Das Buch Kohelet: Studien Zur Struktur, Geschichte, Rezeption Und Theologie [Reprint 2013 ed.] 3110157578, 9783110157574

In der Reihe Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft (BZAW) erscheinen Arbeiten zu sämtlichen Ge

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German Pages 398 [396] Year 1997

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Das Buch Kohelet: Studien Zur Struktur, Geschichte, Rezeption Und Theologie [Reprint 2013 ed.]
 3110157578, 9783110157574

Table of contents :
Einführung
Kohelet: Stand und Perspektiven der Forschung
Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur
Widersprüche und Spannungen im Buch Qohelet. Zu einem neueren Versuch, Spannungen und Widersprüche literarkritisch zu lösen
Qohelet im Horizont mesopotamischer, levantinischer und ägyptischer Weisheitsliteratur der persischen und hellenistischen Zeit
Kohelet im Kontext hellenistischer Kultur
Kohelet und Sirach
Die Rezeption der Tora im Buch Kohelet
Das Buch Kohelet in jüdischer und christlicher Interpretation
Kohelet: Leben im Angesicht des Todes
Die theologische Relevanz des Buches Kohelet

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Das Buch Kohelet Studien zur Struktur, Geschichte, Rezeption und Theologie

W G DE

Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Herausgegeben von Otto Kaiser

Band 254

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1997

Das Buch Kohelet Studien zur Struktur, Geschichte, Rezeption und Theologie Herausgegeben von Ludger Schwienhorst-Schönberger

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1997

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt

Dit Deutsche Bibliothek - CIP-Einbeitsaufnabme [Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft / Beihefte] Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft. Berlin ; New York : de Gruyter Früher Schriftenreihe Reihe Beihefte zu: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Bd. 254. Das Buch Kohelet - 1997 Das Buch Kohelet : Studien zur Struktur, Geschichte, Rezeption und Theologie / hrsg. von Ludger Schwienhorst-Schönberger. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1997 (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft ; Bd. 254) ISBN 3-11-015757-8

ISSN 0934-2575 © Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Inhaltsverzeichnis

Ludger Schwienhorst-Schönberger Einführung

1

Ludger Schwienhorst-Schönberger Kohelet: Stand und Perspektiven der Forschung

5

Norbert Lohfink Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur Franz Josef Backhaus Widersprüche und Spannungen im Buch Qohelet. Zu einem neueren Versuch, Spannungen und Widersprüche literarkritisch zu lösen

39

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Christoph Uehlinger Qohelet im Horizont mesopotamischer, levantinischer und ägyptischer Weisheitsliteratur der persischen und hellenistischen Zeit 155 Reinhold Bohlen Kohelet im Kontext hellenistischer Kultur

249

Johannes Marböck Kohelet und Sirach

275

Thomas Krüger Die Rezeption der Tora im Buch Kohelet

303

Eberhard Bons Das Buch Kohelet in jüdischer und christlicher Interpretation

327

Franz Kutschera Kohelet: Leben im Angesicht des Todes

363

Frank-Lothar Hossfeld Die theologische Relevanz des Buches Kohelet

377

Ludger Schwienhorst-Schönberger (Passau)

Einführung Das Buch Kohelet erfreut sich seit einiger Zeit einer besonderen Aufmerksamkeit und dies nicht nur in exegetischen Fachkreisen. Beobachter konstatieren eine gewisse Affinität zur Mentalität der Zeit. Was fasziniert an diesem Buch? Seine Skepsis? Sein selektiv-kritischer Umgang mit Tradition? Sein herrschaftskritischer Zug? Sind es die verborgenen Spuren der Transzendenz? Seine poetische Gestalt? Oder schlicht sein Aufruf zur Freude, ja zum Lebensgenuß? Die weithin übliche Plazierung des Buches im Randbereich alttestamentlicher Tradition scheint es gegenwärtig zu empfehlen. Die Existenz am Rande ermöglicht einen befreienden Blick auf die Mitte. Grund genug, in einen wissenschaftlichen Diskurs über dieses faszinierende Buch des Ersten Testamentes einzutreten. Die Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen katholischen Alttestamentlerinnen und Alttestamentler hat dies auf ihrer Tagung vom 2.9. - 6.9.1996 in Graz getan. Die in diesem Band versammelten Beiträge gehen auf Vorträge zurück, die im Rahmen dieser Tagung gehalten wurden. Wir haben das interdisziplinäre und interkonfessionelle Gespräch gesucht und sind dankbar, daß Prof. Dr. Franz Kutschera als Philosoph und Prof. Dr. Thomas Krüger von der Universität Zürich durch ihre Beiträge wesentlich zum Gelingen der Tagung beigetragen haben. Die Kollegen Diethelm Michel, Martin Rose und Antoon Schoors haben als Gäste an unserer Tagung teilgenommen und sie durch ihre wertvollen Diskussionsbeiträge bereichert. Die in diesem Band versammelten Beiträge kreisen um fünf zentrale Themen: (1) Aufbau, Form und Einheitlichkeit des Buches (N. Lohfink; F.J. Backhaus); (2) sozio-kultureller Kontext (C. Uehlinger; R. Bohlen); (3) Stellung im Kanon (Th. Krüger; J. Marböck); (4) jüdische und christliche Auslegungsgeschichte (E. Bons); (5) philosophische und theologische Relevanz (F. Kutschera; F.-L. Hossfeld). Der Beitrag von L. Schwienhorst-Schönberger ist forschungsgeschichtlich orientiert und führt in das Thema ein. N. Lohfink legt im detaillierten Gespräch mit neueren Arbeiten (D. Michel, Th. Krüger, F.J. Backhaus, L. Schwienhorst-Schönberger, A. Fischer, J. Y.-S. Pahk) einen methodologisch hochreflektierten Strukturentwurf für den 1. Teil des Buches (1,1-3,15) vor, skizziert die Komposition des zweiten, dritten und vierten Teils und liefert damit wichtige Argumente für die Annahme einer

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Ludger Schwienhorst-Schönberger

kohärenten Gesamtkomposition des Buches, die als ein Zusammenspiel von linearer und palindromischer Anordnung zu verstehen ist. Um die literarkritische Analyse des Buches ist es in den letzten Jahren still geworden. Allerdings hört man neuerdings wieder von Versuchen, die in diese Richtung gehen. F. J. Backhaus setzt sich kritisch mit diesen Tendenzen auseinander und stellt darüber hinausgehend grundsätzliche Überlegungen bezüglich alternativer Ansätze zur Erklärung der sog. Widersprüche und Spannungen im Koheletbuch an. Im Rahmen der Frage nach dem soziokulturellen Kontext wurde das Buch in den letzten Jahren vor allem im Spannungsfeld von Judentum und Hellenismus verortet. Ch. Uehlinger hält diese Kontextuierung für zu eng. Durch Darstellung und Interpretation umfangreichen, zum Teil schwer zugänglichen Materials der mesopotamischen, levantinischen und ägyptischen Weisheitsliteratur legt er ein engagiertes Plädoyer für eine neue und eingehende Berücksichtigung dieses dritten, vernachlässigten Horizontes im Rahmen der Koheletexegese vor. Die gegenwärtig vorherrschende Interpretation Kohelets im Horizont hellenistischer Kultur wird von R. Bohlen aufgegriffen. Er konkretisiert die These anhand einer eingehenden Interpretation von Koh4,l; 5,7f unter Berücksichtigung der ökonomischen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen der hellenistischen Zeit und diskutiert anschließend zwei neuere Arbeiten (C.R. Harrison, L. Schwienhorst-Schönberger), die sich mit dem Verhältnis Kohelets zur hellenistischen Kultur befassen. Unter Anwendung der Kriterien von Intertextualität diskutiert J. Marböck die vielverhandelte Frage der Beziehung von Kohelet und Sirach. Vorsichtig plädiert er für die These, daß Sirach Kohelet gekannt habe. Im eingehenden Textvergleich stellt er beide als zwei Weisen theologischen Denkens dar, die in Anknüpfung und Distanz zum je anderen verstanden werden können. Die weithin übliche Etikettierung Kohelets als tora-distanziert wird von Th. Krüger problematisiert. „Das Koheletbuch rezipiert die Tora nicht als »kanonischen«, sondern als »klassischen« Text. Darin stimmt es mit einem Großteil der zeitgenössischen spätisraelitischen bzw. frühjüdischen Literatur überein. ... Damit scheint es im biblischen Kanon ein Modell für einen kanonkritischen, »aufklärerischen«, dabei aber durchaus auch selbstkritischen Umgang mit religiöser Tradition zu bieten" (321f). Kohelet, der Prediger der Gottesfurcht und des Tora-Studiums, der Prediger des contemptus mundi, der Sorgenlosigkeit und des Scheiterns alttestamentlicher Weisheit - das sind die Eckpunkte in der jüdischen und christlichen Auslegungsgeschichte des Buches, die E. Bons unter Heranziehung der Primärquellen entfaltet und kritisch reflektiert. Kaum ein Buch des Alten Testaments weist so starke Affinität zu dem auf, was wir unter Philosophie verstehen. Franz Kutschern nähert sich dem Buch als Philosoph. Er versteht es als ein existenzphilosophisches Werk, dessen

Einführung

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Problemstellung nicht nur von historischem Interesse, sondern durchaus aktuell ist (363). In der Intensität des Todesbewußtseins wie der Lebensfreude, darin, „daß beides gleichgewichtig nebeneinander und zusammen besteht" sieht er die Größe des Buches. Die Freude, die Kohelet verkündet „muß ... schon etwas Intensiveres sein als bloßer Lebensgenuß, wenn sie sich auch im Angesicht der Vernichtung halten soll" (374). F.L. Hossfeld hält in seinem Beitrag „wie ein Schnitter Nachlese". Er resümiert den Verlauf der Tagung unter den Stichworten Kanongeschichte, Philosophie und Theologie, Anthropologie und Ethik und zieht die Verbindungslinien zu Gesetz und Propheten. Kohelet - so sein Resümee - „verkündet ... eine philosophische Position im Horizont des biblischen Gottesglaubens" (387). Die Tagung wäre nicht möglich gewesen ohne die glänzende Organisation durch Prof. Dr. Johannes Marböck und Frau UD Dr. Irmtraud Fischer und ihren Mitarbeitern. Ihnen und den Mitarbeitern des Tagungshauses, des Priesterseminars der Diözese Graz, sei für ihre Mühe und Gastfreundschaft ganz herzlich gedankt. Dank gebührt auch der Steiermärkischen Landesregierung und dem Österreichischen Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung sowie der Universität Graz für die großzügige finanzielle Unterstützung der Tagung und der Publikation der Beiträge. Für die nicht immer einfache Herstellung der Druckformatvorlage danke ich meiner Sekretärin Frau Gabriele Bauer. Frau Dr. Ruth Scoralick, Frau Katrin Brockmöller und Frau Barbara Schmitz haben Korrektur gelesen, Herr Bernhard Klinger hat Computer-Probleme gelöst. Ihnen danke ich für ihre Mühe. Herr Prof. DDr. Otto Kaiser hat die Publikation der Beiträge in der Reihe BZAW ermöglicht. Ihm sei von Herzen gedankt.

Ludger Schwienhorst-Schönberger (Passau)

Kohelet: Stand und Perspektiven der Forschung1 1. Einleitung

Im Buch Kohelet hängt irgendwie alles miteinander zusammen. Insbesondere die Fragen nach Aufbau, Einheitlichkeit, Gattung und Thema lassen sich nicht voneinander trennen. Wer beispielsweise der Ansicht ist, das Buch sei eine relativ lockere Zusammenstellung von Einzelsentenzen, wird sich schwer tun, überhaupt von einem Thema zu sprechen. Wer die Spannungen und Widersprüche des Buches literarkritisch zu lösen versucht, muß alles noch einmal viel differenzierter angehen. All dies ist nun wiederum abhängig vom Verständnis einiger Schlüsseltexte. Bei der Interpretation dieser Texte werden die Weichen für das Gesamtverständnis des Buches gestellt. Ich nenne derer drei: (1) Der Rahmen- und Mottovers des Buches 1,2: Snn San D^an Snn nbnp in« D^nn San „Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch."

Stammt der Vers ganz oder teilweise von einem Redaktor oder vom Autor des Buches? Stellt der Satz eine inhaltliche Zusammenfassung des Buches dar? Handelt es sich um eine universale Aussage im Sinne von „alles ist absurd", oder liegt eine anthropologisch zugespitzte Aussage vor im Sinne von „das alles ist absurd", wobei in den sich daran anschließenden Ausführungen erst noch geklärt werden muß, was denn alles absurd ist. (2) Ein zweiter Schlüsseltext ist das bekannte Gedicht über den Kosmos mit seiner Spitzenaussage in 1,9: tintín nnn tinir1« ρκι „Ja, es gibt nichts Neues unter der Sonne."

Liegt in dem Gedicht eine erste, und zwar negative Beantwortung der Frage nach dem Gewinn von 1,3 vor? Ist das Gedicht mit seiner zyklischen Kosmo1

Der vorliegende Text gibt meinen nur geringfügig überarbeiteten Vortrag vom 1. September 1996 in Graz wieder.

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Ludger Schwienhorst-Schönberger

logie Ausdruck von Sinnlosigkeit - wie fast alle Exegeten annehmen - oder Ausdruck von Sinn? (3) Eine nicht zu unterschätzende Rolle im Hinblick auf das Verständnis des Buches bildet ferner 1,13b: 'is rmaS c n x n ^nb D'nbx ]n; j n

um

„Das ist ein böses Geschäft, das ein Gott den Menschen aufgetragen hat, daß sie sich damit abmühen."

Gibt der Satz die Ansicht Kohelets wieder, oder formuliert er eine These, die im folgenden überprüft und schließlich in 3,10f zurückgewiesen wird, wo es heißt: „Ich sah mir das Geschäft an, das ein Gott den Menschen aufgetragen hat, daß sie sich damit abmühen: Das alles hat er schön gemacht zu seiner Zeit."

Bei der Interpretation des Buches spielt - so ist mein Eindruck - eine bei den jeweiligen Exegeten im Hintergrund stehende Theologie eine nicht zu unterschätzende Rolle. Diethelm Michel hat die bekanntlich von den Rabbinen erörterte Frage wieder aufgeworfen, ob das Buch Kohelet - von der Sache her geurteilt - überhaupt in den Kanon gehöre: „Wenn man auf die reine Lehre sieht, hatten diejenigen Recht, die Kohelet nicht im Kanon haben wollten. ... Mit großer denkerischer Strenge hat Qohelet den Versuch unternommen, in der Welt nach einem letzten Sinn zu fragen und aufgrund seiner Erkenntnisse etwas über Gott zu sagen. Ganz sicher ist, daß seine Aussagen über den Gott, der im Himmel thront und dem man nie begegnen kann, nicht zu vereinbaren sind mit dem, was sonst im Alten Testament über Gott gesagt wird: daß er sich offenbart hat, daß er handelnd und erwählend in die Geschichte eingegriffen hat und eben in diesem seinem erwählenden Handeln erkennbar und anzubeten ist. ... nach dem Zeugnis des Alten wie des Neuen Testaments muß man von Gott anders reden."2

Meines Erachtens darf man der theologischen Frage bei der Auslegung des Buches nicht ausweichen. Auf unserer Tagung wird sich der Vortrag von Frank-Lothar Hossfeld ausdrücklich mit diesem Thema beschäftigen, aber auch die Vorträge von Franz Kutschern, Thomas Krüger und Eberhard Bons werden auf die philosophisch-theologische Problematik des Buches eingehen. Doch zuvor müssen streng exegetische Fragen erörtert werden. Im folgenden möchte ich nun darlegen, wie sich mir der gegenwärtige Stand der

2

D. Michel, Untersuchungen (1989), 288.

Kohelet: Stand und Perspektiven der Forschung

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Kohelet-Forschung darstellt und in welche Richtung meines Erachtens weiter gedacht und gearbeitet werden könnte. 2. Aufbau des Buches Im Hinblick auf die Frage nach dem Aufbau des Buches möchte ich zunächst die Linie der Forschung kurz vorstellen, die man unter die Überschrift stellen könnte: von der Sammlung zur Komposition. (1) Ausgangspunkt ist die inzwischen schon klassisch gewordene Formulierung von Franz Delitzsch, die in diesem Zusammenhang regelmäßig zitiert wird. In seinem Kohelet-Kommentar von 1875 schreibt er: „...stufengängige Entwicklung, fortschreitende Beweisführung läßt sich vermissen und sogar die Gruppierung des Gleichartigen ist nicht rein durchgefühlt; die Gedankenverknüpfung ist öfter durch Aeußerliches und Zufalliges bestimmt und nicht selten schiebt sich in die Kette des Sachverwandten ein fremdartiges Glied ein. ... Die Aneinanderreihung der Bekenntnisse wird von c. 3 an aphoristisch, und die eingelegten Spruchreihen lassen sich nicht befriedigend rubricieren. Die Gründe, Anlässe und Absichten, welche den Verf. bestimmten, Bekenntnisse und Sittensprüche gerade so einander folgen zu lassen, entziehen sich großenteils der Beobachtung. Alle Versuche, in dem Ganzen nicht nur Einheit des Geistes, sondern auch genetischen Fortgang, allesbeherrschenden Plan und organische Gliederung nachzuweisen, mußten bisher und werden inskünftig scheitern".3 Die hier zitierte Position wird nun von F. Delitzsch selbst bereits ein wenig relativiert. An gleicher Stelle schreibt er nämlich, daß sich inbezug auf Inhalt und Gedankengang des Buches „durchweg gleiche Weltanschauung mit gleichem Ultimatum und auch insofern Kunst der Composition" zeigt, „als eine malerische Ouvertüre das Buch eröffnet und ein malerisches Finale es abschließt"4. Bis heute versucht eine Richtung der Kohelet-Forschung, diese „Kunst der Composition" herauszuarbeiten, während eine andere Richtung diesem Versuch gegenüber skeptisch bleibt.5

3 4 5

F. Delitzsch, Koheleth (1875), 195. Ebd. AG. Wright, The Riddle of the Sphinx (1968), 313-324, nennt die Vertreter der beiden einander gegenüberstehenden Modelle. Als Vertreter der „vorherrschenden" These, daß im Buch keine planvolle Ordnung zu erkennen sei, führt er ebd. 314, Anm. 3 an. C.H.H. Wright (1883); G. Wildeboer (1898); E.H. Plumptre (1898); A.H. MacNeile (1904); V. Zapletal (1905); G.A. Barton (1908); G.C. Martin (1908); M. Jastrow (1919); A L. Williams (1922); G. Kuhn (1926); B. Gemser (1931); K. Galling (1932; 1940; 21970); A.D. Power (1952); R.H. Pfeiffer (1952); R. Goidis (21955); E. Jones (1961); W. Zimmerli (1962); E.T. Ryder (1962); H.W. Hertzberg (*1963); O. Eissfeldt (engl. 1965); R.B.Y. Scott (1965); A. Banicq (1968). Als Vertreter der

8

Ludger Schwienhorst-Schönberger

In seinem Kommentar von 1940, 2. Aufl. 1969, hat Kurt Galling den einen Teil der Position von F. Delitzsch aufgegriffen, weiter entfaltet und begründet. K. Galling versteht das Buch als eine Sammlung von Sentenzen:6 „Es basiert auf der grundlegenden Erkenntnis, daß der Autor nicht ein Buch (einen Traktat de vani tate rerum) geplant hat, sondern seine jeweilige Erkenntnis in einer auf ein bestimmtes Thema zugespitzten Sentenz zum Ausdruck bringt... Die einzelnen Sentenzen stehen sich im Gesamttenor so nahe, daß es keiner übergreifenden Gliederung bedurfte, um jeweils eine Gruppe von Sentenzen von einer nachfolgenden abzusetzen. Bildet die einzelne Sentenz primär die literarische Einheit, die als solche ausgelegt werden muß, so heißt das natürlich auf der anderen Seite nicht, daß die einzelnen Sentenzen wie Spielkarten durcheinandergemischt und nach dem so entstandenen Zufalls-Resultat hintereinander gestellt wurden. Ob Q. selbst noch die vorliegende Reihenfolge entworfen hat, ist fraglich. Jedenfalls ist ein Schüler Q.s als Herausgeber... für das Ganze verantwortlich."7 Explizit hat Walter Zimmerli die Frage in einem Aufsatz von 1974 wieder aufgegriffen: „Das Buch Kohelet - Traktat oder Sentenzensammlung?" W. Zimmerli bezieht eine Mittelposition. Von K. Galling aus gesehen geht der Trend in Richtung Traktat: Es „lässt sich m.E. die Tatsache schwerlich übersehen, daß in gewissen Partien des Buches Kohelet über längere Strecken, und über eine Mehrzahl von Gallingscòm Sentenzen hin eine Fragestellung durchgehalten und - gewiß nicht in gedanklicher Einlinigkeit, sondern in einer inneren assoziativen Weiterfiihrung weiterentwickelt wird."8 Dennoch ist das Buch „kein Traktat mit klar erkennbarem Aufriß und einem einzigen, bestimmbaren Thema. Es ist aber zugleich mehr als ein lose Sentenzensammlung, obwohl der Sammlungscharakter an einzelnen Stellen nicht zu übersehen ist."9

6 7 8 9

These, daß das Buch planvoll aufgebaut und ein Gedankenfortschritt zu erkennen sei, führt er mit Angabe der von diesen vertretenen Gliederung ebd. 315f, Anm. 4; 5 an: A. Bea (1950); H.L. Ginsberg (1950; 1952; 1955); F. Hitzig (1847); C.D. Ginsburg (1861); O. Zöckler (1870); J.F. Genung (1904); E. Podechard (1912); D. Buzy (1946); A. Vaccari (1935); A. Miller (51946); J.J. Weber (1947); R. Pautrel (1948); H. Lamparter (1955). Von der 1. zur 2. Auflage seines Kommentars hat K. Galling die Anzahl der Sentenzen von 36 auf 26 reduziert. K. Galling, Prediger (21969), 76. W. Zimmerli, Traktat (1974), 226f. Ebd. 230.

Kohelet: Stand und Perspektiven der Forschung

9

Die Mittelposition von W. Zimmerli vertreten u.a. A. Lauha,10 J.A. Loader,11 J.L. Crenshaw,'2 G. Ogden," M.V. Fox,u R.N. Whybray," J. Vilchez Lindez16 und auch - soweit er sich explizit dazu äußert - Thomas Krüger." (2) Für die weitere Frage nach einer übergreifenden Kompositionsstruktur erwies sich eine Beobachtung von Walter Zimmerli als sehr fruchtbar, nämlich die Beobachtung, daß sich in Koh 1,12-2,26 ein großer Gedankenbogen findet, „der erst in 2,24-26 zu seinem Ende kommt und nicht einfach in völlig voneinander unabhängige Sentenzen zerbrochen werden darf."18 Diese Beobachtung wurde von verschiedenen Autoren weiter entfaltet: Norbert Lohfink, Diethelm Michel, Hans-Peter Müller, Alexander Fischer, Franz Josef Backhaus™. Über W. Zimmerli hinausgehend sehen diese Autoren - freilich bei etwas unterschiedlicher Abgrenzung - in den ersten drei Kapiteln eine zusammenhängende Darstellung. D. Michel bezeichnet Koh 1,3-3,15 als einen bewußt als Einheit konzipierten Traktat,20 N. Lohfink nennt 1,12-3,15 „die grundlegendste und zusammenhängendste Darlegung des ganzen Buches."21 Umstritten ist, wie weit dieser Zusammenhang reicht: nach N. Lohfink, D. Michel, H.P. Müller und A. Fischer bis 3,15, nach F.J. Backhaus, dem ich mich anschließe, bis zum Ende von Kap. 3.22 Wenn in den ersten drei Kapiteln des Buches eine kompositionelle Einheit erkennbar ist, dann kommt natürlich die Frage auf, ob eine solche auch in den weiteren Kapiteln zu finden ist und wie sich diese Kapitel zum ersten Teil des Buches verhalten. Hier ist die Forschung - soweit ich sehe - von einem Konsens noch relativ weit entfernt. Nach D. Michel läßt sich in den Kapiteln 5-12 kein übergreifender Gedankenzusammenhang erkennen.23 In die gleiche Richtung tendiert Christian Klein in seiner bei Hans-Peter Müller erstellten Dissertation „Kohelet und die 10

11 12 13 14 15 16 17 18 19

20 21 22 23

A. Lauha, Kohelet (1978), 4f. Vgl. allerdings ebd. 214: „Da das Predigeitiuch eine Sentenzensammlung ist, die verschiedene Themen aufgreift, ist nicht vorauszusetzen, daß die Gedankengänge überall ganz übereinstimmen." J.A. Loader, Ecclesiastes (1986), 7f. J.L. Crenshaw, Ecclesiastes (1987), 47f. G. Ogden, Qoheleth (1987), 12. M.V. Fox, Qohelet (1989), 16lf. R. N. Whybray, Ecclesiastes (1989), 21f. J. Vilchez Lindez, Ecclesiastes (1994), 59. Th. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 13f. W. Zimmerli, Buch des Predigers (31980), 127. N. Lohfink, Kohelet (41993), 23; 34. D. Michel, Untersuchungen (1989), 1-83, besonders 46; 78-83; 133. H.P. Müller, Theonome Skepsis (1986), 1: Koh 1,12-3,14 (15) weist eine „ringförmige Struktur" auf. A. Fischer, Beobachtungen (1991), 72; 86. F.J. Backhaus, „Zeit und Zufall" (1993), 57; 64; 70; 75; 143-158. D. Michel, Qohelet ( 1988), 3 2 N. Lohfink, Kohelet (41993), 23. Vgl. hierzu die ausführliche Diskussion von N. Lohfink in diesem Band S. 78-105. D. Michel, Untersuchungen (1989), 48. Vgl. ebd. 269.

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Ludger Schwienhorst-Schönberger

Weisheit Israels. Eine formgeschichtliche Studie" von 1994. Für den Anfang (1,4-3,15) und für das Ende (11,7-12,7) des Buches - so Ch. Klein - läßt sich ein planvoller Aufbau nachweisen, nicht aber für den Mittelteil 3,16-11,6. Hier läßt sich „weder ein fortschreitender Gedankengang noch eine Verbindung zu den ... Anfangs- und Endteilen des Korpus feststellen."24 Anders N. Lohfink. Er rechnet mit einem spannungsvollen Zugleich von linear-dynamischer und palindromischer Anordnung.25 Im Hinblick auf die linear-dynamische Anordnung gliedert er das Buch in vier Hauptteile, denen als Einstieg 1,2-11 vorausgeht: 1,2-11 1,12-3,15 3,16-6,10 6.11-9,6 9,7-12,8

Einstieg (Thesen, Fragen, ein Kosmosbild als Hintergrund) Narrative Einführung in die vor allem anthropologische Hauptthese Vertiefung durch viele Einzelzugänge aus der sozialen Erfahrung Refiitatio entgegenstehender Auffassungen, vor allem der älteren Weisheit Applicatio durch konkrete Weisungen für das Weltverhalten

Die „palindromische Gesamtkonstruktion " stellt sich nach N. Lohfink dar als eine Anordnung von sieben Teilen, deren Zentrum die Religionskritik in 4,175,6 bildet: l,2f Rahmen 1,4-11 Kosmologie (Gedicht) 1.12-3,15 Anthropologie 3.16-4,16 Gesellschaftskritik I 4.17-5,6 Religionskritik (Gedicht) 5,7-6,10 Gesellschaftskritik II 6,11-9,6 Ideologiekritik 9,7-12,7 Ethik (am Ende: Gedicht) 12,8 Rahmen F.J. Backhaus weist die von Lohfink aufgestellte These einer palindromischen Anordnung zurück.26 Er hat aber in seiner minutiösen Untersuchung - und zwar, wenn ich recht sehe, gewissermaßen ohne Absicht die von N. Lohfink im Rahmen seiner linear-dynamischen Anordnung vertretene Gliederung de facto untermauert, wenn auch mit einer etwas unterschiedlichen Abgrenzung. Nach F.J. Backhaus gliedert sich das Buch in vier Teile. 24 25 26

C. Klein, Kohelet und die Weisheit Israels (1994), 163. N. Lohfink, Kohelet f l 9 9 3 ) , 10. F.J. Backhaus, „Zeit und Zufall" (1993), 212, Anm. 124.

Kohelet: Stand und Perspektiven der Forschung

1,3-3,22

4,1-6,9

6,10-8,17

9,1-12,8

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Programmatische Grundschrift: (a) Negative Antwort auf die Frage nach dem Gewinn (1,3); (b) Begründung mit Hinweis auf das Todesgeschick des Menschen, die Allmacht Gottes und die Niedrigkeit des Menschen Keine übergreifende Komposition, die auf einen Gedankengang schließen läßt.27 „Resignierendes Beobachten politisch-sozialer Verhältnisse (Qoh. 4,1-3; 4,13-16; 5,7-8) wechselt mit der Haltung gegen die Gier nach Reichtum und Besitz ab (Qoh. 4,4-6.7-12; 5,9-6,9). Eine Ausnahme bildet diesbezüglich Qoh. 4,17-5,ó."28 Gedankliche Entfaltung der drei rhetorischen Fragen 6,11b („welchen Gewinn hat der Mensch?"), 6,12a („wer weiß, was gut ist fur den Menschen ...?"), 6,12b („wer sagt dem Menschen, was nach ihm sein wird ... ?"): Allmacht Gottes und Unerforschlichkeit seiner Werke Das alle Menschen gleichermaßen treffende Todesgeschick

Die Teilkompositionen II, III und IV weisen nach F.J. Backhaus inhaltliche Rückbezüge zur ersten Teilkomposition auf. Untereinander aber - so F.J. Backhaus - weisen sie (mit wenigen Ausnahmen) keinerlei inhaltliche Bezüge auf. Die Teilkompositionen II, III und IV nehmen also unabhängig voneinander Themen aus der ersten Teilkomposition auf. Daraus zieht F.J. Backhaus die Schlußfolgerung, daß 1,3-3,22 nicht die Einleitung einer das gesamte Buch umfassenden Komposition darstellt, „die etwa durch einen fortlaufenden Gedanken(gang) konstituiert wird."29 Nach F.J. Backhaus gibt es „oberhalb der vier Teilkompositionen ... keine übergreifende Gesamtkomposition, in die das aufgezeigte inhaltlich-gedankliche Verhältnis der vier Teilkompositionen eingebettet wäre."30 In meiner Kohelet-Arbeit habe ich den von F.J. Backhaus erarbeiteten vierteiligen Aufbau übernommen31. Allerdings zeigt sich meines Erachtens - und darin stimme ich mit F.J. Backhaus nicht überein -, daß sich in der Anordnung der vier Teile eine Systematik erkennen läßt, die vor dem Hintergrund der antiken literarischen Rhetorik zu verstehen ist und die sich aus ihrer Hinordnung auf ein, alle Teile umfassendes Thema ergibt, nämlich der Frage nach dem Inhalt und der Bedingung der Möglichkeit menschlichen Glücks. Die von F.J. Backhaus herausgearbeiteten vier Teile des Buches zeigen meines Erachtens Entsprechungen zu den vier Teilen der klassischen antiken Rede.32 27 28 29 30 31 32

Ebd. 211. Ebd. 213. Ebd. 320. Ebd. 330. L. Schwienhorst-Schönberger, Glück ( 1994, 21996), 3f. Vgl. H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, Stuttgart 31990, 147-149. Dort auch eine Konkordanz zu den verschiedenen Einteilungsarten. Die Bezeichnun-

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Ludger Schwienhorst-Schönberger

1,1

12,9-14

Überschrift Rahmen und Mottovers („Windhauch") 1,2 1,3-3,22 Darlegung (propositio): Darlegung und Beantwortung der Frage nach Inhalt und Bedingung der Möglichkeit menschlichen Glücks 4,1-6,9 Entfaltung (explicatio): Auseinandersetzung mit einem vorphilosophischen Glücksverständnis: Entwertung traditioneller Werte im Hinblick auf die Bestimmung des höchsten Gutes 6,10-8,17 Verteidigung (refutatio): Auseinandersetzung mit alternativen Glücksbestimmungen 9,1-12,7 Anwendung (applicatio): Aufruf zur Freude und zu tatkräftigem Handeln 12,8 Rahmen- und Mottovers („Windhauch") Zwei Nachworte

Genau genommen müßte man den ersten Teil, die propositio, noch etwas feiner untergliedern in: prooemium (1,3-11), narratio (1,12-2,26: in Form einer Ich-Erzählung als Königstravestie) und probatio (= argumentatio) (3,122). Die argumentatio im engeren Sinne wird durch prooemium und narratio vorbereitet." Ferner übernimmt der zweite Teil (4,1-6,9) bereits Aufgaben der refutatio, freilich bezogen auf ein vorphilosophisches Glücksverständnis. Eine sorgfältige Untersuchung des Buches im Kontext jüdischer und antiker Rhetorik wäre meines Erachtens eine vielversprechende Aufgabe.34 Damit habe ich eine Linie der Forschung herausgestellt. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Kompositionsmodelle. Die Unterschiedlichkeit der von den Autoren vorgeschlagenen Modelle ist relativ groß. Es wäre Thema eines eigenen Vortrags, diese en detail vorzustellen und miteinander zu vergleichen.35 Ich möchte allerdings noch ein Modell erwähnen, und zwar das Strukturmodell von Addison G. Wright,36 das immerhin auch Roland E. Murphy seinem Kommentar von 1992 zugrundelegt,37 das Antoon Schoors gelobt hat,38 dem allerdings D. Michel ablehnend gegenübersteht.39 Addison G.

33 34 35 36 37 38

gen können im Hinblick auf ihre primäre Funktion wechseln. Für die Gattung der Gerichtsrede nennt Quintilian folgende Teile: prooemium (= exordium), narratio, probatio, refutatio, peroratio. „Die Theoretiker sind sich über die Anzahl der Teile der Rede, d.h. über den Feinheitsgrad der Einteilung nicht einig" (ebd. 147). Ebd. 190. Vgl. V. D ·Alario, Qohelet (1993), 183-237. Vgl. ebd. 35-58; 181. AG. Wright, The Riddle of the Sphinx (1968); ders., The Riddle of the Sphinx Revisited (1980); ders., Additional Numerical Patterns (1983). R. Murphy, Ecclesiastes (1992), XXXIX - XLI. A. Schoors, Structure (1982), 97f.

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Kohelet: Stand und Perspektiven der Forschung

Wright verwendet eine Methode, die viele mit Skepsis betrachten. Er sieht um es kurz zu sagen - Korrelationen zwischen dem Zahlenwert einiger Schlüsselwörter (insbesondere dem Wort hbt), der Anzahl der Verse und der Markierung von Einschnitten im Text. Beispiel: Das Wort hbl hat den Zahlenwert 37; es kommt 38mal im Buch vor; das zweite Vorkommen in 9,9 ist möglicherweise als Dittographie zu streichen. In 1,2 kommt der Singular von hbl dreimal vor. 3 x 3 7 = 1 1 1 . 111 ist genau die Hälfte der 222 Verse des ganzen Buches (1,1-12,14), also einschließlich der Epiloge. Der Einschnitt liegt zwischen 6,9 und 6,10. Hier nehmen immerhin auch andere Exegeten aus ganz anderen Gründen einen Einschnitt an. Die Unterschiedlichkeit der von den Autoren erarbeiteten Kompositionsmodelle läßt nun auf der anderen Seite das Sentenzenmodell, freilich in abgewandelter Form, nicht ganz verstummen. (3) Einen dritten Weg hat jüngst Alexander Achilles Fischer beschritten in seiner bei Otto Kaiser erstellten Dissertation. Alexander Fischer vertritt ein redaktionsgeschichtliches Modell. In 1,3-3,15 sieht er - wie viele andere Autoren auch - eine als kompositioneile Einheit konzipierte Darlegung, die er als „Grundschrift oder besser als Traktat" bezeichnet: „Danach folgen kürzere oder längere Abschnitte, die teils thematisch gruppiert, teils als gedanklich zusammenhängende Erörterungen anzusprechen sind. Eine durchgängige literarische Disposition ist freilich nicht zu ermitteln, es sei denn, daß man den einen oder anderen Text gewaltsam in eine Ordnung zwingt. Hingegen

zeigen

stilistische

Eigentümlichkeiten

und

charakteristische

weisheitliche Topoi, daß die Stücke sämtlich der Denkweise eines Verfassers entstammen und in typischer Manier von Kohelet selbst (oder von einem Späteren?)

formuliert

sind.

Dieser

Befund

verlangt

ein

redaktionsge-

schichtliches Erklärungsmodell, nämlich daß das Koheletbuch aus mehreren Stücken zusammengesetzt ist, die dem Herausgeber vielleicht in gewisser Reihenfolge vorlagen." 40

In einer Anmerkung schreibt A. Fischer. „Von den vergeblichen Versuchen, einen planvollen Aufbau nachzuweisen, zeichnet die Forschungsgeschichte ein eindrucksvolles Bild."41 Er führt eine Reihe von Arbeiten an, zuletzt die von F..J. Backhaus. Nach A. Fischer „ist es unmöglich, das Buch Kohelet als ein literarisches Gesamtkunstwerk zu betrachten. Vielmehr setzt es sich aus verschiedenen Stücken zusammen, die ursprünglich einmal selbständige Darlegungen bildeten und auf ihre Verwendung in der Schule hindeuten."42 Es 39 40

41 42

D. Michel, Qohelet (1988), 35-39. A. Fischer, Skepsis oder Furcht Gottes? (1997), 5-7. Ich danke Herrn Dr. Fischer für die Zusendung der seinerzeit noch nicht veröffentlichten Dissertation. Inzwischen ist die Arbeit als BZAW 247 erschienen. Hiernach wird im folgenden zitiert. Ebd. 6, Anm. 14. Ebd. 20.

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Ludger Schwienhorst-Schönberger

ist nun allerdings interessant, zu sehen, daß auch A. Fischer im Rahmen seines redaktionsgeschichtlichen Modells einen vierteiligen Aufbau herausarbeitet, der sich sowohl in der Abgrenzung als auch in der inhaltlichen Bestimmung

auf der von N. Lohfink, F.J. Backhaus und L. Schwienhorst-Schönberger gezeichneten Linie bewegt:43 (1) 1,3-3,15; (2) 3,16-6,12; (3) 7,1-8,17; (4) 9,112,7. Hier scheint sich ein Konsens anzubahnen. Abgrenzungs- und Zuordnungsprobleme gibt es vor allem in 3,17-22 und 8,17-9,6.44 Die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Kompositionsmodellen, dem redaktionsgeschichtlichen Modell und - soweit es noch vertreten wird - dem Sentenzenmodell, kann meines Erachtens nicht allein auf rein formaler Ebene geführt werden. Sie muß korreliert werden mit einem Gesamtverständnis des Buches, sowohl im Hinblick auf die Frage nach der Gattung, als auch im Hinblick auf die Frage, ob, und wenn ja, welches Thema, welche materia artis, hier eigentlich behandelt wird, und das geht nicht ohne Berücksichtigung des kulturellen Kontextes, in dem das Buch entstanden ist. Nur so können wir den Diskussionszusammenhang rekonstruieren, in den das Buch gehört, und möglicherweise auch eine kohärente Argumentationsstrategie. 3. Einheitlichkeit Die meisten Exegeten gehen davon aus, daß in Koh 12,9-14 Nachworte von zwei verschiedenen Herausgebern vorliegen. Das erste Nachwort 12,9-11 stammt wahrscheinlich von einem Schüler Kohelets, der die Lehre seines Meisters in die theologische Tradition der weisheitlichen Überlieferung Israels einführt, indem er seine Worte als Gabe eines einzigen Hirten (inx ηΐΓι) bezeichnet, womit wahrscheinlich der 1ΠΚ cnbtt, der eine und einzige Gott Israels, gemeint ist. Dem ersten Herausgeber wird i.d.R. auch die Überschrift 1,1, ganz oder zumindest in einer Grundform zugesprochen. Einem zweiten Herausgeber werden normalerweise die Verse 12,12-14 zugeschrieben. Er hängt sich terminologisch an Kohelet an, interpretiert ihn allerdings im Sinne der sich herausbildenden jüdischen Orthodoxie nomistisch und holt ihn damit in die weisheitlich-theologische Schultradition zurück, aus der Kohelet ausgebrochen war. Im Rahmen der Frage nach der frühesten Rezeption des Buches und seiner Integration in den Kanon haben die Epiloge in den letzten Jahren eine weiterführende und zum Teil sehr subtile Interpretation erfahren, vor allem von G. T.

Shepparct5, G.H. Wilson'6, C. Dohmen4?, F.J. Backhaus48 und N. Lohfink49. 43 44 45 46

A. Fischer, Skepsis oder Furcht Gottes? (1997), 19f. Vgl. auch die Tabelle S. 252. Vgl. hierzu N. Lohfink in diesem Band S. 106-108. G.T. Sheppard, Epilogue ( 1977). G.H. Wilson, „The Words of the Wise" (1984).

Kohelet: Stand und Perspektiven der Forschung

15

Darauf gehe ich an dieser Stelle nicht näher ein. Für unsere Frage nach der Einheitlichkeit des Buches halte ich fest, daß die soeben genannten wie auch fast alle anderen Autoren davon ausgehen, daß Koh 1,2-12,8 und 12,9-14 von verschiedenen Autoren stammen. Eine Alternative zu diesem Modell vertritt Michael V. Fox. Seiner Ansicht nach stammt das ganze Buch von einem Autor. 50 Dieser Autor erzählt die Geschichte eines Mannes namens Kohelet, den er im Corpus seines Buches in Form einer langen Rede zu Wort kommen läßt. Das Ich des Autors kommt im Epilog 12,9-14 zum Vorschein, in der Anrede „mein Sohn". Der Buchautor führt Kohelet in 3. P. in 1,1 und 1,2 ein („Windhauch, Windhauch" sagte Kohelet „Windhauch, Windhauch, das alles ist Windhauch") und er leitet ebenso in 12,8 wieder aus („Windhauch, Windhauch", sagte nbnipn, »der Versammlungsleiter«, das alles ist Windhauch"). Nach diesem Modell ist Kohelet also nicht identisch mit dem Autor des Buches, sondern die Maske, die „persona", durch die hindurch der Autor des Buches spricht. Die Distanz zwischen Epilog und Corpus ist nicht polemischer Natur, sondern hat eine schützende und vermittelnde Funktion. Durch die Unterscheidung der beiden Ebenen beabsichtigt der Autor, einen möglichen Widerstand gegen das Buch abzuschwächen, indem er den Inhalt als einen Bericht der Worte Kohelets präsentiert. 51 Soweit M V. Fox. Ich kann auf dieses höchst beachtenswerte Konzept an dieser Stelle nicht näher eingehen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß, selbst wenn man daran festhält, daß die Epiloge sekundär sind, bzw. der Epilog sekundär ist, das Buch gleichwohl eine Rahmenerzählung bleibt, es sei denn, man hält die Rahmenverse 1,2 und 12,8 für sekundär oder innerhalb der Rahmenverse die Redeeinleitung nbnp "inx bzw. nbmpn was viele Exegeten tun, was allerdings nicht unproblematisch ist und zu einem anderen Gesamtverständnis des Buches führt. 52 - Soweit in aller Kürze zu diesem Modell.

Ich komme nun zu den Spannungen und Widersprüchen im Corpus des Buches selbst. Daß es auch hier Spannungen und Widersprüche gibt, ist unumstritten. Die Frage ist, wie sie zu erklären sind. Ich klassifiziere die verschiedenen Erklärungen in fünf Modelle, die zum Teil miteinander kombiniert werden. 53

47 48 49 50 51 52 53

C. Dohmen/M. Oeming, Biblischer Kanon (1992), 30-54. F.J. Backhaus, Der Weisheit letzter Schluß (1994). N. Lohfink, Les épilogues (1995); der s., Satzeröffnungen (1996). M.V. Fox, Frame Narrative (1977); ders., Qohelet (1989), 311. M V. Fox, Qohelet (1989), 316f. Kritik am „frame-narrator"- Konzept von M V. Fox übt F.J. Backhaus, „Zeit und Zufall" (1993), 82-84. Allerdings bin ich nicht ganz überzeugt. Vgl. D. Michel, Qohelet (1988), 9-45. M.V. Fox, Qohelet (1989), 19-28. Th. Krüger, Gegenwansdeutung (1990), 41-56.

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(1) Das erste Modell könnte man bezeichnen als das biographische. Es geht zurück auf Ferdinand Hitzig aus dem Jahre 1847. F. Hitzig versteht die Widersprüche des Buches als Spuren des Denkweges, den Kohelet gegangen ist. Kohelet ist - so Hitzig - „im Suchen begriffen. ...Was ... zu thun sey, damit war er keineswegs im Reinen, keineswegs schon ausgerüstet mit einer fertigen Wahrheit, die er nur zu entwickeln gehabt hätte; vielmehr findet er dieselbe erst am Schlüsse, nachdem er sich durchgekämpft hat. Hieraus steht es denn auch zu erklären, wenn er zu wiederholten Malen scheinbar in Widerspruch mit sich selbst geräth. ... Es erhellt, dass Vielem, was der Vf. sagt, nur augenblickliche Geltung zukommt als einem Ring in der Kette der Deduktionen. Es thut seine Dienste und wird überwunden; die spätere Behauptung hebt die frühere auf; und definitiv lehrt Kohelet nur Dasjenige, was am Ende unwidersprochen stehen bleibt".54 Kann man mit diesem Modell das spannungsreiche Verhältnis verschiedener Texteinheiten oder größerer Abschnitte zueinander vielleicht noch erklären, so wird es ausgesprochen schwierig, mit der Annahme einer geistigen Entwicklung des Autors Spannungen und Widersprüche auf kleinstem Raum, innerhalb einer Texteinheit zu erklären. (2) Das zweite Modell versteht die Spannungen und Widersprüche des Buches aus der Eigenart des Koheletschen Denkens. Dieses Modell existiert in verschiedenen Varianten. Ich rechne dazu die Theorie der „Zwar-Aber-Aussagen" von H.W. Hertzberg,55 die Theorie der drei verschiedenen Reflexionstypen von F. Eilermeier,56 die Theorie der „polar structures" von J.A. Loader und auch den „Lösungsverzicht" von M V. Fox." Zur Illustration führe ich kurz das Modell der „polar structures" von J.A. Loader vor: Es gelten gleichzeitig die einander widersprechenden Aussagen A und B. Die Spannung wird auf theoretischer Ebene ins Wort gefaßt durch die /(¿/-Aussage. Auf praktischer Ebene wird sie gelöst durch die Aufforderung zum Lebensgenuß.58 (3) Das dritte Modell geht literar- und redaktionskritisch vor. Es versucht, die Spannungen und Widersprüche des Buches aus seiner literarischen Wachstumsgeschichte zu erklären. Die extremste Form dieses Lösungsansatzes stammt von Carl Siegfried. Er rechnet mit insgesamt neun Schichten: Einer Grundschrift, dem „Buch des pessimistischen Philosophen" (Q1), die sich vor allem in den ersten drei Kapiteln findet, femer mit vier Glossatoren (einem Epikuräer aus sadduzäischen Kreisen [Q2], einem „Weisen" [„glossierender Chakam Q3"], einem Frommen [„glossierender Chasid Q4"], einer Gruppe von 54

55 56 57 58

F. Hitzig, Prediger Salomo's (1847), 124f. Ähnlich V. Zapletal, Kohelet (1905), 32. J.L. Crenshaw, Ecclesiastes (1987), 48f: „I believe the tensions of the book represent for the most part the fruit of a lifetime' s research." H. W. Hertzberg, Prediger (1963), 30. F. Eilermeier, Qohelet I (1967). M. V. Fox, Qohelet (1989). J.A. Loader, Ecclesiastes (1986), 12-14. 132.

Kohelet: Stand und Perspektiven der Forschung

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Glossatoren aus dem Umfeld der allgemeinen Spruchweisheit [Q5]), zwei Redaktoren und zwei Epilogisten.59 Ich führe diesen Ansatz an einem Beispiel vor. In Koh 7,26 lesen wir: Immer wieder finde ich: Bitterer als der Tod ist die Frau, sie ist ein Ring von Belagenmgstürmen, ihr Herz ist ein Netz, Fesseln sind ihre Arme. Glücklich vor Gott, wer ihr entkommt, doch wer sein Leben verfehlt, wird von ihr gefangen."

In 9,9 ruft Kohelet dazu auf, das Leben mit einer Frau, die man liebt, zu genießen. C. Siegfried sieht zwischen beiden Aussagen einen Widerspruch. Er löst ihn literarkritisch auf: Das negative Urteil über die Frau in 7,26 stammt „vom pessimistischen Philosophen" (Q1), der Aufruf, mit der geliebten Frau das Leben zu genießen von einem „epikuräischen Glossator" (Q2).60 Dieser so Siegfried - „hängt am Leben und findet es schön."61 Der extrem literarkritisch orientierte Ansatz von C. Siegfried konnte sich nicht durchsetzen.62 In gemäßigter Form, und zwar i.d.R. mit der Annahme von zwei Ergänzern und einem Herausgeber wurde er in den Kommentaren vom Anfang des Jahrhunderts vertreten, von A.H. MacNeile (1904), G. Barton (1908), E. Podechard (1912), später auch noch von D. Buzy (1951). Diese Forschungsrichtung wird heute im Grunde nur noch durch ein sog. Glossenmodell aufrechterhalten. Vertreter eines Glossenmodells ist A. Lauha. Er rechnet mit zwei Redaktoren. Vom ersten Redaktor, einem Schüler Kohelets, stammen 1,1.2; 12,8.9-11; vom zweiten Redaktor stammen die „dogmatischen Korrekturen" 2,26a.b.ot; 3,17a; 5,18; 7,26b; 8,12b.l3; 11,9b und das zweite Nachwort 12,12-1463. Ähnlich J.L. Crenshaw.64 Α. Fischer weist 3,17; 6,10; 9,3b, 11,9b der Hand des zweiten Epilogisten zu.65 Ein Vers wird von fast allen Exegeten als literarisch sekundär angesehen, und zwar i.d.R. als Erweiterung des zweiten Epilogisten, nämlich 11,9b: „Aber sei dir bewußt, daß Gott dich für all das vor Gericht ziehen wird!"

59 60 61 62 63 64

65

C. Siegfried, Prediger (1898), 10-12. Ebd. 10; 67. Ebd. 10. Zu neueren literarkritischen Versuchen zu Kohelet vgl. den Beitrag von F.J. Backhaus in diesem Band. A. Lauha, Kohelet (1978), 6f. J.L. Crenshaw, Ecclesiastes (1987), 48: Literarisch sekundär sind 1,1; 2,26a; 3,17a; 8,12.13; 11,9b; 12,9-11.12-14, vielleicht 5,18 und 7,26b und möglicherweise auch 1,2 und 12,8. A. Fischer, Skepsis oder Furcht Gottes? (1997), 20, Anm. 76.

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Allerdings haben die jüdischen Gelehrten Heinrich Graetz, Ludwig Levy und Robert Gordis beachtenswerte Gründe genannt, den Vers im Sinne Kohelets zu verstehen. Ihrer Ansicht nach darf der Anschluß nicht adversativ verstanden werden. H. Graetz weist auf bNed 10a hin: „Der Mensch wird Rechenschaft über alles geben müssen, was er sah und nicht genoß."66 N. Lohfink hat sich erneut mit dem Vers beschäftigt, und zumindest gezeigt, daß er im „Formgeflecht des Gedichtes quer [liegt], selbst wenn er keine diachron abzuhebende Glosse ist und eine Aufforderung ausdrücken sollte, die man Kohelet zutrauen kann. Hier spricht auch bei synchroner Lektüre eine andere Stimme, nicht die des Gedichts."67 In diesem Zusammenhang möchte ich auch kurz auf das Motiv der Gottesfurcht zu sprechen kommen, weil es von einigen Exegeten zumindest an einigen Stellen als sekundär angesehen wird. Das Motiv begegnet explizit in 3,14b; 5,6b; 7,18; 8,12b.13. D. Michel vermutet, 5,6b stamme vom zweiten Epilogisten.68 7,18 ist nach D. Michel „entweder ironisch gemeint oder, was mir wahrscheinlicher ist, eine spätere Ergänzung des 2. Epilogisten".69 F.J. Backhaus vertritt die These, daß sämtliche Gottesfurchtstellen ursprünglich sind.70 (4) Das vierte Modell zur Erklärung der Spannungen und Widersprüche im Buch ist das sog. Zitatenmodell. Erste Ansätze dazu finden sich bereits bei M. Mendelssohn (1771) und F. Hitzig (1847).71 L. Levy, R. Gordis, N. Lohfink und R.N. Whybray haben es weiter differenziert,72 und in letzter Zeit hat vor allem D. Michel diese These argumentativ abgestützt und für die

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67 68 69 70

71

72

H. Graetz, Kohélet (1871), 33. L. Levy, Qoheleth (1912), 130f: „Dieselbe Anschauung liegt den Worten Qoh's zu Grunde und harmoniert vollständig mit seiner Gottesidee: Der Lebensgenuß ist Gottes Gabe 2,26, 3,13, 5,18. Gott offenbart sich in der Freude des menschlichen Herzens 5,19 ... Diesen Vorstellungen reiht sich der Gedanke, daß Gott darüber Rechenschaft verlangt, ob man seine Gaben nicht verschmäht hat, außerordentlich passend an. Das Mißverständnis, Ui Sil sei adversativ, liegt aber so nahe, daß sich der Gedanke aufdrängt, Qoh habe absichtlich für frömmere Gemüter doppelsinnig gesprochen." R. Gordis, Kohelet (31968), 336. Ahnlich neuerdings auch Th. Krüger, Dekonstruktion (1996), 116f. N. Lohfink, Freu dich, Jüngling (1995), 164. D. Michel, Qohelet (1988), 143. Ebd. 151. F.J. Backhaus, „Zeit und Zufall" (1993), 361-366. So auch N. Lohfink, Tor (1983), 117, Anm. 25; dera.,Windhauch (1990), 29, Anm. 11; ders., Qoheleth 5: 17-19 (1990), 633, Anm. 43. F. Hitzig, Prediger Salomo's (1847), 124: „Es wäre ein arger Missgriff, wollte man dem Vf. alle Aussagen des Buches als seine eigene und definitive Ansicht aufbürden: C. 10, 16-19. z.B. wird von dem Vf. einem Andern in den Mund gelegt und V.20 ausdrücklich missbilligt." L. Levy, Qoheleth (1912). R. Gordis, Koheleth (1968). N. Lohfink, Frauenfeind (1979, 2 1990); ders., Kohelet (1980, 41993). R.N. Whybray, Quotations (1981).

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Interpretation des Buches fruchtbar gemacht.73 Die Zitatentheorie erklärt die Spannungen und Widersprüche mit der Annahme, daß Kohelet Ansichten zitiert, mit denen er sich kritisch auseinandersetzt. Was von den Literarkritikern häufig als eine orthodoxe (religiöse oder weisheitliche) Erweiterung angesehen wird, werten die Vertreter der Zitatentheorie in der Regel als eine von Kohelet zitierte gegnerische Ansicht, die er nicht teilt, sondern kritisiert und zurückweist. Inbezug auf das bereits genannte Beispiel Koh 7,26 funktioniert dieses Modell folgendermaßen: Nach N. Lohfìnk, D. Michel und Antoon Schoors handelt es sich in 7,26 um ein Zitat.74 Sinngemäß müßte man übersetzen: „Dauernd finde ich die Ansicht: Bitterer als der Tod ist die Frau" usw. Diese frauenfeindliche Ansicht wird von Kohelet zitiert, aber im Rückgriff auf den Schöpfungsbericht (7,29) zurückgewiesen.

