Quintilians Grammatik ("Inst. orat." 1,4-8): Text, Übersetzung Und Kommentar [Annotated] 3110254549, 9783110254549

Quintilians Abriss der (téchne) grammaticé in seiner Institutio oratoria 1,4-8 um 95 n.Chr. ist die zeitlich früheste un

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German, Latin Pages 434 Year 2011

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Quintilians Grammatik ("Inst. orat." 1,4-8): Text, Übersetzung Und Kommentar [Annotated]
 3110254549, 9783110254549

Table of contents :
Vorwort
Einleitung
1. Zu Quintilians „Grammatik" (inst. 1,4–8) und ihrer Bedeutung für die Geschichte der römischen Grammatik
2. Zu dieser Ausgabe
Tabellarische Übersichten
Text und Übersetzung
Kommentar
Kapitel 4 – Über die grammatice
Kapitel 5 – Virtutes et vitia orationis
Kapitel 6 – Über die Orthoepie
Kapitel 7 – Über die Ortographie
Kapitel 8–9,1 – Enarratio poetarum
Bibliographie
Indices
Index locorum
Index nominum
Index rerum

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Wolfram Ax Quintilians Grammatik (Inst. orat. 1,4⫺8 )

TEXTE UND KOMMENTARE Eine altertumswissenschaftliche Reihe

Herausgegeben von

Siegmar Döpp, Adolf Köhnken, Ruth Scodel

Band 37

De Gruyter

Quintilians Grammatik (Inst. orat. 1,4⫺8) Text, Übersetzung und Kommentar

von

Wolfram Ax

De Gruyter

ISBN 978-3-11-025454-9 e-ISBN 978-3-11-025455-6 ISSN 0563-3087 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Quintilian. [Institutiones oratoriae. Liber 1. Caput 4⫺8. German & Latin] Quintilians Grammatik (Inst. orat. 1, 4⫺8) : Text, Übersetzung und Kommentar / Wolfram Ax. p. cm. ⫺ (Texte und Kommentare, ISSN 0563-3087) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-025454-9 (hardcover : alk. paper) 1. Oratory ⫺ Early works to 1800. 2. Latin language ⫺ Grammar. I. Ax, Wolfram. II. Title. PA6650.G4A9 2011 808.511⫺dc22 2011009469

Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.d-nb.de. ” 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Typesetting: Michael Peschke, Berlin Printing: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Die Idee zu diesem Kommentar liegt schon länger zurück. Dass ich ihn jetzt endlich fertigstellen und veröffentlichen konnte, verdanke ich nicht zum geringsten Teil der Hilfe anderer. Ich danke zuerst der Thyssenstiftung Köln für die großzügige Gewährung eines Opus-Magnum-Stipendium im SS 2008 und WS 2008/9, das mich durch Bewilligung zweier Vertretungen und ausreichender Sachmittel von der Lehre und Verwaltung befreite. Ohne diese entscheidende Hilfe hätte das Buch noch einige Jahre länger auf seine Fertigstellung warten müssen. Ich danke eben so den Wissenschaftlichen Hilfskräften an meinem Kölner Lehrstuhl, die in oft entsagungsvoller Anstrengung über Jahre hinweg Recherche- und Korrekturarbeiten geleistet haben. Besonders hervorheben möchte ich dabei Michael Müller und Sebastian Rödder, die mir während unserer langen Zusammenarbeit nicht nur fachlich, sondern auch menschlich nahe gekommen sind. Zuletzt danke ich dem De Gruyter Verlag, besonders deren zuständiger Lektorin Frau Dr. Sabine Vogt und ihrem Mitarbeiterstab, für mancherlei großzügiges Entgegenkommen und die stetige Hilfe bei den Vorbereitungen zur Publikation des Kommentars und den Herausgebern für dessen Aufnahme in die Reihe „Texte und Kommentare“. Friedland im März 2011

Wolfram Ax

Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................

V

Einleitung ............................................................................................

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1. Zu Quintilians „Grammatik“ (inst. 1,4–8) und ihrer Bedeutung für die Geschichte der römischen Grammatik .........................

2

2. Zu dieser Ausgabe ...................................................................

18

Tabellarische Übersichten ............................................................

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Text und Übersetzung .....................................................................

30

Kommentar Kapitel 4 – Über die grammatice ....................................................

93

Kapitel 5 – Virtutes et vitia orationis ............................................

145

Kapitel 6 – Über die Orthoepie .....................................................

229

Kapitel 7 – Über die Orthographie ................................................

307

Kapitel 8–9,1 – Enarratio poetarum ..............................................

349

Bibliographie ................................................................................

407

Indices Index locorum ...............................................................................

417

Index nominum .............................................................................

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Index rerum ...................................................................................

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Einleitung Marcus Fabius Quintilianus (ca. 35–100 n. Chr.), im nordspanischen Calagurris am Ebro geboren und aus einer Familie von Rhetoren (Redelehrern) stammend, kam zur Ausbildung nach Rom, studierte Grammatik bei Remmius Palaemon, dann Rhetorik bei Domitius Afer. Ca. 57 kehrte er nach Spanien zurück, wo er als Anwalt, Redner und Rhetor erfolgreich wirkte, bis ihn 68 n. Chr. der Statthalter und spätere Kaiser Galba mit nach Rom nahm. Hier erhielt er 70 n. Chr. unter Vespasian eine öffentliche Professur für Rhetorik, die er bis 90 n. Chr. bekleidete. Er zog sich dann hoch geehrt in den Ruhestand zurück, um vor allem literarisch tätig zu sein, wofür ihm noch etwa knapp 10 Jahre blieben. In dieser Zeit, zwischen 93 und 96 n. Chr., also noch unter Domitian, entstand sein vollständig erhaltenes monumentales Hauptwerk, die 12 Bücher Institutio oratoria1. Die vorliegende Ausgabe beschränkt sich auf nur einen Teilabschnitt des ersten Buchs, die Kapitel 4–8: Quintilians „Grammatik“. Eine neue zweisprachige Ausgabe der Kapitel 1,4–8 der Institutio Quintilians (= Qu.) mit ausführlichem Kommentar rechtfertigt sich aus zwei Gründen: 1. Die grammatikgeschichtliche und allgemein sprachwissenschaftliche Bedeutung des Textes ist meines Erachtens bis heute nicht hinreichend gesehen und gewürdigt worden. 2. Die bisherige Erschließung des Textes durch Ausgaben und Kommentare erscheint mir – besonders in seinen grammatikgeschichtlichen und sprachwissenschaftlichen Details – immer noch mehr als unzureichend. Ich gebe daher in dieser Einleitung zunächst einige Hinweise zur Bedeutung der „Grammatik“ Qu.s für die Geschichte der römischen Grammatik (1.) _____________ 1

Zur Entlastung dieser Ausgabe wird hier auf eine Dokumentation von Leben und Werk Qu.s und der Überlieferung der Institutio verzichtet und statt dessen auf die zahlreichen Qu.-Ausgaben, neueren Literaturgeschichten und Handbuchartikel verwiesen. Die letzte mir bekannte allgemeine Einführung stammt von Thomas Schirren, Marcus Fabius Quintilianus, in: Ax 2005, 67–107. Die genauen bibliographischen Angaben zu der in der Einleitung zitierten Literatur findet man in der Bibliographie ab S. 409ff.

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Einleitung

und dann die zum Verständnis nötigen Erläuterungen zu der neuen Textausgabe und vor allem zum Kommentar (2.).

1. Zu Quintilians „Grammatik“ (inst. 1,4–8) und ihrer Bedeutung für die Geschichte der römischen Grammatik* Quintilians „Grammatik“ umfasst also die Kapitel 4–8 des ersten Buchs seiner Institutio2 und ist ein knapp gefasster Abriss der römischen ars grammatica oder besser in der griechischen Kurzform, die Qu. fast ausschließlich verwendet, der grammaticé. Diese (sc. téchne) grammaticé besteht, wie uns der Autor 1,4,2 und 1,9,1 informiert, aus zwei Teilgebieten: der recte loquendi scientia, bzw. der ratio loquendi und der poetarum enarratio, bzw. der enarratio auctorum. Gemeint ist damit einerseits eine systematisch (daher laut 1,9,1 methodicé) verfahrende, normativ verstandene Sprachlehre – mit dem Ziel, ein korrektes Latein, die latinitas, zu erwerben, und andererseits die unsystematische (daher 1,9,1 historicé) auf Sachwissen, Erläuterung zielende Lektürearbeit am Text entlang mit dem Ziel der Erklärung und Kommentierung vor allem von Dichtertexten. Die Darstellung der Grammatik – nennen wir sie der Bequemlichkeit wegen im Folgenden so, obwohl uns bewusst sein sollte, dass der moderne engere Begriff nur die Sprachlehre, der antike weitere dagegen Sprachlehre und Dichterlektüre umfasst – hat Qu. in erster Linie curricular positioniert. Curricular heißt, dass Qu. den Stoff der gesamten Institutio in der Reihenfolge der Ausbildungs- und Berufsphasen von den elementarsten Anfängen des Säuglings über die schulische Ausbildung und aktive Berufsausübung bis hin zur Ruhestandstätigkeit angeordnet hat (Tabelle 1)3. Nach diesem Anordnungsprinzip gehört die Grammatik dem dreiteiligen Aufbau der hellenistischen Schule entsprechend an die zweite Stelle, hinter den Elementarunterricht und _____________ *

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Dieser erste Abschnitt der Einleitung wurde im Dezember 2008 in Thessaloniki auf einer internationalen Konferenz „Ancient Scholarship and Grammar“ vorgetragen und ist inzwischen in englischer Übersetzung erschienen. Vgl. Bibliographie, S. 410: Ax, Quintilian’s Grammar, 2011. Das Kapitel 1,9 beschreibt rhetorische Vorübungen beim Grammatiklehrer, gehört also noch zum Gammatikunterricht, aber nicht mehr zur eigentlichen ars grammatica. Deshalb ist dieses Kapitel nicht in die Edition aufgenommen – mit Ausnahme von 1,9,1, wo noch wichtige zusammenfassende Aussagen zum vorhergehenden Komplex der ars gemacht werden. Die Tabellen findet man im Anschluss an die Einleitung S. 23–27.

1. Zu Quintilians „Grammatik“ (inst. 1,4–8)

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vor den rhetorischen Hochschulunterricht. Und tatsächlich beschreibt Quintilian nach der Elementarschule (1, Kap. 1–3) den eigentlichen Grammatikunterricht (1, Kap. 4–8) und schließt dann die weitere rhetorische Propädeutik beim grammaticus und bei anderen Lehrern an (Kap. 9–12; Tabelle 3). Erst mit dem zweiten Buch lässt er dann das Studium beim Rhetor beginnen. Das dem curricularen Prinzip untergeordnete, aber in der Institutio absolut vorrangige Anordnungsprinzip ist aber das Kategoriensystem der Rhetorik, insbesondere die Verarbeitungsphasen der Rede inventio, dispositio, elocutio etc. (Tabelle 1). Der richtige Systemort für die Grammatik wäre nach dieser Anordnung die elocutio, die dritte Verarbeitungsphase, die nach den vier theophrastischen Vorzügen des Stils (virtutes elocutionis) gegliedert ist (Tabelle 2), und hier genauer die erste virtus der latinitas. So verfährt Qu. denn auch am Beginn der elocutio (8,1). Da aber die Grammatik schon an ihrem curricularen Ort 1,4–8 ausführlich beschrieben worden ist, begnügt er sich hier mit einigen zusätzlichen Bemerkungen und einem Rückverweis auf die Grammatikkapitel des ersten Buches4. Es ist Qu. dabei durchaus bewusst, dass er mit seinem Abriss nicht selbst eine eigene Grammatik vorlegt. Er beschreibt dieses Fach als Rhetoriklehrer und innerhalb seiner Rhetorik in einem bloß sekundären Referat der Fachliteratur, also gewissermaßen von außen. Er will daher auch die sachlichen Grundlinien und die propädeutische Relevanz des Faches nur andeuten – exemplarisch mit wenigen (manchmal auch mit gar keinen) Beispielen5, ohne ins Detail gehen zu können6. Bestimmend _____________ 4

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Vgl. Qu. inst. 8,1,2. Weitere Stellen zur grammatice ausserhalb von 1,4–8: 1,9,1: Definition und Einteilung der Grammatik noch einmal; 1,9,1–6: Progymnasmata beim Grammatiklehrer; 1,10,1: Von der Grammatik nur das Notwendigste; 2,1–13: Grenzen und Übergänge zwischen Grammatik- und Rhetorikunterricht; 8,1–3: latinitas mit Rückverweis auf 1,5; 9,3,2–11: Grammatische Schemata (Erlaubte Solözismen). So wird der Leser etwa 1,5,10 aufgefordert, sich selbst Beispiele für den grammatischen Barbarismus zu bilden. 1,6,30: aliquando consuetudini servit fehlen Beispiele für Etymologien, die sich nach dem Sprachgebrauch richten. 1,7,19 soll der Leser die Regel des Lucilius für die Schreibung des Diphthongs ai/ae beim Autor selbst nachschlagen. Ganze Kapitel wie die vetustas (1,6,39–41) und auctoritas (1,6,42) müssen mit wenigen Beispielen oder wie die consuetudo (1,6,43–45) ganz ohne Beispiele auskommen. Das sind natürlich unverkennbare Indizien für Zeitdruck beim Schreiben und für Ökonomie der Darstellung zugunsten des großen Gesamtwerks. Zu viele Beispiele, die ja meist auch noch erläutert oder diskutiert werden müssten, würden einfach zu viel Platz einnehmen.

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Einleitung

ist dabei der Gedanke, nicht selbst zu lehren, sondern nur Ratschläge für künftige Fachlehrer zu geben7. Vom hohen pädagogischen und fachwissenschaftlichen Wert der Grammatik ist Qu. allerdings zutiefst überzeugt – im Gegensatz zu häufigen Vorwürfen der Banalität und Trivialität einer Disziplin, die nur die für die Rhetorik selbstverständliche Voraussetzung schulischer Sprachausbildung von Kindern lehre und daher nicht Gegenstand eines niveauvollen rhetorischen Handbuchs sein dürfe8. Qu. verteidigt die Grammatik vehement gegen solche Einwände: Sie sei eine durchaus ernst zu nehmende Disziplin mit einem wesentlich höheren Anspruch, als es zunächst den Anschein habe9. Sie fordere von ihren Lehrern eine breite Fachkompetenz (1,4,2–5) und habe als unentbehrliches Fundament der späteren Redekunst einen enormen propädeutischen Wert10. Zwar sei der grammaticus gehalten, sich im Grammatikunterricht aus pädagogischen Gründen auch auf Banal-Triviales herabzulassen – das gibt Qu. mehrfach durchaus zu –, es würden aber auch dann noch Schwierigkeiten (subtilitates) und Zweifelsfälle (dubia) genug übrig bleiben, die die Schüler verwirren und den Lehrer erheblich fordern. Man könne daher schon im Bereich der Schulgrammatik durchaus eine banal-triviale Elementar- und eine anspruchsvolle Fortgeschrittenengrammatik und entsprechend unterschiedlich kompetente Lehrer unter_____________ 6

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1,10,1: Haec de grammatice, quam brevissime potui, non ut omnia dicerem sectatus, quod infinitum erat, sed ut maxime necessaria. 1,5,17: Sed hoc quoque notare contentus sum, ne arti culpa quorundam pervicacium perplexae videar et ipse quaestionem addidisse. 1,5,54 am Ende des Solözismusabschnitts: hactenus de soloecismo: neque enim artem grammaticam componere adgressi sumus, sed cum in ordinem incurreret, inhonoratum transire noluimus. 1,4,17 (im Zusammenhang mit dem historisch bedingten Lautwandel): sed mihi locum signare satis est: non enim doceo, sed admoneo docturos: Dies gilt eigentlich auch für die gesamte Institutio und die Rhetorik. Vgl. 1, Proem. 23–25. 1,4,5: quo minus sunt ferendi, qui hanc artem ut tenuem atque ieiunam cavillantur. 1,7,33: Redit autem illa cogitatio, quosdam fore, qui haec, quae diximus, parva nimium et impedimenta quoque maius aliquid agentibus putent. Eine gewisse Herabsetzung erfährt allerdings die Grammatik zugunsten der Rhetorik dann doch wieder 2,1,4, wo es um die Zuständigkeiten und Grenzstreitigkeiten zwischen dem bildungshierarchisch niederen Grammatik- und dem höherstehenden Rhetorikunterricht geht. 1,4,2: plus habet in recessu quam fronte promittit; 1,4,5: quae vel sola omni studiorum genere plus habeat operis quam ostentationis. 1,4,5: hanc artem…, quae nisi oratoris futuri fundamenta fideliter iecit, quidquid superstruxeris, corruet… 1,4,22: Nomina declinare et verba in primis pueri sciant: neque enim aliter pervenire ad intellectum sequentium possunt.

1. Zu Quintilians „Grammatik“ (inst. 1,4–8)

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scheiden11. Die grammaticé erweise sich jedenfalls, wenn sie als wissenschaftliches Studienfach ernst genommen und betrieben wird, als äußerst schwierige Disziplin mit subtilen Sujets, die auch an den Erwachsenen hohe Anforderungen stellen und ohne Schaden bis ins hohe Alter mit Nutzen und Vergnügen betrieben werden könne. Das zeige das Beispiel so bedeutender Redner wie Cicero, Caesar und Messalla12. Um das so verteidigte Niveau der grammaticé zu demonstrieren, wählt Qu. daher in seinem gesamten Grammatikreferat mit Absicht nicht einfache Standardbeispiele, sondern ganz überwiegend schwierige Problemfälle aus. Sie sind so knifflig, dass die meisten von ihnen, wie man im Kommentar auf Schritt und Tritt sehen wird, noch in den modernen Handbüchern erwähnt und diskutiert werden. Nach dieser einleitenden Vorstellung der Grammatikkapitel nach den Zielsetzungen des Autors und ihrer Einbettung in das Ganze der Institutio oratoria geht es jetzt um die angekündigte eigentliche Kernfrage: Welchen Wert und welche Bedeutung kann man dem Grammatikabriss Qu.s für die Geschichte der römischen Grammatik zusprechen? Die Frage kann man eigentlich nur sehr komplex und mit großem dokumentarischen Aufwand auf der Grundlage der zahlreichen Detailergebnisse des Kommentars beantworten. Ich muss mich jedoch hier in der Einleitung aus Platzgründen mit einem thesenhaften und exemplarisch auswählenden Verfahren begnügen und im übrigen auf die gründliche Lektüre des Kommentars verweisen. _____________ 11 Vgl. 1,4,27: Sed in verbis quoque quis est adeo imperitus, ut ignoraret genera et qualitates et personas et numeros? Litterarii paene ista sunt ludi et trivialis scientiae. Iam quosdam illa turbabunt, quae declinationibus non teruntur. (Ähnlich schon kurz vorher 1,4,23–24 zu den Genera des Nomens). 1,5,6f. (zum Barbarismus): Occurrat mihi forsan aliquis: quid hic promisso tanti operis dignum? Aut quis hoc nescit alios barbarismos scribendo fieri, alios loquendo… Sed ut parva sint haec, pueri docentur adhuc et grammaticos officii sui commonemus. Ex quibus si quis erit plane inpolitus et vestibulum modo artis huius ingressus, intra haec, quae profitentium commentariolis vulgata sunt, consistet; doctiores multa adicient. 1,7,1: Cuius (der Orthographie) ars non in hoc posita est, ut noverimus, quibus quaeque syllaba litteris constet (nam id quidem infra grammatici officium est), sed totam, ut mea fert opinio, subtilitatem in dubiis habet. 12 1,4,5: necessaria pueris, iucunda senibus, dulcis secretorum comes… 1,4,6: …apparebit multa rerum subtilitas, quae non modo acuere ingenia puerilia, sed exercere altissimam quoque eruditionem ac scientiam possit. 1,8,12: …, cum grammatices amor et usus lectionis non modo scholarum temporibus, sed vitae spatio terminentur. Zu den grammatischen Interessen Ciceros, Caesars und Messallas vgl. 1,7,34–35.

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Einleitung

Die Grammatikkapitel Qu.s sind schon allein von der Überlieferungssituation der römischen Grammatik her von unschätzbarem Wert: Sie liefern den ersten komplett erhaltenen einschlägigen Text zur römischen ars, der zudem das Fach auch noch inhaltlich vollständig abdeckt, und zwar nicht nur ihren sprachtechnischen, sondern auch noch ihren philologisch-exegetischen Teil13. Der erste erhaltene sprachwissenschaftliche Text vor Qu., Varros De lingua Latina, ist ja leider nur in einem Ausschnitt (Bücher 5–10) überliefert und steht vor allem nicht direkt in der Tradition der ars grammatica. Da außerdem alle übrigen erhaltenen grammatischen Fachtexte erst deutlich nach Qu. zu datieren sind, orthographische Spezialschriften in die hadrianische Zeit14 und die erste vollständig überlieferte ars, die artes grammaticae des Marius Plotius Sacerdos,15 sogar erst in das Ende des 3. Jh. n. Chr., wird schlagartig klar, dass Qu.s Grammatik die erste und wichtigste Quelle für den Stand der grammatischen Wissenschaft im Rom des 1. Jh. n. Chr. darstellt. Das zeigt allein schon die eindrucksvolle Zahl von Erstbelegen grammatischer Kategorien und Lehrinhalte bei Qu., die besonders von Schreiner gesammelt worden sind16. Aufgrund dieser einzigartigen quellengeschichtlichen Position eignet sich Qu.s Referat natürlich vor allem als Datierungshilfe für die Geschichte der römischen Grammatik. Bevor ich jedoch darauf eingehe, möchte ich zunächst durch einen kurzen inhaltlichen Vergleich mit der römischen „Standardgrammatik“17 zeigen, dass der Bericht auch im Hinblick auf das Selbstverständnis, den Aufbau und die einzelnen Lehrinhalte der römischen grammaticé einen sehr hohen Informationswert besitzt. Zunächst ist inst. 1,4–8 der einzige Text, der, wie schon gesagt, die gesamte ars grammatica in ihrer vollen Reichweite abdeckt, dabei den Gesamtaufbau des Faches unverfälscht widerspiegelt und auch den _____________ 13 In diesem Sinne äußert sich schon Schreiner 1954, 5f. 14 Q. Terentii Scauri De orthographia, GrLat VI 3–35, Velii Longi Liber de orthographia, GrLat VII 1–81. 15 Marii Plotii Sacerdotis artes grammaticae libri tres, GrLat VII 412–546. 16 Sie werden jeweils im Kommentar vermerkt. 17 Die römische „Standardgrammatik“ ist eine künstliche Abstraktion, die dem Vergleich mit Qu.s System dienen soll. Sie enthält Gegenstände der gesamten techne grammatike unter Einschluss der enarratio poetarum und der recte loquendi scientia, weiterhin Gegenstände der recte loquendi scientia im Bereich der ars und der latinitas (Orthoepie und Orthographie), wie wir sie in der grammatischen Literatur in separaten Schriften vor und nach Qu. finden können.

1. Zu Quintilians „Grammatik“ (inst. 1,4–8)

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Systemort der einzelnen Unteraspekte treu bewahrt. Der Text leistet damit eine zusätzliche Integrationsarbeit, indem nämlich sämtliche Teilbereiche der grammatice zu einer Überschau vereinigt werden, die in der grammatischen Literatur sonst nur in eigenen Publikationen getrennt dargestellt wurden (Tabelle 4): Qu.s Referat gliedert sich nämlich in die beiden Großteile der Grammatik, in 1. die Sprachlehre, diese wiederum geteilt in A die ars grammatica im engeren Sinne mit ihrem dreiteiligen Aufbau elementa, partes und virtutes et vitia orationis (Kap. 4 und 5) und in B den Komplex De latinitate und in 2. die Dichtererklärung. Teil 1. A ist separater Gegenstand der in beträchtlicher Zahl erhaltenen spätantiken artes grammaticae, deren bekanntestes Beispiel wohl die ars minor und ars maior des Aelius Donat darstellt. Unter den nicht erhaltenen artes vor Qu ist natürlich vor allem die berühmte, umfangreiche, aber leider verlorene ars grammatica seines Lehrers Remmius Palaemon zu nennen. Teil B wurde in Schriften vom Typ de Latinitate behandelt, d.h. in Handbüchern zur guten Latinität, die nach anfänglicher Darlegung der Kriterien der Sprachrichtigkeit am Leitfaden der Wortarten sprachliche Zweifelsfälle zu normieren versuchten. Obwohl wir die teilweise illustren Namen der Autoren dieser Werke wie z.B. Caesar, Varro und den älteren Plinius kennen, hat sich keines erhalten, sondern muss aus späteren Grammatikertexten und besonders eben auch aus Quintilian 1,6–7 erschlossen werden. Teil B hat also schon deshalb ganz besonderen Quellenwert. Für Teil 2., die Aufgaben des Grammatiklehrers und den Lektüreunterricht, ist sonst überhaupt keine separate römische Publikation bekannt, denn Suetons De grammaticis et rhetoribus kann inst. 1,4,1–5 und 1,8 in dieser Hinsicht nicht das Wasser reichen18. Qu. folgt also in der Disposition seines Berichts nur den Schwerpunkten des ihm vorliegenden grammatischen Schrifttums, und man hätte sich viel nutzlose Analysearbeit ersparen können, wenn man diese erst von Schreiner voll erkannte Eigenart des Textes von Anfang an gesehen hätte19. Qu.s Referat ist jedenfalls als _____________ 18 Auf Nachweise zur Aufbauanalyse der Kapitel 1,4–8 wird hier aus darstellungsökonomischen Gründen verzichtet. Die Detailinformationen zur Disposition sind jeweils bequem den ausführlichen Erläuterungen zu Beginn der einzelnen Kapitel im Kommentar zu entnehmen. Ältere Literatur dazu, z.B. Nettleship 1886, Heinicke 1904, Colson 1914 und von Fritz 1949, ist in die Bibliographie von S. 407ff. aufgenommen. 19 Vgl. Schreiner 1954, 5f. und vor ihm auch schon Barwick 1922, 250–268, bes. 266 in seiner Analyse der Quellen Qu.s.

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Einleitung

vollständiger und systemtreuer Überblick über das Fach grammaticé einzigartig und daher von sehr hohem Wert. Soviel zum Gesamtaufbau des Berichts. Ein Vergleich, der klären könnte, was Qu. gemessen an der Standardgrammatik im Einzelnen weglässt, anders gewichtet oder auch beibehält, worin also das spezielle inhaltliche Profil von 1,4–8 liegt, kann hier in der Einleitung natürlich nicht durchgeführt werden. Einige beispielhafte Hinweise müssen genügen, um einen repräsentativen Eindruck zu vermitteln20: Qu.s Lautlehre (1,4,6–17) z.B. behandelt das Lautsystem als Ganzes nur en passant und beschränkt sich auf anspruchsvolle Problemfälle. Die Silbe, in der ars ein eigenes Kapitel von Gewicht, wird 1,4,17 bewusst ausgespart. Versfüße, Akzente und Satzzeichen erhalten, wieder anders als in der Standard-ars, die großen Wert darauf legt, ebenfalls keine eigene Behandlung. Der Abschnitt über die Wortarten (4,17– 21) enthält nur eine (allerdings sehr gute) Doxographie der Entstehungsgeschichte der Wortarten nach Art und Zahl. Die Wortarten selbst werden dagegen im Gegensatz zur ars, in der sie den Hauptteil bilden, nicht einzeln vorgestellt. Stattdessen werden schwierige Problemfälle aus der Flexionslehre des Nomen und des Verbs geboten (1,4,22–29). Kein Zweifel, hätten wir nur den Bericht Qu.s, würden wir nur sehr wenig über die Hauptteile der ars wissen. Aber das sind eben für ihn, wie schon erläutert, nur schulische Banalitäten, die in seinem Rhetorikhandbuch nicht in extenso wiederholt zu werden brauchen. Ebenso greift der latinitas-Teil B 1. (Kap. 6 Orthoepie) nur die Einleitung der Traktate De latinitate heraus, in der die latinitas definiert und die (meist vier) Kriterien der Sprachrichtigkeit erläutert wurden. Die eigentliche Behandlung der nach Wortarten gegliederten Dubia, die den Hauptteil z.B. in Caesars, Varros oder Plinius’ Schriften bildete, erhält bei Qu. schon einfach aus Platzgründen keinen eigenen Abschnitt. Vielmehr werden sie als immer spärlicher werdende Beispiele den einzelnen Kriterien, vorrangig der Analogie und der Etymologie, _____________ 20 Verwiesen sei statt dessen wieder auf den Kommentar. Zum Verständnis des Folgenden sei nur grundsätzlich noch einmal daran erinnert, dass die unverkennbare Lückenhaftigkeit des Grammatikreferats Qu.s im Detail nicht als das Ergebnis mangelnder Kompetenz oder Sorgfalt zu verstehen ist. Es ergibt sich vielmehr aus seiner bereits erläuterten Absicht, zwar die Zusammenhänge zu wahren, aber nicht ins Einzelne zu gehen, nur exemplarisch-andeutend zu verfahren und dabei in apologetischer Absicht Banalitäten zu unterdrücken und statt dessen das wissenschaftlich Anspruchsvolle des Fachs hervorzuheben.

1. Zu Quintilians „Grammatik“ (inst. 1,4–8)

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eingearbeitet. Auch hier fällt Qu.s Teil B inhaltlich klar hinter die einschlägigen Fachschriften zurück. Wer deshalb aber glaubt, dass das, was von dem Lehrgebäude der ars bei Qu. stehen geblieben und von ihm explizit behandelt worden ist, aufgrund der parallelen Überlieferung in den artes überflüssig sein dürfte, ist gründlich auf dem Holzweg. Es gibt vielmehr Passagen in seinem Bericht, die, ohne das schon hier in der Einleitung im Einzelnen nachweisen zu können, mehr und Besseres bieten als die restliche „Standardgrammatik“. Dafür drei Beispiele: 1. Ich kenne keine geschlossenere und gründlichere Darstellung der virtutes et vitia orationis auf theophrastischer Grundlage als den Abschnitt 1. A 3 (1,5,1–71) darunter besonders die Abschnitte zum Barbarismus (1,5,5–33) und zum Solözismus (1,5,34–54). Hier sind vergleichbare Behandlungen bei den spätantiken Grammatikern Sacerdos, Charisius, Diomedes und Donat doch nur ein kümmerlicher Ersatz – vielleicht mit einer Ausnahme, der ars de barbarismis et metaplasmis des Consentius (5. Jh. n. Chr.)21. 2. Die vollständige, wenn auch knappe Darstellung der vier Wortschatzgruppen (Fremdwörter, Komposita, Übertragungen, Neubildungen und deren Gegenteile) aus der peripatetischen Poetik und Rhetorik von 1,5,55–71 sind mir in ihrer systematischen Geschlossenheit aus der sonstigen grammatischen Fachliteratur überhaupt nicht bekannt. Dieser Abschnitt bietet auch im Einzelnen für uns Neueres und Besseres als die Standard-ars, z.B. den Passus über die Deklination der griechischen Nomina (1,5,58–64), die sonst bei den Grammatikern in separater Besprechung nicht vorkommen, oder das wohl auf Palaemon zurückgehende System der nominalen Kompositagruppen (1,5,68), das zwar auch von den Grammatikern behandelt wird, aber nicht wie bei Qu. in der um die Sprachherkunft erweiterten Form. 3. Dass Qu.s Ausführungen zu den Aufgaben und Kompetenzen des Grammatiklehrers 1,4,1–5 und 1,8, – jedenfalls in der römischen Grammatik – ebenfalls fast ganz für sich allein stehen, habe ich eben schon bemerkt22. _____________ 21 GrLat V 386–404. 22 Vgl. die ausführlichen Erläuterungen zu den unter 1–3 genannten Passagen im jeweiligen Kommentar zur Stelle. Im Bereich der griechischen grammatischen Literatur ist hier allerdings das erste Buch der sechs Bücher adversus mathematicos: adversus grammaticos des Skeptikers Sextus Empiricus (2. Jh. n. Chr.) von Bedeutung. Es wird

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Einleitung

Ich hoffe damit den schon rein fachinhaltlichen Quellenwert der Grammatikkapitel Qu.s plausibel gemacht zu haben. Es muss aber, wie schon angekündigt, auch um ihren fachgeschichtlichen Quellenwert gehen, ich meine um die Frage nach ihrer Leistung als Datierungshilfe für die Geschichte der römischen Grammatik. Man wird nämlich, wenn man den Bericht Qu.s liest und ihn mit den spätantiken artes vergleicht, den Verdacht nicht los, als habe sich die sprachtechnische römische Grammatik, also die recte loquendi scientia von Teil 1, nicht, wie man immer angenommen hat, kontinuierlich von den ersten Anfängen im 2. Jh. v. Chr. über Qu.s Jahrhundert hinaus immer weiterentwickelt und vergrößert und erst in der Spätantike ihr Telos erreicht. Vielmehr entsteht der Eindruck, als sei das gesamte Lehrgebäude der spätantiken ars, auch wenn es von Qu. partienweise nur in Andeutungen ausgeführt oder ein Detail auch einmal ganz weggelassen wird, bis in Einzelheiten und bis in die Beispiele hinein schon bei ihm präsent. Das würde Qu.s Grammatik die Rolle des terminus ante quem zuweisen und nichts anderes bedeuten, als dass die römische sprachsystematische ars schon vor Qu. zu ihrem dispositionellen und inhaltlichen Abschluss und Höhepunkt gekommen ist. Das ist nun freilich eine kühne, bisher so nicht aufgestellte Behauptung, die erst noch bewiesen werden muss. Ich kann hier nur nur einige Pro-Argumente herausgreifen und muss ansonsten auf zahlreiche entsprechende Beobachtungen im Kommentar verweisen: Dass jedenfalls die Lehre vom Barbarismus und Solözismus komplett und auf endgültigem Niveau schon vor Qu. und nicht als das Ergebnis einer langen fachwissenschaftlichen Entwicklung erst in die spätantike Grammatik zu datieren ist, habe ich bereits erwähnt, und Qu. sagt es auch selbst (1,5,7): Für ihn gehört die einfache Barbarismuslehre schon zu den trivialen Standards des elementaren Sprachunterrichts, die zu seiner Zeit bereits in zahlreichen einfachen Lehrertraktätchen (profitentium commentariolis) veröffentlicht vorliegt. Über sie hat der informiertere Lehrer mit höherem Problembewusstsein hinauszukommen, das Qu. denn auch mit seinen Ausführungen zum „Barbarismus für Fortgeschrittene“ ab 1,5,8ff. unter Beweis stellt23. _____________ jeweils im Kommentar herangezogen. Man zitiert das erste Buch uneinheitlich Sext. Emp. adv. math. 1,57 oder adv. gramm. 57 oder § 57. 23 1,5,7: Sed ut parva sint haec, pueri docentur adhuc et grammaticos officii sui commonemus. Ex quibus si quis erit plane inpolitus et vestibulum modo artis huius ingres-

1. Zu Quintilians „Grammatik“ (inst. 1,4–8)

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Ähnliches gilt auch für die Teile der sprachsystematischen ars grammatica im engeren Sinne, die Lehre von den elementa und partes orationis, wie sie in Kapitel 1,4 repräsentiert werden. Auch wenn Qu. in Kap. 4, wie beschrieben, en passant vorgeht und bewusst deutliche Lücken lässt, zeigt er in den folgenden Kapiteln 5 und 6 genaue Kenntnis eben der Teile der ars, die wir in Kap. 4 vermisst haben: Zwar wird die Lautlehre der Standard-ars in 1,4,6–17 nicht ausgeführt. Dafür zeigen aber die bewusst gewählten Beispiele intimste Kenntnis der Problemfälle dieser Disziplin, die, wie schon erwähnt, nahezu sämtlich in den modernen Handbüchern mit Nennung Qu.s wieder aufgegriffen werden. Zwar wird die Silbe 1,4,17 übergangen, aber andere Passagen wie 1,5,22–31 über die Akzentbarbarismen, 1,7,9 über die Silbentrennung oder 9,4,45–48 über den Prosarhythmus beweisen Qu.s Vertrautheit mit der Materie24. Das Gleiche gilt für die in 1,4 ausgelassene Akzentlehre. Wie souverän Qu. mit der schwierigen Akzentlehre umzugehen versteht, zeigt die bereits genannte Passage 1,5,22–31, die immerhin in 1,5,30 nicht nur zum zweiten Mal nach Cicero, orat. 58, das Dreisilbengesetz nennt, sondern gleich darauf erstmals auch noch die paenultima-Regel im Einzelnen erläutert25. Die Betonungsregeln lateinischer Wörter werden dann 1,5,31 so anspruchsvoll und knapp formuliert, dass die Editoren und Kommentatoren bis heute große Probleme mit dieser Passage haben26. Auch die Versfüße sind ihm natürlich bestens bekannt, auch wenn er ihnen in 1,4 keine Behandlung zukommen lässt. 1,8,13 betont er die Unerlässlichkeit ihrer Kenntnis für den Prosarhythmus schon im Grammatikunterricht, und 9,4,45–57 bespricht er ihre Bedeutung für den Prosarythmus selbst. Wir hatten zuvor moniert, dass in 1,4 die einzelnen Wortarten, der Hauptteil der ars, fehlen, aber natürlich kennt er sie alle, auch ihre Akzidentien (genus, casus, numerus etc.), nach denen bekanntlich in der ars die Kapitel zu den einzelnen Wortarten gegliedert sind. 1,4,27 zählt er vier Akzidentien des Verbs auf – mit deutlich herablassendem Hinweis auf die Trivialität dieser Lehre27. 1,5,41 wo die Besprechung der _____________ 24 25 26 27

sus, intra haec, quae profitentur commentariolis vulgata sunt, consistet; doctiores multa adiicient:… Dabei wird wieder deutlich, dass er die Standard-Silbenlehre für elementar hält, 9,4,47: longam (syllabam) esse duorum temporum, brevem unius etiam pueri sciunt… Vgl. Schreiner 1954, 32 Zu Erläuterung von 1,5,31 vgl. meinen Kommentar zur Stelle. Diese Stelle wurde schon oben Anm. 11 zitiert.

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Einleitung

Solözismen in den Akzidenzien beginnt, vervollständigt er dagegen die Akzidentienlehre des Verbs auf bis zu acht Akzidentien mit Hinweisen auf deren wissenschaftliche Diskussion (bis 1,5,44) und bespricht danach auch Akzidentienfehler beim Nomen (1,5,45–46) und bei anderen Wortarten (Partizip und Pronomen 1,5,47). Auch die nächsten Paragraphen (1,5,48–51) zu den Solözismen per partes orationis (48) und per partes orationis eiusdem generis (49–51) beweisen die genaue und vollständige Kenntnis der Wortartenlehre. Ich kann dazu noch drei Unteraspekte der Lehre vom Nomen bei Qu. nennen, deren erster und dritter unverändert so wieder in der spätantiken ars auftreten und deren zweiter sogar hinter Qu.s Behandlung zurückfällt. 1. Der erste Aspekt betrifft die Genuslehre des Nomen (1,4,23). Hier werden nach Typen und Reihenfolge genau die Genera unterschieden und in einem Fall sogar mit dem gleichen Beispiel (Glycerium) belegt, wie sie etwa noch in Donats ars maior GrLat IV 375,13– 377,2 vorgeführt werden28. Die Standardlehre von den nominalen Genera gehört also nicht erst in das 4. Jh. n. Chr., sondern schon in die Zeit vor Qu., wahrscheinlich in die des Remmius Palemon29. 2. Den zweiten Fall belegt das erweiterte System der nominalen Komposita von 1,5,68, von dem wir schon gesagt haben, dass es den späteren Behandlungen in den artes überlegen ist30. 3. Der dritte Aspekt betrifft die Akzente der Endsilbe bestimmter Wörter wie z.B. bei Präpositionen (z.B. circúm) und Pronomina (z.B. qualé). Sie wurden oft von späteren Grammatikern endbetont, um Doppeldeutigkeiten zu vermeiden, z.B. die Verwechslung der Präposition circúm mit dem Adverb círcum oder dem Akkusativ des Nomen circus círcum oder des Relativpronomens qualé mit dem Fragepronomen quále (1,5,25–27). Diese Theorie ist in allen Details noch bei Priscian vertreten (GrLat III 27,9–13; 33,22–27; 127,10–14)31. Sie war aber schon vor Qu. voll entwickelt. _____________ 28 1,4,23: At si quis….voluerit docere, quae didicit, non erit contentus tradere in nominibus tria genera et, quae sunt duobus omnibusve communia. Nec statim diligentem putabo, qui promiscua, quae epicoena dicuntur, ostenderit, in quibus sexus uterque per alterum apparet, aut, quae feminina positione mares aut neutrali feminas significant, qualia sunt „Murena“ et „Glycerium“. Zum Vergleich mit Donat vgl. meinen Kommentar zu 1,4,23. 29 Vgl. Schreiner 1954, 53–55, zu Rem. Pal. 55. 30 S. oben S. 9, Nr.2. 31 Vgl. dazu meinen ausführlichen Kommentar zu 1,5,25–27.

1. Zu Quintilians „Grammatik“ (inst. 1,4–8)

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Für mich besteht schon nach diesen wenigen Beobachtungen kein Zweifel, dass der gesamte begriffliche und systematische Apparat der römischen Standard-ars bereits Qu. zur Verfügung gestanden hat32. Wie lässt sich das aber mit den fachliteraturgeschichtlichen Daten vereinbaren, die uns heute noch zur Verfügung stehen? Meine These bedeutet ja nichts anderes, als dass es einen oder mehrere Grammatiker schon vor Qu. gegeben haben muss, die die technische Grammatik – jedenfalls in ihren systematischen und terminologischen Grundzügen – schon auf einen endgültigen, bis zu den artes des 4. Jh. n. Chr. verbindlichen Standard gebracht hätten. Wer aber könnte das sein? Wenn wir die beiden Schwerpunkte des grammatischen Schrifttums im technischen Teil der grammaticé vor Quintilian zurückverfolgen, dann ergibt sich folgende Situation: Beide Lehrbuchtypen, den DonatTyp der ars im engeren Sinne mit seinem dreiteiligen Aufbau elementa, partes und virtutes et vitia orationis, bei Qu. mit den Kapiteln 4 und 5 repräsentiert, und den Typ De latinitate, vertreten mit den Kapiteln 6 und 7, hat es schon lange vor Qu. gegeben, erhalten hat sich leider nichts33. Die erste konkrete Spur für eine römische ars mit Einschluss der virtutes et vitia findet sich bekanntlich beim Auctor ad Herennium IV 17, der eben eine solche ars ankündigt34. Die nächste Station führt dann schon zu Varros erstem Buch der Disciplinae, von dem wir leider nur ein einziges namentlich gesichertes Fragment haben (fr. 49 GRF Funaioli). Dieses Buch kann aber sicher nicht die gesuchte große Vorläufer-ars vor Qu. gewesen sein. Denn die Fragmente der übrigen grammatischen Schriften Varros, die hierher gehören könnten, weisen eher auf einen knapp gefassten grammatischen Abriss, der allerdings bereits die wesentlichen Aufbau-Prinzipien des dreiteiligen römischen ars-Typs ausweist: Elemente, Wortarten und Stilistik (fr. 237 GRF Funaioli). Von der republikanischen ars wissen wir also so gut wie nichts. _____________ 32 Natürlich sind deshalb nachträgliche Überarbeitungen, Erweiterungen und Neuerungen nicht auszuschließen. 33 Zu den verschiedenen Typen und Subtypen der römischen grammatischen Literatur vgl. Ax 2006, 244–262. 34 Auct. Her. 4,17: Latinitas est, quae sermonem purum conservat ab omni vitio remotum. Vitia in sermone, quo minus is Latinus sit, duo possunt esse: soloecismus et barbarismus. Soloecismus est, cum in verbis pluribus consequens verbum superiori non accomodatur. Barbarismus est, cum verbum aliquod vitiose effertur. Haec qua ratione vitare possimus, in arte grammatica dilucide dicemus. Barwicks (1922) römische ars auf stoisch-pergamenischer Grundlage um 130–100 v. Chr. ist bloße Rekonstruktion.

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Einleitung

Aber auch die frühe Kaiserzeit zeigt zunächst eine deutliche Lücke in puncto ars grammatica. Für die augusteische und tiberianische Regierungszeit ist nämlich keine herausragende ars bezeugt, wohl aber für die claudianische (41–54 n. Chr.), denn hierher gehört die noch zu Juvenals Zeiten berühmte ars grammatica (Juv. 6,451ff. und 7,215ff.) von Qu.s Lehrer Remmius Palaemon (ca. 5–15 bis ca. 80 n. Chr.). Von ihm hatte schon Barwick behauptet, er habe als erster ein ausführliches wissenschaftliches Handbuch verfasst und darin die republikanische römische Grammatik einer gründlichen Revision unterzogen35. Nach Barwicks und Schreiners Forschungen und meinen hier und im Kommentar en detail vorgetragenen Beobachtungen scheint es nun auch mir mehr als wahrscheinlich, dass Qu. sich besonders auf Palaemons ars stützt, obwohl Remmius nur einmal (1,4,20) erwähnt wird36. Wenn dies Zustimmung findet, muss also am ehesten der ars des Palaemon die behauptete frühe, bis in die Spätantike prägende Telosfunktion vor Qu. zugeschrieben werden. Im Komplex De latinitate gibt es deutlich mehr identifizierbare Autoren ab 100 v. Chr: in republikanischer Zeit zuerst Antonius Gnipho, den Lehrer Caesars mit seinen zwei Büchern De sermone Latino, dann Staberios Eros, der Lehrer des Brutus und Cassius mit De proportione und Caesar mit seinem Werk De analogia in zwei Büchern. Als republikanischer Höhepunkt folgen dann die fünf Bücher De sermone Latino Varros. Eine ähnlich umfassende Darstellung zur latinitas wie die Varros gibt es dann erst wieder in neronischer Zeit mit den ebenfalls berühmten und einflussreichen Dubii sermonis libri octo des älteren Plinius aus den letzten Regierungsjahren Neros (ca. 65–68 n. Chr.). Vorher gab es nämlich in diesem Bereich nur Spezialschriften zur Orthographie, die in augusteischer Zeit von Verrius Flaccus (ca. 60–50 bis nach 22 n. Chr.) mit seiner mehrbändigen De orthographia begründet wurde, ein Werk, das Qu. sicherlich für sein Orthographie-Kapitel 1,7 als Quelle benutzt hat37. Die zweite Säule Qu.s scheint also Plinius ge_____________ 35 Vgl. Barwick 1922, 238–239 und noch entschiedener Schreiner 1954, 4–5. 36 Barwick hat schon 1922, 268 versucht, nachzuweisen, wie viele Details im Qu.s Text auf Palaemons ars zurückgehen. Vgl. auch Schreiner 1954 passim. Im Zusammenhang mit Remmius’ ars spricht Schreiner 1954, 4f. von „einer neuen Epoche in der Geschichte der römischen Grammatik“ und von „der größten Nachwirkung auf die folgenden Jahrhunderte“. 37 So schon Barwick 1922, 26f.

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wesen zu sein, den er aber ebenfalls in diesem Zusammenhang nicht nennt38. Remmius Palaemon und Plinius maior hätten also, wenn man meiner Theorie folgen will, die römische ars schon vor Qu., jedenfalls in ihrem systematischen Aufbau, ihrer Terminologie und in ihren wichtigsten Lehrinhalten zu einem Standard geführt, der später nicht mehr wesentlich verändert, sondern nur noch stofflich erweitert (insbesondere um die Metrik und Poetik) und im Einzelnen ergänzt und modifiziert werden konnte. Natürlich muss dieser – ich wiederhole es – kühne Schluss noch durch weitere Forschungen abgesichert werden, und vor allem ist zu bedenken, dass wir uns hier aus Überlieferungsgründen auf zwei Highlights beschränken müssen, während man Qu. immer wieder deutlich anmerkt, dass er sich auf ein sehr viel breiteres grammatisches Schrifttum stützen konnte39. Zum Schluss noch ein Wort zu Qu.s persönlichen Fähigkeiten als Grammatiker. Bewundernswert finde ich, wie sehr es ihm als geschultem Prosaautor gelingt, den oft spröden und trockenen Stoff in eleganter Prosa und ansprechender, jede Langeweile vermeidender Verarbeitung darzubieten. Wohltuend ist auch die vernünftige, maßvolle Distanz, mit der er alle Übertriebenheiten, Subtilitäten, Verstiegenheiten und Rigorismen der technischen Zunft zugunsten einer sach- und zielangemessenen Ausgewogenheit zurückweist, – dabei in seiner Kritik alles andere als zimperlich. Wer sich davon ein Bild machen will, sollte seine ausgezeichnete Darstellung der Analogie (1,6,4–27) lesen, die erst ihre Möglichkeiten (4–11), dann aber gnadenlos auch ihre Grenzen aufzeigt (12–27). Unter Systemzwang stehenden Analogisten wird 1,6,17 eine molestissima diligentiae perversitas (eine äußerst lästige und törischte Pedanterie) bescheinigt und gleich darauf 1,6,20 eine insolentia quaedam et frivolae in parvis iactantiae (einen Hang zur Extravaganz und eine alberne Angeberei im Kleinen) – ein Verriss, der in die schönen Pointe ausläuft: Quare mihi non invenuste dici videtur aliud esse Latine, aliud grammatice loqui (1,6,27). Dasselbe geschieht dann bei der Etymologie, die durchaus ihre sinnvolle Funktion hat (1,6,29–31), deren Albernheiten und Überzogenheiten aber nicht tole_____________ 38 Zu den Schriften vom Typ De latinitate vgl. Ax 2000, 173, Anm. 15 und Ax 2006, 250 und 259. Nachweise zu Plinius als Quelle Qu.s werden detailliert im Kommentar zu 1,5 und 6 gegeben. 39 Vgl. Barwick 1922, 267.

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Einleitung

riert werden dürfen, auch wenn sie von keinem Geringeren als von Varro stammen (1,6,32–38, Varro 1,6,36). Leute, die sich hier zu sehr engagieren, laufen Gefahr, „aufgrund ihres fehlgeleiteten Talents zu den abstoßendsten Albernheiten abzugleiten (1,6,32: Inde pravis ingeniis ad foedissima usque ludibria labuntur). Auch vor sinnlosen Stoffhubereien in der philologischen Sacherläuterung (den historiae, 1,8,18–21) wird nachdrücklich gewarnt – wieder mit einer Schlusspointe (1,8,21): Ex quo mihi inter virtutes grammatici habebitur aliqua nescire. (Daher wird es für mich zu den Vorzügen des Grammatiklehrers gehören, etwas nicht zu wissen.)40. Selbstverständlich ist es für Qu. auch, immer wieder sein eigenes Urteil einzubringen- eine grundsätzliche Forderung, die er an jeden Grammatiker stellt (1,7,30): Iudicium autem suum grammaticus interponat his omnibus: nam hoc valere plurimum debet (In allen diesen Dingen muss der Grammatiker sein eigenes Urteil einbringen, denn das muss das größte Gewicht haben.). Dabei stellt er, obwohl selbst kein Profi-Grammatiker, an nicht wenigen Stellen seine eigene hohe Fachkompetenz unter Beweis. Beispiele: Verstöße gegen Genus und Numerus im Einzelwort (scala statt scalae) sind keine Barbarismen, sondern einfach ein falscher Formengebrauch (1,5,16). Der viel diskutierte vermeintliche Solözismus in einem Wort ist ein echter Solözismus, weil die Deixis und die Sprechsituation wie ein Kontext, also als zweites syntaktisches Element wirken (1,5,36–38). Das férvere des Lucilius hält analogistischen Prüfungen nicht stand, es kann nur fervére lauten (1,6,7–9). Ein von Qu. gebrauchtes pepigi lässt sich mit Hilfe der literarischen Autorität und der Analogie durchaus verteidigen (1,6,10– 11). 1,6,24 werden analogistische Eingriffe in die Nominativflexion als Verkennung der Lautverwandtschaft in der Flexionslehre zurückgewiesen, 1,4,18 wird sogar ein eigener terminologischer Übersetzungsvorschlag für die Wortart syndesmos gemacht: convinctio statt coniunctio. Das hohe sprachwissenschaftliche Niveau der Darstellung Qu.s wird besonders an zwei Stellen deutlich: Die Doxographie der Wortarten von 1,4,18–21 entspricht in allen Punkten dem Ergebnis der neuesten Forschung, besonders der von St. Matthaios, zur Geschichte der _____________ 40 Zum Maßhalten ruft auch 1,4,20f. auf – hier in Bezug auf die Zahl und Terminologie der Wortarten: Adiciebant et adseverationem…et tractionem…: quae mihi non adprobantur. Vocabulum an appellatio dicenda sit prohegoría et subicienda nomini necne, quia parvi refert, liberum opinaturis relinquo.

1. Zu Quintilians „Grammatik“ (inst. 1,4–8)

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Wortarten in der Antike41. Insbesondere konnte auch die oft in Frage gestellte Zuweisung der acht Wortarten zu Aristarch und Remmius Palemon von 1,4,20 von Matthaios voll rehabilitiert werden42. Das andere Zeugnis betrifft die Analogie allgemein (1,6,16), insbesondere ihre wesensgemäß eingeschränkte Wirkung als Sprachnorm: Non enim, cum primum fingerentur homines, Analogia demissa est caelo formam loquendi dedit, sed inventa est, postquam loquebantur, et notatum in sermone, quid quoque modo caderet. Itaque non ratione nititur, sed exemplo, nec lex est loquendi, sed observatio, ut ipsam analogian nulla res alia fecerit quam consuetudo. (Denn die Analogie kam nicht sofort, als die Menschen erschaffen wurden, vom Himmel herab, um die Sprachform vorzugeben, sondern man fand sie erst, nachdem man schon sprach, und man beobachtete beim Sprechen, welches Wort auf welche Endung ausging. Daher stützt sich die Analogie nicht auf die Theorie, sondern auf das Beispiel, und sie ist auch kein Sprachgesetz, sondern beruht auf Sprachbeobachtung, so dass nichts anderes als der Sprachgebrauch die Analogie selbst hervorgebracht hat.). Wenn auch in der gedanklichen Substanz nicht völlig neu43, würde ein solcher Satz noch heute jedes linguistische Handbuch zieren. Kein Wunder, dass Qu., wie ich schon erwähnt habe, zu den am häufigsten zitierten und diskutierten grammatischen Autoren der Antike in modernen sprachwissenschaftlichen Handbüchern zählt, wie später im Kommentar im Einzelnen nachgewiesen werden wird. Mein Fazit: Qu.s grammatische Kapitel 1,4–8, zählen für mich zu den elegantesten, niveauvollsten und für Inhalt und Datierung der römischen ars auch wichtigsten Texten der römischen Grammatik, die eine erneute Erschließung überaus lohnen.

_____________ 41 Vgl. Matthaios 1999 und 2002. 42 Vgl. die ausführlichen Erläuterungen im Kommentar zu 1,4,20. 43 Dass die Theorie nur auf nachträglicher Beobachtung vorher geübter Praxis beruht, hatte schon Cicero De oratore, 1,146 für die Rhetorik festgestellt. Zur Unterordnung der Analogie unter die consuetudo vgl. schon Varro ling. Lat. 8,27; 9,2 und 9,8. Vgl. Colsons Komm. 1924, 79f.

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Einleitung

2. Zu dieser Ausgabe 2.1. Zu Text und Übersetzung Der lateinische Text ist keine eigene editorische Leistung, sondern folgt der OCT-Ausgabe von Michael Winterbottom 1970, Vol. I, S. 22, Z. 3 bis S. 57, Z. 31, die heute als Standardausgabe gilt. Abweichungen von seinem Text werden jeweils mit einer Anmerkung versehen, die auf die entsprechende Begründung im Kommentar verweist. Ich verwende dabei die Siglen und Abkürzungen von Winterbottoms Apparat, ohne sie in dieser Ausgabe noch einmal separat aufzuführen oder zu erläutern. Ich bitte daher den Leser, im Bedarfsfall Winterbottoms Ausgabe hinzuzuziehen. Andere Editionen werden, soweit dies die Textgestaltung erfordert, im Kommentar berücksichtigt. Die Übersetzung ist neu und eigenständig. Es liegen bereits Übersetzungen in mehreren Sprachen vor. Konsultiert habe ich deutsch: Helmut Rahn 2006, französisch: Jean Cousin 1975, englisch: Donald A. Russell 2001 und italienisch: Francesco Pini 1966. Wie sehr die Übersetzung vom Verständnis des Textes abhängt, hat sich auch hier gezeigt, und ich hoffe, an einer Reihe von Textstellen mit der besseren Erklärung auch die bessere Übersetzung geboten zu haben. Überflüssig war die erneute Übersetzung des Textes jedenfalls keineswegs. Die Übersetzung weist per Anmerkungen die Zitate anderer Autoren durch Quintilian nach. Diese Zitate sind auch im Index locorum alphabetisch zusammengestellt.

2.2. Zum Kommentar Wer sich zu einem neuen Kommentar zu Qu.s Grammatikkapitel entschließt, sollte sich zuvor nicht allzu intensiv mit dem Text vertraut gemacht haben. Er würde sich sonst angesichts der erheblichen Erklärungsschwierigkeiten, die der Text auf Schritt und Tritt verursacht, von vornherein gar nicht erst auf den dornigen Weg gemacht haben. Wer aber wie ich trotzdem aufgebrochen ist, auf der Hälfte des Weges fast den Mut verloren, dann aber gesehen hat, dass der Weg zurück genau so lang wäre wie der Weg vorwärts, der hat keine andere Wahl als bis zum Ende durchzuhalten. Ich bin froh, dass es in meinem Fall so gekommen ist, denn, um auch etwas Positives zu sagen: Die oft entsa-

2. Zu dieser Ausgabe

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gungsvolle Geduld und Mühe haben sich um der Neuerschließung des überaus wertvollen Textes willen an vielen Stellen mehr als gelohnt. Wie man beim Durcharbeiten des Kommentars hoffentlich bemerken wird, konnten manche inhaltlichen und dispositionellen Zusammenhänge (s. die Gliederungen am Beginn des jeweiligen Kapitels und die zahlreichen entsprechenden Hinweise im Kommentar selbst) und eine Reihe von Textstellen im Detail völlig neu erklärt werden. Welche Schwierigkeiten sind das? Qu. schreibt aus den im vorhergehenden Abschnitt schon genannten Gründen einen kurz andeutenden Telegrammstil, der zudem häufig auch noch auf Beispiele verzichtet. Er tut dies verständlicherweise einmal, um dem Grammatikreferat nicht zuviel Platz einzuräumen, zum anderen aber auch, weil er für Leser mit einem gemeinsamen zeitgenössischen Bildungshorizont schreibt, die das Gemeinte mit viel weniger Verständnisproblemen selbstständig assoziieren können als der moderne Leser. Die Folge dieser Voraussetzungen ist natürlich ein ungewöhnlich hoher Erklärungsaufwand auf Seiten des modernen Kommentators, zunächst rein quantitativ, aber auch von den vermittelten Inhalten her. Was die Erklärung der Einzelstelle betrifft, macht jeder Paragraph bis zu zehn Lemmata und mehr erforderlich. Beispiele müssen ergänzt, die vorhandenen Beispiele erläutert und die jeweilige stellengebundenene grammatische Lehre rekonstruiert werden. Zudem muss das Detail in den Gesamtzusammenhang des Grammatikreferats bei Qu. gestellt werden, was sehr viel Gliederungsarbeit und ein vertieftes Überblicksverständnis des Ganzen verlangt. Der Kommentar bedient sich bei dem Versuch, zu einer adäquaten Erläuterung der Lemmata zu gelangen, dreier Hilfsmittel. Zunächst kann Qu. aus Qu. erklärt werden. Gott sei Dank, denn würde er nicht immer wieder an anderen Stellen der Institutio auf Probleme des Grammatikreferats zurückkommen, müsste mancher Paragraph von 1,4–8 unerklärt bleiben. Zum anderen wird versucht, die einschlägige Tradition der antiken Grammatik vor und nach Qu. heranzuziehen, denn viele Erklärungsprobleme können nur auf diesem Wege gelöst werden. Hier sind natürlich tapfere Einschränkungen unerlässlich, denn mit der antiken Grammatik von Varro bis Priscian, die man nach Belieben auch noch mit Ausflügen in die griechische Grammatik anreichern könnte, öffnet sich ein riesiges Feld der sachlichen Zuständigkeit, das für den Kommentar natürlich nicht erschöpfend verwertet werden konnte. Ich

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Einleitung

habe mich bemüht, eine Auswahl von Stellen heranzuziehen, die für die Erklärung des jeweiligen Phänomens ausreicht. Das dritte Hilfsmittel ist der moderne sprachwissenschaftliche Kenntnisstand zu den von Qu. behandelten grammatischen Phänomenen. Ich habe in der Regel versucht, nicht bei der Erklärung Qu.s und der antiken Grammatik stehen zu bleiben, sondern das jeweilige Phänomen bis zur gegenwärtigen sprachwissenschaftlichen Standarderklärung weiter zu verfolgen. Dies dient zunächst gar nicht einmal dem Qu.-Text selber, sondern bedient das Interesse von Lesern, die ein intellektuelles Vergnügen daran empfinden, zu erfahren, wie es weiter gegangen ist. Dabei wird man jedoch schnell feststellen, dass damit zumindest für die Wirkungsgeschichte des Qu.-Textes viel gewonnen ist. Qu. ist, wie schon im letzten Abschnitt gesagt, der meist zitierte Autor in modernen Handbüchern der latinistischen Sprachwissenschaft mit einem offenbar sehr hoch einzuschätzenden Quellenwert. Mir ist natürlich bewusst, dass eine derartig anspruchsvolle Zielsetzung des Kommentars von vornherein zur Bitte um eine Art Generalpardon verpflichtet. Wer unter den eben genannten Voraussetzungen eine bibliographische und dokumentarische Vollständigkeit anstreben wollte, wäre sicher zum Scheitern verurteilt. Der daraus resultierende immense Zeitaufwand wäre unvertretbar. Ich habe mich vielmehr vor allem bemüht, dem Textverständnis zu dienen und mich damit zufrieden gegeben, wenn eine Stelle mit den mir in einer vernünftigen Auswahl zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln zufriedenstellend erklärt werden konnte. Ermutigt wurde ich dazu nicht zuletzt auch von Qu. selber, der 1,8,18–21 vor überflüssiger Erklärungsarbeit (supervacuum laborem) warnt und dazu rät, sich mit den anerkannten und jedenfalls von berühmten Autoren erwähnten Kommentaren (nam receptas aut certe claris auctoribus memoratas exposuisse satis est) zu begnügen und nicht jeder unbedeutenden Miszelle nachzujagen (omnis etiam indignas scidas). Gern nehme ich daher Qu.s Schlusspointe auch für mich in Anspruch: Ex quo mihi inter virtutes grammatici habebitur aliqua nescire. Bedanken möchte ich mich für die Kommentare und kommentierenden Vorarbeiten meiner Vorgänger44. Neben wertvollen Hinweisen in den Noten und Anmerkungen der Gesamtausgaben von Cousin (1975), Rahn (2006) und Russell (2001) ist und bleibt vor allem Spal_____________ 44 Die näheren Angaben finden sich in der Bibliographie ab S. 407.

2. Zu dieser Ausgabe

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dings Kommentar (1798) im ersten Band seiner Qu.-Ausgabe nach wie vor unersetzt und wichtig. Spezialkommentare gibt es von Colson (1924) zum gesamten ersten Buch und von Pini (1966) zu den Grammatikkapiteln. Colsons auch weiterhin unentbehrlicher Kommentar ist dabei sicher die umfänglichste und verdienstvollste Vorleistung, Pinis Kommentar enttäuscht dagegen eher durch die zu große Knappheit und Spärlichkeit seiner Erläuterungen. Zu vernachlässigen ist die Ausgabe von Murphy (1987), die im wesentlichen nur eine englische Übersetzung bietet. Ob in dem vorliegenden Kommentar wirklich ein Fortschritt insbesondere über die Kommentare von Spalding und Colson hinaus erreicht worden ist, überlasse ich natürlich dem Urteil des Lesers. Griechische Wörter und Begriffe habe ich nicht immer in griechischer Urschrift wiedergegeben, insbesondere dann nicht, wenn diese Wörter und Begriffe auch in lateinischer Umschrift gängig sind, z.B. etymologia, analogia u.ä. Dadurch entsteht eine gewisse Uneinheitlichkeit, die man aber auch in den Editionen etwa bei Winterbottom findet.

Tabellarische Übersichten

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Tabellarische Übersichten

Tabelle 1: Quintilian, Institutio oratoria, 12 Bücher, Disposition nach inst. orat.1, prooem. 21–22 – 1 ante officium rhetoris

– ––––– 2 3 4 5 6 7 prima inventio, dispositio apud rhetorem elementa, de ipsa rhetorices substantia

–––– 8 9 10 11 elocutio, memoria, actio

– 12 orator

Quint. inst. orat. 12 Bücher Curriculum: (Elementarschule, Grammatik)

(1)

(Rhetorische Propädeutik)

(Berufsausübung)

(2,1–10)

Rhet. System:

(12,11)

rhetorice

ars (2,11–11)

Wesen und Ziel der Rhetorik (2,11–21)

Ruhestand

(2,11–12,10)

Grundbegriffe der Rhetorik (3,1–5)

inventio (3,6–6)

artifex (12,1–9)

dispositio (7)

opus (12,10)

elocutio (8–11,1)

memoria (11,2)

argumentatio (5)

peroratio (6)

3 genera orationis (3,6–11) g. demonstr., deliberat., iudiciale

exordium (4)

narratio (4)

actio (11,3)

25

Tabellarische Übersichten

Tabelle 2: Quintilians Lehre von der elocutio (Formulierung): inst. orat. 8–11,1 elocutio (Formulierung) 8–11, 1 Theorie:

praecepta eloquendi, Formulierungsregeln (8–9; 11,1)

latinitas (Richtiges Latein)1 8,1 (= grammatice 1,4–8)

amplificatio (Steigerung) 8,4

perspicuitas (Klarheit) 8,2

sententiae (Sentenzen) 8,5

Praxis:

tropi (Tropen) 8,6

ornatus (Schmuck) 8,3–9,4

figurae (Figuren) 9,1–3

compositio (Wortfügung) 9,4

facilitas, hexis, Kondition (10)

copia imitatio verborum

scribere

emendatio quae scribenda sint

(Wortschatz- (Nacherwerb vor ahmung) allem durch Lektüre)

(Schreibübungen)

(Verbessern)

(Formen schriftlicher Übung)

10,3

10,4

10,5

10,1

aptum (Angemessenheit) 11,1

10,2

cogitatio

ex tempore dicere

(Überdenken) (Stegreifrede)

10,6

10,7

_____________ 1

Latinitas = erste virtus elocutionis Theophrasts = Gegenstand der grammaticé, daher Rückverweis auf das erste Buch in 8,1,2.

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Tabellarische Übersichten

Tabelle 3: Quintilian, Institutio oratoria, Buch 1 (12 Kapitel) Kapitel 1–3: Von der Kindheit bis zur Elementarschule 1. Vorschule im Kleinkindalter, Elementarschule 2. Privatunterricht oder Schule? 3. Begabungsunterschiede Kapitel 4–8: Unterricht in der grammaticé 4. Elemente der grammaticé (Aufgaben der grammaticé, elementa et partes orationis) 5. Sprachrichtigkeit (virtutes et vitia orationis: barbarismus/soloecismus) 6. Normen der gesprochenen Sprache (Orthoepie) 7. Normen der geschriebenen Sprache (Orthographie) 8. Lektüre (lectio und enarratio poetarum) Kapitel 9–12: Weitere Aspekte rhetorischer Propädeutik 9. Rhetorische Vorübungen beim grammaticus 10. Unterricht in anderen Fächern (z.B. Musik, Geometrie) 11. Vortraining von Stimme und Gestik (actio) beim Komödienschauspieler und Sportlehrer 12. Verschiedene Fächer gleichzeitig auf schon dieser Schulstufe?

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Tabellarische Übersichten

Tabelle 4: Quintilians institutio oratoria, 1,4–8: Unterricht in der grammaticé 1. recte loquendi scientia (1,4–7) A ars grammatica (1,4–5) 1. Wesen und Aufgabe der Grammatik 2. elementa orationis 1. Laute 2. Wortarten 3. virtutes et vitia orationis 1. Einführung 2. Barbarismen 3. Soloecismen 4. Fremdwörter (Gräzismen) 5. Komposita 6. verba propria, translata usitata, nova

1,4,1–5 1,4,6–29 6–17 17–29 1,5,1–72 1–4 5–33 34–54 55–64 65–70 71–72

B de Latinitate (1,6–7) 1. Orthoepie (Sprechen) 1,6, 1–45 1. Vier Kriterien der Sprachrichtigkeit: ratio (= analogia/ etymologia), vetustas, auctoritas, consuetudo 1–3 2. analogia 4–27 3. etymologia 28–38 4. vetustas 39–41 5. auctoritas 42 6. consuetudo 43–45 2. Orthographie (Schreiben) 1,7, 1–35 2. enarratio auctorum (1,8) 1. Regeln für das richtige laute Lesen 2. Lektüre. Welche Autoren und Gattungen? 3. Aufgaben des grammaticus im Lektüreunterricht

1,8, 1–4 1,8, 5–12 1,8, 13–21

Text und Übersetzung

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Quintilians Grammatik

[De grammatice] 4.1 Primus in eo, qui scribendi legendique adeptus erit facultatem, grammaticis est locus. Nec refert, de Graeco an de Latino loquar, quamquam Graecum esse priorem placet: utrique eadem uia est. 2. Haec igitur professio, cum breuissime in duas partis diuidatur, recte loquendi scientiam et poetarum enarrationem, plus habet in recessu quam fronte promittit. 3. Nam et scribendi ratio coniuncta cum loquendo est et enarrationem praecedit emendata lectio et mixtum his omnibus iudicium est. Quo quidem ita seuere sunt usi ueteres grammatici, ut non uersus modo censoria quadam uirgula notare et libros, qui falso uiderentur inscripti, tamquam subditos summouere familia permiserint sibi, sed auctores alios in ordinem redegerint, alios omnino exemerint numero. 4. Nec poetas legisse satis est: excutiendum omne scriptorum genus, non propter historias modo, sed uerba, quae frequenter ius ab auctoribus sumunt. Tum neque citra musicen grammatice potest esse perfecta, cum ei de metris rhythmisque dicendum sit, nec, si rationem siderum ignoret, poetas intellegat, qui, ut alia mittam, totiens ortu occasuque signorum in declarandis temporibus utuntur, nec ignara philosophiae, cum propter plurimos in omnibus fere carminibus locos ex intima naturalium quaestionum subtilitate repetitos, tum uel propter Empedoclea in Graecis, Uarronem ac Lucretium in Latinis, qui praecepta sapientiae uersibus tradiderunt 5. Eloquentia quoque non mediocri est opus, ut de unaquaque earum, quas demonstrauimus, rerum dicat proprie et copiose. Quo minus sunt ferendi, qui hanc artem ut tenuem atque ieiunam cauillantur. Quae nisi oratoris futuri fundamenta fideliter iecit, quidquid superstruxeris, corruet: necessaria pueris, iucunda senibus, dulcis secretorum comes, et, quae uel sola in omni studiorum genere plus habeat operis quam ostentationis.

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4. 1.1 Den ersten Platz bei dem Schüler, der Lesen und Schreiben gelernt hat, nehmen die Grammatiklehrer ein. Und dabei ist es nicht von Belang, ob ich vom griechischen oder lateinischen Lehrer rede, obwohl ich es befürworte, dass der Griechischlehrer den Anfang macht. Beide verwenden die gleiche Methode. 2. Diese Berufstätigkeit also, obwohl sie sich, äußerst kurz formuliert, in nur zwei Teile gliedert, die Lehre vom richtigen Sprechen und die Erklärung der Dichter, hat doch im Hintergrund mehr zu bieten, als sie vordergründig verspricht. 3. Denn mit dem Sprechen ist noch die Lehre vom richtigen Schreiben verbunden und der Erklärung geht noch das korrigierte Lesen voraus und all diesem ist das Werturteil beigemischt. Gerade in diesem Urteil waren die alten Grammatiker so streng, dass sie sich erlaubten, nicht nur einzelne Verse mit einer Art zensorischen Strichs zu markieren und ganze Bücher mit anscheinend falschen Titeln als gleichsam untergeschoben aus der Familie zu entfernen, sondern auch manche Autoren in den Kanon der Musterautoren aufzunehmen und andere wieder völlig auszuschließen. 4. Und es genügt auch nicht, nur Dichter gelesen zu haben. Man muss jede Art von Schriftstellern intensiv durcharbeiten, nicht nur wegen des Sachwissens, sondern auch der Wörter wegen, die oft ihr Recht von etablierten Autoren hernehmen. Dann kann die Grammatik auch ohne Musik nicht vollkommen sein, weil sie über Metren und Rhythmen zu sprechen hat, noch dürfte sie wohl, wenn sie keine Kenntnisse in der Sternkunde aufzuweisen hat, die Dichter verstehen, die, um anderes zu übergehen, so oft den Auf- und Untergang der Sternzeichen verwenden, um Zeitangaben zu machen. Sie kann auch nicht ohne philosophisches Wissen auskommen, einmal wegen sehr vieler Stellen in fast allen Dichtungen, die dort aus intimster Kenntnis subtiler naturwissenschaftlicher Fragen wieder aufgenommen worden sind, und zum andern wegen Empedokles bei den Griechen und Varro und Lukrez bei den Lateinern, die philosophische Lehren in Versen überliefert haben. 5. Es ist auch eine keineswegs mittelmäßige Beredsamkeit nötig, um über einen jeden der Gegenstände, die wir aufgezeigt haben, angemessen und wortgewandt zu reden. Umso weniger ist die Meinung der Leute zu akzeptieren, die dieses Studienfach als anspruchslos und trocken lächerlich machen. Wenn nämlich dieses Fach nicht zuverlässig die Grundlage des zukünftigen Redners gelegt hat, wird alles, was darauf aufgebaut wird, in sich zusammenstürzen. Das Fach ist für die Kinder zwingend notwendig, angenehm für ältere Leute, ein liebenswürdiger Begleiter in der Zurückgezogenheit und die einzige Kunst unter jeder Art von Studien, die mehr leistet, als sie nach außen vorgibt.

_____________ 1

Knappe Verständnishilfen sind in [ ] beigegegeben.

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6. Ne quis igitur tamquam parua fastidiat grammatices elementa, non quia magnae sit operae consonantes a uocalibus discernere ipsasque eas in semiuocalium numerum mutarumque partiri, sed quia interiora uelut sacri huius adeuntibus apparebit multa rerum subtilitas, quae non modo acuere ingenia puerilia, sed exercere altissimam quoque eruditionem ac scientiam possit. 7. An cuiuslibet auris est exigere litterarum sonos? Non hercule magis quam neruorum. AtI grammatici saltem omnes in hanc descendent rerum tenuitatem, desintne aliquae nobis necessariae litterae, non cum Graeca scribimus (tum enim ab isdem duas mutuamur), sed proprie in Latinis: 8. ut in his „seruus“ et „uulgus“ Aeolicum digammon desideratur, et medius est quidam u et i litterae sonus (non enim sic „optimum“ dicimus ut „opimum“II), et in „here“ neque e plane neque i auditur, 9. an rursus aliae redundent, praeter illamIII adspirationis, quae si necessaria est, etiam contrariam sibi poscit, et k, quae et ipsa quorundam nominum nota est, et q, cuius similis effectu specieque, nisi quod paulum a nostris obliquatur, coppa apud Graecos nunc tantum in numero manet, et nostrarum ultima, qua tam carere potuimus quam psi non quaerimus? 10. Atque etiam in ipsis uocalibus grammatici est uidere, an aliquas pro consonantibus usus acceperit, quia „iam“ sicut „tam“ scribitur et „uos“ ut „cos“. At, quae ut uocales iunguntur, aut unam longam faciunt, ut ueteres scripserunt, qui geminatione earum uelut apice utebantur, aut duas, nisi quis putat etiam ex tribus uocalibus syllabam fieri, si non aliquae officio consonantium fungantur. 11. Quaeret hoc etiam, quo modo duabus demum uocalibus in se ipsas coeundi natura sit, cum consonantium nulla nisi alteram frangat. Atqui littera i sibi insidit („conicit“ enim est ab illo „iacit“) et u, quo modo nunc scribitur „uulgus“ et „seruus“. Sciat etiam Ciceroni placuisse „aiio“ „Maiiam“que geminata i scribere: quod si est, etiam iungetur ut consonans.

_____________ I II III

At s. App. Winterbottom: Aut AB, Winterbottom. Vgl. Kommentar z.St. opimum B, Winterbottom: optimum A. Vgl. Kommentar z.St. illam zu ergänzen ist literam, nicht notam. Vgl. Kommentar z.St.

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6. Es möge also niemand die Anfangsgründe der Grammatik als geringfügig verachten – nicht, weil es große Mühe machen würde, die Konsonanten von Vokalen zu unterscheiden und die Konsonanten wiederum in Halbvokale und Stummlaute einzuteilen, sondern weil dann, wenn man gleichsam in das Innere dieses Mysteriums eintritt, die ganze Subtilität ihrer Gegenstände in Erscheinung treten wird, die nicht nur die geistige Kraft der Kinder schärfen, sondern auch noch jemanden auf der höchsten Stufe der Bildung und Wissenschaft üben kann. 7. Oder ist etwa jeder dazu in der Lage, mit dem Ohr die Lautwerte der Buchstaben zu beurteilen? Nicht mehr, beim Herkules, als die Töne der Saiten! Aber wenigstens werden alle Grammatiker sich zu so schlichten Fragen herablassen wie zu der, ob uns einige notwendige Buchstaben fehlen – nicht, wenn wir griechische Wörter schreiben (dann nämlich leihen wir uns von ihnen zwei Buchstaben [y und z]) –, sondern bei den genuin lateinischen Wörtern, 8. wie man z.B. bei den Wörtern seruus und uulgus das äolische Digamma vermisst, wie es einen mittleren Laut zwischen den Buchstaben u und i gibt (wir sprechen nämlich óptimum nicht so aus wie opímum) und wie man bei here weder ein klares e noch ein i hört. 9. Oder zu der Frage, ob wiederum andere Buchstaben überflüssig sind, wie z.B. außer dem Buchstaben für die Aspiration [dem h], der, wenn er nötig ist, doch auch einen ihm gegenteiligen Buchstaben verlangt, sowohl das k, das auch allein schon ein Zeichen für bestimmte Nomina ist, als auch das q, dessen in Lautwert und graphischer Form ähnliches Pendant, – abgesehen davon, dass wir den Abstrich etwas schräger setzen [gr ʵ, lat. Q] – das Koppa, bei den Griechen jetzt nur noch als Zahlzeichen dient, und schließlich der letzte unserer Buchstaben im Alphabet [das x], den wir ebenso hätten entbehren können, wie wir kein psi vermissen. 10. Und auch bei den Einzelvokalen selbst muss der Grammatiker sehen, ob der Sprachgebrauch einige Vokale anstelle von Konsonanten verwendet hat, weil man iam wie tam und uos wie cos schreibt. Dagegen bilden diejenigen, die sich als Vokale verbinden, entweder einen einzigen Langvokal, wie ihn die Alten schrieben, die sie, statt den Apex zu verwenden, verdoppelten, oder einen Doppelvokal [Diphthong], es sei denn, jemand glaubt, es könne sogar Silben mit drei Vokalen geben, wenn dabei bestimmte Vokale nicht als Konsonanten fungieren. 11. Er wird auch danach fragen, auf welche Weise nur zwei Vokale [nämlich i und u] die Eigenart haben, sich mit sich selbst [zu einer Silbe, einem Ton] zusammen zu schließen, während kein Konsonant [dies tut], sondern nur einen zweiten, anderen Konsonanten schwächt. Jedenfalls schließt sich der Buchstabe i sich selbst an (nämlich conicit kommt von iacit) und so auch das u, wie man ja jetzt uulgus und seruus schreibt. Er soll auch wissen, dass es Cicero gefallen hat, aiio und Maiiam mit doppeltem i zu schreiben. Wenn es das wirklich ist [ein doppeltes i], wird es auch wie ein Konsonant verbunden werden.

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12. Quare discat puer, quid in litteris proprium, quid commune, quae cum quibus cognatio, nec miretur, cur ex „scamno“ fiat „scabillum“ aut a „pinno“, quod est acutum, securis utrimque habens aciem „bipennis“, ne illorum sequatur errorem, qui, quia a pennis duabus hoc esse nomen existimant, pennas auium dici uolunt. 13. Neque has modo nouerit mutationes, quas adferunt declinatio aut praepositio, ut „secat secuit“, „cadit excidit“, „caedit excidit“, „calcat exculcat“ (et fit a „lauando“ „lotus“ et inde rursus „inlutus“, et mille alia), sed et, quae rectis quoque casibus aetate transierunt. Nam ut „Ualesii“ „Fusii“ in „Ualerios“ „Furios“que uenerunt, ita „arbos“, „labos“, „uapos“ etiam et „clamos“ ac „lases“ fuerunt.IV 14. Atque haec ipsa s littera ab his nominibus exclusa in quibusdam ipsa alteri successit, nam „mertare“ atque „pultare“ dicebant, quin „fordeum“ „faedos“que pro adspiratione uelut simili littera utentes. Nam contra Graeci adspirare ei solent, ut pro Fundanio Cicero testem, qui primam eius litteram dicere non possit, inridet. 15. Sed b quoque in locum aliarum dedimus aliquando, unde „Burrus“ et „Bruges“ et „Belena“V. Nec non eadem fecit ex „duello“ „bellum“, unde „Duellios“ quidam dicere „Bellios“ ausi. Quid „stlocum“ „stlites“que? 16. Quid t litterae cum d quaedam cognatio? Quare minus mirum si in uetustis operibus urbis nostrae et celebribus templis legantur „Alexanter“ et „Cassantra“. Quid o atque u permutata inuicem? ut „Hecoba“ et „nutrix Culchidis“ et „Pulixena“ scriberentur, ac, ne in Graecis id tantum notetur, „dederont“ et „probaueront“. Sic Ὀδυσσεύς, quem Ὀλισσέα fecerant Aeolis, ad „Ulixem“ deductus est. 17. Quid? non e quoque i loco fuit, „Menerua“ et „leber“ et „magester“ et „Dioue Uictore“, non „Dioui Uictori“VI? Sed mihi locum signare satis est, non enim doceo, sed admoneo docturos. Inde in syllabas cura transibit, de quibus in orthographia pauca adnotabo. Tum uidebit, ad quem hoc pertinet, quot et quae partes orationis, quamquam de numero parum conuenit.

_____________ IV V VI

Vgl. meinen Kommentar z.St. belena AB balaena Winterbottom (Vgl. Kommentar z. St.) Dioue(i) statt Diioui Winterbottom. Vgl. Kommentar z.St.

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12. Daher soll der Schüler lernen, was bei den Buchstaben Eigenes, was Gemeinsames ist, und welcher Buchstabe mit welchem in einem Verwandtschaftsverhältnis steht, und er soll sich nicht wundern, warum aus scamnum (Schemel) scabillum (Schemelchen) wird oder aus pinnum (= scharf) bipennis (= die Doppelaxt), ein Beil mit beiderseitiger Schärfe, damit er nicht dem Irrtum jener Leute verfällt, die, weil dieses Wort ihrer Ansicht nach von zwei Flügeln (duabus pennis) herkommt, darin die Bezeichnung von Vogelflügeln sehen wollen. 13. Er soll nicht nur die Veränderungen kennen, die die Flexion oder eine Präposition mit sich bringen wie secat/secuit, cadit/éxcidit, caedit/ excídit, calcat/exculcat (und aus lavando entsteht lautus und daraus wieder inlutus und tausend andere Fälle dieser Art), sondern auch die Veränderungen, die schon in den Nominativen mit der Zeit eingetreten sind, denn wie Valesii Fusii in Valerii Furii übergegangen sind, so hat es auch arbos, labos, vapos, ja sogar auch clamos und lases gegeben. 14. Und dieser von diesen Nomina ausgeschlossene Buchstabe s selbst ist bei einigen Wörtern nun seinerseits wieder an die Stelle eines anderen Lautes getreten: denn man sagte mertare und pultare [statt wie heute mersare und pulsare]; man sagte sogar fordeum, faedos [statt normal hordeum, haedos] und verwendete dabei für den h Laut einen in etwa ähnlichen Laut [nämlich f]. Denn im Gegensatz dazu pflegen die Griechen diesen Laut [das f] mit dem Laut h zu versehen, wie z.B. Cicero in der Rede Für Fundanius einen >griechisch sprechenden@ Zeugen verspottet, weil er den ersten Buchstaben des Namens nicht aussprechen könne >also Phundanius sagt@. 15. Aber auch das b haben wir bisweilen an den Platz anderer Laute gesetzt, daher Burrus, Bruges und Belena. Derselbe Laut b hat auch aus duellum bellum gemacht, weshalb es einige wagten, die Duelii Belii zu nennen. 16. Was ist mit stlocus stlitesque? Warum hat der Laut t eine gewisse Verwandtschaft mit d? Deshalb ist es weniger verwunderlich, wenn man in alten Bauten unserer Stadt und berühmten Tempeln Alexanter und Cassantra liest. Warum wurden o und u miteinander vertauscht, so dass man Hecoba [statt Hecuba], nutrix Culchidis [statt Colchidis] und Pulixena [statt Polyxena] schrieb und, um das nicht nur an griechischen Wörtern zu demonstrieren, auch dederont [statt dederunt] und probaveront [statt probaverunt]. So wurde Odysseus, den die Äoler zu Olysseus gemacht hatten, zu Ulixes. 17. Und weiter? Hat nicht am Platz des i auch e gestanden? Menerva z.B. [statt Minerva], leber [statt liber], magester [statt magister] und Diove Victore, nicht Diovi Victori? Doch es genügt mir, den Themenbereich anzudeuten, denn ich lehre ja nicht, sondern gebe nur Anregungen für zukünftige Lehrer. Von hier aus wird man zur Sorge um die Silben übergehen, über die ich im orthographischen Kapitel [1, 7] weniges anmerken werde. Dann wird der zuständige Lehrer darauf sehen, wie viele und welche Wortarten es gibt, obwohl über deren Zahl zu wenig Übereinstimmung besteht.

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18. Ueteres enim, quorum fuerunt Aristoteles quoque atque Theodectes, uerba modo et nomina et conuinctiones tradiderunt, uidelicet quod in uerbis uim sermonis, in nominibus materiam (quia alterum est, quod loquimur, alterum, de quo loquimur), in conuinctionibus autem complexum eorum esse iudicauerunt. quas coniunctiones a plerisque dici scio, sed haec uidetur ex syndesmo magis propria tralatio. 19. Paulatim a philosophis ac maxime Stoicis auctus est numerus, ac primum conuinctionibus articuli adiecti, post praepositiones, nominibus appellatio, deinde pronomen, deinde mixtum uerbo participium, ipsis uerbis aduerbia. Noster sermo articulos non desiderat ideoque in alias partes orationis sparguntur, sed accedit superioribus interiectio. 20. Alii tamen ex idoneis dumtaxat auctoribus octo partes secuti sunt, ut Aristarchus et aetate nostra Palaemon, qui uocabulum siue appellationem nomini subiecerunt tamquam speciem eius, at ii, qui aliud nomen, aliud uocabulum faciunt, nouem. Nihilominus fuerunt, qui ipsum adhuc uocabulum ab appellatione diducerent, ut esset uocabulum corpus uisu tactuque manifestum: „domus“ „lectus“, appellatio, cui uel alterum deesset uel utrumque: „uentus“ „caelum“ „deus“ „uirtus“. Adiciebant et adseuerationem, ut „etiam“VII, et tractionem, ut „fasciatim“. quae mihi non adprobantur. 21. Uocabulum an appellatio dicenda sit ʌȡȠıȘȖȠȡȓĮ et subicienda nomini necne, quia parui refert, liberum opinaturis relinquo. 22. Nomina declinare et uerba in primis pueri sciant neque enim aliter peruenire ad intellectum sequentium possunt. Quod etiam monere superuacuum erat, nisi ambitiosa festinatione plerique a posterioribus inciperent, et dum ostentare discipulos circa speciosiora malunt, compendio morarentur. 23. Atqui si quis et didicerit satis et (quod non minus deesse interim solet) uoluerit docere, quae didicit, non erit contentus tradere in nominibus tria genera et, quae sunt duobus omnibusue communia.

_____________ VII

eheu AB Winterbottom: etiam Ax. Vgl. Kommentar z.St.

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18. Die alten Theoretiker, darunter auch Aristoteles und Theodektes, haben uns nur die Unterscheidung in Verba (verba), Nomina (nomina) und Bindewörter (convinctiones) hinterlassen, sicherlich deshalb, weil sie zu der Einsicht kamen, in den Verben liege die Funktion der Aussage selbst, in den Nomina der Aussagegegenstand (denn, was wir aussagen, und, worüber wir etwas aussagen, ist jeweils etwas anderes), in den Bindewörtern aber deren Verbindung. Ich weiß, dass die Bindewörter (convinctiones) von den meisten Konjunktionen (coniunctiones) genannt werden, aber ich halte convinctio für die treffendere Übersetzung von ıȪȞįİıȝȠȢ. 19. Allmählich wurde die Zahl der Wortarten von den Philosophen, ganz besonders von den Stoikern, erhöht, und zuerst wurden 1. den Bindewörtern die Artikel (articuli) beigegeben, danach die Präpositionen (praepositiones), 2. den Nomina das Appellativum (appellatio), dann das Pronomen (pronomen) und dann das mit dem Verb vermischte Partizip (participium) und 3. den Verben selbst die Adverbien (adverbia). Unsere Sprache verlangt die Artikel nicht und deshalb werden sie auf andere Wortarten verteilt, aber es kommt zu den oben genannten Wortarten noch die Interjektion (interiectio) hinzu. 20. Dennoch haben andere, aus der Zahl kompetenter Autoren versteht sich, acht Wortarten vertreten, wie Aristarch und in unserer Zeit Palaemon, die die Vokabel (vocabulum) bzw. das Appellativum (appellatio) dem Nomen gleichsam als seine Spezies unterordneten, während jene Autoren, die das Nomen und die Vokabel jeweils zu etwas Verschiedenem machen, neun Wortarten unterschieden haben. Nichtsdestoweniger gab es Leute, die auch noch die Vokabel vom Appellativum trennten, damit die Vokabel einen durch Sehen und Tasten deutlich erfassbaren Körper, wie z.B. „Haus, Bett“ bezeichne und das Appellativum etwas, dem eins von beiden oder beides fehlt, wie z.B. „Wind, Himmel, Gott, Tugend“. Sie fügten auch noch ein Bestätigungswort (adseveratio) hinzu wie etiam und ein Ableitungswort (tractio) wie fasciatim (bündelweise), was mir aber nicht gefällt. 21. Ob nun die προσηγορία vocabulum oder appellatio genannt werden und dem Nomen untergeordnet werden muss oder nicht, darüber mag, weil das nur von geringer Bedeutung ist, jeder denken, was er will. 22. Die Flexion der Nomina und Verba sollen die Kinder vor allem beherrschen, denn auf andere Weise können sie nicht zum Verständnis des Folgenden kommen. Auch dieses anzumahnen, wäre überflüssig, würden nicht sehr viele Lehrer in ehrgeiziger Übereilung mit dem Späteren anfangen und nicht durch methodische Verkürzung doch nur einen Zeitverlust herbeiführen, weil sie die Schüler lieber mit spektakuläreren Lernergebnissen zur Schau stellen wollen. 23. Wenn nun aber ein Lehrer genug gelernt hat und – was manchmal nicht weniger zu fehlen pflegt – auch lehren will, was er gelernt hat, dann wird er nicht damit zufrieden sein, bei den Nomina die drei Geschlechter zu lehren und die Nomina, die zweien oder allen Genera gemeinsam sind.

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24. Nec statim diligentem putabo, qui promiscua, quae epicoena dicuntur, ostenderit, in quibus sexus uterque per alterum apparet, aut, quae feminina positione mares aut neutrali feminas significant, qualia sunt „Murena“ et „Glycerium“. 25. Scrutabitur ille praeceptor acer atque subtilis origines nominum: quae ex habitu corporis „Rufos“ „Longos“que fecerunt (ubi erit aliquid secretius: „Sullae“ „Burri“ „Galbae“ „Plauti“ „Pansae“ „Scauri“ taliaque) et ex casu nascentium (hic Agrippa et Opiter et Cordus et Postumus erunt) et ex iis, quae post natos eueniunt, unde „Vopiscus“. Iam „Cottae“ „Scipiones“ „Laenates“ „Serani“ sunt ex uariis causis. 26. Gentes quoque ac loca et alia multa reperias inter nominum causas. In seruis iam intercidit illud genus, quod ducebatur a domino, unde „Marcipores“ „Publipores“ que. Quaerat etiam, sitne apud Graecos uis quaedam sexti casus et apud nos quoque septimi. Nam cum dico „hasta percussi“, non utor ablatiui natura, nec si idem Graece dicam, datiui. 27. Sed in uerbis quoque quis est adeo imperitus, ut ignoret genera et qualitates et personas et numeros? Litterarii paene ista sunt ludi et triuialis scientiae. Iam quosdam illa turbabunt, quae declinationibus non teruntur. Nam et, quaedam participia an uerba anVIII appellationes sint, dubitari potest, quia aliud alio loco ualent, ut „tectum“ et „sapiens“: 28. etIX quaedam uerba appellationibus similia, ut „fraudator“ „nutritor“. Iam „itur in antiquam siluam“ nonne propriae cuiusdam rationis est? Nam quod initium eius inuenias? cui simile „fletur“. Illud „tur“X accipimus aliter ut, „panditur interea domus omnipotentis Olympi“, aliter ut „totis usque adeo turbatur agris“. Est etiam quidam tertius modus, ut „urbs habitatur“, unde et „campus curritur“ et „mare nauigatur“.

_____________ VIII IX X

an verba an A : an [verba an] Winterbottom. Vgl. Kommentar z.St. quaedam Keil, quaedam Winterbottom Winterbottom

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24. Auch werde ich nicht gleich den Lehrer für sorgfältig halten, der die Nomina mit gemischtem Geschlecht, die man ȧʌȓțȠȚȞĮ nennt, vorführt, bei denen beide Geschlechter durch eins von beiden zum Ausdruck kommen, oder die Nomina, bei denen eine feminine Endung Männer und eine neutrale Frauen bezeichnet, wie im Fall von Murena und Glycerium. 25. Jener energische und feinsinnige Lehrer wird auch den Ursprung der Eigennamen untersuchen: und zwar von solchen, die von der körperlichen Beschaffenheit her die Namen Rufus und Longus gebildet haben – wohin dann auch, etwas weniger schnell durchschaubar, andere Namen wie Sulla, Burrus, Galba, Plautus, Pansa, Scaurus etc. gehören werden – dann auch von solchen, die von den Umständen während der Geburt – hierher wird Agrippa, Opiter, Cordus und Postumus gehören – und von solchen, die von den Umständen nach der Geburt herrühren, woher der Name Vopiscus stammt. Weiter sind die Namen Cotta, Scipio, Laenas und Seranus aus verschiedenen Gründen entstanden. 26. Auch Völker, Örtlichkeiten und vieles andere findet man unter den Ursachen der Eigennamen. Bei Sklaven ist jener Namenstyp, der vom jeweiligen Herrn abgeleitet wurde – daher z.B. Marcipores und Publipores – schon verloren gegangen. Der Lehrer sollte auch danach fragen, ob die Griechen nicht der Bedeutung nach eine Art sechsten Kasus und wir auch noch einen siebten Kasus besitzen. Denn wenn ich hastâ percussi = ich habe mit der Lanze durchbohrt sage, dann verwende ich den Kasus nicht im Sinne eines Ablativs, und, wenn ich dasselbe auf Griechisch sage, auch nicht im Sinne eines Dativs. 27. Aber wer ist auch bei den Verba so ahnungslos, dass er deren Genera verbi, Qualitäten, Personen und Numeri nicht kennt? Das gehört doch fast schon in den Elementarunterricht und zum Trivialwissen. Aber schon hier werden jene Verbformen einige Schüler in Verwirrung bringen, die nicht durch die Flexionsschemata „geglättet, poliert“ werden. Denn man kann einerseits zweifeln, ob bestimmte Partizipien Verbformen oder Appellative sind, weil sie an verschiedener Stelle Verschiedenes bedeuten, wie bei tectum (bedeckt oder Dach) und sapiens (schmeckend oder weise), 28. und andererseits sind bestimmte Verba Appellativen ähnlich wie fraudator (Er soll betrogen werden oder Betrüger) und nutritor (Er soll ernährt werden oder Ernährer). Ist ferner das itur in antiquam silvam (Man geht in den alten Wald)2 nicht von ganz eigener Art? Denn welchen Ausgangspunkt soll man für diese Handlung finden? Dem ähnlich ist fletur (Man weint)3. Wir verstehen eben das – tur im Fall von panditur interea domus omnipotentis Olympi (Geöffnet wird inzwischen das Haus des allmächtigen Olymp)4 anders als im Fall von totis usque adeo turbatur agris (Überall im ganzen Land herrscht Unruhe).5 Es gibt auch noch einen dritten Typ wie z.B. bei urbs habitatur, woher auch campus curritur und mare navigatur stammt.

_____________ 2 3 4 5

Vergil, Aeneis 6,179 Terenz, Andria 129 Vergil, Aeneis 10,1 Vergil, Bucolica 1,11–12

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29. „Pransus“ quoque ac „potus“ diuersum ualet quam indicat. Quid, quod multa uerba non totum declinationis ordinem ferunt? Quaedam etiam mutantur, ut „fero“ in praeterito, quaedam tertiae demum personae figura dicuntur, ut „licet“ „piget“. Quaedam simile quiddam patiuntur uocabulis in aduerbium transeuntibus. Nam ut „noctu“ et „diu“, ita „dictu“ „factu“; sunt enim haec quoque uerba, participalia quidem, non tamen qualia „dicto“ „facto“que. 5.1. Iam cum oratio tris habeat uirtutes, ut emendata, ut dilucida, ut ornata sit (quia dicere apte, quod est praecipuum, plerique ornatui subiciunt), totidem uitia, quae sunt supra dictis contraria: emendate loquendi regulam, quae grammatices prior pars est, examinet 2. Haec exigitur uerbis aut singulis aut pluribus. Uerba nunc generaliter accipi uolo: nam duplex eorum intellectus est, alter, qui omnia, per quae sermo nectitur, significat, ut apud Horatium: „uerbaque prouisam rem non inuita sequentur“; alter, in quo est una pars orationis: „lego“ „scribo“; quam uitantes ambiguitatem quidam dicere maluerunt uoces, locutiones, dictiones. 3. Singula sunt aut nostra aut peregrina, aut simplicia aut composita, aut propria aut tralata, aut usitata aut ficta. Uni uerbo uitium saepius quam uirtus inest. Licet enim dicamus aliquod proprium, speciosum, sublime, nihil tamen horum nisi in complexu loquendi serieque contingit: laudamus enim uerba rebus bene accommodata. 4. Sola est, quae notari possit, uelut uocalitas, quae εὐφωνία dicitur: cuius in eo dilectus est, ut inter duo, quae idem significant ac tantundem ualent, quod melius sonet, malis. 5. Prima barbarismi ac soloecismi foeditas absit. Sed quia interim excusantur haec uitia aut consuetudine aut auctoritate aut uetustate aut denique uicinitate uirtutum (nam saepe a figuris ea separare difficile est): ne qua tam lubrica obseruatio fallat, acriter se in illud tenue discrimen grammaticus intendat, de quo nos latius ibi loquemur, ubi de figuris orationis tractandum erit.

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29. Auch pransus und potus bedeuten etwas anderes, als sie der äußeren Form nach anzeigen. Was hat es damit auf sich, dass viele Verben nicht das gesamte Flexionsschema erfüllen? Manche ändern sich sogar im Präteritum wie fero, manche werden nur in der Form der dritten Person gebraucht wie z.B. licet und piget. Manche erleiden etwas Ähnliches wie die Nomina, die in Adverbien übergehen. Denn wie noctu und diu so auch dictu und factu. Denn auch diese sind zwar Verba, aber partizipienartige Verba (verba participialia), nicht jedoch Verbformen wie facto und dicto. 5.1. Weil nun die Rede drei Vorzüge hat, nämlich fehlerfrei, klar und geschmückt zu sein (denn angemessen zu reden, das Wichtigste, ordnen viele dem Schmuck unter) und ebenso viele Fehler, die den oben genannten Vorzügen entgegengesetzt sind, so soll der Lehrer jetzt die Regeln des fehlerfreien Sprechens untersuchen, die den ersten der beiden Teile der Grammatik ausmachen. 2. Dieser Anspruch auf Fehlerfreiheit wird im Bereich einzelner und mehrerer Wörter erhoben. „Wörter“ möchte ich jetzt aber im allgemeinen Sinn verstanden wissen. Denn „Wörter“ hat eine doppelte Bedeutung, eine, die allgemein alle Wörter anzeigt, mit deren Hilfe die zusammenhängende Rede verknüpft wird, wie es bei Horaz heißt: verbaque provisam rem non invita sequentur (und die Wörter werden nicht unfreiwillig der vorher erwogenen Sache folgen)6 und eine andere, nach der es nur eine einzige Wortart bedeutet, nämlich „lego = ich lese, scribo = ich schreibe.“ Um diese Doppeldeutigkeit zu vermeiden, haben manche [bei Wörtern in der allgemeinen Bedeutung] lieber von voces, locutiones oder dictiones sprechen wollen. 3. Die Einzelwörter sind entweder unsere eigenen oder Fremdwörter, einfach oder zusammengesetzt, eigentlich oder übertragen, gebräuchlich oder neu gebildet. Das Einzelwort enthält öfter einen Fehler als einen Vorzug. Denn mögen wir auch ein passendes, schön geformtes, erhabenes Wort verwenden – sie erreichen dennoch sämtlich diese Qualität nur im reihenden Kontext des zusammenhängenden Sprechens. Wir loben nämlich Wörter, wenn sie den Dingen gut angepasst sind. 4. Die einzige Eigenschaft, die man [auch ohne Kontext] bemerken könnte, ist sozusagen die vocalitas, der Wohlklang, den man ἐυφωνία nennt. Die Auswahl dieses Vorzuges geht so vor sich, dass man zwischen zwei Wörtern, die dasselbe anzeigen und bedeuten, lieber das nimmt, was besser klingt. 5. Zuerst ist die Verunstaltung der Sprache durch Barbarismen und Solözismen zu vermeiden. Aber weil diese Fehler bisweilen durch den Sprachgebrauch, durch literarische Autorität, durch ihr Alter und schließlich auch durch ihre Nachbarschaft zu den Vorzügen (denn oft ist es schwer, sie von den Figuren zu trennen) entschuldigt werden, muss der Grammaticus, um nicht von einem so schlüpfrigen Beobachtungsgegenstand getäuscht zu werden, sehr sorgfältig auf diesen subtilen Unterschied seine Aufmerksamkeit richten, über den wir ausführlicher dort sprechen werden, wo die Redefiguren zu behandeln sind.

_____________ 6

Horaz, Ars poetica 311

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6. Interim uitium, quod fit in singulis uerbis, sit barbarismus. Occurrat mihi forsan aliquis: quid hic promisso tanti operis dignum? aut quis hoc nescit, alios barbarismos scribendo fieri, alios loquendo (quia, quod male scribitur, male etiam dici necesse est, quae uitiose dixeris, non utique et scripto peccant), illud prius adiectione, detractione, inmutatione, transmutatione, hoc secundum diuisione, complexione, spatioXI, sono contineri? 7. Sed ut parua sint haec, pueri docentur adhuc et grammaticos officii sui commonemus. Ex quibus si quis erit plane inpolitus et uestibulum modo artis huius ingressus, intra haec, quae profitentium commentariolis uulgata sunt, consistet; doctiores multa adicient: uel hoc primum, quod barbarumXII pluribus modis accipimus. 8. Unum gente, quale sit, si quis Afrum uel Hispanum Latinae orationi nomen inserat: ut ferrum, quo rotae uinciuntur, dici solet „cantus“, quamquam eo tamquam recepto utitur Persius, sicut Catullus „ploxenum“ circa Padum inuenit, et in oratione Labieni (siue illa Corneli Galli est) in Pollionem „casamo“ +adsectator+XIII e Gallia ductum est: nam „mastrucam“, quod est Sardum, inridens Cicero ex industria dixit. 9. Alterum genus barbari accipimus, quod fit animi natura, ut is, a quo insolenter quid aut minaciter aut crudeliter dictum sit, barbare locutus existimatur. 10. Tertium est illud uitium barbarismi, cuius exempla uulgo sunt plurima, sibi etiam quisque fingere potest, ut uerbo, cui libebit, adiciat litteram syllabamue uel detrahat aut aliam pro alia aut eandem alio, quam rectum est, loco ponat. 11. Sed quidam fere in iactationem eruditionis sumere illa ex poetis solent, et auctores, quos praelegunt, criminantur. Scire autem debet puer haec apud scriptores carminum aut uenia digna aut etiam laude duci, potiusque illa docendi erunt minus uulgata.

_____________ XI XII XIII

spatio Konjektur Claussen: adspiratione B, Winterbottom. Vgl. Kommentar z. St. barbarum pluribus B, Winterbottom: barbarismum plurimis A. Vgl. Kommentar z.St. Vgl. Kommentar z.St.

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6. Einstweilen sei ein Barbarismus ein Fehler, der in einzelnen Wörtern auftritt. Wohl könnte mir jetzt jemand entgegenhalten: Was ist denn hier des versprochenen, so bedeutenden Werkes würdig? Oder wer wüsste nicht, dass die Barbarismen zum Teil beim Schreiben, zum Teil beim Sprechen entstehen (weil, was schlecht geschrieben wird, notwendigerweise auch schlecht ausgesprochen wird, man aber, was man schlecht ausspricht, nicht in jedem Fall auch fehlerhaft schreibt) und dass jener erste Fehlertyp durch Hinzufügung, Wegnahme, Austausch und Platztausch, der zweite aber durch Trennung und Verbindung, durch den Zeitwert der Silbe und durch Lautungsfehler zustande kommt. 7. Aber mögen dies auch Kleinigkeiten sein, bis jetzt werden hier noch Kinder unterrichtet und wir erinnern die Grammatiklehrer an ihre Pflicht. Wenn jemand unter ihnen völlig ungebildet ist und nur den Vorraum seiner Kunst betreten hat, dann mag er bei dem stehen bleiben, was in den kleinen Leitfäden der Lehrer verbreitet wird. Die Fachkundigeren werden vieles hinzufügen: z.B. vor allem dies, das wir dem „Barbarischen“ mehrere Bedeutungen unterstellen. 8. Eine Art des „Barbarischen“ verstehen wir von der ethnischen Herkunft des Wortes her, wie sie z.B. vorliegt, wenn jemand in seine lateinischen Rede ein afrikanisches oder spanisches Wort einfügt. So pflegt das Eisen, mit dem die Räder umwunden werden, cantus genannt zu werden, obwohl Persius das Wort wie ein anerkanntes einheimisches Wort verwendet7, wie auch Catull in der Gegend um den Po herum das Wort ploxenum (Wagenkasten) gefunden hat8 und in der Rede des Labienus gegen Pollio (wenn sie nicht von Cornelius Gallus stammt) das Wort casamo (?) +adsectator+ aus Gallien entlehnt ist. Denn mastruca (Schafspelz) – ein sardisches Wort – hat Cicero aus Gründen des Spotts absichtlich gebraucht9. 9. Die zweite Art des „Barbarischen“ verstehen wir von der Gemütsverfassung her, wie man von jemandem, der etwas unbeherrscht, drohend oder grausam geäußert hat, glaubt, er habe „barbarisch“ gesprochen. 10. Die dritte Art ist jener bekannte Fehler des Barbarismus, für den sehr viele Beispiele im allgemeinen Gebrauch sind, die sich aber auch jeder selber bilden kann, indem er einem beliebigen Wort einen Buchstaben oder eine Silbe hinzufügt, wegnimmt oder den einen/die eine an die Stelle des anderen, bzw. denselben/dieselbe an einen anderen Ort, als es richtig wäre, setzt. 11. Aber es gibt manche Lehrer, die, um sich mit ihrer Bildung zu brüsten, solche Fehler von den Dichtern zu nehmen pflegen, und machen den Autoren, die sie vorlesen, Vorwürfe. Das Kind muss aber wissen, dass sie bei poetischen Schriftstellern Nachsicht verdienen oder sogar lobenswert sind, und man hat die Schüler eher über die weniger verbreiteten Beispiele zu belehren.

_____________ 7 8 9

Persius, Satura 5,71 Catull, c. 97,6 Cicero, Pro Scauro, fragm. 45h

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12. Nam duos in uno nomine faciebat barbarismos Tinga Placentinus, si reprehendenti Hortensio credimus, „preculam“ pro „pergula“ dicens, et inmutatione, cum c pro g uteretur, et transmutatione, cum r praeponeret antecedenti. At in eadem uitii geminatione „Mettoeo Fufetioeo“ dicens Ennius poetico iure defenditur. 13. Sed in prorsa quoque est quaedam iam recepta inmutatio (nam Cicero „Canopitarum exercitum“ dicit, ipsi Canobon uocant), et „Trasumennum“ pro „Tarsumenno“ multi auctores, etiamsi est in eo transmutatio, uindicauerunt. similiter alia: nam siue est „adsentior“, Sisenna dixit „adsentio“ multique et hunc et analogian secuti, siue illud uerum est, haec quoque pars consensu defenditur: 14. at ille pexus pinguisque doctor aut illic detractionem aut hic adiectionem putabit. Quid quod quaedam, quae singula procul dubio uitiosa sunt, iuncta sine reprehensione dicuntur? 15. Nam et „dua“ et „tre“ [pondo] diuersorum generum sunt barbarismi, at „dua pondo“ et „tre pondo“ usque ad nostram aetatem ab omnibus dictum est, et recte dici Messala confirmat. 16. Absurdum forsitan XIV uideatur dicere barbarismum, quod est unius uerbi uitium, fieri per numeros aut genera sicut soloecismum: „scala“ tamen et „scopa“ contraque „hordea“ et „mulsa“, licet litterarum mutationem detractionem adiectionem habeant, non alio uitiosa sunt, quam quod pluralia singulariter et singularia pluraliter efferuntur: et, „gladia“ qui dixerunt, genere exciderunt. 17. Sed hoc quoque notare contentus sum, ne arti culpa quorundam peruicacium perplexae uidear et ipse quaestionem addidisse. Plus exigunt subtilitatis, quae accidunt in dicendo uitia, quia exempla eorum tradi scripto non possunt, nisi cum in uersus inciderunt, ut diuisio „Europai“ „Asiai“, et ei contrarium uitium, quod συναίρεσιν et ἐπισυναλιφήν Graeci uocant, nos complexionem dicimus, qualis est apud P. Uarronem: „tum te flagranti deiectum fulmine Phaethon.“

_____________ XIV

Ergänzung uon mir. Vgl. Kommentar z.St.

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12. Denn gleich zwei Barbarismen unterliefen Tinga Placentinus in einem Wort, wenn wir dem tadelnden Hortensius glauben wollen, indem er precula (Vorbau, Anbau) statt pergula sagt – den Fehler durch Austausch, wenn er c statt g verwendet, und den durch Platztausch , wenn er das r dem vorhergehenden e voranstellt. Dagegen wird Ennius bei derselben Fehlerverdoppelung in seiner Formulierung Mettoeo Fufetioeo10 durch sein Recht als Dichter verteidigt. 13. Aber auch in der Prosa gibt es schon eine Art anerkannten Austausches. Denn Cicero sagt „das Heer der Canopiten“, die Einwohner selbst aber nennen ihre Stadt Canobos, und viele Autoren haben die Form Trasumennus statt Tarsumennus verteidigt, wenn darin auch ein Platztausch steckt. Andere Beispiele verhalten sich ähnlich: denn mag es auch assentior (ich stimme zu) geben, Sisenna sagte assentio und viele sind ihm und der Analogie gefolgt. Mag die Form assentio auch die richtige sein, auch die andere Verbform lässt sich mit dem Konsens der Sprachgemeinschaft verteidigen. 14. Aber unser pomadig gekämmter Lehrer wird dort eine Wegnahme, dort eine Hinzufügung annehmen. Was hat es aber damit auf sich, dass manches, was als Einzelwort mit Sicherheit fehlerhaft ist, in Verbindung mit anderen Wörtern ohne Tadel gesagt werden kann? 15. Denn sowohl dua als auch tre sind Barbarismen verschiedener Art , trotzdem hat man dua pondo und tre pondo (zwei Pfund, drei Pfund schwer) bis auf unsere Zeit allgemein gesagt, und das zu Recht, wie Messala bestätigt. 16. Es könnte vielleicht absurd erscheinen zu behaupten, dass ein Barbarismus, der doch ein Fehler im Einzelwort ist, durch Numeri oder Genera entsteht wie ein Solözismus. Doch sind scala (statt scalae = Treppe) und scopa (statt scopae = Besen) und umgekehrt hordea (Gersten statt hordeum) und mulsa (Weinmete statt mulsum), mögen sie auch Buchstabentausch, Wegnahme und Hinzufügung haben, nicht auf andere Weise fehlerhaft, als dass Pluralia im Singular und Singularia im Plural gebraucht werden. Und wer gladia (Schwerter) gesagt hat, ist nur aus dem grammatischen Genus gefallen. 17. Aber ich bin zufrieden, auch dies nur anzudeuten, denn ich möchte nicht in den Verdacht kommen, ich hätte einer Disziplin, die durch die Schuld gewisser übereifriger Leute schon kompliziert genug ist, auch selbst noch eine weitere Streitfrage hinzugefügt. Gründlicheren Scharfsinn verlangen die Fehler, die beim Sprechen vorkommen, weil man Beispiele dafür nicht schriftlich vorführen kann, es sei denn, sie fallen in Verse, wie die Trennung des Diphthongs in Europa-i und Asia-i und der ihm entgegengesetzte Fehler, den die Griechen συναίρεσις und ἐπισυναλιφή, wir aber complexio (Verschmelzung) nennen, wie er z.B. bei P. Varro (Atacinus) vorkommt: Tum te flagranti deiectum fulmine Phae-thon (Dann Dich, Phaethon, der vom lodernden Blitz niedergeworfen.)11.

_____________ 10 11

Ennius, Annalen, fragm. 126 Vahlen Varro Atacinus, Argonautae, Buch IV FPL fragm. 10 Blänsdorf (p.234)

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18. Nam si esset prorsa oratio, easdem litteras enuntiare ueris syllabis licebat. Praeterea quae fiunt spatio, siue cum syllaba correpta producitur, ut „Italiam fato profugus“, seu longa corripitur, ut „unius ob noxam et furias“, extra carmen non deprendas, sed nec in carmine uitia dicenda sunt. 19. Illa uero non nisi aure exiguntur, quae fiunt per sonos: quamquam per adspirationem, siue adicitur uitiose siue detrahitur, apud nos potest quaeri, an in scripto sit uitium, si h littera est, non nota. cuius quidem ratio mutata cum temporibus est saepius. 20. Parcissime ea ueteres usi etiam in uocalibus, cum „aedos“ „ircos“que dicebant. Diu deinde seruatum, ne consonantibus adspirarent, ut in „Graccis“ et „triumpis“. Erupit breui tempore nimius usus, ut „choronae“ „chenturiones“ „praechones“ adhuc quibusdam inscriptionibus maneant, qua de re Catulli nobile epigramma est. 21. Inde durat ad nos usque „uehementer“ et „comprehendere“ et „mihi“: nam „mehe“ quoque pro „me“ apud antiquos tragoediarum praecipue scriptores in ueteribus libris inuenimus. 22. Adhuc difficilior obseruatio est per tenores (quos quidem ab antiquis dictos tonores comperi, uidelicet declinato a Graecis uerbo, qui τόνους dicunt) uel adcentus, quas Graeci προσῳδίας uocant, cum acuta et grauis alia pro alia ponuntur, ut in hoc „Camillus“, si acuitur prima, aut grauis pro flexa, ut „Cethegus“ 23. (et hic prima acuta; nam sic media mutatur), aut flexa pro graui, ut AppiXV circumducta sequenti, quam ex duabus syllabis in unam cogentes et deinde flectentes dupliciter peccant. 24. Sed id saepius in Graecis nominibus accidit, ut „Atrei“XVI, quem nobis iuuenibus doctissimi senes acuta prima dicere solebant, ut necessario secunda grauis esset, item „Nerei“ „Terei“que.

_____________ XV XVI

Appi Spalding; apice A (om. B), Winterbottom. Vgl. Kommentar z.St. Atrei Konjektur Osann: atreus A,B,Winterbottom: Vgl. Kommentar z. St.

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18. Denn wäre dies Prosa, dürfte man dieselben Buchstaben als echte Silben aussprechen [also Pha-ë-thon, nicht Phae-thon]. Ferner wird man Fehler, die in Bezug auf die Zeitdauer der Silbe [spatium] entstehen, wenn entweder eine kurze Silbe [kurz I-] gelängt wie I-taliam fato profugus (nach Italien durch das Schicksal als Flüchtling)12 oder eine lange [lang -i-] gekürzt wird wie un-i-us ob noxam et furias (wegen der Schuld und der Raserei eines einzelnen)13, außerhalb der Dichtung wohl nicht finden, aber auch innerhalb der Dichtung dürfen sie nicht als Fehler bezeichnet werden. 19. Nur mit dem Ohr aber können jene Fehler geprüft werden, die durch die Laute zustande kommen. Indessen kann man sich bei der Aspiration, wenn sie fehlerhaft hinzugefügt oder entfernt wird, bei uns Lateinern fragen, ob es sich nicht doch eher um einen Schreibfehler handelt, wenn denn h tatsächlich ein Buchstabe und nicht nur ein bloßes Lesezeichen darstellt. Die Anwendungsregeln dafür haben sich allerdings im Laufe der Zeit des öfteren verändert. 20. Sehr sparsam haben die Alten die Aspiration verwendet sogar bei Vokalen, wenn sie aedi ircique sagten. Lange haben sie ferner daran festgehalten, Konsonanten nicht zu aspirieren wie bei Graccis und triumpis. In kurzer Zeit verbreitete sich aber explosionsartig ein übertriebener Gebrauch, wie z.B. choronae, chenturiones und praechones noch jetzt auf Inschriften erhalten sind, worüber es von Catull ein berühmtes Epigramm gibt14. 21. Von hier aus hat bis zu uns vehementer, comprehendere und mihi überlebt. Wir finden auch mehe statt me; dies aber vor allem bei alten Tragödiendichtern und in alten Texten. 22. Noch schwieriger wird die Beobachtung von Sprechfehlern durch Betonungen, die tenores, (die die Alten, wie ich erfahren habe, tonores genannt haben, natürlich mit einem von den Griechen entlehnten Wort, die von τόνοι sprechen) oder die Akzente, adcentus, die die Griechen προσῳδίαι nennen, wenn Akut und Gravis, der eine für den anderen gesetzt werden, wie z. B. bei Cámillus, wenn die erste Silbe den Akut erhält, oder ein Gravis für einen Zirkumflex wie bei Céthègus 23. (und auch hier trägt die erste Silbe den Akut, denn so ändert sich der Akzent der Mittelsilbe) oder ein Zirkumflex für einen Gravis, wie bei Áppî mit einer zirkumflektierten zweiten Silbe, bei der man, wenn man sie aus zwei Silben [Áppì-i > Àp-pì > Àp-pî] zu einer zusammen zieht und dann zirkumflektiert, gleich zwei Fehler macht. 24. Doch das passiert öfter bei griechischen Namen wie bei Atrei [also Átreî], den zu meiner Jugendzeit die gebildetsten älteren Leute mit dem Akut auf der ersten Silbe zu sprechen pflegten, so dass notwendigerweise die zweite Silbe den Gravis erhielt [= Á-trè-i] , ebenso wie bei Né-rè-i [Nê-rè-î] und Té-rè-i [Tê-rè-î].

_____________ 12 13 14

Vergil, Aeneis 1,2 Vergil, Aeneis 1,41 Catull, c. 84

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25. Haec de accentibus tradita. Ceterum scio iam quosdam eruditos, nonnullos etiam grammaticos sic docere ac loqui, ut propter quaedam uocum discrimina uerbum interim acuto sono finiant, ut in illis „quae circum litora, circum piscosos scopulos“, ne, si grauem posuerint secundam, 26. „circus“ dici uideatur, non „circumitus“: itemque cum „quale“ interrogantes graui, comparantes acuto tenore concludunt; quod tamen in aduerbiis fere solis ac pronominibus uindicant, in ceteris ueterem legem secuntur. 27. Mihi uidetur condicionem mutare, quod his locis uerba coniungimus. Nam cum dico „circum litora“, tamquam unum enuntio dissimulata distinctione, itaque tamquam in una uoce una est acuta: quod idem accidit in illo „Troiae qui primus ab oris“. 28. Euenit, ut metri quoque condicio mutet accentum: „pecudes pictaeque uolucres“. Nam „uolucres“ media acuta legam, quia, etsi natura breuis, tamen positione longa est, ne faciat iambum, quem non recipit uersus herous. 29. Separata uero haec a praecepto nostro non recedent, aut, si consuetudo uicerit, uetus lex sermonis abolebitur. cuius difficilior apud Graecos obseruatio est, quia plura illis loquendi genera, quas dialectus uocant, et quod alias uitiosum, interim alias rectum est. Apud nos uero breuissima ratio: 30. namque in omni uoce acuta intra numerum trium syllabarum continetur, siue eae sunt in uerbo solae siue ultimae, et in iis aut proxima extremae aut ab ea tertia. Trium porro, de quibus loquor, media longa aut acuta aut flexa erit, eodem loco breuis utique grauem habebit sonum ideoque positam ante se, id est ab ultima tertiam, acuet.

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25. Soviel zur (üblichen) Lehre von den Akzentfehlern. Ich weiß aber, dass einige fachlich sicherlich informierte Autoren, darunter sogar manche Grammatiker, so lehren und sprechen, dass sie wegen bestimmter Bedeutungsunterschiede von Wörtern ein Wort bisweilen mit dem Akut auf der letzten Silbe betonen, wie z.B. in den Versen quae circúm lítora circúm / piscosos scopulos (der um die Küsten, um die fischreichen Klippen)15 [das circúm], 26. damit es nicht, wenn sie den Gravis auf die zweite Silbe setzen, den Eindruck macht, als würde der Dichter „Zirkus“ und nicht „drumherum“ sagen, und sie verfahren ebenso, wenn sie quale in der Frage mit Gravis [quálè] und im Vergleichsatz mit Akut [quàlé] jeweils auf der letzen Silbe betonen. Jedoch vertreten sie diese Regel fast nur bei Adverbien und Pronomina, bei den übrigen Wörter befolgen sie das alte Betonungsgesetz. 27. Mir scheint, dass sich die Betonungsverhältnisse dadurch ändern, dass wir an diesen Stellen Wortverbindungen vornehmen. Denn wenn ich sage „ circum litora“, so spreche ich es gleichsam wie ein einziges Wort und verberge die Trennung, und daher gibt es wie bei einem Einzelwort auch nur einen Akut (circumlítora). Dasselbe geschieht in dem Vers: Troiae qui primus ab óris (der als erster von den Küsten Trojas)16 (also abóris). 28. Es kommt vor, dass auch metrische Umstände den Akzent verändern, wie z.B. bei pecudes pictaeque volúcres (das Vieh und die bunten Vögel)17, denn hier muss ich vo-lú-cres mit Akut auf der Mittelsilbe lesen, weil, wenn sie auch von Natur aus kurz ist, die Mittelsilbe hier dennoch positionslang ist, um nicht einen Jambus zu bilden, den der heroische Vers nicht erlaubt. 29. Stehen die oben genannten Wörter aber getrennt, so werden sie nicht von unserer (der lateinischen) Betonungsregel abweichen – es würde sonst, wenn sich dieser Usus durchgesetzt haben sollte, ein altes Sprachgesetz vernichtet werden. Die beobachtende Erfassung dieses Gesetzes ist bei den Griechen schwieriger, weil sie mehrere Arten von Sprache haben, die sie Dialekte nennen, und was in dem einen Dialekt fehlerhaft ist, ist bisweilen in dem anderen richtig. Bei uns aber lässt sich die Erklärung der Regel äußerst kurz fassen: 30. Denn in jedem Wort ist die Silbe mit Akut innerhalb der Zahl von drei Silben enthalten, mögen sie allein das Wort bilden oder nur die letzten drei Silben (eines mehr als dreisilbigen Wortes) sein, und von diesen ist es entweder die vorletzte oder die drittletzte Silbe. Ist ferner von den drei Silben, von denen ich rede, die mittlere lang, so wird sie entweder den Akut oder den Zirkumflex erhalten. Ist sie an derselben Stelle (also als Mittelsilbe) kurz, wird sie in jedem Fall den Gravis haben und deshalb den Akut an die Silbe vor ihr, d.h. an die drittletzte Silbe, abgeben.

_____________ 15 16 17

Vergil, Aeneis 4,254–5 Vergil, Aeneis 1,1 Vergil, Georgica 3,243; Aeneis 4,525

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31. Est autem in omni uoce utique acuta, sed numquam plus una nec umquam ultima, ideoque in disyllabis prior. Praeterea numquam in eadem flexa et acuta, +qui in eadem flexa et acuta+XVII; itaque neutra cludet uocem Latinam. Ea uero, quae sunt syllabae unius, erunt acuta aut flexa, ne sit aliqua uox sine acuta. 32. Et illa per sonos accidunt, quae demonstrari scripto non possunt, uitia oris et linguae: iotacismus et labdacismus et ischnotetas et plateasmus feliciores fingendis nominibus Graeci uocant, sicut coelostomian, cum uox quasi in recessu oris auditur. 33. sunt etiam proprii quidam et inenarrabiles soni, quibus nonnumquam nationes reprehendimus.XVIII Remotis igitur omnibus, de quibus supra diximus, uitiis erit illa quae uocatur ὀρθοέπεια, id est emendata cum suauitate uocum explanatio: nam sic accipi potest recta. 34. Cetera uitia omnia ex pluribus uocibus sunt, quorum est soloecismus. Quamquam circa hoc quoque disputatum est; nam etiam, qui complexu orationis accidere eum confitentur, quia tamen unius emendatione uerbi corrigi possit, in uerbo esse uitium, 35. non in sermone contendunt, cum, siue „amarae corticis“ seu „medio cortice“ per genus facit soloecismum (quorum neutrum quidem reprehendo, cum sit utriusque Uergilius auctor: sed fingamus utrumlibet non recte dictum), mutatio uocis alterius, in qua uitium erat, rectam loquendi rationem sit redditura, ut „amari corticis“ fiat uel „media cortice“. Quod manifestae calumniae est: neutrum enim uitiosum est separatum, sed compositione peccatur, quae iam sermonis est. 36. Illud eruditius quaeritur, an in singulis quoque uerbis possit fieri soloecismus, ut si unum quis ad se uocans dicat „uenite“, aut si pluris a se dimittens ita loquatur: „abi“ aut „discede“. Nec non cum responsum ab interrogante dissentit, ut si dicenti „quem uideo?“ ita occurras: „ego“. In gestu etiam nonnulli putant idem uitium inesse, cum aliud uoce, aliud nutu uel manu demonstratur.

