Quellenedition zur Geschichte des jüdischen Theaters in Wien [Reprint 2013 ed.] 3484651423, 9783484651425

Die Quellenedition zur Geschichte des jüdischen Theaters in Wien umfaßt 79 Dokumente aus den Jahren 1880 bis 1955, davon

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Quellenedition zur Geschichte des jüdischen Theaters in Wien [Reprint 2013 ed.]
 3484651423, 9783484651425

Table of contents :
Ideen, Initiativen und Vereinsgründungen
Theateraufführungen und Kritiken
1902-1932: Richtungen und Tendenzen
1933-1938: Antisemitismus und Zionismus auf der Bühne
Musik im jüdischen Theater
Gastspiele in Wien und von Wien ausgehend
Schauspieler: Jubiläen, Erinnerungen, Nachrufe
Politik, Antisemitismus und Exil
Anhang
Zur Edition
Schriftenverzeichnis
Autoren
Dramen
Schauspieler
Quellennachweise und Stellenkommentare
Register
Personen und Werke
Körperschaften, Institutionen, Vereine und Periodika
Theater, Spielstätten und Ensembles
Orte
Danksagung und rechtliche Hinweise

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Conditio Judaica

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Studien und Quellen zur deutsch-jüdischen Literatur- und Kulturgeschichte Herausgegeben von HansBodenheimer, Otto Horch Mark H. Gelber und Jakob Hessing in Verbindung mit Alfred

Brigitte Dalinger

Quellenedition zur Geschichte des jüdischen Theaters in Wien

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2 0 0 3

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-65142-3

ISSN 0941-5866

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2003 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Nädele Verlags- und Industriebuchbinderei, Nehren

Inhalt

Ideen, Initiativen und Vereinsgründungen

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Theaterauffuhrungen und Kritiken 1902-1932: Richtungen und Tendenzen 1933-1938: Antisemitismus und Zionismus auf der Bühne Musik im jüdischen Theater Gastspiele in Wien und von Wien ausgehend

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Schauspieler: Jubiläen, Erinnerungen, Nachrufe

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Politik, Antisemitismus und Exil

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Anhang Zur Edition Schriftenverzeichnis Autoren Dramen Schauspieler Quellennachweise und Stellenkommentare

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Register Personen und Werke Körperschaften, Institutionen, Vereine und Periodika Theater, Spielstätten und Ensembles Orte

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Danksagung und rechtliche Hinweise

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Ideen, Initiativen und Vereinsgründungen

Martin Buber

Eine Jungjüdische Bühne In dem Artikel »Die Förderung jüdischer Dramatik« (Nr. 43 der »Welt«) hat Pantarhei die Gründung einer jüdischen Bühne angeregt, die theils dem jüdischen Milieudrama in deutscher Sprache, theils den dramatischen Erzeugnissen einer aufblühenden original-jüdischen Literatur gewidmet wäre. Dieser Gedanke ist gewiss von manchem unserer Leser einfach als ein phantastischer Einfall betrachtet worden, der keinesfalls hier und jetzt zur Wirklichkeit werden könnte. Andere werden wohl über die Hindernisse ernsthafter nachgedacht haben. Da dürften sie auf folgende Momente gekommen sein: 1. Wir haben kein Publicum. 2. Wir haben kein Repertoire. 3. Wir haben kein Capital. Und mit diesen drei Gründen war das Project abgethan. Nun sieht es freilich zunächst so aus, als ob die auf solche Weise Argumentierenden recht hätten. Denn wir haben, wenn wir an ein ständiges jüdisches Theater denken, gegenwärtig in der That keines von jenen drei Dingen. Wir haben kein Publicum. Wenn man nämlich in den westeuropäischen Centren, an die gedacht wird, einerseits von der indifferenten Bourgoisie [!], die man erst sehr langsam heranziehen müsste, andererseits von den wenig oder nichts besitzenden Classen, die etwa für Feiertags-Vorstellungen zu ermässigten Preisen in Betracht kämen, absieht, so bleibt durchaus kein Publicum, das genügen würde, um ein so compliciertes Theater, wie das projezierte, mit seinen zwei Truppen (der deutschen und der jüdischen) zu erhalten. Namentlich wird dies nicht der Fall sein können, wenn das Repertoire ein so kleines sein wird, wie es bei unserer Bühne in ihren Anfängen sein muss. Es ist zwar meiner Überzeugung nach richtig, dass ein jüdisches Theater viele Talente wecken, viele nach dem Drama hinlenken würde. Aber in seiner ersten Zeit, bevor es eine hinreichend bekannte und anerkannte Institution sein wird, um solchen Einfluss auszuüben, wird die Zahl der zur Verfügung stehenden Stükke eine sehr geringe sein. Sie wird zu gering sein, um die - noch so knapp begrenzte - Theatersaison auszufüllen. Dieses so kleine Repertoire schliesst aber noch eine weitere grosse Schwierigkeit in sich. Es soll, wie in dem Artikel Pantarheis ausgeführt wurde, abwechselnd deutsche und jüdische Stücke bringen. Dazu bedarf es, wie ich

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schon erwähnt habe, selbstverständlich zweier Truppen: einer deutsch und einer jüdisch sprechenden. Von den Schwierigkeiten der Zusammenstellung beider will ich hier nicht reden. Aber es ist vor allem für ein Theater, das noch durchaus nicht auf ein festes Publicum rechnen kann, für ein Theater, dessen Saison auf eine sehr kurze Zeit beschränkt ist, vom primitivsten finanziellen Gesichtspunkte aus völlig unmöglich, zwei Truppen zu erhalten. Oder um es kurz zu sagen: wir werden das für die Errichtung und Entwicklung einer so beschaffenen jüdischen Bühne erforderliche Capital in der nächsten Zeit nicht zusammenbringen. Ich habe dieser zustimmenden Erörterung die Worte vorausgeschickt: »Wenn wir an ein ständiges jüdisches Theater denken.« In diesem Falle scheinen mir in der That jene drei Gegengründe[,] der Mangel an Publicum, an Repertoire, an Capital, unwiderlegbar zu sein, unwiderlegbar wenigstens für die erste, entscheidende Zeit der Bühne. - Aber wir denken gar nicht an ein ständiges Theater. Wir denken an Aufführungen einer Jungjüdischen Freien Bühne, die in regelmässigen oder zwanglosen Zwischenräumen stattfinden würden. Und damit fallen jene drei Argumente zu Boden: einer Freien Bühne gegenüber sind sie völlig unhaltbar. Was ist eine Freie Bühne? Die Bühne einer Gesellschaft, die für ihre Mitglieder von Zeit zu Zeit erlesene dramatische Vorstellungen veranstaltet, zumeist von künstlerisch wertvollen Stücken, die aus irgendeinem Grunde in den öffentlichen Theatern gar nicht, oder doch sehr selten aufgeführt werden. Eine Freie Bühne bietet folgende Vortheile: 1. Sie hat ihr festes Publicum, d. h. die Mitglieder der Gesellschaft, auf das sie rechnen kann und an das sich bei den einzelnen Vorstellungen ein loseres »Einzelpublicum« angliedern kann. 2. Sie braucht kein grosses Publicum, da ihr für ihre Absichten und Mittel ein kleines, aber sicheres genügt. 3. Sie braucht kein grosses Repertoire, da ihr für ihre verhältnismässig wenigen Auflührungen ein kleines, aber erlesenes genügt. 4. Sie braucht keine ständigen Truppen, da sie sich, mit Geschick geleitet, aus den bestehenden öffentlichen Bühnen ihr jeweiliges Personal zusammensuchen und zugleich künstlerisch begabte Dilettanten zu ihren Aufgaben erziehen und heranziehen kann. 5. Sie braucht, wie nicht weiter ausgeführt werden muß, keine grossen Mittel, und wird durch die subscribierenden Beitragszahlungen der Mitglieder in die Lage versetzt, das Gebotene den Verhältnissen anzupassen. Werden diese aus langjähriger Erfahrung gewonnenen Grundsätze auf das vorliegende Project angewendet, so wäre zur Errichtung einer Jungjüdischen Bühne zunächst die Bildung eines aus Sachkundigen und Financiers bestehenden Comités erforderlich. Dieses hätte dann drei Actionen durchzuführen: 1. Die Gründimg der Gesellschaft. 2. Die Zusammenstellung des Repertoires. 3. Die Zusammenstellung des Personals. Die Gründung der Gesellschaft hätte selbstverständlich auf streng geschäftlicher Grundlage zu geschehen. Bei der Zusammenstellung des Repertoires wäre natürlich auch, wie dies schon Pantarhei angedeutet hat, an Preisausschreiben zu denken.

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Bei der Zusammenstellung des Personals wäre fur die jüdische Abtheilung das Haupt-Augenmerk auf die in den betreffenden Städten anderweitig gastierenden (ich denke hierbei theils an entsprechende Entschädigung, theils an Veranstaltung von Matinées) oder dahin fur [ein] Gastspiel heranzuziehenden Jargontruppen, die natürlich zu ihrer neuen Aufgabe herangebildet werden müssten, zu richten. *

Trotz alledem glaube ich nicht, dass sich der Plan schon in allernächster Zeit verwirklichen lassen wird. Ich habe aber die Ueberzeugung, dass die Anregung früher oder später aufgenommen und durchgeführt werden muss. Doch dürfte ein kleiner Schritt hierzu bereits in diesem Winter in Wien unternommen werden: die Veranstaltung von Abenden und Matinées, die zwar zunächst einer von jüdischer Musik umrahmten Vorführung lyrischer und epischer Dichtung gewidmet sein sollen, aber doch, wie ich hoffe, durch die Bekanntmachung der bestehenden Talente, durch die Schaffung einer ersten künstlerischen Tribüne mittelbar auch der Förderung jüdischer Dramatik dienen werden. Soeben erfahre ich, dass auch in Berlin ähnliches geplant wird, unabhängig von unseren Bestrebungen und ohne Kenntnis von ihnen. In diesem geringen Umstände äussert sich für mich das allerorten aufkeimende Sehnen der jungjüdischen Dichtung nach Geltung und Sonnenlicht. [Die Welt, Jg 5, Nr 45, 8. November 1901, S. 10-11]

Aufruf Verein »Jüdische Bühne« Der vor kurzem in Wien gegründete Verein »Jüdische Bühne« hat sich zur Aufgabe gestellt, jüdische Kunst zu fördern und zu propagieren. Unter jüdischer Kunst verstehen wir alle diejenigen Schöpfungen jüdischer Dichter und Künstler, die vom jüdischen Milieu ihren Ausgangspunkt nehmen, die besondere jüdische Note zu Kunst verdichten. Es ist ja wahr, daß echte Kunst nicht an das nationale Moment gebunden ist, aber auch ganz losgelöst von der Volksseele kann sie nicht werden. Und gerade in der Ueberleitung vom Volklichen zum Allmenschlichen liegt das Eigenartige jeder nationalen Kunst. Wir glauben nun, daß die Zeit schon gekommen ist, die bisher nur vage empfundene jüdische Nuance, klar und in konzentrierter Form zum Ausdruck zu bringen. Es ist selbstverständlich, daß diese Nuance bei den jüdischen Dichtern, die nur für das jüdische Publikum, in den jüdischen Umgangssprachen Osteuropas, Hebräisch und Jüdisch, schreiben, am deutlichsten hervortritt. Und deshalb wenden wir dieser osteuropäisch-jüdischen Literatur hauptsächlich

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unsere Aufmerksamkeit zu, wobei wir natürlich auch künstlerische Produktionen jüdischer Dichter in den westeuropäischen Sprachen nicht ausschließen. Da wir nun überzeugt sind, daß die Volksseele und Volksstimmung sich am plastischesten im Drama ausdrückt, so bildet die Förderung und Pflege des jüdischen Dramas die Hauptaufgabe des Vereines »Jüdische Bühne«. Wir laden hiermit alle, die sich fur unsere Sache interessieren, ein, dem Vereine beizutreten. Der Mitgliedsbeitrag beträgt fur ein Jahr 6 Kronen. Beitrittsanmeldungen werden im Vereinsbureau, IX., Porzellangasse 38, Th. 28, täglich von 9 bis 12 Uhr entgegengenommen. Der Verein hat seine Tätigkeit bereits damit begonnen, daß er sich mit dem künstlerischen Ensemble des Herrn Egon Brecher zwecks Auffuhrung von Stücken jüdischer Autoren ins Einvernehmen gesetzt hat. Die Aufführungen finden jeden Sonntag Nachmittag im Intimen Theater statt und beginnen am 24. Jänner 1. J. Es werden folgende Stücke zur Auffuhrung gelangen: Schalom Asch: Mit dem Strom (Schauspiel in 2 Akten). A. Coralnik: Roter Schnee (Einakter) und Sünde. J. L. Perez: Die Schwestern (Einakter). David Pinski: Eisik Scheftel (ein jüdisches Arbeiterdrama in 3 Akten) und Vom Glück vergessen (Einakter). Scholem Aleichem: Die Versprengten (Lustspiel in 3 Akten). P. Hirschbein\ Der Schinder (Tragödie in 4 Akten). [Jüdische Zeitung, 22. Januar 1909]

Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien Wir erhalten folgende Zuschrift: Seit der Konferenz in Czernowitz im Jahre 1910 wurden vielfach allerorts Versuche unternommen, ein jüdisches Theater zu schaffen, das im Gegensatz zu den auf Geschmacklosigkeiten des Publikums spekulierenden sogenannten jüdischen Bühnen ein rein künstlerisches Interesse vertreten soll. Die Armut der jüdischen Masse im Osten und das geringe Interesse der wohlhabenden Kreise standen bisnun der Durchführung des Unternehmens entgegen. Und so kam es, daß das große östliche Judentum kein einziges Theater besaß, das man nicht eine Bude nennen mußte, eine Bude, die hie und da Beweise lieferte, daß sowohl beim Publikum wie auch bei den Schauspielern Kräfte lebendig sind, die die jüdische Volkskunst auf ein höheres Niveau bringen könnten. Nun wurde jüngst in Wien eine »Freie jüdische Volksbühne« begründet. Der Zweck des Vereines ist, der jüdischen Kunst zu einem würdigen Dasein und dem jüdischen Wiener Publikum zu einem nationalen Theater zu verhelfen. Als Inaugurations- und Weiheabend veranstaltet die »Freie jüdische Volksbüh-

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ne« am Samstag den 7. Juni um lA 3 Uhr nachmittags im Carl-Theater ihre erste Vorstellung. Zur Auffuhrung gelangt Newejle von Perez Hirschbein. Auch für weitere Vorstellungen wird dem Verein das Carl-Theater in Aussicht gestellt, und so wäre eine der schwierigsten Fragen in Wien: die Raumfrage, gelöst. [Wiener Morgenzeitung, 25. Mai 1919]

An alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa Der »Klub der jiddischen und hebräischen Schriftsteller in Wien« macht auf diesem Weg alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa darauf aufmerksam, daß er der europäische Vertreter der »dramaturgenlige« in New York ist. Zu dieser gehören fast alle jiddischen Theaterautoren, die in Amerika leben. Auch die Familien der verstorbenen Dramatiker sind als Rechtsnachfolger Mitglieder der erwähnten Liga. Die Direktoren werden deshalb aufgefordert, sich umgehend mit dem Klub der jüdischen und hebräischen Schriftsteller Wien IX Hahngasse 28/15 in Verbindung zu setzen. Dieser ist berechtigt, die Tantiemen fur die New Yorker »Yidishe dramaturgenlige« zu kassieren. Der Schriftstellerklub macht aufmerksam, daß er mit allen Mitteln von Gesetz und Recht sein gerechtes Ziel verfolgen wird, und er wird, ein- fur allemal, auch in Europa den zynischen »herrenlos«-Standpunkt abschaffen, der gegen die Theaterautoren gerichtet ist, und auf dem leider der Großteil der jiddischen Theaterdirektoren beharrt. Die guten Resultate, die die strenge und feste Organisation der »dramaturgenlige« in Amerika hat, sollten den andersdenkenden jiddischen Theaterdirektoren in Europa eine Warnung sein, daß auch bei uns in dieser Sache bald Ordnung sein wird. [Jüdische Morgenpost, 15. Juli 1921 (jidd.)]

An die jüdischen Vereine Wiens! Die »Jüdischen Künstlerspiele« beginnen zum drittenmale eine neue Spielzeit. Zwei Jahre schwerer, verantwortungsvoller Arbeit liegen hinter uns. Zwei Jahre hindurch haben wir versucht, das Interesse der jüdischen Bevölkerung Wiens für unsere Bestrebungen zu gewinnen und festzuhalten. Es galt, die Werke der ernsten und heiteren jüdischen Literatur einem Kreise vorzufuhren,

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Ideen, Initiativen und Vereinsgründungen

der Herz und Sinn hat fur das Gefühl- und Geistesleben des Judentums, wie es in den Bühnenwerken der jüdischen Literatur zum Ausdruck kommt. Mit Genugtuung können wir feststellen, daß breite Kreise des jüdischen Wien mit unserem Wirken sympathisieren. Die Aufführungen der Bühnenstücke von Schalom Alejchem, J. L. Peretz, A. Kazisne, Schalom Asch, David Pinski, Jakob Gordin und die zahlreichen heiteren Bühnenwerke fanden ein Publikum, das sich bei uns heimisch fühlte und uns ermunterte, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Um aber unser Repertoire ausbauen zu können, bedürfen wir des regen Interesses geschlossener jüdischer Gruppen, wie sie in den zahlreichen gesellschaftlichen, philantropischen und Bildungsvereinen zum Ausdruck kommen. Diese allein vermögen, nicht nur unsere administrative, sondern auch unsere künstlerische Existenz im jüdischen Wien sicherzustellen. In diesem Sinne richten wir an die jüdischen Vereine Wiens die Aufforderung und das Ersuchen, sich an uns wegen Abschlusses von Vereinsvorstellungen zu wenden und uns ihre Vorschläge zu unterbreiten. Wir sind überzeugt, daß derart beide Teile, die Vereine und wir, ihren beiderseitigen Interessen und der Förderung des jüdischen Theaterwesens am besten dienen werden. Jüdische Künstlerspiele. Wien, II., Praterstraße 34. [Die Stimme, 24. Oktober 1929]

Jüdischer Schauspielerverein in Wien Die in Wien lebenden jüdischen Schauspieler haben sich zu einem »Jüdischen Schauspielerverein« zusammengeschlossen, der bereits seine Tätigkeit begonnen hat. In kurzer Zeit wurden 10 000 Bausteine á 10 Groschen abgesetzt und die nötigen Vorkehrungen getroffen, um ein Heim zu schaffen. Der Verein hat es sich zum Ziel gesetzt, die jüdische Kultur zu fordern und das jüdische Theater auf eine höhere Stufe zu bringen. In den Vorstand wurden gewählt: M. Siegler (Obmann), N. Breitmann (2. Obmann), M. Pastor (Sekretär), I. Valberg (1. Kassier), O. Horowitz (2. Kassier), M. Herschkowits (Revisor), A. Weismann (Beisitzer). In der ersten Sitzung wurden zu Ehrenmitgliedern ernannt die Herren Dr. Glanz, E. Hirschel, D. Mauer (Warschau), Geltner, Dr. Desider Friedmann, M. Maier, Dr. B. Kinsbrunner, Julius Krupnik, I. L. Pipersberg, Dr. L. Plaschkes, Oberbaurat R. Stricker, Dr. Radoj (russischer Konsul), Dr. Oskar Rosenfeld, Dr. Israel Waldmann, Jacques und Heinrich Singer. - Die gegenwärtig in Rumänien und in der Tschechoslowakei gastierenden Truppen werden hiemit aufgefordert, ihre alten Legitimationen einzusenden, damit diese gegen neue eingetauscht wer-

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Vereinsgründungen

den können. - Herr J. Goldfließ hat dem Jüdischen Schauspielerverein die Lokale der »Jüdischen Künstlerspiele« als provisorischen Sitz zur Verfugung gestellt. II, Praterstraße 34 (Café Reklame). [Die Stimme, 7. November 1929]

Uriel Birnbaum

Prolog Gesprochen von Ina Mare bei der Eröffnung des Jüdischen Kulturtheaters Verkümmerte Trödler durchhasten die Gassen um Geld Weißbärtige sitzen in winkligen Klausen und lernen Und Jünglinge ackern den heiligen Boden zu Feld Entflohene suchen ihr Brot über meerweiten Fernen: Zehntausende Wege, sich schneidende, ohne ein Ziel, Gewimmel von Menschengeschicken gleich Sand und gleich Sternen, Vom Lichte des Sabbaths und Glut der Pogrome erhellt Geschicke in Städten und Wüsten, Palästen, Kasernen: So groß und so weit, so verwirrt ist die jüdische Welt! Aus Nebeln sich lösend, endloser Vergangenheit Weiten, Auftauchte das jüdische Volk an der Wüstenwelt Rand, Empor in das Glück, in die gottnahe Freiheit zu schreiten, Zur heiligen Höhe von Zion... Doch Zion, es fiel, Und durch der Jahrhunderte Blutdunst in duldendem Streiten Zog Israel hin - zieht es heimwärts ins heilige Land: Die jüdische Welt ist zerstreut durch die Fülle der Zeiten! O jüdischer Weg aus der Knechtschaft zu Glück und Zerstörung! O jüdischer Weg durch die Wüsten der Welt zur Erhörung! O jüdische Leben, hinschwankend auf haltlosem Kiel! O jüdische Welt voller gläubiger Kraft und Empörung: Umfaßt, überblickt dich ein Geist? Und durch welche Beschwörung? Die jüdische Ehre und Schande und Sünde und Sühne Zum Bilde gestalte sie sich in gesteigertem Stil... Schrumpf ein, du unendliche jüdische Welt: Werde Bühne! Erhabene Wahrheit des Volkes, enthüll' dich im Spiel! [Die Garbe, Jg 3, Nr 26, Dezember 1935]

Theateraufführungen und Kritiken 1902-1932: Richtungen und Tendenzen

J. W. Marmorek

Ein jüdisches Theater in Wien In einer sonst nicht sonderlich belebten Strasse der Leopoldstadt kann man an jedem Abende vor dem halbgeschlossenen Tore eines gewöhnlichen Zinshauses eine kleine Tafel sehen, die die Inschrift trägt: Ausverkauft. Gelingt es dennoch, gegen 8 Uhr in den dichtgeflillten Saal des Hauses zu gelangen, so sieht man Männer und Frauen aus allen Kreisen, die sämtlich, fast nur durch Erzählungen früherer Besucher neugierig gemacht, erwartungsvoll des neuen Bildes harren, das ihnen ein »jüdisches Theater« bieten soll. Denn obwohl Zuschauerraum und Bühne nicht von jenem Typus abweichen, der von den sonst in den anderen Bezirken der Grossstadt befindlichen Volks-Schaubühnen her bekannt ist, so ist es doch etwas Aussergewöhnliches, Seltenes, das von dem Podium auf die versammelten Zuschauer wirken soll. Nicht der billige dramatische Scherz - der seine Kostüme wechselt, der den Flitter statt des Geistes wirken lässt, und der kein äusserlich erborgtes Mittel verschmäht, weil er kein ihm allein eigenes Instrument besitzt, durch das er wirken könnte - ist hier zuhause, sondern die naive jüdische Volksseele, die da in den (virtuos vorgebrachten) Anfängen einer dramatischen Kunst sich zeigt und die engen Bretter dieser Bühne wirklich eine kleine Welt bedeuten lässt. So neu und seltsam sind die hier gewonnenen Genüsse, dass man nur schwer den Eindruck wiedergeben kann, den diese dramatische Anstalt in dem Inneren des Publikums hervorruft. Immer wieder muss man in den Bann dieser Produktionen treten, um Klarheit darüber zu gewinnen, was den grossen Reiz dieses Theaters ausmacht. Die Figur des Juden gehört auf der Schaubühne gewiss nicht zu den seltenen. In heiligen und profanen Stücken tritt uns der Jude entgegen, als Held, als Dulder, als gütiger Helfer bald und bald als Abbild jenes gigantischen Gespenstes, als das wir seit jeher in den Köpfen der östlichen und westlichen Barbaren leben. Die Weltliteratur kennt Theaterstücke, die ihre Szene durchaus in das Land der Juden verlegen. Es gibt Dramen, deren Probleme an dem Körper und der Seele von Juden sich erproben. In anderen Stücken sehen wir den einzelnen Juden oder die einzelne jüdische Familie inmitten fremder Umgebung, bald geliebt, bald gehasst, hier (in den engen Grenzen der Konvention) geehrt

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Theaterauffiihrungen und Kritiken

und dort zügellos geschmäht. Und bis hinab zu der Bühne des kleinen, ärmlichen Volkssängers macht der Jude auf dem Theater seinen Weg. Nicht nur das Theaterstück, auch die Einzelszene zieht die Juden vor die Kulissen, um mit ihm zu rühren oder mehr und minder harmlosen Scherz zu treiben. Ueberall aber wurde der Jude nur gezeigt, er war es nicht selbst. Es war sein Kleid, seine Barttracht, seine Stimme und sein Tonfall, es war seine Art, aber nicht seine Seele. Es war nicht er selbst. Wer kennt nicht den Juden auf dem Vorstadtbrettl, diese in Gutem und Bösem karikierte Figur, die mit ihren grellen Effekten von Juden und Nicht-Juden gesehen und verstanden werden soll! Wie anders, wie ganz anders wirkt das »Jüdische Theater«. Hier sieht man den Juden aus sich selbst heraustreten. Im Kuplet [!], im Drama Goldfadens, im Chorgesang, immer wieder spricht die Seele, die Auffassung der Juden. Und wenn wir auch speziell die Juden des Ostens vor uns sehen, es ist die Seele von kulturellen Reservescharen, aus deren Reihen viele von uns selbst oder doch unsere Väter hervorgegangen sind und deren Denken im Grunde auch das unsere ist. Der stoffliche Kreis der Darbietungen des jüdischen Theaters ist ein fast unbegrenzter. Alles, was auf jüdisches Leben Bezug hat, ziehen diese jüdischen Schauspieler zur Darstellung heran. Das Familien- und Erwerbsleben nehmen also selbstverständlich einen grossen Platz ihres Repertoires ein. Der arme Vater als Bettler an der Türe des reich gewordenen Sohnes, die Tochter, die von den Eltern die Einwilligung zur Eingehung der Ehe erbittet, die Eltern, die ihren Kindern gebieten und über sie richten, der Streit zwischen Schneider und Schuster über die Vorzüge ihres Berufes - dies alles bietet den Inhalt ihrer Gesänge und Szenen. Und dann wieder agieren sie die grosse Staatsaktion (meist in Goldfaden'scher Bearbeitung), wie zum Beispiel Sulamith, mit der klassischen Pose der Helden und der Könige, während sie ein anderesmal den Schwank (so Die Dorfhochzeit und ähnliche Stücke) vorfuhren, die Typen aus dem Dorfe, aus der kleinen und grossen Stadt spielen und dazwischen die eigenartigen Tänze und Melodien aus den Ländern ihrer Herkunft (Galizien und Russland) zeigen. Daneben behandeln sie auch die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, wie die Affäre Dreyfus etc. Immer aber ist es klar, dass diese Schauspieler sich keine Mühe geben müssen, ihren Figuren Leben einzuflössen. Sie selbst sind das Vorbild ihrer Gestalten. Wie sie sich Könige und Bettler vorstellen, wie sie, die Juden, die Angehörigen des fremden Volkes ansehen, so stellen sie sie auf die Bühne. Es ist nicht immer äussere Lebenswahrheit, was sie bieten. Einen Vergleich mit der Wirklichkeit halten die hier gezeigten Typen oft nicht aus. Aber es liegt in dem Spiele der Künstler dieser kleinen Bühnen etwas anderes, nicht minder Wahres als die sogenannte Wirklichkeit: die naive, volkstümliche Seele. Sie deuteln nicht, sie künsteln nicht, sie ahmen nicht nach: Wie das Bild in ihrer Vorstellung, in der ihres Kreises und ihrer ursprünglichen Zuhörer ist, so stellen sie es vor. Und noch eines: Diese Schauspieler spielen in Wien vor einem Publikum, das sie nicht wegen des dargestellten Stoffes zu sehen wünscht, sondern weil

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es die Künstler mehr anstaunt und bewundert, als deren Kunst. Dass es eine naive jüdische Bühne gibt, dass es eine jüdische Gedankenkunst des kleinen, armen, östlichen Juden gibt, ist hier das Neue, das Sehenswerte. Man denke sich aber diese Darsteller vor ihrem ureigensten Publikum, vor den jüdischen Arbeitern und Handwerkern Galiziens oder Londons und der grossen amerikanischen Zentren, man denke sich die erblühende jüdische Jugend diesen Jargonauffuhrungen lauschen, die sie in jedem Worte verstehen und man wird begreifen, dass hier eine ernste Kunst sich auslebt. Für dieses Publikum spielen diese jüdischen Schauspieler auch lebenswahr, weil deren Gestalten dem Vorstellungskreise ihrer Zuhörer genau entsprechen. Ein grosser Teil der Wiener Besucher des jüdischen Theaters betrachtet dessen Leistungen mehr als Zeichen der Zeit, manche auch als blosse Belustigung. Für viele ist es aber auch in Wien eine wahre künstlerische Anstalt und ich kann mich erinnern, während der traurigen Szenen eines Stückes manche Zuhörer weinen gesehen zu haben. (Ich glaube, man spielte damals Blümele oder Die Perle von Warschau von Mogolescu.) Trotz der gelungenen Stücke und der trefflichen Darstellung würde aber die Wirkung der Darbietungen keine so grosse sein, wenn nicht in ihnen noch mehr liegen würde. Das Programm des Theaters besteht aus Einzelvorträgen und Szenen, denen sich zum Schlüsse die Auffuhrung eines Dramas anreiht. Den Beginn der Vorstellung bildet ein von der ganzen Truppe vorgetragenes, melancholisches Chorlied, in das auch der Vortrag von Strophen durch einzelne Mitglieder der Truppe künstlerisch eingeflochten ist. Man denke sich nun eine Menge von Leuten, die gekommen sind, Volkssänger zu hören und denen nun aus tiefster Seele das Leid und der Jammer eines Volkes vorgetragen wird: »Oi is üns Jüden Bitter ün schlecht Es is ein Uenglück, Uen Ungerecht. Sagt, Jüden, was fangt man da an zü tün?« Dazu die getragene, leise Melodie; es ist ergreifend. Und so wickelt sich das Programm weiter ab. Immer zwischen den einzelnen Darbietungen, die andere Stoffe behandeln, aber auch in diese verwoben, das Leid der Juden, die Sehnsucht nach Zion (wir erwähnen hier das reizende Lied: »Gegrüsst Jeruscholaim« [!]), die Begeisterung für die eigene heilige Lehre, das Mitleid mit den armen Brüdern auf dem ganzen Erdball. Es ist, als wollten diese Volkssänger mit jeder Produktion zugleich sagen: Das ist eine Szene aus unserem Leben, aus dem Gedankenkreise unseres Volkes. Hier habt Ihr eine lustige Szene - aber wir vergessen, wenn wir darüber lachen, nicht die Judennot und die Judensehnsucht: »Gegrüsst Jeruscholaim!« Hier habt Ihr wieder ein Bild des Jammers, das sich in unserem Leben abspielt, aber uns tröstet manches Bild unserer Geschichte, die Wärme in unserem Familienleben und in unserem Volksleben.

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Theateraufführungen und Kritiken

Das jüdische Theater blüht nicht nur in Wien. In allen grösseren Städten, wo viele Juden wohnen, insbesondere solche, die sich von ihrer Heimatscholle in die Ferne getrieben sahen, entstanden solche Bühnen. In Berlin, in Paris und London, in New-York und Chicago und in vielen anderen Städten schlagen sie ihren Standplatz auf. In manchen Orten sind bereits mehrere solcher Bühnen entstanden. Ich habe nur das Wiener jüdische Theater gesehen. Wenn aber in den anderen Städten die Darbietungen so gediegen sind wie in Wien (von manchen wenigen Einzelheiten abgesehen), so kann man es als ein Glück betrachten, dass die eingewanderte jüdische Bevölkerung der Kunst nicht ganz entbehren muss und durch sie mit dem Leben ihrer »Heimat« und dem der zurückgelassenen Freunde und Verwandten verbunden bleibt. Dann wird übrigens gewiss auch dort, wie in Wien, die naive und doch grosse Kunst der Darsteller den stofflichen Kreis der Produktionen erweitern und es werden sich auch dort die Lieder und Szenen, die die Schauspieler des jüdischen Theaters dichten, dem Programme einfügen und ein weiteres anschauliches Bild davon geben, wie die noch nicht eingewöhnten Juden die Ereignisse ihrer neuen Heimat erfassen. [Jüdischer Volkskalender für das Jahr der Welt 5663 (1902/03)]

Moses Waldmann

Bei den »Polnischen« Da wir nichts »Besonderes« vorhatten, gingen wir zu den »Polnischen«. Und das eben ist das Sonderbare. Wenn man gar nichts, aber rein gar nichts »Vernünftiges« zu beginnen weiß, dann erst geht man in die Taborstraße ins yiddische Theater, das merkwürdigerweise mit dem Namen »Die Polnischen« bezeichnet wird, trotzdem die meisten seiner Mitglieder in Ploesti, Jassy, Bukarest und Folticeni das Licht der Welt erblickt haben. Und all die genannten Städte sind ebensowenig polnisch, wie der Eastend in New-York englisch. Auf dem Theaterzettel prangte in großen Buchstaben der Titel Der Lumpensammler von Prof. Morris. Außerdem enthielt das Programm noch einige Nummern, Sologesang, Duett und anderes. Das yiddische Theater ist nämlich ein Zwitterding. An ihren Programmen sollt ihr sie erkennen! Ich dachte daran und wußte, daß »Die Polnischen« eine Varietégesellschaft sind. Wir fanden uns bald zurecht. Einige Minuten dauerte es, bis wir den hochmütigen, kunstverständigen Kultureuropäer abgelegt hatten und wieder Juden wurden, mit jüdischen Augen, jüdischen Ohren und jüdischen Herzen. Das Stück, um dessentwillen wir eigentlich gekommen waren, bildete den letzten Programmpunkt. Vorerst gab man Vorträge und Lieder zum Besten und da

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kam uns das in dieser Atmosphäre freigewordene, unverkümmerte jüdische Empfinden für das Verhältnis und den Genuß des Gebotenen zustatten. Manches war gut, manches echt, und vieles nur Nachempfindung und plumpe Nachahmung. Aber fast in jedem Liedchen zitterte die jüdische Note. In den komischen die ganze Herbheit des jüdischen Humors, in den lustigen die verhaltene Inbrunst jüdischen Lebenwollens, in den ernsten die innige jüdische Familienliebe, in den traurigen die ewige ungestillte Sehnsucht unseres Volkes, in den Klageliedern das Schluchzen und Verzweifeln unseres schwergeprüften Stammes. Man muß ein Ohr für diese jüdischen Lieder haben! Man hört in ihnen so vieles. Am besten ist's man schließt die Augen, saugt Ton um Ton ein und überläßt sich Träumen. Auf einmal kommt sie, die ganze Stimmung unserer Jugend! Es erscheinen die Gassen und Gäßchen unseres Heimatstädtchens, man sieht wieder die vertrauten Gestalten, den Lehrer, den Schächter, den Rabbiner und Krämer und was einem trotz der reichen Zivilisation, in der man lebt, immer abgegangen, das Gefühl der Zugehörigkeit, das stellt sich wieder ein und läßt einen alles vergessen, sogar die Dissonanzen im Gesänge und manch unjüdische Wendung, die sich in die vorgetragenen Lieder eingeschlichen hat oder von den Sängern aus Unverständnis hineingezerrt wurde. Besonders zwei Lieder haben es uns angetan: eines von den Freuden und Leiden, die den Eltern von Kindern bereitet werden und eines, ein ganz schlichtes Liedchen eines Waisenkindes. Wort und Weise sind so naiv unbeholfen, scheinbar so kunstlos, in Wirklichkeit aber voll Zartheit und unvergänglicher Gefuhlsmacht. Die Sänger selbst imponieren uns weniger, trotzdem ihre Stimmen nicht schlecht sind. Was uns mißfallt, ist etwas anderes: das Theatralische an ihnen. Echte, bewußte Kunst ist einfach, äußert sich in eindeutigen, unverschnörkelten Linien. Wer Echtes bietet - und die Lieder der »Polnischen« sind echt kann auf Mätzchen und falsche Künstlergrandezza verzichten. Nur muß man vorher erzogen werden, um das zu begreifen und danach zu handeln. Aber so sind wir Juden! Lehrer bei den Andern und Stümper im eigenen Heim. Wir haben genug Schöpferkraft und Genie in uns, um kaiserliche Opern zu dirigieren, Kunstschulen zu gründen und neuer Strömungen Führer und Sterne zu sein und doch sind wir nicht imstande, unsere eigene nationale Kunst zu pflegen und auszubauen und sie von allem verunzierenden Beiwerke zu säubern. Das macht, weil wir nicht ganz sind, nicht ganz sein können ... Schließlich waren alle Lieder und Duette absolviert und der Lumpensammler ging über die Szene. Das Stück ist der Titelfigur auf den Leib geschrieben. Um zu zeigen, was für ein Patentkerl dieser Lumpensammler ist, scheut der Autor vor Mord und Todschlag [!] nicht zurück. Diebstahl, Kindesweglegung, Verläumdung, bodenlose Teufelei, engelsreine Unschuld und ritterlicher Anstand, all das zieht kaleidoskopartig vorüber und überall steht helfend und schirmend, ein Bild unwandelbaren Biedersinns[,] der Lumpensammler. Oft mußten wir peinlich berührt unsere Häupter senken, so unglaublich und falschsentimental oder aufdringlich-bubenhaft erschienen uns die Vorgänge auf der

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Bühne. Und doch hat das Stück Schönheiten! Die eingestreuten Lieder, manche Dialoge, eine Szene, in welcher der Lumpensammler das fremde, ihm ins Haus förmlich geschneite Kind in den Armen hält und ein Wiegenlied singt das versöhnte uns mit dem Stück und den Schauspielern und als nach der fröhlichen Schlußszene mit ihrer Lösung aller verzwickten Situationen des Stückes und der Verlobung der zwei Liebenden - die nun einmal unbedingt nötig sind - der Vorhang fiel, gehörten wir zu den am meisten Begeisterten. Nach dem Theater gingen wir zu den Künstlern, die sich in einem kleinen Kaffeehaus mit ihren Anhängern und Verehrern Rendez-vous geben. Nun, da die Schminke und Perücken verschwunden waren, konnten wir die »Aktoren« genau ansehen. Da ist der Leiter, ein junger Mann mit intelligenten, einnehmenden Zügen, da der Hausdichter, eine amerikanisch hergerichtete Figur, mit Yankeedoodle Manieren[,] dort die Heroine, eine feine, zierliche Gestalt mit wunderbaren, eigentümlich sanften und tiefschwarzen Märchenaugen. Neben ihr sitzt ein junger Mann im Samtrock, langgelockt, Dirigent und Orchester in eigener Person. Außerdem sind der dicke Sänger mit der kindischen Haltung und ein anderer Schauspieler mit eckigem knochigem Gesichte, der ein guter Charakterdarsteller sein soll, anwesend. In Gesellschaft der Künstler befinden sich die Mutter der Heroine, ein verhutzeltes altes Mütterchen, die sich scheu und hilflos an ihre Tochter lehnt, ein älterer Herr, der einst dem Cheder und der Jeschibah entsprungen, nun ein vollendeter und ungläubiger »Daitsch« ist und jüdische Anekdoten erzählt, ein jüngerer Herr mit langem Bart, der bedächtig sein Bier trinkt und wir, die neugierigen »wohlerfahrener [!] Kunstkenner«. Wir sprechen mit dem Leiter. Der Mann hat künstlerischen Geschmack. Er erzählt uns, daß er in Czernowitz in Stücken von Pinski die Hauptrollen gespielt, daß er im Sommer wieder hin zu ziehen gedenke und beklagt sich über das Wiener Publikum. »Man kann ja nichts dafür, daß das jüdische Theater in Wien zum Varieté heruntersinkt; jeder hat vier, fünf Kinder; die wollen essen. Würden wir ernste gute Stücke spielen, dann hätten wir eine leere Bude und unsere Kinder einen leeren Magen. Da heißt's also alle Ideale beiseitelegen und dem Publikum das hinwerfen, was ihm gefallt und uns Brot gibt« ... Er sagte das mit resignierter Stimme und blickte wie versonnen in die Ferne. Dann erzählte er von Bukarest, von seiner Mitwirkung bei zionistischen Feiern, von jüdischen Dramatikern, von Sängern, die er gehört, von Städten, die er gesehn. Wir lauschten aufmerksam .... Dann wandten wir uns dem Hausdichter zu. Nach einigen Fragen und Antworten entdeckte ich in ihm einen alten Bekannten. Vor Jahren trafen wir uns auf der Reise zum Wiznitzer Wunderrabbi. Inzwischen war er in Rumänien, Galizien und in Berlin gewesen. Er überreichte mir seine zwei neuen Schöpftingen, hilflose Gedichte über das Unglück des jüdischen Volkes. Tut nichts, daß sie vorläufig nicht gefeilt und schwerfällig sind! Wenn sie nur den Weg zum Volke finden werden, so feiern sie fröhliche Urständ: der ändert am Text, der an der Melodie und nach einigen Jahren sind aus solchen Gedichten Volkslieder geworden.

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Das eben ist das jüdische Theater der »Polnischen«. Ein Niederschlag der naiven Volkskunst. Wenn's dem Volke besser gehen wird, so wird auch das Theater besser werden. Das Theater ist vorläufig ureigenstes Produkt des jüdischen Lebens: wenn's auch nicht tadellos ist, man darf nicht murren. Auch das jüdische Leben läßt viel zu wünschen übrig ... ... Spät gingen wir durch die kalte Winternacht nach Hause. Vom Himmel strahlten die Sterne, die kühle Nachtluft umfing uns und ließ uns die Schritte beschleunigen. Innerlich war's uns wohl zu Mute.... [Jüdische Zeitung, Jg 3, Nr 52, 24. Dezember 1909]

F. W.

Theater-Abend Samstag veranstaltete die »Wiener Morgenzeitung«, auf der »Jüdischen Bühne« Wiens, einen Abend zugunsten einer Jüdischen Lesehalle in Wien. Mit einer kurzen Ansprache eröffnete der Redakteur der »Wiener Morgenzeitung«, Herr Raker, den schönen Abend, begrüßte die Anwesenden, hinweisend auf die große Aufgabe, welche die Jüdische »Morgenzeitung« in der kurzen Dauer ihres Erscheinens sich gestellt hat, zur Gründung einer jüdischen Lesehalle im Zentrum der Monarchie und sagte u. a.: »Wir überleben gegenwärtig einen Zusammenbruch der Weltelemente und wir Juden werden im Strudel der stürmischen Zeit so mitgerissen, als träfe uns dieses Unglück in einem tiefen lethargischen Schlaf und wir werden willenlos, schlummernd in dasselbe hineingezogen. Der jüdische Volkskörper wehrt sich gegen diese brausenden Stürme, uns droht Gefahr, uns fehlt die Gänze, der Zusammenhang, die Organisation, der >Achduth Haamjüdische< Kaiser Franz Josef, er soll lange leben, er ist doch ein Erretter, er muß eine jüdische Seele haben... « Und ich erinnere mich, daß dann, wenn die Juden das »Gebet fur den Herrscher«, für Zar Nikolaus sagten, man ihn im Herzen mit den wüstesten Flüchen bedachte. Anders war es bei Franz Josef, wenn man das »Gebet für den Herrscher« für ihn sprach, so haben es die Juden, überhaupt Mojschele der Synagogendiener, mit einer Art Triller beendet: »Fra-a-anz Jo-o-osef omen selo.« Und ich liebte es, mit den anderen Jungen von einer Ecke aus zuzuhören, wenn es um die schöne Stadt Wien ging und träumte oft davon, in Wien einmal ein großer Kantor zu werden. Und jetzt scheint der Traum Wirklichkeit geworden zu sein. Aber anstatt als Kantor, bin ich hier als Direktor des jiddischen Kunsttheaters. Es interessierte mich auch sehr, und nicht nur ich, sondern alle Künstler des Kunsttheaters fühlten, daß Wien tatsächlich die Stadt ist, von der wir soviel gehört haben. Die Mode und die Professoren, von denen die Juden im Lehrhaus soviel geredet haben, kümmern uns wenig. Aber ich habe etwas anderes in Wien gefunden, das tatsächlich von großem Wert ist: Wien als Kulturstadt, Wien als Theaterstadt, Wien als Stadt, in der Kunst eine hohe Achtung genießt und mit Liebe aufgenommen wird. Wir fanden Wien natürlich in den schrecklichsten Umständen der Armut und Not vor, nach dem Ruin, dem großen Zusammenbruch,

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bei dem aus einem Großreich ein kleines, notleidendes Volk geworden ist, dem nichts bleibt als ein hilfloser Appell an die Welt nach Gerechtigkeit. Aber bei all dieser großen Not fühlt man, daß die Menschen geistig ganz geblieben sind. Im Gegenteil, da sie keinen anderen Trost haben, ist das Gefühl für Kunst im allgemeinen, für die Musik, noch stärker geworden. Ich habe hier Juden und Christen angetroffen, die den ganzen Tag hungern und am Abend ins Theater gehen. Einmal, als ich auf der Straße ging, kam ein Jude zu mir und bat mich, ich solle ihm zehntausend Kronen borgen, diese würden ihm dazu fehlen, die Vorstellung von Tewje der Milchiger zu sehen. »Das Essen«, sagte er, »ist nicht so wichtig, eine Semmel genügt, aber ich muß wenigstens einmal im jiddischen Theater gewesen sein ...« Ich habe viele Briefe von armen Studenten erhalten, die um Freikarten oder Halbpreiskarten für das Theater baten. Ihre Briefe waren mit einem solchen Durst nach jiddischem Theater geschrieben, daß es unmöglich war, ihnen den Wunsch nicht zu erfüllen. Das Publikum, das ins Theater kommt, ist überhaupt merkwürdig. Wir haben ein wunderbares Publikum in New York, das in den sechs Jahren unserer Arbeit herangewachsen ist. In London fühlten wir uns in den ersten zwei Wochen nicht besonders wohl und ich habe den Juden in einem offenen Brief in der »Tsayt« meine Meinung gesagt. Später aber, in den restlichen sechs Wochen, begann das Publikum uns zu verstehen und wir es. Und der Abschied war für beide Seiten schwer. Dasselbe geschah in Paris. Unsere Abfahrt von Paris war richtig schmerzlich. Eine große Menschenmenge kam zur Bahn und den Künstlern und dem Publikum kamen die Tränen. Es war ein Moment, den wir nie vergessen werden, eine heilige Ekstase, welche die Künstler mit ihrem geläuterten Schaffen zum Vorschein brachten. Aber hier in Wien ist das jüdische Publikum schlicht eine Offenbarung. Man hat uns Angst gemacht, daß wir deshalb, weil wir im Juli spielen, kein Publikum haben werden und daß die reichen Juden auf »Sommerfrische« sind. Zu unser aller großen Überraschung haben wir 35 Vorstellungen bei ausverkauftem Haus gespielt. Und es kam gerade das arme Publikum, das sommerliche, das in Wien geblieben ist, weil es hier bleiben mußte ... Die Begeisterung, die bei jeder Vorstellung herrschte, bewies, wie geistig hochstehend das hiesige Publikum ist. Es brauchte nicht lange, schon bei der ersten Vorstellung fühlten wir, daß wir ein Publikum vor uns haben, das urteilen kann, weil es ins Theater geht - wenn nicht ins jiddische, so geht es ins deutsche - und das auch viel über das Theater liest. Und davon wurde die künstlerische Flamme, die in der Seele des Künstlers ständig flackert, angefacht und wir spielten jede Vorstellung mit Liebe und großem Ernst. Obwohl müde, zerschlagen von der physischen Anstrengung eines ganzen Tages Filmarbeit, vergaßen wir alles, weil im Theater bereits ein festlich gestimmtes Publikum auf uns wartete. Auch die jüdischen und deutschen Zeitungen Wiens gaben uns einen herzlichen Empfang. Wir haben in allen Ländern ernsthafte Beurteilungen gefunden, aber hier in Wien hat Theater eine Tradition. Für die deutschsprachige Wiener Presse ist

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Theater mehr als Berichterstattung, sie schickt ernsthafte Kritiker ins Theater, die das Theater als Studium betreiben. Bei Premieren kamen Kritiker vier- bis funfinal in einer Woche. Sie kamen mit Vergnügen, weil es ihnen mehr bedeutete als eine Arbeit, die erledigt werden muß. Auch die zwei Wiener jüdischen Zeitungen haben uns herzlich begrüßt und eine ehrliche Einschätzung gegeben. Es ist nur bedauerlich, daß ein so großes jüdisches Zentrum wie Wien so sehr dem lebendigen Quell seiner jüdischen Zeitungen entfremdet ist. In New York liest man zwar auch die englischen Zeitungen, aber die jüdischen Zeitungen haben einen wichtigen Platz in jedem Gebiet und sogar die Politik muß mit ihnen rechnen. Ich hoffe, daß wir, wenn wir ein zweites Mal nach Wien kommen, ein großes Heer von jüdischen Abonnenten, nicht nur Abonnenten, sondern auch Lesern jüdischer Zeitungen, die für die Juden genauso wichtig sind, wie ein Kunsttheater, vorfinden. Das Kunsttheater in Amerika hat der amerikanischen jiddischen Presse viel zu verdanken. Zum Schluß will ich noch sagen, daß es unsere erste Europatournee ist, aber sicher nicht unsere letzte. Und Wien wird sicher in unserer Erinnerung haften bleiben und wenn für andere der Weg nach Rom führt, so wird unser Weg nach Wien führen. Mit großer Hochachtung, Morris Schwartz [Jüdische Morgenpost, 8. August 1924 (jidd.)]

Die Habima in Wien Gespräch mit Direktor Zemach Gestern Dienstag ist das Moskauer hebräische Theater Habima in Wien eingetroffen. Die Truppe hatte noch Montag Abend in Krakau eine Vorstellung gegeben und trat in der Nacht die Reise an. Das Ensemble besteht, wie bereits mitgeteilt, aus 45 Mitgliedern und fuhrt vier Waggons Bühnenrequisiten mit sich. Einer unserer Mitarbeiter sprach gestern mit dem geistigen Führer der Habima, mit Direktor Zemach. Zunächst nur über die bisherige künstlerische Arbeit dieses ersten hebräischen Theaters. Eine Aussprache über die Zukunft der Habima, ihr Arbeitsprogramm und ihre künstlerischen Absichten für die nächsten Jahre, bleibt vorbehalten. Direktor Zemach bemerkte zunächst, daß vielfach ganz entstellte Mitteilungen über das Wesen dieser Bühne in die Oeffentlichkeit gelangen. So wandte er sich gegen die unzutreffenden Darlegungen von Fülop-Miller in dem soeben im Amalthea-Verlag erschienenen Werke über das heutige Rußland. Es ist zum Beispiel nicht wahr, daß die Mitglieder der Habima meist aus Juden bestehen,

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»welche aus Palästina nach Rußland eingewandert sind«. »Die Habima« - sagte Zemach - »ist kein >Theater mit hebräischer Sprachen sondern >ein hebräisches Theaten. Sie ist das Resultat der jüdischen und der allgemeinen Freiheitsbewegung. Sie hat gewiß der russischen Kunst viel zu danken, aber sie geht eigene Wege. Wir sind, wenn ich den Vergleich ziehen darf, etwa von Rußland so beeinflußt wie der hebräische Dichter Bialik von Lord Byron. Die verlachte jüdische Ghettokleidung wurde zum eigenartigen Kostüm stilisiert. Die Bewegungen haben wir mit dem Kostüm und mit der jüdischen Melodie in Einklang gebracht und so einen Stil geschaffen. Nur wo ein Stil ist, gibt es wahrhaftige theatralische Kunst. Ein Beispiel, wie wir arbeiteten: Um die Hochzeitsmusik fur den Dybuk zu erlangen, hat unsere Gemeinschaft viele Male eine jüdische Hochzeit gespielt, so wie sie unsere Menschen im Volke sahen. Diesen ungezählten improvisierten, getanzten und gesungenen >Chassenes< hat unser Tondichter Engel angewohnt und darnach schließlich seine Musik zum Dybuk geschrieben. Die Darstellungen des Dybuk und des Golem zeigen das Judentum noch in seiner Ghettogebundenheit. In Jaakobs Traum hingegen ist das freie Judentum des Feldarbeiters gestaltet. Der Gegensatz von zwei Epochen ist an unserer Formung von Jaakobs Traum gegenüber jener der erstgenannten Bühnendichtungen zu ersehen. Welche Bedeutung das Hebräische für unsere Schauspielkunst hat? Die Sprache ist für uns das wichtigste Ausdrucksmittel. Ihrer Dynamik und Klangfarbe, ihrem Geiste ist die Schauspielkunst anzupassen. Wir haben uns während unserer Entwicklungsjahre in Moskau nach der jüdischen Gasse gesehnt. Die Begegnung mit dem Volke in Litauen und in Polen war so wie die des Bräutigams, der sehnsüchtig auf die Braut gewartet hat. In Riga und Kowno mußten wir zweimal täglich spielen. Die drei Monate, welche wir in Polen und Litauen zubrachten, haben uns überzeugt, daß die jüdische Bevölkerung einen alljährlichen Besuch des hebräischen Theaters benötigen wird.« [Wiener Morgenzeitung, 26. Mai 1926]

Felix Saiten

Gastspiel »Habima« Carl-Theater It's a long way. Während man die merkwürdige Gruppe Hebräisch sprechender Komödianten anhört, denkt man: diese Leute kommen aus Moskau. Aber lange, lange ehe sie in Moskau sein durften, zogen sie durch kleine polnische Städtchen, durch Ghettonester, in denen es Juden erlaubt war, zu wohnen. Dieses Theater der »Habima« ist aus Not und Bedrückung entstanden, aus Leidenschaft der Seele

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und rebellischer Sehnsucht. Vieles hat geschehen müssen, bevor diese Juden nach Moskau kamen. Jetzt ziehen sie von Moskau in die Welt. Moskau - Jerusalem Als erster Eindruck bleibt: Moskau! Und: Jerusalem! Die Nachbarschaft Stanislawskis ist zu spüren. Die ungeheure Intensität jüdischen Strebens. Dann die zertrümmernde und neu aufbauende Kraft einer großen Revolution. Als erster Eindruck, was vorher schon an Tairoff und an manchen anderen Zeichen zu ahnen war: die Vermählung der russischen mit der jüdischen Volksseele, der jüdischen Impulse zur Kunst mit den Impulsen der Russen; die Gesetzmäßigkeit, mit der das russische und jüdische Fühlen einander durchdringen. Diese Durchdringung hat der Umsturz nur sichtbar gemacht und vollendet. Sie wurde angebahnt in den vielen Dezennien, da beide gemeinsam gelitten haben, die Russen und die Juden, beide gemeinsam unter den Knuten und Verfolgungen des Zarentums bluteten, starben und beide am Werk der Befreiung tätig waren. Durchgesetzt! Die Schauspieler der »Habima« sprechen Hebräisch. Das hat ihnen am Anfang die Gegnerschaft der Moskauer Sowjets zugezogen. Aber ihre künstlerischen Leistungen erwarben der »Habima« den Respekt der Moskauer Künstler. Diese wieder verwendeten sich bei der Regierung und das hebräische Theater wurde, bewundernd, geduldet. Ehrliche Konsequenz und hohes Können haben die Banalität des Hasses auch sonst überall beschämt. »Dybuk« Sie spielen an ihrem ersten Abend in Wien die dramatische Legende »Dybuk« von Anski, die Ch. Ν. Bialik ins Hebräische übertrug. Oft hat man »Dybuk« gesehen. Im jiddischen Originaltext. In naturalistischer Darstellung. Von außerordentlich begabten Schauspielern. Aber niemals hat diese Dichtung so hinreißend gewirkt wie jetzt durch die »Habima«-Truppe, die ein Ensemble von Rücksichtslosen ist, von Ekstatikern, von Asketen, von Besessenen. Entfesselte Kraft. Das Stück wird getanzt und gesungen. In der Synagoge sitzen Talmudschüler beisammen. Ihre Dialoge steigern sich zum Gesang, der Gesang steigert sich zum Tanz, der Tanz wächst schnell in Raserei. Dann, im zweiten Akt, bei der Hochzeitsfeier tanzen Bettler. Groteske, gespenstische Jammergestalten. Ihr Tanzen und Singen beherrscht die Szene, elektrisiert die Zuschauer, verbreitet Grauen, Rausch und wildes Verlangen nach Gewalttat. Das Herumwirbeln der weißen jungen Braut im tollen Reigen dieser grauen, häßlichen Krüppelfiguren atmet ansteckende Tollheit in den Saal. Wenn diese Männer im Kaftan singen, wenn sie singend rasen, dann tanzen und tanzend toben, fühlt man sich von Todesbereitschaft und von elementarer Lebensgier angeweht.

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Disziplin. In dieser Truppe fiebert die herrliche Gewalt von Seelenstürmen. Und sie scheint herrlich gebändigt in dieser Truppe. Bewundernswert die Disziplin dieser Schauspieler, ihre fast besinnungslose Hingabe. Imposant ihre Gleichartigkeit, die es geradezu verhindert, daß einzelne von ihnen gleich beim erstenmal als große, andere als geringe Künstler erkannt werden. Man bemerkt Herrn Warschawer, weil er im ersten Akt den Chanan spielt, Herrn Zemach, weil er im letzten Akt den Asriel gibt, die Rowina, weil sie die Braut ist. Aber wesentliche Unterschiede zwischen ihnen und den übrigen lassen sich nicht messen. Nicht beim erstenmal. Sie werden gleichwohl vorhanden sein. Expressionismus. Der Stil der »Habima« ist expressionistisch. Ein wirklichkeitsnaher, reizvoller Expressionismus. Er geht nicht auf Täuschung aus, er gibt Zusammengefaßtes. In jedem verschminkten Antlitz, in jedem sanglich schwingenden Wort, in der Gymnastik aller Gebärden. Er zeigt nicht Natur, sondern aufrichtiges Theater. Besonders in der ehrlichen, andeutenden Magerkeit der Kulissen, in den sinnvoll einfachen Beleuchtungsarten. Und die Riesenschatten, welche die spielenden Figuren manchmal auf die Leinwand werfen, spielen mit. All diese unwirklich erhöhte Wirklichkeit ist eingehüllt in Musik, deren Rhythmus den Gang der Handlung beschwingt und befeuert. Neu und stark. Dieser erste Abend bringt Anregung in Fülle, bringt Augenblicke, in denen man betäubt, Momente, in denen man hingerissen wird. Aber noch kein Urteil. Selbstverständlich noch kein Urteil. Man sieht nur: das ist etwas Neues. Und man glaubt: es ist etwas sehr Starkes. [Neue Freie Presse, 30. Mai 1926]

Baruch Tschemerinski

Bei den Proben des »Dybuk« Vorbemerkung. Jewgenij Bagaratianowitsch Wachtangoff, ein Georgier, zählte zu den begabtesten Schülern Stanislawskis. Sein Studio, das heißt Versuchsund Arbeitsbühne, wirkte bahnbrechend auf die Entwicklung der modernen russischen Theaterkunst. Er war gleichzeitig der erste Regisseur und der einflußreichste Lehrer des Moskauer hebräischen Kunsttheaters »Habimah«, das zurzeit in Wien weilt. Am 29. Mai hat sich zum viertenmal Wachtangoffs Todestag gejährt, und aus diesem Anlaß widmet ihm Tschemerinski, einer

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seiner Schüler, folgenden Aufsatz. Die Proben des Dybuk fielen in die Zeit der schwersten Hungersnot in Rußland. Der Arbeitstag beginnt sehr zeitlich. Vor neun Uhr. Der Wächter geht erst daran, den Ofen zu heizen und in dem kleinen, gemütlichen Lokal der »Habimah« am Nischniki-Slow herrscht bewegtes Leben. Ohrenbetäubender Lärm tobt in allen Zimmern, man eilt zum Unterricht, den man nur für kurze Zeit unterbrochen hat, um sich ein bißchen Schlaf zu gönnen. Von Müdigkeit keine Spur. Guter Laune und frohen Mutes begrüßen die Schauspielerkollegen einander. »Ist der Lehrer schon da?« fragt eine Schülerin mit frostgerötetem Gesicht und eilt die Treppen hinunter. Um neun Uhr beginnt der Hebräischunterricht. Jene Studiomitglieder, die die Sprache nicht genügend beherrschen, müssen außer den vielen Lehrfächern noch an einem hebräischen Sprachkurs teilnehmen. Mit hebräischen Lehrbüchern und Bibeln, mit Schreibheften in der Hand, treffen sie nacheinander, wie Schüler, ein. Um dieselbe Zeit eilt eine zweite Gruppe zum Unterricht in Plastik und Rhythmik. Im Saal ist [es] noch kalt. Man reibt vor Kälte die Hände aneinander und dennoch werfen alle die Kleider von sich und bleiben bloß in den für den Plastikunterricht angefertigten Hemdchen (Trusiki), die die Schauspielerin Tinimah aus alten Sackstoffresten der Habimah-Portieren hergestellt hat. Das Klavier intoniert. Kommando der Lehrerin: Eins, zwei, drei, vier; eins zwei drei vier! ... Unzählige flinke Beine und biegsame Körper bewegen sich rasch und rhythmisch durch den Saal. Zehn Uhr. Bald kommt die Lehrerin für Stimmbildung. Man kleidet sich rasch an. Die bereits Angekleideten stehen am Klavier vor der Lehrerin, mit offenen Mündern: a, ja, o e. Wer früher fertig wird, ergreift sein Bündel, entnimmt demselben ein Stück Schwarzbrot seines »Pajoks« (Ration) und teilt es mit einem andern, der nichts gefaßt hat. Man kaut hastig, eilt mit Blechschalen um heißes Wasser, rasch wird der heiße Tee ohne Zucker geschlürft. Alles hastet. Erwartung hängt in der Luft. Wachtangoff soll bald erscheinen. Jeder Winkel ist von ihm erfüllt. Jeder hat irgend etwas zu erzählen, was Wachtangoff ihm gestern gesagt, wie er geschaut und wie er gelächelt habe. Wachtangoff hat sich ein wenig verspätet. Er hat gestern nach unserer Repetition, die bis zum Morgengrauen angedauert hat, sich noch beeilt, in sein eigenes Studio zu einer Repetition zu kommen. Indessen beginnen die Kollegen zu singen und auch zu tanzen. - »Hu ba!« er kommt - , ruft uns auf hebräisch der Ofenheizer zu. Wachtangoff erscheint mit seinem spitzen, wachsgelben Gesicht, bleibt an der Tür stehen wie ein Schüler, der zu spät in die Schule kam, versucht seine Unpünktlichkeit zu rechtfertigen. Er stürzt zu den Schauspielern hin, umarmt jene, die in seiner Nähe sind und fuhrt alle zum Regietisch.