Ein Problem, mit dem sich die Zitatentheorie konfrontiert sieht, besteht darin, daß die Zitate i.d.R. nicht als solche gekennzeichnet und folglich schwer zu erkennen sind. Ferner weist M.V. Fox darauf hin, daß mit der Identifikation eines Zitates nicht viel gewonnen sei, wenn nicht geklärt werden könne, ob Kohelet die zitierte Ansicht teilt oder ablehnt.75 (5) Die Schwächen des Zitatenmodells versucht ein fünftes Modell aufzufangen: der rezeptionsorientierte Interpretationsansatz. Andeutungen in diese Richtung finden sich bei Norbert Lohfink und Eberhard Bons.16 Ganz konsequent hat Thomas Krüger diesen Ansatz auf das Kohelet-Buch angewandt.77 Im Hinblick auf die Spannungen und Widersprüche des Buches ist dieses Modell im Grunde eine differenzierende Weiterführung des Zitatenmodells. Der rezeptionsorientierte Ansatz hält die Uneindeutigkeit der Unterscheidung von Zitat und Kommentar für beabsichtigt. Sie ist eine spezifische Form der Argumentationsstrategie, die den Leser in besonderer Weise an der Konstitution des Textverständnisses beteiligen soll. Die Uneindeutigkeit des Textes ist also nicht durch Exegese zu beseitigen, sondern zu beschreiben als eine spezifische Form der Offenheit des Textes, die zunächst einmal verschiedene Möglichkeiten des Verständnisses zuläßt, welches erst im weiteren Verlauf der Lektüre schärfere Konturen gewinnt und in eine spezifische Richtung gelenkt wird. Thesen und Antithesen des Buches fungieren wie 73 74

75 76 77

D. Michel, Qohelet (1988), 32f; ders., Untersuchungen (1989), 1-83; 133f; 329 s.v. Im Anschluß daran auch L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (21996), 265f. N. Lohfink, Frauenfeind (1979, 21990); D. Michel, Untersuchungen (1989); A. Schoors, Vrouw (1993); L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (21996), 175-180. Vgl. aber auch I. Riesener, Frauenfeindschaft (1996) und Th. Krüger, Frau Weisheit (1992). MV. Fox, Qohelet ( 1989), 28. N. Lohfink, Kohelet (1980, "1993), bes. die Auslegung der Eingangsverse, S. 19-21. E. Bons, Koh 1,12-2,11 (1984), 90. Th. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990).

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eine Art von Navigation. Der Leser wird gelenkt, ohne daß er sofort und eindeutig die Widersprüche und Spannungen im Sinne von Zitat und Kommentar verstehen und zuordnen kann. Bereits D.J.G. Wetzstein (1875) hat in seinen „Excursen zum Hohenliede und zu Koheleth", die dem Kommentar von Delitzsch beigegeben sind, einen ähnlichen Gedanken geäußert. Er findet bei Kohelet die „Vorliebe für den Doppelsinn", „welche im Arabischen talchîn ... heißt".78 L. Levy hat diesen Gedanken aufgegriffen" und vor allem für die Interpretation von 8,2-8; 11,9b und 12,13 frachtbar gemacht. In Kap. 8, wo eine Auseinandersetzung mit dem Königtum stattfindet, sieht L. Levy Hinweise darauf, daß Kohelet „aus Furcht vor Spionen und Denunzianten (s. 10,20) verhüllt und zweideutig sprechen" mußte.80

Meines Erachtens wird ein rezeptionsorientiertes Zitatenmodell dem literarischen Charakter des Buches am ehesten gerecht. Dieses Modell trägt mit seiner streng textbezogenen Argumentationsweise jener Einsicht Rechnung, die im Grunde so alt ist wie die Kohelet-Forschung selbst, nämlich der Einsicht, daß das Buch in einer Auseinandersetzung steht und daß sich diese Auseinandersetzung im Text selbst widerspiegelt. Damit verweist es auf den politischen, sozialen, kulturellen und intellektuellen Kontext, in dem das Buch entstanden ist und aus dem heraus es zu verstehen ist. Gleichzeitig kann dieses Modell die Frage nach der Gattung des Buches in einer Erfolg versprechenden Weise voranbringen. Der rezeptionsorientierte Ansatz wirft neue Fragen auf. Wie ist das Verhältnis zwischen Offenheit und kohärenter Konzeption von Einzeltext und Buch-Ganzem zu bestimmen? Wie und wohin wird der Leser bei der Lektüre des Textes geführt? Dies sorgfältig zu beschreiben, wird eine Aufgabe der künftigen Kohelet-Forschung sein. 4. Gattung (en) (1) Im Buch Kohelet werden verschiedene literarische Formen und Gattungen verwendet: Sentenz („Wahrspruch"), Mahnspruch, Vergleichsspruch, weisheitliches Lehrgedicht, autobiographisch stilisierte Reflexion, Bankettlied und noch einige andere. In der form- und gattungsgeschichtlich orientierten Exegese wurde und wird vor allem diskutiert, wie Kohelet mit diesen Formen umgeht, wie er sie erweitert, verändert und wie sein Verhältnis zu den Formen und Lehrgehalten traditioneller jüdischer Weisheit zu bestimmen ist. Die bereits genannte Dissertation von Christian Klein greift die Fragestellung auf

78 79 80

D.J.G. Wetzstein, Excurse zum Hohenliede und zu Koheleth, in: F. Delitzsch, Koheleth (1875), 453. L. Levy, Qoheleth (1912), 37. Ebd. 112.

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und versucht, weiter zu differenzieren. Doch darauf gehe ich an dieser Stelle nicht näher ein. Von der Frage nach den im Buch vorkommenden Gattungen zu unterscheiden ist die Frage nach der Gattung des Buches als ganzem, der Rahmengattung. Sie wird oft gar nicht gestellt,81 aber ich meine, sie muß gestellt werden, und zwar vor allem von denjenigen Exegeten, die die Systematik und Einheitlichkeit des Buches betonen. (2) Wer keinen planvollen Aufbau und keinen mehrere Texteinheiten durchlaufenden Gedankengang zu erkennen vermag, begnügt sich i.d.R. mit der Feststellung, das Buch sei eine Spruchsammlung. (3) Einen gewissen Einfluß hat der Vorschlag von Kurt Galling ausgeübt, die sog. Königstravestie von der aus Ägypten bekannten Gattung des Königstestamentes her zu verstehen.82 Dem haben sich Otto Eißfeld," Gerhard v. Racf* und A arre Lauhaß! angeschlossen. Doch wird man diese Gattungsbestimmung kaum auf das ganze Buch übertragen können, auch wenn G. v. Rad in diese Richtung tendiert. Dagegen hat sich vor allem Oswald Loretz ausgesprochen,86 ebenso Christian Klein.87 (4) Seit 1912 gibt es den Vorschlag, das Buch von der Gattung der Diatribe her zu verstehen. Der Vorschlag stammt vom ehemaligen Rabbiner von Brünn Ludwig Levy. L. Levy versteht die dialogischen Elemente des Buches als „Nachahmung des Stilcharakters der kynisch-stoischen Diatribe".88 Diese Position vertritt auch Arthur Allgeier in seinem Kommentar von 1925. Die Form des Buches - so A. Allgeier - erinnert an die Diatribe „der kynischen und stoischen Popularphilosophie", „worin ganz ähnlich wie in Koh Rede und Gegenrede wechselt und zwar ebenfalls oft so, daß äußerlich nicht kenntlich gemacht wird, wann die Gegenrede einsetzt und die Antwort beginnt."89 Als Diatribe verstehen das Buch Serafín de Ausejo,90 Rainer Braun," Norbert

81 82 83 84

85 86 87 88 89 90

91

Das entsprechende Kapitel bei D. Michel, Qohelet (1988), 76 lautet: „Literarische Formen (Gattungen) bei Qohelet". K. Galling, Kohelet-Studien (1932), 298f. O. Eißfeld, Einleitung (" 1976), 676. G. v.Rad, Weisheit in Israel (1970, 31985), 292: „... seiner äußeren Form nach ein Ausläufer einer besonders im alten Ägypten gepflegten Literaturgattung, nämlich des Königstestaments." Ders., Theologie I (1957, 81987), 469. A.Lauha, Kohelet (1978), 2; 12; 44f. O. Loretz, Qohelet (1964), 57-65. C. Klein, Kohelet und die Weisheit Israels (1994), 163. L. Levy, Qohelet (1912), 59. A. Allgeier, Koheleth (1925), 11. S. de Ausejo, El género literario del Ecclesiastés (1948), mit ausführlicher Begründung, in Auseinandersetzung mit den literarkritischen Theorien von Siegfried, Podechard und Buzy und unter Hinweis auf die „Theorie der zwei Stimmen" bei den Kirchenvätern, die er durch die Diatriben-Theorie gewissermaßen rehabilitiert sieht. R. Braun, Kohelet und die frühhellenistische Popularphilsophie (1973), 151-166.

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Lohfink,92 Robert MichaucL93 Insgesamt aber konnte sich diese Gattungsbestimmung bis heute nicht durchsetzen. James Crenshaw äußert sich zurückhaltend94, RolandE. Murphy stellt sie in Frage.95 Christian Klein hat sie jüngst ausdrücklich zurückgewiesen, und zwar mit folgenden Argumenten:96 1.

2.

3.

„Die Diatribe ... ist eine zusammenhängende Rede, während ab Koh3,16ff ja gerade kein sichtbarer Zusammenhang zwischen den einzelnen Aussageeinheiten mehr erkennbar ist." „Die zwölf Kapitel stellen auch nicht »eine abgegrenzte Behandlung eines einzelnen philosophischen, meist ethischen Satzes« [R. Bultmann, Diatribe, 10-64] dar, sondern umgreifen die ganze Fülle weisheitlicher Topoi." „Ebenso ist der für die Diatribe typische dreiteilige Aufbau, bestehend aus a) der positiven Darlegung eines Ideals b) einer negativen Darlegung oder Scheltrede und c) einer Schlußermahnung im Buch Kohelet nicht zu finden"

Meines Erachtens treffen alle drei gegen die Gattungsbestimmung Diatribe ins Feld geführten Argumente nicht zu: 1. 2.

3.

Ab Koh 3,16ff ist sehr wohl ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Aussageeinheiten erkennbar. Die zwölf Kapitel behandeln ein Thema; sie können verstanden werden als abgegrenzte Behandlung eines einzelnen philosophischen, und zwar ethischen Satzes. Auch der für die Diatribe typische dreiteilige Aufbau ist bei Kohelet zu finden. Der „positiven Darlegung des Ideals" entspricht die programmatische Grundschrift Kap. 1-3. Die „negative Darlegung oder Scheltrede" ist bei Kohelet zweigeteilt: einmal als Auseinandersetzung mit einer vorphilosophischen Lebensauffassung in 4,1-6,9, zum anderen als Auseinandersetzung mit reflektierten alternativen Lebensentwürfen in 6,10-8,17. Die Schlußermahnung findet sich im letzten Teil des Buches, der mit 9,1 bzw. mit 9,7 beginnt und bei Kohelet inhaltlich als Aufruf zur Freude gestaltet ist.

So überzeugen mich die von C. Klein vorgebrachten Argumente gegen die Gattungsbestimmung Diatribe nicht. Er selbst gesteht ein, daß die Diatribe „tatsächlich ... über eine Reihe von Merkmalen verfügt, die sich im Buch

92 93 94 95 96

N. Lohfink, Kohelet (1980, 4 1993), 10. R. Michaud, Qohélet et l'hellénisme (1987), 122. J. Crenshaw, Ecclesiastes (1987), 29. R.E. Murphy, Ecclesiastes (1992), XXXI. C. Klein, Kohelet und die Weisheit Israels (1994), 164.

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Kohelet finden lassen." 97 Nach C. Klein sprechen schließlich „historische Gründe" gegen die Gattungsbestimmung Diatribe. Kohelet konnte diese Gattung nicht gekannt haben, da sie erst im 3. Jh. v.Chr. aufkommt, „also zeitgleich mit der Abfassung des Buches Kohelet." 98 „Die Gründe für die beobachteten Übereinstimmungen" - so C. Klein - „dürften in einer vergleichbaren zeitgeschichtlichen und kommunikativen Situation der Verfasser zu suchen sein. ... Vergleichbare Verhältnisse lassen beide Seiten zu analogen rhetorischen Mitteln greifen." 99 Mit dieser Aussage allerdings leistet C. Klein gegen seine eigene Absicht der Gattungsbestimmung Diatribe Vorschub, zumindest wenn man den Gattungsbegriff von Wolfgang Richter zugrundelegt, wonach von einer Gattung gesprochen werden kann, wenn „eine bestimmte Form mehr als einmal, und zwar unabhängig voneinander, nachweisbar ist."100 Formale und inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen dem Buch Kohelet und der hellenistischen Diatribe lassen sich meines Erachtens nicht leugnen. Die Frage ist, wie sie exakt zu bestimmen und in ihrer Herkunft zu erklären sind. Hier steht eine umfassende Untersuchung noch aus, wie sie etwa Thomas Schmeller bezüglich der Paulusbriefe vorgelegt hat.101 Otto Kaiser urteilt in dieser Hinsicht folgendermaßen: „... unserer Ansicht" nach ist „der Einfluß der Diatribe auf die Einzeltexte nicht a priori auszuschließen, weil sich für sie nach der einschlägigen Tabelle von R.Braun weithin ein analoger Aufbau nachweisen läßt. ... Man sollte also das Problem der Beziehungen Kohelets zur frühhellenistischen Diatribe noch einmal gründlich und am besten monographisch untersuchen, ehe man C. Kleins Urteil beipflichtet, daß ihre Einwirkung schon aus zeitlichen Gründen unwahrscheinlich sei."102

Thomas Krüger geht im Rahmen der Erläuterung seines rezeptionsorientierten Ansatzes eher beiläufig, aber doch recht differenziert auf das Phänomen Diatribe ein.103 Er zitiert Texte des Teles ausMegara, der um die Mitte des 3. Jh. v.Chr. gelebt hat, und zeigt an ihnen, wie im Verlauf der Argumentation regelmäßig Einwände zur Sprache kommen, die sogleich widerlegt werden. Nicht immer kann der Übergang von Zitat und Kommentar klar erkannt werden. Damit erhöht sich meines Erachtens die Plausibilität der Gattungsbestimmung Diatribe. Aber, wie gesagt, eine umfassende Untersuchung steht hier

97 98 99 100 101 102 103

Ebd. Ebd. Ebd. Dies ist nach W. Richter, Exegese als Literaturwissenschaft (1971), 132 eine erste Voraussetzung für eine Gattung. Th. Schmeller, Paulus und die „Diatribe" (1987). O. Kaiser, Beiträge (1995), 249. Th. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 54-56.

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noch aus. In jedem Fall aber gewinnt das vor allem von N. Lohfink und D. Michel aufgrund rein textinterner Beobachtungen entwickelte Zitatenmodell gewissermaßen durch „external evidence" - an Plausibilität, und die von M. V. Fox dagegen vorgebrachten Einwände verlieren ein Stück weit an Gewicht. 5. Entstehungszeit und Entstehungsort Zwei persische Lehnwörter (2,5: pardës = Baumgarten; 8,11: pitgäm = Botschaft) und eine zum Mischnahebräisch hin tendierende Sprachform mit lexikalischen und grammatikalischen Einflüssen des Aramäischen sprechen für eine nach exilische Entstehungszeit des Buches.104 Terminus ante quem dürfte der Zeitpunkt der Abspaltung der Qumrangemeinde vom Jerusalemer Tempelkult sein (ca. 152 v.Chr.), da in Qumran Fragmente des Kohelettextes gefunden wurden, er also hier schon ein gewisses (kanonisches?) Ansehen genoß.105 Wenn W.H. Hertzberg recht hat, daß sich Sirach mit Kohelet auseinandersetzt, müßte man letzteren vor 190 datieren. C.F. Whitley hat versucht, das Verhältnis umzukehren und Kohelet in die Zeit zwischen 152145 zu datieren,106 konnte sich mit seinem Vorschlag aber nicht durchsetzen.107 Eine im Buch anzutreffende differenzierende Herrscherterminologie weist nach N. Lohfink in das 3. („ptolemäische") Jh.,108 ebenso die von D. Michel angenommene Polemik gegen die aufkommende jüdische Apokalyptik.109 L. Levy sieht in einer Reihe von Texten „historische Andeutungen" und datiert den Abschluß des Buches in das Jahr 203 v.Chr.110 Ähnlich findet K.D. Schunck in einigen Texten Anspielungen an historische Ereignisse, er datiert die Niederschrift des Buches in die Jahre 202-200 v.Chr.,111 ist aber mit seiner präzisen Datierung auf Skepsis gestoßen. Nach D. Michel hat der Zeitraum um 250-200 die größte Wahrscheinlichkeit für sich. Dem schließt sich auch Th. Krüger an, allerdings mit der Tendenz zum „Ende dieser Zeitspanne (nicht lange nach dem Regierungsantritt Ptolemaios' V. 204 v.Chr.)."112 F.J. Backhaus hält einen „Zeitraum von der 2. Hälfte des 3. Jhd. v.Chr. bis zu

104

105 106 107 108 109 110 111 112

Vgl. A. Schoors, „The Preacher sought to find Pleasing Words" (1992), 222. Dort weist er die These von O.C. Fredericks, Qoheleth's Language (1988) aufgrund des sprachlichen Befundes eine vorexilische Datierung des Buches in Erwägung zu ziehen (8. oder 7. Jh.), zurück. Vgl. ferner F. Bianchi, The Language of Qohelet (1993) und C.-L. Seow, Linguistic Evidence (1996). J. Muilenburg, Qumran (1954). C.F. Whitley, Kohelet (1979), 144. O. Kaiser, Beiträge (1995), 16f. Vgl. hierzu auch den Beitrag von J. Marbeck in diesem Band. N. Lohfink, Abfassungszeit (1981). D. Michel, Untersuchungen (1989), 126-137. L. Levy, Qohelet (1912), 30-32. KD. Schunck, Seleukiden (1959), 201. Th. Krüger, Dekonstruktion (1996), 108, Anm. 8.

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Beginn des 2. Jhd. v.Chr." als Abfassungszeit für möglich. 113 Das Buch wird also in die vormakkabäische Zeit datiert. In diesem Zusammenhang wäre die Frage interessant, ob das Buch in die Vorgeschichte derjenigen jüdischen Gruppierung gehört, die etwa um 175 v.Chr. als die sog. Reformjuden hervortreten. Dabei wäre vor allem die Stellung Kohelets zur Tora zu bedenken. 114 Bezüglich des Entstehungsortes dachten P. Volz und P. Humbert wegen der im Buch vorausgesetzten Weite des geistigen Horizontes und einiger Anklänge an ägyptische Vorstellungen (1,5.7; 11,1; 12,5) an Alexandrien?15 L. Levy nahm im Anschluß an P. Kleinert an, Koh 1-7 sei in Jerusalem und Koh 8-12 wegen zahlreicher Anspielungen an den ptolemäischen Königshof (8,2; 10,4.16-19.20; 11,1) in Alexandrien verfaßt. 116 H.W. Hertzberg hat dagegen auf das durchgehend im Buch vorausgesetzte palästinische Kolorit (11,4; 12,2.6) hingewiesen, 117 so daß die große Mehrzahl der Exegeten heute Jerusalem (vgl. 1,12; 2,7.9; 8,10) als Entstehungsort des Buches annimmt, wenngleich es weder für die eine noch die andere These wirklich zwingende Argumente gibt, wie R. E. Murphy angemerkt hat.118

6. Kultureller Kontext Bei der Frage nach dem kulturellen Kontext werden i.d.R. vier Möglichkeiten diskutiert: ägyptischer, babylonischer, phönizischer oder hellenistischer Einfluß. Das Wort „Einfluß" signalisiert allerdings ein Problem, auf das einige Vertreter der verschiedenen Richtungen eingehen, aber nicht alle. Ich behalte den Begriff zunächst der Einfachheit halber bei. (1) Für ägyptischen Einfluß hat sich vor allem P. Humbert (1915; 1929) ausgesprochen, etwas zurückhaltender K. Galling (1932). Dagegen haben sich geäußert O. Loretz (1964), R. Braun (1973), D. Michel (1988). (2) Für babylonischen Einfluß hat sich O. Loretz (1964) ausgesprochen, hat aber nur wenig Zustimmung gefunden. Dagegen hat vor allem R. Braun (1973) argumentiert. Im Hinblick auf die babylonische Tradition wird immer 113 114 115

116 117 118

F.J. Backhaus, „Zeit und Zufall" (1993), 420. Zur Stellung Kohelets zur Tora vgl. den Beitrag von Th. Krüger in diesem Band. P. Volz, Hiob und Weisheit ( 2 1921), 233: „Die Weite des Horizonts und die Stimmung des ganzen Büchleins lassen vermuten, daß der Verfasser in einer Großstadt lebte, eher als in der engen und bürgerlich nüchternen Luft Jerusalems, und so entscheiden wir uns für Alexandrien, die Ptolemäerstadt. Die mehrfachen Anspielungen auf den Königshof, der Hinweis auf Meer und Schiffahrt, die merkwürdigen Parallelen aus ägyptischen Liedern und die Berührung mit hellenistischen Gedanken unterstützen die Annahme, daß Kohelet in der ägyptischen Residenz seinen Aufenthalt hatte". P. Humbert, Qohéleth (1915). P. Kleinert, Einflüsse (1883), 779-782. L. Levy, Qohelet (1912), 32. H. W. Hertzberg, Palästinische Bezüge (1957). R.K Murphy, Ecclesiastes (1992), XXII.

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auf die Parallele zwischen Koh 9,7-10 und der Rede der Schenkin im Gilgamesch-Epos verwiesen. Nun hat Johan Yeong-Sik Pahk in seiner jüngst veröffentlichten Dissertation „II canto della Gioia in Dio" gezeigt, daß sich die Parallele zum Gilgamesch-Epos nicht nur auf Koh 9,7-10 erstreckt, sondern daß eine bereits in Koh 8,16 einsetzende und sich bis 9,10 erstreckende Gedankenabfolge vorliegt, die durchgehend parallel zu einer Textpassage im Gilgamesch-Epos ist.119 Waren solche Texte im 3. Jh. in Jerusalem bekannt? (3) Für kanaanäisch-phönizischen Einfluß im Bereich der Sprache plädierte Mitchell Dahood,120 hat aber kaum Nachfolger gefunden. Antoon Schoors, der als ehemaliger Schüler von M. Dahood der These seines Lehrers zunächst sehr wohlwollend gegenüberstand, kommt im Rahmen seiner gründlichen Untersuchung zur Sprache Kohelets zu dem Ergebnis, daß die These M. Dahoods einer kritischen Überprüfung nicht standhält.121 (4) Am stärksten wurde immer die hellenistische These vertreten. So erstmals vom Subregens des Würzburger Priesterseminars Gregor Zirkel (1792), dann besonders von Ludwig Levy (1912) und Rainer Braun (1973), ebenso von Yehoshua Amir (1965) und Norbert Lohfink (1980). Wenn ich die vier kulturellen Faktoren „ägyptisch, babylonisch, phönizisch, hellenistisch" als Alternativen ansehe, dann muß ich mit D. Michel feststellen, daß der gegenwärtige Trend der Forschung in die hellenistische Richtung geht, also in die Richtung, die besagt, daß das Buch primär aus dem Kontext der hellenistischen Kultur der 2. Hälfte des 3. Jh. s in Jerusalem zu verstehen ist. Als Beispiel für diesen Trend möchte ich Oswald Loretz anführen. 0. Loretz hatte in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahre 1964 entschieden für babylonischen und gegen griechisch-hellenistischen Einfluß plädiert. In zwei Aufsätzen aus dem Jahre 1991 geht er offenbar selbstverständlich von griechisch-hellenistischen Einflüssen aus, ohne das groß zu thematisieren.122 Die ausführlichste Untersuchung zum Thema „Kohelet und der Hellenismus" stammt von R. Braun. Nach R. Braun steht Kohelet in „der beginnenden Auseinandersetzung ... mit der ... griechisch-hellenistischen Bildung."123 Das zentrale Thema dieser Auseinandersetzung ist nach R. Braun „die Frage nach dem Dasein des Menschen in den Gegebenheiten seiner Umwelt."124 R. Braun führt zahlreiche Parallelen zwischen der griechischen 119 120 121 122

123 124

J. Y.-S. Pahk, Canto (1996). M Dahood, Language (1952); ders., Phoenician Background (1966). A. Schoors, Preacher (1992). Er schreibt lediglich in einer Anmerkung: „Wenn ich im folgenden zum Teil grundsätzlich von früheren Positionen abweiche, so erfolgt dies unter der Voraussetzung, daß nur Gott und Dummköpfe ihre Meinung nicht ändern." O. Loretz, „Frau" (1991), 247, Anm. 15. Ders., Anfange jüdischer Philosophie (1991). R. Braun, Kohelet und die friihhellenistische Popularphilosophie (1973), 41. Ebd.

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Literatur und Kohelet an und kommt zu dem Ergebnis, „daß Kohelet mit der griechischen Reflexion seiner Zeit vertraut war, ja, mehr noch, ihr Denken und ihre Lehren übernahm und in seiner Lehrschrift hebräisch formulierte." 125 Das Problem in der meines Erachtens durchaus verdienstvollen Arbeit von R. Braun liegt darin, daß er das Buch in der von K. Galling begründeten Sichtweise unter formalem Gesichtspunkt als eine Sentenzensammlung versteht.126 So bekommt er - wie D. Michel zu Recht kritisch bemerkt hat - die Funktion der verwendeten Motive und Themen, kurz: die eigentliche Aussageabsicht des Buches nicht in den Blick.127 O. Kaiser hat die von R. Braun angeführten Parallelen kritisch gesichtet und sie um etwa zwei Drittel ihres Umfangs reduziert. 128 Immerhin verbleiben noch etwa 48 Motivparallelen, die nach O. Kaiser das Urteil R. Brauns zu bestätigen scheinen, daß Kohelet vor allem mit den Gedanken der in der Schule gelesenen Schriftsteller Homer, Theognis, Euripides und Menander vertraut war. 129 Bei den Vertretern der hellenistischen These gibt es - etwas vereinfachend gesprochen - zwei Richtungen, die allerdings miteinander kombiniert werden können. Die eine rechnet mit einer primär atmosphärischen Beeinflussung Kohelets durch die hellenistische Kultur. Ein Vertreter dieser Richtung ist Martin Hengel und im Grunde auch Otto Kaiser. M. Hengel lehnt „eine direkte Abhängigkeit Qohelets von griechischer Philosophie und Literatur" ab, nimmt aber mit R. Kroeber eine „gedankliche und stimmungsmäßige Berührung mit dem hellenistischen Zeitgeist" an,130 die er dann in sechs Punkten weiter ausführt, auf die ich an dieser Stelle aber nicht eingehe. Die andere Richtung versucht zu zeigen, daß das Buch insgesamt oder zumindest einige Texte desselben nur zu verstehen ist bzw. zu verstehen sind aus einer spezifischen philosophischen, theologischen oder politischen Diskussion, die sich nicht allein als eine rein innerjüdische Auseinandersetzung rekonstruieren läßt, sondern bei deren Rekonstruktion man eine spezifische Problemkonstellation voraussetzen muß, die sich erst aus dem Kontakt zwischen der jüdischen und hellenistischen Kultur im Ptolemäerreich des 3. Jh.s ergab. Man versucht, aus der Analyse der Texte zu zeigen, daß sie einen hermeneutischen Horizont voraussetzen, der sich auf Diskurse erstreckt, die nur mit Elementen griechisch-hellenistischer Literatur

125 126 127 128 129 130

Ebd. 170. Der Hauptteil seiner Arbeit trägt die Überschrift „Motiv- und Kompositionsanalyse der Einzelsentenzen bei Kohelet" (56-151). D. Michel, Qohelet (1988), 63. O. Kaiser, Judentum und Hellenismus (1982), 72f. O. Kaiser, ebd. 73. R. Braun, Kohelet und die frühhellenistische Popularphilosophie (1973), 150. M Hengel, Judentum und Hellenismus (1969, 3 1988), 213f. R. Kroeber, Prediger (1963), 47.

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einigermaßen kohärent rekonstruiert werden können. Es wird gewissermaßen ein interkulturelles Diskussionsforum rekonstruiert, an dem Kohelet teilnimmt. Bei dieser Position muß natürlich der Begriff „Einfluß" präzisiert werden. Bereits L. Levy hat zu Recht darauf hingewiesen, „daß das Buch Qoheleth als ein durchaus selbständiges Werk betrachtet werden muß.131 Aber eben als ein solches, durchaus selbständiges Werk nimmt es in der soeben skizzierten Diskussionslage eine spezifische Position ein. Zu dieser Richtung rechne ich die Arbeit von Thomas Krüger. Auch ich vertrete diese Position. Thomas Krüger versucht darüber hinaus, weitere Diskussionszusammenhänge zu rekonstruieren. Koh 1,3-11 und 11,7-12,7 - so Krüger - setzen sich kritisch mit »eschatologischen« Erwartungen auseinander, die im Zuge der Fortschreibung des Corpus propheticum entwickelt wurden".132 Bei den unterschiedlichen „Einfluß-Theorien" muß gefragt werden, inwiefern hier überhaupt Alternativen vorliegen. Geraten wir in der zweiten Hälfte des 3. Jh. in Jerusalem nicht in eine Zeit, in der unterschiedliche kulturelle und religiöse Traditionen wirkten oder zumindest zugänglich waren?133 Müssen wir mit einer multikulturellen Gemengelage im Jerusalem des späten 3. Jh.s rechnen, bei der die Bezeichnung „hellenistisch" nur den äußeren Rahmen abgibt?134 (5) Die Alternative zu den verschiedenen Einfluß-Theorien ist die, daß man sagt, das Buch sei hinreichend aus einer innerjüdischen Problemkonstellation heraus verständlich. Zu dieser Position tendiert D. Michel. D. Michel möchte zwar die Möglichkeit eines hellenistischen Einflusses nicht grundsätzlich ausschließen, hält einen solchen aber für das Verständnis des Buches im Grunde für irrelevant. Auch D. Michel rekonstruiert die Diskussion, in der Kohelet steht. Kohelet argumentiert - so Michel - in zwei Richtungen. Zum einen „gegen eine optimistische Weisheit, die meinte, durch rechtes Denken und Handeln in dieser Welt einen bleibenden jitrôn erlangen zu können" und zum anderen „gegen eine Haltung, die Askese, Leiden an dieser Welt und Hoffnung auf eine Vergeltung nach dem Tode als Charakteristika hatte und die vermutlich aus der Einsicht in das Scheitern des weisheitlichen TunErgehen-Zusammenhangs entstanden ist (vgl. z.B. 7,10; Ps 73; Ps 37)".135 Mit der zuletzt genannten Frontstellung zielt Kohelet - so D. Michel wahrscheinlich auf Vertreter einer Anfangsphase der Apokalyptik.136 Nach L. Levy ist Kohelet ein Vorläufer der Sadduzäer.137

131 132 133 134 135 136 137

L. Levy, Qoheleth (1912), 12. Th. Krüger, Dekonstruktion ( 1996), 108. Dies wird von Ch. Uehlinger in seinem Beitrag in diesem Band ausführlich erörtert. Ausführlich dazu die Beiträge von Ch. Uehlinger und R. Bohlen in diesem Band. D. Michel, Untersuchungen ( 1989), 273. Ebd. L. Levy, Qoheleth (1912), 44-48.

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7. Thema Behandelt das Buch ein Thema? Wenn ja, welches? Die Vorschläge reichen von „Gottesfurcht", „menschliche Arbeit", „Freude", bis hin zu „Tod", „Windhauch", „Nichtigkeit". Ich möchte in meinem abschließenden Kapitel keinen Überblick über die unterschiedlichen Themenvorschläge geben, sondern das Motiv herausgreifen, das meines Erachtens am ehesten als Thema des Buches in Frage kommt: das Motiv der Freude. Wenn man mit Robert Gordis und einigen anderen Exegeten davon ausgeht, daß der Aufruf zur Freude, wie er im Schlußgedicht erklingt, irgendwie das Ziel des gesamten Buches darstellt,138 und wenn man - wie es jüngst Otto Kaiser getan hat139 - das carpe diem als Summe der Lehren Kohelets bezeichnet, dann ist damit noch keineswegs sichergestellt, daß Einverständnis darüber besteht, was Kohelet unter der Freude, zu der er aufruft, versteht und wie dieses Motiv den anderen Motiven wie Tod, Gewinn, Anteil, Windhauch, Gottesfurcht usw. zuzuordnen ist. Das zeigen die unterschiedlichen Interpretationen und vor allem Stellungnahmen zu seinem Konzept. A. Lauha bezeichnet die Freude, von der Kohelet spricht, als ein Betäubungsmittel, das dem Menschen hilft, die Erbärmlichkeit seines Lebens zu vergessen. 140 Ähnlich Bernhard Lang,141 Frank Criisemannn und Michael

V. Fox.143 Wenn Kohelet die Freude als ein Betäubungsmittel verstünde, das dem Menschen helfe, die Erbärmlichkeit seines Lebens zu vergessen, und wenn er im Aufruf zur Freude im Grunde dazu aufriefe, dieses Betäubungsmittel zu ergreifen, dann käme man in der Tat nicht umhin, dem Buch eine nihilistische Konzeption zuzusprechen, wie es ja auch viele Autoren tun. Im Schlußgedicht ruft Kohelet den jungen Mann zur Freude in der Jugend auf. Dem Schlußgedicht schickt er allerdings in 11,8 eine Interpretation voraus, welche lautet: „Auch wenn ein Mensch viele Jahre lebt, freue er sich in all diesen [Jahren]."

138 139 140 141

142

143

R. Gordis, Koheleth ( 3 1968), 111. O. Kaiser, Botschaft (1995), 66. A. Lauha, Kohelet (1978), 169. B. Lang, Ist der Mensch hilflos? (1979), 120: „Die spezifische Sucht Kohelets ist seine Vorliebe für Essen und Trinken im Rahmen von Festen. Denn dadurch vertreibt er, wie er selbst sagt, seine trüben Gedanken. Die Feste sind sein - Aspirin." F. Criisemann, Die unveränderbare Welt. Überlegungen zur »Krisis der Weisheit« beim Prediger (Kohelet) (1979), 91: Die Fülle des Lebens reduziert sich bei Kohelet „auf Lebensgenuß, dieser wiederum auf Essen, Trinken und Sexualität." MV. Fox, Qohelet (1989), 75: „When Qohelet's frustration at human helplessness peaks, he advises pleasure. It is almost a counsel of despair."

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Die Freude, zu der Kohelet aufruft, ist offensichtlich nicht der Jugend vorbehalten. Sie soll das ganze Leben des Menschen durchdringen. Nun wußte Kohelet aber auch um die bösen Tage (7,14). Wird damit sein Konzept einer ununterbrochen andauernden Freude aufgehoben? In der Problemkonstellation fühlt man sich unwillkürlich an die hellenistischen Philosophen erinnert. Ihnen ging es darum, den Menschen zu einer andauernden und unerschütterlichen Freude zu verhelfen. Von Epikur wird überliefert, daß er diesen Zustand erreicht hat. In seinem Brief an Idomeneus heißt es: „Den glückseligen Tag feiernd und zugleich als letzten meines Lebens vollendend schreibe ich euch dies: ihn begleiten Blasen- und Darmkoliken, die keine Steigerung der ihnen innewohnenden Heftigkeit zulassen. Doch all dem widersetzt sich die Freude meines Herzens über die Erinnerung an die von uns abgeschlossenen Erörterungen."144

Die Freude wird also hier durch den Schmerz nicht aufgehoben, wenngleich dieser nicht geleugnet wird. Man fühlt sich an das Konzept der Desidentifikation erinnert, wie es von verschiedenen Richtungen der transpersonalen Psychologie vertreten wird:145 Ich nehme die Polarität meines Lebens wahr, identifiziere mich aber weder mit dem einen noch mit dem anderen Pol, weder mit der Zeit des Weinens noch mit der Zeit des Lachens, und übe mich in die Desidentifikation mit einem aus der empirischen Wahrnehmung entstandenen Ich-Konzept ein. Nach der Lehre der hellenistischen Philosophen gelange ich dann, aber i.d.R. nur nach langer und intensiver Übung (ασκβσις), in den Zustand der Ataraxia, den Stoiker und Epikureer mit verschiedenen Begriffen wie Glück (eòδαιμόνια), Freude (χαρά), Lust (ηδονή) oder Tugend (apeτή) interpretierten, welche Begriffe aber nicht identisch waren mit dem, was ihre Zeitgenossen umgangssprachlich darunter verstanden.146 Ich habe den Eindruck, daß Kohelet etwas ähnliches tut. Es gibt im Buch Hinweise darauf, daß er den Leser sukzessiv dahin führen will, sein gewissermaßen kategoriales Vorverständnis von Freude auf ein transzendentales Verständnis hin zu öffnen. Nun wird man das Buch nicht einfachhin als Ausdruck einer optimistischen Lebenshaltung verstehen dürfen und auch die Aussage, Kohelet sei der Prediger der Freude, ist höchst mißverständlich. Dem stehen das Thema Tod und die AA/-Aussagen entgegen. Nun geben die Windhauchaussagen aber nicht das Thema an, sie sind auch nicht Ausdruck einer nihilistischen Konzeption, 144 145 146

Epikur, Briefe, Sprüche, Werkfragmente, hg. und üb. von H.-W. Krautz, Stuttgart: Reclam, 1980, 61-63. Vgl. z.B. J. Galuska, Ich, Selbst und Sein: Transpersonale Psychologie und Psychotherapie 1 (1995), 38-51. Ausführlich dazu L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (21996), 251-332.

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sondern im Gegenteil: Sie haben die Funktion, den verborgenen Nihilismus einer optimistischen Lebenskonzeption ans Licht zu heben, einer Lebenseinstellung, die die Güter des Lebens, ja das Leben selbst für etwas Substanzhaftes und Wesentliches hält. Im Aufdecken der Brüchigkeit dieser Lebenskonzeption aber wird gewissermaßen eine Qualität erfahrbar, die dem nihilistischen Sog entzogen ist. Dies erst - so meine ich - ist der Ort, wo Kohelet von der Freude spricht und hier findet sich die Windhauchaussage nicht. Sein Aufruf zur Freude zielt im Grunde auf einen Transformationsprozeß. Der Mensch soll zu einem neuen Existenzverständnis geführt werden. Aus seiner jüdischen Tradition heraus interpretiert Kohelet das Vonwoher der Freude bekanntlich theologisch: Freude ist eine Gabe, ja sogar eine „Antwort Gottes" (5,19),147 und sie soll den Menschen begleiten auf dem Weg in das „Haus seiner Ewigkeit" (12,5). Wenn das richtig ist, dann ist Kohelet gerade dort, wo er von der Freude spricht, Theologe. Seine Theologie will nicht in einen Zustand der Narkose versetzen, sondern zu einem sensitiven Erwachen führen.

147

So F. Delitzsch, Koheleth (1875), 301. L. Levy, Qoheleth (1912), 7; 23; 99. A. Allgeier, Koheleth (1925), 36. N. Lohfink, Qoheleth 5: 17-19 (1990). Vgl. auch neuerdings A. Fischer, Skepsis oder Furcht Gottes? (1997), 58; 81-86.

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Literatur (Auswahl) Kohelet-Literatur von 1875-1988 bietet die von R.G. Lehmann zusammengestellte Bibliographie bei D. Michel, Untersuchungen zur Eigenart des Buches Kohelet (BZAW 183), Berlin u.a. 1989, 290-322. Neuere Forschungsberichte Bianchi, Francesco, The Language of Qohelet. A Bibliographical Survey: ZAW 105 (1993)210-223. Chopineau, Jaques, L'Image de Qohelet dans l'Exégèse Contemporaine: RHPhR 59 (1979) 595-603. Crenshaw, James L., Qohelet in Current Research, in: Biblical and other Studies in honour of Robert Gordis, hg. R. Ahroni: Hebrew Annual Review 7 (1983) 41-56. Kaiser, Otto, Judentum und Hellenismus: VF 27/1 (1982) 68-88. ders., Judentum und Hellenismus. Ein Beitrag zur Frage nach dem hellenistischen Einfluß auf Kohelet und Jesus Sirach, in: ders., Der Mensch unter dem Schicksal (BZAW 161), Berlin - New York: W. de Gruyter, 1985, 135-153. ders., Beiträge zur Kohelet-Forschung. Eine Nachlese: ThR 60 (1995) 1-31. 233-253. Michel, Diethelm, Qohelet (EdF 259), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1988. Kommentare Allgeier, Arthur, Das Buch des Predigers oder Koheleth (HSAT Feldmann/Herkenne 6,2), Bonn: Hanstein, 1925. Barton, George Aaron, A critical and Exegetical Commentary on the Book of Ecclesiastes (ICC 21), Edinburgh 1908 (Repr. 1959). Bonora, Antonio, Il Libro di Qoèlet (Guide Spirituali all'Antico Testamento), Roma: Città Nuova, 1992. Buzy, Denis, L'Ecclésiaste traduit et commenté: SB (PC) 6 (1951) 189-280. Crenshaw, James L., Ecclesiastes. A Commentary (OTL), Philadelphia: Westminster Press, 1987. Delitzsch, Franz, Hoheslied und Koheleth, mit Excursen von Consul D. Wetzstein (BC IV, 4), Leipzig: Dörfling & Franke, 1875. Galling, Kurt, Der Prediger: Die Fünf Megilloth (HAT 1,18), Tübingen: Mohr, 2 1969, 73-125. Gordis, Robert, Koheleth - The Man and his World (TSJTSA 19), New York: Schocken, 1951 ( 3 1968). Graetz, Heinrich, Kohélet ΙΊ^Πρ oder der salomonische Prediger übersetzt und kritisch erläutert. Nebst Anhang über Kohélet's Stellung im Kanon, über

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Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur Das Koheletbuch liest sich trotz des angeblich fehlenden »Gedankengangs« 1 recht glatt. Das hängt sicher mit einem schönen Zug von ihm zusammen, der »Darbietungsform der Ich-Erzählung« 2 . Vielleicht darf auch ich in Ich-Form beginnen - das scheint mir beim Thema »Struktur« am praktischsten zu sein. Ich soll ja zum augenblicklichen Problemstand Stellung beziehen, und in dessen Vorgeschichte bin ich nun einmal verwickelt. I. Der Stand der Diskussion I. Der New Criticism betritt die Bühne Im August 1969 nahm ich in Buffalo (New York) an der Jahrestagung der »Catholic Biblical Association of America« teil3. Dort stellte Addison G. Wright (der heute an der Fordham University, New York, doziert) in drei Sitzungen eines »Continuing Seminar« 4 seinen kurz zuvor erschienenen Artikel »The Riddle of the Sphinx« zur Diskussion. »The Riddle of the Sphinx« ist, schaut man zurück, sicher ein markanter Punkt in der Geschichte der Koheletexegese5. Der Artikel bleibt kaum einmal unerwähnt, wenn es um den Bau des Buches geht. Seine Thesen wurden inzwischen nicht nur von Wright selbst, sondern auch von anderen vertreten. Ich nenne Johnston, Mulder, Murphy und Rendtorff 6 . Dazu hat die »New American Bible« ihr Überschriftensystem an ihnen ausgerichtet 7 .

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So - als einer für viele - A. Lauha, Kohelet (1978), 5. Formulierung nach einem frühen Aufsatz von O. Loretz (Daibietungsform [1963]). Vgl. T. E. Crane, Report (1969). Daß in der Teilnehmerliste auf S. 520 mein Name fehlt, erklärt sich daraus, daß dort nur Mitglieder der CBA aufgelistet sind, ich aber damals noch kein Mitglied war. »The Structure of the Book of Qoheleth«, vgl. Τ. E. Crane, Report (1969), 514. J. S. Mulder, Division (1963), 149: »This is a very important article since it is written with very fundamental data as basis.« A. G. Wright, Ecclesiastes; R. K. Johnston, Workaholic (1976); J. S. Mulder, Division (1982); R. E. Murphy, Ecclesiastes (1992); R. Rendtorff, Altes Testament (1983), 278f. Die Überschriftenformulierungen sind teilweise etwas abgeändert, und da die Einzelabschnitte bei A. G. Wright sehr verschiedene Länge haben, ist in einigen Fällen ein zu langer Unterabschnitt noch weiter aufgeteilt worden.

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Norbert Lohfink

Ich hatte 1969 gerade den ersten Entwurf für den Kohelet der »Einheitsübersetzung« fertig. Ich war vor allem fasziniert v o n den v i e l e n Leitund Stichwortbezügen im Buch 8 . So drückte ich in der Diskussion in B u f f a l o als erstes m e i n e Begeisterung darüber aus, daß endlich jemand die A n a l y s e des B u c h e s bei den Signalen der Sprachoberfläche beginne. In der Tat hatte niemand vor Wright die Prozeduren des » N e w Criticism« (der in Europa unter dem N a m e n »Werkinterpretation« gelaufen war) 9 konsequent am Koheletbuch ausprobiert 10 . Wright gelangte bei deren A n w e n d u n g zu einer Zweiteilung des B u c h e s (mit 6 , 9 / 1 0 als Mittellinie), und dann zu einmal 8 und einmal 10 untergeordneten Abschnitten, das Ganze gerahmt von z w e i Gedichten. D i e Abschnitte des Buchinnern waren durch drei aufeinander f o l g e n d e Serien v o n wiederkehrenden Schlußwendungen markiert". Bei der Suche nach älteren Vorläufern solcher Betrachtungsweise muß man wohl bis auf J. G. Vaihinger in der Mitte des vorigen Jahrhunderts zurückgehen12. Er hat im Koheletbuch mit 4 »Reden« gerechnet (1,2-2,26; 3,1-5,19; 6,1-8,15; 8,16-12,7). Er bestimmte sie dadurch, daß sie stets mit dem nnnö-Thema schließen. Der Schönheitsfehler besteht darin, daß das angebliche Schlußsignal auch noch an anderen Stellen des Buches vorkommt, wo es dann kein Schlußsignal ist. Er gibt das auch offen zu: »Jede Rede schließt mit der Empfehlung des Lebensgenusses, als dem Besten, was der Mensch hienieden finden könne. Zwar kommt diese Empfehlung noch sonst dreimal vor, nämlich 3,12 u. 22 und 9,7-9, aber an Stellen, wo offenbar keine Rede schließen kann, und wo der Redner das Resultat vorbereiten

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Soweit es von der Empfängersprache her möglich war, habe ich versucht, sie durch konkordante Übersetzung zu bewahren - was natürlich implizierte, daß ich den Text sehr genau auf Wort- und Formelgebrauch hin untersuchen mußte. Eigentümlicherweise fehlt bei A. G. Wright völlig das nahe verwandte, bei amerikanischen Alttestamentlern beliebte Programmwort »Rhetorical Criticism«, obwohl er dessen Schöpfer James Muilenburg einmal als Geistesverwandten nennt (317, Anm. 8). Offenbar hat Wright seine Anregungen eher in Rom als in Kalifornien erhalten. Er hatte 1963 in Rom das bibelwissenschaftliche Lizentiat gemacht. Wright weist für seinen neuen Zugang allerdings auf zwei Vorgänger hin: O. Loretz, Qohelet (1964), und G. R. Castellino, Qohelet (1968). Doch sagt er zu beiden mit Recht, daß sie das Programm verbal übernommen, aber nur höchst unzureichend und mit unbefriedigenden Ergebnissen durchgeführt haben (319f). Warum D. Michel, Qohelet (1988), die Vorgehensweise von Wright als »strukturalistisch« bezeichnet (36f), ist mir nicht klar. Mit dem an der Oberflächengestalt von Texten kaum interessierten »Strukturalismus« von damals, der sein Zentrum in Frankreich hatte, hat Wright jedenfalls nichts zu tun. Üblich waren, soweit man eine Struktur annahm, Dispositionsangaben aufgrund von Inhaltsabstraktionen, die exegetisch gewonnen und infolgedessen gerade bei Kohelet mit sehr viel Subjektivität durchsetzt waren. Das gilt auch noch von H. L. Ginsberg, Supplementary Studies (1952); Structure and Contents (1955), wo sprachliche Beobachtungen höchstens auf der Wortebene gemacht werden. 8 mal m~ m m o.ä., dann 4 mal negiertes N3C, schließlich 6 mal negiertes l?T. J. G. Vaihinger, Plan Koheleths (1848).

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will«15. Er hat im vorigen Jahrhundert mehrere Gefolgsleute gefunden: Carl Friedrich Keil, Samuel Davidson, John Ayre und - mit Annahme eines vorgebauten Prologs in 1,2-11 Christian D. Ginsburg14. Anders liegen die Dinge in einem neueren Aufsatz von François Rousseau", der das Buch nach den 7 nrraiD-Passagen, also allen, die es gibt, in 7 Teile teilt. Doch auf die Schwierigkeiten, die sich dann ergeben, haben inzwischen schon mehrere Autoren aufmerksam gemacht1®. D e m methodischen Ansatz von Wright stimmte ich also voll zu. Über die Durchführung gerieten wir in der Diskussion j e d o c h aneinander. Er hatte nach meiner M e i n u n g nur einen Bruchteil der zu berücksichtigenden Phänomene registriert, war also zu früh zur Theoriebildung übergegangen (1). A u c h hatte er es offenbar nicht vermeiden können, daß sich die Fakten ein klein w e n i g zugunsten seiner Struktur zurechtordneten (2). Schließlich lieferte seine Gegenprobe durch Inhaltsanalyse keineswegs eine überzeugende Bestätigung der Theorie (3). S o fehlte mir der Glaube 17 . (1) Nur auf partiellen Beobachtungen schien es mir zum Beispiel zu beruhen, wenn Wright für 1,12-6,9 die Belege von n n n u n und n n ypjn (die er nicht auseinandeihielt) als Schlußsignale der Abschnitte dieses Buchteils betrachtete. Er beachtete nicht, daß es sich nur um Erweiterungs- oder Vertretungselemente der grundlegenderen und das Buch wesentlich stärker bestimmenden ban-Aussage handelt (obwohl er 2,22, wo ]V5n in anderer Funktion ebenfalls auftritt, nicht berücksichtigte). Ginge man jedoch von der grundlegenden SnnAussage aus, dann käme man zu einem wesentlich komplizierteren Befund. Auch dann könnte die Beobachtung noch zur Abgrenzung einzelner untergeordneter Teileinheiten beitragen. Doch es würde sich nicht mehr um das Struktursignal für die Gliederung der ersten Buchhälfte handeln. Die nicht um die »Luftgespinst«-Aussage erweiterte »WindhaucheAussage kehrt außerdem auch in der zweiten Buchhälfte mehrfach wieder (7,6; 8,10.14; 11,10; 12,8, dazu 9 weitere Belege von bin). Als bleibendes Ergebnis wird man nur festhal13 14 15 16

17

J G. Vaihingen Plan Kohelets (1848), 474. Vgl. C. D. Ginsburg, Coheleth (1861), 17-21, 221f, 224, 229f und 241. F. Rousseau, Structure (1981). Vgl. E. Bons, Koh 1,12-2,11 (1984), 78-80; R M. Whybray, OT Guides (1989), 43f; J.-M. Auwers, Condition humaine (1991), 202-204. R. Ν. Whybray, Joy (1982), hat gut gezeigt, daß die nnrä-Passagen sehr wohl zur Bildung von Abschnitten beitragen, aber nicht von denen, die addiert das Buch als ganzes umspannen. Rousseau hat schon Vorläufer in J. F. Genung, Words (1904), und A. F. Rainey, Study (1964), die mir beide leider nicht zugänglich waren. Vgl. die ganz ähnlichen Schwierigkeiten zu Wright bei A. Schoors, Structure (1982), 97f; weitere Stellungnahmen verzeichnet J.-M. Auwers, Condition Humaine (1991), 201, Anm. 52. Am interessantesten sind jedoch vielleicht die kritischen Beobachtungen von J. S. Mulder, Division (1982), die ihn zu einer Abwandlung der (im Endeffekt von ihm dann doch übernommenen) Struktur von Wright geführt haben. Er wäre vielleicht ganz von Wrights Theorie abgekommen, wenn er noch weitere Fakten gesammelt und nicht nur die von Wright aufgezählten Fakten kritisiert hätte.