_____________ XVII XVIII

qui…acuta B: om. A: quia in flexa est acuta Winterbottom, dem ich hier folge. Vgl. Komm. z.St. reprehendimus Codizes: deprehendimus Burman, Winterbottom. Vgl. meinen Kommentar z.St.

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31. Es gibt bei jedem Wort auf jeden Fall eine Silbe mit Akut, aber niemals mehr als eine einzige und niemals die letzte. Deshalb hat bei zweisilbigen Wörtern die erste Silbe den Akut. Außerdem gibt es niemals in ein- und demselben Wort eine mit Zirkumflex und eine mit Akut betonte Silbe, weil im Zirkumflex der Akut enthalten ist. Daher wird keiner der beiden Akzente ein lateinisches Wort beschließen. Die einsilbigen Wörter aber werden mit Akut und Zirkumflex betont, damit kein Wort ohne Akut sei. 32. Es unterlaufen im Lautbereich auch Fehler der Artikulation mit dem Mund und der Zunge, die man nicht schriftlich darstellen kann: ἰωτακισμός und λαβδακισμός, ἰσχνότης und πλατεασμός nennen sie die Griechen, die bei der Bildung von Fachausdrücken erfolgreicher sind, so wie auch κοιλοστομία, wenn die Stimme sozusagen nur in der Höhlung des Mundes hörbar wird. 33. Es gibt auch bestimmte eigentümliche und schriftlich nicht darstellbare Lautaussprachen, mit denen wir manchmal Sprecher ausländischer Nationen tadeln. Wenn nun also alle Fehler entfernt sind, die wir zuvor beschrieben haben, dann wird jene bekannte ɖȡșȠȑʌİȚĮ (das Richtigsprechen) eintreten, d.h. die mit Fehlerfreiheit und Wohlklang verbundene deutliche Wortaussprache: denn nur so kann das „Richtig“ [= das „Ortho“ im Begriff der Orthoepie] verstanden werden. 34. Die übrigen Fehler bestehen sämtlich aus mehreren Wörtern und zu ihnen gehört der Solözismus. Jedoch hat man auch darüber gestritten; denn sogar diejenigen, die zugeben, dass der Solözismus im Redezusammenhang entsteht, behaupten, dass er, weil er trotzdem [trotz der Wortverbindung] durch die Verbesserung eines einzigen Wortes korrigiert werden könne, im Einzelwort, nicht in zusammenhängender Rede liege. 35. Denn, mag auch amarae corticis oder medio cortice einen Solözismus im Genus verursachen, (die ich freilich beide nicht tadele, weil für beide Formulierungen Vergil der Autor ist18. Aber nehmen wir einmal an, eins von beiden sei sprachlich nicht richtig), so werde die Änderung eines der beiden Wörter, in dem der Fehler lag, die Sprachrichtigkeit wiederherstellen, so dass daraus entweder amari corticis oder media cortice würde. Das ist nun eine reine Verdrehung der Tatsachen: keines der beiden Wörter ist nämlich getrennt für sich fehlerhaft [was sie zu einem echten Fehler im Einzelwort, dem Barbarismus, machen würde], sondern der Fehler liegt in der Wortverknüpfung, die aber schon zur zusammenhängenden Rede gehört [Eins von beiden wäre also ein echter Solözismus]. 36. Die folgende Frage zeugt von größerer Bildung, ob es auch bei einzelnen Wörtern zu einem Solözismus kommen kann, wie wenn jemand eine Einzelperson zu sich ruft und dabei „venite“ (kommt) sagt, oder wenn er mehrere Personen wegschickt und dabei abi (geh weg) oder discede (entferne dich) äußert. Ebenso auch, wenn die Antwort nicht zur Frage passt, wie wenn man jemandem, der fragt: „Wen sehe ich?“ antwortet „Ich“ [statt „mich“]. Manche glauben sogar, denselben Fehler gebe es auch im Gestus, wenn mit der Stimme etwas anderes als mit dem Kopfnicken oder mit der Hand zum Ausdruck gebracht wird.

_____________ 18

Vergil, Bucolica 6,62–3; Georgica 2,74

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37. huic opinioni neque omnino accedo neque plane dissentio; nam id fateor accidere uoce una, non tamen aliter, quam si sit aliquid, quod uim alterius uocis optineat, ad quod uox illa referatur: ut soloecismus ex complexu fiat eorum, quibus res significantur et uoluntas ostenditur. 38. Atque ut omnem effugiam cauillationem, sit aliquando in uno uerbo, numquam in solo uerbo. Per quot autem et quas accidat species, non satis conuenit. Qui plenissime, quadripertitam uolunt esse rationem nec aliam quam barbarismi, ut fiat adiectione „nam enim“, „de susum“, „in Alexandriam“, detractione „ambulo uiam“, „Aegypto uenio“, „ne hoc fecit“, 39. transmutatione, qua ordo turbatur, „quoque ego“, „enim hoc uoluit“, „autem non habuit“: ex quo genere an sit „igitur“ initio sermonis positum, dubitari potest, quia maximos auctores in diuersa fuisse opinione uideo, cum apud alios sit etiam frequens, apud alios numquam reperiatur. 40. Haec tria genera quidam diducunt a soloecismo, et adiectionis uitium πλεονασμόν, detractionis ἔλλειψιν, inuersionis ἀναστροφήν uocant: quae si in speciem soloecismi cadat, ὑπερβατόν quoque eodem appellari modo posse. 41. Inmutatio sine controuersia est, cum aliud pro alio ponitur. Id per omnis orationis partis deprendimus, frequentissime in uerbo, quia plurima huic accidunt, ideoque in eo fiunt soloecismi per genera, tempora, personas modos (siue cui „status“ eos dici seu „qualitates“ placet) uel sex uel, ut alii uolunt, octo (nam totidem uitiorum erunt formae, in quot species eorum quidque, de quibus supra dictum est, diuiseris): 42. praeterea numeros, in quibus nos singularem ac pluralem habemus, Graeci et δυικόν. Quamquam fuerunt, qui nobis quoque adicerent dualem „scripsere“ „legere“ (quod euitandae asperitatis gratia mollitum est, ut apud ueteres pro „male mereris“ „male merere“), ideoque, quod uocant duale, in illo solo genere consistit, cum apud Graecos et uerbi tota fere ratione et in nominibus deprendatur (et sic quoque rarissimus sit eius usus),

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37. Dieser Meinung pflichte ich werde völlig bei, noch lehne ich sie ganz und gar ab. Denn ich gebe durchaus zu, dass der Fehler in einem Wort eintritt, aber trotzdem nicht anders, als wenn zugleich etwas da ist, das die Funktion eines zweiten Wortes innehat, worauf sich dann jenes erste Wort bezieht: so dass der Solözismus aus der Verbindung der Äußerungselemente entsteht, durch die einerseits Sachen bezeichnet werden [das geäußerte Wort, z.B. mit der Singularbedeutung.“ Verschwinde“] und durch die andererseits die Absicht des Sprechenden deutlich gemacht wird [das Zeigen auf mehrere Personen]. 38. Um aber allen Spitzfindigkeiten aus dem Weg zu gehen: Mag der Solözismus auch einmal in einem einzigen Wort liegen, niemals jedoch in einem Wort allein. In wie vielen und in welchen Arten der Fehler vorkommt, darüber ist man sich nicht hinreichend einig. Die auf größte Vollständigkeit zielen, wollen eine Vierteilung annehmen, genau die gleiche wie beim Barbarismus, und so entsteht ein Solözismus durch Hinzufügung nam enim [statt nam], de susum [statt de], in Alexandriam [statt Alexandriam], durch Wegnahme ambulo viam [statt ambulare in via], Aegypto venio [statt ex Aegypto venio], ne hoc fecit [statt ne hoc quidem fecit] 39. und durch Umstellung, wodurch die Wortstellung durcheinander gerät, quoque ego [statt ego quoque], enim hoc voluit [statt hoc enim voluit] , autem non habuit [statt non autem habuit]. Ob ein an den Anfang des Satzes gesetztes igitur zu dieser Art Solözismus gehört, darüber kann man im Zweifel sein, weil ich sehe, dass hier die bedeutensten Autoren verschiedener Meinung gewesen sind, tritt doch dieser Gebrauch bei den einen sogar häufig auf, bei den andern nie. 40. Diese drei Arten trennen manche vom Solözismus, und sie nennen den Fehler der Hinzufügung πλεονασμός, den der Wegnahme ἕλλειψις, den der Umstellung ἀναστροφή. Wenn dieser letztgenannte Fehler eine Unterart des Solözismus sei, so behaupten sie weiter, dann könne man auch das ὑπερβατόν ebenso bezeichnen. 41. Der Austausch, wenn eins für das andere gesetzt wird, ist unstrittig. Diesen Fehler finden wir bei allen Wortarten, sehr häufig beim Verb, weil das Verb die meisten Akzidentien hat, und deshalb entstehen bei ihm Solözismen bei den genera verbi, den Tempora, den Personen und den sechs oder, wie andere wollen, acht Modi (mag man sie nun nach Belieben status oder qualitates nennen), denn es werden ebensoviel fehlerhafte Formen sein, in wie viel Arten man die oben genannten Akzidentien aufgeteilt hat. 42. Ferner bei den Numeri, von denen wir Singular und Plural haben, die Griechen aber auch noch den δυικός [ἄριθμος = den numerus dualis = Dual]. Jedoch hat es Leute gegeben, die auch uns den Dual zugesprochen haben, z.B [die Perfektformen] scripsêrè , legêrè. Das ist aber nur eine weichere Form zur Vermeidung eines raueren Klanges, wie man bei den Alten statt male merêris male merêrè findet, und daher besteht, das was sie Dual nennen, nur aus dieser Form allein, während er bei den Griechen fast im gesamten Verbparadigma und bei den Nomina anzutreffen ist (und trotzdem auch so nur sehr selten davon Gebrauch gemacht wird),

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43. apud nostrorum uero neminem haec obseruatio reperiatur, quin e contrario „deuenere locos“ et „conticuere omnes“ et „consedere duces“ aperte nos doceant nil horum ad duos pertinere, „dixere“ quoque, quamquam id Antonius Rufus ex diuerso ponit exemplum, de pluribus patronis praeco pronuntiet. 44. Quid? non Liuius circa initia statim primi libri „tenuere“ inquit „arcem Sabini“ et mox: „in aduersum Romani subiere“? Sed quem potius ego quam M. Tullium sequar? Qui in Oratore „non reprendo“ inquit „scripsere: scripserunt esse uerius sentio“. 45. Similiter in uocabulis et nominibus fit soloecismus genere, numero, proprie autem casibus, quidquid horum alteri succedet. Huic parti subiungantur licet per comparationes et superlationes, itemque in quibus patrium pro possessiuo dicitur uel contra. 46. Nam uitium, quod fit per quantitatem, ut „magnum peculiolum“, erunt, qui soloecismum putent, quia pro nomine integro positum sit deminutum: ego dubito, an id inproprium potius appellem; significatione enim deerrat: soloecismi porro uitium non est in sensu, sed in complexu. 47. In participio per genus et casum ut in uocabulo, per tempora XIX ut in uerbo, per numerum ut in utroque peccatur. Pronomen quoque genus numerum casus habet, quae omnia recipiunt huius modi errorem. 48. Fiunt soloecismi et quidem plurimi per partis orationis: sed id tradere satis non est, ne ita demum uitium esse credat puer, si pro alia ponatur alia, ut uerbum, ubi nomen esse debuerit, uel aduerbium, ubi pronomen, ac similia. 49. Nam sunt quaedam cognata, ut dicunt, id est eiusdem generis, in quibus, qui alia specie quam oportet utetur, non minus quam ipso genere permutato deliquerit. 50. Nam et „an“ et „aut“ coniunctiones sunt, male tamen interroges „hic aut ille sit“; et „ne“ ac „non“ aduerbia: qui tamen dicat pro illo „ne feceris“ „non feceris“, in idem incidat uitium, quia alterum negandi est, alterum uetandi. Hoc amplius „intro“ et „intus“ loci aduerbia, „eo“ tamen „intus“ et „intro sum“ soloecismi sunt. 51. Eadem in diuersitate pronominum interiectionum praepositionum accident.

_____________ XIX

Andresen. Vgl. Komm. zu 1,5,41.

Kapitel 5

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43. bei keinem unserer Autoren aber die Anwendung als Dual beobachtet werden kann, ja sogar ganz im Gegenteil die Belege devenere locos und conticuere omnes und consedere duces19 uns klar darüber belehren, dass keine dieser Formen sich auf eine Zweizahl bezieht, und auch der Ausrufer bei Gericht das dixere, obwohl Antonius Rufus dies als Gegenbeispiel anführt, von mehreren Verteidigern verkündet. 44. Wie? Sagt denn nicht Livius gleich zu Beginn des ersten Buches tenuere arcem Sabini und kurz darauf in adversum Romani subiere20? Aber wem soll ich lieber folgen als Cicero, der im Orator sagt: „Ich tadele scripsere nicht, doch ist scripserunt sprachlich korrekter.“21 45. In gleicher Weise kommt es auch bei den Appellativen und Eigennamen zum Solözismus beim Genus und Numerus, als besondere Eigenart aber bei den Kasus, welcher Fall hier auch immer für einen anderen eintreten wird. Dieser Wortart darf man die Solözismen der Komparative und Superlative unterordnen, ebenso die, bei welchen der Vatername für das Possessivum gesagt wird und umgekehrt. 46. Ferner wird es Leute geben, die einen Fehler, der im Hinblick auf die Quantität unterläuft, wie magnum peculiolum (= ein großes Sümmchen), für einen Solözismus halten, weil an die Stelle des unveränderten Grundworts ein Deminutiv gesetzt sei. Ich bin da im Zweifel, ob ich das nicht eher als unpassendes Wort bezeichnen sollte, denn es geht ja nur in der Bedeutung in die Irre. Der Solözismus ist nun gerade aber kein Fehler in der Bedeutung, sondern in der Verbindung von Wörtern. 47. Beim Partizip werden Fehler im Genus und Kasus wie beim Nomen, in den Tempora wie beim Verb und im Numerus wie bei beiden Wortarten gemacht. Auch das Pronomen hat Genus, Numerus und Kasus, die alle von dieser Art Fehler betroffen werden. 48. Es unterlaufen auch Solözismen – sogar in sehr hoher Zahl – bei den Wortarten untereinander. Doch nur dies zu lehren, ist nicht genug, damit der Schüler nicht glaubt, der Fehler liege nur dann erst vor, wenn eine Wortart für die andere gesetzt wird, wie z.B. ein Verb, wo ein Nomen stehen müsste, oder ein Adverb statt eines Pronomen und ähnliche Fälle. 49. Denn es gibt auch, wie man sagt, verwandte Wörter, d.h. Wörter derselben Gattung, bei denen derjenige, der eine andere Spezies, als es geboten wäre, verwendet, keinen geringeren Fehler macht, als hätte er die Gattung selbst vertauscht. 50. Denn an und aut sind beides Konjunktionen, und doch würde man unkorrekt fragen : hic aut ille sit (= ob er dieser oder jener sei) und ne und non sind beides Adverbia. Wer dennoch für ne feceris (Tu das nicht!) non feceris (Du könntest das wohl nicht tun.) sagt, der verfällt in denselben Fehler, weil das eine zur Verneinung und das andere zum Verbot dient. Ferner sind intro und intus Ortsadverbien, und doch sind eo intus und intro sum Solözismen. 51. Dieselben Fehler werden bei den verschiedenen Spezies der Pronomina, Interjektionen und Präpositionen eintreten.

_____________ 19 20 21

Vergil, Aeneis 1,365, Aeneis 2,1, Ovid, Metamorphosen 13,1 Livius, Ab urbe condita 1,12,1 Cicero, Orator 157

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Est etiamXX soloecismus in oratione comprensionis unius sequentium ac priorum inter se inconueniens positio. 52. Quaedam tamen et faciem soloecismi habent et dici uitiosa non possunt, ut „tragoedia Thyestes“, ut „ludi Floralia ac Megalesia“ – quamquam haec sequentia tempore interciderunt, numquam aliter a ueteribus dicta. Schemata igitur nominabuntur frequentiora quidem apud poetas, sed oratoribus quoque permissa. 53. Uerum schema fere habebit aliquam rationem, ut docebimus eo, quem paulo ante promisimus, loco, sed hic quoque quod schema uocatur, si ab aliquo per inprudentiam factum erit, soloecismi uitio non carebit. 54. In eadem specie sunt, sed schemate carent, ut supra dixi, nomina feminina, quibus mares utuntur, et neutralia, quibus feminae. Hactenus de soloecismo: neque enim artem grammaticam componere adgressi sumus, sed cum in ordinem incurreret, inhonoratumXXI transire noluimus. 55. Hoc amplius, ut institutum ordinem sequar, uerba aut Latina aut peregrina sunt. Peregrina porro ex omnibus prope dixerim gentibus ut homines, ut instituta etiam multa uenerunt. 56. Taceo de Tuscis et Sabinis et Praenestinis quoque (nam ut eorum sermone utentem Uettium Lucilius insectatur, quem ad modum Pollio reprendit in Liuio Patauinitatem): licet omnia Italica pro Romanis habeam. 57. Plurima Gallica eualuerunt, ut „raeda“ ac „petorritum“, quorum altero tamen Cicero, altero Horatius utitur. Et „mappam“ circo quoque usitatum nomen Poeni sibi uindicant, et „gurdos“, quos pro stolidis accipit uulgus, ex Hispania duxisse originem audiui. 58. Sed haec diuisio mea ad Graecum sermonem praecipue pertinet; nam et maxima ex parte Romanus inde conuersus est, et confessis quoque Graecis utimur uerbis ubi nostra desunt, sicut illi a nobis nonnumquam mutuantur. Inde illa quaestio exoritur, an eadem ratione per casus duci externa qua nostra conueniat. 59. Ac si reperias grammaticum ueterum amatorem, neget quicquam ex Latina ratione mutandum, quia, cum sit apud nos casus ablatiuus, quem illi non habent, parum conueniat uno casu nostro, quinque Graecis uti:

_____________ XX XXI

etiam B; enim A, Winterbottom. Vgl. Kommentar z.St. inhonoratum (sc. soloecismum) Kiderlin: inhonoratam Kodizes, Winterbottom.

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Ein Solözismus in der Rede ist auch die unter sich nicht zusammenpassende (inkongruente) Verknüpfung an zweiter und an erster Stelle stehender Elemente eines einzigen zusammenhängenden Ausdrucks. 52. Trotzdem haben manche solcher Ausdrücke zwar das Aussehen eines Solözismus, können aber nicht als fehlerhaft bezeichnet werden, wie z.B. die tragoedia Thyestes oder wie ludi Floralia ac Megalensia; obwohl die beiden zweiten Bestandteile des letzten Ausdrucks mit der Zeit außer Gebrauch gekommen ist, haben die Alten doch niemals anders formuliert. Man wird sie also Schemata nennen, zwar häufiger bei den Dichtern vertreten, aber auch den Rednern erlaubt. 53. Das echte Schema wird in der Regel eine bestimmte Ursache haben, wie wir an der Stelle darlegen werden, die wir kurz zuvor angekündigt haben. Aber auch das, was ich hier Schema nenne, wird, wenn es jemand plan- und absichtslos verwendet, vom Fehler des Solözismus nicht frei sein. 54. Zur selben Spezies gehören, ohne Schemata zu sein, wie ich schon erwähnt habe, feminine Nomina für Männer und neutrale Nomina für Frauen. Soviel über den Solözismus: denn wir haben uns ja nicht vorgenommen eine ars grammatica zu schreiben, sondern wir wollten diesen Fehler, als er an der Reihe war, nicht unbeachtet übergehen. 55. Um nun darüber hinaus weiter der vorgesehenen Gliederung zu folgen: Wörter sind entweder lateinisch oder fremd. Fremdwörter sind weither von, fast möchte ich behaupten, allen Völkern wie Menschen, wie auch viele Institutionen zu uns gekommen. 56. Ich rede nicht von den Etruskern, den Sabinern und auch nicht von den Praenestinern (denn Lucilius verhöhnt den Vettius, er spreche deren Sprache22, wie Pollio den Livius wegen seiner Patavinitas tadelt). Vielmehr erlaube ich mir, alles Italische als Römisch anzusehen. 57. Gallisches hat sich sehr viel durchgesetzt, wie raeda (Reisewagen) und petorritum (vierrädriger gallischer Wagen), deren eines gleichwohl Cicero, deren anderes Horaz gebraucht23. mappa (Tuch, Startfahne), ein auch im Zirkus gebräuchliches Wort, beanspruchen die Punier für sich, das Wort gurdi (Dummköpfe, Tölpel), beim Volk statt stolidi eingebürgert, nahm dagegen seinen Ursprung, wie ich gehört habe, aus Spanien. 58. Doch gilt meine Zweiteilung [in einheimische und Fremdwörter] vor allem dem Griechischen; denn die Sprache Roms ist zum größten Teil von daher übertragen, und wir verwenden auch, ohne einen Hehl daraus zu machen, griechische Wörter, wo uns eigene fehlen, so wie jene bisweilen von uns Wörter entlehnen. Von daher stammt jene bekannte Streitfrage, ob Fremdnomina genau so durch die Kasus dekliniert werden dürfen wie unsere. 59. Und wenn Du einen Grammatiklehrer findest, der die alten Autoren liebt, dürfte er wohl in Abrede stellen, dass irgendetwas aus der lateinischen Deklinationsregel herausgenommen werden müsse, weil, da es bei uns einen Ablativ gebe, den die Griechen nicht besitzen, es nicht passen würde, einen einzigen lateinischen Kasus und fünf griechische Kasus zu gebrauchen.

_____________ 22 23

Lucilius, Satiren, Fragm. 1338 Krenkel Cicero, Pro Milone 2, Horaz, Satiren 1,6,104, Briefe, 2,1,192

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60. quin etiam laudet uirtutem eorum, qui potentiorem facere linguam Latinam studebant nec alienis egere institutis fatebantur: inde „Castorem“ media syllaba producta pronuntiarunt, quia hoc omnibus nostris nominibus accidebat, quorum prima positio in easdem quas „Castor“ litteras exit, et, ut „Palaemo“ ac „Telamo“ et „Plato“ (nam sic eum Cicero quoque appellat) dicerentur, retinuerunt, quia Latinum, quod o et n litteris finiretur, non reperiebant. 61. Ne in a quidem atque s litteras exire temere masculina Graeca nomina recto casu patiebantur, ideoque et apud Caelium legimus „Pelia cincinnatus“ et apud Messalam „bene fecit Euthia“ et apud Ciceronem „Hermagora“, ne miremur quod ab antiquorum plerisque „Aenea“ ut „Anchisa“ sit dictus. 62. Nam si ut „Maecenas“ „Sufenas“ „Asprenas“ dicerentur, genetiuo casu non e littera sed tis syllaba terminarentur. Inde Olympo et tyranno acutam syllabam mediam dederunt, quia duabus longis sequentibusXXII primam breuem acui noster sermo non patitur. 63. Sic genetiuus „Ulixi“ et „Achilli“ fecit, sic alia plurima. Nunc recentiores instituerunt Graecis nominibus Graecas declinationes potius dare, quod tamen ipsum non semper fieri potest. Mihi autem placet rationem Latinam sequi, quousque patitur decor. Neque enim iam „Calypsonem“ dixerim ut „Iunonem“, quamquam secutus antiquos C. Caesar utitur hac ratione declinandi; sed auctoritatem consuetudo superauit. 64. In ceteris, quae poterunt utroque modo non indecenter efferri, qui Graecam figuram sequi malet, non Latine quidem, sed tamen citra reprehensionem loquetur. 65. Simplices uoces prima positione, id est natura sua, constant, compositae aut praepositionibus subiunguntur, ut „innocens“ (dum ne pugnantibus inter se duabus, quale est „inperterritus“: alioqui possunt aliquando continuari duae, ut „incompositus“ „reconditus“ et, quo Cicero utitur, „subabsurdum“), aut e duobus quasi corporibus coalescunt, ut „maleficus“.

_____________ XXII

duabus longis sequentibus A B: vielfach athetiert, auch von Winterbottom, von mir bewahrt. Vgl. Kommentar z.St.

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60. Ja, er dürfte sogar die vorbildliche Haltung derer loben, die sich stets bemüht haben, die lateinische Sprache mächtiger zu machen und nicht zugaben, dass sie fremder Sprachmittel bedürfe. Daher haben die Älteren Castórem mit langer Mittelsilbe ausgesprochen, weil das allen unseren Nomina zukam, deren Nominativ auf dieselben Buchstaben endet wie Castor und sie hielten daran fest, Palaemo, Teleamo und Plato (denn so nennt ihn auch Cicero) zu sagen, weil sie einen lateinischen Namen mit o und n am Ende nicht fanden. 61. Nicht einmal griechische Namen im Nominativ maskulinum ließen sie bedenkenlos einfach auf a und s enden, und deshalb lesen wir bei Caelius: Pelia cincinnatus (gelockter Pelias)24, bei Messala: bene fecit Euthia (Euthias hat gut gehandelt)25 und bei Cicero Hermagora (Hermagoras)26. Wundern wir uns also nicht, dass von den meisten Alten Aenea wie Anchisa gesagt worden ist. 62. Denn wenn diese Namensformen wie Maecenas, Sufenas und Asprenas gebraucht würden [also Pelias, Euthias, Hermagoras und Aeneas], dann würden sie im Genetiv nicht auf den Buchstaben -e, sondern auf die Silbe -tis enden. Aus demselben Grund haben sie auch Olýmpus und tyránnus mit Akut auf der Mittelsilbe betont, weil unsere Sprache, wenn wie hier zwei lange Silben an zweiter Stelle folgen [nämlich die beiden positionslangen Silben lym-p und rán-n], einen Akut auf der ersten kurzen Silbe nicht zulässt. 63. So sind die Genetive Ulixi und Achilli entstanden und so sehr vieles andere dieser Art. Heutzutage haben die jüngeren Autoren es so eingerichtet, den griechischen Namen lieber griechische Deklinationsformen zu geben, was jedoch nicht immer gemacht werden kann. Ich selbst ziehe es vor, der lateinischen Regel zu folgen, solange die sprachliche Akzeptanz dies zulässt. Denn ich möchte nicht mehr Calypsónem wie Iunónem sagen, obwohl Caesar den alten Autoren folgend diese Deklinationsform verwendet. Aber hier hat der Sprachgebrauch die Autorität besiegt. 64. In anderen Fällen, die, ohne Anstoß zu erregen, auf eine von beiden Weisen geäußert werden können, wird derjenige, der lieber der griechischen Form folgt, zwar nicht Latein sprechen, aber dennoch dabei ohne Tadel bleiben. 65. Einfache Wörter bestehen nur aus ihrer erstgesetzten, d.h ihrer eigenständigen natürlichen Prägung [im Gegensatz zu den von ihnen abgeleiteten Wörtern] , die Komposita werden entweder mit Präpositionen verbunden wie in-nocens (Nur sollten sie, wenn es zwei Präpositionen sind, einander nicht widersprechen, wie bei in-per-territus27. Sonst können aber manchmal auch zwei Präpositionen direkt nacheinander gesetzt werden, wie in-com-positus, re-con-ditus und sub-ab-surdum, das Cicero gebraucht28) oder sie wachsen aus zwei quasi Wort“körpern“ zusammen, wie male-ficus.

_____________ 24 25 26 27 28

Caelus Rufus ORF fragm. 30 Malcovati Messala Corvinus ORF fragm. 27 Malcovati Cicero, De inventione 1,8 u.ö. Vergil, Aeneis 10,770 Cicero, De oratore 2, 274.275

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66. Nam ex tribus nostrae utique linguae non concesserim, quamuis „capsis“ Cicero dicat compositum esse ex „cape si uis“, et inueniantur, qui „Lupercalia“ aeque tris partes orationis esse contendant quasi „luere per caprum“: 67. nam „Solitaurilia“ iam persuasum est esse „Suouetaurilia“, et sane ita se habet sacrum, quale apud Homerum quoque est. Sed haec non tam ex tribus quam ex particulis trium coeunt. Ceterum etiam ex praepositione et duobus uocabulis dure uidetur struxisse Pacuuius: „Nerei repandirostrum incuruiceruicum pecus.“ 68. Iunguntur autem aut ex duobus Latinis integris, ut „superfui“ „supterfugi“, quamquam, ex integris an composita sint, quaeritur, aut ex integro et corrupto, ut „maleuolus“, aut ex corrupto et integro, ut „noctiuagus“, aut duobus corruptis, ut „pedisecus“, aut ex nostro et peregrino, ut „biclinium“, aut contra, ut „epitogium“ et „Anticato“, aliquando et ex duobus peregrinis, ut „epiraedium“; nam cum sit „epi“ praepositio Graeca, „raeda“ Gallicum (neque Graecus tamen neque Gallus utitur composito), Romani suum ex alieno utroque fecerunt. 69. Frequenter autem praepositiones quoque copulatio ista corrumpit: inde „abstulit“ „aufugit“ „amisit“, cum praepositio sit „ab“ sola, et „coit“, cum sit praepositio „con“. Sic „ignaui“ et „e re publica“XXIII et similia. 70. Sed res tota magis Graecos decet, nobis minus succedit: nec id fieri natura puto, sed alienis fauemus, ideoque cum κυρταύχενα mirati simus, „incuruiceruicum“ uix a risu defendimus. 71. Propria sunt uerba, cum id significant, in quod primo denominata sunt, tralata, cum alium natura intellectum, alium loco praebent. Usitatis tutius utimur, noua non sine quodam periculo fingimus. Nam si recepta sunt, modicam laudem adferunt orationi, repudiata etiam in iocos exeunt.

_____________ XXIII

e re publica Ax, erepublica Winterbottom. Vgl. Kommentar z.St.

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66. Denn eine Zusammensetzung aus drei Wörtern möchte ich unserer Sprache jedenfalls nicht zugestehen, obwohl Cicero sagt, dass capsis aus cape si vis zusammengesetzt sei29, und es Leute gibt, die behaupten, auch die Lupercalia entsprächen eigentlich drei Wörtern, so als käme es von luere per caprum. 67. Überzeugt ist man dagegen heute davon, dass Solitaurilia richtig Suovetaurilia heißt, und genauso geht ja auch das Opfer vor sich, wie man es auch schon bei Homer findet30. Aber dieses Kompositum setzt sich nicht so sehr aus drei Wörtern [sus, ovis, taurus] als vielmehr aus Fragmenten dieser drei Wörter zusammen. Im übrigen scheinen die Komposita, die Pacuvius sogar aus einer Präposition und zwei Substantiven gebildet hat, doch stilistisch hart: Nerei repandirostrum incurvicervicum pecus (= des Nereus schnauzenrückwärtsdrehend, nackeneingekrummtes Vieh)31. 68. Komposita werden nun aber (1) entweder aus zwei heilen lateinischen Wörtern zusammengesetzt wie super-fui und subter-fugi, obwohl man sich in diesem Fall fragt, ob Verknüpfungen aus zwei heilen Wörtern wirklich Komposita sind, oder (2) aus einem heilen und einem entstellten Wort wie male-volus oder (3) aus einem entstellten und einem heilen Wort wie nocti-vagus oder (4) aus zwei entstellten Wörtern wie pedi-secus, oder (5) aus einem lateinischen und einem fremden Wort wie bi-clinium oder (6) umgekehrt epi-togium und Anti-Cato, manchmal auch (7) aus zwei Fremdwörtern wie epi-raedium, denn während epi eine griechische Präposition ist und raeda ein gallisches Wort (und trotzdem weder der Grieche noch der Gallier das Kompositum gebraucht), haben die Römer aus beiden fremden Bestandteilen etwas Eigenes gemacht. 69. Häufig aber entstellt diese Art der Verknüpfung auch Präpositionen: daher abs-tulit, au-fugit, a-misit, während es sich doch allein nur um die Präposition ab handelt und coit, während die Präposition con lautet. So auch ignavi und e re publica und Ähnliches. 70. Doch passt das gesamte Phänomen der Komposition eher zu den Griechen, uns glückt sie weniger. Und ich glaube auch nicht, dass sie in der Natur unserer Sprache liegt, sondern wir bemühen uns um etwas Fremdes, und daher können wir, während wir κυρταὐχενα bewundern, incurvicervicum kaum vor dem Auslachen in Schutz nehmen. 71. Eigentlich sind Wörter dann, wenn sie das bezeichnen, zu dessen Benennung sie ursprünglich geschaffen worden sind, übertragen dann, wenn sie eine Bedeutung von Natur aus, eine andere an dem Ort der Übertragung bieten. Geläufige Wörter gebrauchen wir mit größerer Sicherheit, neue bilden wir nicht ohne eine gewisse Gefahr. Denn wenn sie akzeptiert werden, bringen sie der Rede nur mäßigen Gewinn, zurückgewiesen aber führen sie sogar zu spöttischen Bemerkungen.

_____________ 29 30 31

Cicero, Orator 154 Homer, Odyssee 11,131; 23,278 Pacuvius TRF, fragm. 408 Ribbeck

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72. Audendum tamen: namque, ut Cicero ait, etiam quae primo dura uisa sunt, usu molliuntur. Sed minime nobis concessa est ὀνοματοποιία. Quis enim ferat, si quid simile illis merito laudatis λίγξε βιός et σίζʌ ὀφθαλμός fingere audeamus? Iam ne „balare“ quidem aut „hinnire“ fortiter diceremus, nisi iudicio uetustatis niterentur. 6.1. Est etiam sua loquentibus obseruatio, sua scribentibus. Sermo conconstat ratione, uetustate, auctoritate, consuetudine. Rationem praestat praecipue analogia, nonnumquam etymologia. Uetera maiestas quaequaedam et, ut sic dixerim, religio commendat. 2. Auctoritas ab oratoribus uel historicis peti solet (nam poetas metri necessitas excusat, nisi si quando nihil impediente in utroque modulatione pedum alterum malunt, qualia sunt „imo de stirpe recisum“ et „aeriae quo congessere palumbes“ et „silice in nuda“ et similia): cum summorum in eloquentia virorum iudicium pro ratione et uel error honestus estXXIV magnos duces sequentibus. 3. Consuetudo uero certissima loquendi magistra, utendumque plane sermone, ut nummo, cui publica forma est. 4.XXV Omnia tamen haec exigunt acre iudicium, analogia praecipue, quam proxime ex Graeco transferentes in Latinum proportionem uocauerunt. Eius haec uis est, ut id, quod dubium est, ad aliquid simile, de quo non quaeritur, referat, et incerta certis probet. Quod efficitur duplici uia: comparatione similium in extremis maxime syllabis, propter quod ea, quae sunt e singulis, negantur debere rationem, et deminutione. 5. Comparatio in nominibus aut genus deprendit aut declinationem: genus, ut, si quaeratur „funis“ masculinum sit an femininum, simile illi sit „panis“: declinationem, ut, si ueniat in dubium „hac domu“ dicendum sit an „hac domo“, et „domuum“ an „domorum“, similia sint „domus“ „anus“ „manus“. 6. Deminutio genus modo detegit, ut, ne ab eodem exemplo recedam, „funem“ masculinum esse „funiculus“ ostendit.

_____________ XXIV XXV

est AB: sit Halm. Vgl. Kommentar z. St. Zur Zählung von § 4 vgl. Kommentar z.St.

Kapitel 5. Kapitel 6

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72. Trotzdem muss man etwas wagen, denn, wie Cicero sagt, wird sogar das, was anfangs hart erscheint, durch den Gebrauch weicher32. Doch ist uns keinesfalls die Onomatopoiie gestattet. Wer nämlich könnte es ertragen, wenn wir wagen würden, etwas zu bilden, was dem zu Recht gelobten λίγξε βιός und σίζ᾽ ὀφθαλμός33 ähnlich wäre? Wir wären nicht einmal so tapfer balare oder hinnire zu sagen, wenn wir uns dabei nicht auf das Urteil der alten Zeit stützen könnten. 6.1 Es sind ferner jeweils eigene Regeln, die man beim Sprechen und die man beim Schreiben beachten muss. Die gesprochene Sprache beruht auf rationaler Begründung, auf dem Alter, der literarischen Autorität und dem Sprachgebrauch. Die rationale Begründung leistet vor allem die Analogie, bisweilen auch die Etymologie. Archaische Ausdrücke bieten sich an durch eine gewisse Majestät und durch eine, wie ich es ausdrücken möchte, religiöse Würde. 2. Die literarische Autorität bezieht man gewöhnlich von den Rednern und Historikern – denn die Dichter entschuldigt der metrische Zwang, es sei denn, sie würden gelegentlich einer von zwei Formen den Vorzug geben, obwohl das Versmaß für beide Formen kein Hindernis darstellt, wie das z.B. der Fall ist bei imo de stirpe recisum (= ganz unten am Stamm abgeschnitten), aëriae quo congessere palumbes (= wo die luftigen Tauben ihr Nest gebaut haben) und silice in nuda (= auf nacktem Fels)34 und Ähnliches –, weil hier das Urteil von sprachlich hoch qualifizierten Männern an die Stelle der rationalen Begründung tritt und sogar ein Fehler nicht ehrenrührig ist, wenn man dabei großen Vorbildern folgt. 3. Der Sprachgebrauch aber ist die sicherste Sprachlehrerin, und man muss die Sprache ganz so verwenden wie eine Münze, die ein öffentlich gültiges Gepräge hat. 4. Dennoch verlangt all dies ein scharfes Urteil, besonders die Analogie, die man in sehr eng anlehnender Übersetzung aus dem Griechischen ins Lateinische proportio genannt hat. Ihre Leistung ist die, dass sie etwas Zweifelhaftes auf etwas Ähnliches, das aber außer Frage steht, bezieht, und Unsicheres mit Sicherem beweist. Man erreicht dies auf zwei Wegen: durch den Vergleich von ähnlichen Wörtern, meist in den Endsilben, weshalb man in Abrede stellt, dass sich diese Methode auf Wörter, die aus nur einer Silbe bestehen, anwenden lässt, und durch Deminutivformen. 5. Der analogische Vergleich erfasst bei den Nomina das Genus und die Deklinationsform, das Genus mit der Folge, dass, wenn unsicher ist, ob funis (= Tau) maskulin oder feminin ist, dieses Nomen dem Nomen panis (= Brot) ähnlich ist, die Deklinationsform mit der Folge, dass, wenn man in Zweifel gerät, ob man hac domu oder hac domo (= durch dieses Haus) sagen soll und domuum oder domorum (= der Häuser), die Nomina domus, anus (= alte Frau) und manus (= Hand) ähnlich sind. 6. Die Deminutivform deckt nur das Genus auf, wie etwa, um bei meinem Beispiel zu bleiben, funiculus (= dünnes Seil) zeigt, dass funis maskulin ist.

_____________ 32 33 34

Cicero, De natura deorum 1,95 Homer, Ilias 4,125 und Odyssee 9,394 Vergil, Aeneis 12,208; Bucolica 3,69; Bucolica 1,15

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7. Eadem in uerbis quoque ratio comparationis, ut, si quis antiquos secutus „feruere“ breui media syllaba dicat, deprendatur uitiose loqui, quod omnia, quae e et o litteris fatendi modo terminantur, eadem, si in infinitis e litteram media syllaba acceperunt, utique productam habent: „prandeo“ „pendeo“ „spondeo“, „prandere“ „pendere“ „spondere“, 8. at quae o solam habent, dummodo per eandem litteram in infinito exeant, breuia fiunt: „lego“ „dico“ „curro“, „legere“ „dicere“ „currere“, etiamsi est apud Lucilium: „feruit aqua et feruet: feruit nunc, feruet ad annum“. 9. Sed pace dicere hominis eruditissimi liceat: si „feruit“ putat illi simile „currit“ et „legit“, „feruo“ dicet ut „lego“ et „curro“, quod nobis inauditum est. Sed non est haec uera comparatio: nam „feruit“ est illi simile „seruit“. Quam proportionem sequenti dicere necesse est „feruire“ ut „seruire“. 10. Prima quoque aliquando positio ex obliquis inuenitur, ut memoria repeto conuictos a me, qui reprenderant, quod hoc uerbo usus essem: „pepigi“; nam id quidem dixisse summos auctores confitebantur, rationem tamen negabant permittere, quia prima positio „paciscor“, cum haberet naturam patiendi, faceret tempore praeterito „pactus sum“. 11. Nos praeter auctoritatem oratorum atque historicorum analogia quoque dictum tuebamur. Nam cum legeremus in XII tabulis „ni ita pagunt“, inueniebamus simile huic „cadunt“: inde prima positio, etiamsi uetustate exoleuerat, apparebat „pago“ ut „cado“, unde non erat dubium sic „pepigi“ nos dicere ut „cecidi“. 12. Sed meminerimus non per omnia duci analogiae posse rationem, cum et sibi ipsa plurimis in locis repugnet. Quaedam sine dubio conantur eruditi defendere, ut, cum deprensum est „lepus“ et „lupus“ similia positione quantum casibus numerisque dissentiant, ita respondent non esse paria, quia „lepus“ epicoenon sit, „lupus“ masculinum, quamquam Uarro in eo libro, quo initia Romanae urbis enarrat, lupum feminam dicit Ennium Pictoremque Fabium secutus.

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7. Die Methode des analogischen Vergleichs ist auch bei den Verba dieselbe, so dass jemand, der in der Nachfolge der alten Autoren fervère (= sieden, kochen, aufwallen) mit kurzer Mittelsilbe spricht, bei einem Sprachfehler ertappt wird, weil alle Verben, die im Indikativ auf den Buchstaben e und o ausgehen, dann, wenn sie im Infinitiv in der mittleren Silbe ein e erhalten haben, stets ein langes e haben: prandèo (= ich frühstücke), pendèo (= ich hänge herab), spondèo (= ich gelobe) = prandêre, pendêre, spondêre, 8. während die Verben, die [im Indikativ] nur ein o haben, sofern sie nur im Infinitiv [in der Mittelsilbe] auf denselben Buchstaben ausgehen [nämlich auf e], kurz werden: lego (= ich lese), dico (= ich sage), curro (= ich laufe) = legère, dicère, currère, auch wenn es bei Lucilius heißt: fervit aqua et fervet: fervit nunc, fervet ad annum (= Das Wasser fervit und fervet, fervit (kocht) jetzt und fervet (wird kochen) im nächsten Jahr)35. 9. Aber man darf doch wohl sagen – ohne dem hoch gebildeten Mann zu nahe zu treten – : Wer fervit dem currit und legit für ähnlich hält, der wird auch fervo sagen wie lego und curro, was wir noch nicht gehört haben. Jedoch das ist kein korrekter analogischer Vergleich [currit/legit = fervit], denn fervit ist dem servit ähnlich. Wer allerdings dieser Analogie folgt, der muss dann auch fervire wie servire sagen. 10. Auch die Grundform im Präsens Aktiv lässt sich manchmal aus den davon abgeleiteten Flexionsformen finden. So erinnere ich mich, dass ich Leute, die an der von mir verwendeten Verbform pepigi (= ich habe verabredet) Anstoß genommen hatten, widerlegen konnte. Denn sie gaben zwar zu, dass die besten Autoren diese Form gebraucht hätten, behaupteten aber, dass die auf rationaler Beweisführung gründende Analogie diese Form nicht zulasse, weil die Grundform des Indikativ Präsens paciscor (= ich verabrede) als eine Passivform nur das Präteritum pactus sum bilden könne. 11. Wir verteidigten unsere Form (pepigi) außer mit der Autorität der Redner und Historiker auch mit Hilfe der Analogie. Denn da wir in den Zwölftafelgesetzen ni ita pagunt (= wenn sie es nicht so festlegen)36 lasen, fanden wir dies dem cadunt (= sie fallen) ähnlich. So kam die Grundform, auch wenn sie durch das Alter außer Gebrauch gekommen war, pago wie cado zum Vorschein, und von daher war es unzweifelhaft, dass wir so pepigi sagten wie cecidi. 12. Doch sollten wir daran denken, dass die analogische Erklärungsmethode nicht überall greifen kann, weil sie sehr oft mit sich selbst im Widerspruch steht. Manche Problemfälle versuchen gebildete Fachleute, ohne Zweifel an ihrer Erklärung zu hegen, zu verteidigen – dadurch, dass sie, wenn z.B. kritisch festgestellt wurde, wie sehr die im Nominativ ähnlichen Wörter lupus und lepus sich in den Kasus und Numeri unterscheiden, antworten, diese Wörter seien nicht ähnlich, weil lepus dem genus epicoenon und lupus dem Maskulinum angehöre, obwohl doch Varro in seinem Buch, in dem er die Anfänge der Stadt Rom darlegt, von einer lupus femina spricht, hier Ennius und Fabius Pictor folgend37.

_____________ 35 36 37

Lucilius, Satiren, Buch 9, fragm. 349 Krenkel Zwölftafelgesetz, Fontes Iuris Romani Antiqui, fragm. I 7 Bruns – Gradenwitz Ennius, Annalen, fragm. 68 und 70 Vahlen. Qu. Fabius Pictor Fr. 7 e (I p.88) Beck und Walter.

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13. Illi autem idem, cum interrogantur, cur „aper“ „apri“ et „pater“ „patris“ faciat, illud nomen XXVI positum, hoc ad aliquid esse contendunt. Praeterea quoniam utrumque a Graeco ductum sit, ad eam rationem recurrunt, ut πατρός „patris“, κάπρου „apri“ faciat. 14. Illa tamen quomodo effugient, ut non, quamuis feminina singulari nominatiuo us litteris finita numquam genetiuo casu ris syllaba terminentur, faciat tamen „Uenus“ „Ueneris“? Item, cum es litteris finita per uarios exeant genetiuos, numquam tamen eadem ris syllaba terminatos, „Ceres“ cogat dici „Cereris“? 15. Quid uero, quae tota positionis eiusdem in diuersos flexus eunt, cum „Alba“ faciat „Albanos“ et „Albensis“, „uolo“ „uolui“ et „uolaui“? Nam praeterito quidem tempore uarie formari uerba prima persona o littera terminata ipsa analogia confitetur, si quidem facit „cado“ „cecidi“, „spondeo“ spopondi“, „pingo“ „pinxi“,“lego“ „legi“, „pono“ „posui“, „frango“ „fregi“, „laudo laudaui“. 16. Non enim, cum primum fingerentur homines, Analogia demissa caelo formam loquendi dedit, sed inuenta est, postquam loquebantur, et notatum in sermone, quid quoque modo caderet. Itaque non ratione nititur, sed exemplo, nec lex est loquendi, sed obseruatio, ut ipsam analogian nulla res alia fecerit quam consuetudo. 17. Inhaerent tamen ei quidam molestissima diligentiae peruersitate, ut „audaciter“ potius dicant quam „audacter“, licet omnes oratores aliud sequantur, et „emicauit“, non „emicuit“, et „conire“, non „coire“. His permittamus et „audiuisse“ et „sciuisse“ et „tribunale“ et „faciliter“ dicere; „frugalis“ quoque sit apud illos, non „frugi“: nam quo alio modo fiet „frugalitas“? 18. Idem „centum milia nummum“ et „fidem deum“ ostendant duplices quoque soloecismos esse, quando et casum mutant et numerum: nesciebamus enim ac non consuetudini et decori seruiebamus, sicut in plurimis, quae M. Tullius in Oratore diuine ut omnia exsequitur. 19. Sed Augustus quoque in epistulis ad C. Caesarem scriptis emendat, quod is „calidum“ dicere quam „caldum“ malit, non quia id non sit Latinum, sed quia sit odiosum et, ut ipse Graeco uerbo significavit, περίεργον 20. Atqui hanc quidam ὀρθοέπειαν solam putant, quam ego minime excludo. Quid enim tam necessarium quam recta locutio? Immo inhaerendum ei iudico, quoad licet, diu etiam mutantibus repugnandum: sed abolita atque abrogata retinere insolentiae cuiusdam est et friuolae in paruis iactantiae. _____________ XXVI

Vgl. meinen Kommentar z. St.

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13. Dieselben Gelehrten behaupten aber, wenn man sie fragt, warum aper den Genetiv apri, pater aber den Genetiv patris bildet, jenes sei ein absolut, für sich gebildetes Nomen, dieses ein Nomen in Bezug auf etwas, ein Relativum. Daneben, da beide Nomina aus dem Griechischen abgeleitet seien, rekurrieren sie aber auch noch auf die Erklärung, dass patris nach ʌȐIJȡȠȢ und apri nach țȐʌȡȠȣ gebildet sei. 14. Wie jedoch werden sie erst den folgenden Fällen aus dem Weg gehen, ohne dass, obwohl die Feminina im Nominativ Singular auf -ùs niemals im Genetiv auf die Silbe -ris enden, Vénùs nicht dennoch den Genetiv Vénèris bildet? Ebenso, ohne dass, obwohl die Nomina auf -ês verschiedene Genetivendungen haben, niemals jedoch einen Genetiv auf derselben Silbe -ris, Cérês nicht dennoch dazu zwingt Cérèris zu sagen? 15. Und was ist weiter mit Wörtern, die in der Grundform völlig gleich sind, aber verschiedene Ableitungsformen bilden, wenn z.B. Alba Albanos und Albenses bildet, volo volui und volavi? Denn dass die Verba, die in der ersten Person auf -o enden, im Präteritum unterschiedliche Formen haben, gibt sogar die Analogie selbst zu, bildet doch cado cecidi, spondeo spopondi, pingo pinxi, lego legi, pono posui, frango fregi und laudo laudavi. 16. Denn die Analogie kam ja nicht sofort, als die Menschen erschaffen wurden, vom Himmel herab, um die Sprachform vorzugeben, sondern man fand sie erst, nachdem man schon sprach, und man beobachtete beim Sprechen, welches Wort auf welche Endung ausging. Daher stützt sich die Analogie nicht auf die Theorie, sondern auf das Beispiel, und sie ist auch kein Sprachgesetz, sondern beruht auf Sprachbeobachtung, so dass nichts anderes als der Sprachgebrauch die Analogie selbst hervorgebracht hat. 17. Dennoch hängen manche Leute an ihr mit einer äußerst lästigen und törichten Pedanterie und sagen dann lieber audaciter statt audacter, mögen auch alle Redner anders verfahren, ebenso emicavit, nicht emicuit, und conire, nicht coire. Diesen Leuten wollen wir dann auch zugestehen audivisse, scivisse, tribunale und faciliter zu sagen. Auch soll ruhig frugalis, nicht frugi bei ihnen Wohnrecht haben, denn wie anders wird frugalitas entstehen? 18. Die gleichen Leute dürfen dann auch zeigen, dass in centum milia nummum und fidem deum ein doppelter Solözismus vorliegt, wenn sie Kasus und Numerus verändern. Denn natürlich wussten wir das nicht und dienten nicht dem Sprachgebrauch und der sprachlichen Angemessenheit, wie in den zahlreichen Fällen, die M. Tullius im Orator38 – vortrefflich wie immer – erörtert! 19. Aber auch Augustus korrigiert in den Briefen an C. Caesar dessen Vorliebe für calidum statt caldum, nicht weil das kein Latein, sondern weil es abstoßend, und, wie er selbst es mit einem griechischen Wort bezeichnet hat, περίεργον (= übertrieben) sei. 20. Aber manche halten das allein für Orthoepie, die ich sonst für meine Person keineswegs ausschließe. Was ist nämlich so notwendig wie korrektes Sprechen? Ich meine im Gegenteil, dass man an ihr festhalten muss, solange es vertretbar ist, und sogar lange Zeit denen Widerstand leisten soll, die etwas verändern wollen. Aber an Wortformen festzuhalten, die nicht mehr in Gebrauch und abgeschafft sind, zeugt von einem Hang zur Extravaganz und alberner Angeberei im Kleinen.

_____________ 38

Cicero, Orator 155

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21. Multum enim litteratus, qui sine adspiratione et producta secunda syllaba salutarit („auére“ est enim), et „calefacere“ dixerit potius, quam quod dicimus, et „conseruauisse“, his adiciat „face“ et „dice“ et similia. 22. Recta est haec uia: quis negat? Sed adiacet et mollior et magis trita. Ego tamen non alio magis angor, quam quod obliquis casibus ducti etiam primas sibi positiones non inuenire, sed mutare permittunt, ut cum „ebur“ et „robur“, ita dicta ac scripta summis auctoribus, in o litteram secundae syllabae transferunt, quia sit „roboris“ et „eboris“, „sulpur“ autem et „guttur“ u litteram in genetiuo seruent: ideoque „iecur“ etiam et „femur“ controuersiam fecerunt. 23. Quod non minus est licentiosum, quam si „sulpuri“ et „gutturi“ subicerent in genetiuo litteram o mediam, quia esset „eboris“ et „roboris“, sicut Antonius Gnipho, qui „robur“ quidem et „ebur“ atque etiam „marmur“ fatetur esse, uerum fieri uult ex his „ebura“ „robura“ „marmura“. 24. Quodsi animaduerterent litterarum adfinitatem, scirent sic ab eo, quod est „robur“ „roboris“ fieri, quo modo ab eo, quod est „miles limes“ „militis limitis“, „iudex uindex“ „iudicis uindicis“, et quae supra iam attigi. 25. Quid uero, quod, ut dicebam, similes positiones in longe diuersas figuras per obliquos casus exeunt, ut „uirgo Iuno,“ „fusus lusus“, „cuspis puppis“ et mille alia, cum illud etiam accidat, ut quaedam pluraliter non dicantur, quaedam contra singulari numero, quaedam casibus careant, quaedam a primis statim positionibus tota mutentur, ut „Iuppiter“? 26. Quod uerbis etiam accidit, ut illi „fero“, cuius praeteritum perfectum et ulterius non inuenitur. Nec plurimum refert nulla haec an praedura sint. Nam quid „progenies“ genetiuo singulari, quid plurali „spes“ faciet? Quo modo autem „quire“ et „urgere“ uel in praeterita patiendi modo uel in participia transibunt? 27. Quid de aliis dicam, cum „senatus“ „senatuis“, „senati“ an „senatus“XXVII faciat incertum sit? Quare mihi non inuenuste dici uidetur, aliud esse Latine, aliud grammatice loqui. Ac de analogia nimium. 28. Etymologia, quae uerborum originem inquirit, a Cicerone dicta est notatio, quia nomen eius apud Aristotelen inuenitur σύμβολον, quod est „nota“. Nam uerbum ex uerbo ductum, id est ueriloquium, ipse Cicero, qui finxit, reformidat. Sunt, qui uim potius intuiti originationem uocent.

_____________ XXVII senatus senatui senati an senatus B. Zu meiner Konjektur oben vgl. meinen Kommentar z.St.

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21. Der Hochgebildete nämlich, der ohne Aspiration und mit langer zweiter Silbe [also mit ávê] grüßt (es gibt ja àvêre) und calefacere lieber sagt, als was wir sagen, und conservavisse, der soll dem auch noch face, dice und Ähnliches hinzufügen. 22. Dieser Weg ist der richtige. Wer möchte das bestreiten? Aber daneben liegt ein bequemerer und häufiger betretener Weg. Mich dagegen bedrückt nichts mehr, als dass sie sich, von den obliquen Kasus veranlasst, erlauben, auch die Nominative nicht so zu lassen, wie sie sie vorfinden, sondern sie zu verändern, wenn sie z.B. die Nominative ebur und robur, so von den besten Autoren ausgesprochen und geschrieben, in der zweiten Silbe in den Buchstaben o [also in *ebor und *robor] umformen, weil es ja roboris und eboris gebe, die Nominative sulpur aber und guttur im Genetiv den Buchstaben u beibehielten. Deshalb haben auch iecur und femur Anlass zum Streit gegeben. 23. Das ist nicht weniger willkürlich, als wenn sie sulpur und guttur im Genetiv in der Mittelsilbe ein o unterschieben würden [also *sulporis und *guttoris], weil es eboris und roboris gebe – so, wie auch Antonius Gnipho Willkür ausübt, wenn er zwar die Formen robur, ebur ja sogar marmur zulässt, aber aus diesen Formen ebura, robura und marmura gebildet haben will. 24. Wenn sie die Lautverwandtschaft beachten würden, dann würden sie wissen, dass die Form roboris so aus der Form robur entsteht, wie militis und limitis aus miles und limes, iudicis und vindicis aus iudex und vindex und das, was ich zuvor schon erwähnt habe. 25. Was aber hat es damit auf sich, dass, wie ich schon sagte, ähnliche Nominative auf sehr verschiedene Formen in den obliquen Kasus ausgehen, wie z.B. virgo und Iuno, fusus und lusus, cuspis und puppis und tausend andere, und es sogar vorkommt, dass manche Nomina keinen Plural bilden, manche dagegen keinen Singular, manchen Kasusformen völlig fehlen, manche wiederum gleich vom Nominativ an sich ganz verändern wie Iuppiter? 26. Das passiert ja auch bei Verben, wie bei fero, von dem sich kein Perfekt und sich ihm anschließende weitere Tempusformen finden. Es macht auch nicht sehr viel aus, ob solche Formen nun gar nicht existieren oder nur sehr hart für das Ohr sind. Denn was wird progenies im Genetiv Singular, was spes im Genetiv Plural für eine Form bilden? Wie aber werden quire und urgere in ihr Perfekt Passiv oder in ihre Partizipien übergehen? 27. Was soll ich über andere Fälle sprechen, wenn z.B. unsicher ist, ob senatus den Genetiv senatuis, senatî oder senatûs bildet? Daher scheint mir die Bemerkung nicht ohne Witz, es sei etwas anderes, lateinisch, etwas anderes grammatisch zu reden. Doch schon zuviel über die Analogie. 28. Die Etymologie, die den Ursprung der Wörter untersucht, ist von Cicero notatio (= Bezeichnung) genannt worden, weil man als Name für das bei Aristoteles σύμβολον (= Symbol, Zeichen) findet, was nota entspricht. Denn vor der wörtlichen Übersetzung veriloquium („Wahrsprechung“) schreckt Cicero selbst zurück, der sie geprägt hat39. Es gibt Leute, die mehr die Aufgabe dieser Disziplin vor Augen haben und sie deshalb originatio (= Ursprungsherleitung) nennen.

_____________ 39

Cicero, Topica 35

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29. Haec habet aliquando usum necessarium, quotiens interpretatione res, de qua quaeritur, eget, ut cum M. Caelius se esse hominem frugi uult probare, non quia abstinens sit (nam id ne mentiri quidem poterat), sed quia utilis multis, id est fructuosus, unde sit ducta frugalitas. Ideoque in definitionibus adsignatur etymologiae locus. 30. Nonnumquam etiam barbara ab emendatis conatur discernere, ut cum „Triquetram“ dici Siciliam an „Triquedram“, „meridiem“ an „medidiem“ oporteat, quaeritur, aliquando consuetudini seruit. 31. Continet autem in se multam eruditionem, siue ex Graecis orta tractemus, quae sunt plurima praecipueque Aeolica ratione, cui est sermo noster simillimus, declinata, siue ex historiarum ueterum notitia nomina hominum locorum gentium urbium requiramus: unde Bruti, publicolae, Pythici? cur Latium, Italia, Beneuentum? quae Capitolium et collem Quirinalem et Argiletum appellandi ratio? 32. Iam illa minora, in quibus maxime studiosi eius rei fatigantur, qui uerba paulum declinata uarie et multipliciter ad ueritatem reducunt aut correptis aut porrectis aut adiectis aut detractis aut permutatis litteris syllabisue. Inde prauis ingeniis ad foedissima usque ludibria labuntur. Sit enim „consul“ a consulendo uel a iudicando, nam et hoc „consulere“ ueteres uocauerunt, unde adhuc remanet illud „rogat boni consulas“, id est „bonum iudices“, 33. „senatui“ dederit nomen aetas, nam idem patres sunt, et „rex“ „rector“ et alia plurima indubitata, nec abnuerim tegulae regulaeque et similium his rationem, iam sit et „classis“ a calando et „lepus“ „leuipes“ et „uulpes“ „uolipes“ – 34. etiamne a contrariis aliqua sinemus trahi, ut „lucus“, quia umbra opacus parum luceat, et „ludus“, quia sit longissime a lusu, et „Ditis“, quia minime diues? Etiamne „hominem“ appellari, quia sit humo natus (quasi uero non omnibus animalibus eadem origo, aut illi primi mortales ante nomen imposuerint terrae quam sibi), et „uerba“ ab aere uerberato?

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29. Ihre Anwendung ist manchmal notwendig, und zwar immer dann, wenn die Sache, nach der gefragt wird, einer Erklärung bedarf, wie z.B. wenn M. Caelius nachweisen will40, er sei ein homo frugi, nicht weil er asketisch enthaltsam (abstinens) sei (denn das hätte er nicht einmal als Lüge vorbringen können), sondern weil er vielen nützlich (utilis), d.h. fructuosus (= frucht-, gewinnbringend, nutzbringend) sei, woher frugalitas (in der Bedeutung Tauglichkeit, Nützlichkeit) abgeleitet sei. Deshalb wird der Etymologie ihr Platz bei den Definitionen zugewiesen. 30. Bisweilen versucht sie auch Fehlerhaftes von Richtigem zu unterscheiden, wie wenn man z.B. fragt, ob man Sizilien Triquetra oder Triquedra nennen oder ob man meridiem oder medidiem sagen soll. Manchmal dient sie aber auch dem Sprachgebrauch. 31. Sie umfasst in sich aber auch viel gelehrte Sachkunde, sei es dass wir aus dem Griechischen stammende Wörter behandeln, die ja sehr zahlreich und vornehmlich nach dem Muster des Äolischen, dem Dialekt, dem unsere Sprache am ähnlichsten ist, abgeformt sind, oder sei es, dass wir aus der Kenntnis alter Berichte die Namen von Menschen, Orten, Völkern und Städten erforschen: Woher stammen z.B. die Namen Bruti, Publicolae und Pythici? Warum heißt es Latium, Italia und Beneventum? Worin liegt die Ursache für die Benennung des Capitolium, des collis Quirinalis und des Argiletum? 32. Damit sind wir schon bei jenen weniger bedeutenden Problemfällen, mit denen sich die auf diesem Gebiet arbeitenden Leute besonders engagiert abquälen, wenn sie nur geringfügig veränderte Wörter auf unterschiedliche Weise und mit vielfältigem Ergebnis auf ihre „Wahrheit“ zurückführen, indem sie Buchstaben oder Silben kürzen, dehnen, hinzufügen, wegnehmen oder vertauschen. Von daher gleiten sie aufgrund ihres fehlgeleiteten Talents zu den abstoßendsten Phantasien ab. Es mag nämlich durchaus consul von consulere (= raten) oder von iudicare (= urteilen, beurteilen, einschätzen) kommen, denn auch das nannten die Alten consulere, woher sich bis jetzt noch der Ausdruck rogat boni consulas (= Er bittet dich, ein gutes Urteil zu fällen), d.h. bonum iudices (= mögest Du gut urteilen) gehalten hat. 33. Dem Wort senatus mag das Alter den Namen gegeben haben, denn sie sind ja auch „Väter“, und es sei rex (König) ein rector (Lenker) und so auch noch andere sehr viele zweifelsfreie Fälle. Ich würde auch die Ableitung von tegula und regula und von Wörtern, die diesen ähnlich sind, nicht in Abrede stellen. Mag ferner classis von calare (= zusammenrufen) abgeleitet sein und lepus von levipes (= Leichtfuß) und vulpes von volipes (= Fliegefuß) 34. – werden wir aber auch noch zulassen, dass einige Wörter vom Gegenteil her abgeleitet werden wie lucus (Hain), weil er, dunkel vom Schatten, zu wenig Licht hat (luceat) und ludus (Schule), weil sie am weitesten vom Spiel (lusus) entfernt ist, und Ditis (= Pluto, Gott der Unterwelt), weil er am allerwenigsten dives (reich) ist? Auch noch, dass homo (Mensch) so genannt wird, weil er humo natus (= vom Boden geboren) ist, (als ob nicht alle Lebewesen denselben Ursprung hätten und jene ersten Sterblichen zuvor der Erde einen Namen gegeben hätten und erst dann sich selbst), und verba (= Wörter) von aëre verberato (= geschlagener Luft)?

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Caelius Rufus, fragm. 31 ORF Malcovati

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35. Pergamus: sic perueniemus eo usque, ut „stella“ luminis stilla credatur, cuius etymologiae auctorem clarum sane in litteris nominari in ea parte, qua a me reprenditur, inhumanum est. 36. Qui uero talia libris complexi sunt, nomina sua ipsi inscripserunt, ingenioseque uisus est Gauius „caelibes“ dicere ueluti „caelites“, quod onere grauissimo uacent, idque Graeco argumento iuuit: ἠιθέους enim eadem de causa dici adfirmat. Nec ei cedit Modestus inuentione: nam, quia Caelo Saturnus genitalia absciderit, hoc nomine appellatos, qui uxore careant, ait; Aelius „pituitam“, quia petat uitam. 37. Sed cui non post Uarronem sit uenia? Qui „agrum“, quia in eo agatur aliquid, et „gragulos“, quia gregatim uolent, dictos uoluit persuadere Ciceroni (ad eum enim scribit), cum alterum ex Graeco sit manifestum duci, alterum ex uocibus auium. 38. Sed hoc tanti fuit uertere, ut „merula“, quia sola uolat, quasi mera uolans nominaretur. Quidam non dubitarunt etymologiae subicere omnem nominis causam, ut ex habitu, quem ad modum dixi, „Longos“ et „Rufos“, ex sono „stertere“ „murmurare“, etiam deriuata, ut a „uelocitate“ dicitur „uelox“, et composita pleraque his similia, quae sine dubio aliunde originem ducunt, sed arte non egent, cuius in hoc opere non est usus nisi in dubiis. 39. Uerba a uetustate repetita non solum magnos adsertores habent, sed etiam adferunt orationi maiestatem aliquam non sine delectatione, nam et auctoritatem antiquitatis habent et, quia intermissa sunt, gratiam nouitati similem parant. 40. Sed opus est modo, ut neque crebra sint haec nec manifesta, quia nihil est odiosius adfectatione, nec utique ab ultimis et iam oblitteratis repetita temporibus, qualia sunt „topper“ et „antegerio“ et „exanclare“ et „prosapia“ et Saliorum carmina uix sacerdotibus suis satis intellecta.

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35. Machen wir nur so weiter: So kommen wir dahin, dass wir stella (= Stern) für luminis stilla (= Lichttropfen) halten. Den in der Wissenschaft gewiss berühmten Urheber dieser Etymologie mit Namen da zu nennen, wo er von mir getadelt wird, ist inhuman. 36. Leute, die so etwas aber in ganzen Büchern umfassend darlegen, haben selbst ihre Namen darauf gesetzt, und so scheint mir Gavius ingeniös die caelibes (= Junggesellen) so genannt zu haben, als wären sie caelites (= Himmlische, Überirdische), weil sie von einer sehr schweren Last befreit seien, und das wird auch noch mit einem griechischen Argument gestützt: sie würden nämlich, so behauptet er, aus demselben Grund ἠιθέους(= Junge Leute, Junggesellen) genannt. Und Modestus lässt es ihm gegenüber an Erfindungsreichtum nicht fehlen: Denn, so sagt er, weil Saturnus dem Caelus (Himmel) die Genitalien abgeschnitten habe, würden diejenigen mit diesem Namen benannt, die keine Frau hätten. Aelius Stilo [sagt, es heiße] petuita (= Schleim, Schnupfen), weil er petat vitam (= das Leben erstrebe, ans Leben gehe). 37. Aber wer sollte nach Varro nicht Nachsicht verdienen? Der wollte Cicero weismachen (an ihn schreibt er nämlich), man sage ager, weil auf ihm etwas agatur (getrieben, angetrieben würde) und graguli (Dohlen), weil sie im Schwarm fliegen (= quia gregatim volent), während es doch offenkundig ist, dass das eine Wort vom Griechischen, das andere von den Stimmen der Vögel her abgeleitet ist41. 38. Aber diese Etymologie auch noch in ihr Gegenteil zu verkehren, war so viel wert, dass die merula (Amsel), weil sie allein fliege, gleichsam mera volans (= unvermischt fliegend) genannt wurde42. Manche haben keine Bedenken gehabt, für jedwede Ursache einer Benennung die Etymologie in Anspruch zu nehmen, wie z.B. nach dem Aussehen, wie schon gesagt, Longus und Rufus, vom Ton her stertere (schnarchen) und murmurare (murmeln), sogar für abgeleitete Wörter wie von der velocitas (Schnelligkeit) velox (schnell) benannt wird, und für die meisten ihnen in dieser Hinsicht ähnlichen Komposita, die ihre Herkunft ohne Zweifel von anderswoher ableiten, dabei aber der Kunst der Etymologie nicht bedürfen, die bei unserer Aufgabe hier nur in Zweifelsfällen von Nutzen ist. 39. Wörter aus alter Zeit, haben, wenn man sie wieder verwendet, nicht nur bedeutende Verteidiger, sondern verleihen der Rede auch eine bestimmte Würde – nicht ohne Freude: Denn sie besitzen die Autorität des Altertums und, weil sie zeitweilig nicht in Gebrauch waren, sind sie ähnlich reizvoll wie etwas Neues. 40. Aber Maßhalten ist dabei nötig, damit diese Wörter nicht in großer Zahl auftreten und besonders auffallen, weil nichts abstoßender ist als affektiertes Gehabe, und nicht unbedingt aus den fernliegendsten und schon vergessenen Zeiten wieder hervorgeholt werden wie etwa topper (vielleicht), antegerio (vor allem), exanclare (ausschöpfen), prosapia (Geschlecht, Familie) und die Salierlieder, die kaum von ihren eigenen Priestern noch richtig verstanden werden.

_____________ 41 42

Varro, De lingua Latina 5,34 und 5,76 Varro, ebenda 5,76

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41. Sed illa mutari uetat religio et consecratis utendum est, oratio uero, cuius summa uirtus est perspicuitas, quam sit uitiosa, si egeat interprete! Ergo ut nouorum optima erunt maxime uetera, ita ueterum maxime noua. 42. Similis circa auctoritatem ratio. Nam etiamsi potest uideri nihil peccare, qui utitur iis uerbis, quae summi auctores tradiderunt, multum tamen refert non solum, quid dixerint, sed etiam, quid persuaserint. Neque enim „tuburcinabundum“ et „lurcinabundum“ iam in nobis quisquam ferat, licet Cato sit auctor, nec „hos lodices“, quamquam id Pollioni placet, nec „gladiola“, atqui Messala dixit, nec „parricidatum“, quod in Caelio uix tolerabile uidetur, nec „collos“ mihi Caluus persuaserit, quae nec ipsi iam dicerent. 43. Superest igitur consuetudo: nam fuerit paene ridiculum malle sermonem, quo locuti sint homines, quam quo loquantur. Et sane quid est aliud uetus sermo quam uetus loquendi consuetudo? Sed huic ipsi necessarium est iudicium, constituendumque in primis id ipsum, quid sit, quod consuetudinem uocemus. 44. Quae si ex eo, quod plures faciunt, nomen accipiat, periculosissimum dabit praeceptum non orationi modo, sed, quod maius est, uitae: unde enim tantum boni, ut pluribus, quae recta sunt, placeant? Igitur ut uelli et comam in gradus frangere et in balneis perpotare, quamlibet haec inuaserint ciuitatem, non erit consuetudo, quia nihil horum caret reprensione (at lauamur et tondemur et conuiuimus ex consuetudine), sic in loquendo non, si quid uitiose multis insederit, pro regula sermonis accipiendum erit. 45. Nam ut transeam, quem ad modum uulgo imperiti loquantur, tota saepe theatra et omnem circi turbam exclamasse barbare scimus. Ergo consuetudinem sermonis uocabo consensum eruditorum, sicut uiuendi consensum bonorum.

Kapitel 6

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41. Aber sie zu verändern, verbietet die Religion und man muss sie als geweiht weiterhin gebrauchen. Die Rede aber, deren höchster Vorzug verständliche Klarheit ist, wie fehlerhaft wäre sie, wenn sie einen Dolmetscher nötig hätte. Also: Wie unter den neuen Wörtern die ältesten die besten sein werden, so unter den alten die neuesten. 42. Ein ähnliches Urteil gilt in Bezug auf die literarische Autorität. Denn auch wenn derjenige – so scheint es – keinen Fehler machen kann, der die Wörter verwendet, die die bedeutendsten Autoren überliefert haben, so macht es dennoch viel aus, nicht nur, welche Wörter sie gesagt, sondern auch, mit welchen sie uns überzeugt haben. Denn tuburcinabundus (= fressend) und lurcinabundus (= schlemmend) dürfte wohl heute niemand mehr hinnehmen, mag auch Cato der Autor sein43, und auch nicht hos lodices (= diese Decken), obwohl das Pollio gefällt44, oder gladiola (= Schwertchen), hat es auch Messala gebraucht45, noch parricidatus (= Vatermord), was bei Caelius kaum erträglich zu sein scheint46, noch könnte mich Calvus zu collos (= Hälse) bewegen47: würden sie es doch selbst heute nicht mehr sagen. 43. Übrig bleibt also der Sprachgebrauch: denn es dürfte doch fast schon lächerlich sein, der Sprache, die die Menschen geprochen haben, den Vorzug zu geben als der, die sie jetzt gerade sprechen. Und in der Tat – was ist die alte Sprache anderes als der alte Sprachgebrauch? Aber selbst für diese Sprachnorm ist ein kritisches Urteil nötig, und vor allem muss man bestimmen, was wir unter dem, was wir „consuetudo (= Gewohnheit, Brauch)“ nennen, zu verstehen haben. 44. Wenn sie nämlich ihren Namen von dem bezieht, was die Mehrzahl tut, wird sie eine sehr gefährliche Anweisung erteilen – nicht nur für die Rede, sondern, was noch wichtiger ist, für das Leben: Woher nämlich soll eine derart glückliche Lage kommen, dass der Mehrheit das gefällt, was richtig ist? Ergo: Wie sich die Körperhaare auszupfen zu lassen, sich das Haar stufig aufzutürmen und in den Bädern durchzuzechen, sosehr das auch in unsere Gesellschaft eingedrungen ist, nicht zur Gewohnheit werden wird, weil nichts davon ohne Tadel bleibt (Wir dagegen baden, schneiden uns die Haare und halten unsere Gastmähler nach geltendem Brauch), so wird man auch eine verfehlte Art des Sprechens, wenn sie sich bei vielen festgesetzt hat, nicht als Sprachregel akzeptieren. 45. Denn, um zu übergehen, wie ungebildete Leute gewöhnlich sprechen, – wir wissen doch, dass schon oft ein ganzes Theaterpublikum und die gesamte versammelte Masse im Zirkus barbarische Ausrufe von sich gegeben hat. Also werde ich den Sprachgebrauch den Konsensus der Gebildeten nennen, so wie die übliche Lebensführung den Konsensus der Guten.

_____________ 43 44 45 46 47

Cato maior, fragm. incertum 49 Jordan Asinius Pollio, fragm.incertum 43 ORF Malcovati Messala Corvinus fragm. 29 ORF Malcovati Caelius Rufus, fragm. 32 ORF Malcovati Licinius Calvus, fragm. 35 ORF Malcovati

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7.1. Nunc, quoniam diximus, quae sit loquendi regula, dicendum, quae scribentibus custodienda, quod Graeci orthographian vocant, nos recte scribendi scientiam nominemus. Cuius ars non in hoc posita est, ut noverimus, quibus quaeque syllaba litteris constet (nam id quidem infra grammatici officium est), sed totam, ut mea fert opinio, subtilitatem in dubiis habet: 2. ut longis syllabis omnibus adponere apicem ineptissimum est, quia plurimae natura ipsa verbi, quod scribitur, patent, sed interim necessarium, cum eadem littera alium atque alium intellectum, prout correpta vel producta est, facit: 3. ut „malus“ arborem significet an hominem non bonum, apice distinguitur, „palus“ aliud priore syllaba longa, aliud sequenti significat, et cum eadem littera nominativo casu brevis, ablativo longa est, utrum sequamur, plerumque hac nota monendi sumus. 4. Similiter putaverunt illa quoque servanda discrimina, ut „ex“ praepositionem si verbum sequeretur „specto“, adiecta secundae syllabae s littera, si „pecto“, remota scriberemus. 5. Illa quoque servata est a multis differentia, ut „ad“, cum esset praepositio, d litteram, cum autem coniunctio, t acciperet, itemque „cum“, si tempus significaret, per quXXVIII, si comitem, per c ac duas sequentis scriberetur. 6. Frigidiora his alia, ut „quidquid“ c quartam haberet, ne interrogare bis videremur, et „quotidie“ non „cotidie“, ut sit quot diebus: verum haec iam etiam inter ipsas ineptias evanuerunt. 7. Quaeri solet, in scribendo praepositiones sonum, quem iunctae efficiunt, an, quem separatae, observare conveniat, ut cum dico „optinuit“ (secundam enim b litteram ratio poscit, aures magis audiunt p) 8. et „immunis“ (illud nXXIX, quod veritas exigit, sequentis syllabae sono victum m gemina commutatur.) 9. Est et in dividendis verbis observatio, mediam litteram consonantem priori an sequenti syllabae adiungas. „Haruspex“ enim, quia pars eius posterior a spectando est, s litteram tertiae dabit, „abstemius“, quia ex abstinentia temeti composita vox est, primae relinquet.

_____________ XXVIII quom Winterbottom: qu Ax. Vgl. Kommentar z. St. XXIX Ich folge dem überlieferten Text der Handschriften ohne Konjektur. Vgl. Kommentar z. St.

Kapitel 7

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7.1 Jetzt muss, weil wir behandelt haben, welche Regel für das Sprechen gilt, davon die Rede sein, worauf man beim Schreiben zu achten hat. Die Griechen nennen dies Orthographie, wir wollen es die Kenntnis des richtigen Schreibens nennen. Die Kunst dieser Disziplin liegt nun nicht darin, dass wir wissen, aus welchen Buchstaben jede Silbe besteht (denn das steht sicherlich unter der Aufgabe des Grammatiklehrers), sondern sie hat – so lautet jedenfalls meine Meinung – die ganze Subtilität ihrer Gegenstände in den Zweifelsfällen: 2. z.B. ist es völlig unangebracht, auf allen langen Silben einen Apex zu setzen, weil sie sich meist schon durch die Natur des geschriebenen Wortes selbst offenbaren. Doch ist es manchmal auch notwendig, ihn zu setzen, weil ein- und derselbe Buchstabe, je nachdem, ob er lang oder kurz ist, jeweils eine andere Bedeutung bewirkt. 3. So wird z.B., ob malus einen Baum (málus = Apfelbaum) oder einen schlechten Menschen (malus) bedeutet, mit Hilfe des Apex unterschieden, bedeutet pálus etwas anderes mit langer erster (Pfahl) als mit langer zweiter Silbe (palús = Sumpf) und müssen wir, wenn derselbe Buchstabe im Nominativ kurz und im Ablativ lang ist, meist durch dieses Zeichen daran erinnert werden, welchem der beiden Kasus wir folgen sollen. 4. Ebenso hat man gemeint, auch an den Unterscheidungen festhalten zu müssen, dass man, wenn auf die Präposition ex das Verb specto (schaue) folgt, das Verb mit einem der zweiten Silbe hinzugefügten s [also ex-specto], wenn aber pecto (kämme) folgt, ohne s schreibt [also ex-pecto]. 5. Auch jener Unterschied ist von vielen aufrecht erhalten worden, dass ad als Präposition den Buchstaben d, als Konjunktion aber den Buchstaben t erhalte, und dass ebenso das cum, wenn es die Zeit anzeige, mit qu, wenn den Begleiter, mit c und den beiden folgenden Buchstaben [u+m, also qu-um und c-um] geschrieben werde. 6. Anderes ist trivialer als dies, z.B. dass quidquid als vierten Buchstaben ein c haben sollte [quic-quid], damit wir nicht zweimal zu fragen scheinen, und quotidie nicht cotidie zu schreiben sei, damit es quot diebus (wieviele Tage) darstelle: aber derartiges ist sogar schon aus den Listen der Albernheiten selbst verschwunden. 7. Man pflegt zu fragen, ob die Präpositionen, wenn sie geschrieben werden, den Laut, den sie in der Verbindung, oder den, den sie isoliert für sich stehend erzeugen, beibehalten sollen, z.B. wenn ich optinuit (= Er hat erhalten, eingenommen) sage (Als zweiten Buchstaben nämlich fordert die sprachrationale Erklärung das b, die Ohren hören aber eher ein p.) und immunis (= unversehrt): 8. (Jenes n nämlich, das die Sprachrichtigkeit fordert, wird, durch den Laut der zweiten Silbe besiegt, in ein Zwillings-m ausgetauscht.). 9. Auch bei der Trennung von Wörtern muss man darauf achten, ob man den mittleren Konsonanten an die erste oder an die zweite Silbe anschließt. haruspex (der Opferbeschauer) nämlich wird, weil sein zweiter Bestandteil von spectare (schauen) kommt, das s der dritten Silbe zuschlagen (ha-ru-spex), abstemius (nüchtern) dagegen wird es, weil das Wort aus abstinentia teméti (Enthaltsamkeit von einem alkoholischem Getränk) zusammengesetzt ist, der ersten Silbe lassen (abs-te-mius).

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10. Nam k quidem in nullis verbis utendum puto nisi, quae significat etiam, ut sola ponatur. Hoc eo non omisi, quod quidam eam, quotiens a sequatur, necessariam credunt, cum sit c littera, quae ad omnis vocalis vim suam perferat. 11. Verum orthographia quoque consuetudini servit ideoque saepe mutata est. (nam illa vetustissima transeo tempora, quibus et pauciores litterae nec similes his nostris earum formae fuerunt et vis quoque diversa, sicut apud Graecos o litterae, quae interim longa ac brevis, ut apud nos, interim pro syllaba, quam nomine suo exprimit, posita est); 12. utXXX a Latinis veteribus d plurimis in verbis ultimum adiectumXXXI, quod manifestum est etiam ex columna rostrata, quae est Duilio in foro posita, interim g quoque, ut in pulvinari Solis, qui colitur iuxta aedem Quirini, „vesperug“, quod „vesperuginem“ accipimus. 13. De mutatione etiam litterarum, de qua supra dixi, nihil repetere hic necesse est: fortasse enim sicut scribebant, etiam loquebantur. 14. Semivocalis geminare diu non fuit usitatissimi moris, atque e contrario usque ad Accium et ultra porrectas syllabas geminis, ut dixi, vocalibus scripserunt. 15. Diutius duravit, ut e et i iungendis eadem ratione, qua Graeci, ei uterentur: ea casibus numerisque discreta est, ut Lucilius praecipit: „iam pueri venere: e postremum facito atque i, ut puerei plures fiant“XXXII ac deinceps idem: „mendaci furique addes e, cum dare furei iusseris.“XXXIII 16. Quod quidem cum supervacuum est, quia i tam longae quam brevis naturam habet, tum incommodum aliquando; nam in iis, quae proximam ab ultima litteram e habebunt et i longa terminabuntur, illam rationem sequentes utemur e gemina, qualia sunt haec „aurei“ „argentei“ et his similia: 17. idque iis praecipue, qui ad lectionem instituentur, etiam impedimento erit, sicut in Graecis accidit adiectione i litterae, quam non solum dativis casibus in parte ultima adscribunt, sed quibusdam etiam interponunt, ut in ΛΗΙΣΤΗΙ, quia etymologia ex divisione in tris syllabas facta desideret eam litteram.

_____________ XXX XXXI XXXII XXXIII

Vgl. Kommentar z.St. Ich folge A. Vgl. Kommentar z. St. Meine Interpunktion. Vgl. Kommentar z. St. furi Winterbottom. Vgl. Kommentar z.St.

Kapitel 7

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10. Das k sollte man nun freilich bei keinem Wort, wie ich meine, gebrauchen, es sei denn bei den Wörtern, die es sogar in der Form bezeichnet, dass es allein gesetzt wird. Ich habe das deshalb nicht ausgelassen, weil manche Leute diesen Buchstaben immer dann für notwendig halten, wenn ein a folgt, während es doch der Buchstabe c ist, der allen Vokalen seinen Lautwert [nämlich das /k/] überbringt. 11. Aber auch die Orthographie ist Diener des Sprachgebrauchs und hat sich deshalb oft geändert. (Dabei übergehe ich jene ältesten Zeiten, in denen es weniger Buchstaben gab, ihre schriftliche Form unseren heutigen nicht ähnlich war und sich auch ihr Lautwert [von dem heutigen] unterschied, so wie das bei den Griechen bei dem Buchstaben o der Fall war, der bisweilen lang und kurz, wie bei uns, bisweilen für die Silbe, die er mit seinem Namen ausdrückt, gesetzt worden ist ). 12. So ist z.B. von den alten Lateinern bei sehr vielen Wörtern als letzter Buchstabe ein d hinzugefügt worden, was auch aus der Säule mit Schiffsschnäbeln deutlich wird, die zu Ehren des Duilius auf dem Forum aufgestellt worden ist, und bisweilen auch das g, wie im Pulvinar des Sol, das neben dem Tempel des Quirinus verehrt wird, beim Wort versperug, das wir als vesperugo (Abendstern) verstehen. 13. Über die Veränderung auch der Buchstaben, von der ich oben gesprochen habe, muss hier nichts wiederholt werden: denn vielleicht sprachen sie auch so, wie sie schrieben. 14. Halbvokale zu verdoppeln, war lange nicht sonderlich üblich, und umgekehrt schrieb man bis auf Accius und darüber hinaus die langen Silben mit einem Doppelvokal, wie ich schon erwähnt habe. 15. Länger dauerte es noch an, dass sie von der Verbindung von e und i [also vom Diphthong ei] in derselben Weise Gebrauch machten, wie die Griechen von ihrem Diphthong ει: Diese Art des Gebrauchs (von ei für i) ist nach Kasus und Numerus, wie Lucilius lehrt, verschieden geregelt: „Schon sind die Knaben (pueri) gekommen“. Setz ein e und ein i an das Ende, damit die Jungen (puerei) eine Mehrzahl werden, und derselbe Lucilius gleich unmittelbar darauf: „Dem Lügner (mendaci) und dem Dieb (furi) wirst Du ein e dazugeben, wenn Du befohlen hast, dem Dieb (furei) etwas zu geben.“48 16. Das ist nun aber nicht nur überflüssig, weil das i schon von Natur aus lang oder kurz sein kann, sondern in manchen Fällen auch unvorteilhaft. Denn bei den Wörtern, die in der vorletzten Silbe ein e haben und in der letzten Silbe auf ein langes i enden, werden wir, wenn wir dieser Regel folgen, ein doppeltes e schreiben, wie etwa bei aurei (golden) und argentei (silbern) oder ähnlichen Wörtern [nämlich aure-ei und argente-ei]. 17. Und das wird besonders auch denen hinderlich sein, die lesen lernen sollen, wie es im Griechischen durch die Hinzufügung des Buchstaben i vorkommt, den sie nicht nur in den Kasusformen des Dativs zur Endung hinzuschreiben, sondern einigen Wörtern auch einfügen, wie im Fall von ΛΗΙΣΤΗΙ (= dem Räuber), weil die Etymologie wegen der Teilung des Wortes in drei Silben diesen Buchstaben verlange.

_____________ 48

Lucilius, Satiren, Buch 9, fragm. 353–357

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18. Ae syllabam, cuius secundam nunc e litteram ponimus, varie per a et i efferebant, quidam semper ut Graeci, quidam singulariter tantum, cum in dativum vel genetivum casum incidissent, unde „pictai vestis“ et „aquai“ Vergilius amantissimus vetustatis carminibus inseruit. 19. In isdem plurali numero e utebantur: „hi Sullae, Galbae“. Est in hac quoque parte Lucili praeceptum, quod quia pluribus explicatur versibus, si quis parum credet, apud ipsum in nono requirat. 20. Quid, quod Ciceronis temporibus paulumque infra, fere quotiens s littera media vocalium longarum vel subiecta longis esset, geminabatur, ut „caussae“ „cassus“ „divissiones“? Quo modo et ipsum et Vergilium quoque scripsisse manus eorum docent. 21. Atqui paulum superiores etiam illud, quod nos gemina dicimus „iussi“, una dixerunt. Iam „optimus“ „maximus“ ut mediam i litteram, quae veteribus u fuerat, acciperent, C. primum Caesaris in scriptioneXXXIV traditur factum. 22. „Here“ nunc e littera terminamus: at veterum comicorum adhuc libris invenio „heri ad me venit“: quod idem in epistulis Augusti, quas sua manu scripsit aut emendavit, deprenditur. 23. Quid? non Cato Censorius „dicam“ et „faciam“ „dice“ et „facie“XXXV scripsit, eundemque in ceteris, quae similiter cadunt, modum tenuit? Quod et ex veteribus eius libris manifestum est et a Messala in libro de s littera positum. 24. „Sibe“ et „quase“ scriptum in multorum libris est, sed, an hoc voluerint auctores, nescio: T. Livium ita his usum ex Pediano comperi, qui et ipse eum sequebatur. Haec nos i littera finimus. 25. Quid dicam „vortices“ et „vorsus“ ceteraque ad eundem modum, quae primus Scipio Africanus in e litteram secundam vertisse dicitur? 26. Nostri praeceptores „seruum“ „ceruum“que u et o litteris scripserunt, quia subiecta sibi vocalis in unum sonum coalescere et confundi nequiret; nunc u gemina scribuntur ea ratione, quam reddidi: neutro sane modo vox, quam sentimus, efficitur, nec inutiliter Claudius Aeolicam illam ad hos usus litteram adiecerat. 27. Illud nunc melius, quod „cui“ tribus, quas praeposui, litteris enotamus, in quo pueris nobis ad pinguem sane sonum qu et oi utebantur, tantum ut ab illo „qui“ distingueretur.

_____________ XXXIV inscriptione Winterbottom. Vgl. Kommentar z. St. XXXV dicae et faciae Winterbottom. Vgl. Kommentar z. St.

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18. Die Silbe ae, als dessen zweiten Buchstaben wir heute ein e setzen, gaben sie (früher) auf unterschiedliche Weise mit a und i wieder, einige immer wie die Griechen, einige nur bei Wörtern im Singular, wenn sie es mit dem Dativ oder Genetiv zu tun bekamen, woher Vergil mit seiner sehr großen Vorliebe für das Archaische seinen Gedichten pictai vestis (bunter Kleidung) und aquai (des Wassers) eingefügt hat49. 19. Bei denselben Wörtern gebrauchten sie allerdings im Plural das e: hi Sullae, Galbae. Auch dafür gibt es eine Vorschrift des Lucilius50, die, weil sie in mehreren Versen erklärt wird, der Leser, wenn er daran nicht so recht glaubt, bei dem Dichter selbst im neunten Buch nachprüfen sollte. 20. Und weiter, wird nicht zu Ciceros Zeiten und noch kurz danach das s, sooft es zwischen zwei langen Vokalen oder nach langen Vokalen steht, in der Regel verdoppelt, wie bei caussae, cassus, divissiones? Dass so Cicero selbst und auch Vergil geschrieben haben, zeigen deren Autographen. 21. Allerdings haben Autoren kurz davor auch das iussi, das wir mit Doppel-s sprechen, mit nur einem s gesprochen. Ferner dass optimus und maximus in der Mittelsilbe den i-Laut, der bei den Alten noch das u gewesen war, annahmen, das sei, so wird berichtet, erstmals in der Orthographie C. Caesars geschehen. 22. Here schreiben wir heute am Ende mit e. Aber in den Werken der alten Komiker finde ich immer noch heri ad me venit (Gestern kam er zu mir)51 und dasselbe findet sich auch noch in den Briefen des Augustus, die er mit eigener Hand schrieb oder verbesserte52. 23. Und? Hat nicht Cato, der Censor, statt dicam und faciam dice und facie geschrieben und dieselbe Schreibweise bei anderen Wörtern, die gleich enden, beibehalten? Dies wird aus alten Exemplaren seiner Bücher deutlich und ist auch von Messalla in seinem Buch über das s festgestellt worden53. 24. Sibe und quase ist in Büchern vieler Autoren geschrieben worden, aber, ob sie das auch wirklich so gewollt haben, weiß ich nicht. T. Livius hat diese Wörter so gebraucht, wie ich von Asconius Pedianus erfahren habe, der ihm auch selbst darin folgte. Wir schreiben diese Wörter am Ende mit i. 25. Was soll ich vortices und vorsus nennen und anderes dieser Art, Wörter, deren zweiten Buchstaben zuerst Scipio Africanus in ein e geändert haben soll. 26. Unsere Lehrer schrieben ser-uos und cer-uos noch mit u und o, weil ein Vokal, der sich selbst folgt, nicht in einen Laut zusammenwachsen und verschmelzen könne. Jetzt werden diese Wörter mit Doppel-u geschrieben aus dem Grund, den ich schon genannt habe. Auf keine der beiden Arten wird freilich der Laut wiedergegeben, den wir hören, und so war es nicht nutzlos, dass Claudius den bereits erwähnten äolischen Buchstaben [das Digamma] für solche Zwecke eingeführt hatte. 27. Es ist besser, dass wir heute cui mit den drei Buchstaben, die ich hier soeben benutzt habe, schreiben, wofür man, als wir noch Kinder waren, das nun wirklich dumpf klingende qu und oi benutzte – nur, um es vom qui zu unterscheiden.

_____________ 49 50 51 52 53

Vergil, Aeneis 9,26 und 7,464 Lucilius, Satiren, Buch 9, 364 Krenkel Terenz, Phormio 36 Augustus, Epistulae, fragm. incert. (cf. Sueton, Augustus 71 und Caligula 8) Messala Corvinus, Liber de s littera, fragm. 1 GRF Funaioli

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28. Quid, quae scribuntur aliter, quam enuntiantur? Nam et „Gaius“ C littera significatur, quae inversa mulierem declarat, quia tam Gaias esse vocitatas quam Gaios etiam ex nuptialibus sacris apparet: 29. nec „Gnaeus“ eam litteram in praenominis nota accipit, qua sonat, et „columnam“ et „consules“ exempta n littera legimus, et „Subura“, cum tribus litteris notatur, C tertiam ostendit. Multa sunt generis huius, sed haec quoque vereor, ne modum tam parvae quaestionis excesserint. 30. Iudicium autem suum grammaticus interponat his omnibus: nam hoc valere plurimum debet. Ego, nisi quod consuetudo optinuerit, sic scribendum quidque iudico, quomodo sonat. 31. Hic enim est usus litterarum, ut custodiant voces et velut depositum reddant legentibus. Itaque id exprimere debent, quod dicturi sumus. 32. Hae fere sunt emendate loquendi scribendique partes: duas reliquas significanter ornateque dicendi non equidem grammaticis aufero, sed, cum mihi officia rhetoris supersint, maiori operi reservo. 33. Redit autem illa cogitatio, quosdam fore, qui haec, quae diximus, parva nimium et impedimenta quoque maius aliquid agentibus putent: nec ipse ad extremam usque anxietatem et ineptas cavillationes descendendum atque his ingenia concidi et comminui credo. 34. Sed nihil ex grammatice nocuerit, nisi quod supervacuum est. An ideo minor est M. Tullius orator, quod idem artis huius diligentissimus fuit et in filio, ut epistulis apparet, recte loquendi asper quoque exactor? 35. Aut vim C. Caesaris fregerunt editi de analogia libri? Aut ideo minus Messala nitidus, quia quosdam totos libellos non verbis modo singulis, sed etiam litteris dedit? Non obstant hae disciplinae per illas euntibus, sed circa illas haerentibus.

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28. Was ist mit Wörtern, die anders geschrieben als ausgesprochen werden? Denn Gaius wird mit dem Buchstaben C bezeichnet, der umgedreht (঑) eine Frau kenntlich macht, wird doch sogar schon aus den Hochzeitszeremonien deutlich, dass die Frauen so Gaiae hießen wie die Männer Gaii. Auch Gnaeus erhält nicht den Buchstaben in der Abkürzung des Vornamens, mit dem der Name anklingt >nämlich Cn statt Gn@, und columna und consules lesen wir ohne das n, und Subura zeigt, wenn es mit drei Buchstaben abgekürzt wird, als dritten Buchstaben ein c >Suc@. Vieles gibt es von dieser Art, aber ich fürchte, dass auch das Genannte schon das Maß einer so geringen Fragestellung überschritten hat. 30. In all diesen Dingen muss der Grammatiklehrer sein eigenes Urteil einbringen, denn das muss das größte Gewicht haben. Ich selbst urteile, dass man, ausser dem, was der Sprachusus für sich in Anspruch genommen hat, alles so schreiben sollte, wie es klingt. 31. Das nämlich ist der Nutzwert der Buchstaben, dass sie die Lautwerte bewahren und den Lesenden wie ein Depositum zurückgeben. Daher müssen sie das ausdrücken, was wir sagen wollen. 32. Dies sind in etwa die Gebiete des fehlerfreien Lesens und Schreibens. Die beiden noch verbleibenden Gebiete des deutlichen und geschmückten Sprechens entziehe ich zwar den Grammatiklehrern gewiss nicht. Ich hebe sie aber, weil die Aufgaben des Redners mir noch bevorstehen, für das größere Werk auf. 33. Es drängt sich aber jener Gedanke wieder auf, es werde Leute geben, die das, was ich hier besprochen habe, für allzu trivial und auch für ein Hindernis für diejenigen halten, die etwas Größeres in Angriff nehmen wollen. Ich selbst bin ebenfalls der Meinung, dass man sich nicht zu extremen Übergenauigkeiten und albernen Spitzfindigkeiten herablassen sollte und dass dadurch natürliche Begabungen zerstört und zugrunde gerichtet werden. 34. Aber es dürfte aus der Grammatik nur Schaden anrichten, was überflüssig ist. Oder ist M.Tullius deshalb ein geringerer Redner, weil er auf diese Kunst außerordentliche Sorgfalt aufwendete und auch von seinem Sohn, wie aus den Briefen klar hervorgeht, unnachgiebig das richtige Sprechen einforderte?54 35. Oder haben Caesars Redegewalt die von ihm herausgegebenen Bücher Über die Analogie gebrochen?55 Oder hat Messalla deshalb weniger Charme und Glanz, weil er manchmal ganze Bücher nicht nur einzelnen Wörtern, sondern sogar einzelnen Buchstaben gewidmet hat?56 Diese Disziplinen stehen nicht denen im Wege, die durch sie hinduchgehen, sondern denen, die in ihnen hängen bleiben.

_____________ 54 55 56

Cicero, Epistulae ad Marcum filium, fragm. VIII, Nr. 6 Watt (OCT Vol. 3, p. 167) Caesar, De analogia, Testimonium 2 Papke Messala Corvinus, Liber de s littera, fragm. 1–4 GRF Funaioli (p. 505 squ.)

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8.1. Superest lectio: in qua puer ut sciat, ubi suspendere spiritum debeat, quo loco uersum distinguere, ubi claudatur sensus, unde incipiat, quando attollenda uel summittenda sit uox, quid quoque flexu, quid lentius celerius concitatius lenius dicendum, demonstrari nisi in opere ipso non potest. 2. Unum est igitur, quod in hac parte praecipiam, ut omnia ista facere possit: intellegat. Sit autem in primis lectio uirilis et cum sanctitate quadam grauis, et non quidem prorsae similis, quia et carmen est et se poetae canere testantur, non tamen in canticum dissoluta nec plasmate, ut nunc a plerisque fit, effeminata: de quo genere optime C. Caesarem praetextatum adhuc accepimus dixisse: „si cantas, male cantas: Si legis, cantas“. 3. Nec prosopopoeias, ut quibusdam placet, ad comicum morem pronuntiari uelim, esse tamen flexum quendam, quo distinguantur ab iis, in quibus poeta persona sua utetur. 4. Cetera admonitione magna egent, in primis ut tenerae mentes tracturaeque altius, quidquid rudibus et omnium ignaris insederit, non modo, quae diserta, sed uel magis quae honesta sunt, discant. 5. Ideoque optime institutum est, ut ab Homero atque Vergilio lectio inciperet, quamquam ad intellegendas eorum uirtutes firmiore iudicio opus est: sed huic rei superest tempus, neque enim semel legentur. Interim et sublimitate heroi carminis animus adsurgat et ex magnitudine rerum spiritum ducat et optimis inbuatur. 6. Utiles tragoediae: alunt et lyrici, si tamen in iis non auctores modo, sed etiam partes operis elegeris: nam et Graeci licenter multa et Horatium nolim in quibusdam interpretari. Elegia uero, utique qua amat, et hendecasyllabi, qui sunt commata sotadeorum (nam de sotadeis ne praecipiendum quidem est), amoueantur, si fieri potest, si minus, certe ad firmius aetatis robur reseruentur. 7. Comoediae, quae plurimum conferre ad eloquentiam potest, cum per omnis et personas et adfectus eat, quem usum in pueris putem, paulo post suo loco dicam: nam cum mores in tuto fuerint, inter praecipua legenda erit.

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8.1. Übrig bleibt das Lesen. Wie der Schüler dabei zur Kenntnis dessen kommt, wo er den Atem in der Schwebe halten muss, wo er einen Sinneinschnitt im Vers zu setzen hat, wo der Gedankengang zu Ende geht, wo er anfängt, wann die Stimme zu erheben oder zu senken ist, was mit jeweils welcher Stimmfärbung, was langsamer, schneller, aufgeregter, zurückhaltender vorzutragen ist, das kann nur bei der praktischen Arbeit am Text selbst gezeigt werden. 2. Ich gebe also nur eine einzige Lehre für diesen Teil der Arbeit, damit der Schüler all dies leisten kann: Er soll verstehen, was er liest. Vor allem aber sei das Lesen männlich und ernst mit einer gewissen Feierlichkeit, doch nicht dem Prosalesen gleich, weil es sich um Dichtung handelt und die Dichter bezeugen, dass sie singen, aber andererseits auch nicht zu echtem Gesang degeneriert und auch nicht durch eine Stimmmodulation, wie sie heutzutage von sehr vielen verwendet wird, effeminiert. Über diese Art des Vortrags hat übrigens C. Caesar, wie wir gehört haben, noch in der Toga praetexta äußerst treffend gesagt: „Wenn du singst, dann singst du schlecht, wenn du liest, dann singst du.“57 3. Auch möchte ich nicht, dass die Prosopopoiien [Reden fiktiver Personen], wie es manchen Leuten gefällt, nach Art der Komiker vorgetragen werden, doch muss ein Tonfall da sein, der sie von den Partien unterscheidet, in denen der Dichter in eigener Person spricht. 4. Die übrigen Aspekte des Lesens bedürfen umfangreicher Anleitung, vor allem, dass die noch unreifen Kinder, die sich alles tiefer aneignen, was sich ihnen in einem noch unausgebildeten und in allen Punkten noch kenntnislosen Zustand eingeprägt hat, nicht nur Texte kennen lernen, die rhetorisch gewandt, sondern viel eher solche, die moralisch wertvoll sind. 5. Daher ist es bestens eingerichtet, dass die Lektüre mit Homer und Vergil beginnt, obwohl zum Verständnis ihrer Vorzüge ein gefestigteres Urteil nötig ist. Doch bleibt dafür Zeit genug, denn sie werden ja nicht nur einmal gelesen werden. Einstweilen soll sich der Schüler durch die sprachliche Erhabenheit des heroischen Gedichts geistig erheben, aus der Größe seiner Inhalte Mut gewinnen und so gleich mit dem Besten in Kontakt gebracht werden. 6. Nützlich sind Tragödien, und auch die Lyriker haben erzieherischen Wert, wenn man bei ihnen nicht nur die Autoren, sondern auch Teile des Werkes auswählt. Denn die Griechen haben doch viel Laszives und auch Horaz möchte ich in einigen Passagen nicht erläutern. Die Elegie aber, jedenfalls insofern sie von der Liebe handelt, und die Hendekasyllabi, die Teile von Sotadeen sind (denn die Sotadeen selbst dürfen nicht einmal Gegenstand des Unterrichts sein), sollten, wenn möglich, weggelassen werden, wenn nicht, doch wenigstens für ein gefestigteres Alter aufgehoben werden. 7. Welchen Nutzen die Komödie, die sehr viel zur Beredsamkeit beitragen kann, weil sie durch alle Personen und Affekte geht, meiner Ansicht nach für die Schüler bringt, will ich wenig später an seinem Ort behandeln. Denn ist nur erst einmal die moralische Ausbildung gesichert, wird sie zur wichtigsten Lektüre zählen.

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Zitat unbekannter Herkunft. Vielleicht aus C.I. Caesars Jugendschrift Dicta collectanea.

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8. De Menandro loquor, nec tamen excluserim alios: nam Latini quoque auctores adferent utilitatis aliquid; sed pueris, quae maxime ingenium alant atque animum augeant, praelegenda: ceteris, quae ad eruditionem modo pertinent, longa aetas spatium dabit. Multum autem ueteres etiam Latini conferunt, quamquam plerique plus ingenio quam arte ualuerunt, in primis copiam uerborum: quorum in tragoediis grauitas, in comoediis elegantia et quidam uelut atticismos inueniri potest. 9. Oeconomia quoque in iis diligentior quam in plerisque nouorum erit, qui omnium operum solam uirtutem sententias putauerunt. Sanctitas certe et, ut sic dicam, uirilitas ab iis petenda est, quando nos in omnia deliciarum uitia dicendi quoque ratione defluximus. 10. Denique credamus summis oratoribus, qui ueterum poemata uel ad fidem causarum uel ad ornamentum eloquentiae adsumunt. 11. Nam praecipue quidem apud Ciceronem, frequenter tamen apud Asinium etiam et ceteros, qui sunt proximi, uidemus Enni Acci Pacuui Lucili Terenti Caecili et aliorum inseri uersus, summa non eruditionis modo gratia sed etiam iucunditatis, cum poeticis uoluptatibus aures a forensi asperitate respirant. 12. Quibus accedit non mediocris utilitas, cum sententiis eorum uelut quibusdam testimoniis, quae proposuere, confirment. Uerum priora illa ad pueros magis, haec sequentia ad robustiores pertinebunt, cum grammatices amor et usus lectionis non scholarum temporibus, sed uitae spatio terminentur. 13. In praelegendo grammaticus et illa quidem minora praestare debebit, ut partes orationis reddi sibi soluto uersu desideret et pedum proprietates, quae adeo debent esse notae in carminibus, ut etiam in oratoria compositione desiderentur. 14. Deprendat, quae barbara, quae inpropria, quae contra legem loquendi sint posita, non ut ex his utique improbentur poetae (quibus, quia plerumque seruire metro coguntur, adeo ignoscitur, ut uitia ipsa aliis in carmine appellationibus nominentur: metaplasmus enim et schematismus et schemata, ut dixi, uocamus et laudem uirtutis necessitati damus), sed ut commoneat artificialium et memoriam agitet. 15. Id quoque inter prima rudimenta non inutile demonstrare, quot quaeque uerba modis intellegenda sint. Circa glossemata etiam, id est uoces minus usitatas, non ultima eius professionis diligentia est.

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8. Ich spreche von Menander, möchte aber dennoch andere nicht ausschließen, denn auch die lateinischen Autoren werden einigen Nutzen bringen. Doch soll den Schülern vorgelesen werden, was ihre natürlichen Anlagen am meisten nährt und ihren Charakter stärkt. Für den Rest, der lediglich die Belesenheit betrifft, wird später noch eine lange Zeit zur Verfügung stehen. Viel aber tragen auch die altlateinischen Autoren bei, besonders Wortfülle, obwohl sie sehr viel mehr in ihrem Naturtalent als in der künstlerische Form ihre Stärke hatten. In ihren Tragödien kann man ernste Würde, in ihren Komödien Eleganz und eine Art attischen Stil finden. 9. Auch ist der Gesamtaufbau bei ihnen sorgfältiger als bei den meisten Modernen, die nur Sentenzen für den einzigen Vorzug aller literarischen Gattungen gehalten haben. Würde jedenfalls und Männlichkeit, um es so auszudrücken, muss man bei ihnen suchen, da wir heute ja auch in unserer Art zu sprechen in alle Fehler des weichlichen Genusses herabgesunken sind. 10. Schließlich sollten wir den größten Rednern Glauben schenken, die die Dichtungen der Alten zur Glaubwürdigkeit ihrer Verhandlungsgegenstände oder zur Auszeichnung ihrer Beredsamkeit heranziehen. 11. Denn besonders bei Cicero, häufig aber auch bei Asinius und anderen Rednern, die ihm zeitlich am nächsten stehen, sehen wir Verse des Ennius, Accius, Pacuvius, Lucilius, Terenz, Caecilius und anderer Autoren eingelegt, und ihre Rede erlangt so nicht nur durch die Demonstration von Belesenheit höchst gewinnenden Charme, sondern auch durch die Annehmlichkeit, wenn sich die Ohren der Zuhörer durch das Vergnügen an Dichtung von der Sprödigkeit des forensischen Vortrags erholen. 12. Dazu tritt als nicht unerheblicher Nutzen, wenn die Redner mit den Dichterzitaten ihre Thesen gleichsam wie mit Zeugenaussagen stützen. Jedoch werden meine früheren Anweisungen eher die Kinder betreffen, die darauf folgenden eher die Älteren, wird doch die Liebe zur Grammatik und der Gewinn der Lektüre nicht durch die Schulzeit, sondern erst durch die Lebenszeit beendet. 13. Beim Vorlesen wird der Grammatiklehrer auch die folgenden geringeren Aufgaben erfüllen müssen: Er soll sich den Vers auflösen lassen und die Bestimmung der Wortarten verlangen, ebenso auch die Eigenarten der Versfüße, die in den Gedichten so geläufig sein müssen, dass sie dann auch in der rednerischen Komposition erwartet werden können. 14. Er soll Barbarismen herausgreifen, Fälle falschen Wortgebrauchs und Verstöße gegen die Regeln der Sprache, nicht, um daraus den Dichtern in jedem Fall einen Vorwurf zu machen (denen man, weil sie meist unter metrischem Zwang stehen, so sehr verzeiht, dass selbst die Fehler in der Dichtung mit anderen Namen bezeichnet werden: Wir nennen sie nämlich Metaplasmen, Schematismen und Schemata, wie ich schon gesagt habe, und wir geben dabei der Not das Lob der Tugend.), sondern um sie an technische Regeln zu erinnern und ihr Gedächtnis anzuregen. 15. Auch ist es auf dieser ersten elementaren Unterrichtstufe nicht nutzlos zu zeigen, unter wie vielen Bedeutungen die Wörter jeweils zu verstehen sind. Ebenso gilt den Glossemata, d.h. den weniger gebräuchlichen Wörtern, nicht die geringste Sorgfalt dieser Profession.

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16. Enimuero iam maiore cura doceat tropos omnes, quibus praecipue non poema modo, sed etiam oratio ornatur, schemata utraque, id est figuras, quaeque lexeos quaeque dianoeas uocantur: quorum ego sicut troporum tractatum in eum locum differo, quo mihi de ornatu orationis dicendum erit. 17. Praecipue uero illa infigat animis, quae in oeconomia uirtus, quae in decore rerum, quid personae cuique conuenerit, quid in sensibus laudandum, quid in uerbis, ubi copia probabilis, ubi modus. 18. His accedet enarratio historiarum, diligens quidem illa, non tamen usque ad superuacuum laborem occupata: nam receptas aut certe claris auctoribus memoratas exposuisse satis est. Persequi quidem, quid quis umquam uel contemptissimorum hominum dixerit, aut nimiae miseriae aut inanis iactantiae est, et detinet atque obruit ingenia melius aliis uacatura. 19. Nam, qui omnis etiam indignas lectione scidas excutit, anilibus quoque fabulis accommodare operam potest: atqui pleni sunt eius modi impedimentis grammaticorum commentarii, uix ipsis, qui composuerunt, satis noti. 20. Nam Didymo, quo nemo plura scripsit, accidisse compertum est, ut, cum historiae cuidam tamquam uanae repugnaret, ipsius proferretur liber, qui eam continebat. 21. Quod euenit praecipue in fabulosis usque ad deridicula quaedam, quaedam etiam pudenda, unde improbissimo cuique pleraque fingendi licentia est, adeo, ut de libris totis et auctoribus, ut succurrit, mentiantur tuto, quia inueniri, qui numquam fuere, non possunt: nam in notioribus frequentissime deprenduntur a curiosis. Ex quo mihi inter uirtutes grammatici habebitur aliqua nescire.

9.1. Et finitae quidem sunt partes duae, quas haec professio pollicetur, id est ratio loquendi et enarratio auctorum, quarum illam methodicen, hanc historicen vocant. Adiciamus tamen eorum curae quaedam dicendi primordia, quibus aetatis nondum rhetorem capientis instituant.

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16. Mit schon größerer Sorge allerdings soll er alle Tropen lehren, den wichtigsten Schmuck nicht nur der Dichtung, sondern auch der Rede, und beide Arten von Schemata, d.h. die sogenannten Figuren der Lexis und die Figuren der Diánoia. Ihre Behandlung wie auch die der Tropen verschiebe ich auf den Ort, wo ich über den Ornatus der Rede zu sprechen haben werde. 17. Vor allem soll er aber dem kindlichen Verstand einprägen, welcher Vorzug im Gesamtaufbau, welcher in der Angemessenheit der Inhalte erreicht ist, was zu jedem Charakter gepasst hat, was in den Gedanken, was bei den Worten zu loben ist, wo Fülle akzeptierbar ist und wo Beschränkung. 18. Dazu wird noch die Erläuterung von Sachfragen treten. Auch sie sei sorgfältig, aber dennoch nicht bis hin zur überflüssigen Anstrengung beansprucht. Denn allgemein anerkannte oder jedenfalls von berühmten Autoren erwähnte Sacherläuterungen dargelegt zu haben, reicht völlig aus. All dem aber nachzugehen, was jemand, und sei er auch noch so gering geachtet, irgendwann einmal gesagt hat, zeugt von zu pedantischer Ängstlichkeit oder eitler Angeberei und behindert und überlastet den kindlichen Verstand, der besser für anderes frei sein sollte. 19. Denn, wer alle Zettel, auch die des Lesens nicht wert sind, durchprüft, kann seine Mühe auch auf Altweibergeschichten verwenden. Aber die Kommentare der Grammatiker sind voll von hinderlichem Ballast dieser Art – kaum denen selbst bekannt, die sie verfasst haben. 20. Dem Didymus nämlich, der mehr als jemand sonst geschrieben hat, soll es passiert sein, dass ihm, als er eine Sacherläuterung als nichtig zurückwies, eins seiner Bücher vorgelegt wurde, die genau diese Erläuterung enthielt. 21. Das geht vor allem bei Mythologischem bis hin zu Lächerlichkeiten und bisweilen sogar zu Schamlosigkeiten, woher die gewissenlosesten Leute sich die weitestgehende Freiheit nehmen, zu erfinden – und sie gehen dabei so weit, dass sie über ganze Bücher und Autoren, wie es ihnen gerade einfällt, Lügen verbreiten, ohne ein Risiko einzugehen, weil man Leute, die es nie gegeben hat, nicht finden kann. Denn bei Dingen, die besser bekannt sind, werden sie sehr oft von sorgfältig Nachprüfenden ertappt. Daher wird es für mich zu den Vorzügen eines Grammatiklehrers gehören, etwas nicht zu wissen. 9.1. Zwar sind damit die beiden Gebiete abgeschlossen, die dieses Fach zu behandeln verspricht, d.h. die Sprachlehre und die Erklärung der Autoren, deren erstes man den methodischen Teil (pars methodice) und deren zweites man den „historischen“ Teil (pars historice) nennt. Wir wollen dennoch der Fürsorge der Grammatiklehrer bestimmte Anfangsübungen im Reden hinzufügen, in denen sie die Schüler der Alterstufe unterrichten sollen, die den Rhetor noch nicht verstehen können.

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Kapitel 4 Über die grammatice Gliederung 4,1–5: Wesen und Aufgabe der grammatice 4,6–17: Erste Grundlagen der grammatice: Laute und Silben 6–17: Laute 6: Einteilung der Laute, Problemfälle der Lautlehre 7–11: Probleme einzelner Laute: 7–8: Fehlende Buchstaben im Lateinischen (Vokale) 9: Überflüssige Buchstaben (Konsonanten) 10–11: Sonderprobleme bei Vokalen 12–17: Probleme der Lautverwandtschaft (cognatio litterarum): 12–13: Morphologisch bedingter Lautwandel 13–17: Historisch bedingter Lautwandel 17: Silben: Verweis in die Orthographie (1,7) 4,17–21: Die Wortarten (partes orationis): Entwicklung und Zahl der Wortarten 4,22–29: Flexionslehre der Nomina und Verba 22: Vorbemerkung 22–26: Nomina: 23–24: Genera der Nomina 25–26: Herkunft (origo) der Eigennamen 26: Kasus 27–29: Verba: 27–28: Morphologisch mehrdeutige Formen zwischen Verb und Appellativ 28–29: Sonderfälle des Passivs: Unpersönliches Passiv und Transitivierung intransitiver Verben im Passiv. Aktivische Bedeutung passiver Verbformen. 29: verba defectiva und verba participialia

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4,1 grammaticis est locus: Der grammatikós, lat. grammaticus ist der Lehrer der téchne grammatiké, bzw. ars grammatica (auch kurz nur grammatiké oder grammatica genannt). Qu. verwendet, wie in der nachaugusteischen Prosa üblich, nur die griechische Kurzform grammatice und nur einmal (1,5,54) artem grammaticam (Vgl. Schreiner 1954, 10). téchne grammatiké hat eine weitere Bedeutung als unser moderner auf die Sprachlehre reduzierter Begriff Grammatik. Man verstand darunter primär Literaturwissenschaft, bzw. Literaturunterricht vorwiegend auf der Grundlage von Dichterlektüre, also eher das, was wir heute als Philologie (mit sprachwissenschaftlichen Anteilen) bezeichnen würden. Es wäre also eigentlich konsequent, die antike Disziplin nur grammatice oder grammatica und unsere heutige nur Grammatik zu nennen. Diese Konsequenz wurde jedoch weder in der älteren Literatur noch in meinem Kommentar erreicht. Dem Leser sollte es aber nicht schwer fallen, je nach Kontext die antike weitere oder die moderne engere Bedeutung zu realisieren. Manchmal füge ich auch der modernen Grammatik ein i.u.S. (in unserem Sinne) zu. Ursprünglich (so noch bei Aristoteles) bedeutete téchne grammatiké nur die elementare Lese- und Schreibfähigkeit (tà grámmata = Buchstaben), später dann, seit den großen alexandrinischen Philologen des 3. und 2. Jh. v. Chr., Literaturkunde, texteditorische und texterläuternde Philologie (tà grámmata = Schriften, Literatur). Vgl. Sext. Emp. adv. math. 1,44ff. Dieser Doppelbedeutung entsprechend hieß der Lese- und Schreiblehrer, der anfangs ebenfalls grammatikós genannt werden konnte, später grammatistés, und nur der Philologe und Literaturlehrer grammatikós. Vgl. Schreiner 1954, 8–11, Pfeiffer 1978, 197–199 und J. Christes, Grammaticus, Grammatikos. In: Der Neue Pauly 4 (1998), 1198. Die Römer versuchten zunächst Lehnübersetzungen wie litteratus und litterator (und für die grammatice = litteratura, vgl. Varro fr. 234 GRF Funaioli), übernahmen dann aber die griechische Berufsbezeichnung grammaticus. Vgl. Sueton, De grammaticis et rhetoribus, 4,1–3. Den Unterricht beim grammaticus begannen die Schüler im Alter von ca. 11 Jahren, also in der Regel vier Jahre nach dem mit 7 Jahren begonnenen Elementarunterricht. Der Grammatikunterricht selbst dauerte ebenfalls etwa vier Jahre, so dass der Schüler etwa mit 15 bzw. 16 Jahren mit dem Rhetorikstudium begann (Vgl. Christes-Klein-Lüth 2006, 102, 104). Für Ablauf und Inhalt des Unterrichts beim grammaticus sind Qu.s Kapitel inst. 1,4–8 eine der wichtigsten Quellen. Einen modernen Überblick über den griechisch-römischen Grammatikunter-

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richt als der zweiten Stufe der hellenistisch-römischen Schule bieten Marrou 1977, 307ff. und 505ff. und Christes-Klein-Lüth 2006, 95f. und 104–106. 4,1 utrique eadem via est: Eine zweisprachige Ausbildung mit Priorität des Griechischen hatte Qu. schon 1,1,12 gefordert und begründet. Sie dient dem Kommunikationsbedürfnis in einer zweisprachigen Gesellschaft und der Vorbereitung auf den Unterricht bei griechischen Lehrern. Vgl. zur zweisprachigen Erziehung in Rom Marrou, 1977, 468ff. und zur zeitlichen Priorität des Griechischen besonders 484ff. Griechische und römische Grammatiklehrer gingen im Prinzip methodisch gleich vor, unterschieden sich aber naturgemäß durch die Lektüre griechischer (vor allem Homers) und römischer Autoren (z.Zt. Qu.s vor allem Vergils). 4,2 in duas partis dividatur: Die erstmals hier bei Qu. explizit fassbare Zweiteilung der grammatice in eine Sprachlehre und eine Dichtererklärung prägt über weite Strecken bis zu den spätantiken Grammatikern das antike Verständnis dieser Disziplin (Vgl. die Stellen bei Schreiner 1954, 11–14 und Glück 1967, 21f.). Ausschließlich zur Grammatik i.u.S. wird die grammatice erst im Übergang zum Mittelalter, denn bei Isidor von Sevilla (7. Jh. n. Chr.) z.B. heißt es nur noch: grammatica est loquendi peritia, orig. 1,2,1 und 1,5,1. Vgl. die Stellen bei Glück 1967, 22f. Das zweiteilige System Qu.s, obwohl nur aus römischen Quellen bekannt, ist sicher griechischen Ursprungs und geht wohl mindestens auf das 1. Jh. v. Chr., wenn nicht sogar schon auf das 2. Jh. v. Chr. zurück (Vgl. Colson 1914, 33–35). Qu. erwähnt das System auch noch 1,9,1 und nennt die beiden Teile hier: ratio loquendi und enarratio auctorum. Interessant ist hier der Zusatz, dass die Sprachlehre auch methodice und die Autorenexegese auch historice genannt wird. Die Grammatik i.u.S verfährt also methodisch, systematisch, regelhaft, während die Autorenexegese am Text entlang (also unsystematisch) insbesondere Sacherläuterungen (historiae, vgl. Quint. 1,8,18) erarbeitet. So erklären es noch die spätantiken Grammatiker, vgl. bes. Diomedes GrLat I 426,12–427,2. Vgl. auch oben meinen Komm. zu 1,9,1. Das Qu.-Zeugnis steht im Zusammenhang mit der lebhaften Diskussion um die Definition und die Teile, bzw. Aufgaben der grammatice von Dionysios Thrax (ca. 150–90 v. Chr.) an. Vgl. Dionysios Thrax, Techne § 1 und Sext. Empiricus, adv. gramm., §§ 57–90 und §§ 248–253. Neben Qu.s Zweiteilung gab es von etwa 100 v. Chr. an auch

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noch ein dreiteiliges und ein vierteiliges System der grammatice. Das dreiteilige System vermittelt Sext. Emp., adv. gramm., §§ 91–96: Es gliedert sich in das méros idiaíteron (den eigentlich texterläuternden, philologischen Teil), das méros historikón (den Realien wie Mythologie, Geographie etc. erklärenden Teil) und in das méros technikón (den sprachsystematisch-grammatischen Teil). Dieses System geht sehr wahrscheinlich auf den griechischen Grammatiker Asklepiades von Myrlea (um 100 v. Chr.) zurück. Das vierteilige System (Stellennachweise bei Schreiner 1954, 15 und bei Glück 1967, 19–21) stammt nach (unbewiesener) Meinung mancher Philologen (zuerst Useners) von dem griechischen Grammatiker Tyrannion d.Ä. (ca. 110–30 v. Chr.). Dieses System unterschied vier mére (Teile) und vier órgana (Hilfsmittel) der grammatice. Die vier Teile sind die in uneinheitlicher Reihenfolge überlieferten vier Arbeitsschritte am Text (daher nannte man sie auch Aufgaben, officia der grammatice): das Lesen (lectio), die Verbesserung von Fehlern (emendatio), das Erläutern (enarratio) und das wertende Urteil (iudicium) und die vier órgana, die Hilfsmittel, wie man sie in Form von entsprechenden Handbüchern nutzen kann: Handbücher zum Wortschatz (o. glossematikón), zu den Realien (o. historikón), zur Metrik (o. metrikón) und zur Grammatik i.u.S. (o. technikón). Die drei Systementwürfe belegen sehr schön die Entwicklung unseres modernen Grammatikbegriffs aus einem ursprünglich ausschließlichen Bedeutungskern Philologie über einen wachsenden Anteil einer Teilbedeutung Grammatik bis zur ausschließlich modernen Bedeutung Grammatik seit Cassiodor (6. Jh. n. Chr.) und Isidor (7. Jh. n. Chr.). 4,3 Nam et scribendi ratio…et mixtum his omnibus iudicium est: Qu. steht bei den weiteren Untergliederungen der grammatice (wahrscheinlich über Zwischenstufen) eindeutig in der Tradition der grammatischen Schriften Varros (so schon Schreiner 1954, 15), der seinerseits dem Vierersystem „Tyrannion“ gefolgt zu sein scheint (s.den vorangehenden Kommentar zu 4,2). Für Varro ist nämlich mit fr. 236 GRF Funaioli die Kenntnis der vier Teile der grammatice „Tyrannions“ bezeugt, die er grammaticae officia nennt: lectio, emendatio, enarratio und iudicium, und es kann (im Gegensatz zu Colson 1924, 37 zur Stelle) kein Zweifel sein, dass Qu. hier mit seiner Formulierung et enarrationem praecedit emendata lectio et mixtum his omnibus iudicium est… auf die vier officia Varros, bzw. „Tyrannions“ anspielt. Das beweist der Vergleich mit der Grammatikstunde Qu.s 1,8,13ff. in aller

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Deutlichkeit: Der Lehrer liest vor und lässt lesen (lectio) (1,8,13), analysiert dann (scheinbare) Sprach- und Stilfehler, die bei Dichtern per Lizenz natürlich keine Barbarismen oder Solözismen, sondern Metaplasmen und Schemata sind (emendatio) (1,8,14), erklärt dann sprachliche, stilistische (1,8,15f.) und (bei Qu. 1,8,18 nachgetragen) auch sachlichen Eigenarten des Textes (enarratio) bis er schließlich auch noch zur ästhetischen Bewertung des Textes (iudicium) gelangt (1,8,17). Auch der erste Teil des Satzes nam et scribendi ratio coniuncta cum loquendo est ist eine Anspielung auf eine weitere, von der eben erwähnten verschiedene Vierteilung der officia grammaticae Varros. Im fr. 234 erscheinen nämlich als Aufgaben der grammatice: scribere, legere, intellegere, probare, also Schreiben, Lesen, Verstehen und Billigen. Dies muss man wohl mit Martianus Capella 3,230 so verstehen, dass die grammatica ursprünglich nur das Schreiben und Lesen (die ältere Bedeutung der grammatica, s.o. Komm. zu 1,4,1), und später dann auf einer höheren Stufe auch die Dichtererklärung (enarratio) und die literarische Wertung (iudicium) vermittelte. Ob beide varronische Vierteilungen von Tyrannion stammen und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, lässt sich wohl nicht mehr nachvollziehen. Allerdings lässt sich der Satz nicht nur quellengeschichtlich, sondern auch vom inhaltlichen Ablauf der Grammatik Qu.s her verstehen. Qu. will, um die grammatice in ihrem wissenschaftlichen und pädagogischen Anspruch aufzuwerten, darauf hinweisen, dass ihre beiden Teile noch gewichtige Unterdifferenzierungen haben: Die Sprachregeln des ersten Teils betreffen nicht nur das Sprechen (Kap. 6), sondern auch das Schreiben (Kap. 7). Der zweite Teil, die Dichtererklärung (Kap. 8), besteht nicht nur aus der enarratio poetarum, sondern aus vier Arbeitsschritten am Text, den varronischen officia grammaticae (s. Komm. zu 4,2). 4,3 quo quidem ita severe sunt usi veteres grammatici: Das 4,3 genannte mixtum his omnibus iudicium (das kritische Urteil) bezieht sich natürlich, wie schon Colson 1924, 37f. gesehen hat, auf das gesamte Tätigkeitsfeld des grammaticus, z.B. auch auf die Analogie (1,6,3) oder die Orthographie (1,7,30). Gemeint ist hier aber nur die geradezu sprichwörtlich strenge Echtheitskritik der großen alexandrinischen Philologen des 3./2. Jh. v. Chr., besonders des Aristophanes von Byzanz und Aristarchs, an einzelnen Versen eines Textes oder an ganzen Büchern, so wie deren Kataloge von Musterautoren jeweils einer Litera-

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turgattung. Censoria quadam virgula meint den obelós (lat. obelus, -i, m. = Spieß, horizontale Linie), ein textkritisches Zeichen, als deren Erfinder der erste Bibliothekar der alexandrinischen Bibliothek, Zenodot von Ephesus (4./3. Jh. v. Chr.), gilt (vgl. Pfeiffer 1978, 147 und 221). Mit diesem Zeichen am Rande eines Verses brachte Zenodot seine Zweifel an der Echtheit des markierten Verses zum Ausdruck, ohne den Vers aus dem Text zu entfernen. Das censoria quadam zeigt den metaphorischen Charakter des von Qu. gewählten Ausdrucks für den Obelus an. Er erinnert an die schriftlichen Vermerke des römischen Zensors, die u.U. schlimme Folgen für den Notierten nach sich ziehen konnten (Vgl. Cicero, Cluent. 123: censorium stilum). Ein gutes Beispiel für alexandrinische Echtheitskritik mit der Folge, ganze Werke bekannten Autoren abzusprechen, hatte Qu. schon selbst 1,1,15 mit dem Hinweis geliefert, dass Aristophanes von Byzanz als erster Cheíronos Hypothékai (= Unterweisungen Achills durch den Kentauren Chiron) dem Hesiod abgesprochen habe. Zur sonstigen alexandrinischen Diskussion um Hesiods Nebenwerke vgl. Pfeiffer 1978, 181, 220f. Vgl. auch die Echtheitshinweise etwa zu Aischylos’ und Sophokles’ Stücken in Kallimachos’ Pinakes bei Pfeiffer 1978, 162 (Anm. 35). Zur alexandrinischen Kanonbildung (Der Ausdruck „Kanon“ ist in dieser Bedeutung nicht antik!), d.h. zu den Verzeichnissen der Musterautoren nach Gattungen vgl. Pfeiffer 1978, 251–256. Unsere Stelle 1,4,3 und dazu 10,1,54 sind übrigens die Hauptquellen für die alexandrinischen „Kanones“: 10,1,54: Apollonius in ordinem a grammaticis datum non venit, quia Aristarchus atque Aristophanes, poetarum iudices, neminem sui temporis in numerum redegerunt = Apollonios Rhodios kam nicht in den Kanon der (alexandrinischen) Grammatiker, weil Aristarch und Aristophanes, die Kritiker der Dichter, niemanden ihrer eigenen Zeit in die Zahl der Autoren aufgenommen haben. Vgl. dazu noch 10,1,59 (drei Jambendichter) und 10,1,61 (neun Lyriker). 4,4 Nec poetas legisse satis est…: Hier ist Colsons Hinweis (1924, 38 z.St.) wichtig, dass Qu. nicht eine um Prosaschriftsteller und Fachautoren der Musik, Astronomie, Philosophie und Rhetorik erweiterte gemeinsame Lektüre im Grammatikunterricht meint, sondern nur die hohen Anforderungen an die Fachkompetenz des Grammatiklehrers anspricht. Der Lektürekanon (durchweg Dichtung) für die Schüler wird erst 1,8,5–12 erörtert.

