"Verlorene Generation" Polens Jugend im „Kriegszustand" 1981-1983

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"Verlorene Generation" Polens Jugend im „Kriegszustand" 1981-1983

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J-XLiX < ! J X C l ö o L i l l y • » a * e a « « s » a « » « * « e i a * * n a « * » e « a « * « « * n * i 3 « X
1. Einführung 1
2. "Verkracht mit dieser Generation"...?. 6
3. Die "verlorene Generation" und ihr Lebens-
4. Aspekte der Jugendgefährdung 24
4.1 Jugendkriminalität . 24
5. Go west, young man? 35
6. Zusammenfassende Schlußfolgerungen 46
Anmerkungen . 52
Summary 61

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Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien Verlorene Generation" Polens Jugend im „Kriegszustand" 1981-1983 WolfOschlies

Die Meinungen, die in den vom BUNDESINSTITUT FÜR OSTWISSENSCHAFTLICHE UND INTERNATIONALE STUDIEN herausgegebenen Veröffentlichungen geäußert werden, geben ausschließlich die Auffassung des Autors wieder. © 1983 by Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln. Abdruck und sonstige publizistische Nutzung - auch auszugsweise nur mit vorheriger Zustimmung des Bundesinstituts sowie mit Angabe des Verfassers und der Quelle gestattet. Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien Lindenbornstraße 22, D-5000 Köln 30, Telefon 0221/522001

I N H A L T Seite J-XLiX < ! J X C l ö o L i l l y

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X

1.

Einführung

1

2.

"Verkracht mit dieser Generation"...?.

6

3.

Die "verlorene Generation" und ihr Lebens-

4.

Aspekte der Jugendgefährdung

24

4.1

Jugendkriminalität .

24

5.

Go west, young man?

35

6.

Zusammenfassende Schlußfolgerungen

46

Anmerkungen Summary

.

52 61

Juli 1983

Kurzfassung Vorbemerkung Im Dezember 1981 wurde über Polen der "Kriegszustand" (stan wojenny) verhängt und nach gut einjähriger Dauer wieder "ausgesetzt", nicht aufgehoben. Das putschartige Vorgehen des neugebildeten "Militärrats der nationalen Errettung" beendete augenblicklich alle Ansätze einer tiefgreifenden politischen Erneuerung, wie sie nach dem. August 1980 und durch das Auftreten und Wirken der unabhängigen Gewerkschaft "Solidarnosc" entstanden waren. Was immer die wahren Beweggründe für diesen radikalen Schritt gewesen sein mögen - offiziell wurde er mit einem patriotischen Kontext umgeben und als Rettungstat in letzter Minute ausgegeben. So unglaubwürdig und gekünstelt sich diese Argumentation aus ausnimmt, sie legitimiert doch Diskussionen über Ursachen, Art und Ausmaß der in Polen bestehenden Krise. Teils bewußt, teils indirekt dadurch, daß er die Partei als "führende Kraft in der Gesellschaft" nachhaltig ins Abseits drängte, hat der "Militärrat" diese Diskussion ermöglicht. Diese Diskussion (d.h. letztlich die gesamte "Öffentlichkeitsarbeit" des "Militärrats") sind dreifach interessant - vom Inhalt her sind sie über weite Strecken eine Abrechnung mit a l l e m , was Polen in seine derzeitige Lage geführt hat; im Ausmaß reichen sie von der wissenschaftlichen Analyse bis zum Leserbrief in einem Provinzblättchen, und im Tonfall verlaufen sie unter allseitiger Berücksichtigung der im heutigen Polen "bestehenden Riesenabneigung gegen ideologische Formulierungen in der Sprache der marxistischen Philosophie und Propaganda" (Miko^aj Kozakiewicz, Juni 1983).

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- II -

Auf der anderen Seite hat der "Militärrat" k e i n Konzept, die Krise zu beenden oder auch nur zu mildern, und die von ihm verfügten Beschränkungen sowie seine Eingriffe in das öffentliche Leben (Verbot der "Solidarnosc" u.a.) haben die Spannungen in der polnischen Gesellschaft vertieft. Vor dem Hintergrund dieses eigentümlichen Charakters des "Kriegszustands" - Polens Nöte haben sich vermehrt und vertieft, aber sie können unverändert offen und kritisch, in Teilbereichen sogar schärfer als früher artikuliert werden - würdigt die vorliegende Darstellung die Situation der polnischen Jugend, die sich als "verlorene Generation" (stracone pokolenie) empfindet. Verwendet wurden fast durchgehend polnische Materialien aus jüngster Zeit. Ergebnisse 1.

Einen "Generationskonflikt" nach westlichem Vorbild hat es in Polen n i e gegeben, weil die Generationen durch das Empfinden einer gemeinsamen Bedrohung durch Partei und Staat zusammengeschlossen wurden. 2.

Was jüngere Polen von älteren unterschied, war allein ihre gesteigerte Empfindlichkeit angesichts der Diskrepanzen zwischen "sozialistischem" Anspruch und politischer Realität. Weil diese Diskrepanzen im Polen der späten 70er Jahre besonders tief waren, hatte sich bei den Machthabern bald das - berechtigte - Gefühl herausgebildet, mit der Jugend "verkracht" zu sein. Unter diesem Aspekt war das enorme Engagement junger Polen für die "Solidarnosc" natürlich und verständlich, denn sie erschien ihnen als der gewichtigste Opponent gegen die alten Machthaber, und ihr Programm war die radikalste Abkehr von der alten Politik. Die grundlegende Berechtigung dieses jugendlichen Engagements für die "Solidarnos6" wird auch nach deren Verbot noch offiziell anerkannt. 3.

Wie in ganz Osteuropa hat auch in Polen die Bevölkerungsgruppe "Jugend" (10-19 Jahre) quantitativ abgenommen, aber , die Probleme, die sich für sie, mit ihr ergeben, sind enorm gewachsen. Als für die Jugend besonders gravierend ist der katastrophale Zustand des Bildungs- und des Gesundheitswesens in Polen anzusehen: Gesundheitszustand und Bildungsniveau weiter Teile der Jugend sind durch politische Versäumnisse in den letzten zehn Jahren auf einem beklagenswerten Tiefstand. 4.

Jugendliche Berufsanfänger sehen sich durch eine Fülle von Umständen - ausufernde Wirtschaftsbürokratie, fachfremder Einsatz, mangelnde Möglichkeiten für Mitsprache und Mitbestimmung - in ihrer sozioprofessionellen Selbstrealisierung behindert. Polnische Studenten blicken gegenwärtig einer düsteren beruflichen Zukunft entgegen, da das Hochschulwesen Polens mehr und mehr ein "akademisches Proletariat" produziert, für das die Wirtschaft weder Bedarf noch Verwendungsmöglichkeiten hat.

- Ill -

5.

Unter diesen Umständen hat sich in der polnischen Jugend ein tiefer Pessimismus ausgebreitet, eben das Lebensgefühl der "verlorenen Generation": Man glaubt nicht mehr an die endgültige Bewältigung der herrschenden Krise, weil man deren Bedingtheit durch das in Polen herrschende politische System erkannt hat - "Außer Krisen hat uns der Sozialismus nichts gegeben". 6.

Alle Beschränkungen des "Kriegszustandes" haben auf die polnische Kriminalitätsentwicklung praktisch keinen Einfluß gehabt, speziell die Eigentumsdelinquenz ist deutlich gestiegen. Erhöht hat sich weiterhin die Zahl jugendlicher Rechtsverletzer, besonders im Bereich der Schwerkriminalität von höchster Sozialgefährlichkeit. 7.

Seit etwa 1980 hat sich in Polen das Problem jugendlicher Drogenabhängigkeit mit der Wucht und Schnelligkeit eines Steppenbrandes zusammengeballt - Schätzungen sprechen gar von rund 600.000 Süchtigen, und die Zahl der Drogentoten hat sich in vier Jahren verachtfacht (1979 = 19, 1982 = 160). 8.

Die große Sehnsucht der jungen Polen ist der Westen - für eine n Teil der Jugend sogar als politisches, dem eigenen überlegenes System, für andere als Region der besseren Arbeit, gerechteren Entlohnung, vermehrter Konsummöglichkeiten. 1981 wurden in Polen relativ großzügig Reisepässe für Westfahrten ausgestellt. Der "Kriegszustand" hat diese Praxis beendet, damit aber das Let's-go-West-Gefühl der polnischen Jugendlichen noch gesteigert. Als wohlhabendstes Land Osteuropas macht sich die DDR dieses Gefühl zunutze und wirbt in großem Umfang junge Polen als - länger- oder kürzerfristige - Arbeitskräfte an.



"Maturzysto, steruj na Zachod, co ci da Polska Ludowa - Abiturient, richte dich nach Westen, was gibt dir Volkspolen" (Wandinschrift einer Turnhalle in einem Gymnasium in Olsztyn, Polen 1982) 1. Einführung Der in der Nacht vom 12. zum 13. Dezember 1981 von einem - vorher unbekannten - "Militärrat der Nationalen Errettung" (Wojskowa Rada Ocalenia Narodowego, WRON) für Polen verkündete "Kriegszustand" wurde fast auf den Tag ein Jahr später "ausgesetzt". Für die Mehrheit der polnischen Bevölkerung hatte er schon lange zuvor seinen größten Schrecken verloren und war fast "Alltag" geworden: Nachdem WRON am 29. April 1982 die Aufhebung der rigososesten, für die Menschen spürbarsten Bestimmungen des "Kriegszustandes" aufgehoben und die Freilassung der meisten Internierten verfügt hatte, wurden die neuen Verhältnisse von der Bevölkerung sozusagen zähneknirschend akzeptiert. Repräsentative Mei2 nungsumfragen von 1982 machten immer wieder eins deutlich: Mehrheitlich überwog das Gefühl, daß der radikale Schritt vom Dezember 1981 wohl unvermeidbar gewesen war, und es kam die Bereitschaft auf, am "Kriegszustand" nicht nur Negatives wie die Preiserhöhungen, die Verschlechterung der Realeinkommen etc., sondern auch Positives zu erkennen - die allgemeine "Ordnung" wurde gefestigt, die Versorgungslage hatte sich minimal gebessert und vor allem blieb die Regelung der Geschicke Polens in p o l n i s c h e n Händen, mochte diese Regelung momentan auch bedrückend sein. Auch erste westliche Analysen sind bereit, im polnischen "Kriegszustand" mehr als ein rotes Junta-Regime zu sehen: "Jaruzelski is not just a Soviet puppet. He has acted and continues to act with a limited but genuine degree of

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autonomy in critical situations. Far from a typical communist, he is much more a typical general. He does not aspire to re-create a political order based on the personal rule of the Party apparatchiks, whom he detests and whose vehicle of domination is the Polish Communist party. He seeks to create an order based on his army, directed by a loyal following of a supra-Party elite, whose instrument of governing is a quasi-legal state (...)

Jaruzelski's advisers

are pushing for a vision of a Polish society modeled on the liberal reformist regime of Hungarian Party First Secretary 3 Janos Kadar." Mehr noch: Jaruzelski - in Personalunion WRON-Vorsitzender, Ministerpräsident und Parteichef - hat der Partei einen Schlag versetzt, dessen Schwere erst in Umrissen erkennbar ist: "Jaruzelski long resisted international and external pressure for a repressive solution. Moreover, his postcoup politics are demonstrating why ruling communist parties have reason to dear potential Bonapartes in their ranks. His coup has been a catastrophe for the Polish Party apparatus. No Individual - not even Solidarity leader Lech Walesa - has more seriously considered dissolving a communist party on power 4 than Jaruzelski." Sicher gibt es andere und pessimistischere Interpretationsmuster des "Kriegszustandes" als dieses "bonapartistische" - aber selbst der größte Skeptiker wird einen Umstand anerkennen müssen, der dafür spricht: Hinter dem Kriegszustand stehen die Partei und die Armee, was selbst dann noch bedeutsam für die polnische Psyche wäre, wenn die Armee nur formal dahinter stünde (was sie nicht tut). Bedingt durch die an tragischen Kämpfen reiche Geschichte Polens genießt die Armee in diesem Land ein 5 Prestige, wie es sich in keinem anderen Land Osteuropas findet, und dieses Prestige liegt weit über dem der Partei. Zuletzt wurde das deutlich in jener "berühmten" Umfrage vom Sommer 1981, als die Befragten 15 Organisationen und Institu-

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tionen nach dem Maße ihres "Vertrauens" zu ihnen klassifizieren sollten - die ersten drei Plätze belegten die Kirche, die "Solidarnosc" und die Armee, der 15. und letzte Platz wurde von der Partei eingenommen. Von diesen Dingen einmal abgesehen, sind vier Momente zu konstatieren, die-bis zum Beweis des Gegenteils - den "Kriegszustand" auch in einem positiven Licht erscheinen lassen können: 1.

Die Militärs von WRON handelten bemerkenswert konsequent - sie haben den "Kriegszustand" als nationale Rettungstat in letzter Minute und als Antwort auf lange aufgestaute Probleme hingestellt. Dieser Ausgangspunkt legitimiert Diskussionen über Art, Ausmaß und Schwere dieser Probleme. Diese Debatte wurde 1982 - in Festsetzung der Diskussionen 1980/81 - mit steigender Intensität geführt, und sie war weder eine limitierte Auflistung von Mängelrügen, die unter strenger Beachtung gewisser Tabus geäußert werden durften, noch entsprang sie allein taktischen Überlegungen der Militärs, wie westliche Beobachter 7 8 vermuteten. Demgegenüber betonen polnische Stimmen, daß das "bis zum August 1980 realisierte Modell der führenden Rolle der Partei" irreparabel diskreditiert wurde - weil sein "primitives" ideologisches Gerüst im Grunde noch in "stalinschen Konzeptionen" wurzelte, weil es immer gröbere Züge der "Arroganz der Macht" annahm, weil es sich mit "Leuten mit zweifelhafter moralischer Kondition" rekrutierte, bei anderen aber "politische Ungewißheit und Bedrohung von Sicherheit und persönlicher Freiheit" bewirkte, weil es in immer stärkerem Maße ausschließlich von bürokratischen Apparaten repräsentiert wurde, die die 'Freiheit des Wortes" begrenzten, die "voluntaristische soziale und politische Entscheidungen" trafen und diese auf dem Wege des "zentralistischen Interventionismus" durchsetzten, und weil es schließlich an dem "Arbeiter-Protest" scheiterte, "der doch nichts anderes ist als Ausdruck eines fehlenden Vertrauens zu den Machthabern".

_ 4-

2.

Wenn der "Kriegszustand" nicht über den Kopf der Partei hinweg initiiert wurde, dann wurde er doch in hohem Maße gegen sie realisiert: Ende 1982 war die PZPR quantitativ stark reduziert - zwischen August 1980 und Dezember 1982 verlor sie 779.000 Mitglieder und zählte zum Schluß noch 2,37 Mio 9 Mitglieder und Kandidaten - und ideologisch durch die Einbindung in die "Patriotische Bewegung zur Nationalen Wiedergeburt" (Patriotyczny Ruch Odrodzenia Narodowego, PRON) neutralisiert, so daß ihr außer "Beratungen" über und "Billigung" von WRONBeschlüssen, eigenen Personalfragen und gelegentlichen Besuchen bei "Bruderparteien" wenig zu tun übrig blieb.10 Diese Lähmung der PZPR hatte auch den angenehmen Nebeneffekt, daß ihr Propagandagetöse in der Lautstärke spürbar zurückging - Polens geistige Landschaft war 1982 bemerkenswert "rein" von Phrasen und ideologischen Gemeinplätzen. 3.

Der Kriegszustand wurde ganz offenkundig auch aus Angst vor einer sowjetischen Intervention und auf Drängen aus den "sozialistischen" Nachbarländern, das im Falle der DDR oft genug Züge einer offenen Polen-Hetze annahm, inszeniert und hat n i e Anstalten gemacht, Beweise praktischer Solidarität, die aus dem Westen, speziell aus der Bundesrepublik kamen, zu unterbinden. In diesem Dreieck - militärischer Druck aus der Sowjetunion, antipolnische Stimmungsmache in Osteuropa, Hilfe aus dem Westen - scheint im "Kriegszustand" eine politische Determinante des modernen Polen ausgelaufen zu sein: Das Verhältnis zu "den Westdeutschen" hat - auf rein zwischenmenschlicher Ebene, aber eben deswegen um so profunder - eine Wende wahrhaft geschichtlichen Ausmaßes genommen. Das ist besonders in Nuancen spürbar: Fernsehsendungen, in denen noch in alter Weise vor dem "westdeutschen Revanchismus" gewarnt wird, verschob man auf Mitternacht (oder andere Zeiten, wo garantiert kaum jemand hinschaut); Bücher über die "Deutschen", die in klassischer Ausschließlichkeit vorgingen - DDR "weiß", Bundesrepublik "schwarz" -, konnten nur nach langen Verzögerungen

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und mit halbierter Auflage erscheinen, und wenn sie schließlich erschienen, mußten Buch und Autor sich in der Presse noch sagen lassen, sie seien "schematisches Geschreibsel" bzw. ein "liebedienerischer Autor". 1 2 4.