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Norbert Lohfink

ten können, daß sich nach 6,9 in der Tat eine wichtige Grenze innerhalb des Buches befindet. Das Fehlen von Belegen fürrrn p'in/nisn nach 6,9 ist dafür ein zusätzliches Signal. (2) Einseitigkeiten der Beschreibung zeigen sich zum Beispiel, wenn Wright n n min in 4,6 recht schnell abtut und ab ]Vîn in 2,22 gar nicht diskutiert. Die Signale für die zweite Buchhälfte kann er nur finden, indem er in den Kapiteln 7-8 und 9-11 zwei verschiedene Signale annimmt. Warum rechnet er dann nicht mit drei Buchteilen, jeder mit einem eigenen Typ von Abschnittsbeendigung? Doch dann könnte er wohl nicht annehmen, das Abschnittssignal der Kapitel 9-11 (»nicht wissen«) werde schon in 6,12 angekündigt. Das Vorkommen von »nicht wissen« in 8,7, also mitten in dem angeblich durch »nicht finden« gegliederten Bereich, wird beredsam als irrelevant erklärt (322). Daß das Wort Ksn in dem Unterabschnitt 7,25-29 siebenmal auftritt und für diesen Text charakterisierende Leitwortfunktion hat, hier also sicher nicht der Abschnittsbeendigung dient, wird nicht erwähnt. Noch einseitiger sind die inhaltlichen Textcharakterisierungen. (3) Im Blick auf Gegenproben vom Inhalt her machte ich vor allem darauf aufmerksam, daß man wichtige und formal geschlossene Passagen ohne jede ]Vjn/mjn-Aussage, wie etwa 3,1-15 oder 4,17-5,6, nicht einfach als »digressionaiy remaries« (321) abtun könne18. Ich hatte damals selbst noch keine Meinung über den Bau des Buches. Es galt mir als literarische Einheit. Doch das konnte man schon mit der ToposTheorie von Oswald Loretz19 vertreten. Der Nachweis einer gegliederten Buchstruktur war dafür nicht nötig - die »stilistische Einheit« genügte 20 . Wrights eher mißlungener, methodisch aber grundsätzlich richtig ansetzender Versuch, einen sprachlich signalisierten Aufbau zu finden21, machte mir je-

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Wieso W. Zimmerli, Traktat (1974), 221, Anm. 4, sagen kann, Wright gehe die Frage der Einheitlichkeit des Buches »von rein strukturellen Wahrnehmungen her an«, bleibt mir allerdings rätselhaft. Ich war jedenfalls nur der Meinung, die inhaltlichen Analysen, die Wright durchaus macht, brächten nicht das gewünschte Ergebnis. O. Loretz, Qohelet (1964). Auf S. 297, Anm. 345, zitiert er Wolfgang Kayser, der zum Phänomen »Stil« folgendes schreibt: »Stil ist, von außen gesehen, die Einheit und Individualität der Gestaltung, von innen her gesehen die Einheit und Individualität der Perzeption, das heißt eine bestimmte Haltung« (Kunstwerk [1961], 292). Vgl. G. S. Ogden, Qoheleth (1987), 11: »The conclusion that Qoheleth is a unitary work does not necessarily imply that it has a definable structure.« Auch F. Delitzsch, Koheleth (1875), 195, in seiner vielzitierten Voraussage, alle Versuche, Plan oder Gliederung zu finden, würden scheitern, rechnet durchaus nicht nur mit einer »Einheit des Geistes«, sondern mit »durchweg gleicher Weltanschauung mit gleichem Ultimatum,« ja sogar insofern mit einer »Kunst der Composition, als eine malerische Ouvertüre das Buch eröffnet und ein malerisches Finale es abschließt« (ebd.). Für eine ganz rezente Annahme der Einheit des Koheletbuches ohne Annahme einer alles umfassenden Baustruktur vgl. O. Kaiser, Botschaft (1995), 49-52. Rein formal ähnlich einzuordnen, aber mit noch dünnerer Beobachtungsbasis (parallelistische Entsprechungen, bei einer keineswegs besonders subtilen Parallelismustheorie), ist der schon erwähnte (oben S. 41), ein Jahrzehnt jüngere Versuch von F. Rousseau, Structure (1981). Ahnliches gilt in noch jüngerer Zeit von S. De Jong,

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doch Mut, von meinen eigenen, offenbar umfänglicheren Textbeobachtungen aus einen neuen Anlauf zu unternehmen, wobei ich mir natürlich vornahm, Wrights Fehler zu vermeiden. 2. Mein eigener Strukturentwurf Was ich dann gefunden habe, spiegelt sich im Kohelet-Überschriftensystem der Einheitsübersetzung, und zwar schon in der vorläufigen Fassung von 197422. 1979 habe ich in einem Aufsatz »War Kohelet ein Frauenfeind?« bei der Abgrenzung und Charakterisierung des Textes von 7,23-8,la einen Überblick über die gesamte Buchstruktur gegeben23. Die begründenden Einzelbeobachtungen habe ich 1980 in der »Neuen Echter Bibel« bei der Textkommentierung nachgeliefert24. Diese zugegebenermaßen etwas verstreute Kundgabe meiner Auffassung war ein Fehler. Nicht, daß alles unbemerkt geblieben wäre. Doch hat sich der Kollegenwelt offenbar weder das Detail noch das Ganze so gezeigt, wie es gemeint war. Vielmehr scheint ein graphisches Schema, das eine siebenteilige »konzentrische« Gesamtstruktur zeigt, alle Blicke auf sich gezogen zu haben25. Selbst gute Kenner der Koheletliteratur wie James L. Crenshaw, Roland E. Murphy, Gianfranco Ravasi, Diethelm Michel und Ludger SchwienhorstSchönberger sagen ihren Lesern, das sei die Struktur, die ich für das Koheletbuch annehme26. Was ich in Wirklichkeit - auch an den beiden Stellen, wo sich dieses Schema findet - vertrete, ist vor allem einmal die Auffassung, die schon mein

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Book (1992). Nicht ganz leicht ist es, die Ansichten von Graham S. Ogden einzuordnen, vgl. unten, Anm. 33. Einleitungen zu den einzelnen biblischen Büchern gab es in der Probefassung noch nicht. Ich habe entsprechend der von mir angenommenen palindromischen Struktur sieben Hauptteile gebildet, diese jedoch mit Überschriften versehen, die, eher vom Inhalt her, den linearen Progress des Buches andeuteten. In der definitiven Ausgabe war dann eine Einleitung möglich. In ihr habe ich das Wort »Diatribe« benutzt und beim Inhaltsüberblick die rhetorische Logik zu zeichnen versucht. Nur ganz am Ende habe ich auf die Sonderposition der »Anweisungen für das religiöse Verhalten« hingewiesen und gesagt: »So bilden sie im Gesamtaufbau des Buches eine Art Mitte.« N. Lohfink, Frauenfeind (1979), 267-272. Vor allem an den Anfangen der einzelnen Buchteile. Einen Großteil dieser Beobachtungen hat unabhängig auch Antoon Schoors, Structure (1982), gemacht und für eine Strukturtheorie ausgewertet. Er kommt aber dann doch nur zu einem Ergebnis, das er zurecht mit der Position von Zimmerli vergleicht (ebd., 98). N. Lohfink, Frauenfeind (1979), 280, Anm. 39; Kohelet (' 1980), 10. J. L. Crenshaw, Ecclesiastes (1987), 38f; R. E. Murphy, Ecclesiastes (1992), xxxv; G. F. Ravasi, Qohelet (1988), 32f; D. Michel, Qohelet (1988), 40-43; L. SchwienhorstSchönberger, Buch Kohelet (1995), 264 (doch zitiert er die andere Hälfte meiner Äußerungen in ders., Glück [1994], 247, wo er von Kohelet als »Diatribe« handelt; vgl. ebenfalls seinen Beitrag in diesem Band). Objektiver, wenn auch sehr knapp, ist O. Kaiser, Beiträge (1995), 239.

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Lehrer Augustin Bea vorgetragen hatte27, daß man nämlich im Koheletbuch grundlegend »an die Konstruktionsprinzipien der damals gerade bei den Kynikern entwickelten Form der philosophischen Diatribe erinnert« werde. So wörtlich in der Einleitung meines Kommentars ( l 10). Für Näheres habe ich dort auf die vorher schon gegebene Inhaltsanalyse verwiesen. Sie hatte einen fünfteiligen rhetorischen Aufbau beschrieben, und zwar von dynamisch-linearem Charakter (5-7). Aus einem kosmologisch-anthropologischem Einstieg (1,4-11) entwickele sich eine anthropologisch-theologische Grundsatzdarlegung (1,12-3,15). Diese werde dann in gesellschaftskritischen Ausführungen vertieft (3,16-6,10), anschließend gegen die Auffassungen der weisheitlichen Tradition verteidigt (6,11-9,6) und münde schließlich in ethische Handlungsanweisung (9,7-12,7). Ich sprach von Anlehnung an »antike Rhetorik« und gebrauchte den Terminus re/utatio. Ein solcher Aufbau, so sagte ich, entspreche »griechischem Empfinden« (10). Ich war allerdings der Meinung, damit sei ein bestimmtes Phänomen des Textablaufs noch nicht hinreichend erklärt. Die mitten in die Gesellschaftsanalysen eingeschobenen Ermahnungen für das religiöse Verhalten (4,17-5,6) machten in einer Art Vexierbildtechnik aus dem Ganzen zugleich eine »semitisch empfundene« »palindromische Gesamtkonstruktion« (10). Ich sprach abschließend von einem »fast spielerisch hingeworfenen Zugleich von Diatribe und Palindromie« (10). Doch diesen Satz zitierte niemand. Nur die eine Hälfte meiner Sicht, die Palindromie, wurde wahrgenommen. Der springende Punkt - nämlich die offenbar bewußt erzeugte Spannung zwischen linearer Dynamik und in sich zurücklaufender Ringkomposition - wurde schlicht überlesen28. Doch nur, wer von diesem Vexierbildcharakter der Buchstruktur spricht, gibt meine wirkliche Meinung wieder. Wenn ich den Vergleich des Vexierbilds gebrauche, so deute ich damit an, daß ich vom Leser her dachte. Er wird, so schien mir, im Leseprozeß zunächst in eine dynamischvorwärtsdrängende Rhetorik hineingerissen, die der linear-psychologischen Logik der antiken öffentlichen Rede folgt. Doch am Ende geht ihm auf, daß er sich zugleich in einer in sich zurücklaufenden, gerundeten Welt befindet. Über all das habe ich mich also in meinen zerstreuten Mitteilungen nicht verständlich machen können. Daher wäre es endlich Zeit, daß ich mich einmal thematisch und systematisch zu Einheit und Aufbau des Koheletbuches 27 28

A. Bea, Liber Ecclesiastae (1950), VII. So schon vor ihm L. Levy, Qoheleth (1912), 59, und Λ. Allgeier, Koheleth (1925), 11. Ich habe deshalb in der 4. Auflage des Kommentars (1993), für die mir der Verlag zwar keine Eingriffe in den Kommentar selbst, wohl aber in die Einleitung erlaubte, vor das palindromische Schema auch noch ein Schaubild gestellt, das die rhetorischdynamische Struktur zeigt. Der Druckerei ist es allerdings nicht gelungen, es deutlich vom Kontext abzuheben (Mo).

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äußerte. Leider ist das auch im jetzigen Rahmen nicht möglich. Aber vielleicht ist es auch gar nicht mehr so notwendig. Denn: So zäh die Koheletdiskussion zu fließen scheint, in den letzten Jahren hat sie einen Schub erhalten. Er dispensiert mich vielleicht davon, noch einmal bei Null anzufangen. 3. Neues aus den letzten Jahren Die Diskussion über den Bau des Koheletbuchs fließt einerseits zäh, vielleicht sogar rückwärts. Immer noch beherrscht Kurt Gallings Lehre von den vielen sekundär in einer »Sammlung« vereinigten »Sentenzen«29 international die Szene, wenn auch oft mit einer bei Walther Zimmerli abgeschauten Moderation'0. Zuletzt hat das der Kommentar von R. Norman Whybray gezeigt". Solange solche Ansätze nur in Kommentareinleitungen geäußert werden, ist das nicht so tragisch. Dann wird der Text hinterher doch noch irgendwie als Zusammenhang ausgelegt. Gefahrlich wird es, wenn in Monographien die »Sentenzen« nach neubestimmten inhaltlichen oder formgeschichtlichen Rücksichten neu gruppiert und in diesen sekundär hergestellten Zusammenhängen wiederum mehr oder weniger kontinuierlich ausgelegt werden52. In diesen Fällen ist vom Daibietungsprinzip her ein Nachvollzug der Leserbewegung am Text entlang verhindert. Die formgeschichtliche Betrachtung kleiner Einheiten behält bei der Analyse der Ausdrucksseite weiterhin eine ungebührliche Prädominanz, vor allem in Deutschland, andere Aspekte der sprachlichen Gestalt treten in den Schatten". Jüngstes Beispiel dafür ist

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K. Galling, Kohelet-Studien (1932); Prediger (21969). W. Zimmerli, Traktat (1974). Dieser kleine Kongreßvortrag wird erstaunlich oft als methodologische Letztinstanz zitiert, obwohl er gegenüber Galling höchstens eine graduelle Variante einbringt. Auch K. Galling war schon in seinen Kohelet-Studien (1932), 281, der Meinung, in 8,1-9,12 finde sich eine »thematisch angenäherte Reihung« von fünf »Sprüchen«. R.N. Whybray, NCBC (1989). Vgl. etwa R. Braun, Populaiphilosophie (1973); J. A. Loader, Polar Structures (1979); C. Klein, Kohelet (1994). Als Ausnahmen sind, wenn man von den sofort zu nennenden Autoren der allerletzten Jahre absieht, außer denen, die Wright folgen (vgl. oben Anm. 6), wohl nur Ogden (vgl. oben Anm. 21), Rousseau (vgl. oben S. 41 und Anm. 21) und De Jong (vgl. oben Anm. 21) zu nennen. Außerdem sei noch eine nicht in den Buchhandel gekommene Dissertation von Paul-Joseph Holzer, Mensch und Weltgeschehen, aus dem Jahre 1981 genannt. Ogden äußert sich in seinem Kommentar zum Vorhandensein einer Struktur im Koheletbuch recht zurückhaltend — es klingt fast nach Zimmerli. Er bekennt sich zu »a mediating position in which the various blocks of material which comprise the book are seen as individually relating to a theme. This avoids the problem of defining the structure in terms of a logical connection between one unit and the next« (G. S. Ogden, Qoheleth [1987], 12). Dann nimmt er gegen Ende seiner Darlegung aber doch einen ersten Buchteil in 1—8 und einen zweiten in 9—12 an (ebd., 13). Für die Binnenstruktur des zweiten Buchteils hat er früher schon in einzelnen Artikeln zahlreiche Beobachtungen, gerade auch von der Sprachoberfläche her,

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Christian Klein34. Das schließt natürlich nicht aus, daß das formgeschichtliche Instrumentarium immer mehr verfeinert und verbessert wird35. Völlig unerwartet, fast wie als Parallelaktion zur sogenannten neuen Pentateuchkrise, scheint sogar die Lust zu wachsen, wieder im Stil von Carl Siegfried und Emmanuel Podechard diachron in Beaibeitungsschichten zu denken34 - weit über das Übliche hinaus. Das Übliche wäre die Annahme von zwei Epilogisten und einigen kleinen »orthodoxen Glossen«. Trotzdem: In den letzten Jahren hat es zugleich einen Sprung nach vorn gegeben. Mir stehen vor allem die Arbeiten von Thomas Krüger, Franz Josef Backhaus, Ludger Schwienhorst-Schönberger und Alexander Achilles Fischer vor Augen 37 . Ihnen voraus marschieren schon mit zwei wichtigen neuen Gesichtspunkten mehrere Veröffentlichungen von Diethelm Michel 38 .

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zusammengetragen. Vgl. G. S. Ogden, Qoheleth ix 17 - χ 20 (1980); Qoheleth ix 116 (1982); Qoheleth xi 1-6 (1983); Qoheleth xi 7 - xii 8 (1984). Für die Kapitel 1-8 dagegen meint er nur, die programmatische Frage nach dem ]nn\ ihre negative Beantwortung und als Folgerung die positive Einschätzung der Freude, wenn sie gegeben ist, zusammengenommen »form a basic framework for chs. 1-8, and allow us to accomodate all the intervening material... Each subsection is relevant to the search for an answer to that basic question« (ebd. 13). Einzelpunkte seiner Auffassung diskutiere ich im folgenden an den entsprechenden Stellen. P.-J. Holzer, Mensch und Weltgeschehen (1981), enthält eine durchlaufende Analyse des Koheletbuches auf seine Struktur hin, die Inhaltliches mit formalen Beobachtungen sehr gut vereint und dabei mehrfach auf sonst kaum beachtete Kategorien der modernen Literaturwissenschaft zurückgreift (20-86). Ich halte seine Isolierung dreier theoretischer Rahmentexte (1,4-11; 3,1-9; 6,10-12) und die Annahme dreier darauf jeweils folgender »Kapitel« des Buches (vgl. das Gesamtschema auf S. 82) zwar nicht für überzeugend, aber die Einzelanalysen verdienten mehr Aufmerksamkeit, als ihnen zuteil geworden ist. C. Klein, Kohelet (1994). Das gilt vor allem von F. Eilermeier, Qohelet 1,1 (1967), aber auch von Klein selbst. C. Siegfried, Prediger und Hoheslied (1898); E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912). Zu greifen ist das Unternehmen schon in mehreren Aufsätzen von Oswald Loretz, Anfänge (1991); Frau (1991); Poetry and Prose (1993); Jüdischer Gott (1994). Eine stark redaktionsgeschichtlich orientierte Untersuchung ist A. A. Fischer, Skepsis (1997). Zu ihr sofort. Außerdem hört man von »literarkritischen« Projekten in Trier (Renate Brandscheidt) und Neuchâtel (Martin Rose). Martin Rose hat in Graz seine Sicht kurz erläutert. Umgekehrt hat allerdings Michael V. Fox schon vor einiger Zeit versucht, eine komplette Einheitlichkeit des Buches, Epiloge eingeschlossen, nachzuweisen: Frame-narrative (1977); nur auf der Ebene der synchronen Betrachtung bleibt er dagegen in M. V. Fox, Contradictions (1989), 311-321: »Author and Speaker; the Epilogue.« T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990); F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993); L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994); A. A. Fischer, Skepsis (1997). Ich möchte Herrn Krüger und Herrn Fischer herzlich dafür danken, daß ich ihre noch ungedruckten Arbeiten benutzen konnte. Herr Krüger hat mir seine Arbeit schon vor Jahren zugeschickt, und Herr Fischer hat mir einen Ausdruck der Druckvorlage schon vor Graz vorab zur Verfügung gestellt. Ich zitiere letztere jedoch nach der endgültigen Pagina-

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Um mit Michel, mit dem ich seit dem Wiener IOSOT-Kongreß 1980 in lebhaftem Austausch über Kohelet stehe, anzufangen: Er hat erstens die schon von Kirchenvätern vertretene uralte Annahme, manche der Widersprüche im Koheletbuch gäben Gegneraussagen und verbreitete Meinungen wieder 39 , durch konkrete Textanalysen neu unterbaut40. Hat er hier recht, dann ist der Hauptanlaß dafür vom Tisch, daß man Schichtungen rekonstruieren müßte. Zugleich fällt auch die resignierte Exegese von Michael V. Fox dahin, für den die Widersprüche im Koheletbuch Widersprüche im Kopf Kohelets selbst sind41.

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tion der gedruckten Ausgabe. Mit allen vier Autoren hat sich ein angenehmer brieflicher Kontakt ergeben, der oft, selbst da, wo Meinungsverschiedenheiten bestehen, in diesen Ausführungen seine positiven Spuren hinterlassen und zu manchen eigenen Präzisiemngen geführt hat. Dafür danke ich allen sehr. Natürlich trifft niemand anders irgendeine Verantwortung für etwas, das ich hier schreibe. D. Michel, Untersuchungen (1989). Dort sind in überarbeiteter Form auch ältere Aufsätze gesammelt. Bei ihnen beziehe ich mich stets auf die endgültige Fassung im Buch. Aus der Antike vgl. schon die älteste erhaltene Analyse des Koheletbuches durch den Origenesschüler Gregorios Thaumaturgos, der in seiner Paraphrase Koh 9,7-10 einführt durch »Still singing this enchanting song, Deception (ή πλάνη) also gives advice such as this...« und beendet durch »These are the things which hollow people (oí μάταιοι) say« - Übersetzungen nach J. Jarick, Paraphrase (1990), 231 und 236. In der lateinischen Kirche vgl. Gregor den Großen, Dialogi IV,4 (PL 77,324A). Ein Vertreter dieser Annahme im vorigen Jahrhundert war Ferdinand Hitzig, Prediger (1847), zu Beginn dieses Jahrhunderts Ludwig Levy, Qoheleth (1912). In der Jahrhundertmitte hat Robert Gordis die Auffassung markant neu zur Geltung gebracht: Neben R. Gordis, Koheleth (1951), 95-108, vgl. schon ders., Quotations in Wisdom Literature (1939/40); Quotations as a Literary Usage (1949). Seitdem schließen sich ihm viele andere an. Neuestens nimmt ein Aufsatz wie J. Blenkinsopp, Ecclesiastes 3.1-15 (1995), die Fremdzitattheorie schon als eine feste Gegebenheit und versucht sogar Koh 3,1-8 als ein Zitat (eines Textes eines stolzierenden Juden) zu verstehen, das Kohelet dann in 3,9-22 kommentiere. Die Arbeiten von Robert F. Johnson, Analysis (1973), Michael V. Fox, Identification (1980), und R. Norman Whybray, Identification (1981), zum Thema »Zitate bei Kohelet« werden durch ihre so oder so restriktive Fragestellung der Fülle des Materials und den subtilen sprachlichen Prozeduren Kohelets nicht voll gerecht. Generell: D. Michel, Qohelet (1988), 27-33; für konkrete Textanalysen: Untersuchungen (1989), Kapitel II—VI. Dabei können zwei Aspekte hier undiskutiert bleiben. Michel rechnet neben der traditionellen Weisheit auch mit der beginnenden Apokalyptik als Gesprächspartner Kohelets. Ferner interpretiert er ΤΡΚΊ in einer Reihe von Fällen als »ich beobachtete« im Sinne von »ich untersuchte«, und zwar als Redeeinführung, der dann ein Zitat der betreffenden Meinung folgt. Zu dieser Auffassung vgl. A. Schoors, ΠΚΊ (1996), und unten, Anm. 40. Vgl. M. V. Fox, Contradictions (1989), 9-11.

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Zweitens ist auch Michel für die ersten Kapitel zu der Auffassung gekommen, daß sie einen kohärenten Text enthalten, in dem Kohelet sofort am Anfang seine Auffassungen grundlegend darstellt und auf den er im späteren Buch öfter durch Anspielungen und »Selbstzitate« zurückgreift. Michel hat selber darauf aufmerksam gemacht, daß er mit seiner Deutung des Buchanfangs sogar die Schichtentheoretiker des vorigen Jahrhunderts auf seiner Seite hat, vor allem Carl Siegfried42. Erleichtert sich Kohelet aber in späteren Buchteilen die Argumentation durch zitierende Rückgriffe auf die Anfangsausführungen, dann muß das Buch natürlich als Einheit gearbeitet, es kann keine sekundäre Sammlung isolierter Sentenzen sein. Man muß dann notwendig fragen, ob das Buch nicht auch hinter dem Eingangstext eine verifizierbare Komposition besitze. 5. Thomas Krüger, Franz Josef Backhaus und Ludger SchwienhorstSchönberger Michel ist sicher mehr an sprachlichen Phänomenen interessiert als die bisherige deutsche Koheletauslegung. Trotzdem steht er deutlich auf ihren Schultern, vor allem auf denen von Walther Zimmerli, dessen Kommentar in der Reihe »Das Alte Testament deutsch«43 er »fortschreiben« wird. Einen Ausbruch aus dem deutschen Binnendiskurs, der von den Kleingattungen nicht loskommt, signalisieren, obwohl in Deutschland angefertigt, die Arbeiten von Krüger, Backhaus und Schwienhorst-Schönberger. In ihnen findet endlich statt, was Wright zwar anstrebte, was ihm aber noch nicht gelang: unbeschwerte Benutzung der normalen Literaturwissenschaft. Natürlich ist es jetzt nicht mehr der »New Criticism«. Dessen Fixierung auf die reine Werkgestalt

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D. Michel, Untersuchungen (1989), lf, nennt Thomas Kelly Cheyne und Carl Siegfried. C. Siegfried, Prediger (1898), 6, gibt als Bestandteile seines Q1 in Koh 1-3 an: 2,3-2,12.14b-24a; 3,l-10.12.15f.l8-21. Michel hätte sich an dieser Stelle wohl sogar auf Franz Delitzsch berufen können, dessen oft fragmentarisch zitiertes und dadurch den doch etwas differenzierteren Gesamtduktus verlierendes Orakel, alle Versuche, im Koheletbuch »genetischen Fortgang, allesbeherrschenden Plan und organische Gliederung nachzuweisen«, seien bisher gescheitert und würden auch »inskünftig« scheitern (F. Delitzsch, Koheleth [1875], 195), er verdienstvollerweise an anderer Stelle voll zitiert (D. Michel, Qohelet [1988], 10). Denn vor dem üblicherweise allein zitierten Satz heißt es dort: »Das in c. 1 und 2 diesen Bekenntnissen aufgedrückte Gepräge beginnt weiterhin sich zu verwischen. Die Aneinanderreihung der Bekenntnisse wird von c. 3 an aphoristisch.« Also auch Delitzsch hat den besonderen Charakter der Anfangskapitel wahrgenommen. Als neueste, auch Michel schon voraussetzende und die Sache weiterführende Albeit zur Einheit von 1,3—3,15 vgl. Α. A. Fischer, Beobachtungen (1991), weitergeführt in ders., Skepsis (1997), 183-225. Als ältesten Vertreter der Meinimg, am Anfang des Koheletbuches stehe ein längerer »Traktat«, nennt Α. A. Fischer, ebd., 183, einen Kommentar von Sebastian Schmid aus dem Jahre 1691. W. Zimmerli, Prediger (31980).

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ist längst überwunden. Es darf wieder nach historischem Ursprung und nach dem angezielten Publikum gefragt werden. Die Linguistik, vor allem die Textlinguistik, spielt eine größere Rolle. Auch der gesellschaftliche Zusammenhang von Literaturproduktion wird stärker beachtet. Auf jeden Fall weht bei diesen drei Autoren eine neue intellektuelle Luft, vergleicht man viele sonstige Koheletarbeiten44. Die Einheit des Koheletbuches ergibt sich für alle drei mit Notwendigkeit, wenn auch allein Backhaus sie Schritt für Schritt nachweist. Das hängt damit zusammen, daß unter den drei Arbeiten nur die Dissertation von Backhaus expreß von der Struktur des Buches handelt45. Schwienhorst-Schönberger, der seine Habilitation in engem Kontakt mit Backhaus in Münster anfertigte, aber eine andere Frage verfolgte, hat sich ihm bei Strukturfragen im wesentlichen angeschlossen, so sehr die Textdeutungen dann oft auseinandergehen. Doch indem Krüger und Schwienhorst-Schönberger im Kohelet-Buch eine Auseinandersetzung mit einem in griechische Kulturzusammenhänge geratenen Judentum entdecken, arbeiten auch sie wichtige Aspekte der thematischen und gattungshaften Einheit des Koheletbuches mit einer Präzision heraus, die es bisher so noch nicht gab. Beide stehen in ihren Ergebnissen nah bei dem, was ich in meinem eher populären Kommentar auf eine weniger technische Weise gesagt hatte. Krüger liefert, über sein Buch verstreut, wohl die einfühlsamste Phänomenologie der Gattung des Buches. Es ist eine Gattung, die den Leser mehr als andere Gattungen in einen Denkprozeß hineinzieht. Bei der konkreten Strukturbeschreibung bleibt Krüger nach meinem Gefühl allerdings hinter dem zurück, was seine gattungsbezogenen Aussagen eigentlich hergäben. Er sagt zum Buch als ganzen nur, es sei am ehesten als eine »Sammlung von >Reflexionen< und >MahnungenTraktaten< zusammengestellt sind«, wobei man »Anzeichen einer übergreifenden, planvollen Komposition« vor allem »im Anfangs- (Kap. 1-4) und Schluß-Teil (Kap. 11-12) des Buches« feststellen könne46. Hier hat er wohl für das Buch selbst nicht voll ausgeschöpft, was er zu den argumentativen Techniken und zur Art der Leserführung bei Einzeltexten, vor allem bei 8,l-9 47 , glänzend herausgearbeitet hat. Das mag damit zusammenhängen, daß er nur den Textbereich 1,3-4,12 kontinuierlich behandelt48, während er die Texte 44 45

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Es gab natürlich, punktuell, vorher schon Ausnahmen. Ich nenne nur E. Bons, Koh 1,12-2,11 (1984). Es ist zwar nicht sein einziges Thema. Aber die Masse des Buches, nämlich F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 3-351, handelt vom Koheletbuch als »Komposition«, das zweite Thema (»Gott und Tod im Buch Qohelet«) fordert nur ein Fünftel an Umfang (ebd. 352-420). T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 14. T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 41-99. T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 123-305.

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sonst nach thematischen Gesichtspunkten diskutiert. Aber offenbar rechnet er am Buchanfang ähnlich wie Michel und ich mit grundlegenden und zusammenhängenden Ausführungen, auf die sich Späteres dann bezieht49. Anders ist es bei den Strukturaussagen von Backhaus und SchwienhorstSchönberger. Sie erfassen das Buch als ganzes und zeichnen einen Plan. Der Sache nach sind sie von der Struktur, die ich beschrieben habe, nicht weit entfernt, zumindest für deren grundlegende linear-dynamische Hälfte. Beide rechnen mit vier Buchteilen. Das entspricht den fünf Teilen meiner Diatribenstruktur, sobald man das, was ich »Einstieg« genannt habe (1,2-11), zum 1. Teil schlägt - und das ist jederzeit möglich50. Es gibt dann nur noch Differenzen für die genaue Grenzziehung zwischen den Teilen. 6. Alexander Achilles Fischer Eigentümlich verhält es sich mit der jüngsten von mir erwähnten Monographie, der Marburger Dissertation von Alexander Achilles Fischer aus diesem Jahr51. Fischer treibt Redaktionsgeschichte, und zwar mit einer Fragmentenhypothese - um die Bezeichnung aus der Pentateuchdiskussion zu benutzen. Das Koheletbuch ist nach ihm das Werk des 1. Epilogisten. Dieser hat eine Reihe von »ursprünglich einmal selbständigen Darlegungen« Kohelets, von »Schultexten« oder »Unterrichtsskizzen« zusammengebaut52, ohne ihren Wortlaut anzutasten. Nur an den »Nahtstellen« hat er einige kleine »redaktionelle Übergänge« angebracht53. Kohelet selbst wiederum hatte in seinen »Lehrtexten« Vorgaben aus der Schultradition zitiert, verarbeitet und kommentiert. Diese Vorgaben glaubt Fischer zum Teil auch heute noch rekonstruieren zu können, und er tut es. Vermutlich ist das Buch Kohelet tatsächlich - so oder ähnlich - dreistufig54 zustandegekommen. Manche Texte haben wirklich eine innere Konsistenz, die sich mit Distanz zu Nachbartexten paart. Auch sehen manche Verse zwischen solchen Texten sehr nach »Brückentexten« aus, die zur Verbindung oder Ankündigung vorgegebener Texte geschaffen sein könnten. Benutzung schon ausformulierter Einzeltexte bei der Buchabfassung liegt daher nah. Ebenso ist es denkbar, daß der 1. Epilogist der Baumeister war. Vielleicht hat es 49

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Vgl. etwa T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 412, zum Rückgriff auf 3,10-15 in 5,17-19. Warum sich wegen des Rückverweises für ns"~"is)K 31B die Annahme eines griechischen Formulierungshintergrundes »erübrigt« (ebd., Anm. 1), ist mir allerdings nicht einsichtig. Vgl. unten beim Thema »Doppelfunktion«, S. 78. Α. A. Fischer, Skepsis (1997). Vgl. den Vorbericht bei O. Kaiser, Beiträge (1995), 246-248. Formulierungen aus Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 20 und 56. Die beiden Formulierungen finden sich bei Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 11. Fischer rechnet darüber hinaus noch mit einer vierten Stufe. Nach ihm hat auch der 2. Epilogist im Buch noch mehrere Zusätze angebracht. Vgl. Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 34f.

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zuvor auch ein Wesen aus Fleisch und Blut namens Kohelet gegeben, von dem die Texte stammten. Aber natürlich könnte dieser Kohelet bei gleicher Dreistufigkeit auch eine literarische Fiktion sein. Dann hätte der 1. Epilogist vielleicht eigene »Darlegungen« zusammengebaut und einem fiktiven literarischen Helden in den Mund gelegt. Oder es hat Kohelet gegeben, aber er hat selbst seine Vorarbeiten zusammengefugt, während die Epiloge erst später angehängt wurden. So denkt man wohl üblicherweise, ohne jedoch zu glauben, den Vorgang im Detail rekonstruieren zu können. Es ist sogar denkbar, daß Kohelet den Herausgeber, ja den 1. Epilogisten erfunden und sich hinter ihm versteckt hat. Vieles ist denkbar. Die Gründe für eine Entscheidung zwischen den Denkmöglichkeiten sind winzig klein, fast nur Gefühle. Nach Fischer ist das »methodologische Problem, wie zwischen Kompositionstechnik des Verfassers und redaktioneller Tätigkeit eines Späteren sachgerecht differenziert werden kann,« für Bücher wie Kohelet, Jesus Sirach oder Sapientia Salomonis »noch nicht grundsätzlich [ ] entwickelt.« Doch könnten wir uns »vorläufig an dem Leitsatz orientieren, daß sich ein Verfasser bei der Auswahl und Zusammenstellung seiner Texte stärker von thematischen Überlegungen leiten lassen kann, während sich die kompositioneilen Möglichkeiten eines Redaktors nach den vorgefundenen, bereits fixierten Texten richten und durch diese begrenzt werden«". Ob man diesen »Leitsatz« im altorientalischen oder hellenistischen Raum empirisch verifizieren kann, wage ich zu bezweifeln. Ich halte es bei Redaktionsvorgängen genau so gut auch für möglich, daß jemand mit fremden Texten frei umgeht oder daß jemand eigene Texte aus früheren Jahren als sakrosankt behandelt. Sowohl bei fremden wie bei eigenen Vorgaben ist sowohl ein »quotation-theoretic« als auch ein »resource-theoretic mode of composition« denkbar' 6 . Das methodologische Problem besteht auch darin, daß man für behauptete Nicht-Eingriffe eines Redaktors ja nur sagen kann, man sehe keine Spuren. Das ist ein rein negativer Beweis. Und vielleicht sehen andere mehr, oder der Redaktor hat so gut gearbeitet, daß er keine Spuren seiner Eingriffe hinterließ. Daß dem jetzigen Koheletbuch vorgegebene »Darlegungen«, wenn es sie gab, unverändert geblieben sind und bei der Buchherstellung außer durch kleine »Übergänge« gar nicht aufeinander bezogen wurden, scheint mir Fischer daher nicht wirklich nachgewiesen zu haben.

Er hat seine Hypothese zweifellos ein wenig zu stringent durchkonstruiert. Doch das Interessante ist: Das Buch von Fischer läßt sich gegen den Strich lesen. Dann findet man außerordentlich treffende Textanalysen und, verkleidet als Theorie über eine »redaktionelle Gliederung«", auch einen durchaus überzeugenden Entwurf des Buchaufbaus. Dieser steht dem, was ich selbst vom

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Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 7. Die Terminologie stammt von P. R. Noble, Approaches (1993), und wird von D. M. Carr, Fractures (1996), 34, für die Analyse der Genesis aufgegriffen. So Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 20, in Entgegensetzung zum Begriff einer »immer wieder vergeblich gesuchten Gesamtkomposition«. Einen Satz weiter ironisiert er das, was andere im Koheletbuch suchen, als »literarisches Gesamtkunstwerk«.

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Bau des Buches denke, so nah wie nichts, was mir sonst in der jüngeren Literatur begegnet ist58. 7. Die Aufgabe Wo am intensivsten und am frischsten an Strukturfragen gearbeitet wurde, beobachten wir also fast so etwas wie Konvergenz. Vor allem nach den sauberen und gründlichen Analysen von Backhaus und Fischer scheint es mir überflüssig zu sein, daß ich noch einmal alles von Grund auf neu entwickle. Es genügt, wenn ich zu einzelnen Aspekten einige neue Gesichtspunkte benenne und bei einigen kontrovers gebliebenen Detailfragen meine jetzigen Gedanken äußere. Daher kommt, was nun folgt, so wichtig es mir zu sein scheint, nicht über Randbemerkungen zum Forschungsstand hinaus. Ich möchte dabei zunächst einige buchübergreifende Fragen anschneiden und dann drei strittige Einzelprobleme in verschiedener Ausführlichkeit durchsprechen. Ich werde meine älteren Ansichten dabei im Licht der neueren Diskussion teils verteidigen, teils revidieren. II. Buchübergreifende Fragen 1. Zur Entstehungsgeschichte des Koheletbuchs Ich halte die beiden Epiloge für sekundär, wie fast alle neueren Autoren. Ich werde das in einer kleinen Monographie, an der ich zur Zeit arbeite, neu zu begründen versuchen59. Möglicherweise ist im Zusammenhang mit der Abfassung des 2. Epilogs (12,12-14) der Halbvers 11,9b in das Schlußgedicht eingefügt worden60. Sekundäre »Gottesfurchtglossen«, die oft postuliert werden, gibt es nach meiner Meinung nicht. Wer sie annimmt, zerstört wesentliche Denkzusammenhänge Kohelets61. Daß die Buchüberschrift (oder ein Teil von ihr) vom Verfasser des 1. Epilogs stammt, halte ich für denkbar, aber nicht für sicher. Krüger hat gezeigt, daß sie gut zum ursprünglichen Buch gehören und dort schon die spätere Königs-Travestie vorbereiten könnte62.

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Vgl. A. A. Fischer, Skepsis (1997), 252: »Tabelle A: Zum Gesamtaufbau des Buches Kohelet.« Fischer unterscheidet 4 Hauptteile: I. 1,3-3,15; II. 3,16-6,9; III. 6,11-8,17; IV. 9,1-12,7. Geplanter Titel: »Koheletepilog und Kanongeschichte.« Eine Vorausskizze meiner Überlegungen findet sich in N. Lohfink, Les épilogues (1995). Für Gegenüberlegungen vgl. T. Krüger, Dekonstruktion (1996), 116. Auf jeden Fall sollte man, bevor man, wie es üblicherweise geschieht, sofort diachrone Schlüsse zieht, sowohl hier als auch in 12,14 den Text genau analysieren. Ist es zum Beispiel sicher, daß es an beiden Stellen wirklich um ein Gericht im Jenseits geht? Vgl. noch N. Lohfink, Freu dich (1995), 162-164 (»Exkurs zu 11,9b«), Vgl. N. Lohfink, Revelation by Joy (1990), 633, Anm. 43. T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 27f.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

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D a g e g e n habe ich den Verdacht, daß bei der Hinzufugung der E p i l o g e oder noch später so etwas w i e sprachliche Politurarbeit am B u c h v o r g e n o m m e n wurde. W i r können den Vorgang erschließen, können die Eingriffe aber nicht mehr lokalisieren. Ähnlich w i e in anderen biblischen Büchern treten nämlich auch im K o h e letbuch wichtige Formulierungen, Wörter oder Wurzeln gern in Siebenzahl (oder in Mehrfachzahlen v o n Sieben) auf 63 . N u n findet man bei jenen sprachlichen Elementen, die auch in den Epilogen belegt sind 64 , dann, w e n n man die B e l e g e in den Epilogen nicht mitzählt, nur z w e i solche Siebenerphänomene. D a g e g e n k o m m t man auf sieben, w e n n man die Epiloge einschließt. Ich nehme im folgenden 12,9-14 als Einheit. Siebeneiphänomene im Buchtext abzüglich des Epilogs habe ich nur bei dem Nomen n m (7 χ im Text + 1 χ im Epilog) und der Wurzel i m gefunden (28 χ im Text + 4 χ im Epilog). Dagegen häufen sich die Siebenerphänomene, die den Epilog umgreifen: i n o r (7 x im Buch, davon 2 χ im Epilog); nbnppi) (7 χ im Buch, davon 2 χ im Epilog); D3n (21 χ im Buch, davon 2 χ im Epilog); ]Π3 (28 χ im Buch, davon 1 mal im Epilog); D1K (49 χ im Buch, davon 1 χ im Epilog); ntoD (21 mal im Buch, davon 1 χ im Epilog); BEïfp + üS'ií (7 χ im Buch, davon 1 χ im Epilog und 1 χ in 11,9). Der Befund ist angesichts der Kleinheit des Epilogs (nur 74 Wörter, darunter viele sehr seltene) statistisch relevant. Daraus folgt entweder, daß die Epiloge zum ursprünglichen B u c h gehörten, oder, daß die meisten Siebenersysteme erst bei der A n f ü g u n g der Epiloge oder noch später hergestellt wurden. Im zweiten Fall, den ich für wahrscheinlicher halte, m u ß noch sekundär am Gesamttext gearbeitet worden sein 65 . D o c h können wir nicht sagen, w o . Vorstufen ohne die Siebenersysteme kann mindestens ich nicht rekonstruieren.

63 64

65

Vgl. G. Braulik, Siebenergmppierungen (1991); Ijob, Sprichwörter, Rut (1996), 106113; C/. Dahmen, Weitere Fälle (1994). Für derartige Zählungen kommen natürlich nur Sprachelemente in Frage, die in 12,914 belegt sind. Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Siebenerphänomene, doch ohne Belege in 12,9-14. Hierhin gehören vermutlich auch die Zahlenverhältnisse, die A. G. Wright, Sphinx Revisited (1980); Additional Numerical Patterns (1983), mit Beihilfe von Patrick W. Skehan entdeckt hat und die mindestens teilweise ernstzunehmen sind. Sie hängen meist mit den Zahlenwerten bestimmter Wörter zusammen und beziehen sich vor allem auf die Verszahlen. Auch die jetzigen Verse dürften erst später hergestellt worden sein, und zum Beispiel die Tatsache, daß 6,9/10 das Buch genau in zwei Hälften von je 111 Venen teilt, beweist nicht, daß hier im Sinne des ursprünglichen Verfassers der zweite Hauptteil des Buches beginnt, sondern nur, daß die Hersteller der Verseinteilung überzeugt waren, hier beginne der zweite Hauptteil des Buches, und die Verszahlen entsprechend manipulierten. Wobei sie mit der Annahme einer Abschnittsgrenze an dieser Stelle durchaus im Recht waren.

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2. Wessen Struktur soll gefunden werden? Allein diese Sachlage zwingt schon zur Klärung der Frage, wessen »Struktur« man eigentlich sucht. Man kann es niemandem verbieten, dann, wenn es ihm gelungen ist, eine Vorstufe des jetzigen Koheletbuches zu rekonstruieren, auch deren Struktur zu beschreiben. Ich würde sogar wünschen, daß das jedesmal versucht wird - als eine Art Gegenprobe für die jeweilige Hypothese. Wenn jemand Einfühlungsgabe in jüdische Seelen des 3. Jahrhunderts vor Christus besitzt, ist es auch interessant zu hören, welche Struktur der Verfasser des Koheletbuches intendierte und was er sich dabei dachte. Doch wird nicht jeder diese Einfühlungsgabe besitzen. Vielleicht ist die Frage auch nicht unentbehrlich. Interessanter als seine Vorgeschichte ist das Buch Kohelet selbst - das Buch, nicht die Absichten seines Autors oder Letztbearbeiters. Dieses Buch können wir aus Leserperspektive als objektives Werk zur Kenntnis nehmen. Nur im Sinne dieses werk- und rezeptionsorientierten, nicht dagegen eines produktionsorientierten Ansatzes spreche ich im folgenden von der Buchstruktur66. 3. Die Stimmenstruktur des Koheletbuchs Bei der Strukturbestimmung sollten auch Gesichtspunkte der neueren Narratologie zum Zug kommen. Man kann bei der Strukturbestimmung nicht von der Gattung des Koheletbuches absehen. Berücksichtigt man sie, dann ergibt sich einiges Neue für die Strukturfrage. Es gibt dann nämlich eine umgreifende Struktur, die ich die »Stimmenstruktur« nennen würde. Von ihr hat am deutlichsten Michael V. Fox in seinem frühen Aufsatz über das Koheletbuch als Rahmenerzählung gehandelt67. Von seinem inzwischen wohl stillschweigend zurückgezogenen Anspruch, auch auf historischer Ebene die Identität des Autors von Buch und Epilogen bewiesen zu haben, kann man absehen68. Tut man das, dann dürfte 66

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Hier stimme ich mit T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), überein (vgl. dort vor allem S. 1-5). Er weist mit Recht darauf hin, daß dieser Ansatz beim Koheletbuch besonders zwingend ist, da es alles auf die interpretierende Mitarbeit des Lesers anlegt. Was A. A. Fischer, Skepsis (1997), 56, sich programmatisch vornimmt, ist durchaus legitim: »Nachdem wir im vorausgehenden Kapitel gezeigt haben, daß die Buchrolle Kohelet erst postum unter Benutzung von Unterrichtsskizzen und Schultexten komponiert worden ist, sind wir berechtigt, die in 3,16-12,7 zusammengestellten Texte aus ihrer redaktionellen Verbindung zu lösen und als ursprüngliche Aufzeichnungen des Weisen auszulegen.« Aber die Diskussionen meines jetzigen Beitrags bleiben im wesentlichen im Bereich des »vorausgehenden Kapitels«. M. V. Fox, Frame-narrative (1977); später auch: Contradictions (1989), 311-321. In dem Aufsatz von 1977 wollte er zweifellos auch produktionshistorisch sprechen, während ich im Kommentar von 1989 keinen derartigen Anspruch erkennen kann. Einmal gebraucht er hier sogar den Ausdruck »implied author« (315). Das scheint mir

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man seine Äußerungen über das Koheletbuch als »frame-narrative« nicht rasch beiseiteschieben69. Werkintern tritt die Gestalt Kohelet nach Fox nicht als Buchautor auf, sondern als eine von einem (anonym bleibenden) Buchverfasser, also einem »Rahmenerzähler», referierte »Stimme«. Der Rahmenerzähler wiederum ist mit Sicherheit nur in l,lf; 7,27 und 12,8-14 greifbar. Doch so etwas ist auch in der biblischen Tradition nichts Ungewöhnliches. Der Erzähler des Deuteronomiums hält sich genau so sehr im Hintergrund und läßt ständig andere reden. Zudem könnte im Koheletbuch die Stimme des Buchautors auch noch an anderen Stellen hörbar werden, etwa in 8,1a oder in 11,9b. Die vom Rahmenerzähler referierte Stimme »Kohelet« differenziert sich selbst abermals zeitlich gestaffelt in verschiedene Stimmen. Denn Kohelet redet nicht nur lehrend. Er wird selbst wieder zum Erzähler und berichtet aus einer früheren Lebensphase. Dabei zitiert er auch, was er damals gedacht und gesagt hat. Es ist nicht notwendig identisch mit dem, was er jetzt denkt und sagt. Verschiedene Kohelet-Gesichter, auch Kohelet-Aussagen, stehen also perspektivisch hintereinander. Der Sachverhalt wird nochmals komplizierter: Kohelets erzählte Ich-Vergangenheit nimmt zum Teil fiktiven Charakter an, nämlich in der SalomoTravestie. Hier steht, um es auf eine knappe Formel zu bringen, nicht mehr Kohelet, sondern immer neu machbare, nicht notwendig individualisierte Königs-Welterfahrung auf der narrativen Bühne. Die so beschriebene Stimmenstruktur muß dem Leser allerdings nicht von vornherein klar sein. Zunächst kann der Leser eine andere Stimmenstruktur vermuten und vorentwerfen. Die auktoriale Stimme, die einen »Kohelet« in 1,2 zitiert, ist anonym. Wer in 1,3 und in 1,411 spricht, bleibt außerdem offen. Ist es der Autor? Läuft die in 1,2 anzitierte KoheletStimme weiter? In 1,12 tritt dann deutlich das Ich Kohelets hervor. Ist er vielleicht der Buchautor selbst, der sich nur zunächst mit seinem Ich nicht hervorgewagt hat und von sich in der dritten Person geredet hat? Indem er in 1,12 »Ich« sagt, tritt er hervor, verkleidet sich allerdings sofort von neuem, jetzt als Salomo. Das könnte dafür sprechen, daß er sich auch vorher schon als ein Autor, der seine Koheletidentität noch nicht zeigt, verkleidet hat. Auch in 7,26 und 12,8 bindet Kohelet sich bei dieser Betrachtung wieder die anonyme Herausge-

69

an dieser Stelle dem üblichen Sinn des Terminus zwar nicht gerecht zu werden. Ein werkinterner Rahmenerzähler, der sich als »Herausgeber« präsentiert, ist eine Figur des Buches, was man vom »implied author« nicht sagen dürfte - der spielt auch noch einmal mit der Figur des Autors. Aber der Gebrauch des Terminus spricht eindeutig dafür, daß Fox hier nicht von realer Autorschaft und Herausgebertätigkeit handeln will. Vgl. etwa F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 82-84. Ich glaube fast, Backhaus sieht die Frage allein als die nach einer historisch-biographischen Identität von realem Herausgeber und realem Kohelet. Seine beiden ersten Gegenüberlegungen zeigen das. Die dritte ist ein eigentümliches Postulat: als müßten alle narrativen Zeitdifferenzierungen in der Verbalsyntax greifbar sein.

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Norbert Lohfink

bermaske vors Gesicht. Erst im Epilog gewinnt dann (nicht nur der buchimmanente Kohelet, sondern mindestens ebenso) der buchimmanente Autor deutlicheres Profil. Erst hier muß sich der Leser, falls er zunächst in die soeben beschriebene Deutungsfalle geraten ist, dazu bekehren, daß es sich doch um eine Rahmenerzählung handelt, in der der Buchautor der ersten, Kohelet der zweiten Kommunikationsebene zugeordnet ist. Rekonstruiert man eine Urform des Buches ohne die Epiloge, aber schon mit der auktorialen Stimme in 1,2; 7,27 und 12,8, dann läßt sich kaum zwischen den beiden zunächst noch offenen Besetzungen der ersten und zweiten Kommunikationsebene entscheiden. In meinem Kommentar habe ich bei der Auslegung die Epiloge ausgeblendet und habe mich dann auf den Standpunkt gestellt, Kohelet trete als Buchautor auf und spiele nur (vor allem am Anfang und am Ende) fiktiv mit einer von ihm unterschiedenen Buchverfassergestalt. Vgl. den Kommentar zu 1,2, 1,3 und vor allem zu 1,12-3,15. Dort habe ich geschrieben: War zwischen l 3 und l 11 eigentlich in der Schwebe geblieben, wessen Worte erklangen, die der auktorialen Persönlichkeit von l 2 oder die eines von ihr dort zitierten >VersammlungsleitersVersammlungsleiter< identifizieren. Er hatte sich also bisher gewissermaßen noch nicht ganz zu sich selbst zu bekennen gewagt - j etzt tut er es . Jedenfalls gilt: Liest man das Koheletbuch in Einheit mit den Epilogen, dann muß man hier auch die andere Verständnismöglichkeit offenhalten und am Ende des Buches für diese votieren. Für eine Urfassung ohne Epiloge wäre das, was ich im folgenden ausführe, entsprechend zu variieren. Fox und neuerdings Krüger haben gezeigt, wie sich diese komplizierte Stimmenstruktur auf das Kommunikationsgeschehen zwischen Buch und Leser auswirkt. Die Buch-Leser-Beziehung wird lockerer, als wenn einfach ein Autor seinem Leser direkt etwas sagte. Alles Gesagte und Gedachte erreicht den Leser mehrfach gebrochen. Er wird dadurch freier. Im Maße, in dem er freier wird, ist er zugleich ganz anders angefordert, mitzudenken, zu reagieren, den Sinn des Gesagten überhaupt erst endgültig herzustellen. Die beschriebene Stimmenstruktur ist außerdem für das, was wir, wenn wir von der »Struktur« des Koheletbuchs reden, normalerweise im Sinne haben, eine feste Vorgabe. Wir denken ja bei »Struktur« gewöhnlich nur an die Anordnung dessen, was die Stimme »Kohelet« sagt. Für diese »Struktur« der zweiten Kommunikationsebene ist es aber nicht gleichgültig, auf welche Weise der Bucherzähler die Protagonistenstimme vorführt. Im Deuteronomium hält Mose 22 Reden, die der Erzähler einleitet und deren wichtigste Mose sogar niederschreibt. Der Kohelet-Erzähler dagegen unterscheidet weder verschie70

Meine Bemerkung zu 7,27 im Kommentar zu 7,23-8, la war demgegenüber inkonsequent.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

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dene Koheletauftritte noch sagt er, es handle sich um eine einzige einmalige Rede Kohelets. Er nennt am Anfang weder einen Schauplatz noch einen Zeitpunkt. Erst die Worte Kohelets selbst entfalten eine temporale Spannung von Einst und Jetzt, doch ohne daß die Sprechergegenwart wirklich deutlich würde. Für eine frühe Phase innerhalb der geschaffenen Zeitspanne zeigt sich auch ein Ort: Jerusalem, wo Kohelet einst König war. Für das Jetzt des redenden Kohelet bleiben Ort, Anlaß und Adressat (es wird ja jemand singularisch angeredet") unbestimmt. Jerusalem wird diffus erwähnt (vgl. 4,17 oder 8,10), aber ob Kohelet gerade dort zu denken ist, wird nicht deutlich72. Was Kohelet im Buch sagt, wird vom Bucherzähler offenbar nicht als eine individuelle, zeitlich und örtlich lokalisierbare Rede gekennzeichnet. Eher handelt es sich um so etwas wie einen Querschnitt durch alle »Reden« Kohelets, eine Art koheletschen Idealvortrags. Ist das so, dann muß der Leser aber die Anordnung des Stoffes nicht notwendig der Stimme »Kohelet« zuteilen. Es ist mindestens genau so gut möglich, daß der Erzähler werkintern den Diskjockey spielt und nach eigenem Gusto die Platten auf den Teller legt. Dann entwirft im Buchgefüge er die Struktur. Aus dem 1. Epilog geht am Ende des Buches - weiterhin stets in der »erzählten Welt« - hervor, daß Kohelet öffentlich auftrat. Er »lehrte das Volk Wissen«' 3 . Das paßt nicht ins Privathaus oder in eine Eliteschule. Zugleich übergeht der Epilog mit deutlich sichtbarer Sprachpose, nämlich einer unerwarteten Passivformulierung, das Faktum, daß dieser Kohelet selbst keine Schrift abgefaßt hat, und deutet es dadurch an74. Hier ist alles anders als etwa in einem platonischen Dialog, dessen Inhalt zwar nicht historisch sein muß, 71

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In der textintemen erzählten Welt sind der redende Kohelet und das angeredete Du durchaus zu unterscheiden, und beide sind Figuren der Erzählung. Daß der Leser des Koheletbuches sich im Endeffekt sowohl mit der Figur Kohelets als auch mit diesem Du identifiziert, worauf P.-J Holzer, Mensch (1981), 51, aufmerksam macht, wenn auch vielleicht mit etwas zu einfacher Begründung, steht dazu nicht im Widerspruch. Ich würde die Behauptung von P.-J. Holzer, Mensch (1981), 418, Anm. 282, die »Kohelet-Gestalt« werde »räumlich nach Jerusalem lokalisiert«, also durch die Unterscheidung der beiden Kohelet-Perspektiven differenzieren und bei dem jetzt redenden textintemen Kohelet die Dinge entschieden offener halten. Zu dieser Übersetzung von 12,9 und den mitzuhörenden Assoziationen vgl. die oben, Anm. 59, angekündigte Veröffentlichung. Die Formulierung ist sehr nah an 2 Chr 17,9, wo es um eine Art Thora-Wanderakademie zur Unterrichtung der Bevölkerung im Gesetz geht. Sie ist hier offenbar auf eine Tätigkeit übertragen, die mit der der hellenistischen Wanderphilosophen vergleichbar ist. Während in 12,10a Kohelet noch betont genanntes Satzsubjekt ist, fahrt 12,10b, wo vom Schreiben die Rede ist, passivisch fort, so daß der, der Kohelets Äußerungen niedergeschrieben hat, im Dunkel bleibt. Vgl. zuletzt Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 27f, der alles jedoch trotz der Betonung idealtypischer Züge als historische Mitteilung betrachtet: »Offenbar verbirgt er [= der 1. Epilogist = Buchredaktor] sich selbst hinter der passivischen Ausdrucksweise und vermerkt dadurch seine Redaktionsarbeit an der Veröffentlichung der Lehrreden.«

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Norbert Lohfink

aber als historisch einmaliger Vorgang fingiert wird. Das Koheletbuch entwirft keine auf Einmaligkeit zugespitzte historische Situation. Es referiert den idealen oder den aus der historischen Vielfalt in eine darstellerische Einheit zusammengezogenen Kohelet-Lehrvortrag. In Graz hat Christoph Uehlinger die Frage aufgeworfen, ob nicht vielleicht eher eine ideale Symposions-Konstellation angedeutet sei als ein idealer öffentlicher Lehrvortrag, und ob das im Buch gruppierte Material nicht vielleicht auch eher aus Gastmahls-Reden als aus öffentlichen oder schulischen Lehrvorträgen bestanden habe. Der Gedanke liegt nicht so fern, vor allem auch wegen der Nähe Kohelets zur Topik der ägyptischen Harfherlieder. Dafür, daß in hellenistischer Zeit, und zwar auch im jüdischen Milieu, bei Gastmählem Vorträge gehalten werden konnten, hat Uehlinger mit Recht auf Sir 32,3-9 hingewiesen. Koh 12,9 weist aber doch wohl eher in die Öffentlichkeit des Marktplatzes, und abgesehen von der genannten Topik gibt es weder in Einzeltexten noch in der Gesamtkonstellation des Buches genügend starke Hinweise auf eine typische Redesituation beim Gastmahl. Man kann höchstens die acht nnnfo-Texte, die gleichmäßig über das Buch verteilt sind, zwei auf jeden der vier rhetorischen Hauptteile (I: 2,24-26; 3,12f; II: 3,22; 5,17-19; III: 7,14; 8,15; IV: 9,79; 11,7-12,8), als eine Andeutung darauf nehmen. Doch das scheint mir zu wenig zu sein. Das Schlußgedicht 11,9-12,8 ist vermutlich die Verfremdung eines Gastmahl-Liedes75. Aber das wäre ein Lied, kein philosophischer Vortrag. Und man kann von seinem möglichen Ursprung her nichts für das ganze Buch extrapolieren. Doch weiter: Eine Analyse, die sich noch gar nicht um die verwendeten Topoi und Redetechniken kümmerte, hat uns ziemlich genau zu dem geführt, was die neuere Rhetorikforschung sich vorstellt, wenn sie den aus der Antike stammenden, aber als eigentlicher Gattungsbegriff erst im 19. Jahrhundert geprägten Terminus »Diatribe« gebraucht. Bis vor kurzem dachte man bei »Diatribe« an literarische Fassungen von philosophischen Bekehrungspredigten vor Volksmassen. Heute denkt man eher an literarische Idealentwürfe eines Lehrvortrags eines Philosophen, natürlich durchaus in den Säulenhallen des Forums der Stadt76. Daß in Topik und rhetorischer Technik eine große Nähe des Koheletbuchs zur Diatribe besteht, ist bekannt, ich kann es voraussetzen77. Es fügt sich zu 75 76 77

Vgl. N. Lohfink, Freu dich (1995), 183f. Für die neueste Theoriebildung vgl. S. K. Stowers / L. Gondos, Diatribe (1994). Dort weitere Literatur. Vgl. zuletzt T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 54f (mit einer Analyse unseres ältesten Zeugnisses der Gattung, der Fragmente des Teles von Megara); L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 246-249; Λ. A. Fischer, Skepsis (1997), 54. C. Klein, Kohelet (1994), 164, stellt die (historisch gemeinte) Behauptung auf: »Kohelet kann diese Gattung nicht gekannt haben.« Dem dürfte kaum jemand zustimmen. Vgl. die sehr vornehme Ablehnung durch O. Kaiser, Beiträge (1995), 249. Der Versuch, Kohelet mit dem Gattungsbegriff »Lehre« zu erfassen, scheint mir dem Vergleich mit der Diatribe gegenüber vager zu sein. Wie O. Kaiser, Botschaft (1995),

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

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dem, was hier vom buchinternen Verhältnis zwischen dem Bucherzähler und dem referierten Protagonistentext aus entwickelt wurde. Wir haben als Struktur etwas zu erwarten, was Diatribencharakter hat. Vielleicht sollte ich sehr scharf formulieren: Das Koheletbuch ist zwar nicht eine Diatribe, aber es enthält so etwas wie eine Diatribe. Was ein Buch ist, bestimmt sich auf der ersten Kommunikationsebene. Doch in vielen Fällen, und so auch hier, kommt die eigentliche Prägung des Buchs in der zweiten Kommunikationsebene zustande. 4. Strukturüberlagerung,

Strukturkonkurrenz,

Erwartungsenttäuschungen

Man sollte mit der Möglichkeit von Strukturüberlagerung und Strukturkonkurrenz rechnen. Das gilt zunächst einmal von Strukturen, die unterschiedlichen Ebenen zuzuordnen sind. So steht die von Wright auf Grund von Verszählung und Gematrie vertretene Buchmittellinie nach 6,978 durchaus nicht im Widerspruch zu meiner These, die Mahnungen zum religiösen Verhalten in 4,17-5,6 seien das Buchzentrum. Die zugehörigen Strukturen gehören verschiedenen Ebenen an79. Der Anfang der »refutatio« in meinem bisherigen Strukturentwurf liegt nur einen Vers später, die alte jüdische Einteilung des Buches in 4 Sedarim läßt den 3. Seder in 7,1, also nur drei Vene später beginnen, auch Backhaus, Schwienhorst-Schönberger und Fischer beenden mit 6,9 ihren 2. Hauptteil. Am härtesten hat sich Graham S. Ogden darüber geäußert, wie Wright sich dem Rätsel der Sphinx von neuem genähert hat: »His hope is to prove the correctness of his earlier view about the overall structure of the work, but the theory is built upon such an arbitrary use of evidence that one cannot take it seriously«.80 Mir scheint demgegenüber, daß Wright in seinen späten Aufsätzen auch einige gute Beobachtungen gemacht hat, doch werden sie eher der letzten Politurarbeit am Buch zuzuordnen sein. Auch auf der gleichen Ebene kann es Strukturüberlagerungen geben. Ich habe einen solchen Sachverhalt vor kurzem ausführlich an Psalm 33 analysiert81. Dort sind ein chiastischer und ein palindromischer Aufbau gleichzeitig

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49, selbst zugibt, fehlen die »für die Form charakteristischen Lehreröffnungsformeln und Aufmerksamkeitsrufe«, und die Anrede an den Schüler fmdet sich nur in 11,9 (nicht: 9,9, wie ein Druckfehler sagt). Zu 11,9 kann man sich seine eigenen Gedanken machen, vgl. N. Lohfink, Freu dich (1995), 183f. A. G. Wright, Sphinx Revisited (1980); Additional Numerical Pattems (1983). Im Bereich eines Teiltextes scheint mir ähnliches beim Eingangsgedicht 1,4-11 der Fall zu sein. Vgl. N. Lohfink, Wiederkehr (1985), 128-132. G. S. Ogden, Qoheleth (1987), 12. N. Lohfink/E. Zenger, Gott Israels (1994), 93-100.