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Einige Minuten hierauf herrscht andächtige Stille. Alle sitzen um den Tisch, nur eine Schauspielerin steht vorn, bereit die Rolle zu wiederholen, die sie tagsvorher einstudiert hatte. Dem Einfluß seiner schöpferischen Kraft ergeben sich die Schauspieler, sie werden schmiegsam, fugen sich ein und werden zur Masse, die sich formen läßt. Wachtangoffs Körper ist vorgebeugt, sein Gesicht noch spitzer als gewöhnlich und an die Schauspieler auf der Bühne angeschmiedet. Mit durchdringenden Blicken schaut er jeden tief in die Seele hinein, mit Blicken, die zugleich auch Zärtlichkeit und Treue ausstrahlen. Die Schauspieler spielen begeistert, harmonisch, hingerissen von seinen genialen Einfällen und seiner künstlerischen Größe. Man ist gerade mitten im ekstatischen »Bettlertanz«, tra, la, la, la, la, la. Stop! - durchschrillt Wachtangoffs Stimme den Saal: »Falsch! Wiederholen!« Und es beginnt von neuem die Arbeit. Jeden Moment entstehen wunderbare, formvollendete Bilder und im nächsten Augenblick werden sie unbarmherzig zerstört und in völlig neue, noch vollendetere umgeformt. Man sieht förmlich, wie er Welten erschafft und zerstört, bis das Bild, sein Bild vor ihm entsteht. Dann sieht er allen ins Gesicht, als ob er ihnen triumphierend zurufen wollte: Sehet, wie schön ist diese Welt! Nachdem geraume Zeit wiederholt worden ist, fragt Wachtangoff alle um ihre Meinung. Fast alle äußern sich. Wachtangoff folgt gespannt, notiert, und nimmt zu den geäußerten Ansichten Stellung. Scharfsinnig, bündig und humorvoll weist er auf die Fehler hin. Schallendes Gelächter. Freude, gepaart mit inniger Liebe zu dem guten, weisen Lehrer erfüllt alle. Man merkt nicht, wie die Zeit verstreicht. Die Probe zieht sich bis zum Anbrach der Dunkelheit hin. Um fünf Uhr ist Pause. Wachtangoff soll heute erst um acht Uhr wiederkommen. Es soll abermals die ganze Nacht durchgearbeitet werden. Die Kollegen beeilen sich, um nicht in der Stoluwka (Volksküche) die rationierte Mahlzeit, die aus einer Kartoffelsuppe und einem Stückchen Pferdefleisch ohne Brot besteht, zu versäumen. Diejenigen, denen diese Mahlzeit nicht mundet oder die keine Rationsmarken besitzen, müssen bloß mit einer Schale heißen Tees vorlieb nehmen. Und bald tritt der Lehrer für Akrobatik ein, ihm folgt der Lektor für Theatergeschichte. In den Pausen umringen alle den warmen Ofen. Eine der Schauspielerinnen singt vor, dirigiert, und alle stimmen mit ein. Unbemerkt schleicht sich Wachtangoff ein. Alle kommen ihm mit strahlenden Gesichtern entgegen und er, übermüdet, setzt sich an den Ofen und singt mit den Schauspielern eine traurige, georgische Weise. Er schließt die Augen, in sich versunken singt er ekstatisch, wie ein echter Miropoler Chassid. Er ruft die Schauspieler zu sich, daß sie besser, lauter singen mögen. Er selbst wird von unserem Singen mitgerissen. Es ergreift ihn überirdisches Schauern, bis er die höchste Stufe flammender Ekstase erklommen hat. Er sammelt alle um

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sich, besteigt mit ihnen die Bühne, es beginnt die allgemeine Rekapitulierung des zweiten Akts des Dybuk. Was nun folgt, kann mit Worten nicht wiedergegeben werden. Wachtangoff ist jetzt nicht von dieser Welt. Störet seine Kreise nicht... Seine Schöpferstunde ist angebrochen... Zwei Uhr nachts. »Zehn Minuten Pause«, ordnet Wachtangoff an. Alles eilt in die Küche. Heut ist »Festessen« in der »Habimah«. Es wird »Kascha« Heidegrütze - fur alle Schauspieler gekocht. Heiter und wohlgelaunt reihen sich die Schauspieler an. »Anstellen!« »Anstellen!« - hört man Rufe. Jeder mit seinem Teller in der Hand nimmt seine Kaschaportion entgegen und an Ort und Stelle wird sie verschluckt. Unsere Leute haben sich nun gesättigt. Es sind noch drei Minuten übrig, sie werden mit einem Konzert ausgefüllt. Geläute. Die Pause ist zu Ende. Man geht wieder an die Arbeit. Abermals für die ganze Nacht. [Arbeiter-Zeitung, 1. Juni 1926]

Tulo Nussenblatt

Richard Beer-Hofmann über die Habima Ein Gespräch mit dem Dichter von »Jaakobs Traum« Draußen in Döbling, fern vom Straßenlärm, zurückgezogen in seinem mit viel Geschmack und Kunstsinn geschmücktem Heim wohnt der Dichter Richard Beer-Hofmann. Ich suche ihn auf, um ihn über seine Eindrücke von der Habima zu befragen. Zögernd gewährt der Dichter, der mit seiner Arbeit stark beschäftigt ist, die Unterredung. »Ich bitte Sie, Herr Doktor, um die Mitteilung Ihres allgemeinen Eindrucks, den Sie von der Habima hatten.« »Gewiß werden auch in Rußland Direktoren Schauspieler engagieren, um Theater im europäischen Sinn zu machen, aber das Bezeichnende sowohl fur Stanislawsky als auch für die Habima scheint mir doch, daß sich hier Menschen zusammengefunden haben, verbunden durch gemeinschaftliche Ideale und Uebereinstimmung in den Mitteln, sie zu verwirklichen. Solche Gemeinschaften nehmen fast den Charakter von Sekten an, sie haben den Fanatismus einer Sekte und die tiefe Ueberzeugung, allein - seligmachend zu sein. - Dieser Glaube an ein Ideal und dieser Glaube an sich, diese Inbrunst des Empfindens und dieser Wille, das Ziel zu erreichen, geben dieser Gemeinschaft Kraft, Ausdauer, eine Opferbereitschaft, die es ihnen möglich macht, Leistungen zu erreichen, die bloßen Schauspielern und selbst dem genialen Schauspieler (der

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eben durch seine überragende Eigenart notwendigerweise einsam bleiben muß) versagt sein werden. - All das glaube ich bei der Habima in stärkstem Maße zu fühlen. Ueber das hinaus aber noch eine andere - wahrscheinlich entscheidende - Verbundenheit der einzelnen zu einem Ganzen, die allen anderen ähnlichen Gemeinschaften, selbst den so nahe scheinenden russischen, versagt bleiben muß: Die tiefe Verbundenheit der einzelnen durch das einzig dastehende sonderbare Schicksal ihres Judentums. Bei einem Volke ältester - ununterbrochener - stärkster Tradition werden alle Aeußerungen der Affekte scharf geprägte Form haben: Zorn, Zärtlichkeit, Zweifel, Hohn, Trauer werden so charakteristische Form und Farbe haben, werden - fast musikalisch - so festgelegt sein, daß der einzelne mit seiner Eigenart nur mehr ein - immerhin gegebenes - Thema variieren kann.« [»]Welche Vorstellungen haben Sie, Herr Doktor, bei der Habima gesehen?^] »Ich kenne bisher nur zwei Vorstellungen der Habima: den Dybuk und Jaakobs Traum, beide schon durch das Stoffliche in einer religiösen Sphäre lebend (der Dybuk - über oder unter das Religiöse hinaus - noch in einer kultischritualen). Ich weiß, daß ein großer Reiz des Dybuk fur den Nichtostjuden und den Nichtjuden darin liegen mag, daß auf ihn das Stoffliche als ein exotisch-buntes - durch Melodik und Rhythmik des Sprechtones, des Gesanges, des Tanzes bestechendes - Element wirkt. Aber unabhängig davon fühlte ich einen starken, ungebrochenen, zu Kompromissen nicht geneigten Willen am Werk, einen Willen, dessen - manchmal vielleicht doktrinär-hochmütig trotzendem Diktat - man sich kaum zu entziehen vermochte, ich sah Menschen, die mit unerhörter Inbrunst sich hingaben, um in einem fremden Schicksal aufzugehen. Szenen wie die, in der eine junge Mutter an den heiligen Schrein herantritt, um die Genesung ihres Kindes zu erflehen, bleiben in der Erinnerung. Das dürftige Hebräisch, das die Schule mich lehrte, habe ich mit vielen anderen Dingen der Schule vergessen, und so fragte ich: >Sind das, was diese Frau spricht, singt, schluchzt, festgelegte Worte eines Gebetes?< >Neinsie betet nur, was ihr Angst und Not über die Lippen treiben.< Und hier begriff ich, was mich erschütterte. Die Not, der Schmerz des einzelnen nahmen von selbst sakrale Formen an, welche Not und Schmerz eines ganzen Volkes durch Jahrtausende vorgeprägt hatten, und wenn die Stimme versagte und ein Schluchzen aufstieg, war man nicht sicher: schluchzt diese Frau oder singt ein Volk seinen - schon Musik gewordenen - Schmerz. Wunderbar im zweiten Akt der Tanz der Armen, Bresthaften und Krüppel bei der Hochzeit des Reichen. Hinreißend der erste Eindruck: Musik, voll sinnlicher Wildheit und barbarischer Kraft, die den Blinden, den Lahmen, die Einarmige, die Aussätzige, den Buckligen, den Tauben mit elementarer Kraft in ihren Wirbel reißt. Und der zweite Eindruck - hinter dem ersten schon erkennbar - gefärbt mit der Farbe des revolutionären Rußland: Drinnen im Hause die Musik, drinnen

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die reiche Tafel, drinnen die Gutgekleideten und als ihre aufreizenden Vertreter auf den Stufen des Hauses in lächerlich gespreizter, altmodisch-bürgerlicher Vornehmheit drei Frauen, angetan mit Dummheit, Stolz, Selbstgerechtigkeit und Seide in starrer monumentaler Ungerührtheit dem Tanze der Aermsten, ewig Draußenstehenden zuschauend. Und wenn nach ostjüdischer Sitte die Braut im weißen Atlas unter die Bettler tritt - verpflichtet an ihrem Hochzeitstage mit jedem von ihnen zu tanzen - und unter Blicken, Griffen, Berührungen der Finger, die auch einmal in ihrem Leben schönen Leib und kostbaren Atlas tasten wollen, erschauert, leuchtet ein Drittes auf: Um den glücklichen Tag eines einzigen reichen Glücklichen ein Wirbel von zerstörtem Leben - ein Tag, um den ungezählte Jahre von Krankheit, Not, Häßlichkeit und Alter ihren grauenhaften Reigen tanzen. Und als letzter Ausklang: Daß auch diese eine >Glückliche< in weißem Atlas an diesem einen Tage nicht glücklich ist und den zerstörenden Dämon in sich trägt. Im dritten Akt der Zadik - durch ein Leben vieler Tage, Nächte, einzig im Dienste eines Denkens, das um Dinge kreist, die über den Grenzen von Diesseits und Jenseits schweben - wunderbar alterslos geworden. Kein gewaltiger Beschwörer von Geistern, kein grimmiger Teufelexorzist, sondern weise, vorsichtig, fast sachlich im gewohnten Umgang mit zerstörenden Mächten, wissend: Stunde, Zufall und eigene - stärker oder schwächer quellende - Kraft ist [!] es, die uns ohnmächtig vor Geistern oder Herr der Geister werden lassen.« [»]Jetzt, Herr Doktor, komme ich zu dem Schwierigsten. Ich weiß, wie Ihnen meine Frage unangenehm sein wird, ich weiß, daß Sie eher nicht geneigt sein werden, über Ihr eigenes Werk zu sprechen. Doch kann ich nicht umhin, Sie darüber zu befragen. [«] »Bei dieser Auffuhrung der Habima habe ich etwas Sonderbares erlebt. Sie werden begreifen, daß ich anfänglich erstaunt und befremdet dasaß, als ich merkte, daß eine rücksichtslose und unbedenkliche, aber dennoch irgendwie zärtliche, fast liebende Hand mein Werk nach ihrem ureigensten Empfinden umzuformen versuchte. Menschen, denen mein Werk etwas bedeutet, fühlten sich dadurch in ihrem Empfinden tief verletzt. Ich selbst hatte das merkwürdige Gefühl, etwas bei lebendigem Leib zu erleben, was sonst nur Schicksal von Toten ist: Daß ein Werk sich loslöst, sein eigenes Leben lebt, seinen eigenen Weg geht, unbekümmert um den, der es schuf, und daß mein Werk diesmal Menschen begegnet war, die es liebten, ihm manches von der Tracht, dies es trug - die ihnen zu unscheinbar erschien - vom Leibe rissen, aber nur, um es mit dem, was ihnen als Schönstes und Kostbarstes erschien, zu schmücken. All dies während der beiden ersten Bilder. Als aber im dritten Bild Musik einsetzte - und in ihrer gottgewollten Ueberlegenheit über das Wort mich ergriff- vergaß auch ich, daß ich der Dichter dieses Stückes war. Was da son-

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derbar fremdartig von oben erklang, in einer Sprache, die ich nicht verstand, aber in einer Musik, die mir irgendwie von alther vertraut erschien - war doch in seiner Gesamtheit mir und meinem Blute verwandt. Ich empfand, daß zu meinem Werke etwas nicht Alltägliches hinzugetreten war: Liebe, Hingabe von Menschen, die weit weg von mir - auf anderem Boden wohnen[d] und aus anderer Umwelt kommend - meinem Werke begegnet waren. Und so viel von ihrer eigenen Sehnsucht, Zuversicht, Auflehnung und Ergebung hatten sie in meinem Werke gefunden, daß sie freudig und überströmend - als wollten sie mich beschenken - , noch all das hineinhäuften, was ihnen auf dem Herzen lag. Nicht auf mich kam es mehr an, und nicht um mein Werk ging es. Was ihnen daran Schale erschien, war von jenen da droben leicht zur Seite geworfen worden, wenig bedacht, ob es mir mehr als Schale gewesen war. Aber das was ihnen darin als Kern zu leuchten schien, trugen sie feierlich und ehrfurchtig einher. > Auffuhrung? < - >Schauspieler?< - >Theater?< - wie war das weit weg! Hier waren Menschen, die mit meinem Wort sich in Schmerz und Hoffnung sangen, mit meinem Wort vor Gott traten, um aus tiefer Seele zu beten. Und schon schien es mir, als wäre es nicht mehr mein Wort und nicht das Wort derer da droben - sondern Wort vieler, die vor uns waren.« [»]So sind Sie zufrieden?[«] »Ich bin jenseits von zufrieden oder unzufrieden. Ich bin dankbar, daß so Seltenes mir einmal gegeben wurde.« [Wiener Morgenzeitung, 6. Juni 1926]

Jüdisches Theater und das Jenseits Erbauliches aus Transylvanien Die »Wilnaer Truppe« befindet sich jetzt auf einer Tournee durch die Städte Transylvaniens, die eine orthodoxe, wenn auch assimilatorisch durchsetzte Bevölkerung besitzen. Fast in jeder Stadt verbieten die Rabbiner den Besuch des jüdischen Theaters, welchen sie als »schwere Sünde« erklären. Das Theater hat unter dieser Reaktion naturgemäß schwer zu leiden. Der Schauspieler Josef Kamen schildert folgendermaßen diese Zustände: »In jeder Stadt, die wir aufsuchen, erläßt der Ortsrabbiner einen Bann gegen uns und ein Besuchsverbot. Er ruft alle Chassidim zu sich und erklärt ihnen, der Besuch eines jüdischen Theaters sei eine schwere Sünde. In Desch war ich selbst anwesend, als der Rabbiner sein Verbot aussprach. Hunderte Gläubige waren im Saal und der Rabbi sagte: >Wir haben Gäste in der Stadt: ein jüdisches Theater! Wißt ihr, was jüdisches Theater heißt? Man macht - aus Juden

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Theateraufführungen und Kritiken

ein Theater! Und wer zusieht, wie man aus Juden ein Theater macht, wird keine Ruhe haben, weder in dieser, noch in jener Welt!Shabes, yontev un rosh-khoydesh< (ein Lied aus der Operette Sulamith von Goldfaden)«. [Jüdische Morgenpost, 28. März 1924 (jidd.)]

Jona Reissmann

Mein Gastspiel in Mikolajew Es war, wenn ich mich recht erinnere, im Jahr 1883. Ich weiß nur, daß ich damals 20 bis 21 Jahre alt war. Vor kurzem erst war ich aus Rußland nach Galizien gekommen, ein gemachter Mann, ein Sänger. Ich hatte einen Kollegen, Spatzer, einer vom selben Schlag wie ich - ein Sänger, jetzt ist er schon tot. Und wir machten zusammen eine »Lustreise« zu Fuß durch Galizien, von Dorf zu Dorf, von Schtetl zu Schtetl. Wir versuchten uns bis Lemberg durchzuschlagen. Wir benützten, Gott bewahre, nicht die Bahn, außer wir mußten, wenn es nicht anders ging. Sonst aber zu Fuß. Das Gepäck ist leicht: ein Rucksack, im besten Fall ein wenig Unterwäsche und die »komischen Sachen«, einen Kaftan, ein »laybtsidekl«, ein Halstuch, eine Schirmmütze und einen angebrannten Korken, um damit einen Bart zu machen. Schminke hatte man damals nicht nötig. Wohin wir kamen, spielten wir im Wirtshaus Theater, verdienten, wenn es möglich war, ein paar Kreuzer und marschierten weiter. Und so ging das von den Hauptstädten Businow, Katinkan (die gibt es tatsächlich) bis Spatzer und ich Tsherzhets erreichten (auch diese Weltstadt gibt es. David Klinghofer kann es bestätigen). Wir gingen dort in die Herberge des »roten Juden«. Es war ein Freitag. Wir fragten, wo man da nach Ende des Sabbat singen könnte, der Herbergswirt erlaubte es tatsächlich bei sich selber: im »großen Saal«. Mit einem Billard. Er verlangt kein Geld für den Saal. Aber fur Schlafen und Essen muß man bezahlen. Man hat einen gesunden Appetit und ißt auf Gottes Konto. Morgen wird verdient, bezahlt. Die »koyletshlekh« am Freitagabend sind frisch, zergehen auf der Zunge und der Wodka ist stark. Man sitzt auch nicht untätig. Auf rotem Glanzpapier wird in deutlichen Buchstaben geschrieben: »Nach Sabbatende wird ein Auftritt der berühmten Lemberger Sänger ...« usw. usw. Der Zettel hängt im Fenster. Am Sabbat wartet man den ganzen Tag, daß es endlich Abend wird - bis ein Licht angezündet wird. Draußen ist es Anfang Kislew (Ende November): Kalt. Ein feiner, hartnäckiger Regen. Der Saal ist vorbereitet, auf dem Billard stehen zwei Lichter. Eine Ecke des Saales ist mit einem Leintuch verhängt, damit man sich umziehen kann. Man

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geht ungeduldig auf und ab und man singt einstweilen ein Quodlibet. Am Fenster zeigen sich Mädchen, junge Frauen. Von Zeit zu Zeit hört man eine Frage. Ein Kopf wird zur Tür hereingesteckt: »Was kostet der Eintritt?« »Fünf Kreuzer«, sagt der rothaarige Herbergswirt. »Ach - soo«, bestätigt ernsthaft der Kopf und verschwindet wieder im Regen. Aber keiner kommt herein, und der Regen wird unterdessen stärker, um's Herz wird einem ... nun, wie soll einem schon werden um's Herz? Und der Herbergswirt stellt fest: »Es ist schon spät, im Schtetl sieht man schon kein Licht mehr, keiner kommt mehr. Es ist eine Verschwendung die Lampen brennen zu lassen...« Man muß mit dem Wirt die Abrechnung machen, für Essen und Trinken und Schlafen. Was kann man tun? Mein einziges warmes Kleidungsstück ist eine Kammgarnjacke, dünn wie ein Filzstiefel. Was kann man machen? Ich gebe sie dem Wirt als Pfand und bekomme dafür noch ein wenig Kupfergeld für die Ausgaben bis Mikolajew. Und obwohl es draußen unaufhörlich regnet und der Wind hartnäckig bläst, man also keinen Hund vor die Tür jagen würde, ist morgen doch Sonntag, wir müssen zeitig in Mikolajew sein, um dort unsere »Komödie« zu spielen. Meine Aufmachung ist eine Beschreibung wert: Nur eine leichte Jacke über dem Hemd am Leib. An den Füßen nur alte Schuhe aus leichtem gelben Chamoisleder mit lackierten Absätzen. In dieser Aufmachung machte ich mich mit Spatzer auf zur Bahn - das Geld reichte auf den Kreuzer genau für die Fahrkarten. Im Waggon ist es finster und kalt. Mit einem Mal hören wir den Schaffner rufen: »Stacja Mikolajew - jedna minuta«. Wir steigen eilig aus dem Waggon und laufen auf den Bahnhof zu, der Zug läßt einen Pfiffertönen und fährt weiter. Aber es gibt nirgendwo einen Bahnhof. Im kleinen Bahnwärterhäuschen erklärt uns der Wärter, daß man das Städtchen Mikolajew erst bei der nächsten Station erreicht, in »Miesta Mikolajew«. Und bis dahin sind es noch gut ein paar Stunden Fußmarsch. Es regnet in Strömen, es ist stockfinster. Wir machen uns auf den Weg. Auf dem Weg fühle ich, daß sich von der Nässe und dem harten Gras die Sohlen der Schuhe aufgelöst haben und nur das dünne Oberleder geblieben ist. Kurzum, in der Früh kamen wir in Mikolajew an. In die Herberge will man uns aber nicht einlassen. Nach vielen Bemühungen und Bitten können wir endlich erreichen, daß man uns erlaubt, auf dem Dachboden zu schlafen. Dort legen wir uns ins Heu. Wir wickeln uns in Decken und genießen die Freuden des irdischen Daseins. Spatzer bekommt aber Lust auf eine Zigarre, der Herbergswirt sieht es und vertreibt uns mit einer Peitsche vom Dachboden. Wir ziehen uns also wieder die nassen Sachen an und Spatzer geht mit seinen großen Stiefeln in die Stadt. Zum Glück traf Spatzer dort einen Kumpanen, einen Schuster (er war selber einmal Schuster). Dieser erbarmte sich unser, nahm uns bei sich auf, fütterte uns mit heißer Suppe, und am Abend spielten wir bereits unsere »Komödie«. Vor einem Publikum aus jungen Burschen und Mädchen sang ich den »Matseyve-shleger«:

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»ikh oremer matseyve-shleger ih lig af a finster geleger« und Spatzer machte den »Jantschi-Bantschi«. Das Mikolajewer Gastspiel warf einen Reingewinn von zwei Gulden ab, und mit dem Geld fuhren wir nach Lemberg. [Jüdische Morgenpost, 19. März 1926 (jidd.)]

Ben Nathan

Er kam nach Amerika, um auf der jiddischen Bühne zu spielen, und machte sich einen Namen auf der englischen Ein Interview mit Egon Brecher, dessen 50-jähriges Bühnenjubiläum morgen im Civic Repertory Theatre gefeiert wird Unter den jiddischen Bühnenkünstlern finden sich wenige, die eine so reiche und vielseitige Karriere vorweisen können wie Egon Brecher, einer der Stars des interessanten englischsprachigen Theaters, das unter dem Namen Civic Repertory Theatre bekannt ist. Aus dem Anlaß seines 50-jährigen Jubiläums, das morgen im Civic Repertory Theatre gefeiert wird, traf ein Vertreter des »Tog« den professionellen, erfahrenen Künstler, der ihm bereitwillig eine Reihe interessanter Fakten über seinen Lebensweg und seine bemerkenswerte Bühnenkarriere mitteilte. Obwohl Egon Brecher vor acht Jahren als deutscher Schauspieler nach Amerika gekommen ist, ist er in Wirklichkeit doch ein geborener Amerikaner. Er ist der Sohn des verstorbenen Moritz Brecher, Sohn von Dr. Gideon Brecher aus Brünn, Mähren, Gelehrter und Verfasser des wichtigen Werkes »Das Transzendentale im Talmud«. Moritz Brecher kam als junger Mann nach Amerika und ließ sich in Philadelphia nieder, wo er Direktor einer Schule und Redakteur eines Wochenblattes wurde. Er knüpfte enge Freundschaft mit dem berühmten Rabbiner Markus Jastrow, mit dessen Schwägerin er verheiratet war. Nachdem sie bereits drei Kinder hatten, erhielt Moritz Brecher ein Angebot, in seiner Geburtsstadt Brünn eine angesehene Lehrerstelle in einer Regierungsschule anzunehmen und nahm seine Familie mit. Sein Sohn Egon Brecher bekam dort seine erste Bildung, und sobald er seine Studien im Gymnasium abgeschlossen hatte, begann er, seinem natürlichen Drang zur Bühne folgend, ein Schauspielstudium. Bereits als sehr junger Mann fuhr er als Mitglied von Provinztheatern auf Tournee und studierte in der kaiserlichen Drama-Akademie in Wien. Da er sich an dieser Akademie auszeichnete, erhielt er 1900 eine Anstellung im Stadttheater Heidelberg. Später spielte er wieder in der Provinz, wo er die Aufmerksamkeit des Wiener Theaterdirek-

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tors Josef Jarno auf sich zog, der ihn in Bernard Shaws Dilemma eines Doktors und Strindbergs Totentanz sah, unter seiner eigenen Regie. Jarno lud ihn sofort ans Wiener Stadttheater ein, wo der junge Künstler nicht bloß ein Schauspielstar wurde, sondern auch Regie führte. Brecher machte sich einen Namen mit seinen glänzenden Inszenierungen der Klassiker und zeitgenössischer Dramen in modernem Stil. Bald nach dem Krieg, als Wien von jüdischen Kriegsflüchtlingen aus den osteuropäischen Ländern überschwemmt wurde, beschloß Egon Brecher, ein jiddisches Theater in Wien zu gründen. Er begann damit, eifrig die jiddische Sprache zu studieren und suchte talentierte Kräfte unter den jüdischen Zuwanderern, um Dramen von Peretz, Pinski und anderen aufzuführen, und seine erfolgreichen Aufführungen brachten Talente wie Paul Baratoff und andere zum Vorschein. Der Erfolg seiner jiddischen Aufführungen bewog ihn auch, einige der besseren jiddischen Dramen ins Deutsche zu übersetzen und solcherart die deutsche Theaterwelt mit jiddischen Werken bekannt zu machen. Vor acht Jahren wurde Brecher von Max Wilner nach Amerika gebracht, um auf der jiddischen Bühne aufzutreten. Da er sich aber, aus verschiedenen Gründen, an keine der damals existierenden Theatertruppen anpassen konnte, nahm er ein Angebot der Theatre Guild an, in einer Hauptrolle in Liliom aufzutreten, zusammen mit der berühmten Künstlerin Eva Le Gallienne. Im Lauf seiner Tournee mit der Truppe machte Brecher Station in Cleveland, wo er Lehrer und Direktor der dortigen Theaterschule wurde. Ein Jahr später kam er aber wieder nach New York zurück, wo er in verschiedenen Rollen auf englischsprachigen Bühnen auftrat, bis zu seinem größten Erfolg in Arthur Schnitzlers The Call of Life. Er Schloß sich dann wieder Eva Le Galliennes Truppe an und wurde eines ihrer wichtigsten Mitglieder, spielte die Hauptrollen in Werken wie Ibsens Meisterbilder und John Gabriel Borkman, Serats The Cradle Song, Moliers The Would-Be Gentleman und andere Rollen aus dem reichen künstlerischen Repertoire des Civic Repertory Theatre. Und jetzt spielt er die Rolle des alten Priesters in The Women Have Their Way, der neuesten Inszenierung des künstlerischen Theaters, in dem er sich in den letzten Jahren einen herausragenden Platz unter den wichtigsten Schauspielern auf der amerikanischen Bühne erworben hat. [The Day, New York, 14. Februar 1930 (jidd.)]

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Samuel Jacob Harendorf

Theater-Notizen Adolf Bell Am Dienstag, den 12. Mai, wird in der »Jüdischen Bühne« in der Taborstraße ein Ehrenabend aus Anlaß des 25jährigen Bühnenjubiläums des Schauspielers Adolf Bell veranstaltet. Der Jubilar wird in einer seiner Glanzrollen auftreten. *

Adolf Bell, der seit Jahren dem Wiener Theaterpublikum als begabter Schauspieler bekannt ist, hat seine Bühnentätigkeit vor 25 Jahren in Rußland begonnen, er Schloß sich damals einer großen Truppe an, die Tourneen durch ganz Rußland machte. Später ging er nach Galizien und spielte in den zwei bekanntesten lokalen Theatertruppen: Bei Gimpel und bei B. Hart. Im Jahr 1907 ging Bell nach Amerika, wo er mit den berühmten jiddischen Schauspielern Mischa German, Michalesko und anderen auftrat und Mitglied der amerikanischen Schauspielerunion wurde. Bei Beginn des Weltkrieges kam Bell nach Wien zurück, wo er an verschiedenen Theatern spielte. Der Jubilar ist dank seiner Gastspiele auch dem jüdischen Theaterpublikum in Paris, der Tschechoslowakei usw. bekannt. Trotz verschiedener Schwierigkeiten und karger Einnahmen war der Jubilar immer ein hingebungsvoller jiddischer Schauspieler und ein getreuer Kollege. In verschiedenen Rollen entzückte er das Publikum und schuf sich eine große Zahl Freunde und Verehrer. Um Adolf Bell für seine Verdienste um die jiddische Bühne Dank auszudrücken, wird der erwähnte Jubiläumsabend für ihn veranstaltet. [Jüdische Wochenpost, 1. Mai 1931 (jidd.)]

Jakob Botoschanski

Zwischen Vorhang und Leinwand (Aus dem Notizbuch eines Theatermannes) In Wien hat man ein Häufchen Knochen der Erde übergeben und ein Stück Theatergeschichte dazu Zum Tod von Jona Reissmann Gestorben, meine Güte? Hat also auch Jona Reissmann schon sein Häufchen Knochen der Mutter Erde zurückgegeben? Ich sage - ein Häufchen Knochen, denn mehr konnte er schon nicht sein eigen nennen. Er wohnte in Wien, und heutzutage ist das eine Garantie dafür, daß man nicht fett wird ...

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Ach, lieber Jona, ist das alles? Oder wirst du noch mit einem Witz antworten und uns einen Streich spielen? Gewöhnlich sagt man in so einem Fall: Sollen keine Jüngeren als er sterben, aber es versetzt einem doch einen Stich ins Herz. Jona Reissmann, der jetzt in Wien gestorben ist, war einer der ältesten jiddischen Schauspieler. Er hatte noch vor Goldfaden Theater gespielt. Er war ein wichtiges Mitglied in Beri Broders und Jakowkis »Truppen«. Er spielte vor mehr als fünfzig Jahren einen Einakter, Der Krakauer, aus dem dann später Goldfaden sein Moshiakhs Tsayten machte. Und er machte alle Etappen des jiddischen Theaters durch: Von Beri Broder zu Goldfaden, von Goldfaden zu Gordin und von Gordin zum neuen Theater. Er feierte Triumphe sogar in Stücken von Pinski und Leivick. Ich hatte einmal die Gelegenheit, ihn als Schlojme Huts (in Gordins Der Unbekannte) und als Reb Eli zu sehen (in Leivicks Schmattes) und ich fühlte einen Funken von - Selig Mogulesko. Wiener deutsche Rezensenten sind vom jiddischen Theater zu sehr begeistert - der Grund liegt im Unverständnis und überhaupt darin, daß Exotik im Theater die selbe Wirkung hat wie Talent - und jüdisches Leben ist für Nichtjuden Exotik - und wenn sie in Reissmann ein Genie sahen, so übertrieben sie ein wenig, aber ans Geniale grenzte Jona Reissmann. Wien ist eine Stadt von Juden geblieben, aber keine jiddische Stadt, das jiddische Theater dort hat die jiddische Sprache überlebt. Diese Tatsache gäbe dem jiddischen Theater in Wien vielleicht die Möglichkeit, aufrichtiger und ausgeformter zu sein, aber die Schauspieler waren dem nicht gewachsen. Es wurde nur ein Versuch gemacht, anspruchsvolles jiddisches Theater zu machen, und dabei blitzten bei dem damals schon sechzigjährigen Reissmann die Eigenschaften eines hochrangigen Komödianten auf. Aber - er blieb isoliert. Er erreichte gerade noch Rumänien und Bessarabien, aber größere Städte erreichte er nicht... Wäre Jona Reissmann in Rußland oder in Polen gewesen, hätte Sch. Kutner einen gewaltigen Konkurrenten in ihm gefunden. Jona Reissmann war ein Komödiant, nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Leben. Als er an die siebzig war und nur mehr Haut und Knochen, spaßte er und spielte Streiche wie ein kleiner Junge. Als ich ihn zum ersten Mal sah, stellte er mir eine Frage, wie sie Schauspieler einem »doyl« stellen. Die Frage enthält ein Klesmerwort, das dem Neuling unbekannt ist und er fragt »Ha?« Es wird gelacht. Reissmann stellte mir also diese Frage, ich war damals schon ein halbes Dutzend Jahre beim Theater und kannte den Trick gut. Ich tat dem Alten den Gefallen und fragte: »Ha?« Er zerkugelte sich vor Lachen ... Ich machte vielleicht fünfmal »Ha?« und beim sechsten Mal fragt er mich: »Wieviel Uhr ist es?« Das war ein neuer Witz. Er sah damals ganz genau wie »Leyzer Badkhen« aus... Von seinen Streichen wird unter anderen ein Vorfall erzählt, wie ein Statist einmal Bar Kochba zu Boden streckte. Es gibt eine Szene, in der Bar Kochba

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alle römischen Soldaten niederstreckt. Unter den »Soldaten« war ein besonders kräftiger Statist und Reissmann begann, ihn aufzuziehen: »Warum läßt du dich eigentlich von Deutsch umhauen?« (I. Deutsch spielte damals den Bar Kochba). »Was sonst«, antwortete der Statist, »man muß es doch so machen.« »Wer sagt das«, stachelte ihn Reissmann auf, »daß man muß? Wer stärker ist, haut den anderen um.« Am Abend, als Bar Kochba-Deutsch die römischen Legionäre umwarf wie Kegeln, packte ein Legionär Bar Kochba und warf ihn um, wie nichts ... Reissmann ließ sich damals zwei Tage nicht bei Deutsch blicken. Als Reissmann merkte, daß ich kein »doyl« war, wurde er bald mit mir per Du. Er war knapp vierzig Jahre älter als ich und er bestand darauf, daß ich ihn duzte. In meinem Buch »Nach der Vorstellung« gibt es eine Skizze, »Der zeyde«, in der bestimmte Erinnerungen an meine Gespräche mit dem verstorbenen Schauspieler aufgezeichnet sind. Ich bringe ein paar davon hier: Seltsam! Wie kam es, daß dieser Alte mit dem dünnen Hals und dem ausgetrockneten Gesicht, das aussah wie ein zerknautschter Stiefel, soviel Schlichtheit und Wärme zeigte? Woher wußte er, daß ein Wort, das auf der Bühne gesprochen wird, sein muß wie ein Bild? ... »Der zeyde« .... Jeder von uns sprach das Wort liebevoll aus ... Man nannte ihn »Großvater« und spielte mit ihm wie ein kleines Kind ... Es war herzerfrischend zu sehen, wenn ein junges, frisches Mädchen seinen alten Kopf auf den Knien hielt und ihm eine Großmuttergeschichte erzählte ... Und wenn aus den Kulissen Lachen ertönte, sodaß die Schauspieler auf der Bühne sich die Ohren zuhalten mußten, wußte man gleich, daß der »Großvater« wieder einmal einen seiner Streiche gespielt hatte ... Wenn man ihn ansah, wurde man traurig: Ein Stück jiddischer Theatergeschichte und bald, sehr bald, wird es sterben... Erzählen will er nichts und wenn er doch einmal etwas erzählt, ist es schwer zu sagen, wo die verworrenen Altersfantasien aufhören und die echten Tatsachen anfangen... »Sejde, was wollen Sie?« »Gib mir ein wenig Wodka, im Hals sitzt einer und kratzt...« Also mit ihm ins Wirtshaus. Er roch bloß am Wodka und war auch schon betrunken. Die kleinen Äuglein liefen über. »Trinken wir Brüderschaft!« »Was reden Sie da? Ich mit Ihnen per Du?« »Mit dem Großvater ist jeder per Du.« Wir trinken also Brüderschaft. Seine Arme, mit denen er mich umarmte, waren so leicht, als wären es nicht einmal Knochen, sondern bloße Lumpen ... »Großvater, haben Sie mit Beri Broder gesungen?«

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»Bin mit ihm persönlich durch Rumänien gefahren. Er machte schöne Lieder. Er trug sie auch gut vor. Wenn er bloß eine Jarmulke aufsetzte, sah er schon aus wie ein Kantor, aber wenn er singen sollte: >zing ikh nokh noten veren di khasidim ufgezoten< dann war niemand daheim, er hatte keine Stimme.« »Aber es heißt doch, daß er eine gute Stimme hatte?« »Vielleicht in seiner Jugend. Als ich ihn kannte, hatte er schon keine Stimme mehr.« »Und stimmt es wirklich, daß seine Kapelle ihn vergiftet hat?« »Wer weiß? Er ist plötzlich gestorben. Man wollte ihn loswerden.« »Was für Stücke habt ihr damals gespielt?« »Nur seine Lieder ... Als er starb, spielten wir bereits Der Krakauer ... Goldfaden hat es bei mir gesehen ... er machte dann sein Moshiakhs Tsayten daraus.« »Großvater, warum muß man dir immer alles aus der Nase ziehen? ... Erzähl von dir aus, erzähl etwas, das ...« »Was erzählen? Du bist wie ein >dojlkhazonishyidene< ... ich hatte ein rundes Gesicht, sah aus wie eine jung Verheiratete ... die Kerle sind mir nachgelaufen. Ein Hundeleben. Rumänien, das war eben Rumänien, aber richtig gehungert haben wir in Polen ... ach, Bruderherz, und wie gehungert... wir haben sogar vor Hunden gespielt...« »Vor Hunden?« »Vor Hunden, mein Lieber ... das war in Galizien. Wir waren acht Leute. Zwei Primadonnas. Zwei Köchinnen, die wir in zwei Gasthäusern in Galata überredet haben ... sie haben uns verflucht... nun, es gab eben nichts zu essen ... drei Tage haben wir den Speichel hinunterschlucken müssen ... wir gingen zum Gutsherrn, ein übler Bursche von einem Polen ... wir sagten ihm, daß wir auf Jiddisch spielen ... auf Deutsch ... wir können auch was Polnisches hineinmischen ... er kaufte uns eine Vorstellung ab, sagte uns, daß wir am Abend auf seinen Hof kommen sollen. Ließ uns in einen Stall, machte Licht und ließ uns allein ... wir warten eine Stunde, zwei, drei ... um Mitternacht geht die Tür auf und eine Meute Hunde kommt herein ... uns gefror das Blut in den Adern ... und wir mußten spielen ... die Hunde jaulten und wir sangen ... die Beleidigung war noch ärger als die Angst ... die Schreiberlinge haben keine Ahnung, wie man sich mit jiddischem Theater abgeplagt hat... sie können nur schimpfen...« »Großvater, was hat dich zur Bühne gezogen? ... Die guten Gefühle oder die schlechten? ...« Der Großvater versank in Gedanken. Offenbar was das eine schwierige Frage. Am Ende stellte sich heraus, daß er eingeschlafen war. Es geschah des

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Öfteren mit ihm: Er redete, redete und einen Augenblick später war er eingeschlafen. Plötzlich öffnete er die Äuglein weit und aus seinem alten Mund kam wieder ein Redeschwall: »Es hat nichts mit einem guten Gefühl zu tun und nichts mit einem schlechten ... Warum zieht es mich zu einem Mädchen? Gute Gefühle oder schlechte? Nichts von beidem ... Die Welt braucht Kinder, also zieht es mich zu einem Mädchen, man braucht das Theater, es zieht mich auf die Bretter...« »Großvater, wie war es in Goldfadens Theater?« »Wie war es ... Schwierigkeiten ... nur grobe Kerle sind ins Theater gegangen, gab man eine derbe Sache - ha ... war es gut, eine feine Sache, haben sie gegähnt... mit dem Verdienen war es auch schlimm ... der Besitzer, Lieblich hieß er, hat mehr geschlagen als gezahlt...« Mein Alterchen widmete sich wieder dem Wodka. Wie auf der Bühne: Erst aus dem Glas, dann aus der Flasche. Er begann betrunken zu plappern: »Goldfaden ... das war ein schlechter Mensch ... aber er hatte ein feines Aussehen ... er spielte auf dem Piano wie ein Stümper, unmöglich, daß es einem in den Ohren weh tat und dabei strahlte er über das ganze Gesicht... er hatte etwas in seinen Augen, daß es einem die Rede verschlug ... Goldfaden ... er liebte das Theater, also hatte ich ihn auch lieb ... liebst du das Theater? Wenn ja, dann habe ich dich lieb, wenn nicht, dann kannst du mir gestohlen bleiben...« Der Großvater vergaß sich, begann mir ins Gesicht zu spucken und zu brüllen: »Du kannst mir gestohlen bleiben, gestohlen ...«, sodaß ein Aufruhr um uns entstand. Mit Mühe konnte ich ihn beruhigen. »Warum hast du gespuckt?« Er begann, mich zu küssen und zu streicheln: »Nicht dich, mein Lieber, habe ich gemeint, sondern den, der das jiddische Theater nicht mag ... du bist auch ein Schreiberling, also was ist Theater? Was hat Goldfaden zum Schreiben hingezogen, was mich zum Spielen? ... Warum kommt das Publikum? ... Warum haben wir gehungert, vor Hunden gespielt? ...« Tränen begannen zu strömen und das gelbe Gesicht wurde ganz nass: »Wer braucht es zu wissen, was es ist? ... Es zieht einen dazu ... spielen ist gut... nach dem Spielen ist es fürchterlich ... die Kraft verläßt dich ... die Elektrizität verlischt... das Licht brennt nicht mehr ...« »Aber keine Sache ist doch ewig.« »Soll mir gestohlen bleiben, dass es nicht ewig ist... wenn ich bei Nacht auf der Straße schlafen mußte, oder im Souffleurkasten, hat es nichts ausgemacht, am Abend wurde gespielt... spielt ein Bursche mit einem Mädchen, schau ich hin ... es ist ein Verdruß, aber was macht es ... hol's der Teufel... Goldfaden ist gestorben, hol ihn der Teufel... was stirbt, ist eine Leiche, es darf nicht sterben ... es darf nicht...« »Großvater, regst du dich schon wieder auf? Gleich gibt es wieder einen Skandal.« »Bring mich nach Hause, die kaputten Knochen hinlegen ... sollen sie Ruhe haben... schlafen können sie ohnehin nicht... es ist nicht gut, mein Lieber!«

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»Was ist nicht gut?« »Eben das, es pfeift ... tut weh ... allein ... wie ein Hund. Der Souffleur schnarcht.« »Warum seid ihr nicht daheim geblieben? Warum seid ihr mit der Bahn gefahren, auf Landstraßen, habt nicht geschlafen? Warum?« »Warum? Es zieht einen ... mein Lieber! Manchmal liege ich so, alles tut weh ... spreche ich eine Rolle ... alle kommen sie, die Rollen ... der >KrakauerYishmaelHotsmakhLeyzer BadkhenShloyme Huts< ... alle, alle umgeben mich ... nicht gut, mein Lieber ... wie ein Hund ...« In Wien hat man jetzt ein Häufchen Knochen der Erde übergeben. Vielleicht hat sich ein Souffleur dort an Reissmanns Worte erinnert: »Wenn es stirbt, ist es eine Leiche, Aas ... ist es Dreck für mich.« Vielleicht denkt er auch daran, daß man ein Stück jiddischer Theatergeschichte in die Erde gelegt hat ... [Die Presse, 1. April 1932 (jidd.)]

F. W.

Jubiläum von A. Meiseis Eine kleine Nachricht aus Wien: Im großen Saal des Hotel Continental in Wien wird das zwanzigjährige Bühnenjubiläum von Abisch Meiseis gefeiert. Ich weiß nicht, wie die Wiener das verstehen. Ich weiß nicht, was sie damit meinen. Ich, von meiner Seite, der ich Abisch Meiseis kenne, muß etwas dazu sagen, bloß ein paar Zeilen, aber gesagt muß es werden. Vor zwanzig Jahren kam ein junges Bürschchen aus dem Tarnopoler Kreis nach Wien. Als Kriegsflüchtling war er in einem mährisch-böhmischen Flüchtlingslager und dort, da er nichts zu tun hatte, wurde er ein »Tintenkleckser« und schrieb ein Drama, Die Tragödie eines Abtrünnigen. Aber die Zeit war erfüllt mit Kriegsstimmung und Abisch Meiseis - er war dieser Flüchtling - schrieb ein »Kriegsbild« fur das Theater. Ich wurde der Vermittler, damit das Stück auf der jiddischen Bühne aufgeführt wurde. Aufgeführt mit großem Erfolg, es war ein »success«, wie es in der Theatersprache heißt - die Meisels-Lieder wurden sogenannte »Zugstücke«: »Di velt iz tseshtert alts ibergekert der goles hert gor nisht oyf. yiden vi di fügen

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zey falen un zigen, ven vet shoyn nemen a sof?« Zu den Liedern schrieb der inzwischen verstorbene Chune Wolfstal die Musik. Und Meiseis blieb nicht stehen. Er schrieb Der Golem und andere Stücke. Später ist er Souffleur im jiddischen Theater geworden, dann der Begründer eines kleinen literarischen Theaters, des Reklame, und heute kann das jüdische Wien sich eine jiddische Bühne ohne Abisch Meiseis nicht mehr vorstellen. Und Abisch Meiseis ist ein Autor, der seine Reiseeindrücke und Korrespondenzen mit Stil und Routine schreibt, sehr oft mit einem gesunden Schuß Humor und Satire. Ich weiß nicht, wo ich ihn zuordnen soll, zum Theater oder zu den Schriftstellern. Ein Jubiläum einer zwanzigjährigen Tätigkeit. Wir wünschen ihm noch viele tätige Jahre, diese aber mit mehr Erfolg! [Zeitungsartikel aus der Meiseis Collection, Rg. 428, YIVO (jidd.)]

Politik, Antisemitismus und Exil

Schreiben des Vorstands der israelitischen Cultusgemeinde an die k. k. Polizei-Direction Wien An die löbliche k. k. Polizei-Direction Wien\ Das zur Bekanntgabe der Wohlmeinung hinsichtlich der Zulässigkeit der Darstellung übermittelte Stück: Sulamith oder die Tochter des Morgenlandes ist ein Singspiel und behandelt eine im Talmud unter dem Titel »Das Wiesel und der Brunnen« erwähnte Legende, welche so oder ähnlich auch in außerjüdischen Sagenkreisen vorkommt. An die Stelle des Wiesels ist in dem vorliegenden Stücke die Katze gesetzt. Die Legende hat die Tendenz zu zeigen, wie Gott den Wortbruch straft und wie selbst Thiere oder leblose Dinge oft gleichsam Zeugen und Mittel der göttlichen Gerechtigkeit sind. Das vorliegende Singspiel hat diese Legende in durchaus moralischer Weise und nicht ohne Geschick dramatisch verwerthet, und in hochdeutscher Sprache bei guter Musik würde dasselbe bis auf die nicht ansprechende Lösung sowohl durch sich selbst, wie durch die Vorführung orientalischer Szenen guten Eindruck machen und nicht ohne Spannung gehört werden. Aber der Jargon vereitelt Alles und der gefertigte Vorstand kann, zumal angesichts der jetzigen antisemitischen Strömung, von der Aufführung nur abrathen. Die Aufführung, welche den Christen fast gar nicht, den Juden nur theilweise verständlich sein wird, würde für gewisse Kreise nur Anlaß zur Verspottung des Judenthums, vielleicht zum Skandal geben. Mit Rücksicht auf die vorgeführten Umstände beehrt sich der unterzeichnete Vorstand, unter Rückstellung des Textbuches, seine Äußerung dahin zu erstatten, daß die Darstellung des genannten Stückes nicht zugelassen werde. Wien, 15. Juli 1890 Der Vorstand der israelitischen Cultusgemeinde Cohn [Archiv der Bundes-Polizeidirektion Wien]

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Hans Brecka

Freie jüdische Volksbühne Im Theater in der Josefstadt gastiert jetzt die Schauspieltruppe, die seit geraumer Zeit von der großen Oeffentlichkeit und von der Kritik wenig beachtet, in einem bescheidenen Saal des zweiten Bezirkes den Theaterbedarf der jüdischen Bevölkerung der Leopoldstadt befriedigte. Wenngleich sich die »Jüdische Volksbühne« durch dieses Gastspiel zum ersten Male allgemeine Aufmerksamkeit erzwingt, hört sie darum nicht auf, eine ausschließlich jüdische Angelegenheit zu sein. Die Offenheit, mit der sie dies in ihrem Namen zugibt, ist jedenfalls sympathisch. Anderes Publikum, eingeborene Wiener Bevölkerung kommt für die Aufführungen dieser Bühne schon deshalb nicht in Betracht, weil in echtem, unverfälschtem Jiddisch gesprochen wird und der weitaus größere Teil des Textes dem Ohr des Ariers unverständlich bleibt wie sehr man sich auch anstrengen mag, diese Sprache zu verstehen. Wir sahen u. a. die erste Aufführung des Dramas Sch 'ma Jisruel von Ossip Dymow, einer Dichtung, die, wie wir sehr wohl begreifen, auf jüdisches Publikum wuchtigen Eindruck üben muß, zumal die Truppe über einige, in ihrem Kreise gewiß vollwertige Darsteller, verfugt. Namentlich Herr BenZwi und die Herren Isaak Deutsch und Egon Brecher (die beiden Direktoren dieser Bühne), sowie Frau Mina Deutsch nehmen ihre Sache wahrlich ernst. Aber auch in den anderen Rollen ist völlige Hingabe der Darsteller spürbar. Die Truppe wird allabendlich bejubelt. Die Weite ihres künstlerischen Wollens und Könnens zu ermessen, muß Kritikern überlassen bleiben, die in diesem Falle berufener sind als wir. Das aber erscheint uns klar, daß wir Christen keine Ursache haben, diese eine strenge und saubere Scheidung jüdischer Kunstausübung von christlicher anstrebende Bühne mit spöttischen oder scheelen Augen anzusehen. Das Unternehmen ist offenkundig von dem nationalen, jeder Vermischung abholden Volksbewußtsein der ehrlichsten jüdischen Schichte hervorgetrieben worden. Dem Theaterzettel liegt übrigens ein Aufruf an die jüdische Bevölkerung bei, sich an einer in Gründung begriffenen »Jüdischen Künstlerspiele G. m. b. H.« zu beteiligen. Fehlt nur noch, daß wir hier ein eigenes, großes jüdisches Theater bekommen, während für ein Theater der Christen in Wien kein Platz zu finden ist. Sollten wir uns daran nicht ein Beispiel nehmen? In wie matten Anfangen sind ähnliche Versuche auf unserer Seite doch jedesmal stecken geblieben! [Reichspost, 16. Juni 1921]

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Ein Theaterskandal in Baden Hakenkreuzler und Frontkämpfer stören die Vorstellung der Wilnaer Truppe. - Zahlreiche Verhaftungen. - Straßendemonstrationen Aus Baden wird uns telephoniert: Im hiesigen Stadttheater sollte gestern abends die Wilnaer Truppe das Drama Zwischen zwei Welten auffuhren. Schon am Nachmittag verbreiteten sich in der Stadt Gerüchte, daß die Hakenkreuzler und Frontkämpfer einen Skandal im Theater planen und die Vorstellung stören wollen. Das Theater war deshalb am Abend schwach besucht, und gleich bei Beginn der Vorstellung fing der arrangierte Skandal an. Die Hakenkreuzler störten durch allerlei Unfug die Vorstellung und schließlich arteten die Flegeleien der Hakenkreuzler in einen Tumult aus. Polizei erschien im Saale und nahm zahlreiche Verhaftungen vor. Etwa 30 der ärgsten Krawallmacher wurden abgeführt. Gemeinderat Wrba und Direktor Andenriet versuchten, die Rowdies zum Verlassen des Theaters zu bewegen, und Direktor Andenriet erklärte an die Adresse der Krawallmacher: »Hier wird keine Politik gemacht, wem das Stück nicht paßt, soll das Theater verlassen.« Die Hakenkreuzler brüllten aber: »Wir sind Deutsche und dulden es nicht, daß hier ein jüdisches Stück gespielt werde.« Der Spektakel wurde immer größer, so daß es nicht möglich war, weiter zu spielen. Die Vorstellung mußte, nachdem man der Horde nicht klar machen konnte, daß ein Theater keine Schnapsbutique sei, abgebrochen werden. Inzwischen hatten sich vor dem Theatergebäude etwa 1000 weitere Gesinnungsgenossen der Hakenkreuzler angesammelt, die mit Gewalt in das Theatergebäude einzudringen versuchten. Ein starkes Polizeiaufgebot vereitelte diese Absicht und drängte die Menge zurück. Die Hakenkreuzler zogen unter Absingung der Wacht am Rhein zur Polizeiwachstube, um die verhafteten Genossen mit Gewalt freizubekommen, doch waren diese bereits, nachdem man ihre Identität festgestellt hatte, entlassen worden. Später zerstreuten sich die Skandalmacher. Die Mitglieder der Wilnaer Truppe mußten unter Polizeischutz zum Bahnhof gebracht werden und fuhren nachts nach Wien zurück. [Wiener Morgenzeitung, 9. Februar 1923]

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Aus den Akten zum Gastspiel des Jüdischen Kunsttheaters aus New York in Wien 1936 [1. Dokument] Wien, am 25. Juni 1936 Vor einigen Tagen ging der Bundes-Polizeidirektion von vertraulicher Seite die Information zu, daß demnächst ein jüdisches Theater Gastspiele im Bürgertheater veranstalten werde, welche von nationalsozialistischer Seite durch Legen von Stinkgasphiolen und dergleichen planmäßig gestört werden sollen. Aus Pressenotizen der letzten Tage (»Neue Freie Presse« vom 24. Juni 1936 und »Die Stunde« vom 25. Juni 1936) geht hervor, daß der Direktor Morris Schwarz [!] des Jüdischen Kunsttheaters mit dem Sitze in New York bereits einen Presseempfang und eine Darstellung der künstlerischen Absichten, die mit der Welttournee seines Ensembles verbunden seien, gegeben habe. Der Bau des jüdischen Kunsttheaters in New York habe rund eine Million Dollar gekostet und sei mit den modernsten technischen Mitteln ausgestattet. Nach einer Ansprache des Dr. Oskar Rosenfelds [!] habe Direktor Schwarz die Entwicklung des jüdischen Theaters geschildert, das in dem großen Drama Josche Kalb einen Höhepunkt gefunden hätte. Dieses Drama sei in Amerika einige hundertmal und in Warschau monatelang gespielt worden. Auch hätten die Vorstellungen dieses Stückes in London, Paris und Amsterdam besonderen Beifall gefunden. Außer diesem Drama wolle Direktor Schwarz noch das Stück Jud Süß und darnach ein Drama von Gorki auffuhren. Das Programm umfasse nicht nur ausgesprochen jüdische Werke, sondern auch Dramen der Weltliteratur, so Stücke von Tschechow, Molière, Hauptmann, Andrejew, Oscar Wilde u. a. Schwartz [!] sei in Wien in einem Ensemble von einigen Dutzend Personen eingetroffen und habe seine eigenen Dekorationen und besondere Lichtanlagen mitgebracht. Die Vorstellungen begännen Freitag, den 26. Juni 1936 im Bürgertheater. Die hierüber bisher gepflogenen Erhebungen haben Folgendes ergeben: Konzessionsinhaber des Bürgertheaters ist Ferdinand Exl, der eine Theaterkonzession bis zum 30. Juni 1936 besitzt. Er ist somit berechtigt, bis zu diesem Zeitpunkte im Bürgertheater auch Gastspiele zu veranstalten. Ferdinand Exl selbst weilt allerdings derzeit nicht in Wien und [es] ist für ihn ein behördlich genehmigter Geschäftsführer in der Person des Alexander Schreiner bestellt. Eine Anfrage beim Wiener Magistrate ergab, daß Ferdinand Exl bereits um die Verlängerung der Theaterkonzession, und zwar vermutlich mit Rücksicht auf das eingangs erwähnte Gastspiel, angesucht hat. Eine gegenständliche Anfrage ist bei der Bundes-Polizeidirektion bisher nicht eingelangt. Nach § 3 des Theatergesetzes hätte die Bundes-Polizeidirektion ein Einspruchsrecht. Ein allfalliges polizeiliches Einschreiten wäre für den Magistrat bindend. Es ist zu befürchten, daß nicht nur Nationalsozialisten, sondern auch andere Bevölkerungskreise gegen das geplante Gastspiel Stellung nehmen werden.

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[2. Dokument] Bundes-Polizeidirektion in Wien Preß-Bureau 4. Juli 1936 Amerikanisch-Jüdisches Theater des Morris Schwartz, Gastspiel im Bürgertheater. Information

Die Bundes-Polizeidirektion wurde im Juni 1936 auf vertraulichem Wege informiert, dass im Bürgertheater ein mit Ende Juni beginnendes Gastspiel der Amerikanisch-Jüdischen Bühne des Morris Schwartz stattfinden solle, gegen welches von nationalsozialistischer Seite Störungen geplant seien. Die diesbezüglich eingeleiteten Erhebungen ergaben folgendes: Als Direktor und Regisseur des Jüdischen Kunsttheaters in New-York fungiert Morris Schwartz (am 16.VI.1885 zu Sudelkow in Polen geboren, amerikanischer Staatsbürger, ordentlicher Wohnsitz New-York), derzeit im Hotel »Imperial« wohnhaft, als Spielleiter und Veranstalter des Gastspieles Jakob Goldflies, recte Mentzel, Kaffetier (am 9.XII.1899 zu Semenow in Polen geboren und dahin zuständig, mosaisch, ledig) II. Zirkusgasse 11 wohnhaft, welche[r] durch mehrere Jahre die Jüdischen Künstlerspiele, II., Praterstraße 34, leitete. Morris Schwartz verfügt über ein eigenes Ensemble, das sich aus 10 Polen und 1 Rumänen rekrutiert, sowie über eine eigene technische Bühneneinrichtung. Anlässlich des Wiener Gastspieles wird das erwähnte Ensemble noch durch ungefähr 30 Schauspieler vom Ring der österreichischen Schauspieler verstärkt. Beabsichtigt ist die Auffuhrung des jüdischen Dramas Josche Kalb, von J. J. Singer, das angeblich in New-York einige hundert Male zur Aufführung gelangte und auch in anderen ausländischen Grosstädten grosse Erfolge errungen haben soll. Ausser diesem Bühnenwerke beabsichtigt Direktor Schwartz eventuell auch noch andere Dramen der Weltliteratur zur Aufführung zu bringen, darunter Werke von Tschechow, Molière, Gorki usw. Der Beginn des Gastspieles war am 26. Juni 1936 geplant, doch musste die Erstaufführung infolge technischer Schwierigkeiten auf den folgenden Tag verschoben werden. Die Theaterkonzession für das Bürgertheater besitzt Ferdinand Exl, V. Kohlgasse 46 wohnhaft, die mit 30. Juni 1936 terminisiert war. Als verantwortlicher Geschäftsführer fungierte Alexander Schreiner, XVIII., Währingerstrasse 156 wohnhaft. Vor Ablauf der Theaterkonzession suchte Ferdinand Exl um Verlängerung derselben für die Zeit von 1. Juli bis 10. August 1936 an. Gegen diese Verlängerung hat sich die Bundes-Polizeidirektion nach vorher gepflogenem Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramte ohne Angabe näherer Gründe

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ausgesprochen. Für diese Stellungnahme waren folgende Tatsachen massgebend: Durch das Gastspiel der Jüdischen Bühne im Bürgertheater wären zwei derzeit spielende Wiener Bühnen, die ohnedies mit beträchtlichen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, in bedeutendem Masse geschädigt worden, nämlich das Theater i. d. Josefstadt und insbesonders das Ronachertheater, welches unter Subventionierung der Fremdenverkehrsstellen gegenwärtig künstlerisch hochstehende Auffuhrungen von Wiener Operetten bringt. Weiters wurde auf die derzeit geltende Versammlungsruhe Rücksicht genommen, da es nicht ratsam erschien, zu einer Zeit, in welcher alle Versammlungen und sonstigen öffentlichen Veranstaltungen heimattreuer Verbände nicht gestattet sind, in Wien, und noch dazu in einem inneren Bezirke mit Veranstaltungen herauszukommen, die zufolge ihrer rein jüdischen Einstellung - die Auffuhrungen finden in jiddischer Sprache statt - mit aller Wahrscheinlichkeit den Widerspruch des Grossteiles der Wiener Bevölkerung erregen müssten und auch leicht zu demonstrativen Kundgebungen des Publikums fuhren könnten. Schliesslich waren für die Ablehnung des neuerlichen Konzessionsansuchens auch noch die hohen Kosten der Ueberwachung der Vorstellungen massgebend, da wegen der angekündigten Störungen ausser dem normalen Inspektionsdienste noch ein beträchtlicher Bereitschaftsdienst in der Höhe von 10 Kriminalbeamten und 10 Sicherheitswachebeamten aufgestellt werden musste, deren Gebühren dem Bunde mit bedeutenden Kosten zur Last fallen. Da aber trotzdem vom Konzessionsinhaber beziehungsweise dessen Geschäftsführer mit grossem Nachdrucke beim Wiener Magistrate um die Verlängerung der ablaufenden Konzession gebeten wurde, sah sich die Bundespolizeidirektion schliesslich bemüssigt, einer Verlängerung der Theaterkonzession bis zum 5. Juli 1936 zuzustimmen, um unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass es sich hier um eine rein jüdische Bühne handelt, den Standpunkt vollster Objektivität zu wahren. Wie der Wiener Magistrat heute fernmündlich bekanntgab, ist dort ein neuerliches Ansuchen des Ferdinand Exl um Verlängerung der Theaterkonzession für das Bürgertheater bis zum 20. Juli 1936 eingelaufen, das von der polnischen Gesandtschaft in Wien auf das Wärmste befürwortet erscheint. Bemerkt wird noch, dass der Besuch der bisherigen Auffuhrungen des jüdischen Theaters keineswegs den Erwartungen der Direktion entsprach, da sich bei einem Fassungsraume des Bürgertheaters von [über] 900 Personen die Besucherzahl bei Nachmittagsvorstellungen auf ca. 150, bei Abendvorstellungen auf [höchstens] ca. 300 [zahlende] Personen belief. Dass die Direktion des Theaters mit einem bedeutend grösseren Zuspruch rechnete, ergibt sich schon daraus, dass vor Beginn der zweiten Vorstellung der Veranstalter von der Bühne aus eine Ansprache an die spärlich erschienenen Besucher hielt, in welcher er an das Publikum die Aufforderung richtete, in den Wiener jüdischen Kreisen für den Besuch des Theaters zu werben. Hinsichtlich des vorerwähnten neuerlichen, von der polnischen Gesandtschaft befürworteten Verlängerungsansuchens beehrt sich die Bundes-Polizeidirektion

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zu berichten, dass sie, falls keine andere Weisung an sie ergehen sollte, auch weiterhin ihren bisherigen Standpunkt aufrecht erhalten und sich gegen die angesuchte Verlängerung aussprechen wird. Abschliessend wird berichtet, dass es bei den bisherigen Auffuhrungen zu keinerlei Zwischenfällen kam, was vermutlich zum grossen Teile auf die umfassenden polizeilichen Vorkehrungen zurückzufuhren ist. [Österreichisches Staatsarchiv Wien, Archiv der Republik]

Ein merkwürdiges Preisausschreiben ist in der »Wahrheit« vom 5. Februar erschienen. Das Jüdische Kulturtheater erklärt sich bereit, 30 Schilling demjenigen zu bezahlen, der fur sie [!] einen guten neuen Namen erfinde. Es brauche einen neuen Namen, weil es keinen Verwechslungen ausgesetzt sein wolle. Das Wiener Publikum meine nämlich, der jetzige Name des Theaters bedeute, daß dort im »Jargon« gespielt werde. Zunächst einmal müßte die Leitung des Jüdischen Kulturtheaters wissen, daß die Sprache, um die es sich hier handelt, nämlich die jiddische, eine eigene wirkliche Sprache ist und daß sie »Jargon« nur von den Gegnern des Judentums und von dem Teil der Juden genannt wird, die in der Illusion leben, daß sie sich durch eine Distanzierung vom Ostjudentum vor dem Antisemitismus retten können. Wie aber stellt sich das Kulturtheater seinen neuen Namen vor, wie will es fur eine jüdische künstlerische Anstalt einen Namen finden, in dem das Wort »jüdisch« nicht vorkommt? Denn so einen Namen muß das Kulturtheater doch suchen, weil es ja gerade durch die Bezeichnung »jüdisch« die Verwechslung mit der jiddischen Bühne erlebt hat. Es könnte höchstens noch ein Name in Betracht kommen, der irgendwie an die berühmte Bezeichnung der deutschen Assimilanten-Organisation, des »Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens« anklingen würde, also eine Bezeichnung, in der das Jüdische durch einen entsprechenden Zusatz oder Vorsatz zurückgenommen oder »gemildert« wird. Das Jüdische Kulturtheater will zweifellos darum einen anderen Namen, weil es glaubt, daß sein jetziger Name das Publikum aus der Anstalt fernhalte. Es kann sicher sein, daß eine Zweideutigkeit in der Bezeichnung einer jüdischen Kunstanstalt erst recht abschreckend wirken wird auf das Wiener jüdische Publikum, jedenfalls mehr abschreckend als eine mögliche Verwechslung mit einer jiddischen Bühne. [Die Stimme, 12. Februar 1937]

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Aus den Akten des »Stillhaltekommissars« betreffend die Auflösung des Vereins Jüdisches Kulturtheater [1. Dokument] Verein Jüdisches Kulturtheater Wien, /., Franz Josef-Kai [!] 3 Tel. R 24-1-34 Tel. R. 28-2-36 Wien, 30. März 1938 An den Herrn Bevollmächtigten fur das Finanzwesen der Organisationen und Verbände Reichsamtsleiter Meiler Wien, /., Parlamentsbau Gemäss der Anordnung des Stillhaltekommissars fur Organisationen und Verbände, Herrn Reichsamtsleiter Albert Hoffmann überreichen wir für den Verein Jüdisches Kulturtheaer, Wien, I. Franz Josefs-Kai 3, der, seit 3. November 1937 konstituiert, völlig unpolitisch ist und zur Förderung des Jüdischen Kulturtheaters und sonstiger künstlerischer und kultureller jüdischer Bestrebungen geschaffen wurde, im Nachstehenden eine bilanzmässige Vermögensaufstellung per 31. Dezember 1937 mit Nachtrag wie folgt: 31. Dezember 1937: Kassastand Schulden für Drucksorten Stand vom 30. März 1938: Aktiven: Kassastand: Bankguthaben bei Frid & Thiemann, Wien I, Hohenstaufenstr. 4 Passiven: Rückstand für Reinigungsarbeiten Schulden für Drucksachen It It

S »

49.33 127.06

S

30.63

S zus. S.

