade eine Drei-Kilo-Bombe entschärft, deren Explosion den gesamten Katharinenpalast hätte vernichten können. Obwohl das Gebäude vermint war, ging die Gruppe hinein: Genossen, unser wunderbarer Palast ist zerbrochen, zerstört! Fremde, Eindringlinge, Eroberer haben ihn geschändet und zerstört. Nur die Wände sind geblieben, aber innen ist alles kaputt, durch die Fensterläden sieht man die Ziegel, verdrehte Balken, zerschlagene Steine. Fast nichts im Palast ist heil geblieben. Aus den Türen der großen Enfilade mit ihren unvergleichlichen vergoldeten Schnitzereien bauten sich die Deutschen Decken in ihre Unterstände, nutzen sie als Fußböden. Wir haben das selbst gesehen. [...] In den Zimmern der unteren Etage sind Aborte für Soldaten und Ställe für Pferde eingerichtet worden.129

128 Oľga Berggoľc, My prišli v Puškin, [1944], http://tsarselo.ru/content/0/yenciklopedija-carskogo-sela/velikaja-otechestvennaja-voina-i-okkupacija-pushkina/berggolc-o-my-prishli-v-pushkin-1944.html#.VDvZqBauaUk [1.5.2018]. 129 Berggoľc 1944.

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Zwei Bronzestatuen befanden sich noch an ihrem Platz. Sie zeigen einen Jüngling, der das alte russische Spiel svajka spielt, und einen zweiten, der einen Schmetterling fängt. Die Skulpturen waren 1836 in der Akademie der Künste in St. Petersburg gezeigt und 1838 als Bronzeabgüsse vor die Kolonnaden des Alexanderpalasts gestellt worden. Alexander Puschkin hat sie in einem Gedicht verewigt, auf deutschen Soldatenfotografien sind sie häufig zu sehen. Dass sie nicht der Metallsammlung zum Opfer fielen, hing möglicherweise damit zusammen, dass der Alexanderpalast als Quartier für höhere Stäbe genutzt wurde und der Haupteingang präsentabel sein sollte. Einige Tage später, am 31. Januar 1944, konnten die führenden Museumsmitarbeiterinnen der Vorortschlösser, die den Krieg in Leningrad überlebt hatten, zu den Stätten ihres Wirkens fahren. Mit dabei waren Evgenija L. Turova aus Puškin und eine weitere Dichterin, Vera M. Inber.130 Turova hatte von Herbst 1941 bis Sommer 1942 als Depotarbeiterin bei der Vereinigten Museumsverwaltung in der Isaakskathedrale gearbeitet. Gemeinsam mit ihrem vierjährigen Sohn Leša und anderen Museumsmitarbeitern ohne Unterkunft lebte sie in der feuchten und ungeheizten Kathedrale. Ein Jahr lang arbeitete sie als Kommissarin bei Verteidigungsarbeiten, nahm aber im Herbst 1943 ihre Arbeit in der Isaakskathedrale wieder auf. Kurz nach ihrem Besuch im befreiten Puškin wurde sie zur Direktorin der dortigen Schlösser und Parks ernannt und spielte bis 1955 eine entscheidende Rolle bei den Sicherungs- und Restaurierungsarbeiten und der Inventarisierung der zurückgekehrten Sammlungen. 1955 verließ sie Puškin und arbeitete bis zu ihrem frühen Tod 1971 im Leningrader Museum für städtische Skulptur. Vera Inber verdanken wir eine eindrucksvolle Schilderung des ersten Besuchs in Puškin. Als der Schlosspark in Sicht kam, habe Turova aufgeregt den widersinnig klingenden Satz gerufen: „Die Ruine ist heil!“131 – sie meinte den als Ruine gestalteten Pavillon an der Einfahrt zum Park, der den Krieg ohne größere Zerstörungen überstanden hatte. „Im Schloss selbst eilte Evgenija Leonidovna [Turova], ohne die Warnungen der Minensucher mit Hunden zu beachten, durch alle Zimmer, durch die großen und kleinen Säle, Galerien und Durchgänge. In die Räume, in die man nicht gelangen konnte, sah sie vom Hof aus hinein. Wir versuchten, ihr so gut es ging zu folgen. In den Keller der Cameron-Galerie ging ich als erste mit großen, schnellen Schritten voraus und sprang sofort wieder zurück: Auf dem Boden lagen drei Fliegerbomben, so groß wie Fässer, aber schon entschärft, was ich jedoch nicht wusste. Insgesamt gab es elf davon, alle von einer Tonne Gewicht. Sie lagen im Schloss und im Park und waren durch Kabel miteinander verbunden. Sie sollten im letzten Moment explodieren, aber die Deutschen schafften es nicht mehr, sie zu zünden. [...] Sie schafften es auch nicht mehr, das wertvolle Parkett aus dem großen Saal abzutransportieren, das sie schon in ganzen Platten vom Boden gelöst und zum Abtransport vorbereitet hatten. Der ganze Spiegelsaal ist zerschlagen, halb verbrannt, verdorben.

130 Vera M. Inber, Z mnogo let. Iz dnevnikov voennych let, Moskau 1964, S. 423; dies., Počti tri goda. Leningradskij dnevnik, Moskau 1968, S. 261–268. 131 Inber 1968, S. 267.

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Der Alexanderpalast war besser erhalten, auch wenn er absolut leer ist. Hier war eine spanische Einheit untergebracht. Das ist zu sehen an den Carmen, die mit Kohle an die marmornen Wände gemalt sind: Hüte mit Rosen, Fächer und hohe Kämme in den Frisuren. Im runden Saal hatten die Spanier eine Kapelle oder Kirche eingerichtet. Hier stand noch ein wilder „Altar“, der mit verschiedenen Möbelstücken ausgestattet war, unter denen Evgenija Leonidovna sofort irgendein chinesisches Bücherbord aus dem Zimmer der früheren Kaiserin Marija Fedorovna erkannte.132

Turova schilderte ihre Beobachtungen in einem ersten offiziellen Bericht an den Leiter der Abteilung für Kunstfragen beim Ausführenden Komitee des Leningrader Stadtsowjets. Er war in einem formell-amtlichen Ton gehalten: Die Außenwände seien weitgehend erhalten, das Dach fehle auf dem nördlichen, vollkommen ausgebrannten Teil des Katharinenpalasts. Raum für Raum benannte sie die Zerstörungen. Durchgehend waren alle Wandbekleidungen abgerissen oder abgehauen, Deckenplafonds herausgeschnitten, Spiegel entwendet oder zerschlagen. In manchen Zimmern waren die Parkettböden noch vorhanden, in anderen fehlten sie. Inventar gab es keines mehr. Die Paradetreppe war schwer beschädigt, die folgenden Zimmer der Enfilade waren komplett verbrannt, so das Chinesische Zimmer, das kleine Esszimmer, der Gemäldesaal, das Bernsteinzimmer und weitere fünf Räume. Der andere Teil des Schlosses war zwar auch schwer beschädigt, befand sich aber in einem weitaus besseren Zustand, weil es dort nicht gebrannt hatte. Im Lyoner Saal fehlte das berühmte Parkett mit Perlmutt, im Chinesischen Saal waren alle Lackplatten und die Kanton-Emaillen (Malerei auf Emaille) aus dem 18. Jahrhundert von den Wänden gerissen. Überall lagen leere Flaschen, dreckige Lappen, Exkremente, Splitter und Schutt. Im Kuppelsaal war der Stuck dagegen beinahe unbeschädigt, auch das Achatzimmer hatte keine Schäden. Dort war für die deutschen Offiziere ein Kino eingerichtet worden, für dessen Bühne Schnitzereien aus anderen Räumen verwendet worden waren. Zur Möglichkeit eines Wiederaufbaus äußerte sich Turova nicht; mit Ausnahme des durch Brand zerstörten Teils klang die Zustandsbeschreibung jedoch nicht hoffnungslos.133 Das änderte sich in der Nacht zum 1. Februar, als es im südlichen Hauptteil des Schlosses brannte. Drei Tage waren Feuerwehreinheiten aus Puškin und Leningrad mit dem Löschen beschäftigt, wobei sie die zerstörte Infrastruktur stark behinderte. Laut einem Augenzeugen wollte man verhindern, dass der Brand auf den großen Saal übergriff. Gerade noch rechtzeitig gelang es, deutsche Fliegerbomben im Keller des Zubov-Flügels zu entfernen, bevor das Feuer sie erreichte. Dennoch erlitt der Südflügel größte Schäden. Zwar blieb der große Saal vor weiterer Zerstörung bewahrt, doch die Räume, die Turova als besser erhalten

132 Inber 1968, S. 268. 133 CGAIPD SPb, f. 25, op. 10, d. 509, ll. 39–41.

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­ ezeichnet hatte, waren alle ausgebrannt.134 Auch Nikolaj N. Belechov, der Leiter der Denkb malschutzbehörde in Leningrad, kommentierte am 18. Februar: Besonders bedauerlich ist das zweite Feuer in den Privaträumen Katharinas II. Bei unserem ersten Besuch war dort noch alles in besserem Zustand. Man zeigte uns die Minen, die im Palast lagen und entschärft worden waren, aber in der Nacht vom 1. auf den 2. ist wieder ein Feuer ausgebrochen. Vielleicht war es ein Sabotageakt, vielleicht waren die Minen nicht richtig entschärft worden, auf jeden Fall vernichtete der Brand viel.135

Aus Belechovs Worten geht hervor, dass die Brandursache nicht eindeutig geklärt wurde, von einer Explosion sprachen jedenfalls weder er noch der Leiter des Löschkommandos in ihren Erinnerungen. Die verkabelten Fliegerbomben, die mehrere Augenzeugen gesehen hatten und die auch fotografisch dokumentiert sind, waren den Berichten von Berggoľc, Inber und Belechov zufolge entschärft worden. Es scheint deshalb zweifelhaft, dass sie oder andere Minen Auslöser für den Brand gewesen sein konnten, der sieben Tage nach dem Abzug der deutschen Truppen ausbrach. In den Materialien der Außerordentlichen Kommission und der Beweisführung in den Nürnberger Prozessen spielten diese Unstimmigkeiten keine Rolle; für eine Anklage reichte aus, dass die Deutschen die „Zerstörung all dessen, was im Katharinenpalast und den angrenzenden Gebäuden noch erhalten war“, geplant und „elf mit Zeitzündung versehene Fliegerbomben mit einem Gewicht von einer bis drei Tonnen“ gelegt hätten.136 In der späteren sowjetischen Wahrnehmung und einer von propagandistischen Interessen geprägten Geschichtsschreibung entwickelte sich aus dieser vagen Formulierung die Feststellung, die Eroberer hätten den Palast in Brand gesetzt, ein Nachweis wurde aber nie erbracht. Das gibt Raum für Spekulationen darüber, ob die eigentliche Brandursache vertuscht werden sollte. Eine These lautet, durchziehende Rotarmisten hätten in den Räumen kampiert und angesichts der Januarkälte Feuer zum Wärmen entfacht.137 Auch andere Versionen sind denkbar, denn die Bewachung der Paläste stellte ein Problem dar, das die Museumsmitarbeiterinnen gelegentlich ansprachen. Was immer sich in den ersten Wochen nach der Wiedereinnahme ereignete, unzweifelhaft hatten die Paläste während der Besatzung schwerste Zerstörungen erlitten. Halb verbrannt, durch herausgebrochene Fenster und Einschüsse von allen Seiten zugänglich, standen sie bedroht und verletzlich in der vom Krieg schwer gezeichneten Parklandschaft.

134 M. E. Skrjabin/B. I. Končaev, Ogon’ v koľce, Leningrad 1989, S. 137–145. 135 CGALI SPb, f. 468, op. 1, d. 117, ll. 7–7ob. 136 Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg, Bd. 8, Nürnberg 1947, S. 95, http://www.zeno.org/Geschichte/M/Der+N%C3%BCrnberger+Proze%C3%9F/Hauptverhandlungen/Vier undsechzigster+Tag.+Donnerstag,+21.+Februar+1946/Nachmittagssitzung [1.5.2018]. 137 M. P. Lebedinskaja, O, vstreča, čto razluki tjaželee ... O sobytijach fevralja 1944 goda v Ėkaterininskom dvorce, http://tzar.ru/science/research/lmp_war [1.5.2018].

Die Schlösser in Puškin: Bernsteinzimmer, Fronttourismus, Hungersnot

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Pavlovsk: der klassizistische Palast Schloss Pavlovsk geht auf eine Schenkung Katharinas der Großen an ihren Sohn Paul zurück, der sogleich nach seiner Thronbesteigung (1796) den in den 1780er Jahren gebauten Palast – neben Gatčina – als seine eigentliche Residenz betrachtete. Pavlovsk wirkt in seinen Dimensionen nicht so gewaltig wie die anderen Schlösser, doch schufen die Architekten – von Charles Cameron bis zu Carlo Rossi – hier in der Kombination von klassizistisch gehaltenem Palast und sanft gewellten Gartenanlagen ein Arrangement von seltener Harmonie. Paul wurde 1801 ermordet. Seine Frau Marija Fedorovna, ursprünglich eine württembergische Prinzessin, behielt das Schloss mehr als 40 Jahre lang als Wohnsitz und prägte seine Geschichte. Ihr sind nicht nur die Erweiterung der Gärten, sondern auch der Aufbau einer ungewöhnlich reichen Bibliothek mit zeitgenössischer Literatur in vielen Sprachen (nach dem Architekten Rossi-Bibliothek genannt) sowie Sammlungen von Porzellan aus der Kaiserlichen Manufaktur und antiken Skulpturen zu verdanken. Gemälde von Künstlern im Range eines Giovanni Battista Tiepolo und Peter Paul Rubens zählen ebenso zu den Kostbarkeiten wie das kunstvoll ausgewählte Interieur.

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Die Museen im Krieg

2

Pavlovsk: die unbemerkte Ausraubung eines Palastes Anna Zelenova – lernen und leben für die Museumsarbeit

Die Kriegsgeschichte der Museen kennt viele Heldinnen. Anna I. Zelenova, die Direktorin von Schloss Pavlovsk138 zwischen 1941 und 1979, gehört ohne Zweifel zu ihnen. Geboren 1913, wuchs sie in ärmlichen Verhältnissen in Leningrad auf. Ihre Mutter war Näherin und Fabrikarbeiterin, der Vater kümmerte sich bei einer Bank um die Haustechnik. Zelenova nutzte die Bildungsmöglichkeiten, die sich nach der Oktoberrevolution eröffneten. Mit 14 Jahren unterrichtete die aktive Komsomolzin im Rahmen der Kampagne „Weg mit dem Analphabetismus“ Erwachsene im Lesen und Schreiben. Nachdem der Vater bettlägerig geworden war, verdiente sie neben dem Studium mit Schreibarbeiten den Lebensunterhalt für die Familie. Zunächst begann sie ein Maschinenbaustudium, wechselte dann aber an die kunsthistorische Abteilung der Fakultät für ausländische Sprachen an der Leningrader Universität. Sie sprach gut Deutsch, weil sie die deutsche Peter-Schule besucht hatte, und besaß englische und französische Sprachkenntnisse. 1913 stürzte sie bei denkmalpflegerischen Aufgaben in Novgorod von einem Baugerüst und trug schwere Verletzungen davon; lange musste sie an Krücken gehen. Während ihrer Rekonvaleszenz konzipierte sie kunsthistorische Führungen durch die Leningrader Museumssammlungen, die sie später auf die Sammlungen der Schlossmuseen ausdehnte. 1934 begann sie, als Museumsführerin in Pavlovsk zu arbeiten. Schnell rückte sie zur Wissenschaftlichen Leiterin auf. In dieser Funktion organisierte sie Restaurierungsarbeiten und nahm an der Generalinventarisierung teil, die zwischen 1937 und 1939 an allen Leningrader Vorortschlössern vorgenommen wurde.139 Die Bestandsaufnahme war erforderlich geworden, weil auch Pavlovsk unter den Verlusten der 1920er und 1930er Jahre gelitten hatte: Teils waren Kunstwerke verkauft worden, um Devisen zu erwirtschaften140, teils hatten Parteifunktionäre oder andere höhere Kader Erholungsheime, ihre Arbeitszimmer oder Datschen mit Mobiliar aus Museumsbeständen ausgestattet. In diesem Zusammenhang ist eine Begebenheit überliefert, die Anna Zelenova gut charakterisiert. Dem Schriftsteller Aleksej Tolstoj, der sich eines Tages in Pavlovsk nach Mahagonimöbeln für seine Datscha in Puškin umsah, soll sie erklärt haben: „Aleksej 138 Vgl. Min. Kuľtury RF (Hrsg.), Svodnyj Katalog, Bd. 2, GMZ Pavlovsk. Pavlovskij dvorec (Einführung von Nikolaj Treťjakov), 2 Bücher, Moskau 2000, S. 3–6; Nikolaj Treťjakov, Prigorodnye dvorcy-muzei Leningrada. Vojna i pobeda, St. Petersburg 2008; Anatolij M. Kučumov, Pavlovsk. Putevoditeľ po dvorcu-muzeju i parku, Leningrad 1970; Susanne Massie, Pavlovsk – The Life of a Russian Palace, London 1990; Rifat R. Gafifullin (Hrsg.): In Memoriam. Pavlovsk. Sobranie dvorca-muzeja. Poteri i utrati, St. Petersburg 2015; Corinna Kuhr-Korolev/Ulrike Schmiegelt-Rietig, Vyvoz chudožestvennych cennostej nacistami, in: Gafifullin 2015, S. 119–131; dies., Eine Kriegsgeschichte: Das Schloss Pavlovsk bei Leningrad und seine Sammlung. Ein Forschungsbericht, in: Zeitgeschichte-online, Dezember 2013, http://www.zeitgeschichte-online.de/geschichtskultur/eine-kriegs geschichte-das-schloss-pavlovsk-bei-leningrad-und-seine-sammlung [1.5.2018]. 139 Vgl. Adelaida Ёlkina, Sdelajte ėto dlja menja, St. Petersburg 2005. 140 Zu den Vorkriegsverkäufen siehe Kap. I.4: Kultur zwischen Kommerz und Politik. Speziell zu Pavlovsk: Kučumov 2004, S. 41–57; Gafifullin 2004, S. 232–241.

Pavlovsk: die unbemerkte Ausraubung eines Palastes

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Abb. 41  Anna Zelenova, die Direktorin von Schloss Pavlovsk, Mitte der 1930er Jahre in ihrem Arbeitszimmer.

Nikolaevič! Sie haben sich in der Tür geirrt. Das ist kein Lager ihrer persönlichen Habe, sondern ein staatliches Museum und damit unantastbar. Ich bitte Sie sehr, sofort zu gehen und erst wiederzukommen, wenn Sie in ihrem Herzen den Unterschied zwischen diesen beiden Eigentumsformen verstanden haben.“141 Zelenova wird durchgehend eine Haltung bescheinigt, wie sie hier deutlich wird: Unbestechlichkeit, Hingabe an die Museumsarbeit, Entschlossenheit und persönliche Integrität. Politisch muss sie gegenüber dem Sowjetsystem grundsätzlich loyal eingestellt gewesen sein, sonst wäre ihre Karriere undenkbar gewesen. Gleichzeitig war sie – soweit feststellbar – in den 1930er und 1940er Jahren nicht Parteimitglied. Den beruflichen Aufstieg hatte sie ihrem Engagement, ihrer persönlichen Ausstrahlung und guten Kontakten zu führenden Museumsleuten in Leningrad zu verdanken. Als sie 1936 ihre Tätigkeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in Pavlovsk aufnahm, fand sie große Unterstützung bei ihrem Vorgesetzten Stanislav V. Trončinskij. Er wurde während des Krieges Leiter des Sektors Museen in der Kulturabteilung des Leningrader Stadtsowjets und damit der Hauptverantwortliche für alle Fragen der Evakuierung und des Erhalts der Sammlungen.

141 Ёlkina 2005, S. 61. Nebenbei erhärtet dieser Zwischenfall die im vorangegangenen Kapitel erwähnte Episode aus dem Tagebuch der Osipova, die behauptete, ein Teppich aus den Schlössern habe im Hause Tolstojs gelegen.

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Die Museen im Krieg

In letzter Minute: Evakuierungen und Schutzmaßnahmen Von der deutschen Invasion erfuhr Zelenova während einer Führung auf Schloss Oranienbaum.142 Auf Anweisung der Leningrader Kulturbehörden half sie zunächst, die Sammlung des Museums der Stadt Leningrad zu evakuieren, dann wurde sie nach Pavlovsk geschickt, um die Leitung der dortigen Evakuierungsmaßnahmen zu übernehmen. Sie löste Ivan K. Mikrjukov ab, einen in Museumsdingen unerfahrenen Verwaltungsmann; der Hauptkustos, Fedor N. Vychodcev, war unmittelbar nach Kriegsbeginn einberufen worden.143 Als Zelenova am 6. Juli in Pavlovsk ankam, musste sie feststellen, dass zwei Wochen wertvoller Zeit verloren worden waren, vor allem wegen der unzureichenden Vorkriegspläne. Der erste Waggon mit den Sammlungsstücken der ersten Kategorie – 755 Objekte in 34 Kisten  – war zwar auf den Weg nach Gor’kij gebracht worden, um die Entscheidung für weitere Evakuierungen zu treffen, fehlten Mikrjukov aber die Kenntnisse. Strikt nach Anweisung hatte er alle Exponate in die erste Etage bringen lassen, damit sie besser gegen Splitter und Feuer geschützt wären. Zusätzlich sollten laut Plan die Objekte gemischt, Möbelgarnituren also beispielsweise auf unterschiedliche Stellen verteilt werden; man hoffte, dass sich so die Chancen erhöhten, dass wenigstens ein Exemplar jeder Garnitur erhalten bliebe.144 Zelenova fand das Inventar folglich kreuz und quer gestapelt vor: Auf dem Boden standen in mehreren Reihen Lombertische, Konsolen, Tischchen aus Edelhölzern und Tische mit Tischplatten aus bunten Steinen. Auf ihnen wiederum Tische kleinerer Größe mit den Beinen nach oben, zwischen den Beinen standen Sessel und auf ihnen Sitzfläche auf Sitzfläche, die Beine nach oben, Stühle. Mitten in diesem Wald aus Beinen und Beinchen – Pakete, Pakete, Pakete mit eingewickelten kleinen Gegenständen. Viele große Kunstwerke waren in Einzelteile zerlegt, die eingerollt an unterschiedlichen Orten, in unterschiedlichen Sälen lagen. Aber alles war geschickt nach Größe geordnet und auf eine gleiche Höhe gestapelt. Die Bilder befanden sich entlang der Wände. Keiner war auf die Idee gekommen, auch nur in Umrissen ein topologisches Verzeichnis anzulegen. Von Tür zu Tür hatte man kleine Durchgänge gelassen. Zudem waren die Fenster als Schutz gegen Druckwellen und Splitter mit Bretterverschlägen vernagelt worden. Strom gab es im Palast keinen. Im ganzen Museum waren nur drei Kerosinlampen vorhanden.145

142 In Oranienbaum (seit 1948 Lomonosov), 40 Kilometer westlich von St. Petersburg am Finnischen Meerbusen gelegen, befindet sich eine Schlossanlage aus dem 18. Jahrhundert. 143 Vgl. CGALI, f. 468, op. 1, d. 109, l. 8. 144 Vgl. Bericht Trončinskijs vom 11.10.1941, CGALI, f. 468, op. 1, d. 108, l. 22. Mikrjukov wurde 1945 beschuldigt, sich nicht sofort an die Front gemeldet zu haben. Zelenova und ihr Mitarbeiter N. Vejs verfassten einen Brief, in dem sie Mikrjukovs Verdienste für die Evakuierung hervorhoben und betonten, ihm sei keine Wahl geblieben, als in Pavlovsk zu bleiben. Vgl. CGALI, f. 468, op. 1, d. 109, l. 8. 145 Vgl. Ёlkina 2005, S. 95 f.

Pavlovsk: die unbemerkte Ausraubung eines Palastes

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So stand sie vor der Schwierigkeit, aus dieser unübersichtlichen Ansammlung besonders wertvolle Objekte herauszusuchen und für den Abtransport vorzubereiten. In zwei Partien wurden weitere 106 Kisten mit 4.827 Stücken nach Gor’kij und Sarapul geschickt; 57 Kisten mit 2.180 Objekten gingen in die Isaakskathedrale in Leningrad.146 Insgesamt wurden aus Pavlovsk gerettet: alle Exponate aus Edelmetall, die Sammlung russischen, westeuropäischen und chinesischen Porzellans, alle Gobelins und Wandverkleidungen aus Gobelin, ein Großteil der Stickereien, fast alle Bronzearbeiten, die Archivdokumente des 18. Jahrhunderts, darunter die Handschriftensammlung der Zarenfamilie, alle Architekturentwürfe und -skizzen für Schloss Pavlovsk, die Miniaturenkollektion und einzelne Möbelstücke.147 Im Schloss verblieben einer Bestandsaufnahme von 1950 zufolge 9.136 Objekte (antike Skulpturen, Gemälde, Möbel, Vasen), außerdem 16.499 Bände der Rossi-Bibliothek, die Gemmenkollektion, die Fotothek und das wissenschaftliche Archiv.148 Über Anweisungen zur Konservierung der Gebäude hinaus ergriff Zelenova Maßnahmen, mit denen sie eine spätere Restaurierung gewährleisten wollte. Sie sammelte Informationen zum Interieur und bat beispielsweise eine Mitarbeiterin, die Raffung des Baldachins über dem Paradebett der Zarin Marija Fedorovna in verschiedenen Ansichten zu zeichnen; während die Stadt bereits bombardiert wurde, entstanden im August 1941 akribische Skizzen.149 Die meisten Parkskulpturen (67 Objekte) ließ Zelenova vergraben und Lagepläne anfertigen. 99 besonders wertvolle antike Statuen kamen in ein Kellergewölbe, dessen Zugang zugemauert und getarnt wurde. Am 14. und am 15. September machte Zelenova ihre letzten Rundgänge. In zwei ausführlichen Berichten schilderte sie bis in jede Einzelheit den Zustand von Park und Schloss und verfasste eine Bilanz der Evakuierungen. Der Palast war ihrer Beschreibung nach kaum beschädigt. Die Fenster waren mit Holzbrettern vernagelt und mit Sandsäcken geschützt. Für den Brandfall standen in allen Sälen Wassereimer und Kisten mit Sand bereit. Im Ort Pavlovsk seien dagegen das Wasserversorgungsnetz, die Telefonverbindung und das Stromnetz zerstört.

146 Vgl. Ёlkina 2005, S. 385. 147 Vgl. Bericht Trončinskijs vom 11.10.1941, CGALI, f. 468, op. 1, d. 108, l. 17. 148 Vgl. R. R. Gafifullin/A. N. Guzanov, Pavlovskij dvorec-muzej. Ėvakuacija, in: Gafifullin 2015, S. 73–107, hier S. 89. Die Zahlenangaben variieren, was vor allem an der Zählweise liegt, d.h. ob bei mehrbändigen Buchausgaben oder Porzellanservices die Bände bzw. Einzelteile einzeln gezählt wurden oder als eine Einheit galten. Zelenova nennt in ihrem Bericht folgende Zahlen: 32.385 Objekte, darunter vor allem Möbel, schwere Vasen, das wissenschaftliche Archiv, die Fotothek und zehn Kisten, die nicht mehr weggebracht werden konnten; außerdem die wertvolle Rossi-Bibliothek mit ca. 12.000 Bänden, vgl. Anna Zelenova, Otčet o sostojanii muzejno-parkovogo chozjajstva na 15 sentjabrja 1941 goda, in: Ёlkina 2005, S. 383–386. Im Verlustkatalog, der zwischen 2006 und 2012 entstand, ist die Rede von 22.133 Objekten, die sich vor Kriegsbeginn im Palast befanden. Vgl. Min. Kuľtury RF, Bd. 2, unter http://www.lostart.ru/catalog/ru/tom2/ [1.5.2018]. 149 Vgl. Ёlkina 2005, S. 97.

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Die Museen im Krieg

Die Keller des Schlossmuseums wurden als Luftschutzkeller benutzt, wo sich am 15. September 1941 850 Menschen befunden haben. Der Teil des Kellers, der zum inneren Eingang der Museumsräume führte, war von dem allgemeinen Luftschutzkeller abgeteilt und den Mitarbeitern des Pavlovsker Museums und ihren Familien zur Verfügung gestellt worden. [...] Es gab niemanden, der am 14. oder 15. wegfahren wollte, denn die Wege standen unter Beschuss, entweder vom Boden oder von der Luft aus.150

In Zelenovas Berichten ist eine merkwürdige Distanz zum unmittelbaren Kriegsgeschehen zu beobachten. Einerseits arbeitete sie wie eine Besessene, um das Museum vor Verlust und Zerstörung zu retten, andererseits schien sie nicht zu begreifen, dass der Krieg alles veränderte. Sowohl sie selbst als auch ein Major Semen Borščev erzählten später von einer Begebenheit, die dies sichtbar werden lässt. Im Verwaltungsflügel des Schlosses waren im September die Kommandostellen des 402. Schützen- und des 412. Haubitzen-Regiments untergebracht, zu denen Borščev gehörte. Eines Tages beschwerte sich Zelenova aufgebracht, im „höchsteigenen Garten“ stünden Motorräder von Militärangehörigen. Der Major, ein Mann einfacher Herkunft, verstand nicht, wem der Garten gehören sollte, woraufhin ihm Zelenova einen kurzen Vortrag über die von Cameron geschaffene kleine Gartenanlage und ihre besonderen Zierstauden hielt, die im 18. Jahrhundert in den Niederlanden beschafft worden waren. Borščev, der sich verzweifelt Gedanken machte, wie die Stellungen am Rand des Parks gehalten werden könnten, erschienen Zelenovas Sorgen realitätsfern und rührend zugleich; er gab Befehl, die Motorräder an einen anderen Platz zu stellen.151 Dass die Begegnung mit Militärangehörigen nicht immer so freundlich war, deutete Zelenova in ihren späteren Erinnerungen nur an. In den Berichten vom 14. und 15. September 1941 machte sie dagegen keinen Hehl aus ihrem Unverständnis für die Schäden, welche die Militäreinheiten hinterließen. Dazu gehörte der Umgang mit dem Wirtschaftstrakt und dessen Inventar, das durch deren selbstherrlichen Gebrauch großenteils verlorengegangen sei. Nachdem Pavlovsk zum Frontgebiet erklärt worden sei, habe man das Inventar nicht mehr schützen können. Heu sei beispielsweise ohne Erlaubnis entnommen und in einer Feldküche das gesamte Holz der Orangerie verfeuert worden. „Die in den Seitenflügeln des Museums untergebrachten Stäbe haben die Räume stark verschmutzt und nahmen bei ihrer Abreise Elektroarmaturen und sogar Möbel aus dem Wirtschaftstrakt mit.“152 Auch der Park nahm großen Schaden; die Rasenflächen waren zertrampelt, viele neuentstandene Wege entstellten das Ensemble, manche der Pavillons, die Einheiten beherbergt hatten, waren verschmutzt oder beschädigt. Besonders am Rand des Parks waren viele Bäume abgeholzt worden, Zelenova

150 Ёlkina 2005, S. 384. 151 Vgl. Semen N. Borščev, Ot Nevy do Eľby, Leningrad 1997, online: http://militera.lib.ru/memo/russian/borschev_sn/ index.html [1.5.2018]., Kap. Na Pavlovskom parke; Anna Zelenova, Snarjady rvutsja v Pavlovske, in: A. I. Zelenova, Staťi, Vospominanija, Pis’ma, St. Petersburg 2006, S. 84. 152 Vgl. Ёlkina 2005, S. 386.

Pavlovsk: die unbemerkte Ausraubung eines Palastes

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schätzte den Verlust schon zu diesem Zeitpunkt auf zehn Prozent des Baumbestands.153 Der Palast selbst befand sich jedoch in gutem Zustand, vor allem, weil er etwas abseits der direkten Zufahrtsstraßen nach Leningrad lag und die schwersten Kämpfe nicht in unmittelbarer Nähe stattfanden.154 Der Vormarsch der deutschen Truppen vollzog sich an diesem Frontabschnitt nicht gleichmäßig. Da die SS-Polizei-Division schon weit in Richtung Puškin vorgestoßen war, gerieten die Pavlovsk verteidigenden sowjetischen Regimenter in Gefahr, eingekesselt zu werden und verlegten ihre Stellungen deshalb am 17. September einige Kilometer in Richtung Leningrad zurück. Als am 16. September gegen Abend das erste deutsche Motorrad gesichtet wurde, packte Zelenova alle wichtigen Dokumente zusammen und verließ mit einem Mitarbeiter zu Fuß Pavlovsk. Nur mit Mühe erreichten sie am nächsten Morgen das etwa 30 Kilometer entfernte Leningrad.

Unter deutscher Besatzung Die Einnahme von Pavlovsk (Sluck/Slutzk) erfolgte durch die 121. Infanterie-Division, die zu diesem Zeitpunkt der 18. Armee unterstellt war. Westlich von ihr kämpfte die SS-PolizeiDivision, die am selben Tag Puškin einnahm, östlich Teile der 96. und der 122. InfanterieDivision.155 Bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 24. Januar 1944 stand Pavlovsk mehr als zwei Jahre lang unter deutscher Militärbesatzung – und lag immer in Frontnähe. Die ersten Maßnahmen der deutschen Besatzer entsprachen denen in Puškin. Alle Einwohner mussten sich registrieren lassen. Systematisch wurde nach Menschen jüdischer Herkunft und Mitgliedern der Kommunistischen Partei gesucht. Den Angaben der Außerordentlichen Kommission zufolge befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch rund 15.000 Einwohner in der Stadt. In den ersten Tagen seien 41 Juden erschossen worden. Zeugenaussagen aus der Nachkriegszeit belegen weitere Opfer: Mehr als 227 Menschen seien erschossen worden oder an den Folgen von Folter gestorben, sechs wurden gehängt, 387 Kinder verhungerten in einem sogenannten Kinderheim. Mehr als 6.000 Menschen, so der Bericht weiter, seien in Lager oder zu Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden. 156 Die Zahlen der Außerordentlichen Kommission bedürfen immer einer kritischen Betrachtung, die für Pavlovsk genannte Größenordnung erscheint aber plausibel. Als „fronttouristisches Ziel“ war Pavlovsk offenbar weniger beliebt als Puškin. Während es zahlreiche Fotos von Soldaten und Offizieren gibt, die vor der Fassade des Katharinenpalasts posieren, vermittelt der Korpus der erhaltenen deutschen Propagandafotografie den Eindruck, dass sich nur selten ein Fotograf dorthin verirrte – vielleicht, weil es etwas abseits 153 Vgl. Ёlkina 2005, S. 393. 154 Vgl. Borščev 1997. 155 Vgl. Kilian 2012; Hürter 2001; Husemann 1971, S. 111–114. 156 Vgl. CGA StP, f. 9421, op. 1, d. 195, ll. 4–9.

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Die Museen im Krieg

der Front lag, vielleicht war es auch einfach weniger bekannt. Eine Ausnahme bilden zwei Konvolute, die unmittelbar nach der Einnahme Pavlovsks entstanden. Ein Film mit 39 Aufnahmen stammt von dem Fotografen Ernst Baumann157, der bei dem – der SS-Totenkopf-Division zugeordneten – 2. SS-Kriegsberichter-Zug eingesetzt war. Wie alle SS- und Wehrmachtsbildberichterstatter war er professioneller Fotograf.158 Der 1906 geborene Baumann stammte aus Bayern, in der Weimarer Zeit hatte er sich einen Namen als Bergfotograf gemacht. Seine Einheit stand eigentlich im Gebiet Novgorod. Möglicherweise unterstützten einzelne Kampfgruppen die Wehrmacht beim Vormarsch auf Leningrad, jedenfalls war Baumann dabei, als Einheiten der Waffen-SS Pavlovsk einnahmen, und dokumentierte dies fotografisch – oder gab den Bildern zumindest den Anschein, als seien sie während der Besetzung entstanden, einige Fotos wirken jedenfalls seltsam gestellt. Abb. 42  Im Ostfeldzug griffen deutsche Soldaten Manche Fotografien Baumanns besitzen einen auf Transportmittel aller Art zu. Hier stehen zwei Wehrmachtssoldaten im Herbst 1941 mit einem stärker dokumentarischen Charakter und vermit- Panjewagen vor der Einfahrt in den Pavlovsker Park. teln einen Eindruck von der Lage kurz nach der deutschen Besetzung. Er fotografierte Zivilisten, die, ihre Habe in Bündeln zusammengebunden, mit ihren Ziegen eine neue Bleibe suchten oder sich für einen Marsch aus dem Kampfgebiet rüsteten. Ein Foto zeigt eine Verhörsituation in einer Schreibstube, ein anderes, wie Soldaten vor dem Denkmal Pauls I. posierten. Vom Palast selbst gibt es nur Aufnahmen des rechten Flügels. Einige Fotografien zeigen den Park, das Gusseiserne Tor und die Voliere. Innenaufnahmen fehlen bis auf eine Ansicht der Ikonostase in der Kirche, die sich in einem der Seitenflügel befand. Auch der bereits erwähnte Fotograf Hanns Hubmann159 besuchte Pavlovsk.

157 Die Fotografien, die nur als Kontaktabzüge im Bundesarchiv Bildarchiv in Koblenz aufbewahrt sind, gehören dort zum Bestand Bild 101III-Baumann, Film 77. Vgl. Corinna Kuhr-Korolev, Pavlovskij dvorec v pervye dni okkupacii, in: Gafifullin 2015, S. 109–118. 158 Zu Baumann auch J. Lang, Auf der Suche nach den Motiven der Sehnsucht. Zum 100. Geburtstag des Bad Reichenhaller Bergfotografen Ernst Baumann, in: „Heimatblätter“, Beilage des „Reichenhaller Tagblatt“ und „Freilassinger Anzeiger“, 74, Nr. 9, 26.8.2006. Ernst Baumann war während des Krieges einige Zeit zurück in seine Heimat abgeordnet und fotografierte dort unter anderem Eva Braun. NARA, Collection of Foreign Records, Record Group 242.28, 1913–1945. Ausgewählte Fotografien aus diesem Bestand, darunter auch Aufnahmen von Baumann, wurden eingescannt und sind online zugänglich unter: http://www.kriegsberichter-archive.com/index. php [1.5.2018]. Mehr zu Bildberichterstattern in Kap. II.4: Ein unterschätzter Akteur. 159 Siehe Kap. III.1: „Fronttourismus“ und Lagebeschreibungen.

Pavlovsk: die unbemerkte Ausraubung eines Palastes

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Abb. 43  Viele der Aufnahmen des Bildberichterstatters Ernst Baumann wirken gestellt, wie die Festnahme eines sogenannten Flintenweibs.

Abb. 44  Trotz der entspannt wirkenden Atmosphäre hat Ernst Baumann hier im September 1941 vermutlich eine Festnahme fotografiert.

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Die Museen im Krieg

Abb. 45  Als Fotograf für das auf Außenwirkung bedachte illustrierte Auslandsjournal „Signal“ konnte Hanns Hubmann für seine Reportagen auch teure Farbfilme verwenden.

Auf einigen seiner Fotografien hielt er die Registrierung der männlichen Zivilbevölkerung auf dem Vorplatz des Schlosses fest. Die Zahl der in der Schlange stehenden Männer ist beachtlich; die Größenordnung von 3.000, welche die Außerordentliche Kommission später nannte, könnte zutreffen. Über den Alltag im besetzten Pavlovsk sind weniger Erinnerungen überliefert als für Puškin, doch ist von ähnlichen Bedingungen auszugehen. Es herrschte ebenfalls eine dramatische Versorgungskrise. Möglicherweise milderte die Lage Pavlovsks die Situation ein wenig, auch der Umstand, dass hier Einheiten der Wehrmacht und nicht der Waffen-SS standen, mag eine Rolle gespielt haben. Als Osipova und ihr Mann im Mai 1942 von Puškin nach Pavlovsk kamen, schien ihnen das Leben jedenfalls zunächst leichter. Allerdings profitierten sie auch hier von den guten Beziehungen zu den deutschen Besatzern und speziell zum SD, durch die der Ortwechsel erst möglich geworden war. In ihrer ersten Eintragung am neuen Ort notierte Osipova: Wir haben ein riesengroßes Zimmer und ein weiteres kleines. Die Möbel haben wir mitgebracht. [...] Eine gemeinsame Küche mit zwei lieben alten Frauen, Verwandte des Stadtoberhaupts. Hier ist deutlich weniger Beschuss, es erinnert mehr an ein Leben in Friedenszeit. Es gibt Verkaufsbuden und einen Markt. Mehr Lebensmittel, die man auch für Geld kaufen kann. Kolja ist zum „Direktor“ der Schule ernannt worden. Aber das Wichtigste ist, dass man ihn zur Herausgabe einer Zeitung heranziehen möchte. Eine russische. Angeblich eine freie. Der Traum seines gesamten Lebens.160

160 Budnickij 2012, S. 132.

Pavlovsk: die unbemerkte Ausraubung eines Palastes

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Abb. 46  Auch in Pavlovsk musste sich die männliche Zivilbevölkerung in den ersten Tagen nach der deutschen Einnahme registrieren lassen.

Osipova äußerte Zweifel an dem Vorhaben und befürchtete, dass die russischen Übersetzer und Verwaltungsangestellten im Dienst der Besatzer es unmöglich machen würden, die Zeitung so zu schreiben, wie sie und ihr Mann es sich vorstellten; sie wollten die Bevölkerung für die Idee eines freien russischen Nationalstaats gewinnen. Abneigung empfand Osipova denjenigen gegenüber, die sich mit der neuen Macht ebenso opportunistisch arrangierten, wie sie es zuvor mit den Bolschewiki getan hatten, der größte Spekulant sei der Pope. Mitgefühl hatte sie dagegen mit den vielen jungen Frauen, die sich für ein Stück Brot oder einen Teller Suppe an einen deutschen Soldaten verkauften. Oft seien aus diesen Zweckbündnissen rührende Liebesbeziehungen entstanden. Sie wusste die moralische Notlage der Mädchen aber auch für sich zu nutzen, denn sie bot ihre Dienste als Kartenlegerin und Hellseherin an und verdiente sich so etwas Geld dazu. Gerade diese „Liebchen“, wie Osipova sie nannte, kamen gern und ließen sich durch hoffnungsfrohe Vorhersagen beruhigen; in diesen rauen Zeiten biete sie einen Ersatz für Psychotherapie: „Es ist natürlich leicht, ihnen etwas vorauszusagen. König, Liebe bis zum Tod, baldiges Treffen, Reise. Das ist das Wichtigste. Alle träumen wahnsinnig von einer Reise. Egal wohin, nur irgendwohin wegkommen.“ Es gab auch ein Bordell, das von einer Russin geleitet wurde. Osipova verwunderte nicht seine Existenz, sondern der Umstand, dass es ohne Geheimnistuerei betrieben wurde, nach russischen Moralvorstellungen war dies undenkbar.

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Die Museen im Krieg

Im August 1942 wechselten die Besatzungseinheiten, und die Blaue Division kam nach Pavlovsk. Die Spanier veränderten den Alltag, vor allem gingen sie viel offener auf die örtliche Bevölkerung zu als die Deutschen. Osipova beobachtete, dass die „Liebchen“ schnell den Liebhaber wechselten und die Kinder begeistert an den Spaniern hingen, da diese fröhlich waren und großzügig mit ihren Essensrationen umgingen. Gleichzeitig bemerkte sie, dass die Spanier keine Skrupel hatten, etwas mitgehen zu lassen, chaotisch in der Organisation und unberechenbar in ihren Reaktionen waren. Explizit erwähnt sie den Handel mit Ikonen, den einer der spanischen Übersetzer, ein gewisser Dockij, betrieb, der allerdings kein Spanier, sondern ein russischer Emigrant war. Im Spanischen Bürgerkrieg hatte er auf Seiten der Nationalisten gekämpft, später meldete er sich als Freiwilliger zur Blauen Division. Er spürte Ikonen auf, kaufte sie für einen Spottpreis oder erpresste sie, um sie dann mit Gewinn an die spanischen Soldaten und Offiziere weiterzuverkaufen.161 Die Osipovs verließen Pavlovsk Ende April 1943. Die ganze Besatzungszeit über waren bereits diejenigen Einwohner abgewandert, die sich als sogenannte Ostarbeiter hatten anwerben lassen. Die Verbliebenen mussten das Gebiet im Herbst 1943 verlassen und wurden in Lagern im rückwärtigen Heeresgebiet untergebracht, wo sie dasselbe Schicksal erwartete wie die Einwohner Puškins oder Krasnogvardejsks.

Die Verluste der Pavlovsker Sammlungen Auch auf Schloss Pavlovsk sahen sich Kunstschutzkommandos um, als Erste Ende September 1941 Mitarbeiter des Sonderkommandos Künsberg, dann kam Solms, im November 1941 und im Frühjahr 1942 erkundeten Mitarbeiter des ERR die Situation; im Sommer 1942 ist nochmals die Anwesenheit von Solms belegt. Mit Blick auf den Abtransport von Kunstwerken spielte sicherlich eine Rolle, dass Schloss Pavlovsk abgelegen lag, nicht unter direktem Beschuss stand und zudem weniger bekannt war als der Katharinenpalast, dessen Kunstschätze angesichts der knappen Transportkapazitäten folglich Priorität besaßen.162 Hinzu kam, dass der Kommandant, ein gewisser Hauptmann Guttmann vom Stab der in einem Seitenflügel einquartierten Division, die Sammlung wie ein Zerberus bewachte. Unmittelbarer Handlungsbedarf bestand also nicht. Alle Berichte sind voll des Lobes für diesen Hauptmann, der als kunstverständiger Mann galt und das Schlossinventar vor dem

161 Vgl. Budnickij 2012, S. 156. 162 Rifat Gafifullin, stellvertretender Leiter der wissenschaftlichen Abteilung des Schlossmuseums Pavlovsk und einer der besten Kenner seiner Geschichte, bezweifelt dies allerdings und verweist auf möglicherweise nicht überlieferte Quellen. Seiner Meinung nach hat Solms bei dem ersten Abtransport wertvoller Kunstobjekte nach Königsberg auch Objekte aus Pavlovsk verladen lassen. Vgl. Rifat Gafifullin, Razgrablenie Pavlovskogo dvorca-muzeja v gody okkupacii, in: ders. 2015, S. 133–140. Die Quellen geben dazu keinerlei Hinweise. Nach dem Krieg wurden in Königsberg keine Restbestände von Möbeln aus Pavlovsk gefunden, anders sah das für Puškin und Gatčina aus.

Pavlovsk: die unbemerkte Ausraubung eines Palastes

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Zugriff von Offizieren und Soldaten schützte. Ausgeliehene Möbelstücke würden „auch an höhere Stellen (Generäle) nur gegen Quittung und genauen Nachweis des Verbleibs“ abgegeben.163 Karl-Heinz Esser berichtete, im Schloss befänden sich noch einige großformatige Gemälde, eine Reihe „weniger bedeutsamer Ikonen“ und „vor allem eine grössere Anzahl guter Stühle und Sessel und eine Sammlung von bronzenen und marmornen Antike-Nachbildungen, die im Park vergraben waren und unter Aufsicht des Hauptmann Guttmann geborgen wurden.“164 Einem Bericht des Bibliothekswissenschaftlers Gerhard Wunder von Ende 1941 zufolge waren das SS-Sonderkommando Künsberg und andere, nicht näher benannte SS-Einheiten am Abtransport von Kunstsammlungen beteiligt.165 Die „Gruppe Hamburg“ des Sonderkommandos konfiszierte 12.000 Bände der sogenannten Rossi-Bibliothek, einer Sammlung wertvoller Bücher in westlichen Sprachen aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert sowie einiger seltener Ausgaben aus dem 16. Jahrhundert, kunstvoll illustrierter Alben, kostbarer Erstausgaben, Enzyklopädien und Atlanten, zudem Grafiken, Radierungen und Handschriften. Unter Leitung Jürgen von Hehns wurde das konfiszierte Material – dabei auch Karten, landeskundliches Material, wissenschaftliche Fachzeitschriften und Propagandamaterial; zunächst nach Siverskij, dem Hauptquartier des Sonderkommandos, gebracht, von dort nach Riga oder Reval166 und schließlich in ein Lager in der Berliner Hardenbergstraße 29a, wo es im Sommer 1942 eintraf. In Berlin kam es bald zu heftigen Diskussionen um die Frage, wer die Verfügungsgewalt über die konfiszierten Bücher besitzen sollte; beteiligt waren unter anderem das Auswärtige Amt, das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, die Reichskanzlei, der Wirtschaftsstab Ost. Durchsetzen konnte sich Rosenbergs Ostministerium, das den Großteil erhielt, darunter auch 11.500 Bände aus der Bibliothek von Pavlovsk und 16.000 aus der von Gatčina.167 Vor der Übergabe wurden noch einige Bücher verschenkt. Eine Gabe von etwa 100 Bänden bekam Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg.168 Möglicherweise vertrat man im Auswärtigen Amt die Meinung, dass Schulenburg, bis 1941 der deutsche Botschafter in der UdSSR, eine Kompensation für seine Bibliothek zustünde, die er in Moskau hatte zurücklassen müssen. Als Künsberg im November 1942 die Bücher übersandte, stellte er weitere Zuwendungen in Aussicht: „Der Ostfeldzug wird uns Gelegenheit geben neues umfangreiches

163 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 148, ll. 1–5, hier 3. Bericht von Gert Wunder, ERR. 164 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 146, l. 253. 165 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 148, ll. 1–5. 166 Aus den Quellen geht der Transportweg nicht eindeutig hervor. Das Sonderkommando Künsberg agierte von Reval aus und hat offenbar manche Bestände zunächst dorthin bringen lassen. Wunder schrieb in seinem internen Bericht aber, dass die Bücher über Riga nach Berlin transportiert wurden. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, ll. 263–284, hier 269. 167 Vgl. Hartung 1997, S. 108. 168 Vgl. Hartung 1997, S. 106 f. Der Briefwechsel zwischen Künsberg und Schulenberg sowie die Liste der übergebenen Bücher befinden sich im PA – AA, R-27558. Abdruck der Dokumente bei Hartung 1997, S. 88 f. Siehe auch oben Einleitung.

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Material sicherzustellen, von dessen Eingang ich Sie zu gegebener Zeit in Kenntnis setzen darf.“169 Schulenburg antwortete umgehend. Mit der Übersendung habe Künsberg in seinem „leider von Lücken klaffenden Bücherreihen ein erhebliches Loch ausgefüllt. Sollten Sie wieder Bücher bekommen und in der Lage sein, davon etwas abzugeben, so würde ich glücklich sein, wenn Sie wieder an mich denken wollten.“170 Dazu kam es allerdings nicht. Die dem Ostministerium überlassenen 11.500 Bände sollten bereits 1946 in die Sowjetunion zurückkommen. 171 Sie waren von Berlin nach Schloss Tanzenberg (Kärnten) weiterverschickt worden, das als Aufbewahrungsort für Bücher diente, die in ganz Europa für die Zentralbibliothek von Rosenbergs „Hohe Schule der NSDAP“ zusammengeraubt wurden. In Tanzenberg fanden sie Soldaten der Britischen Armee, als sie im Mai 1945 in Österreich einrückten. Einige Bücher gingen allerdings verloren. Laut Verlustkatalog vermisst Pavlovsk heute noch 248 Bände. Zurück in den November 1941 und zum Bericht Gerhard Wunders über seinen ersten Besuch in Pavlovsk. Ihn beschäftigte unter anderem das Schicksal der Gemmensammlung, die andere SS-Einheiten, vermutlich Mitglieder der SS-Einsatzgruppe A und des SD, konfisziert hatten, wozu sie aus seiner Sicht aber gar nicht befugt waren. In seinem bereits erwähnten vertraulichen Fahrtbericht von Ende November 1941 bemerkte er: „Was der SD geborgen hat (z.B. die Gemmensammlung in Pavlovsk), fällt außerhalb unseres Bereichs.“172 Dies ist ein in den Quellen sonst an keiner Stelle überlieferter Hinweis darauf, dass die SS im Bereich der Heeresgruppe Nord am Kunstraub beteiligt war und außerhalb aller Absprachen agierte. Angesichts der Tatsache, dass die SS-Einsatzgruppe A sich zu einem sehr frühen Zeitpunkt an allen der hier untersuchten Orte befand, für Sicherungsaufgaben zuständig war und über eine große Befehlsgewalt verfügte, hatte sie potentiell beste Zugriffsmöglichkeiten auf die Kunstschätze, die in den ersten Tagen und Wochen noch vorhanden waren. Die Einsatzgruppe agierte zwar in Zusammenarbeit mit der Wehrmacht, blieb aber weitgehend jeder Kontrolle entzogen. Insofern sind ihre Angehörigen verdächtig, sich bereichert zu haben, doch ist die Quellenlage zur Einsatzgruppe A so dünn, dass sich der Verdacht nicht erhärten lässt. Im Dezember 1941 und Anfang 1942 änderte sich die Situation von Schloss Pavlovsk, das bis dahin einigermaßen unversehrt geblieben war, grundlegend. Am 14. Dezember brach in dem Flügel, der vom Stab der Division bewohnt wurde, ein Feuer aus, das erst am nächsten Tag gelöscht werden konnte.173 Im Frühjahr 1942 fanden Truppenverschiebungen statt und die Belegung des Schlosses wechselte. Offenbar fühlte sich nun niemand mehr für den Schutz der Gebäude und des Inventars zuständig. Der Verbindungsmann des Auswärtigen Amtes bei der 18. Armee, Reinhold von Ungern-Sternberg, stellte in einem Bericht 169 PA – AA, R-27558, Schreiben als Kopie abgedruckt bei Hartung 1997, S. 88. 170 PA – AA, R-27558, Schreiben als Kopie abgedruckt bei Hartung 1997, S. 89. 171 Vgl. Grimsted, http://www.errproject.org/survey.php [1.5.2018]. 172 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, ll. 263–284, hier 283. 173 BArch – Militärarchiv, RH 26-121/16, KTB III vom 27.9.1941–30.4.1942, Kdo. 121. Inf. Div. (Fü. Abt.).

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vom April 1942 fest, die meisten Fenster seien zerschlagen und von der Inneneinrichtung sei nur ein unbedeutender Teil übriggeblieben.174 Für diese Verluste müssen vermutlich die Einheiten verantwortlich gemacht werden, die sich zu diesem Zeitpunkt dort befanden. Von März bis Juni 1942 waren dies jene der 5. Gebirgs-Division, die abwechselnd dem I. und L. Armeekorps unterstellt waren und im Gebiet um Leningrad zum Einsatz kamen. Die Division war im Februar 1942 im Wehrkreis XVIII, zu dem unter anderem die Städte Graz, Innsbruck und Salzburg gehörten, neu aufgestellt worden. Gerade in Graz tauchten in den letzten Jahrzehnten Objekte aus Pavlovsk auf, was dafür spricht, dass tatsächlich über Angehörige der Gebirgsdivision Gegenstände mitgenommen wurden.175 Im Juli wurde die 121. Infanterie-Division, die Pavlovsk im September 1941 eingenommen hatte, erneut hierhin verlegt, im August kam für ein Jahr die spanische Blaue Division. Im Laufe des Jahres 1942 brachte die dem Oberkommando der Heeresgruppe Nord unterstellte Gruppe Sammeloffizier Objekte von Pavlovsk nach Pskov. Bekannt ist dies nur aus einem Brief Werner Körtes vom 31. Juli an seine Ehefrau Elisabeth, in dem er berichtete, zum Abschluss seines kurzen Einsatzes habe er gemeinsam mit Solms Schloss Pavlovsk besucht: In der kommenden Woche wirst Du mal weniger von mir hören: Graf Solms fährt mich auf Umwegen zu meiner Batterie zurück, und diese Umwege gelten verschiedenen halb zerschossenen Zarenschlössern, in denen ich u. a. auch antike Marmorwerke begutachten soll. Solms traut sich das nicht zu; in Hamanns Schule begreiflich. Und wenn es auch wie zu erwarten, nur römische Kopien sind, so freue ich mich gerade auf diesen Teil der Arbeit, der mein letzter Beitrag sein wird, ganz besonders.176

Zeugnisse darüber, was Körte und Solms noch vorfanden und nach Pskov brachten, existieren nicht. Es gibt jedoch den Hinweis, dass auf der Ausstellung, die Solms im Pogankinhaus in Pskov einrichtete, Stücke aus Pavlovsk zu sehen waren.177 Seit Frühjahr 1943, als sich andeutete, dass der deutsche Rückzug bevorstand, erlahmten alle Bemühungen, Schloss Pavlovsk vor Kriegszerstörung zu bewahren. Das wertvolle Inventar war zu diesem Zeitpunkt bereits abtransportiert, noch vorhandenes Mobiliar brachten möglicherweise Angehörige der Blauen Division in ihre Quartiere, und in Berichten Osipovas ist von einem schwungvollen Handel mit Ikonen die Rede.178

174 PA – AA, R. 60768 (LS v. Ungern-Sternberg), Bericht „Der Zustand der ehemaligen Zarenschlösser bei Petersburg“ vom 6.4.1942. 175 Vgl. Tim Neshitov, Die Geschichte von der verschwundenen Vase, in: „Süddeutsche Zeitung“, 24.6.2013. Eine der spektakulärsten Rückgaben nach Pavlovsk, die Bronzefigur „Fliegender Merkur“, befand sich nach Kriegsende in Schloss Eggenberg bei Graz und wurde 2005 von Österreich restituiert. 176 Werner Körte an Elisabeth Körte, vom 31.7.1942, Privatarchiv Arnold Körte. 177 Vgl. Theodor Müller, Ein Museum in Pleskau. Die deutsche Wehrmacht rettet Kunstschätze – Kulturgut aus Zarenschlössern und Kirchen, in: „Revaler Zeitung“, 19.5.1943. 178 BArch – Militärarchiv, RH 19-III/774.

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Die Museen im Krieg

Am 24. Januar 1944 eroberte die Rote Armee die Stadt Pavlovsk zurück. Der Palast war zwar schwer beschädigt, in seiner Substanz aber noch gut erhalten. Drei Tage nach der Befreiung brach – wie in Puškin – ein Feuer aus. In diesem Fall spricht alles dafür, dass durch Minen ausgelöste Explosionen die Ursache waren. In der Stadt gab es weder Wasserversorgung noch Arbeitskräfte, so dass der Palast in drei Tagen komplett ausbrannte.

Rückkehr nach Pavlovsk Seit sie Pavlovsk im Herbst 1941 verlassen hatte, hatte Anna Zelenova in Leningrad die evakuierten Sammlungsobjekte betreut. Am 31. Januar 1944 nahm sie an der oben erwähnten Rundreise zu den Vorortschlössern teil. Aus der Radioübertragung von Oľga Berggoľc wusste sie, dass Schloss Pavlovsk nach der Befreiung gebrannt hatte, das Ausmaß konnte sie sich aber nicht vorstellen. Am Vorabend der Reise schrieb sie mit verhaltener Vorfreude an Anatolij Kučumov, der noch die evakuierten Kulturgüter in Novosibirsk betreute: Über Pavlovsk weiß niemand etwas, außer, dass Diversanten am zweiten Tag nach der Vertreibung der Deutschen den Palast angezündet haben, der mit hellem Feuerschein drei Tage lang brannte (mit heftigen Explosionen im Feuer). Die Brücken auf dem Weg zum Palast sind zerstört. (Werde mich schwimmend dahin durchschlagen! Obwohl Sie ja die Slavjanka kennen, im Sommer kann ein Huhn sie durchqueren, da werde ich schon eine Furt finden!) – Schade, dass es wegen der Verminung überall nicht möglich sein wird, den gesamten Park abzufahren. (Ich befürchte, dass ich mich nicht zurückhalten kann und trotzdem losgehe ... Eine Frage des Schicksals! – Wir hatten keine Angst, auf dem Nevskij zu gehen und das war eine Zeitlang – in der Periode der täglichen Bombardierungen – nicht weniger gefährlich, als über ein Minenfeld zu gehen). Und dann ist es doch kaum möglich, sich zurückzuhalten und alle Verschläge, Lagerräume und Keller des Palasts abzugehen.179

Am 4. Februar 1944 wurde sie erneut zur Direktorin von Schloss Pavlovsk ernannt und bekam die Aufgabe, für die Außerordentliche Kommission die Schäden und Verluste zusammenstellen. Es gelang Zelenova, bei dieser und einer weiteren Reise eine Woche später, einen umfassenden Eindruck von den Zerstörungen zu bekommen. In einem Bericht an das Amt für Kunstangelegenheiten beim Leningrader städtischen Exekutivkomitee beschrieb sie Raum für Raum; sie zählte auf, was vernichtet worden war, vermerkte aber auch jede Stuckverzierung und jeden Rest Wandschmuck, der noch erhalten war. Dabei wird ihr Dilemma deutlich: Einerseits musste das gesamte Ausmaß der Zerstörung zum Ausdruck kommen, andererseits wollte sie vermitteln, dass ein Wiederaufbau möglich sei. In einem weiteren Brief an Kučumov zeigte sie ihre Niedergeschlagenheit dagegen offen: 179 Ёlkina 2005, S. 133.

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Es ist schrecklich, sich daran zu erinnern, was die Deutschen in Pavlovsk angestellt haben. Sie haben die Stadt geplündert und zerstört (von 1500 Häusern sind noch 211 heil. Die Bewohner haben sie schon im Dezember 1943 in ihr Hinterland getrieben, aber wer sich versteckte oder nicht wollte, den haben sie gehängt und noch jetzt sind Äste der Bäume abgebrochen und Seile baumeln an ihnen ...). Alle Brücken sind gesprengt! Der Park ist abgeholzt [...]. Bunker, Bunker, Bunker, meistens unter die Wurzeln der besten Baumgruppen gegraben, und in den Bunkern traurige, verkrüppelte Reste von Dingen aus dem Schloss, von denen, die nicht gleich nach Deutschland abtransportiert wurden  ... [...]. Ich will Ihnen gar nicht aufzählen, was erhalten ist, denn das Erhaltene ist schlimmer als das Vernichtete. Mir wäre leichter, saubere Schneewehen zu sehen, als [...] die schwarzen Reste des Palasts.180

Nikolaj Belechov, der Leiter der Denkmalschutzbehörde, stellte in seinem Bericht am 18. Februar fest, Schloss Pavlovsk sei leichter aufzubauen und zu restaurieren als die anderen Paläste. Zwar habe das Feuer alle Räume erfasst, es gebe keine einzige heile Decke, aber der Stuck und die Wanddekorationen seien an vielen Stellen erhalten geblieben. Ungeachtet dieser leise positiven Einschätzung wird der katastrophale Zerstörungsgrad erkennbar: Im Vestibül ist der Stuck heil und die Fresken sehen aus wie in Friedenszeiten. Der Italienische Saal: alles heil, erhalten ist sogar die Kuppel. Im Griechischen Saal von Voronichin hat die Kolonnade gebrannt und ist zusammengebrochen. Aber die Vasen, die nach unten durchgebrochen sind, sind dort geblieben und können wiederhergestellt werden. Die Holzdecken sind eingebrochen und ihr Stuck befand sich in der ersten Etage, wo die Temperatur nicht so stark war, dass der Stuck kaputt ging. Damit erkläre ich auch seinen Erhalt. Und im Vergleich mit den anderen Palästen ist hier vieles erhalten. Im Saal des Krieges und des Friedens, wo sich die besten Arbeiten Brennas befanden, sind die Kamine erhalten und sie haben nicht einmal Spuren von Ruß. Die Rossi-Bibliothek ist dafür ganz und gar verbrannt. Die Fresken von Gonsago sind zu einem Fünftel erhalten, man kann sie retten. Aber weil die Bibliothek abgebrannt ist, haben wir hier Wände ohne Mauervorsprünge, das heißt, dass die Fresken abgewaschen werden können, weil der Putz nur schlecht hält (habe ich ausprobiert). Thronsaal und Kirche: das Dekor ist ganz. Aber die Außenwand ist eingestürzt und der größte Teil ist in den Hof gefallen.“181

Den verheerenden Brand kommentierte Belechov nicht. Die gängige Version zur Brandursache, wie sie später im Bericht der Außerordentlichen Kommission genannt wurde, lautete, die faschistischen Eroberer hätten den Palast vor ihrem Rückzug in Brand gesteckt.

180 Ёlkina 2005, S. 135 f. 181 CGALI SPb, f. 468, op. 1, d. 117, ll. 8–8ob.

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Die Museen im Krieg

Abb. 47  Nach dem verheerenden Brand Ende Januar 1944 blieben von Schloss Pavlovsk nur die Außenwände stehen (hier ein Seitenflügel). Die Zwischendecken und die aus Holz konstruierten Gebäudeteile wie die Gonzaga-Galerie links im Bild verbrannten (Aufnahme von 1945).

Kučumov, der die Lage von Novosibirsk aus nicht beurteilen konnte, aber mit der Verwaltung der Leningrader Museen unzufrieden war, sah bei den eigenen Stellen eine Mitschuld für die Brände. Zelenova gegenüber brachte er dies deutlich zum Ausdruck: Der Verlust ist schwer, in vieler Hinsicht wohl unausweichlich, aber wenn ich davon lese, dass sich die „Ereignisse“ selbst am 3. Februar wiederholten, aus eigenem Unvermögen ... kann man das nicht vergessen und nicht verzeihen. Die Schuld liegt vor allem bei Krylov. Sie hätten sich alle schon in den ersten Stunden vor Ort befinden müssen, ich kann nicht verstehen, wie er diesen entscheidenden Moment verpassen konnte. Ich werde nie glauben, dass das auf Grund von Formalitäten wie Passierscheinen nicht möglich war. Wo ist die Erfahrung von 1941 ... worauf hat sich die Verwaltung zwei Jahre vorbereitet ... Schmach und Schande. Solch ein Ausgang der „Vorbereitung zur Ausfahrt“ hätte ich niemals erwartet.182

182 Kučumov an Zelenova, 18.2.1944, in: Zelenova 2006, S. 155.

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Für die Museumsleute, die die evakuierten Sammlungen unter hohem Einsatz über die Jahre gerettet hatten, um sie später zurückbringen zu können, waren die Brände ein harter Schlag. In ihren Erinnerungen berichtete Anna Zelenova später, wie sie in den verschneiten und verminten Parkanlagen in verlassenen Unterständen und Gräben nach Schlossinventar suchte und vor allem Möbel fand.183 Auch bei Einwohnern spürte sie einiges auf, in der Regel aber nur einzelne Objekte und manchmal waren auch Exponate anderer Museen darunter. Die Standbilder Pauls I. und Marija Fedorovnas hatten den Krieg an Ort und Stelle überstanden, das Versteck der Marmorstatuen, das sie 1941 hinter einer im Keller des Schlosses neu hochgezogenen Backsteinwand organisiert hatte, konnte Zelenova aber erst drei Monate nach ihrer Rückkehr überprüfen – solange Pioniere nach Minen suchten, war der Zugang verboten. Meine Ungeduld war so groß, dass ich nicht wartete, bis die Schutzwand vollständig abgebaut worden war. Ich drehte eine Art Fackel aus deutschen Zeitungen, die überall herumlagen, zündete sie an und leuchtete durch ein Mauerloch in das Versteck. Was ich sah, erschütterte mich zu Tränen: Die Statuen lächelten mich an [...].184

183 Vgl. Zelenova 2006, S. 251–267; Oľga Lamenko, Vozroždenie pavlovskogo dvorca, in: Gafifullin 2015, S. 165–180. 184 Ёlkina 2005, S. 199.

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Die Museen im Krieg

3

Die Sammlungen und ihre Hüter Evakuierungsorte in der Sowjetunion Ob

We i ß e s Meer

Ob

S U

Ladogasee

Leningrad (St. Petersburg)

D

R

Perm

Kirov

A

Novgorod

Sovetsk

Pskov

Omsk

Tjumen’ Sverdlovsk

(Jekaterinburg)

Irty

š

Tobol

Puškin Pavlovsk

Gatcina ˇ

Novosibirsk

Tobolsk

vina

(Isaakskathedrale)

Peterhof

Tomsk

I E N I R B I

Vo lga

Sarapul

(Niznij ˇ Novgorod)

Ufa

L

Gor’kij

Moskau

Kazan’

Samara Balchaschsee

Kiew Dn

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Charkiv

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Volg a

Saratov

Stalingrad

(Volgograd)

Rostov am Don Odesa

Kaspisches Meer

Aralsee

0

100 200 300 400 500 km

Der Kampf um Leningrad Die Millionenstadt Leningrad spielte in den Kriegsplanungen Hitlers eine zentrale Rolle: Sie sollte erobert und dem Erdboden gleichgemacht werden; für das auf Moskau fokussierte OKH und seinen Generalstab war sie dagegen eher ein Nebenkriegsschauplatz. Dieser Dissens wurde lange nicht aufgelöst. Als die vorauseilende Panzergruppe 4 Mitte Juli 1941 im sumpfigen Waldgebiet nördlich des Peipussees steckenblieb, war die Vorstellung, Leningrad könne im Handstreich genommen werden, obsolet. Am 10. August wurde die Offensive wieder aufgenommen, am 30. August erreichten die deutschen Truppen die Neva südöstlich von Leningrad, fünf Tage später begann die schwere Artillerie die Stadt fast pausenlos zu beschießen und die Bombardements der Luftwaffe setzten ein. Als am 8. September das Südufer des Ladogasees erreicht und Šlisselburg eingenommen wurde, waren die Verbindungen Leningrads ins restliche Staatsgebiet gekappt, denn im Norden schlossen die Truppen des mit Deutschland verbündeten Finnland die Stadt ab. Am 13. September war die hermetische Abriegelung von der Kronstädter Bucht bis zum Ladogasee vollzogen. In diesen Tagen vollzog Hitler unvermittelt einen strategischen Schwenk und ließ alle entbehrlichen Kräfte zugunsten eines Angriffs auf Moskau abziehen. Für die Heeresgruppe Nord machte diese Entscheidung eine Eroberung Leningrads unmöglich. Vielmehr sollte

Die Sammlungen und ihre Hüter

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der Stadt nun mit möglichst geringen Mitteln größtmöglicher Schaden zugefügt werden: Das bedeutete Aushungerung.185 Die 18. Armee wurde in den folgenden Monaten nicht nur zur Belagerungsarmee, sondern auch zum Handlanger einer verbrecherischen Kriegführung, bei der sich militärische Überlegungen mit einer bewussten Ideologie des Genozids verbanden.186 Eine Kapitulation sollte ausdrücklich nicht angenommen werden: Man habe nicht vor, die Bevölkerung einer Großstadt zu ernähren; sogar ein „Abfließen von Flüchtlingen“ (Generaloberst Georg von Küchler), das heißt Ausbruchsversuche hungernder Zivilisten, sollten mit Waffengewalt verhindert werden.187 Im eingeschlossenen Leningrad war die Versorgung von Anfang an ein riesiges Problem, immer wieder mussten etwa die Brotrationen gekürzt werden. Die Folge war ein Massensterben. Schon im Dezember starben rund 53.000 Menschen an Auszehrung, im Januar und im Februar waren es rund 200.000. Zudem fehlte es an Heizmaterial. Über eine Route gelangte allerdings doch etwas Nachschub in die belagerte Stadt, auch wenn es anfänglich nur ein Tropfen auf den heißen Stein war: via Wasserweg über den Ladogasee. In aller Eile und zunächst höchst unzulänglich wurden die Voraussetzungen geschaffen, um Boote und Schiffe be- und entladen zu können. Seit dem 22. November führte eine Autostraße über den zugefrorenen See. Eine gefährliche Angelegenheit: Zuerst brach das Eis manchmal unter der Last der LKW, dann blies bei starkem Frost ein kräftiger Nordwind und brachte Schneestürme, und aus der Luft fielen die Bomben des Gegners. Doch diese „Straße des Lebens“ bestand bis zum 24. April 1942. Ende Mai begannen Fährtransporte. Sie verbesserten nicht nur die Versorgungssituation, sondern erlaubten auch Evakuierungstransporte sowie die Zuführung neuer Kräfte für die Front und die Flotte. Im Juli konnten zwischen dem Ostund dem Westufer des Schlüsselburger Meerbusens sogar Unterwasserölleitungen verlegt werden.188 Nachdem die strategische Initiative im Januar 1943 an die Rote Armee übergegangen war, gelang es, die Blockade durch einen schmalen Landkorridor am Südufer des Ladogasees zu durchbrechen, auch wenn er unter ständigem Beschuss von der nahen Front lag. Die Stadt wurde ebenfalls weiterhin durch Artillerie beschossen und aus der Luft bombardiert. Im Winter 1943/44 führte erneut eine Militärstraße über den Ladogasee. Am 14. Januar 1944 ging die Rote Armee zur Offensive über. Am 27. befreite sie Leningrad, Ende Februar waren die deutschen Truppen bereits 220 bis 280 Kilometer nach Westen zurückgedrängt. In Leningrad war während der 900 Tage dauernden Blockade mehr als eine Million Menschen ums Leben gekommen, die meisten waren verhungert.189 185 Vgl. Hürter 2001, S. 107–109. 186 Hartmann 2009, S. 55. 187 Hürter 2001, S. 116. 188 Vgl. V. M. Kovaľčuk, Leningrad im Zweiten Weltkrieg, in: Marlene P. Hiller/Eberhard Jäckel/Jürgen Rohwer (Hrsg.), Städte im Zweiten Weltkrieg. Ein internationaler Vergleich, Essen 1991, S. 57–73. 189 Vgl. Ganzenmüller 2005; David M. Glantz, The Siege of Leningrad, 1941–1944. 900 Days of Terror, London 2001; Anna Reid, Blokada. Die Belagerung von Leningrad 1941–1944, Berlin 2011; Gennadij Gor, Blockade, Wien 2007; Daniil A. Granin/Ales Adamovič, Das Blockadebuch, Berlin 1984.

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Die Museen im Krieg

Museumsarbeit während der Leningrader Blockade Im belagerten Leningrad harrten auch die meisten Museumsmitarbeiter aus den Vorortschlössern aus, die nicht an der Evakuierung der Kunstschätze ins Hinterland teilgenommen hatten und noch rechtzeitig vor dem Einmarsch der Wehrmacht geflohen waren. In der Isaakskathedrale kümmerten sie sich um diejenigen Exponate, die mit den letzten Transporten nur noch nach Leningrad gelangt waren.

Abb. 48  Während der Leningrader Blockade betreuten Mitarbeiter der Vorortschlösser die Teile der Sammlungen, die nicht mehr ins Hinterland evakuiert werden konnten, in der Isaakskathedrale in Leningrad. Links vorn ist S. V. Trončinskij zu sehen, rechts vorn A. P. Zelenova, hinten rechts mit Mütze M. M. Rebanė.

Hier lagerten zudem Bestände aus dem Leningrader Stadtmuseum, dem Sommerpalast Peters I. sowie dem Antireligiösen Museum.190 Aufeinandergestapelte Kisten und manche nicht verpackte Exponate füllten den Kirchenraum in engen Reihen. Für die Mitarbeiter gab es einen Kellerraum, in dem die Sammlungsdokumentationen lagen, hier lebten im ersten Winter auch die Mitarbeiter, die keine andere Bleibe hatten. Im Kirchenraum war nur ein Ort beheizbar: das ehemalige Kassenhäuschen, in dem sich der jeweilige Diensthabende aufhielt, und hier rückten die Mitarbeiter zu Besprechungen zusammen – ein Zufluchtsort in der eiskalten Kathedrale. Die monumentale Isaakskathedrale bot zwar soliden Schutz vor Luftangriffen und Artilleriebeschuss, eignete sich ansonsten aber kaum als Aufbewahrungsort für empfindliche Kunstwerke, denn die Temperatur fiel bis auf minus 20 Grad. Noch problematischer war die Luftfeuchtigkeit, die häufig bei 80 Prozent lag. Im Winter froren die massiven Mauern durch, im Frühjahr „schwitzten“ die Wände so sehr, dass Wasser in kleinen Bächen herabfloss und sich auf dem Boden in Pfützen sammelte. Im Frühjahr 1941 setzte ein Rohrbruch die Keller unter Wasser. Die geschwächten Mitarbeiterinnen schöpften und pumpten fast zwei Wochen lang. Dann mussten die Kisten, die durchnässt waren, geöffnet und die Exponate vor den Türen an der Luft getrocknet werden, denn mit drei Grad glich der Kirchenraum selbst dann noch einem Kühlschrank, wenn draußen schon 20 Grad 190 Laut Beschluss des Stadtsowjets vom 15.7.1941 bildeten alle Bestände, die sich in der Kathedrale befanden, zusammen eine Verwaltungseinheit, die den Namen „Vereinigte Museumswirtschaft“ trug.

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erreicht waren. Den gesamten Sommer über kontrollierten die Mitarbeiterinnen den Zustand der Objekte und lüfteten den Kirchenraum, indem sie von morgens bis abends die Türen öffneten. Einige empfindliche Stoffe und wertvolle Bilder, die Schaden genommen hatten, wurden in die Obhut der Eremitage gegeben, in deren Depots bessere Bedingungen für die Aufbewahrung und Restaurierung der Objekte herrschten.191 Für die Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, die im Oktober 1941 – zum Teil mit ihren Familien – in die Isaakskathedrale gezogen waren, begannen unmittelbar nach der Ankunft dramatische Monate, die viele nicht überlebten. Die Nahrungsmittelzuteilungen fielen von Woche zu Woche knapper aus. Am 31. Oktober ordnete Krylov, der Leiter der Leningrader Museumsverwaltung, an, die Mitarbeiterstäbe drastisch zu reduzieren: Für jedes Vorortschloss sollten nur die Direktorin und eine Stellvertreterin im Amt bleiben. Ende November wurde der Beschluss bestätigt. Für diejenigen, die ihre Arbeit verloren, war das ein Schicksalsschlag, denn sie erhielten nun keine Lebensmittelkarten mehr und hatten damit fast keine Überlebenschance. Als Direktorin versuchte Anna Zelenova, wenigstens einige Stellen zu erhalten: Bronislava Volkind blieb Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Nikolaj Vejs, mit dem Zelenova die Evakuierung durchgeführt hatte, wurde ihr Stellvertreter; seine Ehefrau fand eine Anstellung im Krankenhaus. Die Handwerker und Arbeiter von Schloss Gatčina wechselten noch im Oktober zum Religionsmuseum, wissenschaftliche Mitarbeiter verdingten sich als Wachposten oder übten andere unqualifizierte Tätigkeiten aus. Als die Hungersnot um die Jahreswende katastrophale Ausmaße erreichte, notierte Serafima Balaeva, die leitende Mitarbeiterin des Museums von Gatčina, in ihrem Tagebuch, in ihrem näheren Umfeld seien innerhalb weniger Tage zehn Menschen gestorben.192 Die Arbeit mit den Sammlungen, vor allem Bestandsaufnahmen, die zuvor ungeachtet der misslichen Umstände fortgeführt worden war, kam zum Erliegen. Nach Dienstplan schleppte sich jeden Tag eine der Verbliebenen in die eiskalte Kathedrale, machte einen Rundgang, notierte Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Zu mehr reichten die Kräfte nicht aus. Anna Zelenova lebte mit ihrer Mutter in einer Wohnung. In den ersten beiden Januarwochen dokumentierte sie in ihrem Tagebuch, was sie auf den Straßen Leningrads sah – als frühere

191 Eine eindrucksvolle Schilderung der Blockadezeit sind Tagebuchaufzeichnungen von Zelenova, in: Ёlkina 2005, S. 121–144. In der älteren Erinnerungsliteratur überwiegt die Betonung des heldenhaften Überlebens. Die bekannteste und bildhafteste Schilderung stammt von Marina A. Tichomirova, Pamjatniki, ljudi, sobytija. Iz zapisok muzejnogo rabotnika, Leningrad 2. erg. Aufl. 1984, S. 5–135. Außerdem Zelenova 2006a, S. 20–30. Eine Chronik der Tätigkeiten, auch der Temperatur und Luftfeuchtigkeit findet sich in: Serafima N. Balaeva, Zapiski chranitelja Gatčinskogo dvorca. 1924–1956. Dnevnik. Staťi, St. Petersburg 2005, S. 98–144. Auf Deutsch liegen Erinnerungen der Museumsmitarbeiter nicht vor, aber Erinnerungen und Tagebücher anderer Leningrader geben Einblick in den Alltag in der belagerten Stadt: Lena Muchina, Lenas Tagebuch, Leningrad 1941–1942, München 2013; Lidia Ginsburg, Aufzeichnungen eines Blockademenschen, Frankfurt a.M. 2014. Übersetzte Quellen und weiterführende Literatur auch im Sonderheft Osteuropa 61 (2011), H. 89. 192 Vgl. Balaeva 2005, S. 104.