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vorhanden, wobei der Lesevorgang zunächst den palindromischen Aufbau erschließt und die chiastische Gliederung sich erst gegen Ende des Psalms zeigt, sich dann aber aufdrängt. Dem würde bei Kohelet auf Buchebene das von mir angenommene Nebeneinander von dynamischer und palindromischer Struktur entsprechen. Das Phänomen von Strukturüberlagerung und -konkurrenz berührt sich allerdings mit einem anderen, das ich bei Kohelet auf Teiltextebene am Beispiel des Schlußgedichtes analysiert habe: Der Weckung von Strukturerwartungen und der Involvierung der Leser in die fortschreitende Wahrnehmung der Struktur, wobei mancherlei Korrekturen erster Erwartungen verlangt sein können82. Extremfall wäre die Destruktion einer zunächst geweckten Strukturerwartung zugunsten einer neuen Struktur83. Ich frage mich inzwischen, ob es sich auf Buchebene bei der von mir beobachteten Spannung zwischen linearer und palindromischer Struktur wirklich, wie ich annahm, um ein statisches Zugleich von griechischem und semitischem Formgefühl handelt, oder ob nicht bei genauerem Analysieren des Lesevorgangs doch auch eine anfänglich nahegelegte Formerwartung durch eine andere, sich eindrängende Form überbaut wird, und das vielleicht in mehrfachem Hin und Her. Ich komme später auf diese Frage zurück. 5. Problematische

Kriterien

Ich wende mich nun den Kriterien für die Erarbeitung von Strukturen zu. Und zwar möchte ich zunächst auf Grenzen hinweisen, die manchmal nicht beachtet werden. Wechsel zwischen Poesie und Prosa scheidet, von wenigen Fällen abgesehen, im Koheletbuch als Strukturanzeiger aus. Kohelet kann mitten im Satz elegant vom einen ins andere übergehen. Es kommt hinzu, daß man poetische Form bei Kohelet kaum mit Kriterien messen kann, die an der ugaritischen Epik gewonnen wurden84. So leicht im Koheletbuch zwischen Prosa und Poesie gewechselt werden kann, ist mir dennoch zum Beispiel nicht deutlich,

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Thomas Krüger, Proverbia 10 (1995), hat derartige Texteigenschaften an einem Kohelet vorausliegenden Bereich der Weisheit Israels in sehr treffender Feinanalyse aufgezeigt. N. Lohfink, Freu dich (1995). Dies vor allem zum Poesiebegriff in den neueren Arbeiten von Oswald Loretz, vgl. oben Anm. 36, der allerdings nicht auf Stnikturgrenzen, sondern auf Bearbeitungsschichten aus ist. Ähnlich, wenn auch mit ganz anderen Ergebnissen, A. A. Fischer, Skepsis (1997), 193-202, der in 1,4-11 zwar auch den jetzigen Text im ganzen als »Gedicht« bezeichnet, darin aber »aufgrund der Scheidung von Poesie und Prosa, der Kolometrie und der unterschiedlichen Aussageabsicht von Zitat und Kommentar« (195) ein »poetisches Gedicht« (sie!) und »eingeschobene prosaische Erweiterungen« unterscheidet (201).

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

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warum Teile von 1,4-11 Prosa sein sollen85. Vor allem, wenn bei solchen Analysen völlig undiskutiert bleibt, was unter »Prosa« verstanden werden soll - Rede im Bereich der Umgangssprache oder eine Sprachgestalt, die klassische poetische Erwartungen voraussetzt und durch Nichterfüllung von Formerwartungen und Annäherung an umgangssprachliche Sprachzüge innerhalb des bleibenden formalen Erwartungsrahmens neue Ausdrucksmöglichkeiten erzielt. Was dann entsteht, mag man im einen Fall als neuen poetischen Kanon, im andern als künstlerische Prosa bezeichnen. Auf jeden Fall sind »Dichtung« und »Prosa« keine jeder Geschichte enthobene Wesenheiten. Auf eine deskriptive Erfassung der auftretenden dynamischen Spannungen käme es an, nicht auf klassifizierendes Sammeln von Einzelmerkmalen86. Ebensowenig sind normalerweise die Merkmale älterer (oft ursprünglich mündlicher) Kleingattungen hilfreich. Strukturgrenzen von dort her bestimmen zu wollen, ist vor allem in der deutschen Koheletliteratur die ständige Versuchung. Doch in diesen Bereichen gilt genau so wie beim Problem Poesie-Prosa: Kohelet ist ein Meister des Poikilometron, das der Kyniker Menippos von Gadara eine oder zwei Generationen vorher entwickelt hatte87. In textlinguistisch orientierten Arbeiten werden oft sorgfältig die sprachlichen Pro-Elemente registriert. Doch deren Funktion im Blick auf Textstrukturen kann vielfältig sein. Sie halten nicht immer nur zusammen. Innerhalb einer umfassenderen Texteinheit kann es durch Pro-Elemente auch Rückgriffe über Grenzen von Einzelabschnitten hinweg geben. Durch sie und ebenso durch Wortwiederholungen können benachbarte Einheiten sogar bewußt verknüpft werden. Ein ganz typischer Fall für letzteres ist zum Beispiel der anaphorische Anschluß von 2,18-23 an 2,17 durch -nKJcn. Es mag umgekehrt nicht nur in der Poesie, sondern auch in Prosa gelegentlich das harte und unverbundene Nebeneinander von zwei Textblöcken geben, die in Bild- und Wortmaterial disparat sind, durch keine Pro-Elemente aufeinander bezogen sind und dennoch innerhalb einer Einheit zusammengehören. Das gilt speziell von einer so mit Merkmalen der umgangssprachlichen Mündlichkeit spielenden Kunstprosa wie der von Kohelet. So wird etwa die Frage nach dem inn" in 3,9 allgemein und mit Recht noch zu dem in 3,1 beginnenden Abschnitt gerechnet, obwohl sich auf der sprachlichen Oberfläche keinerlei Beziehung zum vorangehenden Text feststellen läßt.

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So ist nach F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 8f, nach den poetischen Versen 1,4-6 der Vers 1,7 eine »prosaische Einheit«, wenn es auch eine Prosa ist, die »nach formal-poetischen Kriterien durchgestaltet ist«. In 1,8 findet dann ein »Wechsel zur Poesie« statt, 1,10-11 sind wieder »prosaische Einheiten«, wobei 1,11 wieder Durchgestaltung nach »formal-poetischen Gesichtspunkten« erkennen läßt. Wenn ein Motor so hustet, hat der Fahrer vielleicht doch den falschen Treibstoff getankt. Man vergleiche J. M. Lotman, Künstlerischer Text (1973), 150-165 (»Poesie und Prosa«). Vgl. N. Lohfink, Poikilometron (1990); O. Kaiser, Beiträge, 27, Anm. 127, und 249.

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Der Gebrauch von Syndese oder Asyndese am Satzbeginn ist für Kohelet noch nicht wirklich untersucht88. Man wird daher vorerst mit anderen Kriterien beginnen müssen und Syndese oder Asyndese erst sekundär heranziehen können. 6. Brauchbare Kriterien und deren Leistung Nach diesen kleinen Warnungen komme ich zu den brauchbaren Kriterien, obwohl es auch da nicht ohne Abstriche gehen wird. Gliederungstechnisch fundamental sind natürlich die syntaktischen Analysen. Sie führen oft, speziell wenn sie sich auch mit einigen Gattungsgesichtspunkten verbinden, erstaunlich genau zur Abgrenzung kleinerer Untereinheiten. Seit Ellermeier sehen wir für das Koheletbuch auf dieser Ebene eigentlich weithin klar89. Für umfassendere Strukturen werden darüber hinaus aber andere Phänomene der sprachlichen Oberfläche wichtig. Sie lassen sich, sieht man einmal von metasprachlich auftretenden Ankündigungen und Schlußbemerkungen ab, meist auf das Grundphänomen »Wiederholung« zurückführen: Wiederkehr von Lexemen, Lexemgruppen, Sätzen, Bildern, Themenabläufen. Im folgenden kommt es mir darauf an, für solche Sachverhalte die jeweils spezifische Leistung zu kennzeichnen. Sie läßt sich konkret immer nur im Zusammenspiel mit anderen Fakten, selten oder nie ohne die Berücksichtigung der Inhaltsebene, bestimmen. Trotzdem kommt es darauf an, die Botschaft formaler Fakten nie durch inhaltliche Ergebnisse der eigenen Textauslegung übertönen zu lassen. a) Lexemwiederholung und -häufung Die vielfache regelmäßige Wiederkehr oder gar die Häufung bestimmter Wörter und Wendungen weist auf stilistische und inhaltliche Einheitlichkeit eines Textes, zeigt aber nicht notwendig eine Struktur an. Aus vielen »Lieblingswörtern« Kohelets, die Oswald Loretz einst zusammengestellt hat90, läßt sich für die Buchstruktur nicht mehr herausholen als seine »stilistische Einheit»91. Leitworte und Leitmotive sind sogar wegen ihrer Häufigkeit zur Strukturanzeige eher ungeeignet. Höchstens ihr massiertes Vorkommen in eng umgrenzten Textstücken kann - zusätzlich zu anderen Beobachtungen - helfen, einen solchen Bereich als eigenen Teil oder - meistens - Unterteil auszuweisen. 88 89

90 91

Vgl. N. Lohfink, Satzeröffnungen (1996), 140, Anm. 20. F. Ellermeier, Qohelet 1,1 (1967), 48-93. Vgl. zuletzt F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993); C. Klein, Kohelet (1994). Vorher war wichtig: R. F. Johnson, Analysis (1973). Meine eigene ältere Analyse spiegelt sich in der Einheitsübersetzung (1974; 1980). O. Loretz, Qohelet (1964), 167-179. Das Wort ΕΓΠ1?« fehlt eigenartigerweise. Auch sonst sind die Listen nicht ganz zuverlässig. O. Loretz, Qohelet (1964), 210.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

63

Das gilt im Koheletbuch etwa vom siebenfachen Vorkommen des Verbs K3D in dem in 7,25 mit asyndetischer Ich-Aussage neu einsetzenden Abschnitt 7,25-29. Das letzte Wort des vorangehenden Verses 7,24 ist ebenfalls uso. Es ist das den Abschnitt auslösende Stichwort. Sonst ist das Wort im Koheletbuch selten. Doch könnten innerhalb des dritten Buchteiles auch die weiteren Belege (7,14 und dreimal in 8,17) noch der Einhängung von 7,25-29 in den Großzusammenhang dienen. In 7,15-29 tritt noch der Symbolwert der Zahl 7 hinzu. Ebenso gilt es von negiertem S T im 4. Teil des Buches. Die Gesamtbelegzahl dieser Verbindung beträgt 14, doch sieben Belege fmden sich nach 9,7, also die Hälfte. Läßt man den 4. Teil in 9,1 beginnen, kommen noch zwei weitere hinzu (Belege im ganzen Buch: 4,13.17; 6,5; 8,5.7; 9,1.5.12; 10,14.15; ll,2.5[2x].6). Es handelt sich um ein Leitwort mit Kennzeichnungsfunktion für den Buchteil. Dagegen ist der Versuch von Wright, einen selektiv herausgegriffenen Teil der K3D-IÒ- und DT-tÒ-Belege als Signale von Unterabschnittsbeendigungen zu erweisen 92 , zwar schon daran gescheitert, daß andere Beobachtungen nicht konvergieren, aber es kommt hinzu, daß X3D und VT da, wo sie gehäuft auftreten, offenbar eine andere Funktion haben. Lexeme, die nicht nur in einem, sondern in mehreren andersweitig schon bestimmbaren Abschnitten gehäuft auftreten, wie etwa

dtòk

in 3,10-15 (6 mal), 4,17-5,6 (6 mal) und

5,17-19 (4 mal - wahrscheinlich sollte man jedoch die direkt anschließenden und sachlich hinzugehörigen beiden Belege in 6,2 mitzählen), kennzeichnen nicht nur diese Abschnitte jeweils in sich, sondern zeigen auch einen buchüberspannenden Zusammenhang an93. Doch muß dieser Bezug über Distanzen hinweg nicht ohne weiteres für die Hauptstruktur des Buches relevant sein. Es kann sich genau so gut um ein hinzutretendes Nebensystem handeln. Im konkreten Fall ist es in einem fortgeschritteneren Stadium einer Strukturanalyse, in dem die Ergebnisse schon im wesentlichen festliegen, allerdings interessant, daß in meiner (und Fischers) Sicht 3,10-15 das Ende und der Höhepunkt des ersten Buchteils ist, 4,17-5,6 das Zentralstück des zweiten Buchteils und 5,17-19 das Zentralstück der zweiten Hälfte des zweiten Buchteils. Das Nebensystem der »theologischen« Haupttexte des Koheletbuchs wäre also zumindest an strategischen Punkten der umfassenden Buchstruktur lokalisiert.

b) Rahmung Damit Wiederholungen so gut wie nur aus sich heraus eine Rahmung konstituieren, müssen sie nach allem bisher Gesagten Seltenheitswert haben, am besten überhaupt nur an den beiden Rahmenstellen vorkommen und auch so sein, daß sie irgendwie auffallen.

92 93

A. G. Wright, Riddle (1968). Vgl. oben S. 42. Vgl. ¿V. Lohfink, Revelation by Joy (1990), 631. Ich habe jetzt nur das Wort D T i S k erwähnt. Andere Lexeme verstärken natürlich noch die Verbindung der theologischen Texte, vor allem von 3,10-15 und 5,17-19. Besonders interessant ist die Verteilung von in: mit D'hSk als Subjekt. Es gibt 14 Belege, davon 7 im ersten Buchteil (mit Konzentration in 2,26 und 3,10-15) und 3 in 5,17-19: 1,13; 2,26(3x); 3,10.11.13; 5,17.18(2x); 6,2; 8,15; 9,9; 12,7.

64

Norbert Lohfink

Das ist für das Buch als ganzes zweifellos bei der Entsprechung von 1,2 und 12,8 der Fall. Anfang und Ende des Buchkorpus entsprechen sich. Es handelt sich jeweils um einen ganzen Vers, der überdies auffallend gefügt ist, wie ein Treppenparallelismus - einmal in einer breiteren, einmal in einer etwas knapper gehaltenen Form. Durch all das zusammen ist die Rahmungsfunktion evident. Natürlich wäre auch das nicht so evident, wenn nicht nach 12,9 nur noch deutlich erkennbare Nachträge folgten, es sich also nicht offensichtlich um Anfang und Ende des eigentlichen Buches handelte. Eine weitere Rahmung von solcher Prägnanz ist mir im Innern des Buches nicht bekannt. Die Wiederkehr der Frage von 1,3 in 3,9 wird manchmal als Rahmung betrachtet94. Doch dann müßte 2,11, wo die Formulierungen von 1,3 und 3,9 als negative These erscheinen, eine Art »Zentrum« des ganzen Textes 1,3-3,9 sein. 3,9 wäre als wirklicher Schluß zu betrachten. Doch vieles spricht dafür, daß die Frage von 3,9 kein Abschnittsende durch eine rhetorische Frage darstellt, sondern in den folgenden Versen erst noch beantwortet wird gleichgültig, wie weit man diese Antwort dann gehen läßt95. Der rahmende Schluß käme also zu früh. Ebensowenig ist die fast unveränderte Wiederkehr der pi)-Aussage von 1,13 in 3,10 eine Rahmung, denn 3,10 kann nicht der Schlußsatz eines Abschnitts (1,12-3,10) sein. Es ist der Einleitungssatz für mehrere Ich-Aussagen. Auf 3,10 ΤΓΚ1 folgen 3,12 TiST und 3,14 TiST. Erst hier im »theologischen« Abschnitt 3,10-15 erhält die in 1,13 entworfene Fragestellung ihre eigentliche, nämlich auf die Gottheit bezogene Antwort". Mehrfach fragwürdig ist Graham S. Ogdens These, der nach ihm von 1,3 bis 8,17 reichende erste Buchteil habe auch eine Stichwortrahmung'1. Die Stichwörter sind nach ihm 1. 3^-ηκ (1,13.17; 8,9.16) und 2. tíntin/cratín nnn n t o (1,13.14; 8,9.16.17). Beim zweiten Stichwort wäre 8,16 zu streichen, denn dort steht ^HKrrSr niHS. Vielleicht wäre auch 1,13 ΕΤΠϊίη nnn n t o zu streichen, denn dieser Ausdruck findet sich im 8. Kapitel nicht, und bei Stichwortrahmungen kommt es ja wohl doch aufs Wort selbst an. Dann kämen die beiden Stichwörter gemeinsam in einem einzigen Vers nur noch in 8,9 vor. Das ist ja etwas weit vom Ende weg. Zudem ist 1,13 auch etwas weit vom Anfang weg. Während man den weiteren Beleg für η1? ]Π3 in 7,21 vernachlässigen kann, disqualifizieren die 5 weiteren Belege von ttintin nnn n t o (2,17; 4,1.3; 9,3.6) diese Wortverbindung wohl zudem für eine Funktion 94

95

96 97

Vgl. zuletzt T. Krüger, Qoh 2,24-26 (1994), 79. Er setzt die Königs-Travestie in 1,122,26 an. Darum herum seien konzentrisch zunächst die Gedichte 1,4-11 und 3,1-8 gelagert, dann als Rahmen die sich wiederholende Frage von 1,3 und 3,9. Vor allem in 3,12f, wo die Wurzel boc wiederkehrt. Vgl. z.B. G. S. Ogdert, Use (1979), 345f. T. Krüger, Qoh 2,24-26 (1994), ist im gleichen Zusammenhang selbst ebenfalls der Meinung, daß eine wichtige Grenze schon zwischen 2,26 und 3,1 liegt, und daß dort schon die »kritische Auseinandersetzung« mit der Meinung des »Königs Qohelet« beginnt (79). Insofern rechnet er einen »Kommentar« (79) zu 1,12-2,26 in 3,(l-9.)10ff (79) auch noch zur »ersten und grundlegenden Teilkomposition« (80) des Koheletbuchs. Er reicht nach ihm bis 4,12. Er fügt sich jedoch von 3,10 an nicht mehr der angenommenen konzentrischen Struktur ein, sondern ist ohne chiastisches Gegenstück additiv angefügt. Vgl. unten S. 105. Vgl. unten S. 94. G. S. Ogden, Qohelet ix 1-16 (1982), 159.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

65

als Rahmenstichwort. Doch selbst gesetzt, alle diese Reduktionen des Ausgangsbefunds wären nicht zu machen - daß es sich um eine Rahmung handelt und nicht zum Beispiel um eine Art Zwischenbilanz oder um einen Neueinsatz unter Rückgriff auf früher Gesagtes, kann nur ausgemacht werden, wenn schon von woandersher feststeht, daß es in der Tat einen ersten Buchteil gibt, derKoh 1-8 umfaßt. Man wird also trotz der beim Buch als ganzem vorhandenen Rahmungstechnik auffallende Wiederholungen innerhalb des Buches nicht automatisch als Rahmung von Abschnitten interpretieren dürfen. Wir haben es im Koheletbuch bei auffallenden Wiederholungen offenbar gewöhnlich mit Anknüpfungen, Wiederaufnahmen, Leitworten oder gar argumentationsverkürzenden Selbstzitaten zu tun, weniger mit Rahmungen. Im übrigen gewinnt man im Zusammenhang mit dem Thema »Rahmung« den Eindruck, daß manche Autoren das aus der antiken Rhetorik stammende Wort inclusio gebrauchen, als bedeute es nicht »Rahmung«, sondern »Wiederholung« ganz allgemein, oder sogar »Häufung« - was zweifellos falsch ist. Bühlmann und Scherer zählen unter dem Titel »Figuren der Wiederholung« 31 verschiedene Typen auf98. Die inclusio ist nur eine davon. Der Terminus fmdet sich schon in der antiken Rhetorik, allerdings ganz am Rande und nur für Rahmung kleiner Einheiten wie Satz oder Vers durch das gleiche Wort: Pseudo-Rufinian, de schematis lexeos 9, erklärt, inclusio sei die lateinische Entsprechung zum griechischen (παναδίπλωσις. Das lateinisch für die gemeinte Sache übliche Wort war redditio. Der Terminus inclusio ist über Veröffentlichungen von David Heinrich Mueller (1896), Charles Souvay (1911) und Paul Lamarche (1961) in der Bibelwissenschañ gebräuchlich geworden, und zwar sofort im Sinne der Rahmung größerer Texte durch wiedelkehrende Elemente". Jedoch verliert er jeden Sinn, wenn er für Lexeme oder andere Textelemente gebraucht wird, die in einem gegebenen Text häufig wiederkehren. Diese Sitte ist inzwischen leider eingerissen100. Ich fürchte, hier liegt eine Kontamination mit dem Inklusionsbegriff der Mengenlehre vor. Dort meint »Inklusion« das Enthaltensein einer Teilmenge in einer Obermenge. Am vernünftigsten wäre es, das Wort inclusio und seine einzelsprachlichen Derivate zu vermeiden.

98 99 100

W. Bühlmann /K. Scherer, Stilfiguren (1973), 15-42. Näheres bei R. Meynet, Analyse rhétorique (1989), vgl. dort den »Index des termes techniques«. Zwei Autoren mögen als Beispiele genügen: G. S. Ogden, Qoheleth ix 17 - χ 20 (1980), 30f und 37; Qoheleth ix 1-16 (1982), 159 (A. Schoors, Preacher [1992], 108, übernimmt den Sprachgebrauch Ogdens ohne jede Reserve); Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 8 (er sagt zu 6,12, »daß V. 12b den Bogen über 7,14; 7,24; 8,7 bis 8,17 spannt und auf diese Weise eine sachliche Inclusio herstellt«) und 185f (1,3 und 3,9 seien eine inclusio, wobei 2,11 nicht erwähnt wird).

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c)

Norbert Lohfink

Selbstzitat

Der Terminus »Selbstzitat« ist in der neueren Literatur plötzlich wichtig geworden. Michel argumentiert für die Einheit des Buches unter Hinweis auf die »Selbstzitate«, Fischer bestreitet deren Existenz101. Um zunächst einmal diese Frontstellung zu verstehen, ist es vielleicht gut, bei Fischer die argumentative Strategie ins Auge zu fassen. Der Buchredaktor, den Fischer annimmt, hat disparates Koheletmaterial praktisch unbeaibeitet aneinandergereiht und nur durch kleine Übergangstexte verbunden. Nachdem Fischer diese Fragmentenhypothese in seinem ersten Kapitel entwickelt hat, kann er nachher bei der Untersuchung einzelner Fragmente natürlich keine zitathaften Rückverweise auf andere aufgenommene Texte zulassen. Er glaubt, die von andern Autoren als »Selbstzitate« identifizierten Texte allein »durch die hohe Dichte des für Kohelet signifikanten Vokabulars und seine Vorliebe für formelhafte Wendungen« erklären zu können102. Wenn es dann bei Einzeltexten zum Schwur kommt, bleibt im Argumentationsgang letztlich immer sein erstes Kapitel maßgebend. Wenn ich zum Beispiel, und zwar durchaus aufgrund von lexematischen und inhaltlichen Zusammenhängen, in 5,19 mit einer Weiterführung der Aussagen von 3,1015 rechne10', dann muß das innerhalb von Fischers Betrachtungsweise natürlich »den Anschein willkürlicher Konstruktion« erwecken104. Es handelt sich ja um zwei Textbereiche, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten: Daher drängt sich grundsätzlich die Frage auf, ob die Deutung von 5,19 des Rückgriffs auf die Grundschrift 1,3-3,15 bedarf. Wir entscheiden sie im Sinne unserer Auffassung, daß die Komposition 5,9-6,9 eine eigenständige Lehrrede Kohelets darstellt, und versuchen im folgenden, den Vers in ihrem Zusammenhang auszulegen105. Hier ist explizit gesagt, daß »entschieden« wird und was logisch prius und posterius ist. Nicht die Fakten im Text allein werden ins Auge gefaßt, die schon gebildete Theorie determiniert ihre Deutung. Sie blendet den Bezug auf andere Buchteile aus. Ich halte diese Argumentationsstrategie grundsätzlich für möglich. Es muß oft feste Reihenfolgen in einem Beweisgang geben. Doch hat im konkreten Fall das erste Kapitel bei Fischer dann außerordentliche Lasten zu tragen. Die

101

102 103 104 105

Wenn ich andere recht verstehe, scheine ich den Terminus geprägt oder zumindest in die Koheletliteratur eingeführt zu haben. Das muß mir unterlaufen sein, ohne daß es eine geplante Aktion war. Doch scheint mir das Wort korrekt gebildet zu sein, nach dem Muster von Selbstanalyse, Selbstanzeige, Selbstbedienung, Selbstmord, Selbstzeugnis. Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 53. N. Lohfink, Revelation by Joy (1990). Α. Α. Fischer, Skepsis (1997), 83. Α. Α. Fischer, Skepsis (1997), 83f (Kursiv von mir).

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

67

Frage ist vielleicht, ob es im Blick auf solche Belastungen nicht etwas zu flink gearbeitet ist. Doch selbst, wenn man sich einmal spielerisch auf den Standpunkt von Fischer stellt, sind zwei Hinweise angebracht, die der Divergenz vielleicht ihre Härte nehmen. Einmal, daß gerade auch jene »Übergänge«, die Fischer als Werk des Buchredaktors ansieht, nicht nur Kommendes ankündigen, sondern auch auf schon Zurückliegendes zurückgreifen106. Sie haben Verknotungsfunktion107. Dabei handelt es sich nicht eigentlich um »Selbstzitate«. Zumindest sind es kaum Zitate eines bestimmten Textes. Es sind eher Anknüpfungen, die Reminiszenzen an den gesamten bisherigen Text kumulieren, vor allem an den 1. Buchteil. Meine Liste von Rückbezügen (inklusive verwandte Stellen) bei Fischers Übergangstexten: Z u 6,11 vgl. 5,6 ( n a m O - i a i ) ; 1,3; 2,11.13.15.22; 3,9; 5,15; 6,8 (DIX1? i r r ) .

Zu 6,12 vgl. 2,3.24; 3,12f; 4,3.6.9.13; 5,4.17; 6,3.6.9 (Gltò aio); 2,3.23; 5,16f.l9; 6,3 (0"Π Ό"); 2,12.18f; 3,11.21f (Vinx). Zu 7,23 vgl. 2,1 (HC«); 1,13; 2,3.21 (nnana). Zu 7,24 vgl. l,9f; 3,15; 6,10 (rrnsJ-nn); 3,11; 7,14 (KSO). Zu 8,16 vgl. 1,13.17; 2,12; 7,25; 8,9 (riDan run1? 'aVn« 'nra); 1,13; 2,23.26; 3,10 1 ( N Ó M NTTÍK p s r r n x nun ?); 2,23; 5,11 (njttí nS-Sai ova D J ) . Zu 8,17 vgl. 3,11; 7,13 (ΒΥΙ^ΚΠ niDDD); 1,8.15; 6,10 (bav >0); 3,11; 7,14.24.28 (Kisnb); 1,14; 2,17; 3,11; 4,3; 8,9 (tfntirrnnn nias: itíK ntonrrnx); 3,6; 7,25.28.29 (tipnb); 8,1 (runS nann Fischers Buchverfasser ist die Technik des zitatartigen Rückgriffs auf frühere Buchteile, speziell auf den ersten, also durchaus vertraut. Das führt zum zweiten Hinweis. Er betrifft die Übereinstimmungen zwischen Texten, von denen Fischer meint, sie seien dem Buchredaktor vorgegeben gewesen. Zumindest in dem irgendwann auf jeden Fall fertigen Gesamtbuch haben eindeutig wiederkehrende Gedanken und Formulierungen auch im Bereich dieser Texte Rückverweis-, ja Zitatcharakter. Der Leser kann sie gar nicht anders wahrnehmen. Wenn ein Redaktor diesen Effekt nicht gewollt hätte, hätte er die durch den Zusammenbau entstehenden Übereinstimmungen beseitigen müssen. Selbst wenn bestimmte Übereinstimmungen im Stadium disparater Vormaterialien nur als Spiegelung der festgeprägten Denk- und Sprachwelt ihres gemeinsamen Autors Kohelet erklärt werden könnten108 - im fertigen Buch übernehmen sie eine neue Funktion. Fischer muß sich um sie bei seinem eher romantischen hermeneutischen Interesse für das älteste Textstadium nicht besonders kümmern. Aber zugleich müßte er für das eigentliche Buch den Sachverhalt akzeptieren.

106 107 108

Vgl. Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 7f (zu 6,llf), 10 (zu 8,160Vgl. A. A. Fischer, Skepsis (1997), 7 (»Brückentexte«), 9f (»Überleitung«), 11 (»Übergänge«), So die Erklärung von Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 53f, die für alle Fälle von behaupteten Selbstzitaten gelten soll.

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Norbert Lohfink

Doch wir können einen Schritt weiter gehen. Mindestens manche der in der Koheletliteratur identifizierten Selbstzitate erinnern nicht nur an frühere Texte des Buches. Sie haben im Kontext eine genauer beschreibbare Funktion. Sie ersparen dem Autor bei seiner Argumentation breitere Ausführungen109. Durch eine Art Kurzfassung, wenn nicht sogar einfach durch einen Querverweis, ermöglichen sie dem Leser, sich, wenn nötig, an der früheren Stelle breitere Informationen zu holen. Man könnte sie als beweisverkürzende oder als beweisabstützende Selbstzitate bezeichnen. Grundsätzlich gesprochen liegt ein solcher Gebrauch von »Zitaten« besonders nah, wenn Verweisziel und Verweis zum selben Werk oder Text gehören. Doch läßt sich das Phänomen sogar auch zwischen verschiedenen textlichen Erzeugnissen des selben Autors denken, wenn die Lage dann auch komplizierter ist. Zwischen den disparaten Materialien Fischers vor der Buchredaktion kann es also durchaus auch Querverweise gegeben haben. Auch innerhalb eines Schülerkreises und seiner Texte gibt es Intertextualität ganz besonderer Art. Will man eine Redaktionstheorie im Stil Fischers aufrechterhalten, dann muß man angesichts des noch zu illustrierenden Befunds entweder eine derartige Intertextualität postulieren oder aber den Zusatzgedanken einführen, daß der Redaktor seine Materialien keineswegs unberührt ließ, sondern sie aufeinander abstimmte. Eines seiner Mittel waren dann die vor allem auf den 1. Buchteil zurückverweisenden Abkürzungen der Argumentationsgänge.

Es geht mir im folgenden also nicht um alle am Wortlaut festmachbaren Querbeziehungen im Koheletbuch, sondern nur um einen bestimmten, an seiner Funktion erkennbaren Typ derselben. Da die Terminologie (Zitat, Anspielung, Verweis usw.) in der Diskussion über Intertextualität fließend ist, kommt es mir auch nicht auf das genaue Wort »Zitat« an. Die gemeinte beweisverkürzende Funktion könnte unter Umständen auch schon durch Anspielung auf einen früheren Text mithilfe von wenigen typischen Formulierungen hergestellt werden, ohne daß ganze Sätze oder Satzstücke zitiert werden müßten. Andererseits kann es größere übereinstimmende Wortketten geben, die doch nicht die Funktion der Beweisverkürzung haben, sondern zum Beispiel der Rahmung oder der Herstellung eines Chiasmus dienen. Ich habe in meinem Koheletkommentar in den Randverweisen und Anmerkungen oft Rückbezüge auf frühere Texte notiert, ohne sie stets genau zu klassifizieren. Ich möchte diese im folgenden tabellarisch zusammenstellen, doch nur als Sammlung, die für weitere Analysen interessant sein kann. Es ist gerade keine Liste von »beweisabstützenden Selbstzitaten«. Die Liste registriert nur Rückverweise auf 1,2-3,15 und setzt Apperzeption des

109

Vgl. F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 64: »sprachökonomisches Darstellungsmittel«.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

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Textes in Leserichtung voraus. Sie wäre im einzelnen durchaus zu ergänzen wie zu überprüfen" 0 . 3,17 vgl. 3,1; 3,19 vgl. 2,14; 3,22 vgl. 2,24 und 3,12f; 4,8 vgl. 1,8; 4,16 vgl. 1,11; 5,6 vgl. 3,14; 5,9 vgl. 1,8; 5,12 vgl. 2,21; 5,16 vgl. 2,23; 6,lf vgl. 2,21; 6,7 vgl. l,7f;6,8vgl. 2,13-15; 6,10 vgl. l,9f und 3,15; 7,10 vgl. 1,11; 7,13a vgl. 3,14; 7,13b vgl. 1,15; 7,14 vgl. 3,11; 7,16 vgl. 2,15; 7,17 vgl. 3,2; 7,24 vgl. 3,11.15; 7,25 vgl. 1,17; 7,26 vgl. 2,26; 8,5f vgl. 3,1; 8,6 vgl. 2,17.21; 8,9 vgl. 1,13; 8,15 vgl. 2,24 und 3,12f; 8,16a vgl. 1,12.17; 8,16b vgl. 2,23; 8,17 vgl. 1,8 und 3,10f; 9,1 vgl. 2,24 und 3,8; 9,2 vgl. 2,14; 9,5 vgl. 1,11; 9,6 vgl. 3,8; 9,7-9 vgl. 2,24 und 3,12f; 9,9 vgl. 2,10; 9 , l l f v g l . 3,1; 10,2f vgl. 2,14; 11,5 vgl. 3,11; 11,9 vgl. 2,10; 12,7 vgl. 3,20f; 12,8 vgl. 1,2.

Jetzt zurück zu den beweisverkürzenden Selbstzitaten im definierten Sinn! Ich kann hier den Sachverhalt nicht voll durcharbeiten. Vielmehr möchte ich im folgenden zum Nachweis dieser speziellen Funktion von Selbstzitaten im Koheletbuch nur zwei Beispiele bringen. (1) Der erste Fall eines beweisverkürzenden Selbstzitats ist nach meiner Meinung sofort am Anfang des 2. Buchteils in 3,17 zu finden. Ich kann bei diesem notorisch schwierigen Text jetzt natürlich nur einfach meine eigene Textauffassung vorlegen 1 ". Doch wird sie gerade durch die Annahme eines Selbstzitats ermöglicht" 2 , während ohne eine solche An-

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Vgl. die nach den Gesichtspunkten »Phorik«, »Selbstzitate« und »analoge Gedankenabfolge« geordnete Zusammenfassung bei F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 318-323, die allerdings selbst wiederum nur aus Rückverweisen auf frühere Kapitel besteht, in denen man sich leider recht mühsam die Einzelheiten zusammensuchen muß. Im großen und ganzen scheint mir die Folgerung von Backhaus zuzutreffen: Unter allen drei Gesichtspunkten hängen die Buchteile 2 — 4 am 1. Buchteil, während sie untereinander nicht auf diese Weise verbunden sind. Doch gibt es etwas mehr als die eine Ausnahme (10,14b, vgl. 8,7), die er konzidiert (vgl. ebd., 64). Unter j e verschiedenem Gesichtspunkt könnte man als Rückverweise auf andere Buchteile (in der Abgrenzimg von Backhaus) in diesem Sinne diskutieren: 8,6 vgl. 6,1; 9,lf vgl. 7,15; 9,3 vgl. 8,11; 9,15 vgl. 4,13; 10,14 vgl. 5,2; 11,5 vgl. 8,17; 11,9 vgl. 6,9. Vgl. N. Lohfink, Kohelet (1980), 34f. Mit einem Selbstzitat oder Vergleichbarem rechnen hier E. Podechard, Ecclésiaste (1912), 304; H. L. Ginsberg, Koheleth (1961), 76; H. W. Hertzberg, Prediger (1963), 110; F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 144. Darüberhinaus sprechen von einem so oder so bestimmten Zusammenhang mit 3,Iff: A. Lauha, Kohelet (1978), 17 (Anspielung); M V. Fox, Contradictions (1989), 198; R. E. Murphy, Ecclesiastes (1992), 36 (beide: Wiederholung des Gedankens); R. N. Whybray, Ecclesiastes

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nähme sehr viele Kommentatoren gezwungen sind, den Text zu emendieren oder in ihm Glossen zu vermuten 1 ". Kohelet geht in 3,16 von einer im Bereich der Gesellschaft gemachten Beobachtung aus, die er bei Austausch nur eines einzigen Wortes zweimal ausspricht, also in fast sumerisch stilisierter Parallelismus-Eindringlichkeit: Außerdem habe ich beobachtet114 unter der Sonne: An den Ort, wo man urteilt, dorthin ist das Unrecht gedrungen, an den Ort, wo Gerechtigkeit sein soll, dorthin ist das Unrecht gedrungen115.

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(1989), 77 (Wiedereinführung des Gedankens); J.-J. Lavoie, Pensée (1992), 59 (Rückbindung); L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 117 (Rückgriff). Die Änderungsvorschläge beziehen sich vor allem auf das Wort Dtí. Vgl. das Meinungsspektrum bei J.-J. Lavoie, Pensée (1992), 54-56, Anm. 3. Für die Annahme einer Glosse vgl. die bei D. Michel, Untersuchungen (1989), 249f, aufgezählten Autoren, denen Michel selbst sich anschließt. Ferner sind noch E. Wölfel, Luther (1958), 51, Anm. 40; J. L. Crenshaw, Ecclesiastes (1989), 102; A. A. Fischer, Skepsis (1997), 20, Anm. 76, zu nennen. D. Michel, Untersuchungen (1989), 24-28 und 35-38, aber auch sonst noch im Buch, versteht rm*i an folgenden Stellen als »betrachten = inspizieren, untersuchen, überprüfen«, und zwar oft bezogen auf dann zitierte Meinungen: 1,14; 2,12.13.24b; 3,10.16.22a; 4,4.15; 5,12.17a; 6,1; 7,15; 8,9.10.17; 9,13; 10,5.7. Zu 3,16 vgl. ebd., 251. A. Schoors, ΠΝΊ (1996), 231-240, hat in einer Analyse der einzelnen Stellen die Zahl der für diese Bedeutung in Frage kommenden Belege stark reduziert. Auch 3,16 beurteilt er anders (234). Hier nur kurze Bemerkungen zu Michels These: 1. Michel scheint nur Belege der 1. Person Singular Suffixkonjugation untersucht zu haben; es gibt andere Belege von ΠΚΊ, die man in die Überlegungen hätte einbeziehen müssen (1,16; 3,18.22b; 4,1.7; 5,7.10; 8,16a; 9,11). 2. Die von Michel angenommene Bedeutung ist möglich und in einzelnen Fällen vorhanden, aber in entschieden weniger Fällen, als er annimmt (vgl. Schoors). Häufiger ist die Bedeutung »sehen = beobachten, vorfinden, die Erfahrung machen«. 3. Im konkreten Fall von 3,16 hängt alles an der Deutung des Gesamtabschnitts. Michel kann seine Deutung nur durch Annahme eines umfangreichen Zusatzes und durch zwei Emendationen erreichen. Das empfiehlt sie nicht. Man kann nntí natürlich auch als »dort« übersetzen. Dann liefe der deutsche Text einfacher: »Am Ort, wo man urteilt, herrscht Unrecht...« Ich übersetze komplizierter, weil D. Michel, Untersuchungen (1989), 250f, auf dem Ursinn von HDS) insistiert. Wie meine Übersetzung zeigt, kann man den Ursinn von nns) aber auch wahren, ohne deshalb Michels Deutung übernehmen zu müssen. So auch T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 281, Anm. 17. Michel glaubt, den Ursinn von nntí nicht preisgeben zu dürfen und ihn nur wahren zu können, wenn er hier mit der Untersuchung einer Gegnermeinung rechnet, die auf Herstellung der Gerechtigkeit im Jenseitsgericht hofft: »An den Ort des Gerichts - dorthin (muß) das Unrecht! An den Ort der Gerechtigkeit — dorthin (muß) das Unrecht.« Um auf dieser Linie weiterzukommen, muß er dann aber den ganzen Vers 17 als »sekundäre Ergänzung des 2. Epilogisten« ansehen und in Vers 18 zwei Emendationen vornehmen. Vgl. D. Michel, Qohelet (1988), 138. Das scheint mir ein zu hoher Preis zu sein.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

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Er fügt sofort emphatisch seine Analyse an. Der erste Satz enthält die These, der zweite deren Begründung: Da dachte ich mir" 6 : Gott verurteilt117 den Unschuldigen genau so wie den Verbrecher118. Denn: Eine bestimmte Zeit für jedes Geschehen undfür jedes Tun, (das gilt auch) dort119 Es wird also in lockerer Anspielung auf 3,1 und das Gedicht 3,2-8, zusammen mit seiner anschließenden theologischen Auslegung, eine Anwendung dieser Gnindsatzausfuhrung auf den Fall des Justizmordes vorgenommen. Auch dieses Verbrechen ist Tun Gottes, das auf bestimmte Menschen fällt. Hier denkt der Text dann weiter, wenn er den Menschen im Blick auf den Tod dem Vieh gleichstellt. (2) Ein anderes Beispiel, wo ebenfalls auf 3,1 zurückverwiesen wird, ist der in 8,5 recht abrupt mit einem traditionellen Sprichwortzitat einsetzende Text aus dem dritten, »ideologiekritischen« Teil des Buchs: Wer das Gebot hält, weiß von keinem Unglück, und den richtigen Augenblick (BBtím ra) - der Verstand des Gebildeten weiß ihn. Doch mm folgt in 8,6-7 mit einem vierfachen entgegensetzenden "3120 eine serielle Gegenargumentation, die nacheinander an die drei entscheidenden Wörter des Spruches anknüpft (m nal - BBtíni no - d t ) und praktisch aus lauter Zitaten oder zumindest Rückverweisen besteht:

116

117

118 119 120

Verführerisch, aber nicht zwingend ist R. B. Y. Scott, Ecclesiastes (1965), 222f, der den Versanfang übersetzt: »I quoted to myself«. Aus den 8 Belegen von 'ΠΊΠΚ im Koheletbuch kämen für »zitieren« vielleicht 2,2; 3,17; 6,3; 8,14; 9,16 in Frage. Doch sicher ist das nirgends. Scott denkt bei 3,17 allerdings an ein Zitat der »Standard answer to the problem«, nicht an ein Selbstzitat Kohelets. Daß das Zitat nur einen Teil der mit τ η η κ eingeführten Aussage umfassen würde, wäre wohl kein Problem. Ich antizipiere eine Sinnuance von BBti (»bestrafen, verurteilen«, Todesurteil eingeschlossen), die im Leseprozeß an dieser Stelle schon als Möglichkeit da ist, sich aber erst im Fortgang des Textes als hier anzunehmen durchsetzt, wenn nämlich Vers 18 auf das Todesschicksal zusteuert. Dann zeigt sich: Es geht von Anfang an um Justizmord. = so, als wenn er ein Verbrecher wäre. = an der Gerichtstätte. Denn auch diese gehört zum Bereich unter dem Himmel (3,1). Hierzu vgl. D. Michel, Untersuchungen (1989), 201f. Er beruft sich auf mich und entwickelt von dieser Stelle aus (genauer: dem ersten Beleg von 'D an dieser Stelle) unter Heranziehung von 9 weiteren Fällen die Theorie eines speziellen deiktischen Gebrauchs von Ό bei Kohelet. Ich hatte hier eigentlich an das auch sonst durchaus belegte Ό adversativum gedacht, und als Besonderheit Kohelets nur die vierfache Reihung betrachtet. Ich versuche dies in der folgenden Übersetzung deutlicher herauszustellen als in der Einheitsübersetzung.

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Norbert Lohfink

Doch: Doch: Doch: Doch:

Es gibt den richtigen Augenblick für jedes Geschehen (= 3,1). Unglück lastet häufig auf dem Menschen (= 2,17 und 6,1). Er weiß nicht, was geschehen wird. Wie es geschehen wird, wer kündet es ihm?

Die beiden letzten Aussagen haben vor diesem Text ihre deutlichste lexematische und inhaltliche Entsprechungen in 6,12b. Doch dort handelt es sich um die Einführungspassage des ganzen 3. Buchteils, die gerade die beiden Sätze von 8,7 in einem einzigen Satz zusammengefaßt vorwegnimmt121. An diese Ankündigung erinnert sich der Leser hier natürlich durchaus. Durch die beiden ersten Zitate von 8,6 ist er mit seinem Kopf jedoch zugleich noch im 1. Buchteil, wo die Aussagen von 8,7 zwar nicht im gleichen Wortlaut stehen, aber der Sache nach breiter ausgeführt und begründet werden, vor allem in 3,11. Im ganzen handelt es sich also um eine höchst subtile, aus Rückbezügen gestaltete Argumentationstechnik, die vom Leser die Erinneiungspräsenz des schon Gelesenen fordert. Erst wenn dieser durch die Rückgriffe weiß, daß das zitierte Wort der Tradition schon längst an anderer Stelle widerlegt worden ist, verläßt Kohelet die zurückgreifend-abkürzende Beweisführung und geht in 8,8 auf die unausgesprochene Begehrlichkeit ein, die hinter dem Spruch steht, nämlich den Wunsch, Macht über den Gang der Dinge zu haben (piatti). Er nennt jetzt Gegenerfahrungen. D i e beiden Beispiele m ö g e n genügen: Im B u c h als B u c h wird mit Selbstzitaten zur Beweisabstützung und Beweisverkürzung gearbeitet. Es geht mir u m diese besondere Gruppe v o n »Selbstzitaten«. Sie k o m m t erst v o n einem bestimmten Punkt an vor, während man, j e nach Definition, vielleicht recht früh im B u c h in anderem Sinn schon v o n »Selbstzitaten« sprechen könnte. N u n m ö c h t e ich noch ein verwandtes Phänomen benennen, das meines W i s s e n s für Kohelet bisher noch nicht beschrieben worden ist.

d) Narrative Rückblende Mindestens in einem Fall, in 8,16, gibt es eine narrative Nachholung, die zu früher erzählten Ereignissen zurücklenkt, deren Erzählung also notwendig voraussetzt. N u r hier i m ganzen »autobiographischen Faden«, der sich durch das B u c h zieht 122 , wird ein Rückgriff Kohelets auf seine früheren Erfahrungen durch die Partikel "itíto eingeleitet:

121 122

Vgl. zuletzt A. A. Fischer, Skepsis (1997), 8. Ich greife auf die Bezeichnung »autobiographic thread« zurück, einen besonders von Bo Isaksson, Studies (1987), gebrauchten Terminus. In Wirklichkeit trifft der Vergleich mit Faden und Gam nicht so ganz zu. Syndetische Verbindungen zwischen den Aussagen laufen nur bis 2,24, dann noch einmal kurz am Anfang des 2. Buchteils. In den Kapiteln 5 und 6 werden nur in untergeordneten Relativsätzen Erinnerungen an die Vergangenheit hervorgeholt (5,12.17; 6,1). In den Kapiteln 7 — 9 wird mehrfach

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

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Als ich mir vornahm, das Wissen zu erkennen und das Geschäft zu beobachten, das auf der Erde getrieben wird...

Daß hier durch mehrere Lexeme auf 1,13 und 1,17 zurückverwiesen wird, findet man häufig notiert. Auch daß 8,17 dann auf 3,10 und 2,23 anspielt123. Doch es wäre falsch, diese Rückgriffe einfach als »Zitate« zu verbuchen. Es handelt sich im ganzen zugleich um eine narrative Rückblende. Die Erzählung nimmt das im 1. Buchteil schon einmal Erzählte wieder auf und erzählt es, vor allem in den ausführlichen Parenthesen dieser Verse, noch einmal unter einem neuen Aspekt. Was leisten nun argumentativ eingesetzte Selbstzitate und narrative Rückblenden für die Frage nach der Struktur des Buches? Sicher mehr als einfach nur häufig wiederkehrende Sprachelemente. Sie offenbaren nicht nur den gleichen Stil und den gleichen Geist. Sie machen aus dem Buch ein Gewebe. Es ist in einem viel tieferen Sinn eine Einheit. Sie wären in disparaten Einzeldarlegungen Kohelets noch nicht, oder nur als lockere Intertextualität, denkbar. Dennoch: Zur Erkenntnis eines Planes oder Aufbaus des Buches tragen auch sie nichts bei. Wenn ich mich weiter unten auf das erstmalige Vorkommen des Phänomens des beweisabstützenden Selbstzitats berufen werde, geht es nicht um das Phänomen als solches, sondern um sein erstmaliges Vorkommen. Für Plan und Aufbau des Buches jedoch sind, von bisher erwähnten Randmöglichkeiten abgesehen, nur zwei Typen von Phänomenen brauchbar: zum einen Einleitungen und Abschlußpassagen von Buchteilen (= e), zum andern erkennbare Anordnungsmuster aus mehreren kleinen Einheiten, die zusammen dann eine größere Einheit ergeben (= f). e) Einleitungen und Abschlüsse Die Einleitungen und Abschlüsse sind bei Backhaus, vor allem aber - wenn auch verkleidet - bei Fischer mit solcher Akribie beschrieben, daß ich hier nicht näher darauf eingehen muß124. Höchstens eine Bemerkung. Von Einleitungen und Schlüssen sind wir gewohnt, daß sie metasprachlich werden, das heißt, die Perspektive des eingeleiteten oder abgeschlossenen

so etwas wie eine Gesamterinnerung beschworen: τγκτ SnrrnK o.a. (7,15.23; 8,9;

9,1). 123

124

Es wäre zu fragen, ob nicht auch 8,17 noch unter der Herrschaft des von 8,16 steht. Doch sehe ich dann schwer, wie der Satz (der auch durch sehr lange Parenthesen belastet wäre) dann in 9,1 weiterlaufen könnte. Denn das für den »autobiographischen Faden« des Koheletbuchs für eine solche Position einmalige '3 scheint 9,1 als Weiterführung zu stempeln. Vgl. die ausführliche und breit dokumentierte Diskussion bei J. Y.-S. Pahk, Canto (1996), 130-134. Bei F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), in der laufenden Analyse, bei Α. A. Fischer, Skepsis (1997), für den sie ja die einzigen textlichen Spuren des Buchredaktors sind, in seinem ersten Kapitel.