100130.63

S »

20127.06 49.10

zus. S. 196. 16 Unser Theater, das keinem Konzessionszwang unterliegt, weil es nur einen Fassungsraum für 49 Personen besitzt, befindet sich in den Räumen der Jüdi-

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sehen Kulturstelle, Wien, I. Franz Josefs-Kai 3. Diese Räume sind Parteilamtlich (HJ, I. Hof 6 und einer Stelle der Bezirksleitung II. Aspernbrückengasse) geschlossen und uns der Zutritt nicht gestattet. Wie wir hören, sind verschiedene Gegenstände des Büros und des Theaterraumes entfernt worden. Die dort früher befindlichen Sachwerte, bestehend aus 49 Holzsitzen, einer kleinen Bühne samt Vorhang, aber ohne Dekorationen, der dazu gehörigen Beleuchtungsanlage, den Garderobeeinrichtungen, einem Schrank fur Requisiten, altem Sperrholz und einem Schreibtisch repräsentieren einen Wert von schätzungsweise S 1000Eine detaillierte Aufstellung dieser Sachwerte kann überreicht werden, sobald uns der Zutritt zu den Räumen gestattet wird. Mit vorzüglicher Hochachtung i.V. Julius Hirsch Schriftführer Simon Advokat Obmann

[2. Dokument] Der Polizeipräsident in Wien. V.B. 1209/3/38. Wien, am 6. September 1938 Betrifft: Verein: Verein jüdisches Kulturtheater. Behördliche Auflösung Vollzugsbericht Vorgang: IV Ac 31 §20. An den Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände, in Wienl. Der oben bezeichnete Verein wurde über Ihren Antrag mit dem Bescheide der Mag.Abt.2/5602/38, vom 31. August 1938, dessen Abschrift beiliegt, rechtskräftig aufgelöst und die Löschung dieses Vereines im Vereinskataster durchgeführt. Die Zustellung des Originalbescheides an den Vereinsobmann wurde unter einem veranlaßt.

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Hierüber wird mit dem Ersuchen berichtet, den Rückschein mit der Empfangsbestätigung über den Erhalt der Bescheidabschrift der Magistratsabteilung 2 direkt zu übersenden. Heil Hitler! [...] [Österreichisches Staatsarchiv Wien, Archiv der Republik]

Scholem Perlmutter

Der »Großvater« des jiddischen Theaters in Galizien ist als Flüchtling von Wien nach Amerika gekommen Das ist Schulim Podzamcze, den man als den letzten der »Broder Singer« ansieht, die halfen das jiddische Theater aufzubauen. - Er hat eine Generation jiddischer Schauspieler erzogen in seiner langen Karriere als Schauspieler, Direktor und Verbreiter jiddischer Theaterkultur. - Wie das jiddische Theater ausgesehen hat, als die »Broder Singer« in Galizien von Schtetl zu Schtetlfuhren. Letzten Samstag kam mit dem Schiff »President Harding« Schulim Podzamcze in Amerika an, einer der letzten der »Broder Singer«, die ein Stück Geschichte des jiddischen Theaters und des jiddischen Volksliedes in Galizien repräsentieren. In der Zeit, in der das jiddische Theater in Galizien seine Tätigkeit begann, waren die »Broder Singer« die Pioniere der jüdischen Theaterkunst. Sie bereiteten als erste den Weg für das spätere moderne jiddische Theater und erzogen ganze Generationen jiddischer Schauspieler. Schulim Podzamcze, der jetzt in Amerika unser Gast ist, welcher der letzte »Broder Singer« ist und der einmal in fast ganz Europa als der beste jiddische Volkssänger berühmt war, wurde im Jahr 1860 in Bershan (Brzezany), einem kleinen ostgalizischen Städtchen, geboren. Niemand in seiner Familie war vermögend, und so gab es niemanden, der sich um die Erziehung des jungen Schulim kümmern konnte. Als Ende der siebziger Jahre in Lemberg die sogenannten »Broder Singer« aktiv wurden, die ein besonderes Kapitel in der jiddischen Theatergeschichte in Galizien darstellen, schloß Schulim Podzamcze, der damals kaum 15 Jahre alt war und eine sehr schöne Stimme hatte, sich ihnen gleich an, und in kürzester Zeit stand er an der Spitze, und sein Name wurde in ganz Galizien bekannt und berühmt. Die »Broder Singer« waren in der ersten Zeit keine professionellen Sänger, sondern Menschen aus unterschiedlichen Sphären und unterschiedlichen Volksschichten. Unter ihnen fanden sich ein junger Mann, der aus der Jeschiwe fortgelaufen war, ein Hilfskantor, der den Kantor zurückgelassen hatte, ein »Badchen«, der es überdrüssig geworden war, seine Reime auf Hochzeiten zu

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schmieden, oder ganz einfach junge Leute ohne andere Beschäftigung - die aber eine schöne, gute Singstimme hatten. Schulim Podzamcze gehörte zu den letzteren. Seine gute Stimme machte es ihm möglich, sich den Reihen der Wanderer anzuschließen, die sich in jener Zeit zusammenschlossen und verschiedene Gruppen bildeten, in den fünfziger, sechziger, siebziger Jahren [des 19. Jahrhunderts], Er trat erst in verschiedenen Städten in Galizien auf, wo er von Stadt zu Stadt wanderte und das Publikum bei primitiven Vorstellungen in Gasthäusern mit seinen originellen jiddischen Volksliedern unterhielt, bis er einige Zeit später in Lemberg Halt machte. In Lemberg trat eine ganze Schar jiddischer Volkssänger auf, schon lange vor Schulim Podzamcze. Als erster ist »Berl Broder« zu erwähnen, von dem auch der Name »Broder Singer« stammt, und der bekannte Volkssänger und Dichter »Welwl Zbarzer« (Wolf Ehrenkranz), außerdem gab es die Familie Goldwurm, Chaim Schmuel Lukatscher, Mosche Kanarik und andere. Mit Schulim Podzamcze, soweit ich mich erinnere, vor mehr als vierzig Jahren, trat damals schon Chajm Bendel auf, Jona Reismann, Chone Schtradler und seine Frau Neche, die Weisenfreunds (die Eltern von Paul Muni), Abraham Akselrod, Sam Ludwig, Herr und Frau Desser, Jacob und Pepi Litman, Mordche und Adela Schwarz, und andere. Viele von ihnen schlossen sich in späteren Jahren dem jiddischen Theater an und sind in der Theatergeschichte als tüchtige Pioniere der jiddischen Bühne bekannt. Der Beruf eines jiddischen Volkssängers genoß in jener Zeit kein besonderes Ansehen. Es gab damals in Lemberg viele Kneipen, wo die unteren Schichten des jüdischen Volkes verkehrten, und dorthin, in diese Kneipen, kamen die »Broder Singer« mit ihren »Liedchen«. Der jüdische Handwerker, der Kleinhändler, der Fuhrmann, pflegten nach der schweren Arbeit eines ganzen Tages in die Schenke von Adolf Lifschiz am Kohlenplatz oder ins Lokal von Schwezer, das sich damals im Arbeiterviertel, auf dem Samanstinower [Platz] befand, zu kommen, um sich mit einem Glas Bier zu stärken und dabei ein schönes jiddisches Lied singen zu hören. Von Zeit zu Zeit traten die jiddischen Volkssänger in anderen Lokalen und Gasthäusern auf. An den Abenden, an denen die Broder Singer auftraten, wurde vor dem Lokal eine eigene, charakteristische rote Lampe aufgehängt, auf der mit jiddischen Buchstaben geschrieben war: »Heute singen in diesem Lokal die besten jüdischen Volkssänger«. Sobald es diese rote Lampe sah, strömte das Publikum in großen Massen zusammen, um die »Broder Singer« zu hören. In einem Lokal, wo Broder Singer auftraten, zogen als erste zwei große Messingleuchter auf einem breiten, großen Tisch die Aufmerksamkeit auf sich, als Zeichen, daß hier die Bühne begann, die nie vom Publikum getrennt war. Auf der Seite war ein Winkel mit einem weißen Leintuch verhängt. Das war an Stelle der Garderobe. Dort kleideten sich die »Broder Singer« um. Das »Umkleiden« bestand darin, daß man die Jacke umdrehte.

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Die Volkssänger sangen hauptsächlich Couplets und Lieder, verfaßt von dem galizischen Dichter und Volkssänger Welwl Zbarzer, von Eljokum Zunser und Abraham Goldfaden, wie zum Beispiel: »Das Auge«, »Die Eisenbahn«, »Das neunzehnte Jahrhundert«, »Der alte Vater«, oder auch die Lieder des Badchens Sch. Bernstein: »Der Sabbath und seine besondere Seele«, »Schalom alejchem«, »Der neue kol mekadesch« oder die Lieder der Badchonim Binjomin Seew Schtrojss und M. N. Drajfuss, von denen Schulim Podzamcze in jenen Jahren sang: »Nächstes Jahr in Jerusalem«, »Die fröhliche Armut«, »Fürchte dich nicht, Jakob mein Knecht«, »Chajm Schmul, der Sohn des Gabbe«, »Ruhe und Frieden«, »Sündenbekenntnis«, »Der kurze Freitag« und vieles mehr. Von diesen Liedern wurden die ersten drei in Warschau im Jahr 1902 gedruckt und die anderen in Podgrusha bei Krakau in den Jahren 1890 und 1891. Der Eintritt zu den »Broder Singern« war frei und kostenlos, aber nach jedem Couplet oder Lied gingen die Sänger mit einem Teller durch das Publikum, und sie sammelten sich selber ihren Lohn ein, der fur gewöhnlich nicht mehr als zwei oder drei Kreuzer von jeder Person ausmachte. Besonderes Ansehen hatte schon einer, wenn er ganze fünf Kreuzer gab. So jemand bekam bei den »Broder Singern« schon den Titel »guter Gast«. (Jahre später, als sich unter den »Broder Singern« auch schon Frauen fanden, pflegten die Frauen mit dem Teller herumzugehen und erhielten weit mehr als die Männer). Die Sänger erhielten auch von den Wirten, bei denen sie auftraten, »Gagen«, die einen halben bis einen ganzen Gulden pro Abend ausmachten, und das mit den schon früher erwähnten Geldern zusammen ergab fur die Volkssänger ein ganz gutes Einkommen. Man konnte in jener Zeit sogar Volkssänger antreffen, die sich eine goldene Uhr mit Messingkette leisten konnten. Schulim Podzamcze spielte in Lemberg auch im Bambochs Schenke in der »Breiten Straße«, in Josche Hands Garten auf Shalkowa und in einer ganzen Reihe anderer jüdischer Schenken in Lemberg. Seine Schlager waren in jener Zeit »Der alte Vater«, »Großmutter Jachne«, »Der Krakauer«, »Der Schuster als Rabbi«, »Tante Dresl mit dem krummen Näschen«, »Godel«, »Der verliebte Jüngling« und viele andere, deren Verfasser nicht bekannt sind. Die Musik zu den Liedern pflegten die Sänger selber zu arrangieren, man nahm alles, was nur ging, eine chassidische Melodie, sogar das traditionelle »Bachuni« der Melodien für die Hohen Feiertage, Hauptsache man hatte eine Melodie. Verständlicherweise verärgerte das die religiösen und chassidischen Juden, die darin eine Beleidigung ihrer heiligen Melodien sahen. Es ist hier nicht der Platz, den Inhalt aller Stücke, aus denen Schulim Podzamczes Repertoire bestand, wiederzugeben. Aber um nur einen kleinen Begriff davon zu geben, wollen wir einen Teil davon bringen. Nehmen wir zum Beispiel das Stück Der Krakauer. Hier wird eine Geschichte von einem Kantor erzählt, der einmal in ein Schtetl kam. Einer der wichtigsten Bürger im Schtetl nimmt ihn bei sich als Gast auf. Der Kantor aber beginnt, der Frau des Hauses nachzusteigen, und zwischen den beiden entspinnt sich eine Liebesaffäre. Im Haus des Gastgebers treibt sich ein Schnorrer

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herum, welcher ständig auftaucht und stört, wenn der Kantor die Hausfrau küssen will. Schließlich erfährt der Hausherr von dem Skandal und wirft den Kantor hinaus. In dieses Stück ist ein Lied eingeflochten, »Ei-di-ei-du«, das gewissen Geschmack zeigt. In der Rolle der »Bobe Jachne« war Schulim Podzamcze sehr gut. Niemand konnte glauben, daß ein Mann so realistisch die Stimme und den Charakter einer alten Jüdin wiedergeben könnte. Heute, natürlich, herrschen schon andere Vorstellungen über das jiddische Theater, aber in den Zeiten der »Broder Singer« war man nicht so wählerisch und jede Vorstellung rief Begeisterung hervor. Was man spielte und wie es gespielt wurde, kümmerte niemand. Die Hauptsache war, daß man jiddisches Theater sehen konnte. Man kann deshalb das einstige jiddische Theater und die »Broder Singer« nicht kritisieren, denn bei einer Bühne, die aus einem Tisch mit zwei Leuchtern bestand, und wo die Schauspieler nach jeder Nummer mit einem Teller die Groschen einsammeln mußten, kann man sich schon vorstellen, wie es um die ganze Theaterkunst bestellt sein mußte! Und doch haben die »Broder Singer« eine große Bedeutung für die Geschichte und die Entwicklung des jiddischen Theaters. Sie waren die Pioniere der jiddischen Theaterkunst. Sie hatten eine ernsthafte Beziehung zur Schauspielkunst und auch ein ernsthaftes Publikum, selbst wenn es nicht aus einem Interesse an Kunst, sondern an Unterhaltung kam. Schulim Podzamcze war, auf seine Art, in jenen Jahren ein Meister, und da er als populärer jüdischer Volkssänger bekannt war, brachte ihn ein gewisser Mandeltort im Jahr 1891 nach Amerika, wo er im Verlauf von drei Jahren im »Rumanian Opera House« in der Bowery spielte und auch im alten »Grand Museum« in der Grand Street, er konnte sich aber damals an die neuen Bedingungen nicht gewöhnen und fuhr im Jahr 1893 nach Galizien zurück. Schulim Podzamcze spielte Jahre später auch jiddisches Theater unter der Direktion von J. B. Gimpel in Lemberg und auch unter der Leitung des verstorbenen Dramatikers Mosche Richter in der Provinz. Aber wenn die Geschäfte in Lemberg schlecht gingen, fuhr Schulim Podzamcze durch die Städte und Städtchen von Galizien, Ungarn, Bukowina und Moldawien (Rumänien). Es gab keine Gegend, keinen Ort oder auch nur Dorf mit einer größeren jüdischen Bevölkerung in den erwähnten Ländern, in denen Schulim Podzamcze nicht gespielt hätte. Wenn er mit seiner Truppe in ein Schtetl kam, kündigte er sofort den Tag und die Rollen, die er spielen würde, an, und das ganze Schtetl lief, um jiddisches Theater zu sehen, die Mädchen machten sich zurecht wie für einen Festtag, die Burschen des Schtetls kamen, die chassidische Jugend schlich sich heimlich ein, um wenigstens einen schnellen Blick auf diese fürchterliche Sache, die man jiddisches Theater nennt, zu werfen. Die Vorstellung fand in einer Schenke oder einer Privatwohnung statt. Eine Bühne brauchte es nicht, ein Tisch mit zwei Leuchtern genügte. Die Zuschauer waren begeistert, alles war ihnen recht, sie freuten sich über »Chajm Schmuel,

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der Sohn des Gabbe«, »Nächstes Jahr in Jerusalem«, »Der alte Vater« und »Die alte ketire« von Jona Reissmanns Schnorrer, über Schulim Podzamczes Witze. Man vergaß für eine Weile das Grau des Alltags, und nach so einer Vorstellung ging es im Schtetl drunter und drüber. Den chassidischen Töchtern und jungen Männern wurde natürlich ordentlich der Kopf gewaschen für ihre Besuche bei Vorstellungen, wo, wie die frommen Juden behaupteten, Zügellosigkeit herrschte. Mit diesen Vorurteilen hatte das jiddische Theater schwer zu kämpfen, und man erzählt, daß es noch bis heute bei jiddischen Theatervorstellungen in den kleineren Ortschaften von Polen und Galizien zu Protesten von Seiten der Chassidim kommt. Die Nachwirkung einer solchen Vorstellung von Schulim Podzamcze war, daß man in allen jüdischen Heimen begann, jiddische Volkslieder zu singen. Wenn ein jüdischer Handwerker bei seiner Arbeit außer »Kol nidre« auch ein jiddisches Volkslied sang, wenn jüdische Mütter ihre Kinder mit Goldfadens »Rosinen und Mandeln« einwiegten oder mit anderen jiddischen Volksliedern, so war das das Verdienst der »Broder Singer«. Schulim Podzamcze hatte einen Namen bei den jüdischen Massen, und in den Schtetlech, wo jiddisches Theater unbekannt war, hatte er großen Erfolg. Er brachte eine gewisse geistige Erneuerung unter die rückständigen jüdischen Massen. Er erfüllte damit, trotz der Banalität seiner Stücke, eine Kulturmission, und er bereitete überall den Boden für das spätere moderne jiddische Theater. Nach dem Weltkrieg änderte sich die Rolle der ehemaligen »Broder Singer« vollständig. Es kamen neue Zeiten und neue Lieder. Das jiddische Theater machte große Fortschritte, und auch von den sogenannten »Brettel-Sängern«, Vaudevilles und Operettentheatern begann man etwas Neues, Modernes zu fordern. Schulim Podzamcze ging während des Weltkrieges nach Wien, wo er selber eine Konzession für jiddisches Theater erhielt. In seinem jiddischen Theater in Wien fanden viele jiddische Schauspieler ein Zuhause, einen Platz, um zu schlafen und den Hunger zu stillen. Unter seinem Management machten auch alle amerikanische Stars in Wien Gastspiele, unter ihnen Mali Picon, Hymi Jacobson, Miijam Rressin und viele andere. Schulim Podzamcze ist 79 Jahre alt. Er spielt bereits seit 64 Jahren Theater. Am 11. März 1937 [!] sagte er aufgrund des Einmarsches von Hitler in Wien die letzte Vorstellung ab, und das war das Ende seiner Tätigkeit als Direktor. Vergangenen Samstag kam er mit seiner Frau und seiner Tochter nach Amerika. Im Hafen erwarteten ihn seine älteste Tochter und sein Schwiegersohn, ein Bruder des verstorbenen jiddischen Theatermanagers Mikel Sax. [The Day, 13. August 1939 (jidd.)]

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Berühmter Wiener jüdischer Schauspieler flüchtet hierher In diesen Tagen ist in New York Michael Preise, der berühmte jüdische Schauspieler aus Wien, angekommen. Preiss, der in ganz Österreich und Deutschland als einer der bedeutendsten Bühnenkünstler bekannt war, nahm auch eine Zeitlang eine wichtige Stellung im jiddischen Theater ein. Herr Michael Preiss war einer der Erbauer des verfeinerten jiddischen Theaters in Wien, wo er die »Jüdische Volksbühne« mitbegründete. Michael Preiss stammt aus Salowitz, Ostgalizien, wo er in einem orthodoxen Umfeld aufwuchs. Sein Vater, Saul Preiss, war ein angesehener Gutsbesitzer in Galizien und spielte dort eine Rolle im gesellschaftlichen Leben. Michael Preiss kam als junger Mann nach Wien, wo er an der Schauspielakademie Theater studierte und sich gleichzeitig mit jüdischer Kulturarbeit befaßte. So begann sein Interesse fur das jiddische Theater. Einer der Auftritte von Michael Preiss bei der »Jüdischen Volksbühne«, in Perez Hirschbeins Stück Yo 'el erweckte das Interesse von Max Reinhardt und Richard Beer-Hofmann, dem bekannten deutsch-jüdischen Dramatiker. Beide hatten Interesse an dem jungen Talent, und so ging Preiss zur deutschsprachigen Bühne, wo er jahrelang - bis Hitlers Okkupation von Österreich - wichtige Rollen spielte. Herr Preiss flüchtete nach Hitlers Einmarsch nach England, wo er sich ein Jahr lang aufhielt. Dieser Tage ist er in New York eingetroffen, wo er hofft, in einem jiddischen Theater zu spielen. Preiss erzählt, daß er ein Jahr in einem Flüchtlingslager in England verbrachte und dort sehr gut behandelt wurde. Er widerspricht allen Gerüchten, die davon reden, daß die Flüchtlinge in England schlecht behandelt würden. [Das jiddische Journal, 1940 (jidd.)]

Abisch Meiseis

Nicht mehr hier... Als ich hörte, daß der israelische PEN-Klub und der jiddische PEN-Klub New York und London den 27. Kongreß boykottierten, weil er in Wien, der »schuldhaften Stadt«, stattfand, fühlte ich mich wie ein Verräter, obwohl der Zweck meines Hinfahrens war, etwas über die letzten Tage meiner umgekommenen Wiener Schauspielerfreunde zu erfahren. Ich besuchte alle Orte, an denen sie gewohnt hatten, und die einzige Antwort, die ich hörte, war - »Nicht mehr hier«. Auf jeden Schritt, auf jede Frage die gleiche Antwort. Was ist mit der berühmten Bibliothek der Kultusgemeinde? Mit den Schulen? Tempeln? Mit dem großen Rothschild-Spital usw. - »Nicht mehr hier« war die Antwort...

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Politik, Antisemitismus und Exil

Die große Vernichtung kann man erst fühlen und verstehen, wenn man diese Stadt besucht. Die Wiener jüdische Bevölkerung, 180.000 an der Zahl, stand auf höchstem kulturellen Niveau, und die Jugend erst, es wäre eine Schande, sie nur damit zu loben, daß es keine Verstöße gegen das Gesetz gab, sie stand auf einer noch viel höheren Stufe. In den assimilierten Häusern zwangen die Kinder die Eltern dazu, Sabbatkerzen anzuzünden, den Segen zu sprechen, die Channukalichter zu entzünden usw. War ein Kind am Sonntagnachmittag nicht im jüdischen Theater, mußte es am Montag in der Schule eine Ausrede finden, weil es sich vor den Freunden schämte. In allen einundzwanzig Bezirken gab es zionistische Heime, in denen die Kinder eine gute jüdische Erziehung bekamen, und jetzt hörte ich auf alles die Antwort »Nicht mehr hier«... Von den zehntausenden Juden, die ich kannte, traf ich sechs Überlebende. Wir umarmten und küßten einander und weinten ... Erschütternd wirkte auf mich die Begegnung mit dem »einfachen« Juden Sch. Brod. Eine solche Szene kann sich der größte Regisseur nicht ausdenken, nur das Leben allein. - Im Jahr 1934 habe ich in ein Stück von mir ein Lied des Modzhitser Rebbe eingebaut, »hen goalti«, und dieses Lied wurde damals in allen jüdischen Häusern Wiens gesungen. - Nun erzählte mir Freund Brod, daß er in allen diesen Leidensjahren, wenn es ihm sehr, sehr schlecht ging, »hen goalti« sang, und sich dabei folgendes dachte - der Meiseis ist doch gewiß schon tot, aber wenn ein Wunder geschieht und ich ihn noch einmal treffe, werde ich ihn mit »hen goalti« begrüßen - und so geschah es... Beim Kongreß bin ich einer Reihe großer Persönlichkeiten begegnet, ich habe mit Arnold Zweig gesprochen, weil ich sein Ritualmord in Tisza Eszlár (Titel: Die Sendung Semaels) übersetzt habe. Er war aber ständig umgeben von Delegierten aus Ostdeutschland, und er redete nicht viel... Beim Empfang des österreichischen Bundeskanzlers »und als dem Herzen des Königs wohl war vom Wein«, habe ich Arnold Zweigs Frau gefragt, warum sie Israel verlassen haben. Sie sagte mir, daß sie alle Belange ordnen mußten wegen seiner Buchausgaben in Europa und ähnliches. Ich will mich ein bißchen bei der schwedischen Dichterin Elsa BjörkmanGoldschmidt aufhalten. Sie war mit dem Dozenten Dr. Goldschmidt verheiratet, dem Primar für Chirurgie des Rothschild-Spitals. Sie hat mich daran erinnert, daß sie in Wien Der Vater von Strindberg in Jiddisch gesehen hat (aufgeführt in unserem Theater von Ben Zwi-Baratoff). In dem letzten Buch, das sie herausgegeben hat, hat sie der Schriftstellerin Mari Lazar einen großen Abschnitt gewidmet. Mari Lazar wurde in einer Familie von ehemaligen Juden geboren. Als Hitler Wien besetzte, war sie in Dänemark, aber ihre Familie wurde aus Wien weg in ein Konzentrationslager gebracht, und dort sind alle umgekommen. Mari Lazar konnte ihre »liebe« Geburtsstadt Wien nicht vergessen und in einem Gedicht beklagt sie die schöne Stadt, die ihre Kinder umgebracht hat, sie sieht die Toten in ihrer Vaterstadt umhergehen und sie singt: Und wird kein Stein mehr auf dem andern stehen so werden sie doch noch durch die Gassen gehen

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Und sie endet: Und über Grenzen, über Meer und Land trag ich und fühl' die große Schand, daß die große Vaterstadt mit ihrer Pracht hat ihre Toten selber umgebracht... In Wien leben heute ungefähr zehntausend Juden. Von einem organisierten jüdischen Leben kann keine Rede sein. Die Kultusgemeinde ist bei allen Teilen der Bevölkerung verhaßt, es ist klar, daß es kein Kulturleben gibt. Nur die zionistische Organisation versucht ein bißchen Jüdischkeit in die jüdische Restgemeinde zu bringen. Das sind alte, in dieser Arbeit erfahrene Menschen wie Dr. Herzberg, Wolf Tischenkel, Generalsekretär Müller und der Redakteur der »Stimme«, Bernhard Braver, welcher sich mit Leib und Seele fur ein »jiddisches Wort« einsetzt, aber, so sagt er zu mir, was kann ich tun, wir müssen die »verfluchte« Sprache benutzen ... Man sollte die Juden, die sich nach einem jiddischen Wort sehnen, retten. Ich bin mit Freund Braver in Verbindung. Man könnte fur diese Menschen dort, die am jiddischen Wort hängen, etwas tun. Man muß ihnen helfen, damit sie geistig wieder aufleben. Man darf dieses wichtige Problem nicht mit einem Achselzukken abtun. Die zionistische Organisation hat keine materiellen Mittel, aber es gibt andere Quellen, die sich mit dieser Frage beschäftigen sollten. Man darf eine jüdische Gemeinschaft nicht geistig umkommen lassen. Der Boden ist fruchtbar. Es müssen sich nur die richtigen Wegweiser finden. Es ist nie zu spät. [YIVO, Meiseis Collection, Rg. 428 (jidd.)]

Anhang

Zur Edition Die in der vorliegenden Edition ζ. T. erstmals in deutscher Sprache publizierten Quellen, Daten und Materialien zielen darauf, die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des jiddischen Theaters zu dokumentieren. Die Texte wurden aufgrund ihrer Aussagekraft fur das jiddische Theater in Wien und in bezug auf dessen Internationalität ausgewählt. Da Textzeugnisse zu den Gastspielen der berühmten jiddischen und hebräischen Ensembles jeweils eigene Bände füllen würden, konnten diese Dokumente nur am Rande berücksichtigt werden; auch der Anhang kann nur in Auswahl über die Dramen, Autoren und Schauspieler informieren, die das jiddische Theater, wie es seit 1876 in aller Welt bestand und bis heute besteht, maßgeblich geprägt haben. Die Wiedergabe der abgedruckten Texte erfolgt auf der Grundlage der in den Quellennachweisen und Stellenkommentaren aufgeführten Vorlagen (vgl. unten, S. 167ff). Eingriffe in die historische Schreibweise, den überlieferten Wortlaut oder die Interpunktion der Originale wurden grundsätzlich nur in Einzelfallen vorgenommen und mittels eckiger Klammern gekennzeichnet; offensichtliche Druck- oder Schreibfehler wurden hingegen stillschweigend korrigiert. Hervorhebungen im Original durch Sperrung, Fettdruck, andere Schrifttype u. ä. stehen - wie auch in der Vorlage nicht eigens hervorgehobene Dramentitel - einheitlich kursiv. Unterschiedliche oder irrtümliche Schreibweisen, ζ. B. bei Autoren- oder Schauspielernamen, wurden nicht revidiert. Sie wurden gesondert durch eckige Klammern gekennzeichnet, sofern eine Quelle mehrere Schreibweisen verwendet (etwa: »Pinsky« und »Pinski« in Siegfried Schmitz' Beitrag »Warum nicht unser Theater?«). Anordnung und Schriftbild von Titel- oder Verfasserangaben waren im Textteil der vorliegenden Ausgabe zu vereinheitlichen und werden ggf. in den Quellennachweisen ergänzt. Die in diesem Band abgedruckten Übersetzungen aus dem Jiddischen folgen im allgemeinen den standardisierten Transkriptionsregeln des Yidisher Visenshafilekher Institut (YTVO); zum besseren Verständnis der Texte wurden in einigen Fällen Satzzeichen oder zusätzliche Absatzenden eingefügt. Übersetzungen von Zeitschriftentiteln und Namen folgen, wie ζ. B. im Fall der Yidishn morgenpost / Jüdischen Morgenpost, den in manchen Quellen enthaltenen Transkriptionen. Die Stellenkommentare konzentrieren sich darauf, zum Verständnis der Texte wesentliche Daten, Angaben und Hintergründe zusammenfassend zu

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Anhang

referieren; detaillierter kommentiert werden demgegenüber Textstellen, die in der einschlägigen Literatur - wie im Fall jiddischer Periodika bzw. Fachzeitschriften, die in geringen Auflagen und lokal sehr begrenzt erschienen - bislang wenig Beachtung fanden. Der Anhang bietet ferner Informationen über die in den Quellen häufig erwähnten Autoren, Dramen und Schauspieler des jüdischen Theaters. Hinsichtlich alternativer Schreibweisen wurden die deutschen Varianten von Personennamen und Werktiteln zugrundegelegt; Dramentitel werden - sofern überliefert - in deutscher Übersetzung genannt; jiddische Originaltitel stehen in runden Klammern; Ausnahmen bilden Dramen, die nur in deutscher Fassung publiziert wurden bzw. deren jiddische Vorlagen, wie etwa von Schalom Aschs Familie Großglück, nicht überliefert sind.

Schriftenverzeichnis Adunka, Evelyn: Die vierte Gemeinde. Die Wiener Juden in der Zeit von 1945 bis heute. Berlin, Wien: Philo 2000. Archiv Bibliographia Judaica. Lexikon deutsch-jüdischer Autoren. Redaktionelle Leitung: Renate Heuer. Unter Mitarbeit von Andrea Boelke, Rainer Brändle, Alois Hofman, Judith Lorenz, Siegbert Wolf. München, London, New York, Paris: Saur 1992ff. Bibliographia Judaica. Verzeichnis jüdischer Autoren deutscher Sprache. Bearbeitet von Renate Heuer. 4 Bde, München, New York, London, Paris: Saur 1980-1983. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 / International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933-1945. 4 Bde, München, New York, London, Paris: Saur 1980-1983. Biswas, Regina / Birgit Peter: Österreichische Theatertopographie (FWF-Projekt am Institut fur Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien, nicht publiziert). Bolbecher, Siglinde / Konstantin Kaiser: Lexikon der österreichischen Exilliteratur. In Zusammenarbeit mit Evelyn Adunka, Nina Jakl, Ulrike Oedl. Wien, München: Deuticke 2000. Bruckmüller, Ernst. Sozialgeschichte Österreichs. Wien, München: Herold 1985. Czeike, Felix: Historisches Lexikon Wien in 5 Bänden. Wien: Kremayr & Scheriau 1992-1997. Dalinger, Brigitte: Jüdisches Theater in Wien. (Diplomarbeit) Wien 1991. - »Verloschene Sterne«. Leben des jüdischen Theaters in Wien. (Diss.) Wien 1995. - »Verloschene Sterne«. Geschichte des jüdischen Theaters in Wien. Wien: Picus 1998. Deutsches Theater-Lexikon. Biographisches und bibliographisches Handbuch. Begründet von Wilhelm Kosch, fortgeführt von Ingrid Bigler-Marschall. 4 Bde, Bern: Francke 1953-1998. Encyclopaedia Judaica. Ed. by Cecil Roth and Geoffrey Wigoder. 17 Bde, Jerusalem: Keter 1966-1981. Freie Jüdische Volksbühne: Pressestimmen. Wien: Verlag des Gründungskomitees der Jüdischen Künstlerbühne Ges. m. b. H. 1921. Gorin, Bernard: Di geshikhte fun yidishn teater. 2 Bde, New York: Max N. Mayzel 1923 [jidd.].

Schriftenverzeichnis

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Hadamowsky, Franz: Wien. Theatergeschichte. Von den Anfangen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Sonderband-Studienausgabe. Wien: Jugend & Volk, Edition Wien, Dachs-Verlag 1994. Harendorf, Samuel Jacob: Teater karavanen. London: The Narod Press 1955 [jidd.]. Hödl, Klaus: Als Bettler in die Leopoldstadt. Galizische Juden auf dem Weg nach Wien. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1994. Hoeflich, Eugen: Tagebücher 1915 bis 1927. Hg. und kommentiert von Armin A. Wallas. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1999. Huesmann, Heinrich: Welttheater Reinhardt. Bauten, Spielstätten, Inszenierungen. München: Prestel Verlag 1983. Jüdischer Biographischer Index. CD-ROM, Version 3.00. München, London, New York, Paris: Saur 2000. Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden. Begründet von Georg Herlitz und Bruno Kirschner. Berlin: Jüdischer Verlag 1927-1930. Kadison, Luba / Joseph Buloff: On Stage, Off Stage. Memories of a Lifetime in the Yiddish Theatre. Cambridge/Mass.: Harvard University Library 1992. Kindlers Neues Literatur Lexikon. Chefredaktion: Rudolf Radler. 22 Bde, München: Kindler Verlag 1988-1998. Leksikon fun der nayer yidisher literatur. Redaktsye: Shmuel Niger un Yankev Shatski 8 Bde, New York: Alveltlekher Yidisher Kultur-Kongres 1956-1981. Levy, Emanuel: The Habima - Israels National Theater 1917-1977. New York: Columbia University Press 1979. Mayer, Ulrike: Theater für 49 in Wien 1934-1938. (Diss.) Wien 1994. Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur. Jüdische Autorinnen und Autoren deutscher Sprache von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Hg. von Andreas B. Kilcher. Stuttgart, Weimar: Metzler 2000. Mokotoff, Gary / Sallyann Amdur Sack: Where Once We walked. A Guide to the Jewish Communities destroyed in The Holocaust. Teaneck/NJ: Avotaynu 1991. Pass, Walter / Gerhard Scheit / Wilhelm Svoboda: Orpheus im Exil. Die Vertreibung der österreichischen Musik 1938-1945. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1995. Prager, Leonard: Yiddish Culture in Britain. A Guide. Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris: Lang 1990. Riemann Musik Lexikon. Ergänzungsband zum Personenteil Α-K. Hg. von Carl Dahlhaus. Mainz: B. Schott's Söhne 1972. Riemann Musik Lexikon. Personenteil Α-K. Mainz: B. Schott's Söhne 1959. Rozenblit, Marsha L.: Die Juden Wiens 1867-1914. Assimilation und Identität. Wien, Köln, Graz: Böhlau 1988. Sandrow, Nahma: Vagabond Stars. A World History of Yiddish Theater. New York: Limelight Editions 1986. Schmitz, Siegfried: Zur Geschichte und zum Problem des jüdischen Theaters in Wien. In: Jüdisches Leben in Österreich in Wort und Bild, mit Gemeinde- und Vereinskalender für das Jahr 5686. Hg. von Jakob Krausz und Michael Winkler. Wien: Selbstverlag 1925. Soxberger, Thomas: Jiddische Literatur und Publizistik in Wien. (Diplomarbeit) Wien 1994. Teller, Oscar: Davids Witz-Schleuder. Jüdisch-Politisches Cabaret. 50 Jahre Kleinkunstbühnen in Wien, Berlin, London, New York, Warschau und Tel Aviv. Darmstadt: Verlag Darmstadter Blätter 1982. Trilse-Finkelstein, Jochanan Ch. / Klaus Hammer: Lexikon Theater International. Berlin: Henschel Verlag 1995.

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Anhang

Wall, Renate: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933-1945.2 Bde, Freiburg i. Br.: Kore 1995. Weiser Varon, Benno: Professions of a Lucky Jew. New York, London, Toronto: Cornwall Books 1992. Wininger, Salomon: Grosse Jüdische National-Biographie mit mehr als 11.000 Lebensbeschreibungen namhafter jüdischer Männer und Frauen aller Zeiten und Länder. 7 Bde. Czernowitz: Orient 1925-1936. Zylbercweig, Zalmen: Leksikon fun yidishn teater. 6 Bde, New York, Warschau, Mexiko City: Farlag Elisheva 1931/1934/1959/1963/1967/1969 [jidd.].

Autoren An-Ski eigentlich Schiomo Seinwel Rappoport (Witebsk 1863-1920 Warschau), war Buchbinder, Schmied, Autor und Folkloreforscher. In seiner Jugend war er revolutionärsozialistisch engagiert, 1894 flüchtete er nach Paris, 1905 kehrte er nach Rußland zurück und engagierte sich in der Sozialrevolutionären Partei. An-Ski verfaßte die Hymne des jüdisch-sozialistischen »Bundes«, »Di shvue« (Der Eid). Vor dem Ersten Weltkrieg sammelte er für die »Jüdische Ethnologische Gesellschaft« in den Dörfern der Ukraine jüdische Märchen, Sagen, Bräuche, Geistergeschichten und Sprüche. Diese Eindrücke sowie seine Begegnungen mit der chassidischen Welt prägten die »dramatische Legende in vier Bildern« Der Dibbuk (Der dibek, Der Dybuk auch: Zwischen zwei Welten), die posthum von der Wilnaer Truppe (1920) sehr erfolgreich aufgeführt wurde und eines der bekanntesten jiddischen Dramen ist; weiters verfaßte An-Ski das Drama Tag und Nacht.

Schalom Asch (Kutno, Polen 1880-1957 London), war jiddischer Schriftsteller und Dramatiker. Er genoß eine traditionelle jüdische Erziehung, lernte nebenbei Deutsch, war Thoralehrer auf dem Land. Das Leben der Landbevölkerung wurde Inhalt seiner ersten veröffentlichten Erzählung. In der Folge schrieb Asch eine ganze Reihe jiddischer Romane und Erzählungen, etwa »Mottke der Dieb« (Motke Ganev), die sehr populär wurden. Während des Zweiten Weltkriegs verfaßte Asch eine Trilogie über die Gründergeneration des Christentums, deren positiver Grundton heftige Kritik hervorrief. Aschs Erzählungen und Romane wurden in viele Sprachen übersetzt, seine Dramen auch in deutscher und englischer Sprache gespielt. Das bekannteste Drama Aschs, Gott der Rache (Got fun nekome), wurde 1907 in deutscher Sprache publiziert und 1908 in Berlin von Max Reinhardt als eines der ersten jiddischen Dramen auf dem deutschen Theater gezeigt. Gott der Rache löste heftige Kontroversen aus - es spielt in einem Bordell mit jüdischem Wirt, und obwohl er versucht, seine Familie von seinem Geschäft strikt zu trennen, geht seine Tochter mit einer Prostituierten durch. Der Inhalt des Dramas veranlaßte verschiedene Organisationen, den Autor und seine Werke zu meiden, etwa den Zionistischen Weltkongreß 1912, der die Aufführung eines weiteren Dramas von Asch - Familie Großglück nicht zulassen wollte. Dennoch blieb Gott der Rache eines der wichtigen Dramen im

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Repertoire anspruchsvoller jiddischer Bühnen. Weitere Dramen bzw. dramatisierte Fassungen von Aschs Erzählungen sind: Mottke der Dieb, Kiddush HaShem (Glaubensmatyrium), Unser Glauben (Unzer gloybn), Schabbatai Zwi (Shabse Tsvi), Amnon und Tamar (Amnon un Tamar), Messias ' Zeiten (Moshiekhs tsaytn) und Der Landsmann (Der landsman).

Ossip Dymow (Dimow), eigentlich Yosef Perlman (Bialystock 1878-1959), wurde in einer aufgeklären jüdischen Familie geboren und sekulär erzogen. Er schrieb Satiren und Theatertexte in russischer Sprache, auch seine auf jiddischen Bühnen oft gespielten Dramen Höre Israel (Shma Yisroel) und Der ewige Wanderer wurden in russischer Sprache uraufgeführt. Der Schauspieler und Theaterleiter Boris Thomashefsky lud Dymow 1913 ein, nach Amerika zu kommen, in den USA wurde Dymow ein erfolgreicher Dramatiker, dessen Texte von populären und anspruchsvollen jiddischen Bühnen aufgeführt wurden. Er schrieb über 30 Dramen, von denen Der Sänger seiner Trauer (Der singer fun zayn troyer oder: Yoshke Muzikant) durch eine Inszenierung der Wilnaer Truppe 1924 bekannt wurde.

Albert Ganzert eigentlich Avrum Halpert (auch: Awrum oder Albert Haibert; Abraham oder Abram Halberthal), (Botoshani, Bukowina 1881-1965 Hamburg). Halpert studierte und lebte in Deutschland, er gab verschiedene Periodika, etwa »Nord und Süd« (Berlin), heraus und schrieb populäre Erzählungen, Bücher über Werbung und Dramen. Nach 1933 emigrierte er in die Schweiz und verfaßte Texte, die sich gegen die Nazis richteten, etwa das Drama Die Grenze. Diese Beschreibung des Schicksals einer jüdischen Familie in NS-Deutschland erlebte über 120 Vorstellungen im Jüdischen Kulturtheater in Wien und wurde in den Niederlanden, in Belgien und in New York nachgespielt. Zu Beginn der Saison 1936/37 wurde ein weiteres Drama Halperts, Konflikte 1936, im Jüdischen Kulturtheater angekündigt, aber nicht produziert; stattdessen erlebte das Chanukkah-Spiel Das Lied vom Licht am 24. November 1936 seine Uraufführung. Ganzert verfaßte noch weitere zeitkritische Dramen, etwa Kraft durch Feuer (1938). Bis 1954 lebte er in Zürich, danach in Küsnacht, Schweiz, wo er sich ebenfalls als Autor und Publizist betätigte. 1960 kehrte er in die BRD zurück.

Abraham Goldfaden (Alt-Konstantin, Rußland 1840-1908 New York), gilt als Begründer des professionellen jiddischen Theaters. Goldfaden hatte das Rabbinerseminar in Shitomir, Ukraine, besucht, in dem 1862 Solomon Ettingers Serkele mit ihm in der Titelrolle aufgeführt worden war; nach Verlassen des Seminars versuchte er sich in verschiedenen Berufen, bevor er 1876 nach Jassy in Rumänien kam, um dort eine jiddische Zeitung zu gründen. Zu dieser Zeit hatte er zwei Bände Lyrik herausgegeben, die zwei kurze Szenen enthielten und deren Gedichte und Lieder bald zum Repertoire vieler Broder Singer gehörten - bei seinem Eintreffen in Jassy hatte er bereits eine Reputation als Dichter und Komponist. Jassy war damals eine prosperierende Handelsstadt, in deren Weingarten Pomul Verde (Grüner Baum) sich Israel Grodner, ein bekannter Broder Singer, etabliert hatte. Goldfaden begann für ihn und einen Buben (Issachar oder Sakher Goldstein), der Nebenrollen übernahm, Szenarien zu entwerfen. Er entwickelte Handlungen, in die Lieder eingestreut waren, seinen »Schauspielern« erklärte er die darzustel-

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lenden Charaktere, deren Worte und Taten ihrem Improvisationstalent überlassen blieben. In aufklärerischer Tradition ging es in den ersten Szenarien um Aberglauben und Leichtgläubigkeit der Chassidim, doch bereits 1880 hatte Goldfaden Dramen verfaßt, die seit ihrer Entstehung bis heute gespielt werden: Schmendrik (Shmendrik), Die beiden Kune-Lemel (Di tsvey Kuni-Lemels), Die Zauberin (Di kishefmakherin, Koldunye oder Die Hexe); sie enthielten Musiknummern und Lieder, die oft zu Volksliedern wurden. 1880 hatten sich zu Goldfaden und seinen »eineinhalb Schauspielern« bereits weitere gesellt, die erste jiddische Theatertruppe war entstanden, und sie begann, durch Rumänien zu reisen. Bald war die Goldfaden-Truppe nicht mehr die einzige, neue Ensembles formten sich, oft von Schauspielern der ersten gebildet. In den folgenden Jahren schrieb Goldfaden kontinuierlich fur jiddische Ensembles, seine Themenkreise umfaßten: die Auseinandersetzung mit der jungen Generation, die aufgeklärt erzogen wurde und die traditionellen Werte des Judentums nicht mehr anerkannte, etwa in Die kapriziöse Braut (1877), und Fabeln aus der Bibel, aus der jüdischen Geschichte und jüdische Legenden, die die Grundlage für populäre Operetten und Singspiele wie Bar Kochba (uraufgeführt 1883), Die Opferung Isaaks, Das zehnte Gebot und Sulamith waren. In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts wandte sich Goldfaden dem Zionismus zu, einige seiner Stücke wie Messias Zeiten (Moshiekhs tsayten) (um 1890) und Ben Ami oder Der Sohn meines Volkes (1907) reflektieren diese Haltung. 1887 ließ sich Goldfaden in New York, der künftigen Metropole des jiddischen Theaters, nieder, doch er konnte sich nicht durchsetzen und kehrte nach Europa zurück; 1902 wagte er einen zweiten Versuch, am 25. Dezember 1907 wurde sein letztes Stück, Ben Ami, in New York aufgeführt, wo er am 9. Januar 1908 völlig verarmt starb. Goldfaden entwarf 1876 in Jassy erste Szenarien für einen Broder Singer und einen Buben, einige Jahre später hatte sich das jiddische Theater in Rumänien, den östlichen Gebieten der österreichisch-ungarischen Monarchie wie in Galizien und der Bukowina sowie in Rußland ausgebreitet. Die Einschätzung seiner dramatischen Werke ist sehr unterschiedlich und von der jeweiligen Entstehungszeit geprägt; unbestritten aber ist, daß Abraham Goldfaden die ersten professionellen jiddischen Schauspieler »entdeckte«, mit ihnen die erste Truppe bildete und ein Repertoire für sie schuf. Jacob Gordin (Mirgorod, Ukraine 1853-1909 New York), gründete in der Ukraine eine jüdische Vereinigung, die u. a. die Änderung der Berufsstrukturen der Juden zum Ziel hatte, bevor er 1891 nach New York kam. Hier schrieb er für die jiddische Presse, nebenbei begann er jiddische Dramen zu schreiben, die schließlich der Grundstock des seriösen jiddischen Theaters wurden. Ähnlich wie Joseph Lateiner und Moshe Hurwitz nahm Gordin seine Stoffe zum Teil aus dem Weltrepertoire; er gab seinen dramatis personae aber ein realistisches Umfeld und gestaltete sie vielschichtig und lernfahig, außerdem nutzte er die Nuancen der jiddischen Sprache zur Charakterisierung der Bühnenfiguren. Bei der Inszenierung seiner Texte achtete Gordin auf möglichst exakte Umsetzung, er unterband das geläufige Extemporieren der Schauspieler und setzte auch Lieder und Musik nur sehr gezielt ein. Gordin schrieb über hundert Theaterstücke, die in seiner Ära - 1891 bis 1905 in New York - sehr erfolgreich waren. In seinen Dramen griff Gordin eine Vielzahl von Themen auf, etwa die Emanzipation der Frauen in Sappho, den Konflikt zwischen den Generationen in Mirele Efros, den negativen Einfluß von Geld und Gier auf den menschlichen Charakter in Gott, Mensch und Teufel (Got, mentsh un tayvl). Gordins Dramen sind ein wesentlicher Bestandteil des jiddischen Theaters, einige wie Mirele Efros sind heute noch im Repertoire jiddischer Theatergruppen.

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Sammy Gronemann (Strasburg, Westpreußen 1875-1952 Tel Aviv), Rechtsanwalt, Schriftsteller und Journalist, war der jüdisch-orthodoxen Lebenshaltung verbunden und Zionist. Während des Ersten Weltkriegs war Gronemann u. a. als Übersetzer für Jiddisch an der Ostfront, 1924 erschien sein autobiographisches Buch Hawdoloh und Zapfenstreich. Erinnerungen an die ostjüdische Etappe 1916-1918, in dem eine positive Neubewertung des Ostjudentums vorgenommen wurde. 1926 publizierte Gronemann sein erstes Theaterstück, das Purimspiel Hamans Flucht, erst nach seiner Flucht aus Deutschland entstand die Komödie Jakob und Christian, in der der nationalsozialistische Rassenwahn satirisch beleuchtet wird und die 1937 im Jüdischen Kulturtheater in Wien uraufgeführt wurde. In weiteren Theaterstücken behandelte Gronemann die Probleme der jüdischen Gemeinschaften in Palästina bzw. Israel.

Perez Hirschbein (bei Grodno, Rußland 1880-1948), begann unter dem Einfluß von Jizchok Leib Perez in Warschau jiddische Dramen zu verfassen, seine ersten dramatischen Texte zeigten Armut und Hunger der jüdischen Bevölkerung, danach verfaßte er einige Dramentexte mit symbolistischem Einfluß. Um seine Texte und andere moderne jiddische und nichtjüdische Dramen seinen Vorstellungen entsprechend aufgeführt zu sehen, gründete Hirschbein eine Theatertruppe mit folgenden Ansprüchen: die Regie stand an erster Stelle der Produktion, Ensemblearbeit wurde dem Starwesen vorgezogen, der Dramentext in all seinen Feinheiten berücksichtigt. Die Hirschbeintruppe, die von Odessa aus Tourneen unternahm, bestand von 1908 bis 1910, sie war Vorbild der anspruchsvollen jiddischen Ensembles der 1920er Jahre, etwa der Wilnaer Truppe, Schwartz' Jüdischem Kunsttheater in New York, dem Warschauer Jiddischen Kunsttheater und dem Moskauer Jüdischen Kammertheater Goset. Nach Aufenthalten in Wien und London kam Hirschbein 1911 nach New York, wo er mit Dramen bekannt wurde, die sich mit dem Leben der jüdischen Bevölkerung im ländlichen Litauen auseinandersetzen: Ein verworfener Winkel (A farvorfen vinkl), Des Schmiedes Töchter (Dem shmids tekhter), Die verlassene Schenke (Di puste kretshme), Grüne Felder (Grine felder) und Das Gelöbnis (Tkias-kaf). Hirschbein verband in seinen Dramen realistische Darstellungen mit mystischem Symbolismus, seine Theatertexte wurden vor allem von künstlerisch anspruchsvollen Truppen inszeniert, besonders erfolgreich waren Die verlassene Schenke und Grüne Felder, letzteres wurde auch verfilmt.

Alter Kacisne (Kazisne) (1885-1941 Ukraine), begann als Fotograf und schrieb in vielen literarischen Formen, im jiddischen Theater war sein Drama Der dukus (Der Fürst) erfolgreich. Das Theaterstück beruht auf der Geschichte eines legendären polnischen Fürsten, der zum Judentum konvertierte und dafür zum Märtyrer wurde.

Leon Kobrin (1872-1946), kam 1892 aus Rußland in die USA, wo er sich als Arbeiter auf dem Land und später in einem Sweatshop seinen Lebensunterhalt verdiente. In Rußland hatte Kobrin in russischer Sprache geschrieben, in New York begann er unter dem Einfluß von Jacob Gordin in Jiddisch zu publizieren, 1899 erschien seine Geschichte Yankl Bayle oder Der Dorfs-Yung, und in den folgenden Jahren schrieb Kobrin Dra-

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men, die erstmals das jüdische Leben auf der Lower East Side in realistischer Weise behandelten. Kobrin schrieb über zwanzig Theaterstücke, seine bekanntesten Dramen sind Der Dorfs-Yung (Yankel Boyle; Das Naturkind), das auf der gleichnamigen Geschichte basiert, und Riverside Drive, das Jahrzehnte später entstand. Riverside Drive zeigt die Geschichte eines Mannes, der sich erfolgreich in New York etabliert hat, gut verheiratet ist, seine Kinder sprechen nur Englisch, und der nun seine alten Eltern zu sich holt. Diese sind fromme Juden vom Land, ihr Sohn, seine Familie und deren Leben in der Großstadt sind ihnen fremd; und sie kehren nach Europa zurück. Kobrins Dramen enthalten realistische und melodramatische Elemente, sie wurden an jiddischen Theatern in aller Welt inszeniert. Joseph Lateiner eigentlich Finklshteyn (Finkelstein) (Rumänien 1853-1935), gehörte neben Abraham Goldfaden und Moshe Hurwitz zu den ersten jiddischen Theaterleitern und Dramatikern, wie Hurwitz kam Lateiner aus Osteuropa und ging um 1890 nach New York, wo beide für ihre konkurrierenden Truppen eine Vielzahl von Dramen verfaßten; Lateiner soll über achtzig geschrieben haben. Die Inhalte dieser Theaterstücke stammten meist aus der Weltliteratur und -dramatik, die Geschichten wurden in eine jüdische Welt (in ein osteuropäisches Shtetl, an die Lower East Side in New York oder ins alte Palästina) versetzt, die Personen mit jüdischen Namen versehen und einige Festlichkeiten wie Hochzeiten oder Bar-Mitzvahs eingebaut. Trotz dieser Vorgangsweise waren manche von Lateiners Theatertexten sehr populär - Lateiner verstand es, für das Publikum interessante Themen in melodramatischer Weise aufzubereiten und den Schauspielern Glanzrollen zu bieten. Goldfadens und Lateiners Theaterstücke bildeten für Jahrzehnte den Grundstock des Repertoires des jiddischen Theaters, in Wien wurden etwa Blümele oder Die Perle von Warschau (Blimele oder di perle fun Varshe) 1901, Gabriel oder Cinke und Pinke (1904), Mammon der Geldgott (1905) und Ezra, der ewige Jude (1904) erfolgreich aufgeführt. H. Leivick eigentlich Leivick Halpern (bei Minsk 1888-1962), stammt aus Rußland, war in der jüdisch-sozialistischen Arbeiterorganisation »Bund« tätig und verbrachte wegen seines politischen Engagements viele Jahre in Haft bzw. Verbannung in Sibirien. 1913 kam er in die USA, arbeitete als Tapezierer und verfaßte Gedichte und Dramen. Als »dramatisches Gedicht« bezeichnete Leivick selbst seine Bearbeitung der GolemSage, Der Golem (1920), an dessen Ende der Golem zu einer selbständigen Person wird, worauf ihn Rabbi Low wieder zu Erde verwandelt. Zu den bekannten Werken Leivicks zählt auch Shmates (Lumpen), ein Drama, das sich mit den harten Arbeitsbedingungen der Juden in der New Yorker Lower East Side beschäftigt, und Shop (Streik), das in der Welt der Arbeiter in den 1920er Jahren in New York spielt. Shmates wurde von Maurice Schwartz 1921 im Jüdischen Kunsttheater New York uraufgeführt und beim Gastspiel desselben 1924 in Wien gezeigt; Der Golem wurde in hebräischer Sprache 1925 von der Habima in Moskau inszeniert. Abisch Meiseis auch Meyzels, publizierte auch unter A. Rikelson (Kulików, Galizien 1896-1959 London), schrieb während des Ersten Weltkrieges als Flüchtling in einem mährischböhmischen Flüchtlingslager das Stück Die Tragödie der abtrünnigen Jüdin. 1916

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wurde das Zeitstück Die jüdische Heldin oder Herz und Hand furs Vaterland in der Wiener Jüdischen Bühne uraufgeführt, weitere Dramen folgten: Nach zwanzig Jahren, Der Golem von Prag (Mitautor: Salo Prisament) und Kapitän Dreifits [!]. Meiseis war nach dem Ersten Weltkrieg vorübergehend im Lemberger jüdischen Theater tätig, ansonsten war er Souffleur und Dramatiker der jiddischen Bühnen in Wien; regelmäßig publizierte er auch in der jiddischen Presse. In den 1920er Jahren gastierte Meiseis mit eigenen Truppen in tschechischen und slowakischen Kurorten. 1927 wurde im Jüdischen Künstlerkabarett seine erste jiddische Revue, Von Sechistow bis Amerika (Fun sechisstow bis amerika), herausgebracht. In den Jüdischen Künstlerspielen wurden ferner aufgeführt: Auf nach Tel-Aviv (Januar 1928), Die Wiener Rebbyzin (Januar 1929), Ohne Zertifikat nach Palästina (Mai 1935), Hallo! Hallo! Hier Radio Jerusalem (Mai 1936), Chassene im Städtel (Dezember 1936), Kol Nidre im Galuth (Januar 1937). Meiseis' frühe Stücke waren Propaganda für die österreichisch-ungarische Monarchie; das Hauptkennzeichen seiner Revuen war ihre zionistische Tendenz. Die Revuen wurden in der Tschechoslowakei, Rumänien, Lodz und Paris nachgespielt. 1938 konnte Meiseis mit seiner Familie nach London fliehen, wo er ebenfalls am jiddischen Theater tätig war, aufgeführt wurden Juden fahren nach Israel (Yiden fom keyn Erets Yisroel, 1940) und Eine Hochzeit in Whitchapel. Außerdem übersetzte Meiseis Shakespeares Kaufmann von Venedig, Erdgeist von Frank Wedekind, Pygmalion von George Bernard Shaw und Shakespeares Othello ins Jiddische und publizierte über »Jüdisches Theater im alten Österreich«. Jizchok Leib Perez auch Isaak bzw. Peretz (Zamosc, Polen 1852-1915 Warschau), gilt gemeinsam mit Mendele Moicher Sforim (1836-1917) und Scholem Alejchem (1859-1916) als Gründer der modernen jiddischen Literatur. Perez wurde traditionell erzogen, las aber auch sekuläre polnische und deutsche Literatur. Er studierte Jura und praktizierte als Rechtsanwalt in Zamosc, bis ihm 1889 aufgrund einer falschen Anklage die Advokatur entzogen wurde. 1890 zog er nach Warschau, wo er unter anderem als Sekretär der jüdischen Gemeinde bis zu seinem Tod 1915 tätig war. Zu Beginn seiner Karriere schrieb Perez in Polnisch und Hebräisch, erst nach den Pogromen von 1881 änderte sich seine Haltung zum Jiddischen, vor allem durch sein Interesse an der armen jüdischen Bevölkerung Warschaus begann er, auch deren Sprache zu schätzen. 1888 erschien eines seiner bis heute bekanntesten Werke - das erzählende Gedicht »Monisch« - in Jiddisch. In den folgenden Jahren schrieb Perez in Hebräisch und Jiddisch, zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienen seine bekanntesten Werke, 1908 die Geschichtensammlung Khasidish, (Chassidische Erzählungen) und 1909 die Folkstimlikhe Geshikhten (»Volkstümliche Geschichten«). Perez beschäftigte sich mit unterschiedlichsten geistigen Strömungen, mit dem Chassidismus ebenso wie mit westeuropäischen literarischen Stilrichtungen, er bewunderte Maurice Maeterlinck und August Strindberg und die polnischen NeoRomantiker wie etwa Stanislaw Wyspianski. Diese Vielfalt an religiösen und ästhetischen Richtungen, die Perez vertraut waren, ist in allen seinen Werken, besonders aber in seinen Dramen, spürbar. Perez schrieb 24 dramatische Texte, die meisten wurden nie aufgeführt, und stilistisch sind sie sehr verschieden. Seine ersten Dramen wie der Einakter Schwestern (1906) sind realistische Wiedergaben der Armut der jüdischen Bevölkerung in Warschau und vom Naturalismus beeinflußt; seine bekanntesten Dramen aber, Die goldene Kette (Di goldene keyt; letzte Versionen 1911/12) und Bei Nacht auf dem alten Markt (Bay nakht oyfii altn mark; späte Version 1915)

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sind nicht so leicht zuordenbar und aufgrund ihrer sehr spezifischen Ästhetik bis heute in der jiddischen Dramatik einzigartig. Die goldene Kette wurde 1906 in Esther Rochl Kaminskas Theater in Warschau uraufgeführt; der Einakter Schwestern wurde in deutscher Sprache 1909 in Wien gezeigt; Bei Nacht auf dem alten Markt wurde durch eine Inszenierung von Alexis Granowski 1925 bekannt. Perez' dramatische Texte gehörten nicht zum ständigen und populären Repertoire der jiddischen Theater, zählen aber aufgrund ihrer Eigenwilligkeit und ihres ästhetischen Anspruchs nach wie vor zu den interessantesten jiddischen Theatertexten.

David Pinski (Moskau 1872-1959 Israel), stammte aus einer privilegierten jüdischen Familie, der es erlaubt war, in Moskau zu wohnen und besuchte schon als Kind mit seinem Vater Musik- und Theateraufluhrangen. Seine Studienzeit verbrachte Pinski in der Schweiz, in Berlin und Wien; 1892 kam er nach Warschau, wo er unter dem Einfluß von Jizchok Leib Perez in jiddischer Sprache zu schreiben begann. 1909 schrieb Pinski über die Geschichte der jiddischen Dramatik, »Das jüdische Drama. Ein Überblick über seine Entwicklung« wurde in deutscher Übersetzung in der Jüdischen Zeitung (1909, Nr 32, 34, 38/39, 43, 44) in Wien publiziert. Pinski entwikkelte in dieser Arbeit eine Einteilung der jiddischen Dramatik, die in ihren Grundzügen noch heute brauchbar ist. Er teilte sie in »drei Akte«: den 1. Akt sah er in den Werken von Goldfaden, Hurvitz und Lateiner; den 2. in Jacob Gordins Werken und den 3. in der modernen jiddischen Dramatik, die - 1909 - erst im Entstehen war. Zu den bekanntesten Dramen Pinskis zählen Eisik Scheftel (1899), Die Mutter (1901), Jacob der Schmied (Yankl der shmid) (1906) und Der Schatz (Der oyster) (1906). Im Arbeiterdrama Eisik Scheftel (wie im Einakter Vom Glück vergessen) beschäftigt sich Pinski mit sozialen Anliegen; in Die Familie Zwi (1905) zeigt er die Zerrissenheit des Judentums. Ein weiteres Grundthema Pinskis war die Beziehung zwischen den Geschlechtern, die er etwa in Jankel der Schmied thematisierte; in Der Schatz geht es um einen geeigneten Bräutigam, es war das erfolgreichste von Pinskis Dramen, die nicht nur auf jiddischen Theatern, sondern auch in Übersetzungen auf die Bühne kamen, wie 1920 etwa Der Schatz in Berlin. Scholem Alejchem eigentlich Scholem Rabbinowicz (Perejaslaw, Ukraine 1859-1916 New York), gilt als einer der Begründer der modernen jiddischen Literatur, bekannt ist er durch seine Geschichten und deren populäre Figuren, etwa durch Tewje der Milchmann (Tevye der Milkhiger). Die Form mancher Texte Scholem Alejchems (etwa auch des TewjeRomans) ist der Monolog, der sich schon in dieser Fassung für Rezitationen eignet und von jiddischen Schauspielern so genutzt wurde. Scholem Alejchem schrieb aber auch Theaterstücke, mit denen er zu seinen Lebzeiten nicht viel Erfolg hatte, die aber teilweise noch heute aufgeführt werden, dazu gehören Der große Gewinn (Der groyser gevins; auch: Das große Los; 200.000) und Tewje der Milchmann, das als Musical Fiddler on the Roof oder Anatevka bekannt ist. Ein immer wieder aufgeführtes Drama ist auch Schwer zu sein ein Jud' (Shver tsu zayn a yid), in dem ein jüdischer und ein russischer Student ihre Rollen tauschen, was zu zahlreichen Verwicklungen (inklusive einer romantischen) führt und für den jüdischen Studenten zur Haft. Das Drama Verstreut und Versprengt (Tsezeyt un tseshpreyt) zeigt die Zerrissenheit einer russischjüdischen Familie, die aufgrund der verschiedenen Ziele und Bestrebungen der einzelnen Mitglieder zerfällt.