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Mitarbeiterin des Museums der Stadt fühlte sie sich verpflichtet, alles für die Nachwelt festzuhalten.193 Mitte Januar brach die Lebensmittelversorgung ganz zusammen: 29.2.1942. Es gibt kein Brot. Mutter liegt da, weiß wie die Wand, die Gesichtszüge ganz spitz. Doch nicht etwa ... [...]. Es gibt keine Zeitung ... Das Radio schweigt ... In die Apotheke kam ich nicht rein. Die Leiche eines Mannes versperrte so die Tür, dass die drinnen nicht rausund wir nicht reingehen konnten, aber niemand hatte Kraft, ihn wegzuschleppen. „Man sagt“, morgen gibt es Brot. Mir ist irgendwie alles gleich. Alles vor den Augen ist grün, grün ...“.194

Dann erkrankte sie schwer und starb beinahe an Auszehrung. Verzweifelt schrieb Zelenova am 22. Februar an den Kollegen Anatolij Kučumov in Novosibirsk: Lieber Tolja! [...] Es ist schwer in einem Brief zu schreiben, vor welchen Albträumen Sie sich und die Familie gerettet haben, indem Sie rechtzeitig abgereist sind  ... Trončinskij wird Ihnen alles detailliert darlegen. Was über uns schreiben? ... die Zurückgebliebenen ... – wir hungern, warten auf den Tod  ... zittern bei den Kisten mit der bedauernswerten Anzahl geretteter Dinge  ... trauern um die Vororte, aus denen man uns beschießt  ... Wir träumen von jedem beliebigen Essen  ... beharken und verachten uns gegenseitig, denn die Zustände, in denen wir uns befinden, spotten jeder Beschreibung. Ich wünsche Ihnen, Tolja, dass Sie sich und die Familie erhalten, ich flehe Sie an, sorgen Sie um jeden Preis für Essensvorräte.195

Den Brief gab sie möglicherweise Trončinskij mit. Dann machte sie sich Sorgen wegen der Offenheit, mit der sie ihre Lage geschildert hatte, des Defätismus wollte sie sich nicht beschuldigen lassen. So relativierte sie in einem weiteren Brief vom 23. März 1942: Lieber Anatolij! Mein erster persönlicher Brief an Sie musste ohne Unterschrift bleiben und ich hoffe sehr, dass bei Ihnen kein falscher Eindruck über unser Kollektiv entstanden ist. Indem ich unter anderem die „Schroffheiten“ unserer Beziehungen aufzählte, wollte ich nur sagen, dass es sogar bei uns, die wir insgesamt alle sehr friedlich miteinander leben, nicht alles „ohne Flecken“ ist, aber der harte Winter 1942 und besonders seine „Prüfungen“ haben uns einander sehr nahe gebracht und ... schufen ein noch wärmeres Verhältnis zu den Genossen „an der Peripherie“.196

193 Vgl. Ёlkina 2005, S.149–159. 194 Vgl. Ёlkina 2005, S. 155. 195 Zelenova 2006, S. 115. 196 Zelenova 2006, S. 115.

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Abb. 49  Im belagerten Leningrad kämpften die Museumsmitarbeiter unter schwierigsten Bedingungen um den Erhalt der Exponate. Hier sieht man Anna Zelenova im Keller der Isaakskathedrale, in dem sich Unterlagen zu den Sammlungen befanden.

Als der Weg über den Ladogasee im Frühjahr besser funktionierte, gelangten etwas mehr Nahrungsmittel in die Stadt und viele der völlig entkräfteten Menschen, darunter auch einige Museumsmitarbeiter, wurden evakuiert. Nach wie vor lähmte der Hunger, quälte ständiger Fliegeralarm die Menschen, nahm das Sterben kein Ende. Allerdings erreichte die Sterblichkeitsrate durch die leicht verbesserte Versorgung nicht mehr das Ausmaß des Winters 1941/42.197 Anna Zelenova sah es als ihre Pflicht an, in Leningrad zu bleiben. Seit März war sie Inspektorin der Museumsabteilung beim Komitee für Kunst des Leningrader Stadtsowjets und besaß damit die Verantwortung für die Sammlungen in der Isaakskathedrale. Darüber hinaus beteiligte sie sich an der Inventarisierung des Kunstbesitzes von Privatpersonen. In dem von Hunger gezeichneten Leningrad, in dem es immer wieder zu Plünderungen kam, war diese Tätigkeit so wichtig wie belastend, denn man musste in die Wohnungen von Sterbenden oder Toten gehen und sichten, welcher Besitz als national wertvoll galt und nicht veräußert werden durfte beziehungsweise vor Diebstahl geschützt werden musste. Die ganze Zeit über führten die Mitarbeiter aller Museen sorgfältige Bestandsaufnahmen durch. Dabei litten sie nicht nur unter den Auswirkungen der Blockade, sondern, wie in den Quellen deutlich spürbar ist, auch unter dem Druck des stalinistischen Repressionsregimes. Jeder Verlust eines Sammlungsstücks konnte drastische disziplinarische Folgen nach sich ziehen, alle wussten, wie schnell eine Anklage fabriziert und ein hohes Strafmaß verhängt war.198 Angesicht von fehlendem oder schlechtem Verpackungsmaterial, chaotischen 197 Vgl. Ganzenmüller 2005, S. 102 f., zu Evakuierungen S. 136–140. 198 Zur Frage der repressiven Politik in Leningrad während der Blockade vgl. Ganzenmüller 2005, S. 279–290.

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Transportbedingungen, ungeeigneten Unterbringungsorten und Zeitnot waren Schäden und Verluste aber nicht zu vermeiden. Alle versuchten Vorsorge zu treffen, um nicht später zur Verantwortung gezogen zu werden, Zelenova beispielsweise verteidigte sich am 22. Februar 1943 in einem emotionalen Brief nach Sarapul, in dem auch eine latente Spannung zwischen den Überlebenden der Blockade und denjenigen sichtbar wird, die nach Osten evakuiert worden waren: 5. Ich bin mir der Verantwortung für den Erhalt der heilgebliebenen Exponate, die wir aufbewahren, sehr, sehr bewusst, aber ich fürchte, dass die „Menschheit“, über die Sie schreiben, gezwungen sein wird ... sich gramvoll mit vielen Verlusten bei unseren Exponaten abzufinden und sie vielleicht ebenso schmerzerfüllt bedauern wie die Verluste von Menschenleben, die in der Blockade vernichtet wurden  ... Das eine ist mit dem anderen eng verbunden, Michail Aleksandrovič. Und hier ist die Redensart angebracht, dass die Blockade nicht unsere Schuld, sondern unser Unglück war. Nur diejenigen, die Hitler verzeihen, und solche wird es, denke ich, nicht geben ... werden uns die Verluste von Exponaten im Winter 1941/42, der grausamsten Zeit der Blockade nicht vergeben. Die Exponate brauchen sorgfältige und aufmerksame Pflege, für die Menschen gebraucht werden. Aber für die Menschen gab es in diesem Winter keine Pflege. Deshalb gab es keine Menschen ...199

Diejenigen, die überlebt hatten, versuchten seit Sommer 1942 Formen eines normalen Lebens zurückzugewinnen. Die Museumsleute berieten in Restaurierungsfragen, es gab Vorträge, Theatervorstellungen und Konzerte. Im „Erholungsgarten“ an Leningrads Prachtstraße, dem Nevskij Prospekt, organisierte Zelenova ein regelmäßiges musikalisches und politisches Programm, unter anderen mit kleinen Ausstellungen zum Alltag während der Blockade. Das Überleben wurde als heroischer Akt empfunden, der in die Geschichte eingehen würde. Man sammelte Zeugnisse über das Leben während der Blockade, aber auch Trophäen, die Einheiten der Roten Armee bei den Kämpfen um Leningrad erbeutet hatten, und präsentierte sie im letzten Kriegsjahr im eigens geschaffenen Museum der Verteidigung Leningrads. Die Glorifizierung Leningrads als Heldenstadt begann noch während des Krieges.

Unterwegs zum Ural und nach Sibirien Auch den Museumsmitarbeitern, welche die Sammlungen im Sommer 1941 an ihre Evakuierungsorte im Osten Russlands oder in Sibirien begleiteten, standen schwere Jahre bevor. Insgesamt wurden 23  Prozent der Vorkriegsbestände ausgelagert, die ersten Transporte

199 Ёlkina 2005, S. 128 f.

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erreichten Gor’kij in der ersten Julihälfte. Anatolij Kučumov, der den Transport aus Puškin begleitete, schilderte die Ankunft: Am 5. Juli 1941 endete die fünftägige Reise ohne Fahrplan [...]. Der diensthabende Eisenbahnbeamte gab den Befehl zum Entladen unserer Waggons, die ihrerseits in einen neu zusammengestellten Militärtransport eingegliedert und erneut beladen werden sollten. Ich erinnere mich nach wie vor genau an die Worte, die mir der Direktor der Schlösserverwaltung mit auf den Weg gegeben hatte: „Mach dir keine Sorgen, ihr werdet erwartet; alles Weitere erfährst du dort.“ Doch vor Ort erwartete uns niemand. [...] Ich schickte ein Blitztelegramm nach Puškin an meinen Direktor und machte mich selbst ins Stadtzentrum auf, voller Hoffnung auf die Sowjetmacht [...]. Mein Besuch in den Exekutivkomitees von Bezirk und Stadt war ein Fehlschlag: Es war Ruhetag, von den leitenden Kadern war niemand zur Stelle und die Diensthabenden wussten von nichts. Der Kreis hatte sich geschlossen: Die Stadtoberen rechneten gar nicht mit uns! Doch es gibt ja immerhin noch das allwissende NKVD. Das war mein nächstes Ziel. Der Vorgesetzte im Range eines Obersts erwies sich als kulturinteressierter Mensch [...]. Nachdem er mich angehört hatte, gab er telefonisch Anordnungen an die Leitungen von Bahnhof und Güterbahnhof sowie an den Kommandanten der Militärverwaltung durch. [...] Letzterer bestimmte auf Bitten des NKVD eine Einheit Soldaten und zwei Lastwagen, die die Waggons abladen und die Kisten zu ihrem Lagerplatz im Landeskundlichen Museum des Bezirks Gor’kij bringen sollten.200

Kučumov konnte nach Puškin telegrafieren: „Sind am 5. heil angekommen, haben die Kinder bei Verwandten untergebracht.“ Der privat klingende Text enthielt den verabredeten Code, denn, wie Kučumov erklärte, „während der Kriegszeit war Konspiration angesagt.“201 Die Kisten aus den Vorstadtschlössern wurden im Landeskundlichen Museum des Bezirks und im sogenannten Kommunalmuseum gelagert. Letzteres war in der ehemaligen Mariä-Geburt-Kathedrale202, der sogenannten Stroganov-Kirche, untergebracht, die in der Kampagne gegen die Religion gerade noch der Zerstörung entgangen war. Sie war Anfang des 18. Jahrhunderts mit Mitteln der – durch den Salzhandel und die Kolonisation Sibiriens reich gewordenen – Kaufmannsfamilie Stroganov erbaut worden und ein eindrucksvolles Beispiel des russischen Barock. Ihre Innenräume ließen sich allerdings nicht heizen – keine guten Depotbedingungen für die Objekte aus Peterhof, die dorthin gelangten.203 Besser erging es dem Museumsgut aus Puškin, das ins Landeskundliche Museum gebracht wurde. Das ehemalige Anwesen der Bankiersfamilie Rukavišnikov bot ausreichend Platz, es gab Sondermagazine und sogar eine Wache. Allerdings war der verfügbare Platz im Nu gefüllt,

200 Kučumov 2004, S. 71. 201 Kučumov 2004, S. 72. 202 Bekannt auch unter dem Namen „Kathedrale der heiligen Gottesmutter“. 203 CGA SPb., f. 7384., op. 3., d. 26, l. 18.

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für alle später ankommenden Kisten blieb nur die Stroganov-Kirche. Zu Beginn erschienen die mangelhaften Lagerungsbedingungen allerdings nicht als ernsthaftes Problem: Es war Sommer, und man hielt die Evakuierung für eine kurzfristige Maßnahme. Deshalb wurden die ersten Kisten gleich nach der Ankunft mit Stahlbändern gesichert und verplombt; es war verboten, sie vor der Rückkehr an ihre Ursprungsorte zu öffnen.204 Vor allem Kisten aus den Lieferungen, bei denen kein vernünftiges Verpackungsmaterial zur Verfügung gestanden hatte, mussten dennoch geöffnet werden. Während des Transports und in der feuchten Luft der Stroganov-Kirche hatte sich Schimmel gebildet. Aus Leningrad kam die Anweisung, die Kisten zu überprüfen und neu zu packen. Insgesamt betraf das etwa 17 Waggons. Da dafür nur fünf Mitarbeiter zur Verfügung standen, waren bis zu dem Zeitpunkt, als auch Gor’kij verlassen werden musste, 106 Kisten geprüft und 47 umgepackt worden.205 Gor’kij war von vornherein keine glückliche Wahl gewesen. Die Stadt hatte strategische Bedeutung und beherbergte eine Reihe von Rüstungsbetrieben, so dass sie bereits im Oktober 1941 bombardiert wurde. Erneut waren die Museumsschätze gefährdet, aber welcher Ort böte Sicherheit? Vasilij I. Isakov, der Chef der Leningrader Kulturverwaltung hatte schon im Sommer für Sarapul (am Ural) plädiert, wo sich bereits andere Objekte aus den Vorortschlössern befanden; das „würde Kosten verringern, Kräfte bündeln und das Museumsgut nicht allzu weit von Leningrad entfernen“.206 Vor Ort allerdings entschied Anatolij Kučumov, der zum Verantwortlichen für die nach Gor’kij verlagerten Exponate ernannt worden war, dass Tomsk sicherer sei: Ich war von je her gegen die Konzentration der kolossalen Schätze in einem einzigen Gebäude und einer einzigen Stadt. Die Wahnvorstellung Hitlers von einem Großdeutschland bis zum Ural könnte eine weitere Verlagerung unter allerschwersten Bedingungen nötig machen. Die Faschisten liegen vor Moskau. [...] Ist es nicht besser, die Exponate gleich weiter weg zu bringen, als die feindlichen Flugzeuge fliegen werden. Ich habe Tomsk ausgesucht, eine alte Universitätsstadt.207

Als Isakov im Dezember 1941 auf einer Inspektionsreise zu verschiedenen Evakuierungsorten schließlich in Gor’kij ankam, waren die Kisten daher bereits auf dem Weg nach Sibirien. In Friedenszeiten wäre Kučumovs Entscheidung als selbstherrlich eingestuft worden und hätte ernste Folgen zeitigen können, aber der Krieg hatte die frühere Ordnung aus den Angeln gehoben und Raum für mehr persönliche Verantwortlichkeit entstehen lassen. Wie Anna Zelenova sagte: „Der Krieg verkomplizierte unser Leben, doch er vereinfachte dessen

204 Kučumov 2004, S. 73. 205 Kučumov 2004, S. 74. 206 CGA SPb., f. 7384, op. 3, d. 26, l. 18. 207 Kučumov 2004, S. 75.

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Organisation enorm.“208 So versicherte sich Kučumov lediglich der Unterstützung des Verteidigungskomitees der Stadt Gor’kij, das – je nach Lagerungsmöglichkeiten – eine Evakuierung nach Tomsk oder Novosibirsk erlaubte.209 Die Zustimmung aus Leningrad wartete er nicht ab. Die neue Reise dauerte fast zwei Monate, denn der Transport, der auch Kunstwerke aus anderen Museen umfasste, besaß keine militärische Bedeutung und stand folglich immer wieder länger auf Rangiergleisen; unterwegs gingen den Museumsleuten sogar die Lebensmittel aus. Als sie aus der Region Leningrad aufbrachen, hatte ohnehin niemand damit gerechnet, dass die Verlagerung Monate dauern würde, und so fehlte es ihnen an Winterkleidung; hier hatten die Menschen in Gor’kij geholfen und sie mit wattierten Jacken und anderen warmen Dingen versorgt, die in der sibirischen Kälte die Rettung beAbb. 50  Anatolij Kučumov war zunächst für die Evakuierung der Kunstgüter aus deuteten.210 Am 21. Dezember erreichten die Waggons Puškin verantwortlich, dann betreute er Tomsk. Schnell zeigte sich, dass die Stadt mit evakuierten die in Novosibirsk zusammengefassten Bestände aus den Leningrader VorortMenschen und Einrichtungen überfüllt war und nicht schlössern. Nach dem Krieg wurde er mehr über geeignete Räume zur Lagerung von MuseumsLeiter des Zentralen Museumsdepots und damit zuständig für die Rückführung gut verfügte. Die Stadtverwaltung konnte lediglich alte der Kunstschätze. Kirchengebäude mit geborstenen Fenstern anbieten – und das bei minus 40 Grad. So wurde entschieden, nach Novosibirsk weiterzufahren. Dorthin waren im Sommer bereits einige Moskauer Museen evakuiert worden. Die neu eintreffenden Sammlungen wurden in das noch nicht fertiggestellte Opernhaus eingewiesen, und die Mitarbeiter kamen mit ihren Familien im Keller des Theaters unter.211 Freien Wohnraum gab es keinen mehr, denn Novosibirsk hatte in den ersten Kriegsmonaten Hunderttausende Menschen aus den westlichen Landesteilen aufgenommen, darunter komplette Arbeitskollektive evakuierter Betriebe und Institutionen.212 Aus den Leningrader Schlossmuseen erreichten 428 Kisten Novosibirsk. Verglichen mit anderen Auslagerungsorten waren die Bedingungen nicht ungünstig. Das Opernhaus verfügte über reichlich Platz, zudem befanden sich hier mit den Beständen der

208 Zelenova 2006, S. 140. 209 Zelenova 2006, S. 140. 210 Zelenova 2006, S. 75 f. 211 Zelenova 2006, S. 82. 212 Laut den Zahlen vom Juni 1943 kamen im Verwaltungsgebiet Novosibirsk 301.457 Menschen unter, davon etwas mehr als 60 Prozent in Tomsk und Novosibirsk; allein aus dem belagerten Leningrad wurden 128.000 Menschen in Novosibirsk aufgenommen. L. I. Snegireva, Ėvakopunkty Zapadnoj Sibiri i ich roľ v ėvakuacii naselenii v region (1941–1943gg.), in: Vestnik TGPU 144 (2014), H. 3, S. 30–39, hier S. 35, 38 f.

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Treťjakov-Galerie und anderer Moskauer Kunstmuseen Sammlungen, die in der sowjetischen Museumshierarchie den allerhöchsten Rang einnahmen.213 Das Gebäude wurde folglich rund um die Uhr von Wachpersonal betreut, das dem Militär unterstellt war, und die einflussreichen Nachbarn, allen voran der Direktor der Treťjakov-Galerie, Aleksandr I. Zamoškin, halfen bei der Lösung vieler praktischer Fragen. Dazu gehörte im Winter 1941/42 die Versorgung mit Heizmaterial. Kohle wurde nur sporadisch angeliefert, manchmal mehrere Tage lang gar nicht, und Menschen wie Gemälde litten gleichermaßen unter den sibirischen Temperaturen. Besorgt wandte sich das Komitee für die Künste am 13. Februar 1942 an den Rat der Volkskommissare: In der Stadt Novosibirsk befinden sich im Gebäude des nicht fertiggestellten Opernhauses ausgelagerte Kunstwerke der Staatlichen Tret’jakov-Galerie, des Puškinmuseums der Schönen Künste, des Museums der Kulturen des Ostens, des Museums der Kunst des Westens, der Ševčenko-Kunstgalerie aus Charkov und der Leningrader Schlossmuseen. Infolge der unregelmäßigen Versorgung mit Kohle wird das Theater gegenwärtig fast nicht mehr beheizt, die Temperatur ist unter 0 Grad gesunken und stellt damit eine Gefahr für die Unversehrtheit der Kunstschätze dar. Um wenigstens Minimalbedingungen für die Lagerung zu garantieren, muss die Temperatur bei mindestens 10–12 Grad gehalten werden. Das Komitee für die Künste bittet Sie nachdrücklich, den Leiter der Tomsker Eisenbahn, Gen. Puškov, anzuweisen, im Verlauf des Februars 50 Waggons für Kohle aus dem Kuzbass nach Novosibirsk für die Beheizung des Theaters bereitzustellen, davon 10 Waggons unverzüglich.214

Die Abklärung mit dem Volkskommissariat für das Verkehrswesen dauerte mehr als eine Woche. Die Geschichte hätte sich noch lange hinziehen können, hätte nicht der Erste Sekretär des Novosibirsker Bezirksparteikomitees, Michail V. Kulagin, interveniert. Er gab Anweisung, die reibungslose Lieferung von 25 Tonnen Kohle täglich für das Opernhaus sicherzustellen; und dieser Beschluss wurde umgesetzt.215 Kulagin half den Museen später noch manches Mal, er kam selbst ins Opernhaus und überzeugte sich vom Zustand der Museumsbestände. Wie sich Kučumov später gern erinnerte, hatte er den Museumsleuten bereits im Dezember 1941 beigestanden:

213 N. V. Bujanov/M. S. Valova/L. A. Žukova, V ėvakuacii. Iz sobranija otdela rukopisej Treťjakovskoj galerei, in: L. A. Koroleva (Hrsg.), Muzejnyj front Velikoj Otečestvennoj. 1941–1945, Moskau 2014, S. 310–318; Kantor 2017, S. 122–125. 214 GARF, f. 5446, op. 43a, d. 4495, l. 26. 215 Konstantin Golodjaev, Zabytyj geroj pobedy. Kulagin Michail Vasilevič, in: Biblioteka sibirskogo kraevedenija, http://www.bsk.nios.ru/sites/bsk.nios.ru/files/books/zabytyy_geroy_pobedy._kulagin_mihail_vasilevich.pdf, [1.5.2018].

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Am 22. Dezember erreichten wir die „Hauptstadt von Sibirien“. Um näher an das Theatergebäude heranzukommen, wurde der Transport an das Ufer des Ob dirigiert, wo im Sommer die Anleger waren. Leere Schuppen oder Schutzdächer gab es nicht, auf beiden Seiten der Gleise lag Neuschnee. „Hier können Sie abladen!“, sagten die Eisenbahner. Ich wusste nicht, wie mir geschah [...]. Gemeinsam mit dem Direktor der Tret’jakov-Galerie wandten wir uns an das Gebietsparteikomitee, wo wir empfangen wurden und man uns aufmerksam zuhörte. Mit dem Ersten Sekretär, M.V. Kulagin, berieten wir, was in dieser schwierigen Situation getan werden könnte. Wir hatten mehr als 40 Grad Frost, die Objekte waren während des Transports eingefroren, hatten sich an die Kälte gewöhnt. Der Feind war der Schnee. Zamoškin sagte, die Galerie hätte zwei riesige amerikanische Zeltbahnen, doch für die gesamte Länge von 17 Waggons reichten sie nicht. Der Erste Sekretär gab Anweisung, „unverzüglich im Theater sämtliche Planen, Teppiche, großen Leinwände aus den Dekorationen und alles Sonstige, womit man Kisten abdecken könnte, zu sammeln und zum Zug zu bringen.“216

Das andere Problem, das die Museumsmitarbeiter in Novosibirsk bewältigen mussten, war die fehlende Luftfeuchtigkeit im Opernhaus, was besonders den Gemälden zusetzte. Hier wurde das erforderliche Mikroklima in Eigenregie hergestellt, indem man Eimer mit Wasser verteilte und feuchte Laken aufhängte. Ganz anders erging es den Museumssammlungen aus Novgorod und Pskov. Sie wurden in das etwa 900 Kilometer östlich von Moskau gelegene Verwaltungsgebiet Kirov evakuiert. Zunächst wurden sie in der Kirche des Hl. Serafim gelagert, in der das Antireligiöse Museum untergebracht war. Dann allerdings sollten hier wieder Gottesdienste zugelassen werden. Vor diesem Hintergrund ist wohl die Entscheidung der Stadtverwaltung Anfang 1942 zu sehen, das Museumsgut in die Kellerräume der ehemaligen Moschee zu verlagern. Diese waren allerdings zu klein, die Fenster waren nicht vergittert, das Gebäude war feucht, und es gab Ratten. Der Inspektor des Volkskommissariats für Bildung, der im Februar 1942 nach Kirov kam, erklärte die Moschee kurzerhand für völlig ungeeignet zur Lagerung von Museumgütern, die „von ganz einzigartigem wissenschaftlichen und materiellen Wert“ seien.217 Nach dieser Intervention wurde ein neuer Platz gefunden, dieses Mal in der rund 140 Kilometer südlich gelegenen Kleinstadt Sovetsk. Auch hier musste man lange suchen, einigte sich aber schließlich auf das als Museum eingerichtete Geburtshaus des sowjetischen Außenministers Vjačeslav M. Molotov. Der Weitertransport konnte allerdings erst stattfinden, als die Schifffahrt auf dem Fluss Vjatka wieder einsetzte, denn die Hauptverbindung zwischen Kirov und Sovetsk war der Wasserweg. Die Museumsgüter aus Novgorod und

216 Kučumov 2004, S. 81 f. 217 GARF, f. A-2306, op. 69, d. 2875, l. 87.

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Abb. 51  Die Kunstschätze im Museumsdepot im Novosibirsker Opernhaus standen unter ständiger Bewachung. Die museale Arbeit wurde fortgesetzt, der Zustand der Exponate regelmäßig überprüft, Ausstellungen organisiert.

Pskov erreichten Sovetsk Ende Mai 1942.218 Nun tat sich eine neue Schwierigkeit auf. Die Experten aus den Novgoroder und Pskover Museen hatten die Exponate nur bis Kirov begleitet, und die örtlichen Museumsmitarbeiter besaßen keinerlei Erfahrung mit derartigen Exponaten. Da es keine schriftlichen Anleitungen gab, mussten sie sich die erforderlichen Kenntnisse aus Büchern und Artikeln zusammensuchen. Ein großes Problem, mit dem an allen Evakuierungsorten gekämpft wurde, bestand darin, dass die Objekte verpackt gelagert wurden. Dies schützte sie zwar vor mechanischen Schäden und häufig auch vor Temperaturstürzen und Feuchtigkeit, erschwerte aber die Kontrolle des Erhaltungszustands. Mussten die Exponate umgepackt werden, kamen teilweise schon während des Transports Schäden ans Licht. Betroffen waren vor allem die Stücke aus der vierten und fünften Lieferung, aus den Puškiner Museen, also die nach Sarapul evakuierten Objekte.219 Im dortigen Depot wurden im Verlauf des Jahres 1942 100 Kisten geöffnet. Dabei stellte man Schäden wie Schimmel an Gemälden, Bruch beim Porzellan, mechanische Schäden an Möbeln, Kratzer auf Bildern und dergleichen mehr fest.220 Analoge

218 G. K. Markina, Spasenie Novgorodskich sokrovišč, in: Koroleva 2014, S. 42–53, hier S. 47. 219 Fatigarova 1991, S. 191 f. 220 RGALI, f. 962, op. 6, d. 1115, ll. 110–111.

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Abb. 52  Im Evakuierungsort Sarapul im Ural diente das Heimatmuseum als Depot. Die Lagerungsbedingungen waren ungünstig, im Winter 1941/42 fielen die Temperaturen auf -21 Grad bei einer Luftfeuchtigkeit von 94 Prozent.

Schäden kamen bei der Öffnung von Kisten in Novosibirsk zum Vorschein. Alle wurden als Folgen unzureichender Verpackung diagnostiziert.221 Die Sorge für den Erhalt der Exponate lag auf den Schultern weniger Museumsleute, hauptsächlich Frauen. Die Hauptsache hier ist tägliche sich wiederholende aufreibende Arbeit, eintönig und ohne Ende. Tag für Tag tun wir ein und dasselbe: prüfen, umpacken, abwischen, alltägliche Arbeiten, auf den ersten Blick langweilig und von keiner besonderen Bedeutung; wen bewegt schon das Schicksal irgendeines Porzellanservices, wenn mit dem Feind ein Kampf auf Tod und Leben gefochten wird.222

Sobald sich die Museumsmitarbeiter eingewöhnt hatten, begannen sie, wie in der Vorkriegszeit Ausstellungen zu organisieren, Vorträge zu halten und wissenschaftlich zu forschen. Ihr Alltag hatte zweifellos auch eine andere Seite und war geprägt von kargen Lebensmittel-

221 RGALI, f. 962, op. 6, d. 1115, l. 111. 222 Sergej N. Razgonov, Chraniteli večnogo, Moskau 1975, S. 32–35.

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zuteilungen, Krankheiten oder dem Verlust von Angehörigen sowie der Sorge um diejenigen, die in Leningrad oder den besetzten Gebieten geblieben waren, doch wurden diese Beschwerlichkeiten – verglichen mit der Tragödie, die sich in der belagerten Stadt abspielte – nicht als wesentlich wahrgenommen. Diese war immer präsent, denn ungeachtet der räumlichen Trennung und allen Kommunikationsproblemen zum Trotz wurde während der Zeit der Evakuierung brieflich Verbindung mit Leningrad gehalten.

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Peterhof: ein Symbol westlich imperialer Staatlichkeit 1703 gründete Peter der Große seine neue Hauptstadt St. Petersburg, und bald danach gab er den Auftrag zum Bau seines Schlosses „Peterhof“ an der Südküste des Finnischen Meerbusens. Bereits 1723 konnte er die von Versailles inspirierte prachtvolle Anlage einweihen, die er bis zu seinem Tod als Sommerresidenz nutzte. Die Ausund Umbauten zogen sich über das gesamte Jahrhundert hin, so dass die Reihe der Architekten von Andreas Schlüter bis Bartolomeo Francesco Rastrelli große Namen aufweist. Zwischen dem auf einer leichten Anhöhe gelegenen, langgezogenen Hauptgebäude und dem Meer erstrecken sich prachtvolle Parkanlagen mit den kleineren Schlösschen Marly und Monplaisir sowie über 150 kunstvoll gestalteten Fontänen und Wasserspielen. Den Mittelpunkt des Ensembles bildet die eindrucksvolle vergoldete Kaskade vor dem großen Palast mit der Brunnenfigur des „Samson“ und einer 20 Meter hohen Fontäne. Von dort führt ein 400 Meter langer Kanal zur Ostsee und dem Schiffsanleger. Die wertvolle Gemäldesammlung geht auf die Zeit Peters zurück, doch liegt der kulturhistorische Wert der Paläste auch in ihrer reichen Innenausstattung, deren Möbel noch aus dem frühen 18. Jahrhundert stammen.

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Peterhof: zerstört und geplündert Die Evakuierung der Sammlungen

Die Palastanlage von Peterhof galt als ein Ort, der den imperialen Anspruch des Landes und seine Stärke – auch Europa gegenüber – verkörperte, hier ließen sich die politischen Ambitionen der Herrscher, die das Schloss hatten errichten beziehungsweise ausbauen lassen, deutlicher erkennen, als es in den anderen Vorortschlössern der Fall war. Als Symbol dafür steht vor allem die zentrale Bronzefigur der großen Kaskade, „Samson, der dem Löwen den Rachen aufreißt“: Die zwischen 1709 und 1736 geschaffene Skulptur symbolisierte den Sieg, den Peter der Große – „Samson“ – 1709 über Karl XII. von Schweden errungen hatte, dessen Wappentier der Löwe war. Sie war damit „nicht nur ein biblisches Sujet [...], sondern auch eine politische Allegorie, ein Denkmal für unseren militärischen Ruhm“ wie der Schriftsteller Leonid Panteleev 1942 im belagerten Leningrad in seinen Tagebuchaufzeichnungen notierte. Panteleev veröffentlichte diese zwar erst später und vermutlich in redigierter Form, sie zeigen aber deutlich, mit welchen Zuschreibungen Peterhof ideologisch aufgeladen wurde.223 Es stand für die Staatsmacht, für das Wirken einer mächtigen Herrscherfigur, für die Aneignung europäischer Werte, aber auch für eine starke Stellung des russischen Imperiums in der europäischen Staatenwelt. Die Bedeutung, die Peterhof in der Zarenzeit erhalten hatte, führte auch nach der Revolution zu erhöhter Aufmerksamkeit, jetzt auf Seiten der Staatsmacht bzw. der Parteiführung. Vor allem in den Jahren des „Großen Terrors“ hatte das für die Mitarbeiter verhängnisvolle Konsequenzen; häufige Personalwechsel waren die Regel. Bei Kriegsbeginn war Jusef V. Finkelštejn Direktor des Museums, ihm zur Seite standen Anatolij Šemanskij und Jakov Šurygin. Alle drei meldeten sich 1941 umgehend als Freiwillige an die Front. Die Leningrader Verwaltung beauftragte deshalb den Direktor des westlich von Peterhof gelegenen Schlossmuseums von Oranienbaum, Martin M. Rebanė, die Evakuierungsmaßnahmen auch dort durchzuführen.224 Sie verliefen analog zu denen in Puškin und Pavlovsk. Das Ergebnis fasste Trončinskij, der Leiter der Leningrader Museumsabteilung, zusammen:

223 Vgl. L. Panteleev, Sobranie sočinenij v četyrech tomach. Bd. 3 Iz zapisnych knižek 1941–1944 gg. V osaždennom gorode, Leningrad 1984, in: http://lib.ru/RUSSLIT/PANTELEEW/vosade.txt [1.5.2018]. Er erwähnt, dass auf dem Foto der „Samson“ schon nicht mehr an seinem Platz stehe und in Teilen abtransportiert worden sei. Dies ist vermutlich eine spätere Vermutung, da der „Samson“ im Januar 1942 mit Sicherheit noch nicht abgebaut worden war. 224 Rebanė kam aus einer armen, bäuerlichen Familie aus Estland. Er hatte auf Seiten der Roten Armee am Bürgerkrieg teilgenommen und danach Parteikarriere gemacht. Zwischen 1933 und 1937 war er stellvertretender Direktor des Schlossmuseums Gatčina, wurde 1937 verhaftet, kam 1939 wieder frei und arbeitete zunächst in seiner alten Position in Gatčina, dann in Oranienbaum.

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Es gelang herauszubringen: Aus dem Peterhofer Schlossmuseum: alle Exponate aus Edelmetallen oder Exponate, die mit Edelmetallen verziert sind, die Gemälde aus den Pavillons Eremitage, Marly, Monplaisir und Cottage [wo die ältesten Teile der Sammlung aufbewahrt wurden]. Alle kleinen Gebrauchsgegenstände, Geschirr und Kleidung, die Peter I. gehörten und sich in Monplaisir oder der Eremitage befanden. Ein Exemplar aller Möbelgarnituren, die sich in den genannten Pavillons und im großen Palast befanden. Die Kollektion der Porträts von Rotari, die chinesische Seide aus dem Thronzimmer. Die Gemälde von Wright, Buchholz, Hackert. Verschiedene Panneaux von Pineau (mit Ausnahme von zweien). Aus dem Cottage das gesamte Kristall, das Porzellan, die Bronzen und alle irgendwie wertvollen Teppiche. Weggebracht wurde mehr als 60% der Skulpturen (51 Figuren und 78 Skulpturen).225

Abb. 53  Auf der Fotografie posieren Mitarbeiter des Schlossmuseums Peterhof in einer Pause während der Evakuierungsarbeiten im Sommer 1941. Das Inventar ist bereits ausgeräumt.

225 CGALI SPb, f. 468, op. 1, d. 110, ll. 16 f. 226 CGALI SPb, f. 468, op. 1, d. 110, ll. 10 f. 227 CGALI SPb, f. 468, op. 1, d. 110, ll. 19.

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Die zurückgelassenen Gegenstände wurden vor allem im Keller und im Erdgeschoss des großen Palasts gelagert. Die Brunnen- und Parkskulpturen fanden Schutz in der Grotte unter der großen Kaskade oder wurden in der Nähe ihrer Aufstellungsorte vergraben. Von den insgesamt 59.846 Objekten – über 43.846 Sammlungsstücke, 13.500 Bücher und 2.500 Fotografien – wurden 12.932 Objekte evakuiert (8.632 Sammlungsstücke, 1.800 Bücher und 1.500 Fotografien), entweder nach Sarapul und Novosibirsk oder nach Leningrad in die Isaakskathedrale; vor Ort verblieben 46.914.226 Unter den evakuierten Exponaten waren 1.052 Gegenstände aus Edelmetall und Bronze, 3.830 Objekte aus den Porzellansammlungen, 358 Gobelins und Teppiche, 24 Kostüme sowie 2.550 Gemälde, Grafiken und Architekturentwürfe. Fast das gesamte Mobiliar sowie die meisten Leuchter und Spiegel mussten zurückbleiben, nur 50 konnten gerettet werden.227 Auch das gesamte Inventar der sogenannten Unteren

Datscha, die der letzten Zarenfamilie als Sommerhaus gedient hatte, wurde zurückgelassen, weil es im Vergleich zu den Sammlungsteilen aus dem 18. Jahrhundert deutlich weniger wertvoll war. Die von Schinkel erbaute Gotische Kapelle und den Westflügel des Schlosses – der wie die Untere Datscha seit den 1930er Jahren nicht mehr zum Museumskomplex gehörte, sondern als Erholungsheim für NKVD-Angehörige diente  – nutzten nach Kriegsbeginn Einheiten der Roten Armee. Schaden nahmen die Gebäude dabei Rebanė zufolge nicht. Die Zivilbevölkerung wurde auch in Peterhof nicht systematisch evakuiert, nur die Angehörigen von Verwaltung und Partei bekamen die Anweisung, die Stadt zu verlassen. Als die Front näher kam, suchten die Verbliebenen Schutz in der Kapelle, den Kellern des Schlösschens Monplaisir und des Großen Palasts sowie in zurückgelassenen Unterständen und Schützengräben. Rebanė und seine Mitarbeiterin Anna P. Čubova228 verließen Peterhof am Abend des 22. September 1941 Richtung Westen nach Oranienbaum229, der Weg ins östlich gelegene Leningrad war bereits durch deutsche Truppen versperrt. Auf unbekannten Wegen gelangten sie schließlich zu ihren in der Isaakskathedrale untergebrachten Sammlungsstücken. Beide sollten den Blockadewinter 1941/42 nur knapp überleben, zu Beginn des Jahres 1942 wurden sie ins Hinterland evakuiert. In Peterhof zurück blieben der Restaurator Nikolaj P. Udalenkov und der Kustos des Cottage, V. I. Sladkevič.

Die Einnahme Peterhofs Seit dem Überschreiten der ostpreußischen Grenze am 22. Juni hatte die 18. Armee der Heeresgruppe Nord fast die gesamte Ostseeküste bis kurz vor Leningrad erobert. Am längsten konnten die Landstreitkräfte der Leningrader Front das Küstengebiet unmittelbar westlich der Stadt verteidigen. Anfang September wurden sie jedoch geteilt: Von Süden kommend rückten deutsche Einheiten auf den Finnischen Meerbusen vor und trieben einen Keil zwischen die bei Oranienbaum stehenden Teile der sowjetischen 8. Armee und die Hauptmacht bei Leningrad. Am 16. September erreichten die deutschen Einheiten die Küste bei Peterhof. An dessen westlichen Stadtrand grenzte in der Folge für eineinhalb lange Jahre der sogenannte Kessel von Oranienbaum, den die Rote Armee halten konnte. Eigentlich handelte es sich um einen Brückenkopf, der von der Seeseite aus versorgt werden konnte, weil

228 Anna P. Čubova (1905–1989) stammte aus einer Kaufmannsfamilie. Nach einem Studium an der Fakultät für Sprachen und materielle Kultur arbeitete sie in der Antikenabteilung der Eremitage. 1937 wurden einige ihrer nahen Freunde und Verwandten Opfer der Stalin’schen Repressionen, ihr erster Ehemann wurde erschossen. Nach einer Strafversetzung – sie war einmal verspätet zur Arbeit gekommen – fand sie im Frühjahr 1941 eine Anstellung am Museum in Peterhof. 229 Vgl. Ch. I. Topaž, Zabytie imena, Bd. 2, (Časť I. Rebanė Martin Michajlovič – Ėvakuator Petergofskich cennostej; Časť II. Anna Petrovna Čubova, Isskustvoved, pedagog, muzejnyj rabotnik), St. Petersburg 2010.

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Abb. 54  Der große Palast von Peterhof geriet während der Kämpfe in Brand. Von dem Inventar, das die Museumsmitarbeiter in seinen Kellern untergebracht hatten, konnten nach dem Krieg nur noch zerstörte Reste geborgen werden.

die nördlich auf einer Insel im Finnischen Meerbusen gelegene Festung Kronstadt ebenfalls in sowjetischer Hand blieb. Am 24. September nahmen die InfanterieRegimenter 1, 22 und 43 der 1. InfanterieDivision Peterhof ein.230 Bis zur Befreiung am 19. Januar 1944 lag der Ort im Bereich der Hauptkampflinie und damit in militärischem Sperrgebiet. Angesichts des komplizierten Frontverlaufs – sowjetische Truppen hielten im Westen Oranienbaum, im Norden Kronstadt und im Osten Leningrad  – lagen die deutschen Stellungen in Peterhof und damit auch die Parkanlagen, das Schloss und die vielen Nebengebäude von drei Seiten unter Beschuss. Die deutschen Einheiten zwangen die Zivilbevölkerung daher, Peterhof binnen weniger Tage verlassen. Dies erklärt, warum es von russischer Seite kaum Augenzeugenberichte oder Dokumente über die Zeit der deutschen Besatzung gibt. Auch die überlieferten Wehrmachtsquellen geben nur über militärische Angelegenheiten Auskunft und

Abb. 55  Das Feuer vernichtete die Innenausstattung des Palasts komplett. Da die Ruine während der Kriegsjahre ungeschützt der Witterung ausgesetzt war, brachen auch die verbliebenen Stuckreste ab, was die spätere Restaurierung erschwerte.

230 Ende Oktober wurden sie von der 212. Infanterie-Division abgelöst.

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berichten bis auf wenige Ausnahmen nicht von der Zerstörung der Palastgebäude und der Parkanlagen. Bei der Einnahme geriet der große Palast in Brand. Der Restaurator Udalenkov, der in einem der Keller Schutz gesucht hatte, gab nach dem Krieg an, der Brand sei durch ein Geschoss verursacht worden; dann seien deutsche Soldaten auf Motorrädern vorgefahren, hätten ihn und andere Schutzsuchende aus dem Keller geführt und ihnen verboten, das Feuer zu löschen.231 Der Palast brannte völlig aus. Alles, was dort gelagert war, verbrannte oder wurde unter dem Schutt der Ruine begraben. Beide Seiten schlachteten den Brand propagandistisch aus. Die sowjetische Presse unterstrich in ihren dramatischen Schilderungen die Zerstörungswut und Barbarei der deutschen Faschisten. Die deutsche Propaganda behauptete, nach Russland kämen die deutschen Soldaten als Vertreter einer großen Kulturnation, sie verhielten sich zivilisiert gegenüber Menschen wie kulturellen Werten und retteten Europa vor dem kulturlosen, verbrecherischen „jüdischen Bolschewismus“. Um dieses Bild zu produzieren, bedienten sich die Journalisten deutscher Frontzeitungen auch offensichtlicher Lügen. Ein Artikel in „Die Wehrmacht“ vom 22. Oktober 1941 war den Vorortschlössern gewidmet und berichtete, „die Sowjets“ hätten „aus diesen Schlössern Museen gemacht, sie zum Teil aber auch völlig verfallen lassen“. Dazu wurden Fotos des PK-Fotografen Werner Spitta gezeigt, die den Eindruck vermittelten, die Gebäude seien nicht durch Kriegshandlungen zerstört worden, sondern einfach verwahrlost; unter dem Bild der ausgebrannten Schlossruine war zu lesen: „Die Sowjets hatten das Schloß, als sie Peterhof räumen mußten, in Brand gesteckt.“232 Es lässt sich nicht beurteilen, ob diese Propaganda der sowjetischen Bevölkerung zu Ohren kam und ob sie ihr Glauben schenkte. Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1990/91 wurde das Schicksal Peterhofs jedenfalls in einigen reißerischen „Enthüllungsartikeln“ als weißer Fleck der Vergangenheit thematisiert; anknüpfend an Stalins Diktum, man solle den Feinden nur „verbrannte Erde“ hinterlassen, beriefen die Autoren sich auf vermeintliche Augenzeugen und erklärten, ein Spezialkommando habe das Feuer gelegt. Nachprüfbar und plausibel erscheinen die Artikel alle nicht. Festzuhalten bleibt vielmehr, dass es keinerlei Hinweise gibt, dass eines der Gebäude von Peterhof niedergebrannt werden sollte. Eigenen Dokumenten zufolge übernahmen die deutschen Truppen alle Gebäude mit Ausnahme des Palasts in überwiegend gutem Zustand und fanden keine Anzeichen für eine geplante Brandstiftung. Die erste Erklärung, wonach der große Palast aufgrund von Kampfhandlungen in Brand geriet, bleibt die wahrscheinlichste.233

231 Vgl. Jakov I. Šurygin, Letopis’ vosstanovlenija, St. Petersburg 2000. 232 „Die Wehrmacht“ vom 22.10.1941. 233 Vgl. Ch. I. Topaž, Petergof vozroždennyj iz pepla, St. Petersburg 2009, S. 44–63.

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Abtransporte oder Plünderungen? Auch in Peterhof war die Gruppe „Hamburg“ des SS-Sonderkommandos Künsberg am schnellsten vor Ort. Schon am 28. September 1941, nur vier Tage nach der Einnahme, durchsuchten Mitarbeiter das Schloss. Künsberg berichtete an den Reichsaußenminister, man habe alles ausgeräumt vorgefunden.234 Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass Mitglieder der Einheit einzelne Kunstgegenstände an sich nahmen, von einem Abtransport größeren Umfangs kann jedoch nicht ausgegangen werden. Angesichts des ständigen starken Artilleriebeschusses, den Künsberg erwähnt, wäre dies mit großen Risiken verbunden gewesen. In seiner Funktion als Kunstschutzbeauftragter muss auch Solms Peterhof frühzeitig besucht haben, vielleicht sogar gemeinsam mit dem Sonderkommando Künsberg.235 Dabei entdeckte er in der Grotte unter der Kaskade einige Kisten mit Porzellan, die er unter Verschluss nehmen ließ236 – offenbar standen ihm zu diesem Zeitpunkt keine Transportmittel zur Verfügung. Es gibt keine Hinweise, dass er andere Kunstgegenstände mitnahm. Tatsächlich war es angesichts von Kälte und Nachschubproblemen schwierig, Fahrzeuge zugeteilt zu bekommen, eine Erfahrung, die wenig später auch der Kunsthistoriker Harald Keller machen musste, den sein Divisionskommandeur spontan zum Schutz der Kunstwerke vor Ort einsetzte: Die meisten Autos sind längst eingefroren, oft haben sie nur eins, und das können sie schlecht herleihen. Heute bin ich gefahren, alle Scheiben waren zugefroren, auch vorn die vom Chauffeur. Da er keinen elektrisch geheizten Scheibenwischer hatte, so gab es kein anderes Mittel als mit offenem Seitenfenster zu fahren und den Kopf hinauszustrecken. Hinten saß ich mit zirka einem Meter großen Rokoko-Leuchtern aus Porzellan, alles in Körbchen in Heu verpackt.237

Nach ihrer Erkundungsfahrt im November 1941 schilderten auch Mitarbeiter des ERR, ihre Eindrücke.238 Der Kunsthistoriker Karl-Heinz Esser ließ es nicht an Deutlichkeit fehlen: Das Hauptschloss ist mit seiner Innenausstattung nach der Einnahme durch Beschuss völlig ausgebrannt. Es stehen nur noch die Mauern ohne Decken und Dächer. Baulich besser erhalten sind die Nebengebäude und Kavalierbauten, deren anscheinend nicht sehr wertvolle

234 Vgl. PA – AA, R–27557 Soko Künsberg, Vortragsnotiz vom 6.10.1941. 235 Vgl. PA – AA, R–27574. In dem Schreiben vom 4.12.1941 bestätigte Major Richter, der Ic der 18. Armee, dass das Sonderkommando Künsberg im Zeitraum zwischen dem 13.8.1941 und dem 15.12.1941 Sonderaufgaben im Bereich der 18. Armee wahrgenommen habe: „Von dem dem Einsatzkommando zugeteilten Beauftragten des Chefs der Heeresmuseen wurden wichtige Kulturgüter geborgen.“ Vermutlich handelte es um Poensgen, vielleicht auch um Solms. 236 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 276. 237 Brief von Harald an Gerda Keller vom 7.12.1941, Privatarchiv Ulrich Keller. 238 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 148, ll. 1–5, d. 149, ll. 265–284.

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Innenausstattung auch nahezu völlig vernichtet ist. Nach Angaben der militärischen Einheiten würden jedoch noch häufiger einzelne verschleppte Einrichtungsgegenstände, die vermutlich teilweise aus diesen Bauten stammen, gefunden. Da unter den bisherigen Verhältnissen keine Möglichkeit bestand, solche Stücke zu bergen und zudem unbefugte Stellen bereits Kunstwerke aus diesem Gebiet abgeführt haben, wurde kürzlich von der Division der Divisionsangehörige, Universitätsdozent, Uffz. Dr. H. Keller, als Kunstschutzbeauftragter eingesetzt. Betreffs des unberechtigten Abtransportes von Kunstwerken war die uns von der Division gemachte Mitteilung von der Aktion eines Marineleutnants (Schmögel?) bemerkenswert, der angeblich in irgend einem höheren Auftrage eine Reihe von Gemälden nach Berlin abführte und nachträglich auf Drängen der Division eine Liste hierüber einreichte.“239

Noch deutlicher äußerte sich Keller in privaten Briefen. Seinem Freund und Kollegen Werner Körte gegenüber klagte er, Kunstschützer sei ein „gräßlicher Posten“, weil man den deutschen Offizieren Ikonen und Möbel abzunehmen habe:240 Er hätte einen Monat früher vor Ort sein müssen, dann wäre vielleicht noch etwas zu retten gewesen. So aber fand er Peterhof geplündert und zerstört vor. An seine Ehefrau schrieb er am 25. November 1941: „Wo Du und ich so große Liebhaber von einfachen, klassizistischen Möbeln sind, so tut mir da immer die Zerstörung am leidsten. Ein ganzes Schlösschen heute voller solcher Möbel – kein Stück mehr ganz, außer einer wunderbaren Kommode. Der Winter ist streng und Holz im Haus so bequem.“241 Und einige Tage später, am 28. November: „Der Gesamteindruck bleibt bestehen: man hat mich vier Wochen zu spät berufen. Es ist nicht mehr allzuviel zu bergen, vor allem haben Zwischenpersonen, die gar keine Befugnisse haben (z. B. Kriegsberichterstatter), hier ‚gearbeitet‘, zu wessen Gunsten, weiß der Himmel.“242 Kurz danach, am 4. Dezember, hielt er seine Mission für so gut wie beendet. Solms musste er mitteilen, das Depot in der Grotte sei durch das Gewölbe von hinten aufgebrochen und fast alles gestohlen worden.243 Obwohl es für ihn keine Aufgaben mehr gab, gelang es Keller, seinen Aufenthalt bis Anfang Februar 1942 auszudehnen. Die wenigen Kunstwerke, die er noch aufspüren konnte, lagerte er in dem Steinhaus ein, in dem der Divisionsstab untergebracht war. Als dieses Haus im Januar 1942 infolge überheizter Kamine abbrannte, blieb von seiner „Sammeltätigkeit nur ein Häufchen Asche“244 übrig.

239 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 146, ll. 252 f.. 240 Brief von Harald Keller an Werner Körte 14.6.1942, Privatarchiv Arnold Körte. 241 Brief von Harald Keller an Gerda Keller vom 25.11.1941, Privatarchiv Ulrich Keller. 242 Brief von Harald Keller an Gerda Keller vom 28.11.1941, Privatarchiv Ulrich Keller. 243 Brief von Harald Keller an Gerda Keller vom 4.12.1941, Privatarchiv Ulrich Keller. 244 Brief von Harald Keller an Gerda Keller vom 31.1.1942, Privatarchiv Ulrich Keller.

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Über Plünderungen und Verschleppungen von Inventar berichtete auch Gerhard Wunder (ERR) am 21. Februar 1942 in einer Aktennotiz: Nach Erzählungen des Stabszahlmeisters v. Mühlendahl befinden sich im Kasino des 38. A.K. in Grigorowo Kunstgegenstände, wie Bilder, Stiche, Teppiche, Silber u. a., die aus dem Schloss Peterhof stammen sollen. Darunter waren auch Bildnisse russischer Generäle. Ferner befand sich dort Silber aus Frankreich und aus den Zarenschlössern. Da das A.K. früher in der Gegend von Peterhof lag, besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Gegenstände aus den Nebenbauten des abgebrannten Schlosses Peterhof entführt worden sind.245

Nach dem Krieg schilderte der Kriegsberichterstatter Georg Schmidt-Scheeder eine absurde Szene: Als er sich im Park von Peterhof zum zerschossenen Gebäude der Eremitage vorwagte, habe darin ein Soldat auf einem Rokokostuhl an einer schussbereiten Panzerabwehrkanone gesessen.246 Werner Körte, der zufällig seit der Jahreswende 1941/42 mit einer Artillerieeinheit in Peterhof stationiert war, nahm einem Soldaten ein Holzornament gerade noch rechtzeitig aus der Hand, bevor dieser es verfeuern konnte.247 Diese und ähnliche Quellensplitter bestätigen die Annahme, dass in Peterhof Kunstgegenstände und Einrichtungsstücke entweder durch Wehrmachtsangehörige privat entwendet oder für die Ausstattung von Unterkünften verwendet und häufig zerstört wurden.

Der Abtransport des Neptunbrunnens Der Park von Peterhof war mit einer Reihe von Bronzeplastiken bestückt gewesen, von denen sich im Winter 1941/42 insbesondere die großen Brunnenfiguren noch an Ort und Stelle befanden. Einhelligen Berichten vom November 1941 zufolge war der „Samson“ mit einem Holzverschlag gegen Artilleriebeschuss geschützt worden. Auf einer Fotografie, die unmittelbar nach der Einnahme im September entstanden ist, lässt er sich, mit Ästen oder Stroh eingewickelt, tatsächlich kaum erkennen; auf späteren Aufnahmen aus dem Jahr 1942 fehlt der Schutz dagegen. Berichten zufolge stand auch der Neptunbrunnen vollkommen ungeschützt im Oberen Garten des Parks. Der von dem Nürnberger Bildhauer Georg Schweigger im 17. Jahrhundert gestaltete Brunnen gilt als herausragendes bildhauerisches Werk des deutschen Barock. Ende des Dreißigjährigen Krieges als Friedensdenkmal gegossen, sollte es in Nürnberg auf dem Hauptmarkt aufgestellt werden. Dazu kam es aus finanziellen 245 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 13. 246 Vgl. Georg Schmidt-Scheeder, Reporter der Hölle. Die Propagandakompanien im 2. Weltkrieg. Erlebnis und Dokumentation, Stuttgart 1977, S. 259. Schmidt-Scheeder hieß eigentlich nur Schmidt mit Nachnamen und war ein Fotograf aus Bremen. Unter seinem richtigen Namen, Georg Schmidt, arbeitete nach dem Krieg beim „WeserKurier“; dort befindet sich auch sein Archiv. 247 Brief von Werner Körte an Kurt Bauch vom 10.1.1942, Privatarchiv Arnold Körte.

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Abb. 56  Objekt der deutschen Begierde auf höchster Ebene: der barocke Neptunbrunnen des Nürnberger Bildhauers Georg Schweigger aus dem 17. Jahrhundert. Er wurde 1942 abgebaut und nach Nürnberg gebracht, 1948 kehrte er nach Peterhof zurück.

Gründen nicht. Zar Paul I. erwarb den Brunnen 1797 für eine stattliche Summe und ließ ihn in Peterhof aufstellen. Das Zentrum bildet eine Bronzefigur des griechischen Meeresgottes Neptun. Um ihn herum sind zwei Nereiden (Meeresreiter auf geflügelten Pferden) und Nymphen mit Rudern gruppiert. Die Komposition wird von auf einem Drachen reitenden Putten und Delphinen ergänzt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in Nürnberg Bemühungen, den Brunnen zurückzukaufen. Zar Alexander III. lehnte ein Kaufgesuch ab, erlaubte aber, Abgüsse von den Figuren zu nehmen, so dass in Nürnberg ein originalgetreuer Abguss entstand. Den deutschen Kunstverständigen, die 1941 im besetzten Peterhof auftauchten, war die Geschichte des Brunnens bewusst und man war sich einig, dass er als wertvolles Stück deutscher Bildhauerkunst unbedingt nach Deutschland zurückgebracht werden müsse, bevor er Schaden nähme.248 Diese Ansicht vertrat auch Karl-Heinz Esser im November 1941 in einem Aktenvermerk: Der Verkauf eines solchen Kunstwerks sei ein Fehler gewesen und müsse revidiert werden. Einen Abbau hielt er aufgrund der Witterungsverhältnisse für schwierig, doch erwögen er, Keller, Solms und der verantwortliche Ic der Heeresgruppe Nord, Major Richter, wenigstens die Figur des „Neptun“ abzubauen und

248 Vgl. Karin Jeltsch, Der Raub des Neptunbrunnes aus Schloß Peterhof, in: Eichwede/Hartung 1998, S. 67–74.

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an den „Bergungsort der anderen aus den Schlössern Zarskoje Selo und Gatschina abtransportierten Kunstwerke zu bringen“. 249 Zunächst geschah aber nichts. Es fehlte eine eindeutige Weisung und Keller wollte für „große Abbrüche von Sachen, die unter BeschußGefahr liegen“, keine Verantwortung übernehmen.250 Zudem schätzte er die Chancen, dafür Fachkräfte zugeteilt zu bekommen, realistisch ein: „Ganz abgeAbb. 57  Bevor der Neptunbrunnen abgebaut wurde, fotograsehen davon, dass meine Division mir fierte Werner Körte ihn in allen Details, so auch die Reiterfiguren. Von diesen ging eine allerdings beim Rücktransport nach dem keine Pioniere gibt  – die an der Front Krieg verloren. nötiger sind!!“251 Die Konkurrenz um Zuständigkeiten und Zugriffsmöglichkeiten zwischen der Wehrmacht und dem ERR zieht sich als roter Faden durch die gesamte Korrespondenz ihrer untergeordneten Stellen. Im Bereich der Heeresgruppe Nord versuchte vor allem Esser aktiv, die Handlungsspielräume des ERR auszuweiten, stieß dabei aber auf den Widerstand von Solms. Der ERR pochte darauf, dass auch in der Sowjetunion der Führervorbehalt gelte,252 und fühlte sich als Parteiorganisation für das prestigeträchtige Objekt zuständig. Ein Versuch Essers Mitte Januar, in der Angelegenheit tätig zu werden, scheiterte, weil sein Wagen liegen blieb. Den gesamten Winter über blieb die Monumentalskulptur jedenfalls ungeschützt. Der Abbau erfolgte in den ersten beiden Juniwochen 1942. General Küchler, der im Januar 1942 Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord und direkter Vorgesetzter von Solms geworden war, betonte in einem Brief an den Nürnberger Oberbürgermeister, dass er die Bergung selbst veranlasst habe. Mit Blick auf den Führererlass sicherte er sich ab. Er stellte klar, dass er nicht berechtigt sei, über den Brunnen zu verfügen und ihn der Stadt Nürnberg nur bis zu einer Entscheidung des Führers treuhändisch übergebe.253 Am 15. Juni verließen zwei Güterwaggons Peterhof, und bereits am 25. Juni quittierte ein Nürnberger Beamter die Ankunft und inventarisierte die Stücke.254 Die Mitarbeiter des ERR waren nicht eingeweiht, wahrscheinlich wurden sie sogar bewusst umgangen. Auch in Nürnberg sorgte der Brunnen für Zuständigkeitsstreitigkeiten. Bei einer Sitzung Ende Juli 1942 ließ dann entweder der Oberbürgermeister oder ein Vertreter des Germanischen Nationalmuseums ausdrücklich im Protokoll festhalten, das Denkmal sei zu diesem 249 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 256. 250 Brief von Harald Keller an Gerda Keller vom 28.11.1941, Privatarchiv Ulrich Keller. 251 Brief von Harald Keller an Gerda Keller vom 28.11.1941, Privatarchiv Ulrich Keller. 252 Vgl. Kap. III.3: Führervorbehalt. 253 NARA, M1946, Roll 0066, Bl. 34. 254 NARA, M1946, Roll 0066, Bl. 31.

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Zeitpunkt „bereits persönlich vom Führer mir für die Stadt übereignet und seine ‚Aufstellung im Neubau des Germanischen Museums‘ bestimmt worden!!“255 Es war vorgesehen, den Brunnen im Innenhof eines geplanten Neubaus des Germanischen Nationalmuseums aufzustellen, und es gab dafür, wie eine Fotografie zeigt, bereits konkrete Planungen.256 Zum Schutz vor Luftangriffen wurde er aber zunächst im Bunker am Panierplatz untergebracht, wo ihn – nach einem Hinweis aus der Bevölkerung – Mitarbeiter der amerikanischen Militärverwaltung im Herbst 1945 fanden. Die Geschichte wirft ein Licht darauf, wie viele Menschen und Institutionen auf unterschiedliche Weise in die Beschlagnahmung von Kunst involviert waren. Man sah es als selbstverständlich an, ursprünglich „deutsches“ Kulturgut „zurückzubringen“, unabhängig davon, ob es regulär ins Ausland verkauft oder verschenkt worden war. Diese Haltung scheint teilweise auch nach Kriegsende noch anzutreffen gewesen zu sein. So schrieb der Kunsthistoriker Hans Robert Weihrauch 1952257, der Brunnen sei „während des Krieges aus der Kampflinie geborgen“ und 1949 restituiert worden. Lebhaft beklagte er, dass man in Nürnberg nun nicht mehr das Original sehen könne – ein unersetzlicher Verlust, stehe es doch „hoch über der Kopie“.258

Zum Verschwinden des „Samson“ Nach dem Abtransport des Neptunbrunnens verblieben die Bronzefiguren der großen Kaskade noch an ihrem Platz: „Samson“ im Zentrum des Brunnenbeckens und an seinen Seiten rechts und links die Skulpturen „Volchov“ und „Neva“, Allegorien der großen Flüsse der Region. Auf der oberen Terrasse vor der Palastruine blickten zwei bronzene Darstellungen des Meeresgottes Triton in Richtung Ostsee, ein weiterer Triton gehörte zum Brunnen vor der Orangerie. Hinzu kamen einige Schildkröten aus Bronze. Auf Fotos des Kriegsberichterstatters Schmidt-Scheeder vom September 1942 ist die große Kaskade mit „Samson“ deutlich zu erkennen259; eine Aufnahme zu einem späteren Zeitpunkt ist nicht überliefert, was die Vermutung nahelegt, dass die Figur im Herbst 1942 abgebaut wurde. 255 NARA, M1946, Roll 0066, Bl. 37. 256 Bernward Deneke/Rainer Kahsnitz, Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg 1852–1977, Nürnberg 1978, S. 86. Fotografie aus dem Nachlass Kohlhaußen. 257 Hans Robert Weihrauch (1909–1980), der spätere Direktor des Bayerischen Landesmuseums, war im Krieg beim Chef der Heeresmuseen u. a. im Bereich der Heeresgruppe Nord tätig und selbst am Abtransport von Kunstwerken beteiligt. Vgl. NARA, M1946, Rol. 0137, Bl. 63. Für die Überlassung von Dokumenten zu Weihrauch geht unser Dank an PD Dr. Christian Fuhrmeister und Katharina M. Kontny. Vgl. auch Katharina M. Kontny, Recherchen zum Kunsthistoriker Hans Robert Weihrauch während der Zeit des Nationalsozialismus, unver. Masterarbeit, München 2015. 258 Hans R. Weihrauch, Georg Schweigger (1613–1690) und sein Neptunbrunnen für Nürnberg, in: Anzeiger des Germanischen National-Museums 1940 bis 1953, Nürnberg 1954, S. 87–142, hier S. 88 und 141. 259 Kriegsberichter Dr. Franz Pesendorfer: Leningrad, in: „Ostland“ November 1942, Nr. 5, S. 21–26 (Foto abgedruckt auf S. 24). Der Artikel behandelt die geopolitische und kulturelle Bedeutung Leningrads für die Sowjetunion. Ein ähnliches Foto von Schmidt-Scheeder findet sich im BA Koblenz Bildarchiv, Nr. B 26931.

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Abb. 58  „Samson, der dem Löwen das Maul aufreißt“ war die zentrale Brunnenfigur vor dem großen Palast von Peterhof. Sie stand schon bald nach der Einnahme Peterhofs schutzlos im leeren Brunnenbecken. Im September 1942 wurde die Bronzestatue abgebaut und vermutlich eingeschmolzen.

Abb. 59  Im Frühjahr 1942 war die Brunnenallee von Peterhof bereits zerstört, im Vordergrund sind aber noch die bronzenen Tritonen zu sehen, die vermutlich zeitgleich mit dem „Samson“ abtransportiert wurden.

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Die vor Ort aktiven deutschen Kunsthistoriker zeigten wenig Interesse an dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts von dem russischen Bildhauer Michail Kozlovskij geschaffenen „Samson“ und den anderen Bronzefiguren. Das bedeutete, dass sie für die Metallverwertung freigegeben waren. Angesichts fehlender Quellen scheint dies die wahrscheinlichste Erklärung für den bis heute ungeklärten Verbleib des „Samson“. In der Forschung zum Kunstraub in der Sowjetunion wird häufig zu wenig berücksichtigt, dass der Wirtschaftsstab Ost großes Interesse an Rohstoffen für die Kriegswirtschaft hatte und über weitreichenden Einfluss verfügte.260 Die Organisation mit ihren untergeordneten Wirtschaftskommandos war für die Verwertung aller Güter zuständig, die nicht dezidiert als künstlerisch wertvoll deklariert worden waren.261 Aus Peterhof war schon im ersten halben Jahr der Besetzung Metall abtransportiert worden. Einen Hinweis darauf gibt beispielsweise ein Brief des Leiters der Dienststelle Reval des ERR vom Mai 1942, in dem er einen Vertreter der Zivilverwaltung bat, „die beiden bei Ihnen befindlichen Standbilder Peter’s des Grossen, die durch Herrn Hauptmann Künkel aus Peterhof nach Dorpat zum Einschmelzen gebracht wurden, bei Ihnen aufzustellen und bis zum 31. Mai in dem jetzigen Zustand zu unserer Verfügung zu halten.“262 Eine Kopie bekam Karl-Heinz Esser, zu dessen Aufgabengebiet es gehörte, die Metallsammlung in Estland zu beaufsichtigen, teilweise auch durchzuführen; jedenfalls entschied er, welche Denkmäler und Glocken kunsthistorisch wertvoll und deshalb vor dem Einschmelzen zu bewahren seien.263 Im Herbst 1942 begannen Vorbereitungen für den Abbruch der Brunnenskulpturen. Das Kriegstagebuch des Wirtschaftskommandos in Krasnogvardejsk vermerkte am 28. Oktober, in Peterhof habe eine Nacherkundung stattgefunden – möglicherweise durch Solms264 – und man habe beantragt, ein Bergungskommando des Wirtschaftserfassungskommandos 9 (WEK 9) abzukommandieren. Zwischen dem 13. und 17. November finden sich kurze Einträge, die auf konkrete Vorbereitungen hindeuten, am 18. heißt es: „Die Bergungsstaffel des WEK 9 beginnt mit der Bergung von Bronze und anderen NE-Metallen in Peterhof.“265 Im Ergebnis sollen aus Peterhof „8.000 kg Blei, 1.500 kg Kupfer, 650 kg Messing, 15.250 kg Bronze“ geborgen worden sein, die man „der kriegsnotwendigen Verwertung zugeführt“ habe.266 Angesichts der großen Menge an Bronze, die der Tätigkeitsbericht nannte, muss

260 Siehe auch Kap. III.1: Die Schlösser in Puškin: „Herkules“ und „Flora“. 261 Vgl. Müller 1991. 262 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, l. 495. 263 Vgl. dazu Hoppe 2016; CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138. 264 Laut Körte hielt sich Solms zusammen mit Perseke am 17. und 18. Oktober in Peterhof auf; vgl. Eintrag Tagebuch Werner Körte vom 17. und 18. Oktober 1942, Privatarchiv Arnold Körte. Perseke erwähnt in einem Brief an Kurt Bauch, dass er gemeinsam mit Solms Körte in seinem „Haus am Meer“ besucht habe; vgl. Brief von Helmut Perseke an Kurt Bauch, November 1942, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg. 265 BArch – Militärarchiv, RW 31/949. NE-Metalle bedeutet Nichteisenmetalle, dazu gehören Bronze, Kupfer, Aluminium, Zink, Messing. 266 BArch – Militärarchiv, RW 46/609.

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man davon ausgehen, dass es sich um die Brunnenfiguren gehandelt hat. Es gibt keinen Anlass daran zu zweifeln, dass die Figuren nach dem Abtransport eingeschmolzen wurden: Weder kann es jemandem gelungen sein, den „Samson“ vor dem Abtransport zu „entführen“ und insgeheim zu vergraben, noch hat man ihn zu einem späteren Zeitpunkt auf einer Ausstellung in Deutschland gesehen. Alle romantischen Mythen, die sich anschließend um den Verbleib des „Samson“ gebildet haben und suggerieren, er ließe sich möglicherweise wiederfinden, müssen vor den kriegswirtschaftlichen Realitäten verblassen.

Körte und Keller: Zwei Freunde im Einsatz für den „Kunstschutz“ Es war reiner Zufall, dass sich Werner Körte und Harald Keller, die beiden Kunsthistoriker, die seit den 1930er Jahren eine enge Freundschaft verband, während des Krieges gleichzeitig einige Wochen in Peterhof aufhielten. In Äußerungen beider lässt sich nachweisen, dass sie durch die deutsche Propaganda, welche die Kulturlosigkeit Russlands hervorhob, und durch das Gedankengut der Ostforschung beeinflusst waren. Überrascht von der an Kulturdenkmälern reichen Gegend um Leningrad konnten sie diesen Umstand nur im Rückgriff auf deren Kategorien begreifen. Keller etwa schrieb: „Es gibt in dieser endlos ungestalteten Landschaft nicht viele Kunstwerke. Ein Landstreifen auf der Krim und einer eben hier bei uns, jeder neu verheiratete Großfürst bekam eben hier sein Cottage geschenkt, im übrigen ist das Land auch eine Wüste!“267 Nichtsdestotrotz interessierte er sich für die Geschichte der Gegend und hielt dazu am zweiten Weihnachtsfeiertag 1941 vor dem Stab seiner Division einen Vortrag. Körte, der sich seit dem Jahreswechsel 1941/42 und dann einen ganzen Sommer lang in Peterhof aufhielt, beschäftigte sich mit sowjetischen Schloss- und Parkführern und ließ sich sogar zu einigen stimmungsvollen Beschreibungen hinreißen. Kurz nach seiner Ankunft schilderte er den Kontrast zwischen der üblichen russischen Landschaft und dem europäisch-deutsch geprägten Peterhof: Lange Wochen lagen wir an einer anderen Stelle des Ringes in trostlosem Sumpf; seit Sylvester aber, wo man uns in den innersten Ring hineinholte, sind wir mit einem Male aus Asien nach Europa zurückversetzt worden: in einen höchst aristokratischen barocken Park, in eine ganze Abfolge barocker Schlösser mit lauter deutschen Namen, und in eine Landschaft, die an warmen Sommertagen vor 1914 wunderschön gewesen sein muss. Heute aber zerreissen die Granaten von hüben und drüben erbarmungslos die entzückendsten Rokoko-Wandfüllungen und Deckenbilder; der Schnee fällt herein und die Reste der wunderbaren Barockmöbel, die der fliehende Russe allenfalls noch verschonte, werden nun ohne Gnade für die Bunkeröfen zusammengesägt. Kaum konnte ich eben meinen

267 Brief von Harald an Gerda Keller vom 23.12.1941, Privatarchiv Ulrich Keller.

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Abb. 60  Der Kunsthistoriker Werner Körte diente bei der Küstenartillerie, die im Park von Peterhof stationiert war. Seine privaten Aufnahmen dokumentieren den Park, der in den Kriegsjahren durchgängig in militärischem Speergebiet lag. Die Aufnahme zeigt den Blick auf Schloss Monplaisir und den zugefrorenen Finnischen Meerbusen im Winter 1941/42.

Kanonieren ein entzückendes Régemekonsölchen [sic!] noch aus dem Ofen reissen, das einst gewiss von deutscher Hand geschnitzt wurde. Die Formende Macht der Kunst, und zwar vor allem der deutschen Kunst, war hier so zwingend, dass einzelne verständnisvolle Kommandeure selbst Maßnahmen zu ihrem Schutz ergriffen haben.268

In den kommenden Monaten beschäftigte sich Körte intensiv mit der Kultur, die er im besetzten Gebiet antraf. Ihn interessierte, wie die kommunistischen Machthaber mit dem kulturellen Erbe umgegangen waren. Notizen belegen, dass er die Abhandlungen des Kunsthistorikers und Architekten Georgij Lukomskijs269 über St. Petersburg las und exzerpierte; auch studierte er die deutsche Ausgabe von A. Šemanskijs Führer durch Peterhof und seine Parks270, in der er einen Widerspruch entdeckte: „Der Verfasser ist in dem Dilemma, seinen

268 Brief von Werner Körte an Kurt Bauch vom 10.1.1942, Privatarchiv Arnold Körte. 269 Georgij Lukomskij, St. Petersburg. Eine Geschichte der Stadt und ihrer Baudenkmäler, München 1923. Lukomskij (1884–1954) verfasste zahlreiche Abhandlungen zu russischen Kulturdenkmälern. Nach der Februarrevolution 1917 war er in Puškin tätig, in den frühen 1920er Jahren emigrierte er erst nach Berlin, dann nach Paris. 270 A. Šemanskij, Peterhof. Seine Schlösser und Anlagen. Moskau, Leningrad 1932.

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Gegenstand im Grund zu lieben und ihn doch als Symbol des absolut Bösen hinstellen zu müssen, d.h. als Symbol der anderen ‚Klasse‘.“271 Aus dieser Lektüre und eigenen Beobachtungen gelangte er zu dem Schluss, dass die deutsche Propaganda ein falsches Bild von der „Barbarei“ der Bolschewiki zeichnete: Die Roten haben tatsächlich die Zarenschlösser so musterhaft instandgesetzt oder doch gehalten wie Gall [Ernst Gall war Direktor der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten] es nur je mit seinen Schlössern und Gärten vermocht hat und allgemein setzt sich ja jetzt überhaupt die Überzeugung durch, dass wir das sowjetische Bildungsniveau ganz falsch, d.h. viel zu tief eingeschätzt haben.272

Abb. 61  Werner Körte im März 1942 in Peterhof: in einem russischen Lammfellmantel und in Valenki, den russischen Filzstiefeln. Durch viele Quellen ist belegt, dass die deutschen Soldaten sich im Winter 1941/42 warme Kleidung bei der örtlichen Bevölkerung besorgten.

Gerade angesichts der sowjetischen Restaurierungen trieb Körte die Frage um, inwiefern die europäische Architektur und Kunst auf russischem Boden eine formende Wirkung entfalten konnten, sich unter dem Einfluss der Umgebung aber auch veränderten. Er war überzeugt, dass sich an der Kunst der Konflikt zwischen der formenden Kraft Europas und der fließenden, ungezähmten Energie Asiens aufzeigen ließ. Für ihn war das Ensemble von Peterhof ein Vorposten Europas an der Grenze zu den Weiten Asiens. In den wenigen Monaten, die er zwischen Herbst 1943 und Frühjahr 1944 beim Stab der Heeresgruppe Nord verbringen sollte, fand er die Zeit, seine Gedanken in dem Text „Denkmäler der europäischen Kunst im Bereich der 18. Armee“ zusammenzufassen.273 Er hielt darin fest, dass der deutsche Soldat, auch wenn er im Gebiet um Leningrad zunächst einen „kaum absehbaren Raum“ vor sich gesehen, doch bald festgestellt habe, dass „die gestaltende Kraft des Menschen auch diese Landschaft bis zu einem gewissen

271 Exzerpt zu Šemanskij, Peterhof, handschriftl., o. D., Privatarchiv Arnold Körte. 272 Brief von Werner Körte an Elisabeth Körte vom 20.8.1942, Privatarchiv Arnold Körte. 273 Werner Körte: Denkmäler der europäischen Kunst in Bereich der 18. Armee, masch.schriftl. Manuskript, Privatarchiv Arnold Körte. Der neunseitige Text ging u. a. an Johannes Paul, den Direktor des Schwedischen Instituts der Universität Greifswald, der im Frühsommer 1944 Dienst beim Reichssender in Königsberg tat.

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Grade geformt hatte“ (ein Hinweis auf die frühe Besiedlung durch die Wikinger und spätere schwedische und deutsche Kulturanstrengungen). Wirklich gestaltet habe den Raum aber „der planende Wille und die straffe Hand überlegener Herrscher“. Für Schloss Gatčina gelte dies aufgrund der schwachen Herrscherfigur Pauls I. nur begrenzt, es sei viel „matter“ als der Katharinenpalast. Aber auch an diesem bemängelte er, dass zwar architektonische Massen aufgeboten würden, es aber nicht gelungen sei, sie wirklich künstlerisch durchzuformen und zu gliedern; dies sei, im Künstlerischen wie im Politischen, ein typisch russisches Merkmal. Am wenigsten, so Körte weiter, zeige sich dieser Mangel im Ensemble von Peterhof, wo unter Peter I. eine wahre Kulturleistung erfolgt sei. Hier am Südufer der Kronstädter Bucht, ist eben jene Leistung vollbracht worden, von der eingangs die Rede war. Der gebieterische Wille eines grosszügig planenden Herrschers hat hier das verschilfte Ufergelände zwischen Peterhof und Strelna in eine nach grossen Achsen geordnete Kulturlandschaft umgeformt.

Euphorisch stellte er die Anlage mit dem Wiener Belvedere und dem Potsdamer Sanssouci auf eine Stufe. Es ist bemerkenswert, dass er die Großartigkeit des ursprünglichen Zustands trotz der Kriegszerstörungen zu imaginieren vermochte und deshalb die Zerstörung umso deutlicher empfand: Ganz einmalig aber und nirgends wieder erreicht ist die Art, wie hier die Urkräfte des Wassers in den Dienst eines fürstlichen Herrscherwillens gestellt werden, ja man darf sagen, seitdem diese Wasserkünste nicht mehr sprudeln und rauschen, ist die ganze Anlage sinnlos geworden, und was wir heute in Peterhof noch vorfinden, das ist kaum noch der leere Rahmen eines einstmals überwältigenden Bildes. Denn zu dem grossartigen optischen Eindruck sollte auch der akustische treten. Das Tosen und Rauschen der Kaskaden gehört ebenso notwendig zu der Gesamtwirkung wie das Flimmern der vergoldeten Figuren und der frohe Farbenglanz des Baues. In Tausendfacher Gestalt trat dieses Wasser in Erscheinung: als tosender breiter Strom über den Stufen der beiden seitlichen Treppenkaskaden, als feiner Strahl in den Grotten unterhalb des Hauptbaues, als munterer Giessbach an den seitlichen Böschungen des Hanges – und alle diese Ströme vereinigen sich schliesslich noch einmal in dem halbrunden Becken am Fusse des Berges, um von hier aus dem Rachen der Simsongruppe als ein gewaltiger Strahl haushoch in die Lüfte geschleudert zu werden. Seitdem dieser Strom versiegt ist, ist alles echte Leben aus Peterhof gewichen, denn die Architektur als solche ist weder gedankenreich noch bedeutend.“274

Auch hier sei es kaum gelungen, die „ungeheure Breite der Palastfassade“ einigermaßen zu gliedern. 274 Körte 1943/44, S. 3.