74

Norbert Lohfink

Textes verlassen und von einem höheren Standpunkt aus über ihn sprechen. Das ist bei Kohelet nicht der Fall. Diese Textstücke geben ihren struktursignalisierenden Charakter meist nur dadurch zu erkennen, daß sie die normale Narrativität oder den normalen Diskursstil verlassen und, von ihm her gesehen, gewissermaßen unverständlich werden. Sie sagen dann gewöhnlich unmotiviert eng nebeneinander verschiedenste Dinge. Das sind praktisch Vorandeutungen dessen, was kommen wird, oder Rückerinnerungen an Gesagtes. In einigen Fällen handelt es sich auch um einen in sich stimmigen Text, der aber viele Stichwörter für die kommenden Texte enthält. Der Text wird zum Stichwortspender. Dann kann sein Ankündigungscharakter vom Leser vielleicht erst hinterher erkannt werden. In der Musik ließe sich für beide Möglichkeiten die Präsentation des thematischen Materials am Anfang eines Sonatensatzes vor der Durchführung vergleichen. Wichtig ist, daß derartige Einleitungen - darum handelt es sich bei Kohelet gewöhnlich - nicht nur vor Hauptteilen des Buches stehen (6,llf vordem 3. und 8,16f vor dem 4. Buchteil), sondern als Einleitungen für kleinere Textbereiche auch innerhalb derselben vorkommen. Fischer hat das zum Beispiel schön für 7,23f gezeigt, wo innerhalb des 3. Buchteils der Bereich bis 8,16f dem Thema der »Unergründbarkeit von Gottes Tun« zugeordnet wird125. Ebenso hat er für 5,9-11 darauf aufmerksam gemacht, daß diese kleine Spruchkomposition »die Motive und Stichwörter für den kommenden Prosatext liefert«126. Innerhalb des 4. Buchteils wird das umfangreiche Mittelstück, das mit 9,11 beginnt und von breiten, in sich chiastischen Rahmungen umgeben ist127, noch einmal in dem knappen Text von 9,11-12 eingeleitet. Der Kunstspruch enthält eine Reihe von Stichworten, die dann in der lockeren Sprichwortabfolge von 9,13-11,3 (oder 11,6) wiederkehren128. Die Fakten:

125 126

127

128

Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 9f. Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 60. Vgl. schon N. Lohfink, Kohelet (1980), zu 5,9-11. T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 400f, zeigt darüber hinaus noch, daß die Stichwortentsprechungen chiastisch angeordnet sind (5,9 vgl. 6,3-6; 5,10 vgl. 6,1-2; 5,11 vgl. 5,12-16). Α. A. Fischer, ebd., 60-64, zeigt schließlich, daß inhaltlich die Motive von 5,9-11 in 6,7-9 in gleicher Abfolge wiederkehren. Das wäre zusätzlich noch eine Art Rahmung. Vgl. die Graphik bei F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 273. Etwas weniger deutlich tritt das chiastische Rahmensystem in der Graphik bei L. SchwienhorstSchönberger, Glück (1994), 195, hervor. Vgl. N. Lohfink, Kohelet (1980), Kommentar zu 9,1 lf; Grenzen (1994), 38f. G. S. Ogden hat in jüngerer Zeit in 4 Aufsätzen wohl am meisten zur Klärung der Struktur des vierten Buchteils beigetragen: Qoheleth ix 17 - χ 20 (1980); Qoheleth ix 1-16 (1982); Qoheleth xi 1-6 (1983); Qoheleth xi 7 - xii 8 (1984). Doch die Funktion von 9,1 lf als Stichwortspender hat er nicht in den Blick bekommen - höchstens daß er sieht (Qoheleth ix 17 - χ 20 [1980], 30), wie der Gedanke des menschlichen Wissens aus 9,llf in 10,14 und in 11,2.5.6 wiederkehrt, und auf eine inclusio schließt (zur Terminologie vgl. oben S. 65).

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

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tintín nnn πκί vgl. 9,13; 10,5 D—n33 vgl. 9,16 Q-nsn vgl. 9,15.16.17.18; 10,1.(10.)12 onb vgl. 11,1 ItiS vgl. 10,6.20 ]Π vgl. 10,12 Π» vgl. 10,17 DT-kS vgl. 10,14.15; 11,2.5 (bis) .6 B-lK vgl. 9,15; 10,14 rw vgl. oben rmsn vgl. 9,14 nsn vgl. 10,13; 11,2 Di« vgl. oben ΠΒ vgl. oben n m vgl. oben ViBnvgl. (10,8;) 11,3. Diese untergeordnete Einleitung scheint Fischer entgangen zu sein129. Auch einen anderen Einleitungstext auf niedrigerer Ebene mit einer Art Dispositionsangabe für das unmittelbar Folgende hat Fischer nicht eikannt oder als solchen nicht akzeptiert1'0. Er findet sich im 1. Buchteil, und zwar in 2,12131:

129

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131

Er bindet 9,11 mit Recht an 9,1-10 (Skepsis [1997], 117-119), vor allem auch unter Verweis auf die Einleitungsformel ΠΚΠ Tnttf (vgl. unten S. 84). Doch muß diese Anbindung ja nicht notwendig nur 2 Verse betreffen. Genau so gut ist es möglich, daß der ganze Text bis ins 11. Kapitel hinein angebunden wird. Fischer hält 9,13—10,14 für einen »in den Zusammenhang eingeschobenen Schultext« (ebd., 118). Seine Begründung, der inhaltliche »Dreh- und Angelpunkt« von 9,llf spiele in dem »Schultext 9,13—10,13« keine Rolle (so ebd., 18), mag stimmen oder auch nicht. Stichwörter aus 9,llf treten aber auch in diesem Bereich auf. Und vielleicht gibt es doch auch inhaltliche Bezüge. Zur gesamten Redaktionshypothese Fischers fur den 4. Buchteil vgl. ebd., 19f. Sie wird für die Innenteile leider nicht im Detail an den Texten verifiziert. Natürlich hat 9,1 lf einen anderen Charakter als etwa 8,16f. Aber selbst unter Fischers redaktionsgeschichtlichem Gesichtspunkt ist es möglich, daß vom Herausgeber eingesetzte Gelenkstücke älter sein, ja von Kohelet selbst stammen können. So ebd., 10, zu 7,23f. Das gilt für Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 203-205. In Beobachtungen (1991), 73, scheint er mit »12b als Dispositionsangabe« zumindest als einer Möglichkeit gerechnet zu haben. Fischers eigene Deutung fmdet sich in Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 203f. Er kann sie nur durchhalten, indem er die letzten 4 Wörter von 2,12 zu einer Glosse erklärt, »die in den Text eingedrungen ist.«

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Noibert Lohfink

Ich wandte mich hin, um zu beobachten Wissen und Verblendung und Unwissen (rrtaoi mbbini Π Β 3 Π ) . Denn Was für ein Mensch wird auf den König folgen (•[Son ηπκ KiTtí man), den sie einst eingesetzt haben?132 Der disparate Charakter der beiden Aussagen ist unverkennbar. Doch entsprechen den beiden Sätzen, die, für den Leser zunächst nicht durchschaubar, durch "3 »denn« verbunden sind133, die beiden folgenden Abschnitte des Textes. 2,13-17 handelt vom (nicht vorhandenen) Vorteil des Wissens vor dem Unwissen (mbsorrp nßsnb), 2,18-23 von der Unverfügbarkeit des Nachfolgers und Erben (ηπκ rrrrsí in«1?). Offensichtlich klingen in 2,12 schon einmal entscheidende Formulierungen der beiden Abschnitte an134. Bei der Durchführung zeigt sich auch, daß die beiden Themen sachlich zusammenhängen. Es verbindet sie der Salomo erwartende Tod. Das Ό von 2,12 könnte tatsächlich »denn« bedeutet haben. Doch das ist bei 2,12 noch nicht zu sehen. Gerade durch die vordergründige Unverständlichkeit macht 2,12 beim Leseprozeß auf sich aufmerksam, läßt sich als Vorwegnahme vermuten, und beim Fortgang des Lesens offenbart der Vers sich dann in seinen beiden Teilen als eine Art Dispositionsangabe135. Schließlich könnte es sein, daß 7,25, vor dessen zweiter Texthälfte praktisch alle Kommentatoren ratlos stehen13', eine Art Dispositionsangabe ist. Denn zumindest die Wurzel C'ih findet sich in 5 von insgesamt nur 12 Belegen (8,8.10.13.14[2x]) gehäuft und damit 132

133

134 135

136

Zu dieser Übersetzung von 2,12b vergleicht man am besten F. Delitzsch, Koheleth (1875), 250f. D. Michel, Untersuchungen (1989), 22, der anders übersetzt, schreibt: »Grammatisch ist gegen diese Übersetzung sicherlich nichts einzuwenden.« Er wendet dann aber ein, in 18f sei nicht vom König die Rede. Doch das hängt an der Frage, ob hier die Königs-Fiktion noch weiterläuft oder nicht. Zum Ende der Königs-Fiktion vgl. unten S. 91ff. Man könnte sofort auf ein "O-emphaticum tippen, oder mit Α. A. Fischer, Beobachtungen (1991), 73, unter Verweis auf 8,16 sagen, daß »mit eingeleitete Einschübe als stilistische Eigenart Kohelets zu betrachten« seien. Aber es ist vielleicht besser, die Dinge im Rahmen des Leseprozesses zu sehen, wo der Leser zuerst einmal mit der verbreitetsten Funktion von experimentiert und dann erst seine Fragen bekommt. Die kleinen Unterschiede der Formulierung in 2,12 stellen noch andere intratextuelle Beziehungen her: mbbin zu 1,17 und K13 zu 1,4. Vgl. H. W. Hertzberg, Prediger (1963), 90f; J. A. Loader, Ecclesiastes (1986), 29; G. S. Ogden, Ecclesiastes (1987), 43 (?); T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 178; Λ. Lange, Weisheit (1991), 106; L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 69f. D. Michel, Qohelet (1988), 132, sieht, ähnlich wie jene, die 2,12b hinter 2,11 umstellen, in der Frage den »Abschlußsatz der Salomofiktion«. Ein derartiges Schlußsignal kann ich aus der Frage aber nicht heraushören. Vgl. nur aus der neuesten Literatur/). Michel, Untersuchungen (1989), 226 (zu 7,25b: »Doch erscheint es auf jeden Fall eigenartig, daß Qohelet auf diese Behauptung nicht mehr zurückkommt«); Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 13 (zu 7,25b: »der Halbvers kündigt zwar an, daß im folgenden noch Frevel und Dummheit, Torheit und Verblendung untersucht werden sollen, erschöpft sich aber in dieser Ankündigungsfunktion«). Fischer sieht immerhin über das Wort svh einen Bezug zu 8,10.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

77

abschnittskennzeichnend in 8,5-15. Das ist nach dem kleinen Zwischenspiel 8,1-5 der zweite größere Abschnitt innerhalb von 7,25-8,15, das von 7,23f und 8,16f gerahmt ist.

f ) Anordnungsmuster Neben derartigen Einleitungs-, Schluß- und Übergangstexten dienen bestimmte Ablaufmuster dazu, Einheiten nicht nur innerlich zu strukturieren, sondern sie auch dadurch, daß eine Struktur an einem bestimmten Punkt ihren Endpunkt erreicht hat, gegenüber neuen Einheiten abzugrenzen. Bevorzugtes Muster ist der Chiasmus (AB/BA) und dessen Variante mit Zentralteil, die Palindromic oder Ringkomposition (AB/Z/BA). Seltener ist Parallellauf (AB/AB). Während der 3. und 4. Buchteil durch eindeutige Überleitungstexte eröffnet werden, fehlt so etwas in dem Bereich, wo irgendwo der 2. Buchteil beginnen müßte. Deshalb ist in der neueren Diskussion die Grenze zwischen erstem und zweitem Teil des Buches auch am meisten umstritten137. Doch zeichnen sich neue Denkmöglichkeiten ab. Gerade im 2. Teil findet sich zweimal deutliche Konzentrik. Das haben Krüger und Fischer noch klarer herausgestellt, als es bisher bekannt war138. Der 1. Buchteil ist komplizierter gebaut: Es handelt sich um eine Kombination von Rahmung, Ankündigungstechnik, Parallellauf- und Chiasmusstruktur. Auch hier hat Fischer unsere Erkenntnis ein Stück über das schon Bekannte hinausgeführt 139 . Irgendwie offen ist noch die Frage nach der Eigenart und Zuordnung von 3,16-4,12, einem ausgesprochenen Prosatext im Ich-Stil, der der Komposition 5,9-6,9 entsprechen könnte. Kombiniert man die neuen Erkenntnisse miteinander, dann dürfte es in Zukunft leichter sein, sich auf den Einsatz des 2. Buchteils in 3,16 zu einigen. Ich will auf die Frage sofort noch genauer zurückkommen. Im 4. Buchteil ist ein innerer Kern von einem breiten Rahmen umgeben, der in sich chiastisch angelegt ist140. Ein besonderes Problem bildet der Anfangspunkt dieses Teils des Buches. Auch daraufkomme ich zurück.

137

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139 140

Für ein Meinungsbild vgl. unten S. 79. Die Frage wird leider unzulässigerweise oft vermischt mit der Frage nach dem Ende der Königs-Travestie. Nach meiner Auffassung fallen die Grenzlinien zwar zusammen. Doch es sind zwei Fragen, die getrennt beantwortet werden müssen. T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 109-122, hat gezeigt, wie sich um das Mittelstück 4,17-5,6 in 4,13-16 und 5,7-8 ein kohärenter Aussagenring zum Thema »Herrschaft« legt. Vgl. auch ebd., 243. Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 56-86, hat 5,9-6,9 auf seinen Aufbau untersucht und dort eine »sorgfältig ausgeführte Ringkomposition« (74) entdeckt, in deren Zentrum 5,17-19 steht. Zu ihrem Bau vgl. die Übersicht ebd., 253. Α. A. Fischer, Beobachtungen (1991); Skepsis (1997), 183-225; vgl. noch die Tabelle ebd., 254. Vgl. oben Anm. 127.

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Norbert Lohfink

7. Doppelfunktionen Ich beschließe die grundsätzlichen Ausführungen mit dem Hinweis, daß man in Kohelet mit Doppelfunktion einzelner Elemente rechnen muß, gerade am Rande von Großeinheiten"". So hat der sogenannte Rahmenvers des Buches 12,8 sicher die Aufgabe, das Buch in Korrespondenz zu 1,2 zu rahmen. Doch ist er, im Blick auf die Abschnittsabschlüsse durch ban-Aussagen in 11,8 und 10, zugleich erst der Abschluß des Schlußgedichts 11,9-12,8142. Oder: Der 1. Buchteil beginnt spätestens mit 1,3. Doch ist 1,2-11 zugleich ein bewegtes Exordium des ganzen Buches, das erst zum Thema hinführt und noch nicht kontinuierlich etwas darlegt. Dem entspricht der deutlich markierte Neueinsatz in 1,12. Ja, man kann fragen, ob der Exordiumsbereich sich nicht auch noch in den Anfang der Königs-Travestie hinein erstreckt, und zwar bis zu 2,2143. Ein ungelöstes Problem bleibt für mich schließlich immer noch das genaue Ende des 3. und der genaue Anfang des 4. Buchteils. Ich vermute, daß es auch hier einen Abschnitt mit Doppelfunktion gibt: 9,1-6 (wenn nicht sogar 8,169,6) scheint Abschluß des 3. und Eröffnung des 4. Teils zugleich zu sein. Auch darauf komme ich in den folgenden Ausführungen zurück. III. Zur Grenze zwischen 1. und 2. Buchteil In den folgenden drei, längenmäßig recht unterschiedlichen Teilen soll es um konkrete Einzelfragen gehen. Ich beschränke mich dabei auf die Ebene der Großstruktur. Auf die trotz allen Erkenntnisfortschritts natürlich immer noch verbleibenden vielen Detailfragen bei den kleineren und untergeordneten Einheiten kann ich in diesem Zusammenhang nicht eingehen. Das grenzte an die Aufgabe eines Kommentars. Bei der Grenzziehung zwischen 1. und 2. Buchteil kommen, wie ich schon angedeutet habe, die herrschenden Meinungsunterschiede vor allem daher, daß der 2. Buchteil, wo immer man seinen Beginn ansetzt, nicht durch einen Überleitungs- oder Einleitungstext abgehoben wird144. Man wird daraus sofort schließen können, daß er enger mit dem 1. Teil zusammenhängt, als das von der Beziehung anderer Buchteile zueinander gilt. Doch folgt daraus nicht, daß man gar keine verschiedenen Teile unterscheiden dürfe.

141

142 143 144

Der Terminus »Doppelfunktion« spielt vor allem bei Backhaus eine Rolle, und zwar in Bezug auf einzelne Verse. F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 84, Anm. 20, nennt dafür 1,2.3; 2,11; 8,15; 9,1a; 12,8. Doch schon Krüger hat mit dem Terminus gearbeitet. Vgl. für 4,13: T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 243. Vgl. N. Lohßnk, Grenzen (1994), 36. Vgl. N. Lohßnk, Kohelet (1980), zu 1,2-2,2. Vgl. oben S. 77.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

1. Ein

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Meinungsbild

W i e w o h l deutlich geworden ist, lohnt es sich für die Strukturfragen meist nicht, die ältere Literatur zu Rate zu ziehen. Dort ging man zu sehr nur v o n Inhaltsanalysen, o f t recht subjektiven Charakters, aus. Es genügt, mit der neuesten Literatur ins Gespräch zu kommen, in der ältere Einzelbeobachtungen j a auch durchaus beachtet und registriert sind. Im Bereich der neuesten Literatur g e h e ich für das Ende des 1. Buchteils nach 3,15 mit Müller, Michel, Lange und Fischer zusammen 1 4 5 . D a g e g e n setzt Krüger eine Grenze schon nach 2 , 2 6 an, dann eine zweite nach 4,12. In 3,14 , 1 2 sieht er eine »>Grundlegung< der Ethik«, die »in kritischer Auseinandersetzung mit der Königs-Travestie als einem >Modell< ethischer Argumentation« entwickelt werde. D i e Königs-Travestie begrenzt er, w i e v i e l e andere vor ihm, auf 1,12-2,26 1 4 6 . Backhaus und Schwienhorst-Schönberger nehmen die v o n B i s c h o f Stephan Langton g e z o g e n e Kapitelgrenze nach 3 , 2 2 als Endpunkt, w e n n g l e i c h natürlich nicht ex eius auctoriia(e>4\ Zu diesen Divergenzen nun einige notgedrungen nicht gerade knappe B e merkungen. Ich setze dabei voraus, daß die meisten Textphänomene v o n allen Beteiligten gesehen werden 148 . E s geht nur um ihre Interpretation und ihre argumentative Kraft für Strukturfragen. D o c h kann ich auch einige neue B e obachtungen hinzufügen.

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H.-P. Müller, Skepsis (1986); D. Michel, Untersuchungen (1989), 1-83 (»Traktat über die Möglichkeiten der Weisheit: Qoh 1,3-3,15 als Darlegung der Philosophie Qohelets«); A. Lange, Weisheit (1991), 97-115; Α. A. Fischer, Beobachtungen (1991); ders., Skepsis (1997), 183-225. F. J. Backhaus hat sich zu Α. A. Fischer, Beobachtungen, kritisch geäußert in Zeit und Zufall (1993), 155-158. Α. A. Fischer hat geantwortet in Skepsis, 186, Anm. 11, doch nur bezüglich der chiastischen Summation in 3,10-15, nicht bezüglich der bestrittenen chiastischen Anlage von 1,13-2,21. Die Antwort für 3,10-15 ist überzeugend. T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 241. Die Begründung findet sich ebd., 241243. Die Hauptgründe sind: Einsatz je in »gehobenem Stil« (1,3-11 und 3,1-9), dann folgt Prosa; nur diese hat jeweils Reflexionscharakter, von 2,26 an gibt es keine Königs-Fiktion mehr. Das Ende ist dadurch festgelegt, daß in 4,13 eine neue Struktur um die Aussagen zum religiösen Verhalten herum einsetzt. Ihre Begründungen: F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 143-158; L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 112-114. Es gibt einen Vorläufer für diese Abgrenzung eines ersten Buchteils, den beide Autoren in den zitierten Ausführungen, so weit ich sehe, nicht erwähnen: Michael A. Eaton, Ecclesiastes (1983), 52. Er stellt den Teil unter die Überschrift: »Pessimism: Its Problems and its Remedy«, wobei die Probleme in 1,2-2,23 abgehandelt würden, die Alternative zum Pessimismus in 2,24-3,22. Dann kennt er nur noch zwei weitere Hauptteile für das Buch: 4,1—10,20 (»Life >under the Sun«Gleichung< ist ein mathematischer Begriff.« Ich habe keine Schwierigkeit, auch »Terminus« zu sagen. Ich-Aussagen anderer Art mit dem Veib BT werden noch in 7,25; 8,12.16.17 folgen, doch selbst das ist in erheblicher Distanz vom hier interessierenden Kontext. Seine Kompositionsanalyse ist bei F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 211-213, zusammengefaßt und erweist sich gerade in der Abgrenzung als kaum begründet.

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liege kein »Gedankengang« vor"'. Sein Konstmkt macht ihn also eher ratlos. Vielleicht hätte er bei etwas anderer Abgrenzung auch etwas mehr inhaltlichen Zusammenhang gesehen - obgleich man fragen kann, warum denn überhaupt ein »Gedankengang« erwartet werden muß. Warum können nicht zumindest vordergründig disparate Aussagenblöcke hart nebeneinandergestellt werden und doch sowohl auf der formalen Ebene als auch in größerer inhaltlicher Tiefe eng miteinander verbunden sein?180 Schwienhorst-Schönberger sieht den 2. Buchteil durch das »Leitwort« miB/ma gekennzeichnet, das in »neun von zwölf Texteinheiten« begegne181. Er hat wohl darin recht, daß Π31Ϊ5/31Β hier ein Leitwort ist - obwohl die 52 mal belegte Wurzel auch in den anderen Buchteilen eine nicht unerhebliche Rolle spielt"2. Doch das beweist keineswegs den Beginn des Teils in 4,1. In 3,22 steht nämlich eine gewichtige 310 ]"«-Aussage. Sie wäre nicht nur der geeignete Auslöser für die Siebenerreihe von ]B DlB-Sätzen, die dann bis 6,9 folgt, sondern zugleich ein gutes Gegengewicht zur Glücks-Passage in der Mitte der zweiten Hälfte des Teils, in 5,17-19 m . Im Endeffekt würde das »Leitwort« mits/mo bei dem Beginn des 2. Buchteils in 3,16 statt in neun von zwölf halt in zehn von dreizehn Texteinheiten begegnen, falls man nicht sowieso die Texteinheiten etwas anders zählt.

179 180

181

182

183

Diese lebt letztlich davon, daß vorausgesetzt wird, in 3,22 gehe ein Buchteil zu Ende und 6,10-12 sei die Eröffnung eines neuen Buchteils. Letzteres ist zweifellos richtig, das andere aber steht gerade zur Debatte. Die angegebenen Rahmungselemente (213) überzeugen nicht, wenn die Abgrenzung nicht schon vorausgesetzt wird. F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 211 und 213. Wie starte die Gedankengang-Erwartung bei F. J. Backhaus ist, zeigt sich in Zeit und Zufall (1993), 212, Anm. 124. Dort glaubt er die von mir angenommene palindromische Buchstruktur, für die 4,17—5,6 ja das Zentrum darstellt, abtun zu können, weil die »jetzige Stellung« der Einheit »sich weder aus der voraufgehenden noch aus der nachfolgenden Textabfolge erklären« lasse, so daß »auch kein Gedankengang vorliegen« könne. Die Einheit habe also eine »eigenartig isolierte Stellung«. Wenn sie eine »zentrale Texteinheit« sein solle, müsse man erwarten, daß sie »kompositorisch eingebunden« sei. So sei sie weder für den 2. Buchteil ein Zentrum noch erst recht für das ganze Buch. Mir scheint, hier führt die Gedankengang-Erwartung zu einem den antiken Kompositionstechniken nicht adäquaten Postulat. Erratischer Charakter von 4,17-5,6 spräche eher dafür als dagegen, daß hier ein besonders wichtiger Text kommt, und wenn die umgebenden Texte chiastisch angeordnet sind, daß es ein kompositorisches Zentrum ist. Das zumindest für den 2. Buchteil. Ob für das ganze Buch, das müßte dann am Buch als ganzen geklärt werden. Vgl. unten S. 1 lOf. L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 126. Weitere Begründungen für die Abgrenzung des 2. Buchteils gibt Schwienhorst-Schönberger nicht. Nach ebd., 5f, setzt er die Analyse von Backhaus voraus. Legt man Schwienhorst-Schönbergers Buchstruktur zugrunde, dann ist die Wurzel 31B im ersten Buchteil 10 mal, im zweiten 14 mal, im dritten 18 mal, im vierten 9 mal und im Epilog 1 mal belegt. Doch häuft sie sich im 3. Buchteil in Fremdzitaten, was im 2. Buchteil so nicht der Fall ist. Hier ist auf der schönen Übersicht in L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 127, ein m i a in 5,17 zu ergänzen.

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Norbert Lohfink

Ein Neueinsatz schon in 3,16, nicht erst im 4. Kapitel, beläßt dem 2. Buchteil auch eher sein palindromisches Gleichgewicht, das aufgrund der Arbeiten von Krüger und Fischer, obwohl von ihnen selbst nicht so gesehen, jetzt noch deutlicher als früher hervortritt184. Ich würde den Buchteil schematisch folgendermaßen skizzieren185: A

3,16-4,12

Ges îllschafUiche Übel a

3,16-22 4,1-3 4,4-6 4,7-12

b a' b' Β C Β' A'

20 Verse, 279 Wörter

4,13-16

Herrschaft

4 Verse, 54 Wörter

4,17-5,6

Kult

7 Verse, 103 Wörter

5,7f

Herrschaft

2 Verse, 26 Wörter

5,9-6,9

Armu -Reichtum

19 Verse, 278 Wörter

a b c b' a'

5,9-11 5,12-16 5,17-19 6,1-6 6,7-9

Der im wesentlichen in Ich-Prosa verfaßten, den Buchteil abschließenden konzentrischen Teilkomposition 5,9-6,9 steht dann am Anfang des Buchteils quantitativ ausgewogen die in ihrer Ablaufgestalt schon analysierte Ich-ProsaSerie 3,16-4,12 gegenüber186. Beide Texte zusammen bilden die Außenglieder der konzentrischen Hauptstruktur des 2. Buchteils. Das Zentrum sind die Ermahnungen für das religiöse Verhalten in 4,17-5,6 (festgeformtes Gedicht in Du-Anrede). Zwischen den Außengliedern und dem Zentrum befinden sich mittlere Teile. 5,7-8 bilden, wie Krüger gut gezeigt hat, die Entsprechung zum Königsthema in 4,13-16. Dafür, daß die Ich-Prosateile zur Struktur gehören, spricht auch eine weitere Beobachtung in 5,7-8. Dort zeigen nämlich Stichwortwiederholungen an, daß auch der 4,13 vorangehende Prosateil weitergeführt wird. Denn nicht nur

184 185

186

Vgl. zum folgenden oben Anm. 138. Die Kurzcharakterisierungen halten sich an die Sachbereiche, die den Reflexionen zugrundeliegen. Thema und Sinnspitze der Aussagen wären davon durchaus noch einmal zu unterscheiden. Vgl. oben S. 84f.

Das Koheletbuch: Strukturen und Stniktur

91

5,7 prà verweist auf 4,1, sondern auch 5,7 p i s i tìStìD auf 3,16. Die Verbindung von üSttto und p i a findet sich in Kohelet nur an diesen beiden Stellen. Sie ist (in dieser Reihenfolge) auch überhaupt höchst selten: als Doppelausdruck findet sie sich nur noch in Ps 119,121, im Parallelismus aufgespalten nur noch in Jes 1,21; 16,5; 26,9; Zef 2,3; Ijob 8,3. Insofern ist es sogar nicht unmöglich, daß Kohelet hier auf die prophetische Kritik der Rechtspraxis, speziell bei Jesaja, anspielt. 6. Die Reichweite der

Salomo-Travestie

Das soeben Ausgeführte zeigt nicht nur die Zusammengehörigkeit des Textes von 3,16 bis zu 6,9. Es führt noch zu einer weiteren Beobachtung. Die eine Stimme, die in diesem ganzen Textbereich spricht, nimmt in 5,7 ihre Aussagen aus 3,16 und 4,1 wieder auf. Sie wendet sich jetzt jemandem ermahnend zu und zieht eine Anwendung aus dem, was sie an früheren Stellen gesagt hat. Daß diese Stimme in der Lage ist, jemanden anzureden, ist wichtig für ihre Identifizierung. Sie spricht zu einem Zuhörer, der in der buchinternen, vom Rahmenerzähler erstellten Welt als anwesend vorzustellen ist. Sie kann deshalb nicht mehr von Kohelet fingierte Salomostimme sein. Kohelet hat keine »Erzählung in der Erzählung« aufgebaut, in der er als Salomo einst zu jemand anderem geredet hätte. Kohelet spricht jetzt, wo er anredet, also wieder selbst, ist nicht mehr verkleidet. Daher ist von 5,7 aus rückblickend klar, daß der Text zumindest von 3,16 an nicht mehr zur Salomo-Fiktion gehört187. Das führt - von einer anderen Seite her als üblich - zur alten Frage, wie weit die Salomo-Fiktion eigentlich reiche. Ich möchte im folgenden Gedanken und Beobachtungen vorlegen, die dafür sprechen, daß sie sich bis 3,15 erstreckt. Wenn ich das tue, sollte aber klar sein, daß die Buchteilgrenze nicht notwendig mit dem Ende der Salomo-Travestie gekoppelt ist. Diese könnte, ebenso wie sie erst innerhalb des ersten Buchteils beginnt, auch innerhalb desselben schon wieder fallengelassen sein. Oder sie könnte - zumindest theoretisch - auch noch weitere Teile des Buches prägen. Die Alten haben es ja oft so gesehen. Es gilt nur: Wenn ihr Ende gerade bei 3,15 anzusetzen ist, könnte das als Bestätigung zu anderen Gründen hinzutreten, die dort das Ende des 1. Buchteils vermuten lassen. Wichtig ist auch eine methodische Überlegung. Es gibt zwei Weisen, wie die SalomoFiktion signalisiert sein kann: die salomomische Selbstpräsentation und die Reichweite salomonischer Programme.

187

3,16 liegt vor 4,13ff, wo O. Kaiser, Grundriß III (1994), 85; T. Krüger, Qoh 2,24-26 (1994), 79, die Stelle ansetzen, an der erstmalig deutlich werde, daß jemand anders als ein König redet. Für 4,13ff zweifle ich sogar, ob sich aus dieser Passage viel zeigen ließe. Warum sollte nicht auch Salomo eine solche Geschichte beobachtet und kommentiert haben?

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Norbert Lohfink

Die Kommentatoren orientieren sich gewöhnlich nur an der salomonischen Selbstpräsentation. Durch sie beginnt die Fiktion in 1,12. Man fragt, wielange ähnliche salomonische Identitätssignale auftreten. Die letzten entdeckt man je nach Einzelexegese in 2,9, 2,11, 2,12 oder 2,25. Hinter der jeweils angenommenen letzten Spur setzt man dann das Ende der Travestie an. Das ist methodisch jedoch angreifbar. Der Leser des Buches ist durch die geschehene salomonische Selbsteinführung zunächst einmal auf die Salomo-Fiktion eingestellt und rechnet solange mit ihr, bis er Gegensignale bekommt, also zumindest Äußerungen, die im Munde Salomos nicht mehr vorstellbar sind. Höchstens wenn sowohl salomonische als auch nicht-salomonische Signale sehr lange ausbleiben, könnte die ganze so flüchtig inszenierte Fiktion langsam in Vergessenheit geraten. Etwas dieser Art scheint im Koheletbuch der Fall zu sein. Deshalb ist es wichtig, auch auf den zweiten Typ von Signalen zu achten. Denn Signale dieses Typs könnten doch das Vergessen der Fiktion etwas aufhalten. Die fingierte königliche Stimme erzählt ja, sie habe Programme entwickelt, die sie dann durchzuführen begann. Salomo gibt Vorschauen, formuliert zusammenfassende Abschnittseinleitungen. In allen diesen Fällen ist, falls keine Gegensignale auftreten, eigentlich damit zu rechnen, daß auch die Berichte über die Durchführung des Angekündigten noch ganz in den Bereich der KönigsFiktion gehören. Ist man zum Beispiel der Meinung, 2,11 sei als Abschluß der Erzählung über die »königliche« Weltgestaltung, die in 2,3 begonnen hatte, auch das Ende der Salomo-Fiktion, so hat man nicht berücksichtigt, daß 2,11, so sehr es auch an 2,3-10 hängt, zusammen mit der Dispositionsangabe in 2,12 nur eine vorausgreifende Kurzzusammenfassung der breiteren Ausführungen in 2,13-23 ist188. 2,13-23 müssen daher, auch wenn keine salomonischen Identitätssignale mehr ertönen, doch noch zur Salomo-Fiktion gehören. Auf ähnliche Weise wirkt nun aber auch die erste und umfassendste salomonische Programmankündigung. Sie steht in 1,13.

1,13 ist die erste Information, die der fiktive König dem Leser über sein Denken, Planen und Tun liefert. In ihrer klaren Zuordnung zu dem gerade selbsteingeführten Kohelet-Salomo ist sie für die innere Logik und die Struktur des darauf folgenden Textes wichtiger als zum Beispiel die erratische 188

Dies wäre in einer genaueren Analyse der Gedankenführung näher zu begründen. Zur Andeutung eines Teils derselben vgl. unten S. 102. Ich sehe auch nicht, daß die Annahme, 2,11 biete eine Schlußsummation, überzeugend begründet würde. Das gilt auch von dem letzten hierfür gemachten Versuch bei F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 47-49. Die Interpretation des gesamten Textes 1,4-2,10 als eine Serie von »sechs Antwortversuchen« auf die Frage von 1,3, die dann in 1,11 ihre abschließende »Antwort« erhielte, scheitert an dem großen Unterschied der bei dieser Auslegung unter ein einziges Thema zusammengezwängten Texte und dem fast völligen Fehlen lexematischer Bezugnahmen auf 1,3 in diesem Bereich. p u r fehlt ganz, bßs erscheint erst in 2,10 als Auslöserstichwoit für die dann folgenden Passagen, ttíntín nnn steht nur in 1,9 (in einer Aussage, die zwar an 1,3 anknüpft, dem Tonfall dieser Frage und der Aussage von 2,11 nach meinem Verständnis aber eher entgegenläuft) und in 1,14 (in einem Vorblick auf die erst mit 2,11 anhebenden Passagen).

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

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Frage in 1,3, deren Sprecher und Funktion im Gegensatz zu Sprecher und Funktion v o n 1,13 im unmittelbaren Zusammenhang unklar bleiben - vermutlich bewußt. Die Anfangsstellung im Buch muß nicht notwendig das Gesamtprogramm des Koheletbuchs signalisieren, wie meist ohne weitere Diskussion unterstellt wird. Die Frage in 1,3 kann auch einfach eröffnende Einstimmung sein, die ein späteres Motiv schon einmal vorwegnimmt. Sie könnte sogar in Gestalt einer rhetorischen Frage eine Fremdmeinung sein, die in der Folge in eine echte Frage verwandelt und dann unterscheidend beantwortet wird. Selbst wenn die Frage Programmanzeige sein sollte, ist nicht klar, für welchen Textbereich sie es ist - für das folgende Gedicht, für den ersten Buchteil, für einen bestimmten Abschnitt, der erst später kommt und hier nur vorwegnehmend schon einmal angekündigt wird, für das ganze Buch? Eines davon muß dann zutreffen. Aber was, das kann sich erst im Leseprozeß zeigen. Man kann zum Beispiel nicht einfach definitorisch davon ausgehen, das Gedicht in 1,4-11 sei die Antwort oder eine erste Antwort auf die Frage von 1,3189. D i e Aufgabenformulierung in 1,13 gibt sich dagegen als narrative Programmanzeige des fiktiven Königs, der sich gerade selbst eingeführt hat, und läßt einen Bericht über die Durchführung erwarten. Ich habe meine syntaktische Analyse des Verses und den sich ergebenden Sinn an anderer Stelle ausführlich begründet. Ich referiere deshalb hier nur die dortigen Ergebnisse 1 9 0 . Salomo berichtet, er habe sich vorgenommen, eine höchst pessimistische Weltauffassung zu überprüfen: daß nämlich alles, was unter dem Himmel getan werde, ein schlechtes Geschäft sei, das ein Gott den Menschenkindern auferlegt habe, damit sie sich damit abplagen. Diese Weltsicht erinnert an die grundlegende mesopotamische Anthropologie, nach der die Götter die Menschen geschaffen haben, damit sie den Göttern die mühselige Arbeit im Kosmos abnehmen. Doch paßt sie zu jeder Art von philosophischem Pessimismus" 1 . Gewöhnlich gilt Kohelet-Salomo als »Pessimist«. Nach 1,13 ist er nicht ein Pessimist, sondern er ist, zumindest in seiner salomonischen Verkleidung, angetreten, einen anthropologisch höchst universalen, dazu theologisch dimensionierten Pessimismus auf seinen Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

189 190 191

Vgl. O. Kaiser, Botschaft (1995), 52, Anm. 25, der darauf hinweist, daß das in 1,3 »angeschlagene Thema in v. 4-15 nicht behandelt wird«. iV. Lohfink, Kohelet übersetzen (im Druck). Vgl. schon die Einheitsübersetzung und N. Lohfink, Joy (1990), 628f. T. Krüger, Qoh 2,24-26 (1994), 82, weist im Zusammenhang der Königs-Fiktion des Koheletbuches auf Hegesias, genannt Peisithanatos, hin (um 320-280 v.Chr., also ein Zeitgenosse Kohelets).

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Es folgen dann bis 2,2, wo die Vorberichte zu Ende gehen und längere Berichte einsetzen, noch zwei weitere Ankündigungen salomonischer Aktivitäten - nämlich 1,16.17a (Studium dessen, was Wissen und Unwissen leisten können) und 2,1a (Glücksuche). Doch sie sind dem ersten Programmpunkt untergeordnet und umschreiben Teilschritte zur Klärung der These aus 1,13. Das wird sich von 2,3 an herausstellen, wo Salomo dann in umgekehrter Folge erst eigentlich zu berichten beginnt, wie er seine Programmpunkte durchgeführt hat. Erst in 3,10 wird dabei die Frage von 1,13 wieder erreicht sein. Dort wird sie nicht nur aufgegriffen, sondern sofort auch auf objektivere Weise gestellt. Vor das Wort »Geschäft« kommt nicht mehr, wie in der zitierten Fremdformulierung von 1,13, das VorentscheidungsAdjektiv »schlecht« zu stehen"2. Im Gesamtgefüge der Salomo-Fiktion kann die Antwort auf 1,13 daher erst hinter 3,10 gegeben werden, also zumindest in 3,11, wo es auch erst im vollen Sinne theologisch zugeht. Das ist der Punkt, auf den es mir jetzt ankommt. Mindestens bis 3,11 inklusive muß die Salomo-Fiktion noch laufen. Erst wenn das Problem von 1,13 gelöst ist, kann die Frage aufkommen, ob Kohelet denn immer noch als König Salomo agiere. Da, wie oben ausgeführt, aus 5,7 hervorgeht, daß von 3,16 an Salomo nicht mehr redet, da andererseits zumindest 3,12-15 noch bruchlos an 3,11 anschließen, sollte das Ende der Salomo-Maskerade in der Tat direkt nach 3,15 angesetzt werden. Der Abgang des Königs wird bei dieser Annahme nicht ausgespielt. Kohelet reißt sich nicht dramatisch den Königsmantel von der Schulter und wirft ihn schwungvoll in die Kulissen. Das letzte grammatisch faßbare Signal dafür, daß Salomo sprach, war schon in 2,25 erklungen (»Wer hat zu essen, wer weiß zu genießen, wenn nicht ich?«)193. Von jetzt an läßt Kohelet es langsam in Vergessenheit geraten, daß er als ehemaliger Salomo auftritt. Nur daß das salomonische Hauptprogramm von 1,13 sein Ziel noch nicht erreicht hat, verhindert volles Vergessen der Travestie. Doch mit 3,15 ist dieses Programm erledigt. Von jetzt an besteht kein Grund mehr zur Vermutung, Kohelet sprä-

192 193

Gegen D. Michel, Untersuchungen (1989), 82, der »böse« hier aus 1,13 einträgt und für die Deutung von 3,11 zum Maßstab macht. Die hier vorgetragenen Gedanken sind jedoch unabhängig davon, ob das letzte salomonische Signal in 2,25 erklingt oder schon vorher. Zum Verständnis von 2,25 vgl. vor allem J. De Waard, Eccl 2,25 (1979). Textkritisch ist bei MT ^DD als gut bezeugter lectio difficilior zu bleiben. Als Übersetzung scheint theoretisch sowohl »wenn nicht ich« als auch »ohne mich« möglich zu sein. Allerdings bezweifelt das neuerdings wieder T. Krüger, Qoh 2,24-26 (1994), 74, und hält allein »außer mir« für möglich. De Waard und in Anlehnung an ihn auch A. Schoors, Preacher (1992), 52, und F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 108, Anm. 81, entscheiden sich für »ohne mich«. Sie müssen dann 2,25 als »fiktives Zitat aus einer Gottesrede« betrachten (Backhaus). Das wäre im Koheletbuch recht überraschend. Da eine Königsäußerung durchaus guten Sinn gibt (vgl. zuletzt T. Krüger, ebd., 74f), bleibe ich bei ihr, und damit bei »wenn nicht ich«. Vgl. auch N. Lohfink, Kohelet übersetzen (im Druck).

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

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che nicht wieder mit unverstellter Stimme, und, wie gesagt, spätestens aus 5,7 erkennt der Leser, daß das von 3,16 an der Fall war. Ist das so, dann macht das u s i »außerdem« am Anfang von 3,16 von hinten her vielleicht noch eine konkretere Aussage. Es führt aus der Salomo-Fiktion heraus. Etwa im Sinne von: Außerdem, das heißt: auch wenn ich mich nicht als König Salomo verkleide, muß ich, der jetzt mit eigener Stimme redende Kohelet, sagen, daß ich folgendes beobachtet habe...

7. Die Gesamtkomposition des 1. Buchteils Daß die textliche Reichweite von 1,13 und damit der große Umfang der Salomo-Fiktion meist nicht gesehen wird, hängt mit der verbreiteten Deutung zusammen, 1,13b sei ein zwischengeschalteter und zunächst für die Gedankenführung folgenloser Stoßseufzer Salomos über die Last der in 1,13a übernommenen weisheitlichen Betätigung. Doch kommt gerade in den jüngsten Veröffentlichungen anderes hinzu, das die Einsicht erschwert, und davon soll nun die Rede sein. a) Neue Beobachtungen zur Struktur von 1,3-3,15 Daß in 1,13-15.16-18; 2,1-2 drei Kurzüberblicke in umgekehrter Folge das ankündigend vorwegnehmen, was Salomo in 2,3-11, 2,12-26 und 3,1-15 breiter erzählt, hatte ich erstmalig in der Gliederung der Probeausgabe der Einheitsübersetzung (1974) angedeutet und später auch aus Stichwort- und Inhaltsentsprechungen an verschiedenen Stellen knapp begründet194. Der Gedanke einer derartigen Funktion der drei Abschnitte in 1,13-2,2 ist in der Folge mehrfach aufgegriffen und ebenfalls für die Begründung einer größeren zusammenhängenden Einheit am Buchanfang benutzt worden. Dabei wurden wichtige neue Beobachtungen hinzugewonnen, doch wurden Elemente dieser Sicht auch kritisch beurteilt, oder die Konzeption wurde abgewandelt195. Eine

194 195

N. Lohfink, Frauenfeind (1979), 267, Anm. 35; Kohelet (1980), zu 1,12-2,2. Bekannt wurden mir D. Michel, Untersuchungen (1989), 80-83; A. A. Fischer, Beobachtungen (1991); L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 12-125, vor allem 6062; A. A. Fischer, Skepsis (1997), 183-225. Nur von ferne hat mein Ansatz eingewirkt auf T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 177-182, der dann andere Wege einschlägt. Ohne auf meine Beobachtungen und Annahmen zurückzugreifen kommen zur Annahme eines kompakten ersten Teils mit Ende in 3,15 H.-P. Müller, Theonome Skepsis (1986), und D. Michel, Untersuchungen (1989), 1-80. Müller erwähnt meinen Kommentar, den er kennt und zitiert, bei diesen Fragen nicht. Michel entwickelt seine Sicht zunächst durch fortlaufende Exegese und fügt erst am Ende »etwas zögernd« (ebd., 83) auf meinen Ausführungen aufbauende Erwägungen hinzu. F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 143-158, greift sorgfaltig auf alle Beobachtungen von Michel und mir zurück, lehnt jedoch die Annahme einer chiastischen Kompositionsstruktur in einem (leider völlig auf Fischer konzentrierten) Exkurs (ebd., 155-158) ab. Eine

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Stellungnahme zu all dem kann vielleicht noch einiges bezüglich der wegen 1,13 zu postulierenden Reichweite der Salomo-Fiktion klären. Abgesehen von einer reicheren Auflistung der Stichwortbeziehungen zwischen einander korrespondierenden Teilen der Königs-Fiktion sind auf der gleichen, formalen Ebene wie bei mir vor allem vier weitere Beobachtungsreihen zu notieren: 1. Es gibt noch einmal umgreifender eine Korrespondenz von 3,14-15 mit 1,4-11. Das ist eine Rahmung und vergrößert die gestaltete Einheit zum Buchanfang hin" 6 . 2. Im abschließenden Bereich 3,10-15 leiten die drei asyndetischen Satzeröffnungen '¡Tin - t i b t - TOT drei theologische Aussagen ein, die chiastisch auf den Gesamttext zurückgreifen: zu 3,10 n» vgl. 3,1-9 zu 3,12f vgl. 2,24 zu 3,15a vgl. l,9f 9 7 . Damit erhält dieser Text den Charakter einer nun alles ins Theologische wendenden Summation, und zwar gleichgültig, ob man mit Rückgriffen auf drei entscheidende Textstücke oder auf von ihnen vertretene Großbereiche des Gesamttextes rechnet" 8 . 3. Es gibt zweimal das feste Ablaufschema »Gedicht - Reflexionen - Freudenthematik«'95. Es bewirkt eine mit den anderen Strukturen konkurrierende Zweiteilung von 1,3-3,15 in 1,3-2,26 und 3,1-15, außerdem wiederum eine Integration des Anfangsgedichts in die Gesamteinheit200. Der zweite Durchlauf des Schemas hat theologischen Charakter, der

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199 200

Reihe seiner kritischen Beobachtungen zu Fischer sind berechtigt, und ich werde auf sie zurückkommen. Vgl. unten S. lOOff. So zuerst D. Michel, Untersuchungen (1989), 81; dann Α. A. Fischer, Beobachtungen (1991), 84-86; Skepsis (1997), 185. Ich selbst hatte schon in N. Lohfink, Kohelet (1980), zu 3,10-15, auf die Entsprechungen hingewiesen, doch auf Stnikturebene keine Folgerungen daraus gezogen. Allerdings gibt es nicht so starke lexematische Korrespondenzen wie in den anderen Fällen. Α. A. Fischer, Skepsis, kann nur angeben, daß »V. 15a zitatähnlich auf l,9f zurückgreift.« Doch sagt er mit Recht: »Die Verse erinnern unweigerlich an den in 1,4-11 beschriebenen gleichartigen Lauf des Weltgeschehens« (185). Erstmals Α. A. Fischer, Beobachtungen (1991), 84-86, dann wieder ders., Skepsis (1997), 184-186. Daß Kohelet »ausschließlich in 3,12f und 3,14f seine Feststellung durch ein YIBT« einführe, ist allerdings nicht zutreffend, vgl. 1,17 und 2,14. Letzteres ist die Meinung von Fischer. Ich würde vor allem im Blick auf die 3. Beobachtungsreihe eher nur mit einer Weiterführung von 2,24-26 sprechen. Doch ändert das nichts daran, daß hier der gesamte Text vom Einleitungsgedicht an summiert und dabei theologisch vertieft wird. Beim dritten Element handelt es sich jedesmal um Aussagen, die mit aiti p« beginnen, nicht also um alle Texte mit nnniB oder 21B. Die Wiederholung des Ablaufschemas wird mehrfach in jener Literatur beobachtet, die bei 2,26 einen Endpunkt setzt und mit 3,1 einen ganz neuen Teil beginnen läßt. Innerhalb der in meinem jetzigen Zusammenhang zu beachtenden Literatur haben sowohl T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 242, als auch F. J. Backhaus, Zeit und

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

97

jedoch schon am Anfang der ersten Reflexion (1,13) angekündigt und im nnnto-Text des ersten Durchlaufs (2,24-26) eingeführt wird. 4. Auf Stichwortebene gibt es neben der chiastischen Beziehung zwischen 1,13-15, 1,1618, 2,1-2 und 2,3-10, 2,11-26, 3,1-15 (Α - Β - C - C - Β' - A') auch eine parallele Entsprechung zwischen den selben Einheiten (Α - Β - C - a' - b' - c')20'. Das Ineinander von Parallellauf und chiastischer Anordnung könnte man als »strukturelle Polyphonie« bezeichnen. Das Phänomen als solches ist unproblematisch. Es beweist nur eine geradezu minutiös kalkulierte Textgestalt. Zur dritten Beobachtungsreihe sei bemerkt: Anscheinend bestehen alle vier Buchteile aus je zwei Hälften. Im 2. Buchteil sind die beiden Hälften um 4,17-5,6 als Mitte herumgelegt. Im 3. Buchteil scheint 7,23-25 die beiden Hälften zu verknoten. Im 4. Buchteil behandelt 9,13-10,7, gerahmt von zwei Ich-Berichten, vor allem die Chancen des Gebildeten im politischen Leben. Dann folgt ein unveibundenes Mittelstück 10,8-11. Die anschließenden Texte in 10,12-11,3 kreisen eher um die private Existenzsicherung. Kein Wunder, wenn schon der 1. Buchteil so angelegt ist, daß auch er als aus zwei Hälften bestehend gelesen werden kann.

b) Nicht überzeugende kritische Einwände Alle diese neuen Beobachtungen sind sehr zu begrüßen. Sie bereichern das Bild. Doch es gab auch kritische Einwendungen. Zunächst zu denen, die mich nicht überzeugen. 1. Die erste zu nennende Anfrage ist mir, soweit ich mich erinnere, nicht in der Literatur, wohl aber in meinen Lehrveranstaltungen begegnet. Nach der Theorie der drei chiastisch ankündigenden Kurzresümees müßte sich 1,16-18 auf den Text von 2,12 an beziehen, was auch die dortigen Entsprechungen zu 1,17 (in 2,12) und 1,18 (in 2,23) erklären könnte. Doch hat 1,16 eine deutliche Entsprechung in 2,9 (und vorher schon in 2,7), in einem Bereich also, der nach der Theorie dem Kurztext von 2,1-2 zugeordnet sein müßte:

201

Zufall (1993), 112, L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 17-125, und Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 183-225, herausgearbeitet, daß es bei 3,1 dadurch einen Neuansatz gibt, daß analog zu 1,4-11 wieder ein Gedicht steht, dem eine Reflexion folgt. Auch die Abschlußposition der Freudenthematik wird vor allem bei Backhaus und Schwienhorst-Schönberger unterstrichen. Allerdings denken beide in der zweiten Texthälfte eher an 3,22 als an 3,12f. Insofern wird die zweimal ablaufende Dreierreihe bei keinem der genannten Autoren formell behauptet. Sie sehen eher seit Krüger eine Ringkomposition, die den Neuansatz bei 3,1 wieder in Frage stellt. 3,1-9 ist etwa bei Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 217, ein »Rahmenstück II«, das dem Gedicht in 1,4-11 (»Rahmenstück I«) als Rahmung um die Königs-Travestie 1,12—2,26 entspricht. 1,3 und 3,9 bilden zudem eine inclusio um das ganze Korpus der Königs-Fiktion, der sich dann noch als Abschluß die Reflexion 3,10-15 anhängt. Diese Sicht ordnet die genannten Fakten in ein andersartiges Schema. Ich werde unten Beobachtungen bringen, die diese Interpretation der Fakten in Frage stellen. Insofern glaube ich die implizierten Beobachtungen auf meine Weise neu ordnen zu können. Beschrieben bei L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 60-62. Ich habe meine jetzigen Abgrenzungen der Teile angegeben, nicht die von SchwienhorstSchönberger. Die »Polyphonie« funktioniert unter beiden Voraussetzungen.