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Oscar Teller (Wien 1902-1985 Givatayim, Israel), war Kabarettist und Schriftsteller. Nach Auftritten als Rezitator und Conferencier entwarf er 1923 erste Programme für jüdische Festveranstaltungen; mit Viktor Schlesinger und Fritz Stöckler gründete er das »Original Jüdische Heurigen-Duo«, das populäre Melodien mit neuen Texten vortrug. Ab 1927 brachten Teller und seine Mitarbeiter abendfüllende Programme, Revuen, im Rahmen des Jüdisch-Politischen Cabarets, das meist bei Vereinsveranstaltungen auftrat. In den Revuen bzw. den einzelnen Nummern wurden die Probleme der Juden in Wien und Österreich in witziger und sehr kritischer Weise dargestellt: Antisemitismus, NS-Ideologie, die Folgen der Assimilation u. a. Teller war auch Gründer und Leiter der »Jüdischen Kulturstelle« und Mitbetreiber des Jüdischen Kulturtheaters, später Leiter des Palästinaamts der Auswanderungszentrale. Nach dem »Anschluß« emigrierte Teller in die USA, wo er die Arche in New York mitgründete, später ging er nach Israel. Über seine Tätigkeit im Cabaret gab er das Buch Davids Witz-Schleuder (s. Schriftenverzeichnis, oben S. 133) heraus, in dem auch Texte aus den in Wien gespielten Revuen zu finden sind. Benno Weiser Varon (Czernowitz, 1913, lebt in Brookline/Mass.), kam während des Ersten Weltkrieges mit seiner Familie nach Wien. Weiser war Gründungsmitglied des Verbands zionistischer Mittelschüler, nach der Matura begann er ein Medizinstudium. Schon im Gymnasium verfaßte er humorvolle Liedtexte für Künstler wie Hermann Leopoldi und Else Kaufmann, am Ende der Schulzeit schrieb er sein erstes Stück, Der achtjährige Krieg, das sich mit der Beziehung zwischen Schülern und Professoren befaßte. Die Aufführung wurde ein großer Erfolg und brachte die Bitte von Oscar Teller, auch zionistisches Wahlkabarett zu machen, was Weiser mit viel Erfolg tat, die Texte sind nicht erhalten. Außer den Wahlkabaretts schrieb Weiser Revuen, die er im Rahmen des Jüdisch-Politischen Cabarets produzierte, dabei wirkten im späteren Israel prominente Politiker wie Erich Überall (Ehud Avriel) und Teddy Kollek mit, und der sehr junge Gerhard Bronner war von den Wahlkabaretts so begeistert, daß er beschloß, selbst Kabarettist zu werden. Weiser schrieb die Programme Ho-ruck nach Palästina! und Rassisches und Klassisches, das im Winter 1937 im Offenbachsaal uraufgeführt wurde. Bei letzterem fungierte Viktor Schlesinger als Koautor. 1938 konnte Weiser nach Ecuador emigrieren, wo er sich bald als Kolumnist angesehener Blätter einen Namen machte. Er war Leiter des Latin America Department der Jewish Agency for Palestine, und ab 1964 Botschafter Israels in mittel- und südamerikanischen Staaten. Benno Weiser ist mit der Schauspielerin Miriam Laserson verheiratet, zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen gehört die Autobiographie Professions of a Lucky Jew (s. Schriftenverzeichnis, oben S. 134). Alfred Werner eigentlich Alfred Weintraub (Wien 1911-1978 New York), promovierte 1934 zum Dr. jur. und wurde Universitätslektor in Wien. 1935/36 schrieb Werner für die zionistische »Stimme«, leitete 1936-38 die »Jüdische Kulturstelle« in Wien und publizierte auch in der »Garbe«. Werner schrieb das Libretto der Purimoper Purim, Musik von Ignatz Waghalter, die im Januar 1937 im Jüdischen Kulturtheater in Wien uraufgeführt wurde.

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1938/39 war Werner in Dachau inhaftiert. 1939 kam er nach England, wo er bis 1940 interniert wurde, danach emigrierte er in die USA. Er studierte Kunstgeschichte und war 1956-78 Kunstberater des Theodor Herzl Instituts in New York und Professor an der Rutgers University. Werner war Spezialist fur expressionistische Malerei und verfaßte zahlreiche Bücher über moderne Kunst und ihre Schöpfer.

Dramen Auf nach Tel Aviv von Abisch Meiseis entstand 1927/28 in Wien und ist der Titel der Neufassung der Revue Von Sechistow bis Amerika (s. Dramen, S. 155), neu ist vor allem das Ende: Die galizische Familie bleibt nicht in Amerika, sondern bricht »Auf nach Tel Aviv«, wo sie sich ansiedelt. Das Schlußbild zeigt die Familie bei einem Erntefest in Palästina.

Bar Kochba oder Die letzten Tage von Jerusalem. Musikalisches Melodrama in Reimen, in 4 Akten mit einem Prolog und 14 Bildern von Abraham Goldfaden entstand 1883 und hat den letzten Aufstand der Juden gegen die Römer (60 Jahre nach der Zerstörung des Zweiten Tempels) im Jahr 137 zum Thema. Im Prolog werden die Situation und die Stellung der Hauptpersonen des Dramas erläutert: Die Juden leiden unter der Herrschaft der Römer, der alte und weise Elazar, Vater von Dina, die Bar Kochbas Braut ist, rät, sich mit dieser Herrschaft abzufinden. Bar Kochba aber will sich wehren und schwört seine Anhänger ein. In den folgenden Akten und Bildern ist der Aufstand des Bar Kochba erst erfolgreich, er findet breite Unterstützung und die Römer ziehen sich zurück. Dina aber wird von den Römern als Geisel genommen, sie ist in der Festung Cesarea gefangen, die Bar Kochba mit seinen Anhängern stürmen will. Dina soll Bar Kochba zum Rückzug überreden, geht aber stattdessen in den Tod. Die Festung wird gestürmt. Danach wird Bar Kochba hinterbracht, daß Dina freiwillig zu den Römern ging, um den Friedensplan ihres Vaters Elazar zu unterstützen, worauf er den greisen Elazar und dessen Freunde tötet. Bald erkennt Bar Kochba, daß er Unschuldige ermordete, und damit seine Berufung zunichte machte, er tötet sich. Am Schluß des Melodramas kämpfen die Juden gegen die Römer und müssen zusehen, wie das römische Heer Kinder und Alte niedermetzelt. Bei Nacht auf dem alten Markt (Bay nakht oyfii altn mark) von Jizchok Leib Perez (die letzte Fassung entstand 1914/15), zeigt den Marktplatz einer Kleinstadt, auf dem mit Zurichtungen zur Nacht begonnen wird: Ein Wanderer sucht sich ein Plätzchen und schläft ein, ein Liebespaar schlendert vorbei und träumt vom eigenen Heim, Nathan kommt betrunken aus der Schenke und schläft in einer Ecke ein, andere Bürger besprechen die Geschäfte des Tages, ein Arbeiter diskutiert mit einem Zionisten, Kinder sekkieren den Narren, der Nachtwächter warnt vor den Gefahren des Feuers - schließlich werden die Lichter gelöscht, und alle mit Ausnahme des Narren schlafen. Dieser dirigiert nun Erscheinungen und Tote, die von ihren abge-

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laufenen Leben erzählen. Besonders berührend ist die Figur eines kaum 13jährigen Mädchens, das aus Kummer über eine ungewollte Heirat starb - der erwachende Nathan nimmt sich ihrer an, heiratet sie, und stirbt selbst. Als der Tag graut und der Hahn kräht, müssen die Toten und Erscheinungen weichen - der Alltag setzt ein, und die Juden werden in die »Schul« gerufen. Bemerkenswert ist, das auch in den Szenen des Dramas, die den Toten und Erscheinungen gehören, die »reale« Welt nicht ausgeklammert ist: Aus einem Haus ist eine politische Debatte zu hören; der Dichter wiederum wurde aus dem Schlaf gerissen, er wundert sich über das »leise Gewein«, das vom Marktplatz ausgehend ihn unruhig macht. Die Welt der Lebenden und die Welt der Toten, Realität und Traum, Ideen und Schicksale sind hier subtil und geschickt ineinandergewoben, die poetische Ausdruckskraft von Perez' Dichtung fasziniert nach wie vor.

Ben Ami oder Der Sohn meines Volkes. Operette in 3 Akten mit Prolog und Epilog von Abraham Goldfaden entstand 1907. Der Wiener Baron Hohenstädter, der erst als Erwachsener erfahren hat, daß er aus einer jüdischen Familie stammt, rettet bei einem Pogrom in Odessa der Klavierlehrerin Röchele das Leben. Röchele hat nur einen Bruder, Esra, der ein glühender Zionist ist. Der Baron beginnt, sich für Röchele und den Zionismus zu interessieren, nach allerlei Verwicklungen und nachdem geklärt ist, daß noch der Großvater des Barons ein frommer Jude war, heiraten Röchele und der Baron und gehen gemeinsam mit Esra und dessen Braut nach Palästina.

Das zehnte Gebot. Komische Operette (Zaubermärchen) in 5 Akten, 10 Verwandlungen und 28 Bildern von Abraham Goldfaden wurde 1887 in New York uraufgeführt. Im Zehnten Gebot geht es um den Kampf zwischen Gut und Böse und seine Auswirkungen auf die Menschen. Ein Engel und der Satan streiten darüber, wer wirklich das Handeln der Menschen bestimmt. Sie probieren ihre jeweilige Macht an zwei jüdischen Männern, Perez und Ludwig, aus. Perez ist ein junger Kaufmann aus Nemerov, verheiratet mit Frume, einer traditionellen und frommen Frau. Bei einem geschäftlichen Aufenthalt in Berlin lernt er das Haus Ludwigs kennen, der mit seiner Frau Mathilda ein luxuriöses Leben fuhrt. Um Mathilda zu gewinnen, verbindet sich Perez mit einem alten Mann, dem Teufel, der ihm verspricht, alles für ihn zu regeln. Und so geschieht es: Perez bekommt Mathilda und läßt seine alte Lebensweise hinter sich. Ludwig aber, der Perez' Frau Frume begehrt hat, bekommt auch diese. Keiner der beiden wird mit seinem neuen Leben glücklich; besonders unglücklich aber sind die Frauen, die ihre neuen Ehemänner nur unter Druck akzeptieren. In der Hölle löst sich schließlich alles auf, Perez und Ludwig werden mit den ihnen treu gebliebenen Frauen wieder vereint.

Der Dibbuk (Der dibek, Der Dybuk oder Zwischen zwei Welten). Dramatische Legende in 4 Bildern von An-Ski entstand 1914 in einer russischen Fassung, 1919 in einer hebräischen, danach schrieb es An-Ski in Jiddisch. Der Dibbuk handelt in der chassidischen Welt. Zwei Freunde haben einander versprochen, ihre Kinder zu vermählen. Ihre Wege trennen sich - der eine stirbt arm in der Fremde, der zweite wird ein angesehener Chassid. Seine Tochter Lea verliebt

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sich in den armen Talmudstudenten Chanan. Er ist der Sohn des verschollenen Freundes des Vaters, was Leas Vater aber nicht zur Kenntnis nehmen will. Er hat das alte Versprechen fast vergessen und will Lea reich verheiraten. Chanan versucht dies mit kabbalistischer Magie abzuwenden, was aber nicht gelingt, und als er von Leas Verlobung erfahrt, stirbt er. Bei der Trauung fahrt Chan ans Geist als Dibbuk in Leas Leib. Einem Wunderrabbi gelingt es, den Dibbuk und dessen toten Vater zu befragen, und der Wortbruch von Leas Vater kommt ans Licht. Er soll Bußgebete sprechen und für die Armen spenden. Es gelingt auch, den Dibbuk aus Leas Leib auszutreiben, doch sie hält die Trennung vom Totengeist des Geliebten nicht aus und stirbt.

Der Dorfs-Yung (Yankl Boyle, Das Naturkind). Ein Fischer-Drama von Leon Kobrin basiert auf einer gleichnamigen Geschichte, die 1899 erschien. Der Dorfs-Yung spielt in einem Fischerdorf am Dnjepr, im Milieu der Fischer, die Juden sind, aber der jüdischen Lebensweise weitgehend entfremdet. Der junge, fröhliche und gut aussehende Fischer Yankl ist ebenfalls Jude, aber nicht religiös erzogen. Er liebt die Christin Natascha, die seine Liebe erwidert. Als Yankls Vater im Sterben liegt, wird ihm und seiner Familie bewußt, wie sehr sie sich von ihrem Glauben entfernt haben - und der Vater zwingt Yankl zum Versprechen, das jüdische Mädchen Tsheyke zu heiraten und fromm zu leben. Yankl ist verzweifelt, er will Natascha heiraten, wird aber von seinen Verwandten massiv unter Druck gesetzt, Tsheyke zu nehmen; diese wiederum verspottet die hübsche Natascha, die von Yankl schwanger ist und ebenfalls verzweifelt. Yankl gibt dem Druck schließlich nach und erklärt sich einverstanden, Tsheyke zu heiraten; vorher aber will er Natascha noch Geld geben. Als diese das Geld nicht nimmt, kauft er ihrem Großvater einen Strick ab und erhängt sich.

Der Fremde (Der fremder) von Jacob Gordin wurde 1906 in New York uraufgeführt. Der Fremde zeigt die Geschichte eines Mannes, der zwei Jahrzehnte in sibirischer Verbannung leben mußte und schließlich fliehen konnte. Er findet seine Familie aber nicht mehr in der russischen Kleinstadt, in der er sie zurückgelassen hat, sondern - nach leidvoller Suche - in New York, wo seine Frau und seine Kinder mit einem anderen Mann leben und ihn erst nach geraumer Zeit erkennen.

Der Golem (Der goylem). Ein dramatisches Gedicht in 8 Szenen von H. Leivick entstand 1920 und basiert auf der Legende vom Golem, die im 16. Jahrhundert in Prag handelt. Der Kabbaiist Rabbi Low haucht einem Wesen aus Lehm und Ton Leben ein und schickt es aus, um Anschläge gegen die jüdische Gemeinde aufzuspüren und zu vereiteln, also zum Schutz der Juden. Nachdem der Golem seine Aufgabe erfüllt hat, entnimmt ihm der Rabbi seinen Lebensfunken wieder und bettet ihn unter dem Dach der Altneusynagoge zur Ruhe, der Legende nach wurde der Raum jahrhundertelang nicht betreten. In Leivicks Version ist der Golem nicht nur eine Figur, die ohne Widerrede tut, was ihr befohlen wird, sondern sie wird menschlich, lernt sprechen und denken und verliebt sich in die Tochter des Rabbi. Um diese Selbständigkeit und die daraus auch erwachsende Gewalttätigkeit des Golem zu stoppen, muß ihm der Rabbi den Lebenshauch wieder entnehmen, was er auch tut. Leivicks spezifische Interpretation

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der Golemfigur wurde als ein Ausdruck seiner Enttäuschung über den Verlauf der russischen Revolution gedeutet.

Der große Gewinn (Der groyser gevins, Das große Los, 200 000, Der Haupttreffer). Ein Volksspiel in 4 Akten von Scholem Alejchem entstand 1915. Der arme Schneider Shimele Saroker macht einen Haupttreffer, der sein und das Leben seiner Familie gänzlich ändert. Aus ihm selbst und seiner Frau Eti Meni, die beide gutmütig und fröhlich sind, werden überhebliche Neureiche, die von ihrem Dienstpersonal betrogen werden und nicht mehr auf ihre - vernünftig gebliebene und gescheite - Tochter Beylke hören. Beylke ist in einen der Schneidergesellen verliebt, soll aber nun reich und fein verheiratet werden, da reißt sie aus. Die Sarokers sitzen schließlich Betrügern auf und verlieren das ganze Geld; aber sie suchen ihre Tochter, versöhnen sich mit ihr und finden zu ihrer früheren Gutmütigkeit und Zufriedenheit zurück.

Der Sänger seiner Trauer (Der singer firn sayn troyer, Yoshke muzikant) von Ossip Dymow entstand 1914. Der Fiedler Yoshke liebt das Mädchen Shayne, ein Dienstmädchen, das den Sohn des Hauses liebt und von ihm schwanger ist. Als Yoshke in der Lotterie gewinnt, gibt er ihr all sein Geld - nun kann sie ihren Geliebten heiraten, Yoshke aber wird verrückt.

Die beiden Kune-Lemel (Der fanatik, Di tsvey Kuni-Lemels) von Abraham Goldfaden entstand 1880. Kuni-Lemel ist dumm, halbblind, hinkt, stottert und ist ganz das Gegenteil dessen, was ein Mädchen sich als Bräutigam vorstellt. Dennoch glaubt Reb Pinchesl, er sei der geeignete Bräutigam für seine Tochter, die wiederum den wortgewandten und gescheiten Max liebt. Das Mädchen und ihr Max wissen sich zu helfen: Max verkleidet sich als Kuni-Lemel, und als dieser kommt, um seine Braut zu heiraten, und den zweiten Kuni-Lemel sieht, weiß er nicht mehr, wer er selbst ist. Der Heiratsvermittler Reb Schloymeni klärt die Situation auf und verheiratet Kuni-Lemel mit seiner eigenen Tochter, die zu diesem paßt; und Reb Pinchesls Tochter heiratet ihren Max.

Die drei Geschenke (Dray matones, Die drei Matunes). Märchenoperette in drei Aufzügen von Jizchok Leib Perez basiert auf der gleichnamigen Erzählung, die zwischen 1904 und 1908 entstand. Im Prolog findet sich ein frommer, eben verstorbener Jude vor dem Himmelstor, er will Einlaß. Seine Taten und Untaten halten sich die Waage, daher wird seine Seele dazu bestimmt, drei Geschenke für die Patriarchen im Himmel zu finden, erst dann wird er eingelassen werden. Die Suche ist schwerig, der Todesengel hilft der umherirrenden und ratlosen Seele, die das erste Geschenk findet: Ein Säckchen Erde aus Palästina. Es stammt vom reichen Juden Schlojme, der sein Leben dafür hingab, daß es nicht in die Hände von Räubern gelangte. Ähnlich ist die Geschichte der weiteren zwei Geschenke, einer Nadel und einer Jarmulke. Die Nadel stammt von einem jüdischen Mädchen, das während der Inquisition in Spanien zum Tode verurteilt wird. Der letzte Wunsch des Mädchens sind Nadeln, es will seine Kleider zusammenstecken, um bei der Folter seinen

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Körper verbergen zu können. Die Jarmulke stammt vom Händler Aaron, der wegen eines illegalen Grenzübertritts ausgepeitscht wird. Dabei verliert er seine Kopfbedekkung und als er sich nach ihr bückt, wird er zu Tode gepeitscht. Mit diesen drei Geschenken findet der umherriirende Geist schließlich Einlaß in den Himmel, er bekommt sogar einen Ehrenplatz.

Die einzige Lösung. Ein Stück von jüdischer Not und jüdischem Aufbau von Sally Lewin, Musik von Daniel Sambursky wurde 1931 in Berlin uraufgeführt. Die Szenenfolge gliedert sich in zwei Teile: im ersten Teil wird die jüdische Not in der Diaspora gezeigt, im zweiten Teil der jüdische Aufbau in Palästina. Im ersten Teil wird in Songs und kurzen Szenen dargestellt, daß die Juden in Deutschland, aber auch sonst in der Welt diskriminiert werden. Besonders deutlich wird die Verdrängung aus den Berufen in Deutschland thematisiert. Der zweite Teil zeigt, wie weit der Aufbau in Palästina gediehen ist und wie wichtig er ist. Deutlich wird das durch Gespräche zwischen Giesinger und Schlesinger, die beide keine Zionisten sind. Giesinger sieht sich Palästina an, aber sehr kritisch; er sieht seine und seiner Familie Zukunft trotz allem in Deutschland. Schlesinger sieht sich Palästina ebenfalls genau an, er will weg aus Deutschland. Unterstützt von einem lokalen Zionisten, der ihnen alles zeigt und Fakten vorbringt, diskutieren Giesinger und Schlesinger den jüdischen Aufbau in Palästina und die daraus resultierenden Schwierigkeiten und Probleme.

Die goldene Kette (Di goldene keyt). Das Drama einer chassidischen Familie von Jizchok Leib Perez (letzte Fassung aus den Jahren 1911/12). Am Beginn des Dramas warten Schüler, Greise und die Familie des Rabbi Salomo darauf, daß dieser mit dem traditionellen Gebet den Sabbat beschließe. Rabbi Salomo aber, den Untergang der Juden fürchtend, weigert sich und hofft, sein Volk erlösen zu können, in dem er den Sabbat ewig währen läßt. Als er mit Miijam, der Frau seines Enkels Mosche, feiert, erfahrt er, daß sein Sohn Pinchas Rabbi wurde und als solcher den Sabbat beendete. Der weise alte Salomon stirbt, Pinchas wird ein strenger und gefurchteter Rabbi. Er verbietet seiner Familie alle Freuden; als aber seine Enkelin Leah mit dem aufgeklärten Dr. Bergmann davongeht, bricht Rabbi Pinchas zusammen. Sein Sohn Mosche ist das nächste Glied der »goldenen Kette«, nun wird er Rabbi, doch er ist schwach. Das zeigt sich, als seine Tochter Leah gebrochen und mit einem blinden Kind nach Hause zurückkehrt. Natur und Gesetz und das Licht (der Aufklärung) zeigten sich ihr nur kalt, sie bittet ihre Familie nun um Hilfe, auch, um zum Glauben zurückkehren zu können. Mosche beginnt, fur seinen Enkel zu beten, er ruft Gott direkt an - als er keine Antwort bekommt, wendet sich das Volk gegen ihn und sein Sohn Jonathan wird Rabbi. Ob Jonathan, der als tiefer, aber schwieriger Charakter gezeichnet ist, dieser Aufgabe gerecht wird, bleibt offen.

Die Grenze. Ein Schicksal unter 600.000. In 3 Akten von Albert Ganzert [d. i. Avrum Halpert] erschien 1936 in Wien und schildert den Untergang einer Familie in Deutschland. Der Großvater und der Vater dieser Familie sind Juden, Sohn Hans erfährt erst nach der »Machtübernahme« der NSDAP von seiner Abstammung. Sein Vater, ein Tier-

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arzt, verliert seine Arbeitsstelle, sein Großvater, ein angesehener Bürger und Kommerzienrat, wird völlig ungerechtfertigt vor Gericht geladen. Die nichtjüdische Mutter will Hans retten, indem sie angibt, er sei eigentlich der Sohn eines nichtjUdischen Freund des Hauses, Dr. Strobl. Man glaubt ihr jedoch nicht, sie stirbt, und selbst der nichtjüdische Dr. Strobl wird verhaftet.

Die jüdische Heldin oder Herz und Handßrs Vaterland. Komödie in 4 Aufzügen von Abisch Meiseis wurde 1916 in Wien uraufgeführt. Die jüdische Heldin spielt in einem Dorf in Galizien während des Ersten Weltkriegs und demonstriert die Zugehörigkeit der dort ansässigen Juden zur österreichisch-deutschen Seite. Die jüdische Heldin Lila kann einen russischen Befehl abfangen und der österreichischen Armee übergeben; ihr Mann Muniu kämpft aus persönlicher Zuneigung zum Kaiser so tapfer, daß er mehrere Auszeichnungen erhält. Das Stück endet mit der Nachricht vom Fall Warschaus an die Österreicher.

Die Opferung Isaaks (Akedas Yitskhok). Biblische Operette in 4 Akten und 40 Bildern von Abraham Goldfaden entstand vor 1895 und geht auf den Stoff in der Bibel zurück. Abraham und Sara haben keine Kinder. Abrahams Sohn, den ihm die Magd Hagar schenkte, Ismael, Abrahams alter Diener Elieser, und Lot, der Sohn seines Bruders, streiten um das Erbe, das nach Abrahams und Saras Tod zu erwarten ist. Als Abraham Gott um ein Kind bittet, wird ihm der Sohn Yitskhok (Isaak) versprochen. Auch Wanderer, die er einlädt, sagen den Sohn voraus. Sara gebiert Isaak, Abraham fragt sich, wie er Gott danken kann. Bald erfahrt er, daß er ihn opfern muß. Als schon alles zum Opfer bereit ist, greift die Stimme eines Engels ein und befiehlt Abraham, seinem Sohn nichts zuleide zu tun. Das Hauptgewicht der Operette bilden die Auseinandersetzung Abrahams mit sich selbst, als er erfahren hat, daß er Isaak töten muß, seine Auseinandersetzung mit Sara und mit dem jungen und gläubigen Isaak, der sich mit seiner Opferung einverstanden erklärt.

Die rumänische Hochzeit (Di rumenishe khasene). Operette in 3 Akten von Moshe Schor, Musik von Perez Sandler wurde 1923 in New York uraufgeführt und von jiddischen Bühnen in aller Welt gespielt, in den 1960er Jahren auch in hebräischer Sprache. In der Rumänischen Hochzeit geht es um einen Witwer, der dabei ist, zum sechsten Mal zu heiraten - dabei wird ihm eine alte Dienstmagd als Frau untergeschoben. Die Handlung der Operette ist sekundär, gelobt wurde sie vor allem fur die eindrucksvolle Musik.

Die Sendung Semaels (Ritualmord in Ungarn). Jüdische Tragödie in 5 Aufzügen von Arnold Zweig erschien 1914 in Berlin unter dem Titel Ritualmord in Ungarn. Die Handlung beruht auf einer wahren Begebenheit: 1882 wurde in der ungarischen Stadt Tisza Eszlar die Leiche eines Mädchens gefunden, worauf fünfzehn Juden der Ortschaft des Ritualmordes bezichtigt wurden. Moritz, der Sohn des Synagogendieners, gestand unter der Folter, das Ritual beobachtet zu haben, der Prozeß löste im ganzen Land antise-

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mitische Ausschreitungen aus. Erst drei Jahre später wurde die Unschuld der Juden bewiesen, die Angeklagten wurden freigelassen. In Zweigs dramatischer Fassung dieser Begebenheit begeht Moritz Scharf Selbstmord und kommt danach vor ein göttliches Tribunal, das ihm verzeiht und prophezeit, daß er im »Land der Väter« wiedergeboren werde. Die Uraufführung von Ritualmord in Ungarn war 1914 geplant, wurde aber aufgrund des Kriegsbeginns verboten. Trotzdem erhielt Zweig 1915 den Kleistpreis für diese Tragödie, erstaufgeführt wurde sie 1919 in Wien (mit Elisabeth Bergner in der Rolle des Moritz Scharf), allerdings mußte dabei der Titel in Die Sendung Semaels geändert werden. Die verlassene Schenke (Di puste kretshme) von Perez Hirschbein entstand 1911. Der Pferdehändler Bendet lebt mit seinem alten Vater, seiner Frau und seiner Tochter Mayte auf dem Land. Er will Mayte mit dem Nachbarssohn Leybish verheiraten, danach soll sich das Paar in einem im Augenblick leerstehenden Gasthaus, das inmitten der Felder steht, ansiedeln. Von diesem Gasthaus heißt es, daß es darin spukt; außerdem liebt Mayte ihren Cousin Itsik, von dem aber ihr Vater annimmt, daß er ein Pferd gestohlen hat. Mayte fügt sich dem Willen des Vaters und heiratet Leybish. Inmitten der Hochzeitsfeier aber reißt sie mit Itsik aus, die beiden verbergen sich im verlassenen Gasthaus, wo sie auch gefunden werden. Mayte wird zwar ins Haus ihres Vaters zurückgebracht, wird aber von Itsik wieder geholt und die beiden dürfen zusammenbleiben. Die Zauberin (Di Kishefmakherin, Koldunye oder Die Hexe). Operette in 5 Akten und 6 Bildern von Abraham Goldfaden wurde 1879 uraufgeführt. Mírele, eine Halbwaise, führt bei ihrem Vater Reb Avromtshe ein behütetes Leben, ist in den jungen aufgeklärten Markus verliebt und will ihn heiraten. Dazwischen kommt ihre böse Stiefmutter Basye, die es auf Reb Avromtshes Geld abgesehen hat. Um dieses Geld zu erlangen, läßt sie ihren Mann aufgrund einer falschen Anschuldigung verhaften. Ihre Stieftochter Mírele wird sie los, in dem sie sich mit der alten Bobe Yakhne verbündet, einer Frau, der Zauberkräfte zugeschrieben werden. Bobe Yakhne lockt Mírele in eine Falle und verkauft sie in die Türkei. Nun wird Markus tätig, der seine Braut vermißt. Mithilfe des wandernden Händlers Hozmachfindeter seine Mírele in der Türkei, rettet sie und sorgt auch dafür, daß der unschuldig inhaftierte Reb Avromtshe wieder freikommt. Als Mírele und ihr Vater wieder in Freiheit sind, planen Basye und Bobe Yakhne, sie in einem Feuer am Treffpunkt umkommen zu lassen. Doch dieses Feuer erwischt die beiden selbst, sie verbrennen. Eisik Scheftel. Ein jüdisches Arbeiterdrama in 3 Akten von David Pinski entstand 1899 und kam 1905 in einer deutschen Übersetzung von Martin Buber in Berlin heraus. Das Drama handelt in der Gegenwart, in einer großen Stadt in Rußland. Eisik Scheftel ist Arbeiter und Erfinder. Er hat bereits einige kleinere Maschinen fertiggestellt, die er immer ohne weitere Forderungen seiner Firma überließ. Nun sitzt er wieder an einer Erfindung, vernachläßigt dabei seine Arbeitsstelle, der Chef droht mit Entlassung, und die Familie hungert. Eisik bemüht sich um die Fertigstellung seiner neuen Maschine, kommt aber nicht weiter, und umgeben von seiner jammernden Frau und der Not des Gemeinschaftsraumes, in dem die Familie und einige Bettgeher hausen, beginnt er zu toben und zerstört die fast fertige Maschine. An seiner Arbeitsstelle wird er beim Trinken erwischt und entlas-

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sen - aus Rache zerstört er auch seine früheren Erfindungen. Nach einem vergeblichen Versuch, diesem Elend mit Alkohol auszuweichen, nimmt er Arsenik und stirbt. Familie Großglück. Komödie in 3 Akten von Schalom Asch erschien 1909 (in deutscher Sprache) in Berlin. Die Komödie handelt in einer größeren Provinzstadt in der Gegenwart. Seit dem Tod der Mutter löst sich die begüterte und bürgerliche Familie Großglück auf: Der Vater ist nicht fähig, die Fabrik ohne Unterstützung seiner Frau zu fuhren. Seine Töchter sind weitgehend orientierungslos. Sein Sohn Leon interessiert sich mehr für Reisen und Vergnügungen als für die Arbeit, und auch für die Witwe Rose. Rose ist begütert, aber als Tochter eines Wirts in einer gesellschaftlichen Stellung, die nicht zu den Großglücks paßt. Dennoch kommt es zur Annäherung zwischen den beiden sehr verschiedenen Familien, den bürgerlichen Großglücks und den einfachen Wirtsleuten Bornstein, bei denen auch eine der Töchter der Großglücks einen passenden Bräutigam findet. Auch Witwe Rose und der schwache Leon finden einander und heiraten. Rose beginnt nun, das Leben der Großglücks zu ändern, sie teilt ihnen Aufgaben zu, die sie auch erfüllen, ähnlich wie es vor ihrem Tod die Mutter der Familie tat. Und doch ändert sich alles im Haus Großglück, solide Möbelstücke müssen einer modernen Einrichtung weichen, mit dem Einzug der tatkräftigen Rose ist das angenehme und bequeme Leben, das die bürgerliche Familie gewohnt war, vorbei. Gott der Rache (Got firn nekome). Drama in 3 Akten von Schalom Asch entstand 1907. Jankel Schepschowitsch, Bordellwirt, versucht seine Arbeit streng von seiner Familie zu trennen. Im Erdgeschoß seines Hauses ist das Bordell, im ersten Stock wohnen er, seine Frau Sara und ihre Tochter Riwkele. Jankels größter Wunsch ist es, seine Tochter gut zu verheiraten und ein ehrbares Leben fuhren zu sehen. Um Böses von ihr abzuhalten, läßt er für die jüdische Gemeinde eine Tora schreiben und beginnt, nach einem passenden Bräutigam Ausschau zu halten. Doch Riwkele, die auf Wunsch ihres Vaters sehr zurückgezogen leben muß und keine Freundinnen hat, interessiert sich für die Mädchen im Bordell, besonders für die Prostituierte Manjka. Riwkele verliebt sich in Manjka und flüchtet mit ihr und einem Zuhälter, der die beiden als gute Basis für ein eigenes Unternehmen sieht. Noch bevor sie als Prostituierte arbeiten müssen, werden Riwkele und Manjka gefunden und zu Jankel zurückgebracht. Jankel sieht, daß er seine Tochter nicht vor dem Einfluß seines Berufes schützen konnte und rast gegen Gott. Als Riwkele weder nach Hause gebracht wird, schickt er sie ins Bordell. Gott der Rache wurde 1907 mit Rudolph Schildkraut in der Rolle des Jankel Schepschowitsch von Ephraim Frisch am Deutschen Theater in Berlin inszeniert. Es war eines der ersten Dramen überhaupt, in dem eine lesbische Szene gezeigt wurde, und löste deshalb und auch wegen des Milieus, in dem es spielt, einen Skandal aus. Gott, Mensch und Teufel (Got, mentsh un tayvl, Hershele Dubrovner) von Jacob Gordin entstand 1900 und beginnt mit einem Prolog im Himmel, in dem Gott und der Satan über die Menschen sprechen. Gott meint, daß zumindest der arme Toraschreiber Hershele Dubrovner nicht verführbar sei, der Satan beschließt, diesen in Gestalt des Uriel Mazik in Versuchung zu bringen.

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Gott, Mensch und Teufel spielt im 19. Jahrhundert, in der Stadt Dubrowna in Rußland. Hershele, seine Frau Pese, Hersheles Vater Leyser und ihre Nichten Freyde und Tsipe, die an Kindes statt bei ihnen wohnen und aufwachsen, haben ein armes, aber zufriedenes Leben. Eines Abend klopft ein Fremder - Uriel Mazik - an ihre Tür, wird freundlich empfangen und bewirtet und hinterläßt zum Dank ein Los, das Hershele reich macht. Mit dem Geld kommt auch Uriel als Berater und Geschäftsführer ins Haus. Unter seinem Einfluß verändert sich Hershele völlig: Er verbietet seinem Vater das Wort, er läßt sich von seiner Frau scheiden und heiratet seine Nichte, er kümmert sich nicht um die Arbeiter seiner Fabrik, die von Uriel brutal ausgebeutet werden. Erst als der Mann seiner Nichte Tsipe, die ihre frühere Familie ohne Geld freiwillig verlassen hat, an einem Arbeitsunfall in seiner Fabrik stirbt, wird Hershele klar, daß sein Verhalten seine ganze Familie unglücklich machte. Er erhängt sich. Der Satan - Uriel Mazik - hat die Wette verloren. Großmutter und Enkel (Di bobe mitn eynikl) von Abraham Goldfaden wurde in einer Erstfassung 1877 aufgeführt, im weiteren machte Goldfaden eine dreiaktige Komödie daraus, die 1879 gedruckt wurde. Der Stoff beruht auf einem populären russischen Lied. In Goldfadens Komödienfassung will die Großmutter ihre Enkelin mit einem ihr genehmen Bräutigam verheiraten, die Enkelin brennt aber mit ihrem Geliebten durch. Die Großmutter ist verlassen und krank, vor ihrem Tod hat sie noch eine Vision des jungen, glücklichen Paares. Grüne Felder (Grine felder) von Perez Hirschbein entstand 1916 und spielt um die Jahrhundertwende auf einem Bauernhof auf dem Land in Rußland. Der Bauer Dovid-Noyekh und seine Frau Rokhl haben drei Kinder: Den jungen Mann Hersh-Ber, das fast schon erwachsene Mädchen Tsine, und ihren Jüngsten, Avrom-Yankev. Tsine ist ein fröhliches Mädchen, das noch kein Interesse an Männern zeigt, wie das das gleichaltrige Mädchen Stere vom Nachbarhof schon tut und in Hersh-Ber verliebt ist. Das Leben der jüdischen Bauern ist idyllisch, es gibt aber kaum Möglichkeiten, sich selbst oder die Kinder zu bilden. Da erscheint der gelehrte junge Mann Levi-Yitskhok, der eigentlich auf Wanderschaft ist, und wird von den Bauern eingeladen, ihre Kinder zu unterrichten und zumindest eine Weile zu bleiben. Tsine verliebt sich in ihn, doch auch Steres Vater sieht in ihn einen idealen Ehemann für Stere, was zu einigen Konflikten führt. Schließlich aber bittet Hersch-Ber um Stere, ihr Vater willigt ein; und nun können auch Tsine und Levi-Yitskhok heiraten. Höre Israel (Shma Yisroel, Sch'ma Jisruel). Drama in 3 Akten von Ossip Dymow wurde nach den Pogromen in Rußland 1903 in russischer Sprache verfaßt. Shma Yisroel oder »Schema Jisroel« lautet der Beginn des jüdischen Glaubensbekenntnisses, und um den Verlust des Glaubens geht es in diesem Drama. Es handelt nach einem Pogrom in einer russischen Kleinstadt und zeigt dessen Auswirkungen in einer Familie. Der Sohn, nach sieben Jahren heimgekehrt, liegt im Sterben - er hat seiner Schwester geholfen, die während des Pogroms vergewaltigt wurde. Der Sohn stirbt, die alten Eltern erfahren nun, daß er sich vom jüdischen Glauben abgewandt hatte. Der Vater Aaron Schiffer beginnt nun ebenfalls mit Gott zu hadern, wird aber von Rabbi Eliahu wieder zum Glauben zurückgeführt.

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Jakob und Christian. Komödie von Sammy Gronemann entstand 1937 und handelt vor dem Ersten Weltkrieg in einem kleinen deutschen Ort. Christian Stockebrand hat sich emporgearbeitet: Er war ein uneheliches Kind, erhielt von seiner Mutter Emerentia aber etwas Geld und machte daraus ein Vermögen, das immer auf den Namen der Mutter geschrieben war. Nach ihrem Tod steht die Testamentseröffiiung ins Haus. Außerdem wird Christian von seiner adeligen Braut Aurora und ihrem Bruder dazu aufgefordert, für die nationale und antisemitische Partei zu kandidieren, was er auch will. Vor der Testamentseröffiiung finden sich alte Freude der Verstorbenen ein, und im Gespräch über sie wird deren Unbehagen laut. Sie vermuten nämlich, daß Emerentia ihren eigenen Sohn mit dem Baby, als dessen Amme sie arbeitete, tauschte. Christian erfahrt nun, daß er einen jüdischen »Milchbruder« habe, von dem zudem nicht sicher sei, ob nicht er oder doch Christian selbst der richtige Sohn der Emerentia sei. Zur Testamentseröffiiung erscheint schließlich auch Jakob, der Jude aus Bukarest, der Sohn der Emerentia, falls die Buben nicht zweimal vertauscht wurden, wie der Arzt Dr. Wendel vermutet. Man einigt sich schließlich gütlich: Christian und Jakob erhalten je die Hälfte des Vermögens; und welcher der beiden Männer nun der wirkliche Sohn der Emerentia ist, bleibt offen.

Jakob der Schmied (Yankl der shmid). Schauspiel in 4 Akten von David Pinski entstand 1906. Tamara, eine Waise, lebt bei Tante Frume und ihrem Onkel, als Jakob der Schmied um sie anhält. Sie kennt den gut aussehenden Jankel kaum, alle wissen aber von seinem schlechten Ruf als Frauenheld und Trinker. Tante Frume ist zwar entsetzt über den Antrag, will aber ihre Nichte loswerden, und Tamara willigt in die Heirat ein. Trotz aller schlechten Voraussagen, besonders auch von Jankels Mutter, wirken sich die Ehe und auch die Ruhe und Sicherheit Tamaras gut auf den wilden Jankel aus, die beiden bekommen ein Kind. Anläßlich des Festes trinkt Jankel nach langer Zeit wieder, und seine Nachbarin, die es schon immer auf ihn abgesehen hat, verfuhrt ihn. Tamara erfahrt alles und verzeiht ihrem Mann.

Moshiekhs tsayten (Messias' Zeit). Zeitbilder der russischen Juden als Schauspiel mit Gesang und Tänzen, in 6 Akten, 4 Verwandlungen und 30 Bildern von Abraham Goldfaden entstand 1891 in Lemberg. Das wesentliche Element des Dramas ist die Wanderung der Juden: Die ersten drei Akte spielen in Rußland, der vierte in Amerika und der fünfte in Palästina, wo die Juden ihr Heim finden. Moshiekhs tsayten und Beri Ami oder der Sohn meines Volkes gelten als die zionistischen Dramen Goldfadens.

Mirele Efros oder Die jüdische Königin Lear (Di yidishe kenigin lir). Drama in vier Aufzügen von Jacob Gordin entstand 1898 und spielt in Slutzk und Grodno. Das Drama erzählt das Schicksal der wohlhabenden und unabhängigen Mirele, die durch die Heirat eines ihrer Söhne einer habgierigen Schwiegertochter und deren Eltern ausgesetzt wird. Diese tyrannisieren Mirele, ihr Sohn ist zu schwach, um ihr beizustehen. Mirele gibt schließlich das Erbe früher als geplant an ihre Söhne ab und zieht sich aus allen Geschäften zurück. Sie muß zusehen, wie die finanzielle Lage der Familie immer schlechter wird, ihr Rat wird aber nicht angenommen. Nach Demütigungen von Seiten ihrer Schwie-

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gertochter und deren Eltern verdingt sich die einst angesehene Mírele als Haushälterin bei ihrem ehemaligen Verwalter, was dem Ansehen der Familie sehr schadet. Erst nach Jahren, anläßlich der Bar-Mitzvah ihres Enkels, kann sie der inzwischen längst bereuenden Schwiegertochter verzeihen. Mírele Efros, eines der wenigen jiddischen Dramen mit einer weiblichen Titelheldin, ist seit seiner Uraufführung populär und gehört noch heute zum Repertoire jiddischer Theatergruppen. Newejle (Aas). Drama in vier Akten von Perez Hirschbein erschien 1905. »Newejle« (= Aas) wird der Abdecker Mendel genannt, der eigentlich ein gutmütiger Bursche ist. Er lebt zusammen mit seinem Vater, einem Trinker, dessen zweiter Frau und deren Tochter Reisl. Mendel ist in die faule, aber anspruchsvolle Reisl verliebt, diese hält es eher mit einem gutaussehenden Fleischergehilfen; Mendel mit seinem unsauberen Beruf wird abgewiesen. Auch seine eigene Mutter, die mit einer Tochter getrennt von Mendels Vater lebt, weist den Sohn wegen seines Berufes zurück. Das ist zuviel für Mendel: Er gibt dem Vater, der ihn zu seinem Beruf zwang, alle Schuld und ermordet ihn, danach macht er sich für Reisl fein, die er jetzt zu erlangen glaubt, doch seine Tat und sein Wahnsinn werden bald entdeckt. Purim. Ernst-heitere jüdische Oper. Musik von Ignatz Waghalter. 4 Bilder mit Prolog und Epilog von Alired Werner wurde 1937 im Jüdischen Kulturtheater Wien uraufgeführt. In Purim wird die dem Purimfest zugrundeliegende Episode der jüdischen Geschichte aufgegriffen: Haman, der Minister des Königs von Persien, Ahasveros, plant, alle Juden im Reich hinrichten zu lassen. Der weise Jude Mordechai und Esther, die Frau des Königs, können Hamans Plan verhindern, Ahasveros läßt Haman an dem Galgen hängen, den dieser für Mordechai errichtet hat. In dieses biblische Szenarium ließ Werner aktuelle Bezüge einfließen, die momentane Situation der Juden wird angesprochen, und im Verlauf des Librettos werden die nationalsozialistische Ideologie und die Mechanismen und Benützbarkeit des Antisemitismus dargelegt. Schmattes (Shmates, Lumpen) von H. Leivick wurde 1921 in New York uraufgeführt. Im Zentrum der Handlung steht Moshe Maze, ein älterer Mann, der zu Hause in Europa wegen seiner Gelehrsamkeit Ansehen und Respekt genoß, nun in New York aber fur seinen Lebensunterhalt Lumpen sortieren muß. Seine Kollegen, auch ältere Männer, beschließen zu streiken. Als sie Maze auffordern mitzumachen, lehnt dieser ab - aus seiner Sicht können ein paar Groschen mehr am Tag den Verlust an Würde und die Sinnlosigkeit ihrer Arbeit auch nicht verbessern. In der Zwischenzeit hat eine Tochter Mazes den Sohn des Fabrikbesitzers geheiratet, und seine Kollegen verdächtigen ihn, deshalb nicht streiken zu wollen. Maze lehnt die Heirat ab, und der Verdacht der Kollegen macht ihn noch verbitterter. Schmendrik oder Die komische Hochzeit (Shmendrik). Eine Komödie in drei Akten von Abraham Goldfaden entstand 1877 in Bukarest. Schmendrik ist außerordentlich dumm und völlig seinen Vorlieben (wie dem Essen von Honigkuchen) hingegeben, zeigt aber gele-

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gentliche Funken von Schlauheit, die freilich der von seiner Mutter für ihn ausgewählten Braut Rosa zu wenig sind. Außerdem ist Rosa, die Tochter eines armen, aber angesehenen Rabbis, in David verliebt. David ist glücklicherweise eben zu Geld gekommen, und so beschließen er und Rosa eine List: Sie wollen Schmendrik seine Kousine Tsirele in Rosas Kleid als Braut unterschieben. Unmittelbar vor der Zeremonie erkennt Schmendrik den Betrug - aber es ist ihm egal, er freut sich auf den Honigkuchen und heiratet Tsirele, und auch seine Mutter findet sich damit ab.

Schwer zu sein ein Jud' (Shver tsu zayn a yid). Eine Komödie in vier Akten mit einem Vorspiel und einem Epilog von Scholem Alejchem entstand vor 1914 und spielt in einer Stadt im russischen Ansiedlungsrayon, zu der nicht alle Juden freien Zugang hatten. Shneyrzon und Ivan sind eben mit dem Gymnasium fertig geworden und feiern mit Kollegen den Beginn des Studiums. Der begabte jüdische Shneyrson ist recht still, er weiß nicht, ob es ihm als Juden gelingen wird, eine Zuzugsgenehmigung in eine Universitätsstadt und eine Zulassung zum Studium zu erlangen. Der privilegierte Ivan, Sohn eines Staatsrats, kann das nicht verstehen und bietet Shneyrzon an, für das folgende Jahr, das sie beide in verschiedenen Universitätsstädten verbringen wollen, ihre Identität zu tauschen; Shneyrzon ist einverstanden. In der Stadt angekommen, mietet sich Ivan bei einer jüdischen Familie ein und erkennt sehr schnell, wie schwierig es ist, als Jude alle erforderlichen Genehmigungen für das Studium zu erlangen. Zur gleichen Zeit werden Gerüchte über einen bevorstehenden Pogrom laut, und Ivan verliebt sich in die Tochter seiner Untermieter, Betty, was auch dem zu Besuch kommenden Shneyrzon passiert. Im weiteren überlegt Ivan eine Konversion; Betty wird über die wahre Herkunft der beiden aufgeklärt; und beide Studenten werden verhaftet. Am Schluß der Komödie geht Ivan ins Ausland, Shneyrzon und Betty sind ein Paar geworden.

Schwestern. Ein Drama in einem Akt von Jizchok Leib Perez entstand 1906. Drei arme junge Frauen - eine ist Witwe, ihre Kinder müssen hungern, die zweite wurde verführt und ist schwanger, der dritten droht das gleiche kämpfen um ihre Existenz. Im Verlauf ihrer Gespräche und aufgrund ihrer vergeblichen Bemühungen wird klar, daß sie keine Chance auf ein besseres Leben haben. Sulamith oder Die Tochter des Morgenlandes.

Musikalisches Melodrama

in Reimen in 4 Akten und 15 Bildern von Abraham Goldfaden wurde 1883 uraufgeführt. Sulamith erzählt eine Liebesgeschichte im alten Palästina: Absalom rettet Sulamith aus einem Brunnen, die beiden verlieben sich und schwören einander ewige Treue; Zeugen des Schwures sind der Brunnen und eine Wildkatze. Sulamith geht nach Betlehem, Absalom nach Jerusalem, wo er, den Schwur vergessend, Abigail heiratet und mit ihr zwei Kinder hat. Erst der Tod der Kinder eines ertrinkt in einem Brunnen, das zweite wird von einer Wildkatze getötet - erinnert Absalom an seinen Schwur, von dem er seiner Frau berichtet. Abigail gibt ihn frei, er wandert zu Sulamith, die sich durch das Vorgeben von Wahnsinn vor einer Ehe schützen konnte und treu auf ihn gewartet hatte.

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Tag und Nacht. Tragödie in 3 Akten von An-Ski wurde von diesem nicht beendet (An-Ski starb 1920) und deshalb in einer von Alter Kacisne bearbeiteten Fassung auf die Bühne gebracht. Die Tragödie spielt in einem Schtetl, in dem eine Epidemie ausgebrochen ist, an der viele Kinder sterben. Schuld an der Epidemie ist nach Meinung der Schtetlbewohner Zauberei, die von einer alten Mühle ausgeht. Außerdem geht das Gerücht, daß diese Mühle ein heimlicher Treffpunkt für Rabbi Dan und Miriam sei. Nachdem Gebete und Fasten nicht helfen, beschließen die Schtetlbewohner, ein Fest zu bereiten, bei dem Rabbi Dan und Miriam miteinander tanzen - und schließlich gemeinsam in die brennende Mühle gehen.

Tewje der Milchmann (Tevye der milkhiger). Ein Familienbild in 4 Akten von Scholem Alejchem das Bühnenstück entstand vor 1914 auf Basis der Tevye-Monologe, die zwischen 1895 und 1914 publiziert wurden, und liegt in verschiedenen Versionen vor. In der Bühnenfassung leben im Hause des gläubigen Milchmanns Tevye und seiner Frau Golde zwei ihrer Töchter, Khave und Tseytel, sowie die Kinder Tseytels. Khave, am Beginn des Dramas noch ein Mädchen, verliebt sich in den nissischen Bauemsohn Fedya. Sie konvertiert und heiratet Fedya, was ihrem Vater schwer zu schaffen macht; ihre Mutter stirbt. Khave ist in ihrer neuen Famiie nicht glücklich, sie wird schlecht behandelt und Fedya kümmert sich kaum um sie. Als im Dorf ein Pogrom veranstaltet wird, kehrt Khave zu ihrem Vater und ihrem Volk zurück, gemeinsam mit ihm verläßt sie das Dorf. Tewje der Milchmann gehört zu den bekanntesten Werken der jiddischen Literatur, Scholem Alejchem selbst verfaßte einige Versionen des Stoffes, andere wurden von Schauspielern fur ihre Ansprüche adaptiert. Tewje der Milchmann wurde auch verfilmt, ferner wurde der Stoff in Form des Musicals Fiddler on the Roof oder Anatevka populär.

Tkias-Kaf (Das Gelöbnis, Der Handschlag). Drama in 5 Akten mit einem Prolog von Perez Hirschbein wurde 1908 uraufgeführt. Khanele und Dovidl haben einander das Wort gegeben. Doch nun ist Dovidl schon über ein Jahr krank, Khanele will deshalb und auf Drängen ihrer Eltern, die sie anderweitig verheiraten wollen, das Gelöbnis lösen. Als Khanele Dovidl darauf anspricht, stirbt er, und sie und ihre Eltem fühlen sich schuldig. Ihr Vater Henokh hat Angst, die Mutter versucht, ihre Schuldgefühle mit guten Taten zu beschwichtigen, Khanele aber wird krank. Sie legt sich hin und verlangt ihr Hochzeitskleid, um sich mit dem toten Dovidl vereinigen zu können. Henokh ist bereit, seine Tochter dem Toten zuzuführen.

Verstreut und Versprengt (Tsezeyt un tseshpreyt). Schauspiel in 3 Aufzügen von Scholem Alejchem entstand 1903 und spielt in einer Großstadt. Das Drama macht die Zerrissenheit einer russisch-jüdischen Familie deutlich. Meyer Shalant, ein neureicher Kaufmann, interessiert sich nur für seine Geschäfte. Seine Frau Malke ist tief gläubig, aber schwach, sie hat keinen Einfluß auf die halbwüchsigen und erwachsenen Kinder. Der älteste Sohn ist ein Spieler, die älteste Tochter Flora eine geschiedene Frau, die mit einem neuen Liebhaber weggeht; die jüngere Tochter Khane läßt sich das Haar schneiden und bereitet sich auf ein Studium vor. Der zweite Sohn ist Zionist, der Jüngste verwöhnt. Die Eltern sind ratlos und überfordert zugleich, die Familie zerfällt.

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Von Sechistow bis Amerika (Fun ssechisstow bis amerika). Eine Revue in 15 Bildern von Abisch Meiseis entstand 1926 in Wien. Von Sechistow bis Amerika erzählt die Geschichte einer Familie, die aus Galizien nach Amerika aufbricht, um sich eine angeblich dort auf sie wartende Erbschaft zu sichern. Nach einem umständlichen Start der Reise, bei dem der ganze Hausrat verloren geht, machen Hersch, seine Frau Scheindl, ihre Tochter Rochl und deren Bräutigam Schmulik einen Zwischenaufenthalt in Wien, wo sie sich - von wenigen Ausnahmen abgesehen - unter lauter Antisemiten wiederfinden. Doch auch die Juden aus Galizien und die Wiener Kultusgemeinde werden sehr kritisch gezeichnet: erstere müssen bei jeder Gelegenheit feilschen, die jüdische Gemeinde wiederum findet keine gemeinsame Sprache. Nach etlichen Verwicklungen und der Hochzeit von Rochl und Schmulik beschließen die Galizianer, nach Amerika weiterzureisen, um die Erbschaft anzutreten, die sich jedoch als äußerst schmal erweist.

Schauspieler Paul Baratoff trat auch unter dem Namen Ben-Zwi auf (Rußland, um 1880-unbekannt), studierte Medizin an der Universität Charkow und spielte in einer Liebhabertruppe. Ab 1898 war er für drei Jahre am Moskauer Künstlertheater engagiert, hauptberuflich war er als Arzt tätig. Danach spielte er bis zum Ausbruch der Revolution an verschiedenen russischen Bühnen in Petersburg, Tiflin und Charkow. Nach Baratoffs Ankunft in Wien 1920 lernte er Jiddisch und wurde der Star der Freien Jüdischen Volksbühne, mit der er bis zu ihrem Zerfall 1923 auftrat. 1923 ging er in die USA, seine dortigen Engagements wurden von Gastspielen in Europa unterbrochen: Im August 1924 und 1925 trat Baratoff in der Wiener Rolandbühne auf, 1928 gastierte er in Rumänien und Polen. In der Saison 1928/29 war er wieder im Jüdischen Kunsttheater in New York tätig, 1929 spielte er in Berlin bei Erwin Piscator die Titelrolle in Kaufmann von Berlin von Walter Mehring. Im Januar 1932 sowie in der Saison 1932/33 gastierte Baratoff in den Jüdischen Künstlerspielen in Wien. Hier beteiligte er sich unter anderem am Film Der Lumpensammler.

Adolf Bell (Uman bei Kiew 1886-unbekannt), lief von zu Hause weg, um sich einer Theatertruppe anzuschließen. Nach einem Aufenthalt in den USA (1905-1908) kehrte er nach Europa zurück, wo er in David Tannenzapfs und Ber Harts Truppen in Osteuropa auftrat. Bell war einer der »Pioniere« des jiddischen Theaters in Wien, er spielte ab 1914 in der Jüdischen Bühne, in den 1920er Jahren trat er auch mit der Freien Jüdischen Volksbühne auf, und spielte außer in Wien in Paris, Belgien, Budapest, Jugoslawien und in der Tschechoslowakei. In den 1930er Jahren war Bell vor allem in Wien tätig.

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Cilli Bell (Nowy Sacz/Galizien 1911—lebt in den USA), Tochter des Schauspielers Adolf Bell, stand bereits im Alter von fünf Jahren in Kinderrollen auf der Bühne. Ab 1926 bis zum Herbst 1937 war sie Soubrette in Wien. Cilli Bell konnte nach London emigrieren, wo sie vor allem in Operetten auftrat. Egon Brecher (Olmütz/Mähren 1880-1946 Los Angeles), begann 1899 ein Studium der Philosophie in Heidelberg, das er aber bald aufgab, um Schauspieler zu werden. Bis 1910 gastierte er mit verschiedenen deutschsprachigen Ensembles in der österreichischen und deutschen Provinz. Von 1910 bis 1921 war Brecher an den Jarno-Bühnen in Wien engagiert, daneben aber ständig mit dem jüdischen Theater verbunden: Er inszenierte eine Reihe von Dramen mit jüdischen Themen in deutscher Sprache und beteiligte sich an der Gründung der Freien Jüdischen Volksbühne (sowie deren dramatischer Schule), bei der er als Regisseur und Direktor tätig war und in jiddischer Sprache auftrat. 1921 erhielt Brecher ein Engagement in New York, wo er auf jiddischen und englischen Bühnen spielte. Außerdem war er Direktor und Lehrer einer Theaterschule in Cleveland und wirkte nach 1933 in über fünfzig Hollywoodfilmen mit. Nahum Brind (Rußland 1898-1976 USA), kam 1922 nach Wien, wo er sich als Schriftsteller betätigte und an verschiedenen Theaterinitiativen mitwirkte. In den 1920er Jahren beteiligte er sich an jiddischen (»Die gildene pawe«) und hebräischen (»Habima«) Laienensembles in Wien und war Leiter des Jiddischen Theaterstudios, 1933 wirkte er bei der Kleinkunstbühne »Chad Gadjo« mit. Nach dem »Anschluß« Österreichs an NSDeutschland ging er nach Paris, danach wurde er nach New York engagiert. Isaak Deutsch (Toltshin/Ukraine 1884-1934 Säo Paolo), war in verschiedenen Berufen tätig, bis er aufgrund seiner schönen Tenorstimme in Lemberg bei Gimpel in den Chor eintrat und danach in jiddischen Truppen spielte. 1910 kam Deutsch nach Wien, wo er an der Jüdischen Bühne engagiert war und 1919 die Freie Jüdische Volksbühne mitgründete. Nach deren Zerfall gastierte Deutsch in europäischen Städten und versuchte, in Wien wieder ein literarisches Theater zu etablieren, scheiterte aber und emigrierte im Juli 1925 nach Buenos Aires. Deutsch trat in Argentinien, Brasilien und Südafrika auf, zwischendurch gastierte er in Wien. Mina Deutsch geborene Menkes (Lemberg um 1887-unbekannt), debütierte in Gimpels Chor und spielte in verschiedenen jiddischen Truppen, ab 1910 trat sie in der Jüdischen Bühne auf, 1920 bis 1923 auch mit der Freien Jüdischen Volksbühne. Mina Deutsch unternahm Gastspiele mit Paul Baratoff in Rumänien, 1925 gastierte sie mit ihm in Wien. Nach einigen Jahren Spielpause trat sie bis zum Herbst 1937 in den Jüdischen Künstlerspielen auf. Mina Deutschs Spezialität waren Mutterrollen.

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Paula Dreiblatt geboren als Perl Schneyer (Koropiec/Galizien um 1895-1938 Wien), kam 1909 zum jiddischen Theater und trat ab 1916 in Wien auf, an der Jüdischen Bühne sowie mit der Freien Jüdischen Volksbühne. In den 1920er Jahren gastierte sie außerdem in Rumänien, Frankreich, Transylvanien und der Slowakei. Gemeinsam mit Max Streng eröffnete Dreiblatt 1925 das Jüdische Künstlerkabarett; dort und mit den anderen jiddischen Truppen in Wien spielte sie bis 1936. Mit Molly Picon hatte Dreiblatt in der Rolle der Mäkle im Film Ost und West mitgewirkt, der 1919 in Wien gedreht wurde. Israel oder Jacob Feldbaum (Lebensdaten unbekannt), spielte in der Saison 1927/28 in den Jüdischen Künstlerspielen. Ein Israel Feldboym war in Polen, Ungarn, Rumänien, Istanbul und Belgien aufgetreten und hatte 1945 mit Salomon und Klara Strammer in Buenos Aires das jiddische Soleil Theater gegründet. Laura Glücksmann auch Larka oder Larke Glyksman (Lemberg 1885-Tod in einem Konzentrationslager), begann ihrer Karriere im jiddischen Theater bei Gimpel in Lemberg und spielte in verschiedenen jiddischen Ensembles. Ab 1914 trat sie in der Jüdischen Bühne in Wien auf, in den 1920er Jahren auch in der Freien Jüdischen Volksühne, außerdem spielte sie in Warschau, Rumänien, der Tschechoslowakei, Belgien, Paris und London. Laura Glücksmann galt als »eine der besten jüdischen Soubretten in Europa« und wirkte in jiddischen Filmen mit, etwa in Yidl mitn Fidi. Jacob Goldflies (Trempovla bei Tarnopol 1899-1978 New York), kam vermutlich in der Zeit des Ersten Weltkrieges nach Wien. Zu Beginn der 1920er Jahre war Goldflies Mitglied des »Vereins für Jüdisch-Dramatische Kunst«, von 1927 bis 1938 war er künstlerischer Direktor der Jüdischen Künstlerspiele in Wien. 1939 ging er nach Italien, kam in die Schweiz und schließlich nach Frankreich, wo er in einem Versteck überlebte, 1945 oder 1946 kam er in die USA. Zum jiddischen Theater hatte er auch in New York Kontakt, konnte sich aber in der lokalen Theaterszene nicht mehr etablieren. Markus Herschkowicz auch Melech genannt (Lodz 1891-kurz vor der Befreiung in Auschwitz ermordet), war kein professioneller jiddischer Schauspieler, sondern organisierte jiddische Theaterabende, rezitierte und schrieb einige Theaterstücke, die in seiner eigenen Regie aufgeführt wurden. Herschkowicz veranstaltete Benefiz- und Rezitationsabende und war Leiter der »Jüdischen Kabarettgesellschaft Hasomir«, die von 1925 bis 1927 bestand. Er war außerdem als Bühneninspizient tätig und stellte von Zeit zu Zeit Wanderensembles zusammen, mit denen er in der Tschechoslowakei gastierte. Leopold Jungwirth (Krakau 1891-Tod im Krakauer Ghetto), war seit 1909 beim jiddischen Theater und mit der Schauspielerin Ernestine Jungwirth verheiratet. Von 1912 bis in die 1930er

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Jahre trat Jungwirth in den jiddischen Theatern Wiens auf, außerdem gastierte er in London, Paris und der Tschechoslowakei. Jungwirth verfaßte auch Dramen (Der falsche Schwur, Der Renegat) und Übersetzungen ins Jiddische ( Weibsteufel, Morphium, Schloß Werterstein). Fritz Links (Wien 1896-unbekannt), debütierte 1919 an der Neuen Wiener Bühne, war an verschiedenen österreichischen und deutschen Bühnen tätig, außerdem bei der WienFilm und seit 1926 bei der RAVAG, der österreichischen Radiogesellschaft. Links war Oberregisseur in Königsberg; in den 1930er Jahren führte er im Wiener Theater für 49 Regie und trat im Jüdischen Kulturtheater auf. 1945 spielte er am Renaissancetheater in Wien, ab 1948 im Neuen Theater in der Scala. Klara Meiseis geborene Clara Fridhofer oder Friedhoffer (Lemberg 1896-1960 London), kam 1912 nach Wien und absolvierte eine Schauspielausbildung in deutscher Sprache. Nach der Heirat mit Abisch Meiseis (s. Autoren, oben S. 138f.) wurde sie Schauspielerin im professionellen jiddischen Theater in Wien und gastierte mit Wandertruppen in Galizien und Österreich. Klara Meiseis' Spezialität waren Mutterrollen. 1938 ging Klara Meiseis mit ihrem Ehemann Abisch und Tochter Ruth über Prag nach London, wo sie ebenfalls am jiddischen Theater tätig war und im englischen Fernsehen auftrat. Jacob Mestel eigentlich Weintraub (Zloczów/Galizien 1884-1952 USA), war Lehrer in Lemberg, kam nach Wien, um Philosphie zu studieren, war aber ab 1910 als Regisseur und Schauspieler an der Jüdischen Bühne. In den Sommern gastierte er mit dem Ensemble in Marienbad, Franzensbad, Czernowitz, Prag, Leipzig und anderen Orten der deutschen und österreichischen Provinz. Im Ersten Weltkrieg wurde er als Offizier (im Rang eines Oberleutnants) der österreichisch-ungarischen Armee verwundet und ausgezeichnet. 1918 trat er in die Wiener staatliche »Akademie für Regie und Schauspielkunst« ein, Mestel war Mitgründer und Regisseur der Freien Jüdischen Volksbühne, unter seiner Leitung wurde auch die dramatische Schule der Volksbühne eingerichtet, die erste jiddisch-dramatische Schule in Wien. Im Juli 1920 emigrierte Mestel in die USA, wo er erst in Philadelphia tätig war, danach in Schwartz' New Yorker Kunst-Theater, für das er 1924 die Gastspiele in Europa vorbereitete. 1925 wurde er Lehrer des dramatischen Studios ARTEF, eines jüdischen Arbeitertheaters in New York, 1926 leitete Mestel eine Tournee des Schauspielers Jacob Ben-Ami, in den 1930er Jahren gastierte er mit Ben-Ami in Südamerika. Mestel konnte seine Karriere am jiddischen Theater in den USA und Kanada als Schauspieler, Regisseur und Leiter von Gastspielen fortsetzen. Auch beim jiddischen Film war er aktiv: Schon in Wien hatte er sich 1919 im deutschen Film Der gekreuzigte Jude beteiligt; wieder in Wien arbeitete er mit dem Schwartz-Ensemble bei der Aufnahme des jiddischen Films Yiskor mit. In New York war er außerdem 1927 im East Side Zeyde, 1932 bei Onkel Moses und im Film Eine jüdische Tochter beschäftigt. Mestel veröffentlichte ab 1903 Dramen, Lieder, Essays und Kritiken in europäischen und amerikanischen jiddischen Periodika. In den USA übersetzte er in die jiddi-

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sehe Sprache, u. a. Alexander Granachs Autobiographie Da geht ein Mensch. Mestel war Mitredakteur von Zylberzweigs Leksikon fun yidishn teater.

