"Wenn die Norskes uns schon nicht lieben..." Das Tagebuch des Dienststellenleiters Heinrich Christen in Norwegen 1941-1943 9783835350502

Im April 1940 geht der junge Kaffeemakler Heinrich Christen als Besatzer nach Norwegen. Er lässt Firma und Familie in Ha

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"Wenn die Norskes uns schon nicht lieben..." Das Tagebuch des Dienststellenleiters Heinrich Christen in Norwegen 1941-1943
 9783835350502

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Table of contents :
Ein Tagebuch über die Besatzung Norwegens im Zweiten Weltkrieg aus der Perspektive eines deutschen Dienststellenleiters und Mittäters.

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Herausgegeben von Dorothee Wie

Wallstein







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1941 1943

Herausgegeben von Dorothee Wierling

WALLSTEIN

VERLAG

Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte Herausgegeben von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg Quellen, Band 5 Redaktion: Stefan Mörchen

Die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) ist seit 1997 eine Stiftung bürgerlichen Rechts, die von der Freien und Hansestadt Hamburg getragen wird.

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Hamburg

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Wallstein Verlag, Gättingen 2021 www.wallstein-verlag.de Vom Verlag gesetzt aus der Adobe Garamond Titelfoto : Heinrich Christen an seinem Schreibtisch in der Dienststelle Bergen. Familie Christen, privat. Seiten aus Heinrich Christens Tagebuch. ISBN (Print) 978-3-8353-5°5°-2 ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4735-9

Inhalt

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Einl eitung

DOROTHEE

WIERLING

. . . . . . .



















































7

WIERLING

Heinrich Christen. Ein Tagebuch und ein Leben.

SIMON



. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

GOGL

Die regionalen Dienststellen im Reichskommissariat Norwegen. Aufbau und Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 I

HEINRICH

CHRISTEN

Tagebuch vom

März 1941 bis 17. Januar 1943 . . . . . . . . . . . . . . 57

IO.

Abbildungen

215

MARIA FRITSCHE

Alkohol und (Besatzungs- )Macht.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .229

BJARTE BRuLAND

Die 55-Offiziere Gerhard Flesch und Heinrich Christen. Zwei Vertreter desselben Besatzungsregimes . . . . . . . . . . . . . . . . 251

Abkürzungen.





























































.277

Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Kurzbiografien der Autorinnen und Autoren. Dank





























.279

280

Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

DOROTHEE WIERLING

Einleitung Als ich Ende 2017, kurz vor der Abgabe meines Buchmanuskripts zur Geschichte des Kaffeehandels in Hamburg,' noch einmal einen Interviewpartner besuchte, dessen Vater, Heinrich Christen, eine wichtige Rolle im Hamburger Kaffeehandel der Nachkriegszeit gespielt hatte, empfing mich der Sohn und jetzige Senior der Firma, Jörn-Hinrich Christen, aufgeregt: Gerade hatte er von einem entfernten Verwandten erfahren, dass sein Vater, der während des Zweiten Weltkriegs in der Besatzungsverwaltung in Norwegen tätig gewesen war, in dieser Zeit ein Tagebuch geführt hatte, das 2009 in norwegischer Übersetzung 2 erschienen war. Von der Existenz dieses Tagebuchs, geschweige denn von dessen Veröffentlichung, hatte der Sohn nichts gewusst; jetzt lag ihm nur eine Kopie des Schutzumschlags und der Einleitung vor, und er hätte das Buch selbst auch nicht lesen können, da er kein Norwegisch konnte. Auch ich war von der Nachricht überrascht; zwar wusste ich aus Archivquellen, dass Heinrich Christen in Norwegen »Gebietskommissar« gewesen war, also eine relativ hohe Position in der zivilen Besatzungsverwaltung bekleidet hatte, aber eine genauere Untersuchung hatte ich nie geplant. Die Besatzungstätigkeit anderer Kaffeehändler bei der wirtschaftlichen Ausbeutung der Ukraine schien mir wichtiger, als mich auf die Spur von Christen in Norwegen zu begeben. Wie viele Historiker/innen ohne einschlägige Spezialkenntnisse hielt ich die deutsche Besatzung in Norwegen für wenig spektakulär und überwiegend milde, vor allem im Vergleich zu derjenigen in Osteuropa und der Sowjetunion. Die Existenz eines anscheinend umfänglichen Tagebuchs änderte die Lage jedoch: Hier bot sich die seltene Möglichkeit, aus der subjektiven Perspektive eines Hamburger Kaffeehändlers die Erfahrung als Besatzer und die Deutung der Besatzung zu rekonstruieren und damit auch die Vorgeschichte des bemerkenswerten Nachkriegserfolgs der Branche weiter zu erhellen. Zwar war es zu spät, um diese Erkenntnisse noch in das Buch zum Hamburger Kaffeehandel einfließen zu lassen. Aber mein detektivisches Interesse war geweckt: Ich versprach Jörn-Hinrich Christen, das Original zu finden, und bekundete mein Interesse an einer deutschen Edition. Die Vorgeschichte der norwegischen Veröffentlichung beginnt mit Odd Aspheim, einem nach dem Krieg geborenen norwegischen Historiker, der sein ganzes Erwachsenenleben der leidenschaftlichen Suche nach norwegischen Kollaborateuren während der deutschen Besatzung und deren Taten gewid-

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Dorothee Wierling, Mit Rohkaffee handeln. Hamburger Kaffeeimporteure im 20. Jahrhundert, Hamburg 2018. Okkupantens Dagbok. Heinrich Christens dagbok fra Bergen og Trondheim 1941-1943, Os10 2009.

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met hat.3 Ohne bezahlte Stellung hat er alle verfügbaren Archive durchforstet und Massen an Material gefunden, immer auf der Suche nach mehr, ohne selbst etwas dazu zu schreiben. Irgendwann ist er dabei im Reichsarchiv in Oslo auf den Namen Heinrich Christen gestoßen, hat dessen Spuren nach Hamburg verfolgt und mit Christens Kindern Kontakt aufgenommen. Während Jörn-Hinrich Christen sich an diesen anscheinend nur oberflächlichen Kontakt nicht mehr erinnern kann und auch auf Aspheims Fragen keine Antwort gehabt hätte, wurde dieser bei Heinrich Christens Tochter Margit fündig. Er verbrachte einen langen Nachmittag bei ihr zuhause, in dessen Verlauf sie ihm das Originaltagebuch, von dessen Existenz er erst dort erfuhr, übergab.4 Aspheim nahm mit dem Historiker und Politikwissenschaftler Stein Ugelvik Larsen Kontakt auf, der den Quellenwert des Dokuments sofort erkannte und die Edition vorbereitete.5 Aspheim und Larsen kontaktierten dazu den jüngeren Sohn Heinrich Christens, Holger Christen, und dessen Frau Irmela, die - ohne Kenntnis des Originals - der norwegischen Edition zustimmten und weitere Quellen, etwa aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft Christens, sowie mehrere Fotografien beisteuerten. Mit dem Hamburger Firmennachfolger Jörn-Hinrich Christen gab es offenbar keinen Kontakt mehr, was dessen Überraschung über die Existenz des Buches erklärt. Die Tagebuchedition wurde in Norwegen mit großem Interesse aufgenommen, stellte sie doch ein rares Zeugnis aus der Sicht eines deutschen Zivilbesatzers dar. Von der deutschen Forschung wurde das Buch jedoch anscheinend nicht 6 zur Kenntnis genommen. Die deutsche Besatzung in Norwegen ist in der bundesrepublikanischen Forschung zum Zweiten Weltkrieg eher ein Randthema. Dennoch kann der Forschungsstand hier nicht ausführlich dargestellt werden. Er konzentriert sich auf drei Schwerpunkte: einmal die Besetzung Norwegens im Frühjahr 1940, die überwiegend unter militärgeschichtlichen Gesichtspunkten behandelt wird, was neben dem militärischen Ablauf auch die Frage einschließt, welche strategische Bedeutung dem besetzten Norwegen in Bezug auf Großbritannien und später 3 Ein Olav Aspheim wurde 1948 als norwegischer 55-Offizier und Kollaborateur in Oslo hingerichtet. Es könnte sich hier um einen Verwandten (allerdings nicht den Vater) von Odd Aspheim handeln. 4 Der beschriebene Verlauf beruht auf einem persönlichen Gespräch mit Aspheim sowie aufInformationen von Stein U. Larsen, dem Herausgeber der norwegischen Edition des Tagebuchs. 5 Stein Ugelvik Larsen ist Professor an der Universität Bergen und Spezialist für die Geschichte des europäischen Faschismus sowie die deutsche Besatzung Norwegens. Seine mehrbändige Edition der Norwegen-Berichte des 5D ist ein wichtiges Standardwerk. Stein U. Larsen/Beatrice Sandberg/Volker Dahm (Hrsg.), Meldungen aus Norwegen 1940-1945. Die Geheimen Lageberichte des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des 5D in Norwegen. 3 Bde., München 2008. 6 Das schließe ich aus der Tatsache, dass der Titel in keiner mir bekannten Veröffentlichung zur deutschen Besatzungspolitik in Norwegen zitiert oder auch nur erwähnt wird.

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EINLEITUNG

auch auf die Sowjetunion zukam.? Der zweite Aspekt betrifft die militärischen Strukturen der Besatzung sowie das »Reichskommissariat für die besetzten Gebiete Norwegens« mit Sitz in Oslo unter Führung von JosefTerboven, das vor allem den wirtschaftlichen Nutzen der Besatzung und insbesondere die Ausbeutung kriegswichtiger Rohstoffe für die Rüstungsindustrie des »Dritten Reichs« sicherzustellen hatte. Letzteres war auch der Hauptgrund für die erheblichen 8 Investitionen in die norwegische Infrastruktur unter der deutschen Besatzung. Drittens schließlich hat sich das Interesse in den letzten Jahren stark dem Phänomen der deutsch-norwegischen Besatzungskinder zugewandt und damit auch den zahlreichen erotischen Beziehungen zwischen Besatzern und Besetzten sowie der Diskriminierung, welche nach Kriegsende nicht nur die norwegischen Mütter, sondern auch deren Kinder zu spüren bekamen.9 Anders als in Deutschland ist die Besatzungsgeschichte in der norwegischen Forschung ein zentrales Thema, das aber bis weit in die 1990er Jahre hinein fast vollständig vom Narrativ eines entschiedenen norwegischen Widerstands gegen die deutsche Besatzung geprägt war. Deshalb standen weniger die Deutschen als vielmehr die Norweger im Mittelpunkt des Interesses, wobei sich das Schwergewicht allmählich von der heroischen Nationalerzählung des Widerstandes zu einer komplexeren Geschichte gewandelt hat, die auch die norwegische politische Kollaboration in Betracht zieht." Eine jüngere Generation von norwegischen bzw. in Norwegen tätigen Historiker/innen widmet sich seit einiger Zeit zunehmend dem Alltag im besetzten Norwegen und damit auch den Besatzungsbeziehungen jenseits des Gegensatzes von Widerstand oder Kollaboration, also gesellschaftlichen Feldern der Kooperation, insbesondere im ökonomischen Bereich. Das enge Zusammenleben, bei dem hohen Anteil der Besatzer an der Gesamtbevölkerung - zehn Prozent - unvermeidlich, war von verwickelten Aus12 handlungsprozessen im sozialen Miteinander bestimmt. IO

7 Robert Bohn u. a. (Hrsg.), Neutralität und totalitäre Aggression. Nordeuropa und die Großmächte im Zweiten Weltkrieg, Wiesbaden 1991. 8 Robert Bohn, Das Reichskommissariat Norwegen. Nationalsozialistische Neuordnung und Kriegswirtschaft, München 2000; Simon Gogl, Laying the Foundations of Occupation. Organisation Todt and the German Construction Industry in Occupied Norway, Berlin/München/Boston 2020; Alan Milward, The Fascist Economy in Norway, Oxford 1972; Hans-Otto Ff01and u. a. (Hrsg.), Industrial Collaboration in Nazi-occupied Europe, Norway in Context, Basingstoke 2016. 9 Ebba von Drolshagen, Nicht ungeschoren davonkommen, Hamburg 1998; dies., Wehrmachtskinder, München 2005. 10 Magne Skodvin (Hrsg.), Norge i krig. Fremmediik og frihetskamp 1940-1945. 8 Bde., Oslo 1991. II Sigurd S0rli, Sonnenrad und Hakenkreuz. Norweger in der Waffen-55 1941-1945, Paderborn 2019; Bjarte Bruland, Holocaust in Norwegen. Registrierung, Deportation, Vernichtung, Göttingen 2019 (Übersetzung der norwegischen Ausgabe von 2017). 12 Maria Fritsche, Spaces of Encounter. Relations between the Occupier and the Occupied in Norway during the Second World War, in: Social History 45 (2020), 3, S. 360383.

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Das Tagebuch von Heinrich Christen wurde mir von Stein U. Larsen übergeben und wird nach Abschluss der Arbeit am Buch an den ältesten Sohn Heinrich Christens, Jörn-Hinrich Christen, zurückgegeben. Leider ist etwa ein Viertel des Originals nicht mehr auffindbar, sodass für diese Seiten nur Kopien zur Verfügung stehen; die auch dort vorhandenen wenigen Lücken konnten mithilfe einer weiteren, vollständigen Kopie des Tagebuchs ergänzt werden, welche Stein Larsen dem Archiv des Osloer Hjemmefrontmuseums übergeben hatte,'3 sodass wir den vollständigen Tagebuchtext zur Verfügung haben. Dieser bricht allerdings Ende Januar 1943 jäh ab. Alles spricht dafür, dass ein weiteres Heft existiert(e), das Odd Aspheim nie erhielt und das vielleicht schon in der Familie verloren gegangen ist. Dankenswerterweise hat die Tochter der Christen-Tochter Margit großzügig weitere Quellen mit mir geteilt, darunter einige der wenigen überlieferten Briefe von Heinrich Christen an seine Frau im Februar 1943. Ebenso überließ mir die Familie, neben einigen Fotos, auch die Zusammenstellung von Texten und Gedichten, die Heinrich Christen während seiner Ausbildung bei der Waffen-55, während seines Fronteinsatzes und in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verfasst hatte; diese Texte sind von Heinrich Christens Schwiegertochter Irmela (Ehefrau des jüngeren Sohnes Holger) Christen abgetippt und von ihrem damals 19 Jahre alten Sohn Oliver 1986 liebevoll illustriert worden - als Geburtstagsgeschenk für Heinrich Christens Witwe Gerda. Das Tagebuch, das Heinrich Christen zwischen März 1941 und Januar 1943 als Dienststellenleiter zuerst in Bergen, dann in Trondheim führte, bedarf der Kontextualisierung nicht nur, weil deutsche Leser/innen in der Regel keine detaillierten Vorkenntnisse über die Besatzung Norwegens haben. Der Zufall wollte es, dass ich kurz nach meinem Entschluss, das Tagebuch zu edieren, einen Workshop zur neueren Forschung auf diesem Feld als Gast besuchen und einige in diesem Feld aktive Forscher/innen treffen und für das Projekt interessieren 14 konnte. Daraus ist eine kleine Arbeitsgruppe entstanden, die unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten die Tagebuchquelle in größere Zusammenhänge einordnet oder einzelne Aspekte, die im Tagebuch eine Rolle spielen, vertieft behandelt. Dem Tagebuchtext vorangestellt ist meine biografische Skizze, die sich mit den Voraussetzungen Heinrich Christens für seine Tätigkeit in Norwegen ebenso befasst wie mit der Nachkriegszeit, in der Christen - wie so viele - scheinbar umstandslos wieder dort anfing, wo er 1939 aufgehört hatte: in seinem Fall also im Hamburger Kaffeehandel. Simon Gogl befasst sich im darauffolgenden Beitrag mit der »Dienststelle« als politischem und sozialem Mikrokosmos, also jener Institution, welche die Besatzungspolitik vor Ort und im direkten Kontakt mit den Besetzten ausführte, aber teilweise auch aushandelte bzw. unterlief. Beide Beiträge sollen eine Grundlage für das Verständnis des Tagebuchs in seiner biografischen Tiefe und institutionellen Einbettung schaffen. 13 Norges hjemmefrontmuseum, NHM-92, Heinrich Christen. 14 The Occupation Regime. Ambitions and Responses, 7.-9.3.2018, Nordeuropa-Institut, HU Berlin. IO

EINLEITUNG

In einem dritten, auf das edierte Tagebuch folgenden Kommentar erhellt Maria Fritsche, ausgehend von der zentralen Stellung, welche der Alkoholkonsum in Christens Aufzeichnungen einnimmt, die Besatzungsgesellschaft sowohl in den voneinander getrennten Bereichen deutscher und norwegischer Sozialwelten als auch in Bezug auf die wechselseitigen Wahrnehmungen, Aushandlungsprozesse und Ungleichheitsstrukturen. Zuletzt untersucht Bjarte Bruland systematisch die Leerstellen des Tagebuchs, d. h. den repressiven und gewalttätigen Charakter der Besatzung, der von Christen meist nur in Andeutungen und kurzen Kommentaren notiert, im Falle der Repressionen gegen die Juden in Norwegen sogar vollständig ausgeblendet wird. Es ist nicht unser Anspruch, die hier edierte Quelle erschöpfend auszuwerten. Vielmehr wollen wir sie durch unsere Kommentare lesbarer machen und hoffen, dass dies einen Beitrag leisten kann zum besseren Verständnis der Besatzungserfahrung nicht nur in Norwegen und nicht nur für die Besetzten, sondern auch die Besatzer - und damit für die Geschichte der Bundesrepublik, in welche diese nach dem Krieg zurückkehrten. Diese Edition wäre nicht möglich gewesen ohne die großzügige Bereitschaft der Familie Christen, mir das Tagebuch und ergänzende Quellen für eine wissenschaftlich kommentierte Edition zu überlassen. Kein Familienmitglied außer der Ehefrau Gerda und der Tochter Margit - hatte anscheinend Kenntnis von der Existenz des Tagebuchs vor dessen norwegischer Übersetzung; viele wussten bis vor Kurzem nichts davon. Wir haben es offenbar mit einer mehrfach gespaltenen Überlieferung zu tun, bei der das Tagebuch, in dem Christen sich selbst als Nationalsozialist und Besatzer in Norwegen darstellt, quasi »ausgebürgert« wurde, während andere Quellen wie Briefe, Fotos und Gedichte auf die verschiedenen Familienzweige, die wenig Kontakt miteinander hatten, verteilt waren. Ich habe der Familie das Tagebuch zur Lektüre überlassen, bevor ich mit der Editionsarbeit begann, aber es schien mir eine Scheu vor dem Text zu bestehen, ein Zögern, dieses private und für die Familie brisante Dokument zu lesen. Dass ich für die Edition dennoch vielfältige Unterstützung von den Nachkommen erfuhr, erfüllt mich mit großem Respekt und tiefer Dankbarkeit, denn ich vermute, dass diese plötzliche Entdeckung eines prekären Selbstzeugnisses nicht spurlos an der Familie vorbeigeht. Mein besonderer Dank gilt, neben dem ältesten Sohn Jörn-Hinrich Christen, der mir zuerst von dem Tagebuch erzählte, einem der Enkel Heinrich Christens, Oliver Christen, der mit mir in einem zeitweise intensiven Telefon- und E-Mail-Kontakt stand, in dem wir die Auswirkungen des neu entdeckten Tagebuchs auf die zweite und dritte Generation der Familie erörtert haben. Er hat mir gestattet, einige seiner Gedanken hier wiederzugeben. Für die Familie als Ganze kann und will er nicht sprechen.

*

*

*

Der Großvater starb, als Oliver Christen fünf Jahre alt war. Seine Familie war von Hamburg nach Berlin gezogen, sodass er ihn nur selten sah, ihn aber als II

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beeindruckenden und freundlichen Mann erinnert, der es offensichtlich genoss, mit seinen Enkelkindern zusammen zu sein. Nach dem Tod Heinrich Christens trafen sich die Familien seiner Kinder nur noch selten, sodass Oliver Christens Bild vom Großvater vor allem durch seine Eltern und seine Großmutter geprägt wurde. Für das größere Kind wurde das Bild des freundlichen Großvaters durch das des bedeutenden Hamburger Kaffeehändlers ergänzt, der als Spätheimkehrer lange in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gewesen war. »Es wurde immer wieder die Geschichte vom russisch-jüdischen Lagerkommandanten erzählt, der Gefangene am Morgen antreten ließ, um willkürlich einzelne Gefangene auszuwählen, die ihr eigenes Grab schaufeln mussten, um dann erschossen zu werden. Weiterhin wurde erzählt, dass mein Großvater im Krieg einen hohen zivilen Posten in Norwegen hatte, und mein Großvater mütterlicherseits betonte immer wieder seine bedeutende Position. Er sei ein Idealist gewesen, der über die Unfähigkeit und Unaufrichtigkeit seiner Nazi-Bekannten geschimpft habe und dem die Kriegsgefangenschaft seinen Idealismus ausgetrieben habe.«'5 Geschichten über seine »schöngeistige Seite« und seine zum Teil engen Nachkriegsfreundschaften mit jüdischen Bekannten ergänzten das positive Bild. In der Familie galt er als liebevoller Ehemann, über ihn als Vater hingegen schwiegen die Söhne Jörn-Hinrich und Holger weitgehend, während das Verhältnis zur Tochter Margit anscheinend sehr gut war. Als Oliver Christen mit 19 Jahren zum ersten Mal die Texte des Großvaters las, die für den Geburtstag seiner Großmutter zusammengestellt worden waren (s.o.), wurde seine Haltung gegenüber dem Großvater ambivalenter. Einerseits angezogen von dessen »Pathos und Idealismus«, stieß ihn zugleich die »Verherrlichung von Stärke und Willenskraft« ab. Seine Fragen an die Großmutter stießen aber auf »Abwehr und Vermeidung«. In der Folge versank die Familiengeschichte wieder in allgemeinem Schweigen. Als 2008 Stein U. Larsen mit Oliver Christens Mutter Kontakt aufnahm und ihr mitteilte, dass ein Tagebuch aufgetaucht sei und in Norwegen veröffentlicht werde, steuerte diese zwar Fotos bei und beantwortete einige von Steins Fragen, aber die deutsche Vorlage kannte sie nicht; die im Folgejahr erschienene norwegische Fassung konnte niemand in der Familie lesen. Mein Kontakt mit Oliver Christen war für diesen Anlass, im Herbst 2020 ein Videotreffen der Enkelgeneration zu organisieren. Die Aussicht auf die Veröffentlichung des Tagebuchs in einem deutschen Verlag wurde von seinen Cousins und Cousinen »sehr kritisch und misstrauisch aufgenommen«. Fragen richteten sich vor allem darauf, wie das Tagebuch seinerzeit in die Hände des norwegi15

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Dieses und alle weiteren Zitate stammen aus den schriftlichen Antworten, die Oliver Christen mir per E-Mail geschickt hat. Die in der Familie kolportierte Geschichte vom »jüdischen Lagekommandanten« konnte in keiner Weise verifiziert werden. Vielmehr scheint es sich um eine für Rückkehrer aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft typische Deck-Erinnerung bzw. Legende zu handeln, die in der Familie kolportiert wurde. Ich danke Andreas Hilger vom Deutschen Historischen Institut Moskau für seine schnelle und fundierte Klärung dieser Frage.

EINLEITUNG

schen Forschers gekommen war. Da die Tochter Margit den Vater sehr geliebt hatte, konnte man sich nicht vorstellen, dass sie es selbst herausgegeben hatte. Für Oliver Christen war es »das erste Treffen mit meinen Cousins und Cousinen, an dem über die Vergangenheit unseres Großvaters gesprochen wurde«. Für ihn selbst war es »sehr klärend«, das Tagebuch zu lesen. Viele seiner Vermutungen ließen sich jetzt konkret belegen, zum al viele Gegenstände, die Christen im Tagebuch erwähnt, bis heute im Familienbesitz sind. »Das Narrativ vom >guten NaziWunschkonzertkomm zurückIch warte auf dich>llorw[egischerJ Freunde«.66 Von der Bergenser Bevölkerung insgesamt verabschiedete er sich in einem Interview, in dem er eine äußerst positive Bilanz seiner Arbeit als Dienststellenleiter zog und dabei die deutsche Besatzungspolitik generell als eine Art Entwicklungshilfe für das unterentwickelte Norwegen darstellte. Im ersten Schritt beschrieb er seine politischen Ziele: das durch »Blut und Rasse« verbündete Norwegen zu einem souveränen Teil der kameradschaftlich verbundenen europäischen Gemeinschaft zu machen und es an der Verteidigung der 64 Brief, 2I.I.I943, Familienarchiv Christen. 65 Tagebuch, 30.3-1941. 66 Tagebuch, 17.P942.

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europäischen Grenzen zu beteiligen; ökonomisch habe er das Ziel verfolgt, die norwegische Produktion zu steigern und den Lebensstandard in Norwegen so hoch wie möglich zu halten. Die zweite Hälfte des Interviews war ganz praktischen Zukunftsversprechen gewidmet: Norwegens herausragender Rolle in der europäischen Nachkriegswirtschaft; der Entwicklung seiner Fischereiwirtschaft und Luftfahrtindustrie, in Bergen selbst vor allem aber dem Ausbau der Werften. Der staatsmännische Text, der eher einem nationalen politischen Führer als einem regionalen Dienststellenleiter des Besatzungsregimes angemessen war, begann und endete mit Christens Bekenntnis seiner Liebe zu Bergen, die ihn an seine Heimatstadt Hamburg erinnere.67 Beliebtheit und Liebe bedingten einander in einer Art Tauschgeschäft; Christen blendete im Interview, wie auch im Tagebuch und in seinem Selbstbild, die dunklen, repressiven und gewalttätigen Seiten der deutschen Besatzungsherrschaft, die auch er verkörperte, aus. Die Aktionen des norwegischen Widerstands schrieb er gerne - und oft zutreffend - den Engländern zu, obwohl laufend harte Strafen gegen Norweger ausgesprochen und auch Todesstrafen verhängt, aber nicht immer exekutiert wurden. Christen war damit persönlich nicht befasst und erwähnte sie nur gelegentlich im Tagebuch - allerdings gleich am 1. März 1941 im Zusammenhang mit einem Essen im Hotel Norge, das »zu Ehren des 3. Senats des Reichskriegsgerichts [stattfand], der gerade IO Todesurteile und diverse Freiheitsstrafen gefällt hatte«.68 Er vermied es, Wissen und Sorgen der Norweger über Repressionen zur Kenntnis zu nehmen oder emotional an sich heranzulassen, wie im Fall des Museumsdirektors von Bergen, dessen Schwager wegen Spionage im Gefängnis saß. 69Ins Ende seiner Bergenser Zeit fiel noch die »Bestrafung« des Dorfes Telaväg (bei Bergen), nachdem dort zwei 55-Männer von Widerstandskämpfern getötet worden waren, die sie verhaften wollten. Das Dorf wurde niedergebrannt, 268 Männer wurden festgenommen und nach Sachsenhausen deportiert.7° Diesen Vorfall konnte Christen schon deshalb nicht ignorieren, weil er mit der Organisation des feierlichen Begräbnisses der »55-Kämpfer« in Bergen betraut war, zu dem der Reichskommissar aus Oslo anreiste. Die Nachricht von der Zerstörung des Dorfes und der Massenverhaftung kommentierte er im Tagebuch knapp:» Ein hartes Geschick, aber doch wohl das einzige Mittel, um die Küstenbewohner vor weiteren Dummheiten zu bewahren. Es ist nun einmal so, wenn es die Einsicht nicht tut, muss es die Angst machen.«7 Sein demonstrativ herzloser Kommentar verwendete das Bild der Norweger als Kinder in spezifischer Weise: Sie hatten »Dummheiten« gemacht und mussten durch 1

67 Auf Norwegisch in der wichtigsten Tageszeitung Bergens, Bergens Tidende, vom 15.5.1942. 68 Tagebuch, 10.3-1941. 69 Tagebuch, 26.10.1941. 70 Marko Martin, Wie die SS ein Dorf ausradierte, in: Spiegel online, 21.7.2005, https:11 www.spiegel.de/panorama/ deutsche-besatzung -norwegens-wie-die-ss-ein -dorf-ausradier te-a-361972.html [20.7.2021J. 71 Tagebuch, 2.P942.

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»Angst« davon abgehalten werden, mangelte es ihnen doch an »Einsicht«, also der Reife Erwachsener, um sich selbst vor den damit verbundenen Gefahren zu schützen. Christens Versetzung nach Trondheim fiel in eine Zeit, in der der norwegische Widerstand immer militanter vorging. Als in der zweiten Jahreshälfte 1942 in der Region mehrere erfolgreiche Sabotageakte durchgeführt worden waren, entschied der Reichskommissar Anfang Oktober, dass ein Exempel statuiert werden müsse. Er ließ den Ausnahmezustand über Trondheim verhängen, mehrere »Widerstandsnester« ausheben und insgesamt 14 Verdächtige standrechtlich erschießen. Unerwartet geriet Christen nun selbst ins Zentrum der Aktion. Vermutlich auf Befehl des Reichskommissars, der dazu extra anreiste, sollte er zehn angesehene Trondheimer Bürger für eine Geiselerschießung am 6. Oktober auswählen. Christen delegierte dies an den (norwegischen) NSFührer des Bezirks, »von dem ich eine Liste [... ] - und zwar aus der JössingerIntelligenz - verlange«,?2 Doch die Entscheidung über die Auswahl musste er im Rahmen eines »Tribunals« mit fällen. Das war ihm »das Unangenehmste« seit seiner Ankunft in Norwegen, denn ihm war völlig bewusst, dass es sich bei den Opfern um unbeteiligte Männer handelte, »die ohne Gericht und Schuldurteil ins Jenseits befördert werden. Mir klingen noch die Worte des RK in den Ohren: Haben Sie bei X etwas einzuwenden?«?3 Die Antworten, die er darauf gab, machten ihn nicht nur zum Retter, sondern zugleich zum Mittäter. Er nannte zwei Namen, wohl wissend, dass diese durch andere ersetzt würden. Die Nachricht über die bevorstehenden Hinrichtungen, die auf dem zentralen Marktplatz von Trondheim in unmittelbarer Nähe der Dienststelle durch den Reichskommissar verkündet wurde, löste in der Stadt herzzerreißende Szenen aus, die »nichts für schwache Nerven« waren, wie Christen etwas hilflos bemerkte. Er selbst, wider Willen Herr über Leben und Tod, war spürbar erschüttert und kämpfte um Haltung. Aber schon wenige Tage später fand er sie beim Aufschreiben: »Ist diese Maßnahme nun brutal? Gewiss, sie ist es, und doch muss ich dem RK recht geben, wenn er behauptet, dass man dem Gegner die Intelligenzschicht wegnehmen muss«. Es gelte: »)wer nicht hören will, muss fühlenAltenHeimat< geärgert. [... ] Und dabei geht es der Heimat noch so gut.« Christen beschwor - positiv - den totalen Krieg. Man müsse »an dem Russen lernen [... ] Genauso wird es bei uns sein, denn es ist nun einmal ein weltanschaulicher Kampf«, wer »kapituliert oder versagt« werde »hart und entschlossen von uns selbst umgelegt«. Es gebe »nur zwei Alternativen, entweder totaler Sieg oder Untergang Europas incl. unserer Feinde«. Der Krieg spitzte sich für ihn auf den Kampf zweier gleich starker, sogar einander ähnlicher Ideologien zu: »Sowohl der Bolschewismus, wie auch der Nationalsozialismus 8 drängten nach Expansion, nach Totalität.«7 Christen hatte immer lebhaft Anteil genommen am Kriegsgeschehen, sich dabei um eine realistische Einschätzung des Gegners und der Siegchancen bemüht, sich aber auch jeden Gedanken an eine mögliche Niederlage verboten. Wollte er, der als »weißer Jahrgang« über keinerlei militärische Erfahrung verfügte,79 nun doch noch an der Front Kriegsdienst leisten? 76 Vgl. die Einleitung zu diesem Band. 77 Christen schickte einen Durchschlag des Berichts nach Hause, weshalb dieser im Familienarchiv vorhanden ist. 78 Tagebuch, 6.6.1942. 79 Die Wehrpflicht war 1935 wieder eingeführt worden, als Christen 26 Jahre alt und bereits verheiratet war. Der erste Jahrgang, der einberufen wurde, war der von 1914; Ältere wurden zu Kurzlehrgängen einberufen, doch auch das scheint bei Christen nicht der Fall gewesen zu sein, jedenfalls erwähnte er es nicht und machte anscheinend 1942 in Trondheim in einem zweiwöchigen Lehrgang als »Schütze Christen« seine ersten Erfahrungen mit dem Militär.

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Im Dezember 1943 jedenfalls kam Christen - nach mehrmonatigem Hamburg-Aufenthalt - in Hallein bei Salzburg an, wo die 6. SS-Division Nord, der er seit seinem Eintritt in die Waffen-SS angehörte, eine Ausbildungskaserne für zukünftige Gebirgsjäger errichtet hatte, die mitten in der kleinen Stadt lag, direkt gegenüber der Papierfabrik, dem größten Betrieb des Orts außerhalb der 55-Kaserne. Hier wurden Angehörige der Division (SS-Gebirgsjäger Ausbildungs- und Ersatzbataillon) auf den Kampf gegen die sowjetische Armee an 8o der Nordfront ausgebildet und zusätzlich sogenannte Führerkurse angeboten. Dem Bataillon gehörten bis Kriegsende zwischen IOOO und 2000 Männer an. Neben der Ausbildung überwachten die Angehörigen auch die KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter im Ort und wurden gelegentlich auch auf dem nahegelegenen Obersalzberg eingesetzt. 81 Die 55 hatte gleich nach der Etablierung der Kaserne beim Konzentrationslager Dachau die Errichtung eines Außenlagers in Hallein beantragt, dessen Häftlinge zwar nicht auf dem Gelände der Kaserne untergebracht waren, aber ausschließlich für die 55 arbeiteten, sowohl auf den militärischen Übungsgeländen in Halleins Umgebung als auch auf dem Kaser82 nengelände selbst. Die Häftlinge - zwischen 30 und 90 Jahre alt - lebten in sechs Baracken in einem Steinbruch an der Zufahrtsstraße nach Hallein. Wie viel KZ- Insassen, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene insgesamt in Hallein für die 5S arbeiteten und wie viele von ihnen dabei ihr Leben verloren, ist nicht 83 genau bekannt. Im Winter 1943/44 erhielt Heinrich Christen Besuch von seiner Familie. Man fuhr gemeinsam in das nahegelegene Salzburg. Ein Foto zeigt Christen mit seinem damals acht Jahre alten Sohn Jörn-Hinrich vor der schneebedeckten Kulisse der Burg. Am 24. Juni 1944, dem Vorabend seiner Abkommandierung an die finnische Front, schrieb Christen seine »Gedanken vor der Abreise« auf. Der Text spricht zunächst von der Einsamkeit der letzten Monate, die er mit sehr viel jüngeren »Kameraden« und Vorgesetzten verbracht hatte, Menschen, die auch ihrem sozialen Status und ihrer Bildung nach weit unter ihm standen; von der Einsamkeit, die er nur durch Briefe lindern konnte; von der Enttäuschung über die Qualität der militärischen Ausbildung und die moralischen Defizite der ungehobelten SS-Leute: »Man erspare mir Einzelheiten über alle Mißzustände [sic] Verfehlungen und Verbrechen, die ich täglich miterleben musste.«84 Er habe Norwegen verlassen »mit der Einstellung: >Man muss in dieser großen und 80 Hans Spreicer, Im herzlichen Einvernehmen mit der Bevölkerung ... ? Die Waffen-55 in Hallein. Eine Spurensuche in der Geschichte Halleins und seiner Umgebung, aus den Jahren 1943-1946, o. O. (Selbstverlag) 2004. 81 Ebd., S. 24, 28f. 82 Wolf gang Wintersteller, KZ Dachau - Aussenlager Hallein, 0.0., o.J. 83 Ehemalige Häftlinge haben ausgesagt, dass manche 55-Männer Häftlinge, angeblich auf der Flucht, erschossen, weil sie dafür Sonderurlaub erhielten. Ebd., S. 9 f. 84 Heinrich Christen, Gedanken vor der Abreise. Transkript gesammelter Texte, S.3-12, hier S. 3, Privatarchiv Familie Christen. Das Transkript wurde von Christens Enkel Oliver Christen (Sohn Holger Christens) angefertigt. Das Original lag mir nicht vor.

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schwersten Zeit Soldat und an der Front gewesen sein, um auch später ,mitreden' zu könnenVerlei« und »Kuckucksberg«, konnten nicht identifiziert werden. 87 Vgl. den Wikipedia-Artikel unter https://en.wikipedia.org/wiki/Battle_of_Tornio [20. 7.2021J. 88 Laut Akten des Suchdienstes des Roten Kreuzes, schriftliche Auskunft vom 18.12.2019.

Kemi ist eine finnische Hafenstadt am Bottnischen Meerbusen.

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89 genheit zum Besuch von Gottesdiensten. Christen schrieb Gedichte, die von seiner Sehnsucht nach Hause, der harten Arbeit, dem Hunger und der persönlichen und kollektiven Selbstbehauptung handelten. Im April 1946 erhielt er zum ersten Mal Post von seiner Frau und erfuhr, dass die Familie überlebt hatte und das Haus unbeschädigt war. Aber nach seiner Verlegung in ein zweites und dann 0 ein drittes Lager verschlechterten die Bedingungen sich für ihn dramatisch;9 allerdings brach der Kontakt mit der Familie in Hamburg nie ab, bis Christen im Dezember 1949 im »Heimkehrerlager« Gronenfelde bei Frankfurt an der Oder und am 8. Januar 1950 wieder in Hamburg eintraf. Zwei Monate später wurde er 41 Jahre alt. »War dann aber gleich voll von Elan und hat sich um - in ganz kurzer Zeit um die Firmengeschicke gekümmert. Und den Wiederaufbau gemacht«, so sein ältester Sohn J örn- Hinrich Christen im Interview über die Rückkehr des Vaters. Konflikte habe es zwischen dem damals 14-Jährigen und seinem Vater nicht gegeben, denn »vom Vater hab ich eigentlich nicht viel erlebt und könnte jetzt also auch nichts berichten aus der Zeit«.9 Schon 1951machte Christen seine erste Auslandsreise nach Lateinamerika und verschickte seit 1953 einen monatlichen Rundbrief unter dem Namen »Kaffee-Christ« (!) an seine alten und neuen Kunden. Selbstbewusst versprach er ihnen, »Exporteure ausfindig zu machen, die nicht nur mit Deutschland Geschäfte machen wollen, sondern auch in der Lage 2 sind, den deutschen Ansprüchen voll zu entsprechen«.9 1955wurde er zum Vorsitzenden des Kaffeemakler-Vereins gewählt und verwies bei dieser Gelegenheit stolz darauf, dass er diese Funktion ja »schon vor dem Krieg« innegehabt habe.93 In anderen Worten: Christen tat alles, um scheinbar nahtlos an die Vorkriegszeit anzuknüpfen und Kontinuität vorzutäuschen. 1959 allerdings, als ruinöse Konkurrenz den Kaffeehandel bedrohte, definierte Christen das »Erwerbsleben« als »[d]as Schlachtfeld des täglichen Kampfs ums Dasein«.94 Und auch in anderer Weise bezog er sich auf den Krieg, als 1957 die Familie ihre erste private Urlaubsreise ins Ausland machte - nach Norwegen. »Und da hat er uns also - zumindest Oslo und Bergen gezeigt. [... ] Ich glaube aber nicht, wir sind nicht bis Trondheim raufgekommen. Das war vielleicht zeitmäßig nicht drin.«95 Am IO. Jahrestag seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft schrieb Christen ein Gedicht an seine Frau, das mit den Zeilen endete: »Was wir erreicht, was wir geschafft, was damals nur schien märchenhaft / so woll'n wir in Besinnlich6 keit, dem Schicksal danken, gerade heut.«9 Für ihn war die Geschichte vorbeiund gut ausgegangen. 1

89 90 91 92 93 94 95 96

Ebd., Lagerspiegel Swirstroj. Ebd.; Leningrad-Stadt und Wolosowo, 80 km nördlich von Narva. Interview Jörn-Hinrich Christen (29.9.2009), Transkript, S. 3 f. Kaffee-Christ, 2pO.1956, S. I f., Firmenarchiv Heinrich Christen. Nämlich als von den Nazis eingesetzter »Obmann«, s. o. Kaffee-Christ, 20.10.1959, S. 2, Firmenarchiv Heinrich Christen. Interview Jörn-Hinrich Christen, Transkript, S. 4. I.I.I960, Privatarchiv Familie Christen.

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Heinrich Christen als Fallgeschichte Was lässt sich mit dieser Geschichte anfangen? Eine Biografie verweist auf das Individuum, das von verschiedenen sozialen Faktoren und historischen Bedingungen bestimmt wird, die miteinander verflochten sind und zu persönlichen Erfahrungen führen, auf deren Grundlage dieser Mensch in seiner Welt handelt und diese, wie sich selbst, deutet: Solche Faktoren sind z. B. generationelle Lage, soziale Schichtposition, historische Gelegenheitsstrukturen, dominante Ideologien oder zeitgenössische Normalitätsvorstellungen. Jede einzelne Bedingung ist schon in sich komplex, und umso mehr gilt das für ihre verflochtene Gleichzeitigkeit. Allein auf der Makroebene kann man ihre Auswirkungen auf die historischen Subjekte nicht ausloten. Die biografische Studie dient deshalb nicht nur der Veranschaulichung, sondern sie ist auch eine Tiefenbohrung in die mentalen Strukturen einer Gesellschaft, auf welche die einzelne Biografie immer verweist, eben weil sie in ihr möglich wurde. Heinrich Christen gehört jenen Jahrgängen an, die, zwischen 1900 und 19IO geboren, zum jungen, aggressiven Kern der nationalsozialistischen Bewegung und ihrer Führer gehörten und getrieben waren von der Idee der Überlegenheit und des Sieges. Damit repräsentiert er die kleinbürgerliche Variante derer, die Michael Wildt (in seiner Studie über das Reichssicherheitshauptamt) als »Die Generation des Unbedingten« charakterisiert hat.97 Er stammte aus einem sozialen Milieu, das ihn zum Aufstieg drängte, in einer Zeit des Umbruchs, der dies begünstigte. Von der Elite, in der er Anerkennung suchte, blieb er indessen ausgeschlossen. Hier versprach die Aufsteigerbewegung des Nationalsozialismus Chancen, welche der Krieg zusätzlich beschleunigte: Christen schien - im Jahre 1943 - der Verwirklichung seines biografischen Entwurfs ganz nahe. Das führt zu irritierender Lektüre, etwa wenn Christen mehrfach Hinrichtungen und Kriegsverbrechen nicht nur in einem klaren Bekenntnis rechtfertigt, sondern ihrer Erwähnung auch, fast zwanghaft, in scharfen Schnitten Schilderungen von Vergnügen wie »Festessen« oder einen »scharfen Skat« unmittelbar folgen lässt.98 Hinzu kommt offensichtliches Beschweigen, in Christens Fall z. B. bei der Verhaftung und Deportation der Juden in Trondheim im Herbst 1942. Christens »Fall« gibt uns konkrete Einblicke in das Funktionieren der Besatzung und in das Selbstverständnis der Besatzer - und zwar im Bereich der Zivilverwaltung, über deren Akteure und Nutznießer wir weit weniger wissen als über die militärischen und polizeilichen Besatzungsorgane. Aber seine Geschichte weist über 1945 hinaus. Im deutschen Geschichtsbewusstsein repräsentiert die Bundesrepublik meist das Andere des Nationalsozialismus, weswegen die Erkenntnisse über personelle Kontinuitäten noch immer überwiegend im Modus des Skandals diskutiert werden. Tatsächlich geht es aber um das, was 97 Michael Wildt, Die Generation des Unbedingten. Das Führungskorps cherheitshauptamtes, Hamburg 2002. 98 Tagebuch, II.IO.1942.

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Lutz Niethammer provokativ »die Kontinuität des Volkes« genannt hat, darum, dass bis auf die Toten und Exilierten alle noch da waren oder zurückkamen und dass Nachkriegsdeutschland, insbesondere in seinem westlichen Teil, von diesem Personal aufgebaut worden ist. Zu diesem Umstand gibt es einen umfangreichen Forschungsstand, als Gesellschaft machen wir uns seine komplexe Bedeutung für unsere Gründungsgeschichte in all ihren Konsequenzen jedoch nicht klar. Die Abtrennung des Nationalsozialismus von einer scheinbar neuen Gegenwart (Ulrich Herbert spricht von der »Entwirklichung« des Nationalsozialismus99) begann ja sehr früh. In ihrem 1950 (also dem Jahr von Christens Rückkehr) erschienenen Essay »Ein Besuch in Deutschland« hat Hannah Arendt die Deutschen eindrucksvoll beschrieben: Unverbindlich und allgemein redeten sie vom Unglück des Krieges; es herrschte ein völliger Mangel an Empathie, nicht nur für die Opfer, sondern auch gegenüber den eigenen Landsleuten. Das Schweigen über die eigene Schuld wurde überdeckt von einer manischen Geschäftigkeit, mit der die Verbrechen wie die Niederlage scheinbar ungeschehen gemacht IOo wurden. Der Fall Christen gibt uns einen Einblick in die individuellen Mechanismen, die hinter dieser allgemeinen Attitüde wirkten. Sein Ich-Ideal als Führer aus dem Volk war mit der Niederlage obsolet geworden. Im Juni 1946 - also in sowjetischer Kriegsgefangenschaft - schrieb er sogar ein Gedicht, in dem er, den »Führer« mit keinem Wort erwähnend, das Kollektivsubjekt »deutsches Volk« direkt ansprach, auch von dessen »eig'ner Schuld« schrieb, aber in der letzten Strophe seinen Glauben an die »Kraft« dieses Volkes und an seine anscheinend unbeschadete »Ehre« betonte und versprach, »dass unermüdlich zähe Arbeit Verlorenes« IOI zurückbringen werde. Mit dieser Haltung kam er 1950 zurück nach Deutschland und machte sich tatsächlich sofort an die »Arbeit«. Von den Verbrechen, deren Zeuge er geworden und in die er sich hatte hineinziehen lassen, schwieg er ebenso wie von seiner Selbsttäuschung und der totalen Niederlage. Aber dieses Schweigen beruhte auf einer unausgesprochenen Vereinbarung zwischen den Zeitgenossen. Christen war nicht der einzige Kaffeehändler, der aus einem besetzten Land oder einer Internierung zurückkehrte, um danach sofort wieder ins Kaffeegeschäft einzusteigen. Ein Großteil der deutschen Nachkriegsgesellschaft handelte nach diesem Muster des gedankenlosen »Anpackens«. Wenn Heinrich Christen das auch als Fortsetzung des dramatischen »Kampfs ums Dasein« I02 verstand, liegt es nahe, das nicht allein als Bemerkung zum Konkurrenzkampf in einer übersetzten Branche, sondern in einem weiteren Sinn zu lesen: nämlich Ulrich Herbert, NS-Eliten in der Bundesrepublik. Beharrung, Anpassung, Konversion, in: Norbert Kartmann (Hrsg.), NS-Vergangenheit ehemaliger hessischer Landtagsabgeordneter. Dokumentation der Fachtagung, 14. und 15. März 2013 im Hessischen Landtag, Wiesbaden 2014, S. 87-98, hier S. 92. 100 Hannah Arendt, The Aftermath ofNazi Rule. Report from Germany, in: Commentary 10 (1950), S. 342-353 (auf Deutsch erschienen als: Besuch in Deutschland). 101 Privatarchiv Familie Christen. 102 S. o. Fußnote 94. 99

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als Nachkriegsvariante der nationalsozialistischen Ideologie, dass »Dasein« an sich »Kampf« bedeutete: miteinander, gegeneinander, um Wohlstand, Einfluss und Anerkennung. So sehr Christen als ein Repräsentant dieser Gesellschaft und Zeit gelten kann, so sehr gilt umgekehrt, dass gesellschaftliche Prozesse auch deshalb so wirkmächtig sind, weil sie von den Akteuren so persönlich genommen werden.

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Die regionalen Dienststellen im Reichskommissariat Norwegen

Aufbau und Organisation »In einem Land wie Holland, das man in wenigen Stunden in der Diagonale mit dem Auto durchfahren könne,« so zitierte der Chef der Hauptabteilung Verwaltung des Reichskommissariats Norwegen, Hans-Reinhard Koch, seinen Vorgesetzten Josef Terboven nach Kriegsende, »würde er keine Außenstellen eingerichtet haben, sondern nur von der Zentrale aus verwalten. «I Doch als die deutschen Truppen im Frühjahr 1940 Norwegen besetzten, sahen sie sich mit ganz anderen Entfernungen konfrontiert. Kommunikation und Transport waren eine Herausforderung in einem Land, das auf einer Länge von ungefähr 1700 Kilometern von Gebirgen und Fjorden geprägt ist. Die nördlichen zwei Drittel Norwegens waren 1940 nicht mit der Eisenbahn zu erreichen. Viele Straßen waren weder zweispurig befahrbar noch winterfest. Lediglich zwei flughäfen standen für den zivilen Luftverkehr zur Verfügung, Sola bei Stavanger und Fornebu in Oslo. Unter diesen Bedingungen waren die Verwaltung, Kontrolle und Verteidigung des Landes eine ständige logistische Herausforderung 2 für die deutschen Besatzer. Es war somit schnell offensichtlich, dass sich das Reichskommissariat in Oslo auf regionale Außenstellen stützen musste, wollte man die beiden zentralen Ziele der Okkupation verwirklichen: zum einen die wirtschaftliche Ausbeutung Norwegens als Teil eines europäischen, auf das Deutsche Reich ausgerichteten »Großraumes«; und zum anderen die politische wie militärische Absicherung eines strategisch wichtigen Flottenstützpunktes für die Kämpfe im Nordatlantik. Es ist nicht immer leicht nachzuvollziehen, worin die Aufgaben und die tagtägliche Arbeit der Mitarbeiter/innen in den Dienststellen konkret bestand. Bei manchen Dienststellen ist nicht einmal klar, wie lange und in welcher Form sie überhaupt existierten. Die Quellenlage ist schwierig, denn nur von wenigen Dienststellen liegen Überlieferungen vor. Auch 75 Jahre nach Kriegsende ist noch keine Studie erschienen, die das Funktionieren des zivilen deutschen Besatzungsapparates in den Regionen systematisch in den Blick genommen hätte.3 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München (HZ), ZS 1689, Resumee von HansReinhard Koch, Tätigkeitsbericht der Hauptabteilung Verwaltung des Reichskommissariats, Akershus, 11.12.1945, fol. 20. 2 Christen schildert in seinem Tagebuch immer wieder die Mühen, die schon eine Dienstreise von Bergen nach Oslo bedeutete: Tagebuch, 24.6.1941, 12.1.1942 und 27-4.1942. 3 Die nach wie vor maßgebliche Studie von Bohn widmet den Dienststellen einige Seiten: Robert Bohn, Reichskommissariat Norwegen. »Nationalsozialistische Neuordnung« und Kriegswirtschaft, München 2000.