98

1,16 2,7 2,9

Norbert Lohfink

rum riñan nmn

^bi

-b m a u »nasn ηχ

Dbtírrbr "jsb rrmitfK- 1 » bs oSefn-a 'js1? rntí bnn obtivra 'jsb rrna) baa

nnan vaoim -rò-m visomi 'nbTn

2,7 kann als Voranklang von 2,9 und damit als Unterstreichung der denkstrategischen Bedeutung dieser ersten Schlußfeststellung von 2,2-10 betrachtet werden und im übrigen dann aus der jetzigen Diskussion ausscheiden. Daß die Aussage von 1,16 auf Salomos neon zugespitzt ist, bewirkt keinen eigentlichen Unterschied zu 2,9. Denn im jeweils folgenden Satz wird abermals die naan hervorgehoben, und in 1,16 liegt hier der Anknüpfungspunkt für den unmittelbar folgenden Satz in 1,17, während in 2,10 zunächst das Thema »Glück« besprochen wird und der 1,17 entsprechende Gedanke erst in 2,12 hervortritt. So dürfte kein Zweifel daran bestehen, daß 1,16 und 2,9 aufeinander bezogen sind. Hier ist mit Händen greifbar, daß die Sach- und Zeitabfolge des salomonischen Tuns und Denkens in 2,3-3,15 vorliegt, während die knappen Kurzberichte sachlich wie zeitlich rückwärts gehen. Da die Reflexion, über die von 2,12 an gesprochen wird, das, was Salomo in 2,3-10 berichtet hatte, als zugrundeliegende Erfahrung voraussetzt, kann im Vorgriff von 1,16-18 über diese Reflexion gar nicht berichtet werden, ohne daß auch die zugrundeliegende Erfahrung zumindest irgendwie erwähnt würde. Genau das geschieht durch die vorausgreifende Anspielung auf die erste Schlußaussage von 2,3-10, nämlich auf 2,9, in 1,16. Die komplizierte Zeitstruktur ist im übrigen dadurch zum Ausdruck gebracht, daß in 1,16 Salomo nur am Anfang des Satzes berichtet (16aa). Was er berichtet, ist zunächst ein eigenes Selbstgespräch, das er zitiert, und in diesem zitierten Monolog greift Salomo auf seine vorausgesetzte Erfahrung zurück (16ab.b) und kommt dann (vermutlich) in 17a zu dem Entschluß, von dessen Ausführung 2,12ff genauer erzählen wird. Erst in 1,17b ist dieses salomonische Selbstzitat zu Ende und Salomo berichtet weiter202. Auf der Ebene des Stichwort-Parallellaufs von 1,13-2,2 und 2,3-3,15 liegt im übrigen gar kein Problem vor. Die Anspielungen der zweiten Reihe halten sich genau an die Reihenfolge der Texte in der ersten Reihe. Doch zeigt sich, daß man bei diesem »System« nicht einfach die einzelnen Teiltexte einander zuordnen kann, sondern die beiden Großbereiche je als Einheit in ihrem Ablauf nebeneinanderstellen muß. 2. Backhaus wendet gegen Fischer, aber letztlich gegen die ganze Richtung ein, in 1,132,2 gebe es gar keine drei ban-Urteile203. Impliziert scheint zu sein, daß es also auch keine

202

203

Meine hier gegebene Antwort auf den Einwand hängt nicht an dieser Zuordnung von 1,17a zu dem zitierten Salomomonolog. Der masoretische Text rechnet den Halbvers unter Annahme einer wajjiqtol-Form schon wieder zum direkten Bericht Salomos. Mit äußeren Textzeugnissen können wir hinter diese Textauffassung nicht mehr zurück. Doch überrascht hier bei Kohelet die wajjiqtol -Form im Sinne des klassischen Verbalsystems. Ich rechne deshalb konjektural mit einem Urtextverständnis, das masoretisch we'xtt'nä als Vokalisation voraussetzen würde. Vgl. meine Diskussion des Problems in N. Lohfink, Kohelet übersetzen (im Druck). F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1996), 155. Eigentümlicherweise hat er vorher (ebd., 90) in 1,13—2,2 durchaus drei Abschnitte unterschieden und sogar die rrn p'in-Aussage nur als eine »Ausnahme« in der Reihe der »ban -Urteile« angesehen. Auch die

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

99

drei Kurzberichte Salomos gebe, daß also die Frage nach einer dreifachen chiastischen Entsprechung zu späteren Abschnitten sinnlos sei. Nun gründet sich die Ansicht, hier stünden drei kurze Vorberichte, auf durchaus breitere Strukturbeobachtungen über den Bau dieser Abschnitte und deren Unterschied zur Gestalt der dann folgenden Texte. Das kann man nicht einfach übergehen, indem man alles auf die Frage nach dem tan-Urteil reduziert2". Das Problem löst sich aber auch unabhängig davon sofort. Das Fehlen des Wortes San in 1,17 erklärt sich durch eine (chiastisch angelegte) rhetorische Figur des breakup of stereotyped phrases (AB / Β /A)205. 1,14 1,17 2,1

rrn nimi π η p-m

tan -

tan

-

•»η κιη ΠΓΠ3 Nm-DJ

Daß mit doppelter und einfacher Gestalt des tan-Urteils stilistisch gespielt wird, zeigt eindeutig die Abfolge der sieben Belege im Bereich 2,11-26: 2,11 2,15 2,17 2,19 2,21 2,23 2,26 .

m i meni -

m i mom -

m i nom -

π η rrurn

tan tan tan tan tan ban tan

Daß es auch eingliedrige »tan-Urteile« geben kann, die nur aus einem alternativen Glied (also nicht aus San) bestehen, zeigt 5,14 verglichen mit 2,21. 3. Backhaus wendet gegen die Annahme einer chiastischen Rekapitulation des bisherigen Gesamttextes in 3,10-15 ein, die Fakten ließen sich auch als »Wiederaufnahmetechnik« erklären206. Nun impliziert natürlich jede Stichwortrahmung eine »Wiederaufnahme«. »Wiederaufnahme« ist für »chiastische Wiederaufnahme« der genetische Begriff. Die chiastische Abfolge der Wiederaufnahme tritt dann spezifizierend hinzu. Diese hat Backhaus nicht erklärt, wenn er allein von »Wiederaufnahme« spricht. Daß er der genaueren Beschreibung des Sachverhalts ausweicht, ist verständlich, denn sie spräche für eine Grenze nach 3,15, die nicht zu seiner Grenzziehung nach 3,22 paßt.

204

205 206

mit 2,3 einsetzende veränderte Gestalt der »Teiltexte« hat er wahrgenommen (ebd., 96). Vgl. N. Lohfink, Kohelet (1980), zu 1,12-2,2; Α. A. Fischer, Beobachtungen (1991), 78; L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 48. Α. A. Fischer, ebd., 78f, bietet der Kritik einen Ansatz dadurch, daß er formuliert, »die drei tan-Aussagen« würden »nachfolgend in chiastischer Abfolge einer Prüfung unterzogen«, und indem er für 1,17 ohne weitere Explikation das Wort tan einsetzt, wenn auch in Klammem. Zu dieser rhetorischen Figur vgl. W. Bühlmann /K. Scherer, Stilfiguren (1973), 37. F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 158.

100

Norbert Lohfink

c) Die Frage nach dem von 1,13-15 angekündigten

Text

Eine weitere kritische Bemerkung von Backhaus gegen Fischer scheint mir dagegen ins Schwarze zu treffen. Backhaus bestreitet die von Fischer angenommenen besonderen Bezüge zwischen 1,13-15 und 2,18-21, und zwar sowohl der Sache nach als auch auf der Ebene von Lexementsprechungen 207 . Diese Feststellung ließe sich auch gegen Schwienhorst-Schönberger wenden, der auf seiner Gegenlaufebene 2,12-23 auf 1,16-18 und 2,24-26 auf 1,13-15 bezieht208, oder gegen Krüger, der die chiastischen Entsprechungen, die ich behauptet hatte, ablehnt209 und 2,18-23 auf 1,13-15 bezieht210. Zumindest wenn man nicht schon tiefgehende eigene Textdeutungen eingebracht hat, sondern auf der greifbaren Textoberfläche bleibt, wird 1,13 ein erstes Mal in 2,3 wiederaufgenommen 211 - was Schwienhorst-Schönbergers »Parallellauf« bestätigt - und dann wiederum im Text von 3,1-11 - was in Wirklichkeit die Stellenangabe für Schwienhorst-Schönbergers »Gegenlauf« sein müßte. Im zweiten Fall setzt die Wiederaufnahme mit der Wendung D'Dtín nnri in 3,1 ein. Diese Wendung tritt im Koheletbuch nur dreimal an die Stelle der dort üblichen Wendung nnn tíntírt: in 1,13, dann in 2,3, wo zum erstenmal an 1,13 angeknüpft wird, schließlich in 3,1. Dann kehrt sie niemals wieder. Die im Gedicht geschilderten Gestalten menschlichen Handelns werden am Ende in 3,9 durch die Wurzel bnrt gekennzeichnet, die in l,13f (und in 2,39) ebenfalls leitend war. Für den Bereich von 2,11-26 ist dagegen eher die Wurzel kennzeichnend. Dann folgt in 3,10 die explizite Konstatation, daß das Programm von 1,13 durchgeführt worden sei - wobei eine Wortfolge von 7 Wörtern wiederholt wird212: 1,13 3,10

13 ¡TOD1? D-ΙΚΠ "JS1? D'nb« ]n: in nur1? D-ΙΚΠ "jab η'π1?« ira

jn -itíK

ρ» ΡΒΓΓΓΙΧ

Spätestens von hier aus wird der Leser zurückhörend auch in dem eröffnenden bzh von 3,1 einen Anklang an die beiden Wendungen mit in l,13f erkennen. In 3,11 kehrt das gleiche San wieder, nun als Gegenstand göttlichen Tuns (nilIi), und als Antwort auf das Problem, was ein Gott den Menschenkindern »gegeben« habe fln:), wird nun gesagt, er habe - auf eine

207 208

209

210 211 212

F. J. Backhaus, Zeit und Zufall ( 1993), 156f. L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 61f. Dies tritt bei ihm, soweit ich sehe, ein wenig unverbunden, neben die Ausführungen ebd., 47-51, wo er deutlich herausarbeitet, daß 1,13b vor allem in3,10 wiederaufgenommen wird. T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 180, Anm. 12. Ich halte es für falsch, daß die Argumentation von 2,12 an sich auf mehr als auf die Erfahrungen aus 2,3-10 stütze. Damit fällt Krügers entscheidendes Gegenargument. Zu der »Progreßform« in 1,17 vgl. N. Lohfink, Kohelet übersetzen (im Druck). T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 179. Die im Text bis 2,10 wiederkehrenden Stichwörter nies, DIN und nb zeigen außerdem, daß der Rückbezug nicht allein auf 2,3 beschränkt ist. Vgl. oben S. 92f.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

101

zwar eingegrenzte, aber wahrhafte Weise - Q^C gegeben. Wobei ich mich in diesem Zusammenhang, der ganz von außen fragt, jeglicher Deutung enthalten will. Ich will allein zeigen, daß wir hier in 3,1-11 das haben, was vor 2,26 bei aller Mühe nicht auffindbar ist, nämlich die chiastische Entsprechung zum Vorausresümee von 1,13-15. Daß dieses negativ ausklang (bnn-Urteil in 1,14), war durch das bestätigt worden, was sich zunächst aus 2,3-10 ergeben hatte. Doch jetzt hat sich, als es wirklich theologisch zuging, noch einmal etwas ganz anderes, Positives ergeben. Vielleicht war dies jedoch auch schon in den beiden Sprichwörtern von 1,15 (die einen gewissen sachlichen Zusammenhang mit 3,14 zu haben scheinen) insgeheim vorweggenommen. Natürlich stellt sich dann die Frage, wie denn der Textbereich 2,18-26 oder zumindest 2,18-23 innerhalb der von den drei Vorausresümees vorentworfenen Struktur stehe. Hier wird die Dispositionsangabe in 2,12 bedeutsam 2 ". Durch sie wird eine von den Vorausresümees her noch nicht zu erwartende weitere Gabelung der Argumentation angekündigt. Nur die eine Hälfte der Ankündigung (2,12a) knüpft an 1,17 an, die andere (2,12b) bringt einen neuen Aspekt ins Spiel. Doch ganz unangekündigt war auch das alles nicht: Die Stichwörter des Sprichwortabschlusses aus 1,18 (DD3 und 21K3D) kehren erst in 2,23 wieder. d) Die Funktion

der Glücks-

Thematik

W a s die Thematik von »Glück« und »Freude« angeht, so scheint sie mir, w i e sie das letzte der drei Vorausresümees prägte, dann epiphorisch den Schlußpunkt jeder der drei eigentlich erzählenden Teile zu bilden: 2,3-10

2,10

2,11-26

2,24-26

3,1-13

3,12f

Wissen und Tatkraft können, wie Salomo erlebt hat, Glück zeitigen Doch hängt das Glück letztlich nicht am Menschen, sondern an Gott - in negativer Beleuchtung Was dem Menschen bleibt, ist allein das von Gott geschenkte Glück - in positiver Beleuchtung

D i e s e Schlußstücke signalisieren, insgesamt genommen, auf w e l c h e s T h e m a das Koheletbuch in seinem Anfangsstück hinauswill. Dasselbe scheint mir Schwienhorst-Schönberger auch für das gesamte Koheletbuch gezeigt zu haben. D i e nach 1,13 zu untersuchende Ausgangsmeinung erhält dabei eine durchaus differenzierte Antwort. Gewöhnlich werden 1,2 oder 1,3 wegen ihrer Anfangsstellung im Buch als die wichtigsten Indikatoren von Kohelets Aussagewillen betrachtet. Dann ginge es im Buch letztlich um den Nachweis, daß alles "?art sei, oder daß es für den Menschen keinen pin- gebe. Die Funktion der beiden Aussagen in 1.2-3 bleibt aber im Leseprozeß zunächst offen, da verschiedene Möglichkeiten gegeben sind. Sie kann vom Leser später nur bei der Wiederkehr der beiden Motive und, wenn sich auf andere Weise eine thematische Hauptintention zeigt, innerhalb oder unterhalb derselben bestimmt werden. Die beiden Stichworte ban und i n n 213

Vgl. oben S. 75f.

102

Norbert Lohfink

sind selbstverständlich für das Koheletbuch sehr wichtig. Doch treten sie im 1. Buchteil zwar als Leitmotive hervor, ban hat sogar, wo es in Schlußposition wiederkehrt, strukturanzeigende Bedeutung, doch das wiederum nur auf der Ebene kleinster Einheiten. Darüber hinaus heben sich höchstens noch verschiedene Teilbereiche innerhalb der Struktur durch die Präsenz oder Absenz der *72rr-Aussage voneinander ab214. D i e Schlußstücke mit der Glücks-Thematik lösen den nachfolgenden Teil schon durch typische Stichwörter aus: 2,1

nnnton + aiaa vgl. die Rahmung durch chiastisch entsprechendes nie in 2,3 und nnao in 2,10

2,10

-3'B vgl. 2,14 v r a ; (2 mal; erstmalig seit 1,3!) vgl. die Wurzel bn» als Leitwurzel in 2,ll(2x).18(2x).19(2x).20(2x).21(2x).22(2x), dabei bßvrrbz in 2,10(2x). 18.19.20.22 p o ira (Subjekt: c r i b a n 2,24) vgl. 3,10 D-nb« itíx port 2 1 5 1 Β'Π ?« vgl. das dreimalige ernenn in 3,14f

2,26 3,13

Werden die Hauptteile des Textes v o n 2,2 an durch nnoic-Aussagen beendet, dann läßt sich die Begrenzung dieser Textteile nun genau angeben: 2 , 3 10, 2 , 1 1 - 2 6 und 3,1-13. M a n wird trotzdem im ganzen Textstück 3 , 1 0 - 1 5 eine abschließende chiastische Summation für 1,3-3,15 sehen dürfen. Eine D o p p e l funktion v o n 3, lOf und 3 , 1 2 f ist unproblematisch. Gewöhnlich läßt man den hier mit 2,3-10 angegebenen Abschnitt bis 2,11 laufen und den folgenden erst in 2,12 mit einem »anaphorischen Anschluß« beginnen (vgl. den anaphorischen Anschluß in 2,18, der einen untergeordneten Teiltext eröffnet). So habe auch ich es bisher getan. Doch nach dem Bericht über das damalige »Tun« beginnt der Bericht über die damalige Reflexion eindeutig mit 2,11 ^x tpjbi" 6 . Und zwar wird zunächst das Objekt der neuen, noch gar nicht in ihrer Eigenart genannten Aktivität definiert (1 la). Dann wird sofort vorgreifend das Endergebnis genannt: alles ^an, kein pin- (lib). Das ist Überschrift, nicht abschließende Schlußfolgerung! 2,12 diversifiziert anschließend die neue Aktivität und ist damit zugleich Dispositionsangabe. Diese Funktion erklärt auch den anaphorischen Anschluß, der als solcher ja nicht auf Grenzziehung festgelegt ist. In 2,12 wird auch zum erstenmal die neue Aktivität benannt, und zwar durch das Verb ΠΚΊ. Der Bericht über die reflektierende Tätigkeit beginnt in 2,13 entsprechend mit YPKli. Das erste wirklich auf eine vorgeführte denkerische Analyse als Endergebnis folgende bnn-Urteil des ganzen Buches steht am Ende von 2,15.

214 215 216

Die San-Aussage fehlt im Gedicht 1,4-11, im Tätigkeitsbericht Salomos 2,3-10 und in 3,1-15. Gegen R. Lux, Ich Kohelet (1990), 342; Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 205f, die in den genannten Stichwörtem in 2,26 eine inclusio mit 1,13 sehen. Vgl. hierzu auch oben Anm. 188.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

e) Die Strukturwahrnehmung

beim

103

Lesevorgang

Im Endeffekt lassen sich für den 1. Buchteil mehrere Strukturschemata benennen, die einander überlagern und sich auch gegenseitig stützen. Ich stelle sie im folgenden schematisch (und gegenüber dem soeben Ausgeführten vereinfacht) dar. Ich füge bei jeder Überschrift hinzu, von welcher Textstelle an die jeweilige Struktur im Lesevorgang erkannt oder zumindest vermutet werden kann: Buchanfang im Diatribenstil (ab 1,12 erkennbar) 1,2-11 1,12-3,15

Voraustexte: 1,2, 1,3, Gedicht 1,4-11 Königs-Fiktion (1,13 Programm, 3,1 Of Einlösung des Programms)

Chiastischer Bau des königlichen Berichts (ab 2,12 erkennbar) 1,2-11 1,12-3,15 1,13-15 1,16-18

2,1-2

2,3.10 2,11-26

3,1-13

Voraustexte Königs-Fiktion. Darin: A 1. Vorbericht B. 2. Vorbericht C. 3. Vorbericht (Glücks-Thematik) C Hauptbericht: Taten (2,10 Glücks-Thematik) B' Hauptbericht: innerweltliche Reflexionen (2,24-26 Glücks-Thematik) A' Hauptbericht: theologische Reflexionen (3,12-13 Glücks-Thematik)

Gliederung des Gesamttextes in 2 Hälften (ab 3,10 erkennbar) 1,2-11 1,12-2,23 2,24-26 3,1-9 3,10-11 3,12-15

A Gedicht Β Reflexionen cmta ΓΚ-Text A' Gedicht B' Reflexionen C ans l'K-Text (+ Rahmung)

Durch Summation abgeschlossener Text (erst am Ende erkennbar) 1,2-11 1,12-2,26 3,1-3,13

A Β C

Voraustexte Vortheologischer Teil des Königsberichts Theologischer Teil des Königsberichts

3,10-15

C - Β' - A' Chiastisch angeordnete Summation

104

Norbert Lohfìnk

In diesem komplexen, aber wohlgebauten Gefüge, dessen einzelne Systemebenen im Laufe des Lesevorgangs sukzessiv wahrgenommen werden, ist es nicht mehr überraschend, daß die Salomo-Fiktion sich bis 3,15 erstreckt. Zugleich ist es deutlicher erwartbar, daß sie von 3,16 an vielleicht beendet ist. 8. Die Argumente von Thomas Krüger Mit dieser Strukturbeschreibung von 1,2-3,15 sind vielleicht auch die Voraussetzungen geschaffen, um noch einmal genauer über die für Krüger so wichtige »Zäsur zwischen 2,26 und 3,1«217 nachzudenken. Den Entwurf einer Gesamtstruktur des Buches hat er ja nicht vorgelegt. Doch betrachtet er 1,3-4,12 nach einer neueren Aufsatzveröffentlichung als »erste und grundlegende Teilkomposition des Qohelet-Buchs«218. Die Textanalyse dieser ersten Teilkomposition hat er in drei Blöcke gegliedert219: 1,3-11 1,12-2,26

»Prolog« »Königs-Travestie«

3,1-4,12

»Grundlegung der Ethik«

Es gäbe also ein Textstück, das als »Königs-Travestie« seine Begrenzung und Definition erhält. Die dann folgende »Grundlegung der Ethik« wird von Kohelet im eigenen Namen vorgetragen und kommentiert die Auffassungen Salomos kritisch. Der Gegensatz der Texte ist inhaltlich und wird durch Inhaltsanalyse begründet220. Formale Einwürfe, die sich von meinen obigen Ausführungen her machen ließen, existieren für Krüger nicht. Denn die Vorblicke, die KoheletSalomo in 1,13-2,2 gibt, künden für Krüger nur Texte aus dem Bereich vor 2,26 an221. Mein Verständnis von 1,13 hält er für unwahrscheinlich222. Doch gibt es bei Krüger neben dem bisher Beschriebenen auch eine mehr an der sprachlichen Oberfläche und ihren Signalen orientierte Struktur der »Teilkomposition« 1,3-4,12. Sie läßt sich in folgendem Schema darstellen223:

217 218 219 220 221 222 223

T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 243. T. Krüger, Qoh 2,24-26 (1994), 80. T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 123-169 (1,3-11), 171-239 (1,12-2,26), 241-305 (3,1-4,12). Vgl. oben S. 49. Vgl. die Überblicke bei T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 201-203; Qoh 2,24-26 (1994), 79f. Vgl. die Tabelle bei T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 179. T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 172, Anm. 7. T. Krüger, Qoh 2,24-26 (1994), 80; vgl. ders., Gegenwartsdeutung (1990), 242; Dekonstruktion (1996), 109, Anm. 11.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

105

»Gewinn«-Frage Gedicht 1,12-2,26 Reflexionen: »Qohelet« = »König«

1,3

1,4-11 3,1-8 3,9

Gedicht Gewinn-Frage 3,10-4,12 Reflexionen: »Qohelet« * »König«

Es fällt auf, daß der B l o c k 3 , 1 0 - 4 , 1 2 sich nicht in die a n g e n o m m e n e konzentrische Hauptstruktur integrieren läßt - w a s nicht gerade für die A n n a h m e spricht22". Man könnte den Entwurf nur dadurch in eine Art Gleichgewicht bringen, daß man zwei einander entgegengesetzte, strukturmäßig gleichgeordnete »Reflexionen« konzipierte, eine fiktiv salomonische in 1,12-2,26 und eine sie kritisierende, von Kohelet selbst verantwortete, in 3,10-4,12, wobei die erste sich vor der zweiten dadurch auszeichnen würde, daß sie doppelt umrahmt wäre. Doch dann ergäben sich andere Inkonvenienzen. Warum ist die erste Reflexion so prächtig und gleich doppelt eingerahmt, die zweite dagegen gar nicht? Warum beginnt die kritische Reflexion bei genauem Zusehen schon am Anfang des 3. Kapitels, wie bei Krüger selbst durchklingt und weitere Beobachtungen22' bestärken? Ist das Verweisziel von 1,13-15 wirklich schon vor 2,26 anzusetzen? Mir scheint, daß das von mir oben entwickelte Strukturkonzept der Gesamtheit der Fakten eher gerecht wird. Es· bleibt die große Leistung von Krüger, die innere Spannung des Textes v o n 3,1 an zu dem Text vor 3,1 aufgewiesen zu haben. D i e Textanalysen, die er dafür vorlegt, müßten in j e d e m ihrer einzelnen Glieder diskutiert werden, w a s ich hier nicht leisten kann. Im Einzelfall wird die Zustimmung verschieden stark sein. D o c h hat er sicher darin recht, daß mit dem A n f a n g des 3. Kapitels eine neue Sicht der D i n g e einsetzt. N o c h nie ist so deutlich auf diesen inhaltlich neuen Schritt hingewiesen worden w i e jetzt bei Krüger. Die Gedankenführung macht einen neuen Schritt. Wenn man will, wird »dialektisch« gedacht. Die bisherigen Aussagen Salomos werden dabei kritisiert und korrigiert. Daß neue Aspekte sich eröffnen, ergibt sich auch nicht allein inhaltsanalytisch. Schon der Einschub des Gedichts in 3,1-8 weist daraufhin. Es bedeutet einen neuen Anfang des Diskurses. Ähnlich wie vor 1,12 den Ich-Reportagen das Gedicht 1,4-11 voranging, läuft vor 3,10 den IchReportagen das Gedicht 3,1-9 voraus. Ähnlich wie am Ende der ersten Ich-Reportage der nnnto-Text 2,24-25 stand, folgt (dann doch wohl gegen Ende?) in der zweiten Ich-Reportage in 3,12f ein weiterer nnniü-Text, der den ersten aufgreift und weiterführt. Die beiden Gedichte sind auch dadurch parallelisiert, daß sich mit beiden die ρΊη^πη-Frage verknüpft, in chiastischer Anordnung einmal davor, einmal dahinter. Die Nachordnung in 3,9 ist gewissermaßen ihr natürlicher Ort, durch die Vorordnung in 1,3 trägt sie zugleich zum Themen 224 225

Vgl. auch oben, Anm. 95. Vgl. oben S. 100.

106

Norbert Lohfink

unverbunden hinwerfenden exordium des Buches als ganzen bei. Die in den beiden Ich-Reportagen berichteten Denkvorgänge und Ergebnisformulierungen sind durch diese Doppelstruktur also durchaus voneinander abgehoben. Was ich bisher nur unter Strukturgesichtspunkten vorgelegt habe226, hat, wie Krüger unterstreicht, auch eine inhaltliche Seite.

Doch daraus folgt nicht ohne weiteres, daß von 3,1 an eine andere Stimme (Krüger: der echte Kohelet) gegen die Stimme Salomos argumentiert. Wir könnten es ebenso mit einer dialektisch vorangehenden denkerischen Analyse zu tun haben, die Salomo in Schritten vollzieht. Ein thetisch-antithetisches Denken muß nicht auf mehrere Köpfe verteilt werden. Um es naiv auszudrücken: Auch der König Salomo selbst kann schon ein wenig von Hegel an sich gehabt haben. So scheinen mir die oben referierten Beobachtungen, die dafür sprechen, daß das, was in 1,12 begann, erst in 3,15 zu Ende kommt, nicht nur für die Textabgrenzung, sondern sogar auch für das Ende der Salomo-Fiktion mehr ins Gewicht zu fallen. Umgekehrt ist es nicht nötig, die mit 3,1 beginnende Darlegung der neuen Sicht bis ins 4. Kapitel hinein laufen zu lassen. Die oben schon genannten Schlußsignale, die sich gegen 3,15 mehren, sprechen für etwas anderes. Selbstverständlich ist die Gesamtsicht des Koheletbuchs an dieser Stelle noch nicht voll entfaltet. Es ist also kein Wunder, wenn die Analysen in einem mit 3,16 beginnenden Buchteil weiter fortgeführt werden, wenn auch mit neuen, jetzt hinzukommenden Nuancen. Daß die »Ethik« Kohelets selbst in 4,12 noch nicht zu Ende dargelegt ist, bestätigt Krüger selbst, indem er in seinem Buch noch im gleichen Kapitel, in dem er 3,1-4,12 behandelt hat, sofort an die Analyse von 3,1-4,12 die Analyse weiterer Texte anschließt (11,1-12,7; 7,1521; 8,10-9,12; 10,8-15)227. Summa summarum: Das meiste spricht dafür, daß der 1. Teil des Koheletbuches mit 3,15 endet. IV. Zur Grenze zwischen 3. und 4. Buchteil

I. Neue Beobachtungen Viel weniger entschieden bin ich in meinem Urteil über die Grenze zwischen dem 3. und dem 4. Buchteil. Ich erinnere mich noch genau, daß ich bei der Festlegung des Überschriftensystems für die Einheitsübersetzung tagelang darüber grübelte, wo ich die Grenze ziehen sollte - nach 8,17 oder nach 9,6. Schließlich entschied ich mich für 9,6. Denn bis zu diesem Punkt finden sich noch mehrfach Lexeme und Motive aus dem 3. Buchteil. Ich habe in meinem 226 227

Vgl. oben S. 96 und 104. T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 306-372.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

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Kommentar aber über die Schwierigkeit dieser Entscheidung Rechenschaft gegeben und von einem »kontinuierlichen Übergang« gesprochen, bei dem »die Grenzen unter verschiedenen Rücksichten verschieden angegeben werden müssen« . In der Zwischenzeit habe ich bei der Beschäftigung mit dem Schlußgedicht und der Hinleitung zu ihm in 11,1-8 die ganze Frage noch einmal untersucht und dabei festgestellt, daß am Ende des Buches nach den Themen »tatkräftiges Handeln« (11,1-6) und »Freude« (ab 11,7) zwar nicht formell, aber der Sache nach die miteinander verbundenen Themen »Tod« und »Gott« noch einmal mächtig in den Vordergrund drängen (ab 12,1 )229. Da dies aber alles Rahmenbereich des 4. Buchteils ist, der am Anfang dieses Teils chiastische Entsprechung erwarten läßt, müßte man vor 9,10 (»tatkräftiges Handeln«) und 9,7-9 (»Freude«) auch noch die Themen »Tod« und »Gott« erwarten. Sie finden sich tatsächlich deutlich in 9,1-6, ja »Gott« ist schon in 8,16-17 Thema. Dies wäre ein weiteres Argument, den Anfang des 4. Teils eher weiter vorn zu suchen. Schließlich habe ich in den letzten Jahren Herrn John Yeong-Sik Pahk ein wenig bei der Arbeit an seiner Dissertation über die Beziehung zwischen dem Gilgameschepos und dem Text von Koh 8,16-9,10 begleitet230. Er hat in diesem schwierigen Text eine ganze Reihe von Problemen geklärt. Dabei zeigten sich wesentlich engere Aussageverflechtungen, als man bisher vermutete. Es geht nicht nur um Stichwörter und Assoziationen, sondern durchaus um den Gedankenablauf, und zwar in der gesamten Passage von 8,16 bis 9,10. Das heißt aber für die Strukturfrage, daß dieser Textbereich als Einheit gesehen werden muß. 2. Die Doppelfunktion von 8,16-9,10 Da die Bezüge zum 3. Buchteil, die mich zu meiner ursprünglichen Aufteilung bestimmten, dennoch nicht zu leugnen sind, rechne ich jetzt mit einer Doppelfunktion von 8,16-9,10. Am besten macht man sich eine solche Doppelfunktion von der den Text entlanggehenden Leserapperzeption her deutlich. Der Leser, der beim Bereich von 8,16-9,10 angekommen ist, erlebt diesen zunächst als Abschluß des Vorangehenden. Dieser Eindruck hält sich auch noch einige Zeit, da das dann folgende Textstück 9,11-12 sich bald als Stichwortspender für die nachfolgenden Spruchreihen erweist, also wie die Einleitung zu dem wirkt, was nun neu kommt231. Allerdings wird der Leser vielleicht schon irritiert, wenn 9,11 mit der Wendung beginnt: ϊίηώπ'ηπη nx~n v n t í .

228 229 230 231

Ν. Lohfink, Kohelet (1980), zu 9,7-12,7. N. Lohfink, Grenzen (1994); Freu dich (1995). Die Dissertation wurde im März 1996 am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom verteidigt: Sie ist soeben erschienen als J. Y.-S. Pahk, Canto (1996). Vgl. oben S. 74.

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Das klingt nach einer Rückklammerung an die Finalaussage niKlS in 8,16 und an das sie aufnehmende "ΤΡΚΠ in 8,17232. Doch eine wirkliche Revision der zunächst geschaffenen Formerwartung zwingt sich erst auf, wenn in Kapitel 11 und 12 die Motive »tatkräftiges Handeln«, »Freude«, »Tod/Gott« wiederkehren und dann das Buch endet. In diesem Augenblick zeigt sich natürlich die chiastische Entsprechung zu 8,16-9,10. Dieses Textstück muß jetzt rückblickend neu verstanden werden: als Rahmen des 4. Buchteils. V. Die palindromische Buchstruktur und der Lesevorgang Ein solcher Vorgang der wechselnden Strukturwahrnehmung im Lauf des Lesevorgangs scheint mir nun auch beim Nebeneinander der linearen Vierteilung des Buches und der von mir weiterhin angenommenen Ringkomposition mit 4,17-5,6 als Zentrum angezielt zu sein. Hier gibt es sogar so etwas wie ein Leser-Wechselbad. Davon möchte ich nun handeln. 1. Die lineare und die palindromische Buchstruktur im Überblick Ich gebe zunächst zur Orientierung die beiden Strukturentwürfe nacheinander und in der Textabgrenzung, die ich jetzt annehme, ganz schematisch wieder:

232

Vgl., was oben, S. 84, zu 3,16-4,12 gesagt wurde.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

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Die lineare Vierteilung des Buches233 I II III IV

1,2-3,15 3,16-6,9234 6,10-9,10 8,16-12,8

Die palindromische A Β C X C' B' A'

{exordium und) demonstratio, vielleicht sogar narratio explicatio refutatio applicatio (und peroratio) Buchstruktur 1,2-11 1,12-3,15 3,16-4, 16 4,17-5,6 5,7-6,9 6,10-9,10 8,16-12,8

Exordium (darin: Gedicht) Königserzählung Gesellschaftliche Dimension I Religiöses Verhalten Gesellschaftliche Dimension II Auseinandersetzung Lebensweisung (am Ende: Gedicht)

2. Neue Gründe für die Annahme der konkurrierenden Struktur

palindromischen

M e i n e A n n a h m e eines zum linearen Ablauf des B u c h e s hinzutretenden palindromischen Bauprinzips hat, soweit ich sehe, keinen Beifall erhalten. D o c h halte ich sie weiter aufrecht. Ich will im folgenden in Diskussion mit der neuerpn Literatur die Gründe noch einmal benennen. 1. D i e beiden Arbeiten v o n Krüger und Fischer scheinen mir durch einander ergänzende Beobachtungen die eigentümliche Stellung der Ermahnungen

233

234

Ich benutze zur Charakterisierung der Buchteile die Terminologie der klassischen Rhetorik, deren Kompositionsregeln beim Koheletbuch durchaus eine Rolle gespielt haben könnten. Dabei halte ich mich an die uns vertrauteren lateinischen Namen. Zur Nomenklatur vgl. H. Lausberg, Handbuch (1973), § 262. Ich halte mich hier an die überwiegende Mehrheit der Ausleger, ohne die Frage, ob die Grenze nicht vielleicht doch nach 6,10 zu ziehen sein sollte (so meine Entscheidung in der Einheitsübersetzung), hier zu klären. Für ein Meinungsbild vgl. L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 158, Anm. 4. Auf der Ebene der formalen Analyse der Sprachoberfläche spricht für die Grenze nach 6,9 vor allem das wohl doch anbindende "3 am Anfang von 6,11 und die rahmende Entsprechung der Vergangenheitsdimension am Anfang von 6,10 zur Zukunftsdimension am Ende von 6,12, vgl. T. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 442. Auch die durch die Versaufteilung an dieser Stelle erzeugte Buchmitte bezeugt immerhin eine sehr alte Tradition, hinter 6,9 eine Grenze zu ziehen. Α. A. Fischer, Skepsis (1997), 20, Anm. 76, rechnet 6,10 zu einer Spätbearbeitung des Buches durch den 2. Epilogisten. Als Grund gibt er an, der Vers sei »ähnlich wie 12,13b stilisiert«. Das hat zwar auch schon Delitzsch gemeint, aber es springt nicht gerade in die Augen. Und wenn so große Gemeinsamkeiten bestehen, dann könnte natürlich auch 12,13b »ähnlich wie« 6,10 »stilisiert« sein.

110

Noibert Lohfink

zum religiösen Verhalten (4,17-5,6) im größeren Zusammenhang noch deutlicher gemacht zu haben235. Dieses Textstück ist wirklich ein Zentrum. Krüger hat gezeigt, daß sich wie ein erster Ring um den Text zwei Texte legen, die das Thema »Staat und Herrschaft« behandeln: 4,13-16 und 5,7-8. Vor und hinter ihnen finden sich - das hat Fischer zumindest für den hinteren Teil gut nachgewiesen - größere Blöcke von Ich-Berichten mit reflektierender Prosa, die einander entsprechen: 3,16-4,12 über Unrecht, Ausbeutung und Einsamkeit, 5,9-6,9 über Armut und Reichtum. Das so andersartige Mittelstück über das religiöse Verhalten ist also strukturell sorgfältig eingebettet. Daß es nicht ganz sekundär einfach eingeschoben wurde, zeigt schon die Tatsache, daß durch die kurze Weiterführung des Imperativs in 5,7 ein gleitender Übergang entsteht. Backhaus hat völlig recht, wenn er unter rein inhaltlich-thematischer Rücksicht von einer »eigenartig isolierten Stellung« spricht und betont, hier könne »kein Gedankengang vorliegen«"'. Doch folgt daraus überhaupt nicht, daß es, wie er sofort schließt, fraglich sei, ob der Text »die zentrale Texteinheit des Buches« sei. Zentralstücke solcher Ait haben es in biblischen Texten oft an sich, daß sie sich recht unverbunden und unerwartet in andere Texte einschieben. Wir müssen wesentlich langsamer schlußfolgem. 2. Das Problem für die Annahme einer konzentrischen Buchstruktur mit 4,17-5,6 als Mitte besteht zunächst darin, daß 4,17-5,6 das Zentralstück des 2. Buchteils ist. Dieser ist bei einer Vierteilung des Buches selbst aber nicht im Zentrum. Für eine Struktur, in der der Text über das religiöse Verhalten das Zentralstück ist, müssen sich daher auch die anderen Textbereiche anders gruppieren. Ich glaube in diesem Sinne weiterhin, daß man den Anfang des Buches auch so lesen kann, daß mit 1,12 schon ein zweiter Teil einsetzt. Denn die Selbstvorstellung Kohelets bei der Einführung der Königs-Fiktion hat außerordentlich deutlichen Eröffnungscharakter. Deswegen sehen ja bei literarkritischer Betrachtung manche Kommentatoren hier den ursprünglichen Anfang des Buches2'7. Empfindet man 1,12 aber als einen Neueinsatz, dann ist 1,12-3,15 schon ein zweiter Buchteil, 3,16-6,9 erhält im Buch eine Mittelstellung, und 4,175,6 ist dort wiederum das Zentrum: A Β C Β' A'

235 236 237

1,2-11 1,12-3,13 3,16-6,9 6,10-9,10 8,16-12,8

Zentrum: 4,17-5,6

Ich ziehe aus dem, was ich oben, Anm. 138 und S. 90f, für den 2. Buchteil ausgeführt habe, nun die Linien für das Buchganze aus. F. J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 212, Anm. 124. Vgl. auch oben, Anm. 180. So etwa O. Loretz, Qohelet (1964), 144; W. Zimmerli, Prediger (31980), 123.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

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Hier stünde in dem selbst wiederum palindromisch angelegten Teil C der Text 4,17-5,6 genau in der strukturellen Buchmitte. Man vernachlässigt dann allerdings die Fakten, die vor allem die Frage in 1,3 und das Gedicht von 1,4-11 doch wieder mit dem Text bis 3,15 zur Einheit zusammenwachsen lassen und oben bei der Diskussion des 1. Buchteils ausführlich zur Sprache kamen. Außerdem ist der dem Anfang entsprechende Schlußteil in 8,16-12,8 dann wesentlich länger und komplizierter gebaut als das kurze Gedicht am Anfang, dem er entsprechen soll. Sollte man den Gedanken an eine palindromische Buchstruktur also nicht doch vielleicht aufgeben? 3. Dagegen spricht jedoch wieder gerade der inhaltlich erratische Charakter von 4,17-5,6 238 und die konzentrische Anlage seiner unmittelbaren Umgebung. Außerdem gibt es weitere Phänomene, die die Grenze zwischen Kapitel 4 und 5 als einen Wendepunkt im Koheletbuch erkennen lassen. Zunächst einmal ist es schon beachtenswert, daß im Buch in 4,17 der Leser zum erstenmal ermahnend angeredet wird. Von da an bricht die Du-Anrede immer wieder durch, wenn es sich auch nicht stets um eigentliche Ermahnung handelt, sondern oft nur um das dialogische »Du« der lebendigen Kommunikation. Auch der Charakter des Ich-Erzählungsfadens, der auf den ersten Blick das ganze Buch durchzieht, ändert sich nach 4,17-5,6. Zwischen 1,12 und 4,16 gab es, von Hauptsätzen getragen, so etwas wie eine durchlaufende Ich-Verbalkette, wenn auch oft mit Neuansätzen. Die Ich-Aussagen des 2. Buchteils von 5,7 an stehen dagegen in Relativsätzen. Die tragenden Hauptsätze beginnen mit -1BÍK ne-) tí" (5,12; 6,1, vgl. später noch 10,5) -ΐϊ)κ π:π (5,17) Auch die mit 7,15 im 3. Buchteil neu einsetzenden Ich-Aussagen haben einen anderen, nicht einfach berichtenden Charakter. Jetzt heißt es: tpíti Srin-n» (7,15) •"Π-03 ΠΓ·?3 (7,23) ΤΓΚΊ nrbrrnK (8,9) n r o j (9,13) Da spiegelt sich offenbar eine andere Aussagehaltung als die viel direkter berichtende vor Auch der Gebrauch von San nimmt einen anderen Charakter an. Zwar hatten wir auch schon in 4,7 einen ersten Beleg für »terminologischen« Gebrauch von San entdeckt240. Aber vor 4,17-5,6 bleibt es bei diesem einen Fall, während sich dann die Schleuse öffnet. Sin 238 239 240

Hierzu vgl. oben Anm. 180. Alles bisher Genannte ist gut beobachtet bei G. R. Castellino, Qohelet (1968). Vgl. oben S. 88.

112

Norbert Lohfink

steht terminologisch in 5,6; 6,4.11.12; 7,15; 8,14; 9,9 (2x), also insgesamt 8 mal in den 19 Belegen der zweiten Buchhälfte 24 '. Auch umfangreichere Sprichwortreihungen finden sich erst nach 4,17-5,6. S o gibt es doch eine Reihe von Beobachtungen, die dafür sprechen, daß die so erratisch in der Mitte stehende Ermahnung für das religiöse Verhalten mit irgendeiner W e n d e im Gesamtbuch zu tun hat. M a n kann die Mittelstellung des Textstücks nicht nur dem 2. Buchteil des Systems der linearen Vierteilung des B u c h e s zuordnen. 3. Das Zusammenspiel

der Strukturen

im

Leseprozeß

W i e soll man die beiden Strukturen des B u c h s nun aufeinander beziehen? Hier schlage ich v o n neuem die Analyse des Leseprozesses vor. D e n n der Leser bildet sich, falls nicht am Anfang eines Buches eindeutige Dispositionsangaben gemacht werden, seine Vorstellung v o m Buchaufbau j a erst unterw e g s . Er macht immer wieder v o n seinem augenblicklichen Standpunkt aus Vorausentwürfe des Ganzen, die er dann möglicherweise mehrfach revidieren muß. So wird der bei 1,12 angekommene Leser mit einem Neueinsatz rechnen, also einem zweiten Buchteil. Oder, nach einer Bucheröffnung im Diatribenstil, der dem Leser erst einmal farbige Fetzen vorwirft, mit dem ersten eigentlichen Buchteil. Bei 3,15 allerdings erlebt er eine abschließende Rahmung und Abrundung, die den gesamten Text mindestens von 1,3 an zu einer Einheit macht. Soll er also beim Weiterlesen im folgenden Buchteil seinen bei 1,12 gewonnenen Eindruck revidieren? Um klar zu sehen, wird er auf neue Signale warten. Die hart einbrechende Mahnung zum religiösen Verhalten in 4,17 wird ihn aufmerken lassen, und wenn er von 5,7 an einen inhaltlich-motivlichen Rücklauf wahrnimmt, wird er die Hypothese einer Palindromie bilden, deren Zentrum gerade durchschritten wurde. Doch wenn er mit dieser Vorstellung im Kopf weiterliest, wird das Buch auf einmal breiter. In 6,10-12, wo im Sinne der wahrgenommenen Palindromie nun auf den Bereich vor 3,16 zurückgegriffen werden müßte, hört der Leser, daß ein neuer Teil eingeleitet wird. Damit ist 3,16-6,9 als in sich stehender, als solcher palindromisch angelegter Teil erkannt. Doch wie geht es nun weiter? Den hier beginnenden neuen Teil erkennt der Leser in seinem Charakter bald als refutatio, vor allem, wenn er schon ein Gefühl für die hellenistische Rhetorik und deren ideale Redeentwürfe besitzt. Das führt aber auch zu einer Reinterpretation der früheren Teile des Buches, etwa als exordium (bis 1,11), narratio (bis 3,15) und probatio (bis 6,9). Die Palindromie war, so wird der Leser jetzt denken, wohl doch nur ein Teilphänomen in einem Buchteil 3,16-6,9.

241

Vgl. auch N. Lohfink, Koh 1,2 (1989), 213, Anm. 17.

Das Koheletbuch: Strukturen und Struktur

113

Die Erwartung des Lesers wird nach der Beendigung der refutatio noch auf eine abschließende peroratio gehen, mit dem Charakter der applicatio. Diese Erwartung wird durch den letzten Teil des Buches auch nicht enttäuscht. So hat sich gegen die vorher gebildete Erwartung einer Ringkomposition die lineare Dynamik der hellenistischen Rede durchgesetzt. Doch nachdem der Leser von ihr gegen Ende innerlich bestimmt ist, begegnen ihm ganz am Schluß einige Elemente, die ihn vielleicht doch noch einmal umkippen lassen. Nicht nur, daß die peroratio plötzlich in sich sehr stark von einer mehrfachen Rahmung geprägt ist. Alles schließt dann auch noch mit einem Gedicht, das dem Gedicht am Anfang als eine Art Widerlager zu entsprechen scheint, und das Gedicht läuft auf den Rahmenvers 12,8 hinaus, der, wenn auch kürzer, wörtlich den ersten Satz des Buches wiederholt. Vielleicht hat der Leser ganz am Ende doch wieder das Gefühl, eine wohlabgerundete Komposition semitischen Stils entlanggeleitet worden zu sein, und dann war 4,17-5,6 deren Zentrum.

So oder ähnlich, bei jedem Lesevorgang vielleicht wieder leicht variiert, manchmal mehr, manchmal weniger im reflexen Bewußtsein, aber immer wenigstens ansatzhaft da, muß man sich die Strukturerfahrung denken, die sich aus der im Buch angelegten Diastase zweier sich keineswegs ganz dekkender, aber doch ineinander verspannter Strukturen ergibt. Ich glaube, nur in dieser Art von Betrachtung wird man dem Buch gerecht. Was das nun inhaltlich für die Erfassung des Gesamtbuches bedeutet, bedürfte genauer, hier nicht möglicher Überlegung. Um deren mögliches Ergebnis nur anzudeuten: Es könnte sein, daß das Buch durch die lineare Diatribenstruktur seine intellektuelle Durchschlagskraft gewinnt, daß jedoch die am Ende sich durchsetzende Konzentrik mit dem Thema »Gott« im Zentrum und am Ende gerade den Sinn hat, den theologischen Horizont wichtiger als alles vorher im einzelnen Argumentierte werden zu lassen. Abschlußbeobachtung Die langen Ausführungen, die hier ihr Ende erreichen, sind aus drei Gründen schwierig und ermüdend. Einmal, weil sie ihre Sache nicht von Grund auf systematisch entwickeln, sondern ein Moment im weitergehenden Forschungsgespräch sein wollen. Zum zweiten, weil sie ganz bewußt sich möglichst an der Sprachoberfläche und an formal beobachtbaren Sachverhalten ausgerichtet haben. Alles schreit darnach, die Dinge nun inhaltlich zu konkretisieren, was im einzelnen den Effekt der Verifizierung wie den der Falsifizierung haben kann. Das aber kann nur ein Kommentar leisten, und in der augenblicklichen Forschungssituation war es wichtiger, der Vitalität subjektiver exegetischer Überzeugungen, die überall sprossen, objektiv nachweisbare Fakten auf der sprachlichen Ausdrucksebene entgegenzustellen. Zum dritten jedoch, weil versucht wurde, nichts zu vereinfachen und nicht irgendeine Teilbeobachtung vorschnell zu systematisieren. Ob das gelungen ist, mögen

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Norbert Lohfrnk

andere beurteilen. Doch möchte ich ganz zum Abschluß noch darauf hinweisen, daß es vielleicht noch viel mehr objektive, auf der sprachlichen Oberfläche angesiedelte Fakten gibt, die beim Thema »Struktur und Strukturen« mitzubeachten wären. Es gibt nicht nur bei Bachschen Musikstücken, sondern wohl auch in antiken Texten Struktursysteme, die man niemals beim ersten Hören, vielleicht überhaupt niemals beim Hören, sondern überhaupt erst - musikalisch gesprochen - beim Partiturstudium entdecken kann. Johann Sebastian Bach hat sie nur für den lieben Gott zu dessen größerer Ehre in seine Sätze hineinversteckt. Hier ein Hinweis auf einen solchen kleinen Fund, gewissermaßen beim Partiturstudium von Kohelet. Wobei zu beachten ist, daß eine Partitur eine objektive Gegebenheit ist. Setzt man die von mir als eine der beiden Hauptstrukturen des Buches vertretene siebenteilige palindromische Struktur voraus, dann findet man die folgende Verteilung der 38 Belege des ja nicht ganz unwichtigen Wortes bsn: Teile 1 + 2 Teile 3 - 5 Teile 6 + 7

14 = 2 x 7 Belege 10 Belege 14 = 2 x 7 Belege242

Ist das ein Zufall? Ich glaube eher, daß wir bei der sprachlichen und formalen Analyse unserer biblischen Bücher in vielen Dingen noch ganz am Anfang stehen und uns immer neu auf Überraschungen gefaßt machen können243.

242 243

Die Belege für "»Π sind: l,2(5x).14; 2,1.11.15.17.19.21.23.26; 3,19; 4,4.7.8.16; 5,6.9; 6,2.4.9.11.12; 7,6.15; 8,10.14(2x); 9,9(2x); 11,8.10; 12,8(3x). Ich danke Georg Braulik herzlich für die Lektüre meines damaligen Manuskripts vor dem Grazer Vortrag und wertvolle Hilfen.

Das Kohetetbuch: Strukturen und Struktur

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Franz Josef Backhaus (Warendorf-Milte)

Widersprüche und Spannungen im Buch Qohelet. Zu einem neueren Versuch, Spannungen und Widersprüche literarkritisch zu lösen Beim aufmerksamen Lesen des Buches Qohelet tauchen immer wieder inhaltliche Spannungen und Widersprüche auf,1 die auch lange Zeit als Bedenken gegen eine Zugehörigkeit Qohelets zum Schriftkanon angeführt wurden. 2 So wird z.B. die Stärke der Weisheit in Qoh.2,13.14; 7,19; 8,1; 10,10.11 gepriesen, dagegen wird in Qoh.1,18; 2,15.16; 6,8; 10,1 auf die Schwäche und Hinfälligkeit derselben hingewiesen. Die Zahl der inhaltlichen Spannungen und Widersprüche ließe sich ohne große Mühe vergrößern und sie haben die Exegeten immer wieder herausgefordert, Lösungen und Erklärungen für dieses literarische Phänomen zu suchen. Im folgenden werden in einer "Hinführung" von drei Erklärungsmodellen, die die beobachteten Spannungen und Widersprüche im Buch Qohelet lösen wollen, zwei kurz skizziert. Das "literarkritische Erklärungsmodell" wird, nach einem kurzen forschungsgeschichtlichen Überblick, anhand der neueren Publikationen von O. Loretz exemplarisch dargestellt und kritisch eingeschätzt.3 Nach einem "Resümee" erfolgen im "Ausblick" Überlegungen, die 1

2

3

Da hier die zwei Termini "Spannungen" und "Widersprüche" verwendet werden, sei kurz eine begriffliche Bestimmung vorgenommen: In "Widerspruch" stehen zwei Äußerungen, die in ihrem Aussagebereich semantisch deckungsgleich sind und inhaltlich das Gegenteilige aussagen. In "Spannung" stehen zwei Aussagen, die entweder in ihrem Aussagebereich semantisch nicht deckungsgleich sind und inhaltlich das Gegenteilige aussagen oder zwei Aussagen, die in ihrem Aussagebereich deckungsgleich sind aber nur partiell das Gegenteilige ausdrücken. Siehe hierzu die Bemerkungen im babylonischen Talmud (b.Schabbat 30b bzw. b.Megilla 7a): Die Kanonizität wird in der Schule Schammais in Frage gestellt, weil in Qohelet widersprüchliche Aussagen stehen. So wird in Qoh.2,2b die Freude als nutz- und zwecklos bewertet, während sie in Qoh.8,15 als kostbares Gut bezeichnet wird. In Qoh.4,2 werden die Toten gepriesen (mai), während in Qoh.9,4b ein lebender Hund besser ist (|D mts) als ein toter Löwe. Zur kontroversen Diskussion um die Kanonizität des Buches Qohelet im Judentum siehe R. Kroeber, Der Prediger (1963), 69-73. Aber nicht nur Widersprüche und Spannungen innerhalb des Buches führen zu Bedenken, sondern auch Widersprüche und Spannungen zu Schriftstellen aus der Tora, z.B. Qoh. 11,9b im Verhältnis zu Num. 15,39 (siehe hierzu u.a. C. Dell'Aversano, BBtfD (1990), 121-134 und N. Lohfink, "Freudich" (1995), 162-164. Folgende Aufsätze sind zu nennen: O. Loretz, Anfänge (1991), 223-244; ders., "Frau" (1991), 245-281; ders., Poetry (1993), 155-189; ders., Jüdischer Gott (1994), 151-178.

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Franz Josef Backhaus

grundsätzlich bei der literarkritischen Arbeit am Buch Qohelet zu berücksichtigen sind. 1. Hinführung Nach D. Michel kann man die Erklärungen bezüglich der Widersprüche und Spannungen in drei Grundmodelle einordnen": α)

ß)

γ)

Der Eindruck der Spannungen und Widersprüche stimmt. Die fehlende inhaltliche Kohärenz ist dadurch zu erklären, daß der Verfasser bzw. der Herausgeber gar keine kohärente, inhaltlich strukturierte Abhandlung im modernen Sinne schreiben wollte, sondern Sentenzen, Reflexionen bzw. Topoi aneinanderreihte. Die widersprüchlichen und spannungsvollen Aussagen sind dadurch bedingt, Der Eindruck der Spannungen und Widersprüche stimmt. Die im jetzigen, kanonischen Endtext vorliegenden Spannungen und Widersprüche sind aber nicht vom Verfasser beabsichtigt, sondern Ergebnis einer (teilweise umfangreichen) Redaktion. Aufgabe des Exegeten ist es, literarkritisch die redaktionellen Zusätze kenntlich zu machen und auf diese Weise Vorstufen des Endtextes herauszuarbeiten, Der Eindruck der Spannungen und Widersprüche stimmt nicht. Bei eingehender Analyse zeigt sich, daß sich Spannungen und Widersprüche im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit den Positionen der traditionellen Weisheit erklären lassen.

Bevor das zweite Erklärungsmodell anhand der neueren Publikationen von O. Loretz exemplarisch dargestellt und auf seine Tragfähigkeit geprüft wird5, werden einige Anmerkungen zu den übrigen beiden Erklärungsmodellen gemacht. Dies geschieht aus zwei Gründen: a) Die zwei übrigen Grundmodelle sind als Gegenreaktion zum literarkritischen Lösungsansatz zu sehen, setzen sich kritisch mit den dort gelieferten Argumenten auseinander und werten die gleichen Beobachtungen, 4

5

Siehe D. Michel, Qohelet (1988), 9f. Die drei Grundmodelle werden hier nur insoweit behandelt, wie sie die Widersprüche und Spannungen erklären. Auf ihren Beitrag für die Frage nach dem Aufbau bzw. der Komposition des Buches Qohelet wird hier nicht eingegangen. Siehe hierzu als ersten Überblick D. Michel, Qohelet (1988), 3345. Neben O. Loretz wählt auch A.A. Fischer, Skepsis (1997) einen literarkritischen Zugang zum Buch Qohelet, indem er ein redaktionsgeschichtliches Modell vertritt. An dieser Stelle möchte ich ihm herzlichen Dank für die Übersendung des druckfertigen Manuskripts seiner noch unveröffentlichten Maiburger Dissertation sagen. Auf seinen Ansatz werde ich am Ende des Aufsatzes noch kurz eingehen. Zur Erstinformation mögen die Hinweise seines Lehrers O. Kaiser zunächst ausreichen (siehe Kaiser, Beiträge (1995), 6-8.246-249).