Solomon Michoels (Dvinsk 1890-1948 Minsk), studierte Jura in St. Petersburg, bevor er sich 1918 Granowskys jüdischem Theaterstudio anschloß. Schon 1921 wurde er der Star des Moskauer Jüdischen Kammertheaters; er spielte alle wichtigen Rollen des jiddischen Repertoires. Nach Granowskys Verbleiben in Westeuropa 1928 wurde Michoels Leiter des Ensembles. Legendär ist seine Darstellung von Shakespeares King Lear, 1935 in der Regie von Sergej Radlov in Moskau; den Narren spielte der ebenfalls sehr populäre Schauspieler Benjamin Suskin. Michoels war Vorsitzender des Jüdischen Antifaschistischen Komittees der UdSSR; er wies während des Zweiten Weltkriegs auf die Verfolgung und Ermordung der Juden unter deutscher Herrschaft hin und setzte sich nach 1945 fur die Überlebenden und ihre Rückkehr nach Rußland ein. 1946 wurde das Moskauer Jüdische Kammertheater gewaltsam geschlossen, Michoels wurde 1948 in Stalins Auftrag brutal ermordet.

Dolly Nachbar (Wien 1903-unbekannt), lernte erst am jiddischen Theater jiddisch. Bereits mit sechs Jahren sang Nachbar im Chor, mit zehn trat er in Kinderrollen in der Jüdischen Bühne auf, wo er bis 1917 spielte. Bei der Etablierung der Freien Jüdischen Volksbühne arbeitete er erst als Dekorateur bei diesem Ensemble, bald aber nahm er als Schauspieler an den literarischen Abenden 1918 und den Aufführungen der Volksbühne teil. Nachbar unternahm Tourneen durch Tschechien und Rumänien; in den 1930er Jahren war er am jiddischen Theater in Wien ein populärer Komiker. 1938 gastierte er mit der Siegler-Pastor Truppe in Karpatenrußland. Als dieses Gebiet zwischen Ungarn und den Ruthenen geteilt wurde, ging Nachbar nach Prag, wo er Einreisepapiere für Amerika bekam. Außer einem erhaltenen Theaterzettel aus dem Jahr 1940 aus New York, wo er u. a. mit Michael Preiss als »Comedian Dolly Nachbar« aufscheint, gibt es keine Anzeichen weiterer Theatertätigkeit von Dolly Nachbar in den USA.

Ida Nathan (Lebensdaten nicht ermittelt), war die Tochter des Schauspielerehepaares Noemi und Simon Nathan, wurde ebenfalls Schauspielerin und trat 1935 in der Jüdischen Bühne in Wien auf. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Warschau flüchteten Ida Nathan und ihre Familie nach Lemberg, wo sie am jüdischen Theater tätig war. Als auch Lemberg okkupiert wurde, gingen N. Nathan und I. Nathan zurück nach Warschau, wo beide im Ghetto-Theater auftraten. Erst wurde Tochter Ida, dann wurden ihre Mutter Noemi und deren Enkelkind nach Treblinka deportiert und ermordet.

Noemi Nathan geborene Levental (Novominsk/Polen 1891-Tod in Treblinka), war Choristin und Schauspielerin bei jiddischen Wandertruppen, mit denen sie durch Polen reiste. In Wien trat sie Anfang der 1920er Jahre und in den 1930er Jahren auf, meist gemeinsam mit ihrem Ehemann Simon Nathan.

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Simon Nathan auch Simcha oder Simche (Lodz 1892-1946 oder 1947 Warschau), begann seine Karriere in einer Laientruppe, wurde 1917 als Schauspieler in Lodz engagiert, 1920 spielte er bereits angesehen Rollen im Lodzer Polnischen Theater. Noch im Jahr 1920 kam er nach Wien, wo er Anfang der 1920er und in den 1930er Jahren auftrat. Bei der Besetzung Lembergs waren Simon Nathan, sein Schwiegersohn und sein Sohn auf Tournee, sie konnten sich in die UdSSR retten. 1946 kehrte Simon Nathan nach Warschau zurück und spielte im Jüdischen Staatstheater. Er verstarb einige Monate nach seiner Rückkehr.

Muniu Pastor eigentlich Abraham Moses Pasternak (Lodz 1898-Verhaftung im Lodzer Ghetto, Tod in einem Konzentrationslager), war ab 1917 als professioneller Schauspieler in Lodz und Warschau tätig. 1926 ging er nach Rumänien und heiratete dort die Schauspielerin Sevilla Siegler, Tochter des Ehepaares M. und R. Siegler. Als Regisseur der Truppe seines Schwiegervaters reiste er durch Ungarn, Tschechoslowakei, Polen, Rumänien und Österreich. Die Siegler-Pastor-Truppe trat in den späten 1920er und den 1930er Jahren an den jiddischen Theatern in Wien auf und war sehr populär. Nach dem »Anschluß« Österreich an NS-Deutschland gastierte die Truppe in Karpatenrußland, wo sich das Ensemble auflöste.

Sevilla Pastor (1905-unbekannt, Bukarest), war die Tochter des Schauspielerehepaares M. und R. Siegler und der Star der Siegler-Pastor Truppe, die in den späten 1920er und 1930er Jahren in Wien gastierte. Sevilla Pastors Spezialität waren Hosenrollen; sie war auch eine begabte Komikerin. Nach dem »Anschluß« Österreichs an NS-Deutschland gastierte die Truppe in Karpatenrußland, bis das Ensemble zerfiel. M. und R. Siegler sowie Sevilla Pastor gingen nach Rumänien, wo sie unter schwierigen Bedingungen ein jüdisches Lagertheater organisierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Sevilla Pastor zum Ensemble des jüdischen Theaters in Bukarest.

Esther Perelmann (Warschau 1898-1966 Säo Paolo), begann ihre Karriere in Warschau, wo sie auch erste Engagements hatte. Sie gastierte in Frankfurt, Glasgow, Argentinien, Berlin und Paris. Von Januar bis Mai 1929 trat sie in den Wiener Jüdischen Künstlerspielen auf; noch 1929 ging sie zusammen mit Isaak Deutsch nach Argentinien zurück, danach nach Brasilien. Nach einem weiteren Aufenthalt in Europa reiste sie nach Buenos Aires, danach tourte sie durch Mittelamerika. Im Mai und Juni 1938 spielte Perelmann in Krakau und Lemberg, bei Beginn des Zweiten Weltkriegs flüchtete sie in den asiatischen Teil der Sowjetunion. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat Perelmann in Nord- und Südamerika auf.

Molly Picon (New York 1898-1992 ebd.), war eine sehr populäre und erfolgreiche amerikanischjiddische Theater- und Filmschauspielerin. Um 1919, am Beginn ihrer Karriere, kam

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sie gemeinsam mit ihrem Mann Jacob Kaiich nach Europa, um europäisches Jiddisch zu lernen. Eine Station ihres Europa-Gastspieles war Wien, wo sie im Singspiel Yankele die Titelrolle einnahm und in mehreren Stummfilmen, etwa in Hütet eure Töchter und Ost und West mitwirkte. Am Beginn der 1920er Jahre gingen Picon und Kaiich zurück nach New York, wo Picon in den ihr auf den Leib geschriebenen Rollen bald das Publikum der Second Avenue, dem Zentrum des jiddischen Theaters, eroberte. Ab 1942 betrieb sie ein eigenes Theater, nach dem Zweiten Weltkrieg besuchten Picon und Kaiich die DP-Camps in Europa. Picon wirkte in zahlreichen jiddischen Filmen mit, etwa in Yidl mitri Fidi und Mámele, und verfaßte zwei autobiographische Werke.

Schulim Podzamcze (Brzezany/Galizien um 1859-1940 New York), riß als Kind aus seinem sehr frommen Elternhaus aus und Schloß sich Broder Singern an, er reiste unter anderen mit Jona Reissmann und Hermann Weinberg durch Galizien. In den 1880er Jahren trat er in Einaktern in Lemberg auf, nach der Gründung von Gimpels jüdischem Theater trat er auch dort kurz auf, um dann wieder als Volkssänger auf Tourneen durch Galizien und Ungarn zu gehen. 1891 brachte ein gewisser Mandelkern den sehr populären Podzamcze nach New York, wo er in der Bowery im Rumanian Opera House sowie in der Grand Street im Grand Museum auftrat; 1893 kehrte er nach Galizien zurück. Er spielte nun bei Gimpel und in M. Richters Truppe; in schlechten Zeiten fuhr er mit einem eigenen Ensemble durch Galizien, Ungarn, die Bukowina und Moldavien. 1901 kam er erstmals mit den Polnischen nach Wien, wo er einer der »Pioniere« des jiddischen Theaters war; die ersten Jahre in Wien wurden von Gastspielen in Warschau, Lemberg und Prag unterbrochen. 1915 wurde Podzamcze Direktor der Jüdischen Bühne, der »Keimzelle« des jüdischen Theaters in Wien. Er war bis 1938 Inhaber der entsprechenden Konzession, auch wenn er in den letzten Jahren nur mehr wenig auf der Bühne stand. Im Juli 1939 ging Podzamcze mit seiner Familie nach New York. In den USA war er nicht mehr im Theater tätig.

Michael Preiss (Olejów/Galizien 1904-1978 Long Island City/NY), kam aus einer begüterten Familie und lernte Polnisch, Ukrainisch und Deutsch. 1914 flüchtete die Familie nach Wien, und Preiss begann mit der Freien Jüdischen Volksbühne in Jiddisch Theater zu spielen. 1924/25 absolvierte er ein Schauspielstudium in deutscher Sprache und trat in der Folge an jiddischen und deutschsprachigen Bühnen auf, in Wien, Berlin, Brünn, Breslau, in den tschechischen Kurorten ebenso wie in Düsseldorf. 1938 wurde Preiss inhaftiert, die Israelitische Kultusgemeinde befreite ihn und gab ihm eine Anstellung in der Emigrationsabteilung, wo er bis zu seiner Emigration im März 1939 nach England arbeitete. 1940 kam Preiss in den USA an, wo er fallweisejiddisches Theater spielte; später wurde er Angestellter.

Jona Reissmann (Cherson/Ukraine um 1863-1932 Wien) sang bereits im Alter von sieben Jahren mit dem örtlichen Kantor; bald schloß er sich einer Singer-Gesellschaft in Odessa an. Als Vierzehnjähriger wurde er als Sänger und Schauspieler kleinerer Rollen von Abraham Goldfaden engagiert und trat mit dessen Truppe in Odessa, Cherson und in der Provinz auf.

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Nach dem Verbot des jüdischen Theaters in Rußland (1883) ging Reissmann nach Lemberg, wo er für kurze Zeit in einer Tabakfabrik arbeitete, aber schon bald ein Engagement in der Truppe von Kalmen Juwelier fand. Später tat er sich mit Schulim Podzamcze zusammen und die beiden reisten als Broder Singer durch Galizien. 1889, als Goldfaden in Lemberg arbeitete, trat Reissmann erneut bei ihm auf; in den folgenden Jahren schloß er sich Moshe Hurwitz' Truppe an, mit dessen Ensemble er auch in Wien gastierte, danach ging Reissmann nach Lemberg und Budapest. 1901 kam Reissmann wieder nach Wien, wo er - Gastspiele in den Sommermonaten ausgenommen - bis zu seinem Tod 1932 blieb. In den ersten Jahren spielte Reissmann in Edelhofers Volksorpheum; 1909 bis 1920 trat er in der Jüdischen Bühne auf; im Sommer gastierte er auch in Marienbad. In Wien betätigte sich Reissmann außerdem als Regisseur und Schauspieler im dramatischen Kreis des Vereines »Zion«, außerdem trat er mit der Freien Jüdischen Volksbühne auf. Nach dem Zerfall dieses Ensembles gründete er 1923/24 eine Jüdische Kabarettgesellschaft, die 1924 mit der Jüdischen Bühne verschmolz. Reissmann trat bis 1928 an dieser Bühne auÇ spielte im Herbst 1928 in den Jüdischen Künstlerspielen, danach wieder in der Jüdischen Bühne. Jacob Leyzer Relies (Lemberg 1878-Ermordung durch die Nazis), trat 1905 in Gimpels Theater in Lemberg ein. Relies ging mit verschiedenen Truppen auf Tourneen durch Galizien und spielte bei Axelrod in Czernowitz. Nach dem Ersten Weltkrieg hielt er sich in Argentinien auf, danach gastierte er in Wien, wo er 1919 bis 1922 mit der Freien Jüdischen Volksbühne auftrat und 1926/27 in der Jüdischen Bühne. Nach seiner Rückkehr nach Lemberg spielte er in Emil Gimpels jüdischem Theater. Maurice Schwartz auch Morris Schwarz, (Sedikow/Ukraine 1890-1960 Israel), mietete 1918 das Irving Place Theatre in New York, wo er anspruchsvolles jiddisches Theater bieten wollte. Nach den ersten erfolgreichen Vorstellungen seines ausgezeichneten Ensembles bildete ein Teil der Schauspieler bereits ein eigenes Kunsttheater (das Jewish Art Theatre, Leitung Ben-Ami), doch Schwartz' Yiddish Art Theater blieb bis 1950 bestehen, und er selbst war die zentrale Figur des literarischen jiddischen Theaters in New York. Schwartz wirkte auch in zahlreichen jiddischen Filmen mit, etwa in Yiskor (Gedenke!) (Österreich 1924, Regie: Sidney M. Goldin). Erna Siegler (Wien 1911-unbekannt), war die Tochter der Schauspieler Maurice und Rosa Siegler und debütierte 1920 debütierte in der Truppe der Eltern in Czernowitz; zwei Jahre lang trat Erna Siegler in Kinderrollen auf. Nach einer Unterbrechung ihrer Bühnentätigkeit bis 1926 wurde sie Primadonna in der Truppe der Eltern, die in den 1930er Jahren in Wien gastierte (s. unten, Maurice Siegler), und in der sie die Rolle der romantischen Liebhaberin einnahm. 1938 flüchtete Erna Siegler mit ihrer Tochter Charlotte in die USA. Maurice Siegler auch Moritz oder Moses Beizer (Jassy um 1878-1965 Rumänien), begann bei jiddischen Ensembles in Rumänien, war von 1908 bis 1915 Direktor der Jüdischen Bühne in Wien, im Sommer unternahm die Truppe Gastspiele in Marienbad, Franzens-

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bad, Prag und Czernowitz. Unter Sieglers Direktion wurde auch anspruchsvolle Dramatik (von Jacob Gordin, Schalom Asch, Perez Hirschbein) aufgeführt. 1919 bis 1921 beteiligte er sich an Aufführungen der Freien Jüdischen Volksbühne. 1920 gründete er mit seiner Frau, drei Kindern und Muniu Pastor eine Wandertruppe, mit der er in Rumänien und Österreich gastierte. In den späten 1920er und den 1930er Jahren trat die Siegler-Pastor Truppe wiederholt in Wien auf. Nach dem »Anschluß« Österreichs an NS-Deutschland gastierte die Truppe in Karpatenrußland, bis das Ensemble zerfiel. Maurice Siegler und Rosa Siegler sowie Sevilla Pastor gingen nach Rumänien, wo sie unter schwierigen Bedingungen ein jüdisches Lagertheater organisierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Maurice Siegler zum Ensemble des jüdischen Theaters in Bukarest. 1950 ging er für einige Zeit nach Israel, kehrte aber nach Bukarest zurück. Rosa Siegler geborene Aron (Jassy 1888-unbekannt), war Sängerin in Cafés und wurde schließlich im Bukarester jüdischen Theater engagiert. Nach der Heirat mit Maurice Siegler teilte sie dessen weiteren Lebensweg. Die Töchter Ella, Sevilla und Erna spielten ebenfalls im jiddischen Theater. 1938 verließ Rosa Siegler mit ihrer Familie Wien. Mit Maurice Siegler und Tochter Sevilla Pastor organisierte sie jüdisches Theater im Lager (s. Maurice Siegler). Sie starb nach dem Zweiten Weltkrieg in Bukarest. Ben-Zion Sigall (Olejów/Galizien 1900-Ermordung in Belzec), kam 1916 als Flüchtling nach Wien, wo er im Mai 1920 als professioneller Schauspieler in einer Toumeetruppe von Isaak Deutsch in Marienbad debütierte. Ab der Saison 1920/21 spielte er mit der Freien Jüdischen Volksbühne, danach bis 1938 mit den verschiedenen jiddischen Ensembles in Wien. Sigall war mit der Schauspielerin Rahel Weissberg verheiratet, nach dem »Anschluß« floh er mit seiner Frau und den beiden Kindern in die Tschechoslowakei; beide traten danach mit der Siegler-Pastor Truppe in Karpatenrußland auf und gingen, als die Truppe das Gebiet verlassen mußte, nach Lemberg. Sigall, seine Frau und die Kinder wurden in Belzec ermordet. Max Streng (Lemberg um 1876-1928 Wien), arbeitete in einem Delikatessengeschäft und sang nebenbei im Chor von Gimpels jüdischem Theater. 1891 wurde er am polnischen Theater in Lemberg als »Salonkomiker« engagiert; nach seiner Rückkehr zu jiddischen Truppen unternahm er Tourneen durch Polen, Rumänien, England, Frankreich, Deutschland und trat in Czernowitz auf. Ab 1912 spielte er in den jiddischen Ensembles in Wien, von 1925 bis 1928 leitete er fallweise das Jüdische Künstlerkabarett. Streng galt als »Pionier« des jüdischen Theater in Wien, er wurde als »urwüchsiger Komiker, der besonders die galizischen Typen glücklich zu gestalten versteht«, beschrieben. Cilli Urich (Lemberg um 1887-1943 Lemberger Ghetto), spielte ab 1904 in einer Liebhabertruppe Theater; 1905 wurde sie im professionellen jiddischen Theater engagiert, in

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den folgenden Jahren spielte Cilli Urich in verschiedenen Truppen. Während des Ersten Weltkrieges kam sie als Flüchtling nach Wien und trat als Gast der Jüdischen Bühne auf; nach Kriegsende ging sie nach Krakau, danach nach Lemberg, in der Saison 1928/29 spielte sie im Wiener Jüdischen Künstlerkabarett. Im Herbst 1929 emigrierte Cilli Urich in die USA, trat etwa im Second Avenue Theatre in New York auf, kehrte aber nach drei Jahren nach Galizien zurück. Cilli Urich war die Ehefrau des Schauspielers Samuel Urich, ihre Tochter Pepi (Perl) war ebenfalls Schauspielerin. Bei Beginn des Zweiten Weltkriegs befand sich das Ehepaar Urich in Lemberg. Pepi Urich auch Perl Urich (Lemberg 1908-ermordet in Belzec), war die Tochter der Schauspieler Cilli und Samuel Urich, und begann 1927 ihre Karriere als Schauspielerin in Ber Harts Truppe, in der sie gemeinsam mit den Eltern auftrat. 1928 heiratete Pepi Urich den Schauspieler Jacob Mandelblit; gemeinsam traten sie in Krakau, Lodz und Riga auf; 1938 waren sie in Warschau engagiert. Bei Beginn des Zweiten Weltkrieges flohen die Mandelblits von Krakau nach Lemberg. Pepi und ihr Kind wurden 1942 aus dem Lemberger Ghetto ins Todeslager Belzec gebracht. Sami Urich (Lemberg 1882-1943 Lemberger Ghetto), sang bereits als Kind im Chor. Vorübergehend arbeitete Sami Urich in einer Fabrik, bevor er in den Chor von Gimpels jüdischem Theater eintrat und bald in kleinen Rollen auftrat. Sami Urich spielte mit jiddischen Wanderensembles; 1912 trat er als Gast in der Jüdischen Bühne in Wien auf; 1914 spielte Sami Urich wieder in Czernowitz bei Axelrod. In den Jahren 1914 und 1915 sowie in der Saison 1917/18 gastierte er in der Jüdischen Bühne, danach wieder in Krakau und Lemberg. 1929 waren er und seine Frau in den USA, von wo sie 1932 nach Galizien zurückkehrten. Bei Beginn des Zweiten Weltkriegs befand sich die Familie Urich in Lemberg; Anfang 1943 wurde sie von den Nazis gefangengenommen und ermordet (s. Cilli Urich). Isaak Waldberg (Lemberg 1889-unbekannt), war schon als Kind im Chor des jüdischen Theaters und trat in einer Laientruppe auf. Nachdem er von zu Hause ausgerissen war, spielte er u. a. bei Ber Hart und während des Ersten Weltkrieges in einem Flüchtlingslager in Mähren. 1916 trat er in der Wiener Jüdischen Bühne auf, in den Jahren 1920 bis 1922 ebendort und mit der Freien Jüdischen Volksbühne. Nach dem Zerfall dieses Ensembles gastierte er in Rumänien, später bei Emil Gimpel in Lemberg. In den 1920er Jahren war Waldberg immer wieder in den jiddischen Ensembles in Wien tätig; in den Sommermonaten gastierte er mit Abisch Meiseis in Marienbad. Zu Beginn der 1930er Jahre ging Waldberg nach Lemberg zurück, bei Beginn des Zweiten Weltkrieges flüchtete er in die Sowjetunion, wo er in Buchara an Typhus starb. Hermann Weinberg (Bobrka/Ukraine 1863-1942 Theresienstadt), begann im Alter von sieben Jahren im Tempel zu singen, nach Abschluß der Schule wurde er Broder Singer. Nach der er-

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sten Begegnung mit dem jiddischen Theater (Hermann Weinberg sah die HurwitzTruppe) tendierte er in Richtung Schauspiel, Schloß sich unter anderem Juweliers Truppe an und bekam 1886 eine Konzession, mit der er ein eigenes Ensemble leitete. In schlechten Jahren wanderte Hermann Weinberg als Broder Singer durch Galizien. 1901 kam er mit den Polnischen nach Wien, nach dem Zerfall dieses Ensembles 1905 wurde er Leiter einer eigenen Truppe und brachte Maurice Siegler nach Wien. Unter dessen und später unter Podzamczes Direktion war Hermann Weinberg als Schauspieler und Souffleur in der Jüdischen Bühne beschäftigt. 1920 bis 1922 nahm er an den Vorstellungen der Freien Jüdischen Volksbühne teil, danach gehörte er Reissmanns kurzlebiger jüdischer Kabarettinitiative an und spielte wieder in der Jüdischen Bühne. In der Saison 1936/37 trat er in den Jüdischen Künstlerspielen auf. Hermann Weinberg war mit der Schauspielerin Salcia Weinberg verheiratet. Die beiden hatten acht Kinder.

Salcia Weinberg geborene Sarah Licht (Przemysl 1878-1940 Wien), heiratete im Alter von fünfzehn Jahren den Schauspieler Hermann Weinberg. Sie sang im Chor der polnischen Oper in Lemberg, trat dann in Gimpels jüdischem Theater auf und tourte mit ihrem Mann in einer jüdischen Kabarettgesellschaft durch Ungarn, Bulgarien und Deutschland. 1901 engagierte Edelhofer sie nach Wien, 1903 trat sie als einzige jüdische Kabarettistin in Budapest auf; die Lieder ihres Repertoires stammten aus jiddischen Stücken, vor allem von Goldfaden. Von 1909 bis 1930 war Salcia Weinberg an den jiddischen Theatern in Wien tätig.

Lea Weintraub-Graf (Botoshani,/Rumänien 1888-Ermordung durch die Nazis), begann mit vierzehn Jahren im Chor der elterlichen Truppe zu singen (ihr Vater war beim jüdischen Theater beschäftigt) und begab sich mit ihr auf Gastspiele. Von 1909 bis 1917 spielte Weintraub-Graf in der Jüdischen Bühne in Wien, unterbrochen von Gastspielen in Czernowitz, Paris, Galizien, Ungarn und Deutschland. Sie war eine der ersten Schauspielerinnen der Freien Jüdischen Volksbühne, bei der sie Zeit ihres Bestehens (1919 bis 1923) auftrat. Danach spielte sie wieder in der Jüdischen Bühne. 1924/25 beteiligte sich Weintraub-Graf an Reissmanns Jüdischem Kabarett. Im Herbst 1925 ging sie nach Paris. In den späten 1920er und 1930er Jahren gastierte Weintraub-Graf immer wieder in Wien.

Rudolf Weiß auch Weihs oder Weiss (Wien 1900-1978 New York), studierte Jura, ging aber zur Bühne; sein Debüt fand in Berlin statt. Nach der »Machtübernahme« kam Weiss nach Wien, wo er das Jüdische Kulturtheater mitgründete, dort Regie führte und auch auf der Bühne stand. 1935 und 1937 trat er außerdem im Theater für 49 auf. Weiss kam 1939 in New York an. 1940 bis 1954 arbeitete er für die Voice of America, außerdem machte er am Broadway und Off-Broadway Karriere.

Rahel Weissberg (Sadagóra/Bukowina 1901-Tod in Belzec), kam 1913 nach Wien und besuchte die dramatische Schule der Freien Jüdischen Volksbühne, mit der sie in der Saison

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1920/21 debütierte. Danach trat sie bis zum Beginn der 1930er Jahre mit den jiddischen Ensembles in Wien auf. Rahel Weissberg war mit dem Schauspieler Ben-Zion Sigall verheiratet; sie hatten zwei Kinder. Nach dem »Anschluß« floh die Familie in die Tschechoslowakei, trat mit der Siegler-Pastor Truppe in Karpatenrußland auf und ging, als die Truppe das Gebiet verlassen mußte, nach Lemberg. Weissberg, Sigall und die Kinder wurden in Belzec ermordet. Aaron Weismann (Biala-Cerkov/Ukraine 1887-Tod in einem Konzentrationslager), kam während des Ersten Weltkrieges nach Budapest, begann in einer Laiengruppe zu spielen und wanderte mit Axelrods Ensemble durch Galizien, die Bukowina und Rumänien. Nach Kriegsende eröffnete Weismann ein jüdisches Theater in Budapest, das aber bald geschlossen wurde. 1920 bis 1928 trat er in der Jüdischen Bühne und im Jüdischen Künstlerkabarett in Wien auf. Ben-Zion Wittler auch Bernhard Wittler (Belc/Galizien um 1900-1961 USA), kam 1914 mit seiner Familie nach Wien. 1919 trat er mit der Freien Jüdischen Volksbühne auf, danach spielte er im Jüdischen Künstlerkabarett; im Herbst 1927 wurden die Jüdischen Künstlerspiele eröffnet, wo er auch 1928 auftrat. Wittler studierte Gesang bei Prof. Ulianovski und Fuks. In den Jahren 1928 bis 1930 gastierte er in Paris, London, Südafrika, England und Frankreich. Danach spielte er in Polen; in der Saison 1937/38 gastierte er in Riga und Lettland, wo sein Sohn geboren wurde. 1940 kam er in die USA, wo er seine Karriere fortsetzen konnte - sein Operettenrepertoire kam beim Publikum an, er machte viele Plattenaufhahmen, die heute noch im Handel sind. Wittler bereiste die ganze Welt: 1946 gastierte er in Argentinien, in den 1950er Jahren in Nord- und Südamerika, Südafrika, Israel, Kanada und Europa. In einem Scherz über ihn heißt es, es gäbe ein paar Länder auf der Welt, die er nicht besucht habe. Wittlers zweite Frau Shifra Lerer ist ebenfalls eine erfolgreiche jiddische Schauspielerin. Meir Zelniker auch Meyr, Meier oder Max Tzelniker oder Zellniker (Warschau 1898-1980 London), stand bereits im Alter von zwölf Jahren auf der Bühne. Er besuchte die staatliche dramatische Schule in Odessa und trat einige Zeit im russischen Theater auf. Seit 1922 spielte er in jiddischer Sprache, mit jiddischen Wanderensembles unternahm er Tourneen durch ganz Europa. 1927 emigrierte er nach England. In Wien gastierte er 1928 und 1932 in den Jüdischen Künstlerspielen. Aus der Tschechoslowakei stammende Theaterzettel der späten 1920er und beginnenden 1930er Jahre nennen ihn den »Wiener Komiker Max Zelniker«. In den 1930er Jahren sowie in den Jahren während des Zweiten Weltkriegs war Zelniker einer der populärsten Komiker des jiddischen Theaters in London, auch im englischen Film und Fernsehen war er erfolgreich. Seine Tochter Anna Tzelniker, geboren 1922 in Sadagora/Rumänien, ist ebenfalls Schauspielerin. Auch sie trat bereits als Kind auf, kam 1933 nach London und ist seitdem am jiddischen und und englischsprachigen Theater tätig.

Quellennachweise und Stellenkommentare

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Scholem Zucker (Warschau, unbekannt-Tod in Treblinka), hatte eine sehr schöne Stimme, zog mit Broder Singern durch Rußland und trat bei Gelegenheit mit jüdischen Truppen auf, aufgrund seines kleinen Wuches spezialisierte er sich auf komische Rollen. Als Scholem Zucker in Rußland eingezogen werden sollte, ging er nach Wien, wo er sich den örtlichen jiddischen Truppen anschloß; 1905 ging er nach Amerika. Nach einigen Jahren kehrte Zucker nach Wien zurück, trat kurze Zeit dort auf, um dann eine Truppe zusammenzustellen, mit der er in die Türkei, nach Bulgarien und Jugoslawien reiste. Außerdem gastierte sie in Böhmen, Mähren, der Slowakei, Karpatenrußland und Ungarn. Danach wurde Zucker nach Deutschland engagiert; er spielte ferner in Frankreich, Belgien und England. In den Jahren 1926 bis 1938 lebte er hauptsächlich in Wien. Zucker wirkte in den jiddischen Filmen Ost und West und Yiskor mit. 1938 wurden er und seine Frau Klara ans Kulturbundtheater Danzig engagiert, später gingen sie nach Warschau, wo sie sich als Sänger im Ghetto durchbrachten. Aus dem Warschauer Ghetto wurden Scholem Zucker und seine Frau Klara nach Treblinka transportiert und ermordet.

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Martin Buber: Eine Jungjüdische Bühne

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Martin Buber: Eine Jungjüdische Bühne. In: Die Welt, Jg 5, Nr 45, 8. November 1901, S. 10-11

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Martin Buber ] Buber (Wien 1878-1965 Jerusalem), setzte sich in jungen Jahren intensiv mit Theater auseinander, das er für die nationale jüdische Renaissance nutzen wollte. Er war u. a. Gründungsmitglied des »Vereins Hellauer Schauspiele«, der »dramatische Werke monumentalen Stils« zur Aufführung bringen wollte. 1929 beteiligte er sich an der Berliner Diskussion über die Zukunft der Habima, nach der »Machtübernahme« der Nazis in Deutschland gehörte er zum Ehrenpräsidium des »Kulturbundes Deutscher Juden«. Publikationen Martin Bubers zum Theater: David Pinski: Eisik Scheitel. Ein jüdisches Arbeiterdrama in 3 Akten. Übersetzt und mit einem Geleitwort von Martin Buber. Berlin/Charlottenburg: Jüdischer Verlag 1905; ders., Das Raumproblem der Bühne. In: Die Zukunft 21 (1913), Nr 40, S. 16-21; ders., Zum Geleit. In: Jizchok Leib Perez: Drei Dramen. Nachdichtungen von Hugo Zuckermann und Siegfried Schmitz. Wien, Berlin: R. Löwit Verlag 1920, S. 9-13; ders., Elija. Ein Mysterienspiel. Heidelberg: Lambert Schneider 1963. Vgl. Maurice Friedman: Martin Buber and the Theater, including Martin Buber's »Mystery Play«. New York: Funk & Wagnalls 1969. »Die Förderung jüdischer Dramatik« ] Letzter Artikel einer Serie, die Nathan Birnbaum unter dem Pseudonym »Pantarhei« im zionistischen Zentralorgan Die Welt 1901 publizierte. In diesem Artikel legte Birnbaum die Ziele eines jüdischen Theaters dar: Durch die Förderung jüdischer Dramatik in deutscher und jiddischer Sprache wollte Birnbaum die jüdische Identität assimilierter Zeitgenossen wecken und stärken und »das Volk« zu einer (zweifellos westlich orientierten) jüdischen Kultur führen. Zu Birnbaums Artikeln in der Welt s. letzte Anmerkung.

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Anhang Pantarhei ] Die Auflösung des Pseudonyms »Pantarhei« (griechisch, »Alles ist in Fluß«, oft auch mit »alles fließt« übersetzt) folgt Michael Kühntopf-Gentz: Nathan Birnbaum Biographie. (Diss.) Tübingen 1990. S. 146. dem jüdischen Milieudrama] Als »Schöpfer des jüdischen Milieudramas in deutscher Sprache« nennt Birnbaum Georg Hirschfeld. Georg Hirschfeld (1873— 1942), war ein naturalistischer Schriftsteller, der die jüdische Gesellschaft in seinen Dramen und Romanen porträtierte. original-jüdische Literatur ] Die Bezeichnung bezieht sich auf die jiddische Literatur und Dramatik. Freie Bühne ] Der Verein »Freie Bühne« wurde 1889 von Otto Brahm in Berlin gegründet. »Unabhängig von Gelderwerb und Zensur führte die >Freie Bühne< in geschlossenen, nur ihren Mitgliedern zugänglichen Vorstellungen - in gemieteten Bühnenhäusern und mit jeweils lediglich für nur eine Aufführung engagierten, von anderen Theatern ausgeliehenen Schauspielern - Werke auf, die entweder einem Auffiihrungsverbot unterlagen oder aber aus wirtschaftlichen Gründen keinen Zugang zu den öffentlichen zumeist privaten Bühnen fanden.« In: Von der Freien Bühne zum Politischen Theater. Drama und Theater im Spiegel der Kritik. Hg. von Hugo Fetting. 1. Aufl., Leipzig: Reclam 1987, Bd 1, Vorbemerkung des Hg., S. 5-25, hier S. 6f. Die Beiträge der Mitglieder gaben der »Freien Bühne« wirtschaftliche Sicherheit; einige der von ihr erstmals aufgeführten Dramen zählen heute zu den Klassikern des Theaters, wie Henrik Ibsens Gespenster. Schaffung einer ersten künstlerischen Tribüne ] Eine »Erste Vorlesung aus jungjüdischer Dichtung« fand am 27. November 1901 im Ehrbar-Saal, 4., Mühlgasse 28 statt. Die Einleitung zu diesem Abend hielt Martin Buber, gelesen wurde aus Werken Bialiks, Perez', J. L. Boruchowitsch'. Auf dem Piano waren hebräische Melodien von Lewandowsky zu hören. Vgl. Die Welt 5 (1901), 13. Dezember 1901. Sehnen der jungjüdischen Dichtung nach Geltung und Sonnenlicht ] Am 13. Oktober 1901 schrieb Martin Buber an seine Frau Paula Buber-Winkler: »[...] Ich beschäftige mich jetzt viel mit dem Plan einer freien jungjüdischen Bühne, über den ich Dir nächstens ausführlicher schreiben werde. Auch in der >Welt< wirst Du davon lesen. Das gibt zusammen mit Anthologie, Kunstausstellung, Kunstverlag, Buchverlag, Zeitschriften und anderen Projekten ein ganzes jüdisches Kunstprogramm. Gefallt Dir die Idee im allgemeinen?« Paula Buber-Winkler antwortete ihrem Mann am 19. Oktober 1901: »[...] Liebster Mäugli, von allen Plänen, ein einheitliches jüdisches Kunstleben einzuleiten, dürfte der der jüdischen Bühne wohl der schwierigste sein. Sind denn Stücke da? Und wäre es nicht sehr gefahrlich, die Stücke erst für die Bühne zu schreiben? Die Idee verlangt Zeit. Ihr sollt keine unreifen Früchte pflücken, Lieber.« Im weiteren schreibt Paula BuberWinkler, daß sie an die Existenzfahigkeit und Zukunft der jüdischen Lyrik glaube, meint, der Roman sei »ja schon da«, und daß Bildende Kunst, Verlage, Zeitschriften gedeihen würden. »Das Drama aber, glaub ich, wird das Schmerzenskind sein. - Aber trotzdem - Du, gerade Du würdest an keine Bühne denken, wenn Du nicht Stücke hättest. Schreibe mir darüber. Ist es Hirschfeld, an den Du denkst?«. Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten. Bd I: 1897-1918. Heidelberg: Lambert Schneider 1972, S. 166ff. Die Welt] Die erste zionistische Wochenzeitung Die Welt wurde 1897 von Theodor Herzl in Wien gegründet. Ab 1903 war die Welt das offizielle Organ der zionistischen Weltorganisation, sie erschien bis 1914. 1900 erschien ein Jahrgang in Jiddisch: Di velt. 1. Jg 1900, Wien. Redaktion: »Die Welt«. Wien IX, Türkenstraße 9. In der Welt erschienen eine ganze Reihe von Artikeln, die sich mit jüdi-

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schem Theater in jiddischer und deutscher Sprache beschäftigten. Siehe: Fabius Schach: Das Theater und die Juden (I-IV). In: Die Welt 3 (1899), Nr 9, 15, 23, 29. R. Α. B.: Abraham Goldfaden. Zu seinem 60. Geburtstag. In: ebd., 4 (1900), Nr 28; Abraham Goldfaden: Die Musik meiner jüdischen Singspiele. Eine Autokritik. In: ebd., 4 (1900), Nr 19 (Abdruck oben, S. 65f.). 1901 wurde eine Folge von Aufsätzen über jüdisches Theater von Nathan Birnbaum unter dem Pseudonym »Pantarhei« publiziert; vgl. Pantarhei: Ohne Drama. In: ebd., 5 (1901), Nr 37; ders., Das deutsch-jüdische Milieudrama. In: ebd., 5 (1901), Nr 39; ders., Die jüdisch sprechenden Juden und ihre Bühne. In: ebd., 5 (1901), Nr 41; ders., Die Förderung jüdischer Dramatik. In: ebd., 5 (1901), Nr 43. Ferner erschienen: [Anonym]: Jakob Gordin. In: ebd., 10 (1906), Nr 1; N[ahum] Sokolow: Abraham Goldfaden. Ein Essay. In: ebd., 12 (1908), Nr 4.

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Aufruf. Verein »Jüdische Bühne«

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[Anonym]: Aufruf. Verein »Jüdische Bühne«. In: Jüdische Zeitung, 22. Januar 1909

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Verein »Jüdische Bühne« ] Der »Verein Jüdische Bühne« darf nicht mit der gleichnamigen, jiddisch spielenden Jüdischen Bühne, die sich 1908 im Saal des Hotel Stefanie etablierte, verwechselt werden. Ähnlich wie die »Polnischen« in Edelhofers Volksorpheum, zeigte die Jüdische Bühne zu Einaktern verkürzte Dramen des damaligen jiddischen Repertoires, die von Liedern und Konzertnummern eingerahmt wurden; für diese Programmgestaltung wurde die Jüdische Bühne zunehmend kritisiert. 1908 hatte die Czernowitzer Sprachkonferenz stattgefunden, bei der das Jiddische aufgewertet wurde - der Anspruch an alle künstlerischen Formen dieser Sprache war gewachsen, das Repertoire der Jüdischen Bühne aber hatte sich nicht verändert. In Wien nahmen sich nun zwei Vereine dieser Situation an: Der akademische Verein »Jüdische Kultur«, der anspruchsvolle jiddische Vorstellungen in der Jüdischen Bühne organisierte, die von der Kritik gelobt, vom Publikum aber nicht akzeptiert wurden (s. Waldmann, Bei den »Polnischen«, oben S. 12f.); und der Verein »Jüdische Bühne«, der die Auffuhrung jiddischer Dramen in deutscher Sprache im Intimen Theater plante. Brecher ] Egon Brecher s. Schauspieler, oben S. 156. im Intimen Theater ] Das Intime Theater befand sich im Nestroyhof, 2. Bezirk, Praterstraße 34, Direktor war Emil Richter-Roland. In den 1930er Jahren waren hier die Jüdischen Künstlerspiele untergebracht. Es werden folgende Stücke zur Aufführung gelangen ] Tatsächlich aufgeführt wurden: die Einakter Die Schwestern (Perez), Vom Glück vergessen (Pinski) und Der getaufte Enkel von Beda. Als Schauspieler werden Brecher, Lunzer, Christian, Frl. Webers und Hr. Hermann genannt. Vgl. W.: Verein »Jüdische Bühne«. In: Jüdische Zeitung, 5. März 1909. Nach einem überlieferten Programmzettel wurde auch Eisik Scheftel aufgeführt, mit Michael Irrgang, Käthe Osten, Helene Holstein, David Hermann, Egon Brecher, Erich Rawn, Franz von Climéche, Rolf Reisegger, Fritz Lunzer, Ernst Reusch, Josef Hübner, Josef Christean, Josef Kastl, Marianne Heller, Jo Rossi, Ella Webers, Bally Illing, Helene Lanna, Rosa Monati. Regie führte Egon Brecher. Vgl. Theaterzettel »Intimes Theater«, YTVO, RG 8, estraykh. Außer diesen erwähnt Siegfried Schmitz die Aufführung folgender Stücke: Winter (Einakter von Asch), Familie Zwi von Pinski, Juden von Tschirikow. Vgl. Schmitz, Zur Geschichte und zum Problem des jüdischen Theaters in Wien (s. Schriftenverzeichnis), S. 79-91, hier S. 83f. Die Einakter sowie die Dramen von Pinski befinden sich in der Theaterzensursammlung, Tschirikows Juden ist nicht vorhanden, stattdessen

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Anhang Der Golem von Arthur Holitscher. Vgl. Niederösterreichisches Landesarchiv, Theaterzensursammlung Karton 656,1909/13,15,23,43. Jüdische Zeitung ] National-Jüdisches Organ, erschien von 1907 bis 1920 wöchentlich in Wien. Ein etwas verkürzter Aufruf des Vereins »Jüdische Bühne« findet sich ferner in Österreichische Wochenschrift, 29. Januar 1909. Ausführlich legt Oskar Rosenfeld die Ziele einer neuen jüdischen Bühne dar. Vgl. Oskar Rosenfeld: Eine jüdische Bühne. In: Unsere Hoffiiung 6 (1909), Nr 1 (Januar), S. 18-20.

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Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien

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[Anonym] : Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien. In: Wiener Morgenzeitung, 25. Mai 1919

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Freie jüdische Volksbühne ] In den Jahren um den Ersten Weltkrieg wurde das Bedürfnis nach einem literarischen jüdischen Theater immer stärker. Das zeigte sich in der Gründung neuer Ensembles, die zum Ziel hatten, ernsthafte Dramen in gepflegtem Jiddisch und sorgfaltiger Regie aufzufuhren. Oft wurden diese neuen Theatertruppen von Amateuren gebildet, wie etwa die Wilnaer Truppe, die sich 1916 konstituierte und erst aufgrund ihres Erfolges zu einem professionellen Ensemble wurde. Als die Wilnaer Truppe in Wilna und Warschau ihre ersten Erfolge hatte, begann Alexander Granowsky in Moskau ein Konzept für ein revolutionäres jiddisches Theater zu entwerfen, und 1918 mietete der junge Schauspieler Maurice Schwartz das Irving Place Theatre in New York, wo er anspruchsvolles Theater bieten wollte. 1919 fand sich auch in Wien eine Gruppe von Schauspielern, die literarisches jiddisches Theater in anspruchsvollen Inszenierungen zeigen wollten und zu diesem Zweck die Freie Jüdische Volksbühne gründeten. Konferenz in Czernowitz im Jahre 1910] Die Czernowitzer Sprachkonferenz fand 1908 statt (s. Aufruf. Verein Jüdische Bühne, oben S. 3). kein einziges Theater besaß, das man nicht eine Bude nennen mußte ] Der Verfasser ignoriert hier anspruchsvolle jiddische Theaterensembles wie etwa die Wilnaer Truppe, die 1916 gegründet wurde oder Esther Rachel Kaminskas Jüdisches Theater in Warschau. »Freie Jüdische Volksbühne« ] Der Verein wurde im Mai 1919 gegründet. Ein Auszug aus den Statuten: »§ 2. Der Verein bezweckt die Pflege jüdischdramatischer Kunst und Förderung des jüdischen Theaterwesens durch zweckmäßige Veranstaltungen in jiddischer Sprache, wie insbesondere theatralische Aufführungen und Arbeitervorstellungen zu ermäßigten Preisen, durch Abhaltung von Vorträgen und Kursen in jiddischer Sprache, durch Schaffung zweckdienlicher Institutionen, wie insbesonders einer jüdischen Bühne, und durch Herausgabe zweckentsprechender Druckschriften. Die Umgangssprache des Vereins ist die jiddische.« Jüdisches Theater, 1. Juli 1921; s. Rawitsch, Freie Jüdische Volksbühne, oben S. 22f.; Lifschütz, Tendenz und Ereignis, oben S. 23f.; Kläger, Theater in der Josefstadt, oben S. 24f.; Abeles, Ein Jahr Freie jüdische Volksbühne, oben S. 27f.; Horowitz, Vom Wirtshaus zum Kunsttheater, oben S. 29f.; Dorfsohn, Das jüdische Theaterproblem in Europa, oben S. 33f.; Brecka, Freie Jüdische Volksbühne, oben S. 114. Vgl. Dalinger, »Verloschene Sterne« (s. Schriftenverzeichnis), S. 65ff.; Hoeflich, Tagebücher (s. Schriftenverzeichnis), S. 442f. Carl-Theater ] Das Carl-Theater oder Carltheater befand sich im 2. Bezirk, Praterstraße 31. Hier wurde 1781 das Theater in der Leopoldstadt eröffnet, das in den 1820er Jahren des unter der Direktion von Ferdinand Raimund einen Höhepunkt erlebte. Carl Carl, bis 1845 Direktor des Theaters an der Wien, übernahm die Di-

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rektion des Theaters in der Leopoldstadt im Dezember 1838. Unter seiner Leitung wurde in der Praterstraße 31 ein neues Theatergebäude gebaut, das am 10. Dezember 1847 unter dem Namen Carltheater eröffnet wurde. Von 1854 bis 1860 war Johann Nepomuk Nestroy Direktor des Carltheaters. Newelje von Perez Hirschbein ] Vgl. Dramen, oben S. 152, bzw. Autoren, oben S. 137. Wiener Morgenzeitung] Gegründet 1919; die Wiener Morgenzeitung war die einzige deutschsprachige zionistische Tageszeitung in Europa. Ihren Namen hatte sie von der nun unter dem Titel Jüdische Morgenpost erscheinenden jiddischen Zeitung. Die Wiener Morgenzeitung, Begründer und Chefredakteur Robert Strikker, erschien bis 1927. Als Herausgeber wurde die Jüdische Zeitungs- und Verlags-Ges. m. b. H. genannt, die 1918 mit Anteil von Naftali Meier Racker gegründet worden war. Racker war der Herausgeber der Jüdischen Morgenpost (s. An alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa, oben S. 172).

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An alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa

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[Anonym]: An alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa. In: Jüdische Morgenpost, 15. Juli 1921. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Brigitte Dalinger.

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An alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa ] Um die Jahrhundertwende war - auch aufgrund fehlender gedruckter Theatertexte - der Umgang mit Autorenrechten im Bereich des jiddischen Theaters sehr unbekümmert. Jiddische Ensembles spielten Dramen nach, die sie bei einer anderen Truppe sahen, die Dramatiker gingen oft leer aus, und trotz immer wieder erfolgreich aufgeführter Theaterstücke starben manche ihrer Urheber, wie auch Abraham Goldfaden, völlig verarmt (s. Goldfaden, Die Musik meiner jüdischen Singspiele, oben S. 65f.). Durch die Anpassung der Texte an die Bedürfnisse der Stars einer Truppe wurden sie auch oft sehr stark verändert, in einer Weise, die den literarischen Ambitionen der Autoren entgegenstand. Nahma Sandrow: »Around 1910, hoping to protect the integrity of scripts, Leon Kobrin had started a Yiddish playwrights' association, but the group was so ineffectual that he compared the clout of his title as its president to that of the president of Mexico - in those days, zero. Scripts lay in desk drawers while their authors survived by writing for the Yiddish press. [...] Sholom Aleichem complained that theater managements handled artists as crassly as marketers handled oxen.« Sandrow, Vagabond Stars (s. Schriftenverzeichnis), S. 254. Harendorf berichtet über die Praxis von Wandertruppen in den 1920er Jahren: Zacharias Franzos als Konzessionär und Impressario einer jiddischen Theatertruppe pflegte die Autoren der gespielten Dramen nicht anzugeben, er müsse dann Tantiemen zahlen, »und davon hielt er nichts ...« Deshalb gab er falsche Titel an. Respekt hatte er nur bei Dramen von Goldfaden, Gordin, Kobrin, Pinski, Kalmanowitsch, An-Ski u. a. Autoren, deren Werke zum »besseren« jiddischen Theater gehörten (vgl. Harendorf, Teater karavanen [s. Schriftenverzeichnis], S. 108). Um die Rechte der Autoren zu schützen, wurde in New York die »Yiddish Playwrights League« oder »dramaturgenlige«, jidd. für »Dramatikerliga« gegründet. In der Wiener Morgenzeitung erschien am 13. März 1921 folgender (anonymer) Artikel: »Die Autorenrechte europäisch-jüdischer Dramatiker in Amerika. / Die jüdische Dramatikerliga in New York (Yiddish Playwrights League) ersucht uns um Veröffentlichung folgender Zeilen: Alle jüdischen Dramatiker in Europa, die für die jüdische Bühne schreiben, werden hiedurch aufmerksam gemacht, daß gewisse Spekulanten in der letzten Zeit zahlrei-

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Anhang che jüdische Theaterstücke aus Europa nach Amerika brachten, die vermutlich sehr bald auf den jüdischen Bühnen Amerikas aufgeführt werden dürften. Um die Werke dieser Autoren vor profitgierigen Geschäftemachern zu schützen, fordert die gefertigte jüdische Dramatikerliga in New York alle jüdischen Dramatiker Europas auf, in ihrem Interesse der bezeichneten Dramatikerliga beizutreten, die die Autorenrechte der ausländischen Schriftsteller in Amerika wirksam verteidigen wird. Jeder jüdische Dramatiker in Europa wolle daher eine Abschrift oder zumindest Namen und Inhalt seines Werkes der Yiddish Playwright League, New York, 108 Second Avenue übermitteln und diese ermächtigen, seine Autorenrechte in Amerika zu vertreten.« Klub der jüdischen und hebräischen Schriftsteller ] Im Original sind Name und Adresse des Klubs in deutscher Sprache und lateinischen Lettern gedruckt und hervorgehoben. daß auch bei uns in dieser Sache bald Ordnung sein wird ] Sehr effektiv dürften die Aktivitäten des Klubs nicht verlaufen sein. Im November 1921 veranstaltete er einen »Literarisch-musikalischen Abend« mit Melech Rawitsch, Isaak Deutsch, Molly Picon, Jacob Kaiich u. a. (vgl. Jüdische Morgenpost, 4. November 1921 [jidd.]). Am 22. Dezember 1922 allerdings meldete die Jüdische Morgenpost bereits die Auflösung des Klubs: »Mit denkwürdiger Zufriedenheit wurde von allen Mitgliedern des Klubs der jüdischen und hebräischen Schriftsteller einstimmig beschlossen, ihn aufzulösen. Der Klub, der bis jetzt nur eine Scheinexistenz führte, existiert nicht mehr.« Jüdische Morgenpost ] Die Jüdische Morgenpost, herausgegeben von Naftali Meier Racker, war die Nachfolgezeitung der jiddischen Wiener Morgenzeitung. Sie erschien von 1919 bis 1926, ab Mai 1920 nur mehr wöchentlich. Sie enthielt regelmäßig Beiträge zum jiddischen Theater. Zur jiddischen Wiener Morgenzeitung s. Theater-Abend, oben S. 178.

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An die jüdischen Vereine Wiens !

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[Anonym]: An die jüdischen Vereine Wiens! In: Die Stimme, 24. Oktober 1929

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An die jüdischen Vereine Wiens! ] Neben der offiziellen Vertretung der jüdischen Bevölkerung, der Israelitischen Kultusgemeinde, gab es bis 1938 in Wien auch eine große Anzahl jüdischer Vereine mit unterschiedlichster politischer und kultureller Ausrichtung. Kontakte zwischen den jiddischen und deutschsprachigen jüdischen Theatergruppen und diesen Vereinigungen gab es aber bis in die 1930er Jahre nur gelegentlich, etwa Theaterabende zionistischer Vereine 1919/20, die unterhalten und Geld einbringen sollten. Zum Vereinswesen vgl. Jens Budischowsky: 444 Vereine? Jüdische Gruppen und die politischen Parteien 1918 bis 1938. In: Das Jüdische Echo 38 (1989), S. 54-62; ders.: Assimilation, Zionismus und Orthodoxie in Österreich 1918-1938. Jüdisch-politische Organisationen in der Ersten Republik. (Diss.) Wien 1990. Zu Kontakten zum Theater vgl. Dalinger: Verloschene Sterne (Diss.) (s. Schriftenverzeichnis), S. 206ff., 209f„ 213ff. »Jüdischen Künstlerspiele« ] Die Jüdischen Künstlerspiele eröffneten im Herbst 1927, abgesehen von Unterbrechungen in den Saisonen 1930/31 und 1933/34 zeigten sie bis zum März 1938 ein sehr vielfältiges Programm. Scholem Alejchem ] Vgl. Autoren, oben S. 140f. J. L. Peretz ] Vgl. Autoren, oben S. 139f. A. Kazisne ] Vgl. Autoren, oben S. 137. Schalom Asch ] Vgl. Autoren, oben S. 134f.

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David Pinski ] Vgl. Autoren, oben S. 140. Jakob Gordin ] Vgl. Autoren, oben S. 136. daß derart beide Teile, die Vereine und wir ...am besten dienen ] Schon im Resümee der ersten Saison der Jüdischen Künstlerspiele 1927/28 hieß es, mehr als 70 jüdische Vereine hätten Vorstellungen gemietet. Der mietende Verein dürfte dabei ein gewisses Fixum für eine Vorstellung bezahlt haben, seine Mitglieder bildeten das Publikum. In den 1930er Jahren wurden außerdem im Anschluß an bestimmte Vorstellungen meist von wohltätigen Vereinen Spenden gesammelt, die Ergebnisse dieser Sammlungen wurden in der Stimme veröffentlicht. Die Stimme ] Jüdische Zeitung, wurde vom Zionistischen Landeskomitee für Österreich herausgegeben und erschien von 1928 bis 1938. In der Stimme wurden regelmäßig Kritiken und Aufsätze zum jiddischen und zum deutschsprachigjüdischen Theater publiziert.

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Jüdischer Schauspielerverein in Wien

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[Anonym]: Jüdischer Schauspielerverein in Wien. In: Die Stimme, 7. November 1929

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Jüdischer Schauspielerverein ] Der Jüdische Schauspielerverein wurde bereits im November 1926 gegründet: »Der Zweck des Vereines ist die Pflege der kulturellen Angelegenheiten und die Hebung der wirtschaftlichen Lage der jüdischen Schauspieler in Wien. Dem Verein gehören bereits 40 Mitglieder an.« (Wiener Morgenzeitung, 17. November 1926) Als Gründungstag wurde der 3. November angegeben, als Sitz des Vereins 2. Bezirk, Taborstraße 8b. Im Januar 1927 erschien eine einzige Ausgabe der jiddischen Vereinszeitung Jüdisches Theater. Der Zweck des Vereins lag vor allem im humanitären Bereich; er ehrte verdiente Schauspieler und kümmerte sich um angemessene Beisetzungen und Grabstätten. Vereinzelt organisierte er auch Theaterabende und Gastspiele: Im »Rahmen des Jüdischen Schauspielervereins« wurde im März 1931 in der Praterstraße 60 Dus Dorfische Mädel, eine Komödie von Schamsky, gezeigt. Im März 1933 veranstaltete der Verein ein Purimfest, dessen Reinertrag der »Errichtung eines eigenen Heims zwecks Förderung des Jüdischen Theaters in Wien« dienen sollte. Von September bis November 1934 bespielte der Verein den Theatersaal in der Praterstraße 60. Aufgeführt wurde ein anspruchsvolles Programm {Der Golem von H. Leiwick, An-Skis Dibbuk und Der Gedanke von Leonid Andrejew), doch das Publikum blieb aus. Danach trat der Verein nur vereinzelt als Veranstalter hervor, etwa im Mai 1935 bei einer »Festakademie mit Tanz« und im Mai 1936 mit Bar Kochba von Abraham Goldfaden. Als »Geschäftsführer des Jüdischen Schauspieler-Verbandes« organisierte Adolf Bellmann im Mai 1931 ein »Jüdisches Theater-Gastspiel in Budapest«. M. Siegler ... A. Weismann ] Zu Maurice Siegler, Muniu Pastor, Markus Herschkowicz, Aaron Weismann s. Schauspieler, oben S. 157ff. Über Nathan Breitmann, I. Valberg und O. Horowitz ist nichts bekannt. Im April 1931 wurde ein neuer Vereinsvorstand gewählt, dieser bestand aus: Abisch Meiseis, Aaron Weismann, Hermann Weinberg, Isaak Waldberg, Braclawsky, Ben-Zion Sigall, Adolf Bellmann. Als »Kontrollore« wurden Hermann Tunis und Blind genannt. Vgl. Die Stimme, 16. April 1931. Ehrenmitgliedern ... Dr. Glanz ... Heinrich Singer] Diese Liste der Ehrenmitglieder umfaßt einige Persönlichkeiten, die sich stark für den Zionismus einsetzten, etwa Desider Friedmann (Boskowitz/Mähren 1880-1944 Auschwitz), der von 1933 bis 1938 der erste zionistische Präsident der Israelitischen Kultusge-

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meinde Wien war. Oskar Rosenfeld publizierte Theaterkritiken in Die Neue Welt (s. Rosenfeld, Ein jüdisches Zeitstück »Die Grenze«, oben S. 52f.). Rudolf Glanz beschäftigte sich mit der jiddischen Sprache. Goldfließ ] Jacob Goldflies, s. Schauspieler, oben S. 157. Jüdischen Schauspielerverein ] Wie alle jüdischen Vereine wurde der Jüdische Schauspielerverein nach dem »Anschluß« Österreichs an NS-Deutschland aufgelöst. In der entsprechenden Akte des »Reichskommisars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich« findet sich ein Fragebogen, der die Unterschrift des Obmanns des Vereins, Abisch Meiseis, trägt. Er schreibt darin, daß der Verein dem »Ring der Österreichischen Bühnenkünstler« angeschlossen sei. Im Akt des »Stillhaltekommissars« heißt es weiters, der Jüdische Schauspielerverein habe »seinen Rechtsbestand auf den Bescheid des Wiener Magistrats als Amt der Landesregierung, mittelbare Bundesverwaltung vom 2. November 1926, Zahl M.Abt. 49/9698/26« gegründet. Im Schlußbericht ist zu lesen: »Die Prüfung der Gesamtbilanz erfolgte nicht wegen Geringfügigkeit des Vermögens.« Der Verein wurde im September 1938 aufgelöst, »RM 78.35« gingen an den »Stillhaltekommissar«. Vgl. Akten des Stillhaltekommissars = Stiko P31/23. Schauspieler V Sch V 38. Österreichisches Staatsarchiv / Archiv der Republik. »Jüdische Künstlerspiele« ] Vgl. An die jüdischen Vereine Wiens, oben S. 5f.; -ed., Jüdisches Theater in Wien, oben S. 45f.; Warum nicht unser Theater, oben S. 47f.; Bi., Jüdische Künstlerspiele, oben S. 50; -ei-, Hallo, hallo, hier Radio Jerusalem, oben S. 55f.; Jüdische Künstlerspiele, oben S. 57; Werner, Statt Steine - Brot, oben S. 59f.. Die Stimme ] Vgl. An die jüdischen Vereine Wiens, oben S. 173.

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Uriel Birnbaum: Prolog

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Uriel Birnbaum: Prolog. Gesprochen von Ina Mare bei der Eröffnung des Jüdischen Kulturtheaters. In: Die Garbe, Jg 3, Nr 26, Dezember 1935

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Uriel Birnbaum ] Birnbaum (Wien 1894—1956 Amersfoord, Holland), Sohn Nathan Birnbaums, war Dichter und Graphiker. Er lebte in Wien, wo er Gedichtbände und Lithographien publizierte. Beim »Anschluß« Österreichs an NS-Deutschland ging er in die Niederlande. Ina Mare ] Vermutlich der Künstlername von Anny Margulies. Sie trat 1935/36 im Jüdischen Kulturtheater auf; im Dezember 1935 wohnte sie im 2. Bezirk, Glockengasse 14/9. Ina Mare (Anny Margulies) unterzeichnete bis November 1936 die Meldungen der Kulturtheaters ans »Besondere Stadtamt«. Am 28. Februar 1938 hielt sie einen Rezitationsabend über Heinrich Heine im Vortragssaal des Jüdischen Kulturtheaters. Eröffnung des Jüdischen Kulturtheaters ] Das Jüdische Kulturtheater bestand von Dezember 1935 bis März 1938. Es nahm innerhalb der jüdischen Theaterszene Wiens eine Sonderstellung ein, und zwar aus mehreren Gründen: Es war Teil einer größeren Organisation - der Jüdischen Kulturstelle, die wiederum ein Teil der Jüdischen Volksbildungsbewegung war; es spielte in deutscher Sprache; es war ein Emigrantentheater, das Flüchtlingen aus Deutschland zumindest vorübergehend eine Auftrittsmöglichkeit bot; und es hatte einen zeitkritischen und engagierten Spielplan. Vgl. Rosenfeld, Ein jüdisches Zeitstück »Die Grenze«, oben S. 52f.; Rosenzweig, Eine biblische Oper von Waghalter, oben S. 58f.; m., Jakob und Christian im Jüdischen Kulturtheater, oben S. 62; Aus den Akten des »Stillhaltekommissars«, oben S. 120f. Vgl. Brigitte Dalinger: »Es war Emigran-

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tentheater im besten Sinn des Wortes«. Das Jüdische Kulturtheater 1935 bis 1938. In: Mit der Ziehharmonika. Zeitschrift für Literatur des Exils und des Widerstands 16 (1999), Nr 2, S. 11-14; dies., »Verloschene Sterne« (s. Schriftenverzeichnis), S. 113-122; Mayer, Theater für 49 (s. Schriftenverzeichnis); Teller, Davids Witz-Schleuder (s. Schriftenverzeichnis), S. 288. Die Garbe ] Offizielles Organ der jüdischen Kulturstelle und der jüdischen Volkshochschule. Hg. von der Jüdischen Kulturstelle, erschien von 1935 bis 1938 in Wien. Die Garbe war das Nachfolgeblatt des Mitteilungblatts der Jüdischen Kulturstelle, vom dem die Jahrgänge 1 (1933/34) und 2 (1934/35) in 25 Nummern erschienen sind.