Der "Kriegszustand" wurde in einen patriotischen Kontext verpackt - bereits die erste Proklamation von WRON sprach davon, "daß unserem Vaterland eine tödliche Gefahr droht", und in diesem Tonfall ging es laufend weiter -, und eben das legitimiert Diskussionen über die Jugend. Die Jugend ist die problematischste, unruhigste, benachteiligste und frustrierteste Gesellschaftsgruppe, aber sie ist auch die Zukunft von Land und Volk, und man muß über ihre Probleme sprechen. In dieser Aussprache hat sich nun eine interessante "heimliche Allianz" zwischen Presse und Jugend ergeben. Dabei ist es nur hilfreich, daß gewisse Blätter von den besten Journalisten gemieden wurden und weiter werden - der Niveauabfall hielt sich in Grenzen, der kompensatorische Ehrgeiz der Blattmacher wurde eher noch gesteigert, und manches bislang unscheinbare Blättchen bekam plötzlich willkommene personelle Verstärkung. Und praktisch alle Blätter Polens beteiligen sich an der Jugend-Diskussion um die "verlorene Generation" - die in Wirklichkeit eine Diskussion um Polens Zukunft ist oder es spätestens dann wird, wenn authentische Aussagen Jugendlicher in ihrer ganzen und krassen "Perspektivlosigkeit" publiziert werden. Der letztgenannte Aspekt wird in der folgenden Darstellung über die polnische Jugend im "Kriegszustand" näher auszuführen sein. Gestützt auf Materialien vorwiegend polnischer Provenienz sollen drei Momente detailliert gewürdigt werden: Das Engagement Jugendlicher zwischen August 1980 und Dezember 1981, das Selbstgefühl der "verlorenen Generation" 1982 und schließlich gewisse Deviationsphänomene unter der Jugend, speziell die derzeit förmlich ins Kraut schießende Drogenwelle. Abschließend wird noch auf einen Nebenaspekt einzugehen sein, nämlich die

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Blickumkehr der jungen Polen vom Osten auf "unseren geliebten Westen" - die sich seit den frühen 70er Jahren ankündigte und im "Kriegszustand" vollendete. 2. "Verkracht mit dieser Generation ..." Für die Gesamtheit der Werte, Lebensziele und Aspirationen junger Polen hatte sich in der polnischen soziologischen Fachliteratur der Begriff "Modell der kleinen Stabilisierung" eingebürgert - Hinweis auf die Bescheidenheit dieser Ziele und Beleg für die Art ihrer Realisierung durch den privatistischen Rück13 zug in überschaubare und mitgestaltbare Mikroumgebungen. Dieses "Modell der kleinen Stabilisierung" hat die polnische Jugendforschung sehr früh und intensiv beschäftigt, und die Ergebnisse dieser Arbeit faßte der Soziologe Miko^aj Kozakiewicz 1975 folgendermaßen zusammen: "Alle letzthin durchgeführten Untersuchungen verweisen darauf, daß an der Spitze aller Werte und perspektivischen Lebensideale der Jugend der Wunsch nach persönlichem Glück und erfülltem Leben steht, wofür drei Grundvoraussetzungen erkennbar sind: - einen entsprechenden Partner zu finden, eine harmonische Ehe und eigene Familie zu begründen; - eine entsprechende Berufsqualifikation zu erwerben, eine Berufsarbeit aufzunehmen, die interessant ist und Befriedigung im Leben gewährt, und dafür will man auch das entsprechende Maß an Kenntnissen erwerben; - sich einen bescheidenen materiellen Fundus zu sichern, einen steigenden Wohlstand, der es erlaubt, an den verschiedenen Gütern dieser Welt und den Errungenschaften der Zivi14 lisation teilzuhaben." Diese Ziele waren nicht unbedingt jugendspezifisch, es waren vielmehr die Ziele aller Polen, unter denen es kaum einen "Ge-

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nerationskonflikt", dafür aber eine recht stabile Intergenerations-Wertekontinuität gab.1 5Was die Jugend von den Älteren unterschied, war zum einen ihre sozusagen "dünnere Haut", die sie Divergenzen zwischen "sozialistischem" Anspruch und "sozialistischem" Alltag besonders schmerzlich empfinden ließ, und zum anderen, daß es ihr n o c h schlechter ging. Im Herbst 1980 befaßte sich der halblegale Gesprächskreis "Erfahrung und Zukunft" (DiP) mit der Situation der polnischen Jugend und stellte dazu fest: "Vor allem sind die Startbedingungen der jungen Generation schwerer geworden als die, unter denen ihre Eltern ihr Erwachsenenleben begannen. Die Jugendlichen, besonders die mit höherer Bildung, finden schwieriger eine Arbeit, und alle zusammen haben sie gewichtigere Sorgen mit der Regelung der eigenen Wohnungssituation, wozu noch die niedrige Entlohnung im Berufsbereich kommt. Und hinzu kommt, daß diese Generation höher gebildet als die Generation der Väter ist (...) Die Jugendorganisationen, die - beginnend bei den Pfadfindern - in hohem Maße die Muster verbürokratisierter Erwachsenenorganisationen kopieren, sind für die meisten Jugendlichen weder attraktiv noch hilfreich. All das bewirkt, daß das Anwachsen der Unzufriedenheit unter den Jugendlichen höchst wahrscheinlich ist." Was die Autoren hier noch als künftige Möglichkeit hingestellt hatten, war in Wirklichkeit die reale Situation - die Unzufriedenheit der Jugendlichen war sprunghaft gewachsen, und seit August 1980 hatten sie in der "Solidarnosc" einen Anwalt ihrer Probleme gefunden; "Eins der Hauptelemente unserer politischen Krise ist die Lage bei den jungen Polen, ihr Bewußtseinsstand, besonders ihr Verhältnis zur Macht. Einfach gesagt - wir sind verkracht mit dieser Generation. Junge Menschen im Altersbereich 20-30 Jahre haben ganz allgemein im August 1980 ihre

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Unzufriedenheit gezeigt, sie waren die Organisatoren von Streiks im ganzen Land und heute stellen sie den Löwenanteil der Mitglieder von 'Solidarnosc', die mißtrauisch 17 das Treiben der Mächtigen beobachten."

Durch dieses jugendliche Engagement wurde "Solidarnosc" a u c h

zu einer Jugendbewegung, und zwar zu

einer ganz

authentischen - unabhängig von jeglicher "führenden Kraft", niemandes "Transmissionsriemen" zu bestimmten Zielgruppen, eine Organisation

d e r

Jugend, nicht

f ü r

sie. Die A l -

tersgruppe der in Polen bis 29jährigen war zu knapp 45 Prozent in der "Solidarnosc" (eine Rate, die keine andere A l terskategorie erreichte), und in ihrer überwiegenden Mehrheit stand die gesamte polnische Jugend von Anfang an hinter der 1 7a neuen Gewerkschaft. Diese Zusammenhänge wurden noch im April 1982 selbst im theoretischen PZPR-Organ "Nowe Drogi" (Neue Wege) eingeräumt:

"Bezeichnend für die Ereignisse in Polen von 1980 ist die Tatsache, daß sich der organisierte Protest der Arbeiterklasse mit der Tätigkeit junger Menschen verband, die in aller Regel erst kurze Zeit in der Berufsarbeit standen, und die in Volkspolen geboren und erzogen worden

waren.

Sie standen mehrheitlich an der Spitze der neuen Gewerkschaftsverbände. Die anfänglichen Unternehmungen der 'Solidarnosc' begegneten in Jugendkreisen voller Billigung. In Umfragen

(...)

vom November 1980 wurde der neue Verband von

über 83 Prozent der Jugend akzeptiert. Diese Organisation wurde in der Meinung der Jugend als Sachwalter der subjektiven Rolle V,

»

von Arbeitnehmergruppen und anderen angese-

1 8

hen. " Über ein Jahr später, im Juni 19 83, hatte sich diese Betrachtungsweise nicht geändert - daß nämlich die Jugend aus berechtigter Sorge nach dem Rettungsanker "Solidarnosc" gegriffen hatte. Zwei Interviewfragen an den Jugendsoziologen Miko^aj 1 8a Kozakiewicz und seine Antworten darauf bestätigen das:

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"Gibt es keine Gründe zur Beunruhigung?" "Die Jugend hat ganz sicher solche Gründe: ihre Lebensaussichten haben sich drastisch verschlechtert. Was bislang als sicher galt, ist nunmehr mit einem Fragezeichen versehen. Alle Zusagen, daß ihr ein Platz und unbegrenzte Aufstiegsmöglichkeiten sicher seien, daß der Wohlstand ständig wachse und der Fortschritt immer weitergehe - das alles erwies sich als unrichtig. Deswegen glaube ich, daß Jugendliche heute das Recht haben, den Erwachsenen gegenüber mißtrauisch gestimmt zu sein - und nicht umgekehrt." "Glauben Sie, daß das Engagement Jugendlicher bei den Ereignissen vom August '80 ein Ausdruck dieser Unzufriedenheit waren?" "Zur Präzisierung muß man sagen, daß das Durchschnittsalter der Akteure des August und später der 'Solidarnosc' 30-35 Jahre betrug, daß es also keine Sache der Jugend war, sondern der jungen Generation erwachsener Polen. Richtig aber ist, daß die Jugend später diese Ereignisse unterstützt hat, wie allgemein bekannt ist." Inzwischen ist die "Solidarnosc" verboten - aber nicht vergessen. Wie das Problem der Allianz, die im August 1980 zwischen protestierenden Arbeitern und enttäuschten Jugendlichen zustande kam, nach Verhängung des "Kriegszustandes" zu sehen ist, machte im Juni 1982 ein Leitartikel der Tageszeitung "Sztandar M^odych" (Banner der Jungen) deutlich; danach steht unumstößlich fest: 1.

Vieles, wenn nicht das meiste von dem, was "Solidarnosc" anregte, unternahm, in Verhandlungen erreichte, "kann und muß jetzt und in Zukunft genutzt werden". Schließlich wurden die Anliegen von "Solidarnosc" partiell auch von anderen, noch bestehenden Organisationen getragen, fanden Eingang in Gesetze,

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bestimmten die Regierungspolitik mit u.a.m. 2.

Für junge Menschen war "Solidarnosc" in mehrfacher Hinsicht attraktiv - mit ihr verbanden sich jugendliche Hoffnungen auf tiefgreifende Reformen und Verbesserungen in allen Lebensbereichen; die Organisation gab Jugendlichen ein neues Selbstwertgefühl und ein breites Betätigungsfeld für Mitsprache, Mitbestimmung und Mitentscheidung. 3.

Nach der "Gierek-Ära" (era gierkowska) "fühlte sich die junge Generation zu Recht diskriminiert im politischen und wirtschaftlichen System des Landes". Grundsätzlich aber hat sich nichts ergeben, daß die Jugend sich besser fühlen könnte - noch immer ist sie in Schule, Ausbildung, Wohnungsvergabe u.v.a. benachteiligt, noch immer werden alle relevanten Entscheidungen, vom Betrieb bis zur großen Politik, über ihre Köpfe hinweg getroffen. 1 9 Daß "Solidarnosc" die organisierte Form eines b e r e c h t i g t e n Arbeiterprotestes war, daß speziell junge Polen eine Fülle von Gründen zur Unzufriedenheit hatten, und daß beide zusammenkommen m u ß t e n - diese drei Tatsachen wurden gerade zu Zeiten des "Kriegszustandes" in der polnischen Presse mit solcher Einhelligkeit hingestellt, daß es einzelnen Autoren schon 20 fast als neuer Konformismus erschien. Aber selbst diese Einzelstimmen konnten die drei Sätze ebenso wenig bestreiten, wie die weitere Tatsache, daß sich die frühere Frustration der Jugend im "Kriegszustand" erst endgültig zum Lebensgefühl einer "verlorenen Generation" ausgewachsen hatte. Welche Probleme, Legitimationsdefizite und Argumentationsnöte daraus für die politische Führung eines Landes, wo mindestens jeder zweite Bürger jünger als 30 Jahre ist, erwachsen, ließ ein Interview ahnen, das der prominente Soziologe Bronis^aw GoX^biowski im Mai 1982 gab; es ging letztlich um die Frage, warum überhaupt der "Kriegszustand" nötig war, wenn alle, gegen die er sich richtete, Recht und Berechtigung für sich hatten. Dazu Go^ebiowski:

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"Für die Teenager und Twens war der Zeitraum von August (1980) bis zum 13. Dezember (1981) ein großes Erleben mit überspannten, gleichwohl verständlichen Hoffnungen auf eine radikale Änderung der Situation. Diese Hoffnungen verband der überwiegende Teil der Jugend mit den Zielen der 'Solidarnosc' als einer kompromißlosen, patriotischen Arbeitergewerkschaft. Deswegen fanden sich Jugendliche so massenhaft in den Reihen des neuen Verbandes, unterstützten sie emotional die Postulate der Abmachungen von Danzig und Stettin. Das war natürlich ideell wertvoll. Der Arbeiterprotest entsprach geistig der Mehrheit der Jugend aller Schichten, der Schul- und Studentenjugend möglicherweise in ihrer Gesamtheit. Er war schließlich gerichtet gegen gebrochene Grundsätze des Sozialismus, Nichtachtung der Arbeit und Qualifikation von Berufstätigen (...), gegen den Mangel an Motivation und des Gefühls für den Sinn jedweder Anstrengung, gegen das Schmarotzertum einer teilweise überflüssigen Bürokratie (gar nicht zu reden von Cliquen oder der Ausnutzung von Macht zur Gewinnung persönlicher Vorteile), gegen die Manipulation mit Informationen und Einstellungen der Menschen, gegen die Verlogenheit, die sich in der Divergenz von Worten und Taten sowie von Plänen und ihrer Realisierung zeigte (...) Leider verband sich die Erfolgseuphorie der 'Solidarnosc' mit dem Durst nach Macht bei einigen Führern und Beratern, und das trieb diese ideelle Strömung auf die Seite der Auseinandersetzungen, die den Bestand von Staat und Nation bedrohten. Von daher ergab sich die Notwendigkeit, den Kriegszustand auszurufen. Ohne ihn wäre gewiß (...) die junge Generation nicht nur im Sinne fehlender günstiger Entwicklungsmöglichkeiten 'verloren' gewesen, sondern 'verloren' in weit direkterer Weise - im Sinne des Umkommens in brudermörderischen Kämpfen ..." 21

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Unter den vielen polnischen Jugendforschern ist Go^ebiowski zweifellos der publizistisch fruchtbarste, und eigentlich ist er auch immer lesenswert - obwohl in praktisch allen seinen Arbeiten Passagen vorkommen, wo sich der Leser fragt, ob der Autor ein parteifrommer Narr oder ein genialer Zyniker ist. Die zitierte Argumentation ist eine solche Passage, und dieser Eindruck verstärkte sich noch, wenn man sie neben eine Untersuchung hielt, die Go£?biowski zur gleichen Zeit gemacht hatte. Im Mai 1982 befragte er - mit Hilfe des "Instituts für Soziologie der Politik bei der Universität Warschau" 1.082 Jugendliche aller weiterführenden Schultypen, mehrheitlich den Jahrgängen 1961-1966 entstammend, nach den systemleitenden Ideen ihrer Gesellschaft. Die Jugendlichen zeigten sich sehr realistisch in der Einschätzung der polnischen Gegenwart, der Ursachen aktueller Probleme - sie wußten, wie es um Polen stand und wer an diesem Zustand schuld war. Aber dann kam plötzlich eine ganz andere Frage:

"Bist du der Meinung, daß sich die Welt in der Richtung des Sozialismus entwickeln sollte - in Übereinstimmung mit dessen theoretischen Grundlagen?" Es antworteten: "entschieden ja"

- 19,3%

"eher ja"

- 30,5%

"eher nein"

- 16,5%

"entschieden nein"

- 11,6%

"weiß nicht"

- 18,0%

Daraus zog Go^ebiowski den beruhigenden Schluß, "daß das im großen Ganzen - in diesem Moment und in dieser Situation - ein 22 .tai Resultat und andere taten es ihm 23 'für den Sozialismus' ist", nach,

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Hinzuzufügen ist allerdings, daß ein Votum "für den Sozialismus" keineswegs mit einem Votum für den "realen Sozialismus" Polens identisch sein muß - was Go^ebiowski unumwunden einräumte: "Die dem Sozialismus eigenen Ideale stehen der Jugend nahe. Eine absolute, unreflektierte Negation dieser Ideale überwiegt bei ihr nicht, sie ist nur stark erschüttert von ihrer falschen, unsozialistischen Realisierung im konkreten politischen System Polens der 70er Jahre". Diese Diskrepanz aber - Bejahung des "Sozialismus" als eines idealistischen Konstrukts, Ablehnung einer "sozialistischen" Realität - ist charakteristisch für die polnische Jugend und von der Jugendforschung Polens seit 24 Mitte der 50er Jahre immer wieder belegt. Go£$biowski kann derzeit nur das "Verdienst" beanspruchen, die niedrigsten idealistischen Voten seiner jungen Mitbürger herausgefunden zu haben. Und das erlaubt einen ganz anderen Schluß: Die Jugend Polens ist momentan zweifach "verloren" - für den "realen Sozialismus" sowieso, aber auch für den "Sozialismus" als schönen Traum, dessen Konturen bisher aus der bloßen Umkehr einer als unzureichend empfundenen Realität gewonnen wurden, bis die Menschenfeindlichkeit dieser Realität auch den Traum selbst zerstörte. 3. Die "verlorene Generation" und ihr Lebensgefühl Für ganz Osteuropa gilt, daß heute

w e n i g e r

Jugendli-

che m e h r Probleme als etwa vor zehn Jahren haben. Polen macht dabei keine Ausnahme - demographisch gesehen, gingen ihm in den 70er Jahren über anderthalb Millionen 10-19jährige i 25 verloren: 1980 Altersgruppe (Jahre) 1960 1970 ;: 0 - 9 940 500 5 .271 700 6.190 .100 ', 978 800 6 869 000 5.247 700 10 - 19 4, 846 800 6.669 300 20 - 29 4 517 300 30 - 39 4 402 800 4, 412. 500 4.735 200 40 - 49 2 .987 900 4 242. 000 4.234 200 50 - 59 3 119 800 2 781 ,100 3.944 .800

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Wer heute in Polen jung ist, empfindet sich als Angehöriger der "verlorenen Generation" (stracone pokolenie), die ihre Situation so sieht: "Wir sind wohl wirklich die verlorene Generation. Man hat uns mit Erfolgspropaganda gefüttert und uns gesagt, wir würden ohne alle Probleme ins Leben gehen. Die Wirklichkeit erwies sich jedoch als völlig anders. Vor uns erwuchsen unüberwindliche Barrieren - eine ansprechende Arbeit zu finden, eine Wohnung aufzutreiben, sein Auskommen ..." Diese Jugend ist überzeugt, "daß sie als Verlust abgeschrieben 27 ist", und dieses Selbstverständnis einer Generation, die sich aus einem "Wir-haben-nichts-zu-verlieren"-Gefühl heraus radikalisierte, war eine große Herausforderung an die 1982 herrschenden Militärs: Ihre Versuche, die Jugendlichen auf ihre Seite zu ziehen, endeten im Mai und Juni mit schweren Ausschreitungen junger 28 Menschen. Im Herbst kam die Revanche, denn "Anfang September ist an die Schulbehörden ein Erlaß ergangen, dem zufolge alle bei Demonstrationen oder bei sonstigen Kriegsrechtsvergehen von der Miliz erfaßten Schüler unter 18 Jahren in eine niedrigere Schultype zu versetzen und solche über 18 von den Schulen zu 29 relegieren sind". Aber es war das grundlegende Paradoxon des polnischen "Kriegszustands" von 1982, daß er k e i n e der gesellschaftlichen Fehlentwicklungen beseitigte, die "letztlich die "Solidarnosc" auf den Plan gebracht hatten, wohl aber Artikulationsmöglichkeiten schuf oder nicht versperrte, eben d a s vor aller Welt zu konstatieren. Soziologen und Politologen diskutierten offen wesentliche Aspekte des politischen Systems - allgemein und mit Blick auf die Jugend -, und dabei kamen immer wieder zwei Momente zur Sprache:

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1.