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Schon daran wird die überragende Bedeutung von Heinrich Christens Tagebuch deutlich. Christen leitete zeitweise die beiden wichtigsten Außenstellen des Reichskommissariats. Zwischen 1941 und 1943 war er einer der prominentesten Vertreter der deutschen Verwaltung außerhalb der Hauptstadt Oslo. Seine Aufzeichnungen ergänzen das bruchstückhafte Bild, das wir von Aufgaben und Organisation der Dienststellen haben. Vielmehr noch aber geben sie Aufschluss über den sozialen »Mikrokosmos Dienststelle«, über den Besatzungsalltag, den sich Historikerinnen und Historiker durch Sitzungsprotokolle, Erlasse und Geschäftsverteilungspläne nur schwer erschließen können. Im Sommer 1940 waren zunächst in Bergen und Trondheim zwei Gebietskommissare eingesetzt worden. Als sich dann schließlich im Herbst 1940 die endgültige Struktur und Stellung des Reichskommissariats herausgebildet hatten, wurden diese Gebietskommissariate aufgelöst und in mehrere Dienststellen umgewandelt.4 Im März 1941 bestanden Dienststellen bzw. ihnen untergeordnete Außen stellen in Kristiansand, Stavanger, Haugesund, Bergen, Trondheim, Harstad, Narvik, Troms0, Alta, Hammerfest und Kirkenes.5 Hier residierten nun sogenannte Dienststellenleiter. Diese Änderung in der Nomenklatur scheint von Reichskommissar Terboven durchaus bewusst vorgenommen worden zu sein. 6 Neben ihm sollte es keinen anderen Kommissar im Lande geben. Das freilich hielt einen Dienststellenleiter wie Heinrich Christen nicht davon ab, sich als »Herrscher« über sein »Königreich« Bergen zu bezeichnen.? Die regionalen Dienststellen sollten vor Ort als Vermittlungsinstanz zwischen der Wehrmacht und den norwegischen Behörden fungieren. Ein Vermerk aus der Hauptabteilung Verwaltung des Reichskommissariats vom Dezember 1941 formulierte es sogar so, dass »die Aufgabe der zivilen deutschen Verwaltung [... ] in erster Linie darin [besteht], die militärischen Erfordernisse bei der norwegischen Verwaltung durchzusetzen«.8 Daher orientierte sich der Zuständigkeitsbereich der Dienststellen auch an den Grenzen der norwegischen Regie4 5

Reichsarchiv Oslo (RA), RAFA-2174/Eba-LooOI, mappe I, Anordnung Terbovens über die Bezeichnung der Dienststellen und Geschäftsbereich vom 19.10.1940. Ebd., Organisatorische Übersicht der Hauptabteilung Verwaltung vom 12.3-1941. In Alesund und Lillehammer wurden die Aufgaben der Dienststelle von den Kommandeuren der Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei und des SD übernommen. Die Dienststelle Lillehammer ist nach Auskunft von RudolfWeber-Lortsch, ab Juni 1943 Leiter der Zentralabteilung der Hauptabteilung Verwaltung, nie vollständig ausgebaut worden: RA, Landssvikarkiv, Oslo Politikammer B 3061 (Verfahren gegen Carlo Otte), Aussage Rudolf Weber-Lortsch vom 4.12.1945, S. 13. Ein Dokument aus der Hauptabteilung Verwaltung vom Dezember 1941 erwähnt eine noch zu errichtende Dienststelle in Kongsberg, außerdem, dass die Dienststellen in Hammerfest und Alta aufgelöst werden sollen. Keine dieser Dienststellen scheint von größerer Bedeutung gewesen zu sein: RA, RAFA-2174/ Eba-Loool, mappe I, Vermerk vom I.I2.1941. Auch ist etwas unklar, welche Bedeutung die Dienststellen Harstad und Haugesund tatsächlich besaßen. Bohn, Reichskommissariat Norwegen, S. 66. Tagebuch, 26-4. und 28.9.1941. RA, RAFA-2174/Eba-LooOI, mappe I, Vermerk aus der Hauptabteilung Volkswirtschaft vom 1.12.1941. o

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rungsbezirke (jJlker). Diese Beschreibung steht in einem gewissen Widerspruch zu der Tatsache, dass die Dienststellen an sich kein Weisungsrecht gegenüber der norwegischen Verwaltung hatten. Sie erhielten ihre Anweisungen aus Oslo und sollten lediglich Reichskommissar Terbovens Augen und Ohren sowie bei Bedarf der verlängerte Arm Oslos in den Regionen sein.9 Tatsächlich bestand ein großer Teil ihrer Arbeit darin, Erhebungen zur landwirtschaftlichen und industriellen Produktion durchzuführen und monatliche Berichte nach Oslo zu senden. Dennoch dürfen der Handlungsspielraum und die Verantwortung der Dienststellenleiter keinesfalls unterschätzt werden - wie Bjarte Brulands Beitrag in diesem Band eindrucksvoll zeigt. Die obligatorischen Verweise auf den begrenzten Einfluss der Dienststellen und den »allmächtigen« Terboven, die sich in den Verhören deutscher Beamter nach Kriegsende finden, sollten stets kritisch hinterfragt werden. Das Abschieben von Verantwortung auf den Reichskommissar, der sich »praktischerweise« in den letzten Kriegstagen das Leben genommen hatte, war immer auch Verteidigungsstrategie. Der Aufbau der Dienststellen folgte im Prinzip dem des Reichskommissariats in Oslo mit seinen Hauptabteilungen für Verwaltung, Volkswirtschaft, Volksaufklärung und Propaganda sowie, ab 1942, Technik. Eine Abteilung Verwaltung bearbeitete die inneren Angelegenheiten der Dienststelle. Die Abteilung für Volksaufklärung und Propaganda sollte durch Pressearbeit, Propagandaaktionen und kulturelle Veranstaltungen die Verbindungen zwischen Norweger/ innen und Deutschen stärken und die Bevölkerung vor Ort für die Sache der Besatzungsmacht gewinnen. Wenngleich Widerstand mit aller Härte bestraft wurde, so war es doch das erklärte Ziel, die »arischen« Brüder und Schwestern im Laufe der Zeit von den nationalsozialistischen Vorstellungen zu überzeugen. Eine Wirtschaftsabteilung war für lokale Wirtschafts- und Versorgungsfragen zuständig. Als Hitler im Frühjahr 1942 den Befehl gab, die norwegische Küste zu einer uneinnehmbaren Festung auszubauen und die Mobilität der Wehrmacht durch den Ausbau von Bahnstrecken und Straßen zu erhöhen, wurde die paramilitärische Baueinheit des Dritten Reichs, die Organisation Todt (OT), nach Norwegen entsandt. Im Zuge dessen wurde die ursprünglich der Hauptabteilung Volkswirtschaft untergeordnete Abteilung Technik im April 1942 zu einer eigenen Hauptabteilung erhoben. Sie und der Apparat der OT wurden sowohl in Oslo als auch in den Dienststellen von denselben Fachleuten in Personalunion geführt. Welchen Status und Umfang die jeweiligen Abteilungen innerhalb der Dienststellen hatten, hing stark von den lokalen Erfordernissen ab und war ständigen Veränderungen unterworfen. Nicht immer waren alle Abteilungen vorhanden. Manche Dienststellen, gerade im hohen Norden, fungierten lediglich als Kontaktpunkte in der Nähe wichtiger Industriestandorte oder militärischer IO

9 HZ, ZS 1689, Tätigkeitsbericht Hans-Reinhard Koch, fol. 20. 10 Simon Gogl, Laying the Foundations of Occupation. Organisation Todt and the German Construction Industry in Occupied Norway, Berlin/Boston 2020.

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Bauvorhaben und verfügten daher beispielsweise über keine eigenen Propagandaabteilungen. Welche Machtbefugnisse die Beamten und Angestellten in den Dienststellen hatten, scheint weniger klar gewesen zu sein, als es manche Nachkriegsdarstellung suggeriert. Jedenfalls bittet Heinrich Christen bei Antritt seiner Position als Dienststellenleiter im Januar 1941 mehrfach die Hauptabteilung Volkswirtschaft in Oslo, »nach fast 9 monatiger Existenz von Aussenstellen des Reichskommissars einmal nach innen und aussen klar die Befugnisse, Rechte und Pflichten der jetzigen Dienststellen festzulegen«." Sichtlich verstimmt berichtet Christen, dass ihm der ordforer (Bürgermeister) der Stadt Bergen mitgeteilt habe, dass eine Dienststelle grundsätzlich keine Weisungsbefugnis gegenüber norwegischen Behörden habe. Derlei Unklarheiten scheinen auch beinahe ein Jahr später noch bestanden zu haben, als Christen im Vorfeld einer Dienststellenleitertagung darum bat, eine Diskussion über »die grundsätzliche Struktur der Dienststellen« und über »die Mitwirkung der Dienststellen bei Ein- und Absetzung von norw. Beamten unter besonderer Berücksichtigung der N5-Personalpolitik« auf I2 die Tagesordnung zu setzen. Mehrere Dienststellenleiter wünschten auch eine Klärung des Verhältnisses zu den Wirtschaftsstellen der Wehrmacht, die sich unter Verweis auf die Kriegslage allzu oft nicht an getroffene Vereinbarungen gebunden sahen. Gegen Ende von Christens Zeit in Trondheim kam es offenbar zu einem Machtkampf mit dem dortigen Wehrwirtschaftsoffizier, als Christen versuchte, die Kontrolle über das lokale Wirtschaftsgeschehen an sich zu ziehen. Auch zu diesem späten Zeitpunkt also, im Herbst 1942, scheinen die Kompetenzen zwischen Militär und Reichskommissariat auf diesem Gebiet immer noch nicht eindeutig geklärt gewesen zu sein. Christen gibt sich hier übrigens recht selbstbewusst und erinnert daran, dass er schon in Bergen einmal einen Wehrwirtschaftsoffizier »abgeschossen« habe. Auch zwischen den Dienststellen und in ihrem Innern kam es immer wieder zu Reibereien und Machtkämpfen. So versuchten beispielsweise sowohl Heinrich Christen in Bergen als auch der Leiter der Dienststelle Kristiansand aus wirtschaftlichen Überlegungen, die DienstI4 stelle Stavanger zu absorbieren. Schon einige Monate zuvor hatte Kristiansand erfolglos versucht, die Zuständigkeit für die fYlke Telemark zu erlangen.I5 Die bewusst nicht immer eindeutig abgegrenzten Machtbereiche ermöglichten es ambitionierten Dienststellenleitern, sich hervorzutun. Terboven war an diesem I

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RA, RAFA-2174/Eba-LooOI, mappe I, Schreiben Christen an Hauptabteilung Volkswirtschaft des RK vom 29.I.I941. Ebd., Telegramm Christen an den Reichskommissar für die besetzten norwegischen Gebiete, z. Hd. von Herrn Regierungspräsident Koch, vom 4.12.1941. Tagebuch, 4.10.1942. RA, RAFA-2174/Eba-LooOI, mappe I, Vermerk aus der Hauptabteilung Volkswirtschaft betreffend Abgrenzung der Dienststellenbereiche vom 24.10.1941, S. 7 f. Ebd., Schreiben des Leiters der Dienststelle Kristiansand, Wenger, an die Hauptabteilung Verwaltung vom 27.I.I941.

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f» reien Spiel der Kräfte«, das er als wesentliche Triebkraft in einem dynamischen I6 und schlagkräftigen Besatzungsapparat verstand, durchaus gelegen. Der wohl detaillierteste Bericht über die Tätigkeiten einer Dienststelle ist vom ehemaligen Dienststellenleiter in Narvik, Herbert Freiherr v. Stackelberg, 1945 während seiner Haft in der Festung Akershus in Oslo angefertigt worden.I7 Laut diesem lag das Hauptaugenmerk der Abteilung Verwaltung in Narvik darauf, den Kontakt zu norwegischen Behörden zu halten und insbesondere bei Konflikten mit der Wehrmacht vermittelnd einzugreifen. Anscheinend waren es vor allem die andauernden Inanspruchnahmen von Grundstücken und Gebäuden durch die Wehrmacht für taktische, militärische und Quartierzwecke, die auf norwegischer Seite für Unmut sorgten. Innerhalb der Dienststellen waren es aber die lokalen Wirtschaftsabteilungen, die in Narvik und andernorts die überragende Rolle spielten. Bisweilen waren den Dienststellen spezielle Beauftragte oder Sachverständige beigeordnet, wenn die deutschen Interessen in der Region dies notwendig machten. In Narvik beispielsweise, wo der Fischfang und der Bergbau von großer Bedeutung waren, wurden diese Wirtschaftszweige von eigenen Sachverständigen betreut. Die Ausbeutung der norwegischen Gruben diente der deutschen Rüstungswirtschaft. Unter anderem wurden hier Molybdän und Schwefelkies gefördert. Mit norwegischem Fisch wiederum sollte die Versorgung der deutschen Bevölkerung verbessert werden. In Bod0 wurde dafür eine Fabrik errichtet, in der Fisch filetiert und tiefgefroren wurde. Die Dienststelle sollte den Überblick über Produktionsmengen behalten und auch Arbeitskräfte vermitteln. In den Anlagen der A/5 Frostfilet in Bod0 bestand die Belegschaft vornehmlich aus sowjetischen Zwangsarbeiterinnen. Neben weiteren Aspekten hebt der Bericht v. Stackelbergs vor allem den Beitrag der Dienststellen zur Versorgung der norwegischen Zivilbevölkerung hervor, ebenso wie die im Allgemeinen sachbezogene und einvernehmliche Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Besetzten. Auch hier sollte nicht vergessen werden, dass deutsche Verantwortliche nach dem Krieg natürlich allen Grund hatten, solche Aspekte herauszustreichen. Außerdem begegneten sich die Angehörigen der Dienststellen und die einheimische Verwaltung nie auf Augenhöhe, sondern vor dem Hintergrund einer latenten Drohkulisse aus Militär und Sicherheitsapparat. Es bestand ein deutlicher Widerspruch zwischen dem Besatzungsalltag und dem beschönigenden Bild, das der Bericht von der Arbeit der Dienststelle entwirft. Ganz falsch ist die Betonung der Vermittlerrolle aber dennoch nicht. Tatsächlich war von den Leitern und Mitarbeiter/innen der Dienststellen diplomatisches Geschick gefordert. Die deutsche Besatzung war auf das mehr oder weniger reibungslose Funktionieren der norwegischen Verwaltung angewiesen.

16 Bohn, Reichskommissariat Norwegen, S. 57-60, 66. 17 RA, Landssvikarkiv, Oslo Politikammer B 3061 (Verfahren gegen Carlo Otte), Aussage Herbert Freiherr v. Stackelberg vom 2I.II.I945. Vor seinem Einsatz in Narvik hatte v. Stackelberg in Trondheim unter Christen gearbeitet.

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Das ergab sich schon allein aus der dünnen Personal decke der deutschen Zivilverwaltung, wie sie für alle Länder des besetzten Nord- und Westeuropa beobachtet worden ist. In der Phase seiner größten Ausdehnung arbeiteten rund 700 Männer und Frauen in der Behörde des Reichskommissariats in Oslo und in den Dienststellen im Lande.'8 Diese im Verhältnis zur Größe des Landes bemerkenswert niedrige Zahl schloss auch Norweger/innen mit ein, die etwa als Schreibkräfte oder Fahrer arbeiteten oder in den Presse- und Propagandastellen tätig waren. Anlässlich einer Inspektion der Bergenser Dienststelle durch den Reichskommissar wurde gar kommentiert, Christen beschäftige »eigentlich viel zu viele Norweger«.'9 So wurden die Dienststellen in der täglichen Arbeit sowie bei Kasino- und Kegelabenden zu Orten des Austauschs zwischen Einheimischen und Besatzern. Die Dienststelle Narvik, die für ein Gebiet von ungefähr 20.000 Quadratkilometern zuständig war, verfügte über etwa 20 Mitarbeiter/innen zuzüglich 2o Fahrern und Kasinopersonal. Der Personalbestand der Dienststelle Bergen umfasste im Februar 1941 28 Personen. Heinrich Christen berichtet von den Problemen, genügend Personal für seine Dienststelle zu finden,22 während im Herbst 1941 die Idee zur Errichtung einer eigenen Dienststelle im nordnorwegischen Bodo »wegen der bestehenden Personalschwierigkeitell« verworfen werden musste.23 Manche Dienststellen bestanden gar nur aus einem Leiter und ein bis zwei Schreibkräften. Die Dienststellen verloren zudem regelmäßig fähige und mit den lokalen Gegebenheiten vertraute Kräfte durch Versetzungen oder Einberufungen. Aus dieser knappen Skizze ergibt sich gewissermaßen das Aufgaben- und Anforderungsprofil eines Dienststellenleiters wie Heinrich Christen. Mit begrenzten Ressourcen sollte er sicherstellen, dass sich die norwegische Bevölkerung ruhig verhielt und ihren wirtschaftlichen Beitrag zur deutschen Kriegsführung leistete - sei es nun aus Furcht vor Repressalien oder aus Opportunismus, aus einer wirtschaftlichen Zwangslage oder weil man an der gewaltigen Nachfrage der Besatzungsmacht verdienen wollte. Oft bemühte sich Christen auch, lokale norwegische Interessen gegenüber der Wehrmacht zu verteidigen. Nicht etwa, weil er mit den langfristigen Zielen der Besatzung nicht einverstanden gewesen wäre. Vielmehr fürchtete er - eine Furcht, die die Wirtschafts- und Finanz2I

18 Bohn, Reichskommissariat Norwegen, S. 69; Stein Ugelvik Larsen, Etterord, in: ders. (Hrsg.), Okkupantens dagbok. Heinrich Christens dagbok fra Bergen og Trondheim 1941-1943, Oslo 2009, S. 202-234, hier S. 206. 19 Tagebuch, 27.7.1941. 20 RA, Landssvikarkiv, Oslo Politikammer B 3061 (Verfahren gegen Carlo Otte), Aussage Herbert Freiherr v. Stackelberg vom 21.II.1945, S. 12. 21 RA, RAFA-2174/Eba-LooOl, mappe I, Abschrift eines Berichts der Dienststelle Bergen vom 8.2.1941, gesendet von der Hauptabteilung Volkswirtschaft an die Hauptabteilung Verwaltung des RK am 21.2.1941. 22 Tagebuch, 18.6.1942 und 12.8.1942. 23 RA, RAFA-2174/Eba-LooOI, mappe I, Vermerk aus der Hauptabteilung Volkswirtschaft betreffend Abgrenzung der Dienststellenbereiche vom 24.10.1941, S. 4.

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fachleute im Reichskommissariat insgesamt umtrieb -, dass die Wehrmacht im Begriff war, die Kuh zu schlachten, die man noch melken wollte. Die Führungskräfte in den Dienststellen mussten also vor allem geschickte Diplomaten und Moderatoren in einer komplizierten politischen Landschaft sein. Im Folgenden wird dieser Beitrag anhand von Heinrich Christens Tagebuch untersuchen, wie der Hamburger Kaffeehändler sich im »Mikrokosmos Dienststelle« bewegte, um zwei der zentralen Ziele der Besatzung zu verwirklichen: die wirtschaftliche Ausbeutung Norwegens und die Sicherung der nationalsozialistischen Herrschaft im Lande.

Wirtschaftliche Ausbeutung In den fünfJahren

unter deutscher Besatzung erlebte Norwegen eine beispiellose Umstellung seiner Wirtschaft, die sich nun an den Anforderungen und Zielen 24 der Besatzer zu orientieren hatte. Zunächst bedeuteten natürlich die Anwesenheit von weit über 300.000 Besatzungssoldaten und deren Versorgung eine große Belastung für ein Land, das zum Zeitpunkt der Besetzung nur ungefähr drei Millionen Einwohner hatte. Die Dienststellen sollten dafür sorgen, dass die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt war und die lokale Wirtschaftstätigkeit auch in Krisensituationen weiterlief. Sie hatten Einfluss auf die regionale Versorgung und die Rationierungsmaßnahmen, beispielsweise bei der Zuteilung von Kohle und Fisch. Als während des Angriffs auf die Sowjetunion im Sommer 1941 Bergen und Umgebung kurzzeitig zur militärischen Sperrzone erklärt wurden, fiel Christen die Aufgabe zu, die Lebensmittelversorgung und Güterproduktion in dieser Zone aufrechtzuerhalten. Hier reüssierte Christen als der patriarchale Organisator, denn während die Stadtväter angeblich »auch diesmal völlig ratlos« waren, konnte Christen ihnen erzählen, »was schon während ihrer Sonntagsruhe für sie und das Wohl der ihnen anvertrauten Bevölkerung geschehen sei«.25 In solchen Situationen fungierten die Dienststellen als Vermittler und Ansprechpartner für die norwegischen Amtsträger. Auch sonst ging es häufig darum, Lösungen zu finden, wenn die Wehrmacht beispielsweise Gebäude und Grundstücke für ihre Vorhaben beschlagnahmte. In Bergen erhielt Christen Besuch von einer norwegischen Abordnung, als die Wehrmacht im Stadtteil Laksevag Grundstücke der Bergenske Dampskibsselskab und der Bergen Mekaniske 26 Verksted in Anspruch nahm. Das Reichskommissariat war durchaus an einem möglichst ungestörten Weiterlaufen der norwegischen Wirtschaft und einer guten Versorgung der Bevölkerung interessiert, denn letztlich war dies auch im deutschen Interesse. Somit traten die Dienststellenleiter oft als Fürsprecher

24 Harald Espeli, Economic Consequences of the German Occupation ofNorway, 19401945, in: Scandinavian Journal 0/ History 38 (2013), 4, S. 502-524. 25 Tagebuch, 23.6.1941. 26 Tagebuch, 3.3-1941.

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norwegischer Belange auf und befanden - oder wähnten - sich in einer Position irgendwo zwischen Besatzer und Landesvater, wie sich an Heinrich Christen leicht beobachten lässt. Der Aufsteiger Christen war erkennbar geschmeichelt davon, kraft seiner Position mit der Bergenser upper dass auf Augenhöhe verkehren zu können. Wichtige norwegische Persönlichkeiten gingen in seiner Dienstwohnung und seinem Büro ein und aus. Von den AufWartungen der Norweger/ innen bei seinem Abschied aus Bergen war er geradezu gerührt.27 Wenn er es für nötig hielt, war Christen aber durchaus bereit, auch eine härtere Linie in der Wirtschaftspolitik zu verfolgen. So ging es im bereits erwähnten Schreiben an die Hauptabteilung Volkswirtschaft vom 29. Januar 1941 konkret um die Klärung der Frage, ob er die Machtbefugnis habe, Bergenser Unternehmen zu 28 Lieferungen an die Wehrmacht zu zwingen. Im Februar 1941 hatte er offenbar einem lokalen Wirtschaftsvertreter gar mit Verhaftung gedroht, wohl um sich in der Frühphase seiner Amtszeit in Bergen Respekt zu verschaffen. 29 Auf lange Sicht sollte Norwegen Teil eines europäischen »Großraums« werden, in dem sich die nationalen Ökonomien der besetzten Gebiete am deutschen Zentrum ausrichten und ihm zuarbeiten sollten. Übergeordnetes strategisches Ziel war die Schaffung eines Wirtschaftsraums, der weitgehend autark und im Kriegsfall nicht mehr durch eine Blockade des überseeischen Handels verwundbar war. Norwegen war für das Reich besonders wegen seiner Roherze und Halbfabrikate interessant, da diese in der deutschen Rüstungsproduktion Verwendung fanden. Bedeutend waren vor allem Eisenerz, Schwefelkies, Kupfer, Nickel, Zink und Molybdän. Ein Standortvorteil Norwegens lag darüber hinaus im Vorhandensein von günstiger Energie in Form enormer Wasserkraftreserven, die zum Beispiel für die besonders energieintensive Stickstoffproduktion (Düngemittel) genutzt wurden. Die Aussicht auf günstige Energie bildete auch die Grundlage für die Pläne von Reichsluftfahrtminister Hermann Göring zu einem massiven Ausbau der Aluminiumproduktion zugunsten der deutschen Luftrüstung, denn auch die Herstellung von Aluminium war sehr energieauf30 wendig. Für eine Stadt wie Bergen etwa bedeuteten die deutschen Großraumpläne die Vision von der Ansiedlung energieintensiver, auf den deutschen Bedarf hin ausgerichteter Industrien, während der Handel (gemeint war wohl vor allem der mit Großbritannien) nicht weiter gefördert werden sollte,l'

27 Tagebucheinträge aus der ersten Maihälfte 1942. 28 RA, RAFA-2174/Eba-LooOI, mappe I, Schreiben Christen an Hauptabteilung Volkswirtschaft des RK vom 29.I.I941. 29 Tagebuch, 1.3-1941. 30 Fritz Petrick, Der »Leichtmetallausbau Norwegen« 1940-1945. Eine Studie zur deutschen Expansions- und Okkupationspolitik in Nordeuropa, Frankfurt a. M. 1992; Bohn, Reichskommissariat Norwegen; Hans Otto Ff01and/Mats Ingulstad/Jonas Scherner (Hrsg.), Industrial Collaboration in Nazi-Occupied Europe. Norway in Context, London 2016. 31 Bergen stellt sich um, in: Deutsche Zeitung in Norwegen, 25.6.1942, S. 5.

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In diesem Zusammenhang

lag die Aufgabe der Dienststellen primär darin, die lokalen Produktionszahlen zu erfassen und auf Versorgungsschwierigkeiten oder andere Probleme hinzuweisen. Die Erkenntnisse wurden in monatlichen Berichten nach Oslo übermittelt, wo sie ausgewertet wurden und den Hauptabteilungen als Arbeitsgrundlage dienten. Bisweilen informierte Christen sich auch persönlich bei wichtigen Unternehmen oder am Ort großer industrieller Bauvorhaben. Auf einer mehrtägigen Reise durch Westnorwegen besuchte er im September 1941das geplante Aluminiumwerk der deutschgeführten A/S Nordag in Ardalstangen und die dazugehörigen Anlagen zur Produktion der notwendigen Wasserkraft in Ardal und am Tyin-See. Auch die Reise mit dem Reichskommissar durch Nordnorwegen im Juli 1942 diente der Besichtigung wichtiger Industrien und Bauprojekte, darunter die Anlagen der A/S Frostfilet in Bod0. Dort sah Christen mit eigenen Augen die Arbeitsbedingungen der »800 Ukrainer«, die hier im nördlichsten Abschnitt seines Trondheimer Herrschaftsbereichs Zwangsarbeit leisten mussten. Es scheint beinahe so, als hätte diese Konfrontation mit der Realität des Zwangsarbeitereinsatzes Christen Unbehagen bereitet. Er kommentiert das Gesehene knapp (»Für kein Geld möchte ich dort arbeiten«), bevor er sich wieder Beschreibungen der majestätischen Landschaft 32 Nordnorwegens widmet. Ebenfalls in seiner Trondheimer Zeit besuchte er im Oktober 1942 L0kken Verk, wo in der größten derartigen Grube Nordeuropas Schwefelkies gefördert wurde, aus dem im nahegelegenen Thamshavn Schwefel und das rüstungswichtige Kupfer gewonnen wurden. Diese Fahrten blieben aber vereinzelte Stippvisiten. Aufgrund der Größe des Landes und der begrenzten personellen Ressourcen waren die Dienststellen des Reichskommissariats weit davon entfernt, eine engmaschige Wirtschaftskontrolle einführen zu können. Sowohl norwegischen wie auch deutschen Unternehmen blieb vor Ort reichlich Handlungsspielraum, um zwischen eigenen langfristigen Interessen und den Anforderungen der Besatzungsbehörden zu manövrieren. Christens Tagebuch vermittelt den Eindruck, als wäre die Berichtsarbeit des Dienststellenleiters angesichts der zahlreichen Festessen, Empfänge und Konzertabende manchmal etwas in den Hintergrund geraten.33 Das Bauen wurde schnell zum dominierenden Wirtschaftszweig im besetzten Norwegen. Die Vorhaben zur Erhöhung der wirtschaftlichen Kapazitäten machten hohe Investitionen der Besatzer in Verkehrswege und Anlagen notwendig. In den ersten zwei Jahren der Besatzung wurden 474 Kilometer Straßen neu gebaut, zahlreiche weitere zweispurig ausgebaut und I06 Brücken wiederhergestellt. In Kristiansund wurde Wohnraum und in Narvik der Hafen wiedererrichtet, welche bei den Kämpfen im Jahr 1940 zerstört worden waren. Für die Küstenbefestigung mit Bunkern, Geschützen und Luftabwehrständen wurden enorme Mengen Beton gegossen und Fels gesprengt. Für die Mannschaften der Anlagen errichtete man 767 Baracken, 605 feste Holzhäuser und elf Barackenlager. Beio

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32 Tagebuch, 14-7-1942. 33 Tagebuch, 7.10.1941.

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nahe 2.000 Baracken wurden für die 55, Marine, Polizei und andere Institutionen errichtet. 34 Ab dem Frühjahr 1942 führte das sogenannte »Wiking-Programm« mit seinen riesigen militärischen Bauprojekten zu einer weiteren Ausdehnung des Bausektors. Die OT wurde beauftragt, entlang der Küste einen Riegel aus Bunkern und Gefechtsstellungen zu errichten, der sozusagen als nördlicher Arm des Atlantikwalls die »Festung Norwegen« gegen eine alliierte Invasion absichern sollte. Flughäfen und Straßen wurden ausgebaut. Um die deutschen Truppen an der Murmanskfront versorgen zu können, wurde das utopische Projekt einer 1.200 Kilometer langen Eisenbahnlinie durch Nordnorwegen vorangetrieben. In Bergen und Trondheim wurden große U-Boot-Bunker errichtet. Mit diesen beiden Stützpunkten wollte die deutsche Marine verhindern, im Falle einer Blockade in der Nordsee eingeschlossen zu werden.35 Besonders Trondheim kam in den deutschen Plänen eine wichtige Rolle als nördlichste Großstadt des deutschen Machtbereichs zu. Dazu sollte die Stadt stark ausgebaut werden. In seinem Abschiedsinterview am Ende seiner Trondheimer Zeit entwarf Christen in diesem Zusammenhang eine rosige Zukunftsvision der Stadt, in der die Schiffs-, die Werft- und die Fischverarbeitungsindustrie tragende Säulen des 36 Wirtschaftslebens sein sollten. Nach dem Eintreffen der OT wurden die Technikabteilungen der Dienststellen im September 1942 mit den Bauleitungen der OT verschmolzen. Der Leiter der »OT -Einsatzgruppe Wiking« in Oslo, Willi Henne, und der Kopf der OT in Berlin, Rüstungsminister Albert Speer, verfügten über direkten Zugang zu Hitler. Die Wehrmacht war es wiederum, die die Bauten »bestellte« und die notwendigen Baumaterialien zur Verfügung stellte. Die Bauten wurden von ungefähr 500 deutschen und zahlreichen kleineren norwegischen Bauunternehmen ausgeführt. Zehntausende Zwangsarbeiter, unter denen sowjetische Kriegsgefangene die größte Gruppe bildeten, wurden zu diesem Zweck nach Norwegen gebracht. Finanziert wurden die Vorhaben zum einen Teil aus dem deutschen Kriegshaushalt, zum anderen aus Mitteln, welche die norwegische Nationalbank den deutschen Besatzern zur Verfügung stellen musste. Man kann also durchaus sagen, dass mit dem Auftreten der OT im Frühjahr 1942 ein Machtverlust des Reichskommissariats auf diesem wichtigen Sektor einherging. Interessanterweise scheint dies Heinrich Christen in Trondheim nicht so empfunden zu haben. Mit Willi Henne komme er glänzend aus, und durch die Verbindung mit der OT sei nun (wenn auch nur auf dem Papier) die wichtigste Oberbauleitung der OT in Norwegen seiner Dienststelle angegliedert: »Sachlich bedeutet das zweifellos eine erhebliche Verbesserung - vor Allem mappe 9, Angaben bzw. Entwurf für den Führerbericht betr. Leistungen der Hauptabteilung Technik im zweiten Jahr seit Bestehen des Reichskommissariats, 3.2. und 9.2.1942. 35 Zu den deutschen Bauprojekten im besetzten Norwegen siehe: Gogl, Laying the Foundations. 36 Dienststellenleiter Christen forlater Trondheim og drar til fronten, in: Adressavisen, 34 RA, RAFA-2174/Ef-Loo02,

2.10.1943·

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in der in Kriegszeiten nun mal notwendigen Stoßkraft.«37 Die Dienststellen waren in viele praktische Fragen rund um den Baueinsatz involviert, wie die Versorgung der Bauarbeiter, Urlauberheimfahrten oder die Bereitstellung von Lastwagen und Schiffsraum. Einen wirklich entscheidenden Einfluss auf das Baugeschehen erlangte das Reichskommissariat aber nicht mehr. So oblag dem RK und seinen Dienststellen eigentlich die Überwachung von Baupreisen und Bauarbeiterlöhnen. Um die norwegischen Finanzen nicht vollends aus dem Gleichgewicht zu bringen, waren auch deutsche Stellen wie Wehrmacht und OT diesen Preisregulierungen des Reichskommissariats unterworfen. Unter Verweis auf die Notwendigkeiten des Krieges reizte indes speziell die Wehrmacht die zulässigen Preissätze maximal aus oder ignorierte sie ganz. Schon im Februar 1942, kurz nachdem das Reichskommissariat neue Richtlinien zur Kostenbegrenzung im Bausektor erlassen hatte, führte dies zu der kuriosen Situation, dass die Abteilung Technik der Dienststelle Bergen in Oslo anfragte, ob man norwegischen Bauunternehmen höhere Preissätze zahlen dürfe. Andernfalls habe man im Kampf um Unternehmen und Arbeitskraft schlicht keine Chance gegen die 38 spendierfreudige Wehrmacht.

Herrschafrssicherung und Propaganda Der zweite große Aufgabenbereich der Dienststellen im Reichskommissariat Norwegen lag auf der politischen und propagandistischen Ebene. Während der Besatzung stand die Herrschaftssicherung, das Aufrechterhalten von Ruhe und Ordnung, im Zentrum des deutschen Interesses. Solange die lokale norwegische Politik und Verwaltung geräuschlos weiterarbeiteten, wollte man sich mit Eingriffen in politische und personelle Detailfragen zurückhalten. Die Dienststellenleiter befanden sich in einem ständigen Dialog mit den norwegischen Repräsentanten wie dem ordforer (Bürgermeister), den lensmenn, die polizeiliche Aufgaben in den Bezirken übernahmen, oder den als fYlkesmenn bezeichneten regionalen Regierungspräsidenten. Heinrich Christens Tagebuch ist voll von Berichten über diese Treffen, die sowohl im offiziellen als auch im privaten Rahmen stattfanden. Hier war der Diplomat Christen gefragt, der die Stimmung auf norwegischer Seite zu sondieren, ebenso oft aber auch Entscheidungen des Reichskommissariats in Oslo und der Wehrmacht zu erklären hatte. Gradmesser für den Erfolg seiner diplomatischen Bemühungen scheint für Christen nicht selten die Menge des an einem Abend konsumierten Alkohols gewesen zu sein.39 Die wohl größte politische Herausforderung lag für Christen darin, den Machtanspruch der nach deutschem Vorbild aufgebauten nationalsozialisti-

37 Tagebuch, 27.9.1942. 38 RA, RAFA-2174, Ef-LoOOI, mappe 7, Schreiben Thote, Oberbauleitung West in Bergen, an die Abteilung Technik des RK in Oslo vom 7.2.1942. 39 Vgl. den Beitrag von Maria Fritsche in diesem Band.

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schen Nasjonal Samling (NS) unter Vidkun Quisling auf lokaler Ebene zu moderieren. Trotz aller ideologischen Nähe galt die N5 im deutschen Besatzungsapparat weithin als eine Gruppe politischer Amateure ohne Rückhalt in der Bevölkerung, die den deutschen Zielen eher im Weg stand. Heinrich Christen war hier keine Ausnahme. Im Frühjahr und Sommer 1941 drohte der Streit um die Besetzung des Bergenser Stadtrats zu eskalieren. Der konservative ordforer Asbj0rn Stensaker, zu dem Christen ein sehr gutes Verhältnis pflegte, drohte angesichts der selbstbewussten N5-Forderungen nach Sitzen im Stadtrat 0 mit seinem Rücktritt. In den Folgemonaten stärkte Christen seinem »Freund«4 Stensaker mehrfach den Rücken. Erst im März 1942, nachdem Vidkun Quisling zum Ministerpräsidenten ernannt worden war, räumte Stensaker das Amt des ordforer in Bergen für den NS-Mann AlfJohannesen. Christen macht in seinem Tagebuch keinen Hehl aus seiner Haltung gegenüber den NS-Politikern. Wegen einer Partei, die im April 1942 in Bergen über eine Mitgliederbasis von nur einem Prozent der Bevölkerung verfügte,4 habe man sich alle Sympathien in der norwegischen Bevölkerung verscherzt. Was Christen besonders zuzusetzen schien, war, dass er N5-Politiker nicht in gleicher Weise »absetzen und einsperren« könne wie die sogenannten J(i)ssinger, also jene Norweger/innen, die auf der 42 Seite der Alliierten standen. Die Ernennung des Nationalsozialisten Quisling zum Ministerpräsidenten erlebte Christen als Beschneidung seiner Macht, da man der norwegischen Regierung nun nichts mehr befehlen könne, sondern sie vielmehr hofieren müsse.43 Ähnlich kritisch äußerte sich Christen auch zur deutschen Besatzungspolitik und den strategischen Entscheidungen des Reichskommissariats in Oslo. Immer wieder sah er seine Bemühungen um die Stimmung in der norwegischen Bevölkerung durch die deutsche »Holzhammerpolitik« torpediert. Den Leitern der Osloer Hauptabteilungen Volkswirtschaft bzw. Volksaufklärung und Propaganda, Carlo Otte und Georg Wilhe1m Müller, attestierte er eine »primitive[] Unbekümmertheit« und einen »völligen Mangel an Psychologie«. Anlass war der Konflikt um die Bebauung der Halbinsel Nordnes in der Bergenser Innenstadt, wo ein alliierter Luftangriff im Juni 1940 beträchtliche Zerstörungen angerichtet hatte. Frustriert wandten sich die Norweger an Christen, da Oslo sich jegliche Entscheidungen über die zukünftige Gestaltung des Stadtteils vorbehielt: »Wir sind scheinbar schon so weit, dass die Norweger nicht einmal mehr einen öffentlichen Lokus ohne unsere )vorherige Zustimmung< bauen dürfen. Und dann erwarten diese Herren )freundschaftliche Gefühle< auf Seiten der Norweger.«44 Christen schien eher eine Besatzungspolitik wie in Dänemark vorzuschweben, 1

40 So bezeichnet Christen Stensaker im Tagebucheintrag vom 4.10.1941. 41 RA, RAFA-2174/Eba-Lo043, mappe I, Stichpunkte aus dem Lagebericht der Dienststelle Bergen für den Monat April 1942, vorzulegen dem Herrn Reichskommissar, 20.5.1942. 42 Tagebuch, 27.1I.I941. 43 Tagebuch, 5.2.1942. 44 Tagebuch, 5.6.1941.

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wo in weit größerem Maße hinter den Kulissen gearbeitet und der politische Einfluss primär über die deutsche Botschaft in Kopenhagen ausgeübt wurde. In seinem Tagebuch findet Christen oftmals verblüffend offene Worte. Im Juli 1941 beklagte er, »dass wir in den Ländern, die wir besetzt halten[,] vorher so viele pol. Dummheiten gemacht haben, sodass die Welt zwischen bolschewistischer und nazistischer Knechtschaft, oder G. P.U. und Gestapo wenig Unterschied macht. Es sind nicht immer die schlechtesten Menschen, die uns nicht mehr glauben, vor allem dann nicht, wenn wir von der Freiheit der Völker reden.«45 Den im September 1941 in Oslo verhängten Ausnahmezustand mit seinen Verhaftungen und Hinrichtungen kommentierte Christen zurückhaltend. Auch wenn die Norweger/innen die Besatzer nun wenigstens fürchten würden, so wären doch auch die langen und teuren propagandistischen Bemühungen 46 zunichte gemacht. Während seiner ganzen Zeit in Norwegen gab sich Christen keinen Illusionen darüber hin, dass der größte Teil der norwegischen Bevölkerung der deutschen Besatzung und den deutschen Kriegszielen ablehnend gegen überstand. Es erscheint also gerechtfertigt, Heinrich Christen als einen besatzungspolitischen Realisten und Pragmatiker zu bezeichnen. Solange die Zusammenarbeit Resultate erbrachte, die nicht mit deutschen Interessen kollidierten, war es Christen erklärtermaßen gleichgültig, ob ein norwegischer Politiker nun N5Mitglied war oder die deutschen Besatzer verachtete. Die Folge war, dass sich der »Mikrokosmos Dienststelle« zu einem Ort entwickelte, an dem es zu einem bisweilen überraschend offenen politischen Austausch zwischen Norweger/ innen und Deutschen kommen konnte. Mehrfach erwähnt Christen die ihm gegenüber unverblümt vorgetragene Kritik an der deutschen Besatzungspolitik, an der Nasjonal Samling oder an deutschen Vorstellungen zum künftigen Verhältnis zwischen Norwegen und dem Deutschen ReichY All dies sollte aber keinesfalls darüber hinwegtäuschen, dass der Dienststellenleiter Heinrich Christen fest auf dem Boden der nationalsozialistischen Ideologie stand. Bei aller Pragmatik gingen die deutschen Besatzer hart gegen jeden Widerstand vor, ganz zu schweigen von ihrem kompromisslosen Vorgehen gegen die Norwegerinnen und Norweger, die sie als jüdisch definierten. Im Tagebuch finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass Heinrich Christen je an Adolf Hitler, den Grundsätzen der nationalsozialistischen Ideologie oder auch der deutschen »Berechtigung« zum Überfall auf seine Nachbarn gezweifelt hätte. Christens teils harsche Kritik blieb immer eine Kritik am »Wie«, nicht am »Ob«. Die breite Bevölkerung sollte von Nutzen und »Natürlichkeit« einer engen Allianz mit dem Deutschen Reich überzeugt werden. Die Dienststellen kon-

45 Tagebuch, 3.7.1941. 46 Tagebuch, 9.9.1941.

47 50 zum Beispiel vom jj;lkesmann von 50gn og Fjordane, 5eip, und vom Chefredakteur der Bergens Tidende, Fastings (Tagebuch, 5.6.1941).

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trollierten zu diesem Zweck Rundfunk, Presse und Kinos oder organisierten Ausstellungen und Theaterabende. Auch hierbei waren sie auf die Mitarbeit des 48 norwegischen Personals angewiesen. Zeitungsartikel und Propagandamaßnahmen wie die »V-Aktion« vom Juli 1941 waren lange primär gegen Großbritannien gerichtet.49 Wie die Deutschen feststellen mussten, war der Versuch, die Stimmungslage in diesem Sinne zu beeinflussen, gerade in den offenen, Übersee zugewandten Handelsstädten wie Bergen und Trondheim ein schwieriges Unterfangen. Zu eng waren die wirtschaftlichen und oft auch persönlichen Verbindungen nach Großbritannien. Interessant sind in diesem Kontext allerdings weniger Christens Tagebucheinträge über Konzert- und Theaterabende, an denen er vor allem das gesellige Zusammensein mit prominenten Künstlerinnen und Künstlern schätzte, oder jene über Hird-Aufmärsche, die eine gute Propaganda abgaben. Vielmehr ist es das Unausgesprochene in Christens Aufzeichnungen. Mit keinem Wort erwähnt Christen die Propagandaschaukästen, die seine Dienststelle in der Stadt aufstellen ließ. Texte und Bildmaterial wurden den Dienststellen dazu von der Hauptabteilung Volksaufklärung und Propaganda in Oslo zugesandt. In den auf Deutsch und Norwegisch verfassten Texten wurde nicht nur die deutschnorwegische Bruderschaft betont oder über aktuelle Kriegsereignisse berichtet. Das Material, das auch über Heinrich Christens Tisch ging, enthielt auch krasse antijüdische und antisowjetische Propaganda, in der von »Untermenschen«, »Tieren« und »jüdischen Brunnenvergiftern« geschrieben wurde.50 Ebenso wenig findet sich in Christens Tagebuch, das sich (jedenfalls im überlieferten Teil) nur auf die Zeit bis Januar 1943 erstreckt, jene Rede, die er am 8. März 1943 im Saal des Hotel Britannia in Trondheim hielt. Nur wenige Wochen nach Joseph Goebbels' berüchtigter Rede im Berliner Sportpalast beschwor Christen hier die Gefahren, die vom Bolschewismus bzw. den unter »jüdischem Einfluss« stehenden, »plutokratischen« Staaten Großbritannien und U5A ausgehen würden. Europa kämpfe um seine Existenz als Kulturkontinent. Die Überfälle Hitler-Deutschlands auf seine westlichen Nachbarländer und auf die Sowjetunion beschrieb Christen als Präventivkriege, bevor er an seine norwegischen und deutschen Zuhörer gerichtet anfügte: »Die gegenwärtige politische und militärische Lage ist derart, dass wir alles dafür tun müssen, um diesen Krieg so schnell und so radikal wie möglich zu Ende zu bringen, alle Kräfte müssen mobilisiert werden. Dies ist das totale Erwachen dieses Kontinents.« Schließlich beendete Christen seine Rede mit einem »Aufruf zum totalen Einsatz, bis der Sieg 48 Tagebuch, 16.7.1941. 49 Vgl. hierzu auch Christens Zeitungsinterview zum Ende seiner Zeit in Trondheim, dessen politische Teile vor allem gegen Großbritannien gerichtet waren: Dienststellenleiter Christen forlater Trondheim og drar til fronten, in: Adressavisen, 2.10.1943. Zu Christens V-Aktion vgl. auch: Maria Fritsche, Spaces ofEncounter. Relations between the Occupier and the Occupied in Norway during the Second World War, in: Socia! History 45 (2020), 3, S. 360-383, hier S. 373. 50 RA, RAFA-2174/Ed-LoI00, mappe 1.

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errungen ist«.5' In diesen Worten zeigt sich der radikale und politische Heinrich Christen, der im Tagebuch manchmal hinter den humorigen Schilderungen ausgedehnter Trinkgelage im Wehrmachtkasino zu verschwinden droht. Es ist dieser Heinrich Christen, der Norwegen ein halbes Jahr später verlassen sollte, um in den Reihen der 55 gegen die Sowjetunion ins Feld zu ziehen.

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Die Rede findet sich in norwegischer Sprache veröffentlicht in: Nord- Trrmdelag Inntr@ndelagen, 13.3-1943 (eigene Rückübersetzung ins Deutsche, S. G.).