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J. W. Marmorek: Ein jüdisches Theater in Wien

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Dr. J. W. Marmorek (Wien): Ein jüdisches Theater in Wien. In: Jüdischer Volkskalender für das Jahr der Welt 5663 (1902/03). Brünn: Verlag Jüdische Volksstimme 1. Jg, 1902/03, S. 99-102

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J. W. Marmorek ] Der Verfasser dieser Quelle könnte Dr. Isidor Marmorek sein, ein Bruder des Architekten Oskar Marmorek und des Bakteriologen Alexander Marmorek. Isidor Marmorek (1865-1924), war Rechtsanwalt in Wien; wie seine Brüder gehörte er zum Freundeskreis Theodor Herzls. Er war auch Mitherausgeber der zionistischen Welt (s. Buber, Eine Jungjüdische Bühne, oben S. 168f.). Ein jüdisches Theater in Wien ] Der Beginn des jüdischen Theaters in Wien war schwierig: 1880 verließ das Ensemble von Moshe Hurwitz Wien zerrüttet und ohne Einnahmen, 1890 wurde der Truppe des Benjamin Treittler untersagt, ihre Kunst im Ringtheater zu zeigen. Die ungünstigen Auftrittsbedingungen in Wien der Mangel an Publikum und die Ablehnung von Seiten der lokalen jüdischen Gemeinde, die das Auftreten an einem großen Theater verhindern konnte - dürften sich unter den Theaterleuten herumgesprochen haben, es wurden keine weiteren Versuche gemacht, jiddisches Theater in einem großen Haus zu bieten. Ab 1901 aber begannen jiddische Volkssänger und Ensembles in Gasthaussälen und Gärten aufzutreten, etwa im Leopoldstädter Volksorpheum. Etablissements wie dieses Volksorpheum wurden mit einer »Singspielhallenkonzession« betrieben, das bedeutete u. a., daß hier keine vollständigen Dramen aufgeführt werden durften, eine Einschränkung, die in der Praxis damit umgangen wurde, daß zwischen den Akten Lieder zu hören waren oder die Akte eines Dramas durchgespielt wurden. Obwohl das jiddische Theater durch Mißerfolg und Verbot in ein »unterirdisches Dasein« abgedrängt worden war, gab es ab 1901 bis 1908 (als sich die Jüdische Bühne etablierte) regelmäßig jiddische Volkssänger und Ensembles in Wien zu sehen. Zur Frühzeit des jüdischen Theaters in Wien s. Der Vorstand der israelitischen Cultusgemeinde, oben S. 113. Ferner die Kritiken: R. Α. B.: Das jüdische »Theater« in Wien. In: Jüdisches Volksblatt, Nr. 34, 23. August 1901. L. B. S.: Im jüdischen Theater. In: Jüdisches Volksblatt, 11. Oktober 1901. Α. K.: Edelhofer's Volksorpheum. In: Dr. Blochs Österreichische Wochenschrift, 22. April 1904. Vgl. Dalinger, »Verloschene Sterne« (Diss.) (s. Schriftenverzeichnis), S. 18ff.; dies., Ein »unterirdisches Dasein«. Jiddisches Theater in Europa vor 1914. In: Das Jüdische Echo. Zeitschrift für Kultur und Politik 45 (1996), S. 180-186. Schmitz, Zur Geschichte (s. Schriftenverzeichnis), S. 81. Leopoldstadt ] Name des zweiten Wiener Gemeindebezirkes. Das Leopoldstädter Volksorpheum, Konzessionär: Moritz Edelhofer, lag im 2. Bezirk, Rotensterngasse 7a. Edelhofer kam aus Mähren, war Tapezierer, später Restaurantbesitzer

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Anhang in Wien. 1901 brachten er und Moses Sobel die »Polnischen« nach Wien; nach der Eröffnung der Jüdischen Bühne 1908 war Edelhofer dort als Kartenverkäufer tätig. Es ist Edelhofers Verdienst, daß sich das jiddische Theater trotz der ersten fehlgegangenen Versuche in Wien entwickelte. Männer und Frauen aus allen Kreisen ] Das Publikum des Volksorpheums beschreibt auch Felix Saiten sehr eindringlich (vgl. Felix Saiten: Gedenkrede für Theodor Herzl. Zum funfundzwanzigsten Jahrestag seines Todes. In: Neue Freie Presse, 23. Juni 1929); ein Auszug aus dieser Beschreibung ist abgedruckt in Dalinger, »Verloschene Sterne« (s. Schriftenverzeichnis), S. 46. Die Figur des Juden ... auf der Schaubühne ] Vgl. Bild und Selbstbildnis der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik. Hg. von Marianne Awerbuch. Berlin: Colloquium Verlag 1992; Hans-Peter Bayerdörfer: Das Bild des Ostjuden in der deutschen Literatur. In: Juden und Judentum in der Literatur. Hg. von Herbert A. Strauss und Christhard Hoffinann. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag 1985 (dtv; 10513: Sachbuch), S. 211-236; Theatralia Judaica. Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte von der Lessing-Zeit bis zur Shoah. Hg. von Hans-Peter Bayerdörfer. Tübingen: Niemeyer 1992 (Theatron; 7). Juden auf dem Vorstadtbrettl ] Eva Maria Haybäck beschreibt den »Juden auf dem Vorstadtbrettl« als einen Typus der sogenannten »Zua'grasten«. Die »Zua'grasten« waren (und sind) Einwanderer in Wien, ein »Typus, der durch die Straßen Wiens ging, der nicht völlig assimiliert, zumindest an seinem sprachlichen Akzent sofort zu erkennen war.« Zu den »Zua'grasten« gehörten etwa der Böhme, der Ungar und auch der Jude: »Auch der Jude war eine im Wiener Volkstheater und Bänkel der Volkssänger beliebte Figur. (In Adolf Bäuerle's Der Spiegel des Jupiter, 1831, war der Zeitgeist seinem Akzent nach polnischer Jude. Nestroy's Judith und Holofernes, 1849, wurde von jüdischen Kreisen in Wien scharf angegriffen.)« Eva Maria Haybäck: Der Wiener »Simplicissimus« 1912-1974. Versuch einer Analyse des Kabaretts mit längster Bestandzeit im deutschen Sprachraum. (Diss.) Wien 1976, S. 43, 48. Marmorek bezieht sich vielleicht auch auf die Darstellung von Juden in den Vorstellungen der »Budapester Orpheumsgesellschaft«, s. Schwadron, Von der »Kultur« der Budapester, oben S. 16f. Sulamith ] Vgl. Dramen, oben S. 153. Die Dorfltochzeit ] Vermutlich der ins Deutsche übersetzte Titel von Khasene im Shtetl (.Hochzeit im Schtetl), einem jiddischen Stück, das überall gezeigt wurde, wo es jiddisches Theater gab. Eine aus Krakau stammende (in handschriftlichem Polnisch niedergeschriebene) Version von A Chasene im Sztetl [!], Operette in 3 Akten, nennt Wiliana Sigla und Mizyla Wohla als Autoren. Ereignisse der jüngsten Vergangenheit ] »Ereignisse der jüngsten Vergangenheit« boten immer wieder Stoffe für Dramen. In Wien schrieb Abisch Meiseis Theaterstücke, die sich mit aktuellen Ereignissen befaßten und an den hiesigen jiddischen Bühnen aufgeführt wurden (s. p.w., Jubiläum von A. Meiseis, oben S. 111 und Autoren, oben S. 138f.). Blümele oder Die Perle von Warschau ] Das Stück stammt von Josef Lateiner. Marmorek könnte den falschen Autorennamen von L. B. S. übernommen haben, der in seiner Kritik ebenfalls Mogolescu als Autor nennt (vgl. L. B. S. Im jüdischen Theater. In: Jüdisches Volksblatt, 11. Oktober 1901). Den Beginn der Vorstellung bildet ein ... Chorlied] Musik ist auch für Jacob Mestel die »Würze« eines Theaterabends; jede Vorstellung, so berichtet er, habe mit Musik begonnen, und noch 1910 sei in Wien vom ganzen Ensemble eine »Entree-Nummer« gesungen worden (vgl. Jacob Mestel: Unzer teater [jidd.]. New

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York: YKUF 1943, S. 23, 53. Franz Kafika beschrieb, wie die Musik vor Beginn der Auffuhrung wirkte: »Der Anblick der einfachen Bühne, die die Schauspieler ebenso stumm erwartet wie wir. Da sie mit ihren drei Wänden, dem Sessel und dem Tisch allen Vorgängen wird genügen müssen, erwarten wir nichts von ihr, erwarten mit unserer Kraft vielmehr die Schauspieler und sind daher widerstandslos von dem Gesang hinter den leeren Wänden angezogen, mit dem die Vorstellung eingeleitet wird.« Franz Kafka: Tagebücher 1910-1923. Hg. von Max Brod. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1983, S. 58. »Oi is Uns Jiiden,..«] Diese Transkription des Jiddischen folgt dem Original. Das jüdische Theater blüht nicht nur in Wien ] Zum jiddischen Theater in Europa vor 1914 vgl. Brigitte Dalinger: Ein »unterirdisches Dasein«. In: Das Jüdische Echo. Zeitschrift für Kultur und Politik 45 (1996), S. 180-186, hier S. 180ff.; zu Europa und den USA s. Gorin, Di geshikhte fün yidishn teater (s. Schriftenverzeichnis) sowie Sandrow, Vagabond Stars (s. Schriftenverzeichnis), S. 70ff.

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Moses Waldmann: Bei den »Polnischen«

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Moses Waldmann: Bei den »Polnischen«. In: Jüdische Zeitung, Jg 3, Nr 52, 24. Dezember 1909

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Moses Waldmann] Waldmann (Czernowitz 1885-1954 Paris) war Journalist und Politiker. »Polnischen« ] Die »Polnischen« wurden jiddischsprechende Einwanderer in Wien genannt, zugleich war es der Name einer Theatergruppe, die in den Jahren 1901 bis 1907 wiederholt in Edelhofers Leopoldstädter Volksorpheum auftrat. Die »Polnischen« waren ehemalige Broder Singer und Volkssänger, die gemeinsam durch das Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie reisten. Die »Polnischen« waren Ausdruck zweier künstlerischer Formen: ihrer Herkunft, Ausbildung und professionellen Erfahrung nach waren sie Broder Singer - wie diese spielten sie in Gasthäusern und Gärten. Nach Wien kamen sie erstmals 1901 und spielten eineinhalb Jahre in der Rotensterngasse, in der Saison 1903/04 sowie 1907 gastierten sie wieder in Wien. Ihr Grundrepertoire bestand aus Volksliedern und kurzen Szenen; während der Aufführungen paßten sie ihr Jiddisch an die jeweilige Landessprache an. 1909, als Moses Waldmann diesen Artikel publizierte, spielten einige Schauspieler der »Polnischen« nach wie vor in Wien - Schulim Podzamcze, Jona Reissmann, Hermann und Salcia Weinberg, nun aber im Ensemble der Jüdischen Bühne. in die Taborstraße ins yiddische Theater ] 1908 etablierte sich die Jüdische Bühne unter der Leitung von Maurice Siegler im Saal des Hotels Stefanie, Taborstraße 12. Waldmanns Titel ist irreführend, denn er beschreibt nicht einen Abend bei den »Polnischen« (obwohl manche der Schauspieler auch mit den »Polnischen« aufgetreten waren), sondern einen Abend in der Jüdischen Bühne, deren Ensemble in der Saison 1909/10 aus folgenden Schauspielern und Schauspielerinnen bestand: den Herren Schulim Podzamcze, Jona Reissmann, Spivakov, Rosenstein, Aschkenasy und den Frauen Rosa Siegler, Lea Weintraub und Salcia Weinberg. Der Lumpensammler von Prof. Morris ] Weder über Prof. Morris noch über das Theaterstück Der Lumpensammler konnten Angaben gefunden werden. Laut der Ankündigung des Dramas spielte Maurice Siegler die Titelrolle (vgl. A. L.: Jüdisches Theater im Hotel »Stefanie«. In: Österreichische Wochenschrift, 10. Dezember 1909). den ... Kultureuropäer abgelegt hatten und wieder Juden wurden ] Zum Verhältnis zwischen assimilierten Juden und dem jiddischen Theater s. Ostjüdisches Theater, oben S. 18f. sowie Meiseis, Interessanter Brief von Stefan Zweig, oben S. 95.

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»Aktoren« ] Nach dem jidd. »aktyor«, pl. »aktyorn«, Schauspieler. Cheder ] Nach dem jidd. »kheyder«, Zimmerjüdische Grundschule. Jeschibah ] Nach der jidd. »yeshive«, Talmudschule. »Daitsch« ] Nach dem jidd. »daytsh«, Deutscher. Der Ausdruck »dajtsch« steht in der jiddischen Dramatik und Literatur für Personen, die sich von der traditionellen Lebensweise abwandten und sich assimilierten. (Männer, die sich rasierten und keinen Kaftan trugen.) Pinski ] David Pinski, s. Autoren, oben S. 140. Wiznitzer Wunderrabbi ] In der Stadt Wischnitz (= Vishniets, Vishnevets, Wisniowiec) in der Ukraine siedelten sich am Beginn des 17. Jahrhunderts die ersten Juden an, um 2.800 Juden lebten 1921 dort. Im 19. Jahrhundert wurden viele der Vishnietser Juden Chassidim. Die geistigen Führer chassidischer Gemeinden galten oft als »Wunderrabbis«.

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15 Jüdische Zeitung ] Vgl. Aufruf. Verein Jüdische Bühne, oben S. 170. 15 F. W.: Theater-Abend EE 15 15

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F. W.: Theater-Abend. In: Österreichische Wochenschrift, 22. Mai 1915 F. W. ] Nicht ermittelt. Wiener Morgenzeitung] Die jiddische Wiener Morgenzeitung wurde 1915 von Naftali Meier Raker gegründet. Das Ziel der Tageszeitung war es, die Flüchtlinge über den Kriegsverlauf zu informieren und den Zionismus zu verbreiten, gleichzeitig war sie eine wichtige Publikationsmöglichkeit für die jiddischen Literaten. Die jiddische Wiener Morgenzeitung wurde noch im September 1915 von der Militärzensur verboten und durfte erst ab 1917 wieder erscheinen. Das jiddische Tagblatt erschien unter diesem Namen bis 1919. In diesem Jahr gab es ihren Namen der deutschsprachigen zionistischen Wiener Morgenzeitung·, die ehemalige jiddische Wiener Morgenzeitung wurde von 1919 bis 1926 unter dem Titel Jüdische Morgenpost herausgegeben; ab Mai 1920 erschien sie nur mehr wöchentlich (s. An alle jiddischen Theaterdirektoren, oben S. 172). einer Jüdischen Lesehalle ] Vermutlich sollte eine Einrichtung ähnlich den sogenannten Toynbee-Hallen entstehen. Diese Einrichtung war von Leon Kellner (Tarnów/Galizien 1859-1928 Wien) 1900 in Wien gegründet worden und hatte den Zweck, »unbemittelten, wissensbedürftigen Juden in Wien unentgeltlich bildende und unterhaltende Belehrung zu bieten, sowie alle Bestrebungen nach Kräften zu unterstützen, welche geeignet sind, die unbemittelte jüdische Bevölkerung in Wien in körperlicher, geistiger und sittlicher Hinsicht zu fördern, [und dies] unter Ausschluß jeder politischen Tätigkeit« (zit. nach Hödl, Als Bettler in die Leopoldstadt [s. Schriftenverzeichnis], S. 164f.). Toynbee-Hallen gab es im 2. und 20. Wiener Gemeindebezirk, darin wurden populärwissenschaftliche Vorträge über ein breites Spektrum von Themen geboten, von Hygiene bis Literatur, dazu gab es einen Imbiß. So weit bekannt, existierten die Toynbee-Hallen bis 1930. Raker ] Naftali Meir Raker (Lebensdaten nicht ermittelt) war Fabrikant und bürgerlicher Zionist. Politisch trat er wenig in Erscheinung, hatte aber als Verleger und Finanzier der zionistischen Parteipresse in Wien einen gewissen Bekanntheitsgrad. Wir überleben gegenwärtig einen Zusammenbruch der Weltelemente ] Nach Beginn des Ersten Weltkriegs bzw. mit dem Einmarsch russischer Truppen in Galizien setzte eine Flüchtlingsbewegung nach Wien ein. Es kamen an die 125.000 Juden in die Hauptstadt der Monarchie; im Oktober 1915 waren etwa 77.000 Kriegsflüchtlinge dort; nach dem Krieg hatte sich ein Zuwachs von 25.000 Gali-

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zianern ergeben. Die jüdischen Organisationen Wiens ließen sofort Hilfsprogramme anlaufen, um den Neuangekommenen zu helfen. Durch die Armut vieler Flüchtlinge aber wurde der Gegensatz zwischen den ansässigen »Westjuden« und den neuangekommenen »Ostjuden« immer größer. Diese Distanz zu überbrücken und Interesse sowie gegenseitiges Verständnis zu erwecken wurde zu einem Anliegen des jüdischen Theaters, das bis in die 1930er Jahre aktuell blieb. Die Zahl der Flüchtlinge folgen Klaus Hödls Angaben (vgl. Hödl, Als Bettler in die Leopoldstadt [s. Schriftenverzeichnis], S. 280). Hödl bezieht sich auf Beatrix Holter: Die ostjüdischen Kriegsflüchtlinge in Wien (1914-1923). Diplomarbeit, Salzburg: 1978; vgl. auch Soxberger, Jiddische Literatur und Publizistik in Wien (s. Schriftenverzeichnis), S. 66 sowie Brigitte Dalinger: »Galizianer« in Wien. Zur Darstellung »östlicher Juden« im jiddischen Theater und Film. Beitrag zum Symposium »Jüdische Identität(en) in Mitteleuropa«, Klagenfiirt, Dezember 2000. In: Jüdische Identitäten) in Mitteleuropa. Hg. von Armin A. Wallas. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 2002 (Conditio Judaica. Studien und Quellen zur deutschjüdischen Literatur- und Kulturgeschichte), S. 35-46. >Achduth Haam< ] Hebr., Einheit des Volkes. AdolfStand ] Adolf Stand (Lemberg 1870-1919 Wien), zionistischer Politiker und Herausgeber zionistischer Blätter in Lemberg, Vorstandsmitglied der Jüdischen Nationalpartei, von 1907 bis 1911 Abgeordneter des Reichsrats und Mitglied des Jüdischen Klubs. Während des Ersten Weltkriegs übersiedelte er nach Wien. Die Mutter ] Das Stück von David Pinski entstand 1901 und handelt vom Schicksal einer Frau, die von ihren erwachsenen Kindern abgelehnt wird, weil sie wieder heiratet. Sie stirbt an gebrochenem Herzen. Die Titelrolle der Mutter war eine Paraderolle für jiddische Schauspielerinnen. Siegler ... Weintraub ... Siegler ... Urich ... Weinberg ... Deutsch ] Zu Rosa Siegler, Lea Weintraub-Graf, Maurice Siegler, Samuel Urich, Cyla (= Cilli) Urich, Salcia Weinberg und Isaak Deutsch s. Schauspieler, oben S. 156f. Österreichische Wochenschrift] Die Österreichische Wochenschrift, auch Dr. Bloch 's Wochenschrift, wurde 1884 vom Rabbiner Joseph Samuel Bloch (Dukla, Galizien 1850-1923 Wien) gegründet, um gegen Antisemitismus und assimilatorische Strömungen aufzutreten. Sie erschien bis 1920.

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Abraham Schwadron: Von der Kultur der »Budapester«

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Abraham Schwadron: Von der Kultur der »Budapester«. In: Der Jude, Jg 2 (1917/18), H. 8, S. 575-576

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Abraham Schwadron ] Schwadron (Bieniów, Galizien 1878-1957 Jerusalem) war ein österreichisch-jüdischer Chemiker, Publizist und Autographensammler. 1927 ging Schwadron nach Palästina und änderte seinen Namen in Sharon. Seine Autographen- und Porträtsammlung befindet sich in der Handschriftensammlung der Jewish National and University Library, Jerusalem. »Budapester« ] Außer den jiddischen Volkssängern und Ensembles, die sich ab der Jahrhundertwende in Wien etablierten, gab es auch eine zweite jüdische Theatertradition in Wien, die Darbietungen der Budapester Orpheumgesellschaft. Darin wurden das »Jiddeln« und die jüdischen Typen des zweiten Bezirks aufs Korn genommen, wie Haybäck beschreibt: »Das >Jiddeln< gehörte schließlich schon zu Zeiten des Altwiener Volkstheaters zum wertfreien Sprachreservoir der Dialektkomik, stand also auf gleicher Stufe mit dem >Böhmakeln< oder >SächselnCentralBudapest< avancierte um 1900 - wohl nicht zuletzt aufgrund der Herrnfeld-Aktivitäten - zum Markenzeichen für >gepfefferte< Bühnen-Unterhaltung nicht eben der feinsten Art.« (Peter Sprengel: Populäres jüdisches Theater in Berlin von 1877 bis 1933. Berlin: Haude und Spener 1997, S. 62ff.) 1917, als Abraham Schwadron den Beitrag schrieb, betrieben die Brüder erfolgreich das Herrnfeld-Theater in der Kommandantenstraße, wo sie selbst in deutsch-jüdischen Milieustücken zu sehen waren (vgl. die Beschreibung des Herrnfeld-Theaters von Walter Turszinsky: »Jüdische Theater« in Berlin. In: Bühne und Welt 12 [1910], S. 395^04).

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»Mezie« ... »Mischpoche« ... »Chamer« ] »Mezie«, nach dem jidd. »metsiye«, billiger Kauf, günstige Gelegenheit. »Mischpoche«, nach der jidd. »mishpokhe«, Familie. Diese Ausdrücke werden noch heute im Wienerischen verwendet. »Chamer«, jidd. »khamer«, Esel, Narr. Humanitärer Geselligkeitsverein »Einigkeit« ] Nicht ermittelt. »diese Flüchtlinge, diese schmutzigen Galizianer« ] Zu den Flüchtlingen während des Ersten Weltkriegs in Wien s. Theater-Abend, oben S. 15f. Tarok und Naschi-Waschi] Tarock war ein in den Kaffeehäusern sehr beliebtes Kartenspiel. »Naschi-Waschi«, eventuell tschechisch, bedeutet in den slawischen Sprachen »Unsere-Euere«; es könnte ein heute nicht mehr gebräuchliches Kartenspiel sein. »Polischen« ] Entspricht den »Polnischen«, d. h. jiddischsprechenden Einwanderern in Wien (s. Waldmann, Bei den »Polnischen«, oben S. 12f.). Zum spannungsreichen Verhältnis zwischen osteuropäischen und westeuropäischen Juden s. Ostjüdisches Theater, oben S. 18f.; vgl. auch Dalinger, »Verloschene Sterne« (s. Schriftenverzeichnis), S. 183 ff. Heinrich Eisenbach ] Heinrich Eisenbach (1870-1923) war zwanzig Jahre lang der Star der Budapester Orpheumgesellschaft; Karl Kraus und Max Brod gehörten zu seinen Bewunderern. Kritiker wie Otto Abeles hingegen erkannten sein Talent an, konnten sich aber mit den Darbietungen der Budapester nicht anfreunden. So schreibt Abeles etwa in einer Kritik anläßlich eines Abends mit Heinrich Eisenbach im Konzerthaus: »[...] >der Eisenbach< [an diesem speziellen Abend im Konzerthaus, B. D.] war nicht der Repräsentant jener >BudapesterJabneIntimen Theaters< zu füllen, wenn man ein gutes jüdisches Drama auffuhren wollte. Jetzt wird die Auffuhrung des >Eisig Scheflel< im Wiener Komödienhaus innerhalb weniger Wochen zum vierten Male vor einem tausendköpfigen Auditorium wiederholt.« Vgl. femer die Kritiken zur jiddischen Aufführung von Eisik Scheftel durch die Freie Jüdische Volksbühne: Otto Abeles: Freie Jüdische Volksbühne. In: Wiener Morgenzeitung, 24. Februar 1920; A. M.: Freie jüdische Volksbühne. In: Arbeiter-Zeitung, 15. September 1921. Arbeiter-Zeitung ] Organ der österreichischen Sozialdemokratie, erschien seit 1889 (seit 1895 als Tageszeitung) in Wien, der Schwerpunkt lag im politischen Teil des Blattes. 1933/34 wurde die Arbeiter-Zeitung unter Vorzensur gestellt, 1934 verboten. Nach dem Zweiten Weltkrieg erschien sie von 1945 bis 1991.

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Melech Rawitsch: Freie Jüdische Volksbühne. Das erste jüdische Kunsttheater in Wien

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M. - Tsch.: Freie Jüdische Volksbühne. In: Kritik, Jg 1,25. Dezember 1920 [jidd.]. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Brigitte Dalinger und Thomas Soxberger. Der nur mit »M. - Tsch.« gezeichnete Artikel stammt vermutlich von Melech Rawitsch, auf den auch der Stil hinweist. Der jiddische Schriftsteller Melech Rawitsch (Radymno, Ostgalizien 1893-1976 Montreal) lebte von 1912 bis 1921 in Wien, danach in Warschau. Er veröffentlichte mehr als 20 Bücher, darunter drei Bände seiner Autobiographie, von der eine Auswahl in deutscher Übersetzung vorliegt (Melech Rawitsch: Das Geschichtenbuch meines Lebens. Aus dem Jiddischen übersetzt und hg. von Armin Eidherr. Salzburg: Otto Müller Verlag 1996).

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Anhang Freie Jüdische Volksbühne ] Vgl. Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien, oben S. 4f.; Lifschütz, Tendenz und Ereignis, oben S. 23f.; Kläger, Theater in der Josefstadt, oben S. 24f.; Abeles, Ein Jahr Freie jüdische Volksbühne, oben S. 27f.; Horowitz, Vom Wirtshaus zum Kunsttheater, oben S. 29f.; Dorfsohn, Das jüdische Theaterproblem in Europa, oben S. 33f.; Brecka Freie Jüdische Volksbühne, oben S. 114. Das erste jüdische Kunsttheater in Wien ] Der Schriftsteller Mendl Naygreshl (Nowy Sancz, Polen 1903-1965 New York) beschrieb die Situation der jiddischen Sprache und Literatur in Wien vor dem Ersten Weltkrieg folgendermaßen: »Jiddisch kann man nur hören in Podzamczes jiddischem Theater, an Birnbaums jiddischen Abenden, im Verein Jiddische Kultur< und hin und w e d e r in der >Toynbee-HalleFreien jüdischen Volksbühne< in Wien«.

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Emil Kläger: Theater in der Josefstadt

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e. Kl.: Theater in der Josefstadt. In: Neue Freie Presse, 12. Juni 1921

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Emil Kläger ] Der nur mit »e. Kl.« gezeichnete Artikel stammt vermutlich von dem Schriftsteller und Journalisten Emil Kläger (Wznitz, CR 1880-1936 Wien). Kläger war Mitarbeiter und Redakteur der Zeitungen Die Zeit, Neues Wiener Tagblatt, Neue Freie Presse u. a. 1908 erschien sein Buch Durch die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens, das einiges Aufsehen erregte. Ende der 1920er Jahre arbeitete Kläger für Radio Wien, in den frühen 1930er Jahren lehrte er Literaturgeschichte an der Akademie für Musik und darstellende Kunst, 1933 schrieb er die Komödie Zwischenfall im Warenhaus. Theater in der Josefstadt ] Das Theater in der Josefstadt, das sich im 9. Bezirk, Josefstädterstraße, befindet, wurde von 1899 bis Juni 1923 von Josef Jarno geleitet und hatte einen guten Ruf. Es hatte insgesamt 805 Plätze und eine Hofloge. Die Lage des Theaters, seine Größe und sein Renommee boten dem jiddischen Theater in Wien erstmals eine breitere Wirkungsmöglichkeit. Jarno ] Josef Jarno (Budapest 1865-1932 Wien) war Schauspieler und ging nach Berlin, wo er Direktor verschiedener Theater wurde. 1899 pachtete er das Josefstädter Theater in Wien und hatte bis 1923 die Konzession für dieses Haus. Unter seiner Direktion bespielte das Ensemble im Sommer auch das Lustspieltheater im Prater. In den Jahren 1900 bis 1913 setzte sich Jarno für die Pflege des zeitgenössischen literarischen Dramas ein. 1919 bis 1922 war Jarno gemeinsam mit Wilhelm Karzag auch Direktor des Wiener Stadttheaters. Freie jüdische Volksbühne ] Die Freie Jüdische Volksbühne wurde 1919 mit dem Ziel gegründet, literarische jiddische Dramen in anspruchsvollen Inszenierungen

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zu bieten. Im Sommer 1921 erlebte das Ensemble den Höhepunkt seiner Popularität, als es die Grenzen des zweiten Bezirks überschritt und Vorstellungen in renommierten Theaterhäusern wie dem Theater in der Josefstadt (10.-16. Juni 1921), dem Wiener Stadttheater (20.-30. Juni 1921), dem Stadttheater Baden (1 . 8. Juli 1921) und der Neuen Wiener Bühne (15.-31. Juli 1921) gab, bei denen es ein neues Publikum gewann. Zur Freien Jüdischen Volksbühne s. Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien, oben S. 4f.; Rawitsch, Freie Jüdische Volksbühne, oben S. 22f.; Lifschütz, Tendenz und Ereignis, oben S. 23f.; Abeles, Ein Jahr Freie jüdische Volksbühne, oben S. 27f.; Horowitz, Vom Wirtshaus zum Kunsttheater, oben S. 29f.; Dorfsohn, Das jüdische Theaterproblem in Europa, oben S. 33f.; Brecka, Freie Jüdische Volksbühne, oben S. 114. 25

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»Jiddisch« ] Eine Auseinandersetzung mit der jiddischen Sprache als eines der Grundelemente des jiddischen Theaters findet sich in den Kritiken zur Freien Jüdischen Volksbühne nur selten, etwa in der Neuen Freien Presse, 14. Juni 1921; abgedruckt in: Freie jüdische Volksbühne: Pressestimmen (s. Schriftenverzeichnis), S. 26-33, hier S. 27f. Der Fremde von Jakob Gordin ] Vgl. Autoren bzw. Dramen, oben S. 136f. und 144. Zur Inszenierung der Freien Jüdischen Volksbühne vgl. auch Siegfried] S[chmitz]: Freie Jüdische Volksbühne. In: Wiener Morgenzeitung, 8. Mai 1921; Arbeiter-Zeitung, 17. Juni 1921. verblüffender Naturalismus ] Der Naturalismus der jiddischen Bühnen war für deren Kritiker ein Problem. Der Herausgeber der Zeitung Jüdisches Theater, Jesekiel Lifschütz, sah in diesem Stil eine Einengung der Darstellungskunst; auch Siegfried Schmitz sah die Enge des naturalistisch-realistischen Schauspielstils und der Dramatik als »Tragödie des jüdischen Theaters« (vgl. den anonymen, höchstwahrscheinlich vom Herausgeber Jesekiel Lifschütz stammenden Artikel »Zum Gastspiel der Volksbühne im Josefstädter Theater und im Stadttheater«, in: Jüdisches Theater 1 [1921], Nr 9, 1. Juli 1921 sowie Siegfried Schmitz: Die Tragödie des jüdischen Theaters. In: Wiener Morgenzeitung, 18. März 1923). Nathan ... Deutsch ... Sigall ] Zu Simche Nathan, Isaak Deutsch und Ben-Zion Sigall vgl. Schauspieler, oben S. 156f. Weintraub-Graf... Ben-Zwi ] Vgl. Schauspieler, oben S. 155f. Ben-Zwi... sei Russe und nicht Jude ] Eine Entgegnung dieser Behauptung findet sich in der Neuen Freien Presse vom 15. Juni 1921 : »Das Mitglied der jüdischen Volksbühne Ben Zwi schreibt uns: >Ich war niemals ans kaiserliche Theater in Petersburg verpflichtet und dies schon aus dem Grunde nicht, weil ich Jude bin. Meine künstlerische Laufbahn begann am Moskauer Künstlertheater unter Stanislawsky, dann wirkte ich neun Jahre in Petersburg am Neuen Theater, ferner auch am Theater der Gesellschaft für Literatur und Kunst. Sodann spielte ich an den Theatern in Charkow, Kiew und Odessa. ZionRabbi Chanina< heißt es dort, >pflegte sich am Vorabend des Sabbats in seine schönen Gewänder zu hüllen und zu sagen: Kommt, laßt uns der Prinzessin Sabbat entgegengehend« Leo Prijs: Die Welt des Judentums. Religion, Geschichte, Lebensweise. 2., durchges. Aufl., München: Beck 1984 (Beck'sche schwarze Reihe; 261), S. 106. zmiros ] Hebr., Melodien für den Sabbath und für die Feiertage. Im Original in hebräischen Lettern gesetzt. »Marschalke« ] Jidd., pl., eigentlich »marshelik«, ein Zeremonienmeister und Unterhalter, der nicht nur Späße machte, sondern auch Wortfehden ausfocht. »Reimmacher« ] Jidd. »badkhen«. Der »badkhen« oder Badchen ist der traditionelle Unterhalter auf jüdischen Hochzeiten. Er unterhält die Gesellschaft, verfaßt auf sie Verse im Stegreif und richtet vor der Zeremonie moralisierende Worte an die Braut, in denen er sie auf die Bedeutung der Ehe hinweist. Volkssänger ] Wie »marshelik« und »badkhen« gelten die sogenannten »Broder Singer« (oder Sänger) als Vorläufer des professionellen jiddischen Theaters. Der erste Singer, Ber Margóles, nannte sich Beri Broder (um 1815 - um 1868), kam aus Brody in Galizien und trug in Gasthäusern Lieder und Monologe vor. Um 1860 waren bereits viele Singer in Rußland, Polen und Rumänien auf Tour. Sie trugen einfache Weisen, aber auch gefühlvolle und dramatische Gedichte mit Musik vor, die vor allem soziale Motive behandelten. Vgl. Reissmann, Mein Gastspiel in Mikolajew, oben S. 102f.; Botoschanski, Zwischen Vorhang und Leinwand, oben S. 106f.; Perlmutter, Der »Großvater« des jiddischen Theaters in Galizien ist als Flüchtling von Wien nach Amerika gekommen, oben S. 122f. W. Zbarazer ] Velvl Zbarzher-Ehrenkrants (Zbarzh, Galizien 1826-1883) kam 1845 nach Rumänien, wo er als Lehrer arbeitete und bei Gelegenheit seine Lieder vortrug, die bald Volkslieder wurden. Er schrieb unter anderem satirische Gedichte über die Chassidim in jiddischer Sprache und übersetzte diese und andere Lieder auch

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ins Hebräische. Er wurde von Maskilim unterstützt, erhielt für einige Zeit in Wien ein Stipendium, da er aber keine Aufenthaltserlaubnis besaß, wurde er wieder ausgewiesen. Zbarzher-Ehrenkrants war der Großonkel des Rezitators Jehuda Ehrenkranz, der in den 1920er und 1930er Jahren in Jiddisch und Deutsch vortrug. Vgl. Evelyn Adunka: Jehuda Ehrenkranz. In: Illustrierte Neue Welt, Februar 1994; Soxberger, Jiddische Literatur und Publizistik in Wien (s. Schriftenverzeichnis), S. 24f. ohne ... einen Kreuzer fiir meine geistige und physische Arbeit ] Ignoranz gegenüber Urheberrecht und Tantiemen prägten die Praxis des jiddischen Theaters bis in die 1920er Jahre (vgl. An alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa, oben S. 5). Moriz Zobel ] Moriz (Moritz) Zobel wird auch als Redakteur der Welt genannt.

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Dow Sawatzki: Chune Wolfstal

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Dow Sawatzki: Chune Wolfstal. (Zum fünfzigjährigen Jubiläum seines Schaffens) [jidd.]. In: Jüdische Morgenpost, 14. März 1924. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Thomas Soxberger.

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Dow Sawatzki ] Dow Sawatzki verfaßte auch den Artikel »Jüdische Operettenmusik«, oben S. 71 f. Chune Wolfstal ] Wolfstal (Wolfsthal) gehörte zu den Musikern und Komponisten, die das jüdische Theater in Wien entscheidend mitprägten. Für die vielen Singspiele und Operetten, die lange den Schwerpunkt der Spielpläne der jiddischen Bühnen bildeten, gab es ein kleines Orchester oder zumindest ein Klavier, einen Kapellmeister und neben den Schauspielern, die auch singen konnten, einen Chor. Leider ist die Quellenlage zu diesem Bereich des jiddischen Theaters in Wien äußerst dürftig: nur wenige Musiker werden namentlich erwähnt, etwa der Kantor Josef Grob (s. Grob, Eine Trauerandacht mit Gesang und Tanz, oben S. 40f.), der Kapellmeister Leon Graf, der vor 1915 an der Jüdischen Bühne tätig war, und der Komponist Chune Wolfstal. Wolfstal (1851-1924) spielte erst mit seinem Vater und seinen Brüdern, wurde dann Militärkapellmeister und ging schließlich als Dirigent ans Jüdische Theater in Lemberg. Bei Beginn des Ersten Weltkrieges flüchtete er nach Wien, wo seine Werke an der Jüdischen Bühne aufgeführt wurden. Nach dem Krieg ging er nach Tarnopol zurück. Außer den im folgenden genannten Operetten komponierte Wolfstal auch Walzer, Märsche und Tänze, die sehr populär waren. Meir Lieb Wolfstal mit seinen sieben Söhnen ... seine eigene Kapelle ] Soma Morgenstern berichtet in seiner Autobiographie von seiner Begegnung mit der »Musikkapelle Wolfsthal«, die bei der Hochzeit seiner Schwester aufspielte: »Die berühmte Kapelle wurde aus Tarnopol hergeholt und kostete meinen Vater ein gutes Stück Geld. Es waren drei Brüder: David, Chune und Hermann. David war der Führer. Hermann spielte abwechselnd Geige oder Cello, und Chime war Geiger, Cellist und Komponist. [...] In der Kapelle waren noch zwei Klarinettisten, ein Flötist, ein Trommler und ein Bassist. [...] Sie spielten aber nicht nur bei Hochzeiten und nicht nur Volksmusik - sie hatten ein reiches Repertoire. Sie gaben Konzerte und spielten auch Kammermusik.« Soma Morgenstern: In einer anderen Zeit. Jugendjahre in Ostgalizien. Berlin: Aufbau 1999, S. 184f. Goldfaden ... seine »historischen Singspiele« ] Vgl. Goldfaden, Die Musik meinerjüdischen Singspiele, oben S. 65f. Bustoni, Jehuda Halevi, Malke Shvo (Die Königin von Saba) ] Bustoni ist vermutlich identisch mit der Operette Bostenoi, deren Musik von Chune Wolfstal stammt und die 1914 in der Jüdischen Bühne aufgeführt wurde. Über Jehuda Ha-

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Anhang levi konnte nichts eruiert werden. Malke Shvo (Die Königin von Saba): Ein anonymer Theatertext mit dem Titel Malke Schwu, in vier Aufzügen, befindet sich in der Theaterzensursammlung, Karton 729, 1915/75/2, im Niederösterreichischen Landesarchiv, St. Pölten. Bas Yerusholayim {Die Tochter Jerusalems) ] Die Tochter Jerusalems oder Die schöne Tirza, Singspiel in vier Bildern von M. Auerbach, Musik von Wolfstal, wurde 1904 in Edelhofers Volksorpheum aufgeführt. Der Text befindet sich in der Theaterzensursammlung, Volkssänger Karton 14, Edelhofer 1904, Ζ 22/1, im Niederösterreichischen Landesarchiv, St. Pölten. Dray matones (Die drei Geschenke) ] Von I. L. Perez s. Dramen, oben S. 145f. Die 1913 an der Jüdischen Bühne gespielte Textfassung (ohne Musik) ist erhalten (Theaterzensursammlung, Karton 729, 1913/75/6, Niederösterreichisches Landesarchiv St. Pölten). Wolfstals Kompositionen (Dray matones und Bostenoi) dürften gut angekommen sein: »Die Direktion bemühte sich in der heurigen Saison mehrere neue Stücke zur Auffuhrung zu bringen, unter welchen die von Wolfstal komponierten Operetten vom Publikum mit vielen Beifall angenommen wurden.« Ch. G.: Vom jüdischen Theater in Wien. In: Österreichische Wochenschrift, 27. Februar 1914. Anläßlich eines Ehrenabends für Wolfstal hieß es: »Es ist zu hoffen, daß die Wiener jüdische Bevölkerung an diesem Ehrenabende sich zahlreich einfinden wird, um dadurch diesem beliebten Komponisten, der seit Dezennien von Jahren die jüdische Musik bereichert, ihre Sympathie zum Ausdruck zu bringen.« Österreichische Wochenschrift, 20. Februar 1914. Chune Wolfstals Schicksal ] In einem Aufsatz über Jüdisches Theater im alten Österreich erwähnt Abisch Meiseis den Komponisten Wolfstal, der in jungen Jahren mit Broder Singern auftrat. Am Schluß des Artikels heißt es, Wolfstal sei in Armut und Elend gestorben. Vgl. Abisch Meiseis: Yidish teater im altn Estraykh [jidd.]. In: Loshn un Leben 18 (1957), Nr 5-7, H. 308-310, London (Mai-Juli 1957), S. 31. Jüdische Morgenpost ] Vgl. An alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa, oben S. 172.

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Dow Sawatzki: Jüdische Operettenmusik

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Dow Sawatzki: Jüdische Operettenmusik. Ein kritischer Überblick von A. Goldfaden bis P. Sandler [jidd.]. In: Jüdisch Theater, 1. Januar 1927. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Thomas Soxberger.

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Dow Sawatzki ] Dow Sawatzki verfaßte auch den Artikel »Chune Wolfstal«, oben S. 69f. A. Goldfaden bis P. Sandler ] Vgl. Goldfaden, Die Musik meiner jüdischen Singspiele, oben S· 65f. und Autoren, oben S. 135f.; Perez Sandler (Rußland 1881— 1926 New York), Operettenkomponist, spielte an russischen Operettenhäusern und in jüdischen Theatern in Rußland und Polen. 1918 gingen er und seine Frau nach New York. Von Perez Sandler stammt die Musik zu damals sehr populären jiddischen Operetten wie Die rumänische Hochzeit (Di rumenishe khasene) und Kaukasische Liebe. Goldfaden, der Begründer der jiddischen Operette ] Goldfaden, Die Musik meiner jüdischen Singspiele, oben S. 65f. Rabbi Josselman ] Titelfigur in Abraham Goldfadens gleichnamigen Drama. N. Blumental ] Nissan Blumenthal (1805-1903), russischer Kantor, der von 1841 bis zu seinem Tod erster Kantor in der Brody-Synagoge in Odessa war, wo er

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auch eine Chor-Schule gründete. In seinen Kompositionen verband er liturgische Musik mit klassischer deutscher Musik, seine Melodien wurden oft übernommen und einige werden noch heute gesungen. Die Opferung Isaaks ] Vgl. Dramen, oben S. 147. Kapellmeister Naumburg ] Vermutlich Samuel Naumbourg (Donaulohe, Bayern 1817-1880), war Chordirigent in Straßburg, studierte dann in München und Paris. In Frankreich verfaßte er ein liturgisches Gesangswerk, seine Gesänge kamen unter dem Titel Semirath Jisroel heraus, und er wurde Kantor der Pariser Synagoge. Kantor Jerochem Hakoton ... Komponist Mendelssohn ] Jerochem Hakoton nicht eruiert. Felix Mendelssohn Bartholdy (Hamburg 1809-1847 Leipzig), Komponist und Musikdirektor in Leipzig und Berlin. Ahavo rabo ] Hebr., »Mit großer Liebe«. Komposition »Lecho dodi« von Ν. Blumental ] »Lecho dodi«, hebr., »Komm, mein Freund«. Beginn der Hymne zum Empfang des Sabbats, wird in der Synagoge gesungen in Form eines Responsengesanges zwischen Gemeinde und Vorbeter. Das zehnte Gebot ] Von Abraham Goldfaden, s. Dramen, oben S. 143. Kantor Welwel Schestopol ] Nicht ermittelt. Lateiners Epoche ... »Lebensbilder«] Der Zeitabschnitt nach Goldfaden, in dem vor allem melodramatische Operetten und Singspiele populär waren. Joseph Lateiner schrieb viele sogenannte »Lebensbilder« und »Zeitbilder«, in denen aktuelle Ereignisse in melodramatischer Form gezeigt wurden (s. Autoren, oben S. 138). Komponisten ... A. Perlmutter und dessen Partner Wohl] Arnold Perlmutter (1859-1953) schrieb und komponierte zahlreiche melodramatische Operetten, wie sie um die Jahrhundertwende in New York populär waren, teilweise gemeinsam mit Herman Wohl (1877-1936). Die böse Frau (Isho ro 'o) ] Singspiel in vier Bildern von Joseph Lateiner, Musik von Sigmund Mogulesko. J. Rumschinsky ] Joseph Rumschinsky (Wilna 1881-1956 New York), war einer der wichtigsten professsionellen Komponisten des jiddischen Theaters in den zehner und zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in New York. Viele seiner Lieder waren sehr populär. Chune Wolfstal ] s. Sawatzki, Chune Wolfstal, oben S. 69f. Die drei Geschenke (Dray matones) ] Vgl. Dramen, oben S. 145f. Jüdisch Theater ] Yidish Teater. Organ des jüdischen Schauspielervereins in Wien [jidd]. - Nur Nr 1 (1927) ist überliefert, vermutlich erschien nur diese (s. Jüdischer Schauspielerverein in Wien, oben S. 173).

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Moshe Liwschitz: Mali Picon

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Moshe Liwschitz: Mali Picon. (Theater-Notiz) [jidd.]. In: Jüdische Morgenpost, 8. April 1921. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Thomas Soxberger.

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Moshe Liwschitz ] Moshe Liwschitz (Lifshits) (Belaja Tserkow, Ukraine 1894— 1940 Palästina) war jiddischer Schriftsteller. Vor dem Ersten Weltkrieg lebte er in Warschau, wo er Sekretär von I. L. Perez war, und Galizien. In Lemberg begann er 1914 jiddische Lieder und kritische Artikel zu publizieren. Später lebte er in Wien und Berlin, wo er vor allem in jiddischen Blättern veröffentlichte. Sein Drama Herscheie Ostropoler wurde 1932 bei einem Gastspiel von Schauspielern der Wilnaer Truppe in den Jüdischen Künstlerspielen aufgeführt und 1937 in der Jüdischen Bühne.

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Anhang Mali Picon ] Molly Picon, s. Schauspieler, oben S. 160f. Nach ihrem Gastspiel in Paris kamen Molly Picon und ihr Ehemann Jacob Kaiich nach Wien, wo sie von 5. März bis 6. April 1921 mit der Jüdischen Bühne im Hotel Stefanie auftraten. Zu ihrem Gastspiel in Wien s. Schmitz, Rolandbühne, oben S. 74f.; Picon, Liebste Mamenju, oben S. 75f. Die Bühne ohne Dekorationen, ohne die geringste Atmosphäre ] Ganz ähnlich beschrieb Ida Kaminska anläßlich eines Wienaufenthalts 1917/18 den Saal des Hotel Stefanie, in dem die Jüdische Bühne auftrat: »I also attended the Yiddish theater located in the Second Bezirk (district), mostly a Jewish district. After seeing the fine theaters of Vienna and even those in Warsaw, this was a painful experience for me. Here was a dirty hall without even a seperation between buffet and stage and people sat at the buffet, speaking loudly during the performance. One could hear the continuing spritz of soda water from the siphons. The stage was a small one, and behind the curtain one could see the prompter, who, poor man, spoke louder than the actors.« Ida Kaminska: My Life, my Theater. New York: Macmillan 1973, S. 36f. Reissmann ... Leyzer badkhen ... Yantshl Shnorer ... geltenyu ] Zu Jona Reissmann s. Schauspieler, oben S. 161f. Leyzer, ein ehemaliger »badkhen«, in Gott, Mensch und Teufel von Jacob Gordin, das 1919/1920 im Repertoire der Jüdischen Bühne und der Freien Jüdischen Volksbühne war. »Yantshl Shnorer« (auch: Jansehl Schnorer, Jontel Schnorrer): Rolle in Abraham Goldfadens Meschiachs Zeiten, »geltenyu«, jidd., »das liebe Geld«. Podzamcze, Streng und Jungwirth ] Vgl. Schauspieler, oben S. 157f. Mali Picon als »Yankele« ] Yankele, ein Musikstück in drei Akten, hatte Jacob Kaiich nach Tomaschewskis Polnischer Jiid bearbeitet, die Tänze waren von Picon arrangiert. In Yankele spielte die kleine und zierliche Picon mit dem dunklen kurzen Haar und den großen Augen die auf sie zugeschnittene perfekte Hosenrolle; über den Inhalt der Komödie war zu lesen, es sei »wohl der haarsträubendste Unsinn, der jemals über die Bretter ging« (n.: Gastspiel Mali Picon. In: Wiener Morgenzeitung, 6. Juli 1921). Weitere Kritiken zum Picon-Gastspiel sind abgedruckt in Hoeflich, Tagebücher (s. Schriftenverzeichnis), S. 420f. Kaiich ] Jacob Kaiich (1886-1975), Ehemann von Molly Picon, erkannte deren besonderes Talent und brachte es durch seine Bearbeitungen dramatischer Stoffe und Lieder zur Geltung, er schrieb auch Yankele, mit dem Picon in Europa und danach in New York populär wurde. Es ist klar, was fìir Künstler die beiden sind ] Über die begeisterte Aufnahme in Wien berichtet Molly Picon ihrer Mutter am 8. April: »Gestern war unsere Abschiedsvorstellung. Nun gut, was soll ich dir sagen, Mámele, hätten wir gestern so etwas wie ein Metropolitan Opera House gehabt, wäre es für die Menge noch zu klein gewesen. Die Straße war schwarz, und das ist keine Übertreibung. Tausende Menschen sind umgekehrt. Es waren Leute da, wie sie das jüdische Theater hier noch nie gesehen hat. Stell dir vor, die Tochter des Rebben und noch andere aus der Familie des Rebben waren im Theater, und eine Nichte von Rothschild war auch da und das Theater war vollgepackt, man stand Kopf an Kopf und ich fühlte mich so gut, daß ich beim Lied >wet mich der Rebbe schmeissen< einen Purzelbaum machte vor Freude und Jacob hat vor Freude richtig gebebt.« Molly Picon an Mrs. Clara Picon, Molly Picon Collection, Box 48, American Jewish Historical Society (jidd., Übersetzung von Thomas Soxberger). Jüdische Morgenpost ] Vgl. An alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa, oben S. 172.

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Siegfried Schmitz: Rolandbühne

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S. S.: Rolandbühne. Gastspiel Mali Picon. In: Wiener Morgenzeitung, 22. Juli 1921

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Siegfried Schmitz ] Der Artikel ist nur mit »S. S.« gezeichnet, nach Stil und Inhalt stammt er von Siegfried Schmitz (s. Schmitz, »Dzejkale Bloffer« jubiliert, oben S. 200). Schmitz verfaßte auch eine »zusammenfassende Würdigung« von Molly Picons Gastspiel (abgedruckt in: Hoeflich, Tagebücher [s. Schriftenverzeichnis], S. 421). Rolandbühne. Gastspiel Mali Picon] Von Juni bis Dezember 1921 spielte die Jüdische Bühne auf der Rolandbühne in der Praterstraße. Mit diesem Ensemble trat Molly Picon von 1. bis 31. Juli und von 17. September bis 30. Dezember 1921 wieder auf. Zur Rolandbühne s. H. Sp., Roland-Bühne, oben S. 26f.; zu Molly Picons Gastspiel s. Liwschitz, Mali Picon, oben S. 73f.; Picon, Liebste Mamenju, oben S. 75f. Das Stiefkind der Welt von J. Lilien ... mit nationaljüdischer Tendenz ] Schon in einem Drama Goldfadens, Ben Ami oder der Sohn meines Volkes, wird die Auswanderung nach Palästina als Lösung der Probleme der Juden in der Diaspora propagiert. Gerade in den populären jiddischen Komödien, Singspielen und Revuen wurde das Thema gerne aufgenommen, 1904 etwa in Jüdaly mit dem Wandersack, 1927 in Auf nach Tel Aviv von Abisch Meiseis (s. Dramen, oben S. 142; Die einzige Lösung, oben S. 51f.; - e i - , Hallo, hallo, hier Radio Jerusalem! oben S. 55f.). Vgl. Brigitte Dalinger: Jüdaly mit dem Wandersack bricht auf nach Tel Aviv. Zionismus und populäres jiddisches Theater. In: Das Jüdische Echo. Zeitschrift für Kultur und Politik 47 (Tischri 5759/Oktober 1998), S. 250-256. Herzl ] Theodor Herzl (Budapest 1860-1904 Edlach), Begründer des politischen Zionismus. Auch in Jüdaly mit dem Wandersack von S. Larescu ist Herzl eine Bühnenfigur, die den Protagonisten den Weg nach Palästina weist. Jehides Bas Zion ] Hebr., Judith, die Tochter Zions. Wiener Morgenzeitung ] Vgl. Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien, oben S. 171.

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Molly Picon: Brief an Clara Picon, 18. August 1921

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Molly Picon to Clara Picon, Box 48, Molly Picon Collection, American Jewish Historical Society, Waltham/Mass. and New York/NY [jidd.]. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Thomas Soxberger.

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Molly Picon] Vgl. Schauspieler, oben S. 160f.; Liwschitz, Mali Picon, oben S. 73f.; Schmitz, Rolandbühne, oben S. 74f. Mamenju ] Jidd., Mütterchen. Von Salzburg habe ich dir einen Brief geschickt ] Im Brief aus Salzburg, 17. August 1921, berichtet Picon über die Stadtbesichtigung und ist sehr begeistert von Hofmannsthals Jedermann·, sie sah auch Alexander Moissi. »[...] Reinhardt haben wir nicht gesehen, aber es ist genug zu wissen, daß in so einer katholischen Stadt wie Salzburg, vor der Kirche und mit der Mithilfe von Kirchenchor und Orgel, ein >Jud< so eine Weltwunder-Sache aufführen kann. Wir müssen uns für unsere Juden gar nicht schämen.« Molly Picon an Mrs. Clara Picon, Molly Picon Collection, Box 48, American Jewish Historical Society [jidd.]. - Wie in allen weiteren Zitaten stammt die Übersetzung von Thomas Soxberger. Konzert, das wir für die Wiener Kinder gegeben haben ] Im Brief aus Wien, 8. Juli 1921, schreibt die Schauspielerin über ihre Nervosität vor einer Wohltätigkeitsver-

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Anhang anstaltung zugunsten der Wiener Kinder. »[...] Stell dir vor, es waren Kritiker von allen deutschen Zeitungen und Schauspieler von allen deutschen Theatern oder sonst Leute mit Sachverstand da und Jacob und ich mußten allein ein Programm von zwei Stunden füllen, es gab also Grund, nervös zu sein.« Im weiteren schildert sie ihr Programm und den Erfolg des Abends, zu dem die »deutschen Schauspieler« gratuliert hätten (Molly Picon an Mrs. Clara Picon, Molly Picon Collection, Box 48, American Jewish Historical Society). Laut Wiener Morgenzeitung gab es am 6. August wieder eine Sondervorstellung zugunsten der Wiener Kinder, in den Kammerspielen des Deutschen Volkstheaters. Vgl. Wiener Morgenzeitung, 6. August 1921 und Otto Abeles' Kritik in der Wiener Morgenzeitung, 7. August 1921. »Bürgertheater« ] Das Bürgertheater befand sich im 3. Bezirk, Vordere Zollamtstraße 13; es wurde 1905 als Schauspielhaus eröffnet und faßte 1.134 Zuschauer. In den 1920er Jahren wurde es vorwiegend als Operettentheater genutzt, ab 1926 auch für Revuen. Während des Zweiten Weltkriegs war das Haus teilweise geschlossen, 1945-53 wurde es wieder als Operettentheater genutzt, 1960 abgerissen. Jankele ] Vgl. Schmitz, Rolandbühne, oben S. 74f. In der Wiener Morgenzeitung wurden für 13. und 14. August Vorstellungen von Jankele im Wiener Bürgertheater angekündigt, für den 15. August eine »Große Operettenrevue mit Volksliedern«, ebenfalls mit Picon und Kaiich. Vgl. Wiener Morgenzeitung, 13. August 1921, kurze Kritiken erschienen am 16. und 18. August 1921. »Daering« ] Nicht ermittelt. mit solchen Freunden, der Presse und einem so dankbaren Publikum ] Molly Picons Auftritte in Wien waren sehr gut besucht und äußerst populär (s. Liwschitz, Mali Picon, oben S. 73f.; Schmitz, Rolandbühne, oben S. 74f.). Vgl. [Anonym]: Kaiich und Picon aus Boston. Jankele in der Rolandbühne. In: Komödie, 23. Juli 1921 sowie die Glückwunschannoncen zur 100. Aufführung von Jankele in: Wiener Morgenzeitung, 13. Dezember 1921. Zum weiteren Gastspiel und Repertoire vgl. Dalinger, »Verloschene Sterne« (Diss.) (s. Schriftenverzeichnis), S. 141-144. Nach einer Zeitungsmeldung in der Illustrierten Wochenschrift vom 6. Dezember 1931 gab Molly Picon im Dezember 1931 wieder ein Gastspiel in Wien, im Bürgertheater spielte sie die Titelrolle in Marnale. Mein »katar« ] »kh' hob a katar«. d. h. »Ich habe einen Schnupfen«. Um dieses Lied wurde Picon auch bei der Wohltätigkeitsvorstellung zugunsten der Wiener Kinder gebeten, »kh' vil nit zayn keyn rebe« sang sie ebenfalls bei dieser Veranstaltung. Vgl. Molly Picon an Mrs. Clara Picon, Wien, 8. Juli 1921, Molly Picon Collection, Box 48, American Jewish Historical Society. Über das Lied »ikh bin a knaker« berichtet Picon nichts. wenn es gelingt. [...] ] Der Brief handelt im folgenden von persönlichen Angelegenheiten Molly Picons und Jacob Kaiichs.

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Kafrini: »Der Dibbuk«

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Kafrini: »Der Dibbuk«. Dramatische Legende in drei Akten von Sh. An-Ski. Aufgeführt von den »Wilnaern« am 13. Oktober in der Rolandbühne (Freie Jüdische Volksbühne). In: Jüdische Morgenpost, 20. Oktober 1922 [jidd.]. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Thomas Soxberger.

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Kafrini ] »Der Dörfliche«, Pseudonym von Samuel Jacob Harendorf (der auch unter »Sch. I. Dorfsohn« publizierte), vgl. Dorfsohn, Das jüdische Theaterproblem in Europa, oben S. 194f. Der Dibbuk ] Der Dibbuk oder Zwischen zwei Welten, s. Dramen, oben S. 143f.

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Quellennachweise und Stellenkommentare

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» Wilnaer« ] 1916 gründeten Liebhaber und professionelle Theaterleute in Wilna eine Schauspieltruppe, die 1920 durch die Uraufführung des Dibbuk von An-Ski in ganz Europa bekannt wurde. In der ersten Phase formte sich die künstlerische Richtung der Gruppe; die Schauspieler setzten sich vor allem mit zeitgenössischen, anspruchsvollen jiddischen Dramen auseinander und probten als erstes Schalom Aschs Der Landsmann. Außerdem trafen sie eine grundlegende Entscheidung in Hinsicht der verwendeten Sprache: alle Schauspieler, von wo auch immer sie kamen, sprachen auf der Bühne das gleiche litauische Jiddisch. Im Gegensatz zu den meisten jiddischen Truppen, in denen der jeweilige Star dominierte, konzentrierten sich die Wilnaer Schauspieler auf das gemeinsame Spiel und legten Wert auf differenzierte Regiearbeit. 1916 wurde den jungen Schauspielern in Wilna ein hölzernes Zirkusgebäude zur Verfügung gestellt, das in einem sehr schlechten Zustand war. Dennoch erlebte die Gruppe hier ihren ersten Erfolg mit Der Landsmann von Schalom Asch und Ein verworfener Winkel von Perez Hirschbein. Die Aufführungen kamen bei der lokalen jüdischen Intelligenz ebenso gut an wie bei den deutschen Besatzern. Die Wilnaer Truppe erweiterte ihr Repertoire bald mit Dramen von J. L. Perez, An-Ski, Jacob Gordin und David Pinski, brachte aber auch russische und europäische Dramen (in jiddischer Übersetzung) auf die Bühne. Bald gastierte das Ensemble in den Ortschaften rund um Wilna sehr erfolgreich, und die meisten Schauspieler gaben ihren Beruf auf, um sich auf ihre schauspielerische Tätigkeit zu konzentrieren. 1917 ging die Wilnaer Truppe auf Einladung Esther Rochl Kaminskas nach Warschau, wo sie bei Juden und Nichtjuden große Erfolge feierte; außerdem gastierte das Ensemble in Lodz, Krakau, Lemberg, Grodno und Belzec. Den größten Erfolg hatte die Wilnaer Truppe 1920 mit der Inszenierung des Dibbuk von An-Ski. Dennoch kam es noch in Warschau zur ersten Teilung des Ensembles: die Schauspieler Sonia Alomis und Alexander Azro gingen zurück nach Wilna, wo sie ein eigenes Ensemble formten. Der in Warschau verbliebene Teil der Gruppe, nun mit Miriam Orleska, ging auf Tournee durch Polen, Galizien und nach Wien, wo sie von Oktober 1922 bis Januar 1923 mit großem Erfolg auftrat. Zur Frühzeit der Wilnaer Truppe s. Ostjüdisches Theater, oben S. 18f.

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Rolandbühne (Freie Jüdische Volksbühne) ] Im Oktober 1922 war die Rolandbühne noch an die Freie Jüdische Volksbühne verpachtet, die ihrerseits in Rumänien gastierte und die Rolandbühne der Wilnaer Truppe überließ. Das Ensemblemitglied Joseph Buloff schrieb über die Rolandbühne: »We came to Vienna fleeing from Warsaw as if from a fire, because of the bad acoustics in Kaminska's theatre. Now we are housed in worse theatre, yet the problem here is not as grave, because here they don't understand our language anyhow. So, in a way, it is better that they can't hear us; besides, it doesn't seem to bother them.« Brief von Buloff an Veichert [vermutlich Michael Weichert], Vienna, 1923, zitiert nach: Kadison, Buloff: On Stage, OffStage (s. Schriftenverzeichnis), S. 43. Zur Rolandbühne s. H. Sp., Roland-Bühne, oben S. 190. Zum Gastspiel der Wilnaer Truppe in Wien vgl. Dalinger, »Verloschene Sterne« (s. Schriftenverzeichnis), S. 141 f.; Armin A. Wallas: Jiddisches Theater. Das Gastspiel der Wilnaer Truppe in Wien 1922/23. In: Das Jüdische Echo 44 (Tischri 5756/Oktober 1995), S. 179-192; Hoeflich, Tagebücher (s. Schriftenverzeichnis), S. 156ff., 444ff.