Macht und Machtausübung sind im "Sozialismus" etwas Anonymes; es gibt keine allgemein akzeptierten Mechanismen oder Auswahlverfahren für Führungspositionen, weil diese nach den uneinschaubaren Grundsätzen der "Nomenklatur" - parteiliche Verfügungsgewalt über ausgewählte Fachleute - besetzt werden. Diese Verbürokratisierung an der Spitze setzt sich in allen Lebensbereichen fort: "Man muß die 17 Millionen Arbeitsplätze (in Polen, W.O.) anschauen und erkennen, wieviele Leute dort überflüssig sind, weil sie Zeit, Maschinen und Energie vergeuden. Hinzu kommt noch, wieviele Menschen es im bürokratischen Apparat gibt, 3 die man dafür bezahlt, daß sie andere an der Arbeit hindern." 2.

Unter diesen Umständen sind die häufig ertönenden Rufe nach "Partnerschaft", "nationaler Verständigung" etc. vergebens, und "man kann in dieser Situation nur schwerlich erwarten, daß sich junge Leute wohlfühlen und die Mächtigen ohne Vorbehalt akzeptieren" . Ganz im Gegenteil: Wenn sich einmal "authentische Führer" zeigen - etwa im August 1980, als die "Solidarnosc" entstand -, dann, nur dann sind Jugendliche mehrheitlich und aktiv präsent. 31 Und das legt natürlich den Umkehrschluß nahe - wenn ein Land wie Polen von einem Militärrat ohne jede gesellschaftliche Legitimation regiert wird, dann m u ß die Distanz Jugendlicher zu den "Mächtigen" am größten sein. Wäre das allein das Jugend-Problem Polens - es wäre ein geringes Problem. Mit der Absage an die Mächtigen ging auch der Bruch mit dem von diesen vorgeblich repräsentierten System einher, nämlich "der Zusammenbruch des Glaubens in die Grundwerte des sozialistischen Humanismus", in die Werte, "die an den Schulen gelehrt werden - Gleichheit, sozialer Aufstieg, Gerechtigkeit in der Gesellschaft, gleiche Startchancen für alle, allgemeiner 32 Zugang zur Kultur". Dieser Bruch ist nicht über Nacht gekom-

i

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men, er war vielmehr seit Mitte der 70er Jahre absehbar, als "inmitten der Jugend Frustrationszustände, Unsicherheit hinsichtlich der eigenen Perspektiven anzuwachsen begannen", und er war praktisch vorprogrammiert durch das Entstehen von "Solidarnosc", die schon kurz nach ihrem ersten Auftreten 83 Prozent der polnischen Jugend zu ihren Anhängern und/oder Befürwortern zählen konnte.33 Was aber blieb der polnischen Jugend nach dem Verbot von "Solidarnosc" und unter den Bedingungen der fortdauernden, tiefer werdenden Krise? in dem bereits erwähnten Interview vom Juni 1983 konstatierte Miko^aj Kozakiewicz, "daß sich aktive religiöse Jugendgruppen vermehrt haben. Darüber hinaus ist die Autorität der Kirche gewaltig angewachsen, was jedoch eher eine Sache ist, die nicht allein mit Religiosität in Verbindung steht (...) Unter dem Einfluß der Ereignisse von 1980-1982, der allgemeinen Kritik, entstand eine riesige Abneigung gegen ideologische Formulierungen, die in der Sprache der marxistischen Philosophie, in der Sprache der Propaganda und der weltlichen Pädagogik gehalten waren. Aber das Bedürfnis nach Werten blieb. Die Jugend fing eben an, in der Religion Antworten auf drängende Fragen und Fundierungen von Werten zu suchen, ohne die sie nicht leben kann." 33a Wie sollte die polnische Jugend auch anders reagieren und empfinden, nachdem sie die ganze Jugendfeindlichkeit polnischer Politik spürte? Im Januar 1981 setzte die Führung der "Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei" ein 48köpfiges Expertenkomitee ein, das einen "Bericht über den Start ins Leben" erarbeiten sollte. Es wurde eine Bankrotterklärung für die Sozialpolitik eines Landes, in dem jeder zweite Bürger jünger als 29 Jahre alt ist: Zwei Millionen junge Familien ohne eigene Wohnung, jeder zweite 19jährige von Militärärzten und Musterungskommissionen als gesundheitsbedingt wehruntauglich ausgesondert, 200.000 Schwangerschaftsunterbrechungen jährlich (bei mindestens doppelter Dunkelziffer), rund 2,3 Millionen vor-

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wiegend junge Arbeitnehmer unter Bedingungen beschäftigt, die es nach polnischen Arbeitsschutznormen gar nicht geben dürfte, 17 Prozent Hochschulabsolventen fachfremd beschäftigt - und ähnliche Horrordaten mehr. Dabei waren sie nur die Spitzen des Eisbergs einer durchgehenden Jugendgefährdung, die Komiteechef Ireneusz Seku/a so beschrieb: "Es wächst die Zahl der Neurosen, Depressionen und Psychosen. Eine gewichtige Bedrohung stellen auch Alkoholismus, Drogensucht und Kriminalität unter Jugendlichen dar (...)

Man sollte

den Erlaß des Gesetzes über den Schutz der Jugend vor Demoralisierung beschleunigen, dessen Entwurf seit über 20 Jahren 34 besteht." 1981 und 19 82, im Jahr des "Kriegszustandes", wurde

n o c h

offener über die Situation der Jugend diskutiert, wobei u.a. folgende Probleme zur Sprache kamen: 1.

Untersuchungen der Lebenssituation polnischer Familien brachten ein "Syndrom der sozialen Deprivation" zum Vor-

schein, das über die "Intergenerationstransmission eines niedrigen materiellen und sozialen Status" laufend verfestigt • * 35 wird. 2.

Die Anfänge der sozialen Deprivation werden in der Schule gelegt. Die Schulen sind überfüllt - z.B. müssen in

der Umgebung Warschaus Schulen bis zu 1.600 Schüler aufnehmen, obwohl sie nur 380 Plätze haben -, ein Heer von "30.000 unqualifizierten, sehr jungen Lehrern" müht sich mit den Schülern ab, 36 und für 19 83 rechnet man mit 50.000 solchen Lehrern. Unter diesen Umständen schließen rund 20 Prozent jeden Jahrgangs 37 nicht die Grundschule ab, und zieht man alle Ausfälle und Bildungsdefizite zusammen, dann "ist wenigstens ein Viertel der Bevölkerung vom Analphabetentum bedroht, es erwartet sie ein sehr schwerer Weg durch das Leben, mitunter auch durch oo

die Gerichte und Gefängnisse".

In einem schlimmen Zustand

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sind weiterhin zahlreiche der insgesamt 3 5.505 Schulgebäude, die es in Polen gibt - fast 52 Prozent stammen aus der Zeit vor 1945, fast die Hälfte aller Gebäude müßte einer "Generalreparatur" (remont kapitalny) unterzogen werden (was schon deswegen illusorisch ist, als dafür 68 Milliarden Z^oty aufzubringen wären). In einigen Wojewodschaften liegt der Anteil der dringend generalüberholungsbedürftigen Schulgebäude noch erheblich höher - am höchsten in Konin, wo er 81 Prozent be. .. . 38a tragt. 3.

Mit einem qualifizierten Abschluß der weiterführenden Schule hat man noch keine Karrieregarantie, aber ohne ihn gibt es überhaupt keine Chancen. Ein guter Abschluß aber verlangt fast übermenschlichen Einsatz in einer Schule, die die Schüler erbarmungslos fordert. Der "Arbeitstag" eines guten Schülers dauert von 6.40 bis 23.25 Uhr - fand Stanislaw Kubiak nach Zeitbudget-Untersuchungen heraus, und das bleibt nicht ohne Folgen für die physische und psychische Gesundheit der Jugendlichen. "Die Vorstellung ist schrecklich", sagte Kubiak, "um wieviel die Situation noch fürchterlicher wäre, wenn alle Oberschüler gute Schüler sein wollten". Aber wenn die Jugendlichen selbst auch nicht wollen, dann haben ihre Eltern mitunter andere Pläne - sie organisieren fremdsprachige KonversationsZirkel, engagieren "reihenweise" Nachhilfelehrer, liegen den Lehrern wegen zusätzlicher Stunden in den Ohren usw. Spätestens dann jedoch wird der Wettbewerb ein Verdrängungswettbewerb, denn die Kinder von Arbeitern und Bauern stecken dabei als erste auf. 39 4.

Ein "beunruhigender Gesundheitsstand der Kinder und Jugendlichen" ist zu konstatieren, beispielsweise von Militärärzten - sie "disqualifizieren aus Gesundheitsgründen 30 Prozent eines jeden Jahrgangs von Neunzehnjährigen, weitere 15 Prozent sind nur begrenzt tauglich für den Militärdienst. Am

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häufigsten anzutreffen sind Sehfehler und -Störungen, Haltungsfehler und Bewegungsfehler infolge von Verletzungen, anhaltende Erkrankungen der oberen Atemwege, Sprachstörungen sowie Störungen der Verdauungsorgane und des Kreislaufsystems, rheumatische Leiden". Rund 77 Prozent der 18jährigen weisen Karies und Gebißdefekte auf, 15 Prozent der 14-18jährigen "leiden an psychischen Störungen in Form von Neurosen, an Persönlichkeitsstörungen u.a.m.", "mindestens eine Million Kinder befinden sich ständig in Familien von Alkoholikern und Kriminellen", "nach Angaben der militärischen Rekrutierungskommission sind bis zu 14 Prozent eines Jahrgangs von Dienstpflichtigen bereits vorbe40 straft". 5.

Eigene und schwere Probleme haben die jungen Arbeiter ehedem der aktivste und politisch bewußteste Teil der

"Solidarnosc"-Mitgliedschaft, was immer noch nicht vergessen 41 ist. Drei Viertel der polnischen Grundschulabsolventen besuchen fortan die "Berufsgrundschule" - die "Sackgasse" des polnischen Bildungswesens, aus der heraus es keinen Übergang zu weiterführenden oder Hochschulen gibt. In diesen Schulen e r starkt sich laufend eine "negative Selektion" - je "schwieriger" die Situation der Familie eines Jugendlichen, desto eher wird er an einer "Berufsgrundschule" landen und damit für sein weiteres Leben abgestempelt sein. 42' Nach Abschluß der Schule sieht sich der Jugendliche einem undurchdringlichen Gestrüpp von Tarifen, Arbeitstabellen, Vorschriften etc. gegenüber, die ihn allesamt benachteiligen, weil sie jedwede sozioprofessionelle Verbesserung von der "Dauer der Berufstätigkeit" (staz 43 pracy) abhängig machen. Kaum besser ergeht es den Absolventen höherer Berufs- und Fachhochschulen - ihnen drohen "psychische Arbeitslosigkeit", d.h. die Frustration aus einer Beschäftigung unterhalb der formal erlangten Qualifikation, und die "soziale Arbeitslosigkeit", d.h. die reine Reduzierung auf den Status eines Produzenten ohne jede Möglichkeit zu Mit44 spräche und Mitbestimmung.

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6.

Bleiben schließlich noch die Studenten, die in Polen noch nie ein besonders ruhiger und fügsamer Teil der Jugend waren. Schon im März 1968 gab es in Polen heftigste Unruhen an den Hochschulen, und an der Jahreswende 1980/81 erzwangen sie die Zulassung eines eigenen "Unabhängigen Studentenverbandes" (NZS). Der Verband besteht selbstverständlich nicht mehr, statt seiner wurde der alte "Verband der polnischen Studenten" (ZSP) in praktisch unveränderter Form wiederbelebt, der schon vor 1980 bei den Jungakademikern als ideologisch-politische Monopolorganisation unbeliebt war und jetzt - nach den Erfahrungen mit "Solidarnosc", NZS u.a. - einen noch schwereren Stand bei ihnen hat.45 Mit dem NZS verschwand auch sein Programm zu einer umfassenden Universitätsreform, und so bleiben die polnischen Hochschulen, wie sie einmal waren - völlig losgelöst von der volkswirtschaftlichen Qualifikationsnachfrage und extrem unterschiedlich in Niveau und Ausbildungsgüte (was schon 1981 einen Fachmann zu dem Vorschlag bewogen hatte, einige "Provinzhochschulen" in Berufsschulen umzuwandeln). Zur "akademischen Überproduktion" kam die schlechte Wirtschaftslage Polens, und beide Faktoren zusammen minderten drastisch die Berufsaussichten von 46 Universitätsabsolventen. Der "Kriegszustand" schließlich ließ die Mehrheit der Studenten jene resignierende Haltung einnehmen, die in Polen die Bezeichnung "innere Emigration (emigracija wewnetrzna) bekam. 47 7.

Und als letztes Moment ist noch zu konstatieren, daß sich die polnische Jugend durch gewisse Einzelfälle in ihrer Gesamtheit betroffen und bedroht fühlt. Ein solcher Fall war der des Jugendlichen Grzegorz Przemyk, der im Mai 1983 ein polizeiliches Verhör nicht überlebte. Details wurden später amtlich zurückgehalten - "um nicht, dem Appell der PRON-Führung entsprechend, die Emotionen der Gesellschaft aufzustacheln, woran nur unseren Gegnern gelegen sein kann, denen im In- und Ausland".473

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All das und anderes mehr wird heute in der polnischen Presse förmlich ausgebreitet, unter ständiger Berücksichtigung der allgemeinen - von Miko/aj Kozakiewicz konstatierten - "Riesenabneigung gegen ideologische Formulierungen in der Sprache der marxistischen Philosophie". Hier hat sich eine "heimliche Allianz" Presse - Jugend herausgebildet; weil diese Abneigung bei den Jugendlichen am größten ist, sind ihre Aussagen und Urteile am krassesten, und die Presse veröffentlicht sie im vollen Wortlaut: 48 "Die Menschen glauben an gar nichts mehr, sie glauben nicht an ein schnelles Herausfinden Polens aus der Krise, sie glauben nicht an eine Verbesserung der Versorgung." "Das ist wohl der schmerzlichste Punkt der Krise in Polen. Wir haben keinerlei Perspektiven in der Zukunft: keine Wohnung, keine Ausstattung, keine Arbeit nach dem Studium nichts, absolut nichts." "Die Krise ist die unausweichliche Folge eines politischen Systems, in dem alles allen gehört und damit niemandem, wo die Menschen keine Motivation für gute Arbeit haben." "Außer Krisen hat uns der Sozialismus nichts gegeben." "Oftmals kommt es vor, daß Mama tausend Z^oty mitnimmt, um nur das Allernotwendigste einzukaufen, und dann kommt sie mit fast nichts, aber ohne Geld zurück. Ich habe Angst vor dem künftigen Leben, das auf mich wartet, vor der Gründung einer eigenen Familie und ihrer Erhaltung." "Die Regierung hat die allerwichtigste Sache verloren, nämlich das Vertrauen. Die Menschen wollen absolut nicht mit ihr zusammenarbeiten, und wenn sie es doch tun, dann aus Zwang. Und das ist wohl die schlimmste Seite der Krise." Wenn die "verlorene Generation" noch zu irgendwem Vertrauen hat, dann zum "polnischen" Papst Johannes Paul II. - der ihre Nöte