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Wie die Kirche des Katharinenpalasts, die seiner Meinung nach die Linien des Schlosses störe und vom Stil her ein Rückfall in russisch-asiatische Vorstellungen sei  – „[d]er zähe Kampf zwischen Osten und Westen wird hier vor aller Augen sichtbar ausgetragen [...]“275 –, empfand Körte die in neurussischem Stil gebaute Peter-und-Paul-Kirche in Peterhof als Bruch. Künstlerisch sei sie „ein gewollter Faustschlag in das europäische Gesicht Russlands“276: Bei aller kleinlichen Häufung kunstgewerblicher Motive und allem Formenreichtum kommt ein wirklich grossgeformter Umriss des stattlichen Baus nicht zustande, und so droht diese ungeheure Ziegelmasse alles zu erdrücken, was Peterhof einst an europäischen Werten umschloss.277

Kurios erschien ihm, dass an anderen Stellen der weitläufigen Peterhofer Parklandschaft als Reaktion auf diese russifizierend-panslavistischen Bestrebungen im neugotischen Stil gebaut worden war: Ausgerechnet der Bahnhof und damit das Gebäude, in dem der technische Fortschritt zum Ausdruck komme, sei in einem historisierenden Stil errichtet worden. Die Schinkelkapelle nahm er dagegen in Schutz: Hier habe sich die Neugotik des romantischen Zeitalters zu einem „ganz reinen und tiefen Klang verdichtet“, lobte Körte ihren Schöpfer, den „preussischen Baumeister Friedrich Schinkel“. Zwar mäkelt er an der architektonischen Ausführung herum, aber darauf käme es letztlich nicht an, denn die Kapelle sei „von Anfang an nur als ein stimmungshaftes Element entworfen“ worden, das mit den Bäumen des Parks zusammen zu betrachten sei. Diese „edle Trauerarchitektur“ habe im Krieg eine ungeahnte Bedeutung bekommen, denn die 1. Division habe nach der Einnahme Peterhofs dort ihre Gefallenen begraben. Damit beschloss Körte den Text, in dem er kunsthistorische Überlegungen, nationalsozialistische Ideologie und Stereotype über die russische Kultur zusammenbrachte. Sein Leitmotiv war der „Schicksalskampf Europas“, der sich im Osten entscheide. An seinen politischen Überzeugungen hielt Körte, wie aus den Tagebuchaufzeichnungen und Briefen der Jahre 1940 bis 1944 zu ersehen ist, unerschütterlich fest. In dieses geschlossene Weltbild fügte er seine kunsthistorischen Thesen sowie sein soldatisches Dasein als Chef einer Artillerieeinheit und konnte so ertragen, dass die Parkanlage vor seinen Augen immer stärker zerstört wurde. Ein Konflikt zwischen beidem ist nicht zu spüren, die Schwärmerei über den Park wechselt mit Notizen über verschossene Munition und versenkte Schiffe. Auch als er nach einer Zeit in Pskov im August 1942 nach Peterhof zurückkehrte, jetzt allerdings auf den Beobachterposten auf dem Turm der Unteren Datscha, besuchte er regelmäßig die Pavillons im Park und führte hohe Offiziere, die zu Gast waren, durch die Anlage. Er fotografierte selbst oder erwarb Fotografien von Bildberichterstattern für seine kunsthistorischen Abhandlungen. Da die Untere Datscha beim Vormarsch der Roten Armee

275 Körte 1943/44, S. 5. 276 Körte 1943/44, S. 6. 277 Körte 1943/44, S. 7.

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Abb. 62  Im Parkensemble von Peterhof schätzten die deutschen Besatzer besonders die von Karl Friedrich Schinkel entworfene und 1834 eingeweihte Kirche des heiligen Alexander Newski, vor der sie einen Gefallenenfriedhof anlegten.

Abb. 63  Die sogenannte „Untere Datscha“ in den Peterhofer Parkanlagen diente der letzten Zarenfamilie als Sommerresidenz. Im Krieg nutzen die deutschen Stäbe sie als komfortables Quartier.

Abb. 64  Körtes Aufnahmen von der „Unteren Datscha“ gehören zu den letzten bildlichen Zeugnissen der Villa, die Ende des Krieges stark zerstört und später abgetragen wurde.

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schwere Schäden erlitt, dann als Ruine in der Landschaft stand, bis sie 1961 abgerissen wurde, und kaum Fotografien von ihr existieren, sind die Aufnahmen Körtes vielleicht die letzten Zeugnisse dieses Gebäudes.

Die Befreiung eines Mythos In Leningrad war bekannt, dass Peterhof in der Hauptkampfzone lag und ein Brand den großen Palast zerstört hatte. Der Mythos des Orts lebte jedoch weiter und trug zum Durchhaltewillen in der belagerten Stadt bei. Beim Anblick einer Aufnahme der Palastruine notierte Leonid Panteleev 1942 pathetisch: Kein Ort der Welt könne ihm dieses „Reich des Froschkönigs, dieses neblige und regnerische Städtchen, das ‚russisches Versailles‘ genannt wurde“, ersetzen. Kein Ludwig habe dort leben können, nur Peter, „der Russe, der sich ein europäisches Kleid anzog, konnte hier sein kleines holländisches Häuschen bauen und es ‚Mon Plaisir‘ – meine Freude – nennen.“ Für Panteleev war Peterhof ein Ort, an dem das Europäische mit dem Russischen eine harmonische Verbindung eingegangen war. Es war das erste Vorortschloss, das die Rote Armee zurückerobern konnte. Ihr Vorstoß vollzog sich vom Oranienbaumer Kessel aus in Richtung Leningrad. Am 21. Januar 1944 meldete das Radio die Befreiung Peterhofs. Neben Militärangehörigen und Minensuchern kam eine Gruppe von Radiojournalisten und Kriegskorrespondenten unmittelbar im Anschluss in den Ort, mit dabei der Schriftsteller Pavel N. Luknickij, der von seinen ersten Eindrücken berichtete: Auf der verminten Straße seien sie nur mühsam vorangekommen. Wo vor dem Krieg prunkvolle Landhäuser und Parks den Weg gesäumt hatten, standen nur noch Ruinen, die Bäume waren geborsten, überall lag zerschossenes Kriegsgerät im schwarzen Schnee. In Peterhof selbst war nur die große Peter-und-Paul-Kathedrale unversehrt. Nicht ein intaktes Gebäude. Die Rote Straße – nur Ruinen von Häusern, gesäumt von vermintem Schnee und kaputten Schrott. Die Brücke gesprengt. Das Hotel in Trümmern. Die Begrenzung des Oberen Parks sind nur noch steinerne Pfähle. Der große Palast ist eine Ruine, bei der Ruine steht ein zerstörter Panzerwagen. Teiche gibt es nicht mehr  – nur noch Gruben. Im Oberen Park stehen kein Neptun und keine anderen Skulpturen mehr. Das Tor zur Roten Straße ist gesprengt und zusammengestürzt. [...] Wir umgehen den großen Palast von der linken Seite her. [...] Die Fassade entlang verläuft ein schmaler Pfad. Eine rote Schnur: Minen. Ein riesengroßer Krater von einer Bombe. Spuren von Brand sind an den Wänden nicht zu sehen. Kein Dach, keine Zimmer, keine Deckenbalken, kein Dachstuhl  – nichts mehr vorhanden. [...] Den Samson-Kanal unten haben die Deutschen in einen Panzerabwehrgraben verwandelt. Der Untere Park ähnelt einem verwahrlosten Wald, ein Teil ist abgeholzt.278

278 P. N. Lukinskij, Leningrad dejstvuet ... Frontovoj dnevnik, Moskau 2. Aufl. 1971, in: http:///militera.lib.ru/db/luknitsky_pn/03.html [1.5.2018].

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Das Ausmaß der Zerstörung war so enorm, dass aus einer Gruppe hoher Militär- und Parteiangehöriger die Ansicht geäußert wurde: „Nein, nicht wiederaufbauen! Muss alles abgerissen werden!“ Luknickij widersprach: „Nein. Man muss es erhalten! Für ewige Zeiten!“ – Eine pathetische Haltung, die sich in vielen Berichten über die zerstörten Paläste fand. Als erste Museumsmitarbeiterin gelangte am 31. Januar die neue Hauptkustodin Marina A. Tichomirova nach Peterhof. Eine Zeitlang hatte sie gemeinsam mit den Kolleginnen der anderen Vorortschlösser im Bus fahren können, von Krasnoe Selo aus bewegte sie sich zu Fuß durch das gerade befreite Kriegsgebiet, teilweise wurde sie von Militärfahrzeugen mitgenommen. Ihre Geschichte verarbeitete der Schriftsteller Konstantin Fedin noch 1944 zu einem patriotischen Artikel, in dem Tichomirova eine furchtlose, der Sache hingegebene Heldin ist, die entschlossen ihren Weg durch Schnee und Wind geht.279 Sie selbst setzte sich und ihren vier Kolleginnen Balaeva, Zelenova, Turova und Ėľkin, mit denen sie in der Isaakskathedrale die Blockade überlebt hatte, in ihrem 1969 erschienen Buch „Denkmäler, Menschen, Ereignisse“ ein Denkmal. Die 1911 geborene Tichomirova stammte aus einer gebildeten Petersburger Familie. In den 1930er Jahren hatte sie das Leningrader Institut für Kunstgeschichte besucht und dann im Artilleriemuseum sowie im Museum der Kriegsflotte gearbeitet, außerdem Führungen in Peterhof übernommen. Den Krieg verbrachte sie im belagerten Leningrad. Als sie am 31. Januar 1944 die Anlage von Peterhof wiedersah, war sie schockiert. Von der Ruine des Palasts wagte sie sich hinunter in den Park. Da musste man sich auf schmalen Trampelpfaden durch hohe Schneewehen durchschlagen, unter abgebrochenen Ästen, entlang an Stacheldraht und deutschen Schildern, auf denen stand, dass hier ein Minenfeld ist. Man musste gehen wie an einem Ort, der einem gänzlich unbekannt war, und immer wieder sah man neue Ruinen: die zertrümmerten Reste der marmornen Säulen der Löwenkaskade, den halbzerstörten Goldenen Berg mit Stufen, dem die Vergoldung fehlte, die verbrannten Reste des Palasts Marly, der ganz offensichtlich erst vor Kurzem gebrannt hatte und zuletzt, die Eremitage, wo weder der Esstisch noch der Zugmechanismus vorhanden war, oben stand ein Geschütz, dessen Rohr durch die durchbrochene Wand ragte und auf Kronstadt zielte. Man musste irgendwie das Gefühl des Horrors überwinden, alles betrachten und nüchtern den Grad der Zerstörung einschätzen. Monplaisir half. Es hatte weniger als die anderen Denkmäler gelitten und gab irgendwie Halt bei der Beurteilung des Zustands von Peterhof. Ja, auch Monplaisir war gemartert und verletzt, aber doch noch lebendig.280

279 Konstantin Fedin, Leningradka. 1944 god, in: S. Krasiľščik (Hrsg.), Ot Sovetskogo Informbjuro. 1941–1945. Publicistika i očerki voennych let, Bd. 1, Moskau 1982, S. 189–191. 280 Tichomirova 1984, S. 84.

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In der Beschreibung, die sie am nächsten Tag für Zagurskij, den Leiter der Museumsverwaltung, anfertigte, enthielt sie sich jeder emotionalen Äußerung und berichtete in beinahe militärisch-knappem Ton: Großer Palast: Stellt eine Ruine dar. Der mittlere Teil des Palasts, der Korpus unter dem Wappen, die Kirche – existiert nicht mehr. Erhalten sind teilweise die Wände der Seitenteile des Palasts und ein Teil der Fassade zum Unteren Park hin. Innere Ausstattung: Erhalten sind Stuckfragmente an den Wänden des Thronsaals und Fragmente der Wandmalerei an der Paradetreppe. Mon Plaisir: Erhalten ist der mittlere Teil des Gebäudes und Teile der Seitengalerie./Innere Ausstattung: Teilweise ist der Fliesenboden erhalten und Fragmente der Deckenbemalung.281

In diesem Stil ging sie alle Gebäude durch, schilderte den Zustand der Parkanlagen und konstatierte den Verlust von Skulpturen. Sie schloss mit einem Zehn-Punkte-Plan. An erster Stelle stand die Bewachung von Monplaisir, an zweiter die fotografische und zeichnerische Dokumentation des Zustands der Gebäude und Parkanlagen. Dann kamen die Entschärfung der Minen  – eine wichtige Aufgabe im besonders betroffenen Peterhof, in dem bis zum Abschluss der Arbeiten im Herbst 1944 56.848 Sprengkörper gefunden wurden282 –, die Begehung aller Objekte, die Überprüfung der Orte, an denen die Skulpturen vergraben worden waren sowie die Suche nach Museumsobjekten in den Ruinen und Unterständen. Unverzüglich sollte ein Raum eingerichtet werden, in dem Fundstücke, seien es Reste des Mobiliars oder des Dekors, gesammelt werden konnten. Die letzten Punkte betrafen Aufräumarbeiten im Park. Dort gab es zwar mehrere Verstecke, doch war unter den Museumsmitarbeitern und Parkangestellten von 1944 niemand, der 1941 am Vergraben der Skulpturen beteiligt gewesen war, und die Pläne orientierten sich an Geländemerkmalen wie Bauten oder Fontänen, von denen viele während der Kriegszeit schlicht verschwunden waren.283 Als Erstes fand man die Marmorstatuen „Winter“ und „Sommer“ im Oberen Garten, die Suche nach den berühmten Statuen „Adam“ und „Eva“ dauerte einige Monate lang und war nur mit Hilfe archäologischer Methoden, unter anderem mit der Aushebung von Sondierungsgräben, erfolgreich.284 Am kompliziertesten gestaltete sich die Suche nach dem Versteck der Bronzefiguren der Großen Fontänenkaskade von Peterhof. Ein Teil von ihnen war zwar nach Leningrad verlagert worden, die anderen waren buchstäblich in letzter Minute versteckt worden, und es gab weder einen Plan des Verstecks noch eine Beschreibung der Objekte, es fand sich lediglich eine Notiz, das Versteck befinde sich in einem Tunnel unter dem Großen

281 CGALI StP, f. 510, op. 1, d. 88, l. 1. 282 Tichomirova 1984, S. 67. 283 Tichomirova 1984, S. 89–91. 284 Tichomirova 1984, S. 92.

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Palais. Die Suche hatte lange keinen Erfolg, dann fand man es fast zufällig bei Arbeiten zur Minenräumung. Im Tunnel lagerten 17 Bronzefiguren und 11 Vasen.285 Auf einer Sitzung der Denkmalbehörde am 18. Februar bezeichnete der Vorsitzende Belechov Peterhof als das Objekt, das wohl am schwierigsten wiederherzustellen sei, und formulierte quasi mit Ausrufungszeichen: „Welche Mittel uns auch immer zur Verfügung stünden, um den Park wiederherzustellen, braucht es 75, wenn nicht sogar 100 Jahre.“286 Dennoch plädierten alle verantwortlichen Mitarbeiter für einen Wiederaufbau. In ihrem Redebeitrag wehrte sich Tichomirova vehement gegen die Auffassung, Peterhof sei schon zu lange Ruine, die Reste von Wandbemalungen und Dekors so verwittert, dass ihre Restaurierung kaum möglich sei. Die positive Entscheidung fiel jedoch erst später, und dabei sollte der oben angesprochene Umstand, dass Peterhof für ein starkes Imperium und eine mächtige Herrscherfigur stand, eine wichtige Rolle spielen.

285 Tichomirova 1984, S. 95–100. 286 CGALI StP, f. 468, op. 1, d. 117, l. 3.

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Gatčina: das „militärische“ Landschloss Katharina II. übergab ihrem Vertrauten und „Favoriten“ Grigorij Orlov in den 1760er Jahren die Ortschaft Gatčina im Süden von St. Peterburg. Orlov ließ dort von dem italienischen Architekten Antonio Rinaldi einen imposanten Gebäudekomplex im klassizistischen Stil bauen. Für die schlichte Fassade wurde gelblicher Tuffstein aus der Umgebung verwendet, der dem Schloss seinen besonderen Charakter gibt. Die umliegende, leicht hügelige Landschaft mit Seen wurde in einen großzügigen englischen Landschaftspark verwandelt. Nach dem frühen Tod Orlovs kaufte Katharina Gatčina für ihren Sohn, den späteren Zaren Paul I. zurück, der die Anlage durch Vincenzo Brenna noch verschönern und die Gärten mit Brücken und Pavillons ausschmücken ließ. Unter Paul I., der Friedrich II. von Preußen und das Militärische verehrte, entstand auch der große Platz vor dem Schloss. Nikolaus I. ließ dort Mitte des 19. Jahrhunderts ein Bronzedenkmal zu Ehren seines Vaters Paul I. errichten. Etwas abgelegen von der Hauptstadt St. Petersburg diente Schloss Gatčina der Zarenfamilie als Jagdschloss und Rückzugsort, von hier aus führte Zar Alexander III. nach der Ermordung seines Vaters Alexander II. die Regierungsgeschäfte. Über Jahrzehnte wurden hier Werke der europäischen und asiatischen Kunst, auch des Kunstgewerbes, sowie eine berühmte Kollektion an Waffen zusammengetragen, so dass das Schloss schon vor der Revolution einen nahezu musealen Charakter besaß.

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Krasnogvardejsk: Umschlagplatz für Truppen und Güter Die Hüterin von Schloss Gatčina

In der Zwischenkriegszeit erlitt Schloss Gatčina enorme Verluste durch die Kunstverkäufe, angeblich über 100.000 Objekte287, und die Direktoren wechselten häufig. Länger hatten die wissenschaftlichen Mitarbeiter ihre Stellen inne, so etwa Serafima N. Balaeva, die dort trotz adliger Herkunft und fehlender Parteizugehörigkeit seit 1927 fast durchgehend bis 1941, dann wieder von 1944 bis zu ihrer Pensionierung 1956 arbeitete. Sie war eine bestens ausgebildete Spezialistin, auf deren Kenntnisse sich nicht verzichten ließ. Geboren 1889 in St. Petersburg gehörte sie zu einer Generation emanzipierter Frauen, die ihre Ausbildung noch vor der Revolution erhalten hatten. Sie besuchte das Gymnasium und studierte dann russische Geschichte an den Bestuževskie kursy, einer der ersten universitären Bildungseinrichtungen für Abb. 65  Das Kriegsschicksal von Schloss Gatčina ist auf das Engste mit der Hauptkustodin Frauen, sprach hervorragend Französisch, las Eng- Serafima N. Balaeva verbunden: Sie leitete die lisch und Deutsch. Nach dem Universitätsabschluss Evakuierungen, betreute dann die Sammlungen unterrichtete sie zwischen 1911 und 1917 am Mäd- in der Leningrader Isaakskathedrale und kämpfte seit 1944 für den Wiederaufbau des Schlosses. chengymnasium M. D. Mogiljanskoj, dessen Direktor ihr Vater war. Dort lernte sie den Kunsthistoriker Vladimir K. Makarov288 kennen, der 1918 zum Hauptkustos und ein Jahr später zum Direktor von Schloss Gatčina ernannt wurde. Durch ihn kam sie 1927 als Wissenschaftliche Hilfskraft ins Museum. Als Makarov 1928 seines Postens enthoben und für drei Jahre nach Nordwestrussland verbannt wurde, brach auch für Balaeva eine unsichere Zeit an. 1933 konnte sie jedoch die Leitung der wissenschaftlichen Abteilung übernehmen; bei Kriegsbeginn war sie als Hauptkustodin diejenige, auf der die wesentliche Verantwortung für die Evakuierung Gatčinas lag.

287 Vgl. Gafifullin 2001, S. 63–85. 288 Von der Denkmalschutzbehörde bekam Makarov während der Leningrader Blockade den Auftrag, gemeinsam mit anwesenden wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Material über Gatčina zusammenzustellen. Bei der Befreiung der Schlösser gehörte er der Kommission an, die für die Außerordentliche Kommission die Schäden feststellen sollte. Vgl. Aleksandra N. Farafanova/Vladimir Kuz’mič Makarov, in: V. K. Makarov/A. N. Petrov, Gatčina, St. Petersburg 4. erg. u. komm. Aufl. 2014, S. 334–341.

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Balaeva führte von 1924 bis 1956 ein dienstliches Tagebuch, das in einer kritischen Edition vorliegt.289 Ihre Aufzeichnungen geben einen Einblick in die tägliche Arbeit und zugleich detailliert Aufschluss über die Situation zwischen dem 22. Juni 1941 und der Einnahme durch deutsche Truppen am 10. September. Die Notizen sind sachlich gehalten, sie sollten später wissenschaftlich ausgewertet werden können. Da Balaeva erkannte, dass Kunsthistoriker in ganz Europa vor der Frage standen, welche Maßnahmen zu ergreifen seien, um Sammlungen möglichst erfolgreich zu bergen sowie Gebäude vor Zerstörung zu schützen, zog sie auch westliche Literatur heran.290 Der distanzierte Blick der Wissenschaftlerin war für sie zugleich Überlebensstrategie und half ihr, sich nicht ihren Gefühlen zu überlassen. Wie ihre Kollegin Zelenova sich später erinnerte, lebte Balaeva während der Leningrader Blockade nach dem Motto, „nicht vom Essen reden“, um „gastronomischen Halluzinationen“ zu entgehen.291

Fatale Konsequenzen einer fehlerhaften Planung Balaeva zufolge begannen die Packarbeiten noch in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 1941. Als Erstes wurden die wertvolle Waffensammlung und die Objekte aus dem Sonderdepot verpackt. Bis zum 4. Juli waren alle Exponate zusammengestellt, die laut Evakuierungsplan zur ersten oder zweiten Kategorie gehörten, insgesamt 162 Kisten. Am 7. Juli verließen zwei Waggons die Stadt, am 12. Juli folgte ein dritter. Einige wissenschaftliche Mitarbeiter sowie Wachpersonal begleiteten die Transporte nach Sarapul, männliche Mitarbeiter wurden teilweise gleich in den ersten Tagen zur Armee eingezogen. Zum Direktor ernannte die Leningrader Kulturverwaltung G. V. D’jakonov, der seit 1940 als Hauptbuchhalter im Museum arbeitete. Im Juli stellten die verbliebenen Museumsleute die dritte Ladung zusammen, vor allem aber räumten sie – strikt den Vorschriften für den Kriegsfall folgend – die Objekte innerhalb des Gebäudes um.292 Im Juni und Juli wirkten die Vorkehrungen prophylaktisch, denn noch konnte sich niemand vorstellen, dass es hier zu Kriegshandlungen, geschweige denn zur Einnahme des Orts kommen könnte. Bis Mitte August gab es daher keine weiteren Bemühungen, Exponate zum Abtransport vorzubereiten, vielmehr setzte man die Arbeiten zum Schutz des Gebäudes fort: Die Fenster wurden mit Brettern vernagelt, die Parkettböden geschützt, Vorkehrungen für den Brandfall getroffen.

289 Vgl. Balaeva 2005 [Biografische Einführung von Tat’jana Litvin], S. 11–17. 290 Ein Resümee ihrer Überlegungen formulierte sie in einem 1949 publizierten Artikel. Vgl. S. N. Balaeva, Raboty po konservacii zdanija Gačinskogo dvorca v načale Velikoj Otečestvennoj Vojny v 1944–1945gg., in: Bjulleten’ (1949), H. 14. Nochmals abgedruckt in: Balaeva 2005, S. 582–585. Darin hob sie besonders einen Aufsatz von Josep [José] Renau zur Situation der Kunstgüter im spanischen Bürgerkrieg hervor: „L’organisation de la défense du patrimoine artistique et historique espagnol pendant la guerre civile“, in: „La Revue Museion“ (1937), H. 39–40, S. 7–66. 291 Vgl. Zelenova 2006a, S. 94. 292 Siehe zu den Anweisungen für den Kriegsfall Kap. III.1: Puškin. Kriegsbeginn und Evakuierung.

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Am 11. August notierte Balaeva in ihrem Tagebuch erstmals Fliegeralarm. Am 14. August wurde auf dem Vorplatz des Schlosses ein Flakgeschütz aufgestellt. Es konnte nicht verhindern, dass am 15. eine Fliegerbombe zehn Meter vom linken Flügel entfernt einschlug und einen Trichter mit einem Durchmesser von 17 und einer Tiefe von acht Metern verursachte. Am Gebäude gab es einige Beschädigungen, die Balaeva sorgfältig notierte. Jetzt erst schienen die Mitarbeiter den Ernst der Lage zu erfassen. Am folgenden Tag begannen sie fieberhaft, eine vierte Evakuierungsladung in 32 Kisten zu verpacken, am 18. August brachten sie sie Richtung Leningrad auf den Weg; die fünfte Ladung (22 Kisten) wurde am folgenden Tag bereits teilweise unter Artilleriebeschuss verladen. Mit diesem Transport verließen auch einige Familien Schloss Gatčina. In der Nacht auf den 20. August verlor der Direktor offenbar die Nerven. Er rief alle Mitarbeiter am Bahnhof zusammen, um die Stadt zu verlassen. Er selbst und ein Teil der Belegschaft reisten tatsächlich ab, während Balaeva, ihre engen Mitarbeiterinnen Irina K. Jančenko und Ėľfrida A. Tichanovskaja, der Fotograf Andrej F. Veličko und weitere 13 Personen, unter anderem das Wachpersonal, vor Ort blieben. Die Stadt lag nun fast andauernd unter Beschuss. Der Stadtkommandant konnte die Sicherheit des Schlosses nicht mehr garantieren, denn auch die Kommandantur wurde evakuiert. Die Telefonverbindung zur Leningrader Verwaltung war unterbrochen, so dass von dort zunächst keine Anweisungen kamen. So wandte sich Balaeva an die anwesenden Militärs und besichtigte mit ihnen das Schloss. Erstmals stellte sich die Frage, was mit den verbliebenen Objekten geschehen sollte, wenn die deutschen Truppen tatsächlich die Stadt einnähmen. Die Militärs schlugen vor, alles zu verbrennen, damit es nicht in die Hände der Feinde falle. Dem widersprach Balaeva. Zunächst verständigte man sich auf Schutzmaßnahmen, damit nicht „Diversanten und andere“ in den Palast eindringen könnten. Zur Stimmung unter ihren Mitarbeitern schrieb sie, diese sei alarmiert, aber nicht panisch. Hervorragend arbeitet Rendov, in den schwierigsten Minuten ist er an den verantwortungsvollsten und gefährlichsten Orten (Dachboden) usw. Sehr gut wirkt auf alle die Zurückhaltung, Gelassenheit und ruhige Tatkräftigkeit I.K. Jančenkos. Ihr Erfindungsgeist und ihr schnelles Handeln („Kommandant“). Sehr nützlich ist Veličko. Er kann mit seinem Ton beeindrucken, der volle Informiertheit vorgibt. Er erledigt viel Arbeit.

Nach einer Feuerpause in der folgenden Nacht kam am Morgen die Hoffnung auf, dass sich das Blatt noch wenden könnte: „Idyllischer Morgen. Wir waschen uns im See. Wir tragen Wasser herbei, heizen die Küche, setzen Wasser für alle auf und kochen Milchreis.“293 Ein Vertreter der Leningrader Verwaltung tauchte mit neuen Anweisungen auf. Das gab für kurze Zeit Sicherheit und das Gefühl, nicht vergessen worden zu sein. Die Lage wurde jedoch immer aussichtsloser. Bald hielten sich die Museumsmitarbeiter durchgehend in den

293 Balaeva 2005, S. 91.

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zu Luftschutzräumen umfunktionierten Kellern auf, in denen auch andere Einwohner der Stadt Zuflucht gesucht hatten. Rund um die Uhr waren zwei Mitarbeiter als Wachen im Einsatz, die auf Eindringlinge und Brandgefahr achten sollten. In den Pausen zwischen den Luftangriffen machte sich Balaeva auf den Weg durchs Schloss und verzeichnete die Schäden. Am 24. August erhielt sie Verstärkung durch N. Fedorovič, den die Leningrader Kulturverwaltung vorübergehend zum Direktor ernannt hatte. In den folgenden Tagen wurden in aller Eile weitere Kisten und Objekte auf Lastwagen geladen und nach Leningrad gefahren, sukzessive wurden auch die verbliebenen Mitarbeiter und ihre Familien evakuiert. Zurück blieb nur ein kleiner Stab, der fortwährend versuchte, die Schäden am Gebäude zu beheben. Am 28. August setzte Regen ein. An vielen Stellen war das Dach durch Bombensplitter beschädigt worden, so dass es – ebenso wie durch viele kaputte Fenster – hineinregnete. Einige Skulpturen wurden erst jetzt vergraben, die letzten Leuchter aus Bronze abgenommen und für den Transport nach Leningrad vorbereitet. Am 7. September notierte Balaeva, es sei erstmals zu einem Fall von Plünderung gekommen, Fremde waren in den Palast eingedrungen. Der 9. September begann mit anhaltenden Luftangriffen. Abends ordnete die Miliz die Evakuierung an. Mit den Anderen verließ Balaeva die Stadt zu Fuß in Richtung Ižora; von dort gelangten sie mit der Bahn nach Leningrad. Im Lauf des Oktobers fertigten die verantwortlichen Kustoden der Vorortschlösser Berichte über die Evakuierungsmaßnahmen an, die Kučumov als Verantwortlicher für alle evakuierten Bestände sowie Trončinskij als Vorsitzender der Leningrader Museumsabteilung dann zu umfangreichen Gesamtberichten zusammenfassten.294 Für Schloss Gatčina nannten sie die folgenden Zahlen: Laut den Inventarbüchern befanden sich bei Kriegsbeginn 38.189 Exponate im Museum, außerdem 44.340 Bücher sowie eine Fotothek mit 10.000 Fotografien. Evakuiert werden konnten 8.389 Exponate, 100 Bücher sowie 6.500 Fotografien, insgesamt 11.989 Objekte.295 Damit wurden 22 Prozent der Exponate, 0,2 Prozent der Bücher und 35 Prozent der Fotothek gerettet, ein Wert, der nur für Peterhof ähnlich niedrig war; am besten schnitt Pavlovsk mit 29 Prozent ab.296 Erneut fällt in den Statistiken auf, dass nur wenige Möbelstücke evakuiert wurden, insgesamt 63 Stück.297 Sehr viele Möbel, außerdem die Porträts aus den Depots, alle Büsten und Statuen aus Marmor sowie die Kristallleuchter und fast die gesamte Bibliothek blieben zurück. Auch in Gatčina führten die unzureichenden Evakuierungslisten der Vorkriegszeit zu Schwierigkeiten, denn schon der erste Transport umfasste viel mehr Objekte als vorgesehen. So wurden beispielsweise die gesamte wertvolle Waffen- und die Miniaturensammlung eingepackt und nicht nur Teile davon. Priorität genossen ferner Unikate aus Bronze, Porzellan und Elfenbein sowie besonders wertvolle Bilder. Es musste schnell entschieden werden, was – über die Listen hinausgehend – mitgenommen

294 CGALI StP, f. 468, op. 1, d. 108, ll. 1–11; d. 109, l. 11–12ob.; d. 110, ll. 8–27. 295 CGALI StP, f. 468, op. 1, d. 110, l. 10. 296 CGALI StP, f. 468, op. 1, d. 110, l. 11. 297 CGALI StP, f. 468, op. 1, d. 110, l. 19.

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werden sollte, und dabei konnten Fehler passieren.298 Diese Mängel räumten Kučumov und Tončinskij unumwunden ein; vielleicht hatte es einen Wechsel in der Museumsverwaltung gegeben, so dass die schlechten Vorbereitungen bedenkenlos auf Personen abgewälzt werden konnte, die sich nicht mehr im Amt befanden. Die grundsätzliche Problematik, dass gar nicht die Evakuierung der Sammlungen, sondern ihre Sicherung vor Ort geplant gewesen war, thematisierten sie aber nicht. Die sich daraus ergebenden Verzögerungen fanden in den nachträglich verfassten Berichten, die bei aller Selbstkritik als Erfolgsgeschichten gelesen werden sollten, keine Erwähnung. In Balaevas Tagebuch wird jedoch deutlich, dass sie erst, als es schon fast zu spät war, die Bahnverbindungen zusammenbrachen, Krasnogvardejsk unter Dauerbeschuss lag, unter großem Risiko und mit enormer Kraftanstrengung versuchten, weitere Kisten in Sicherheit zu bringen.

Einnahme und Plünderung Den deutschen Kriegstagebüchern zufolge begann der Angriff auf Krasnogvardejsk am 8. September 1941 durch die 269. Infanterie-Division und die 4. SS-Polizei-Division im Verband des L. Armeekorps unter Führung von Generaloberst Georg Lindemann. Am 10. September um 10:30 Uhr galt die Stadt als eingenommen. Am 15. September setzten die kämpfenden Truppenteile ihren Vormarsch zügig in Richtung Sluck (Pavlovsk) und Puškin fort.299 Krasnogvardejsk wurde zum rückwärtigen Armeegebiet erklärt und als Versorgungsstützpunkt eingerichtet, hier nahmen die Stäbe und diverse Armeeeinrichtungen Quartier.300 Die Stadt lag 40 Kilometer von Leningrad entfernt direkt an den Vormarschrouten der Heeresgruppe Nord. Als wichtiger Verkehrsknotenpunkt war es gut geeignet, den Nachschub für die Front zu sichern: Einerseits führte eine befestigte Hauptstraße von Riga über Pskov nach Krasnogvardejsk und weiter nach Leningrad, andererseits trafen sich hier die Eisenbahnlinie aus derselben Richtung und die nördlicher von Tallinn (Reval) über Narva führende Strecke. Schon am 17. September richtete die 285. Sicherungs-Division eine Ortskommandantur ein.301 Ihre Einheiten hatten die Aufgabe, Verwaltungsstrukturen aufzubauen, den Nachschub zu sichern, aber auch versprengte Soldaten der Roten Armee, Saboteure und Partisanen aufzugreifen. Sie verwalteten zudem die Lager für Zivilisten und Kriegsgefangene, vor allem das Dulag (Durchgangslager) 154 und seine Außenstellen. In der Stadt befanden sich ferner Versorgungseinrichtungen wie ein Lazarett, ein Vorratslager, die Frontleitstelle. Das Schloss bezogen die Flieger des Jagdgeschwaders 54, seit dem 29. September war hier auch die

298 CGALI StP, f. 468, op. 1, d. 109, ll. 8–12. 299 Vgl. BArch – Militärarchiv, RH 24-50/142. Nach RH 24-50/173, Gen. Kdo L.A.K., IV a, Tätigkeitsbericht 13.8.41– 7.5.42, Bl. 4 vollzog sich die Einnahme erst am 13.9.1941. 300 Vgl. BArch – Militärarchiv, RS 3/4/16. 301 Vgl. BArch – Militärarchiv ,RH 20-18/1442.

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Abb. 66  Schloss Gatčina, das bei der Einnahme kaum beschädigt wurde, diente den verschiedensten deutschen Stäben als Quartier. Die Aufnahme stammt von August/ September 1941.

­ ührungsabteilung des L. Armeekorps untergebracht.302 Außerdem richtete die SS-EinsatzF gruppe A unter Leitung von SS-Brigadeführer Walter Stahlecker hier seit dem 7. Oktober ihr Hauptquartier ein, von dem aus sie ihre Mordaktionen an Juden, Kommunisten, Partisanen und überhaupt allen unternahm, die irgendwie verdächtig erschienen. In den ersten Oktobertagen kamen auch Graf Solms und Georg Poensgen nach Gatčina, das als Ausgangspunkt für ihren Einsatz zum Abbau des Bernsteinzimmers in Puškin diente. Mitte Oktober wurden die Kunstgüter mit Lastwagen nach Krasnogvardejsk gebracht und dann mit der Bahn entweder über Pskov nach Königsberg oder nach Tallinn (Reval) weitertransportiert. Poensgen erinnerte sich, dass er im Schloss untergebracht war. Vermutlich kannte er es aus Erzählungen, denn der erste Direktor des Museums nach der Oktoberrevolution, Graf Valentin Zubov, gehörte zu seinem Berliner Freundeskreis.303 Poensgen fand die Bestände weitgehend unberührt vor und bemerkte die Sorgfalt, mit der sie gesichert worden waren: Die Russen hatten mit mustergültiger Genauigkeit sämtliches wertvolles Inventar fortgeschafft, das zurückbleibende Stück für Stück durch Packpapierbausche, Überkleben der Glasscheiben mit Papierstreifen, Leinenumhüllungen und Magazinierung auf Regalen in bombensicheren Räumen, so weit wie eben möglich, vor Schäden zu bewahren versucht. Noch waren, soweit ich es übersehen vermochte, auch keine Diebstähle erfolgt. Aber alleine schon der Eindruck des in ein Militärlager verwandelten Schlosses wirkte auf mich zutiefst niederdrückend.304

Unerwähnt ließ er, dass während seiner Anwesenheit Möbel und Bilder, die einen besonderen Wert darzustellen schienen, von Solms zusammen mit den Paneelen des Bernsteinzimmers nach 302 BArch – Militärarchiv, RH 24-50/143. 303 Graf Valentin Zubov (1885–1969) hatte – inspiriert von der deutschen Kunstgeschichte – in seinem Stadtpalast in St. Petersburg das erste kunsthistorische Institut Russlands aufgebaut. 1924 musste er emigrieren und lebte zunächst in Berlin, später in London und Paris. Vgl. Zubow, 1967. 304 Poensgen o. J., S. 51.

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Abb. 67  Samt seinem Mobiliar diente Schloss Gatčina der Einsatzgruppe A zwischen Oktober 1941 und November 1942 als Stabsquartier. Hier sitzen höhere SS-Führer, darunter Friedrich Jeckeln, auf Möbeln des Schlosses zusammen.

Königsberg abtransportiert wurden. Anders als beim Bernsteinzimmer ließ sich das weder mit einer direkten Frontlage noch mit einer ehemals deutschen Herkunft rechtfertigen. Hätte Poensgen nach dem Krieg darüber geschrieben, dass sein Kollege Solms und möglicherweise auch er selbst damals Kunstwerke ohne erkennbare Notwendigkeit ins Reich schaffen ließen, wäre dies jedoch dem Eingeständnis gleichgekommen, am NS-Kunstraub teilgenommen zu haben – was nicht zu der von den Kunsthistorikern gepflegten Nachkriegserzählung passte, sie hätten in ihrer Tätigkeit für den „Kunstschutz“ ausschließlich zum Wohle der Kunst gehandelt, während Raub und Zerstörung auf das Konto von Plünderern und skrupellosen NS-Größen gingen. Leider existieren nur vage Angaben über die Teile der Sammlung von Schloss Gatčina, die Mitte Oktober ins Königsberger Schloss gebracht wurden. Es soll sich um rund 400 Gemälde – meist Porträts mit einem Bezug zu Deutschland – und um Möbel gehandelt haben.

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Als Solms und Poensgen Mitte Oktober die Region verließen, erfolgten zunächst keine weiteren Abtransporte durch den militärischen Kunstschutz oder den Chef der Heeresmuseen. Vor Ort blieb die Gruppe „Hamburg“ des SS-Sonderkommandos Künsberg, die Quartier in Siverskij bezogen hatte. Wie bei den anderen Schlössern fiel die Bibliothek in ihren Zuständigkeitsbereich. Von den 40.000 aufgefundenen Bänden sortierten sie zunächst die unbedeutende Literatur aus und bereiteten 15.000 Bände zum Abtransport vor. Sie gelangten im Frühjahr 1942 über Riga oder Reval nach Berlin.305 Die Mitarbeiter des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg besichtigten auf ihrer Erkundungsreise im November 1941 Schloss Gatčina. Gemeinsam mit Karl-Heinz Esser erkämpfte Georg Krusenstjern sich zunächst beim Stab des L. Armeekorps eine Zugangserlaubnis zu den Innenräumen des Schlosses. Zuvor zeigte ihnen ein Hauptmann seine Wohn- und Arbeitsräume; er hatte sie „mit einigem Kunstverständnis eingerichtet, hübsche Stilmöbel, Teppich und einigermaßen gute Gemälde“ fielen den Besuchern „sogleich anregend in die Augen.“ Auch die Räume des Schlosskommandanten, Major Eduard Basse-Korf, glichen einem Museum.306 Krusenstjern und Esser waren von ihrem Kollegen Gerhard Wunder, der das Schloss einige Tage zuvor besucht hatte, vorgewarnt worden, so dass sie sich nicht abschrecken ließen, als Basse-Korf „mit unwilligem Gesicht ein prächtiges Lederalbum aus dem Schrank“ holte, es auf den Tisch legte, „auf ein paar kostbare Stühle“ wies und sagte: „Im Palais ist nichts, aber auch gar nichts mehr zu sehen, meine Herren, es ist völlig leer und ausgeplündert, besehen sie sich lieber dieses Album, sehr schöne Photos zeigen ihnen das Schloss wie es einst zur Zarenzeit aussah, davon werden sie viel mehr haben!“ Nach einigem Hin und Her fand er sich doch bereit, sie von einem Gefreiten durchs Schloss führen zu lassen. Ihnen bot sich ein verheerender Anblick: Das Palais hat zahlreiche Artillerieeinschüsse erhalten und es fehlen fast alle Fensterscheiben. Im Erdgeschoß und im ersten Stock sind die Öffnungen mit Brettern verschlagen, wodurch die zum Teil wundervollen Räume so dunkel sind, dass man die Taschenlampe benutzen muss, im obersten Stock sind die Fensteröffnungen frei und in den prunkvollen Zimmern und Spiegelgängen liegt Schnee ... Die prächtigen Galerien, Säle und Salons, wie auch die Thronsäle sind in erbarmungswürdigem Zustande. Es ist bekannt, dass die Bolschewiken den grössten Teil der Gemälde, Möbel und Kunstwerke nach Petersburg evakuiert haben, einiges ist auch hier in den Kellern versteckt. Wer aber die Räume so geplündert hat, können wir nicht einwandfrei ermitteln.“

Die Bronzebeschläge, die vergoldeten Leisten und die Stuckverzierungen seien abgebrochen und lägen auf dem Fußboden herum, die seidenen Wandbespannungen 305 Vgl. AA – PA, R–27576, o. Fol.; Hartung 1997, S. 47 f. 306 Der Name Basse-Korf wird in den Berichten der Mitarbeiter des ERR unterschiedlich geschrieben. Krusenstjern beschränkt sich auf die Abkürzung „B.“. Den Militärakten zufolge hieß der Major Basse-Korf und war bis März 1942 als Adjutant bei der Führungsabteilung des L.A.K. tätig. Vgl. BArch – Militärarchiv, RH 24-50/163.

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hängen in Fetzen von den Wänden, auch die kostbaren Gardinen und Vorhänge sind abgerissen worden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass unsere Landser hieran nicht ganz schuldlos sind. An den Wänden hängen zahlreiche leere goldene Bilderrahmen, in kleineren Zimmern sind goldene Rahmen hoch aufgestapelt. Bis auf wenige demolierte Möbelreste sind keine Einrichtungsgegenstände zu sehen.“

In vielen Zimmern lägen kleine Gebrauchsgegenstände, Bücher, Zeitschriften und Papier auf dem Fußboden, darunter Fotoalben, einzelne Bilder und Privatbriefe der Kaiserin-Mutter Marija Fedorovna. Der große Theatersaal sei ganz dunkel: Mit Taschenlampen tappen wir uns vorwärts, treten knirschend in hochaufgeschüttete Haufen von Glas, Bilderrahmen, Bücher, Photos, Gebrauchsgegenstände, dazwischen stehen defekte kostbare Möbel und ragen halbverschlagene Büsten und Plastiken aus Marmor, Ton und Gips. Ich habe einige englische und französische Lederbändchen mit schönem Golddruck und dem Monogramm der Kaiserin-Mutter im Schutt gefunden. Weiter finden wir einige alte Kirchenbücher der griechisch-orthodoxen Schlosskirche, wir nehmen sie selbstverständlich mit. Ein großer Prachtband der geöffnet in der Tür liegt, enthält das Inventar der reichen Waffensammlung des Schlosses. Dieser ganze Raum wirkt erschütternd, ist doch alles, was hier in heillosem, der Vernichtung preisgegebenem Durcheinander unter den Füssen liegt, von einem oder anderen Gesichtspunkte wertvoll oder interessant.“

Die Mitarbeiter des Einsatzstabes gehen durch endlose Zimmer, Fluchten und Gänge. Das Schloss hat immerhin 600 Räume. Hier und da stehen noch einzelne Säulenpostamente, Büsten und kostbare Vasen. Die schöne Schlosskirche ist ziemlich ausgeplündert und leer. In einem Nebenraum hingegen liegen zahlreiche Prunkbibeln, Ikonen, Leuchter, geistliche Bücher, Geräte, Bilder und Stickereien mehr oder weniger fragmentarisch herum. Hier stehen auch eine Reihe von Ölporträts aus dem 18. Jahrhundert, unter denen wir einen bekannten Baltendeutschen, Otto Wilhelm von Bock, finden, wir nehmen das Bild mit.

Nach Stunden kehrten sie zum Major zurück, überreichen ihm die sichergestellten Inventarbücher der Sammlung zur besseren Aufbewahrung und bitten ihn den inhaltsreichen Theatersaal abzuschließen [...]. Er erkennt in uns seriöse Interessenten und Fachleute. Wir zeigen ihm auch einige mitgenommene Gemälde und Bücher worauf er sagt: „Meine Herren, von mir aus können sie hier alles mitnehmen was ihnen gefällt, soweit es sich nicht um Dinge handelt, die unsere Leute zum täglichen Leben brauchen können!“307 307 Vgl. BArch – Militärarchiv, RH 24-50/163, und ebd., ll. 135–136.

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Später gelang es Krusenstjern und Esser, unbeaufsichtigt weitere Räume in Augenschein zu nehmen. Von Solms wussten sie, dass noch 800 Gemälde vorhanden sein mussten. Schließlich fanden sie das Depot, in dem die Ölgemälde in Holzregalen aufgereiht standen, hatten bei diesem Besuch aber nicht die Zeit, sie zu sichten. Was Krusenstjern in den Dienstberichten nur vorsichtig andeuten konnte, formulierte er in dem privaten Reisebericht unverblümt. Soldaten hatten die Innenausstattung offensichtlich mutwillig zerstört, die Möbel standen der Truppe zur freien Verfügung, die Depots mit Büchern, Fotografien und unbedeutenderen Inventarstücken waren geplündert worden. Die Militärs vor Ort gestanden der Truppe das Recht zu, alles zu nutzen, was sie brauchte; Militärakten belegen, dass es intern kein Geheimnis war, dass die Schlösser geplündert worden waren, es sollte aber nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Ohnehin gab es bei der militärischen Führung unterschiedliche Vorstellungen, wie mit kulturellen Werten umzugehen sei. Die Mitteilungen an die Truppe fielen entsprechend widersprüchlich aus. In der Anweisung zum „Verhalten der Truppe im Ostraum“ vom 3. November 1941 betraf ein Absatz auch den Umgang mit Kulturgütern: Die Sowjets haben bei ihrem Rückzug häufig Gebäude in Brand gesteckt. Die Truppe hat nur so weit ein Interesse an Löscharbeiten, als notwendige Truppenunterkünfte erhalten werden müssen. Im Übrigen liegt das Verschwinden der Symbole einstiger Bolschewistenherrschaft, auch in Gestalt von Gebäuden, im Rahmen des Vernichtungskampfes. Weder geschichtliche noch künstlerische Rücksichten spielen hierbei im Ostraum eine Rolle.308

Diesen Passus schwächte General von Küchler ab, indem er eine Erläuterung hinzufügte, vermutlich um unnötigen Zerstörungen Einhalt zu bieten: Erstens habe die Truppe ein dringendes Interesse an der Erhaltung jeden Gebäudes, das sich als Truppenunterkunft eigne, zweitens seien die ehemaligen Zarenschlösser keine „Symbole der Bolschewistenherrschaft, sondern im Gegenteil Zeugen der unüberwindlichen Kraft deutscher Kultur mitten in einer rohen und feindlichen Umwelt.“309 Diese Erklärung scheint nur bedingt gewirkt zu haben, denn im März 1942 kritisierte der Gruppenleiter des Wirtschaftskommandos Krasnogvardejsk, ein Hauptmann Kloos, in einem Monatsbericht das Verhalten der Soldaten scharf: Ist das Stehlen von allen möglichen Dingen, die Fortnahme von nicht unbedingt benötigten Gegenständen aus bewohnten Häusern mit Nötigung und Gewalt eine bedenkliche Erscheinung, so kann z. B. die Verwüstung der Schlösser von Puschkin und ihre schonungs- und schamlose Ausplünderung nur als eine Kulturschande bezeichnet werden.310

308 BArch – Militärarchiv, RH 20-18/1209, ohne Pag. Vgl. dazu Hürter 2001, S. 416. 309 BArch – Militärarchiv, RH 20-18/1209, ohne Pag. 310 BArch – Militärarchiv, RH 20-18/1448, Bl. 241.

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An diesem Dokument ist zweierlei bemerkenswert: zum einen, wie unumwunden Kloos die Plünderungen durch Wehrmachtsangehörige beschrieb, zum anderen, wie empört der Empfänger des Berichts beim Quartiermeister der 18. Armee darüber gewesen sein muss. Er versah den gesamten Absatz mit einem großen Fragezeichen, die Formulierung „schonungs- und schamlose Ausplünderung“ unterstrich er fett und notierte, diese „wirklich unverschämte Kritik“ dürfe nicht „ohne Widerspruch hingenommen werden“. Kloos hatte den gängigen Sprachgebrauch verletzt, wonach die Wehrmacht Kultur und Zivilisation in das rückständige, bolschewistische Russland brachte. Die deutsche Propaganda hatte das Ziel, das gewissenlose Vorgehen gegen Kultur und Menschen in den besetzten Gebieten zu übertünchen und auch gegenüber den eigenen Soldaten die Illusion eines gerechten Krieges aufrechtzuerhalten.

Abb. 68  Wie seine handschriftliche Notiz belegt, nahm der Sippenforscher Georg von Krusenstjern die Fotografie 1941 in Schloss Gatčina aus einem privaten Fotoalbum der Zarenfamilie mit. Es befindet sich bis heute in seinem umfangreichen bildlichen Nachlass.

Verbrechen des Besatzungsregimes Da Krasnogvardejsk nicht in Frontnähe lag, bestand keine Notwendigkeit, die gesamte russische Zivilbevölkerung zu evakuieren. Trotzdem überlebten viele Einwohner den ersten Winter nicht. Die Versorgungssituation stellte sich möglicherweise nicht ganz so dramatisch dar wie direkt an der Front oder in abgelegenen Gebieten, weil die Vielzahl deutscher Einrichtungen Arbeitsmöglichkeiten und damit das Recht auf eine tägliche Lebensmittelration bot. Dennoch ging die Außerordentliche Staatliche Kommission nach der Rückeroberung der Stadt 1944 von 35.000 Menschen aus, die während der Besatzung an Auszehrung starben.311 311 Vgl. CGA SPb, f. 9421, op. 1, d. 81, l. 71.

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Diese Zahl umfasste auch – gerade in der ersten Phase der Besatzung – viele Internierte, denn die männliche Bevölkerung zwischen 15 und etwa 55 Jahren wurde zunächst registriert und in Lagern festgehalten. Die Lager im Ort selbst und in der Umgebung, die eigentlich nur als Durchgangslager hatten dienen sollen, waren in den ersten Monaten hoffnungslos überfüllt: Zehntausende Kriegsgefangene wurden ins Kriegsgefangenenlager gebracht, dazu kamen Teile der männlichen Bevölkerung aus frontnäheren Orten wie etwa Puškin. Es scheint keine klare Abgrenzung zwischen Lagern für Kriegsgefangene und Lagern für Zivilpersonen gegeben zu haben, so dass im Dulag 154 und seinen Außenstellen auch Zivilisten interniert waren.312 Überall haperte es an der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Kleidung, die Versorgungssituation war seit spätestens Ende Oktober dramatisch. Die Unterbringung entsprach nicht den minimalsten hygienischen Standards. Bis Januar 1942 war die Sterblichkeitsrate sehr hoch, pro Tag starben etwa 100 Menschen an Erschöpfung, Mangelernährung und Krankheiten wie Fleckfieber.313 Die Zahl der Opfer lässt sich nicht genau ermitteln, es waren aber sicher mehrere zehntausend Menschen.314 Jürgen von Hehn bezeichnete die Lagerbesuche in Krasnogvardejsk und dem etwas südlich gelegenen Vyrica als seine grauenvollsten Kriegserlebnisse: Als wir das Lager Wyra in der Frühe betraten, wurde gerade ein Schlitten mit völlig nackten Leichen, die mehr Knochenskeletten als menschlichen Körpern glichen und denen sogar einzelne Gliedmaßen fehlten, über den Hof gezogen. Die Kleider der Verstorbenen hatten sich die Mitgefangenen genommen, ja in ihrem Hunger sogar sich an Menschenfleisch zu sättigen gesucht. In Gatschina waren die Zustände vielleicht nich [sic!] schlimmer. In zwei großen Säälen hausten mehrere tausend Menschen, so eng bei einander, dass sie sich nachts nicht alle hinlegen oder ausstrecken konnten. Die Ruhr, Typhus und andere ansteckende Krankheiten grassierten unter ihnen. Medikamente fehlten. Die Verpflegung war so mangelhaft und die Gefangenen so geschwächt, dass viele Häftlinge nicht mehr die Kraft hatten, sich zur Verrichtung ihrer Notdurft auf den Hof zu schleppen. Früh morgens watete man in den Säälen in einer von Kot und Urin gemischten Brühe.315

Die Kriegsgefangenenlager unterstanden der Wehrmacht, aber in allen Bereichen, die Aufklärung und Abwehr betrafen, arbeitete diese mit dem SD und der Einsatzgruppe A zusammen. 312 Das Dulag 154 war bisher nicht Gegenstand einer detaillierten quellengestützten Untersuchung. Alle veröffentlichten Aussagen gehen auf die Zahlen und Berichte der Außerordentlichen Kommission und auf Augenzeugenberichte zurück. 313 Hürter 2001, S. 430–433. 314 Im Bericht der Außerordentlichen Kommission von 1944 wird angegeben, im Lager in Krasnogvardejsk seien 80.000 Kriegsgefangene umgekommen. Vgl. CGA SPb, f. 9421, op. 1, d. 81, l. 71. Im südlicher gelegenen Lager in Roždestveno, in dem die männliche Zivilbevölkerung aus der Region interniert wurde, sollen 13.000 Personen festgehalten worden sein, von denen 8.500 starben. Vgl. CGA SPb, f. 9421, op. 1, d. 84, l. 6. Vgl. auch Andrej Burlakov, Gatčinskij kraj v gody okkupacii, 1941–1944, Gatčina 2016. 315 Hehn o. J., S. 168.

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In Krasnogvardejsk war die Gruppe Ib mit rund 110 Mann im Einsatz. Eine ihrer Aufgaben bestand darin, unter den Gefangenen politische Kommissare, Juden oder vermeintliche Spione ausfindig zu machen und zu exekutieren. Auch bei Zivilisten, die sich irgendwie verdächtig machten, übernahm die Wehrmacht das Töten in der Regel nicht selbst, sondern übergab die Personen an den SD oder die Einsatzgruppe.316 Schon im November 1941 stand fest, dass der Zivilbevölkerung nicht nur im eingeschlossenen Leningrad und im unmittelbaren Gefechtsgebiet eine Hungersnot drohte, sondern auch im rückwärtigen Gebiet der 18. Armee und der Heeresgruppe Nord, wo die Wehrmacht alle Lebensmittel- und Futtervorräte konfisziert hatte. Der Oberbefehlshaber der 18. Armee sah beides mit Sorge. Im Blick auf die Situation an der Front fürchtete er für die Disziplin und die Moral der Truppe, wenn die Soldaten mit dem Sterben der hungernden Bevölkerung konfrontiert wären, im rückwärtigen Armeegebiet wuchs die Partisanengefahr.317 Denn es waren bereits 34.000 Zivilpersonen in das Gebiet westlich von Krasnogvardejsk evakuiert worden, ohne dass sie sich dort mit Nahrung versorgen konnten. Das ließ die Bereitschaft wachsen, sich den Partisanen anzuschließen oder sie zu unterstützen. Auch wenn die Partisanenbewegung hier nicht so schlagkräftig war wie im Bereich der Heeresgruppe Mitte, galt sie doch als Gefahr vor allem für die Kommunikations- und Nachschubwege. Im Gebiet der 18. Armee gingen neben der Einsatzgruppe A Einheiten der 285. Sicherungs-Division gegen Partisanen vor. Allein im Oktober und November 1941 exekutierten sie mehr als 600 Menschen, zwischen Herbst 1941 und Januar 1944 sollen es in den von der Heeresgruppe Nord verwalteten Gebieten etwa 21.000 Menschen gewesen sein, von denen vermutlich 15.000 keine organisierten Partisanen, sondern verdächtige Zivilisten waren.318 Auch die Kriegssituation selbst und die zunehmenden Gegenangriffe durch die Rote Armee bedeuteten eine starke Bedrohung für die Bevölkerung. Seit Jahresbeginn 1943 wurde Krasnogvardejsk ständig bombardiert. Die 15-jährige Ljusja Chordikajnen notierte in ihrem Tagebuch, dass tagsüber Bomben einschlugen und Opfer forderten.319 Der Bevölkerung blieb nicht verborgen, dass im Spätsommer 1943 die ersten Maßnahmen zum Abzug der deutschen Truppen eingeleitet wurden. Spätestens seit der deutschen Niederlage in Stalingrad zu Jahresbeginn 1943 hatte sich abgezeichnet, dass die überdehnte Front nicht zu halten sein würde. Die sowjetische Sommeroffensive hatte die Heeresgruppe Mitte im Juni zum Rückzug gezwungen, so dass der Südflügel der Heeresgruppe Nord bei Polock (zwischen Pskov und Minsk) ungeschützt blieb. Um ein weiteres sowjetisches Vorrücken

316 BArch – Militärarchiv, RH 20-18/1448, Bl. 200–201. Zur Einsatzgruppe A vgl. Hans-Heinrich Wilhelm, Die Einsatzgruppe A der Sicherheitspolizei und des SD, 1941/42, Frankfurt a.M. u. a. 1996; Kilian 2013, S. 471–587; Helmut Krausnick/Hans-Heinrich Wilhelm, Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD. 1938–1942, Stuttgart 1981. 317 BArch – Militärarchiv, RH 20-18/1448, Bl. 191–198. 318 Kilian 2013, S. 504–587, hier S. 529, 585 f. 319 Julija Aleksandrovna Chordikajnen/Sof’ja Aleksandrovna Nuridžanova: Žizn’ v okkupacii i v pervye poslevoennye gody. Puškin, Gatčina, Ėstonija. Dnevnik Ljusi Chordikajnen, St. Petersburg 3. Aufl. 2011, S. 31–33, 53, 58.

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Abb. 69  Aus den frontnahen Gebieten um Leningrad flüchtete die Zivilbevölkerung im Winter 1941/42 unter anderem nach Krasnogvardejsk. Die Menschen hofften, dort eher Nahrungsmittel zu finden.

Abb. 70  Im Graben rechts und links der nach Krasnogvardejsk führenden Straße lagen – wie sowjetische Augenzeugen und deutsche Quellen übereinstimmend berichten – Leichen.

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aufzuhalten, ordnete Hitler im August an, von der Ostsee bis ans Schwarze Meer ein Bollwerk, die sogenannte Panther-Stellung, zu errichten. Für die Heeresgruppe Nord bedeutete dies, dass sie sich nach Westen würde zurückziehen müssen. Die östlich gelegenen Gebiete, in denen noch 900.000 Menschen lebten, sollten geräumt und zerstört werden. Der vorrückenden Roten Armee sollten keinerlei Ressourcen überlassen werden, so dass die sogenannte Auflockerung den Abtransport möglichst aller Güter und Lebensmittel und die Abführung der Zivilbevölkerung als potentielle Arbeitskräfte vorsah.320 Von diesem Vorhaben zeugt eine Kritzelei, die zwei deutsche Soldaten an einer Wand von Schloss Gatčina am 28. Oktober 1943 hinterlassen haben: „Hier sind wir gewesen, hier kommen wir nicht mehr her, wenn Iwan kommt, ist alles leer.“321 Die Propagandastaffel Gatschina sondierte Anfang Oktober 1943, welchen Weg ein Evakuierungstreck zu Fuß über Pskov und Estland nach Litauen nehmen könnte. Das Ergebnis: Es gab weder Unterbringungsmöglichkeiten – die Menschen müssten 40 Tage lang bei Frost unter freiem Himmel übernachten – noch könnten Versorgung und Bewachung gewährleistet werden, so dass die Gefahr bestünde, dass sich die Menschen in die Wälder absetzten und die Partisanenbewegung verstärkten.322 Die Abwehroffiziere in der Region Estland wiesen zudem auf die Ablehnung hin, mit der die estnische Bevölkerung den russischen Evakuierten begegnen würde.323 Angesichts des fragwürdigen Nutzens einer allgemeinen Evakuierungsaktion plädierte der Oberkommandierende der 18. Armee daher dafür, nur die arbeitsfähigen Familien per Eisenbahn zu evakuieren.324 Diese Aktion lief Ende Oktober an. Bis Mitte November wurden aus Krasnogvardejsk 2.775 von 9.570 Einwohnern evakuiert, aus dem gesamten Gebiet waren es 16.500 von 21.488.325 Die anderen versuchten, sich der Zwangsverschickung zu entziehen, versteckten sich in den Wäldern oder brachten sich auf andere Weise in Sicherheit.326 Als die sowjetischen Truppen die Stadt am 26. Januar 1944 befreiten, trafen sie noch etwa 2.500 Einwohner an.327

320 Dazu ausführlich Kilian 2013, S. 458–470. 321 Diese Inschrift wurde nach dem Krieg fixiert. Die Namen der Verfasser, von denen einer aus Stettin, der andere aus Oberschlesien stammte, sind kaum zu entziffern. 322 BArch – Militärarchiv, RH 20-18/1628, Bl. 9–15. 323 BArch – Militärarchiv, RH 20-18/1628, Bl. 16. 324 BArch – Militärarchiv, RH 20-18/1628, Bl. 2–5. 325 BArch – Militärarchiv, RH 23-281, Bl. 47. 326 Zu dem bisher kaum erforschten Problem der Rückzugsverbrechen im Bereich der Heeresgruppe Nord vgl. Kilian 2013, S. 458–470 327 Vgl. CGA SPb, f. 9421, op. 1, d. 81, l. 71.

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Etappenstadt Krasnogvardejsk Da Krasnogvardejsk diejenige Stadt war, die am nächsten zum Frontbereich um Leningrad lag, und alle Transporte über ihren Bahnhof liefen, gab es hier viele Einrichtungen für die Truppenbetreuung: neben dem oben erwähnten Lazarett Wäschereien, Waschhäuser, Schuster, ein Warenhaus und einen Frontbuchladen. Auch ein Bordell im Schloss soll großen Zulauf gehabt haben, wovon in den militärischen Dokumenten allerdings nur der Hinweis zeugt, in Isolierstationen der Ortslazarette seien Frauen mit Geschlechtserkrankungen behandelt worden.328 Im Kino, das auch die lokale Bevölkerung besuchen durfte, liefen deutsche Filme. Die kulturellen Aktivitäten für die Soldaten organisierte vor allem die Propagandastaffel. Unter ihrer Ägide formierte sich ein russisches Theater unter Mitwirkung des Leningrader Balletttänzers Michail Dudko sowie des Tenors Nikolaj Pečkovskij. Beide Künstler hatten vor dem Krieg als Solisten zum Ensemble des Leningrader Kirov-Theaters gehört.329 Dessen Mitglieder waren bei Kriegsbeginn zum Teil evakuiert worden, andere waren in Leningrad geblieben, wieder andere waren ins Umland gezogen und dann unter deutsche Besatzung geraten. Dudko und Pečkovskij rekrutierten andere Schauspieler, Sänger, Musiker und Tänzer und bildeten verschiedene Ensembles, es gab sowohl klassisches Theaterrepertoire als auch ein gemischtes Opern-Ballett-Kabarett-Programm. Die Ensembles traten im gesamten Gebiet der Heeresgruppe Nord auf, und die Künstler erhielten gute Gagen.330 Schmidt-Scheeder fotografierte eine der Aufführungen, die bei schönstem Wetter effektvoll inszeniert auf der großen Terrasse im Park von Schloss Gatčina stattfand. Später schrieb er dazu: Sommer 1943, Krasnogwardejsk, das frühere Gatschina, Schlosspark: KdF-Vorstellung331 unter freiem Himmel. Verstärkt durch Soldatenchor. Die Kulisse des Schlossgartens spielt mit! Das Klavier ist eine Seltenheit in Russland! [...] Das „Ballett“ wird verstärkt durch russische Gefangene: Wlassow-Leute, die bereit sind, auf deutscher Seite zu kämpfen.332

Auf den Fotografien sind unterschiedliche Darbietungen zu sehen, die von einem gemischten Publikum – meist jüngeren Frauen und Soldaten – beklatscht werden. Wie SchmidtScheeder bemerkte, handelte es sich teilweise um Soldaten der sogenannten Wlassow-Armee. 328 BArch – Militärarchiv, RH 24-50/173, Bl. 13. 329 Das berühmte Ensemble trägt seit 1992 wieder seinen vorrevolutionären Namen Marinskij-Theater. 330 Vgl. Kovalev 2009, S. 218–220. Dudko und Pečkovskij wurden beide bei Kriegsende verhaftet und zu langjähriger Lagerhaft verurteilt. Alle Auszeichnungen wurden ihnen aberkannt und nach der Freilassung in den 1950er Jahren durften sie zunächst nicht an ihre Heimatorte zurückkehren. Unter Nikita Chruščev erlangten sie ihre Rehabilitierung, bekamen aber auch dann keine Engagements mehr, die ihrem Können entsprochen hätten. 331 Die NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ wurde während des Krieges auch zur Truppenbetreuung eingesetzt. 332 Siehe die Notizen von Georg Schmidt(-Scheeder) zu seinen Filmen, unver. Liste im Besitz des Bundesarchivs Bild in Koblenz.

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Abb. 71  In dem Etappenort Krasnogvardejsk wurde auch für die Unterhaltung der Soldaten gesorgt. Im Sommer 1943 trat im Schlosspark von Gatčina beispielsweise eine sowjetische Theatertruppe auf, die sich unter deutscher Besatzung zusammengefunden hatte.

Abb. 72  Unter den Zuschauern des Kulturprogramms in Gatčina waren auch Mitglieder der sogenannten Wlassow-Armee, sowjetische Soldaten, die sich entschlossen hatten, auf deutscher Seite zu kämpfen.

Abb. 73  Georg Schmidt, der die KdF-Vorstellung auf Schloss Gatčina für die Propagandakompanie in einer Fotoserie festhielt, empfand die im See des Schlossparks gelegene Terrasse als großartige Kulisse.

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Benannt ist sie nach dem erfolgreichen sowjetischen Kommandeur Andrej A. Vlasov, der im Juni 1942 in Kriegsgefangenschaft geraten war, die Seiten gewechselt und 1943/44 den Versuch unternommen hatte, aus anderen russischen Kriegsgefangenen und sogenannten Hilfswilligen eine „Russische Befreiungsarmee“ aufzubauen. Operativ waren die Einheiten der Wehrmacht unterstellt.333 Bei den Frauen auf den Fotografien von SchmidtScheeder, die anschließend mit den Soldaten tanzten, handelte es sich vermutlich um Fronthelferinnen, die im Lazarett arbeiteten, möglicherweise aber auch um Frauen aus Krasnogvardejsk.

Organisierte Abtransporte in den Jahren 1942/43 Im Rahmen ihrer Nachforschungen in Puškin und Pavlovsk besuchten Mitarbeiter des ERR beziehungsweise des militärischen Kunstschutzes 1942 auch Schloss Gatčina, denn die Route führte sie immer über den Verkehrsknotenpunkt Krasnogvardejsk. So wurde bei jedem Abtransport aus Puškin und Pavlovsk wohl auch Inventar aus Gatčina mitgenommen. Als Gerhard Wunder im April 1942 von seiner zweiten Erkundungstour zurückkehrte, notierte er jedenfalls: „Im Schloss in Gatčina befindet sich nichts mehr; der Inhalt ist komplett zerstört“334. Das ist vermutlich ein Hinweis auf den „Bombenvolltreffer“, der – wie Gerhard Stöve, der Leiter des „Vorkommandos Puškin“ des ERR, berichtete – am 1. April den vorderen Teil des Schlosses getroffen hatte. Das dort liegende Korps sei daraufhin verlegt worden, und „dass infolgedessen die noch dort befindlichen wenigen Kunstwerke (in den Zimmern der Offiziere) auch weg sind, ist erklärlich.“335 Ganz traf dies aber nicht zu, denn sowohl der ERR also auch der Stab Solms transportierten im Verlauf des Jahres 1942 noch Objekte aus Gatčina ab. Die ERR-Leute nahmen beispielsweise mehrere Fotoalben aus dem früheren Besitz der Zarenfamilie an sich und brachten sie nach Riga, wo ein Herr von Tandefeld, der viele der Abgebildeten persönlich kannte, umfangreiche Namenslisten erstellte.336 Einiges aus dem Besitz der Zarenfamilie zeigte der ERR an einem Konzertabend für geladene Gäste in Riga337 sowie in der Sonderschau „Aus der Arbeit des Einsatzstabes“338. Wie schamlos Tatsachen verdreht wurden, zeigt eine Notiz in der Zeitung „Ostland“: Während des Vormarsches habe man feststellen müssen, 333 Vlasov verband damit die Hoffnung auf das Ende der kommunistischen Herrschaft und die Gründung eines neuen russischen Staates nach dem Krieg. Vgl. Joachim Hoffmann, Die Geschichte der Wlassow-Armee, Freiburg 2. Aufl. 1986; ders., Die Tragödie der „Russischen Befreiungsarmee“ 1944/45. Wlassow gegen Stalin, München 2003; K.  M. Aleksandrov, Mify o generale Vlasove, Moskau 2010; E. Andreeva, General Vlasov i Russkaja Osvoboditeľnoe Dviženie, Cambridge 1987. 334 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 192. 335 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 228. 336 CDAVO, f. 3676, op. 2, d. 21, ll. 1–4. 337 Vgl. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 145, l. 365. 338 Vgl. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 146, ll. 130–134.

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dass durch die Bolschewisten historische Bauwerke, Museen und Kunstwerke aller Art willkürlich zerstört, verbrannt oder planlos verschleppt wurden. [...] In den Zarenschlössern Gatschina und Pawlowsk waren die Kunstwerke durch Bolschewisten durcheinandergeworfen und zum Teil derartig schlecht verwahrt worden, dass sie allen Witterungseinflüssen preisgegeben waren. Verschiedene deutsche Dienststellen bemühten sich um die Sicherstellung der vorwiegend der besten europäischen Kultur entstammenden Kunstschätze. Nun ist es gelungen, auch die letzten Kunstwerke und Dokumente, 300 Porträts, Dokumente der Zarenfamilie und historisch wertvolle Bestände durch den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg im Ausland zu sichern ...339

Des Weiteren gelangten einzelne Archivalien aus Gatčina in die Hand des ERR, so die Kirchenbücher der Paulskathedrale aus den Jahren 1787 bis 1917, die gesamten Verwaltungsakten zwischen 1796 und 1931 sowie Inventarbücher und Architekturpläne von Schloss Gatčina.340 Der größte Bestand an Gegenständen, den ERR-Mitarbeiter vermutlich im Februar 1942 abtransportierten,341 stellten 465 Porträts aus der Sammlung von Gatčina dar. Dabei handelte es sich um einen Teil der von Krusenstjern im November 1941 in Augenschein genommenen 800 Porträts. Offenbar gab es eine Absprache mit Solms, der keinen Anspruch auf die Gemälde erhob; wie der Kunsthistoriker Dietrich Roskamp später feststellte, handelte es sich im Wesentlichen um zweitrangige Werke, oft Kopien bekannter Gemälde aus der Hand unbekannter Maler.342 Sie gelangten in das Kunstmuseum von Riga und kehrten von dort nach dem Krieg in die Sammlungen der Vorortschlösser zurück. Im Februar 1943 berichtete Esser an den Ic der Heeresgruppe Nord, der Kunsthistoriker Konrad Strauß,343 der zeitweise bei der Propagandastaffel in Gatčina tätig war, habe ihn später über Möbelstücke und alte Fotografien informiert, die Solms bisher nicht habe abtransportieren lassen. Die Möbel befänden sich bei der Heeresbaudienststelle, die sie an „verschiedene militärische Dienststellen zum Gebrauche“ ausgeliehen habe; darunter sei ein signiertes Stück von David Roentgen sowie eine „wertvolle Kommode aus der Zeit Paul’s I.“344 Es ist nicht bekannt, ob Solms der Aufforderung zum Abtransport nachkam. Aus einem privaten Brief Helmut Persekes geht lediglich hervor, dass der Arbeitsstab Kunstschutz der Heeresgruppe Nord im Herbst 1942 einen großen Transport von Gatčina nach Pskov organisierte: „Erst vor ein paar Tagen habe ich 50 Kisten, einen Waggon voll mit China-Porzellan, Plastik und [?] aus Gattschina geholt, die noch nicht einmal ausgepackt werden konnten.“345

339 Vgl. CDAVO, f. 3676, op. 1., d. 149, l. 468. 340 Vgl. BArch, R 92/139, ll. 351–352. 341 Vgl. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, ll. 701–709. 342 Vgl. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, ll. 507–520. 343 Konrad Strauß verfasste während seiner Tätigkeit in Gatčina einen kunsthistorischen Artikel, vgl. Konrad Strauß, Prunkschloss Gatschina. Baudenkmal zwischen Spätbarock und Klassizismus, in: Ostland (1943), Nr. 12, S. 21 f. 344 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, ll. 114. 345 Brief von Perseke an Kurt Bauch in Freiburg vom November 1942.

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Mit dabei könnten Objekte aus den anderen Schlössern gewesen sein, die in Gatčina zwischengelagert worden waren. Persekes folgende Sätze deuten darauf hin, dass er annahm, damit seien die Transporte ins zentrale Depot nach Pskov weitgehend abgeschlossen: „In Zukunft werden wir wohl mehr ‚zu Hause‘ bleiben, um Ordnung in die Sachen zu bekommen, sie zu verpacken und zu eingehenden Dingen [?] zusammengestellt auf die Kunststätten des Reichs [zu] verteilen.“346 In dem persönlichen Brief schien es Perseke offensichtlich unnötig, die üblichen Rechtfertigungsfloskeln zu benützen und darauf zu verweisen, dass die Kulturgüter vor Zerstörung geschützt werden müssten. Für ihn schien sich die Angelegenheit ohne Rücksicht auf die Haager Landkriegsordnung sehr einfach darzustellen: Kulturgüter des eroberten Gebiets gehörten den Eroberern, die nach freiem Ermessen darüber verfügen konnten. Inventare, was in Pskov eingelagert wurde, sind nicht erhalten; es existiert lediglich ein Teilbestand der Objektfotografien, die der Marburger Fotograf Eugen Fink im Auftrag von Solms anfertigte. Die Fotos zeigen viele Stücke chinesischen Porzellans, einige Gemälde und Büsten sowie einzelne Möbelstücke. Körte, der im Juli 1942 mit der Inventarisierung der Kunstwerke im Pogankinhaus beschäftigt war, beschrieb als kleine kunsthistorische Übungen vier Gemälde, die nachweislich aus Gatčina stammten. Drei von ihnen befanden sich zu diesem Zeitpunkt im Museum in Pskov, eines, die Kopie eines Domenichino, sah er im August 1942 im Kasino des Oberquartiermeisters in Siverskij. Bei den Bildern in Pskov handelte es sich um ein Reiterbildnis von König Georg I. von Großbritannien, um den Entwurf eines Deckengemäldes mit dem allegorischen Motiv des Kriegsgottes Mars auf seinem Wagen sowie um das Porträt einer jungen Frau.347 Letzteres hatte es Körte besonders angetan: Angebl. Bildnis der Joséphine Beauharnais aus einem der Zarenschlösser. Leinwand Oval 65 x 54 cm. [...] dunkler Grund u. dunkelolivgrün geraffter Vorhang. ein süsses Gesichtchen halb nach r. hin gewendet, in marmorner Klarheit die Form, aber doch warmer Teint, von dem die schwarzen Löckchen kräftig abstehen. Klassische Nase und feiner sinnlicher Mund. Die warm schimmernde Brust ist weit herab entblösst, das leuchtend weisse Hemd hält kaum über den Achseln vor allem durch diesen grossen Ausschnitt der entblössten Brust, die viel kräftiger wirkt als das Köpfchen, kommt die klassische Note in das Bild. Die zarte rechte Hand hält eine seidene himmelblaue Schärpe, die als Queroval von den Schultern herabkommt, vor die Brust. Es war beglückend wochenlang mit diesem Bild zusammenzuleben.348

Während die erstgenannten Gemälde nach dem Krieg den Weg zurück nach Gatčina fanden, ist das von Körte so enthusiastisch beschriebene Bildnis bis heute verschwunden; der genauen Beschreibung und den Maßen nach handelte es sich um das Porträt einer „unbekannten Schönheit“,

346 Brief von Perseke an Kurt Bauch vom November 1942. 347 Werner Körte, Notizen vom 19.7., 2.8. und 7.8.1942, Privatarchiv Arnold Körte. 348 Werner Körte, Notiz vom 19.7.1942, Privatarchiv Arnold Körte.

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Abb. 74  Das Porträt der „unbekannten Schönen“ aus Schloss Gatčina faszinierte den Kunsthistoriker Werner Körte, der damit seine Unterkunft in Pskov schmückte. 1944 wurde es auf der Wehrmachtsausstellung in Riga ausgestellt, danach verliert sich die Spur. Nur durch einen Zufall hat sich wenigstens ein fotografisches Zeugnis erhalten.

das mit der Nummer г-40302 in den Inventarbüchern von Schloss Gatčina geführt wird.349 Durch einen großen Zufall haben sich im privaten Nachlass Krusenstjerns Fotografien der Rigaer Ausstellung erhalten, darunter auch dieses Frauenporträt.350 Da es im Archiv von Gatčina kein Foto des Gemäldes gibt, handelt es sich um das einzige bildliche Zeugnis. Das ungeklärte Schicksal dieses Bildes verweist nebenbei darauf, dass beim Umgang mit Kunstwerken unter Kriegsbedingungen auch andere als kunsthistorische Aspekte zu berücksichtigen sind: Ikonen spendeten Trost und wurden auch deshalb von deutschen Soldaten gern gekauft oder mitgenommen, und Gemälde mit erotischen Motiven konnten sexuelles 349 Nach Auskunft von Aizulu Šukurova, der Kustodin der Gemäldesammlung von Museum Gatčina, die das Bild nach der Beschreibung von Körte identifizieren konnte. 350 Siehe Kap. III.7: Pskov

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Abb. 75  Der Bremer Fotograf Georg Schmidt nahm 1941 diesen Tisch aus dem „erotischen Kabinett“ Katharinas der Großen auf. Vervielfältigt kursierten diese und weitere Fotografien unter den deutschen Offizieren und Soldaten.

Begehren sublimieren. In diesem Zusammenhang soll eine Episode erwähnt werden, die bis heute sensationell aufgeladen wird.351 Im Katharinenpalast gab es ein legendäres erotisches Kabinett, in dem auch pornografische Möbel standen: ein runder Tisch, zwei Stühle und eine Sitzbank, die reich mit Holzschnitzereien verziert waren, die sexuelle Posen oder überdimensional große Geschlechtsteile zeigten. Wie damit nach der Oktoberrevolution verfahren wurde, bleibt unklar, ebenso wenig wissen wir, ob sich die Möbel bei Kriegsbeginn noch in Puškin befanden. Sicher ist nur, dass sie im Verlauf des Krieges in Schloss Gatčina fotografiert werden konnten. Der oben erwähnte Fotograf Schmidt-Scheeder rühmte sich, die Fotos angefertigt zu haben, angeblich auf Anweisung des zuständigen Generals.352 Anschließend seien die Möbel in einer Abstellkammer unter Verschluss gehalten worden. Wie SchmidtScheeder berichtete, entwickelte sich daraus ein kleines Geschäft: „Das Fotolabor bekam plötzlich viel Arbeit. Höhere Offiziere vom Stab der Armee bestellten sich diese Fotos, um sie als Sensation am Biertisch abends herumzureichen. Die Fotolaboranten freuten sich über diese Aufträge, denn sie bekamen für eine Serie Fotos von vier Bildern eine Flasche Schnaps

351 Peter Wodisch, Das verlorene Geheimnis von Katharina der Großen, 2002 (Film), http://tv.orf.at/groups/kultur/ pool/geheimnis_katharina [1.5.2018]. 352 Zu Georg Schmidt(-Scheeder) siehe Kap. III.4: Peterhof.