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4,4 propter historias: hier „Sachwissen“, „Realienkommentar“, nicht „Geschichten“, Geschichtserzählungen“. Vgl. oben Kommentar zu 1,8,18. 4,4 neque citra musicen…: Zum Nutzen des Musikstudiums für die Rhetorik vgl. 1,10,9–33 und besonders 1,10,29 zur Bedeutung von Musikkenntnissen für die Dichterlektüre. 4,4 nec si rationem siderum ignoret,…utuntur: Astronomische Zeitperiphrasen, insbesondere für Tages- und Nachtanbruch, sind in der antiken Dichtung, vor allem im Epos tatsächlich allgemein üblich. Sie werden von den Grammatikern unter dem Tropus der periphrasis geführt. Vgl. z.B. Donat GrLat IV 400,32–401,1 zu Vergil, Aen. 4,584f. (Aurora, ein Beispiel für Sonnenaufgang). Ein Beispiel für den Beginn des Abends ist Aen. 8,280 (Vesper). Wie sehr man bei der Dichterlektüre immer wieder auch anspruchsvolle astronomische Kenntnisse braucht, lehrt z.B. ein Blick auf Vergil, Georg. 1,32–35, (Octavian als 13. Tierkreiszeichen) und ebenda 1,204–230 (Aussaattermine) oder auf Ovid, Met. 2,74ff., 193ff. (Phaethons Fahrt durch die Sternbilder des Tierkreises). 4,4 propter Empedoclea…Varronem…Lucretium: Empedokles von Akragas (um 485–425 v. Chr.), der berühmte vorsokratische Naturphilosoph. Qu. erwähnt ihn hier (übrigens mit griechischem Akkusativ statt latinisiert Empedoclem oder -en) wegen seines Hauptwerkes, des naturphilosophischen Lehrgedichts Über die Natur des Seienden in drei Büchern zu etwa 3000 Hexametern. Lukrez verehrte ihn sehr und ahmte ihn als dichterisches Vorbild nach (De rerum natura 1,716–733). Die lateinische Empedoklesnachahmung lag in Rom zur Zeit des Erscheinens von De rerum natura (um 55 v. Chr.) offenbar in der Luft, denn Cicero erwähnt in einem Brief an Quintus (ad. Q. fr. 2,9,3) aus dem Februar 54 v. Chr. neben Lukrez eine sonst nicht bekannte Dichtung Empedokléa (Empedokleisches) eines ebenso unbekannten Sallustius. Mit Varronem könnte M. Terentius Varro (116–27 v. Chr.) oder P. Terentius Varro Atacinus (geb. 82 v. Chr.) gemeint sein. Die viel diskutierte Frage lässt sich sicher nicht beweiskräftig entscheiden, aber mir scheint sehr viel mehr für M. Terentius Varro zu sprechen. Von den Dichtungen des Varro Atacinus kämen nur die Lehrgedichtsbearbeitungen griechischer Vorlagen in Frage, die Chorographia (Erdbe-

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schreibung) nach Alexander von Ephesus (1. Jh. v. Chr.) und die Ephemeris (?) (Tagesverzeichnis?), eine Bearbeitung des zweiten Teils der Phainomena, der Wetterzeichen Arats (3. Jh. v. Chr.). Beides sind gewiss keine naturphilosophischen Lehrgedichte im Stil des Lukrez (Das moderate Lob, das Qu. dem Atacinus 10,1,87 erteilt, gilt dem Epos Argonautae). Es bleibt also nur ein (Cicero nicht mehr bekanntes) naturphilosophisches Lehrgedicht De rerum natura nach 45 v. Chr. des M. Terentius Varro anzunehmen, das schon W. Speyer, Varronische Studien, Vol. 2, 1959, 2736–2757 auf der Grundlage dieser Quintilianstelle und Velleius Paterculus 2,36,2 und nach Prüfung der AtacinusFragmente mit überzeugenden Gründen erschlossen hat. Mit Lucretium ist natürlich T. Lucretius Carus (zwischen 100 und 50 v. Chr.) gemeint, der Begründer des archaischen naturphilosophischen Lehrgedichts in Rom mit den sechs Büchern De rerum natura (erschienen um 55 v. Chr.), einer Darstellung der epikureischen Physik. 4,5 Quo minus sunt ferendi…plus habeat operis quam ostentationis: Qu. verteidigt hier, 1,4,5–6, wie auch noch 1,7,33–35 die grammatice bemerkenswert nachdrücklich gegen den Einwand, es handele sich nicht um eine ernst zu nehmende wissenschaftliche Disziplin mit Anspruch und Niveau, sondern um die banal-elementare Spracherziehung im Kindesalter, die lediglich die selbstverständliche Voraussetzung des Rednerberufs, das korrekte Sprechen, bereitstelle, aber eine ausführliche Darstellung in einem Rhetorikhandbuch nicht verdiene. Qu. nimmt hier einen Diskussionsfaden um die Bedeutung der Grammatik für die Rhetorik wieder auf, den wir bis zu Cicero zurückverfolgen können: Crassus weist im dritten Buch von De oratore (3,34–46) in seiner Rede über die Formulierung (elocutio) eine ausführliche Darlegung der Stiltugend des korrekten Lateins, der latinitas, mit eben diesem Argument einer puerilis doctrina (eines Lehrstoffs für Kinder) zurück (s. bes. 3,38 und 48), z.B. 3,48: Praetereamus igitur praecepta Latine loquendi, quae puerilis doctrina tradit… = Übergehen wir also die Regeln für das Lateinsprechen, die der Unterricht für Kinder lehrt… Dagegen steht Caesar mit seiner Schrift De analogia (vgl. 1,7,34), in der die durch Analogie abgesicherte grammatische Korrektheit der Sprache und damit die Grammatik eine außerordentlich hohe Aufwertung für die Ausbildung der Sprache des Redners erfährt – eine Auffassung, die Cicero im Orator 149ff., bes. 155–162 wieder zu rela-

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tivieren versucht. Qu. steht hier sehr viel mehr auf der Seite Caesars als auf der Ciceros, obwohl er 1,7,34 gerade auch Cicero für die rhetorische „Grammatikpartei“ vereinnahmt. Qu.s Argumente zur Aufwertung der grammatice: Sie setzt für den erfolgreichen Unterricht erhebliche wissenschaftliche Vorkenntnisse voraus (1,4,2–5). Sie ist ein wichtiger pädagogischer Teil des rhetorischen Curriculums, weil sie die sprachlichen Fundamente bereit stellt, ohne die der Redner nicht zum Erfolg kommen kann (1,4,5; 1,4,22). Sie ist weitaus anspruchs- und niveauvoller, als es auf den ersten Blick den Anschein hat (1,4,2; 1,4,5). Sie kann über das Kindesalter hinaus (wo sie eine Notwendigkeit ist) auch während des Erwachsenenlebens bis hin zum Ruhestand freiwillig und zum Vergnügen betrieben werden (1,4,5), wie das Beispiel so bedeutender Redner wie Cicero, Caesar und Messalla zeigt (1,7,34f.). Man darf sich nur nicht unnützen Tüfteleien hingeben und bei der Grammatik stehen bleiben (1,7,35). Über lebenslanges Vergnügen an Literatur und Dichtung überhaupt hatte sich übrigens ähnlich schon Cicero Arch. 16 geäußert. 4,6 Zum allgemeinen Hintergrund des Vorwurfs der Trivialität der Grammatik vgl. Kommentar zu 1,4,5. Hier kommt als neuer Gedanke hinzu, dass man die grammatice nicht deshalb für banal halten darf, weil ihre Gegenstände im Unterricht aus pädagogischen Gründen auf Einfaches reduziert werden müssen (Ich würde deshalb gegen Colson elementa hier nicht als Pendant zum gr. stoicheía = Sprachlaute verstehen, sondern als „Anfangsgründe, elementare Gegenstände“). Unabhängig von der elementaren Spracherziehung, gewissermaßen professionell als wiss. Studienfach betrieben, erweist sich nämlich die grammatice vielmehr als schwierige, hochdifferenzierte Disziplin, die auch an den Erwachsenen hohe Anforderungen stellen kann. Das Ganze ist etwa vergleichbar mit einem Grundschullehrer des Deutschen, der sich zugleich für die wiss. Linguistik interessiert. Bei der Bewertung eines Faches ist also zwischen pädagogischer Umsetzung und dem eigentlichen Fachstudium und damit auch zwischen zwei Adressaten, den Kindern und den fortgeschrittenen Studierenden und Fachleuten, zu unterscheiden. Der Vergleich eines anspruchsvollen Fachstudiums mit der Einweihung in einen Mysterienkult ist Qu. auch sonst geläufig. Vgl. 1,2,20 (neque enim est sanctius sacris iisdem quam studiis initiari = denn es ist nicht weihevoller, in dieselben Mysterien aufgenommen zu werden als in dieselben Studien), 10,1,92 und 12,10,14. In die Sprach-

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wissenschaft scheint Varro den religiösen Vergleich eingeführt zu haben (ling. Lat. 5,8), indem er den vierten und schwersten Grad der Etymologie mit dem unzugänglichen Tempelbereich (dem ádyton) und den Mysterien des Priesters vergleicht. 4,6 consonantes a vocalibus discernere…partiri: Qu.s Lautsystem mit seiner Einteilung in Vokale und Konsonanten mit der Untergruppierung der Konsonanten in Semivokale und Mutae ist das Standardsystem der römischen Grammatik, das wir von Varro an nachweisen können (Varro fr. 241 GRF Funaioli). Es ist wahrscheinlich alexandrinischen Ursprungs, weil wir es bei Dionysios Thrax in der (freilich in ihrer Echtheit umstrittenen, aber sicher in alexandrinischer Tradition stehenden) Techne grammatiké § 6 belegt finden. Das alexandrinische System geht auf eine ältere akademisch-stoische Dreigliederung zurück (Platon, z.B. Kratylos 424c; Aristoteles, Poetik, Kap.20; Diog. Laert. 7,56f.), die die Laute nach dem Grad der Hörbarkeit in volltönende (phonéenta, vocales), halbtönende (hemíphona, semivocales) und nichttönende Laute (áphona, mutae) einteilte. In der jüngeren, alexandrinischen Gruppierung schließen sich dann die Semivokale (wir würden sie heute Dauerlaute nennen) und die Mutae (die Verschlusslaute) in Opposition zu den Vokalen zu einer nicht selbstlautenden Gruppe, den Konsonanten (symphona, consonantes) zusammen. Für das römische Standardalphabet von 23 litterae zur Zeit Ciceros gilt: 6 vocales: 5 a e i o u und 1 gr. y ; 17 consonantes = 8 semivocales: 7 f l m n r s x und 1 gr. z und 9 mutae: b c d g h k p q t. Vgl. das Stellenmaterial zu den römischen Grammatikern bei Froehde 1892, 69–100, Jeep 1893, 109–115 und Schreiner 1954, 19–23. 4,7 Von 1,4,7–17 beginnt jetzt die Besprechung von Problemfällen der Lautlehre, genauer der Buchstabenlehre (litterae), denn die antike Lautlehre geht immer vom Schriftzeichen aus. Die Lautlehre gliedert sich wiederum in Problemfälle einzelner Laute (§§ 7–11) und Probleme der Lautverwandtschaft (§§ 12–17). Zu den einzelnen Gliederungsschritten vgl. die folgenden Anmerkungen. 4,7 litterarum sonos: Die Lautwerte der Buchstaben in der Grammatik vom Gehör her zu bestimmen, ist mitunter genauso schwer und anspruchsvoll wie die akustische Bestimmung der Töne eines Saiteninstruments in der Musiklehre. Das erinnert an die ursprüngliche Einbindung der Elementargrammatik in den Musikunterricht, in dem man die

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musikalischen Töne und die Buchstaben zugleich lernte, worauf Qu. 1,10,17–18 hinweist. Vgl. auch den Kommentar zu 4,4. Zu auris est…exigere…sonos vgl. 1,5,19 aure exiguntur = werden mit dem Ohr unterschieden, geprüft, identifiziert. 4,7 At grammatici…tenuitatem: Das überlieferte aut gibt weder syntaktisch noch semantisch einen zufrieden stellenden Sinn, dagegen sehr wohl das meist konjizierte at. Gemeint ist der Gegensatz zwischen Musikwissenschaftlern, die möglicherweise auf der Höhe ihres Fachniveaus verbleiben können, und den grammatici, die sich, soweit sie Lehrer sind, den Bedürfnissen der Kinder anzupassen haben und daher in hanc descendent rerum tenuitatem = zu der folgenden Schlichtheit, Einfachheit der Gegenstände herabsteigen werden. Mit tenuitatem nimmt Qu. den Einwand der Grammatikgegner von 1,4,5 wieder auf, die grammatice sei eine ars tenuis, eine anspruchslose, schlichte Kunst. Die folgenden Beispiele wie auch die der übrigen Kapitel seines Grammatikabrisses zeigen aber, dass Qu. gerade nicht einfache Standardfragen, sondern stets schwierige Problemfälle der Grammatik exemplarisch herausgreift, natürlich immer, um den hohen Anspruch dieser Disziplin selbst im Bereich des grammatischen Elementarunterrichts nachzuweisen. 4,7 duas mutuamur: Beide Schriftzeichen, der Vokal y (Ypsilon) und der Doppelkonsonant z (Zeta = s + d), wurden etwa seit dem frühen ersten Jahrhundert v. Chr. zur Zeit Ciceros und Varros aus dem griechischen Alphabet entlehnt, um griechische Wörter in lateinischer Umschrift schreiben zu können. Vgl. Kühner-Holzweissig 5, 9 und 10f., Sommer/Pfister 30, Leumann 9, 11, jeweils ohne Belege. Über die komplizierten Einzelheiten informiert Perl 1971. 4,8 Von §§ 7–8 wird im Bereich der Einzellaute zuerst das Problem fehlender Buchstaben anhand von drei Vokalbeispielen (§ 8) behandelt: 1. der fehlenden littera für das konsonantische u, 2. für den Zwischenlaut /ü/ zwischen u und i und 3. für den Zwischenlaut zwischen i und e. 1. Aeolicum digammon: Das griechische Digamma (digammos, -i, f., digammon, -i, n., digamma, -ae, f. und indeklinabel) ist das im Attischen und Jonischen früh geschwundene Zeichen F (Digamma = doppeltes Gamma) mit dem ursprünglichen Lautwert des konsonantischen u. Wie Priscian und andere Grammatikernotizen zeigen (vgl. z.B. Priscian GrLat II 11,5ff.; 15,1ff.), galt das F als äolischer Buchstabe und

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wurde tatsächlich dem lateinischen konsonantischen u gleichgestellt (wie das Lateinische überhaupt als äolischer Dialekt galt). Vgl. auch unten Komm. zu 1,4,15 zum Beispiel Belena. Bei seruus und uulgus, das Qu. hier, 1,4,8, und 1,4,11 verwendet, handelt es sich um Standardbeispiele einer wünschenswerten orthographischen Differenzierung zwischen vokalischem und konsonantischem u im Lateinischen mit Hilfe des Digamma, also *ser-Fus und *Ful-gus statt seruus und uulgus, Beispiele, die auch noch bei den spätantiken Grammatikern vorkommen. Vgl. Donat, GrLat IV 367,18f. Tatsächlich hatte schon Kaiser Claudius (Quint. inst. orat. 1,7,26 und Gellius 14,5,2) aus diesem Grund (allerdings ohne andauernden Erfolg) für das konsonantische u ein umgekehrtes Digamma eingeführt (Das aufrechte Digamma war schon für das lateinische F vergeben). Vgl. zum konsonantischen u auch noch unten die Anmerkungen zu 1,4,11. Die Zeugnisse zu Claudius’ Schriftreform findet man bei Schanz-Hosius II 424f. und, GRF Mazzarino, pp. 57–68, bes. pp. 61–67. Vgl dazu auch Leumann 12, Sommer/Pfister 33. 2. medius est quidam u et i litterae sonus: Kurz i und lang i wurden unterschiedlich artikuliert. Das kurze i hatte eine eher offene zum e hin tendierende, das lange i wie hier beim Beispiel opímum eine eher geschlossene Artikulation. Vgl. Safarewicz 25 f. mit den inschriftlichen Zeugnissen (z.B. gr. Teberios für lat. Tiberius). Vor labialen Konsonanten wurde das kurze i allerdings nicht wie ein e, sondern wie ein /ü/ artikuliert, also /*optümus/. Dafür ist unsere Quintilianstelle 1,4,8 und dazu noch 1,7,21f. der wichtigste Beleg (Skeptisch bis ablehnend Leumann 88f. mit ausführlicher Diskussion beider Qu.-Stellen, zustimmend Sommer/Pfister 88f.). Geschrieben wurde es wegen der unklaren Ambivalenz des Lautes entweder u oder i, also optumus oder optimus, wobei nach Qu.s Zeugnis (1,7,21) Caesar die Schreibung i, also optimus, gegen archaisch optumus durchgesetzt haben soll. Die Zuweisung an Caesar (übrigens nicht nur die Schreibung i, sondern auch die Aussprache /i/) geht schon auf Varro zurück, vgl. Varro fr. 269 GRF Funaioli und die sonstigen Testimonien Caesar p. 145, GRF Funaioli. Vgl. auch Safarewicz 26f. (mit den antiken Grammatikerstellen). Ein eigenes Schriftzeichen für /ü/ gab es nicht, jedoch versuchte Claudius für den Zwischenlaut zwischen u und i das griechische Zeichen für den Spiritus asper, die linke Hälfte des H, einzuführen. Vgl. Claudius fr. 4 GRF Mazzarino. Das von B überliefert opímum herauszunehmen und damit, wie oft geschehen, die gesamte Textstelle zu

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ändern, ist m.E.s nicht nötig, weil das opimum hier nur als Beispiel für ein klar artikuliertes i im Gegensatz zu dem unklaren Zwischenlaut bei optimus stehen soll. 3. et in here neque e plane neque i auditur: Zur Zeit Quintilians sprach und schrieb man allgemein here (= gestern), war sich aber des älteren heri durchaus noch bewusst. Vgl. Qu. 1,7,22. Noch Augustus soll laut Qu. stets heri geschrieben haben, doch ist here vereinzelt schon von Plautus an z.B. auch bei Cicero und Horaz (sat. 2,8,2) und anderen als Nebenform belegt. Vgl. Priscian GrLat III 71,22f. Charisius berichtet GrLat I 200,11–14 von einem Bedeutungsunterschied zwischen here (quamdiu = wie lang, also gestern den ganzen Tag) und heri (quando = wann, also gestern), der sonst nicht belegt ist. Vgl. Spalding z.St. Heri ist ein mit der alten Lokativform auf -i zum Stamm *hes(vgl. hes-ternus = gestrig) gebildetes Adverb (also *hes-i). Für heri sind beide Quantitäten des i (lang und kurz) belegt. Manche römischen Grammatiker bezeichnen das -i von he-ri explizit als lang, z.B. PsMaximus Victorinus, GrLat VI 237,14 oder Comm. Einsidlense GrLat VIII 258,25f., Priscian legt sich GrLat III 71,18ff. nicht fest. Für kurzes -i spricht der Befund bei den älteren Komikern Plautus, Terenz u.a., bei denen das kurze heri weit häufiger belegt ist. Doch wird das kurze i meist als das Ergebnis der häufigen Kürzung jambischer Wörter wie etwa auch bei mi-hi, si-bi, u-bi oder qua-si u.ä. gedeutet. Das -e von here ist dagegen sicher kurz und geht wahrscheinlich auf eine (schon sehr frühe) Schreibvariante zur Wiedergabe des Zwischenlautes zwischen i und e zurück, den Qu. hier an unserer Stelle erwähnt und worauf er auch 1,7,24 mit si-be und qua-se anzuspielen scheint. Der Weg ging jedenfalls bei heri mit größter Wahrscheinlichkeit vom Lokativ hČrƯ zum jambengekürzte hČrƱ mit der orthographischen Alternative hČrČ, die sich dann schließlich im 1. Jh. n. Chr. durchsetzte: Vgl. KühnerHolzweissig 19,2; 59,2; 294f. und 1017,10; Leumann 109, 427 und Sommer/Pfister 120 jeweils mit Erwähnung der beiden Quintilianstellen. Wie der Zwischenlaut zwischen -e und -i genau artikuliert wurde, ist nicht mehr nachvollziehbar. Es ist, soweit ich weiß, auch kein Vorschlag für ein neues Schriftzeichen bekannt. 4,9 Auf die fehlenden folgt nun § 9 das Problem überflüssiger litterae – wieder mit drei Beispielen, jetzt aus der Gruppe der Konsonanten: 1. das h, 2. k und q (Beides sind Allographen von c, daher gehören sie lautsystematisch zusammen.) und 3. das x. Diese vier überflüssigen

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litterae sind Standard in der Diskussion der Buchstabenzahl des Alphabets seit Varro (s. den folgenden Einzelkommentar), der von den 23 Buchstaben des Standardalphabets nur 17 (fr. 239 GRF Funaioli) gelten lässt – unter Wegfall von h, k, q, x, y und z (1 Aspirationszeichen, 2 Allographe von c, 1 Doppelkonsonant und 2 griechische Buchstaben). Vielleicht hat Varro sogar noch das F als äolisches Zeichen (Digamma) herausgenommen und kam so auf nur 16 unverzichtbare Buchstaben. Vgl. Varro, De antiquitate litterarum fr. 2 GRF Funaioli. Die Liste der sechs überflüssigen litterae bleibt dann auch noch in der spätantiken römischen Grammatik unverändert bestehen. Die Grammatikerstellen zur Diskussion um die Buchstabenzahl des lateinischen Alphabets bei Froehde 1892, 77–79. Zum Problem vgl. Hahn 1941. 4,9 praeter illam adspirationis: 1. Der Status des h, d.h. die Frage, ob es sich um eine vollwertige konsonantische littera oder um ein bloßes Aspirationszeichen handelt, hat die Grammatiker seit Varro bis in die Spätantike hinein beschäftigt (z.B. Varro fr. 240, 279, 280 GRF Funaioli, Qu. 1,5,19ff. oder Donat GrLat IV 368,9f.). Die Diskussion um das h führte schon bei Varro (fr. 240 GRF Funaioli) und seinem Zeitgenossen Nigidius Figulus (fr. 20 GRF Funaioli), und dann meist auch in der spätantiken Grammatik zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um einen Buchstaben, sondern um eine bloße nota adspirationis handelt. Vgl. die Stellen bei Schreiner 1954, 23f. Zur Sache und zu den Argumenten vgl. Safarewicz 43–46 unter besonderer Berücksichtigung von Qu. 1,5,19ff. (h bewirkt z.B. keine Positionslänge, verhindert den Hiat nicht etc.). Qu. lässt 1,5,19 den Streit unentschieden: si h littera est, non nota = wenn h ein Buchstabe ist und kein bloßes Zeichen. Weil also Qu. die Möglichkeit h = littera offen lässt, besteht kein Grund, hier an unserer Stelle illam (notam) adspirationis und nicht mit Colson (litteram) gedanklich zu ergänzen. Das h war schließlich ein üblicher und gewöhnlich auch geschriebener Bestandteil des Standardalphabets. Qu. fordert nur: Wenn man schon einen Buchstaben h für unverzichtbar hält, dann müsste es eigentlich auch eine littera für die Nicht- oder Schwachaspiration geben – und dies ist bei den Römern nicht der Fall. Dies muss im Laufe der Geschichte der römischen Grammatik als Mangel empfunden worden sein, weshalb man nach dem Vorbild des griechischen Spiritus asper und lenis das H halbierte und die Hälfte nicht in die Zeile, sondern oben an den aspirierten Buchstaben setzte, die linke Hälfte für den spiritus asper und die rechte für den spiritus

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lenis: Vgl. Sergius GrLat IV 477,20–26 und Priscian GrLat II 35,26– 36,2. Priscian bringt hier Remmius Palemon ins Spiel, der den „römischen“ Spiritus lenis: notam exilem nannte. Es ist sehr gut möglich, dass Qu. mit seiner Forderung hier von Remmius Palaemon angeregt ist. 4,9 et k…et q: 2. In archaischer Zeit schrieb man die gutturale Tenuis /k/ vor a mit k, vor u mit q und sonst c (Safarewicz 49ff., Leumann 9f., Sommer/Pfister 30–2). Man wird also tatsächlich mit älteren Schreibungen wie kano, cecini; loqus, loka, loci rechnen müssen (Sommer/Pfister 31) – eine Regel, die seltsamerweise noch Donat aufrecht erhält (GrLat IV 368,7–9). Später wurde diese Regel vereinfacht: normal c, in einigen Archaismen k (Kalendae), q nur vor konsonantischem u (Vgl. Servius IV 422,36ff., Sergius GrLat 477,14ff., Pompeius GrLat V 110,4ff.). Die c und k betreffende Schreibregel war sicher schon zur Zeit Qu.s verbindlich, obwohl es offenbar auch damals noch Verfechter der alten Schreibung k vor a gab (1,7,10). k ist aber laut Qu. auch deshalb im Alphabet überflüssig, weil es auch dann, wenn es wie ein gewöhnlicher Buchstabe et ipsa (für sich allein) steht, keine echte littera, sondern ein Abkürzungszeichen für ein nomen (wie z.B. K = Kaeso, K = Kalendae. etc.) darstellt. Vgl. neben 1,4,9 noch 1,7,10. Das lat. q geht über eine etruskische Zwischenstufe auf das ältere griechische coppa (ࢩ = /k/ vor o und u) zurück, das schon vor der athenischen Schriftreform 403 v. Chr. aus dem ionischen Alphabet entschwand und später nur noch als Zahlzeichen für 90 benutzt wurde. (Vgl. Leumann 10, Sommer/Pfister 30). Also hatte schon der griechische Vorläufer von q eine schwache Position im Alphabet. Lat. q ist als Zeichen für /k/ ebenfalls früh geschwunden, blieb aber weiterhin zur Schreibung des labiovelaren Phonems /kw/ in Wörtern wie qui, quod, quam etc erhalten. (Vgl. Safarewicz 53, Leumann 10, Sommer/Pfister 31). Vor Qu. hatten längst schon Varro (fr. 240 GRF Funaioli) und Nigidius Figulus (fr. 19 GRF Funaioli) k und q für abundant gehalten. Die Diskussion geht also weit in das erste Jh. v. Chr. und noch darüber hinaus zurück, wie Lucilius, fr. 14 GRF Funaioli = 366 Krenkel zeigt, der schon das c empfiehlt und das q nur auf bestimmte Fälle beschränken will. 4,9 nostrarum ultima: 3. Der Doppelkonsonant x (= k + s) war der letzte (aus dem westgriechischen Alphabet entnommene) Buchstabe des altlateinischen Alphabets, daher nostrarum ultima. Vgl. Kühner-Holzweissig 5,d und 10,4f., Leumann 3). y und z kamen, wie schon erwähnt,

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zur Schreibung griechischer Wörter erst im 1. Jh. v. Chr. hinzu (s.o. Komm. zu 1,4,7). Redundant ist es, weil es ebenso gut durch die vorhandenen Buchstaben ks oder gs repräsentiert werden könnte (rex = reg-s; pix = pic-s). Die Redundanz von x gilt schon für Varro (Vgl. den Nachweis bei Froehde 1892, 78). Laut Qu. ist das x = ks ebenso entbehrlich wie ein eigenes (im Lateinischen nicht vorhandenes) Zeichen für die Doppelkonsonanz ps, für das im Griechischen ja immerhin der Buchstabe psi (ψ) zur Verfügung stand. Qu. verschweigt hier übrigens, dass Kaiser Claudius auch für die Kombinationen von bs und ps ein neues (inschriftlich nicht belegtes) Zeichen, nämlich ein Antisigma (wahrscheinlich ein umgekehrtes rundes Sigma ം) einführen, also etwa ur঑ oder i঑e schreiben wollte. Vgl. Claudius fr. 3 GRF Mazzarino (p. 65) und oben Komm. zu 1,4,8.(1.). 4,10 Es folgen jetzt §§ 10–11 Sonderprobleme bei Vokalen wieder mit drei Beispielen: 1. Einzelvokale: konsonantische Verwendung von i und u vor Vokalen, 2. Geminierte oder kombinierte Doppelvokale (= Langvokale und Diphthonge), 3. Selbstverdoppelung von konsonantischem und vokalischem -i und -u, also ii und uu in einer Silbe. Zur Erhellung der schwierigen §§ 10–11 haben vor allem J. Aistermann 1910, 88–96 und R. Coleman 1963, 1–10 beigetragen. Vgl. dazu auch K. von Fritz 1959, 118–126 mit ausführlichem Forschungsbericht (und mit einer für mich nicht überzeugenden Lösung, ohne dass hier diskutieren zu können). 4,10 in ipsis vocalibus: 1. Einzelvokale (das bedeutet das in ipsis vocalibus), hier konsonantische Verwendung des i und u: Man versteht 1,4,10 und 1,4,11 am besten vor dem Hintergrund der Standardlehre in der römischen Grammatik: Konsonantischen Wert können nur die Vokale i und u innerhalb einer Silbe annehmen, und zwar 1. vor anderen Vokalen, z.B. Ia-nus, ua-nus, 2. i vor u oder u vor i, z.B. Iu-no, ui-ta und 3. in der Selbstverdoppelung u vor u (ser-uus, uul-gus) oder i vor i (con-iicit), jedoch ist die i-Verdoppelung in einer Silbe stark umstritten. Vgl. Donat GrLat IV 367,12ff. und am besten Servius GrLat IV 421,20ff. Qu.s Beispiele iam und uos (das überlieferte quos ist sicher in uos zu verbessern) illustrieren den ersten Fall: Konsonantisches i und u vor anderem Vokal. Die Vergleichsbeispiele tam und cos (cos, cotis, f. = Wetzstein) verdeutlichen die konsonantische Position und Funktion der Vokale wie bei echten Konsonanten in gleicher vorvokalischer Stellung: t und c.

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4,10 At, quae ut vocales iunguntur: 2. Doppelvokale: Zwei Vokale können sich in einer Silbe entweder mit sich selbst verbinden und bilden dann einen geminierten oder Langvokal (aa, ee, oo etc.) oder sie kombinieren sich untereinander und bilden dann einen Diphthong (ae, ai, au etc.). Der griechische Terminus diphthongus war in der römischen Grammatik bis in die Spätantike hinein nicht üblich. Man sprach vielmehr wie hier Qu. von duas vocales. Vgl. Coleman 1963, 5. Der Langvokal konnte entweder doppelt oder einfach geschrieben und dann mit einem sog. Apex versehen sein. Die Doppelschreibung wird auf orthographische Reformvorschläge des Dichters Accius (170–ca. 86 v. Chr.) zurückgeführt (Accius fr. 24 GRF Funaioli) und ist auch inschriftlich belegt (z.B. paastores, paacem). Vgl. Qu. selbst 1,7,14 und Kühner-Holzweissig 47, Leumann 12, Sommer/Pfister 32. Im neunten Buch seiner Satiren hat sich der Dichter Lucilius (180–100 v. Chr.) dagegen ausgesprochen (Lucilius fr. 8 GRF Funaioli = 344–8 Krenkel) und vorgeschlagen, lang- und kurz -a gleich zu schreiben. Seit Ciceros Zeit etwa wurde der Langvokal nicht mehr geminiert, sondern insbesondere zur Bedeutungsunterscheidung eines gleich geschriebenen Wortes mit kurzem Vokal mit dem apex (apex, -icis, m. = spitze Mütze, Helmspitze), einem Akzent auf dem Vokal (á), versehen, z.B. málus Apfelbaum und malus (= böser Mensch). Der Apex ist auch inschriftlich belegt. Qu. rät 1,7,2–3 zum moderaten Umgang mit diesem Längenzeichen. Vgl. Kühner-Holzweissig 47, Leumann 13f., Sommer/Pfister 32. Die Möglichkeit einer Silbe mit drei Vokalen wurde in der römischen Grammatik wie auch hier bei Qu. (Die Qu.-Stelle hier ist der erste Beleg) eher skeptisch bis ablehnend beurteilt. Gemeint sind Fälle scheinbar dreivokaliger Silben wie z.B. ser-uae oder ling-uae die von den spätantiken Grammatikern wegen des konsonantischen Funktion des i oder u zurückgewiesen werden. Vgl. Cassiodor (= Cornutus) GrLat VII 148,15ff. und Priscian GrLat II 44,10ff. Drei Vokale sind in einer Silbe also nicht möglich, weil der erste konsonantischen Wert hat und die beiden andern einen Diphthong bilden, also nur zwei echte Vokale in einer Silbe vorliegen. Vgl. Coleman 1963, 5f. und 9f. mit den Beispielen cur-uae und ua-cu-ae. 4,11 Quaeret hoc etiam…natura sit: Meine Übersetzung wird nachvollziehbarer, wenn man 1,7,26 hinzuzieht: Meine Lehrer schrieben ser-uom, nicht ser-uum, also mit u und o, quia subiecta sibi vocalis in unum sonum coalescere et confundi nequiret = weil der Vokal, sich

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selbst zugesetzt, nicht in einen Ton zusammenwachsen und sich vermischen könne. Man war also damals skeptisch in Bezug auf -uu in einer Silbe wie bei ser-uus. Vgl. Komm. zu 1,7,26. 4,11 quomodo duabus demum vocalibus in se ipsas coeundi natura sit: 3. Selbstverdoppelung von konsonantischem und vokalischem -i und -u, also ii und uu in einer Silbe. Diskutiert wird jetzt also der dritte Fall der Verwendung von konsonantischem i und u, die Selbstverdopplung in einer Silbe (Vgl. oben Komm. zu 1,4,10), wobei jeweils der erste Vokal konsonantischen, der zweite vokalischen Wert hat, wie z.B. bei den gleich folgenden Beispielen Qu.s con-iicit und uul-gus, ser-uus. Dass die i-Verdoppelung in einer Silbe umstritten war, habe ich schon im Komm. zu 1,4,10 erwähnt. Qu. hält sie dagegen für möglich. Vgl. ausführlich dazu Leumann 128. Im Gegensatz zu dieser Möglichkeit der Verdoppelung der Vokale i und u in einer Silbe treten die „echten“ Konsonanten überhaupt nicht verdoppelt in einer Silbe auf, schon gar nicht am Wortanfang *pp- oder *ss-, aber auch nicht im Wortinneren wie jede Schulgrammatik lehrt (an-nus, mit-to, mil-le, cur-rus, ap-pella-ti-o), weil der zweite Konsonant stets zur Folgesilbe gezogen wird. Möglich ist also nicht *ci-ppus, sondern nur cip-pus. Das gilt natürlich auch bei verschiedenen Konsonanten: z.B. carp-tim, sanc-tus; nicht *car-ptim; san-ctus. etc. Die Ausnahme von dieser Regel (nur ein Konsonant in die Folgesilbe) ist bekanntlich die Muta cum liquidaVerbindung mit der Möglichkeit von zwei Konsonanten in der Folgesilbe, wie pa-tres, sa-crum ce-le-bro etc. In diesem Fall (wie auch am Wortanfang z.B. plus, bre-uis) erfährt der „liquide“ zweite Konsonant eine Schwächung (die sich auch metrisch auswirkt, weil die Silbe lang oder kurz gemessen werden kann). Diese Schwächung meint Quintilian hier mit frangat (frangere heißt ja auch schwächen, mindern), und sie wurde später auch von den antiken Grammatikern konstatiert. Vgl. u.a. Marius Victorinus GrLat VI 6,18ff. oder Ps.-Probus Gr Lat IV 221,16f. Dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nicht nur eine Muta, sondern auch das f sich mit der Folge gleicher metrischer Schwächung mit einer Liquida (flos, frigus) verbindet, vgl. Donat GrLat IV 368,4f. und 369,4f.: Sie bildet nämlich in dieser Kombination eine syllaba communis = eine lange oder kurze Silbe). An dieses f + Liquida vor allem denkt hier auch Quintilian, wie sein Beispiel quotiens (f) aliquam consonantium frangit, ut in hoc ipso „frangit“ von 12,10,29 beweist. Vgl. ähnlich schon Schreiner 1954, 115–117.

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4,11 conicit…uulgus et seruus: Man schrieb gewöhnlich con-icit, statt etymologisch und phonetisch richtig con-iicit. Vgl. dazu ausführlich Leumann 128f. Die Geschichte der Schreibung von uul-gus und ser-uus erläutert Quintilian selber 1,7,26, wie eben schon im Komm. zu 1,4,11 (Quaeret) zitiert: Seine Lehrer schrieben noch ser-uom ar-uomque, um das damals noch umstrittene doppelte u in einer Silbe zu vermeiden. Zur Zeit Quintilians (nunc) schrieb man dagegen den Doppelvokal seruus, obwohl man sich des phonetischen Unterschieds zwischen kons. u und vok. u durchaus bewusst war. Deshalb wurde, wie Qu. an schon erwähnter Stelle (1,7,26) bemerkt, völlig zu Recht schon von Kaiser Claudius der Versuch gemacht, das konsonantische u durch das (umgekehrte) äolische Digamma wiederzugeben, einen Buchstaben, den Quintilian schon 1,4,8 als Desiderat für das kons. u erwähnt hatte. 4,11 „aiio“ „Maiiam“: Man findet auch bei den späteren römischen Grammatikern den Hinweis, dass i in intervokalischer Stellung wie bei aio oder Maia als Doppelkonsonant gewertet werden muss (Vgl. Velius Longus GrLat VII 54,16ff. und bes. Priscian GrLat II 14,3ff. Keil), bei Longus wie bei Qu. verbunden mit einem Verweis auf Ciceros konsequentere Schreibung Ai-ia-cem, Mai-iam. Priscian erläutert, dass ein doppeltes konsonantisches i aus phonetischen Gründen nur auf zwei Silben verteilt werden könne, denn ein doppeltes konsonantisches i in einer Silbe sei nicht möglich, also richtig mai-ius, nicht *ma-iius, wie tel-lus, nicht *te-llus. (Auch Qu. glaubt ja, dass Konsonanten in einer Silbe nicht verdoppelt werden können, s.o. Komm. zu 1,4,11 quomodo). Man könne aber trotzdem sogar drei i wie im Fall von Genetiv Pom-pei-iî schreiben, weil die ersten beiden i auf zwei Silben verteilte Konsonanten und nur das Genetiv i ein Vokal sei, wie etwa bei einem hypothetischen *Pompel-li Dies habe schon Caesar in De analogia zugestanden (Caesar fr. 15 GRF Funaioli). Diese Auffassung von der auf zwei Silben verteilten Doppelkonsonanz des i wird von der modernen Sprachwissenschaft aus etymologischen Gründen (ai-io < *ag-io) durchaus bestätigt. Vgl. Safarewicz 31f., Leumann 127, Sommer/Pfister 124. Vgl. auch Coleman 1963, 9. Qu. scheint wohl ein bisschen skeptisch gegenüber der i-Doppelschreibung zu sein, möchte aber auch, wenn es sich denn wirklich um ein geminiertes i handelt, ihm den konsonantischen Charakter nicht absprechen.

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4,12 Nach der Behandlung der Problemfälle von Einzellauten im Silbenbereich (§§ 7–11) folgt jetzt der Abschnitt über die Probleme der Lautverwandtschaft (cognatio litterarum) (§§ 12–17). 4,12 quae cum quibus cognatio: Der Abschnitt §§ 7–11 hatte die individuellen (z.B. das x ist überflüssig) und gemeinsamen Eigenschaften der Einzellaute (z.B. i und u können beide konsonantische Funktionen übernehmen. Konsonanten treten nicht verdoppelt in einer Silbe auf.) als wichtigen Lernstoff behandelt (daher das zurückweisende Quare). Jetzt geht es um die cognatio litterarum über den Einzellaut hinaus. Mit diesem Begriff ist die „verwandtschaftliche“ feste Beziehung gemeint, die verschiedene Laute im Wortbildungsprozess oder im sprachgeschichtlichen Verlauf im Übergang von einem Wort zum anderen eingehen, bzw. die Veränderungen, die sie erleiden (Qu. nennt sie Anfang § 13: mutationes litterarum). Wir würden heute von (geregeltem) Lautwandel sprechen. Solche mutationes können, wie Qu. § 12 und 13 zeigt, entweder morphologisch (quas adferunt declinatio aut praepositio) (Flexion: a > i: secat/secuit, Derivation: a > i: scamnum/scabillum, Komposition: ae > lang i: caedit/excidit) oder sprachgeschichtlich (quae aetate transierunt) bedingt sein (s > r Valesii/Valerii). §§ 12–13 gibt Qu. Beispiele für den morphologischen, §§ 13–17 für den historischen Lautwandel. Die cognitio litterarum war übrigens ein Basisbegriff der römischen Orthographie, wie Velius Longus zeigt, der den Begriff GrLat VII 13,1ff. ausführlich erläutert. 4,12 ex scamno…scabillum aut a pinno…bipennis: Morphologisches Beispiel aus der Derivation: Verwandtschaft von m und b bei dem Deminutiv scab–ill–um (Schemelchen), später gewöhnlich scabellum von scamnum (Schemel). Moderne Erklärung des Lautwandels: scam-num > *scab–nom, also pn, bn assimiliert zu mn: Vgl. Leumann 201. Morphologisches Beispiel aus der Komposition: Verwandtschaft von i und e beim Kompositum bi-pennis (zweischneidige Axt, Doppelaxt) vom Adjektiv pinnus, -a, -um (scharf). Qu.s Herleitung des Substantivs bipennis, -is, f. (= Doppelschärfe, Doppelaxt) von einem sonst nicht belegten Adjektiv *pinnus a, um (scharf) über das Substantiv pinna, -ae, f. (= Schärfe) repräsentiert tatsächlich die in den antiken Scholien und Glossensammlungen und bei Isidor 11,1,46 und 19,19,11 ausschließlich überlieferte Standardetymologie von bipennis. Vgl. Maltby 1991, 80f. Dagegen wird heute allgemein das Adjektiv bipennis (zweigeflügelt, zweischneidig) und das daraus substantivierte Nomen bipennis (securis)

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zu penna, ae, f. (Flügel) vom Stamm *pet- (fliegen) gestellt, für das als eine Dialektvariante pinna belegt ist. Vgl. Sommer/Pfister 54. Dieser Etymologie wird eine Übertragung der Form des Flügelpaars auf die Doppelklinge der Axt unterstellt – eine, wie man hier sieht, nicht erst moderne, sondern schon antike Herleitung, die sich allerdings in der antiken Fachwelt nicht hat durchsetzen können. 4,13 Neque has modo noverit mutationes, quas adferunt declinatio aut praepositio…: Es folgen weitere Beispiele morphologisch bedingten Lautwandels in der Flexion (Lautwandel im verbalen Tempussystem) und in der Komposition (Präpositionen als Präfixe). Sie sind auch heute noch zum größten Teil Gegenstand der Lautlehre jeder fortgeschrittenen lateinischen Schul- oder Studiengrammatik, im Folgenden vertreten durch Rubenbauer-Hofmann-Heine 1995 (= RHH). Ich schreibe im Folgenden das konsonantische u = v und das i = j: secat/secuit (Er schneidet/Er hat geschnitten): Perfektbildung auf -ui < i-v-i, also *sec-i-v-i, Ausfall von kurz i zwischen Konsonanten, Vokalisierung des konsonantischen v > sec-u-i: RHH § 73d mit Lautregel (= L 35), Verbliste RHH § 80,9. cádit/éxcidit (Er fällt/Er fällt heraus): RHH L 14: Vokalschwächung in Mittelsilben. In offenen Mittelsilben werden kurze Vokale zu kurz i. caedit/excídit (Er haut um/Er haut heraus): RHH L 13: Diphthong ae wird in der Mittelsilbe zu lang i geschwächt. cálcat/excúlcat (Er tritt/Er tritt heraus): Diesen Lautwandel erklärt Leumann 85: Vokalschwächung von a + velarem l + Konsonant zu ul, hier alc zu ulc, z.B. calcare/inculcare (Qu.s Beispiel) oder alt zu ult wie bei saltare/exsultare. lăvare/lǀtus/inlnjtus: Perf. (mit Dehnung des Stammvokals) lƗv-i > PPP * lav-i-tu-m (i zwischen Konsonanten schwindet, kons. v wird vokalisch) > lautum, vgl. RHH Verbliste § 80.4. und L 35, Leumann 595. lǀtus: vulgärsprachliche Variante für lautus L 7, Leumann 73. illnjtus: Vokalschwächung des Diphthongs au > ou > nj wie bei claudo > inclnjdo, causa > accnjsare, und so lautus > illnjtus, vgl. Leumann 73 und 91. 4,13 sed et…aetate transierunt: Es folgt jetzt der Übergang zu Beispielen historischen Lautwandels (§§ 13–17): 1. s > r (Valesii/Valerii): Valesii, Fusii > Valerii, Furii sind Beispiele für den berühmten Rhotazismus, den Lautwandel von intervokalischem s über italisches stimmhaftes z zu lat. r. RHH L 39, Safarewicz 95, Leumann 178f. Ablehnend zum stimmhaften z äußert sich dagegen Perl, 1971, 220ff. Die Beispiele

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Qu.s sind Standardbeispiele für den Rhotazismus, die auf ein sehr hohes Alter zurückgehen. Kein geringerer als der Zensor Appius Claudius Caecus (censor 312 v. C.) soll das r für s eingeführt haben (Appius Claudius Caecus fr. 1 GRF Funaioli) in der Absicht, aus den Valesii Valerii und aus den Fusii Furii zu machen. (vielleicht auch deshalb, weil er ein Gegner des stimmhaften z war. Vgl. fr. 2 GRF Funaioli) Und weil auch Cicero (fam. 9,21,2) bemerkt, dass der Diktator L. Papirius Crassus (dictator 340 v. Chr.) sich als erster Papirius und nicht mehr Papisius nannte, scheint der Abschluss dieses Lautwandels für die Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr. gesichert. Auch Varro benutzt die beiden Gentilnomina Valerii und Furii zur Illustration des Rhotazismus bei Gentilnamen im 5. Buch der Res divinae der Antiquitates (fr. Varro 128 GRF Funaioli). Beispiele für Rhotazismus bei Appellativen zitiert er in ling. Lat. 7,27. arbǀs, labǀs, vapǀs und clamǀs sind archaische Nominative von zweisilbigen Maskulina der konsonantischen dritten Deklination auf ǀs vom Typ honǀs und vom Femininum arbǀs, die im Nominativ den Stammauslaut s behalten. ǀs wird bei den Maskulina dann im Ausgleich zu den durch Rhotazismus entstandenen r der obliquen Kasus (honǀs-is > honǀr-is) zu ǀr , später verkürzt zu ǂr, also honǂr, honǀris m. (Ehre), labǂr, labǀris m. (Arbeit, Mühe), vapǂr, vapǀris m. (Dampf) und clamǂr, clamǀris m. (Geschrei). Vgl. Leumann 179 und 111. Die Länge des Stammauslauts im archaischen Nominativ des Femininums arbǀs wird als quantitativer Ablaut (Vokallänge in der Endsilbe des Nominativs) bei einem eigentlich kurzvokaligen s-Stamms gedeutet, also arbǀs/arbǂs-is > arbǂr, arbǂris, f. (Baum). Vgl. Safarewicz 135. LƗses ist ein archaischer Nominativ Plural, aus dem die später durch Rhotazismus entstandene übliche Form LƗres, um, m. (Laren = Hausgötter, Weg-, Feldgötter) hervorgegangen ist. Der überlieferte Text der Zeile 24 Winterbottom: etiam et clamos ac lases fuerunt scheint so nicht akzeptabel. Das etiam et vor clamos gibt keinen rechten Sinn, denn das Beispiel unterscheidet sich nicht von den drei vorhergehenden. Ob Qu. neben Lases auch noch asa statt ara, ae f. (Altar), wie Colson vorschlägt, eingeführt hat, bleibt unsicher, ist aber angesichts des Überlieferungsbefundes und der Parallelstellen bei Colson durchaus denkbar. Viele Verbesserungsversuche sind gemacht worden, vgl. Colson z.St. und die Editionen. Ich würde vermuten: arbos, labos, vapos, clamos, etiam et asae ac Lases fuerunt. Absichern lässt sich diese Lesung natürlich nicht. Das steigernde etiam et könnte

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daher rühren, dass die Beispiele asae und Lases nicht mehr lebendig waren, sondern nur noch in weit entfernten „sakralen Texten und amtlichen Urkunden“ (Leumann 178) vorkamen, während Nomina auf -ǀs wie honǀs etc. durchaus noch in der Literatur der Klassik und der frühen Kaiserzeit belegt sind (Leumann 179). 4,14 Der folgende viel diskutierte § 14 ist deshalb so schwer zu verstehen, weil Quintilian sich hier bis zur Unverständlichkeit verkürzt ausdrückt. Vgl. meine erläuternden Zusätze > @ im Text der Übersetzung. Der Gedankengang ist folgender: „Wie das s verdrängt werden kann (s > r, arbos ĺ arbor, § 13), so kann es auch wiederkommen und selbst einen anderen Laut verdrängen (t > s, mertare ĺ mersare, § 14) Eine solche Verdrängung gibt es auch – noch ungewöhnlicher – beim h durch das ähnliche f (hordeum ĺ fordeum), also h > f. Wenn das h in diesem Fall dem f weichen muss, so kann es aber umgekehrt – wie schon das s – ebenfalls wiederkommen und dem f zugesetzt werden. Denn im Gegenteil zur Verdrängung des h durch f (daher das contra) setzen die Griechen dem lat. f ein h zu, z.B. wenn sie das f im Namen Fundanius wie ihr phi, also Phundanius aussprechen, also f > fh = ph. Die Lesart von B ei (= ihm, dem f) scheint mir daher völlig richtig, und das Φ von A ist vielleicht nur ein gelehrter Zusatz. 2. t > s (mertare/pultare): mersare = häufig eintauchen ist das Frequentativum von mergere, mersi, mersum = eintauchen, pulsare = häufig stoßen das Frequentativum von pellere, pepuli, pulsum = stoßen. Die archaischen Nebenformen mertare und pultare sind für ältere Autoren wie Plautus und Accius durchaus belegt. Die Frequentativa werden vom Supinstamm des PPP mit dem to-Suffix und dem Suffix -are gebildet. Zu erwarten wäre also bei mersare regulär: PPP *merc-to-s ĺ *mer-to-s ĺ *mertu-s und davon mert-are, die lautgesetzlich eigentlich richtige Form. Das s von mersare erklärt man durch Analogiebildung infolge des Einflusses des si-Perfekts mersi. pulsare ist von pulsus gebildet. Auch hier wäre eigentlich allein zu erwarten *pul-to-s ĺ * pul-tu-s und davon pult-are: Das s von pulsus und pulsare wird wieder als Analogiebildung von ähnlichen -so-Partizipformen verstanden. Vgl. KühnerHolzweissig 181 und Safarewicz 260. 3. h > f: (hordeum/fordeum): hordeum = Gerste und haedos von haedus = junger Ziegenbock. Lat. h kann auf ein gh zurückgehen (hostis = dt. Gast). gh mit labialem Nach-

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schlag ghv kann dann dialektisch zu f weitergeführt werden, so dass f/hVarianten entstehen so z.B. lat. Haedus = junger Ziegenbock – sabinisch fedus, dt. Geiß) oder dial. fordeum statt lat. hordeum (dt. Gerste). Das Phänomen erwähnt schon Varro, ling. Lat. 5,97 und hat es wohl auch anderweitig diskutiert (fr. 280 GRF Funaioli: lat. harena wegen Sabinisch fasena). Vgl. sonst Kühner-Holzweissig 161, Leumann 168f., Sommer/Pfister 149. 4. lat. f > griech. fh = ph (Fundanius/Phundanius): Die Cicero-Rede ist nicht erhalten. Es gab im klassischen und kaiserzeitlichen Griechisch keinen dem lat. f entsprechenden Laut, daher wurde die Spirans f mit der aspirierten Tenuis φ (= ph) wiedergegeben und auch so ausgesprochen, z.B. Aufidius = Αὐφίδιος (Auphidios). Der Wandel von ph zu f erfolgte im Griechischen erst in der Spätantike. Das griechische phi wurde dagegen von den Römern zunächst mit p und dann mit ph wiedergegeben, erst sehr spät auch mit f: Φιλάδελφος = Piladelpus – Philadelphus, dann auch Daphne – Dafne oder Phaedra – Fedra. Vgl. Safarewicz 49, Leumann 162. 4,15 5. griech. p; ph; F > lat. b (Pyrrhus/Burrus); lat. v > lat. b (Velena/ Belena): Die beiden ersten Beispiele Burrus und Bruges zitiert schon Cicero, orat. 160, aus einer Tragödie des Ennius. Burrus steht für Pyrrhus und Bruges für Phryges, b ersetzt also einmal das griechische p (Purrus/ Pyrrhus) und einmal das gr. ph (Pryges/Phryges). Welcher Lautwandel bei Ennius zum b statt zu dem zu erwartenden p geführt hat, ist wohl noch ungeklärt – vielleicht ist es eine süditalische Aussprachevariante. Vgl. Leumann 158. Vgl. auch Sommer/Pfister 151. Das dritte Beispiel Belena ist gut überliefert und ich würde es (wie Colson) beibehalten. Schon Priscian bezeugt diese Lesung mit ausdrücklichem Verweis auf Quintilians erstes Buch GrLat II 18,11f. Hier (II 18,5ff.) erwähnt er den äol. Lautwandel vom F zu β und parallel dazu lat. u zu lat. b: apud nos quoque est invenire, quod pro u consonante b ponitur…sed etiam Belena antiquissimi dicebant teste Quintiliano… = Auch bei uns stößt man darauf, dass für das konsonantische u das b gesetzt wird…aber auch Belena sagten die ältesten Autoren, wie Quintilian bezeugt…. Priscian unterstellt also: äol. Velena wird zu altlat. Belena. Velena bezeugt ausdrücklich als äolisch auch Sergius GrLat IV 476,14–17. Dass das konsonantische u im Lateinischen oft durch b ersetzt wird, ist auch sonst

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gut bezeugt. Vgl. Kühner-Holzweissig p. 163d und Leumann 158f. balaena (= Walfisch von griechisch phálaina, vgl. dazu Leumann 158 am Ende) ist eine gelehrte spätere Konjektur auf der Basis von Paulus Diaconus-Festus, Excerpta de significatione verborum 31 und als Konjektur gegen die Überlieferung keineswegs zwingend. 6. dv > b (dvellum/bellum): d + konsonantischem u vor Vokal wird ab etwa 250 v. Chr. zu b: dvellum > bellum; dvonos > bonus etc. Den Lautwandel erwähnen schon Cicero, orat. 153 und Varro, ling. Lat. 7,49. Qu.s Beispiel des Gentilnamens Bellii für Dvellii ist der Oratorstelle entnommen. Der Sieger der Seeschlacht von Mylae 260 v. Chr. im ersten punischen Krieg, C. Duellius, wurde trotz seiner Zugehörigkeit zur ehrwürdigen gens der Duellii Bellius genannt, und Cicero lässt keinen Zweifel daran, dass er darin eine gewagte Freizügigkeit sieht. Daher das ausi bei Qu. Zum Lautwandel vgl. Safarewicz 113, Leumann 131, Sommer/Pfister 170. 7. stl > l (stlocus/stlis): Die archaische Lautgruppe stl wird zu klass. lat. l: arch. stlocus > locus = Ort oder stlis > lis, litis f. = Streit. Vgl. Kühner-Holzweissig 172, Leumann 189, Sommer/Pfister 186. 4,16 8. idg. dr > lat tr (Alexanter/Cassantra): gr. Alexandros > lat. arch. Alexanter, -tri; gr. Kassandra > lat. arch. Cassantra. Vgl. Leumann 198 mit der Qu.-Stelle. 9. o > u: Hecoba ist die altlateinische Schreibung für Hecuba. Das kurze vokalische u wurde offen artikuliert und kam daher dem kurzen o nahe. Daher die Schreibvarianten. Vgl. Sommer/Pfister 62 und 88. Hecuba ist gr. Hekábe (Name der Frau des Priamus) entlehnt und unterliegt dann im Lateinischen dem Wandel kurzes a vor labialem Konsonant > u. Vgl. Leumann 87f. nutrix Culchidis (die Amme der Kolchierin) – wahrscheinlich ein Zitat aus einer altlateinischen Medea-Tragödie. Das Land Kolchis am Schwarzen Meer, Schauplatz der Argonautensage, gr. Kolchís, idos wird gewöhnlich lateinisch mit Colchis, -idis oder -idos wiedergegeben. Davon abgeleitet ist das gleichlautende Adjektiv Colchis, idis f. (= Kolchis, die Kolchierin). Gemeint ist hier natürlich Medea. Daneben gab es

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die archaische Form Culchis, dessen u mit dem lat. Lautwandel o > u vor velarem l zu erklären ist. Vgl. Leumann 48 mit der Qu.-Stelle. Pulixena: Altlateinische Nebenform der später üblichen Form Polyxena, ae f. (belegt z.B. bei Vergil und Ovid, auch bei Qu. selbst 6,2,22), gr. Πολυξένη (Polyxena ist die Tochter des Priamus, die Achills Sohn Pyrrhus am Grab des Vaters opferte.) Das u ist mit größter Wahrscheinlichkeit nicht durch einen lateinischen Lautwandel entstanden, sondern geht wohl auf eine zu erschließende epische Nebenform Πουλυξένη zurück wie Πουλυδάμας (Poulydámas – ein troischer Held der Ilias) oder Πουλυνόη (Poulynóe = die Vielsinnende – eine Nereide in Hesiods Theogonie 258). πουλύς (= viel) ist eine epische Nebenform von πολύς. Das u in Pulixena ist also wahrscheinlich lang. Es könnte allerdings wie gleich bei Ulixes erklärt, auch kurz sein. dederont/probaveront: Das altlateinische (auch inschriftlich belegte) -ont der 3. Pers. Perfekt Aktiv (z.B. cosentiont) wird zu -unt wegen des normalen lateinischen Lautwandels von o zu u in geschlossenen Endsilben. Vgl. Safarewicz 82 (mit der Qu.-Stelle) und Leumann 514 (ebenfalls mit der Qu.-Stelle). ǍlƱxƝs: lat. Namensform des homerischen Odysseus. Qu. unterstellt einen Wandel vom episch-jonischen Ὀδυσσεύς über äol. Ὀλυσσεύς zu lateinisch Ulixes, also einen innerlateinischen o > u Wandel. Das Lateinische galt ja den antiken Grammatikern als Dialekt des Äolischen. Die Herleitung der lateinischen Form ist freilich nicht so einfach. Grundsätzlich scheint sie einen bereits aus dem griechisch ererbten Lautstand zu bewahren, wenn auch etruskische Vermittlung nicht ausgeschlossen wird. (Leumann 458). Überliefert sind tatsächlich ep.jon. Odysseús, äol. Olysseús und weitere Dialektvarianten mit l und ss, s oder tt, t. Vgl. die Belege bei Liddell-Scott-Jones. Die l-Formen zeigen, dass das l die ursprüngliche Lautung darstellt und daher das l in Ulixes nicht innerlateinisch aus d entstanden sein kann, sondern ererbt ist. (Leumann 156, Sommer/Pfister 138). Auch das U ist (wie bei Pulixena) mit größter Wahrscheinlichkeit nicht erst lateinisch entwickelt, sondern repräsentiert den griechischen Diphthong ou. Ebenso lässt sich das x für ss nicht auf einen lateinischen Lautwandel zurückführen (Leumann 180). Die griechische Vorlageform müsste dann also Οὐλίξης lauten. Sie ist, soweit ich weiß, nur bei Plutarch, Marcellus, Kapitel 20 (= Poseidonios Phil. Fr. 93) für einen Tempel in der sizilischen Stadt Engyion mit dem Genetiv Οὐλίξου belegt und sonst nur aus zwei nicht

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ganz zweifelsfreien lateinischen Grammatikerstellen erschlossen. Diomedes (GrLat I 321,30) bezeugt für Ibykus ein unsicheres Olixes oder Ulixis (vgl. Leumann 180), Priscian (GrLat II 276,4) lässt auf ein nach seiner Auffassung dorisches Οὐλίξης, entstanden aus Οὐλίξευς schließen, dem dann das lateinische Ulixes folgt. Problematisch bleibt dann nur noch die unzweifelhafte, weil metrisch abgesicherte Kürze des U. Die Lösung könnte in eine Richtung gehen, die Priscian in den Lautregeln zu lat. u (GrLat. II 27,9ff.) andeutet. Die Äoler kürzen den Diphthong ou auf ein kurzes u. Das ahmen die Lateiner nach und verwenden für den Diphthong ou mal ein langes, mal ein kurzes u. (GrLat II 27,25–28,5). 4,17 10. e > i: MČnerva: = Minerva; Römischer Name der Göttin Athene. Diese altlateinische, auch inschriftlich belegte Form deutet Safarewicz 26 als bloße Schreibvariante von Minerva wegen der geschlossenen Artikulation des kurzen i in Richtung kurzes e. Das e wird in diesem Fall aber auch als der ältere Lautstand gewertet, wobei das i mit vortoniger Schwächung des e zu i erklärt wird. Vgl. Leumann 51. Sommer/Pfister sieht 92 in Menerva eine etruskische Vorstufe, deren Weiterentwicklung zu Minerva durch volksetymologische Verbindung mit minisci (erinnern) oder minitari (drohen) erklärbar ist. Meiser leitet 1998, 117 Minerva über altlat. und etruskisch Menerva von idg. *menes-va = „die mit Verstand begabte“ ab. LƝber: Hier ist wohl nicht das Adjektiv lƯber (frei), sondern der Name des altitalischen Weingottes LƯber gemeint, der etymologisch mit lƯberi (Kinder) verbunden wird. Der Dativ Lebro ist inschriftlich belegt. Das lange e ist altlateinische Vorstufe zum langen i und zugrundegelegt wird der Lautwandel ou > oi > ei > e > i . Vgl. Leumann 61 mit der Qu.-Stelle, Sommer/Pfister 70, und Meiser 86f. magester: altlateinische Schreibvariante wegen des schon erwähnten offenen Artikulation des kurzen i. Vgl. Leumann 51 und Sommer/Pfister 57, jeweils mit der Qu.-Stelle. DiiovƝ VictorƝ: = klass. Iovi Victori (Dativ Singular). Idg. dy ist beim Götternamen Juppiter italisch und altlateinisch als dj noch erhalten und inschriftlich belegt: z.B. der Dativ DIOVEI. Es sollte also in Winterbottoms Text auch Dioue, nicht das überlieferte Diioue geschrieben werden. Das dj wurde dann zu j vereinfacht, also Iuppiter, Iovis, vgl.

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Leumann 126. Das Ɲ ist altlateinische Schreibvariante für die altlateinische Dativendung ei, die sich später dann zum regulären Ư entwickelte. In juristischen Formeln hat sich das alte Dativ -e noch bis in die klassische Zeit erhalten. Vgl. Leumann 435 (mit der Qu.-Stelle). 4,17 Sed mihi locum signare satis est…: Qu. ist der Hinweis wichtig, dass er nicht selbst eine vollständige ars grammatica vorlegen will, sondern dass er nur deren Lehrstoff in seinen Inhalten und seiner systematischen Vernetzung exemplarisch verdeutlichen und mit didaktischen Verweisen für die Vermittlung dieser ars versehen will. So äußert er sich zu seiner Darstellung der Grammatik auch noch 1,5,54. Es geht Qu. sicher auch um die Darstellung des Faches (docere), aber ebenso gut, wenn nicht mehr, um fachdidaktische Hinweise zu deren Vermittlung (admoneo docturos). Im gewissen Sinne gilt das für die gesamte Institutio oratoria, die eher ein Handbuch für Rhetoriklehrer als eine fachwissenschaftliche Darstellung der Rhetorik sein will. Vgl. 1, Prooemium, 23–25. 4,17 Inde in syllabas cura transibit: Auf die Besprechung der litterae müsste in der aufsteigenden Konstituentenreihe der ars grammatica (Laut, Silbe, Wort, Satz, Text) jetzt eigentlich die Silbenlehre folgen. So geschieht es auch in den römischen artes, z.B. De syllaba, Donat GrLat IV 368,17–369,15 und dort wird auch deutlich, dass die Silbenlehre für die Bestimmung der Versfüße in der Metrik (De pedibus, 369,17ff.) und für die Akzentlehre (De tonis, 371,1ff.) von größter Bedeutung ist. Auf die große Bedeutung der genauen Kenntnis der proprietates pedum für die Dichterlektüre und für den späteren rednerischen Prosarhythmus verweist auch schon Qu. mit Nachdruck 1,8,13, aber er widmet verständlicherweise der Silbenlehre kein eigenes Kapitel. Hier an unserer Stelle vertröstet er auf die wenigen Beobachtungen in dem orthographischen Kapitel 1,7, bes. deutlich 1,7,9 zur Silbentrennung. Ansonsten war die Silbenlehre schon im Zusammenhang mit dem Elementarunterricht im Lesen und Schreiben kurz angesprochen worden (1,1,30–31). Sie spielt dann noch eine gewisse Rolle in der Akzentfehlerlehre (1,5,22–31) – immerhin ist dort (1,5,30) das lateinische Dreisilben-Betonungsgesetz formuliert- und natürlich auch in der Lehre vom Prosarhythmus (9,4,45–48), der ja der Metrik sehr nahe steht. 4,17 Tum videbit…quot et quae partes orationis…: Qu. folgt weiter dem inhaltlichen Aufbau der ars grammatica, indem er nach den

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Sprachkonstituenten Laut (littera) und Silbe (syllaba) jetzt die Ebene des Wortes (dictio) erreicht und unter diesem (von ihm nicht hier, aber 1,5,2 genannten) Stichwort die Wortarten (partes orationis) behandelt. So verfahren auch die späteren römischen Grammatiker in ihren artes. Allerdings bilden die partes orationes bei ihnen den ausführlichen Hauptteil der ars, während Qu. ihnen nur ca. vier §§ (17–21) widmet und sie nur exemplarisch und en passant behandelt. Vorrangig sind ihm kurze Hinweise zur Entstehungsgeschichte des Wortartensysteme, zu den Unterschieden der griechischen und lateinischen Systeme und zur unterschiedlichen Zahl der Wortarten innerhalb eines Systems. Die Kenntnis der Wortarten ist unerlässliche Voraussetzung für die Dichterlektüre, und ihre sichere Bestimmung bildet neben der Bestimmung der Versfüße daher den ersten methodischen Schritt in der Behandlung von Dichtertexten im Unterricht des grammaticus. Vgl. Qu. 1,8,13. Einen guten Eindruck von diesem Teil des Grammatikunterrichts vermittelt Priscians Schrift Partitiones (GrLat III 457–515), in der die Analyse der Wortarten und Versfüße an Aeneis-Versen vorgeführt wird. Das höchst komplexe System der antiken Wortartenlehre und ihre lange, verwickelte Geschichte kann hier nicht aufgearbeitet werden, ich muss mich auf den stellengebundenen Kommentar des Qu.-Textes beschränken. Wer sich dafür interessiert, kann zu folgenden Hilfsmitteln greifen: Den besten Überblick zur Geschichte der antiken, insbesondere alexandrinischen Wortartensysteme liefert zurzeit St. Matthaios 1999 und derselbe 2002, 161–220. Das Material der römischen Grammatiker ist geordnet bei L. Jeep 1893. Sehr gute Hinweise speziell zu Qu.s Terminologie der Wortarten liefert wieder Schreiner 1954, 35–90. Die wichtigsten (insbesondere stoischen) Texte zur Wortartenlehre (gr./lat. mit deutscher Übersetzung und einleitenden Anmerkungen) findet man in Hülser, 1987–1988, FDS Bd. 2, Fr. 536–593 (= pp. 592–671). Unser Qu.-Abschnitt (1,4,17–20) bildet das Fr. 547 (p. 602f.). 4,18 Qu. zählt die Wortarten im Folgenden nicht einfach auf wie z.B. Dionysios Thrax, Techne § 11 oder Donat, GrLat. IV 372,25f., sondern schildert ihre Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte von der älteren (veteres § 18) Philosophie an bis hin zur Grammatik seiner Zeit mit Namensnennung herausragender Theoretiker, wobei er zwei Phasen unterscheidet: eine philosophische Phase (noch einmal unterteilt in die klassische und die hellenistische Philosophie) (§§ 18–19) und eine

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grammatische Phase von Aristarch bis auf die Grammatik seiner Zeit mit Remmius Palaemon und über diesen hinaus (§§ 20–21). Die Wortarten bilden dabei eine kontinuierliche genetische Reihe, indem ausgehend von drei Grundwortarten (Nomen, Verb, Konjunktion) die restlichen Wortarten jeweils als Erweiterung der drei Grundwortarten verstanden werden. Dabei werden kontrastierend die römischen Besonderheiten, die sich aus der Struktur des Lateinischen ergeben, eingearbeitet (§§ 19–20). Ich nenne diesen Typ der Wortartenpräsentation den doxographischen Typ. Er ist ziemlich häufig vertreten, denn allein bei Hülser gehören die Fragmente FDS 536 bis 549 zu diesem Typ, besonders wichtig Priscian GrLat. II 15–21 = p. 54,5–56,27 (= im Auszug Fr. 543 FDS Hülser). Unsere Qu.-Passage steht dabei in größter Nähe zu Dionysios von Halikarnass, De compositione verborum, 2,6,17ff. (Fr. 538 Hülser), wie schon Colson 1924, 45f.) gesehen hat, der daraus auf Abhängigkeit Qu.s von Dionys schließt, ohne dafür einen wirklichen Beweis antreten zu können. Ebenso gut ist auch Quellengemeinschaft denkbar. 4,18 Veteres enim…propria tralatio: Die erste Etappe der philosophischen Phase bestreiten die veteres, die „alten“ Philosophen, namentlich vertreten durch Aristoteles (384–322 v. Chr.) und Theodektes (geb. um 400 v. Chr., Tragiker und Rhetor, mit Aristoteles persönlich bekannter Autor eines rhetorischen Lehrbuchs, das Aristoteles benutzte). Es ist also der Beitrag der sokratischen und frühen akademischen Philosophie des späten fünften und vierten Jhs vor Chr. zur Wortartenlehre gemeint, jedoch wird Platon nicht namentlich genannt. Auch Dionys von Halikarnass nennt Fr. 538 FDS Hülser neben Aristoteles Theodektes und erwähnt ebenfalls andere zeitgenössische Philosophen, ohne sie beim Namen zu nennen. Das Ergebnis dieser Phase sind die drei Grundwortarten Nomen, Verbum und Konjunktion. Der Theodektes-Text ist verloren. Ob Aristoteles wirklich drei (Qu. und Dion. Hal.) oder nur zwei Wortarten, nämlich Nomen und Verb, unterschied (so explizit schon Varro ling. Lat. 8,11 und spätere Grammatiker Fr. 544 bis 546 FDS Hülser), ist aus seinem Werk selbst schwer zu erschließen, weil er noch keinen klaren Begriff von „Wortart“ besitzt, sondern Poetik Kap. 20 nur von Teilen der Lexis spricht und dabei bedeutungslose (Laut, Silbe, Konjunktion) und bedeutsame Teile (Nomen, Verb, Satz) zusammenfasst. Insbesondere ist unklar, ob er nur den Bedeutungsträgern (im Sinne einer außersprachlichen Referenz) des Satzes, Nomen und Verb

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(ónoma und rhéma), sondern auch schon der im referentiellen Sinne bedeutungslosen Konjunktion (sýndesmos) den Status einer Wortart zuerkannte oder in ihr nur ein Verbindungsmittel sah. Zudem muss ungeklärt bleiben, was genau er in Poetik 20 unter sýndesmos verstand, denn vielleicht zählten auch die Präpositionen und vielleicht auch schon der Artikel (árthron) dazu. Eine Kategorie „Wortart“ im echten Sinne einer Unterscheidung von Teilen der Lexis und Teilen des Logos (nur die letzten sind „Wortarten“) hat wohl erst Aristoteles’ Schüler und Freund Theophrast (371–287 v. Chr.) entwickelt. Vgl. Schreiner 1954, 36 und die Einzelheiten bei W. Ax, 2000a, 73–94, bes. 76–78. Die hier von Qu. erwähnten Kategorien Subjekt (Aussageobjekt) und Prädikat (Aussage) und auch deren Verbindung zur Aussage (Logos) werden vor allem in den Kategorien Kap. 2 und 3 und in De interpretatione Kap. 1–5 entwickelt. Die Verbdefinition von De interpretatione Kap. 3 hält die Prädikatsfunktion des Verbs ausdrücklich fest. Der offenbar von Qu. selbst neugebildete Terminus convinctio für das schon damals übliche coniunctio bleibt ein vereinzelter Versuch, der sich nicht hat durchsetzen können. Vgl. Schreiner, 1954, 86. Offenbar haben dabei etymologische Erwägungen eine Rolle gepielt, denn in sýndesmos steckt desmós = Fessel, eine Bedeutung, die Qu. mit einer Ableitung von vincire = fesseln besser wiedergegeben zu sein scheint. 4,19 paulatim a philosophis ac maxime Stoicis…adverbia: Die zweite Etappe wird von den hellenistischen Philosophen und insbesondere von den Stoikern bestritten. Sie führt durch Erweiterung der drei Grundwortarten zu insgesamt neun Wortarten des Griechischen: 1. Konjunktion ĺ Artikel und Präposition, 2. Nomen ĺ Appellatio und Pronomen; 3. Nomen und Verb ĺ Partizip und 4. Verb ĺ Adverb. Wenn man das Partizip als Verbform betrachtet, dann hätte jede Grundwortart zwei Erweiterungen erfahren. Es ergibt sich so folgende Reihe von 9 Wortarten des Griechischen: 1. Nomen, 2. Verb, 3. Konjunktion, 4. Artikel, 5. Präposition, 6. Appellatio, 7. Pronomen, 8. Partizip und 9. Adverb. Ob diese Reihe Qu.s den genauen zeitlichen Ablauf der Wortartenlehre in der hellenistischen Philosophie widerspiegelt, lässt sich wohl nicht mehr im Einzelnen feststellen. Folgendes kann aber zur Reihenfolge der Entstehung der Wortarten noch ermittelt werden: Wenn man wohl mit gutem Recht in der Zeit von Aristoteles und Theodektes zwei, wenn nicht drei „Wortarten“, nämlich Nomen, Verb und Konjunktion unterstellen darf, dann ist ebenso sicher, dass dann

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zumindest Theophrast (Fragment 683 Fortenbaugh) als vierte Wortart das árthron einbezogen hat, ohne das klar würde, was genau er darunter verstand. Den Stoikern werden seit Chrysipp meist fünf Wortarten zugeschrieben (locus classicus Diog. Laert. VII 57–58 = FDS Fr. 536 Hülser): ónoma, proshegoría, rhêma, sýndesmos und árthron, also Nomen, Appellativ, Verb, Konjunktion und Artikel, d.h. die vier theophrastischen Wortarten und dazu als fünfte Wortart noch die appellatio. (Erläuterungen zu den einzelnen Wortarten erfolgen gleich). Fehlen noch die vier Wortarten Präposition, Pronomen, Partizip und Adverb. Die Kenntnis dieser Wortarten wird den Stoikern zumindest der Sache nach bereits in der antiken grammatischen Literatur zugestanden. Jedoch ist der weitere Weg von den fünf stoischen Wortarten zum späteren grammatischen Standardsystem von acht bzw. neun Wortarten keineswegs, wie Qu. hier suggeriert, allein eine Leistung der Philosophen, sondern, wie wir gleich sehen werden, besonders auch der frühen alexandrinischen Philologen ab ca. 250 v. Chr., die parallel zur stoischen Wortartentheorie und in kritischer Auseinandersetzung mit ihr auf der Grundlage peripatetischer Ansätze durchaus eigene Wege gingen, ja den Philosophen teilweise sogar vorauseilten und sekundäre Reaktionen auf philosophischer Seite hervorriefen. Vgl. grundlegend dazu Matthaios 2002, der auch zeigt, dass die volle Ausprägung dieses „grammatischen“ Systems der Wortarten schon auf die Zeit Aristarchs, z.T. auch schon auf die Zeit vor ihm, also in die erste Hälfte des zweiten Jh. v. Chr., zu datieren ist. Zu den einzelnen Wortarten in der Reihenfolge, wie sie hier von Qu. ab § 19 eingeführt werden: 1. convinctio/coniunctio (= sýndesmos): Gemeint sind natürlich in erster Linie die eigentlichen Konjunktionen und, oder, zwar, aber, wenn, weil etc., aber Aristoteles scheint Kap. 20 auch die Präpositionen zu den Konjunktionen gezählt zu haben. Sicher taten dies die Stoiker, die laut Fr. 542/543 FDS Hülser die Präpositionen und die Konjunktionen zu einer Wortart zusammenfassten und die Präpositionen „vorangestellte“ und die Konjunktionen „untergeordnete“ Konjunktionen nannten (prothetikoì und hypotaktikoì sy’ndesmoi). Wie Matthaios 1999, 616f. gezeigt hat, ist diese stoische Unterscheidung jedoch höchstwahrscheinlich erst nach der frühalexandrinischen Entdeckung der selbständigen Wortart Präposition entstanden und als Reaktion darauf zu verstehen. Die Eingrenzug der Konjunktion auf die uns noch heute geläufige Bedeutung ist also in die frühalexandrinischen Zeit zu datieren und erscheint so auch noch bei Dionysios Thrax § 20.

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2. articuli (= árthra): Sie sind, wie schon gesagt, als vierte Wortart unsicher bei Aristoteles, sicher für Theophrast bezeugt – ohne klare Definition. Die Stoiker verstanden unter árthra sowohl die eigentlichen Artikel, die die Nomina nach Genus und Numerus bestimmen (der, die das), als auch die Pronomina (z.B. ich, du, er) und sie nannten sie articuli finiti (die Pronomina) und articuli infiniti (die Artikel). Vgl. Fr. 550 und 556 FDS Hülser. Die Alexandriner beschränkten seit Aristarch die árthra auf den eigentlichen, den „vorangestellten“ Artikel (hó, hé, tó) und den „nachgestellten“ Artikel, das Relativpronomen (hós, hé, hó). Dabei blieb es dann bis zu Dionysios Thrax § 16. Vgl. Matthaios 1999, 515. 3. praepositiones (= prothéseis): Die Präposition, der Sache nach bereits Aristoteles und den Stoikern bekannt, erscheint als selbständige Wortart erstmals in der alexandrinischen Tradition allerdings schon vor Aristarch. Der Terminus próthesis ist auch schon bei dem Pergamener Krates von Mallos (3./2.Jh.v.C.) belegt. Vgl. Matthaios 1999, 619. Beispiele: amphí (= um…herum), perí (= über), epí (= auf) etc. Qu.s These von der Entwicklung der Präposition aus der Konjunktion findet aus dem oben unter 1. Konjunktion dargestellten Befund ihre volle Bestätigung 4. nomen (= ónoma) und 5. appellatio (= proshegoría): Ursprünglich war ónoma ein unspezifischer Sammelbegriff für beliebige Einzelwörter, aber schon bei Platon und Aristoteles lässt sich eine Grammatikalisierung des Begriffs beobachten in Richtung auf Nomen (Subjektfunktion) im Gegensatz zum Verb (mit Zeitangabe und Prädikatsfunktion) als Bestandteile des Satzes (Vgl. so Qu. selbst oben 1,4,18). Das Merkmal der Kasusbildung des Nomens wird erst durch die Kasustheorie der Stoiker begründet (Fr. 696 FDS Hülser). Semantisch umfassten die Nomina in diesem ersten Stadium Eigennamen, Allgemeinnamen und Adjektive. Erst die Stoiker seit Chrysipp haben die onómata auf Eigennamen beschränkt und ihnen als neue Wortart die proshegoría (= Zusprechung, Appellativ, lat. appellatio, nomen appellativum etc.) an die Seite gestellt. Der locus classicus Diog. Laert. VII 58 (Fr. 536 FDS Hülser) erklärt, dass das ónoma nach stoischer Auffassung eine individuelle Eigenschaft (z.B. Sokrates), die proshegoria eine generelle Eigenschaft zuschreibt (z.B. Mensch, Pferd). Vgl. dazu Fr. 562A–569B FDS Hülser. Allerdings warnt Matthaios zu Recht davor, deshalb die proshegoría nur als „Gattungswort“ zu verstehen. Sie sei vielmehr, weil auch Adjektive dazu gehören, eine „Allgemeinbezeichnung“ oder „Eigenschaftszusprechung“. Vgl. Matthaios 1999, 227–230 und Matthaios 2002, 175. Die stoische Aufspaltung des No-

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men in zwei separate Wortarten wurde in der grammatischen Traditon teilweise bekämpft und zurückgenommen, teilweise auch aufrecht erhalten – mit dem Ergebnis einer endgültigen Aufgabe der proshegoría als eigener Wortart in der spätantiken Grammatik (Vgl. z.B. Dionysios Thrax, Techne § 12 und Donat De nomine GrLat IV 373,7ff.). Darüber gleich mehr im Kommentar zu 1,4,20. Vgl. zur proshegoría grundlegend Matthaios 1999, 225–233 und Matthaios 2002, 174–176. Der Terminus appellatio ist hier bei Qu. übrigens erstmals belegt, die Sache selbst ist natürlich schon seit Varro bekannt. Vgl. Schreiner 42 und bes. 42, Anm. 2. Qu.s eigenes grammatisches Verständnis des Nomen wird gleich in dem Abschnitt über die Flexionslehre des Nomen deutlicher (1,4,23–26). 6. pronomen (= antonymía): Die antonymía als eigenständige Wortart und als neuer Terminus (mit terminologischen Varianten, vgl. Matthaios 1999, 444–446) erscheint erst in der frühalexandrinischen Zeit kurz vor und zur Zeit von Aristarch. Gemeint sind die Personalpronomina (ich, du, er), die Demonstrativa (z.B. dieser), Reflexiva (mich, sich) und Possessiva (mein, dein). Vgl. Matthaios 1999, 465. Wie Matthaios überzeugend herausarbeiten konnte, wurde diese Wortart von den Alexandrinern nicht, wie man bisher allgemein glaubte, von den stoischen articuli finiti (s. oben unter 2.) abgespalten, sondern mit Hilfe des aristotelischen Personenbegriffs und auf der Grundlage der peripatetischen Auffassung vom ónoma neu aus dem Nomen entwickelt. Qu.s Herleitung vom Nomen ist daher völlig korrekt. Vgl. Matthaios 1999, 518f. und Matthaios 2002, 176–179, zu Qu. 178. Einige Texte Fr. 550–562 FDS Hülser. 7. verbum (= rhêma): Zur Grammatikalisierung des Begriffs in der philosophischen Frühphase wurde schon unter 4. nomen das Nötige gesagt. Allgemein wird für das Verb das Fehlen von Kasusformen, die Zeitbedeutung und die Prädikatfunktion, meist auch noch die Diathesenfunktion (Aktiv, Passiv) hervorgehoben. Nach Aristoteles haben die Stoiker durch ihre Analyse der isolierten Prädikate einen erheblichen Fortschritt auch für die Verbtheorie geleistet. Sie entwickelten eine Analyse der Prädikatfunktion (fr. 696, 789–799 FDS Hülser), der Diathesen Aktiv und Passiv (696, 800–806 FDS) der Verbtempora (807–826 FDS) und der Modi (874– 913 FDS). Matthaios zeigt 1999, 412–419, dass schon bei Aristarch das Verb mit seinen wichtigsten Akzidentien als Grundlage des Endstandes bei Dionysios Thrax (Techne § 13) nahezu vollständig entwickelt vorliegt (z.B. Person, Numerus, Modus, Tempus, Diathese). Qu.s eigener Kenntnisstand zum Verb wird deutlicher in seinen Bemerkungen zur

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Flexionslehre des Verbs 1,4,27–29). 8. participium (= metoché): Aristoteles und die älteren Stoiker haben das Partizip noch nicht als eigene Wortart unterschieden, sondern es sowohl als Ableitungen sowohl des Nomen als auch des Verbs verstanden. Der erste Beleg für den Terminus metoché (= Teilhabe) stammt von Aristarch und hier wird das Partizip auch erstmals als eigene Wortart gesehen, vor allem wegen des Mischcharakters zwischen Verb und Nomen, das keine eindeutige Zuordnung zu einem der beiden Wortarten erlaubt. Vgl. Matthaios 1999, 420ff., 430f. und Matthaios 2002, 167f. und 185–187. Es gelingt Matthaios 1999, 431 und 2002, 187 zu zeigen, dass das für die Stoiker belegte metochikòn rhêma eine sekundäre Abwehrreaktion jüngerer Stoiker auf die neue alexandrinische Wortart ist und nicht etwa die Vorstufe zu Aristarchs Terminus darstellt. Einige Texte Fr. 574–578 FDS Hülser. Beispiele zeigen, dass sich das Partizip im wesentlichen mit unserem heutigen Verständnis der Wortart deckt: amans, amaturus, amatus auch amandus (unser Gerundiv). 9. adverbium (= epírrhema): Wieder ist Aristarch der erste, der das Adverb als selbstständige Wortart versteht, aber er nennt es in Wiederaufnahme eines stoischen Terminus mesótes (Mittelwort), weil es zwischen den vollbedeutenden Wortarten Nomen und Verb und den nichtreferentiellen Wortarten wie etwa der Präposition und der Konjunktion steht. Später wurde die syntaktische Beziehung des Adverbs zum Verb vorrangig gesehen und diese Wortart daher epírrhema/adverbium genannt. In der griechischen Grammatik ist dieser Terminus erstmals bei Tryphon (1. Jh. v. Chr.) und bei den Römern bei Nigidius Figulus (1. Jh. v. Chr.) sicher belegt. Vgl. Matthaios 1999, 559f., 563–5 und Matthaios 2002, 187f. Texte: fr. 579, 582 FDS Hülser. Auch diese Wortart deckt sich im Wesentlichen noch mit unserem Adverbverständnis. Zahlreiche Beispiele Zeit-/Ortsadverbien etc. bei Dionysios Thrax, Techne § 19 oder bei Donat, De adverbio GrLat IV 385,10ff. Man muss Qu. (und seiner Quelle) zu seiner Wortartendarstellung ein großes Kompliment machen. Die Beziehungen und Zuordnungen zwischen den Wortarten und ihre Entwicklungslinien sind durchweg richtig wiedergegeben und halten auch den neuesten Forschungsergebnissen stand. Wir sehen allerdings heute, wie schon einleitend bemerkt, dank der Forschungen von Matthaios nur in dem Punkt klarer, dass die aufgezählten neun Wortarten weniger das Ergebnis philosophischen und insbesondere stoischen Bemühens, sondern eher eine Leistung der frühen alexandrinischen Philologen und besonders Aristarchs darstel-

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len. Immerhin stammen die Erstbelege für fünf neue selbständige Wortarten, Artikel im engeren Sinn, Präposition, Pronomen, Partizip und Adverb, von Aristarch oder einem seiner unmittelbaren Vorgänger. 4,19 Noster sermo articulos non desiderat: Da das Lateinische keinen Artikel besitzt, müssen dessen Funktionen auf irgendeine andere Weise sprachlich realisiert werden, und zwar dadurch, wie Qu. formuliert, dass „sie (die Artikel) auf andere Wortarten verteilt werden“. Zum Verständnis dieser schwierigen Stelle ist Colsons Verweis (47) auf einige Priscianstellen hilfreich, bes. auf GrLat III 124,16–18: „deficit autem praepositivis articulis lingua Latina. nam pronomen „hic“, quod grammatici in declinatione nominum loco praepositivi, ut dictum est, ponunt articuli, numquam in oratione sensum articuli habet. = Die vorangestellten Artikel besitzt aber die lateinische Sprache nicht, denn das Pronomen „hic“, das die Grammatiker bei der Deklination der Nomina, wie schon gesagt, anstelle des vorangestellten Artikels setzen, hat in der Normalsprache niemals die Bedeutung eines Artikels.“ Ein Ausdruck wie „hic orator, huius oratoris, huic oratori“ zur Bezeichnung der nominalen Kasus in einer Grammatik ist also eine künstliche fachsprachliche Hilfskonstruktion, die der ausschließlich pronominalen Verwendung von hic in der Normalsprache nicht entspricht. In der Normalsprache muss der Artikel also jeweils aus dem Nomen selbst erschlossen werden, mit ihm mitgedacht werden. Das gilt auch für andere Wortarten wie z.B. für das Gerundium in Ausdrücken wie miserendo tui moveor (= ich werde durch Mitleid mit dir bewegt), was im Griechischen durch Artikel + Infinitiv ausgedrückt worden wäre. Vgl. Priscian GrLat III 233,7–10. Der Artikel ist also in anderen Wortarten, sofern sie dem Sinn nach den Artikel fordern, „mitenthalten“. Nicht gemeint sein kann hier dagegen die ersatzweise Übertragung des griechischen Artikels auf andere lateinische Wortarten. Dann müsste nämlich der Singular in aliam partem orationis stehen, weil als Artikelersatz ausschließlich nur eine Wortart, das Pronomen verwendet wird: meist hic, aber auch ille wie bei Qu. selbst 1,4,11: conicit ab illo iacit. 4,19 accedit…interiectio: Die griechischen Grammatiker zählten die Interjektionen, affektische Ausrufe der Trauer oder der Verwunderung wie eheu, papai etc., zu den Adverbien, werteten sie also nicht als selbständige Wortart. Dies geschah erst in der römischen Grammatik. Der Urheber dieser Neuerung ist nicht genau bekannt, man vermutet ihn in Remmius Palaemon (1. Jh. n. Chr.), weil er den Erstbeleg für die

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interiectio samt deren Definition liefert. Charisius GrLat I 238,23–25: Palaemon ita definit. interiectiones sunt, quae nihil docibile habent, significant tamen adfectum animi, velut heu, eheu… Böse Zungen hatten behauptet, die Römer hätten die Interjektion nur deshalb in den Wortartenkatalog aufgenommen, weil sie ebenfalls gern acht Wortarten gehabt hätten, aber dagegen verwahren sich die spätantiken Grammatiker. Erst die Römer hätten erkannt, dass die Interjektion kein Adverb sein könne (Charisius GrLat I 190,14–16) und Donat liefert GrLat IV 391,29f. die Begründung: Es folgt kein Verb unmittelbar auf die Interjektion. (d.h.: die Interjektion fällt aus der Satzkonstruktion heraus). Die Interjektion erfährt also hier eine semantische (affektischer Ausruf) und eine syntaktische Bestimmung (syntaktisch selbständige Einlage). Das Material bei Schreiner 1954, 86–88. Vgl. auch Matthaios 2002, 210f. 4,20 Alii tamen…octo partes secuti sunt: Die gedankliche Überleitung von § 19 zu 20: Die Zahl der Wortarten beträgt also auf griechischer und römischer Seite jeweils neun. § 20: Trotzdem (tamen) haben ernstzunehmende, kompetente Autoren (idonei auctores) wie Aristarch und Palaemon nur acht Wortarten gelten lassen, weil sie das Appellativ nicht als eigene Wortart anerkannten, sondern dem Nomen unterordneten. 4,20 ut Aristarchus: Das berühmte, oft zitierte Testimonium Qu.s zu den acht Wortarten Aristarchs (Matthaios 1999, 65, fr. 1) wurde, insbesondere nach der Diskussion um die Echtheit der Téchne des Dionysios Thrax häufig angezweifelt (Vgl. Matthaios 1999, 193ff.). Man traute Aristarch noch keine hochdifferenzierte Grammatik zu, sondern verschob die Entstehung des alexandrinischen Wortartensystems lieber erst in das 1. Jh. v. Chr., in die Zeit Tryphons. Es kann heute nach den Forschungen von Matthaios kein Zweifel mehr daran sein, dass das System der acht alexandrinischen Wortarten bereits zur Zeit Aristarchs voll entwickelt war, und dass Aristarch dabei die entscheidende Rolle gespielt hat. Qu.s Zeugnis von 1,4,20 ist also vollständig rehabilitiert. Vgl. Matthaios 1999, 191–198 und 2002, 163–169. Aristarchs Wortarten waren: 1. ónoma (Nomen, Appellativ und Adjektiv) 2. rhêma (Verb) 3. metoché (Partizip) 4. árthron (Artikel) 5. antonymía (Pronomen) 6. próthesis (Präposition) 7. mesótes (= epírrhema, Adverb, s. Komm. z. 1,4,19, Wortart Nr. 9) und 8. sýndesmos (Konjunktion). Die Reihenfolge der Wortarten bei Aristarch können wir nicht mehr

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feststellen (vgl. dazu auch Matthaios 1999, 192, Anm. 6 und 197), sie ist aber sehr wahrscheinlich schon so angelegt, wie eben vorgestellt, weil sie später Apollonios Dyskolos in der Schrift Über die Syntax (Buch 1, Kap. 3) als eine ihm aus der Tradition schon vorgegebene Standardreihe vorstellt und diese Reihenfolge der Wortarten ausführlich begründet (und in seiner Folge auch Priscian GrLat III 115,20ff. (Buch XVII 12ff.), der die alexandrinische Wortartenreihe mit der Änderung interiectio statt articulus unverändert übernimmt). Die alexandrinische Reihe erscheint dann so wie bei Apollonios Dyskolos auch noch bei Dionysios Thrax in der (spätantiken) Techne § 11, ist also spätesten hier (4.–6. Jh. n. Chr.) kanonisch geworden. 4,20 aetate nostra Palaemon: (ca. 5–15 n. Chr. bis ca. 80 n. Chr.): Der schon mehrfach genannte Remmius Palaemon war der bedeutendste lateinische Grammatiklehrer der claudianisch-neronischen Zeit und schrieb eine berühmte, höchst einflussreiche (leider verlorene) ars grammatica, die noch zu Juvenals Zeiten in Gebrauch war (vgl. Juv. 6,451ff.). Auch Qu. soll zu seinen Schülern gezählt haben. Die Wortartenreihe der ars des Palaemon lautet nach der Rekonstruktion Barwicks (1922, 144f.): 1. nomen (Eigenname und Appellativ) 2. pronomen 3. verbum 4. participium 5. adverbium 6. praepositio 7. coniunctio und 8. interiectio. Obwohl nachweislich alexandrinisch beeinflusst, hat also Palaemon die alexandrinische Reihenfolge der Wortarten nicht wie später Priscian einfach übernommen, sondern ist dabei, wie auch die spätere römische ars grammatica, eigene Wege gegangen. Ich kann diesem komplizierten Problem hier nicht weiter nachgehen. Zur Entwicklung des römischen Wortartensystems vgl. Matthaios 2002, 199–212. 4,20 qui vocabulum sive appellationem nomini subiecerunt: Mit Sicherheit hat nicht erst Tryphon, sondern schon Aristarch unter peripatetischem Einfluss die stoische proshegoría wieder dem Nomen untergeordnet. Insofern ist auch dieser Teil des Qu.-Testimoniums voll bestätigt. Vgl. Matthaios 1999, 230ff., bes. 242–244 und Matthaios 2002, 174–176. Dass Remmius Palaemon auf römischer Seite das Gleiche tat, lässt sich aus den Fragmenten nicht mehr beweisen, aber es liegt auch kein Grund vor, an Qu.s Zeugnis zu zweifeln. Alexandrinischer Einfluss ist für Remmius häufig belegt – nur, dass in diesem Fall der Weg des Einflusses nicht über die (heute meist für unecht gehaltene) Techne des Dionysios Thrax, wie noch Barwick glaubte (Remmius Palaemon

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1922, 146), sondern höchstwahrscheinlich über Tryphon gegangen sein muss. Vgl. Matthaios 2002, 210 mit Anm. 204. Die stoische proshegoría ging übrigens deshalb nicht verloren, sondern lebte als eine Unterart des Nomen weiter, z.B. bei Dionysios Thrax, der in § 12 mit den alten stoischen Beispielen Eigennamen/kyrion ónoma (Sokrates) vom Appellativum/proshegorikòn ónoma (Mensch, Pferd) trennt, und auch z.B. bei Donat De nomine (GrLat IV 373,7f.) der die Nomina in nomina propria und nomina appellativa einteilt. Zum Problem der Terminologie vocabulum oder appellatio gleich mehr. 4,20 at ii…novem: Nachweislich ist im Verlauf der Geschichte der Wortartenlehre (auf griechischer und römischer Seite) auch nach Aristarch und den Alexandrinern weiterhin an dem Appellativ als eigener Wortart festgehalten worden, so dass auch später noch Systeme von neun Wortarten vertreten wurden. Doch darf dies nicht zu Zweifeln an Qu.s Zeugnis führen. Man darf die Angaben zu Aristarch und Remmius Palemon eben nicht als eine frühe Kanonisierung der Achtzahl missverstehen (dann wären sie unzutreffend), sondern es wird nur gesagt, dass Aristarch und Palaemon (neben einer Anzahl anderer Autoren) die Achtzahl vertraten. (Vgl. zum Problem der Kanonisierung Matthaios 1999, 194f. und Matthaios 2002, 168f.) Qu. ist sich vielmehr durchaus bewusst, dass auch zu seiner Zeit die Wortartensysteme der Zahl nach schwankten (Vgl. 1,4,17: quamquam de numero parum convenit). Das bestätigt auch der Befund der übrigen griechischen und römischen grammatischen Literatur mit dem Ergebnis, dass die Kanonisierung der acht aristarchischen Wortarten nach einem variablen Verlauf erst im 2. Jh. n. Chr. erfolgte. Vgl. Matthaios 1999, 195 und 2002, 211f. mit dem interessanten Verweis (211) auf einen Papyrus mit einer lateinischen Grammatik etwa aus der Zeit Qu.s, in der die Achtzahl als verbindlich und darüber hinaus gehende Differenzierungen für inakzeptabel erklärt werden – eine Kritik an einem terminologischen Überangebot, die auch Qu. im weiteren Verlauf des Kapitels 1,4,20–21 vertritt. Für die Einzelheiten, auch der numerischen Entwicklung der Wortartensysteme muss hier auf die grundlegende Studie von Matthaios 2002 verwiesen werden. 4,20 …fuerunt, qui…vocabulum ab appellatione diducerent: Zum Gebrauch von nomen, vocabulum und appellatio in der römischen Grammatik gibt Schreiner 1954, 39–43 wertvolle Hinweise. nomen und vocabulum wurden zunächst unterschiedlos für Wort allgemein ge-

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braucht. Doch zeigen sich schon sehr bald fachterminologische Spezialisierungen (die freilich nicht konsequent durchgehalten wurden). nomen ist als grammatischer t.t. für Eigenname und Substantiv seit Nigidius, Varro und Caesar bezeugt. vocabulum wird schon von Varro auch in der Spezialbedeutung der stoischen proshegoría verwendet (z.B. ling. Lat. 10,20: nomina = res proprias, vocabula = res communes). Die appellatio ist eine lateinische Lehnübersetzung von proshegoría, die Qu. natürlich nicht selbst neu geprägt hat, für den er aber 1,4,19 den ersten Beleg bietet (es sei denn, Paul. Fest. 171 primam eius appellationis syllabam geht schon auf Verrius Flaccus, einen Grammatiker der augusteischen Zeit, zurück). Vgl. Schreiner 1954, 42f. Qu. zeigt weiter, dass das im stoischen Sinn gebrauchte vocabulum und die Lehnübersetzung appellatio Synonyme waren und in grammatischen Texten gleichberechtigt für proshegoría jeweils in Opposition zu nomen (= Eigenname) treten konnten. Weitere semantische Differenzierungen führten allerdings zur terminologischen Trennung des vocabulum von der appellatio (und damit zu zehn Wortarten): vocabula bezeichnen visuell und taktil erfassbare Konkreta wie Bett und Haus, während entweder nur taktil wie Wind oder nur visuell erfassbare Konkreta wie Himmel und weder taktil noch visuell erfassbare Abstrakta wie Gott und Tugend der appellatio zufielen. Qu. leicht abschätzige Bemerkung von § 21 beweist, wie wenig er von solchen terminologischen Überdifferenzierungen hält. Sie tragen zur Sache selbst wenig bei. Dennoch ist diese letzte Differenzierung der Nomina in Konkreta (vocabula) und Abstrakta (appellationes) noch bis in die spätantike Grammatik hinein lebendig geblieben, ohne freilich zu einer einheitlichen und konsequenten Terminologie zu führen: In der Definition des ónoma bei Dionysios Thrax (GrGr I 24,3) werden z.B. dem Nomen die beiden Grundbedeutungen: Körperlich – Konkretes (Stein) oder Sachlich-Abstraktes (Erziehung) zugewiesen. Und bei Donat heißt es GrLat IV 373,2 – ebenfalls gleich in der Definition des nomen-: corpus aut rem significans (= etwas Konkretes oder Abstraktes bedeutend). Beispiele dafür folgen dann 373,12f.: corporalia: homo, terra, mare und incorporalia: pietas, iustitia, dignitas. Zuvor wird 373,4 die von Qu. referierte terminologische Differenzierung nomen, appellatio und vocabulum freilich ungenau wieder aufgenommen. Weitere Stellen bei Schreiner 1954, 43.

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4,20 adseverationem: Die adseveratio als grammatischer t. t. für eine eigene Wortart ist vor und nach Quintilian nicht belegt (Vgl. Schreiner 1954, 88). Wenn es derartige terminologische Versuche gegeben hat, so haben sie sich nicht durchsetzen können. Gemeint sind sicherlich Wörter der bejahenden Bestätigung wie etiam, quidni, nempe, quippe… etc. im Gegensatz zur Negationswörtern wie non, nequaquam, minime… Sie werden in der römischen Grammatik sonst nicht als eigene Wortart, sondern als Adverbien der negatio und confirmatio verstanden. Vgl. Diomedes GrLat I 404,6–8 (so auch im Griechischen bei Dionysios Thrax GrGr I 78,1–3). Das überlieferte Beispiel zur adseveratio „eheu“ ist eine Interjektion der Klage und des Schmerzes, und kein Bejahungswort. Es kann also hier nicht passen. Viele Konjekturen sind versucht worden, ohne wirklich zu überzeugen. Für mich spricht sehr viel für etiam. Quintilian neigt dazu, aus einer üblichen Beispielsreihe das erste Wort zu wählen, und das ist bei Diomedes I 404,7 in der Reihe der Adverbien der confirmatio eben etiam. 4,20 tractionem: Die tractio ist als grammatischer Terminus für eine Wortart ebenfalls nur hier bei Quintilian belegt. Vgl. wieder die sehr instruktiven Hinweise von Schreiner 1954, 88–90. Trahere, tractum esse u.ä. ist ein bei den römischen Grammatikern durchaus geläufiger Ausdruck, um Ableitungen zu bezeichnen. Vgl. z.B. Diomedes I 403,26f.: adverbia aut suae sunt positionis aut ab aliis partibus orationis trahuntur. Tractio bedeutet also Ableitungswort. Gemeint ist dabei sicher wiederum, wie schon bei der adseveratio, der Versuch, eine Untergruppe der Adverbien zu einer eigenen Wortart zu machen. Das zeigt das Beispiel fasciatim. Warum Quintilian gerade dieses Beispiel verwendet, wird aus der in der Kommentierung von 1,4,20 (auch von Schreiner) bisher übersehenen Stelle Charisius GrLat I 185,26–36 deutlich. Charisius bespricht die Adverbableitungen von Nomina nach den Wortausgängen und bemerkt zu den Feminina auf -a: Sie bilden das Adverb auf -im und sein erstes Beispiel ist fasciatim (!) von fascia (= Binde, Verband). Er liefert sogar den weiteren sehr erhellenden Hinweis, dass diese Ableitung angezweifelt und aus semantischen Gründen modifiziert wurde (32–35): fasciatim quoque non a fascia putant (non nulli) tractum, sed a fasce, si quidem fasciatim non per fascias sed per fasces, ut centuriatim non per centuriones, sed per centurias = Dass auch fasciatim nicht von fascia, sondern von fascis (Bündel, Rutenbündel) abgeleitet ist, glauben einige, weil fasciatim nicht „bindenweise“,

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sondern „bündelweise“ (bedeute), wie ja auch centuriatim nicht „centurionenweise“, sondern „centurienweise“ (bedeute).“ Die Ableitung von fascis scheint von der Bedeutung her tatsächlich nahe liegender (Was sollte bindenweise bezeichnen?), und die Ableitungsmöglichkeit von einem Nomen der dritten Deklination wird auch von der neueren Sprachwissenschaft bestätigt: Das Suffix -atim wurde in Analogie zu Adverbien von Nomina der ersten Deklination auch auf Nomina der dritten Deklination übertragen: generatim, regionatim u.ä. Vgl. Kühner-Holzweissig 1014. Wieder scheint Quintilian sein Beispiel – das macht die Charisiusstelle deutlich – als erstes Beispiel aus einer Standardreihe übernommen zu haben. Ähnliches hatte schon Colson 1916, 19 und 1924, 47 vermutet – ohne die Charisiusstelle zu kennen. 4,22 Nomina declinare et verba in primis pueri sciant: Qu. folgt jetzt weiter dem Standardbauplan der römischen ars grammatica, in der sich nach der Definition des Wortes und nach der Aufzählung der Wortarten die Besprechung der einzelnen Wortarten als Hauptteil anschloss. Qu. kann hier natürlich keinen kompletten partes-orationis-Teil einer lateinischen Grammatik vorlegen, sondern greift, seinem üblichen Vorgehen entsprechend, nur exemplarisch die beiden Hauptwortarten nomen (§§ 23–26) und verbum (§§ 27–29) heraus. Und auch diese beiden Wortarten werden nicht komplett nach den Vorgaben der römischen ars dargestellt, sondern es werden nur einige für die Schwierigkeiten der Wortartenlehre signifikante Einzelfragen behandelt. Der Schwerpunkt liegt auf Problemen der nominalen und verbalen Flexionslehre (nomina declinare et verba in primis pueri sciant), wie die diskutierten Beispiele beweisen. Zur Verwendung von declinatio und declinare bei Qu. vgl. Schreiner 1924, 128–132. 4,22 …compendio morarentur: Mit compendium/-ia sind methodische Abkürzungsverfahren im Unterricht, etwa das Zurückstellen von Unterrichtsstoffen gemeint. So ist z.B. in der Buchstabenlehre (1,1,24– 29) das Vorziehen der Buchstabennamen und ihrer alphabetischen Folge und die Zurückstellung der Buchstabenformen auf einen späteren Zeitpunkt der Lehre eine unzureichende Verlängerung des Lernprozesses, die eines breve docendi compendium (eines didaktischen Verkürzungsvorschlags) bedarf. Beides sollte parallel laufen (1,1,24f.). Dagegen ist in der Silbenlehre (§ 30–31) keine Kürzung möglich (§ 30: syllabis nullum compendium est). Hier (1,4,22) wird ein weiteres Beispiel, allerdings einer fehlerhaften Abkürzungsmethode geliefert: Man-

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che Grammatiklehrer überspringen in ihrem Unterricht aus Eitelkeit die Flexion von Nomina und Verba und verursachen durch dieses abgekürzte Verfahren eine Verzögerung (compendio morarentur), denn dieses Wissen ist unentbehrlich und muss später nachgeholt werden. 4,23 In der römischen Standardgrammatik folgt auf die Definition der Wortart die Angabe ihrer „Akzidentien“, ihrer variablen Eigenschaften wie Genus, Numerus, Kasus etc. Das Wort „Akzidentien“ stammt aus der peripatetisch-stoischen Tradition, die solche Eigenschaften symbebekóta (lat. accidentia) nannte oder das Verb symbaínein (lat. accidere) benutzte. Für das lateinische accidunt liefert Qu. wieder den ersten Beleg 1,5,41: plurima huic (sc. verbo) accidunt (nämlich Genus, Tempus, Person und Modus). Der alexandrinische Fachausdruck war parhepómena oder parhépetai (= das, was dem Nomen, Verb etc. folgt), aber dieser Terminus hat sich in der römischen Tradition nicht durchgesetzt. Vgl. Schreiner 1954, 52–53. Die Besprechung der jeweiligen Wortart ist dann nach den jeweiligen Akzidentien gegliedert. Für das Nomen begegnen gewöhnlich die fünf Akzidentien: qualitas, genus, figura, numerus und casus. qualitas: Eigenname/Appellativum, genus: Maskulinum, Femininum, Neutrum etc., figura: Simplex (doctus), Kompositum (indoctus), numerus: Singular/Plural und casus: Nominativ, Genetiv, Dativ etc. (Vgl. Schreiner 53–64). Qu. wählt aus der Akzidentienlehre des Nomen nur genus (§ 23–24) und casus (§ 26) aus. Dazwischen (§ 25–26) behandelt er die origines nominum (die Ursprünge der Nomina), die nicht zum Standardprogramm der Akzidentien gehören. 4,23–24 in nominibus tria genera…: Die Lehre von den Genera des Nomen, die Qu. hier referiert, (Vgl. Schreiner 1954, 53–55) repräsentiert bereits die voll ausgebildete Lehre so, wie sie uns unverändert auch noch in der spätantiken Grammatik begegnet. Qu. hat sie natürlich vorgefunden und man vermutet als eigentlichen Urheber Remmius Palemon, ohne dies beweisen zu können (Schreiner 1954, 55). Für die meisten Termini der Genustypen liefert wieder Qu. die ersten Belege (Schreiner 1954, 54f.). Man versteht den Passus über die nominalen Genera besser, wenn man ihn mit der ausführlicheren Darstellung mit Beispielen bei Donat GrLat IV 375,13–377,2 vergleicht. Es gibt vier Geschlechter: Maskulinum (hic magister), Femininum (haec Musa), Neutrum (weder Maskulinum noch Femininum hoc scamnum) und das genus commune (Maskulinum und Femininum zugleich, hic et haec

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sacerdos). Sonderformen sind dann das genus commune trium generum oder genus omne: hic, haec et hoc felix (also dreigeschlechtige Adjektive mit einer Endung), das genus epicoenon oder promiscuum: hic passer, haec aquila (= nur ein grammatisches Geschlecht, das aber beide natürlichen Geschlechter bezeichnet. Der Unterschied zum genus commune: Der schöne Spatz und die schöne Spätzin würden immer nur hic passer pulcher heißen, der schöne Priester und die schöne Priesterin aber hic sacerdos pulcher und haec sacerdos pulchra, also eine Form, ein grammatisches Geschlecht, zwei natürliche Geschlechter versus eine Form, zwei grammatische und zwei natürliche Geschlechter.) und die Nomina, bei denen grammatisches und natürliches Geschlecht nicht übereinstimmen, z.B. sono feminina, intellectu masculina = Aquila orator (Nomina auf -a/ae sind in der Regel feminin) oder sono neutra, intellectu feminina = die Frauennamen Phronesium oder Glycerium. Qu.s Genera in der von ihm gewählten Reihenfolge: tria genera (= masculinum, femininum, neutrale = Qu.s Terminus, s. 1,4,24), duobus communia (= hic et haec sacerdos), omnibusve communia (= hic, haec, hoc felix), promiscua/epicoena (= hic passer), feminina positione mares (= Murena. Donats Beispiel war Aquila orator), neutrali feminas (= Glycerium, das Donats Beispiel entspricht). Das überraschende Ergebnis des Vergleichs: Donats Lehre von den nominalen Genera entspricht nach Typen und Reihenfolge der Genera und in einem Beispiel genau der Lehre Qu.s. Sie gehört also nicht in das 4. Jh. n. Chr., sondern ist mindestens schon auf die Zeit des Remmius Palaemon zu datieren. 4,25 origines nominum: Dass die origines nominum – gemeint sind, wie die folgenden Beispiele von §§ 25–26 beweisen, ausschließlich Eigennamen – hier in der Flexionslehre des Nomens zwischen die nominalen Akzidentien genus und casus eingelegt werden, ist, wie schon Ende Komm. zu 1,4,23 angedeutet, eine unerwartete Überraschung. Etymologien von Eigennamen erscheinen gewöhnlich nicht in dem Kapitel De nomine der Artes, dem Qu. hier eigentlich folgt. Lediglich das römische Namenssystem praenomen, nomen gentile und cognomen wird in den Artes unter dem Akzidenz qualitas/nomina propria erläutert, ohne Etymologienzusammenstellungen. Vgl. die Stellen bei Jeep 1893, 152. Der gesamte Passus gehört vielmehr in die Etymologie, die Qu. als eine der Normen der gesprochenen Sprache 1,6,28–38 bespricht und die in den Schrifttyp De latinitate gehört. (Dazu später mehr im

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Kommentar zu 1,6,28ff.) 1,6,31 heißt es ausdrücklich, dass es u.a. Aufgabe der Etymologie sei, sive ex historiarum veterum notitia nomina hominum, locorum, gentium, urbium requiramus = oder dass wir aus der Kenntnis alter Sachverhalte die Namen von Menschen, Orten und Städten erforschen (Es folgen Beispiele). Genau das führt Qu. aber schon hier vor und er verweist sogar im Etymologieteil darauf zurück (1,6,38). Die Einlage schon an dieser Stelle bleibt trotzdem rätselhaft. Auch Qu.s Grammatikstunde 1,8,13–20 hilft nicht weiter, denn hier erscheint die Etymologie in keiner Phase der Textbearbeitung, auch nicht in der Phase der Sacherläuterungen des Textes (1,8,18–20), wo ihre Erwähnung durchaus passend gewesen wäre, denn natürlich gehört es auch zu den Aufgaben des Grammatiklehrers, Etymologien von Eigennamen zu erarbeiten. Dionysios Thrax unterscheidet in einer sonst Qu. sehr verwandten Aufzählung der Aufgaben in § 1 der techne grammatiké sogar als vierten von sechs Teilen die etymologías heúresis = die Auffindung der Etymologie (GrGr 1,6,1f.). Nichts davon bei Qu., eine Lücke, die Colson im Kommentar zu 1,6,28 (p. 84) als bewusste Unterdrückung Qu.s wegen der Geringschätzung der Etymologie. zu erklären versucht. Das Verständnis unserer Stelle 1,4,25–26 wird noch dadurch erschwert, dass die hier etymologisierten Namen dem Schüler wohl kaum im Zusammenhang mit Übungen zur Flexionslehre bei der Dichterlektüre im Grammatikunterricht begegnet sein dürften. 4,25–26 Scrutabitur ille praeceptor…origines nominum…Publiporesque: Es folgt nun eine nach sachlichen Vorgaben der Etymologie von 1,6,31 geordnete Beispielreihe von Namensetymologien, zuerst Männernamen (nomina hominum, § 25) mit 17 Beispielen, dann Namen von Völkern, Orten und vieler anderer Dinge (nomina gentium, locorum etc.) ohne Beispiel (§ 26) und schließlich Sklavennamen mit zwei Beispielen (§ 26). Die 17 Männernamen sind sämtlich cognomina (Beinamen), die nach den Sachgruppen Körpermerkmal (2 Namen sind offensichtlich, 6 Namen sind schwerer zugänglich), Umstände während der Geburt (4 Namen), nach der Geburt (1 Name) und aus verschiedenen Ursachen (4 Namen) geordnet werden. Qu.s Beispiele stammen also – er dürfte sie wohl kaum selbst zusammengestellt haben – nicht aus einem alphabetischen, sondern aus einem sachsystematisch gegliederten Verzeichnis von Etymologien römischer cognomina, das wir nicht mehr identifizieren können. Etymologen, die Qu. 1,6,35–38 namentlich nennt (s. den

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Kommentar zur Stelle) helfen hier nicht weiter. Interessant ist aber vielleicht, dass der Grammatiker Cornelius Epicadus, ein Freigelassener Sullas (Sueton, De grammaticis § 12) ein Werk De cognominibus verfasste, das eine Etymologie des Namens Sulla enthielt. Vgl. fr. 1 (pp 103–105) GRF Funaioli (p. 104). Dass es solche Namensetymologica gegeben haben muss, bezeugt auch Plutarch, der in seiner Coriolanvita, Kap. 2, römische Cognomina in fast identischer Weise und mit teilweise gleichen Beispielen erläutert. Vgl. Colson p. 49. Die Namen in Einzelnen (Man findet sie fast alle in R. Maltby, 1991): 1. Rufus: von rufus, -a, -um = feuerrot, also der Feuerrote (Maltby 533) 2. Longus: von longus, -a, -um = lang, also der Lange (Maltby 346), 3. Sulla: etym. ungeklärt, entweder rotfleckig im Gesicht (Colson 1924, 49) oder verkürzt aus Sibylla ĺ Syllaĺ Sulla (Maltby 593). 4. Burrus: von altlat. burrus, -a, -um = rufus, also wie 1. der Feuerrote (Maltby 88). 5. Galba: Sueton bietet Galba 3,1 vier Etymologien: nach dem Fackelharz (galbanum), nach einer Wollbinde (galbeum), wegen seiner Körperfülle (gall. galba) oder nach dem Tier galba, wahrscheinlich dem Eichhörnchen. Wegen des Merkmals Körperliche Eigenschaft kommt hier wohl nur die Deutung der Fette in Frage (Maltby 252). 6. 7. 8. Plautus/Pansa/Scaurus: Alle drei Namen bedeuten nach einem Hinweis von Plinius dem Älteren (nat. 11,254) der Plattfüßige, Plattfuß (Maltby 479f., 448, 549). 9. Agrippa: der mit den Füßen voran Geborene (Maltby 20) 10. Opiter: dessen Großvater beim Tod des Vaters noch lebte (also Vaters Stelle annahm) (Maltby 429f.) 11. Cordus: von cordus, -a, -um = spätgeboren; also der zu spät Geborene 12. Postumus: entweder von postumus, der Letzte, Späteste = der letzte Sohn des Vaters oder von posthumus = post humatum patrem, post humationem patris, post humum patris u.ä. (nach der Beerdigung des Vaters, dem beerdigten Vater) (Maltby 489). Die heute wiederauflebende Schreibung „posthum“ darf sich also ärgerlicherweise schon auf antike Vorläufer berufen. 13. Vopiscus: etym. ungeklärt. Der Name bedeutet der von einem Zwillingspaar nach der Geburt Überlebende (Colson 49) 14. Cotta: der Zürnende, Grollende von ho kótos Groll, Hass (Colson 49) 15. Scipio: der mit dem Stab, Stock. Der erste Cornelius Scipio war blind und stützte sich auf einen Stock. (Maltby 551) 16. Laenas: der mit dem Wollmantel von laena, -ae f Wollmantel (Maltby 325) und 17. Seranus (Serranus): der Säende von serere säen (Maltby 563).

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4,26 gentes…ac loca: Beispiele 1,6,31 für cognomina (gentes): Bruti, Publicolae, Pythici und loca: Latium, Italia, Beneventum, Capitolium, Quirinalis, Argiletum. Vgl. den Kommentar dort z.St. 4,26 Marcipores Publiporesque: Marcipor und Publipor sind veraltete Sklavennamen, entstanden aus dem Vornamen des Herrn und puer (Sklave), also Marci puer und Publi puer (Maltby 367f., 505f.). 4,26 Quaerat etiam sitne apud Graecos vis quaedam sexti casus: Als nächstes greift Qu. ein Problem der Kasuslehre des Nomen heraus, jetzt wieder in Übereinstimmung mit den Artes, denn der casus ist in allen Besprechungen des Nomen als eines der fünf oder sechs Akzidentien vertreten. S. oben Komm. zu 1,4,23. Qu. spricht hier von einem sechsten griechischen und einem siebten lateinischen Kasus und sein Beispiel hastâ percussi = ich habe mit der Lanze durchbohrt zeigt deutlich, dass ihm in beiden Fällen eine Art Instrumentalis vorschwebt und dass er diesen Kasus vom casus ablativus mit der separativen Funktion unterschieden haben möchte. Den Ablativ als sechsten oder lateinischen Kasus (casus sextus oder casus Latinus) kannte schon Varro (ling. Lat. 10, 62), freilich noch ohne den Terminus ablativus zu verwenden, der erst seit Verrius Flaccus nachweisbar ist. Für einen zu fordernden septimus casus ist unsere Qu.-Stelle wieder einmal der erste Beleg, doch hat Barwick diesen Kasus schon Remmius Palaemon zuschreiben wollen (Barwick 1922, 165, Anm. 2 in Verbindung mit 159). Diese Vermutung hat viel für sich, denn Qu.s Ausführungen machen eher den Eindruck, als handele es sich um ein zu seiner Zeit schon geläufiges Problem der Kasuslehre. Die Diskussion um den septimus casus wurde auch von den späteren römischen Grammatikern weiter geführt, die ihm verschiedene Bedeutungen zusprachen, allerdings ohne die instrumentale Funktion in Erwägung zu ziehen. Die Nachweise bei Jeep 1893, 132f. und Schreiner 1954, 64. Einen griechischen instrumentalen Dativ findet man in jeder neueren Schulgrammatik (z.B. βάλλειν λίθοις = mit Steinen werfen u.ä. bei Bornemann-Risch § 191.1), aber eine theoretische Diskussion um einen instrumentalen Dativ als sechsten Kasus ist mir aus der antiken grammatischen Literatur der Griechen nicht bekannt. Nur die Römer verweisen gelegentlich für einen sechsten griechischen Kasus auf den griechischen Genetiv oder wie Priscian auf ablativähnliche Ausdrücke wie οὐρανόθεν = vom Himmel herab (die Nachweise bei Colson 1924, 49 und Schreiner 1954, 64). Qu.s Beispiel müsste griechisch etwa λογχῃ διετρύπησεν lauten, doch liefert Homer,

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Odyssee 9,384f. ein viel schöneres Beispiel: Odysseus dreht dem Polyphem den Stab in das Auge wie ein Mann, der eine Schiffsplanke mit dem Bohrer (τρυπάνῳ) anbohrt (τρυπᾷ), also τρυπάνῳ τρυπᾶν (mit dem Bohrer bohren). 4,27: Sed in verbis…genera, qualitates, personas et numeros: Qu. liefert hier den ersten Beleg für die Akzidentien des Verbs in der römischen Grammatik: genera (Aktiv/Passiv), qualitates (die Modi), personae (die drei Personen), numeri (Singular, Plural). Dazu kommen 1,5,41 noch die hier vergessenen (oder nicht überlieferten) tempora (die Zeiten des Verbs). Vgl. die Nachweise bei Schreiner 1954, 66, und 67– 76. Es sind die Akzidentien, die wir auch heute noch bei der Bestimmung von Verbformen verwenden: z.B. laudavi = 1. Person Singular Indikativ Perfekt Aktiv. Für Qu. ist dies schon Trivialwissen der Elementarschule, dabei lag die volle Entwicklung der Akzidentienlehre des Verbs noch nicht allzu weit zurück, denn bei Varro ist die entsprechende Terminologie noch schwankend (Schreiner 1954, 66, 68f.). Vielleicht hat wieder Palaemon eine wichtige Rolle gespielt (Schreiner 1954, 68–70). 4,27 teruntur: Das überlieferte teruntur muss m.A.n. nicht geändert werden. Es ist metaphorisch aus der Sprache des Säuberns, Polierens, Drechselns übertragen. Die „Unebenheit, Schwierigkeit“ problematischer Flexionsformen wird bisweilen nicht durch die Flexionsschemata „geglättet, poliert“, d.h. „aus dem Weg geräumt“. 4,27 an verba an: Auch hier muss der Text (Athetese von an verba an) nicht geändert werden, denn die Beispiele tectum (sicher besser als das überlieferte lectum) und sapiens zeigen, dass Zweifelsfälle zwischen verbaler oder nominaler Auffassung der Partizipformen gemeint sind. Die Doppelfrage an…an ist poetisch und nachklassisch belegt, also nicht anstößig. Vgl. Kühner-Stegmann II 528. Das erste et von S. 27, Zeile 21 W. sollte durch ein zweites quaedam S. 27, Z. 24 W.wieder aufgenommen werden. (Vgl. mein Apparat in 1,4,28, Anm. IX) 4,28 fraudator…nutritor: fraudator: Nom. Sgl. des Appellativums Betrüger oder 3. Pers. Imp. Fut. Pass.: Er soll betrogen werden. Ebenso: nutritor Ernährer und Er soll ernährt werden. Ähnliche Beispiele werden auch von den späteren römischen Grammatikern behandelt. Vgl. Colson 1924, 51.