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und Probleme kennt. Im Juni 1983 besuchte der Papst zum zweiten Mal seine Heimat, und in einer Predigt in Jasna Gora rief er am 18. Juni aus: "Meine jungen Freunde! (...) am Ende möchte ich Euch sagen, daß ich von Euren Leiden weiß, von Eurer schweren Jugend, vom Gefühl von Unrecht und Erniedrigung, von der häufig gespürten Perspektivlosigkeit für die Zukunft - eventuell sogar von Fluchtversuchen in irgendeine andere Welt. Auch wenn ich nicht mehr täglich bei Euch bin, wie es früher so viele Jahre lang war, so trage ich dennoch im Herzen große Sorge. Eine große, gewaltige Sorge. Es ist, meine Lieben, die Sorge um Euch. Weil nämlich 'von Euch der morgige Tag abhängt'."48a Das zutiefst pessimistische Lebensgefühl der "verlorenen Generation" hat ein adäquates Ventil gefunden - die Rock-Musik. Bands schießen aus dem Boden wie Pilze nach dem Regen, und die bekanntesten - "TSA", "Republika", "Perfect", "Kombi", "Exodus" - sind durch ihr provokatives Auftreten, ihre provokative Musik und die provokativen Texte längst zu Idolen der jungen Polen geworden.49 über die Gründe dafür schrieb ein Kenner der Szene mit bemerkenswerter Offenheit: "Wenn wir alle heutigen Schwierigkeiten, Hemmnisse und mehr oder minder begründeten Ängste der Kulturzentren berücksichtigen (...), dann müssen wir feststellen, daß die RockMusik hier und jetzt die einzige Kunstgattung ist, die sich spontan, dynamisch und kreativ entwickelt. Plötzlich erwies es sich, daß die polnische Jugend musikalisch ist, daß sich ihre Sprache vollendet für Liedtexte eignet, in denen junge Autoren geschickt genau das ausdrücken, was sie ausdrücken wollen. Effekt: In den Liedern, die sich z.B. auf der Hitliste des III. Programms von Radio Polski finden, ist mehr

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wahrhaftige Poesie als in irgendeiner poetischen Reihe der Verlage, überraschend zeigt sich aus, daß die Jugend am liebsten polnische Lieder hört, weil die Akteure der neuen Rock-Musik ohne Anstrengung, auf ganz natürliche Weise einen Konsens mit ihrem Publikum finden, auf dessen Probleme reagieren, seinen Geschmack treffen (...) Der neue polnische Rock ist vollauf und bewußt eine Gebrauchsmusik (...), aber gleichzeitig auch in diesem Moment der einzige offizielle Kanal, über den sich die Stimmungen der jungen Generation äußern können (...) Erinnern wir uns, daß das Jahr 1979 allgemein als sein Geburtsjahr gilt, daß sich die ganze Bewegung in den Ereignissen 1980-1982 herausbildete und sie begleitete, daß (der Rock) den damals und heute aufgekommenen Stimmungen Ausdruck verleihen, sie in die öffentlichkeit tragen muß, denn es ist eine Musik, die das Leben junger Menschen begleitet, es ist eine Musik, die von Jungen für Junge, die alle unter den gleichen Bedingungen leben, gemacht wurde.» 50 Derselbe Kenner, der das schrieb, teilte auch einige Liedtexte mit, die das bestätigen; so singt etwa die Gruppe "Turbo" unter dem Titel "Erwachsene Kinder": "Sie lehrten uns Regeln und Daten, hauten uns Weisheiten an den Kopf, bleuten uns ein, was erlaubt ist und was nicht, überzeugten uns, was gut sei und was schlecht, absolut gar nichts wurde vergessen, nur daß wir nicht mehr wissen, wie wir leben sollen. Erwachsene Kinder spüren Trauer vor den miesen Vorschriften für diese Welt, erwachsene Kinder spüren Trauer, weil ihnen jemand soviel Leben stahl." Härter noch ein anderes Lied, das die Gruppe "Bajm" zum Vortrag brachte:

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"Was gibst du mir, Herr, in diesen unsicheren Zeiten, welche Worte lullen meine Seele ein, meine Zukunft für die letzten Jahre? Ein paar alte Lappen ziehe ich mir über den Hintern, und ob es Sinn hat oder nicht, ich gieße mir kräftiges Wasser in den Schlund, um meine Trauer zu ersäufen." Und wochenlanger Spitzen-Hit in den Rundfunkprogrammen war schließlich ein Song, in dem es hieß: "Lernen wir doch allein und aus Trotz, probieren wir's, vielleicht gelingt's, fangen wir unseren Kurs nochmal von vorne an, überzeugen wir uns, ob die Mauer hart ist, messen wir nach, wieviel Kraft in uns ist, bezeichnen wir für uns Zeit und Ort, und wenn sich einst die Spielregeln ändern, vielleicht entdecken wir dann endlich, wie man lebt." 4• Aspekte der Jugendgefährdung 4«1 Jugendkriminalität Ein großer Teil der polnischen Jugend unterliegt derzeit einer konkreten Gefährdung - durch Verbrechen, Alkohol und Drogen. Der "Kriegszustand" in Polen mit seiner rigorosen Verschärfung der gesamtgesellschaftlichen Überwachung hat auf die Kriminalitätsentwicklung des Landes nur einen geringen Einfluß gehabt: Zwar fiel die Kriminalitätsrate insgesamt um ein knappes Prozent im Vergleich zum Vorjahr, auch wurden rund 20 Prozent mehr Täter gefaßt, doch "ließ die wirtschaftliche und soziale Krise, mit der wir es zu tun haben, die Zahl der sog. Wirtschaftsverbrechen anwachsen". Darunter sind vor allem übergriffe auf Staatseigentum, Unterschlagungen etc. zu verstehen, von

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denen in den ersten 11 Monaten 19 82 fast 80.000 Fälle verzeichnet wurden. Alle Eigentumsdelikte - gegen Staats- und Privateigentum - machten 1982 169.000 Fälle aus, und 64.000 Täter wurden gefaßt - darunter 28.000 Minderjährige. 52 Diese Zahlen wurden Anfang Januar 1983 veröffentlicht - Ende April nannte Tadeusz Rydzk, "Direkter des Kriminalbüros der Oberkommandur der Miliz", Zahlen zur polnischen Kriminalitätsentwicklung von 19 82, die sich partiell bedrohlicher ausnahmen: Straftaten insgesamt (ohne politische) - 321.977 davon: Diebstahl von Privateigentum - 88.001 Einbruchsdiebstahl in Privatobjekte - 74.251 Einbruchsdiebstahl in "gesellschaftliche Objekte" - 51.930 Fälschung 8.764 Betrug 8.540 Raub, Raubüberfälle 6.231 Vergewaltigung 1.684 Mord 472 Insgesamt betrachtete Polens oberster Kriminalist diese Bilanz mit einiger Gelassenheit - das eindeutige Überwiegen der Eigentumsdelincruenz erschien ihm als "unbestreitbar günstige Deliktstruktur unter dem Gesichtspunkt des Standes der Sicherheit". So k a n n man die Situation natürlich auch sehen, doch führte Pydzk zwei Umstände an, die seine Gelassenheit etwas fragwürdig werden lassen. Zum einen ist die Dynamik der Einzeldelikte so, daß sehr wohl noch Raum für Beunruhigung und Unsicherheit bleibt. Zwar ging die Gesamtkriminalität um 1,7 Prozent zurück, doch erhöhte sich der Wert der verursachten Schäden von 4,3 auf 7,6 Milliarden Z^oty - und das ist viel, selbst wenn man berücksichtigt, daß dieser Berechnung die neuen und kräftig erhöhten Binnenmarktpreise zugrunde lagen. Auch hatten einzelne Delikte eine hohe Verminderung aufzuweisen (Gewaltver-

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brechen - 14,1%, Einbruch in gesellschaftliche Objekte - 8,5%), doch waren andere Delikte kaum verändert (z.B. Einbrüche in Privatobjekte - 0,4%), und noch andere hatten sich enorm vermehrt (z.B. Autodiebstahl + 14,9%). Zum zweiten macht sich auch in Polen der weltweit zu beobachtende Trend bemerkbar, daß Verbrechen und Verbrecher brutaler, gewalttätiger, irrationaler und denaturierter werden - bereits wehrlose Opfer, Kinder und alte Leute werden gequält, gefoltert, zerstückelt, verbrannt u.a.m. Dazu bemerkte Rydzk: "Bis zum Jahre 1980 haben wir nur einzelne Fälle solcher Verbrechen beobachtet. In den Jahren 1980-1982 wuchs ihre Zahl an, es wuchsen auch Grausamkeit und Brutalität im Vorgehen der Täter an. Beispielsweise verzeichneten wir im vergangenen Jahr eine Zunahme räuberischer Überfälle, wobei die Täter, nachdem sie in die Wohnungen der geschädigten Personen eingedrungen waren, ihre Opfer schlugen, sie mit Feuer traktierten, sie fesselten und knebelten. Im selben Zeitraum registrierten wir 39 Morde an Kindern und 198 Vergewaltigungen von Kindern, zwei Morde an Geistlichen, 8 Morde an Taxifahrern und 33 Überfälle auf Taxifahrer. Am schrecklichsten waren Morde in Verbindung mit Zerstückelung oder dem Verbrennen der Leichen, von denen es 14 gab, oder die Gruppenvergewaltigungen - 139." 53 Die erwähnten Zahlen und die vorstehende Äußerung entstammen einem Interview, das Rydzk gab, und in diesem fanden sich noch weitere interessante Fragen und Antworten, deren Offenherzigkeit eine längere Passage im Wortlaut rechtfertigt: "Wie soll man das Auftauchen und Anwachsen solcher Verbrechen in unserem Lande deuten? "Die Kriminalität ist ein eigentümlicher Spiegel, der Lebensumstände und soziales Sein wiedergibt, die Untugenden und das psychische Befinden der Menschen, aber auch ihr

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Verhältnis zu moralischen und rechtlichen Normen, zu ihren Nächsten, ihre Wünsche und Sehnsüchte. Die Entstehung solcher Verbrechen muß man u.a. auch in psychischen Störungen erblicken, in langanhaltenden Streßsituationen, in zwischenmenschlichen Konflikten, in elementaren Zweifeln an ethischen Werten, im Klima gegenseitigen Mißtrauens, manchmal gar Feindschaft, gleichwohl aber auch in der Trunkenheit der Täter im Moment, da sie das Delikt begehen. Wenn wir die Entstehung und Psychodynamik solcher Taten untersuchen, stellen wir meist fest, daß die ersten Signale möglicher Schritte auf dem Wege des Verbrechens durch künftige Straftäter relativ früh auftauchen. Sie treten auf als Ausreißen von zu Hause, Unlust zum Lernen und Widerwille gegen Arbeit, Trotz und Lügerei, kleine Diebstähle, Gefühlsund Empfindungskälte, Verachtung gegenüber der Umwelt." "Wie alt sind die Täter solcher Verbrechen?" "Das Beunruhigende ist, daß die einschlägigen Täter vor allem junge Menschen sind, im Alter zwischen 17 und 30 Jahren, manchmal sogar Minderjährige, über die Hälfte von ihnen ist bereits vorbestraft, und einige von ihnen wurde erst kurz vor Begehen des Verbrechens aus Strafanstalten entlassen. Etwa 60 Prozent besuchten weder eine Schule, noch gingen sie einer Arbeit nach. Über 3 5 Prozent der Täter waren mit ihren Opfern bekannt, einige hätten ihnen dankbar für erwiesene Unterstützung, Freundschaft und Schutz sein müssen. Und das ist eigentlich der deprimierendste Aspekt der ganzen Erscheinung." "Ist es nicht so, daß sich die Gesellschaft nicht mehr sicher fühlen kann, und können sich Verbrecher straffrei fühlen?" "Keinesfalls! 1982 haben wir nahezu 157.000 Tatverdächtige dingfest gemacht, also über 1.500 mehr als 1981. Die hoch-

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ste Aufklärungsquote hatten wir bei den Schwerverbrechen, die unmittelbar Leben, Gesundheit, Besitz und Ruhe der Bürger bedrohen. Gemeinsam mit den Organen der Staatsanwaltschaft haben wir die beiden Priestermörder ausfindig gemacht, 9 7 Prozent der Kindermörder, 94 Prozent derer, die Kinder vergewaltigt hatten, 87,6 Prozent der Totschlagdelikte, 91,9 Prozent der Fälle von Schlägereien und Raufereien, 90,8 Prozent der Verursacher von Körperverletzungen. Im vergangenen Jahr haben wir auch Täter zahlreicher Schwerverbrechen aufgreifen können, die sich längere Zeit der Strafen entzogen hatten. Ich denke hier an den Täter von 14 vollendeten oder versuchten Sexualmorden an Frauen in der Wojewodschaft Katowice, an den schwer bewaffneten Banditen, der jahrelang die Einwohner zweier Wojewodschaften terrorisiert hatte, an die Aushebung einer organisierten Fälschergruppe von Lebensmittelkarten. Demgegenüber sind wir nicht zufrieden mit der Aufklärungsquote der Fälle, wo die Täter in die Wohnungen der Opfer eingedrungen sind." "Herr Oberst, recht häufig begegnet man der Meinung, daß die Miliz sehr gute Resultate bei der Verfolgung von Schwerverbrechen erzielt, weil sie sich weiter nicht um Einbrüche und Diebstähle kümmert ..." "Das ist falsch. Die Miliz kümmert sich um jedes Verbrechen. Im vergangenen Jahr wurden 13 Prozent mehr Täter von Einbrüchen und Diebstählen gestellt - die Zahl der Delikte hatte sich von über 102.000 auf 117.000 erhöht, die Zahl der gefaßten Tatverdächtigen aber stieg von 45.000 auf fast 57.000. Gleichfalls falsch ist die Meinung, wir konzentrierten unsere Hauptaufmerksamkeit auf den Schutz des Gesellschaftseigentum und achteten weniger auf den Schutz des Privateigentums. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sage ich, daß wir im Bereich der Eigentumskriminalität die höchste Aufklärungsquote bei Diebstählen zum Nachteil von Privatpersonen, Diebstählen mit Einbrüchen in Privatwohnungen haben, die niedrigste aber bei Diebstählen mit Einbrüchen in gesellschaftliche Objekte."

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4-2 Alkohol, Drogen Polens traditionelle Geißel ist der Alkohol. Seit 1972 wurde es von k e i n e m Land der Welt mehr hinsichtlich des Schnapskonsums überboten. 1980 konsumierte jeder Pole im Durchschnitt 8,4 Liter reinen Alkohol im Jahr, d.h. 42 Halbliterflaschen 40prozentigen Wodkas bzw. sogar 57 Flaschen, wenn man nur die Bevölkerung über 16 Jahren in die Rechnung einbezieht. Seit dem 26. Oktober 1982 hat Polen nun ein eigenes Gesetz "Über die Erziehung zur Mäßigkeit und die Gegenwehr des Alkoholismus", das z.B. jeden mit Haftstrafe bis zu zwei Jahren bedroht, der in Schulen, Studentenheimen, am Arbeitsplatz etc. Alkohol trinkt. 54 Ob solche Regelungen "greifen" werden, steht dahin - wie andererseits feststeht, daß irgendetwas gegen den Alkoholismus geschehen mußte. Bereits 1977 schätzte man, daß die Zahl der "suchtartigen" (na umor) Trinker - solche, die pro Jahr 240mal volltrunken sind - 5 Millionen Menschen beträgt, ein gutes Siebentel der Gesamtbevölkerung. 55 Hinzu kommen zwei Spezifika: Zum einen halten sich Polen nicht lange bei Wein, Bier und anderen leichteren Getränken auf, denn "unsere Gewohnheit ist irgendwie viel schädlicher: Man trinkt in kurzer Zeit große Mengen starken Wodkas". Und zweitens: "die Hälfte der Gesamtmenge des in Polen konsumierten Alkohols trinken 7-10 Prozent der Erwachsenen; auch unter den Jugendlichen tritt eine ähnliche Konzentration auf". 57 Das war die Situation in den späten 70er Jahren - die sich in den frühen 80ern absolut nicht änderte. Preiserhöhungen, Rationierungen u.a.m. wurden dadurch "unschädlich" gemacht, daß man ihnen Diebstähle, Schwarzbrennerei usw. entgegensetzte. Repräsentativuntersuchungen; die die polnische Generalstaatsanwaltschaft im Mai und Juni 1982 machte, "bestätigten jedoch nicht die Hypothese, daß Reglementierungen den Genuß alkoholischer CO

Getränke durch Jugendliche vermindern".