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und manchmal sogar echten französischen Cognac!“353 Die Möbel bleiben bis zum heutigen Tag verschollen. Schmidt-Scheeder vermutete, die SS hätte sie nach München gebracht. Zutreffender ist vermutlich, dass sie bei Kriegsende aufgefunden, in die Eremitage gebracht und dort auf Geheiß einer sowjetischen Sonderkommission als Überreste einer dekadenten höfischen Kultur vernichtet wurden.354 Sätze der Fotos tauchen jedoch immer wieder in Nachlässen ehemaliger Offiziere und Soldaten auf.355

Rückkehr in eine Brandruine Augenzeugen berichteten, dass die deutschen Truppen vor ihrem Abzug die Brücken im Park sprengten und den Palast verminten. Das Schloss geriet zum ersten Mal zwei Tage vor der Rückeroberung durch die Rote Armee in Brand, ein zweites Feuer scheint kurz danach ausgebrochen zu sein.356 Den gesamten Krieg über waren die Gebäude von Schloss Gatčina im Wesentlichen intakt geblieben, doch nun zerstörte das Feuer fast die gesamte Innenausstattung, die Zwischenwände und das Dach, nur das Fundament und die Außenwände blieben vom rechten Flügel und dem Hauptteil des Schlosses erhalten. Der linke Flügel dagegen war vom Feuer nicht betroffen. So sah Balaeva „ihren“ Palast am 31. Januar wieder. In den folgenden Tagen schrieb sie einen ausführlichen Bericht. Sie ging davon aus, dass 60 Prozent von Gatčina zerstört seien, wobei sich diese vergleichsweise günstige Berechnung nur damit erklären lässt, dass in die Zahl wohl sämtliche Gebäude, die gesamte Parkanlage und auch das evakuierte Inventar eingeflossen sind.357 Neben dem weitgehend zerstörten Schloss war etwa die Hälfte der Pflanzen im Park beschädigt, und ein Drittel der ursprünglich 24.000 Bäume war abgeholzt 353 Georg Schmidt, Die pornographischen Möbel der Zarin Katharina II, die Große, unver. Manuskript im Nachlass von Georg Schmidt, Archiv des Weser-Kurier. In seinem in den 1970er Jahren veröffentlichten Buch „Reporter der Hölle“ ließ er diese Informationen in ein fingiertes Gespräch mit einem nicht namentlich genannten deutschen Kunsthistoriker einfließen, den er in Peterhof getroffen haben will. Er ließ den Kunsthistoriker, für den Harald Keller das Vorbild abgab, behaupten, er habe die Möbel beim Vormarsch in Gatčina gesichtet, doch das ist unwahrscheinlich; eher haben Solms oder Poensgen die Möbel begutachtet. 354 Diese Ansicht vertritt die langjährige Chefkustodin des Museums von Carskoe Selo: Larisa Bardovskaja, Amors Pfeile am Zarenhof. Die Erotiksammlung der russischen Zaren in Zarskoe Selo, der Sommerresidenz bei St. Petersburg, Berlin 1999, S. 6. Es ist aber durchaus denkbar, dass die Sammlung nach wie vor in einem Sonderdepot der Eremitage vorhanden ist. 355 „Der Spiegel“ veröffentlichte einen Artikel unter dem Titel „Im Liebesnest der Zarinnen“ und verwendete dafür Fotos aus dem Nachlass des Jagdfliegers Major Hans Hahn, http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/ pdf/18032398 [1.5.2018]. Hahn (1914–1982) wurde im November 1942 zum Kommandeur der II. Gruppe des Jagdgeschwaders 54 ernannt, das in Krasnogvardejsk stationiert war. Wolfgang Eichwede wurden von Privatpersonen mehrmals Sätze dieser Fotografien angeboten, die in Nachlässen gefunden wurden und bei den Nachkommen für Irritationen sorgten. Es scheinen also tatsächlich Fotosätze im Krieg verbreitet worden zu sein. 356 CGALI StP, f. 468, op. 1, d. 117, l. 9. Zur Rekonstruktion der Brände auf der Grundlage verschiedener Augenzeugenberichte vgl. Maria V. Kirpičnikova, Sobytija janvarja 1944 goda v sud’ebe Gatčinskogo dvorca, Vortrag am 4.10.2018 in Gatčina. 357 Balaeva 2005, S 145.

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worden. Von den Gebäuden im Park blieb der Venus-Pavillon gut erhalten. Die „Farm“, das „Vogelhaus“, „Holland“ und der „Adler-Pavillon“ waren halb zerstört, das „Birkenhäuschen“ war völlig vernichtet. Drei Brücken hatten die Deutschen komplett zerstört, die anderen wiesen große Schäden auf, ebenso die Brüstungen, Stufen und Terrassen im Park. Gut erhalten blieb der etwas abgelegene, aus gestampfter Erde erbaute Priorat-Palast.358 Balaeva fasste ihre Eindrücke am 18. Februar 1944 auf einer Sitzung aller Museen unter Leitung des Vorsitzenden der Denkmalbehörde Belechov zusammen: Was tröstet nach dem schrecklichen Anblick der zerstörten Innenausstattung? Es tröstet der Park. Vom Jordanaufgang359 her öffnet er sich in seinem ganzen Umfang. Die Brücken sind zerstört, aber es steht die Terrasse auf dem See. Gelitten haben der Obelisk und die Admiralstore, das Birkenhäuschen ist verbrannt. Aber das Bild des Sees, umsäumt von Grün, ist heil.360

In einer weiteren großen Sitzung zur Zukunft der Vorortschlösser am 21./22. März zeigte sich, dass das Schicksal von Schloss Gatčina besonders umstritten war.361 Balaevas Kommentar: „Schwierige Situation Gatčinas“362. Ihre Tagebucheintragungen fielen in diesen schweren Wochen sehr knapp aus. Sie äußerte sich weder zu den Zerstörungen noch zu ihren Gefühlen. Nur ein auf den April datiertes Gedicht zeugt von Schicksalsergebenheit: Nie werde ich den Tag vergessen, Als ich Dich erstmals sah, zerstört, in Ruinen. Ein milder Wintertag war’s, der Schnee fiel lautlos vom Himmel. Schweigend kämpften wir uns durch das Trümmerchaos, und stiegen die steilen Stufen hinauf zum Turm. Im Kopf gab’s keine Gedanken, keinen Zorn. Es schien, als sei alles nun gleichgültig, Der Park, von Kindheit an vertraut, lag vor uns und wirkte beinah unberührt. Noch immer streckten die einsamen Eichen ihre Zweige in die Höhe.

358 CGALI StP, f. 309, op. 2, d. 69, ll. 4–6. 359 Gemeint ist hier der Blick von dem am westlichen Ufer des Weißen Sees gelegenen Jordanbrunnen, einer Quelle, die durch Granitplatten eingefasst ist. Von dieser Stelle ist linkerhand die östliche Fassade des Schlosses zu sehen, geradeaus über den See liegt malerisch auf einer kleinen Halbinsel der Venus-Pavillon. 360 CGALI StP, f. 309, op. 2, d. 69, ll. 17ob. 361 Siehe Kap. V.1: Bestandsaufnahme. Kontrovers. 362 Balaeva 2005, S 146.

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Noch immer führte die weite Wiese fließend hinab zum Oval des Silbernen Sees. Und weiter zog sich von dort wie eine Schlange die Lange Insel, und auf ihr, bedeckt mit einer Kappe aus Schnee, ließ sich die Brüstung der Quarenghi-Terrasse erblicken, nur die Statuen waren nicht zu sehen. Der Lärm des Krieges hatte sich entfernt, nicht zu hören war das Donnern der Kanonen, nicht das Zischen fliegender Minen oder der Lärm von Explosionen. Es war leise. So leise wie im Schlaf. Oder auf dem Schlachtfeld, wenn der Kampf für einen Moment verstummt ... 1944, Front.363

Abb. 76  Schloss Gatčina, das die Kriegszeit relativ unbeschädigt überstanden hatte, wurde kurz vor der sowjetischen Rückeroberung durch einen verheerenden Brand zerstört, möglicherweise durch die Explosion von Minen. Das sowjetische Foto dokumentiert den Zustand des Ankleideraums der Zarin im Jahr 1946.

363 Ebd., S. 147 f.

Krasnogvardejsk: Umschlagplatz für Truppen und Güter

221

Novgorod: Ein westlicher Vorposten Russlands Die legendäre Herrschaft des Warägerfürsten Rjurik über Novgorod im 9. Jahrhundert gilt als der Beginn der russischen Staatlichkeit. Zur entscheidenden Institution wurde das veče, eine Versammlung, in der Patrizier und vermögende Kaufleute das Sagen hatten. Sie bestimmten nicht nur, wer Fürst über Novgorod wurde, sondern begrenzten auch dessen Macht und zeigten, wie Chroniken mehrfach berichten, gegebenenfalls „dem Fürsten den Weg aus der Stadt“. Im Hochmittelalter war die Einwohnerzahl der prosperierenden Handelsstadt mit der Kölns vergleichbar. In Novgorod eröffnete die deutsche Hanse ihr östlichstes Kontor in Nordeuropa. Im 13. Jahrhundert gelang es der Stadt, sich nahezu parallel gegen die Mongolenüberfälle und gegen den Deutschen Orden zu behaupten. Ihre politische Selbstständigkeit verlor sie erst im 15. Jahrhundert an Moskau, die strategische und wirtschaftliche Bedeutung gut 200 Jahre später an St. Petersburg. Dass Novgorod dadurch zu einer unbedeutenden Provinzstadt geworden war, erwies sich als Segen für das kulturelle Erbe, denn die Strukturen der mittelalterlichen Stadt blieben nahezu unberührt erhalten: Sie wuchs um den auf dem Westufer des Volchov errichteten Kremľ herum. Nur zwei Tore erlaubten den Zugang durch die mächtige Festungsmauer, eines nach Westen und das andere zum Fluss hin, der den westlichen, nach der im 11. Jahrhundert errichteten Sophienkathedrale als Sophienseite benannten Teil der Stadt von der am östlichen Flussufer gelegenen Handelsseite, dem Terrain der Kaufleute und Handwerker, trennt.

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Die Museen im Krieg

6

Novgorod: Museumsstadt unter Beschuss Vorkehrungen in letzter Minute

Ein sehr atmosphärischer Bericht über die Evakuierung der Museumsschätze von Novgorod ist Nikolaj G. Porfiridov zu verdanken, dem früheren Leiter der Abteilung für Museumswesen in der Novgoroder Bezirksabteilung für Volksbildung.364 Wie viele andere Augenzeugen schilderte auch er den Frühsommer 1941 als eine friedliche Zeit, ohne Vorzeichen der nahenden Katastrophe. Selbst nach dem deutschen Überfall hofften die Novgoroder, sich in sicherer Entfernung zur Grenze und damit zum Krieg zu befinden. Dies entsprach der historischen Erfahrung, denn Novgorod war seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen gewesen. Am 22. Juni befand sich Porfiridov in Leningrad. Von dort aus hatte er zur Kur in den Kaukasus reisen wollen, doch angesichts der unsicheren Lage kehrte er am nächsten Tag nach Novgorod zurück. In der Stadt liefen die Vorkehrungen auf Hochtouren: Fenster wurden mit Papier abgeklebt, in den Höfen Splittergräben ausgehoben und an den westlichen Zufahrten Panzersperren errichtet. Bald begannen die ersten Luftangriffe. Immer mehr Flüchtlinge kamen durch die Stadt, ebenso militärische Einheiten, die vor den Deutschen zurückwichen. Militärische Stäbe besetzten immer mehr Gebäude, die städtischen Einrichtungen mussten ihre Arbeit praktisch einstellen. Die Zahl der Museumsmitarbeiter sank, weil die Männer einberufen wurden. Die Verbliebenen mussten nachts Feuerwachen im Kremľ stellen, tagsüber versuchten sie, die Sammlungen in Sicherheit zu bringen – bei laufendem Betrieb, denn die Museen sollten zunächst geöffnet bleiben  – allerdings wurden deshalb gerade die besonders wertvollen Ausstellungsexponate nicht in Sicherheit gebracht. Auch in Novgorod waren für die Evakuierung der Sammlungen zumindest grobe Prioritäten festgelegt: Zuerst waren Gegenstände aus Edelmetallen und Edelsteinen sowie einige erstrangige Objekte aus der alten Sakristei der Sophienkathedrale an der Reihe, ferner die einzigartigen Handschriften und die ältesten Bücher der Bibliothek der Kathedrale, deren Einband oftmals mit Gold, Silber und Edelsteinen gefasst war.365 Diese Objekte füllten zwei Waggons. Der Direktor des Museums, Vladimir A. Bogusevič, und die leitende Bibliothekarin, Anna A. Beljaeva, begleiteten den Transport nach Kirov, rund 1.000 Kilometer nordöstlich von Moskau.366 Den nächsten Transport organisierte der junge Mitarbeiter Aleksandr N. Semenov.

364 Porfiridov 1987, S. 237–246. Zu Porfiridov siehe Kap. I: Russlands Kulturerbe. Novgorod und Pskov. 365 Zu den kirchlichen Büchern und ihren Schicksalen vgl. Elena A. Eryševa, Kollekcija Služebnikov konca XVI–XVII vv., vyvezennaja iz Novgoroda fašistskimi okkupantami v 1941–1944gg., unver. Manuskript [2015], freundlicherweise von der Autorin zur Verfügung gestellt. 366 Vgl. A. N. Semenov, Pis’mo A. N. Semenova korrespondentu gazety „Sovetskaja kuľtura“ E. V. Končinu, in: V. P. Jarošeckaja, dokumenty Centraľnogo gosudarstvennogo archiva literatury i iskusstva Sankt Peterburga ob ochrane pamjatnikov kuľtury Novgoroda i ego okrestnostej, in: Novgorodskij archivnyj Vestnik, Novgorod 2002, S. 216–218; dies., Predvoennye gody v Novgorod, in: ebenda, S. 218–225.

Novgorod: Museumsstadt unter Beschuss

223

Stadtplan von Novgorod und Umgebung N Kloster/Kirche des Entschlafens der Gottesmutter in Kolmovo

† Kirche der Geburt der Gottesmutter im Antoniuskloster

S

† Peter-und-Paul-Kirche



† Dreifaltigkeitskirche des Heiliggeistklosters

Kirche der Heiligen Boris und Gleb in Plotniki

Volc h

Denkmal des Tausendjährigen Russland SophienKirche der kathedrale Heiligen Florus † und Laurus

ov

SOPHIENSEITE HANDELSSEITE † Kirche des heiligen Theodor Stratilates am Bach



Gemäldegalerie Chrysostomos-Turm

† †

Kirche des heiligen Johannes des Täufers † Kirche der Gottesmutter des Zeichens



Nikolauskathedrale im Jaroslavhof †

Erzengel-Michael-Kirche

Apostel-Philippus-Kirche

† Christi-Verklärungs-Kirche



0

224

200

400

600

Die Museen im Krieg

800

1000 m

St.Georgskathedrale/Jur’ev Kloster

Erlöserkirche † von Neredica

Verpackt wurden die wertvollsten Exponate der Gemäldegalerie, silbernes liturgisches Gerät und die Münzsammlung, alles zusammen etwa 20 Kisten. Jeder Kiste wurden detaillierte Packlisten beigelegt, die dann nochmals zu einer Gesamtliste zusammengefasst wurden.367 Am 27. Juli war der Transport bereit. Semenov begleitete ihn gemeinsam mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern Alla I. Tkančenko und Petrov-Jakovlev368 nach Kirov und kehrte 14 Tage später nach Novgorod zurück, um den nächsten Transport vorzubereiten. Porfiridov war im Juni 1941 zwar nicht mehr in der Museumsverwaltung tätig, da er als angeblicher Regimegegner inhaftiert gewesen war und nach der Entlassung nicht auf seinen alten Posten zurückkehren durfte, kannte die Sammlungen und die Mitarbeiter aber natürlich gut. Deshalb beauftragte ihn sein Amtsnachfolger, bei der Evakuierung zu helfen, bevor er selbst seinem Gestellungsbefehl folgte. Danach lag die Verantwortung für die Evakuierungen bei dem Leiter der landeskundlichen Abteilung, Boris K. Mantejfeľ, der allmorgendlich im Stadtsowjet die Befehle einholen musste. Angesichts der näher rückenden Front wäre es sinnvoll gewesen, alle verfügbaren Kräfte für die Evakuierung der Sammlungen einzusetzen, die Befehle lauteten jedoch anders: Die Museen sollten für die Soldaten geöffnet bleiben.369 Mantejfeľ erhielt auch die Anweisung, die vergoldete Hauptkuppel der Sophienkathedrale mit einer grauen Abdeckung zu tarnen und das Denkmal des „Tausendjährigen Russland“ durch eine Verschalung und Sandaufschüttung zu schützen. Grundsätzlich waren dies wichtige Maßnahmen370, Porfiridov zufolge verfügten die Museen dafür aber weder über die nötige finanzielle noch über die technische Ausstattung oder hinreichend Arbeitskräfte. Die städtischen Einrichtungen bekamen keine Geldzuwendungen mehr, die Fabriken stellten aber ungeachtet des Ausnahmezustands Material nur gegen sofortige Bezahlung zur Verfügung.371 Dennoch glückte es, die Kuppel zu bedecken, das Denkmal konnte allerdings nicht vollständig eingerüstet werden und wurde zusätzlich mit Hilfe aufgeschichteter Sandsäcke geschützt. Die Kuppel des südlich der Stadt auf dem Westufer des Volchov gelegenen Jur’evklosters erhielt einen Tarnanstrich.372 Die Museumsmitarbeiter wurden auch zu Schanz- und anderen schweren Arbeiten herangezogen. Unter schwierigsten Bedingungen, denn es stand nur einfachste Ausrüstung zur Verfügung, mussten sie in den westlich gelegenen Dörfern im lehmigen und teilweise felsigen Untergrund sechs Meter breite und drei Meter tiefe Gräben ausheben und schließlich in der Stadt selbst Wälle aufschütten.373 Erst als kein Zweifel mehr bestand, dass die Stadt aufgegeben würde, bekam Mantejfeľ die Anweisung, die Museen zu schließen und die Sammlungen schnellstens zu evakuieren. Die 367 Als Erster hat Evgraf Končin die Liste im Archiv der Staatlichen Novgoroder Museen ausfindig gemacht und daraus publiziert. Evgraf Končin, „... i dostavleny v poľnoj sochrannosti“, in: Vokrug sveta (1981), H. 5, o. Pag. 368 An Vor- und Vatersnamen des Kollegen konnte Semenov sich nicht erinnern. Semenov 2002a, S. 216. 369 Porfiridov 1987, S. 240. 370 Die Kuppeln dienten den deutschen Bomberpiloten als weithin sichtbare Orientierungspunkte. Nach den Erinnerungen Semenovs kosteten die Bombardements im Juli auch viele Menschenleben. Semenov, 2002b, S. 220 f. 371 Porfiridov 1987, S. 241. 372 Semenov 2002b, S. 220 f. 373 Semenov 2002b, S. 219 f.

Novgorod: Museumsstadt unter Beschuss

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Aufgabe war gewaltig, denn nun ging es darum, die kompletten Ausstellungen des Museums für alte Kunst, der Gemäldegalerie, des Historischen Museums und der Schatzkammer zu verpacken. Inzwischen fehlte es an Arbeitskräften, vor allem an Männern. Wie geschildert war Verpackungsmaterial knapp. Erst spät erhielt Mantejfeľ die Erlaubnis, sich in einer Möbelfabrik im Lager für gebrauchte Verpackungen zu bedienen; als Füllmaterial zum Auspolstern der Kisten holten die Museumsmitarbeiter Holzspäne aus einem nahegelegenen Sägewerk. Im letzten Zug, der Novgorod verließ, wurden den Museen zwei Waggons zur Verfügung gestellt. Mantejfeľ und Porfiridov sollten den Transport nach Kirov begleiten, denn Bogusevič war mittlerweile zurückgekehrt, um die Evakuierung abzuschließen.374 In seinen Erinnerungen schilderte Porfiridov die ihm endlos erscheinende Reise. Als sie „an einem hellen Augustmorgen“ Kirov erreichten, erfuhren sie, dass die sowjetischen Truppen Novgorod aufgegeben hatten.375 Porfiridovs große Sorge hatte dem Depot für altrussische Kunst gegolten, das sich nicht im Kremľ, sondern in der Kirche des heiligen Johannes des Täufers auf der Handelsseite befand; hier waren seiner Erinnerung nach hunderte Ikonen aus Kirchen und Klöstern des gesamten Gebiets gelagert. Der Stadtsowjet entschied indes, angesichts der begrenzten Transportmöglichkeiten die Ikonen zunächst zurückzulassen und sie zusammen mit besonders schweren Objekten wie den Glocken der Sophienkathedrale und deren zwei bronzenen Torflügeln, die im 12. Jahrhundert in einer Magdeburger Werkstatt gegossen worden waren376, mit Lastkähnen zu verschiffen. Diese Absicht konnte nicht mehr verwirklicht werden. Die Ikonen blieben in der Kirche, die im Verlauf des Krieges nach einem Artillerietreffer abbrannte; in dem Feuer ging auch das Ikonendepot unter.377 Glocken und Tore wurden erst im August auf zwei Flöße verladen378, von denen aber eines von einer Bombe getroffen wurde und unterging. Die beiden größten Glocken hatten ohnehin nicht verladen werden können, sie waren am Ufer des Volchov eingegraben worden und überdauerten dort die deutsche Besatzung.379 Die 374 Porfiridov 1987, S. 242. In diesem Punkt weichen die Erinnerungen Porfiridovs und Semenovs voneinander ab: Semenov zufolge begleitete Bogusevič den ersten Transport nach Kirov und kehrte anschließend nicht nach Novgorod zurück. Zwar sind Semenovs Angaben präziser, weil er sich auf seine Tagebucheinträge stützen konnte, doch war Porfiridov die ganze Zeit vor Ort, während Semenov in der Zeit des zweiten Transports mindestens zwei Wochen lang abwesend war. Möglicherweise begegnete er Bogusevič nicht mehr, weil dieser Novgorod bei seiner Rückkehr bereits wieder verlassen hatte. 375 Porfiridov 1987, 245. 376 Adolph Goldschmidt, Die Bronzetüren von Novgorod und Gnesen, Marburg 1932; Erika Voigt (Hrsg.), Aleksandr Anisimov: Erforschung der Ikonenmalerei. Begleittext zur Ausstellung: „Denkmäler altrussischer Malerei“ in Deutschland 1929, Frankfurt a.M. 2011, S. 40. 377 Über Art und Zahl der Ikonen herrscht Unsicherheit. Heute sprechen die Mitarbeiter der Novgoroder Staatlichen Museen von mehreren tausend, die in der Kirche lagerten, ohne dass jemand eine Vorstellung von ihrer Qualität hätte. Keine der Ikonen war näher untersucht, geschweige denn restauriert worden. Die Erfahrungen der Restauratoren haben immer wieder gezeigt, dass unter den groben Übermalungen des 18. und 19. Jahrhunderts durchaus Kostbarkeiten verborgen sein können, so dass der Verlust dieses Depots Raum für Spekulationen lässt und wie ein Phantomschmerz weiterwirkt. 378 Semenov 2002a, S. 217. 379 Semenov 2002a, S. 217; Semenov 2002b, S. 221.

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Die Museen im Krieg

Bronzetore gelangten dagegen per Floß über den langen Wasserweg nach Kirillov, rund 600 Kilometer nördlich von Moskau, und waren damit in Sicherheit.380 Dieser Erfolg der russischen Evakuierung sollte die deutschen Besatzer besonders schmerzen, denn aus ihrer Sicht waren die Tore aufgrund ihrer Herkunft „deutsches“ Kulturgut, das die Fachleute unbedingt in ihre Hände bekommen wollten. Ungeachtet aller Anstrengungen blieben große Teile der Sammlungen in Novgorod zurück: die meisten der kostbaren Ikonen des Museums für altrussische Kunst in der Sophienkathedrale, eine bedeutende Münzsammlung, ein Archiv aus tausenden von Glasnegativen, Bibliotheken und vieles andere.381 Die Ikonen litten als Erste, denn die Hauptkuppel der Sophienkathedrale wurde in den letzten Tagen vor dem Abzug der Roten Armee von einem deutschen Artilleriegeschoss getroffen.382

Russische Stadtverwaltung und deutsche Besatzung Die meisten Einwohner Novgorods flohen vor dem Rückzug der sowjetischen Truppen aus der Stadt, der Großteil vermutlich zu Fuß, nur mit dem Nötigsten versehen, teilweise sogar ohne Papiere. Aleksandr Semenov erinnerte sich, wie er nach schweren Bombardements am 14. August mit Mutter und Schwester Novgorod verließ und sich zu Fuß bis Tichvin, gut 200 Kilometer nordöstlich von Novgorod, durchschlug; von dort aus brachte ihn ein Güterzug nach Kirov.383 Ein Teil der Bevölkerung wurde auf dem Wasserweg mit kleinen Lastkähnen Richtung Norden evakuiert. Viele kamen auf der Flucht durch deutsche Luftangriffe um.384 Mitte August erreichten deutsche Einheiten Novgorod. Das Kriegstagebuch des OKW notierte für den 14. August, Einheiten des 1. Armeekorps der 16. Armee hätten sich von Südwesten bis an Novgorod herangekämpft.385 Am 15. August hatten sie Novgorod erreicht und die Bahnlinie Novgorod–Luga überschritten, die sowjetischen Truppen gingen „in Auflösung zurück“.386 An den Kämpfen um Novgorod waren Teile der 11. Infanterie-Division, das Infanterie-Regiment 424 der 126. Infanterie-Division und die 96. Infanterie-Division unter dem Kommando des 28. Armeekorps beteiligt. Am 17. August überschritten die ersten Einheiten des 1. Armeekorps bei Novgorod den Volchov; zwei Tage später heißt es, der

380 Porfiridov 1987, S. 246. 381 Über diese Sammlungen und deren Verlust bzw. Beschädigung berichteten uns die Mitarbeiter der Novgoroder Museen N. Grinev, Galina Markina, Julija Komarova, Ljubov’ Eryševa im Juli 2013. 382 Von dem Treffer berichtet etwa Semenov 2002b, S. 222; vgl. auch einen Aktenvermerk von Kriegsverwaltungsrat Erhard Siebert-Meyer vom 8. September 1941, CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, l. 550. 383 Semenov 2002b, S. 223 f. 384 So der Sohn Boris Mantejfeľs, Sergej Mantejfeľ, Begstvo iz pogibeli. Vospominanija, stichi, Velikij Novgorod 2010, S. 12 f.; ein Bericht über die Evakuierung der Zivilbevölkerung mithilfe großer Flussbarken findet sich auch unter den deutschen Dokumenten: CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 148, l. 258. 385 Percy Ernst Schramm (Hrsg.), Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtführungsstab), Studienausgabe, 8 Bde., Bd. I/2: 1. August 1940–31. Dezember 1941, München 1982, S. 571. 386 Schramm 1982, S. 572.

Novgorod: Museumsstadt unter Beschuss

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Abb. 77  Am 17. August 1941 überschritten deutsche Truppen in Novgorod den Volchov und hatten damit die Stadt ganz erobert. Das wichtigste Symbol der Eroberung ist der Einzug deutscher Truppen durch das Westtor in den Kremľ. Die Zufahrt war durch die Kämpfe vollkommen zerstört, daher mussten die Soldaten den Weg durch den Graben nehmen.

Brückenkopf Novgorod sei „endgültig in Besitz genommen.387 Er sollte aber für die gesamte Dauer der Besatzung umkämpft bleiben. Bis Ende September blieb die 11. Infanterie-Division der einzige Großverband der Wehrmacht in Novgorod, erst dann kamen im Zuge von Truppenverlegungen Einheiten weiterer Divisionen hinzu. Darunter waren Sicherungstruppen wie die nach ihrem Befehlshaber Franz von Roques benannte Gruppe von Roques und die 250. (spanische) Infanterie-Division, die sogenannte Blaue Division. Der zu diesem Zeitpunkt bereits 64-jährige Roques war ein altgedienter Militär und Abkömmling einer in Hessen ansässigen Beamten- und Offiziersfamilie. Im September 1939 aus dem Ruhestand zurückgeholt, war er im März 1941 zum Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebiets

387 Schramm 1982, S. 576, 579.

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Die Museen im Krieg

ernannt worden.388 Weitere Infanterie- und Panzereinheiten sollten die Frontlinie entlang des Volchov verteidigen und sich weiter nach Osten vorkämpfen; die wenigsten von ihnen kamen aber in die Stadt hinein. Auch nach der Eroberung blieb Novgorod unter Beschuss, nunmehr durch die sowjetischen Truppen, die wenige Kilometer vor dem östlichen VolchovUfer lagen. Daran sollte sich auch im weiteren Kriegsverlauf nichts ändern. Augenzeugenberichten zufolge war die Stadt im Dezember 1941 „völlig zerstört“.389 Beim Rückzug der Deutschen zweieinhalb Jahre später existierten ganze Stadtviertel an der Peripherie nicht mehr, kein Gebäude war unbeschädigt. Wie in allen anderen besetzten Städten setzten die Deutschen auch in Novgorod eine russische Stadtverwaltung ein, für die sie bevorzugt Menschen heranzogen, die in den 1930er Jahren Repressalien ausgesetzt gewesen waren.390 Sie sollten sich um die alltäglichen Belange der Zivilbevölkerung kümmern und die Ernährung, den Schulunterricht oder die medizinische Versorgung organisieren. Sowjetischen Quellen zufolge lebten zum Zeitpunkt der Eroberung noch mehr als 10.000 Menschen in den Kellern der zerstörten Häuser.391 Zwischen November 1941 und März 1942 ging diese Zahl auf knapp 1.800 – andere Berichte sprechen von 2.600 – zurück.392 Die Menschen wurden zwangsevakuiert, einzelnen gelang noch die Flucht in die umliegenden Dörfer. Die russische Stadtverwaltung versuchte, die mageren Vorräte an Kartoffeln und Gemüse in einer Volksküche zu verteilen.393 Wer in den Vorstädten noch eine Kuh besaß, musste die Milch abliefern, die rationiert an die Bevölkerung ausgegeben wurde.394 Zum Bürgermeister wurde der Archäologe Vasilij Ponomarev ernannt, den die deutschen Besatzer wegen seiner Haftzeit in den 1930er Jahren für einen Antikommunisten und damit für hinreichend vertrauenswürdig hielten.395 Warum Ponomarev in Novgorod blieb, ist nicht überliefert. Möglicherweise scheute er die Strapazen der Flucht, die er wohl zu Fuß hätte antreten müssen, denn in den Prioritätenlisten für die Evakuierung der Zivilbevölkerung stand er als alleinstehender Mann weit hinten.396 Näher liegt eine andere Erklärung: Ponomarev war bei seiner Tante aufgewachsen, die 1941 als Ärztin in einer psychiatrischen Klinik arbeitete, die im ehemaligen Kloster des Entschlafens der Gottesmutter in Kolmovo 388 Hasenclever 2010, S. 118. 389 CDAVO, d. 3676, op. 1, d. 149, ll. 246 ff. 390 Boris N. Kovalev, Funkcii i dejateľnosť Novgoroskoj Gorodskoj Administracii v uslovijach nemecko-fašistskogo okkupacionnogo režima (1941–1943gg.), in: Vestnik Novgorodskogo gosudarstvennogo universiteta, (1999), H. 12, o. Pag. 391 Kovalev 1999. Kovalev bezieht sein detailliertes Wissen über das Personal der russischen Stadtverwaltung aus einer Akte des Archivs des FSB über das Novgoroder Gebiet (Archiv Upravlenija Federaľnoj služby bezopasnosti RF po Novgorodskoj oblasti, d. 43689). 392 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 258, l. 557; vgl. auch den ausführlichen Reisebericht Georg von Krusenstjerns in CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 122, ll. 125–157, hier l. 151. 393 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 258. 394 Kovalev 1999. 395 Kovalev 1999. Zu Ponomarev siehe auch Kap. I: Russlands Kulturerbe. 396 Ponomarev 2006, S. 228–253, hier S. 229.

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untergebracht und zu Kriegsbeginn in ein Lazarett umgewandelt worden war.397 Die sowjetische Verwaltung hatte entschieden, die Psychiatriepatienten nicht zu evakuieren (und sie damit dem sicheren Tod zu überlassen). Eine Flucht zu Fuß kam für sie nicht in Betracht, so blieben sie und mit ihnen ihre Ärztin zurück. Möglicherweise wollte Ponomarev die Frau, die ihn aufgezogen hatte, nicht allein ihrem Schicksal überlassen398, vielleicht hat er auch deshalb das Amt des Bürgermeisters im besetzten Novgorod übernommen. Diese Position erlaubte es ihm, die knappen Lebensmittel so zu verteilen, dass auch für die Kranken etwas abfiel. Im November 1941 versorgten 15 russische Ärzte die rund 400 zurückgebliebenen verwundeten Soldaten.399 Ponomarev blieb nicht lange im Amt des Bürgermeisters. Ihm folgte im Oktober 1941 Fedor Morozov, gegen den die Novgoroder alsbald Beschwerden wegen Bereicherung und Amtsmissbrauchs vorbrachten. Im Dezember wurde er im Streit von einem Soldaten der Blauen Division erschossen. Nach verschiedenen Wechseln wurde Nikolaj P. Ivanov im April 1943 Bürgermeister des besetzten Novgorod. Seine Hauptaufgabe bestand darin, die noch verbliebenen Zivilisten unter Kontrolle zu halten und Pässe an sie auszugeben, zudem organisierte er ihren zwangsweisen Arbeitseinsatz für die deutschen Truppen und im November 1943 ihre Deportation ins Baltikum.400 Zu den Aufgaben der Bürgermeister gehörte es auch, eine russische Polizei aufzubauen, die für Ordnung unter der Zivilbevölkerung, die Sicherheit der Besatzer und den Schutz der Stadtverwaltung sorgen sollte. Außerdem sammelten die Polizisten die „herrenlosen“ Besitztümer derjenigen Novgoroder ein, die aus der Stadt geflohen beziehungsweise von den deutschen Besatzern inhaftiert worden waren, und brachten alles in die Sophienkathedrale.401 Diese Behauptung des Novgoroder Historikers Boris Kovalev stimmt allerdings nicht mit den Aufzeichnungen Ponomarevs überein, demzufolge die Sophienkathedrale, ebenso wie die anderen Kirchen, die notdürftig instand gesetzt worden waren, ausschließlich als Depot für die Museumssammlungen und Bestände der Novgoroder Bibliotheken diente.402 Die russische Ordnungspolizei kam nur in den Stadtteilen auf der Sophienseite zum Einsatz, auch die Tätigkeit der russischen Stadtverwaltung beschränkte sich auf diesen Teil der besetzten Stadt, die Handelsseite blieb unter ausschließlich deutscher Kontrolle.403 In der Stadtverwaltung existierte auch eine Abteilung für das Bildungswesen, die nicht nur den Schulunterricht organisierte, sondern auch für die Verteilung russischsprachiger Propagandazeitungen und -zeitschriften unter der Zivilbevölkerung zu sorgen hatte und die Bestände 397 Ponomarev wohnte offenbar bei seiner Tante im Krankenhaus, solange er in Novgorod blieb. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 556. 398 Ponomarev 2006, S. 229; Antonina V. Peredolskaja, Archiv V. S. Ponomareva, Novgorod 2005, S. 4. 399 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 258. 400 Kovalev 1999. 401 Kovalev 2009, S. 235 f. 402 Vasilij S. Ponomarev, Gibeľ Novgoroda, handschriftl. Manuskript, Archiv der Universitätsbibliothek Marburg, Nachlass Ponomarev, MS 929, 1–3; in gedruckter Form Ponomarev 2006, S. 242. 403 Kovalev 1999.

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der Bibliotheken sichten sollte: Ausgesondert und vernichtet werden mussten sozialistischsowjetische und marxistische Literatur sowie Bücher jüdischer Autoren.404 Schließlich gab es im Rahmen der Stadtverwaltung eine juristische Abteilung und einen medizinischen Dienst, wobei Letzterer angesichts des fast vollständigen Fehlens von Medikamenten und medizinischem Personal praktisch arbeitsunfähig war.405

Dokumentationen deutscher und russischer Fachleute Deutsche Fachleute inspizierten die Kulturgüter Novgorods sobald wie möglich. Als einer der Ersten kam der Archäologe und Kriegsverwaltungsassessor Reinhold Strenger Anfang September.406 Zu diesem Zeitpunkt war der Ostteil der Stadt noch umkämpft, so dass er seine Besichtigung auf die Sophienseite beschränken musste. Er fand das Gebäude der Gemäldegalerie unversehrt vor, wohingegen die Ausstellung des russischen „Propagandamuseums“, die seiner Meinung nach aber keine künstlerisch wertvollen Gegenstände enthalten hatte, von Soldaten zerstört worden war.407 Die erzbischöfliche Bibliothek war verschlossen, da sie von der Ortskommandantur betreut und bewacht wurde. Die Sophienkathedrale war bis auf die Hauptkuppel unversehrt; die „kunsthistorisch bedeutendsten“ Objekte hätten die Russen evakuiert. Dennoch ließ Strenger die Kathedrale schließen, „da die Gefahr bestand, dass die Besucher von wertvollen Kunstgegenständen Teile entfernen“.408 Strengers Informationen zum Zustand der Bausubstanz sind extrem knapp; eine ausführliche Schilderung wurde für einen späteren Bericht angekündigt. Etwa zur gleichen Zeit, vielleicht sogar etwas früher, spätestens aber Anfang Oktober muss auch der Fotograf Ernst Baumann409 in Novgorod gewesen sein. Unter seinen Aufnahmen gibt es Bilder der Sophienkathedrale von Nordwesten, die keinerlei Beschädigungen erkennen lassen.410 Er besichtigte auch das Innere der Kathedrale und machte Aufnahmen des Muttergottesbilds in der Ikonostasis411; darüber hinaus gibt es von ihm Fotos vom Innenraum anderer Novgoroder Kirchen. Eine Schilderung der Situation während und unmittelbar nach der Einnahme durch deutsche Truppen liegt auch von Ponomarev vor. Demnach bombardierten die deutschen Flugzeuge den Kremľ erst an dem Tag, an dem die Wehrmacht die Sophienseite einnahm. Die verbliebenen Zivilisten hatten die Kirchen des Kremľ als Luftschutzbunker genutzt, weil 404 Kovalev 1999. 405 Kovalev 1999. 406 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, l. 550. 407 Gemeint ist vermutlich das Revolutionsmuseum. Es ist ungewöhnlich, dass durch deutsche Soldaten verursachte Zerstörungen in einem Dokument der Wehrmachtsverwaltung derart unverblümt benannt werden. 408 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, l. 550. 409 Zu Ernst Baumann siehe Kap. III.2: Pavlovsk. 410 Die Aufnahmen sind nur als Kontaktabzüge mit jeweils einem Film auf einem Bogen überliefert, die Negative sind verloren, größere Abzüge nicht vorhanden. BArch – Bildarchiv, Bild 101 III, Baumann – 052. 411 BArch – Bildarchiv, Bild 101 III, Baumann – 052, Bild 4–7.

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Abb. 78  Die Aufnahme, die vermutlich vom „Uhrturm“ gemacht wurde, zeigt die Sophienkathedrale von Nordwesten. Den Eingang in der Mitte verschlossen bis zu ihrer Evakuierung im August 1941 die berühmten Magdeburger Tore.

die Bomberpiloten offenbar die Anweisung besaßen, Kirchen zu schonen. Bei der Einnahme der Stadt traf ein Geschoss die Vierung der Sophienkathedrale und beschädigte auch die nordwestliche Kuppel, ein weiteres Geschoss schlug in die südliche Hälfte des Gebäudes neben dem Glockenturm ein.412 Erst später gerieten die Häuser im südlichen Teil des Kremľ in Brand. Auf der Handelsseite sei – so die Erinnerung Ponomarevs – während des fünftägigen Kampfes bis zur Überquerung des Volchov nur die Christi-Verklärungs-Kirche ernsthaft beschädigt worden; die berühmten Fresken von Feofan Grek im Kirchenraum (zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts) seien aber kaum in Mitleidenschaft gezogen worden.413 Die Bedeutung dieses byzantinischen Malers für die Entwicklung der russischen Malerei ­gründet 412 Ponomarev 2006, S. 239–253. 413 Ponomarev 2006, S. 240.

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Abb. 79  Die frühen Aufnahmen deutscher Fotografen zeigen, dass die Novgoroder Denkmäler zu Beginn der Besatzung meist nicht gravierend beschädigt waren. Das gilt auch für die Georgskathedrale im Jur’ev-Kloster (hier in einer Aufnahme von Ernst Baumann).

in der enormen Expressivität seiner beinahe monochromen Ikonen. Andere Kirchen seien Ponomarev zufolge nicht durch Artilleriebeschuss und Luftangriffe beschädigt, sondern wären auf Befehl Stalins in Brand gesetzt worden, fünf auf der Sophien- und neun auf der Handelsseite. Allerdings hatte das Feuer den alten Gemäuern kaum etwas anhaben können; lediglich die Kirche der heiligen Florus und Laurus wurde schwer beschädigt, vermutlich, weil im Inneren brennbare Materialien gelagert hatten.414 Die Architekturdenkmäler waren also im Wesentlichen intakt, als die Deutschen die Stadt einnahmen. Wirklich fatal sollte sich aus Ponomarevs Sicht erst der folgende lange Stellungskrieg auswirken. Die Front kam hier im Winter 1941/42 praktisch zum Stillstand, für die nächsten

414 Ponomarev 2006, S. 240.

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zwei Jahre lagen sich deutsche und sowjetische Einheiten am Volchov gegenüber. Novgorod wurde nun von der Roten Armee beschossen. Obwohl dieser Beschuss nicht einmal besonders intensiv war, führte die Nähe zur Front zur Zerstörung oder schwersten Beschädigung zahlreicher Baudenkmäler.415 Das erste Opfer war die Johanneskirche, deren Kuppel Anfang September von einem oder mehreren Geschossen durchschlagen wurde. In dem davon verursachten Feuer verbrannte ein großer Teil der zurückgebliebenen Sammlungen, Ponomarev schreibt von zehntausenden Objekten, darunter rund 3.000 Ikonen und die gesamte Sammlung seines Großvaters Vasilij Peredolskij: Sie war in den 1930er Jahren beschlagnahmt und in die Novgoroder Sammlungen mit der Begründung eingefügt worden, sie sei dort sicherer verwahrt als in dem Holzhaus der Familie, wo sie allzu leicht einem Brand zum Opfer fallen könnte. Ironischerweise blieb das Haus der Peredolskijs eines der wenigen Wohnhäuser auf der Handelsseite, das die Kämpfe überdauerte.416 Auch die Kathedrale der Erscheinung der Gottesmutter geriet durch einen Artillerietreffer in Brand. Das Feuer zerstörte ihre Ikonostasis aus dem 18. Jahrhundert, dagegen wurden ihre Wandmalereien, abgesehen von der zerstörten Kuppel und den Apsiden, kaum beschädigt. So oder ähnlich erging es vielen Kirchen im Stadtkern zu Beginn der Besatzung. Soweit er sie in Augenschein nehmen konnte, beschrieb Ponomarev alle Schäden, jedoch waren die Kirchen östlich der alten Stadt für ihn unerreichbar, diese waren allerdings am stärksten betroffen.417 In den Dörfern östlich des Flusses wurden die Kirchen auch in der Folge beschädigt, in einigen Fällen, wie bei der Erlöserkirche von Neredica oder der Mariä-Entschlafens-Kirche in Volotovo, blieben buchstäblich nur Steine übrig. Die Erlöserkirche wurde bereits im Oktober 1941 zerstört, die Mariä-Entschlafens-Kirche fiel im Verlauf des zweieinhalbjährigen Kampfes nach und nach in Trümmer. Die Beschreibungen Ponomarevs decken sich im Wesentlichen mit den Schilderungen der deutschen Beobachter, die im Herbst und Winter 1941/42 in die Stadt kamen, um den Zustand der Architekturdenkmäler und vor allem den Bestand an beweglichen Kulturgütern zu begutachten; teilweise beruhen ihre Berichte vermutlich auf seinen Informationen. Nachdem die Mitarbeiter des ERR im November 1941 die Leningrader Vorortschlösser inspiziert hatten, machte sich eine Abordnung, bestehend aus Gerhard Wunder, Günther Stöve und Georg von Krusenstjern, auf den Weg nach Novgorod.418 Ihren Berichten zufolge hatte sich die Lage dramatisch verschlechtert. Zwar waren die Gebäude des Kremľ bis auf eines noch so gut erhalten, dass die spanischen Soldaten hier Quartier beziehen konnten, doch hatten diese nach Auskunft des Ortskommandanten derart hemmungslos geplündert, dass er zum Schutz der Sophienkathedrale den katholischen Feldgeistlichen habe einschal-

415 Ponomarev 2006, S. 240. 416 Ponomarev 2006, S. 240. 417 Ponomarev 2006, S. 241. 418 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 258; vgl. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, ll. 246 f.; CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, ll. 277–284; CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 396.

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ten müssen, „um der Andenkenwut [...] Grenzen zu ziehen“.419 Das Innere der Kathedrale war vollkommen verwüstet. Vom Antireligiösen Museum, das sich dort befunden hatte, waren nur einzelne Plakate, leere Vitrinen, Schränke und Beschriftungen übriggeblieben. Beschädigte Ausstellungsgegenstände, die Trümmer eines Sarges, kostbare kirchliche und weltliche Gewänder und andere Textilien, Stickereien, Fahnen, Standarten sowie „die Reste einer berühmten Bibelsammlung“ lagen im Schutt der beschädigten Kuppel durcheinander. Auf einer der Emporen fanden sich noch „schöne Stilmöbel“.420 Alle Fensterverglasungen waren zerstört, so dass die Objekte noch dazu von Schnee und Eis bedeckt waren. Auch die Archive der Stadt hatten sehr gelitten. Die Kirchenbücher und Standesakten, für die sich der ERR besonders interessierte, waren bis auf wenige Exemplare vernichtet; von einer kundigen Einheimischen erfuhr Krusenstjern, dass die sowjetischen Truppen die Akten jüngeren Datums vor ihrem Abzug verbrannt hatten; die älteren Akten verbrannten zusammen mit dem Ort ihrer Aufbewahrung, der Dreifaltigkeitskirche.421 Günstiger war die Situation der Heiliggeistkirche, in der viele Akten den Keller und den in drei Geschosse unterteilten Innenraum der Kirche füllten; sie lagen ordentlich gebündelt und beschriftet in Regalen. Überwiegend handelte es sich um jüngere Akten der Stadtverwaltungen von Staraja Russa, Tichvin und anderen Kreisstädten, außerdem um ein Archiv aus Pskov und fünf Kirchenbücher. Als Krusenstjern das Archiv inspizierte, kamen Soldaten durch einen unverschlossenen Durchgang aus dem Wohn- und Verwaltungsteil in den Kirchenraum, um Treppenstufen und Teile der Regale als Heizmaterial zu holen.422 Er verlangte daraufhin vom Ortskommandanten, die Archivräume zu verschließen, zumal sie bereits einen Sicherungszettel des Beauftragten des Chefs der Heeresarchive trugen.423 Im Gebäude der vormaligen erzbischöflichen Bibliothek im Kremľ, in dem nach der Revolution die Bibliothek des Erzbischofs, die Bibliothek des Adelsverbands und die Bibliotheksbestände aus den umliegenden Adelssitzen untergebracht worden waren, herrschten ebenfalls beklagenswerte Zustände. Wunder, Stöve und Krusenstjern wussten von Reinhold Strenger, dass die Bibliothek bei der Einnahme der Stadt noch intakt war. Inzwischen hatten die Räume keine Fenster und Türen mehr. Die Bücherregale waren von den Soldaten  – angeblich der Blauen Division – verheizt worden.424 Nun lagen die kostbaren Bände aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert durcheinander, von Schutt, Schnee und „menschlichen Verunreinigungen“ bedeckt. Viele Bücher hatten die Soldaten zum Abdichten der Fenster und Türen in ihren Unter­künften verwendet.425 Ein anderes, vormals als Museum genutztes Gebäude – vermutlich 419 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, ll. 277 f. 420 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, ll. 258 f. 421 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 259; siehe auch den ausführlichen Bericht Georg von Krusenstjerns über den Aufenthalt in Novgorod im November 1941 in CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 122, ll. 150 ff. 422 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 259. 423 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 260. 424 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 259. Bei den Soldaten, die sich im Archiv im Heiliggeistkloster mit Heizmaterial versorgten, handelte es sich dagegen wohl um Deutsche, sonst wäre ein entsprechender Kommentar erfolgt. 425 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 248.

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Abb. 80  Das steinerne Kreuz des Erzbischofs Aleksej, der zwischen 1359 und 1388 das geist­liche Oberhaupt Novgorods war, konnte nicht aus der Sophienkathedrale evakuiert werden. Auch die deutschen Be­satzer vermochten nicht, es abzutransportieren, versahen es aber mit einer Schutzmauer, um es vor der Zerstörung zu bewahren.

der Chrysostomos-Turm, ein Teil der Kremľ-Mauer, in dem seit dem 19. Jahrhundert das historische Museum untergebracht war – hatte bereits den sowjetischen Truppen als Unterkunft gedient. Kulturgüter waren dort nicht mehr zu finden, stattdessen gab es Pritschen, Strohlager und Tische. Nur in der Vorhalle befanden sich noch eine Kirchenglocke, einige Steinplatten und andere Großobjekte, die sich wegen ihrer Größe und ihres Gewichts nicht hatten abtransportieren lassen. In einer kleinen Kirche nahe der Kathedrale, die einer Schrifttafel zufolge bis zum Kriegsbeginn ebenfalls als Museum genutzt worden war, hatten die Spanier eine Schmiede eingerichtet. Alle übrigen Gebäude im Kremľ dienten als Truppenunterkünfte. Der Zustand aller historischen Gebäude war offenbar desolat. Lediglich das Denkmal des „Tausendjährigen Russland“ stand im November 1941 noch unbeschädigt an seinem Platz.426 426 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 259.

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Vor den Repräsentanten des ERR war nach Auskunft einer russischen Dolmetscherin bereits ein Professor Sahm in Novgorod gewesen, hatte die Kunstschätze der Sophienkathedrale gesichtet und angeblich einen großen Teil abtransportiert. Um wen es sich dabei handelte und in wessen Auftrag er tätig war, konnten Krusenstjern und Stöve nicht ermitteln.427 Ponomarev erwähnte in seinen Berichten, der Professor habe einige alte Ikonen, „darunter auch die wundertätige Ikone der hl. Sophie, und das Zarentor aus dem Ikonostas“ – vermutlich die Hauptikonostasis der Sophienkathedrale – sowie einige in der Sophienkathedrale gelagerte Bilder aus der Gemäldegalerie abtransportiert.428 Später klärte sich, dass Sahm im Herbst 1941 als Dolmetscher in einer Ortskommandantur im Bereich der 16. Armee tätig gewesen war und im Auftrag von deren Oberquartiermeister Ikonen und andere Kunstgegenstände aus Novgorod und Tichvin nach Pskov gebracht hatte.429 In jedem Fall, so das Resümee der ERR-Inspektion, müssten bald Maßnahmen zur Sicherung – im Klartext zum Abtransport – der Archivalien und Bücher ergriffen werden; für die Kunstschätze hielten sich die ERR-Leute nicht für zuständig.430 Deren Zustand zeichnete der Bericht allerdings in düsteren Farben. Erneut stellte Wunder in seinem Schlussbericht fest, dass sie viel zu spät gekommen seien, bei einem früheren Eingreifen hätte mehr gerettet werden können – und das auch mit Blick darauf, was (konkurrierende) Dienststellen wie der Konservator der Heeresgruppe, Ernstotto zu Solms-Laubach, und das Sonderkommando Künsberg vom Auswärtigen Amt bereits abgeräumt hatten. 431 Ein weiteres Fazit war, dass jede „praktische Aktion“, das heißt die Bergung von Kulturgütern, vor allem von Büchern, ein größeres Fahrzeug erfordere; ohne LKW und einige Hilfskräfte könne nichts unternommen werden.432

Schutzmaßnahmen durch Vasilij Ponomarev Im Oktober 1941 wurde Ponomarev die Aufsicht über die verbliebenen Sammlungen übertragen. Sein Nachfolger als Bürgermeister, Dionisij Džiovanni, nahm in Anspruch, Ponomarev mit dieser Aufgabe beauftragt zu haben,433 doch wird er das kaum selbstständig entschieden, 427 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 260. Die Mitarbeiter des Einsatzstabs versuchten noch länger, die Identität des Prof. Dr. Sahm festzustellen, sie konnten aber nur in Erfahrung bringen, dass er die abtransportierten Gegenstände der Militärverwaltung in Pleskau übergeben habe. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 143, l. 415, siehe auch CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 142, l. 37. 428 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 551. 429 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 143, ll. 132–136. In den vorliegenden Listen ist die von Ponomarev erwähnte Königspforte zwar aufgeführt, die Ikone der heiligen Sophie lässt sich darin aber nicht identifizieren. 430 CDAVO, f. 3676, op.  1, d. 149, l. 282. Für Kunst war in der HAG Ostland der Kunsthistoriker Reinhold Strenger ­zuständig. 431 Bericht Gerhard Wunders über die Fahrt zu den Zarenschlössern im November 1941. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, ll. 263–284, hier l. 283. 432 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 402. 433 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 259.

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sondern auf Weisung der Ortskommandantur oder deren vorgesetzter Feldkommandantur gehandelt haben – derartige Befugnisse hatten die von der deutschen Militärverwaltung eingesetzten russischen Bürgermeister nicht. Glaubwürdiger ist daher Ponomarevs eigene Darstellung. Seinen Aufzeichnungen zufolge ergriff im Herbst 1941 ein Kirchenarchäologisches Komitee mit Unterstützung der deutschen Ortskommandantur Maßnahmen zum Schutz der Denkmäler,434 er selbst habe es zusammen mit dem Priester der Gemeindekirche, Vasilij Nikolaevskij, gegründet. Es gelang ihm sogar, bei den Bauern der Umgebung Geld für die Säuberung der Kathedrale zu sammeln,435 dabei sollen 50.000 Rubel zusammengekommen sein.436 Möglicherweise war es also tatsächlich Ponomarev, der die Maßnahmen anregte, die dann ihm als dem einzigen Fachmann, dem die Besatzungsmacht Vertrauen entgegenbrachte, übertragen wurden. Was zu diesem Zeitpunkt in den Museen und Depots übriggeblieben war, wurde in die Sophienkathedrale gebracht, die damit eine Art Zentraldepot wurde; allerdings gelang es nicht, alle Museumsdepots zu leeren. Ponomarev sollte die Objekte bewerten und Kate­ gorien bilden. Ein Teil wurde wegen des fehlenden musealen Werts ausgesondert, diese Objekte sollten Offizieren und Soldaten als Anerkennung für besondere Leistungen erhalten.437 Ponomarev hat wohl auch ein Verzeichnis der in der Sophienkathedrale versammelten Kunstschätze erstellt, denn es gibt Hinweise, dass entsprechende Listen im Januar 1942 vom Wirtschaftsstab Ost oder von der Arbeitsgruppe Ostland des ERR angefordert wurden438, jedenfalls beschäftigte er sich damit den Winter 1941/42 über.439 Die Kunstfachleute sowohl der Heeresgruppe Nord als auch des ERR blieben Novgorod bis zum Frühjahr 1942 fern. Angesichts des strengen Frosts war dort nichts auszurichten. Zudem kristallisierten sich in dieser Zeit die Zuständigkeiten heraus: Die Mitarbeiter des Einsatzstabs mussten einsehen, dass die Kunstschätze bis auf weiteres in der Hand der Wehrmacht, vertreten durch den Kunstschutzoffizier Solms, bleiben würden.440 Stattdessen ließen die ERR-Mitarbeiter ihre Wünsche nach Sicherstellung bestimmter Bestände im Dezember 1941 auf dem Dienstweg über die Kommandostellen der Wehrmacht übermitteln.441 Wie überall galt ihr vorrangiges Interesse den Bibliotheken. Ende Februar begannen Mitarbeiter der Hauptarbeitsgruppe Ostland, den Abtransport zu planen.442 Der

434 Ponomarev 2006, S. 241; siehe auch Ponomarevs Bericht an die Hauptarbeitsgruppe Ostland, CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 539. 435 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 539. 436 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 572. 437 Kovalev 2009, S. 235. 438 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 16. 439 Ponomarev 2006, S. 242. 440 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 400. 441 Anfang Dezember 1941 reichten sie etwa die Aufforderung zur Sicherung der Bibliotheken über den Wehrmachtsbefehlshaber Ostland ein. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 198. 442 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 554.

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Einsatz stand unter Leitung von Hauptmann Paul Wahl,443 dem Beauftragten des Wehrmacht-Oberbefehlshabers Ostland, beteiligt war ferner der Kunsthistoriker Dietrich Roskamp444. Paul Wahl sollte sich um die Bibliotheken und die „Sicherstellung historischer Waffen und ähnlichem für das Berliner Zeughaus“ kümmern.445 Zudem veranlassten die beiden, dass der Bildberichterstatter Heinrich von der Becke, der mit seiner Einheit (Propaganda-Kompanie 501) in Novgorod war, die Kunstdenkmäler fotografisch dokumentierte.446 Diese Fotos scheinen nicht überliefert zu sein; es existieren aber andere Fotodokumente, so einige wenige der Sophienkathedrale und der Dreifaltigkeitskirche des Heiliggeistklosters, die der PK-Fotograf Erich Wenzel im April oder Mai 1942 anfertigte. Zu diesem Zeitpunkt verfasste Roskamp einen Bericht über den Zustand Novgorods, der zwar in einigen Punkten die Schilderungen vom November 1941 wiederholt, aber auch ein Bild davon vermittelt, wie die Kulturgüter und Architekturdenkmäler den Winter überstanden hatten. Der erste Eindruck war trostlos, kein Haus war unbeschädigt. Eine große Bedrohung stellten die vielen Schäden am Mauerwerk und den Kirchendächern sowie die offenen Fenster dar. In allen Kirchen lag Schnee, so dass die Kunstwerke bei Beginn der Schneeschmelze durch die Feuchtigkeit extrem gefährdet waren. Roskamp gab an, die größten Schäden seien von den spanischen Soldaten angerichtet worden, die selbst verschlossene Kirchen aufbrachen und ausplünderten, Ikonen und Kruzifixe stahlen, aus Altartüchern und Messgewändern die Stickereien herausschnitten, Porzellan zerschlugen, Gräber aufbrachen und durchwühlten. Zum Teil nutzten sie Ikonen als Brennstoff für offene Feuer, die Kathedrale der Erscheinung der Gottesmutter war als Folge eines so entstandenen Brandes ausgebrannt. Die Pforte der Michaelskirche, in der auch Kunstwerke aus anderen Kirchen lagerten, sprengten die spanischen Soldaten Ende Januar 1942 mit einer Handgranate auf, stahlen silbernes Kirchengerät und Ikonen und zerstörten vieles andere. Der Priester der Kirche, Vater Vasilij (Nikolaevskij) brachte die Überreste in seiner Wohnung in Sicherheit.447 Der Bericht basiert auf den Mitteilungen Ponomarevs und Vater Vasilijs, andere Informanten gab es seit der Evakuierung der Zivilbevölkerung im Dezember nicht mehr.448

443 Der Mittelalterhistoriker Paul Wahl (1892–1960) wurde 1939 Leiter der Dortmunder Stadtbibliothek und war dadurch als Fachmann in Bibliotheksangelegenheiten ausgewiesen. 1945 wurde er aus politischen Gründen entlassen, 1949 jedoch wieder eingestellt. Vgl. Hans Bohrmann, Das Jahr 1945 als personeller und institutioneller Wendepunkt von der Zeitungs- zur Publizistikwissenschaft, in: Tobias Eberwein/Daniel Müller (Hrsg.), Journalismus und Öffentlichkeit. Eine Profession und ihr gesellschaftlicher Auftrag. Festschrift für Hans Pöttker, Wiesbaden 2010, S. 483–506, hier S. 493. 444 Der Kunsthistoriker Dietrich Roskamp (1907–1967) war an verschiedenen Orten im Sonderstab Kunst beim ERR tätig. Nach dem Krieg hatte er bis zu seiner Pensionierung in Hamburg einen Posten als Kustos inne. 445 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 554. 446 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 561. 447 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 570 ff.; vgl. auch CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 580. 448 Das bezeugen bei deutschen Kriegsgefangenen gefundene Museumsgegenstände sowie Objekte, die nach dem Krieg aus Deutschland zurückgegeben wurden. Siehe auch Einleitung.

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Abb. 81  Die Aufnahme der Sophienkathedrale entstand im April/Mai 1942. Die Schäden, die der sowjetische Artilleriebeschuss angerichtet hatte, sind deutlich zu erkennen.

Abb. 82  Das Foto des zerstörten Heiliggeistklosters mit der Dreifaltigkeitskathedrale gehört zu einer Serie des PK-Fotografen Erich Wenzel vom Frühling 1942. Die Dreifaltigkeitskathedrale ist stark getroffen, von fünf Kuppeln fehlen drei ganz, die beiden verbliebenen sitzen schief auf den Tambouren.

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Abb. 83  Im April/Mai 1942 war das Denkmal des „Tausendjährigen Russland“ noch intakt. Später wurden die Figuren demontiert, konnten aber nicht mehr abtransportiert werden und blieben bis zur Befreiung der Stadt um den Sockel verteilt liegen.

Roskamp erneuerte offenbar im Rahmen seiner Inspektion Ponomarevs Auftrag, Maßnahmen zum Schutz der Kulturgüter einzuleiten. Ponomarev bekam sechs Kriegsgefangene als Hilfskräfte gestellt und begann am 11. März mit der Arbeit449: Vor allem wurden die beschädigten Dächer, Wände und Fenster aller zugänglichen Kirchen und Klöster mit Brettern und Dachpappe verschlossen, die Kirchenräume von Schnee und Schutt befreit sowie Verbotsschilder auf Deutsch und auf Spanisch aufgestellt. Als weitere Maßnahmen schlug Ponomarev vor, die Fenster der wichtigsten Kirchen zu verglasen, ihre Dächer zu erneuern, um die Innenräume besser zu schützen, und baldigst mit der Sicherung und Restaurierung der Fresken und Ikonostasen zu beginnen; insbesondere für die Christi-Verklärungs-Kirche auf 449 Bericht Ponomarevs über Maßnahmen, die zum Schutz der Kunst- und Altertumsdenkmäler in Novgorod getroffen wurden. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 539.

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der Iľin-Straße mit den Fresken Feofan Greks waren aus seiner Sicht Sicherungsmaßnahmen dringend geboten.450 Das größte Problem stellte Baumaterial dar, das in Novgorod praktisch nicht zu bekommen war.451

Übergabe in Riga: Die Bücher der Novgoroder Bibliothek Im März 1942 wurden unter Leitung von Paul Wahl 33.892 Bücher nach Riga abtransportiert. Im Einvernehmen mit der Heeresgruppe und dem Oberkommando der 18. Armee, die mittlerweile die 16. Armee abgelöst hatte, stellte die Organisation Todt einen größeren Lastzug bereit.452 Zunächst wurden die Bücher nach Pskov gebracht453, von dort gelangten 27.658 Bände in die Landesbibliothek Riga454, darunter rund 600 sehr seltene Handschriften und Drucke des 17. und 18. Jahrhunderts sowie rund 1.100 Bibeln, Evangeliare und andere liturgische Kostbarkeiten.455 Die wertvollsten sollten geschlossen der Ostbücherei Reichsleiter Rosenberg in Berlin eingegliedert werden456, der größere Teil dagegen vorläufig in Riga bleiben und – sollte Novgorod nach dem Krieg wieder aufgebaut werden – dorthin zurückgebracht werden.457 Ein Teil der archäologischen Bücher gelangte in das Archäologische Institut der Universität Greifswald, dessen Ordinarius, Carl Engel, zeitweise für den ERR tätig war. Ende November 1942 übergaben die Mitarbeiter – wie seit Juni geplant458 – 1.026 Bibeln, Evangeliare, Messbücher und andere geistliche Literatur aus verschiedenen kirchlichen Bibliotheken Novgorods an die Vertreter der orthodoxen Kirche in Riga. Sie wurden ausdrücklich „zur vorläufigen Benutzung“ im Gottesdienst ausgehändigt und mit der Maßgabe, dass sie später „auf Aufforderung des Reichskommissariats Ostland (RKO) der Kirche in Novgorod zurückzugeben“ seien. Die Übergabe wurde am 27. November in einem feierlichen Akt vollzogen. Um 12 Uhr versammelten sich die Repräsentanten des Reichskommissariats, des ERR, der Propaganda-Abteilung Ostland und des Exarchats in den Räumen des RKO. Auf dem Tisch

450 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 540 f. 451 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 538. 452 Die 1938 gegründete OT war eine militärisch organisierte Bauorganisation, die seit 1940 dem Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Fritz Todt, und nach dessen Tod im Februar 1942 seinem Nachfolger Albert Speer unterstand. Ihre Hauptaufgabe war der Bau militärischer Anlagen und der Straßenbau. Seit 1942 wurden in der besetzten UdSSR Kriegsgefangene herangezogen, später auch KZ-Häftlinge. Vgl. Hedwig Singer, Entwicklung und Einsatz der Organisation Todt (OT), Osnabrück 1998; Franz W. Seidler, Die Organisation Todt. Bauen für Staat und Wehrmacht, 1938–1945, Koblenz 1987; ders., Fritz Todt: Baumeister des Dritten Reiches, Frankfurt a.M./ Berlin 1988. 453 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 231. 454 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 440. 455 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 146, l. 135. 456 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 443. 457 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 535. 458 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 233, l. 211; vgl. auch CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 145, ll. 37–59, und CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 146, l. 135 f.

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lagen 21 der wertvollsten Bibeln und Handschriften. Nach einer feierlichen Ansprache von Regierungsrat Trampedach, dem Abteilungsleiter Politik beim Reichkommissariat, einer Rede von ERR-Haupteinsatzführer Nerling und dankenden Erwiderungen durch Metropolit Sergij unterzeichneten die Vertreter von RKO und ERR sowie der Metropolit das Übergabeprotokoll. Beide Seiten erhielten eine Ausfertigung der Liste der übergebenen Bücher (so weit möglich mit Titel und Jahresangabe). Genauere Angaben, die heute eine Identifizierung erlauben würden, sind nicht überliefert. Unklar ist daher, wie eine spätere Rückgabe an die Kirche in Novgorod, die angeblich vorgesehen war, hätte durchgeführt werden können. Die Bücher der „Novgoroder Bibliothek“ stammten ursprünglich aus der kirchlichen Bibliothek der Stadt sowie den Bibliotheken der Bruderschaft der heiligen Sofia zu Novgorod, des Erzbischofs Arsenij, des Erzpriesters Georgij Lubinskij, des Jur’evklosters, der Sophienkathedrale und einiger Kirchen in der Umgebung.459 Die meisten Bände trugen Stempel ihrer früheren Eigentümer, so auch diejenigen, die das Exarchat im November 1942 erhielt, die Bücher des Jur’evklosters beispielsweise ein rotes Siegel mit dem Klosternamen. Auch private Exlibris kamen vor, darunter häufig die Peredolskijs. Sehr viele Bücher trugen den ovalen Stempel der Bibliothek der Novgoroder Staatlichen Museen, die größte Gruppe trug allerdings den Stempel „Wissenschaftliche Bibliothek des Novgoroder Museums“. In den Berichten gibt es keine Angaben, welche Bände bei der feierlichen Übergabe an Sergij gezeigt wurden. Möglicherweise waren es die Bücher, die Stabsführer Utikal im April 1942 in einer kleinen, eigens für ihn zusammengestellten Ausstellung besichtigen konnte:460 15 Evangeliare in Prachteinbänden mit vergoldeten oder versilberten Metallbeschlägen oder ganz aus Metall bestehenden Einbänden, außerdem Gesang- und Gebetsbücher, Heiligenleben und ein Kirchenkalender. Fünf Bücher waren Handschriften, die übrigen frühe Drucke. Zu allen sind Beschreibungen mit Angaben zur Datierung, zum Format und zum Einband sowie zu den vorhandenen Markierungen überliefert.461 Wenige Tage nach dem Festakt wurden die in 30 Kisten verpackten Bücher in die Kanzlei des Exarchats gebracht.462 Die Propagandaabteilung Ostland hatte den Auftrag, darüber in den russischsprachigen Zeitungen des Gebiets ausführlich zu berichten.463 Der propagandistische Nutzen, den sich RKO und ERR versprachen, dürfte das Haupt-, wenn nicht das einzige Motiv für die Übergabe gewesen sein. Im darauffolgenden Jahr wurde sie samt den

459 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 437. 460 Bericht Paul Wahls über die Ausstellung „Die Nowgoroder Bibliothek und ihre Kostbarkeiten“ anlässlich des Besuchs von Stabsführer Utikal in Riga am 23.4.1942. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 514. Wahl veröffentlichte in der Zeitschrift für Bibliothekswesen auch einen kleinen Artikel, in dem er die Bücher und ihre Marken beschrieb; der Artikel liegt in der Zeitungsausschnittsammlung des ERR vor. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 182, ll. 29–31; genaue bibliografische Angabe: Paul Wahl, Die Nowgoroder Bibliothek und ihre Kostbarkeiten, in: Zentralblatt für das Bibliothekswesen, 60 (1943), S. 62–65; hierzu auch Heuss 2000, S. 181. 461 Anhand der Beschreibungen könnten wahrscheinlich zumindest diese Bände identifiziert werden. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 515 f. 462 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 145, ll. 37–59. 463 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, ll. 437–439.

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Fotografien der Propagandaabteilung in der Ausstellung „Aus der Arbeit des Einsatzstabes“ vorgestellt.464 An der Bücherübergabe überraschen zwar der Umfang und der zeremonielle Aufwand, der Vorgang als solcher ist aber nicht ungewöhnlich, auch liturgische Gerätschaften wurden der orthodoxen Kirche teilweise zur Nutzung überlassen. Überall in der besetzten Sowjetunion wurden Kirchen wieder für den Gottesdienst und die Seelsorge geöffnet. Auch in Novgorod konnten acht Kirchen wieder von den Gläubigen genutzt werden und erhielten von den Besatzern wohl eine Minimalausstattung aus den Beständen in der Sophienkathedrale. Bei der Vergabe gingen die Orts- und Feldkommandanturen sowie die HAG Ostland willkürlich vor, so dass Gegenstände aus Novgoroder Kirchen auch an wiedereröffnete Kirchen in der Umgebung von Pskov gelangten. Als die Zivilbevölkerung evakuiert wurde, gelangten diese dann mit den Gemeinden nach Westen. So fanden Mitarbeiter der Novgoroder Museen, als sie nach ihrer Rückkehr 1944 mit der Suche nach ihren Sammlungen begannen, eine Anzahl von Kunstwerken in einem Dorf, das in den Dokumenten Možaika genannt wird465 und bei dem es sich vermutlich um die litauische Ortschaft Mažeikiai nahe der russisch-litauischen Grenze handelt.466

Das Schicksal der Ikonen Am 5. Juni 1942 richteten sowjetische Artillerieeinheiten ihre Geschütze auf den Kremľ. Die Besatzungsmacht hatte die Abdeckung der goldenen Hauptkuppel der Sophienkathedrale entfernen lassen, den Tarnanstrich der Nebenkuppeln hatten Schnee und Regen im Laufe der Monate abgewaschen. In der Sommersonne gab die Kathedrale damit ein weithin sichtbares Ziel ab, auf das die Artillerie sich einschoss.467 Sie wurde von 20 Geschossen getroffen, während die benachbarten Gebäude vergleichsweise wenig Schaden nahmen. Am schlimmsten war der nördliche Teil betroffen, außerdem wurde das Pantokrator-Fresko in der Hauptkuppel zerstört und mehrere Gewölbe stürzten ein. Der Ortskommandant, Hauptmann Germer, berichtete seinem vorgesetzten Armeekorps von den Schäden und erklärte den Abtransport der beweglichen Kulturgüter für notwendig, da „mit einer Schonung der Nowgoroder Kulturgüter von Seiten der Bolschewisten nicht zu rechnen ist“. Dieselbe Information gab er an die Arbeitsgruppe Ostland des ERR weiter, bei der er anscheinend auf größeres Interesse hoffte468, vielleicht hegte er für sie eine wie auch immer begründete Sympathie.469

464 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 146, l. 130. 465 Archiv der Novgoroder Staatlichen Vereinigten Museen, Inv. 37602. 466 Freundliche Auskunft von Edvarda Šmite, Nationalmuseum Riga im Oktober 2014. 467 Ponomarev 2006, S. 242. 468 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 542. 469 Im Bericht Wilhelm Reichardts, der ebenfalls bei der Inspektion Ende Februar dabei war, kommt dies in der erleichterten Bemerkung zum Ausdruck, Hauptmann Germer sei „eine Persönlichkeit, die auch für kulturelle Dinge großes Verständnis entgegenbringen soll.“ CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 555.

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Die Museen im Krieg

Eine Erklärung könnte auch ein Schreiben des Generalstabschefs der Heeresgruppe vom 18. März 1942 an die HAG Ostland in Riga geben, in dem es heißt, die Ortskommandantur könne sich neben ihren militärischen Aufgaben nicht auch noch um die Sicherung der Kulturgüter in Novgorod kümmern.470 Diese Aufgabe wollte er offenbar der HAG Ostland überlassen. Es scheint, als habe damals im Generalstab der Heeresgruppe eine gewisse Unsicherheit über das Prozedere bestanden. Vielleicht zog die Heeresgruppe auch gar nicht in Betracht, die russische Kunst zu bergen, sondern wollte sich auf die europäischen Werke in den Vorortschlössern beschränken. Da die Arbeitsgruppe in Riga zugleich einen Bericht Ponomarevs über den Angriff vom 5. Juni erhielt, bat HAG-Leiter Wunder umgehend Dietrich Roskamp, zur „Bergung der Novgoroder Kunstschätze“ in den Norden zu kommen.471 Die Besatzer versuchten nicht, die Schäden zu beheben. Nur notdürftig schlossen sie zugängliche Einschusslöcher. Dann wurden die Ikonostasen abgebaut und alle Ikonen vorläufig in der unteren Sakristei in der Südwestecke der Kathedrale untergebracht. Alle anderen Gegenstände wurden in den Hohlräumen unter der Treppe des Turms versteckt. Die Fresken des heiligen Konstantin und seiner Mutter, der heiligen Helena, sowie das steinerne AlekseevKreuz aus dem 14. Jahrhundert erhielten eine Schutzummantelung aus Backstein.472 Erst nach dem Angriff wurden konkrete Schritte unternommen, um den Abtransport der beweglichen Kunstgüter zu organisieren. Auch Karlheinz Esser, nunmehr Leiter des ERR-Sonderstabs Bildende Kunst im Baltikum, versuchte, erneut eine Reise nach Novgorod zu organisieren; zur Unterstützung forderte er Roskamp an, der zu dieser Zeit in der Ukraine eingesetzt war.473 Ob dieser daraufhin zur Unterstützung der HAG Ostland abgestellt wurde, ist aus den Unterlagen des ERR nicht zweifelsfrei zu klären. Fest steht jedoch, dass die Bemühungen der HAG Ostland um die Novgoroder Schätze zunächst vergeblich waren. Im Juni bemühten sie sich um eine Übereinkunft mit Solms und boten ihre Hilfe bei der Bearbeitung sowie dem Abtransport der Novgoroder Kulturgüter an. Zu diesem Zeitpunkt stand bereits fest, dass Solms die Verantwortung für die Kunstschätze, anders als für die Bibliotheken und Archive, nicht an den Einsatzstab abgeben würde. Da das besetzte Gebiet unter militärischer Verwaltung blieb, hatte der ERR keine Wahl, als seine Aktivitäten mit dem Oberkommando der Heeresgruppe abzustimmen. Der Zugang zu den Kunstgütern blieb dem ERR verwehrt, weil, wie Karlheinz Esser berichtete, General Georg von Küchler „persönlich größtes Interesse an kulturellen Schutzmaßnahmen, besonders am Kunstschutz des Grafen Solms“ habe und „über die Tätigkeit aller Kommandos in seinem Gebiet unterrichtet zu sein“ wünsche.474

470 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 564. 471 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 537. 472 Ponomarev 2006, S. 243. 473 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 317. 474 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 149, l. 288.

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Abb. 84  Eines der kostbarsten Objekte, das die deutschen Besatzer aus Novgorod fortbrachten, war die 2,36 auf 1,47 Meter große byzantinische Ikone der heiligen Petrus und Paulus aus der Sophienkathedrale. Auf der Fotografie Eugen Finks ist auch der silberne Beschlag (oklad) zu erkennen.

Ende Juni reiste Esser nach Pskov, um Solms nach Novgorod zu begleiten. Dieser hielt Esser einige Tage hin und fuhr schließlich am 27. Juni ohne ihn ab.475 Am 1. Juli erreichte Werner Körte die Nachricht, dass er zum Kunstschutz nach Pskov kommandiert war.476 In den ersten Julitagen ließ Solms die in der Sophienkathedrale verbliebenen Ikonen aus den Sammlungen des Museums für altrussische Kunst sowie aus den Kirchen Novgorods und seiner Umgebung, ferner alle Ikonen aus der Hauptikonostasis der Sophienkathedrale sowie aus den Ikonostasen der Mariä-Geburt-Kapelle, der Peter-und-Paul-Kirche, der Mariä-Geburt-Kathedrale des Antoniusklosters und der Apostel-Philippus-Kirche nach Pskov bringen. Aus den Ikonostasen der Nikolauskathedrale im Jaroslavhof und aus der Christi-Verklärungs-Kirche auf der 475 Bericht Karlheinz Essers über die Sondierung seiner Arbeitsmöglichkeiten in Pskov und Novgorod. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, l. 450–456, hier l. 455 f. 476 Werner Körte, Tagebucheintrag vom 1.7.1942, Tagebuch 1942, Privatarchiv Arnold Körte.

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Iľin-Straße wurden nur einige wenige Ikonen geborgen. Vor dem Abbau wurden die Ikonostasen fotografiert. Außer den Ikonen wurden aus der Sophienkathedrale der Bischofs- und der Zarenthron, zwei mosaizierte Platten und einige archäologische Objekte, geschnitzte Kreuze – darunter das berühmte wundertätige Kreuz aus dem Jahr 1548, das Ljudogoščin-Kreuz von 1359, ein Straßenkreuz, das seinen Namen von seinem Standort hat – und einige hölzerne Statuen abtransportiert, darunter eine geschnitzte Figur der heiligen Märtyrerin Paraskjeva ­Pjatnica, ein Christus im Kerker und einige kleine Gottesfiguren, die dort im Rahmen der Sicherungsmaßnahmen untergebracht worden waren. Einige Ikonen wurden in der unteren Sakristei der Kathedrale zurückgelassen. Dorthin brachten die Kunsthistoriker und Restauratoren auch den Sarkophag mit den sterblichen Überresten des heiligen Bischofs Nikita. Die Beschläge und einige andere Objekte aus Metall blieben in ihren Verstecken unter der Treppe. Die ausführlichste Beschreibung der Bergungsaktion stammt von Ponomarev. Auch wenn er den Bericht aus der Erinnerung verfasste, darf er doch als zuverlässig gelten, denn Ponomarev hatte nach dem Abzug der sowjetischen Truppen nicht nur de facto die Verantwortung für die Novgoroder Kunstschätze übernommen, sondern war auch der Einzige, der den Bestand genau kannte. Objektlisten sind von ihm nicht überliefert. Als der Abtransport im Juli vorbereitet wurde, blieb dafür vermutlich kaum Zeit; Ponomarev sollte das gemeinsam mit Werner Körte in Pskov nachholen. Es ist davon auszugehen, dass die dortige Inventarisierung mit dem Bestand des Abtransports übereinstimmt, denn Ponomarev berichtet nirgends von Transportverlusten. Für die Objekte, die in Novgorod zurückblieben sind, fehlt dagegen jede Dokumentation. Da der sowjetische Artilleriebeschuss unvermindert anhielt und vor allem dann einsetzte, wenn in der Stadt Bewegungen sichtbar waren, erfolgte der Abtransport bei Nacht. An mehreren aufeinanderfolgenden Tagen fuhren bei Einbruch der Dunkelheit Waggons in die Nähe der Stadt. Auf Holzvergaser-LKW (Benzin war in Novgorod nicht zu bekommen) wurden die Kunstwerke zur Bahnstation gebracht und dort von Kriegsgefangenen verladen. Den Abbau leitete Solms persönlich, vermutlich mit Unterstützung von Axel Sponholz. Angesichts der schwierigen Bedingungen verzichtete Solms darauf, Archivalien abtransportieren zu lassen477, aber er ließ auch die Menschen fortbringen, die sich darum bemüht hatten, sie zu bewahren: Vasilij Ponomarev und, möglicherweise auf dessen Betreiben hin, die Schwestern Taťjana und Nataľja Gippius. Zwischen Spätherbst 1941 und Sommer 1942 dokumentierte Eugen Fink die beschädigten Novgoroder Kirchen, allerdings sind die Ergebnisse seiner Arbeit nur fragmentarisch erhalten.478 Besondere Aufmerksamkeit widmete er offenbar der Handelsseite; so ist eine Aufnahme der noch einigermaßen intakten Kirche der Heiligen Boris und Gleb in Plotniki überliefert. Wie die Vegetation und der Zustand des Gebäudes nahelegen, ist sie wahrscheinlich bereits im Herbst 1941 entstanden. Außerdem sind Aufnahmen der Fresken in der Kirche der Geburt der Gottesmutter im Antoniuskloster und in der Kirche des heiligen Theodor

477 Vermerk von Staatsarchivrat Mommsen über seine Dienstreise nach Pleskau und Dorpat vom 18.–22.8.1942. BArch, R 90/173, o. Fol. 478 Bildarchiv Foto Marburg, Bildband Novgorod, Negative Nr. 187 382, 187 378.

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Abb. 85  Der Fotograf Eugen Fink dokumentierte – vermutlich im Auftrag des militärischen Kunstschutzes – den Zustand der Novgoroder Kirchen. Besondere Aufmerksamkeit widmete er den Kirchen auf der Handelsseite, wie hier der zwar beschädigten, aber noch weitgehend intakten Boris-und-Gleb Kirche in Plotniki.