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4,28–29 Iam itur…indicat: Nach mehrdeutigen Verbformen werden jetzt Sonderfälle im Bereich des Genus verbi, und zwar des Passivs behandelt. Zuerst werden drei Typen (modi) des Passivs unterschieden und überwiegend mit Vergilversen belegt: 1. das unpersönliche Passiv intransitiver Verben wie itur, fletur und des intransitiven turbatur (itur in antiquam silvam Vergil, Aen. 6,179, totis usque adeo turbatur agris Vergil, buc. 1,11f.)., 2. das „normale“ persönliche Passiv transitiver Verben panditur domus = das Haus wird geöffnet Vergil, Aen. 10,1 und 3. Transitivierung eigentlich intransitiver Verba wie habitatur, curritur und navigatur. Nach Kühner-Stegmann I 263 (mit Verweis auf unsere Qu.-Stelle) ist diese Transitivierung besonders in der Dichtersprache häufiger belegt. Das unpersönliche Passiv ist auch von den späteren römischen Grammatikern oft behandelt worden und auch das Vergilbeispiel itur in antiquam silvam erscheint immer wieder. Vgl. die Stellen bei Schreiner 1954, 70, der die Lehre von den Impersonalia, ja die gesamte spätere Standardterminologie der genera verbi (activum, passivum etc.), die Qu. hier nicht anwendet, schon auf Remmius Palaemon zurückführen will, (Schreiner 1954, 69f.). Der Sinn des allein hier bei Qu. in einer fachspezifischen Bedeutung belegten initium ist ungeklärt. Schreiner glaubt 122 an die Bedeutung „Anfangsform“, also 1. Pers. Indikativ Präsens Passiv, von itur, also *eor, das es bei intransitiven Verben nicht gibt. So auch Colson p. 51. Jedoch scheint mir dies nicht zwingend. Es kann ebenso logisch-semantisch an den Ausgangspunkt (= gr. arché) der Handlung, also an das fehlende Subjekt gedacht sein. Bei pransus (= einer, der gefrühstückt hat) und potus (einer der getrunken hat) handelt es sich um die bekannte Erscheinung, dass einige Partizipien des Perfekts passivische Form, aber aktivische Bedeutung zu haben scheinen. Vgl. RHH § 177.4 mit dem Hinweis, es seien eigentlich Verbaladjektive, die an sich weder Genus noch Tempus ausdrücken. Auch den römischen Grammatikern sind solche Formen natürlich aufgefallen und sie sprechen ihnen den Status eines Partizips Passiv ab, weil es ein Passiv z.B. von prandeor, von dem ein solches Partizip Passiv hätten abgeleitet weerden müssen, etc. nicht gebe. Vgl. Diomedes GrLat I 402,4ff. oder Donatus GrLat IV 388,13ff. Dass sie damit gar nicht so falsch liegen, zeigt Leumann 612, der cenatus und iuratus als ursprüngliche possessive to-Adjektive von den Nomina cena und ius ausweist, zu denen dann Analogiebildungen wie potus und pransus getreten sind.

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4,29 multa verba non totum declinationis ordinem ferunt: Gemeint sind natürlich die berühmten verba defectiva, die nicht das gesamte Flexionsschema erfüllen und die man deshalb auch heute noch in jeder Schulgrammatik findet, z.B. die nur im Perfektstamm gebräuchlichen Formen odisse, meminisse, einzelne Formen wie inquit etc. Vgl. RHH § 103. Bei fero wird die Wurzel fer- nur im Präsensstamm gebraucht, im Perfektstamm tul- und im Supinstamm lat- (von *tla-t). RHH § 99: ferre, tuli, latum. licet (= Es ist erlaubt) und licet, piget (= Es ist erlaubt, es verdrießt) gehören zu den Verba impersonalia, die gewöhnlich nur in der 3. Pers. Sg. und im Infinitiv vorkommen, RHH § 104. Auch diese verba impersonalia sind von den römischen Grammatikern behandelt worden, vgl. Schreiner 1954, 70, der auch hier wieder, wie schon erwähnt, in Palaemon den Archegeten sieht. Mit den häufigen Rückführungen auf Palaemon sollte man übrigens vorsichtig sein. Schreiner steht stark unter dem Einfluss von Barwicks Palaemonbuch von 1922, jedoch bedarf dessen sehr weitgehende Rekonstruktion der ars des Palaemon einer dringenden Revision. 4,29 ut noctu et diu, ita dictu factu…factoque: Dies ist ein schwieriger Passus, der mir bisher kaum im Ansatz erklärt zu sein scheint. Zunächst ist die Interpunktion wichtig. Die meisten Ausgaben interpungieren (m.M.n. richtig) wie Winterbottom S. 28, Z. 12f.: sunt enim haec quoque verba, participalia quidem, non tamen qualia dicto factoque. So interpungiert ergibt der Satz den besten Sinn. Ich versuche den Gedankengang des gesamten Passus zu paraphrasieren: Manche Verbalformen wie z.B. dictu und factu erleiden durch Erstarrung ein ähnliches Schicksal wie ähnlich lautende ursprüngliche Nominalformen wie z.B. noctu und diu, nämlich den Wechsel in eine andere Wortart (im Fall der beiden Nomina zum Adverb). Zwar sind auch dictu und factu Verbformen, aber sie gehören nicht mehr zum echten flektierbaren Partizip wie die Ablativformen dicto und facto, sondern sie sind verba participalia (gehören also einer anderen Untergruppe der Verbformen an). Oder modern ausgedrückt: Das auf -u erstarrte Supin II erleidet ebenso einen Wortartenwechsel vom Partizip weg zu einer eigenen „Unterwortart“ wie erstarrte nominale Kasus auf -u, die zu Adverbien werden. Es ist also nicht etwa gemeint, dass auch das Supin II zum Adverb überwechselt, denn das Supinum II wird nicht adverbial gebraucht. Es ist vielmehr nur allgemein an einen Übergang vom Partizip in eine andere Wortart gedacht.

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Man kann das so nur verstehen, wenn man die komplizierte und kontroverse Diskussion um die verba participalia (belegt ist auch participialia) in der antiken römischen Grammatik kennt. Einen ersten Zugang dazu bieten Schreiner 1954, 76–78 und Jeep 1893, 234ff. Ursprünglich scheinen Partizipien, Gerundia und Supina gemeinsam zu den (stoischen) verba participialia gehört zu haben, dann wurden die Partizipien als eigene Wortart daraus entfernt, und übrig blieben die Gerundia und Supina, die in der römischen Grammatik teils zu den Genera verbi, teil zu den Modi verborum (als infinitus modus) gerechnet wurden. Das wichtigste Zeugnis ist Diomedes GrLat I 342,4–6: Participialis verborum modus est, cuius verba, quod sint participiis similia, paticipialia dicuntur, nec tamen participia sunt, ut legendi, legendo, legendum, lectum, lectu. = Der partizipiale Modus der Verba ist der, dessen Verba, weil sie den Partizipien ähnlich sind, Participialia genannt werden, aber dennoch keine Partizipien sind, wie (die Gerundien) legendi, legendum, legendo und (die Supina) lectum (Supin I) und lectu (Supin II). Genau so aufschlussreich ist aber auch Priscian GrLat II 409,5ff. (über die participialia), der 412,16–18 die Supina explizit von den passiven Partizipien ableitet. Die komplizierte terminologische und sachliche Geschichte des Supinum in der römischen Grammatik (Diomedes schreibt den Terminus supinum GrLat I 342,9 schon dem Grammatiker des 1. Jh. n. Chr. Valerius Probus zu.) kann hier allerdings nicht behandelt werden. Das Supinum II wird bekanntlich heute als erstarrter finaler Dativ (oder Ablativ) eines Verbalsubstantivs auf -ui oder -u, das Supin I auf -um als entsprechender Akkusativ der Richtung verstanden (RHH § 173 1 und 2). Die Adverbien noctu und diu sind erstarrte Lokative von Substantiven mit nicht mehr erhaltenen Nominalstämmen (RHH § 51. 3 und Leumann 1977, 357).

Kapitel 5 Virtutes et vitia orationis Kurzgliederung 5,1–4: Einleitung 5,5–33: Fehler im Einzelwort: Barbarismus 5–10: Vorbemerkung 10–17: Barbarismen beim Schreiben 17–33: Barbarismen beim Sprechen 5, 34–54: Fehler in der Verbindung mehrerer Wörter: Solözismen 5, 55–72: Vier Wortschatzgruppen

Ausführliche Gliederung 5,1–4: Einleitung 1: Vier theophrastische virtutes dicendi (Sprachrichtigkeit, Klarheit, Schmuck und Angemessenheit) und ebensoviele Fehler. Thema hier das emendate loqui, der erste Teil der Grammatik (vor dem zweiten Teil der enarratio auctorum). 2: Diese erste virtus, das emendate loqui, vollzieht sich im Bereich der verba singula und der verba plura (verba im weiteren Sinne verstanden, nicht im technischen Sinne der Wortart Verb). 3: Die verba singula (Einzelwörter) gliedern sich in vier Wortschatzgruppen zu je zwei gegensätzlichen Untergruppen: nostra/peregrina, simplicia/composita, propria/translata und usitata/ficta. 4: Beim Fehler im Einzelwort wird eher der Fehler als der Vorzug deutlich. 5,5–33: Fehler im Einzelwort: Barbarismus 5–10: Vorbemerkung 5:

Es gibt Barbarismen und Solözismen. Sie sind von lizensierten Formen in der Dichtung sorgfältig zu unterscheiden.

6/7:

Barbarismen sind Fehler im Einzelwort. Sie treten beim Schreiben und Sprechen auf und entstehen durch jeweils vier verschiedene Abweichungsprozeduren von der Norm, beim Schreiben durch adiectio, detractio, inmutatio und transmutatio, beim Sprechen durch divisio, complexio, spa-

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tium und sonus. Das ist zwar trivial, aber für die Spracherziehung der Kinder unerläßlich. 7–10: Drei Bedeutungen des Terminus barbarum: 8: Gebrauch von Fremdwörtern 9: Barbarisches Sprechen 10: Fehler im Einzelwort (gramm.-technische Bedeutung) 10–17: Barbarismen beim Schreiben 10: Sie entstehen durch die vier Änderungskategorien Hinzufügung, Wegnahme, Austausch und Platztausch adiectio, detractio, inmutatio und transmutatio 11: In der Dichtung sind sie lizensiert, also nicht zu tadeln. Eher weniger verbreitete Formen behandeln! 12–17: Beispiele dafür und schwierige Sonderfälle 13–14: Beispiele 15–17: Sonderfälle 17–33: Barbarismen beim Sprechen 17–19: Sie entstehen durch (1) divisio = falsche Silbentrennung, (2) complexio = falsche Silbenzusammenziehung, (3) spatium = durch den falschen Zeitwert der Silben und (4) sonus = durch falsche Lautung. 17–18: Beispiele für Verstöße durch divisio, complexio und spatium. 19–33: sonus-Fehler: 19–21: Falsche Aspiration 22–31: Akzentfehler 32f.:

Weitere Aussprachefehler (Artikulationsfehler, Ausländischer Akzent).

33:

Schlussbemerkung: Fehlerfreies Sprechen führt zur Orthoépeia.

5,34–54: Fehler in der Verbindung mehrerer Wörter: Solözismen 34–38: Definition, Sonderfälle: Gibt es den Solözismus in einem Wort? 34–35: Solözismus bei zwei Wörtern mit Korrektur eines Wortes: amarae corticis 36–37: Solözismus in einem Wort: venite ĺ Einzelperson 38–54: Unterarten des Solözismus 38–51: Vier Arten des Solözismus nach den Änderungskategorien 38–40: Die drei Arten adiectio, detractio, transmutatio 38: durch Hinzufügung nam enim 38: Wegnahme Aegypto venio 39: Platztausch quoque ego 40: Alternative Terminologie dieser drei Unterarten

Kapitel 5

147

41–51: Der Solözismus per immutationem (Austausch) mit zahlreichen Unterarten: 41–47: 41–44 45–46: 47: 48:

per accidentia verborum (genus, numerus, casus etc.) beim Verb (besonders der Dual) beim Nomen bei anderen Wortarten, dem Partizip und Pronomen per partes orationis (Verb für Nomen, Adverb für Pronomen) 49–51: per partes orationis eiusdem generis: aut statt an (Konjunktion) ne statt non (Adverb) Pronomina; Präpositionen

51–54: Solözismen der inkongruenten Verknüpfung zweier Bestandteile einer festen Ausdruckseinheit: 52 tragoedia Thyestes, ludi Floralia ac Megalesia 52/53: Diese Solözismen sind in Dichtung und Rede lizensiert und heißen dann schemata. 53/4: Nicht lizensierte Solözismen dieser Art ohne Schema-Charakter, z.B. orator Murena; mulier Glycerium 54: Schlussbemerkung: Soviel über den Solözismus. Es soll ja keine Grammatik geschrieben werden. 5,55–72: Vier Wortschatzgruppen 55–64: Lateinische Wörter und Fremdwörter, besonders griechische Wörter. - Einleitende Bemerkungen. Nichtgriechische Fremdwörter (55–57) - Probleme der Formenlehre griechischer Wörter im Lateinischen (58–64) 65–70: Einfache Wörter und Komposita: 65–67: Zwei Arten der Komposition: mit Präpositionen, mit zwei oder mehreren anderen Wortarten 68: Gruppierung der Komposita in Unterarten nach Herkunft der Wörter und nach Erhaltungsgrad ihrer Bestandteile. (Komposita mit rein lateinischen Wörtern mit 4 morphologischen Untergruppen, gemischte Komposita und reine Fremdkomposita) 69: Präpositionen verändern sich durch die Komposition 70: Das Griechische ist viel eher für Komposita geeignet als das Lateinische 71: Eigentliche und übertragene Wörter 71–72: Gebräuchliche und neugebildete Wörter

148

Kommentar

Zum Kapitel 5 allgemein: Mit dem Thema des 5. Kapitels virtutes et vitia dicendi und dem Schwerpunkt der beiden grammatischen Fehler Barbarismus und Solözismus stellt sich Quintilian eindeutig in die ihm bereits vorliegende Tradition der dreiteiligen römischen ars grammatica, die in aufsteigender Folge 1. die elementa orationis (Laute, Silben etc.), 2. die partes orationis (Wortarten) und 3. die virtutes et vitia orationis (Barbarismen, Sölozismen etc.) behandelte. Es ist daher berechtigt, wie von Schreiner 1954, 5f. und 92f. und vor ihm schon von Barwick 1922, 266 gesehen, Kapitel 5 noch dem Bereich der ars zuzurechnen und 1,4 und 1,5 insgesamt als Referat der römischen dreiteiligen ars zu verstehen. Dieser Grammatiktyp ist am reinsten in Donats ars maior vertreten, weshalb ich ihn an anderer Stelle den „Donat-Typ“ genannt habe (Ax 2006, 250). Er ist vom nachdonatischen zweiteiligen Priscian-Typ zu unterscheiden, der aus einem Wortarten- (einschließlich der elementa orationis) und einen Syntaxteil besteht (Ax 2006, ebenda). Dass die Behandlung der virtutes et vitia in der leider nur spärlich bezeugten frühen römische Grammatik vor Qu. schon eine Selbstverständlichkeit war, zeigt die bereits zitierte Stelle beim Auctor ad Herennium 4,17, in der der Autor die Behandlung der latinitas-Fehler barbarismus und soloecismus in einer künftigen ars grammatica ankündigt. Auch scheint nach fr. 237 GRF Funaioli Varros Konzeption vom Aufbau der ars wie selbstverständlich auch die Behandlung der virtutes et vitia einzuschließen. Dass jedenfalls die Barbarismuslehre schon in der grammatischen Schulliteratur (profitentium commentariolis) zur Zeit Qu.s reich vertreten ist und bereits als triviales Basiswissen gilt, bezeugt er 1,5,6–7 selbst. Aber auch noch die spätantike vorpriscianische Grammatik zeigt eindeutig trotz aller Erweiterungen und Umstellungen weiterhin dieselbe Tendenz zur Dreigliedrigkeit in der Reihenfolge elementa – partes – virtutes et vitia. Vgl. z.B. Sacerdos GrLat VI 449ff., Charisius I 265ff., Diomedes I 440ff. und Donat IV 392ff. jeweils mit dem Beginn ihrer Besprechung der virtutes et vitia. Dieser dreigliedrige Typ geht insbesondere nach den Forschungen von Barwick, auf die ebenfalls dreigliedrigen perì phonês-Teil der stoischen Dialektik zurück, die ihrerseits ihre Vorbilder in der peripatetischen Poetik und Rhetorik (Aristoteles, Poetik Kap. 19–22 und Theophrasts Perì léxeos) hatte. Vgl. Barwick 1922, 94–101, 232, 256–260 und Ax 1986, 151ff., Ax 2000a, 73–89, 79ff. und 93f. Gegen den stoischen Ursprung und die Dreigliedrigkeit der römischen ars wenden sich

Kapitel 5

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Baratin-Desbordes 1987 und Desbordes 1995. (Dazu später mehr im Einzelkommentar). Das Kapitel 5 ist in der Geschichte der römischen Grammatik auch deshalb von größtem Wert, weil es nach meiner Kenntnis keine intelligentere, problembewusstere und die Systemzusammenhänge bewahrende Darstellung der virtutes et vitia orationis auf theophrastischstoischer Grundlage gibt, darunter natürlich besonders die Abschnitte zum Barbarismus (5,5–33) und zum Solözismus (5,34–54). Hier sind vergleichbare Behandlungen bei den spätantiken Grammatikern Sacerdos, Charisius, Diomedes und Donat – ich habe die Stellen oben schon angegeben – doch nur ein kümmerlicher Ersatz (sie liefern allerdings sehr viel mehr Beispiele). 5,1 tris…virtutes: Gemeint sind natürlich die nur durch Ciceros orat. 79 (= F 684 Fortenbaugh), namentlich (anonym noch Cic. De oratore 1,144 und 3,37) gesicherten vier virtutes dicendi oder elocutionis Theophrasts (ἀρεταὶ λέξεως), die hier aus gleich zu erläuternden Gründen auf drei reduziert sind. Sie lauten griechisch in stoischer Rezeption (nach Diog. Laert. 7,59): Ὲλληνισμός, σαφήνεια, πρέπον und κατασκευή , lateinisch: latinitas, perspicuitas, aptum und ornatus (Die Stoiker fügten ebenda noch die συντομία/brevitas hinzu). Diese vier virtutes orationis (laut Schreiner 1954, 91 erscheint dieser Ausdruck erstmals bei Qu.) gehören eigentlich von Haus aus in die rhetorische elocutio-Lehre und bilden hier deren oberstes Gliederungsprinzip, wie man sehr schön am Gesamtaufbau der Institutio Qu. nachvollziehen kann: vgl. Tabelle 2: elocutio, inst. orat. 8,1–9,4; 11,1 = latinitas (8,1), perspicuitas (8,2), ornatus (8,3–9,4) und aptum (11,1). Man kann sie je nach Zuständigkeit noch in eine grammatische (latinitas) und drei rhetorische Tugenden (perspicuitas, ornatus und aptum) untergliedern (Lausberg HB § 460). Ausführliche Dokumentation der vier virtutes findet man in Lausbergs HB, leicht aufzufinden unter der jeweiligen virtus im Inhaltsverzeichnis des ersten Bandes. Die Dreizahl der virtutes an unserer Stelle mit der Unterordnung des aptum unter den ornatus ist bei Qu. singulär und erscheint zunächst widersprüchlich, denn er verwendet sonst grundsätzlich nur den theophrastischen Viererkatalog (übrigens auch nicht die fünfte stoische brevitas): Vgl. 8 Proömium 26; 31; 8,1,1,; 11,1,1; 11,3,30. In 11,1,1 wird das apte dicere sogar explizit mit Berufung auf Cicero als vierte und wichtigste (maxime necessaria) virtus eingeführt. Dieser Wider-

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Kommentar

spruch lässt sich auflösen, denn erstens betont Qu. auch hier in 1,5,1 die überragende Bedeutung des dicere apte (quod est praecipuum), bleibt sich also in der Bewertung dieser virtus treu und distanziert sich damit von der hier bloß referierten Unterordnungsthese der Grammatiker (Sie sind nämlich nach plerique zu ergänzen). Zweitens war es wohl im grammatischen Kontext üblich, nur von den drei virtutes auszugehen, die die Grammatiker in ihrem Unterricht auch tatsächlich behandelten, nämlich vor allem die erste grammatische virtus, das emendate loqui, aber auch schon die ersten beiden rhetorischen virtutes perspicuitas und ornatus. Das geht eindeutig aus 1,7,32 hervor, wo Qu. die Behandlung der Klarheit und des Schmucks den Grammatikern zugesteht, selbst beide virtutes aber erst später unter den Aufgaben des Rhetors besprechen will. Vom aptum ist nicht die Rede. Deutlich wird das auch 1,8,13–17, im Referat einer Unterichtsstunde beim grammaticus, in der nicht nur Sprachfehler, sondern auch Phänomene der perspicuitas und des ornatus im Text bestimmt werden. Vgl. Colson 1924 zu 1,7,32,102. Das aptum scheint also nicht separater Gegenstand der Textexegese der Grammatiker gewesen zu sein, obwohl 1,8,17 durchaus auch Beobachtungen zum aptum enthält. Schon Schreiner hatte übrigens bei der Reduzierung auf drei virtutes den Einfluss der Schulgrammatik vermutet (1954, 92). Den Reflex einer reduzierten Trias der virtutes (ohne das aptum) innerhalb der Grammatik bietet auch Diomedes GrLat I 449,5ff. Der Einbezug der beiden rhetorischen Tugenden samt den dazugehörigen Fehlern in die römische Grammatik lassen noch die spätantiken artes deutlich erkennen, denn im „dritten Teil“ der Grammatik werden unter den in der Regel zuerst behandelten vitia nicht nur Fehler gegen die latinitas (Barbarismus und Solözismus), sondern auch weitere Fehler gegen die perspicuitas oder gegen den ornatus behandelt, die sogenannten cetera vitia (s. nächstes Lemma). An zweiter Stelle erscheinen dann sogar virtus-Phänomene des ornatus: Abschnitte zu Metaplasmen, Tropen und Figuren. Vgl. z.B. Donats Stilistik IV 392,4–402,34. Die oben genannten Qu.-Stellen zeigen aber, dass die Rhetorisierung der römischen Grammatik, genauer: ihr konkurrierender Ausgriff auf Gebiete der Rhetorik nicht erst in der Spätantike, sondern schon zur Zeit Qu.s weit fortgeschritten war. Vgl. seine bedauernden Äußerungen zur Aufgabe rhetorischen Terrains durch die Redelehrer 1,9,6 und vor allem das Kapitel 2,1.

Kapitel 5

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5,1 totidem vitia: Sehr wahrscheinlich schon in Theophrasts Perì léxeos und sicher auch bei den Stoikern im ersten Teil ihrer Dialektik Peri phonês stand den virtutes elocutionis auch eine entsprechende Anzahl vitia gegenüber. Leider haben sich von solchen frühen Parallelkatalogen nur Spuren erhalten. Man weiß, dass Theophrast ein Buch über Solözismen schrieb (Diog. Laert. 5,48) und dass die Stoiker unter den fünf zu erwartenden, aber nicht überlieferten kakíai lógou sicher die Hellenismós-Fehler barbarismós und soloikismós behandelt haben (Diog. Laert. 7,59). (Zu den erheblichen Problemen der Rekonstruktion der stoischen Lehre vgl. FDS Hülser, 674f.). Erhalten haben sich vollständige Parallel-Kataloge nur in griechischen Traktaten der Spätantike, z.B. griechisch bei Ps-Ammonios (= Fr. 595 FDS) und bei Herodian (= Fr. 595 A FDS). Im Lateinischen bietet nur Diomedes GrLat I 449,6–11 (vitia) und 456,6–25 (virtutes) einen (leider nur unvollständigen) Ersatz. Qu. bespricht hier im 5. Kapitel (vgl. dazu auch das vorherige Lemma) nur die grammatischen Fehler gegen die latinitas (Barbarismus/Solözismus), obwohl ihm bewusst ist, dass es noch andere (nämlich rhetorische) cetera vitia gibt (1,5,34). Die vitia gegen die drei übrigen rhetorischen virtutes werden von ihm aber erst an zuständiger Stelle in der Rhetorik behandelt: Fehler gegen die perspicuitas 8,2,12ff. (obscuritas), gegen den ornatus 8,3,41ff. (inornatum) und gegen das aptum 11,1 passim (indecorum). Im Gegensatz dazu listen die spätantiken Grammatiken auch die rhetorischen Fehler unter dem Titel De ceteris vitiis im direkten Anschluss an die beiden grammatischen Fehler auf. Vgl. z.B. Donat IV 392,4–395,26 und Charisius I 270,22–271,32 mit jeweils zehn rhetorischen und Diomedes I 449,5–451,20 mit dreizehn rhetorischen Fehlern (acht gegen die perspicuitas und fünf gegen den ornatus). Die Kataloge von Donat und Charisius stimmen in großen Teilen und nicht selten sogar in den Beispielen mit dem Katalog der ornatus-Fehler bei Qu. 8,3,41–60 überein. Ein genauer Vergleich wäre hier sicher gewinnbringend. Das cetera vitia von 1,5,34 legt den Schluss nahe, dass ähnliche Kataloge wie bei Donat, Charisius und Diomedes schon in der ars vor Qu. vorhanden waren. Nützliche Zusammenstellungen der vier vitia-Gruppen findet man in Lausbergs HB §§ 1063–1077. 5,1 emendate loquendi regulam: Nach den vorbereitenden elementa grammatices (Laute, Silben, Wortarten) in Kap. 4 folgt jetzt in 5 die

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Kommentar

eigentliche Aufgabe und Zuständigkeit des grammaticus (Er ist als Subjekt zu examinet zu ergänzen): die Lehre vom emendate loqui, vom fehlerfreien Sprechen und Schreiben: Sie bildet laut 1,4,2 und 1,9,1 den ersten der beiden Teile der Grammatik neben der Autorenerklärung. Die Besprechung der latinitas und der ihr zuzuordnenden Fehler (Barbarismen und Solözismen) wird aus curricularen Gründen vom Beginn der elocutio, wohin die latinitas als erste virtus eigentlich gehören würde, auf 1,5 vorgezogen, weil sie eben nicht Aufgabe der Rhetors, sondern des grammaticus ist. Trotzdem vergisst Qu. nicht, sie an ihrem eigentlichen Ort mit Rückverweis auf 1,5 noch einmal zu erwähnen, auf das bloß negative Verfahren der Vermeidung von Fehlern gegen die Latinitas zu verweisen und dazu noch die positive Anweisung zum Gebrauch reiner Latinität in der Rede beizufügen (8,1,2). 5,2 verbis aut singulis aut pluribus: Die Gliederung der elocutioLehre in verba singula und verba plura oder coniuncta ist Gemeingut der hellenistischen Rhetorik und geht mit großer Wahrscheinlichkeit auf Theophrasts Perì léxeos zurück, der nach F 691 Fortenbaugh den Stil in Wortwahl (eklogè onomáton), Wortverbindung (harmonía) und Verwendung von Figuren (schémata) einteilte. Vgl. Colson 1924, 52. Colson hat recht, wenn er ebenda nach dem Vorbild Volkmanns auch noch Dionys von Halikarnass, Über den Stil des Thukydides, Kap. 22 hinzuzieht, der sicher unter dem Einfluss Theophrasts noch pointierter zwei Teile, die eklogé onomáton (= verba singula) und die synthesis onomáton (= verba plura) unterschied (de Jonge 2008, 166 f.). Auch die Stoiker haben in ihrer Lehre von den aretai und kakíai lógou zumindest für den Hellenismos Fehler im Einzelwort (Barbarismus) und Fehler in der Wortverbindung (Solözismus) unterschieden (Diog. Laert. 7,59 = 594 FDS Hülser). Doch bleibt das allein aus diesen Quellen gewonnene Bild für uns schemenhaft. In der römischen Rhetorik ist dagegen das vollständige System der theophrastischen elocutio-Lehre in zwei Varianten erhalten geblieben, die uns klarer sehen lassen: Cicero, orat. 79f. (= F 684 Fortenbaugh) und Qu. 8,1,1: Cicero gliedert den sermo auf der obersten Ebene nach den vier virtutes Theophrasts (Er wird 79 namentlich genannt) und dann auf der zweiten Ebene wiederum die virtutes, hier den ornatus, nach Einzelwörtern und Wortverbindungen. Qu. teilt umgekehrt die phrásis oder elocutio erst in die verba singula und coniuncta und weist ihnen erst dann die virtutes zu. Überraschenderweise werden dabei in

Kapitel 5

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diesem Entwurf die vier theophrastischen Tugenden nur den verba singula zugewiesen und erhalten die verba coniuncta drei neue eigene virtutes. Was hier dem Original Theophrasts näher steht, lässt sich natürlich nicht mehr entscheiden. Qu.s Theorie stimmt jedenfalls nicht mit seiner praktischen Durchführung überein, denn sonst sind die virtutes bei ihm wie bei Cicero durchweg Oberinstanzen, die ihrerseits erst sekundär in die verba singula und coniuncta eingeteilt werden – so Qu. explizit hier bei der latinitas (1,5,2), bei der perspicuitas (8,3,15) und bei dem ornatus (8,3,15). Auch die entsprechende Abhandlung der virtutes ist dann nach diesem Prinzip gegliedert: latinitas im Einzelwort: Barbarismus (1,5,3–1,5,33) und in der Wortverbindung: Solözismus (1,5,34–54), perspicuitas im Einzelwort (8,2,1–13) und in der Wortverbindung (8,2,14–21) und ebenso ornatus im Einzelwort (8,3,15–39) und in der Wortverbindung (8,3,40–86). Das aptum (11,1) ist in diesem Punkt nicht klar gegliedert, aber 11,1,49 beweist, dass es auch aptum-Fehler im Einzelwort und in der Wortverbindung gibt. 5,2 Verba nunc generaliter accipi volo: Qu. begleitet seine Ausführungen immer wieder mit sorgfältigen Beobachtungen zur grammatischen Terminologie, besonders zu den Wortarten. Vgl. z.B. 1,4,18 zur Konjunktion und 1,4,20–21 zum Nomen mit meinem obigen Kommentar dazu. Ein gewisses Schwanken zwischen dem umgangssprachlichunspezifischen Gebrauch eines Terminus wie hier verbum (= Wort) und dessen Grammatikalisierung (= Verb) ist in der gesamten antiken grammatische Literatur zu beobachten und sicher unvermeidbar. So ist auch Qu. hier nicht ganz konsequent, denn er legt 1,5,2 zunächst verbum auf die allgemeine Bedeutung fest, hält das dann zunächst beim Barbarismus (1,5,3ff.) und beim Solözismus (1,5,34ff.) auch durch, muss dann aber 1,5,41–44 doch wieder zur Spezialbedeutung „Verb“ greifen. Die Terminologie für „Wort“ allgemein bei Qu. und seinen Vorläufern hat Schreiner 1954, 39 zusammengestellt. dictio und locutio erscheinen dabei lt. Schreiner erstmals bei Qu. Das Zitat Horaz, Ars poetica 311, natürlich mit Reminiszenz an Catos des Älteren: Rem tene, verba sequentur. 5,3 Singula sunt aut nostra…aut ficta: Die verba singula gliedern sich hier in vier Wortschatzgruppen zu je zwei gegensätzlichen Untergruppen, also in 1. Fremdwörter 2. Komposita 3. Übertragungen 4. Neubildungen und jeweils deren Gegenteile. Sie gehören eigentlich in die rhetorische elocutio-Lehre, dürften also auch eigentlich erst ab dem

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Kommentar

achten Buch jeweils unter der zuständigen virtus, Abteilung verba singula, besprochen werden (s.o. Komm. zu 1,5,2 verbis). Seinem curricularen Konzept entsprechend zieht Qu. jedoch die vier verba singula-Gruppen auseinander, indem er die Besprechung der eher für den Grammatikunterricht relevanten Fremdwörter- (1,5,55–64) und Kompositagruppen (1,5,65–70) auf das Kapitel 1,5 vorzieht, dagegen die besonders für den ornatus wichtigen Gruppen Übertragung und Neubildung hier nur streift (1,5,3 und 1,5,71–2) und erst im ornatusTeil ausführlich bespricht: verba propria 8,3,24–29, ficta 8,3,30–37 und translata 8,3,38–39. Über diese strukturellen Querverbindungen ist er sich dabei vollkommen im Klaren (Vgl. die Rückverweise 8,3,30 auf 1,5,72 und 8,3,38 auf 1,5,3). Mit der vollständigen Integration der vier Wortschatzgruppen in die Grammatik und der ausführlichen Behandlung der ersten beiden Gruppen steht Qu. in der römisch-grammatischen Literatur völlig allein und hat sich damit ein großes Verdienst erworben. Die verba Latina et peregrina haben nämlich kein separates Kapitel in der römischen ars und werden sonst nur einmal von Varro kurz eingeführt (ling. Lat. 5, 10). Die nomina Graeca und das Problem ihrer Deklination wurden dagegen schon von Varro (ling. Lat.10,69–71) kurz angesprochen und es scheint sich auch Plinius d.Ä. in De dubii sermonis libri octo (fr. 35 GRF Mazzarino aus Buch VI ) mit diesem Problem befasst zu haben. (s. dazu unten Komm. z. 1,5,58). In der späteren Grammatik nach Qu. werden griechische Nomina im Lateinischen entweder nur kurz erwähnt wie bei Donat GrLat IV 373,17–21 oder jeweils bei den einzelnen Deklinationsklassen oder den Kasus mitbehandelt, wie z.B. bei Charisius GrLat I 62 oder 132 (wo Plinius d.Ä. zitiert wird) oder bei Priscian GrLat II 276f. Die vier nominalen Kompositagruppen von 1,5,68 werden zwar von den spätantiken Grammatikern häufig besprochen (z.B. von Donat GrLat IV 377,3–14. Weitere Stellen bei Jeep 1893, 131f. und Schreiner 1954, 55–58) und erhalten sogar einen eigenen Abschnitt (das Akzidenz figura im Nomen-Kapitel), aber der Kommentar zu 1,5,68 wird zeigen, dass Qu. mehr und noch Besseres zu bieten hat als die spätantiken Grammatiker. Solche Wortschatzgruppierungen und deren stilistischen Bewertungen wie die Qu.s gehören in die Tradition der peripatetischen léxisTheorie (vgl. oben Komm. zu 1,5,2 verbis). Cicero führt in dem schon ebenda erwähnten theophrastisch beeinflussten Modell orat. 80 unter den Lemmata ornatus/verba singula eine ganz ähnliche Wortschatz-

Kapitel 5

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gruppierung wie Qu. vor. Für Theophrast selbst beweist insbesondere F. 683 Fortenbaugh, Z. 9–11, dass er im Anschluss an die Wortartenlehre ebensolche stilistischen Wortschatzanalysen durchgeführt hat (Zu der Diskussion der Zugehörigkeit von F 683 zu Theophrasts perì léxeos vgl. De Jonge 2008, 95). Er folgt damit Aristoteles, der in seiner Poetik nach den Lexisteilen (Kap. 20), Wortschatzgruppen (Kap. 21 eíde onómatos) unterscheidet und darauf deren richtige Verwendung in dem léxeos areté-Kapitel 22 bespricht. 5,3 Uni verbo vitium saepius quam virtus est…accomodata: Dieser Hinweis wird 8,3,38 am Ende der Besprechung der verba singula im ornatus mit einem Rückverweis auf 1,5,3 wiederholt (s.oben Komm. zu 5,3 Singula): translata probari nisi in contextu sermonis non possunt. Itaque de singulis verbis satis dictum, quae, ut alio loco (1,5,3) ostendi, per se nullam virtutem habent. Gemeint ist hier, dass die in einer Rede ausgewählten verba singula ihre virtus nicht aus einer ihnen schon isoliert innewohnenden Eigenschaft (die sie durchaus auch haben) gewinnen, sondern nur dadurch, dass sie dem Redegegenstand und der Redesituation (Richter, Publikum etc.) perfekt angemessen sind – ein Vorzug, der sich nur aus dem gesamten Redekontext ergibt, in dem sich die Sache, um die es in der Rede geht, allein entfalten kann. Daher hier verba rebus bene accommodata und im fast wörtlichen Anklang 11,1,2: (ornatus) nisi fuerit accommodatus rebus atque personis. Unter virtus ist hier also in erster Linie das immer kontextgebundene aptum gemeint. Vgl. 8,3,18; 11,3,1–7. Dennoch haben auch schon die isolierten verba singula, wenn sie synomym sind, besonders im ornatus unterschiedliche semantische und stilistische Werte, unter denen der Redner wählen kann: 8,3,16f. und 10,1,6 (nach dem Vorbild von Cicero orat. 80). Entscheidend für ihre virtus ist aber immer erst ihre sach- und situationsangemessene Verwendung. Qu.s Beispiele 8,3,18ff. sind für den grundsätzlichen Vorgang nicht sehr illustrativ. Gemeint ist: Zur Wahl steht: Visage/Gesicht/Antlitz. Jedes hat schon per se einen eigenen Stilwert, z.B. Antlitz = archaisch/hoch. Fehler entstehen aber erst im kontextuellen Gebrauch: z.B. Ich werde Ihnen gleich Ihr Antlitz polieren – ein klarer Verstoß gegen das aptum, das hier eindeutig Visage verlangt. Bei den verba propria schwingt auch mit, dass ihre Verwendung eigentlich eine Selbstverständlichkeit und noch keine virtus ist, also hier nur Fehler gegen den eigentlichen Wortgebrauch auffallen

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Kommentar

(8,2,3). Das Problem ist gut zusammengestellt bei Lausberg HB §§ 541–2. Die drei Wortschatzgruppen proprium, speciosum, sublime stellen offenbar eine gängige Gliederung der verba singula in der elocutio dar. Vgl. 2,5,9 quod verbum proprium, ornatum, sublime mit dem Kommentar zu Buch 2 von Winterbottom/Reinhardt 2006, 127. Sicher ist in der Dreiergruppe eine Steigerung zu sehen. Ob hier aber auch noch ein versteckter Hinweis auf die drei genera dicendi vorliegt, wie Colson z.St. unterstellt, lässt sich m.E.s nicht sicher nachweisen. 5,4 velut vocalitas: Innerhalb der zur Wahl stehenden gleichbedeutenden Synonyme (8,3,16f.; 10,1,6. s. vorheriges Lemma) gibt es immer auch besser klingende Wörter (vocaliora, melius sonantia) (8,3,16. So schon Cicero, orat. 80: quod…optime sonat und 163). Die isolierte Eigenschaft des Wohlklangs eines Wortes (Der Terminus εὐφωνία ist m.W.s sonst nicht bezeugt, vocalitas offenbar eine neue Lehnübertragung Qu.s), für die Qu. leider kein Beispiel gibt, ist viel weniger kontextabhängig, als etwa die Wahl eines treffenderen, anständigen oder unanständigen, erhabenen oder niedrigen etc. Wortes. Wenn man zwei Wörter zur Wahl hat, von denen das eine besser klingt, wird man als Redner auch ohne Kontextkontrolle immer das besser klingende wählen. Zur vocalitas/εὐφωνία vgl. Lausberg HB § 542 in Verbindung mit § 540.6. 5,5 Die nun folgenden §§ 5–54 sind die erste erhaltene ausführliche, noch dazu niveauvollste Darstellung der beiden Hauptfehler gegen das korrekte Griechisch (hellenismós) und Latein (latinitas), dem Barbarismus und Solözismus, in der antiken grammatischen Fachliteratur. Obwohl Qu., wie im gleich folgenden Lemma erläutert, schon eine lange Begriffsgeschichte zur Verfügung stand und er selbst schon ein reiches Schrifttum dazu, wie 1,5,7 bezeugt, vorfand, ist uns keine frühere Abhandlung, ob separat oder Teil einer ars, überliefert oder bekannt, denn der Auct. 4,17 liefert ja nur eine Vorankündigung, von der wir nicht wissen, ob er sie später in die Tat umgesetzt hat. Allerdings glaubt Barwick 1922 nachweisen zu können, dass schon Varro (232) und dann Remmius Palaemon (164f.) in ihren artes die vitia orationis, also auch die Barbarismen und Solözismen behandelten. Über beide Fehler hat offenbar auch Plinius der Ältere in seinem nicht erhaltenen Werk De dubii sermonis libri octo gearbeitet: Vgl. die Fragmente 121–124 GRF Mazzarino, p. 327–329, sicher eine wichtige Quelle für Qu., wie ein

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Vergleich von 1,5,52f. mit fr. 121 Mazzarino beweist (vgl. unten Komm.zu 1,5,54). Weitere Darstellungen nach Qu. sind erst aus der Spätantike erhalten, im Griechischen als eigene Traktate, im Lateinischen als integrierte Teile der artes grammaticae. Vgl. Charisius GrLat I 265,1ff., Diomedes I 451,21ff., Donat IV 392,4ff. mit den Kommentaren Servius IV 443,18ff., Explanationes IV 563,1ff., Pompeius V 283,1ff. Dazu ist besonders für den Barbarismus noch die Ars de barbarismis et metaplasmis des Consentius, eines gallischen Grammatikers des 5.Jhs. n. Chr., GrLat V 386–404 heranzuziehen. Griechische Monographien zu den Sprachfehlern ohne Einbindung in eine ars, insbesondere zum Barbarismus und Soloezismus sind im 19. Jhdt. von Valckenaer und Nauck herausgegeben worden und noch nicht modern ediert. Vgl. Ammonios, Peri homoíon kaì diaphorôn léxeon, ed. L.C. Valckenaer Leipzig 2. Auflage 1822, 176–187 und A. Nauck, Lexikon Vindobonense, Petersburg 1867, 289–312. (Vgl. dazu Barwick 1922, 96f. mit Anm. 5). 5,5 barbarismi ac soloecismi: Über die Terminologiegeschichte der beiden Begriffe informieren die größeren Lexika, Schreiner 1954, 93– 103 und besonders Holtz 1981, 137–162. Die Verben βαρβαρίζειν und σολοικίζειν sind seit Herodot belegt (speak bad Skythian, speak like a Barbarian), bei Aristoteles bedeuten sie unterschiedslos: Sprachfehler machen, z.B. Genus- und Kasusfehler, die man im dialektischen Disput für sich ausnutzen kann: Sophistici elenchi Kap. 3,165b20f. Bei Aristoteles sind erstmals auch die Substantive belegt: ὁ σολοικισμός = Sprachfehler: Soph. Elench. Kap. 14,173b17; 24 und Kap. 32,182a7 und ὁ βαρβαρισμός = nur aus Glossen (= ungewöhnlichen, nicht einheimischen Wörtern) bestehende Lexis: Poetik Kap. 22,1458a24f., 25f. und 30f. Die später übliche grammatikalische Spezialbedeutung, die auch für Qu. verbindlich ist (1,5,6 und 1,5,16): Barbarismus = Fehler im Einzelwort und Solözismus = Fehler in der Wortverbindung wird allgemein auf die Stoiker zurückgeführt, Diog. Laert. 7,59 (= FDS 594 Hülser): ὁ δὲ βαρβαρισμός ἐκ τῶν κακιῶν λέξις ἐστὶ παρὰ τὸ ἔθος τῶν εὐδοκιμούντων Ὲλλήνων. σολοικισμός δέ ἐστι λόγος ἀκαταλλήλως συντεταγμένος = Unter den Fehlern der Rede ist die fremdländische Ausdruckweise ein Stil, der gegen das Sprachempfinden derjenigen Griechen verstößt, die hohes Ansehen genießen (die als die feinen Leute gelten); und Ungrammatikalität ist eine Rede, die in ihrer Zusammensetzung nicht richtig gefügt ist. (Übersetzung Hülser). Doch ist hier

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Vorsicht geboten, denn 1. steht hier léxis für Stil, Ausdrucksweise und nicht für Einzelwort (wie überhaupt die Stoiker lexis und logos nicht in Einzelwort und Satz gliedern, vgl. Ax 1986, 140f., 242f.) und 2. geht die grundsätzliche Trennung in Einzelwort und Wortfügung ja, wie wir gesehen haben, schon auf Theophrast zurück, und der schrieb bereits, wie ebenfalls schon erwähnt, einen Traktat über Solözismen. Möglicherweise ist die stoische „Innovation“ also doch schon älter und bereits peripatetischen Ursprungs. Bei den Römern begegnet soloecismus erstmals bei Lucilius (fr. 38 GRF Funaioli, p. 46), der schon hundert Solözismusarten unterschied. Beide Begriffe, barbarismus und soloecismus, schon in der stoischen Spezialbedeutung und im grammatischen Kontext, finden sich dann später beim Auctor ad Herennium 4,17: soloecismus est, cum pluribus in verbis consequens verbum ad superius non accommodatur. Barbarismus est, cum verbum aliquod vitiose effertur. Haec, qua ratione vitare possimus, in arte grammatica dilucide dicemus. Interessant ist Schreiners Hinweis 1954, 95, dass die beiden griechischen Fachausdrücke nach dem Auct. Her. verschwinden und durch lateinische Äquivalente ersetzt werden. Erst bei den beiden Senecae, Martial und Quintilian finden sich wieder die griechischen Termini. Jedenfalls konnte Qu. auch terminologiegeschichtlich schon auf eine lange Tradition zurückblicken. 5,5 Sed quia…excusantur haec vitia…tractandum erit: Die vitia des Barbarismus und Solözismus können, wenn sie durch die drei Sprachnormierungskriterien der Latinität consuetudo = Sprachgebrauch (vgl. dazu Qu. 1,6,43–45), auctoritas = Belege bei anerkannten Autoren (1,6,42) und vetustas = anerkannte Archaismen (1,6,39–41) gewissermaßen legitimiert werden und stabil bleiben (Dies wiederholt Qu. 9,3,3), durchaus ihre Rechtfertigung finden, ja sie können, wenn sie bewusst mit bestimmten Schmuckabsichten eingesetzt werden, sogar virtus-Charakter (vicinitate virtutum 1,5,5) annehmen und sind dann nur schwer von echten ornatus-Phänomenen wie den Figuren zu unterscheiden. So können z.B. die lizensierten Solözismen zu einer Unterart der Wortfiguren des ornatus werden, und so werden sie denn auch von Qu. als grammaticum genus (9,3,2) der Figuren im ornatus 9,3,2–27 beschrieben. Hier findet man dann auch Beispiele, die an unserer Stelle ja ganz fehlen.

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Die lizensierten Fehler bekommen sogar eigene Namen: der lizensierte Barbarismus wird metaplasmus (1,8,14, Erstbeleg), der lizensierte Solözismus schema (1,5,52) genannt. Näheres dazu jeweils im Kommentar zur Stelle. Die Geltungsbereiche der Lizenz sind hauptsächlich die Dichtung 1,5,11, in geringerem Maße auch die Rede (1,5,52). Was konkret gemeint ist, lässt sich mit einer kleinen Tabelle veranschaulichen, die mit Donatbeispielen (GrLat IV 392,20; 393,24; 396,7; 393,32, Metaplasmus = Lukrez 3,1010, Schema = Vergil, Aen. 1,212) arbeitet: Einzelwort

Wortverbindung

vitium Barbarismus displicina (statt disciplina)

virtus Metaplasmus potestur (potest)

Solözismus intro sum (intus sum)

Schema pars secant (secat)

Die vitia links sind echte Schülerfehler. Auf lizensierte Fehler rechts (Metaplasmen und Schemata) stoßen die Schüler z.B. bei der Lukrez(potestur) und Vergillektüre (pars secant). Da darf der Lehrer, obwohl es sich ja eigentlich um „Fehler“ handelt, die großen Autoren nicht selbst tadeln, oder gar an solchen Beispielen die Fehlertypen einüben, sondern er muss die Autoren in Schutz nehmen und die (ästhetischen, metrischen etc.) Gründe für die Normabweichungen erläutern. Qu. warnt mehrfach vor Herabsetzung der Lektüreautoren aufgrund von Metaplasmen und Schemata: 1,5,5; 1,5,11; 1,5,18; 1,5,35; 1,5,52–54 und 1,8,14. Der Lehrer muss deshalb auch den oft nur geringen und subtilen Übergang vom Fehler zum Vorzug genau kennen und erklären können, um falsche Einschätzungen seitens der Schüler abwehren zu können. Das ist der Sinn von 1,5,5,2. Hälfte. Der Vorverweis geht auf die schon genannte Besprechung der Schemata in der Wortfigurenlehre in 9,3,2–27. Eine gute Übersicht über die Barbarismus-/Solözismuslehre und ihre Lizenzen bietet Lausberg HB §§ 475–527. 5,6 sit barbarismus: Die Definition des Barbarismus als Fehler im Einzelwort im Gegensatz zu der des Solözismus als Fehler in der Wortgruppe (1,5,34) ist in der grammatischen Literatur der Antike seit dem Stoiker Diogenes von Babylon (auf den Diog. Laert. 7,59 wohl zurückgeht) und dem Auctor ad Herennium so allgemein verbindlich und ver-

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breitet, dass hier auf eine Dokumentation im Einzelnen verzichtet werden kann. Ein Beispiel für einen echten Barbarismus gibt Qu. 1,5,12 precula statt richtig pergula (= Vorbau, Anbau). Vgl. sonst oben Komm. zu 1,5,5 barbarismi. 5,6 quid hic promisso tanti operis dignum? In den folgenden §§ 6–11 sind zwei gedankliche Reihen in lebendiger dialogischer Einkleidung gestaltet: Den Rahmen bildet die Verteidigung der Grammatik, hier ihrer Barbarismuslehre, gegen den Vorwurf der Banalität und Trivialität (1,5,6, Z. 12f. Winterbottom, in der Formulierung, wie schon von Spalding bemerkt, sicher eine Anspielung auf Horaz, ars poetica 138, und 1,5,7. Z. 18–23 W.) und die Anweisung zur richtigen Behandlung der „Barbarismen“ in der Dichterlektüre des Grammatikunterrichts (1,5,11, Z. 9–13 W.). In diesen Rahmen wird als didaktischer Kern die Systematik der Barbarismuslehre als Dialog zwischen dem Angreifer und dem Autor (1,5,6, Z. 14–20 W) eingearbeitet und dann die drei Bedeutungen des Begriffs Barbarismus als Rollenstatement des fortgeschritteneren Lehrers präsentiert (1,5,7, Z. 22–28 W. und Z. 1–9 W.) Die Verteidigung der Grammatik liegt hier auf derselben Linie, die ich schon in meinem Kommentar zu 1,4,5–6 erläutert habe: Die Grammatik hat Fundamentcharakter und eine unerlässliche propädeutische Funktion (1,5,7). Sie erschöpft sich nicht nur im Elementaren, sondern bietet Möglichkeiten des Fortschritts zu subtilerem wissenschaftlicherem Niveau (1,5,7). Genaue Sachkenntnisse sind für den Grammatiklehrer unerlässlich, um didaktische Fehler zu vermeiden (1,5,5 und 1,5,11). 5,6 …alios barbarismos scribendo fieri, alias loquendo…: Das System des Barbarismus, das Qu. hier vorlegt, lässt er als triviales Anfängerwissen erscheinen. Es ist aber für uns so schwer nachzuvollziehen, dass die Qu.-Kommentatoren bisher lieber auf eine Erläuterung der schwierigen Stelle 1,5,6 verzichtet haben. Zum Glück hat Siebenborn im Zusammenhang mit seiner Darstellung der antiken Orthographie 1976, 36ff., 44f. die richtige Erklärung gegeben: Qu. teilt in Barbarismen 1. qui scribendo fiunt (Beispiele §§ 10–17) und 2. qui loquendo fiunt (Beispiele §§ 17–33). Scribendo-Barbarismen sind ausschließlich solche Fehler, die „man durch die Buchstaben der Schrift erkennbar machen kann.“ (Siebenborn 1976, 44), also z.B. 1,5,12 precula statt pergula oder 1,5,13: adsentio statt adsentior. Dagegen sind loquendoBarbarismen nur solche Fehler, die man nicht mit regulären Buchstaben, sondern nur durch zusätzliche prosodische Zeichen verdeutlichen

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kann (so explizit 1,5,17), z.B. Fehler gegen die Vokalquantität, etwa 1,5,18: Italiam (lang i statt kurz i) oder gegen den Akzent, etwa 1,5,22: Cámillus statt Camíllus. Dass diese Unterscheidung zutrifft, zeigt der Problemfall der Aspiration 1,5,19: Wenn das h ein regulärer Buchstabe ist, wäre ein Aspirationsfehler ein barbarismus in scribendo. Ist das h aber nur ein Aspirationszeichen, wäre er ein barbarismus in loquendo. Jetzt versteht man auch die schwierige Klammerparenthese von 1,5,6 (quia…peccant): Ein Fehler in scribendo zieht notwendigerweise auch eine veränderte Aussprache nach sich: precula kann nicht pergula und adsentio nicht adsentior ausgesprochen werden. Dagegen ändert ein Fehler in loquendo das Schriftbild nicht: Phaethon, Italiam, Camillus etc. bleiben im Schriftbild gleich – unabhängig davon, wie man sie ausspricht, es sein denn, man hat die Kontrolle durch das Metrum (1,5,17) oder führt prosodische Sonderzeichen in das Schriftbild ein wie Pha-ë-thon oder nj-nƯ-ǎs oder Camíllus. 5,6 illud prius…hoc secundum…contineri? Qu.s Untergliederung der beiden Gruppen der Barbarismen ist singulär. Während die Barbarismen in der spätantiken ars, z.B. bei Donat GrLat IV 392,7–10, ebenfalls nach Aussprache und Schrift geteilt, dann aber beide Unterarten weiter nach den vier Änderungskategorien untergliedert werden, weist Qu. nur den Barbarismen in scribendo die vier Änderungskategorien zu und unterteilt dann die Barbarismen in loquendo nach vier neuen, eigenen Kriterien. Die vier Änderungskategorien Hinzufügung, Wegnahme, Austausch und Platztausch haben eine lange Geschichte bis hin zur aristotelischen Physik und Poetik und zu Platons Kratylos und kommen hauptsächlich in der Grammatik und Rhetorik wie hier in der Sprachfehlerlehre zur Anwendung. Qu. nennt sie 1,5,38 quadripertita ratio. Vgl. dazu Ax 2000c,190–208. Die Kategorien der Barbarismen in loquendo: divisio = vokalische Silbentrennung, complexio = vokalische Silbenzusammenziehung, spatium = Vokalquantität (Hier ist das im Text überlieferte adspiratione in Übereinstimmung mit der Abhandlung dieser Kategorien 1,5,17–24 mit Claussen sicher in spatio zu ändern, vgl. den Apparat bei Winterbottom) und sonus mit den beiden Unterarten Aspiration und Akzent sind hier zur Vierzahl der Änderungskategorien parallelisiert – dies jedoch nicht erst von Qu., denn 1,5,6 wird das Kategorienquartett ja als allbekannte Schultradition bezeichnet. Gemeint sind, wie schon erläutert, Fehler in der Aussprache, die keine Änderungen im Schriftbild nach sich ziehen (Beispiele 1,5,17–24): Eu-

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ro-pa-i (divisio), Phae-thon (complexio), nj-nƱ-ǎs (spatium), 1. ae-dus (adspiratio), 2. Cá-mil-lus (tenor) (sonus). Die ersten drei Fehler kommen überwiegend oder überhaupt nur in der Dichtung vor und können daher auch über das Metrum im geschriebenen Vers kontrolliert werden. Die beiden sonus-Fehler Aspiration und Akzent werden ausschließlich mit dem Ohr erfasst (1,5,19) und sind nicht auf die Dichtung beschränkt. Möglicherweise sind hier frühere Zusammenhänge der Vierzahl geopfert worden, denn Siebenborn hat 1976, 44 ermittelt, dass Qu.s Kriterien spatium, adspiratio und accentus ursprünglich zusammengehörten und den Inhalt griechischer Traktate Über die Prosodie ausmachten. Dieser ursprüngliche Zusammenhang ist sogar noch bei Isidor I 32,3f. erhalten geblieben: Pronuntiatione autem fit (barbarismus) in temporibus, tonis, adspirationibus et reliquis, quae sequuntur. 5,7 …profitentium commentariolis, doctiores multa adicient: Der Gedanke einer Elementargrammatik und einer Grammatik für Fortgeschrittene, die der Lehrer beide beherrschen sollte, war ja schon 1,4,5–7 geäußert worden. S. auch meinen Kommentar zu dieser Passage. Grammatische Schulliteratur muss es auch schon zur Zeit Ciceros gegeben haben, vgl. Cic., de orat. 3,38 und 3,48: litterae doctrinaque puerilis; praecepta Latine loquendi. Ein grammatisches Lehrbuch hatte ja auch schon der Auctor ad Herennium 4,17 um 85 v. Chr. in Aussicht gestellt. 5,7 barbarum pluribus modis accipimus: Es folgen die drei Bedeutungen des barbarum, wenn man, wie (nach dem Vorbild von Claussen) Winterbottom, dem ich hier folge, der Lesart der Handschrift B den Vorzug gibt (A hat barbarismum). Dasselbe gilt dann auch für 1,5,9 (Alterum genus barbari…). Für barbarum (-i, n., substantiviert = das Barbarische) spricht, dass man einen Oberbegriff für die drei Bedeutungen braucht, denn nicht jede der drei Unterarten würde man barbarismus nennen. Der erste Typ 1,5,8, das Fremdwort, heißt in der römisch-grammatischen Tradition eindeutig βαρβαρὸς λέξις oder barbara dictio oder barbara locutio, z.B. Charisius GrLat. I 265,8–10, Diomedes I 451,30–32, Donat IV 392,6f. u.a. und wird durchweg als peregrina dictio vom Barbarismus als Fehler in einem lateinischen Wort (Latina dictio) unterschieden. Auch der zweite Typ, 1,5,9 das unbeherrschte emotionale Reden heißt nicht barbarismus, sondern barbare loqui. Für barbarum spricht zunächst Qu.s Sprachgebrauch selbst, der synonym für Barbarismen den neutralen Plural barbara

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1,8,13 (deprendat, quae barbara, quae impropria…) und 1,6,30 ( barbara ab emendatis conatur discernere) verwendet. Gestützt wird die Lesart auch durch zwei Gellius-Stellen, auf die Schreiner 1954, 94f. und Vainio 1999, 84 und 111 aufmerksam gemacht haben. 5,20,3 heißt es, die Griechen hätten nicht die Termini „soloecismus“ und „barbarismus“ gebraucht, sondern βάρβαρον und σόλοικον und die älteren römischen Schriftsteller seien ihnen darin jedenfalls mit soloecum gefolgt (Das kann nach unserere Beleglage natürlich nicht stimmen, denn schon für Lucilius ist ja soloecismus belegt, s.o. Komm. zu 1,5,5). Immerhin ist das ein Beleg dafür, dass es in der grammatischen Begriffstradition barbarum im Sinne von barbarismus gegeben haben muss. 13,6,2–4 teilt uns Gellius mit, die älteren römischen Autoren (veteres docti) wie Nigidius Figulus (ein Zeitgenosse Varros) hätten barbarus gemieden und statt dessen rusticus verwendet: quod nunc autem „barbare“ quem loqui dicimus, id vitium sermonis non barbarum esse, sed „rusticum“ et cum eo vitio loquentes „rustice“ loqui dictitabant. Also hat solchen Übersetzungen ein griechisches vitium barbarum oder barbarum vorgelegen. Vor Augustus’ Zeit, so Gellius, hätten gute römische Autoren barbarismus überhaupt nicht gebraucht (Das stimmt natürlich ebenfalls nicht, vgl. Auctor ad Herennium 4,17, s.o. Komm. zu 1,5,5). Gellius wird bestätigt durch Sextus Empiricus adv. gramm. 1,97 und 98, der βάρβαρον und σόλοικον ebenfalls eindeutig im Sinn des grammatischen Barbarismus und Solözismus gebraucht. Die drei Bedeutungen von 1,5,7–10 diskutiert Vainio 1999, 25f., 87f. und 131f., ohne sich auf eine textkritische Variante festzulegen. 5,8 Unum gente…dixit: Die erste Bedeutung des barbarum ist die des nichtlateinischen Fremdworts, in der späteren römischen Tradition barbara oder peregrina dictio, gr. βάρβαρος λέξις oder barbaroléxis genannt – zu unterscheiden vom barbarismus als eines fehlerhaften lateinischen Wortes. Ich habe zum vorherigen Lemma schon Belege genannt. Vgl. ausführlich Holtz 1981, 137ff. und Vainio 1999, 83–96 und 26f., 87 und 131. Es ist also an das (fehlerhafte) Eindringen ethnisch fremden Sprachmaterials in die lateinische Dichtung und Rede gedacht, wie ja auch die Hinweise auf afrikanische, spanische, gallische und sardische Wörter beweisen. Das überliefert unum (sc. genus barbari accipimus) gente (vgl.1,5,8 Anfang) = die erste Art des Barba-

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rischen verstehen wir nach dem Volksstamm ist also mit Winterbottom zu halten. Die Beispiele (zwei aus der Dichtung und zwei aus Reden): cantus oder canthus, -i, m., auch griechisch belegt: ὁ țĮȞșȩȢ = Eisenreifen um das Wagenrad, Felge. Qu. hat das Wort, wie der Kontext nahe legt, allem Anschein nach für afrikanisch oder spanisch gehalten, doch wird auch gallische Herkunft vertreten. Walde-Hofmann, I 155f. Persius verwendet es Sat. 5,71 im Hexameter tatsächlich wie ein geläufiges eingebürgertes Wort aus dem Fachwortschatz der Fahrzeugwesens: vertentem sese frustra sectabere canthum = vergeblich wirst Du der sich drehenden Felge folgen. Interessant ist der Hinweis von Spalding Vol I, p. 89, cantus habe sich in deutsch Kante erhalten. Diese Etymologie wird tatsächlich bis heute vertreten: gall. Cantus = eisener Radreifen > altfr. cant (ital. canto) = Ecke > mndl. cant(e) = Ecke, Rand > nhd (17.Jh.) Kante = Rand, Ecke. Kluge-Götze, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, s.v. Kante (mit Erwähnung der Quintilianstelle) und so noch Duden, Herkunftswörterbuch, 4. Aufl. 2007, 387 s.v. Kante. ploxenum, -i, n. = der Wagenkasten – ein gallisches Wort aus der Poebene. Catull gebraucht es c. 97,6 für eine böse Invektive: gingivas vero ploxeni habet veteris: er hat das Zahnfleisch eines alten Wagenkastens: Dazu Kroll im Catullkommentar z.St: „Das Zahnfleisch war durch Geschwüre zerfurcht und durchlöchert wie ein alter Kutschkasten… ploxenum ist wie so viele das Fuhrwesen betreffende Worte keltischen Ursprungs.“ Ein gallisches Wort casamo B oder casami A ist unbekannt. assectator = Frauennachsteiger könnte durchaus eine Bedeutungsangabe sein, denn auch cantus wird ja erklärt. Viel ist zu dieser Stelle versucht worden, wahrscheinlich ohne wirklichen Erfolg. Spaldings Vorschlag Vol. I 90f., das oskische casnar = alter Mann (Varro, ling. Lat. 7,29: lat. cascus = Alter diente als Bezeichnung des Pappus in der Atellane und ist aus oskisch casnar entstanden, vgl. auch Paul.-Fest. s.v. casnar) ins Spiel zu bringen, ist ingeniös gedacht. Der Text würde dann casnar „assectator“ e Gallia ductum est = Das Wort casnar (geiler alter Bock) = assectator (= Frauennachsteiger) ist aus Gallien entlehnt worden lauten. Labienus hätte dann in seiner Rede das Schimpfwort casnar aus der Atellane verwendet. Aber leider wird das Wort von Varro unmissverständlich als oskisch, also süditalisch, und nicht als gallisch be-

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schrieben, und es ist auch nicht casnar, sondern eben casamo überliefert. Auch Colsons Lösung, das assectator in affectato oder affectate mit Verweis auf 1,6,40 zu ändern (= affektierte Verwendung von alten Wörtern), also: das Wort casamo ist in affektierter Weise aus Gallien geholt worden bleibt bloße Spekulation. Schwierigkeiten macht auch die erwähnte Rede gegen Asinius Pollio (76 v.–5 n. Chr.). In Frage kommen zwei Labieni: Qu. Labienus (gest. 39 v. Chr.) oder T. Labienus, ein Prozessredner der augusteischen Zeit, der in einem berühmten Erbschaftsprozess ca. 10 v. Chr Pollio als gegnerischer Anwalt gegenüber stand (Qu. 4,1,11 und 9,3,13). Wenn Q.s Alternative für die Autorschaft der Rede Cornelius Gallus (der berühmte Elegiker, gest. 26 v. Chr.) wirklich Sinn haben soll, käme nur der erste Labienus in Frage. Colson plädiert 1924, 54 trotzdem für T. Labienus und versucht den Gallusvermerk als assoziativen Einschub wegzudeuten. Die Unsicherheit bleibt. mastruca, ae, f. = Schafspelz – ein mit Sicherheit sardisches Wort, mit dem Cicero in bewusst spöttisch herabsetzender Absicht (= Qu. 1,5,8: inridens Cicero ex industria dixit) auf die (primitive) Pelzbekleidung der Sarden anspielt. Qu. meint Ciceros nur in Fragmenten erhaltene Rede pro Scauro aus dem Jahre 54 v. Chr. Der Proprätor Aemilius Scaurus ist der Gelderpressung in seiner Provinz Sardinien angeklagt und wird u.a. auch von Cicero verteidigt. Die Stelle mit der mastruca wird von Isidor, Etym. 19,23,5 zitiert: Quem purpura regalis non commovit, eum Sardorum mastruca mutavit? Wen der königliche Purpur nicht bewegt hat, den hat der Schafspelz der Sardinier verändert?“ (fragm. Scaurus 45h) Ähnlich herabsetzend auch Cicero, prov. 15: res in Sardinia cum mastrucatis latrunculis a propraetore una cohorte congesta = die Sache in Sardinien mit den Banditen im Schafspelz wurde vom Proprätor mit nur einer Kohorte erledigt. Noch Donat hat übrigens dasselbe Beispiel (in der Form mastruga) s.v. barbarolexis GrLat IV 392,7. Eigentlich sind alle vier Beispiele keine echten Stilfehler im Fremdwortgebrauch, sondern sinnvolle Verwendungen, in den letzten drei Fällen mit der bewussten stilistischen Intention der Invektive. cantus ist eingebürgertes Fachwort ohne besonderen Stilwert, ploxenum passt zur Vulgärinvektive und das dürfte auch für das invektivische casamo, ganz sicher aber für das ciceronische mastruca gelten. Der Redner darf also in bestimmter Absicht durchaus auch barbarae locutiones verwenden.

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5,9 Alterum genus barbari…: Der zweite Typ des barbarum ist das unbeherrschte Sprechen im aggressiven Affekt, das barbare loqui. Dass damit auch eine sprachsoziologische Abstufung gemeint ist, zeigt 1,6,45 im Abschnitt 1,6,43–45 über den Sprachgebrauch (consuetudo). Der empfehlenswerte Usus ist ein consensus eruditorum, nicht die Sprache der ungebildeten Menge und noch viel weniger das barbarische Geschrei der Masse in Theater und Zirkus: Nam ut transeam, quem ad modum vulgo imperiti loquantur, tota saepe theatra et omnem circi turbam exclamasse barbare scimus. Vainio 1999, 26, 88 und 131 parallelisiert hier Consentius V 395,19–27, wo dieser den Barbarismusbegriff über die Sprache hinaus auch auf Mimik, Gestik und Motorik in der actio der Rede überträgt, ihn also rhetorisch stark erweitert. Es ist aber keineswegs sicher, ob Qu. hier wirklich unbeherrschtes affektisches Sprechen in der Redesituation, also einen Rhetorikfehler meint. Die Parallele zu 1,6,45 legt eher allgemeinsprachlich ein primitiv vulgäres Sprechen des niederen Volkes nahe. 5,10 Tertium est illud vitium…: Die dritte Bedeutung, der Barbarismus im grammatisch-technischen Sinn, betrifft nach der Definition von 1,5,6 wegen der Änderungskategorien nur die barbarismi in scribendo. Das ist keine Unschärfe oder Vergesslichkeit, sondern liegt an der Disposition des Abschnitts: Mit § 10 endet die einleitende Vorbemerkung und beginnt gleichzeitig in gleitendem Übergang der Abschnitt über die erste Gruppe der Schreibbarbarismen (§§ 10–17), der ab § 17 Mitte – deutlich markiert – mit der zweiten Gruppe, den Sprechbarbarismen, fortgesetzt wird (§§ 17–33). Dass Qu. hier zur Bildung eigener Exempla rät, ist weniger Bequemlichkeit oder Zeitnot, sondern hängt mit dem im nächsten § kritisierten Lehrerverhalten zusammen. Vgl. dazu das nächste Lemma. 5,11 Lehrer sollen zur Einübung der Barbarismen lieber auf zahlreich verbreitete Barbarismen der Umgangssprache oder auf leicht zu bildende eigene Beispiele zurückgreifen, statt, um mit ihrer Gelehrsamkeit zu prahlen, aus Beispiele aus anerkannten Dichtern heranzuziehen und sie sogar zu kritisieren. Das hinterlässt bei den Schülern einen falschen Eindruck (Vgl. oben 1,5,5). Außerdem sollen, wenn schon aus der Dichtung oder Rede, eher seltenere, weniger verbreitete, weniger abgedroschene Beispiele behandelt werden. Ganz ähnlich äußert sich später auch Consentius GrLat V 391,36ff.: Nicht Beispiele aus der Autoren-

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lektüre, sondern exempla, quae in usu cotidie loquentium animadvertere possumus, ein gute Paralelle, die Vainio 1999, 71f. zieht. 5,12 Tinga Placentinus…preculam…: Titus Tinca aus Placentia in Oberitalien erwähnt Cicero in Brut. 172 als einen von Lucilius häufig genannten Witzbold mit einer für ihn in der Hauptstadt nachteiligen dialektischen Aussprache. Bei welcher Gelegenheit Hortensius ihn tadelte, ist nicht bekannt, die Kritik ging aber genau in diese Richtung: precula (Vorbau, Anbau) ist offenbar eine Dialektvariante von pergola. 5,12 Mettoeo Fufetioeo: Ennius, Annalen Buch II, fragm. 126 Vahlen. Der Name ist schlecht überliefert, weil offenbar nicht mehr verstanden. Vgl. Winterbottoms Apparat z.St. Mettius Fufetius war ein Diktator der Albaner (Livius 1,23,4). Die Genetivform bei Ennius wird teils als Homerismus (Leumann 425 c), teils als auf ererbtes indogerm. -osio zurückgehend erklärt (Meiser 1998, 135.). Viel spricht bei Ennius für einen ernst gemeinten Homerismus, den Ovid nach Qu. 8,6,33 nur noch im Scherz bilden konnte: vinoio bonoio (unbekanntes Fragment). Metrisch möglich ist im Hexameter nur Mettoeo Fufetioeo oder Metioeo Fufetioeo Da Mettius bei Vergil Aen. 8,642 Mettus heißt, scheint mir die erste Variante wahrscheinlicher. Der Doppelfehler liegt, wenn man von der Normalform Metti oder Mettii ausgeht, in dem Austausch des i oder eines i durch oe (= immutatio) und die Zugabe von o (= adiectio). 5,13 Canopitarum exercitum…Trasumennum: Lat. Canopus, i, m. ist eine Stadt im Nildelta (selten lat. auch Canobus) nach gr. Κάνωβος (selten Κάνωπος). Canopitae, -arum, m. Einwohner von Canopus. Die Schreibung schwankt also schon im Griechischen zwischen p und b. Es handelt sich also um einen inzwischen zur Zeit Ciceros schon anerkannten Barbarismus per immutationem (b > p). Die Cicero-Rede, aus der das Zitat stammt, ist unbekannt. Trasumennus (lacus) = der Trasumenische See ist die spätere Standardform für das nur hier bei Qu. bezeugte ältere Tarsumennus – ein Barbarismus per transmutationem (Tar > Tra) also. Warum die transmutatio eine größere Freiheit darstellen soll als die immutatio, wie Colson 1924, 55 anmerkt, leuchtet mir nicht ein. Nach Kühner-Holzweissig 221f. liegt eine Metathesis der Konsonanten im Inlaut, besonders bei sonantischen r, n, l vor. 5,13 adsentior: Das Deponens adsentior ist für Qu. eindeutig die im Sprachgebrauch übliche Form, wie Qu.s eigener Gebrauch von adsentior (Die Stellen bei Bonnell) und seine Bemerkungen 1,5,13, Z.

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23 W.: sive est „adsentior“ und 1,5,13, Z. 24 W.: haec quoque pars consensu defenditur beweisen. Dennoch gibt er selbst 9,3,7 zu, dass adsentior zu den in ihrer Diathese (Aktiv/Passiv) unsicheren Verben gehört: et pleraque utroque modo efferuntur: …adsentior/adsentio. So äußern sich auch noch die spätantiken Grammatiker, z.B. Donat IV 383,18f. (verba incertae significationis… adsentio) oder Diomedes I 381,26ff., der sogar eine Stelle aus Ciceros Briefen mit einem aktivischen adsentit nachweisen kann. Das Verb gehört also zu den Fällen, bei denen sich Regelhaftigkeit (Analogie) und Sprachgebrauch zu widersprechen scheinen, Fälle, die Cicero im Orator 155– 162 diskutiert und bei denen er sich trotz zugegebener „Richtigkeit“ der regelhaften Formen meist für die consuetudo entscheidet, genau so, wie auch Qu. hier (Z. 24f. W.) argumentiert: adsentio mag zwar die eigentlich korrekte Form sein, doch empfiehlt der Sprachgebrauch adsentior. In der Orator-Passage sieht man übrigens auch, dass der Begriff verum/veritas (den Qu. Z. 25 W. für die Form adsentio wieder aufnimmt) die etymologisch und analogisch eigentlich richtige Form bezeichnet, die sich aber nicht unbedingt im Sprachgebrauch durchsetzen muss. Vgl. dazu Ax 2000a2, 118–121. Die regelhafte analogische Seite hat im Fall von adsentior L. Cornelius Sisenna (Prätor 78 v. Chr., gest. 67 v. Chr., der Autor der vorsallustischen Historien und der Übersetzer der Milesiaká des Aristides) konsequent vertreten. Darüber berichtet uns zuerst Varro ling. Lat. VIII (Varro fr. 12 GRF Funaioli), ein Fragment, das uns Gellius erhalten hat (Noctes Atticae 2,25,9): „Sentior nemo dicit et id per se nihil est, adsentior fere omnes dicunt. Sisenna unus adsentio in senatu dicebat et eum postea multi secuti, neque tamen vincere consuetudinem potuerunt = Niemand sagt: sentior (Ich werde gemeint), und das hat für sich allein keine Bedeutung, adsentior aber sagen fast alle. Nur Sisenna pflegte als einziger im Senat adsentio zu sagen und viele sind ihm später darin gefolgt. Dennoch konnten sie den Sprachgebrauch nicht besiegen.“ Qu.s Formulierung spielt eindeutig auf diese kritische Äußerung Varros an. Auch für Cicero (Brut. 259f.) war Sisenna ein überzogener emendator sermonis usitati = ein Reformator der Umgangssprache, der selbst um den Preis der Lächerlichkeit gegen den Sprachgebrauch anging und dabei zu ungewöhnlichen, auch neu gebildeten Wörtern griff. Für ihn sei recte loqui = inusitate loqui gewesen.

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5,14 ille pexus pinguisque doctor: Der ölig frisierte Doktor steht für den eitlen und gleichwohl arrogant-dummen Lehrer, der schon 1,5,11 kritisiert wurde. Pomadige, aufgestylte Frisuren sind für Qu. generell ein Zeichen der Dekadenz seiner Zeit (Vgl. 1,6,44). Gemessen an der Diskussion der beiden Verbformen auf dem hohen Niveau der Sprachrichtigkeitskriterien würde ein solcher Lehrer die beiden Formen primitiv-schematisch je nach Standpunkt als barbarismus per detractionem: adsentio (fehlt das r) oder als b. per adiectionem: adsentior (das r wird zugefügt) erklären. 5,15 Nam et dua et tre: Dua und tre wären als Einzelwort tatsächlich Barbarismen zweierlei Art: dua statt duo (immutatio) und tre statt tres (detractio). Dua gilt als Sonderform des neutralen duo (Leumann 486 mit der Qu.-Stelle) und kommt tatsächlich als einzelnes Wort vor (Kühner-Holzweissig 634 mit Belegen und der Qu.-Stelle), tre offenbar nicht, sondern nur in Verbindung mit anderen Nomina (tre-decim, trecentum). Vielleicht war tre aber auch wie dua (Kühner-Holzweissig 634) eine volksprachliche Variante von tres und konnte dann durchaus auch allein auftreten (Vgl. italienisch tre). Ich kenne keinen Beleg dafür. Der Status der Verbindung der beiden Wortpaare ist bis heute unklar. Sind es nur Zusammenrückungen zweier selbständiger Wörter (sogenannte Kopulativkomposita wie duo-decim Leumann 403 und 487), die man dann getrennt oder mit Bindestrich schreiben würde wie Leumann dua pondo (486) oder echte Komposita mit Zusammenschreibung (duapondo Kühner-Holzweissig 634). tre pondo scheint Leumann jedenfalls im Gegensatz zu dua pondo als echtes Kompositum mit dem Vorderglied tre- (statt normal tri-, z.B. tri-gemini) zu verstehen, obwohl er es 488 mit Bindestrich schreibt tre-pondo. Die beiden „Komposita“ haben sich jedenfalls bis zu Qu.s Zeit halten können und ihre Richtigkeit wurde von Messalla bestätigt. Damit kann nur Messalla Corvinus (64 v.–13 n. Chr.) gemeint sein, der einen Traktat über den Buchstaben s schrieb, den Qu. 1,7,23 bezeugt (vgl. dazu noch 1,5,15; 1,7,35 und 9,4,38). Die vier Fragmente bei GRF Funaioli, p. 505f. Genau genommen kann sich Messallas Äußerung nur auf tre pondo beziehen, das den von Messalla vertretenen Ausfall des s am Wortende vor Konsonant des folgenden Wortes aufweist (Vgl. Qu. 9,4,38 und Cicero, orat. 161). pondo ist der Ablativ eines nicht erhaltenen *pondus, i = dem Gewicht nach, an Gewicht, später wird es indeklinabel und bedeutet mit oder ohne libra = Pfund.

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duapondo bedeutet also = zwei Pfund schwer und trepondo = drei Pfund schwer. 5,16 Winterbottom (im Apparat z.St.) bemerkt zu Recht zum gesamten § 16: tota sententia parum aperta: Der ganze Satz ist unklar. Die Argumentationslinie ist jedoch m. E.s durchaus nachvollziehbar: Qu. will die Behauptung, es könne Barbarismen in Numerus und Genus wie beim Soloezismus geben, anhand von fünf Beispielen widerlegen, die zwar wie Barbarismen aussehen, aber in Wirklichkeit keine sind. Dieser einzig mögliche Sinn der Stelle lässt sich nur erreichen, wenn man das absurdum forsitan videatur dicere von Z. 7 W. negiert. Der Gedankengang lautet dann paraphrasiert: Die Behauptung mag vielleicht absurd erscheinen, es gebe einen Barbarismus in Numerus und Genus, aber fünf Beispiele zeigen, dass hier wie beim Barbarismus zwar ebenfalls Lautveränderungen vorliegen, der Fehler aber nur im falschen Numerus- und Genusgebrauch liegt (Pluralia tantum im Singular und Singularia tantum im Plural, Neutrum statt Maskulinum). Belässt man den Text, wie er ist, bleibt nur der nicht überzeugende Schluss, dass Qu. hier tatsächlich Barbarismen annimmt – so Colson z.St. 1924, 56 – eine Richtung, in die auch der Versuch früherer Editoren zielt, eine Negation vor habeant einzufügen, (vgl. Colson ebenda). Diese Lösung führt nämlich zu erheblichen Verständnisschwierigkeiten der gesamten Passage im Gegensatz zu der oben von mir vorgeschlagenen Variante: scalae (Stufen = Treppe) und scopae (Zweige, Reiser = Besen) sind Pluralia tantum, die (in dieser Bedeutung) im Singular gewöhnlich nicht vorkommen. Ebenso sind die Pluralia hordea (gewöhnlich hordeum = Weizen) und mulsa (gewöhnlich mulsum = Weinmet) normalerweise Singularia tantum. Sagt man nun scala oder scopa statt richtig scalae und scopae liegt rein formal jeweils ein barbarismus per detractionem (Wegfall des e) vor und sagt man hordea statt hordeum und mulsa statt mulsum, jeweils ein barbarismus per detractionem et immutationem (Austausch des u in a und Wegfall des m). Von der falschen Form aus gesehen kann die richtige Form aber umgekehrt jeweils als das Ergebnis einer adiectio (Hinzufügung des e), bzw. einer adiectio und immutatio (Hinzufügung des m und Austausch des a in u) gedeutet werden. Es ist also völlig richtig, wenn Qu. hier die drei Änderungskategorien mutatio, detractio und adiectio ins Spiel bringt. Aber die genannten Beispiele sind korrekte lateinische Flexionsformen, also keine echten Barbarismen wie etwa eine falsche Pluralform ossua statt ossa

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(Das Beispiel stammt von Consentius GrLatV 396,25). Der „Fehler“ liegt also nur im falschen Numerusgebrauch, ist also ein Akzidenzfehler gegen die consuetudo. Dasselbe gilt dann auch für das neutrale gladium statt des üblichen maskulinen gladius: Q.s Form gladia (zur Vermeidung der zweiwertigen Akkusativform gladium gewählt, so richtig Colson 1924, 57) ist ebenfalls kein Barbarismus, sondern nur ein fehlerhafter Genusgebrauch, also wieder nur ein Akzidenzfehler. Es ist erstaunlich, dass schon Consentius GrLat V 396,4–29 (Ungenauer Hinweis von Colson 1924, 56) in etwa die gleiche Argumentation vorführt und zum selben Ergebnis kommt, ohne dass die spätere Forschung daraus die richtigen Schlüsse gezogen hätte. Zum § 16 im Einzelnen: Die Pluralia tantum scalae und scopae werden schon von Varro, allerdings ohne Einbezug der Barbarismuslehre, im Zusammenhang mit der analogistischen Verteidigung von Numerusanomalien ling. Lat. 9,63–69 gegen entsprechende Vorwürfe der Anomalisten (8,48) z.T. auf hohem linguistischem Niveau diskutiert: scalae: 9,63,68,69; 10,54; 10,73; scopae 8,7,8; 10,24. Vgl. dazu ausführlich Ax 2000b,164–175, bes. 169 zu den Numerusanomalien. hordeum und mulsum erscheinen in diesem Zusammenhang bei Varro nicht. scalae und scopae gehören bei den spätantiken Grammatikern zu den Standardbeispielen für Pluralia tantum ohne Singular, z.B. Charisius GrLat I 93,5, Diomedes I 328,5 oder Donat IV 376,28. Der Singular scala wird dabei schon von Varro ling. Lat. 10,73 ausdrücklich als nichtgebräuchlich zurückgewiesen wie auch der von scopa 10,24. Dies trifft für die Bedeutungen Treppe und Besen sicher zu. Zugrunde liegt aber wohl doch ein (durchaus belegter) Singular in anderer Bedeutung scala = Stufe und scopa = Reis, Zweig, von denen die Pluralia tantum in durchsichtiger Weise als konjunkter Singular abgeleitet sind. hordeum und mulsum gehören zu den Maß- und Gewichtswörtern, die eigentlich keinen Plural bilden können (So schon Varro ling. Lat. 9,67f. mit anderen Beispielen). Beide erscheinen später unter derselben Rubrik u.a. bei Charisius I 34,27 und 29; I 93,8–10, Diomedes I 328,18–23 und Donat IV 376,28–31. hordea wird dabei meist als Ausnahmeverwendung im poetischen Plural zitiert (Charisius I 93,9f., Diomedes I 328,20 und Donat IV 376,31), wie etwa bei Vergil, georg. 1,210: inserite hordea campis. (Offenbar das Standardbeispiel der Grammatiker. Vgl. u.a. GrLat V 177,33 (Pompeius), V 506,26f. (Augustinus);

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Kommentar

GrLat V 579,8; VIII 48,2; 85,11. Diese Vergilstelle hat Qu. hier sicher vorgeschwebt. Ein poetisches mulsa habe ich nicht gefunden. Wenn Vergil hordea gebraucht, handelt es sich sicher nicht um einen erlaubten Barbarismus, also einen Metaplasmus, wie Colson 1924, 56 fälschlich annimmt, sondern um ein grammatisches schema (hier einen eigentlich falschen Numerusgebrauch), so wie sie Qu. 9,3,2–27 bespricht (Numerusschemata 9,3,8f., Genusschemata bei Vergil 9,3,6). Neben dem zur Zeit Qu.s üblichen gladius ist seit Lucilius (1207 Krenkel) auch das Neutrum gladium belegt, das für Qu. offenbar schon obsolet war: et gladia, qui dixerunt, genere exciderunt. Varro vermerkt ling.Lat 9,81 für dieses Wort das Schwanken des Genus, zieht es aber im eigenen Gebrauch vor (ling. Lat. 5,116; 8,45). Das Diminutiv Neutrum Plural gladiola verwendet Messalla bei Qu. 1,6,42. 5,17 Dass Qu. keine eigene Grammatik schreiben und sich nicht allzu sehr in fachliche Details verlieren, sondern im Rahmen seines rhetorischen Werks nur sachliche Grundlinien des Faches andeuten will, bemerkt er auch noch 1,10,1; 1,4,17 und 1,5,54. Daher hier das hoc quoque mit Verweis auf 1,4,17 (Spalding, Colson). 5,17 in dicendo vitia: Es folgen jetzt die Barbarismen beim Sprechen (§§ 17–33). Zum Problem der Barbarismussystematik und der Untergliederung der beiden Gruppen in scribendo und in loquendo vgl Kommentar zu 1,5,6. Die vier 1,5,6 kurz genannten Untergruppen des barbarismus in loquendo, die divisio = falsche Silbentrennung, die complexio = falsche Silbenzusammenziehung, das spatium = die falsche Silbenquantität und der sonus (falsche Aspiration und falsche Akzentuierung) werden jetzt einzeln vorgeführt – mit deutlichem Übergewicht der sonus-Fehler: divisio und complexio (§§ 17f.), spatium (§§ 18), dagegen sonus §§ 19–33 (Falsche Aspiration §§ 19–21, Akzentfehler §§ 22–31, weitere Fehler §§ 32f.). Kommen solche Fehler in der Dichtung vor, sind sie natürlich keine vitia, sondern Metaplasmen. Vgl. 1,5,18: sed nec in carmine vitia dicenda sunt. 5,17 ut divisio…complexionem…: Dass das Metrum eine Kontrollund Wiedergabemöglichkeit für die Barbarismen in loquendo bietet, habe ich schon im Komm. zu 1,5,6 erläutert. Hier am Anfang von 1,5,17 wird es von Qu. explizit gesagt: quia exempla eorum tradi non possunt, nisi cum in versus inciderunt.

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divisio und complexio sind lat. Lehnübersetzungen griechischer Termini, die Quintilian hier aber nur zur complexio beifügt: συναίρεσις und ἐπισυναλιφή. Vgl. zur Terminologie Schreiner 1954, 101f. und Lausberg HB § 486 (divisio) und § 492 (complexio). divisio ist eher selten, gewöhnlich erscheint bei den römischen Grammatikern der griechische Terminus diaeresis (διαίρεσις), z.B. bei Donat IV 396,18 oder bei Consentius V 389,13. complexio ist nur hier bei Qu. belegt, könnte also einer seiner terminologischen Neuversuche sein. Die römischen Grammatiker verwenden dafür meist das (in dieser Bedeutung bei griechischen Autoren nicht belegte) griechische episynaliphe wie z.B. wieder Donat IV 396,20 oder Consentius V 389,18. Für Qu. ist dieses Wort allerdings an unserer Stelle nur durch eine Konjektur von Birt gegen die einhellige Überlieferung synaliphe zurückerschlossen worden. Colson hat daher 1924, 57 die Überlieferung verteidigen wollen, wie ich glaube, zu Unrecht, denn das überlieferte synaliphe würde nicht das Phänomen bezeichnen, das Qu. hier unter complexio vorstellt. Schon Qu. selbst versteht 9,4,36 unter synaloiphai eindeutig nur die Hiatvermeidung zwischen verschiedenen Wörtern, und eben nicht wie bei der episynaliphe die Zusammenziehung zweier Vokale zu einem Vokal innerhalb eines Wortes. Genau diese Unterscheidung behalten dann auch noch die römischen Grammatiker s.v. episynaliphe und synaliphe konsequent bei. Vgl. z.B. Donat IV 396,20 und 23, Consentius V 389,18 und 32 und besonders Marius Victorinus VI 66,7ff. und 17ff.: synaloiphé est, cum inter duas loquellas duarum vocalium concursus aliam elidit, id est cum duas partes orationis ita coeunt, ut altera in vocalem desinat et altera incipiat a vocali…synekphónesis (Marius verwendet einen anderen Terminus, meint aber in der Sache eindeutig die episynaliphe) vero, cum duae vocales in unam syllabam coguntur…An allen drei Grammatiker-Stellen erscheint zudem für die episynaliphe das Phaëthon-Beispiel Qu.s, bei Marius sogar der komplette Vers des Varro Atacinus (VI 66,22). ἐπισυναλιφή ist also in jedem Fall die richtige Konjektur. συναίρεσις in der Bedeutung von complexio ist im Griechischen gut belegt, vgl. z.B. die Belege bei Apollonios Dyskolos im Index GrGr II, III, p. 260 Schneider. Die divisio bedeutet inhaltlich die Trennung einer diphthongischen Silbe innerhalb eines Wortes in zwei vokalische Silben (Consentius V 389,11–13). Als Beispiele dienen ganz überwiegend Fälle von Trennung des Diphthongs der Genetivendung -ae in a-i (zur sprachistorischen Entwicklung dieses Diphthongs s. oben Kommentar zu 1,7,18f.):

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Kommentar

z.B. Donat IV 396,20: olli respondit rex Alba-i longa-i (Ennius Annalen 34 Vahlen) oder Consentius V 389,14: furit intus aqua-i (Vergil, Aen. 7,464). Bei Dichtern des ersten Jhs. v. Chr. diente diese Trennung vor allem der archaisierenden Färbung, aber auch metrischen Gründen. Bei Lukrez ist sie noch sehr häufig, bei Vergil kommt sie nur noch viermal vor. Vgl. Kühner-Holzweissig 412f. mit weiteren Beispielen. Bei anerkannten Dichtern ist sie natürlich ein Metaplasmus und wird auch so von den Grammatikern eingeordnet (Donat IV 396,20 und Consentius GrLat V 389,13). Dennoch kann sie auch ein echter Barbarismus per adiectionem sein wie z.B. bei Consentius V 389,16f. ein nicht autorisiertes Pho-ë-bus statt Phoe-bus oder 392,35–37 so-lu-it statt sol-uit. Europai, Asiai ist sicher (trotz Colson 1924, 57) die richtige Konjektur gegen das überlieferte Europae, Asiae (Vgl. Apparat Winterbottom z.St.), denn Qu. zitiert Beispiele für den Barbarismus/Metaplasmus wie bei Phae-thon; nicht die Normalform: also Euro-pa-i (statt Euro-pae), Asia-i (statt Asi-ae). Ein Beispiel für diese Genetive in der Dichtung fehlt hier und ist, soweit mir bekannt, auch sonst nicht belegt, obwohl beide Namen in den Normalformen, sogar im Genetiv, zusammen in einem Vers vorkommen: im Ablativ Europa atque Asia pulsus (Vergil, Aen. 1,385) und im Genetiv Europae atque Asiae fatis concurrerit orbis (Vergil, Aen. 7,224). Den archaischen Genetiv Asi-a-i bezeugt nur noch Cassiodor GrLat VII 158,14 aber ebenfalls ohne Beleg. Die complexio ist umgekehrt die Zusammenziehung zweier vokalischer Silben zu einer diphthongischen Silbe (Consentius GrLat V 389,11– 13): z.B. Phae-thon statt normal in der Prosa Pha-ë-thon. (Dabei verschweigt Qu., dass auch in der Dichtung das dreisilbige Pha-ë-thon die Regel ist, z.B. auschließlich in der Phaethon-Geschichte in Ovids Metamorphosen Buch 2 und 3.) Sie ist natürlich ebenso ein aplasmus wie die divisio (IV Donat 396,18 und Consentius V 389,18), aber auch hier gibt es echte Barbarismen per detractionem, z.B. u-am statt u-uam (Consentius V 393,1) Die complexio oder episynaliphe Phae-thon gehört, wie gesagt, zu den Standardbeispielen der Grammatiker. Der von Qu. zitierte Vers stammt aus dem nicht erhaltenen Epos Argonautae des P. Varro Atacinus (* 82 v. Chr.) = Buch IV, fragm. FPL 10 Blänsdorf (p. 234) und fragm. 11 Courtney.

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5,18 Praeterea, quae fiunt spatio…vitia dicenda sunt: Es folgt die dritte Gruppe der Barbarismen in dicendo, die des spatium, der Silbenquantität. Vgl. oben Komm. zu 1,5,17 in dicendo. spatium ist nur hier belegt, die Grammatiker sprechen von tempus. Vgl. Schreiner 1954, 102. Wieder betreffen die Fehler des spatium nur vokalische Silben und wieder sind es zwei entgegengesetzte Fehler: die Dehnung oder Kürzung der Silbe gegen den normalen Sprachgebrauch (vgl. Lausberg HB § 485 und 491). Qu. hat keine Terminologiehinweise, jedoch kann man von den spätantiken Grammatikern her Rückschlüsse ziehen. Die Dehnung heißt barbarismus/metaplasmus temporis per adiectionem und entsprechend die Kürzung b./m. temporis per detractionem (Consentius V 392,2–4; 11f. und Consentius V 388,27–29). Die Metaplasmen haben noch dazu eigene Namen: Dehnung = ectasis und Kürzung = systole (Vgl. Consentius V 388,29 und Donat IV 396,14,16). Beispiele für echte Barbarismen sind pƯper statt pƱper (Dehnung), bzw. ǂrator statt ǀrator (Kürzung), vgl. Consentius 392,3 und 11. Qu.s Beispiele der Dehnung Vergil, Aen. 1,2 Ʈtaliam statt ưtaliam und der Kürzung Aen. 1,41 unƱus statt unƯus sind, da auf die Dichtung beschränkt, für ihn ausdrücklich keine Fehler, sondern Metaplasmen (nec in carmine vitia dicenda sunt) und als solche dienen beide Vergilverse dann auch noch den späteren Grammatikern als Standardbeispiele der ectasis und systole, z.B. Consentius V 389,1 und V 389,10 oder Donat IV 392,12 und 15f., bzw. 396,14f. Qu. hat Recht, wenn er seine Beispiele auf die Dichtung beschränkt. Ʈtaliam und unƱus kommen tatsächlich nur in der Dichtung vor als sogenannte metrische Dehnung oder Kürzung. Vgl. Leumann 115 und 479 (jeweils mit unserer Qu.-stelle). 5,19 (vitia), quae fiunt per sonos: Zu den sonus-Fehlern allgemein vgl. oben Komm. zu 1,5,6 und zu 1,5,17. In den folgenden §§ 19–21 wird die erste Gruppe der Aspirationsfehler besprochen. 5,19 si h littera est, non nota: Vgl. dazu meine Erläuterungen oben zu 1,5,6 alios. 5,20–21 Parcissime ea (= h) veteres usi…invenimus: Zu h als Problemfall eines überflüssigen Buchstabens vgl. Qu. 1,4,9 mit meinem Komm. z. St. Hier geht es nicht um den Status des h im Alphabet allgemein (littera oder bloße nota adspirationis?), sondern um den fehlerhaften Einsatz der Aspiration als barbarismus in dicendo. Es folgt eine kleine „Geschichte“ der Anwendung der Aspiration, deren chronolo-

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Kommentar

gisch angeordnete Beispiele in ihrer eigenen Epoche durchaus regelhaft sein, von der consuetudo Qu.s aus gesehen aber als Barbarismen per adiectionem oder detractionem gelten können (per adspirationem, sive adicitur vitiose, sive detrahitur, 1,5,19 Z. 3f. W.): 1. Die veteres: sehr sparsame Aspiration sogar bei Vokalen: aedi, nicht haedi, keine Aspiration bei Konsonanten Gracci, nicht Gracchi 2. Später (zur Zeit Catulls) explosionsartige Ausweitung der Aspiration bei Konsonanten (c. 84) chorona, nicht corona, z.Zt. Qu.s noch auf Inschriften vorhanden 3. aus dieser Zeit im allgemeinen Sprachgebrauch Qu.s noch Varianten mit intervokalischer Aspiration wie comprehendere, nicht comprendere. Wie man längst gesehen hat, hat Qu. hier Cicero, orat. 160 vor Augen: Die Alten verwendeten die Aspiration nur bei Vokalen, nicht bei Konsonanten. Cicero hält sich daran und spricht konsequent pulcros, Cetegos etc. Erst geraume Zeit später beugt er sich wieder besseres Wissen dem Sprachgebrauch des Volkes und aspiriert pulchros etc., jedoch je nach akustischer Ästhetik nicht in allen Fällen, z.B. eben nicht bei corona. Qu.s Bild stimmt damit überein, ist aber detaillierter und vollständiger. Qu. liefert ein recht differenziertes Entwicklungsbild der Aspiration lateinischer Wörter, das auch in modernen Handbüchern der Sprachwissenschaft durchaus ernst genommen wird: Vgl. Leumann 173–175 zur Geschichte des Lat. h, der 173 „Qu. 1,5,19 sqq.“ als Hauptquelle für den Schwund des lat. h angibt, oder sich bei der spontanen Aspiration reiner Tenues in lateinischen Wörtern (chorona) u.a. auch auf Qu. stützt 164f. In den Grundzügen wird Qu.s Bild bestätigt: 1. Sehr früher Schwund des anlautenden h vor Vokal (Leumann 173f.), 2. Keine Aspiration lateinischer Tenues p t k bis etwa 100 v. Chr. Ab 100 v. Chr. spontaner Anstieg dieser Aspiration (Leumann 162f.), 3. Schwund des intervokalischen h zwischen gleichen Vokalen schon früh. Kontrahierte Formen schon bei Plautus (Leumann 174). Die Beispiele im Einzelnen: 1. aedi ircique: Anlautendes h ist in der Aussprache schon sehr früh geschwunden, wurde aber in der klassisch lateinischen Schriftsprache auch noch der Kaiserzeit weitgehend konserviert (Leumann 173). aedi und irci geben (richtig) die Handschriften zu Varros ling. Lat. 5,97. Varro plädierte auch für ortus statt hortus (Charisius I 82,7) Die Unsicherheiten führten zu falschen und übertriebenen Zusätzen eines ur-

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sprünglich nicht vorhandenen anlautenden h (herus/hinsidias Catull c. 84), Leumann 174. 2. Graccis, triumpis: Aspirierte Tenues ph, th, ch dienten seit 150 v. Chr. fast ausschließlich der Wiedergabe griechischer Wörter, Tenues lateinischer Wörter und festeingebürgerter Lehnwörter wurden bis etwa 100 v. Chr. nicht aspiriert: Graccus (so noch Varro bei Charisius I 82,7), triumpus. Ab 100 setzte dann die Aspiration auch lateinischer Tenues ein (Leumann 162f.): Graccus > Gracchus vielleicht unter Einfluss von Bacchus (L. 163) und gr. Triumpus > triumphus (L. 158) als Lehnwort mit griechischem Ursprung . 3. choronae, chenturiones, praechones: Diese sprachistorisch unmotivierte Aspiration lateinischer Tenues (und die des vokalischen Anlautes von 1.) muss sich dann ab 100 tatsächlich explosionsartig (erupit) auf alle möglichen lateinischen Wörter ausgebreitet haben, wie Catull c. 84 beweist, der sich über einen Arrius und seine chommoda, hinsidias und Hionios fluctus lustig macht. Leumann 162f. 163: „Bedingungen und Dauer dieser spontanen sporadischen Aspiration sind nicht zu fassen.“ 4. vehementer, comprehendere und mihi: Diese Formen müssen als Aussprache- und Schreibvarianten noch zur Zeit Qu.s existiert haben bei allerdings bevorzugten kontrahierten Formen mit Ausfall des intervokalischem h: vemens, comprendere und mi. vehemens ist die sprachhistorisch korrekte Form, denn sie stammt von veho mit h > idg. palatalem g’h (vgl. be-wege), Leumann 165 und 173. Dennoch gab es schon früh die kontrahierte Form vemens mit Wegfall des intervokalischen h (Leumann 174) Dasselbe gilt auch für das eigentlich korrekte prehendere > prai-hendere (Leumann 119, 165, 173f.). Kontrahiertes prendo/prensus aber schon bei Plautus (Leumann 174). Zur Zeit Qu.s war prendere sicher die bevorzugte Aussprachevariante der consuetudo, obwohl ihm bewusst ist, dass z.B. deprehendere die korrektere Form ist, für rhetorische Zwecke aber auch das übliche prendere in Frage kommt (9,4,59). In der Orthographie des 2. Jh. n. Chr. sind die kontrahierten Formen bereits eine Selbstverständlichkeit, die alten Formen falsch und unelegant: Scaurus VII 19,14–16 und Velius Longus VII 68,15–17. Früher intervokalischer Schwund des h ist auch für mihi belegt. Schon Plautus hat mi (Leumann 174, 463). Sonderfall mehe:Qu.s Hinweis auf ein archaisches mehe statt me in Tragikertexten (Akk. oder Abl.? Vgl. Colson 1924, 58) ist für uns nicht mehr nachprüfbar. Leumann vermutet in mehe 174, 463 eine Schreibva-

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riante nach dem Vorbild von mihi/mi und hält das Ganze für eine Grammatikererfindung, Kühner-Holzweissig 580, Anm. 2 für einen Irrtum Qu.s, nämlich eine Verwechslung mit der altlateinischen Dativform mi-he (umbr. mehe) – jeweils mit Angabe der Qu.-Stelle. 5,22 per tenores: Als zweite Untergruppe der sonus-Fehler bespricht Qu. jetzt die Akzentfehler, die Barbarismen per tenores (§§ 22–31). Nach Bemerkungen zur Terminologie (§ 22) stellt er drei Fehlertypen vor (§§ 23–24) und behandelt dann Sonderfälle und allgemeine Gesetze der Akzentlehre (§§ 25–31), gefolgt von weiteren Aussprachefehlern (§ 32 f). tonores…vel adcentus: Für den Akzent stehen die griechischen Termini ὁ τόνος und ἡ προσῳδία zur Verfügung. Ihnen entsprechen als lateinische Lehnübersetzungen tenor (für τόνος) und adcentus (für προσῳδία). System und Geschichte der prosodischen Terminologie kann hier nicht im Einzelnen vorgeführt werden. Vgl. zur Geschichte der Akzentterminologie bei Qu. detailliert Schreiner 1954, 28–34, der für Qu. viele Erstbelege nachweist, die aber schon vorher entstanden sind und über Varro letztlich auf Tyrannion d.Ä. (1. Jh. v. Chr.) zurückgehen. Für das komplette System ist ein Vergleich mit den römischen Grammatikern hilfreich, z.B. ein Vergleich mit Donats Kapitel De tonis IV 371,1–372,14. Das gesamte Material zu den römischen Grammatikern hat Froehde 1892, 34–54 zusammengestellt. Der beste Vergleichstext für die griechische Theorie ist das Supplementum I zur Techne des Dionysios Thrax (GrGr I 1,105ff.). Qu. gibt anfangs nur einen kurzen terminologischen Hinweis, definiert und gruppiert jedoch den Akzent und seine Unterarten nicht, wie das in den artes der Fall ist (Was ist ein Akzent? Welche Unterarten gibt es?), sondern führt die Phänomene wie selbstverständlich ein. Es geht ihm hier nur um die Akzentfehler, nicht um die Akzentlehre selbst. tenor,-oris m erklärt Qu. hier aus einem vom griechischen τόνος abgeleiteten archaischen lateinischen *tonor. Diese Herleitung ist sonst nicht belegt. Das Wort tenor bedeutet „Festhalten, Fortgang, Verlauf“(von tenƝre = halten, festhalten). Sergius GrLat IV 482,6f. erklärt es als „das Halten der Hebung der Stimme“. Bei den späteren römischen Grammatikern spielt dieser Terminus nur einen Nebenrolle. Das griechische ὁ τόνος bedeutet „Spannung, Betonung“ (von τείνω = spannen). adcentus, -us m (= *ad + cantus) ist die Lehnübersetzung von prosodia (προσῳδία) = „Zugesang, Akzent“, ursprünglich ver-

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standen als Anhebung der Tonhöhe der Silbe (musikalischer, nicht expiratorischer Akzent). Die bei Qu. folgenden drei Standardakzente auch der späteren römischen Grammatiker sind Akut, Gravis und Zirkumflex (als die ersten drei von insgesamt 10 prosodischen Lesezeichen nach griechischem Vorbild, vgl. z.B. Donat IV 371,31–372,13). Sie sind Lehnübersetzungen der entsprechenden griechischen Termini (Froehde 1892, 49ff.). Der Akut (acutus scl. accentus, tonus oder tenor = hoher, heller Akzent) ist die (stimmliche) Hebung der Silbe, der Gravis (gravis = tiefer, dumpfer Akzent) die Senkung, der Zirkumflex (circumflexus = „herumgebogener“ Akzent) ist der zuerst steigende, dann fallende Ton der Silbe (Froehde 1892, 39). Qu. benutzt in seinem Akzentabschnitt eine vielfältige Terminologie: Akut: acuta (scl. prosodia oder syllaba) acuere (syllabam), acutus sonus, acutus tenor, Gravis: gravis (scl. prosodia oder syllaba), Zirkumflex: flexa (scl. prosodia oder syllaba), circumducta (scl. syllaba), flectere (syllabam). Vgl. dazu en detail Schreiner an anfangs genannter Stelle. Die Akzentzeichen werden bei den römischen Grammatikern übereinstimmend mit Akut = /, Gravis = \ und Zirkumflex = /\ angegeben. Vgl. Donat IV 371,31–33 und Froehde 1892, 45f. 5,22–23 Camillus…Cethegus…Appius: Qu. unterscheidet drei Typen eines fehlerhaften Austausches der Akzente bei drei lateinischen Eigennamen, wenn meine Deutung von 1,5,23, Z. 21 W zutrifft (s. nächstes Lemma): Camillus, Cethegus und Appius. 1. Austausch von Akut und Gravis: Cá-mìl-lus statt richtig Cà-míl-lus 2. Cé-thè-gus statt richtig Cè-thê-gus: Der Austausch des Zirkumflex auf der Mittelsilbe durch den Gravis ist hier die notwendige Folge der falschen Akutbetonung der ersten Silbe, da Akut und Zirkumflex nicht zusammen in einem Wort auftreten können (= 1,5,23, Z. 20 W: et hic prima acuta; nam sic media mutatur). 3. Áp-pî statt richtig Áp-pì oder besser Áp-pì-ì (s. dazu das nächste Lemma). Dass hier fehlerhafte griechische Akzentuierung römischer Namen vorliegt, ist gut möglich: Κά-μὶλ-λος, Κέ-θὴ-γος Vgl. Colson 1924, 58 und Rahn 2006, Vol. I, S. 69, Anm. 57. 5,23 ut Appi circumducta sequenti: Erstaunlicherweise hat schon Spalding (praefatio LXXV, Kommentar zu 1,5 23 , Vol I pp. 103–105 in Verbindung mit Kommentar zu Valgii 3,6,17, Vol. I p. 472) hier die m.E.s einzig mögliche, richtige Konjektur für das überlieferte sinnlose apice geliefert, nämlich Appi (den Genetiv von Appius) ohne dass seine

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überzeugende Argumentation sich in den Editionen nach ihm hat wirklich durchsetzen können. (Rahn hat Appi wenigstens in der Übersetzung vgl. Vol. 1, 69 mit Anm. 58). Das apice circumducta sequenti sc. syllaba (= mit einem Apex zirkumflektierte zweite Silbe) gibt keinen Sinn, weil Zirkumflex ^ und Apex / (als Längenzeichen über dem Vokal) schon bei Quintilian (vgl. 1,4,10 und 1,7,3 zum Apex) nichts miteinander zu tun haben. Der Kontext verlangt einen dreisilbigen römischen Eigennamen mit Akut auf der ersten Silbe, dessen zweite und dritte Silbe fehlerhaft zu einer zweiten Silbe (ursprünglich mit Gravis betont) zusammengezogen und zirkumflektiert wurde. Das passt sehr gut auf Ap-pi, denn hier wäre tatsächlich die aus der Sicht Quintilians korrekte dreisilbige Form Áp-pì-i (Akut/Gravis) in der zweiten und dritten Silbe zu einer Silbe lang-i kontrahiert: Áp-pì und diese zweite Silbe dann fehlerhaft zirkumflektiert worden: Áp-pî. Der erste Fehler liegt in der (für Quintilian) unerlaubten Kontraktion der Genetivendung -i-i zu i und der zweite im Akzentfehler, denn, wie Qu. selber 1,5,31 sagt, kann kein lateinisches Wort einen Akut und Zirkumflex zugleich haben und endet kein lateinisches (mindestens zweisilbiges) Wort mit einem dieser Akzente, und das wäre bei Áppî genau der Fall. Zur Zeit Qu.s war der Genetiv der Stämme der zweiten Deklination auf -io, das zweisilbige i-i statt einsilbigem langen i, tatsächlich schon die Regel, obwohl sich bei Eigennamen das alte einfache i möglicherweise länger gehalten haben könnte (Vgl. Spalding zu Valgii 3,6,17, I p.472). Die moderne Sprachwissenschaft beschreibt den (schwierigen) Befund so, dass auch bei den -io-Stämmen zunächst das einfache -i die Regel war, aber eben nicht als Kontraktion eines vermeintlich ursprünglichen i-i, sondern als (schwer zu erklärendes) ererbtes langes -i (Vgl. Leumann 424f.). In der späten Republik begann sich dann aber das -i-i allmählich durchzusetzen. Schon Varro empfiehlt fr. 252 Funaioli Lu-ci-i statt Luci im Genetiv, aber auch im Vokativ. In der augusteischen Dichtung findet man beide Genetivformen, bei Horaz interessanterweise sogar die von Qu. kritisierte zweisilbige kontrahierte Form Ap-pi: Graecorum longe doctissimus; inde Forum Appi (Sat. 1,5,3). 5,24 ut Atrei…Nerei Tereique: Der gedankliche Anschluss erfordert als Parallele zum vorhergehenden lateinischen Beispiel einen griechischen Namen, der wie Appii im Genetiv normalerweise dreisilbig gesprochen, aber in der zweiten Silbe fehlerhaft zusammengezogen und zirkumflektiert wird. Das kann nur die Änderung des überlieferten

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Atreus in die Genetivform Atrei zur Folge haben, die schon Spalding vorsichtig erwogen hatte, die aber erst später dann von Osann als Konjektur vorgeschlagen wurde, dem ich hier folge (vgl. Apparat bei Winterbottom z.St.). Die Form Atrei wird auch von den beiden weiteren Beispielen Qu.s Nerei und Terei am Ende von § 24 nahe gelegt. Die gebildetsten Alten akzentuierten also laut Qu. Atrei in der Prosa als dreisilbige Normalform Á-trè-i, Né-rè-i und Té-rè-i, wobei der Akut auf der ersten Silbe der latinisierten Form (im Gegensatz zur endbetonten griechischen) tatsächlich nach den lateinischen Betonungsgesetzen zwingend den Gravis auf der zweiten Silbe erforderlich macht. Diese dreisilbige „Normalform“ ist in der Prosa tatsächlich belegt: z.B. Cicero, Tusc. 4,77: ut facile apparet Á-trè-i oder Cicero, nat. 3,53: Á-trè-i fili. Und dass diese Genetive latinisierter griechischer Namen wirklich dreisilbig sind, bezeugt ausdrücklich z.B. Priscian GrLat II 296,4ff. (VII 13). Ob es daneben in der Umgangsprache in Parallele zu Áppî auch ein fehlerhaftes zweisilbiges Á-treî, Né-reî oder Té-reî mit kontrahierter zweiter Silbe und Zirkumflex gegeben hat, wird aus Quintilians Text nicht deutlich. Zweisilbige Formen dieser Art mit metrischer Synizese des e-i zu ei sind aber in der Dichtung durchaus belegt. Auf diese Formen wird der Grammatiklehrer bei der Lektüre stoßen und sie vom Vorwurf des Barbarismus befreien müssen. Belege nach KühnerHolzweissig 495: Ovid, am. 3,12,39: Aversumque diem mensis furialibus Á-trei; Vergil, Aen. 8,383: arma rogo, genetrix nato. Te filia Né-rei. Vergil buc. 6,78: aut ut mutatos Té-rei narraverit artus. 5,25 Haec de accentibus tradita: Damit ist natürlich nicht die gesamte Akzentlehre wie in den artes gemeint, sondern nur die Akzentfehlerlehre. Sie ist mit den drei vorhergehenden Fehlertypen erschöpft. Was jetzt folgt, sind zwei knifflige Sonderfälle: círcum oder circúm, bzw. quále oder qualé (§§ 25–27) und vó-lu-cres oder vo-lú-cres (§ 28). 5,25–27 circum…quale: Der erste Sonderfall (§§ 25–27) ist nicht leicht zu verstehen. Qu. referiert – leicht ironisch – zunächst eine These von „sog. Gebildeten“, ja sogar von einigen Grammatikern (die es eigentlich besser wissen sollten): Sie hätten in Lehre und Aussprachepraxis die (an und für sich für lateinische Wörter nicht erlaubte) Betonung bestimmter Wörter auf der letzten Silbe zugelassen, um Doppeldeutigkeiten zu vermeiden, wie hier bei Vergil, Aen. 4,254f., wo die Verwechslung der Präposition circúm (um-herum) mit dem Nomen Akk. círcum (den Zirkus) droht. Die Grammatiker akzentuierten (nicht skan-

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dierten) also offensichtlich: quae circúm litora, circúm: Dasselbe gelte z.B. auch für das Relativpronomen qualé (wie beschaffen – in Bezug auf tale) und das Fragepronomen quále (Wie beschaffen?). Jedoch sei dieses Verfahren der Grammatiker im Wesentlichen auf Adverbien und Pronomina beschränkt.(§ 25, Z. 27 W– § 26, Z. 9 W.). Qu. ist offenbar anderer Meinung und versucht statt dessen eine andere Erklärung für die Schwankungen in den Akzentuierungsbedingen (condicionem mutare) von Präpositionen (§ 27, Z. 9–13 W.): Entscheidend ist der Kontext, die Wortverbindung. Die Endbetonung auf Akut mag für die isolierte Präposition zutreffen (was Qu. aber ganz offensichtlich nicht glaubt, s. Schluss der Anmerkung) oder nicht. Die im Kontext verbundene Präposition schließt sich jedenfalls ihrem Bezugswort enklitisch an und bildet gewissermaßen ein einziges Wort mit nur einem Akut. Das bedeutet den Verlust des eigenen Akuts der Präposition und dessen Umwandlung in einen Gravis. Aus circúm oder círcum lítora wird so circùmlítora wie aus áb óris àbóris (Verg. Aen. 1,1). Man muss also die Präposition circum im Verszusammenhang nicht wie die Grammatiker endbetont mit Akut, sondern kann sie sehr wohl, durch kontextbedingte Enklise bedingt, mit Gravis lesen: quae circùm lítora, circùm/píscosos scopulos. Die Akzentuierung auf der Endsilbe aus Gründen der Disambiguierung scheint tatsächlich bei den Grammatikern vor und nach Qu. weit verbreitet gewesen zu sein. Donat IV 371,27–30: In Latinis (verbis) neque acutus accentus in ultima syllaba poni potest nisi discretionis causa ut in adverbio „poné“ ( de-sursum = von oben herab mit überflüssigem sursum, also statt de. Donat weist IV 387,13–16 darauf hin, dass Präpositionen sich nicht separat mit Adverbien verbinden, de-sursum o.ä. also als ein einziges Wort mit einem Akzent zu verstehen sei (Hinweis Colson,1924 z.St.). desursum ist als Adverb tatsächlich erst spätantik belegt; in Alexandriam; statt Alexandriam (Die bekannte Regel: Städtenamen im Richtungsakkusativ ohne in). S. per detractionem: ambulo viam, statt ambulo in via: ambulare in mit Abl. einer Ortsbezeichnung ist des öfteren bei Cicero belegt, z.B. ambulare in litore, in agro, in porticu etc. Vgl. auch Qu. selbst 8,5,15: in foro ambularet. Gemeint ist also zweifellos der Wegfall der Präposition in: es wäre daher zu überlegen, ob nicht ambulare via (Abl. instr.) hier die richtige Lesung wäre; Aegypto venio statt ex Aegypto venio (Präpositionen bei Provinz- und Ländernamen verbindlich). Ne hoc fecit statt ne hoc quidem fecit; S. per transmutationem: quoque ego statt ego quoque; enim hoc voluit statt hoc enim voluit; autem non habuit statt non autem habuit. In der Tat hat igitur neben der gewöhnlichen Zweitstellung auch eine bemerkenswerte Anzahl von Erststellungen, auch bei Qu. Vgl. Colson Hinweise z.St. (1924, 63). 5,40 Haec tria genera…ἀναστροφήν vocant: Welche griechischen Theoretiker die syntaktischen Fehler der ersten drei ersten Änderungskategorien dem Solözismus entzogen und mit den von Qu. genannten eigenen Termini versehen haben, ist unbekannt. Die Ursache für die Ausgliederung liegt sicher darin, dass diese drei Fehler von manchen Theoretikern nicht wie Barbarismus und Solözismus als Verstöße gegen die Sprachrichtigkeit (hellenismós/latinitas), sondern gegen die übrigen rhetorischen Tugenden (perspicuitas und ornatus) verstanden wurden. Die beiden ersten Fehlertypen erscheinen deshalb auch bei Qu. als Fehler gegen den ornatus, bzw. die perspicuitas in zusammenhängender Rede: die Ellipse 8,3,50 (detractio) = das Auslassen eines zum vollen Verständnis des Satzes nötigen Wortes: (Beispiel Donat IV 395,12: haec secum ) und der Pleonasmus (adiectio) 8,3,53 = der Zusatz überflüssiger Wörter: ego meis oculis vidi statt einfach vidi. Ellipse und Pleonasmus findet man in der Folge dieser Tradition auch noch bei den spätantiken Grammatikern nicht beim Solözismus, sondern unter den cetera vitia, z.B. Donat IV 395,11f. und 3f. S.

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dazu oben Komm. zu 1,5,34. Zum dritten „Fehler“, der Anastrophe, s. das folgende Lemma. 5,40 quae si in speciem…modo posse: Die Anastrophe gehört lt. Qu. im Gegensatz zur Meinung der quidam keineswegs zu den Fehlern, sondern zu den virtutes elocutionis und zwar zu den Tropen. Sie ist eine Unterart des Hyperbatón, der Verdrehung, Inversion der üblichen Wortstellung (daher zur transmutatio zu stellen). Qu. ist sich zwar durchweg bewusst, dass viele diese virtus zu den Figuren rechnen (vgl. 9,1,3; 6; 9,3,23 und 91), er entscheidet sich aber für die Zuordnung zu den Tropen und bespricht Hyperbatón und Anastrophe deshalb im Tropenkapitel 8,6 (8,6,62–67). Der Zuordnungsstreit lässt sich übrigens bis auf den Auctor ad Herennium 4,44 und Cicero, de orat., 3,207 zurückverfolgen. Der Unterschied zwischen beiden virtutes (erklärt 8,3,65) ist ein bloß gradueller: Die Wortinversion Anastrophe betrifft nur zwei Wörter (quibus de rebus statt de quibus rebus), die Inversion Hyperbatón mehrere Wörter: in duas divisam esse partes statt in duas partes divisam esse (Hinweis Colson 1924 z.St.). So schon Auctor ad Herennium 4,44. Wieder folgt die spätantike Grammatik dieser Tradition, denn man findet Hyperbaton und Anastrophe hier wieder unter den Tropen (Donat IV 401,4–13), nicht bei den Solözismen oder den cetera vitia. Vgl. dazu am besten Holtz 1981, 212f. Zählt man die Anastrophe wie die Theoretiker der Solözismen aller Änderungskategorien wegen ihres normwidrigen Charakters (quoque ego) tatsächlich zu den Solözismen per transmutationem, müsste man tatsächlich auch das Hyperbatón dazu rechnen, denn es ist als übergeordnetes genus vom sprachlichen Vorgang her der Anastrophe völlig gleich. Dagegen spricht aber der anerkannte virtus-Charakter des Hyperbatón. 5,41 Immutatio sine controversia est: Es zeichnet sich hier schon bei Qu. eine deutliche Tendenz ab, den Solözismus auf eine Änderungskategorie, die immutatio verborum zu reduzieren, so wie sie sich dann in der spätantiken Grammatik durchgesetzt hat. Das zeigt sich nicht nur an der ungleichen dispositionellen Verteilung der vier Änderungskategorien in Qu.s Darstellung (s. oben Komm. zu 1,5,38), sondern auch daran, dass die Solözismen der ersten drei Kategorien 1,5,40 als umstritten, die Solözismen per immutationem dagegen 1,5,41 als unstrittig eingeführt werden.

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5,41 Id per omnes orationis partis deprendimus: Die Möglichkeit fehlerhafter Vertauschung betrifft grundsätzlich alle Wortarten. Dabei kann eine Wortart fälschlich für die andere gesetzt werden, z.B. ein Verb für ein Nomen oder ein Adverb für ein Pronomen (1,5,48), oder innerhalb einer Wortart ein Wort für das andere, z.B. die Konjunktion aut für an (1,5,50). Schließlich kann auch innerhalb einer Wortart gegen die Akzidenzien verstoßen werden, vor allem gegen die morphologischen Variablen, also falsche Wahl des Genus, Numerus, Kasus, Tempus, Modus etc. Vgl. zum Akzidenzbegriff oben Kommentar zu 1,4,23. Qu. beginnt mit den Solözismen per accidentia verborum (§§ 41–47), fährt dann mit den Solözismen per partes orationis fort (§ 48), um dann die Solözismen per partes orationis eiusdem generis anzuschließen (§ 49–51). Damit ist die oben 1,5,38 für die spätantike Grammatik festgehaltene Schwerpunktbildung der Solözismuslehre auf die Wortarten und deren Akzidentien schon hier bei Qu. vollzogen. Der jetzt beginnende Abschnitt „Solözismen per accidentia verborum“ (1,5,41–47) umfasst nur die Wortarten verbum (§§ 41–44), vocabulum/nomen (§§ 45–46), participium (§ 47) und pronomen (§ 47). Wenn man das römische Standardsystem der Gruppierung der acht Wortarten zugrundelegt, betreffen diese Fehler also nur die vier deklinablen Wortarten Nomen, Pronomen, Verb und Partizip; nicht die indeklinablen Wortarten Adverb, Konjunktion, Präposition und Interjektion (Vgl. Diomedes GrLat I 301,1.), die Qu. tatsächlich erst bei den beiden anderen Fehlergruppen ins Spiel kommen lässt (Adverb § 48, Konjunktion, Adverb, Interjektion und Präposition §§ 49–51). Die Wortarten sind dabei im Akzidenzteil nach der abnehmenden Zahl der Akzidentien und nach dem Grad ihrer sekundären Ableitung angeordnet. Das Verb (41–44) hat die meisten, nämlich fünf Akzidentien (Genus, Tempus, Person, Modus und Numerus), gefolgt vom Nomen mit drei Akzidentien (Genus, Numerus, Kasus) und dem vom Nomen und Verb abgeleiteten Partizip (§ 47) mit vier Akzidentien (Genus, Kasus, Tempus und Numerus). Hier fehlt augenscheinlich das bei allen Grammatikern konstant einbezogene genus verbi (significatio), denn es gibt ja auch aktive und passive Partizipien. Andresens Konjektur tempora ist deshalb ernsthaft zu prüfen (s. Ws. Apparat zu § 47, Z. 26). Damit hätte das Partizip fünf Akzidentien. Es folgt das für das Nomen stehende Pronomen mit drei Akzidentien (§ 47): Genus, Numerus und Kasus. Hier könnte das später bei den Grammatikern stets beigegebene Merkmal persona von Qu. übersehen worden sein.