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b)

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die auch der literarkritische Lösungsansatz macht, hermeneutisch anders aus (dies gilt besonders für die Zitatentheorie).6 Daher können bei einer kritischen Prüfung der Ergebnisse von 0. Loretz die übrigen zwei Grundmodelle bedingt erste Argumentationshilfen bieten, Da O. Loretz in einigen seiner Veröffentlichungen Argumente bzw. Ergebnisse der beiden anderen Grundmodelle in seiner literarkritischen Argumentation einarbeitet7, seien die zwei Grundmodelle von ihren Ansätzen her kurz erläutert. 1.1 Anmerkungen zum ersten Erklärungsmodell Sentenzen- Theorie

Zunächst ist hier das Sentenzenmodell zu nennen. Für dieses Modell, welches seinen Durchbruch vor allem K. Galling zu verdanken hat8, ist die zu interpretierende Einheit immer die Einzelsentenz - eine literarische Einheit, die auf ein bestimmtes Thema zugeschnitten ist. Da hinter den einzelnen Sprüchen das Denken Qohelets immer wieder um das dem Menschen unbegreifliche Widerfahrnis von Schicksal und Tod kreist, "...stehen sich die einzelnen Sentenzen im Grundtenor so nahe, daß es keiner übergreifenden Gliederung bedurfte, um jeweils eine G r u p p e von Sentenzen von einer nachfolgenden abzusetzen..."9 Wenn aber die zu interpretierende Einheit die Einzelsentenz ist und der herausgebende Redaktor (QR1) nicht in den Text seines Lehrers eingegriffen hat, legt sich für die inhaltlichen Widersprüche und Spannungen 6 7

8

9

Siehe z.B. die kritische Haltung K. Gallings zu C. Siegfried und G.A. Barton in K. Galling, Der Prediger (21969), 76f. So wendet O. Loretz in seiner literarkritischen Analyse das Argument der Zitation an, wobei allerdings nicht Qohelet, sondern konservative Redaktoren traditionelles Weisheitsgut zitieren (siehe O. Loretz, Anfange (1991), 239f). Auch kompositorische Arbeit nimmt O. Loretz für das Buch Qohelet an, wobei die kompositorische Verklammerung ebenfalls durch die konservativen Redaktoren geschieht (siehe O. Loretz, "Frau" (1991), 254f). Siehe K. Galling, Kohelet-Studien (1932), 276-299; ders., Der Prediger (' 1940), 4790; ders., Der Prediger (21969), 73-125. Fortgeführt wird diese Theorie durch seinen Schüler F. Ellermeier, Qohelet (1967). Neuerdings betont Chr. Klein, Kohelet (1994), bes. 162-167 den Sammlungscharakter des Buches Qohelet wieder. K. Galling, Prediger (21969), 76. Auf S. 74 kritisiert K. Galling die kompositorischen Beobachtungen H. W. Hertzberg's, die eine Zuordnung mehrerer Sentenzen zu größeren Einheiten annimmt, als eine Konstruktion (zu H. W. Hertzberg's Konzept und seiner Stellung zu K. Galling siehe H.W. Hertzberg, Der Prediger (1963), 36ff). Dem ist aber die Beobachtung von W. Zimmerli entgegenzuhalten, der nachweist, daß K. Galling und sein Schüler F. Ellermeier auch größere Einheiten um des Gedankengangs willen beisammen lassen, obwohl sie unter formgeschichtlicher Perspektive in kleinere Einheiten aufzulösen wären; siehe W. Zimmerli, Das Buch Kohelet (1974), 226. Anzumerken bleibt nur noch, daß K. Galling aufgrund der formgeschichtlichen Dissertation seines Schülers F. Ellermeier in der 2. Auflage seines Kommentares die Anzahl der Sentenzen von 36 auf 26 reduziert.

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Franz Josef Backhaus

zwischen den Einzelsentenzen eine chronologisch-biographische Deutung nahe. 10 Als Vertreter einer solchen chronologisch-biographischen Deutung sei hier nur V. Zapletal genannt: "...So hat auch Kohelet seine Gedanken aufgezeichnet, wie sie kamen. Es ist also hierin eine Art chronologischer Ordnung. Daraus mag zum Teile folgen, daß hie und da über denselben Gegenstand anscheinend ganz widersprechende Urteile abgegeben werden, ähnlich wie wir öfters über dieselbe Sache zu verschiedenen Zeiten verschieden urteilen. Bei Kohelet läßt sich jedoch diese Verschiedenheit hauptsächlich aus den verschiedenen Gesichtspunkten erklären, von welchen aus er die Dinge betrachtet..."11 Topoi-Theorie Was bei K. Galling schon anklang, daß nämlich bei der Analyse des Qohelettextes zu sehr vom Inhaltlichen her argumentiert wird, gilt in besonderer Weise für O. Loretz und seinem Modell der Topik. 12 Nach O. Loretz ist Qohelet unter stilistischem Gesichtspunkt ein Vertreter der Topik, d.h. viele Themata bzw. inhaltliche Gemeinplätze, die sich in der israelitischen Literatur, besonders der Weisheitsliteratur finden, liegen auch bei Qohelet vor, so daß Qohelet in einer "festumrissenen geistigen Tradition steht."13 0. Loretz analysiert das Buch Qohelet unter dem Aspekt dieser "überindividuellen Stilkraft" und kommt zu dem Schluß, daß alle Versuche, eine geplante Disposition aufzuzeigen bzw. das Buch mit Hilfe der literarischen Größe "Sentenz" zu interpretieren, als Versuche aus dem Geiste der Neuzeit zu gelten haben und bei diesem im Rahmen der altorientalischen Literatur zu beheimatenden Werk fehlschlagen müssen. Somit ist nicht nach einer Ordnung der Topoi zueinan10

11 12 13

K. Galling unterscheidet immer zwischen dem Autor der Einzelsentenz (=Qohelet) und dem Herausgeber des Buches "Qohelet" (=QR') ; der nicht identisch mit dem Autor ist (anders in K. Galling, Der Prediger (11940), 49). Hier schließt sich dann die Frage an, ob der Redaktor, wenn er, ohne selbst in die Textgestalt inhaltlich einzugreifen, an einigen Stellen die Anordnung der Einzelsentenzen vornimmt, inhaltlichtheologisch überhaupt zu fassen ist oder ob es sich nicht eher um ein "Phantom" handelt. Welche Beweise lassen sich für die Existenz eines solchen nur formal tätigen Redaktor beibringen? Siehe hierzu auch H.W. Hertzberg, Der Prediger (1963), 37: "...Wie die Genesis eines solchen Werkes dann im einzelnen technisch verlaufen ist, dürfte eine Frage sein, die über die Möglichkeiten unserer Beantwortung hinausgeht..." Für Widersprüche und Spannungen innerhalb der Einzelsentenzen macht K. Galling einen zweiten Redaktor (QR2) verantwortlich, der mit dem 2. Epilogisten identisch ist und Sätze hinzufügt, damit sie "allzu gewagt Erscheinendes zurechtrükken", K. Galling, Der Prediger (21969), 76. Zum Umfang dieser Redaktion siehe O. Kaiser, Beiträge (1995), 6, Anm.12. V. Zapletal, Das Buch Kohelet (1905), 31. D. Michel, Qohelet (1988), 11, Anm.l fuhrt weitere Vertreter eines biographischen Deutungsmusters auf. Siehe vor allem 0. Loretz, Qohelet (1964), 196-212. O. Loretz, Qohelet ( 1964), 196f.

Widersprüche und Spannungen im Buch Qohelet

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der zu fragen, mit deren Hilfe Qohelet argumentiert, sondern nach ihrem unterschiedlichen Bezug zu dem Hyperthema welches programmatisch zu Beginn des Gesamtwerks steht.1,1 Eine ausführliche Kritik an der topologischen Methode hat F. Ellermeier vorgelegt und dabei u.a. auf begriffliche Unklarheiten im Verhältnis von der inhaltlichen Kategorie "Topos" zur literarischen Größe "Maschal" bzw. zu der inhaltlichen Größe "Gedankengang" aufgezeigt, so daß O. Loretz in der Einzelanalyse nicht konsequent nach dem von ihm aufgestellten Prinzip verfahrt. Da der topologische Ansatz einseitig nach inhaltlichen Kriterien ausgerichtet ist, spielt die genaue Abgrenzung der einzelnen Texteinheiten eine untergeordnete Rolle. Durch die damit verbundene Atomisierung der einzelnen Texteinheiten kommt es nicht nur zu Fehlinterpretationen bezüglich einzelner Topoi und ihrer literarischen Verfaßtheit, sondern, da O. Loretz bei Qohelet ausschließlich das überindividuelle Stilmittel der Topik untersucht, auch zu vorschnellen Gleichsetzungen mit den Topoi aus anderen Literaturen, so daß nach 0. Loretz Qohelet in engem Anschluß an die Topoi der israelitischen Weisheitsliteratur entstanden ist (Beachte aber: Gleichheit der Topoi heißt noch nicht Gleichheit in der Aussage derselben). Durch die vorschnelle Gleichsetzung und durch die Ausblendung der jeweiligen Textstruktur wird aber gerade die Thematisierung der traditionellen Topoi im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Erkenntnissen zu wenig berücksichtigt.15 Da also im Rahmen des topologischen Ansatzes der jeweilige literarische Kontèxt ausgeblendet wird, ergeben sich nach 0. Loretz auch textlich gesehen keine inhaltlichen Spannungen und Widersprüche. Für ihn stellt sich das Buch als eine stilistische Einheit dar.16 M.E. ist der einseitige topologische Ansatz von 0. Loretz ohne Berücksichtigung der jeweiligen Textstniktur nur als extreme Gegenreaktion zu den literarkritischen Lösungsversuchen zu sehen.17

14

15 16

17

Zur Kritik siehe W. Zimmerli, Das Buch Kohelet (1974), 228f, der sich gegen ein Hyperthema wendet. Er sieht die Topik im Kontext der Auseinandersetzung Qohelets mit Positionen der traditionellen Weisheit. In diesem kritischen, teilweise polemischen Gespräch sieht W. Zimmerli die Einheit des Werkes gewahrt. JA. Loader hat dieses Konzept aufgegriffen und in der Hypothese der "polaren Strukturen" systematisch zu entfalten versucht, vgl. J.A. Loader, Polar structures (1979). Siehe F. Ellermeier, Qohelet (1967), 28-44. Das Buch Qohelet ist nach O. Loretz, Qohelet (1964), 135-145 von 2. Hand herausgegeben worden, wobei von diesem Herausgeber Qoh.1,1-3 sowie Qoh.12,8-14 stammen (290-297). Eine textliche Einfügung fiir Qoh. 1,4-12,7 wird von O. Loretz nur in Qoh.7,27 angenommen (nbnp rnDN). Im Rahmen einer Umstellungshypothese hält es O. Loretz für möglich, daß der Herausgeber Qoh.1,1-3 und Qoh. 1,4-11 vor den ursprünglichen Textanfang, der mit Qoh.1,12 begann, gesetzt hat. So auch O. Kaiser, Beiträge (1995), 4.

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Reflexionen- Theorie In Fortführung des Sentenzenmodells seines Lehrers und in kritischer Abgrenzung zum Topoi-Modell von O. Loretz ist der formgeschichtlich ausgerichtete Lösungsansatz von F. Ellermeier zu sehen.18 Er ist um eine genaue Abgrenzung, Strukturierung und gattungsmäßige Definition der Texteinheiten in Qohelet bemüht. Die größeren textlichen Einheiten nennt er jeweils "Reflexion", wobei er die Abgrenzung und den Aufbau der Reflexionen gemäß ihrer unterschiedlichen Eigenart als einheitlich kritische (z.B. Qoh.2,1819), kritisch gebrochene (z.B. Qoh.2,12-17), kritisch und kritisch gebrochene (z.B. Qoh. 1,12-2,11) und kritisch umgekehrt gebrochene (z.B. Qoh.4,4-6) bestimmt.19 Da F. Ellermeier explizit die Struktur jeder Texteinheit untersucht, weist er nach, daß sich die inhaltlichen Widersprüche und Spannungen im Buch Qohelet im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit den Topoi der traditionellen Weisheit erklären lassen, die Qohelet aufgrund seiner eigenen Erfahrung mit der traditionellen Weisheit führt.20 Da F. Ellermeier im Rahmen dieser kritischen Auseinandersetzung auch mit Zitaten rechnet21, sei nur eine kurze Anmerkung zum dritten Grundmodell gemacht.22 1.2 Anmerkungen zum dritten Erklärungsmodell Die Zitatentheorie ist im Rahmen der beobachteten Spannungen und Widersprüche ebenfalls als Gegenreaktion zu literarkritischen Lösungsansätzen zu sehen, wobei häufig die gleichen Beobachtungen nur anders interpretiert werden: Rechnet nämlich der Literarkritiker mit Umarbeitungen und Überarbeitungen des Grundtextes und ordnet Spannungen und Widersprüche erzeugende Texte bzw. Textteile jeweiligen Redaktionen zu, werden von Vertretern der Zitatentheorie widersprechende oder spannungserzeugende Texte bzw.

18 19

20 21 22

F. Ellermeier, Qohelet (1967). Chr. Klein, Kohelet (1994), 122 lehnt die Bezeichnung der primär selbständigen Einheiten als "Reflexionen" durch F. Ellermeier ab, da die einzelnen Reflexionen zu stark voneinander abweichen, "als daß sie sich als Ausprägungen eines überindividuellen Musters verstehen ließen. Zudem ist die Beurteilung einer Reflexion sehr an das subjektive Empfinden F. Ellermeiers gekoppelt." Stattdessen vertritt Chr. Klein die neutrale Bezeichnung "Ich-Bericht" (vgl. W. Zimmerli, Das Buch des Predigers (31980), 125f) bzw. "First-Person-Report" (siehe R.F. Johnson, A Form Critical Analysis (1973), 75). Zur Sache siehe P. Häfflcen, Das EGO des Weisen (1985), 121-134. Die sich anschließenden "orthodoxen Korrekturen" sieht F. Ellermeier textlich in Qoh.3,17aßy.l8aa; 6,2aß; 8,5.12b-13; 9,3ba; 11,9b und 12,1a vorliegen. Mit Zitierung von Sprichwörtern rechnet F. Ellermeier in Qoh.1,15.18; 2,14a; 4,5.6.12b; 5,2; 6,7; 7,la.4.6a.l2a; 9,4b; 10,18. Zur Zitatentheorie wird sich an anderer Stelle ausführlich Prof. Dr. L. SchwienhorstSchönberger äußern. Vgl. seinen Beitrag in diesem Band S. 18-20.

Widersprüche und Spannungen im Buch Qohelet

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Textteile im Kontext der Auseinandersetzung Qohelets mit Positionen der weisheitlichen Tradition als Zitate verstanden. Daraus folgt: So wie der Literarkritiker überzeugende Argumente für das Ausscheiden von sekundären Texten bzw. Textteilen vorbringen muß, wobei er auch die zeitgeschichtliche Verankerung der Redaktion(en) belegen muß, ist es Aufgabe des Vertreters der Zitatentheorie, überzeugende, d.h. objektive Kriterien beizubringen, die Zitate im literarischen Kontext kenntlich machen, damit seine Argumentation überzeugt. Auch er muß dann den situativen Kontext näher bestimmen, aus dem die Zitate stammen. Während also der Literarkritiker, vom kanonischen Endtext ausgehend, glaubt, in diachroner Hinsicht Vorstufen des Endtextes herausfiltern zu können, bleibt der Vertreter der Zitatentheorie, ebenfalls vom kanonischen Endtext ausgehend, auf der synchronen Ebene und analysiert den Text auf Signale hin, die zeigen, daß hier vorgeprägtes Textmaterial aufgrund der Argumentationsstrategie eingearbeitet, d.h. zitiert wird. Überblickt man die einzelnen Arbeiten zur Zitatentheorie23, so fällt auf, daß die einzelnen Autoren bemüht sind, immer bessere Kriterien für die Herauslösung, für die formgeschichtliche Kategorisierung und für die Funktionsbestimmung der einzelnen Zitate im vorliegenden literarischen Kontext herauszuarbeiten. Hiermit möchte ich die Anmerkungen zum ersten und dritten Erklärungsmodell beenden und komme nun zum zweiten, dem literarkritischen Erklärungsmodell. 2. Das literarkritische Erklärungsmodell Bevor auf die Veröffentlichungen von 0. Loretz eingegangen wird, sei ein kurzer forschungsgeschichtlicher Überblick geboten, der helfen soll, den Ansatz von O. Loretz besser einzuordnen.2'* 2.1 Kurzer forschungsgeschichtlicher Überblick Als die Literarkritik bei der Erklärung von Widersprüchen im Pentateuch wichtige und weiterführende Ergebnisse lieferte, versuchte man auch die Widersprüche und Spannungen in Qohelet durch eine diachrone Erklärungsweise des kanonisch vorliegenden Endtextes zu lösen.

23 24

Einen ersten Überblick verschafft D. Michel, Qohelet (1988), 27-33. Ausführliche forschungsgeschichtliche Überblicke bieten u.a. C. Siegfried, Prediger (1898), 2-5; V. Zapletal, Das Buch Kohelet (1905), 14-22; G.A. Barton, A Critical and Exegetical Commentary (21959), 18-31; E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 142156 (alle vier Autoren verweisen auf ältere Literatur); A. Barucq, Ecclésiale (1979) Sp. 611-615; D. Michel, Qohelet (1988), 17-21; ders., Koheletbuch (1990), 345ff und O. Kaiser, Beiträge (1995), 4-9.

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Hier ist vor allem C. Siegfried mit seinem 1898 erschienenen QoheletKommentar zu nennen25: C. Siegfried nimmt eine von einem pessimistischen Philosophen verfaßte "Grundschrift" an, die er mit dem Siegel Q1 versieht. Da dieser pessimistische Philosoph mit Salomo identifiziert wird, wurde die Grundschrift nicht vernichtet, sondern "von den andern Richtungen innerhalb des damaligen Judentums corrigirt, glossirt, ihrem Standpunkte anbequemt..."26 C. Siegfried will eine ausgeprägte Redaktion im Buch Qohelet nachweisen, die vier Glossatoren, zwei Redaktoren sowie den Verfasser des 1. Epilogs (Qoh. 12,9-10) und des 2. Epilogs (Qoh.12,11-12) umfaßt.27 In der folgenden Zeit gibt es immer wieder literarkritische Erklärungsversuche, teilweise auf Siegfrieds Arbeit fußend, wobei aber die Tendenz zu beobachten ist, daß die Anzahl der Redaktionsschichten/Anzahl der Redaktoren bzw. die Zahl der sekundär eingefügten Textteile immer geringer wird.28 Nach D. Michel bildet der Kommentar von E. Podechard den Höhepunkt und zugleich das Ende dieser literarkritischen Lösungsversuche. 29 Nach dem 2. Weltkrieg ist entsprechend D. Michel dann nur noch T.R.P.D. Buzy zu nennen, der im wesentlichen die redaktionelle Schichtung von McNeile, Barton und Podechard vertritt.30 Für die Zeit nach dem 2. Weltkrieg kann man sich im wesentlichen dem Resümee anschließen, welches O. Kaiser zieht: "...Blickt man in die Koheletliteratur seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, so zeigt sich, daß in ihr die Beurteilung der Überschrift in 1,1 und des Epilogs in 12,9-14 als redaktioneller Zusätze in der Regel allgemein anerkannt wird...In der Regel pflegt man dem sog. ersten Epilogisten l,laa, als Überschrift und 12,9-11 als älteren Epilog sowie vermutlich auch noch die beiden korrespondie25 26 27

28

29

30

Siehe C. Siegfried, Prediger (1898), 1-77. C. Siegfried, Prediger (1898), 10. Zur Kritik an C. Siegfrieds Hypothese siehe schon V. Zapletal, Das Buch Kohelet (1905), 35; ebenso O. Loretz, Qohelet (1964), 40. C. Siegfrieds Hypothese wurde aufgenommen von P. Lauer, Das Buch Kohelet (1900). So nehmen A.H. McNeile, An Introduction (1904) und G.A.Barton, A Critical and Exegetical Commentary (21959) neben dem Primär-Autor nur noch einen "Chasid glossator", einen "Hokma glossator" und einen "Editor" an. Siehe E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912) und ders., La composition (1912), 161-191. E. Podechard kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie A.H. McNeile und G.A. Barton (vgl. in L'Ecclésiaste (1912) die Ausführungen zum "Epilogisten" (156-160); zum "Chasid" (160-162) und zum "Chakam" (163-167)). Siehe T.R.P.D. Buzy, L'Ecclésiaste (1951), 193-197. Nach O. Loretz, Qohelet (1964), 40 arbeiten in abgeschwächter Form mit Quellenscheidungen in Anlehnung an C. Siegfried, O.S. Rankin/G.G. Atkins, The Book of Ecclesiastes (1956), 3-88 (bes. 11) und E. Jones, Proverbs and Ecclesiastes (1961), 259f. Neuerdings will A.A. Fischer, Skepsis (1997), 6, Anm.12 J. Coppens, La structure (1979), 288-292 i.S. eines Schichtungsmodells verstehen. Siehe aber hierzu auch die Einordnung von J. Coppens durch IZBG XXVII (1980/81), 98 sowie bei D. Michel, Qohelet (1988), 40.

Widersprüche und Spannungen im Buch Qohelet

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renden Mottoverse 1,2 und 12,8 zuzuweisen...Auf den als zweiten Epilogisten bezeichneten orthodoxen Bearbeiter dürften außer der auf die Identifikation Kohelets mit Salomo abzielenden Erweiterung in l,laß, die ihn als Sohn Davids und König in Jerusalem bezeichnet, jedenfalls auch die abschließenden Epilogverse 12,12-14 zurückgehen...Dem 2. Epilogisten lassen sich mit einiger Sicherheit auch noch 3,17 und die sich vom Inhalt distanzierende Zitationsformel in 7,27aot sowie 11,9b.10b und 12,1a zuschreiben. Dagegen ist die Tendenz mit Recht rückläufig, ihm außerdem auch noch den ganzen Vers 2,26; 8,5 und 8,12b-13 zuzuweisen. 2,26 besitzt in 7,26 seine Entsprechung. Beide Stellen verstehen unter dem Guten und dem Fehlenden (hôte') den, der Gott gefallt oder mißfällt, und nicht den Gerechten oder den Sünder. Der sich im Vergleich mit 7,26 in 2,26aß ergebende Überschuß der göttlichen Gaben in Gestalt von Weisheit und Erkenntnis ist dagegen mit GALLING als nachträgliche Einfügung des 2. Epilogisten verdächtig. In 8,5 und 8,12b-13 handelt es sich jedoch um Zitate..."31 Wenn man auch bezüglich der Textstellen Qoh.3,17; 11,10b; 12,1a anderer Meinung sein kann, so zeigt dieses Resümee eines Qoheletkenners, daß die Tendenz der punktuell auftretenden redaktionellen Zusätze dahin geht, nicht nur zahlenmäßig abzunehmen, sondern ihre inhaltliche Deutung in Beziehung zu den Epilogen geschieht. 32 Da aber bei der redaktionellen Analyse häufig von einem bestimmten Qohelet-Bild ausgegangen wird, fallen die literarkritischen Entscheidungen nicht selten subjektiv aus. 2.2 Der literarkritische

Lösungsversuch

von 0.

Loretz

Der literarkritische Lösungsansatz von 0. Loretz ist bislang in einer Reihe von Aufsätzen erschienen, in denen er mit Hilfe einer Auswahl von Textanalysen seine Redaktionshypothese zu beweisen versucht.33 Nach einer kurzen Darstellung mit forschungsgeschichtlicher Einordnung, erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Lösungsansatz. 2.2.1 Darstellung

undforschungsgeschichtliche

Einordnung

Ausgangspunkt für 0. Loretz ist die Beobachtung, daß im Buch Qohelet in den Prosateilen "...a new form of Jewish prose..." auftritt, die dazu dient, phi31 32

33

O. Kaiser, Beiträge (1995), 4.6.8-9. In den Anmerkungen fmdet man jeweils literarische Belege. Zum Forschungsstand der Epiloge im Qohelet-Buch siehe u.a. Chr. Dohmen/M. Oeming, Biblischer Kanon (1992), 30-49; K. Koenen, Zu den Epilogen (1994), 24-27; O. Kaiser, Beiträge (1995), 6, Anm.16; N. Lohfmk, Zu einigen Satzeröffnungen (1996), 131-147. Folgende Aufsätze sind zu nennen: O. Loretz, Anfänge (1991), 223-244; ders., "Frau" (1991), 245-281; ders., Poetry (1993), 155-189; ders., Jüdischer Gott (1994), 151178.

132

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losophische Weisheit sprachlich umzusetzen.34 Diese Prosa wird dann später poetisch kommentiert. Diese Entwicklung einer weisheitlichen Kunstprosa ("sapiential prose") ist nicht im Rahmen der altorientalischen Weisheit(sschulen) zu erklären, sondern ist in Auseinandersetzung mit der griechisch-hellenistischen Philosophie durch die Übernahme gewisser Stilmittel aus dieser Philosophie zu erklären. Dieser betont formale Zugang zum Buch Qohelet ist nach O. Loretz notwendig, weil die bisherigen Ansätze zur Erklärung der Spannungen und Widersprüche zu stark im Inhaltlichen bleiben und formale Argumente nicht beachten, so daß es schnell zur Schlußfolgerung kommen kann, daß das Buch Qohelet einheitlich ist (die Vertreter dieser Position nennt O. Loretz "Unitarier") und von einem Autor, genannt "Qohelet", verfaßt worden ist.35 Für die Einzelanalyse wendet O. Loretz die vor allem an der ugaritischen Poesie erprobte Kolometrie an: "...It will be assumed,(...), that Hebrew poetry continues those traditions which were normative for Canaanite-Ugaritic poetry and on this basis it will also be possible to differentiate between verse and prose in the Book of Qoheleth with sufficient certainty..."36 O. Loretz analysiert mit dieser Methode jeweils ausgewählte Texteinheiten.37 Dies geschieht, wie er zugibt, auch aus inhaltlichen Gründen: "...In what follows the questions raised will be treated in terms of selected passages. This constraint is required not only because of the space available here but also for reasons of content. For the first part of this book (1:1-3:22) refers not only to the mix of verse and prose typical in the rest of the book but is also considered to be a self-contained thesis and an expression of Qoheleth's philosophy..."38

Durch die Einzelanalysen glaubt O. Loretz das Problem der Einheitlichkeit des Buches Qohelet gelöst zu haben. Er kommt zu dem Schluß:

34 35 36 37 38

O. Loretz, Poetry (1993), 155. Siehe O. Loretz, Poetry (1993), 156f; ders., Anfänge (1991), 223.225. O. Loretz, Poetry (1993), 157. So werden z.B. Qoh. 1,4-11; 1,12-2,3; 2,4-8; 2,9-2,26; 3,1-15; 3,16-22; 7,23-8,1; 9,610 und 12,8-14 analysiert. O. Loretz, Poetry (1993), 158. Hier zeigt sich, daß O. Loretz mit seiner Methode kritisch die Positionen untersuchen will, die für die ersten drei Kapitel einen zusammenhängenden Gedankengang Qohelets aufgrund kompositorischer Arbeit annehmen. Nachdem er den Text Qoh. 1,4-11 analysiert hat, kommt er zu folgendem Schluß: "...From the differences between w.4-8 and w.9-11 it is clear that the prologue of the Book of Qoheleth is to be considered a result of editorial reshaping. By means of poetry (w.4-8) and prose (w.9-11) divergent thoughts are expressed which should neither be attributed uncritically to a single person and nor even perhaps, on the basis of details from w.1-3, in toto to Qoheleth 1-3..." (167).

Widersprüche und Spannungen im Buch Qohelet

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"...This leads to the conclusion that in the Book of Qoheleth verse and prose are to be attributed to different authors: The sections in prose, which represent a new departure, are to be attributed to a wise man who in the book bears the name Qoheleth; on the other hand the sections in verse originate from the traditionalists of the post-exilic schools of wise men and scholars, who in this way intended to put a curb on Qoheleth..."39 Qohelet sei ein jüdischer Weisheitslehrer der nachexilischen Zeit g e w e s e n , so O. Loretz, der versucht habe, die hochentwickelte Prosa der griechischhellenistischen Philosophie stilistisch für die hebräische Sprache umzusetzen, um so mit dieser neuen Form v o n Prosa die Inhalte der traditionellen Weisheit entsprechend den veränderten Zeitumständen weiterzuentwicklen. 4 0 D i e s e s Verhalten Qohelets habe aber traditionell gesonnene Kreise auf den Plan gerufen, die mit Hilfe v o n Zitaten (poetische Texte) aus der traditionellen jüdischen Weisheit versucht hätten, das in Prosa verfaßte Werk Qohelets inhaltlich zu korrigieren: "...So effectively had Qoheleth been curbed that in an inversion o f the truth it even resulted in his being celebrated as a master o f the traditional forms o f w i s d o m teaching in Q o h . l 2 : 9 - l l...""1 Zusätzlich zu dieser konservativ-poetischen Redaktion enthält der vorliegende Endtext nach O. Loretz noch v i e l e Zusätze durch Glossatoren. Forschungsgeschichtlich stellt sich das literarkritische Modell v o n O. Loretz als ein echtes Schichtenmodell dar. 42 O. Loretz versucht j a das Ineinander'von Prosa und P o e s i e literarkritisch auszuwerten, w e i l Prosa und P o e s i e zeitlich verschiedene Textstadien erkennen lassen, die auch verschiedenen

39 40

41

42

O. Loretz, Poetry (1993), 188f. Insofern sind nach O. Loretz, Anfange (1991), 242, Anm.52 die prosaischen Teile des Buches Qohelet auch kein Indiz für eine Krisensituation der israelitisch-jüdischen Weisheit. O. Loretz, Poetry (1993), 189. Auch O. Loretz, Anfänge (1991), 239f kennt also die "Zitatentheorie", wendet sie aber anders an, insofern nur die konservativen Redaktoren poetische Texte aus der Weisheitstradition zitieren. Somit bilden letztlich die konservativen Redaktoren "den Autor" des Buches Qohelet, da sie einmal das zitieren, was Qohelet selber in Prosa geschrieben hat und zum anderen die poetischen Texte aus der Weisheitstradition zitieren. Daraus ergibt sich nach O. Loretz, dafl ein einheitlicher, auf Qohelet selbst zurückgehender Text, eigentlich ein Phantom ist. Diese Phantomvorstellung sei das gemeinsame Fundament, auf dem alle "Unitarier" stehen würden (240). Durch die konservativ-poetische Redaktion und durch die parataktische Ausgestaltung der Prosa in Qohelet zeigt sich aber nach O. Loretz auch, daß das jüdische Ringen um die Bildung einer hebräisch-philosophischen Prosa mit Qohelet vorläufig gescheitert ist (226.242). "...Aus diesen drei Schichten (Kursivsetzung durch den Vf.) von Qoh.1,1-11 und 3,115 ersehen wir, daß in der hellenistischen Zeit unter den jüdischen Weisheitslehrern eine rege Debatte mit der fremden Philosophie stattgefunden haben muß,..", O. Loretz, Anfänge (1991), 239.

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Autoren zugeordnet werden können. So ergibt sich nach O. Loretz für die Genese des Qohelet-Buches folgendes Bild: "...Das Buch Qohelet ist dem Prolog und dem Abschnitt 3,1-15 zufolge Spiegelbild einer dreifachen jüdischen Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie der hellenistischen Zeit: Wenn erstens mit der Prosa eine neue Aussagemöglichkeit gemacht und gefunden wird, so steht ihr zweitens in der Poesie wohl nicht nur die traditionelle Gestalt der Weisheitslehre gegenüber, sondern sicher auch die mehr der Vergangenheit verpflichtete Einstellung. Das Ergebnis der Redaktion, die Verbindung von Poesie (=Tradition) mit Prosa (=Neuening) wird drittens νon den Glossatoren weiter ausgebaut..."43 Forschungsgeschichtlich ist daher das Modell von O. Loretz zumindest in formaler Hinsicht den Modellen zuzurechnen, die neben einer literarkritisch analysierten Grundschicht zumindest eine durchgehende Redaktion annehmen. Damit aber kommen wir unweigerlich in die Nähe der von C. Siegfried ausgehenden literarkritischen Erklärungsmodelle. Als Beispiele wären die oben schon genannten Modelle von A.H. McNeile, G.A. Barton und E. Podechard zu nennen. Andererseits hat 0. Loretz bezüglich seiner literarkritischen Methode der Kolometrie keinen direkten Vorgänger, aber schon V. Zapletal hat metrische Untersuchungen für literarkritische Zwecke unternommen.4'1 2.2.2 Kritische Einschätzung des Lösungsansatzes

von 0.

Loretz

Auffällig ist zunächst der ausschließlich formale Zugang zum Endtext des Qohelet-Buches. 0. Loretz hat recht, wenn er den Arbeiten, die das Problem der Einheitlichkeit behandeln, vorwirft, daß sie zu schnell inhaltlich argumentieren würden.45 Insofern ist einem formalen Zugang grundsätzlich zuzustimmen. Dennoch ist aus mehreren Gründen sein formaler Zugang zum QoheletBuch m.E. problematisch:

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44

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O. Loretz, Anfange (1991), 239. Hier zeigt sich bei O. Loretz eine Änderung bezüglich der Einschätzung griechisch-hellenistischen Einflusses auf Qohelet (vgl. hierzu nicht nur O. Loretz, Qohelet (1964), 56, sondern auch ders., Altorientalische und kanaanäische Topoi (1980), 278). Andererseits beachte man aber auch die Einschätzung von O. Kaiser, Beiträge (1995), 249, Anm.85 bezüglich des topologischen Ansatzes. Gegen metrische Untersuchungen zum Zwecke literarkritischer Operationen wendet sich schon G.A. Barton, A Critical and Exegetical Commentary (21959), 50f, da nur wenig gesichertes Wissen über die hebräische Poesie vorliege. Siehe O. Loretz, Anfange (1991), 225.

Widersprüche und Spannungen im Buch Qohelet

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a) In den Einzelanalysen argumentiert O. Loretz häufig selber vom Inhaltlichen her, wenn er Textteile literarkritisch für sekundär erklärt. Somit hält er seinen eigenen Ansatz nicht durch.46 b) O. Loretz nimmt ein formales Kriterium, nämlich die für ihn relevante Unterscheidung von Prosa und Poesie und setzt dieses Kriterium absolut ohne weitere formal ausgerichtete Kriterien in einen Kriterienkanon aufzunehmen. Selbst wenn man dieses Kriterium in seiner Absolutheit gelten lassen will, muß der zu untersuchende Text diesem Kriterium auch entsprechen. Tut er es nicht, muß man entweder ein anderes Kriterium für die literarkritische Analyse anwenden oder das Kriterium entsprechend der Eigenart des Textes abwandeln (Dialektik zwischen zu analysierendem Text und exegetischer Methode). M E. fehlen solche Überlegungen bei O. Loretz, Die Folge ist, daß O. Loretz mit seinem formalen Kriterium der Unterscheidung von Prosa und Poesie nicht in einen dialektischen Prozeß mit dem jeweilig zu analysierenden Einzeltext eintritt. In diesem Zusammenhang ist bezüglich der Unterscheidung von Prosa und Poesie und ihre Zuordnung zu Qohelet bzw. zu den konservativen Redaktoren auf unklare Formulierungen seitens O. Loretz hinzuweisen, denn einerseits postuliert er immer wieder, daß sich poetische und prosaische Kontexte erheblich in ihren Inhalten unterscheiden bzw. widersprechen und insofern auch unterschiedlichen Autoren zuzuweisen sind47, an anderer Stelle spricht er allerdings davon, daß Qohelet "in globo" nur der Autor der prosaischen Teile des Buches sei bzw., daß der Grundstock der Poesie und der Prosa des Buches Qohelet auf Qohelet selber zurückgehe.48 M.a.W. heißt das doch, daß auch 46

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Als Beispiele für inhaltliche Begründungen literarkritischer Operationen seien nur einige aus Qoh. 1,3-3,15 genannt; siehe hierzu O. Loretz, Anfänge (1991), 231 zu l,7aa (D-n •?«); l,7ba (D^ran);, 237 zu 3,llba.l3.14aa (b'ns'j Π'ΓΓ Kin) 14b.l5b; ders., Poetry (1991), 172 zu 2,24b.26a.ba ("a pious comment"). Als Begründung wird auf A. Lauha, Kohelet (1978), 58f verwiesen, der aber rein inhaltliche Gründe für die literarkritische Ausscheidung von 2,24b-25.26a.ba bringt. Aus den anderen analysierten Texten ließen sich weitere Beispiele beibringen. Siehe O. Loretz, Anfänge (1991), 239: „...Es liegt folglich nahe, Prosa und Poesie als Ausdrucksformen verschiedener Personen und gegensätzlicher Richtungen zu begreifen..." Siehe O. Loretz, "Frau" (1991), 249: „...In diesem Rahmen ist von vornherein auf die Mehrdeutigkeit des Wortes Qohelet in der gegenwärtigen Debatte über die Ein- bzw. Mehrschichtigkeit des Qohelet-Buches zu verweisen. Im folgenden wird hypothetisch angenommen, daß Qohelet in globo nur der Autor der prosaischen Teile des Buches ist und der Großteil der dogmatischen Korrekturen sowie der poetisch formulierten Sprüche in Qoh. 1,2-12,8 aus kommentierender Hand stammen. Man könnte jedoch auch den Gedanken erwägen, daß bei einer Zuschreibung von 1,2-12,8 an Qohelet die prosaische Vorlage einem namentlich nicht mehr bekannten Denker zuzuweisen wäre und nur der Endtext dem Weisen namens Qohelet. Der (Colophon 12,9-11 scheint aber gerade diesem Gedanken entgegenzuwiiken und für die traditionelle Anschauung,

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Qohelet, der sonst in neuer Manier (nach griechisch-hellenistischem Vorbild) g e h o b e n e Prosa schreibt, auch poetische Texte formuliert, zumindest aber ihm vorliegende poetische Vorlagen zitiert. D a aber eine nähere A n a l y s e v o n O. Loretz fehlt, w o denn nun Qohelet selber poetisch arbeitet oder poetische Vorlagen einarbeitet, verliert m.E. das Kriterium der Unterscheidung v o n P o e sie und Prosa für literarkritische Z w e c k e eine M e n g e an Überzeugungskraft b z w . Evidenz.'' 9 c) O. Loreiz verwendet als Methode zur Unterscheidung v o n Prosa und P o e s i e die Kolometrie. 5 0 D i e s e Methode, die er nicht nur zur synchronen Strukturanalyse, sondern auch als textgeschichtliche Arbeitsmethode einsetzt, hat er jahrelang an ugaritischen Texten und an älteren poetischen Texten aus der hebräischen Bibel erprobt. M.E. stellt sich aber die Frage, ob diese M e thode der P o e s i e späten Texten der hebräischen Bibel gerecht werden kann, zumal w e n n sie in stilistischer Hinsicht einen hohen Grad an Individualität w i e im B u c h Qohelet aufweisen. Ohne hier in die weitverzweigte und diffizile Diskussion der Poesie in der hebräischen Bibel einzusteigen, scheint mir 0 . Loretz einen festgeprägten, an alten bzw. älteren poetischen Texten der altorientalischen b z w . biblischen Literatur gewonnenen, Poesiebegriff zu haben, den er unreflektiert auf die A n a l y s e des B u c h e s Qohelet anwendet. 51

49

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derzufolge auf Qohelet der Grundstock der Poesie und der Prosa des Buches zurückgeht, zu sprechen..." Zu gänzlich anderen Ergebnissen kommt O. Loretz, Altorientalische und kanaanäische Topoi (1980), 267-278, wo er u.a. nachweist, daß Qohelet durchaus poetische Vorlagen zitiert bzw. selber in poetischer Sprache formuliert. So bestreitet O. Loretz, "Frau" (1991), 254 nicht die Tatsache, daß es aus hellenistischer Zeit literarische Gebilde gibt, in denen Prosa und Poesie wechseln. Wenn nun Qohelet nach O. Loretz in neuer Manier prosaisch formuliert und dabei auf stilistische Eigentümlichkeiten wie dem Prosa-Poesie Wechsel der griechisch-hellenistischen Philosophie zurückgreift, ist es nicht auszuschließen, daß Qohelet selber diesen Wechsel funktional in seiner Argumentation einsetzt, d.h. er formuliert nicht nur in Prosa, sondern auch in Poesie bzw. greift auch poetische Vorlagen zurück (Hier setzt u.a. auch die Kritik von A.A. Fischer, Skepsis (1997), 138-144 an O. Loretz' Deutung von Qoh.9,7-9* als Zitat der konservativen Redaktion an). Um hier Klarheit zu bekommen, wäre eine vergleichende Stiluntersuchung notwendig, die bei O. Loretz aber fehlt. Aber auch die konservative Redaktion scheint nicht nur in Poesie zu formulieren, denn, wenn nach O. Loretz, Anfänge (1991), 237 das Gedicht Qoh.3,2-8 eine inhaltliche Verdeutlichung zu Qoh.2,26 darstellt (2,26 stellt eine redaktionell eingefügte Prosastelle eines frommen Kommentators dar), folgt bei einer vorausgesetzten redaktionellen Einbindung der poetischen Einheit Qoh.3,2-8 durch eine konservativpoetische Redaktion daraus, daß diese Redaktion in Hinblick auf Qoh.2,26 nicht nur poetische Texte, sondern auch Prosa-Texte in die Prosa-Schrift des Qohelet einfügt. Zur Kolometrie als Methode zur Analyse poetischer Texte siehe O. Loretz, Kolometrie (1986), 249-266; ders.lKottsieper, Colometry (1987). "Unreflektiert" meint hier, daß "Vermutungen/Annahmen" nicht am Anfang einer so weitreichenden Entscheidung stehen können, wie O. Loretz diese für seinen PoesieBegriff trifft (vgl. O. Loretz, Poetry (1993), 157). Will man mit der kolometrischen

Widersprüche und Spannungen im Buch Qohelet

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d) Mehrfach wurde schon erwähnt, daß 0. Loretz die Unterscheidung von Prosa und Poesie als textgeschichtliches Kriterium absolut setzt. Hier liegt m.E. ein wesentlicher Schwachpunkt in seiner Argumentation vor, denn 0 . Loretz geht von der Voraussetzung aus, daß, bei aller Individualität des Qohelet-Buches, bisher zu sehr der persönliche Stil von den "Unitariern" als Lükkenbüßer herangezogen wurde, wo eigentlich literarkritisch gearbeitet werden müßte. Deswegen muß das Buch Qohelet auch in einem größeren historischen, sprachgeschichtlichen und sozialen Kontext eingeordnet werden.52 Doch diese an sich richtige Voraussetzung wird dadurch wieder problematisch, daß keine eingehende stilistische Analyse, die die Individualität des Buches kennzeichnet, diesem Untersuchungsfeld vorgeschaltet bzw. in Korrelation dazu gebracht wird. Dabei liegen seit jüngerer und jüngster Zeit wichtige syntaktischstilistische und formgeschichtliche Arbeiten vor, die in dieser Frage weiterhelfen." Zu dieser Thematik seien zwei wichtige Anmerkungen gemacht: 1. Zunächst müßte 0. Loretz in seinen an der Unterscheidung von Poesie und Prosa ausgerichteten Analysen genauer bestimmen, was er unter der poetischen Größe cbfflü versteht.54 Im Gegensatz zu O. Loretz zeigen die formkritisch und formgeschichtlich ausgerichteten Arbeiten, daß Qohelet selber poetische Weisheitssprüche zitiert, überarbeitet, poetisch oder prosaisch weiterführt

52 53

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Methode an Qohelet arbeiten, muß vorab geklärt werden, inwiefern bei einer Genese der Poesie traditionelle Elemente erhalten bleiben (Konstante im Poesie-Begriff) und neue Elemente hinzukommen (Variante im Poesie-Begriff). M.E. gibt es eine Geschichte der Poesie in der hebräischen Bibel, wobei z.B. Sirach, der seine Poesie stark an traditionell vorgegebene Struktuiprinzipien ausrichtet (vgl. P. W. Skehan/A.A. Di Leila, The Wisdom (1987), 63-74), hier nicht als Gegenargument angeführt werden kann, da er auch inhaltlich sein Werk als "summa" der Tradition versteht (vgl. J. Marböck, Das Buch Jesus Sirach (1995), 290f). Aber selbst wenn man eine Geschichte der Poesie verneint, müßte vorab geklärt werden, wie Qohelet die traditionellen Strukturprinzipien der Poesie in seinen Texten umsetzt, d.h. es müßten zuerst formgeschichtliche bzw. stilistische Analysen am Buch Qohelet erfolgen. Siehe O. Loretz, Anfänge (1991), 241. Neben den formgeschichtlichen Arbeiten von F. Eilermeier, Qohelet (1967) und R.F. Johnson, A Form Critical Analysis (1973), seien die syntaktischen Studien von B. Isaksson, Studies (1987) und A. Schoors, The Preacher (1992) genannt. Syntaktischstilistische und formgeschichtliche Analysen liegen auch in D. Michel, Untersuchungen (1989) vor. Siehe O. Loretz, Poetry (1993), 158f. Zur Diskussion um den Terminus btdn siehe ausführlich Chr. Klein, Kohelet (1994), 16-39. Daß Qohelet selber poetische Einheiten zitiert, überarbeitet oder formuliert, kann eine eingehende Untersuchung zu Qoh. 12,9-11 zeigen, auch wenn hier nach A.A. Fischer eine idealtypische Beschreibung Qohelets im "Fachjargon der Schule" vorliegen sollte; siehe A.A. Fischer, Skepsis (1997), 26. Anders die Deutung von Qoh. 12,9-11 durch O. Loretz, Poetry (1993), 162.

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bzw. verfremdet oder kommentiert (zustimmend / relativierend/kritisierend).55 Damit wird aber das textgeschichtliche Argument, daß poetische und prosaische Texte nur in zeitlicher Abfolge, nämlich im Verhältnis von Vorlage und konservativer Kommentierung verstehen werden dürfen, aus formkritischer und formgeschichtlicher Sicht in Frage gestellt. 56 Nicht der Prosa-Text, der auf Qohelet selber zurückgeht, wird später poetisch umgedeutet, ohne daß es im Rahmen dieser Korrektur zu einem kritischen Dialog kommen würde (der findet vielleicht erst im Kopf des Lesers statt), sondern Qohelet zitiert älteres Spruchgut und setzt sich mit diesem argumentativ auseinander, so daß sich ein kritischer Dialog mit den überkommenen weisheitlichen Traditionen aufgrund der herrschenden griechisch-hellenistischen Situation ergibt.57 2. Da die Kolometrie nicht in syntaktisch-stilistische bzw. formkritische Überlegungen eingebunden ist, kommt es m.E. auch zu Ungenauigkeiten bzw. daraus folgenden Fehlinterpretationen über Prosa und Poesie im QoheletBuch. 58 Als Beispiele seien einige Verse aus Qoh.1,3.4-11 genannt: Ohne nähere syntaktisch-stilistische und formkritische Untersuchungen zu machen, teilt 0 . Loretz Qoh. 1,4-11 in 1,4-8 (Poesie) und 1,9-11 (Prosa) ein, zwei Textab55

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Siehe hierzu im Einzelnen die auf ältere formgeschichtliche Ergebnisse aufbauenden Analysen von Chr. Klein, Kohelet (1994): zu den Kunstsprüchen , 68-80; zu den Sprichwörtern , 80-95; zu den ρ aiti-Sprüchen , 95-105; zu den Mahnworten , 105114; zum Resümee , 157-159. Siehe hierzu das Resümee von R.F. Johnson, A Form Critical Analysis (1973), 276: „...It has been shown that the sayings in Ecclesiastes constitute an important element of rhetoric and thus aid Qohelet in the presentation of his reflections and experiences. These sayings must be considered as elements of larger units. It is, therefore, unlikeley that such sayings would have been added by a later editor after the firstperson report units had been already assembled. There is, thus, sufficient literary and conceptual evidence to show that the sayings in Ecclesiastes belong to the earliest stage in the composition of the book. In some cases, vocabulary and style indicate that Qohelet has added clauses and phrases to adapt the sayings to his distinctive thought. Unless such concrete literary evidence is present, it is impossible to determine whether Qohelet coined these sayings, himself, or appropriated them from other collections..." Zu den Schwierigkeiten, zitiertes Spruchgut von selbst formulierten Sprüchen Qohelets zu unterscheiden siehe u.a. R. Gordis, Quotations (1939/40), 123-147; ders., Koheleth (31968), 100; R.F. Johnson, A Form Critical Analysis (1973), 65; R.N. Whybray, The Identification (1981), 435f; Spangenberg, Quotations (1991), 19-35. Wenn man aufgrund derselben Methode (Kolometrie) zu entgegengesetzten Ergebnissen bezüglich der Einteilung in Prosa und Poesie kommt, sollte dies zumindest ein Hinweis dafür sein, daß diese Methode allein für die Textanalyse nicht ausreicht und weitere methodische Arbeitsschritte hinzukommen müssen. So werden z.B. in O. Loretz, Altorientalische und kanaanäische Topoi (1980) die Verse 3,13.22a; 7,29 und 9,10 poetisch aufgefaßt, während sie in O. Loretz, Poetry (1993) eindeutig als Prosa eingestuft werden.

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schnitte, die sich nach ihm nicht nur formal, sondern auch inhaltlich widersprechen sollen.59 Ich wende mich dem Abschnitt Qoh. 1,9-11 zu und möchte mit Hilfe einer zu der kolometrischen Analyse hinzukommenden syntaktischen Beobachtung (Pendenskonstruktion) den Leser für den Text sensibilisieren und zeigen, daß in Qoh. 1,9-11 durchaus Poesie vorliegt (Qoh. 1,9) bzw. der Übergang von Poesie zu Prosa in Qohelet "fließend" sein kann (Qoh. 1,11). Qoh.1,9: 1, 9a: ¡ΤΓΡΒ ton // RRNTI RRA 9b: ntos-tí xin //ntosmi nm 9c: ώηώπ nnn snn Ss yw

14 16 16

Übersetzung: 1, 9a: Das-was(bisher immer gewesen)-ist - das wird wieder sein 9b: und das-was(bisher immer)-geschehen ist - das wird wieder geschehen 9c: und nichts Neues unter der Sonne. Für Qoh. 1,9 ergibt sich eine bikolare (l,9a.b) und eine monokolare (1,9c) Struktur, wobei das Bikolon einen synonymen Parallelismus bildet.60 Möglich wäre auch ein Trikolon, wobei Qoh.l,9a-b zu 1,9c in einem synthetischen Verhältnis stehen würde. Syntaktisch wird zumindest für l,9a-b die Einschätzung als Poesie unterstützt, denn es ergeben sich zwei parallele Pendenskonstruktionen: Pendierendes Subjekt (indeterminierte Nominalgruppe η'Πβί nn bzw. ncjyaui HD) wird pronominal (selbständiges Personalpronomen Kin) im sich asyndetisch anschließenden verbalisierten Nominalsatz bzw. invertierten Verbalsatz aufgenommen. 61 Qoh. 1,11 1, IIa: IIb: 11c: lld: lie:

D-jiatrò yror -ρκ c n n t ò or "ΓΓΓώ // p-Dî o r ò ΓΡΓΡ π π π ί ό vrpffl as

Übersetzung: 1, IIa: Kein Gedenken an die Früheren/Vorfahren. 59 60

61

Siehe O. Loretz, Poetry (1993), 163-167 (bes. 166f). Da sich in Qoh. 1,8 entsprechend den formalen Kriterien von Lexementsprechung und paralleler Syntagmenfolge die Einteilung in ein Monokolon (l,8aa: 13) und ein Trikolon (l,8aß.b: 13/14/14) ergibt, würde es sich nahelegen, daß die beiden Monokola aus Qoh. 1,8 und 1,9 eine rahmende Funktion für Qoh. 1,8-9 haben. Zum syntaktischen Phänomen der Pendenskonstruktion siehe grundsätzlich W. Groß, Die Pendenskonstruktion (1987).

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lib: 1 lc: 1 ld: 1 le:

Aber auch für die Nachfolgenden, die (nach ihnen) sein werden nicht wird für sie ein Gedenken sein bei denen, die danach sein werden.

Qoh.1,11 ist m.E. ein Beispiel für den "fließenden" Übergang von Poesie zu Prosa in Qohelet, wobei die Prosa nach formal-poetischen Gesichtspunkten durchgestaltet ist62: Statt eines einfachen Bikolons (D^tim1? ]ΤΊ3Τ f x // c m r o ò γπ3ί -ρκι) gestaltet Qohelet das 2. Kolon in eine Pendenskonstruktion um. Für eine Pendenskonstruktion in 1,1 lb-d sprechen m.E. folgende sprachliche Sachverhalte: D'Jiniò ist markiertes Pendens und wird durch die Partikel D3 eingeführt. Zwischen Pendens und zugehörigem Verbalsatz ist ein verkürzter Relativsatz eingeschoben (vrrai). Der zugehörige Satz fügt sich asyndetisch an den verkürzten Relativsatz an. Das markierte Pendens wird im zugehörigen Verbalsatz pronominal aufgenommen (Prädikatskomplement). An erster Position steht rrrr >0, die verbale Variante zu "pH in 1,11a. Erweitert ist der Verbalsatz durch die Präpositionalverbindung Di? + Relativsatz, wobei der Relativsatz adverbial näherbestimmt wird durch die Verbindung Π31Πίό. Daß Qohelet anstelle eines Bikolons hier das 2. Kolon in eine Pendenskonstruktion auflöst, liegt daran, daß er aufgrund der betonten Voranstellung von B r u t t ò eine schärfere Konstrastierung erhält als dies in einem Bikolon möglich wäre. 63 Die stärkere Kontrastierung kann Qohelet dann argumentativ einsetzen gegen Vertröstungen, die z.B. meinen, daß es einem selber und seinem Andenken anders ergehen wird als den Vorfahren und ihrem Andenken. Dieses kleine Textbeispiel (Qoh.1,11) soll nicht nur zeigen, daß es notwendig ist, die kolometrische Methode in syntaktisch-stilistische und formkritische Überlegungen einzubeziehen, um die Feinheiten des Textes herauszuarbeiten, sondern es zeigt auch, daß es in Qohelet "fließende" Übergänge zwischen Poesie und Prosa geben kann. Daraus ergibt sich aber die Frage, ob die von 0. Loretz vorgenommene absolute Gegenüberstellung von Poesie zu Prosa für Qohelet so noch Gültigkeit hat und ob eine darauf sich stützende Analyse (Kolometrie in absoluter An62 63

In Qoh.l,lla-d liegt ein Chiasmus vor (Α Β Β' A'), der in l i e durch das Glied C fortgeführt wird, siehe F. Rousseau, Structure (1981), 206f. Was sich hier in poetologischer Hinsicht zeigt, nämlich die Auflösung tradierter Poesie-Strukturen, ist in formgeschichtlicher Hinsicht auch an vielen anderen Stellen im Qohelet-Buch zu beobachten; vgl. hierzu Chr. Klein, Kohelet (1994), 157-159.

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wendung) dem Text gerecht werden kann " Um zu einem abschließenden Urteil zu kommen, bedarf es einer ausführlichen Analyse, die die Möglichkeit solcher "fließender" Übergänge umfassend klärt. e) Die stilistisch-syntaktischen und vor allem die formgeschichtlichen Arbeiten berücksichtigen bei der syntaktischen Analyse bzw. der Herausarbeitung der formgeschichtlich primären Einheiten die Textstruktur und damit die im jeweilig zuvor abgegrenzten Einzeltext vorliegende Argumentationsstrategie65 Hier ist vor allem noch einmal auf F. Ellermeier mit seiner unterschiedlichen Kategorisierung der "Reflexionen" hinzuweisen, auf die andere Arbeiten, teils kritisch, aufbauen. In den Textanalysen von O. Loretz fehlen aber notwendige Einzelanalysen zur Textdelimitierung und Textstrukturierung. Einige Beispiele seien kurz angeführt66: 1.

2.

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65

66 67 68

So liegt mit Qoh. 1,1-3,22 ein erster Textbereich vor, den O. Loretz analysiert, ohne aber die Frage zu diskutieren, ob z.B. Qoh. 1,3 zum nachfolgenden Text Qoh. 1,4-11 gehört oder ob Qoh. 1,3 vielleicht als Leitfrage einer größeren Texteinheit fungiert.67 Auch die hintere Abgrenzung, ob in Qoh.3,15 oder in 3,22 das Ende der ersten Teilkomposition vorliegt, wird nicht diskutiert.68 Innerhalb dieses ersten Textbereichs löst 0. Loretz weitere Textpartien aus ihrem literarischen Kontext heraus, z.B. Qoh. 1,12-2,3.