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Heinrich Christen Tagebuch vom 10. März 1941 bis 17. Januar 1943

Editorische Vorbemerkung Das Tagebuch, das hier erstmals in der deutschen Originalfassung veröffentlicht wird, umfasst 184 lose, gelochte Blätter im DIN-A5-Format, die beidseitig beschrieben wurden, zu einem Drittel handschriftlich, ansonsten vom Autor selbst einzeilig auf einer Reiseschreibmaschine getippt, die er aber wohl nicht immer zur Hand hatte. Dass die Blätter in Blöcken oder Heften beschafft wurden, darauf verweist die Paginierung, die auf der Seite 65 mit I neu beginnt, wobei die alte Paginierung eine Zeitlang parallel weitergeführt wird - entweder vom Autor selbst oder der Person, die das Tagebuch nach dem Krieg verwahrte. Die ersten Blätter sind stark beschädigt, weshalb es bei deren Transkription anfangs kleine Lücken gibt, die durch Auslassungszeichen in eckigen Klammern kenntlich gemacht sind. Von diesen unleserlichen Stellen abgesehen wird das Tagebuch hier vollständig wiedergegeben. Gelegentliche handschriftliche Ergänzungen des Autors zu den maschinengeschriebenen Abschnitten sind im Transkript kursiv dargestellt. Das Tagebuch von Heinrich Christen stammt aus den frühen 1940er Jahren. Bei der Edition des Textes geht es nicht nur um die Inhalte des Geschriebenen, sondern auch um seine Form. Denn Christens Schreibweise (d. h. Ausdruck und Orthografie) enthalten ebenfalls Informationen, die bei der Edition nicht verloren gehen sollten. Deshalb bedarf es einer kurzen Erläuterung über die Entscheidungen, die der Bearbeitung des Textes zugrunde lagen. Norwegische Orts- und Personennamen sind von Christen meistens »eingedeutscht« worden. Wo seine Schreibweise von der norwegischen abweicht, wird diese bei der ersten Nennung des Namens in eckigen Klammern angefügt. Nach einiger Zeit erwarb Christen eine norwegische Schreibmaschine und benutzte fortan für norwegische Orts- und Personennamen oft die korrekte Schreibweise. Diese Maschine verfügte weder über Umlautzeichen noch über den Buchstaben »ß«. Allerdings benutzte Christen auch in seinen handschriftlichen Eintragungen niemals das »lange«, sondern nur das Doppel-»s«. Das ist im Transkript durchgehend korrigiert worden. In Orthografie und Interpunktion wurde nur sehr behutsam eingegriffen. Die historischen Rechtschreibregelungen (beruhend auf der deutschen Rechtschreibreform von 1903) weichen von heutigen Regeln insbesondere im Hinblick auf die Groß- und Kleinschreibung sowie die Zusammen- und Getrenntschreibung ab. Auch lassen sie gelegentlich Mehrfachregelungen zu. Die sich daraus ergebenden zahlreichen Abweichungen gegenüber der heutigen Schreibweise in Christens Tagebuch wurden nicht korrigiert, um den historischen Charakter der Quelle zu belassen. Hinzu kommen bestimmte sprachliche Eigenarten des Autors, die teilweise norddeutsch-hamburgisch sind (z. B. »denn« statt »dann«), sowie abweichende Schreibweisen, die offensichtlich bewusst und wiederholt verwendet werden, weil der Autor die korrekte Form entweder nicht kennt (z. B. durchgängig »Bismark«) oder aus anderen Gründen eine eigene 59

e» rfindet« (z. B. »Uboot«). Auch diese Abweichungen wurden als relevant für das Verständnis des Textes belassen. Nur in Ausnahmefällen wird explizit auf sie aufmerksam gemacht. Dagegen wurden offensichtliche Flüchtigkeits- oder Tippfehler kommentarlos korrigiert. Auch die Interpunktion wurde weitgehend beibehalten, Änderungen (in eckigen Klammern) nur dort vorgenommen, wo dies im Interesse der Lesbarkeit notwendig schien. Die Fußnoten bieten nur die wichtigsten Erläuterungen zu Personen, Orten und Ereignissen. Auf Hinweise zur Sekundärliteratur wurde weitgehend verzichtet, sie finden sich in den kommentierenden Aufsätzen, die das Tagebuch »einrahmen« . Dorothee Wierling

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Tagebuch [1] Bergen, den IO. 3. 1941

Die Sonne lacht heute vom Himmel, wie es eigentlich garnicht zu Bergen passt. Der Frühling meldet sich an. Gestern [... ] sogar schon [... ] ein Falter, doch er wird sich kaum lange seines Daseins gefreut haben, denn die Nächte sind noch erheblich kalt. Aber irgendwie liegt es doch in der Luft, das Grünen und Blühen, die Wälder (?) [ ] das ewige We [... ] der Natur. Noch liegt [... ] der Schnee, aber [... ] genug [ ] laufen. [... ] [1r] [Rückseite] am schönsten. So schien es mir, als ich heute Mittag am Solstrand zu den Hardanger Bergen [Hardangervidda] hinüber sah. Nun sitze ich wieder in meinem Arbeitszimmer. Es ist wirklich so nett, dass die Bezeichnung »Arbeitszimmer« [... ] Vor mir ein Gläschen Grand Marnier Cordon Rouge (ein vorzügliches Tröpfchen) und in der linken Hand eine echte Habana und höre halb und schreibe halb. Aus meinem Telefunken ertönt das »Wunschkonzert« ... Daheim [... ] [2] Gerade in diesem Augenblick ertönt es »komm zurück«! Und ich weiß zur selben Zeit werden die Gedanken meines Frauchens hinauf zu mir nach Bergen wandern »Ich warte auf dich« [... ] Solange bis dieser Kampf mit dem Sieg unseres Vaterlandes geendet hat, muss ich die mir gestellte Aufgabe erfüllen, immer eingedenk der Tatsache, dass [... ]. Fast IO Monate bin ich nun schon in diesem wunderschönen Land. Bald, am 25. 4., sind es 12 Monate, dass ich bei Oslo auf dem Flugplatz [2r] Fornebu landete. Noch tobten die Kämpfe um Oslo. Wie skeptisch, ja pessimistisch war General Falkenhorst' in der ersten Besprechung, und dann vollzog sich das Wunder, das 2 sicher größte Steigerung in Narvik fand. Jeden Morgen hörten und sahen wir die Transportmaschinen, die nach Narvik flogen um Verstärkung, Lebensmittel und Munition der tapferen Truppe um General Dietl zu bringen. Doch inzwischen wurde ich nach Bergen geschickt. Wie ungern verließ ich den Storting [Stortinget]3 und unser kleines Häuschen »Himmelkoje«, in welchem Carlo Otte4,

Paul Nikolaus von Falkenhorst, 1885-1968, Oberbefehlshaber der Wehrmacht im besetzten Norwegen. 2 Die Schlacht um Narvik vom Juni 1940 gilt als entscheidend für das Ende des militärischen Widerstandes gegen die Besetzung Norwegens. Narvik, eine kleine Stadt nördlich des Polarkreises, war sowohl aus militärischen wie aus ökonomischen Gründen von strategischer Bedeutung für die deutschen Besatzer. 3 Der Storting ist das norwegische Parlament. Gemeint ist hier das gleichnamige Parlamentsgebäude in Oslo. 4 Karolus (Carlo) Otte (1908-1980) war der einflussreiche Leiter der Hauptabteilung Volkswirtschaft im Reichskommissariat (RK). Er stammte aus Hamburg, wo er zuletzt »Wirtschaftssenator« war, nachdem er zuvor als Gauwirtschaftsberater die »Arisierung« der Hamburger Wirtschaft organisiert hatte. Otte war ein Förderer von Christen, der ihm den Posten in Bergen verdankte. I

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[IJ BERGEN, DEN 10. 3. 1941

Elimar de Vries5 und ich unser spärliches Privatleben führten. Am 15. 5. 41 [sic; gemeint ist 1940] flogen [3] wir nach Stavanger. Am 16. abends gingen wir mit 4 Mann an Bord der M I, dem berühmten Minensucher vom Ritterkreuzträger Ka6 leu Bartels. Eine wundervolle Fahrt in der hellen Nacht und doch waren wir froh, wieder herunter zu sein, als wir hörten, dass wir treu und brav über ein Minenfeld »gerutscht« waren und hinter uns auch der Munitionsdampfer »Clara«. Dann begann »unsere« Arbeit! Schon einmal hatte ich einen Dienstapparat mit aufgebaut. [... ] und verstaubt war der Storting in Oslo, als wir hineinzogen. Da musste erst einmal die Handarbeit beginnen[,] Ärmel hoch und dann Pulte geschoben. Tische [3r] gerückt, Akten sortiert und schließlich war die Form gefunden. Dann ging es an den Inhalt! Es war also fast schon gewohnte Arbeit, die nun auch in Bergen verrichtet werden musste. Fast II Monate sind seitdem verflossen - für wahr eine sehr interessante Zeit. Da war der IO. Juni, als engl. Bomber die Altstadt Nordnes7 in Brand warfen. 200 Häuser mussten daran glauben. Oslo war längst Etappe geworden, aber Bergen ist eigentlich bis heute noch Front. Nun bin ich seit gut 2 Monaten Leiter der Dienststelle Bergen - und wenn ich an all' das zurückdenke, was sich [4] in der verflossenen Zeit ereignete - interessantes, schönes, schlechtes, aufregendes, - so bereue ich doch, nicht alles zu Papier gebracht zu haben. Zu schnell vergisst doch der Mensch alles, und die, die nach uns kommen, haben ein Recht darauf, Alles zu erfahren[,] Alles zu lesen und zu wissen, um stolz zu sein auf ihre Väter, ihre Ahnen, die einstmals mithalfen[,] das großdeutsche Reich zu bauen, um ihrerseits zu spüren und zu ahnen, welche Verpflichtung sie in die kommenden Jahrhunderte mit hineintragen. Wir jedenfalls, die wir heute noch jung, noch [4r] tatenfroh sind, wir wissen, dass wir Zeugen der größten Epoche der deutschen Geschichte sind, ja, dass wir Mithelfer und Gestalter der großen Zukunft unseres Vaterlandes sein dürfen. Aus diesem Grunde will ich alter Faulpelz in Bezug auf das Schreiben von jetzt ab die täglichen Ereignisse hier in diesem Büchlein verzeichnen. Ich widme diese Zeilen meinen Kindern JörnHinrich (Häsi) und Margit (Peterle), für die der Vati nur noch ein fernes Phantom irgendwo in Norwegen ist. Als ordnungsliebender Verwaltungsmann rekapituliere ich nun vom 1. März 1940 [sic; gemeint ist 1941]. HChristen [5]

5 Elimar de Vries war Leiter der Allgemeinen Abteilung der Hauptabteilung Wirtschaft im RK. 6 Kapitänleutnant Hans Bartels (1910-1945) war zu diesem Zeitpunkt Kommandeur des Minensuchboots MI. Am 27. Mai 1940 wurde Bartels Kommandeur des Küstensicherungsverbands Norwegische Westküste beim Stab des Admirals Norwegische Westküste und in Bergen stationiert. 7 Nordnes, auf einer gleichnamigen Halbinsel im Stadtzentrum gelegen, ist der älteste Stadtteil von Bergen.

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2.

MARZ

1941

1.

März

1941 8

Heute und morgen findet der große Hird-Aufmarsch statt. Um der Adju[tant] des Reichskommissars Major Massmann ein.

II.OO

Uhr trifft

12.00

Major Massmann ist gerade noch rechtzeitig in meinem Dienstgebäude eingetroffen, um an der Besprechung mit dem Politimester Peterssen [Pederssen]9, Polizeichef Lange und dem Hauptmann Vogel, Kommandeur der deutschen Polizei teilzunehmen. Die Sicherungsmaßnahmen für den Hirdaufmarsch am Sonnabend werden durchgesprochen. 19.00

Einladung zum Abendessen bei General Tittel [Sr] Das Essen fand statt zu Ehren des 3. Senats des Reichskriegsgerichts, der gerade IO Todesurteile und diverse Freiheitsstrafen gefällt hatte. Um V2II verabschiede ich mich, um mit Massmann und den diversen norw. Polizeioff. noch im Hotel Norge" zu feiern. --- Eine sehr nette Nacht! Der Bergenser Politimester Peterssen benimmt sich ziemlich vorbei. Im Bristol, das wir nachts um Y2 3 noch aufsuchen[,] tagt noch der »Fischmehl« Verein. Der Rechtsanwalt dieser ehrenwerten Gesellschaft sagt mir: »Ich hasse Sie als Deutschen, und ich freue mich, dass mein Sohn [6] gegen Sie kämpft.» Auf meine freundliche Antwort[,] »ich hätte noch nie ein so nettes Kompliment erhalten«, behauptet er ganz verstört, dass ich ihm persönlich sehr I2 sympathisch bin. Der Direktor des Norges Sildesaigslag Herr Kaarbö [Karb0] ladet mich sogar zum Essen am nächsten Tag ein, trotzdem ich ihm einige Tage vorher angedroht hatte, ihn einzusperren, wenn er sich nicht an meine Weisungen hielte. Um 6 Uhr früh kam ich endlich ins Bett. IO



2.

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1941

IO·30

Ich muss leider aufstehen, denn Staatsrat [6r] Lunde3 will um in der Dienststelle einen Besuch machen.

II.OO

Uhr bei mir

II.15

Staatsrat Lunde kommt mit Herrn Sielen vom RK. Lunde ist ein sehr intelligenter Mann - Type Goebbels. Er hat auch das gleiche Metier - Kultur und Pro-

8

Der Hird [HirdenJ war die paramilitärische Organisation der norwegischen Nasjonal Samling (vgl. Fußnote 14) und der SA vergleichbar. Vgl. https:llwww.bergenbyarkiv. no/bergenbyleksikon/arkiv714317264 [5-4·2021J. 9 »Polizei meister« der norwegischen Polizei. 10 Herrmann Tittel (1888-1959) war Kommandeur der 69. Infanterie-Division, die als Besatzungstruppe in Bergen stationiert war. II Hotel Norge Bergen, erstes Hotel am Platze, in unmittelbarer Nähe der Dienststelle. 12 Norwegischer Fischhandelsverband. 13 Gulbrand Lunde, Staatsrat und später Minister für Propaganda und Kultur in der Quisling-Regierung. Er starb am 26. Oktober 1942 bei einem Autounfall.

3.

..

MARZ

1941

paganda. Es ist der zweite norweg. Staatsrat, der mir einen Höflichkeitsbesuch abstattet. 12.00

Der Aufmarsch der Hird auf dem Festplatz hat begonnen. Die Parole der Bergenser, »aus der Stadt herauszugehen[«], ist nicht ganz befolgt worden. Der Bergenser ist doch zu neugierig - er muss dabei sein. Aufmarsch [7] tadellos. Man wird so lebhaft an die ersten Aufmärsche in der Kampfzeit erinnert. Dies ist der 1. Aufmarsch der jungen Nasjonal Samling.14 Ca IIOO Mann marschieren - und dies Ereignis dürfte ungefähr dem 1. 5A Aufmarsch in Nürnberg entsprechen. Hoffnungslos erscheint das Bestreben dieser Bewegung. Noch nicht einmal IO % der Bevölkerung steht hinter ihnen. Und doch tragen sie Norwegens Zukunft. Es wird allerdings ein sehr harter, dornenreicher Weg sein, den sie zurücklegen müssen. Noch ist ihr Ziel stark verschwommen. Sie scharen sich um Quisling, dem Landesverrat von Seiten seiner [7r] Gegner vorgeworfen wird. Quisling spielt ein »vabanque« Spiel! Er gleicht einem deutschen Offizier, der gegen einen Befehl ein Unternehmen durchführt. Gelingt es, bekommt er das EKr, misslingt es, kommt er vor das Kriegsgericht. In diesem Fall hängt das Gelingen allerdings allein vom deutschen Sieg ab. Erst dann ist er der Mann, der alles voraussah - bis dahin muss er sich Verräter schimpfen lassen. Es ist etwas Kindliches um dieses Auftreten der Hird. Ein Volk, dass Jahrhunderte keinen Krieg gekannt hatte, ja, das der Prototype des Individualismus ist, versucht sich in »soldatischer Haltung«. Für [8] unsere deutschen Augen ist das Schauspiel etwas kläglich - für norwegische Verhältnisse bedeutet es sehr viel. Der Chef der Hird [Hirden], Saether [Sa::ther]15[,]spricht über Norwegens Freiheit, über die Einfügung Norges in das großgermanische Reich. Abends in der Kundgebung im Konzertpalast spricht Staatsrat Lunde. Norwegens Freiheit ist der Grundton aller Reden, und man ist versucht, eine Definition des Wortes »Freiheit« zu geben. Eines steht jedenfalls fest, diese Freiheit sieht anders aus, als die meisten Norweger es sich vorstellen. Alles verläuft ruhig und [8r] N. S. und die Hird können mit dem Tag zufrieden sein. Um 22.00 fahren die Sonderzüge nach Oslo und Drammen wieder ab.

3. März 1941 Uhr. Es erscheint eine Deputation der Stadt Bergen und der Provinz Hordaland, Regierungspräsident Lindebrekke [Lindebra::kke], Oberbürgermeister Stensa16 ker, Kämmerer 0lsen und diverse Herren von der Bergenske Dampskipsel9.00

14 Die Nasjonal Samling (Nationale Sammlung, gegründet 1933) war die norwegische faschistische Partei, der Vidkun Quisling (1887-1945) als »F0rer« (Führer) vorstand. Wenn Christen von »N. S.« schreibt, ist die Nasjonal Samling gemeint. 15 Orvar Kristoffer Sa:ther (1904-1991). 16 Die Provinz Hordaland gehörte zur Dienststelle Bergen. Gjert Lindebra:kke (18791960) war der dort zuständige »Fylkesmann« [FylkesmannenJ (Landrat, auch Gebietsrat), was Christen als Regierungspräsident übersetzt, aber eine von der deutschen Be-

5.

..

MARZ 1941

skap 7 [Det Bergenske Dampskibsselskab]. Die deutsche Marine hat ein großes Areal in Laksevaag [Laksevag] in »Anspruch« genommen, welches die Grundstücke von der Bergenske und der Laksevaag Werft umfasst. Wie mir schon vorher [9] bekannt, soll hier eine große Reparaturwerkstatt für U-Boote entstehen. Ich vertröste die Herren und verspreche, mich für einen anderen Platz für das Marine Bauvorhaben einzusetzen. Es ist allerdings wenig Aussicht, da die schon vorhandenen Maschinen mitgebraucht werden sollen. I

20.00

Ich halte vor dem Offizierskorps der Luftwaffe einen Vortrag über das deutschnorweg. Verhältnis. Vortrag wird mit Beifall aufgenommen.

4. März

1941

13.30

Auf Wunsch des Landesführers Prof. Dr. Wust von [9r] der Berliner Universität habe ich diesen und den Prof. Helland-Hansen zum Mittagessen eingeladen. Prof. Helland-Hansen ist der z. Zt. berühmteste Meeres-Forscher der Welt. Es gelingt mir, Prof. Helland-Hansen für eine deutsch-norweg. Zusammenarbeit I8 zu gewinnen. 20.00 Uhr Nach einem großen Durcheinander steigt der Kameradschaftsabend mit der Besatzung des Torpedobootes Zack. Die Truppe »Eisbrecher« versagt vollkommen. Anschließend »Nacht-Cocktail« auf der »Westwärts« 19. Kaleu Bartels schwelgt in Beethoven. Um 3.00 Uhr schließlich Aufbruch. - Alles in Allem eine [mickrige?] Angelegenheit. [10]

5. März 1941 13.30 Uhr

Essen mit Konsul Halvorsen. Dieser gute Norweger entpuppt sich mehr und mehr als ein guter und begeisterter Deutschlandfreund. 20

satzung abhängige Verwaltungsposition darstellte. Ähnlich handelt es sich bei Asbj0rn Stensaker (1885-1959) nicht wirklich um den Oberbürgermeister von Bergen, sondern um den »Ordf0rer« (Bürgermeister), der ebenfalls im Sinne der deutschen Besatzung zu handeln hatte. Stensaker, Mitglied der Konservativen Partei, war seit 1935 Bürgermeister von Bergen gewesen und wurde unter der Besatzung in dieser Funktion zunächst bestätigt. 17 Bergenser Dampfschiffreederei. 18 Prof. Bj0rn Helland-Hansen (1877-1957). 19 Eigentlich das norwegische Segelschulschiff »Statsraad Lehmkuhk das von der Kriegsmarine requiriert, als Depot- und Wohnschiff verwendet und in »Westwärts« umbenannt wurde. 20 Thorvald Halvorsen (1877-1950) war einer der wichtigsten Reeder in Bergen, der auch schon vor der Besatzung ausgezeichnete Beziehungen zu NS-Deutschland unterhielt.

9.

••

MARZ 1941

6. März 1941 9.30 Uhr Besprechung mit Regierungspräsident Lindebrekke. Der Oberbürgermeister Stensaker will zurücktreten, weil N. S. die gesamten Vertreter in der Stadtverordneten-Versammlung stellen will. Ich erkläre L., dass die Forderung von N. S. übertrieben ist. Es wäre wohl richtig, dass N. S. die gute Majorität bekämen, darüber hinaus aber sollen jene Männer [10r] diesem Gremium erhalten bleiben[,] die über eine langjährige kommunale Erfahrung verfügen. Im Übrigen gäbe es keinen Rücktritt oder dergleichen mehr. Jeder hätte auf seinem Posten auszuhalten. 20.30 Hauptmann Olaf berichtet mir unter »streng geheim«, die Engländer wären heute Morgen auf den Lofoten gelandet. Morgen früh sollen Aufklärer und nachmittags Stukas eingesetzt werden.

7. März 1941 Korv. Kapt. Schrumpf verspricht mir 2 Packen Bücher, bliothek der Dienststelle haben möchte.

die ich für eine

[11]

Bi-

8. März 1941 Es treffen die zwei Packen Bücher ein, die mit ca IOO Büchern die Basis für eine Bücherei der Dienststelle abgeben. Die Pg. Marrelberg [?] und Dr. Lofreier haben mir große Mengen von Büchern versprochen, die hoffentlich auch an21 kommen werden. Herr Major Wassermann lässt über Frl. Zeininger bestellen, dass der Reichskommissar mit der Arbeit der Dienststelle Bergen sehr zufrieden ist, und beabsichtigt, Ende Mai oder Anfang [11 r] April Bergen zu besuchen. 21.00 22 Hauptmann Sonsalla hat Langeweile! Essen mit ihm im Norge.

9. März 1941 14.30 Abschiedskaffeetrinken ! Herr Reg. Insp. Ludat verlässt Bergen, um in Oslo einen neuen Einsatz zu finden. 2 Flaschen Cognac und 2 Flaschen Liqueur werden restlos geleert. Ludat erhält zur Erinnerung ein Album mit Bildern vom Westlandet. Der Abschied wird ihm sichtlich schwer. 17.00 Uhr Besichtigung eines Hauses Kalvedalsveien 47a. [12] Das Haus hat 9 Zimmer[,] ist glänzend geeignet für die verlangten Zwecke. Ich vereinbare den Einzug 21 22

66

»Frl.« Liane Zeininger war Sachbearbeiterin Fliegerhorstkommandant in Bergen.

in der Dienststelle Bergen.

.. 11. MARZ

1941

zum 1. April 1941. Damit hätte ich meine vierte Unterkunft in Bergen gewählt. Anfangs wohnte ich 4 Wochen im Hotel Norge, dann 4 Monate in Fjösanger [Fj0sanger] auf Cecilienhaug (Christensen), dann 3 V2Monate in Krakeness [Krikenes] - und jetzt schon 6 Wochen wieder im Norge.

IO.

März

1941

IO.OO

Es klingelt das Telephon. Hptm. Sonsalla meldet, dass in einer Stunde ein Fie2 seler Storch ) in Nesstun [Nesttun] [12r] landen wird. Ich sage zu, zwei seiner Kameraden mit zum Landeplatz zu nehmen. 13.00

Ich fahre seit 3 Monaten zum ersten Mal wieder zum Solstrand. Die Sonne brennt fabelhaft[.] 16.00

Das Wunschkonzert lässt die Gedanken wieder heimwärts wandern. Ich denke an meinen Jungen, an das kleine Mädchen und stelle mir vor, wie sie in ihrem Spielzimmer am Winterhuderquai wieder den üblichen Krach machen, unbekümmert ob der Kriegszeit! Heute soll ein neuer [13] Mitarbeiter angekommen sein, Herr Studien-Assessor Hamann. Hoffentlich ein guter Kamerad!

H.

März

1941

Eigentlich ist heute erst der IO. März, denn der Bericht zum 9. gehörte zum 8.3. und der vom IO. zum 9. 3. Da aber am IO. 3. außer dem Besuch des Herrn Kölln aus Oslo nichts Sonderliches passierte[,] soll hier wirklich der Verlauf des H. 3. berichtet werden. 12.00

Der Oberbürgermeister erscheint. Es bestehen Differenzen zwischen ihm und der N. S. bezüglich der Besetzung des Stadtrates. N. S. will alle 29 Sitze mit eigenen Mitgliedern be- [13r] setzen, während der Oberbürgermeister und der Regierungspräsident Lindebrekke der N. S. nur 14 Sitze zubilligen wollen. Ich schlage vor, die Gesamtzahl auf 42 zu erhöhen und 28 N. S. und 14 vom Oberbürgermeister zu benennende Personen zu nehmen. Ich glaube, der Oberbürgerm. wird diesen Kompromiss schlucken und N. S. - muss ihn schlucken, denn von ihren Männern hat keiner kommunale Erfahrung. So wird ihr ja Gelegenheit gegeben, diese zu erwerben, um dann später selbst die Führung zu übernehmen. Ich komme mir immer etwas »komisch« vor, wenn ich mich mit meinen z. Zt. noch 31 Jahren als »lebenserfahrener Schiedsrichter« und Mittler betätigen muss. [14] Aber erst jetzt in diesem Kriegs- und Auslandseinsatz 23 Fieseler Fi 156, wegen seiner hohen »Beine« Fieseler Storch genannt, war ein einmotoriges Kleinflugzeug, das von den Fieseler-Werken in Kassel hergestellt wurde.

13.

••

MARZ

1941

merkt man, welch gewaltiges politisches Rüstzeug sich meine Generation in den vergangenen Jahren angeeignet hat, während diese norweg. Menschen trotz ihres meist höheren Lebensalters sich wie die politischen Kinder benehmen.

12. März 41

Hurra, ich habe Post aus der Heimat. Frauchen, Frl. Prinz, Rathje, Rothfos und C. C. F. Meyer24 haben geschrieben. Halt, auch Mutz Wedekind [?], sie gratuliert schon zum 18. In meinem Gärtchen in Hamburg blühte am 4. 3. schon ein Krokos [sic], bestaunt und geliebt von dem Rest [14r] derer von Christen. Wie schade, dass nun auch das zweite Jahr des Blühens und Grünens in meinem Garten ohne mich vorübergehen wird. In »schwachen« Minuten stelle ich mir schon mal vor: unsere sonnenumglühte Veranda, blühende Forsythien, Tulpen, Narzissen, Krokosse, auf dem mit Marmelblümchen durchsäten Rasen spielen meine zwei Rangen. Wie gesagt, .... in schwachen Minuten! --II·30

Der Reichskommissar Terboven25 ruft an und erkundigt sich nach der Planung für den Heldengedenktag am 16. 3. Ich berichte ihm, dass bei der Kranzniederlegung zuerst die Vertreter der 3 Wehrmachtsteile einen [15] Kranz niederlegen, dann ich in seiner Vertretung, dann der Standortälteste, der Kommandeur SD 26 & Sp etc. Im weiteren Gespräch stimmt der RK meiner Auffassung über die zukünftige Besetzung des Stadtrates zu.

13. März

1941

9.15 Hauptsturmführer Dr. Schäfer, der bekannte Leiter diverser Tibetexpeditio27 nen[,] ist eingetroffen. Er spricht um 17.00 in meinem Vortragssaal vor Wehrmacht, Polizei, SD und den Angehörigen meiner Dienststelle. 24 Frl. Prinz war seine Angestellte in der Hamburger Firma, Heinrich Rathje war ein Hamburger Kaffeemakler, der über eine »Arisierung« die Firma Königsberger übernommen hatte, Bernhard Rothfos war Kaffee-Importeur und von den Nationalsozialisten eingesetzter »Führer« des dem Namen nach noch immer existierenden ),vereins der am Kaffeehandel beteiligten Firmen« in Hamburg. C. C. Fritz Meyer kam ebenfalls aus dem Kaffeehandel, saß als NSDAP-Mitglied seit 1931 in der Hamburgischen Bürgerschaft und war von 1933 bis 1936 Gauwirtschaftsberater von Hamburg. 1941 war er Staatsrat in der Hamburgischen NS-Regierung. 25 JosefTerboven (1898-1945). Als sogenannter Reichskommissar höchste Autorität in der Besatzung Norwegens. 26 Kommandiert wurden der Sicherheitsdienst (SD) der SS und die Sicherheitspolizei in Bergen zwischen April 1940 und Oktober 1941 von Sturmbannführer Gerhard Flesch. 27 Ernst Schäfer (1910-1992) war Mitglied der SS und des »Freundeskreises Reichsführer SS«. 1943 gründete er das »Sven Hedin-Reichsinstitut für Innerasien und Expeditionen« in München. Für seine Experimente nutzte er auch Skelette von KZ-Häftlingen. Während der Nürnberger Prozesse trat er als Zeuge auf.

68

15.

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MARZ

41

12.00

Fliegeralarm -lange nicht mehr dagewesen - wird auch bald wieder ab- [15r] geblasen. Ltnt. Dr. Baumeister kommt und bittet mich im Auftrag des Generals zu einem Vortrag vor dem Offizierskorps des Generals & des Admirals - nur kleinerer Kreis - ca 30 Mann. 14.00 28

Mittagessen mit Dr. Schäfer, Stubaf Flesch , Lt. Dr. Baumeister (IC29 der Division) und dem Vertreter des Stadtkommandanten. 17.00 Vortrag Dr. Schäfer über die letzte Tibetexpedition 1938/39 mit wundervollen Farbaufnahmen. Anschließend Abendessen im Norge. Schäfer weiß sehr viel Interessantes über die japanisch-chinesischen Differenzen und sieht im Thailand (Siam) Erfolg im Konflikt mit Indochina einen neuen [16] Sieg der Achse, da nunmehr japanische Truppen das Durchzugsrecht durch Thailand besitzen und demgemäß Singapore vom Lande aus angreifen können.

14. März 41

Endlich mal wieder etwas Ruhe, um diktieren zu können und die Organisation der Dienststelle weiter ausbauen zu können. 8 Monate lang sind die primitivsten Dinge vernachlässigt worden. Heute habe ich nun wieder zwei Erlasse herausgegeben, eine neue und anständige Unterkunfts regelung sowie die Einführung von weißen Arbeitskitteln für die Mädchen. Beides wurde sehr begrüßt. [16r]

15. März

41

Heute zieht das Polizei Bataillon aus dem Dienstgebäude aus. Ich stifte den Männern noch 6 Tonnen Bier, die ich immer noch stehen habe. Nunmehr kann ich auch meine Wirtschaftsabteilung auf mein Stockwerk herunternehmen. Damit ist dann auch äußerlich der Umbau der Dienststelle abgeschlossen. 30 Von Hillegaart höre ich, dass gestern der 5000 to Dampfer »Thoma« u. a. mit IO.OOO to Salzheringen 2 Stunden von Bergen entfernt torpediert worden ist. Vorgestern erst ist ein 8000 to an meiner nördl. »Landesgrenze« torpediert 28 Sturmbannführer Gerhard Flesch (1909-1948) war 1940!I941 der Chef der Sicherheitspolizei und des SD in Bergen. Im Herbst 1941 wurde er nach Trondheim versetzt, wo Christen ihn wiedertraf. Nach dem Krieg wurde Flesch in Norwegen wegen des Befehls zur Ermordung von drei jüdischen KZ-Häftlingen zum Tode verurteilt und 1948 hingerichtet. Vgl. zu Flesch den Beitrag von Bjarte Bruland in diesem Band. 29 Das Kürzel lC stand in der Wehrmacht für den Dritten Generalstabsoffizier. 30 Es könnte sich um den Wirtschaftswissenschaftler und späteren Diplomaten Dr. Heinz Hillegaart (19II-1975) handeln, der 1975 in Stockholm von der »Roten Armee Fraktion« bei der Besetzung der westdeutschen Botschaft erschossen wurde. Dieser Hillegaart schrieb 1942 eine Abhandlung über »Die Struktur und Bedeutung der Heringsfischerei«. In seinem Wikipedia-Eintrag heißt es lediglich, er sei »1940 und 1941 in Kriegsdiensten« gewesen.

.. 17. MARZ 41 worden. Die Tommies werden doch höllisch sich !!!- [17]

aktiv - und die Norskes freuen

16. März 41 8.00

Assessor Busch ruft aus Odda an. Für einen Samstag sitze ich eigentlich viel zu früh beim Kaffeetrinken. 8.50 Der General, Admiral sowie sämtl. höheren Offiziere sind auf dem Friedhof vor den Gräbern deutscher Gefallener versammelt. Ich lege hinter den Vertretern der 3 Wehrmachtsteile im Auftrag des R. K. einen Kranz nieder. Anschließend großer Aufmarsch von Truppen sämtlicher Wehrmachtsteile auf dem Festplatz vor dem Michelsen Denkmal. Der Standortälteste Kapt. Strasser (Seekommandant[)] möchte, dass ich mit dem Admiral & General die Front abschreite. Ich lehne dankend ab, nicht aus Schüchternheit, sondern [17r] weil ich mir in Zivil dabei etwas »komisch« vorkomme. Nach der Feierlichkeit findet eine Parade statt. Alles in Allem eine ausgezeichnete Propaganda für uns, die den Norskes in Anbetracht ihrer derzeitigen Stimmung gut tun wird.

17. März 41

Die Presse bringt ganz groß Aufnahmen und Berichte vom gestrigen Heldengedenktag. Es erscheint ein Pg. Beier von der A. O,JI Die Wehrmacht bringt zusammen mit der A. O. am Sonnabend eine große Veranstaltung heraus, die über sämtliche deutschen Sender gehen soll. [18] Von Ludat erhalte ich aus Oslo einen Brief, in dem er mir vertraulich mitteilt, dass die ehrenwerten Herren Verwaltungsbeamten sich z. Zt. in Oslo den Kopf darüber zerbrechen, ob ein Nichtbeamter - damit bin ich gemeint - eine Dienststelle leiten darf und kann. In diesem Zusammenhang sei auch erörtert worden[,] mich evt. nach Berlin als Leiter der Wirtschaftsabteilung bei der Verbindungsstelle abzukommandieren. Diese Herren haben wirklich Sorgen. Einen Anlass haben sie allerdings, nämlich die etwas peinliche Feststellung, dass ein Nichtbeamter - 0 wenn sie wüssten, dass ich nicht einmal akademisch vorgebildet bin oder [18r] nicht mal das Abitur habe - diese Dienststelle bisher besser und zweckmäßiger geführt hat als seine p. p. »Verwaltungsbeamten-Vorgänger[«]. Dass Krieg ist, scheint völlig Nebensache zu sein, die Hauptsache ist, dass die § und zigtausend Dienstvorschriften genau eingehalten werden. Und sowas läuft noch frei herum und wird vom Volk bezahlt! - Glücklicherweise kenne ich meine augenblickliche Beurteilung durch den Reichskommissar, und das genügt mir. Abends sitze ich noch mit Assessor Busch aus Oslo zusammen, der sehr interessant über das Durcheinander in Oslo berichtet. [19] 31 Auslandsorganisation der NSDAP.

18. März 41

Der erste Geburtstag, den ich fern der Heimat verbringe, dabei war es jedoch nicht der schlechteste. Ich habe viel Freude an diesem Tag erlebt. Morgens bekam ich erstens einen wundervollen Blumenstrauß, schenkte mir meine Gefolgschaft eine große Silberplatte mit netter Widmung. Ich habe mich hierzu um so mehr gefreut, als ich darin den Beweis sehe, dass es mir in den verg. 2 Monaten gelungen ist[,J den vorher etwas wirren Haufen zu einer anständigen Kameradschaft zusammenzuschweißen. Bei der am Nachmittag stattgefundenen Kaffeetafel kam das auch mit Worten des Kanzlers Müller und einem Lied der Norweger innerhalb [19r] meiner Gefolgschaft sehr nett zum weiteren Ausdruck. Anschließend an das Kaffeetrinken erschienen noch unerwartet StubafFlesch mit Adju[tantJ Charly und Hptm. Sonsalla zum Gratulieren. Sie brachten einen alten Zinnteller (1675), ein Tischfeuerzeug und ein Lederalbum mit Photos mit. Diese überraschende Entwicklung des Tages brachte mich doch über das allzuviele Denken an die Heimat mit Frau und Kinderchen hinweg. Und doch[,J wie oft hab' ich mir den Ablauf daheim am Winterhuderquai vorgestellt, angefangen mit Häsi & Peterle - wie sie morgens bedächtig in das Schlafzimmer he32 reinkommen. Lotti hat ihnen [20] nochmals eingeschärft, was sie sagen sollen. In den Händen halten sie Blümchen. Und dann plappern die kleinen Mäulchen ihre Sprüchlein herunter, um im selben Augenblick zu überlegen, wo sie nun wieder Unfug anrichten können oder sich auf und in die Betten zu stürzen. Ob Gerda sich wohl vorstellen kann, wie schwer es wird, die Kinder entbehren zu müssen, nicht dabei sein zu können in dieser Zeit der raschen Entwicklung? Und dann das Kaffeetrinken mit Frauchen, das Bestaunen der Geschenke; den Besuch am Nachmittag, den Freundeskreis am Abend! An solchen Tagen spürt man doch besonders deutlich [20r] diese durch den Krieg bedingte Trennung. Alles erscheint so rosig und schön, was daheim war und ist und es wächst die Sehnsucht nach den Lieben in Hamburg. Bitter ist es dann, wenn man weiß - auf Urlaub geht's noch lange nicht. Ich werde jedenfalls noch etwas warten mit der Mitteilung, dass vorerst jeder Urlaub, d. h. auch zu Ostern gesperrt ist. Die Enttäuschung würde für Gerda zu groß sein. Und ich fühle, dass diese Hoffnung auf mein Kommen ihr eine sehr notwendige Kraft gibt. Sie erscheint mir z. Zt. etwas reichlich durcheinander. Ihre Briefe drücken so viel Unbefriedigung aus. Auch die Päckchen heute Morgen haben [21] mich nicht ganz zufrieden gestellt. Kein Brief dazu - nichts von den Kinderchen. Sie muss doch eigentlich fühlen, wie sehr ich auf jede Äußerung dieser beiden Kleinen warte und doch habe ich seit Anfang Januar nichts darüber gehört.

32

Bei Lotti handelt es sich um das Hausmädchen.

71

23.

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41

19. März 41 Es erscheinen Kapt. Strasser, Standortältester & Seekommandant, Kapt. Dietrich LA. des Admirals[,] um zu gratulieren. Auch der Ritterkreuzträger Kaleu Bartels ruft an und gratuliert. Dieser Geburtstag hat sich anscheinend herumgesprochen. Thote33 ruft aus Oslo an und gratuliert. Nur die guten Hamburger [21 r] Freunde in Oslo denken nicht daran. Und dann bringt die Post das langerwartete Schreiben von Frauchen, das bis auf: »die Kinder lassen herzlich grüßen« sehr lieb ist. Auch der gute, alte Jürgen34 schreibt - revolutionär, wie • Immer.

23. März 41 Gestern war wieder ein aufregender Tag. Um 15.00 Große Wehrmachtsveranstaltung im Konzertpalast in Zusammenarbeit mit der A. O. unter dem Motto: »Blutsfeier der Heimat«. Ich hatte eine pers. Einladung von General Tittel erhalten. In meiner Dienststelle sucht mich P.G. Krüger, ein alter Bekannter der A. O. [22] auf. P. G. Krüger, jetzt stellv. Leiter des Propagandaamtes Ausland, ist mir von meiner Tätigkeit als Redner der A. O. bekannt. Ich sage ihm, dass ich eigentlich schlecht auf die A. O. zu sprechen bin, da sie es bis heute nicht für nötig befunden hätte, mir für meinen ehrenamtlichen Rednereinsatz in Mittel und Südamerika zu danken. Er bedauert das und berichtet, dass ich noch kürzlich namentlich in einem Bericht an Minister Goebbels erwähnt wurde. - Auch ein Trost! Ob ich am 1. Mai in Schweden sprechen will? Das wird wohl kaum möglich sein! Abends 20.00 stieg dann mein großer Empfang im Gesellschaftssaal meiner [22r] Dienststelle. Es erschienen u. a. Admiral von Schrader, General Tittel, Oberst Graf Stolberg,35 Oberstleutnant von Rodbertus, Kap. Strasser, Kapt. Dietrich, Kapt. Roth., Kapt. Ltnt. Major Krüger, Hauptmann Sonsalla, Hauptmann Drescher[,] Hptm. Vogel, Hptm. Dr. Lochte[,] Kaleu Bartels etc. Es gab kalte Platte, Bier und einen Istündigen Vortrag von mir über die pol. & wirtschaftl. Situation Norwegens. Der Vortrag fand gute Anerkennung. Ich glaube mit diesem Abend die Stellung meiner Dienststelle bei der Wehrmacht stark befestigt zu haben. Admiral Schrader dankt zum Schluss in sehr netten Worten. Und heute finde ich endlich wieder Zeit zum Schreiben. [23]

33 Dipl. Ing. Thote war Leiter der Abteilung Technik und Verkehr an der Dienststelle Bergen. 34 Der Briefschreiber konnte nicht identifiziert werden. 35 Admiral Otto von Schrader (1888-1945), Kommandierender Admiral der norwegischen Westküste. Schrader wurde 1945 in Bergen wegen Kriegsverbrechen verhaftet - er hatte die Erschießung einer norwegisch-britischen Torpedobootbesatzung angeordnet - und beging in der Haft Selbstmord; Christoph Graf zu Stolberg-Stolberg (1988-1968).

30. März 41

Am 24. 3. reiste ich mit dem Nachtzug nach Oslo, zum 1. Male seit meinem neuen Amtsantritt. Kapt. Aust von der Bergenser K. M. D. [Kriegsmarinedienststelle] - ein Hamburger Landsmann - fährt mit. Noch vor der Abfahrt erreichte mich ein Brieflein von Frauchen, der mich sehr glücklich macht, steht doch etwas von Häsi und Peterle drin. In Oslo am 25.3. steht Ludat, R. I. [Regierungsinspektor], am Bahnhof. Der arme Junge fühlt sich in Oslo so unglücklich und hofft, dass es mir gelingt, ihn wieder nach Bergen zurück zu holen. Er hat tatsächlich Glück, es gelingt mir, und er kann gleich nach Ostern seine »alte« Zahlstelle in Bergen wiederbekommen. Für L. ist das schier ein [23r] Wunder, denn bei »Beamten« soll so etwas sonst nicht möglich sein. Na, vielleicht hole ich noch den Oberinsp. für ihn heraus. Wie leicht kann man doch Menschen glücklich machen, wenn man nur etwas auf ihr Seelenleben eingeht. In Oslo höre ich nun auch, was gewisse hohe Herren mit mir oder besser mit Bergen vorhatten. 3 Anwärter für die Leitung der Dienststelle waren dem RK vorgeschlagen worden[,] ein Landrat Puhl, ein RR Poll und ein Stubaf X. Bei allen drei hat der RK vermerkt: »Christen bleibt«. Nun werde ich wohl für mindestens 2 bis 3 Monate Ruhe haben, bis dann [24] wieder ein ganz Schlauer neue Vorschläge herausbringt. Carlo Otte hatte schon nach neuen Möglichkeiten Ausschau gehalten und wollte mich für den Fall des Wechsels als Leiter der neuen Verbindungsstelle Nord, über die der gesamte Handelsverkehr mit Norwegen geleitet werden soll, vorschlagen. Eine auch nicht uninteressante Aufgabe, jedoch nicht annähernd so befriedigend wie meine jetzige Position. Otte scheint direkt stolz darauf zu sein, dass er dem RK mich seinerzeit vorgeschlagen hatte und dass der RK nunmehr sehr zufrieden mit mir ist. Er gibt sogar ein Mittagessen im Grand Hotel für mich, [24r] an dem der Hauptabteilungsleiter Landrat Dr. Schmidt (übrigens ein typischer Weihnachtsmann), ORR Dr. Baudisch, Walter Pieper36 und Elimar de Vries teilnehmen. Der Betrieb beim Reichskommissariat macht allerdings keinen besonders guten Eindruck. Von Kriegseinsatz ist nicht viel zu merken. Die meisten scheinen diesen Einsatz als Erholung, ja sogar als Abenteuer anzusehen. Um Gottes willen nur nicht mehr arbeiten, als unbedingt notwendig und dann - die Mädchen! Sie regieren mittels ihrer mehr oder weniger vorhandenen, dafür aber umso ausreichender zur Verfügung gestellten Reize. [25] Gruppenführer Redieß, höherer SS und Polizeiführer ist offiziell zum Stellvertreter des RK bestellt,l7 Er freut sich sichtlich, als ich ihm berichte, dass in Bergen ein so gutes Verhältnis zur Wehrmacht besteht.

36 Oberregierungsrat Dr. Roman Baudisch (1905-1979) war Leiter der Abteilung Binnenwirtschaft in der Hauptabteilung Volkswirtschaftdes RK; Walter Pieper konnte nicht

identifiziert werden. 37 Wilhelm Redieß (1900-1945) war 55-0bergruppenführer sowie Höherer 55- und Polizeiführer in Oslo. Er beging am 8. Mai 1945 Selbstmord. 73

30.

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MARZ

41

Ich freue mich doch, dass ich am 27. 3. Oslo mit dem Nachtzug wieder verlassen kann. Ich glaube[,] in Bergen weht eine klarere und saubere Luft. Carlo Otte war morgens nach Berlin geflogen und will abends schon in Hamburg sein. Darum beneide ich ihn allerdings gewaltig. Wann werde ich wieder am Winterhuderquai sein? Otte wird im Reichskommissariat als der starke [25r] Mann angesehen. Er hat ein eigenartiges[,] aber gutes Erfolgssystem. Erkennt er etwas als richtig an, paukt er es notfalls auch brutal durch. Nach wie vor unerfreulich wirkt neben ihm der typ. Streber Elimar de Vries, der so ziemlich der schlechteste Kamerad sein dürfte. Von eigenen Ideen keine Spur, dabei jedoch sehr fleißig - auch in der Auswertung fremder Initiative. Da man ihn nicht so leicht durchschaut, er zum anderen auch immer der »ergebene Untergebene« ist, wird er schon seine angestrebte Karriere machen. Im Zuge treffe ich wieder Kapt. Aust. Er berichtet, dass der ehemalige Bergenser [26] Wehrwirtschaftsoffizier Major von Viehahn von Berlin aus erheblich stänkert und auf jeden Fall wieder nach Bergen (oder zu den Bergenser Frauen) zurück will! Eine Sumpfblüte, die der sold. Rock vorübergehend zum Blühen gebracht hat! Im Abendzug fahren auch der Generaloberst von Falkenhorst mit, sowie General Feige von der Gruppe XXI,38 Wie ich in Bergen erfahre, sind sie zur Beerdigung des Ritterkreuzträgers Major Kleine, der beim Skilauf tödlich verunglückte, gekommen. Ich muss ebenfalls an der großangelegten Trauerfeier teilnehmen. Ein ganzes Bataillon mit [26r] Musikzug vorweg, dann von 6 Rappen gezogen die Lafette mit dem Sarg. Dahinter Generaloberst von Falkenhorst, General Feige, General Tittel, Admiral Schrader (ich war von General Tittel den Herren vorgestellt worden) [,] der Ritterkreuzträger Kaleu Bartels, Oberst von Beeren39 und ich (mein Zivil wirkte wieder etwas »komisch«). Hinter uns folgte das gesamte Offizierskorps der 69. Division des Admirals Westküste und der Luftwaffe. Zum Schluss je eine Kompanie Heer, Marine und Luftwaffe. Ein imposanter Trauerzug, der sich durch die Straßen Bergens zum Friedhof bewegte. Unerfreulich war jedoch das Benehmen der Norweger. [27] Hände in den Hosentaschen, Hut im Nacken, so standen sie am Straßenrand, auch als der Sarg vorüberkam. Man kann es ihnen leider nicht mal übelnehmen, dass sie nicht den Hut ziehen oder die Hände aus den geliebten Taschen ziehen[,] denn sie kennen dies für alle Kulturstaaten sonst selbstverständliche Verhalten nicht. Auf dem Friedhof passiert eine unangenehme Panne. Mein Kranz war verwechselt worden, und so musste ich ohne Kranz auskommen. Zum Schluss stellte sich dann heraus, dass die Luftwaffe meinen Kranz niedergelegt hatte, der ihre blieb zum Schluss übrig! Peinlich! Anschließend Kaffeetrinken auf der »Westwärts«. [27r]

38 Hans Feige (1880-1953), General der Infanterie im XXI. Armeekorps, Norwegen. 39 Karl von Beeren (1890-1961) war Kommandeur des Infanterieregiments 193, das an dem Überfall auf Dänemark und Norwegen unter dem Decknamen »Unternehmen Weserübung« beteiligt gewesen war.

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6.

APRIL

1941

Am Freitagmorgen erhielt ich eine Einberufung zur Untersuchung in Oslo - die Napfkuchen hätten das Schreiben ja auch etwas früher

bei der SS abschicken

können, so muss ich also Dienstag nochmals nach Oslo! Heute, d. 30. 3. habe ich bei Hauptmann Sonsalla meine W 35er40eingeschossen. Und nun sitze ich wieder wie schon traditionell in meinem Amtszimmer und höre matklänge einziehen

das Wunschkonzert. Nächsten Sonntag hoffe ich jedoch, diese Heischon in meinem neuen Heim hören zu können. Donnerstag soll ich können. [28]

6. April 1941 Wieder liegt eine arbeitsreiche Woche hinter mir. Am Montag, d. 31. 3. fuhr ich mit dem Nachtzug nach Oslo. Der Wehrwirtschaftsoffizier, Hauptmann Dr. Lochte, der ebenfalls mit nach Oslo fuhr, berichtete mir empört über das Wirken des Major von Viehahn in Berlin. Die Untersuchung in Oslo am Dienstag d. 1. April bei der Waffen SS ergab, dass ich restlos gesund bin, lediglich etwas schwaches Sehvermögen links. Die Rückfahrt musste ich am Mittwoch mit dem Tagzug antreten, Nachtzüge bis auf weiteres alle ausfallen. [28r]

da die

Am Donnerstag

d. 3. 4. 41 hatte ich alle 5 Polizeipräsidenten meiner zwei Provinzen geladen. Es war nicht uninteressant, mit ihnen offen die pol. Lage und die Stimmung des norweg. Volkes zu erörtern. Weder in Friedenszeiten, noch seit dem 9. 4. 4141war die feindselige Stimmung gegen Deutschland so groß wie gerade derzeit.

Die Norweger

behaupten,

es sei lediglich

unsere Ein-

setzung von Quisling und N. S. im September vorigen Jahres, was sich heute so schlecht auswirkeY Ich glaube, das stimmt nicht, wobei man jedoch feststellen muss, dass unsere Propaganda bisher nicht sehr glücklich gewesen ist. Noch im [29] Oktober 40 war die Stellungnahme des norweg. Volkes pro oder contra Staatsräte und NS völlig offen. Dann kamen 1. das griechische Fiasko Italiens, 2.

Englands

geschickte

Propaganda

mit Bezug auf die »verpasste

40 Wehrmachtspistole. 41 Offensichtlich gemeint ist der 9-4.1940,

an dem das »Unternehmen

Landung«43,

Weserübung«

begann. 42 Vidkun Quisling (1887-1945), Gründer und Führer der Nasjonal Samling. Er hatte unmittelbar nach der Invasion eine Regierung unter seiner Führung ausgerufen, wurde aber von dem Reichskommissar wieder abgesetzt. Obwohl Quisling erst im Februar 1942 vom RK zum »Ministerpräsidenten« Norwegen ernannt wurde, erfuhren er und seine Nasjonal Samling schon im September 1940 eine erhebliche Aufwertung, als alle politischen Parteien außer der N. S. verboten und aus deren Reihen die Posten der »Kommissarischen Staatsräte« der norwegischen »Regierung« besetzt wurden. 43 Im Herbst 1940 verbreitete der britische Geheimdienst MI6 im Rahmen seiner »Schwarzen Propaganda« (Fehl-)Informationen über Tausende an der britischen Küste angeschwemmte verbrannte Leichen deutscher Soldaten, die bei dem Versuch, an der englischen Küste zu landen, getötet worden seien. Tatsächlich hatte die Wehrmacht die Invasion Englands für den Herbst 1940 unter dem Decknamen »Operation Seelöwe«

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12. APRIL 1941

3. die USA Einmischung[,] 4. die Svolvaerlandung [Svolvnraidet, auch »Operasjon Claymore«] aus England44 und schließlich die ital. Niederlagen in Mrika. Wir haben die Auswirkungen dieser Ereignisse nicht nur nicht auffangen können, sondern wir operierten selbst auch noch ungeschickt. Organisationsfimmel und eine gewisse Überheblichkeit sind häufig genug mit uns durchgegangen. Dazu kommt der Mangel an [29r] »internationalem Horizont«. Schon aus unserer Heimat sollten wir wissen, dass z. B. der Norddeutsche - nehmen wir mal den Friesen oder den Dithmarscher, die dem Norweger sehr wesensverwandt sind - sich nichts gewaltsam aufzwingen lassen. Der »kleine Mann aus Posewinckel« aber, er steckt seine Nase in jede Sache; er will dem Norweger vorschreiben, wie er arbeiten, bauen, lernen und denken soll, wobei er ihm bis zum Überdruss erzählt, wie schlecht er es eigentlich früher gehabt hat und wie gut es ihm nun künftig unter deutscher Führung gehen wird. Alles muss schnellstens gemacht werden und dann wundert er sich, wenn der [30] Norweger ihm nicht vor Freude um den Hals fällt, sondern »meckert« und sabotiert. Diese kleinen hinterwäldlerischen Geister begreifen nicht, dass es ja garnicht darauf ankommt, ob der Norweger heute oder morgen, in diesem Jahr oder etwa erst in 5 Jahren auf das großgermanische Reich ausgerichtet wird. Warum diesen Gärungsprozess in Norwegen sich nicht ruhig[,] aber dafür natürlich ablaufen lassen? Erstens bauen wir unser Reich ja für Jahrhunderte und zweitens werden wir militärisch nie ganz aus diesem Land herausgehen. Eine Gefahr besteht also nicht. Mit unserer Hast erreichen wir nur, dass der Widerstand [30r] und damit auch unser Energieverlust immer größer wird. Es triumphiert der deutsche »Belehrer«. Wenn der Norweger aber verständlicherweise nicht mitmacht, dann ist das »Sabotage«. Dies Volk kommt früher oder später automatisch zu uns, aber es will freiwillig kommen und nicht zwangsweise »gezogen« werden. Am Sonnabend d. 5.4.41 findet abends 19.00 in meinen Festräumen ein Kameradschaftsabend der Flieger statt. Sehr netter Verlauf. Admiral von Schrader war bis II.OO ebenfalls zu Gast. Die zahlreich anwesenden norweg. Mädchen beweisen[,] dass es doch Möglichkeiten der Verständigung gibt!!! - [31]

12. April 1941 Nun wohne ich schon über I Woche in meinem neuen Haus Kalvedalsveien 47a. Es ist fast eine Ironie, dass es dem größten Bergenser Kaffeemann - Friele - ge-

geplant, wegen der für das kommende Jahr beabsichtigten Invasion der Sowjetunion aber verschoben bzw. bis auf Weiteres aufgegeben. Vgl. James Hayward, Burn the Sea. Flame Warfare, Black Propaganda and the Nazi Plan to Invade England, Stroud 2016. 44 Svolva:r ist eine Stadt auf der norwegischen Inselgruppe der Lofoten, die als Zentrum der norwegischen Fischfangindustrie für die deutschen Besatzer von großer Bedeutung waren. Dort gewonnenes Fischöl wurde zum Schmiermittel Glycerin verarbeitet, das für Flugzeugmotoren verwendet wurde. In der »Operation Claimore« zerstörte die englische Kriegsmarine alle Schiffe und Produktionsanlagen.