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Qu.s System der Akzidentien kann hier nicht mit dem der spätantiken Grammatiker vergleichen werden. Man vgl. am besten Jeep 1893 mit den detaillierten Angaben zu den Akzidentien der einzelnen Wortarten bei den römischen Grammatikern und speziell zu Qu. Schreiner 1954, 40–90. Da die Akzidentien selbst wieder vielfach untergliedert sind (z.B. fünf Tempora, acht Modi o.ä.) und man gegen sie alle verstoßen kann, ist die Zahl der möglichen Solözismen natürlich sehr hoch. 5,41 frequentissime in verbo…diviseris: Unter den Akzidenzfehlern wird als erste Wortart das Verb mit fünf Akzidentien behandelt (§§ 41– 44). Lt. Schreiner 1954, 66 ist unsere Stelle zusammen mit 1,4,27 der Erstbeleg für die verbalen Akzidentien, die dort übrigens schon als banales Schulwissen bezeichnet wurden. Vgl. dazu allgemein Schreiner 67ff. Der Aufbau des Abschnitts ist bemerkenswert unausgeglichen. Die ersten vier Akzidentien Genus verbi (Aktiv, Passiv); Tempus, Person und Modus werden ohne Beispiel nur kurz benannt, wobei allein die umstrittene Terminologie und Zahl der Modi einen kurzen Hinweis erhalten. Dagegen erhält der Numerus immerhin drei §§ (42–44), die ausschließlich dem Problemfall „Dualis im lateinischen Verbalsystem?“ gewidmet sind. Beispiele für Solözismen, die Qu. hier beim Verb und auch bei den folgenden Wortarten weitgehend auslässt, können bis zu einem gewissen Grade aus Qu.s Referat der erlaubten Solözismen, der grammatischen Schemata, gewonnen werden, die er als eigene Gruppe unter den Wortfiguren 9,3,1–11 bespricht. Akzidenzfehler beim Verb sind z.B. Passiv für Aktiv: fabricatus est, poenitus es, assentior etc (9,3,6f.), Praesens statt Praeteritum und Optativ statt Indikativ (9,3,11). Weitere Beispiele liefern die späteren Grammatiker Charisius GrLat I 266,33ff., Diomedes I 453,34ff., Donat IV 393,5ff. und Sacerdos VI 449,15ff. Ich kann hier nicht im Einzelnen darauf eingehen. Beispiele speziell für Akzidenzfehler beim Verb liefert Charisius GrLat I 267,1–13, die ich zu vergleichen bitte. Die Zahl der Modi variiert bei den Grammatikern tatsächlich zwischen sechs, acht und mehr Modi. Vgl. Jeep 1883, 216–239, bes. 216f. Die fünf Standardmodi sind der Indikativ, Imperativ, Optativ, Konjunktiv und der Infinitiv. Hinzu kommt 6. entweder der Promissiv „legam“ (meist als Futur abgelehnt) oder der Impersonalis „legitur“. Läßt man beide gelten, hat man sieben Modi, und zusammen mit dem Perkontativ

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(legisne?) sind es dann tatsächlich acht Modi. Zu den terminologischen Schwankungen vgl. Colson 1924 zu 1,4,27, p. 50 und Schreiner 1954, 71f., der für qualitas = modus Remmius Palaemon als Erfinder anführt. Status für modus ist nur bei Qu. belegt. 5,42–44 Auch die Solözismen per numeros beim Verb (§§ 42–44) erhalten kein Beispiel (der Kenner assoziiert natürlich sofort das berühmte Standdardbeispiel der Grammatiker: Vergil, Aen. 1,12 pars in frusta secant statt secat, das aber natürlich bei Vergil kein Fehler ist, sondern ein schema). Vielmehr wird ausführlich und befremdlich detailliert die These von einem vermeintlichen numerus dualis im lateinischen Verbsystem zurückgewiesen. Der Passus wirkt wie aus einer Vorlage exzerpiert, worauf auch der ungewöhnlich lange und komplizierte Satzbau von 1,5,42f. hindeutet. Qu.s Urteil ist klar: Das lateinische Verb besitzt nur Singular und Plural, den verbalen Dual haben nur die Griechen. Abweichende Meinungen, wonach wenigstens die in Dichtung, Rede und Geschichtsschreibung begegnenden Formen scripsére, legére, devenére etc. auf ein Zweiersubjekt und im Gegensatz dazu scripserunt, legerunt, devenerunt etc. auf ein Mehrfachsubjekt deuten sollen, halten einer Prüfung nicht stand. Auch die Kurzformen beziehen sich nachweislich auf pluralische Subjekte und dienen wie das für Qu. schon veraltete merére statt meréris der phonetischen Ästhetik. Es ist also falsch, auch nur einen rudimentären Verbdual im Lateinischen anzunehmen, wie ja auch schon die Griechen trotz gut ausgebauten Dualsystems beim Nomen und Verb nur sehr selten Gebrauch davon machen. Die späteren Grammatiker lehnen den lateinischen Dual ebenfalls durchweg ab, Priscian erwähnt ihn überhaupt nicht (vgl. Jeep 1883, 215f.). Ihnen schließt sich die moderne Sprachwissenschaft an. Vgl. Leumann 515 mit Erwähnung der Qu.-Stelle. Zum (komplizierten) sprachhistorischen und stilgeschichtlichen Problem der Endungen der 3. Person Plural Perfekt Aktiv -ére und -érunt vgl. Leumann 607f. mit Erwähnung der Cicero- und Qu.-Stellen. Das Fehlen des Duals im Lateinischen und Äolischen ist übrigens ein wichtiges Argument für die häufigen Rückführungen des Lateinischen auf das Äolische. Vgl. Jonge (2008) 54–57, bes. 54f. mit Verweis auf Qu. 1,4,8 und 1,7,26. S. unten Komm. zu 1,5,58. Die Stellennachweise: devenére locos: Vergil, Aen. 1,365; conticuére omnes: ibidem 2,1; consedére duces: Ovid, Met. 13,1. Antonius

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Rufus, ein nicht näher bekannter Grammatiker der augusteischen Zeit (Zwei Fragmente GRF Funaioli, p. 508f.), gehörte zu den Vertretern der Dualthese mit dem Beispiel dixére, das er offenbar als einen vom Ausrufer bei Gericht nur auf zwei Anwälte der jeweils gegnerischen Seite bezogenen Ausruf deutete. Qu. hält dies für falsch. Auch hier sind mehrere Anwälte gemeint. Livius verwendet die Kurzform häufig, die Zitate hier aus 1,12,1. Das (nicht ganz genaue) Cicero-Zitat (orat. 157) stammt aus dem Abschnitt 155–161, in dem Cicero alternative Formen gegen den korrekten Sprachgebrauch verteidigt. Auch Qu.will also die ére-Formen als stilistische Alternative durchaus gelten lassen, nur eben nicht als Dual. 5,45 Similiter in vocabulis et nominibus: Es folgen die Akzidenzfehler beim Nomen (§§ 45–46). Das Nomen ist hier durch die beiden Unterarten vocabulum = Appellativ, Substantiv und nomen = Eigennamen vertreten. Vgl. dazu oben Komm. zu 1,4,20. Das Nomen erhält bei Qu. drei Akzidentien Genus, Numerus und Kasus statt, wie sonst später üblich, fünf (Das letzte Akzidenz wird proprie = eigentümlich genannt, weil die Kasus nur dem Nomen, nicht dem Verb zukommen). Zur komplizierten Geschichte der nominalen Akzidentien und deren Verhältnis zu den späteren Grammatikersystemen vgl. Schreiner 1954, 53–64. Entsprechend können Fehler gegen diese drei nominalen Akzidentien, also gegen Genus, Numerus und Kasus, gemacht werden. Qu. bietet selbst nicht hier, sondern wieder erst in 9,3 Beispiele, für Genusfehler (9,3,6): oculis capti talpae statt captae, Numerus (9,3,8f.): gens, Romani; Kasus (9,3,10): virtus est statt virtutis est. Weitere Beispiele bieten die oben im Komm. zu 1,5,41 frequentissime anläßlich der Verbsolözismen genannten Grammatikerkapitel. Unter die Akzidenzfehler des Nomens ordnet Qu. hier noch die Fehler gegen die Steigerung und gegen die Verwendung des Patronymicums, bzw. Possessivums ein. Beide betreffen aber eigentlich keine Akzidentien, sondern die species nominum, die Unterarten des Nomen (Schreiner 43–52), nämlich die Steigerung (comparationes, superlationes) des noch nicht vom Nomen als eigene Wortart getrennten Adjektivs (adpositum, epítheton; Schreiner 1954, 47–52) und der fehlerhafte Austausch des patrium (patronymikón, Vatername, Herkunftsname wie Pelides = Sohn des Peleus) bzw. des posessivum (besitzanzeigendes Nomen wie Peleius = dem Peleus gehörend (Schreiner 45f.). Ein Steigerungsfehler wäre z.B. magis doctior statt magis doctus oder sancte

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deorum statt sanctissime deorum (Vergil, Aen. 4,576), vgl. Charisius GrLat I 267,14–18. Ein patrium/possessivum-Fehler liegt vor, wenn ein Possessivum falsch statt des Patronymicum wie bei Orestes Agamemnonius, statt richtig: Agamemnonides Orestes. (Diomedes I 324,6f.) oder wenn ein Patronymicum falsch für das Possessivum gesetzt wird: ensis Euandrides statt richtig Euandrius ensis (Consentius GrLat V 341,6–9). comparationes und superlationes sind übrigens erstmals bei Qu. belegt und scheinen auf Remmius Palaemon als Urheber zurückzugehen. Vgl. Schreiner 51. 5,46 Nam vitium, quod fit per quantitatem: Auch das (sc. nomen) deminutum, das Deminutiv, gehört zu den species nominum (Vgl. Schreiner 1954, 46f.), nicht zu den Akzidenzien. Das Beispiel einer fehlerhaften Verbindung magnum peculiolum = großes Sümmchen darf lt. Qu. nicht als Solözismus – denn gegen die Verbindung ist grammatisch-syntaktisch nichts einzuwenden-, sondern als semantisch unpassender Gebrauch eines Wortes, hier des Deminutivs, verstanden werden. Das Deminutiv kann keine große Quantität bedeuten (vitium per quantitatem), richtig wäre vielmehr das quantitativ neutrale Grundwort peculium. Es liegt also ein Verstoß gegen das Gebot des verbum proprium vor, und dieser Fehler heißt acyrologia. Qu. fordert die Identifikation dieses Fehlers in der Lektüre beim Grammaticus ein (1,8,14 deprendat, quae impropria) und bespricht das verbum improprium (gr.: ἄκυρον) 8,2,3 als Fehler gegen die perspicuitas. Bei den Grammatikern ist dieser Fehler teils der dritte Sprachfehler neben Barbarismus und Solözismus (Polybios 283,1–3 Nauck), teils erscheint er unter den cetera vitia wie z.B. bei Donat IV 394,29–31. Zu den Einzelheiten vgl. Siebenborn 1976, 35f. und 48–50. 5,47 participio…pronomen…: Zum Problem der Akzidentien des Partizips und des Pronomen vgl. oben Komm. zu 1,5,41 id per omnes. Qu. verzichtet leider, wie so oft, auf Beispiele. Vgl. allerdings 9,3,10: sciens statt scitus. Vereinzelte Beispiele für Solözismen bei den Akzidentien des Partizips und des Pronomens finden sich bei Charisius I 269,3ff.: (Genus) quis mulier statt quae mulier; capti talpae statt captae talpae; (Numerus) nos gessimus statt ego gessi; (Tempora): scitatum statt scitaturum. Die Grammatiker bemühen sich keineswegs mehr um Vollständigkeit des Systems und der Beispiele. Ob Qu. noch vollständig ausgeführte Solözismustabellen vorlagen, lässt sich nicht mehr entscheiden.

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5,48 soloecismi…per partes orationis…: Nur ein kurzer Satz wird den Solözismen per partes orationis gewidmet- wieder ohne Beispiele, aber verbunden mit dem pädagogischen Rat, es nicht allein bei diesem Typ bewenden zu lassen, sondern gleich darauf hinzuweisen, dass hier nur die Wortart, nicht aber die individuellen Wörter innerhalb einer Wortart vertauscht werden. Alle Wortarten, auch die indeklinablen kommen für diesen fehlerhaften Tausch untereinander in Frage. Qu. bringt Beispiele wieder erst in 9,3: Verbform statt Nomen nostrum vivere statt nostram vitam (9,3,9) oder vitium fugere statt fuga vitiorum (9,3,10), Verb statt Partizip ferre statt ferendum und umgekehrt volo datum statt volo dare (9,3,9). Einige Beispiele aus den Grammatikern (an den im Komm. zu 1,5,41 genannten Stellen): torvum clamat statt torve (Nomen für Adverb); etiam statt etiamnunc (Konjunktion für Adverb); non metus statt non metuendum (Nomen für Verb); regem statt regnantem (Nomen für Partizip); volantum statt volucrum (Partizip für Nomen); aut statt sicut (Konjunktion statt Adverb) etc. 5,49–50 Die Solözismen per partes orationis eiusdem generis, also der fehlerhafte Austausch von Wörtern, die einer Wortart angehören, werden immerhin durch drei Beispiele illustriert: (1) durch die Konjunktionen an und aut, (2) durch die Negationsadverbien ne und non und (3) durch die Ortsadverbien intro und intus. Zu (1): an in der Doppelfrage ist natürlich die Regel (§ 222 RHH), aut ist falsch, zu (2): ne beim Prohibitiv (ne dubitaveris = zweifle nicht) ist ebenso die Regel (§ 217.3 RHH) wie non beim Potentialis (§ 216 RHH), zu (3): intus (drinnen) als Adverb der Ortsruhe kann sich natürlich nicht mit einem Bewegungsverb wie ire verbinden (*intus eo = ich gehe drinnen), ebenso nicht das Adverb der Ortsrichtung intro mit einem Verb der Ortsruhe wie esse (*intro sum = *ich bin herein). Donat gibt IV 393,24 dasselbe Beispiel: *intro sum statt richtig intus sum. 5,51 Eadem in diversitate pronominum…accident: Neben den mit Beispielen versehenen Konjunktionen und Adverbien werden jetzt für den Fehlertyp eiusdem generis ohne Beispiele auch noch die Pronomina, die Interjektionen und die Präpositionen genannt. Das sind die vier indeklinablen Wortarten plus Pronomen, das auch schon § 47 bei den Akzidenzfehlern berücksichtigt wurde. Da laut § 41 Anfang alle Wortarten vom Solözismus per immutationem betroffen sind, vermisst man hier Nomen, Verb und Partizip. Warum, wird nicht angegeben. Einen nur kümmerlichen Ersatz für Beispiele liefern die Grammatiker: Präpo-

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sition: apud amicum statt ad amicum (Donat GrLat IV 393,23); Pronomen: te statt me (Charisius I 268,1); Interjektion: Hier ist mir kein Beispiel bekannt. Sicher ist die fehlerhafte Verwendung einer für den jeweiligen Affekt unpassenden Interjektion gemeint, also etwa heu als Interjektion der Trauer statt evax als Interjektion der Freude. Vgl. Donat IV 391,25ff. oder Charisius I 238,19ff. Grundlegend zur Interjektion allgemein und besonders zu der Interjektion bei den römischen Grammatikern ist I. Sluiter 1990, 173–245, zu den römischen Grammatikern bes. 188ff. 5,51 Est etiam soloecismus in oratione…positio: Die schwierige Definition des Solözismus, die Qu. hier nachträgt, erklärt nicht das Vorhergehende, wie Colson 1924, 66f. und Schreiner 1954, 96 fälschlich annehmen, sondern leitet zu einer zusätzlichen neuen Art von Solözismus über, die sich nicht ohne weiteres unter die Änderungskategorien subsumieren lässt, also eine eigene Gruppe bildet, daher ist natürlich etiam die allein richtige Lesart. Auf die Verknüpfung mit dem Folgenden verweist auch das tamen von 1,5,52 und vor allem die folgenden Beispiele tragoedia Thyestes und ludi Floralia ac Megalesia, die genau zu dieser Definiton passen, wobei der obigen Definition entsprechend zumindest Floralia ac Megalesia als das zweite Glied der Fügung mit haec sequentia wieder aufgenommen wird – die Richtigkeit der Lesart von W. Z. 20 vorausgesetzt (s. dazu das nächste Lemma). Gemeint ist ein traditionell überlieferter feststehender zweigliedriger Ausdruck mit inkongruentem erstem und zweitem Element, hier femininum ĺ masculinum und masculinum ĺ neutrum. Solche Ausdrücke sind eigentlich Solözismen, sie sind aber durch die Autorität des Alters sanktioniert, weshalb sie auch gleich darauf von Qu. schemata genannt werden. Ähnliche Beispiele zitiert Sextus Empiricus, adv. gramm. § 215: Ἀθῆναι καλὴ πόλις, Ὸρέστης καλὴ τραγῳδία, ἡ βουλὴ οἱ ἑξακόσιοι. Sie sind für ihn deshalb keine Solözismen, weil sie im allgemeinen Gebrauch sind. Ähnlich nennt auch Donat GrLat IV 375,24f. unter den genera nominum sono masculina, intellectu feminina: Eunuchus comoedia, Orestes tragoedia, Centaurus navis. Jetzt wird die Definition verständlicher: „Der Solözismus in der Rede (also nicht im Einzelwort) ist auch (etiam) die unter sich unpassende Verbindung (positio = compositio) von zweiten und ersten Elementen (sequentium ac priorum) eines einzigen zusammenhängenden Ausdrucks (comprehensio)“. Dieser Definition kommt am ehesten noch der

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des Auctor ad Herennium nahe (4,17: soloecismus est, cum pluribus in verbis consequens verbum ad superius non accommodatur) weniger den Definitionen des Palaemon und des Isidor, die Schreiner 1954, 96 vergleicht. 5,52 ludi Foralia ac Megalesia: Die Floralia, -ium und -iorum, n. und die Megalesia oder Megalensia, -ium; n. gehören zu den Namen für Götterfeste im Neutrum Plural, so wie sie Varro zahlreich in ling. Lat. 6,12–24 erklärt (6,15 auch die Megalesia). Die Floralia sind ein Götterfest zu Ehren der Frühlingsgöttin Flora, die Megalesia ein Fest zu Ehren der Magna Mater von Pergamon (der Kybele). Die (archaische) Verbindung mit ludi ohne Genusausgleich und ohne Flexionsänderung des Adjektivs in den Kasus ist besonders für die ludi Megalesia gut belegt; z.B. bei Livius 34,54,3: Megalesia ludos scaenicos…primi fecerunt oder Ovid, Fasti 4,357: quare primi Megalesia ludi urbe forent nostra. Später findet man dann Belege mit Genusangleichung und Ausgleich der Flexionsformen des Adjektivs, z.B. Tacitus, Annales 3,6fin: et quia Megalesium ludorum spectaculum suberat oder Gellius 2,24,1: ludis Megalensibus: Man hat also tatsächlich ludi Megalesia mit der Zeit als veraltet empfunden, das Genus angeglichen und auch das Adjektiv in den Kasus durchflektiert und formulierte ludi Megalenses. ludi Florales statt ludi Floralia liest man übrigens schon seit tiberianischer Zeit: Valerius Maximus 2,10,8. Dass dieser Vorgang schon zur Zeit Qu.s abgeschlossen war, scheint also sehr wahrscheinlich. 5,52 quamquam haec sequentia…a veteribus dicta: haec sequentia scheint mir die sehr viel bessere Lesart zu sein. haec sequenti tempore gäbe einen wenig befriedigenden, ja unklaren Sinn, denn dann müsste sich das haec und das a veteribus dicta auf beide Ausdrück beziehen, obwohl tragoedia Thyestes kein veralteter, sondern ein zeitloser Ausdruck ist. Sehr viel besser passt es aber zu den beiden Festnamen Floralia und Megalesia (deshalb der Plural haec), die in der Verbindung mit ludi tatsächlich Archaismen sind. Außerdem wäre das sequentia, wie schon gesagt, die Wiederaufnahme eines Begriffs aus der Definition. 5,52–54 Schemata igitur nominabuntur…quibus feminae: Anlässlich des scheinbaren Solözismus ludi Megalesia führt Qu. jetzt den Schemabegriff ein, den er aber auch schon 1,5,5 s.v. figurae orationis kurz angesprochen hatte – mit einem Vorverweis auf die Behandlung

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solcher Schemata unter den Wortfiguren (9,3,2–27). Genau auf diesen Vorverweis von 1,5,5 wird hier 1,5,53 zurückgewiesen.Ein schema in diesem Sinne ist, wie schon oben im Komm. zu 1,5,5 Sed quia ausführlich erläutert, ein durch literarische Autorität, Alter und Gewohnheit sanktionierter Soloecismus, der nicht mehr als solcher empfunden wird, wie eben ludi Megalesia. Entscheidend ist, dass ein solcher „Fehler“ immer mit einer bewussten Wirkungsabsicht (aliquam rationem) verbunden sein muss (1,5,53). Dann gewinnt er virtus-Charakter und gehört als eigenes grammaticum genus der schémata léxeos zu den Wortfiguren (9,3,2). Bleibt der Fehler aber unbeabsichtigt und wird per imprudentiam begangen, handelt es sich um einen echten Solözismus (1,5,53 und ausführlicher noch 9,3,2–5). Qu. hat hier sicher Plinius d. Ä. vor Augen, der sich in seinem Werk De dubii sermonis libri octo (Ende der sechziger Jahre noch unter Nero) bereits über den Unterschied von Solözismus und Schema geäußert hat: Das Schema wird wissentlich und nach dem Vorbild großer Autoren eingesetzt, die Fehler passieren aus Ignoranz. Vgl. Plinius d. Ä. fragm. 121–124 GRF Mazzarino (pp. 327–329.). Lt. Qu. sind Schemata eher in der Dichtung, seltener in Reden anzutreffen, sie sind jedoch auch in Reden nicht verboten, sondern haben hier vielmehr ihre durchaus eigene Funktion (vgl. 9,3,2–5). Zu den Solözismen der Definition von 1,5,51, allerdings ohne Schemacharakter, zählen auch die von Qu. unter den genera des Nomens schon 1,4,24 erwähnten Widersprüche zwischen grammatischem und natürlichen Geschlecht bei Männer- und Frauennamen wie Murena und Glycerium. Vgl. dazu meinen Komm. z.St. Solche Nomina nennt Donat GrLat IV 375,26f. sono feminina, intellectu masculina und er nennt die Fügungen = Fenestella scriptor, Aquila orator (Nomina auf -a/ae sind in der Regel feminin) oder 27f. sono neutra, intellectu feminina = Phronesium mulier vel Glycerium. Ein Beispiel stimmt sogar mit Qu. überein. 5,54 Hactenus de soloecismo…: S. dazu oben meinen Komm. zu 1,5,17. 5,55 Hoc amplius…peregrina sunt: Es folgt jetzt die Besprechung der vier Gruppen der verba singula in der 1,5,3 vorgegebenen Reihenfolge, zuerst also die verba peregrina (1,5,55–64). Sie gliedern sich unter Ausschluss der italischen Dialekte (§ 56) in sonstige (gallische, punische, spanische) (§ 57) und vor allem natürlich in griechische Fremd-

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wörter (§§ 58–64). Nach ihrer allgemeinen Nennung in 1,5,3 sind sie bereits in 1,5,8 (die erste Bedeutung von barbarum, der Gebrauch von Fremdwörtern, die barbarolexis) kurz behandelt worden. Rückblickend wird in 8,1,2 zur reinen latinitas und zur Vermeidung von Fremdwörtern aufgerufen (minime peregrina et externa). 1,5,33 geht es um den ausländischen Akzent, den sonus peregrinus in der Aussprache lateinischer Wörter, also nicht um verba peregrina. (s. dazu Komm. zu 1,5,33 proprii). Qu. verfolgt mit den §§ zu den verba peregrina, obwohl im grammatischen Kontext behandelt, keine linguistische, sondern eine rhetorische Zielsetzung, indem er letztlich vor der unpassenden Verwendung von Fremdwörtern der Gegenwartssprache im Interesse der latinitas der Rede warnen möchte. Dagegen behandelt der an Sprachforschung interessierte Varro die Fremdwörter (verba aliena) im Rahmen der Etymologie historisch, und zwar als Ursprung lateinischer Wörter, der verba vernacula, die auf fremdsprachliche Wörter zurückgeführt werden können (ling. Lat. 5,3; 5,10). Zu den verba peregrina bei Qu. vgl. Fögen 2000, 149. 5,55 Peregrina porro…: Der Vergleich der aus anderen Ländern eingewanderten Wörter mit der Einwanderung von Menschen und Institutionen nach Rom erinnert stark an Varros kulturhistorische Schriften Antiquitates, De gente und De vita populi Romani, in denen genau diese Vorgänge dargestellt wurden (Ax 2005, 1–21,5–7). Die Wortzuwanderung aus dem Ausland ist Gegenstand zahlreicher Etymologien in De lingua Latina und in der Schrift De origine linguae Latinae, für die die Behandlung des Gallischen, Äolischen und Etruskischen durch Varro bezeugt ist (fr. 296 GRF Funaioli). Vgl. zu den beiden letzten Werken Ax, ebenda, 8f. 5,56 Taceo de Tuscis…omnia Italica pro Romanis habeam: Schon Varro hatte, wie in den beiden letzten Lemmata erwähnt, in ling. Lat. 5–7 zahlreiche lateinische Wörter auf Fremdwörter zurückgeführt, und zwar auf etruskische, sabinische, oskische, griechische, punische u.a. verba aliena. Dabei ist nicht erkennbar, dass er wie hier Qu. einen Unterschied zwischen den italischen Wörtern (als Varianten des Lateinischen) und „echten“ Fremdwörtern, etwa aus dem Gallischen, Punischen und Spanischen macht. Vielmehr sind dies für Varro unterschiedslos verba aliena. Qu. sieht dagegen offenbar in den italischen Sprachen keine echten Fremdsprachen und glaubt deshalb, hier italische

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Wörter aus den verba peregrina herausnehmen und auf Beispiele verzichten zu können. Diese Unterscheidung zwischen verba Italica und verba peregrina könnte also eine neue Differenzierung Qu.s sein. Verstöße gegen die latinitas oder puritas einer gepflegten, urbanen Sprache des Redners (urbanitas vs. rusticitas im Sinne von Cicero Brut. 169–172, Qu. 6,3,17 und 11,3,30, s.oben Komm. zu 1,5,33) sind sie natürlich beide: die italischen Varianten und die echten Fremdwörter. Als Beispiele für missbräuchliche Verwendung italischer Varianten werden hier Lucilius’ Kritik an Vettius’ Verwendung des Praenestinischen und Asinius Pollios Kritik an der Patavinitas des Historikers Livius erwähnt (Zu beiden gleich mehr unter 1. und 2.). Das nam von § 56 Z. 4 W. erklärt sich aus einem nicht geäußerten Zwischengedanken: Ich schweige über die Etrusker, Sabiner und auch über die Praenestiner, , denn Lucilius verhöhnt den Vettius…, wie Pollio den Livius tadelt… Für mich ist aber alles Italische Römisch. Der heutige Forschungsstand zu den italischen Dialekten und den Nachbarsprachen des Lateinischen (insbesondere zu dem von Qu. genannten Etruskischen, Sabinischen und Praenestinischen) kann hier nicht geboten werden. Den besten ersten Zugang bietet, wie ich finde, immer noch G. Devoto, Geschichte der Sprache Roms, Heidelberg 1968, 76ff. und 165–169. Neuere Literatur zur lateinischen Sprachgeschichte nennt W. Stroh, Latein ist tot, es lebe Latein. Kleine Geschichte einer grossen Sprache, Berlin 2007, 349. 1. Vettius: Es handelt sich ziemlich sicher um Vettius Philocomus, den Freund des Lucilius, der lt. Sueton, De grammaticis cap. 2, sich um die Verbreitung der Satiren des Freundes bemüht hatte. Hier (= Lucilius, Fragm. 1338 Krenkel) wird er von Lucilius ganz offensichtlich wegen Verwendung praenestinischer Dialektformen verspottet, denn Colsons Ansicht (1924, 68), mit eorum seien alle drei zuvor genannten italischen Sprachen gemeint, ist nicht nachvollziehbar. Vettius müsste dann Formen aus allen drei Sprachen, bzw. Dialekten verwendet haben. Der Vergleich mit Livius’ Patavinitas weist aber auf nur einen Stadtdialekt hin. Das Praenestinische (Dialekt der Einwohner von Praeneste, einer Stadt nicht weit östlich von Rom in Latium) galt als rustikal. Vgl. dazu allgemein Devoto, 1968, 165–169, besonders zur rusticitas des Praenestinischen 166f. mit Beispielen. Vettius könnte also Formen wie Mircurios oder stircus verwendet haben.

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Das ut von § 56, Z. 4 W ist hier nicht vergleichend mit Bezug auf quem ad modum, sondern beim Partizip utentem zur Angabe der subjektiven Aussage wie griechisch ὡς verwendet. Vgl. KSt I 790. Dieser Gebrauch erscheint häufiger erst seit Livius. 2. Livius: Die berühmte und viel diskutierte Patavinitas des Livius, also vermutlich die Verwendung dialektaler phonetischer, morphologischer und lexikalischer Varianten seiner Heimatstadt Padua, ist nur hier bei Qu. (1,5,56 und 8,1,3) als Kritik des Politikers, Dichters, Historikers und Literaturkritikers Asinius Pollio (76 v.–5 n. Chr.) und leider ohne Beispiele bezeugt und hat daher zu mancherlei Spekulationen und zahlreichen Publikationen Anlass gegeben. Genaueres wird sich wohl nicht mehr ermitteln lassen. Vgl. die ausführliche Besprechung auf neuestem Stand bei J.N. Adams, The Regional Diversification of Latin, Cambridge 2008, 147–153 (Asinius Pollio and the Patavinitas of Livy). 5,57 Plurima Gallica…audivi: Es folgen jetzt in § 57 die „echten“ (nichtgriechischen) Fremdwörter mit Beispielen aus dem Gallischen, Punischen und Spanischen, während 1,5,8 schon afrikanische, spanische, gallische und sardische Fremdwörter erwähnt worden waren. 1. Gallisch: raeda: auch reda, ae, f. = ein vierrädriger Reisewagen, durch Qu. hier und 1,5,68 als gallisches Wort bezeugt. Wurzel *reidh (Vgl. ahd. reita (Wagen), ritan (reiten, fahren). Walde-Hofmann II 425. Es ist seit Varro und Cicero allgemein gebräuchlich und gehört zu den häufig gallischen Lehnwörtern für das Fuhrwesen (s.o. Komm. zu 1,5,8). Der Cicerobeleg: Mil. 28. petorritum: -i, n. = vierrädriger Wagen. Das Wort ist schon von Varro als verbum Gallicum gekennzeichnet (fr. 236 GRF Funaioli), zusammengesetzt aus gall. *petvares (= vier) und gallisch *rota (= Rad). Walde-Hofmann II 298. Der Horazbeleg: sat. 1,6,104 und epist. 2,1,192. 2. Punisch: mappa, -ae, f. = 1. Serviette beim Essen, Tuch, 2. Signaltuch, Flagge, mit der der Magistrat im Zirkus das Startzeichen gab. Diese zweite Bedeutung hebt Qu. besonders hervor. Die Bezeugung dieses Wortes als punisch nur hier bei Qu. Belegt ist es seit Varro ling. Lat. 9,47: mappae triclinaris (= Tischservietten). 3. Spanisch: gurdi: gurdus, i, m. = Dummkopf, Nichtsnutz (vom Adj. gurdus, a, um = stumpf, töricht, nutzlos). Zuerst beim Mimen Laberius (1. Jh. v. Chr.) belegt, überliefert durch Gellius, 16,7,8. Wieder nur

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durch Qu., wenn auch mit Vorsicht (ex Hispania duxisse originem audivi), als spanisch und vulgärsprachlich ausgewiesen (zustimmend Walde-Hofmann I 627). 5,58–64 Die größte Gruppe der verba peregrina stellen die griechischen Fremdwörter im Lateinischen dar. Sie werden in einem eigenen Abschnitt behandelt (§§ 58–64), den man geschlossen als kleinere Abhandlung in der späteren grammatischen Literatur nach Qu. so nicht wieder findet (s. dazu ausführlich o. Komm. zu 1,5,3 Singula sunt). Gegliedert ist der Abschnitt in eine Vorbemerkung (§ 58) und in die Darstellung des Problems der Deklination griechischer Nomina im Lateinischen als Hauptteil (§§ 58–64). Ich gebe erst einige Erläuterungen zu den beiden Großabschnitten und gehe dann in die Einzelheiten. 5,58 Zur Vorbemerkung: Die Herkunft des Lateinischen aus dem Griechischen, insbesondere aus dem Äolischen, war common sense unter griechischen Grammatikern und anderen Schriftstellern schon des ersten Jhs. v. Chr und vorher. Sie wurde auf griechischer Seite von Autoren wie Tyrannion, Philoxenos, Didymos, Dionys v. Halikarnass und anderen vertreten, und ist auch bei römischen Autoren schon seit Aelius Stilo und Varro belegt. Die Nachweise im Einzelnen bei Fögen 2000, 49–51 und Jonge 2008, 52–57. Qu selbst spielt 1,6,31 noch expliziter als hier auf diese These an, indem er (in der Tradition Varros) unter den Anforderungen der Etymologie die Herleitung lateinischer Wörter aus dem Griechischen, darunter besonders aus dem Äolischen, erwähnt, und dabei ihre große Zahl betont. Eben diese These vom ererbten, zahlenmäßig hohen Anteil griechischer Wörter am Wortschatz des Lateinischen ist auch hier an unserer Stelle gemeint. Es geht allerdings nicht nur um die sprachhistorisch orientierte Etymologie (s.o. Komm. zu 1,5,55 Hoc amplius), sondern auch um den Fremdwortschatz in der Gegenwartssprache Qu.s, die sich auch zu ihrer Zeit noch griechischer Fremdwörter bedient, wenn eigene Wörter fehlen. Confessis kann hier nicht klar, eindeutig, unzweifelhaft bedeuten, denn das gäbe keinen rechten Sinn (eindeutig griechische Wörter?), sondern eher zugegebenermaßen (Rahn) eingestandermassen o.ä., um auf den Einwand, hier liege eine Schwäche des Lateinischen als Empfängersprache, zu reagieren. Der hohe Anteil griechischer Lehn- und Fremdwörter im Lateinischen steht außer Frage. Qu. selbst gibt auf Schritt und Tritt ein Beispiel für den Einbezug griechischer Terminologie. Dass es aber auch

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umgekehrt lateinische Lehn- und Fremdwörter im Griechischen gibt, wie Qu. hier, wenn auch nur moderat (nonnumquam) behauptet, ist weniger bekannt. Es gibt sie, und zwar in durchaus bemerkenswerter Quantität von Polybios an nachweisbar. Vgl. z.B. L. Hahn, Rom und Romanismus im griechisch-römischen Osten mit besonderer Berücksichtigung der Sprache bis auf die Zeit Hadrians, Leipzig 1906, 121ff. und H. Hofmann, Die lateinischen Wörter im Griechischen bis 600 n. Chr., Bamberg 1989 (ein Lexikon). 5,58–64 Zum Hauptteil: Thema ist das sich aus dem Entlehnungsvorgang ergebende Problem der Deklination griechischer Nomina im Lateinischen, hier vor allem griechischer Eigennamen im Maskulinum. Sollen sie ganz in die lateinische Deklinationsregel übergehen oder nur zum Teil oder sollen sie auch im Lateinischen im griechischen Deklinationsmuster verbleiben? Hier gibt es zwei zeitlich differenzierte Auffassungen, eine ältere (§§ 59–62) und eine zur Zeit Qu.s (§ 63–64). Die ältere Partei, die veteres scriptores von § 59, denen noch mancher grammaticus zur Zeit Qu.s folgt (veterum amator), wird hier durch republikanische Autoren wie Cicero, Caelius und Caesar (§ 63) und durch den augusteischen Messalla, aus dessen Traktat über den Buchstaben s (s. oben Komm. zu 1,5,15) Qu.s Beispiele von § 61 durchaus stammen könnten, repräsentiert. Sie vertritt die konsequente Latinisierung der Deklination griechischer Namen und Appellative, und zwar durch das gesamte Flexionsschema (Castórem), sowie Anpassungen des griechischen Nominativs (Plato, Aenea, Anchisa), des Akzents griechischer Wörter (tyránnus) und des Genetivs (Ulixi). Die moderne Partei (nunc recentiores § 63) zeigt ein vielschichtiges Bild. Sie wird nicht namentlich illustriert, allerdings bringt Qu. § 63 sich selbst ein. Es überwiegt die Beibehaltung der griechischen Deklination. Qu. selbst bevorzugt die latinisierten Formen, soweit es die sprachliche Akzeptanz (decor) erlaubt. Ist beides im Rahmen der Akzeptanzwahrung möglich, bleibt aber auch die griechische Form ohne Tadel, auch wenn sie eigentlich gegen das Gebot der latinitas der Rede verstößt. Das ist eine klare Tendenz zurück zur Gräzisierung der Deklination griechischer Nomina bei den recentiores. Sie hat sich später in der spätantiken Grammatik offenbar zumindest als Postulat durchgesetzt, denn bei Donat heißt es GrLat IV 379,15–17: meminerimus autem Graeca nomina ad Graecam formam melius declinari, etsi illa nonnulli ad Latinas casus conantur flectere.

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Zu den Problemen im Einzelnen 5,58 Inde illa quaestio…: Die Deklination griechischer Nomina war in der römischen Grammatik und bei den diese Nomina verwendenden römischen Schriftstellern von Anfang an ein Problem. Varro scheint es als erster systematisch in ling. Lat. 10,69–71 behandelt zu haben. Im Rahmen der Analogiedarstellung des zehnten Buches unterscheidet er 10,69 drei analogische Deklinationsmuster: 1. vernaculum ac domi natum , also das genuin lateinische Muster: pistor, pistóris (Bäcker); sutor, sutóris (Schuster), 2. das adventicium , das rein griechische Muster: Héctores, Héctoras statt latinisiert in beiden Kasus: Hectóres und 3. nothum ex peregrino hic natum, also griechische und lateinische Mischformen in einem Paradigma: Achilles statt Achilleus, Peles statt Peleus, gr. Akk. Achillea u.ä. (Alle drei Typen erscheinen übrigens unverändert noch bei Donat IV IV 373,17–21). Varro unterscheidet dann 10,70 ein erstes Stadium reiner Latinisierung, z.B. bei Ennius Hector, Hectóris und dann zweitens die Rückkehr zu rein griechischen Formen bei Accius, die er mit einem Vers des Valerius Soranus (eines Zeitgenossen Ciceros) belegt: Accius Hectórem nollet facere, Héctora mallet: Accius würde Hectórem nicht verwenden wollen, sondern lieber Héctora. (Sicher ist das nicht, denn die Fragmente des Accius überliefern nur die latinisierte Form). Alle drei Deklinationstypen sind implizit auch hier bei Qu. vertreten, und die zeitliche Differenzierung in zwei Stadien: reine Latinisierung – reine Gräzisierung wäre ebenfalls schon – nur zeitversetzt von Varro vorweggenommen. Nach Varro hat sich dann offenbar Plinius d.Ä. im sechsten Buch seines Dubius sermo (fr. 35 GRF Mazzarino, 262f. = Charisius GrLat I 132,17–24) wieder systematisch mit dem Problem befasst, und hier ist es mehr als wahrscheinlich, dass Qu. ihn hier direkt als Quelle nutzt, wie die Übereinstimmung der Beispiele von 1,5,62 (Ulixi, Achilli) mit fr. 35 zeigt. Plinius stellt seine Äußerungen ebenfalls in einen zeitlichen Rahmen, denn er kritisiert die Verwendung falscher Kasusformen zu seiner Zeit (Herculi pro Herculis et Ulixi pro huius Ulixis dici coeptum est Z. 17; nostra aetas in totum istam declinationem abolevit Z. 23f.). Die Kritik: Der griechische Genetiv auf -ous (Herakléous) führt zum lateinischen Genetiv -is; also richtig Herculis (3. kons. Deklination), nicht Herculi (2. o-Deklination). Der griechische Genetiv auf -ou (Euripídou) führt zum lateinischen Genetiv auf -i , also richtig Euripidi

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(2. o-Deklination), nicht Euripidis (3. kons. Deklination). Diese klare Regel scheint zur Zeit des Plinius vollkommen außer Kraft gesetzt worden zu sein, so dass Mischformen wie Herculi/-is, Ulixi/-is und Achilli/-is kursierten. Auf diese Diskussion spielt Qu. 1,5,62 Ende an: Sic genetivus Ulixi et Achilli fecit, sic alia plurima. 5,59–60 Ac si reperias grammaticum…fatebantur: Der Grammatiklehrer, den Qu. hier als Anwalt der älteren Partei einführt, muss keine konkrete Persönlichkeit mit archaistischen Neigungen sein wie z.B Valerius Probus, wie man vermutet hat (s. Colson 1924 z.St.), sondern ist hier einfach abstrakter Repräsentant der älteren Auffassung zur Zeit Qu.s. Er plädiert zunächst mit einem deklinationstechnischen Argument für die komplette Latinisierung des Deklinationsmusters. Das Griechische besitzt keinen Ablativ. Der müsste also durch eine lateinische Form ersetzt werden, und man hätte dann eine Mischdeklination. Das zweite Argument ist die lokalpatriotische Stärkung der Lateinischen Sprache, die durchaus mit eigenen Mitteln zurecht kommt und fremder Hilfe nicht bedarf. Vgl. zu diesem letzen Themenkomplex bei Qu. wieder Fögen 2000, 142–179. 5,60–62 quin etiam laudet…terminarentur: Es geht in diesem Abschnitt um das Problem der Deklination maskuliner griechischer Eigennamen im Lateinischen. Behandelt werden drei Gruppen: 1. Typ Castor, 2. Typ Plato und 3. Typ Pelias. 5,60 inde Castorem…exit: Als Vertreter der ersten Gruppe gehört der griechische Name Κάστωρ zur 3. Deklination der liquiden Stämme auf -r/-l und flektiert: Κάστωρος, Κάστωρι, Κάστωρα. Er wird in die lateinische 3. Deklination der maskulinen Stämme auf -or, óris nach dem Muster von praetor, -óris, orator, -óris u.ä. überführt und flektiert dann: Cástor, Castóris, Castóri, Castórem. Es ändert sich dadurch in einigen Kasus der Akzent und die Endung. Vgl. schon Varro an erwähnter Stelle ling. Lat. 10,70. 5,60 et ut Palemo ac Telamo et Plato…reperiebant: Die zweite Gruppe bilden die maskulinen griechischen Eigennamen im Lateinischen auf -o statt -on: Tatsächlich schwindet im Nominativ der 3. lat. Deklination bei nasalen Stämmen auf -on das n im Auslaut nach langem Vokal. Im Griechischen bleibt das n dagegen erhalten: natio, natiónis; Cicero, Cicerónis (nicht Cíceron), dagegen Πλάτων, Πλάτωνος. Bei der Überführung der griechischen Eigennamen in das

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lateinische Deklinationsmuster verschwindet daher das n im Nominativ ebenfalls: Plato, Apollo. Akzent und Endungen in den übrigen Kasus ändern sich dann gemäß dem lat. Muster, also: Plato; Platónis, Platóni, Platónem statt Πλάτων, ος , ι, α. Vgl. Safarewicz 1969, § 130 (S. 141) und Leumann 457 (b) mit der Qu.-Stelle. Die Beispiele: 1. gr. Παλαίμων, Παλαίμονος lat. Palaémo, Palaémonis (hier ist beim Wechsel von lang -o zu kurz -o im Genetiv ein Ablaut im Spiel, der dann auch den Akzent verändert, s. Safarewicz an eben genannter Stelle). Palaemo ist ein Meergott und ein Hirte. Es könnte hier aber auch eine Anspielung auf Remmius Palemon, den Grammatiker, vorliegen. Wird auch in lateinischen Texten Palaemon gebraucht, handelt es sich um die griechische Form. 2. gr. Τελαμών, Τελαμῶνος lat. Télamo, Telamónis – ein Argonaut, Bruder des Peleus. 3. gr. Πλάτων, Πλάτωνος lat. Plato, Platónis, der Philosoph natürlich. Zur Flexion s.oben. 5,61–62 Ne in a quidem atque s litteras exire…terminarentur: Die dritte Gruppe: die maskulinen griechischen Namen auf -ας im Lateinischen wie Pélias, Hermágoras: Die Maskulina der griechischen Personennamen auf lang -ας und -ης gehören in die erste Deklination mit dem att. Sondergenetiv -ου, z.B. Πελίας, Πελίου, Πελίᾳ, Πελίαν, Πελία (im Vok. langes α). Im Lateinischen werden sie in die Maskulina der 1. Deklination auf -kurz-a nach dem Muster poeta überführt, was konsequenterweise eigentlich zu dem Paradigma Pélia, Péliae, Péliae, Péliam, Pélia führen müsste. Jedoch begegnet man innerhalb eines Personennamens neben den latinisierten immer wieder auch den griechischen Formen wie z.B. Aené-as; Aené-an, Aene-a (Vokativ mit langem a). Vgl. zu dem komplizierten Formenbestand am besten immer noch Kühner-Holzweissig 429–431, die 422f. das volle Paradigma zu Aenéas und Anchíses angeben. Vgl. auch Leumann 454. Beide zitieren übrigens unsere Qu.-Stelle. Die latinisierten Nominative der gr. Namen auf -kurz-a statt gr. -lang-as wie Pélia, Eúthia; Hermágora, Aenéa, die Qu. hier zitiert, sind eher das Ergebnis einer stärkeren Latinisierung des Paradigmas im Altlateinischen, als der Befürchtung, dass solche Formen mit den römischen Cognomina auf -as (Maecénas, -átis) verwechselt werden könnten, wie Qu. hier – vielleicht Messalla folgend (s. Komm. zu 1,5,58–64 Zum Hauptteil) – unterstellt. Die drei Beispiele stammen aus der Prosa

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republikanischer und augusteischer Autoren, denen hier offenbar unterstellt wird, dass sie damit altlateinische Nominativformen besonders der Dichtung wiederaufnehmen wollten – möglicherweise in der Absicht stärkerer latinitas. Zu den Beispielen 1. Pélia cincinnatus (der gelockte Pélia). Πελίας, Πελίου m. Pélia, Péliae m., belegt ist auch Pélias, -ae, m. Pelias ist der König von Thessalien, der Jason nach Kolchis schickte. Das Zitat entstammt einer Rede höchstwahrscheinlich des Zeitgenossen Ciceros, Caelius Rufus (fragm. 30 ORF Malcovati). 2. bene fecit Eúthia (Euthias hat gut gehandelt): Ἑυθίας, ου m. ĺ Eúthia, -ae, m. Euthias ist der Ankläger im Prozess gegen die Hetäre Phryne. Das Fragment stammt wahrscheinlich aus der von Messalla verfassten Übersetzung der Prozessrede des Hypereides (Messalla fragm. 27 ORF Malcovati). 3. Hermagora: Ἑρμαγόρας, ου m. ĺ Hermágora, ae m. Der Nominativ dieses Namens (der griechische Rhetor des 3. Jhdts. V. Chr.) kommt bei Cicero nur in inv. 1,8 vor. Die Handschriften überliefern hier aber den griechischen Nominativ Hermágoras. 4. Aenéa Αἰνείας, ου m. ĺ altlat. Aenéa -ae m. (Nominativ auf – kurz a, belegt ab Naevius fragm. 20, FPL M-B-B), sonst meist gr. Aenéas, m., s. die Hinweise oben. 5. Anchísa: Ἁγχίσης, ου m. ĺ altl. Anchísa (kurz a), ae m. statt gewöhnlich gr. Nominativ Anchíses, ae m. (cf Charisius GrLat I 67. 11f.: nam masculina modo -es modo -a nominativo casu veteres terminaverunt, velut Anchises, Anchisa). 5,62 Nam si ut Maecenas…: Die römischen Cognomina auf -lang-as: Die von Qu. genannten Beispiele Maecenas, Sufenas, Asprenas sind genuin lateinische Bildungen, und zwar von einem Ortsnamen (Städte, Länder) mit dem Suffix -ati- abgeleitete Adjektive vom Typ Arpin-as (= von der Stadt Arpinum, arpinatisch). Substantiviert bildet dieser morphologische Typ männliche Personennamen, die meist als Cognomina verwendet werden, um damit einen lokalen Zweig der gens näher zu differenzieren, z.B. Valerius Antias (= der aus der gens der Valerii, und zwar der aus Antium.). Man nennt diesen Typ daher auch Ethnikon (Personenname zur Bezeichnung der Herkunft einer Person nach Stadt, Volk, Land etc.).

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Flektiert wird es wie ein normales Adjektiv der dritten Deklination -as, atis, -ates etc., jedoch hat eine Entwicklung von altlat. Nom. -atis zu Nominativ auf -as seit Lucilius und Cicero stattgefunden , z.B. Cato d.Ä. Arpinatis, -tis, später Arpinas, -atis. Vgl. Leumann 345f. Mit der Flexion der griechischen Eigennamen auf -as, ae hat es also nichts zu tun, und die Warnung vor einer Verwechslung mit dem Typus Arpinas (z.B. *Peliatis oder *Aeneatis) scheint übertrieben. Schon Varro hat die Cognomina auf -as als von Städtenamen (ab oppidis, ab loco) abgeleitet gedeutet (ling. Lat. 8,82; 8,84). Vgl. bes. den Kommentar von H. Dahlmann zu Varros De lingua Latina Buch VIII, 1940, 187f. Die späteren Grammatiker sind ihm gefolgt (die Stellen bei Dahlmann), z.B. Priscian GrLat III 524,9f.: notantur pauca masculini generis propria partim a nominibus civitatum propriis translata. Von den fünf Beispielen Varros (nach der plausiblen Textbereinigung Dahlmanns) Laenas, Sufenas, Carrinas, Maecenas und Urbinas tauchen zwei bei Qu. wieder auf , nämlich Sufenas und Maecenas. Eine Benutzung Varros durch Qu. ist also sehr wahrscheinlich. Die Grammatiker liefern ganz ähnliche Beispiele (Nachweise bei Dahlmann): Larinas, Maecenas, Arpinas (Priscian); Larinas, Maecenas, Arpinas, Capenas (Phocas); Arpinas, Sufenas, Capenas, Maecenas, Laenas. Das quintilianische Asprenas ist noch bei Probus GrLat IV 211, 8 vertreten. Auffällig ist, dass in allen Beispielreihen Maecenas vertreten ist. Die drei Beispiele Qu.s gelten meist als etruskische Ethnika. Vgl. zu den Einzelheiten W. Schulze, Zur Geschichte lateinischer Eigennamen, Berlin 1904, 185f., 529f., B. Doer, Die römische Namengebung, Stuttgart 1937, 106f. und I. Kajanto, The Latin Cognomina, Helsinki 1965, 47, 209. 1. Maecenas: Cognomen, vor allem bekannt durch den berühmten augusteischen Politiker C. Maecenas, auch C. Cilnius Maecenas, aus dem etruskischen Rittergeschlecht der Maecenates (Arezzo). Etymologie unsicher. 2. Sufenas: Häufiges Cognomen der Nonii, z.B. M. Nonius Sufenas auch Suffenas u.ä. Von welcher Stadt dieses Cognomen abgeleitet ist, ist unbekannt. 3. Asprenas: ebenfalls ein häufiges Cognomen der Nonii, z.B. L. Nonius Asprenas u.ä. Vgl. Doer 106f. Herkunftsort ebenfalls unbekannt.

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5,62 …Olympo et tyranno…: Wie schon Colson richtig 1924, 69f. erkannt und belegt hat, passt Qu. hier seine Beispiele der Konstruktion des Satzes an (zu dederunt) und zitiert sie nicht im Nominativ. Gemeint ist aber das gesamte Paradigma. Die Sache selbst ist klar: Griechische Substantive verlieren ihre griechische Akzentuierung und geraten unter das lateinische Akzentgesetz: Während also gr. Ὄλυμπος und τύραννος anfangsbetont sind und nur im Genetiv und Dativ auf der vorletzten Silbe akzentuiert werden, werden beide Wörter im Lateinischen wegen des paenultima-Gesetzes in allen Kasus auf der vorletzten Silbe betont, weil diese positionslang ist: Olýmpus, tyránnus. Das duas longis sequentibus muss dabei aber keineswegs, wie fast überall geschehen, als unsinnige Glosse gestrichen werden. Qu. meint nicht: „wenn oder weil zwei lange Silben (in einem Wort) folgen,“ (das wäre ja für den Nominativ unsinnig), sondern „ wenn oder weil in beiden Beispielen je eine positionslange Silbe folgt“, nämlich 1. -lym-p- und 2. -ran-n-. Daher das duabus. Das inde (von daher, aus eben diesem Grunde) schließt an die ebenso konsequente Latinisierung dieser Beispiele wie bei den Personennamen zuvor an. 5,63 Ulixi, Achilli: Zum Problem vgl. oben Komm. zu 1,5,58 Inde illa quaestio. 5,63 Nunc recentiores…: Vgl. dazu oben Komm. zu 1,5,58–64 Zum Hauptteil: Griechische Deklinationsformen gibt es, wie schon 1,5,59 geklärt, eben nicht für den Ablativ, der durch eine latinisierte Form ersetzt werden muss. Das Prinzip der reinen Gräzität lässt sich also im Lateinischen nicht immer durchhalten. 5,63 Mihi autem…superavit: Qu. bevorzugt lateinische Flexionsformen, dies aber nur im Rahmen des decor, hier der Anpassung solcher Sprachmittel an den üblichen Sprachgebrauch, die consuetudo. Decor ist ein zentraler virtus-Begriff der Rhetorik, dem aptum verwandt, der die Angemessenheit, Schicklichkeit, Schönheit der Rede im Hinblick auf die Situation, die Personen und eben auch im Hinblick auf die Sprache garantiert (Vgl. die Stellen bei E. Zundel 1989, 25f.) Calypsónem scheint ihm jedenfalls in diesem Punkt die Grenze des guten Geschmacks zu überschreiten. 5,63 Calypsonem: Gr. ἡ Καλυψώ, τῆς Καλυψοῦς, Akk. τὴν Καλυψώ (3. Deklination der Feminina auf ω) lat 3. Dekl. der Feminina auf -o

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nach dem Muster Iuno, Iunónis, oratio, oratiónis also Calýpso, Calypsónis, Calypsónem. Wie schon bei Hectorem (s.o. Komm. zu 1,5,58 inde illa quaestio) scheinen nach dem Zeugnis der römischen Grammatiker besonders die altlateinischen Dichter auch im Fall von Calypso die latinisierte Form Calypsónem bevorzugt zu haben. Vgl. Charisius GrLat I 63,22 für Pacuvius und Priscian GrLat II 210,1 und 7 für Pacuvius und Livius Andonicus. Caesar folgte ihnen (secutus antiquos), natürlich nicht nur aus Gründen der literarischen Autorität, sondern auch wegen des sermo purus und der analogisch gewonnenen Form. Unsere Stelle wird zu den Fragmenten von Caesars Schrift De analogia in zwei Büchern aus dem Jahre 54 v. Chr. gezählt = fr.20, GRF Funaioli (p. 154). Die maßgebliche Ausgabe der Fragmente mit ausführlichem Kommentar findet man zurzeit bei R. Papke 1988, hier fr. 22,261–264. Qu. stellt sich in der Bewertung der Form auf die Seite der consuetudo seiner Zeit, die die latinisierte Form verdrängt hat, nicht wie Caesar auf die Seite der altlateinischen auctoritas, die sie empfiehlt. Hier könnte Qu. wieder unter dem Einfluss von Plinius d.Ä. stehen, denn der bezeugt die griechische Akkusativform Calypso als die sprachübliche: consuetudinem dicens facere…hanc Calypso. (Charisius GrLat I 127,)18f. Qu.s Auffassung scheint sich später vollständig durchgesetzt zu haben, denn für Donat gehört Calypso ganz fraglos zu den nomina tota Graecae declinationis: Donat GrLatIV 373,17f. 5,64 In ceteris…loquetur: Es gilt also die Lizenz für Verwendung von Deklinationsformen beider Sprachen, sofern sie sich ohne Anstoß (non indecenter) im Rahmen des üblichen Sprachgebrauchs bewegen (wie z.B. beim gr. Akk. Calypso). Doch ist aus der Formulierung Qu.s (non Latine quidem, sed tamen citra reprehensionem) doch auch eine leichte Herabsetzung der Verwender griechischer Formen herauszulesen. Ideal bleibt die latinitas. 5,65–70 Simplices voces: Wie 1,5,3 angekündigt, erfolgt jetzt die Besprechung der verba simplicia aut composita (§§ 65–70). Zu allgemeinen Einordnung auch dieser Wortschatzgruppe in Qu.s Institutio und in die Geschichte der Grammatik s.o. Komm. zu 1,5,3. Vgl. dazu besonders auch Schreiner 1954, 55–58. Die Gliederung des Abschnitts: 1. Unterscheidung der voces simplices und der compositae (§ 65 Anfang), 2. Die compositae beste-

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hen a) entweder aus Zusammensetzungen einer Wortart mit einer oder zwei Präpositionen (in-nocens, in-per-territus) oder b) aus zwei Wortarten (male-ficus). Dreiwortkomposita (capsis < cape si vis) werden dabei von Qu. für das Lateinische skeptisch beurteilt (§§ 65–67). 3.Systematik der Komposita nach ihrer sprachlichen Herkunft (verba Latina/peregrina) und nach dem Erhaltungsgrad ihrer Bestandteile (verba integra/corrupta (§ 68). 4. Auch Präpositionen unterliegen lautlichen Änderungen durch den Kompositionsvorgang (abstulit) (§ 69). 5. Das Griechische ist für Komposita viel besser geeignet als das Lateinische (§ 70). 5,65 prima positione, id est natura sua, constant…: Hier hat Colson (1924, 70) schon den richtigen Weg gewiesen: Prima positio bedeutet hier nicht wie an anderer Stelle Grundform (Nominativ eines Nomens oder 1. Person Präsens Indikativ eines Verbs, vgl. z.B. 1,6,10 und 12), sondern die erste Setzung, Schaffung (thésis) eines einfachen Stammwortes, von denen dann andere Wörter sekundär abgeleitet werden. Varro nennt diesen ersten Schritt impositio verborum, der dann zweitens die declinatio verborum, die Wortableitung folgt. (Vgl. Varro, ling. Lat. 7,110 und 8,1). Diesen varronischen Zusammenhang hat Qu. hier sicher vor Augen, wie auch der Zusatz id est natura sua beweist. Die Stammwörter richten sich nach dem Wesen der Dinge, nach ihrer Natur. Sie ist die Richtschnur für die Namensgebung: ea (sc. natura) enim dux fuit ad vocabula imponenda homini (Varro, ling. Lat. 5,3). Dies klingt auch bei Qu. selbst 1,5,71 an, insofern das verbum proprium für ihn eine natürliche Bedeutung hat (natura intellectum). Die nomina primae positionis in diesem Sinne gehören dann zu den species nominum der spätantiken Grammatik, z.B. Donat IV 373,13. z.B. mons im Gegensatz zu den nomina derivativa, z.B. montanus – Zur Rolle der Natur bei der Namensgebung vgl. den von Colson genannten Kommentar bei Pompeius GrLat V 143,15f.: primae positionis dicuntur nomina, quae a natura sic sunt facta ut puta mons. = Nomina der ersten Setzung werden die genannt, die von der Natur so gemacht worden sind, wie z.B. „Berg“. Zur Begriffsgeschichte von positio bei Qu. allgemein vgl. ausführlich Schreiner 1954, 121ff. 5,65 compositae aut praepositionibus…maleficus: Qu.s Einteilung der Komposita in a) Zusammensetzungen mit Präpositionen und b) mit anderen Wortarten unereinander ist in der antiken grammatischen Lite-

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ratur singulär. Die späteren römischen Grammatiker (die Stellen bei Jeep 1893, 131f.) machen diesen Unterschied nicht, sondern gehen von dem Modellfall der Komposition zweier Wörter beliebiger Wortarten aus, zu denen natürlich auch die Präpositionen gehören. (z.B. suburbanus; muni-ceps, nugi-gerulus; vgl. Donat GrLat IV 37,4–7). Priscian liefert sogar eine vollständige Liste von Komposita der Nomina mit anderen Wortarten (Priscian GrLat II 179,11ff.). Die Unterscheidung Qu.s erinnert an die peripatetische Auffassung der Präposition als eines bloß verbindenden Elements, das ohne eigene referentielle Bedeutung bedeutungshaltige Wortarten verknüpft (ähnlich dem Artikel, also in – nocens, in dem nur nocens eine Bedeutung hat, die von der Präposition lediglich negiert wird). Daher rührt vielleicht auch Q.s Metapher quasi corporibus für zwei voll referentielle Wörter im Kompositum von § 65, Z. 23 W: male-ficus = qui (1) male (2) facit. Vgl. Aristoteles, Poetik, Kap. 20 und 21. 1457a,6ff. und 1457a 31ff. Die Grammatiker besprechen die Komposita außerdem an einem anderen Systemort als hier bei Qu. Alle Wortarten, die zur Komposition fähig sind, erhalten ein eigenes Akzidenz (schéma, bzw. figura), unter dem die Komposita besprochen werden. Vgl. z.B. Dionysios Thrax GrGr I 29,5ff. Uhlig, bzw. Donat IV 377,3ff. oder Priscian II 177,9ff. zu der figurae des Nomen. 5,65 (dum ne…subabsurdum): Zusammensetzungen mit mehr als einer Präposition sind im Prinzip möglich, wenn sich die beiden Präpositionen nicht widersprechen. Qu.s Beispiel dafür ist das immerhin von Vergil Aen. 7,770 gebrauchte in-per-territus (= unerschrocken). Die Erklärung liefert Servius im Donatkommentar (GrLat IV 432,28– 433,5): in- negiert den Sinn des Nomens territus, per- affirmiert und steigert ihn (etwa: sehr-un-erschrocken). Darin liegt ein Widerspruch. Das hindert jedoch die spätantiken Grammatiker nicht daran, gerade inperterritus immer wieder als Standardbeispiel für Zusammensetzungen mit mehr als einer Präposition zu zitieren. Unproblematisch sind dagegen in-com-positus = nicht wohlgeordnet, reggellos, kunstlos; recon-ditus = versteckt und sub-ab-surdum = ziemlich ungereimt, unpassend (Cicero, de orat. 2,274). 5,66–67 Die Grammatiker gehen zwar vom Zweiwortkompositum als Standard aus, lassen aber durchweg auch Komposita von drei und sogar von mehr Wörtern gelten. Vgl. z.B. Priscian GrLat II 180,1f.: (3) inper-territus; (4) cuius-cum-que-modi. Qu. beurteilt lateinische Drei-

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wortkomposita skeptisch, nicht ganz konsequent, wenn er zuvor mindesten Präp.-Präp.-Nomen (in-com-positus u.ä.) gelten lässt. Der nicht ganz leicht zu verstehende Gedankengang von § 66–7: 1. Dreiwortkomposita im Lateinischen beurteile ich sehr skeptisch 2. Die Rückführung von capsis (durch Cicero) und von Lupercalia (durch einige Leute) auf drei Wörter sind bloße Behauptung 3. . Denn bei diesem Wort besteht heute die feste Überzeugung, dass nicht Solitaurilia, sondern Suovetaurilia die richtige Form des Wortes ist und dass darin tatsächlich drei Wörter stecken: sus, ovis und taurus. Dies ist aber trotzdem kein echtes Dreiwortkompositum, weil es nicht drei volle Wörter, sondern nur Fragmente dieser Wörter enthält (nämlich su-, oveund taur-). 4. Die Komposita aus einer Präposition und zwei Nomina (im Gegensatz zu dem Kompositatyp mit zwei Präpositionen und einem Nomen von § 65), die Pacuvius gebildet hat (in-curvi-cervicum), sind gekünstelte, stilistisch nicht akzeptable lateinische Imitate griechischer Vorbilder (s. dazu 1,5,70). Ergo: Es gibt keine echten, bzw. stilistisch akeptablen Dreiwortkomposita im Lateinischen. Im Einzelnen 5,66 -capsƯs: Cicero sagt orat. 154: Libenter etiam copulando verba iungebant, ut „sodes“ pro „si audes“, „sis“ pro „si vis“. iam in uno „capsis“ tria verba sunt. = Auch verband man gern Wörter miteinander wie sodes für si audes (wenn du willst) oder sis für si vis (wenn du willst). Ja, in einem einzigen Wort capsis, stecken sogar drei Wörter. Die Auflösung cape si vis (Nimm, wenn Du willst) liefert erst unsere Qu.-Stelle. Diese Herleitung ist natürlich falsch. Es handelt sich um eine Form des Typs faxo, faxim (Vgl. Leumann 621–624), also von Verbformen, die außerhalb der normalen Präsens- und Perfektstammbildung des lateinischen Verbs stehen. Sie gelten als Reste des idg. s-Aorists. Im Klassischen nur auf wenige Formen beschränkt, war dieser Typ im Altlateinischen noch recht gut entwickelt. faxo, faxƱs (Ind. Futur II = cepero) und faxim, faxƯs (Konjunktiv Perfekt = fecerim). Die Cicero-Stelle dient Leumann 622 u.a. dazu, die Länge des -i für die zweite Person des Konjunktivs nachzuweisen. CapsƯs ist also altlat. 2. Person Konjunktiv Perfekt von capsim (= ceperis). 5,66 Lupercalia: Lupercalia, ium, n. = ein Fest zu Ehren des Gottes Lupercus (römischer Name für Pan, bzw. Faunus, oft erklärt aus lupus und arceo, also Wolfsabwehrer, dagegen Walde-Hofmann 1, 835), das

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am 15. Februar im Lupercal, einer Grotte am Fuß des Palatin von den Luperci, den Lupercuspriestern, durchgeführt wurde. Vgl. Varro, ling. Lat. 5,85 und 6,13. Die hier gegebene Etymologie (luere per caprum = sühnen durch einen (geopferten) Bock, so später auch Servius zur Aen. 8,343, Maltby, p. 354) spielt auf das Bocksopfer (caper, i, m. = Bock) zu Beginn des Festes an. Qu. versieht sie nur mit einem skeptischen Fragezeichen, ohne näher darauf einzugehen. Die Etymologie ist aber natürlich falsch. Der Name gehört zu den üblichen Festtagsnamen, die derivativ mit einem Suffix vom Namen des Gottes her gebildet werden wie Carmentalia (Carmentis), Quirinalia (Quirinus) oder Terminalia (Terminus), wie sie Varro ling.lat. 6,12ff. erläutert. Also liegt tatsächlich kein Dreiwortkompositum vor. 5,67 Solitaurilia/Suovetaurilia: Die Suevotaurilia, ium, n. sind ein feierliches Opfer zur Reinigung, Entsühnung (Lustration) des Heeres, des Ackers, beim Triumph etc. Zwei Namensvarianten existieren, von denen Qu. die erste zurückweist und nur die zweite (die zu seiner Zeit offenbar allgemein anerkannte und wohl auch richtige) Form gelten lässt. In Su-ove-taur-ilia stecken die drei männlichen Opfertiere sus, ovis, taurus, Eber, Widder und Stier, die bei diesem Opfer verwendet wurden. Zum Beweis der sachlichen Richtigkeit dieser Etymologie wird dabei von Qu. auf Homer, Odyssee 11,131 angespielt, wo Teiresias Odysseus genau diese drei Opfertiere als Versöhnungsopfer für Poseidon empfiehlt. Die Variante Solitaurilia – Qu. versucht nicht, sie zu widerlegen – beruht auf einer falschen Etymologie des Wortes entweder von solus (allein) in dem Sinne, dass nur (solum) männliche Tiere geopfert werden durften (so der augusteische Dichter und Grammatiker Valgius Rufus bei Charisius GrLat I 108,27ff. = Valgius fr.2 GRF Funaioli p. 484) oder von sólidus (ganz, unversehrt), abgeleitet von oskisch sóllus (ganz) in dem Sinne, dass die Opfertiere unverletzt, unversehrt sein mussten (Verrius Flaccus bei Fest. 293, Maltby, p. 573 (s.v. solitaurilia), Colson 1924, 71. Auch bei diesen falschen Etymologien wird übrigens die Dreizahl der Opfertiere sachlich nicht in Frage gestellt. Nur das Wort für das Opfer wird nicht davon abgeleitet. Für Qu.s Zusammenhang wäre die Variante Solitaurilia übrigens unpassend, denn es würde sich in diesem Fall nur um ein Zweiwortkompositum handeln aus solus/solidus und taurus. 5,67 repandirostrum incurvicervicum pecus: Der zitierte Vers stammt aus einer unbekannten Tragödie des Pacuvius (fragm. 408 TRF

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Ribbeck). Schon Lucilius hatte sich immer wieder über die gekünstelte, gespreizte, unlateinische Tragikersprache nach griechischem Vorbild mokiert. Vgl. Horaz, Satiren 1,10,53ff. und Gellius 17,21,49. Auch unser Pacuvius-Vers wird von ihm parodiert. Vgl. fragm. 211 Krenkel und Lucilius fragm. 3 GRF Funaioli, p. 34. Zielscheibe ist hier das unförmige Kompositum repandirostrum. Qu. behält diese Kritik bei (1,5,70) und verbindet sie mit dem sprachvergleichenden Hinweis, dass solche Komposita im Gegensatz zum Griechischen, wo sie passen und vielleicht sogar Bewunderung finden, im Lateinischen unpassend und als das Ergebnis unkritischer Nachäffung fremder Sprachstrukturen lächerlich sind. Überhaupt eigne sich das Griechische eher für Komposita als das Lateinische. Zweifelsohne sind das erste Ansätze zu vergleichender Sprachkritik und kontrastiver Grammatik. Vgl. dazu allgemein Fögen 2000, und zu unserer Stelle Fögen,150 mit weiterem Material. Wie schon oben im Komm. zu 5,66–67 am Ende gesagt, handelt es sich um Dreiwortkomposita aus einer Präposition und zwei Nomina. repandi-rostrum (= mit rückwärts aufgebogenem Rüssel) von re + pandus (von pandere = ausbreiten, spreizen) + rostrum (Schnabel) und in-curvi-cervicum von in + curvus (krumm) + cervix (Nacken). Das griechische Vorbild für incurvicervicum κυρταύχενα von κυρτός (krumm) und αὐχήν (Nacken) beruht auf einer Konjektur und ist sonst nicht belegt. Qu. weist solche Komposita als stilistisch inakzeptabel zurück. 5,68 Es folgt jetzt in § 68 die Einteilung der Komposita in Unterarten. Zur allgemeinen Einordnung der verba composita bei Qu. s.o. Komm. zu 1,5,3 Singula und 1,5,65 Compositae. Die Besonderheit der Darstellung bei Qu. an unserer Stelle besteht darin, dass hier das System der Kompositaunterarten im Vergleich zu dem Standardsystem bei den spätantiken Grammatikern um eine Ebene erweitert ist. Die Grammatiker unterscheiden vier Unterarten rein morphologisch nur nach dem Grad ihrer Erhaltung nach der Komposition: verba integra et corrupta, z.B. Donat GrLat IV 377,3–14: duobus integris: sub-urbanus; duobus corruptis: muni-ceps; integro et corrupto: in-eptus; corrupto et integro: nugi-gerulus. Weitere Stellen bei Jeep 131, Barwick 1922, 153 und Schreiner, 1954, 56–58 mit wichtigen Hinweisen zur Geschichte des Systems und zu terminologischen Varianten. Qu. erweitert um die Ebene der sprachlichen Herkunft: verba Latina, bzw. nostra und peregrina.

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Dies ist – von einer kurzen Bemerkung bei Consentius GrLat V 350,13f. abgesehen – in der grammatischen Literatur singulär. Barwick hat diese Erweiterung 1922, 153 und 268 auf Remmius Palemon zurückgeführt und Schreiner ist ihm 1954, 58 gefolgt („bodenständige Erweiterung durch Remmius Palaemon“). Jedenfalls hat Qu. hier mehr zu bieten als die spätantike Grammatik. Außerdem liegt der Terminus ante quem des fertigen Systems (wie so vieles in seinem Bericht) schon vor Qu. Vgl. dazu dazu die Einleitung S. 9 und 12. Zu Qu.s System: Er unterscheidet (nach seiner Vorlage) ein übergeordnetes System der verba Latina und peregrina, dem er dann jeweils die verba integra et corrupta unterordnet. Jedoch sind die Systemmöglichkeiten nur für die verba Latina voll ausgeführt. Die beiden Systeme 1. verba Latina/peregrina: Latina

peregrina

Latina

super-fui, supter-fugi

bi-clinium

peregrina

epi-togium, Anti-cato

epi-raedium

2. verba integra/corrupta (nur für verba Latina ausgeführt): Latina integra corrupta

integra super-fui, supter-fugi nocti-vagus

corrupta male-volus pedi-secus

Zu den Beispielen superfui: ich bin übrig geblieben, noch am Leben von super und esse. supterfugi: Ich bin heimlich entflohen von supter/subter (unter…hin) und fugere (fliehen). Hier erhebt sich die Frage, ob solche Komposita wirklich echte Komposita sind oder einfach nur freie Appositionen darstellen, die man auch getrennt schreiben könnte: super fui: Vgl. Colson 1924, 71. malevolus: übelwollend, missgünstig von male (Adv. zu malus übel, schlecht) und volus ( conserv-a-sse 4. face/dice statt fac/dic: Der Imperativ Praesens Aktiv der 2. Pers. Singular wird vom reinen Präsensstamm gebildet. In der dritten Deklination ist zu unterscheiden zwischen i-Stämmen capio und konsonantischen Stämmen ago: capio bildet daher ursprünglich den Imperativ *capi mit Schwächung des auslautenden Vokals zu -e, also cape, ago normal age mit dem ererbten Stammauslaut. Vgl. Leumann 570. Bei drei Verben kommt es weiter auch noch zur Apokope des auslautenden -e im Imperativ des Simplex: fac, dic und duc. Dabei gehört fac den -iStämmen, dic und duc zu den konsonantischen Stämmen. Für fac gilt also: *faci – face – fac (Apokope des geschwächten Auslauts -e), für

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dic und duc: dice – dic; duce – duc (Apokope des ererbten -e). Vgl Leumann 92f. mit den jeweils verschiedenen Ursachen des Abfalls. Die vollen Formen des Imperativs dieser drei Verben sind altlateinisch und auch später noch gut belegt. Vgl. Kühner-Holzweissig 666f. Zweifellos sind es die eigentlich korrekten Formen, die aber zugunsten der Kurzform in der späteren consuetudo außer Gebrauch geraten sind. Das Beispiel passt also ebenfalls sehr gut in Qu.s Argumentationslinie. Das Phänomen fac, dic, duc ist natürlich auch schon den römischen Grammatikern bekannt. Vgl. Charisius GrLat I 256,18–25, der die vollen Formen ausdrücklich den veteres zuschreibt, und Priscian GrLat II 373,4–7. 6,22 Recta est haec via…et magis trita: Nach dem ironisch herabsetzenden und mit aggressiver Polemik versehenen Ton der vorausgehenden Passage §§ 17–21 wirkt der Beginn von § 22 mit seiner einlenkenden und wesentlich milderen Formulierung, die deutlich an Ciceros Orator erinnert (s. oben Komm zu 1,6,17) doch etwas überraschend. Man möchte sogar eine Art Selbstkritik heraushören, wonach der zuvor scharf kritisierte Analogist eigentlich den richtigen und anstrengenderen Weg (recta via) und Qu. selbst als Vertreter der consuetudo den bequemeren und ausgetreteren Weg (mollior et magis trita via) geht. Doch scheint mir hier kein sachlicher Widerspruch zu bestehen. Qu. stellt die mit linguistischer Kompetenz ermittelten Formen der Analogisten der vorhergehenden §§ nicht in Frage. Sie sind zweifellos auch für ihn die eigentlich „richtigen“ Formen. Man darf auch nicht vergessen, dass er, wie 1,6,20 (s. Komm. z.St.) deutlich zeigt, mit den sprachkonservativen Bemühungen der Analogisten eine weite Strecke lang durchaus konform geht. Für ihn wird analogistische Sprachpflege allerdings dann sinnlos, ja lachhaft, wenn versucht wird, gegen den abgeschlossenen Wandel in der consuetudo veraltete Sprachformen künstlich zu restaurieren. Im übrigen wird der indignierte Ton durch das im nächsten Satz folgende angor (trotzdem bedrückt es mich, quält es mich) sogleich wieder hergestellt. 6,22–24 ut, cum ebur et robur…iam attigi: Es folgen jetzt (§§ 22–24) Beispiele von Neutra der dritten Deklination auf -ur, -oris, bzw. -uris wie ebur, -oris (Elfenbein) robur, -oris (Hartholz, Kraft), sulpur, -uris (Schwefel) guttur,-uris (Kehle), iecur, -oris (Leber) und femur, -oris (Oberschenkel), die ebenfalls Gegenstand analogistischer Eingriffe sind, und zwar eines analogischen Ausgleichs von einem casus

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obliquus auf den Nominativ (eboris ĺ *ebor) oder vom Nominativ auf einen casus obliquus (ebur ĺ *ebura). Im Gegensatz zu den vorhergehenden Beispielen von §§ 17–21, denen Qu. die eigentliche „Richtigkeit“ nicht abspricht, weist er die analogistischen Eingriffe hier zurück, weil sie auf einer mangelnden linguistischen Einsicht in die Ursache der Formvarianten beruhen: der adfinitas litterarum (1,6,24). Dazu gebe ich gleich detailliertere Hinweise. Zunächst zum Gedankengang dieser schwierigen Passage von § 22–24: § 22: Ausgangspunkt der analogistischen Eingriffe sind die Unregelmäßigkeiten der Neutra auf -ur zwischen Nominativ und casus obliqui: ebur, eboris vs. guttur, gutturis. Ein Teil der Analogisten versucht, vom Genetiv zum Nominativ auszugleichen, also eboris ĺ *ebor. Dies betrifft natürlich nur die Neutra, deren Genetiv auf -oris ausgeht, also ebur und robur (und in deren Folge dann auch andere, bisher unbescholtene Neutra vom gleichen Typ wie iecur, -oris und femur, -oris, für die man offenbar analog zu *ebor auch ein *iecor und ein *femor forderte). Die Neutra mit den Genetiven auf -uris wie guttur, gutturis geben zu einem solchen Ausgleich keinen Anlass, können also so, wie sie sind, bestehen bleiben. Regelmäßigkeit hätte man dann dadurch erreicht, dass man zwei in sich einheitlich flektierende Gruppen von Neutra *ebor, -oris und guttur, -uris ansetzt. § 23: Qu. hält dieses Vorgehen deshalb für willkürlich (licentiosus), weil man ebenso gut, um Regelmäßigkeit zu erzielen, die Nominative hätte unangetastet lassen und die Genetive der -uris- Gruppe (guttur, gutturis) nach dem Genetiv der -oris-Gruppe (ebur, eboris) ausgleichen können. Man erhielte dann: ebur: eboris = guttur: *guttoris und hätte sogar nur eine einheitliche Flexionsgruppe. Zielpunkt des analogistischen Eingriffs wäre in diesem Fall nicht der Nominativ der eburGruppe, sondern der Genetiv der guttur-Gruppe. Der Ausgangspunkt beider Verfahren sind aber die casus obliqui. Es gibt aber auch noch einen zweiten umgekehrten (für Qu. ebenso willkürlichen) Weg, den Antonius Gnipho gewählt hat: Er gleicht vom Nominativ zu den casus obliqui aus, will also zu den Nominativen robur und ebur (marmur ist ein Sonderfall, auf den ich gleich eingehe) casus obliqui wie z.B. den Nominativ Plural *ebura und *robura (also wohl auch Genetive wie *eburis und *roburis) bilden. § 24: Diese analogistischen Eingriffe verkennen die regelmäßigen morphologischen Lautveränderungen (die cognatio oder adfinitas littera-

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rum), die bei zusammengehörenden Flexionsformen wie miles, militis etc. üblich sind und die Qu. bereits früher behandelt hat. Jetzt zum Einzelkommentar: § 22: Zu den Beispielen: Die Neutra auf -or/-ur sind bis heute ein Problem. Die consuetudo zur Zeit Qu.s war sicher: Genetiv -oris: ebur, robur, iecur und femur und Genetiv -uris: sulpur, guttur. Die Analogisten wollten gegen diese consuetudo *ebor, eboris oder ebur/*eburis ausgleichen – mit nicht sehr großem Erfolg. Die römischen Grammatiker zitieren gelegentlich beide Varianten vom Typ ebur/ebor, ohne sich sonderlich Gedanken darüber zu machen, z.B. Charisius GrLat I 86,4f. (ebor), Priscian II 237,20ff. (ebur). Immerhin bewahrt Phocas (5.Jh. n. Chr.) noch eine Spur des analogistischen Streits GrLat V 416,9–11: hoc ador, hoc marmor, hoc aequor. quidam et hoc ebor, hoc robor, hoc femor rationabiliter adnumerant. Für die mittelalterliche Ars anonyma Bernensis GrLat VIII 114,30f. ist dann der -or Ausgang sogar schon die Regel: marmor, robor, guttor, ebor, aequor. Der moderne sprachwissenschaftliche Befund ist zu kompliziert und noch weiterer Klärung bedürftig, um ihn hier darzulegen. Die consuetudo Qu.s wird hier im wesentlichen bestätigt. Es sei verwiesen auf Kühner-Holzweissig 318f., Safarewicz 143, Sommer-Pfister 85f., 116 und vor allem Leumann 83, 93f., 378f. Die Syntax des Satzes ab Z. 5ff. W. …ut, cum…transferunt, quia sit“ eboris“…, „sulpur“ autem…servent, ist schwierig, weil transferunt die Analogisten und servent die Wörter sulpur und guttur zum Subjekt haben und weil der Konjunktiv servent parallel zu sit die subjektive Begründung der Analogisten wiedergibt. § 23: Antonius Gnipho (ca. 110–60 v. Chr.) war ein bedeutender römischer Grammatiker aus dem griechischen Gallien. In Alexandria ausgebildet, war er Analogist, wie es ja auch hier aus unserer Qu.-Stelle deutlich wird, und schrieb ein Werk De sermone Latino in zwei Büchern, mit dem er am Anfang der Lehrbücher vom Typ De latinitate steht. Er war u. a. Caesars Privatlehrer und sicher ist Caesar von ihm zu seinem Werk De analogia angeregt worden. Man findet die wenigen Testimonien und Fragmente bei GRF Funaioli, pp. 98–100. Die hier von Qu. zitierte Stelle (fr. 4, GRF Funaioli, p. 100) betrifft die Deklination der Neutra auf -or/ur und stammt mit größter Wahrscheinlichkeit aus De sermone Latino. Wie schon erläutert, greift Gnipho die Nominative der ebur, -oris-Gruppe hier nicht an, will aber – zum Missfallen Qu.s –

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nach dem Vorbild dieser Gruppe auch noch den Nominativ marmor gegen die consuetudo zu *marmur ausgleichen. Davon werden dann neue casus obliqui – wieder gegen die consuetudo – wie ebura, robura und marmura gebildet (die pluralischen Nominative sind dabei semantisch kein Problem, denn die Stoffnomina Elfenbein, Holz und Marmor sind im Plural in der Bedeutung Gegenstände, Kunstwerke aus Elfenbein, Holz und Marmor gut belegt). Dem analogistischen Ausgleich Gniphos war kein Erfolg beschieden. Formen wie *ebura oder *robura sind außer an unserer Qu.-Stelle, die natürlich überall zitiert wird, sonst nicht belegt. Wie der Thes. Ling.Lat. Artikel marmor VIII 407,33– 411,82, zeigt, gibt es außer hier bei Qu. nur verschwindend wenige und späte Belege für marmur (407,43ff.). Die modernen Versuche zu marmor sind nicht sehr zufriedenstellend (echter -or-Stamm mit Wiederherstellung des -o im Nominativ, vgl. Kühner-Holzweissig 317, Pfister 85f., 116, Leumann 94, 379). Allerdings berichten Walde-Hofmann II 42 (mit unserer Qu.-Stelle) von einem modernen Versuch, marmur (für sie vulgär) zur lautgesetzlich richtigen Form zu erklären – leider ohne nähere Information. § 24: Die Ausgleichsversuche der Analogisten werden mit dem Vorwurf linguistischer Inkompetenz abgewiesen, und zwar mit dem Argument, dass sie den normalen morphologisch bedingten Lautwandel – Qu. nennt ihn hier litterarum adfinitas, 1,4,12 und 13 cognatio und mutatio litterarum – innerhalb der Flexion eines Nomen oder Verbs unberücksicht gelassen haben. Sein Beispiel ist hier der -e/-i-Wechsel in der 3. Deklination mil-e-s > mil-i- tis, bzw. iud-e-x > iud-i-cis, dem der -u/-o-Wechsel von eb-u-r > eb-o-ris an die Seite zu stellen ist. Der Querverweis, den Qu. hier meint, kann also nur auf 1,4,13 gehen (wie allein Spalding z.St., Vol I 152f.) gemerkt hat. Hier hatte Qu. auf den durch declinatio bedingten Lautwandel hingewiesen, und sein Beispiel war das Verb secat, secuit. Vgl. dazu oben Komm. zu 1,4,13. Colsons Hinweis auf 1,4,16 und 17 (1924, 82) kann nicht zutreffen, denn hier geht es um historisch bedingten o/u und e/i Lautwandel (§§ 1,4,13–17), den Qu. 1,4,13 sehr genau vom morphologischen unterscheidet und der mit dem hier gemeinten morphologischen Wandel in der Flexion nichts zu tun hat. Da 1,4,13 nur ein Beispiel aus der Verbflexion gegeben wurde, sind hier die Beispiele aus der Nominalflexion nicht überflüssig, weil es an unserer Stelle ja genau darum geht. Das et quae alia supra iam attigi geht dann auf den gesamten morphologischen Komplex von 1,4,12 und 13.

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6,25–26 Quid vero, quod…ulterius non invenitur.: Der Übergang von § 24 zu § 25 ist tatsächlich nicht leicht nachzuvollziehen, wie das auch schon Colson 1924, 82 empfunden hat. Die Reihe der analogistischen Problemfälle von §§ 12–15 wird abrupt wiederaufgenommen, sogar in zunächst überflüssig erscheinender Wiederholung des Falls lupus/lepus und pater/aper in § 12 und 13 durch virgo/Iuno etc. Diese „harte“ Disposition wird verständlicher, wenn man auf §§ 16–24 zurückblickt. Die Problemfälle von §§ 12–15 sind Erklärungsversuche von Anomalien durch die Analogisten ohne Korrekturversuche. Sie hatten zu dem allgemeinen Statement Qu.s über den empirischsekundären Charakter der Analogie und den Primat der consuetudo geführt (§ 16). Die sich anschließende Beispielreihe §§ 17–24 dient allein der Illustration dieser Behauptung, denn es handelt sind sämtlich um Beispiele verfehlter Angriffe der Analogisten auf den Sprachgebrauch. Um jetzt wieder zu der in § 15 abgebrochenen Beispielreihe schwer zu erklärender Anomalien (ohne Korrektur) zurückzukehren, ist ein Rückverweis (ut dicebam) auf die §§ 12 und 13 (nicht auf § 15, denn hier geht es um Ableitung, nicht um Flexion (s. o. Komm. zu 1,6,15), und der Wiederanschluss an den lupus/lepus-Typ zum Verständnis des Zusammenhangs durchaus sinnvoll. Die Wiederholung ist auch deshalb nötig, weil hier von der Systematik her zunächst Anomalien der Nominalflexion (§ 25) und dann der Verbalflexion (§ 26) angesprochen werden sollen. Ansonsten enthält dieser Passus durchaus Neues. Die Feingliederung von §§ 25–26 Anfang: Weitere Problemfälle 1,6,25–27: A. Nominalflexion: 1. Gleiche Nominative, verschiedene casus obliqui wie z.B. virgo/Iuno 2. Pluralia tantum/Singularia tantum (ohne Beispiel) 3. Aptota (ohne Beispiel) 4. Nomina defectiva (nur Nominativ oder nur casus obliqui vorhanden), z.B. Iuppiter. B. Verbalflexion: Verba defectiva, z.B. fero. 6,25–26 Einzelkommentar A 1. Gleiche Nominative, verschiedene casus obliqui: Zum allgemeinen analogiegeschichtlichen Hintergrund dieses Problems vgl. oben Komm. zu 1,6,12 zu (lepus/lupus). Zu vergleichen ist auch zu den folgenden Beispielen vor allem Varro, ling. Lat. 8,67f. und 9,91. virgo, virg-Ʊ-nis und Iuno, Iun-ǀ-nis: Den Problemfall sieht später auch Priscian GrLat II 205,23–206,15 unter Verwendung u.a. auch dieses Beispiels. Modern wird der Unterschied als Ablautvariante in den -ǀn-

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Stämmen der dritten Deklination gedeutet. Vgl. Safarewicz 141, Kühner-Holzweissig 315 und Leumann 360f. fusus; -i, m = Spindel, lusus, -njs, m. = Spiel. Das erste Nomen gehört der 2. -o, das zweite der vierten -u-Deklination an. cuspis,-idis f. = Spitze, Lanze und puppis, puppis, f. = Heck. cuspis gehört zu den ungleichsilbigen konsonantischen Stämmen der 3. Deklination, puppis zu den meist gleichsilbigen -i-Stämmen. Mischformen der -i- und der konsonantischen Stämme behandelt schon Varro ling.Lat 8,66, darunter auch puppis. 2. Singularia tantum/Pluralia tantum: Zu den von den Anomalisten kritisierten nominalen Flexionsanomalien gehören auch Nomina, die nur im Singular oder nur im Plural gebräuchlich sind. Beispiele, die hier fehlen, können von Varro bezogen werden. Er behandelt beide Gruppen vom anomalistischen Standpunkt aus ling. Lat. 8,48 und in der analogistischen Verteidigung: 9,66–67 Singularia tantum: z.B. vinum, argentum, plumbum (Stoffnamen) und 9,68–69 Pluralia tantum: z.B. scalae (= Treppe) und balneae (= Bad). Vgl. dazu Ax 2000b, 169. Zur Numerusterminologie bei Qu. vgl. Schreiner 1954, 59f. 3. Aptota: Aptota oder Monoptota sind indeklinable Nomina, die in nur ein einer Kasusform vorkommen, z.B. frugi (= nützlich), oder nequam (= nichtsnutzig). Qu. kennt das Phänomen der Sache nach (quaedam casibus careant), aber noch nicht die beiden Termini. Sie sind erst den späteren römischen Grammatikern geläufig. Vgl. dazu ausführlich Schad 2007, s.v. indeclinabilis, aptotus und monoptotus. Das Phänomen (ohne Termini) findet sich wieder schon bei Varro ling. Lat. 8,63 und 9,51–52 behandelt. Vgl. dazu Ax 2000b, 165 und 167. 4. Nomina defectiva: Nomina, die nur den Nominativ bilden wie Iuppiter und entsprechend Nomina, von denen nur casus obliqui belegt sind, wie Iovis, Iovi, Iovem etc. Dieses und andere Beispiele wieder schon bei Varro ling. Lat. 8,49 mit der analogistischen Verteidigung 9,70f. und 75–80. Vgl. Ax 2000b, 164f. und 169. B Verba defectiva: Wie Iuppiter nur im Nominativ Singular vorkommt, so bildet auch fero nur Formen im Präsensstamm. Qu. hatte den Fall des defekten fero schon 1,4,29 erwähnt (s. Komm. z.St.). Beide Beispiele, Iuppiter und fero, nennt später im Vergleich auch Priscian GrLat II 454,1–4. Priscian ist es auch, der II 418,27–419,2 (= Varro fr. 263 GRF Funaioli) eine Liste von Verben Varros bewahrt, die ihre

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Perfektformen von anderen Verbstämmen bilden, darunter auch fero, tuli. Zur modernen Erklärung vgl. RHH § 99 (p. 109). Zur Terminologie der Verbtempora bei Qu. vgl. oben Komm. zu 1,6,15 2. volo. Mit et ulterius von Z. 25 W. meint Qu. das Plusquamperfekt, das er als eigenen Terminus noch nicht kennt. Vgl. Schreiner 1954, 75f. Qu. hat also im gesamten Passus offenbar vor allem Varros De lingua Latina Buch 8 und 9 vor Augen. Vgl. dazu Ax 2000b, 164–175. 6,26 Nec plurimum refert nulla haec an praedura sint…progenies… spes faciet?: Gemeint sind hier nicht mehr wie §§ 25–26 echte verba defectiva, Wörter also, denen Flexionsformen fehlen, sondern Wörter, die alle Flexionsformen bilden können, von denen aber bestimmte Formen stilistisch oder sprachökonomisch „praedura“ = hart, roh, schwerfällig o.ä. sind und daher im allgemeinen gemieden werden. Beispiele sind der Genetiv Singular von progenies,-ei f. (Nachkommenschaft) und der Genetiv Plural von spes,-ei f. (Hoffnung), beides Nomina der 5. Deklination. 1. prǀ-gƟnƱ-Ɲs, Gen. Sing. prǀ-gƟnƱ-Ɲ-Ư: Hier sind nicht sprachhistorisch alternative Formen des Genetivs Singular der 5. Deklination (vgl. dazu Kühner-Holzweissig 405f.), z.B. im Altlateinischen gemeint, wie sie Gellius 9,14 diskutiert, darunter 14,9 und 13 sogar den Genetiv progenii, sondern es soll nur gesagt werden, dass die normale Genetivform mit ihren vier Silben zwar bildbar, aber aus stilistischen Gründen ungebräuchlich ist. Für den Genetiv Plural der 5. Deklination können wir dieses Argument sogar explizit nachweisen, s. gleich unter 2. 2. spƝs, -ƟƯ, Gen. Plur. * spƝ-rum: Laut Kühner-Holzweissig 407 werden Gen., Dat. und Abl. Pl. fast nur von res, dies, im Ausnahmefall auch von species gebildet. Von spes, -ei, f. wären also *spe-rum, *spebus im Prinzip möglich, sind aber nicht im Gebrauch. (Zu den spärlich belegten altlateinischen Pluralformen der 3. Deklination von speres, speribus vgl. Kühner-Holzweissig 497). Die stilistischen Vorbehalte gegen solche Pluralformen der fünften Deklination erläutert Cicero top. 30 am Beispiel von species, -ei, f. (Aussehen, Art): Bei der Definition sollte man die Arten (gr. eíde) eher formae, nicht species nennen, denn die häufig nötigen Kasusformen wären im Fall von (den im Lateinischen möglichen) specierum und speciebus unhandlich (inutiliter) und gegen die Bequemlichkeit beim Sprechen (commoditas in loquendo). Also wählt man besser formis, formarum. Priscian bestätigt GrLat

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II 367,14ff. die Ungebräuchlichkeit des Genetivs Plural der 5. Deklination und zitiert zum Nachweis die Cicero-Stelle. 6,26 quire et urgere: quire, queo, quivi, auch quii (können) und urgƝre, urgeo, ursi (drängen, bedrängen) setzen die Beispiele der verba defectiva im Bereich des Verbs fort. Beide Verben sind im Hinblick auf das Perfekt Passiv (praeteritum patiendi modo = das Praeteritum in der Aussageweise des Leidens) und dementsprechend auch auf das Participium Perfekt Passiv (PPP) defekt (Der Plural praeterita und participia erklärt sich daraus, dass es sich um zwei Verben handelt). Dass das Perfekt Passiv (und nicht ein anderes Präteritum) gemeint ist, zeigt die Parallele 1,6,10: „paciscor“ , cum haberet naturam patiendi, faceret tempore praeterito „pactus sum“. Zur Terminologie der Tempora bei Qu. vgl. Schreiner 1954, 73–76 und der genera verbi (Aktiv, Passiv etc.) 67–70, bes. 69 mit dem wichtigen Verweis auf 9,3,7 mit den Termini patiendi modus, faciendi modus für Passiv und Aktiv. Als fehlend eingefordert wären also aus anomalistischer Sicht: *quitus sum; *quitus, -a, -um und *ursus sum; *ursus, -a, -um. 1. quire: Das Verb quire (= können, vermögen) ist wahrscheinlich sekundär von nequire, nequit (> neque it = es geht nicht) abgeleitet. Die Flexion richtet sich also nach den Formen von ire. Das Verb ist defizitär, weil viele Formen nur selten oder in der klassischen Prosa auch gar nicht vorkommen. Den Formenbestand und die Beleglage dokumentieren ausführlich Kühner-Holzweissig 816–818. Ein Perfekt Passiv ist allerdings durchaus belegt, ist jedoch auf das Altlateinische und auf die Verbindung mit dem Infinitiv Passiv (nach dem Vorbild von potestur) beschränkt, z.B. neque vi, neque prece impelli quitus sum = Ich konnte weder durch Gewalt noch durch Bitten bewegt werden (Accius) oder nosci non quita est = sie konnte nicht erkannt werden (Terenz). Die Archaisten (Gellius, Apuleius) des 2. Jh. n. Chr. nehmen dieses Syntagma dann wieder auf. Die Belege bei Kühner-Holzweissig 818. Den Typ quitus sum im Altlatein und das entsprechende Partizip quitus, -a, um bestätigen aber auch schon die römischen Grammatiker. Vgl. Diomedes GrLat I 385,17: et quitur et quitus sum apud nonnullos veterum reperimus und 22–25 Attius quitus sum ponit pro quivi hoc modo,… folgt die zitierte Accius-Stelle. Das im Stammvokal gekürzte Supin, bzw. PPP quƱtus bezeugt an mehreren Stellen Priscian, z.B. II 530,14f., dort auch II 531,4f. die Terenzstelle mit dem Perfekt quita est. Der anomalistische Vorwurf der Defizienz von quire im Perfekt Passiv kann

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also, wenn man das Altlateinische miteinbezieht, nur teilweise Geltung beanspruchen. Jedoch hat er für die consuetudo der Zeit Qu.s sicher seine Berechtigung. 2. urgƝre: Dass hier dem urgƝre von A der überlieferten Variante ruƟre von B der Vorzug zu geben ist, hat schon Colson 1924, 83 überzeugend begründet. Die römischen Grammatiker führen das Verb standardmäßig als defektiv im Hinblick auf das PPP *ursus auf. So schon Donat GrLat IV 388, 22f.: sunt participia defectiva, quae per omnia tempora ire non possunt ut coeptus, urguendus (Formvariante von urgendus, das Gerundiv galt als Partizip Praesens Passiv). Es fehlt also *ursus: Dies kommentiert Cledonius GrLat V 72,29ff.: alii quidem volunt urguendus ursus facere, …, et urgeo ursi…ars quidem haec habet, sed euphonia sonos istos sustulit de consuetudine et defectivum participium fecit – ein klarer Beweis dafür, dass das fehlende *ursus, -a, -um und damit auch das Fehlen des auf ein PPP angewiesenen Perfekt Passiv *ursus sum in der Analogiediskussion eine wichtige Rolle gespielt hat. Priscian zählt GrLat II 560,9 urgeo zu den defektiven Verben ohne Supin (hier mit dem PPP gleichgesetzt). Demgegenüber würde ruere mit durchaus nachgewiesenen Passivformen im Präteritum, besonders in den Komposita ein sehr viel schwächeres Beispiel abgeben. Der Vorwurf der Anomalisten würde hier in Bezug auf die consuetudo Qu.s anders als im Fall von quire in vollem Masse zutreffen. 6,27 senatus…senatuis…senati…senatus: In der vierten Deklination haben die Genetive auf -njs viele Nebenformen (Kühner-Holzweissig 393–395, Leumann 441ff.). Der Genetiv senatuis (nach Leumann 442 = Analogiebildung zum Dativ der dritten Deklination senatui). ist nach Gellius 4,16 vor allem bei Varro, den Qu. ja bestens kennt, und bei Nigidius Figulus belegt. Der inschriftlich und literarisch gut belegte altlateinische Genetiv senati ist eine Analogiebildung zur zweiten Deklination (Kühner-Holzweissig 395, Leumann 442). Der Text wird also sehr wahrscheinlich gelautet haben: Quid de aliis dicam, cum, „senatǎs“ „senatuis“, „senatƯ“ an „senatnjs“ faciat, incertum est. Colsons Zurückweisung dieser Lesung (1924, 83) überzeugt nicht, denn eine von Varro und Nigidius gebrauchte Form ist für Qu. nicht obsolet, sondern durchaus diskutabel, und dasselbe Argument der Zurückweisung müsste dann auch für senati gelten. Das überlieferte senatui kann nur Dativ sein und dies ließe sich syntaktisch kaum so interpretieren, wie Colson das dem Sinn nach fordert.

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Qu. stützt sich hier offensichtlich wieder auf Plinius. d.Ä., der senatuis für Fannius’ Rede gegen G. Gracchus und senati für Sallust und Cicero bezeugt: Charisius GrLat I 143,12–15 (= Plinius fr. 38 GRF Mazzarino, 266f.). 6,28 Etymologia: Innerhalb des ersten Kriteriums der Sprachrichtigkeit, der sprachwissenschaftlichen Begründung des sermo Latinus durch ratio (§§ 4–38) folgt jetzt nach der Analogie (§§ 4–27) die Etymologie (§§ 28–38) als zweites Unterkriterium. Sie ist schon einleitend 1,6,1 im Zusammenhang mit den vier Kriterien ratio, vetustas, auctoritas und consuetudo genannt worden. Vgl. dazu Komm. zu 1,6,1. Ausserdem wurden die origines nominum schon 1,4,25 überrachenderweise unter den Akzidenzien des Nomens in der Flexionslehre des Grammatikunterrichts kurz besprochen, während die Etymologie dann später in der Grammatikstunde von 1,8,13–21, wo sie eigentlich hingehört hätte, nicht mehr erwähnt wird. S. oben Komm. zu 1,4,25. Zur Etymologie als Sprachnorm im Komplex De latinitate der antiken Grammatik vgl. Siebenborn 1976, 140–146, zur antiken Etymologie allgemein vgl. C.-P. Herbermann 1991, Antike Etymologie, 353– 376 Die theoretische Grundlegung der Etymologie ist vor allem eine Leistung der Stoiker. Ihre Lehre kann hier nicht behandelt werden. Statt dessen verweise ich auf: K. Barwick, Probleme der stoischen Sprachlehre und Rhetorik, Berlin 1957, bes. IV Die Etymologie der Stoa, 58– 69, R. Schröter, Studien zur varronischen Etymologie. Erster Teil, Wiesbaden 1960, J. Allen, The Stoics on the Origin of Language and the foundations of etymology, in: D. Frede, B. Inwood (Edd.), Language and Learning, Philosophy of Language in the Hellenistic age, Cambridge 2005, 14–35 und ebenda 36–55 A.A. Long, Stoic linguistics, Plato’s Cratylus and Augustine’s De dialectica. Vgl. dazu Rezension Ax, Archiv für Geschichte der Philosophie 88 (2006) 321–330, 322–324. Texte zur stoischen Etymologie findet man bei Hülser FDS 639–649 und 650–680. Als Lexikon äußerst hilfreich: das schon häufiger herangezogen Werk von R. Maltby, A Lexikon of Ancient Latin Etymologies, Cambridge 1991. Der Etymologieteil ähnelt mit seiner Gliederung in Pro oder positive Möglichkeiten der Etymologie (§§ 29–31) und in Contra oder deren negative Grenzen und Albernheiten (§§ 32–38) sehr dem Aufbau des Analogieteils, wobei der Contra-Teil entsprechend der unverkennbar

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skeptischen bis ablehnenden Haltung Qu.s zur Etymologie wesentlich ausführlicher geraten ist. Die Feingliederung von §§ 28–38: A. § 28: Hinweise zur Aufgabe und zur Bezeichnung der Disziplin: Drei lateinische Übersetzungsversuche von gr. ἐτυμολογία: 1. notatio (Cicero), 2. veriloquium (Cicero) und 3. originatio (quidam). B. Pro-Teil (§§ 29–31): Drei sinnvolle Aufgaben der Etymologie: 1. in der Rhetorik Hilfe zur Gewinnung von Argumenten aus der Begriffsbestimmung oder Definition einer zu verhandelnden Sache (§ 29), 2. Absicherung von sprachlichen Zweifelsfällen in der Grammatik gegen die consuetudo oder auch mit ihr (§ 30) und 3. Bereitstellung von Sachwissen, das der Grammatiklehrer bei der Lektüre, aber auch der Altertumskundler oder Kulturhistoriker braucht (§ 31). C Contra-Teil (§§ 32–38): Etymologische Zweifelsfälle und Albernheiten in sich steigernder Folge der Absurdität. 6,28 Der § 28 enthält 1. den griechischen Terminus ἐτυμολογία, 2. eine Definition dieser Disziplin (quae verborum originem inquirit), 3. zwei Übersetzungsversuche Ciceros, notatio und veriloquium, und den anonymen, eher von der Aufgabe der Etymologie her bestimmten Versuch originatio. 1. Zum griechischen Terminus: Obwohl besonders Platon (im Dialog Kratylos), aber auch Aristoteles (vgl. die Zusammenstellungen seiner Etymologien bei Bonitz, Index Aristotelicus s.v. Etymologica) die Etymologie der Sache nach natürlich sehr gut kennen, ist der Terminus ἐτυμολογία erst für die alexandrinischen Philologie belegt, und zwar für den Stoiker und späteren Alexandriner Apollodor von Athen (2. Jh. v. Chr.) und die Aristarchschüler Demetrios Ixion (2. Jh. n. Chr.) und Dionysios Thrax (Techne § 1, Gr.Gr I 1, p.6,1f. mit Sext. Emp. adv. gramm. 1,250). Doch ist schon frühere Prägung durch die Stoiker mehr als wahrscheinlich (Vgl. SVF II 146 von Arnim = FDS 643 Hülser). Für Chrysipp sind z.B. schon zwei Schriften mit dem Titel περὶ τῶν ἐτυμολογικῶν, bzw. ἐτυμολογικά überliefert, Diog.Laert. VII 200. Vgl. Barwick 1957, 60f. Im Lateinischen erscheint der Terminus, sofern ich nichts übersehen habe, erstmals bei Varro (ling. Lat. 5,2; 7,109), aber schon sein Lehrer Aelius Stilo, für den zahlreiche Etymologien stoischer Provenienz überliefert sind, hat den Terminus sicher gekannt und verwendet, obwohl er nicht direkt für ihn belegt ist (Vgl. Aelius Stilo GRF Funaioli, pp. 51–76).

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Qu. verwendet ausschließlich den griechischen Terminus (1,6,1; 28; 29; 35; 38; 1,7,17; 5,10,55 und 7,3,25), wie übrigens auch schon Varro, der etymologia und (sc. τέχνη) ἐτυμολογική verwendet, aber, soweit ich sehe, keinen Übersetzungsversuch macht (ling. Lat. 5,1f.; 7,4; 7,109). Um lateinische Neuprägungen hat sich aber, noch deutlich erkennbar, besonders Cicero bemüht. 2. Definition: Die Etymologie untersucht die Herkunft, den Ursprung der Wörter (origo verborum). So definiert auch schon Varro, ling. Lat. 5,2: Er unterscheidet hier Etymologie und Semantik und sagt zur Etymologie: priorem illam partem, ubi, cur et unde sint verba, scrutantur, Graeci vocant ἐτυμολογίαν. Varro hat sich ausführlich in den leider verlorenen Büchern ling. Lat. 2–4 um die Theorie der Etymologie bemüht. Doch bietet die Einleitung von ling. Lat. 5,1–13 einen gewissen Ersatz. 3. Ciceros Übersetzungsversuche: Die hier von Qu. zitierten beiden Übersetzungsvorschläge stammen aus Ciceros Topica § 35, einer Schrift aus dem Jahre 44 v. Chr. 1. notatio: In der Dialektik und Rhetorik lassen sich Argumente aus der etymologischen Bedeutungsbestimmung eines Wortes gewinnen (ea, sc. notatio, est autem, cum ex vi nominis argumentum elicitur; so auch Topica Anfang § 36). Dieses Verfahren nennen die Griechen lt. Cicero ἐτυμολογία: Da Aristoteles aber die ὀνόματα σύμβολα genannt hat, weil sie für die Dinge stehen (Cicero denkt vor allem an Sophistikoi elenchoi 165a7–9, aber auch an int. 16a27f.) und σύμβολον lateinisch mit lat. nota wiederzugeben ist (quia sunt verba rerum notae), kreiert Cicero den Terminus notatio (Bezeichnungsklärung). Schwierig ist das eius von Z. 5 W., denn das aristotelische σύμβολον kann sich weder auf etymologia noch auf notatio zurückbeziehen, sondern kann nur für nota allein stehen. Am besten finde ich die Erklärung von eius als ein auf das quod est nota vorausweisendes Demonstrativum bei Schröter 1960, 807 (39), Anm. 1. Cicero nimmt seinen Terminus selbst nicht ganz ernst, wie das Ende von Top. § 35 zeigt, und es ist ihm auch kein bleibender Erfolg beschieden, er blieb in dieser Bedeutung im wesentlichen auf Ciceros Topik beschränkt. Vgl. die berechtigte Kritik und die nützlichen Hinweise von Colson 1924, 84. 2. veriloquium: Dies ist die offenbar von Cicero neugeprägte wörtliche Übersetzung von ἐτυμολογία = die Kunde, Lehre vom ἔτυμον, vom

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„Wahren“, d.h. dem wahren Wesen der Dinge, das man aus der Herleitung der sie bezeichnenden Wörter gewinnt (Vgl. Herbermanns nicht ganz unberechtigte Kritik 1991, 357f. an der ungenauen allgemein üblichen Ausdeutung des Begriffes als „Lehre von der wahren Sinn der Wörter“). Allerdings ganz so solitär ist Ciceros Prägung nicht: Immerhin ist in den Scholien zu Dionysios Thrax GrGr I 3, p. 14,26 in der Definition von Etymologie (ganz im eben genannten Sinn) das griechische Pendant ἀληθολογία überliefert. Dazu verweist Schröter 1960, 806 (38) noch auf Donatian, Gr Lat. VI 275,16, wo ein ganz ähnlicher griechischer Terminus gestanden haben muss. Cicero weist seine Neuprägung (ohne nähere Begründung) als nicht hinreichend geeignet zurück. Qu.s Cicero reformidat („schreckt zurück“) ist, wenn man dessen Formulierung (nos autem novitatem verbi non satis apti fugientes) vergleicht, übertrieben. An anderer Stelle nennt Cicero die Etymologie übrigens wesentlich passender enodatio nominum (de natura deorum 3,62) oder verborum explicatio (acad. libri 1,32). 3. originatio: originatio (= Ursprungsherleitung) trifft den Sinn der Disziplin Etymologie von ihrer Aufgabe, Funktion her sicherlich besser, orientiert sich aber wie auch schon notatio nicht mehr an der griechischen Vorlage. Ihre Urheber (sunt, qui) sind unbekannt. Eine gewisse Nachwirkung ist in der Orthographie zu bemerken, denn Terentius Scaurus (2. Jh. n. Chr.) verwendet den Terminus in seiner Schrift de orthographia als eine der drei Normen der Orthographie: historia, originatio (= etymologia) und proportio (= analogia), GrLat VII 12,–7 und 9–11; 22,3. Ferner noch Eutyches (6. Jh. n. Chr.) GrLat V 467,2. 6,29 Die erste wichtige, durchaus positiv zu sehende Aufgabe der Etymologie fällt in das Gebiet der Dialektik und Rhetorik. Sie besteht darin, im dialektischen Gespräch oder in der Rede zu den Beweisen aus der Definition einer strittigen Sache beizutragen: 1,6,29: quotiens interpretatione res, de qua quaeritur, eget…Ideoque in definitionibus adsignatur etymologiae locus. Erklärt wird das Verfahren „Argumente aus der Definition einer Sache“ suo loco 5,10,54: ducuntur ergo argumenta ex finitione seu fine, und dabei spielt eben auch die Etymologie ihre wichtige Rolle (5,10,55). Das Argument wird in diesem Fall nicht aus der üblichen Bestimmung des Definiendum nach Gattung und spezifischer Differenz (z.B. rhetorice est bene dicendi scientia), sondern aus dessen etymologischer Herleitung bezogen (finimus aut vi…aut ἐτυμολογίᾳ), z.B. adsiduus (wohlhabend, steuerpflichtig) < aes

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dare (Geld geben), locuples (begütert, reich an Landbesitz) < a locorum copia und pecuniosus (begütert, reich an Vieh) < a pecorum copia. 7,3,25 wird noch einmal erklärt, dass die Richtigkeit einer Definition bisweilen auch durch die Etymologie des Definiendum überprüft werden könne (usus…nonnumquam etiam etymologiae), wenn auch zugegebenermaßen nur sehr selten. Qu. zitiert Cicero, Phil. 8,3 – ein sehr schönes Beispiel für eine etymologische Beweisführung, denn Cicero versucht hier (8,2–4), manchen Senatoren Unkenntnis des Unterschieds zwischen bellum (Krieg) und tumultus (Aufruhr) nachzuweisen, u. a mit Hilfe der Etymologie tumultus = perturbatio tanta, ut maior timor oriatur, also wahrscheinlich tumultus > timor multus. Cicero selbst liefert auch in der Topik § 36f. s.v. notatio (s. das letzte Lemma 2.) ein Beispiel für diese Beweismethode. Qu.s Beispiel für etymologische Argumentation hier an unserer Stelle stammt aus einer unbekannten Rede des M. Caelius Rufus (ca 84–48 v. Chr.), den Cicero in der Rede Pro Caelio aus dem Jahre 56 v. Chr. verteidigte. Offenbar hat sich Caelius in dieser Rede als einen homo frugi herausstellen, dabei aber durch eine etymologiegestützte semantische Analyse von frugi die für ihn ungünstige der beiden von ihm unterstellten Bedeutungen dieses Worts abwehren wollen: frugi bedeutet für ihn nämlich 1. asketisch, sparsam, mäßig – das nennt er abstinens – und 2. ertragreich, fruchtbar, ergiebig, nutzbringend – das nennt er utilis, bzw. fructuosus. Eine Argumentation im Hinblick auf die erste Bedeutung abstinens (Ich bin ein asketischer, sparsamer Mann!) hätte angesichts der Vorwürfe des Lotterlebens und der Verschwendungssucht, von denen z.B. schon Cicero Cael. 35 oder 37 berichtet, bei den Zuhörern nur Lacher ausgelöst (nam id ne mentiri quidem poterat = das hätte er nicht einmal als Lüge vortragen können). In die für ihn positive Richtung geht dagegen die Aktivierung der zweiten Bedeutung utilis, – mit der zusätzlich verdeutlichenden Angabe des dem Ausgangswort frugi etymologisch nahestehenden fructuosus: (Ich bin ein für viele frucht-, gewinnbringender, nützlicher Mann!). Diesem fructuosus wird dann ein – auf den ersten Blick – ziemlich unmotivierter Ableitungshinweis unde sit ducta frugalitas angeschlossen. Kein Wunder, dass frühere Herausgeber hier ein Textproblem gesehen haben (s. Apparat Winterbottom) und Colson (1924, 84) sogar zur Athetese des unde sit ducta frugalitas veranlasst worden ist. Man kann aber, wie ich glaube, den Text so stehen lassen, wie er ist. Caelius ist offenbar von ähnlichen Bedeutungsanalysen von frugi

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und frugalitas ausgegangen wie Cicero, der diese Begriffe in den Tuskulanen 3,16–18 und dann noch einmal 4,36 ausführlich analysiert (Caelius kann allerdings nicht direkt davon beeinflusst gewesen sein, denn er starb schon 48 v. Chr, während die Tuskulanen erst 45 v. Chr. veröffentlicht wurden). frugi und frugalitas sind für Cicero sehr positiv besetzte allgemeine Begriffe, ja frugi und frugalitas schließen sogar alle vier Kardinaltugenden mit ein (3,16–18). frugalitas ist also im Lateinischen der ethische Oberbegriff, wie auch das frugi im Sprichwort homines frugi omnia recte faciunt (Tusc. 4,36). Davon abgesetzt wird ein allgemein vertretener, aber für Cicero viel zu enger Begriff der frugi homines als tantum modo utiles , gr. χρήσιμοι. (bloß nützliche, taugliche Menschen). Als Etymologie von frugalitas bietet Cicero an: frugalitas a fruge, qua nihil melius e terra (= frugalitas kommt, wie ich vermute, von frux (Frucht), dem besten, was die Erde zu geben vermag.). Es gab also auch schon zu Zeiten des Caelius eine freilich für Cicero zu enge, aber durchaus übliche positive Bedeutung von frugi/frugalitas im Sinne von utilis, nützlich, brauchbar, tauglich, und genau diese Bedeutung beansprucht Caelius hier für sich. Der Hinweis id est fructuosus ist dabei nicht als etymologischer Ableitungshinweis zu verstehen, so als sollten frugi und frugalitas direkt von fructuosus abgeleitet werden (Beide Wörter bedeuten nicht genau dasselbe und kommen von verschiedenen Wörtern, nämlich von frux und fructus. Ausserdem ist der etymologische Zusammenhang von frux/frugi und frugalitas so eng und allgemein üblich, wie 1,6,17 und die eben genannten Stellen aus Ciceros Tuskulanen beweisen, dass Caelius nicht ernsthaft hätte frugalitas direkt von fructuosus ableiten können). fructuosus fungiert hier lediglich als zusätzliche Bedeutungsangabe, freilich geschickterweise mit einem etymologisch verwandten Wort. Ähnlich Siebenborn 1976, 140 und Schröter 1960, 808 (40). Ein unzweifelhafter Ableitungshinweis folgt dann allerdings mit dem schwierigen unde sit ducta frugalitas. frugalitas bleibt aber auch hier noch weiterhin von frugi abgeleitet, jedoch – und hier liegt der eigenständige Ansatz des Caelius- nur in der zweiten Bedeutung der Tauglichkeit, Nützlichkeit, nicht in der von der ersten (abstinens) ausgehenden Bedeutung Sparsamkeit, Genügsamkeit, asketische Lebensführung, Armut (die übrigens für Qu. verbindlich ist, vgl. 5,10,73; 10,3,26; 11,3,19; 12,1,8, Gegensatz luxuria). Würde man hier frugalitas die Bedeutung 1. abstinens unterstellen, wäre Caelius’ Argumentation widersprüchlich, bis unverständlich, denn es läge genau die Bedeutung

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vor, die er doch gerade hatte vermeiden wollen. Ich würde also schreiben: sed quia utilis multis, id est fructuosus, unde sit ducta frugalitas = sondern weil er vielen nutzbringend, d.h fructuosus (gewinnbringend, ertragreich) sei, von welcher Bedeutung frugalitas (im positiven Sinne des Tauglichen, Nützlichen) abgeleitet sei. Weitere antike Etymologien bei Maltby 244f. Zu frugi/frugalitas in der analogistischen Diskussion vgl. oben Anm. 23. 7. zu 1,6,17. 6,30 Die zweite (gelegentliche, s.1,6,1: nonnumquam etymologia) Aufgabe der Etymologie ist im Bereich der Grammatik die Korrektur von Barbarismen im Sprachgebrauch – entsprechend der dritten Bedeutung von barbarum von 1,5,10. Z.B. heißt Sizilien üblicherweise Triquetra (die Dreieckige), die Etymologie empfiehlt Triquedra, man sagt allgemein meridies, richtig wäre im Sinne der Etymologie des Wortes medidies. Dazu gleich mehr. Auch Sextus Empiricus widmet der Etymologie als Kriterium des korrekten Griechisch (des Ἑλληνισμός) einen kurzen Abschnitt, adv. gramm. 1,241–247. Zur Rolle der Etymologie in der antiken Grammatik allgemein vgl. Siebenborn 1976, 140– 146. Nach Siebenborn dient sie der Ermittlung der richtigen Bedeutung und der richtigen Form eines Wortes. Die Variante aliquando consuetudini servit von A verdient den Vorzug vor aliaque, quae consuetudini serviunt von B, weil sie einen viel stärkeren, besseren Sinn ergibt. Qu. sagt 1,7,11 über die Orthographie ganz dasselbe wie hier über die Etymologie: verum orthographia quoque consuetudini servit ideoque saepe mutata est = Aber die Orthographie dient auch dem Sprachgebrauch und hat sich deshalb oft geändert, d.h., sie empfiehlt zwar Änderungen gegen den Sprachgebrauch, z.B. quotidie statt cotidie (1,7,6), kann aber auch mit den Änderungen im Usus mitgehen und z.B. nicht mehr puerei, sondern pueri empfehlen (1,7,15). Das gleiche Argumentationslinie liegt hier auch bei der Etymologie vor. Sie möchte bisweilen einen fehlerhaften Sprachgebrauch durch Rückgriff auf ältere Sprachformen und durch semantische Erwägungen korrigieren, z.B., wie schon erwähnt, das übliche, aber fehlerhafte Triquetra zu Triquedra und das übliche, aber fehlerhafte meridies zu medidies. Insofern richtet sie sich gegen den Sprachgebrauch. Sie kann aber natürlich auch den Sprachgebrauch etymologisch verteidigen, wofür hier leider ein Beispiel fehlt. Dass die Etymologie manchmal mit der synétheia (der consuetudo) übereinstimmt, manchmal aber

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auch nicht, sagt ausdrücklich auch Sextus Empiricus, adv. gramm. 1,241. In Triquetra (insula) = dreieckige Insel (Name von Sizilien) steckt quadrus, a, um (viereckig, eckig), so dass ursprünglich ein altlateinisches *Triquedra anzusetzen ist, das dann dem Lautwandel dr > tr unterliegt. Vgl. Leumann 198. Meridies hatte schon Varro, ling. Lat. 6,4 von altlateinisch medius dies hergeleitet und dafür auch einen inschriftlichen Beleg auf einer Sonnenuhr in Praeneste beigebracht. Das Beispiel bespricht auch schon Cicero, orat. 157, der medidies für insuavius hält. Die altlateinischen Formen liefern also hier die „wahre“ (étymon), d.h. die eigentlich richtige Wortform. Das r in meridies ist natürlich das Ergebnis einer Ferndissimiliation zur Vermeidung des doppelten d. 6,31 Die dritte ernstzunehmende Aufgabe der Etymologie ist die Bereitstellung von Sachwissen, vorzugsweise antiquarischen Wissens aus der römischen Frühzeit. Als solche ist sie eine wichtige Aufgabe des Grammatikunterrichts – zu der überraschenden Einordnung der Etymologie unter die Akzidentien des Nomens schon 1,4,25f. und zu deren ebenso überraschendem Fehlen 1,8,13–17 und 1,8,18–21 vgl. oben Komm. zu 1,6,28 Etymologia und zu 1,4,25. Auf einer höheren wissenschaftlichen Ebene spielt sie eine ebenso bedeutende Rolle in der römischen antiquarisch orientierten Sprach- und Kulturwissenschaft, wie sie besonders von Aelius Stilo und Varro betrieben worden sind. Davon geben das linguistische Hauptwerk Varros De lingua Latina (Buch 5–7) und die Fragmente seiner kulturhistorischen Schriften (Antiquitates, de gente, de vita populi Romani etc.) ein klares Zeugnis. Ich habe sie anläßlich der verba peregrina schon oben im Komm. zu 1,5,55 erwähnt. Die Etymologie zur Bereitstellung von Sachwissen wird hier nach zwei Hauptgebieten differenziert: 1. die Erklärung lateinischer Wörter mit griechischem, besonders äolischem Ursprung, leider ohne Beispiele und 2. frührömische Eigennamen von Menschen, Orten, Familien, Städten etc., hier mit Beispielen für Personennamen, Länder- und Städtenamen und römischen Ortsnamen. Während 2. schon 1,4,25f. vor allem mit Beispielen männlicher cognomina behandelt wurde, wird die etymologische Behandlung von Wörtern mit griechischem Ursprung von Qu. hier nur erwähnt und auch vorher und später nicht im einzelnen dargelegt, denn in 1,5,58–64 ging es ja nicht um Etymologie, sondern um die Deklination griechischer Nomina im Lateinischen. Jedoch fin-

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den sich für beide Hauptgebiete in Varros De lingua Latina viele Beispiele und Hinweise, die Qu.s knappe Bemerkungen verdeutlichen können. 6,31 sive ex Graecis orta: 1. Lateinische Wörter mit griechischer, besonder äolischer Herkunft: Die Indizes zu Varros De lingua Latina weisen zahlreiche Rückführungen lateinischer Wörter auf griechische Ursprünge zurück, z.B. domus von δόμος (5,160), bos von βοῦς, ovis von ὄις (5,96) etc. Äolische Etymologien: puteus (Brunnen) von äol. πύθεος (5,25); 5,101 lepus (Hase) von äol. λέπορις (5,101); malum (Apfel) von äol. μᾶλον (5,102); donum (Geschenk) von äol. δόνειον (5,175). Zur engen Verwandschaft des Lateinischen mit dem Äolischen vgl. 1,4,8, 1,4,16 und besonders 1,5,58. 6,31 sive ex historiarum veterum notitia: 2. Frührömische Personen- und Ortsnamen (3x3 Beispiele): 1. nomina hominum = drei männliche cognomina römischer Familien: Bruti: Brutus ist männliches Cognomen mit der Bedeutung: schwerfällig, langsam von Begriff, gefühllos, dumm, als Cognomen in der Familie der gens Iunia häufig vertreten, deren bekanntestes Mitglied der Caesarmörder M. Iunius Brutus war. Nach Livius 1,56,8 trug der Begründer der Republik L. Iunius Brutus (der Dumme) diesen Beinamen zur bewußten Tarnung, um seine wahren Absichten zu verschleiern. Die antiken Etymologien bei Maltby 1991, 86. Publicolae: Publicola = Volksfreund, Volksverehrer, männliches cognomen des Konsuls P. Valerius und seiner Nachkommen, erklärt von Livius 2,8,1. Vgl. Maltby 505. Pythici: Pythicus ist das Adjektiv zu Pytho mit der Bedeutung pythisch, apollinisch, delphisch. Es wurde von der Familie der Sulpicii als cognomen benutzt und noch zur Zeit Neros von einem Sulpicius Camerinus und dessen Sohn getragen. Nero sah darin eine provozierende Mißachtung seiner Siege bei den pythischen Spielen und ließ beide durch den Freigelassenen Helios hinrichten. Vgl. Cassius Dio 63,18,2 und Colson 1924, 85. 2. Ländernamen, Städtenamen: Latium: das Land um Rom. Etymologisch wird es (zuerst von Varro bei Servius zur Aen. 8,322) mit dem Verb latere = verbergen, verstecken in Verbindung gebracht – so, dass sich Latium entweder zwischen Gebir-

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gen versteckt oder sich in Latium der Gott Saturn oder die Einwohner verbergen konnten. Erwogen wird auch eine Herleitung vom König Latinus: Die Stellen bei Maltby 329. Italia: das Land Italien. Der Name wird seit Calpurnius Piso (2. Jh. v. Chr.) und Varro (rust. 2,1,9 und 2,5,3) von vituli (männliche Rinder) hergeleitet (Italien als das rinderreiche Land). Aber es wird auch die Herleitung von einem König Italus oder von anderen Personen vertreten. Die Stellen bei Maltby 314. Beneventum: die Stadt Benevent im Samnium. Sie hieß zunächst Maleventum (schlechter Ausgang) und wurde aus nicht mehr ganz durchschaubaren euphemistischen Gründen später in Beneventum (guter Ausgang) umbenannt. Vgl. Maltby 78. 3. Römische Ortsnamen: Capitolium: das Heiligtum des Iuppiter Optimus Maximus und von daher auch der gesamte Hügel, das Kapitol. Angeblich soll beim Fundamentbau des Tempels ein Schädel (caput) gefunden worden sein, daher der Name Capitolium. Versucht wird auch die Erklärung Capitolium, quod fuerit Romanae urbis et religionis caput summum. Vgl. Maltby 105. Quirinalis: der römische Hügel Quirinal. Nach Varro ling. Lat. 5,51 von einem Tempel des Quirinus auf diesem Hügel abgeleitet. Varro verweist noch auf eine andere Herleitung von Quirites, den Einwohnern der sabinischen Stadt Cures, die unter ihrem König Tatius auf dem Quirinal ein Militärlager errichtet haben sollen. Vgl. Maltby 516. Argiletum: Straßenzug und Stadtviertel in Rom nordöstlich des Forums. Varro referiert ling. Lat. 5,157 zwei Herleitungen, entweder vom Gastfreund des Euander Argos von Larissa oder von argilla, der weißen Töpfererde, die es dort gegeben haben soll. Den Hain des Argos mit seinem Grabmal (daher Argi letum = Tod des Argos) wird von Vergil, Aen. 8,345 erwähnt, und die Geschichte dazu erzählt Servius ad locum: Argus wurde von Euander gastfreundlich aufgenommen, trachtete aber nach Leben und Herrschaft seines Gastgebers und wurde deshalb von dessen Freunden getötet. Trotzdem gab ihm Euander ein ehrenvolles Begräbnis und ein Grabmal, fortan Argiletum genannt. Vgl. Maltby 50. 6,32 Iam illa minora …usque ludibria labuntur: Nachdem die Etymologie zunächst gutwillig in ihren drei anerkennswerten Dienstleistungen vorgestellt worden ist (Pro §§ 28–31), folgt jetzt, wie schon

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gesagt (s. o. Komm. zu 1,6,28 Etymologia) der Contrateil (§§ 32–38), der sich, von noch diskussionswürdigen Etymologien ausgehend, zu Beispielen immer größerer etymologischen Albernheiten auch berühmter und anerkanner Autoren wie Varro steigert. Der satirisch-ironische, bis polemische agressive Ton der Partie (wie übrigens auch schon bei der Analogie; vgl. 1,6,17 und 20) lässt keinen Zweifel an der bei Qu. stark überwiegenden Skepsis der Etymologie gegenüber. Wir verdanken Schröter 1960, 810–813 (42–45) eine Analyse der gesamten Partie Qu. 1,6,32–38 vor dem Hintergrund der stoischen etymologischen Theorie und Hinweise auf ihre (auch römischen) Quellen. Er nennt hier vor allem Varros De sermone Latino und ling. Lat. 2–4. Ich hier nicht im einzelnen darauf eingehen. 6,32 illa minora: Waren die vorhergehenden Etymologien noch Beispiele sinnvoller Anwendung der Etymologie, sind die folgenden illa minora = weniger bedeutenden Problemfälle kaum nützlich und daher eigentlich auch überflüssig. Trotzdem quälen sich gerade damit – ein Zeichen ihres mangelnden Durchblicks- die übereifrigen (in quibus maxime studiosi eius rei fatigantur) und fehlgeleiteten (prava ingenia) Etymologiefans ab. 6,32 qui…paulum: qui statt quae, paulum statt paululum: Die Konjektur von Regius qui statt des überlieferten quae ist vom Sinn und auch vom Vorbild Varro, ling. Lat. 6,2 her (Chrysipp, Antipater, Aristophanes und Aristarch, …qui omnes verba ex verbis ita declinari scribunt…) sicher vorzuziehen. Das von Colson 1924, 85 vertretene paululum von A statt paulum B gibt m.E.s keinen besseren Sinn. 6,32 qui verba paulum declinata varie et multipliciter ad veritatem reducunt: Qu. beschreibt hier in einer Vorbemerkung zu den folgenden etymologischen Beispielen die etymologische Methode in enger Anlehnung an griechische Quellen, die Schröter 1960, 793 (25)ff. zusammengestellt hat und in deren Tradition er 796f. (28)f. auch unsere Qu.Stelle einordnet. Schröter ebenda zur etymologischen Methode: „…die Etymologie gleicht die Lautform der überzeugenden Wahrscheinlichkeit des zugunde liegenden Dinges an, d.h. sie verändert die gegebene Lautform eines Wortes so, daß sich das ihr zugunde liegende Ding überzeugend dartun läßt.“ Die Etymologie deckt also durch Herleitung des Wortes von anderen Wörtern das wahre Wesen der Dinge auf (das etymon, bzw. die veritas). Vgl. dazu o. Komm zu 1,6,28: 3.2. verilo-

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quium. Zu verum, veritas in Ciceros Orator vgl. Komm. zu 1,6,17. Dieses Verfahren kann auf verschiedenen Wegen zu durchaus verschiedenen Ergebnissen führen, weshalb es mehrere Etymologien einund desselben Wortes geben kann (daher varie et multipliciter). Auch dies entspricht griechischer Theorie: Schröter 1960, 796f. (28)f.: „d.h. es sind von selben Wort mehrere Etymologien denkbar. Die Lautform ist weder Richtschnur noch Hemmnis. Es kommt allein darauf an, der wahren Bedeutung habhaft zu werden, also herauszufinden, von welchen Wesensmerkmalen her tatsächlich benannt wurde.“ 6,32 aut correptis aut porrectis…syllabisve: Hier hat Qu. offenbar Varros ling. Lat. 5,6 und 6,2 vor Augen. Varro hatte dort auf die Rückverfolgungen der Laut- und Silbenänderungen vom Urwort zu dem zu etymologisierenden Wort als Hauptverfahren der Etymologie hingewiesen. 5,6 unterscheidet er 2x vier Änderungen, vier der Buchstaben (litterae), vier der Silben (syllabarum): 1. der Buchstaben: litterarum (1) demptio, (2) additio, (3) traiectio und (4) commutatio, also die vier bekannten Änderungskategorien Hinzufügung, Wegnahme, Platztausch und Umtausch und 2. der Silben: syllabarum (1) productio, (2) correptio, (3) adiectio und (4) detractio, also Längung, Kürzung, Hinzufügung und Wegnahme einer Silbe. (Das Problem ist allerdings, dass der Varrotext 5,6 bei der Silbe defekt ist und in den Varroausgaben nach unserer Qu.-Stelle ergänzt wird. Aber Varro spricht eindeutig von bis quaternas causas, also unterliegt auch die Silbe vier Änderungen und welche sollten das sonst sein als die von Qu. genannten?). Qu. fasst Laut und Silbe zusammen und gibt damit die klare Zahlensymmetrie und deutliche Zuweisung Varros der Änderungen zu Laut oder Silbe auf. Die Stelle wirkt flüchtig exzerpiert. Die vier Standard-Änderungskategorien hatte Qu. selbst zuvor dem Barbarismus beim Schreiben, und dazu vier neue Kategorien, divisio, complexio spatium und sonus, dem Barbarismus beim Sprechen zugeordnet (vgl. 1,5,6 mit Komm. z. St.). Die Dehnung und Kürzung wird dann 1,5,18 (s. Komm. z.St.) der Silbe und der Kategorie des spatium zugeordnet. correptis und porrectis bezieht sich hier also ebenfalls wohl doch nur auf die Silbe. Vgl. auch Qu. 10,1,29. Unsere Stelle beweist ebenso wie die genannten Varrostellen die große Bedeutung der Änderungskategorien auch in der Etymologie. Vgl. dazu allgemein den schon im Komm. zu 1,5,6 genannten Aufsatz Ax 2000c, 190–208.