Stratilat „am Bach“ erhalten, die ebenfalls noch ohne sichtbare größere Schäden waren.479 Dagegen zeigt ein Foto der Nordostseite der Kathedrale der Erscheinung der Gottesmutter die schwer getroffene Fassade mit den zerstörten Fenstern und die zerstörte Hauptkuppel. Die Innenaufnahmen konzentrieren sich ganz auf den reichen Freskenschmuck und lassen darüber den Zustand des Gebäudes vergessen.480 Der Blick auf die gegenüberliegende ChristiVerklärungs-Kirche an der Iľin-Straße belegt zudem neben den Schäden am Kirchengebäude den Zustand des südlichen Teils der Handelsseite, von dem außer Ruinen nichts mehr geblieben war.481 Einige Fotos zeigen den Innenraum der Sophienkathedrale, beim Blick in die Kuppel ist das Loch, das der erste Artillerietreffer verursacht hatte, deutlich sichtbar.482 Die Apsis ist von Schutt befreit, was eine Datierung der Aufnahme ins Frühjahr 1942 nahelegt, nachdem die Aufräumarbeiten vorläufig abgeschlossen waren. Am 5. Juli, das heißt nicht einmal eine Woche nach seiner Kommandierung, nahm Werner Körte die Ikonen und alle archäologischen Objekte in Pskov in Empfang. Unter seiner 479 Bildarchiv Foto Marburg, Bildband Novgorod, Negative Nr. 187 398, 187 388, 187 387, 187 389, 187 390–187 392. 480 Bildarchiv Foto Marburg, Bildband Novgorod, Negative Nr. 187 380 und 187 380 a. 481 Bildarchiv Foto Marburg, Bildband Novgorod, Negativ Nr. 187 397. 482 Bildarchiv Foto Marburg, Bildband Novgorod, Negative Nr. 187 384–187 386.

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Die Museen im Krieg

Abb. 86  Fink hielt auch den Zustand der Innenräume der Novgoroder Kirchen fest, hier die Fresken der Kirche des heiligen Theodor Stratilates am Bach.

Leitung wurden sie, wiederum mit der Hilfe von Kriegsgefangenen, in das Ikonendepot des Museums in der Uspenskaja-Paramenskaja-Kirche gebracht.483 Bis zum 24. Juli katalogisierte Körte die Ikonen484, doch lassen sich die Ergebnisse seiner Arbeit nicht ausfindig machen. Einzelne Stücke scheinen Körte so sehr fasziniert zu haben, dass er sie auch für seine eigenen Unterlagen genau dokumentierte. Besonders gründlich tat er dies für die kunstvollen Schnitzereien des großen Ljudogoščin-Kreuzes, von dem er sogar eine Skizze anfertigte.485 Auch unter den Aufnahmen Finks ist eine Detailaufnahme des Kreuzes überliefert.486 483 Werner Körte, Tagebucheinträge vom 5. und 6.7.1942, Tagebuch 1942, Privatarchiv Arnold Körte; siehe den Bericht Ponomarevs: Ponomarev 2006, S. 244. 484 Werner Körte, Tagebucheintrag vom 24.7.1942, Tagebuch 1942, Privatarchiv Arnold Körte. 485 Skizze auf Seidenpapier, Privatarchiv Arnold Körte. 486 Bildarchiv Foto Marburg, Bildband Novgorod, Negative Nr. 187 248 und 187 533.

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Abb. 87  Die Kirche der Gottesmutter des Zeichens auf der Handelsseite war 1942 bereits schwer beschädigt. Das Foto zeigt die Ansicht von Nordosten, der Fotograf wollte also die Schäden dokumentieren, die aufgrund des Beschusses durch die russische Artillerie entstanden waren.

Abb. 88  Auf Finks Aufnahme der Christi-Verklärungskirche sind die Schäden auf der Ostseite des Daches gut sichtbar. Die Kirche beherbergt Fresken des Ikonenmalers Feofan Grek aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts.

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Die Museen im Krieg

Unterstützung bekam Körte von einer kleinen Gruppe russischer Helfer: Zwei Kriegsgefangene mussten die Ikonen bei Bedarf heben und tragen; bei der wissenschaftlichen Bearbeitung halfen drei Personen, „die als lebendes Inventar aus dem Nowgoroder Museum mit hergebracht worden sind“, wie Körte in einem Brief an seine Frau schrieb.487 Er schilderte sie als „zwei verhutzelte alte Weiblein und ein jüngerer Mann, die [...] in rührender Treue an ihren alten Bildern hängen; die eine der Frauen spricht vorzüglich Deutsch, die andere war bis 1917 Ikonenrestauratorin an der Eremitage und der Mann ist so eine Art von christlichem Archäologen, der sich in den Novgoroder Beständen vorzüglich auskennt“: Ponomarev und die Schwestern Gippius.488 Demnach arbeiteten auch Letztere zumindest für die kurze Zeit von Körtes Anwesenheit in Pskov für den militärischen Kunstschutz.489

Nachlese Im November 1942 transportierte die Gruppe Künsberg nochmals größere Buch- und Archivbestände aus Novgorod ab, von denen ein Teil für das Auswärtige Amt bestimmt war und ein Teil der HAG Ostland, namentlich Staatsarchivrat Mommsen übergeben wurde. Damit war die „Nowgoroder Arbeit“ aus Sicht der Gruppe Künsberg abgeschlossen.490 Danach ist nur noch ein Transport belegt: Im August 1943 wurde eine Abordnung des 1. Armee-Nachrichtenregiments 501 nach Novgorod geschickt, um „historisch wertvolle Gemälde“, das restliche liturgische Gerät und die fünf bronzenen Kronleuchter aus der Sophienkathedrale zu bergen.491 Wie so oft ist der Bericht zu dieser Aktion durch einen Zufall überliefert: Der Regimentskommandeur Walter Woitun hatte eine Kopie in seiner Handakte abgelegt und diese nach dem Krieg bei seinen privaten Unterlagen aufbewahrt.492 Die siebenköpfige Gruppe kam am 16. August nach Novgorod493, quartierte sich im Kremľ ein und begann am nächsten Tag mit der Arbeit. Vier der Leuchter waren noch gut erhalten, der größte war durch Artilleriebeschuss schwer beschädigt worden. Der Autor des Berichts beschrieb aus-

487 Werner Körte, Brief an seine Frau Elisabeth vom 19.7.1942, Privatarchiv Arnold Körte. 488 Werner Körte, Brief an seine Frau Elisabeth vom 19.7.1942, Privatarchiv Arnold Körte. 489 Im Verhör durch den NKVD nannte Nataľja Gippius zwar den Namen Ponomarevs, sagte aber nichts über ihre gemeinsame Tätigkeit. Kovalev 2009, S. 236. 490 PA – AA, R– 27557 (Sonderkommando Künsberg, o. Fol.) 491 Die Propagandakompanie 501 war eine Einheit der 16. Armee und 1941–1944 in Nordwestrussland, 1941 und 1943 zeitweise direkt in Novgorod, 1942 südöstlich des Ilmensees zwischen Staraja Russa und Demjansk stationiert. Daraus ergibt sich also kein Anhaltspunkt, ob die Bergung der Leuchter 1943 oder vielleicht doch 1942 stattfand; denkbar ist eine Datierung auf 1942 als Abschluss der von Solms eingeleiteten Bergungsaktion. 492 BArch, RH-44/384. 493 Der Bericht selbst datiert vom August 1943, doch ist er rückblickend geschrieben und die Beschreibung des Auftrags deutet eher auf eine Aktion direkt im Anschluss an die Bergung der Novgoroder Kulturgüter durch Solms im Juli 1942 hin. Allerdings berichtete Ponomarev, bei der Aktion seien Objekte in der Sophienkathedrale zurückgelassen worden; möglicherweise wurden diese tatsächlich erst später  – gewissermaßen in letzter Minute – aus der Stadt gebracht.

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führlich, dass zunächst ein Flaschenzug konstruiert werden musste, mit dem dann der erste Leuchter heruntergelassen wurde. Offenbar agierte die Gruppe zwar ohne die Aufsicht eines Fachmanns, jedoch in enger Abstimmung mit ihrem nicht genannten Auftraggeber, denn nach der Abnahme des ersten Leuchters erfolgte eine telefonische Anweisung, diesen zu zerlegen und zu verpacken, bevor der nächste Leuchter abgenommen würde. So ordneten die Soldaten zunächst die Teile des abgenommenen Leuchters und bewundern die kunstvolle Ausführung der vor Jahrhunderten in Nürnberg gegossenen Verzierungen, denen in mühevoller Handarbeit gefällige Form und harmonisches Aussehen gegeben wurde, ein Meisterwerk mittelalterlicher deutscher Handwerkskunst, ein Überbleibsel vergangener Pracht der Hansestadt Nowgorod.494

Ob der Autor diese Details aus eigener Kenntnis des spürbar außergewöhnlichen Einsatzes notierte, muss offenbleiben, sie zeigen jedoch, wie die deutschen Besatzer die Kunst- und Kulturgüter in Nordwestrussland wahrnahmen. Der Passus erklärt auch, warum die Truppenführung die Bergung noch veranlasste: um „deutsches Kulturgut“ zu retten. Die Aktion war zudem ein wichtiges Thema für die deutsche Propaganda. So ist zu erklären, warum am nächsten Arbeitstag überraschend „der Herr Abteilungskommandeur mit einem Sonderführer der Prop[aganda]-Kompanie [kam], um diesen Leuchter in der alten Umgebung und einige gefährliche Momente während der Bergung fotografisch festzuhalten“. Es ging um eine Dokumentation der originalen Situation des Objekts, aber zugleich um Aufnahmen einer dramatischen Rettungsaktion.495 Mit Blick auf die deutsche Selbstwahrnehmung ist auch der nächste Absatz des Berichts interessant, in dem es heißt, die Kathedrale „diente während der Sowjetherrschaft als antireligiöses Museum und steht heute unter Denkmalschutz der deutschen Wehrmacht“496. Nachdem die Leuchter verpackt waren, wurde noch der Abtransport der „wertvollsten Stücke des übrigen Kirchengeräts, das in wirrem Durcheinander auf einem Haufen lag“, verfügt. Den Soldaten sagte man, dass diese Stücke restauriert und anschließend in die wieder eröffneten Kirchen des rückwärtigen Heeresgebiets gebracht würden.497 Diese Bergung war die letzte Maßnahme zur „Sicherstellung“ von Kunstwerken aus Novgorod, die in den Akten dokumentiert ist. Vermutlich ließ der Kriegsverlauf keine weiteren Aktionen zu, und die verantwortlichen Dienststellen hatten die aus ihrer Sicht bedeutenden 494 BArch, RH-44/384. Die zahlreichen kleinen Heiligenfiguren, welche die Leuchter schmückten, waren unter den Soldaten ein beliebtes Souvenir, und eine ganze Reihe waren vor der Bergung abgebrochen worden. Vereinzelt sind sie inzwischen von den Nachbesitzern nach Novgorod zurückgegeben worden. Für die Information danken wir Julija Komarova, Kustodin für altrussische Kunst an den Staatlichen Museen Novgorod. 495 Die Fotos selbst ließen sich weder im Bestand der Propagandafotografie im Bildarchiv des Bundesarchivs noch bei den im Bildarchiv Foto Marburg verwahrten Fotos ausfindig machen, die Eugen Fink im Auftrag der Arbeitsgruppe Sammeloffizier aufgenommen hatte, so dass offen bleiben muss, wer der Fotograf war. Der Bericht zeigt aber, dass auch viele fotografische Dokumente verloren gegangen sind. 496 BArch, RH-44/384. 497 BArch, RH-44/384.

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Die Museen im Krieg

Abb. 89  1944 war Novgorod zu großen Teilen verwüstet, kein Gebäude war unbeschädigt, manche der äußeren Stadtteile waren buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht.

Kulturgüter in ihren Händen. In Pskov wurden sie von Werner Körte katalogisiert498, und Vasilij Ponomarev verzeichnete die Ikonen in einer Kartei, in der er unter anderem ihre jeweilige Herkunftskirche vermerkte. Die Ikonen selbst erhielten entsprechende Kennzeichnungen auf der Rückseite.499 Keines der in Pskov angefertigten Verzeichnisse ist überliefert. Am 20. Januar 1944 eroberte die Rote Armee das völlig zerstörte Novgorod. Die Kommandos für Minenentschärfung standen vor der lebensgefährlichen Aufgabe, Munitionsdepots, Sprengsätze und Minen aller Art zu entschärfen, welche die Sophienkathedrale und andere Reste von Baudenkmälern hätten zerstören können. Unter den demontierten Figuren des Denkmals „Das Tausendjährige Russland“, die verstreut im Kremľ im Schnee lagen, waren Minen angebracht, die bei unsachgemäßer Verlagerung explodiert wären. Umgehend setzte die Suche nach den berühmten Glocken ein. Tatsächlich gelang es, einige zu finden.500 Nach der Rückkehr der ersten Museumsleute, taten sich besonders Tamara Konstantinova und Boris Mantejfeľ bei der Suche nach verlorenem Inventar hervor. 40 Museumsobjekte, hauptsächlich kirchliches Inventar, kamen (vermutlich) aus Litauen zurück.501 498 Werner Körte, Tagebucheinträge vom Juli 1942, Privatarchiv Arnold Körte. 499 Bericht von Dietrich Roskamp: CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, l. 724. 500 Vgl. A. N. Odinokov, Novgorodskij kolokoľnyj uzel, http://www.proza.ru/2013/05/05/1432. 501 Archiv der Novgoroder Staatlichen Vereinigten Museen, Nr. 37602.

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Pskov: Bollwerk gegen Angreifer aus dem Westen Auch Pskov war eine bedeutende Drehscheibe des mittelalterlichen Handels, vor allem zwischen der Hanse und russischen Kaufleuten. Wie Novgorod blieb der selbstständigen Republik die Beherrschung durch die Mongolen erspart, doch musste sie sich immer wieder gegen Vorstöße aus dem Westen – durch Polen-Litauen und den Deutschen Orden – behaupten. Die besondere Lage östlich des Peipussees und am Zusammenfluss der Flüsse Velikaja und Pskova erwies sich dabei als Schutz. Nur einmal, 1240, konnten Ritter des Deutschen Ordens die Stadt erobern. Von westlichen Angreifern – deutschen Truppen – wurde sie danach erst 1918, am Ende des Ersten Weltkriegs, erneut besetzt. 1510 musste sich Pskov jedoch, wie zuvor Novgorod, den Moskauer Großfürsten unterordnen. Obwohl Peter der Große Pskov im 18. Jahrhundert zur Festung ausbauen ließ, verlor es seine strategische und wirtschaftliche Bedeutung sukzessive an das neugegründete St. Petersburg. Wie in Novgorod blieb dadurch aber ein großer Teil der mittelalterlichen Kirchen und Klöster erhalten. Auch deren Ausstattung konnte vielfach bewahrt werden, die Bestände an Ikonen in den Gotteshäusern und später in den Museen galten als einzigartig. Trotz der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg ist das Stadtbild bis heute von den mittelalterlichen Bauten, dem Kreml’ und der hoch aufragenden Dreifaltigkeitskathedrale, geprägt.

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Die Museen im Krieg

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Pskov – Hauptquartier mit zivilem Leben Eroberung und Übergang zum Besatzungsalltag

Als die UdSSR in den 1930er Jahren die Festungsanlagen an ihrer Westgrenze ausbaute, gehörte der wichtige Verkehrsknotenpunkt Pskov zu den ersten Orten, die Vollzug melden konnten. Nach der Annexion der baltischen Staaten 1940 wurden die Verteidigungsanlagen dann teilweise abgebaut, aber nach dem deutschen Überfall arbeiteten 9.500 Soldaten und 25.000 Zivilisten mit Hochdruck daran, neue Anlagen zu errichten. Die Verteidigung der Stadt lag zunächst nur bei der dort stationierten 39. Jagdfliegerdivision, erst am 30. Juni wurden hier Reserveregimenter zusammengezogen. Trotz ihrer verzweifelten Gegenwehr wurde schnell deutlich, dass sie den deutschen Truppen nichts entgegenzusetzen hatten. Am 3. Juli fiel der Entschluss, Pskov aufzugeben.502 Dass am 8. Juli alle Autobrücken über die Velikaja gesprengt wurden, verzögerte die vollständige Eroberung nur unwesentlich, denn inzwischen waren deutsche Truppen von Norden und Osten bis an die Stadt vorgerückt. Um nicht eingekesselt zu werden, zogen sich die sowjetischen Einheiten am 9. Juli zurück.503 Zuvor war noch versucht worden, Geldreserven, Industrieanlagen, Maschinen, Lebensmittel und etwa drei Viertel der Bevölkerung, immerhin 45.000 Menschen, sowie die wertvollsten Kulturgüter per Bahn nach Osten zu evakuieren.504 Vom 8./9. Juli an begannen deutsche Truppen von Westen her die Stadt zu besetzen. Nach dem Bericht einer am 11. Juli einrückenden Einheit der 1. Infanterie-Division lag ein Drittel Pskovs in Trümmern, drei der sieben Kirchen waren zerstört, die übrigen vier in Magazine umgewandelt, in denen unter anderem die Lebensmittelreserven der Stadt lagerten.505 Da Pskov schon rund drei Wochen nach Kriegsbeginn besetzt wurde, konnten die Museen kaum Evakuierungsmaßnahmen treffen. Wie in Novgorod war auch hier der Museumsbetrieb bis zur letzten Minute aufrechterhalten worden, zum einen um Panik in der Bevölkerung zu vermeiden, zum anderen um den in der Stadt stationierten Truppen ein Angebot für die dienstfreie Zeit machen zu können. Deshalb mussten die meisten Sammlungen zurückgelassen werden. Evakuiert wurde nur ein kleiner Teil, vorrangig Objekte aus Edelmetall. Da die Exponate der Ausstellungen am schnellsten greifbar waren und wohl eine repräsentative Auswahl darstellten, wurden auch sie in Sicherheit gebracht. Die Wehrmacht machte Pskov zum Hauptstützpunkt für die Belagerung Leningrads. Hier befand sich das Hauptquartier der Heeresgruppe Nord, zudem war die Stadt zeitweise 502 Zur Verteidigung im Sommer 1941 gibt einen knappen Überblick R. A. Badikov, Oborona Pskovskogo ukreplennogo rajona (1941g.): postanovka problemy, in: Novejšaja istorija Rossii (2013), H. 2, S. 42–47. 503 L. N. Makeenko, Pskov v gody Velikoj Otečestvennoj Vojny, in: Natan F. Levin (Hrsg.), Pskov – gorod voinskoj slavy, Staťi i dokumenty, Pskov 2010, S. 377–389, hier S. 379 f. 504 Dieter Bach/Swetlana Chastschenko/Natalija Tkatschowa, Pskov im Großen Vaterländischen Krieg, in: Dieter Bach/Wladlen Smirnow (Hrsg.), Deutsche Spuren in einer russischen Stadt. Pskov – Vom Deutschen Orden bis zu den Partnerschaften von heute, Wuppertal 1997, S. 95–144, hier S. 95. 505 BArch – Militärarchiv, RH 26-1/104, Bl. 17–21, hier Bl. 19.

Pskov – Hauptquartier mit zivilem Leben

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Pskov mit den wichtigsten Kirchen und Klöstern

N

S



Dreifaltigkeits- † kathedrale

Glockenturm

† Pskov

a



Kremľ

Velikaja

Mariä-Entschlafenskirche „an der Fähre“

Pogankinhaus

M

iro

žk

o

Mirož-Kloster †

Bahnhof Festungsmauer und Türme Sonstige Kirchen 0

200

400

600

800

1000 m

Sitz des Stabs der 18. Armee, ferner Standort von Kampffliegern und Nachschubstaffeln, des Feldeisenbahnkommandos 4, der Wirtschaftsinspektion Nord sowie anderer NS-Organisationen. Die Einsatzgruppe A des SD hatte hier vorübergehend ihre Hauptstelle, die Organisation Todt baute ihre Barracken innerhalb der Kremľmauer. Zeitweise befanden sich bis zu 70.000 Soldaten und Mitarbeiter von NS-Organisationen in der Stadt. Die Zahl der russischen

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Die Museen im Krieg

Abb. 90  Der Blick über den Fluss Velikaja auf die imposante Dreifaltigkeitskathedrale hinter der Kremľmauer lässt bis heute niemanden unbeeindruckt. Bei den deutschen Besatzern war er ein äußerst beliebtes Fotomotiv.

Abb. 91  Der Blick vom Kremľ auf das andere Flussufer bildet ein Gegenstück zur vorherigen Ansicht der Kathedrale.

Pskov – Hauptquartier mit zivilem Leben

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Abb. 92  Noch ein Jahr nach der Eroberung Pskovs waren sowjetische Kriegsgefangene damit beschäftigt, die dabei entstandenen Schäden an Gebäuden und Straßen zu beheben. Im Hintergrund sind Straßen- und Hinweisschilder zu erkennen.

Einwohner wuchs im Laufe der Zeit wieder auf rund 30.000 an, so dass die Gesamteinwohnerzahl bis zu zwei Drittel höher war als vor dem Krieg.506 Unter den ersten Deutschen, welche die zurückgebliebenen Archivalien, Bücher und anderen Kulturgüter beschlagnahmten, war die Einsatzgruppe A des SD.507 Sie bemächtigte sich der wenigen verbliebenen Akten des NKVD 508 sowie der Bücher und Akten aus dem Haus der Sowjets, einem Verwaltungs- und Schulgebäude aus dem 19. Jahrhundert, in dem seit Mitte der 1920er Jahre das Gebietskomitee der KP untergebracht war, und des 506 Bach/Chastschenko/Tkatschowa 1997, S. 98. 507 Zu den Einsatzgruppen siehe Kap. II.3: Konkurrenz durch Auswärtiges Amt und SS. 508 Ereignismeldung 28 vom 20.7.1941, in: Klaus-Michael Mallmann/Andrej Angrick/Jürgen Matthäus/Martin Küppers (Hrsg.), Die „Ereignismeldungen UdSSR“ 1941. Dokumente der Einsatzgruppen in der Sowjetunion I, Darmstadt 2011, S. 153.

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Die Museen im Krieg

Abb. 93  Der Fotograf war offensichtlich bemüht, mit seiner Fotoserie vom Oktober 1942 ein Bild vom Leben in der russischen Stadt einzufangen. Hinter den kriegsgefangenen Straßenarbeitern ist die Altstadt zu erkennen.

Propagandamaterials aus der antireligiösen Ausstellung in der Dreifaltigkeitskathedrale. Bücher und Akten wurden nach Reval gebracht, das Propagandamaterial übergab die Einsatzgruppe der Feldkommandantur509, die auch die übrigen städtischen Sammlungen übernahm, darunter angeblich 600 bis 700 Ikonen, die ursprünglich aus den Kirchen der Stadt und des Gouvernements stammten, etliche liturgische Gewänder und die wundertätige Ikone des Großfürsten Vsevolod. Zurückgeblieben waren ferner die Ikonostasis der Dreifaltigkeitskathedrale als Teil der antireligiösen Ausstellung sowie der Sarkophag mit den sterblichen Überresten des Fürsten Vsevolod, eines der Stadtpatrone von Pskov.510 Zu diesem Zeitpunkt hatten deutsche Soldaten aber schon geplündert. Manches war auch sinnlos zerstört worden, wie Mitarbeiter des ERR später berichteten.511 Vermutlich fiel damals eines der wichtigsten Heiligtümer von Pskov, die Mariä-Schutz-Ikone, in deutsche Hände. Um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert gemalt, zeigt sie die wundersame Erscheinung der Gottesmutter während der Belagerung Pskovs durch eine polnische Armee (1581). Die Ikone ist nicht nur ein bedeutendes Werk der kirchlichen Kunst, sondern gibt ein so genaues Bild der Stadtanlage, dass nach dem Krieg alte Fotografien von ihr für den

509 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 216. 510 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 219. 511 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 217.

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Abb. 94  Hier nahm der Fotograf die Dreifaltigkeitskathedrale mit ins Bild. Typisch für die besetzten Städte waren die zahllosen Hinweisschilder, die im Hintergrund zu sehen sind.

Abb. 95  Auf dem Markt kamen die deutschen Soldaten mit der Pskover Zivilbevölkerung in Kontakt, die sich mit dem Leben in einer besetzten Stadt weit im Hinterland der Front arrangieren musste (Aufnahme von 1941).

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Wiederaufbau mancher zerstörten Gebäude herangezogen wurden. 1942 von Angehörigen der Wehrmacht entwendet, galt sie als verschollen, bis sie 1970 in einer Ausstellung in München als deutscher Privatbesitz auftauchte. Wie sie nach Bayern gelangt war, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Die damalige Besitzerin sagte, ihr Mann habe die Ikone in den 1950er Jahren auf einem Flohmarkt gekauft. In den 1970er Jahren zeigten die sowjetischen Behörden jedoch kein Interesse. Das änderte sich erst 1998, als Wolfgang Eichwede im russischen Kulturministerium auf den Katalog von 1970 hingewiesen wurde. In langen Gesprächen versuchte er die mittlerweile über 90-jährige Dame – die sich von der Ikone nicht trennen wollte, weil sie sich von ihr beschützt fühlte – vom Sinn einer Rückgabe zu überzeugen. Erst der von Eichwede hinzugezogene Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien vermochte die Berchtesgadenerin – wohl auch mit Hilfe einer Entschädigung – umzustimmen. Heute befindet sich die Ikone wieder in der Dreifaltigkeitskathedrale.512 Der erste deutsche Feldkommandant in Pleskau, wie die Stadt von den Besatzern mit ihrem alten deutschen Namen genannt wurde, war Oberst Bolongaro-Crevenna. Er begann unmittelbar nach der Einnahme mit dem Aufbau einer russischen Stadtverwaltung, die beispielsweise die Versorgung der einheimischen Bevölkerung mit Lebensmitteln, die Arbeit der Gerichte, Schulen, Krankenhäuser und Feuerwehren organisieren sollte.513 Als Bürgermeister setzte Bolongaro-Crevenna einen russischen Zivilisten namens Vasilij Čerepenkin ein. Dessen Sohn Leonid, ein 19-jähriger Abiturient, half zusammen mit einem weiteren jungen Russen, Georgij V. Pomelenko, bei den Aufräumarbeiten in den Museen. Zum Leiter der Städtischen Volksbildungsabteilung wurde der Gymnasiallehrer Semjon N. Bogoljubov ernannt, und ein in der Stadt ansässiger Bildhauer namens Sobakin eröffnete eine russische Kunstschule, die alsbald regen Zulauf hatte.514 Zu seinem deutschen Kulturreferenten ernannte Bolongaro-Crevenna den Frankfurter Postbeamten Lothar de Bary. De Bary war auch für das Kunstmuseum zuständig, das sich in einem mittelalterlichen Kaufmannshof, dem sogenannten Pogankinhaus 515, befand und das Ernstotto Graf zu Solms-Laubach wohl bald nach der Besetzung der Stadt wieder in Betrieb nahm. Vermutlich war das eine pragmatische Reaktion auf die Situation vor Ort: Die zurückgebliebenen Teile der Sammlungen waren auf verschiedene Depots verteilt, die Ausstellungsräume dagegen nach der sowjetischen Evakuierung leergeräumt. Die Eröffnung des Museums ist ein Hinweis darauf, wie schnell Pskov zum Hinterland der Front wurde und deshalb für die Soldaten Freizeitangebote bereitzuhalten hatte. Solms verstand das zu seinem Vorteil zu nutzen; möglicherweise waren seine Aktivitäten in Pskov der eigentliche Anlass dafür, dass er im

512 Vgl. Einleitung; zur Geschichte der Ikone und ihrer Rückkehr zuletzt Natalja M. Tkatschowa, Die Heimkehr, in: Arsprototo. Das Magazin der Kulturstiftung der Länder, (2014) H.4, S. 42 f. 513 Kovalev 2009, S. 129 f. Zu den Aufgaben von Feldkommandanturen vgl. Kap. II.5: Aktiv im „Kunstschutz“. 514 CDAVO, f. 3676, op.  1, d. 127, l. 225; Carl Engel notierte Ende November, Sobakin habe 40 Schüler. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 215. 515 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 225.

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Oktober 1941 mit der Bergung und dem Abtransport der Kulturgüter aus den Vorortschlössern beauftragt wurde. Da er jedoch bei einem Autounfall schwer verletzt wurde und den Winter über nicht einsatzfähig war516, bemühten sich zunächst Mitarbeiter des ERR, die Verantwortung für die russischen Kulturgüter im Bereich der Heeresgruppe Nord in ihre Hände zu bekommen.

Berichte über die Kunstgüter Pskovs Zur Situation der Museen im Oktober/November 1941 liegen mehrere Berichte deutscher Historiker, Archivare und Archäologen vor, die nacheinander durch Nordwestrussland reisten und auch in Pskov Station machten. Als Erste kamen vom 21. bis zum 25. Oktober der Leiter der Hauptarbeitsgruppe Ostland des ERR, Oberregierungsrat Griessdorf, der Greifswalder Prähistoriker und Archäologe Carl Engel sowie ein Schriftsteller namens Wilhelm Reichardt an.517 Sie zählten in ihrem Bericht zunächst die sieben Ausstellungsorte auf: das naturwissenschaftliche, das historische und das Kunstmuseum, ein „Museum des Sozialen [sic] Aufbaus“, zwei Revolutionsmuseen und die antireligiöse Ausstellung in der Dreifaltigkeitskathedrale. Große Teile der Museumsbestände seien „in etwa 10 Lastwagen“ evakuiert worden, „darunter Gemälde, Plastiken, Holzschnitzereien, wertvolle Münzen, Manuskripte usw.“; die entsprechenden Informationen stammten vermutlich von den russischen Mitarbeitern der Stadtverwaltung, möglicherweise von Bogoljubov, der sich als Stadtführer angeboten hatte.518 Es habe zwar Plünderungen gegeben, doch Graf Solms habe gemeinsam mit dem Feldkommandanten Oberst Bolongaro-Crevenna einen wesentlichen Bestand an Kunstgegenständen retten können; wie oben erwähnt waren sie im Pogankinhaus für die Öffentlichkeit zugänglich. Was dort nicht untergebracht werden konnte – Gemälde (darunter „auch kubistische und expressionistische“), Porzellan, kleine Ikonen, Skulpturen und Gewänder – war in einem nahegelegenen Lager deponiert worden. Auch die Bestände der dem Museum angeschlossenen Bibliothek waren großenteils noch vorhanden, allerdings hätten „die Bolschewisten wertvolle altgriechische Manuskripte fortgeschleppt“519. Aus dem Bericht spricht eine gewisse Enttäuschung. Das Vorgefundene entsprach offenbar nicht den Erwartungen, was zu der Annahme führte, die wertvollsten Bestände seien vor Einnahme

516 Bericht Georg von Krusenstjerns, CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 122, ll. 125–157, hier l. 125; vgl. außerdem Brief Harald Kellers an seine Ehefrau. 517 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 225 ff.; Carl Engel erwähnte die Reise und den Besuch in Pskov mit wenigen Stichworten in seinem Tagebuch; er war nur zwei Tage dort und kehrte am 23. Oktober über Tartu nach Riga zurück, während Griessdorf und Reichardt noch weiter nach Osten reisten. Günter Mangelsdorf (Hrsg.), Zwischen Greifswald und Riga, Auszüge aus den Tagebüchern des Greifswalder Rektors und Professors der Ur- und Frühgeschichte Dr. Carl Engel, vom 1. November 1938 bis 26. Juli 1945, Stuttgart 2007, S. 165 f. 518 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 215. 519 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 226.

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der Stadt fortgebracht worden. Der Bericht zeigt aber auch, dass die Dienstreisenden gut informiert waren und gezielt das Vorhandensein bestimmter Museumsobjekte, Bücher und Dokumente überprüften. Immerhin waren die Unterlagen des Stadtarchivs so interessant, dass Griessdorf die Feldkommandantur bat, man möge die Archivalien besser sichern, vor allem die Kirche, in der sie lagerten, verschließen und die Fenstergitter so weit nötig erneuern lassen. Die erforderliche Neuordnung müsse besonders zuverlässigem Personal übertragen werden.520 Den Kriegszerstörungen schenkte der Bericht kaum Aufmerksamkeit, Griessdorf, Engel und Reichardt scheinen sie nicht für nennenswert gehalten zu haben. Carl Engel schilderte vielmehr seinen ersten Eindruck von Pskov „im letzten Abendlicht: von der Notbrücke überwältigender Blick auf Kreml; zauberhafte Kirchen; Stadt echt russisch, schmutzig, verwahrlost, z. T. zerstört u. doch von scharmantem [sic!] russischen Reiz“.521 Notierenswert schien ferner der Schaden, den deutsche Soldaten an einem der historischen Gebäude der Stadt, dem Jachontovhaus, angerichtet hatten, als sie dort eine Autowerkstatt einrichteten und dafür die Türöffnungen verbreiterten, wobei sie einen Teil des Fassadenschmucks zerstörten.522 Am 11. November kam Staatsarchivrat Wolfgang Mommsen auf der Suche nach deutschen und lettischen Archivalien in die Stadt. Von Leonid Čerepenkin erfuhr er, dass das Museum eine bedeutende Manuskriptsammlung besessen hatte, die aber evakuiert worden war.523 Auch er beklagte die Verwüstung des Archivs durch deutsche Soldaten, seine Neuordnung werde aufwendig sein. Die von Griessdorf erbetene Sicherung des Gebäudes, in dem die Archivalien lagerten, war zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgt.

Bergung der Kirchenschätze aus Tichvin Aus den neueroberten Gebieten trafen immer mehr Kulturgüter in Pskov ein, so etwa aus Tichvin. Deutsche Einheiten hatten diese Stadt am 8. November erreicht524 – es war die östlichste Stadt, die Truppen der Heeresgruppe Nord im Kriegsverlauf einnahmen. Lange konnten sie sich nicht halten, schon am 9. Dezember gelang es sowjetischen Einheiten, Tichvin zurückzuerobern.525 In diesem einen Monat verpackten Angehörige einer Erkundungsstaffel der 16. Armee 64 Ikonen sowie liturgische Gegenstände aus der dortigen

520 Schreiben von Oberregierungsrat Griessdorf an den Feldkommandanten in Pleskau vom 15.11.1941, CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 48. 521 Mangelsdorf 2007, S. 165. 522 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 223. 523 Auszug aus dem Bericht des Staatsarchivrat Dr. Mommsen über seine Dienstreise nach Pleskau vom 11.11.– 13.11.1941, CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 208. 524 Schramm 1982, S. 750. 525 Ebd., S. 797.

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Klosterkirche, die nach der Revolution zu einem Museum umgewidmet worden war.526 Darunter befanden sich die von frommen Russen hochverehrte wundertätige Ikone der „Muttergottes von Tichvin“ aus dem Jahr 1326 sowie weitere neun Ikonen dieses Typos, das heißt mehr oder weniger detailgetreue Kopien. In der russisch-orthodoxen Ikonenfrömmigkeit können wundertätige Heiligenbilder selbst zu Heiligtümern werden. Ihnen wird dann dieselbe Verehrung zuteil wie kanonisierten Heiligen, was zur Herstellung weiterer Bilder anregt, so dass mit der Zeit viele mehr oder weniger ähnliche Ikonen des gleichen Typos existieren, die alle gleich bezeichnet werden, in diesem Fall „Muttergottes von Tichvin“. Entsprechend groß sind die Schwierigkeiten, das „Original“ zu identifizieren, was für die weitere Geschichte der Ikone noch bedeutsam werden sollte.527 Zum Zeitpunkt der Bergung war die Stadt heftig umkämpft und es gelang nicht, alle Objekte wie gewünscht in Sicherheit zu bringen. Die zurückgelassenen wurden zerstört, als das Museum nach einem sowjetischen Artillerietreffer vollständig ausbrannte.528 Die geborgenen Kunstgegenstände ließ das verantwortliche AOK im Dezember 1941 an das Wirtschaftskommando Pleskau übergeben, das sie zur Verwahrung an die Standortkommandantur weiterreichte.529 Die Wirtschaftskommandos waren der im Frühjahr 1941 aufgebauten Wirtschaftsinspektion Ost untergeordnet, einem wichtigen Teil der deutschen Besatzungsherrschaft, die in letzter Instanz Reichsmarschall Hermann Göring unterstand.530 Dieser hatte sich ursprünglich die „Verfügung über den weiteren Verbleib des Bildes“ vorbehalten.531 Schon der Bericht der verantwortlichen Einheit vom 30. November 1941 hatte betont, ohne den Abtransport wäre auch die „Muttergottes von Tichvin“ zerstört worden, und es wurde ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen, dass diese Rettung in letzter Minute gegenüber der russischen Bevölkerung ein wertvolles Propagandathema sein könne. Dieses Argument, das wahrscheinlich sowohl von Vertretern der Wehrmacht als auch seitens des Ostministeriums beziehungsweise des ERR vorgebracht wurde532, war offensichtlich überzeugend: Es dauerte nicht lange, bis die Rettung in letzter Minute tatsächlich zu Propagandazwecken genutzt wurde.533 Zu Beginn des Jahres 1942 befanden sich alle in Tichvin geborgenen Kunstgegenstände bei der Feldkommandantur in Pskov und waren, mit Ausnahme der Ikone der Muttergottes,

526 BArch – Militärarchiv, RH 22/289, Bl. 4. 527 Vgl. Kap. IV: Verwirrspiele um die Muttergottes von Tichvin. 528 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 72. 529 BArch – Militärarchiv, RH 22/289, Bl. 4. 530 Vgl. Bernhard R. Kroener/Rolf-Dieter Müller/Hans Umbreit: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 5/1: Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1939 bis 1941, Stuttgart 1988; Müller 1991. 531 BArch – Militärarchiv, RH 22/261, Bl. 103. 532 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 196. 533 Noch im Frühjahr 1944 wurde stolz auf die Rettung der Ikone verwiesen. Hermann Kindt, Begegnung mit dem Osten, in: „Deutsche Zeitung im Ostland“, 11.4.1944, S. 3.

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Abb. 96  Die Ikone der Gottesmutter war im November 1941 von Soldaten der Heeresgruppe Nord von Tichvin nach Pskov gebracht worden. In Anwesenheit von Vertretern der Standortverwaltung wurde sie im März 1942 dem Oberhaupt der orthodoxen Kirche in Pskov übergeben.

im Pogankinhaus eingelagert534; die Ikone wurde wegen ihrer Bedeutung und ihres Werts zunächst in der Waffenkammer der Feldkommandantur verwahrt und am 22. März 1942 auf Weisung der Heeresführung dem Oberhaupt der orthodoxen Kirche in Pskov übergeben. In einer feierlichen Prozession der russischen Gläubigen wurde sie in die Dreifaltigkeitskathedrale gebracht535 und ihre „Rettung“ mit einem Dankgottesdienst gefeiert. In der Kathedrale sollte die Ikone allerdings nicht dauerhaft bleiben, aus Sicherheitsgründen kehrte sie am Abend in die Waffenkammer zurück. In der Folge wurde sie jeden Sonntagmorgen für den Gottesdienst in die Dreifaltigkeitskathedrale gebracht. Die deutschen Soldaten und Offiziere nahmen an den kirchlichen Feierlichkeiten bei der Übergabe nicht teil, und schon diese erfolgte nicht durch einen Vertreter der Heeresgruppe, sondern wurde zu einer Angelegenheit ausschließlich der Standortverwaltung gemacht. Damit sollte den Anordnungen des OKW bezüglich der Religionsausübung und des Umgangs mit Zivilisten Genüge getan werden, die den Wehrmachtsangehörigen die Beteiligung an Gottesdiensten der orthodoxen Kirche strikt untersagten und eine möglichst große Distanz zur Zivilbevölkerung verlangten.536

534 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 205. 535 BArch – Militärarchiv, RH 22/289, Bl. 4. 536 BArch – Militärarchiv, RH 22/261, Bl. 104.

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Um den Vorgang verständlich zu machen, bedarf es eines kurzen Blicks auf das Verhältnis der Besatzungsmacht zur orthodoxen Kirche. Kirchenpolitik fiel in den Verantwortungsbereich der Befehlshaber Rückwärtiges Heeresgebiet, die an ihren Entscheidungen in der Regel die Propagandaabteilungen – somit das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda – sowie die Feld- und Standortkommandanten beteiligten. Vor allem in den ersten Kriegsmonaten hoffte die Wehrmacht, durch kirchenfreundliche Maßnahmen die Bevölkerung für sich gewinnen zu können; sie ließ trotz ihres Misstrauens gegenüber größeren Versammlungen die von der Sowjetmacht geschlossenen Kirchen wieder für Gottesdienste öffnen und duldete Aktivitäten der orthodoxen Kirche. Dies wusste der Vertreter des Moskauer Patriarchats im Baltikum, Metropolit Sergij (Voskresenskij), mit diplomatischem Geschick zu nutzen. Nachdem er gleich nach dem deutschen Einmarsch begonnen hatte, kirchliches Leben neu zu aktivieren, erhielt er im August 1941 die offizielle Erlaubnis, eine orthodoxe Mission aufzubauen, die als einzige russische kirchliche Organisation im besetzten Gebiet agieren und die erforderlichen Personal- und Verwaltungsstrukturen aufbauen durfte.537 Noch im selben Monat trafen die ersten von Sergij entsandten Missionare in Pskov ein. Der Erfolg der Mission war überwältigend, auch deutschen Berichten zufolge war der Wunsch nach Seelsorge jeder Art – regelmäßige Gottesdienste, Seelenmessen, Taufen – so groß, dass die Priester ihn kaum bewältigten.538 Die Übergabe der Ikone zeigt, welche Konzessionen möglich waren, wenn die Besatzungsmacht davon einen Nutzen erwartete. Es gibt sogar Hinweise, dass sie schon zuvor im Gottesdienst genutzt werden durfte oder sich möglicherweise anfangs ganz in den Händen der orthodoxen Geistlichkeit befand. Dies geht zumindest aus Aussagen hervor, die einige Geistliche nach dem Krieg bei Verhören durch den NKVD machten. Demnach hatte der Stadtkommandant die Übergabe der Ikone schon Ende 1941 angekündigt, stattgefunden habe sie am 1. Januar 1942 mit einer feierlichen Prozession. Vor dem Gebäude der Standortkommandantur habe die Prozession Halt gemacht, Oberpriester Kirill Zajc habe in einer kurzen Predigt über die Bedeutung der Ikone und die Geschichte ihrer Rettung gesprochen und der Leiter der Missionsverwaltung, Oberpriester Nikolaj Koliberskij, habe den Deutschen dafür gedankt, dass sie die Ikone für die Seelsorge zu Verfügung stellten.539 Die Abweichung der Daten zwischen dem Bericht der Standortkommandantur und den Aussagen der Priester ist mit beinahe drei Monaten so groß, dass sie sich nicht allein als Fehl­ erinnerung Letzterer erklären lässt. Möglicherweise gestattete der Standortkommandant den Geistlichen von Januar an, die Ikone im Gottesdienst zu nutzen, ohne dass eine offizielle Genehmigung von höherer Stelle vorlag; wie in anderen Fragen auch könnte er eigenmächtig gehandelt haben.

537 Michail Shkarovskij, Die Kirchenpolitik des Dritten Reiches gegenüber den orthodoxen Kirchen in Osteuropa (1939–1945), Münster 2004, S. 55 f., 58 und 67. 538 Shkarovskij 2004, S. 197 f. 539 Konstantin P. Oboznyj, Istorija Pskovskoj Pravoslavnoj Missii 1941–1955gg., Moskau 2008, S. 420 f.

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Mit dieser Toleranz stand das OKH dem Ostministerium nahe, woraus sich auch der kooperative Umgang der Wehrmachtsvertreter mit den Mitarbeitern des ERR in dieser Angelegenheit erklärt. Bereits die Weisung zur Übergabe der Ikone war offenbar nach Rücksprache mit Vertretern des Ostministeriums erfolgt.540 Einige Wochen später entsandte die Hauptarbeitsgruppe Ostland Karl Heinz Esser zu einer Inspektion nach Pskov. Die Sorgen der Fachleute, der allsonntägliche Transport könne dem Kunstwerk schaden, wurden nach seinem Bericht dadurch beruhigt, dass die Malschicht der Ikone durch eine Cellophanschicht geschützt sei. Diese war unter dem sogenannten oklad aufgebracht, einer Nachbildung der Ikone aus getriebenem Silber, die nur Gesicht und Hände der Muttergottes und des Christuskindes freilässt.541 Zudem befand die Ikone sich in einem eigens für sie angefertigten geschlossenen Glaskasten, so dass sie den Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen nicht schutzlos ausgesetzt war.542 Der propagandistische Nutzen schien jedenfalls groß genug, um konservatorische Bedenken zu verdrängen. Eine ständige Aufstellung in der Kathedrale oder eine dauerhafte Übergabe an die Vertreter der orthodoxen Kirche wurde hingegen mit der Begründung abgelehnt, die Ikone könne dort nicht vor Beschädigung oder gar Diebstahl geschützt werden.543 Daraus spricht möglicherweise auch ein gewisses Misstrauen gegen die eigenen Leute, das sich aus den Erfahrungen der ersten Besatzungszeit speiste. Die Ikone scheint auch eine Art Faustpfand gegenüber der orthodoxen Mission in Pskov gewesen zu sein, deren Verlässlichkeit angezweifelt wurde. Dies hing nicht zuletzt mit Sergij selbst zusammen, den der lettische und der estnische Metropolit gleich nach der Besetzung des Baltikums durch die Wehrmacht verdächtigten, ein Agent des NKVD zu sein. Sergij war daher festgenommen worden und vier Tage lang in Haft gewesen. Nach seiner Freilassung bekundete er seine Treue zum Moskauer Patriarchatsverweser Sergij (Stragorodskij) und setzte sich folgerichtig bei der deutschen Militärverwaltung im Baltikum wie bei der Zivilverwaltung des neugebildeten Reichskommissariats Ostland dafür ein, die seit der sowjetischen Annexion bestehende Oberhoheit des Moskauer Patriarchats über die lettische und die estnische Orthodoxie anzuerkennen. Sein Argument, das sei auch für die Deutschen vorteilhafter, als die Rückkehr der baltischen Länder unter die Jurisdiktion des Patriarchen von Konstantinopel zuzulassen, dessen Exarch sich im Londoner Exil befand, wurde aber zumindest vom Ostministerium und dem Reichssicherheitshauptamt nicht geteilt: Beide Institutionen befürworteten vielmehr eine regionale Zersplitterung der orthodoxen Kirche.544 In dieser Frage konnten sich aber zunächst die Zivil- und die Militärverwaltung

540 BArch – Militärarchiv, RH 22/261, Bl. 103. 541 Ein solcher je nach Wert der Ikone mehr oder weniger kostbarer und aufwendig gestalteter oklad aus Edelmetall oder aus Messing gehört zur Ausstattung jeder Ikone. Viele dieser Ikonenbeschläge fielen in den 1920er Jahren dem Finanzbedarf der jungen Sowjetunion zum Opfer – sie wurden konfisziert und eingeschmolzen. 542 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 205. 543 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 205. 544 Shkarovskij 2004, S. 171 f.

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vor Ort durchsetzen. Sergij verhielt sich in der Folgezeit der Besatzungsmacht gegenüber kooperativ, vor allem aber Sergij Stragorodskij gegenüber loyal; als dieser im September in Moskau zum Patriarchen gewählt wurde, erkannte er die Wahl öffentlich an und hielt daran auch dann noch fest, als die Deutschen verlangten, die Anerkennung zu widerrufen.545 Seine Gegner sahen sich in ihrem Misstrauen bestätigt. Am 28. April 1944 wurde Sergij auf dem Weg von Wilna nach Kaunas erschossen. Der Mord wurde niemals aufgeklärt, die Deutschen beschuldigten sowjetische Partisanen, die sowjetische Seite die „deutschen Faschisten“.546 Als die sowjetische Armee Mitte Januar 1944 ihre Offensive gegen die Heeresgruppe Nord begann und Hitler die Taktik der „verbrannten Erde“ befahl, ließen die Besatzer Kirchenschätze aus Pskov und Novgorod nach Riga abtransportieren, darunter einige Heiligenreliquien, eine große Anzahl kostbarer liturgischer Gegenstände aus dem Kloster Pečory bei Pskov sowie die Ikone der Muttergottes von Tichvin. Gleichzeitig wurden hunderttausende Menschen ins Baltikum evakuiert, darunter zahlreiche Geistliche, viele gegen ihren Willen. Das bedeutete das Ende der orthodoxen Mission in Pskov; den evakuierten Geistlichen blieb lediglich die Seelsorge für die vertriebenen Zivilisten.547 Die Ikone der Gottesmutter von Tichvin wurde Erzbischof Ioann von Riga übergeben, den Sergij testamentarisch als einen von drei möglichen Nachfolgern genannt hatte. Als Ioann im September 1944 auf Geheiß der deutschen Militärverwaltung Riga per Schiff in Richtung Danzig verlassen musste548, nahm er die Ikone mit. Das Kriegsende erlebte er in Gablonz an der Neiße. Um der Roten Armee nicht in die Hände zu fallen, flüchtete er nach Prag und von dort aus weiter in die US-Besatzungszone.549 Die nächsten Jahre verbrachte Ioann in einem amerikanischen Lager für displaced persons, wo die kostbare Ikone, die er die ganze Zeit bei sich hatte, noch zu amerikanisch-sowjetischen Verwicklungen führen sollte.550

Schwungvoller Ikonenhandel Im Frühjahr 1942 kam Karl Heinz Esser nochmals nach Pskov, um „über den Zustand der Kunst- und Kulturgüter Pleskaus [...] zu berichten“551. Er schilderte die Situation gänzlich anders, als sie sich in den Berichten vom Herbst 1941 dargestellt hatte. Die Depoträume im Pogankinhaus seien in völliger Unordnung, das Außenlager zwar verschlossen, aber teilweise ausgeräumt bzw. geplündert. Eine Reihe von Gegenständen, vor allem Porzellan,

545 Shkarovskij 2004, S. 185, 190 f. 546 Shkarovskij 2004, S. 191. 547 Shkarovskij 2004, S. 206; Oboznyj 2008, S. 456. 548 Shkarovskij 2004, S. 196 549 Die Beschreibung der Flucht stammt von Ioanns Adoptivsohn Sergij Garklavs. Oboznyj 2008, S. 502–505. 550 Siehe Kap. IV: Verwirrspiele um die „Muttergottes von Tichvin“. 551 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 198.

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war offenbar verschiedentlich ausgegeben und dabei teilweise aus Unachtsamkeit beschädigt oder zerstört worden. In der „Goldene Kapelle“ genannten Poromenskajakirche, in der im Herbst 1941 400 bis 500 Ikonen aus dem Umland lagerten, zählte Esser genau 394 Ikonen, die zwar ordentlich gestapelt, aber unter den glaslosen Fensteröffnungen der Witterung ungeschützt ausgesetzt und teilweise mit Schnee bedeckt waren.552 Dem Bericht zufolge hatten Offiziere verschiedentlich Museumsobjekte zum Schmuck ihrer Unterkünfte und Amtsräume erhalten. Besonders aufgebracht war Esser über Gerüchte, „dass zahlreiches Museumsgut, vor allem Ikonen, im Laufe der Zeit in die Hände von Offizieren übergegangen“ sei, wie ihm „von deutscher Seite“ zugetragen worden war.553 Ein Offizier soll an die dreißig Ikonen „an sich gebracht und teilweise ins Reich verschickt“ haben. Auch der Name des Feldkommandanten Bolongaro-Crevenna wurde in diesem Zusammenhang genannt, und stets soll Lothar de Bary involviert gewesen sein. Eine Überprüfung der Gerüchte sei ihm nicht möglich gewesen, Esser lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass er sie für glaubwürdig erachtete, zumal er durch einen russischen Mitarbeiter der Stadtverwaltung erfuhr, dass eine größere Zahl von Museumsgegenständen verkauft worden sei. Dies habe sich anhand von Belegen in der städtischen Finanzverwaltung verifizieren lassen, welche die russischen Mitarbeiter Esser auf Nachfrage vorlegten. Die Quittungen waren zwischen November 1941 und Ende Januar 1942 über Beträge zwischen fünf und 30 Reichsmark (RM) ausgestellt worden, meist zusammen mit einer Anweisung des Bürgermeisters und einem Vermerk, dass die Auslieferung der betreffenden Gegenstände auf Anweisung de Barys erfolge.554 Esser fügte seinem Bericht eine Liste der 18 Quittungen bei, die er gesehen hatte. Danach hatte am 14. November 1941 ein Kriegsverwaltungsrat namens Döhling 30 RM für 3 Ikonen bezahlt, am 17. November hatte Lothar de Bary selbst 3 kleine Ikonen für 30 RM erworben, am selben Tag bezahlte ein Major Bartsch 5 RM für verschiedene Porzellane, am 19. November ein Herr Müller 30 RM für „kleine Gottesbilder“ und erneut Major Bartsch am 21. November 20 RM für eine kleine Bronzefigur, ein Inspektor Odes erwarb „futuristische Bilder“, für die er 12 RM bezahlte. Am 26. November erwarben ein General Schrader und ein Leutnant Polenz – auch sie mit einer Anweisung des Bürgermeisters aufgrund einer Anordnung Lothar de Barys – je eine Bronzefigur für 20 RM. Bei Ersterem handelte es sich möglicherweise um General­ major Rudolf Ulrich Schrader, der Höherer Nachrichtenführer bei der Heeresgruppe Nord war. Am 2. Dezember kaufte ein Hauptmann Kühlwind eine Ikone für 15 RM und am 8. Dezember ein Herr Ochs oder Oks 5 Ikonen für 15 RM. Am 5. Dezember quittierte die Stadtverwaltung einem Herrn Bienert, einem Herrn Meyer und nochmals Hauptmann Kühlwind 6 bzw. 10 RM „für verkaufte Sachen“; die Quittungen enthielten für alle drei dieselbe Feldpostnummer 42518, was sie als Angehörige der Feldtransportkommandantur 4 ausweist. Offenbar hatte jemand versucht, dem Handel eine geregelte Form zu geben, denn auch die

552 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 199. 553 CDAVO, f. 3637, op. 1, d. 127, l. 199. 554 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 200.

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nächsten Quittungen enthielten eine Feldpostnummer. Ausgestellt wurden sie am16. Dezember an einen Herrn Stellwag und einen Dr. Rauth über jeweils 30 RM für eine Ikone; laut ihrer Feldpostnummer (46376) gehörten beide zur Wirtschaftsinspektion Nord. Die Verkäufe erfolgten also jeweils an Angehörige von Dienststellen, die während einer längeren Zeit in Pskov stationiert waren, nicht an Soldaten auf der Durchreise. Für den 23. Dezember lag ein Vermerk de Barys an den „Bürgermeister der Stadt Pleskau“ vor, ein Herr Gargarin (sic!) und ein Herr Link hätten von ihm jeweils eine Ikone erhalten, der Quittung zufolge bezahlte Ersterer dafür zehn RM. Während der Weihnachtstage scheint eine Pause eingetreten zu sein, die nächsten beiden Quittungen datieren vom 1. Januar 1942. Sie bescheinigen einem Baurat Hacker die Zahlung von 30 RM für ein „Stehrelief “ und vermerken die Vorlage eines Schreibens, mit dem derselbe bereits am 1. Oktober 1941 ermächtigt worden war, „aus dem ehemaligen Adelshaus drei Schränke und ein zertrümmertes Steinbild“ leihweise zu entnehmen; ganz ernst war „leihweise“ offenbar nicht gemeint, denn für die Schränke musste Hacker 30 RM entrichten, und das „zertrümmerte Steinbild“ kann durchaus mit dem für 30 RM erworbenen „Stehrelief “ identisch gewesen sein. Die letzte Quittung auf Essers Liste bescheinigte einem Major Hoppe die Zahlung von 10 RM für eine Ikone, die er auf Anweisung des Bürgermeisters und Anordnung de Barys erhielt.555 Außer diesen Quittungen entdeckte Esser noch eine Anweisung des Bürgermeisters, „auf Anordnung der Kommandantur an einen Herrn Wilhelm von Wildemann eine Ikone und an den bereits genannten Major Hoppe für dessen Verdienste bei der Einrichtung des Museums eine Ikone und ein Bild aus städtischem Museumsbesitz auszuliefern“556. Die Gerüchte, die Esser von deutscher Seite gehört haben wollte, schienen sich damit zu bewahrheiten. Aus seiner minutiösen Aufstellung der wenigen dokumentierten Transaktionen spricht mehr als der Ärger eines ERR-Mitarbeiters über die aus seiner Sicht unhaltbaren Zustände in der Stadtverwaltung Pleskaus. Er wollte auch andeuten, dass es sich nur um die Spitze des Eisbergs handelte und die Zahl der nicht dokumentierten Entnahmen und Verkäufe erheblich größer sein müsse. Hinter diesem Vorwurf steht die institutionelle Konkurrenz des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg im Allgemeinen und der Hauptarbeitsgruppe Ostland mit dem Sonderstab Bildende Kunst im Besonderen zur Wehrmacht und deren mit den russischen Kulturgütern befassten Arbeitsgruppen. Vor diesem Hintergrund werden Essers Kontrollbesuch und sein Interventionsversuch überhaupt erst verständlich. Zugleich deutet sich in dem Bericht an, dass Esser eine durchaus realistische Vorstellung davon hatte, welche Möglichkeiten der Einflussnahme er und sein Dienstherr besaßen, wenn er de Bary und Bürgermeister Čerepenkin als dessen Werkzeug für die Verkäufe und Geschenke verantwortlich machte. Esser vermied es, die Vorgesetzten der mangelnden Aufsicht oder gar der Mitverantwortlichkeit zu beschuldigen. Im Fall des Feldkommandanten wäre das ohnehin sinnlos gewesen, denn er war in der Zwischenzeit verstorben, und mit den Offizieren im 555 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, ll. 203 f. 556 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 200.

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Stab der Heeresgruppe wollte er es sich nicht verderben: Die Zugriffsmöglichkeiten seiner eigenen Behörde auf die Kulturgüter beruhten nämlich – so viel war zum Zeitpunkt des Berichts schon klar – ausschließlich auf einer entgegenkommenden Haltung der Wehrmacht. Daher entließ Esser Bolongaro-Crevenna sowie Graf Solms sogar ausdrücklich aus der Verantwortung: Beide seien in der Zeit, in der die Quittungen ausgestellt wurden, nicht vor Ort gewesen – Bolongaro-Crevenna war Anfang November in Pskov erkrankt und bald darauf verstorben, Solms nach dem Autounfall dienstunfähig. Dennoch verlangte Esser, dass die Vorgänge aufgeklärt, alle verkauften oder verschenkten Objekte zurückgegeben und solche Vorfälle in Zukunft unterbunden werden müssten. Auf den Bericht Essers folgte alsbald eine Stellungnahme de Barys. Wie nicht anders zu erwarten, wies er alle Vorwürfe zurück; aus seiner Sicht war nicht Nachlässigkeit, sondern einzig der Mangel an Geld für qualifizierte Arbeitskräfte Ursache für den beklagenswerten Zustand des Außenlagers. Die offensichtlichen Plünderungen verlegte er in die Zeit, bevor deutsche Truppen angekommen waren, sie müssten der örtlichen Bevölkerung vorgeworfen werden. Ikonen und andere Kunstgegenstände habe er nur auf Anweisung des Feldkommandanten verschenkt, während die Erlaubnis, Ikonen zu verkaufen, nur dazu dienen sollte, Verkäufe in großer Zahl durch die Stadtverwaltung zu verhindern. De Bary benannte Solms als denjenigen, der dafür verantwortlich war, dass Wilhelm von Wildmann Bilder erhielt, die das Schloss seiner Familie zeigten und daher für den Beschenkten von persönlichem Wert waren. Einzelne, künstlerisch und historisch natürlich unbedeutende Gegenstände an militärische Dienststellen gegen Quittung auszuleihen, sei ein üblicher Vorgang, im Übrigen seien diese Objekte als Ausschmückung der Quartiere sehr viel nützlicher verwendet, als wenn sie im Depot lägen. Von Missständen konnte aus de Barys Sicht keine Rede sein, keinesfalls trage er irgendeine Verantwortung für unzulässige Vorgänge.557 Dies zeigt, dass die Vertreter der deutschen Standortkommandantur vor allem zu Beginn der Besatzung von Pskov eigenmächtig über die Kulturgüter verfügten, und sich darin nicht einmal ihren vorgesetzten Dienststellen gegenüber zu Rücksprache verpflichtet fühlten. Das Gerücht, auch Bolongaro-Crevenna habe sich in Pskov Kunstgegenstände angeeignet, das Esser in seinem Bericht mit leichtem Zweifel bedachte, sollte sich später bestätigen: 1946 forderte die Finanzverwaltung der Stadt Frankfurt alle Amts- und Dienststellen auf, diejenigen Vermögenswerte zu erfassen, „die aus den ehemals von deutschen Truppen besetzten Gebieten nach Deutschland verbracht worden“ waren. Der Direktor der Städtischen Galerie, Alfred Wolters, teilte dem zuständigen Stadtrat im Kulturamt mit, im Städel befinde sich „ein Ikon, das von dem Oberstleutnant und Feldkommandanten v. Bolongaro-Crevenna an den Oberbürgermeister gesandt wurde.“ Die Ikone habe Bolongaro-Crevenna laut eigener Erklärung in Pskov aus einem brennenden Haus gerettet und dadurch vor der Zerstörung bewahrt; die Stadt sollte sie bis zum Kriegsende verwahren und nötigenfalls restaurieren, sie „sei nur als Leihgabe zu betrachten  – über die endgültige Verwendung 557 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 95.

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werde er nach Kriegsende Entscheidung treffen.“558 Auf welchem Weg die Ikone nach Frankfurt kam, ist nicht überliefert, lediglich der Zeitpunkt ihrer Ankunft lässt sich abschätzen: Ein Schreiben des Oberstleutnants vom 22. August 1941 an die Stadt, das ursprünglich bei den Magistratsakten war, wurde entnommen und einer anderen Akte beigelegt, die heute verloren ist.559 Vermutlich hat Bolongaro-Crevenna die Ikone also im Juli/August 1941 mit der Offizierspost nach Hause geschickt oder er hat sie bei einer Urlaubsfahrt mitgenommen  – ein auch in anderen Fällen übliches Verfahren, um gestohlene Kunstobjekte ins Reich zu bringen560 – und für die Unterbringung im Städel gesorgt. Die Ikone wurde der amerikanischen Militärregierung übergeben und in die Sowjetunion restituiert. Dort verliert sich ihre Spur. Dass Kunstwerke, Antiquitäten, Bücher und andere Gegenstände aus brennenden Gebäuden gerettet wurden, ist ein beliebtes Motiv; entsprechende Geschichten müssen daher mit Skepsis betrachtet werden. Ob die Geschichte im fraglichen Fall zutrifft, lässt sich nicht mehr überprüfen. Vermutlich betrachtete sich Bolongaro-Crevenna jedenfalls – wie auch andere Besitzer solcherart geretteter Objekte – als Eigentümer des Kunstwerks.561 Was die Zukunft der Ikone anging, scheint er erwogen zu haben, sie nach dem Krieg einem der Frankfurter Museen zu übergeben, doch wurde die Angelegenheit durch seinen plötzlichen Tod nicht mehr entschieden. Wolters sah die Stadt definitiv nicht als Eigentümerin an. Unklar schienen ihm dagegen die Eigentumsverhältnisse einer anderen von ihm erwähnten Ikone, die ein Major Ströhlein während des Krieges der Stadt übergeben hatte und die sich 1946 im Liebieghaus befand. Ob auch sie aus Pskov stammte, lässt sich nicht mehr feststellen. Die Verkäufe von Ikonen an deutsche Offiziere sollten ein Nachspiel haben und die Mitarbeiter der Hauptarbeitsgruppe Ostland sowie die Feldkommandantur in Pskov noch eine Zeitlang beschäftigen. Noch während seines Aufenthalts in Pskov verlangte Esser von der Kommandantur, die festgestellten Missstände abzustellen: Alle Bestände des Museums und seiner Depots müssten „sichergestellt“ und Gewähr gegeben werden, dass es keine

558 Städelarchiv, Akte 655, o. Pag. 559 Frankfurt a. M., Institut für Stadtgeschichte, Magistratsakten 8099, o. Pag. 560 So brachte beispielsweise Körte drei Ikonen, die er während des Vormarsches „aufgefunden“ hatte, mit nach Hause. Perseke nahm einige Bücher und Details vom Interieur der Zarenschlösser mit. 561 Eine vergleichbare Geschichte hat ein Gemälde von Carl Traugott Fechhelm, „Gendarmenmarkt mit französischer Kirche und Dom“, das sich heute im Besitz der Stiftung Stadtmuseum Berlin befindet. Das Museum hat es Ende November 1941 von einem Feldwebel Hellmuth von Suck gekauft, der angab, es „aus einem brennenden Haus in Noslawlj, 120 km von Smolensk“ gerettet zu haben. Andreas Bernhard: Verschlungene Wege – Sammlungsobjekte und ihre Geschichte, Berlin 2018, S. 46 f. Vgl. auch http://www.lostart.de/Webs/DE/Datenbank/EinzelobjektSuche Simpel.html?cms_param=EOBJ_ID%3D438000%26SUCHE_ID%3D25982841%26_page%3D0%26_sort%3D%26_ anchor%3Dresult [1.5.2018]. Anders als Bernhard annimmt, ist die Geschichte des Feldwebels von Suck durchaus plausibel. Die Anwesenheit seiner Einheit in dem Gebiet lässt sich zumindest für die Zeit unmittelbar nach dem Verkauf an das Berliner Museum sicher nachweisen. WASt, freundliche Auskunft von Hans Peter Wollny vom 2.3.2018.

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Entnahmen mehr gebe – weder für Geschenke, Ausleihen oder zum Verkauf. Die Mitarbeiter der russischen Stadtverwaltung sollten das Außenlager des Museums ordnen. Ferner müsse ein Inventar aller im Pogankinhaus ausgestellten Gegenstände und aller in der „Goldenen Kapelle“ gelagerten Ikonen erstellt werden. Kulturreferent de Bary sollte zumindest eine Aufstellung sämtlicher „zu seiner Zeit vorgekommenen“ Ausleihen, Verkäufe und sonstigen Entnahmen mit Angabe der Empfänger bzw. Käufer vorlegen, alle in die Hände von Offizieren gelangten Gegenstände seien zurückzuführen. Um weitere Verluste zu vermeiden, müsse die Bibliothek im Pogankinhaus für jeden Leihverkehr geschlossen werden.562 Esser begründete ausführlich, weshalb er diese Maßnahmen für erforderlich hielt: Die Vorkommnisse hätten einen schlechten Eindruck auf die einheimische Bevölkerung gemacht, die den Deutschen bislang positiv gegenüberstand; zudem würde die „ausländische Propaganda derartige Vorfälle“ bereits verwenden und sie sollte kein weiteres Material für ihre „Behauptungen“ erhalten. Schließlich galt es aus Essers Sicht, heute beispielhaft zu handeln, damit vergleichbare Vorfälle in Zukunft vermieden würden.563 Esser glaubte allem Anschein nach, einen Hebel gefunden zu haben, um zu erreichen, dass die Verantwortung für die Kulturgüter im Gebiet der Heeresgruppe Nord in die Hände des ERR übergeben würde. Freilich wagte er nicht, die Verantwortlichen direkt anzugreifen, sondern argumentierte, die Bewahrung der örtlichen Kulturgüter gehöre nicht zu den genuinen Aufgaben der Wehrmacht. Da in der Person von Solms jedoch durch eine glückliche Fügung im Bereich der Heeresgruppe Nord ein Fachmann zur Verfügung stehe, müsse man dies akzeptieren, lautete sein Vorschlag an seine Vorgesetzten; um dennoch Einfluss auf die dortigen Kulturgüter zu bekommen, sollte der Einsatzstab Solms personelle Unterstützung anbieten  – und dies besonders für den Moment, in dem die Petersburger Museen in deutsche Hand kämen.564 Die Vorkommnisse in Pskov und Essers Bericht sollten den ERR-Mitarbeitern in der Hauptarbeitsgruppe Ostland als Argument bei einem weiteren Versuch dienen, die Zuständigkeit für die Kulturgüter im Bereich der Heeresgruppe Nord zu erlangen. Deren Stab hielt seinen Anspruch auf die Verwahrung der Kulturgüter aufrecht, auch wenn Verhandlungen mit dem Einsatzstab nicht abgelehnt wurden. Offenbar hielt man es jedoch für notwendig, zumindest die Offiziere über Fragen des Kunstschutzes zu informieren, denn am 19. März 1942 wurden die Offiziere und Beamten des Stabes zu einem Vortrag des Denkmalpflegers Oskar Karpa über „Kunstraub und Kunstschutz im Kriege“ gebeten.565 Die Feldkommandantur in Pskov entschied freilich auch in anderen Fällen selbstständig, Kulturgüter an Dritte weiterzugeben. So waren die Kirchenbücher der dortigen ehemaligen

562 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, ll. 201 f. 563 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 203. 564 Schreiben Essers an den Reichsamtsleiter Robert Scholz über die Besprechungen über Arbeitsmöglichkeiten des Sonderstabs Bildende Kunst im Bereich der Heeresgruppe Nord vom 26.6.1942, CDAVO, op. 1, d. 138, l. 450. 565 BArch – Militärarchiv, RH 22/259, Bl. 203.

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deutschen St.-Jacobi-Gemeinde, die in Folge der Oktoberrevolution unterging, weil ihre Mitglieder entweder flohen, inhaftiert oder ermordet wurden,566 offenbar bereits im Sommer oder Frühherbst 1941 an das Deutsche Ausland-Institut (DAI) nach Stuttgart geschickt worden, zu dessen Aufgaben die Dokumentation deutscher Volksgruppen im Ausland gehörte. Wilhelm Reichardt, der dies im Oktober 1941 in einem Bericht vermerkte, versäumte nicht zu betonen, dass der ERR Anspruch auf die Dokumente habe und das Institut sie herausgeben müsse.567 Eine Schmetterlingssammlung, die im Pogankinhaus eingelagert worden war, ließ Solms auf Anweisung des Generals der Sicherungstruppen, von Roques, nach Frankfurt bringen,568 wo sie dem Senckenbergmuseum übergeben wurde.569 Beide Vorgänge zeigen den unterschwelligen Konflikt zwischen den Mitarbeitern des ERR und den Vertretern der Wehrmacht, in dem Erstere die Kulturgüter als ihr ureigenes Arbeitsfeld betrachteten, während die militärische Seite – obgleich sie einer Zusammenarbeit mit den Experten des Einsatzstabs formal zustimmte – Entscheidungen geradezu demonstrativ nach eigenem Ermessen traf. Die Geschichte der Schmetterlingssammlung – insgesamt 127 Schaukästen mit Präparaten – illustriert außerdem, dass Solms sich, wie es seiner Ausbildung entsprach, ganz auf Kunst und Kunstgewerbe konzentrierte. Die naturkundlichen Sammlungen betrachtete er ebenso wenig als seinen Aufgabenbereich wie die Bibliotheken und die Archive, die er den Mitarbeitern der Hauptarbeitsgruppe Ostland ohne ernsthaften Widerspruch überließ. Im Fall der Schmetterlingssammlung kam hinzu, dass der Abtransport auf Wunsch des Senckenbergmuseums erfolgte, der durch den Frankfurter Oberbürgermeister Krebs, also Solms vormaligen obersten Dienstherrn, übermittelt worden war.570 Anfang März 1942 kehrte Solms nach seinem Unfall nach Pskov zurück – gerade rechtzeitig genug um zu verhindern, dass die Verantwortung für die zusammengetragenen Kulturgüter an den ERR übertragen würde. Dies hatte die Standortkommandantur nach den Beschwerden des Einsatzstabs vorgeschlagen und dem künftigen Beauftragten jegliche Unterstützung zugesagt.571 Nur einen Tag später zog der Standortkommandant die Zusage mit der Begründung zurück, dass sie durch Solms’ Rückkehr hinfällig geworden sei. 572 An einer

566 Das Schicksal der deutschen Gemeinden in Russland war vor allem durch Erinnerungen der Deutschbalten bekannt, so über Pskov durch Eugenie von Rauch, Deutsches Kirchen- und Schulwesen in einer russischen Provinzstadt, in: Baltische Monatshefte (1937), H. 1, S. 15–28. 567 W. Reichardt, Bericht über die Fahrt nach Pleskau usw. vom 21. bis 25.10.1941, CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 222. 568 Karl Heinz Esser in einem Brief an das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete am 27.6.1942, CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 138, l. 449. 569 Die Sammlung wurde nach dem Krieg über den Central Collecting Point Wiesbaden an die Sowjetunion restituiert. NARA, M1947, Index Claim Statistics, Bl. 85. Im Archiv des Senckenbergmuseums existiert eine entsprechende Gegenüberlieferung. Andreas Hansert, Das Senckenberg-Forschungsmuseum im Nationalsozialismus: Wahrheit und Dichtung, Göttingen 2018. 570 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 142, ll. 19–20. 571 Schreiben der Standortkommandantur an den Einsatzstab Reichleiter Rosenberg vom 10.3.1942, CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 122, l. 93. 572 Am 11. März teilte die Standortkommandantur Pleskau dem ERR mit, dass Solms seinen Dienst wieder angetreten habe. CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 127, l. 97.

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Beruhigung der Situation war den Vertretern der Militärverwaltung trotzdem gelegen: Nachdem die Standortkommandantur zunächst jede Rückforderung der verkauften bzw. verschenkten Kunstgegenstände abgelehnt hatte, sagte Solms nunmehr zu, die Gegenstände zurückverlangen zu wollen.573

Anfänge einer Museumstätigkeit Erst nach seiner Rückkehr begann Solms damit, seine Arbeitsgruppe für den Kunstschutz im Gebiet der Heeresgruppe Nord systematisch aufzubauen und die schnell eingerichtete Ausstellung im Pogankinhaus weiterzuentwickeln. Die Geschäftseinteilung des Stabes Befehlshaber Rückwärtiges Heeresgebiet Nord vom 1. März 1942 nannte Solms noch als allein für die „Erfassung und Betreuung von Kunstschätzen im Bereich der Heeresgruppe Nord“ zuständig.574 Sechs Wochen später, am 15. April, schrieb er dem Verbindungsoffizier des Auswärtigen Amtes bei der 18. Armee, Reinhold von Ungern-Sternberg, er sei immer noch auf sich allein gestellt, womit er seine offenbar verzögerte Antwort entschuldigte.575 Das deutet aber darauf hin, dass er sich um Verstärkung bemühte. Abgesehen von der Wiedereröffnung des Pogankinhauses hatte Solms’ Tätigkeit bis zu seinem Unfall im Wesentlichen darin bestanden, die aus deutscher Sicht bedeutsamsten Kulturgüter – vor allem aus den Vorortschlössern – zu bergen beziehungsweise zumindest vorläufig zu sichern und für den Abtransport nach Deutschland vorzubereiten. Erst nach seiner Rückkehr begann er, die neu zusammengetragene Kunst systematisch selbst zu bearbeiten. Von diesem Moment an arbeiteten Solms und das Personal, das er um sich zu sammeln begann, im Pogankinhaus etwa so, wie ein Museumsdirektor und seine Mitarbeiter in Friedenszeiten auch in Deutschland gearbeitet hätten. Außerdem überarbeitete er seine erste Ausstellung im Pogankinhaus, indem er die Räume unter Einbeziehung der hinzugekommenen Objekte neu arrangierte. Die Ausstellungsräume und die Restaurierungsarbeiten sind in den Fotografien hauptsächlich dreier PK-Fotografen dokumentiert, die sich im Oktober 1942 in Pskov aufhielten. Sie zeigen einige der Räume und geben so einen Eindruck von der Architektur des mittelalterlichen Gebäudes mit seinen schweren Gewölben im Erdgeschoss und den niedrigen Decken im Obergeschoss, aber auch vom Aufbau der Ausstellung und den Exponaten. Ein Saal im Erdgeschoss mit prächtigen Deckenmalereien war der alten Kriegskunst gewidmet und enthielt neben einer Ritterrüstung sowie einer Miniaturkanone verschiedene weitere Waffen und Rüstungsteile. In einem anderen Saal wurden kunsthandwerkliche Erzeugnisse von einem Kachelofen und einzelnen Ofenkacheln über Keramikgefäße bis hin zu bronzenen Glocken ge-

573 CDAVO, f. 3676, op. 1, d. 122, l. 189. 574 BArch – Militärarchiv, RH 22/261, Bl. 46. 575 PA – AA, R–60768, von Ungern-Sternberg, o. Fol.

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Abb. 97  Graf Solms, der Leiter des militärischen Kunstschutzes in Pskov, arrangierte in den Sälen des Pogankinhauses Objekte zu Interieurs. Im Erdgeschoss kombinierte er Rüstungen, Waffen und Standarten mit Gemälden und Zeichnungen (Aufnahme vom Herbst 1942).

Abb. 98  Im Herbst 1942 wurde die Ausstellung im Pogankinhaus neu eingerichtet. Auf dem Tisch sind Textilien und liturgische Gewänder ausgebreitet.

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zeigt. Auch Möbel und weltliche Gemälde fanden ihren Platz in den Sälen des Erdgeschosses. Zum Teil wurden sie zu Interieurs arrangiert , so beispielsweise im „Pleskau-Zimmer“.576 Die Räume des Obergeschosses waren den Fotos nach der altrussischen Kunst, Ikonen und kirchlichem Kunsthandwerk vorbehalten. Die bedeutendsten Ikonen wurden im Hauptsaal des Obergeschosses, dem ehemaligen Speisesaal, versammelt. Hier fanden viele der aus Novgorod abtransportierten Werke ihren Platz, beispielsweise die byzantinische Peterund-Paul-Ikone mitsamt ihrer traditionellen Verkleidung, dem silbernen oklad, und eine Ikone der heiligen Boris und Gleb aus dem 14. Jahrhundert. Beide Ikonen gehören zu den bedeutendsten Kunstwerken Novgorods. Die Peter-und-Paul-Ikone wird auf die Mitte des 11. Jahrhunderts datiert. Vermutlich gehörte sie zur ursprünglichen Ausstattung der neuerbauten Sophienkathedrale, doch sind aus dieser Zeit nur die vom oklad bedeckten Bereiche erhalten, die Gesichter und Hände der Apostel wurden im 15. Jahrhundert erneuert, nur die Umrisse der Köpfe weisen noch Spuren der ursprünglichen Malerei auf. Die Ikone bezieht ihre Bedeutung nicht nur aus ihrem Alter. Auch ihre Ikonografie ist interessant, denn sie zeigt als eine der frühesten Darstellungen die beiden Apostelfürsten im Gespräch.577 Durch ihre außerordentlich feine Zeichnung, die delikaten Farbnuancen und die ausdruckstarken Physiognomien der Heiligen bezaubert die Ikone ihre Betrachter bis heute. Auch der oklad aus getriebenem Silber ist eine so qualitätvolle Arbeit, dass sie selbst die 1920er Jahre unbeschadet überstand, als große Mengen an kirchlicher Kunst eingeschmolzen wurden. Wie sehr der Einsatz der militärischen Kunstschützer im Gebiet der Heeresgruppe Nord für Propagandazwecke genutzt wurde, zeigen Erwähnungen in den deutschsprachigen Zeitungen, die im Baltikum und im Hinterland der Front verbreitet wurden. Allerdings datieren alle bekannten Berichte erst aus dem Sommer 1943 und damit aus einer Zeit, als die militärischen Misserfolge der Wehrmacht unübersehbar geworden waren – es scheint fast, als hätten die Propagandaaktivitäten umgekehrt proportional zu den immer hoffnungsloseren militärischen Aussichten zugenommen. Die ausführlichste Besprechung verfasste der Kunsthistoriker Theodor Müller für die „Revaler Zeitung“. Er betonte die Gefahren, unter denen die Kunstwerke aus den Zarenschlössern und aus Novgorod „geborgen“ worden seien, deren Wert sowie die Sorgfalt und den Sachverstand der deutschen Bearbeiter, die ein einzigartiges Museum geschaffen hätten. Vermutlich führte Axel Sponholz, der Mitarbeiter von Solms, den Reporter wie auch die Fotografen durch das Haus. An klischeehaften Beschreibungen einer vermeintlich russischen bzw. slavischen Mentalität sparte Müller ebenso wenig wie an der Denunziation eines Kulturvandalismus der Sowjets, die, so wurde insinuiert, sich dieser Schätze unwürdig erwiesen hätten.578 In diesem Tenor wurden die

576 Abgebildet in: Reise nach Pleskau, in: „Revaler Zeitung“, 15.7.1943. 577 Nikodim P. Kondakov, Ikonen, 4 Bde, Prag 1929–1933; N. V. Lazarev, Russkaja ikonopis’ ot istokov do načala XVI veka, Moskau 2000, S. 163. 578 Müller 1943.