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Ist der Alkohol in Polen noch etwas, das Erwachsene und Jugendliche betrifft und von beiden mehr oder minder akzeptiert wird, so ist die Drogenabhängigkeit ein jugendspezifisches Phänomen - das sich unter den jungen Polen mit der Wucht und Gefährlichkeit eines Steppenbrandes ausbreitet, so daß selbst westliche 59 Medien darauf aufmerksam wurden. Alle osteuropäischen Länder haben Drogenprobleme mit ihrer Jugend, die größten aber hat Polen.60 Die ersten Warnsignale kamen in den frühen 70er Jahren: Gerichte hatten sich erstmals mit Rezeptfälschungen und Apothekeneinbrüchen junger Drohenabhängiger zu befassen, Umfragen unter Oberschülern in Danzig und Stettin signalisierten eine gefähr61 liehe Vertrautheit mit Drogen. Aber diese Zeichen an der Wan wurden mißachtet, obwohl sie eigentlich unübersehbar waren: "Wie blind und gleichgültig waren alle die Moralisten und Organisatoren des Volksgesundheitsschutzes, als sie sorglos jahrelang behaupteten: Die Drogensucht ist eine Krankheit des "degenerierten Westens', bei uns ist das ein Randproblem (...) Es stimmt doch einfach nicht, daß niemand von der sich in Polen ausbreitenden Drogensucht gewußt habe. Es wußten sehr gut die Lehrer, die das wunderliche Verhalten ihrer Zöglinge nicht sehen konnten. Es wußten die Eltern, die ihre Kinder retten wollten, aber auch aus Scham schwiegen und die wahre Ursache von deren Krankheit vor der Umgebung verbargen. Es wußten die Ärzte, zu denen die Kranken kamen, häufig in einem Zustand, in dem ihnen schon kaum noch zu helfen war. Es wußte ein großer Teil der Priesterschaft, der etwa im Beichtstuhl erfuhr, was sich unter der Jugend tut." Bereits 1972 wurden in ganz Polen 71.400 Drogenabhängige gezählt, doch erschien Kennern diese Zahl als zu niedrig. So sprach etwa der international angesehene Psychiater Zbigniew Thille pessemistisch von "hunderttausenden". Im April 1981 sendete das polnische Fernsehen eine Reportage über die heimische Drogenszene,

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und alle dazu befragten Fachleute waren überzeugt, daß es im Lande mittlerweile 500.000 Süchtige gäbe, was wiederum der Polizei rein rechnerisch - Gesamtzahl der 15-19jährigen abzüglich derer, die erfahrungsgemäß keine Drogen nehmen (Mädchen, Sportler) oder nehmen können (Soldaten, Strafgefangene) 64 - "absurd" erschien. Aber genaues wußte niemand, und so rätselte die polnische Öffentlichkeit weiter, ob Polen nun 200.000, 300.000 oder gar 600.000 Süchtige habe.65 Daß das Problem groß war, zeigte die sprunghaft anwachsende Zahl der Drogentoten: 1979 - 19, 1980 - 33, 1981 - 80. Und bei ihnen handelte es sich fast ausnahmslos um Jugendliche oder junge Erwachsene. Die Entwicklungsgeschichte der polnischen Drogenszene wird durch das "historische" Jahr 1975 geteilt. Bis dahin schluckte, spritzte und schnupfte man, was einem in die Hände fiel klassische Opiate, Surrogate, Medikamente, sogar ein bestimmtes Waschpulver erlangte eine gewisse Berühmtheit. Dann "erfand" ein Danziger Jugendlicher, Student im fünften Studienjahr, das "Danziger Heroin" (hera gdafiska) , das bei den "Fressern" (cpun) - wie sich die Süchtigen selbst nennen - je nach Reinheitsgrad als "Kompott", "Majka" oder "Suppe" im Umlauf ist. Es zu schlucken, gilt als "unökonomisch" - der richtige "Fresser" spritzt es intravenös "in den Kanal" (w kana#), wobei drei "centy" (Kubikzentimeter) gewissermaßen die Einstiegsfi7 dosierung, 70 bis 80 "centy" aber keine Seltenheit sind. An Warschauer Schulen kursierten 1981 Hefte mit 170 "Rezepten", wie man Drogen und Medikamente zum Konsum mischt und aufberei68 tet. Bereits 1977 aber hatten Versuche begonnen, der jugendlichen Drogenabhängigkeit organisiert entgegenzuwirken - auf Initiative des Psychologen Marek Kotanski entstand eine Bewegung, die sich zuerst nach amerikanischen Vorbildern "Synanon", ab Herbst 1978 aber "Monar" nannte und überaus erfolgreich wirkte. 69 Dieser Erfolg zog eine Selbsthilfebewegung von Schülern

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nach sich; Anfang Juli 1981 traten Warschauer Jugendliche mit einem Appell an die Öffentlichkeit, in dem es u.a. hieß: "Wir, Schüler Warschauer Schulen, sind in einer dramatischen Situation. In unseren Schulen breitet sich die Drogensucht aus. Sogar 12jährige Kinder nehmen schon euphorisierende Mittel, die man auf ganz leichte Weise von Händlern bekommen kann. Viele tausend unter uns haben keine Möglichkeit, sich von der Krankheit zu heilen, in die sie meist durch eigene Schuld geraten sind. Wir wollen uns retten. Wir wissen, daß man sich von dieser Krankheit heilen kann - wenn uns jemand hilft. Auf die Lehrer können wir gewiß nicht zählen,sie würden uns von der Schule werfen. Die Eltern wollen uns nicht verstehen. Vor der Polizei fürchten wir uns - aber Furcht reicht nicht zur Heilung hin. Wir verlangen die Gründung weiterer Zentren wie 'Monar1." Zusammen mit diesem Appell war ein Interview mit einem Schüler abgedruckt, der sachlich feststellte: "Ich weiß, daß es heute in Warschau praktisch keine Oberschule gibt, an der nicht mindestens ein 'Fresser' wäre. Und dieser eine ist im Stande, die meisten seiner Kollegen anzustecken. Die Drogenabhängigkeit ist vor allem ein Jugendproblem." 71 Ähnlich sahen die politisch Verantwortlichen das Problem, und "Monar" wurde eine neue Jugendbewegung - von den Jugendverbänden organisatorisch, vom Gesundheitsministerium mit 72 Millionen Z£oty finanziell unterstützt.72 Das war im Spätherbst 1981 - wenige Wochen vor Ausrufung des "Kriegszustandes", mit dem es um "Monar" still wurde. Die Bewegung gibt es noch, wenigstens formell, denn von Aktivitäten war nichts mehr zu hören. Dabei wäre sie nötiger denn je, weil die polnische Drogenszene kräftig ins Kraut geschossen ist: Neue Drogen, wie etwa das

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"Makiwara - Mohnsud" genannte Morfinpräparat, sind auf dem Markt, ein dichtes Produzenten- und Dealer-Netz hat sich gebildet, das bei Gestehungspreisen von 5 Z,£oty für den Kubikzentimeter 200-300 Z/oty dafür einnimmt. 7 3

100.000-120.000

Drogensüchtige gibt es nach Berechtigungen des Gesundheitsministeriums, davon 86 Prozent unter 30 Jahre alt. Und die polnischen Großstädte wie Warschau, Danzig, Kattowitz und Krakau sind auch gleichzeitg die Hauptzentren der polnischen 74 Drogenszene. Besonders übel dran ist Warschau, dessen Polizeichef General Jerzy Cwiek am 9. Dezember 1982 vor Journalisten erklärte, "daß es gegenwärtig in Warschau keine Schule gibt, an der keine Drogensüchtigen wären. In diesem Jahr sind bereits 15 Personen an übermäßigem Drogenkonsum gestorben. In die Verteilung der todbringenden Präparate haben sich organisierte Kriminellengruppen eingeschaltet. Die Polizei bekämpft sie, aber der Drogensucht entgegenzuwirken, ist nicht nur eine Frage von Repression. Ohne Mitwirkung des Gesundheitsdienstes

(immer noch fehlt es an Entwöhnungsanstalten)

und der Lehrer wird die Drogensucht weiterhin Opfer fordern."75

Ein Polizeichef muß die Dinge wohl so sehen, und er sieht sie ja nicht falsch. Im Spätsommer 1981, als die Gründung von "Monar" als Bewegung bevorstand, blickte man genauer und tiefer auf die Ursachen jugendlicher Drogenabhängigkeit:

"Bedingungen, die in der Gesellschaft selbst stecken, bewirken, daß man die Flucht aus der Gesellschaft antritt 76 auch um den Preis des Lebens."

Diese Bedingungen können sich 1982/83 kaum gebessert haben, wie offizielle polnische Zahlen vermuten lassen. Die Gesamtzahl der Drogensüchtigen in Polen wird gegenwärtig auf 120.000 -130.000 geschätzt

(was zweifellos zu niedrig gegriffen i s t ) .

65 Prozent von ihnen sind 18-25 Jahre alt, 13 Prozent jünger,

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und "in letzter Zeit zeigt sich ein beunruhigend anwachsendes Drogeninteresse bei den Allerjüngsten wie auch bei denen, die die Dreißig überschritten haben". Entsprechend sind die Folgen - die 80 Drogentoten von 1981 haben sich 1982 verdoppelt (wobei noch eine gewisse Dunkelziffer zu berücksichtigen wäre)! Auch die Gerichte bekamen mit der Drogenszene immer mehr Arbeit - 1979 wurden in Polen 317 Strafverfahren wegen illegaler Drogenproduktion verhandelt, 1980 waren es 412, 1981 etwa 1.000, "und im vergangenen Jahr noch erheblich mehr". Längst hat sich in Polen ein Drogen-Schwarzmarkt gebildet, der von "Banden" (gangi), gegen die Polizei und Gerichte wenig ausrichten können, beherrscht wird. 77 Wenn die polnische Psychiaterin Hanna Zaborowska recht hat, dann sind die alkohol- und drogengefährdeten Jugendlichen die Problemfälle in einer generell und zur Gänze in ihrer psychischen und physischen Gesundheit bedrohten polnischen Jugend. In einem Interview führte die Ärztin im Mai 1983 aus: Es werden schwächere und anfälligere Kinder geboren, die von kleinauf psychische Störungen erkennen lassen; sie wachsen heran, und mit ihnen werden die Störungen größer, bis zu Depressionen, Selbstmordversuchen etc. Die Eltern können kaum helfend eingreifen - die Mütter sind von Haushalt und Alltag so überlastet, daß sie zu wenig Zeit finden, sich um die Kinder zu kümmern, und die Väter haben alle Hände voll zu tun, das nötige Geld für den Unterhalt der Familie zu verdienen. In der Schule setzten sich die Belastungen fort - sie ist nur daran interessiert, den Kindern möglichst viel Wissen zu vermitteln, und diese Vermittlung geschieht ohne Rücksicht auf die Entwicklung der Persönlichkeit; Schul- und Lernschwierigkeiten ab der ersten Klasse sind die Folge. Vollends schwierig aber wird es im Jugendalter, wenn die jungen Menschen in der Gesellschaft keine "Perspektive" und bei den Erwachsenen keine Vorbilder für sich finden. Dann sind Frustrationen, langanhaltende Nervenstörungen, Flucht in den Alkohol und Drogen u.a.m. fast unausweichlich. 77a

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5« Go west, young man? Mit 1,6 Millionen Einwohnern ist Warschau unbestritten die größte polnische Stadt; um den Rang, die Stadt mit der zweitgrößten Ansammlung von Polen zu sein, streiten sich mit jeweils 700.000 polnischen Bürgern Krakau und - Chikago. über 35 Millionen Einwohner hat Polen - weitere 14 Millionen Polen leben in über 30 Ländern der Welt. Sieben Millionen gibt es allein in Nordamerika, anderthalb Millionen in Westeuropa (davon rund 800.000 in Frankreich), zwei Millionen in der Sowjetunion usw. Polen sind große, ja schwärmerische Patrioten für Land und Volk - mit "anarchistischen Tendenzen" gegenüber dem Staat und einer "mangelnden Neigung zum Denken in staatlichen Kategorien" - weil sie jahrhundertelang keinen "Staat" hatten, und weil spätere polnische "Staaten" ihrem 78 Selbst- und Wertverständnis nur partiell entsprachen. Diese Dinge sind wichtig, um das scheinbare Paradoxon zu erklären, warum soviele patriotische Polen nicht in Polen leben weil "Volkspolen" kein guter Staat ist, und weil "Polen" im Grunde überall ist, wo Polen leben. Man muß kein Bürger des polnischen Staates sein, um sich als polnischer Patriot auszuweisen - ja man kann zu Zeiten seinen Patriotismus sogar durch ein Verlassen des polnischen Staates unterstreichen. Die Vorstellung von der Qualität des eigenen Staates wird durch alltägliche Anschauung und Erfahrung gewonnen - aber auch durch den internationalen Vergleich, der auch ein intersystemarer werden kann, wenn sich der vergleichende Blick von "Volkspolen" aus gen Westen richtet. Dabei allerdings ist der Begriff "System", zumal bei Jugendlichen, partiell mißverständlich, denn die eigentlichen systemleitenden Ideen des Westens sind jungen Polen wenig vertraut. Propagandistische und politerzieherische Bemühungen haben dazu geführt, daß gewisse Wortfelder samt Inhalten bis zur Unkenntlichkeit "verschlissen" wurden -

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beispielsweise "Demokratie, demokratisch". (Man kennt solches ja noch aus früheren DDR-Zeiten - der 'demokratische Sektor" war der Ost-Sektor Berlins, "demokratisch" gekleidet war, wer westlich enge Röhrenhosen mied etc.) Den Beweis für diese Verwirrung lieferte im Dezember 1978 eine Untersuchung, die mittels Fragebögen bei 2.558 jungen Menschen (15-29 Jahre) gemacht wurde. Es ging um die "Demokratie" bzw. die Unterscheidung von "bourgeoiser" und "sozialistischer Demokratie", und die ermittelten Resultate lasen sich streckenweise wie ein Beleg für Konditionierungseffekte "sozialistischer" Erziehung. Selbst die Autoren der Untersuchung kapitulierten vor Aussagen, daß etwa die Sowjetunion "demokratischer" als Polen oder Frankreich sei, "daß die sozialistische Ordnung demokratischere Wahlen in die Staatsorgane sichert als der Kapitalismus" und ähnliches mehr. Man interpretierte solches in dem Sinne, "daß die befragten Jugendlichen kein übermäßig tiefes Wissen besitzen, sondern sich des Stereotyps Demokratie als eines höchst allgemeinen Begriffs bedienen, der mit positiven Losungen verbunden, jedoch nicht mit konkretem Inhalt von Grundsätzen des sozialen Zusammenlebens erfüllt ist. Wenn man diesen Gedanken fortführt, kann man auch behaupten, daß die Untersuchten die sozialistische Demokratie höher einschätzen, was die Konsequenz ihrer positiven Einstellung gegenüber der sozialistischen Ordnung ist. Sozialistische Demokratie bedeutet für sie das, wovon sie in der Schule erfahren haben oder was sie aus der Lektüre oder den Massenmedien bezogen haben." 79 Mit einem Wort: Solange es um abstrakte Sachverhalte ging, war von den Jugendlichen nichts zu erfahren, weil sie sich - sicherlich größtenteils unbewußt - in die schlichte Reproduktion erworbener Stereotypen flüchtete. Anders lagen die Dinge, wenn

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es um konkrete Erfahrungen ging. So hatten etwa fast zwei Drittel der Befragten Hemmungen, Polen als ein "demokratisches Land" zu bezeichnen, und 666 Befragte äußerten dezidierte Vorbehalte, "wobei sich die Zahl der kritisch eingestellten Personen parallel zum Alter erhöhte": 80 Vorbehalte (N = 666)

Anteil (%)

1. Mangelnde Freiheit der Rede, Unzulässigkeit von Streiks und Versammlungen 2. Beschränkungen in der Freiheit des Bekenntnisses 3. Mangelnde Pressefreiheit 4. Privilegien für bestimmte Gesellschaftsgruppen, beispielsweise aus der Partei 5. Die Gesellschaft hat keinen Einfluß auf die Auswahl der Mächtigen 6. Es gibt keine Oppositionsparteien und keine Freiheit des politischen Kampfes, die Regierungen werden von ein und derselben Partei gestellt 7. Es gibt Privateigentum 8. Der Grundsatz der Entlohnung gemäß der Arbeit wird nicht beachtet 9. Die Gesellschaft hat nur begrenzten Einfluß auf die Regierungspolitik, die Beziehungen zwischen Bürgern und Regierung sind schlecht 10. Es mangelt an Demokratie in der Lenkung der Volkswirtschaft 11. Die Demokratie in Bildung und Erziehung ist ungenügend 12. Bestechlichkeit, Vetternwirtschaft 13. Beschränkungen in der Unabhängigkeit des Gerichtswesens 14. Ausbeutung am Arbeitsplatz

29,0 14,6 12,9 11,4 10,1 9,6 7,6 7,6 6,7 6,0 3,0 2,8 1,9 1,5

Das waren - vielleicht mit Ausnahme des Punktes 7 - massive Anklagen, die ganz offenkundig aus Kenntnis und Vertrautheit mit einer gegebenen sozialen und politischen Realität erwachsen waren. Dabei ist auch der Zeitpunkt der Untersuchung, 1978, nicht unwichtig: Polen war äußerlich ruhig, die wirtschaftliche und politische Krise strebte ihrem Höhepunkt erst entgegen und war nur den wenigsten in der Gesellschaft einsehbar, vom Westen wurde kaum gesprochen. Letzteres wurde auch dadurch nicht aufgehoben, daß ein großer Teil der Jugendlichen treue Hörer westlicher Rundfunkansfalten waren - jeweils gut 12 Prozent hörten "Radio Luxemburg" und "Radio Free Europe", je vier Prozent BBC

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und "Voice of America". Aber das war nicht unbedingt ein politisches Votum - schon gar nicht bei "Radio Luxemburg", dqts vor allem die 15-19jährigen bevorzugten, und zwar wegen seiner Q "I

flotten Musik. Das war nicht die polnische Jugend der Jahre 1980-1982, die hier im Dezember 1978 zu Wort kam. Trotzdem war das Ergebnis verblüffend, "daß 36 Prozent aller Befragten entschlossen waren, Polen mit dem Ziel zu verlassen, ihre Lebenspläne im Ausland zu realisieren", und als künftiger Wohnsitz "die Vereinigten Staaten der am häufigsten genannte Staat waren". Etwa derselbe Prozentsatz "äußerte keine Bereitschaft zur Ausreise", die restliehen schwankten noch. Dieses Ergebnis relativierte zusätzlich die weiter oben referierten Voten für die "sozialistische Demokratie". Die Jugendlichen wußten nicht nur nicht, was das konkret bedeutet - es interessierte sie auch gar nicht, welches System "demokratischer" ist. Wichtig war nur, daß sie für sich selbst, die eigene Zukunft und Selbstrealisierung größere Möglichkeiten im westlichen Ausland sahen. Diesen eigenwilligen "Ubi-bene-ibi-patria"-Egoismus junger Polen hatte bereits 1977 eine andere Untersuchung an den Tag gebracht, die das "Institut für Grundprobleme des Marxismus-Leninismus beim ZK der PVAP unter 8.909 ausgelosten Ober- und Berufsschülern durchführte. Auch hier ging es um einen intersystemaren Vergleich - der so ausfiel, daß man eine detaillierte Auflistung der Ergebnisse vorsichtshalter nicht veröffentlichte. Bekannt wurde lediglich, daß die Jugendlichen "den Sozialismus wegen der in ihm beschlossenen sozialen Ideale und moralischen Werte billigen", daß aber gerade diese idealistische Auffassung "Quelle von negativen Einschätzungen vieler Erscheinungsformen des gesellschaftlichen Lebens" ist - sozusagen mit den "sozialistischen" Grundwerten gegen die Alltagspraxis des "rea-

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len Sozialismus". Mit dem realen Sozialismus" aber konnte "der Kapitalismus" - "worunter man in der Regel die Situation in den hochentwickelten Ländern Westeuropas versteht" - leicht konkurrieren: Die Jugend "nimmt Nöte und Rückschritte in den kapitalistischen Ländern nicht wahr", sondern bemerkt dort nur drei gewichtige Vorzüge - "den hohen materiellen Lebensstandard", "das hohe Niveau von Technik und Arbeitsorganisation" und "die formalen Rechte der Individuen" -, die hinreichen, dem "Kapitalismus" die "systemare Überlegenheit" (wyzszosc ustrojowa) zuzuerkennen. 83 Das war schon nicht mehr der an modischen Accessoires aufgehängte "Westkult" (kult Zachodu), dessen Verbreitung unter jungen 84 Polen Go/$biowski noch 19 74 beklagt hatte. '' Hier setzte vielmehr machtvoll die systemare Blickumkehr einer ganzen Generation ein, die 1982 fast bis zum neuen Konformismus verfestigt war - so daß Jugendliche selbstironisch, aber zutreffend von 8 *•> "unserem geliebten Westen" (nasz ukochany Zachod) sprachen. 1981 waren indessen zwei wesentliche Momente neu ins Spiel gekommen : 1.