12.

APRIL

1941

hört.45 So nach und nach »bevölkert« es sich nun auch. Seit gestern ist auch die 46 >>llorskepike« da , die natürlich kein Wort deutsch spricht. Außerdem wohnen bisher nur zwei weitere weibliche Geschöpfe im Haus; ab 1. Mai kommt dann noch ein Männlein. Wieder flackert der Kamin lustig wie einst in Fjösanger oder Krakenes. Es ist halt nichts mit dem Hotelleben, abgesehen davon[,] dass man es auch kaum bezahlen kann. Am 9. April jährte sich der [31r] Tag der Besetzung dieses Landes. Von den geplanten Demonstrationen war nicht viel zu bemerken - trotz aller Rundfunkpropaganda Londons. Morgens 8.50 legte ich im Auftrage des Reichskommissars einen Kranz an den Gräbern der Gefallenen nieder. Es sind jetzt schon 133 Gräber. Wieder hallten die Ehrensalven der Wehrmachtsabordnungen über den Friedhof, und nach dem Admiral, dem General und Major Wille (Flugwaffe) legte ich den diesmal besonders prachtvollen Kranz nieder. Sämtliche 133 Gräber hatte ich tags vorher mit Tulpen und Narzissen schmücken lassen. Um II.OO war ich zur Besichtigung einer Ausstellung [32] von künstlerischen Arbeiten der Marinesoldaten auf einer bei Bergenshus [Bergenhus festning] verankerten Kock geladen. Abends folgte ich einer Einladung des Generals zum Essen mit anschließendem Kameradschaftsabend der Stabskompanie. Um II.OO erfolgte ein schon lange nicht mehr erlebter Fliegeralarm. Also hatte der Tommy doch jedenfalls etwas von seinen Versprechungen gehalten. Doch es war nichts weiter zu sehen und zu hören. Nachts um 1.00 ein neuer Alarm. Jedoch wieder nichts weiter Aufregendes. Erst am nächsten Morgen, d. lO. 4. 41, erfahre ich, dass das Aluminiumwerk in Höyanger [H0yanger] bombar- [32r] diert wurde. Ca 8 Bomben, die leider mitten ins Werk trafen und dasselbe für einige Zeit lahmlegen. Es waren sicherlich wieder norweg. Piloten, denn Höyanger im Sognefjord ist sehr schwer anzufliegen. Ab lO. bis 14. incl. habe ich meine Dienststelle offiziell geschlossen. Einem Teil meiner Leute habe ich eine Bootsfahrt nach dem Sogn und Nordfjord ermöglicht. Ich selbst muss allerdings täglich einmal nach dem Rechten sehen. Gestern, am II. 4. 41 war ich abends zum Abschiedsabend für den Stubaf Puchta47 eingeladen. Sehr langweilige Angelegenheit. [33]

45 Herman Friele (1877-1961). Die Firma Friele war sowohl Norwegens größter Rohkaffee-Importeur als auch, seit 1937, der wichtigste Großröster des Landes. 46 Eigentlich »piken«, norwegisch für Mädchen, also das Dienstmädchen. 47 Adolf Puchta (1908-?) war SS-Obersturmbannführer und 1940!I941 Mitarbeiter beim Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Bergen. Nach 1945 war er in der Organisation Gehlen tätig für die Gegenspionage in Bayern und Hessen, aus der er nach Verdacht auf sowjetische Kontakte 1953 ausschied. Danach arbeitete er als Referent für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BN) in einer Außenstelle von München, ab 1960 als Oberregierungsrat beim Landesverfassungsschutz in Niedersachsen.

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20. APRIL

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13. April 41

Wieder gießt es vom Himmel, so recht dazu angetan, um an Hamburg zurückzudenken. Was nützen einem die Berge[,] die Fjorde, wenn das Herz doch daheim ist.

20.

April 41 48

Führers Geburtstag. Gestern rief Landrat Dr. Schmidt an, ich möchte heute um 12 Uhr in Oslo sein, um das Kriegsverdienstkreuz 2. Kl. überreicht zu bekommen. Glücklicherweise fährt z. Zt. kein Nachtzug mehr. So wird das Kreuz nun am Montag mit der Post eintreffen. In der vergangenen Woche habe ich nun seit Monaten [33r] zum ersten Mal Gelegenheit gehabt, Bücher zu lesen. Gestern habe ich »Herrscher über Traum und Leben« von Erna Grautoff49 beendet. Wirklich ein fabelhaftes Buch. Kein Mensch wird hier »vollkommen« gezeichnet. Ja, sogar Bacon, dem Shakespeare zürnt man zum Schluss, weil er sich nicht mannhaft verteidigt hat. Eines scheint mir vordringlich, die Menschen mit ihren Vorzügen und Schwächen vergehen, werden verbraucht, aber eines bleibt über Allem, der Staat. So wurde England groß, das Land, dem wir Kampf angesagt haben auf Sein oder Nichtsein. Und als Weisheit - in diesem Fall der Bücher letzter Schluss - der Mensch [34] ist ein gefährlich Tier, man hüte sich vor ihm. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Man soll sich niemals allzu sehr in romantischen Träumen verlieren, das Leben ist immer nur Kampf. Die Augen offen behalten und trotz des so notwendigen Optimismus immer Gefahr wittern. Vorgestern am 18. 4. 41 wurde nun die Kapitulation der yugoslavischen [sic] Armee bekanntgegeben. 12 Tage hat dieser Kampf gedauert. Der militärisch stärkste Staat des Balkans wurde in dieser unglaublich kurzen Zeit niedergerungen. Exit Yugoslavia. Jeder wird sich nun ein Stück herausschneiden aus diesem [34r] künstlichen Staatsgebilde. Zum Schluss bleibt ein kleines unscheinbares Serbien übrig. So wird jeder Größenwahn bestraft. Wieviel Tage wird es noch dauern[,] bis Griechenland besetzt ist. Der deutsche Heeresbericht meldete gestern, dass auf dem Olymp die deutsche Kriegsflagge weht. Es scheint, dass man mehr mit der Dummheit als mit der Klugheit in der Welt rechnen muss. London hat inzwischen seinen schwersten Angriff erlebt. Es muss wohl so sein, mit dem Sterben der alten Anschauungen stirbt auch das Äußerliche, das alte Bild. Es ist wie eine Tragik um diese gigantischste aller europäischen Auseinandersetzungen. [35] Die Tragik des 20. Jahrhunderts. Zwei Völker, die eigentlich zusammengehen sollten, als Träger und Stütze der Kultur und Macht Europas zerfleischen sich zum Nutzen Amerikas und - und letzten Endes auch Asiens. Und doch werden 48 Der Titel »Landrat« bezieht sich vermutlich aufSchmidts zivilen Rang in Deutschland. 49 Das Buch mit dem Untertitel »Ein Roman aus dem elisabethanischen England« erschien 1940 bei Rowohlt.

23.

APRIL

1941

sie eines Tages zusammenfinden, Deutschland als Repräsentant des europäischen Kontinents und England als Europas Vorposten in der Welt. Aber viel wird Europa dann schon verloren gegangen sein. Die jetzige Ehe mit Italien ist unnatürlich, nur Einer kann in Europa und vor Allem auf dem Kontinent vorherrschend sein, Deutschland. Daher [35r] wird Italien immer nur den dritten Platz halten können.

23. April 1941

Am Montag d. 21. 4. kam das Kriegsverdienstkreuz 2. Kl. an. Ich freue mich doch sehr dazu, denn wenn man's richtig bedenkt, ist für mich, der ich bisher Civil im Krieg trage, das einzige sichtbare Zeichen oder Dokument, dass ich meine Pflicht in dieser großen Zeit getan habe. Ob ich wohl noch 1. Klasse schaffen werde? Am Dienstag d. 22. trifft Oberstarbeitsführer Müller-Brandenburg ein 50, der abends auf der Feier der Bergenser Ortsgruppe der Partei die [36] Festpredigt halten soll. Ich bin vor dem Kriege als Redner der A. O. häufig irgendwo in Europa auf seine Spuren gestoßen. Ein sehr lebendiger und gut unterrichteter Mann. Er berichtet eine Menge Einzelheiten aus der derzeitigen pol. Situationimmer mit dem Unterton, wenn das deutsche Volk einmal erfährt, in welchem Ausmaß und bei welchen Gelegenheiten der »Bluff für Deutschland gesiegt hat, setzt es sich nochmal auf den Hintern.« Das Verhältnis zu Russland soll wieder prima sein, nachdem die Russen doch stark eingeschnappt, allerdings ebenso stark erschüttert über die deutschen Erfolge gewesen [36r] sind. Unserer »Bitte« um die Bereinigung des japanisch-russischen Verhältnis[ses] wurde durch den Aufmarsch von 6 Armeen an der Ostgrenze der »versehentliche« Nachdruck gegeben. Das Ergebnis in Form der bekannten Vereinbarung soll dann auch selbst für die Japaner so überraschend günstig gewesen sein, dass es in Japan nach seinem ersten Bekanntwerden nicht geglaubt wurde. Und dabei rollen Tag für Tag die Züge mit Weizen, Öl etc. nach Deutschland. Russland erfüllt den Wirtschaftsvertrag bis auf das I-Tüpfelchen, ja es hat sogar conzediert, dass wir in Anbetracht unserer »Kriegsanstrengungen« bis 1942 Aufschub für unsere [37] Gegenleistungen erhalten. Mehr kann man wirklich vom ehem. kommunistischen Gegner [nicht] verlangen. Interessant war auch, dass in Holland und Belgien fast die gleichen Erfahrungen gemacht werden wie in Norwegen. Die unerwartete Milde und Großzügigkeit der Deutschen hat die Holländer z. B. nicht zu Freunden gemacht. Nein, sie wurden täglich frecher. Genau wie in Norwegen. Die Belgier seien nicht ganz so schlimm. König Leopold zeige eine tadellose Haltung und sei der Schlüssel zur belg. Seele. 50 Es handelt sich bei Hermann Müller-Brandenburg (1885-1955) um den »Leiter der Abteilung für auswärtige Angelegenheiten beim Reichsarbeitsführer« und Herausgeber des »Jahrbuchs des Reichsarbeitsdienstes«.

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23.

APRIL

1941

Wir schweiften ab auf S. M. Wilhe1m II. Die Größe des Führers, aber auch seine ganze Überlegenheit zeigt [37r] sich darin, dass er W die Rückkehr nach Deutschland angeboten hatte. W lehnte ab, gab in seinem Telegramm aber seine rückhaltlose Bewunderung für den Führer zum Ausdruck. Welch eine menschliche Tragik um diese so begabte Person, die restlos fehlte und versagte. Der Führer gebraucht die Anrede S. M. Ja, die Hohenzollern !? - Prinz Oscar - angeblich der intelligenteste [-] verlor in diesem Krieg seine beiden Söhne für das Vaterland. Und doch ist es uns heute nur wie das Rückblättern in einem alten Prunkbuch - ohne Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft - das Hohenzollernhaus! - [38] Natürlich bewegt uns auch die Frage der Grenzziehung, ja des Friedens im Allgemeinen. Es scheint doch, als wenn Holland und Belgien ihre Souveränität wieder erhalten, allerdings mit der Einschränkung, dass sie sich unter deutschen Schutz stellen, was gleichbedeutend mit der Tatsache ist, dass wir an allen geeigneten Stellen milit. Stützpunkte erhalten. Einig waren wir uns darüber, dass es Wahnsinn wäre, in diesem Jahrzehnt noch die Ukrainefrage anzuschneiden, zumal dieser Raum ohnehin keine Siedlungsmöglichkeit mehr bietet. Herr Himmler [38r] wird sich schon umstellen müssen in dieser Frage. Besonders erfreut waren wir darüber, dass wir Beide übereinstimmten, dass der von uns proklamierte tausendjährige Friede nur dann gewährleistet sei, wenn alle Völker ökonomisch zufriedengestellt würden, abgesehen von der völkischen Freiheit. Hier hilft allerdings nur der Glaube an den Führer, denn unsere deutschen Wirtschaftsgenossen möchten am liebsten in krass imperialistischkapitalistischer Weise Alles einheimsen. Aber glauben wir an den Führer und an das Primat der Politik. An die Adria wollen [39] wir angeblich nicht. Da das neugebildete Kroatien mit Dalmatien und Bosnien jedoch deutscher Schutzstaat werden [soll], spielt das eigentlich keine Rolle. Müller-Brandenburgs Urteil über die Italiener ebenso schlecht wie meins: Pack! Der Abend verlief nett. Der General war erschienen. Ende 3.30 im Hotel Norge mit der Feststellung, man müsse danach trachten, dass die Produktion von Whisky erhalten bleibt. Der Ritterkreuzträger Kaleu Bartels erzählt mir, dass Prien tot sei51• Sein Boot sei beim letzten großen Angriff auf engl. Geleitzüge [39r] versenkt. Um den Engländer noch zu täuschen, ist Prien vor einigen Tagen zum Korvettenkapt. ernannt worden und die Stadt Graz erhielt den Auftrag ihn öffentlich mit seiner Mannschaft einzuladen. Aber - ein Held starb für Deutschland. Die Ubootwaffe hat zwei weitere schwere Verluste. Das zweit- und drittgrößte Ass, Kaleu Kretschmer und Schepke, befinden sich in engl. Gefangenschaft. Schade für die

51 Günther Prien (1908-1941) war ein militärisch erfolgreicher, 1939 mit dem Ritterkreuz ausgezeichneter U-Bootkommandant, dessen Ruf als mutiger Draufgänger schon zu Lebzeiten und bis Ende der 1950er Jahre in Literatur, Rundfunk und Film popularisiert wurde.

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27.

APRIL

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Ubootwaffe. Trotzdem sind die bisher bekanntgewordenen Versenkungszahlen eine ungeheure Leistung, wenn man weiß - und Gott sei Dank weiß man es nicht -, dass bis vor [40] kurzer Zeit ganze 8 bis 9 Boote am Feind waren, acht bis neun Boote, um es noch mal in Buchstaben zu wiederholen. Und immer noch nicht beginnt der große U-Bootkrieg. Atempause für England. Heute am 23. 4. 41 hatte ich eine kleine Enttäuschung. Ich muss eine Stenotypistin von meiner Abteilung Technik & Verkehr einsperren lassen. Grund: Unterschlagung von ca. lOO.OOO Kr. in Gemeinschaft mit ihrem Verlobten, der von der Marine zu dieser Abteilung abkommandiert war. Es handelt sich »glücklicherweise« um Marinegelder, sodass [40r] meine Dienststelle nicht belastet wird. 52

26. April 1941 Gestern, am 25. 4. vor einem Jahr kam ich nach Oslo. Wer hätte gedacht, dass ich 12 Monate in diesem Lande bleiben würde, ja, auch jetzt ist das Ende noch nicht abzusehen. Ebensowenig habe ich mir allerdings träumen lassen, als ich damals auf dem Flugplatz Staaken in die Maschine des Führers Immelmann III stieg, dass ich eines Tages »Herrscher« über die zweitgrößte Stadt dieses Landes und weiter zwei seiner Provinzen sein würde. Wann wird das »Ende« sein? Ich [41] werde mir erst einmal den 31. 12. dieses Jahres als letzten Termin setzen. Gestern hatte der Admiral von Schrader zum Frühstück anlässlich des Abschieds seines Chefs des Stabes, Kapt. z. S. Schomburgh53 geladen. Heute war ich beim General im kleinsten Kreis anlässlich des Besuches des Generalleutnants Feuerstein (Gebirgsjäger Division) zum Essen geladen. Das Verhältnis zum General wird von Tag zu [Tag] besser. Heute lieh er mir sein militär-geograph. Werk über seinen Divisionsbereich. General Feuerstein ist Tirol[er] und von einer selten gesehenen Natürlichkeit und Freundlichkeit. [41r]

27. April 1941 Wieder strahlt heute die Sonne vom Himmel herunter. Da müssen die Beine mal etwas gestreckt werden. Mit Froeken Erbarth54 wandere ich 3 Stunden zum Floien [Fl0yen]55und fast zum Rundemann [Rundemanen] hinauf. Dieses Frl. Erbarth ist ein ganz intelligentes Mädel. Es ist wirklich bedauerlich, dass sie ein so unmöglich lautes Benehmen hat - und das bei ihrer betont breiten Hamburger Sprache.

52 Während der Besatzung entsprachen 100 Norwegische Kronen 60 Reichsmark. 53 Oskar Schomburg (1897-?)· 54 Christen benutzt meist die Bezeichnung »Fröken« (schwedisch: Fräulein) für seine Hamburger Mitarbeiterin Erbarth. 55 Der Fl0yen, auch Fl0yberg genannt, ist ein beliebtes Ausflugsziel mit Aussicht über die Stadt und Umgebung.

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4.

MAI

1941

30. April 1941

Heute kommt Ludat als Dauergast zu mir in die Dienstwohnung. Hoffentlich ist ihm meine seinerzeitige Unterstützung & Hilfe nicht zu Kopf gestiegen. [42] Ich habe schon wieder die Befürchtung, mit meiner Gutmütigkeit zu weit gegangen zu sein. R. J. Seiler, der nun für ihn nach Oslo zurückgehen muss, hat sich eigentlich überraschend gut gemacht. Der Ruf der Faulheit[,] der ihm vorausging, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, er ist außerordentlich rührig gewesen. Wieder einmal hat sich gezeigt, dass es nur darauf ankommt, 56 den Mann »richtig« anzusetzen. So ist es bei Kanzler Müller gewesen, so war es auch bei Seiler.

1.

Mai 1942

Heute ist »halb frei«. Ich [42r] habe meinen Leuten eine Autofahrt nach dem Solstrand ermöglicht. Kanzler Müller und ich bleiben in Bergen, um uns für den Besuch des Reichskommissars vorzubereiten - bei dem herrlichen Wetter ein schwerer Verzicht. Um 20.00 erfahre ich, dass der für Sonnabend angesagte Besuch wieder abgesagt ist. Auch gut!

4. Mai 1941

Ein anstrengender Marsch liegt hinter mir. Ca 800 m sind wir hochgeklettert und dann über die Stein- und Schwefelfelder hinweg in meist schönstem Sonnenschein. Ich komme mir bei solchen Wanderungen [43] in meinem Aufzug - bunte Strümpfe, blaue Knickerbocker und blauer Anorak - so garnicht »gebietskommissarlich« vor. So bin ich zuletzt vor 15 Jahren gewandert im Jungnationalen Bund - lang ist's her !57Braun bin ich nun allmählich geworden wie selten zuvor. Das Radio meldet, dass der Reichstag heute zusammentritt. Und dann um 18 Uhr spricht der Führer über den glorreichen Abschluss des Krieges in Yugoslavien und Griechenland. Eine stolze Aufzählung! Worauf hofft Mr. Churchill eigentlich noch. Angesichts derartig gewaltiger Niederlagen muss doch der zu- [43r] versichtlichste Mann mal schwach werden. Das Spiel ist endgültig verloren. Auch die Yankees können nichts mehr retten. Ich habe Gelegenheit hier oben in Norwegen mal etwas von dem zu spüren, von dem der Führer sagt »Wir 56 Müller war vom Außenministerium abgeordnet und Christens Stellvertreter an der Dienststelle Bergen. 57 Der Jungnationale Bund (Junabu), 1921 als Abspaltung vom Deutschnationalen Jugendbund (DNJ) gegründet, war Teil der Bündischen Jugend. 1924 spaltete sich vom Junabu die - kleinere - Deutsche Jungenschaft ab, deren Mitglieder später zum Teil Widerstand gegen den Nationalsozialismus leisteten, während der Rest- Junabu sich mit dem Großdeutschen Jugendbund zur Freischar junger Nation formierte. Dort wird Christen Mitglied gewesen sein. ),vor 15 Jahren«, also 1926, war er 17 Jahre alt.

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4.

MAI

1941

haben Alles, aber auch Alles einkalkuliert.« Batterien über Batterien werden hier neu gebaut. Neue Flugplätze entstehen und die Divisionen, die nach Finnland gehen, sind in diesem Land auch nicht gegen Russland eingesetzt, wie England es im Rundfunk behauptet, sondern gegen einen evt. Angriff von - Amerika. Die einzige Chance, die Amerika überhaupt hätte, wäre der Einfall in Norwegen. [44] Doch auch dafür ist es schon lange zu spät. Vorgestern besuchte mich der Oberbürgermeister. Es war gerade Dr. Koren Wiberg58, der bekannte Forscher der Geschichte der Bergenser Hansezeit[,] bei mir, der mir einen alten Hamburger Farbstich (Jakobikirche) als Geschenk mitgebracht hatte. Wir tranken daraufhin alle einen Martell Cognac. Nachdem Koren Wiberg gegangen war[,] dedizierte ich dem Oberbürgermeister eine Flasche Cognac, da er durchblicken ließ, dass er trotz seiner Stellung »so etwas« nicht bekam. Hier sieht man wieder, wie leicht man Menschen gewinnen kann. Ich be- [44r] schloss daraufhin, am nächsten Tag Dr. Koren Wiberg einen Besuch zu machen und ihm ebenfalls noch eine »Flaske[«] Cognac mitzunehmen. Eine so große Freude des guten Mannes hatte ich nun doch nicht erwartet. Ich werde dieses billige[,] aber probate Mittel in Zukunft etwas häufiger anwenden. Er zeigte mir dann das hanseatische Museum und die Schötstuen [Schotstuene] 59. Über das hanseatische Museum kann man geteilter Meinung sein, trotzdem sogar Wilhe1m H. davon begeistert war. Wilhe1m H. soll sich damals hinter das Glasfensterchen gesetzt haben, das den großen Vorraum vom Chefkontor abtrennte. [45] Mit Eulenburg exerzierte er dann den Hansekaufmann im Verhandeln mit einem norweg. Fischer. Es ist interessant, auch hier wieder diese etwas krankhaft theatralische Seite unseres letzten Kaisers bestätigt zu sehen. Wesentlich netter sind die Schötstuen, die neben der alten deutschen MariaKirche wieder aufgebaut wurden. Hier ist wirklich eine politisch und kulturell interessante Sache erhalten geblieben. Alles deutsch natürlich, und ich beabsichtige nunmehr, den Großen Empfang anlässlich des Besuchs des Reichskommissars in diesen Räumen zu geben. Die Erlaubnis habe ich inzwischen von Koren Wiberg [45r] und dem Oberbürgermeister erhalten. So etwas findet der RK in ganz Norwegen nicht wieder. Der Platz eignet sich auch besonders für eine Festpredigt, in welcher die notwendige deutsch-norwegische Zusammenarbeit betont wird. Ich habe noch ein »Attentat« auf den RK vor. Ich werde ihn in die Haakonshalle [Häkonshallen]60 führen und ihm klar machen, dass diese Halle die »Garnisonskirche Norwegens« ist. Hier sind die ersten norweg. Könige gekrönt worden und hier müsste auch eigentlich das neue Norwegen der Zukunft seinen Start nehmen. Hoffentlich gelingt es mir. Übernächste Woche will der RK nun kommen.

58 Johann Christian Koren-Wiberg (1870-1945). 59 Deutsch: Schötstuben, Hansische Versammlungs räume. 60 Benannt nach König Hikon IV Hikonsson (1204-1263), der sie im 13. Jahrhundert als königliche Residenz und Festsaal (nicht als Kirche) erbauen ließ.

8.

MAI 1941

[46] Bemerkenswert

erscheint mir auch die Auseinandersetzung zwischen dem Irak und England. Wir dürften da erheblich die Hand im Spiel haben. Wird dies der Anfang eines allgemeinen arabischen Aufstandes gegen England sein? Die Grenze zwischen Irak und Mganistan [sic] wird sicherlich eines Tages mal unsere Interessengrenze sein, Wird Russland mal Mghanistan überscheu6 chen " um einen Ausgang in den indischen [sic] Ozean zu bekommen? Es wäre eigentlich natürlich! - Die nächsten Tage werden uns sicherlich zeigen, ob hinter dem Streit Irak-England unsere Politik und vor Allem Strategie steht. Es wäre zu schön! [46r]

8. Mai

1941

Hoher Besuch hat sich heute angesagt, und zwar der Gauleiter von Köln-Aachen Grohe, Regierungspräsident Vogel sang, 62 Assessor Dr. Tewaag Adjutant vom RK und Pg. Ohlung, Gaupropagandaleiter von Köln-Aachen. Um 9 Uhr fahre ich mit einem Schnellboot nach Herdla, wo der Besuch gegen V2II mit einer Ju 52 erwartet wird. Und dann folgte eine Pechsträhne comme il faut. 1. kam die Ju erst um 12. 2. Das schnelle Boot hatte inzwischen Maschinenschaden, sodass wir auf einem müden Kahn genau 2 Stunden bis Bergen fuhren. 3. waren zu um 2 Uhr der Admiral, der GeneralOberst von Beeren und der Stubaf [47] Flesch von mir zum Essen geladen. Wir kamen selbst um Y23. 4. Um Y2 5 kam die Absage für das mir inzwischen von Flesch zur Verfügung gestellte Boot. 5. Der Admiral stellt mir sein Schnellboot zur Verfügung, startbereit 17.15 Uhr. Es war startbereit um 18.40 Uhr. 6. Inzwischen wollte ich meine Gäste zum Floien herauf fahren. Auf halber Höhe versagt die Kupplung. Um meinem 2. Wagen, der vor mir heraufgefahren sein sollte, Bescheid zur eiligen Rückfahrt zu geben, habe ich das zweifelhafte Vergnügen, per pedes weiter zu stürmen. Schweißtriefend oben angekommen stelle ich fest, dass der Wagen gar- [47r] nicht da ist. Also zurück. Ich rolle dann rückwärts meinen PKW den Berg herunter. Unten angekommen halte ich einen Lastwagen an. Grohe kommt vorne zum Chaufför, Regierungspräsident Vogel sang, Assessor Dr. Tewaag und ich klettern hinten drauf. - fürwahr eine würdige Fracht und Fahrt. 7. Wir fahren nun also doch noch nach Herdla. Dort angekommen, erklärt der Pilot, nicht mehr starten zu können. Einfach wundervoll !!! Zurück nach Bergen!!! ---Gelungen ist an diesem Tag nur das Essen gewesen, das ich in meinem Haus gab. Gut nur, dass es diesmal der RK nicht selber war. [48]

Veralteter Begriff: scheuchend über einen Raum jagen. 62 Josef Grohe (1902-1987); Franz Vogelsang (1899-1979), Regierungspräsident chen. 61

von Aa-

11. MAI 1941

9. Mai 41 Ich habe heute so richtig einen psychischen Katzenjammer. So viel Pech habe ich noch nie gehabt, und was mich am meisten ärgert, ich habe niemanden, den ich mit Recht anfauchen kann. Es war ja eigentlich nur die Tücke des Objekts.Der Ausgang gestern war noch ganz versöhnlich. Ich lud die etwas »geknickten Gemüter« zu mir ins Haus. Ein gutes Abendessen, einige Cognacs und Aquavits, Bier und Whisky beim brennenden Kamin taten das Ihre zum Ausgleich. Aber heute morgen, da ging's wieder los. Ich hatte meinen Wecker auf V27 gestellt, mir der Sicher- [48r] heit halber einen zweiten Wecker geliehen und ebenfalls entsprechend gestellt. Es begann damit, dass ich ein Klopfen an die 63 Tür höre. Herein spaziert Charly, der Gannef und Allerweltskerl. Ich höre seine Worte: »Flesch schickt mich, um zu sehen, wie Dir der Autounfall bekommen ist!« Autounfall?? - Und dann endlich beginnt mein Gehirn wieder richtig zu arbeiten. Charly ist entsetzt, als ich meinen Wecker nehme und ihn vollendet an die Wand knalle. Mittags höre ich von meinem Mitarbeiter Dr. Nising, mit dem ich mich um 7.15 verabredet hatte, dass er mein Nichterscheinen zur Abfahrt der [49] Gäste mit einem Autounfall entschuldigt hatte. Alle Achtung vor der Geistesgegenwart. Überhaupt ein Pfundskerl[,] dieser Nising. »Die Vier aus Oslo« hatten naturgemäß keine Zahnbürste, kein Rasierzeug - kurzum Nichts für eine Übernachtung. Nising schaffte Alles noch abends um Y2 lO Uhr [herbei]. Ob ich dabei nun meine zwei Pyjamas, die ich bei dieser Gelegenheit ausgeliehen hatte, wiederbekomme, ist fraglich. Erstmal sind sie mit nach Oslo genommen worden. Ja, heute ist mit mir nicht viel anzustellen, was wohl auch verständlich ist. Da hilft nur gründlich ausschlafen, was ich nun mehr auch tun werde. [49r]

H.

Mai

1941

Heute ist es Nichts mit einer Kletterei in die Berge. Nach langer Zeit mal wieder Regen. Doch das ist auch dringend notwendig. Es ist eigenartig, aber Mensch und Natur brauchen den Regen und die letzten Wochen bezeichnen sie ernstlich als »schlecht Wetterperiode«. Doch jetzt ist es schon wirklich herrlich draußen. Alle Bäume haben schon Grün. In den Gärten ist eine Blumenpracht. Ja, das Leben wird wieder angenehmer. Mit etwas wehmütigen Gefühlen bin ich heute durch meinen Garten gegangen. Meine Gedanken waren dabei in Hamburg, bei den Zäunen, Sträuchern und Blümchen am Winterhuderquai. Auch [50] dieses Jahr bekomme ich Nichts davon zu sehen. Ich muss Gerda mal schreiben, dass sie mir einige Photos zuschickt, auf denen ich sehen kann, ob die Ligusterhecke schon wieder gewachsen ist, ob die Steingewächse schon blühen? Seltsam, je mehr ich meine Gedanken auf die Heimat konzentriere, je mehr ärgere ich

63 Jiddisch: Dieb, Gauner.

15.

MAI

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mich! Liegt das daran, dass ich »urlaubsreif« bin? Und dabei ist nun ein Urlaub ja auch nicht gerade eine Erholung. Ich ärgere mich, dass ich keine Bildchen von Häsi und Peterle erhalte, ärgere mich, dass Frauchen von geistreichen Unterhaltungen mit unseren Hausfreunden schreibt, während die [50r] Auslassungen an mich meist etwas oberflächlich sind. Ja[,] ich bin geneigt zu glauben, diese guten »Freunde« kommen mehr meiner guten Weine und der bei und von uns bekannten Gastfreundschaft wegen. Aber sicher ist das Alles übertrieben. Also doch Urlaub, aber wann? Gestern erhielt ich aus Oslo telephonisch die Mitteilung, dass ich ab heute zum SS Hauptsturmführer ernannt bin. Lang genug hat's damit ja eigentlich gedauert. Vielleicht kann ich ja bezüglich der Uniformanschaffung einen Heimaturlaub erhalten?? Es ist allerdings noch eine gewisse Differenz zu überbrücken, jene zwischen der [51] Stellung eines Dienststellenleiters und eines Hauptsturmführers. Na, vielleicht geht es mit der Beförderung ja schnell! Gestern abend war ich bei Prof. Holfelder eingeladen. Er ist ein berühmter 64 Röntgenspezialist für Tuberkulose und Krebs. Soeben höre ich im Nachrichtendienst, dass Hamburg wieder schwer angegriffen ist. Ich habe doch bei solchen Meldungen Angst, dass Gerda und den Kindern mal etwas passieren könnte. Soll ich sie nach Süddeutschland schicken oder nicht? Von Lothar65 habe ich gerade heute einen Brief erhalten, in dem er nochmals dafür plaidiert! Sollten die Amerikaner in den Krieg [51 r] eintreten, wäre es wohl bestimmt notwendig, da dann die Yankeeflieger von der Flugbasis England aus mitangreifen, wenn, ja wenn .... Und da kann man dann wieder viel zusammenkombinieren. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass wir solange warten, bis die amerikanischen Flieger in England sind. Sollte etwa die bekannte Konzentration unserer Truppen an der russischen Grenze nur eine Täuschung sein für eine bevorstehende Landung in England ? Da z. Zt. hieran keiner mehr denkt, wäre jedenfalls gerade die Überraschung gelungen. - [52]

15. Mai 41 Das wichtigste Ereignis der letzten Tage dürfte zweifellos die Mfaire Hess sein. Montag, d. 12. 5. abds. 8 Uhr kam die erste Meldung über den Rundfunk. Noch heute ist Alles für uns ein großes Fragezeichen. Es sträubt sich einfach der Verstand gegen die Auffassung, dass Hess ohne Wissen des Führers lediglich auf Grund einer Wahnidee nach England geflogen ist. Ganz ausgeschlossen ist jedenfalls, dass er ein Verräter ist und es sich nur um eine Flucht handelt. Allzu sehr ist man doch geneigt, anzunehmen, es handele sich um eine verabredete Aktion, den Engländern noch einmal klar zu machen, dass eine Fort- [52r] setzung dieses Krieges nur bedeutet, dass das Empire seinen »Ausverkauf« an Ame64 Hans Holfelder (1891-1944) war SS-Mitglied und beteiligte sich an Planungen zu Massenmorden im besetzten Polen. 65 Lothar war der Bruder seiner Frau und Soldat bei der Luftwaffe.

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rika fortsetzen wird, ohne seinem Schicksal entrinnen zu können. Geht diese Manipulation gut aus, ist Hess der Held, geht sie schlecht aus, ist er das Opfer. Allerdings sprechen die meisten Tatsachen dagegen. Z. Zt. steht jedenfalls Eines leider fest, dass der von den Engländern in die Mottenkiste versenkte »General Revolution«, der am Anfang des Krieges eine so große Rolle spielte, jetzt wieder hervorgeholt wird und zum Feldmarschall befördert wurde - Churchill's Aus66 sage: »Der Apfel ist schon wurmstichig« spricht dafür. [53] Die an Hoffnung armen Engländer haben jedenfalls wieder einen Strohhalm erhalten, an den sie sich ausgiebig klammern werden. Andererseits spricht für eine gute Auslegung die Tatsache, dass sogar Churchill sich mit Hess unterhalten will und dass Amerikas Präsident Roosevelt seine große programmatische Rede verschoben hat. Dafür spricht auch letzten Endes die Vernunft, nur war in diesem Krieg davon leider am wenigsten zu spüren. Handelt es sich tatsächlich um ein eigenmächtiges Vorgehen, dann allerdings kann man nur sagen: »der arme Führer, auch das bleibt ihm nicht erspart.« [53r] 67 Gestern, am 14. 5. 41 war Prof. Dr. Hofmann hier, der Erfinder des Bunas • Sein Vortrag war außerordentlich interessant, führte er doch selbst den Laien ein in die Wunderwelt der Chemie. Dieser für seine 75 Jahre außerordentlich rüstige Mann zeigte schon in seiner Bescheidenheit seine historische Größe. Soeben erfahre ich, dass S. M. der RK seinen Besuch auf unbestimmte Zeit verschoben hat. Mit Sorgen denke ich dabei an meinen für Anfang Juni geplanten Urlaub. Es würde nicht ganz leicht sein, die arme Gerda weiter zu vertrösten. [54]

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Heute ist ein so wundervolles Sommerwetter, dass es direkt unheilvoll auf die Gefühle wirkt. Mehr oder weniger ist nun Alles rein. Unzählige Blumen blühen, und die Menschen laufen hell und leicht gekleidet umher. Wer soll da nicht schwach werden und an das Zuhause denken? Man kann sich so gar nicht vorstellen, dass eigentlich Krieg ist. Gut nur, dass die Arbeit immer noch reichlich ist. Fast ununterbrochen strömt die Besucherzahl. Aus Oslo habe ich eine wahre Invasion. Die riechen dort scheinbar, dass es hier schön ist. Nur mir machen sie viel Arbeit. Als ich vorgestern (19. 5.) [54r] mit Osloer Gästen zum Floyen fuhr, 68 sah ich plötzlich das Hamburger Original Arnold Risch. Ich lud ihn mit seinen zwei Partnern zu gestern ins Bristol. Auch Kaleu Werner, Kaleu Schultz und Major Scheel folgten meiner Einladung. Da die Letztgenannten auch Hamburger sind, wurde es ein vergnügter Hamburger Nachmittag. Der Risch ist der Type 66 Der Bezug des Zitats ist unklar. Von Churchill ist ein »wrotten apple«-Zitat nur überliefert mit Bezug auf Reginald Dyer, den Kommandeur der britischen Kolonialtruppen, die 1919 das Massaker vom Amritsar zu verantworten hatten. 67 Chemische Verbindung von Bunatien und Natrium zur Herstellung von Synthesekautschuk. 68 Ein auf plattdeutsch vortragender Künstler (1890-1979) aus Hamburg.

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eines großen, gutmütigen Jungen. Rezitation von Gorch Fock »mit nix sind se anföngen, mit rein gar nix« war glänzend. Er versprach, zu meinem Kameradschaftsabend am 30. 5. mit seinen Partnern zu erscheinen. [55]

25. Mai 1941 Ich habe mir eine gebrauchte »Groma« Reiseschreibmaschine zugelegt. Eigentlich sollte man ja Tagebücher nur handgeschrieben führen. Und doch wird es später sicherlich angenehmer sein, diese Schrift zu lesen als meine manchmal etwas »schwierige« Handschrift. Heute sind wir mal wieder durch »zündende« Sondermeldungen erfreut worden. Erst die Landung deutscher Fallschirmtruppen auf Kreta, dann die Versenkung des 42000 to großen Schlachtkreuzers »Hood« durch die deutsche »BISMARK« [sic]. Beide Meldungen müssen nach den vorgestrigen großen Erfolgsmeldungen über die Mittelmeeroperationen und die Versenkung von über lOOOOO to Handelstonnage im Atlantik bei den Engländern doch eine große Schockwirkung auslösen. Ich habe selten einen kläglicheren Nachrichtendienst gehört, als den von London heute Nachmittag. Die Versenkung ihres stolzesten Schiffes brachten sie ohne weiteren Kommentar, lediglich mit der Aufzählung ihrer angeblich noch vorhandenen Tonnage. Die Niederlage von Kreta wird wie schon im Griechenlandfeldzug dadurch [55r] erträglich zu machen versucht, dass man phantastische Verlustmeldungen der Deutschen bringt und - voraussagt. Die »BISMARK« ist übrigens vor einigen Nächten hier an Bergen vorbeigekommen. Trotz ungewöhnlich schlechten Wetters hatten wir dauernd abends und nachts Fliegerbesuch mit dazugehörender erheblicher Knallerei. Wunderbar war das Schauspiel der Leuchtspurmunition. In Richtung auf die Nordsee zu wurden etliche Leuchtschirme geworfen. Das ließ schon vermuten, dass Schiffe gesucht wurden. Gestern Abend gab mir der Hauptmann Bruhn der Flak auf Herdia eine Schilderung über das »Vorbeifahren« der Bismark. Zuerst kamen um die Felsenspitze herum drei Zerstörer, und dann - sagte er - schob sich ein riesiges graues Massiv um die Ecke. Wir sperrten nur die Mäuler auf. Als dann die ganze majestätische Gestalt der »BISMARK« sichtbar wurde, erfasste uns eine fast sinnlose Begeisterung. Hinter der »Bismarb folgte die »PRINZ EUGEN«. So zogen diese Schlachtschiffe aus, um einzugreifen in die »Schlacht um [56] den Atlantib. Nun sind »BISMARK«, »GNEISENAU«, »SCHARNHORST«, »PRINZ EUGEN« und »ADMIRAL SCHEER« im Atlantik, und es wird wohl kaum sehr lange dauern, bis neue große Erfolgsmeldungen eintreffen, denn zumindest den erstgenannten drei Schiffen haben die Engländer nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Derweil übt Hess die Rolle eines »Spaltpilzes« in England. Seine Erklärungen, er sei nach wie vor ein hundertprozentiger Anhänger Hitlers, und er sei nur gekommen, die Engländer im Interesse Europas und seiner gemeinsa69 Gorch Fock, eigentlich Johann Wilhelm Kinau (1880-1916), (plattdeutscher) Schriftsteller, nach dem 1933 und 1959 zwei deutsche Segel(schul)schiffe benannt wurden.

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men Belange nochmals zu [v]erwarnen, da sonst seine Vernichtung unausbleiblich sei, haben die diesbezügliche englische Propaganda bumerangartig wirken lassen. Da weiterhin Frankreich entschlossen zu sein scheint, einem engl. amerik. Angriff auf seine afrik. Besitzungen mit Gewalt entgegenzutreten, dürfte die derzeitige pol. Situation ungewöhnlich glänzend für uns sein. Ich glaube nicht mehr an einen Eintritt der Yankees in den Krieg, und sicherlich werden in den nächsten Monaten - ohne dass wir wohl allzuviel davon hören werden - erhebliche Friedensfühler ausgestreckt werden. [56r] Vielleicht stehen uns auf diesem Sektor unerwartete große Überraschungen bevor. Militärisch jedenfalls werden wir in der nächsten Zeit eine gereifte Frucht nach der anderen einheimsen können. Syrien, Suez und der Irak, vielleicht auch der Iran werden häufiger genannt werden. Wie ich höre, soll der Führer nach wie vor der Meinung sein, dass eine England Invasion nicht mehr nötig wäre. Es scheint fast, als wenn er mal wieder Recht behalten soll. Auch in Norwegen scheinen mir Überraschungen bevorzustehen. Wenn die Regierung Quisling gestartet werden soll, muss das jedenfalls bald geschehen, da er die natürliche Besserung der wirtschaftlichen Lage, die der Sommer mit sich bringt, unbedingt für sein ansonsten nicht allzu großes Prestige benötigt. Der nächste Termin wäre erst in genau einem Jahr. Man munkelt auch schon etwas von einem »Bevollmächtigten von Weizsäcker« bei einer evtl. norweg. Regierung. Ich würde es naturgemäß lebhaft begrüßen [,] wenn diese Entwicklung eintreten würde. Privat bin ich zur Zeit leider weniger zufrieden. Mein sehnlicher Wunsch, in den nächsten Tagen auf Urlaub gehen zu können [57] wird sich wieder einmal nicht erfüllen und derweilen wird daheim mein kleines Frauchen stark enttäuscht sein. Ausgerechnet jetzt wird 0 mein Vertreter Kanzler Müller vom A.A.7 mit sofortiger Wirkung abberufen. Dazu hängt immer noch der Besuch des R. K. in der Luft. Die Wut könnte man bekommen vor Neid, wenn man sich vor Augen hält, dass Carlo Otte, de Vries und die Hamburger Mädchen nächste Woche ihren Urlaub antreten können. Das sind nun einmal leider die Begleiterscheinung einer Position, wie ich sie angestrebt und erhalten habe. Aber so 6 Monate ununterbrochen von Hause fort ist doch etwas hart.

27. Mai 41

Soeben bringt der Rundfunk die Meldung vom Untergang der glorreichen »Bismarh. Torpedos engl. Torpedoflugzeuge hatten sie manövrierunfähig gemacht. Gegen die Übermacht von drei [57r] engl. Schlachtschiffen & schweren Kreuzern hat sie sich dann noch gehalten, bis die letzte Granate verschossen war. Ich glaube, jeder Deutsche wird heute irgendwie niedergeschlagen sein. Deutschlands stolzestes und größtes Schiff ist nicht mehr. Das wiegt leider mehr als die Versenkung der »Hood«. Offen bleibt nur noch, wo waren unsere 70 Auswärtiges Amt.

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Flugzeuge? Und zweitens, ist wenigstens die »Prinz Eugen« durchgebrochen zur französischen Küste? Eine Genugtuung bleibt wenigstens, wieder haben unsere U-Boote fast 80 000 tons versenkt. [58]

2. Juni 1941 Pfingsten in Bergen, das hätte ich mir am Anfang des Jahres nicht träumen lassen. Allmählich wird das Problem des Urlaubs etwas bitter. Und dabei bemüht sich die Natur, Einem das Leben so schön wie möglich zu machen. Alles grünt und blüht jetzt. Der Flieder, der Goldregen, die Obstbäume. Alles steht in herrlichster Pracht, und die Sonne brennt wie im Hochsommer. Pfingstsonnabend hatte ich meiner Mannschaft frei gegeben, die dann ausflog in alle Himmelsrichtungen. Am Freitag (30. 5.) hatten wir Kameradschaftsabend, der tadellos gelang. Die Wehrmacht hatte mir eine prima Musikkapelle zur Verfügung gestellt, und dann war Arnold Risch da mit seinen beiden Kollegen, Lude von Uhlenborn und Herr Lehmann. Insbesondere Lude von Uhlenborn mit ihren fast akrobatischen Akkordeonleistungen begeisterte meine Männer und Frauen. Eine kleine Scherzdichtung von mir »Opus Nr. 2«, die wieder nach »in Anspruch genommener« Musik einzeln oder in Chören gesungen werden musste, erhöhte die Stimmung. Angeblich viel zu früh, um 1.30 Uhr fand der schöne Abend sein Ende. Am Sonnabend arbeitete ich [58r] meine unerledigten Sachen auf und »machte etwas in Trübsal«. Gestern am Sonntag stieg ich mit Ludat und Froeken Erbarth auf den Ullriken [Ulriken], was doch eine ziemliche Kletterei ist. Und heute ... bin ich soeben zurückgekehrt von einer wundervollen Autofahrt nach dem Hardanger. Hinter Ojstese [0ystese] lagerten wir uns am Fjord und ... badeten sogar. Etwas kalt[,] aber schön. Die Fahrt zurück war etwas schwierig. Der Steinschlag hatte mir meine Öldruckbremse beschädigt, sodass die Bremse nicht funktionierte (Die Handbremse tat das leider schon lange nicht mehr) So ganz ohne Bremse auf dieser ohnehin enorm schweren Strecke war ein schwieriges Unterfangen, aber es ging gut. Nun ist also Pfingsten vorbei, Alles in Allem doch besser[,] als ich vorher dachte.

3. Juni 1941 General Tittel bat mich heute zu sich und eröffnete mir die neuesten Maßnahmen, Evakuierung von Ulvik und Gravdal und Schaffung von Sperrgebieten. An den ersteren beiden Orten sollen in den nächsten Monaten Landungsübungen stattfinden. Also doch Invasion. Jedenfalls werden sich unzählige [59] Schwierigkeiten dabei herausstellen, denn die Menschen müssen nun woanders untergebracht werden. In den Sperrgebieten müssen die Verkehrs- und Ernährungsbelange sichergestellt werden. Gut, dass ich in diesen Tagen doch noch nicht auf Urlaub bin. Eines allerdings ist bei dieser Sache wieder ungeheuer ärgerlich. Alle diese milit. Maßnahmen sind mit dem RK abgestimmt worden und ich habe von dort bis heute noch keine Information. Im Storting muss augenblicklich eine



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große Schlamperei herrschen. Nichts kommt mehr von dort durch, und was wirklich hierherkommt, ist Mist. Na, mein heutiges »Brand«-telegramm nach Oslo an den RK persönlich wird dort etwas Unruhe schaffen, wobei ich gerne das Risiko laufe, mich unbeliebt zu machen. Es sind in den letzten Wochen zu viele ärgerliche Unterlassungssünden passiert. Das Einzige, was flott geht, ist das Einsperren.