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im jüdischen Volksschatz ] Der Autor des Dibbuk, An-Ski, war auch Folkloreforscher, s. Autoren, oben S. 134. Der »Dibbuk« hat eine Welt in Aufregung versetzt ] An-Ski starb am 8. November 1920, als Tribut an den Autor wurde die Uraufführung des Dibbuk nach Ablauf der dreißig Tage nach dem Begräbnis beschlossen. Es wirkten mit: Miriam Or-

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Anhang leska (Lea), Alexander Stein (Chanan), Joseph Buloff (Henoch), Leib Kadison (Reb Sender), Luba Kadison (Giti), Itzhak Kadison (Bräutigam), Avrom Morewsky (Miropoler Rabbi), Paula Walter (Bettlerin), Noah Nachbusch (Bote). Regie: David Hermann. Bühne und Kostüme: Leib Kadison. Die Vorstellungen fanden im Warschauer Elyseum Theater statt und lösten laut Nachman Meisl eine »regelrechte Dibbukpsychose« aus (Nachman Meisl, zitiert nach Salcia Landmann: »Der Dibbuk« von An-Ski. Zur Aufführungsgeschichte. In: An-Ski. Der Dibbuk. Dramatische Legende in vier Bildern. Mit Materialien zur Aufluhrungsgeschichte und zum Exorzismus-Thema. Neue dt. Übertragung von Salcia Landmann und Horst Bienek. Hg. von Horst Bienek. Frankfurt a. M.: Insel Verlag 1989 [Insel-Taschenbuch; 1201], S. 117-138, hier S. 133). Vgl. Brigitte Dalinger: Begegnungen mit Dibbukim. Chassidische Mystik im modernen Wiener Theater zwischen 1880 und 1938. In: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 2000, S. 229-250; Andreas Matthias Kloner: Die Legende Wachtangow(s). Über die Entstehungs-, Auffuhrungsgeschichte und Rezeption von Shlomo An-Skis »Der Dibbuk«. (Diplomarbeit) Wien 1999.

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shloyshim ] Hebr., wörtlich: dreißig, Gedenktag am 30. Tag nach dem Begräbnis eines Juden. chassidisch-kabbalistischen Welt ] Der Begründer des Chassidismus war BaalSchem-Tow (Beiname für Israel ben Elieser, um 1700-1760). Der Chassidismus entstand im 18. Jahrhundert in den Südprovinzen des damaligen Polens (Podolien, Ostgalizien, Wolynien), und ist eine mystische Ausrichtung des jüdischen Glaubens, die darauf beruht, daß der einfache Mensch durch die Tiefe seines Gebets Gott näher sein kann als der Gelehrte. Der Chassidismus stellt die mystischen Erfahrungen des einfachen Mannes über das Talmudstudium und über die Kultivierung der Maskilim. Den Chassiden geht es um ekstatische Nähe zu Gott, eine Nähe, die die irdischen Freuden keineswegs verachtet. - Kabbala (= Überlieferung), jüdische Mystik, die seit dem 12. Jahrhundert ausgearbeitet ist, als Hauptwerk gilt das Buch Sohar. Die kabbalistischen Schriften umfassen etwa Buchstaben- und Zahlenmystik und die Lehre der göttlichen Emanationen. Gestalt des Zaddiks ] Gerechter, Vermittler zwischen Gott und Mensch. Nach dem jidd. »tsadik«, heiliger Mann. Morevsky] Avrom Morevsky (Abraham Morewski; Wilna 1886-1964 Warschau), Schauspieler und Regisseur, seit 1920 Mitglied der Wilnaer Truppe. In Wilna befaßte sich Morevsky mit Studien zu Shakespeare und organisierte anspruchsvolles jiddisches Theater. Während des Zweiten Weltkriegs hielt er sich in Südrußland auf, ab 1956 lebte er in Warschau. Er publizierte seine Memoiren unter dem Titel Ahin un after, Warschau 1963. Herr Kovalsky ] Matthias Kovalsky (Luptz, Weißrußland 1880-1936 Los Angeles), Schauspieler, spielte bei verschiedenen jiddischen Wanderensembles in Polen, Rumänien und auf der Krim. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg beteiligte er sich an hebräischen Aufführungen, während des Ersten Weltkrieges gründete er mit Kollegen die Wilnaer Truppe, mit einem der Nachfolgeensembles der Wilnaer ging er 1924 in die USA. Miriam Orleska ] Orleska (Warschau, Lebensdaten unbekannt), Schauspielerin, seit 1919 bei der Wilnaer Truppe. Orleska war die Lebensgefahrtin des Theaterdirektors Mordechai Mazo (1889-1942), beide waren im Warschauer Ghetto und wurden in einem Vernichtungslager ermordet. Alexander Stein ] Stein (Elias Shteyn; Wilna, Lebendaten unbekannt), wirkte in der Anfangszeit der Wilnaer Truppe mit. 1919 wurde er nach Lodz engagiert,

Quellennachweise und Stellenkommentare

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ging aber zurück zur Wilnaer Truppe, die erfolgreich in Warschau auftrat, und wurde als deren Mitglied sehr populär. Nach der Spaltung dieses Ensembles gastierte er in Riga und Wilna, danach gründete er eine eigene Wilnaer Truppe, mit der er in Rumänien, Ungarn, Jugoslawien, der Tschechoslowakei und 1930, 1934 in Wien auftrat. 1935 spielte er wieder in Wilna, danach mit einer Truppe in Polen. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges ging Stein in die Sowjetunion; er starb in Minsk eines natürlichen Todes. Nachbusch ... Lares ... Kadison ] Noah Nachbush (bei Minsk, 1888-unbekannt), schon oft als Laiendarsteller auf, war einer der Gründer der Wilnaer Truppe und wurde professioneller Schauspieler. 1923 ging er mit anderen Wilnaer Ensemblemitgliedern in die USA, wo er u. a. an Schwartz' Jüdischen Kunsttheater in New York und in jiddischen Filmen mitwirkte. Jehudith Lares (Wilna 1883-1926 Arad), Schauspielerin, erst in russischen Wandertruppen tätig, spielte seit 1918 mit der Wilnaer Truppe. Leib Kadison (1880-1947) war einer der Gründer der Wilnaer Truppe, in den 1920er Jahren ging er mit einem Teil des Ensembles in die USA, wo er u. a. an Maurice Schwartz' Jüdischem Kunsttheater tätig war. »Batlonim« ] Eigentlich: Müßiggänger. Arme fromme Männer, die in der Synagoge studieren und gelegentlich für kultische Dienstleistungen bezahlt werden. Nach dem jidd. »batlen« (pl. batlonim), unpraktischer Mensch. Walter ] Paula Walter (Riga, Lebensdaten unbekannt) begann am russischen Theater, kam während des Ersten Weltkriegs nach Wilna und zur Wilnaer Truppe. Sie ging mit einem Teil des Ensembles 1924 in die USA, wo sie auch in englischer Sprache spielte; sie war die Ehefrau des Schauspielers Matthias Kovalsky. Jüdische Morgenpost ] In der Jüdischen Morgenpost (JM) erschienen sowohl eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Wilnaer Truppe (G. Herzman: Die Wilnaer Truppe. In: JM, 3., 10., 17. und 24. November 1922) als auch Kritiken zu den Premieren: [Anonym]: Die »Wilnaer« sind da! In: JM, 6. Oktober 1922; Harendorf: »Grüne Felder«. In: JM, 13. Oktober 1922; [Anonym]: »Die verlassene Schenke«. In: JM, 27. Oktober 1922; Isaak Brainin: Unsere »KunstLiebhaber«. In: JM, 27. Oktober 1922; [Anonym]: »Schwer zu sein ein Jud'«. In: JM, 3. November 1922; [Anonym]: »Tag und Nacht«. In: JM, 24. November 1922; K[afri]ni [= Sh. I. Harendorf]: Theater-Notizen. In: JM, 1. Dezember 1922 [über Kobrins Der dorfsjing]·, Kafrini [= Sh. I. Harendorf]: »Der die Ohrfeigen kriegt«. In: JM, 22. Dezember 1922; [Anonym]: »Uriel Acosta«. In: JM, 7. Januar 1923; Kafrini [= Sh. I. Harendorf]: »Der Wilnaer Balabesl« [Balabesl, kommt vom jidd. balebos, Hausherr, Wirt, hier: kleiner Hausherr]. In: JM, 12. Januar 1923; Sh. I. Dorfsohn [= Sh. I. Harendorf]: »Die Tage unseres Lebens«. In: JM, 19. Januar 1923; Sh. I. Dorfsohn [= Sh. I. Harendorf]: »Der Stumme«. In: JM, 16. Februar 1923. - Zur Jüdischen Morgenpost s. auch: An alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa, oben S. 172.

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Paul Wertheimer: Jiddisches Künstlertheater

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P. W.: Jiddisches Künstlertheater. In: Neue Freie Presse, 9. August 1924

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Paul Wertheimer ] Der Artikel ist nur mit »P. W.« gezeichnet; er stammt vermutlich von Paul Wertheimer (Wien 1874-1937 ebd.). Wertheimer war Rechtsanwalt und Theaterkritiker, ab 1921 auch Redakteur der Neuen Freien Presse·, außer Theaterkritiken verfaßte er Gedichte, Dramen und Übersetzungen. Jiddisches Künstlertheater ] Bezieht sich auf das Jüdische Kunsttheater aus New York, das 1918 vom jungen Schauspieler Maurice Schwartz mit dem Ziel gegrün-

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Anhang det wurde, anspruchsvolles jiddisches Theater zu zeigen. Nach den ersten erfolgreichen Vorstellungen seines ausgezeichneten Ensembles bildete ein Teil der Schauspieler bereits ein eigenes Kunsttheater (das »Jewish Art Theatre«, Leitung Ben-Ami), doch Schwartz' »Yiddish Art Theater« blieb bis 1950 bestehen, und er selbst blieb die zentrale Figur des literarischen jiddischen Theaters in New York. 1924 unternahm das New Yorker Jüdische Kunsttheater die erste Gastspielreise durch Europa, die nach London, Paris, Belgien, Polen und in andere europäische Länder führte. Vom 5. Juli bis 10. August 1924 trat das Ensemble im Carltheater in Wien auf. Die New Yorker zeigten Tewje der Milchmann von Scholem Alejchem, Des Schmiedes Töchter von Perez Hirschbein, Schmattes von H. Leiwik, Der große Gewinn und Schwer zu sein ein Jud' von Scholem Alejchem und Moschke Chaser von I. D. Berkowiz. Der Dibbuk von An-Ski wurde zum Abschied der Truppe von Maurice Schwartz als Solo aufgeführt; auch wurden drei »Bunte Abende« mit gemischtem Programm gebracht. Außer den jiddischen Dramen wurden auch Inszenierungen von Die sieben Gehängten (nach einer Erzählung von Leonid Andrej ew), Henrik Ibsens Gespenster und Ernst Tollers Hinkemann, unter dem Titel Das rote Lachen, in jiddischer Sprache gezeigt. Zum Gastspiel des New Yorker Jüdischen Kunsttheater in Wien s. Drelitsch, Die Sieger, oben S. 78f.; Schwartz, Eindrücke aus Wien, oben S. 80f. Vgl. Dalinger, »Verloschene Sterne« (s. Schriftenverzeichnis), S. 142f.; Hoeflich, Tagebücher (s. Schriftenverzeichnis), S. 499f.

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»Hinkemann« ... unter dem Titel »Das rote Lachen«] Zur jiddischen Fassung war in der Arbeiter-Zeitung zu lesen: »Die jiddische Bearbeitung von Ernst Tollers Hinkemann trägt nicht nur einen anderen Titel Das rote Lachen, sie hat auch den Text sehr stark verändert, um ihn dem naturalistischen Stil der Newyorker Truppe anzugleichen. Der Horizont des Dramas wird dadurch allerdings verengert [!]; die gleichnishafte Bedeutung des Einzelfalles geht verloren, wenn die Sätze, die die stärksten Anklagen gegen die Zeit enthalten, nicht als Fanfare, nicht als Manifest gesprochen werden, sondern als persönliche Meinung eines Einzelwesens. Daß die Dichtung aber auch in dieser Form, wo sie nicht mehr überindividuelles Zeitdrama, sondern naturalistische Einzeltragödie ist, außergewöhnlich packend wirkt, beweist ihre seelische Tiefe. [...]« F. R.: Amerikanischjiddisches Kunsttheater. In: Arbeiter-Zeitung, 8. August 1924. Raimund-Aufführung] Auch Otto Abeles vergleicht die jiddische Inszenierung von Tollers Hinkemann mit einer deutschsprachigen, die in der Regie von Renato Mordo am Raimundtheater gezeigt wurde. Abeles' Vergleich fallt allerdings zuungunsten der jiddischen Aufführung aus: »Dieses Ensemble, durch künstlerische Taten verpflichtet und würdig, sehr ernst genommen zu werden, stand diesmal bestimmt nicht auf der Höhe. Mit jener geschlossenen, stilvollen, packenden und - in diesem Falle ist's nicht Nebensache - pausenlosen Auffuhrung des Raimund-Theaters (von Renato Mordo geleitet) läßt sich dieser Abend nicht vergleichen.« Otto Abeles: »Das rote Lachen«. In: Wiener Morgenzeitung, 8. August 1924. Schwartz... Gersten... Tennenbaum ] Morris Schwartz s. Schauspieler, oben S. 162. Berta Gersten (1894-1972) war eine der ersten Schauspielerinnen in Schwartz' Jüdischen Kunsttheater und spielte fast 25 Jahre in seinem Ensemble, außerdem trat sie am Broadway auf und wirkte in Verfilmungen jiddischer Dramen mit. Eliahu Tennenholz (Wolhynien, 1890-unbekannt), nicht »Tennenbaum«, Schauspieler und Theaterkritiker, kam 1901 nach New York. Neben anderen Beschäftigungen widmete er sich dem jüdischen Theater, er spielte in verschiedenen jiddischen Ensembles und wirkte in Hollywoodfilmen mit.

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seit den Gastspielen Brahms in Wien ] Das Deutsche Theater Berlin unter der Leitung von Otto Brahm gastierte vom 9. Mai bis 8. Juni 1900 am Deutschen Volkstheater in Wien, gezeigt wurde Ibsens Gespenster, die Inszenierung von Brahm galt den zeitgenössischen Kritikern als exemplarisch. Neue Freie Presse ] Vgl. Kläger, Theater in der Josefstadt, oben S. 189.

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Jehoschua Drelitsch: Die Sieger

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Dr. Jehoschua Drelitsch: Die Sieger. (Eine Stimme aus dem Volk über das Kunsttheater von Maurice Schwartz). In: Jüdische Morgenpost, 1. August 1924 [jidd.]. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Thomas Soxberger.

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Jehoschua Drelitsch ] Nicht ermittelt. Kunsttheater von Maurice Schwartz ] Vgl. Wertheimer, Jiddisches Künstlertheater, oben S. 225f.; Schwartz, Eindrücke aus Wien, oben S. 80f. Carltheater ] Vgl. Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien, oben S. 170f. »Joint« und die verschiedenen »Relief«-Organisationen ] Das »Joint Distribution Comittee« wurde 1915 in den USA von wohlhabenden, amerikanischen, ehemals aus Deutschland stammenden »German Jews« gegründet, um den osteuropäischen Juden in den Kriegs- und Nachkriegswirren zu helfen; »Relief«-Organisationen waren weitere wohltätige Organisationen, die in den USA gegründet wurden, um europäischen Juden beizustehen. Keren-Hajessod ] Auch Keren Hayesod, Palestine Foundation Fund, war der finanzielle Teil der Zionistischen Weltorganisation und wurde 1920 in London gegründet. Schwartz... Appel... Gersten ... Schwejd] Maurice Schwartz s. Schauspieler, oben S. 162; Anna Appel (Bukarest 1888-1963), kam 1902 nach Montreal, wo sie in einer Laiengruppe spielte, bald aber professionelle Schauspielerin wurde. Von 1918 bis 1928 spielte Appel in Schwartz' Ensemble, zu dem sie nach einer kurzen Unterbrechung wieder zurückkehrte. Zu Bertha Gersten s. Wertheimer, Jiddisches Künstlertheater, oben S. 226; Mark Schwejd (Schweid), (Warschau 1891-unbekannt), Schauspieler, Schriftsteller, Dramatiker, Übersetzer und Journalist, kam 1911 in die USA, seit 1921 Mitglied in Schwartz' Jüdischem Kunsttheater. was bei uns nur ein Wunsch geblieben ist ] Die Hoffnung auf ein anspruchsvolles jiddisches Theater, die nach der Auflösung der Freien Jüdischen Volksbühne und weiteren ähnlichen Versuchen aufgegeben wurde. Schwartz ... Mestel - sie kommen aus dem Ostjudentum ] Tatsächlich stammten die meisten jiddischen Schauspieler und Theaterleute aus Osteuropa, s. Anhang: Schauspieler, oben S. 155f.; Schwartz, Eindrücke aus Wien, oben S. 80f. erhalten sie Respekt und Anerkennung ] Zur Rezeption des New Yorker Jüdischen Kunsttheaters s. Wertheimer, Jiddsches Künstlertheater, oben S. 77f. Yasher koykhem ] Hebr. »Mit vermehrten Kräften!«, »Vielen Dank ihnen!« Jüdische Morgenpost ] Vgl. An alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa, oben S. 172.

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Morris Schwartz: Eindrücke aus Wien

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Morris Schwartz (Direktor des New Yorker Jiddischen Kunsttheaters): Eindrücke aus Wien. In: Jüdische Morgenpost, 8. August 1924 [jidd.]. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Thomas Soxberger.

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Anhang Morris Schwartz ] Zu Morris (Maurice) Schwartz s. Schauspieler, oben S. 162; Wertheimer, Jiddisches Künstlertheater, oben S. 77f.; Drelitsch, Die Sieger, oben S. 78f. »Beys-medresh« ] Jidd., Lehrhaus. sich die wunderbarsten Dinge über die Hauptstadt Wien erzählten ] Zum Mythos der Stadt Wien in jüdischen Gemeinden in Osteuropa vgl. Hödl, Als Bettler in die Leopoldstadt (s. Schriftenverzeichnis), S. 120f. »Fra-a-anz Jo-o-osef omen selo« ] »Omen selo« ist eine erweiterte Form des »Amen« im Gebet, also der Schluß. Die Phrase meint das spezielle Gebet für den Herrscher zum Abschluß des Gottesdienstes am Sabbathmorgen. Kantor ] Vorsänger in der Synagoge. London ... »tsayt« ] Das jiddische Periodikum Di tsayt erschien von 1913 bis 1950 in London, es war die erfolgreichste jiddische Tageszeitung in England. 55 Vorstellungen bei ausverkauftem Haus ] Das New Yorker Jüdische Kunsttheater spielte von 5. Juli bis 10. August 1924 im Carltheater in Wien. Filmarbeit ] Der Anlaß für den Aufenthalt der amerikanischen Künstler in Wien war auch die Mitwirkung der Schauspieler im Film Yiskor (auch: Jisker oder Gedenke!), von Harry Seckler, Regie Sidney Goldin, der 1924 von der Jüdischen Kunstfilm-Gesellschaft, Wien, produziert wurde. Zum Film vgl. Jim Hoberman: Bridge of Light. Yiddish Film between two Worlds. New York: Schocken Books 1991, S. 69; Jüdische Lebenswelten im Film. Hg. von den Freunden der Deutschen Kinemathek. Konzeption: Erika Gregor, Ulrich Gregor [o. O., o. J., vermutlich Berlin 1992), Film Nr 46. deutschsprachige Wiener Presse] Vgl. Wertheimer, Jiddisches Künstlertheater, oben S. 77f. die zwei Wiener jüdischen Zeitungen ] die (deutschsprachige) Wiener Morgenzeitung und die (jiddische) Jüdische Morgenpost berichteten eingehend von den Auffuhrungen des New Yorker Jüdischen Kunsttheaters. daß ein so großes jüdisches Zentrum wie Wien ... entfremdet ist ] Weder jiddische noch deutschsprachige jüdische Periodika hatte in Wien ein konstantes Lesepublikum. Di s Jüdische Morgenpost erschien nur bis 1926, die Wiener Morgenzeitung stellte 1927 ihr Erscheinen ein. Vgl. Soxberger, Jiddische Literatur und Publizistik in Wien (s. Schriftenverzeichnis). so wird unser Weg nach Wien juhren ] 1936 trat das New Yorker Jüdische Kunsttheater erneut - mit großem Erfolg - in Wien auf, s. Aus den Akten zum Gastspiel des Jüdischen Kunsttheaters aus New York in Wien 1936, oben S. 116f.; vgl. Dalinger, »Verloschene Sterne« (s. Schriftenverzeichnis), S. 145ff. Jüdische Morgenpost ] Vgl. An alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa, oben S. 172.

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Die Habima in Wien. Gespräch mit Direktor Zemach

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[Anonym]: Die Habima in Wien. Gespräch mit Direktor Zemach. In: Wiener Morgenzeitung, 26. Mai 1926

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Habima ] In Moskau gründeten 1917 Nachum Zemach, Menachem Gnessin und Hanna Rowina das hebräische Theater Habima (hebr., Podest in der Synagoge, auf dem die Tora gelesen wird). Die Habima hatte folgende Ziele: das Ensemble wollte Theater in hebräischer Sprache bieten; die Stoffe der aufgeführten Dramen sollten aus der Bibel oder aus der jüdischen Geschichte stammen und wichtige soziale beziehungsweise historische Themen behandeln; die Aufführungen soll-

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ten in nationaler und moralischer Hinsicht erzieherisch wirken und neue künstlerische Formen zeigen; die spätere Ansiedelung der hebräischen Truppe in Palästina war ein weiteres Ziel der Mitglieder. Das Ensemble der Habima formierte sich in den Jahren 1919 bis 1922 unter der Leitung von Konstantin S. Stanislawski und dessen Schüler Eugen Wachtangow. Formell war die hebräische Gruppe ein Studio des Moskauer Künstlertheaters, bekam als solches Subventionen und konnte daher seine von der Kritik sehr gelobte Tätigkeit bis zur Abreise 1926 durchführen. In der Moskauer Zeit (1917-1926) wurden, nach einem ersten Abend mit Einaktern, fünf Dramen in Szene gesetzt (Der ewige Jude von David Pinski, Der Dibbuk von An-Ski, Der Golem von H. Leivik, Jaakobs Traum von Richard Beer-Hofmann und Die Sintflut von Hennig Berger), die zum überwiegenden Teil von jiddischen Dramatikern (Pinski, An-Ski, Leivik) stammten. Dies war jedoch der einzige Berührungspunkt mit dem jiddischen Theater, von dem sich die Habima nicht nur durch die Verwendung der hebräischen Sprache, sondern auch durch die sorgfältige Ausbildung der Schauspieler sowie das angestrebte künstlerische Niveau bewußt distanzierte. Den Durchbruch der Habima brachte 1922 die Aufführung des Dibbuk, in der Wachtangow Stanislawskis Realismus überwand und in, wie Barbara Lesak schreibt, »[...] eindringlich-expressiven Inszenierungen [...] das moderne konstruktivistische Element mit dem ethnischen Kolorit der bereits versunkenen ostjüdischen Schtetlkultur« verband. Barbara Lesak: Russische Theaterkunst 1910-1936. Bühnenbild- und Kostümentwürfe, Bühnenmodelle und Theaterphotographie aus der Sammlung des Österreichischen Theatermuseums. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Österreichisches Theatermuseum Wien, 15. Januar - 31. März 1993. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1993, S. 17f. 82

Habima in Wien ] Im Januar 1926 begab sich das Moskauer hebräische Ensemble Habima auf eine mehrmonatige Tournee durch Europa - eine Abreise, die sich als endgültig herausstellte: Habima kehrte nicht mehr in die Sowjetunion zurück, wo der Antizionismus gegen Ende der 1920er Jahre immer stärker wurde, sondern siedelte sich nach Gastspielen in Europa und den USA 1931 in Palästina an. Die Tournee 1926 begann mit erfolgreichen Auftritten in Polen; nach dem Aufenthalt in Warschau war ein einwöchiges Gastspiel in Wien geplant, das wegen des großen Erfolges auf drei Wochen verlängert wurde. Von 29. Mai bis 17. Juni 1926 trat die Habima im Carltheater auf.

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Direktor Zemach ] Nachum Zemach (Rogoshnitzi, Rußland 1887-1939) hatte bereits 1909 in Bialystok und 1912 in Wilna hebräische Theatergruppen organisiert. Das Ziel des überzeugten Zionisten war es, ein Kunsttheater in hebräischer Sprache zu schaffen, was erst mit der Habima gelang. Zemach verließ das Ensemble 1927. Eine Aussprache über die Zukunft der Habima ] In der Wiener Morgenzeitung (WM) erschien eine ganze Reihe von Artikeln, die sich mit der Habima beschäftigten: Otto Abeles: Die Habima in Wien. Ihr Dybuk im Carl-Theater. In: WM, 30. Mai 1926; ders., Die Habima in Wien. Einiges über die Darsteller ihres Dybuk, ferner: flb.: Musikalisches zu der Dybuk-Aufführung; Leopold Thaler: Die Gleichgültigen. Kritik des Publikums. Alle in: WM, 1. Juni 1926; B. Tschemerinsky: Die Arbeitsgemeinschaft Habima; Otto Abeles: Episoden aus ihrem Dybuk. In: WM, 2. Juni 1926; Otto Abeles: Jaakobs Traum·, Erwin Felben Die Musik zu Jaakobs Traum. In: WM, 3. Juni 1926; P. Haller: Leiwiks Golem. In: WM, 5. Juni 1926; 0[tto] A[beles]: Der Golem-, Tulo Nussenblatt: Professor Max Reinhardt über die Habima. In: WM, 5. Juni 1926; L[eopold] Th[aler]: Matinee des Hechaluz für die Habima. In: WM, 9. Juni 1926; Otto Abeles: Pro-Habima. Eine dringliche Anregung. In: WM, 13. Juni 1926; Bfaruch] Tschemerinski: Leiwicks Besuch bei Habima. Eine

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Anhang Erinnerung an den Autor des Golem. In: WM, 11. Juni 1926; Leopold Thaler: Epilog zum Habima-Ereignis. In: WM, 22. Juni 1926. - Kritiken zu Bergers Sintflut erschienen in der Wiener Morgenzeitung am 8. und 9. Juni 1926. Vgl. ferner Saiten, Gastspiel »Habima«, oben S. 83f.; Tschemerinski, Bei den Proben des »Dybuk«, oben S. 85f.; Nussenblatt, Richard Beer-Hofmann über die Habima, oben S. 88f. die unzutreffenden Darlegungen von »Fülop-Miller« ] 1926 erschien das Buch Geist und Gesicht des Bolschewismus, in dem René Fülöp-Miller die Erfahrungen seines Aufenthalts in der Sowjetunion schilderte. Schon am 5. April 1924 erschien in der Neuen Freien Presse ein Feuilleton Fülöp-Millers mit dem Titel »Russische Kunst und russische Künstler«, gegen dessen Inhalt sich Zemachs Aussage wendet. Darin heißt es: »Die >HabimaChassenes< ] Jidd., pl., von »khasene«, Hochzeit. Engel] Julius Engel (Berdiansk, Taurien 1868-1927 Tel Aviv), russisch-jüdischer Komponist, Musikschriftsteller und Folklorist, beschäftigte sich als einer der ersten mit jüdischer Volksmusik. Zusammen mit dem Autor des Dibbuk, An-Ski, sammelte er jüdische Volkslieder. Zu seiner Musik für den Dibbuk der Habima vgl. flb. Musikalisches zu der Z>y¿>«&-Aufführung. In: Wiener Morgenzeitung, 1. Juni 1926. Golem ] Vgl. Dramen, oben S. 144f. Jaakobs Traum ] Vgl. Nussenblatt, Richard Beer-Hofmann über die »Habima«, S. 233. Wiener Morgenzeitung ] Vgl. Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien, oben S. 171.

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Felix Saiten: Gastspiel »Habima«

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Felix Saiten: Gastspiel »Habima«. Carl-Theater. In: Neue Freie Presse, 30. Mai 1926

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Felix Salten ] Saiten, eigentl. Siegmund Salzmann (Budapest 1869-1945 Zürich), kam als Kind nach Wien und war Journalist und Schriftsteller; zu seinen bekanntesten Werken zählt Bambi. Saiten schrieb eine ganze Reihe von Theaterstücken, war seit 1890 Mitarbeiter der Freien Bühne, Wien, und publizierte über das Burgtheater (1922). Saiten war mit jüdischem Theater vertraut: im Rahmen einer »Gedenkrede für Theodor Herzl« erwähnt er den Besuch des Leopoldstädter Volksorpheums etwa 1903/04, ferner rezensierte er das Gastspiel des Amerikanisch-jiddischen Kunsttheaters und bearbeitete Dreimal Hochzeit von Anne Nichols, einen »Jargonschwank«, in dem Hans Moser und Gisela Werbezirk auftraten. Bei der konstituierenden Generalversammlung des »Vereines Jüdisches Kul-

Quellennachweise und Stellenkommentare

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turtheater« am 3. November 1937 hielt er die Festrede. Vgl. Dalinger, »Verloschene Sterne« (s. Schriftenverzeichnis), S. 277; zu Leben und Werk s. Hoeflich, Tagebücher (s. Schriftenverzeichnis), S. 495. »Habima« ... Carl-Theater ] Vgl. Die Habima in Wien, oben S. 82f.; Tschemerinski, Bei den Proben des »Dybuk«, oben S. 85f.; Nussenblatt, Richard BeerHofinann über die Habima, oben S. 88f. Zum Carltheater s. Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien, oben S. 170f. Nachbarschaft Stanislawskis] Konstantin Stanislawski (1863-1938), der Leiter des Moskauer Künstlertheaters, arbeitete mit den Schauspielern der Habima und unterstützte sie bis zu ihrer Abreise 1926 (s. Nussenblatt, Richard Beer-Hofmann über die Habima, S. 233). Tairoff] Zu Alexander I. Tairow s. Schmitz: Warum nicht unser Theater? oben S. 47f. die Vermählung der russischen mit der jüdischen Volksseele ] Vgl. Die Habima in Wien, oben S. 82f. Gegnerschaft der Moskauer Sowjets ] Nach Levy entwickelte sich die Beziehung zwischen den neuen russischen Machthabern und der Habima genau umgekehrt. Unmittelbar nach der Revolution gab es keine Einflußnahme auf zionistische Tätigkeiten oder die Verwendung der hebräischen Sprache, doch schon 1919/20 veränderte sich die Situation: Der Zionismus wurde als »konterrevolutionär« eingeschätzt, die hebräische Sprache als Sprache der Rabbiner und der klerikalen Reaktion bezeichnet, zionistische Führer wurden verhaftet. Levy, The Habima (s. Schriftenverzeichnis), S. 44ff. »Dybuk« ] Vgl. Dramen, oben S. 143f.; Kafrini [= Harendorf], Der Dibbuk, oben S. 76f.; Nussenblatt, Richard Beer-Hofmann über die Habima, oben S. 88f. Bialik ] Zu Chajm Nachman Bialik s. Meiseis, Interessanter Bief von Stefan Zweig, S. 238. Herrn Warschawer ... Herrn Zemach ... die Rowina] Ari Warshawer (Rußland 1898-unbekannt) kam 1920 zur Habima. Zu Nachum Zemach s. Die Habima in Wien, oben S. 229. Hanna Rowina (Berezino, Minsk 1888-1980 Israel) war Mitbegründerin der Habima und von 1917 an beim Ensemble; sie spielte die Rolle der Lea im Dibbuk bis ins hohe Alter. Rowina ging mit der Habima 1928 nach Palästina; lange Jahre war sie die führende Schauspielerin des Ensembles. Neue Freie Presse ] Vgl. e.kl., Theater in der Josefstadt, oben S. 189.

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Baruch Tschemerinski: Bei den Proben des »Dybuk«

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B. Tschemerinski (Mitglied der Habimah): Bei den Proben des »Dybuk«. In: Arbeiter-Zeitung, 1. Juni 1926

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Baruch Tschemerinski ] Tschemerinski (Chemerinsky) (Ukraine 1892-1946) kam 1920 zur Habima. Beim Gastspiel der Habima 1926 in Wien wurde noch ein zweiter Artikel Tscherminskis publiziert: B[aruch] Tschemerinski: Die Arbeitsgemeinschaft Habima. In: Arbeiter-Zeitung, 2. Juni 1926. Bei den Proben des »Dybuk« ] Die Habima wurde 1917 in Moskau gegründet. Bei der ersten Vorstellung am 8. Oktober 1918 bestand das Ensemble aus zwölf Schauspielern; während den Proben zum Dibbuk in den Jahren 1920 und 1921 wurden weitere Künstler engagiert. Stanislawski arbeitete im Winter 1921 mit den Schauspielern; sein Schüler Eugen Wachtangow probte den Dibbuk mit der Habima zwischen 1919 und 1922. Die Premiere des Dibbuk fand am 31. Januar 1922 statt.

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Jewgenij Bagaratianowitsch Wachtangoff] Eugen Wachtangow (= Eugene Vakhtangov; Wachtangoff), Stanislawskis bester Schüler und Protège, war der Regisseur des Ersten Studios des Moskauer Künstlertheaters. Ihm übertrug Stanislawski die künstlerische Leitung der Habima, die ebenfalls ein Studio des Moskauer Künstlertheaters war. Wachtangow starb bereits am 29. Mai 1922. Vgl. M. Harari: Der Erzieher der Habima. Zu Wachtangows viertem Todestage. In: Wiener Morgenzeitung, 28. Mai 1926. - Die Ausbildung durch Stanislawski und Wachtangow prägte die Zukunft der einzelnen Schauspieler wie des gesamten Ensembles, wie Emanuel Levy beschreibt: »The exact point at which each member joined the Habima was of great importance, because the earlier he joined, the better and longer he was trained. And the longer he trained and worked with Vakhtangov, the higher his social position and prestige within the group. Long after the Habima left Russia, members still ranked each other in terms of the duration of their membership in Moscow.« Levy, The Habima (s. Schriftenverzeichnis), S. 13. Zur Habima s. [Anonym]: Die Habima in Wien, oben S. 82f.; Saiten, Gastspiel »Habima«, oben S. 83f.; Nussenblatt, Richard Beer-Hofmann über die »Habima«, oben S. 88f.

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Tinimah ] Es könnte sich um Tmima Yudelevich (Polen 1892-1967) handeln, die 1918 zur Habima kam und bis 1965 Mitglied des Ensembles war. Miropoler Chassid] Der Dibbuk spielt im Milieu der Miropoler Chassidim, s. Dramen, oben S. 143 f. Man geht wieder an die Arbeit ] Das Verhältnis zwischen Regisseur Wachtangow und den Schauspielern, ihre Hingabe an die Arbeit und die Stimmung dabei wurden auch von anderer Seite sehr idealistisch beschrieben (s. Nussenblatt, Richard Beer-Hofmann über die Habima, oben S. 88f.). Nathan Altman (Vinnitsal, Podolien 1889-1970 Leningrad), gestaltete die Kostüme zum Dibbuk der Habima. In seinen Erinnerungen berichtet er über diese Inszenierung: »Wachtangow kannte weder jiddisch, noch das Leben in einem Marktflecken, noch jüdische Bräuche, Legenden und abergläubische Vorstellungen, das heißt, ihm war all das fremd, wovon das Stück lebte. Bei seiner Arbeit mußte er sich notgedrungen auf die Hinweise der Schauspieler des Experimentiertheaters verlassen. Sie drängten ihn mehr in die Richtung der sozialen Erschließung des Stückes, wo es sich doch um ein ekstatisches und heroisch-tragisches handelte. Die Menschen, die ich in meinen Entwürfen darstellte, waren tragisch, verkrüppelt und krumm wie Bäume, die auf trockenem und unfruchtbaren Boden wachsen. Sie besaßen das Kolorit einer Tragödie [...]. Als ich meine Entwürfe nach Moskau brachte, hatte Wachtangow bereits den ersten Akt einstudiert. Sie unterschieden sich sehr von dem, was Wachtangow bereits geleistet hatte. Ich weiß nicht, was er empfand, als er meine Entwürfe zum erstenmal zu Gesicht bekam, aber ich weiß noch, wie er reagierte. Er strich das bereits Geprobte und begann die Arbeit von neuem, wobei er sich von meinen Entwürfen leiten ließ. Die Arbeit am Stück wurde in einer unwahrscheinlichen Erregung, beinahe ekstatisch, fortgeführt. Endlich kam der Tag, an dem das Stück aufgeführt werden sollte ... Bei der Generalprobe saß Gorki im Saal. Er war ganz begeistert. Ich kann mich nicht an alle erinnern, die die Premiere erlebt haben. Lunatscharski war da. Neben mir saß Schaljapin. Der Eindruck, den die Auffuhrung machte, war überwältigend. So war es immer und überall, wo dieses Stück gezeigt wurde.« Zitiert nach: Jüdische Lebenswelten. Hg. von Andreas Nachama und Gereon Sievernich. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung. Berlin: Berliner Festspiele, Jüdischer Verlag, Suhrkamp Verlag 1991, S. 165f. Hier finden sich auch Altaians Kostümentwürfe zum Dibbuk.

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Arbeiter-Zeitung ] Vgl. J. L. S., Eine Tragödie der Arbeit, oben S. 185.

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Tulo Nussenblatt: Richard Beer-Hofinann über die »Habima«

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Tulo Nussenblatt: Richard Beer-Hofinann über die Habima. Ein Gespräch mit dem Dichter von »Jaakobs Traum«. In: Wiener Morgenzeitung, 6. Juni 1926

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Tulo Nussenblatt ] Tulo (Naftoli) Nusenblat (Strij 1895-1942 Lubliner Ghetto) genoß eine traditionelle und moderne Ausbildung und war schon in Jugendjahren ein Mitglied der zionistischen Jugendorganisation »Haschomer«. Im Ersten Weltkrieg wurde er schwer verwundet, nach dem Krieg studierte er Jura in Wien, befaßte sich aber vorwiegend mit publizistischer Tätigkeit und der Geschichte des Zionismus; u. a. verfaßte er eine Biographie über Theodor Herzl. 1938 ging er nach Polen und war im Warschauer Ghetto Lehrer in hebräischen Geheimschulen, kämpfte im Ghettoaufstand, wurde ins Lublin-Majdanek verschickt und dort ermordet. Nussenblatt schrieb vorwiegend in deutscher Sprache. Richard Beer-Hofinann ] Beer-Hofinann (Rodaun 1866-1945 New York) wurde 1897 mit dem »Schlaflied für Miijam« als Schriftsteller bekannt; bereits 1898 hatte er die Idee, einen Zyklus biblischer Dramen zu verfassen. Er sympathisierte mit dem Zionismus und bewunderte Herzls Der Judenstaat. Beer-Hofmanns Drama Der Graf von Charolais wurde 1905 von Max Reinhardt in Berlin inszeniert. Jaakobs Traum war als Vorspiel einer nie beendeten David-Trilogie gedacht. Habima ] Vgl. Die Habima in Wien, oben S. 82f.; Saiten, Gastspiel »Habima«, oben S. 83f.; Tschemerinski, Bei den Proben des »Dybuk«, oben S. 85f. »Jaakobs Traum« ] Die Uraufführung von Jaakobs Traum war ursprünglich unter Max Reinhardts Regie im Herbst 1918 in Berlin geplant, wegen der chaotischen politischen Situation bestand Beer-Hofinann jedoch auf einer Verschiebung. Das Stück wurde am 5. April 1919 im Wiener Burgtheater uraufgeführt, die Berliner Premiere fand am 7. November 1919 im Deutschen Theater statt. Jaakobs Traum basiert auf einem Stoff der Genesis; Jaakobs Ringen mit Gottes Engel wird gezeigt, der Namenswechsel von Jaakob zu Israel und die Voraussage von ewigen Leid und ewigen Leben. Beer-Hofmann thematisierte in dieser Tragödie die Prüfungen und Missionen des jüdischen Volkes, »[...] the privilege, penality, glory, and tragedy of being a chosen people, the light of the world, and the suffering involved in the high religious mission of the Jews«. Levy, The Habima (s. Schriftenverzeichnis), S. 41. Döbling] Name des 19. Wiener Gemeindebezirks, in dem Beer-Hofinann eine Villa bewohnte. Stanislawsky ... Habima ] Anfänglich wurde die Arbeit der Habima an diesem schwierigen Stück von Stanislawski betreut, wegen einer Erkrankung gab er die Regie an B. Suchkewitsch ab, einem Regisseur des zweiten Moskauer Kunsttheaters. Solche Gemeinschaften nehmen fast den Charakter von Sekten an ] Vgl. Tschemerinski, Bei des Proben des »Dybuk«, oben S. 85f.. Ausführlich berichtet Levy über die Loyalität und Hingabe der Mitglieder des Studios Habima an ihre Arbeit, die die Schauspieler ihre privaten Interessen und Wünsche zurückstellen ließ. Vgl. Levy, Habima (s. Schriftenverzeichnis), S. 62ff. Vgl. auch Bfaruch] Tschemerinski: Die Arbeitsgemeinschaft Habima. In: Wiener Morgenzeitung, 2. Juni 1926. Dybuk] Vgl. Dramen, oben S. 143f.; Kafrini [= Harendorf], Der Dibbuk, oben S. 85f.; Tschemerinski, Bei des Proben des »Dybuk«, oben S. 85f. eine junge Mutter ... Genesung ihres Kindes zu erflehen ] In der deutschen Übersetzung des Dibbuk von Salcia Landmann gibt es im ersten Akt eine Szene, in der eine »alte Jüdin«, begleitet von ihren Enkelkindern, ins Bethaus kommt und für ihre Tochter betet, die seit zwei Tagen im Sterben liegt.

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Und der zweite Eindruck ... Farbe des revolutionären Rußland ] Über den Dibbuk der Habima erschienen in allen wesentlichen Periodika Kritiken, doch außer hier von Richard Beer-Hofmann wurde nur von Otto Abeles und von »Menachem« in der Kritik der Tribüne die sozialkritische Dimension dieser Inszenierung angesprochen. »Menachem« bringt das von allen Kritikern hervorgehobene Ensemblespiel mit der »neuen Weltordnung« in Rußland in Zusammenhang: »Die >Habimah< könnte aber noch immer nicht eine so große Wirkung auf uns ausüben, wenn sie nicht etwas absolut Neues und Revolutionäres gebracht hätte. Das ist das fast völlige Verschwinden des einzelnen Schauspielers und das Herausarbeiten des Gesamtspieles. Das Star-Wesen ist ein Merkmal der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, das Ensemblespiel die Ankündigung der Weltordnung des Sozialismus.« Menachem: »Habimah«. In: Unsere Tribüne. Organ der jüdischen sozialdemokratischen Arbeiterorganisation Poale Zion, Wien, 25. Juni 1926. Vgl. Brigitte Dalinger: Begegnungen mit Dibbukim. Chassidische Mystik im modernen Wiener Theater zwischen 1880 und 1938. In: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 2000, S. 229-250.

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Zadik ], Gerechter, Vermittler zwischen Gott und Mensch. Nach dem hebr. »tsadik«, heiliger Mann. Bei dieser Aufführung der Habima ] Die Inszenierung von Jaakobs Traum war in Moskau kein Erfolg, in Wien gingen die Meinungen sehr auseinander. Abeles nannte die literarische Vorlage ein »Gedicht,«, das »tief, kristallklar, aber nicht gerade bühnenwirksam« sei, dem aber die Habima nun »dramatisches Leben« eingehaucht hätte (Otto Abeles: »Jaakobs Traum«. Gastspiel des hebräischen Theaters im CarlTheater. In: Wiener Morgenzeitung, 3. Juni 1926). Felix Saiten schrieb, daß Stil und darstellerische Mittel der Habima beim Dibbuk funktioniert, bei Jaakobs Traum aber versagt hätten (F[elix] S[alten]: Gastspiel »Habima«. In: Neuen Freien Presse, 3. Juni 1926). Ähnlich wurde in der Arbeiter-Zeitung (5. Juni 1926) die Nähe des Ensembles zu Werken wie dem Dibbuk und sein Abstand zu deutschsprachigen Dichtungen wie Jaakobs Traum festgestellt. Überraschend war die Kritik von Edwin Rollett: »Die Erscheinungen, die Kostüme, die Komposition der Gestalten, die exakte [...] Abstimmung aller Bewegungen zueinander und zu den szenischen Dekorationen, die hymnische, feierliche Musik [...] geben dieser Dichtung den ihr eigentümlichen und eigenen Charakter des geistlichen Weihespiels in einer ganz außerordentlichen Weise« (Edwin Rollett: Carltheater. In: Wiener Zeitung, 3. Juni 1926). Wiener Morgenzeitung ] Vgl. Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien, oben S. 171.

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Jüdisches Theater und das Jenseits

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[Anonym]: Jüdisches Theater und das Jenseits. Erbauliches aus Transylvanien. In: Wiener Morgenzeitung, 17. Juli 1926

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Transylvanien ] In Transilvanien wohnten in den Jahren zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg um 150.000 Juden. Berühmt war der Munkatscher Rabbi, der gegen die Beizer Chassidim und gegen die Zionisten kämpfte (vgl. Harendorf, Teater karavanen [s. Schriftenverzeichnis], S. 27). Wilnaer Truppe ] Vgl. Kafrini [= Harendorf], Der Dibbuk, oben S. 76f.; Ostjüdisches Theater, oben S. 18f. Tournee ] Eine Saison im jiddischen Theater begann im Herbst (nach Jom Kippur und den hohen Feiertagen) und dauerte bis Ende Mai oder Juni. In den Monaten dazwischen ging die Truppe als ganzes oder ein eigens formiertes Ensemble auf Gastspielreise in umliegende Länder oder in berühmte Kurorte. Im Verlauf dieser

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Tourneen hatten sich die Truppen mit den verschiedensten Problemen und Gegnern auseinanderzusetzen: mit dem schlechten Ruf, der noch in den 1920er Jahren den Schauspielern in kleineren Orten voranging; mit der Auswahl geeigneter Orte (in Hinblick auf Spielstätten und ausreichend Publikum); mit Visaschwierigkeiten bei der Einreise in andere Länder; mit Protesten und Drohungen von Antisemiten; und mit Schwierigkeiten von Seiten orthodoxer Rabbiner, die ihren Gemeinden verbaten, jiddische Theatervorstellungen zu besuchen. verbieten die Rabbiner den Besuch des jüdischen Theaters ] In Karparto-Rußland gab es ähnliche Probleme: Harendorf erwähnt mehrmals die Auseinandersetzung mit orthodoxen Rabbinern, die großen Einfluß auf die jüdische Bevölkerung ausübten und die Theaterleute kurzerhand aus der Gegend verbannten. Vgl. Harendorf, Teater karavanen (s. Schriftenverzeichnis), S. 178f.; vgl. Jonas Turkow: Farloshene shtern [jidd.]. Hg. vom Zentralverband der polnischen Juden in Argentinien. 2 Bde, Buenos Aires 1953, hier Bd 1, S. 180. Zum Verhältnis zwischen Orthodoxie und jüdischem Theater vgl. Sandrow, Vagabond Stars (s. Schriftenverzeichnis), S. 16; Lewis Sowden: Theater. In: Encyclopaedia Judaica. Jerusalem: Keter 1971, Bd 15, S. 1049-1052, 1049f. Shimon Levy: The Development of Israeli Theatre - A Brief Overview. In: Theatralia Judaica (Π) Nach der Shoah. Israelisch-deutsche Theaterbeziehungen seit 1949. Hg. von Hans-Peter Bayerdörfer. Tübingen: MaxNiemeyer Verlag, 1996, S. 27-35. Kamen ] Josef Kamen (Wilna 1900-1942 Uralsk), Schauspieler, trat Anfing der 1920er Jahre mit der Wilnaer Truppe auf, in Wien spielte er auch in den 1930er Jahren. Chassidim ] Pl., Anhänger des chassidischen Glaubens, s. Kafrini [= Harendorf], Der Dibbuk, oben S. 224. Desch ] Eigentlich: Des oder Dej, hier lebten um 3.000 Juden. Die Stadt befindet sich 50 Kilometer nordöstlich von Cluj, Rumänien. Wiener Morgenzeitung ] Vgl. Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien, oben S. 171.

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Fritz Rosenfeld: Hier wird Theater gespielt

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Fritz Rosenfeld: Hier wird Theater gespielt. Granowsky-Gastspiel im Carl-Theater. In: Arbeiter-Zeitung, 2. September 1928

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Fritz Rosenfeld ] Rosenfeld (Wien 1902-1988 Sussex, Großbritannien) gehörte seit 1923 zur Kulturredaktion der Arbeiter-Zeitung und schrieb vor allem über das junge Medium Film. Im Februar 1934 ging er nach Prag, danach nach England. Er kehrte nicht nach Österreich zurück. Granowksy ] Zu Alexander (Alexis) Granowksy s. Schmitz, Warum nicht unser Theater, oben S. 205. Zu Granowskys Regiestil vgl. [Anonym]: Neue jüdische Bühnenkunst. Äußerungen des Leiters des Moskauer Jiddischen Kammertheaters Alexis Granowsky. In: Die Stimme, 19. April 1928; [Anonym]: Gespräch mit Alexei Granowsky. In: Neue Freie Presse, 7. September 1928. Carl-Theater ] Vgl. Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien, oben S. 170f. Moskauer »Proletkult« ] Teil der »Kulturabteilung« der revolutionären Kommunisten. Sergej M. Eisenstein war ab Oktober 1920 Leiter der Bühnenbild- und Ausstattungsabteilung des »Ersten Arbeitertheater des Proletkult«. Der Proletkult hatte auch ein Regiestudio. Von April 1921 bis Ende 1922 arbeitete Eisenstein als Regisseur beim Proletkult, im Juni 1922 wurde er Leiter der Theaterabteilung, danach Regisseur der Wandertruppe des Moskauer Proletkult. Theater »Meyerholds« ... »Theater der Revolution« ] Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold (1874-1940), war Regisseur und Theatertheoretiker. Er begann als

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Anhang Schauspieler an Stanislawskis Moskauer Künstlertheater, widmete sich aber bald der eigenen, experimentellen Regie als der Gegenposition zu Stanislawskis Naturalismus. Meyerhold revolutionierte den Schauspielstil mithilfe eines von ihm entwickelten Schauspieltrainings, der Biomechanik. Von 1913 bis 1918 leitete er das Meyerhold-Studio. Nach der Revolution gründete er 1922 erneut ein eigenes Studio, das bis 1938 bestand. Von 1922 bis 1924 leitete Meyerhold neben dem eigenen Studio auch das Moskauer Theater der Revolution. Tairow ] Vgl. Schmitz, Warum nicht unser Theater, oben S. 205. »Habima« ] Vgl. Die Habima in Wien, oben S. 82f.; Saiten, Gastspiel »Habima«, oben S. 83f.; Tschemerinski, Bei den Proben des »Dybuk«, oben S. 85f.; Nussenblatt, Richard Beer-Hofmann über die Habima, oben S. 88f. Moskauer Jüdisch-akademische Theater ] Das Moskauer Jüdisch-Akademische Kammertheater, auch Goset genannt, hatte sich 1919 in Petrograd formiert und 1920 in Moskau etabliert. Ähnlich der hebräisch spielenden Habima hielt dieses jiddische Ensemble eine bewußte und kritische Distanz zum traditionellen jiddischen Theater. Gosets Ziel war es, der jüdischen Nation ein permanentes jiddisches Kunsttheater zu bieten. Goset verdankte seinen ersten großen Erfolg einem Programm mit dem Titel Mazel Tow, das auf Texten von Scholem Alejchem basierte; Marc Chagall hatte zu dieser Zeit die Wandgemälde für den Theatersaal fertiggestellt, auch Bühnenbild, Kostüme und Maske des Scholem Alejchem-Abends stammten von ihm. Die weiteren berühmten Inszenierungen von Goset hatten ebenfalls jiddische Klassiker als Grundlage {Die Zauberin und Das zehnte Gebot von Abraham Goldfaden, 200.000 [= Der große Gewinn] von Scholem Alejchem, Bei Nacht auf dem alten Markt von Jizchok Leib Perez, Die Reise von Benjamin III. von Mendele Moicher Ssforim), doch anders als vom Ensemble der Habima oder vom traditionellen jiddischen Theater wurden sie von Goset als hochartifizielle »multimedia events« in expressionistischen bis konstruktivistischen Bühnenräumen in Szene gesetzt. Vgl. Benjamin Harshav: Chagall. Postmodernism and Fictional Worlds in Painting. In: Mark Chagall and the Jewish Theater. Published by the Guggenheim Museum New York. Thomer Press 1992, S. 15-63, hier S. 43. Siegeszug durch ganz Europa nun auch in Wien im Carl-Theater ] Dieses jiddische Ensemble trat unter verschiedenen Namen auf: 1919 in Petrograd hieß es Jiddisches Kammertheater, nachdem es 1920 nach Moskau gekommen war, wurde es Gosket (Staatliches Jiddisches Kammertheater) genannt, 1924 in Goset (Staatliches Jiddisches Theater) umbenannt; eine zeitlang hieß es auch Staatliches Akademisch-Jüdisches Theater. In den zeitgenössischen Kritiken formiert Goset vorwiegend unter Moskauer jiddisch-akademisches Theater oder Moskauer Jüdisch-akademisches Kammertheater. Das Moskauer Jüdisch-Akademische Kammertheater gastierte in Belgien, Deutschland, Frankreich, Holland und Österreich. Nach Triumphen in Berlin trat es von 31. August bis 22. September 1928 im Wiener Carltheater auf. Das Theater Granowskys ist kein Theater der Probleme ] Die Schauspieler wurden von Alexis Granowsky und den besten russischen Lehrern in Musik, Rhythmus, Tanz, Gestik, Choreographie und Sprechtechnik ausgebildet; außerdem befaßten sie sich mit der jiddischen Sprache, Literatur und Volksmusik. Die Darsteller waren für Granowsky nur ein Element einer Aufführung, genauso wichtig waren ihm Text, Musik, Bühnenbild und Lichtregie. Scholem »Aleichems« Lustspiel »Der Haupttreffer« ] Vgl. Dramen, oben S. 145. In Wien wurde das Stück unter dem Titel Der große Gewinn 1924 vom New Yorker Jüdischen Kunsttheater gezeigt.

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»Pulver« ] Leo Pulver (Werchniedneprovsk, Rußland 1884-unbekannt), russischjüdischer Komponist und Dirigent, machte schon als Kind mit seinem Vater Musik, erhielt eine professionelle Violinausbildung und wurde Dirigent und Komponist in Petersburg und Moskau. Er schrieb die Musik zu nichtjüdischen und jüdischen Theaterstücken, und auch Gesänge und Lieder, die sehr populär waren. »Michoels« ] Solomon Michoels, s. Schauspieler, oben S. 159. die Damen »Rottbaum« und »Romm« ] Nicht ermittelt. »Gärtner, Suskin, Goldblatt« ] Jacob Gärtner (Warschau 1900-unbekannt), Schauspieler, kam 1920 zur Wilnaer Truppe, ging aber nach kurzer Zeit schon nach Moskau, wo er mit Granowsky arbeitete und Mitglied des Moskauer Jüdischen Kammertheaters wurde. Benjamin Suskin (Zuskin), (1899-1952) war der komische Star des Moskauer Jüdischen Kammertheaters. Moshe Goldblatt (Hertza, Rumänien 1896-unbekannt), Schauspieler und Regisseur, trat mit rumänischen und jiddischen Truppen in Rumänien und Rußland auf. 1920 kam er nach Moskau, wo er als Student im Studio des Moskauer Jüdischen Kammertheaters aufgenommen wurde; 1923 wurde er Ensemblemitglied. Goldblatt war auch Regisseur kleinerer Ensembles und übersetzte jiddische Dramen ins Russische. »Rey« und »Finkelkraut« ] Nicht ermittelt. Das Theater Granowskys ... das Wiener Publikum erobert ] Das Gastspiel von Goset in Wien fand große Beachtung, alle Inszenierungen wurden in den großen Tageszeitungen ausführlich besprochen. Die ästhetische Ausrichtung dieser jiddischen Theatergruppe fand - nach der ersten Begeisterung - allerdings nicht nur Beifall. So schrieb Emil Kläger anläßlich der dritten Premiere von Goset, einem Spiel nach Goldfadens Die Zauberin: Die Kostüme der Darsteller sollten die Bühne schmücken - »Also Menschen als Tapete, als Raumschmuck. Es ist eben doch gehirnmäßig erdachtes, in erster Linie: sensationelles Theater. Kalt, gelegentlich verblüffend, fast immer interessant, aber niemals tiefer berührend. Die kleine Geschichte von dem schönen Mírele, um dessen Verspottung sich acht Bilder bemühten, war längst mausetot, als man sich noch immer an ihrem Leichnam erlustigte.« (Emil Kläger: Granowskys Theater aus Moskau. In: Neue Freie Presse, 15. September 1928) Oskar Rosenfeld erschien Granowskys Regiestil als Assimilationserscheinung: »Eine[r] seiner ersten beißenden Kritiken galt dem Gastspiel des Moskauer Jüdisch-Akademischen Theaters Granowskys. Dessen Versuch, die Welt der Humoresken Scholem Alejchems mit dem modernen mechanistischen Revolutionstheater zu verbinden, erschien Rosenfeld als Austreibung der jüdischen SeeleAssimilantentum< und sei es auch die Assimiliation an die zeitgenössischen revolutionären Bewegungen.« (Hanno Loewy: Vorwort. In: Oskar Rosenfeld: Wozu noch Welt? Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz. Frankfurt a. M.: Verlag Neue Kritik 1994, S. 7-34, hier S. 18) Zur Rezeption von Goset in Wien vgl. Dalinger, »Verloschene Sterne« (Diss.) (s. Schriftenverzeichnis), S. 172ff. Arbeiter-Zeitung ] Vgl. J. L. S., Eine Tragödie der Arbeit, oben S. 185.

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S. W. Baratoff contra Strindberg

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S. W.: Baratoff contra Strindberg. In: Die Stimme, 1. April 1932

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S. W. ] Nicht ermittelt. Baratoff contra Strindberg ] Der Verfasser der Kritik setzt im Titel zwei Formen von Theater bzw. Darstellung, die weit auseinander zu sein scheinen, gegeneinander: Den expressiven, ins Pathetische gehenden Darstellungsstil des russischen

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Schauspielers Paul BaratofF, der auf der jiddischen Bühne bekannt wurde; und das Drama Der Vater des skandinavischen Dramatikers August Strindberg, das bei oberflächlicher Betrachtung kaum ins Repertoire jiddischer Bühnen paßt. Doch auch im frauenfeindlichen Vater finden sich Elemente, die die jiddischen Ensembles ansprachen: Inhaltlich die Beschäftigung mit den Beziehungen innerhalb der Familie, die ein bestimmendes Element der jiddischen Dramatik ist; und - theaterpraktisch - die Chance auf eine große Rolle, die Paul Baratoff offensichtlich wahrnahm. Zu Baratoff s. Schauspieler, oben S. 155. Adwentowicz ] Karol Adwentowicz (1871-1958), poln. Schauspieler, später auch Regisseur und Theaterleiter, begann seine Bühnenlaufbahn vor 1900. Er war an zahlreichen Bühnen engagiert, vor allem nach 1945 trat er in großen Rollen hervor, besonders erfolgreich war er in romantischen Theaterstücken und Dramen von Shakespeare. Die Stimme ] s. An die jüdischen Vereine Wiens! oben S. 173.

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Abisch Meiseis: Interessanter Brief von Stefan Zweig

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Abisch Meiseis: Interessanter Brief von Stefan Zweig [Zeitungsartikel ohne Quellenangabe]. In: Erinnerungsalbum Abisch Meiseis, Archiv des Jüdischen Museums Wien [jidd.]. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Brigitte Dalinger.

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Abisch Meiseis ] Vgl. Autoren, oben S. 138f. Interessanter Brief von Stefan Zweig ] Ein immer wieder angesprochener Punkt bei der Beschäftigung mit jiddischer Kultur im deutschsprachigen Raum ist die Frage nach den Beziehungen zwischen deutsch-jüdischen und jiddischen Autoren und Intellektuellen bzw. den von ihnen vertretenen Kulturen. Dazu kann grundsätzlich gesagt werden, daß diejenigen deutsch-jüdischen Autoren - etwa Franz Kafka, Arthur Schnitzler, Alfred Döblin, Felix Saiten - die sich für osteuropäischjiddische Lebensart und Kultur interessierten, auch das jiddische Theater interessiert rezipierten. Die Zugänge sowie der Umgang mit der jiddischen Kultur waren jedoch ebenso unterschiedlich wie die Werke der genannten Autoren (s. Nussenblatt, Richard Beer-Hofmann über die Habima, oben S. 88f.). Vgl. Dalinger »Verloschene Sterne« (s. Schriftenverzeichnis), S. 183ff. Im tschechischen Kurort Marienbad... ein jiddisches Theater ] Zu den Gastspielen in Marienbad vgl. Dalinger, »Verloschene Sterne« (s. Schriftenverzeichnis), S. 132ff. Bialik... Lewin ... Nimerower ] Chajm Nachman Bialik (Radi bei Zitomyr 18731934 Wien) war einer der wesentlichsten Autoren der neuhebräischen Literatur. Berühmt wurde er vor allem fur seine Gedichte und Essays sowie für seine Übersetzer· und Herausgebertätigkeit. Schemaijahu Lewin (1876-1935) schrieb und publizierte in hebräischer und jiddischer Sprache und war einer der Leiter der Zionistischen Bewegung. Dr. Nimerower nicht ermittelt. Sevilla Pastor ] Vgl. Schauspieler, oben S. 160. Juden fahren nach Palästina ] Im jiddischen Original Yidn fom keyn Erez Jisroel, eine Revue-Operette in 2 Akten und 10 Bildern von Abisch Meiseis, wurde 1940 auch in London aufgeführt. Schalom Asch ] Vgl. Autoren, oben S. 134f. Dr. Weizmann ] Chajim Weizmann (Motyli bei Pinsk, Rußland 1874-1952 Rehotov, Israel), zionistischer Politiker und Chemiker; 1948-1952 erster Staatspräsident Israels.