Der polnische Staat und die polnische Gesellschaft befanden sich in einer tiefen Krise, die durch den Machtmißbrauch einer allseitig inkompetenten Staats- und Parteibürokratie verursacht worden war. 2.

Polen öffnete weit seine Grenzen nach Westen: 1981 wurden 1.247.000 Reisepässe für Westreisende ausgestellt - 80 Prozent mehr als 1980, und es begann eine große Diskussion, ob Polen nicht endlich ein ganz "normales Land" werden sollte, wo jeder Bürger nach Belieben ein- und ausreisen dürfte. Die neuen Reisemöglichkeiten wurden vor allem von zwei Bevölkerungsgruppen genutzt - von den in Polen verbliebenen Volksdeutschen (ca. 1 Million), die 1981 in solchen Massen in die Bun-

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desrepublik Deutschland kamen, daß hier alle Grenzdurchgangsund Auffanglager aus den Nähten platzten, und von jungen und jüngeren Polen. Letztere wollten ganz einfach den Westen einmal aus der Nähe erleben, eventuell sogar an seinen Möglichkeiten partizipieren - ein paar Monate Schwarzarbeit, dann Rückkehr mit Gebrauchtwagen, Color-TV und Kühlschrank sowie einem Devisen-Polster, das bei geschicktem Umtausch für längere Zeit ein sorgenfreies Leben garantierte. In Polen wurde diese Erscheinung "Erwerbsemigration" (emigracja zarobkowa) genannt und unter vielen Aspekten diskutiert - ob sie stärker politisch oder wirtschaftlich motiviert sei, ob man sie nicht, analog zu jugoslawischen Usancen, legalisieren könne, wie sich das ganze mit dem "sozialistischen" Charakter Polens vertrüge etc. Die Betroffenen interessierten diese Debatten nicht - Polen war für sie ein Synonym für Armut und Aussichtslosigkeit geworden, also kehrten sie ihm den Rücken, auf Zeit oder für immer: "Niemandem auf unserem Kontinent fehlt es an Brot, auch in unserem Land nicht. Doch ist der Lebensstandard in anderen Ländern, auch sozialistischen, unvergleichlich höher als in Polen. Und in diesem Sinne ist es eine Erwerbsemigration. Der junge Mann, die junge Frau wollen für ihre Arbeit mehr kaufen können als drei Päckchen Zigaretten in der Woche und mehr als einen Würfel Seife in zwei Monaten. Sie können sich eine Erziehung und Ernährung ihres Kindes unter Bedingungen, OQ

wie sie heute in unserem Lande herrschen, nicht vorstellen. Eine Aussage wie diese verdeutlicht die partielle Sinnlosigkeit der polnischen Debatten um die "Erwerbsemigration" - wo endeten wirtschaftliche, wo begannen politische Motive? War nicht vielmehr alles ineinander verwoben? Es zog die jungen Polen in den Westen, weil sie im "sozialistischen Polen" keine Chance mehr für sich sahen - und sie sahen keine Chance, weil "Sozialismus"

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als konkrete Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung keine Chance geben k a n n . Umfragen und Untersuchungen 1980/81 bestätigen diese neue Ausprägung jugendlicher Skepsis: Die Ideologie war vollends zur leeren Hülle geworden, die man nicht einmal mehr mit Phrasen füllen mochte. 1980 befragte Irena Kosowska Jugendliche nach "Assoziationen, die vom Begriff Sozialismus ausgehen" - 78 Prozent gaben keine Antwort, 11 Prozent meinten, "gute Ideen, schlechte Realisierung", und nur 4 Prozent sagten, "das ist die Ordnung, nach der wir uns seh89 nen". Und weil sich eben nur verschwindend wenige nach dieser Ordnung sehnten, suchten mehr ihre Chance am anderen ideologischen Ufer - und zwar um so eher, je gebildeter sie waren. Beweis dafür war eine Untersuchung vom Sommer 1981, über die in der Presse zu lesen war: "Eine unter Studenten der Universität Warschau durchgeführte Umfrage zeigte, daß ein Drittel der Studenten an Ausreise und Verbleib im Ausland denkt. Warum? Sie sehen für sich kei90 ne Chance, ihre Lebens- und Berufswünsche zu befriedigen." Man müßte hinzufügen: keine Chance in Polen - das aber niemanden zwang, innerhalb der Landesgrenzen zu bleiben. Wenigstens nicht bis zum 13. Dezember 1981, als in Polen der "Kriegszustand" verkündet wurde. Jetzt war es mit der Reisefreiheit zu Ende - selbst für "sozialistische Länder" benötigte man einen Paß, wo früher ein Eintrag im Personalausweis genügt hatte. In Polen spielten sich Szenen ab wie nach dem Mauer-Bau in Berlin 1961 - wie etwa folgende Zeitungsmeldung vom Januar 1982 verriet: "Die Militärstaatsanwaltschaft von Krakau informierte über ein Anwachsen von Versuchen, die Staatsgrenze illegal zu überschreiten. Diese Versuche wurden in der Regel an der Grenze zur Tschechoslowakei unternommen; aus unternommenen Ermittlungen geht hervor, daß derartige Verbrechen ausschließlich von jungen Menschen begangen werden, hauptsächlich aus der Altersgruppe 17-21 Jahre, aber sogar von jüngeren. Die

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überwiegende Mehrheit gab an. daß sie nach Österreich geg| langen wollten, seltener - in die BRD." Ein Staat, der die eben noch gewährte freie Wahl des Wohnsitzes durch seine jungen Bürger plötzlich zum "Verbrechen" erklärt, gibt den Jugendlichen wohl endgültig das Gefühl, zur "verlorenen Generation" zu gehören. In Polen hat man Ende 1982 den Versuch unternommen, durch sog.. "Klubs der drei Generationen" (Klub Trzech Pokolen) zur "Popularisierung des Marxismus und zum Kampf für ein Engagement der jungen Generation im so92 zialistischen Aufbau" beizutragen. Es dürfte ein hoffnungsloser Versuch sein - was diese "junge Generation" wirklich denkt, war eher einer Aufschrift zu entnehmen, die im Frühjahr 1982 in der Turnhalle einer Oberschule in Olsztyn auftauchte: "Abiturient, richte dich nach Westen - was gibt dir schon Volkspolen". 93 Aber vor die Westausrichtung haben die Generäle den "Kriegszustand" gesetzt - mit verschlossenen Grenzen, verweigerten Pässen, annullierten Visen. Was tun? Ein kleiner Teil der Jugendlichen nimmt mit der zweitbesten Wahl vorlieb und geht in die DDR. Polnische 'Gastarbeiter" gibt es seit dem März 1966 in der DDR, als erstmals Pendler im Kleinen Grenzverkehr in der DDR eine Arbeit annehmen konnten. Auf Touren kam die Sache aber erst, als beide Länder im Oktober 1973 die - auf jeweils drei Jahre befristete - "Zeitarbeit" polnischer Staatsbürger in mitteldeutschen Betrieben vereinbarten. Die Polen verdienten gut und taten viel für ihre berufliche Aus- und Weiterbildung. Daß sie sich trotzdem nicht wohlfühlten, lag an anderem - beispielsweise an der allseitigen Diskriminierung als "Polacken", die ihnen entgegenschlug und die im September 1978 die Evangelische Kirche der DDR zu geharnischten Protesten bewog. 94 19 80/81 verschlechterte sich die Situation noch, als Ost-Berlin aus Angst vor einer potentiellen polnischen "Ansteckung" zu rigorosen Maßnahmen griff - Schließung der "Friedensgrenze" zu

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Polen, Zollschikane für westreisende Polen, Nichterneuerung der "Gastarbeiter"-Abkommen etc. Seit Verhängung des "Kriegszustandes" hat sich die Lage wieder gebessert, und im Februar 1983 arbeiteten wieder knapp 20.000 Polen in der DDR - meist jüngere, und ihr Arbeitsplatz war im Bauwesen, in der Industrie und im Dienstleistungssektor. Sie verdienen nicht schlecht, ihr Mindestlohn liegt über DDR-Niveau, und in Akkordarbeit plus Prämien kommt mancher auf über 1.000 Mark (Ost) monatlich; auch sind sie gut untergebracht, versorgt, mit kulturellen Möglichkeiten reichlich versehen und bei Heimreisen großzügig von den Betrieben unterstützt. Vier Jahre werden die meisten jungen Polen in der DDR leben - nicht gerade im goldenen, wohl aber im vergoldeten Käfig, der Kontakte zwischen ihnen und der DDR-Bevölkerung eher behindern als fördern soll. 95 Aber diesen Weg wählt, wie gesagt, nur eine Minderheit. Andere - und sie sind mehr an der Zahl - zehren von Erinnerungen an das schöne Jahr 1981, als jeder Antragsteller seinen Paß für eine Westreise bekam, und träumen von einer Wiederkehr dieser Zeiten. In den letzten Dezembertagen 1982 beschrieb ein polnischer Journalist diese Stimmung: "Die Reisewelle wurde am 13. Dezember (1981, Verhängung des "Kriegszustandes", W.O.) gestoppt. Ob sie irgendwann wieder steigt - das ist ein Thema vieler Spekulationen, Gegenstand von Träumereien (...) Wenn ich im vergangenen Jahr Bekannte fragte, wo sie ihre Ferien oder ihren Urlaub verbringen, dann sagten die meisten, daß sie in den Westen reisen, hauptsächlich in die Bundesrepublik Deutschland. Für die jungen Leute, besonders für die akademische Jugend, bedeuteten Reisen in die BRD, nach Österreich oder Schweden gleichermaßen ein großes Abenteuer wie auch die Möglichkeit einer ökonomischen 'kleinen Stabilisierung'. Offensichtlich war das wichtigste die Möglichkeit zu arbeiten. Im allgemeinen wurde 'schwarz' gearbeitet." 96

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Folgten Fabelberichte von jungen Polen, die 1981 in Deutschland "Karriere" gemacht hatten - Jan K., Ingenieur aus Danzig, kam nach einiger Zeit mit einem westlichen Gebrauchtwagen nach Hause; Bogdan R., Hochschulassistent aus Krakau, verdiente in einer Nürnberger Kneipe hundert Mark am Tag und kam wie ein reicher Onkel nach Polen zurück; Jacek G., Student aus Breslau, half einem Stuttgarter Regisseur beim Hausbau - "die Arbeit dort hat irgendein Gastarbeiter aus Polen begonnen, aber ein Freund und Kumpel beendet" (prace rozpocza^ jakis tarn gastarbeiter z Polski, konczyX j& przyjaciel i kumpel) und ähnliche Stories mehr. Wer war denn noch zu Hause geblieben? "Der Trend, daß junge Leute zur Arbeit 'in den Westen' reisten, verstärkte sich ausgangs der 70er Jahre. Seinen Höhepunkt erreichte er 1981. In den großen Warenhäusern von Köln, Nürnberg oder München fühlte man sich wie im heimischen PDT oder 'Feniks'. Die polnische Sprache übertönte die Sprachen der Gastarbeiter und Hiesigen. Polen waren geschätzt: sie arbeiteten fleißig und solide. Sie waren pünktlich und anstellig. Die sprichwörtliche Faulheit und Trägheit waren verschwunden. Wir haben alle in Punkte Arbeitseifer geschlagen - was ganz unwahrscheinlich klingt (...) Bei uns verbinden manche Leute ihre ganze Lebenshoff97 nung damit, daß sie mal wieder dorthin 'springen' können. überschrieben war dieser polnische Bericht mit der englischen Aufforderung: "Let's go West". Im Frühsommer 1983 bekam diese ironisch gemeinte Aufforderung plötzliche Aktualität - in Gestalt einer "Einladung der Deutschen Demokratischen Republik, die Ferien in diesem Land zu verbringen", die an "über hunderttausend Kinder und Jugendliche" aus Polen gerichtet war; 130 Sonderzüge werden die jungen Polen zwischen Juli und September 1983 zu 730 Orten in der DDR bringen. 98

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Bei dieser Aktion handelt es sich nicht um eine humanitäre Geste der DDR, sondern um eine von "Zentralen Operationsstäben" lange vorbereitete und von Grenz- und Sicherheitsbehörden gebilligte Anwerbung von Hilfsarbeitern - "alle vorgesehenen Beschäftigungen erfordern keine besondere Qualifikation" - für Land- und Forstwirtschaft, Leichtindustrie und Kommunalverwaltung der DDR. 99 Etwas ähnliches gab es zwischen Polen und der DDR schon einmal vor über zehn Jahren: Am 6. Juli 1972 war zwischen den Arbeitsministerien beider Länder eine Abmachung geschlossen worden, daß bestimmte polnische Bevölkerungskreise - gedacht war an Hausfrauen, Rentner und Studenten - für jährlich drei Monate eine nichtindustrielle Arbeit in der DDR aufnehmen könnten. Bewährt hatte sich diese "Saisonarbeit" offenkundig nicht, denn die entsprechende Abmachung wurde im Folgejähr nicht erneuert. Jetzt erlebt sie eine Neuauflage - über hunderttausend junge Polen werden für 14 Tage in die DDR kommen, "von denen zehn Tage für Arbeit bestimmt sind". Die Arbeit wird natürlich bezahlt, doch richtet sich die Höhe des Entgelts nach Art und Umfang der Leistung im jeweiligen Einsatzort. Die jungen Polen werden, wie in der polnischen Presse betont wurde, DDR-Arbeitnehmern absolut gleichgestellt werden.101 Heißt das, daß sie wie diese Akkordarbeit werden leisten müssen, eventuell sogar Schichtarbeit? Gewiß werden viele junge Polen in die DDR reisen - die wahre Sehnsucht praktisch a 1 1 e r polnischer Jugendlichen aber ist und bleibt ein Besuch im Westen. Das ist an vielen Dingen abzulesen, momentan vor allem an dem kräftig angewachsenen Interesse Jugendlicher an Fremdsprachen. Hoffnungen für die Zukunft haben es bewirkt, aber auch Erinnerungen an die Vergangenheit, als man noch frei ausreisen konnte:

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"Das erste Mal stieß es dem Studenten W. auf, als er sich nicht an eine wissenschaftliche Exkursion in den Westen 'ranhängen * konnte. Das zweite Mal stieß es dem Studenten W. auf, als er sich in der Bundesrepublik aufhielt. Sein Kumpel verdiente nämlich nur deswegen in der Nachbarfirma doppelt so viel, weil er Deutsch konnte. Das dritte Mal stieß es dem Studenten W. auf, als ein bekannter Wissenschaftler an seiner Abteilung sagte: Herr W., sie sind fähig, Sie geben sich Mühe, ich würde Sie in mein Diplomandenseminar nehmen, ich hätte auch ein ganz gutes Thema für Sie, aber ohne Englisch läuft gar nichts. Der dritte Anstoß war wirksam. Der Student W. hat begonnen, Englisch zu lernen. Nach dem Hochschulunterricht, auf kostena pflichtigen Kursen." 6. Zusammenfassende Schlußfolgerungen Der in der Nacht vom 12. zum 13. Dezember 1981 in Polen ausgerufene "Kriegszustand" war rein äußerlich ein Militärputsch von geradezu "klassischer" Art mit allen Merkmalen einer solchen Machtübernahme - von der "patriotischen" Erretter-Pose einer kleinen, selbsternannten Junta über die verfügten Sondermaßnahmen gegen das eigene Volk bis zur nachfolgenden internationalen Isolierung des neuen Regimes. Was die polnischen Vorgänge indessen aus der langen Reihe vergleichbarer Ereignisse heraushebt, ist die Tatsache, daß dieser "Militärputsch" der erste seiner Art in Osteuropa war, d.h. er spielte sich in einer Region ab, wo sich Politik letztlich auf eine einfache Formel reduziert: Die von den Menschen subjektiv empfundene Lebensqualität steigt und fällt im Maße direkter sowjetischer Eingriffe! Regelrecht am Ende fühlt sich ein Volk erst dann, wenn es Moskauer Weisungen und Intentionen ohne die Möglichkeit der Gegenwehr ausgeliefert ist - wie etwa die Bevölkerung der Tschechoslowakei seit 1968. Solange das nicht gegeben ist, bewahren die Menschen einen Rest von Hoffnung - die