5.Juni 41 Heute hatte ich eine interessante Unterhaltung mit dem Regierungspräsidenten Seip von Sogn og Fjordane. Der Ortskommandant [59r] von Leikanger hatte noch in seinem letzten Bericht geschrieben, dass Seip die Seele des Widerstandes gegen die Deutschen und NS ist'?' Mein erster Eindruck von Seip, den ich im vorigen Jahr gewann, hat sich auch nach dieser Unterhaltung nicht verändert, sondern sogar verstärkt. Ein grader, offener Mann, der viel zu klug ist, Dummheiten zu machen, der allerdings ein großer Gegner von Nasjonal Samling ist. Er versprach mir nochmals vollste Loyalität und Mitarbeit, weil er einsieht, dass Opposition oder etwa Sabotage sich nur verstärkt zu Ungunsten seiner Mitbürger auswirken würde. Seip sagte im Lauf der Unterhaltung: Ihr Deutsche seid gute Soldaten[,] aber schlechte Propagandisten. Er meinte weiter: wir können verstehen, dass Ihre Wehrmacht hier ist, das ist wohl notwendig im Kampf gegen England, aber wir können nicht verstehen und werden es auch niemals, dass Sie sich in unsere innernorwegischen Belange in so krasser Weise einmischen. Sie haben bisher nur Eines damit erreicht, dass sogar die ehemaligen Deutschfreunde jetzt zu Gegnern Deutschlands geworden sind. Er sagte damit [60] mit anderen Worten dasselbe, was mir tagsvorher der Chefredakteur 2 Fastings von Bergens Tidende7 und viele Andere schon früher gesagt hatten. Leider hat er recht, wenn auch nicht soweit, wie er glaubt. Denn einmischen müssen wir uns nun mal. Aber die Methode, die wir anwenden, ist falsch. Je weniger die Öffentlichkeit von unserer »Einmischung« erfährt, umso besser ist es. Im vorigen Jahr haben wir uns noch an diesen Grundsatz wenigstens etwas gehalten. Jetzt aber treiben wir »Holzhammerpolitik« und treten dauernd ins Fettnäpfchen. Neidisch können wir wieder über die Nordsee sehen und feststellen, dass »Hinter den Kulissen arbeiten« dort besser verstanden wird,?3 Aber in Oslo scheinen Otte und Müller74 mit ihrer primitiven Unbekümmertheit und 71 Hans Seip (1881-1945) wurde allerdings noch im Jahr 1941 abgesetzt (vgl. 28. September 1941) . 72 Kare Fasting (1907-1983) leitete die »Tidende« (norwegisch: Zeitung, Journal), die wichtigste Tageszeitung in Bergen. 73 Diese Bemerkung bezieht sich wahrscheinlich auf die Niederlande, wo die Politik der Wehrmacht sowie des Reichskommissars Arthur Seyß-Inquart (1892-1946) als relativ zurückhaltend galt. 74 Georg-Wilhelm Müller (1909-1989) war Leiter der Hauptabteilung für VolksaufkläfUng und Propaganda im RK.

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ihrem völligen Mangel an Psychologie zurzeit tonangebend zu sein. Bei solcher Einstellung nützt das beste Können nichts. Wenn »unsere Arbeit« so weiter geht, haben wir in kurzer Zeit die schönsten Sabotageaktionen und überall verstärkten passiven Widerstand. Und das Alles unter der Devise »jede Arbeit ausrichten nach Dringlich- [60r] keitsstufen in Bezug auf den Sieg über England[»]. Da kommt vorgestern der Bauchef von Bergen, Herr Madsen zu mir und zeigt mir einen Brief, den er direkt von der Abteilung Technik und Verkehr Oslo erhalten hat. In ihm verlangt der pp. Baurat Luther, dass das Preisgericht für die Entwürfe für den Neubau des im vorigen Juni abgebrannten Nordnes sein Urteil erst nach Zustimmung des pp. Herrn Luther abgeben darf. Wir sind scheinbar schon so weit, dass die Norweger nicht einmal mehr einen öffentlichen Lokus ohne unsere »vorherige Zustimmung« mehr bauen dürfen. Und dann erwarten diese Herren »freundschaftliche Gefühle« auf Seiten der Norweger. Wenn diese dann ausbleiben, ist man empört und »sperrt ein«. Es ist eine Schande, wenn man täglich mit ansehen muss, wie die große Idee und Leistung des Führers von solch schulmeisterlichen Kümmerlingen immer wieder beeinträchtigt wird. Nun bin ich allerdings gespannt, wie meine diesbezüglichen nicht ausgesprochen »weichen« Vorstellungen beim RK wirken werden. Ich sehe mich schon nach Oslo zitiert, es sei denn, der schon sagenhafte Besuch des RK verwirklicht sich doch noch. Und trotzdem freue ich mich schon auf die Auseinandersetzung. [61]

6. Juni 41 Mit Korv. Kapitän Aust (von Bieling Gebr. Hamburg) hatte ich vor einigen Tagen eine nette Unterhaltung. Ich besuchte ihn abends in seinem wundervollen Haus (von Westfahl Larsen75). Er berichtete von Hess, dass dessen Flucht zu unangenehmen außenpolitischen Folgerungen geführt hätte. Japan, Italien hätten sofort in Berlin angefragt, was dieser Fall zu bedeuten hätte. Frankreich hätte seine versprochenen »Vorbereitungen« in Syrien und Marokko zwei Tage unterbrochen. Das beleuchtet nochmal die große Dummheit dieses Phantasten. Im OKM [Oberkommando Marine] sollen erhebliche Spannungen bestehen. Der Untergang der »BISMARK« wird Raeder76 zur Last gelegt (der übrigens in den nächsten Tagen hier eintreffen soll.) Das Uboot programm [sic] ist immer noch nicht erfüllt, und - was am unangenehmsten sei - die Torpedos seien schlecht und es gäbe viele Versager. Aust war an jenem Abend so eine richtige Unke und rechnete noch mit wenigsten 2 bis 3 Jahren Krieg. Er schien einen besonders schlechten Tag zu haben, oder die Hamburger Luft war ihm während seines Urlaubs nicht Recht bekommen. [61 r] 75 Hans Westfal-Larsen

(1872-1936) war der Gründer

von Norwegens größter Reederei. Die Reederei erlitt während des Zweiten Weltkriegs erhebliche Verluste. Wie die Deutschen in den Besitz der Villa kamen oder ob sie sie nur gemietet hatten, geht aus dem Kontext nicht hervor. 76 Erich Raeder (1876-1960), Oberbefehlshaber der Reichs- und Kriegsmarine.

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Gestern wäre fast ein großes Unglück passiert, gottseidank ist es nur ein kleines geworden. Mein Leiter der Abtlg. Technik und Verkehr hat einen schweren Bauchschuss bekommen und ist sofort nach seiner Einlieferung ins MarineKrankenhaus (Florida77) operiert worden. Siebenmal der Darm durchschlagen und einmal die Blase. Die Operation ist gut verlaufen[,] doch die Krise kommt erst nach dem dritten Tag, und man muss evtl. mit Bauchfellentzündung rechnen. Er fuhr mit zwei Kameraden an Herdia vorbei, als ein hinter ihnen fahrendes Küstenwachboot angeblich Stoppsignale mit der Leuchtpistole schoss. Da die drei das Signal nicht kannten und der Kapitän naturgemäß nach vorne sah, folgte ein scharfer Schuss, der den armen Dipl. Ing. Thote so unglücklich traf. Wenn Alles gut geht, so muss er doch mit ca 2 Monaten Krankenhaus Aufenthalt rechnen. Wenn es wenigstens noch eine engl. Kugel gewesen wäre [62]

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Der Tag begann mit einem herrlichen Feuerwerk. Um I Uhr nachts erschienen zwei englische Flieger und warfen Bomben. Von allen Höhen schoss die Flak mit Leuchtspurmunition. Nur von Nestun schoss schwere Flak. Die Engländer werden bald merken, dass Bergen selbst keine schwere Flak mehr hat. Klar zeichneten sich beide Flugzeuge am unwahrscheinlich hellen Himmel ab. Der Flakbeschuss lag an sich prima, und beide Flugzeuge werden erhebliche Andenken mit nach Hause gebracht haben. I Todesopfer und 12 Verletzte sind zu beklagen. Zwei Häuser sind eingestürzt. Als die Flieger um V23 wieder abzogen[,] kam schon die erste Morgenröte. Es ist etwas Eigenartiges um die hellen Sommernächte Norwegens. Letzten Donnerstag lernte ich Generalmajor Klein vom Luftfahrtministe8 rium kennen, der in Bergen die Niederlassung der NORDAG7 leiten soll. Er bringt zwei modernste Wassermaschinen und einen Fieseler Storch mit und versprach, auch mir die Maschinen für Flüge in meinem weiten Bereich zur Verfügung zu stellen. Jedenfalls sieht man da wieder, was »Hermann«79 macht, ist großzügig und gelingt deshalb auch. [62r] GEDANKEN SÜDWÄRTS .... (für Gerda) Glutrot versinkt der Sonnenball, Silbern und golden schimmert das Meer. Schärfer zeichnet sich ab wie ein Wall Der steinigen Schären zahlloses Heer. 77 Florida ist ein Teil des BezirksNygard im Zentrum von Bergen. 78 Die deutsche Nordische Aluminium Aktiengesellschaft,kurz NORDAG, wurde Ende 1940 mit Kapital des Ministeriums für Reichsluftfahrt in Berlin gegründet. Im Mai 1941 wurde die norwegische Tochtergesellschaft AIS NORDAG gegründet, um die

Aluminiumproduktion für die Flugzeugproduktion der Luftwaffevoranzutreiben. 79 Gemeint ist Hermann GÖring. 93

15. JUNI 1941

Wieder geht vorüber ein Tag Voll Arbeit und Mühen, entsprechend der Pflicht Dem Gesetz, das verlangt ohn' jede Klag' Von Jedem zu leisten auf Vieles Verzicht. Verzicht auch auf Dich Du tapfere Frau, Auf Euch Ihr Kinder, die Ihr noch nicht wisst, Was Krieg bedeutet, und dass er rauh Und in manchen Stunden auch bitter ist. Ich seh' in Gedanken das liebe Bild, Die Trennung erst gab mir den richtigen Wert, Im Zimmer tollen die Beiden wild, Und vergeblich die Mutti nach Ruhe begehrt. Ich gehe im Geiste von Raum zu Raum, Ich seh' jedes Stück, es ist so bekannt, Ich spüre die Zeit, die Entfernung kaum, Und doch sitz' ich hier in fremdem Land. Doch einmal, einmal, da kommt der Tag, Dann find' ich wieder das alte Glück, Wenn siegverkündend der Glocke Schlag Zugleich mir läutet den Weg zurück. Bergen, den 7. Juni 1942 [63]

15. Juni 1941 Seit Tagen schon gießt und nieselt es abwechselnd. Die sommerliche Wärme ist einer unangenehmen Kälte gewichen, sodass der Kamin in meiner Wohnung stark in Tätigkeit getreten ist. In der Woche ist das Wetter kein Problem, aber sonntags ist [es] doch überaus langweilig, im Hause zu sitzen, und draußen tröpfelt es gleichmäßig. Jedenfalls habe ich heute wieder denkbar schlechte Laune. Vielleicht treibt sie der gute Tropfen Grand Marnier Cordon Rouge fort und die gute Lucky Strike, die ich leider wieder mal am laufenden Band konsumiere. Vielleicht beruht die so miese Stimmung auch darauf, dass ich erstens viel Ärger in der vergang. Woche gehabt habe, und zweitens schon zu sehr an daheim 80 denke. Beides geht sogar ineinander über, denn Dr. Hagemann gab mir vor einigen Tagen telephonisch durch, dass der früher zugesagte Regierungs-Assessor nun doch nicht kommt. Damit ist die Vertreterfrage wieder offen und - was

80 Oberregierungsrat Ernst Hagemann (1899-1978).

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17. JUNI

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noch unangenehmer ist - der mir für den Kanzler Müller geschickte und sehr gute Dr. Nising soll Ende Juni wieder zur Wehrmacht zurück. Ärger hat's vor Allem wieder mit Oslo gegeben, das schon wieder mal völlig vergessen zu haben scheint, dass es auch noch Dienststellen an anderen Plätzen des Landes gibt. Nicht mal Fernschreiben an den RK persönlich nützen etwas. So habe ich bis heute auf meine Reklamation vom 3. 6. an den RK bezüglich Orientierung über die mit der Wehrmacht abgesprochenen Evakuierungen noch nichts gehört, trotzdem diese Maßnahmen verständlicherweise mein dauerndes Eingreifen sowie meine Hilfestellung erfordern. So war ich denn am vergangenen Montag bei Oberstleutnant Völker in Gravdal, wo ca 200 Personen eva- [63r] kuiert werden. Am Donnerstag war ich drüben auf Askoy [Ask0Y] in Florvag, wo ca 800 Personen evakuiert werden. Am kommenden Dienstag muss ich nach Ulvik, wo es sich um die größte Evakuierung handelt (einige tausend 8I Pers.). Die ganze Angelegenheit läuft unter GKdosk • Es sollen Landungsübungen mit neuen geheimzuhaltenden Waffen geübt werden. Alles ist furchtbar eilig, und die Invasion in England scheint nun doch wohl akut zu werden. Jedenfalls ist wieder Leben in die hiesigen Truppen gekommen. Jeden Tag stellen abkommandierte Offiziere mir ihre Nachfolger vor. Naturgemäß sind auch die Engländer wieder etwas rührig geworden, wenn sie auch in den letzten Tagen auf Grund des überaus schlechten Wetters nicht einfliegen konnten. Eigenartig spukt es immer noch mit Russland. Große Stäbe sind für jeden Eventualfall zusammengestellt. Schon am H. sollten unsere Truppen angeblich in die Ukraine einrücken. Man erzählt, dass Russland uns die Ukraine für 99 Jahre verpachtet hat und uns gleichzeitig einen Streifen 50 km breit durch Georgien für Kriegsdauer für Durchmarschzwecke zur Verfügung gestellt hat. Qui vivra verra. Da der wundeste Punkt der deutschen Kriegsführung zweifellos die Ernährung Europas ist, kann man sich diese Entwicklung schon vorstellen. Mir leuchtet nur nicht ein, warum die Besetzung der Ukraine dabei notwendig ist. Es müsste doch genügen, wenn Russland die verlangten Mengen Getreide auf dem üblichen Handelswege - evt. vorschussweise zur Verfügung stellt. Wir sollen übrigens Konzessionen in Bezug auf das jetzige Generalgouvernement gemacht haben. Also abwarten. [64]

17. Juni 41 Gestern am 16.6.41 war ich mit StubafFlesch, Dr. Nising etc. in Ulvik u. Osa. In Ulvik durfte ich dann nicht an Land, was auch überflüssig war, weil außer einigen landw. und Handwerksbetrieben dort nichts Wichtiges vorhanden war. Es war gerade eine Landeübung angesetzt. Mit kl. Booten und Sturmbooten, in denen die Soldaten mehr lagen als standen, ging es auf die Küste los. Vorne auf 82 den Booten stand eine Pak • Diese Übungen sollen in den nächsten Tagen in 81 Gemeint ist GKdoS, kurz für 82 Panzerabwehrkanone.

Geheime Kommandosache.

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großem Ausmaße vonstattengehen mit künstlichem Nebel und Flammenwerfer. Osa ist landschaftlich ein herrlicher Platz, muss aber für die [64r] dort seienden Siemensmänner wie das Ende der Welt wirken.

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6.41

Eine Überraschung heute Morgen. Der gesamte Fernsprech- und Telegraphenverkehr ist in meinen beiden Provinzen gesperrt. Gerüchte schwirren heute in der Stadt, Krieg mit Russland, die Engländer vor Bergen, Krieg mit Amerika, Generalstreik in Oslo etc. Die Unterbindung des Telefonverkehrs trifft die Norweger mit ihrer Geschwätzigkeit hart. Aber die Maßnahme wird notwendig sein, um den engl. Spionagedienst schachmatt zu setzen. Die »Bismark« soll von Bergen aus an England verraten worden sein. [65 (1)]83

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Große Aufregung bei allen Dienststellen. Mittags eröffnet mir der General, dass Bergen und Umgebung zum Sperrgebiet erklärt wird, ebenfalls die ganze westl. Hardanger-Gegend. Der diesbez. Befehl der Wehrmachtbefehlshaber sieht in diesen Fällen die Mitwirkung des RK vor, nur weiß der hiesige Vertreter, d. h. meine Wenigkeit, natürlich nichts davon. Das gibt jedenfalls eine riesige Arbeit, denn die Ernährung und die kriegswichtige Produktion im Sperrgebiet[,] aber auch die Versorgung der außerhalb des Sperrbezirkes liegenden Räume von Bergen müssen unbedingt sichergestellt werden. [65r] Bis nachts um V2I haben wir heute gearbeitet. Noch abends um II konnte ich dem General eine gen aue Aufstellung der eintretenden wirtschaftl. Schwierigkeiten mit etlichen Vorschlägen einreichen. Insbesondere die Grenzziehung muss stark verändert werden.

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6. 41

Deutschland marschiert gegen Russland! Dieser Gedanke beherrscht die ganze, trotz des Sonntags nicht unerhebliche Tagesarbeit. Also doch! Zwar kann ich mir immer noch nicht vorstellen, dass Russland uns angreifen wollte. Vielleicht [66 (2)] später mal, wenn ein Augenblick eintreten sollte, in dem Deutschland ermüdet sein sollte. Bisher haben die Russen jedenfalls gezittert vor der Aussicht eines Kampfes mit D. So haben sie restlos den Vertrag bisher erfüllt. Um die Getreidelieferungen sicherzustellen, haben sie sogar erhebliche Mengen aus den Beständen und Reserven der Roten Armee geliefert. Dagegen hatten wir unsere Gegenlieferungen immer wieder herausgezögert. Ich sehe nur zwei Gründe für unser weltgeschichtliches Eingreifen. 1.) Adolf Hitler schreibt 83 Hier beginnt eine neue Seitenzählung, die eine Weile parallel zur alten Zählung wird, bis diese von der neuen abgelöst wird.

geführt

23· JUNI 1941

in »mein Kampf« [sic] als pol. Testament, dass Deutschland niemals [66r] eine zweite große Militärmacht auf dem Kontinent dulden dürfe. Schon die Anzeichen der Bildung einer solchen verpflichten D. zu einem sofortigen Präventivkrieg. Zweitens, wir brauchen mehr Getreide, als Russland aufgrund seines kollektivistischen Wirtschaftssystems liefern kann. Wir müssen deshalb die Produktion in eigene Regie nehmen. Nun ist der Krieg jedenfalls da, und hoffentlich können wir ihn so rechtzeitig zu Ende bringen, dass es noch in diesem Jahr direkt gegen England geht. Bis nachts 12.30 Uhr haben wir heute im Büro gesessen. Meinen unteren großen Saal habe ich der Polizei zur Verfügung gestellt für die zahlreichen Arrestanten, die heute Abend eingebracht werden. Es war eigentlich Unsinn, die Sperrmaßnahmen ausgerechnet am Sonnabend Abend zu verhängen, nachdem tausende Bergenser am Vormittag ins Wochenende gefahren waren. Der General hat im Übrigen die von mir gewünschten Grenzen acceptiert. Auch auf meine Vorschläge zur Sicherstellung des lebensnotwendigen Verkehrs ist er eingegangen. Damit habe ich jedenfalls erstmal die Ernährung und den Fortlauf der wichtigsten Produktionen sichergestellt. Den Rest werde ich den p. p. Stadtvätern überlassen, die sicherlich wenig begeistert sein werden. Mein heute verfasster Aufruf an die Bergenser Bevölkerung wird morgen in der Presse erscheinen. Man rechnet mit englischen Aktionen an der Westküste. Ich glaube, die [67 (3)] Engländer werden sich allerdings wieder zu lange besinnen. Das gilt auch für den Amerikaner. Für beide bedeutet dieser Augenblick eine nie wiederkehrende Chance- bestimmt werden sie sie verpassen.

23. Juni 1941

Die pp. Stadtväter sind da, wie meist auch diesmal völlig ratlos. Sie atmeten erleichtert auf, als ich ihnen erzählte, was schon während ihrer Sonntagsruhe für sie und das Wohl der ihnen anvertrauten Bevölkerung geschehen sei. Es berührt mich immer wieder eigenartig, wenn diese betagten Männer vor Einem sitzen und in für uns fast primitiven Angelegenheiten so gar keine »eigene Erleuchtung« haben. Mein Vorschlag, nunmehr für alle im Sperrgebiet liegenden Verwaltungsorgane der Stadt Bergen, der Kommune Laksevaag [Laksevag] und Teile der Lehnsbezirke Hamre und Fana einen gemeinsamen Ausschuss zu bilden, der sich sofort mit der neuen Lage und ihrer Meisterung befassen soll, wurde dankbar begrüßt. Wenn man den Norwegern etwas von Ausschüssen 84 oder Moten erzählt, sind sie immer sofort dabei. Das liegt ihnen und ihren parlamentarischen Gepflogenheiten. Bisher habe ich allerdings die Erfahrung gemacht, dass wohl eine Menge Papier, aber recht wenig Tatsachen - und wenn, dann zu spät - dabei herauskommen. Heute ist wieder Massenverkehr auf der Dienststelle. Wenn man nicht mehr weiter weiß, kommt man zu den sonst

84 M0te, norwegisch: Sitzungen.

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24. JUNI 1941 85

so gehassten Tyskes • Noch immer hat Oslo keinen Ton von sich gegeben. So etwas kann man nur mit dem weniger freundlichen Wort Saustall bezeichnen. Als ich schließlich Gruppenführer Redieß telefonisch erreiche, höre [67r] ich wenigstens, dass vom Storting auch nichts zu erwarten ist, und ich erhalte die gewünschte Vollmacht, nunmehr nach eigenem Gutdünken verfahren zu können. Wehe aber, wenn ich nun etwas Falsches mache, dann wachen die Osloer Schlafmützen sehr schnell auf, um sich mit Behagen und sogen. Beamteneifer in die Kritik zu stürzen. Bergen schwirrt voller Gerüchte. Die geliebten Engländer stehen vor der Küste. Amerika hat den Krieg erklärt usw. Aber abends ab 9 Uhr sind die Straßen leer, wie es befohlen ist. Heute Abend sieht es direkt so aus, als wenn wirklich etwas los ist. Ununterbrochen ziehen Truppen, Pferdegespanne und Lastwagen durch die Stadt. Bergen staunt, wenn auch nur verstohlen[,] durch die Gardinen, denn aus den Fenstern hinauslehnen darf man sich auch nicht. Doch der Engländer kommt nicht.

24.

Juni

1941

Die Telefonsperre wird heute wieder aufgehoben. Allerdings war diese Maßnahme wohl auch die einschneidendste, ist sie doch geeignet, das Geschäftsleben restlos stillzulegen. Oslo ruft an. Ich soll am Freitag zu einer wichtigen Besprechung nach dort kommen. Ich versuche, mich zu drücken, denn da die Nachtzüge immer noch nicht fahren, bedeutet das allein zwei volle Tage Eisenbahnfahrt. Es nützt nichts, ich muss. Churchill hat gesprochen und die Bolschewiken als neue Bundesgenossen offiziell begrüßt. Das scheint doch auch bei den Norwegern einen schlechten Eindruck gemacht zu haben. [68 (4)] Konsul Halvorsen besucht mich und lässt seiner Empörung freien Lauf. Und doch reagiert die norweg. Bevölkerung auf die Auseinandersetzung nicht so, wie eigentlich zu erwarten war. Allen ist bekannt, das Russland schon immer Aspirationen auf Nordnorwegen gehabt hat. Jeder weiß, dass wenn Deutschland verliert, dieser Teil des Landes für immer verloren ist, aber der Hass gegen Deutschland sitzt zu tief. Man will bewusst die Lage nicht so sehen. Schon machen sich Stimmen bemerkbar wie, Deutschland läuft sich fest in Russland wie seinerzeit Napoleon, und nun wird England ganz bestimmt siegen. Da ich mich auch über die Passivität der Presse ärgere, die seit dem 22. keinen eigenen Leitartikel gebracht hat, hatte ich heute sämtliche Chefredakteure geladen, denen ich dann eine teilweise recht aggressive Rede hielt. Das bisherige Verhalten dieses feigen und spießbürgerlichen Packs wurde ihnen kräftig um die Ohren geschlagen, wenn auch natürlich die Form und Et[i]quette gewahrt wurden. Jedenfalls haben diese Männer selten so viele Wahrheiten auf einmal über sich ergehen lassen müssen, und - was das Wichtigste ist, sie versprachen, zeitgemäße 85 Norwegisch: Deutsche.

29.

JUNI

1941

eigene Artikel zu bringen. Diese Männer werden allerdings die Größe der Zeit niemals begreifen, dazu sind sie zu bürgerlich und liberalistisch verkalkt. Man wird so lebhaft an gewisse Bürgertypen in unserer Kampfzeit erinnert, die - um einmal gehässig zu sein - wahrscheinlich heute würdevolle und verdiente Parteigenossen sind. Heute noch ..... Am niedlichsten war meine Unterhaltung 86 mit dem Chefredakteur vom »christlichen« Dagen. Der arme Kerl drehte und wand sich unter meinem Spott, mit dem ich ihn dazu vor seinen Kollegen überschüttete. [68r]

29. Juni 1941

Oslo liegt hinter mir. Warum ich die lange Reise dorthin machen musste, ist mir allerdings bisher schleierhaft. Nachdem ich mich nun seit gut 4 Wochen mit Evakuierungen, Sperrgebieten etc. erfolgreich herumgeschlagen habe, hat man in Oslo glücklich auch Anschluss gefunden. Ich bekam nun also nachträglich die Verhaltungsmaßregeln unter dem höchsten Siegel der Verschwiegenheit und Wichtigkeit für Fälle, die ich meist längst erledigt hatte. Ich gestehe allerdings gerne, dass ich fast etwas Angst hatte vor dem Empfang im Reichskommissariat, hatte ich doch eigentlich in den letzten Wochen viel zu freche Briefe geschrieben. Das Gegenteil trat ein, wie ein rohes Ei wurde ich behandelt. Carlo Otte erzählte mir sogar am Abend, dass Terboven häufig gesagt hätte, er wünsche, dass er für die Leitung seiner Dienststellen mehr solche Leute wie Christen hätte. Mehr kann man nun beim besten Willen nicht verlangen. Hatte man mir neulich den früher versprochenen Regierungsassessor für die Verwaltungsgeschäfte noch abgeschlagen, so versprach mir Reg. Präsident Dr. Koch diesmal sogar einen Regierungsrat für meine Dienststelle, der schon in ca 14 Tagen seinen Dienst antreten soll. Leicht unerfreulich war wieder die kameradschaftliche Seite meines Besuches in Oslo. Während sich Carlo noch etwas Mühe gab, und anscheinend auch sichtlich stolz ist, dass der von ihm vorgeschlagene Christen so »gut eingeschlagen« hat, hätte [ich] den Streber de Vries wieder stundenlang verprügeln können. Ich weiß wirklich nicht, wie Carlo mit diesem Leisetreter auskommen kann. Er verschwand plötzlich nach dem Abendbrot mit »seinem« Mädchen und ward nicht mehr gesehen, trotzdem er nach wie vor im Haus blieb. Na, der soll mir mal nach Bergen kommen, der kriegt mich überhaupt nicht zu sehen. [69 (5)] Typisch auch sein Verhalten in der Angelegenheit der Bergenser Nordnes Bauplanung. Vor einer Woche bedauerte er lebhaft am Telefon meinen scharfen Brief an Terboven, da derselbe sich eindeutig für eine Einflussnahme in das norweg. Bauwesen festgelegt hätte. Bevor Prof. Speer die Pläne nicht gesehen hätte, dürfe das Ergebnis des Preisausschreibens nicht veröffentlicht werden. Es passte ihm gar nicht, als ich ihm erklärte, das weder er, noch die Abteilung Technik noch Herr Prof. Speer für die pol. Haltung der Norweger im Raum Bergen 86 Deutsch: Der Tag.

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3.

JULI

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verantwortlich wären, sondern ich, und dass ich deshalb auch nur das täte, was ich für richtig hielte. In der Sitzung bei Landrat Dr. Heinrich paukte ich dann meinen Standpunkt restlos durch. 8 Da ich auch in Oslo erfuhr, dass das A. 0.K. 7 die Gegend um den Wasserflughafen in Bergen evakuieren wolle, machte ich noch einen Besuch bei dem 88 mir bekannten IA vom Luftgaukommando Norwegen, Oberstleutnant Giese , mit dem ich mich sehr interessant unterhielt. Jedenfalls freue ich mich, dass ich wieder in Bergen bin. Die Fahrt war wieder abscheulich - 14 Stunden hin und fast 16 Stunden zurück. Der Schmutz liegt zentimeterdick auf Haut und Anzug, dazu 25 Grad im Schatten. Also nichts wie Badewanne. Und nun löst heute endlich eine Sondermeldung die andere ab. Donnerwetter, was hatten sich doch die Russen inzwischen an Waffenmengen zugelegt. In Oslo hatte man davon gesprochen, dass der Führer 6 Wochen für den Feldzug im Osten rechne, dass er jedoch an keine Revolution glaube. Wenn das so weiter geht, dann hat er wieder Recht, und das Unvorstellbare wird wieder Wirklichkeit. [69r]

2.

Juli 41

Die Regenzeit hat begonnen. Es ist erheblich kalt geworden. Und doch gehen wir heute wieder zum Sport. Schon zum vierten Mal arbeiten wir uns Mittwochs körperlich ordentlich aus. Wenn man so, wie ich, gut lO Jahre auf diesem Gebiet nichts getan hat, tut das besonders gut, und die morschen Knochen werden wieder gelenkig.

3· Juli 41

Netter Abend im Kasino von Prof. Dr. Holfelder, zusammen mit Stubaf. Flesch und Dr. Nising. Ein neuer Plan wird besprochen, und zwar einen der vom Secret Service erbeuteten Sender wieder arbeiten zu lassen, und zwar getarnt als London calling. Etwas teuflisch das Spiel, aber interessant.89 Über Russland hört man leider nach wie vor sehr wenig. Aber es müssen ungeheure Verluste für die Bolschewiken sein. Man bedenke, allein fast 6000 Panzer, das ist schon jetzt mehr, als die Franzosen überhaupt besaßen. Erfreulich ist, dass Europa nun tatsächlich etwas mehr aufwacht. Freiwillige aus fast allen Ländern des Kontinents wollen mit gegen die Bolschewiken kämpfen. Schade nur, dass wir in den Ländern, die wir besetzt halten[,] vorher so viele pol. Dummheiten gemacht haben, sodass die Welt zwischen bolschewistischer und nazistischer Knechtschaft, oder G. P.U. und Gestapo wenig Unterschied macht. 87 Armeeoberkommando. 88 Herbert Giese (1899-1978). da« bezeichnete in der Wehrmacht den Ersten Generalstabsoffizier. 89 Nach Auskunft von Bjarte Bruland ein streng geheimes Unternehmen, das keinesfalls in geselligem Rahmen hätte ausgeplaudert werden dürfen. lOO

16. JULI 1941

Es sind nicht immer die schlechtesten Menschen, die uns nicht mehr glauben, vor allem dann nicht, wenn wir von der Freiheit der Völker reden. Sie vergleichen stets mit der Ära Napoleons. Es wird noch lange dauern, bis wir diese aufgekommenen Irrtümer wieder beseitigt haben. [70 (6))

9· Juli 41 Gestern war der Berliner Rundfunkchor hier, ca 50 frische Jungen und Mädels, die ein ausgezeichnetes Können zeigten. Ich hatte als Gastgeber das gesamte Offizierskorps und noch fast lOOO Soldaten eingeladen. Der Abend war ein voller Erfolg. Mit dem Leiter des Chors, Steffen, dem Stadtkommandanten, Oberst Hossfeldr Stubaf. Flesch und Dr. Nising war ich dann noch bis Mitternacht im Hotel Bristol zusammen. Heute habe ich mit meinem Baurat Handt die 60 Entwürfe für den NordnesWettbewerb angesehen. Wenn ich auch davon eigentlich nichts verstehe, so glaube ich doch, dass die Preise richtig verteilt worden sind. Der Anlass dieser Besichtigung war ein Fernschreiben von der Osloer Abteilung Technik und Verkehr, dass ich die Veröffentlichung des Ergebnisses noch bis zum 20. ds. Mts. hinauszögern sollte, weil die pp. Herren Luther und Steffen erst noch nach Drontheim91 wollten, bevor sie sich die Arbeiten in Bergen ansehen würden. Die Herren Bauräte werden sich wundern, wenn sie in Drontheim in der Zeitung lesen, dass das Ergebnis trotzdem veröffentlich worden ist, denn ich denke gar nicht daran, mir wegen dieser pol. Kindsköpfe und bevormundenden Schulmeister die mühsam aufrechterhaltene Loyalität der Bergenser zu verscherzen. Jedenfalls gibt es einen schönen Krach, auf den ich mich schon freue. Demnächst würde sonst noch die Aufstellung eines öffentlichen WCs von der Genehmigung in Berlin abhängig sein. Und dann reden diese Idioten von der Freiheit und Gleichberechtigung insbesondere der nordischen Völker. [70rl

16. Juli 1941

Ich bin mal ziemlich durcheinandergeraten. In diesen Tagen wollte ich nun auf Urlaub. Ich glaube, erstens habe ich ein Recht darauf, da ich nun schon über 6 Monate nicht mehr in der Heimat war, zweitens kann ich es nun auch verantworten, da alles ordnungsgemäß im Büro läuft, und die Herren in Oslo alle schon in Urlaub waren, ohne dass sie es meistens zwar verantworten konnten, und drittens, weil ich es in Bezug auf die Nerven dringend nötig habe, denn ich rege mich meist zu meinem eigenen nachträglichen Bedauern schon bei jeder Kleinigkeit ungeheuer auf. Auf meine heutige telephonische Anfrage bei Landrat Dr. Heinrich, ob ich Ende der Woche ein Flugzeug benutzen kann, hörte ich 90 Walther Hossfeld (1891-1964). 91 Zeitgenössisch übliche, heute veraltete deutsche Bezeichnung für Trondheim; Christen

benutzt beide Schreibweisen. 101

16. JULI 1941

zu meinem Entsetzen, dass es mit meinem Urlaub wohl nichts würde. Ein Sonderkurier sei gerade nach Bergen unterwegs, und alles Weitere würde ich wohl aus dem mir zu übergebenden Schreiben erfahren. Gestern bekam ich inoffiziell eine ähnliche Hiobsbotschaft. Mein Leiter für die Abtlg. Dr Nising, der sich z. Zt. auf Urlaub befindet, soll angeblich nach Kirkeness [Kirkenes] versetzt werden. Das würde bedeuten, dass ich die Volks aufklärung und Propaganda selbst übernehmen müsste. Gerade seit gestern bin ich nun die Verwaltungsabteilung los, da der versprochene Regierungsrat Dr. Roenfeld glücklich übergekommen ist. Bevor dieser sich allerdings eingearbeitet hat, wird trotzdem noch viel Zeit vergehen. Die Leitung der Abtlg. Volkswirtschaft behalte ich so wie so schon, nun steht evtl. die Übernahme des Sektors Volksaufklärung und Propaganda vor mir, der mit der Betreuung des Presse[-], Theater[-], Kino[-,] Rundfunk[-] und Ausstellungswesens sehr umfangreich ist, zumal die verbleibenden Mitarbeiter dieser Abteilung - fast alles Norskes - mehr oder weniger ungeeignet sind. Ganz gleich aber, wie morgen der Kurierbrief aussieht, ich muss [71 (7)] und ich werde »auf Urlaub« gehen, notfalls für zwei Tage. Eine glückliche Beruhigung habe ich allerdings seit heute Mittag. Mein Frauchen schrieb mir einen so netten Brief, der vorerst alle Sorgen bezüglich des guten Bestandes unserer Ehe fortwischte. Das war allerdings auch sehr nötig, da ich nun fast täglich von in die Brüche gegangenen Ehen höre. Ich hatte vor einiger Zeit ihr etwas sorgenvoll das Drama meines Kameraden Ludat mitgeteilt, dem von seiner Frau geschrieben wurde, dass sie von einem anderen Mann ein Kind erwarte, dass dieser »die große Liebe« sei, und dass sie daher die Trennung wünsche. Ich hatte es übernommen, für ihn die Korrespondenz mit seinem Schwiegervater zu eröffnen. Fast täglich höre ich immer wieder von ähnlichen Tragödien vor Allem bei Soldaten, die länger nicht in der Heimat waren. Leider gibt es welche, die Frau und Kind nun schon seit I Y2 Jahren nicht mehr gesehen haben. Was nützt letzten Endes diesen armen Menschen ihr ganzer Einsatz für das Vaterland, wenn ihre Zukunft, ihr bisschen Glück dabei restlos verloren gehen. Leider ist auch ein guter Teil der deutschen Frauen moralisch schon so zermürbt, dass die Fälle sich mehr und mehr häufen. Wer etwas Lebenserfahrung hat, wird gewiss kein Moralpriester sein, aber verwerflich bleibt es bestimmt, wenn eine Frau, die Kinder und Heim hat und somit bis auf den Mann die gewohnte Umwelt[,] »fremd geht«. Wenn wir Männer auch grundsätzlich geneigt sind, für uns andere Maßstäbe zu nehmen, so wird selbst eine Frau zugeben müssen, dass wir mehr oder weniger zurzeit als Junggesellen unser Dasein fristen. Bei uns liegt der ruhende Pol nur in der Gewissheit, dass daheim Frau, Kind und Heim warten auf den Mann und auf den Vater. [71 r] Seit gestern haben wir nun eine neue Bürozeit von 7.30 Uhr bis 15.30 Uhr durchgehend. Theoretisch bedeutet das zwar, dass man nun den Nachmittag frei hat. Zumindest für mich und meine engeren Mitarbeiter ist dadurch die Arbeitszeit erheblich verlängert worden, da wir auch nachmittags und Abends noch eingespannt sind. Mit gewisser Wehmut denke ich an die Zeiten zurück, wo der Kaffeemakler Heinrich Christen sich um 9.30 Uhr in sein Kontor begab. lO2

19· JULI 1941

Trotzdem allerdings ist der jetzige frühe Beginn sehr vorteilhaft. An dem Sprichwort - Morgenstunde hat Gold im Munde - ist zumindest soviel Wahrheit, dass die Arbeitsleistung eines Vormittags eine sehr viel größere ist. Vor sechs Wochen hatte ich schon [von] mir aus die Arbeitszeit vorverlegt, und zwar auf Beginn 8 Uhr. Als wir um 9 Uhr anfingen, begann der Besucherandrang schon um V2 lO. Jetzt habe ich gut 2 Stunden Zeit, um die Post durchzusehen, zu besprechen und zu verteilen. Wenn man dazu bedenkt, dass die Uhren während des Kriegs ohnehin I Stunde vorgestellt sind, bedeutet das, dass wir eigentlich um Y2 7 Uhr unsere Arbeit beginnen, was wohl für jeden von uns früher unvorstellbar gewesen ist. Man sieht aber, Alles ist letzten Endes Einbildung und Gewohnheit. Gestern besuchten mich Dr. Blankenagel und Landwirtschaftsrat Svenns92 son. Blankenagel berichtete darüber, dass in Oslo zwischen dem Reichskommissariat und der Wehrmacht wieder mal erhebliche Differenzen bestehen. Die Möglichkeit einer Kriegsverwaltung ist wieder stark gegeben, wenn das auch wohl für Norwegen und die Norweger sich sehr ungünstig auswirken würde. Ob nun Kriegs- oder Zivilverwaltung, entscheidend werden immer die Menschen sein, die sie machen. [72 (8)] Am verg. Sonnabend (13. 7.) war ein großes Reitturnier der 69. Division. Für ein Jagdspringen hatte ich einen Ehrenpreis gestiftet - die Copie meines alten Stichs von Bergen -, den ich dann in feierlichster Form überreichen musste. Es ist doch immer wieder ein eigenartiges Gefühl[,] so »first man« zu sein. Jedenfalls will auch das eingehend gelernt sein. Ansonsten war ich allerdings froh, als das Turnier vorbei war, denn die Sonne schien unwahrscheinlich heiß. Abends war großer Empfang im Offizierskasino. Der General schien Wert darauf zu legen, mir gegenüber vor den Augen der Konkurrenz (Admiral) besonders die Freundschaft herauszukehren. Die Position eines »lachenden Dritten« hat doch Annehmlichkeiten. Es war schon drei Uhr morgens, als der gutgelungene Abend vorbei war.

19· Juli 1941

Gestern kam der Befehl durch, die engl. V Propaganda aufzugreifen bzw. aufzufangen. Das V soll nunmehr als deutsches Zeichen von uns überall angebracht werden. London hatte für die gestrige und die kommende Nacht den Höhepunkt seiner V Aktion angesetzt. Nun nehmen wir den Herren den Wind aus den Segeln. Etwas lächeln muss ich allerdings, wenn ich daran denke, dass ich gerade vor einigen Tagen den Chefredakteur der größten Tageszeitung zu mir bestellt hatte und demselben großmütig erklärte, dass man mit dem Anpinseln von V an die Häuserwände, in V-Form geknickten Streichhölzern und ähnlichen »Kindereien« den Krieg nicht gewinnen könne. Die letzten Entgleisungen der Bergen Tidende mit der bewussten Einschmuggelung [72r] des V Zeichens in 92 Dr. Karl Blankenagel, Mitarbeiter des Bereichs Landwirtschaft in der Hauptabteilung Volkswirtschaft im RK. Über Svennsson konnten keine weiteren Informationen gefunden werden. lO3

25. JULI 41

Artikel und Annoncen wären einer so seriösen Zeitung nicht würdig. Nun muss ich sehen, wie ich mich aus der »Tinte« ziehe. Jedenfalls hatte ich für gestern Nacht eine 35 Mann starke Kolonne organisiert, die mit Farbtöpfen und Pinseln ausgerüstet, überall ein V anbrachte. Wie ich heute feststellen muss, allerdings auch häufig an Stellen, die nicht gerade dafür geeignet sind, wie Kirchentüren, Firmenschilder etc. Niedlich dabei war folgende kleine Episode. Mein Herr Wauer93 hatte auch drei Norweger (NS) mitgebracht, die früher eintrafen als er selbst. Da sie sich in die Dienststelle begaben und sich nicht deutsch verständigen konnten, ließ ein anderer Mitarbeiter sie kurzerhand von meiner Wache verhaften. Als sie schließlich in voller »Aktion« waren, d. h. fleißig V sund Hakenkreuze malten, wurden sie ein zweites Mal verhaftet, diesmal von der norweg. Polizei. Als sich dieses Malheur schließlich aufklärte, und sie wieder eifrig bei der Arbeit waren, trafen sie mit einem SS Mann zusammen, der sie mit Hilfe zweier Kameraden vorsichtshalber erstmal verprügelte. Die SS Männer wussten noch nichts von »unserer« V Aktion. Dennoch machten unsere Norweger weiter. Ja, ja, dies Völkchen ist schon stur, diesmal sogar in deutschgünstigem Sinne.

23· Juli 41

4 Wochen dauert nun schon der russische Krieg, der russische Widerstand scheint doch stärker zu sein, als gehofft. Wohl ein jeder wird erstaunt gewesen sein über die ungeheuren Mengen an Kriegsmaterial, über das die Russen verfügen, und das wir schon vernichtet haben. Gestern Abend war ich beim Seekommandanten eingeladen. Einige Berliner Künstler produzierten sich gesanglich und auf dem Piano. [73 (9)]

25· Juli 41 Heute traf mein neuer Propaganda-Mann ein, der Reichspropaganda-Amtsleiter Huxhagen94• Ich glaube, er scheint eine gute Kraft zu sein. Er war allerdings auch dringend nötig, denn die deutsche V Aktion erfordert doch viel Zeit und Mühe. Ich hatte inzwischen große Transparente und Plakate anbringen lassen. V Stempel waren von mir angeschafft und an die anderen deutschen Dienststellen verteilt. Auch die Luftwaffe hatte ich eingespannt. Drei in V Formation fliegende Jäger warfen I Million in Bergens Blechdruckerei gestanzte V Papierschnitzel ab. Und London schimpft .... Diesmal ist ihnen wirklich der Wind aus den Segeln genommen worden. Nur dürfen wir nicht übertreiben und solch einen Blödsinn verzapfen wie Herr Fritsche im Rundfunk, der weismachen will, dass der Engländer uns die V Propaganda gestohlen hat, wo doch jedes Kind in den besetzten Gebieten weiß, dass die Engländer schon etliche Monate mit Erfolg 93 Wauer wird später als Ortsgruppenleiter (der NSDAP) bezeichnet, vgl. 10. April 1942. 94 Herbert Huxhagen (1899-1967[?]) war zuvor Landesstellenleiter des Reichspropagan-

daamtes in Hannover gewesen.

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29. JULI 1941

sich hierin betätigten, und das[sJ uns dies Wirken unserer britischen Vettern allmählich sehr unangenehm wurde.

27· Juli 41 Der Reichskommissar kommt morgen .... Diese Neuigkeit erfahre ich vom Adjutanten des Generals, - komisch. Aber diesmal scheint es zu stimmen, wenn auch der Anlass ein etwas lächerlicher ist. In der letzten Nacht hat es in Gravdal95 einige Zusammenstöße zwischen Norwegern und deutschen Soldaten gegeben, wobei drei Soldaten Messerstiche bekommen haben. In Espeland weiter sind auf einer Tanzveranstaltung die Internationale und die Königshymne gesungen worden, worauf von der Wehrmacht 180 Norweger festgenommen wurden. Der erstgenannte Anlass hatte schon ca 200 Nor- [73r] weger »eingebracht«. Daraufhin hatte die Division Meldungen ans AOK nach Oslo gegeben[,J in denen so etwas wie »Aufruhr in Bergen« [,J Sabotage etc. vorkamen. Ca 400 Norskes sind nun heute in meinem großen Saal untergebracht und Kriegsgerichtsräte sind außerordentlich geschäftig. Es scheint mir allerdings, dass es sich wiedermal um ein sogenanntes Horneberger Schießen handelt. Jedenfalls war ich den ganzen Nachmittag auf der Dienststelle, um den Betrieb »vorzubereiten«. Schade um den Sonntag, ich hätte bei dieser Hitze viellieber gebadet.

29· Juli 1941 Das Ereignis ist »überstanden«. Versehentlich ist nicht einmal etwas schiefgegangen. Als der Sonderzug um lO.lO Uhr einlief, war »Alles« versammelt, d. h. der Admiral[,J der General mit ihren Stäben, der Kommandeur der Sicherheitspolizei, der Schutzpolizei und meine Wenigkeit mit den Männern der Dienststelle. Vor dem Bahnhof war eine Ehrenkompanie der Schutzpolizei angetreten, ebenfalls ein Musikzug des Heeres. Pressephotographen huschten herum, kurz, es war ein erheblicher Betrieb. Bei der Begrüßung wäre fast eine Panne passiert. Der Admiral schien den Ehrgeiz zu haben, den RK als Erster zu begrüßen. Glücklich konnte ich ihm noch zuvorkommen, was allerdings sehr notwendig war, weil der RK auf solche Etiquettefragen sehr großen Wert legt. Nach Abschreiten der Ehrenkompanie ging's zum Hotel Bristol, wo ich für 25 Männer ein Frühstück hatte richten lassen. Mit dem RK waren Gruppenführer Redieß, Brigadeführer Wegner, Hauptabteilungsleiter Schmidt und Oberlnt. 96 Beek erschienen. [74 (10)]

95 Es handelt sich um jenes Gravdal bei Bergen, das Anfang Juni zum militärischen Sperrgebiet erklärt und teilweise evakuiert worden war (vgl. 3. Juni 1941). 96 Paul Wegener (bei Christen durchgängig Wegner) (1908-1993), Leiter des nach ihm benannten »Einsatzstabes«, dessen Aufgabe es war, die Politik der Nasjonal Samling im Sinne der Besatzungsmacht anzuleiten. Der Titel »Brigadeführer« bezieht sich auf seinen Rang in der SA, den er seit 1937 bekleidete. Allerdings war er 1940 von der SA in

29. JULI 1941

An das Frühstück reihte sich eine längere Unterredung mit dem General über die den eigentlichen Anlass des Besuchs bildenden Vorgänge an. Dann »siedelten wir« in meine Dienststelle über, wo der »Tanz« der Vorträge begann. Auch der neue Fylkesmann97, der Politimester und der Oberbürgermeister wurden vorgeladen. Dann folgte die Besichtigung der Dienststelle, wobei festgestellt wurde, dass ich eigentlich viel zu viel[e] Norweger beschäftige. Anschließend wurde das vom SD sichergestellte Sabotagematerial der Norweger und des Secret Service besichtigt, wobei Stubaf. Flesch einen kurzen Vortrag hielt. Der netteste Teil des Besuches war zweifellos die Fahrt mit dem Boot nach dem Solstrand. Bei dem wunderschönen Wetter war die dreistündige Fahrt durch die Schären direkt eine Erholung. An Bord waren nur der RK, der Gruppenführer, Brigadeführer Wegner, Hauptabteilungsleiter Schmidt, Oberlnt. Beek, Stubaf. Flesch und ich. In Solstrand besichtigten wir die Villa Mowinkel [Moldegaard]. Dieser schöne Besitz liegt wohl am schönsten Punkt Norwegens. Aus dem herrlichen Park heraus sieht man die weite Wasserfläche und weiter auf den Folgefonngletscher [Folgefonna isbre], dessen weiße Fläche den Blick magnetisch anzieht. Der RK beschloss, diesen Besitz, der einem geflüchteten Bergenser Reeder gehört[,] für eine nationalpolitische Erziehungsanstalt zu verwenden.98 Der Gruppenführer wird dieserhalb in ca 14 Tagen noch einmal kommen, um mit mir die weiteren Maßnahmen zu besprechen. Da die Anstalt mir unterstehen wird und der Ort auch nur knapp 3,4 Stunde Autofahrt von Bergen entfernt ist, erscheint mir die Angelegenheit sehr begrüßenswert. [74r] Auf der Rückfahrt nach Bergen wurde noch das Konzentrationslager Ulven besichtigt, das z. Zt. etwa 140 Häftlinge hat.99 In Bergen folgte die Besichtigung der Baracken der Schutzpolizei. Der RK, der Gruppenführer, Brigadeführer Wegner und ich machten dann noch Anstandsbesuche beim Admiral und beim General. Der General hatte für Terboven noch einen Fernspruch des Führers, die in der vorherigen Nacht verhafteten ca 400 Norweger nach Deutschland zu bringen. Das AOK hatte diese an sich lächerliche Sache an das Führerhauptquartier weitergegeben. - So wird aus einer Mücke ein Elephant -. Der RK war wenig begeistert, und es scheint, als wenn der General etwas Propaganda für sich machen wollte, was ihm allerdings restlos vorbeigelungen ist. Von 21 bis 23 Uhr wurde dann noch in »Kameradschafts abend« gemacht, wobei ich zwischen dem RK und dem Gruppenführer zu sitzen kam. Ich hatte dabei Gelegenheit, meine die 55 gewechselt, wo er 1942 den Rang eines "Gruppenführers« erhielt. Zu Schmidt konnten keine weiteren Angaben gefunden werden. 97 Atne, vgl. 28. September 1941. 98 Johan Ludwig Mowinckel (1870-1943) war ein norwegischer Reeder und liberaler Politiker, mehrmals Bürgermeister von Bergen, Mitglied des Parlaments und dreimal Ministerpräsident von Norwegen. 99 Das »Polizeihafdager« DIven wurde am 1. Juni 1940 30 km südlich von Bergen von der deutschen Sicherheitspolizei eingerichtet. Es unterstand dem Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Bergen, bis Herbst 1941 SS-Sturmbannführer Gerhard Flesch.