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Jesekiel Lifschütz: Ein interessantes Bühnenjubiläum

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Dr. L-tz: Ein interessantes Bühnenjubiläum. In: Freie Tribüne, Jg 2, Nr 8, 21. Februar 1920

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Jesekiel Lifschütz ] Der Artikel ist nur mit »Dr. L-tz« gezeichnet, vermutlich ein Kürzel für Jesekiel Lifschütz, den Herausgeber der Zeitschrift Jüdisches Theater, s. Lifschütz, Tendenz und Ereignis des jüdischen Theaterlebens, oben S. 187. Schulim Podzamcze ] Vgl. Schauspieler, oben S. 161. Zeit des Badchens und des vagabundierenden Volkssängers ] Der Badchen, jidd. »badkhen«, war der traditionelle Unterhalter auf jüdischen Hochzeiten. Die jüdischen Volkssänger, auch »Broder Singer« (oder Sänger) genannt, gelten als Vorläufer des professionellen jiddischen Theaters (s. Goldfaden, Die Musik meiner jüdischen Singspiele, oben S. 216). Beri, Ephraim und Kofke Dibinski ] Der erste Singer, Ber Margóles, nannte sich Beri Broder (um 1815-um 1868 o. 1886) und kam aus Brody in Galizien. Kofke Dibinski, auch Dubinski (Lebensdaten unbekannt, gestorben in den 1880er Jahren in Brody, war ebenfalls einer der frühen Broder Singer); er hatte sich auf Kinderrollen spezialisiert. - Ephraim Dibinski nicht ermittelt. Lieder vom »armen Melamed« ... »finstern Balhagole« ... »bidnem Pastech« ] Der »melamed« (jidd.) ist der Kleinkinderlehrer, der die Kinder meist in seinem Haus unterrichtete (im »chejder«); er galt als sprichwörtlich arm. Mit dem »finsteren Balhagole« ist ein trauriger Fuhrmann gemeint, nach dem jidd. »finster balególe«. Der »bidne Pastech« ist ein armer Hirte, nach dem jidd. »bidne«, arm, und »pastekh«, Hirte. Eljakum Zunser und Welwel Zbaradzer ] Eljakum Zunser (Eliakum) (1836-1913) war ein berühmter »badkhen« und Broder Singer; er ging nach New York. Zu Welwel Zbaradzer (Velvl Zbarzher-Ehrenkrants), Dichter und Rezitator, s. Goldfaden, Die Musik meiner jüdischen Singspiele, oben S. 216. Abraham Goldfaden ] Vgl. Autoren, oben S. 135£; s. Goldfaden, Die Musik meiner jüdischen Singspiele, oben S. 65f. D. Pinsky ] David Pinski, s. Autoren, oben S. 140. David Pinski schrieb auch über die jiddische Dramatik. Sein Text »Das jüdische Drama. Ein Überblick über seine Entwicklung« wurde in deutscher Übersetzung in Wien publiziert und erschien in der Jüdischen Zeitung, 1909, Nr 32, 34, 38/39,43,44. Lifschütz bezieht sich auf den zweiten Teil des »Überblicks«, in Nr 34, der folgendermaßen beginnt: »Goldfaden, der Gründer des jüdischen Theaters, nimmt den Badchen zum Ausgangspunkt seines Schaffens, insofern, als er ihn durch seine Theaterstücke ersetzen will.« Kune Lemel, Schmendrik ] Lifschütz bezieht sich auf die Hauptfiguren in zwei von Abraham Goldfadens populärsten Komödien. Kune Lemel ist die Titelfigur in Die beiden Kune-Lemel (Di tsvey kuni-lemels) (s. Dramen, oben S. 145). Schmendrik ist die Titelfigur in Schmendrik oder Die komische Hochzeit (s. Dramen, oben S. 152f.). »Großmutter und Enkel« ... das erste Stück Goldfadens ] Ob Großmutter und Enkel das erste Stück Goldfadens war, ist nicht genau festzustellen. Auf jeden Fall aber war es eines seiner frühesten dramatischen Texte, geschrieben für nur zwei Schauspieler (s. Dramen, oben S. 150). so spielten eben Männer auch die weiblichen Rollen ] Zur Entstehungszeit der ersten Theatertexte von Goldfaden, 1876, traten Männer in Frauenrollen auf, be-

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Anhang reits 1877 aber standen schon Frauen auf der jiddischen Bühne. Die Rollen alter Frauen wurden im jiddischen Theater noch lange von Männern übernommen, die Titelrolle von Goldfadens Die Zauberin (Di Kishefinakherin) wird noch heute gerne von Männern gespielt. Podzamcze ... spielte ... in Newyork, Boston, Philadelphia ] 1891 brachte ein gewisser Mandeltort den sehr populären Podzamcze nach New York, wo er in der Bowery im Rumanian Opera House sowie in der Grand Street im Grand Museum auftrat, außerdem soll er auch außerhalb von New York gastiert haben. 1893 kehrte Podzamcze nach Galizien zurück. Lateiner, Horowitz, Schomer] Joseph Lateiner, s. Autoren, oben S. 138. Horowitz, eigentlich Moshe Hurwitz (1844—1910), bot bereits 1877 Goldfaden ein Drama an, das dieser wegen schlechter Qualität ablehnte. Hurwitz bildete eine eigene jiddische Theatertruppe (die 1880 auch in Wien auftrat); er war Leiter dieser Truppe, Schauspieler und Dramatiker, 1886 ging er nach New York. Schomer, eigentlich Nokhem Meyer Shaikevitch (1849-1905), war Verfasser sehr populärer jiddischer Novellen, bevor er Goldfaden traf und begann, seine Stoffe für die Bühne einzurichten. Bühne der sog. »Polnischen« ] Vgl. Waldmann, Bei den »Polnischen«, oben S. 12f. Der Goldfadenschule folgte ... unsere »Freie jüdische Volksbühne« ] Damit umreißt der Autor die Geschichte des jiddischen Dramas und Theaters, von Goldfaden über Gordin bis zu Aschs und Pinskis Werken (zu den genannten s. Autoren, oben S. 134f.). Podzamcze übernahm auch Rollen in neuen Dramen, etwa 1919 und 1920 im Rahmen der Freien Jüdischen Volksbühne auf, in Gott der Rache: »Die gestrige Auffuhrung von Schalom Asch '[s] Drama Gott der Rache in der Ursprache war ein voller Erfolg und schon deshalb von besonderem Interesse, weil das Stück von zahlreichen Deutschen [!] Aufführungen her bekannt ist. So hatte das Publikum Gelegenheit, an Gestalten, wie sie beispielsweise Frau Siegel, Herr Reissmann, und ganz besonders der treffliche Künstler Podzamcze lebendig werden ließ, zu sehen und zu hören, was an der jüdischen Schauspielkunst wesentlich ist und was verloren geht, wenn diese Bühnendichtungen in deutscher Übertragung gespielt werden.« Otto Abeles: Freie jüdische Volksbühne. In: Wiener Morgenzeitung, 23. November 1919. Podzamcze trat auch in Der Dorfsjing von Leon Kobrin und Der Landsmann, Komödie von Schalom Asch, auf. Vgl. Wiener Morgenzeitung, 23. Dezember 1919, 24. März 1920. Keine Erwähnung Podzamczes gibt es in Kritiken zu Aufführungen von Pinski-Dramen. Freie Tribüne ] Die Freie Tribüne, Organ der jüdischen sozialdemokratischen Partei »Poale Zion« Wien, erschien von 1919 bis 1922. Als Nachfolgerin gilt Unsere Tribüne, Organ der jüdischen sozialdemokratischen Arbeiterorganisation Poale Zion, Wien, 1924 bis 1926. Beide Blätter brachten regelmäßig Kritiken und Feuilletons über das jüdische Theater und seine Dramatiker.

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Siegfried Schmitz: Jona Reißmann

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Siegfried Schmitz: Jona Reißmann (Zu seinem 60. Geburtstag). In: Wiener Morgenzeitung, 1. Januar 1922

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Siegfried Schmitz ] Vgl. Schmitz, »Dzejkale Blojfer« jubiliert, oben S. 200. Jona Reißmann ] Zu Reissmann, s. Schauspieler, oben S. 161f. Meixner, Waßmann, Tieischer ... Girardi, Pallenberg ... Römpler ] Karl Meixner (Königsberg 1818-1888 Wien), wurde 1850 als Charakterkomiker ans Wiener Burgtheater berufen. Hans Waßmann (Wassmann) (Berlin 1873-1932 ebd.), Schau-

Quellennachweise und Stellenkommentare

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Spieler, spielte bei Otto Brahm und später bei Max Reinhardt in Berlin. Guido Thielscher (Königshütte, Oberschlesien 1859-1941 Bad Salzbrunn, Schlesien), Schauspieler, begann bei einem Wanderzirkus, spielte von 1880 bis 1933 an verschiedenen großen Theatern in Berlin. Alexander Girardi (Graz 1850—1918 Wien), populärer Komiker, Sänger und Schauspieler, trat auf Wiener Operettenbühnen sowie im Burgtheater auf. Max Pallenberg (Wien 1877-1934 Prag), begann seine Bühnenlaufbahn 1895 als Charakterkomiker und wirkte seit 1904 an Wiener Theatern, später auch in München und Berlin. Alexander Römpler (Berlin 18601909 Wien), trat auf verschiedenen deutschen Bühnen auf und kam 1890 ans Burgtheater nach Wien. Scholem Alejchems ] Vgl. Autoren, oben S. 140. Reißmann als fahrender Sänger ] Vgl. Reissmann, Mein Gastspiel in Mikolajew, oben S. 102f.; Botoschanski, Zwischen Vorhang und Leinwand, oben S. 106f. Schabbesgast ...an den Sabbatmahlzeiten im Osten ] In jüdischen Gemeinschaften war es Brauch, daß die Männer am Freitagabend, nach dem Gebet in der Synagoge, einen Gast zum Sabbatmahl einluden. »Dieser Gast war nicht ein Freund, sondern ein fremder Durchreisender, der sich den Aufenthalt in einem koscheren Hotel oder Restaurant nicht leisten konnte - oft gab es in dem betreffenden >Städtl< auch gar keine Gaststätte außer einer Schnapskneipe.« (Salcia Landmann: Die jüdische Küche. Rezepte und Geschichten. München: Mary Hahn Verlag 1995, S. 89f.) »Jontel Schnorrer« in Goldfadens »Meschiachs Zeiten« ] Vgl. Dramen, oben S. 151. Der Landsmann ] Die Komödie entstand während Schalom Aschs Aufenthalt in New York 1909 und setzt sich mit dem jüdischen Leben in der »neuen Heimat« auseinander. Der Landsmann gehörte zum Repertoire der Wilnaer Truppe (s. Karfrini, »Der Dibbuk«, oben S. 223) und hatte in der Inszenierung der Freien Jüdischen Volksbühne 1920/21 in Wien großen Erfolg. Pinskis »Eisik Scheftel« ] Vgl. Dramen, oben S. 148f. Gordins »Gott, Mensch und Teufel« ] Vgl. Dramen, oben S. 149f. um durch seine Kunst an diesem Aufbau mitzuarbeiten ] Jona Reissmann beteiligte sich auch an ambitionierten Initiativen wie dem dramatischen Kreis des Vereins »Zion« und an der Freien Jüdischen Volksbühne. Jekel der Schmied] Jakob der Schmied von David Pinski, s. Dramen, oben S. 151. Wiener Morgenzeitung ] Vgl. Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien, oben S. 171.

101 Abisch Meiseis: Salcia Weinberg ED

Abisch Meiseis: Salcia Weinberg (Zu ihrem 30-jährigen Bühnenjubiläum). In: Jüdische Morgenpost, 28. März 1924 [jidd.]. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Thomas Soxberger.

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Abisch Meiseis ] Vgl. Autoren, oben S. 138f. Salcia Weinberg ] Vgl. Schauspieler, oben S. 165. Der alte Gimpel ] Jacob Ber Gimpel gründete 1888 (1889) in Lemberg das erste stehende jiddische Theater Galiziens. Viele jiddische Schauspieler starteten dort ihre Karriere oder gastierten bei Gimpel. Das Theater war beim Publikum sehr populär und ein gefragter Ort für Talentesucher des amerikanisch-jiddischen Theaters. Mit 15 Jahren heiratete sie ] Den Schauspieler Hermann Weinberg. Bezahlung der Unterkunft ] Zu den Auftrittsbedingungen der Volkssänger s. Reissmann, Mein Gastspiel in Mikolajew, oben S. 102f.; Perlmutter, Der »Großvater« des jiddischen Theaters in Galizien, oben S. 122f.

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Anhang von Edelhofer im Jahr 1901 nach Wien gebracht ] Vgl. Marmorek, Ein jüdisches Theater in Wien, oben S. 9f.; Waldmann, Bei den »Polnischen«, oben S. 12f. der geniale Silber aus Amerika ] Nicht ermittelt. >Schabess, jontef un rosch-chojdesch< ] Sabbath, Feiertag und feierlicher Beginn des jüdischen Monats. Alle drei stehen für besonders festliche Tage. Jüdische Morgenpost ] Vgl. An alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa, oben S. 172.

102 Jona Reissmann: Mein Gastspiel in Mikolajew ED

Jona Reissmann: Mein Gastspiel in Mikolajew. Jüdische Morgenpost, 19. März 1926 [jidd.]. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Thomas Soxberger.

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Jona Reissmann ] Vgl. Schauspieler, oben S. 161 f. Mikolajew ] Vermutlich Mikolajiv, südlich von Lemberg (Lwow), wo um 300 Juden lebten. Spatzer ] Leon Spatzer (Galizien, unbekannt-1917 Bukarest) war eigentlich Schuster, zog mit anderen Broder Singern durch Rumänien und Galizien. Er verfaßte einige Lieder und kurze Szenen. Nach Zylbercweig hatten viele der wandernden Sänger einen »Brotberuf«, zu dem manche von ihnen zurückkehrten. Vgl. Zylbercweig, Leksikon (s. Schriftenverzeichnis), Bd 1, S. 219. Brodersinger und Volkssinger. »laybtsidekl« ] Jidd., ein anderer Ausdruck für »taliskotn«, die Schaufaden religiöser Juden. Businow, Katinkan ... Tschershets ] Businow, Katinkan nicht ermittelt. Tschershets: vermutlich Shtshirets, südlich von Lwow. David Klinghof er ] Nicht ermittelt. »koyletshlekh« ] Jidd., pl. von »koyletsh«, ein geflochtenes Weißgebäck für Freitagabend. Der Zettel hängt im Fenster ] Zu den Auflrittsbedingungen der Volkssänger s. Meiseis, Salcia Weinberg, oben S. 101; Perlmutter, Der »Großvater« des jiddischen Theaters in Galizien, oben S. 122f. »Stacja Mikolajew-jedna minuta« ] Poln., »Station Mikolajew, eine Minute.« »ikh oremer ... finster geleger« ... »Jantschi-Bantschi« ] Das Lied handelt vom »Matseyve-shleger« (jidd., Grabsteinhauer). Die Verse lauten: »Ich armer Grabsteinhauer, ich lieg' auf einem elenden Lager«. Das Leben jüdischer Handwerker war ein bevorzugtes Motiv der Lieder der Broder Singer. »Jantschi-Bantschi« nicht ermittelt. Jüdische Morgenpost ] Vgl. An alle jiddischen Theaterdirektoren in Europa, oben S. 172.

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104 Ben Nathan: Er kam nach Amerika, um auf der jiddischen Bühne zu spielen, und machte sich einen Namen auf der englischen ED

Ben Nathan: Er kam nach Amerika, um auf der jiddischen Bühne zu spielen, und machte sich einen Namen auf der englischen. Ein Interview mit Egon Brecher, dessen 50-jähriges Bühnenjubiläum morgen im Civic Repertory Theatre gefeiert wird. In: The Day, New York, 14. Februar 1930 [jidd.]. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Thomas Soxberger.

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Ben Nathan ] Journalist, publizierte u. a. in der jiddischen Tageszeitung The Day (der tog).

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Egon Brecher ] Vgl. Schauspieler, oben S. 156. Civic Repertory Theatre ] Das Civic Repertory Theatre war ein Ensemble, das 1926 von der Schauspielerin Eva Le Gallienne in New York gegründet wurde, mit dem Ziel, die Tradition des Repertoiretheaters in Amerika wieder zu etablieren. Bis 1933 wurden klassische und moderne Dramen aufgeführt, u. a. Drei Schwestern von Tschechow und Ibsens John Gabriel Borkman. 104 Gideon Brecher ... »Das Transzendentale im Talmud« ] Gideon Brecher (1797— 1873), aus Prossnitz, Mähren, war Arzt und Gelehrter; 1850 erschien sein Werk »Transcendentale Magie und magische Heilarten im Talmud«. 104 Rabbiner Markus Jastrow ] Marcus Mordecai Jastrow (1829-1903), geboren in Polen, studierte in Deutschland, war Rabbiner und Gelehrter in Warschau und Worms. 1866 ging er in die USA. 105 Jarno ] Josef Jarno (Budapest 1865-1932 Wien) war Schauspieler und ging nach Berlin, wo er Direktor verschiedener Theater wurde. 1899 pachtete er das Josefstädter Theater in Wien. Jarno hatte bis 1923 die Konzession für dieses Haus; unter seiner Direktion bespielte das Ensemble im Sommer auch das Lustspieltheater im Prater. In den Jahren 1900 bis 1913 setzte sich Jarno für die Pflege des zeitgenössischen literarischen Dramas ein. 1919-1922 war Jarno gemeinsam mit Wilhelm Karzag auch Direktor des Wiener Stadttheaters. 105 unter seiner eigenen Regie] Im jiddischen Original ist es unklar, auf welchen Regisseur (Egon Brecher oder Josef Jarno) sich diese Angabe bezieht. 105 Jarno lud ihn sofort ans Wiener Stadttheater ein ] Brecher war von 1910 bis 1921 an den Jarno-Bühnen (Theater in der Josefstadt, Lustspieltheater im Prater und Neues Wiener Stadttheater) tätig. 105 Brecher ... mit seinen glänzenden Inszenierungen ] Brecher inszenierte 1919 im Wiener Komödienhaus (s. J. L. S., Eine Tragödie der Arbeit, oben S. 184). 105 beschloß Egon Brecher, ein jiddisches Theater in Wien zu gründen ] Brecher war einer der Mitbegünder der Freien Jüdischen Volksbühne. Vgl. Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien, oben S. 4f.; Rawitsch, Freie Jüdische Volksbühne, oben S. 22f.; Lifschütz, Tendenz und Ereignis, oben S. 23f.; Kläger, Theater in der Josefstadt, oben S. 24f.; Abeles, Ein Jahr Freie jüdische Volksbühne, oben S. 27f.; Horowitz, Vom Wirtshaus zum Kunsttheater, oben S. 29f.; Dorfsohn [= Harendorf], Das jüdische Theaterproblem in Europa, oben S. 33f.; Brecka, Freie Jüdische Volksbühne, oben S. 114. 105 Dramen von Peretz, Pinski ] Vgl. Autoren, oben S. 139f. 105 Talente wie Paul Baratoff und andere ] Zum Ensemble der Freien jüdischen Volksbühne s. Rawitsch, Freie Jüdische Volksbühne, oben S. 22f. 105 die deutsche Theaterwelt mit jiddischen Werken bekannt zu machen ] Brecher war 1909/10, Jahre vor der Gründung der Freien Jüdischen Volksbühne, an deutschsprachigen Inszenierungen jiddischer Dramen beteiligt (s. Aufruf. Verein »Jüdische Bühne«, oben S. 3f.; J. L. S., Eine Tragödie der Arbeit, oben S. 184). 105 Wilner] Max Wilner (New York 1881-unbekannt), Manager und Leiter verschiedener jiddischer und englischer Theater, brachte einige Schauspieler von Europa nach Amerika, etwa Esther Rachel Kaminska und Mischa Fischson. 105 in einer Hauptrolle in »Liliom« ] 1921 in Wien war Brecher ebenfalls in Molnars Liliom aufgetreten, als Ficsur. Vgl. Ast: Ficsur ... Egon Brecher. In: Komödie, 19. Februar 1921. 105 Le Gallienne ] Eva Le Gallienne (1899-1991), amerikanische Schauspielerin, Regisseurin und Theaterleiterin, trat seit 1915 in den USA auf, 1926 gründete sie

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Anhang das Civic Repertory Theatre (s. obige Anm.). 1946 war sie Mitbegründerin des American Repertory Theatre, an dem sie auch Regie führte. Le Gallienne setzte sich fur anspruchsvolle europäische Schauspielkunst und Dramatik in den USA ein und wurde mit zahlreichen Awards ausgezeichnet. Arthur Schnitzlers »The Call of Life« ] Der Ruf des Lebens (UA 1906). Dramentitel im Original in englischer Sprache. Serais »The Cradle Song« ] Nicht ermittelt. Dramentitel im Original in englischer Sprache. Moliers »The Would-Be Gentleman« ] Auch Tartuffe oder Der Heuchler (UA 1664). Dramentitel im Original in englischer Sprache. The Women Have Their Way ] Vermutlich A Woman's Way, a play in three acts by Thompson Buchanan (UA 1909). Dramentitel im Original in englischer Sprache. The Day ] Die jiddische Tageszeitung Der tog (The Day) wurde 1914 in New York gegründet und 1953 mit dem (ebenfalls jiddischen) Jewish Mourning Journal vereint. Diese Quelle befindet sich in der Michael Preiss Collection, RG 506, im YIVO Institute for Jewish Research.

106 Samuel Jacob Harendorf: Theater-Notizen ED

[Anonym]: Theater-Notizen. Adolf Bell. In: Jüdische Wochenpost, 1. Mai 1931 [jidd.]. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Brigitte Dalinger und Thomas Soxberger.

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Samuel Jacob Harendorf ] Dieser Artikel erschien ohne Verfasserangabe. Da S. J. Harendorf aber der Herausgeber dieser Zeitung war und darin regelmäßig über jiddische Theaterereignisse schrieb, ist anzunehmen, daß er auch diese »TheaterNotiz« verfaßt hat. Zu Harendorf s. Dorfsohn [= Harendorf], Das jüdische Theaterproblem in Europa, oben S. 194f. Adolf Bell ] Vgl. Schauspieler, oben S. 155. in der »Jüdischen Bühne« in der Taborstraße] 1930/31 bespielte die Jüdische Bühne den Saal des Hotel Stefanie in der Taborstraße. Zur Jüdischen Bühne s. -ed., Jüdisches Theater in Wien, oben S. 202. ein Ehrenabend ] Sogenannte »Ehrenabende« aufgrund von Jubiläen gab es bei den jiddischen Ensembles in Wien des öfteren, s. Grob, Eine Trauerandacht mit Gesang und Tanz, oben S. 40,198. Bei Gimpel und bei B. Hart ] Zu Jacob Ber Gimpel s. Meiseis, Salcia Weinberg, oben S. 241. Ber Hart (Lebensdaten unbekannt), stammte aus Rawa Ruska, Galizien, und war in Gimpels jüdischem Theater in Lemberg tätig. Hart hatte bald eine Truppe in Tarnopol, die bei Schauspielern und Publikum beliebt und erfolgreich war. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Hart polnischer Staatsbürger, leitete ein Ensemble in Drohobycz und reiste durch Galizien. Aus Wien engagierte er unter anderen Isaak Deutsch und Lea Weintraub-Graf. Er versuchte die besten Schauspieler nach Galizien zu bringen. Während des Zweiten Weltkrieges blieb er in Drohobycz, wo er und seine Familie umkamen. Mischa German, Michalesko ] Mische (Mischa) German (Bolshoi, Krim 1887— unbekannt), Schauspieler und Sänger, trat in jungen Jahren in russischen und jüdischen Theatern in Odessa und Warschau auf. Nach seiner Auswanderung in die USA widmete er sich der Musik, danach trat er mit verschiedenen jiddischen Ensembles (etwa in Maurice Schwartz' Jüdischen Kunsttheater) in ganz Nordamerika auf und wirkte auch in jiddischen Filmen mit. Michal Michalesko

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Quellennachweise und Stellenkommentare

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(Kovalovka, Ukraine 1888-unbekannt) begann seine Karriere als Schauspieler mit zwölf Jahren; er reiste in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mit verschiedenen Truppen durch Rußland und Polen. 1920 kam er nach London, 1922 trat er im Second Avenue Theater in New York auf, an dem er zum Star avancierte. Michalesko spielte mit verschiedenen amerikanisch-jiddischen Truppen, auch in Chicago, und galt als einer der bestaussehendsten Schauspieler des jiddischen Theaters. 106 Jüdische Wochenpost ] Auch Yidishe wokhenpost wurde von Samuel Jacob Harendorf herausgegeben. Verantwortlicher Redakteur war Isaak Juris. Das jiddische Periodikum erschien von Nummer 1, 17. Oktober 1930, bis zur Doppelnummer 48/49, 25. September 1931. In dieser Zeit wurden regelmäßig Ankündigungen und Kritiken zum jiddischen Theater publiziert. Ein Verlagsort ist in der Yidishen wokhenpost nicht angegeben, vermutlich erschien sie in Wien.

106 Jakob Botoschanski: Zwischen Vorhang und Leinwand ED

Jakob Botoschanski: Zwischen Vorhang und Leinwand (Aus dem Notizbuch eines Theatermannes). In Wien hat man ein Häufchen Knochen der Erde übergeben und ein Stück Theatergeschichte dazu. Zum Tod von Jona Reissmann. In: Die Presse, 1. April 1932 [jidd.]. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Thomas Soxberger.

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Jakob Botoschanski ] Botoschanski, auch Jacob Botoshansky (1892-1964), war jiddischer Erzähler, Journalist, Kritiker und verfaßte auch Theaterstücke, etwa Herscheie Ostropoler. Botoschanski stammte aus Bessarabien, war bis 1926 in Rumänien aktiv und ging dann nach Buenos Aires, wo er eine wichtige Rolle im jüdischen Kulturleben innehatte. In Wien hat man ein Häufchen Knochen der Erde übergeben] Der jiddische Schauspieler Jona Reissmann starb am 27. Oktober 1932 in Wien. Keine der großen Wiener Tageszeitungen widmete seinem Tod auch nur eine Zeile - doch gleich zwei ihm gewidmete Artikel erschienen in der jiddischen Zeitung Die Presse (di prese) in Buenos Aires. Der zweite Artikel stammt von Nathan Klinger: Ein paar Erinnerungen an Jona Reissmann. In: Di prese, 15. April 1932. Bei dieser Datumsangabe muß ein Druckfehler vorliegen. Jona Reissmann starb nach allen in Wien vorhandenen Quellen am 27. Oktober 1932, der Artikel kann erst nach dem Oktober 1932 erschienen sein. Jona Reissmann ] Vgl. Schauspieler, oben S. 161f. Beri Broders und Jakowkis »Truppen« ] Jüdische Volkssänger, die sogenannten Broder Singer, die gemeinsam durch die Provinz zogen, s. Goldfaden, Die Musik meiner jüdischen Singspiele, oben S. 216; Reissmann, Mein Gastspiel in Mikolajew, oben S. 102f. »Der Krakauer«, aus dem ... Goldfaden sein »Moschiachs Zayten« machte ] Zum Inhalt des Krakauer s. Perlmutter, Der »Großvater«, oben S. 124f. Goldfaden ... Gordin ... Pinski... Leivick] Vgl. Autoren, oben S. 135f. in Gordins »Der Unbekannte« ... in Leivicks »Schmattes« ] Vgl. Dramen, oben S. 152. Selig Mogulesko ] Selig oder Sigmund Mogulesko (Zlatopol 1858-1914) war wie Reissmann - einer der ersten jiddischen Schauspieler und ein begnadeter Komiker. Er begann seine Karriere bei Goldfaden, gründete aber bald eine eigene Truppe. Um 1880 ging er nach London, 1886 kam er in New York an, wo er sehr populär war. Mogulesko schrieb auch die Musik zu einigen Stücken von Abraham Goldfaden und Moshe Hurwitz.

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Anhang ein Versuch ... anspruchsvolles jiddisches Theater zu machen ] Bezieht sich auf die Freie Jüdische Volksbühne, mit der auch Jona Reissmann auftrat, s. Schmitz, Jona Reißmann, oben S. 98f. Sch. Kutner ] Schlojme Kutner (Lodz 1887, von den Nazis ermordert), Schauspieler und Sänger, der an jiddischen Theatern in Wilna, Warschau und Riga auftrat und sehr populär war. »doyl« ] Jidd., ein unerfahrener Neuling, Narr. Er sah ... wie »Lejser Badchen« aus ] »Lejser Badchen«, Figur in Gordins Gott, Mensch und Teufel, s. Dramen, oben S. 149f. wie ein Statist einmal Bar Kochba zu Boden streckte ] Bar Kochba, Titelrolle in Goldfadens gleichnamiger historischer Operette, s. Dramen, oben S. 142. I. Deutsch ] Vgl. Schauspieler, oben S. 156. In meinem Buch »Nach der Vorstellung« ] Jakob Botoschanskis, jidd., erschien 1926 in Buenos Aires. zeyde ] Jidd., Großvater. >zing ikh nokh noten / veren di khasidim ufgezoten< ] Jidd.: »Wenn ich nach Noten singe / werden die Chassidim aufgebracht.« >khazonish< ] Jidd., im kantorischen Stil. >yidene< ] Jidd., eine jüdische Ehefrau. >KrakauerYishmaelHotsmakhLeyzer Badkhem, >Shloyme Huts< ] Der Krakauer, Figur aus dem gleichnamigen Einakter, den Reissmann erwähnt; Yishmael, Figur in Die Opferung Isaaks von Goldfaden; Hotsmakh, Figur in Goldfadens Koldunye oder Die Zauberin; Leyzer Badkhen, Figur in Gordins Gott, Mensch und Teufel·, Shloyme Huts, Figur in Jacob Gordins Der Unbekannte. Die Presse, 1. April 1932 ] Die jiddische Tageszeitung Di prese {Die Presse) erschien von 1918 bis in die 1970er Jahre in Buenos Aires. Bei der Datumsangabe dieses Artikels muß ein Druck- oder ein Überlieferungsfehler vorliegen. Jona Reissmann starb nach allen in Wien vorhandenen Quellen am 27. Oktober 1932; der Artikel kann erst nach dem Oktober 1932 erschienen sein.

111 F. W.: Jubiläum von A. Meiseis TG

F. W.: Jubiläum von A. Meiseis. [Zeitungsartikel ohne Quellenangabe], In: Abisch Meiseis Collection, Rg. 428, YTVO [jidd.]. - Aus dem Jiddischen übersetzt von Thomas Soxberger.

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F. W. ] Nicht eruiert. - Der Zeitungsausschnitt im YTVO trägt keine Quellenangaben, stammt aber vermutlich aus dem Jahr 1934, da in der Stimme für den 3. Februar 1934 ein Festabend für den Schriftsteller und Dramaturgen Abisch Meiseis im Hotel Continental angekündigt wurde (vgl. Die Stimme, 2. Februar 1934). Abisch Meiseis ] Vgl. Autoren, oben S. 138f. Die Tragödie eines Abtrünnigen ] Drama von Abisch Meiseis, nicht erhalten. Abisch Meiseis ... schrieb ein »Kriegsbild« für das Theater ] Es handelt sich vermutlich um die Komödie Die jüdische Heldin oder Herz und Handfürs Vaterland, ein patriotisches Kriegsstück, das 1916 von der Jüdischen Bühne aufgeführt wurde (s. Dramen, oben S. 147). Di velt iz tseshtert ... ven vet shoyn nemen a sof? ] Jidd., »Die Welt ist zerstört / alles auf den Kopf gestellt / das Exil nimmt gar kein Ende. / Juden, wie die Fliegen / fallen und siegen / wann ist damit endlich Schluß?« Zu den Liedern schrieb ... Chune Wolfstal die Musik ] Im überlieferten Text wird kein Komponist genannt; zu Chune Wolfstal s. Sawatzki, Chune Wolfstal, oben S. 69f.

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Meiseis... schrieb »Der Golem« und andere Stücke ] Vgl. Autoren, oben S. 138f. Begründer eines kleinen literarischen Theaters, des Reklame ] Im Theater Reklame (im Nestroyhof, Praterstraße 43) spielten die Jüdischen Künstlerspiele, für die Meiseis in den 1930er Jahren regelmäßig jiddische Revuen verfaßte (s. - e i - , Hallo, hallo hier Radio Jerusalem!, oben S. 55f.; Jüdische Künstlerspiele, oben S. 57). Meiseis'... Reiseeindrücke und Korrespondenzen ] Zu Abisch Meiseis' weiteren Publikation vgl. die Meiseis Collection im YTVO, RG. 428. Zeitungsartikel, ohne Angabe der Zeitung und ohne Datum. Vermutlich stammt er aus dem Jahr 1934, da in der Stimme für den 3. Februar 1934 ein Festabend für den Schriftsteller und Dramaturgen A. Meiseis im Hotel Continental angekündigt wurde, vgl. Die Stimme, 2. Februar 1934.

113 Schreiben des Vorstands der israelitischen Cultusgemeinde an die k. k. Polizei-Direction Wien TG 113

Das Original dieses Dokuments befindet sich im Akt Ζ 55452/3206 P. Β., Ζ 2098/ 1890, Karton Carltheater 1890/91, Archiv der Bundes-Polizeidirektion Wien.

Schreiben des Vorstands der israelitischen Cultusgemeinde ] Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) leitete seit 1852 die religiösen Angelegenheiten der Wiener jüdischen Gemeinde, ihre Führung kam aus den reichsten und angesehensten Kreisen der Wiener Juden. Der Vorstand setzte sich in den Jahren 1890 bis 1902 aus 24 wohlhabenden, teilweise geadelten Männern zusammen, die diese Funktion manchmal Jahrzehnte innehatten. So auch der Unterzeichner dieses Dokuments, Gustav Kohn, der 1884 in den Vorstand gewählt wurde und sich 1904 noch darin befand. 113 An die löbliche k. k. Polizei-Direction Wien!] 1890 fand der zweite belegbare Versuch eines jiddischen Ensembles statt, an einem großen Wiener Theater seine Kunst zu präsentieren. Die Truppe des Benjamin Treittler aus Lemberg, eine der großen Familientruppen, die sich in der Anfangszeit des professionellen jiddischen Theaters gebildet hatte, wollte im Carltheater das Singspiel Sulamith oder Die Tochter des Morgenlandes von Abraham Goldfaden zeigen. Nach damaligem Gesetz mußte jeder Theatertext vor der Aufführung der Theaterzensurbehörde zur Genehmigung vorgelegt werden. Am 11. Juli 1890 reichte Carl Blasel, der Direktor des Carltheaters, Goldfadens Singspiel zur Genehmigung in der Zensurbehörde ein. Die Zensurbehörde gab das Textbuch zur Beurteilung an die Israelitische Kultusgemeinde weiter. 113 Sulamith oder Die Tochter des Morgenlandes ] Singspiel von Abraham Goldfaden (s. Dramen, oben S. 153). Zur Entstehung und Musik vgl. Gorin, Di geshikhte fun yidishn teater (s. Schriftenverzeichnis), Bdl, S. 222f. 113 Legende ... auch in außerjüdischen Sagenkreisen ] Zur Figur der Sulamith vgl. Sol Liptzin: Biblical Themes in World Literature. Hoboken/NJ: KTAV Pubi. House 1985, S. 204-214. Zum Inhalt der Legende »Das Wiesel und der Brunnen« und zu Bearbeitungen dieses Stoffes vgl. Gershom Bader: The Encyclopedia of Talmudic Sages. Translated by Solomon Katz. First Softcover Printing, London: Jason Aronson 1993, S. 583f. 113 »Jargon«] Der Ausdruck »Jargon« für die jiddische Sprache zeigt schon die Stellung dieser Sprache, die als solche nicht anerkannt wurde. Assimilierte und teilweise intellektuelle Juden wollten mit dem Jiddischen, das von den Flüchtlingen aus dem Osten gesprochen wurde, nichts zu tun haben. Um die Jahrhundert-

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Anhang wende und besonders nach der Czernowitzer Sprachkonferenz 1908 änderte sich diese Einschätzung. Aufführung... Anlaß zur Verspottung des Judenthums ] In den Jahren 1885-1895 erlebte der Antisemitismus einen erheblichen Aufschwung, so begann etwa 1889 die erste antisemitische Tageszeitung, Das Deutsche Volksblatt, zu erscheinen. Adolf Gaisbauer geht auf die Reaktionen des österreichischen Judentums auf den wachsenden Antisemitismus um 1890 näher ein, an erster Stelle bespricht er: »Das Sich-still-Verhalten: sich ducken, ganz leise sein, nicht auffallen, die Feindseligkeiten ignorieren, sich auf keinen Fall zur Wehr setzen, den Antisemitismus totschweigen, überwintern [...] Bescheidenheit, Zurückhaltung, Wohlverhalten, kombiniert mit energischer Zensur nach innen [...] und permanenter, intensiver Selbsterziehung, ja Selbstreinigung«. Vgl. Adolf Gaisbauer: Davidstern und Doppeladler. Zionismus und jüdischer Nationalismus in Österreich 1882-1918. Wien, Köln, Graz: Böhlau 1988, S. 20f. daß die Darstellung des genannten Stückes nicht zugelassen werde ] Die Aufführung von Sulamith durch die Treittler-Truppe wurde nicht bewilligt. Die Folge dieses einmaligen Verbotes, das nicht mit einem generellen Verbot des jiddischen Theater gleichzusetzen ist, war, daß die jiddischen Volkssänger und Ensembles nicht an großen Theaterhäusern, sondern in Gasthaussälen auftraten (s. Marmorek, Ein jüdisches Theater in Wien, oben S. 9f.).

114 Hans Brecka: Freie jüdische Volksbühne ED 114

B.: Freie jüdische Volksbühne. In: Reichspost, 16. Juni 1921

Hans Brecka] Der Artikel ist nur mit »B.« gezeichnet und stammt vermutlich von Hans Brecka (Wien 1885-1954 Zelking bei Melk, Niederösterreich), der von 1903 bis 1938 Redakteur, Kulturjournalist und Burgtheaterreferent der Reichspost war. 114 Freie jüdische Volksbühne ] Vgl. Eine »Freie jüdische Volksbühne« in Wien, oben S. 4f.; Rawitsch, Freie Jüdische Volksbühne, oben S. 22f.; Lifschütz, Tendenz und Ereignis, oben S. 23f.; Kläger, Theater in der Josefstadt, oben S. 24f.; Abeles, Ein Jahr Freie jüdische Volksbühne, oben S. 27f.; Horowitz, Vom Wirtshaus zum Kunsttheater, oben S. 29f.; Dorfsohn [= Harendorf], Das jüdische Theaterproblem in Europa, oben S. 33f.; Nathan, Er kam nach Amerika, oben S. 104f. 114 Wenngleich ... die »Jüdische Volksbühne« ... Aufinerksamkeit erzwingt ] Mit dem Auftreten im renommierten Theater in der Josefstadt wurde die Freie Jüdische Volksbühne auch außerhalb des zweiten Bezirkes in Wien bekannt. In den großen Tageszeitungen (s. Kläger, Theater in der Josefstadt, oben S. 24f.) und Journalen - auch in antisemitischen Blättern wie der Reichspost und dem Deutschen Volksblatt - wurde über die jiddischen Aufführungen berichtet. Vgl. Deutsches Volksblatt, 12. Juni 1921 und 15. Juni 1921. In: Freie jüdische Volksbühne: Pressestimmen (s. Schriftenverzeichnis), S. 14-17. 114 jüdische Angelegenheit ... Die Offenheit ... ist jedenfalls sympathisch ] Wie dem Kritiker der Reichspost gefiel dem Kritiker des Deutschen Volksblatts diese Offenheit: »Jedenfalls ist für unser Volk ein Gastspiel eines Ensembles, das sich offen als jüdisch-nationales Theater gibt, nicht so gefährlich, als wenn gewisse jüdische Dichter von deutschen Bühnen herab sich als Deutsche gebärden, jüdische Ideen propagieren oder gar [...] für die jüdische Weltherrschaft Propaganda machen. Mit dem sich offen als Juden gebenden, national empfindenden Juden kann der Deut-

Quellennachweise und Stellenkommentare

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sehe sich verständigen, gegen den unter deutscher Maske verkappt jüdische Zwecke fordernden angeblichen Assimilationsanhänger muß er Stellung nehmen.« H. P. [ohne Titel], In: Deutsches Volksblatt, 12. Juni 1921, zitiert nach: Freie jüdische Volksbühne: Pressestimmen (s. Schriftenverzeichnis) S. 14-16, hier S. 16. Sch 'ma Jisruel von Ossip Dymow ] Höre Israel, vgl. Dramen, oben S.150. Ben-Zwi... Isaak Deutsch ... Egon Brecher ... Mina Deutsch ] Vgl. Schauspieler, oben S. 155f.; Nathan, Er kam nach Amerika, oben S. 104f. keine Ursache ... Bühne mit spöttischen oder scheelen Augen anzusehen ] Der Kritiker betont die Abgrenzung zwischen »Christen und Juden« und ein »nationales Volksbewußtsein«. In diesem Punkt traf er sich mit jüdischen Intellektuellen, die gegen die Assimiliation auftraten. Für Zionisten wie Otto Abeles war das jiddische als »nationales Theater« identitätsstiftend und identitätsfördernd; Eugen Hoeflich wollte Truppen wie die Wilnaer als »nationale Errungenschaft ersten Ranges« trotz drohender Enge vor dem »Wesen einer fremden Sprache« und »europäischen Schauspielern« schützen. Beide trafen sich darin mit den Forderungen der Antisemiten, die durch die »strenge und saubere Scheidung jüdischer Kunstausübung von christlicher« jüdische Theaterschaffende, die als »gefahrlich« angesehen wurden, ausgrenzen wollten. Die Haltung der jüdischen Intellektuellen kam den Antisemiten entgegen. In einer Gesellschaft, in der Identität durch Ausgrenzung anderer geschaffen wird, kann eine einzelne Gruppe ihre Identität ebenfalls nur durch Ausgrenzung schaffen und wiederholt so unfreiwillig jene Struktur, der sie ihre eigene Ausgrenzung verdankt. 1918 hatten die Zionisten sehr aggressiv die Anerkennung der Juden als Nation gefordert, unterstützt wurden sie darin von den Antisemiten: »Als Robert Stricker am 21. Oktober 1919 in der Konstituierenden Nationalversammlung die Möglichkeit des Bekenntnisses zur jüdischen Nation bei der Volkszählung 1920 verlangte, fand er Unterstützung bei den antisemitischen Deutschnationalen und Christlichsozialen. Tatsächlich war zwischen Zionisten und Antisemiten >eine negative Identität der Ziele gegeben< (Hans Mommsen). Beide wollten die Dissimilation der Juden, ihre Zusammenfassung in eine geschlossene Gruppe.« Jens Budischowsky: Assimilation, Zionismus und Orthodoxie in Österreich 1918-1938. Jüdisch-politische Organisationen in der Ersten Republik. (Diss.) Wien 1990, S. 461. Die Unterschiede in den Forderungen der Zionisten beziehungsweise der Antisemiten lagen im Motiv und in der Durchführung der Anerkennung der Juden als Nation. Die Zionisten wollten »allen Juden der Welt das Bewußtsein geben, ein Volk zu sein«, um ihre politischen Ziele erreichen zu können (in der Diaspora - Anerkennung als Nation, um die Rechte einer nationalen Minderheit genießen zu können; Gründung eines eigenen Staates), betonten aber, daß die Zugehörigkeit zur jüdischen Nation freiwillig sei. Die Antisemiten dagegen lehnten ein freies Bekenntnis der Zugehörigkeit ab, ihr Ziel war die Einfuhrung eines »numerus clausus« für Juden in allen Berufen, ein weiteres wirksames Instrument zur Ausgrenzung der Juden in Österreich - kein Wunder, daß den antisemitischen Theaterkritikern »eine strenge und saubere Scheidung jüdischer Kunstausübung von christlicher« gefiel.

in Gründung begriffenen »Jüdischen Künstlerspiele G. m. b. H.« ] Die »Jüdische Künstlerspiele Ges. m. b. H« wurde im Juli 1921 gegründet, um die Freie jüdische Volksbühne finanziell abzusichern und ihr ein eigenes Theater einzurichten. Diese Ziele konnten nicht erreicht werden, die Ges. m. b. H. löste sich im Dezember 1922 bereits auf. Vgl. Dalinger, Jüdisches Theater in Wien (s. Schriftenverzeichnis), S.116, 119f. 114 ein Theater der Christen in Wien ] Der Verfasser dieser Kritik, vermutlich Hans Brecka, gründete 1920 die »Kunststelle für christliche Bildung«, einen Besucher-

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Anhang verband, der seinen Mitgliedern ermäßigte Theater- und Konzertkarten vermittelte. Versuche, ein christlich orientiertes Theaterensemble in Wien zu etablieren, scheiterten. Reichspost ] Die »Zeitung für das christliche Volk«, erschien von 1893/94 bis 1938 in Wien. Die Tageszeitung Reichspost war eine »Art Sprachrohr der christlichsozialen Regierungspartei«, in dem gegen die Auffuhrung von Arthur Schnitzlers Reigen ebenso gehetzt wurde wie gegen Albert Einsteins Relativitätstheorie. Ulrich Weinzierl schrieb über das Feuilleton der Reichspost: »Typische Feuilletonthemen wurden ursprünglich von der Reichspost sehr stiefmütterlich behandelt [...]. Und auch dann wurden Literatur und Kunst grundsätzlich an dem Anspruch gemessen, ob sie sich, wenn schon nicht direkt ad maiorem Dei gloriam geschaffen und zu verwenden, zumindest dem Traditionsverbundenen, katholisch >VolkhaftenJabne< 184 Jüdische Abende 197 Jüdische Ethnologische Gesellschaft 134 Jüdische Kultur 169 Jüdische Kulturstelle 58,121,141,174 Jüdische Kunstfilm-Gesellschaft 228 Jüdische Lesehalle 15, 178 Jüdische Morgenpost (Yidishe morgnpost) 5,30-32, 36-39, 70, 74,77, 80, 82,102, 104, 171-172,178, 193197, 217-220, 222, 225,227-228, 241-242 Jüdische Nationalpartei 179 Jüdische Rundschau 196, 206 Jüdische Volksbildungsbewegung 174 Jüdische Wochenpost (Yidishe wochenpost) 106, 244—245 Jüdische Zeitung 15,140, 170, 177178, 180, 239 Jüdischer Klub 179 Jüdischer Schauspielerverein 6-7,173174 Jüdischer Volkskalender für das Jahr der Welt 5663 175 Jüdisches Antifaschistisches Komitee 159

Register Jüdisches Theater (Yidish Teater) 10, 72,76, 170, 173,189,218-219 Jüdisches Theater [Zeitschrift] 24,187188, 239 Jüdisches Volk 206 Jüdisches Volksblatt 175 Jüdisches Wochenblatt 206 Keren Kajemeth Lejisrael (Jüdischer Nationalfonds) 51,60,63,206,212213 Keren-Hajessod 79,227 Klub der jiddischen und hebräischen Schriftsteller in Wien 5,172 Kölnische Zeitung 21,181,184 Komödie [Zeitschrift] 243 Kritik 23,182,185,187,193 Kulturbund Deutscher Juden 167 Kunststelle für christliche Bildung 249 Makkabi Hazair 51,206 Mitteilungsblatt der Jüdischen Kulturstelle 175 Monistenbund 17, 181 Neue Freie Presse 26,28, 57,78, 85, 116, 188-189, 192, 194,210,213, 225, 227, 230, 234-235, 237, 252 Neue National-Zeitung 180 Neues Wiener Journal 42,197,199,204 Neues Wiener Tagblatt 188 Nord und Süd 135 Nord-Ost 184 Österreichisch-Israelitische Kulturgesellschaft 258 Ost und West 157,161,167 Palästinaamt der Auswanderungszentrale 141 PEN-Klub 127 Poale Zion 187 Polizei-Direction, Wien 113,247 Reichspost 114,248,250 Ring der Österreichischen Bühnenkünstler 174 Ring der Zionistischen Alten Herren 60 Studentenclub Theodor Herzl 184

Theater, Spielstätten und Ensembles The Day (der tog) 104-105,242,244, 256 Theatre Guild 105 Theodor Herzl-Institut 142 Unsere Tribüne 234,240 Verband zionistischer Mittelschüler 141 Verein >Zion< 162,241 Verein für Jüdisch-Dramatische Kunst 157 Verein Hellauer Schauspiele 167 Verein Jiddische Kultur 186 Verein Jüdische Bühne 3-4,169-170 Verein Jüdisches Kulturtheater 231,254 Vereinigung jüdischer Kunstfreunde 185

275 Voice of America 165 Volksstimme 206 Wahrheit 253 Wiener Morgenzeitung 5, 15, 26, 29, 43, 45, 75, 83,91-92, 101, 115, 170-173, 178, 180-181, 185, 189192, 196, 199-202, 208, 220-222, 226, 228-230, 232-235, 240-241, 250-251 Wiener Zeitung 234 Wien-Film 158 World Jewish Congress 258 Yiddish Playwright League 171-172 Zionistische Weltorganisation 227 Zionistischer Weltkongreß 134

Theater, Spielstätten und Ensembles Akademie für Regie und Schauspielkunst 158 Amateurclub des Vereines >Zion< 190 American Repertory Theatre 244 Amerikanisch-Jiddisches Kunsttheater s. Jüdisches Kunsttheater Amerikanisch-Jüdisches Theater s. Jüdisches Kunsttheater Arch Street Theater 188 Arche 141 ARTEF 158 Astor Theatre 204

Chad Gadjo (Kleinkunstbühne) 156 Civic Repertory Theatre 104-105,242244 Collegium Musicum Buenos Aires 212

Baratoff-Truppe 31 Bat Sheva Ballett 206 Bayrischer Hof 30,193 Breitmann-Kaniewska Truppe 190 Budapester Orpheumgesellschaft (Budapester Possen- und Operettentheater) 16-18, 176,179-181 Budapester Jüdisches Künstlerensemble 199 Bürgertheater 75, 116-118, 222,253 Burgtheater 28, 57,203,230,233,240241

Edelhofers Volksorpheum 175-177, 218, 230 Eldoradogarten 65 Erstes Arbeitertheater des Proletkult 235 Exl-Bühne 252

Carl-Theater 5, 79, 83,92,170-171, 226, 228-229, 231, 234-236, 247

Der blaue Vogel 199 Der goldene Pfau (di gildene pawe) 43, 156,199 Deutsches Theater, Berlin 149, 203204,211,227, 233 Deutsches Volkstheater, Wien 227 162,169,

Freie Bühne 2,168,230 Freie Jüdische Volksbühne 4-5, 22, 24, 26-30, 33-35, 37, 39, 43, 48, 76, 98, 114,127, 155-159, 161166, 170, 185-193, 195-197, 199202, 204, 206, 220-223, 227, 230231, 234-235, 240-243, 246, 248251,256

276 Goset s. Moskauer Jüdisch-Akademisches Kammertheater Grand Museum 125,161,240, 256 Grand Theatre 256 Großer Musikvereinssaal 63 Habima 37, 82-86, 88-90, 92, 138, 156, 167, 191, 196, 212, 228-234, 236, 250, 252 Herrenfeld-Theater 16, 180 Hurwitz-Truppe 165 Intimes Theater 4, 169,184-185, 202 Irving Place Theatre 162,170 Israel Ballett Theatre 206 Israelische Philharmoniker (Palästinensisches Philharmonisches Orchester) 210 Jarno-Bühne 156 Jewish Art Theatre 162,226 Jiddisches Kammertheater s. Moskauer Jüdisch-Akademisches Kammertheater Jiddisches Theaterstudio 156 Josefstädter Theater s. Theater in der Josefstadt Jüdische Bühne 3^1, 15, 31, 39, 45, 106, 139, 155-159, 161-162, 164166, 169, 175-177, 180, 184-187, 190, 195-203, 209, 217-221, 244, 246, 250, 253 Jüdische Kabarettgesellschaft Hasomir 157, 162 Jüdische Kabarettinitiative 165 Jüdische Kammerspiele 192,195, 250 Jüdische Künstlerspiele 5-7, 46-50, 57, 114, 117, 139, 155-157, 160, 162, 165-166, 169, 172-174, 191, 199-200, 202-205, 208-209, 212, 219, 247, 249-250, 253 Jüdisches Kabarett 165,198-199 Jüdisches Kulturtheater 7, 52-54, 58, 62,119-121,135,137,141,152, 158, 165,174, 207-208, 210, 212213, 253-254 Jüdisches Künstlerkabarett 139,157, 163, 164,166, 198-203, 250 Jüdisches Kunsttheater (Yiddish Art Theater, Amerikanisch-Jiddisches

Register Kunsttheater, Amerikanisch-Jüdisches Theater, New Yorker Jüdisches Kunsttheater, New Yorker Kunst-Theater) 48,93,116,117,137-138,155,158, 162,191,204,225-228,230,236, 244,250,251-252 Jüdisches Staatstheater, Warschau 160 Jüdisches Theater, Lemberg 217 Jüdisch-Politisches Cabaret 141,206207,209, 254 Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin 200,204 Kammerspiele des Deutschen Volkstheaters 200,222 Kleinkunstbühne Kaftan 200 Komische Oper Berlin 58,210, 211 Komödienhaus 21,184-185,243 Künstlerspiele (Kunstspiele) Pan 207 Kulturbundtheater Danzig 167 Landestheater Neustrelitz 211 Lemberger Stadttheater 95 Leopoldstädter Volksorpheum s. Edelhofers Volksorpheum Lodzer Polnisches Theater 160 Lustspieltheater im Prater 191,243 Max Reinhardt-Seminar 208 Maximoff-Truppe 45,202 Metropolitan Opera House 220 Meyerhold-Studio 236 Moskauer Jüdisch-Akademisches Kammertheater (Goset, Gosket, Staatliches Jiddisches Kammertheater, Staatliches Jiddisches Theater, Moskauer JüdischAkademisches Theater) 92,137,159, 205,236-237 Moskauer Künstlertheater 25,155,189, 229, 231-232, 236 Moskauer Kunsttheater 233 Moskauer Theater der Revolution 236 Münchner Theaterakademie 205 Nationaloper Riga 210 Nayes Yidshes Teater (New Jewish Theatre) 204 Neue Wiener Bühne 158, 189, 200 Neues Theater, Petersburg 189 Neues Theater in der Scala 158

Theater, Spielstätten und Ensembles Neues Wiener Stadttheater 243 New Yorker Jüdisches Kunsttheater s. Jüdisches Kunsttheater New Yorker Kunst-Theater s. Jüdisches Kunsttheater Original Jüdisches Heurigen-Duo 141 Pastor-Siegler Truppe s. Siegler-Pastor Truppe Petersburger kaiserliches Schauspielhaus 25 Raimundtheater 226 Renaissancetheater (Renaissance-Bühne) 38,158, 196 Residenzbühne 185 Ringtheater 175 Rolandbühne 26, 27, 31, 74, 76,155, 180,189-190,193,221-223, 253 Ronachertheater (Ronacher-Bühne) 118, 190, 253 Rumanian Opera House 125,161, 240, 256 Second Avenue Theatre 164, 245 Siegler-Pastor Truppe (Pastor-Siegler Truppe) 159,160, 163,160, 166, 204, 208 Soleil Theater 157 Staatliches Akademisch-Jüdisches Theater s. Moskauer JüdischAkademisches Kammertheater Staatsoper Kassel 211 Stadttheater Baden 115,189 Stadttheater Heidelberg 104

277 Theater an der Wien 170 Theater der Gesellschaft für Literatur und Kunst 189 Theater der Revolution 92 Theater der Tragödie 205 Theater für 49 158,165,208,211 Theater in der Augartenstaße 34 Theater in der Josefstadt 24, 28,114, 118,188-189,192,211,243,248,253 Theater in der Leopoldstadt 170-171 Theater Lancry 37,195 Theater Reklame 46, 50,199,202, 247 Volksbühne s. Freie Jüdische Volksbühne Volksoper Wien 211 Warschauer Elyseum Theater 188,224 Warschauer Jiddisches Kunsttheater 137 Wiener Hofoper 211 Wiener Jüdische Bühne s. Jüdische Bühne Wiener Jüdische Künstlerspiele s. Jüdische Künstlerspiele Wiener Kammerspiele s. Kammerspiele des Deutschen Theaters Wiener Komödienhaus s. Komödienhaus Wiener Stadttheater 105,188-189,243 Wiener Volksbühne s. Freie Jüdische Volksbühne Wilnaer Schauspieltruppe 31-32, 48, 76-77, 91, 115,134-135,137,170, 183-184,188, 190, 194, 200, 204, 219,222-225, 235, 237, 241, 249250, 252 Yiddish Art Theater s. Jüdisches Kunsttheater

Orte Afrika s. a. Südafrika 65 Amerika s. a. Süd-, Mittel- und Nordamerika 5,19,25,33,65,79-80, 82, 96-98, 102,104—106, 122, 125-126, 135, 142, 151,155,159,167, 172, 242-243 Argentinien 156,160,162,166,204, 212 Baden 115,250,251

Belzec 163-164,223 Belgien 135, 155,157,167,226, 236 Bendin 39 Bergen-Belsen 192 Berlin 3, 12, 14,47, 58,60, 134, 140, 143, 146-147, 149, 155, 160-161, 165, 167-168, 180, 188, 190-191, 196, 198, 203-205, 210-212, 219, 227, 233, 236, 241, 243, 252, 254 Bessarabien 107,204,245

278 Betlehem 153 Bialystok 229 Bielitz 39 Böhmen 167,196 Boston 98,240 Brasilien 156,160,204 Breslau 161 Brody 200,216,239 Brünn 104,161,186,206 Brzezany (Bershan) 122 Buchara 164 Budapest 16,155,162,165-166,173 Buenos Aires 156-157,160, 245-246 Bukarest 12,14, 37, 95,151-152, 160, 163, 204 Bukowina 125,161,166 Bulgarien 165, 167 Businow 102,242 Charkow 155,189 Cherson 161 Chicago 12,245,255 Cleveland 105-156 Cluj 235 Czernowitz 4,14,158,162-165,170, 255 Dachau 142,258 Dänemark 128,258 Danzig 167 Desch (Des, Dej) 91,235 Deutschland 18, 51-54, 58, 101, 127128, 135, 146, 156, 160, 163, 165, 167, 174, 182-183, 195, 205-206, 211, 227, 236, 243, 251-252, 254, 257 Drohobycz 244 Düsseldorf 161 Ecuador 141 England s. Großbritannien Europa s. a. Ost- und Westeuropa 5, 22, 33-34, 92, 98, 152, 155,158, 160161,166, 171-172, 177,191, 220, 223,226, 229, 243, 256 Folticeni 12 Frankfurt a. M. 160 Frankreich 157, 163, 166-167, 208, 210,219,236 Franzensbad 158,163

Register Gal ata 109 Galiläa 208 Galizien 10-11, 14, 65, 72, 97, 101102, 106, 109, 122-123, 125-127, 147, 155, 158, 161-162, 164-166, 178, 182, 186, 193,214,216,219, 223-224, 239-242, 244, 252, 255 Genf 258 Glasgow 160 Grodno 151,223 Großbritannien 127, 142,161,163, 166-167, 194-195, 210, 228, 235 Heidelberg 156 Holland s. Niederlande Israel/Palästina 55,61,79, 83,128,138, 141-142,145-146,151,153, 163, 166,179, 205-208, 212, 221, 229231,252, 257 Istanbul/Konstantinopel 65,157 Italien 157 Jassy 12, 135-136, 256 Jena 181 Jerusalem 61, 84, 153 Josefstadt 28 Jugoslawien 155,167,195, 225 Kalkutta 65 Kanada s. a. Amerika, Nordamerika 158,166 Karlsbad 76 Kassel 211 Katinkan 102,242 Kattowitz 39 Keszthely 198 Kiew 189 Königsberg 158 Kolomea 255 Kovno 83,183 Krakau 82, 124, 160, 164,176, 193, 223 Krim 224 Küsnacht 135 Leipzig 158,219 Lemberg 40, 102, 104, 122-125,139, 151, 156-166, 179, 187,214,217, 219, 223, 241-242, 244, 247 Leopoldstadt 9,27,114

Orte Lettland 166 Litauen 83 Lodz 139,160,164,187, 223,224 London 11, 12, 40, 65, 81, 96, 127, 137,139, 156-158, 166, 191, 196, 210, 212, 226-228, 238, 245 Lublin 233 Mähren 104,164,167,175,196 Marienbad 95-96, 158, 162-164, 238 Mexico 171 Mikolajew 102-103 Minsk 208 Miropol 77 Mittelamerika 160 Modzhits 257 Moldawien 125,161 Montreal 227 Moskau 83-84,138, 140,159, 170, 187, 193, 196, 228, 230-232, 234, 236-237 München 191,219,241,252 Neustrelitz 211 New York 5, 12, 24,40, 81-82, 98, 105, 116-117, 127, 135-138, 141144,147,152,155-159, 161-162, 164-165, 170-172, 187-188, 198, 204, 210, 218-220, 226, 228, 236, 239-241, 243, 245, 252, 255-257 Niederlande 135,174, 192, 210,236 Nikoliew 215 Nordamerika 160,166, 244,254 Odessa 66, 137, 143, 161, 166, 189, 204, 215, 218, 244, 256 Österreich 127, 141,156,158, 160, 163, 173-174, 189, 191, 195,210, 235-236, 252, 254, 257 Osteuropas, a. Europa 3, 138, 155, 227-228 Palästina s. Israel/Palästina Paris 12, 37, 65, 81, 106, 139, 155158, 160, 165-166, 191, 210, 214215,219-220, 226 Persien 211 Petersburg 155,159, 189, 237 Petrograd 205,236

279 Philadelphia 98,104,158,188,240 Ploesti 12 Podgrusha 124 Podolien 69,224 Pöllau 207 Polen 33, 39, 83, 95,107, 109,117, 126, 155, 157, 159-160, 163, 166, 182-183, 196,199, 214, 216, 218, 223-226,229, 233, 243, 245,252, 256-257 Prag 158-159,161,163,206,235 Preßburg 75 Prossnitz 243 Przemysl 101 Rawa Ruska 244 Riga 83,164,166,210,225 Rumänien 6, 14, 31, 34, 43, 65, 97, 107,109, 125, 135-136, 139, 155157, 159-160, 162-164, 166, 193, 204, 215-216, 223-225, 235, 237, 242, 245, 255 Rußland/Sowjetunion 10,20-21,25, 33, 65, 82-83, 86, 88-89, 97,102, 106-107,134,137-138, 148,150151,159-160, 162-164, 166-167, 182-183,190, 199, 216, 218,224225, 229-230,232,234-235, 237, 245 Sadagora 166 Salowitz 127 Salzburg 75,221 Schweden 258 Schweiz 135, 140,157,191,208,210 Semenow 117 Serbien 101 Shanghai 258 Shitomir 135 Sibirien 138 Slutzk 151 Spanien 145 Stanislau 69,101 Straßburg 219 Sowjetunion s. Rußland Südafrikas, a. Afrika 156,166 Südamerikas, a. Amerika 158,160, 166, 204, 254 Sudelkow 117

280 Tamopol 69,111,217,244,255 Tarnow 73 Tel Aviv 55,210,212 Theresienstadt 258 Tiflin 155 Tischmeniza 69 Tisza-Eszlar 59,147 Transylvanien 37, 91,157, 234 Treblinka 159,167 Tschechoslowakei 6, 31,106,139,155, 157-159,160,163, 166-167,195196, 206, 210, 225 Tsherzhets 102 Türkei 148,167 Ukraine 134-136,178 Ungarn 101, 125, 157, 160-161,165, 167,195,198,225 USA s. a. Amerika, Nordamerika 137-138, 141-142, 155, 157-159, 161, 164, 166, 191, 196, 204, 210-211, 214, 224-225, 227, 229, 243-244, 256

Register Warschau 6, 24,40, 65,124,139-140, 147,157,159-161,164,167,170, 185-188,190,219-220, 223-225, 229, 243-244,256 Westerbork 192 Westeuropa s. a. Europa 33-35,159 Wien 3-12,14-15,22-23,27,29-31,33, 35-40,42,45-48, 58,60,63,75-76, 78-82, 85,92-93,98,101,104-107, 111, 113-116,118,120-122,126129,135,137-142,146-147,152, 155-170,172-182,184-188,190-191, 193-196,198-200,203-205,207, 209-212,217,219-223,225-231, 233-234,236-237,239-248,250-258 Wilna 20,170,183,187,190,223-225, 229 Wischnitz (Wiznitz) 14,178 Wolynien 224 Worms 243 Zamosc 139 Zürich 96,135

Danksagung und rechtliche Hinweise

Die Quellenedition zur Geschichte des jüdischen Theaters in Wien war ein vom »Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung« (FWF) finanziertes Forschungsprojekt, das am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien unter der Leitung von Prof. Dr. Hilde HaiderPregler entstand. Die Kosten fur die redaktionellen Arbeiten wurden von der »Österreichischen Forschungsgemeinschaft« übernommen. Zur Entstehung der Quellenedition trugen nicht nur die oben genannten Institutionen bei, sondern auch die Mitarbeiter der Archive und Bibliotheken, die im Zuge der Forschungen konsultiert wurden und denen ich hiermit herzlichst danken will. Für Hinweise und Beistand danke ich außerdem Dr. Miroslawa Bulat, Prof. Dr. Hilde Haider-Pregler, Mag. Angelika Hausenbichl, Mag. Dr. Beate Hochholdinger-Reiterer, Mag. Dr. Birgit Peter, Silvia Stastny, Mag. Thomas Soxberger und Dr. Armin A. Wallas. Mein besonderer Dank gilt ferner dem Herausgeber der Reihe Conditio Judaica, Prof. Dr. Hans Otto Horch, sowie Till Schicketanz, Μ. Α., die viel Geduld bewiesen. Außerdem gilt mein herzlichster Dank allen Autoren beziehungsweise ihren Rechtsnachfolgern (soweit sie ausfindig gemacht werden konnten), die den Abdruck der Texte erlaubten. Ohne die Unterstützung und die Anregungen meines Mannes Bruno Weinhals und die Geduld und Nachsicht meiner Tochter Roxane wäre dieser Band nicht entstanden. Der Abdruck von Martin Buber, Eine Jungjüdische Bühne in Wien, erfolgt mit freundlicher Genehmigimg des Gütersloher Verlagshaus. Der Abdruck von Uriel Birnbaum, Prolog, erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Mirjam Birnbaum. Der Abdruck von Molly Picons Briefen an Clara Picon erfolgt mit freundlicher Genehmigung der American Jewish Hisorical Society, New York, Ν. Y. Der Abdruck von Abisch Meiseis' Texten (Salcia Weinberg, Ein interessanter Brief von Stefan Zweig, Nicht mehr hier ...) erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Ruth Schneider. Der Abdruck von Benno Weiser Varon, »Titel Nebensache!«, erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors. Trotz intensiver Bemühungen der Herausgeberin konnten in vielen Fällen weder nähere Angaben zu den Autoren der einzelnen Quellen noch über eventuelle Rechtsnachfolger ermittelt werden. Personen, die ihre Rechte betroffen sehen, sollten sich an die Herausgeberin wenden.