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Abb. 99  Im Obergeschoss des Pogankinhauses war eine Ikonenausstellung untergebracht. Hier betrachtet ein Soldat eine Ikone der Heiligen Dreieinigkeit aus Novgorod (rechts) und eine Pskover Ikone des Wunders des Erzengels Michael (links). Darunter lehnt die Tür des Gottorfer Globus an der Wand.

Aktivitäten der Arbeitsgruppe noch lange nach dem Abtransport der Kulturgüter in der deutschen Propaganda erwähnt: Die „kulturelle Sorge“ der Wehrmacht habe „vor allem den wertvollen Ikonen“ gegolten.579 Die Stellenbesetzungslisten des Stabes geben nur einen vagen Eindruck davon, wer Solms’ Mitarbeiter waren, wann sie hinzukamen, worin ihre Aufgaben und Tätigkeiten bestanden. Überhaupt findet sich in den militärischen Akten praktisch keine Dokumentation der Arbeitsgruppe und ihrer Tätigkeit. Sicher lässt sich der schmalen Überlieferung lediglich entnehmen, dass es sich ausnahmslos um Fachleute handelte, Kunsthistoriker,

579 E. V. v. Sittmann, Tausendjähriges Pleskau. Ein Blick in die Kunstgeschichte der Stadt, in: „Deutsche Zeitung im Ostland“, 7.7.1944, S. 3.

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Abb. 100  Die Ausstellung im Pogankinhaus sollte vor allem ein Freizeitangebot für Wehrmachtsangehörige sein.

Restauratoren, zeitweise ein Historiker und ein Fotograf. Am aufschlussreichsten sind die Aufzeichnungen und Briefe, die einige von ihnen hinterlassen haben; sie geben zugleich eine Vorstellung davon, wie die Verfasser die Situation vor Ort, ihren Auftrag innerhalb des Kriegsgeschehens sowie den Krieg selbst wahrnahmen und wie sie persönlich zur NS-Ideologie und zum Regime standen. Als einer der Ersten stieß offenbar der Kunsthistoriker Helmut Perseke zu Solms; er war für die sachgerechte Inventarisierung der Objekte zuständig. Aus dieser Zeit ist sein Taschenkalender erhalten geblieben, in dem er etwa am 6. Januar 1943 knapp notierte: „Russ. Weihnachten bei den von Hippius“ – gemeint waren die Schwestern Nataľja und Taťjana Gippius, die Solms im Juli 1942 samt dem Archäologen Vasilij Ponomarev zusammen mit zahlreichen Kunstschätzen aus den Novgoroder Museen und der Sophienkathedrale nach Pskov hatte bringen lassen. 580 Als Dolmetscher und Restaurator arbeitete Axel Sponholz, und spätestens seit Sommer 1942 ließ Solms den Fotografen Eugen Fink die Objekte ablichten (ein Teil der Fotografien blieb erhalten, weil Fink nach dem Krieg an seine vormalige Arbeitsstelle, das preußische Forschungsinstitut für Kunstgeschichte in Marburg, zurückkehrte und sie dem Institut übergab). Damit hatte Solms das Minimum an Personal für die Arbeit eines Museums zusammen.

580 Vgl. Kap. III.6: Novgorod.

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Abb. 101  Der Kunsthistoriker Werner Körte fertigte, während er die aus Novgorod abtransportierten Ikonen inventarisierte, eine Zeichnung und eine genaue Beschreibung des mächtigen Ljudogoščin-Kreuzes an.

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Abb. 102  Die Christi-HimmelfahrtIkone aus Novgorod wurde in Pskov sorgfältig restauriert. Heute befindet sie sich wieder im Museum in Novgorod.

Werner Körte arbeitete im Sommer 1942 für vier Wochen bei Solms und inventarisierte in dieser Zeit die Novgoroder Objekte.581 Er schloss diese Arbeit am 24. Juli ab.582 Nur wenige Fotografien, angefertigt von Fink, und Beschreibungen einzelner Stücke, die Körte besonders faszinierten, sind von dieser Dokumentation erhalten. Rückblickend war Ponomarev aufgrund seiner profunden Kenntnisse der altrussischen Kunst einer der wichtigsten Mitarbeiter. Er legte eine Kartei der Novgoroder und Pskover Ikonen an, in der er jeweils die Kirche vermerkte, aus der sie stammten, und versah die

581 Werner Körte, Tagebucheinträge vom 5. und 6.7.1942, Tagebuch 1942, Privatarchiv Arnold Körte; vgl. den Bericht Ponomarevs: Ponomarev 2006, S. 244. 582 Werner Körte, Tagebucheintrag vom 24.7.1942, Tagebuch 1942, Privatarchiv Arnold Körte.

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Abb. 103  Die geschnitzte Ikone des heiligen Nikolaus, die der PK-Fotograf Eugen Fink im Pogankinhaus fotografierte, ist eines der wenigen Objekte, die sich nicht identifizieren lassen: Bis heute ist nicht bekannt, woher sie stammte, und sie ist bis heute verschollen.

Ikonen selbst mit entsprechenden Kennzeichnungen. Spätestens von diesem Zeitpunkt an fand im Pogankinhaus offenbar eine geregelte Museumsarbeit statt, die den Standards größerer deutscher Museen der Zeit entsprach: Die Objekte wurden inventarisiert, beschrieben und bei Bedarf restauriert. Eine systematische Fotodokumentation, wie Fink sie durchführte, war zu dieser Zeit ausgesprochen fortschrittlich, nur größere Museen leisteten sich eine solche. Die Gründe, die Solms dazu veranlassten, sind nicht überliefert. Sie werden verschiedene Facetten gehabt haben, die vermutlich vom Vorbild des militärischen Kunstschutzes in Frankreich über die persönliche Prägung durch die Marburger Ausbildung und das Bedürfnis, nach den aus Frankfurt gewohnten Methoden zu arbeiten, bis möglicherweise zu dem Wunsch reichen, dem Fotografen einen sicheren Posten zu gewähren. Werner Körte hielt seine Tätigkeit täglich in Stichworten fest. Sie begann mit einer Besichtigung des Museums. Nach der Ankunft der Novgoroder Objekte ließ er von Kriegsgefangenen zwei Waggons mit Ikonen ausladen, die in einer von ihm nicht näher bezeichneten Kirche an der Velikaja deponiert wurden. Einem anderen Eintrag Körtes ist zu entnehmen, dass Ikonen auch per Schiff nach Pskov kamen. Hauptsächlich aber ordnete und katalogisierte er die bereits im Museum versammelten Ikonen. Darüber hinaus konstruierte er hölzerne Gestelle, auf denen die Ikonen im Depot aufbewahrt werden sollten, erprobte neue

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Abb. 104  Während die Paneele des Bernsteinzimmers nach Königsberg abtransportiert wurden, blieb das zugehörige Mobiliar, darunter auch diese Kommode, zurück und wurde in Pskov im Pogankinhaus unter­gebracht. Die Kommode tauchte 1997 in Deutschland auf und befindet sich heute wieder im Katharinenpalast in Puškin.

Abb. 105  Ein wichtiger Teil der Arbeit mit den sichergestellten Objekten war das Restaurieren. Hier dokumentierte der Fotograf den Zustand vorher und nachher.

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Hängungen für die Exponate in der Ausstellung583 und führte gelegentlich höhere Offiziere durch die Museumsräume. Es zeigt sich, dass die Eindrücke, die Körte hier gewann, sein kunsthistorisches Weltbild regelrecht erschütterten und seine Vorstellungen vom kulturellen Entwicklungsstand Russlands in Frage stellten. Kurz nach seiner Ankunft in Pskov schrieb er: auch bin ich von der Welt der Ikonen, die wir hier zu bergen haben, ganz verzaubert worden. Nicht als ob ich das Russische als solches darin suchte, wohl aber spürt man sehr lebhaft, dass doch die byzantinisch-romanischen Grundlagen der russischen Kunst sehr ähnlich sind wie die deutschen und italienischen; und seitdem wir nun über 300 Ikonen, teilweise des 13. Jh. aus Novgorod hierher gebracht haben, lebe ich zwischen diesen schweren Holztafeln mitten in der grossartigen Welt, aus der Giotto sich einst erhob.“584

Die Beschäftigung mit der altrussischen Kunst begann er bald als Inspirationsquelle für seine kunsthistorischen Arbeiten zu betrachten. Gegen Ende seines Pskover Aufenthalts zog er gewissermaßen Bilanz: Mein kunsthistorisches Weltbild wurde hier zunächst so recht gründlich gestört; nach dem alten Schema hatte ich immer gemeint, im 11., 12. und 13. Jh. sei bei uns rechts der Elbe Wildnis, und rechts der Weichsel noch viel tiefere Wildnis. Stattdessen finden wir nun hier hoch im Norden, am Ilmensee, mit einem Male hochentwickelte Kreuzkuppelkirchen, wie sie in Palermo stehen könnten, mit riesigen datierten Freskenzyklen von 1060, 1108, 1156 usw., in denen die gesamte christliche Ikonographie, mit Navicella, Beweinung usw. voll entwickelt ist.585

Er konzedierte, dass die russische Kunst gegenüber dem deutschen Osten einen Vorsprung von drei Jahrhunderten gehabt habe – umso größer sei allerdings die Leistung einzuschätzen, die russische Kunst „in einer beispiellos stetigen Entwicklung“ zu überholen und sie „uns dann im 18. Jh. so bedingungslos“ zu unterwerfen.586

583 Werner Körte, Tagebucheintrag vom 25. und 30.7.1942, Privatarchiv Arnold Körte. 584 Werner Körte, Brief an Kurt Bauch vom 12.7.1942, Privatarchiv Arnold Körte. 585 Werner Körte, Die grauen Hefte, Privatarchiv Arnold Körte. 586 Werner Körte, Die grauen Hefte, Privatarchiv Arnold Körte.

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Rückzug auf Raten und die Folgen Im März 1943 lassen Wehrmachtsdokumente erkennen, dass die Lage der Okkupanten bedrohlich wurde. Die Niederlage bei Stalingrad war ein Schock, der am lange Zeit sicher geglaubten Sieg zweifeln ließ.587 Danach begann die Rote Armee die deutschen Truppen praktisch auf der gesamten Frontlänge zurückzudrängen. In einer letzten großen Offensive versuchte die Wehrmacht im Juli 1943 bei Kursk die Initiative zurückzugewinnen, doch auch diese größte Panzerschlacht in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs endete für sie in einer Niederlage. Danach befand sie sich dauerhaft in der Defensive. In Pskov  – das zunächst noch weit hinter der Frontlinie lag – erfolgte schon im März 1943 eine Bestandsaufnahme, aus der die beträchtliche Zahl an Dienststellen und Wirtschaftsbetrieben ersichtlich ist, die hier angesiedelt waren. Geprüft werden sollte, ob alle Stellen unverzichtbar waren und ob sie unbedingt in der Stadt untergebracht sein mussten; entbehrliche sollten verkleinert, aufgelöst oder zumindest „in die Heimat“ verlagert werden. Da aufgrund der russischen Luftangriffe die Unterbringungsmöglichkeiten für Soldaten knapp wurden, sollte vermieden werden, weitere Truppenteile in die Stadt zu verlegen.588 Ende Oktober 1943 begann die Evakuierung sogenannter Volksdeutscher, das heißt der deutschen oder der nach nationalsozialistischen Kriterien „eindeutschungsfähigen“ Bewohner, die nach einer Überprüfung durch den SD in Sammellager nach Westen „in Marsch gesetzt wurden“. Die meisten von ihnen waren bereits in Pskov in einem Sammellager untergebracht, also aus anderen Orten hierher umgesiedelt worden. Einem Bericht Kuno-Hans von Boths, Kommandierender General der Sicherheitstruppen und Befehlshaber Heeresgebiet Nord, zufolge blieben nur Mitarbeiter der deutschen Dienststellen, insbesondere die Dolmetscher, sowie Alte und Gebrechliche, die nicht transportfähig schienen, zurück.589 Auch die im Pogankinhaus zusammengetragenen Kunstschätze wurden seit Ende 1943 nach Westen abtransportiert. Das erste Ziel war Riga. Dort übergab Solms den größeren Teil der Ikonen an die Mitarbeiter des ERR, die sie zusammen mit weiteren Kulturgütern auf die Burg Colmberg bei Ansbach (Franken) bringen ließen, denn die fränkische Provinz galt als sicher vor den Luftangriffen der Alliierten. Außerdem gehörte die Burg seit 1927 Ernst Arthur Voretzsch, dessen Neffe Ernst Adalbert, Experte für Christliche Archäologie und Kirchengeschichte, seit 1942 für den ERR tätig war. Er verschaffte seiner Dienststelle das Depot auf dem Besitz seines Onkels und betreute die Einlagerung vor Ort. Warum die Heeresgruppe Nord, warum Solms zu guter Letzt den größten Teil der zuvor so eifersüchtig gehüteten Kunstwerke dem ERR übergab, ist nicht überliefert. Weder ist in den Akten eine 587 Selbst ein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus wie Werner Körte wurde angesichts der Niederlage kurzfristig unsicher. Werner Körte, Tagebucheinträge vom 31.1. bis 12.2.1943, Privatarchiv Arnold Körte. Vgl. auch Bernd Wegner, Von Stalingrad nach Kursk, in: Karl-Heinz Frieser u. a., Die Ostfront 1943/44. Der Krieg im Osten und an den Nebenfronten, München 2007, S. 3–79, hier S. 3–8. 588 BArch – Militärarchiv, RH 19 III/253, Bl. 26 f. 589 BArch – Militärarchiv, RH 19 III/13, Bl. 33.

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Erklärung für die Übergabe noch ein Hinweis auf den genauen Zeitpunkt zu finden; gesichert ist lediglich ein Terminus ante quem: Im April 1944 befanden sich die meisten Ikonen beim ERR, etwa die Hälfte war bereits verpackt und auf den Weg gebracht worden.590 Über den Abtransport aus Riga berichtete ausführlich Dietrich Roskamp, der die Aktion für den Einsatzstab leitete.591 Er erläuterte, welche Objekte übernommen und abtransportiert worden seien, zunächst offenbar vor allem Porzellan und Möbel. Mit dem nächsten Transport sollten etwa 650 Ikonen aus Novgorod, Tichvin und Pskov folgen, außerdem Kunstgewerbe und Plastiken aus den Novgoroder Kirchen sowie einige Möbel aus den ­Z arenschlössern bei Leningrad. Hinzu kamen Einrichtungsgegenstände aus dem etwa 100 Kilometer südöstlich von Pskov gelegenen Puschkin-Museum in Puškinskie Gory, dem Familiensitz Alexander Puschkins. Roskamp betonte die Qualität der Ikonen, die aus dem 14. bis 18. Jahrhundert datierten und „zu den besten Kunstwerken gehörten, die in Russland geborgen wurden“592, und empfahl, sie am besten verpackt zu lassen, da sie so gegen mechanische Beschädigungen, wenn auch nicht gegen Feuchtigkeit geschützt seien. Dem Transport läge ein Verzeichnis bei, das anhand eines Zettelkatalogs  – vermutlich der Kartei ­Ponomarevs – erstellt worden sei; dieser sei einerseits unvollständig, enthalte aber andererseits mehr Werke, als nunmehr vorhanden seien, da „ein mit Kunstgut aus Pleskau beladener Wagen verloren gegangen sein soll“.593 Sieben Kisten mit vorgeschichtlichem Material aus Novgorod wurden nicht nach Colmberg gebracht, sondern nach Greifswald, wo ­Ponomarev sie dem Professor für Vorgeschichte, Carl Engel, übergeben sollte; Ponomarev würde die Materialien vor Ort selbst beschriften.594 Zu den Kulturgütern, welche die Mitarbeiter des ERR in Colmberg unterbrachten, gehörte auch der Schatz des Klosters von Pečory – angeblich hatten der Abt und die Mönche sie darum gebeten, damit der Klosterschatz nicht „den Bolschewisten“ in die Hände falle. Allerdings war er allem Anschein nach bereits 1941 auf Anweisung des deutschen Gebietskommissars Kurt Wilhelm Meenen unter Verschluss genommen worden.595 Die Mönche durften nur ausnahmsweise und mit seiner Genehmigung einzelne Teile des liturgischen Geräts gegen Quittung entnehmen. Der Schatz bestand zu diesem Zeitpunkt aus rund 570 Einzelteilen, darunter waren kirchliche Gewänder aus Seidensamt, Gold- und Silber590 So die Akten des Ic der Heeresgruppe Nord und des ERR. BArch, RH 19 III/385, Bl. 7. 591 CDAVO, f. 3637, op. 1, d. 138, l. 723 f. 592 CDAVO, f. 3637, op. 1, d. 138, ll. 723 und 724. 593 Bericht Dietrich Roskamps vom 29. April 1944, CDAVO, f. 3637, op. 1, d. 138, l 724. 594 Ob Ponomarev tatsächlich nach Greifswald reiste, um die archäologischen Fundstücke zu übergeben und zu inventarisieren, ist fraglich. Im Tagebuch Carl Engels (seit April 1944) wird ein solcher Vorgang nicht erwähnt. Engel erwähnte Ponomarev in seinem Tagebuch überhaupt nicht, wird ihm aber höchstwahrscheinlich in Pskov oder schon früher in Novgorod begegnet sein. Vgl. Günther Mangelsdorf (Hrsg.), Zwischen Greifswald und Riga. Auszüge aus den Tagebüchern des Greifswalder Rektors und Professors der Ur- und Frühgeschichte, Dr. Carl Engel, vom 1. November 1938 bis 26. Juli 1945, S. 240 ff. 595 Meenen war NSDAP-Kreisleiter von Pinneberg gewesen, bevor er 1941 das Amt des Gebietskommissars von Dorpat übernahm. Reinhard Pohl, Reichskommissariat Ostland: Schleswig-Holsteins Kolonie, in: Gegenwind 122 (1998), Sonderheft Schleswig-Holstein und die Verbrechen der Wehrmacht, Kiel 1998, S. 10–12.

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brokat, 10 Bischofskronen aus Gold und Silber, mit Perlen und Edelsteinen besetzt, eine Totenkrone aus Elfenbein und sehr viele kleinere Gerätschaften aus Silber und Gold  – Weihrauchgefäße, Kreuze, Reliquienbehälter, Bestecke, Teller und Ringe – sowie Stickereien. Das Kloster gehörte seit alter Zeit zu der Eparchie von Pskov. Es liegt am Südufer des Peipussees in einem Gebiet, das in der Zwischenkriegszeit zu Estland gehört hatte. Dies erklärt, warum es nach der Oktoberrevolution von der Säkularisierung des Kirchenbesitzes mit all seinen Folgen verschont geblieben war; es erklärt zudem, warum der ERR den Klosterschatz direkt übernehmen konnte, während ansonsten die Kulturgüter von den militärischen Kunstschützern sichergestellt wurden. Unmittelbar nach der Besetzung Estlands durch die UdSSR im Juni 1940 und der folgenden Annexion hatte Stalin eine Verschiebung des Grenzverlaufs zwischen der neu proklamierten Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik und der östlich angrenzenden Russischen Sozialistischen Sowjetrepublik angeordnet, in deren Folge Pečory Letzterer zugeschlagen worden war. Zwar hatte das Deutsche Reich – als einziger Staat neben dem neutralen Schweden – die Annexion der baltischen Staaten anerkannt596, nach dem Überfall auf die UdSSR ignorierte es Stalins Grenzverschiebung aber, so dass Pečory im RKO zu einem Teil des Generalbezirks Estland wurde, in der deutschen Wahrnehmung also Teil Estlands blieb. Das hatte Auswirkungen auf den Umgang mit den Kulturgütern. Anders als die von der Arbeitsgruppe Solms übernommenen Ikonen, deren Vollzähligkeit nach der Ankunft in Colmberg anhand von Listen überprüft wurde, blieben die Kisten aus Pečory verschlossen, und der für die Betreuung der russischen Kulturgüter zuständige Ernst Adalbert Voretzsch hatte Anweisung, niemandem Zugang zu gewähren.

Letzte Beutekunst-Ausstellungen der Heeresgruppe Nord Der ERR erhielt in Riga nicht die gesamte Sammlung, die Solms und seine Mitarbeiter während der Jahre 1941 bis 1943 in Pskov zusammengetragen und nach Riga hatten bringen lassen. Die wertvollsten Ikonen und einzelne Objekte aus den Zarenschlössern blieben in der Obhut der Wehrmacht. In der zum „Deutschen Landesmuseum“ umbenannten lettischen Nationalgalerie wurden sie im Frühsommer 1944 ausgestellt. Das heutige Nationalmuseum in Riga verzeichnet die Ausstellung in seiner 2005 zum 100. Gründungstag herausgegebenen Chronik für die Zeit von April bis Juni, wobei das genaue Enddatum nicht mehr feststellbar ist. 597 Welche Gegenstände gezeigt wurden, ist nicht nachvollziehbar.

596 Thomas Schmidt, Die Außenpolitik der baltischen Staaten: Im Spannungsfeld zwischen Ost und West, Diss. Univ. München 2000, Wiesbaden 2003, S. 56. 597 Latvijas Nacionālais Mākslas Muzejs. Izstāžu Hronika 1905–2005, o. O., o. J. [Riga 2005], S. 39.

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Abb. 106  In Riga wurden die Museumsobjekte aus Novgorod, Pskov und den Zarenschlössern um Leningrad 1944 erneut ausgestellt. An der Wand links ist das von Werner Körte bewunderte Porträt der „unbekannten Schönen“ zu erkennen.

Es existieren eine unvollständige Liste598, ein Artikel in der Zeitung „Za Rodinu“599 und einige Fotografien, die im Privatarchiv Georg von Krusenstjerns überliefert sind. Ein Katalog, den es den Akten der Heeresgruppe zufolge gegeben hatte, ließ sich bislang nicht ausfindig machen.600 Die Quellen vermitteln den Eindruck, dass in Riga die besten Objekte der Pskover Ausstellung gezeigt wurden. Die Novgoroder Ikone „Boris und Gleb“ scheint ebenso vertreten gewesen zu sein wie die große, ebenfalls byzantinische Ikone „Peter und Paul“ aus der Sophienkathedrale in Novgorod, die beide bereits zuvor zu den Glanzstücken gehört hatten. Auch das Ljudogoščin-Kreuz von 1359, das im Zentrum der Pskover Ausstellung gestanden hatte, war zu sehen. Die offenbar nach Räumen geordnete Liste vermerkt über 60  Ikonen. Die überlieferten Fotos, die Krusenstjern in Riga von Solms bekommen und sorgfältig in einer Mappe aufgeklebt hatte, geben auch einen Eindruck von den nichtsakralen Exponaten. Darunter waren weitere Gemälde und Objekte der früheren Ausstellung, beispielsweise die zwei Porträts Pskover Bürger und das Porträt der jungen Frau, das Körte

598 GARF, f. 7021, op. 116, d. 287a, ll. 27­–29. 599 B. Filistinskij, Drevnerusskaja Ikona, in: Za Rodinu, Nr. 105 (505), 12.5.1955. 600 BArch – Militärarchiv, RH 19 III/385, Bl. 7 f.

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Abb. 107  Der Hocker ist durch die deutlich sichtbare Inventarnummer (PDM 192) der Sammlung von Schloss Pavlovsk zuzuordnen. Auch er wurde 1944 in Riga ausgestellt.

so begeistert beschrieben hatte. Darüber hinaus wurden einige Möbelstücke sowie chinesische Vasen und Teller ausgestellt. Teile einer Garnitur sind durch die erkennbare Inventarnummer P. D. M. Schloss Pavlovsk zuzuordnen. Anders als in Pskov war die Ausstellung in Riga ausschließlich für Wehrmachtsangehörige zugänglich. Gedacht war sie offenbar wiederum als eine dauerhafte Einrichtung.601 Die Kunsthistoriker, die für den ERR tätig waren, bemühten sich energisch darum, Zutritt zu bekommen; sie drängten darauf, dass alle Ikonen und überhaupt alle Objekte sowjetischer Herkunft, die sich noch in den Händen der Wehrmacht befanden, dem Einsatzstab übergeben würden. Der zuständige Offizier im Stab der Heeresgruppe, ein Oberstleutnant von Brunn, reagierte darauf zurückhaltend, ließ aber wissen, dass dieser Teil der Ikonen in der Obhut der Heeresgruppe bleiben sollte. Seinem Bericht zufolge war die Ausstellung als eine Maßnahme zur Truppenbetreuung eingerichtet worden. Der Gefahr einer Zerstörung der Objekte durch Luftangriffe waren sich die Verantwortlichen bewusst. Dennoch lehnten sie es dem ERR gegenüber ab, die Ausstellung zu schließen und die Objekte schnellstmöglich in Sicherheit zu bringen „Die von den deutschen Soldaten unter Einsatz ihres Lebens geborgenen Gegenstände sollten ihnen weiterhin zugute kommen, daher ist die Ausstellung für unabsehbare Zeit weiterhin geplant.“602 Im Übrigen sei es „sehr wahrscheinlich, daß das vom Führer geplante Heeresmuseum in der Feste Boyen bei Lötzen eine Abteilung über russische Kunst erhält, in die die Rigaer Stücke eingereiht werden sollen“.603

601 BArch – Militärarchiv, RH 19 III/385, Bl. 3. 602 BArch – Militärarchiv, RH 19 III/385, Bl. 7. 603 BArch – Militärarchiv, RH 19 III/385, Bl. 7.

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Noch eine weitere Ausstellung wurde mit Ikonen vom Sammelpunkt Pskov bestückt: die Breslauer Schau „Pflug und Schwert in Russlands Norden“. Organisiert hatte sie der Kunsthistoriker Christian Gündel, der im Frühjahr 1943 als Nachfolger Helmut Persekes zur Pskover Arbeitsgruppe gestoßen war; er war vor dem Krieg Mitarbeiter des Breslauer Schlossmuseums gewesen. Im Unterschied zu den auf Dauer eingerichteten Ausstellungen in Riga und Pskov handelte es sich um eine Sonderausstellung, die sich vor allem an die deutsche Zivilbevölkerung richtete. Sie sollte einen Eindruck von „Leben, Kampf und Leistung der Soldaten“ im Nordwesten Russlands vermitteln.604 Am 21. April 1944 ging ein Bericht über den Verlauf des Projekts an die Abteilung Heereswesen. Darin erklärte Oberstleutnant von Brunn, die Breslauer Ausstellung sei am 4. März 1944 „nach langer Vorbereitung durch die Gruppe Sammeloffizier“ eröffnet worden und werde „von allen Fachleuten als besonders wertvoll beurteilt.“ Nach nur einem Monat seien bereits 50.000 Besucher verzeichnet worden, und nach Absprache mit dem zuständigen Wehrkreiskommando VIII solle sie bis etwa Mitte Mai in Breslau bleiben. Anschließend würde sie „mit Einverständnis des Herrn Oberbefehlshabers der Heeresgruppe und auf Wunsch des Reichsministers Frank für etwa vier Wochen nach Prag geschickt werden“. Offenbar gab es bei der Dienststelle Chef der Heeresmuseen weitergehende Pläne, doch ist ein entsprechendes Schreiben an der im Dokument angegebenen Stelle nicht mehr vorhanden.605 Eine thematische Skizze der Ausstellung ist nicht überliefert. Eine „Bildermappe“, die vermutlich zusammengestellt wurde, um einem kleinen Kreis von Offizieren und Mitarbeitern im Stab der Heeresgruppe, beim Chef der Heeresmuseen, im OKH und bei anderen Dienststellen einen Eindruck geben zu können, ist bei den Akten der Heeresgruppe ebenfalls nicht erhalten.606 Sicherlich ging es nicht nur um Kulturgüter und ihren „Schutz“, sondern sie sollte wohl allgemein die zivilisatorischen und kulturpolitischen Leistungen der Heeresgruppe Nord feiern. Welche Kunstwerke gezeigt wurden, lässt sich nicht mehr feststellen. Solms verließ Riga für die letzten Ausstellungsvorbereitungen in Breslau, kehrte Ende März 1944 aber nochmals zurück. Wegen der Ablösung Generalfeldmarschall von Küchlers sah er, eigenen Angaben zufolge, bei der Heeresgruppe Nord „keine Möglichkeit mehr, in diesem Klima als Kunstschutzoffizier nützliche Arbeit leisten“ zu können. 607 Er ließ sich von seinem zweiten Auftraggeber, dem Chef der Heeresmuseen, anfordern, der zu

604 BArch – Militärarchiv, RH 19 III/486, Bl. 81. 605 BArch – Militärarchiv, RH 19 III/385, Bl. 9. 606 BArch – Militärarchiv, RH 19 III/385, Bl. 9. Einen kleinen Einblick geben Zeitungsartikel mit Fotografien Eugen Finks in der „Schlesischen Tageszeitung“ vom 11.3., 14.3, 22.3., 2.4., 23.4., 24.4. und 13.5.1944. Die „Schlesische Zeitung“ berichtete am 5.3.1944 über die Ausstellung. Am 25.5. erschien zudem in der „Schlesischen Tageszeitung“ ein Artikel, wonach die Heeresgruppe Nord der Stadt Breslau als Dank für ihre Unterstützung eine „Ehrengabe“ überreicht habe: eine marmorne Büste Friedrich Wilhelm III. des Bildhauers Christian Rauch, die Soldaten in einem Straßengraben bei Peterhof gefunden hätten. 607 Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, S 2/7.089, o. Fol.

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dem Zeitpunkt seinen Dienstsitz bereits nach Wien verlegt hatte. In dessen Auftrag sorgte er zwischen April 1944 und dem Frühjahr 1945 noch dafür, dass Kulturgüter aus dem Baltikum, aus Ostpreußen und aus Schlesien evakuiert wurden. Worum es sich dabei handelte, lässt sich nur für einige wenige Einzelfälle feststellen. So brachte Solms die „Darmstädter Kunstschätze“, darunter die „Darmstädter Madonna“ von Hans Holbein d. J. aus dem Besitz der Großherzöge von Hessen und bei Rhein, die zum Schutz vor alliierten Luftangriffen 1943 nach Schlesien ausgelagert worden war, im Februar 1945 nach Westen.608 Aus Tagebuchnotizen des Kunsthistorikers Alexander von Reitzenstein, der mit Solms in der letzten Phase des Krieges für den Chef der Heeresmuseen eingesetzt war, geht hervor, dass Solms auch wertvolle Handschriften aus Königsberg in Sicherheit brachte. Zudem scheint er die Objekte der Rigaer wie der Breslauer Ausstellung in der Feste Boyen in Lötzen eingelagert zu haben. Offenbar existierte tatsächlich der Plan, die dortige, 1916 gestiftete „Vaterländische Gedenkhalle“, die der Verteidigung der Festung gegen die russische Armee im Ersten Weltkrieg gewidmet war609, zu einem Heeresmuseum ausbauen lassen. Laut Reitzenstein ließ Solms Ende 1944 die nach Lötzen ausgelagerten Objekte erneut verpacken und weiter Richtung Westen transportieren.610 Die verbliebenen Akten der Arbeitsgruppe wurden von Pskov nach Werro in Südost­ estland gebracht, wo der Stab der Heeresgruppe seinen Standort bezogen hatte. Hier befand sich seit dem Sommer 1943 auch Werner Körte – erneut war er offenbar sehr gegen seinen Willen in den Stab versetzt worden, denn wie aus seinen Briefen und Tagebucheinträgen im April 1944 hervorgeht, bemühte er sich wieder um die Rückkehr zu seiner ArtillerieAbteilung.611 Es ist fast eine Ironie des Schicksals, dass Körte, der dem Einsatz der militärischen Kunstschützer in Pskov mit so großer Skepsis begegnet war, am Ende derjenige sein sollte, der die Arbeitsgruppe gewissermaßen abwickelte, die Akten sortierte 612 und bereinigte sowie einen Abschlussbericht verfasste. Die Akten sind in den Kriegswirren verlorengegangen. Möglicherweise hat Körte sie gleich ganz vernichtet. Oder sie sind auf dem Rückzug der Heeresgruppe untergegangen. Vielleicht blieben sie auch zurück und fielen den sowjetischen Truppen in die Hände. In diesem Fall könnten sie – unerkannt – im russischen Militärarchiv oder im Zentralen Archiv des russischen Verteidigungsministeriums in Podolsk liegen. Sein Bericht blieb dagegen in einer Kopie erhalten, weil Körte einen Durchschlag an den Bonner Ordinarius für Kunstgeschichte, Alfred Stange, geschickt hatte.613 608 Alexander Freiherr von Reitzenstein, Itinerar durch Krieg und Kunst 1940–1948, München o. J., S. 111 f. Unser Dank geht an Dr. Stephan Klingen, der uns auf diese Tagebuchaufzeichnungen hingewiesen und sie uns in digitaler Form zugänglich gemacht hat. 609 Gottfried Brunner, Die Vaterländische Gedenkhalle der Feste Boyen. Ein Führer durch ihre Sammlungen, Lötzen 1917; Max Mayhöfer, Der Kreis Lötzen. Ein ostpreußisches Heimatbuch, Würzburg 1961, S. 284. 610 Reitzenstein o. J., S. 101. 611 Beispielsweise Werner Körte, Brief an seine Frau Elisabeth vom 3.12.1943; ebenso Tagebuch von 1944, Privatarchiv Arnold Körte. 612 Werner Körte, Tagebucheintrag vom 14.4.1944, Privatarchiv Arnold Körte. 613 Nachlass Alfred Stange, Archiv des Kunsthistorischen Instituts der Universität Bonn.

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Es handelte sich um einen Abriss der Aktivitäten des Stabs um Solms in Pskov, der die Bemühungen der Heeresgruppe Nord um die russische Kunst in einem positiven Licht darstellen und das – angesichts der umfassenden Zerstörung von Kunstdenkmälern und des Abtransports von Kunstgütern offensichtliche – Scheitern des militärischen Kunstschutzes rechtfertigen sollte.

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IV Kulturgüter in der Verfügung der Alliierten 1

Sowjetische, amerikanische und britische Planungen

Als erste alliierte Macht hatte die sowjetische Regierung bereits im November 1942 die Staatliche Außerordentliche Kommission eingerichtet, um Kriegsverbrechen und Zerstörungen zu erfassen und damit die Grundlage für die Berechnung von Reparationsforderungen zu schaffen.1 Dafür sammelte sie auch Zeugnisse über den Verlust an Kulturgütern. Die westlichen Alliierten etablierten 1943 Kommissionen, die im weitesten Sinne den Schutz europäischer Kunstgüter zum Ziel hatten. Das State Department schuf die American Commission for the Protection and Salvage of Artistic and Historic Monuments in Europe, die für eine alliierte Zusammenarbeit im Bereich des militärischen Kunstschutzes eintrat. So entstand in amerikanisch-britischer Zusammenarbeit als Unterabteilung der westalliierten Streitkräfte die Monuments, Fine Arts and Archives Section (MFA&A). In Erwartung der alliierten Landung auf dem europäischen Festland sollte sie Dokumentationen schützenswerter Kunstwerke und Denkmäler erstellen, Plünderungen und Zerstörungen durch Truppen vorbeugen sowie eine Übersicht über diejenigen Kunstwerke gewinnen, die während des Krieges ihren Besitzer gewechselt hatten. Zudem richtete der amerikanische Geheimdienst Office of Strategic Services (OSS) im November 1944 das Special Art Looting Investigation Unit ein, das Informationen über den von den Nationalsozialisten und ihren Verbündeten verübten Kunstraub sammelte.2 Eine weitere britische Initiative verfolgte seit Oktober 1942 das Ziel, mit Blick auf das Nachkriegseuropa in allen deutsch besetzten Ländern die Wiederbelebung von Kultur und Ausbildung zu ermöglichen. Im Januar 1943 hieß es in einer Erklärung, dass alle Veräußerungen von Kunstgütern in von den Nationalsozialisten oder ihren Verbündeten besetzten oder kontrollierten Gebieten nichtig seien. Das Gesetz Nr. 52, das die anglo-amerikanischen Streitkräfte im September 1944 erließen und das den Verkauf von Kulturgegenständen von Wert verbot, bestätigte diesen Beschluss. Grundsätzlich herrschte die Vorstellung, dass nach dem Krieg der Besitzstand der Vorkriegszeit wiederhergestellt werden sollte.3 In die alliierten Planungen für die Nachkriegsordnung mischten sich Überlegungen zu Reparations- und Restitutionsfragen. Einerseits sollten die ungeheuren Kosten des Krieges 1 2

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Vgl. Koslow 1998. Vgl. Freitag 1998. Die folgenden Ausführungen beziehen sich im Wesentlichen auf diesen gründlich recherchierten Aufsatz. Detailliert zu Vorgeschichte, rechtlichen Grundlagen, Gründung und Abgrenzung verschiedener Einheiten vgl. Thomas Armbruster, Rückerstattung der Nazibeute. Die Suche, Bergung und Restitution von Kulturgütern durch die westlichen Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 2008. Freitag 1998, S. 173.

Sowjetische, amerikanische und britische Planungen

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durch deutsche Reparationszahlungen kompensiert, andererseits sollte ein Ausgleich für den Verlust an Kulturgütern geschaffen werden. Sofern Kunstgegenstände wieder aufgefunden würden, sollten sie unverzüglich an die Herkunftsstaaten zurückgehen. Wie aber ließen sich unwiederbringliche Kulturverluste entschädigen? Zwischen den Verbündeten, aber auch zwischen Interessengruppen innerhalb der einzelnen Länder wurde äußerst kontrovers über eine Maßnahme debattiert, die vorsah, dass Deutschland den Verlust von wertvollen Kulturgütern mit der Überlassung von Äquivalenten aus deutschen Museumsbeständen ersetzen sollte (restitution in kind). Weder in dieser noch in der Frage der Reparationszahlungen konnten sich die Alliierten bis Kriegsende auf eine gemeinsame Position einigen, daher blieb der Komplex auch in den Nachkriegsverhandlungen umstritten. Darunter litt nicht zuletzt die Zusammenarbeit zwischen westalliierten und sowjetischen Kunstexperten.4

2

Königsberg und die Suche nach dem Bernsteinzimmer

Über die endgültigen Bergungsorte sowie eventuelle Zwischenlager der aus dem russischen Nordwesten verschleppten Kulturgüter gibt es nur bruchstückhafte Informationen. Belegt sind Königsberg und andere, unbekannte Auslagerungsorte in Ostpreußen, Mühlberg an der Elbe, Colmberg in Franken (das sich in den Quellen auch als Lehrberg oder Ansbach findet), Riga und Tanzenberg in Kärnten. Hinzu kommen Nürnberg und Neustadt in Holstein. Die an diesen Orten aufgefundenen Kunstschätze machten allerdings nur einen Teil dessen aus, was sich bei Kriegsbeginn im Bereich der Heeresgruppe Nord befunden hatte, es waren vor allem Exponate, die als so wertvoll galten, dass ihre „Sicherstellung“ sinnvoll erschien. Besonders groß war das Interesse der Museumsspezialisten an Königsberg, wohin Solms und Poensgen im Auftrag der Wehrmacht das Bernsteinzimmer und weitere Kunstwerke aus Puškin und Gatčina hatten bringen lassen. Nachdem die Kulturgüter Königsberg erreicht hatten, fielen sie nicht mehr in die Zuständigkeit der Wehrmacht, sondern in die der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin und Brandenburgs. Auch Solms hatte nach Herbst 1941 also – zunächst? – nichts mehr mit dem Bernsteinzimmer zu tun. Das schließt allerdings nicht aus, dass Teile der Königsberger Sammlungen beim Vorrücken der Roten Armee seit Sommer 1944 mit Hilfe der Wehrmacht nochmals evakuiert wurden und Solms nun als Mitarbeiter des Chefs der Heeresmuseen in diesem Zusammenhang erneut tätig wurde. In einem nach dem Krieg verfassten Lebensbericht äußerte er, Ende des Krieges sei er zur Bergung von Kunstgütern in Ostpreußen unterwegs gewesen.5 Seinem Kollegen Alexander von Reitzenstein zufolge nahmen Solms und er am 20. Januar 1945 auf dem Schloss in Schlobitten Quartier, in dem offenbar Kunstgegenstände untergestellt waren, 4 5

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Freitag 1998, S. 173–175. Zu den sowjetischen Überlegungen vgl. Zinič 2005, S. 85–104. Vgl. Solms o.J. [Augenzeugenbericht].

Kulturgüter in der Verfügung der Alliierten

die weitertransportiert werden sollten. Es sei Solms gelungen, wertvolle Inkunabeln aus der Königsberger Bibliothek nach Schloss Ebersdorf in Thüringen zu bringen; dort trafen sich offenbar die Mitglieder des militärischen Kunstschutzes, nachdem sie die Bergungen in Ostpreußen beendet hatten. Die nächste Station war das Hauptquartier Wien, von wo aus letzte Sicherungsaufgaben wahrgenommen wurden.6 Das Bernsteinzimmer war bis zum März 1944 in den Räumlichkeiten des Königsberger Schlosses ausgestellt. Da der dortige Raum kleiner war als der im Katharinenpalast, waren einige Teile nicht eingebaut und gesondert gelagert worden; das betraf Sockelteile, zwei schmalere Wandfelder, Spiegelpilaster und Bronzeleuchter. Als die Gefahr von Luftangriffen zunahm, ließ Alfred Rohde, der Direktor der Kunstsammlung, die ausgestellten Paneele abbauen, in Kisten verpacken und zunächst in einem Flügel des Schlosses einlagern. Rohde hatte sich bei weitem nicht nur um das Bernsteinzimmer zu kümmern. Neben eigenen Sammlungen lagerten im Königsberger Schloss auch Schätze aus Berlin sowie die umfangreiche, vornehmlich aus ukrainischen Museen stammende Sammlung von Erich Koch, Gauleiter von Ostpreußen und Reichskommissar der Ukraine.7 Nach schweren britischen Luftangriffen Ende August 1944 kam es im Schloss zu einem Großbrand, dem viele der eingelagerten Kunstgüter zum Opfer fielen, darunter vermutlich auch die Teile des Bernsteinzimmers, die nie aufgebaut worden waren. Rohde meldete jedenfalls am 2. September 1944 nach Berlin, das Bernsteinzimmer sei bis auf sechs Sockelplatten erhalten geblieben.8 Wo es sich befand, schrieb er nicht. Augenzeugen berichteten, dass nach dem Brand Kisten im Schlosshof standen und Rohde einen geeigneten Raum für sie suchte. Die vielen Mythen um den Verbleib des Bernsteinzimmers setzen hier an und kreisen um die Fragen, wann und wohin Rohde das Zimmer bringen ließ beziehungsweise ob es überhaupt fortgebracht wurde. Die Bemühungen Rohdes, unter anderem in Sachsen Bergungsraum zu finden, behinderte Erich Koch, der keine Gerüchte über eine bevorstehende Räumung Ostpreußens aufkommen lassen wollte. Vieles verblieb folglich in Königsberg oder anderswo in Ostpreußen, etwa auf Schloss Wildenhoff, wo es wohl vor oder beim Einmarsch der Roten Armee im Februar 1945 einen Großbrand gab, dem die meisten der dort untergebrachten Kunstgegenstände zum Opfer fielen. In der vielfältigen Literatur zum Bernsteinzimmer taucht oftmals die Vermutung auf, dazu könnte dieses auch gehört haben. Diese Annahme wird durch keine überlieferten Quellen gestützt. Eine andere Vermutung geht von einem persönlichen Interesse Kochs am Bernsteinzimmer und davon aus, dass er es zusammen mit weiteren Teilen seiner Sammlung nach Thüringen habe auslagern lassen; verschiedene Stollen und unterirdische Bunkeranlagen in Thüringen und

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Vgl. Reitzenstein o. J., S. 107–111. Einer amerikanischen Quelle zufolge wurde Schloss Ebersdorf am 15. April 1945 eingenommen. Es fanden sich Trommeln aus einem Heeresmuseum und eine große Menge Bücher aus Königsberg. Vgl. NARA, M1946, Roll 0075, p. 25. Vgl. Grimsted 2013. Vgl. Maurice Philip Remy, Mythos Bernsteinzimmer, München 2003.

Königsberg und die Suche nach dem Bernsteinzimmer

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Sachsen galten in der Folge als mögliche Verstecke.9 Selbst in Kochs Heimatort Wuppertal vermuten Schatzsucher das letzte Versteck für das Bernsteinzimmer.10 Andere Versionen der Transportwege nach Westen, beispielsweise per Schiff, scheinen eine Vielzahl weiterer Hypothesen nahezulegen, doch beruhen sie alle auf wackeligen Indizienketten und müssen als Spekulationen betrachtet werden. Das gilt auch für die Ansicht, US-Truppen hätten das Bernsteinzimmer im Mai 1945 gefunden und in die USA geschafft. Wieder andere Spurensucher glauben nicht an einen Abtransport nach Westen, sondern wähnen das letzte Versteck an unterschiedlichsten Orten im ehemaligen Ostpreußen.11 Denkbar ist schließlich die Variante, dass die Kisten mit den Paneelen bis zuletzt im Schloss blieben und dort von sowjetischen Truppen gefunden wurden oder verbrannten.12 Augenzeugenberichte belegen, dass die Soldaten nach der Eroberung Königsbergs am 9. April 1945 drastisch Rache nahmen. Es kam zu Exzessen gegen die Zivilbevölkerung, Plünderungen und Brandschatzungen13, auch das Schloss brannte erneut. Welche Kunstgüter sich dort noch befanden und ob Rotarmisten anschließend etwas sicherstellten, ist völlig unklar. Nach Zinič waren unmittelbar nach dem Sturm auf die Stadt Suchtrupps aus Moskau, Leningrad, Voronež und Vilnius im Einsatz, über deren Tätigkeit es aber keine weiteren Angaben gibt.14 Vom 1. Juni bis zum 18. Juli stellten eine Brigade des Kunstkomitees unter Leitung von Iľja I. Cyrlin und eine Brigade des Komitees für Kultur- und Bildungsangelegenheiten unter

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In der DDR forschte die Stasi seit 1980 nach dem Bernsteinzimmer. Bis 1989 durchsuchte Paul Enke mit einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern, die dem „Sekretariat Neiber“ des MfS unterstellt war, ohne Erfolg über 100 mögliche Verstecke in stillgelegten Stellen, verschütteten Bunkern oder Burgverliesen. Vgl. Dagmar Unverhau (Hrsg.), Archiv zur DDR-Staatssicherheit, Bd. 10, Berlin 2008, S. XXXII–XXXIV, S. 190–212; Andreas Förster, Schatzräuber. Die Suche der Stasi nach dem Gold der Nazizeit, Berlin 2000. Https://www.wr.de/region/westfalen/schatzsucher-bohren-in-wuppertal-nach-dem-bernsteinzimmerid10403775.html, [1.5.2018]. In der UdSSR bestand von 1967 bis 1985 eine Kommission, die sich mit der Suche nach dem Bernsteinzimmer beschäftigte und auch Grabungen durchführte. Die Akten sind zugänglich: GARF, f. A-659, op. 2. Kollekcija dokumentov po rozysku na territorii Kaliningradskoj oblast jantarnoj komnaty i drugich muzejnych cennostej, pochiščennych v gody Velikoj Otečestvennoj Vojny (1941–1945). Vgl. Remy 2003, S. 196. Sein vorsichtiges Fazit lautete: „Niemand wird je sagen können, ob es nicht doch gelungen ist, wenigstens einen Teil des Bernsteinzimmers noch zu retten. Aber alle jetzt bekannten Tatsachen sprechen dafür, dass das Bernsteinzimmer für immer verloren ist.“ Für die Suchbemühungen von russischer Seite vgl. Zinič 2005, S. 153–170. Vgl. aus der umfangreichen Literatur: Otto Lasch, So fiel Königsberg, München 1958; Lew Kopelew, Aufbewahren für alle Zeit, Hamburg 1975; Michael Wiek, Zeugnis vom Untergang Königsbergs. Ein „Geltungsjude“ berichtet, Heidelberg 2001. Vgl. Günter Wermusch, Die Bernsteinzimmer-Saga. Spuren, Irrwege, Rätsel, Berlin 1991. Wermusch unterzieht in dieser Darstellung das Buch „Bernsteinzimmer-Report“ von Paul Enke, an dem er selbst mitgearbeitet hat, einer kritischen Betrachtung und gibt Einblick in die verschiedenen Ansätze der Bernsteinzimmersucher. Zur umfangreichen Literatur vgl. Peter Bruhn, Das Bernsteinzimmer von Zarskoje Selo bei Sankt Petersburg, Bibliographie, Berlin 2. Aufl. 2004. Spezialist für die Grabungen in Kaliningrad, wie Königsberg heute heißt, und dem Kaliningrader Gebiet war Avenir Ovsjanov. In Westdeutschland forschte der aus Königsberg stammende Georg Stein bis zu seinem Selbstmord 1987 nach dem Verbleib des Bernsteinzimmers.

Kulturgüter in der Verfügung der Alliierten

Leitung von T. A. Beljaeva Nachforschungen an. Letztere schrieb in ihrem Abschlussbericht, man habe 100.000 Bände in der Bibliothek durchgesehen und 30.000 davon zum Abtransport nach Moskau vorbereitet. Im städtischen Archiv fanden sie Museumsmobiliar unter anderem aus Kiew und Dnepropetrovsk, aber auch einen mit Intarsien und Bronzefiguren verzierten Schrank aus Gatčina und Möbel aus Carskoe Selo, insgesamt 39 Objekte; weitere 26 Kisten füllten sie mit Museumsinventar unbestimmter Herkunft. Zu Beljaevas Kommission gehörte auch der am Moskauer Historischen Museum beschäftigte Archäologe Aleksandr Ja. Brjusov. Er fand im Schloss schwer beschädigte Möbelstücke aus Carskoe Selo und Gatčina, die er in 60 Kisten verpackt haben soll. Es bleibt unklar, ob der Inhalt dieser Kisten die entsprechenden Museen erreichte.15 Zu Brjusovs Auftrag gehörte auch die Suche nach dem Bernsteinzimmer. Er verhörte Alfred Rohde, der zu Protokoll gab, dass sich das Bernsteinzimmer bis zum 5. April 1945 im Schloss befunden habe. Wenn dem tatsächlich so war, könnte es dort verbrannt sein. Davon ging auch Brjusovs zunächst aus: „Wahrscheinlich war der von unseren Soldaten entfachte Brand der Grund dafür, dass das Bernsteinzimmer nicht mehr existierte.“16 In dem Tagebuch, das er während des Aufenthalts in Königsberg führte, notierte er, dass er in der Asche auf dem Fußboden des Ordenssaals auf Türangeln aus dem Katharinenpalast, verbrannte Formstuckatur vom Bernsteinzimmer und auf Eisenplatten gestoßen sei, die zu den Transportkisten gehört haben sollen;17 Cyrlin, der vor dem Krieg in Puškin gearbeitet hatte, habe die verbrannten Stücke als Teile des Bernsteinzimmers identifiziert. Das Fazit der Kommission lautete daher, das Zimmer sei verbrannt. Dies bedeutete eine Schuldzuschreibung an die eigenen Truppen, möglicherweise nahm Brjusov deshalb seine Schlussfolgerungen später zurück. Im März 1946 reisten Anatolij Kučumov und Stanislav Trončinskij als Vertreter der Leningrader Museumsverwaltung nach Königsberg, um die Suche nach verschlepptem Inventar auch hier fortzusetzen. Sie fanden Teile zerstörter Möbel aus Carskoe Selo. Ob es sich um dieselben Möbel handelte, die Brjusov gefunden und zum Abtransport vorbereitet hatte, oder ob es andere Stücke waren, muss offenbleiben. Außerdem entdeckten sie die verbrannten Reste von drei der ursprünglich vier Steinmosaike aus dem Bernsteinzimmer.18 Trotz dieser Funde vertrat Kučumov in einem – allerdings erst 1950 verfassten – Bericht die Meinung, dass nicht das gesamte Zimmer verloren sei, und bekräftigte sie in seinem in den 1970er Jahren verfassten Buch. Insgesamt lässt sich feststellen, dass es trotz intensivster Bemühungen russischer und deutscher Wissenschaftler sowie einer Schar

15 Zinič behauptet mit Verweis auf den Königsberger Bernsteinzimmerforscher Ovsjanov, dass das Schicksal dieser Kisten ungeklärt geblieben sei, vgl. Zinič 2005, S. 156. Sie nennt keine Dokumente, die dies bestätigen. Bekannt ist, dass schwer beschädigte Möbel, die sich bis Kriegsende in Königsberg befunden hatten, nach Carskoe Selo zurückkamen. 16 Zit. nach Remy 2003, S. 144. 17 Remy 2003, S. 143. 18 Zum vierten Mosaik siehe Einleitung.

Königsberg und die Suche nach dem Bernsteinzimmer

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von Hobbyforschern keinen eindeutigen Aufschluss über den Verbleib des Bernsteinzimmers gibt. Zweifel sind aber vor allem gegenüber Augenzeugenberichten angebracht, die teils unter Druck zustande kamen – so sicherlich die Befragung Rohdes im April 1945 –, teils erst Jahrzehnte später erstellt wurden. Die wenigen überlieferten glaubwürdigen Quellen legen dagegen die Schlussfolgerung nahe, dass das Bernsteinzimmer im Schloss verbrannt ist.19

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Rückführungen aus sowjetisch besetzten Gebieten

Die Frage nach Reparationen und Restitutionen steht wegen der institutionellen Verflechtung gerade im sowjetischen Fall in engem Zusammenhang mit der Suche nach verschleppten Kulturgütern. Laut einer Verordnung des Staatlichen Komitees für Verteidigung wurden bereits im März 1942 erste Trophäenbrigaden eingerichtet, deren Aufgabe die Sammlung und der Abtransport von erbeutetem deutschem Kriegsgut, von Rohstoffen und Materialien aller Art war. An alle sowjetischen Armeen und Divisionen waren Trophäenbrigaden angegliedert, die besonders seit Frühjahr 1944 beim Vormarsch der Roten Armee Richtung Westen zum Einsatz kamen. Kunstgüter spielten für sie eine untergeordnete Rolle, wurden aber abtransportiert, wenn entsprechende Depots entdeckt wurden. Parallel entstanden im Frühjahr 1945 Arbeitsgruppen unter Leitung des Komitees für Kultur der UdSSR einerseits und des Komitees für Kultur- und Bildungsangelegenheiten der RSFSR andererseits, die explizit mit der Suche nach Kulturgütern, ihrer Begutachtung und dem Abtransport beauftragt waren: sowohl von deutschen Kulturgütern, die als potentielle Reparationen in enormen Umfang in die UdSSR gebracht wurden, als auch von entwendetem sowjetischem Inventar, das zügig zurückgeführt sollte. Mitglieder dieser Arbeitsgruppen reisten gleichfalls in die anderen Besatzungszonen, um dort Bestände zu sichten, die Restituierung einzuleiten und den Transport zu begleiten. In ihren Reihen arbeiteten führende sowjetische Spezialisten, Museumsmitarbeiter und Wissenschaftler, die auf ihren Einsatz gut vorbereitet waren.20 Offenbar hatten sie eine Art Erstzugriffsrecht auf die deutschen Kunstwerke und führten die wertvollsten Bestände ab. Nach ihnen kamen weitere Brigaden verschiedener sowjetischer Institutionen zum Einsatz, darüber hinaus plünderten auch sowjetische

19 Zu diesem Befund kamen auch Remy und Ovsjanov, deren Argumentation hier im Wesentlichen gefolgt wird. 20 In dem Projekt „Kriegsverluste deutscher Museen“ des Deutsch-Russischen Museumsdialogs wird seit 2008 auf der Grundlage von Transportlisten des Komitees für Kultur dem Schicksal deutscher Kunstwerke nachgegangen. Vgl. Regine Dehnel, Einmal in die Sowjetunion und zurück? Ein Projekt des Deutsch-Russischen Museumsdialogs zur Auswertung von Transportlisten der sowjetischen Trophäenbrigaden, in: Arsprototo (2014), H. 6, http:// www.kulturstiftung.de/publikationen/arsprototo/ausgaben/4-2014/einmal-in-die-sowjetunion-und-zurueck/ [1.5.2018]. In der Forschung hat sich für die Arbeitsgruppen des Kulturkomitees und des Komitees für Kulturaufklärung der Begriff „Trophäenbrigaden“ eingebürgert, was aber nicht der Eigenbezeichnung entspricht.

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Kulturgüter in der Verfügung der Alliierten

Soldaten, so dass bis heute unklar bleibt, auf welchen Wegen deutsche Kunstschätze abtransportiert und welche eigenen Kunstgüter gefunden wurden.21 Dieselbe Unsicherheit besteht hinsichtlich der Depots, auf die die Rote Armee auf baltischem, polnischem und tschechischem Gebiet stieß. In den wenigsten Fällen ist überliefert, worum es sich dabei handelte.22 In unserem Zusammenhang ist ein Fund auf deutschem Gebiet besonders wichtig. In Mühlberg an der Elbe wurden im Frühjahr 1945 Exponate gefunden, deren Etiketten sie laut einem Bericht der sowjetischen Trophäenbrigaden als Stücke einer von den Deutschen organisierten Ausstellung auswiesen: Hier wurden 40 Kisten Eigentum der Novgoroder Museenvereinigung entdeckt, welche die Deutschen 1943 ausführten. Zwei Kilometer von der Stadt entfernt, in der Burg Marienkirche, wurde die Ikonostase aus der Sophienkathedrale in Novgorod entdeckt, die sog. „Zarentüren“, einzelne Ikonen und religionsgeschichtliche Gegenstände aus Novgoroder, Pskover und Porchovsker Museen [eine Stadt im Verwaltungsbezirk Pskov]. Ebenso zwei Statuen, im Garten, aus Detskoe Selo, eine Kommode aus den Palästen um Leningrad u. a.“23

Die Beschreibung lässt vermuten, dass es sich um Teile der Rigaer und auch der Breslauer Ausstellung handelte.24 Da es aber weder von diesen Ausstellungen noch von den in Mühlberg aufgefundenen Objekten vollständige Listen gibt, ist ein Abgleich und damit die Bestätigung dieser Annahme nicht möglich. Die Mühlberger Objekte wurden zunächst auf die Ortskommandantur gebracht, die Meldung erstattete. Von dort gelangten sie vermutlich in ein Zwischendepot und dann per Bahn zurück in die UdSSR. Der genaue Weg ist nicht nachvollziehbar. Wahrscheinlich kamen sie zunächst in die zentralen Restaurierungswerkstätten in Moskau, wo die Etiketten der Rigaer Ausstellung bis heute aufbewahrt werden.25 Es ist unklar, welche Kunstwerke anschließend an ihre Herkunftsorte zurückgeschickt wurden, sicher ist jedenfalls, dass sich die Ikonen „Gleb und Boris“ und „Himmelfahrt des Elias“ aus dem 14. Jahrhundert bis heute in der Sammlung des Historischen Museums in

21 Vgl. Zinič 2005, S. 85–104; dies., Zwischen den Zonen. Restitution von Kulturgut nach Russland, in: Osteuropa 56 (2006), H. 1–2, S. 323–328; Volkert 2000; Klaus Dieter Lehmann/Ingo Kolasa (Hrsg.), Die Trophäenkommissionen der Roten Armee. Eine Dokumentensammlung zur Verschleppung von Büchern aus deutschen Bibliotheken, Frankfurt a.M. 1996; Konstantin Akinscha/Grigori Koslow, Beutekunst. Auf Schatzsuche in russischen Geheimdepots, München 1995; Uwe Hartmann (Hrsg.), Kulturgüter im Zweiten Weltkrieg: Verlagerung – Auffindung – Rückführung, Magdeburg 2007. Trotz der bisher geleisteten Forschung, liegt keine Arbeit vor, die einen Überblick über die institutionellen Zuständigkeiten, Rivalitäten und Abstimmungen der am Abtransport von Kulturgütern beteiligten Instanzen und konkret über Personal und Vorgehen gibt. 22 Vgl. Zinič 2005, S. 104 f. 23 GARF, f. A-534, op. 2, d. 10, ll. 59; auf Deutsch abgedruckt in: Lehmann/Kolasa 1996, S. 115. Die Beschreibung des Fundorts ist nicht stimmig, vermutlich handelte es bei der Kirche um St. Marien, die Kirche des Zisterzienserklosters Marienstern, das aber in der Stadt, in der Nähe des Bahnhofs, liegt; zwei bis drei Kilometer entfernt von der Stadt lag dagegen – ebenfalls an einem Bahnhof – das Kriegsgefangenenlager Stalag IV B. 24 Siehe Kap. III.7: Letzte Beutekunst-Ausstellungen der Heeresgruppe Nord. 25 Vgl. 95 let naučnoj restavracii. Otkrytija i povsednevnosť, Moskva 2013.

Rückführungen aus sowjetisch besetzten Gebieten

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Abb. 108  Die wertvolle Ikone „Boris und Gleb“ aus Novgorod wurde auf den Wehrmachtsausstellungen in Pskov und Riga ausgestellt. Sie gelangte nach dem Krieg nach Moskau in die zentralen Restaurierungswerkstätten und befindet sich noch heute in Moskau im Historischen Museum.

Moskau befinden. Die wertvolle, byzantinische Ikone „Peter und Paul“, andere Teile aus der Ikonostase der Sophienkathedrale, das Ljudogoščin-Kreuz und weitere Objekte sind nach Novgorod zurückgekehrt. Vermisst wird dagegen unter anderem eine auffällige Nikolausfigur, die Eugen Fink in Pskov fotografiert hat und bei der es sich wohl um eine rund einen Meter hohe, bemalte Skulptur vermutlich aus dem 17. Jahrhundert handelte. Solche figürlichen Ikonen sind äußerst selten. Einige Exemplare befinden sich im Russischen Museum und in der Treťjakov-Galerie. Eine ähnliche Nikolausfigur, die Fink ebenfalls fotografierte, ist heute wieder im Museum von Pskov. Nach der Kapitulation Deutschlands und der Etablierung von Besatzungszonen bildete auch die Sowjetische Militärverwaltung (SMAD)26 und hier speziell die Abteilung für 26 Jan Foitzik, Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD). 1945–1949. Struktur und Funktion, Berlin 1999; ders./Nikita W. Petrow, Die sowjetischen Geheimdienste in der SBZ/DDR von 1945 bis 1953, Berlin u. a. 2009.

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Kulturgüter in der Verfügung der Alliierten

Abb. 109  Für diesen Porzellanteller lässt sich die Verlustgeschichte lückenlos klären: Von Gatčina aus gelangte er nach Pskov, von dort über Riga nach Colmberg, dann wurde er über den CCP München in die UdSSR restituiert. Am Schluss blieben nur noch Scherben, so dass er heute als Verlust gilt.

Reparationen unter Leitung ihres Vorsitzenden Zorin eine wichtige Instanz für die Verfügung über Kulturgüter, sei es deutscher oder sowjetischer Herkunft. In der Praxis entstanden in den Regionen der sowjetisch besetzten Zone Sammelpunkte und Depots, von denen aus die Abtransporte stattfanden. Für die Restitutionen war der zentrale Sammelpunkt am Berliner Osthafen in den Lagerräumen der Deutsch-Russischen Transportgesellschaft (Derutra) von besonderer Bedeutung. Von hier aus sollten sie vorsortiert an ihre Herkunftsregionen zurückgeschickt werden. Dafür kam 1947 eine Kommission von Fachleuten nach Berlin, zu welcher der Vertreter des Komitees für Kultur und Bildung beim Ministerrat der RSFSR D. B. Marčukov, der Mitarbeiter des Historischen Museums G. G. Antipin sowie A. Kučumov aus Puškin gehörten. So weit es möglich war, ordneten sie die Objekte nach den Herkunftsorten, packten Kisten um und kennzeichneten sie entsprechend. Nach Leningrad, vielmehr in das mittlerweile in Puškin befindliche zentrale Museumsdepot wurden fünf Waggons geschickt. Drei weitere mit Kunstgütern aus Novgorod, Pskov und Tichvin fuhren nach Novgorod. Für Kiew standen acht und für Minsk zwei Waggons zur Verfügung.27 Die Packlisten der für Leningrad bestimmten Objekte sind überliefert.28 Aufgeführt waren deutlich mehr Objekte als vom Central Collecting Point (CCP), den die MFA&A-Mitarbeiter in München eingerichtet hatten, nach Berlin verschickt worden waren, vermutlich waren auch die Fundstücke aus Mühlberg sowie Objekte dabei, die in weiteren Depots, deutschen Sammlungen oder in Privathand ausfindig gemacht werden konnten. Dokumente belegen, dass die Bronzestatuen „Herkules“ und „Flora“ aus Puškin, die in Halle in einer Metallgießerei gefunden worden waren, in einem offenen 27 Vgl. Zinič 2005, S. 127–130; Hartung 1998, S. 209–215. 28 Vgl. GARF, f. A-534, op. 2, d. 13.

Rückführungen aus sowjetisch besetzten Gebieten

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Waggon abtransportiert wurden;29 die spätere Aussage Kučumovs, er habe sie in Antropšino (bei Puškin) gefunden, kann also nicht zutreffen.30 „Herkules“ trug die Rückführungsnummer 14667, „Flora“ die 14568, Kistennummern 523 und 524. Für beide existieren ausführliche Vermerke zu Beschädigungen in der Transportliste.31 Für manche Objekte lässt sich anhand der vorliegenden Dokumentation nachzeichnen, welchen Weg sie im und nach dem Krieg nahmen. Die Marmorbüste einer jungen Frau mit Haarkranz, die Eugen Fink 1942 in Pskov fotografierte, stammte ursprünglich aus Schloss Gatčina. Von Pskov aus gelangte sie über Riga nach Colmberg, dann in den CCP München und von dort nach Berlin. Sie bekam in der Transportliste Berlin–Leningrad die Nummer 2 in der Kiste R-728.32 Heute verzeichnet Schloss Gatčina die Büste als Inventarnummer G-29420 in ihrem Bestandskatalog,33 allerdings mit dem Abb. 110  Die Frauenbüste aus Gatčina überstand ohne Hinweis, tatsächlich befinde sie sich in der Schaden den Weg Pskov, Riga, Colmberg, München zurück nach Leningrad in das Zentraldepot. Heute ist Ausstellung von Pavlovsk.34 Ein chinesischer sie – wie andere Exponate aus der Sammlung von Teller aus dem Katharinenpalast (E-3310) Gatčina – in Schloss Pavlovsk ausgestellt. wies auf einer Fotografie Finks aus dem Jahr 1942 noch keine Schäden auf35; auf der Colmberg-Liste (Signatur RI-PO 70) ist vermerkt, dass der Rand mehrfach ausgebrochen und geflickt sei, die Teile seien vorhanden36; auf der Leningrader Liste (Kiste 658) wurden die Brüche am Rand beschrieben und acht weitere 29 Es ist denkbar, dass die beiden Skulpturen sich in derselben Metallgießerei befunden hatten wie eine große Le­ ninskulptur, die die sowjetischen Truppen in Eisleben fanden. Sie soll ebenfalls aus Puškin gestammt haben und wurde angeblich wegen ihrer Größe nicht eingeschmolzen. Später wurde sie der DDR übereignet und befindet sich heute im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Vgl. https://www.dhm.de/blog/2018/01/04/wie-das-lenindenkmal-ins-deutsche-historische-museum-gelangte/ [1.5.2018]. 30 Vgl. Zinič 2005, S. 107. 31 GARF, f. A-534, op. 2, d. 13, l. 220. 32 GARF, f. A-534, op. 2, d. 13, l. 269. 33 Vgl. Min. Kultury RF (Hrsg.), Svodnyj Katalog, Bd. 5, GMZ Gatčina, 6. Buch, Moskau 2004, Gosudarstvennyj muzejzapovednik „Gatčina“, S. 299. 34 So verhält es sich mit vielen Objekten aus der Sammlung von Schloss Gatčina, die heute in Pavlovsk ausgestellt sind, weil Schloss Gatčina erst 1986 wieder in ein Museum umgewandelt wurde. Schloss Pavlovsk eröffnete dagegen schon in den 1950er Jahren erneut als Museum und nutzte Objekte aus Gatčina, um Lücken in der eigenen Sammlung zu füllen – eine Situation, die ihre eigenen Spannungen zur Folge hat. 35 Bildarchiv Foto Marburg, Bild 187 431. 36 BArch B323/495.

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Bruchstücke notiert.37 Dass es auf den Transporten immer wieder Beschädigungen gab, lässt sich auch an einem weiteren chinesischen Teller (Inventarnummer G-16067) aus Gatčina nachvollziehen, der auf der Fotografie von 1942 keine Schäden aufwies und auf der Colmberg-Liste als in zwei Hälften zerbrochen beschrieben wurde38; bei der Rückführung war bereits die Rede von sechs Teilstücken, von denen einige kleine Stücke fehlten39, heute ist er im Verlustkatalog verzeichnet, weil er vermutlich nicht mehr repariert werden konnte. Für die meisten Objekte sind derartige (Teil-)Rekonstruktionen nicht möglich, was auch daran liegt, dass überwiegend keine genauen Beschreibungen und Fotografien vorliegen: Bei Angaben wie „chinesische Flötenvase“, „Stuhl aus Mahagoni-Holz im Stil Empire“ oder „Kirchengewand“ und „Altarkreuz“ sind Zuordnungen in der Regel unmöglich. Das gilt ebenso für Gemälde, Stiche und Ikonen, die nur grob nach ihren Motiven beschrieben wurden.

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Der Central Collecting Point in München

Im Vergleich zur Quellenlage für die sowjetischen Brigaden ist das Vorgehen der MFA&AOffiziere während des alliierten Vormarschs – zunächst in Italien, Frankreich, Holland und Belgien, dann auch auf deutschem Gebiet – durch umfangreiches, mittlerweile auch online zugängliches amerikanisches Quellenmaterial gut belegt und gründlich erforscht.40 Gegen Ende des Krieges hatten Behörden wie Privatleute in Deutschland und Österreich Archivalien, Bücher und Kunstsammlungen an den verschiedensten Orten gelagert. Hierhin gelangten zudem in ganz Europa beschlagnahmte Kunstschätze. Die meisten dieser Bergungsorte, an denen oft Kulturgüter unterschiedlichster Provenienz gemischt lagerten, befanden sich in den von den Amerikanern besetzen Gebieten. Die Spezialisten des MFA&A hatten sich zwar auf ihren Einsatz vorbereitet, viele der rund 1.400 Bergungsorte konnten sie jedoch nur nach und nach durch Befragungen ermitteln. Die spektakulärsten Funde machten sie im stillgelegten Salzbergwerk in Altaussee (Österreich), wo sich die Sammlung des „Sonderauftrags Linz“41 befand, sowie auf Schloss Neuschwanstein und in Kloster Banz, den wichtigsten Depots des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg für geraubte Sammlungen aus Frankreich, Belgien und Holland, die oft aus jüdischem Besitz stammten. In den Kalischachtanlagen von Merkers in Westthüringen fanden sich Tonnen von Gold und Säcke 37 38 39 40

GARF, f. A-534, op. 3, d. 13, l. 73ob. Bildarchiv Foto Marburg, Bild 187 433, und BAK B323/495. GARF, f. A-534, op. 3, d. 13, l. 74. Cay Friemuth, Die geraubte Kunst. Der dramatische Wettlauf um die Rettung der Kulturschätze nach dem Zweiten Weltkrieg. Entführung, Bergung und Restitution europäischen Kulturgutes 1939–1948, Braunschweig 1989; Robert M. Edsel, Saving Italy. The Race to Rescue a Nation’s Treasures from the Nazis, New York 2013; ders./Bred Witter, Monuments Men. Auf der Jagd nach Hitlers Raubkunst, St. Pölten/Wien 2013. 41 Ernst Kubin, Sonderauftrag Linz. Die Kunstsammlung Adolf Hitlers. Aufbau, Vernichtungsplan, Rettung. Ein Thriller der Kulturgeschichte, Wien 1989; Schwarz 2008; dies. 2014.

Der Central Collecting Point in München

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mit Devisen sowie wertvolle Gemälde aus den Berliner Museen. Bestände aus der Sowjetunion lagerten vor allem auf Schloss Colmberg bei Ansbach (aus dem Gebiet um Leningrad, Pskov, Novgorod, Tichvin, Pečory), auf Schloss Höchstedt (vor- und frühgeschichtliche Sammlungen aus der Ukraine, Exponate aus dem Historischen Museum Minsk), in Kloster Banz (Gemälde und volkskundliche Sammlungen aus Minsk, Kiew, Taganrog, Charkiv), in Hungen in Hessen (Bücher für die „Hohe Schule“) sowie auf Schloss Tanzenberg in Kärnten (Bibliotheken aus den Zarenschlössern). Colmberg nahmen die US-Truppen am 17. April 1945 ein und entdeckten zu diesem Zeitpunkt auch das Bergungslager in dem durch Artillerie teilweise erheblich beschädigten Schloss42, die dort gelagerten Sammlungen hatten jedoch keinen Schaden genommen. Möglicherweise befanden sich darunter auch von Solms geborgene Exponate.43 Ein Jahr später, im März und April 1946, brachten 25 LKW 1.190 verpackte Gegenstände in den Central Collecting Point München.44 Im CCP München wurden vorwiegend wertvolle Werke der bildenden Kunst aufbewahrt, etwa die Sammlung des „Sonderauftrags Linz“ oder die Sammlung Göring, teilweise aber auch Kunstwerke aus deutschem Privatbesitz, deren Herkunft unklar war. Kleinere Collecting Points richteten die Amerikaner in Marburg und Wiesbaden (vor allem ausgelagerte deutsche Museumssammlungen) sowie in Offenbach (Judaika) ein.45 Die Objekte wurden alle auf Karteikarten (Property Cards Art, PCA) erfasst: Titel, Herkunft, Zustand, Inventarnummern, Fundort, ergänzend kam meist ein Foto hinzu. Die Kunstexperten standen vor einer gewaltigen Aufgabe. Von den rund 80.000 bearbeiteten Objekten wurde ein großer Teil ins Ausland restituiert, an erster Stelle nach Frankreich, dann in die Niederlande und die Sowjetunion. Laut dem Abschlussbericht entfielen über 4.875 Objekte auf die UdSSR.46 Im CCP München arbeiteten Spezialisten aus verschiedenen europäischen Ländern an der Identifizierung und Inventarisierung der Kunstwerke ihrer jeweiligen Museen und Sammlungen, erstellten Listen und organisierten den Rücktransport. Ein sowjetischer Arbeitsstab wurde erst im Frühsommer 1946 – nach der Klärung allerlei interner bürokratischer und personeller Fragen – eingerichtet; auch die schwierigen inneralliierten Reparationsverhandlungen spielten bei der Verzögerung eine Rolle.47 Den Tagebuchangaben Eberhard 42 Vgl. NARA, M1946, Roll 0072, p. 15. 43 Vgl. NARA, M1946, Roll 0132, p. 152. So ein Mitarbeiter des Heeresmuseums Straßburg, der im Frühjahr 1945 nach Bergungsraum für historische militärische Fahnen im Raum Rothenburg suchte. Denkbar ist allerdings auch, dass er nicht darüber informiert war, dass die Kunstwerke an den ERR übergeben worden waren. 44 Vgl. NARA, M1946, Roll 0066, p. 6. Ausführlich dazu Freitag 1998. 45 Vgl. Iris Lauterbach, Der Central Collecting Point in München. Kunstschutz, Restitution, Neubeginn, München, Berlin 2015; dies., Der Central Art Collecting Point in München, in: Inka Bertz/Michael Dorrmann (Hrsg.), Raubkunst und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, Frankfurt a.M. 2008; Angelika Enderlein/Monika Flacke, Die Datenbank des „Central Collecting Point München“ unter http://www.dhm.de/ datenbank/ccp/prj_dhm_ccp/ccp_einleitung_de.pdf [1.5.2018]. Zu den Transporten vgl. NARA M1940, Roll 0004 und Roll 0002. 46 Vgl. Lauterbach 2015, S. 194. 47 Vgl. dazu Koslow 1998, S. 166–168.

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Kulturgüter in der Verfügung der Alliierten

Hanfstaengls48 zufolge erhielt Wiltrud Mersmann, eine junge österreichische Kunsthistorikerin, den Auftrag, sich um die Inventarisierung der in München eintreffenden Kunstwerke aus der UdSSR zu kümmern.49 Laut Hanfstaengl trafen die ersten Kisten aus Colmberg – offenbar Ikonen, denn die jeweils zwei zusammen-„genagelten Tafeln“ mussten auseinandergenommen werden – am 1. April ein.50 Bis 9. April kamen weitere Sammlungsstücke an; beim Abtransport soll ein LKW in Colmberg einen Hang hinabgerutscht sein, wobei die Ladung beschädigt wurde.51 Bereits seit November 1945 waren die Bergungsgüter aus Schloss Höchstedt und Kloster Banz nach München gebracht worden. Die russischen Kunstschätze wurden auf der Galerie I und II untergebracht. Hanfstaengl erwähnt, eine russische Kommission sei am 12. Juni angekommen. Informationen über die Zusammenarbeit der sowjetischen Fachleute und der Mitarbeiter des CCP gibt es nicht. Für alle der im CCP gelagerten Ikonen wurden Listen und PCA angelegt, denn die US-Kunstschützer waren gehalten, keine Restitutionen ohne offizielle Dokumente  – Property Card und Quittung – durchzuführen. Die Inventarisierung, für welche die Objekte auch fotografiert wurden, zog sich bis Juli hin. Bevor sich am 28. August 1946 ein Transport auf den Weg nach Moskau begeben konnte (über das Berliner Derutra-Lager), wurden die wertvollsten Ikonen zusammen mit anderen Sammlungsstücken in einer Ausstellung gezeigt.52 Bei dem ersten Transport waren 1.178 Gemälde und Ikonen aus Novgorod, Pskov, Tichvin, Gatčina und Pavlovsk dabei. Am 15. April 1947 folgte ein zweiter  – 903 Objekte, erneut Gemälde, Ikonen, Zeichnungen und Druckgrafik, ferner Möbel, Keramik, Skulpturen und ethnografische Gegenstände aus Novgorod, Pskov, den Zarenschlössern sowie aus Kiew und Char’kov. Der dritte Transport brachte 2.704 Gegenstände – vornehmlich Funde aus der Ukraine, einige Objekte aus Weißrussland und einige wenige Holzpaneele und Türen aus Novgorod und Pskov – auf den Weg nach Hause. Es gab noch einen vierten Transport am 48 Vgl. NARA, M1946, Roll 0086, p. 52–115. Der Kunsthistoriker Eberhard Hanfstaengl (1886–1973) hatte eine steile Karriere als Direktor der Münchner Städtischen Galerie im Lenbachhaus, dann der Nationalgalerie in Berlin gemacht, wurde 1937 aber wegen fehlender Übereinstimmungen mit nationalsozialistischen Positionen entlassen. Nach dem Krieg arbeitete er im Münchner CCP, von 1945 bis 1953 war er Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Zu Kritik an seinem Handeln in der Nachkriegszeit vgl. Jörg Häntzschel, Bayerische Museen verkauften Raubkunst an Familien hochrangiger Nazis, in: „Süddeutsche Zeitung“, 25.6.2016. 49 Wiltrud Mersmann wurde 1919 in Berlin geboren, studierte Kunstgeschichte und wurde 1944 in Wien promoviert. Vgl. Konstantin Akinsha, Ante Topic Mimara, „The Master Swindler of Yugoslavia“, in: http://www.lootedart. com/MFEU4T15383 [1.5.2018]. 50 Nach Zinič begutachteten die Vertreter der Außerordentlichen Kommission V. Lazarev und V. Makarov die „1815 Kisten mit sowjetischem Eigentum“ bereits im März. Vgl. Zinič 2005, S. 120. Sie beruft sich dabei offenbar auf einen Zeitungsartikel aus den 1990er Jahren, in dem möglicherweise ungenaue Daten genannt wurden. Denkbar ist auch, dass Lazarev und Makarov die Kisten noch in Colmberg sichteten und dann den Abtransport nach München beschleunigten. 51 Vgl. NARA, M1946, Roll 0066, p. 109. 52 Vgl. zwei Fotografien (S. 99) in einem Fotoalbum, das einen interessanten visuellen Eindruck vom CCP gibt: http://archives.library.illinois.edu/erec/University%20Archives/1203026/box_17/album/box_17_album_lowres.pdf [1.5.2018].

Der Central Collecting Point in München

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Abb. 111  Im Central Collecting Point in München inventarisierten die alliierten Kunstverständigen die aufgefundenen Kunstschätze und organisierten gelegentlich Ausstellungen, wie diese Ikonenausstellung, bevor die Kunstgüter restituiert wurden.