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Albaner ertragen einen Enver Hoxha, der sie praktisch mit dem Rest der Welt verfeindet hat, die Rumänen wehren sich nicht gegen einen Nicolae Ceausescu, der sie noch Hymnen auf eine ruinöse Wirtschafts- und Entwicklungspolitik singen läßt, und die Polen haben sich zähneknirschend mit einem General Wojciech Jaruzelski abgefunden, der ihnen handstreichartig alle Träume von Demokratisierung und Arbeitermitbestimmung zerstörte. Jaruzelski hat die Sowjets aus Polen herausgehalten, und das ist ein wesentlicher Pluspunkt für ihn. Darüber hinaus agieren er und sein "Militärrat der Nationalen Errettung" mit bemerkenswertem Selbstbewußtsein, das sich aus zahlreichen Inkonsequenzen seiner Herrschaftstechnik erhellt: Die Gewerkschaft "Solidarnosc" ist verboten, aber ihr charismatischer Führer Lech Wa£$sa lebt in relativer Freiheit und kann innerhalb gewisser Grenzen sogar politisch tätig werden. Der "Militärrat" bedient sich unverändert des kommunistischen Vokabulars, hat faktisch aber die herkömmliche Ordnung außer Kraft gesetzt, indem er die kommunistische Partei ins Abseits drängte und damit auch ihre "führende Rolle in der Gesellschaft" zur Farce werden ließ. Ohne eigenes Reformkonzept, aber auf der Suche nach eigener Legitimation hat das Jaruzelski-Regime die sichtbaren Ergebnisse von Jahrzehnten polnischer Politik praktisch zum Abschuß freigegeben: Gerade im "Kriegszustand" wurde in polnischen Medien in geradezu verblüffender Offenheit und Schärfe eine Mängeldiskussion über alle Bereiche polnischen Lebens geführt. Das polnische Regime greift begierig jede deutsche Äußerung auf, die sich im Sinne eines fortbestehenden "Revanchismus" der Deutschen interpretieren läßt, hat aber nichts gegen den Strom deutscher Hilfs- und Solidaritätssendungen nach

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Polen, obwohl es ihr nicht verborgen bleiben kann, wie nachhaltig und von Grund auf diese Beweise deutschen Mitfühlens mit dem polnischen Volk das wechselseitige Verhältnis von Deutschen und Polen veränderten. Die international isolierte und verachtete polnische Führung läßt ihren potentiell gefährlichsten Gegner ins Land reisen, den polnischen Papst Johannes Paul II., der in den Augen der Polen die Inkarnation des Guten ist, wie Jaruzelski die Inkarnation des Negativen darstellt. Man könnte die Liste dieser Inkonsequenzen noch erheblich weiter ausführen - um sie dann wieder auf zwei Merkmale zu reduzieren: Der "Kriegszustand" in Polen hat keinerlei Lösungsansätze für irgendein akutes Problem des Landes gebracht, wohl aber Artikulationsfreiräume erhalten, eben diese Tatsache wie auch Art und Umfang der Probleme selbst beim Namen zu nennen. Diese Eigentümlichkeit des "Kriegszustandes" ist auch Ausgangspunkt und Rückgrat seiner Würdigung unter jugendsoziologischem Aspekt, wie sie in vorstehender Darstellung versucht wurde. Polens Jugend von heute empfindet sich als "verlorene Generation", und in gewisser Weise ist sie es auch, wie die beiden Seiten des "Kriegszustandes" offenlegen: 1.

Die neuerliche Kritikfreudigkeit, wie sie sich im "Kriegszustand" ergeben hat, liefert erschütternde Daten zur Situation der polnischen Jugend: Polnische Gesundheits- und Sozialpolitik hat ihren Gesundheitszustand in einem bedrohlichen Maße gefährdet, polnische Bildungspolitik hat ihre Lebenschancen weiter gemindert, und polnische Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik gibt ihr gewissermaßen den Rest. 2.

Die Perspektiv- und Konzeptionslosigkeit des "Kriegszustandes" hat die reale Jugendgefährdung in alarmierendem Maße erhöht: Jugendkriminalität und Jugendalkoholismus haben

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stark zugenommen, und als neues Phänomen kam eine JugendDrogenszene hinzu, die Polen unter die führenden "Fixer"Länder Europas katapultierte. Aus beiden Momenten ergibt sich ein neuer Aspekt für die jugendsoziologische Grundfrage: Was ist "Jugend"? Niemand kann "Jugend" exakt definieren. Was man kann, ist lediglich die Bestimmung dessen, was Angehörige einer bestimmten Alterskategorie nicht mehr sind, Kinder nämlich, und was sie noch nicht sind, Erwachsene, aus welchen Schonräumen sie bereits entwachsen (Familie), und in welche neuen Kollektive sie noch nicht integriert sind (Arbeitskollektive, Freundesgruppen, eigene Familien), welche Handlungskompetenzen ihnen verwehrt sind (z.B. Umgang mit eigenem Geld), und in welchen Bedürfnissen sie Konkurrenten der Erwachsenen werden könnten (z.B. in der Sexualität). Aus all dem ergeben sich die Eigenheiten des Jugendalters, die sich allen Angehörigen mitteilen - die Rollen- und Statusunsicherheit, das Emanzipationsstreben, die Suche nach Kohäsion und Solidarität in Kollektiven Gleichaltriger und Gleichgesinnter, die moralische Rigorosität u.a.m. Diesen soziologischen Raster nun auf den "Kriegszustand" projeziert, erbringt zunächst die nachhaltige Bestätigung von Bekanntem: Einen westlichen Mustern vergleichbaren "Generationskonflikt" hat es in Osteuropa n i e gegeben, weil die Generationen durch das gemeinsame Empfinden einer Bedrohung durch den Totalitätsanspruch von Partei und Staat aufeinander verwiesen wurden; diese Bedrohung ist im 'Kriegszustand" noch direkter, spürbarer und schmerzlicher geworden. Was weiterhin früher Jüngere und Ältere unterschied, war allein der graduelle Unterschied stärkerer jugendlicher Verletztheit angesichts der Diskrepanzen von Anspruch und Realität "sozialistischer" Politik. Diese Diskrepanzen sind im "Kriegszustand" noch offenkundiger geworden, folglich sind auch die Reaktionen

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der Jungen schärfer - nur sie, nicht aber ihre Eltern, empfinden sich als "verloren". Neu sind für die polnische Jugend im "Kriegszustand" drei Momente: 1.

Ein moralischer Bindungs-, Werte- und Orientierungsverfall, der sich zeitgleich zum "Kriegszustand" entwickelte und ganz direkt in einer signifikant hohen Beteiligung Jugendlicher an Verbrechen von schwerster Brutalität und Sozialgefährlichkeit sichtbar wurde. 2. Eine autodestruktive Tendenz weiter Teile der Jugend, die in ihrem Umgang mit Alkohol und Drogen deutlich wird, darüber hinaus aber auch am polnischen Suizidgeschehen abzulesen ist: 1980 zeigte die gesamtpolnische Selbstmordkurve, erstmals seit 1951, einen deutlichen Knick nach unten - ausgenommen das jugendliche Suizidgeschehen, das unverändert hohe 102 Wachstumsraten beibehielt. Neuere Untersuchungen der auf die polnische Suizidentwicklung spezialisierten Soziologin Maria Jarosz, Anfang 1983 veröffentlicht, ergaben, daß dieses Wachstum bis zur Gegenwart angehalten hat, und daß auch die Suizidraten der Erwachsenen im Kriegszustand erneut beunruhigend angestiegen sind. 3.

Eine staatsnihilistische Neigung, die zwar früher auch schon in Ansätzen bestand, seit 1981 aber erst richtig zur Geltung kam: In diesem Jahr sahen junge Polen zwar auch noch keine großen Chancen für sich, nutzten aber die gegebenen Möglichkeiten zur Ausreise in den Westen, von wo viele nicht zurückkehrten. Die Reisemöglichkeiten in den "kapitalistischen" Westen sind mittlerweile versperrt, die Chancen Jugendlicher eher noch geringer geworden - das momentane Resultat ist eine "Raus-aus-Polen-und-wenn's-in-die-DDR-geht"-Mentalität, die sich die DDR, stets um Arbeitskräfte verlegen, erfolgreich zunutze macht: Über 20.000 ständige polnische "gastarbeiterzy"

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werden im Sommer 1983 noch um 100.000 polnische Jugendliche verstärkt werden, die mittels Sonderzügen zu Arbeitseinsätzen in Land- und Forstwirtschaft und Leichtindustrie der DDR gebracht werden. Was man in der DDR möglicherweise nicht bedenkt: Junge Polen bleiben selbst dann selbstbewußte, freiheitsliebende, kritikfreudige und nationalstolze Polen, wenn sie sich in Polen selbst als "verlorene Generation" empfinden müssen.

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Anmerkungen J Vgl. den Zeitplan von Marian Jurek: Wojskowa Rada Ocalema Narodowego, in: Wojsko Ludowe Nr. 12/1982, S. 12-17. " Berichte darüber in: Zycie Warszawy 6.-7.2.1982; 11.2.1982; 23.-24.10. 1982; 30.12.1982. Richard Spielman: Crisis in Poland, in: Foreign Policy Nr. 49/1982-83, S. 20-36, zit. S. 23ff. 4 Spielman, Crisis ... a.a.O., S. 28. 5 Stanis/aw Reperowicz: Zawod - oficer (Beruf - Offizier), in: Trybuna Ludu 31.1.1978, S. 5. 6 Meldung in: Kultura (Warschau) 21,6,1981. 7 Vgl. August Pradetto: Polen, Herbst 82 - Erfahrungen einer Reise, in: Osteuropa Nr. 1/1983, S. 3-14. g Einen sehr guten Überblick über die Vielfalt der Meinungen und Kritiken bietet Andrzej Czarkowski: Socjologiczne aspekty kryzysu w^adzy (Soziologische Aspekte der Krise der Macht), in: Ruch Prawniczy, Ekonomiczny i Socjologiczny Nr. 2/1982, S. 185-202. 9 Meldung in: Polityka 22.1.1983, S. 2. Vgl. den Zeitplan von Stanislaw Ruszkowski: Polska Zjednoczona Partia Robotnicza (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei), in: Wojsko Ludowe Nr. 12/1982, S. 24-27. I

Edmund Meclewski: #aba dzieli (Die Elbe teilt), in: Sztandar Mjfodych 1.12.1982; hierbei handelt es sich um eine Rezension des gleichnamigen Buchs von Eugeniusz Guz, das 1982 in Warschau erschien und die beiden deutschen Staaten in extremer Schwarz-Weiß-Einseitigkeit abhandelt. 2 Daniel Passent: Niecierpliwy z urojenia (Ungeduldig aus Wahnvorstellungen), in: Polityka Nr. 44, 18.12.1982. Auch hier geht es um eine Rezension des - in Anm. 11 erwähnten - Buchs von Guz, das Passent nicht nur erbarmungslos verreißt, sondern dem er auch - mit Blick auf Guz' langjährige Tätigkeit als PAP-Korrespondent in Bonn - bescheinigt, es sei "das lebende Zeugnis für die Wirkungslosigkeit des Tuns einiger unserer außenpolitischen Publizisten, die außerstande waren, im Bewußtsein der Leser die von ihnen lancierten Ansichten einzupflanzen, obwohl sie sie geduldig und jahrelang aus dem Ausland herüberschickten, und die in gewichtigem Maße die Vertrauenskrise der Gesellschaft gegenüber der Presse und ihnen selbst verschuldet haben".

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13 Detailliert Wolf Oschlies: Auf der Suche nach der "kleinen Stabilisierung"-Soziologische Skizzen zur polnischen Jugend, in: Beiträge zur Konfliktforschung Nr. 2/1981, S. 59-83. Miko^aj Kozakiewicz: M^odziez i swiat jej wartofeci (Die Jugend und die Welt ihrer Werte), in: Argumenty Nr. 21, 25.5.1975, S. 1, 6 und 7. 15 Stefan Nowak: Value Systems of the Polish Society, in: The Polish Sociological Bulletin Nr. 2/1980, S. 5-20. DiP: Spo^eczeftstwo wobec kryzysu (Gesellschaft im Angesicht der Krise) , in: Tygodnik Demokratyczny 19.4.1981, S. 8. 17 Anna Rozel-Kicihska: Bunt m^odych (Aufstand der Jungen), in: Argumenty Nr. 16, 19.4.1981, S. 5 und 14. 17a Detailliert dazu vgl, Georg W. Strobel: NSZZ "Solidarnosc" -'Beitrag zur politischen Wirkungsanalyse einer sozialen Sammlungsbewegung, in: Berichtendes Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien Nr. 9/1983, S. 19ff. 18 Stanis/aw Gabrielski: M^odziez w procesie budowy socjalizmu (Die Jugend im Prozeß des sozialistischen Aufbaus), in: Nowe Drogi Nr. 4/1982, S. 86-101. 1 8a Miko^aj Kozakiewicz (Interview): Czy stracone pokolenie? (Gibt es eine verlorene Generation?) In: Kierunki 12.6.1983. 19 M^odziez i w^adza ... (Die Jugend und die Macht), in: Sztandar M^odych 4.-6.6.1982, S. 3. Henryka Wygoda: Melodia jakby znana (Eine irgendwie bekannte Melodie), in: Prawo i Zycie 26.6.1982, S. 1 und 4. 21 BronisXaw GoX^biowski (Interview) : Nie ma "straconych pokolefi" (Es gibt keine "verlorenen Generationen"), in: Sztandar M^odych 7.-9.5.1982, S.6. 22 Bronis^aw Go/ebiowski: Stracone oszukane czy oswiecone? (Verloren, betrogen oder aufgeklärt?) In: Trybuna Ludu 22.-23.1.1983, S. 6. 23 Wojciech Pielecki: M/odzi: Realisci? Marzyciele? (Jugendliche: Realisten? Träumer?) In: Widnokrag 14.12.1982, S. 3. 24 Referiert bei Oschlies, Auf der Suche ... a.a.O., S. 77ff. Wygoda, Melodia ... a.a.O.

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26 Zit. v. Wygoda, Melodia ... a.a.O. 27 Wygoda, Melodia ... a.a.O. 28 Vgl. Elisabeth Rüge: Die Solidarität ist nicht tot - General Jaruzelskis Versuche, die Jugend zu gewinnen, endeten in Straßenschlachten, in: Rheinischer Merkur - Christ und Welt Nr. 19, 7.5.1982, S. 7; dies.: Das Regime tarnt sich - Die totale Bevormundung der Jugend nimmt zu, in: ebd. Nr. 20, 14.5.1982, S. 7; Die Jugend hat kein Vertrauen zur Partei, in: FAZ 15.7.1982; Jaruzelski appelliert an die Jugend, in: FAZ 16.7. 1982. 29 Pradetto, Polen, Herbst 1982

... a.a.O., S. 13ff.

Jan Szczepaftski: Ch^odnym okiem socjologa (Mit dem kalten Auge des Soziologen), in: Kierunki 31.10.1982. 31 W#adysj!aw Markiewicz (Interview) : Gdy o karierze decyduje przypadek (Wenn über die Karriere der Zufall entscheidet), in: Rzeczpospolita 2 8 . 5 . 1 9 8 2 , S. 3 . 32 Ryszard Naleszkiewecz: Wygrac ro£odziez (Die Jugend gewinnen), i n : S z t a n d a r M/odych 15.2.1982, S. 3. 33 Stanislaw Gabrielski: M^odziez w procesie budowy socjalizmu (Die Jugend im Prozeß des sozialistischen Aufbaus), in: Nowe Drogi Nr. 4/1982, S. 86-101. 33a Kozakiewicz (Interview), Czy stracone ... a.a.O. Ireneusz Seku£a (Interview): M^odziez i kraj - Raport o zyciowym starcie (Jugend und Land - Bericht über den Start ins Leben), in: Trybuna Ludu 24.3.1981, S. 5; vgl. auch Henryk Maziejuk: Start z przeszkodami (Start mit Hindernissen), in: Perspektywy Nr. 21, 22.5.1981, S. 9-12. 35 Maria Jarosz: Nierownosci spo^eczne - w swietle badan (Soziale Ungleichheiten - im Lichte von Untersuchungen), in: Nowe Drogi Nr. 10/1981, S. 96-107. Elzbieta Centkowska: Wiemy kogo - nie wiemy jak (Wir wissen, wen - wir wissen nicht, wie), in: Tygodnik Demokratyczny 19.12.1982, S. 9. 37 Krzysztof Kruszewski: W sprawie edukacji narodowej - Srednie czy przecietne (In der Sache der nationalen Erziehung - Mittelmäßig oder durchschnittlich), in: Rzeczpospolita 8.6.1982, S. 5.