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6,32–38 Es folgt jetzt eine längere Beispielreihe von Etymologien, die ich jetzt im Einzelnen durchgehe: 6,32 1. consul: der höchste Staatsbeamte, der Befrager des Volks und des Senats, vgl. Varro ling. Lat. 5,80: consul nominatus, qui consuleret populum et senatum. Die Ableitung der Amtsbezeichnung consul von der Haupttätigkeit des Beamten, dem consulere = befragen, um Rat fragen eines politisches Gremiums, z.B. des Senats, den er einberufen hat und dem er vorsitzt, wird in der antiken Etymologie allgemein vertreten.Vgl. Maltby 132. Auch die moderne Sprachwissenschaft erklärt con-sul aus verbaler Ableitung als ein aus der Präposition con- und der Verbalwurzel *sel (= nehmen, holen) zusammengesetztes Wurzelnomen, so dass consul eigentlich „Zusammenholer“, d.h. der, der den Senat zuerst zusammenholt und dann befragt bedeutet. Die Wurzel *sel steckt natürlich auch in consulere, wobei die Ableitungsrichtung consulere > consul oder consul > consulere m.W.s in der modernen Forschung ungeklärt geblieben ist. Vgl. Walde-Hofmann, I 264, Leumann 393, Meiser § 60,6 und § 134,3. Die Ableitung des consul von consulere in der juristischen Sonderbedeutung iudicare (urteilen), auf die Qu. hier verweist, ist von der altrömischen Auffassung verursacht, dass die consulere genannte Amtstätigkeit des Konsuls die eines Urteile fällenden Richters, consulere also gleich iudicare und der consul ein iudex sei. Dies bestätigt für die römische Frühzeit ausdrücklich Livius 3,55,12: iudicem enim consulem appellari, weist aber diese Identifikation zurück. Die altlateinische Gleichsetzung von consulere mit iudicare bestätigt auch Paul.Fest 41 s.v. consulas: consulas antiqui ponebant non tantum pro consilium petas et perconteris, sed etiam pro iudices et statuas. consulas (mögest du urteilen) nahmen die Alten nicht nur für „frage um Rat“ und „erkundige dich, frage nach“, sondern auch für „fälle ein Urteil“, „treffe eine Entscheidung“. Dieser Hinweis deutet auf die Verwendung von consulere und insbesondere des formelhaften consulas in der Gerichtssprache in der Bedeutung juristischer Verben des Urteilens, Entscheidens wie iudicare, statuere oder decernere, und so scheint das von Qu. zitierte, offenbar zu seiner Zeit immer noch gebräuchliche altlateinische rogat boni consulas = er bittet dich um ein gutes Urteil eine formelhafte Bitte im Prozess gewesen zu sein. Das Verbum consulere trägt hier in der Sonderbedeutung des Urteilens, Einschätzens etc. den normalen gen. pretii (cf. KSt. 1,457) boni bei

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sich. Die Wendung boni consulere blieb übrigens nicht auf die Gerichtssprache beschränkt, sondern wurde auf die allgemeine Bedeutung für gut erachten, gut beurteilen, gut einschätzen zufrieden sein mit erweitert und ist in der gesamten Latinität gut belegt, z.B. bei Qu. selbst 6, Prooem. 16. Weitere Belege liefert jedes Lexikon s.v. (boni) consulere. 6,33 2. senatus: Ältestenrat, Senat. Die Ableitung vom Greisenalter, der aetas senectutis, ist auch in der antiken Etymologie die überwiegende. Vgl. Maltby 558f. Qu.s erläuternder Zusatz patres deutet darauf hin, dass die Senatoren jedenfalls in der Frühzeit in der Regel im schon vorgerückten Alter befindliche Familienoberhäupter (die patres, vgl. die Anrede patres conscripti), also senes waren. Von senes (Pl. von senex) als kollektivem Plural ist das Denominativum senatus als Kollektivum zur Bezeichnung eines Verbandes, einer Versammlung etc. (wie equitatus; comitatus) abgeleitet. Es gehört zu den Denominativa auf -atu – wie magistr-atu-s; consul-atu-s etc. Vgl. Leumann 355. 3. rex: König. Die Ableitung von regere = lenken, herrschen gilt allgemein. Vgl. Maltby 526. Modern gilt rex als Wurzelnomen (reg-s), als Nomen agentis (der Lenker, Herrscher) neben einem Verb, hier regere (Leumann 274). rector ist hier nicht der etymologische Ursprung der Ableitung (etwa rector > rex), sondern nur eine Bedeutungsangabe wie oben consulere a iudicando. Bis hierher sind diese wie viele andere Etymologien auch für Qu. indubitata zweifelsfrei. Auch die vier nächsten Etymologien finden noch, wenn auch schon zurückhaltender (nec abnuerim), Qu.s Zustimmung: 4. tegula: Dachziegel wurde (richtig) mit tegere in Verbindung gebracht. Vgl. Isidor, orig. 15,8,15: tegulae, quod tegant aedes (Maltby 1991, 602) und regula (Schiene, Maßstab, Regel) (wieder richtig) mit regere, aber auch mit recte/rectum: Vgl. z.B. Isidor 6,16,1: alii dixerunt regulam dictam vel quod regat, vel quod normam recte vivendi praebeat: (Maltby 1991, 522). Zum Wortbildungstyp vgl. Leumann 274: Verbalabstraktum. 5. classis: Abteilung, Klasse, Bürgerklasse, Flotte, Schiff. classis wird hier von calare: zusammenrufen, ausrufen abgeleitet. Je nach Bedeutung werden verschiedene Etymologien erwogen: classis = Bürgerklasse, militärische Abteilung etc. von calare: zusammenrufen, einberufen oder classis = Flotte von alt. calae = Knüppel, Stock (fustes). Vgl.

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Maltby 134. Die moderne Etymologie schließt sich der Herleitung von calare = rufen an: Walde-Hofmann I 228 (mit Nennung unserer Quintilian-Stelle). 6. lepus, oris, m.: Hase. Zum Fall lepus in der analogistischen Diskussion vgl. oben Komm. zu 1,6,12. Hier geht es um die Etymologie des Wortes. lepus < levipes (Leichtfuß) ist, wie Varro berichtet, eine Etymologie Aelius Stilos. Varro weist sie zurück und leitet lieber von sizilisch-äolisch λέπορις ab. Die Stellen bei Maltby 134f. Die moderne Etymologie führt lepus auf ein iberisches Lehnwort zurück. WaldeHofmann I 786. 7. vulpes, is, f.: Fuchs. Wieder eine Etymologie Aelius Stilos, vgl. Varro ling. Lat. 5,101: volpes, ut Aelius dicebat, quod volat pedibus. Dieser Etymologie scheint sich Varro angeschlossen zu haben. Qu.s in der Sache identische Version vulpes = volipes findet sich auch noch bis hin zu Isidor. Die Stellen Maltby 657. Die moderne Etymologie bei WaldeHofmann II 830. 6,34 Es beginnen jetzt die Fälle etymologischer Herleitung, denen Qu. mit Skepsis und ironischem Spott bis hin zur offenen Ablehnung begegnet. Die nächsten drei Etymologien (8.–10.) sind Etymologien a contrariis oder per contrarium vom Typ lucus a non lucendo = lucus (Waldlichtung), weil es da nicht hell ist (non lucet). Nach der Etymologietheorie der Stoiker (vgl. Barwick 1957, 63) ist das contrarium eine der drei sachlichen Bedeutungsbeziehungen, die das abgeleitete Wort mit dem Ursprungswort verbinden muss: Ähnlichkeit (similitudo), Nachbarschaft (vicinitas) und Gegensatz (contrarium). Barwick liefert ebenda Beispiele des stark von der stoischen Etymologie beeinflussten Aelius Stilo: 1. similitudo: nebulo (Windbeutel, Taugenichts) < nebula (Wolke), weil der Taugenichts wie die Wolke schwer durchschaubar ist (fr. 20 GRF Funaioli, p. 63), 2. vicinitas: terra…quod teritur; weil die Erde (terra) oft betreten wird (teritur), d.h.die Erde und das Betreten stehen in einem sachlichen Zusammenhang (fr. 39 GRF Funaioli p. 67) und 3. contrarium: ordinarius homo, qui minime ordine viveret = ordentlicher oder standesgemäßer Mann, der keineswegs ordentlich oder standesgemäß lebt (fr. 26 GRF Funaioli, p. 64) (Es ist nicht etwa der deutsche Ordinarius gemeint). Diese drei Beziehungen gelten auch in der stoischen Tropenlehre (Barwick 1957, 89–92): similitudo = Metapher, vicinitas = Metonymie und contrarium = Ironie. So nimmt es nicht wunder, wenn man unsere

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Etymologien per contrarium bei den späteren Grammatikern unter dem Tropus der Antiphrasis als Ironie in einem Wort wiederfindet. Vgl. Donat IV 402,3–5: antiphrasis est unius verbi ironia, ut bellum, hoc est minime bellum, et lucus eo, quod non luceat, et Parcae eo, quod nulli parcant. 8. lucus, i, m.: Lichtung, Hain. Die eben erläuterte Etymologie per contrarium = a non lucendo ist die weitem überwiegende (Maltby 349f.). Auch Walde-Hofmann verbinden lucus I 828 mit lucere. 9. ludus, i, m.: Spiel, Schauspiel, Schule. Die verbreitete Etymologie per contrarium, die Qu. hier zitiert, geht von der Bedeutung Schule aus: In der Schule (ludus) wird auf gar keinen Fall gespielt (longissime a lusu; ludum, in quo minime luditur). Vgl. Maltby 350. Nur Varro soll laut Isidor, Etym. 18,16,2 ludi von lusus abgeleitet haben, hier offenbar von der Bedeutung Schauspiele, Spiele an Festtagen ausgehend, an denen Spiele stattfanden. Walde-Hofmann I 829: ludus von * loidos = Spiel. 10. Ditis, itis, m.: Nebenform von Dis, itis m. = Pluto, Gott der Unterwelt. dis, ditis sind von divit- (von dives, divitis = reich) neugebildete maskuline Nomina mit Wegfall des intervokalischen v und Kontraktion. Vgl. Leumann 449. Dis oder Ditis gilt als Übersetzung des griechischen Götternamens Pluton, lat. Pluto, seit Platons Kratylos 403a als weiterer Name des Unterweltgottes Hades abgeleitet von gr. πλοῦτος = Reichtum. In diesem Sinne auch Cicero, nat. 2,66. Der Unterweltgott galt als der Reiche, weil er die irdische Nahrung hervorbringt und wieder zu sich nimmt, wohl auch wegen der unterirdischen Metalle. Vgl. Maltby 190 und Walde-Hofmann I 355. Die hier von Qu. erwähnte Etymologie per contrarium: Ditis, quia minime dives (weil er keineswegs reich ist) ist, soweit ich sehe, sonst nicht belegt. 11. homo, inis, m.: Mensch. Die Ableitung von humus, i, m. = Boden, Erde (= aus Erde gemacht, aus Erde entstanden, geboren) ist neben Qu. noch von Hygin, fab. 220,3 bezeugt. Sie überwiegt auch später fast ausschließlich, besonders natürlich in der spätantiken christlichen Literatur, entsprechend der Schaffung des Menschen aus Erde in der Genesis. Vgl. Maltby 281. Qu.s Widerlegung zeugt natürlich von humorvoll ironischer Distanz zur Etymologie und zugleich von sachlich scharfsinniger Kritik: Alle erdgeborenen Lebewesen (also auch Pflanzen und Tiere) müssten in diesem Fall homo heißen und die Namensgeber hätten erst der Erde (humus) und dann sich selbst (homo) einen Namen

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gegeben. Heute wird homo über *homon- auf altlat. *hemon- zurückgeführt (nemo < ne-hemo), verwandt mit got. guma oder ahd. gomo = Mann, vgl. Bräuti-gam: Walde-Hofmann I 655f. 12. verba, orum, n.: Wörter. Die Ableitung von verbum = Wort (nicht verbum = Verb) von aëre verberato = angeschlagener Luft ist eine sehr häufig belegte Standardetymologie, die besonders in der römischgrammatischen Literatur vorkommt. Qu. liefert den Erstbeleg für diese Etymologie. Sie ist die lautphysiologische Herleitung des Wortes verbum aus dem mit der Zunge artikulierten Luftanschlag (verberare = schlagen) der Stimme, der als Wort auf die Ohren trifft. Vgl. Isidor, Etym. 3,20,2: vox est aër spiritu verberatus, unde et verba sunt nuncupata und Ax 1986, 48, Anm. 95. Neben dieser lautphysiologischen Herleitung findet man seit Varro auch noch eine semantisch orientierte Etymologie, wonach verbum von verum stammt, man also mit dem verbum stets die veritas Wahrheit sagt (Schön wär’s!). Die wichtigste Quelle für insgesamt fünf Etymologien von verbum liefert Augustinus, dialect. 6,9. Die Stellen bei Maltby 636. Heute wird verbum auf idg. *ver- = reden, sprechen zurückgeführt. Walde-Hofmann II 756f. 6,35 Für die folgenden sechs Etymologien (§§ 35–38) werden fünf Urheber genannt, drei zeitgenössische (ein Anonymus, Gavius und Modestus) und zwei ältere republikanische Autoren, Aelius Stilo und Varro, der trotz des sonst sicher großen Respekts vonseiten Qu.s hier durchaus nicht ohne spöttische Kritik bleibt. 6,35 13. stella: Stern, hier abgeleitet von luminis stilla = Lichttropfen. Hier, wo er zu tadeln ist (in ea parte, qua a me reprenditur. Das quae von A gibt für mich trotz Colson 1924, 87 keinen überzeugenden Sinn. Das in ea parte gehört zu nominari und welcher Teil des berühmten Autors sollte denn hier getadelt werden?) wird der (berühmte und wiss. versierte) Erfinder dieser Etymologie aus ironisch gefärbter Pietät anonym gelassen, denn Qu. hat den Namen hier nicht etwa wie 3,1,21 deshalb unterdrückt, weil es sich um einen noch lebenden Autor handelt. Qu. muss ihn dann aber an anderer Stelle seines Werks namentlich lobend genannt haben. Da es sich also höchstwahrscheinlich um einen nicht mehr lebenden, aber wohl noch im weitesten Sinne zeitgenössischen Autor handelt (Von den 1,6,36 folgenden Autoren ist Gavius frühaugusteisch und Modestus augusteisch-tiberianisch, aber Qu. geht nicht streng chronologisch vor), kommen als nachvarronische Autoren

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(1,6,37) nur Remmius Palaemon (zwischen 5–15–ca. 80 n. Chr.) oder Plinius maior (23/4–79 n. Chr.) in Frage. Beide werden von Qu. explizit als zeitgenössische Autoren bezeichnet: et aetate nostra Palaemon (1,4,20) und Plinius (3,1,21) aetatis nostrae…Plinius. Bisher ist meist Remmius vermutet worden. Mir scheint hier aber sehr viel mehr für Plinius d.Ä. zu sprechen. Remmius wird bei Qu. nur einmal und hier neutral ohne positive Konnotation genannt (1,4,20). Außerdem würde die Bezeichnung clarum sane in litteris viel weniger zu Remmius, der mit seiner ars zwar berühmt, aber doch nur ein spezialisierter Grammatiker war, als auf den berühmten Allroundwissenschaftler Plinius passen. Zudem wird Plinius, wenn auch zurückhaltend, von Qu. an anderer Stelle durchaus lobend erwähnt. Immerhin erscheint er 3,1,21 unter den drei bedeutendsten zeitgenössischen Rhetorikschriftstellern. Wenn er hinter dem tunc maximo temporum nostrorum auctore von 3,4,2 stecken sollte, was viele glauben, was aber leider nicht nachweisbar ist, wäre das sogar ein höchstes Lob. 11,3,143 heißt er doctus homo, obwohl er dort als nimis curiosus (allzu skrupulös besorgt) getadelt wird, weil er Cicero unterstellt, die Toga wegen seiner Krampfadern bis zu den Schuhen habe herabfallen lassen (ein ähnlich über besorgter Rat wegen der Frisur des Redners 11,3,148). Zugegeben – anerkennende, aber auch ironisch distanzierte Äußerungen über Plinius, wenn man 3,4,2 nicht gelten lassen will. Man darf aber nicht verkennen, dass Qu. den Plinius sehr hoch geschätzt, ja sich in wesentlichen Teilen seines Werks auf ihn gestützt haben muss, ohne dies leider mit gebotener Fairnis und expliziten Danksagungen begleitet zu haben. Bei der rhetorischen Schrift des Plinius handelt es sich um die drei voluminösen, von Plinius minor (3,5,5) und Gellius (9,16,1) bezeugten Bücher Studiosi (die Testimonien Schanz-Hosius II 781), in denen Plinius vor Quintilian (!) die Ausbildung des Redners von den Kindheitsanfängen an behandelt haben muss – etwas, worauf gerade Qu. einen Erstheitsanspruch (1, Pröm. 4f.) erhebt – ohne Hinweis auf Plinius. Für die grammatischen Kapitel 1,4–8 haben wir ja schon nachweisen können, dass Qu. auch hier sehr häufig den Dubiis sermonis libri octo des Plinius folgt, ohne ihn auch nur einmal erwähnt zu haben. Für Plinius spricht weiter, dass er in seinem wiss. Werk sehr gern auch Etymologien verwendet hat. So zitiert er nat. 2,8 aus Varro, ling. Lat. 5,18 Aelius Stilos Etymologie von caelum. Leider lässt sich aber die von Qu. zitierte Etymologie von stella nicht für Plinius nachweisen.

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Wen meine Argumente nicht überzeugen, der könnte es mit dem Enzyklopädisten Cornelus Celsus (tiberianische Zeit) versuchen, der ebenfalls als wissenschaftlich gebildet galt und von Qu. relativ häufig (aber keinesfalls immer lobend) erwähnt wird. Sicherheit wird es wohl nicht geben können. Es wird behauptet, dass die Etymologie stella < luminis stilla nur von Qu. bezeugt sei, während man die sonst übliche Ableitung a stando (weil die Fixsterne immer und die Planeten manchmal feststehen) bis hin zu Martianus Capella und Isidor mehrfach finde (die Stellen Maltby 582). So ganz stimmt das nicht. Zunächst gibt es unter dem Lemma stellio, -onis, m. (= eine hell gefleckte Eidechse, die Sterneidechse) eine Etymologie, die der Etymologie von stella (= stilla, gutta) bei Qu. zumindest inhaltlich sehr nahe kommt. Schon Verrius Flaccus hatte zu stellio auch die Ähnlichkeit der Hautpunktierung der Eidechse mit Sternen, wenn auch eher ablehnend, vermerkt: stellionem genus aiunt lacertae, quod Verrius dictum ait, quia virus stillet cibo, potius, quam quod alibi a stellarum similitudine, quia varium est. (Paul-Fest., Epitome, Lindsay, p. 412). Auch Ovid spricht von der gefleckten Haut der Eidechse (Met. 461) als variis stellatus corpore guttis und noch näher kommt Isidor 12,4,28: est enim (stellio) tergore pictis lucentibus guttis in modum stellarum. Die Flecken dieser Eidechse erwähnt übrigens auch Plinius nat. 29,28. Wirklich erstaunt ist man aber, wenn man die Etymologie Qu.s bei einem frühen mittelalterlichen Grammatiker des siebten Jh. n. Chr., Virgilius Maro und in einem Genesiskommentar des achten Jh. n. Chr. wiederfindet. Bei Virgilius heißt es Epitoma 11 (p. 229, 56 Löfstedt 2003): stella a quodam „Stillone“ vocitata est, quem dicunt aurigam fuisse stellarum…stellae, ut diximus, de stillando dirivantur: Der Sternenlenker Stillo ist unbekannt, aber stellae de stillando entspricht inhaltlich und vom Lautstand her genau Qu. Noch deutlicher und überraschender heißt es dann im Genesiskommentar (Pauca problesmata de enigmatibus et tomis canonicis-Praefatio et libri de Pentateucho Moysi (textus longior), CCCM 173, 2000, 135, 1): Isidorus: stella a stilla dicitur, vel a Stillone auriga earum: Dies ist fast wörtlich die Etymologie Qu.s, sie wird aber auf Isidor zurückgeführt. Das Überraschende: Isidor vertritt eindeutig die Etymologie stella a stando (3,71,3) und die hier erwähnte Etymologie ist in dem mir bekannten Werk Isidors nicht nachweisbar. fata libellorum! Jedenfalls muss die von Qu. zitierte Etymologie weitergelebt haben, über welchem Überlieferungsweg ist unbekannt.

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6,36 Die nächsten Etymologen haben anders als der gelehrte Anonymus ihren Etymologien ganze Bücher gewidmet und sie mit ihrem Namen herausgegeben. Sie sind also gewissermaßen selbst schuld, wenn Qu. jetzt auch ihre Namen nennt. 1. caelibes: von caelebs,-ibis = unverheiratet, ehelos. 1. Gavius: Es ist sicher trotz anderer Überlieferung und mancher Konjekturen Gavius Bassus gemeint, wie allein schon dieselbe Verbindung von Bassus mit Modestus wie hier bei Qu. in fr. 4 GRF Funaioli, p. 488f. beweist. Gavius Bassus war ein namhafter Grammatiker der spätrepublikanischen und frühaugusteischen Zeit und schrieb nach 30 v. Chr. ein Werk de origine verborum et vocabulorum in mindestens 7 Büchern. Die Fragmente findet man in GRF Funaioli, pp. 486–491. Unsere Stelle ist das Fragment 3, p. 487f. Seine Etymologie lautet caelebs < caelites = göttliche, himmlische Wesen von dem Adjektiv caeles,-itis = göttlich, himmlisch, überirdisch. Junggesellen leben also göttlich, weil sie die Schwerstlast der Ehe nicht zu tragen haben. Zur Stärkung seines Arguments wird das gleichbedeutende griechische Wort ηίθεοι = junge Männer, Junggesellen herangezogen, von dem man glaubte, dass es ähnlich wie das lateinische caelebs den Bestandteil θεός = Gott enthielt. Die griechischen etymologischen Lexika weisen nach, dass dies nicht zutrifft, sondern eher eine Verwandtschaft mit lateinisch viduus = verwitwet besteht. Qu.s spöttisch-herabsetzende Ironie (ingeniose) ist unverkennbar, obwohl übrigens Gavius keineswegs, wie Colson 1924, 87 will, von Gellius nur kritisiert, sondern, wie die übrigen Gelliusfragmente bei Funaioli zeigen, durchaus auch positiv beurteilt wird. 2. Iulius Modestus: ein ebenso bekannter Grammatiker der tiberianischen Zeit, der in einem Werk quaestiones confusae (Vermischte Fragen) in mindestens zwei Büchern auch etymologische Probleme behandelte. Die Fragmente bei GRF Mazzarino pp. 9–23, die Testimonien auch bei Schanz-Hosius II 730f. Er wird wie schon gesagt, von Gellius 3,9,1 zusammen mit Gavius erwähnt (fr. 4 GRF Funaioli und fr. 1 GRF Mazzarino). Qu. setzt auch bei ihm seine spöttische Ironie fort. Die Etymologie des Modestus caelebs < Caelus nimmt Bezug auf die berühmte Kastration des Uranos durch seinen Sohn Kronos, den Vater des Zeus, die wir von Hesiods Theogonie her kennen. Die Namen sind hier latinisiert: Uranos = Caelus und Kronos = Saturn. In caelebs steckt also der kastrierte Gott Caelus und jeder Junggeselle ist demnach strenggenommen ein Kastrat. Die Etymologie ist natürlich sachlich wenig überzeugend, denn ein Junggeselle oder Witwer, der ohne Ehefrau lebt,

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muss, wie jeder weiß, keineswegs kastriert, impotent oder zeugungsunfähig sein. Zum Weiterleben der Etymologien von caelebs vgl. Colson 1924, 87f. und Maltby 91. Die moderne Etymologie sieht in dem Wort ein Kompositum aus zwei idg. Wurzeln mit den Bedeutungen „allein“ und „lebend“, also caelebs = alleinlebend. Walde-Hofmann I 130. 6,36–38 Aelius…nominaretur: Die nächsten Nonsense-Etymologien gehen auf das Konto von Aelius Stilo und Varro. Der Zeitsprung von den drei ersten kaiserzeitlichen Autoren zurück zu den beiden republikanischen Autoren des 2. und 1. Jh. v. Chr. überrascht doch etwas. Außerdem wird erst Aelius genannt und dann unmittelbar darauf den Autoren nách Varro ein Generalpardon gegeben, obwohl Aelius in die Generation vor Varro gehört. Aber es geht Qu. hier nicht um exakte Autorenchronologie. Außerdem ist Sed cui non post Varronem sit venia? eher ein allgemeines Statement, das alle nachvarronischen Etymologen betrifft und sich nicht direkt nur auf Aelius zurückbezieht. 6,36 L. Aelius Stilo (ca. 150–90 v. Chr.) war der hoch geschätzte Lehrer Varros und Ciceros. Eine stattliche Anzahl seiner Etymologien sind überliefert, allerdings, ohne dass wir für ihn ein separates eymologisches Werk nachweisen könnten. Die Fragmente bei GRF Funaioli pp 51–76, die sicheren Etymologien pp. 59–70, unsere Etymologie fr. 29, p. 65. Dass er bei seiner Etymologie stoischen Prinzipien folgt, habe ich schon erwähnt. s.o. zu 1,6,28. pƯtuƯta, -ae f.: Schleim, Schnupfen. Die Ableitung von quia petat vitam (weil er ans Leben geht) geht von dem Benennungsgrund der Wirkung einer Sache aus. Nun kann man zwar durchaus an Schnupfen sterben, aber diese Etymologie ist natürlich trotzdem falsch. pƯtuƯta wird vulglat. pippita und wurde von daher auch ins Deutsche entlehnt (sich einen Pips holen.) Vgl. Walde-Hofmann II 311. 6,37 M. Terentius Varro (116–27 v. Chr.) ist wohl der bedeutendste Etymologe Roms mit den etymologischen Büchern 2–7 von de lingua Latina und dem ständigen Einbezug der Etymologie auch in seinen zahlreichen anderen wissenschaftlichen Schriften. Wenn Qu. ihn hier mit drei weniger geglückten Etymologien gewissermaßen „vorführt“, will er ihn nicht als Autor und Wissenschaftler herabsetzen, sondern eher vor den Gefahren der Etymologie warnen, die auch vor so großen Gelehrten wie Varro nicht Halt machen. Im übrigen schätzt Qu. Varro

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außerordentlich hoch ein, wie die sehr positiven Urteile über ihn an anderer Stelle (10,1,95 und 12,11,24) zeigen. Auch die neuere Forschung hat Varros Etymologie wiederentdeckt und deutlich positiver als früher bewertet. Vgl. z.B. W. Pfaffel, Quartus gradus etymologiae. Untersuchungen zur Etymologie Varros in ›De lingua Latina‹, Königstein/Taunus (Beiträge zur Klassischen Philologie 131) 1981 und F. Cavazza, Studio su Varrone etimologo e grammatico, Firenze 1981. Die drei von Qu. 1,6,37 und 38 zitierten Etymologien Varros stammen aus dem 5. Buch von de lingua Latina. Qu. erwähnt den Adressaten Cicero, doch sind die Widmungsverhältnisse kompliziert. Vgl. Ax 2000a3, 141–143. Nach ling. Lat. 5,1 und 7,109 waren Cicero ursprünglich nur die Bücher 5–7 gewidmet, doch geht man heute allgemein davon aus, dass Cicero schließlich das Gesamtwerk gewidmet wurde. 6,37–38 Die drei Etymologien: 1. ager < quia in eo agatur aliquid: ager (Acker) weil auf ihm etwas agatur = getrieben, angetrieben wird (z.B. Zugtiere), also ager,-ri m. (Feld, Land, Acker) < agere (treiben, antreiben). Vgl. Varro, ling. Lat. 5,34 mit etwas anderem Wortlaut, aber in der Sache gleich und für die weiteren Belege Maltby 18. Qu.s Kritik: cum alterum ex Graeco sit manifestum duci ist nicht ganz fair, denn Varro erwähnt direkt nach seiner eigenen Etymologie als alternative Herleitung anderer Etymologen durchaus das griechische ἀγρός. Die Beiziehung des griechischen Wortes ist richtig. Es liegt eine gemeinsame Wurzel *ag-ro-s zugrunde (vgl. auch deutsch Acker). Vgl. Walde-Hofmann I 22. 2. graguli < quia gregatim volent: graguli (Dohlen), weil sie im Schwarm (gregatim von grex, gregis f. = Schwarm, Herde) fliegen, also gragulus, meist. graculus, i, m. (Dohle) < grex (Schwarm). Vgl. Varro, ling. Lat. 5,76 wieder in der Sache gleich, im Wortlaut etwas anders. Die Etymologie ist nicht zutreffend, modern wird vom Vogelruf hergeleitet, wie überwiegend auch schon in der Antike. Vgl. Maltby 262 und Walde-Hofmann I 615. 3. merula < quia sola volat, quasi mera volans: Die merula (Amsel), weil sie allein fliegt, gleichsam mera volans (unvermischt, rein fliegend), also merula, ae, f. (Amsel) < merus, a, um (rein, unvermischt). Vgl. Varro, ling. Lat. 5,76 in der Formulierung fast identisch und Maltby 382. Auch diese (in der Antike überwiegend akzeptierte) Ety-

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mologie ist falsch, obwohl auch die moderne Etymologie bisher wenig Klarheit verschafft hat. Vgl. Walde-Hofmann II 77f. Qu.s Kritik an 2. und 3. muss im Zusammenhang und im Vergleich mit Varros Original gesehen werden. Dann zeigt sich auch hier, dass Qu. Varro nicht ganz gerecht wird. Zunächst ist sich Varro durchaus bewusst, dass es Vogelnamen a vocibus wie upupa, cuculus oder bubo gibt (7,55). Qu.s Korrektur alterum (= graguli) ex vocibus avium klingt aber so, als sei Varro diese Herleitungsmöglichkeit von Vogelnamen nicht bekannt. Varro sieht nur bei graguli und merula wie bei anderen Vögeln auch (sunt , quae aliis de causis appellatae, 5,76 Anfang) eine andere Benennungsursache, nämlich die Flugweise (7,56). Ausserdem sind bei Varro die Etymologien in umgekehrter Reihenfolge wie bei Qu. behandelt, erst merula und dann graguli, und beide sind bei ihm mit einem contra verbunden: merula, quod mera, id est sola, volitat; contra ab eo graguli, quod gregatim . Es entsteht so bei Varro ein durchaus nachvollziehbarer Gedankengang: Zwischen Amseln und Dohlen besteht der sachliche Gegensatz, dass die ersten allein, die zweiten im Schwarm fliegen, und diesen Gegensatz (contra) findet man eben auch in ihrer Namensgebung wieder, die der Etymologe zu ermitteln hat. Diesen Gedankengang hat Qu. allerdings durch seine Umkehrung so vernebelt, dass die Stelle und hier insbesondere die Formulierung am Beginn 1,6,38: Sed hoc tanti fuit vertere bis heute große Verständnisschwierigkeiten verursacht hat. Das vertere entspricht Varros contra und so muss 1,6,38 Anfang also, wie folgt, übersetzt werden: Aber das (die Etymologie von graguli) ins Gegenteil zu verkehren (vertere) war soviel wert, dass die merula, weil sie allein fliegt, gleichsam merula volans (unvermischt fliegend) genannt wurde. Man beachte übrigens die jetzt doch noch vorsichtig-zurückhaltende Unterdrückung von Varros Namen durch das anonyme Passiv! 6,38 Quidam…in dubiis: Gedankengang: Manche Etymologen sind bedenkenlos jedweder Benennungsursache (omnem nominis causam) nachgegangen, ohne zu sehen, dass sehr viele solcher Etymologien zweifelsfrei (sine dubio) und daher banal und überflüssig sind. Sie bedürfen der Kunst der Etymologie nicht, die in der Grammatik, um die es hier geht, nur für schwierige Zweifelsfälle (dubia) herangezogen werden sollte. Beispiele für solche Überflüssigkeiten sind 1. Etymologien vom Aussehen her, ex habitu: Longus (der Lange) und Rufus (der Rote), 2. Geräuschverben (Onomatopoiien) wie stertere (schnarchen)

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und murmurare (murmeln) 3. problemlose, unmittelbar einsichtige Derivata wie velox < velocitas und 4. die meisten ebenso offenkundigen Komposita (ohne Beispiel). Im Einzelnen: 1. Longus und Rufus wurden schon 1,4,25 an erster Stelle unter den origines nominum im Sprachunterricht genannt. Die Etymologie liegt auf der Hand. Sie erscheint hier allerdings kontextbedingt in negativerer Färbung als 1,4,25. 2. stertere: stertere (schnarchen) ist sicher in diesem ironisch-abwertenden Kontext die passendere Lesart gegenüber dem seltsamen extrepere von B, das manche Herausgeber zu strepere (lärmen) verbessert haben. Die Etymologie ist wieder einfach und zweifelsfrei. Ebenso auch murmurare (murmeln). Dieses Verb etymologisiert auch Varro, ling. Lat. 6,67: a similitudine sonitus. 3. etiam derivata, ut a velocitate dicitur velox: Sogar in ihrer Herleitung völlig evidente Derivata werden von bestimmten Etymologen trotzdem noch bearbeitet. Zur derivatio in Theorie und Terminologie bei Qu. s.o. Komm. zu 1,6,15 mit dem Hinweis auf Schreiner. (Unsere Stelle hier ist übrigens der Erstbeleg für nomina derivata in der römischen Grammatik, vgl. Schreiner 1954, 133). Gemeint sind von anderern Wörtern abgeleitete (nicht aus zwei oder mehr Wörtern zusammengesetzte) Wörter wie Roma > Romani, Alba > Albenses etc., deren Herleitung zweifelsfrei ist. Schwierigkeiten macht das hier gegebene Derivationsbeispiel velox (schnell) a velocitate (Schnelligkeit), denn es liegt auf der Hand, dass velocitas morphologisch gesehen nur eine Sekundärbildung zu velox sein kann. Hier gibt Colson 1924, 88f. wertvolle Hinweise: Man darf nicht vergessen, dass in der älteren antiken Etymologie und Wortableitungslehre (declinatio) morphologische Beziehungen sehr oft keine Rolle spielen, sondern von semantisch-sachlichen Bedeutungsbeziehungen ausgegangen wird. So z.B. bei Varro ling. Lat. 8,15, der hier prudens von prudentia, strenui von strenuitas und nobiles von nobilitas und nicht umgekehrt ableitet. Das Nomen steht dabei für die Sache (velocitas, Schnelligkeit) und das davon abgeleitete Adjektiv für die Sache und zusätzlich für die Person, die diese Sache im Besitz hat (velox, der schnelle = ein Mensch, der Schnelligkeit besitzt). Insofern ist velox der schnelle, die schnelle semantisch gesehen tatsächlich ein Derivat von Schnelligkeit. Man kann diese Ableitungsmethode bis zu Aristoteles zurückführen. Es ist die Paronymie von Cat. 1a 12–15, wonach der Schreibkundige (grammatikós) von der Schreibkunst (gram-

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matiké) abgeleitet ist, weil er eine Person darstellt, die im Besitz der Schreibkunst ist. Vgl. Ax 2000a1, 48–72, 66f. Dass Qu. auch die morphologische Ableitung kennt, hat Colson 1924, 88 notiert, z.B. 1,6,17 frugalitas von frugalis. Der überlieferte Text kann also stehen bleiben. 6,38 et composita pleraque his similia: Auch dies hat schon Colson 1924, 89 richtig erklärt. Gemeint sind die Komposita, die wie die eben schon von der Etymologie ausgeschlossenen Derivata selbstevident sind und daher keine Etymologie brauchen, wie z.B. super-fui oder innocens. Es sind allerdings nur pleraque = die meisten, weil es eben auch Komposita gibt, die etymologisch anspruchsvoller Erklärung (multa eruditio) bedürfen wie Poblicola oder Argiletum von 1,6,31 (wo meine Erläuterungen zu vergleichen sind). Die verba composita wurden von Qu. schon 1,5,65–70 im Zusammenhang besprochen. Vgl. dazu Komm. zu 1,5,3 und zu 1,5,65. 6,38 quae sine dubio aliunde originem ducunt: Die Konjektur alicunde (irgendwoher) statt des überlieferten aliunde (anderswoher) ist unnötig, denn auch die selbstevidenten Komposita haben ihren Ursprung nicht in sich, sondern anderswoher, denn sie müssen auf andere Wörter zurückgeführt werden, wie z.B. super-fui auf super und fui. 6,38 cuius in hoc opere non est usus nisi in dubiis: Die Etymologie soll also in hoc opere, d.h. in der Grammatik, mit der wir es hier zu tun haben, nur in wirklichen Zweifelsfällen zur Anwendung kommen. Im Detail ist die zweite und dritte Aufgabe der Etymologie gemeint, nämlich die Korrektur von Sprachfehlern (1,6,30) und die gelehrten Sacherläuterungen (1,6,31), die ja beide in das Aufgabengebiet des grammaticus fallen. Vgl. meine vorherigen Erläuterungen zu 1,6,30 und 31. 6,39–41 verba a vetustate repetita…maxime nova: Das zweite Kriterium nach der ratio (Analogie/Etymologie) ist die vetustas (Archaismen, archaische Wörter). Der Gedankengang: Archaismen sind zunächst einmal durchaus positiv zu bewerten: Sie können sich auf bedeutende Verteidiger (wie z.B. auf Vergil) berufen und verleihen dem Redetext Würde (maiestas). Zugleich erfreuen sie dadurch, dass sie aus ihrem Alter Autorität beziehen und durch ihre Reaktivierung einen gewissen Überraschungseffekt erzielen, den sonst nur Neubildungen erreichen. Allerdings muss man Maß halten. Archaische Wörter dürfen nicht zu oft und an nicht zu sehr ins Auge fallenden Stellen verwendet werden, sonst besteht die Gefahr der Affektiertheit (adfectatio).

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Außerdem dürfen Archaismen nicht zu weit zurückliegen, sonst werden sie nicht mehr verstanden, und der Gebrauch solcher Archaismen wäre ein Verstoß gegen die elementare zweite virtus dicendi der Rede, die perspicuitas (Klarheit, Verständlichkeit). Beispiele dafür sind die Wörter 1. topper, 2. antegerio, 3. exanclare, 4. prosapia und 5. die Salierlieder, die von den Priestern selbst nicht mehr verstanden werden, aber wegen ihrer kultisch-religiösen Bedeutung nicht verändert werden dürfen. Im Einzelnen: 6,39 a vetustate. Zum Katalog der Sprachrichtigkeitskriterien allgemein und bei Qu. im Besonderen vgl. Komm. zu 1,6,1 Sermo. Qu.s in den übrigen Katalogen nicht vertretene vetustas (vgl. Siebenborn 53f.) stellt ein Sonderproblem dar. Die drei Hauptkriterien Analogie, Literarische Überlieferung und Sprachgebrauch liefern im Kontext der Schriften De latinitate Normen zur Sicherstellung der „richtigen“ Sprachform. Dagegen ist die vetustas kein grammatisches Richtigkeitskriterium, vielmehr eigentlich ein Fehler, ein vitium, das nur per Lizenz und dann auch nur sehr moderat in der Rede zur Anwendung kommen darf, wie Qu. 1,6,41 und 1,6,43 selbst unmissverständlich betont. § 41: Nicht zu abgelegene Archaismen verwenden, da sonst ein Verstoß gegen die Haupttugend der Rede, die Klarheit (perspicuitas) droht! und § 43: Den vetus sermo statt des aktuellen Sprachgebrauchs zu verwenden, also heute wie die Alten zu sprechen, wäre sogar ridiculum (lächerlich), ein Fehler also gegen die consuetudo der normalen Latinität der Rede! Die vetustas gehört also eigentlich vom System her nicht in den grammatisch-normativen Kontext der Sprachrichtigkeitskriterien, sondern in die rhetorische Stillehre der virtutes et vitia dicendi, und so ist es nur konsequent, wenn Qu. den Einsatz der vetustas an unserer Stelle (§§ 1,6,39–41) nur streift und ihn ausführlicher erst suo loco, d.h. unter der virtus der verba propria im ornatus 8,3,24–30 (z.T. mit denselben Beispielen) bespricht: Der Einsatz von Archaismen ist grundsätzlich positiv zu bewerten: Cum sint autem verba propria, ficta, translata; propriis dignitatem dat antiquitas, aber ein Zuviel führt zum Fehler der adfectatio, vor dem 8,3,27 gewarnt wird, wie Qu. auch schon bei der Besprechung der perspicuitas vor dem Fehler der obscuritas bei zu abgelegenen Archaismen gewarnt hatte (8,2,12). Der falsche Einsatz von Archaismen kann also zu einem vitium gegen die latinitas,

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Kommentar

perspicuitas und den ornatus führen, richtig eingesetzt, stören sie die latinitas und die perspicuitas nicht, fördern aber den ornatus. Qu. Kriterienkatalog mit dem Einbezug der vetustas scheint mir ein eigenständiger Neuansatz zu sein, der neben dem Sprachrichtigkeitsaspekt auch die Stileigenschaften des sermo miteinbezieht (Vgl. 1,6,1–3). Siebenborns Versuch (1976, 92), Qu.s vetustas an das Kriterium der historia (definiert als Sprachgebrauch der Alten) bei den griechischen Grammatikern und den griechisch-römischen Orthographen anzubinden, scheint mir nicht überzeugend, denn es geht bei Qu. nicht um die Normierung unsicherer Formen durch Herbeiziehung archaischer Vorformen wie etwa bei Terentius Scaurus (Man schreibt sed und nicht set, weil das archaische sedum zugrunde liegt. Vgl. Siebenborn 92f.: historia bei Terentius Scaurus). Vgl. allgemein zum Kriterium der historia Siebenborn 53f., 85–89 und zur vetustas Qu.s 95f. Eine brauchbare Zusammenstellung zur vetustas auf der Grundlage Qu.s gibt auch Lausberg, HB 467. 6,39 magnos assertores: Qu. meint vor allem Vergil. Vgl. 1,7,18, wo er ihn einen amantissimus vetustatis nennt, und 8,3,24f. mit Beispielen gelungener Archaismen. Sallusts Archaisieren erscheint dagegen kurz darauf 8,3,29 schon in eher kritischerem Licht. 6,39 maiestatem aliquam: Die maiestas wird auch schon 1,6,1 als wichtigster Stilwert der verba vetera genannt. 8,3,24 heißt er dignitas. 6,39 non sine delectatione: Archaismen bringen neben ihrer Würde auch einen doppelten stilistischen Genuss, der auf dem Gegensatz alt/neu beruht: Sie vermitteln die Autorität des Archaischen und zugleich den Reiz des Neuen, Ungewohnten, der durch die Reaktivierung aus der Mode gekommener Wörter zustande kommt. 6,40 adfectatione: Wie schon oben zu § 39 erwähnt, führen Übertreibungen zum Stilfehler des Gesuchten, Gezierten, Affektierten, dem vitium der adfectatio, gr. κακόζηλον, vor dem im Zusammenhang mit den Archaismen hier und 8,3,27 gewarnt wird. Weitere Qu.-Stellen zu diesem Fehler bei Zundel 1989, 3f. und Lausberg HB § 1073. Mit dem gleichen Vorwurf der affectatio hatte auch schon Asinius Pollio den Sallust wegen des in seinen Augen übertriebenen Gebrauchs archaischer Wörter kritisiert. Vgl. Asinius Pollio frag. 1 GRF Funaioli p. 496 (= Sueton, De grammaticis 10).

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6,40 Es folgen fünf Beispiele zu weit zurückliegender Archaismen, die die Gefahr der Unverständlichkeit mit sich bringen, also in der Rede zu vermeiden sind: 1. topper: sofort, sogleich, altlateinisches, klassisch nicht belegtes Adverb < aus dem Demonstrativum *tod (cf. is-tud) und per = gerade dann, jetzt gleich, assimiliert zu topper. Vgl. Walde-Hofmann II 692 und Leumann 476. 2. antegerio: vorzugsweise, sehr, altlat. (nur in Lexika und Glossen überliefertes) Adverb, gebildet von ante und gerere, auch in der Form antigerio überliefert. Vgl. Walde-Hofmann I 54. Das Beispiel verwendet Qu. auch 8,3,25, wo der Nutzer dieses Wortes ambitiosus = geltungssüchtig genannt wird. 3. exanclare: ausschöpfen, erdulden, gebildet nach dem gr. Verb ἐξαντλεῖν (gr. tl > lat. cl, vgl. Leumann 153). Vgl. Walde-Hofmann I 45. Das Verb ist einige Male bei Cicero belegt, aber stets in poetischarchaisierendem Kontext. Belege in den Lexika. 4. prosapia, -ae f.: Sippschaft, Geschlecht, Familie. Das Beispiel erscheint 8,3,26 wieder, wo es insulsum = geschmacklos, witzlos, fade genannt wird. Es wird etymologisch mit sopio, onis, m. = Penis in Verbindung gebracht. Vgl. Walde-Hofmann II 374f. Das Wort galt als veraltet, wurde aber von archaisierenden Autoren wie Sallust und Sueton auch später gelegentlich noch gebraucht. 5. Saliorum carmina: Gemeint sind die Lieder der Tanzpriester der Salier, die bei ihren Waffentänzen zu Ehren des Mars, Quirinus oder anderer Götter im März und Oktober, also zu Beginn und Ende der Kriegszeit gesungen wurden. Sie bewahrten ihr hocharchaisches Latein aus Gründen kultisch-religiöser Pietät (s. Qu. gleich darauf im § 41) und wurden daher schon bald nicht mehr verstanden, auch von den Priestern selbst nicht, wie Qu. spöttisch anmerkt. Aelius Stilo hat sie kommentiert (Varro, ling. Lat. 7,2). Über Ausgaben der Fragmente und über die Testimonien und Literatur informieren Schanz-Hosius I 17f. und Herzog-Schmidt, Vol. 1 (hrsg. v. W. Suerbaum) 2002, 36f. 6,41 religio: Zum Begriff religio im Zusammenhang mit der vetustas vgl. oben Komm. zu 1,6,1. 6,41 perspicuitas: s. dazu oben Komm. zu 1,6,39 a vetustate mit dem Verweis auf 8,12,2.

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Kommentar

6,41 Ergo…nova: In wirkungsvoller rhetorischer Antithese werden im Sinne des stilistischen Maßhaltens von § 40 (sed opus est modo) unter den Neuwörtern die jeweils Ältesten und unter den archaischen Wörtern die jeweils Neuesten als die Besten gewertet. Die verba nova, bzw. ficta wurden schon 1,5,72f. kurz angesprochen und dann suo loco 8,3,30–37 ausführlich behandelt. Vgl. dort meinen Komm. zu 1,5,3 und zu 1,5,71. 6,42 Similis circa auctoritatem ratio: Das dritte Kriterium, die auctoritas (die literarische Tradition). Der Gedankengang: Für die auctoritas, die Orientierung am Sprachgebrauch der summi auctores, gilt dieselbe Regel wie für die vetustas: Sie ist im Prinzip positiv zu bewerten, aber auch hier ist ein vorsichtiger, kritischer Umgang nötig! Nicht jedes Wort oder jede Wortform ist allein schon deshalb legitimiert, weil sie berühmte Autoren verwendet haben. Vielmehr gibt es auch bei ihnen Unbrauchbares. Dazu sechs Beispiele aus fünf anerkannten Autoren. Zum § 42 im Einzelnen: vetustas/auctoritas: Wie schon Siebenborn 1976, 95 zu Recht moniert, liegt der Unterschied zwischen vetustas und auctoritas hier, wie man gemeint hat, nicht darin, dass die vetustas auf zeitlich weiter zurückliegende vorklassische auctores veteres und die auctoritas auf die späteren auctores des klassischen Schulkanons ziele. Dagegen spricht schon die Erwähnung Catos des Ä. im § 42. Vielmehr ist so zu differenzieren, dass sich der Anwender der vetustas allgemein ohne Bezug auf bestimmte Autoren, eines älteren, eigentlich überholten Sprachgebrauchs (vetus sermo, vetus consuetudo) bedient, während der Anwender der auctoritas sich auf bestimmte namentlich identifizierbare anerkannte Autoren beruft, die zeitlich nicht auf eine ältere Sprachperiode begrenzt sein müssen. auctoritas: Q. hatte schon 1,6,2 (s. Komm. z.St.) die auctoritas charakterisiert als ein Auswahlkriterium, das sich nicht auf analogische Sprachregeln (ratio) stützt, sondern bei der Wortwahl dem Urteil sprachlich hochqualifizierter Autoren folgt. Allerdings wurde schon hier explizit als Sprachautoritäten den Rednern und Historikern der eindeutige Vorzug vor den Dichtern gegeben. Dem entspricht § 42: Bezugsnorm ist der Sprachgebrauch der summi auctores- hier unter impliziter Auslassung der Dichter, denn die folgenden Beispiele sind ausschließlich Rednern und Historikern, in jedem Fall Prosaschriftstel-

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lern entnommen. Für die auctoritas kommen alle anerkannten Musterautoren in Frage – ohne zeitliche Einschränkung, sofern sie das sprachlich Richtige oder stilistisch Vertretbare bieten. Vgl. den Autorenkanon für die Lektüre beim Grammatiker 1,8,5–12, wo allerdings der Aufgabe des Grammatikunterrichts entsprechend nur Dichtung erscheint, und natürlich der berühmte Autorenkanon von 10,1,27–131, in dem 10,1,28 und 10,1,31 die sprachliche Vorbildfunktion von Dichtung und Geschichtsschreibung für den Redner deutlich eingeschränkt wird. Vgl. dazu Ax 2000d, 209ff. Zur Geschichte des neben Analogie und Sprachgebrauch dritten Hauptkriteriums der Sprachrichtigkeit, der literarischen Tradition, gr. ἱστορία/παράδοσις/lat. auctoritas vgl. Siebenborn 1976, 53f., 85–89, 93–95. 6,42 Neque enim tuburchinabundum…dicerent: Die Beispiele: Die sechs Beispiele werden gewöhnlich bei allen fünf Autoren als Redenfragmente geführt (Nachweise im Apparat bei Winterbottom). Doch sind zumindest Cato und Asinius Pollio auch Geschichtsschreiber. Colson schließt 1924, 90 bei Pollio sogar ein grammatisches Werk nicht aus. Doch ist die Exzerption von Beispielen aus den Reden der Autoren wohl doch das Naheliegendste. 1. Cato Maior (234–149 v. Chr.): tuburcinabundus (gierig herunterschlingend)/lurcinabundus (fressend). Colson (1924, 90) hat recht, wenn er die Schreibung beider Wörter mit c dem ch vorzieht. Die chSchreibung ist nur hier bei Qu. belegt und ist – zumindest für lurchinabundus – wahrscheinlich von der altlateinischen Schreibung des Ausgangsnomen lurcho statt lurco, -onis, m. (Fresser, Schlemmer) verursacht, von der Servius Aen. 6,4 und Probus GrLat IV 10,18;22 berichten. Außerdem ist das ch auch von der Wortbildung her nicht gerechtfertigt, denn das c gehört zum Suffix -cina, für das eine chSchreibung keinesfalls in Frage kommt. Beiden Wörtern liegt folgende Wortbildung zugrunde: Die Adjektive auf -bundus werden von Verben gebildet und haben die Bedeutung des Partizips Praesens Aktivs (mori-bundus = sterbend, erra-bundus = umherziehend). Vgl. Leumann 332. Demnach müssten unsere beiden Adjektive von den Verben *lurcinari und *tuburcinari abgeleitet sein, jedoch ist nur tuburcinari bei altlateinischen Autoren, z.B. bei Plautus, auch tatsächlich belegt. lurcinari ist dagegen nur aus Qu.s

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lurcinabundus zurückerschlossen (Man verwendete statt dessen die Verben lurc(h)are, bzw. -lurc(h)ari, s. Lexika). Beide Verben gehören zu den mit dem Suffix -cina-ri (sich betätigen als) von einem Personalnomen auf -o, onis gebildeten Verben vom Typ latro-cinari (= sich als Räuber betätigen). Vgl. Leumann 551. Für lur-cinari kommt dabei als Ausgangspunkt nur das Personalnomen lurc(h)o; -onis m. (Fresser) in Frage. Zu erwarten wäre dann aber eigentlich *lurco-cina-ri (sich als Fresser betätigen) und nicht lur-cinari. Als Erläuterung bietet Leumann 551 haplologische Verkürzung an, die er ebenda auch für tubur-cinari vermutet. Jedoch besteht in diesem Punkt für das zweite Verb Unklarheit. In tubur-cinari steckt wohl lt. Walde Hofmann II 713 tuber, -eris, n. (Beule, Schwellung), aber wenn tubur-cinari zum Bildungstyp latro-cinari passen soll, müsste man als Ausgangspunkt der Wortbildung ein Personalnomen *tubero, onis m. unterstellen, das nicht belegt ist (Immerhin gibt es aber das cognomen Tubero). Ob tubur-cinari also auf ein frühes *tubero-cinari zurückgeführt werden darf, ist jedenfalls bis heute ungeklärt. Qu. lehnt die beiden veralteten, aus der Vulgärsprache stammenden und zudem noch umständlich mit zwei langen Suffixen gebildeten Wörter zu Recht für den gehobenen Redestil ab. 2. Asinius Pollio (76 v.–5 n. Chr.): Der hochgestellte Politiker, Kulturförderer und Schriftsteller der augusteischen Zeit, Asinius Pollio, war neben seiner Literatur- und Stilkritik auch an grammatischen Fragen interessiert. Eine grammatische Schrift ist nicht bezeugt, doch könnte er eine damals beliebte Sammlung von grammatischen Fragen in Briefen verfasst haben. Die Testimonien und Fragmente GRF Funaioli pp 493– 502. Fr. 5–8 behandeln Fragen von Genus und Numerus des Nomen und eine Verbform, f. 5: pugillares m.pl. (Schreibtäfelchen), nicht pugillaria n.pl., f. 6: saucia puer (verwundetes Mädchen), nicht puera, f. 7: nactus (von nancisci), nicht nanctus und f. 8 (unsere Stelle): hos lodíces, m. (diese Decken), nicht has lodíces, f. lodix, lodícis (Decke) ist sonst üblicherweise Feminimum. Was Pollio zum Maskulinum bewogen hat, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Die Etymologie von Isidor zu maskulinem lodix/ludix ist indiskutabel. Vgl. Maltby 345. 3. M. Valerius Messala Corvinus (64 v.–8 n. Chr.): Wie Pollio augusteischer Politiker, Kulturförderer (Messallakreis) und Literat. Als grammatischer Schriftsteller bekannt durch seinen Traktat über das s, den Qu. dreimal erwähnt. Möglich ist darüber hinaus auch eine Samm-

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lung grammatischer Briefe wie bei Pollio. Die Testimonien und Fragmente GRF Funaioli pp. 503–507. Unsere Stelle 1,6,42 mit dem Beispiel gladiola (Schwertchen) ist unter DOCTRINAE Test.11., p.505 zitiert. gladius (Schwert) ist normalerweise maskulinum, davon wird das Deminutiv gladiolus gebildet. Doch ist auch ein neutrales gladium belegt, wovon dann das Deminutiv Messallas gladiolum, pl. gladiola abgeleitet ist. Eine Begründung für die von ihm gewählte Form ist ebenfalls nicht mehr nachvollziehbar. Zum neutralen gladium vgl. oben 1,5,16 am Ende. 4. M. Caelius Rufus (vor 84 bis 48 v. Chr.): Es handelt sich mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit um den Redner und Zeitgenossen Ciceros (Ciceros Rede Pro Caelio) als um den Historiker Coelius (auch Caelius) Antipater (2. Jh. v. Chr.), wie Spalding vermutet hatte. Vgl. Colson 1924, 90 und Siebenborn 94, Anm. 4. parricidatus, us, m. (Verwandtenmord) ist offenbar eine von parricida, ae, m. und f. (Verwandtenmörder,-in) abgeleitete Neubildung des Caelius statt des sonst üblichen parricidium, i, n., nach dem Muster, wie später auch Messalla reatus, us, m. (= Anklagestand) von reus (Angeklagter) neu (hier allerdings mit dauerhaftem Erfolg) gebildet hat. Vgl. Qu. 8,3,34. Es handelt sich vom Wortbildungstyp her um die denominativen Nomina zur Personen-, Amts- und sozialen Zustandsbezeichnung auf -atus wie consulatus, magistratus: Vgl. Leumann 355. 5. C. Licinius Macer Calvus (82 bis vor 47 v. Chr.): Licinius Calvus, neoterischer Dichter, Freund Catulls und bedeutender Redner, der als Vertreter des attizistischen Stils in rhetorischen Gegensatz zu Cicero geriet. Er verwendete die maskuline Form collus, i. m. (Hals) statt des üblichen neutralen collum, i, n. Die maskuline Form ist vornehmlich bei altlateinischen Autoren belegt und gilt außerdem als vulgärsprachlich. (s. Lexika). Daher die Ablehnung Qu.s. Alle Beispiele sind vereinzelte lexikalische und morphologische Abweichungen vom üblichen Sprachgebrauch, die sich zwar auf anerkannten Autoren berufen können, aber wegen ihres Ausnahmecharakters in der consuetudo Qu. nicht zur Nachahmung geeignet erscheinen. Sie sind außerdem für ihn gewissermaßen „Entgleisungen“ berühmter Autoren, die daran später sicher selbst nicht festgehalten hätten (quae nec ipsi iam dicerent). 6,43–45 Superest igitur consuetudo: Der Gedankengang: Es bleibt noch die consuetudo loquendi als letztes und fünftes Kriterium zur Be-

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sprechung übrig. Darunter kann nur der gegenwärtige Sprachgebrauch verstanden werden, denn die ausschließliche oder überwiegende Wahl archaischer Sprachformen würde zu einer unzeitgemäß veralteten Sprache, der vetus consuetudo führen, die höchst lächerlich wirken würde. Aber obwohl die zeitgenössische consuetudo die sicherste Sprachnorm darstellt (1,6,3: certissima loquendi magistra), ist selbst hier noch ein vorsichtiges Urteil nötig, besonders, wenn es um die Bestimmung des Basisbegriffs consuetudo geht. consuetudo definiert sich nicht von der bloß quantitativen Mehrheit der multi oder plures her. Die consuetudo ist keineswegs notwendigerweise eine consuetudo multorum. Mehrheitliches Verhalten kann vielmehr sowohl in der Lebensführung (Frisur, Badegewohnheiten) als auch beim Sprechen falsch sein. Entscheidend ist die Einsicht in die Richtigkeit des Verhaltens, der Sitte, des Brauchs etc., der nur von einer bestimmten elitären Schicht erreicht wird, und das sind die eruditi beim Sprechen und die boni in der Lebensführung. Die richtige consuetudo sermonis ist also der consensus eruditorum und die richtige consuetudo vivendi der consensus bonorum. 6,43 igitur: Das igitur von 1,5,43 Z. 3 Winterbottom hat Colson 1924, 191 richtig erklärt. Qu. will damit weniger darauf hinweisen, dass er jetzt das noch ausstehende vierte Kriterium der Begriffsreihe von 1,6,1 zu Ende führen will, sondern schließt hier unmittelbar an die vorhergehenden Instanzen vetustas und auctoritas an, soweit diese archaische Wörter und Formen empfehlen. Sie können, wie schon oben zu § 39 erläutert, nur eingeschränkt zur Anwendung kommen und können das Hauptkriterium der jeweils gegenwärtigen consuetudo keineswegs außer Kraft setzen. Folglich (igitur) ist ihre Besprechung am Schluss auch eine sachliche Notwendigkeit. 6,43 vetus loquendi consuetudo: Die komplizierte Geschichte des consuetudo-Begriffs vor Qu. kann hier nicht im einzelnen behandelt werden. Schon Varro unterschied eine vetus consuetudo und wies auf deren ständigen Wandel hin: consuetudo loquendi est in motu (ling. Lat. 9,17). Wie schon Caesar (Cicero, Brut. 261) unterschied er außerdem auch schon eine recta von einer mala consuetudo (ling. Lat. 9,11 und 18). Zu den Einzelheiten vgl. Siebenborn 1976, 96f. und 109–116 und ausführlich Ax 2000a2, 116–127. 6,43 necessarium est iudicium: Wie schon beim Gedankengang (Komm. zu 1,6,43–45) erläutert, wurde die consuetudo zwar 1,6,3 certissima

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loquendi magistra genannt, aber schon hier wird auch für sie wie für die anderen Kriterien das acre ingenium gefordert. Man kann nämlich selbst bei einer auf den ersten Blick so sicheren Sprachnorm noch den Fehler machen, dass man, wie schon erklärt, den mehrheitlichen für den richtigen Gebrauch hält. Vor diesem Fehler kann nur die sachlich richtige Begriffsbestimmung der consuetudo sermonis als einem consensus eruditorum bewahren. 6,44 ut velli et comam in gradus frangere et in balneis perpotare: Die Entfernung der Körperbehaarung, die Haartürme und Dauerwelle mit der Brennschere und das Dauerzechen während des Badens dienen Qu. als Standardbeispiele dekadenter, tadelnswerter Modebestrebungen seiner Zeit, die immer weiter um sich greifen. Colson zitiert 1924, 91 dazu noch 2,5,12; 5,9,14 und 12,10,47. Weitere Belege dazu aus anderen Schriftstellern (vor allem Cicero, Brut. 262 und orat. 78) bietet außer Colson, ebenda, noch Cousin (1975), Notes complémentaire zu VI 44, p. 171. 6,45 Nam…vulgo imperiti loquantur, tota saepe theatra et omnem circi turbam exclamasse barbare scimus: Diese Stelle hat wegen ihrer gerafften brevitas immer wieder Erklärungsschwierigkeiten verursacht. Der (vervollständigte) Gedankengang ist folgender: § 44 Ende: Wie in der Lebensführung eine verfehlte Verhaltensweise, so kann auch ein falscher Sprachgebrauch nicht deshalb zur Regel erhoben werden, weil er weit verbreitet ist, wie z.B. § 45 bei den imperiti und den Zuschauern beim Theater und im Zirkus. Dass unter diesen Sprechergruppen die imperiti, die Ungebildeten, gewöhnlich falsch sprechen, ist selbstverständlich und kann daher übergangen werden. Das Theaterpublikum und die Zuschauermasse im Zirkus sind dagegen vom Bildungsstand her gemischt und bestehen eben nicht nur aus imperiti, sondern auch aus eruditi. Trotzdem kommt es auch hier oft (saepe Gegensatz zu vulgo) zu barbarischen Sprachäußerungen des gesamten Publikums, zu denen sich also auch die eruditi fehlerhafterweise haben hinreißen lassen (daher das betonte tota theatra und omnem turbam). Diese richtige Erklärung bietet m.W.s allein Colson 1924, 91. Dass das Theaterpublikum bildungsmäßig gemischt ist, bezeugt Augustinus, Epistulae 155, p.444,4: cui sententiae (homo sum, humani nihil a me alienum puto) etiam tota theatra plena stultis indoctisque plausisse. Spalding zitiert Vol. I 171 zu unserer Stelle Cicero, de orat. 3,196, wozu noch die Parallele Cicero, orat. 173 nachzutragen ist. Wenn Qu.

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diese Stellen hier vor Augen gehabt haben sollte, was manch ähnliche Formulierung nahe legt, dann hat er ihre Aussage ins Gegenteil verkehrt. Cicero zeigt nämlich an den genannten Stellen besonders de orat. 195f., dass schon das vulgus imperitorum, der populus, oder die multitudo ein natürliches ästhetisches Empfinden ohne Theoriekenntnis besitzt, demzufolge das gesamte Theaterpublikum (tota theatra), also auch die Ungebildeten, Wortstellungs- oder Quantitätsfehler laut reklamiert. Das ist eine durchaus positive Charakteristik der Zuschauermenge. Qu. will dagegen negativ gerade den häufig barbarischen Charakter der Publikumslautäußerungen in Zirkus und Theater hervorheben. Damit repräsentiert er wohl die communis opinio, die von Tacitus, Historien 1,72 bestätigt wird: Eo infensior populus---concurrere ex tota urbe in Palatium ac fora et, ubi plurima vulgi licentia, in circum ac theatra effusi seditiosis vocibus strepere… Welche Sprachunart des Publikums Qu.hier nun genau meint, lässt sich von dieser Stelle aus nicht sicher ermitteln. Ich würde sie am ehestens mit der zweiten Art des barbarum von 1,5,9 verbinden: quod fit animi natura, ut is, a quo insolenter (unverschämt) quid aut minaciter (drohend) aut crudeliter (grausam) dictum sit, barbare locutus existimatur. Vgl. dazu Komm. zu 1,5,9. Russel scheint mit seiner Übersetzung von 1,6,45: „often commit Barbarisms in the shouting they make.“ an echte grammatische Barbarismen (die dritte Art des barbarum von 1,5,10), zu glauben. Dies halte ich für weniger wahrscheinlich, denn es geht ja nicht darum, eventuelle grammatische Schnitzer in den Zurufen des Publikums in der guten consuetudo zu vermeiden, sondern in Parallele zu Fehlern in der dekadenten Lebensführung den zügellos primitiven, vulgären Sprachstil der Zuschauermasse nicht zur Norm werden zu lassen. 6,45 Ergo consuetudinem sermonis vocabo consensum eruditorum: Qu.s Bestimmung des empfehlenswerten Sprachgebrauchs als eines consensus eruditorum erklärt Fögen 2000, 158 mit Verweis in Anm. 59 auf R. Harris/T.J. Taylor, Quintilian on linguistic education, in: Dies., Landmarks in Linguistic thought I. The Western Tradition from Socrates to Saussure, London. New York, ²1997, 73: Die eruditi sind die erfolgreichen Absolventen der grammatischen und rhetorischen Ausbildung, wie sie von Qu. in seiner Institutio vorgeführt worden ist.

Kapitel 7 Über die Orthographie Gliederung 7,1:

Thema: Orthographie = recte scribendi scientia. Gegenstand dieser Disziplin ist nicht das einfache Buchstabieren der Silben, sondern sind Zweifelsfälle der Rechtschreibung

7,2–10: Beispiele für solche Zweifelsfälle: 2–3: 4: 5: 6: 7–8: 9: 10:

Apex auf der langen Silbe? Komposita mit ex mit s oder ohne s in der Folgesilbe? ad/at oder quum/cum? quidquid/quicquid oder quotidie/cotidie Assimilation bei Komposita mit Präpositionen: optinuit/obtinuit oder immunis/inmunis? Worttrennung: ha-ru-spex und abs-te-mi-us k nur bei Abkürzungen

7,11–27: Orthographischer Wandel durch Anpassung an den Sprachgebrauch: 11–12: Orthographischer Wandel, z.B. im älteren Latein: d und g am Wortende. 13: Lautveränderungen von 1,4,12–17 sind hier nicht zu wiederholen. 14: Doppelhalbvokale (ll, mm, nn, rr etc.) früher weniger üblich, dagegen Doppelvokale (aa) ja. 15–17: ei/i wie bei puerei/pueri, mendacei/furei statt mendaci/furi. ei ist dem Lesen nicht förderlich wie auch die Hinzufügung des i im Griechischen. 18–19: ai/ae wie z.B. aqu-ai/aqu-ae 20–21: Verdoppelung des s zwischen Vokalen und nach Langvokalen bis hin zu Cicero und Vergil: z.B. cau-ss-ae, ca-ss-us, statt heute einfach cau-s-ae, ca-s-us. Dagegen Vereinfachung im Altlatein von s in iu-s-i, heute iu-ss-i 22: heri/here 23: Cato d.Ä.: dice statt dicam, facie statt faciam 24: sibi/sibe und quasi/quase 25: vortices/vertices und vorsus/versus 26: ser-uos/ser-uus (Claudius: ser-Fus) 27: quoi/cui 7,28–29: Unterschiede von Aussprache und Schreibung: 28:

C = Caius, ঑ = Caia

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29:

columna und consules ohne n ausgesprochen. Suc. = Subura

7,30–35: Zusammenfassende Schlussbemerkung 30–31: Das Wichtigste in orthographischen Dingen ist das Urteil des Lehrers (iudicium). Mein Prinzip: Phonetische Schreibung, solange der Sprachgebrauch das zulässt. 32: Bis hierher sind die beiden Teile der ersten virtus des emendate loqui (Orthoepie und Orthographie) besprochen. Die beiden anderen virtutes, significanter ornateque loqui werden erst später im rhetorischen Teil besprochen. 33–35: Grammatik ist nicht trivial, sondern wichtig. Man darf nur nicht darin hängen bleiben. Vorbildliche Beispiele: Cicero, Caesar und Messalla.

Zum Kapitel 7 allgemein: Es folgt das Kapitel 7 über die Orthographie. Es bildet zusammen mit der Orthoepie von Kapitel 6 die beiden Teile des emendate loquendi, des ersten Teils der grammatice, deren zweiter die enarratio auctorum erst im Kapitel 8 behandelt wird. Mit Kapitel 7 sind aber noch weitere dispositionelle Verklammerungen mit 1,4 und 1,5 verbunden, die unten in meinem Kommentar zu 1,7,32 ausführlich erläutert werden. Das Kapitel hat längst nicht den systematischen Rang und Grad der Ausarbeitung einer grammatischen Teildisziplin wie bei 1,5 zu den Sprachfehlern oder bei 1,6 mit seinem systematischen Aufbau nach den Sprachrichtigkeitskriterien der Traktate De latinitate. Vgl. dazu auch Colson 1924, 92f. Es ist eher eine mehr oder wenig willkürliche Beispielssammlung von orthographischen Problemfällen, die den Gegenstand der Orthographie, die dubia, illustrieren sollen. Dennoch ist das Kapitel nicht ohne Disposition (Vgl. die dem Kapitel vorangestellte Gliederung): Nach der Angabe 1. des Themas (§ 1) folgen 2. sieben Beispiele für Zweifelsfälle in der Rechtschreibung (§§ 2–10), dem sich 3. von ein längerer Abschnitt über zwölf Fälle orthographischen Wandels vom Alt- zum Latein der Zeit Qu.s anschließt (§§ 11–27). Nachgetragen werden 4. noch fünf Beispiele für eine Differenz zwischen Aussprache und Schreibung (§§ 28–29), bis dann 5. die Schlussbemerkungen (§§ 33–35) das Kapitel abschließen. Das Kapitel bringt zwar durchaus auch Neues, nimmt aber in einer Reihe von Fällen bereits Behandeltes, fast ausschließlich aus dem Kapitel 1,4 wieder auf: 1,7,2–3 > 1,4,10;1,7,10 > 1,4,9; 1,7,13 > 1,4,12–17; 1,7,14 > 1,4,10; 1,7,21 > 1,4,8; 1,7,22 > 1,4,8; 1,7,26 > 1,4,8 und 1,4,10–11; 1,7,33–35 > 1,4,2–6. Jedoch handelt es sich bei den Wieder-

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aufnahmen von 1,4 durchweg um wichtige Erweiterungen und Nachträge, wobei besonders auffällt, dass hier im Orthographiekapitel Namen genannt werden, Accius 1,7,14, Caesar 1,7,21, Augustus 1,7,22, Scipio Africanus 1,7,25, Claudius 1,7,26. Dass Qu. hier unter sich steigerndem Zeitdruck steht, wird z.B. deutlich aus 1,7,19, wo der Leser aufgefordert wird, die Regel des Lucilius für ai/ae beim Dichter selbst nachzuschlagen, oder aus 1,7,13, wo auf die orthographische Behandlung der vielfältigen Probleme des morphologischen und historischen Lautwandels von 1,4,12–27 mit dem bloßen Hinweis auf die Passage in 1,4 gleich ganz verzichtet wird. 7,1 …Graeci orthographian, nos recte scribendi scientiam…: Die antike Orthographie ist ein im Gegensatz zu ihrer Relevanz auch für die moderne Orthographie leider völlig unerschlossenenes Gebiet. Es gibt bis heute kaum Ausgaben und Literatur. Strzeleckis RE Artikel von 1942 ist der einzige noch immer unentbehrliche Überblick (Orthographie RE 1942 1437–1484); Vgl. dazu noch Siebenborn 1976, 36–46. In F. Desbordes, Écriture et ambiguité d’après les textes théorique latin, Lille 1990 geht es hauptsächlich um Schrift- und Alphabetgeschichte. Von der antiken griechischen Orthographie hat sich vor der byzantinischen Zeit nichts erhalten. Der erste bezeugte Schrift stammt von Dionysios Thrax, der erste Kurzüberblick von Sextus Empiricus adv. gramm. 169–175. Antike Beiträge zur römischen Orthographie gibt es zahlreich, und zwar gleich vom Beginn der römischen Literatur an, z.B. von Appius Claudius Caecus, Ennius, Lucilius, Accius u.a. Die Einzelheiten findet man im RE-Artikel und die Fragmente jeweils bei Funaioli GRF. Ganze Traktate haben sich erst aus der Kaiserzeit und der Spätantike (Scaurus, Longus etc.) erhalten. Sie sind in Keils Gramm Lat Vol. VII gesammelt. Als Begründer der römischen Orthographie gilt Verrius Flaccus mit seiner mehrbändigen Schrift De orthographia, von der leider so gut wie nichts erhalten ist (Vgl. GRF Funaioli, p. 510f.). Vgl. dazu L. Mackensen, De Verrii Flaccis libris orthographicis, Leipzig 1897. Schon Barwick 1922, 267 vermutete sicher zu Recht in diesem Werk eine wesentliche Quelle für Qu.s Orthographiekapitel. Dass Qu. seine Quelle hier nicht nennt (Verrius wird nur einmal in anderem Zusammenhang 11,2,31 erwähnt.), ist für ihn typisch, denn er verfährt mit Remmius Palaemon (1,4) und Plinius d.Ä. (1,5 und 1,6) nicht anders.

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Aus den genannten Darstellungen von Strzelecki und Siebenborn wird deutlich, dass auch die antike Orthographie vor Qu. sehr wohl einen systematischen Ansatz entwickelt hatte, den zu reproduzieren Qu. (anders als in 1,6) in 1,7 im Sinne des rhetorischen Gesamtwerks nicht mehr für nötig befunden hat. recte scribendi scientia ist das römische terminologische Pendant zu griechisch orthographia, doch wird auch der griechische Terminus im Lateinischen benutzt, wie gleich darauf aus 1,7,11 deutlich wird. 7,1 Cuius ars…totam subtilitatem in dubiis habet: Schon wie z.B. bei den elementa grammatices 1,4,6, beim Barbarismus 1,5,6–7 oder bei der Etymologie 1,6,38 betont Qu. auch hier in der Orthographie, dass es ihm nicht um triviale Banalitäten und um elementares Schulwissen für Kleinkinder geht, sondern um die subtilen, höchst anspruchsvollen Fälle von dubia, die erst das höhere Niveau der jeweiligen Fachdisziplin unter Beweis stellen. Tatsächlich findet man fast alle von Qu. hier besprochene dubia der römischen Orthographie noch in den modernen sprachwissenschaftlichen Handbüchern erwähnt. Die Silbenlehre, die Qu. hier dem hellenistischen Schulwesen entsprechend als unter dem Niveau des Grammatiklehrers liegend einstuft, wurde von ihm schon im Rahmen des elementaren Lese- und Schreibunterrichts für Kleinkinder in 1,1,30–31 behandelt. Im Folgenden (1,7,2–10) gibt Qu. einen Katalog von sieben Beispielen, bzw. Beispieltypen für die hier genannten Zweifelsfälle der lateinischen Orthographie. Wenn sich Qu. der ersten Empfehlung in der Reihe der dubia, der apex-Regelung von 1,7,2–4, durchaus anschließt, verhält er sich bei den folgenden Beispielen in Bezug auf seine eigene Meinung eher indifferent, ja er distanziert sich sogar von den orthographischen Empfehlungen von 1,7,6 als frigidiora und ineptiae. Nur bei der k-Schreibung von 1,7,10 ergreift er wieder dezidiert Partei. 7,2–3 apicem: Das Zeichen apex (-icis, m.), z.B. á, seit etwa Ciceros Zeit zur Kennzeichnung des Langvokals gebräuchlich, hatte Qu. schon 1,4,10 erwähnt (vgl. Komm. z.St. mit Literatur). Hier wird zum moderaten Umgang mit dem Längenzeichen geraten, das nur dann benutzt werden sollte, wenn bei gleich geschriebenen Wörtern Bedeutungsverwechslungen drohen. Dies war auch noch die spätere Grammatikerempfehlung wie Colson 1924, 92 nachweist. Qu.s Beispiele: mƗlus, i f. = Apfelbaum und mălus, a, um = böse, pƗlǎs, i = Pfahl und pălnjs, -njdis, f = Sumpf, also mit und ohne Apex: málus/malus und pálus/palus. No-

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minativ- und Ablativverwechslung drohen bei den Nomina der ersten Deklination, hier bei Qu. ohne Beispiel. Nach Qu. 1,4,26 kann man (so Rahn Vol. 1, 107, Anm. 126) zu unserer Stelle) hastă und hastƗ (= die Lanze/mit der Lanze) ergänzen, mit Apex also der Ablativ hastá percussi. 7,4 ex…specto…ex…pecto: Es gab also die orthographische Alternative exspecto/expecto (Ich erwarte). Die Empfehlung zur etymologisch richtigen Schreibung, also zum Erhalt von s nach ex bei Verben mit sAnlaut (ex-specto), um Herleitungs- und Bedeutungsfehler zu vermeiden (expecto von *ex-pecto = von pectere = kämmen), wird auch von späteren Grammatiken aufrechterhalten: Vgl. Scaurus GrLat VII 22,8– 11, Longus VII 63,8–64,5 und Cassiodor VII 203,17–22. ex-pectere (= auskämmen) ist allerdings nur im grammatischen Kontext belegt, weshalb man das Beispiel Qu.s angezweifelt hat. Vgl. Colsons Kommentar 1924, 93. Die orthographische Variante spiegelt den lautgeschichtlichen Prozess der Vereinfachung von Geminaten auch nach ex + s, also ecs-s > ecs (ex-spectare > ex-pectare). Vgl. Leumann 192. 7,5 ad…cum: Orthograpische Empfehlungen zur klaren Unterscheidung von Wortarten, z.B. 1. ad = Präposition und at = Konjunktion und 2. quum = Konjunktion und cum = Präposition. ad/at: d und t wurden besonders auslautend schon in der Republik, öfter noch in der Kaiserzeit verwechselt, wie inschriftliche, aber auch handschriftliche Belege zeigen, z.B. aput, set, quot und eben auch at statt ad: Vgl. Kühner-Holzweissig 35 und Leumann 194 und 228. Über Qu.s zurückhaltende Indifferenz hier wundert sich Colson 1924, 93 zu Recht, denn die späteren Grammatiker geben die klare Regel: ad = Präposition, at = Konjunktion: z.B. Velius Longus GrLat VII 69,20–24; Cassiodor VII 154,13–16 oder Albinus VII 295,10. quum/cum: Diese Regelung wird von den späteren Orthographen bezeugt und sogar noch von Marius Victorinus (4. Jh. n. Chr.) für seine eigene Zeit empfohlen, so dass sich der meiner Übersetzung zugrunde liegende Text ohne weiteres von hier aus absichern lässt, vgl. Mar.Vict., GrLat VI 13,3–16. Dazu Terentius Scaurus VII 28,6–9 Velius Longus GrLat VII 70,15–18 und Cassiodor VII 156,3–7. Die Regel lautete: Beim Zeitadverb (also der Konjunktion) verwende man das vierbuchstabige quum (bei Cato maior noch quom) und bei der Präposition der Begleitung das dreibuchstabige cum (bei gleicher Ausspra-

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che). Mit duas sequentis litteras meint Quintilian einfach die beiden jeweils letzten Buchstaben der Varianten quum und cum, also u und m. Der lateinische Text kann also, wie schon öfter vorgeschlagen, nur lauten: itemque „cum“, si tempus significaret, per qu, si comitem, per c et duas sequentes (also mit u und m) scriberetur. Die Präposition cum und die Konjunktion cum sind nicht nur einfache Schreibvarianten, sondern gehen auch etymologisch jeweils auf verschiedene Wörter zurück. Vgl. Leumann 49 und 137 jeweils mit den Quintilianstellen. 7,6 quidquid…quotidie…: quidquid/quicquid (was auch immer): eine Schreibvariante, die aus dem in der Orthographie sehr häufigen Widerspruch zwischen etymologisch richtiger und phonetisch angepasster Schreibweise entstanden ist (z.B. Telephon/Telefon). quidquid ist ein verallgemeinerndes Relativpronomen, das aus der Verdoppelung des einfachen quid entstanden ist. quidquid ist also zweifellos die etymologisch richtige Schreibung. quicquid entspricht dagegen der üblichen Assimilation von Konsonanten im Inlaut, besonders an der Kompositionsfuge, hier d > c wegen des folgenden q, wie z.B. hoc aus *hod-ce, quic-quam aus quid-quam, eine Assimilation, die besonders häufig bei Zusammensetzungen mit Präpositionen eintritt, wie z.B. bei accidere, affere, aggreddi etc. Vgl. RHH § 13 (L 42) oder Kühner-Holzweissig 203. Q. scheint hier für die etymologische Schreibung zu plädieren, besonders wohl wegen der ihm absurd erscheinenden Begründung, man könne quid-quid für ein sinnlos verdoppeltes Fragepronomen halten Dagegen empfehlen die späteren Grammatiker die phonetische Schreibung, interessanterweise z.T. mit genau dem Argument, das Qu. hier zurückweist, z.B. Marius Victorinus GrLat VI 13,24–27: Man soll quicquid schreiben, um nicht duas partes orationis separatas zurückzulassen. In diesem Sinn auch Caper VII 95,20f.: quicquid in priore syllaba per c litteram scribendum, quoniam d dividit in duas voces. Andere Grammatiker empfehlen quicquid wegen der damals durchaus schon bekannten d-zu-c-Assimilation nach dem Vorbild von accedo, accumbo etc. wie Albinus GrLat VII 308,11–13 oder Cassiodor VII 160,10–11. cotidie/quotidie (täglich): Ebenfalls eine etymologisch-phonetische Schreibvariante. Die etymologische Schreibung quotidie wird auch noch in der spätantiken Grammatik mit der Herleitung von a quot diebus oder a quoto die aufrecht erhalten: Mar. Vict. GrLat VI 13,22

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(cotidie a quoto die), der allerdings trotzdem cotidie empfiehlt, Cornutus bei Cassiodor GrLat VII 149,3–8 (a quot diebus) und Priscian III 334,9–11 (quotidie pro quot dies), der allerdings auch cotidie zulässt. Die etymologische Restituierung findet auch in der modernen Sprachwissenschaft durchaus ihre Bestätigung, die bei cotidie eine Form von quotus zugrunde legt: Walde-Hofmann I 282 *quotitei die = am wievielten Tag auch immer oder Leumann 270 *quoti dies (sunt) = wieviele Tage es sind. Die Herleitung ist also längst nicht so weit hergeholt, wie Qu. sie erscheinen lässt, und er hätte eigentlich keinen Grund zu seinem abfälligen Urteil. Vielleicht hat er als stets verlässlicher Freund der consuetudo hier einen zu gekünstelten Eingriff der professionellen Orthographen gesehen (so Leumann 137 mit der Qu.Stelle). Das co- statt quo- versteht Leumann 137 als lautgeschichtlichen Schwund des u vor dunklen Vokalen (quo > qo > co), das dann später mit Ausnahmen wie eben cotidie wieder zu quo- restituiert wurde. Vgl. quotannis. Die Erklärung spätantiker Grammatiker des c von cotidie durch Herleitung von a continenti die (= am folgenden Tag) ist natürlich absurd. Vgl. Velius Longus GrLat VII 79,15–18 oder Cassiodor aus Papirianus VII 158,18. 7,6 verum haec iam etiam inter ipsas ineptias evanuerunt: Schon Spalding hat Vol. I 175 zu Recht bemerkt, dass dieser Satz nicht leicht zu verstehen ist. Er paraphrasiert: Aber diese Vorschläge werden nicht einmal von denen, die solche Albernheiten sonst lieben, länger verteidigt. Im Anschluss daran, aber näher am Text Colson 1924, 93: they have passed away even out of that list of follies in which they might have hoped to maintain a place. Dieser Deutung schließt sich meine Übersetzung an. Qu. hält die beiden letztgenannten Vorschläge offenbar für so unter Niveau, dass sie nicht einmal von zweifelhaften sonst zu ineptiae neigenden Orthographen mehr der Erwähnung für Wert gehalten werden. In dieser Abwertung einer durchaus diskutablen phonetischen (quicquid) und etymologischen Schreibung (quotidie) liegt eine für mich schwer verständliche, sachlich unbegründete Arroganz Qu.s. 7,7–8 …ut cum dico optinuit…et immunis…commutatur: Der überlieferte Text ist durchaus haltbar und es ist auch keine syntaktische Uminterpretation ab ut cum dico nötig, wie man mehrfach versucht hat (s. Apparat Winterbottom p. 50 z. Zeile 17). „optinuit“ und „immunis“ sind beide von dico abhängig und auf jedes Beispiel folgt eine parallel

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gebaute Parenthese, die den Lautstand des Beispiels erklärt. Das Satzgerüst lautet also: ut cum dico „optinuit“ (enim b…ratio poscit, aures… audiunt p) et „immunis“ (illud n…m gemina commutatur). Man könnte höchstens aus Gründen der Parallelität erwägen, nach illud die Humanistenkonjektur von K zu übernehmen (vgl. Apparat Winterbottom p. 50, Z. 17). Entscheidend für das Verständnis der Stelle ist, dass man das m gemina (sc. littera) nicht auf beide m, sondern nur auf das erste aus n veränderte m bezieht, so wie man unter dem geminus frater nur den einen der beiden Zwillingsbrüder versteht. Wenn man beide Buchstaben meint, nimmt man den Plural. Vgl. 1,7,14 geminis vocalibus scripserunt. Man muss demnach übersetzen: Jenes n …wird in ein zweites Zwillings-m ausgetauscht. illud n: so überliefert in A und B. Buchstaben werden bei Qu. ganz überwiegend als Feminina behandelt (sc. littera), doch ist ein neutrales Genus, wahrscheinlich unter dem Einfluss des Terminus elementum, durchaus möglich, wie hier beim n oder auch 1,7,12 beim d und g (s. die Erläuterungen dort). Zur Terminologie von elementum/littera vgl. Schreiner 1954, 17–19. Ich glaube allerdings anders als Schreiner (17) nicht daran, dass die grammatices elementa von 1,4,6 die Lautlehre meinen, vielmehr die „Elemente, Anfangsgründe einer Disziplin“ (Belege dafür bei Schreiner 18). 7,7–8 optinuit…immunis: Bei beiden Beispielen handelt es sich wieder um etymologische und phonetische Schreibvarianten (auf Sprachrichtigkeit durch Etymologie deuten die Begriffe ratio und veritas, auf phonetische Richtigkeit aures und sonus) und wieder um die schon oben im Komm. zu 1,7,6 Quicquid erwähnte Inlautassimilation des Konsonanten vor der Kompositionsfuge, besonders, wie hier der Fall, bei Präpositionen. Im Fall von op-tineo/obtineo gilt die Regel, dass hier durchweg die etymologische Schreibung bevorzugt wird, also b vor Tenuis und s in guter Orthographie bestehen bleibt: obtineo, subter, obsides o.ä. Nur vor p steht fast immer die Tenuis p: oppono, opprimo etc… Für die Assimiliation von b vor t oder s zu p gibt es nur sehr seltene inschriftliche und handschriftliche Belege: z.B. optenui, opsides. Vgl. Leumann 157. Die n-zu-m-Assimilation wie bei im-munis statt inmunis ist dagegen überaus häufig belegt: immitto, immolo, immodicus, immoror etc. Vgl. RHH § 13, L 42. Trotzdem kommen auch hier nicht selten unassimilierte Formen vor: in-mitis, in-modestus etc. Vgl. Kühner-Holzweissig 205.

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7,9 Haruspex…abstemius: Die antike Orthographie trennte einfache und zusammengesetzte Wörter nach unterschiedlichen Regeln, wobei man sich allerdings bei den zusammengesetzten Wörtern nicht einig war. Vgl. die Einzelheiten bei Kühner-Holzweissig 249–252, bes. 251f. mit unserer Qu.-Stelle. Danach wurde von der Mehrzahl der Grammatiker bei zusammengesetzten Wörtern etymologisch nach den Kompositateilen getrennt, nur wenige behandelten auch solche Wörter nach der Regel für Simplicia, also z.B. a-beo, inte-reo (Regel für Simplicia) statt ab-eo, inter-eo (Kompositaregel). Qu. schließt sich der Mehrheitsmeinung an und plädiert für die etymologische Trennung, die allerdings voraussetzt, dass das Kompositum auch etymologisch richtig analysiert wird: In haru-spex steckt spectare (schauen), und in abstemius temetum (archaisch für Wein), also ist nur die Trennung haru-spex und abs-temius richtig. Hier kann die moderne Etymologie weitgehend zustimmen. haruspex setzt sich aus *haru (Eingeweide) und *spex (Schauer) zusammen, also: Eingeweideschauer (WaldeHofmann I 635) und abstemius, a, um aus abs (für ab vor t vgl. oben Komm. zu 1,5,69) und *temo (von *temum = Wein), also weinlos, nüchtern (Walde-Hofmann I 5). 7,10 Nam k quidem…: Das Problem der littera k im Zusammenhang mit c und q hatte Qu. schon 1,4,9 angesprochen. Vgl. dazu meinen dortigen ausführlichen Kommentar z.St. 7,11 orthographia quoque consuetudini servit… Die Orthographie erlässt nicht zeitlose Regeln, sondern folgt dem Wandel der consuetudo, die ja ihrerseits stets in Bewegung ist. Vgl. 1,6,42 mit meiner Erläuterung z.St. So verhält sich auch schon die Etymologie (1,6,38). Es folgen daher jetzt Beispiele (§§ 11–27) für orthographischen Wandel durch Anpassung an den Sprachgebrauch. 7,11 Nam illa vetustissima transeo tempora…posita est: Dieser Satz mit dem Beispiel des griechischen o ist nur als Parenthese zu verstehen, die eine praeteritio begründen soll. Quintilian will nicht über die älteste Phase des lateinischen Alphabets (vetustissima tempora) reden, in der es in Bezug auf Zahl, graphische Form und Lautwert seiner Buchstaben noch nicht zu seinem späteren Standard gefunden hatte, und illustriert dies allerdings mit einem griechischen Beispiel, dem Buchstaben o. Vielmehr will er den orthographischen Wandel innerhalb des späteren lateinischen Standardalphabets exemplifizieren, indem er die Schrei-

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bung der Latini veteres (§ 12) mit der Schreibung seiner Zeit (§ 11 his nostris) vergleicht. Die lateinischen Beispiele von §§ 12ff. gehören bereits dieser späteren Periode der veteres an, müssen also nicht zum Beispiel des griechischen o in ältester Zeit passen, wie man zu Unrecht gefordert hat (Colson 1924, 95). Das ut a Latinis veteribus von Anfang § 12 schließt also über die Parenthese hinweg unmittelbar an den ersten Satz von § 11 an: verum …mutata est. (nam …vetustissima tempora transeo…), ut a Latinis veteribus d adiectum…. Ich paraphrasiere: Die lateinische Orthographie hat sich gewandelt – die älteste Zeit übergehe ich – wie z.B. die älteren Lateiner das d und das g an das Wortende gesetzt haben, was zu unserer Zeit nicht mehr üblich ist. 7,11 sicut apud Graecos o litterae: Qu. unterscheidet hier beim griechischen Beispiel des § 11, wie in der antiken Lautlehre üblich, zwischen Namen (nomen), Schriftzeichen (forma) und Lautwert (vis) des griechischen Buchstaben o. Was gemeint ist, wird durch spätere Grammatikerzitate deutlich: Das Schriftzeichen o hatte im ältesten griechischen Alphabet einen dreifachen Lautwert 1. phonetisch kurz o, 2. lang o und 3. die Silbe ou, stand also für ο, ω und ου. So besonders deutlich Marius Victorinus GrLat VI 11,9–11; 13,7f.: (littera o), quae, sicut apud Graecos, trium valebat vice, ut esset o breve, item longum et, ut ante dixi, ou und 24,2f.: et o etiam scribi solitam pro syllaba ου. Vgl. auch Velius Longus GrLat VII 49. 10–13. Warum der frühgriechische Buchstabe o laut Qu. die Silbe ou „mit seinem Namen“ ausdrücken soll, lässt sich mit dem Stand des Buchstabens o zur Zeit Platons erklären. Form und Lautwert des o sind hier schon klar nach Länge und Kürze differenziert: Unterschieden wurden die Schriftzeichen ο für phonetisch kurz o und ω für phonetisch lang o. Probleme wirft dagegen der Buchstabenname auf: Das ω hieß damals zweifellos τὸ ὦ, das ο dagegen merkwürdigerweise τὸ οὖ (Vgl. z.B. Kratylos 420 b). Das immer wieder zitierte Kratylos 414c eignet sich weniger als Beleg, weil die Stelle textlich und sachlich unsicher ist.). Der Buchstabenname τὸ οὖ für das kurze ο passt aber eigentlich nicht zu Kratylos 393d, wo explizit darauf hingewiesen wird, dass im griechischen Alphabet allein die vier Vokale ε υ ο ω keinen eigenen Buchstabennamen hätten, sondern der Name dem Laut selbst entspreche (wie wir es von den lateinischen Vokalen her kennen). Danach müsste der Buchstabenname eigentlich τὸ ὄ lauten. Wie dem auch sei – wenn das o tatsächlich schon in der Frühzeit des Alphabets den Namen τὸ οὖ führte und das o ur-

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sprünglich auch für die Silbe ου stehen konnte, wie die römischen Grammatiker bezeugen, wird wenigstens verständlich, was Qu. mit seinem Relativsatz quam nomine suo exprimit zum Ausdruck bringen wollte. Das für die Buchstabengeschichte relevante Stellenmaterial findet man am besten im Liddell-Scott-Jones jeweils zu den Buchstaben ο und ω. Vgl. natürlich auch Colson 1924, 95 und W.S. Allen, Vox 3 Graeca, CUP 1987, 75ff. und 172. 7,12 ut a a Latinis veteribus: Bei dem ut a Latinis veteribus handelt es sich um ein nachgestelltes einfaches ut zur Einführung eines Beispiels, dem auch ein vollständiger Satz folgen kann. Vgl. Kühner-Stegmann (1955) II 450. Man könnte also zur Abtrennung dieses Satzes ein Komma oder ein Semikolon verwenden und übersetzen: So haben z.B. die alten Lateiner bei sehr vielen Wörtern ein d an den Schluss gesetzt. (s. auch das vorletzte Lemma). Winterbottoms von B übernommener Text d (sc. litteram) ultimam adiectam (sc. esse) kann nicht richtig sein, weil der so entstandene AcI syntaktisch in der Luft hängen würde. Man kann nur der Lesart von A folgen: d ultimum adiectum (sc. est). Die Schwierigkeit des Neutrums bei einem Buchstaben kann mit dem Hinweis auf 1,7,8 illud n (s. oben Komm. z.St.) behoben werden. 7,12 d…interim g quoque…: Es folgen zwei Beispiele für orthographische Unterschiede im Latein der Latini veteres: d im Wortauslaut (für Qu. sehr häufig im Altlatein): Qu. denkt vor allem an Formen des altlateinischen Ablativ Singular auf lang -ad, -od, -id, -ud und -ed. Das lateinische auslautende d hat sich nach Kurzvokal gehalten (id, quid, quod, apud) nach Langvokal ist es jedoch um 200 v. Chr. geschwunden. Man findet dieses d nach langem Vokal aber noch auf Inschriften bis zum Beginn des 2. Jh.s v. Chr. Vgl. Leumann 228f. und 411. Eine solche Inschrift hat Qu. auf dem Forum lesen können und auf ihr eine Reihe von Beispielen für den alten d-Auslaut im Ablativ gefunden. Es ist die sog. Duilius-Inschrift, die sich an der Basis einer auf dem Forum zu Ehren des Caius Duilius aufgestellten Ehrensäule mit Schiffsschnäbeln (columna rostrata) befand. Duilius erhielt diese Säule als Dank für seinen triumphalen Sieg in der Seeschlacht von Mylae gegen die Karthager 260 v. Chr. Wir besitzen eine kaiserzeitliche Replik dieser Inschrift. Eine genaue Beschreibung findet man (mit Bild und Text) im Internet unter http://arachne.uni-koeln.de/item/ objekt/52585. Beispiele aus der Inschrift: DICTATORED (dictatore), ALTOD MARID (alto mari), PUGNAD (pugna), PRAEDAD (praeda).

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g im Wortauslaut (für Qu. auch im Altlatein selten), Beispiel vesperug: Um den Sinn dieser sehr schwierigen Stelle zu verstehen, muss man zunächst den Satz ab interim parallel zum ersten Beispiel d im Wortauslaut vervollständigen: ut a Latinis veteribus…interim g quoque , ut in pulvinari Solis… „vesperug“ (an dieser Lesart sollte trotz Überlieferungsschwierigkeiten nicht gezweifelt werden), quod „vesperuginem“ accipimus. In strenger Parallele zum d bei pugna-d hätten also die Altlateiner, wenn auch nur gelegentlich, auch ein g an das Wortende gesetzt (adiectum), wie bei dem im Pulvinar des Sol inschriftlich überlieferten vesperu-g. Dieses g kann dann aber anders als das auslautende -d im weiteren Verlauf des orthographischen Wandels nicht verschwunden sein (pugna-d > pugna), denn das hätte auf ein weder im Altlateinischen noch im Latein bis zur Zeit Qu.s belegtes *vesperu (eine Form der u- Deklination wie bei noctu; cf. Spalding z.St.) geführt (vesperus, -i, m. ist dagegen durchaus belegt). Vielmehr hat man wohl schon damals die orthographische Variante vesperug allgemein nur als Kurzschreibung des altalteinischen Nominativs vesperugo verstehen können. Das ist der Sinn der Bemerkung Qu.s: quod „vesperuginem“ accipimus. (Der Akkusativ spricht nicht gegen die Nominativdeutung, weil Qu. seine Beispiele sehr oft der Satzkongruenz anpasst.). Man muss aber sehen, dass so, streng genommen, die d-Parallele nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, und auch das adiectum schwierig wird, weil dann die altlateinische Variante kein Zusatz des g, sondern den Wegfall des auslautenden o bedeutet (vesperug- statt vesperug-o). Vielleicht ist das adiectum Qu.s nicht so streng zu nehmen, dass unbedingt eine genaue sprachhistorische Parallele zwischen -d und -g unterstellt werden muss. Vielleicht ist mit ultimum adiectum est einfach nur nur an das Ende gesetzt gemeint. Der ärchologische und epigraphische Kontext des Beispiels lässt in der Tat keine andere Deutung als die einer Kurzform von vesperugo zu. Das Pulvinar Solis war ein zu Ehren des Sol Indiges auf dem Quirinal errichteter Tempel oder Annexbau des Quirinustempel auf dem Quirinal, in dem am 9. August ein Fest zu Ehren des Sol gefeiert wurde, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach in Form eines lectisternium (Göttermahls), bei dem die Götter auf pulvinaria (Liegen, Betten) liegend ein Festmahl zu sich nahmen. Die Götterliege trug dann offenbar den Namen der jeweiligen Gottheit als Aufschrift und diese muss noch zur Zeit Qu.s lesbar gewesen sein. Das Bett mit der Aufschrift vesperug war dann also das Bett der Göttin Venus (Abendstern). Vgl. L. Rich-

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ardson, A New Topographical Dictionary of Ancient Rome, BaltimoreLondon 1992, 322. Es ist bei dem hohen epigraphischen und sprachhistorischen Kenntnisstand Qu.s von vornherein ganz unwahrscheinlich, dass er, wie man vermutet hat (Cousin 1975, p.119, n. 3; Russell 2001, p. 190, n. 14), hier eine mechanische Beschädigung der Aufschrift, etwa ein abgeschlagenes oder verwittertes o, übersehen haben könnte. Vielmehr hat er sicher ein unbeschädigtes verkürztes vesperug gelesen und hat dann hier an unserer Stelle versucht, diese Form als seltene altlateinische Schreibvariante, die zu einem -g im Wortauslaut geführt hat, anzuführen. Nähere sprachhistorische Erläuterungen gibt er leider nicht. Tatsächlich ist die Kurzform vesperug auch heute noch schwer zu erklären. Man könnte eine sabinische Dialektvariante annehmen, denn Varro berichtet ling.Lat. 5,74 von den Götteraltären, die der sabinische Köng Titus Tatius in Rom vielen Göttern, darunter auch dem Sol, geweiht habe, weshalb viele Götternamen sabinischer Herkunft seien (arae Sabinam linguam olent, quae Tati regis voto sunt Romae dedicatae), doch lässt sich sabinische Herkunft für vesperug oder vesperugo nicht nachweisen. Dagegen ist die volle Form für das Altlateinische seit Plautus gut bezeugt, vgl. z.B. Plautus selbst, Amphitruo, 275 oder Varro, ling.Lat. 6,6f., 7,50. Zur modernen sprachwiss. Erklärung vgl. Leumann 368: denominatives Abstraktum vom Typ ferr-ugo = Eisenrost. „…vesperugo ‚Abendstern’ Plt. für vesper (weil er beim rotem Abendhimmel erscheint; eigentlich wohl ‚Abendröte’)…“ Die Kurzform versperug könnte vielleicht mit den gut belegten altlateinischen Kürzungen des Wortauslauts zusammenhängen. Beispiele: facul (facile), famul (famulus, vgl. Leumann 94 oskisch)) oder volup (Adv. volupe von velle = vergnüglich). Diese Erscheinung ist schon Fronto und den spätantiken Grammatikern aufgefallen. Vgl. Neue-Wagener Band I 862, z.B. Marius Victorinus, GrLat VI, 56,6ff. oder Donat zu Phormio 610: hoc volup nomen est, ut hoc facul. sic enim veteres per apocopen loquebantur. Auf diesem Wege kamen jedenfalls Konsonanten in den Endauslaut lateinischer Wörter, die sonst dort nicht vertreten waren wie z.B. p, das nur mit volup vertreten ist. Vgl. Leumann 223. Leumann schließt hier übrigens das g für den Wortauslaut explizit aus. Träfe meine hier gegebene Erläuterung zu, hätten wir mit vesperug doch wenigsten einen Beleg dafür. (Qu. denkt ja sogar mit interim g quoque an mehrere Belege. Doch hat sich leider kein weiterer Nachweis für -g erhalten).

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7,13 De mutatione etiam litterarum…: Qu. verweist hier auf 1,4,12– 17 zurück, wo er unter dem Stichwort mutationes litterarum (1,4,13) Fälle des morphologischen (12–13, z.B. cadit/excidit) und des historisch bedingten Lautwandels (13–17, z.B. duellum/bellum) vorgeführt hatte. Vgl. meinen Kommentar zu dieser Passage. Da Qu. bei den hier besprochenen Fällen, wenn auch vorsichtig durch fortasse abgeschwächt, von der Übereinstimmung zwischen Aussprache und Schrift ausgeht, also keine spezifischen orthographischen Probleme anfallen, ist deren erneute Behandlung in seiner Orthographie nicht nötig. 7,14 Semivocalis geminare…geminis…vocalibus scripserunt: Intervokalische Konsonantenverdoppelung (z.B. Annius, Lucullus, Memmius oder mittere, missus) war in der altlateinischen Orthographie relativ selten vertreten. Diese Schreibung hat sich allmählich gesteigert und erst um 100 v. Chr. inschriftlich endgültig durchgesetzt. Vgl. Leumann 14f. Der Vorgang wurde schon von den antiken Grammatikern bemerkt (Festus s.v. solitaurilia Lindsay 374 und porigam Lindsay 244, Mar. Victorinus GrLat VI 81ff. Diese Stellen schon bei Spalding z. St. Vol. I 130). Festus führt unter solitaurilia die Neuerung der Doppelschreibung auf Ennius unter griechischem Einfluss zurück. Qu. nennt hier nur die Semivocales (also die Dauerkonsonanten (flmnrsx + gr. z), aber die Doppelschreibung betraf natürlich auch die Verschlusslaute (mittere). Colson verteidigt Qu. mit dem Hinweis, dass die antiken Grammatiker zwar allgemein von litterae sprechen, aber ausschließlich Beispiele von Halbvokalverdoppelung anführen (Colson 1924, 95). Zur altlateinischen Doppelschreibung von Langvokalen (z.B. paacem), die Qu. schon 1,4,10 besprochen hatte, vgl. meinen Komm. z.St. Zu den sprachhistorischen Einzelheiten Leumann 12f. Es ist deutlich erkennbar, dass Qu. zwar die These von Accius als Erfinder dieser Doppelschreibung kennt, in diesem Punkt aber skeptische Zurückhaltung zeigt und eher einen längeren Prozess vor und nach Accius bis etwa zur Mitte des 1. Jh.s v. Chr annimmt. 1,4,10 wird Accius bewusst nicht erwähnt und hier an unserer Stelle heißt es relativierend usque ad Accium et ultra: bis zu Accius und darüber hinaus. Zur Acciusthese vgl. ebenfalls meinen Komm. zu 1,4,10. 7,15–17 Die §§ 15–17 sind der alternativen Schreibung des gesprochenen langen i durch den Diphthong ei und durch das einfache i gewidmet. Es empfiehlt sich, den schwierigen Abschnitt zunächst als Ganzes gliedernd zu paraphrasieren:

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1.Vorbemerkung (§ 15,1. Satz): Die alternative Verwendung des lateinischen Diphthongs ei zur Schreibung des langen i hat länger angedauert als die in § 14 erwähnte Einfachschreibung späterer Doppelkonsonanten (um 100 v. Chr. abgeschlossen) und die Doppelschreibung der Langvokale (kurz nach Accius abgeschlossen, also vielleicht bis um 50 v. Chr.). Die alternative ei-Schreibung für lang-i gibt es genau genommen zur Zeit Qu.s immer noch. Der Gebrauch des Diphthongs ei im Griechischen läuft mit dem Lateinischen parallel, weil das griechische Schriftzeichen ei ebenfalls ein langes gesprochenes i repräsentieren kann. 2.Regelungen dieses Gebrauchs (§ 15,2. Satz bis zum Ende von 15): Es gab schon bei Lucilius Bestrebungen, die alternative Verwendung von ei/i zumindest für bestimmte Flexionsformen des Nomens unterschiedlich nach Kasus und Numerus festzulegen: Das i des Nominativ Plurals der o-Deklination sollte ei (puerei) geschrieben werden, ebenso auch das i des Dativs Singular der dritten Deklination (furei). 3.Kritik Qu.s an der Schreibvariante ei (§§ 16–17): Das ei für lang-i ist für Qu. aus drei Gründen obsolet: 1. Es ist überflüssig (supervacuum) weil schon das einfache Schriftzeichen i zur Wiedergabe von phonetisch lang- und kurz-i ausreicht. 2. Es ist bisweilen unvorteilhaft (incommodum), weil es die Schreibung in bestimmten Fällen durch eDoppelungen verkompliziert: aure-i müsste aure-ei, argente-i argenteei geschrieben werden. 3. Es erschwert das Lesenlernen (impedimento erit) ähnlich wie das griechische Jota adscriptum. Es folgen jetzt die Detailerläuterungen zu den drei Abschnitten von 1,7,15–17. 7,15 Diutius duravit…uterentur: Details zur Vorbemerkung: Diutius duravit nimmt, wie schon in der Paraphrase erläutert, die Zeitdauer der orthographischen Veränderungen von § 14 vergleichend wieder auf: Die Schreibung ei für lang-i hielt länger als Einfachschreibung von Halbvokalen und Doppelschreibung von Langvokalen. Qu.s Kritik von §§ 16f. zeigt, dass sie auch noch zu seiner Zeit Anlass zur grundsätzlichen Zurückweisung gab, also noch lebendig war gewesen sein muss. Dies wird von sprachwissenschaftlicher Seite bestätigt: „Die Schreibung ei für klass. lat. Ư…blieb bis weit in die Kaiserzeit in Übung.“ (Leumann 63).

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Die Formulierung e et i iungendis kann nach dem Vorbild von 1,4,10: at quae ut vocales iunguntur aut unam longam faciunt…aut duas nur die Verbindung von e und i zum Diphthong ei meinen. Mit der Interpunktion eadem ratione, qua Graeci ει, uterentur kann der überlieferte Text unverändert stehen bleiben. Vgl. dagegen Colson 1924, 96, der das ει unnötigerweise athetieren will. Qu.s Behauptung einer parallelen orthographischen Verwendung von gr. und lat. ei für lang-i wird ebenfalls heute noch bestätigt. Tatsächlich hatten altlat. ei und das attisch-griechische ει im wesentlichen parallele Ausspracheentwicklung (so explizit Leumann 62): ei – geschlossenes lang-e – lang-i, weshalb die Diphthonge auch als Schreibvarianten für lang-i in Erscheinung treten konnten. Zu der in den Einzelheiten komplizierten Entwicklung des griechischen und des lateinischen Diphthongs ei vgl. Allen, Vox Graeca 69ff. und Tabelle S. 78 und Leumann 62–65. 7,15 ea casibus numerisque discreta est, ut Lucilius praecipit: Details zur Regelung des Lucilius: Zu ea ist natürlich ratio in Wiederaufnahme des unmittelbar vorhergehenden eadem ratione zu ergänzen, wie schon Spalding zur Stelle Vol. I 182 gesehen hat. Gemeint ist: Diese Verwendung des ei zur Schreibung des langen i ist nach Lucilius beim Nomen je nach Kasus und Numerus unterschiedlich geregelt. Seine Regel lautet: Der Nominativ Plural der o-Deklination sollte ei (puerei) und, wie wir an anderer Stelle erfahren (dazu gleich mehr), der Genetiv Singular i (pueri) geschrieben werden. Der Dativ Singular der dritten Deklination sollte ei geschrieben werden (furei). Das Luciliusfragment: Es ist das Fragment 364–5 und 367–8 Marx, mit Übersetzung und Erläuterungen bei Krenkel 353–57, unter Lucilius frag. 10b und 10c auch in den GRF Funaioli. Beide von Qu. zitierten Verspaare gehören zu einer eng zusammengehörigen Passage (ac deinceps idem) aus dem 9. Buch der Satiren des Lucilius, weshalb Krenkel sie auch zu Recht zu einem Fragment zusammenfasst. Der erste Teil des Fragments ist auch noch von Velius Longus überliefert, der dazu noch die sich umittelbar anschließenden anderthalb Verse zitiert, denen wir die oben erwähnte Genetivregel auf i (pueri) entnehmen können. Das zweite Verspaar ist nur bei Qu. überliefert. Zum Text des Fragments: Es besteht für mich kein zwingender Grund, das iam wie Colson (1924, 96) und spätere als Adverb „ferner, weiter“ zu verstehen und vom folgenden Zitat zu trennen: Iam „pueri venere“. „Iam

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pueri venere“ = „Die Knaben sind bereits gekommen“ ist das Zitat eines Hexameteranfangs mit der für Lucilius falschen Schreibung des Nominativ Plurals auf i, die er dann im zweiten Vers zur richtigen puerei verbessert. Lucilius führt also zunächst die falsche und dann die richtige Schreibung vor (so schon Colson 1924, 96) Der Text kann also trotz Überlieferungsproblemen sinnvollerweise nur lauten: „Iam pueri venere“: e postremum facito atque i/ut puerei plures fiant (so schon Spalding Vol. I 181) = „Schon sind die Knaben (pueri) gekommen“: Setze ein e und ein i an das Ende, damit die Knaben (puerei) eine Mehrzahl werden.“ Entsprechend kann das zweite Verspaar nur lauten: Mendaci furique addes e, cum dare furei/iusseris. = „Du wirst mendaci (dem Lügner) und furi (dem Dieb) ein e beigeben, wenn Du angeordnet hast, dem Dieb (furei) etwas zu geben.“ (Die Bedenken und Besserungsvorschläge von Lachmann und Colson 1924, 96 gegen den überlieferten Text sind m.E. unnötig). Lucilius spielt hier bei dare mit einem für sein 9. Buch typischen konkreten und grammatischen Doppelsinn: dem der Gabe an den Dieb (was auch immer das sein mag), und dem des grammatischen Terminus casus dativus, um den es hier ja geht: Wenn Du dem Dieb etwas geben willst oder wenn Du (das Wort) „Dieb“ in den Dativ setzen willst. Der Witz: Die Gabe ist eben nichts Materielles, sondern nur das Dativ-e. Der ei/i-Schreibung dienen noch zwei weitere Fragmente aus dem 9. Buch des Lucilius: 358–9 Krenkel (= Lucilius 10d GRF Funaioli), in dem für ille anders als bei fur der Dativ illi und der Nominativ Plural illei und 360–363 Krenkel (= Lucilius 10 GRF Funaioli), in dem wechselnde ei/i-Schreibung auch für den Stammvokal bestimmter Nomina (z.B. pilum, peila) empfohlen wird. Diese Regeln des Lucilius sind dann später auch von Varro fr. 272 GRF Funaioli weiterdiskutiert worden. 7,17 idque iis …etiam impedimento erit: Details zu Qu.s Kritik: Die ersten beiden Kritikpunkte von § 16 (ei überflüssig, bisweilen unvorteilhaft) wurden schon oben in der Paraphrase im Komm. zu 7,15–17 ausreichend erläutert. Beim dritten Punkt, der Hinderlichkeit der eiSchreibung für das Lesenlernen muss noch das Beispiel Qu.s für ein ähnliches Lesehindernis im Griechischen erklärt werden: für ihn offenbar strittige Fälle von Hinzufügung eines i. Wie das folgende Beispiel zeigt, denkt Qu. vor allem an die Schreibung der ehemaligen Langdiphthonge αι ηι ωι in den Dativ-Singular-Endungen der 1. und 2. Deklination, z.B. ΤΗΙ ΧΩΡΑΙ, ΤΗΙ ΜΑΧΗΙ, ΤΩΙ ΛΟΓΩΙ (Zur Zeit Qu.s gab es

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nur die Großschreibung, die heute üblichen Minuskeln und das Iota subscriptum stammen erst aus späterer byzantinischer Zeit). Diese in klassischer Zeit noch durchaus gesprochenen Langdiphthonge wurden in nachklassischer Zeit zu einfachen Langvokalen unter Verlust des i. Das i verstummte zwar, wurde aber trotzdem weiter geschrieben, konnte dann allerdings später auch weggelassen werden, z.B. ΤΗ ΜΑΧΗ. So entstanden Alternativschreibungen mit und ohne i, die beim unerfahrenen Schüler im Leseunterricht natürlich Unsicherheiten in der Aussprache verursachen mussten. Die Langdiphthonge traten aber nicht nur in den Endungen, sondern auch in den Stammsilben auf – mit denselben orthographischen Veränderungen, z.B. konnte ΤΗΙ ΤΡΑΓΩΙΔΙΑΙ später auch ΤΗ ΤΡΑΓΩΔΙΑ geschrieben werden. Das Beispiel Qu.s für die strittige Einfügung eines i in die Stammsilbe eines Nomens, ΛΗΙΣΤΗΙ, hat hier aber seine Ursache nicht in einem ursprünglichen Langdiphthong HI in der Stammsilbe, sondern in der Etymologie des Wortes. Die attische Normalschreibung seiner Zeit, auf die Qu. hier wohl anspielt, war das zweisilbige maskuline ΛΗ-ΣΤΗΣ, Dativ ΛΗ-ΣΤΗI (Räuber) ohne i in der Stammsilbe (Vgl. dazu Schwyzer I 202 mit der Qu.-Stelle). Etymologisch geht das Wort aber auf das dreisilbige poet.-jonische ΛΗ-Ι-ΣΤΗΣ zurück (von fem. ΛΗ-ΙΣ = Beute, ΛΗ-Ι-ΖΩ = Beute machen). Spätere Grammatiker haben daher offenbar in Kenntnis dieser Etymologie für das attische Wort die Einfügung des i in die Stammsilbe und damit auch die Wiedereinführung der ursprünglichen Dreisilbigkeit des Wortes gefordert. So geschrieben musste das Wort allerdings beim Anfänger zu Leseschwierigkeiten führen, zum Beispiel zu einer falschen diphthongischen Aussprache in der Stammsilbe oder zu Unsicherheiten in Bezug auf eine zweisilbige oder dreisilbige Lesung des Wortes. ΛΗΙΣΤΗΙ ist m. E. s die allein richtige Lesung. Das in erfordert den Dativ, nicht den Nominativ, der dann eine Änderung des in zu ille oder in illi o.ä. erforderlich machen würde. Außerdem hat Q. mit seinem Beispiel gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: er führt ein Beispiel für eine falsche Stammsilben- und eine Endsilbenhinzufügung des i in einem Wort vor. 7,18–19 Ae syllabam: Die §§ 18–19 betreffen die alternative Schreibung der Silbe ai/ae. Es empfiehlt sich wiederum zunächst eine Paraphrase:

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1. Die (von Qu. aus gesehen) heutige Standardschreibung ist ae. (§ 18, 1. Satz) 2. Die frühere altlateinische Schreibung ai hatte zwei Varianten: a) Durchgängige Schreibung ai in allen Fällen (wie im Griechischen, das kein ae kennt) oder b) nur im Genetiv und Dativ Singular der Nomina der a-Deklination (z.B. Vergils Genetiv aquai) (§ 18 Rest). Im Nominativ Plural schrieb man dagegen wieder ae (z.B. Sullae) (§ 19,1. Satz). 3. Auch dazu gibt es eine Schreibregel des Lucilius, die aber zu umfangreich ist, um sie hier zu exzerpieren. Der Ungläubige prüfe selber nach! (§ 19 Rest). Der gesamte Abschnitt 2. und 3. (§§ 18 varie bis § 19 Ende) ist in genauer Parallele zur Darstellung der ei/i-Schreibung in § 15 disponiert (s. meine Erläuterungen oben dazu): Nach einer generellen Regel (ai überall wie bei den Griechen) folgt ein Sprung in die Regelung bestimmter nominaler Flexionsformen (ai nur im Genetiv und Dativ bestimmter Nomina) verbunden mit dem Hinweis auf eine entsprechende Regel des Lucilius. Zu den Details: 7,18 cuius secundam nunc e litteram ponimus: 1. Details zur Standardschreibung ae: Man muss sich vergegenwärtigen, dass Qu. hier nicht von dem gesprochenen Diphthong /ai/ , sondern allein von dessen orthographischer Wiedergabe, der Silbe ae oder ai, spricht. Die moderne Sprachwissenschaft klärt diesen Unterschied zwischen Phonetik und Orthographie naturgemäß sehr viel genauer: Die diphthongische Aussprache /ai/, sei sie nun ai oder ae geschrieben, dauerte von den altlateinischen Anfängen bis in die Spätantike (3./4.Jh.n. Chr.) an (also auch zu Qu.s Zeit geschrieben Caesar = gesprochen Kaisar), während die altlat. ai-Schreibung, also z.B. aidilis oder Dianai, schon vom frühen 2.Jh. v. Chr. an zu schwinden begann und in die ae-Standardschreibung unter Beibehaltung der diphthongischen Aussprache überging (aedilis, Dianae). Vgl. zu den Einzelheiten Leumann 60 und 67f. Nur diesen letzten, den orthographischen Wandel meint Qu. und trifft damit das Richtige: ae war die Standardschreibung seiner Zeit (nunc). 7,18 varie per a et i efferebant: 2. a und b: Details zu der früheren altlateinischen Schreibung: Qu. blickt jetzt von der aktuellen Schreibung seiner Zeit her auf die altlateinische ai-Schreibung zurück. Da es, wie schon erläutert, hier nicht um die Aussprache, sondern nur um die

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Schreibung geht, bedeutet per a et i efferebant nicht etwa im Sinne von aussprechen: „Sie sprachen (die Silbe ae) ai“ aus, sondern allgemein im Sinne von wiedergeben: „Die Altlateiner gaben die Silbe ae mit a und i wieder, schrieben also das heutige ae ai.“ varie: Qu. unterscheidet, wie schon gesagt, zwei Varianten der altlat. ai-Schreibung: die ai-Schreibung in allen Fällen und die aiSchreibung nur im Genetiv und Dativ Singular der Nomina der aDeklination (Gen. aquai, Dativ ohne Beispiel). 7,18 quidam semper ut Graeci: Variante 2a):Gemeint ist hier natürlich die generelle ai-Schreibung des Diphthongs, also nicht nur in Flexionsformen wie z.B. beim Dativ Dianai, sondern auch in Stammsilben wie aidilis, quaistor, praifectos o.ä. Die Parallele zur griechischen Schreibweise trifft zwar zu, aber die Griechen hatten anders als die Lateiner keine Schreibalternative ae zur Verfügung, sondern schrieben ausschließlich ai, z.B. αἰθήρ, das die Römer eben auch aether schreiben konnten. Vgl. Leumann 67. 7,18 quidam singulariter tantum, cum in dativum vel genetivum casum incidissent: Variante 2b): Von der generellen Regel (ai überall) geht Qu. in ähnlich abruptem Übergang wie in § 15 zu ai nur in besonderen Fällen, und zwar in bestimmten Flexionsendungen des Nomen (einschließlich des Adjektivs) über. Wie der Kontext und die Beispiele zeigen, ist ausschließlich der Genetiv und Dativ Singular von Nomina der a-Deklination davon betroffen, denn schon der Nominativ Plural der a-Deklination soll wieder ae geschrieben werden. Es gab also offenbar die orthographische Regel: Genetiv und Dativ ai (Gen. aquai, Dativ z.B. Dianai), Nom. Plural ae (Sullae). Diese Regel ist in ihrer Vollständigkeit, soweit ich sehe, nur bei Qu. überliefert. Über ihre Herkunft und Verbreitung lässt sich allerdings nichts Genaueres mehr ermitteln. Doch hat es sicher eine Diskussion darüber und auch noch andere Auffassungen gegeben (Vgl. Leumann 419 mit unser Qu.Stelle), z.B. Nigidius Figulus fr. 11 GRF Funaioli (p. 165): Genetiv mit i (terrai), Dativ mit e (terrae) oder Charisius GrLat I 18,17ff.: quidam veteres schreiben: N.: aula, G.: aulas, D.: aulai. Dazu noch die Orthographen Velius Longus GrLat VII 57,20–28: antiqui: Nom. Plur.: ae, Gen. Sgl. ai zur Unterscheidung der zweisilbigen Genetivendung a-i (aula-i; picta-i) und Cassiodor GrLat VII 158,10–14: Genetiv ai, Dativ ae zur Unterscheidung des dreisilbigen Genetivs vom zweisilbigen Dativ: Gen.: aula-i , Dat.: aul-ae. Man sieht unmittelbar, dass man ins-

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besondere über die Schreibung des Dativs durchaus verschiedener Auffassung war. Lucilius’ Meinung zu diesem Problem bleibt unklar, weil Qu. sie nicht exzerpiert hat. Dazu gleich mehr in den Details zu 3. Die Reihenfolge der Kasus ist unklar überliefert, doch scheint die Nachstellung des Genetivs vorzuziehen, wegen der folgenden Vergilzitate, die Genetive enthalten. Bei Nachstellung des Dativs könnte es leicht zu Missdeutungen der vergilischen Beispiele als Dative kommen. Der Plural incidissent ist durchaus sinnvoll in Fortsetzung des efferebant. Ein incidisset (so Colson 1924, 97) würde einen abrupten Subjektswechsel bedeuten. Für den Plural spricht auch die von Winterbottom im Apparat z.St. herangezogene Stelle 4,2,118 mit der Formulierung: ne in eundem casum incidamus. dativum: Qu. zitiert kein Beispiel, aber Dative der a-Deklination auf ai sind gesichert, z.B. aulai, Dianai (Vgl. Leumann 419). Dass bei den antiken Grammatikern die Schreibung dieses Kasus ai oder ae besonders umstritten war, haben wir soeben (Kommentar zu Variante 2b) nachgewiesen. Es wurde dort ebenso belegt, dass den antiken Grammatikern die Einsilbigkeit der Dativendung ai im Gegensatz zur Zweisilbigkeit der Genetivendung auf a-i sehr wohl bewusst war (falsch Leumann 419 unten). genetivum: Es handelt sich natürlich, wie die beiden Vergilbeispiele zeigen, um den berühmten altlateinischen zweisilbigen Genetiv auf Ɨ-Ư, den besonders Ennius gern im Hexameter der Annalen verwendete: rex Alba-i longa-i, terra-i frugifera-i etc. Spätere Dichter wie Lukrez haben in archaisierender Absicht und, um an Ennius zu erinnern, diese Genetive nicht selten verwendet: vita-i, anima-i, materia-i etc. In Vergils Aeneis begegnet er nur noch viermal. Dazu gleich mehr. Vgl. Leumann 418f. mit den sprachhistorischen Einzelheiten. Die antiken Grammatiker erklärten diese Endung als durch diaeresis oder divisio des einsilbigen Diphthongs ai in a + i entstanden. Vgl. oben Komm. zu 1,5,17 Europa-i, Asia-i und die eben genannte Velius-Stelle GrLat VII 57,20ff. 7,18 pictai vestis et aquai: Vergil, Aen. 9,26: dives equum, dives pictai vestis et auri (reich an bunter Kleidung) und 7,764: exsultantqe aestu latices, furit intus aqua-i (amnis) (es brodelt innen die Masse des Wassers). Dazu kommen 3,354: aula-i medio (in der Mitte der Aula) und 6,747: aura-i simplicis ignem (das Feuer des Urhauchs). Alle vier Beispiele sind ennianische Genetive.