22. Juli 1947 mit acht Positionen (privat angeeignete Orientteppiche sowie Fotonegative, die sich in Höchstädt befunden hatten), einen fünften am 13. Oktober (der Neptunbrunnen aus Nürnberg) und einen sechsten am 30. Januar 1948 (322 Positionen).53 Einige sowjetische Kunstwerke unbekannter Herkunft sowie baltisches Kulturgut verblieben zunächst beim CCP München. Einem amerikanischen Bericht zufolge erfolgten zwischen 1946 und 1948 weitere Transporte von anderen CCPs in die Sowjetunion: zwei Sendungen (Kunstgegenstände, die auf hessischem Gebiet gefunden worden waren) vom Wiesbadener CCP, drei Transporte (vor allem Bücher) vom Offenbacher CCP, je ein Transport aus Berlin und aus Trypist (Tschechoslowakei). Insgesamt restituierten die US-Besatzungstruppen damit 534.120 Objekte in die sowjetische Zone, 167.717 von ihnen stammten aus Kiew. Zu diesem Zeitpunkt blieben noch 41 sowjetische Restitutionsforderungen unbearbeitet. 54 Damit waren die Rückführungen aus der amerikanischen Zone weitgehend abgeschlossen, eine ungeheure Leistung vor dem Hintergrund der zerstörten Infrastruktur, des Mangels an Verpackungsmaterial und Transportkapazitäten, aber auch der Dringlichkeit anderer Aufgaben des Wiederaufbaus.

53 Vgl. Übersicht über die shipments in: NARA, M1949, Roll 0005, p. 9, p. 14; Transportlisten mit kurzer Beschreibung aller Gegenstände NARA, M1949, Roll 0077, p. 1–256. 54 Vgl. NARA, M1449, R 0005, p. 9. Vgl. ausführlich dazu Freitag 1998, S. 196–208.

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Kulturgüter in der Verfügung der Alliierten

Im August 1949 ging das Münchner Depot in die Treuhandschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten über und man bereitete seine Schließung vor. In diesem Zusammenhang kamen zwischen Mai und November 1949 die insgesamt rund 6.000 übriggebliebenen Gegenstände in den CCP Wiesbaden, der seit Juni 1949 unter Kontrolle des High Commissioner for Germany (HiCoG) stand.55 Darunter waren auch die 480 Objekte des Klosterschatzes von Pečory. Sie wurden nicht an die UdSSR restituiert, zum einen weil die eigentumsrechtlichen Fragen ungeklärt waren56, zum anderen weil die USA die 1941 durch Eroberung vollzogene Eingliederung Estlands in die UdSSR nicht anerkannten. Der Klosterschatz sollte unter konservatorisch geeigneten Bedingungen aufbewahrt werden, was zunächst in der Städtischen Gemäldegalerie Wiesbaden, seit 1956 im neugegründeten Ikonenmuseum in Recklinghausen geschah. 1973 kehrte der Klosterschatz nach langjährigen Bemühungen des westdeutschen Bernsteinzimmerforschers Georg Stein in die Sowjetunion zurück.57 Vorausgegangen war ein zähes Ringen Steins, der von der russisch-orthodoxen Kirche einen Unterhändlerstatus verliehen bekommen hatte, mit den westdeutschen Behörden. Erfolg hatte er möglicherweise dank der Ostpolitik der Regierung Brandt. In Russland wird immer wieder der Verdacht geäußert, die amerikanische Besatzungsmacht habe sich in den besetzten Gebieten gezielt Kunstschätze angeeignet und es gebe immer noch sowjetische Kunstwerke in US-Besitz.58 Die Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf den CCP München; es wird vermutet, nicht alle aus den Zarenschlössern, aus Novgorod und Pskov stammenden Objekte, die über Riga nach Colmberg gelangt waren, seien 1946 und 1947 restituiert worden. Nach Durchsicht der mittlerweile komplett online vorliegenden Dokumente lässt sich dies mit großer Sicherheit ausschließen, denn die Listen mit Ikonen aus Novgorod und Pskov, die beim Abtransport aus Riga und bei der Rückkehr nach Leningrad erstellt wurden, stimmen bis auf sehr wenige Ausnahmen überein. Der Weg vieler anderer Gegenstände lässt sich anhand der Transportlisten nachvollziehen, teilweise ist sogar der zunehmende Zerstörungszustand vermerkt. So ist davon auszugehen, dass die Objekte in dem Moment, in dem sie auf Listen erfasst und im CCP registriert worden waren, auch den Heimweg in die UdSSR antraten. Sollte es dennoch nach Kriegsende zu Verlusten bei den aus der Sowjetunion stammenden Beständen gekommen sein, dann in der Zeit zwischen Mai 1945 und Frühjahr 1946, für die von den unterschiedlichsten Depots 55 Zu der Einrichtung des CCP München, seiner Schließung und dem folgenden Umgang mit verbliebenen Kunstwerken vgl. Enderlein/Flacke, http://www.dhm.de/datenbank/ccp/prj_dhm_ccp/ccp_einleitung_de.pdf [1.5.2018]; Lauterbach 2015, S. 188 f. Die Übernahmequittung für russische Kunstgüter unterzeichnete Clemens Weiler, der Leiter der Städtischen Gemäldegalerie Wiesbaden, am 23. Mai 1951. Das Verzeichnis umfasste elf Kisten, vgl. NARA, M1947, Roll 0035, p. 56–81. Zum CCP Wiesbaden vgl. Tanja Bernsau, Die Besatzer als Kuratoren? Der Central Collecting Point Wiesbaden als Drehscheibe für einen Wiederaufbau der Museumslandschaft nach 1945, Berlin 2013. 56 Sie Kap. III.7: Pskov. Rückzug auf Raten. 57 Vgl. Anja Heuß, Der Klosterschatz Petschur, in: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaft, Jg. 23 (1995), Nr. 2, S. 44–51. 58 Vgl. beispielsweise Zinič 2005, die in ihrer ansonsten wissenschaftlich-neutralen Arbeit an einer Stelle unvermittelt schreibt: „Ja, die Amerikaner wussten, wie man Trophäen sammelt!“ (S. 123). Es folgen Verweise auf Augenzeugengespräche aus den 1970er Jahren und auf Aussagen des Bernsteinzimmerforschers Georg Stein.

Der Central Collecting Point in München

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Plünderungen und Brände überliefert sind. In Zeugenbefragungen wurden meist befreite Ostarbeiter als Plünderer genannt, die nach Kriegsende in allen Gegenden Deutschland anzutreffen waren; es sind aber auch nicht wenige Fälle von Plünderung durch Deutsche und durch Angehörige der westlichen Besatzungsmächte überliefert.59 Der Schwarzmarkt florierte, und Kunstwerke waren wie in der Kriegszeit gefragte Tauschobjekte.60 Aus dem Colmberger Depot, in dem der Großteil der Sammlungen aus Nordwestrussland eingelagert war, ist kein Fall von Plünderung überliefert. Aus der englischen und der französischen Besatzungszone gibt es weitaus weniger Zeugnisse über den Umgang mit verlagerter Kunst als aus der amerikanischen. 61 Das liegt vor allem daran, dass es sehr viel weniger Kunstdepots gab. Aber auch in diesen kam es zu Bränden und Plünderungen. Für Wirbel sorgten etwa die Diebstähle in dem zentralen Kunstgutlager der britischen Besatzungsmacht in Schloss Celle, in dem sich vor allem Kunstschätze aus den Berliner Museen befanden.62 Die Anzahl sowjetischer Kunstgüter, die in der französischen und britischen Zone vermutet wurden, war klein, mit Blick auf die Sammlungen aus dem Nordwesten Russlands ist nur der Gottorfer Globus belegt.63 Briten hatten ihn in Neustadt in Holstein entdeckt und waren offenbar gewillt, ihn angesichts seiner eindeutigen Herkunft zügig zu restituieren. In Absprache mit den Amerikanern informierten sie die sowjetische Reparationsabteilung über den Fund und baten um die Erlaubnis, den Globus den eigenen Truppenangehörigen zeigen zu können, solange nicht alle Formalitäten zur Restitution erledigt wären. Mit sowjetischer Zustimmung wurde er von Sommer 1945 bis Herbst 1946 in Lübeck ausgestellt. Von ihrem ursprünglichen Plan, den Globus in einem feierlichen Akt an die sowjetischen Vertreter zu übergeben, sahen die Briten in Anbetracht der vielen Schäden ab.64

59 Verwiesen sei auf die Diebstähle aus Schloss Charlottenburg in Berlin oder aus dem Führerbau in München, die unmittelbar vor der Einnahme durch sowjetische bzw. amerikanische Truppen erfolgten. Plünderungen in Depots wurden etwa für Schloss Höchstädt festgehalten. 60 Der spektakulärste Fall war der Quedlinburger Domschatz, den ein amerikanischer Soldat mit der Feldpost nach Hause nach Texas schickte, vgl. Siegfried Kogelfranz/Willi Korte, Quedlinburg – Texas und zurück: Schwarzhandel mit geraubter Kunst, München 1994; Michael J. Kurtz, Nazi Contraband: American Policy on the Return of European Cultural Treasures, 1945–1955, Cambridge u. a. 1985. 61 Vgl. Sophia Barth, Kulturgutschutz in der britischen Besatzungszone am Beispiel des Zonal Fine Arts Repository Schloss Celle: Eine Bilanz der Konflikte und Erfolge, unver. Magisterarbeit, München 2017; Lothar Pretzell, Das Kunstgutlager Schloss Celle. 1945–1958, Celle 1958; Emmanuelle Polack/Philippe Dagen (Hrsg.), Les carnets de Rose Valland: Le pillage des collections privées d’œuvres d’art en France durant la Seconde Guerre Mondiale, Lyon 2011; Feliciano/Hirte 1998; Rose Valland/Isabelle Le Masne de Chermont, Le front de l’art: Défense des collections françaises, 1939–1945, Lyon 2014. 62 Vgl. Friemuth 1989, S. 129–140; Barth 2017, S. 41–60. 63 Siehe dazu Kap. III: Die „Heimkehr“ des Gottorfer Globus. 64 Vgl. National Archives UK, FO 1032/2356, o. Pag.

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Kulturgüter in der Verfügung der Alliierten

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Die Restitution des Neptunbrunnens

Der Neptunbrunnen aus Peterhof bildete bei den US-Rückgaben eine Ausnahme, weil er einerseits nicht nach München kam und andererseits sicher das größte und bedeutendste Kunstwerk war, das in die Sowjetunion restituiert wurde.65 Der russischen Literatur zufolge, gingen sowjetische Kunstexperten verzweifelt verschiedensten Hinweisen nach, um die Brunnenfiguren ausfindig zu machen; sie vermuteten sie in einem Keller in Stuttgart.66 Die US-Akten vermitteln ein anderes Bild.67 Demnach lagerten die Kisten nach Kriegsende in Nürnberg im Bunker am Panierplatz, wo sie 1943 eingelagert worden waren. Im Juli 1945 erinnerte sich Wilhelm Schwemmer, der spätere Direktor der Nürnberger Städtischen Kunstsammlungen, an den Vorgang aus der Kriegszeit und meldete der Nordbayerischen Sektion des MFA&A die Existenz des Brunnens.68 Diese gab die Information an die sowjetische Restitutionsabteilung weiter. Es vergingen aber noch zwei Jahre, bevor die UdSSR offiziell ihren Anspruch geltend machte (in der Sprache der Restitutionsverwaltung: einen claim vorlegte). Am 13. August 1947 kamen Andre Kormendi, der zuständige MFA&A-Offizier für Nordbayern, Kapitan (Hauptmann) Bodrov69 von der russischen Restitutionsabteilung samt Dolmetscher, ein Vertreter des Nürnberger Oberbürgermeisters und Baudirektor Seegy vom städtischen Hochbauamt zu einer Besprechung zusammen. Bodrov legte eine von den Peterhofer Museumsmitarbeitern verfasste Inventarliste und zwei Fotografien des Brunnens vor. Er wünschte eine sorgsame Behandlung der Brunnenfiguren sowie eine sichere, für den Seetransport geeignete Verpackung.70 Die Amerikaner versuchten, deutsche Akten zur Kriegsgeschichte des Brunnens zu finden, doch gaben die zuständigen Nürnberger Beamten zu Protokoll, dass der Vorgang geheim gewesen sei und die wenigen Akten 1945 im Rathaus verbrannt seien. Trotzdem fanden sich einige Papiere, unter anderem die Inventarliste, die bei der Ankunft des Brunnens in Nürnberg 1942 erstellt worden war. Auf ihr hatte der damalige Bearbeiter die fehlenden Stücke und die Beschädigungen festgehalten. Ausgangspunkt der von den Russen vorgelegten Liste waren jedoch die Peterhofer Inventarbücher der Vorkriegszeit, so dass die Frage auftauchte, wo die fehlenden Stücke geblieben waren. Um den Vorgang nicht endlos hinauszuzögern, schlug der sowjetische Dolmetscher vor, die Diskrepanz lieber nicht zu erwähnen, es solle nur festgestellt werden, was vorhanden sei.71 65 Vgl. zur Kriegsgeschichte des Brunnens: Jeltsch 1998. 66 Vgl. Zinič 2005, S. 126 f. Zinič zitiert wie andere Autoren auch den früheren Leiter der Restitutionsabteilung G. N. Guljaev, der möglicherweise die Städtenamen Stuttgart und Nürnberg verwechselte. 67 Der gesamte Aktenvorgang befindet sich in der Ardelia Hall Collection der National Archives, NARA, M1946, Roll 0066. Restitution Cases. General Correspondence. Russian claims, Neptunbrunnen (Neptune Fontain) 1945– 1951. 68 NARA, M1946, Roll 0066, S. 45. 69 In den amerikanischen Akten als Captain Bodrow. 70 NARA, M1946, Roll 0066, p. 17. 71 Ebd., S. 36.

Die Restitution des Neptunbrunnens

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Abb. 112  Die Brunnenfiguren des aus Peterhof abtransportierten Neptunbrunnes wurden in Nürnberg sorgfältig fotografiert. Der Kunsthistoriker Hans Robert Weihrauch bezeichnete die Nürnberger Kopie des Brunnens aus dem frühen 20. Jahrhundert im Vergleich als einen flauen Abguss, dem es an Schnittigkeit fehlt.

Die Bergung der Figuren aus dem Bunker, die Ende August begann, war kompliziert. Zunächst gab es keine Arbeitskräfte. Als dann 15 Hilfskräfte zur Verfügung standen, konnte nur vormittags bei Notbeleuchtung gearbeitet werden, weil die Militärregierung Strom sparte und das Stromnetz dann abgestellt wurde. Auch durften die Bronzefiguren nicht einfach auf der Straße gelagert, sondern mussten durch Polizeikräfte geschützt werden. Am 3. September waren endlich alle Figuren geborgen. Sie wurden gereinigt, und vom Münchner Nationalmuseum kam eigens ein Fotograf, der sie fotografierte. Dann stellte sich das Verpackungsproblem. Seetaugliche Kisten mussten getischlert und irgendwoher das Material dafür beschafft werden. Unterdessen wurde aus unbekannten Gründen die komplette sowjetische Mannschaft bei der Restaurierungskommission ausgewechselt. Zorin bevollmächtigte einen anderen Mitarbeiter, einen gewissen Major Boltanov, die Entgegennahme der Kisten zu quittieren. Am 14. Oktober erfolgte eine letzte gemeinsame Begutachtung

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Kulturgüter in der Verfügung der Alliierten

der zwölf Kisten, die über Bremerhaven in die Sowjetunion geschickt wurden. Die Geschichte hat am Ende noch eine Pointe: Beim Auspacken in Peterhof fehlte eines der beiden auf den Packlisten notierten Wasserpferde mit Reiter – an seiner Stelle befand sich ein deutsches Motorrad. Nicht nur der Krieg schuf also Bedingungen für illegale Transaktionen, auch die Nachkriegszeit war von Mangel, Chaos und unklaren Eigentumsverhältnissen geprägt, so dass Plünderungen und Diebstahl weiterhin zum Alltag gehörten.

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Verwirrspiele um die „Muttergottes von Tichvin“

Im Fall des Neptunbrunnens war die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern der amerikanischen und sowjetischen Restitutionsabteilungen zwar nicht reibungslos verlaufen, aber sie war von beiderseitigem Bemühen geprägt, die Rückführung so schnell wie möglich abzuschließen. Anders war das im Hinblick auf die „Muttergottes von Tichvin“, die wundertätige Ikone, die deutsche Truppen im Herbst 1941 erbeutet und nach Pskov gebracht hatten. Sie gelangte zunächst in die Hände des Bischofs von Riga, der die Ikone und andere Kultgegenstände mitnahm, als er im Herbst 1944 nach Deutschland evakuiert wurde. 1948 befand er sich in einem DP-Lager für lettische Flüchtlinge in Hersbruck bei Nürnberg. Am 6. Oktober 1948 wandte sich Generalmajor Zorin an Orren R. McJunkins, der zu diesem Zeitpunkt der amerikanischen Restitutionsabteilung vorstand, und erhob Anspruch auf die Ikone.72 Daraufhin beauftragte Richard Howard, der Chef der amerikanischen Militärverwaltung OMGUS73, den Leiter der Nordbayerischen Abteilung des MFA&A Andre Kormendi damit, den ehemaligen Erzbischof von Riga, Johann (Ioann), zu befragen. Dieser zeigte Kormendi alle Ikonen, die in einer kleinen provisorischen Kapelle hingen, in der er Gottesdienste für displaced persons abhielt. Die bewusste Ikone war angeblich nicht darunter. Johann präsentierte jedoch eine Postkarte mit ihrem Bild und erklärte, die deutschen Besatzungstruppen hätten sie aus propagandistischen Gründen drucken lassen, um zu zeigen, wie sehr sie sich um die russische Kirche bemühten. Die auf der Postkarte abgebildete Ikone habe sich später in der Kathedrale von Riga befunden und sei von dort in ein Frauenkloster gebracht worden. McJunkins gab diese Information am 21. Oktober an die sowjetische Seite weiter74, die aber umgehend wiederholte, die bewusste Ikone befinde sich in der Kapelle im ersten Stock auf der rechten Seite. Daraufhin entschieden die Amerikaner, weitere Nachforschungen anzustellen. Andre Kormendi führte am 26. Oktober ein weiteres Gespräch mit dem Bischof. In seinem Protokoll, das der Bischof zur Kenntnis erhielt, vermerkte er, dass er die Aussagen Johanns an höhere Dienststellen weitergeleitet habe und die Ikone nicht von ihrem Platz

72 Der gesamte Briefwechsel befindet sich in: NARA, M1947, Roll 0048. Die Anfrage von Zorin auf p. 8. 73 OMGUS: Office of Military Government for Germany (U.S.). 74 NARA, M1947, Roll 0048, p. 11.

Verwirrspiele um die „Muttergottes von Tichvin“

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entfernt werden dürfe, solange der Besitzstatus nicht geklärt sei.75 Hatte Kormendi sie bereits bei seinem ersten Besuch gesehen? Oder hatte er die Erklärung Johanns hingenommen, ohne sie zu hinterfragen? Oder war er vielleicht bemüht, die außergewöhnliche Ikone möglichst ohne Aufsehen der lettisch-orthodoxen Kirche im Exil zu überlassen? Seine Haltung ist aus den dienstlichen Akten nicht ersichtlich. Der Bischof gab bei der zweiten Befragung auf gebrochenem Deutsch zu Protokoll: „An die Anfrage Mr. Kormendi erkläre ich, dass die in meiner Kapelle befindliche Ikone der heiligen Maria von Tichvin genannt, von mir aus der Rigaer Kathedrale mitgebracht ist, im Jahre 1944 als wir von Riga evakuiert wurden.“76 Noch am selben Tag schrieb Johann an General Lucius Clay, den Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone und Befehlshaber der US-Landstreitkräfte in Europa: Er habe bei seiner Emigration aus Lettland „eines der vielen Bilder der Heiligen Mutter vom Typ der Tichviner Madonna“ mitgenommen, an dem die „militärischen Autoritäten“ nun großes Interesse zeigten. Mr. Kormendi habe sogar zum Ausdruck gebracht, dass es ihm abgenommen und an die UdSSR übergeben werden könnte. Das aber dürfe niemals geschehen: Als ich dieses Bild an mich genommen habe, hatte ich die geistige Versorgung meiner unglücklichen lettischen Herde im Blick, die ihre Heimat, ihre Beziehungen, ihre Kirchen und andere Plätze verloren hat, die heilig für sie sind, und die gezwungen ist, in der Emigration zu leben. Das oben erwähnte Bild dient dem Trost und der Ermutigung in ihrem schweren Schicksal. Mit diesem Brief wende ich mich an Sie und bitte um Ihre Hilfe. Ich flehe darum, dass mir und meiner Herde dieses Bild nicht genommen wird. Bitte geben Sie die Anweisung, dass dieses Bild weiterhin bei mir als dem Bischof der Lettischen Orthodoxen Kirche und in meiner Verfügung bleibt, solange ich in der Emigration lebe und bis zu der Zeit, in der es für mich möglich sein wird, in meine vom Bolschewismus befreite Heimat zurückzukehren.77

Gleichzeitig bat der Bischof seine Glaubensbrüder in Amerika um Unterstützung. Diese erhielt er telegrafisch von Erzbischof Thesophilus, dem Metropoliten der russisch-orthodoxen Kirche Nordamerikas: Die Ikone stamme aus einem antireligiösen Museum der UdSSR und solle vor Blasphemie geschützt werden. Die amerikanische Seite schien geneigt, der Bitte nachzukommen, wollte sich aber wohl gegen zu erwartende sowjetische Vorwürfe absichern. Johann durfte die Ikone nicht entfernen, solange die Besitzfrage nicht geklärt war. Intern verfasste Philip Hawkins, der Direktor der Property Division der OMGUS, am 10. November 1948 ein Memorandum für Clay, in

75 NARA, M1947, Roll 0048, p. 13. 76 NARA, M1947, Roll 0048, p. 15. 77 NARA, M1947, Roll 0048, S. 14.

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Kulturgüter in der Verfügung der Alliierten

dem er das weitere Vorgehen skizzierte. Punkt 1: Die zweimalige Untersuchung des Falls habe ergeben, dass der Bischof im Besitz einer entsprechenden Ikone sei; es habe aber noch nicht geklärt werden können, ob die Ikone aus der UdSSR oder aus Lettland abtransportiert wurde. Punkt 2: Käme sie aus Lettland, müsse der Anspruch der UdSSR zurückgewiesen werden, weil die UdSSR nicht der rechtmäßige Besitzer von Objekten aus Lettland sei. Punkt 3: Könne die Herkunft aus Lettland eindeutig geklärt werden, solle der Bischof die Ikone mit in die USA nehmen. Punkt 4: General Clay solle entsprechende Anweisungen geben, wenn er mit Punkt 3 einverstanden sei.78 Die weiteren Schritte folgten diesem Fahrplan. Dem Bischof wurde versichert, dass die US-Besatzungsbehörden kein Interesse hätten, die Ikone an die UdSSR zu restituieren, zunächst müssten aber die Untersuchungen abgeschlossen werden.79 Am 19. November bat Johann offiziell um die Erlaubnis, die Ikone und weitere kirchliche Gegenstände aus dem Besitz der Gemeinde bei der Ausreise in die USA mitnehmen zu dürfen.80 Um dies vertreten zu können, bat Kormendi den Bischof um weitere Beweise dafür, dass die Ikone nicht die gesuchte „Muttergottes aus Tichvin“ sei, sondern eine aus Lettland stammende Kopie.81 Am 23. November gab der Bischof zu Protokoll, dass er 1943 zum Bischof von Riga ernannt worden sei und sich die Ikone, solange er sich erinnern könne, in seiner Obhut befunden habe; es handele sich um eine Kopie der „Tichviner Madonna“. Letztere sei während des Krieges nach Pleskau gekommen, und die Wehrmacht habe aus Propagandagründen eine Postkarte von ihr gedruckt, auf der stand: „Pleskau. Ikone der Tichwiner Madonna. Das Bild wurde von der deutschen Wehrmacht nach Pleskau gerettet.“ Ein Exemplar dieser Postkarte befand sich beim Bischof. Ein Vergleich der dort abgebildeten Ikone mit der aus Hersbruck ließe leicht erkennen, dass es sich nicht um ein und dieselbe handele. Die echte Ikone hätten die Deutschen dem Bischof zufolge zusammen mit anderen Kirchenschätzen nach Saulias in Litauen gebracht; Johann verwies zudem auf eine Reproduktion der echten „Tichviner Madonna“ in einer Ausgabe der Zeitschrift „Niva“ von 1913, die zeige, dass es sich bei der Tichviner und der Rigaer Muttergottes um zwei unterschiedliche Ikonen handele. Des Weiteren gab der Bischof zu Protokoll, dass merk würdige Leute im Gottesdienst auftauchten, die er für Spitzel des sowjetischen Geheimdienstes halte.82 Nachdem McJunkins diesen Bericht erhalten hatte, bat er Richard Howard, ihn angesichts des „internationalen Interesses“ nochmals zu prüfen und nach Möglichkeit herauszufinden, wie lange sich die Ikone in Riga befunden hatte.83 Daraufhin erhielt er einen dreiseitigen Bericht, in dem die Erzählung des Bischofs um ein Detail erweitert wurde: Die

78 79 80 81 82 83

NARA, M1947, Roll 0048, S. 26. NARA, M1947, Roll 0048, S. 19. NARA, M1947, Roll 0048, S. 42. NARA, M1947, Roll 0048, S. 33. NARA, M1947, Roll 0048, S. 45 f. NARA, M1947, Roll 0048, S. 60.

Verwirrspiele um die „Muttergottes von Tichvin“

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Abb. 113  Werner Körte fotografierte die Gottesmutter von Tichvin 1942 in Pskov. Nach einer langen, weiten Reise über Riga, Hersbrück bei Nürnberg und Chicago kehrte sie 2004 an ihren Herkunftsort zurück.

Kopie der Ikone habe ein Mönch zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Riga gemalt, und sie sei Johann bei der Übernahme der Bischofswürde geschenkt worden.84 Die sowjetische Seite hatte derweil davon erfahren, dass Johann in die USA umsiedeln wollte, und forderte am 1. sowie am 24. Dezember 1948 und am 26. Januar 1949 die umgehende Rückführung der Ikone. Dieser Forderung wurden vorrevolutionäre Beschreibungen und ein Bild der Ikone beigelegt. 85 Daraufhin verfasste Hawkings am 27. Januar ein weiteres Memorandum für General Clay, das seine zwiespältige Haltung zu der Frage deutlich machte. Zunächst stellte er fest, auf Grundlage der eidesstattlichen Erklärungen des Bischofs müsse die Ikone in dessen Besitz bleiben. Er sei fest davon überzeugt, dass es sich nicht um die von der UdSSR gesuchte Ikone handele, sondern um eine Kopie, und dass man den sowjetischen claim zu Recht zurückgewiesen habe. Nehme man die Aussagen des Bischofs für bare Münze, müsse man die Ikone mit ihm in die USA ausreisen zu lassen. Er persönlich sei „sehr skeptisch“, inwieweit die Aussagen zuträfen; da es sich aber nicht um die gesuchte Ikone handele, sondern um eine wertlose Kopie, für die keine Rückforderung vorläge, empfehle er, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen und die Worte des Bischofs nicht 84 NARA, M1947, Roll 0048, S. 70–72. 85 NARA, M1947, Roll 0048, S. 47 f, S. 62–64, S. 70.

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Kulturgüter in der Verfügung der Alliierten

weiter zu hinterfragen.86 So wurde verfahren. McJunkins schrieb einen hinhaltenden Brief an Zorin und versprach weitere Aufklärung, während zeitgleich die Ausreise des Bischofs vorbereitet wurde.87 Die Aussagen des Bischofs und die interne OMGUS-Korrespondenz lassen durchaus Zweifel zu, ob 1948/49 um eine Kopie gestritten wurde oder um die von Wehrmachtseinheiten 1941 in Tichvin entwendete und dann nach Pskov bzw. Riga gebrachte Ikone. Klarheit stellte sich erst 60 Jahre später ein: Nach dem Ende der UdSSR, im Jahr 2004, kehrte die echte wundertätige Ikone auf Betreiben des Ziehsohns von Bischof Johann aus Chicago, wo sie sich all die Jahre befunden hatte, nach Tichvin, in ihre ursprüngliche Heimat, zurück.88

7

Fazit

Zunächst überrascht die hohe Zahl an restituierten Objekten, bei genauerer Durchsicht fällt jedoch auf, dass viele darunter nicht sehr wertvoll waren. Vor allem schienen sie oft in einem schlechten Zustand zu sein. Insgesamt vermitteln die Quellen den Eindruck, dass aus den gezielt und als zusammenhängende Bestände durch den militärischen Kunstschutz oder den ERR abtransportierten (Teil-)Sammlungen ein relativ hoher Prozentsatz an seine Herkunftsorte zurückgekehrt ist. Dank der detaillierten Verzeichnung Vasilij Ponomarevs lässt sich belegen, dass der Großteil der „sichergestellten“ Ikonen nach Pskov bzw. Novgorod zurückkehrte. Pskov erhielt auch einen beachtlichen Teil der Gemäldesammlung zurück. Eine genaue Berechnung der Verluste ist allerdings bei beiden Städten unmöglich, weil der Gesamtumfang der Vorkriegssammlungen unklar ist. Die Verluste lassen sich folglich nur grob schätzen. Bei den Zarenschlössern sind sie hingegen genau zu beziffern, denn hier liegen die Inventarbücher aus der unmittelbaren Vorkriegszeit und die Evakuierungslisten vor. Je nach Schloss mit unterschiedlicher Gewichtung kann man von einer groben Dreiteilung ausgehen: 20 bis 30  Prozent der Sammlungen wurden ins sowjetische Hinterland evakuiert und kehrten bis auf wenige Ausnahmen zurück, rund zehn Prozent wurden nach 1945 aus Deutschland restituiert, 60 bis 80 Prozent müssen als Kriegsverluste gelten, als zerstört oder verschollen. Nicht alle restituierten Objekte sind in ihre Herkunftssammlung zurückgekehrt. Teils gerieten sie beim Rücktransport an einen falschen Bestimmungsort und blieben dort, teils mussten sie restauriert werden und wurden anschließend nicht zurückgegeben, manchmal tauschten Museen Objekte untereinander oder Sammlungsstücke kehrten nicht zurück, weil das Herkunftsmuseum noch zu zerstört war oder sich niemand um die Rückführung

86 NARA, M1947, Roll 0048, S. 78. 87 NARA, M1947, Roll 0048, S. 82, S. 87 f. 88 Vgl. N. I. Nikandrow: Die Ikone „Muttergottes von Tichvin“ (XV.–XVI. Jh.), http://www.lostart.ru/de/restore/detail.php?ID=1419 [1.5.2018].

Fazit

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kümmerte. Die Fragen der innerrussischen Restitution sind kompliziert und lohnen eine eigene Untersuchung. Festzuhalten ist aber, dass die Mitarbeiterinnen der russischen Museen oft gut darüber Bescheid wissen, welche „ihrer“ Objekte es an andere Orte verschlagen hat, weshalb diese in den Verlustkatalogen in der Regel nicht verzeichnet sind.89 Aussagen über restituierte Kulturgüter sind auch deshalb schwer zu treffen, weil die Akten der SMAD in den vergangenen Jahren zwar großenteils verfilmt und zugänglich gemacht wurden, die Dokumente, die unmittelbar die Abtransporte von Kunstgütern belegen  – insbesondere Transportlisten und Empfängeradressen in der UdSSR – von der Öffnung aber ausgeschlossen bleiben.90 In den Quellen gibt es folglich nur bruchstückhaft Hinweise darauf, was wiedergefunden wurde. Noch schwieriger ist der Zugang zu Dokumenten der Trophäenbrigaden, die unmittelbar der Roten Armee unterstanden. Sie befinden sich im Archiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation, sind wenig erschlossen und für die Forschung schwer zugänglich. Bis heute ist der Themenkomplex „Trophäenbrigaden“ wenig erforscht, und die Darstellung oben kann die komplizierten sowjetischen Strukturen nur grob skizzieren.

89 Zinič geht auf Irrläufer ein, die im Zentraldepot in Leningrad gelandet sind, vgl. Zinič 2005, S. 170–188. Zum Thema der inneren Restitution gibt es keine Fachliteratur. Die Feststellung, dass es sich hierbei um ein heikles Thema handelt, beruht auf vielen Gesprächen mit russischen Museumskolleginnen und -kollegen. 90 Die Akten der SMAD befinden sich im Russischen Staatsarchiv in Moskau, GARF, Fond P–7317. In einem gemeinsamen Projekt mit dem Bundesarchiv wurden sie verfilmt und sind damit auch im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde unter der Signatur Z 47 F– SMAD einsehbar. Vgl. http://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Artikel/Ueberuns/Aus-unserer-Arbeit/akten-der-SMAD.html [1.5.2018].

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Kulturgüter in der Verfügung der Alliierten

V Sowjetische Museen in der Nachkriegszeit Unmittelbar nach der Rückeroberung der Vorortschlösser begannen die Vorbereitungen für ihre spätere Restaurierung. Seit Mai 1943 entstand zudem für alle ein zentrales Depot, das von Anfang an den Status eines Allunions-Museums erhielt.1 Dorthin kehrten 1944 auch die evakuierten Sammlungen zurück.2 Verantwortlich war Anatolij Kučumov, der seit Mai 1944 die Abteilung für Museen und Denkmäler bei der Verwaltung für die Künste beim Exekutivkomitee des Leningrader Stadtsowjets leitete. Gleichzeitig beteiligte er sich aktiv an der Suche nach verlorenen Objekten in der Umgebung Leningrads. Serafima Balaeva (Gatčina) notierte in ihrem Tagebuch, sie habe zweimal bei einer örtlichen Stelle des NKVD konfiszierte Wertgegenstände begutachten sollen. Sie gehörten zwar nicht zur Sammlung von Gatčina, der Vorfall zeigt aber, dass die sowjetischen Sicherheitskräfte bei ihrer Suche nach Kollaborateuren in Rechnung stellten, dass diese sich unrechtmäßig Eigentum angeeignet haben könnten. Zuweilen meldeten auch Soldaten Funde, weshalb Igor’ Grabar’ den Stabschef der Etappe, Generalleutnant Milovskij, bereits am 14. Januar 1944 bat, diese einzuziehen und zur Begutachtung weiterzuleiten.3 Mit dem Vorrücken der Roten Armee wurde der Suchradius dann bis Estland und Lettland erweitert. Kučumov konnte beispielsweise einen reichen Fund im estnischen Vyru (dt. Werro) machen, wohin der Stab der Heeresgruppe Nord im Herbst 1943 ausgewichen war: vor allem Möbel aus den Vorortschlössern, die deutschen Offizieren als Einrichtungsgegenstände gedient hatten. Auch in Riga war viel zurückgeblieben. Aus dem dortigen Kunstmuseum kamen unter anderem ein Teil der Gemmensammlung und gut erhaltene Fotoplatten des Fotoarchivs von Pavlovsk sowie rund 400 Ölgemälde aus der Porträtsammlung von Gatčina zurück, Teile der Sammlungen, die der ERR von Solms übernommen hatte und die nicht nach Colmberg (Franken) weitertransportiert worden waren. Die Objekte, die Solms in der Ausstellung der Wehrmacht in Riga gezeigt hatte,4 befanden sich nicht darunter.

1

Die Verluste der Vorortschlösser

Am 9. Dezember 1947 kam aus Berlin eine umfangreiche Derutra-Sendung in Puškin an. Die dortigen Mitarbeiter verzeichneten den Inhalt aller Kisten und stellten fest, aus welchen Sammlungen die Exponate stammten. Es handelte sich nicht nur um Besitz der Vorortschlösser, 1 2 3 4

V. F. Plaude, „Sochraniť nacionaľnoe dostojanie“, in: Bott 2015, S. 54. Die Museen waren in drei Kategorien ­ nterteilt: Allunionsmuseen, Museen der Republiken, kommunale Museen. u Lemus 2005. RGALI, f. 962, op. 11, d. 35, l. 73. Siehe Kap. III.7: Pskov. Letzte Beutekunst-Ausstellungen.

Die Verluste der Vorortschlösser

317

sondern es gab auch zehn Kisten mit Ikonen, Kircheninventar und Holzskulpturen aus Novgorod, 300 Ikonen, Gemälde und Radierungen aus dem Pskover Museum sowie 250 Gemälde aus Kiew; weiterhin acht Kisten mit Büchern, Negativen und archäologischen Fundstücken aus der Kiewer Akademie der Wissenschaften, 40 Gemälden aus dem Kunstmuseum Rostov am Don, 30 Kisten mit archäologischen Exponaten von der Krim und 30 Gemälden aus Weißrussland.5 Kučumov bat alle Herkunftsorte telegrafisch, die Objekte möglichst rasch abzuholen. Wann und wie die Übergaben stattfanden, müsste im Einzelnen untersucht werden. Zweifellos war es kompliziert, die Exponate an ihre Ursprungsorte zurückzubringen, denn Museumsmitarbeiter erhielten nicht einfach eine Dienstreise genehmigt, und wenn doch, benötigten sie Verpackungsmaterial und Transportmittel, für die nur schwer eine Zuteilung zu bekommen war. Für die Vorortschlösser erstellte Kučumov einen Überblick, was sie zurückbekommen hatten. Von den über 100.000 durch die Amerikaner restituierten Objekten gehörte nur eine überschaubare Zahl hierher: 29 Kisten Parkettböden und 39 Kisten mit Ofenkacheln kamen zurück in den Katharinenpalast; an Möbelstücken waren es nur 62, hinzu kamen 100 Gemälde, 202 Porzellanobjekte, 11 Marmorstatuen, 7 kleinere sowie 2 große Bronzefiguren („Herkules“ und „Flora“), 15 Kronleuchter und Lampen, 32 Gegenstände aus Kanton-Emaille, 9 Gipsfiguren, 6 Radierungen und 51 vergoldete Bilderrahmen.6 Eine Bestandsaufnahme der Jahre 1948 bis 1951 ergab folgende Zahlen:7 Museum

Vorkriegsbestand

Kriegsverluste

Katharinenpalast

42.172

30.151

Alexanderpalast

30.382

22.628

Schloss Pavlovsk

22.133

  8.715

Schloss Gatčina

54.030

38.152

Schloss Peterhof

31.511

16.700

Diese Zahlen galten bis zu Beginn der 1990er Jahre. Um sich ein genaueres Bild zu verschaffen, veranlasste das russische Kulturministerium damals die Erstellung von Verlustkatalogen für die einzelnen Museen. Im Ergebnis wurden die Zahlen deutlich nach unten korrigiert; Objekte, die bekanntermaßen zerstört worden waren und nach denen deshalb nicht gesucht werden konnte, wurden offenbar nicht mehr aufgenommen, dasselbe galt für Gegenstände, die sich nachweislich in Russland, wenn auch nicht in ihrem Ursprungsmuseum befinden. Für den Katharinenpalast wurden nun nur 9.376 Objekte gemeldet, für Schloss Pavlovsk 11.012 (und

5 6 7

318

Plaude 2015, S. 172. Plaude 2015, S. 172 f. Vgl. Anatolij M. Kučumov, Akt der Überprüfung des Bestandes der Museumsschätze der Vorortschlösser von 1951, http://lostart.ru/ru/svodnyj_katalog/ [1.5.2018].

Sowjetische Museen in der Nachkriegszeit

damit mehr als 1951), für Schloss Gatčina 13.487 und für Peterhof nur 4.967; für den Alexanderpalast existieren keine neuen Berechnungen.

Prioritäten des Wiederaufbaus Eine erste Einschätzung der im November 1942 gegründeten Außerordentlichen Staatlichen Kommission ergab 1944, dass in den besetzten sowjetischen Gebieten 427 von 992 Museen zerstört und ausgeraubt worden waren, darunter 172 auf dem Gebiet der heutigen Russischen Föderation. 8 Die Schäden waren immens, und Menschen, denen das kulturelle Erbe am Herzen lag, dachten schon lange vor Beendigung der Kriegshandlungen darüber nach, was nach dem Krieg mit den Museen geschehen sollte. Um Gebäude und Denkmäler, die erhalten geblieben waren, vor dem endgültigen Verfall zu retten, rief der Rat der Volkskommissare am 26. April 1942 die Kommission zur Erfassung und Bewahrung von Kunstdenkmälern beim Komitee für die Künste ins Leben. Die Leitung hatte der Künstler, Kunsthistoriker und Restaurator Igor’ Grabar’, zu ihren Mitgliedern gehörten Architekten, Bildhauer, Kunstwissenschaftler und Restauratoren.9 Sie sollten Schäden fixieren, Grundlagen für ihre Restaurierung (Pläne, Zeichnungen, Modelle) erarbeiten, den Schutz und die Restaurierung jeder Art von Kulturdenkmal auf dem Territorium der UdSSR überwachen „unabhängig von den konkreten Zuständigkeiten für die Artefakte“. Die Kommission erhielt zwar umfassende Rechte, gegen Personen vorzugehen, die gegen den Denkmalschutz verstießen10, de facto waren ihre Möglichkeiten in Zeiten des Krieges jedoch äußert beschränkt. Im Anschluss an eine Reise durch die kriegszerstörten Städte Russlands und der Ukraine richtete Grabar’ am 11. März 1944 die dringende Bitte an Vjačeslav M. Molotov, einen der stellvertretenden Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare, angesichts der „ungeheuerlichen“ Zerstörungen dafür zu sorgen, dass das, was von den wertvollen Kunstschätzen noch übriggeblieben war, gerettet werden könnte.11 Viele Kulturschaffende teilten Grabar’s Überzeugung, dass die herausragenden Beispiele russischer Baukunst zumindest als „Überreste“ zu bewahren seien, andere lehnten es dagegen strikt ab, stark zerstörte Schlösser, Kirchen und andere Kulturdenkmäler wiederaufzubauen. Sollte man verlorengegangene Denkmäler oder ihre Fragmente durch Kopien ersetzen? Die Frage war nicht nur für Russland aktuell, darüber wurde in der Welt der Kunstwissenschaftler und Restauratoren überall gestritten. Im Kern ging es darum, ob man zerstörte

8

Ludmila V. Maksakova, Spasenie kuľturnych cennostej v gody Velikoj Otečestvennoj vojny, Moskau 1977, S. 18. In der Kommission arbeiteten auch die Mitglieder des Komitees mit, das seit 1944 im Auftrag der Akademie der Wissenschaften der UdSSR bemüht war, die Schäden in den zurückeroberten Gebieten festzustellen. Vgl. auch Fatigarova 1991, S. 207. 9 GARF, f. 5446, op. 43, d. 1073, l. 12. 10 GARF, f. 5446, op. 43, d. 1073, ll. 19 f. 11 RGAĖ, f. 9432, op. 1, d. 2, l. 33.

Die Verluste der Vorortschlösser

319

Denkmäler erhalten oder ob man sie wiederaufbauen sollte: Konservierung des Originaldenkmals als Ruine oder eine Rekonstruktion der vormaligen Erscheinungsform? Diese Fachdiskussionen zogen sich einige Jahrzehnte hin. 1964 legte die Charta von Venedig dann die Grundsätze einer modernen Denkmalpflege fest und erkannte beide Ansätze als gleichwertig an.12 Von einem derartigen Konsens war man 1944/45 noch weit entfernt. Der schiere Umfang des zu leistenden Wiederaufbaus gab den „Konservierern“ allerdings ein gewichtiges Argument an die Hand: das ökonomische. Denn der Wiederaufbau von Infrastruktur, Wohngebäuden und Industrieanlagen würde enorme Summen verschlingen, und so stellte sich die Frage nach den Prioritäten: Was sollte Vorrang haben – existentielle Bedürfnisse oder ästhetische Kriterien? Unmittelbar nach dem Krieg schien sich die Antwort von selbst zu verstehen, sie fiel nicht zugunsten der Bewahrung des kulturellen Erbes aus. Positiv wirkte sich allerdings eine neue kulturpolitische Tendenz aus, die während der Kriegsjahre kultiviert worden war: der Appell an den Patriotismus. Das historische Erbe hatte einen neuen Stellenwert erhalten; das Image eines Landes, das auf eine jahrhundertealte „ruhmreiche Vergangenheit“ und eine bedeutende Kultur zurückblickte, gehörte einerseits zum Gestus einer Siegermacht und kompensierte andererseits Probleme der Gegenwart. So waren in der Roten Armee bereits 1942 historische Orden (wieder) eingeführt worden, die an Helden der russischen Geschichte erinnerten. Einige Städte erhielten ihre historischen Namen zurück, aus Krasnogvardejsk und Sluck wurden wieder Gatčina und Pavlovsk. Die alten Städte Novgorod und Pskov wurden nicht nur als regionale Zentren „wiedergeboren“, sondern als Symbole russischer Staatlichkeit und Kultur. Die Hauptfrage aber blieb vorerst offen: Würde den symbolischen Gesten die reale, vorrangig ökonomische Unterstützung von Projekten zur Wiederbelebung des Kulturerbes folgen?

Kontrovers: Die Prinzipien der Restaurierung Die Vorstellungen über die Zukunft der Schlösser reichten von der vollständigen Rekon­ struktion ihrer Vorkriegsgestalt samt einem Status als Museen bis zur Umwidmung der erhaltenen Gebäude und Parklandschaften zu Erholungsgebieten mit Sanatorien, Vergnügungsparks und Stadien. Letzteres favorisierte man in Leningrader wie in Moskauer Partei- und Verwaltungskreisen und knüpfte damit an Vorkriegsvorstellungen an. Gefährdet war die Position derer, welche die Schlösser und Parks als Ensembles retten wollten. Ohne die Zuweisung von Geld und Arbeitskräften, ohne ein wissenschaftliches Konzept für den Wiederaufbau, ohne Kenntnis, was überhaupt noch vorhanden war, last but not least ohne ausreichend Restauratoren beziehungsweise spezialisierte Bau- und Planungsorganisationen – welche Argumente konnten sie vorbringen? „Tote Fontänen, die toten, unkenntlichen Skelette

12 Charta von Venedig, http://www.blfD.bayern.de/medien/charta_von_venedig_1964.pdf [1.5.2018].

320

Sowjetische Museen in der Nachkriegszeit

der Schlösser [...]. Alles erschien irreparabel, [...] niemand glaubte, dass man irgendetwas wiederherstellen könnte“, so sollte der Schriftsteller Daniil Granin 1946 seine Eindrücke von einem Besuch in Petrodvorec zusammenfassen.13 Dagegen beharrte Grabar’ darauf, dass die Paläste gerettet werden könnten, doch „jede Stunde des Zauderns“ bedeute ihren Untergang.14 Die Leningrader Verwaltung, der die Schlossmuseen unterstanden, wollte über Rettungsmaßnahmen aber nur im Rahmen eines Gesamtkonzepts zur Wiederherstellung der kommunalen Wirtschaft entscheiden,15 was de facto hieß: Die Schlösser waren als letzte an der Reihe. Auf Initiative der Denkmalsschutzbehörde Leningrads und ihres Leiters, Nikolaj Belechov, diskutierte eine Expertenkonferenz bereits am 21./22. März 1944 diese Frage.16 Belechov präsentierte zunächst astronomische Zahlen: Um alles wiederaufzubauen, wären 9 Milliarden Rubel erforderlich, 10 Jahre lang müssten täglich 6.500 Personen arbeiten.17 Es war offensichtlich, dass die Einrichtung von Erholungsgebieten in den Ruinen billiger käme als die Rückverwandlung der Zarenresidenzen in ihre historische Gestalt. Als Kompromiss strebten die Verteidiger der Museen eine Lösung an, bei der Schlossmuseen und Erholungsgebiete auf demselben Terrain koexistierten. Die Schloss- und Parkanlagen sollten Museen bleiben, lautete das einhellige Plädoyer der Konferenzteilnehmer. Da die Interieurs meist nicht mehr erhalten waren und die Gebäude ihre historische Doppelfunktion als Kunstwerk und Zarenresidenz nicht mehr vollständig erfüllen konnten, wurde beschlossen, die Innenräume nicht in ihrer Vorkriegsausgestaltung zu rekonstruieren, sondern sie zu Beispielen bestimmter kunsthistorischer Epochen umzugestalten; in seiner ursprünglichen Gestalt ließ sich nur das relativ gut erhaltene Lustschloss Monplaisir in Peterhof rekonstruieren. Dagegen sollte aus Teilen der Anlage von Peterhof, einschließlich des stark zerstörten Großen Palais, ein Museum zur Epoche Peters I. werden, der in ein Kunstmuseum umgewandelte Katharinenpalast könnte russisches Barock und Rokoko präsentieren, während Schloss Pavlovsk überzeugend den Klassizismus verkörperte. Trotz des Brandes wäre dieses Schloss nach Meinung der Experten „leichter wiederherzustellen als die anderen“ und sollte in seiner vorherigen Gestalt wiederaufgebaut werden.18 Die größten Auseinandersetzungen entzündeten sich an Schloss Gatčina. Angesichts seines „militärischen“ Äußeren und seiner Verbindungen mit der Militärgeschichte Russlands liefen alle  – durchaus unterschiedlichen – Vorschläge darauf hinaus, hier ein Militärmuseum oder eine Ehrenhalle für russische Waffen einzurichten. Am wenigsten hatte der Alexanderpalast in Puškin gelitten, der zwar

13 14 15 16

Daniil Granin, Moj lejtenant, Moskau 2017, S. 156 f. RGAĖ, f. 9432, op. 1, d. 2, l. 34. RGAĖ, f. 9432, op. 1, d. 2, l. 34. Stenografičeskij otčet naučno-praktičeskoj konferencii po voprosu restavracii prigorodnych dvorcov. 21–22 marta 1944g., in: Istoričeskie kollekcii muzeev. Prošloe i nastojaščee. Materialy naučnoj konferencii, St. Petersburg 2007, http://gatchinapalace.ru/special/publications/prigorod/ntc.php [1.5.2018]. 17 Stenografičeskij otčet 2007. 18 Kučumov 2004, S. 123.

Die Verluste der Vorortschlösser

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innen verwüstet, dessen Fassade jedoch weitgehend intakt war. Angesichts des allgemeinen Mangels an intakten Gebäuden verwandelte sich dieser vermeintliche Vorteil jedoch in einen Nachteil: Verschiedenste Einrichtungen erhoben Anspruch auf das Gebäude. Während noch über seine Zukunft gestritten wurde, kam der Direktorin der Schlossmuseen von Puškin, Evgenija L. Turova, die „rettende Idee“19:Der Alexanderpalast könnte das Zentral­ depot für alle Vorstadtschlösser werden.20 Es verging jedoch noch mehr als ein Jahr, bevor, wie oben erwähnt, ein Teil des Palasts als Zentraldepot freigegeben wurde. Unmittelbar nach der Befreiung der Schlösser begannen die Auseinandersetzungen über die Prinzipien der Restaurierung. War es zulässig, die Verzierungen der Innenräume nach ikonografischen Unterlagen zu rekonstruieren, wenn keine Originale mehr vorhanden waren? Oder die Interieurs neu einzurichten, das heißt verlorengegangene Objekte durch ihnen zeitlich und stilistisch nahekommende zu ersetzen? Alle wussten, dass es sich dabei um Zukunftsfragen handelte, denn vordringlich waren Konservierungsmaßnahmen, die Säuberung der Gebäude und Parks von Minen sowie die Beschaffung von Baumaterial, Baumaschinen, Transportmitteln und Arbeitskräften. Vor allem aber musste es einen politischen Beschluss zugunsten der Wiederherstellung der Schlösser geben. Nach der vollständigen Aufhebung der Blockade von Leningrad verabschiedete das Verteidigungskomitee der UdSSR am 29. März 1944 die Resolution „Vorrangige Maßnahmen zum Wiederaufbau von Industrie und Ökonomie der Stadt Leningrad im Jahr 1944“, wozu auch „die Frage des Wiederaufbaus der Städte Petrodvorec und Puškin als Erholungsorte für die Werktätigen Leningrads“ zählte.21 Die Entscheidungen zogen sich bis November hin. Dann hielten Vorschläge des Kunst- und des Architekturkomitees beim Rat der Volkskommissare zu Puškin, Pavlovsk, Peterhof und Gatčina fest, „dass ungeachtet der weitreichenden Zerstörungen die erhalten gebliebenen Teile der Schlösser und besonders ihrer Innenausstattung einen großen Wert darstellen [...]. Es ist unerlässlich, die Gebäude baulich vor weiterem Zerfall zu schützen“22. Unterstützt vom Architekturkomitee plädierte das Exekutivkomitee des Leningrader Stadtsowjets – bei dem von Anfang an die Verantwortung für den Wiederaufbau lag  – im Dezember dafür, die Städte Puškin, Petrodvorec und Pavlovsk wiederaufzubauen23, und zwar „in der früheren Form“ aller Parkflächen, „einschließlich des gesamten Systems der Fontänen der Stadt Petrodvorec als Lieblingserholungsorten von Leningrads werktätigen Massen“24. Das Schlösschen Monplaisir, das Palais Marly und die Eremitage in Peterhof, die Eremitage in Puškin und der zentrale Teil des Schlosses in Pavlovsk sollten „eingedenk ihrer großen historischen Bedeutung und ihres hervorragenden architektonischen und künstlerischen Werts“ als kulturhistorische 19 20 21 22 23 24

322

Zelenova 2006, S. 137. Zelenova 2006, S. 137. RGASPI, f. 644, op. 1, d. 222, l. 145. RGAĖ, f. 9432, op. 1, d. 2, l. 90. RGAĖ, f. 9432, op. 1, d. 2, l. 109. CGA SPb, f. 7384, op. 17, d. 1180, l. 64.

Sowjetische Museen in der Nachkriegszeit

Abb. 114  Die Objekte, die von der Evakuierung oder aus Deutschland zurückkehrten, gelangten ins Zentraldepot im Alexanderpalast, später im Schloss Pavlovsk, wo sie ausgepackt und inventarisiert wurden (Foto von 1947).

Denkmäler mit Museumscharakter wiederaufgebaut werden. Am Katharinenpalast sollte lediglich das historische Erscheinungsbild der Fassade wiederhergestellt werden, während in den Innenräumen Erholungsheime und Sanatorien untergebracht würden. Eine entsprechende Umwidmung war für den Alexanderpalast in Puškin und das Große Palais in Peterhof geplant, die damit ihren Museumsstatus verlören.

Konkrete Maßnahmen Nachdem die Minen geräumt und der Schutt entfernt waren, konnte mit Sicherungsarbeiten begonnen werden: der Fixierung erhalten gebliebener Dekorfragmente, der Suche nach architektonischen Details unter den Bruchstücken, nach Elementen der Wand- und Decken-

Die Verluste der Vorortschlösser

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verzierungen, kurz nach Referenzen, die man als Muster für eine wissenschaftlich fundierte Restaurierung der Schlösser benötigte. Mit Unterstützung seitens der lokalen Bevölkerung konnte man in der ersten Zeit nicht rechnen, da die meisten Einwohner der umliegenden Städte ins sowjetische Hinterland evakuiert oder von der deutschen Besatzung zwangsweise ausgesiedelt worden waren: In Pavlovsk lebten zum Zeitpunkt der Befreiung gerade einmal 400 Personen.25 In dem Maß, wie die Menschen zurückkehrten, konnte man sie zum Sortieren der Trümmer und zum Aufräumen von Schlössern und Parks heranziehen.26 Als die Minenräumung im Sommer und Herbst 1944 fast abgeschlossen war, säuberte die Bevölkerung die Parkgelände von Müll, in den Parks von Peterhof kamen zu freiwilligen Sonntagseinsätzen bis zu 2.000 Menschen zusammen.27 Für die Gebäudesicherung brauchte man allerdings Fachleute. Da die Baufirmen mit dem Wiederaufbau in Leningrad ausgelastet waren, wandte sich das Exekutivkomitee des Stadtsowjets an das Kommando der Leningrader Front, zu dem auch eine militärische Bauverwaltung gehörte.28 Soldaten dieser Einheit leisteten die ersten Reparatur- und Wiederaufbauarbeiten im Katharinenpalast.29 Die originellste und, wie sich zeigte, eine optimale Lösung fand Anna Zelenova. Sie ging im Wortsinn „nach Moskau“ und erreichte so, dass die Arbeiten in Pavlovsk von Kräften der Hauptverwaltung des Flughafenbaus beim Volkskommissariat des Inneren übernommen wurden30, einer Organisation, die über Maschinen für komplexe Bauaufgaben und über Arbeitskräfte verfügte. In allen Vorortschlössern arbeiteten auch Kriegsgefangene mit. Nachdem die Gebäude und Parks von Minen geräumt waren, begannen 1944/45 langwierige Aufräumarbeiten. Bei den Arbeitseinsätzen half ebenfalls die Leningrader Bevölkerung. Der Umfang der erforderlichen Restaurierungsarbeiten übertraf alles bis dahin Gekannte. Die Schlossanlagen stellten eine Synthese verschiedener Epochen und individueller Künstlerstile dar und erforderten daher kreative Entscheidungen. Das Ausmaß der Zerstörungen bildete eine weitere Komplikation, hinzukam, dass die sowjetischen Architekten, Künstler und Restauratoren keinerlei Erfahrung mit derartigen Aufgaben besaßen. Da es noch keine Instruktionen gab, mussten die Museumsmitarbeiter gezwungenermaßen eigenständig über die Vorgehensweise entscheiden. In Pavlovsk erarbeitete Zelenova ein komplexes Restaurierungsverfahren, das eine Projektbeschreibung für die Restauratoren einschloss. Dafür ließ sie einen wissenschaftlichen Apparat aufbauen: Architekturdetails, Stuckelemente und Teile der bemalten Verzierungen wurden zusammentragen, eine Fotodokumentation wurde organisiert, ein Fotoarchiv aufgebaut ...31 Für jeden Saal wurden die spezifischen Charakteristika erfasst:

25 26 27 28 29

RGAĖ, f. 9432, op. 1, d. 10, l. 85. Ёlkina 2005, S. 201 f. Tichomirova 1984, S. 68. CGA SPb, f. 7384, op. 17, d. 1180, l. 32. S. M. Ivanova, Konservacija i ispoľzovanie sochranivšichsja muzejnych ob’ektov v 1944–1956gg., in: Bott 2015, S. 177–179 30 Ёlkina 2005, S. 194–197. 31 Zelenova 2006, S. 232 f.

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Sowjetische Museen in der Nachkriegszeit

Abb. 115  Nachdem die Gebäude und Parks von Minen geräumt waren, begannen 1944/45 langwierige Aufräumarbeiten. Bei den Arbeitseinsätzen half auch die Leningrader Bevölkerung.

Abb. 116  Zwei Mitarbeiterinnen vom Schlossmuseum Pavlovsk beschreiben den Zustand der Skulpturen, die während der Kriegszeit vergraben gewesen waren.

Dafür wurde die architektonische Ausgestaltung eines Saales im Stil eines bestimmten Architekten auf Transparentpapier gezeichnet, etwa dem Vincenzo Brennas, des Hofarchitekten Zar Pauls I., oder dem Giacomo Quarenghis, der unter anderem für den Alexanderpalast und einen Seitenflügel des Katharinenpalasts verantwortlich war, oder dem Carlo Rossis, der viel in Pavlovsk gearbeitet hatte. Jeder Architekt bekam eine eigene Farbe; legte man dann die Bögen übereinander, ließ sich erkennen, wie sich das Aussehen des Saals im Lauf der Zeit verändert hatte.32 Diese „Methode Zelenova“ wurde auch den übrigen Vorstadtschlossmuseen empfohlen. Großes Gewicht hatte das Wort der Restauratoren, denn ihre Fähigkeit, verlorengegangene handwerkliche Techniken wiederzugewinnen und neue Techniken des Modellierens und der Komplettierung von Ausstattungsdetails aus der Zeit des Barock oder des Klassizismus zu entwickeln, besaß größte Bedeutung.33 In diesem Bereich arbeiteten die Fachleute der im

32 Ёlkina 2005, S. 231 f. 33 A. G. Leonťev, K istorii formirovanija principov i metodologii Leningradskoj restavracionnoj školy. Sobytija, pamjatniki, biografii, in: Poslevoennoe vosstanovlenie pamjatnikov. Teorija i praktika XX veka. Materialy meždunarodnoj naučnoj konferencii, 4–5 dekabrja 2014, St. Petersburg 2014, S. 114.

Die Verluste der Vorortschlösser

325

Abb. 117  Die Hauptkustodin der Schlösser und Parks von Peterhof, Maria Tichomirova, begutachtet 1944 Marmorstatuen, die aus ihren Verstecken im Park ausgegraben worden sind.

Abb. 118  Bei der Ausgrabung der im Park von Peterhof versteckten Skulpturen halfen 1944 auch Soldaten der Roten Armee.

34 35 36 37

326

Leonťev 2014, S. 114. Tichomirova 1984, S. 73. CGALI SPb, f. 312, op. 2, d. 6, l. 4. Leonťev 2014, S. 113.

Sowjetische Museen in der Nachkriegszeit

Juli 1945 gegründeten Leningrader Architektur- und Restaurierungswerkstatt, die später zu den spezialisierten wissenschaftlichgewerblichen Restaurierungswerkstätten wurden.34 Alle Schlossmuseen hatten dieselben Probleme, doch jedes entwickelte seine eigene Strategie und sein eigenes Prioritätensystem. In Pavlovsk konzentrierte man sich auf den Wiederaufbau des Palasts; in Puškin wurde vorrangig an der CameronGalerie und dem Achatzimmer gearbeitet; in Gatčina mussten zuerst Notmaßnahmen zur Konservierung ergriffen werden, hier wurden aber auch die ersten Ausstellungen organisiert; Symbol der Wiedergeburt von Peterhof waren seine berühmten Fontänen und Parks. Im Sommer 1945 wurden die Parks aller Vorortschlösser für Besucher geöffnet. Allerdings war dies eher eine symbolische Geste, denn „alles in ihnen erinnert an den Krieg“, konstatierte die Hauptkustodin der Schlösser und Parks von Peterhof, Marina Tichomirova.35 Hier waren die Springbrunnen noch nicht wieder in Funktion, bereits ein Jahr später waren sie aber wenigstens teilweise wiederhergestellt.36 Die erste Fontänenreihe wurde am 25. August 1946 in Gang gesetzt. Dahinter stand eine gewaltige Kraftanstrengung, von der Minenräumung bis zur Erneuerung der Röhren und der Einrichtung eines komplexen wasserbaulichen Systems, für das eine von Architekturprofessor Andrej Oľ geleitete Planungswerkstatt zuständig war.37 Vor dem Krieg war das Hochfahren der Fontänen im Mai, zur Zeit der „Weißen Nächte“,

Abb. 119  In allen Schlössern dokumentierten sowjetische Kunsthistoriker sorgfältig die Zerstörungen. Die Aufnahme von 1944 zeigt die Griechische Galerie von Schloss Gatčina. Der Fotograf M. A. Veličko kannte die Schlösser von den Inventarisierungsarbeiten in den späten 1930er Jahren gut.

ein beliebter Feiertag der Leningrader gewesen – mit ihrer „Wiedergeburt“ sollte symbolisch die Leningrads gefeiert werden. Die Stimmung war optimistisch-feierlich und zugleich von Trauer geprägt. Über die Ruinen des Großen Palais waren riesige Stoffbahnen gespannt, in der Mitte prangte das kanonische Flachrelief, das Lenin und Stalin im Profil zeigte, flankiert wurde es von Porträts der beiden engen Stalin-Vertrauten, Außenminister Vjačeslav M. Molotov und Andrej A. Ždanov, der zwischen 1934 und 1944 Gebiets- und Stadtsekretär der Parteiorganisation von Leningrad gewesen war. Auf die Stufen der noch vom Krieg gezeichneten Großen Kaskade waren die Bronzestatuen zurückgekehrt, die man 1941 hatte verstecken können. Andere Postamente mussten freibleiben: Die größten Figuren, „Samson“, „Tritonon“, „Volchov“ und „Neva“, waren von den Deutschen eingeschmolzen worden; an der Stelle des „Samson“ im Zentrum der Großen Kaskade stand eine Bronzevase mit Blumen.38 Später 38 Tichomirova 1984, S. 110 f.

Die Verluste der Vorortschlösser

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Abb. 120  Das erste Hochfahren der Fontänen von Peterhof nach dem Krieg, am 25. August 1946, symbolisierte den Wiederaufbau des Landes und wurde von der stalinistischen Propaganda in Szene gesetzt. Die Banner von Lenin/Stalin, Molotov und Ždanov verdecken die Ruine des Palasts.

wurden die verlorenen Skulpturen und Dekorelemente wiederhergestellt: Mithilfe von Archivmaterial und alten Fotografien, gestützt auf Originalfragmente und unter Verwendung von künstlerischen Analogien gelang es den Restauratoren, mehr als 330 Skulpturen zu ersetzen.39 Das größte Ereignis war die Aufstellung des neugeschaffenen „Samson“ zur Eröffnung der zweiten Fontänenreihe am 14. September 1947. Den Auftrag hatte der Leningrader Bildhauer Vasilij L. Simonov erhalten. Ihm standen nur wenige Informationen zur Verfügung: Man kannte die Höhe der Figur (3,29 Meter) wie ihr Gewicht (fünf Tonnen), und es gab viele Fotos. Mit deren Hilfe rekonstruierte Simonov die Ausmaße und die künstlerische Gestalt. Er schuf mehrere Modelle, bis im Sommer 1947 die endgültige Version in die Leningrader Bronzegießerei ging.40 Am 31. August wurde der vergoldete „Samson“, auf einer Plattform stehend, von der Gießerei über den 4,5 Kilometer langen Nevskij Prospekt nach Peterhof gefahren.

39 E. K. Kaľnickaja/A. G. Leonťev/Ju. V. Zelenjanskaja, Poslevoennoe vosstanovlenie Petergofa, in: Zodčij 21 vek. 70 let vosstanovlenija pamjatnikov istorii i kuľtury, St. Petersburg 2015, S. 52–55, http://www.zodchiy21.ru/70%20 let%20restavracii/assets/common/downloads/70%20let%20restavracii.pdf [1.5.2018]. 40 Tichomirova 1984, S. 130–136.

328

Sowjetische Museen in der Nachkriegszeit

Von allen Seiten kamen die Menschen zu ihm gelaufen, sie applaudierten und begleiteten ihn. Überall in den Häuserfronten öffneten sich die Fenster, in denen freudige Gesichter auftauchten. [...] Es wurde Hurra geschrien, Gruppen von Soldaten blieben stehen und salutierten ihm wie einem General, und die Leningrader Polizisten, überzeugt, dass es sich so gehöre, hielten an den Kreuzungen ungerührt den Verkehr an und gaben „Samson“, wie einem Triumphator, „freie Fahrt“.41

Im Dezember 1947 kehrte der Neptunbrunnen aus Deutschland zurück, dessen Wiederherstellung einige Jahre in Anspruch nahm, erst 1956 sprudelte seine Fontäne wieder.

2

Kulturreservat oder sozialistische Stadt?

Die Rote Armee hatte Novgorod am 20. Januar 1944 befreit, Pskov ein halbes Jahr später. Ein weiteres Jahr später wurde der Versuch unternommen, die 1941 nach Sovetsk ausgelagerten Museumssammlungen zurückzubringen. 42 Allerdings ohne Erfolg, die drei Museumsmitarbeiter, die sich auf eigene Faust und eigene Rechnung aufgemacht hatten, mussten unverrichteter Dinge zurückkehren, man hatte ihnen für die Rückführung weder Geld noch Transportmöglichkeiten noch Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt.43 Der Rat der Volkskommissare beschloss die Bereitstellung von Transportmitteln erst am 25. Juli 1945.44 Eine zweite Delegation war zunächst kaum erfolgreicher, lange mussten die fünf Museumsleute aus Pskov und Novgorod vor Ort ausharren: Ungeachtet des Regierungsbeschlusses stellte ihnen die Eisenbahn keine Waggons zur Verfügung  – und auf dem für die erste Wegstrecke zunächst favorisierten Wasserweg ging allmählich die Navigationsperiode zu Ende. In dieser misslichen Situation kamen Soldaten den Museumsleuten zu Hilfe. Sie hievten die schweren Kisten auf Lastwagen und transportierten sie über vom Regen völlig aufgeweichte Wege bis zur Eisenbahnstation. Dort waren die Waggons noch immer nicht bereitgestellt worden. Vielleicht halfen die alarmierenden Telegramme nach Novgorod: „Waggons lassen auf sich warten [...]. Wir haben kaum Geld [...] und erfrieren“?45 Ende September setzten sich die Waggons jedenfalls in Bewegung, Novgorod erreichten sie im Oktober. Im Verlauf der Jahre 1945 und 1946 kehrten auch die aus Pskov evakuierten Museumsgüter zurück – etwa drei Prozent der Vorkriegsbestände.46

41 42 43 44 45 46

Tichomirova 1984, S. 136. Siehe zu der Evakuierung Kap. III.3: Unterwegs zum Ural und nach Sibirien. Markina 2014, S. 53. NOGMZ Archiv, Inv. Nr. KP-33081, l. 31. NOGMZ Archiv, Inv. Nr. KP-33081. l. 66. Http://museum.pskov.ru/istoriya_muzeya/istoriya [1.5.2018].

Kulturreservat oder sozialistische Stadt?

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Novgorod: Eine Ruinenstadt Mehr als zwei Jahre lang hatte sich Novgorod unmittelbar im Frontgebiet befunden. Auf der alten Stadtmauer war die deutsche Verteidigungslinie verlaufen, Kirchenkuppeln und Glockentürme hatten als Beobachtungs- und Gefechtsstände gedient, entsprechend groß waren die Schäden – an den Kulturdenkmälern wie an der Infrastruktur. Nur langsam kehrten die Einwohner und die staatlichen Einrichtungen zurück. Häufig suchten die Menschen Unterschlupf in Ruinen historischer Gebäude und schliefen notgedrungen oft dort, wo sie arbeiteten. Die Gebäude des Kremľ, die am wenigsten gelitten hatten, wurden von Parteiund Staatseinrichtungen belegt, die Gemächer des Metropoliten zum Haus der Sowjets umgewandelt.47 Hier wurden Prioritäten sichtbar, die befürchten ließen, dass die historischen Denkmäler auf lange Zeit die Leidtragenden sein würden.48 Die Fachleute waren bereits bei der ersten Inspektion von Kirchen und anderen Denkmälern zu dem Schluss gekommen, dass eine ganze Reihe einsturzgefährdet war und schnell vor weiterem Zerfall gerettet werden musste. Die Verantwortung für ihren Erhalt lag in erster Linie beim Novgoroder Museum und bei Tamara M. Konstantinova. Sie hatte vor dem Krieg die historische Abteilung des Museums geleitet und im August 1941 an der Evakuierung teilgenommen, auch gehörte sie zu den Ersten, die zurückkehrten. Gerade 27 Jahre alt, saß sie nun in verschiedenen Kommissionen, die den Zustand der Novgoroder Kulturdenkmäler untersuchten. Deren Restaurierung, daran bestand kein Zweifel, würde die Kräfte der örtlichen Kultureinrichtungen übersteigen. Das Landeskundliche Museum hatte für derartige Aufgaben weder die Ressourcen noch die Fachleute noch die Vollmachten. „Wenn wir nicht umgehend wenigstens elementare Rettungsmaßnahmen ergreifen, werden viele bedeutende Objekte unwiederbringlich zugrunde gehen“49 – mit diesem Appell wandte sich Konstantinova an verschiedene Institutionen, wiederholt auch an Igor’ Grabar’. Sie bat, einen kompetenten Architekten zu schicken, der den Zustand der Gebäude dokumentieren und einen Plan für Sofortmaßnahmen erarbeiten würde, von Restaurierung war noch gar nicht die Rede. Der Apparat des ZK der Kommunistischen Partei leitete den Brief an das Volkskommissariat für Bildung der RSFSR weiter, dessen Museumsabteilung die Novgoroder Behörden bat, „den Direktor des Novgoroder Museums bei dem Wiederaufbau des Landeskundlichen Museums und dem Erhalt der Denkmäler zu unterstützen [...] sowie zumindest kleinere Reparaturarbeiten durchzuführen“ und dem Museum bei der Beschaffung von Baumaterial und Arbeitskräften zu helfen.50 Hier handelte es sich mitnichten um

47 Die Resolution „Die Unterbringung von Partei- und Staatsorganisationen der Stadt und des Gebiets in Gebäuden auf dem Territorium des Kreml’“ wurde vom Büro des Novgoroder Stadtparteikomitees und dem Exekutivkomitee des Stadtsowjets am 14.3.1944 verabschiedet, http://expo.novarchiv.org/v-plameni-vojny/75-2-vosstanovlenie [1.5.2018]. 48 A. N. Trifonova, Velikij Novgorod v XX veke. K 1150-letiju goroda, Moskau 2009, S. 225. 49 NOGMZ Archiv, Inv. Nr. KP-33077, l. 54. 50 NOGMZ Archiv, Inv. Nr. KP-33077, l. 53.

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ein Problem von lokaler Bedeutung, sondern es ging um Denkmäler, die dem staatlichen Denkmalschutz unterstanden. Das wusste die Grabar’-Kommission sehr wohl, weshalb Konstantinova mitgeteilt wurde, Grabar’ habe bereits „eine Eingabe an den Rat der Volkskommissare gerichtet für die unerlässliche und umgehende Bereitstellung von Material und Arbeitskräften“.51 So führte eine weitere Kommission,52, der Vertreter des Architekturkomitees, der beiden Denkmalschutzbehörden von Leningrad und des Leningrader Gebiets53, der Stadtführung Novgorods und des Novgoroder Museums angehörten, im April 1944 eine Inspektion durch. Sie protokollierte die Schäden und schlug Konservierungsmaßnahmen vor, vor allem sprach sie sich entschieden dagegen aus, denkmalgeschützte Gebäude als Wohngebäude oder Betriebsunterkünfte zu nutzen.54 In einem eigenen Bericht begründete das Kommissionmitglied Sergej Davydov55 dies unter anderem mit den Schäden, die der Rauch aus den Heizungsöfen an den Fresken anrichte. Unmittelbar bedroht waren die aus dem 14. Jahrhundert stammenden Fresken in der Kirche Theodor Stratilat „am Bach“, in der Soldaten Quartier bezogen hatten, in der Peter-und-Paul-Kirche war eine Bäckerei untergebracht, und aus unbewachten Bauwerken bedienten sich Behörden wie Privatleute mit Baumaterial. Die Leningrader Denkmalschutzinspektion erreichte, dass der Gebietssowjet 100.000 Rubel für die allerdringendsten Reparaturen und für ein Wachsystem bereitstellte.56 Im Mai 1944 benannten das Architekturkomitee beim Rat der Volkskommissare und die Architekturabteilung im Gebiet Leningrad die dringlichen Sicherungsmaßnahmen für 23 Objekte von besonderem kulturhistorischem Wert. Am 10. Mai nahm das Novgoroder Gebietsparteikomitee den vorgelegten Plan an57, im Sommer begannen mehrere Brigaden professioneller Restauratoren mit der Arbeit. Man ging mit äußerster Sorgfalt vor. Aus dem Schutt der bedeutenden Kirchen wurden alle Fragmente der Innenraummalereien geborgen. In der Erlöserkirche waren nur 15 Prozent der Fresken erhalten geblieben. Unter der Leitung von Michail K. Karger nahmen Restauratoren daher im Sommer 1944 Teilausgrabungen der Ruinen und eine Fixierung der Fresken vor; ein Jahr später erhielt die Kirche ein hölzernes Schutzdach.58 51 NOGMZ Archiv, Inv. Nr. KP-33077, l. 48. 52 Ihr offizieller Name lautete: „Kommission zur Feststellung der Schäden, die die deutschen faschistischen Invasoren den denkmalgeschützten historischen Baudenkmälern der Stadt Novgorod zugefügt haben“. 53 Bis 1944 gehörte Novgorod zum Leningrader Verwaltungsgebiet; am 5. Juli 1945 wurde ein selbstständiges Novgoroder Verwaltungsgebiet im Rahmen der RSFSR geschaffen. 54 NOGMZ Archiv, Inv. Nr. KP-33077, l. 6–35. 55 Sergej Davydov war Architekt, Kenner der altrussischen Kunst und Baukunst und Leiter des Novgoroder Restaurierungsateliers (1945–1950). 56 NOGMZ Archiv, Inv. Nr. KP-33077, l. 40. 57 Resolution des Novgoroder Komitees der KP „Über vorrangige Maßnahmen für die Bewahrung der historischen Denkmäler Novgorods“, 10.5.1944, http://expo.novarchiv.org/novgorod-rebirth-s012/16-granino/novgorodrebirth-2012/razdel-3-vosst-pam/35-razdel-3-vosstanovlenie-pamyatnikov-novgorodskoj-architektury-dokumenty. html [1.5.2018]. 58 Vladimir Jadryšnikov, Prošloe i nastojaščee Neredicy, in: Čelo 17 (2000) Nr. 1, S. 12.

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Abb. 121  Von der Novgoroder Erlöserkirche an der Neredica blieb nur eine Ruine stehen. Sie ist bis heute ein Symbol für die Vernichtung der Kultur durch die deutschen Eroberer.

Abb. 122  Restaurierungsprojekt für die Erlöserkirche an der Neredica, entworfen von Sergej Davydov.

Ein Zeichen für das Wiedererstehen Novgorods war vor allem die im April 1944 beschlossene Wiederherstellung des Bronzedenkmals „Tausendjähriges Russland“. Es war von der Besatzungsmacht zwar demontiert worden, doch hatte man seine 65,5 Tonnen nicht mehr rechtzeitig zum Einschmelzen wegschaffen können. „Gemetzel der Riesen“ nannte die Museums-

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direktorin den Anblick, der sich ihr bot, als sie den Kremľ erstmals wieder betrat: Bronzene Figuren und andere Fragmente lagen um den Granitsockel verstreut im Schnee.59 Am 5. November 1944 konnte das neue Monument eingeweiht werden. Am 1. September 1944 verabschiedete der Rat der Volkskommissare die Resolution „Maßnahmen zur Wiederherstellung der Stadt Novgorod“60, im November legten Fachleute dafür einen umfassenden Plan vor61, am 13. Dezember beschloss die Regierung die Wiederherstellung des Kremľ, mit der eine neugeschaffene Bausonderorganisation Kremľ und das Novgoroder Restaurierungsatelier betraut wurden. Zu dessen Leiter wurde Sergej Davydov ernannt. Er stellte eine kleine, hochqualifizierte Gruppe professioneller Restauratoren, hauptsächlich aus Leningrad, zusammen.62 Man arbeitete von Anfang an auf wissenschaftlicher Grundlage, seit 1945 wurde auf Initiative Davydovs nach einschlägigem Archivmaterial gesucht. Die Fachleute entwickelten neue Formen der Stabilisierung und ingenieurtechnische Konstruktionen. Zum Sichten des Schutts zog man Studierende und Aspiranten der Akademie für die Architektur der UdSSR heran, für unqualifizierte Arbeiten wurden Kriegsgefangene eingesetzt.63 Die Erfolge waren bereits nach einigen Monaten augenfällig. Dennoch bekannte Davydov in seinem ersten Resümee bedauernd, die meisten Projekte existierten „nur auf dem Papier“; es fehle an Baumaterial, die Bauorganisation Kremľ sei untätig64, und es gebe eine „eklatante Unterbewertung der Bedeutung der Denkmäler unserer nationalen Kultur seitens der führenden Kräfte von Stadt und Gebiet.65 Am 18. Juli 1945 verabschiedete der Rat der Volkskommissare der UdSSR den Beschluss „Über dringende Maßnahmen für Bewahrung und Wiederherstellung der Kunst- und Architekturdenkmäler von Novgorod“; demnach sollten künftig 21 Objekte ausschließlich als Museen genutzt werden66, in der weiteren Regierungsresolution vom 1. November 1945 gehörten sowohl Novgorod als auch Pskov zu der Liste der 15 Städte, die vorrangig wiederaufgebaut werden sollten.67 59 60 61 62 63 64

65 66 67

Varvara Tišina, Vozvraščenie, http://www.konkurs.senat.org/article/61.html. RGAĖ, f. 9432, op. 1, d. 2, l. 77. RGAĖ, f. 9432, op. 1, d. 2, l. 78–89. Vladimir A. Jadryšnikov, „Velikij razbeg“. Sergej Nikolaevič Davydov i novgorodskaja restavracija, in: Poslevoennoe vosstanovlenie 2014, S. 269. Jadryšnikov 2014, S. 271 f. Die Bausonderorganisation Kremľ wurde an das vor allem für Wohnungsbau und den Wiederaufbau der städtischen Infrastruktur verantwortliche Volkskommissariat der RSFSR angegliedert, dem damit zusätzlich die Verantwortung für den Wiederaufbau der Kulturdenkmäler Novgorods aufgebürdet wurde. Bei einem Teil der vorgeschlagenen Maßnahmen blieb es jedoch bei Absichtserklärungen, denn für ihre Umsetzung fehlten sowohl die finanziellen als auch die organisatorischen und die personellen Ressourcen. Die Bausonderorganisation wurde ihren Aufgaben nicht gerecht, 1948 wurde sie aufgelöst. In der Folge sollte das erwähnte Restaurierungsatelier die Wiederherstellungsarbeiten „mit eigenen Kräften“ meistern. Vgl. Ju. L. Kosenkova, Sovetskij gorod 1940-ch  – pervoj poloviny 1950-ch godov. Ot tvorčeskich poiskov k praktike stroiteľstva, Moskau 2. erw. Aufl. 2009, S. 338. Zit. nach Jadryšnikov 2014, S. 27. GARF, f. 5446, op. 47, d. 2255, ll. 8–13. Jadryšnikov 2014, S. 269.