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38 Daniel Wojtowicz: Wiraze m/odosci (Wirrungen der Jugendzeit), in: Sztandar M^odych 3.6.1982, S. 3; vgl. auch: "Erscheinungen, die dem sozialistischen Modell widersprechen" - Ein Bericht über Gesundheit und Moral der polnischen Jugend, in: FAZ 4.6.1982. 38a Stefan Ciepjfy: Raport o stanie materialnym oswiaty (Bericht über die materielle Lage des Bildungswesens), in: Zycie Literachie 29.5.1983. 39 Stanislaw Kubiak: M/odzi na £ozu tortur (Jugendliche auf dem Polterbett), in: Argumenty Nr. 15/1982, S. 1, 4-7; Nr. 17/19 82, S. 5. 40 Wojtowicz, Wiraze m/odosci ... a.a.O. 41 Ryszard Naleszkiewicz: M^odzi robotnicy '82 - W oku cyklonu (Junge Arbeiter '82 - Im Auge des Zyklons), in: Sztandar M^odych 20.-22.8.1982, S. 4. 42 Ryszard swierkowski: Mjfodzi robotnicy - bez retuszu (Junge Arbeiter unretuschiert), in: Perspektywy Nr. 2, 14.1.1983, S. 12-13. 43 Naleszkiewicz, Wygrac m^odziez

... a.a.O.

44 Krzysztof Kruszewski: M^odziez '82 - W zgodzie zu Swiatem (Jugend "82 In Übereinstimmung mit der Welt), in: Rzeczpospolita 29.-30.5.1982, S.3. 45 Bogdan Kaczmarek: Co dalej z ruchem studenckim (Wie es mit der Studentenbewegung weitergeht), in: Rzeczywistosc Nr. 24, 31.10.1982, S. 1 46 Waldemar £ysiak: Nadprodukcja "uczonych" (Überproduktion "Gelehrter"/in: Stolica 4.10.1981, S. 14. Ireneusz Nawrocki (Interview): Nie moze by& straconego pokolenia (Es kann keine verlorene Generation geben), in: Trybuna Ludu 29.-30.5.1982. 47a Meldung in: Zycie Warszaw y 25.5.1983, S . 1. 48 Grzegorz Dowlasz, Krzysztof Matlak: Kryzys w oczach licealistöw - "Boje si* przysz/osci ..." (Die Krise in den Augen der Oberschüler - "Ich habe Angst vor der Zukunft . . . " ) , in: G/os Szczecinski 27.). 1982, S. 5. Poln. Wortlaut in: L'Osservatore Romano 20.-21.6.1983, S. 3. 49 Vgl. Ilija Marinkovic: Poljska - rok, seks i politika (Polen - Rock, Sex und Politik), in: NIN (Belgrad) Nr. 1691, 29.5.1983, S. 47-48. Leszek Bugajski: Rockowe wyznania (Rock-Bekenntnisse), in: Zycie Literackie Nr. 10, 6.3.1983, S. 1 und 7.

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51 Ztj rok dla przestepc&w (Ein Trybuna Ludu 4.1.198 3 .

schlechtes

Jahr für Verbrecher), in:

52 Iza Czaplarska: Na oczach wielu ludzie (Vor den Augen vieler Leute), in: Trybuna Ludu 29.-30.1.1983, S. 6. 53 Tadeusz Rydzk (Interview): Nie jestesmy bezsilni wobec z^a (Wir sind nicht wehrlos gegen das Übel), in: Prawo i 2ycie 23.4.1983. Waldemar Kamihski: 57 butelek na "mocna" g^owe (57 Flaschen auf jeden "festen" Kopf), in: Gazeta Pomorska 16.12.1983, S. 4. 55 Plaga (Die Plage), in: Tygodnik Powszechny 30.4.1978, S. 2. 56 BogumiXa Kamlerowa: Kosztowna nietrzezwosc (Kostspielige Trunkenheit), in: Trybuna Ludu 4.-5.10.1975, S. 6. 57 Irena Solifiska: Co nas boli? (Was schmerzt uns?) In: Trybuna Ludu 26.28.11.1975, S. 6. Jan Malec: Alkohol, kartki a m/odziez (Alkohol, Karten und die Jugend), in: Problemy Alkoholizmu Nr. 11/1982. 59 Vgl. Die roten Fixer - Drogen in Polen, in: Der Stern Nr. 46, 5.11. 1981, S. 20-30. Detailliert Wolf Oschlies: "Komm, wenn's dir schlecht geht ..." Polens Jugend kämpft gegen die Drogensucht, in: Deutsche Jugend Nr. 1/ 1982, S. 14-16. 61 Marek Latoszek et al.: Badaniä socjologiczne nad narkomania wsröd mXodziezy szkbt Srednich Trojmiasta (Soziologische Untersuchungen zur Drogensucht unter Mittelschülern der Dreistadt), in: Studia Socjologiczne Nr. 4/1974, S. 243-262; Andrzej Szakowski: Stopiefi zagrozenia toksykomania m^odziezy szkolnej m. Szczecina (Der Grad der Bedrohtheit der Schuljugend von Stettin durch Drogensucht), in: Psychiatria Pclska Nr. 4/1974, S. 397-401. 62 Mieczys^aw Knobloch: Narkomania - dzis (Drogensucht - heute), in: Sycie Literackie Nr. 45, 8.11.1981, S. 1 und 12. Jan Lewandowski: Narkomania - Nie ma problemu! (Drogensucht - Es gibt kein Problem!) In: Kierunki 25.1.1981. 64 Andrzej Grabowski (Interview) : Narkomania bez retuszu (Drogensucht unretuschiert), in: Kierunki 7.6.1981, S. 11.

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65 Anna Mata^owska: Raport o narkomanii (Bericht über die Drogensucht), in: Polityka Nr. 31, 31.7.1981, S. 8. 66 Jan Lewandowski: Narkomania - Dwa pytania do ministrow (Drogensucht Zwei Fragen an die Minister), in: Kierunki Nr. 9, 6.6.1982, S. 9. Lewandowski, Narkomania - Nie ma problemu ... a.a.O. 68 Knobloch, Narkomania - dzis ... a.a.O. 69 Hanna Gajos: Przedtem? Przedtem byjfem narkomanem (Vorher? Vorher war ich Drogensüchtiger), in: Perspektywy Nr. 37, 11.9.1981, S. 12-14. Apel m^odziezy w sprawie narkomanii (Appell der Jugend in Sachen Drogensucht) , in: Zycie Warszawy 8.6.1981. 71 Chcemy sami sie tym zajac (Wir wollen uns selber damit befassen), in: Zycie Warszawy 8.6.1981. 72 B e r i c h t e i n : Zycie Warszawy 8 . 1 0 . 1 9 8 1 , S. 3 ; Trybuna Ludu 9 . 1 1 . 1 9 8 1 , S.2. 73 Barbara Slusarczyk: Narkomania - smierc na raty (Drogensucht - Tod auf Raten), in: Rzeczywistosc Nr. 24, 31.10.1982, S. 1 und 9. 74 Krakow - centrum narkomanii (Krakau - Zentrum der Drogensucht), in: Rzeczpospolita 10.1.1983, S. 8. 75 Niepokojace zjawiska - Gangi, spekulacja i narkomania (Beunruhigende Erscheinungen - Banden, Spekulation und Drogensucht), in: Zycie Warszawy 10.12.1982, S. 8. '7 C

Gajos, Przedtem? ... a.a.O., S. 14. 77 Henryk Maziejuk: Nied^ugo znow zakwitna maki ... (Bald blüht wieder der Mohn . . . ) , in: Perspektywy Nr. 15, 15.4.1983, S. 6. 77a Hanna Zaborowska (Interview): Skad sie biora nerwice u dzieci? (Woher kommen die Nervenstörungen bei Kindern?) In: Zycie Warszawy 20.5.1983, S. 1 und 2. 78 Janusz Reykowski: Co to znaczy: cechy narodowe Polakow? (Was heißt das: Die nationalen Eigenheiten der Polen?) In: Polityka Nr. 10, 5.3.1977, S. 3.

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79 Jerzy Ol^dzki: Opinie m^odziezy polskiej o demokracji burzuäzyjnej i socjalistycznej (Die Meinung der polnischen Jugend über die bourgeoise und die sozialistische Demokratie), in: Kultura i Spojfeczenstwo Nr. 12/1982, S. 245-260, zit. S. 251. Po Ebd. S. 253. 81

Ebd. S. 257. Ebd. S. 256. Zenon Kawecki: Postawy maturzystöw w swietle badaft (Die Einstellungen von Abiturienten im Lichtevon Untersuchungen), in: Nowe Drogi Nr. 8/1980, S. 88-100.

84 Bronis^aw Go^ebiowski: Szanse m/odosci (Chancen der Jugend), Warschau 1974, S. 169. 85 Dowlasz, Matlak, Kryzys w oczach ... a.a.O. Andrzej Czarkowski: Socjologiczne aspekti kryzysu w/adzy (Soziologische Aspekte der Krise der Macht), in: Ruch Prawniczy, Ekonomiczny i Socjologiczny Nr. 2/1982, S. 185-202. 87 Wolf Oschlies: Exodus Poloniae? Polnische Ausreise- und Emigrationsfragen 1980-1982, in: Beiträge zur Konfliktforschung Nr. 2/1982, S. 89-115. 88 Krystyna Grzybowska: Wi^cej niz kostke myd£a (Mehr sein als ein Stückchen Seife), in: Sztandar M^odych 2.11.1981. 89 Vgl. Czjfowiek nie moze myslec kategoriami zbiorowymi (Der Mensch kann nicht in Sammelkategorien denken), in: Argument Nr. 3, 28.3.-3.4.1982, S. 13. 90 Antoni Bartkiewicz: W kolejce do szczescia (In der Schlange zum Glück), in: Sztandar M^odych 21.-23.8.1981, S.3. 91 Meldung in: Trybuna Ludu 1.6.1982, S. 5. 92 Meldung in: Trybuna Robotnicza 28.10.1982. 93 Barbara Moroz: Zyc na w/asny spos&b (Leben auf eigene Weise), in: Polityka Nr. 14, 22.5.1982, S. 5.

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94 Vgl. die Dokumentation in: Deutschland Archiv Nr. 11/1978, S. 12231230. 95 Eugeniusz Waszczuk: Polacy w przedsiebiorstwach NRD (Polen in DDRBetrieben) , in: Zycie Warszawy 3.2.1983. 96 Olaf Honsza: Let's go West, in: Sprawy i Ludzie 23.12.1982. Ebd. 98 Wakacje u sasiadow (Ferien bei den Nachbarn), in: Rzeczpospolita 23.5.1983, S. 4. 99 E. Gajdeczkowa: Wakacje za Odra (Ferien am anderen Oderufer), in: Trybuna Ludu 21.-22.5.1983, S. 6. Vgl. Maria Matey: Stosunki pracownicze we wspoXpracy mi^dzy Polska a NRD (Arbeitsverhältnisse in der Kooperation zwischen Polen und der DDR), in: Sprawy Mi*dzynarodowe Nr. 7/1974, S. 101-108. 101 Wakacje m^odziezy w NRD - Pociagl czekaja (Ferien der Jugend in der DDR - Die Züge warten), in: Sztandar MJfodych 23.5.1983, S. 1 und 5. Ewa Wilk: Jezyki obce na studiach - Jedynie minimum (Fremdsprachen im Studium - Lediglich das Minimum), in: Zycie Warszawy 20.6.1983, S. 3. 102 Vgl. dazu Maria Jarosz (Interview): Samozniszczenie (Selbervernichtung), in: Kierunki Nr. 37, 13.9.1981, S. 5. 103 Vgl. Polen: Mehr Selbstmorde, in: Die Welt 2.2.1983.

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Report No. 23/1983 Summary A "Lost Generation" Poland's Youth in a "State Of War" 1981-1983 by Wolf Oschlies Introductory Observations In December 1981, the "state of war" (stan wojenny) was declared in Poland and remained in force for a good year- before being "suspended", not repealed. The putsch-like intervention of the newly formed "Military Council of National Redemption" ended in an instant all the rudiments of deep-reaching political renewal that had emerged in the wake of the events of August 19 80 and thanks to the appearance and activities of the independent trades union "Solidarnosc". Whatever the real motives for this radical step may have been - officially it was cloaked in a patriotic context and presented as an act of last-minute rescue. Suspect and artificial as this line of argument may be, it nevertheless legitimates discussion as to the reasons for and the nature and seriousness of the crisis in Poland at the moment. To some extent intentionally, but also indirectly by effectively having forced the Party as the "leading force in society" onto the sidelines, the "Military Council" has made this discsussion possible. These discussions (that is to say, in the final analysis the entire "public relations work" of the "Military Council") are of threefold interest: - as regards their subject matter, they are to a great extent a "settlement of accounts" with everything that has contributed towards dragging Poland into its present situation; in their seriousness they stretch from the academic analysis to the letter to the editor of a local newspaper; and in their tone they all reflect the "tremendous aversion to ideological formulations in the language of Marxist philosophy and propaganda" in evidence in Poland today. (Miko^aj Kozakiewicz, June 1983). On the other hand, the "Military Council" has no formula for ending or even for only mitigating the crisis, and the restrictions it has imposed and its interventions into public life (prohibition of "Solidarnosc" and similar measures) have only heightened the tensions within Polish society.

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Against the background of this unique character of the "state of war" - Poland's troubles have multiplied and deepened, but they can continue to be discussed openly and critically, and in some cases even in starker terms than was previously possible - the present report portrays the situation of the Polish youth, which regards itself as a "lost generation" (stracone pokolenie). The report is based almost exclusively on Polish material of recent date. Findings 1. There has never been a "conflict of the generations" after the Western pattern in Poland, because the generations have been brought together by a shared awareness of the common menace emanating from Party and State. 2. What distinguished younger Poles from their elders was only a more pronounced receptivity for the discrepancies between "socialist" pretensions and political reality. Because these discrepancies» were particularly prominent in the Poland of the late 70s, those in power had soon gained the - accurate impression of being "at loggerheads" with the youth. Seen from this aspect, the enormous commitment of young Poles to "Solidarnosc" was only natural and understandable, for it appeared to them to be the opponent that could bring most weight to bear against the old w - lders of power, and its programme represented the most radical departure from the old policies. The fundamental legitimacy of this commitment to "Solidarnos6" on the part of the youth is still recognized, even after the prohibition of the trades union itself. 3. As in the rest of Eastern Europe, too, the youth (age 10-19) in Poland as a section of the overall population has experienced an increase in quantitative terms, but the problems that have arisen for and with that youth have also increased enourmously. Of particularly dire consequence as regards the youth is the catastrophic situation of the education and health systems: the state of health and the standard of education of wide sections of the younger population have reached a deplorable low as a result of political neglect over the past ten years. 4. Young people just starting work find themselves hampared in their socio-professional self-realization by a variety of circumstances - rampant economic bureaucracy, employment in fields other than those in which they were trained or in which their inclinations lie, lack of opportunity for voicing opinions or participating in decision-making at work. Polish students at the moment have a bleak future to look forward to, because the further education system is tending more and more to produce an "academic proletariat" for which the economy has neither demand nor employment opportunities.

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5. Under these circumstances, a deep-rooted pessimism has spread among the Polish youth, precisely the sentiment of being a "lost generation": nobody believes any more that the present crisis can ever be finally solved, because it has been recognized that that crisis is the result of the ruling political system in Poland - "Socialism has brought us nothing but crises". 6. All the many restrictions imposed with the "state of war" have had practically no influence on the trend towards increasing criminality in Poland, in particular offences against other people's property are on the increase. The number of juvenile lawbreakers, especially in the field of serious crime with a high level of social risk, has also risen. 7. Since about 1980, the problem of juvenile drug addiction has gained the momentum and speed of a prairie fire estimates even go as far as to speak of about 60,000 addicts, and the number of drug-related deaths has multiplied eightfold in four years (1979 = 19, 1982 = 160). 8. The great vision of young Poles is the West - for some of the youth even as a political system superior to their own, for others as a region of better work opportunities, better pay, better consumer facilities. In 1981, passports for travel to the West were issued on a relatively liberal basis in Poland. The "state of war" has put an end to this practice, but only intensified the let's-go-West sentiment among Poland's youth. As the most prosperous country in Eastern Europe, the GDR is taking advantage of this sentiment and is recruiting young Poles on a large scale as long or short term manpower.

Neuere Arbeiten aus dem Bundesinstitut für ostwissenscfaaftüche und internationale Studien The Soviet Union 1980/81 Domestic Policy, The Economy, Foreign Policy Verlag Holmes & Meier, New York/London 1983,347 S. Dieter Bingen Die Bonner Deutschlandpolitik 1969-1979 in der polnischen Publizistik (= Beiheft Bd. 5 der Dokumente zur Deutschlandpolitik) Metzner-Verlag, Frankfurt/M. 1982,118 S. Alec Nove/Hans-Hermann Höhmann/Gertraud Seidenstecher The East European Economies in the 1970s. Verlag Butterworths, London/Boston 1982,353 S. WolfOscMies Polens Jugend - Kinder der SOLIDARNOSC? Jugend in Osteuropa, Bd. 2 (= Sozialwissenschaftliches Forum, 9, II) Böhlau-Verlag, Köln/Wien 1982,308 S. WolfOscMies Rumäniens Jugend - Rumäniens Hoffnung Jugend in Osteuropa, Bd. 3 (= Sozialwissenschaftliches Forum, 9, III) Böhlau-Verlag, Köln/Wien 1983,271 S. Eberhard Schneider Die Sowjetunion heute. Aktuelle politische, soziale und wirtschaftliche Probleme der UdSSR. Verlag Moritz Diesterweg, Frankfurt (M.)/Berlin/München 1982,149 S. Gerhard Wettig Umstrittene Sicherheit. Friedenswahrung und Rüstungsbegrenzung in Europa. Berlin-Verlag, Berlin (West) 1982,192 S.

Osteuropa und der internationale Kommunismus: Band 11: HelmutDahm Der gescheiterte Ausbruch. Entideologisierung und ideologische Gegenreformation in Osteuropa (1960-1980). Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1982,938 S.

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