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7,18 Vergilius amantissimus vetustatis investigator: Vergil gehört für Qu. zu den wesentlichen Verteidigern (magnos adsertores) der vetustas (des gemäßigten Archaisierens), die Qu. 1,6,39 erwähnt, ohne Vergil oder andere Autoren namentlich zu nennen (Vgl. Komm. zu 1,6,39–41). Hier nennt er ihn erstmals explizit in diesem Sinne, später dann auch noch 8,3,24f. mit Beispielen. 7,19 hi Sullae, Galbae: Die ursprünglich durchaus vorhandene aiSchreibung des Nominativ Plurals der a-Deklination ist im Altlateinischen schon sehr früh zur Standardschreibung ae geworden (so ausdrücklich bestätigt von Velius Longus GrLat VII 20,22f.). Hier gibt Qu., bzw. dessen Gewährsmann die wohl unbestrittene communis opinio der römischen Grammatiker wieder. Das ai ist aber immerhin noch inschriftlich belegt tabelai datai = tabellae datae (Vgl. Leumann 420). 7,19 Est in hac quoque parte Lucili praeceptum…requirat: 3. Schreibregel des Lucilius: Dieser Satz ist ein schönes Beispiel für die Eile, mit der Qu. die grammatischen Probleme nur im gerafften Überblick andeuten will. Anders als in 1,7,15 (ei/i) wird hier die Lehre des Lucilius zur ai/ae-Schreibung nicht aus dem neunten Buch exzerpiert, sondern der skeptische Leser zum selbstständigen Nachschlagen aufgefordert. Die unangenehme Folge ist leider, dass wir nicht wissen, welche Regel Lucilius nun genau formuliert hat. Dass diese Regel allerdings mit Sicherheit nicht mit der vorher von Qu. referierten Regel übereinstimmte, zeigt einmal der Übergang („Es gibt für dieses Problem auch eine Regel des Lucilius“, die nicht mit der Qu.s identisch sein muss) und eine Parallelüberlieferung, die für Lucilius die Dativschreibung ae und nicht das ai der Regel Qu.s absichert: fr. 365 Krenkel (= Lucilius fr. 11 a GRF Funaioli): Martianus Capella 3,266: Lucilius in dativo casu a et e coniungit. Es folgen die Beispiele Terentiae, Orbiliae. Was Lucilius über den Genetiv und Nominativ Plural dachte, wissen wir leider nicht, es sei denn man sieht ihn als Vorbild von Nigidius Figulus in dem oben zitierten fr. 11 GRF Funaioli (p. 165) mit der Regel Gen. terrai, Dat. terrae. Aber das ist völlig ungesichert. Für Lucilius gilt also: Gen.: unsicher, Dat.: terrae, Nom. Pl.: unsicher. Ich glaube allerdings, dass er mit größter Wahrscheinlichkeit die ae-Standardschreibung terrae für alle drei Kasus empfahl. Das zeigt jedenfalls der Gebrauch, den er selbst in seinen Versen davon macht. Belege Ge-

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netiv: 126 Krenkel promontorium Minervae, Dativ: 272 Krenkel aetati tuae, Nom.Plur.: häufig belegt, z.B. 14 Krenkel praetextae tunicae. Qu.s Lucilius“exzerpt“ findet man bei Krenkel fr. 364 und Lucilius fr. 11 GRF Funaioli. 7,20 caussa, cassus, divissiones: Der orthographische Wandel, auf den Qu. hier anspielt, betrifft das intervokalische -ss-: Nach Kurzvokal blieb -ss- in Aussprache und Orthographie unangetastet (fossa, missus, fessus etc.), dagegen wurde es nach Langvokal und Diphthong um 100 v. Chr. in der Aussprache zu einfachem -s- verkürzt: cau-ss-a > cau-sa. Dieses -ss- hielt sich jedoch in der Schreibung sehr viel länger und begegnet zahlreich noch zu Ciceros und bis in die augusteische Zeit hinein, sodass für einen längeren Zeitraum nach 100 v. Chr. mit alternativen Schreibungen caussa/causa gerechnet werden muss. Qu.s fere von Z. 13 W (in der Regel, gewöhnlich, meistens) deutet sogar auf ein deutliches Übergewicht der Doppelschreibung für die Zeit Ciceros und Vergils hin. (Leumann 180f., Kühner-Holzweissig 210). s littera media vocalium longarum vel subiecta longis: Qu. gibt diesen orthographischen Wandel durchaus korrekt wieder und es besteht kein Anlass, hier Unklarheiten oder Missverständnisse Qu.s anzunehmen oder sogar Texteingriffe vorzunehmen wie z.B. Colson 1924, 98 oder Winterbottom im Apparat z.St. (parum accurate Quintilianus) meinen, beide mit Zitat der Konjektur Andresens: s littera media vocalium et subiecta longis (oder longae) (= der Buchstabe s zwischen Vokalen und vor einem Langvokal). Qu. sieht durchaus die moderne Grundbedingung für den orthographischen Wandel „intervokalischesss- nur nach Langvokal in der ersten Silbe“, denn beide Unterfälle Qu.s und alle drei Beispiele erfüllen diese Bedingung. Wie seine Beispiele zeigen, differenziert er aber noch weiter nach der Verteilung der Vokale auf beide Silben vor und nach dem -ss- und nach seiner Vokalsystematik von 1,4,10, wo zwei Vokalkombinationen unterschieden werden: Langvokale und Diphthonge. Die Grundregel Qu.s lautet also: Alle Beispiele der orthographischen Alternative -ss-/s betreffen Langvokale in der ersten Silbe. Zu unterscheiden sind dabei 2 Unterfälle: 1. s zwischen Langvokalen in beiden Silben (media vocalium longarum): a) Diphthong: cau-ss-ae (Diphthong-ss-Diphthong) b) Langvokal: cƗ-ssnjs (Langvokal-ss-Langvokal), 2. s nach Langvokalen und (zu ergänzen) vor folgendem Kurzvokal (vel subiecta longis): di-vƯ-ss-Ʊ-ones (Langvokal-ss-Kurzvokal). Man mag diese Unterdifferenzierung vom moder-

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nen Standpunkt aus für überflüssig halten, sie ist aber ein nachvollziehbarer Versuch der Harmonisierung mit der Vokalsystematik von 1,4,10. Den überlieferten Text nach der modernen Regel umzuschreiben, ist jedenfalls ein unzulässiges Verfahren, solange er vom Theoriestand Qu.s her durchaus verständlich und nachvollziehbar ist. Zu den Möglichkeiten, Autographe Ciceros und Vergils heranzuziehen, vgl. Colson, 1924, 98 mit Stellenangaben. 7,21 iussi: Ein scheinbar gegensätzlicher Wandel zum vorhergehenden altl. intervokalischen -ss- > klass. -s- (caussa > causa), nämlich altl. s > klass -ss- (iu-s-it > iu-ss-it). Doch handelt es sich bei klass. iu-ss-it um einen Sonderfall. Das gesamte klass. Paradigma iǎbeo, iǎssi, iǎssus (durchweg mit kurzem ǎ) ist analog vom Partizipialstamm (iussus, iussu) aus neu gebildet. Ursprünglich hatten das Präsens und Perfekt ein langes nj, das auf den älteren Diphthong ou zurückgeht, also ioubeo, iou-s-it, auch injbeo, inj-s-it. Nach der -ss- > -s-Regel nach Langvokal hätte eigentlich altl. Doppelschreibung (iou-ss-it) eintreten müssen. Entsprechende inschriftliche Belege mit einem -s- sind also vor die Einführung der Doppelschreibung etwa zur Zeit des Ennius zu datieren. Vgl. Leumann 14, 69, 181 und 541 mit den inschriftlichen Belegen. Qu.s Zeitangabe paulum superiores trifft also in der Tendenz genau das Richtige. 7,21 optimus: Altl. optumus/klass. optimus: Es handelt sich um den von Qu. schon 1,4,8 erwähnten zwischen u und i liegenden ü-Laut vor Labialen ohne eigenes Schriftzeichen, der im Altlateinischen u und im Klassischen Latein bei zunächst schwankender u/i-Schreibung erstmals (daher das primum bei Qu.) von Caesar konsequent i geschrieben (und auch so gesprochen wurde), z.B. opt-u-mus/opt-i-mus – offenbar mit normprägenden Folgen. Vgl. meine ausführlichen Erläuterungen oben zu 1,4,8. Die Einführung der konsequenten -i-Schreibung und -Aussprache durch Caesar bezeugt Varro fragm. 269 GRF Funaioli: Terentius Varro tradidit Caesarem per i eius modi verba solitum esse enuntiare et scribere; inde propter auctoritatem tanti viri consuetudinem factam. Schwierigkeiten macht bei unserer Qu.-Stelle die Überlieferung: C. primum Caesaris inscriptione traditur factum. inscriptione B: instructione A. Man könnte bei der allein in Frage kommenden Lesart von B an eine Inschrift Caesars denken, doch dies ist eher unwahrscheinlich. Der Singular würde bedeuten, dass Qu. nur eine Inschrift Caesars zum

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Beleg herangezogen hätte, die dann so berühmt gewesen sein müsste, dass sie der Leser ohne weiteres hätte identifizieren können. Eine solche Inschrift ist nicht belegt. Man könnte höchstens, wie auch geschehen, den Plural inscriptionibus konjizieren, denn Velius Longus bezeugt GrLat VII 67,3–5 (= Caesar test. 10 GRF Funaioli, p. 145) ausdrücklich die i-Schreibung Caesars für seine Inschriften (ut apparet ex titulis ipsius). Velius bezieht sich hier aber nur auf bestimmte Wörter der Rechts-und Sakralsprache, die häufig in Inschriften vorkommen, und außerdem wäre bei dieser Konjektur die i-Schreibung Caesars nur auf seine Inschriften beschränkt. Das o.g. Fragm. Varro 269 bezeugt aber zweifellos den allgemeinsprachlichen Charakter der orthographischen Regel Caesars. Es bleibt also nur die einzig sinnvolle Korrektur in scriptione = in der Schreibweise, Orthographie Caesars, ein Gebrauch von scriptio, der z.B. bei Velius Longus gut bezeugt ist, z.B. GrLat VII 67,1. Ich schließe mich hier den überzeugenden Erläuterungen Colson 1924, 98f. an, der allerdings nicht den Mut hat, den Text entsprechend zu ändern. 7,22 Here: Altl. heri/klass. here: here gilt Qu. als die Normalschreibung seiner Zeit, die i-Schreibung wertet er dagegen als archaisch. Den zwischen e und i liegenden Zwischenlaut bei heri/here, wieder ohne Schriftzeichen, hatte Qu. ebenfalls schon 1,4,8 erwähnt: et „here“ neque e plane neqe i auditur. Vgl. meine Erläuterungen dazu im Komm. z. St. Hier nennt Qu. noch als altlateinischen Beleg für heri Terenz, Phormio 36, den er offenbar in noch vorhandenen Exemplaren aus der Zeit des Komikers selbst gefunden hat (Vgl. dazu Colson 99). Noch Augustus schrieb allerdings weiterhin heri. Er wird auch sonst als konservativer Beibehalter älterer Orthographie erwähnt (Vgl. neben unserer Qu.-Stelle, dem Testimonium 2 noch Test. 4 bei Funaioli GRF p. 568 f.). Aus seinen Originalbriefen zitiert noch Sueton, Augustus 71 und Caligula 8 und in beiden Exzerpten kommt heri vor. Vgl. Colson p. 99. Vgl. zu Augustus auch meine Anm. zu 1,6,19. 7,23 dice…facie: Die nächste altlateinische Schreibvariante ist Catos Schreibung der 1. Person Futur von Verba der konsonatischen Konjugation in der Normalschreibung auf -am, z.B. dicam und faciam. Doch wie diese Variante Catos bei Qu. gelautet haben kann, ist seit längerem umstritten. Vgl. dazu besonders einschlägig C.H. Moore, Cato’s final m: a note to Quint. inst. orat. I 7,23 und IX 4,39. American Journal of Philology 19 (1898) 312f. und A. Klotz, Über einen Sprachgebrauch

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Catos, Rhein.Mus. 80 (1931) 137–147. Nicht nur die Überlieferung der beiden Beispiele scheint auf den ersten Blick korrupt (dicae et faciae B, dice et face A), die gesamte Stelle ist auch isoliert für sich genommen unverständlich. Zum Glück gibt es aber eine Parallelstelle, nämlich 9,4,39, deren Kontext den Sinn von 1,7,23 gut zu erschließen hilft, die aber leider ihrerseits in den entscheidenden Beispielen tatsächlich so korrupt überliefert ist, dass man die Lesart dicae et faciae von 1,7,23 hierher übertragen hat. Winterbottoms Apparat zu unserer Stelle Z. 23– 4 ist allerdings ungenau, denn handschriftlich gut belegt und von vielen älteren Editionen vertreten ist auch die Lesart dice et facie. Schon Spalding hat darauf verwiesen (Vol I 185), vgl. auch Klotz 137 (mit Hinweisen auf die Ausgaben von Halm und Radermacher). Cato hätte also für dicam und faciam entweder (1) dicae und faciae oder (2) dice und facie geschrieben. Die Variante (1), die sich auf B stützt, wird heute fast ausschließlich vertreten, mir scheint dagegen die Variante (2) die einzig richtige Lesung. Betrachten wir zunächst die beiden Stellen. 1,7,23 nennt Qu. die Schreibvariante Catos für dicam (dicae/dice) und behauptet diese Schreibung Catos auch für die restlichen Verba der konsonsonantischen Konjugation (also etwa *agae/age für agam oder *legae/lege für legam). Dies könne man noch in Originalen Catos nachweisen und es sei auch von Messalla in seinem Traktat Über das s überliefert worden. Den ersten Teil der Begründung müssen wir Qu. glauben, scheint doch die Existenz sehr alter Bücher noch in der Kaiserzeit auch sonst gesichert (Vgl. Klotz 37). Messallas Traktat wird außer an dieser Stelle noch 1,5,15, 1,7,35 und 9,4,38 genannt und wir wissen besonders von der letzt genannten Stelle her, dass er darin über den Ausfall des auslautenden s vor Konsonant gehandelt hat. Über den Zusammenhang mit der dicam-Schreibung Catos lässt sich jedoch von hier aus noch nichts ermitteln. Ich komme darauf zurück. 9,4,39 muss im gesamten Kontext gesehen werden. Es geht ab 9,4,32 um die iunctura verborum, insbesondere um die (erwünschten oder unerwünschten) lautlichen Effekte von Wortkombinationen über die Wortgrenze hinweg, zunächst von Vokalverbindungen (z.B. Hiat §§ 33–37), dann von konsonantischen Verbindungen (§§ 37–40), z.B. des auslautenden s mit anlautendem Konsonanten (ars studiorum), die wegen der Schwäche des auslautendem s in vielen sogar zur Streichung des s geführt haben, z.B. dignu(s) locoque des Lucilius und weitere Beispiele aus Ciceros orat. 161. Eben diese Streichung hat Messalla behandelt und gut geheißen (9,4,38). Es folgt ziemlich abrupt das Bei-

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spiel Catos, das jetzt aber nicht mehr das auslautende s, sondern das auslautende m betrifft. Ähnlich wie das auslautende schwache s vor konsonantischen Anlaut, so müssen wir schließen, verschwindet auch das auslautenden schwache m im Auslaut vor Konsonanten wie bei dicae/dice statt dicam (m littera in e mollita § 39). Messalla hat also sehr wahrscheinlich auf dieses m als Parallelfall zum auslautendem s verwiesen. Dass das Beispiel von 9,3,39 tatsächlich noch zu den konsonantischen Kombinationen des auslautenden m gehört, beweist nicht nur die vorhergehende s-Parallele, sondern auch der folgende § 9,3,40, der weiter vom m, jetzt aber vom intervokalischen m spricht, das nicht geschwächt oder weggenommen wird, sondern weiter geschrieben, aber eine eigene lautliche Qualität erhält (multum ille, quantum erat). Doch wie soll man die Schwächung oder sogar den Ausfall des m im Fall von dicam verstehen? Die Erklärung hängt von m littera in e mollita in 9,4,39 ab. Nimmt man es wörtlich, kommt man unweigerlich von dica-m/facia-m, dessen m zu e abgeschwächt worden sein soll, zu dica-e/facia-e, der Lesart von B. Man steht dann aber vor der großen Schwierigkeit, den Weg vom m zu e zu erklären. Dies wurde von Moore und Klotz auf schriftgeschichtlichem Weg versucht, indem sie Cato ein neues Schriftzeichen für das abgeschwächte Schluss-m unterstellten, Moore ein auf die Seite gedrehtes M, dem großen griechischen Σ ähnlich, und Klotz ein halbes M, das Velius Longus GrLat VII 80,17ff. mit Berufung auf Verrius Flaccus zur Diskussion stellt. Spätere antike Gelehrte und Abschreiber (darunter auch Qu., obwohl der selbst auf 9,4,39 auf die ahnungslosen Kopisten schimpft) hätten diese Zeichen nicht mehr verstanden und sie mit einem e verwechselt. Beide Erklärungsversuche dürften wohl kaum das Richtige treffen, denn für das Σ gibt es keinen überzeugenden Beleg, und das halbe M des Verrius Flaccus betrifft eindeutig das intervokalische m, würde also höchstens zu Fällen des § 9,3,40 passen. Versteht man nun aber m littera in e mollita in einem weiteren, nicht streng wortgetreuen Sinne, also etwa so „nachdem sich der Buchstabe m (von dicam) in Richtung auf ein bloßes e (= mit dem Ergebnis eines bloßen e im Wortauslaut) abgeschwächt hatte“ ist man nicht mehr an das ae gebunden und es bleibt Raum für die ebenfalls gut überlieferte Variante dice/facie. Und diese Variante ist sogar nicht nur für das Altlateinische, sondern sogar für Cato selbst gut belegt und sie ist außerdem auch sprachhistorisch gut erklärbar: Vier Paul.-Fest.-Stellen bezeugen das altalteinische Futur der 1.Pers. auf -e: attinge (= attingam), dice

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(= dicam entspricht Qu.s Beispiel), ostende (= ostendam) und recipie (= recipiam). Die Stellen bei Klotz 140f. und bei Kühner-Holzweissig 726. Die ersten drei Stellen sind schon für Klotz als Cato-verdächtig eingeschätzt worden, recipie wird sogar explizit Cato zugeschrieben: recipie apud Catonem pro recipiam ut alia eiusmodi complura (PaulFest 364,8 Lindsay). Dieses altlateinische Futur wird sprachhistorisch als ein altes nicht belegtes Futur auf -Ɲm (*legƝm) analog zu den weiteren Formen des Futur legƝs erklärt, dessen schwach auslautendes Schluss-m schließlich abgeworfen wurde. Das -e von dicƝ ist also lang. Vgl. Kühner-Holzweissig 726 und Leumann 577 beide mit Hinweis auf Qu. Ob der m-Schwund allerdings tatsächlich durch vorkonsonantische Stellung hervorgerufen wurde, wie Qu.s Kontext von 9,4,39 suggeriert, lässt sich wohl nicht mehr ermitteln. Die beiden Stellen können also nur lauten: 1,7,23: nam Cato Censorius „dicam“ et „faciam“ „dice“ et „facie“ scripsit… und 9,4,39: et illa Censori Catonis „dice“ „facie“que, m littera in e mollita. Nachtrag: Erst nach Fertigstellung dieses Lemmas bin ich auf den Aufsatz von J. Bradford Churchill, Dice and facie: Quintilian, Institutio oratoria 1.7.23 and 9.4.39, American Journal of Philology 121.2 (2000) 279–289 aufmerksam geworden. Er kommt mit ähnlichen Argumenten zu demselben Ergebnis wie ich. 7,24 Sibe et quase: sƱ-bƟ und quă-sƟ sind Schreibvarianten des durch Jambenkürzung aus ursprünglichem langem Ư am Ende entstandenen sƱbƱ und quă-sƱ, hervorgerufen durch den zwischen e und i liegenden Zwischenlaut, der gleiche Vorgang also wie bei he-ri/he-re: Vgl. oben Komm. zu 1,4,8, Kühner-Holzweissig. 578f. und 941 (jeweils mit unserer Qu.-Stelle) und Leumann 108f. und 462 (mit der Qu.-Stelle). Jedoch hat sich laut Qu. bei diesen beiden Wörtern im Gegensatz zu here (1,7,22) die i-Schreibung als Standard durchgesetzt: haec nos i littera finimus. Trotzdem scheint die e-Schreibung nach Auskunft Qu.s in Manuskripten häufig vertreten gewesen zu sein. Jedoch setzt er Zweifel an deren Originalität und hält sie eher für eine spätere Abschreibervarianten. Von Asconius Pedianus hat er allerdings (wahrscheinlich durch persönliche Information) erfahren, dass immerhin der große Livius diese Schreibvariante benutzte, wie auch Asconius selbst, was man allgemein damit zu erklären versucht hat, dass Asconius wahrscheinlich ebenfalls Paduaner war. Q. Asconius Pedianus (3–88 n. Chr) ist besonders wegen seines zwischen 54–57 n. Chr. verfassten, nicht vollständig

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erhaltenen Kommentars zu Ciceros Reden bekannt. Seine Lebenszeit lässt also persönlichen Kontakt mit Qu. als durchaus möglich erscheinen. Vgl. die Testimonien zu Pedianus bei Schanz-Hosius II 731–733. Ob si-be und qua-se zur berühmten Patavinitas des Livius zählten, die Qu. 1,5,56 erwähnt, ist unbekannt. Vgl. dazu Komm. zu 1,5,56. 7,25 vortices et vorsus: altl. vortex/vorsus > klass. vertex/versus: Dieser Laut- und Schreibwandel beruht auf der Vokalassimilation des anlautenden vo- zu ve- vor r s t, die um 150 v. Chr. abgeschlossen ist, z.B. vo-r-sus > ve-r-sus, vo-s-ter > ve-s-ter und vo-t-o > ve-t-o. Vgl. Leumann 47f. mit unserer Qu.-Stelle. Dass P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus minor (185–129 v. Chr.) die e-Schreibung als erster eingeführt haben soll, erfahren wir nur hier bei Qu. Bestätigt wird die Rolle Scipios als Sprachneuerer gegen den Sprachgebrauch allerdings schon von Lucilius, der ihn für (damals) ungewöhnliche, wohl analogistisch gewonnene Formen wie rederguisse (statt redarguisse = widerlegt zu haben) und pertisum (statt pertaesum = verdrießlich) sogar als arroganten Besserwisser beschimpft. Vgl. Lucilius 971 Krenkel und das Testimonium 1 bei GRF Funaioli p. 4f. Im Gegensatz zu vertex und versus haben sich die beiden letzten Eingriffe Scipios in den Sprachgebrauch nicht halten können. 7,26 Nostri scriptores servum cervumque…nequiret: Altl. ser-uos/ cer-uos > klass. ser-uus/cer-uus (im Schriftbild der Zeit Qu.s: SERVVS/CER-VVS): Es geht hier um den in 1,4,10 behandelten 3. Problemfall der Vokalkombination, die Selbstverdoppelung von i + i und u + u in einer Silbe mit konsonantischer Verwendung des ersten Vokals (coniicit/ser-uus). Vgl. dazu meine ausführlichen Erläuterungen zu 1,4,10– 11. Hier steht nur -uu zur Debatte, das offenbar wie schon das -ii noch bis in Zeit der Lehrergeneration vor Qu. umstritten war. Qu.s Lehrer schrieben ser-uos, cer-uos, zur Zeit Qu. hat sich dagegen die -uuSchreibung ser-uus, cer-uus durchgesetzt (nunc u gemina scribuntur, bestätigt durch 1,4,10: quo modo nunc scribitur „uulgus“ et „seruus“). Das Argument der Lehrer Qu.s (Wer damit genau gemeint ist, wissen wir nicht. Es kann sich aber nur um die Generation von Remmius Palaemon handeln) ist nicht leicht nachzuvollziehen. Die uu-Verdoppelung wird durch -uo-Schreibung gemieden, quia subiecta sibi vocalis in unum sonum coalescere et confundi nequiret – weil ein Vokal, der sich selbst folgt (also das -uu), nicht in einen einzigen Laut zusammenwachsen und verschmelzen könne. Dass hier mit subiecta sibi vocalis nur der

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Fall der Selbstverdoppelung von u in einer Silbe gemeint sein kann, zeigen nicht nur die Beispiele ser-uus und cer-uus, sondern auch die Parallelstellen 1,4,10 und 12,10,30. So 1,4,10: quo modo duabus demum vocalibus in se ipsas coeundi natura sit…atqui littera i sibi insidit…et u… – auf welche Weise nur zwei Vokale (das i und u) die Eigenart haben, sich mit sich selbst zusammenzuschließen… – jedenfalls schließt sich der Buchstabe i sich selbst an und so auch das u. Und so auch 12,10,30: Der unangenehm klingende, im Griechischen nicht vorhandene lateinische Buchstabe q dient nur der Verbindung sich selbst folgender Vokale (ad coniugendas subiectas sibi vocalis), und zwar des -uu, wie die folgenden Beispiele eq-uus -das equos der Editionen ist m. A. n. falsch- und aeq-uum zeigen, und ist sonst überflüssig (Vgl. dazu Komm. zu 1,4,9 und Leumann 10). Aber allein schon die beiden -uu selbst, so Qu. weiter, bewirken einen Ton, der ebenfalls nicht mit griechischen Buchstaben wiedergegeben werden kann: cum etiam ipsae hae vocales duae efficiant sonum, qualis apud Graecos nullus est ideoque scribi illorum litteris non potest – wobei auch schon die beiden Vokale selbst (das -uu in eq-uus) einen Ton bewirken, den es bei den Griechen nicht gibt und der deshalb mit ihren Buchstaben nicht geschrieben werden kann. (Vgl. zur Wiedergabe des lateinischen konsonantischen u im Griechischen Leumann 139.) Die alle drei Stellen verbindende Information ist die, dass Qu. die Selbstverdoppelung von u in einer Silbe durchaus zugesteht und den Zusammenschluss des konsonantischen u mit dem vokalischen u als eine neue eigene silbische Toneinheit verstanden wissen will (ser-uus). Genau diese Möglichkeit scheinen aber seine Lehrer für das -uu bestritten und daher lieber die offenbar als unproblematisch empfundene Kombination kons. u + anderem Vokal, hier dem -o bevorzugt zu haben (ser-uos). Warum nun genau die Bildung eines einsilbigen Tons bei -uo zustande kommen soll, bei der Selbstverdoppelung -uu aber nicht, wird leider nicht näher erörtert, so dass wir in Bezug auf das eigentliche Argument der praeceptores im Dunkeln tappen. Auch die antike Diskussion um die i-Verdoppelung hilft da nicht weiter (s. Komm. zu 1,4,11). Möglicherweise zielte der Einwand (wie ähnlich bei -ii; vgl. Leumann 128f.) auf die Schwächung oder gar den Schwund des konsonantischen u vor dem gleichen Vokal, das den vollen silbischen Ton der Vokalkombination -uu gefährdete. Doch ist dies eine bloße Vermutung. Die moderne sprachistorische Erläuterung der Schreibung ser-uos geht dahin, das der allgemeine Wandel von o > u nach kons. u in der

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Stammsilbe wie bei uol-gus, vol-tus, aber auch beim Nom. Sgl. der -oDeklination wie bei par-uos, eq-uos, vi-uos, ser-uos etc. bis in die Kaiserzeit hinein verzögert wurde. Vgl. Leumann 49 (mit unserer Qu.Stelle) und 423. Allerdings war das auch schon den antiken Grammatikern bekannt. Vgl. Priscian GrLat II 27,9–15: Die vetustissimi schrieben häufig o statt u…et maxime digamma antecente hoc faciebant, ut seruos pro seruus, uolgus pro uolgus… 7,26 nunc u gemina scribuntur ea ratione, quam reddidi: ist ein Rückverweis auf 1,4,11, wo die uu-Schreibung als dritte systematische Variante der Vokalkombination ausdrücklich bejaht wird. 7,26 neutro sane modo…Aeolicam illam…literam adiecerat: Mag man nun ser-uos oder ser-uus für die richtige Schreibung halten, in beiden Fällen hebt sich die Ausprache des kons. u von der des Nachfolgevokals deutlich ab, so dass die Forderung nach einem eigenen graphischen Zeichen für das konson. u naheliegt. Der Vorschlag einer ersatzweisen Schreibung des kons. u vor vok. u mit dem äolischen Digamma F ist schon 1,4,8 von Qu. gemacht worden: ut in his „seruus“ et „uulgus“ Aeolicum digammon desideratur. Differenzierter heißt es dann 12,10,29: Aeolicae quoque litterae, qua „seruum“ „ceruum“que dicimus, etiam si forma a nobis repudiata est, vis tamen nos ipsa persequitur – Auch wenn wir das Schriftzeichen des äolischen Buchstaben (F), mit dem wir seruus und ceruus sprechen, zurückgewiesen haben, so bleibt doch sein Lautwert (/w/) selbst uns erhalten, d.h. der Lautwert des Digamma bleibt trotz Aufgabe des Schriftszeichens im Lateinischen in Gestalt des konsonantische u weiterhin vorhanden. Dass der Vorschlag des (umgekehrten) Digamma für das kons. u vor vok. u von Kaiser Claudius im Zuge seiner Rechtschreibreform stammt, erfahren wir nur hier an unserer Stelle. Dazu habe ich schon im Komm. zu 1,4,8 das Nötige gesagt. 7,27 Illud nunc melius, quod cui…distingueretur: cui: Ältere Schreibung quoi, heutige (zur Zeit Qu.s) Schreibung cui. cui ist der Dativ des Relativ- und Fragepronomens (wem, dem), entstanden aus quo-i-ei > quoi > coi > cui. quoi ist also die reguläre altlateinische Form, cui die neuere Standardform, deren c (wie auch bei cuius) auf den oben schon 1,7,6 am Beispiel von cottidie erläuterten Lautwandel zurückgeht: Das kons. u verschwindet im Inlaut vor dumpfen Vokalen o/u (quo > co > cu), wird aber in Formen des qu-Pronomens bis auf

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wenige Ausnahmen wie eben cuius und cui wieder zu quo restituiert. Vgl. Leumann 136f. und 476 (mit unserer Qu.-Stelle). quoi ist sicher noch sehr lang bis in die Zeit Ciceros und darüber hinaus verwendet worden, und dass dies auch noch zur Zeit seiner Lehrer (pueris nobis) der Fall war, erfahren wir hier von Qu. Velius Longus berichtet sogar vom Gebrauch dieser Form auch noch in seinem 2. Jh. n. Chr.: GrLat VII 76,3–4: itaque audimus quosdam plena oi syllaba dicere quoi et hoic pro cui et huic (Vgl. Colson 1924, 100f.). Man wird also für einen langen Zeitraum mit Alternativschreibungen rechnen müssen. Über den genauen Beginn der cui-Schreibung, den Qu. mit nunc angibt, weiß man wenig, es sei denn, man nimmt wie Kühner-Holzweissig 610f. Qu. beim Wort und lässt sie tatsächlich erst mit ihm beginnen: „Aus Quintil. 1,7,27 ersieht man, daß erst zu seiner Zeit die Form cui an die Stelle des älteren quoi getreten sei.“ Dies kann aber schon deshalb nicht zutreffen, weil die hier referierte Schreibregel der Lehrer Qu.s „quoi statt cui“ die Einführung des modernen cui bereits voraussetzt. Safarewicz setzt 1969, 186 den Beginn von cuius/cui mit einem inschriftlichen Beleg in die augusteische Zeit. Der Fall liegt hier bei quoi/cui ganz ähnlich wie bei ser-uos/ser-uus in 1,7,26. Die Lehrer Qu.s bevorzugten in bestimmten Fällen die ältere Schreibung mit modern-grammatischen Begründungen, hier die ältere Schreibung quoi zur Vermeidung einer möglichen Verwechslung des cui mit dem Nom. Sgl. oder Plur. qui. Doch ist dieses Argument nicht sonderlich überzeugend, denn phonetisch wird cui einsilbig diphthongisch und qui einsilbig mit konsonantischen u gesprochen (/kui/ gegen /kwi). Graphisch ist außerdem das c klar vom qu geschieden (So schon Scaurus GrLat VII 28,1–3: c autem in dativo ponimus, ut sit differentia cui et qui, vgl. Colson 1924, 100). Um nur (tantum) diese in Qu.s Augen offenbar doch recht geringe Gefahr zu vermeiden, scheint ihm die Schreibung und Aussprache quoi unnötig bis übertrieben. Sie hat zudem gegenüber dem hellen cui den Nachteil eines sonus sane pinguis (eines nun wirklich dumpfen Tons), daher das illud (scl. cui) nunc melius vom Beginn von 27 (anders Colson 1924, 100, für mich nicht überzeugend). Vergessen wir nicht den Klangästheten Qu., der 12,10,30 das qu zu den unschönen rauen lateinischen Lauten zählt. cui nennt Qu. übrigens dreibuchstabig, um es vom vierbuchstabigen quoi zu unterscheiden.

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7,28 Quid, quae scribuntur aliter, quam enuntiantur?: Nach den Beispielen für den orthographischen Wandel im Abschnitt drei des orthographischen Kapitels folgen jetzt als vierter Abschnitt vier Beispiele für Unterschiede von Schreibung und Aussprache. Vgl. die Gliederung des Kapitels 1,7 vor dem Kommentar. 7,28 Nam et „Gaius“ C littera significatur: C. als geläufige Abkürzung des Praenomen Gaius: Das Zeichen C entsprach im Lateinischen dem griechischen Gamma, hatte also ursprünglich den Lautwert der gutturalen Media G, repräsentierte dann aber auch die Tenuis K. Sehr bald beschränkte sich C ausschließlich auf K und der alte Lautwert G für C blieb nur in Abkürzungen erhalten, eben wie bei C. = Gaius, so dass in diesem Fall eine (ursprünglich nicht vorhandenene) Differenz zwischen Schreibung und Aussprache entstand. Der Verlust des Zeichens für den Lautwert G führte übrigens im 3. Jh. v. Chr. zur Einführung des neuen Zeichens G, wie wir hören, durch Spurius Carvilius (Vgl. GRF Funaioli p. 3). Zum Zeichen C in der Geschichte des lateinischen Alphabets vgl. insgesamt. Leumann 9f. 7,28 quae inversa mulierem declarat: Qu. spielt hier auf die häufig belegte epigraphische Praxis z.B. in Grabinschriften an, Freigelassene von Frauen mit dem umgekehrten Zeichen C, nämlich ം zu bezeichnen, wobei ം mit Gaiae aufzulösen ist, also ംL. = Gaiae libertus, bzw. liberta. Gaiae fungiert hier aber im Unterschied zu den Abkürzungen der von Männern Freigelassenen nicht als echter Vorname des Freilassers (z.B. C.L. = Gaii libertus oder Q.L. = Quinti libertus = Freigelassener des Caius oder des Quintus), sondern als Synonym für mulier (Frau allgemein), also ംL. = Freigelassener/e einer Frau. Das liegt daran, dass Frauen seit der späteren Republik in der Regel keine Vornamen, sondern nur ihr Gentilnomen trugen Antonia, Calpurnia, Cornelia etc. (vgl. J. Marquardt, Das Privatleben der Römer, Darmstadt, Vol 1, p. 17–19) und daher Caiae als Ersatz für das fehlende Praenomen der Freilasserin eintrat. Ein schönes Beispiel für die Abkürzungen C.L. und ംL. bietet die Inschrift CIL XI 961(= Nr. 204 in: Römische Inschriften, hrsg. v. L. Schumacher, Reclam 1988, p. 268f.) aus augusteisch-tiberischer Zeit, von der es in der elektronischen Datenbank des CIL (http://cil.bbaw.de) auch eine Fotographie gibt. Beispiele Männer: C.PETTIO.C.L.PYLADI = C(aio) Pettio C(ai) l(iberto) (dem Gaius Pettius Pylades, dem Freigelassenen des Gaius), oder C. CLODIO.C.L.ANTIOCHO = C(aio) Clodio C(ai) l(iberto) Antiocho

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(dem Gaius Clodius Antiochus, dem Freigelassenen des Caius). Beipiele Frauen: PETTIAE. ം.L. SPERATAE = Pettiae ঑ (= mulieris) l(ibertae) Speratae (der Pettia Sperata, der Freigelassenen einer Frau) oder PEIA. ം.L. SIGE = Peiae ঑ (= mulieris) l(ibertae) Sige (Der Peia Sige, der Freigelassenen einer Frau). Nach Qu. hat auch Velius Longus das umgekehrte ം in diesem Sinne verstanden (GrLat. VII 53,9–12): et c conversum, quo Gaia significatur, quod notae genus videmus in monumentis, cum quis libertus mulieris ostenditur. Gaias enim generaliter a specie omnes mulieres accipere voluerunt. = Und das umgekehrte C, mit dem „Gaia“ bezeichnet wird, eine Art Zeichen, das wir an Denkmälern sehen, wenn ein Freigelassener einer Frau angezeigt wird. Man wollte nämlich unter Gaias im allgemeinen Sinne von der Spezies her alle Frauen verstanden wissen. 7,28 quia tam Gaias esse vocitatas…apparet: Der in seiner stenographischen Kürze kaum verständliche Hinweis auf die Bedeutung des ം = Gaia = mulier bedarf einer Begründung. Qu. liefert sie durch den Hinweis auf die Urquelle des appellativen Gebrauchs von Gaia in den Hochzeitszeremonien. Angespielt wird auf die nur bei Plutarch (Quaestiones Romanae 30) auf Griechisch überlieferte Formel Ubi tu Gaius, ego Gaia, die die Braut bei der Hochzeitsfeier im Haus des Mannes ganz unabhängig von dessen tatsächlichem Namen zu sprechen hatte und mit der sie allem Anschein nach (so Mommsen) erklärte, den Gentilnamen ihres künftigen Mannes annehmen zu wollen. Zu den komplizierten Einzelheiten der Formel vgl. J. Marquardt, Das Privatleben der Römer, Vol. I (1990), 49, Anm. 2. Schon hier fungiert Gaia jedenfalls nicht mehr als Eigenname, sondern hat einen generellappellativen Sinn. Der appellative Gebrauch von Gaiae (= Frauen) spielte auch in der späteren juristischen Terminologie des Eherechts eine Rolle und wurde auch kritisiert, wie Cicero, Mur. 27 belegt: In omni denique iure civili aequitatem reliquerunt, verba ipsa tenuerunt, ut, quia in alicuius libris exempli causa id nomen invenerant, putarunt omnis mulieres, quae coemptionem facerent, ‚Gaias‘ vocari. = Überhaupt gaben sie (die Rechtsgelehrten) bei allen Fragen des bürgerlichen Rechts die Gerechtigkeit preis und hafteten am bloßen Wortlaut, wie sie zum Beispiel glaubten, alle Frauen, die eine Kaufehe abschlössen, müssten Gaia

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heißen, weil sie diesen Namen als Beispiel in jemandes Schriften gefunden hatten (Übers. M. Fuhrmann, Cicero. Sämtliche Reden, II 312). Es gab also eine juristische Diskussion über den Terminus Gaiae, die aber Qu. nicht heranzieht. Ihm genügt allein der Hinweis auf die Hochzeitsformel. Daher kann das etiam vor ex nuptialibus sacris nur „sogar schon“ nicht „auch“ bedeuten, d.h.: man braucht nur diese Formel, nicht die spätere juristische Diskussion, um den Gebrauch von Gaiae zu verstehen. 7,29 Nec Gnaeus…sonat: Gnaeus wird Cn.abgekürzt. Für das C gilt dieselbe Erklärung wie oben 1,7,28 für C = Gaius. Zur Unterscheidung von Caius wird bei Gnaeus noch ein n hinzugefügt. 7,29 et „columnam“ et „consules“ exempta n littera legimus: Beide Wörter wurden also mit n geschrieben, aber ohne n gesprochen. Bei columna (Säule), gesprochen columa, wird der Ausfall des n als kombinatorischer Wandel mn > m(m) in der jüngeren Vulgärsprache gedeutet. Vgl. Sommer-Pfister 176 mit unserer Qu.-Stelle. Allerdings scheint columa gerade nach unserer Stelle nicht vulgär zu sein, sondern die gängige Normalaussprache schon zur Zeit Qu.s zu repräsentieren. Die Form columa kommt auch noch bei Pompeius GrLat V 283,11 vor, der sie hier als Beispiel für einen Barbarismus (Fehler im Einzelwort) anführt. Bei consules (Der Plural des Beispiels ist hier, wie Colson 1924, 101 richtig anmerkt, ohne Relevanz), gesprochen mit nasaliertem Vokal coñ-sules, handelt es sich um den gut belegten Schwund des nasalen Konsonanten n vor s mit Ersatzdehnung des vorhergehenden Vokals mit nasalierter Aussprache ohne Verschluss. Der Verlust des n hatte schon früh Auswirkungen auf die Schreibung, wie altlateinische inschriftliche Belege cosol, cesor, cosoleretur, cos., coss. (consul, consules) etc. zeigen. Die Orthographie mit n wurde später in der Klassik wieder eingeführt. Vgl. dazu ausführlich Safarewicz 1969, 76f. und kurz Leumann 146 mit unserer Qu.-Stelle. 7,29 et „Subura“…ostendit: Die Subura, ae, f. ist ein Stadtviertel Roms, nordöstlich des Forum Romanum am Westabhang des Esqulin. Die Etymologie des Namens ist bis heute ungeklärt. Varro stellt sich ling.Lat. 5,48 gegen die Herleitung des Iunius Gracchanus von sub urbe und plädiert als Etymon für den vom pagus Succusanus abgeleiteten Stadtteilnamen Succusa, den er aus der auch schon ihm geläufigen Ab-

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kürzung SUC für die Subura erschließt. Succusa leitet er wiederum von Succursa ab (> succursa von succurere, hier: unten an etwas laufen): Pagus Succusanus, quod succurrit Carinis = Pagus Succusanus, weil er unterhalb der Karinen (= ein vornehmes Villenviertel am Südwestabhang des Esquilin) hinläuft (Übersetzung Georges s.v. succurro). Verrius Flaccus übernimmt später diese Etymologie, die noch bei Festus erhalten ist. Vgl. Maltby 590f. Qu. zeigt, dass die Abkürzung SUC für die Subura auch noch zu seiner Zeit in Gebrauch war. Dass schon Varro die orthographische Diskrepanz zwischen B im Namen und C in der Abkürzung deutlich war, zeigt sein ausdrücklicher Vermerk am Ende von 5,48 zur Abkürzung SUC: tertia littera C, non B. 7,29 tam parvae quaestionis: Colson hat Recht, wenn er 1924, 102 darauf hinweist, dass mit parvae quaestionis hier nur das Problem der Differenz von Schreibung und Aussprache in §§ 28–29 gemeint sein kann, nicht die Orthographie insgesamt, die als Ganzes nicht gut eine parva quaestio genannt werden könnte. 7,30–35 Es folgen jetzt zusammenfassende Schlussbemerkungen zur Orthographie und zum ersten Teil der Grammatik (§§ 30–35): §§ 30–31: Das Wichtigste in orthographischen Dingen ist das Urteil des Lehrers (iudicium). Mein Prinzip: Phonetische Schreibung, solange der Sprachgebrauch das zulässt. § 32: Bis hierher sind die beiden Teile der ersten virtus des emendate loqui (Orthoepie und Orthographie) besprochen. Die beiden anderen virtutes, significanter ornateque loqui, werden erst später im rhetorischen Teil besprochen. §§ 33–35: Grammatik ist nicht trivial, sondern wichtig. Man darf nur nicht darin hängen bleiben. Vorbildliche Beispiele: Cicero, Caesar und Messalla. Colson hat Recht, wenn er 1924, 102 mit 1,7,30 einen neuen Schlussabschnitt des Gesamtkapitels 1,7 beginnen lässt und die §§ 30–31 nicht allein den Fällen der Differenz zwischen Schreibung und Ausprache von §§ 28–29 als Fazit zurechnet. Für einen so engen Rückbezug sind die Bemerkungen von § 30ff. zu allgemein angelegt, worauf auch das his omnibus hindeutet. 7,30 iudicium autem suum…plurimum debet: Colson hat Recht, wenn er hier (1924, 102) und 1924, 37f. zu 1,4,3 auf die weitere Bedeu-

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tung von iudicium bei Qu. verweist: das kompetente, eigenständigkritische Urteil (suum iudicium) des Fachmanns, das sich auf sein gesamtes Fachgebiet, beim Grammaticus z.B. auf die Analogie (1,6,3) oder hier 1,7,30 auf die Orthographie erstreckt. Ich habe aber oben nachgewiesen, dass Qu. im grammatikgeschichtlichen Kontext von 1,4,3 in Verbindung mit 1,8,17 auch die engere Bedeutung der alexandrinischen Echtheitskritik und ästhetischen Beurteilung des dichterischen Textes im Rahmen der vier officia grammatices des Tyrannion aktiviert. Vgl. dazu meine ausführlichen Erläuterungen zu 1,4,3. 7,30–31 Ego, nisi quod consuetudo optinuerit, …legentibus: Als Beispiel für ein kompetentes iudicium des Fachmanns formuliert Qu. hier sein eigenes oberstes Prinzip der Orthographie: die phonetische Schreibung, sofern dies der Sprachgebrauch (die consuetudo) zulässt. Begründet wird dieses Prinzip aus der Funktion der Buchstaben: Es ist ihre Aufgabe, die Lautwerte zu repräsentieren und diese Relation sollte im Interesse des Lesenden nach Möglichkeit eine fest Eins-zu-EinsRelation sein. Differenzen zwischen Schriftbild und Aussprache sind, wie bis heute jeder aus eigener Erfahrung weiß, eine Quelle für Unsicherheiten beim Lesen. Dass dies Prinzip immer wieder vom Sprachgebrauch außer Kraft gesetzt wird, ist Qu. dabei natürlich bewusst. Er hatte solche Fälle je gerade selbst in §§ 28–29 vorgeführt. custodire, depositum und debent von Anfang § 31 sind Metaphern der Rechtssprache und des Finanzwesens. Jemandem wird etwas zur Aufbewahrung anvertraut, in Verwahrung gegeben, etwa Urkunden, Geld oder Geiseln, das der Deponierende dann unbeschadet wieder in Empfang nehmen möchte. Der Aufbewahrende ist hier der Buchstabe, das Depositum der Lautwert und der Deponierende der Leser. Spätere antike Grammatiker haben, wie Colson 102 gezeigt hat, die phonetische Schreibung nicht mit dem gleichen Nachdruck verteidigt wie Qu. Er nennt Cornutus GrLat VII 149,3–7 Sueton, Augustus 88 und Velius Longus GrLat VII 54,1–2. 7,32 Haec fere sunt emendati loquendi scribendique partes: Qu. liefert hier einen wichtigen Dispositionshinweis zum Schluss des ersten Teils der Grammatik, des emendate loqui (im Gegensatz zum zweiten Teil der enarratio auctorum von 1,8). Wie ein Vergleich mit einer Gesamtübersicht von 1,4–8 (s. Tabelle 4) zeigt, greift er dabei von engeren Gliederungszusammenhängen ausgehend immer weiter zurück. Mit 1,6 und 1,7 sind zunächst die beiden Bereiche des emendate loqui, der

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Orthoepie und der Orthographie abgedeckt. Vgl. dazu Komm. zu 1,6,1. Der Hinweis greift zugleich aber auch auf 1,5,1 als Dispositionsklammer zurück, da hier die Behandlung der ersten der drei theophrastischen virtutes, das emendate loqui, als ersten Teils der Grammatik und Aufgabe des Grammatikers ihren Anfang nimmt: emendate loquendi regulam, quae grammaticae prior pars est, und hier mit 1,7 endet. Vgl. dazu ausführlich den Komm. zu 1,5,1. Da aber nicht nur das erste officium grammatices ab 1,5, sondern auch die elementa grammatices von 1,4 zur recte loquendi scientia gehören, endet mit 1,7 auch der gesamte erste Teil der Grammatik. Wir haben also eine dreifache dispositionelle Verklammerung, die bei 1,7 endet: 1,6–7, 1,5–7 und 1,4–7. 7,32 duas reliquas significanter ornateque dicendi…reservo: Der Grammaticus ist für die erste theophrastische virtus, das emendate loqui oder die latinitas zuständig. Es fehlen noch die beiden „rhetorischen“ virtutes, das significanter und das ornate dicere, meist perspicuitas und ornatus genannt. Sie werden zwar (mit vorsichtiger Zustimmung Qu.s) auch schon vom Grammatiklehrer im Lektüre- und Sprachunterricht miteinbezogen, gehören aber zweifellos in die Zuständigkeit der Rhetorik, weshalb sie Qu. auch erst suo loco 8,2 und 8,3–9,4 behandelt. Zu den drei virtutes im Grammatikunterricht und zum dortigen Fehlen der vierten virtus, des aptum, vgl. die ausführlichen Erläuterungen zu 1,5,1. Dort finden sich auch Hinweise zur Rivalität zwischen Grammatik und Rhetorik bei Qu. 7,33–35 Die §§ 33–35 nehmen den ausführlichen Versuch der Verteidigung der Grammatik in §§ 1,4,2–6 wieder auf. § 33: Die Grammatik ist nicht trivial und dem höheren Bildungsziel des Redners hinderlich. Das ist sie nur bei falscher Nutzung, wenn man sich nämlich in überflüssigen Spitzfindigkeiten und Albernheiten erschöpft. § 34–35: Beispiele für engagierten, aber richtigen Umgang mit der Grammatik sind Cicero, Caesar und Messalla, sämtlich große Redner, die die Grammatik als wichtiges Durchgangsstadium und Fundament genutzt, ihr aber auch später noch ein intensives Interesse gewidmet haben, ohne in ihr hängen geblieben zu sein. 7,33 Redit autem illa cogitatio…haerentibus: Eigentlich wäre hier die Behandlung des ersten Teils der grammatice abgeschlossen, aber, wie schon am Ende von § 29 zu bemerken war (parvae quaestionis),

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drängt es Qu., hier den den ihm während des gesamten Grammatikreferats stets unterschwellig präsenten Vorwurf der Trivialität und Banalität der Grammatik (parva nimium) noch einmal aufzunehmen und erneut zu widerlegen. Man ersieht daraus, wie sehr ihm die richtige Einschätzung der Grammatik im Curriculum der Rednerausbildung am Herzen liegt. Redit autem illa cogitatio bezieht sich auf die Verteidigung der Grammatik gleich am Anfang des Referats 1,4,2–6, zu deren Argumentation im Einzelnen ich meine ausführlichen Hinweise zu 1,4,5 und 6 zu vergleichen bitte. Hier tritt der Gedanke in den Vordergrund, dass die Grammatik ein Bildungshindernis auf dem Weg zum großen Ziel des Redners sein könnte. Dies ist sie für Qu. dann nicht, wenn sie nur richtig betrieben wird: Keine übertriebenen Subtilitäten und Spitzfindigkeiten! Sie sind überflüssig! Betreibt man Grammatik mit dem Blick auf das Wesentliche und vor allem: bleibt man nicht in ihr hängen, sondern entwickelt sich auf ihrer Grundlage weiter zum Redner, wird sie die Grammatik ihre in 1,4,5 behauptete wichtige Fundamentfunktion im rhetorischen Curriculum behalten und die Ausbildung zum Redner keineswegs behindern (Non obstant hae disciplinae per illas euntibus, sed circa illas haerentibus). Beispiele dafür sind große Redner wie Cicero, Caesar und Messalla, die intensiven Grammatikunterricht genossen und auch nachschulisch noch ein engagiertes Interesse an dieser Disziplin gezeigt haben, und die dadurch trotzdem nicht in ihrer perfekten rhetorischen Kompetenz beeinträchtigt worden sind. Der Einwand, die Grammatik sei ein Bildungshindernis, wird hier also auf der ganzen Linie zurückgewiesen. Damit hängt der zweite Hauptgedanke dieses Abschnitts eng zusammen. Die Grammatik bietet keineswegs nur Banalitäten elementaren Schulwissens, wie schon 1,4,27, 1,5,6f. und 1,7,1 durchaus zugegeben wurde. Sie erweist sich vielmehr, wenn sie als wissenschaftliches Studienfach ernst genommen und betrieben wird, als äußerst schwierige Disziplin mit subtilen Sujets, die auch an den Erwachsenen hohe Anforderungen stellen und ohne Schaden und mit Vergnügen bis ins hohe Alter betrieben werden kann (1,4,5, 1,4,6, 1,8,12). Auch für diese lebenslange Beschäftigung mit Grammatik, die übrigens nicht nur der eigenen Liebhaberei (1,4,5: necessaria pueris, iucunda senibus, dulcis secretorum comes), sondern auch der Teilnahme am Diskurs über die Sprachausbildung des künftigen Redners dient (vgl. oben 1,4,5 mit

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Komm. zu Cicero und Caesar) sind Cicero, Caesar und Messalla gute Beispiele. 7,34 An ideo minor est M. Tullius…exactor?: Ciceros genaue Kenntnis der Grammatik seiner Zeit steht trotz spärlicher Testimonien und Fragmente (= GRF p.417–421 Funaioli) außer Frage. Neben Qu. hier an unserer Stelle bezeugt das ausdrücklich auch noch Tacitus, dial. 30. Ciceros Kompetenz auf diesem Gebiet wird außerdem auch noch daraus deutlich, dass Varro ihm sein linguistisches Hauptwerk De lingua Latina und Caesar De analogia widmete. Vgl. auch die in dem letzten Lemma schon erwähnte Diskussion zwischen Caesar und Cicero um die Sprachrichtigkeit in der Rhetorik. Von den Briefen an seinen Sohn Marcus sind nur wenige Fragmente erhalten, aber glücklicherweise doch gerade eins, das Qu.s Hinweis auf die strenge Kritik Ciceros an Sprachfehlern des Sohnes illustriert (OCT Vol. III: Fragmenta epistularum ed. Watt: VIII. Nr 5 (p.167): Servius schreibt zur Aen. 8,168: Cicero per epistulam culpat filium dicens male eum dixisse „direxi duas litteras“, cum litterae, quotiens epistulam significant, numeri tantum pluralis sint. = Cicero beschuldigt seinen Sohn brieflich mit den Worten, er habe fälschlich „ich habe zwei litterae (Briefe)“ geschickt“ gesagt, weil litterae, wenn sie „Brief“ bedeuten, nur ein Plurale tantum sei. Dass diese Kritik zutrifft, zeigt jede Schulgrammatik: duae litterae = zwei Buchstaben, binae litterae = zwei Briefe. 7,35 Aut vim Caesaris fregerunt editi de analogia libri?: vim Caesaris: Für Qu. zählt Caesar zweifellos zu den großen Cicero ebenbürtigen Rednern Roms, so explizit in der Rednerabteilung seines Lektürekanons 10,1,114. Gelobt wird hier vor allem die vis (Leidenschaftlichkeit, Kraft, Energie) seiner Rede, die auch an anderer Stelle geradezu stereotyp als Hauptcharakteristikum der Rede Caesars genannt wird: 1,7,35, 10,2,25 und 12,10,11. Daneben wird 10,1,114 auch seine elegantia, die Sprachreinheit und Eleganz seiner Reden, lobend erwähnt. Allein in dieser Eigenschaft der aus grammatischen Analogiestudien gewonnenen elegantia erscheint Caesar schon bei Cicero im Brutus 252ff. als bedeutender zeitgenössischer Redner, besonders ausgezeichnet durch seine Erwähnung als einziger noch lebender Redner neben Marcellus. Vgl. dazu Qu. 10,1,38. Hier bei Cicero findet sich auch das erste zeitgenössische Testimonium von Caesars De analogia (Brut. 253).

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editi de analogia libri: Caesars nur fragmentarisch erhaltenen Schrift De analogia in zwei Büchern aus dem Jahre 54 v. Chr. wird von Qu. mit ihrem Titel hier erstmals und nur an dieser Stelle in der institutio erwähnt. Unsere Stelle ist zugleich das früheste Zeugnis für den Originaltitel, denn Cicero spricht im Brutus 253 nur vage von de ratione Latine loquendi. Die maßgebliche Ausgabe der Fragmente mit ausführlichem Kommentar findet man, wie schon erwähnt, zurzeit bei R. Papke 1988. Namentlich wird Caesar im Grammatikteil der institutio sonst nur noch 1,5,63 (Calypsonem) und 1,7,21 (optumus/optimus) erwähnt. Doch gab 1,5,63 und besonders der Analogieteil von 1,6,4–27 Anlass, Caesars Schrift im Kommentar auf Schritt und Tritt heranzuziehen und für den Zusammenhang bei Qu. auszuwerten. Vgl. meine ausführlichen Hinweise zu Caesars De analogia vor allem in den Kommentaren zu 1,5,63, 1,6,1 und 1,6,4–27 passim. 7,35 Aut ideo minus Messalla nitidus, quia…dedit?: M. Valerius Messalla Corvinus (auch MessƗla), geb. 64 v., gest. 8. n. Chr., ist der bekannte augusteische Politiker, Redner, Dichter, Prosaschriftsteller und Dichtermäzen als Haupt des Messallakreises. Die beste Zusammenstellung der Testimonien findet man immer noch bei SchanzHosius II 21–24. Der junge Messalla galt schon Cicero als bedeutender Redner (ad Brut. 1,15,1 aus dem J. 43 v. Chr.) und spätere Autoren schlossen sich diesem positiven Urteil an (die Zeugnisse Schanz-Hosius II 23f.). Auch Qu. schätzt ihn sehr und reiht ihn im Lektürekatalog 10,1,113, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, in die Auswahl der besten Redner Roms ein: at Messalla nitidus et candidus et quodam modo praeferens in dicendo nobilitaten suam, viribus minor. = Dagegen ist Messalla gepflegt und lauter und zeigt gewissermaßen in der Rede den Adel der Familie, aus der er stammt, an Kraft fehlt es ihm etwas (Rahn). nitidus nennt Qu. ihn auch hier an unserer Stelle und scheint damit ein Hauptcharakteristikum seines Redestils kennzeichnen zu wollen: Kultiviertheit, Geschmack. Gepflegtheit, verbunden mit einer vornehmen Zurückhaltung in Bezug auf die für Caesar so charakteristische vis, die Leidenschaft der Rede (12,10,11 spricht Q. von der Würde seines Stils, der dignitas Messallae). Dazu kommt Klarheit und sprachliche Eleganz der Rede (candidus). Was genau gemeint ist, kommt noch differenzierter im Urteil des Tacitus, dial. 18, zum Ausdruck: Cicerone mitior Corvinus et dulcior et in verbis magis

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elaboratus. = Corvinus ist sanfter als Cicero und angenehmer und in der Formulierung gewählter. Dass Messalla außerordentlich an Fragen der Sprachrichtigkeit interessiert war und sich auch als grammatischer Schriftsteller betätigte, steht außer Frage, wenn auch nur noch wenige Testimonien und 6 spärliche Fragmente, vier davon bei Qu., überlebt haben. Vgl. GRF pp. 503–507 Funaioli. Sein allgemeines Interesse an grammatischen Fragen bezeugt Seneca contr. 2,4,8 (Test. 6, p. 504 Funaioli), der ihn einen Latini utique sermonis observator diligentissimus nennt. Von den kleinen Abhandlungen (quosdam totos libellos), die Qu. hier nennt, sind die zu einzelnen Wörtern (verbis singulis) unbekannt, sed etiam litteris spielt dagegen natürlich auf den schon mehrfach erwähnten Traktat über das s an. Qu. hat davon, wie schon gesagt, vier Fragmente bewahrt 1,5,15, 1,7,23, 1,7,35 und 9,4,38, dazu ist er der einzige, der 1,7,23 auch den Titel überliefert: a Messalla in libro de s littera positum. Vgl. dazu auch meine Kommentare zu 1,5,15 und 1,7,23. Möglicherweise meint Qu. mit totos libellos hier die Briefform, denn einen Brief Messallas, in dem es um die Übersetzung des Wortes grammatikós mit litterator geht, bezeugt Sueton de gramm. 4 (= GRF frag. 5, p. 506f. Funaioli). Die Form einer Sammlung von Briefen mit grammatischen Problemen, war, wie ich Ax 2006, 253 mit Anm. 38 gezeigt habe, seit Nigidius Figulus beliebt und ist für mehrere Autoren belegt.

Kapitel 8 Enarratio poetarum. Über die Lektüre und Texterläuterung im Grammatikunterricht Gliederung 8,1–12: lectio: Die Lektüre im Grammatikunterricht 1–3: Wie soll man richtig lesen? 1–2: Richtig gegliedertes und inhaltsangemessenes Lesen. Verstehen des gelesenen Textes ist Grundvoraussetzung. 2: Männlich-würdevolles Lesen. Nicht wie Prosa, aber auch kein effeminierter gesangsähnlicher Vortrag, wie heute üblich. 3: Herausgehobenes Lesen der Prosopopoiien, jedoch nicht komödienhaft übersteigert. 4–12: Was soll man lesen? 4: In dieser Alterstufe Schwerpunkt nicht auf sprachlich eloquenter, sondern auf moralisch wertvoller Lektüre 5: Epos: Homer und Vergil 6: Tragödie und Lyrik (Horaz) 6: Elegie und Hendekasyllabi 7–8: Komödie (Menander, Römische Autoren) 8–12: Altlateinische Dichtung 8,13–21: enarratio poetarum: Die Texterläuterung im Grammatikunterricht 13–17: enarratio verborum: Sprachlich-stilistische Erläuterung und ästhetische Wertung 3: Bestimmung der Wortarten und Versfüße 14: Bestimmung der Barbarismen, Akyrologien und Solözismen, in der Dichtung zugelassen und Metaplasmen, Schematismen und Schemata genannt 15: Bestimmung von Homonymen und Glossemen 16: Bestimmung der Tropen, Wort- und Gedankenfiguren 17: Ästhetisches Urteil: Aufbau, Sachangemessenheit, Charakterangemessenheit, passender Sinn, passende Sprache, Wortfülle und Maß in der Dichtung 18–21: enarratio historiarum: Sacherläuterungen Nur wichtige Kommentare von bedeutenden Autoritäten verwenden. Keine überzogene Sammlung von Banalitäten unbekannter Kommentatoren. Keine Überfrachtung mit Kommentaren, die deren Verfasser selbst nicht mehr kennen (Didymus). Keine frech erfundenen Erläuterungen. Vorzug des Grammatiklehrers: aliqua nescire.

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8,1 Superest lectio: Nach dem Abschluss des ersten Teils der ars grammatica (1,4–7, s.oben Komm. zu 1,7,32), der recte loquendi scientia (1,4,2) oder ratio loquendi (1,9,1) folgt jetzt mit nur einem Kapitel (1,8) deren zweiter Teil, die poetarum enarratio (1,4,2) oder enarratio auctorum (1,9,1), die Dichtererklärung im Grammatikunterricht. (Zu dieser Zweiteilung und den übrigen Dreier- und Vierersystemen der Grammatik in ihrem Verhältnis zu Qu. vgl. oben meine Hinweise zu 1,4,2–3.) Qu. übergeht hier diesen wichtigen Gliederungsschritt und beginnt unvermittelt mit der lectio, der Lektüre. Dass jedoch schon hier der enarratio-Teil beginnt und ihm die lectio zuzuordnen ist, beweist 1,4,3, wo Qu. explizit die lectio der enarratio vorausgehen lässt und beide zum zweiten Grammatikteil zusammenschließt: et enarrationem praecedit emendata lectio. Qu. spiegelt damit die Unterrichtspraxis der Dichterlektüre im antiken Grammatikunterricht, in dem der Text zunächst (vom Lehrer und vom Schüler) laut vorgetragen und dann erläutert wurde. Entsprechend gliedert sich das Kapitel in einen lectio- (§§ 1–12) und in einen enarratio-Teil (§§ 13–21). lectio bedeutet hier also das laute Lesen des Dichtertextes im Unterricht, zu dem von Qu. unter der Frage Wie? technische Ratschläge zum richtigen Lesen (§§ 1–3) und unter der Frage Was? Lektüreempfehlungen für den Lektüreunterricht (§§ 4–12) gegeben werden. 8,1 In qua puer ut sciat, …demonstrari nisi in opere ipso non potest: Es folgen einige Ratschläge zum richtig gegliederten und inhaltsangemessenen lauten Vorlesen des im Unterricht behandelten Textes. Das richtige Lesen lässt sich freilich nicht rein theoretisch darstellen, sondern kann nur in der konkreten Unterrichtspraxis am konkreten Text vermittelt werden. Es ist ein Nachteil von Colsons Deutung unserer Stelle (1924, 103f.), dass er hier vorrangig die anagnosis-Lehre der Grammatik des Dionysios Thrax (Kap. 1–4) zur Erklärung heranzieht. Sicher gibt es manche Übereinstimmungen im Einzelnen, doch hat Qu. hier nicht die griechische (auch nicht die römischen) Grammatikertheorie der lectio vor Augen, sondern zielt ganz auf die spätere rhetorische pronuntiatioLehre in 11,3, ein Text, den Colson zwar auch nennt, aber nicht ausreichend zur Erklärung der Stelle auswertet. Dionysios’ Theorie lässt sich nur gewaltsam mit Qu. harmonisieren, jedenfalls sicher nicht vollständig zur Deckung bringen, während sich 1,8,1–3 zwanglos und leicht erklären lässt, wenn man 11,3 im Detail hinzuzieht. Ich verzichte daher

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hier auf den eher verwirrenden Einbezug der antiken Grammatikerstellen und begnüge mich mit dem Verweis auf Froehde, der die Belege zur griechischen und (übrigens davon in der Systematik verschiedenen) römischen lectio-Theorie der Grammatiker 1892, 32–34 zusammengestellt hat. Qu. selbst ist dabei die Verbindung bestimmter propädeutischer Unterrichtsmethoden des ersten Buches mit der eigentlichen pronuntiatioLehre von 11,3 völlig bewusst: Wie die im folgenden nachzuweisenden Übereinstimmungen von 1,8,1–3 mit 11,3 zeigen, versteht er das laute Lesen beim grammaticus als eine propädeutische Vorübung für die spätere rednerische pronuntiatio. Eben dies leistet im besonderen Maße dann auch der Unterricht der Schüler beim Komödienschauspieler, den er 1,11,1–14 beschreibt, ein Kapitel, auf das er 11,3,31 sogar ausdrücklich zurückverweist. Zum besseren Verständnis der folgenden Stellennachweise gebe ich eine Übersicht über den vox-Abschnitt der pronuntiatio 11,3,14–65, der hier allein für einen Vergleich in Frage kommt. Es geht ja in 1,8,1–3 nicht um die Gestik, sondern allein um die stimmliche Rezitation poetischer Texte: vox in der pronuntiatio 11,3,14–65: 1. natura vocis §§ 14–16, 2. usus vocis §§ 17–29, 3. virtutes vocis §§ 30–65, 3.1. in der emendata pronuntiatio §§ 30–32, 3.2. in der dilucida pronuntiatio §§ 33–39, 3.3. in der ornata pronuntiatio §§ 40–60 und 3.4. in der apta pronuntiatio §§ 61–65. Wie schon die oratio überhaupt, untersteht also auch die pronuntiato den vier theophrastischen virtutes dicendi, der Fehlerlosigkeit, Klarheit, dem Schmuck und der Angemessenheit (11,3,30). 8,1 ubi suspendere spiritum debeat, quo loco versum distinguere, ubi claudatur sensus, unde incipiat: Es geht hier um den Vortrag des dichterischen Textes, in dem die jeweilige Satzperiode mit Hilfe von Sprechpausen sinngemäß gliedert wird. Unterschieden wird eine Pause im Satzinnern, in der der Atem wegen eines noch nicht vollendeten Sinnzusammenhangs in der Schwebe gehalten wird (suspendere) und eine Pause am Satzende (distinguere), wo ein Sinnzusammenhang endet (claudatur) und ein neuer beginnt (incipiat). Diese Gliederungstechnik dient der Klarheit und Verständlichkeit des gelesenen Textes im Sinne der oratio dilucida. Was genau gemeint ist, erklärt Qu. in 11,3 innerhalb der dilucida peroratio (s.o. 3.2.) im Abschnitt der oratio distincta von 11,3,35–38 (Auf diese Passage 1924, 104 erstmals hinge-

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wiesen zu haben, ist sicher ein Verdienst Colsons). Wie auch sonst häufig in der Institutio, bedient sich Qu. dabei im rhetorischen Kontext eines poetischen Beispiels, der Verse Aen. 1–7. (Ein Beispiel aus einer Cicerorede folgt erst § 39): Der Vortragende muss wissen, wo er einen Satz anfangen oder beenden muss (qui dicit, et incipiat, ubi oportet, et desinat). Dieser Einschnitt heißt distinguere oder distinctio und muss durch eine deutliche Sprechpause markiert werden (sermo deponendus). Ist ein solcher Sinnabschluss im Inneren einer Periode noch nicht erreicht, erfolgt zwar ein Einschnitt, aber doch so, dass der Redeablauf aufrechterhalten, in der Schwebe gehalten werden muss: observandum etiam, quo loco sustinendus et quasi suspendendus sermo sit (35). Die entsprechende Analyse des Aeneis-Beispiels reicht dann von §§ 36–38: (S = suspensio, D. = distinctio) Arma virumque cano (S1) Troiae, qui primus ab oris (S2) Italiam (S3) fato profugus (S4) Laviniaque venit litora (D.). Später wird in §§ 37–38 noch eine distinctio mit kurzer Pause innerhalb der Periode (V.3. venit/litora.), von einer distinctio mit langer Pause am Abschluss der Periode altae moenia Romae in V.7, unterschieden. Es spricht nun sehr viel dafür, dass hier in 1,8,1 mit suspendere spiritum die Suspension vom Typ Italiam_fato profugus, mit versum distinguere die kurze Satzpause vom Typ venit/litora. und mit claudatur sensus/incipiat die lange Satzpause vom Typ altae moenia Romae. verstanden werden soll. 8,1 quando attollenda…dicendum: Im zweiten Teil von 1,8,1 wird gezeigt, wie schon bei der Dichterlektüre die grundsätzlichen Möglichkeiten der Stimme (11,3,17) mit dem Blick auf die spätere ornata pronuntiatio (3.3.) und die apta pronuntiatio (3.4.) der Rede zur Anwendung kommen und so eingeübt werden. 8,1 attollenda vel summittenda sit vox: Die Stimme dient dem Ausdruck der Affekte, ihnen hat sie sich vor allem anzupassen, wenn in der Rede die Ziele der pronuntiatio erreicht werden sollen. Der Abschnitt der apta pronuntiatio (11,3,41–65) gibt dazu eine Reihe von Beispielen, darunter auch die Anhebung und Senkung der Stimme (11,3,65): attollitur autem concitatis adfectibus, compositis descendit pro utriusque rei modo altius vel inferius = Die Stimme hebt sich aber mit der gesteigerten Erregung, sie senkt sich mit der Besänftigung – höher und tiefer, je nach dem Ausmaß der beiden Stimmungen (Rahn). Entspre-

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chend hat schon der Dichtertexte rezitierende Schüler derartige Erregungsgrade durch Anhebung und Senkung der Stimme darzustellen. 8,1 quid quoque flexu: Für eine Textänderung, wie sie hier mehrfach versucht wurde (vgl. Apparat W. zur Stelle), besteht keine Ursache. Die Überlieferung ist einhellig, die Stelle ist sprachlich und sachlich gut nachvollziehbar. quid steht in anaphorischer Verklammerung mit dem zweiten quid lentius… und quoque ist hier adjektivisches Indefinitpronomen vom Verwendungstyp „Anschluss von quisque an ein Relativoder Fragepronomen“ (Quid de quoque viro…: RHH § 202 b). Zu übersetzen ist also: was mit jeweils welcher Stimmmodulation…zu sagen ist. Auch der Sinn von flexus lässt sich hier mit Hilfe von Parallelstellen gut erschließen. flexus ist hier nicht etwa der Wortakzent Zirkumflex, der zusammen mit dem voraufgehen attollenda vel summittenda die Dreiheit der grammatischen Akzente (Akut, Gravis und Zirkumflex) repräsentieren würde, nach welcher Interpretation hier der Schüler aufgefordert wäre, beim Vorlesen fehlerfrei zu akzentuieren. Selbst bei Colson, der 1924, 104f. diese Deutung ernsthaft in Erwägung zieht, deshalb den Text ändert und neben 11,3,17 vor allem Dionysios Thrax Kap. 3 parallelisiert, bleibt da ein Rest von Skepsis. Vielmehr bedeutet flexus (scl. vocis) Stimmfärbung, Stimmmodulation, variable Stimmanpassung, um jeweils verschiedene Affekte, Charaktere etc. angemessen wiederzugeben. flexus in diesem Sinn ist also als ein Mittel der Angemessenheit und gehört daher in die apta peroratio (11,3,61–65). Z.B. drückt die vox flexa et flebilis die miseratio, die Klage, aus, ganz so, wie auch schon 1,11,12 der die Knaben lehrende Komödienschauspieler aufgefordert wird, zu lehren, qui flexus deceat miserationem = welche Stimmfärbung zur Klage passt. Gleich im Anschluss an unsere Stelle, wird 1,8,3 die stimmliche Gestaltung ebenfalls flexus genannt, die den Charakteren der in Prosopopoiie gestalteten Passagen eines Gedichts angemessen ist und die sich von den Partien der Dichterpersona zu unterscheiden hat. Weitere Stellen 11,3,25 und 11,3,60 (flexus = schmiegsame Tonführung, gut übersetzt von Rahn). Die letzte Stelle führt uns zu Cicero, dem dieser Gebrauch von flexus schon geläufig ist, wenn er orat. 57 von den stimmlichen Registern (vocis flexiones) des Demosthenes und des Aischines spricht. Die drei Stimmregister von 11,3,17 (acuta, gravis, flexa = hoch, tief und schwebend betonte Stimme, Rahn), präludiert von Cicero orat. 57 sonus inflexus acutus, gravis, stehen zu dieser Deutung von flexus übri-

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gens nicht im Widerspruch und stützen auch nicht die Akzenttheorie Colsons. An beiden Stellen sind auf einer viel allgemeineren Ebene nur die drei prosodischen Grundmöglichkeiten der Stimme überhaupt gemeint, nicht nur der Wortakzent. 8,1 lentius celerius: Ein unterschiedliches Sprechtempo, mal langsamer mal schneller, ist auch beim Vorlesen von Dichtertexten entsprechend den vorzutragenden Affekten, Inhalten, Personen etc. angebracht. In der pronuntiatio-Lehre von 11,3 zählt es zu den Grundmöglichkeiten des stimmlichen Vortrags: spatiis quoque lentioribus aut citatioribus (opus est) = am Platze sind auch gedehntere oder beschleunigtere Zeitmaße (Rahn). Detaillierte Hinweise zum richtigen mittleren Sprechtempo, das zwischen übertriebener Schnelligkeit und ebenso übertriebener Langsamkeit liegt, werden dann später 11,3,52 im Rahmen der ornata pronuntiatio (3.3.) gegeben. 8,1 concitatius lenius: Ein weiteres Register zur Anpassung des Stimme an die Gegebenheiten des Textes auch bei der Dichterlektüre ist der heftigere, erregtere oder der zurückhaltendere, sanftere Vortrag. 11,3,63 wird im Rahmen der apta peroratio (3.4.) dieses Register zu den auszudrückenden Affekten in Beziehung gesetzt: im Zorn ist die Stimme atrox (wild, heftig), in Besänftigungssituationen lenis et submissa (sanft und untertänig) so, wie es eben concitati und compositi adfectus (erregte und gemäßigte Affekte) gibt (11,3,65), wie wir soeben schon bei der Hebung und Senkung der Stimme gehört haben. 8,2 Unum est igitur…intellegat: Grundvoraussetzung für alle Vorschriften zum richtigen Lesen ist natürlich das lexikalisch und syntaktisch richtige und das sach- und sinngemäße Verstehen des vorzutragenden Textes. Bei der damals üblichen scriptio continua war dies keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Vgl. z.B. Vergil, Aen. 8,81–83: ECCEAUTEMSUBITUMATQUEOCULISMIRABILEMONSTR UMCANDIDAPERSILUAMCUMFETUCONCOLORALBOPROCU BUITUIRIDIQUEINLITORECONSPICITURSUS. Das lässt sich nun keineswegs einfach so herunterlesen, sondern bedarf einer vorherigen Gliederung nach Wort und Satz, z.B. unter Verwendung von Trennungs-, Verbindungs- oder Pausenzeichen. (Eine Vorstellung von Lesezeichen dieser Art vermittelt z.B. Donat GrLat IV 371,1ff. De tonis und 372,14ff. De posituris). Peinlich werden könnte z.B. die falsche Trennung conspicit/ursus (erblickt der Bär) statt richtig

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conspicitur/sus (wird eine Sau erblickt). Das Beispiel stammt von Donat IV 372,8. Vor dem eigentlichen Lektüreversuch hatte der Schüler also den Text in dieser Weise schriftlich vorzugliedern. Dem Leseverständnis des Textes diente auch das vorherige Vorlesen des Textes durch den Lehrer. Vgl. 1,8,13 In praelegendo grammaticus… und noch deutlicher im Rhetorikunterricht (2,5,4): et hercule praelectio, quae in hoc adhibetur, ut facile atque distincte pueri scripta oculis sequantur = und tatsächlich muss man das Vorlesen, das deshalb stattfindet, damit die Knaben mit ihren Augen leicht und deutlich dem Geschriebenen folgen können,…(Rahn). Qu. fordert hier also keine Banalität oder Kleinigkeit. 8,2 Sit autem in primis lectio virilis…effeminata: Dieser Satz enthält zwei wichtige Vorschriften für das richtige laute Lesen von Dichtung: 1. Der Schüler soll Verse nicht wie Prosa, sondern durchaus gesangsartig vortragen (canere, carmen), weil dies zur musikalischen Natur von Dichtung gehört. 2. Dieses canere soll aber voll ernster männlicher Würde sein und nicht in der gegenwärtig so beliebten dekadenten und verweichlichten Manier eines übertrieben kolorierten und schrillen Arienstils (canticum) vor sich gehen. Damit wird die lectio zweier Großgattungen, der Prosa und Poesie, und werden zwei Vortragsstile innerhalb der Poesie, ein „männlich“ vorbildhafter und ein „weiblich“ dekadenter Stil, unterschieden. ad 1.: Was canere hier genau meint, wird aus dem wichtigsten Bezugstext für unsere Stelle 1,10,9–33, Über die Musik deutlich, ein Abschnitt, in dem Qu. die propädeutische Funktion des Musikunterrichts für den künftigen Redner erläutert. 1,10,22 klärt die Struktur der stimmlichen Musik (etwa eines Chorliedes) nach Aristoxenos: Sie besteht aus rhythmós und mélos, aus dem wortmetrischen Rhythmus also (der sich aus der geregelten Folge von Längen und Kürzen der Silben ergibt) und dem zusätzlichen tonalen System der Melodie. Im strengen Sinne setzt also canere (carmina, cantica etc.) die Einheit des musikalischen Tons und des metrisch gebundenen Wortes voraus (wie eben auch bei unserem liedhaften Gesang). Dagegen, so müssen wir schließen, hat die Prosa in diesem Sinne weder einen geregelten Wortrhythmus (von den Klauseln in der Kunstprosa abgesehen) noch Melodie. Sie kann und darf also im Prinzip nicht musikalisch gelesen werden (so Qu. explizit an unserer Stelle).

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Ob dieses strenge canere wirklich noch für alle poetischen Gattungen Geltung hatte, darüber war man zur Zeit Qu.s offensichtlich im Zweifel. Er selbst empfiehlt es zwar 1,8,2, als dichtungsgemäß, gibt aber im musiktheoretischen Abschnitt 1,10,29 zu erkennen, dass es auch Leute gegeben hat, die die musice, also das canere, nicht für alle poetischen Gattungen gelten lassen wollten: Ac si quis tam caecus animi est, ut de aliis (scl.poetis) dubitet, illos certe, qui carmina ad lyram composuerunt. = Und wenn jemand so blind ist, dass er das (scl. das musikalische Lesen) bei anderen Dichtern in Frage stellt, so tut er das sicherlich nicht bei Dichtern, die ihre Lieder zur Lyra komponiert haben. Also zumindest die Lyrik erfordert ein canere im vollen musikalisch-liedhaften Sinn. Wie dann allerdings das canere der anderen Gattungen, der Epik und Elegie insbesondere, zu verstehen ist (eine Art Rezitativ?), erfahren wir hier leider nicht, sehr wohl aber einiges zum Gesangsstil der szenischen Musik im Theater. Dazu gleich mehr unter ad 2. Zur Streitfrage des musikalischen Vortrags der römischen Lyrik vgl. G. Wille, Einführung in das römische Musikleben, Darmstadt 1977, 128ff. ad 2.: Der dekadente musikalische Vortragstil, von dem Qu. hier dringend abrät, ist eine Folge des Niedergangs der Musik im Theater seiner Zeit, so Qu. wieder im Musikabschnitt 1,10,31: …apertius tamen profitendum puto, non hanc a me praecipi, quae nunc in scaenis effeminata et inpudicis modis fracta non ex parte minima, si quid in nobis virilis roboris manebat, excidit, sed qua laudes fortium canebantur quaque ipsi fortes canebant. = …so meine ich dennoch hier offener bekennen zu müssen, dass ich nicht die Musik unseres heutigen Theaters empfehle, die effeminiert und durch laszive Melodien verweichlicht nicht zum geringsten Teil zerstört hat, was an männlicher Härte uns noch geblieben ist, sondern die Musik, in der das Lob der Helden besungen wurde und in der die Helden selber sangen. Die Parallelen zu unserer Stelle sind unverkennbar: Die gute lectio virilis et gravis entspricht dem epischen Heldengesang mit seinem virile robur, die schlechte lectio in canticum dissoluta et effeminata der musice in scaenis effeminata, dem weichlich-dekadenten Vortragsstils des Theaters. Dass damit vor allem die Komödie gemeint ist, beweist schon Qu.s Warnung vor der Übernahme entsprechend schriller Vortragstechniken aus dem Unterricht beim Komödieschauspieler 1,11,1–2. Deutlich wird dies aber besonders auch aus der Warnung vor dem größten Fehler, den ein Redner machen kann, dem arienhaften, gesangsmäßigen Vortrag

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der Rede, wie sie in der Komödie üblich ist (vitium cantandi) 11,3,57: quid enim minus oratori convenit quam modulatio scaenica et nonnumquam ebriorum aut comisantium licentiae similis – Denn was schickt sich weniger für einen Redner als das Modulieren der Stimme, das auf die Bühne gehört und manchmal so klingt wie das Gröhlen von Betrunkenen und Zechbrüdern. Man merkt deutlich, dass Qu. schon mit seinen Hinweisen von 1,8,2 propädeutisch auf den gewünschten späteren Redevortragsstil einwirken will. Im abwehrenden Sinn will er dem schwerwiegendsten Fehler der pronuntiatio der Rede vorbeugen, der sich schon beim falschen musikalischen Vortrag von Dichtertexten einschleifen könnte, dem vitium cantandi. Der entsprechende Abschnitt in der pronuntiatioLehre, in dem Qu. diesen zeitgenössischen Fehler schärfstens kritisiert (11,3,57–60), kann hier nicht erschlossen werden. Immerhin hat Cousin einige Klagen über die Dekadenz gesungener Reden zusammengestellt (Budé Vol., Not. compl. 1,8,2–6,174f.), von denen der Plinius-Brief 2,14,12–13 sicher den interessantesten Beleg liefert, vermittelt er doch aufgrund eines Gesprächs mit Qu. und aus eigener Erfahrung eine lebendige Vorstellung von dieser Art rednerischer Dekadenz. Die sich am Epos orientierende gute lectio bereitet dagegen schon früh auf den seriösen, ernsthaften, würdevollen Vortrag der Rede vor. 8,2 virilis/effeminata: Qu. verwendet dieses Begriffspaar gern zur Bezeichnung des Gegensatzes männlich = stark, würdig, kraftvoll vs. Weiblich = dekadent, verweichlicht, z.B. hier an unserer Stelle und wie später auch noch an der eben genannten Stelle 1,10,31 zur Unterscheidung der guten von der dekadenten Musik. Weitere Belege bei Bonnell 1834, 271. Diese Unart dürfte Qu. bei weiblichen Lesern nicht gerade Sympathien einbringen, aber schon Cicero wusste es nicht besser: vitium mollis vox aut muliebris (de orat. 3,41). Manche Musikinstrumente wie psalteria und spadix sind für Qu. sogar so weibisch-dekadent, dass sich zumindest rechtschaffene Jungfrauen davon fern halten sollten: nec psalteria et spadicas, etiam virginibus probis recusanda (1,10,31). Wir haben allerdings keinen Grund, die Nase zu rümpfen. Dass die Hochs auf unseren Wetterkarten männliche und die Tiefs weibliche Namen erhalten, ist, glaube ich, immer noch Usus. 8,2 cum sanctitate: Der würdevolle Vortrag von Dichtung cum sanctitate bereitet auf die sanctitas fori, die Würde des Forums, vor, die

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durch einen gesangsartigen Redevortrag entweiht würde (11,3,58). Ich habe „mit einer gewissen Feierlichkeit“ übersetzt. 8,2 prorsae: (oratio) prosa, ae, f., bzw. prorsa (von prorsus, -a, -um = schlicht, ungebunden, prosaisch) ist bei Qu. der geläufige Gegenbegriff zur metrisch gebundenen Rede, der Dichtung (carmen, versus, poetae etc.). Vgl. z.B. 8,6,17, 10,7,19 oder 11,2,39. An letzter Stelle unterscheidet er sogar die in den Klauseln metrisch gebundene Kunstprosa von der normalen ungebundenen Prosa: nam sicut facilius versus ediscimus quam prorsam orationem, ita prorsae vincta quam dissoluta = denn wie wir leichter Verse als Prosa auswendig lernen, so Texte in gebundener als in ungebundener Prosa. Zu diesem Unterschied der oratio vincta von der oratio soluta vgl. vor allem 9,4,19–22. Weitere Stellen bei Zundel 1989, s.v. pro(r)sa und vincire/vincta. 8,2 in canticum dissoluta: canticum, -i, n. bedeutet „Lied, Gesangstück“ allgemein, in seiner spezielleren Bedeutung aber vor allem „gesungene Monodie, Soloarie“ in der römischen Komödie, die von einer Person gesungen und von Musik und Tanz begleitet wurde. Qu. verwendet diesen literarischen terminus technicus aus der Komödie, soweit ich sehe, nirgendwo direkt, denkt aber bei seiner Kritik an der musica in scaenis effeminata und an der modulatio scaenica des Redners (s.oben ad 2.) sicher vor allem an die schrillen cantica der Komödie. Der Begriff canticum ist bei ihm allerdings keineswegs immer negativ konnotiert. Es kann auch neutral „Gesang, Lied allgemein“ bedeuten, das gleichberechtigt neben carmen durchaus seriöser Gegenstand des Musikunterrichtes sein kann: 1,10,23 und 11,12,14. Soll es negativ konnotiert werden, wird ein entsprechendes Adjektiv dazugesetzt: nunc convivium obscenis canticis strepit (1,2,8) oder deformi cantico (11,3,13). Hier in 1,8,2 hat das Wort jedoch eindeutig negative Färbung und meint den übertriebenen musikalischen Vortrag von Dichtung im Stil der komödiantischen cantica. Aber zugleich präludiert Qu. auch hier wieder die pronuntiatioLehre der Rhetorik von 11,3. In diesem Kontext bedeutet nämlich canticum in klar negativer Konnotation den verpönten gesangsmäßigen Vortrag des Redners, das schon erwähnte vitium cantandi von 11,3,57– 60. Q verwendet hier zwar das Wort canticum nicht, sondern nur cantare und cantus, aber er kennt diesen Gebrauch von canticum aus dem von ihm 11,3,58 zitierten Cicero, orat. 57, der die gesungenen Epiloge der asianischen Redner paene cantica nennt: non hic e Phrygia

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et Caria rhetorum epilogus, paene canticum = Nicht jenen Epilog der Rhetoren aus Phrygien und Karien, der fast schon eine Arie ist. Zu diesem Zitat kann man noch Seneca, epist. 114,1 über die corrupti generis oratio stellen: …, ut aliquando inflata explicatio vigeret, aliquando infracta et in morem cantici ducta = …dass mal eine schwülstige, mal eine abgehackten und nach Art eines canticum (der Komödie) angelegte Ausdrucksweise in Blüte stand und Plinius, epist. 2,14,13: sola cymbala et tympana illis canticis desunt = Nur Becken und Pauken fehlen noch zu diesem Singsang (des Redevortrags). Qu. will also mit dem in canticum dissoluta wieder schon bei der grammatischen lectio vor einem entsprechenden Fehler in der späteren rednerischen pronuntiatio warnen. 8,2 plasmate: Hier hat schon Spalding Vol. I 193 die nötigen Parallelen zusammengestellt, die dann von Colson 1924, 105 wieder aufgenommen werden: Persius, sat. 1,17, Plinius, nat. 16,66 und Cic., De oratore 3,98. Danach bedeutet plasma zunächst allgemein Formung, Bildung, im musikalischen Kontext dann mit klar negativer Konnotation affektierte, gekünstelte, übertrieben variierte und kolorierte Intonation, etwa beim Aulosspiel mit Trillern oder im stimmlichen Gesang mit Koloraturen und Falsettierungen. Cicero nennt solche Modulationen der Stimme an genannter Stelle molliores et delicatiores in cantu flexiones (vocis). Sie stehen im Gegensatz zu einfachen, geraden Tönen. Solch schrill kolorierter Gesangsvortrag von Dichtung (Persius spricht sat. 1,21 vom tremulus versus) war laut Qu. zu seiner Zeit überwiegend in Mode. Er stößt bei ihm natürlich auf heftige Kritik und ist dann im Redevortrag, wie wir eben schon von Qu. und den anderen seriösen canticum-Kritikern gehört haben, vollends verpönt. 8,2 de quo genere optime C.Caesarem…dixisse: „si cantas…cantas“. Autor, Sinn und Kontext dieses Zitats sind unklar. Man hat hier C. Caesarem mit Caligula identifizieren wollen, jedoch fehlt dafür jeglicher zwingende Hinweis. Mehr spricht für C. Julius Caesar, von dem Sueton, Divus Julius 56,7 überliefert, dass unter seinen Jugendwerken (et a puero – textlich unsicher – et ab adulescentulo quaedam scripta) auch eine Spruchsammlung Dicta collectanea vorhanden war, deren Publikation, wie Sueton fortfährt, Augustus allerdings später untersagte. Zu diesem Jugendwerk würde Qu.s praetextatum adhuc gut passen, denn die toga praetexta trugen freigeborene Knaben unter 17 Jahren vor Anlegen der toga virilis. Man fragt sich dann allerdings mit Colson

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1924, 105, wie eine vom Publikationsverbot betroffene Jugendschrift Caesars Qu. zugänglich sein konnte. Vielleicht handelt es sich aber auch nur um ein indirekt überliefertes Zitat. Die Zuweisung zu Caesars Dicta ist jedenfalls alles andere als gesichert. De quo genere zeigt, dass Caesar sich über die zuletzt angeprangerte dekadent-musikalische Art des lauten Lesens von Dichtung geäußert haben muss, und, dass es tatsächlich um die lectio geht, zeigt auch das legis im Zitat. Die Äußerung übt also Kritik an jemandem, der einen Dichtertext in dekadentem Singsang vorliest und dabei keine klare Vortragsintention, ob Singen (cantare) oder Lesen (legere), erkennen lässt. „Soll das Gesang sein? Dann ist es schlechter Gesang. Solltest du laut vorlesen wollen, so hast du die Vortragsart verfehlt, denn Lesen ist nicht gleich Singen.“ Einen verfehlten Vortrag dieser Art trifft also nicht nur Qu.s Vorwurf der dekadenten Geschmacklosigkeit, sondern zusätzlich auch der Vorwurf einer jeweils verfehlten Vortragsintention. Vielleicht ist das optime dixisse Qu.s so zu verstehen. 8,3 prosopopoeias: Die prosopopoeía, ae, f. (von πρόσωπον = Maske, Rolle) ist das Sprechen in der Rolle einer anderen Person, etwa eines Komödienschauspielers in der Rolle einer Komödienfigur, z.B. eines Vaters bei Caecilius oder Terenz oder eines Redners in der Rolle einer anderen Person innerhalb seiner Rede, etwa des Clodius, Appius Claudius Caecus oder des Milo in Ciceros Reden. Dieses Rollensprechen erfordert natürlich die Anpassung des stimmliche Vortrags an den Charakter (weise, dumm), die Lebensituation (alt, jung; weiblich, männlich; betrunken, nüchtern) oder die Affekte (Zorn, Mitleid, Angst etc.) der Rollenperson (vgl. vor allem Qu. 11,1,39–42; 12,10,61). Die Prosopopoiie in diesem allgemeinen Sinne des Rollensprechens wird von Qu. 11,1,39 definiert: utimur enim fictione personarum et velut ore alieno loquimur, dandique sunt iis, quibus vocem accommodamus, sui mores. = Wir verwenden nämlich angenommene Rollen, sprechen gleichsam mit der Sprache eines anderen, und dabei müssen wir den Personen, denen wir unsere Sprache leihen, die ihnen eigene Wesensart geben (Rahn). Der Kontext an unserer Stelle beweist, dass es sich hier in 1,8,3 nur um Prosopopoiien in dichterischen Texten handeln kann, und so hat Colson 1924, 105 recht, wenn er die rhetorischen Spezialbedeutungen der Prosopopoiie hier ausschließt: die Prosopopoiie als Übungsaufgabe des Rhetorikunterrichts (2,1,2; 3,8,49–54. Der Schüler hält z.B. eine

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Suasorie, eine Beratungsrede in der Rolle Ciceros) oder als rhetorische Gedankenfigur im ornatus der Rede (9,2,29–37; 12,10,61. Cicero lässt z.B. in der ersten Catilinaria 1,27 das Vaterland sprechen, 9,2,32). Doch welche poetische Gattung ist gemeint? Wenn Qu. hier die stimmliche Gestaltung der Rollenpartien von der der Autorpartien unterschieden haben will, hat er wahrscheinlich weniger an dramatische Texte, die ja im wesentlichen keine Autoranteile enthalten, sondern in erster Linie an das Lesen epischer Texte gedacht, etwa an das Lesen des Aeneisproömiums im Unterschied zur Venus- oder Juppiterrede im ersten Buch der Aeneis. 8,3 ad comicum morem: Qu. ist vom propädeutischen Wert der Komödienlektüre überzeugt, weil sie den künftigen Redner am effektivsten in die Technik der Charakter- und Affektdarstellung einführt (s. gleich unten 1,8,7), die er natürlich auch in seinen späteren Reden zur Anwendung bringen muss. Daher empfiehlt Qu. ja auch in 1,11,1–14 den Vorunterricht beim Komödienschauspieler. Dort warnt er allerdings auch nachdrücklich vor der „Einschleifung“ komödiantischer Übertreibungen in der stimmlichen Charakter- und Affektdarstellung, die sich wohl für die Figuren der Komödie wie Frauen, Greise, Betrunkene, Sklaven, Verliebte etc, aber nicht für die seriöse Rede eignen (1,11,1–2). In diesem Sinne wird hier an unsrer Stelle davon abgeraten, Rollenpartien in komödiantischer Übertreibung vorzutragen. Wie sehr manche Komödienschauspieler gerade bei der Prosopopoiie zu derartigen Übertreibungen neigen, zeigt 11,3,91: Jemand spielt eine jungen Mann, erzählt dabei von einem Greis oder einer Frau und ahmt während seines Berichts auch noch deren Stimme nach, für Qu. eine vitiosa imitatio. 8,3 flexum quendam: flexus (vocis) hier im oben erläuterten Sinne (s. Komm. zu 8,1 quid quoque flexu) einer lebendigen, variablen Stimmmodulation (nicht einer komödiantisch übertriebenen), die sich dem höheren Ton der Prosopopoiie anpasst, während die Autorpartie ohne flexus ruhiger zu lesen ist. 8,4–12 Cetera: Nach den Anweisungen zum formal richtigen Lesen (§§ 1–3) folgen jetzt als zweiter Abschnitt des lectio-Teils einige Bemerkungen zu den Lektüreinhalten (Gattungen, Autoren) im Grammatikunterricht (§§ 4–12). Die griechische und römische Literatur erscheint dabei als eine didaktische Einheit, entsprechend der Forderung

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von 1,4,1 an den Schüler, beide Grammatikerschulen zu besuchen, die griechische möglichst zuerst (s. meinen Kommentar zur Stelle). Die knappen Hinweise hier sind natürlich nicht mit dem ausführlichen und sorgfältig nach griechischen und römischen Gattungen und Autoren gegliederten Lektürekatalog für das Rhetorikstudium von 10,1,27–131 zu vergleichen. Sie umfassen außerdem dem Grammatikunterricht entsprechend nur Dichtungsgattungen, während die Prosagattungen Rede und Geschichtschreibung erst 2,5 als Gegenstand des propädeutischen Unterrichts beim Rhetor behandelt werden. Vgl. zu weiteren Unterschieden der Kataloge Colson 1924, 106. Der § 4 dient als Vorbemerkung zum eigentlichen Lektürekatalog ab § 5. Der Katalog von §§ 5–8 besteht hier aus insgesamt sechs Gattungen mit unvollständiger Nennung griechischer und römischer Autoren: § 5: Epos (Homer und Vergil), § 6: Tragödie (ohne Autor), Lyrik (Graeci, Horaz), Elegie, im frühen Lektürestadium möglichst ohne Liebeselegie und Hendekasyllabi (ohne Autor), § 7–8a Komödie (Menander, Lateinische Autoren). Im Vergleich zum großen Katalog von 10,1 fehlen hier die u.U. moralisch anstößigen Gattungen Jambus und Satire. Zugleich erscheinen die Elegie und die Lyrik ebenfalls aus moralischen Gründen sehr ausgedünnt. Die §§ 8b–12 behandeln dann als Sonderabschnitt die Lektüre altlateinischer Autoren. Die alterstufenstufenbedingte moralische Auswahlabsicht des Katalogs ist also, wie gleich in den nächsten Lemmata näher geklärt wird, unverkennbar. 8,4 tenerae mentes: Die folgende Lektüreauswahl wird altersstufenbedingt, also entwicklungspsychologisch motiviert: Je ungebildeter und unerfahrener die Alterstufe der Schüler wie hier im Fall der 10–15– jährigen Grammatikschüler, desto tiefer und nachhaltiger die Prägung durch das während dieser frühen Phase Gelesene. Also ist bei der Auswahl vorrangig auf das zu achten, was erzieherische Priorität hat: nicht die sprachliche Eloquenz, sondern die moralische Integrität des Kindes. Qu. ist ein Meister entwicklungspsychologischer Analysen im Rahmen seiner Pädagogik. Vgl. z.B. die Beobachtungen von 1,12,8–11 zum Problem der Lernkapazität von Kindern der genannten Altersstufe. 8,4 diserta/honesta: Der Schwerpunkt soll also nicht auf sprachlich eloquenter, sondern auf moralisch wertvoller Lektüre liegen. Zum Begriff des diserta (beredt, eloquent) bei Qu. hat schon Colson 1924, 105f. das Nötige gesagt. honesta bedeutet in erster Linie die moralische

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Qualität der Lektüre. Deren Priorität wird nicht nur hier bei der Grammatikerlektüre gefordert, sondern ist für das gesamte Rednerkonzept Qu.s typisch: Der orator perfectus ist ein vir bonus im sprachlichtechnischen und im charakterlich-moralischen Sinn zugleich, wobei Qu. keinen Zweifel daran lässt, dass ihm die moralische Qualität des idealen Redners wichtiger als die technische ist, so besonders 1,2,3: Würde die Schule der Moral schaden, potior mihi ratio vivendi honeste quam vel optime dicendi videretur = …so schienen mir die Rücksichten auf ein anständiges Leben wichtiger als selbst die trefflichste Redekunst (Rahn). Ähnlich 1, Proömium 9; 12,1,1 und 12,1,24. Weitere Stellen bei Zundel s.v. honestus und bonus vir. 8,5 Ideoque optime institutum est: Homer und Vergil und das Epos erfüllen am ehesten die Forderung nach der Lektüre von honesta im Grammatikunterricht. Die Erhabenheit des Heldengedichts (sublimitate heroi carminis) und das Gewicht der dort geschilderten Ereignisse (magnitudine rerum) helfen, das später nötige emotionale Pathos, den Ernst und die Würde des rednerischen Vortrags vorzubereiten. Beide Autoren sind daher optimal für die Anfangslektüre geeignet. Und gerade die besten Autoren (et optimis inbuatur) sind gleich am Anfang gerade gut genug, so Qu. explizit zur Anfangslektüre beim Rhetor (2,5,19): ego optimos…et statim et semper = Ich möchte für die Jugend…gleich und dann ein für allemal die Besten (Rahn). Also gleich Livius und Sallust, aber zuerst Livius, weil er sich für die Bedürfnisse dieser Alterstufe eignet, obwohl Sallust der bedeutendere Autor ist. Vgl. dazu Ax 2000d. 8,5 Homero atque Vergilio: Homer ist von Anfang an der wichtigste Lektüreautor im griechischen Grammatikunterricht von der hellenistischen Schule an bis in die Spätantike und darüber hinaus, und war dies natürlich auch zur Zeit Qu.s. Zu den Einzelheiten vgl. am besten immer noch Marrou 1977, 307ff., Homer 311–12. Vergil war Schulautor allerdings erst seit der lateinischen Grammatikerschule des Caecilius Epirota ab 26 v. Chr., von dem Sueton, gramm. 16,3 sagt, primusque Vergilium et alios poetas novos praelegere coepisse. Die Lektüre Vergils in der Schule bezog sich also anfangs wohl noch nicht auf die Aeneis, die ja erst postum nach 19. v. Chr. veröffentlicht wurde, sondern auf die stärker „neoterisch“ orientierten Dichtungen Bucolica und Georgica. Vgl. zu Caecilius Epirota mit ausführlicher Dokumentation R.A. Kaster, Sueton, De grammaticis et rhetoribus, Oxford 1999,

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182ff., bes. 188f. Dagegen ist der ganze Vergil, also auch die Aeneis, sicher schon bei Remmius Palemon, dem Lehrer Qu.s, Standardlektüre im Unterricht, wie wir z.B. aus Juv. 7,227 erschließen können. Für Qu. ist er gleichsam selbstverständlicher Schulstandard. Vgl. auch dazu am besten Marrou, 1977, 505ff., Vergil 510–513 Warum Homer und Vergil die besten ihrer Gattung und zugleich für den Lektüreanfang geeignetsten Autoren sind, wird von Qu. allerdings erst 10,1,46–51 (Homer) und 10,1,85–86 (Vergil) ausführlich begründet. Zu den Lektüreautoren im Grammatikunterricht vgl. auch die Hinweise bei Colson 1924, 106f. und die knappe Zusammenfassung mit neuerer Literatur bei ChristesKlein-Lüth 2006, 105f. 8,5 quamquam ad intellegendas eorum virtutes…semel legentur: Homer und Vergil liest man natürlich nicht nur im Grammatik-, sondern auch wieder im Rhetorikunterricht für Fortgeschrittene, wie die eben genannten Passagen aus dem Lektürekatalog von 10,1 beweisen. Und auch in der Berufsphase und bis in den Ruhestand im hohen Alter hinein hört die Dichterlektüre nicht auf – aus Gründen der Rekreation und zum Nutzen der eigenen Reden, wie wir gleich erfahren (1,8,12: cum grammatices amor et usus lectionis non scholarum temporibus, sed vitae spatio terminentur.). Hier bei der Anfangslektüre geht es zunächst eher um die emotionale Affektwirkung des Epos auf die Haltung der Schüler (Pathos, Hochgestimmtheit). Erst in einer späteren Ausbildungsphase (firmiore iudicio) verfügen die Schüler dann auch über das intellektuelle Rüstzeug, um die sprachlichen, ästhetischen und inhaltlichen Qualitäten der beiden Autoren zu erfassen. Dass es hier nur um einen ersten Kontakt mit den großen Dichtern geht, zeigt sehr schön das Verb imbuatur: Der Schüler wird zunächst „benetzt“, noch nicht tief imprägniert. 8,6 utiles tragoediae: Diese knappe Notiz lässt offen, welche Tragödien im Grammatikunterricht der Zeit Qu.s gelesen wurden, im Griechischen wegen seines großen propädeutischen Werts für die Rhetorik sicher vor allem Euripides, wie Qu. 10,1,67–68 ausführlich begründet. Vgl. Marrou 1977, 313. Die lateinischen Tragödien betreffend schließt Colson 1924, 106f. aus 10,1,98 sicher zu Recht, dass die beiden dort sehr lobend erwähnten Tragödien des Varius (Thyestes) und des Ovid (Medea) noch zur Zeit Qu.s im Grammatikunterricht gelesen wurden. Ob dazu auch noch ältere Tragiker wie Pacuvius und Accius, die 10,1,97 erwähnt werden, gehörten, muss unsicher bleiben. Vgl. Colson

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1924, 108. Doch ist auch deren Lektüre nach der Erwähnung von Tragödien in der Leseempfehlung altlateinischer Autoren von 1,8,8 mehr als wahrscheinlich. Für die Zeit des Horaz sind Pacuvius und Accius durch epist. 2,1,56 als Schulautoren gesichert. s. unten Komm. zu 1,8,8. 8,6 alunt et lyrici…interpretari: Dass auch die Lektüre von Lyrik schon im Grammatikunterricht und dann auch im späteren Rhetorikstudium hilfreich sein kann, wird aus Qu.s Vorstellung von vier griechischen Lyrikern 10,1,61–64 deutlich (Pindar, Stesichoros, Alkaios und Simonides). Die Lektüre von Pindar und Stesichoros z.B. ist beste Vorbereitung für effektvolle rhetorische Gestaltung und gewichtige seriöse Themen (Siegeslieder, Politische Lyrik, Eposnähe etc.). Aber es ist bei der Lektüreauswahl unter moralischen Gesichtspunkt eben auch Vorsicht geboten: Man darf nur bestimmte Autoren für die Lektüre auswählen oder bei manchen Autoren zumindest nur den moralisch unanstößigen Teil ihres lyrischen Werks. Aus diesem Grund werden ganze Autoren wie die Liebeslyrikerin Sappho und Anakreon seiner Liebes- und Weinlieder wegen von Qu. gar nicht erst erwähnt. Auch wird Alkaios 1,10,63 zwar wegen seiner Tyranneninvektiven durchaus ein sittlicher Bildungswert zugestanden, zugleich aber auch sein Abstieg in die Trink- und Liebeslyrik beklagt: sed et lusit et in amores descendit (Erotika und Sympotika hatte Horaz dem Alkaios schon carmina 1,32,9f. zugeschrieben). Die griechische Lyrik hat also nach Auffassung Qu.s zum bedeutenden Teil etwas Laszives (Graeci licenter multa), das sie zur Lektüre nicht empfiehlt. Dass dieser Vorwurf nun auch einen Teil der Gedichte des Horaz trifft, ist bei seiner imitatio des Alkaios (z.B. 1,9), des Anakreon (z.B. 4,9,9f.) und der Sappho (4,9,11f.) kaum verwunderlich. Aber sind Liebes- und Weingedichte wie 1,9; 1,13; 1,18; 1,25; 2,12 oder 3,15 wirklich so anstößig, dass sie Qu.s Bemerkung et Horatium nolim in quibusdam interpretari = und den Horaz möchte ich in manchen Gedichten nicht erläutern rechtfertigen? Nach unseren Begriffen nicht. Da denkt man doch schon eher an seine Epoden, z.B. ep. 3, 8 oder 12, die auch für unseren heutigen Geschmack immer noch starker Tobak sind. Doch können die Epoden hier nicht gemeint sein, denn Qu. führt sie 10,1,96 neben der Lyrik als eigene Gattung und nennt hier für beide Gattungen separat Horaz als Autor. Dieselbe Trennung von Jambus und Lyrik findet sich auch schon bei den griechischen Autoren (10,1,59–60 Jambus, 61–64 Lyrik). Wir können also nur auf ein ungewöhnliches ausge-

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prägtes Moralgefühl des besorgten Pädagogen und Moralisten Qu. schließen, der seine Schüler durch gesteuerte Auswahl in usum Delphini möglichst lange von Wein, Weib und Gesang fernhalten will. 8,6 elegia vero, utique qua amat: Die Elegie, gemeint ist natürlich vor allem die Elegie mit Liebesthematik, soll in diesem Schulstadium (natürlich wieder aus moralischen Gründen) am besten ganz weggelassen oder doch wenigstens auf eine spätere Zeit gefestigteren Alters verschoben werden. Deshalb werden Autoren gar nicht erst genannt. In der Fortgeschrittenenlektüre wird jedoch auch die Lieeselegie nicht ausgeschlossen, und es werden für die griechische Elegie 10,1,58 immerhin Kallimachos und Philetas und für die römische Elegie 10,1,93 ausschließlich die vier römischen Liebeselegiker genannt, wobei Ovid als lascivior wieder einmal weniger günstig beurteilt wird. Der überlieferte Text utique qua amat ist völlig in Ordnung, denn qua bedeutet insofern, inwieweit und Subjekt von amat ist elegia. Zu übersetzen ist also: Die Elegie aber, jedenfalls sofern sie liebt (= von der Liebe handelt). Vgl. zu qua in dieser Bedeutung 4,1,17 …adsumere …naturas eorum, qua competent, aut mitigare, qua repugnabunt = insofern (die Charaktere der Richter dem Fall) entsprechen,…, insofern sie (ihm) widersprechen werden. Literarische Gattungen als personifizierte Subjekte von Handlungen sind keine Seltenheit: So z.B. die Komödie gleich in 1,8,7 cum per omnes et personas et adfectus eat und wieder zusammen mit der Tragödie 10,2,22: nec comoedia in cothurnos adsurgit, nec contra tragoedia socco ingreditur = Weder erhebt sich die Komödie zum Kothurn, noch schreitet die Tragödie im Komödienschuh einher. 8,6 hendecasyllabi: Der Hendecasyllabus ist ein Metrum und zugleich ein Gedichttyp mit bestimmten sprachlichen und inhaltlichen Intentionen, den Qu. nur hier an dieser Stelle, nicht im Katalog von 10,1 erwähnt. Das Metrum besteht aus elf Silben pro Zeile nach dem Schema ¯ ¯|¯ ß ß ¯| ߯| ߯ x|, z.B. / cui do/no lepidum / novum / libellum / (Catull c.1,1). Näheres bei Crusius, Römische Metrik § 135. Inhaltlich steht der Hendecasyllabus dem Jambus sehr nahe. Er ist stark umgangssprachlich gefärbt, dient oft der politischen und literarischen Polemik und schreckt auch vor drastischen Obszönitäten nicht zurück. Man kann sich von diesem Gedichttyp am besten bei Catull ein Bild machen, der den Hendecasyllabus sehr häufig verwendet. Ein Beispiel für grobe Obzönität: Catull, c. 16. Plinius d.J. spricht im Brief 4,14 von einem

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Widmungsexemplar eines Buches mit eigenen Hendecasyllabi und entschuldigt sich für deren teilweise lasziven Inhalt. Man solle aber, so Plinius 4,14,5, mit Verweis auf Catull c. 16,4–7 nicht die Person des Dichters mit seinen Gedichten verwechseln. Kein Wunder, dass Qu. solche Gedichte von der Anfängerlektüre ausschließen will. 8,6 qui sunt commata sotadeorum (nam de sotadeis…est): Um die Hendecasyllabi zu desavouieren, rückt Qu. sie hier in die Nähe der versus Sotadei. Die Sotadeen (zu den metrischen Einzelheiten vgl. wieder Crusius § 125) galten, den Galliamben ähnlich (vgl. Catull, c. 63), als verweichlichtes, zügelloses und laszives Versmaß, vgl. Quint. 9,4,6. Aber auch die Inhalte der Gedichte dieses metrischen Typs stießen wegen ihrer groben Polemik und Obszönität auf Ablehnung. Als ihr Urheber – des Metrums und der Inhalte – galt der hellenistische Dichter Sotades von Maroneia (3. Jh. v. Chr.). Nach Athenaios 14,620e ist er sogar der Erfinder der sog. Kinädologie (der obszönen Dichtung). Einen ersten Zugang bietet der Artikel Sotades in Der Neue Pauly von William Furley. Die Theorie, wonach der Hendecasyllabus ein Teil des Sotadeus ist, referiert Marius Victorinus, GrLat VI 153,12ff.: Dem Hendecasyllabus wird nach dem ersten Spondeus noch ein Anapäst | ß ß ¯| eingefügt und daraus entsteht dann ein Sotadeus. Es lohnt nicht, hier die komplizierten metrischen Einzelheiten zu referieren. Vgl. die ebenso ausführlichen, wie unlesbaren Erläuterungen von Spalding Vol. I 195f. und die Hinweise von Colson 1924, 106f. Wichtig ist nur das Argument: Wenn der Hendecasyllabus zu den metrisch und inhaltlich indiskutablen versus Sotadei gehört, sollte er schon allein deshalb aus der Anfängerlektüre entfernt werden. 8,7 Comoediae: Qu. ist von der hohen propädeutischen Qualität insbesondere der griechischen Komödie für den Gesamtbereich der Redekunst völlig überzeugt. Die Alte Komödie (antiqua comoedia) lobt er 10,1,65 uneingeschränkt in diesem Sinne und ganz in dieselbe Richtung geht auch sein überaus positives Urteil über Menander, dem bedeutendsten Autor der Neuen Komödie (10,1,69–72). Die Komödie vermittelt laut unserer Stelle (1,8,7) eine gründliche erste Kenntnis der Charaktere und Affekte (cum per omnis et personas et adfectus eat), die unerläßliche Voraussetzung für den späteren Erfolg des Redners sein wird. Sie gehört deshalb zu den bevorzugten Lektüretexten (inter praecipua legenda), wenn auch erst nach moralischer Festigung der Schüler

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(cum mores in tuto fuerint). Doch geht es hier um den Nutzen der Komödie speziell für den Anfangsunterricht der pueri. Dazu gibt Qu. einen Vorverweis (paulo post suo loco dicam) auf das von mir schon häufiger erwähnte Kapitel 1,11,1–14 über den Unterricht beim Komödienschauspieler. Hier erhält der Schüler bei gebotener Zurückhaltung und Vorsicht den grellen Effekten der Komödie gegenüber eine sehr gute, die pronuntiatio vorbereitende Sprecherziehung (1,11,4–8) und Hinweise zur Gestaltung bestimmter Sprechaktfunktionen (narrare, suadere) und zur Gestaltung von Affekten wie Zorn und Klage (1,11,12–14). 8,8 De Menandro loquor…dabit: Unter den Lektüreautoren der Komödie wird hier ausschließlich Menander (342/1–291/0 v. Chr.) namentlich hervorgehoben, der, wie schon gesagt, bedeutendste Autor der Neuen Komödie. Andere Autoren sollen zwar nicht ausgeschlossen werden, aber Menander ist derjenige, der vor allen anderen Komödienautoren (wie schon oben 1,8,5 Homer und Vergil beim Epos) auf Schüler der hier zur Diskussion stehenden Alterstufe die prägendste Wirkung ausübt, indem er vornehmlich im affektiven und charakterologischen Bereich ihr Talent (ingenium) und ihre Mentalität (animus) zum Vorteil ihrer späteren Kompetenz als Redner entscheidend fördert. Er hat daher hier als Lektüreautor absoluten Vorrang. Später, 10,1,69, geht Qu. sogar soweit, die Menanderlektüre allein für eine ausreichendende Vorbereitung für das gesamte Rhetorikstudium zu halten: Menander, qui vel unus meo quidem iudicio diligenter lectus ad cuncta, quae praecipimus, effingenda sufficiat… Menander, der schon allein, wenn man ihn nur gründlich liest, wenigstens nach meinem Dafürhalten genügt, alles, was zu unserer Lehre gehört, zutage zu fördern… (Rahn). Die übrigen Komödienautoren (alios), auch die lateinischen (Latini quoque auctores), haben durchaus ihren Nutzen, aber sie dienen eher einem anderen langfristigen Ziel, nämlich der eruditio des Redners, die Qu. kurz darauf (1,8,11) erläutert: Der Redner stellt mit Dichterzitaten in seinen Reden u.a. auch seine Belesenheit (summa non eruditionis modo gratia) unter Beweis, und dazu gehören Zitate auch aus Komödien wie denen des Terenz und Caecilius. Die Aufforderung, solche Zitate aus der Komödie auch aus diesem Grund schon im Unterricht beim comoedus zu sammeln, wird später noch einmal 1,11,13 ausgesprochen, weil sie non ad pronuntiandum modo utilissimi, verum ad augendam quoque eloquentiam maxime accomodati erunt. Für die Er-

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arbeitung eines solchen Zitatenschatzes zum Zwecke der eruditio steht aber ein längerer Zeitraum als nur der Anfangsunterricht zur Verfügung (longa aetas spatium dabit). Menander war sicher der meistgelesene Komödienautor der griechischen Grammatikerlektüre. Vgl. Marrou 1977, 313f. und die von Colson 1924, 108 erwähnten Zeugnisse, bes. Ovid, Tristien 2,370f. 10,1,72 nennt Qu. in dieser Gattung nach Menander auf dem zweiten Rang namentlich nur noch Philemon. Von den lateinischen Autoren waren Terenz und Lucilius bereits 1,8,11 als Quellenautoren für Zitate erwähnt worden. 10,1,99–100 erscheinen dann in Qu.s wenig schmeichelhaften Urteil über die römische Komödie, das uns gleich noch beschäftigen wird, noch einmal Plautus, Caecilius, Terenz und Afranius. Gelesen wurden diese Autoren sicher auch schon im Anfangsunterricht zur Zeit Qu.s, wie das Latini quoque autores von 1,8,8 zeigt. Erstaunlich ist allerdings, dass bei Qu. sowohl hier an unserer Stelle als auch 10,1,99 von der großen Bedeutung der Terenzlektüre im Grammatikunterricht schon in der frühen Kaiserzeit (Vgl. z.B. den Terenzkommentar des M. Valerius Probus, eines Zeitgenossen Qu.s!) nichts zu spüren ist. Vgl. dazu Marrou 1977, 462 und 513. Auch Qu.s Terenzzitate (9x) sind im Vergleich zu den zahlreichen Vergilzitaten eher spärlich. Dass Terenz schon zur Zeit des Horaz Schulautor war, bezeugt wieder Horaz, epist. 2,1,59. 8,8 Multum autem veteres etiam Latini conferunt…: Nach dem kleinen Lektürekatalog von griechisch-römischen poetischen Gattungen und Autoren (§§ 5–8) beginnt jetzt ein neuer Abschnitt ausschließlich über die veteres Latini (§§ 8–12) als Sonderempfehlung für die lectio beim römischen grammaticus. Damit sind jetzt die altlateinischen Dichter mehrerer Gattungen (veterum poemata, 1,8,10) gemeint, nicht nur die eben genannten lateinischen Komödiendichter, die Latini auctores von 1,8,8, Anfang. Obwohl Qu. hier exemplarisch nur die Tragödie und die Komödie nennt, denkt er natürlich, wie schon 1,8,10 zeigt, auch an Dichter anderer Gattungen wie z.B. Ennius und Lucilius. In seinem Lektürekatalog von 10,1 erscheinen dann später Ennius (Epos), Lucilius (Satire), Accius, Pacuvius (Tragödie) und Plautus, Caecilius, Terenz und Afranius (Komödie). Die beiden Saturnierdichter Livius Andronicus und Naevius sind nicht in den (metrisch geordneten) Katalog aufgenommen, Naevius erscheint auch sonst nicht und nur Livius Andronicus wird einmal (10,2,7) kurz als Archeget der römischen

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Dichtung erwähnt. Sie scheinen also nicht mehr gelesen worden zu sein. Über die Schulautoren der Zeit vor Qu. informiert, wie schon zweimal erwähnt, Horaz, epist. 2,1,50–62: Er nennt dort Ennius, Naevius, Pacuvius, Accius, Afranius, Plautus, Caecilius und Terenz (hos ediscit…Roma potens, 60f.), und dass auch Livius Andronicus dem Schüler Horaz vom grammaticus im wörtlichen Sinne „eingebläut“ wurde (carmina Livi…memini quae plagosum mihi parvo Orbilium dictare), erfahren wir kurz darauf, 2,1,69–71. Die veteres Latini Qu.s stimmen also weitgehend mit dem Katalog des Horaz überein, bei Qu. fehlen Livius und Naevius, bei Horaz Lucilius. Bei Qu. kommen noch die zeitgenössischen Autoren, z.B. Horaz und Vergil, hinzu, die natürlich bei Horaz noch fehlen. Mit seiner positiven Bewertung der altlateinischen Dichtung für die Lektüre hat Qu. keineswegs, wie man gelegentlich gemeint hat, schon die Epoche des Archaismus wie einige Jahrzehnte später Fronto und Gellius einläuten wollen. Vielmehr rät er stets zu großer Vorsicht bei der Lektüre altlateinischer Autoren wie 2,5,21 oder bei der Verwendung des altlateinischen Wortschatzes. Vgl. den Abschnitt vetustas 1,6,39–41 (mit meinem Komm. z.St.), die Bemerkung 1,6,43 zum absoluten Vorrang des gegenwärtigen Sprachgebrauchs vor dem vetus sermo oder die Ratschläge zur maßvollen Verwendung von Archaismen im ornatus der Rede 8,3,24–30. Sprachnorm ist also die consuetudo der Gegenwart und literarisches Muster kein altlateinischer Autor, sondern durchweg Cicero. Vgl. die berühmten Urteile über Cicero 2,5,20: Erst Cicero, dann: tum, quemadmodum Livius praecipit, ut quisque erit Ciceroni simillimus oder 10,1,105–112, 112: ille se profecisse sciat, cui Cicero valde placebit. Qu. war zweifellos Klassizist, kein Archaist, schreibt aber der altlateinischen Literatur und insbesondere der Dichtung durchaus ihre eigene Qualität und ihren eigenen Bildungswert zu. 8,8 plus ingenio quam arte: Fast schon ein Topos bei der vergleichenden Bewertung altlateinischer mit zeitgenössischer Dichtung: Die veteres haben sicher oft ein erstaunliches Talent, aber noch keine Kunstfertigkeit. Zitiert wird meist Ovid, Tristien 2,424: Ennius ingenio maximus, arte rudis. Cicero über Lukrez (ad Q. fr. 2,11,3), der dazu ebenfalls zitiert wird (Colson 109), passt hier nicht, weil Cicero hier dem Lukrez beides, ingenium und ars, zuschreibt: Lucretii poemata, ut scribis, ita sunt, multis luminibus ingenii, multae etiam artis. (Richtig

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differenziert bei Spalding zur Stelle). Ausführliche Kritik der altlateinischen Dichtung unter dem ars/ingenium-Gegensatz findet sich bekanntlich bei Horaz, z.B. in der Luciliuskritik der Satiren (1,4 und 1,10) oder in den Literaturbriefen 2,1 und 2,3, der ars poetica. 8,8 in primis copiam verborum: Eine Textänderung (ad copiam verborum) oder gar eine Athetese des Ausdrucks als vermeintlich später eingefügten Zusatzes ist m.E.s unnötig. So Colson 1924, 109. Unterstellt wird hier der bei Qu. häufig belegte absolute Gebrauch von confert oder conferunt (nützlich sein, von Nutzen sein für etwas, jemanden etc) mit einem adverbialen Akkusativ multum, plus und den üblichen Erweiterungen ad, in, Dativ o.ä. Vgl. die Belege bei Bonnell und in den Lexika. In diesem Fall wäre das copiam tatsächlich syntaktisch schwer unterzubringen. Es ist aber eben so gut möglich, dass conferunt hier die von der Geldsprache herrührende transitive Bedeutung etwas beisteuern, beitragen, entrichten mit einem echten Akkusativ multum hat und so das copiam nur eine appositionelle Erweiterung des multum darstellt: Vieles steuern die alten Lateiner bei, vor allem die Wortfülle. Das Problem liegt darin, dass beim Akk. neutrum eines Pronomens wie multum, plus o.ä. der adverbielle schwer vom echten Objektsakkusativ zu unterscheiden ist. Vgl. dazu RHH § 116,3. Ein schöner Beleg dafür ist 1,1,6: nam Gracchorum eloquentiae multum contulisse accepimus Corneliam matrem. Man könnte multum ohne weiteres als echtes Akkusativobjekt verstehen und in Analogie zu 1,8,8 als Apposition ergänzen in primis copiam verborum. Ich würde also den Text getrost so belassen, wie er ist. 1,10,18 impendiorum, quae in educationem contulerit und 7,6,2 illi postulant, ut vicena (je 20000) conferant belegen übrigens bei Qu. den transitiven Gebrauch von conferre in der Geldsprache. Dass die Lektüre zur Gewinnung der copia verborum (Wortschatz) wie auch der copia rerum (Sachkenntnisse) ganz wesentlich beiträgt, wird mehrfach ausdrücklich bestätigt: z.B. 10,1,5–15, bes. 5 und 8 oder 10,2,1: Ex his ceterisque lectione dignis auctoribus et verborum sumenda copia et varietas figurarum… = Aus diesen Autoren und den anderen, die der Lektüre würdig sind, gilt es, die Fülle unseres Wortschatzes…zu entnehmen. Wie man insbesondere den hier angesprochenen aus der Lektüre altlateinischer Autoren gewonnenen Wortschatz am vorteilhaftesten in Dichtung und Rede einsetzen kann, behandeln die bereits genannten Abschnitte 1,6,39–41 und 8,3,24–30.