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Gleichzeitig mit den ersten Konservierungs- und Restaurierungsaktivitäten hatte bereits im Frühjahr 1944 die Arbeit an dem Generalplan zur Entwicklung Novgorods begonnen. Das Architekturkomitee beauftragte zwei Gruppen aus Moskau und Leningrad, im Wettbewerb Entwürfe für den Wiederaufbau und die Entwicklung der Stadt einzureichen.68 Leiter der Moskauer Gruppe war das Mitglied der Akademie für Architektur Aleksej V. Ščusev, Leiter der Leningrader Gruppe der Architekt Jakov D. Glikin. Am meisten unterschieden sie sich in der Frage, ob der Kremľ ein denkmalgeschützter Kulturbereich werden (so Ščusev) oder als administratives Zentrum mit allen zentralen Organen der Stadtverwaltung erhalten bleiben (so Glikin) sollte. Den Wettbewerb gewann die Ščusev-Gruppe; ihr Plan wurde am 22. Dezember 1945 durch eine Resolution des Rats der Volkskommissare der RSFSR beschlossen.69 Er erfüllte am besten die Vorstellung von einer harmonischen Entwicklung der Stadt, die Altes und Neues verbinden würde: „In Novgorod ist für den Architekten besonders wertvoll und lehrreich die Harmonie, welche die Kirchen des 14.–16. Jahrhunderts mit den Wohnbauten des beginnenden 19. Jahrhunderts verbindet“, erklärte Ščusev. „Nach dieser Art gesetzmäßiger Harmonie streben [auch] wir mit den neuen Ensembles.“70 Ščusev sah keinen Widerspruch zwischen der Wiederherstellung des historischen Erscheinungsbilds Novgorods und seinen Entwicklungsperspektiven als moderne Stadt: „Mit geringem Kostenaufwand kann man Novgorod zu einem modernen Bezirkszentrum machen, das seiner Bestimmung gerecht wird, und gleichzeitig die großartigen Denkmäler, Leuchttürme der russischen Geschichte, erhalten. Dieser Umstand bereichert die Stadt, weil sie auch bei neuer Bebauung und Planung nach wie vor ihre Größe aus der Verbindung von Altem und Neuem gewinnt“71. Den „historischen Charme“ wollte er erhalten, indem er der erlesenen Einfachheit der Novgoroder Architektur folgte: „Die Linien der Torbögen und Gewölbe, die Proportionen sind von ausgesuchter Einfachheit und Bescheidenheit und haben zugleich die große Aussagekraft bedeutender Kunst“72. Zwei denkmalgeschützte Räume mit historischer Architektur sollten ausgewiesen werden: der Kremľ und, auf der anderen Volchov-Seite, der Handelsplatz sowie der Jaroslavhof. Die neue Bebauung im Zentrum sollte nur wenige Etagen haben und stilistisch dem historischen Bild der Stadt entsprechen. Alte wie neue (gewerbliche und andere) Betriebe sollten in einem Gewerbegebiet außerhalb der Stadtgrenzen angesiedelt werden.73 So wurde die Idee, eine Stadt als schutzwürdiges nationales Erbe, als „Kulturreservat“, zu definieren74, in der Nachkriegszeit erstmals offiziell anerkannt. Im Juli 1946 gab das

68 A. N. Trifonova, General’nyj plan 1945 goda, in: Novgorodika-2008. Večevaja respublika v istorii Rossii: Materialy Meždunarodnoj naučno-praktičeskoj konferencii, Novgorod, 21–23 sentjabrja 2008g, Bd. 1, Velikij Novgorod 2008, S. 350. 69 Trifonova 2008, S. 351. 70 Zit. nach K. H. Afanasev, A. V. Ščusev, Moskau 1978, S. 154. 71 Afanasev, Ščusev 1978, S. 152. 72 Afanasev, Ščusev 1978, S. 151. 73 Afanasev, Ščusev 1978, S. 153. 74 V. P. Krogius, Istoričeskie goroda Rossii kak fenomen ee kuľturnogo nasledija, Moskau 2009, S. 30.

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Architekturkomitee beim Ministerrat der UdSSR eine Verordnung zum Schutz historischer Städte und der Erstellung von Liegenschaftskarten heraus, der eine Liste der rund 20 Städte beigelegt war, welche die größte Konzentration historisch bedeutsamer Baudenkmäler aufwiesen.75 Auf der Liste des Komitees von 1949 nahmen Moskau, Leningrad, Novgorod und Pskov die ersten vier Plätze ein. Angesichts der Größe der Aufgabe, der begrenzten finanziellen Ressourcen und der nicht gerade auf historische Denkmäler ausgerichteten Prioritäten erstaunt, was in den ersten fünf Jahren in Novgorod realisiert wurde. Die meisten Denkmäler wurden stabilisiert, einige der wertvollsten bereits in Teilen restauriert: 1948 war die Sophienkathedrale wiederhergestellt (ohne Innendekor), 1949 wurde mit der Restaurierung der Erlöserkirche von Abb. 123  Sergej Nikolaevič Davydov, Neredica begonnen. Diese Arbeiten wurden durch das Leiter der Novgoroder Projektwerkstatt für Restaurierung, wurde trotz seiner enormen Novgoroder Restaurierungsatelier initiiert und durch- Verdienste für den Erhalt und Wiederbau geführt. Aber sein Leiter Sergej Davydov, der für diesen Novgorods 1950 seines Postens enthoben. Erfolg verantwortlich zeichnete, wurde 1950 unter dem Vorwand der „Verletzung der Finanzdisziplin“ seiner Funktion enthoben.76 In Wirklichkeit ging es um einen alten Konflikt Davydovs mit der städtischen Führung: Wie sollte die Zukunft Novgorods aussehen? Sollte die Stadt zu einem Schutzraum für Kultur werden oder zu einem Industrie- und Verwaltungszentrum? 1950 setzte sich letztere Position durch. Diesem politischen Wandel fiel auch der Generalplan zum Opfer. Er hatte von Anfang an mit Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Die Führung der Stadt monierte eine Überschätzung der „alten archaischen Architektur“ und befürchtete eine Abwertung Novgorods als Gebietszentrum.77 Die Bedenken waren nicht unbegründet. Im Kanon des sowjetischen Städtebaus war ein Gebietszentrum als industrielles Zentrum definiert, nur solche konnten auf ernstzunehmende Investitionen in die städtische Infrastruktur und den Wohnungsbau rechnen. Entsprechend gab sich der neue Erste Sekretär des Gebiets- und des Stadtexekutivkomitees der Partei, Michail Tupicyn, im Januar 1949 überzeugt, es sei unerlässlich, die Idee eines Denkmalschutzgebiets aufzugeben und einen „sozialistischen“ Wiederaufbau zu beginnen.78 Hier spiegelten sich die Veränderungen im Land wider, die Zeit der kreativen Experimente ging ihrem Ende entgegen. Innovative Autoren, Musiker, Wissenschaftler, Architekten und Stadtplaner gerieten ins Feuer der Kritik. Im Januar 1950 war das Akademie-

75 76 77 78

Krogius 2009, S. 30. Jadryšnikov 2014, S. 266–280. Trifonova 2008, S. 353. Trifonova 2008, S. 353 f.

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mitglied Ščusev mit seinem Novgoroder Wiederaufbauplan an der Reihe (daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er bereits im Mai 1949 verstorben war). Eine vernichtende Kritik erschien am 5. Januar 1950 in der „Pravda“: „[...] die Autoren wählten einen irrigen, formalistischen Weg, indem sie vorschlugen, die Stadt im Stil höchst schlichter Beispiele höchst altertümlicher Architektur und Kunst zu bauen, ohne die neuen Forderungen eines sozialistischen Städtebaus zu berücksichtigen“.79 Am 10. April 1954 beschloss der Ministerrat der UdSSR, in Novgorod Großindustrie zu fördern, an dem Plan, eine historische Stadt zu entwickeln, wurden Korrekturen vorgenommen.80

Pskov: Ein mühevoller Neubeginn Pskov hatte weniger unter Kampfhandlungen gelitten als Novgorod und dennoch waren die Verluste groß. Nach Angaben der Außerordentlichen Kommission waren während der Besatzung mehr als 3.500 Stadtbürger hingerichtet worden, im Stadtgefängnis und im Lager waren 236.200 sowjetische Kriegsgefangene umgekommen, mehr als 150.000 Menschen aus Pskov und Umgebung waren als sogenannte Ostarbeiter nach Deutschland verschleppt worden.81 60 Prozent der Wohnungen waren vernichtet, das Wärmekraftwerk hatten deutsche Soldaten beim Rückzug gesprengt, das System der Wasserleitungen war zerstört, der öffentliche Nahverkehr paralysiert, von der Straßenbahn, dem Hauptverkehrsmittel, existierten nur noch die Gleise.82

Abb. 124  Auch in Pskov mussten umfassende Maßnahmen zur Räumung von Minen veranlasst werden, wie hier im Stadtzentrum 1944.

79 80 81 82

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V. Konstantinov, Pod stiľ pamjatnikov stariny, in: „Pravda“, 5.1.1950. Trifonova 2008, S. 354. „Nanesen značiteľnyj uščerb ...“. Svideľstvujut dokumenty, in: Pskov (2014), Nr. 40, S. 71. Sled Velikoj Otečestvennoj, Vospominanija, dokumenty, svideteľstva, in: Pskov (2003), Nr. 18, S. 285 f.

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Verwüstet waren auch die Baudenkmäler. Um deren Schäden zu erheben, richtete das Exekutivkomitee des Pskover Gebietssowjets am 11. Januar 1945 eine Kommission ein83, am 3. April wurde festgelegt, welche Kulturdenkmäler vorrangig wiederhergestellt werden sollten.84 Mit der Schadenserhebung wurde der Leiter der Pskover Architekturabteilung, Georgij E. Gedike, betraut, der jedoch anregte, diese Aufgabe an die kommunale Schadenermittlungskommission Leningrads zu übertragen, die bereits Erfahrung und vor allem ausgewiesene Fachleute für altrussische Baukunst und Malerei besäße; die eigenen Kräfte reichten dafür nicht aus.85 So geschah es: Iosif A. Orbeli, Direktor der Eremitage, Aleksandr Udalenkov, Architekturprofessor, und Jurij N. Dmitriev, Abteilungsleiter für altrussische Kunst des Russischen Museums, arbeiteten Abb. 125  Jurij Pavlovič Spegaľskij, Leiter der in Pskov mit. Mit Jurij P. Spegaľskij, der seit kurzem Pskover Restaurierungswerkstatt, im Jahr 1946. die Pskover Denkmalschutzbehörde leitete, kam der beste Kenner der Stadt und ihrer Baukunst hinzu; er sollte künftig eine Schlüsselrolle spielen. Im Frühjahr 1945 führte eine von ihm geleitete Fachgruppe erste Arbeiten durch. Am 16. August 1945 hatte die Leningrader Kommission ein Schadensprotokoll erstellt, das 20 kirchliche und profane Gebäude umfasste. Die Schäden und Verluste wurden nicht einfach aufgezählt, sondern für jedes Objekt in Geld bewertet. Die verschiedenen Typen von Architekturdenkmälern des alten Pskov  – militärische, profane und kirchliche Bauten  – wurden in ihren Besonderheiten erfasst; entstanden war so eine informative, wissenschaftlich korrekte Erzählung über die „Stadt als ein Museum der nationalen Geschichte, Kultur und Kunst“. Vollständig zerstört war demnach die Kirche des Märtyrers Nikita von 1472, eines der frühesten Beispiele für eine Kirchenkonstruktion ohne Säulen, für welche die Pskover Baumeister berühmt werden sollten.86 Die Rubrik „stark zerstört“ listete acht Kirchen, sechs profane Gebäude sowie einen Teil der Festungsmauern und -bauten auf, ferner die Johannes-der-Täufer-Kathedrale im Johanneskloster (12. Jahrhundert), die Vasilijkirche auf dem Hügel (1413), die Cosmas-und-Damian-Kirche (1463), die Kirche des heiligen Nikolaus

83 M. A. Kuz'menko, Akt ob uščerbe pričenenom nemecko-fašistskimi zachvačikami i ich soobščnikami pamjatnikam architektury drevnerusskogo zodčestva gor. Pskova, in: Pskov (1997), Nr. 7, S. 153. 84 M. A. Kuz'menko: Ju. P. Spegaľskij u istokov Pskovskich restavracionnych masterskich, in: Pskov (1998), Nr. 8, S. 190. 85 Kuz'menko 1997, S. 154. 86 Jurij P. Spegaľskij, Pamjatniki zodčestva v Pskove, in: Pamjatniki iskusstva, razrušennye nemeckimi zachvačikami v SSSR, in: I. Grabar’ I. E (Hrsg.): Pamjatniki isskustva razrušennye nemeckimi zachvačikami v SSSR. Sbornik statej, Moskau/Leningrad 1948, S. 149–174.

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von Usocha (1536), das Pogankinhaus und das Haus des Bischofs.87 Als „erheblich zerstört“ galten die Christi-Verklärungs-Kathedrale im Erlöser-Mirož-Kloster aus dem 12. Jahrhundert, die Georgijkirche (1494), die Mariä-Entschlafens-Kirche „von der Fähre“ (1520) und die Dreifaltigkeitskirche (1698). Eine Reihe von Kirchen hatte ihre Innenausstattung (Ikonostasen, Kirchengerät, Fresken) durch Zerstörung oder Demontage eingebüßt.88 Erhalten geblieben waren hauptsächlich die Fresken des Mirožklosters; nach der Zerstörung der Erlöserkirche von Neredica bei Novgorod stellten sie das einzige verbliebene Beispiel der Freskomalerei des 12. Jahrhunderts im Nordwesten Russlands dar. Auf dieser Bestandsaufnahme fußte der Beschluss des Rats der Volkskommissare der RSFSR „Dringende Maßnahmen zum Erhalt der Baudenkmäler der Stadt Pskov und des Pskover Gebiets“ vom 20. November 1945.89 Das Dokument identifizierte diejenigen Baudenkmäler, die unter keinen Umständen für andere als museale Zwecke benutzt werden durften, darunter die Kathedralen des Mirožund des Snetogorskklosters, die Mariä-Entschlafens-Kirche „von der Fähre“ und profane Bauten wie das Haus der Jakovlevs oder das Pečenkohaus. Die Auswahl bot einen Querschnitt des einzigartigen Pskover und nordrussischen Baustils vom 12. bis zum 17. Jahrhundert. Eingerichtet werden sollten ein Bauamt für Restaurierungsarbeiten sowie ein Restaurierungsatelier, die Baubetriebe von Stadt und Gebiet sollten 50 Facharbeiter zur Unterstützung der Restauratoren abordnen. Realiter wurde freilich nur die von Spegaľskij geleitete Gruppe, die bereits tatkräftig mit Reparatur- und Wiederaufbauarbeiten begonnen hatte, im April 1946 in Restaurierungsatelier umbenannt. Spegaľskij selbst war mit dem Erreichten keineswegs zufrieden. „Dem Atelier bleibt die Luft weg“, schrieb er an das Gebietsexekutivkomitee und klagte über fehlende Arbeitskräfte und Räume.90

Die Ideen des Architekten Jurij Spegaľskij Mit dem Wiederaufbau der Pskover Denkmäler hatte sich Spegaľskij noch während des Krieges im belagerten Leningrad beschäftigt. Der in Pskov geborene Architekt und Höhenmonteur versah im Krieg die hohen Gebäude Leningrads, wie die Admiralität, die Nikolauskathedrale und den Glockenturm der Kirche Johannes‘ des Täufers, mit einem Tarnüberzug. Im Blockadewinter 1941/42 schuf der begnadete Zeichner eine Serie von Skizzen zu Pskov im 17. Jahrhundert – mit Buntstiften, weil die Aquarellfarben in den ungeheizten Räumen einfroren.91 Nach der Befreiung kehrte er nach Pskov zurück, wo er an der Ausarbeitung des

87 Kuz'menko 1997, S. 163. 88 Kuz'menko 1997, S. 163. 89 Postanovlenie Soveta narodnych komissarov RSFSR, 20 nojabrja 1945, http://lawru.info/dok/1945/11/20/ n1194009.htm [20.2.2018]. 90 Kuz'menko 1997, S. 192. 91 Ju.  S. Ušakov, Spegaľskij Jurij Pavlovič, in: Pskov (2008), Nr. 29, S. 171; Lev Šlosberg, Kod Spegaľskogo, in: Pskovskaja Gubernija 442 (2009), Nr. 21, http://gubernia.pskovregion.org/number_442/03.php?print.

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Generalplans zur Entwicklung der Stadt beteiligt war. Die Leitung der damit betrauten Gruppe Leningrader Architekten hatte Nikolaj V. Baranov inne. Ihrer Grundidee nach sollte Pskov sich als großes Gebietszentrum92 entwickeln können und gleichzeitig als Museumsstadt altrussischer Baukunst erhalten werden. Der Umfang der Zerstörungen stellte die Architekten zwar vor eine schwierige Aufgabe, eröffnete aber auch die Chance, kühne Ideen zu realisieren93, vor allem die historischen Denkmäler in eine moderne Stadtplanung einzubetten. Auf verschiedene Stadtteile verstreut existierten nur noch einige Dutzend historischer Bauten. Das historische Straßenschema war noch erhalten, aber, wie Spegaľskij schrieb: „Den alten Straßen fehlen die alten Häuser, zu den alten Häusern fehlen die entsprechenden Straßen.“94 Er war überzeugt, dass man diese Situation mit der Schaffung historischer Quartiere ganz eigener Art bereinigen könnte. Gerade nach dem Krieg ergab sich die Möglichkeit, an verschiedenen Stellen in der Stadt, wo mehr Denkmäler konzentriert sind, ohne Extrakosten und ohne Verluste die alten Straßen wiederaufzubauen. Ganz außergewöhnlichen Reiz und Eigenart würden der Stadt solche stillen, in günstige Richtungen führende Fuß- und Exkursionswege verleihen, an denen die Denkmäler wie Perlen an einer Kette aufgereiht wären, was auch für die Bewohner viel Bequemlichkeit bieten würde; sie würden die verdreckten und vollgemüllten Innenbereiche der Quartiere in grüne und wohlgeordnete Territorien verwandeln.95

Spegaľskij nannte solche in einem einheitlichen System verbundenen Quartiere Architekturschutzzonen, die er – erstmals in der UdSSR – am Beispiel Pskovs erarbeitete.96 Neubauten sollten nur wenige Etagen hoch sein, doch in Fragen des Komforts modernen Erfordernissen entsprechen. Kategorisch lehnte er jede „pseudorussische Restaurierungsmanie“ ab, also neue Gebäude in „russischem Stil“ und vergleichbares „Imitationswesen“.97 Unterstützt wurde sein Projekt von der Hauptdenkmalschutzbehörde, die der Pskover Baubehörde empfahl, „die Projektierung der Architekturschutzzonen von Spegaľskij nach Kräften zu unterstützen.“98

92 Am 23. August 1944 wurde das Verwaltungsgebiet Pskov innerhalb der RSFSR gegründet, Verwaltungszentrum wurde die Stadt Pskov. 93 RGAĖ, f. 9432, op. 1, d. 34, ll. 22 f. 94 Svoevremennye mysli (pis’mo Ju. P. Spegaľskogo sotrudniku Gorodskogo otdela architektury Pskova T.T. Nikolaevu. 1958g.), in: Novosti Pskova, 17.1.2001, http://static.74.174.40.188.clients.your-server.de/spegalsky.narod. ru/smi/svoevrem_misli.html [1.5.2018]. 95 Svoevremennoe mysli 2001. 96 O. K. Aršakuni, Ju. P. Spegaľskij – teoretik i organizator ochranno-restavracionnogo dela (Pskov. Sistema architekturnych zapovednikov), http://architecture.artyx.ru/books/item/f00/s00/z0000006/st014.shtml [1.5.2018]. 97 Aršakuni 1988. 98 Aršakuni 1988.

Kulturreservat oder sozialistische Stadt?

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Im Generalentwicklungsplan von Pskov blieb die Idee, Schutzzonen zu schaffen, erhalten, wurde aber etwas gestutzt. Im historischen Kern der Stadt wurden drei Schutzflächen ausgewiesen: der Kremľ, die Daumantas-Stadt (eine nach dem Fürsten Daumantas benannte Erweiterung der Festung aus dem 13. Jahrhundert) und die Stadtmauern. Neue Industriebetriebe sollten jenseits der Stadtgrenzen errichtet werden, der Hauptverkehr wurde auf Umgehungsstraßen umgeleitet.99 Die Projektmitarbeiter wünschten die Entfernung des halbzerstörten Wärmekraftwerks, dessen Eisenbetonhülle wie ein Fremdkörper in Konkurrenz zur dominierenden Dreifaltigkeitskathedrale trat. Damit stießen sie auf den Widerstand der zuständigen Energiefachleute und der politischen Führung, die beide das Kraftwerk so schnell wie möglich wiederherstellen wollten.100 Als Kompromiss diente der Beschluss des Gebietsbüros der Partei, das Kraftwerk sollte „als nächstes“ aus der Stadt heraus verlagert werden.101 Er wurde im März 1945 angenommen und an den Rat der Volkskommissare der RSFSR weiterverwiesen: Pskov sollte sich als industrielles, ökonomisches, administratives und kulturelles Zentrum des Gebiets entwickeln und gleichzeitig als Stadt ein „Museum der Denkmäler altrussischer Baukunst“ verkörpern.102 Im Prozess der Umsetzung wurden später Änderungen eingearbeitet, die den ursprünglichen Ansatz verfälschten: Der Druck, die Industrie aufzubauen, und zeitgenössische Vorstellungen einer „modernen“ Stadt waren stärker. Den Pskover Denkmalschützern wurde ein Kniefall vor der „Archaik“ vorgeworfen, und man beschuldigte Spegaľskij, er wolle, dass Pskov ins 17. Jahrhundert zurückkehre.103 Im Juni 1947 wurde der unnachgiebige Architekt unter einem Vorwand als Leiter des Restaurierungsateliers abgesetzt.104

Das Nachkriegsschicksal des Pskover Landeskundlichen Museums In den Nachkriegsjahren war die Lage des Pskover Museums nicht einfach. Am 8. August 1945 hatte das Exekutivkomitee des Gebiets beschlossen, das Museum wiederaufzubauen.105 Einige Monate später trafen die ausgelagerten Objekte ein. In Riga wurden 6.188 Bücher aus Pskov entdeckt und zurückgebracht.106 Ein Teil der Museumobjekte wurde in Minsk gefunden, ein anderer in den Lagerhallen von Derutra in Berlin. Ein Gebäude besaß das Museum damit noch nicht. In dem halb zerstörten Pogankinhaus konnte es nur über

99 Kosenkova 2009, S. 72 f., 344. 100 RGAĖ, f. 9432, op. 1, d. 34, ll. 26–27. 101 Sled Velikoj Otečestvennoj 2003, S. 288. 102 Sled Velikoj Otečestvennoj 2003, S. 288. 103 Svoevremennye mysli 2001. 104 Kuz'menko 1997, S. 194. 105 O.  V. Salkina, Kraevedčeskij muzej vosstanavlivaetsja. Svideteľstvujut dokumenty, in: Pskov (2002), Nr. 16, S. 220. 106 Ebd., S. 220.

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Sowjetische Museen in der Nachkriegszeit

drei Räume verfügen: In einem Zimmer waren die Mitarbeiter zusammengepfercht, in zwei weiteren die Bücher und ein Fotolabor untergebracht. Im Winter war es im Souterrain so kalt, dass den Mitarbeitern dort die Tinte einfror. Der Leiter der Gebietsabteilung für Kultur und Bildung kam im Februar 1947 bei einem Besuch zu dem enttäuschenden Schluss: „Es existieren Exponate, es gibt Mitarbeiter und ein Türschild, aber das Museum selbst gibt es nicht.“107 Erst 1948 war ein Teil des Pogankinhauses wiederhergestellt, auch wenn nach wie vor Heizung und Strom fehlten. Dennoch wurde das Museum am 7. November 1948 wieder für das Publikum geöffnet.108

3

Plan und Wirklichkeit: Denkmalschutz vor und nach Stalins Tod

In einer Resolution des Ministerrats der UdSSR vom 14. Oktober 1948 hieß es, der Denkmalschutz weise große Mängel auf: „Es gibt keine Kontrolle über den Erhaltungszustand historischer und archäologischer Denkmäler“109, dabei seien diese der „unantastbare Besitz des ganzen Volkes“. Zu ihrer Erfassung wurde ein dezentraler Denkmalschutz aufgebaut. 110 Künftig sollte es verboten sein, „Kulturdenkmäler zu verändern, umzubauen, zu verlagern oder abzureißen“, falls keine „besondere Erlaubnis“ (durch den Ministerrat der UdSSR oder der jeweiligen Unionsrepublik) vorlag. In jedem Fall müssten Entscheidungen über die Nutzung bedeutender Architekturdenkmäler „ohne Gefährdung ihrer Unversehrtheit und ohne Verletzung ihres historischen und ästhetischen Wertes“ erfolgen.111 Um sicherzustellen, dass es ausreichend Restaurierungskapazität gebe – die Zentren in Moskau und Leningrad und die kleineren Ateliers in Novgorod, Pskov und Vladimir reichten bei weitem nicht aus112 –, erlaubte der Ministerrat dem Komitee für Architekturfragen 1948, „an Orten mit einer hohen Konzentration an Architekturdenkmälern“ weitere Ateliers zu organisieren.113

107 Salkina 2002, S. 222. 108 GARF, f. A-534, op. 1, d. 304, l. 72. 109 Die Resolution des Ministerrates der UdSSR „Über die Maßnahmen zur Verbesserung des Denkmalschutzes“ vom 14.10.1948 ist veröffentlicht, vgl. Postanovlenie Soveta Ministrov SSSR Nr. 3898 ot 14 oktjabrja 1948 goda, http://art-con.ru/node/354 [1.5.2018]. 110 Die archäologischen und historischen Denkmäler sollten den Komitees für kulturelle und Bildungseinrichtungen bei den Ministerräten der Unionsrepubliken unterstehen, um die Architekturdenkmäler sollte sich das Komitee für Architekturfragen und um die Kunstdenkmäler das Komitee für die Künste kümmern (beide auf Allunionsebene). 111 Die Regel zum Schutz und zur Benutzung der Kulturobjekte wurde in einer speziellen „Vorschrift zum Denkmalschutz“ beschrieben, die als Anlage zur Resolution des Ministerrats vom 14.10.1948 angenommen wurde. Vgl. Položenie ob ochrane pamjatnikov kul‘tury, http://art-con.ru/node/354 [1.5.2018]. 112 A.  S. Šhenkov (Hrsg.), Pamjatniki architektury v Sovetskom Sojuze. Očerki istorii architekturnoj restavracii, Moskau 2004, S. 237. 113 Vgl. Postanovlenie Soveta Ministrov SSSR Nr. 3898 ot 14 oktjabrja 1948 goda, http://art-con.ru/node/354 [1.5.2018].

Plan und Wirklichkeit: Denkmalschutz vor und nach Stalins Tod

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1950 gab es davon auf Allunionsebene 21114, in einigen Regionen und Unionsrepubliken zog sich der Aufbau aber noch über Jahrzehnte hin. Dennoch war der Ausbau von Restaurierungsateliers der einzige Punkt der Resolution von 1948, der erfolgreich in die Praxis umgesetzt wurde. Museumgeschichte ist immer eingebettet in die allgemeine Entwicklung. Nach dem Sieg über Deutschland hatte sich in der Gesellschaft Hoffnung auf politische Erleichterungen geregt, doch das Stalinregime antwortete darauf auf seine Weise: mit neuen Beschränkungen und weiterer Verfolgung. Die schon 1946 in Gang gesetzte antiwestliche Kampagne – das sowjetische Pendant zur „Hexenjagd“ in den USA – nahm unter der Losung „Kampf gegen die Kriecherei gegenüber dem Westen“ Fahrt auf. Die Beschuldigungen lauteten „Antipatriotismus“, „Katzbuckelei vor dem Westen“ beziehungsweise „Servilität gegenüber allem Ausländischen“. Die Kampagnen trafen auch Museen und Kulturdenkmäler. 1948 wurde in Moskau das Museum für moderne westliche Kunst mit der Begründung geschlossen, seine Sammlung sei „für die breiten Volksmassen [...] politisch schädlich“.115 Auch die Vorortschlösser gerieten ins Visier der Kämpfer gegen „unrussischen Einfluss“, denn nicht wenige ihrer Erbauer waren nichtrussischer Herkunft. Letztlich war das freilich ein Vorwand, um die Gebäude anderweitig zu nutzen – so begründete jedenfalls der Vorsitzende des Leningrader Stadtsowjets im Januar 1950 seine Ansicht, der Katharinenpalast könne in eine Lehranstalt umgebaut werden.116 Die Museumsmitarbeiter waren davon hochbeunruhigt, denn der geltende Plan sah vor, nach der Restaurierung im ersten Stock ein Museum einzurichten, während im Erdgeschoss ein „Zentrum für kulturelle Freizeitaktivitäten“ mit Kinos, Vortragssälen, einer Bibliothek, einem Spielezimmer usw. angedacht war.117 In einem Brief an Stalin setzten sie sich dafür ein, den Katharinenpalast als Museum zu erhalten.118 Sie wurden beruhigt: Es gebe keine Absichten, das historische Denkmal anders als zweckentsprechend zu nutzen.119 Dennoch wurde es 1951 der Admiralität zur Eröffnung einer Marineschule überlassen. Da keine Verpflichtung zum Denkmalschutz aufgesetzt wurde, konnte das Militär das Gebäude in der Folge umbauen und den eigenen Erfordernissen anpassen.120 Alarmierende Signale zur Zukunft der Vorortschlösser waren seit 1949 zudem zu registrieren, als aus Geldmangel die Instandsetzungsarbeiten faktisch eingestellt wurden.121

114 Ju.  A. Nechorošev, Ėkonomičeskie i organizacionnye aspekty poslevoennogo vosstanovlenija pamjatnikov architektury, in: Poslevoennoe vosstanovlenie 2014, S. 158. 115 Die Schließung des Museums wurde durch die Resolution des Ministerrates der UdSSR bestimmt. Vgl. Postanovlenie Soveta Ministrov SSSR Nr 672 ot 6 marta 1948g, http://www.newestmuseum.ru/reference/docs/index.php [1.5.2018]. 116 RGASPI, f. 17, op. 132, d. 440, l. 15. 117 RGASPI, f. 17, op. 132, d. 440, l. 21. 118 RGASPI, f. 17, op. 132, d. 440, l. 15. 119 RGASPI, f. 17, op. 132, d. 440, l. 22. 120 Ivanova 2015, S. 188. 121 V. I. Zlatoustova, Gosudarstvennaja politika v oblasti muzejnogo dela (1945–1985gg.), in: Muzei i vlasť. Gosudarstvennaja politika v oblaste muzejnogo dela (XVIII–XXvv.), Bd.1, Moskau 1991, S. 233.

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Sowjetische Museen in der Nachkriegszeit

Die Zuteilung für den Wiederaufbau von Pavlovsk betrug 1949 300.000 Rubel – zehnmal weniger als 1948122, das Schloss von Gatčina erhielt lediglich 20.000 Rubel statt der ursprünglich geplanten 700.000123. Eine Reihe tonangebender Kulturschaffender, darunter Igor’ Grabar’, der Schriftsteller Konstantin Simonov, die Komponisten Dmitri Schostakowitsch und Tichon Chrennikov sowie der Direktor der Eremitage, Iosif A. Orbeli, baten Stalin in einem Brief, das Geld für die Fortsetzung der Arbeiten zu bewilligen. Eine Antwort erhielten sie nicht. Zusätzliche Gelder wurden erst bewilligt, als die Leningrader Staatliche Denkmalschutzbehörde den Ministerrat der UdSSR um Hilfe bat.124 Allerdings reichten die Zuwendungen auch dann nicht aus, und so schien es nur einen Ausweg zu geben, auch wenn dieser den Interessen der Museen zuwiderlief: die Schlösser an Einrichtungen zu vermieten, die sich zur Fortsetzung der Reparatur- und Restaurierungsarbeiten verpflichteten. Hier spiegelte sich eine allgemeine Tendenz im Denkmalschutz der UdSSR wider. Problematisch dabei war, dass in der Folge Restaurierungsgrundsätze oft missachtet, die historische Gebäudestruktur nach Gusto verändert und Interieurs dem Prinzip des „Praktischen“ geopfert wurden. 125 In der Geschichte des Wiederaufbaus stellt Pavlovsk in vieler Hinsicht eine Ausnahme dar. Hier waren die Reparatur- und Wiederaufbauarbeiten so kontinuierlich verlaufen, dass man früher als anderswo an eine Neueröffnung als Museum denken konnte. Dafür war vor allem der unermüdliche und geschickte Einsatz der Museumsdirektorin Anna Zelenova verantwortlich, der es trotz Finanzkrise und Zugriffswünschen anderer Behörden gelang, für Pavlovsk eine eigene Strategie zu entwickeln.126 Sie konnte das Schloss verteidigen, allerdings auf Kosten anderer Ensembles: 1951 erhielten Militäreinrichtungen die Verfügung über den Katharinen- und den Alexanderpalast in Puškin und das Schloss von Gatčina. Ein derartiges Szenario hatte Anatolij Kučumov bereits 1944 vorausgesehen, als er mutmaßte, es werde unvermeidlich sein, einige Museumsgebäude zu opfern, „um andere retten zu können“.127 Kučumov entwickelte die Idee, aus den Sammlungen ein gemeinsames „Museum der Vororte“ aufzubauen.128 Zelenova unterstützte ihn darin nicht zuletzt deshalb, weil Pavlovsk die größten Chancen besaß, hierfür den Zuschlag zu bekommen. Hier waren Mitte der 1950er Jahre die wesentlichen Reparatur- und Restaurierungsarbeiten abgeschlossen, hierher wurde auf Beschluss des Leningrader Stadtexekutivkomitees das Zentraldepot der Museumsbestände verlagert129, zunächst allerdings noch nicht unter der Leitung Zelenovas. Das änderte sich 1956. Auf Initiative der Leningrader Kulturverwaltung gingen die Bestände 122 Zelenova 2006, S. 206. 123 Vgl. Min. Kuľtury RF (Hrsg.), Svodnyj Katalog, Bd. 5, Gosudarstvennyj muzej-zapovednik „Gatčina“, http://lostart.ru/ catalog/ru/tom5 [1.5.2018]. 124 Zlatoustova 1991, S. 233. 125 Nechorošev 2014, S. 164–166. 126 Ёlkina 2005, S. 266. 127 Kučumov 2004, S. 123. 128 Zelenova 2006, S. 166. 129 CGA SPb, f. 7384, op. 37, d. 246, l. 9.

Plan und Wirklichkeit: Denkmalschutz vor und nach Stalins Tod

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des Zentraldepots in ihre Zuständigkeit über. Die Leitung von Schlossmuseum und Parkanlagen von Pavlovsk wurden mit dem Zentraldepot zu einer Einrichtung zusammengeschlossen. Laut Beschluss des Ministerrats der RSFSR130 sollte ein „Museum für künstlerisch wertvolle Interieurs russischer Schlösser vom Ende des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ eingerichtet werden131, der umständliche Name wich aber bald dem geläufigeren „Schloss und Museum von Pavlovsk“. Hier fanden auch Objekte aus den anderen Vorortmuseen einen Platz. Zu Anfang glaubte man noch, dass sie schrittweise an ihre ursprünglichen Orte zurückkehren würden132, doch zog sich deren neuerliche Umwandlung in Museen hin und die Frage der Rückkehr der Sammlungen war immer schwerer zu lösen. Sie ist bis heute aktuell. Nach Stalins Tod 1953 begann sich auch die Kulturpolitik zu verändern, die Rolle des kulturellen Erbes wurde neu bewertet. 1956 ratifizierte der Oberste Sowjet das Protokoll der Haager Konvention von 1954 zum „Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten“.133 Damit wollte die UdSSR der ganzen Welt demonstrieren, dass die Achtung vor Kulturdenkmälern ein inhärentes Prinzip ihrer Innen- wie ihrer Außenpolitik sei. Außenpolitisch war man bemüht, die Beziehungen zum Westen auf eine neue, eher dialogorientierte Grundlage zu stellen. Zur Imageverbesserung sollte auch die Entwicklung des Tourismus beitragen.134 Nach der Genfer Gipfelkonferenz vom Juli 1955 formulierte das ZK der KPdSU das Ziel, ausländischen Gästen „die Errungenschaften der UdSSR in Wirtschaft und Kultur breit bekannt zu machen“135. Vorrangig sollten Kulturdenkmäler besucht werden, darunter die Sophienkathedrale in Novgorod und die Fontänen von Peterhof, die der neue Parteichef Nikita Chruščev seinen ausländischen Gästen gern vorführte. Die Direktorin Peterhofs wusste diesen Umstand für ihr Haus zu nutzen: Bis 1958 waren die Fassaden des Großen Palais wiederhergestellt, im Mai 1964 wurden einige Säle erstmalig für Besucher geöffnet.136 1959 begann die Wiederherstellung von Monplaisir, das bis dahin lediglich „konserviert“ worden war; es wurde 1965 als Schlossmuseum eröffnet. In dem Beschluss des Ministerrats der RSFSR zur „Verbesserung des Denkmalschutzes und der Restaurierung von Kulturdenkmälern in der RSFSR“ vom 29. Juni 1957 war unter

130 V. A Semenov, Istorija sozdanija „Muzeja chudožestvennogo ubranstva russkich dvorcov konca XVIII i načala XIX vekov“ v Pavlovskom dvorce [2012], http://gatchinapalace.ru/special/publications/istoria_sozdania.php [1.5.2018]. 131 CGALI SPb, f. 387, op. 1, d. 187, ll. 12–13. 132 Semenov 2012. 133 Ukaz Prezidiuma Verchovnogo Soveta SSSR ot 12 dekabrja 1956g., http://lostart.ru/ru/documents/detail. php?ID=882 [1.5.2018]. 134 Elena Zubkova/Sergej Zubkov, Das große PR-Projekt „Nikita Chruščev für den Westen“. Konstruktionsmechanismen und Repräsentationsstrategien eines neuen Sowjetunionbildes, in: Bianka Pietrow-Ennker (Hrsg.), Russlands imperiale Macht. Integrationsstrategien und ihre Reichweite in transnationaler Perspektive, Köln 2012, S. 209–225. 135 RGANI, f. 5, op. 30, d. 113, l. 32. 136 A. G. Leonťev, Stranicy poslevoennogo vosstanovlenija Petergofa, in: Istorija Peterburga (2010), Nr. 1(53), S. 13.

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Sowjetische Museen in der Nachkriegszeit

anderem die Forderung neu, „die wertvollsten Kulturdenkmäler breit zugänglich zu zeigen und in der Gesellschaft bekannt zu machen.“137 Ungeachtet des zähen Widerstands der Einrichtungen, die über die betroffenen Gebäude verfügten, vollzog sich so zwischen 1957 und 1960 durchaus ein Wandel hin zum Schutz des Kulturerbes. Positiv wirkte sich für den Katharinen- wie den Alexanderpalast auch die neue sowjetische Militärdoktrin aus, die auf Atomwaffen statt auf konventionelle Waffensysteme und das Unterhalten einer großen Armee und Flotte setzte. Millionen an Militärangehörigen wurden entlassen, und auch in Puškin wurde die Militärschule geschlossen. 1957 ging der Katharinenpalast in die Obhut des Kulturministeriums der RSFSR über. Die Restaurierung zog sich allerdings über Jahrzehnte hin und ist auch heute noch nicht abgeschlossen138, einzelne Säle sind aber seit 1959 zugänglich. Die größten Schwierigkeiten, den Museumsstatus zurückzuerhalten, hatte Schloss Gatčina, wo ebenfalls eine Militärschule untergebracht war. Hier half weder die Militärreform noch der Tourismusfaktor. Als das Militär Gatčina 1960 verließ, ging der Palast in die Verfügungsgewalt des Ministeriums für die Elektronikindustrie über.139 Erst 1976 begannen die Restaurierungsarbeiten, die ersten Besucher kamen 1985. Der neue Geist der fünfziger Jahre entfaltete seine Wirkung auch in den altrussischen Städten. Da ausländische Touristen sich für „russisches Altertum“ interessierten, wurde seit 1956 Novgorod für sie geöffnet.140 Damals standen die Arbeiten im Kremľ, im Jaroslavhof und in einigen Kirchen kurz vor dem Abschluss. Bald kamen jährlich 2.500 bis 6.000 Besucher.141 Damit waren die Führung der Stadt und die städtische Infrastruktur eindeutig überfordert. Viele Denkmäler beherbergten noch immer verschiedenste Einrichtungen oder wurden als Wohnraum genutzt, selbst im Kremľ und im Jaroslavhof wohnten nach wie vor Menschen, manche hielten Vieh und Geflügel. Das halbverfallene Jur’evkloster war für ausländische Gäste ganz gesperrt. Ein Appell prominenter Gelehrter, die vorschlugen, den Kreml zu einer staatlichen Denkmalschutzzone zu machen, war schließlich erfolgreich.142 Seit 1992 gehören die Altstadt sowie Kirchen und Klöster der Stadt und ihrer Umgebung zum UNESCO-Weltkulturerbe. Eine ähnliche Entwicklung war in Pskov zu beobachten. Als Ergebnis eines neuen Generalentwicklungsplans, der 1968 in Auftrag gegeben worden

137 Postanovlenie Soveta Ministrov RSFSR ot 29.06.1957 Nr. 781, http://lawru.info/dok/1957/06/29/n1193057.htm [1.5.2018]. 138 K. S. Ketova, Gibeľ i vozroždenie vnov’ (k 55-letiju so dnja načala restavracionno-vosstanoviteľnych rabot v Ėkaterininskom dvorce v Carskom sele), http://na-journal.ru/2-2012-gumanitarnye-nauki/81-gibel-i-vozrozhdenievnov-k-55-letiju-so-dnja-nachala-restavracionno-vosstanovitelnyh-rabot-v-ekaterininskom-dvorce-v-carskom-sele [1.5.2018]. 139 Adelaida S. Ёlkina, Gatčina. Moj dvorec. Černovye zametki glavnogo chranitelja, Moskau 2014, S. 15. 140 A. N. Čistikov, Inostrannye turisty v Novgorode i zarubežnye poezdki novgorodcev v 1950–1960-ch gg., in: Novgorodika-2008. Večevaja respublika v istorii Rossii: Materialy Meždunarodnoj naučno-praktičeskoj konferencii, Novgorod, 21–23 sentjabrja 2008 g., Bd. 2, Velikij Novgorod 2008, S. 67. 141 Čistikov 2008, S. 68. 142 Ochrana pamjatnikov istorii i kuľtury. Sbornik dokumentov, Moskau 1973, S. 135.

Plan und Wirklichkeit: Denkmalschutz vor und nach Stalins Tod

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war143, wurden auch hier Schutzzonen für historische Gebäude geschaffen. Kurz vor seinem Tod kommentierte Spegaľskij zufrieden: „Den Denkmälern von Pskov ist es jetzt vergönnt, nicht zu zerfallen und vom Erdboden zu verschwinden, sondern neues Leben zu erhalten, damit sie noch vielen Generationen von Menschen dienen können. Es konnte nicht anders kommen.“144 Im September 2017 wurde für 18 Denkmäler der Antrag auf Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste gestellt.

143 Ochrana pamjatnikov 1973, S. 171. 144 Zit. nach Aršakuni 1988.

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Sowjetische Museen in der Nachkriegszeit

Anhang

Dank Das vorliegende Buch entstand im regen Austausch unter den Autorinnen, seine Fragestellungen stießen aber auch bei vielen Gesprächspartnern – in Russland wie in Deutschland – auf Resonanz und Unterstützung. Bei den meisten berührte das Thema Krieg die persönliche Familiengeschichte, und so schwangen bei fachlichen Diskussionen fast immer auch Emotionen mit. Häufig entwickelten sich kollegiale Verhältnisse zu Beziehungen, die von Sympathie und freundschaftlicher Nähe geprägt waren. Dies gilt an erster Stelle für die Nachfahren „unserer Akteure“, die für uns die manchmal bis dahin verschlossenen Kartons öffneten, Bündel alter Briefe und Tagebücher aufschnürten, entziffern halfen, Fotografien und Verwandtschaftsverhältnisse erklärten und damit der Forschungsarbeit entscheidende Impulse gaben, darüber hinaus aber auch ihre persönlichen Erinnerungen mit uns teilten. Besonders danken möchten wir für ihre Unterstützung und ihr Vertrauen Arnold Körte, Ulrich Keller, Katrin Paehler, Hauko Roskamp, Frieder v. Krusenstjern, Christian von Holst, Friedrich Ernst Graf zu Solms-Laubach, Paul von Hehn, Inge Hubert, Hellmut Kinzel, Tobias A. Poensgen, Bernd Wunder, Karin Jückstock und Antonina V. Peredolskaja. Einen großen Dank schulden wir Oľga Taratynova, Elena Kalnickaja, Vera Demenťeva, Vasilij Pankratov, Elena Gladkova, die als DirektorInnen der untersuchten russischen Museen unsere Forschungsinitiative positiv aufnahmen und sie jederzeit aktiv unterstützten. Mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entwickelte sich eine sehr produktive, freundschaftliche Zusammenarbeit, für die wir insbesondere danken wollen: Larisa Bardovskaja, Iraida Bott, Ekaterina Eparinova (GMZ Carskoe Selo), Rifat Gafifullin, Aleksej Guzanov, Oľga Lamenko (GMZ Pavlovsk), Elena Efimova, Maria Kirpičnikova, Alexandra Farafanova, Aisulu Šukurova (GMZ Gatčina), Tamara Nosovič, Larisa Nikiforova, Pavel Petrov (GMZ Peterhof), Julia Komarova, Elena Ignašina, Irina Stepanova, Galina Markova, Ljubov Eryševa und Elizaveta Kustova (Museum Novgorod), Nataľja Tkačeva (Restauratorin, Museum Pskov) sowie Oľga Vasiľeva (Museum Pskov) In vielen Aspekten konnte diese Arbeit auf hervorragende Vorarbeiten zurückgreifen: Mit Fragen zur Kunstgeschichte in der NS-Zeit, zu Kunstschutz und Kunstraub wandten wir uns an Patricia Grimsted, Christian Fuhrmeister, Stephan Klingen, Ralf Peters, Christoph Frank, Gabriele Freitag, Nikola Doll, Angelika Enderlein, Svetlana Nekrasova, Julija Kantor, Konstantin Akinsha und Grigorij Koslov. Mit Blick auf die Geschichte Novgorods halfen uns Boris Kovalev und Petr Gaidukov, zur Geschichte der Museen in den baltischen Staaten unter deutscher Besatzung Jānis Kalnačs, Baiba Vanaga, Edvarda Šmidte, Peep Pillak und

Dank

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Malle Salupere. Fragen der deutschen Besatzungspolitik beantworteten uns Johannes Hürter, Jürgen Kilian, Dieter Pohl, Thomas Bremer, Rolf-Dieter Müller, Doris Kaufmann und Susanne Heim. Ihnen allen sei herzlich für ihre Auskünfte, in manchen Fällen auch für die Überlassung von Material, gedankt. Unser großer Dank geht ferner an die Kolleginnen und Kollegen aus den russischen und deutschen Archiven, die unsere Recherchen sehr zuvorkommend und aktiv unterstützten. Besonders danken möchten wir Berit Walter, Susanne Dörler, Hans Peter Wollny, Michael Mohr, Petra Winter, Bernd Reiffenberg und Jörg Rudolph sowie Larisa Rogovaja, Elena Tjurina, Ljudmila Košeleva und Aleksandr Kuprijanov. Aleksandr Romanov sichtete und exzerpierte für uns äußerst professionell Archivbestände in St. Petersburg, wofür wir ihm sehr danken. Dieses Buch hat seine lesbare und geschlossene Form erst durch zwei geschätzte Kolleginnen erhalten. Hartmute Trepper übersetzte in hervorragender Weise die russischen Textteile. Marlene Hiller vereinte die Texte – wie eingangs schon bemerkt – zu einem Gesamt­ manuskript. Wir sind ihr sehr dankbar, dass sie ihre große Erfahrung und ihr breites Fachwissen einbrachte, uns geduldig anschob und beharrlich korrigierte. Ihnen beiden und ebenso Elena Mohr, für die verlegerische Betreuung, danken wir sehr für ihren Langmut und ihre Unterstützung.

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Anhang

Abkürzungsverzeichnis AOK

Armeeoberkommando: Führungsebene zwischen Heeresgruppe und Armeekorps mit den Generalstabsabteilungen Ia (Führungsabteilung, Operationen), Ib (Oberquartiermeister, Nachschub), Ic (Feindlage); zum Operationsgebiet eines AOK gehörte 1. das Gefechtsgebiet der betr. Armeekorps bzw. Divisionen und 2. das Rückwärtige Armeegebiet. BeRück Befehlshaber Rückwärtiges Heeresgebiet. CCP Central Collecting Point: von der US-Militärverwaltung eingerichtete Sammelstelle für aufgefundene Kunstschätze. DAI Deutsches Ausland-Institut (Stuttgart). Derutra Deutsch-Russische Transport-Aktiengesellschaft: 1946 in der sowjetischen Besatzungszone (neu)gegründetes Transportunternehmen zur Abwicklung der Demontagetransporte. DP Displaced persons. Dulag Durchgangslager für Kriegsgefangene. ERR Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg. FHO Fremde Heere Ost: Generalstabsabteilung für Feindaufklärung. FSB Federaľnaja služba bezopasnosti Rossijskoi Federacii (dt. Föderaler Dienst für Sicherheit der Russländischen Föderation): seit 1995 der Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation. Glavmuzej Glavnyj komitet po delam muzeev i ochrane pamjatnikov iskusstva, stariny i prirody pri Narodnom komissariate prosveščenija RSFSR (dt. Zentrales Komitee für Fragen der Museen und den Schutz von Denkmälern der Kunst, des Altertums und der Natur beim Volkskommissariat für Bildung der RSFSR). Gosfondy Gosudarstvennye fondy dragocennych metallov i dragocennych kamnej (dt. Staatliche Bestände der Edelmetalle und Edelsteine). Gochran Gosudarstvennoe chranilišče cennostej Narkomfina (dt. Staatliche Schatzkammer der RSFSR). Gubmuzej Gubernskij komitet po delam muzeev i ochrane pamjatnikov iskusstva, stariny i prirody. RSFSR (dt. Abteilung für Museen und Denkmalschutz in der Gouvernementsabteilung für Volksbildung). GULag Glavnoje upravlenije lagerej (dt. Hauptverwaltung für Lager). HAG Hauptarbeitsgruppe (des ERR). HiCoG High Commisioner for Germany: in der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland für die US-Besatzungszone zuständig. Ia siehe AOK. Ic siehe AOK. Inturist Inostranny turist (dt. ausländischer Tourist): die Staatliche Agentur für den ausländischen Fremdenverkehr.

Abkürzungsverzeichnis

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KdF

„Kraft durch Freude“: die NS-Freizeitorganisation diente während des Krieges auch zur Truppenbetreuung. KoRück Kommandant Rückwärtiges Armeegebiet: das Rückwärtige Armeegebiet schloss unmittelbar an das Gefechtsgebiet an. KP Kommunistische Partei. MFA&A Monuments, Fine Arts and Archives: Abteilung der westalliierten Streitkräfte für den Kunstschutz. Min. Kuľtury RF Ministerstvo kuľtury Rossijskoj Federacii (dt. Ministerium für Kultur der Russische Föderation). MfS Ministerium für Staatssicherheit der DDR. NKVD Narodnyj kommissariat vnutrennich del (dt. Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten): 1934–1946 Bezeichnung für die politische Polizei und den Geheimdienst. NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. OKH Oberkommando des Heeres. OKW Oberkommando der Wehrmacht. OSS Office of Strategic Services: 1942–1945 ein Nachrichtendienst des US Kriegsministeriums. OT Organisation Todt. OMGUS Office of Military Government for Germany (U.S.) (dt. Amt der Militärregierung für Deutschland [Vereinigte Staaten]). PCA Property Cards Art. PK Propagandakompanie. REM Reichsminister(ium) für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. RKO Reichskommissariat Ostland; eingerichtet am 17. Juli 1941. RM Reichsmark: 1924–1948 Zahlungsmittel in Deutschland. RMO Reichsminister(ium) für die besetzten Ostgebiete bzw. abgekürzt Ostministerium. RMVP Reichsminister(ium) für Volksaufklärung und Propaganda. RSHA Reichssicherheitshauptamt: im September 1939 durch Zusammenlegung von SiPo und SD entstanden; siehe SS. RSFSR Rossijskaja Sovetskaja Federativnaja Socialističeskaja Respublika (dt. Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik): gegründet im November 1917; 1922 Gründungsmitglied der UdSSR. SA Sturmabteilung. SD Sicherheitsdienst: Überwachung nach innen und Auslandsspionage; siehe SS. SiPo Sicherheitspolizei: umfasste die Kriminalpolizei sowie die Geheime Staatspolizei/Gestapo; siehe SS. SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland; Juni 1945 bis Oktober 1949.

350

Anhang

SS

Schutzstaffel; zur „Reichsführung SS“ gehörten zwölf Hauptämter, darunter das SS-Führungshauptamt, das RSHA, der SD. UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken; gegründet im Dezember 1922. UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, (dt. Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur). WEK Wirtschaftserfassungskommando. ZK Zentralkomitee.

Abkürzungsverzeichnis

351

Archivverzeichnis Archive in Deutschland Bundesarchiv Lichterfelde (BArch)

Kanzlei Rosenberg

NS 19

Persönlicher Stab Reichsleiter SS

NS 30

Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg

NS 55

Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund

R 6

Reichskommissar für die besetzten Ostgebiete

R 70

Deutsche Polizeidienststellen in der Sowjetunion

R 90

Reichskommissar für das Ostland

R 92

Reichskommissariat Riga

R 153

Publikationsstelle Berlin Dahlem

R 7317

Bestand SMAD, Reparationsabteilung

R 8033

Osteuropainstitut Breslau

Bundesarchiv Koblenz (BArch)

B 323

Treuhandverwaltung für Kulturgut

Bildarchiv im Bundesarchiv Koblenz (BArch – Bildarchiv)

Bild 101

Propagandakompanien der Wehrmacht

Bild 101, I

Heer und Luftwaffe

Bild 101, II

Marine

Bild 101, III

Sammlung

Bild 101, IV

Waffen-SS

ERR Bild 131

Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg

MSG 2/3244

Graf Wolff Metternich, Abschließender Bericht

MSG 2/10514

Erinnerungen zur Besetzung Puškins

Pers 6/8

Georg von Küchler

Pers 6/45

Georg Heinrich Lindemann

Pers 6/220

Eberhard Kinzel

Pers 6/299982

Eberhard Kinzel

RH 3/154

Graf Wolff-Metternich, Abschließender Bericht

RH 19 III

Heeresgruppe Nord

RH 20-16

AOK 16. Armee

RH 20-18

AOK 18. Armee

RH 23-280

Korück 583

RH 24-50

50. Armeekorps

RH 26-207

Sicherungsdivision 207

RH 26-285

Sicherungsdivision 285

Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg (BArch – Militärarchiv)

352

NS 8

Anhang

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA – AA)

RH 26-121

Sicherungsdivision 121

RH 44/384

Nachrichtenregiment 501

RH 53

Wehrmachtsfürsorge

RH 62

Chef der Heeresmuseen

RS 3-4

SS-Polizeidivision

RW 31

Wirtschaftsstab Ost

R 105 185

Allgemeine Lage Ostgebiete

R 60768

v. Ungern-Sternberg, 1941–1942

R 60769

v. Ungern-Sternberg, 1941–1942

R 27574

Sonderkommando v. Künsberg

R 27557

Sonderkommando v. Künsberg

R 27558

Sonderkommando v. Künsberg 1941–1943

R 27583

Sonderkommando v. Künsberg, Schriftwechsel mit AA

Archiv der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BSTU)

Sekretariat des Stellvertreters des Ministers, Gerhard Neiber, Dokumentensammlung zu NS-Kunstraub und Suche nach dem Bernsteinzimmer

Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (WASt) – Seit 1. Januar 2019 Abteilung PA (Personenbezogene Auskünfte zum Ersten und Zweiten Weltkrieg) des Bundesarchivs

Schriftliche Auskünfte vom 2.3.2018, vom 19.5.2016, vom 12.11.2014, vom 18.2.2014, vom 4.2.2014, vom 8.11.2013, vom 4.12.2013, vom 4.9.2013, vom 14.5.2013

Hessisches Staatsarchiv Wiesbaden

Bayerisches Staatsarchiv Nürnberg

529 Gi 11049

Akten der Spruchkammer Gießen, Graf zu Solms, Ernstotto

520 Gi 11040

Akten der Spruchkammer Gießen, Graf zu Solms, Ernstotto

Rep. 502 VI, L-52

Befragung Georg Lindemann

KV-Prozesse Fall 12, F 3 Fall 12, F-8

Dokumente zu von Küchler Anklage gegen von Küchler

Archivverzeichnis

353

Deutsches Kunstarchiv Nürnberg

DKA_NLBauchKurt

Stadtarchiv Marburg

Meldekarte Eugen Fink vom 15.10.1953

Universitätsbibliothek Marburg

1026 U 101

Nachlass Richard Hamann

MS 929, 1-3

Nachlass Vasilij Ponomarev

Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main

98.287

Personalakten, Dr. Graf zu Solms-Laubach

135.012

Personalakten, Dr. Graf zu Solms-Laubach

S2/7089

Ernstotto Graf zu Solms-Laubach, Vortrag vor dem Frankfurter Rotary-Club am 12. August 1974

8.099

Magistratsakten

610

Verzeichnis von deutschen Kunstwerken in Museen in der Sowjetunion 1941

655

Central Collecting Point Wiesbaden

Städelmuseum, Archiv

Zentralarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin (ZA SPK)

V/Personendok. N. v. Holst

Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (bpk)

Nachlass Hanns Hubmann

V/Dok. Geschichte SMB, Aussenamt

Archiv der Forschungsstelle Osteuropa Bremen

FSO 01-863

Dokumentensammlung der Arbeitsgruppe sowjetische Kulturgüter

Archiv des Herder-Instituts in Marburg

DSHI 100

Nachlass Vasilij Ponomarev

Bildarchiv Foto Marburg

187124-39187340-353

Aufnahmen von Eugen Finck, ca. 1942/43

Universitätsarchiv Freiburg

C57

Personalakte Kurt Bauch

B3, Nr. 583

Personalakte Werner Körte

Archiv des Kunsthistorischen Instituts Bonn Archiv des Deutschen Historischen Museums

Archiv des Weser-Kuriers

354

Nachlass Kurt Bauch

Anhang

Nachlass Prof. Dr. Alfred Stange Rep. Z, 258

Die Heeresmuseen und ihre Verwaltung, 1939–1942

Rep. Z, 212

Bilder, Ingenieurwesen u. a., 1936–1942

Rep. Z 576

Alt-Inventar

Mil. 246

Alte Kistenlisten

Rep. Z 364

Bergungslisten

Rep. Z 475a

Bergungslisten

Rep. Z 612

Bergungslisten

Rep. Z 663

Trophäen Nachlass Georg Schmidt(-Scheeder)

Archive im Ausland Gosudarstvennyj archiv Rossijskoj Federacii (GARF) [Staatsarchiv der Russischen Föderation]

F. 5446

Sovet narodnych komissarov/Sovet ministrov SSSR

F. A-534

Komitet po delam kuľturno-prosvetiteľnych učreždenij pri Sovete narodnych komissarov/ Sovete ministrov RSFSR

F. A-2306

Narkomat/Ministerstvo prosveščenija RSFSR

F. A-659

Kollekcija dokumentov po rozysku na territorii Kaliningradskoj oblasti Jantarnoj komnaty i drugich muzejnych cennostej, pochiščennych v gody Velikoj Otečestvennoj vojny 1941–1945 gg.

F. 17

Centraľnyj komitet VKP(b)/KPSS. Upravlenie propagandy i agitacii (Opis’ 125) Otdel propagandy i agitacii (Opis’ 132)

F. 644

Gosudarstvennyj komitet oborony SSSR

F. 556

Bjuro CK KPSS po RSFSR

Rossijskij gosudarstvennyj archiv literatury i iskusstva (RGALI). [Russisches Staatliches Archv für Literatur und Kunst]

F. 962

Komitet po delam iskusstv pri Sovete narodnych komissarov/Sovete ministrov SSSR

Rossijskij gosudarstvennyj archiv ėkonomiki (RGAĖ) [Russisches Staatliches Archiv der Wirtschaft]

F. 9432

Komitet po delam architektury pri Sovete narodnych komissarov/Sovete ministrov SSSR

Centraľnyj gosudarstvennyj archiv Sankt-Peterburga (CGA SPb) [Zentrales Staatliches Archiv St. Petersburg]

F. 7384

Ispolniteľnyj komitet Leningradskogo gorodskogo soveta deputatov trudjaščichsja

Centraľnyj gosudarstvennyj archiv istoriko-političeskich dokumentov Sankt-Peterburga (CGAIPD SPb) [Zentrales Staatliches Archiv historisch-politischer Dokumente St. Petersburgs]

F. 25

Gorodskoj komitet VKP(b)

Centraľnyj gosudarstvennyj archiv literatury i iskusstva Sankt-Peterburga (CGALI SPb) [Zentrales Staatliches Archiv für Literatur und Kunst St. Petersburgs]

F. 309, Op. 2

Direkcija Gatčinskogo dvorca-muzeja

F. 310, Op. 2

Direkcija Pavlovskogo dvorca-muzeja

F. 312, Op. 2, 3

Direkcija dvorcov i muzeev Petrodvorca

F. 387

Centraľnoe chranilišče muzejnych fondov Leningradskich prigorodnych dvorcov upravlenija kuľtury Lengorispolkoma

F. 468

Ličnyj fond A.M. Kučumova

F. 510

Ličnyj fond M.A. Tichomirovoj

Rossijskij gosudarstvennyj archiv sociaľno-političeskoj istorii (RGASPI) [Russisches Staatliches Archiv der Sozialpolitischen Geschichte]

Archivverzeichnis

355

Novgorodskij ob-edinennyj gosudarstvennyj muzej-zapovednik. Archiv (NOGMZ Archiv) [Novgoroder vereinigte staatliche Museen, Archiv]

F. R-4, Op. 1

B. K. Mantejfeľ

F. 11, Op. 1

S. M. Smirnov

F. 8, Op. 1

N. G. Porfiridov

F. 8, Op. 2 F. R-18, Op. 1

L. Ja. Tyntareva

F. R-18, Op. 2 F. 5, Op. 1

Novgorodskij Muzej Drevnosti

KP 43094/1-4

V. A. Bogusevič

KP 34350

A. N. Semenov

No 679

Predmetno-inventarizacionnaja opis’ imuščestva Novgorodskogo muzeja, polučennogo iz Germanii

Einzelne Akten aus verschiedenen Beständen Gosudarstvennyj muzej-zapovednik „Carskoe Selo“ (GMZ „Carskoe Selo“), Archiv Gosudarstvennyj muzej-zapovednik „Pavlovsk“ (GMZ „Pavlovsk“), Archiv Gosudarstvennyj muzej-zapovednik „Gatčina“ (GMZ „Gatčina“), Archiv Centraľnyj deržavnyj archіv viščich organіv vladi ta upravlіnnja Ukrajiny (CDAVO Ukrajiny) [Zentrales Staatliches Archiv der Ukraine]

F. 3206

Reichskomissariat Ukrainy, Rovno

F. 3674

Štab imperskogo rukovoditelja (rejchsljajtera) Rozenberga dlja okkupirovannych zapadnych oblastej i Niderlandov, Brjusseľ (Beľgija)

F. 3676

Štab imperskogo rukovoditelja (rejchsljajtera) Rozenberga dlja okkupirovannych vostočnych oblastej, g. Berlin, g. Kiev [Alle Dokumente online unter „Kollekcija dokumentov operativnogo štaba rejchsljajtera Rozenberga“, http://err.tsdavo.gov.ua/ [Zugriff am 31.07.2018]

National Archives and Records Administration (NARA), Washington

Record Group 260

Records Concerning the Central Collecting Points („Ardelia Hall Collection“) Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) Card File and Related Photographs, 1940–1945 Records of the Cultural Affairs Branch Relating to Monuments, Museums, Libraries, Archives, and Fine Arts, OMGUS, 1946–1949 Records of the Reparations and Restitutions Branch of the U.S. Allied Commission for Austria (USACA) Section, 1945–1950

Record Group 38 und 239

356

Anhang

OSS Art Looting Investigation Unit Reports, 1945–46 Records of the American Commission for the Protection and Salvage of Artistic and Historical Monuments in War Areas (The Roberts Commission), 1943–1946 [Alle Dokumente online unter fold3,„Holocaust Collection“, https://www.fold3.com/browse/115/ Zugriff am 31.07.2018] The National Archives (TNA), Kew, London

FO 1032/2356

The Gottorf Globe

Historisches Archiv Tartu

EAA.1414.121EAA.1412.122 EAA.1414.2.292EAA.1414.2.297 EAA.1414.2.307EAA.1414.2.308

Nachlass Georg v. Krusenstjern

Privatarchive Paul von Hehn Christian von Holst Inge Hubert Ulrich Keller Arnold Körte Frieder v. Krusenstjern Katrin Paehler Antonina V. Peredolskaja Hauko Roskamp Friedrich Ernst Graf zu Solms-Laubach Bernd Wunder

Archivverzeichnis

357

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Personenregister Achmatova, Anna A. 24f. Aleksandrova, Anna A. 105 Alexander I., Zar 100, 104 Alexander II., Zar 102 Alexander III., Zar 15, 181, 196 Anisimov, Alexander I. 37, 51, 226, 373 Antipin, Georgij G. 301 Archipov, Nikolaj I. 47, 369f. Arsenij, Erzbischof (Stadnickij, Avksentij G.) 49, 243 Balaeva, Serafima N. 37, 59, 160, 193, 197–201, 209, 220, 317, 358 Baranov, Nikolaj V. 339 Bargatzky, Walter 71, 81 Bartsch, Major 269 Bary, Lothar de 37, 261, 269–279, 273 Basse-Korf, Eduard 204 Bauch, Kurt 86, 123f., 180, 185, 187, 215f., 284 Baumann, Ernst 37, 145f., 231, 233 Becke, Heinrich von der 239 Belechov, Nikolaj N. 37, 137, 154, 195, 220, 321 Beljaev, Aleksandr R. 106, 130 Beljaeva, Anna A. 223 Beljaeva, Svetlana A. 106, 130 Beljaeva, T. A. 297 Berggoľc, Oľga F. 134, 137, 153 Bock, Otto Wilhelm von 205 Bode, Wilhelm von 58 Bodrov, Kapitan (Hauptmann) 309 Bogoljubov, Semjon N. 261f. Bogusevič, Vladimir A. 37, 223, 226 Bolongaro-Crevenna, Alfred 37, 261f., 269, 271f. Boltanov, Major 310 Borščev, Semen 143f. Botticelli, Sandro 59 Brenna, Vincenzo 154, 196, 325

Brjullov, Karl P. 102 Brjusov, Aleksandr Ja. 297 Brunn, von, Oberstleutnant 289f. Bubnov, Andrej S. 59 Buchholz, Karl (?) 174 Cameron, Charles 100, 103, 126f., 135, 138, 143, 326 Čerepenkin, Leonid V. 261, 263 Čerepenkin, Vasilij 261, 270 Chordikajnen, Ljusja 104, 209 Chrennikov, Tichon N. 343 Chruščev, Nikita S. 212, 344 Clay, Lucius D. 312–314 Clemen, Paul 75 Čubova, Anna P. 175 Cypin, Vladimir 103f., 107f. Cyrlin, Iľja I. 296f. D’jakonov, G. V. 198 Davydov, Sergej N. 37, 331–333, 335 Dmitriev, Jurij N. 337 Döhling, Kriegsverwaltungsrat 269 Dudko, Michail A. 212 Dyck, Anthonis van 59 Džiovanni, Dionisij 237 Eichwede, Wolfgang 11, 13, 261 Elisabeth I., Zarin 15, 100, 111 Ėľkin, Elena N. 193 Endres, Theodor 90 Engel, Carl 242, 261–263, 286 Enke, Paul 296 Esser, Karl Heinz 37, 80, 84f., 94, 116, 122, 150, 178, 181f., 185, 204, 206, 215, 245f., 267–274 Eyck, Jan van 59 Fedorovič, N. 200 Feofan Grek 232, 242, 250 Fink, Eugen 30, 37, 83f. 216, 247–250, 252, 279, 281f., 290, 300, 302

Personenregister

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Finkelštejn, Jusef V. 173 Francken, Frans 70 Frey, Dagobert 76 Friedrich II., König 196 Friedrich III., Herzog 124 Friedrich IV., König 124 Friedrich Wilhelm I., König 111 Friedrich Wilhelm III., König 290 Gall, Ernst 188 Gedike, Georgij E. 337 Gejčenko, Semen S. 61 Germer, Hauptmann 244 Gippius, Nataľja N. 37, 88, 247, 251, 279 Gippius, Taťjana N. 37, 88, 247, 251, 279 Glikin, Jakov D. 334 Goebbels, Joseph 67 Gordeev, Fedor G. 126 Göring, Hermann 22, 67, 264, 304 Göthe, Johann F. Eosander von 111 Grabar’, Igor’ E. 37, 45, 51, 317, 319, 321, 330f., 337, 343 Granin, Daniil A. 158, 321 Griessdorf, Harry 262f. Gündel, Christian 37, 85f., 290 Hacker, Baurat 270 Hackert, Philipp 174 Hahlweg, Werner 37, 75, 87f., 91, 122 Halder, Franz 22f. Hals, Frans 59 Hamann, Richard 152 Hamann-MacLean, Richard 69 Hanfstaengl, Eberhard 305 Hawkins, Philip 312 Hehn, Jürgen von 38, 93, 110, 116, 150, 208 Helena, Hl. 245 Himmler, Heinrich 74 Hippius, Zinaida N. 88 Hitler, Adolf 20–24, 67, 69f., 157, 163, 165, 211, 268 Holbein, Hans d.J. 291

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Holst, Niels von 68–70 Hoppe, Major 270 Howard, Richard 311, 313 Hubmann, Hanns 38, 115f., 145, 147 Inber, Vera M. 135, 137 Ioann (Johann), Erzbischof 268, 311 Isakov, Vasilij I. 165 Ivanov, Nikolaj P. 230 Ivanov-Razumnik, Razumnik V. 128 Jakovlev, Vsevolod I. 58, 105 Jančenko, Irina K. 199 Jeckeln, Friedrich 121, 203 Jermošin, Ivan D. 38, 105, 117, 119–120, 133 Karcev, Aleksandr N. 129 Karpa, Oskar 273 Katharina I., Zarin 100 Katharina II., Zarin 100, 111, 119, 126, 137f., 196, 218f. Kautsky, Karl 17 Keller, Gerda 90, 178f., 18, 186, 262 Keller, Harald 38, 90f., 178f., 181f., 186, 219, 262 Kennedy Grimsted, Patricia 36 Kerenskij, Aleksandr F. 43 Kinzel, Eberhard 120 Kloos (Hauptmann) 206f. Koch, Erich 70, 295f. Koliberskij, Nikolaj N. 266 Konstantin, Hl. 245 Konstantinova, Tamara M. 38, 253, 330f. Kormendi, Andre 309, 311–313 Körte, Elisabeth 86–88, 152, 188, 251, 291 Körte, Werner 38, 81, 86–88, 90f., 123, 152, 179f., 182, 185–192, 216f., 246–249, 251, 253, 272, 280–282, 284f., 288, 291, 314 Kozlovskij, Michail I. 185 Krallert, Wilfried 73, 93 Krebs, Friedrich 274 Krüger, Fritz 123

Krusenstjern, Georg von 38, 93f., 114, 116f., 121, 204, 206f., 215, 217, 229, 234f., 237, 262, 288 Krylov 155, 160 Küchler, Georg von 23, 38, 81, 97, 99, 113, 115, 158, 182, 206, 245, 290 Kučumov, Anatolij M. 38, 101–103, 112f., 153, 155, 161, 164–167, 200f., 297, 301, 317f., 343 Kühlwind, Hauptmann 269 Kulagin, Michail V. 167f. Kümmel, Otto 67 68 Künsberg, Eberhard Freiherr von 14, 28, 38, 72–74, 78, 92f., 110f., 116, 149–151, 178, 204, 237, 251 Laduchin, Vladimir I. 101 Lampi, Johann Baptist von 123 Leeb, Wilhelm Ritter von 97 Lemus, Vera V. 38, 101–104, 112 Lenin, Vladimir I. 17, 54, 56, 327f. Lepke, Rudolph 58 Lindemann, Georg 201 Lohse, Hinrich 125 Lomonosov, Michail V. 124 Lubinskij, Georgij 243 Luknickij, Pavel N. 192f. Lukomskij, Georgij K. 187 Lunačarskij, Anatolij V. 45 Makarov, Vladimir K. 197, 305 Mantejfeľ, Boris K. 38, 225–227, 253 Marčukov, David B. 301 Maria Theresia, Kaiserin 15 Marija Fedorovna, Zarin 136, 148, 142, 156, 205 Marx, Karl 17 McJunkins, Orren R. 311, 313, 315 Mersmann, Wiltrud 305 Mikešin, Michail O. 126 Mikrjukov, Ivan K. 141 Milovskij, Generalleutnant 317

Mogiljanskoj, M. D. 197 Molotov, Vjačeslav M. 168, 319, 327f. Mommsen, Wolfgang 38, 247, 251, 263 Morozov, Fedor 230 Možalov, Vasilij B. 126 Müller, Theodor 277 Napoleon Bonaparte 17, 24, 68 Neander, Irene 93 Nesterov, Michail V. 102 Netunachina, Galina D. 101 Nikita, hl. Bischof 247 Nikolaevskij, Vasilij 238f. Nikolaus I., Zar 196 Nikolaus II, Zar 43, 120 Odes, Inspektor 269 Oľ, Andrej 326 Olearius, Adam 124 Orbeli, Iosif A. 337, 343 Orlov, Grigorij 196 Osipova, Lidija (Olimpiada Poljakova) 103f., 106, 108, 127–131, 133, 140, 147–149, 152 Paraskjeva Pjatnica, Hl. 247 Paul, Johannes 188 Paul I., Zar 138, 145, 156, 181, 189, 196, 215, 325 Pechau, Manfred (?) 117 Pečkovskij, Nikolaj K. 212 Peredoľskij, Vasilij S. 39, 49, 65, 234, 243 Peter I., Zar 100, 111, 124, 172–174, 189, 192, 254 Petrov-Jakovlev 225 Pineau, Nicolas (?) 174 Pljuškin, Fedor M. 49 Poensgen, Georg 39, 79, 91–93, 111–115, 117, 178, 202–204, 219, 294 Pomelenko, Georgij, V. 261 Ponomarev, Vasilij S. 39, 65, 88f., 229–234, 237–239, 241, 245, 247, 251, 253, 279, 281, 286, 315

Personenregister

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Popova, Tamara F. 102 Porfiridov, Nikolaj G. 39, 52f., 223, 225f. Posse, Hans 68, 70 Puschkin, Alexander S. 100, 135, 286 Quarenghi, Giacomo 100, 221, 325 Raffael (Raffaello Sanzio) 59 Rastrelli, Bartolomeo Francesco 63, 86, 100, 172 Rebanė, Martin M. 159, 173, 175 Reichardt, Wilhelm 244, 262f., 274 Reitzenstein, Alexander von 39, 291, 294 Rembrandt (Rembrandt Harmenszoon van Rijn) 58f. Repin, Ilja E. 102 Rerich, Nikolaj K. 102 Ribbentrop, Joachim von 110 Rinaldi, Antonio 196 Rjurik 222 Robert, Hubert 122f. Rohde, Alfred 114, 295, 297f. Roques, Franz von 39, 228, 274 Rosenberg, Alfred 22, 28, 70–72, 77, 87, 94, 115, 150f., 204, 215, 242, 270, 303 Roskamp, Dietrich 39, 215, 239, 241, 245, 253, 286 Rossi, Carlo 138, 325 Rubens, Peter Paul 59, 138 Rykov, Aleksej I. 48 Sahm, Artur Karl 39, 91, 239 Schinkel, Karl Friedrich 175, 190f. Schlee, Ernst 125 Schlüter, Andreas 111, 172 Schmidt (Schmidt-Scheeder), Georg 180, 183, 212–214, 218f. Schostakowitsch, Dmitri D. 25, 343 Schow, Wilhelm 125 Schrader, Rudolf Ulrich (?) 269 Polenz, Leutnant 269 Schulenburg, Friedrich Werner Graf von der 14, 150f.

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Anhang

Schweigger, Georg 180f. Schwemmer, Wilhelm 309 Ščusev, Aleksej V. 334, 336 Seleznev, Vsevolod 131 Šemanskij, Anatolij V. 61, 173, 187 Semenov, Aleksandr N. 223, 225–227 Simonov, Konstantin M. 25, 343 Simonov, Vasilij L. 328 Skoblikova, Z. M. 102 Sladkevič, V. I. 175 Sobakin 261 Solms-Laubach, Ernstotto Graf zu 39, 79–86, 90–94, 110, 113–116, 119–121, 123–125, 149, 152, 178–182, 185, 202–204, 206, 214–216, 219, 237f., 245–247, 251, 261f., 271, 273–279, 281f., 285, 287f., 290–292, 294f., 304, 317 Speer, Albert 242 Speer, Helmut 39, 93, 116 Spegaľskij, Jurij P. 39, 337–340, 346 Sponholz, Axel 39, 84, 121, 247, 277, 279 Stahlecker, Walter 202 Stalin, Iosif V. 19–21, 23, 26f., 63, 175, 177, 233, 287, 327f., 341–344 Stange, Alfred 87, 94, 291 Stein, Georg 79, 296, 307 Stöve, Günther 40, 116, 122f., 130, 214, 234f., 237 Stragorodskij, Sergij, Patriarch 267f. Strauß, Konrad 215 Strenger, Reinhold 40, 77f., 90, 231, 235, 237 Strokov, Aleksandr A. 40 Stubenrauch, Wilhelm 78 Stülpnagel, Otto von 71 Surikov, Vasilij I. 102 Surkov, Aleksej A. 25 Šurygin, Jakov I. 173 Syčev, Nikolaj P. 51

Tandefeld, von 214 Thesophilus, Erzbischof 312 Tichanovskaja, Ėľfrida A. 199 Tichomirova, Marina A. 40, 160, 193, 195, 326 Tiedemann, Friedrich 123 Tiepolo, Giovanni Battista 138 Tizian (Tiziano Vecellio) 59 Tkančenko, Alla I. 225 Todt, Fritz 242 Tolstoj, Aleksej N. 131, 139 Trončinskij, Stanislav V. 40, 102, 140–142, 159, 161, 173, 200, 297 Trotzki, Leo 46, 53f. Tuchačevskij, Michail 20 Tupicyn, Michail 335 Turova, Evgenija L. 40, 101f., 145f., 193, 322 Udalenkov, Aleksandr P. 337 Udalenkov, Nikolaj P. 175, 177 Ungern-Sternberg, Reinhold von 81, 114, 124, 151f., 275 Utikal, Gerhard 40, 71, 79, 243 Vejs, Nikolaj V. 141, 160 Velázquez, Diego 59 Veličko, Andrej F. 199, 327 Vlasov, Andrej A. 212–214

Volkind, Bronislava S. 160 Voretzsch, Ernst Adalbert 285, 287 Voretzsch, Ernst Arthur 285 Voskresenskij, Sergij, Metropolit 243, 266–268 Vychodcev, Fedor N. 141 Wahl, Paul 40, 239, 242, 243 Weihrauch, Hans Robert 183, 310 Weiler, Clemens 307 Wenzel, Erich 239f. Wildemann, Wilhelm von 270 Woitun, Walter 251 Wolff-Metternich zur Gracht, Franz Graf 76–78, 80f., 94 Wolters, Alfred 271f. Wright, Joseph 174 Wunder, Gerhard 40, 116f., 119, 122, 150f., 180, 204, 214, 234f., 237, 245 Zagurskij, Boris I. 194 Zajc, Kirill 266 Zamoškin, Aleksandr I. 167f. Ždanov, Andrej A. 327f. Zelenova, Anna P. 40, 139–144, 153, 155f., 159–163, 165, 193, 198, 324f., 343 Zorin, Generalmajor 301, 310f., 315 Zubov, Valentin P. Graf 40, 44, 202

Personenregister

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