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2. AUGUST 1941

zahlreichen Wünsche und Sorgen gut anzubringen. Schon auf der Bootsfahrt war mir dies ganz ordentlich gelungen, sodass ich von dem Besuch restlos zufrieden bin. Auch der RK war mit seinem Besuch, wenigstens soweit es meine Dienststelle betraf, zufrieden, --- und ich habe bis zum nächsten Besuch erstmal wieder eine lange Pause. Um 23.lO rollte der Sonderzug mit seiner kostbaren Fracht wieder ab, worauf die trauernden Hinterbliebenen sich erst einmal erheblich die Nase begossen. Dazu gehörte ich auch. Ich hatte im Laufe des Tages auch mehrfach Gelegenheit, mich eingehend mit dem Gruppenführer und dem Brigadeführer Wegner zu unterhalten. Doppelt genäht hält besser. Auch meinen Urlaub konnte ich vorbringen mit dem Ergebnis, dass ich nach dem erneuten Besuch des Gruppenführers (14 Tage) wohl endlich fahren kann. [75 (11)]

2.

August 1941

Der Besuch des Reichskommissars ist abgeklungen. De Vries rief heute an und meldete, dass der RK [... ] restlos befriedigt gewesen ist. Heute kamen auch die neuen einschneidenden Verordnungen heraus, 1. die gesetzliche Grundlage für den Ausnahmezustand, 2. die Ablieferungspflicht für die Rundfunkapparate in ganz Westnorwegen und einem Teil von Nordnorwegen. Mit Engelszungen hatte ich am Montag auf den RK eingeredet, um ihm das Rundfunkverbot schmackhaft zu machen. Bis zum Schluss hatte er sich gewehrt. Nun hat er die Verordnung doch herausgebracht. Wenn er auch im Augenblick nicht gerne etwas zugeben mag, so verdaut er das Gesagte doch anscheinend ausgiebig. Heute besuchte mich auch der neue Gauleiter von NS, Herr Astrup, - anIOO scheinend ein sehr ordentlicher Mann. Er erzählte mir[,] dass gestern der FiIOI I02 nanzraodmann und der 3. Raodmann der Stadt Bergen von Staatsrat Hagelin abgesetzt seien. Wie Oslo (Landrat Dr. Heinrich) mir auf Befragen mitteilt[,] hat Hagelin diesen »Streich« mal wieder ohne Wissen des Reichskommissariates gemacht. Jedenfalls werde ich erheblich gegen diesen völlig irrsinnigen Eingriff schießen. Noch am Montag hatte ich mit dem RK vereinbart, dass vorerst keine Personalveränderungen vorgenommen werden sollten. Nun setzt diese »Brauseflasche« von Hagelin diese beiden Bürgermeister Knall auf Fall ab. Der Finanzbürgermeister hat noch nicht einmal seinen Etat durchgebracht. Als Begründung für meinen Vorschlag dem RK gegenüber, keine Veränderungen vorerst vornehmen zu lassen, hatte ich angegeben, dass neue Eingriffe sofort das Rücktrittsgesuch des Ober- [75r] bürgermeisters zur Folge hätte, den wir jedoch im deutschen Interesse auf keinen Fall gehen lassen können. Leider habe ich Recht gehabt. Der Ordf0rer hat sein Abschiedsgesuch eingereicht. Auch anChristian Astrup (1909-1983) war von 1941 bis 1944 N.S.-Funktionär und »Regierungspräsident« für Bergen und die Provinz Hordaland, die ebenfalls zur Dienststelle Bergen gehörte. 101 Eigentlich Kidmann bzw. Finansridmann (deutsch: Ratsmann). 102 Albert Viljam Hagelin (1881-1946) war Staatsrat für das Innenressort und später Innenminister in der Regierung Quisling.

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9. 8. 1941

dere leitende Herren spielen mit der gleichen Idee. Und dann wundern sich die Leute, dass NS so unbeliebt ist. Wenn Hagelin so weiter macht, dürfte es bald aus sein mit seiner Staatsratsherrlichkeit.

4. August 41 Wieder ist hoher Besuch eingetroffen. Reg. Pr. Ministerialrat Friedrich und Amtsrat Theurich vom Reichsrechnungshof. Im Interesse vom Reg. Rat Dr. Hagemann - dem Finanzminister in Oslo - habe ich mich der Herren besonders pfleglich angenommen. Meine Kasse war selbstverständlich in Ordnung. Das Mittagessen nahmen wir in meinem Hause ein. Der Friedrich aß wie ein Scheunendrescher. Na, jedenfalls waren beide Herren sehr begeistert von Bergen. Morgen früh trifft nun wieder hoher Besuch ein, der Polizeipräsident von Essen, Oberführer Koreng 3, und der Gauwirtschaftsberater von Essen, Pg. Hoffmann. lO

7. August 1941 Hoffentlich werde ich nun einige Zeit mit sogenannten hohen Besuchen verschont. Außer den schon genannten Herren war am 3. 8. auch noch der Leiter der Gruppe Preisbildung und Preisüberwachung in Oslo, Oberlandesgerichtsrat Dr. Bendiek eingetroffen. Das Erste, was die beiden Gäste des RK hier taten, war Pelze kaufen. Den ganzen ersten Tag habe ich nur Fremdenführer gespielt. Abend[s] hatte ich zu mir ins Haus eingeladen, wo dann erhebliche Mengen Alkohol vertilgt wurden. Zum Schluss ha- [76 (12)] be ich sämtliche Herren quasi »ins Bett« bringen müssen. Oberführer Korreng berichtete sehr interessant über Westdeutschland. Düsseldorf hatte bisher 185 Angriffe, jedoch nur 138 Tote. Krupp hat bisher einen einzigen Treffer in ein belangloses Gebäude erhalten. Pg. Hoffmann berichte[te] von der letzten Gauwirtschaftsberatersitzung in Paris I04 und fand dabei sehr abfallende [sic] Worte für Dr. Wolff. Sein flegelhaftes Benehmen sei überall auf Widerspruch gestoßen, was ich mir allerdings auch vorstellen kann. Nun bin ich froh, dass alle glücklich wieder abgefahren sind.

9. 8. 1941

Gestern Abend hatte ich meinen ersten »Kasino«-Abend im Haus. Jeden Freitag von 20 bis 24 Uhr habe ich mein Haus für die Angehörigen der Dienststelle zur Verfügung gestellt, um ihnen einmal in der Woche die Möglichkeit zu einem gemütlichen außerdienstlichen Zusammensein zu geben. Der Abend verlief sehr nett.

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Es handelt sich um 55-Brigadeführer Korreng. Wolff war nach dem Weggang von Carlo Otte Gauwirtschattsberater

in Hamburg.

14· 8. 41 H.

8. 1941

Heute gießt es wieder vom »Himmelhoch«. Fein, dass ich gestern noch einmal draußen am Solstrand war. Ich habe noch einmal eingehend den Besitz vom geflohenen Schiffsreeder Mowinkel besichtigt. Man kann schon verstehen, dass diese Herren nicht sehr begeistert sind über die Errungenschaften, die wir ihnen bringen. Sie haben wirklich wie die kleinen Könige gelebt. Ich muss immer an die Villen und Besitzungen unserer Hamburger Kaufleute in [76r] Blankenese und am Harvestehuderweg denken. Vielleicht kommt ja Alles einmal wieder, wenn die von uns angestrebte Prosperität Europas Wirklichkeit geworden ist. Mit dem Oberbürgermeister Stensaker habe ich wieder eingehend verhandelt. Ich habe ihm offen erklärt, dass ich in seiner Lage ebenso gehandelt hätte. Er dürfe aber nicht vergessen, dass es über den berechtigten persönlichen Ärger hinaus noch eine höhere Verpflichtung gebe, eine Verpflichtung der norwegischen Bevölkerung und der Stadt Bergen gegenüber. Er sieht das schon ein, aber seine Verärgerung ist verständlicherweise groß. Wie ich heute aus Oslo erfahre, wird sein Abschiedsgesuch auch nicht angenommen. [77 (13)]

14. 8. 41 I05

Gestern Abend hatte ich den General Tittel, den Reg. Präs. Harnoll , den NS Gauleiter Astrup, den Oberbürgermeister Stensaker und den Polizeipräsidenten Vogelin zum Essen in meinem Haus geladen. Es war ein sehr lebhafter Abend und meine Absicht, die auf Grund der Absetzung der beiden Bürgermeister von Bergen entstandene erhebliche Spannung zu mildern, ist voll erreicht. Darüber hinaus brachten die Norweger das Gespräch immer wieder auf die Zukunft ihres Landes. Für alle, ob N5 oder nicht, ist die spätere Wiederräumung dieses Landes eine Vorbedingung im Verhältnis zu den [77r] Deutschen. Dabei zeigen sie absolut Verständnis für die Notwendigkeit einer gemeinsamen Wirtschaftsstruktur und Verteidigung Norwegens Europas mit den sich daraus etwa für Norwegen ergebenden Konsequenzen. Der gerne politisierende General hat allerdings manche bestimmt nicht zutreffende Ansichten. Heute Abend habe ich den hier zu Besuch weilenden Obersturmbannführer I06 Yacht vom Stab Heißmeyer sowie die Herren Kaleu Bartels, Prof. Holfelder, Standartenführer Holtorf (Bengsberg b. Köln) ebenfalls zum Essen eingeladen. [78 (14)] Morgen geht's nun endlich auf Urlaub. General Klein von der Nordag hat mir seine Arado Sport zum Flug nach Oslo zur Verfügung gestellt. Übermorgen kann ich dann weiter nach Berlin fliegen, sodass ich Sonnabend Abend in Hamburg bin. Die liebe Gerda wird wohl ebenso erstaunt wie erfreut sein. Nun sind Ketil Gjerl0v Fleischer Harnoll (1909-1974). 106 Vermutlich August Heißmeyer, 55-0bergruppenführer und General der Waffen-55 und Polizei, Höherer 55- und Polizeiführer sowie von 1935 bis 1939 Chef des 55Hauptamtes. Yacht und Holtorf konnten nicht weiter zugeordnet werden.

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es schon über 8 Monate her, dass ich zuletzt in der Heimat war. Eine unheimlich lange Zeit, wenn man sie vor sich hat. Jetzt beim Rückblick erscheinen sie doch schnell vergangen. Auf Urlaub! Hurra [78r]

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Erstens kommt es, zweitens anders, drittens als man denkt. Nun sitze ich immer noch in Oslo und soll !!!heute Nachmittag endlich nach Berlin fliegen. Am Freitag um II.OO erhob sich also die kleine schneidige Araro Wassermaschine zum Flug nach Oslo. Mir brummte noch etwas der Kopf von der vornächtlichen Sauferei. Es war etwas reichlich gewesen, was der Keller an Getränken wieder hergeben musste. Zuerst ging's nach Stavanger, dann an der Küste bis kurz hinter Egersund und dann querein Richtung Oslo. 3 Geleitzüge von 7 bis [79 (15)] 7-8 Pötten sahen wir. Man muss nur immer wieder den Kopf schütteln, dass England die Schiffe so unbehelligt fahren lässt, denn die Bewachung besteht nur aus je zwei umgebauten kleinen Fischdampfern, die vielleicht 12 Meilen Fahrt machen. In Oslo schließlich angekommen, erfahre ich, dass das Flugzeug erst am Montag fliegt. Das hätten mir die Weihnachtsmänner auch schon gestern Abend nach Bergen durchrufen können. Nachmittags war ich mit Walter Pieper zu Carlo Otte und de Vries eingeladen, die die große Villa von Karl [79r] Schönning (Wilhelmsen) 7 bezogen hatten. Carlo musste abends zum RK, während Elimar sich wieder - wie üblich - vorbeibenahm und mit ihm Frl. Zucker. Gestern schließlich folgte ich einer Einladung von Walter Pieper[,] der noch einen Herrn Freydag aus Hamburg gebeten hatte. Ein netter Abend. Heute sollte das Flugzeug um II.OO fliegen. Dann um 14.00. Jetzt warte ich auf eine neue Zeit und mache mich schon darauf gefasst, dass es überhaupt erst morgen früh losgeht. Also Geduld. [80 (16)] I0

5· 9· 41 Nun liegt der Urlaub hinter mir und mit ihm eine Fülle von Glück und schönen Erlebnissen. Heute um lO.45 trennte ich mich von meinem Frauchen auf dem Tempelhofer Feld, und vor mir liegen nun wieder 3 Y2 Monate Einsatz in Bergen. - 3 V2Monate allerdings, wenn alles gut geht. Ich denke zurück an den Dienstagmorgen (19. 8.), als mich Gerda um 6.45 vom Hauptbahnhof abholte. Ich sehe die erstaunten Augen der beiden Kinder, als sie mich einige Tage später in St. Peter erblickten. Ich sehe noch einmal mein [80r] entzückendes Heim, all die schönen Sachen, die wir so im Laufe der Jahre zusammengetragen hatten. Wie hatten sich Häsi und Peterle herausgemacht. Mein angeblich so nervöses Frauchen war gar nicht so nervös, sondern lieb wie in alten Zeiten. Nun liegt das alles wieder hinter mir wie ein schöner aber kurzer Traum. Ich kehre diesmal 107 Hierzu konnten keine Angaben ermittelt werden. IIO

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gar nicht so gern nach Bergen zurück. Vielleicht liegt das daran, dass die Zeit, wann ich endgültig nach Hamburg zurückkehren kann, noch so unbestimmt ist, vielleicht auch daran, dass der kommende [81 (17)] Winter für die Lieben in Hamburg doch sehr schwer werden wird. Als ersten Bergenser hatte ich heute im Grand den Konsul Halvorsen getroffen. Carlo und Elimar machen z. Zt. - wie geplant - ihre Spezial Ausbildung durch, um daraufhin 4 Wochen an die Front zu gehen um möglichst als General mit dem Ritterkreuz stolz und erhaben vor die staunende Mitwelt hintreten zu können. Eigenartige Auffassung vom bisherigen Kriegseinsatz ! Morgen geht's nach Bergen. [81 r]

9· 9· 41 Nun sitze ich wieder drei Tage in Bergen. Meine Sorgen, dass während meiner Abwesenheit irgendetwas Ungünstiges passieren könnte, haben sich glücklicherweise nicht erfüllt. Sachlich lief Alles gut. Die wichtigsten Sachen häufen sich allerdings auf meinem Schreibtisch. Nur personell hat es einige Streitigkeiten gegeben, die ich nunmehr »ausgebügelt« habe, indem ich die pp. Schreibdamen angefaucht und dann umgesetzt habe. Gestern habe ich einen Besuch beim General gemacht, der inzwischen zum Generalleutnant befördert wurde. [82 (18)]

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In Oslo ist wieder große Aufregung. Gestern Morgen um

wurde der Ausnahmezustand verhängt. Gestern Abend wurden die ersten Verurteilungen und I08 Erschießungen bekanntgegeben. Hoffentlich kommt Oslo nicht auf die Idee, auch für meinen Bereich den Ausnahmezustand zu fordern. Ich brauche ihn wirklich nicht. Etwas Gutes hat ja diese Entwicklung. Wenn die Norskes uns schon nicht lieben, so sollen sie uns wenigstens fürchten. Das Letztere ist z. Zt. nun der Fall, womit allerdings gleichzeitig eine Pleite [82r] unserer bisherigen pol. Arbeit aufgezeigt wird. Wozu die Millionen Mark und die riesigen Propagandastäbe. Ein Ausnahmezustand dürfte so ziemlich das Negativste sein, was man erreichen konnte. Ob das den betreffenden Herren klar wird? Ich glaube kaum! - Man könnte manchmal verzweifeln, wenn man sieht, wie bei den unscheinbarsten Angelegenheiten so große und plumpe Fehler gemacht [werden]. So erhalte ich z. B. vor einigen Tagen ein Schreiben der Hauptabteilung Verwal5.00

108 Im Zuge des Schlags gegen die Gewerkschaftsbewegung wurden in Oslo zwei Gewerkschaftsfunktionäre standrechtlich erschossen, ein Maler wurde zu lebenslanger Zuchthaushaft, drei Arbeiter zu 15-10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Insgesamt waren bei der antigewerkschaftlichen Aktion 120 Personen verhaftet worden. Vgl. Stein Ugelvik Larsen u. a. (Hrsg.), Meldungen aus Norwegen. Die geheimen Lageberichte des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD in Norwegen, Teilband I, München 2008, S. 413 f. III

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tung, in dem angekündigt wird, [83 (19)] dass die Gehälter der norweg. Angestellten rückwirkend ab 1. Juni um ca 20 % gekürzt werden. Nun haben meine sämtlichen norweg. Angestellten ordnungsgemäß Verträge, in dem eine Kündigung zum ersten eines Monats vorgesehen ist. Ich lasse in Oslo also telephon. anfragen, und erhalte die Auskunft[,] dass man aus »Billigkeitsgründen« den Erlass erst ab 1. 9. wirksam werden lassen will. Ich habe heute daraufhin Oslo schriftl. mitgeteilt, dass ich für diesen Monat noch die bisherigen Gehälter ausgezahlt habe. Ich hätte jedoch alle Verträge zum [83r] 1. lO. gekündigt, sodass ab nächsten Monat die Neuregelung in Kraft treten könne. Auf die Antwort bin ich gespannt. Diese Idioten sollten inzwischen auch schon gemerkt haben, dass dem Norweger nichts so heilig ist, wie das Recht. Nein, immer muss »diktiert« werden, wobei es sich in diesem Fall um völlig belanglose Summen handelt. Am Donnerstag war Korv. Kapt. Werner bei mir in der Privatwohnung. Der gute Werner ist ein urgemütlicher Kerl. Er fährt übermorgen auf Urlaub nach Hamburg. [84 (20)]

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9· 41

Das war wieder eine gelungene Sache gestern mit der Einweihung der Straßen10 strecke Eide Kvanndal. 9 Ich hatte den Auftrag, zusammen mit dem aus Oslo herüberkommenden Staatsrat Hustad (Verkehrsminister) die Einweihung vorzunehmen. Um 8.00 morgens setzte sich unsere Wagenkolonne von der Dienststelle aus in Marsch. Die Angehörigen der Behörde hatte ich in einem Autobus mitgenommen. Dann 2 Stunden Fahrt nach Nordheimsund [Norheimsund], wo ich ein Frühstück gab. Dann weiter entlang am Hardanger Fjord bei schönstem Wetter I Y2 Stunden bis Eide. [84r] Ich sprach zum ersten Mal in meinem Leben vor dem Mikrophon für eine Rundfunkübertragung. Anschließend wurde meine Rede in Norwegisch wiederholt. Alles in Allem ein schönes Erlebnis. Nachts 12 Uhr langten wir wieder in Bergen an. IIO

17· 9· 41 Man kommt aus dem Feiern garnicht heraus. Heute Abend will Frl. Erbardt ihren Geburtstag feiern, und gestern Abend habe ich unser neues Kasino und die dazu gehörende Kegelbahn eingeweiht. Nun haben auch meine Leute endlich eine [85 (21)] Stätte, die ihnen gehört.

109 Es handelt sich um eine 9 Kilometer lange Strecke ca. 50 Kilometer östlich von Bergen, entlang dem letzten Teil des Harvangerfjords. Nördlich davon befand sich das KL Ulvik. Einige Bilder von der Eröffnung finden sich unter https:/ /digitaltmuseum. org/list/xk6u ?sv=details [5-4.2021J. HO Tormod Kristoffer Hustad (1889-1973). II2

28.

SEPT.

22.

1941

9. 41

Das war gestern fast eine aufregende Sache mit der ersten Bootsfahrt. Um I Uhr kreuzt Wauer ganz groß mit dem hübschen weißen Boot auf dem See vor meinem Haus auf. Noch in der Hafenbucht habe ich das Fahren schon gelernt. Bei der ersten Minensperre spuckt der Motor einige Male, und dann will er nicht mehr. Wauer, der mir eingangs der Fahrt ausdrücklich erklärt hat, dass genügend Benzin im Tank vorhanden ist, muss nun zu meiner »Freude« feststellen, dass dem nicht so ist. Glücklicherweise kommt bald ein töff-töff Fischkutter, der uns zur Shell-Station im Schlepp mitnimmt. Wauer hat sich schon wieder »erholt« und gibt groß mit seiner »Schießkunst« an. Er hat eine Flinte mitgenommen, mit der [er] Enten zu schießen hofft. Plötzlich sehe ich auch Enten. Ich halte mit dem Boot darauf zu. Nimrod Wauer steht wie eine antike Statue mit dem Gewehr im Anschlag. Es knallt, und Wauer meint, wirklich getroffen zu haben. Eine sei bestimmt angeschossen und müsse gleich wieder auftauchen. Ich kreuze verzweifelt an der angegebenen Stelle herum, aber nichts taucht wieder auf. Also weiter. Diese Schärenwelt ist allerdings wundervoll, allerdings auch erheblich gefährlich. Gerade will ich das Boot wieder auf halbe Fahrt bringen, als wir ein Schrammgeräusch und dann einen Stoß verspüren. Ich war nett und kunstgerecht über eine nicht sichtbare Klippe gerutscht. Gottseidank war nur das Ruder festgeklemmt und - wie sich später herausstellte [-] der Propeller etwas verbogen. Gut zwei Stunden haben Wauer und ich uns dann - bis zum Bauch [85r] im Wasser stehend - bemüht, das Boot wieder flott zu bekommen. Jedoch ohne Erfolg. Wir rutschten mit dem Mut der Verzweiflung dauernd mit unseren nackten Füssen auf Seeigeln, Seesternen und glitschigen Polypen herum, aber Alles nützte nichts. Mit dem Knoten in der Flagge trieben wir dann noch eine halbe Stunde, bis wieder ein 4 Meilen Express-Kahn uns freundlichst in Schlepp nahm. Mit dieser Mfengeschwindigkeit kamen wir dann ziemlich geknickt wieder im Hafen Bergen an. Ja, das war die sogenannte »Jungfernfahrt«. Glücklicherweise habe ich das Boot noch nicht getauft, sodass der Name sich noch nicht zu schämen braucht. Dipl. Thote quält mich heute, ich soll mit ihm nach dem Sogn- und Nordfjord. Diese Fahrt wär eigentlich längst notwendig gewesen, aber bisher glaubte ich immer, mir die Zeit dazu nicht nehmen zu können. Ich habe also zugesagt.

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Sept.

1941

Heute Nachmittag sind wir wieder zurückgekommen von der wundervollen Reise in den Nordteil meines »Königreiches«. Sie wird immer zu meinen schönsten Erlebnissen gehören. Es ist immer wieder traurig, feststellen zu müssen, dass einem die Worte fehlen, wenn man etwas Schönes, Großes, Gigantisches und Interessantes auf dem Papier festhalten will. Über 1500 km trug uns mein RK 42 und fast 400 km trug uns das Fährboot. Ich wünsche nichts sehnlicher, als später einmal mit meinem Frauchen die gleiche Fahrt machen zu können.

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SEPT.

1941

Man spricht so viel in Deutschland von unserer Alpenstraße. Sie ist wohl breiter und besser gepflastert als die norweg. Straßen, aber in Kühnheit der Anlage [86 (22)] können sie sich mit den norweg. in keiner Weise messen. Unbegreiflich ist manchmal die Verwegenheit der Linienführung. Unfassbar ist es dem Autofahrer, wenn er vor sich einen steilen Berghang sieht und man ihm sagt, dass er da mit seinem Wagen hinauf soll. Aber es geht immer. Ich denke hier besonders an die 42 Serpentinen, die einen Hang hinunter nach Ardal (Sogn) führen. Aber nun zur Fahrt selbst. Am 1. Tag (23. 9.) fuhren wir über Nordheimsund zum Hardanger Fjord. In Kvandal bestiegen wir die Fähre nach Kinsarvik. Kurz hinter diesem Ort kaufte ich einen sogenannt. Prachtstuhl, Birke geschnitzt, Sitz und Rückenlehne beschlagen mit Goldleder (gepunztes Büffelleder) zu 280 Kr. Er wird einmal am Winterhuderquai in Hamburg stehen neben der ererbten Eichentruhe. Schon gleich hinter Eidfjord kommen wir hinein in die Bergwelt der Hardanger Vidda. Gewaltig stößt der Vöringfoss [Voringsfossen] bei Fossli herab (ca 165 m). Dann geht[']s über die Hardanger Vidda, die den Eindruck einer öden leblosen Steppe macht. Von weitem können wir eine Rentierherde weiden sehen. Kalt leuchtet links der Hardanger Jökulen [Hardangerjokulen] (Gletscher). Bei Haugastöl [Haugastol] kommen wir wieder an die Bergens Bahn, die wir bis GoI begleiten. Dann führt die Straße in Richtung Nordwest. Es ist schon dunkle Nacht, als wir unseren ersten Rastplatz erreichen - Maristua. Entzückend liegt dieses Touristhotel. Früh am Morgen rollte mein RK 42 wieder in Richtung Tyin. Der Tyin-See liegt noch vollständig im Nebel. Weiter geht[']s nach Aardal [Ardal], wo die Nordag eine gewaltige Anlage baut. Die Wasser des Tyin Sees werden durch eine 50 km lange Leitung nach Aardal geleitet, wo sie mittels Turbinen in elektro Kraft [86r] umgewandelt werden. Das Kraftwerk soll dann ein Aluminium Aufbereitungswerk speisen. Das Projekt selbst ist schon 19II in Angriff genommen worden. Hier sollte ein Stickstoffwerk entstehen. Fast 50 Millionen Kronen waren schon verbaut, als im Kriege 14-18 Deutschland das neue Stickstoff Gewinnungsverfahren entwickelte. Damit war diese großzügige Anlage schon im Aufbaustadium überflüssig geworden. Noch quirlt der Nebel, plötzlich sehen wir tief unter uns Aardal oder richtiger Farnes. 42 kühne Serpentinen führen den 700 m hohen Abhang hinab zum Ort, wo ein emsiges Treiben und Planen und Treiben herrscht. Ob. Ing. Kröll von der Nordag begrüßt uns sehr freundlich. Wir fahren über den Aardalsvann [Ardalsvannet] nach Aardalsstangen [Ardalstangen], wo einmal die Fabrik stehen soll. Im letzteren Ort wohnt der Lehnsman[n] (Landrat), den ich mir bestellt hatte. Für die Rückfahrt nach Ardal steht kein Bootsfahrer zur Verfügung. Welch ein Glück, dass ich gerade einen Sonntag vorher Bootsfahren gelernt hatte. Wie ein alter Fachmann fahre ich dann das schwere Rennboot (24 Meilen) und lege kunstgerecht wieder in Aardal an. Wir kriechen nocheinmal in die Stollen, dann müssen wir die 42 Serpentinen wieder hinauf. Vorbei geht es wieder an Maristua. Bei Borlaug allerdings biegen wir nach Westen ab und fahren nach Laerdal [La::rdal]. o

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Vorbei geht es an Orten mit selten heimischen Namen wie Husum, Toenjum, usw. [:] um bedeutet Heim im altnorwegischen. Ob unsere friesischen Orte gleichen oder ähnlichen Namens vielleicht auf Normannensiedlungen zurückgehen? In Laerdal setzen wir über den Sognfjord [Sognefjord] mit der Fähre und erreichen Kaupanger. Nur ein kurzes Stück können wir fahren, dann müssen wir wieder über einen Arm nach Sogndal. Schon wieder ist es erheblich dunkel geworden, als wir Leikanger erreichen. [87 (23)] In Leikanger empfängt mich der Fylkesmann Atne im Hotel. Atne ist der Nachfolger des gegen meinen Willen abgesetzten Seip und ein großer Harlekin. Von einem Regierungspräsidenten hat er nur den Titel. Na, jedenfalls sind wir sein Gast für den Abend, die Nacht und den Morgen. Auch der Ortskommandant Hauptmann Wiemer meldet sich bei mir, und letzten Endes verbringen wir noch einen netten Abend mit Hilfe des von mir mitgebrachten Whisky und meiner Zigarren. Wieder geht es früh weiter am anderen Morgen (25. 9.41). In Hermannswerk [Hermansverk] wird noch einmal getankt und dann Richtung Nordosten. Leider liegt vorerst noch Nebel auf dem Wasser. Höher und höher geht es hinauf. Herrliche Aus- und Anblicke eröffnen sich unseren begeisterten Augen. Längst hat der Baumwuchs aufgehört. Steine, nichts als Steine, Wasser und Eis. Ja herrliches leuchtendes Eis, ewiger Gletscher. Schnell einige Aufnahmen, ein staunender Blick in diese gigantische Welt aus Stein und Eis, und weiter führt uns der Wagen. Es geht wieder etwas herunter. Man kann sich garnicht vorstellen, in wieviel Farben das Birkenlaub leuchten kann. Überall liegt es goldgelb und goldbraun in den Tälern und an den Abhängen. Schließlich sind wir in Lom, wo das Mittagessen bestellt ist. Fuhren wir bisher nordost, läuft der Weg jetzt wieder nordwest nach Grotli und dann schließlich in vielen Kurven und Serpentinen hinab nach dem Geirangerfjord [Geirangerfjorden] - Merak [Meraker]. Hier legten in Friedenszeiten unsere Luxusschiffe, die auf Nordlandfahrt waren, an. Bilder der »Reliance« und der »Monte Sarmiento« sind in den Schaufenstern. Doch gar bald müssen wir uns wieder trennen von diesem schönen Fleckchen Erde. Die Sonne ist schon wieder verschwunden [87r] und als wir in Grotli ankommen strahlen die Sterne. Aber es strahlt noch etwas mehr. Wie riesige Scheinwerferstrahlen zucken am Horizont die Lichtbündel des Nordlichts auf. Dieses Nordlicht ist wohl das schönste Schauspiel, was der Himmel zu bieten vermag. Das Grotli-Touristhotel ist leider schon geschlossen. Wir müssen daher weiter. In Videseter finden wir schließlich Unterkunft. Es gibt eine Butter und ein Brot, wie ich sie lange nicht mehr genossen habe. Es ist empfindlich kalt. Vor ca 4 Wochen lag in dieser Gegend der Schnee schon über I m hoch, sodass er mit dem Schneepflug auf den Straßen geräumt werden musste. Um 9 Uhr am 26. 9. rollen wir dann wieder talwärts. Vorbei führt die Straße an Seen, auf denen teilweise der Nebel noch lastet, an Bergen, die Schneespitzen tragen. Stryn ist erreicht. Wir bewundern die geschmackvollen WehrmachtsII

III

Vidar Atne (1894-1962).

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lager »Friesenlager« und »Niedersachsenlager«, und dann sind wir am Sognfjord [gemeint: Nordfjord], von dem immer behauptet wird, dass er noch wilder sein soll, als der Sognfjord, (was m. E. nicht stimmt). Durch saftige Täler führt die Straße. Links und rechts stehen schmucke Bauernhäuser, die Wohlhabenheit der Eigentümer verraten. Nordfjordeid ist erreicht. Hier übernehmen wir noch die Assistentin des Wegebauingeniörs. Der Letztere hatte uns von Maristua an begleitet. Ich statte auch dem Lehnsmann einen Besuch ab, - ein kultivierter, kluger Mann. Mit besagtem [sic] Assistentin komme ich in ein pol. Gespräch. Wieder zeigt sich, wie schon bei Unterhaltungen mit dem Wegebauingeniör Thorp, dass diese Menschen sich völlig verrannt haben in eine längst überholte Idee. Sie hassen Quisling und nennen ihn einen Verräter. Und doch ist dieser Menschenschlag ein sehr in- [88 (24)] teressanter. Er gleicht unserem Dithmarscher Bauer, ist sogar genau so stur und dickschädelich. »Freiheit« ist für sie der zündende Funke. »Lieber tot als Sklave« heißt es bei diesem Bauern aus Schleswig Holstein. Der Mensch aus Sogn und Fjordane [Sogn og Fjordane] sagt, wir brauchen die Freiheit zum Leben. Wenn man sie uns nicht gibt, kämpfen wir. Wenn wir sehen, dass der Kampf nichts nützt, so wandern wir aus. Das taten unsere Vorfahren, die Normannen, so besiedelten wir Island nach dem Jahre lOOO, so gingen wir nach Amerika noch vor lOO Jahren, so werden wir auswandern, so bald uns die Möglichkeit dazu gegeben wird. Doch schon jetzt gehen unsere jungen Männer fast jede Nacht nach England. Leider stimmt das Letztere, ca lOO junge Männer aus dieser Provinz gehen monatlich nach England, in dem Wahn, hier die Freiheit zu finden. Es ist schade um die kernigen Menschen und noch bedauerlicher ist im Augenblick, dass ich nicht norwegisch spreche. Es würde sich lohnen, hier aufzuklären. Hier nützt nur Aufklärung und langsame ehrliche Überzeugung, wobei ich mit Bedauern an die derzeitigen Methoden der Gewalt und des Niederknüppelns durch die von uns gestützte N. S. denke. Ich glaube jedenfalls diesen jungen Representanten [sic] der Menschen um den Nordfjord zum weiteren Nachdenken angeregt, wenn nicht sogar etwas überzeugt zu haben. Doch, weiter fahren wir nach Maurstadt [Maurstad] am Nordfjord. Hier nimmt uns ein Boot auf und bringt uns zu einer Insel, auf der eine Baustelle meiner Oberbauleitung West ist. Noch sind die Geschütze nur aus Holz, aber bald wird auch hier der stählerne Schutz sichergestellt sein. Ein schönes Schauspiel bietet sich uns noch. In der Kiellinie eines Mutterschiffes fahren drei U-Boote langsam an uns vorüber. Fürwahr, ein stolzer Anblick. [88r] Boot und Auto bringen uns zurück nach Nordfjordeid, wo wir Mittag einnehmen. Bei Visnes verlassen wir die schon bekannte Straße und biegen ab nach Loen, wo wir zu übernachten gedenken. Doch das Touristhotel an diesem Ort ist auch schon geschlossen, und so müssen wir wieder weiter über Innvik nach Utvik, wo wir übernachten. Am Sonnabend, den 27. 9. früh trägt uns das Auto wieder bergaufWärts. Wir wollen wieder hinüber nach dem Sognfjord.Die Fahrt geht über Breim, Joelster, Mo, Vik nach Ulvestad. In Yoelster [Jolster] besuche ich noch den Lehnsmann. Diese Gegend pflegt im Besonderen die Heimarbeit und ich erstehe eine schöne

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gewebte Decke, die einmal auf meiner Eichentruhe in Hamburg liegen soll. Kurz vor Ulvestad müssen wir noch einmal in gewaltigen Serpentinen herunter ins Tal. Von hier bringt uns ein Fährboot nach dem berühmten Balestrand. Zwar ist der Betrieb in diesem bekannten Hotel schon stillgelegt, aber der Ort selbst macht nach wie vor einen überwältigenden Eindruck. Wieder nimmt uns das Fährboot auf, und gut 4 Stunden fahren wir auf dem Sognefjord nach Gudvangen, wo mein RK 42 wieder seinen Dienst antreten muss. Beängstigend steil führt der Weg hinaus nach Stalheim, dem berühmten Touristhotel. Leider ist inzwischen schon wieder die Nacht hereingebrochen und mit den Scheinwerfern unseres RK 42 suchen wir uns unseren Weg nach Voss. Hier übernachten wir in dem Bewusstsein, ein herrliches Erlebnis gehabt zu haben. Von hier ab befahren wir altbekanntes Gelände. Heute Morgen verließen wir Voss. Über Eide, Kvandal, Nordheimsund ging es zurück nach Bergen. Warm schien die Sonne und ließ uns noch einmal die ganze Herrlichkeit der westnorweg. Landschaft erstehen. [89 (25)) So ging eine Reise zu Ende, die zu den schönsten gehört, die ich bisher gemacht habe, - formell gesprochen --- eine Dienstreise im Bereich meines Hoheitsgebietes.

29· 9· 41 Heute kommt der Erlass des RK über Führung von Dienstwimpeln. Demgemäß habe ich den dreieckigen Wimpel eines Regierungspräsidenten zu führen. Er wird sich sicherlich gut machen an meinem neuen Wagen RK 58, einem Buick 8, den ich von Oslo vor einigen Tagen zur Verfügung gestellt bekommen habe.

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Die letzten 3 Tage standen unter dem Zeichen »Kulenkampff«. Am Mittwochmorgen (1. lO.) trafen sie ein, d. h. Prof. KulenkampfpI2, sein Frauchen, Hanna Barbara und der Pianist Puchelt. Als ich ihnen im Hotel Bristol einen Besuch machen will, lag »er« gerade in der Badewanne. Huxhagen bekam den Auftrag, sich der Gäste [89r] etwas anzunehmen. Ich musste um 13.00 Uhr zur EröffII3 nung der Halogaland [HalogalandJ-Ausstellung in der Börse. Um 15.00 Uhr gibt die Kommune Bergen ein Festessen auf dem Floyen, an dem ich als einziger Deutscher teilnehme. Der Teufel reizte mich, bei Tisch eine Rede zu halten, die bei den N. S. Mitgliedern großen Beifall, bei den Gegnern jedoch erhebliches Nachdenken hervorrief. Meinem Freund, dem Oberbürgermeister Stensaker, fiel die Antwort sichtlich schwer. Spontan erhob sich anschließend der Osloer

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Alwin Georg Kulenkampff (1898-1848) war Professor an der Musikhochschule in Berlin (Violine). Er war in dritter Ehe mit Hanna B. Hoffmann (geb. 1917) verheiratet. Hilogaland ist der mittelalterliche Name der nördlichen Westküste Norwegens.

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Gast, Christian Achner [?], Mitglied des höchsten Gerichtshof[s]"4, und dankte mir bewegt für meine Antwort. [90 (26)] Abends hatte ich Kulenkampffs bei mir zu Gast. Auch Achner hatte ich geladen. Es wurde ein entzückender Abend. Besonders die reizende Hanna Barbara geb. Hoffmann aus Lübeck, sprudelte lebhaft. Man konnte nicht umhin zu bemerken, dass die beiden erst gut % Jahr verheiratet sind. Er ist ein typisch urgemütlicher Norddeutscher (Bremen), so wurde es buchstäblich ein vergnügtes hanseatisches Treffen. Das Gespräch kam auch auf Furtwängler, der sich ganz vom Dirigieren zurückziehen will, um sich nur noch dem Komponieren zu widmen. [90r] Aus K. war keine Stellungnahme herauszubekommen. Sie allerdings verriet[,] dass man in seriösen Künstlerkreisen nicht viel von Furtwänglers neuer Passion hält. Ich hatte ja anfangs die leichte Befürchtung, mangels eigener Kenntnisse auf dem Musiksektor würde die Unterhaltung etwas schwierig werden, das Gegenteil war glücklicherweise der Fall. Am 2. lO. konzertierte K. dann zusammen mit dem »Harmonien« Orchester unter Harald Heide. Es war ein wundervolles Erlebnis. Zuerst gab es Schuberts Unvollendete, dann Beethovens Violinkonzert, zum [91 (27)] Schluss die Leonoren Ouvertüre. Wer auch nur etwas Verständnis für Musik hat, musste mitgerissen werden. Den letzten Tag hatte ich mir reserviert für Kulenkampffs. Zuerst fuhr ich sie auf den Floyen. Bei dem herrlichen Sonnenschein gab es wieder eine herrliche Aussicht. Frau Kulenkampff war besonders begeistert, erzählte sie mir doch, dass sie auf ihren Reisen nie dazu kommen, etwas von Stadt oder Landschaft zu sehen. Immer nur proben und nochmal proben. Dann ging es zu Kaleu Bartels raus, der freundlicherweise (wie immer) ein Schnellboot [91r] zur Verfügung stellte, mit dem wir dann 2 Stunden durch die Fjorde brausten. Ein weiteres S-Boot begleitete uns. So ein S-Boot mit seinen 75.00 PS ist schon etwas imponierendes [sic]. Man fliegt förmlich über das Wasser. Lärm und Zugwind sind allerdings erheblich. Abends fand dann das Solokonzert im Festsaal meiner Dienststelle vor gut 500 von mir geladenen Gästen statt. Wieder ein großes Erlebnis. Anschließend gab ich im Hotel Bristol ein Festessen für 50 Personen. Auch dieser Abend verlief glänzend. Man wird durch solche gesellschaftlichen und künst- [92 (28)] lerischen Ereignisse direkt wieder »aufgemöbelt«. Heute Morgen - nach knapp drei Stunden Schlaf - verabschiedete ich diese sympath. Gäste wieder auf dem Bahnhof.

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Letzten Sonntag, am 5. lO. war ich bei Bartels eingeladen. Stolz brauste mein Boot in die Bucht des K. S. V. [Küstensicherungsverband], wo Bartels mich empfing und mir das von ihm geschaffene Offiziersheim zeigte. Wenn Bartels II4

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Alle Richter des Höchsten Gerichts in Norwegen legten im Dezember 1940 ihre Ämter nieder. Bei Achner muss es sich um einen vom Reichskommissariat eingesetzten Richter handeln, also ein Mitglied der Nasjonal Samling.

13. 10. 41

nicht aktiver Marine-Off. wäre[,] könnte er Architekt werden. Sonntagabend und heute habe ich dann meinen Monatsbericht fertig gestellt. [92r] Heute kam auch mein neuer Dienstwagen, ein Buick 8 an. Eigentlich gebe ich meinen Kapitän RK 42 ja sehr ungern fort, habe ich ihn doch von Anfang an in Bergen gefahren und so manches »Abenteuer« damit bestanden. Von Oslo kamen heute Gauamtsleiter Grebe und Dr. Funke zu Besuch. Ich werde sie zu morgen Abend einladen.

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Vorgestern Abend zwei Festlichkeiten, gestern eine und heute Kasino-Abend, es wird direkt etwas viel. Am 8. war ich erst beim Abschiedsabend von Stubaf Flesch, der nach Drontheim versetzt ist. [93 (29)] Anschließend hatte ich Grebe und Dr. Funke zu mir geladen. Gestern gab Flesch einen zweiten Abschiedsabend zusammen mit N. S. Von Frauchen habe ich heute die Nachricht erhalten, dass sie nach München evakuieren will. Mir ist das ziemlich »an die Nieren« gegangen, trotzdem ich einsehe, dass es wohl das Beste ist, zumal die Lotti, das Hausmädchen, schon zum 1. lO. aufgehört hat. Ich habe eigentlich 4 feste Pole in meinem Leben gehabt. Der erste war meine Firma, die ich mir aufgebaut habe in fast H Jahren, der 2. war Gerda meine liebe Frau[,] der 3. waren die beiden Kleinen Margit [93r] und Jörn-Hinrich, und der 4. endlich mein Haus. Der erste wurde durch den Krieg zerschlagen, nun soll der letzte, wenn auch nur vorübergehend, ausgeschaltet werden, das ist etwas bitter. Ich hänge an diesem Haus, ist es doch das Symbol meiner vielleicht bäuerlichen Sehnsucht nach eigenem Grund und Boden. Aber schließlich ist Krieg, nur wenn ich mir vorstelle, Weihnachten in einer mir unbekannten, fremden Etagenwohnung feiern zu müssen, finde ich das doch etwas grausam. Vielleicht ist diese Einstellung etwas sentimental, aber für mich sind diese Dinge nun einmal wichtig. [94 (39)]

H. lO. 41

Für Huxhagen und Hand[t] habe ich Kriegsverdienstkreuze erhalten. Um allen Angehörigen und auch den »Betroffenen« den Wert dieser Auszeichnung etwas klarer zu machen, habe ich die Verleihung vor der versammelten Mannschaft mit einer kleinen Rede vorgenommen. Heute Abend ist Erntedankfest im Festsaal meiner Dienststelle.

13. lO. 41

Das Erntedankfest war mies. Der Saal halb gefüllt. Der Redner drittklassig, dafür umso eitler. Ich muss mich selbst um den Laden kümmern. [94r]

21. 10.

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15. lO. 41

Gestern Mittag hatte ich eine interessante Unterhaltung. Der aus England mit einem Gummiboot geflohene Norweger BjörnebtI5 hatte am 13. vor N. S. gesprochen. Ich hatte ihn zusammen mit dem N. S. Gauleiter Astrup ins Bristol eingeladen. B. ist ein frischer junger Bursche. Ich habe ihn gebeten, nächste Woche vor den Soldaten in Bergen zu sprechen. Zum Essen hatte ich Kapt. 6 Hohnhorst" und Kapt. Werner eingeladen. Abends hatte ich Konsul Halvorsen und Oberbürgermeister Stensaker bei mir zu Gast. Ich glaube[,] meine Absicht, den guten Stensaker ein [95 (31)] Stückchen voran zu bringen auf dem Weg der Zusammenarbeit mit N. S.[,] ist gelungen. N. S. will Stensaker absolut absetzen. Ich habe jedoch dem Gauleiter Astrup erklärt, dass er und Innenminister Hagelin sich auf den Kopf stellen könnten, aber Stensaker würde mindestens bis ult. Dezember bleiben. Ich würde darüber [hinaus] auch nie dulden, dass er »gegangen wird«, sondern Stensaker würde dann von sich aus seinen Abschied suchen, wenn meine Versuche, ihn doch noch auf die richtige Linie zu bringen, scheitern würden. Es war ein sehr »lebhafter« Abend. [95r] Um 2 Uhr konnte Halvorsen nicht mehr auf den Füßen stehen und auch St. zeigte leichte Schlagseite. Leichtsinniger Weise habe ich beide dann noch nach Hause gefahren.

Heute geht es mir schon wieder besser, aber gestern bin ich tatsächlich den ganzen Tag im Bett geblieben. Meine Nase träufelt mit den Regentropfen um die Wette. Auch meine Mandeln werden wieder »frech«. Wenn die Nase mich nicht daran hindern würde, hätte ich direkt Zeit, um auszuschlafen. Bisher hilft weder Alkohol noch heiß baden. [96 (32)]

21. lO. 41 8

Minister Rust" soll heute in Bergen eintreffen. Alle maßgebenden Männer sind schon aufgeregt. Müssen wir am Bahnhof sein oder nicht, das ist die Frage. »Man« beschließt, am Bahnhof zu sein. Das werden wieder einige lebhafte Tage, zumal auch noch die Eröffnung der deutschen Fachbuchausstellung dazu kommt. 3 mal habe ich schon persönlich das Programm umgebaut. Ich muss das leider selbst machen, da ich mich in dieser Beziehung auf den guten Huxhagen nicht verlassen kann. Er ist es zu sehr gewohnt, 70 Männer um sich zu haben,

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Johan Vilhelm »Willy« Midelfart Bj0rneby. Ludolf von Hohnhorst (1899-1978), Stabschef des Admirals Norwegische Westküste. Im Original: »19.II.«, ein offensichtlicher Schreibfehler. Bernhard Rust, seit 1934 Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung.

26. 10. 41

die seine [96r] »gelassen ausgesprochenen Worte« sofort in die Tat umsetzen. In Bergen hat er diese 70 Männer nicht, und das vergisst er leider allzu häufig.

26.

lO.

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Einige wilde Tage liegen hinter mir. Donnerwetter, hat dieser Rust eine Vitalität. Noch einige Tage im gleichen Tempo, und er hätte mich wohl »schwach« gemacht. Aber ich will chronologisch berichten. Es ist der 2[1]. lO. 41 abends II9 um lI.45. Man streitet sich noch um die mutmaßliche Verspätung des Osloer Zuges. Bisher sind auf dem Bahnhof nur Oberstleutnant Hass- [97 (33)] lauer, I2o StubafBlomberg, Dr. Sengler , meine Männer und ich. Der Bahnhofsoff. gibt ungeduldig zum lO. Mal die Auskunft, der Zug würde genau II.lO Uhr eintreffen. Da faucht er überraschend in die Halle. Wir toben am Zug entlang. Nichts. Wieder zurück zum Ausgang, wo eine Ehrenkompanie der Schutzpolizei steht. Wieder nichts. Wir also im Trab wieder am Zug entlang. Irgendeiner hat etwas von Sonderwagen am Ende des Zuges erzählt. Plötzlich habe ich den Minister mit seinen Männern im Dunkeln entdeckt. Noch einige Schritte, und ich deklamiere, rhetorisch [97r] vollendet: Herr Minister, ich habe die Ehre, Sie in Bergen willkommen heißen zu dürfen. Das erste, was ich dann spürte, war eine Mischung von H20 mit Alkohol gemischt, dann hörte ich die Worte: »Wieso, wer sind Sie denn?« Nachdem ich mich überraschend schnell gesammelt hatte, klärte ich den pp. Herrn Erziehungsminister auf, gleichzeitig auch darüber, dass er, bzw. sein Zug unvorhergesehen früh eingelaufen sei. Dann begann glücklicherweise »mein« Programm zu rollen. Blitzlicht !!! Die erste Aufnahme war gemacht. Inzwischen waren auch der General und der Chef des Stabes des [98 (34)] Admirals eingelaufen. Eine leicht komische Begrüßung und dann stand der erschrockene pp. Minister plötzlich vor einem blankgezogenen Degen. Der Offizier der Schu-Po meldete. Zuerst kam wieder: »unsere Fahne wehet uns voran« und dann die »Herrenworte« »Heil Hitler Kameraden« mit Echo » Rhatatatatatar .... « Wer nun geglaubt hatte, Herr Rust würde sagen, »Meine Herren, ich danke für den Empfang, Sie werden verstehen, dass ich müde bin«, hatte sich schwer geirrt. Dazu gehörte ich leider auch. Wohl hatte ich noch eine kalte Platte mit Tee und Bier bestellt, aber so gegen I Uhr hatte ich mich im Bett [98r] gesehen. Noch beim Essen verlangte der pp. Minister Cognac, den ich gehorsamst holen ließ. Wir saßen noch um I Uhr. Ich musste noch 2 Fl. Whisky holen lassen. Es wurde 3 Uhr, 4 Uhr. Ich musste nochmal Cognac organisieren. Es wurde 5 Uhr. Der Herr Minister sprach, deklamierte, lallte, schimpfte, lachte. Es wurde 6 Uhr. Schließlich geruhte der pp. Herr Minister die Nachtgemächer aufzusuchen. Betrübt und erstaunt schlichen wir Übrigen dann ebenfalls nach Hause. II9

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Im Original »2.10-41«, ein Schreibfehler. Außerdem ist hier wohl Sonst stimmen die Zeitabläufe in der folgenden Erzählung nicht. Mitarbeiter im Arbeitssstab Wegener, vgl. 29. Juli 1941.

10-45

Uhr gemeint.

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26.