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8,8 quorum: kann sich natürlich nur auf veteres Latini, nicht auf verborum zurückbeziehen. 8,8 in tragoediis gravitas: Schon nach 1,8,2 sollte die gute lectio des Schülers gravis = erhaben, feierlich, majestätisch sein. Dazu ist die Lektüre von Tragödien mit ihrer gravitas offenbar besonders hilfreich. Zu den Tragödienautoren im Grammatikunterricht vgl. meinen Kommentar oben zu 1,8,6 Utiles tragoediae. 8,8 in comoediis elegantia et quidam velut atticismos: Diese ausgesprochen positive Bewertung der altlateinischen römischen Komödie überrascht tatsächlich nach den Warnungen vor dem schädlichen Einfluss der effeminierten szenischen Musik der Komödie in 1,8,2 (Vgl. dazu meinen Kommentar zur Stelle) und vor allem angesichts der schon erwähnten kritisch herabsetzenden Wertung der römischen Komödie 10,1,99–100. In comoedia maxime claudicamus = In der Komödie hinken wir am stärksten den Griechen nach. (Rahn) heißt es dort und wenig später sogar: vix levem consequimur umbram, adeo ut mihi sermo ipse Romanus non recipere videatur illam solis concessa Atticis venerem = kaum einen flüchtigen Schatten erreichen wir, so wenig, dass mir scheint, als nehme die Sprache Roms den Liebreiz nicht in sich auf, der nur Attika verliehen ist… (Rahn). Dies steht nun sogar in einem klaren Widerspruch zu unserer Stelle, die der Komödie ausdrücklich elegantia und quidam velut atticismos zuschreibt. Ich habe in der früheren Kommentarliteratur bisher keinen Versuch gefunden, diesen Widerspruch zu erklären. Er wurde lediglich kommentarlos festgestellt (z.B. Colson 1924, 109 oder Cousin (1975), Not.compl. 175). Er bleibt auch für mich bestehen, aber bis zu einem gewissen Grad ist seine Entstehung, wie ich glaube, aus dem jeweiligen Kontext nachvollziehbar. Hier (1,8,8) möchte Qu. die altlateinische Dichtung im Kontrast zur dekadenten Gegenwartsliteratur (omnia deliciarum vitia) positiv aufwerten, die Tragödie als Quelle der gravitas, die Komödie als Quelle eleganten Sprachstils. Dort (10,1,99–100) wird die vergleichende Bewertung der römischen Komödie vom fast enthusiastischen Lob der griechischen Komödie (10,1,65–72) und insbesondere Menanders fast zwangsläufig ins Negative abgedrängt. Aber immerhin werden 1,10,99 die scripta Terenti = in hoc genere elegantissima genannt und wird seinen Trimetern (also den Sprechversen ohne Musikbegleitung) eine gewisse Grazie (plus gratiae) zuerkannt.

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Vor allem zeigt die bisher übersehene Passage 12,10,16–39 noch sehr viel differenzierter und deutlicher, dass es a) nicht ein Qualitätsdefizit der Autoren der römischen Komödie, sondern die stilästhetischen Nachteile der lateinischen Sprache sind, die die Erreichung des sermo Atticus äußerst schwer machen und b) dass es trotzdem Chancen und Techniken gibt, dem sermo Atticus zumindest in der lateinischen Rede möglichst nahe zu kommen: Ursache solcher nationalsprachlichen Defizite seien insbesondere lautästhetische Nachteile der lateinischen im Vergleich zur Anmut und Grazie der griechischen (d.h. hier attischen) Sprache (Beispiele dafür 12,10,27–34). Vgl. dazu Fögen 2000, 167ff. Trotzdem werden 12,10,35–39 Ratschläge zur Nachahmung des sermo Atticus in der lateinischen Rede gegeben: Man versuche die Grazie der attischen mit entsprechenden Mitteln der lateinischen Sprache nachzuahmen. Ist dies nicht möglich, müssen andere Techniken sprachlicher und besonders inhaltlicher Gestaltung zur Anwendung kommen, um kompensatorische Effekte zu erreichen. Für unseren Zusammenhang ist 12,10,38 wichtig: neque enim, si tenuiora haec ac pressiora Graeci melius, in eoque vincimur solo et ideo in comoediis non contendimus… = Denn wenn auch die Griechen diese schlichtere und knappere Stilart besser beherrschen, und wir in ihr allein unterliegen und uns deshalb auch in der Komödie nicht zum Kampf stellen… (Rahn). Den sermo Atticus in der römischen Komödie zu erreichen, ist also aus den genannten nationalsprachlichen Gründen von vornherein zum Scheitern verurteilt (in diesem Sinne auch schon die anfangs zitierte 10,1,100: adeo ut mihi sermo ipse Romanus non recipere videatur illam solis concessam Atticis venerem). Diese Erklärung nimmt dem Negativurteil von 10,1,99–100 über die römische Komödie viel von seiner persönlichen Schärfe. Außerdem werden Annäherungsmöglichkeiten an den sermo Atticus in Analogie zur Rede wohl auch für die Komödie nicht ausgeschlossen (Man denke an das soeben über Terenz Gesagte), so dass 1,8,8 quidam velut atticismos doch wieder an Glaubwürdigkeit gewinnt. Gleichwohl ist der Widerspruch damit natürlich nicht völlig ausgeglichen. 8,8 in comoediis elegantia: Damit können eigentlich nur die Komödien des Terenz gemeint sein, dessen Schriften Qu.1,10,100, wie soeben erwähnt, in hoc genere elegantissima nennt. elegantia bedeutet, wie Cicero vom Sprachstil Caesars Brutus 261 berichtet, sorgfältige, auf grammatischem Wissen beruhende Wortwahl mit dem Ziel der

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Sprachreinheit (latinitas, puritas, elegantia verborum Latinorum), also der ersten Stiltugend Theophrasts, die sich bei Caesar mit der dritten virtus, dem rednerischen ornatus, zu der Eleganz seines Stils verbindet: Caesar autem rationem adhibens consuetudinem vitiosam et corruptam pura et incorrupta consuetudine emendat. itaque cum ad hanc elegantiam verborum Latinorum…adiungit illa oratoria ornamenta dicendi… = Caesar aber verbessert unter Anwendung der Analogie den fehlerhaften korrupten durch einen reinen und unverdorbenen Sprachgebrauch. So verbindet er mit dieser Gewähltheit der lateinischen Wörter…jene bekannten rednerischen Schmuckmittes der Sprache. In diesem Sinn bescheinigt auch Qu. 10,1,114 Caesar elegantia: haec omnia mira sermonis, cuius proprio studiosus fuit, elegantia, wie ähnlich schon Laelia, der Tochter des C. Gracchus, 1,1,6: reddidisse in loquendo paternam elegantiam. (Der von Colson 109 zitierte Auctor ad Herennium 4,17 verbindet dagegen unter elegantia anders als Cicero 1. Sprachreinheit (latinitas) mit 2. Klarheit, (explanatio), der zweiten Tugend Theophrasts.). Diese elegantia im Sinne der Sprachreinheit wird nun gerade für Terenz lobend hervorgehoben. Cicero lobt seine Bearbeitungen Menanders wegen seines lectus sermo und Caesar lobt ihn als puri sermonis amator. Vgl. Testimonium 5 zu Terenz bei W. Suerbaum in: Herzog/ Schmidt (Hrsg.), Handbuch der lateinischen Literatur der Antike, München 2002, Vol 1, 250. Dagegen wird Caecilius von Cicero zweimal ein minderwertiges Latein vorgeworfen: malus enim auctor Latinitatis est und Caecilium et Pacuvium male locutos videmus: Vgl. Testimonium 14 zu Caecilius bei Suerbaum 231. Der Ausdruck in comoediis elegantia ist also eine verdeckte Empfehlung zur Terenzlektüre, dessen sermo purus natürlich am besten zur Rednerausbildung passt. 8,8 quidam velut atticismos: quidam velut = gewissermaßen einen, eine Art von. Dieser Zusatz erklärt sich daraus, dass lateinische Texte im strengen Sinne natürlich keinen atticismos, sondern höchsten latinitas oder urbanitas haben können. Das Wort fungiert hier also als Metapher. atticismos = ἀττικισμός,-οῦ, m.: athenische Redeweise, athenischer Sprachstil. Qu. versteht darunter den von ihm mehrfach wegen seiner Grazie, seines Wohlklangs, seiner Reinheit und seiner großstädtischen Eleganz und Ausdrucksfülle hochgelobten sermo Atticus der athenischen Komödie und der attischen Redner: z.B. 10,1,65: illam sermonis

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Attici gratiam (von der Alten Komödie) und 10,1,100: illam solis concessam Atticis venerem (von der griechischen im Gegensatz zur römischen Komödie); 12,10,35: Qui a Latinis exiget illam gratiam sermonis Attici, det mihi in loquendo eandem iucunditatem et parem copiam (von der Rede). Weitere Charakteristika lassen sich indirekt aus der Definition der dem atticismos entsprechenden römischen urbanitas erschließen, 6,3,107: nam meo quidem iudicio illa est urbanitas, in qua nihil absonum, nihil agreste, nihil inconditum, nihil peregrinum neque sensu neque verbis neque ore gestuve possit deprendi, ut non tam sit in singulis dictis quam in toto colore dicendi, qualis apud Graecos atticismos ille reddens Athenarum proprium saporem. = Denn – wenigstens meiner Meinung nach – handelt es sich da um Urbanitas, wo nichts Mißtönendes, nichts Bäurisches, nichts Unordentliches, nichts Fremdklingendes sich im Sinn, in den Worten oder in der Aussprache oder Gebärde fassen läßt, so daß sie nicht so sehr in einzelnen Bemerkungen liegt als vielmehr in der ganzen Färbung der Rede, wie bei den Griechen ihr ἀττικισμός, der den Geschmack auf der Zunge hinterläßt, der nur Athen eigen ist (Rahn). Der sermo Atticus verbindet also vor allem sprachliche Eleganz mit der Reinheit des von Dialektvarianten und Fremdwörtern freien sermo purus. Sein Redner ist so mit ihm imprägniert, dass man das hauptstädtische Flair gewissermaßen schmeckt, so wie man die römische urbanitas auch riechen kann, 8,1,3: quare, si fieri potest, et verba omnia et vox huius alumnum urbis oleant, ut oratio Romana plane videatur, non civitate donata = Deshalb sollten, wenn es sich ermöglichen läßt, alle Worte und der Tonfall den Redner durch einen Anhauch als Kind unserer Stadt verraten, so daß seine Rede völlig römisch erscheint, und nicht nur so, als sei ihr das Bürgerrecht verliehen worden. (Rahn). Hier an unserer Stelle geht es allerdings nicht um den atticismos der Redner (Vgl. dazu den schon genannten Passus 12,10,16–39, bes. 20– 26), sondern um den der athenischen Komödie, zu dem wir neben der alten Komödie getrost auch die neue Komödie Menanders rechnen können, obwohl ihm im Lob von 10,1,69–72 der sermo Atticus nicht explizit zugesprochen wird. Von den römischen Komödienautoren, die sich diesen atticismos zum Vorbild nehmen und ihn im gewissen Maße auch erreichen, kann hier, nach dem, was wir am Ende der letzen Anmerkung von ihm vermerkt haben, wieder nur Caesars dimidiatus Menander und puri sermonis amator Terenz gemeint sein. Aus seiner Lek-

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türe gewinnen die Schüler also nicht nur Eleganz, sondern auch einen Eindruck vom sermo Atticus in lateinischer Bearbeitung. 8,9 oeconomia: Der Begriff wird von Qu. selbst erläutert, 3,3,9: Hermagoras iudicium, partitionem, ordinem quaeque sunt elocutionis subicit oeconomiae, quae Graece appellata ex cura rerum domesticarum et hic per abusionem posita nomine Latino caret = Hermagoras ordnet Urteil, Gliederung, Anordnung und alles, was zur Formulierung (elocutio) gehört, der Ökonomie unter. Mit diesem Wort bezeichnet man im Griechischen eigentlich die Sorge für das Hauswesen und verwendet es hier (in der Rhetorik) uneigentlich. Ein lateinisches Wort gibt es dafür nicht (Rahn, Ax). Der Begriff wurde also von dem großen Rhetor Hermagoras (2. Jh. v. Chr.) vom wirtschaftlichen Bereich der Hausverwaltung, Hauswirtschaft auf das Standardsystem der rhetorischen officia oratoris (inventio, dispositio, elocutio, memoria, actio) übertragen, offenbar so, dass er den in der inventio gefundenen Argumenten und Beweisen eine zweiten Phase der Verwaltung (oeconomia) dieser Argumente und Beweise anschloss, der er das zweite und dritte officium, Disposition und Formulierung der Rede, unterordnete. Ein Reflex dieser Terminologie erscheint bei Qu. dann wieder, wenn er 7,10,11–13 den Aufbau der Rede erörtert und ihn dabei 7,10,11 oeconomica totius causae dispositio nennt. Man dachte bei oeconomia also vor allem an den Aufbau einer Rede. Dass der Begriff in diesem Sinne dann auch in der Poetik zur Anwendung kam, beweist Qu. hier und kurz darauf noch 1,8,17. Er bezieht sich hier wie da nicht nur auf eine Dichtungsgattung, sondern schließt mehrere Gattungen mit ein, naturgemäß besonders die dramatischen und epischen Gattungen, die durch Handlungsführung einen strukturierten Aufbau haben. oeconomia bedeutet hier also: Aufbau, Struktur eines Dramas oder eines Epos. Der Begriff wurde, wie Colson 1924, 109 zeigt, weiterhin in diesem Sinne verwendet. Er zitiert Servius zu Aen. 9,754, der die Aufschiebung der Tötung des Turnus auf das Ende der Aeneis causa oeconomiae erklärt und Ps.-Plutarch, De Hom.162, der die kunstvolle Erzählstruktur der Ilias Homers s.v. oikonomia lobt. Wichtige Informationen zur Vorgeschichte des oeconomia-Begriffs in der Dichtererklärung erarbeitet Jacobi 1996, 152–157 am Beispiel der Analyse der Handlungsstruktur der Komödien des Terenz im Terenzkommentar des Donat. Danach ist

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oeconomia eine gängige Kategorie bereits der alexandrinischen Dichtererklärung (154,157). Der Begriff oeconomia ist wertneutral, es kann also eine gute und eine schlechte oeconomia geben. So ist die oeconomia der altlateinischen Dichtung, wie wir an unserer Stelle erfahren, diligentior, sorgfältiger als die in der modernen zeitgenössischen Dichtung. 1,8,17 ist von der virtus der oeconomia die Rede, also gibt es auch vitia oeconomiae. 8,9 novorum: Die veteres Latini (poetae) von 1,8,8 werden hier also mit den plerique novorum (poetarum) konfrontiert. Colson hat 1924, 109f. überzeugend geklärt, dass hier wie 10,1,43 nur die altlateinischen Dichter den modernen Dichtern der Zeit Qu.s gegenüberstehen und die in der Mitte stehenden Dichter der Klassik außen vor bleiben: the „veteres“ and the „novi“ stand at the two ends with the true classics in between. Dass Qu. hier nicht ganz konsequent verfährt, zeigt Colsons Verweis z.B. auf 9,3,1, wo Cicero zu den veteres gezählt wird. Weitere Stellen dieser Art bei Colson: 10,1,122; 126 und 10,2,17. Welche Autoren sich hinter den plerique novorum verbergen, lässt sich nicht mehr erschließen. Der Katalog von 10,1 hilft hier nicht weiter, weil in ihn ja nur vorbildliche, nicht mit dem Mangel schlechter Ökonomie behaftete Musterautoren aufgenommen worden sind. 8,9 omnium operum: opus scheint mir hier nicht „konkretes Werk einzelner Dichter“, sondern „literarische Gattung allgemein“ zu bedeuten. Vgl. 10,1,31: totumque opus = Geschichtsschreibung, 10,1,69: hoc opus = Tragödie und 10,1,69 von Menander: quamquam in opere diverso = Komödie. Danach wäre nicht „die allein die Sentenzen für den einzigen Vorzug all ihrer Werke gehalten haben“, sondern „die allein die Sentenzen für den einzigen Vorzug aller literarischen Gattungen gehalten haben.“ Damit wären die auctores novi, obwohl hier der Kontext streng genommen nur Dichter zulässt, stillschweigend auch auf die Prosaiker erweitert, was den Vorteil hätte, hier auch dén Autor des pointierten Sentenzenstils, den jüngeren Seneca, mitdenken zu können. Tatsächlich ist ja der Sentenzenstil der frühen Kaiserzeit ein allgemeines Literaturphänomen und nicht nur auf die Dichtung beschränkt. 8,9 sententias: sententiae (griechisch: γνώμη, deutsch: Sentenz) in rhetorischer Spezialbedeutung sind pointiert formulierte Sätze, die allgemeine Lebensweisheiten entweder einfach nur feststellen oder mit einem moralischen Appell verbinden. Solche Sätze werden zur Stär-

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kung der individuellen Argumentation einer Rede herangezogen und dienen zugleich auch zu deren Schmuck (ornatus). Sie können aus dem jeweiligen Erstkontext herausgelöst werden und können sich dann zu Sprichwörten oder geflügelten Wörtern verselbstständigen. Beispiele: ars longa, vita brevis est = Die Kunst ist lang, das Leben kurz (Hippokrates), obsequium amicos, veritas odium parit = Willfährigkeit macht Freunde, Wahrhaftigkeit Hass (Terenz, Andria 68), Donec eris felix, multos numerabis amicos = Solange du glücklich bist, wirst Du viele Freunde haben (Ovid, Tristia 1,9,5), post amicitiam credendum est, ante amicitiam iudicandum = nach geschlossener Freundschaft muss man vertrauen, vorher kritisch prüfen (Seneca, epist. 3,2). Qu. zeigt jedoch 8,3,15ff., dass man zu seiner Zeit unter sententia auch allgemeiner jede Art pointiert formulierter Sätze in der Rede – auch ohne gnomischen Allgemeininhalt – verstand. Er nennt die Sentenzen insgesamt 8,5,2 lumina (herausragende Glanzlichter). Zur rhetorischen Theorie der sententia im Einzelnen vgl. Lausberg HB §§ 872–879. Qu. sieht, wie hier an unserer Stelle deutlich wird, im überzogenen maßlosen Sentenzenstil seiner Zeit die Gefahr des literarischen Niedergangs und hat der Sentenz deshalb ein eigenes Kapitel gewidmet (8,5), das er mit fast denselben besorgten Bemerkungen wie hier an unserer Stelle einleitet. 8,4,29: demus ergo breviter hoc desiderio iam paene publico, ne omittamus eum, quem plerique praecipuum ac paene solum putant orationis ornatum. = So wollen wir in Kürze diesem schon fast allgemein anerkannten Bedürfnis (scl. nach Sentenzen) Rechnung tragen, damit wir nicht eine Schmuckform (scl. die Sentenz) außer acht lassen, die die meisten für den hauptsächlichsten und fast einzigen Schmuck der Rede halten (Rahn). Qu. ist im Prinzip nicht gegen den Gebrauch von Sentenzen, er kritisiert nur deren maßlose, viel zu häufige und zu dichte Verwendung, so schon 8,5,2: sententias, quae minus crebrae apud antiquos nostris temporibus modo carent = Sentenzen, die weniger zahlreich bei den Alten, in unserer Zeit keine maßvolle Anwendung kennen und dann in differenzierter Detailargumentation 8,5,25–34 (Ganz ähnlich äußert sich Qu. dann noch 12,10,46–48). Hier, 8,5,26–27, finden wir auch die Erklärung für das an unserer Stelle monierte Strukturdefizit der modernen im Vergleich zur sorgfältigeren oeconomia der altlateinischen Dichtung. Die Sentenzenhäufung führt zu einem zerhackten, strukturlosen Stil, unde soluta fere oratio et e singulis non membris, sed frustis conlata structura caret, cum illa rotunda et undique circumcisa insistere invicem nequeant. = Deshalb

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ist die Rede gewöhnlich locker, und es fehlt ihr, da sie nicht aus einzelnen Gliedern, sondern aus Brocken zusammengehäuft ist, das feste Gerüst, da die runden und überall abgeschliffenen Stücke sich gegenseitig keinen Halt bieten können (Rahn). Strukturverlust durch „Zerbröselung“ des Stils also – etwas, was schon Caligula mit seiner treffenden Baustoff-Metapher harena sine calce = Sand ohne Kalk (also kein Zement, kein baufähiges Material) (Sueton 53,2) an Senecas Sentenzenstil kritisiert hatte (Dem entspricht genau Qu.s Kritik an Senecas Stil 10,1,130). Dennoch gilt natürlich auch Qu. der richtige, kunstvolle Gebrauch von Sentenzen in der Dichtung als stilistischer Vorzug, so bei Homer (10,1,50), bei Euripides (10,1,68 sententiis densus), bei Lucan (10,1,90 sententiis clarissimus) u.a. 8,9 sanctitas/virilitas: Ebenso, wie man durch die Lektüre der altlateinischen Dichtung eine bessere Vorstellung von oeconomia gewinnen kann, so vermittelt sie auch genau die Werte, die Qu. schon 1,8,2 allgemein für den Dichtungsvortrag des Schülers in der lectio gefordert hatte: sanctitas = Würde, Feierlichkeit und virilitas = Männlichkeit (Vgl. meine Erläuterungen dort). Auch von daher lohnt sich also die Lektüre der Alten. 8,9 omnia deliciarum vitia: Im verweichlichten Luxus- und Genussstreben seiner Zeit sieht Qu. die Ursache für den allgemeinen kulturellen Niedergang in fast allen Lebensbereichen, also auch in Sprache und Rede. Verwöhnt durch Luxus und vom allgemeinen Sittenverfall verdorben werden schon die Kleinkinder 1,2,6–7. Dekadenz zeigt sich z.B. später auch in Frisur und Kleidung (Vgl. dazu meinen Komm. zu 1,6,43 und weiteren Stellen), in der Badekultur und beim Gelage (1,6,43), auch in der Bevorzugung von Eunuchen oder Krüppeln statt gesunder Sklaven (2,5,11, 5,12,17–19). Kein Wunder, dass diese allgemeine Dekadenz auch auf Sprache und Rede übergreift (2,5,10: corruptas et vitiosas orationes, 12,10,73: vitiosum et corruptum dicendi genus) Qu. hat sie in der verlorenen Schrift De causis corruptae eloquentiae ausführlich behandelt (Vgl. bes. 6, proöm. 3; 2,5,10–12; 5,12,17–23 und 12,10,73–76). Qu.s Aufwertung der veteres und Abwertung der novi im Lektüreunterricht für Schüler an unserer Stelle erscheint noch einmal, wieder mit dem Leitwort deliciae versehen, in der Vorbemerkung zum Lektürekatalog für Studenten 10,1,43: nam quidam solos veteres legendos

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putant neque in ullis aliis esse naturalem eloquentiam et robur viris dignum arbitrantur, alios recens haec lascivia deliciaeque et omnia ad voluptatem multitudinis imperitae composita delectanti = Denn manche Lehrer meinen, nur die Alten verdienten gelesen zu werden, und glauben, bei anderen finde sich nirgends die natürliche Redegabe und urwüchsige Kraft, die sich für Männer schickt; andere aber schwelgen in der Haltlosigkeit und Geziertheit, wie sie neuerdings Mode ist, und allem, was zum Vergnügen der ungebildeten Menge hergestellt wird (Rahn). Kein Zweifel, dass Qu. der ersten Alternative (pro veteribus) zuneigt, allerdings nicht in der Ausschließlichkeit des solos veteres wie die quidam hier. Wie sein Lektürekatalog zeigt, schließt er zeitgenössische Autoren keineswegs von der Lektüre aus, wenn sie seinen Qualitätsstandards entsprechen. 8,10 Denique credamus summis oratoribus, qui veterum poemata… adsumunt.: Es folgen jetzt von § 10–12 Bemerkungen zum Gebrauch, den die großen Redner von den veterum poemata, die sie aus ihrer eigenen Lektüre als Grammatikschüler und als Rhetorikstudenten kennen, während der Phase ihrer Berufsausübung in ihren echten Reden gemacht haben. Mit diesem Zeugnis der summi oratores wird der propädeutische Wert der Lektüre der altlateinischen Dichtung für die spätere Berufspraxis erneut und für den gesamten Abschnitt §§ 8–10 abschließend glaubwürdig gemacht. Der Einbezug der veterum poemata in die Rede dient einem zweifachen Nutzen (utilitas): der Beweiskräftigung (fides causarum) und dem Prestigegewinn für die eigenen Beredsamkeit (ornamentum eloquentiae). Der gesamte Abschnitt §§ 10–12 gliedert sich, wie folgt: § 10: Vorbemerkung: der doppelte Nutzen der veterum poemata in den Reden großer Redner; § 11: 1. Nutzen: ornamentum eloquentiae; § 12a:2. Nutzen: fides causarum; § 12b: gliedernder Rückblick. 8,10 ad fidem causarum: Der Einbezug von Dichtungszitaten in die Rede hat zum einen den Nutzen der Beweiskräftigung. Er wird hier in 1,8,10 an erster Stelle genannt, aber erst an zweiter Stelle am Anfang von § 12 mit nur einem Satz beschrieben: Quibus accedit non mediocris utilitas, cum sententiis eorum velut quibusdam testimoniis, quae proposuere, confirment. = Dazu tritt als nicht unerheblicher Nutzen, wenn die Redner mit den Meinungsäußerungen der Dichter ihre Argumente gleichsam wie mit Zeugenaussagen stützen (Ax). Der Dichter gibt also

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im Zitat eine Meinungsäußerung (sententia) ab, die das Argument des Redners stützt und gleichsam wie eine Zeugenaussage in der Rede als Beweismittel eingesetzt wird. Solche argumentativen Dichterzitate gehören zum Beweismittel der auctoritas, der Meinungen, Urteile und Ansichten meist berühmter, weiser Männer und eben auch berühmter Dichter (inlustribus poetis 5,3,36), die der Redner von außen zur Stützung seiner Argumentation in seine Rede einbringt. Qu. beschreibt diese Beweistechnik 5,3,36–43, vgl. bes. § 39: nam sententiis quidem poetarum non orationes modo sunt refertae, sed libri etiam philosophorum…denn nicht nur die Reden sind sind voll von Meinungsäußerungen der Dichter, sondern auch die Werke der Philosophen. Vgl. zur auctoritas auch Lausberg HB § 426 mit weiteren Belegen. 8,10 ad ornamentum eloquentiae: Zum anderen Nutzen der Dichterzitate ad ornamentum eloquentiae mehr gleich im Kommentar zu 1,8,11 summa. Diese utilitas wird hier erst an zweiter Stelle genannt, dann aber in § 11 gleich als erster Stelle behandelt. 8,11 Nam praecipue quidem apud Ciceronem…videmus Enni, Acci… et aliorum inseri versus: Von den Anfang § 10 angekündigten summi oratores, die altlateinische Dichter in ihren Reden zitieren, werden nur Cicero und Asinius Pollio namentlich genannt, dazu noch als anonyme Gruppe ceteros, qui sunt proximi. Man kann sie als Gruppe von Rednern der ausgehenden Republik und der augusteischen Kaiserzeit zusammenfassen, für die aus Gründen ihrer Lebens- und Bildungssituation Zitate der genannten altlateinischen Dichter noch eine Selbstverständlichkeit waren und die möglicherweise die augusteische Dichtung noch nicht für ausreichend „zitierfähig“ gehalten haben. Ich würde daher unter den ceteros, qui sunt proximi Redner verstehen, die Asinius Pollio (76 v. Chr. – 5 n. Chr.) „zeitlich am nächsten stehen“. Welche Redner das sein könnten, ist natürlich schwer auszumachen, denn die Reden des Asinius und seiner Zeitgenossen, bzw. unmittelbaren Nachfolger sind verloren gegangen. Neben Asinius Pollio nennt Qu. 10,1,113 noch Messalla (64 v.–8 n. Chr.), der hier ganz sicher für die ceteros in Frage kommt. Ob dazu auch Cassius Severus (10,1,116) gehört, muß unsicher bleiben. Dass jedenfalls Asinius Pollio häufig die veteres zitierte, ist wenigstens hier bei Qu. (wenn ich richtig sehe, nur hier) belegt.

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8,11 praecipue apud Ciceronem: Für Ciceros Reden, aber auch für seine philosophischen Schriften ist die besonders häufige Nutzung von Dichterzitaten allgemein bekannt und wegen der Erhaltung dieser Schriften auch nachprüfbar. Was unsere Stelle hier betrifft, hat sich nur nur Spalding Vol. I 200 die Mühe gemacht, einige Beispiele für Dichterzitate aus Ciceros Reden zu sammeln. Es sind fast alles Zitate ad fidem causarum, also zur Stärkung der Argumentation. Gute Beispiele sind Sest. 120–122, wo Accius-Zitate im Sinne der Argumentation Ciceros eingearbeitet werden, dann auch Cael. 37–38 (Caecilius) oder Balb. 51 (Ennius). Weitere Stellen bei Spalding zur Stelle. 8,11 Enni Acci… zur Frage der altlateinischen Autorenauswahl vgl. oben den Kommentar zu 1,8,8 Multum. 8,11 summa non eruditionis modo gratia, sed etiam iucunditatis, cum poeticis voluptatibus aures a forensi asperitate respirant: Vgl. meine Übersetzung der schwierigen Stelle: und ihre Rede erlangt so nicht nur durch die Demonstration von Belesenheit höchst gewinnenden Charme, sondern auch durch die Annehmlichkeit, wenn sich die Ohren der Zuhörer durch das Vergnügen an Dichtung von der Sprödigkeit des forensischen Vortrags erholen. Der Redner gewinnt also aus den Dichterzitaten nicht nur eine Stärkung seiner Argumente, sondern er trägt mit ihnen auch erheblich zum Prestigegewinn seiner Beredsamkeit bei. Das meint Qu. mit dem schon § 10 genannten ad ornamentum eloquentiae, denn ornamentum zielt hier nicht etwa auf den ornatus der Rede, sondern bedeutet „Auszeichnung, Ehrung, veraltet:Zierde“, vergleichbar dem Wortsinn von ornamenta consularia = konsularische Ehrenzeichen Qu.s. Dieser Prestigegewinn wird durch eine doppelte gratia der Rede (Wohlgefälligkeit, Charme; Reiz, vgl. 9,3,74 gratiam dicendi reizvoller Ausdruck) erzielt: Einerseits stellt der Redner seine eruditio, seine Belesenheit unter Beweis (sie wurde schon 1,8,8 erwähnt, vgl. meinen Kommentar De Menandro loquor zur Stelle). Zum anderen verschafft die klang-, rhythmus- und bildreiche Sprache der Dichtung (poeticis voluptatibus) dem Hörer iucunditas, die Annehmlichkeit der Erholung von der Sprödigkeit und Trockenheit inbesondere der Gerichtsrede. Dass die Dichtung einen Erholungseffekt für den Gerichtsredner hat, wird später im Lektürekatalog im Anschluss an Cicero, Arch. 12, an prononcierter Stelle wiederholt (10,1,27) und hier steht auch der warnende Hinweis, dass die Dichtung solam petit

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voluptatem = allein auf Vergnügen abzielt und deshalb nur mit erheblichen Einschränkungen dem Dichter Vorbild sein darf (10,1,28). 8,12 Verum priora illa ad pueros magis…terminentur: Die Probleme, die sich Colson 1924, 108 mit diesem abschließenden Gliederungshinweis macht, sind mir nicht recht nachvollziehbar. priora illa sind die Hinweise auf die Vorteile der veteres Latini-Lektüre im Grammatikunterricht für die Schüler (pueri) von 1,8,8–9, haec sequentia sind die sich ihnen anschließenden Hinweise auf entsprechende Vorteile für fortgeschrittene, schon „erwachsene“ Studenten der Rhetorik (robustiores) von § 10–12a: Die Schüler gewinnen aus der Lektüre altlateinischer Dichter sprach- und stilästhetische Prägungen (copia verborum, elegantia, atticismos, oeconomia), sowie die für das richtige Lesen vorteilhaften affektiv-moralischen Grundhaltungen (gravitas, sanctitas und virilitas). Die Fortgeschrittenen, die ja weiterhin Dichtungslektüre betreiben, lernen im Rhetorikstudium unter einer eher rhetorischtechnischen Zielsetzung am Beispiel großer Redner den effektiven Einsatz von Dichtungszitaten in der Rede, die, wie eben beschrieben, Beweiskräftigung und Prestigegewinn durch eruditio und iucunditas erzielen. Qu. hatte übrigens schon am Anfang von 1,8,8 diese Zweistufigkeit der Dichterlektüre angedeutet, indem er für die Ausbildung der eruditio einen langen Zeitraum (aetas longa) nach der affektiv-moralisch akzentuierten Anfängerlektüre Menanders empfahl (Vgl. meinen Kommentar zur Stelle). Mögliche Ursache der genannten Deutungsprobleme ist hier vielleicht das robustiores, das vom Kontext des cum-Satzes her möglicherweise nicht nur ältere Schüler und erwachsene Studenten, sondern auch das gesamte Erwachsenenalter bis zum Tod einschließen könnte (non scholarum temporibus, sed vitae spatio terminentur). robustus hat bei Qu. die Kernbedeutung „älterer, fast erwachsener Jugendlicher“ (z.B. 2,5,2 robusti fere iuvenes) und steht im Erziehungskontext meist im Gegensatz zu „Kind, Schüler“ (puer), womit zugleich auch zwei Ausbildungsstufen (Anfänger, Fortgeschrittene) markiert sind. 1,12,1 z.B. sollen erst eine aetas robustior, nicht schon die pueriles anni die Last mehrerer Fächer tragen. Die robusti fere iuvenes, hier die Rhetorikstudenen, wollen keine Redner- und Historikerlektüre mehr (2,5,2), Elegien und Hendecasyllabi sollen, wenn überhaupt, erst dem firmius aetatis robur vorbehalten bleiben (1,8,6), Seneca sollen erst von iam robustis gelesen werden (10,1,131), Erwachsenenunterricht (si quem

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robustum instituere litteris coeperis) stößt auf enorme Schwierigkeiten etc. Es kann also kein Zweifel sein, dass robustiores auch hier nur „älterer, fortgeschrittener, schon erwachsener Schüler oder Student“ bedeuten kann und das spätere Erwachsenenleben bis zum Tod nicht miteinschließt. Der kausale cum-Satz erklärt nur, warum die Hinweise von §§ 10–12 für die Fortgeschrittenen so wichtig sind: die hier aus der Dichterlektüre bezogenen rhetorischen Techniken und persönlichen Bereicherungen sind während des gesamten Berufslebens von großer Bedeutung und dauern bis zum Tod an, wie das Beispiel der summi oratores beweist. Dass die Grammatik und die Dichterlektüre mit wissenschaftlichem Engagement und mit Freude bis ins hohe Alter betrieben werden kann, hatte Qu. schon 1,4,5, 1,4,6 und 1,7,34f. zum Ausdruck gabracht. Vgl. meine Kommentare jeweils zur Stelle. 8,13–21 Es folgt nun nach dem lectio-Abschnitt §§ 1–12 die eigentliche enarratio poetarum, die Erklärung des gelesenen Dichtertextes §§ 13– 21. Zur Einordnung der enarratio poetarum in das grammatische System Qu.s habe ich schon im Kommentar zu 1,8,1 das Nötige gesagt. Der enarratio-Abschnitt spiegelt Inhalte und Ablauf der Texterläuterungen im Grammatikunterricht wieder, die der grammaticus nach Qu.s Formulierung in praelegendo = während des Vorlesens dem Schüler abzufordern hatte. Man muss sich also vom Ablauf der Unterrichtsstunde her vorstellen, dass der grammaticus jeweils zunächst einen Textabschnitt vorlas und dann die dazu gehörigen Erläuterungen im Lehrer-Schüler-Gespräch und im Frage- und Antwortverfahren erarbeitete. Man gewinnt so einen (seltenen) lebendigen Einblick in die damalige Unterrichtspraxis, der den Textabschnitt so besonders wertvoll macht. Vgl. zum aniken Grammatikunterricht am besten immer noch Marrou 1977, 307ff. (griechisch), speziell zur enarratio 319–322, und 505ff. (römisch), zur enarratio 513–519. Die Beschreibung von Christes-Klein-Lüth 2006, 95f. und 104–106 ist zu knapp, verweist aber auf wichtige neuere Literatur. Wie die beigegebene Gliederung am Beginn des Kapitels zeigt, ist der enarratio-Abschnitt zweigeteilt: der erste Teil (§§ 13–17) widmet sich der primär wortorientierten sprachlichen, stilistischen und ästhetischen Erschließung des Textes (enarratio verborum), der zweite Teil (§§ 18–21) der inhaltlich orientierten Sacherläuterung (enarratio historiarum).

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Zur Erläuterung des enarratio-Abschnitts bei Qu. lassen sich sehr hilfreiche Vergleichstexte heranziehen. Einige Berührungspunkte ergeben sich aus dem Vergleich mit den sechs Teilen der téchne grammatiké bei Dionysios Thrax (§ 1): 1. Vorlesen, 2. Erklärung der Tropen, 3. Erklärung von Glossen und Sachen, 4. Auffinden von Etymologien, 5. von Analogien und 6. die Beurteilung von Dichtung (Übereinstimmungen mit Qu. sind unterstrichen). Doch führt der Vergleich nicht allzu weit, weil Dionysios nur den ersten Teil, das Vorlesen, in § 2 ausführlich bespricht (der dann nur für den vorherigen lectio-Abschnitt §§ 1–12 bei Qu. relevant sein kann) und im weiteren Verlauf seiner Techne auf die anderen fünf Teile nicht mehr eingeht. Vgl. zum Vergleich mit Dionysios besonders Colson 1924, 111. Sehr viel ergiebiger sind römische Texte. Für die Analyse von Versen nach Metrum und Wortarten im Grammatikunterricht, wie sie Qu. 1,8,13 fordert, vermittelt Priscians Schrift Partitiones duodecim versuum Aeneidos principalium (GrLat III 457–515) einen sehr guten Einblick. Hier analysiert er exemplarisch in Frage- und Antwortform Metrum und Wortarten des jeweils ersten Verses der zwölf Aeneisbücher, also insgesamt 12 Verse. Diese Schrift ist vorbildlich erschlossen von Manfred Glück, Priscians Partitiones und ihre Stellung in der spätantiken Schule, Hildesheim 1967. Desweiteren sind die erhaltenen spätantiken Dichterkommentare zu Horaz von Porphyrio (3. Jh. n. Chr.), zu Terenz von Donat (4. Jh. n. Chr.) und zu Vergil von Servius (4. Jh. n. Chr.) von großer Bedeutung, weil hier das von Qu. theoretisch und ohne Beispiel Geforderte in der konkreten Textarbeit der Kommentatoren nachvollzogen werden kann. Auch diese Kommentare haben inzwischen ausführliche Darstellungen erhalten: 1. Porphyrio: Silke Diederich, Der Horazkommentar des Porphyrio im Rahmen des kaiserzeitlichen Schul- und Bildungstradition, Berlin/New York 1999, 2. Donat: Rainer Jakobi, Die Kunst der Exegese im Terenzkommentar des Donat, Berlin/New York 1996 und 3. Servius: Anne Uhl, Servius als Sprachlehrer. Zur Sprachrichtigkeit in der exegetischen Praxis des spätantiken Grammatikunterrichts, Göttingen 1998. 8,13–17 Der primär sprach- und formalästhetisch orientierte erste Teil der enarratio umfasst fünf Beobachtungsfelder, die jeweils aus der Perspektive des Lehrerverhaltens im Unterrichtsablauf dargestellt werden (gr. praestare debebit, deprendat; non erat inutile demonstrare;

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non ultima eius professionis diligentia est; iam maiore cura doceat; praecipue illa infigat animis): 1. § 13: Analyse der Wortarten und Versfüße, die in den jeweils gelesenen Versen vorkommen, 2. § 14: Identifikation der vitia orationis, der Barbarismen, Akyrologien und Solözismen, 3. § 15: Erläuterung der Homonyme und Glosseme, 4. § 16: Identifikation der Tropen und Figuren, 5. § 17: literarästhetische Interpretation. Diese fünf Felder sind deutlich als Arbeitsschritte mit steigendem Niveauanspruch auf drei Ebenen markiert: 1.–3. gehören zu den Elementaraufgaben der enarratio (§ 15 Anfang: prima rudimenta). Die eigentlich schon der Rhetorik angehörenden Tropen und Figuren (4.) erfordern bereits größere Sorgfalt (§ 16: iam maiore cura) und der Höhepunkt der enarratio, gewissermaßen ihr Telos, ist 5., die literarästhetische Interpretation (§ 17: praecipue). 8,13 In praelegendo grammaticus: Vgl. dazu meine Erläuterungen zu 1,8,2 Unum est igitur. 8,13 partes orationis: Analysiert werden die im Vers vorkommenden Wörter nach Wortarten. Dafür liefert Priscian in den Partitiones gute Beispiele, etwa zu Vers 1 der Aeneis (GrLat III 461,19–22): Der Vers enthält neun Wörter zu vier Wortarten (partes orationis hat also einen Doppelsinn: individuelle Wörter und Wortarten, Colson 1924, 111): sechs Nomina: arma, virum, Troiae, qui, primus, oris, ein Verb: cano, eine Präposition: ab und eine Konjunktion: que. Diese neun Wörter werden nun ab 461,23ff. einzeln in der Reihenfolge des Vorkommens im Vers als Wortart bestimmt, z.B. arma (461,23–464,31): Wortart: nomen, Akzidentien: qualitas: Appellativ (kein Eigenname), species: Grundwort (nicht abgeleitet), genus: Neutrum, numerus: Plurale tantum, figura: Simplex (kein Kompositum), casus: Akkusativ, declinatio: Zweite Deklination (arma, -orum), derivativa: Ableitungen wie armarium, armamentum, armare etc. Zu den einzelnen Lemmata, besonders zu den Derivativa werden z.T. sehr ausführliche Erläuterungen und Übungsfragen beigegeben. Vgl. dazu grundlegend Glück 1967, 134ff. 8,13 soluto versu: Der Vers wird durch die Wortartenbestimmung und durch die metrische Analyse in seine jeweiligen Bestandteile „aufgelöst“. Wortarten:

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ARMA/VIRUM/QUE/CANO/TROIAE/QUI/PRIMUS/AB/ORIS = Nom/Nom/Konj/Verb/Nom/Nom/Nom/Praep./Nom/ und metrisch: ARMAVI/RUMQUECA/NOTRO/IAEQUI/PRIMUSAB/ORIS = Dakt./Dakt./Spond./Spond./Dakt./kat. Schlussmetrum. 8,13 pedum proprietates: Auch das Metrum, insbesondere die im jeweiligen Metrum verwendeten Versfüße, mussten natürlich bestimmt werden. Wieder gibt Priscian ein Beispiel für die Analyse von Aeneis 1,1: In einer teilweise sehr komplizierten metrischen Einführung (459,4–461,14, vgl. dazu den ausführlichen Kommentar von Glück 1967, 88ff.) wird der Vers zunächst allgemein als daktylischer Hexameter bestimmt und dessen Kriterien dann 461,15–19 auf den konkreten Vers appliziert (Vgl. Glück 1967, 90): 1. Skandieren des Verses (metrische Analyse wie oben), 2. zwei Zäsuren: Penthemimeres und Hephthemimeres, 3. Figurtyp nach der Füllung des Versschemas: 3 Daktylen, 2 Spondeen. Eine Vorstellung von dem sehr komplizierten und differenzierten Lernstoff der Versfüße innerhalb der römischen Grammatik vermittelt das Kapitel De pedibus in Donats ars maior (GrLat IV 369,16–370,37). 8,13 quae adeo debent esse notae…desiderentur: Da Qu., wie wir immer wieder beobachtet haben, stets bemüht ist, den propädeutischen Wert des Grammatikunterrichts für die spätere Redekunst nachzuweisen, verweist er auch hier wieder auf den Nutzen metrischer Kenntnisse aus der Dichterlektüre für die oratoria compositio. Die compositio gehört neben der Figurenlehre zum ornatus in verbis coniunctis und umfasst die Lehre von der Satzgestalt (besonders der Periode), der Wortstellung und – das ist hier der eigentliche Zielpunkt – des numerus, der metrischen Klauselgestaltung, insbesondere am Periodenende. Umfassende Darstellung der compositio bei Lausberg HB §§ 911–1054, darunter des numerus §§ 977–1054. Qu. bespricht die compositio 9,4 mit ausführlicher Besprechung des numerus insgesamt 9,4,45–116 und speziell der Versfüße und ihrer Bedeutung für die Prosarede 9,4,79– 111. Gut der Hinweis von Colson 1924, 112 auf 9,4,116: ergo quem in poemate locum habet versificatio, eum in oratione compositio = Den Platz also, den beim Dichtwerk der Versbau einnimmt, den nimmt bei der Prosarede die Wortfügung ein (Rahn).

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8,14 Es folgen die drei vitia orationis Barbarismen, Akyrologien (verba impropria) und Solözismen, die in poetischer Lizenz virtutes werden und dann die Namen Metaplasmen, Schematismen und Schemata erhalten. Hauptbezugstext ist hier das Kapitel 1,5. Die Schüler werden also bei der enarratio des Textes auf Phänomene im dichterischen Sprachgebrauch aufmerksam gemacht, die in der Normalsprache des Schülers fehlerhaft wären, bei großen anerkannten Dichtern aus Autoritätsgründen aber keinen Anstoß erregen dürfen. Entsprechend vorsichtig muss, wie wir gleich hören werden, der Lehrer mit solchen „Fehlern“ bei der enarratio umgehen. Zum gesamten Fehlersystem und den entsprechenden poetischen Lizenzen vgl. meinen Kommentar zu 1,5,5 und zur Fehlertrias in der sonstigen grammatischen Literatur Komm. zu 1,5,46. 8,14 barbara: Gemeint sind die Fehler im Einzelwort, die von Qu. 1,5,5–33 ausführlich besprochen worden sind. Beispiele: precula statt pergula (1,5,12), assentio statt assentior (1,5,13), Phae-thon statt Phaé-thon (1,5,18), choronae statt coronae (1,5,20) u.ä. Zum System und zu den Details vgl. die Gliederung des Kapitels 5 und meinen Kommentar zum Barbarismus-Abschnitt. Sofern es sich in den Fehlerlisten von 1,5,12–17 und 1,5,17–32f. um Dichterzitate handelt, sind es eigentlich keine Barbarismen, sondern lizensierte Metaplasmen. Mehr dazu gleich unter metaplasmus. 8,14 inpropria: Darunter wird ein verbum inproprium, also ein von der Bedeutung her unpassend gebrauchtes Wort verstanden (nicht zu verwechseln mit dem erlaubten verbum translatum, dem uneigentlichen, übertragenen Wort, z.B. einer Metapher. Vgl. meinen Kommentar zu 1,5,71). Standardbeispiel der späteren Grammatiker ist Vergils tantum sperare dolorem = einen so großen Schmerz erhoffen statt timere (Aen. 4,419), wir finden dieses Beispiel aber auch schon 8,2,4 bei Qu. Weitere Vergilbeispiele aus dem Serviuskommentar bei Uhl 275. Ein solches verbum improprium ist als semantischer Fehler ein Verstoß gegen die perspicuitas der Rede und wird daher von Qu erst an zuständiger Stelle im rhetorischen System (8,2,3f.) unter den Termini lat. inproprium und gr. ákyron behandelt. Bei den Grammatikern heißt er später acyrologia. Vgl. zu den Einzelheiten meinen Kommentar zu 1,5,46, wo Qu. bereits einen vermeintlichen Solözismus (magnum peculiolum = ein großes Sümmchen) als einen Fall von inproprium identifiziert hatte: ego dubito, an id inproprium potius appellem; significatione enim deerrat. Ganz konsequent ist diese Terminologie

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nicht, denn bei Vergil dürfte es sich ja wie beim Metaplasmus um ein Lizenzphänomen handeln, das eigentlich einen eigenen positiven Terminus verdient hätte. 8,14 contra legem loquendi sint posita: Damit sind sicher die Solözismen, die Fehler in der Vernüpfung mehrerer Wörter gemeint. Vgl. 1,5,34–54 mit Gliederung und meinem Kommentar. Die von Qu. hier gegebenen Beispiele sind echte banale Fehler des normalen Sprachgebrauchs, die in der Dichtung nicht vorkommen und daher in der enarratio poetarum von 1,8 auch keine Rolle spielen dürften: z.B. 1,5,38f.: nam enim (statt enim), in Alexandriam (statt Alexandriam), Aegypto venio statt ex Aegypto oder 1,5,51: eo intus (statt intro), bzw. intro sum (statt intus). Hier bei der Dichterlektüre wird der Schüler vielmehr auf eigentlich fehlerhafte Wortverbindungen bei großen Dichtern wie Vergil stoßen, die aber, wie wir soeben auch schon bei den ersten beiden Fehlern gehört haben, lizensiert sind und daher nicht mehr zu den vitia, sondern zu den virtutes, hier zu den „grammatischen Figuren“, den Schemata gehören (dazu gleich mehr unter Schema). Diese Art Schemata exemplifiziert Qu. in 1,5 noch nicht, sondern erst bei den Wortfiguren von 9,3,2–11, woher hier also Beispiele für die enarratio heranzuziehen sind: 9,3,6 (Genus) oculis capti talpae (statt captae) Vergil; 9,3,8 (Numerus) qui …risere, …hunc (Vergil), 9,3,9 (Infinitiv statt Partizip) nostrum istud vivere (statt nostram vitam) (Persius) und ebenda (Verb statt Partizip) magnum dat ferre talentum (statt ferendum) (Vergil) etc. Das spätere Standardbeispiel der Grammatiker ist der NumerusSoloecismus bei Vergil, Aen. 1,212 pars in frusta secant = Ein Teil schneiden in Stücke (statt schneidet), ähnlich unserem Eine Million Menschen wandern aus. Vgl. Donat GrLat IV 393,32. 8,14 metaplasmus: Der Metaplasmus (lat. metaplasmus, i, m., gr.: ὁ μεταπλασμός von μεταπλάττω umbilden, verändern) entspricht hier dem ersten vitium, dem Barbarismus, stellt also eine (von der Normsprache her gesehen eigentlich fehlerhafte) Veränderung des Einzelwortes vor allem in der Dichtung dar, die aber ganz überwiegend aus Gründen des Verszwangs (quibus , quia plerumque servire metro coguntur,…) toleriert und dann sogar zu den virtutes gezählt wird. Qu. verwendet hier den (von vocamus abhängigen) Akk. Plural, wobei die Überlieferung nicht zweifelsfrei erkennen lässt, ob er den griechischen Akkusativ metaplasmous oder den lateinischen metaplas-

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mos gewählt hat. Belegt ist der Terminus in der Institutio nur hier und stellt zugleich auch, soweit wir heute sehen, den Erstbeleg in der gesamten antiken Fachliteratur dar, doch ist er sicher älteren, wahrscheinlich alexandrinischen Ursprungs. Vgl. dazu ausführlich Holtz 1981, 170ff. Qu. gibt hier und auch anderswo kein Beispiel, sondern subsumiert die wenigen Fälle von Metaplasmen unter die Barbarismen im Kapitel 1,5, ohne sie deutlich terminologisch oder systematisch von den eigentlichen Barbarismen abzugrenzen. Allerdings verteidigt er solche Fälle, wie wir gleich hören werden, sofort. Die Beispiele: 1,5,1;18: Mettoeo Fufetioeo (statt Metti Fufetii) (Ennius); fulmine Phae-thon (statt fulmine Pha-e-thon) (Varro Atacinus), Italiam fato profugus (lang i statt kurz -i) (Vergil, Aen. 1,2) und un-i-us ob noxam et furias (kurz i statt lang i) (Vergil, Aen. 1,41). Die letzen beiden Beispiele erscheinen regelmäßig auch bei den Grammatikern wieder. Trotz dieser systematischen Unschärfen und trotz der Beispielsarmut beweist gerade unsere Stelle schon Qu.s volle Kenntnis des Systems und der Terminologie der vitia und virtutes orationis: ut vitia ipsa aliis in carmine appellationibus nominentur …et laudem virtutis necessitati damus. Ein genaueres Bild vom Metaplasmus kann man sich allerdings erst bei den spätantiken Grammatikern machen. Vgl. z.B. das Kapitel De metaplasmo bei Donat GrLat IV 395,27–397,3 mit der Definition: Metaplasmus est transformatio quaedam recti solutique sermonis in alteram speciem metri ornatusve causa = Der Metaplasmus ist eine Art Umformung eines normalen Prosaausdrucks in eine andere Gestalt aus Gründen des Metrums oder des sprachlichen Schmucks. Es folgen vierzehn Unterarten, z.B. prosthesis: gnato (statt nato), tetulit (statt tulit), archaisierender sprachlicher Schmuck, oder epenthesis: relliquias (statt reliquias des öfteren bei Vergil, z.B. Aen. 1,30), metrische Dehnung des kurzen re- durch Doppelkonsonanz etc. Eine ausführliche Darstellung von Barbarismus und Metaplasmus findet man bei Lausberg HB §§ 479–495. 8,14 et schematismus et schemata: Die Überlieferung dieser beiden Termini ist hier zweifelsfrei, jedoch macht schematismós sachliche Schwierigkeiten. Verlockend ist die sich von der Fehlersymmetrie Barbarismus, Akyrologie und Solözismus her anbietende Gleichsetzung des schematismos mit der Akyrologie, denn dann stünde jeweils ein vitium einer lizensierten virtus gegenüber: Barbarismus : Metaplasmus /

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Akyrologie : Schematismus / Solözismus : Schema. Doch habe ich leider für eine derartige Bedeutung von schematismos in der mir zugänglichen Fachliteratur bis heute keinen Beleg gefunden. Es bleibt, wenn man, wie die meisten Herausgeber, schematismus eher für ein Synonym von schemata hält, dann entweder nur die Möglichkeit, schematismus als terminologische Variante von schemata im Text zu halten und statt et vor schemata vel oder seu zu lesen (= Metaplasmen und Figurierungen, bzw. Figuren) oder et schematismus herauszunehmen. (vgl. Winterbottoms Apparat z.St.). Unsere Beleglage spricht tatsächlich eher für eine dem schema nahe Bedeutung Figurierung, wenn z.B. Qu. selbst 9,1,13 von der oratio ἐσχηματισμένη, id est figurata spricht. Vgl. auch die weiteren Belege bei J. Ernesti, Lexicon technologiae Graecorum rhetoricae, Lipsiae 1795, 341–344, s.v. σχηματίζειν und σχηματισμός. Allerdings bleibt dann die terminologische Lücke der Lizenzform für die Akyrologie als Problem bestehen. Eine wirklich sichere Entscheidung ist an dieser Stelle wohl kaum möglich. 8,14 et schemata, ut dixi: 1,5,5 hatte Qu. die Nähe der Fehler Barbarismen und Solözismen zu den virtutes der Figuren angemerkt (nam saepe a figuris ea separare difficile est), den grammaticus aufgefordert, auf diesen feinen Unterschied besonders zu achten, und eine spätere Behandlung unter den Wortfiguren angekündigt. Qu. denkt hier vor allem an die lizensierten Solözismen, die schemata, die er dann tatsächlich erst suo loco, 9,3,2–11 behandelt, erwähnt hier aber den schemaBegriff noch nicht. Vgl. meinen ausführlichen Kommentar zur Stelle. Anders als im Fall des Metaplasmus wird aber der Schema-Begriff nicht erst in 1,8, sondern schon im Soloecismuskapitel 1,5,52–53 eingeführt und auf diese Stelle verweist hier das ut dixi zurück: Die beiden Wörter der Wortfügung tragoedia Thyestes stimmen z.B. im Genus nicht überein, der scheinbar fehlerhaft verbundenene Ausdruck ist aber durch die auctoritas der Alten gerechtfertigt. Überhaupt spielt beim schema eine lobenswerte Ausdrucksabsicht (ratio) des Dichters eine Rolle, entsprechende Fehler ohne Absicht und aus bloßer Unkenntnis (imprudentia) bleiben aber Soloezismen. Der Vorverweis auf 9,3,2–11 wird hier wiederholt. Vgl. wieder meinen ausführlichen Kommentar zur Stelle. Klarheit darüber, was man unter einem schema in der Bedeutung eines lizensierten Solözismus nun genau zu verstehen hat, verschafft also erst die Passage 9,3,2–11. Sie steht am Beginn der Behandlung der

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figurae verborum von 9,3. Dort werden 9,3,2 zwei genera von Wortfiguren unterschieden ein grammaticum genus, die hier gesuchten schemata der lizensierten Solözismen vom Typ pars in frusta secant (Vergil), und das rhetoricum genus, die eigentlichen rhetorischen Figuren wie geminatio, Anapher, Epipher etc. Ich habe entsprechende Beispiele für die grammatischen Schemata schon oben im Kommentar zu 8,14 contra legem loquendi sind posita vorgelegt. 8,14 non ut ex his utique improbentur poetae…et laudem virtutis necessitati damus…: Qu. ist immer wieder nachdrücklich darauf bedacht, dass die Dichter durch Identifikation von „Fehlern“ in der enarratio poetarum keine Herabsetzung vonseiten der Schüler erfahren. Darauf muss der Lehrer geradezu peinlich achten. Ursache der scheinbaren Abweichung von der Sprachnorm ist bei Dichtern vor allem der Verszwang (quibus quia plerumque servire metro coguntur), so Qu. an prononcierter Stelle noch 10,1,29, wo der Dichtung alligata ad certam pedum necessitatem (gebunden an den festen Zwang der Versfüße) Änderungen an den verba propria gegen die Norm ausdrücklich konzediert werden. Man verzeiht den Dichtern gern, gibt diesen „Fehlern“ sogar eigene Namen und macht so aus der Not eine Tugend (et laudem virtutis necessitati damus). Solche Erklärungs- und Verteidigungsversuche von Normabweichungen in der Dichtung finden sich 1,5,5 (s. vorheriges Lemma): der Lehrer braucht genaue Kenntnis dieser Abweichungen, 1,5,11: der Lehrer soll seine Barbarismusbeispiele selbst bilden und nicht aus der Dichtung beziehen, um die Dichter nicht der Gefahr der Verachtung auszusetzen, 1,5,13: eine bei Ennius abweichende Form wird durch sein Recht als Dichter verteidigt (poetico iure defenditur), 1,5,17f.: das zweisilbige Phae-thon wie bei Varro Atacinus kommt nur in der Dichtung vor, in der Prosa dürfe man es dreisilbig Pha-e-thon aussprechen, 1,5,18: metrische Dehnung oder Kürzung des i bei Vergil extra carmen non deprendas, sed nec in carmine vitia ducenda sunt = findet man außerhalb der Dichtung nicht, aber auch in der Dichtung soll man es nicht für einen Fehler halten. 1,5,35 zwei angebliche Fälle von Solözismus bei Vergil lässt Qu. nicht gelten, cum sit utriusque Vergilius auctor, weil Vergil der Urheber von beiden ist, 1,5,52f.: scheinbare Solözismen sind keine Fehler, sondern absichtsvolle Schemata und 1,6,2: sprachliche auctoritas sucht man bei Rednern und Historikern, nam poetas metri necessitas excusat = denn die Dichter entschuldigt

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der Verszwang. Dichter machen also keine Fehler, sondern sind durch metrischen Zwang oder bestimmte Ausdrucksabsichten entschuldigt. Der vorbildliche Lehrer hat sie in Schutz zu nehmen. 8,14 sed ut commoneat artificialium et memoriam agitet: um sie an die technischen Begriffe und Regeln zu erinnern und das Gedächtnis anzuregen (Subjekt ist der grammaticus). artificialia (Neutr. Plural von artificialis = künstlich, technisch) erklärt Colson 1924, 112 richtig als technical terms or perhaps rules. Die Behandlung von Metaplasmen und Schemata während der Dichterlektüre dienen also ausschließlich der terminologischen und sachlichen Einprägung grammatischer und rhetorischer Phänomene, nicht der Dichterkritik. 8,15 quot quaeque verba modis intellegenda sint: Es sind die verba homonyma gemeint, Wörter also, die mehrere Bedeutungen haben, so daß ein klärender Zusatz oder eine spezifizierende Erläuterung nötig wird, wenn man Verständnisschwierigkeiten vermeiden will. Qu. vermeidet hier den Fachausdruck und gibt auch kein Beispiel, holt aber 8,2,13 beides nach: Wenn man als Redner nicht gegen die perspicuitas der Rede verstoßen will, muss man bei Homonymen (in his, quae homonyma vocantur) Unterscheidungshilfen dazugeben, also z.B. durch Erläuterungen und Zusätze deutlich machen, welche Bedeutung man z.B. bei dem Wort taurus: das Tier, das Gebirge, das Sternzeichen oder eine Baumwurzel realisiert haben möchte. Entsprechend muss auch schon der Dichtung lesende Schüler die verschiedenen Bedeutungen eines Homonyms genau auseinanderhalten können, wie Priscian, Partitiones I, GrLat III 461,26ff. mit Beispielen aus Vergil verdeutlicht: arma kann bei ihm je nach Kontext Kriegswaffen, landwirtschaftliche Geräte, nautische Instrumente oder Küchengeräte bedeuten, in Vers 1,1, natürlich nur Kriegswaffen. Die homonyma sind bei den spätantiken Grammatikern eine geläufige Spezies der Appellativa, z.B. bei Donat IV 373,21f. sunt alia homonyma, quae una appellatione plura significent ut nepos, acies, aries. Nepos = Enkel, Neffe; acies = Messerschneide, Schärfe des Blicks, Schlachtordnung; aries = Widder, Rammbock, Sternbild. Die homonyma (= ein Wort hat mehrere Bedeutungen) stehen natürlich im Gegensatz zu den synonyma, bei denen mehrere Wörter wie ensis, mucro, gladius sich nur eine Bedeutung teilen (Schwert) (Donat IV 373,22f.). Über die Terminologie der spätantiken Grammatik zur Poly-

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semie, bzw. Homonymie informiert ausführlich Uhl 1998, s.v. Semantische Relationen, 521ff., bes. 544–547. 8,15 glossemata: glossemata, so Qu. hier, sind voces minus usitatas, also Wörter, die durch seltenen Gebrauch nicht mehr zum leicht verständlichen Normalwortschatz gehören und daher Erläuterungen nötig machen. Schon für den elementaren Schreibunterricht hatte Qu. 1,1,35 empfohlen, beim Wörterschreiben keine Normalwörter, sondern gleich entlegenere Ausdrücke (lingua secretior) zu wählen, um durch das damit verbundenen Erlernen ihrer Bedeutung Lernzeit zu sparen. Solche Wörter, fügt Qu. hier hinzu, heißen bei den Griechen γλῶσσαι. Qu. verwendet also beide Terminologievarianten glossemata und glossai. Qu.s Auffassung wird durch die glossographische Tradition seit Aristoteles, Poetik Kap. 21, bestätigt und detailliert: Unter einer Glosse sind alle Wörter zu verstehen, die nicht den ὀνόματα κύρια, dem Standardwortschatz der jeweiligen Sprechergemeinschaft, angehören, also z.B. Archaismen, Dialektwörter, Fremdwörter, Fachwörter u.ä. Sie wurden schon von der frühen Homerlektüre an lexikographisch gesammelt und als Verständnishilfe insbesondere für die Dichterlektüre herangezogen. Zur Geschichte der griechischen und vor allem der hellenistischen Glossographie vgl. R. Pfeiffer 1978, im Index 369 s.v. γλῶσσαι und zur Geschichte der römischen Glossographie umfassend immer noch Schanz-Hosius IV 2,246–257. Die römische Glossographie, in deren Tradition Qu. steht, hatte schon im 2. Jh. v. Chr. begonnen und zu einem ersten Höhepunkt mit dem Monumentalwerk De verborum significatu des Verrius Flaccus in augusteischer Zeit geführt. Die spärlich dokumentierte Frühzeit bis Varro dokumentiert Funaioli GRF pp. 111–113. Was die hier zur Debatte stehende enarratio poetarum betrifft, so gehörte die Erklärung der Glossen von Anfang an zu den Hauptaufgaben der Grammatiker. Bei Dionysios Thrax § 1 bildet sie zusammen mit der Sacherläuterung den dritten Teil der Grammatik: „Drittens die entschlossene Erklärung der Glossen und Realien“. In dem Tyrannion zugeschriebenen Vierermodell der Grammatik gab es ein órganon glossematikón, also glossographische Handbücher und Hilfsmittel, die für die enarratio dienstbar gemacht wurden. Vgl. meinen Kommentar zu 1,4,2. Leider liefert Qu. weder hier noch anderswo Beispiele für eine Glossenanalyse im Grammatikunterricht, denn weder die verba per-

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egrina 1,5,55–64 noch die Beispiele für die verba a vetustate repetita (1,6,39–41), noch die Beispiele für die aus der auctoritas gewonnenen Wörter (1,6,42) werden von ihm als Glossen gekennzeichnet. Ähnliches ist mir auch aus der übrigen römischen Grammatikerliteratur nicht bekannt. Einen gewissen Ersatz bietet nur Varros De lingua Latina Buch 7, indem ja Etymologien aus der Dichtung gesammelt werden und in diesem Zusammenhang auch die Erklärungen von glossae- und glossemata-Autoren (also beide Termini wie bei Qu.) herangezogen werden. 7,10: Quod addit (Ennius) templa ut sint tesca (tesca loca = Einöde), aiunt sancta esse, qui glossas scipserunt = Was das betrifft, dass Ennius hinzufügt, die Templa seinen „wildes Land“, so erklären die Glossographen, dass bedeute, die Tempel seien unverletzbar. Die zu erklärende Glosse lautet also tesca = sanctum. 7,34: Camillam (in einem Tragödienfragment des Pacuvius) qui glossemata interpretati dixerunt administram = Eine Camilla nannten die Glossemata erklärenden Autoren eine Dienerin. Die Glosse: Camilla = administra und 7,104: in Demetrio persibus a perite; itaque sub hoc glossema callide subscribunt = Im Demetrios (des Naevius) kommt das persibus (persibus, -a, -um = sehr schlau) von perite (kundig, bewandert, erfahren); daher schreiben sie unter dieses Glossema „callide = schlau“. Die Glosse: persibus = callidus. Homonyme und Glossen betreffen übrigens schon die „rhetorische“ virtus der perspicuitas, während die vitia orationis und deren Lizenzen von 1,8,14 noch der eigentliche Domäne des Grammatikers, dem emendate loqui, also der latinitas zuzuordnen waren. Vgl. 1,7,32 und das nächste Lemma. 8,16 tropos omnes…schemata utraque: Nach den Glossenerklärungen folgt die Identifikation der wichtigsten ornatus-Formen, der Tropen und Figuren, die insofern durchaus legitime Gegenstände auch des Grammatikunterrichts sind, weil sie in der Dichtung und in der Rede vorkommen (quibus praecipue non poema modo sed etiam oratio ornatur). Den Einbezug des ornatus hatte Qu. den Grammatikern schon 1,7,32 nicht abgesprochen, dessen Behandlung als dritte virtus elocutionis aber schon hier ohne genaue Angabe, aber mit der Begründung sed, cum mihi officia oratoris supersint, maiori operi reservo auf den ihm zukommenden Ort (8,3) in der Rhetorik verschoben. Vgl. meinen Kommentar zu 1,7,32 in Verbindung mit dem Kommentar zu 1,5,1. Entsprechend verschiebt er auch hier – wieder ohne genaue Stellenan-

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gabe, aber jetzt ganz ohne Begründung (nur das maiore cura deuet darauf hin, dass jetzt etwas rhetorisch Relevanteres folgt) – die Tropen und Figuren auf ihren Ort im ornatus-Teil der Rhetorik. Wohin genau verschoben wird und warum, wird erst aus 8,5,35, einer Stelle kurz vor Behandlung der Tropen in 8,6 deutlich, an der er den Vorverweis von 1,8,16 mit einem expliziten Rückverweis wieder aufnimmt: horum (der Tropen) tradere praecepta et grammatici solent, sed a me, cum de ilorum officio loquerer (1,8,16), dilata pars haec est, quia de ornatu orationis gravior videbatur locus et maiori operi reservandus = Die Vorschriften hierfür pflegen auch die Sprach-und Literaturlehrer zu geben. Jedoch habe ich, als ich über deren Aufgabe sprach, dieses Gebiet noch zurückgestellt, weil mir der Abschnitt über den Schmuck der Rede größeres Gewicht zu besitzen schien und deshalb der größeren Aufgabe vorbehalten zu bleiben verdiente (Rahn). Dass die Tropen und Figuren ihrer Bedeutung für den Redeschmuck entsprechend besser erst an ihrem Systemort in der Rhetorik besprochen werden sollten und nicht schon im Grammatikteil, ist sicher eine durchaus nachvollziehbare Begründung. Und jetzt wird auch der Systemort klar: Die Lehre von der Tropen und Figuren gehören zur dritten virtus elocutionis, dem ornatus (8,3–9,4). Die Tropen (Metapher, Metonymie etc.) werden 8,6 und die Figuren 9,1–3 behandelt, genauer 9,2 die Gedankenfiguren (schémata dianoías, figurae sententiae wie Rhet. Frage, Aposiopese, Apostrophe etc.) und 9,3 die Wortfiguren (schémata léxeos, figurae verborum wie Geminatio, Anapher, Epipher etc.). Dass insbesondere bei den Tropen, aber auch bei den Figuren die Zuständigkeitsbereiche von Grammatik und Rhetorik ineinandergreifen, zeigt z.B. 8,6,1, wo von einer inexplicabilis pugna der Grammatiker und Philosophen über die Genera, Spezies und Zahl der Tropen die Rede ist, vor allem aber auch die Tatsache, dass in Qu.s Darstellung der Tropen und Figuren zahlreiche Beispiele auch aus der Dichtung herangezogen werden. 8,17 Der letzte und wichtigste (praecipue) Schritt der enarratio poetarum ist die ästhetische Gesamtbewertung des gelesenen Textes, die nicht mehr lediglich Einzelphänome registriert und zugleich über die formal-sprachliche Seite hinausgeht, indem sie auch inhaltliche Kategorien (res, sensus) mit einbezieht. Ob dieser Schritt in den Systementwürfen der Grammatik dem sechsten Teil bei Dionysios Thrax, der krisis poiemáton, (Vgl. oben Kommentar zu 1,8,13–21) oder dem

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iudicium des Systems Tyrannion (Vgl. Kommentar zu 1,4,3) entspricht, ist ein schwieriges Problem, das ich an genannter Stelle schon diskutiert habe. Die Textinterpretation verfolgt eindeutig keine rein deskriptiven, sondern normativ wertende Intentionen, wie die Wortwahl unzweifelhaft kenntlich macht: virtus, decor, convenerit, laudandum, probabilis. Inhaltlich werden sieben Beobachtungsfelder unterschieden: 1. Oeconomia = der Aufbau, die Disposition (vgl. dazu oben meinen Kommentar zu 1,8,9) , 2. Res = der dargestellte Inhalt, das Thema, 3. Persona = die Personengestaltung, 4.sensus = der gedankliche Gehalt, 5.verba = die sprachliche Formulierung, 6. Copia = gestalterische Fülle 7. Modus = gestalterisches Maß, Zurückhaltung, Kürze. Wie die anaphorische Verknüpfung zeigt, bilden 1./2 (quae/quae) und 6./7. (ubi/ubi) Gegensatzpaare, während das quid, quid, quid von 3./4./5. eine Begriffstrias anzuzeigen scheint. Doch stehen auch hier 4.und 5. im Gegensatz. Wieder hat der Telegrammstil Qu.s die unangenehme Folge, dass kein Beispiel gegeben wird. Doch hat hier Colson 1924, 113f. den richtigen Weg gewiesen. Der Literaturüberblick von 10,1 zeigt konkrete Anwendungsbeispiele dieser Kategorien, so dass sich das abstrakte Schema mit lebendiger Anschauung füllen lässt. Hier eine Auswahl: Laut Theophrast (10,1,27) vermittelt die Dichtung wertvolle Inhalte, Formulierungen und Charaktere: in rebus spiritus (2.), in verbis sublimitas (5.) …in personis decor (3.). Den Homer hat niemand in magnis rebus (2.) sublimitate, in parvis (2.) proprietate übertroffen. Er ist tum copia (6.), tum brevitate (7.) mirabilis (10,1,46). Unübertroffen ist er auch in der dispositione totius operis (1.) (10,1,50). Antimachos (10,1,53) zeigt Defizite u.a. in der dispositio (1.), Panyassis (10,1,54) dagegen Vorzüge in der materia (2.) und der disponendi ratio (1.). Arats (10,1,55) Gestaltung der materia (2.) ist nachteilig, zudem fehlt ihm jegliche persona (3.). An Archilochos (10,1,60) ist seine vis elocutionis (5.) zu loben, weniger seine materia (2.). Pindar (10,1,61) besticht durch seine rerum verborumque copia (6.). Stesichoros (10,1,62) beweist Stärke in der Wahl seiner materiae (2.) und in der Gestaltung seiner personae (3.), allein es fehlt ihm am modus (7.) und so begeht er das vitium copiae (6.). Menander (10,1,69) brilliert, ita est omnibus rebus (2), personis (3) …accomodatus. Bei den römischen Dichtern zeichnen sich Accius und Pacuvius (10,1,97) durch gravitate sententiarum (4.), durch verborum pondere (5.) und auctoritate personarum (3.) aus.

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Damit sind die Kategorien konkretisiert. Der Dichter wählt bestimmte Inhalte und Stoffe (2.res), die der von ihm gewählten Gattung und Ausageintention angemessen sind, achtet auf die richtige Disposition seines Textes (1. oeconomia) wie auch auf die richtige Gestaltung seiner Personen (3. personae) und Charaktere. Er bemüht sich um eine angemessene Formulierung (5. verba) und wählt einen üppigen (6. copia) oder eine knappen (7. modus) Typ inhaltlicher und sprachlicher Gestaltung, der das jeweils rechte Maß nicht überschreiten darf. Wie man sieht, schwebt über allem die Kategorie des aptum, der Angemessenheit. In dieser Auswertung fehlen allerdings noch der sensus (4.). Diese Kategorie kommt, so weit ich sehe, im Literaturüberblick nicht vor, dafür aber mehrfach sententiae, ein Begriff, der nicht einfach anzeigen will, welche Meinungen, Ansichten die Dichter mit ihren Dichtungen transportieren wollen, sondern der viel eher in die Richtung der ornatus-Form „Sentenz“ geht, wie sie im Kommentar zu 1,8,9 bereits erläutert wurde. Vgl. z.B. Archilochos 10,1,60 oder Pindar 10,1,61 u.a. im Kommentar zu 1,8,9 genannte Autoren. Am ehesten kommt noch die gravitas sententiarum der römischen Tragiker von 10,1,97 dem sensibus an unsere Stelle nahe. Dennoch kann es, wie sich aus dem sonstigen Sprachgebrauch Qu.s ergibt, hier keinen Zweifel an der Bedeutung von sensus geben. sensus steht bei Qu. sehr häufig (wie hier) in Opposition zu den verba und bedeutet dann die sprachlich vermittelten Inhalte, Gedanken, Ansichten oder Meinungen des Autors einer Rede oder einer Dichtung. quid in sensibus laudandum kann also im Unterricht nur auf die auch uns noch geläufige Interpretationsfrage hinauslaufen: Welche Anschauungen vertritt der Dichter in seiner Dichtung? Was will er uns mit seiner Dichtung sagen? Welche mentalen Wirkungen will er erzielen? Die Herkunft des poetologischen Kategoriensystems Qu.s lässt sich im Einzelnen sicher nicht mehr rekonstruieren. Doch liegen die Einflüsse der peripatetischen Poetiktradition auf der Hand. Die sensus und verba erinnern sofort an die Kategorien der diánoia (Gedankenführung) und der léxis (Formulierung) in Kapitel 19 und 19–22 der aristotelischen Poetik. In der oeconomia lebt die aristotelische Mythoslehre fort (Kap. 7–14) und auch die personae sind bei Aristoteles im Kapitel 15 vertreten. Horazens ars poetica, die ja in der peripatetischen Poetiktradition des Neoptolemos von Parion steht, enthält wie bei Qu. unter der Grundkategorie des aptum Hinweise zur Disposition (ordo), zur

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Formulierung (facundia) und zur Wahl gattungsgemäßer Inhalte (res), sowie zur richtigen Gestaltung der res im Hinblick auf Handlungsführung (Mythos) und Charaktergestaltung (personae). Zur peripatetischen Herkunft der poetologischen Kategorien in der Terenzexegese des Donat vgl. Jakobi 1996, 144ff., 152ff., 159ff. und besonders 174f. 8,18–21 Wie schon oben im Kommentar zu 1,8,13–21 näher erklärt, folgt jetzt auf die enarratio verborum (§§ 13–17) die enarratio historiarum, die Sach- oder Realienerklärung des gelesenen Dichtertextes (§§ 18–21). Der Abschnitt gibt keinen konkreten Aufschluss über Gegenstände dieses Teils der enarratio und deren systematische Anordnung, wie das im ersten Teil noch versucht wurde, und wieder fehlen Beispiele. Der Text reduziert sich vielmehr auf den bloßen Schlussappell an die grammatici, jeden von ängstlicher Pedanterie (nimiae miseriae) und eitler Geltungssucht (inanis iactantiae) getriebenen Übereifer in der Sachkommentierung der Dichtertexte zu vermeiden, weil so nicht nur völlig überflüssige (supervacuam laborem), sondern auch lächerliche (deridicula), ja sogar skandalös peinliche Texterläuterungen (etiam pudenda) produziert werden. Das Wesentliche und allgemein Anerkannte darzulegen, reicht völlig aus (receptas aut certe claris auctoribus memoratas exposuisse satis est). Zu Recht wird Qu.s Apell Senecas Kritik an den Übertreibungen der Grammatiker im Rahmen seiner kritischen Revision der artes liberales im 88. Brief (epist. 88,37ff.) an die Seite gestellt, in dem übrigens wie bei Qu. 1,8,20 ebenfalls Didymus als exemplum malum eingeführt wird (88,37). Senecas Kritik hat übrigens den Vorteil, dass sie aufgrund ihrer Beispiele wesentlich anschaulicher und informativer als Qu.s Ausführungen sind. 8,18 enarratio historiarum: Lat. história ist ein griechisches Lehnwort = ਲ ੂστορία, das eigentlich Erforschen, Forschung, Erkundung bedeutet (ἵστωρ = wissend, kundig, Zeuge, ἱστορέω = fragen, forschen, berichten, erzählen). Es hat in Bezug auf den Gegenstände dieser Forschung zunächst ein weites Bedeutungsspektrum und meint Kunde, empirisch gewonnene Kenntnis jeder Art, wird also auch für Biologie, Botanik oder Naturkenntnis überhaupt, aber früh auch schon für geographische und historische „Kunde“ verwendet (weshalb der Titel der historia animalium des Aristoteles übrigens nicht mit „Tiergeschichte“, sondern mit „Tierkunde“ übersetzt werden sollte). Vom Akt des For-

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schens und Erkundens wurde ἱστορία auf die Ergebnisse der Forschung und dann auch auf die Darstellung dieser Forschungsergebnisse übertragen. Auf diesem Weg kam ἱστορία auch zu seiner Bedeutung „Geschichtsschreibung“, denn sprach noch Herodot am Anfang seines Geschichtswerks in der ursprünglichen allgemeinen Bedeutung von ἱστορίης ἀπόδεξις, von der „Darlegung seiner Forschung“, so ist der Begriff schon für Aristoteles zum festen Gattungsbegriff für „Geschichtsschreibung“ geworden (z.B. im Kapitel 9 seiner Poetik). historia diente dann in Übertragung des Titels griechischer Geschichtswerke auch in Rom als allgemeine Gattungsbezeichnung für Geschichtsschreibung und konkrete Geschichtswerke, so auch bei Qu., bei dem historia in der ganz überwiegenden Zahl der Belege (s. Bonell s.v. historia) eben diese Bedeutung hat. Vgl. besonders die berühmte Passage 10,1,31–34 (31: historia…est quodam modo carmen solutum). Vgl. dazu Ax 2000d. Im Kontext der antiken Grammatik – und das ist für die Erklärung unserer Stelle entscheidend – hat sich allerdings ein Rest der alten weiten Bedeutung von ἱστορία erhalten. Hier bedeutet das Wort nämlich, besonders im Plural nicht „Erzählung“ oder „Geschichtsschreibung“, sondern „Sacherläuterung, Realienerklärung“ eines poetischen Texts, dann auch „Sachen, Realien“ in der Dichtung selbst. Und diese Bedeutung hat Qu. viermal – und zwar immer im grammatischen Kontext – verwendet. 1,2,14 wird als eine der Aufgaben des Grammatiklehrers (si…historias exponat), die Darlegung von Sachfragen, Realienproblemen aufgezählt. 1,4,4 wird, um den hohen Bildungsanspruch des Grammatikerberufs zu beweisen, vom grammaticus gefordert, nicht nur Dichter zu lesen. Vielmehr muss jede Art von Schriftstellern durchgearbeitet werden non propter historias modo, sed verba = nicht nur wegen der Sacherläuterungen (bei der Dichterlektüre), sondern auch wegen der Wörter… Erst die Lektüre eines breiten, auch fachwissenschaftlichen Schrifttums versetzt den Lehrer in die Lage, die jeweils mit der gelesenen Dichtung verbundenen Sachfragen zu erläutern, so wie z.B. 1,4,4 am Ende gefordert wird, Philosophie zu studieren, um Empedokles, Varro und Lukrez erlären zu können. Also kann hier an der programmatischen Hauptstelle 1,8,20 die enarratio historiarum auch nur wieder Erklärung, Erläuterung von Sachfragen, Realien bei der Dichterlektüre bedeuten, und schließlich handelt es sich auch in 1,8,20 bei der historiae cuidam (jetzt im Singular), die Didymus zurückweist,

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nicht um eine „Geschichte“ oder eine „Erzählung“, sondern um einen Realienkommentar. Wie kam es zu dieser grammatischen Spezialbedeutung von historia? Die hellenistische (alexandrinische und pergamenische) Grammatik hatte von Anfang an die Erläuterung von Sachfragen unter dem Stichwort ἱστορίαι als eine der Aufgaben der Grammatik verstanden, ja sie sogar zu einem eigenen Teil der Téchne grammatiké (μέρος ἱστορικόν) erklärt. Darüber informiert ausführlich Sextus Empiricus (2. Jh. n. Chr.) in seinem skeptisch-kritischen Referat über die Grammatik im seinem Buch adversos grammaticos (Buch 1 der sechs Bücher adversus mathematicos). Vgl. dazu David L. Blank 1998. In §§ 91–96 führt Sextus drei Teile der Grammatik ein, von denen ich in meinem Kommentar zu 1,4,2 schon berichtet habe: das μέρος τεχνικόν, das μέρος ἱστορικόν und das μέρος ἰδιαίτερον. § 92 wird das μέρος ἱστορικόν kurz charakterisiert: Hier geht es um die Erklärung von Personen (Götter, Heroen, Mythen), um Örtlichkeiten wie Berge und Flüsse und um Fiktionen und Mythen. §§ 248–269 wird dann dieser Realienteil der Grammatik ausführlicher vorgestellt. Schon der Kratesschüler Tauriskos (2./1. Jh. v. Chr.) unterschied ein μέρος ἱστορικόν (§ 249), Dionysios Thrax fordert als dritten Teil der Grammatik die Erklärung von Glossen und von ἱστορίαι (§ 251) und auch Aklepiades von Myrlea (2./1. Jh. v. Chr.) unterschied in seiner Dreiteilung (§ 252) wieder ein μέρος ἱστορικόν. § 257 erfahren wir dann etwas über eine Systematisierung der ἱστορίαι: Solche Erläuterungen betreffen Orte, Zeitangaben, Personen und Handlungen, in der enarratio poetarum also: geographische Angaben (Aracynthus ist ein Gebirge in Attica), Zeitangaben (Xenophanes von Kolophon wurde in der 40. Olympiade geboren), Personen und Handlungen (Plato hieß zunächst Aristocles, trug einen Ohrring, Pythias , die Tochter des Aristoteles war dreimal verheiratet etc.). Auch das Tyrannion zugeschriebene Vierermodell der Grammatik (4 Teile, 4 Organa, s.o. Kommentar zu 1,4,2) enthielt übrigens ein ὄργανον ἱστορικόν. Kein Zweifel historiae sind Sachinformationen geographischer, botanischer, zoologischer, historisch-politischer oder mythologischer, biographischer und anderer Art, die wir noch heute zum Verständnis von Dichtung brauchen (etwa ein botanisches Handbuch bei der Lektüre der Georgica Vergils oder ein mythologisches zu Ovids Metamorphosen) und die uns auch heute noch zu Handbüchern und Realienlexika greifen lassen.

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8,18 receptas aut certe claris auctoribus memoratas exposuisse satis est: Zu ergänzen ist nach 1,2,14 historias. receptae historiae sind allgemein anerkannte, gewöhnliche, übliche Sacherläuterungen ohne Herkunftsnachweis. Wenn ein solche Nachweis für nötig gehalten wird, sollte er sich wenigstens (certe) auf berühmte Autoren beschränken. Wir erfahren leider keine Namen, gemeint sind aber offenbar, wie das Beispiel Didymus 1,8,20 zeigt, die berühmten alexandrinischen Philologen Aristophanes, Aristarch und deren Nachfolger mit ihren Kommentaren und Monographien, aus denen jedenfalls die griechischen grammatikoí ihre Informationen schöpften. Vgl. Pfeiffer 1978, 261ff. 8,18 Persequi quidem…vacatura: Erläuterungen auch noch der entlegensten und unbedeutendsten Autoren in der enarratio heranzuziehen, zeugt auf der Lehrerseite von übertrieben ängstlicher Pedanterie und eitler Geltungssucht und verbraucht bei den Schülern unnötigerweise wichtige Lernkapazitäten. 8,19 scidas: Blätter, Zettel, Miszellen, also jede auch noch so entlegene Randnotiz. 8,19 anilibus fabulis: Altweibergeschichten, Ammenmärchen, von anus,-us, f. = alte Frau (mit negativer Konnotation). 8,19 pleni sunt eius modi impedimentis: voll von hinderlichem Ballast dieser Art. Die Grammatiker haben sich gewöhnlich von Warnungen vor einem supervacuus labor (1,8,18) nicht abschrecken lassen und eine Masse völlig überflüssiger Erläuterungen in ihre Kommentare aufgenommen. 8,19 grammaticorum commentarii: Wie der unmittelbar durch nam angeschlossene Beispielautor Didymus zeigt, ist hier wohl weniger an schulische Kommentarnotizen, sondern an die professionellen philologischen Dichterkommentare der Alexandriner, die ὑπομνήματα, gedacht, wie sie Pfeiffer 1978, 261ff. darstellt. 8,20 Didymus: Didymus wird hier als abschreckendes Beispiel für einen Ballastphilologen karikiert, der eine derartige Kommentarmasse angehäuft hat, dass er die Übersicht über sein eigenes Werk verlor, eigene Erläuterungen vergaß und, mit einem von ihm selbst vertretenen Sachkommentar konfrontiert, diesen als nichtig zurückwies. Es ist die Rede von dem berühmt-berüchtigten alexandrinischen Philologen

Kapitel 8

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Didymus Chalkenteros (Metalldarm) aus spätrepublikanischer und frühaugusteischer Zeit. Vgl. das ausführlichste und ausgewogenste Urteil über ihn bei Pfeiffer 1978, 331–337. Er hat sich vor allem wegen seiner „erstaunlichen gelehrten Kraftleistungen“ (Pfeiffer 322) einen Namen gemacht. Wegen seiner immensen Verdauungsfähigkeit von Textmassen erhielt er den Spitznamen „Metalldarm.“ Bis zu 4000 Bücher soll er geschrieben haben, so viel, dass er sich nicht mehr an alle erinnern konnte. Man nannte ihn daher auch Βιβλιολάθας = Büchervergesser. Vgl. neben Qu. noch Athenaios IV 139 c und Seneca, epist. 88,37. Senecas Bild ist ein wenig überzogen und gehässig: Wer die artes studiert, lernt nicht Notwendiges (necessaria), sondern Überflüssiges (supervacua). Quattuor milia librorum Didymus grammaticus scripsit; misererer, si tam multa supervacua legisset. In his libris de patria Homeri quaeritur, in his de Aenea matre vera, in his libidinosior Anacreon an ebriosior vixerit, in his an Sappho publica fuerit, et alia, quae erant dediscenda, si scires…= Viertausend Bücher hat der Philologe Didymus geschrieben, ich wäre unglücklich, wenn er so viel Überflüssiges gelesen hätte. In diesen Büchern wird nach der Vaterstadt Homers gefragt, in diesen Büchern nach der echten Mutter des Aeneas, in diesen Büchern, ob Anakreon mehr der sexuellen Lust oder der Trunksucht ergeben gelebt hat, in diesen Büchern, ob Sappho eine Prostituierte gewesen ist, und anderes, das man verlernen müsste, wenn man es wüsste… Pfeiffer wird Didymus an geannter Stelle gerechter. 8,21 Quod evenit: quod = diese Art von Kommentierung (nämlich als supervacuus labor). Der relative Anschluß quod bezieht sich also auf den gesamten vorhergehenden Kontext bis zu § 18. 8,21 fabulosis: Das Adjektiv bedeutet „mythologisch, sagenhaft“ und ist hier zu einem Neutrum Plural substantiviert (= in Sagenhaftem). Vgl. 2,10,5; 2,4,18; 11,2,16 und 5,13,24. Gemeint sind also zu kommentierende Texte aus dem mythischen, nur von Dichtung und Sage überlieferten Zeitraum, der aufgrund seiner noch nicht im Licht der Geschichte liegenden Dunkelheit Raum für spekulierende und fingierende Deutungen lässt. 8,21 deridicula/pudenda: Die Überflüssigkeiten (supervacua) vieler grammatischer Kommentare steigern sich in der Mythologie weiter bis hin zu Lächerlichkeiten, diese dann noch weiter zu pudenda, zu Schamlosigkeiten. Leider gibt Qu. weder für die deridicula noch für die

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Kommentar

pudenda Beispiele. Für die deridicula könnte Seneca 88. Brief einspringen. Schon die Beispiele für die von Didymus behandelten Sachfragen (88,37 s.o. Komm. zu 1,8,20), besonders die Frage, ob Anakreon eher ein Sexualprotz oder ein Trinker, oder, ob Sappho eine Prostituierte war, galten sicher als Lächerlichkeiten. In diese Kategorie passt wohl auch das Beispiel von 88,40: Der Grammatiker Apion (1. Jh. n. Chr.) behauptete, Homer habe nach Beendigung seiner beiden Epen, das erste Wort der Ilias (μῆνιν) mit μ (= 40) und η (= 8) beginnen lassen, um die Gesamtbuchzahl von Ilias und Odyssee (48 Bücher) anzuzeigen. Was die pudenda Qu.s betrifft, so tappen wir in Bezug auf die Lügen der improbissimi grammatici über ganze Bücher und Autoren der mythologischen Frühzeit völlig im Dunkeln, da keinerlei Namen oder sachdienliche Hinweise gegeben werden. Die Qu.-Kommentare schweigen deshalb dazu, nur Russell (Loeb Vol. 1, 208, Anm. 16) glaubt eine Beleg für fingierte Autoren mit Plutarchs Moralia 305A–316B gefunden zu haben. Doch bleibt hier alles unsicher. 8,21 nam in notioribus…a curiosis: Die notiora sind im Gegensatz zu den fabulosa Dinge, die uns näher stehen, also bekannter sind und daher auch bessere Kontrollmöglichkeiten für lügenhafte Fiktionen bieten. curiosus bedeutet hier „aufmerksam, sorgfältig“ und hat m.A.n. keine negative Konnotation, wie Colson 1924, 115 vermutet. 8,21 Ex quo mihi…aliqua nescire: Eine gelungene pointierte Sentenz, die offenbar weiter gewirkt hat, wie Colson 1924, 115 mit Verweis auf Juv. 6,451 und Tacitus, hist. 1,83 belegt. Auch Zitate bei Renaissanceautoren erwähnt Colson, allerdings ohne nähere Angabe. 9,1 Das Kapitel 1,9 gehört eigentlich nicht mehr zur ars grammatica, sehr wohl aber noch zum Grammatikunterricht, denn in diesem Kapitel werden die rhetorischen Vorstudien (Progymnasmata) beim Grammatiklehrer behandelt. Zumindest der erste Satz von 1,9,1 ist aber immer noch 1,4–8 zuzurechnen, weil er einen Hinweis darauf gibt, dass nun der zentrale Gegenstand der ars grammatica mit ihren beiden Teilen ratio loquendi (1,4–7) und enarratio auctorum (1,8) an sein Ende gekommen ist. Dieser Satz ist zugleich ein die gesamte Behandlung der ars verklammernder Rückverweis auf den Beginn der Abhandlung 1,4,2: haec igitur professio, cum in duas partes dividatur, recte loquen-

Kapitel 8

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di scientiam et poetarum enarrationem,… Aus diesem Grund habe ich 1,9,1, Satz 1 noch in diesen Kommentar aufgenommen. 9,1 quarum illam methodicen, hanc historicen vocant: Die pars methodice ist der erste sprachtechnische Teil der Grammatik (ratio loquendi), die pars historice der zweite texterläuternde Teil (enarratio auctorum). Wie die Adjektive zeigen, liegt dieser Unterscheidung eine bereits griechische Fachdiskussion zugrunde. methodice bedeutet methodisches, systematisches, geordnetes, regelhaftes Vorgehen, das nur im sprachtechnischen Teil, der ratio loquendi, erreicht werden kann. historice dagegen kommt von historia in der erläuterten grammatischen Bedeutung „Sacherläuterung, Kommentar“ und meint daher die kommentierende Erläuterung am Dichtertext entlang, die naturgemäß den jeweils zufallsbedingt im Text vorkommenden Phänomenen folgt und daher nicht den systematisch-technischen Charakter der Sprachlehre erreichen kann. In diesem Sinne hatte schon der Kratesschüler Tauriskos dem historicon eine ἀμέθοδος ὕλη, ein unmethodisches Material, zugewiesen (Sext. Emp. adv. gramm. 1,249). Und Sextus selbst wiederholt dies, wenn er ebenda 253f. als Mehrheitsmeinung der Grammatiker referiert, dass sie das μέρος ἱστορικόν für ἄτεχνον mit einer ἀμέθοδος ὕλη gehalten hätten. Noch bei den spätantiken römischen Grammatikern findern wir der Sache nach dieselbe Zweiteilung wie bei Qu., jedoch mit anderen Adjektiven und in umgekehrter Reihenfolge. Vgl. Diomedes GrLat I 426,15–18: grammaticae partes sunt duae, altera, quae vocatur exegetice, altera horistice. exegetice est enarrativa, quae pertinet ad officia lectionis: horistice est finitiva, quae praecepta demonstrat, cuius species sunt hae, partes orationis vitia virtutesque. So auch Marius Victorinus GrLat VI 2–4. exegetice entspricht also Qu.s historice und der enarratio auctorum und horistice (von hóros = Begriff, Definition) Qu.s methodice und der ratio loquendi. Weitere Stellen bei Colson 115f. und bei Glück 1967, 21–23.

Bibliographie Diese Bibliographie versteht sich nicht nur als Nachweisbibliographie, sondern auch als Arbeitsbibliographie. Es wurden nämlich auch Titel in die Bibliographie aufgenommen, die aus verschiedenen Gründen nicht explizit in den Kommentar eingegangen sind. Solche Titel sollen dem interessierten Leser die Weiterarbeit ermöglichen. Andererseits wurden einmalige stellengebundene Literaturhinweise nicht immer in die Hauptbibliographie aufgenommen. Sie werden dann vor Ort vollständig zitiert.

1. Abkürzungsverzeichnis FDS: Fragmente zur Dialektik der Stoiker GRF: Grammaticae Romanae Fragmenta

s. Hülser (1987–1988) s. Funaioli (1907) und Mazzarino (1955) GrLat: Grammatici Latini s. Keil (1855–1880) GrGr: Grammatici Graeci s. Grammatici Graeci (1867–1910) Lausberg HB s. Lausberg (1973) RHH: Rubenbauer-Hofmann-Heine s. Rubenbauer-HofmannHeine (1995) Die genauen bibliographischen Angaben der im Kommentar zitierten Literatur finden sich in der Bibliographie. Hier nicht aufgelöste Abkürzungen gängiger Ausgaben und Standardwerke lassen sich leicht über die Handbücher wie Lexikon der Alten Welt, Der Neue Pauly, Der Kleine Pauly etc. ermitteln.

2. Ausgaben und Kommentare zu Quintilian, Institutio oratoria 1,4–8 Colson, F.H. (1924), Marcus Fabius Quintilianus, Institutionis Oratoriae liber I, Cambridge, 37–115 (mit lateinischem Text und ausführlichem Kommentar). Cousin, J. (1975), Quintilien, Institution oratoire, Texte établi et traduit (Collection Budé), Paris 1975–1980, 7 Vol., Vol. 1 (1975), 77–129

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Indices

Index locorum Die folgenden Indices beziehen sich ausschließlich auf die Kapitel 1,4,1–1,9,1. Daher ist die Buchangabe 1 vor dem fettgedruckten Kapitel jeweils weggelassen, also ist z.B. 4,28 = Buch 1, Kapitel 4, § 28 zu lesen.

Augustus, Epistulae, fragm. incert. 7,22 Asinius Pollio, fragm. inc. 43 ORF Malcovati 6,42 Caelius Rufus, fragm. 30 ORF Malcovati 5,61 Caelius Rufus, fragm. 31 ORF Malcovati 6,29 Caelius Rufus, fragm 32 ORF Malcovati 6,42 Caesar, De analogia, Test. 2 Papke 7,35 Caesar, Dicta collectanea (?) 8,2 Cato maior, fragm. incertum 49 Jordan 6,42 Catull, carmen 84 5,20 Catull, carmen 97,6 5,8 Cicero, De inventione 8 5,61 Cicero, De natura deorum 1,95 5,72 Cicero, De oratore 2,274.275 5,65 Cicero, Epistulae ad Marcum filium (fr.VIII.6 Watt) 7,34 Cicero, Orator 154 5,66 Cicero, Orator 155 6,18 Cicero, Orator 157 5,44 Cicero, Pro Milone 28 5,57 Cicero, Pro Scauro, fragm. 45h 5,8 Cicero, Topica 35 6,28 Ennius, Annalen, fragm. 68 und 70 6,12 Ennius, Annalen, fragm. 126 Vahlen 5,12 Fabius Pictor F 7e Beck und Walter 6,12

Homer, Odyssee 11,131;23,278 5,67 Homer, Ilias 4,125 und Odyssee 9,134 5,72 Horaz, Ars poetica 311 5,2 Horaz, Briefe 2,1,192 5,57 Horaz, Satiren 1,6,104 5,57 Licinius Calvus, fragm 35 ORF Malcovati 6,42 Livius, Ab urbe condita 1,12,1 5,44 Lucilius, Satiren, Buch 9, fragm. 349 Krenkel 6,8 Lucilius, Satiren, Buch 9, fragm. 353–357 K. 7,15 Lucilius, Satiren, Buch 9, fragm. 364 K. 7,19 Lucilius, Satiren, fragm. 1338 K. 5,56 Messala Corvinus ORF fragm. 27 Malcovati 5,61 Messala Corvinus, fragm. 29 ORF Malcovati 6,42 Messala Corvinus, Liber de s littera, fragm.1 GRF Funaioli 7,23 Messala Corvinus, Liber de s littera, fragm 1– 4 7,35 Ovid, Metamorphosen 13,1 5,43 Pacuvius, TRF, fragm. 408 Ribbeck 5,67 Persius, Satura 5,71 5,8 Terenz, Andria 129 4,28 Terenz, Phormio 36 7,22

Varro Atacinus, Argonautae fr. 10 FPL Blänsdorf 5,18 Varro (M.T.), De lingua Latina 5,34 und 76 6,37 Varro, De lingua Latina 5,76 6,38 Vergil, Aeneis 1,1 5,27 Vergil, Aeneis 1,2 5,18 Vergil, Aeneis 1,41 5,18 Vergil, Aeneis 1,365 5,43 Vergil, Aeneis 2,1 5,43 Vergil, Aeneis 4,254– 5 5,25 Vergil, Aeneis 4, 525 5,28 Vergil, Aeneis 6,179 4,28 Vergil, Aeneis 7,464 7,18 Vergil, Aeneis 9,26 7,18 Vergil, Aeneis 10,1 4,28 Vergil, Aeneis 10,770 5,65 Vergil, Aeneis 12,208 6,2 Vergil, Bucolica 1,11– 12 4,28 Vergil, Bucolica 1,15 6,2 Vergil, Bucolica 3,69 6,2 Vergil, Bucolica 6,62– 63 5,35 Vergil, Georgica 2,74 5,35 Vergil, Georgica 3,243 5,28 Zwölftafelgesetz, fragm. I 7 6,11

Index nominum Insofern Eigennamen Beispiele grammatischer Lehre sind, erscheinen sie im Index rerum.

Accius 7,14; 8,11 Aelius, Lucius Stilo 6,36 Antonius Gnipho 6,23 Antonius Rufus 5,43 Aristarchus 4,20 Aristoteles 4,18; 6,28 Augustus 6,19; 7,22 Asconius Pedianus 7,24 Asinius Pollio 5,8,56; 6,42; 8,11 Caecilius 8,11 Caelius, Marcus Rufus 5,61; 6,29,42 Caesar, Caius Iulius 5,63; 7,21,34; 8,2 (?) Caius Caesar (Enkel und Adoptivsohn des Augustus) 6,19 Calvus, Licinius 6,42 Cato, Marcus Porcius Censorius 6,42; 7,23 Catullus 5,8,20 Cicero, Marcus Tullius 4,11,14;

5,8,13,44,57,60,61,65, 66,72; 6,18,28,37; 7,20,34; 8,11 Claudius, Caesar Augustus 7,26 Didymos Chalkenteros 8,20 Duilius 7,12 Empedokles 4,4 Ennius 5,12; 6,12; 8,11 Fabius Pictor 6,12 Fundanius 4,14 Gallus, Cornelius 5,8 Gavius Bassus 6,36 Homerus 5,67; 8,5 Horatius, Quintus Flaccus 5,2,57; 8,6 Hortensius, Quintus 5,12 Labienus, Titus 5,8 Livius, Titus 5,44,56; 7,24 Lucilius 5,56; 6,8; 7,15,19; 8,11 Lucretius Carus 4,4 Menandrus 8,8

Messala Corvinus 5,15,61; 6,42; 7,23,35 Modestus 6,36 Pacuvius 5,67; 8,11 Palaemon, Remmius 4,20 Persius 5,8 Scipio Africanus 7,25 Sisenna, Lucius Cornelius 5,13 Stoici 4,19 Terentius, Publius Afer 8,11 Theodectes 4,18 Tinga Placentinus 5,12 Varro, Publius Atacinus 5,18 Varro, Marcus Terentius 4,4; 6,12,37 Vergilius, Publius Maro 5,35; 7,18,20; 8,5 Vettius Philocomus 5,56

Index rerum Dieser Index bezieht sich ebenfalls ausschließlich auf den Text von 1,4,1–1,9,1 und enthält sowohl die wichtigsten grammatischen Kategorien, z.B. 1,4,20 vocabulum, als auch die dazu gehörigen Beispiele (z.B. domus). Hier erscheinen auch die Eigennamen, die Beispiele für grammatische Phänomene darstellen, z.B. 1,4,16 Alexanter. Die grammatische Terminologie Quintilians ist allerdings nicht vollständig erfasst. Hierzu wird auf den Kommentar und auf die Arbeit von Schreiner 1954 verwiesen. Der Index orientiert sich vor allem am lateinischen Text, aber es sind auch einige deutsche Lemmata aufgenommen. Über die Stellenangaben zu den Lemmata kann man leicht zur ausführlichen Besprechung der grammatischen Phänomene und der Beispiele im jeweiligen Kommentar zur Stelle gelangen. Die Angabe 1 für Buch 1 ist wieder weggelassen, die fetten Zahlen beziehen sich wieder auf die Kapitel, die normalen auf die Paragraphen des Kapitels, also 1,4,11 = 4,11. Der Index gibt nicht den dispositionellen Zusammenhang der Kategorien (etwa Arten des Barbarismus, Solözismus) wieder. Dazu sind die Gliederungen vor den jeweiligen Kapiteln und die zahlreichen dispositionellen Hinweise im Kommentar heranzuziehen. Der Index zielt vor allem auf das Einzelphänomen, insbesondere auf die Beispiele.

-a (Nominativ)/-á (Ablativ) 7,3 ablativus (casus) 4,26; 5,59; 7,3 abs-temius 7,9 abstulit 5,69 Achilli 5,63 acuta (prosodía oder syllaba), acutus (tenor oder sonus) 5,22–24, 30–31 ad/at 7,5 adcentus/accentus 5,22,25,28 adfectus 8,7 adiectio 5,6,14,16,38,40 adsentior/adsentio 5,13 adseveratio 4,20 adspiratio (=h) 4,9,14; 5,19 adverbium/-ia 4,19,29; 5,48,50 aedi 5,20 Aegypto venio 5,38 Aenea 5,61 Aeolica littera (digamma) 7,26 Aeolica ratio 6,31

Aeolicum digammon 4,8 Aeolis 4,16 Afrum nomen 5,8 ager (agere) 6,37 Agrippa 4,25 ai/ae-Diphthong 7,18 aiio 4,11 Alba/Albani/Albenses 6,15 Alexanter 4,16 amarae corticis/medio cortice 5,35 ambulo viam 5,38 amisit 5,69 analogia 5,13; 6,1,4,11,12,15,16 anastrophé 5,40 Anchisa 5,61 Änderungskategorien 5,10,38f; 6,32 (s. quadripertita ratio) antegerio 6,40 Anticato 5,68 aper/apri 6,13 apex 4,10; 7,2 appellatio 4,19,20,21,27,28

Appi 5,23 apte dicere 5,1 Aptota (Monoptota) 6,25 aquai 7,18 arbos 4,13 Argiletum 6,31 articulus/-i 4,19 Asprenas 5,62 Atrei 5,24 atticismos 8,8 auctores (summi) 6,42 auctoritas 5,5,63; 6,1,2,11,42 audaciter/audacter 6,17 audivisse 6,17 aufugit 5,69 aurei/argentei 7,16 autem non habuit 5,39 avêre 6,21 b littera 4,15 balare 5,72 barbare loqui 5,9 exclamasse 6,45 barbarismus loquendo/ dicendo 5,6,17 barbarismus scribendo 5,6

420 barbarismus/barbarismi 5,5,6,10,12,16 barbarum 5,7,9. barbara 8,14 Belena 4,15 Beneventum 6,31 biclinium 5,68 bipennis 4,12 Bruges 4,15 Bruti 6,31 Burri 4,25 Burrus 4,15 C littera (= Gaius) 7,28; ം inversa (= Gaia) 7,28 c littera 7,10 cadit/éxcidit 4,13 caedit/excîdit 4,13 caelibes 6,36 caelum (als appellatioBeispiel) 4,20 calcat/exculcat 4,13 calefacere 6,21 calidus/caldus 6,19 Calypsónem 5,63 Camillus 5,22 canere/cantare 8,2 Canopitarum/Canobon 5,13 canticum 8,2 cantus 5,8 Capitolium 6,31 capsis (cape si vis) 5,66 carmen 8,2 casamo (e Gallia ductum) 5,8 Cassantra 4,16 Castórem 5,60 casus ablativus 4,26; 5,59; 7,3 casus genetivus 5,62,63 casus nominis 5,45 casus rectus 4,13 casus septimus 4,26 casus sextus 4,26 casus/cassus 7,20

Indices

caussa/causa 7,20 Ceres/Cereris 6,14 Cethegus 5,23 chenturiones 5,20 choronae 5,20 círcum/circúm 5,25–27 clamos 4,13 classis (a calando) 6,33 coelostomia 5,32 cognatio (litterarum) 4,12 coit 5,69 collos (mask) 6,42 columna/columa 7,29 commentarii (grammaticorum) 8,19 commentariola profitentium 5,7 comoediae 8,7,8 comparatio 5,45 comparatio similium (verborum ) 6,4,5,7 compendium 4,22 complexio 5,6,17 comprehendere 5,21 coniicit 4,11 conire/coire 6,17 coniunctio/-ones 4,18; 5,50 conpositae (voces) 5,65 conservavisse 6,21 consonantes 4,6,10,11; 5,20 consuetudo 5,5,63; 6,1,3, 16,30,43,44; vetus loquendi consuetudo 6,43; 7,11,30 consul a consulendo 6,32 consul/cosul 7,29 conticuere/consedere (-erunt) 5,43 convinctiones 4,18,19 copia 8,17; copia verborum 8,8 coppa 4,9 Cordus 4,25 Cottae 4,25

cui/quoi 7,27 Culchidis 4,16 cum/quom 7,5 curritur 4,28 cuspis 6,25 d littera 4,16 d littera am Ende altlateinischer Wörter 7,12 dativus (casus) 4,26 de susum 5,38 declinatio 4,13 declinare 4,22,27,29 declinatio nominum 6,5 decor rerum 8,17 dederont 4,16 deminutio 6,4,6 detractio 5,6,16,38,40 deum 6,18 deus 4,20 devenere (devenerunt) 5,43 dice 6,21 dice/dicam 7,23 dicto 4,29 dictu 4,29 Diove 4,17 disyllaba (verba) 5,31 Ditis (minime dives) 6,34 diu 4,29 divisio 5,6,17 divisiones/divissiones 7,20 dixere (-erunt) 5,43 domu/domo; domuum/ domorum 6,5 domus 4,20 Dreisilbengesetz (s. lex trium syllabarum) 5,29–30 dua/dua pondo 5,15 dubia 6,38; 7,1 Duellii/Bellii 4,15 duellum/bellum 4,15 e littera 4,8 e re publica 5,69

Index rerum

ebur 6,22,23 ei-Diphthong 7,15 elegantia 8,8 elegia 8,6 elementa 4,6 élleipsis 5,40 eloquentia 4,5 emendate loquendi/scribendi partes 7,32 emendate loqui 5,1 emicavit/emicuit 6,17 enarratio (poetarum) 4,2,3 enarratio (historiarum) 8,18, (auctorum) 9,1 enim hoc voluit 5,39 epiraedium 5,68 episynalyphe 5,17 epitogium 5,68 eruditio 4,6; 5,11; 6,31; 8,8,10 etiam 4,20 etymologia 6,1,28,29,35, 38 euphonia 5,4 Europa-i/Asia-i 5,17 Euthia 5,61 exanclare 6,40 ex-specto/ex-pecto 7,4 face 6,21 facie/faciam 7,23 faciliter 6,17 facto 4,29 factu 4,29 faedi 4,14 fasciatim 4,20 fatendi modus 6,7 femur 6,22 fero (verbum defectivum) 4,29; 6,26 fervƟre/fervƝre 6,7–9 fides causarum 8,10 figurae (orationis) 5,5 figurae (rhetorische Figuren) 8,16 fletur 4,28

flexa (prosodía oder syllaba) 5,22–23,30–31 flexus 8,1,3 fordeum 4,14 fraudator 4,28 frugi 6,29 frugi/frugalis 6,17 funis m. oder fem. 6,5,6 furei 7,15 Fusii/Furii 4,13 fusus 6,25 g littera am Ende altlateinischer Wörter 7,12 Gaius/Gaii/Caiae 7,28 Galbae 4,25; 7,19 Gallica 5,57 Gallus 5,68 genera verbi 4,27; 5,41 genus commune 4,23 genus promiscuum/epicoenon 4,24; 6,12 genus/-era nominum 4,23; 5,45; 6,5 gladia 5,16 gladiola 6,42 glossemata 8,15 Glycerium 4,24 Gnaeus (=Cn) 7,29 Gracci 5,20 Graeca figura 5,64 graguli (gregatim) 6,37 grammatice 4,2 (professio),5 (ars),6; 5,1,54 (ars grammatica); 7,34; 8,12 grammaticus/-i 4,1 (Graecus/Latinus),3,7,10; 5,5,7,25,59; 7,1,30,32; 8,13,19,21 gravis (prosodía oder syllaba), (tenor oder sonus) 5,22–24 gurdi 5,57 guttur 6,22;23

421 h littera (s. adspiratio, littera adspirationis) 4,9; 5,19 habitatur 4,28 haru-spex 7,9 Hecoba 4,16 hendecasyllabi 8,6 here/heri 4,8; 7,22 Hermagora 5,61 heroum carmen 8,5 hinnire 5,72 Hispania 5,57 Hispanum nomen 5,8 historia/-ae 4,4; 8,18,20 historice (pars der Grammatik) 9,1 historici 6,2,11 Homo (humo natus) 6,34 Homonyme 8,15 hordea 5,16 hyperbatón 5,40 i littera 4,8, (geminata)11,17; 7,16 iam 4,10 iambus 5,28 iecur 6,22 igitur 5,39 ignavi 5,69 in Alexandriam 5,38 incompositus 5,65 incurvicervicum 5,67,70 infinita (verba) 6,7 inmunis/immunis 7,8 inmutatio 5,6,12, (mutatio)16,41 innocens 5,65 inperterritus 5,65 inpropria 8,14 inscriptiones 5,20 interiectio/-nes 4,19; 5,51 intro/intus 5,50 inversio 5,40 iota adscriptum 7,17 iotacismus 5,32 irci 5,20

422 ischnotes 5,32 Italia 6,31 (Etymologie) Îtalia/Italia 5,18 Italica 5,57 itur 4,28 iudicium 4,3; 5,72; 6,2,3; 7,30; 8,5 Iuno 5,63; 6,25 Iuppiter (nomen defectivum) 6,25 iussi/iusi 7,21 k littera 4,9; 7,10 labdacismus 5,32 labos 4,13 Laenates 4,25 Langvokale, doppelte Schreibung 7,14 lases 4,13 Latina ratio 5,59,63 Latini auctores (comoediae) 8,8 Latium 6,31 lavando/lotus/inlutus 4,13 leber 4,17 lectio 4,3 lectio 4,3; 8,1,2,5,12; lectio virilis 8,2; effeminata 8,2 lectus (-i,m. Bett) 4,20 legére (legerunt) 5,42 lepus (levipes) 6,33 lepus/lupus 6,12 lex trium syllabarum 5,29–30 licet 4,29 lingua Latina 5,60 littera adspirationis (=h) 4,9 litterae 4,12, necessariae 4,7 redundent 4,9 lodices 6,42 Longi 4,25; 6,38 lucus (a parum lucendo) 6,34

Indices

Ludi Floralia ac Megalesia 5,52 ludus (longissime a ludo) 6,34 Lupercalia 5,66 lupus 6,12 lurcinabundus 6,42 lusus 6,25 lyrici 8,6 Maecenas 5,62 magester 4,17 magnum peculiolum 5,46 Maiia 4,11 maleficus 5,65 malevolus 5,68 málus/malus 7,3 mappa 5,57 Marcipores 4,26 marmur 6,23 mastruca 5,8 Menerva 4,17 merére (mereris) 5,42 meridies/medidies 6,30 mertare 4,14 merula (mera volans) 6,38 metaplasmus 8,14 methodice (pars grammatices) 9,1 metri necessitas 6,2 metrum 4,4; 5,28; 8,14 Mettoeo Fufetioeo 5,12 mihi/mehe/me 5,21 modi verbi (status/qualitates verbi) 5,41 modus 8,17 mulsa 5,16 Murena 4,24 murmurare 6,38 musice 4,4 mutae (litterae) 4,6 mutatio litterarum 7,13 mutationes (litterarum) 4,13 n litterae 5,60

nam enim 5,38 navigatur 4,28 ne hoc fecit 5,38 ne/non (feceris) 5,50 Nerei 5,24 noctivagus 5,68 noctu 4,29 nomen deminutum 5,46 nomen patrium 5,45 nomen possessivum 5,45 nomen/-ina (als Wortart) 4,18,19,20,22; 5,45,48 nomina feminina (mit maskulinem natürlichen Geschlecht) 4,24; 5,54 nomina neutralia (mit femininem natürlichen Geschlecht) 4,24; 5,54 notatio 6,28 novi (poetae) 8,9 numeri verbi 4,27; 5,42 numerus dualis nominis (apud Graecos) 5,41 numerus dualis verbi 5,42 numerus pluralis verbi 5,42 numerus singularis verbi 5,42 numerus/-i nominis 5,45 nummum 6,18 nutritor 4,28 o littera (apud Graecos) 7,11 o littera 4,16; 5,60 obliqui casus 6,22,25 observatio 6,1,16 Odysseús/Olysseús 4,16 oeconomia 8,9,17 officia rhetoris 7,32 Olympus 5,62 onomatopoiía 5,72 Opiter 4,25 optimus/optumus 4,8; 7,21 optinuit/obtinuit 7,7

423

Index rerum

oratio 8,16 oratio dilucida 5,1 oratio emendata 5,1 oratio ornata 5,1 oratores 5,62; 6,2,11; (summi) 8,10 ordo (auctorum) 4,3 ordo (declinationis) 4,29 originatio 6,28 origo nominum 4, 25 ornamentum eloquentiae 8,10 ornatus 5,1 ornatus orationis 8,16 orthoépeia 5,33; 6,20 orthographia 4,17; 7,1,11 paciscor/pactus sum 6,10 pago 6,11 Palaemo 5,60 pálus/palús 7,3 panditur domus 4,28 Pansae 4,25 parricidatus 6,42 partes orationis (Wortarten) 4,17,20; 8,13 participialia 4,29 participium/-ia 4,19,27; 5,47 Patavinitas 5,56 pater/patris 6,13 pedes (Versfüße) 8,13 pedisecus 5,68 Pelia 5,61 pepigi 6,10 Perfektbildung des Verbs 6,15 personae 8,18, (comodiae) 8,7, persona (poetae) 8,3 personae verbi 4,27; 5,41 perspicuitas (orationis) 6,41 petorritum 5,57 petuita (quia petat vitam) 6,36

Phae-thon/Pha-ë-thon 5,17 philosophia 4,4 Phonetische Schreibung vorrangig 7,31 pictai vestis 7,18 piget 4,29 pinnus 4,12 plasma 8,2 plateasmos 5,32 Plato 5,60 Plauti 4,25 pleonasmós 5,40 ploxenum 5,8 Pluralia tantum 6,25 poema 8,16 Poeni 5,57 poeta/-ae 4,1,4,; 5,52; 6,2; 8,2,3,14 Postumus 4,25 potus 4,29 praechones 5,20 praelegere 8,13 Praenestini 5,56 praepositio,.-nes 4,13,19; 5,51,65,67,68,69 praepositiones iunctae/ separatae 7,7 praeteritum (tempus) 6,10,15,26 pransus 4,29 precula/pergula 5,12 prima positio 5,60,65; 6,10f,22,25 probaveront 4,16 progenies/-ei 6,26 pronomen/-ina 4,19; 5,47,51 proportio 6,4 prorsa (oratio) 5,13,18; 8,2 prosapia 6,40 proshegoria 4,21 prosodíai 5,22 prosopopoieia 8,3 Publicolae 6,31

Publipores 4,26 puerei 7,15 pueri 8,7,12 Pulixena 4,16 pultare 4,14 puppis 6,25 Pythici 6,31 q littera 4,9 quadripertita ratio (Änderungskategorien) 5,38 quále/qualé 5,26 qualitates verbi 4,27 quase/quasi 7,24 quicquid/ quidquid 7,6 quire 6,26 Quirinalis (collis) 6,31 quoque ego 5,39 quotidie/cotidie 7,6 raeda 5,57,68 ratio 6,1,16 ratio loquendi (als erster Teil der Grammatik) 9,1 reconditus 5,65 recte loquendi scientia 4,2 regula (regere) 6,33 regula (sermonis) 6,44; (loquendi) 7,1; (scribendi) 7,1 repandirostrum 5,67 rex (regere) 6,33 rhythmi 4,4 robur 6,22,23,24 Rufi 4,25; 6,38 s littera 4,14 Sabini 5,56 Saliorum carmina 6,40 sanctitas 8,2;9 sapiens 4,27 Sardum nomen 5,8 scabillum 4,12 scala 5,16 scamnum 4,12 Scauri 4,25

424 schema/schemata (grammatische Figuren) 5,52,53,54 schemata (grammatische Figuren) 8,14 schemata lexeos 8,16; dianoeas 8,16 schematismus 8,14 Scipiones 4,25 scivisse 6,17 scopa 5,16 scribendi ratio 4,3 scripsére (-erunt) 5,42,44 secat/secuit 4,13 semivocales 4,6 Semivokale, doppelte Schreibung 7,14 senatus (ab aetate) 6,33 senatus/-uis/-i/-us 6,27 sensus (poematis) 8,17 sententiae 8,9 Serani 4,25 sermo 6,1,16; vetus sermo 6,43 sermo Graecus 5,58 sermo Romanus 5,58 seruom/seruum 7,26 seruus 4,8 sibe/sibi 7,24 sidera 4,4 significanter/ornate dicendi partes 7,32 simplices (voces) 5,65 Singularia tantum 6,25 Solitaurilia/Suovetaurilia 5,67 soloecismus in gestu 5,36 soloecismus in singulis verbis factus 5,36–38 soloecismus per genus 5,35 soloecismus/soloecismi 5,5,34,48,49 Solözismus (contra legem loquendi posita) 8,14 sonus 5,6,19,32,33

Indices

sonus litterarum 4,7 sotadei (versus) 8,6 spatium 5,6,18 spes/sperum 6,26 spiritus 8,1 stella (luminis stilla) 6,35 stertere 6,38 stlites 4,15 stlocus 4,15 subabsurdum 5,65 Subura (= Suc.) 7,29 Sufenas 5,62 Sullae 4,25; 7,19 sulpur 6,22,23 superfui/supterfui 5,68 superlatio 5,45 syllaba ex tribus vocalibus facta 4,10 syllabae 4,17 syllabae unius (verba) 5,31 synairesis 5,17 syndesmos 4,18 t littera 4,16 tectum 4,27 tegula (tegere) 6,33 Telamo 5,60 tempora verbi 5,41 tenores/tonores/tónoi 5,22 tenuére (-erunt) 5,44 Terei 5,24 topper 6,40 tractio 4,20 tragoediae 8,6,8 tragoedia Thyestes 5,52 tragoediarum scriptores 5,21 transmutatio (inversio) 5,6,12,13,39 Trasumennus/Tarsumennus 5,13 tre/tre pondo 5,15 tribunale 6,17 Triquetra/Triquedra 6,30 triumpi 5,20

tropi 8,16 tuburcinabundus 6,42 turbatur 4,28 Tusci 5,56 tyránnus 5,62 u littera 4,8,11,16 Ulixes 4,16; 5,62 (Ulixi) unîus/únius 5,18 uos 4,10 urgere 6,26 uulgus 4,8,11 Valesii/Valerii 4,13 vapos 4,13 vehementer 5,21 velocitas (velox) 6,38 ventus 4,20 Venus/Veneris 6,14 verba (ab aere verberato) 6,34 verba composita 5,3,65 verba ficta 5,3 verba Graeca (nomina Graeca) 5,58,63 verba nostra/Latina 5,3,55,58 verba peregrina 5,3,55 verba plura 5,2 verba propria 5,3,71 verba simplicia 5,3 verba singula 5,2,3,6 verba tralata 5,3,71 verba usitata 5,3,71 verbum/verba (generaliter=Wort,Wörter) 5,2 verbum/verba (pars orationis=Wortart) 4,18,22,27,28,29; 5,41,47,48 veriloquium 6,28 veritas 6,32; 7,8 versus herous 5,28 verum 5,13 vesperug 7,12 veteres Latini (poetae) 8,8 veterum poemata 8,10

Index rerum

vetustas 5,5; 6,1,39 Victore 4,17 virgo 6,25 virilis/virilitas 8,2,9 virtus (als vocabulum) 4,20 virtus/virtutes orationis 5,1,5 vitia (dicendi) 8,14

vitia oris et linguae 5,32 vitium/vitia orationis 5,1,3,5,6 vocabulum 4,20,21,29; 5,45,47 vocales 4,6,10,11; 5,20 vocales duae (=Diphthong) 4,10 vocalis longa (doppelt geschrieben) 4,10

425 vocalitas 5,4 volo/volui/volavi 6,15 volúcres/vólucres 5,28 Vopiscus 4,25 vorsus/versus 7,25 vortices/vertices 7,25 vox 8,1 vulpus (volipes) 6,33