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Genau 2 Stunden dauerte die Nachtruhe - es wartete ja das »Programm«. Am 22. war als Erstes vor- [99 (35)] gesehen, Anstandsbesuche bei den Kommandeuren der 3 Wehrmachts teile zu machen. Um V2 lO war ich im Hotel, [um] den Herrn Minister abzuholen. Der Herr Minister schlief. Um V2II kam die erfreuliche Meldung, »Der Herr Minister rasiert sich[«]. Um II Uhr erschien seine Hoheit huldvol1st. Inzwischen hatte ich den Besuch bei der Luftwaffe schon abgesagt. Auf einen ähnlichen Versuch meinerseits bei der Marine reagierte dieselbe sauer. Also mussten wir. Zuerst Marine, dann General Ortner vom Heer. Beide Male gelang es mir[,] unter Einleitung durch vernehmliches Räuspern, den Besuch schnell zu beenden. Der Herr Minister war darüber [99r] so begeistert, dass er dem Chauffeur Volkslieder vorsang. Wir fuhren dann zum Floyen und dann zum Glaamann [wohl gemeint: Blämanen] herauf wo der Herr Reichsminister majestätisch die Front der Batteriebesatzung abschritt. Da die Sonne wieder mal prachtvoll schien, war der Ausblick allerdings phantastisch schön. Danach gings in wilder Fahrt wieder herunter in die Stadt, wo um I Uhr im Bristol die Honoratioren der Stadt und der Wehrmacht warteten, um gemäß meiner Einladung mit uns zu speisen. Auf meine »wohlgeformte Tischrede« vergaß der Herr Erziehungsminister leider zu antworten. Aber ansonsten verlief alles harmonisch. (Es war genügend Alkohol da.) [100 (36)] Um 16 Uhr fuhr RM Rust ab, um sich mit meinem Boot nach Troldhaugen und dann mit dem Wagen weiter nach der Fantoft Kirche zu begeben. Ich konnte nicht mitfahren, weil ich um 17 Uhr eine Versammlung leiten musste, in welcher der Norweger Bjoernby vor 1200 Soldaten und Zivilisten über seine Flucht aus England sprach. Die Versammlung nahm einen glänzenden Verlauf und manch ein Landsmann wird wieder einmal sehr nachdenklich und stolz nach Hause gegangen sein. Abends hatte ich Rust bei mir im Hause zu Gast. Weiter eingeladen waren, Ministerialrat Dr. Huhnhäuser, Schulrat Pudelo und Dr. Funke mit Sekretärin aus Oslo. Stubaf BIomberg und Herr Henschen, Huxhagen. Dr. Roenfeld, sowie die Damen Winkler (Sekretärin von Rust) , Zeininger und Erbarth von meiner Dienststelle. Verlauf des Abends wiederum ausgezeichnet. Huhnhäuser bat mich immer händeringend, seinem Minister nicht so viel einzuschenken, was ich allerdings schon von selbst nicht tat, da ein sich vorbeinehmender Minister nicht gerade sehr repräsentativ wirkt. Ich vergaß noch einen Gast, den Norweger Bjoerneby. Mit ihm trank S. H. der Herr Minister auf Du und Du. Anscheinend ist das eine neue Art, die europäische Solidarität zu dokumentieren. Ich bin zwar noch nicht ganz so weit, um das gebührend zu verstehen. Auch die anderen Gäste neigten mehr zu der wohl primitiven[,] aber sehr naheliegenden Auffassung, dass die Auswirkungen des Alkohols nicht immer vorauszusehen sind. Morgens um 4 wurde »mehr«stimmig das deutsche Volkslied vergewaltigt. Um 6 Uhr nahm das »grausame« Spiel ein harmonisches Ende. Am »nächsten Morgen«, d. h. drei Stunden später[,] stand 2I

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Im 19. Jahrhundert im Stadtteil Fantoft nachgebaute Stabkirche aus dem dert.

13. Jahrhun-

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ich schon wieder in der Vorhalle des Hotels Bristol. Ich hatte mir für diesen Tag als Höhepunkt der Besichtigungen vorbehalten. [100r) Für die runde Summe von 1200 Kr. hatte ich das hanseatische Museum und die Schoetstuben wieder einrichten lassen. (Das gesamte Inventar war mit meiner Zustimmung vor einigen Monaten schon in Kisten verpackt in die Gewölbe von Bergens Museum gebracht worden.) Als wir nun um lO Uhr im Hanseatischen Museum anlangten, war der Direktor Koren- Wiberg nicht zu sehen. Ein Angestellter sagte mir, dass K. W im Archiv wäre, wo ich ihn denn auch antraf. Er war völlig verstört und erklärte, nicht mitmachen zu können, da »seine Frau einen schweren Herzanfall« bekommen hätte. Der Grund war, dass im Morgenavisen die Meldung von der Erschießung zweier Norweger in Bergen wegen Spionage 122 stand. Da der Schwager von K. Webenfalls wegen Spionage eingesperrt ist, sah die Frau ihren Bruder von den bösen Deutschen ebenfalls schon erschossen. Und Koren- Wiberg, der ein herzensguter Mann ist, aber lediglich die Meinung seiner Frau hat, war nun ebenfalls völlig »herunter«. Auf mein Zureden erklärte er sich glücklicherweise bereit, dem Minister jedenfalls guten Tag zu sagen. Wie ich mir schon dachte, ging mit dem guten Wiberg sein hanseatisches Gefühl durch, und schließlich zeigte er uns doch persönlich sein Museum und die Schoetstuben. In den Schoetstuben hatte ich den großen Kamin heizen lassen. Auf den alten Holzstühlen standen Krüge mit gutem Bier und Schnäpse, und wenn ich nicht dauernd gedrängt hätte, wäre wohl eine weitere Verbrüderungsszene dabei herausgekommen. Nun sind allerdings die Schoetstuben wohl auch eine der schönsten Erinnerungsstätten der alten Hansezeit. Also der Abschied war sehr schwer und fand auch erst statt, nachdem einige passende Männerlieder verklungen waren. Nun ging es heraus zu Bartels. [101 (37») Am Wohnschiff »Westwärts« wurden wir vom Chef des Stabes des Admirals der norw. Westküste empfangen. Nach Besichtigung des Schiffes, des Offizierskasinos und Abschreiten der zum Appell aufgestellten Mannschaften aller in der Bucht liegenden Schiffe wurden wir auf einem Schnellboot verfrachtet. Die Fahrt ging nach dem Solstrand, wo ich für ein anständiges Mittagessen gesorgt hatte. Dann wurde der Besitz von Mowinckel besichtigt und endgültig beschlossen, hier eine nationalpolitische Erziehungsanstalt erstehen zu lassen. Um 7.30 standen Bergens »deutsche« Honoratioren wieder auf dem nun schon sooooo bekannten Bergenser Bahnhof. Um 7.50 Uhr abends am 23. lO[.] war der denkwürdige Augenblick der Abfahrt S. H. des pp. Herrn Ministers, der Gottseidank restlos begeistert war von dem zweitätigen Besuch in Bergen. Wir waren genauso restlos begeistert, dass dieser »Kelch an uns vorüber gegangen war«. Wenn ich nun geglaubt hatte, dass ich nun endlich die wohlverdiente Ruhe bekommen würde, hatte ich mich getäuscht. Mein Thote bat so lange, bis ich

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Die »Morgenavisen{{ war eine Bergenser Tageszeitung. Bei den Hingerichteten handelte sich um Ivar Dues und und Karsten Wang, die am 5.10.1941 zum Tode verurteilt worden waren (Hinweis Bjarte Bruland).

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mit ihm zum Kasino ging, um die nach Kirkenes und Tromsoe [Troms0] versetzten Kaiser und Weber »abzufeiern«. Am Freitag, den 24. war natürlich Hochbetrieb in der Dienststelle. Einen schweren Schock erhielt ich durch das Telegramm von meinem Frauchen, das mein Fräulein Prinz plötzlich verstorben sei. Menschlich und sachlich ist das ein großer Verlust für mich. lO V2Jahr war das Mädchen bei mir und hatte den Aufstieg meiner Firma aus wahrlich kleinsten Anfängen mitgemacht. Sie war der Treuesten Eine. [101r] Ich erinnere noch lebhaft, als der gute Belke mir im April 1931 die Prinz buchstäblich »aufhalste«. Ich hatte ja noch selbst nichts. Doch die Zeiten waren so, dass sie selbst über die RM 60.--, die ich ihr monatlich gab, voll begeistert war. Wir haben uns so richtig durchgebissen. Als ich dann heiratete und schließlich Kinder bekam, hing sie mit einer seltenen Verehrung an meiner Familie. Was sie an Schönheit zu wenig hatte, hatte sie dafür an Treue fast zu viel. Das war auch der Grund, warum ich sie trotz des Krieges nicht gehen ließ und ihr die Betreuung der von mir für meine Kollegen aufgezogenen Sozialfonds übertrug. Auch diese Arbeit führte sie restlos zufriedenstellend durch. Nun hat irgendein mir noch unbekanntes Geschick sie aus dem Leben genommen. Gestern, am 25. ging der »Trubel« weiter. Um 12 Uhr hatte ich die deutsche Fachbuchausstellung zu eröffnen. Ich habe auch diese Gelegenheit benutzt, um auf die Norweger »einzureden«. Alle Spitzen der Wehrmacht, der norweg. Verwaltung waren anwesend. Mein Istündiger Vortrag wurde mit stenographiert und erscheint am Montag in der gesamten Presse als Auflage. Trotzdem ich nun wirklich keine Zeit hatte, ihn vorzubereiten, glaube ich, dass er gut gelungen ist. Heute Vormittag habe ich ihn noch einmal für die Presse überarbeitet. Zu um 14 Uhr hatte ich die Herren der Kommune Bergen und der Fachorganisationen zu einem Essen im Hotel Bristol eingeladen. Irgend etwas von dieser »friedlichen« Einwirkung muss ja mal hängen bleiben. Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass ich wieder ein gutes Stück vorangekommen bin. Ich glaube, meine Beharrlichkeit ist besser, als die Osloer Sprunghaftigkeit und Holzhammerpolitik. [102 (38)] [Im Original als S. lO3] Heute Abend kommt mir das noch einmal in den Sinn, was Rust vom Führer erzählte, und was seinen Besuch für mich doch wertvoll machte. Er erzählte von der eigentlichen Geburtsstunde der Weltmacht Großdeutschland. Dem Engländer und Franzosen war der Aufrüstungswille des Führers nicht verborgen geblieben. Um diesen Beiden nicht die Möglichkeit zu geben, mit Hilfe des Völkerbundes kollektiv gegen Deutschland vorzugehen, musste Deutschland diesen verlassen. Nun bestand aber die Gefahr, dass bei bekanntwerden [sic] des Austritts, zumindest die Franzosen marschieren würden, um durch einen kurzen Präventivkrieg die Absichten des Führers zu vereiteln. Der Versailler Vertrag und die Gesetze des Völkerbundes gaben ihnen die moralische Rechtfertigung dazu. Zuerst gelang es nun dem Führer, bis zur Überreichung des Memorandums die Absicht des Austritts restlos geheim zu halten. Dann sollen seine weiteren Gedankengänge ungefähr die Folgenden gewesen sein. »Ich kenne doch diese 124

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Herren Demokraten, sie handeln nicht gern, sie reden lieber. Ich werde sie in ihren Urgefühlen bestärken, indem ich ihnen Gelegenheit zum Reden und damit zum Warten gebe.« Im Augenblick der Überreichung des Memorandums verkündete daher der deutsche Rundfunk, dass der Führer am selben Tag um 18 Uhr über alle Sender reden werde. Damit waren vorerst einmal 6 Stunden gewonnen, denn der Engländer oder Franzose konnte nun mit gutem Gewissen erst einmal die Rede »abwarten«, um dann »gegebenenfalls« zu handeln. Diese 6 Stunden genügten aber dem Führer nicht. Er beschloss daher, dem Gegner ein neues Argument zum Abwarten hinzuwerfen und verkündete am Schluss der I V2 [102r] [stündigen] Rede, dass er den deutschen Reichstag auflöse. Das war aus innerpol. Gründen absolut nicht notwendig, aber der Feind war dankbar für diese angebliche Dummheit des Führers. Wie vom Führer vorausgesehen, sagte er sich. In der kommenden Reichstagswahl fällt der Führer sowieso durch, warum sollen wir uns heute aufregen. Es kam, wie wir wissen, anders. Weiter behauptet der Führer, dass seine schwerste Stunde jene gewesen sei, als auf seinen Befehl deutsche Truppen das Rheinland besetzten. Der Draht spielte in ungeheurem Ausmaße nach Berchtesgaden und später nach München, und der Führer kannte an jenem Tag nur eine Frage, »marschieren sie?« Sie, d. h. die Franzosen, marschierten nicht. Aber der engl. Botschafter Philips123 erschien beim Führer und überbrachte die Forderung Englands, als symbolische Geste (man spürt Mr. Eden) von jedem Regiment sofort I Bataillon wieder über die Grenze zurückzuziehen und zu versprechen, niemals weitere Truppen ins Rheinland einrücken zu lassen. Der Führer soll außerordentlich schroff gewesen sein und geantwortet haben, »Ich denke garnicht daran. Aber mir ist bekannt, dass die Franzosen große Truppenkonzentrationen an der Grenze vornehmen. Wenn das nicht sofort aufhört, werde ich weitere bereitstehende 6 Divisionen ins Rheinland einmarschieren lasen. Ich bitte Sie, das Ihrer Regierung auszurichten.« Göring, der ebenfalls anwesend war, soll dann noch hinzugefügt haben, »Herr Botschafter, wenn durch die Unvernunft Ihrer oder der französischen Regierung ein Krieg entstehen sollte, schmeiße ich Ihnen sofort mit meiner Luftwaffe Ihre Städte zusammen.« Dieses war der erste Streich im genialen »Bluff«- [103 (39)] [im Original S. lO2] spiel des Führers. Erstens waren gar keine weiteren 6 Divisionen mehr da und zweitens gab es die imposante Luftwaffe meist nur auf dem Papier. Nur wenige von den derzeit Lebenden wissen um dies gigantische, gewagte Spiel des Führers, von dem wir heute sagen können, dass er es glänzend gewonnen hat. Staunend wird eines Tages die Nachwelt all dies[e] Dinge erfahren und wohl erst dann richtig die Größe dieses einmaligen Menschen ermessen können. Ab 1933 wurde versucht, der Welt mit allen geeigneten Mitteln klar zu machen, das wir eigentlich viel stärker wären, als allgemein angenommen. Die paar Kanonen wurden von einer Stadt zur anderen geschleppt, es waren immer dieselben paar Kanonen. Genauso war es mit den Flugzeugen. Heute flogen sie als Geschwader Richthofen, morgen als Geschwader Immelmann, übermorgen 123

Gemeint ist der damalige britische Botschafter Sir Eric Phipps. 125

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als Geschwader Boelke usw. Es waren immer dieselben Flugzeuge. Fieberhaft wurde inzwischen gearbeitet. Das Kriegspotential wuchs und damit auch die Frechheit des Bluffs. Das Neue aber zeigten wir nicht mehr. Die Reihenfolge der »Heim ins Reich Aktionen« war vom Führer schon 1933 bestimmt. Österreich würde sich nicht wehren, und die Feinde dieses Staates wegen keinen Krieg anfangen, war seine Meinung. Schwieriger war es mit der Tschechoslowakei. Die Einmischung der Engländer höchst unangenehm. Nach München soll mit den Ungarn verabredet worden sein, dass diese einen Krieg mit den Tschechen provozieren sollten, in welchen dann Deutschland eingreifen sollte so quasi als Polizei und Friedensstifter. Die Halunken von Ungarn sollen jedoch versagt haben. (Der Führer hasst die Ungarn[.]) [103r] Erst die Kanonen und Mg.s von Skoda machten den Polenkrieg möglich. Und so entwickelte sich dann das große Ringen, in dem wir noch drin stehen. Es wäre allerdings falsch, anzunehmen, der Führer hätte nur mit Bluff gearbeitet. Wohl nie hat ein Feldherr sich so an nüchterne Tatsachen und Berechnungen gehalten als gerade der Führer. Typisch dafür ist sein Munitionsprogramm. Wir haben heute so viele [sic] Munition, dass 50.000 Schuss für einen Gegner kommen. Schon 1931 hatte der Führer in seinem Vertrautenkreis auf die Frage geantwortet, wie er sich eigentlich die Arbeitsbeschaffung vorstelle, »allein durch Aufrüstung, meine Herren.« Seine alleinige Idee war auch die Motorisierung des Heeres. Noch BIomberg war dagegen und bat wiederholt Männer um den Führer, dass diese sich doch bei dem Führer für eine stärkere Verwendung des Pferdes einsetzen sollten. Auch die Tragödien im deutschen Offizierskorps sind der Welt meist noch völlig unbekannt. Schon bei Österreich streikte die Wehrmachtsführung, sie konnte dem Führer in seinen Gedankengängen nicht folgen. Nach Beendigung der Aktion mussten denn auch eine Anzahl von Generälen ihren Abschied nehmen. Im September 1939 hatte der Führer nur eine Hilfe, das war Hermann GÖring. Noch am lO. Mai 1940 war es für die gesamte Generalität eine eherne Tatsache, dass sich das deutsche Heer an der Maginotlinie verbluten würde. Es muss ungeheuer schwer für diese alten Berufssoldaten gewesen sein, auf ihrem ureigensten Gebiet die Führerschaft ja Genialität eines ehemaligen Gefreiten anzuerkennen. Ein einziger Zeitgenosse hat übrigens mit ähnlichem Bluff gearbeitet. [104 (40)] Stalin hat es verstanden, seine ungeheure Aufrüstung völlig vor der Welt geheim zu halten. Kein Ausländer sah die Fabriken und Produkte, und alles, was irgendwas etwas erzählen könnte, wurde sofort »liquidiert«. Der Bluff ging so weit, dass die russischen Truppen, die 1939 sich mit den deutschen Truppen in Polen trafen, miserabel ausgerüstet waren. Man sah Offiziere, die statt des Lederkoppels dicke Stricke um den Bauch trugen. Erst als Stalin merkte, dass Hitler gegen Russland »aufmarschierte«, zeigte er »etwas«. Die im Juli 1941 [vermutlich gemeint: 1940] in Russland weilende deutsche Wirtschaftskommission bekam Einblick in die Waffenfabriken Russlands, und erzählte über das Gesehene mit schlotternden Knien in Berlin. Stalin nahm an, dass diese Berichte Hitler vom Angriff zurückschrecken ließen, und er dadurch Zeit gewann. Es 126

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kam anders. Die Überlegenheit des Führers erkennt man auch aus der Tatsache, dass er für den Krieg gegen Russland die deutsche Panzerwaffe völlig umstellte. Mit den Typen, die in Frankreich noch siegreich eingesetzt wurden, wäre in Russland nicht viel zu machen gewesen. Schon beim Frankreichfeldzug hatte man höheren Orts leichte Bedenken. In Norwegen war uns die neue englische Panzerbüchse mit Chrom-Nickelstahlgeschossen in die Hände gefallen. Wie wir leider feststellen mussten, durchschlugen diese Geschosse unsere Panzer glatt. Glücklicherweise hatte der Engländer kaum Gelegenheit, seine Panzer büchse anzuwenden. Erst auf Grund dieser Tatsache, wurde die doppelte Panzerung mit Luftraum zwischen zwei Panzerplatten eingeführt. Allerdings sollen wir gegen die russischen 52 tonnen [sic] Tanks [104r] bisher auch keine richtige Abwehr haben. Nur die 8,8 cm Flak kann diese Panzer außer Gefecht setzen. Was aber wohl am Interessantesten ist. Unsere neuesten Waffen sollen in Russland noch nicht eingesetzt worden sein. Sie sind nur für den direkten England Feldzug vorgesehen. Wohl der Armeeführung, die sich noch so etwas erlauben kann. Auch weniger Angenehmes erfuhr ich. Der Russe ist durch den Bolschewismus I24 eine Bestie geworden. All die grauenhaften von Dwinger in »zwischen Rot und Weiß« geschilderten Tatsachen geschehen auch heute. Herausgeschnittene Zungen, ausgestochene Augen usw. Man verheimlicht uns diese Tatsachen, weil man erstens die deutsche Frau in der Heimat nicht noch mehr beunruhigen will und zweitens die Welt doch nur an abgegriffene Propaganda glauben wird. Nun etwas ganz anderes. Rust steht auf dem Standpunkt, dass Karl der Große der Bedeutendere im Gegensatz zu Wittekind gewesen ist. Er sagt das Karl der Große die Sachsen im Interesse des Reiches in dem Augenblick bekämpfen, und, wie es heißt, »schlachten« musste, als er merkte, dass sie sich gegen die Einheit des Reiches auflehnten und sich - um es modern auszudrücken - partikularistisch benahmen. Rust steht hier in großem Gegensatz zu Himmler u. der SS, die in Karl dem Großen den Sachsenschlächter sahen. Es wird interessant sein, wie sich dieser Meinungsstreit entwickeln wird. Ich neige mehr zu der Auffassung der SS. Die SS sieht in diesem Falle das Volk, Rust sieht das Reich. Ich glaube, das Volk ist mehr als das Reich. Ich berühre da etwas, was auch den Nationalsozialismus vom Faschismus unterscheidet. Aber warten wir ab. [105 (41)]

28.

lO. 1941

Ich bin stark betrübt, der RK hat mein Urlaubsgesuch abgelehnt. Ich nehme zwar an, dass der töffelige'25 Freiherr von der Goltz, mein ehrenwerter Herr Kollege in Drontheim, dem RK die Angelegenheit nicht richtig vorgetragen hat. Ich habe also sofort noch einmal ein Fernschreiben an den RK über die Dienst-

124 Edwin Erich Dwinger war ein deutsch-russischer Schriftsteller, der sein Buch »Zwischen Weiß und Rot« 1930 im Diederichs Verlag veröffentlichte. Es beruht überwiegend auf seinen Tagebüchern in russischer Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg. 125 Niederdeutsch für tölpelhaft, ungeschickt. 127

1. NOVEMBER 1941

stelle Tromsoe aufgesetzt und gleichzeitig auch noch einen Brief geschrieben. Ich muss ja wenigstens über 3 bis 4 Tage nach Hause, denn Frl. Prinz verwaltete, außer mir allein zeichnungsberechtigt[,] diverse gemeinnützige Fonds, über die nun mehr kein Mensch mehr Bescheid weiß. Auch mein Frauchen weiß über meine eigenen Finanztransaktionen nichts. Ich muss das jetzt Alles in Ordnung bringen [... ] was dazu das Gute ist - ich kann [es auch?] verantworten, für einige Tage die Dienststelle zu verlassen. Wenn der RK zugestimmt hätte, wäre ich heute Abend schon in Hamburg gewesen - caracho, es ist, um auf die Palme zu klettern .......... Gestern Abend hatte ich den Stubaf BIomberg bei mir zu [Gast und?] ebenfalls den Untersturmführer Thomas. Ich glaube, wir haben mit BIomberg einen guten Handel gemacht. Der Umgang mit Flesch war eigentlich nur Theater. Jeder trachtete danach, sich keine Blöße zu geben, aber von Herzlichkeit war keine Spur. Flesch war ein eitler Fratz. Interessant ist auch BIombergs Bemerkung über Charly Probst. Ein Gauner comme il faut ..... Nun ist plötzlich über Nacht der Winter gekommen. Es ist kalt und schneit. Eigentlich viel zu früh. Der zweite Winter in Bergen, hoffentlich der letzte. Wie schnell verfliegt doch die Zeit, man könnte direkt traurig werden. [105r]

1.

November 1941

Ich bin heute etwas stark gehässig. Aber nichts im Leben ist wohl unangenehmer zu ertragen, als Enttäuschungen. Heute habe ich die Antwort des RK auf mein Fernschreiben nach Tromsoe erhalten. Wieder eine Ablehnung. Ich kann auch nach noch so langer Überlegung keinen plausiblen Grund dafür erkennen. Glücklicherweise siegt doch wieder die Vernunft, denn am liebsten wäre ich geneigt, dem RK einen saugroben Brief zu schreiben. Aber lieber garnicht mehr daran denken. Im Moment ärgert mich Alles. Meine Gefolgschaft, meine Hausbewohner, etc. Mein Horoskop hat wohl doch Recht, wenn es mir für diese Zeit Aufregung, Ärger und Nervenanspannung voraussagt. Schön, auch das muss und wird vorübergehen. Tröste ich mich mit dem Satz, »musst nicht schimpfen, musst denken, 's ist Krieg.« ..... Wenn's auch schwer fällt. Allzu gern wäre ich gerade gestern Abend bei meinem Frauchen in Hamburg gewesen. Genau vor lO Jahren haben wir uns kennengelernt glückliche lO Jahre. So hatte ich wenigstens gestern den von Frauchen eingeschickten Kuchen zu futtern. Ein schmackhafter[,] aber sonst völlig ungenügender Ersatz. Am verg. Donnerstag, den 30. war ich abends beim Chef des Stabes des Admirals eingeladen. Es wurde erheblich gelacht, vor Allem über die witzigen Geschichten des ebenfalls eingeladenen I A der Division, Major Vorwerck. Es war sehr nett, nur hatte ich eine geschwollene Mandel, was weniger nett war. [106 (42)]

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November

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Nun habe ich mich damit abgefunden, dass es mit einem kurzen Heimaturlaub doch nichts mehr wird. Schließlich ist das auch nicht so tragisch, weil die Sonderfonds doch nicht mehr viel Geld zur Verteilung haben, und ich zu Weihnachten, d. h. in 5 Wochen[,] ohnehin nach Hamburg komme. I26 Vor einigen Tagen waren RR Dr. von Grüneck & Dr. Lütta Hass hier. Abgesehen von der Erledigung an dienstlichen Obliegenheiten feierten wir eine verdammt vergnügte Nacht. Gut dass ich jedenfalls auf dem alkoholischen Sektor noch gut versorgt bin. Meine »Mit-Hausbewohner[«] werden allerdings wohl weniger über meine Abendbesucher erfreut sein. [106r] Gestern waren auch Oberlandesforstmeister Stalmann und Herr Werner in Bergen und abends ebenfalls bei mir zu Gast. Es ging sehr »manierlich« zu (der Herr Oberlandesforstmeister ist halt etwas reichlich würdevoll). Der Krieg macht mir in den letzten Tagen etwas Sorge. Man hört nichts mehr Positives, sondern nur noch von schlechtem Wetter und zähem russischen Widerstand. Wann wird man uns mit Fanfarenklängen wieder erzählen: »nun sei aber wirklich der letzte russische Widerstand gebrochen und der Ostkrieg endgültig siegreich beendet?! -« Es scheint doch letztlich etwas reichlich Propaganda gewesen zu sein. [107 (43)]

13. H. 41

Ich war heute direkt niedergeschlagen, als ich plötzlich entdeckte, dass Margit oder mein süßes kleines Peterle schon vor vielen Tagen Geburtstag gehabt hatte, ohne dass der böse Vati daran rechtzeitig gedacht hatte/27 Also schnell ein paar Püppchen gekauft und mit Feldpost heimgeschickt. Nun ist mein Töchterchen schon 4 Jahre alt, und es ist wirklich jammerschade, dass ich diese Entwicklungsperiode nicht miterleben kann. Wenn dieser Krieg beendet ist, dann gehen Häsi und Peterle sicher schon brav zur Schule und Vati muss sich beeilen, wieder als richtiger Vati angesehen zu werden. Hier versäume ich leider etwas, was ich nie [107r] wieder einholen kann. Hoffentlich erlebe ich wenigstens diese Zeit noch einmal bei weiteren Kindern !!!

19. H. 41

Gestern abend hatte ich StubafBlomberg und Kreisleiter Dr. Sengier (E[insatz]Stab Wegner) zu mir ins Haus geladen. BIomberg hatte mir am Montag erzählt, dass der Fylkesforer [Fylkesf0rer] Astrup schon einen neuen Kandidaten für den Posten des Ortsförers benannt hätte, und dass so mehr oder weniger beabsichtigt sei, mich vor vollendete Tatsachen zu stellen. Ich entwickelte Beiden meine Ansichten und erklärte, dass so lange ich in Bergen Vertreter des RK sei[,] aus126 Zu beiden Personen waren nähere Informationen nicht zu finden. 127 Margit wurde am 2. November 1937 geboren. 129

27· 11. 41

schließlich die Politik [108 (44)] getrieben würde, die ich für richtig halte, und die ich verantworten könnte. Ich würde jedes Experiment von N. S. ablehnen und Dinge nur gutheißen, die für mich die Garantie der unbedingten Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung hätten. Heute erschien nun Herr Astrup (Gauleiter) bei mir und akzeptierte, wenn auch sichtlich nicht gerne[,] meinen Vorschlag, den neuen Kandidaten, einen mir bis dato unbekannten Bergenser Kaufmann Irgens vorerst als Vice-Ordförer einzusetzen und nach Ablauf von 3-4 Monaten in freundschaftlicher Weise seine Auswechslung vorzunehmen. Dieser Vorschlag wäre m. E. [108r] auch für N. S. das Beste, da nunmehr die Möglichkeit gegeben sei, zu prüfen und zu kontrollieren, bevor man ihn endgültig auf den Oberbürgermeisterposten setzt. Ich bemerkte im Besonderen, dass mich die bisherige Personalpolitik von NS so stark enttäuscht hätte, dass ich diesmal obengenannte Garantien haben müsste. Das gleiche Problem sei schon im Sommer dieses Jahres akut gewesen, und ich hätte mich geweigert[,] den mir damals als Kandidaten vom N. S. [,] Herrn Stördal [St0rdal] [,] als Ordsförer einsetzen zu lassen. Ich hätte damals fast denselben Vorschlag der »Bewährungsfrist« gemacht. Daraufhin sei Stördal [109 (45)] als Stellvertreter eingesetzt. Heute aber erklärte mir N. S., dieser Mann sei als Ordförer ganz unmöglich. Ähnliche Erfahrungen hätte ich leider auch bei der Absetzung des Finanzbürgermeisters gemacht, für den bis heute noch kein brauchbarer Ersatz da sei. Auch bei der Besetzung der Stadtverordneten hätte ich meine Bedenken geäußert und inzwischen Recht bekommen.

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Otto Wolff ruft aus Oslo an. Der Gauleiter Rudi Pahl, Lottes, Herrmann Okrass 128 und Otto sind wieder einmal in Oslo eingetroffen. Wie ich erfahre, ist auch de Vries wieder zurück. [109r] Typisch für de Vries ist wieder, dass er ernstlich davor warnt, dass ich ohne besondere Genehmigung des RK nach Oslo komme.

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H.

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Gestern war wieder ein »überreicher« Tag. Vormittags erscheint Dr. Sengier bei mir und teilt mir mit, dass der Gauleiter Astrup sich die Angelegenheit Stensaker anders überlegt hat. Er bestehe darauf, dass St. endgültig am 1. 12. abtritt[,] damit der gewisse Herr Irgens dann zum Ordförer ernannt werden kann. Im Übrigen hätte Astrup gedroht, dass er zurücktreten wolle, wenn ich ablehnen würde. Nachdem ich dann erst [110 (46)] bei Dr Sengier mich »abreagiert« 128 Es handelt sich um ein Hamburger Netzwerk: Otto Wolff (1907-1991) war der Nachfolger Carlo Ottes auf dem Posten des Gauwirtschaftsberaters; bei dem »Gauleiter« Rudi Pahl handelt es sich wohl um RudolfPahl (1897-1964), den Ortsgruppenführer von (Hamburg-)Finkenwerder; Herrmann Okraß (1905-1972) war seit 1934 Chefredakteur des »Hamburger Tageblatts«; Lottes konnte nicht identifiziert werden. 130

28.

NOV.

41

hatte, ließ ich den Fylkesforer Astrup & den Fylkesmann Harnoll sofort zu mir bitten und habe beide buchstäblich »fertig gemacht«. Beide haben mit aalglatter Liebenswürdigkeit einige Wahrheiten verpasst bekommen, an die sie lange zurückdenken werden. Astrup, der ein kleiner Fanatiker ist[,] wurde abwechselnd bleich und rot. Sie würden doch auch der Meinung sein, dass sie genauso schnell aus Norwegen herausflögen wie wir[,] wenn der Krieg für Deutschland verloren ginge. Dann müssten sie aber schon zulassen, dass wir eine Politik [110r] verfolgten, die in erster Linie auf den Sieg ausgerichtet sei. Da könnten wir schon garnicht einige wilde Personalexperimente machen, zumal ich genügend schlechte Erfahrungen mit Bergens Kommune schon gemacht hätte. Übrigens wären Drohungen oder Ultimaten im Verkehr mit uns wohl kaum angepasst [sic], erstens weil sie nichts an unserer Einstellung und Linie zu ändern vermögen, zweitens aber auch, weil sie schon aus moralischen Gründen kaum gerechtfertigt wären. Es dürfte N. S. erinnerlich sein, dass wir Deutschen ihretwegen uns die Sympathien der Mehrheit des [111 (47)] norw. Volkes verscherzt hätten. Ich entwickelte dann nochmal die Gründe meines letzten Vorschlages, von dem ich nicht abzugehen gedächte. Als nun beide Männer, wenn auch sicherlich nicht begeistert[,] zustimmten, ließ ich sofort den Ordsforer Stensaker hinzubitten. Wie ich erwartet hatte[,] stimmte dieser ebenfalls meinem Vorschlag zu, sodass, wenn der N. S. nicht wieder querschießt, diese leidige Angelegenheit doch noch zufriedenstellend geregelt wurde. Von einer höheren Warte aus gesehen, ist das Traurige, dass wir Deutschen uns mit dem N.S. Experiment zwischen [111r] zwei Stühle gesetzt haben. Die Sympathien der Majorität des Volkes haben wir uns mit dem 25.9.41 [gemeint: 1940]129 verscherzt. Die von uns in den Sattel gehobenen »Freunde« beginnen zu meutern und der deutsche Michel ist wieder einmal der Dumme. Einen sogenannten »Jössinger«IJo könnte ich sofort absetzen und einsperren, wenn er nicht parierte, unsere N. S. Freunde können nur »gebeten« werden. Bisher habe ich jedenfalls mit meiner Politik in Bergen Recht behalten. Solange mindestens der Krieg dauert, ist mir jeder Norweger, der deutschfreundlich ist, genehm, ganz gleich, ob N.S. oder Anti-N.S.112 (48)]

28. Nov. 41 Ich sitze jetzt in der Off. Messe von MI. Das Schiff hat gerade Stadlandet passiert und fährt in Richtung Aalesund [Alesund] . Zwar hat der Wind etwas nachgelassen (heute Nacht Windstärke 9) [,] aber gerade hier bei Stadlandet ist eine o

Datum der Anerkennung der Nasjonal Samling als einziger legaler politischer Partei in Norwegen. 130 Im Jössingfjord wurde am 16.2.1940 ein deutsches Militärschiff von einem britischen Marinefahrzeug geentert, um darauf befindliche britische Kriegsgefangene zu befreien. Dieser Zwischenfall diente als Vorwand für die deutsche Besetzung Norwegens. Danach bezeichnete ),J0ssing« (Jössinger) Norweger, die gegen die deutsche Besatzung eingestellt waren. 129

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28.

NOV.

41

erhebliche Dünung. In ca 20 Minuten werden wir die gefährliche Ecke passiert haben (U-Boote & Treibminen). Es ging etwas »plötzlich« mit dieser Fahrt. Gestern Abend ruft Kaleu Bartels an und fragt, ob ich mit nach Drontheim will. MI liefe nachts I Uhr aus. Aber natürlich, war meine Antwort "denn ich hatte schon lange die Absicht[,] meine Kollegen in Dront- [112r] heim einmal zu besuchen. Ich fühle mich »sauwohl« und werde lebhaft erinnert an die seinerzeitige »Schaukelei« mit der »Orinoco« durch den Kanal.I)I Ich glaube, dass die Fahrt gerade bei diesem Wetter bestimmt ebenso schön ist als bei blauem Himmel. Schon das sturmgepeitschte Meer ist immer wieder ein faszinierender Anblick. Gestern, am 27. H. 41 war ein aufregender Tag. Morgens empfing ich die Journalisten der maßgeblichen deutschen Zeitungen und hielt diesen u. a. einen Vortrag über die wirtschaftl. und pol. Lage in meinem Gebiet. Mittags gab ich dann ein Essen, zu dem ich [113 (49)] auch norweg. Journalisten geladen hatte. Abends war ich vom Admiral von Schrader zu einem Essen anlässlich des BeI suchs von Generaladmiral Böhm )2 in Bergen geladen. Böhm macht einen vorzüglichen Eindruck und es ist höchst bedauerlich, das Terboven und Böhm sich nicht vertragen. Böhm erzählte, wie der Führer ihm im Frühjahr vom bevorstehenden Russenfeldzug erzählt hätte. Der Führer hätte gesagt[:] »Wenn wir gegen Russland marschieren, kann England nach logischem Ermessen nicht zusehen. Es muss ebenfalls angreifen und zwar kann es das nur in Norwegen. Das Gute ist [113r] nun«, meinte er, »dass die Logik immer nur bei dem sein könne, der das Gesetz des Handelns diktiere, und das sind wir jedoch.« Böhm erzählte dann noch, wie er immer wieder auf Landungsversuche der Engländer nördlich des Polarkreises gewartet hätte. Ich brach früh auf, weil ich ja um I Uhr schon auf der MI sein wollte. Es war interessant zu beobachten, dass die jüngeren Offiziere fast ausschließlich das Thema: »Wie sieht der Friede nach dem Siege Deutschlands aus?« diskutierten. Wenn ich auch die Erörterung eines derartigen Themas für höchst überflüssig und gefährlich [114 (50)] halte, so ist doch bedeutsam, für wie selbstverständlich der Sieg angesehen wird. I Der Spannung Terboven - Böhm geht eine Spannung Terboven - Raeder )) voraus. Während Terboven gegen das Quisling-Experiment war, hat Raeder sicherlich ohne jede Berechtigung [-] dafür gearbeitet. Für Quisling sind eigentlich Rosenberg und Raeder verantwortlich, abgesehen von den bekannten Dankbarkeitsgefühlen des Führers.

131 Die Orinoco fuhr seit Ende der 1920er Jahre auf der Strecke nach Mittelamerika. 132 Hermann Boehm (1884-1972) war Kommandierender Admiral in Norwegen und damit die höchste militärische Autorität. 133 Erich Raeder, vgl. Fußnote 76.

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2. 12. 41

29.

H.

[1941J

Heute Nacht haben wir in Molde gelegen. Zwar rollt die Dünung stark[,J aber das Wetter hat sich [114r] aufgeklärt. Herrlich die schneebedeckten Berge an beiden Seiten. Um 6 Uhr werden wir in Drontheim einlaufen.

2. 12. 41 Wieder zieht MI durch die Schären, diesmal gen Bergen. Es waren zwei erlebnisreiche Tage in Drontheim. Groß war meine Freude, als mein Kollege von der Goltz mir am Telefon mitteilte, dass um 19.00 am Sonnabend Maria Müllerl34 im Konzerthaus singen würde mit anschließendem Empfang bei ihm. Zu beiden Veranstaltungen waren Kaleu Bartels und ich eingeladen. [115 (51)] Die Müller enttäuschte mich etwas beim Konzert. Etwas reichlich viel Pose und in den hohen Lagen einen etwas metallenen Klang. Gut war Wagners Dich, teure Halle[,J grüß ich wieder. Glänzend Puccinis Tosca. Nur der Schönheit weiht ich mein Leben. Erstaunt war ich über die angenehme Musik Pfitzners, von dem »Ist der Himmel so blau« & »Sonst .... «. Entzückend war die heimliche Aufforderung. Wesentlich mehr gefiel mir die Müller beim Empfang. Sie sang hier die Butterfly Arie einfach wundervoll. Wenn sie nicht gerade als Wagnersängerin bekannt wäre, [115r] würde man sie als Pucccini Interpretin bezeichnen können. Reichlich komisch war ihr Gatte, ein Dr. X (?) [,J der kaum mehr als Prinzgemahl sein dürfte. Der Empfang selbst hatte den üblichen glanzvollen Rahmen, wobei zum Schluss sich die [sicJ ebenfalls schon übliche Besäufnis einstellte. Ich hatte Gelegenheit zu einer Reihe netter Gespräche, so u. a. mit Admiral Siemens und General Woitasch.135 Insbesondere der Letztere interessierte mich sehr, weil ein Teil seiner Division am Nordfjord steckt, d. h. in meinem Bereich. Da er in [unleserlichJ stationiert ist, hatte ich bisher nie Gelegenheit zu einer Rücksprache. [116 (52)] Die Dienststelle Drontheim ist wesentlich größer als meine, was in erster Linie an der stark besetzten Oberbauleitung Nord-West liegt. Ca 60 Mann 6 wohnen in einem allerdings wenig netten Haus, dem ehem. Königsschloss. 13 Der Bereich selbst scheint weniger gut zu sein als meiner. R.R von der Goltz macht seine Sache wohl ganz gut. Nur beim Trinken muss er sich vorsehen, weil er dann reichlich kindisch und unseriös wird.

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Opernsängerin (1898-1958), sang u. a. in New York, Berlin, Salzburg (überwiegend Wagner) und trat 1944 zum letzten Mal bei den Bayreuther Festspielen auf. 135 Leopold Bruno Paul Siemens (1889-1979), zu diesem Zeitpunkt 2. Admiral der Flotte auf dem Flottentender Hela; Generalleutnant Kurt Woytasch, 181. Infanteriedivision. 136 Es handelt sich um die örtliche Residenz des norwegischen Königs bei Besuchen in Trondheim. Ob die Angehörigen der Dienststelle dort tatsächlich »wohnen« oder nur ihre Arbeitsplätze hatten, ist unklar.

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SONNTAG,

DEN 14. DEZEMBER

41

Drontheim kann sich mit Bergen nicht annähernd messen. Es macht einen recht schmutzigen und ungepflegten Eindruck - das norweg. Lodz. Das einzig Schöne ist der [116r] Dom, wenn auch noch viel Zeit bis zur Vollendung vergehen wird. »Umgebung« scheint D. mehr zu haben als B. Heute Morgen 0.00 Uhr sind wir nun wieder ausgelaufen. Von der Goltz, Flesch und ein Kapt. Ballerstedt (Lübeck) fahren mit. Die ersteren bis Aalesund, der Letztere bis Bergen. 13.30 Aalesund ist erreicht, eine kleine Fischerstadt von ca 3000 Seelen, nett gelegen unterhalb eines großen Felsen[s]. 19.00 Maloi [MäI0Y] kommt in Sicht. Wir nehmen Hummer an Bord für's Abendessen. [53] Wir erhalten gleichzeitig alle Nachricht, dass bei Floro [Flor0]'37 der 6000 to Dampfer Jantje Fritzen aus Emden [sic]. Bis dahin wollen wir die Hummer verspeisen und Skat spielen. 21.30 Uhr. Die »Jantje Fritzen[«] wird gemeldet. Der große Dampfer ist unerklärlicherweise genau auf einem mit einem dicken Leuchtturm versehenen Felsen gelaufen. Ladung Koks. Die MI schiebt und zurrt am Heck erst auf der einen, dann auf der andern Seite. Schließlich bewegt sich der dicke Pott. Noch einmal volle Kraft voraus - 18 Meilen - ein Ruck, der Bug senkt sich, das [53r] Heck hebt sich gleichzeitig und schon wackelt der Pott wieder frei im Wasser. Allerdings liegt der Bug bedenklich tief im Wasser und wird wohl noch tiefer gehen, denn nun kann ja noch mehr Waser einlaufen. Wir müssen die gute Jantje rückwärts nach Askvoll einschleppen. Es ist zwar erst 11.45[,] aber mit 5 Uhr Ankunft in Bergen wird es wohl nichts. Das Experiment ist geglückt[,] die »Jantje Fritzen« liegt nun in Askvoll, und wir laufen am nächsten Mittag glücklich wieder in Bergen ein. Die ganze Reise hat zwar etwas länger gedauert, als vorgesehen, aber ich bin doch froh, diesen kleinen »Ausflug« unternommen zu haben. Eine Menge Arbeit wird zwar wieder auf mich warten, insbesondere der leidige Monatsbericht, aber jede »Luftveränderung« stärkt auch die Lebens- und Arbeitskräfte. [54]

Sonntag, den

14.

Dezember

41

Jeder denkt nur noch an Weihnachten und an den Urlaub in der Heimat. Gestern Abend haben wir »unser« Weihnachtsfest gehabt. Es war ein himmelweiter Unterschied gegen das vorige Jahr. Die unteren Räume waren festlich und nett geschmückt, und der Gabentisch für Jeden konnte sich sehen lassen. Man sieht bei solchen Gelegenheiten, dass, wenn man mit etwas Liebe an die Dinge herangeht, auch etwas dabei herauskommt. Unsere norweg. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen incl. Reinmachefrauen haben wieder reichlich gestaunt. So etwas kannten sie nicht in ihrem Land, gibt [es] ihnen jedoch so ein kleines Beispiel von deutscher Volksgemeinschaft. Die angesetzte Ananasbowle war prima, und ich selbst war zum Schluss auch etwas »weinseelig«. Nun gilt es, noch Alles so o

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134

Flom, zwischen Bergen und Alesund gelegen.

SONNABEND,

DEN

3.

JANUAR 1942

aufzuarbeiten und vorzubereiten, dass der Urlaub mit ruhigem Gewissen angetreten werden kann.

Donnerstag, den 18. Dezember In Oslo angelangt. Um 17 Uhr fuhr gestern der Urlauberzug mit uns von Bergen. Die Nachtfahrt ohne Schlaf war nicht gerade ein Vergnügen, aber die Freude, endlich wieder heimzukommen, half über Alles hinweg. Wie immer bei solchen Gelegenheiten verdient das Gepäck wieder den bezeichnenden Namen »Bleikoffer«. Um 17 Uhr geht es weiter mit dem großen Urlauberzug durch Schweden in die Heimat. Am Montag den 15. waren auch unsere Weihnachtspakete vom RK angekommen. Auch hier war die Freude groß, als sich herausstellte, dass sie Kaffee, Schokolade, Kakao, Butter etc. enthielten. [54r]

Sonntag, den

21.

Dezember 1941

Glücklich daheim. Ich fühle mich zwar noch etwas als »Gast«, aber das wird sich schon schnell geben. Nur der, der auch nur zweimal im Jahr Frau, Kinder und Heim sehen darf, kann ermessen, was so ein Urlaub bedeutet - und dazu noch Weihnachten. Noch bin ich etwas erholungsbedürftig. Die Fahrt war doch ziemlich anstrengend. Im Nachtzug durch Schweden hatten wir das Abteil »umgebaut« [,] sodass 6 Menschen - wie marinierte Heringe verpackt - ausgestreckt liegen konnten mit dem meist allerdings vergeblichen Versuch zum Schlaf. Für einen »Gebietskommissar« ist das wohl kaum eine standesgemäße Unterbringung, aber es ist ja Krieg, und die Hauptsache war, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Jetzt, wo die Freude erfüllt ist, kommen erst die Strapazen so recht als »Nachwehen« zum Bewusstsein. Ich hatte übrigens viel Glück. Ich verließ als einer der ersten die schwedische Fähre in Trelleborg, und kam dadurch noch mit dem Zug mit, der eben und eben in Stralsund den Anschlusszug nach Hamburg [... ] erreichte. Die Meisten konnten erst am nächsten Tag die Weiterfahrt antreten. So kam ich dann glücklich noch am Freitagabend in Hamburg an.

Sonnabend, den 3. Januar 1942 Vorbei ist der kurze Urlaub, schon morgen früh geht es wieder zurück nach Bergen. Am Neujahrsabend ruft Dr. Wolff an und gibt mir einen Fernspruch durch »sofort nach Bergen zurückkehren, Dienststellenleitertagung bis nach dem 20. Jan. verschoben«. Das bedeutete, dass ich nun zwei Tage »früher« zurückfahren muss. [55] Ich bin naturgemäß wenig davon erbaut, aber Dienst ist Dienst. Ein Telefongespräch mit Oslo gestern gab mir die Aufklärung. Die am 28. im Wehrmachtsbericht gemeldete Aktion der Engländer hatte sich nicht nur bei den Lofoten, 135

SONNABEND,

DEN

3.

JANUAR 1942

sondern sogar in erster Linie in einem Teil meines Bereichs - in Miloy - abgespielt. M. war von schweren Seestreitkräften angegriffen, die den Ort zerstörten und einige deutsche Schiffe versenkten. Schon, als im Wehrmachtsbericht von dem heldenhaft untergegangenen Vorpostenboot Fön'38 die Rede war, hatte ich noch erzählt, dass die »Fön« zum KSV Bergen gehört, und dass ich sie während meiner Drontheimreise ausgerechnet in Maloy gesehen hatte. Viel zu schnell ist dieser Urlaub wieder vorüber gegangen. Man hatte sich gerade so eben wieder an »Alles« gewöhnt. Wieder allerdings war auch dieser Urlaub eigentlich nur eine Strapaze. Diesmal war es sogar besonders schlimm, und ich bin geneigt, erheblich auf die liebe Verwandtschaft und Bekanntschaft zu schimpfen. Tag für Tag war sie da, und glaubte, mir einen besonders großen Gefallen damit zu tun, wenn sie möglichst lange blieb. Und ich, ich möchte doch eigentlich garnichts weiter, als mich mit meinem Frauchen und meinen Kindern zu beschäftigen. Menschen, liebe und garstige, interessante und langweilige[,] habe ich in Norwegen jeden Tag um mich - von morgens bis abends. Und immer muss ich da den Herrn Gebietskommissar oder zumindest den Chef spielen, von morgens bis Abends eine Maske tragen, immer je nach Bedarf grinsen, lächeln, ernst sein, repräsentieren usw. [55r] Wie häufig wandern dann die Gedanken nach Hamburg, und ich freue mich, endlich mal diese Maske wieder abstreifen zu können, um wieder ganz »schlichter Mensch aus dem Volke« zu sein, um mein geliebtes Frauchen in den Arm nehmen zu können, oder mit den beiden kleinen Strolchen zu spielen. Doch ist es denn wirklich so weit[,] dann kommen sie wie ein Verhängnis an, all die lieben Verwandten und Bekannten. Gewiss tue ich ihnen unrecht jetzt, denn sie können ja nicht wissen, was ich möchte und - brauche. Doch das wird beim nächsten Urlaub anders, Hamburg bekommt mich überhaupt nicht zu sehen, und »wir vier« suchen uns ein stilles Plätzchen, wo wir nur uns gehören. Halt, eine Ausnahme muss ich machen - Altjahrsabend. Wie schon im vorigen Jahr war diese Feier im Freundeskreis und im eigenen Hause eine wirklich nette Abwechslung. Ein Jahr ist nun wieder zu Ende, der Urlaub ist vorbei, und wieder geht es an die Arbeit nach Norwegen - wer weiß, wie lange noch? Ich glaube, wir Alle gehen diesmal etwas nachdenklicher an unsere Kriegswirkungsstätte zurück. Wie lange wird dieser unsinnige Krieg noch dauern? Wie gewaltig ist gerade im Dezember das Kriegsgeschehen verändert worden. Japan trat in den Krieg ein, und hatte bisher geradezu phantastische Erfolge gegen die größenwahnsinnigen Yankees und die schon reichlich gezausten Engländer. Deutschland und Italien erklärten darauf ebenfalls Amerika den Krieg. Ein Rattenschwanz von mittelamerikanischen Räuberstaaten trat dann ebenfalls in den Krieg ein. Der Ausdruck Weltkrieg für das Ringen 14-18 ist nicht mehr zutreffend. Dies ist die größte kriegerische [56] Auseinandersetzung, die die Welt je erlebt hat. Deutschland hat jetzt über 2 Jahre Krieg und doch, wie gut geht es noch dem 138

Eigentlich: Föhn. Schreibweise.

Christen verwendet im Folgenden mal die korrekte, mal die falsche

MONTAG,

DEN

12. JANUAR 42 [IM ORIGINAL:

41J

Einzelnen, wie reichlich war noch die Ernährung gerade zum Weihnachtsfest. Gewiss, man meckert, aber der Deutsche hat immer gemeckert und wird es auch stets weiter tun. Wenn [es] darauf an kommt, steht er doch zusammen wie ein Mann. Interessant ist auch, zu konstatieren, worüber gemeckert wird. Nicht etwa darüber, dass jemand Hunger leidet oder friert, nein, sondern darüber, dass Einige zu viel haben. Gewiss kein unbedingt erfreulicher Zustand, aber doch irgendwie wieder positiv. Naturgemäß ist die Ostfront Hauptgesprächsthema. Man glaubt, zum ersten Male den Führer bei einer Fehlspekulation erwischt zu haben. In der Tat ist ja auch ein erstaunlicher Gegensatz zwischen den Siegesfanfaren, und den Reden des Führers ausgangs des Sommers und der jetzigen milit. Situation an der Ostfront. Der Rücktritt von von Brauchitsch und die etwas reichlich späte Wollsachensammlung, sowie der Verlust von Rostow und Gelände an der Nordfront und Mittelfront, haben selbstverständlich zu weiteren negativen Diskussionen Anlass gegeben. Doch sollte sich der Führer wirklich so gewaltig geirrt haben? Ich glaube es nicht. Vielmehr sehe ich eine direkte Verbindung zwischen unserem »Siegesgeschrei«, der trotz Schlamm und Schlechtwetter weiter vorangetragenen Offensive und dem Kriegseintritt Japans. Wäre Japan auch schon jetzt in den Krieg getreten, wenn wir gemeldet hätten, dass die russische Kampfkraft doch noch nicht erschöpft sei? Japan hat eine offene[,] sehr unangenehme Flanke - Sibirien, Wladiwostok ..... [56r] Das Kriegskabinett Tojo'39 kam buchstäblich im letzten Augenblick und der Kriegseintritt Japans gerade noch rechtzeitig ..... Vielleicht wird man uns in einigen Jahren einmal Aufklärung geben können, über die eigentlichen Zusammenhänge. Dann werden wir auch erfahren, warum Brauchitsch erst im De0 zember »ging« und nicht vielleicht schon früher?'4 Mit etwas gesundem Menschenverstand jedenfalls kann man sich vorstellen, dass wir im Winter defensiv werden mussten, ja eigentlich nicht nur des Winters wegen, sondern überhaupt nach einer so langen Periode des Angriffs. Das Material muss ja einmal erneuert werden, neue Vorräte müssen in der Etappe angestapelt werden. Felsenfest ist jedenfalls Eines, dass die neue Offensive im Frühjahr oder Sommer - es ist völlig belanglos - wann sie beginnt - der UdSSR den Todesstoß versetzen wird.

Montag, den 12. Januar 42 [im Original: 41] Gott sei Dank, endlich mal wieder etwas Ruhe und ein eigenes Bett. Das war buchstäblich eine Hetze. Also, am Sonntag den 4. 1. 9.lO Uhr rollte der D Zug mit mir aus dem Hamburger Hauptbahnhof. Der gute Jürgen hatte sich auch noch zum Abschied eingefunden. Auf der Fähre nach Schweden entdeckte ich

General Tojo Hideki war seit 1940 japanischer Kriegsminister gewesen und übernahm im Oktober 1941 zusätzlich das Amt des Premierministers. 140 Walther von Brauchitsch (1881-1948), seit 1938 Oberbefehlshaber des Heeres, war am 19. Dezember 1941 von Hitler wegen der Rückschläge an der Ostfront entlassen worden.

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MONTAG,

DEN

12.

JANUAR

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[IM ORIGINAL:

41J

auch meine Kollegen,I41den SS-Standartenführer Noatzke und RR Dr. Grosch. 42 (Narvik und Kirkeness) Auch RR Dr. von Brünneck fuhr mit zurück. Durch Zufall gelangte ich in Trelleborg noch in den Besitz eines Schlafabteils, sodass ich wenigstens etwas schlafen konnte. In Malmö »untersuchten« wir noch eingehend den Bahnhof und heimsten erhebliche Mengen Süßigkeiten und Zigaretten ein. Gut dass ich noch einige Schwedenkronen hatte. Es ist direkt wie ein Märchen, mal wieder einen Verkaufsstand zu sehen, bei dem man »Alles« kaufen kann, und bei dem die Menschen nicht Schlange stehen. Am Montag Mittag trafen wir in Oslo ein. Mein sofortiger Versuch, mit Landrat Dr. Heinrich in Verbindung zu kommen, wie verabredet, scheiterte daran, dass dieser zum »Skilaufen« (?) war. Als ich ihn schließlich abends am Telefon erreichte, war es mir schon sehr schwer, nicht erheblich ausfällig zu werden. »Ja gut, dass Sie da sind. Fahren Sie man nach Bergen und versuchen Sie, die Schiffahrt wieder in Ordnung zu bringen.« Deswegen musste ich also meinen Urlaub vorzeitig abbrechen, abgesehen davon, dass die Schiffahrt schon längst wieder lief. Wieder mal ein Glanztyp eines Verwaltungsbeamten, dieser Heinrich, oder besser »Heini«. Die Dienststellenleitertagung war nun also verschoben worden. Wie mit ORR Dr. Schiedermeyer sagte, sei vor Mitte Februar nicht damit zu rechnen. Ich fuhr also nicht gerade begeistert am Dienstag früh nach Bergen, wo ich nach Mitternacht und einer endlos langweiligen Fahrt wieder ankam. Wenn ich nun annahm, das sich wenigstens für den verbleibenden Teil der Nacht noch gut schlafen würde[,] hatte ich mich schwer geirrt. Um 4 Uhr morgens kam der Tommy. 14 Tage hatte ich in Hamburg vergebens auf Flieger-Angriffe gewartet. Hier wurde ich in der ersten Nacht damit beehrt. Wieder das übliche schöne Schauspiel. Schneid hatten die Kerle. In 50 m Höhe brausten die Maschinen über den Hafen und die Stadt und schalteten so die I43 schwere Flak aus. Die verbleibende 2 cm konnte ihnen nichts anhaben. [57r] 2 Tote und 6 Verwundete in der Civilbevölkerung war das Ergebnis und - eine abgeschossene Maschine. Wie ich Mittwoch vormittag erfuhr, war in der gleichen Nacht Flor0 von 2 Zerstörern angegriffen worden. Außer Verwundeten gab es jedoch nur Gebäudeschaden. Frisch gebadet, wenn auch nicht ausgeschlafen[,] erschien ich um II Uhr in der Dienststelle. Meine norweg. Mädchen hatten mir einen schönen Blumenstrauß hingestellt. Da, um 12 Uhr - Oslo - Fernleitung. »Hier Dr. Heinrich, Der RK hat die Dienststellenleitertagung für den nächsten Tag um Y2 lO Uhr angesetzt, sofort nach Oslo zurück kommen.« Schimpfen ist nur ein schwacher Ausdruck für meine GefühlsaufWallung, aber was nützt das. Also wieder Koffer packen, einen Platz um 17 Uhr Militärurlauberzug bestellen, und auf in den Kampf. Von meinem Wauer erfuhr ich noch, dass er mit Ungewitter die Tage nach dem Überfall auf Mäloy fast Tag und Nacht unterwegs gewesen war, um fast lOO Schiffbrüchige einzukleiden und unterzubringen. Tags zuvor hatte er 141 142 143

Gemeint sind die anderen Dienststellenleiter. Leiter der Abt. Fischwirtschaft in der Hauptabteilung Volkswirtschaft. Ein Geschosskaliber; hier für die leichte Flak, die dieses Kaliber verschoss.

MONTAG,

DEN

12.

JANUAR

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14 Tote beerdigt, die den vorhergehenden Sonnabend noch identifiziert werden mussten. Ich unterrichte mich noch über die Einzelheiten der ganzen Aktion und um 17 Uhr saß ich wieder im Zug, wenn ich auch das Gefühl hatte, es wird mit dem Anfang am nächsten Tag doch nichts. Im Zug fuhr ich mit den 6 Kapitänen der bei Maloy versenkten deutschen Handelsdampfer. Sie sind voll des Lobes über die norweg. Bevölkerung. Sie hat den letzten Anzug und die letzte Unterwäsche geopfert, um den Verwundeten und Schiffbrüchigen zu helfen. Die Bettwäsche wurde teilweise zerschnitten, um Wunden zu verbinden. [58] Der deutsche Gefechtsbericht meldet über die Kampfhandlungen wie folgt: 9.00 Uhr Marinesignalstation auf der Insel Kuhlen [Kulen] meldet: 7 Zerstörer kreuzen vor Maloy. 9.35: Uhr: B 23 meldet Flugzeuggeräusch. Batterie Kuhlen gibt Fliegeralarm. 9.38: B 23 meldet lO Bomber über Maloy. 9.40: wirft ein Flugzeug acht große Leuchtschirmbomben über dem 9·55 Stützpunkt a und Insel Kuhlen ab. Gleichzeitig Bombenangriff mit schwerstem Kaliber auf Batterie Kuhlen. Brandflüssigkeit auf Ortschaft Maloy, die im südlichen Teil brennt. Wenig später starkes Artilleriefeuer mit Zerstörerbreitseite auf Batterie Kuhlen. 3. Zug der n./IR 742, der zufällig in der Nähe des Stützpunktes a Geländeübung macht und außer Mg scharfe Munition (120 Gewehrmunition je Mann) bei sich führte, wird von einem engl. Stoßtrupp der bei Vaage [Vage] gelandet ist, angegriffen .. Zur selben Zeit legen 2 Sturmboote bei Holevik [Holvika] an, um längs der Dorfstraße vorzugehen. lO.OO Uhr 3. Zug nimmt den Kampf auf, die restliche Truppe wird alarmiert. Major von Schroeder und Oberleutnant Brahmer Chef des n./IR 742 fallen. Der Hafenkapitän fasst eilig von der Straße her 6 Marinesoldaten und drei Infanteristen zusammen und übernimmt den Schutz der Kaianlagen und [58r] der Läger. Die vorderen Lagergebäude werden so lange verteidigt, bis der Gegner auf nächste Entfernung heran ist und Flammenwerfer einsetzt. Immer wieder dem Gegner Verluste zufügend, muss Schritt für Schritt von einer Anlage zur anderen zurückgegangen werden. Der Engländer schießt 3 weiße Leuchtkugeln. Darauf eröffnen 2 vor dem Ort kreuzende Zerstörer aus allen Bord- und Flakwaffen das Feuer auf die kämpfende Infanterie. Währenddessen sind drei weitere gepanzerte Sturmboote, die mit 2 cm Flak ausgerüstet sind, und etwa je 20 Mann Besatzung haben, an der Südküste von Vagsoy [Vagsoy] an Land gegangen. Die Batterie Kuhlen liegt unter stärkstem Feuer und brennt überall. Die eigene Abwehr fiel nach Abgabe weniger Schüsse aus.

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MONTAG,

13.00

13.05 16.00

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12.

JANUAR

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Der 3. Zug wird von einem engl. Störtrupp, mit Flammenwerfern und Maschinenwaffen ausgerüstet, in der Flanke bedroht. Er weicht aus und bezieht neue Stellung höher im Gebirge. Auch der Engländer erwidert mit der gleichen Maßnahme unter fortwährenden kurzen Feuerkämpfen. Der deutsche Zug erreicht als erster den Grat und führt von da aus Gegenstöße durch. [59] Vor Rauteberg [Raudeberg] wird ein Geleitzug von den Zerstörern versenkt. Das kleine Vorpostenboot »Donner« nimmt den Kampf aus nächster Nähe auf und geht unter. Uhr. Versuch weiterer engl. Sturmboote an der Ostküste Vags0Y (nördl. Mal0Y) zu landen, werden durch MG Feuer abgewiesen, dabei wurde ein Sturmboot mit lO Mann versenkt. HKA 950 (Hals0r) schießt einen Bomber ab. Rückzugsbewegungen der abgesetzten feindlichen Truppenteile (Tarnung durch Einnebeln). Nach Einschiffung drehen die Zerstörer durch den Vaagsfjord [Vagsfjorden] ab. ----------

Während die 5 Zerstörer im inneren Fjord lagen oder kreuzten, standen die 2 Kreuzer (ca 9000 to.) vor dem Fjord und nahmen die Nordfjordbatterie der M.A. unter Feuer. (Anm.: übrigens von meiner Oberbauleitung West gebaut und noch im September von mir besucht.) Vorher erfolgte auch hier ein Bombenfliegerangriff, der jedoch kaum Schaden verursachte. Auch hier wurde von den Maschinen Brandflüssigkeit geworfen, durch die die Geschütze hell beleuchtet und die Bedienung geblendet wurde. Die Batterie besteht z. Zt. aus 2 russischen 13 cm Geschützen, verschossen wird französische Munition. (Anmerkg.: Es fehlt nur noch, deutsche Geschützbedienung auf norweg. Boden ... ) Das erste Geschütz fiel sofort aus, das zweite Geschütz aus der gleichen Ursache nach etwa 14 Schuss. [59r] Angeblich hatte die Batterie einen Treffer auf einem Kreuzer erzielt. Der Gegner legte wenigstens 75 Schuss auf die Batterie, wovon auffallend viel Blindgänger warten. Verluste I Toter, zwei Leichtverwundete. Es heißt in dem Bericht weiter: Die Landung war in der Dunkelheit unerkannt an mehreren Punkten geglückt. Sie muss offenbar an den Punkten Vaage und Holevik vor Beginn des Fliegerangriffs erfolgt sein. Von den Zerstörern wurden gepanzerte Sturmboote, deren Stirnwand mit Schießscharten versehen sind, abgesetzt. Sie waren etwa mit lO bis 20 Mann besetzt. Ein Stoßtrupp umfasste 2 bis 3 Boote. An stationärer Bestückung war ein 2 cm Flak oder ein SMG'44 vorhanden. Die Angehörigen des Stoßtrupps waren mit Maschinenwaffen und Brandflüssigkeit ausgerüstet. Dazu sind bei einigen Trupps Flammenwerfer beobachtet worden. Die Landung der

144 Schweres Maschinengewehr.

MONTAG,

DEN

12.

JANUAR

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[IM ORIGINAL:

41J

Landungsboote erfolgte an freier Küste. Landung und Landkampf von See her mit allen Bordwaffen wirkungsvoll unterstützt. Das Unternehmen ist bis ins Kleinste gut vorbereitet und skizzenmäßig festgelegt gewesen. Die gleiche Skizze, die die Führer des Landungsunternehmens hatten, besaßen auch die mitfliegenden Bombenflieger. Die Beuteskizze kann nur von Ortskundigen Leuten (Englandfahrern) hergestellt sein. Auch die örtliche Führung des Unternehmens muss durch Norweger erfolgt sein. Nach Aussagen eines norweg. Lotsen sollen auch norw. Zerstörer beteiligt gewesen sein. [60] Eigene Verluste: 1. Infanterie? Tote ...... 2 Off. 9 Mann " " Verwundete I 3 " Vermisst 16 " 2. Artillerie Tote II Verwundete " Vermisst I Off. 34 " " Tote I 3. Marine 6 " " Verwundete I I Vermisst 3" 39" (davon wahrscheinlich 2 Offiziere und 35 Mann der beiden Vorpostenboote Fön und Donner tot.) 4. Handelsmarine Tote 9 Mann Verwundete 9 " Vermisst 14" Gefangen 6" 5. Versenkte Handelstonnage: ca 18.000 BRT. ---------------------------

Ich habe den Original bericht deshalb aufgeschrieben, weil dieser Überfall genau nach den uns drei Tage vorher in die Hände gefallenen »Landungsvorschriften« der Engländer durchgeführt ist, und weil anzunehmen ist, dass die zu erwartenden nächsten Aktionen genau nach dem selben Muster vollzogen werden. Die »Föhn« habe ich noch Anfang Dezember im Hafen von Mal0Y gesehen. Da ihr Kommandant, ein gewisser Lnt. Lohr mit dem Hamburger Kaffeeröster Lohr verwandt ist und wir uns daher recht gut kannten, hatte ich noch am 17. Dez. für die Mannschaft eine besondere Wehrbetreuung durchgeführt. ---Gefallen für Führer und Reich. ---- [60r] Oslo nach 16stündiger Fahrt erreicht. Hinein erst einmal ins Hotel. Auf meinen Telefonanruf erhalte ich die erwartete Auskunft: Dienststellenleitertagung verschoben auf Freitag: Also hinein ins Bett. Am Freitag, den 9. 1. 42 beginnt also die Tagung. Im Stortingsaal hält der RK die Begrüßungsrede. Wir sollen uns noch auf einen langen Aufenthalt in Norwegen gefasst machen. Norwegen soll eine einzige Festung werden. Anschließend findet die Tagung der Hauptabteilung Verwaltung statt. Sie reizt

MONTAG,

DEN

12.

JANUAR

42

[IM ORIGINAL:

41J

mich besonders, hörte ich doch in Hamburg von Carlo Otte, dass man mir die »Ehre« antun wollte, mich nach Drontheim zu versetzen, wozu ich aus verständlichen Gründen überhaupt keine Lust habe. Carlo berichtete weiter an sich sehr schmeichelhaftes von mir. Der RK hätte behauptet, das nur Hagemeister und ich unseren Aufgaben gewachsen seien. Der gute von der Goltz sei ein großer Versager, und ich solle nunmehr die etwas verwahrloste[,] aber größte Dienststelle Drontheim übernehmen. In Oslo erfuhr ich dazu noch »hinten herum«, dass alle anderen Dienststellenleiter abgesetzt werden sollten, und dass Landräte aus Deutschland ihren Platz übernehmen würden. Dann wäre ich in dem gesamten Stall mal wieder der einzige »Nichtakademiker«. Himmel, wenn die Kerle wüssten, dass ich mit Ach und Krach nur mein sogenanntes »Einjähriges« gemacht habe ..... Abgesehen davon, dass ich mich an Landrat Dr. Heinrich wegen seines lächerlichen Verhaltens in meiner Urlaubsangelegenheit durch eine scharfe, allerdings auch berechtigte Kritik an seiner Arbeit rächte, verlief die Sitzung recht ordentlich. Sichtlich hatten die Männer Angst vor Angriffen [»]schlichter Männer aus dem Volke«. - [61] Um 14 Uhr gab Reg.Präs. Dr. Koch ein Essen im Hotel, wobei allgemein auffiel, dass ich den Ehrenplatz rechts neben Koch und zwischen ORR Dr. Schiedermeyer hatte. Reg.Assessor Hag[e]meister saß links neben Koch. »Nachtigall ick hör dir laufen« . Nachmittags folgte die Hauptabteilung Volksaufklärung und Propaganda. Die Sitzung verlief sehr harmonisch. Zu 20 Uhr waren wir vom RK nach Skaugum eingeladen. Die übliche Sauferei. Der RK scheint es darauf abgesehen zu haben, festzustellen, wer trotz Alkohol Haltung behält. Mein Magen verträgt nun leider oder glücklicherweise recht viel davon. Der RK war überaus freundlich. Der Urlaubszwischenfall scheint vergessen worden zu sein, oder .... Er fühlte sich im Unrecht. Um 4 Uhr morgens am Sonnabend langte ich »leicht vergnügt« wieder im Grand Hotel an. Am Sonntag früh - (viel zu früh) [-] folgte die Sitzung der Hauptabteilung Volkswirtschaft. Weder Carlo Otte als Hauptabteilungsleiter noch ein einziger Abteilungsleiter stellten sich der Kritiklüsternen [sic] Meute von Dienststellenleitern. Die armen volkswirtschaftlichen Referenten hatten demgemäß darunter stark zu leiden. Abends zu 20 Uhr war ich vom norw. Pressedirektor BeggerudI45 zum Essen im Hotel Bristol eingeladen. Der Aufforderung von de Vries, am Sonntag um II Uhr zu dem »versehentlich« auch eingetroffenen Carlo Otte zu kommen, kam ich nicht nach, sondern fuhr am Sonntag früh um 9 Uhr endlich wieder nach Bergen zurück. [61r]

145 Anders Beggerud (1894-1957), später auch Minister für Kultur und Propaganda.

SONNTAG,

DEN

18.

JANUAR

1942

Donnerstag, den 15. Januar 1942 So langsam bekomme ich meinen Laden wieder in Schwung. Die Weihnachtsferien waren Einigen doch etwas reichlich in die Knochen gefahren. Alles war empört, als ich konstant morgens um 8 Uhr erschien, aber schließlich lenkte man ein und erschien ebenfalls um 8. Heute allerdings hatte man sich doch verrechnet. Gestern Abend hatte ich die Männer der Dienststelle zur Besprechung abends in meine Wohnung gebeten. Der »nebenbei« gereichte Alkohol hatte Einige erheblich schwer erschüttert. Um 8 war ich der einzige Mann, der anwesend war. Mancher ist leider den ganzen Tag nicht arbeitsfähig gewesen. Aber ich bekomme den Laden schon wieder auf Touren. »Bergen voran«, so hieß es im vergangenen Jahr, und so wird es auch im nächsten Jahr heißen, wenn, ja wenn ... ich nicht nach Drontheim versetzt werde. Dann muss eben Drontheim erste Dienststelle werden. Aber erstmal machen wir in Bergen noch etwas »Leben«. Ich habe Auftrag zum Ausbau des Kasinos erteilt. Am 29. kommt der Cellist Prof. Hoelscher.146 Ende März kommt das deutsche Theater aus Oslo für 8 Tage. Das gibt wieder Abwechslung und Ansporn. Auch Reg.Präs. Dr. Koch hat sich für die nächste Zeit angesagt. Er will Reg. Prä[s]. Kantstein, der z. Zt. in I47 Dänemark angesetzt [sic] ist, mitbringen. An dem von Carlo Otte angesagten Besuch zweifle ich immer noch. Er wollte schon häufiger mal kommen, nur wurde nie etwas daraus. Das Kompliment, dass er deswegen noch nicht nach Bergen gekommen sei, weil er die Überzeugung hätte, hier klappe alles tadellos, dürfte etwas übertrieben oder gesucht sein. Sollte er wirklich kommen, umso besser. Vielleicht sieht er dann ein, dass ich gerne in Bergen bleiben möchte. [62]

Sonntag, den 18. Januar 1942 Alle Knochen tuen mir im Augenblick weh. Ich bin »leichtsinnigerweise« heute nachmittag auf den Floyen gepilgert, aber ich brauchte etwas frische Luft. Bis heute morgen 4 Uhr habe ich »Korrektur gelesen«. Mein Monatsbericht musste endlich heraus. Da meine Sekretärin noch nicht vom Urlaub zurück ist, mussten zwei andere Weiblein den 37 Seiten langen Bericht schreiben. Doch dann merkt man erst, was eine gute Sekretärin wert ist. Der größte Unsinn wird heruntergeschrieben. »Denken« scheint Glücksache zu sein, na, und Glück hat nun eben nicht jeder. Ich bin also zwei Stunden über Schnee und Eis gewandelt, und jetzt tun mir die Beine weh. Da hilft nur ein »Cordial Medoc[«] und eine gute Brasil.

146 Ludwig Hoelscher, (1907-1996). Sein Name findet sich auch auf der 1944 von Goebbels zusammengestellten »Gottbegnadetenliste«, einem Verzeichnis »unverzichtbarer« Künstler, die vom Fronteinsatz befreit waren. 147 Hans-Reinhard Koch (1902-1997), Leiter der Hauptabteilung Verwaltung im Reichskommissariat. Beim Zweitgenannten handelt es sich vermutlich um Paul-Ernst Kanstein, Reichsbevollmächtigter im besetzten Dänemark für die dänische Zivilverwaltung.

143

DONNERSTAG,

DEN 22. JANUAR 1942

Letzten Freitag war ich im »Graf von Luxemburg«. Ich muss doch wohl noch norwegisch lernen, um von solchen Sachen etwas zu »haben«. Betrübt bin ich nur darüber, dass ich von Frauchen erst ein einziges Lebenszeichen erhalten habe. Wenn nicht bald etwas ankommt, schimpft wieder die ganze Behörde über mich, weil ich dann angeblich so »scharf« bin. Es ist immer dasselbe »cherchez la femme« ......... Übermorgen will ich nun endlich nach Maloy fahren, um festzustellen, ob es möglich ist, besondere Anerkennung in Form von Geschenken denjenigen zukommen zu lassen, die sich besonders für Deutsche eingesetzt haben. Sicherlich werden die meisten Angst haben, sich mit der Annahme von Anerkennungen als deutschfreundlich zu identifizieren. Na, wir werden sehen. [62r]

Donnerstag, den

22.

Januar

1942

Heute Mittag bin ich wieder zurückgekommen von der MaJoy Reise. Man ist doch immer wieder froh, in der eigenen Wohnung zu sein, und vor Allem, wieder in die Badewanne steigen zu können. Am Dienstag, morgens 7 Uhr[,] sollte die »Polarlys« vom Quai ablegen. Um lO Uhr sind Wauer und ich erst einmal wieder an Land, und in die Dienststelle zurückgegangen. Es wurden immer noch neue Heringskisten eingeladen. Um 12.30 endlich legte der Dampfer ab. Es war eine wundervolle Fahrt durch die Schären. Man muss solche Fahrten einmal gemacht haben, um Norwegen zu kennen. Nachts Punkt 12 Uhr langten wir in Maloy an. Der Hafenkapitän Ltnt. Sebelin (früher Käptn von der Louise Leonhard) kam an Bord und genehmigte [sich] mit uns noch einen Whisky Soda. Erwärmende Getränke hatte ich vorsorglicherweise mit genommen. Dieses »Genehmigen« dauerte bis Y2 3 Uhr und aus dem Einen wurden üblicherweise mehrere. Da der Dampfer leider um 9 Uhr am anderen Morgen schon wieder auslaufen wollte, mussten wir um 8, d. h. reichlich früh aufstehen. Mit uns kam an Land »unser Gepäck«, bestehend aus 50 Flaschen Branntwein, 36 Flaschen Bier, 2 Flaschen Cognac und 2 Koffern. Schon auf dem Weg zum Hafenkapitän, wo ich mein Domizil aufschlagen wollte, trafen wir den Fylkesmann Atne, der mich mit dem gewohnten Redeschwall begrüßte. Wie ich nebenbei feststellen konnte, waren die Verwüstungen gar nicht so schlimm. Die südliche Hälfte des Ortes hatte einige »Lücken« und Trümmer. Dann begannen die Verhandlungen mit dem Fylkesmann, dem Lehnsmann und den Ordforern von MaJoy und Raudeberg. Wie schon erwartet, wurde eine »Einzel«-Anerkennungsaktion allgemein abgelehnt. Umso mehr wollte man etwas »kollektiv« herausholen. [63] Allerdings hatten sich einige Einwohner bei der Betreuung der Verwundeten usw auch fabelhaft benommen. Es gelang mir, die Geister mit Hilfe des mitgebrachten Cognacs etwas zu lockern. Nur der arme Lehnsmann, der in Uniform anwesend war und naturgemäß Argusaugen machte, durfte nicht mittrinken. Volle drei Stunden dauerte das Palaver. Kaum waren die Herren verschwunden, als die von mir zum Mittagessen eingeladenen Offiz. erschienen, d. h. der 144

SONNTAG,

DEN 25. JANUAR 1942

Ortskommandant und der Bataillonskommandeur. Das Essen war wieder sehr »anstrengend«. Aber man muss ja etwas gegen die Kälte tun .... Um 16 Uhr packte uns Selbelin in seinen Packard alias Opel Super Six, und fuhr uns durch die Gefilde seines Reiches. Hier hatten also 3 Wochen zuvor die Engländer gehaust. Traurig war eigentlich nur der Anblick der schwach aus dem Wasser ragenden »Bäuche« der versenkten deutschen Handelsdampfer, sowie des auch im Wehrmachtsbericht genannten Vorpostenboots »Föhn«. Abends 19 Uhr schon nahm uns die [»]Sankt Spittuhn« wieder mit. Wir wollten gerade zu Bett - - - nach den Anstrengungen des Tages kein Wunder - - - als wir merkten, wie der Dampfer im Fjord drehte. Der doch immerhin mindestens 1500 to große Pott drehte tatsächlich im schmalen Fjord und ein Stück zurück. Nach einem angeregten Morsegespräch mit der Nordfjordbatterie drehte der Dampfer nochmals und wir fuhren wieder den alten Kurs. Gerade hatten wir gedacht, es ist wieder etwas »los« bei Floro leider, oder doch wohl besser - gottseidank war dem nicht so. Der Dampfer hatte nur die Morsezeichen der Batterie zuerst nicht verstanden. In Floro blieb das Schiff bis morgens 5 Uhr liegen, was unserem Schlaf wiederum eher dienlich war. Dann gings weiter - wieder durch die Schärenwelt. [63r] Man kann schon verstehen, dass die Schiffe früher nicht durch die Schären fuhren. Stellenweise ist die Durchfahrt so eng - wie oberhalb des Sognfjords -[,] dass der Dampfer vielleicht je 2 m nach beiden Seiten Spielraum hat. Ich nahm ein richtiges Luftbad, indem ich wie ein Gejagter dauernd auf dem Schiff hin und her pilgerte. Nun hoffe ich allerdings, für längere Zeit erst einmal in Bergen bleiben zu können. Heute ist eigentlich ein ganz besonderer Tag, wenn auch nur für mich, denn ein Brief von dem kleinen Frauchen enthielt »sehr wichtige« Nachrichten. Wenn Alles gut geht, liest vielleicht noch einmal ein dritter Erdenbürger, hervorgegangen aus der Verbindung Denker-Christen, diese Zeilen. Ich kann »so etwas« eigentlich in seiner Bedeutung noch garnicht erfassen, aber ich glaube, ich bin furchtbar glücklich und stolz. - - -

Sonntag, den 25. Januar 1942 Heute bin ich bei schönem Sonnenschein und erstaunlicher Kälte zum Floyen hinauf gewandert. Ich ging allein so für mich hin ..... Dieses »Alleingehen [«] hat immer einen Fehler oder - - - Vorteil. Man denkt erheblich nach Na, ehrlich gestanden, ich musste auch ein klein wenig »auslüften«. Am Freitag (den 23. 1. 42) feierten wir abends im Kasino 6 (sechs) Geburtstage. Essen und Trinken waren frei (Folge der Weihnachtsgabe des RK) [.] Es war ein »großer« Abend, d. h. im Kegeln kam ich auf 68, womit ich an der Spitze aller Säufer des Abends stand. Es war ja auch Pech, das gerade 6 Angestellte der Dienststelle Geburtstag gehabt hatten. [64] Am Sonnabend, also gestern, erschien dann Herr Beggerud, seines Amtes bestallter Direktor des staatlichen Presseamtes. Um ihm seine Aufgabe der »Gleich145

SONNTAG,

DEN 1. FEBRUAR

1942

schaltung« der Bergenser Presse etwas zu erleichtern, hatte ich die Redakteure der Bergenser Presse zu einem Essen eingeladen. Wider Erwarten erschienen sie auch, wie mir allerdings z. Zt. scheint - nur aus Protest gegen NS. Sachlich gesehen, war der Tag ein Fiasko. Zwar erklärt mir Beggerud, dass die sogen. Gleichschaltung fabelhaft vonstatten gegangen wäre. Alles wäre in Ordnung, alle bisherigen Redakteure machten »mit«. Wie ich zu meinem persönlichen Bedauern - nach dem Essen - dann erfuhr, war »dem« nun gerade nicht so. Vielmehr erklärten mir all e bisherigen Redakteure, dass sie zurücktreten wollten. Ich kann diese Männer verstehen. Sie haben einem Ideal nach gejagt, das inzwischen vergangen ist. Sie haben es allerdings noch nicht bemerkt. Aber alle Achtung vor der Haltung. Wenn ich auch noch nicht weiß, wie die Verhandlungen abgelaufen sind, so habe ich doch das Gefühl, dass der pp. stattliche [sic] Herr Pressedirektor sich wieder einmal denkbar ungeschickt benommen hat . . . . . . . . . ... Der gute Redakteur F ast i n g von Bergens Tidende hielt mich so lange auf, das ich tatsächlich zu spät zu der Geburtstagsfeier von Lud at kam. Der gute Ludat hatte zwar am 1. Januar schon Geburtstag, aber die Feier war erst für den 24. angesetzt. Ein Jeder wird verstehen, dass ich heute nicht »so ganz da bin«. Da ist das Einzige, was hilft, ... ich ging allein so für mich hin ...... doch auch das ist gebucht als das, was es ist, eine E pis 0 d e. [64r]

Sonntag, den

1.

Februar 1942

Eine nicht uninteressante Woche ist vorüber. Historisch gesehen, war es vielleicht die Woche der E n t s c h eid u n g. Heute ist Quisling zum MinisterI48 präsidenten ernannt worden. Es wird sicherlich noch vielerlei Auslegungen bedürfen, um den Sinn dieses Tages festhalten zu können für die Zukunft. - -Wie voraus gesehen, gab es den »Krach« mit der Presse. Die Schriftleiter der drei maßgebenden Zeitungen legten ihre Ämter nieder, und die Verleger beschlossen, das Erscheinen der Zeitungen einzustellen. Die ganze Woche habe ich nun die Verhandlungen pflegen müssen, nachdem ich mir allerdings von Oslo habe ausdrücklich bestätigen lassen, dass ich nunmehr ganz allein mich mit diesen Dingen zu befassen habe. Auch hier eigentlich wieder die alte Erfahrung, die so überschlauen Herren von NS machen Blödsinn, und wir müssen die Folgen ausbaden. Am Mittwoch, d. 28. 1. 42, kamen mit dem Abendzug der Cellist Professor Hoelscher mit Frau und dem Pianisten von Lerchenfeld an. Am Donnerstag spielten sie morgens im Ortslazarett, nachmittags vor ca lOOO Soldaten und abends vor von mir geladenen Gästen im Festsaal meiner Dienststelle. Hoelscher ist ein überaus sympathischer und temperamentvoller Mann ohne geringste

148 Damit war formal eine norwegische Regierung eingerichtet worden, die allerdings vollkommen abhängig vom Reichskommissariat war. Die bestehenden "Staatsräte«, die bestimmte Regierungsaufgaben »verwaltet« hatten, wurden nun - zumindest der Bezeichnung nach - zu Ministern aufgewertet.

SONNTAG,

DEN 1. FEBRUAR

1942

Starallüren, seine Frau ist Hamburgerin, fast etwas primitiv, dennoch im Wesen und Auftreten sehr nett. Von Lerchenfeld - alter österreichischer Adel- macht einen etwas reichlich verkalkten Eindruck mit »vergeistigter« Tünche. Nach dem Konzert im Festsaal der Dienststelle gab ich noch einen Empfang im gerade fertiggestellten [65] Kasino der Dienststelle. Norweger hatte ich diesmal hierzu nicht geladen, sodass nur die Spitzen der Wehrmacht und sonstigen deutschen Dienststellen anwesend waren. Es wurde, wie glücklicherweise bisher immer, auch diesmal ein sehr netter und gemütlicher Abend, der sich für mich allerdings bis zum anderen Morgen gegen Y2 5 Uhr hinzog. Hoelschers mussten leider an diesem Morgen (Freitag) schon mit dem 8 Uhr Zug wieder nach Oslo zurückfahren. Der Alkohol hatte doch wohl etwas stark gewirkt, denn ich war leider der einzige, der zur Abfahrt auf dem Bahnhof erschien. Außer dem Besuch von Prof. Hoelscher brachte der Tag noch eine andere Freude. Der Rundfunk brachte die Sondermeldung, dass Benghasi wieder von uns genommen wurde. Es ist eigenartig, so unbedeutend, wie ansich Benghasi ist, so gewaltig ist die psychologische Wirkung dieser Meldung. Rommel hat die große Offensive der Engländer, die nach franz. Tunis vorstoßen wollten, nicht nur aufgehalten, sondern wider Erwarten die Gegenoffensive eingeleitet. Wir sind ja - ehrlich gestanden - etwas bescheiden geworden mit unseren Ansprüchen. Die letzten Monate haben doch erheblich an den Nerven gezehrt. Wenn auch der Kopf verstand, das Herz ließ sich nicht so schnell auf Defensive umstellen. Rommel ist z. Zt. wohl der populärste General des Krieges - auch von der anderen Seite gesehen. Er ist nun zum Generaloberst ernannt worden. Ob er die Engländer, deren Stärke man auf 750.000 Mann schätzt (3 mal so viel wie wir) I49 wohl wieder aus der Cyrenaika herauswerfen wird? [65r] Freitag Abend begingen wir die Einweihung der neuen Kasino-Räumlichkeiten. Der SD und die Sicherheitspolizei stellen naturgemäß das größere Kontingent. Ich ermahne alle Leutchen in meiner Festpredigt zur kameradschaftlichen Haltung und glaube wohl, dass wir dieselbe so oder so »durchpauken« werden. Gestern (Sonnabend, den 31. 1.) war wieder »was los«. Der Oberbürgermeister Stensaker hatte den Admiral, Kap. Werner und mich zum Essen in sein Haus geladen. Es wurde ein sehr netter Abend[,] wenn auch Frau Stensaker leider kein Deutsch spricht, und die Unterhaltung mit ihr in englisch geführt werden musste. (Sie ist in USA aufgewachsen). Für einen kurzen Augenblick glitt die Unterhaltung ins politische ab, und schon zeigten sich die großen Meinungsverschiedenheiten. Doch dieser »tote Punkt« wurde schnell überwunden. I50 Und heute ist nun Quisling feierlich mit einem Staatsakt auf Akershus bei Oslo zum Ministerpräsidenten ernannt worden. Erst sprach Terboven und richtete bei dieser Gelegenheit einen außerordentlich scharfen[,] aber geschickten Angriff

149 Auch Kyrenaika, eine Region in Osdibyen, deren wichtigste Stadt Bengasi ist. 150 Mittelalterliche Festung, die sowohl als Ort für Staatsfeierlichkeiten als auch aus Gefängnis und Hinrichtungsstätte genutzt wurde.

147

DONNERSTAG,

DEN

5.

FEBRUAR 42

I5

gegen den Erzbischof Berggrav " dann »übernahm« Quisling die Ministerpräsidentschaft. Ich kann mich allerdings nicht des Gefühls erwehren, als wenn hier etwas reichlich Theater gespielt wird. Wenn wir, d h das Reichskommissariat wirklich verschwinden sollte[n], macht Quisling mit seinen Männern in spätestens drei Monaten restlos pleite. Na, wir wollen mal abwarten, was in den nächsten Tagen herauskommt - sicherlich - wie schon gesagt, T h e a t er. [66]

Donnerstag,

den 5. Februar 42

Ich habe Recht gehabt, das RK bleibt, und es hat sich eigentlich verdammt wenig geändert. Aber das »Theater« war in jeder Beziehung großartig, Fackelzug, Empfänge, Pressetamtam, usw. In Bergen war für gestern eine große NS Versammlung im Konzertpalast angesetzt. Die Spitzen der Wehrmacht, meine Leute und ich waren großartig geladen. Um 18 Uhr ruft der Gauleiter Astrup an, er wäre mittags aus Oslo zurückgekommen. Ich beeile mich, ihm meinen Dank für die Einladung zum heutigen Abend zu sagen. Er antwortet, dass er auch erst heute Mittag von den Einladungen an die Deutschen erfahren habe, womit er eigentlich garnicht einverstanden sei. (?) Nun bäte er mich, doch auch vor der Versammlung zu sprechen Na, der Saal war mit Ach und Krach zu dreiviertel gefüllt (ca 900 Personen), und ich hatte dann das Vergnügen, auch etwas zu dem »Theater« beizutragen, von wegen der 1. Februar Geschichtswende für Norwegen, Freiheit, Friede, Glück und was es sonst noch an schönen Phrasen gibt. Natürlich tosender Beifall. - Wie einfältig sind doch die Menschen. Mir scheint allerdings, dass unser Leben nicht gerade leichter geworden ist. Bisher konnte ich jeden aufkommenden Unsinn im Keim durch meinen Befehl unterbinden. Jetzt muss ich die souveräne norweg. Regierung »formell« honorieren, muss demgemäß die »Entwicklung« jeden Unsinns abwarten, um, wenn das Kind ins Wasser gefallen ist, es doch wieder selbst und allein herausziehen zu müssen. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, was Astrup mir gestern Abend noch sagte. Ja, er wolle [66r] jetzt das alte Schloss Gamlehaugen bei Bergen beschlagnahmen, um dort dann »würdig repräsentieren« zu können. Es bestätigt sich, wovor ich seit Monaten immer schon gewarnt habe: NS denkt garnicht daran, die Parteibasis zu verbreitern und Jeder stürzt sich mehr denn je auf die gut bezahlten Beamtenposten entsprechend der Auffassung, in Norwegen könne immer nur mit der Gewalt regiert werden. Also Diktatur einer noch nicht mal leistungsfähigen Minderheit, und dafür - haben wir Deutsche uns am 25. Septemb. 40 die Sympathien von gut 80% des norweg. Volkes verscherzt. ??? 151

Eivind Berggrav (1884-1959) war eine zentrale Figur im kirchlichen (lutherischen) Widerstand gegen die Besatzung. Ein maßgeblich von ihm verfasster Hirtenbrief der lutherischen Bischöfe hatte im Februar 1941 zum zivilen Ungehorsam aufgerufen. Am 24. Februar 1942 legte er sein Amt nieder. 90 Prozent der Pfarrer erklärten daraufhin ebenfalls ihren Rücktritt als Staatsbeamte. Am 9. April 1942 wurde Berggrav von der Gestapo verhaftet und in ein Konzentrationslager gesperrt, später unter Hausarrest gestellt, aus dem heraus er aber weiter politisch aktiv blieb.

DONNERSTAG,

DEN 12. FEBRUAR 1942

Sonntag, den 8. Februar

42

Gestern hatte ich die Damen der Dienststelle bei mir zum Kaffee geladen. Bis auf Frl. Erbarth, die sich konstant vorbei benimmt, habe ich eigentlich recht nette Mädchen auf der Dienststelle. Freitag abend habe ich im Rahmen des Kasino Abends zwei Damenmannschaften der Dienststelle gegeneinander kegeln lassen, wobei die norweg. Damen die Deutschen schlugen. Es machte Allen einen Heidenspaß. Interessant war gestern und Freitag auch[,] was Hauptsturmführer Berlin mir erzählte. Er war mit Brigadeführer Wegner im Führerhauptquartier gewesen. Der Führer denkt noch gar nicht daran, formell mit Norwegen Frieden zu schließen[,] und will jegliche diesbezüglichen Verhandlungen bis Kriegsende mit »Völkerbundsgepflogenheiten« hinauszögern. Im Übrigen munkelte man im Führerhauptquartier etwas von einer bevorstehenden Liquidation der Schweiz (was allerdings stark zu begrüßen wäreD]. [67] »Bezeichnend« - wenn auch leider traurig, war auch das, was er über die internen Verhältnisse bei der NS Führung erzählte. Da stehen »Gruppe Hagelin« gegen »Gruppe Lunde«. Wer zuletzt bei dem »Forer« war, hat recht. Der ehem. Hird-Stabschef Saeter intrigierte gegen den Polizeiminister Jonas Lie und beanspruchte den Polizeiministerposten für sich (a la Himmler) und bediente sich dabei »komischer« Methoden (a la Röhm) [.] Für 300.000 Kr. war er großzügig bereit, weitere lOOO Mann Hird für die Ostfront frei zu geben. Vor einigen Tagen ist dieser würdige und vor Idealismus geradezu strotzende Herr Führer des norw. Lehrerverbandes geworden. Das wird bestimmt schief gehen.

Donnerstag, den

12.

Februar

1942

Seit Dienstag Morgen liege ich »auf der Nase«, d. h. ich habe eine sehr hartnäckige Erkältung, die auch auf den Oberkiefer geschlagen ist. Na, wird schon wieder vorüber gehen. Am Montag, d. 9. 2. war noch Major Vorwerk, der IA der Division bei mir zu Gast. Bis fast V23 Uhr morgens - bei Kerzenschein, da ja das elektro Licht um 12 Uhr verschwindet - plauderten wir. Vorwerk steckt voller Schnurren, die er in allen möglichen Mundarten vortragen kann. Er erzählte mir auch zwei niedliche Geschichtchen aus Bergen (wahr). Im Zuge der sogenannten V-Propaganda, war von uns der Satz geprägt worden Tyskland seirer pa alle fronter. (Deutschland siegt an allen Fronten.) Einige Norweger ärgerten sich zu dieser Zeit nun über eine Landsmännin, die mit einem [67r] deutschen Offizier »ging«. Eines Morgens ist an der Haustür der Betreffenden ein richtiges seidenes Höslein geheftet, und zwar so, dass die Beinchen ein V bilden. In diesem V war ein Zettel angebracht, mit der Aufschrift: »Tyskland seirer pa alle frontent!l.: _

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Abb. I: Heinrich Christens NSDAP-Ausweis, ausgestellt I930.

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Abb. 2: Kranzniederlegung in Bergen am »Heldengedenktag« I5. März I94I. Heinrich Christen »in Zivil« mit Hitlergruß Der »Heldengedenktag« hatte im Nationalsozialismus den» Volkstrauertag« der Weimarer Republik abgelöst. Hatte dieser noch der Toten des Ersten Weltkriegs gedacht, wurde der Termin nun auf den Tag der Wiedereinführung der Wehrpflicht im Jahr I935, den I6. März, verlegt.

Abb. 3: Schiffiausflug am I4. September I94I zur Eröffnung eines Straßenabschnitts im Hinterland Von links nach rechts: Oberst Adlhoch, der norwegische »Staatsrat« Tormod Hustad im Gespräch mit Heinrich Christen, neben diesem Kapitän von Lichtenfeld

Abb. 4: Christen mit einem unbekannten 55-Offizier auf einer Freitreppe vor dem Gebäude der Dienststelle in Bergen.

Abb. 5: Gerhard Resch, Chef der Sicherheitspolizei und 55-Offizier in Bergen und später in Trondheim.

Abb. 6: Familienfotos vom Sommerurlaub Heinrich Christens I942 zeigen ihn mit seinem Sohn Jörn-Hinrich (Häsi) und seiner TochterMargit (Peterle), beide Kinder auch mit dem Dienstmädchen Lotti; darüber das Einschulungsfoto von Jörn-Hinrich, links oben Gerda Christen mit dem jüngsten Sohn Holger.

Abb. 7: Heinrich Christen an seinem Schreibtisch im Stadtschloss Trondheim. Das Schloss hatte dem norwegischen Königspaar bei Besuchen in Trondheim als Wohnort gedient. Die Einrichtung im Chippendale-Stil wurde übernommen, wirkt aber weniger bequem als die in der Dienststelle Bergen. Im Hintergrund erkennt man ein Radiogerät auf dem Beistelltischchen.

Abb. 8: Heinrich Christen hinter Reichskommissar JosefTerboven und dem Hamburger Gauleiter und Reichskommissar für die Seeschiffahrt Kar! Kaufmann während der Reise durch die nördlichen Provinzen Norwegens im Sommer I942. Christen begleitete die beiden und ihre Entourage bis zur Nordgrenze seiner eigenen Dienststelle, die sich bis über den Polarkreis ausdehnte.

Abb. 9: Hauskonzert und Empfang mit dem Sängerpaar Meta und Willy Heuser, den Spitzen der militärischen Verbände in Trondheim und fünf (deutschen) Damen der Dienststelle. Christen posiert mit seinen Gästen vor seiner Dienstvilla im Stadtteil Leangen.

Abb. IO: Heinrich Christen begrüßt die Schauspieler Gustav Gründgens und Gustav Knuth. Sie waren Teil einer Theatergruppe, die in Trondheim ein Gastspielgab, und folgten einer Abendeinladung als seine privaten Gäste.

Abb. II: Am 6. Oktober I942 holte Heinrich Christen den Reichskommissar losefTerboven in Trondheim vom Bahnhof ab. Dieser war in einem Sonderzug angereist, um die Strafoktionen gegen die widerständigen Norweger zu befehligen und in der Stadt die Erschießung von zehn Geiseln persönlich zu verkünden. Vom Bahnhof begab man sich unmittelbar zum» Tribunal«, um die Liste der Geiseln zu beschließen. Von links nach rechts: der Höhere 55- und Polizeiführer Nord Wilhelm Redieß, Reichskommissar losef Terboven, Generalleutnant Erwin Engelbrecht, Dienststellenleiter Heinrich Christen.

Abb. I2: Heinrich Christen mit der Ehefrau des Opernsängers Wilhelm Strienz im Trondheimer » W7aldschlösschen« vor dem Kamin des Wohnzimmers. Vermutlich hat Herr Strienz das Foto gemacht; die beiden waren die ersten Gäste, die Christen in »seinem« neuen Domizil empfing. Der Besitzer, Lorentz Capellen-Smith, konnte wenige Wochen zuvor der Erschießung als Geisel entgehen, sein Haus war beschlagnahmt worden.

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Abb. I3: Das Foto zeigt die gediegene, aber doch vergleichsweise bescheidene Einrichtung des Wohnzimmers im Hamburger Haus am Winterhuder Quai. Das Ehepaar Christen posiert I944 in gepflegter Gemütlichkeit, vermutlich bei einem Heimaturlaub während Christens Ausbildung zum Gebirgsjäger bei der Waffen-55 in Hallein.

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Abb. I4: Heinrich Christen mit seinem ältesten Sohn Jörn-Hinrich auf Skiern bei einem Besuch der Familie in Hallein. Das Foto stammt von einem Ausflug, den die Familie ins nahegelegene Salzburg gemacht hat.

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Abb. I5: Familienfoto I950. Von links nach rechts in einem Cafl: Heinrich Christen, Gerda Christen, Jörn-Hinrich Christen; Holger Christen ist aufgestanden, wohl um noch aufs Bild zu kommen. Die Tochter Margit und ihr Vtuer lächeln sich an. Im Hintergrund ein Werbeplakat.

Abb. I6: Passbild Heinrich Christens, undatiert, vermutlich aus den späten I960er Jahren.