An anderen Stellen hat man den Eindruck, daß 0. Loretz in seiner Text-Rekonstruktion poetische Texte konstruiert. Als Beispiele sollen Qoh. 1,6 und 7,26 dienen: Um eine poetische Struktur zu erhalten (trotz "Prosaanzeiger" wie rix oder muß O. Loretz in 7,26 bei zwei hypothetisch rekonstruierten Bikola annehmen, daß jeweils ein Kolon (durch redaktionelle Einfügung?) verloren gegangen ist. Er drückt dies durch "..." aus (siehe O. Loretz, Poetry (1993), 180-184). Durch Verwendung von Spitzenklammern (< >) drückt O. Loretz für Qoh. 1,6 seine Vermutung aus, daß ein Wort (nnn) versehentlich ausgelassen wurde und ergänzt werden muß (siehe O. Loretz, Poetry (1993), 165). Damit wird die zweite Aufgabenstellung, die W. Zimmerli der Qohelet-Exegese gestellt hat, nämlich die Frage nach der Kombination von formgeschichtlich primären Einheiten im Rahmen einer im Einzeltext vorliegenden Argumentationsstruktur, eingelöst, vgl. W. Zimmerli, Das Buch Kohelet (1974), 230. Ich beziehe mich im folgenden auf O. Loretz, Poetry (1993). Siehe hierzu die ausführlichen Analysen für Qoh. 1,3 von Th. Krüger, Theologische Gegenwartsdeutung (1990), 15ff. Nach O. Loretz, Poetry (1993), 158 ist eher ein pragmatischer Grund für die Ausgrenzung von Qoh.1,1-3,22 anzunehmen, denn er möchte im Gegensatz zu den "Unitariern" nachweisen, daß in der von ihnen angenommenen ersten Teilkomposition Qoh. 1,3-3,15 (bzw. 3,22) keine Einheitlichkeit in formaler wie inhaltlicher Hinsicht vorliegt, weil hier wie im übrigen Buchkorpus redaktionelle Bearbeitungsschichten vorliegen.

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In der Qohelet-Exegese ist es Konsens, daß mit Qoh.1,12 die Königstravestie beginnt. Gegen eine Abgrenzung mit Qoh.2,3 sprechen aber vor allem die Stichwortbezüge zu Qoh.2,4ff.69 Einziges Kriterium für die Abgrenzung scheint der Wechsel von Prosa zu Poesie zu sein, der im Übergang von 2,3 zu 2,4 vorliegt. Folglich beschränken sich die Beobachtungen zur Textstruktur auf die Verteilung von Prosa und Poesie im analysierten Text. 3.

Für Qoh.2,9-26 gilt die gleiche Beobachtung: Kriterium für die Abgrenzung (nach vorne und nach hinten) ist der Wechsel von Poesie zu Prosa bzw. von Prosa zu Poesie. In der Zusammenfassung zur Struktur des Textabschnitts werden nur der Wechsel von Prosa und Poesie und die redaktionellen Textteile aufgeführt, die die Argumentation nach Meinung von O. Loretz unterbrechen. Das Gleiche gilt für die Analyse von Qoh.3,1-15, wobei allerdings auffallt, daß hier trotz des Wechsels von Poesie zu Prosa, Qoh.3,1-15 als zusammenhängende Texteinheit analysiert wird.

Diese Beispiele mögen genügen. Sie zeigen, daß der Wechsel von Prosa und Poesie alleiniges, ausschlaggebendes Argument für die Textabgrenzung und Textstrukturierung bildet. Die prosaischen Textteile werden nicht weiter auf Struktursignale formaler und inhaltlicher Art analysiert. So kommt O. Loretz m.E. zu einer falschen Schlußfolgerung: "...From the sections of the Book of Qoheleth presented and commented on here it can deduced with sufficient certainty that in this work, ascribed in 1:1-3 and 12:8-14 to a certain wise man, Qoheleth, sections in both verse and prose are intermixed and interwoven with no evident principle..."70

Die formgeschichtlichen Arbeiten, angefangen von F. Eilermeier über Johnson bis zu Klein, zeigen m.E. sehr deutlich, daß der Wechsel von Prosa und Poesie und damit die Stellung des weisheitlich-poetischen Spruchgutes alles andere als ohne Prinzip erfolgt.71 Analysiert man mit Hilfe weiterer stilistischer und formkritischer Kriterien die jeweiligen prosaischen Textteile, würde sich zeigen, daß die poetischen Sprucheinheiten integrale Bestandteile des Textes und seiner Argumentationsstrategie darstellen (Wechselbeziehung zwischen poetischer Einheit und prosaischem Kontext), so daß die diachrone Erklärung einer späteren, redaktionellen Einfügung der poetischen Einheiten nicht überzeugt. 69 70 71

Siehe hierzu die ausführlichen Beobachtungen auf der Textoberfläche durch L. Schwienhorst-Schönberger, Nicht im Menschen (1994), 60-68. O. Loretz, Poetry (1993), 188. Siehe u.a. R.F. Johnson, A Form Critical Analysis (1973), 195-200.269-289.

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f) Bezüglich der von O. Loretz postulierten konservativ-poetischen Redaktion, die traditionelle Weisheitssprüche als Korrektur zu den kritischen Äußerungen des in der neuen Prosa schreibenden Qohelet zitiert, bleiben einige wichtige Fragen offen, die O. Loretz in seinen bisherigen Veröffentlichungen noch nicht beantwortet hat. So fehlt vor allem eine soziologische Verankerung der konservativen Gruppe, die Träger der poetischen Redaktion ist. Weiter ist zu fragen: Handelt es sich in ihren Anschauungen um eine homogene Gruppe oder lassen sich verschiedene Richtungen "herausfiltern", die sich zwar grundsätzlich in einer apologetischen Haltung zum Hellenismus befinden und auf diese Weise dem "Zeitgeist" begegnen, inhaltlich aber zu bestimmten Themen, z.B. zum Thema "Frau" unterschiedliche oder gegensätzliche Meinungen vertreten.72 Hinzu kommt die Beobachtung, daß O. Loretz neben dieser durchgehenden konservativ-poetischen Redaktion noch eine punktuell arbeitende Glossierung annimmt. Hier bleibt allerdings einerseits offen, wie sich die Glossatoren zu den Grundaussagen Qohelets verhalten und andererseits, wie sie sich zu den Trägern der konservativ-poetischen Redaktion verhalten. Problematisch in diesem Zusammenhang sind die unter der Überschrift "Glosse" subsumierten literarkritischen Begriffe wie "Zusatz", "Glosse", "Wiederholung", "Kommentar", da einerseits ihr begriffliches Verhältnis zum postulierten Oberbegriff "Glosse" nicht geklärt ist (der Begriff "Glosse" taucht auch als Unterbegriff wieder auf) und andererseits die verwendeten Unterbegriffe eine nähere literarkritische Definierung benötigen. g) O. Loretz sieht ein Ineinander von Prosa und Poesie im Qohelet-Buch vorliegen ("Amalgam"), wendet sich aber gegen eine synchron ausgerichtete Deutung, wie sie z.B. N. Lohfink mit dem formgeschichtlichen Argument des ποικίλόμετρον versucht" Abgesehen davon, daß 0. Loretz von seinem Grundansatz her gar nicht soweit von der Position Lohfinks entfernt ist, insofern sich ja Qohelet vom Sprachstil der griechisch-hellenistischen Philosphie beeinflußen ließ, hat das negative Urteil von O. Loretz gegen das formgeschichtliche Argument des

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In der Analyse von Qoh.7,23-8,1 hält O. Loretz,"Frau" (1991), 249-252 Qoh.7,26 und 7,28 für zwei sekundär eingefügte Kommentare, wobei aber der Kommentar in 7,28 die misogyne Auffassung in 7,26 kritisch beurteilt. Hier scheint es in der konservativpoetischen Redaktion bezüglich der "Frau" gegensätzliche Auffassungen zu geben. O. Loretz konstatiert dies, gibt aber leider keine Erklärung für dieses sich durch seine kolometrische Analyse ergebende Phänomen ab: „...In any case, the remarks in 7.28.1-7.28.3 show that even commentators were not averse to criticising tradition and the work of members of their guild..."(0. Loretz, Poetry (1993), 185). Siehe Ν. Lohßnk, Kohelet (41993), 9f; ders., Das "Poikilometron" (1990), 19; Th. Krüger, Theologische Gegenwartsdeutung (1990), Slf.

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ποικιλόμίτρον keine Beweiskraft, solange nicht eine monographische Abhandlung zu Qohelet und dem Stil der Diatribe vorliegt.74 Zwar gibt es in jüngeren Publikationen zu Qohelet einige kursorische Hinweise hierzu", aber eine Entscheidung kann letztlich nur eine vergleichende Stiluntersuchung bringen.76 2.3 Resümee Zieht man ein Resümee aus der Darstellung und der kritischen Einschätzung des literarkritischen Lösungsansatzes von 0. Loretz, lassen sich aus der zu beobachtenden isolierten Anwendung der kolometrischen Methode im Rahmen der Unterscheidung von Poesie und Prosa drei Problembereiche erkennen: α) Bezüglich der kolometrischen Methode stellt sich immer wieder die Frage, ob sie dem Text des Qohelet-Buches gerecht wird, welches ja einerseits im Kontext einer späten hebräischen Poesie steht und andererseits "fließende" Übergänge von Poesie zu Prosa zeigt. Ist eine Methode, die bislang vor allem an alten bzw. älteren poetischen Texten des Alten Orients und der hebräischen Bibel erprobt wurde und auf eine klare Unterscheidung zwischen Prosa und Poesie aufbaut, der adäquate Zugang zu einem in formaler und inhaltlicher Hinsicht eher individuell gestaltetem Buch? ß) Hier schließt sich auch die notwendige Problematisierung der Begrifflichkeit von "Poesie" und "Prosa" an. Eine solche Problematisierung fehlt in den Publikationen von 0. Loretz zu Qohelet bislang. Man vermißt eine dialektische Beziehung zwischen Methodik und Text77, denn auch die Methodik der Kolometrie, die ja einen bestimmten Begriff von "Poesie" impliziert, muß sich in ihrer Relevanz durch den zu analysierenden Einzeltext anfragen und überprüfen lassen. Wenn aber von vornherein feststeht, daß nur die Kolometrie mit ihrem Begriff von Poesie der einzig adäquate Zugang zu poetischen Texten ist, ganz egal welcher Sprach- und Zeitstufe die Texte angehören, dann bekommt man bei einer solchen un-

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Wenn O. Loretz, Poetry (1993), 184, Anm.72 schreibt: „...In addition it must be noted that Menippos created new literary forms whereas in the Book of Qoheleth the switch between verse and prose runs erratically...", so kann dieses Urteil durch die oben genannten formgeschichtlichen Studien widerlegt werden. Siehe L. Schwienhorst-Schönberger, Nicht im Menschen (1994), 247-250; Chr. Klein, Kohelet (1994), 163f. Vergleiche hierzu im neutestamentlichen Bereich (Paulus und diatribischer Stil) die ausführliche Studie von Th. Schmeller, Paulus (1987). Siehe O. Kaiser, Beiträge (1995), 6, Anm.13: "...Literarkritik und Vorverständnis lassen sich grundsätzlich nicht voneinander trennen, sondern können nur in ein dialektisches Verhältnis eintreten, durch das sich das Verständnis des Exegeten den selbstverständlichen Denkvoraussetzungen des Textes angleicht..."

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dialektischen Anwendung der Methode ein Ergebnis, welches die Methodik in ihrer vorgeprägten Begrifflichkeit von Poesie bereits schon enthält. Einem solchen Zirkelschluß kann man entgehen, indem sich einerseits die angewandte Methodik auf ihre Adäquatheit durch den Einzeltext anfragen und überprüfen läßt und andererseits, indem man der kolometrischen Methode weitere Kriterien der Textanalyse an die Seite stellt. Damit sind wir beim dritten Problembereich angelangt, γ) In den Publikationen von 0. Loretz vermißt man einen Methodenkanon, der auf die Analyse von Einzeltexten jeweils abgewandelt werden kann. So fehlen neben der Kolometrie Untersuchungen zur Syntax, zum Stil und zur Formgeschichte, die für die Herausarbeitung der Poesie im QoheletBuch unbedingt notwendig sind. Auch wird von 0. Loretz der Kolometrie in textgeschichtlicher Hinsicht eine Beweiskraft eingeräumt, die m.E. dieses Kriterium allein nicht führen kann. Somit steht der literarkritische Lösungsansatz von O. Loretz, soweit er in den Publikationen bislang zu greifen ist, auf schwachen Füßen. Von diesem Lösungsansatz ist aber die literarkritische Fragestellung zum Buch Qohelet zu trennen. Sie ist m.E. weiterhin offen zu halten. Was eine solche literarkritische Fragestellung allerdings berücksichtigen sollte und in welche Richtung sie möglicherweise gehen könnte, möchte ich abschließend kurz aufzeigen. 3. Ausblick Der Ausblick enthält Überlegungen, die nicht nur für den Exegeten Gültigkeit haben soll, der literarkritisch an Qohelet arbeitet, sondern auch für diejenigen Gültigkeit beansprucht, die andere Lösungsansätze zur Erklärung der Widersprüche und Spannungen vertreten. a) Die kritische Darstellung des Lösungsansatzes von O. Loretz hat gezeigt, daß man sich, bevor man an die Einzeltextanalyse geht, über das Methodeninstrumentar, welches eingesetzt werden soll, im klaren sein muß. Methodische Einseitigkeiten können bei einem literarkritischen Lösungsansatz verhindert werden, wenn Kriterien mit in das Methodenkonzept aufgenommen werden, die in den zwei übrigen Grundmodellen zur Erklärung der Widersprüche und Spannungen Anwendung finden. So sind syntaktische und stilistische Untersuchungen notwendig, damit nicht synchron zu erklärende Texteigenschaften ( Widersprüche und Spannungen sind im Rahmen einer argumentativen Auseinandersetzung zu erklären) fälschlicherweise diachron gedeutet werden ( Widersprüche und Spannungen sind im Rahmen einer korrigierenden Redaktion zu verstehen). Wenn die Entscheidung in der Einzelanalyse für die synchrone oder diachrone Erklärung gefallen ist, sollte man mit der nicht gewählten Erklärungsweise immer eine Gegenprobe durchführen.

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In Zweifelsfällen ist bei der Einzelanalyse 2x1 fragen, welche Erklärung weniger kompliziert und einsichtiger ist (Wieviel exegetische Zwischenargumentation ist zur Aufrechterhaltung des Lösungsansatzes notwendig?). Hinzu kommen formkritische Analysen, um z.B. weisheitliches Spruchmaterial vom prosaischen Kontext abzuheben und um die Textstruktur herauszuarbeiten. Hier wendet der Literarkritiker die gleichen Kriterien an wie z.B. der Vertreter der Zitatentheorie, auch wenn das am Text Beobachtete in einem zweiten Schritt verschieden interpretiert wird. In der Diskussion um die Textabgrenzung könnte der literarkritisch arbeitende Qohelet-Exeget auf Beobachtungen aus formgeschichtlichen Arbeiten zurückgreifen, die z.B. wie bei F. Eilermeier und Chr. Klein dem Sentenzenmodell zuzurechnen sind.78 Weiter gilt zu beachten, daß im Rahmen der Einzeltextanalyse grundsätzlich die jeweilige Argumentationsstruktur zu berücksichtigen ist.79 So schließen sich folgende Fragen an: Wo ist die Argumentation für den Leser nachvollziehbar? Wo ergeben sich innerhalb der Argumentation vom Text her Widersprüche und Spannungen? Hier hat sich der Leser die Frage zu stellen, ob diese Widersprüche und Spannungen auch textlich z.B. auf formaler Ebene zu fassen sind oder ob sich diese Widersprüche und Spannungen eher in seinem Kopf "abspielen". Sollte letzteres zutreffen, müßte der Leser seine Lesererwartung überprüfen und fragen, woher diese Erwartung kommt und ob es überhaupt im vorliegenden Text Signale gibt, die dieser Lesererwartung entsprechen oder ob er sie unreflektiert zu Beginn des Lesevorgangs an den Text herangetragen hat und sie in den Text "hineinliest"? Lassen sich allerdings die Widersprüche und Spannungen textlich nachweisen, muß man fragen, ob diese textlich greifbaren Widersprüche und Spannungen sich durch den fortlaufenden Lesevorgang semantisch auflösen oder ob sie bestehen bleiben? Diese soeben formulierten Fragen sollen für das Phänomen "Text" sensibel machen. Damit sind wir von der Methodendiskussion zur Diskussion um das Phänomen "Text" gewechselt und sind bei der zweiten Überlegung angelangt

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Siehe hierzu das Urteil von Chr. Klein bezüglich der Gattungsfrage für das QoheletBuch, Chr. Klein, Kohelet (1994), 166: „...Das Buch Kohelet ist eine formgeschichtliche Größe sui generis, weil es zwei weisheitliche Gattungen, die Spruchsammlung und die Weisheitslehre, zu einer spannungsvollen Einheit verbindet. Kohelet nutzt die einzige aus dem Alten Orient bekannte Möglichkeit, eine Sammlung von Einzelsprüchen mit einem zusammenhängenden Text zu verbinden. Er läßt erstere durch letzteren umrahmen..." Der literarkritisch arbeitende Qohelet-Exeget setzt in Anlehnung an das Sentenzenmodell mit seiner Analyse wie die Vertreter der übrigen Modelle am zuvor ausgegrenzten Einzeltext an, ganz egal, zu welchen kompositorischen Interpretationen er auch (im Unterschied zu den übrigen Modellen) gelangen mag.

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b) Jeder Qohelet-Exeget, ob Literarkritiker oder Vertreter eines anderen Lösungsansatzes bezüglich der Widersprüche und Spannungen, hat sich vor der Einzelanalyse die Frage zu stellen: "Welchen Text will ich analysieren?" Diese Fragestellung impliziert, daß es neben einem produktions-orientierten Textverständnis auch ein rezeptionsorientiertes Textverständnis gibt, nach dem die Konstituierung des Textes und seiner Bedeutung erst durch die Mitarbeit seines Lesers geschieht. 80 So formuliert Th. Krüger die Aufgabenstellung einer rezeptionsorientierten Textanalyse wie folgt: "...Wir werden demnach bei unseren Analysen der Texte des Kohelet-Buchs mindestens mit der Möglichkeit zu rechnen haben, daß sie in ihrer argumentativen 'Strategie' einen hohen Grad interpretierender Mitarbeit des Lesers voraussetzen. Indiz dafür können v.a. 'Leerstellen' und Uneindeutigkeiten in den Texten sein, die den Leser zur Interpretation herausfordern, aber auch Anspielungen auf traditionale Konzepte und kodifizierte Traditionen sowie mögliche Positionen im Kontext der zeitgenössischen Diskussion der Themen, die in den Texten behandelt werden. So wäre es z.B. möglich, daß 'Zitate' von einem zeitgenössischen Leser auch ohne explizite Markierung problemlos identifiziert werden konnten, weil sie ihm als selbstverständlicher Bestandteil seines 'Weltwissens' vertraut waren. Neben solchen Elementen der Argumentation, durch die eine Mehrzahl von Inteipretations-Möglichkeiten eröffnet wird, werden wir aber auch auf Elemente zu achten haben, die die interpretative Mitarbeit des Lesers in eine bestimmte Richtung leiten und so ihren Spielraum begrenzen. Hier werden neben der Struktur einzelner Text-Einheiten möglicherweise auch Querverweise und 'Selbstzitate' eine Rolle spielen, die auf eine kohärente Gesamt-Konzeption des Buch-Ganzen hindeuten könnten..."81 Im Rahmen eines solchen rezeptionsorientierten Textverständnisses, können Widersprüche und Spannungen eine neue, textkonstituierende Funktion bekommen, indem sie nicht diachron als störende Textelemente aus dem Text ausgeschieden werden, sondern als vom Text-Autor bewußt in die fortlaufende Argumentation des Textes eingesetzte "Signale" verstanden werden, damit Lesererwartungen, die zunächst durch Uneindeutigkeiten und inhaltliche Anspielungen auf traditionelle Konzepte und damit auf das überlieferte Erfahrungswissen bzw. die Meinungen des Lesers geweckt werden, durchkreuzt werden. Die Widersprüche und Spannungen haben also textlich gesehen eine

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In diesem Zusammenhang ist Th. Krüger, Theologische Gegenwartsdeutung (1990) zu nennen, der für seine Textinteipretationen den rezeptionsorientierten Ansatz wählt (3). Zur theoretischen Grundlegung dieses Ansatzes siehe neben Th. Krüger, Theologische Gegenwartsdeutung (1990), 48-51 auch E. Gülich/W. Raíble, Linguistische Textmodelle (1977), 280-305; Th. Lewandowski, Linguistisches Wörteibuch 3 (1985), 1114-1115.1121-1123 sowie U. Eco, Lector in fabula (1990), 61ff. Th. Krüger, Theologische Gegenwartsdeutung (1990), 51.

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provozierende Funktion, insofern sie den Leser zu einer "zweiten, reflektierten Lektüre" des vorliegenden Textes auffordern, in der er die in der "ersten, naiven Lektüre" getroffenen interpretatorischen Entscheidungen zurücknimmt bzw. revidiert. Im Rahmen dieser "zweiten Lektüre" entwickelt der Leser für den ihm schriftlich vorliegenden Text eine kohärente Interpretation, d.h. er konstituiert also erst im Prozeß der "zweiten Lektüre" den Text, während er gleichzeitig zu seinem Erfahrungswissen und seiner Meinung in selbstkritische Distanz geht. So folgert Th. Krüger. "...Diese 'argumentative Strategie' des Textes stellt hohe Anforderungen an die Mitarbeit des Lesers. Der Text steht damit dem Prozeß der 'Reflexion' und Erkenntnis-Findung in kritischer Auseinandersetzung mit ('eigenen' und 'fremden') Meinungen näher als deren Ergebnis. In Bezug auf den Leser könnte dahinter das Interesse stehen, ihn nicht so sehr von einer bestimmten, fest umrissenen 'Position' zu überzeugen, sondern ihn zur eigenständigen, kritischen Reflexion verschiedener 'Meinungen' zu befähigen..."82

Für die produktionsorientiert arbeitende literarkritische Einzelanalyse kann das oben beschriebene rezeptionsorientierte Textverständnis mit seiner Analyse-Methode im Rahmen einer methodisch verankerten Gegenprobe angewandt werden, so daß Ergebnisse der Literarkritik entweder gestützt werden, insofern Widersprüche und Spannungen vorliegen, die auch vom rezeptionsorientierten Ansatz her nicht erklärbar sind83, oder hinterfragt werden, dann nämlich, wenn die Widersprüche und Spannungen genauso gut, wenn nicht sogar besser rezeptionsorientiert erklärt werden können. Die Vermittlung bzw. die genaue Abstimmung der beiden Textverständnisse aufeinander bedarf in der literarkritischen Einzelanalyse noch der genaueren methodischen Feinabstimmung84, aber m.E. ist bei methodischer Umsetzung beider Textverständnisse für den literarkritisch arbeitenden Exegeten 82

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Th. Krüger, Theologische Gegenwartsdeutung (1990), 77. Μ Κ Fox, Frame Narrative (1977), 83-106; ders., Qohelet (1989), 311ff kommt entsprechend seinem "framenarrator"-Konzept zu ähnlichen Schlußfolgerungen bezüglich des Kommunikationsgeschehens zwischen dem Qohelet-Buch und seinem Leser. Hier würde sich die Frage nach der Einschätzung der redaktionellen Einfügung anschließen, die für die Argumentationsstruktur des Einzeltextes störend sein kann, die aber im Rahmen einer mehrere Einzeltexte umfassenden redaktionellen Komposition nicht nur vom produktionsorientierten Ansatz, sondern auch vom rezeptionsorientierten Ansatz her erkläibar wäre, wenn der Redaktor als "neuer" Autor verstanden wird, der durch seine Redaktion einen "neuen" Text schafft, der kompositorisch mehrere Einzeltexte umfaßt. Damit sind wir aber schon im Bereich der Komposition. So muß im Rahmen eines literarkritischen Methodenkonzeptes geklärt werden, an welcher Stelle im Ablauf der Analyseschritte das rezeptionsorientierte Textverständnis mit seiner Analyse-Methode als "Gegenprobe" eingesetzt wird. In diesem Zusammenhang ist es u.a. wichtig zu klären, daß für beide Textverständnisse dieselbe Begrifflichkeit für das Wort "Autor" bzw. "Qohelet" verwandt wird.

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ein hoher Grad an gesicherten Ergebnissen gewonnen, die er auch den Vertretern der anderen Grundmodelle vermitteln kann.85 c) Die bisherigen Überlegungen beschäftigten sich vor allem mit einer Methoden- und Textreflexion aus literarkritischer Frageperspektive. Eine solche Reflexion vermisse ich in der redaktionsgeschichtlich ausgerichteten Dissertation von A.A. Fischet, so daß m.E. Fischer zu schnell Textpartien, z.B. seine redaktionellen "Übergangstexte", literarkritisch ausscheidet und für redaktionell erklärt. Da hier aber nicht mehr eine Auseinandersetzung mit seinem Redaktionsmodell geführt werden kann, möchte ich abschließend wenigstens eine kurze forschungsgeschichtliche Einordnung vornehmen: Für A.A. Fischer geschieht wie u.a. für K. Galling und F. Ellermeier die Komposition des Korpus Qoh. 1,2-12,8 nicht durch Qohelet selber, sondern durch den Herausgeber (bei K. Galling mit dem Siegel QR1; bei F. Ellermeier mit dem Siegel Qoh.R1; bei A.A. Fischer mit dem Siegel Koh.Rl versehen), der mit dem Verfasser von Qoh. 12,9-1 la.b(?) identisch ist und der vor die Komposition die Überschrift η^πρ ""m ( l , l a a ) setzt.87 Diese Übereinstimmung ist aber eine bloß formale, denn da nach A.A. Fischer dem Redaktor (= Herausgeber) größere Textkomplexe vorliegen (u.a. der Traktat Qoh. 1,3-3,15), beschränkt sich einerseits die kompositorische Arbeit auf den Textbereich Qoh.3,16-12,7, andererseits verfaßt der Redaktor sogenànnte "Übergangstexte" (Qoh.6,llf; 7,23f; 8,16f), um die von Qohelet verfaßten weisheitlichen Lehrdichtungen und Schultexte sekundär miteinander zu verbinden.88 Im Unterschied dazu erstreckt sich nach K. Galling und F. Ellermeier die kompositorische Arbeit des Herausgebers über den ganzen Textkorpus, da 85

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Das rezeptionsorientierte Textverständnis kann außerdem auch zu einem reflektierteren Verständnis von "Zitat" und "Kommentar" im Rahmen der Zitatentheorie beitragen. Vergleiche hierzu die Textanalyse von Qoh. 8,1-9 in Th. Krüger, Theologische Gegenwartsdeutung (1990), 56-77 (bes. S. 71f). Die Betonung der "zweiten, reflektierten Lektüre" beim rezeptionsorientierten Ansatz könnte vielleicht auch bei den über die Einzeltexte hinausgehenden kompositorischen Fragen hilfreich sein, zumal bei der Diskussion um die Abgrenzung von Teilkompositionen, z.B. der 1. Teilkomposition (Ende in 3,15 oder in 3,22?). Vgl. A.A. Fischer, Skepsis (1997). Vgl. K. Galling, Der Prediger (21969), 76f; F. Ellermeier, Qohelet (1967), 93-124; A.A. Fischer, Skepsis (1997), 33. Während allerdings K. Galling, Der Prediger (21969), 84 und F. Ellermeier, Qohelet (1967), 101 neben Qoh.1,2 und 12,8 auch Qoh. 1,3 dem Herausgeber zuweisen, lehnt dies A.A. Fischer, Skepsis (1997), 11 aus stilistischen Gründen ab. Die metasprachliche Notiz in Qoh.7,27 (nbnp mDK) weist K. Galling, Der Prediger (21969), 108 dem 2. Epilogisten zu (QR2), während bei A.A. Fischer, Skepsis (1997), 19 diese Notiz von Koh.Rl stammt. Hier schließt sich unweigerlich die Assoziation an die Fragmentenhypothese aus der Pentateuchdiskussion an.

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beide ja keinen "Traktat" kennen, wobei aber keine sekundären Texte zu kompositorischen Zwecken (Verklammerung; Überleitung; Bündelung) verfaßt werden. So liegt A.A. Fischer mit seinem Redaktionsmodell in der Linie von K. Galling und F. Eilermeier, wobei er aber dem Herausgeber eine wesentlich umfangreichere redaktionelle Arbeit bzw. Leistung zuordnet. Inhaltlich korrigierend greift dabei der Redaktor Koh.Rl nicht in die Textvorlagen seines Lehrers Qohelet ein. So aber weist Fischer mit seinem Modell über K. Galling und F. Eilermeier hinaus und verwirklicht mit seinem Ansatz das von W. Zimmerli formulierte Aufgabenfeld der Qohelet-Exegese.

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Widersprüche und Spannungen im Buch Qohelet

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Franz Josef Backhaus

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Christoph Uehlinger (Freiburg i.d. Schweiz)

Qohelet im Horizont mesopotamischer, levantinischer und ägyptischer Weisheitsliteratur der persischen und hellenistischen Zeit* I. Problemstéllung 1. Judentum und Hellenismus, oder der viel verhandelte 'doppelte Horizont' Wer sich nicht mit Leib und Seele der Qoh-Forschung verschrieben hat, kann die Sekundärliteratur zum Qoh-Buch heute auch nicht mehr annähernd überblicken. Aber schon eine oberflächliche Durchsicht der leichter greifbaren Monographien, Artikel und Forschungsberichte1 läßt erkennen, daß das Buch und sein Verfasser in der neueren Exegese fast ausschließlich in zweierlei Hinsicht kontextuiert werden: — einerseits im Blick auf die sonstige biblische Weisheitsliteratur2 - meist kontrastiv zu Spr und Sir sowie komparativ neben Ijob als dem anderen großen Zeugen der sog. "Krise der Weisheit"3; — andererseits im Blick auf griechische philosophische Strömungen wie Stoa, Epikuräer, Skepsis oder Kyniker4. Diese doppelte Kontextuierung stellt bei manchen Autoren recht eigentlich das lektüreleitende und -erhellende Programm dar: N. Lohfink spricht von einer "frühe(n) Synthese zwischen griechischem und jüdischem Weltgefühl"5, L. Schwienhorst-Schönberger sieht Kohelet im "Spannungsfeld jüdischer Weisheit und hellenistischer Philosophie" und will ihn vor einem "doppelten Horizont" verstehen: "vor dem Horizont der israelitischen Weisheit und vor *

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Für hilfreiche Literaturhinweise danke ich sehr herzlich Frau Shannon Burkes (Chicago) und Herrn Dr. Heinz Felber (Leipzig), für effiziente Hilfe bei der Literaturbeschaffung meinem Mitarbeiter Dr. Klaus Bieberstein (Fribourg/Tübingen). Für verschiedene Hinweise und Hilfestellungen im Vorfeld der Untersuchung danke ich zudem Frau Prof. Janet Johnson (Chicago) sowie den Herren Prof. Jan Assmann (Heidelberg), Erik Homung (Basel) und David Lorton (Berkeley). Ich gehe vom Forschungsbericht von Michel (Qohelet [1988]) und von der in Michel, Untersuchungen (1989), 290-322 enthaltenen Bibliographie von R.G. Lehmann aus, die Vollständigkeit anstrebt. Nicht zugänglich war mir die Dissertation von Lowden, Place (1959). Vgl. etwa Miller, Neige (1978); Michel, Untersuchungen (1989); Schubert, Schöpfungstheologie (1989); Lange, Weisheit (1991); Klein, Kohelet (1994). Vgl. Gese, Krisis (1962 = 1974, 168-179). Seit Braun, Popularphilosophie (1973), etwa Whitley, Koheleth (1979); Gammie, Stoicism (1985); Kaiser, Judentum (1982), Determination (1989); Michaud, Qohélét (1987) und die im folgenden genannten Autoren. Lohfink, Wiederkehr (1985).

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dem Horizont der hellenistischen Philosophie" 6 . Auch Th. Krüger, für den die Frage nach der "theologischen Gegenwartsdeutung" im Qoh-Buch im Zentrum steht, weshalb ihn von vorneherein nicht so sehr genetische Abhängigkeiten oder Einflüsse als vielmehr "die zeitgeschichtliche Situation und die zeitgenössische Diskussion...als Rahmen-Bedingungen des Verständnisses und der Interpretation des Textes durch einen zeitgenössischen Leser"7 interessieren, beschränkt sich bei der Frage nach der zeitgenössischen Diskussion in der Regel auf jüdische und griechisch-hellenistische Stimmen. Beide Kontextuierungen 8 - die jüdische wie die griechisch-hellenistische sind für ein sachgemäßes Verständnis des Qoh-Buches unerläßlich: notwendig 9 , aber kaum hinreichend. Das Qoh-Buch ist - historisch betrachtet - zunächst einmal ein Teil der altlevantinischen Literaturgeschichte. Die Primärquelle für die Erhebung der "zeitgenössischen Diskussion" ist dann aber die mesopotamische, ägyptische und levantinische Weisheitsliteratur der persischen und hellenistischen Zeit in ihrer ganzen Breite, nicht nur die ältere alttestamentliche Weisheit und/oder die griechisch-hellenistische Popularphilosophie. 10 Eine historisch interessierte Exegese darf keinen freiwilligen Quellenverzicht üben, auch wenn angesichts der weit verstreuten Quellen und Sekundärliteratur die Versuchung dazu groß sein mag.

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Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 4 und 279. Krüger, Gegenwaitsdeutung (1990), 3 (meine Hervorhebungen). Die Kontextuierung in bezug auf die zeitgeschichtliche Situation kann im vorliegenden Beitrag nur insofern angesprochen werden, als sie für das Verständnis unserer spezifisch literaturgeschichtlichen Fragestellung direkt relevant erscheint. Der beschränkte Rahmen dieses Beitrags soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch die literatur- und geistesgeschichtliche Fragestellung letztlich nach archäologischer, wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Kontextuierung drängt. Vgl. dazu v.a. den Beitrag von R. Bohlen in diesem Band, zum Problem der Hellenisierung Judäas im 3. Jh. aber auch Harrisson, Hellenization (1994). Markantes Einzelbeispiel etwa Qoh 9,llf (dazu Schwienhorst-Schönberger, Glück [1994], 208f); im Blick auf das Ganze vgl. die Diskussion zur Diatribenstruktur, dazu den Beitrag von N. Lohfink in diesem Band. Eine neuere Monographie von A. Lange trägt den Titel "Weisheit und Torheit bei Kohelet und in seiner Umwelt". Sie bietet manche Belehrung über den Prediger, Spr, Sir und Bar, aber keinen einzigen Hinweis auf die demotische Weisheit oder die Achiqar-Tradition, die zu diesem Thema gerade auch im Blick auf Qoh durchaus Wesentliches zu sagen hätten (vgl. nur Lichtheim, Wisdom Literature [1983], 45-48, 62f, 116-128, 165 u.ö.). Hier ist zunächst einmal Befremden zu formulieren angesichts der abusiven Verwendung des Begriffs "Umwelt" und einer biblizistischen Engführung, die die Diskussionen im Umfeld des Qohelet anachronistisch auf ein paar biblische Bücher reduziert. Wie ein Blick in M. Küchlers immer noch wegweisende Dissertation über "Frühjüdische Weisheitstraditionen" (1979) zeigt, repräsentieren die biblischen Weisheitsbücher ja selbst vom jüdischen Teil von Qohelets "Umwelt" nur einen Bruchteil.

Qohelet im Horizont altorientalischer Weisheitsliteratur

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Seit einigen Jahrzehnten ist das Schlagwort von der "Internationalität"11 der altorientalischen Weisheit in aller Exegeten Munde - sollte gerade das QohBuch, das im alttestamentlichen Kanon bis heute ein "unheimlicher Gast" (H P. Müller) geblieben ist, an jener vielbeschworenen Internationalität keinen Anteil haben? Und was das Stichwort "Auseinandersetzung mit hellenistischer Philosophie" betrifft, so wäre noch einmal zu fragen, was wir damit eigentlich meinen: nur Philosophie von Griechen und griechisch Gebildeten der hellenistischen Zeit - oder auch jene Fortläufer altorientalischer und altägyptischer Weisheit, die sich in unterschiedlichen Kontexten und in unterschiedlichem Maße von griechischem Gedankengut 'beeinflußt' zeigen, mit ihm jedenfalls im Gespräch stehen und vielleicht gar - man denke an das Demotische Weisheitsbuch (s.u. IV.4.3.) - den Versuch zu neuen Synthesen gewagt haben? Im folgenden sind keine großen Thesen angesagt, vielmehr möchte ich in erster Linie eine Art Wiedererwägungsgesuch stellen: Ein in der Qoh-Exegese zwei Jahrzehnte lang vernachlässigtes Dossier soll erneut geöffnet werden. Spektakuläre Resultate sind, wenn überhaupt, nicht sofort zu erwarten - dazu bedürfte es längerer, gründlicherer Vorarbeiten12 und interdisziplinärer Kooperation. Die folgenden Ausführungen seien als Bitte eines Außenseiters an die Qoh-Experten vorgetragen, das Gespräch über die 'Umwelt' des Qoh-Buches und die zeitgenössische Diskussion zu entgrenzen, einen dritten Horizont, nämlich den der altorientalisch-ägyptischen Weisheitsliteratur der zweiten Hälfte des 1. Jts. v. Chr., wieder vermehrt in Betracht zu ziehen - zumindest als eine Art Chor im Hintergrund der jüdisch-griechischen Auseinandersetzungen. Im Rahmen dieses Vortrags sind nur Sondagen möglich: Nacheinander und in skizzenhafter Verkürzung seien hier die mesopotamische (Abschnitt II), die levantinische (Abschnitt III) und die ägyptische Weisheitsliteratur (Abschnitt IV) der persischen und der hellenistischen Zeit vorgestellt und ihre mögliche Relevanz für das Verständnis des Qoh-Buches erörtert. Der chronologische Rahmen soll die Diskussion vor dem Ausufern bewahren und auf Texte beschränken, die als ungefähre Zeitgenossen des Qoh-Buches gelten können.13 11 12

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Dr. Ingo Kottsieper (Münster) bereitet zu diesem Problem eine Monographie vor, die hier endlich die nötigen historischen Präzisierungen liefern soll. Shannon Burkes arbeitet derzeit an der Universität von Chicago an einer Dissertation, die dem Vergleich des Qoh-Buches mit der demotischen Weisheit gewidmet ist, wie sie in Lehren, Biographien und anderen Textgattungen zum Ausdruck gebracht worden ist. Dr. Michael Weigl (Wien) beschäftigt sich im Rahmen eines Habilitationsprojekts mit der Achiqar-Tradition und der alttestamentlichen Spruchweisheit. Dabei gehe ich vom üblichen Ansatz im letzten Drittel des 3. Jhs. aus, beziehe aber die persische Zeit mit ein, weil (1.) zahlreiche weisheiüiche Schriften und Spruchsammlungen gerade in persischer Zeit weit gewandert sind, sodaß in persischer Zeit ein 'internationaler1 Austausch von Weisheitstraditionen stattfand, wie er vorher kaum

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Christoph Uehlinger

D i e R e i h e n f o l g e der drei Bereiche entspricht geographischer und grosso m o d o auch chronologischer L o g i k angesichts des einschlägigen Quellenmaterials und schreitet gleichzeitig v o m besser zum weniger Bekannten voran. M e i n e Überlegungen werden sich vor allem auf inhaltliche Probleme und solche der Überlieferungsgeschichte konzentrieren, eher formale w i e die nach der Struktur des B u c h e s und seiner Teile bleiben hier weitgehend außer Betracht. 1 4 Es geht mir im folgenden nicht bzw. nur am Rande um den N a c h w e i s hypothetischer literarischer 'Einflüsse' und 'Abhängigkeiten', vielmehr darum, vorderorientalische und altägyptische Schriften, die in den kulturellen U m kreis des Q o h - B u c h e s gehören, als weitere Stimmen im k o m p l e x e n Gespräch über das Thema "Hellenismus und Orient" und als Zeugnisse der erwähnten "zeitgenössischen Diskussion", in der das Qoh-Buch eine Stimme unter vielen anderen darstellte, zur Sprache zu bringen. Eine Konfrontation 1 5 des Q o h - B u ches mit diesen Schriften verspricht a priori nicht w e n i g e r Aufschlüsse als die mit Sokrates 1 6 , der Stoa 1 7 , der N e u e n K o m ö d i e oder griechischen Grabepigrammen 1 8 . Sehe ich recht, so ist die gegenwärtige Qoh-Forschun^ auf gutem W e g , ältere, unsachgemäße Frontenbildungen zu überwinden. S o for-

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möglich gewesen war; (2.) Traditionen, deren formative Phase in der persischen Zeit liegt, in der hellenistischen Zeit fast ausnahmslos weiter überliefert wurden; (3.) sich in der neueren Qoh-Forschung die Datierungsfrage nach längerer Fixierung auf die Ptolemäerzeit wieder offener zu stellen scheint, sei es, daß mittels der literarkritischen Methode (M. Rose) Vorstufen bzw. älteres Spruchgut rekonstruiert werden, sei es, daß mittels sprachgeschichtlicher (F. Isaksson; C.L. Seow; vgl. Kaiser, Beiträge [1995], 13-17) oder rechts- und wirtschaftsgeschichtlicher Überlegungen (J.L. Kugel, C.L. Seow) für ein höheres Alter plädiert wird. Vgl. dazu den Beitrag von N. Lohfink in diesem Band. Die Frage, was der 'dritte Horizont' für die Beurteilung der literarischen Gestalt und für die Frage der Einheitlichkeit des Qoh-Buches beitragen könnte, bedürfte einer breiteren Darstellung. Vgl. in komparatistischer Hinsicht bes. die Stellungnahmen von Fox, Frame Narrative (1977); Contradictions (1989), 311-321. Daß "phänographische Vergleiche (etwa von "Sokrates und Qohälät") vergleichsweise beliebig" seien, wie K. Ehlich jüngst formuliert hat (Metaphern [1996], 56), will mir nicht einleuchten. Es gibt den methodisch kontrollierbaren Vergleich auch dort, wo keine Abhängigkeiten postuliert werden - gerade im Falle des Qoh-Buches als eines Produkts einer "multikulturelle(n) Welt, in der die Eingrenzungen, die Homogenitätspostulate zu pauschal und zu unplausibel bleiben" (ebd. 57). Loewenclau, Sokrates (1986). Gammie, Stoicism (1985); Kaiser, Determination (1985). Hengel, Judentum (1973), 214, 224-234. Z.B. Loretz, Qohelet (1964: weder ägyptischer noch griechischer, sondern mesopotamisch-kanaanäischer Einfluß), dagegen Braun, Popularphilosophie (1973: weder ägyptischer noch mesopotamischer, sondern griechischer Einfluß). Braun wollte bei den Vertretern der Annahme fremder Beeinflussung (Galling, Loretz, Dahood) "apologetische Interessen" erkennen (Popularphilosophie [1973], 3 mit Anm. 25, 8), argumentierte selber jedoch nicht weniger apologetisch. Wohltuend offen formulierte

Qohelet im Horizont altorientalischer Weisheitsliteratur

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muliere ich im folgenden vielleicht nur ein Programm, das ohnehin an der Zeit ist - tant mieux\ 2. Der vernachlässigte,

vielgestaltige

'dritte Horizont':

Forschungsstand

"Nachdem es als up-to-date gilt, besonders den griechischen Einfluß auf das B u c h Kohelet zu erforschen, und der Versuch gescheitert ist, seine Sprache v o m Ugaritischen her zu erklären, droht die Gefahr, daß die Elemente der semitischen Überlieferung in diesem jüdischen Spätwerk entweder nicht mehr oder nur noch verzeichnet wahrgenommen werden." 2 1 Der Satz, mit dem O. Loretz 1980 seine Studie über "Altorientalische und kanaanäische Topoi im B u c h e Kohelet" eröffnete, ist auch heute noch aktuell. Sehe ich recht, so ist in 22

der jüngeren Qoheletforschung die Frage nach eventuellen Beziehungen des B u c h e s zur keilschriftlichen Weisheitsliteratur kaum mehr gestellt worden.

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in dieser Hinsicht dagegen die Studie von J. de Savignac: "Des passages de ce livre biblique sont si grecs qu'on les comprendrait mieux en grec qu'en hébreu (...). On a observé, en outre, des thèmes égyptiens (...). Cependant Qôhéléth est le livre d'un sémite (...). Etonnant livre que le Qôhéléth! ouvert à la science grecque, à l'exquise civilisation égyptienne et au pathétique babylonien. Une fois de plus nous est montré combien est humaine la sainte littérature d'Israël (...)" (Sagesse [1978], 318f, 323). Markant und vielfach notiert die Umorientierung von O. Loretz. Sie zeichnete sich bereits 1980 ab, als Loretz am Schluß seiner Untersuchung altorientalischer und 'kanaanäischer* Topoi die bemerkenswerte Einsicht formulierte, "daß eine einseitig griechisch-hellenistische Interpretation des Buches Kohelet so wenig zum Ziele gelangt wie jede andere eingeschränkte Betrachtung der Probleme dieses Werkes" (Topoi [1980], 278). Positiv heißt dies 1994: "Es liegt der Gedanke nahe, daß das Buch Qohelet.. als ein Mittelglied zwischen der altorientalischen Weisheit und der griechischen Philosophie aufgefaßt werden könnte, das seine Entstehung der Begegnung der beiden Welten verdankt" (Jüdischer Gott [1994], 154). Loretz kommt nach Besprechung von Qoh 1,9-11 und 3,9-22 zum Schluß, "daß Qohelet gleichzeitig von mehreren Seiten her zu sehen ist: Er führt erstens unbestreitbar traditionelle Gedanken der altorientalischen semitischen Tradition weiter, er setzt sich zweitens von der traditionellen Mythologie ab, und, er ist, drittens, ohne das Vorbild der griechisch-hellenistischen Philosophie weder in formaler noch in inhaltlicher Hinsicht denkbar. (...) Der Streit darüber, ob Qohelet erstens als traditioneller semitischer oder neuer hellenistisch-jüdischer Denker zu klassifizieren ist, kann nur entschieden werden, wenn eine verengte Sehweise allein auf das altorientalische oder das griechische Vergleichsmaterial vermieden wird" (ebd. 168). "Qohelet bleibt ohne die griechisch-hellenistische Philosophie sowohl in formaler als auch in inhaltlicher Hinsicht unerklärbar. Seine wesentlichen Anliegen und Ergebnisse sind jedoch nur im Rahmen der altorientalischen und jüdischen Tradition zu begreifen" (ebd. 172). Nur den spätägyptischen Horizont scheint Loretz nicht recht wahrnehmen zu wollen. Loretz, Topoi (1980), 267. Im folgenden setze ich mich im wesentlichen mit Beiträgen der letzten zwei Jahrzehnte auseinander und greife auf ältere Literatur nur zurück, insofern sie für die jüngere Diskussion bedeutsam bleibt und/oder im Forschungsbericht von Michel (Qohelet [1988]) nicht oder nur beiläufig behandelt werden konnte.

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Das hängt zum einen wohl damit zusammen, daß die Diskussion über "Weisheit in Mesopotamien" in der Assyriologie nach einer längeren Flaute erst kürzlich wieder in Bewegung gekommen ist23, zum andern damit, daß sich der Textbestand seit der meisterhaften Synthese von W.G. Lambert24 lange Zeit kaum vermehrt hat. Eben jene Textedition stellte aber die Grundlage der Loretz'schen Habilitationsschrift "Qohelet und der Alte Orient" (1964) dar, deren Thesen seit Brauns vehementer Kritik25 zumindest in der deutschsprachigen Forschung ad acta gelegt worden sind. So haben sich in den vergangenen Jahren m.W. nur noch Loretz selber26, der Belgier J. de Savignac (1978) und der Amerikaner B.W. Jones (1990) explizit und einigermaßen detailliert mit der Frage der Beziehungen des Qoh-Buches zur Keilschriftliteratur auseinandergesetzt. Außerdem hat J.H. Tigay (1993) anhand eines Vergleichs des im altbabylonischen Gilgamesch-Zyklus überlieferten, sog. Rats der Schenkin mit Qoh 9,7-9 das allgemeine methodologische Problem der Bestimmung literarischer Abhängigkeit diskutiert. Diesen eher vereinzelten und weitgehend parallel laufenden Studien steht eine Schar neuerer QohKommentatoren gegenüber, die das Problem mesopotamisch-'kanaanäischer' Beziehungen für erledigt hält und meint, es auf einer halben oder Dreiviertelseite abschlägig beurteilen zu können.27 Dabei fällt die Monotonie in der Wiederholung von Argumenten auf, die alle schon 1973 von Braun vorgetragen worden waren.28 Sie könnte den Eindruck erwecken, dieser Zweig der QohForschung sei definitiv abgestorben. Daß dem nicht ganz so ist, demonstriert jetzt die Dissertation des Koreaners J.Y.-S. Pahk (1996), der sich erneut mit Gilgamesch und Qoh 8,16-9,10 befaßt hat.29 Wenn ich im folgenden ebenfalls auf die Kontroverse zurückkomme, geschieht dies in der Hoffnung, die Diskussion ein wenig aus ihren festgefahrenen Bahnen zu befreien und um ein paar neue Gesichtspunkte ergänzen zu können. Vor allem soll am Beispiel der keilschriftlichen Vergleichsmaterialien die Notwendigkeit der überlieferungsgeschichtlichen Konkretion unterstrichen, d.h. der von Tigay aufgezogene Faden weitergesponnen werden. Wer das Stichwort "Semitische Überlieferung" nicht auf keilschriftliche Literaturen beschränken will, sondern auch die nordwestsemitischlevantinische Weisheitsliteratur des 1. Jts. in Betracht zieht, wird feststellen

23 24 25 26 27 28 29

Vgl. neben Buccellati, Wisdom (1981), nun vor allem Denning-Bolle, Wisdom (1992). BWL (1960); vgl. darüber hinaus nun Lambert, Some new (1995), mit einigen Hinweisen auf weitere Literatur. Braun, Populaiphilosophie (1973), 8-13; s.u. Vgl. die im Literaturverzeichnis genannten Arbeiten aus den Jahren 1980 und 19911994. Vgl. die entsprechenden Hinweise bei Kaiser, Beiträge (1995), 24f. Vgl. nur Michel, Qohelet (1988), 56-58. S.u. Anm. 153a.

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müssen, daß es in diesem Bereich um die Erforschung von Beziehungen zum Qoh-Buch noch ungünstiger steht. Die These von M. Dahood, Orthographie, Morphologie und Syntax des Buches zeigten starke 'kanaanäisch'-phönizische Einflüsse und der Verfasser selber sei wohl in einer phönizischen Küstenstadt beheimatet gewesen30 - eine These, die mangels erhaltener phönizischer Weisheitsliteratur immer schon auf recht schwachen Füßen stand31 - , kann durch die sprachliche Untersuchung von A. Schoors als widerlegt gelten.32 Dagegen ist erstaunlich, daß die erheblichen Fortschritte in der Erforschung der aramäischen Weisheitsliteratur der Perserzeit, deren Verbreitung bis nach Oberägypten im 5. Jh. und späterer Transfer ins Demotische klar dokumentiert sind, bislang offenbar fast ohne Wirkung auf die Qoh-Exegese geblieben ist.33 Ist es aber wahrscheinlich, daß gerade jene Weisheitsüberlieferung, die in der zweiten Hälfte des 1. Jts. v. Chr. mehr als irgendeine andere das Epithet "international" verdient, spurlos am Qoh-Buch vorbei gegangen sein sollte? Was schließlich die ägyptische Weisheit und die Frage ihrer Beziehungen zum Qoh-Buch betrifft, so ist es in Exegetenkreisen auch diesbezüglich in den vergangenen Jahren recht still geworden. Dafür dürften verschiedene Gründe in Anschlag zu bringen zu sein: zum ersten die Wirkkraft der 1964 von Loretz vorgebrachten, massiven und z.T. gut begründeten Einwände gegen die Annahme ägyptischer Einflüsse34; zum zweiten die schwierige Quellenlage und die in der Regel geringe Vertrautheit von Bibelwissenschaftlern mit der spätägyptisch-demotischen Weisheitsliteratur; zum dritten die Tatsache, daß die Demotistik sich auch innerhalb der Ägyptologie längst zu einem diskreten Sonderforschungsgebiet entwickelt hat, das selbst von den Kolleginnen und Kollegen der Ägyptologie der eigenen Universität, die für uns Exegetinnen und Exegeten ja in der Regel die ersten Gewährsleute sind, oft nur am Rande verfolgt werden kann. Dem ist nun freilich entgegenzuhalten, daß wir heute über sehr viel bessere Bearbeitungen und z.T. Editionen demotischer Weisheitstexte verfügen als noch vor 15 Jahren, v.a. aber, daß seit 1983 eine bahnbrechende Untersuchung der demotischen Weisheitslehren von M. 30 31

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Vgl. v.a. Dahood, Influence (1952), Background (1966); dagegen zuerst Gordis, Phoenician (1955) (= Word [1976], 280-291). Vgl. Braun, Popularphilosophie (1973), 13, der sich mit dem Argument "Leider liegen bis jetzt keine umfangreichen Zeugnisse eines ugaritischen Pessimismus vor" von jeder detaillierten Argumentation dispensiert. "...out of some 30 linguistic phenomena which Dahood has invoked in favour of his theory, barely one could more or less stand the test. Quite often he introduces superfluous textual emendations, sometimes his Phoenicianisms are good B[iblical] H[ebrew] and it also happens that his Phoenician proof texts are dubious" (Schoors, Teacher [1992], 223). Die Achiqar-Tradition scheint in Michels Forschungsbericht von 1988, namentlich im Kapitel über "Einflüsse aus der Umwelt" (52-65), zu fehlen. Loretz, Qohelet (1964), 57-89; vgl. Braun, Popularphilosophie (1973), 4-8; Michel, Qohelet (1988), 52-54; Kaiser, Beiträge (1995), 21-24.

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Lichtheim vorliegt, die diese ausdrücklich in ihrem "internationalen Kontext" situiert und vielfache Verbindungen auch zu Qoh und Sir aufgespürt hat. Zu dieser Arbeit schrieb O. Kaiser 1984 in seiner Kurzanzeige: "Dank der beständigen Beachtung der Parallelen in der orientalischen und griechisch-hellenistischen Weisheit gelingt es ihr in eindrucksvoller Weise, Abhängigkeiten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der spätägyptischen Lehren herauszuarbeiten und damit zugleich ein Stück ägyptisch-hellenistischer Geistesgeschichte zu erhellen, von deren Kenntnis der Bibliker bei der Behandlung der Bücher Kohelet und Ben Sira' nur gewinnen kann, weil es ihm aufgrund der Arbeit von Frau Lichtheim besser möglich ist, die jüdischen Varianten des Schicksals- und Vergeltungsglaubens im Zusammenhang mit den entsprechenden hellenistischen Vorstellungen einzuordnen."

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Wer dieses Urteil zum Maßstab nimmt und nach dem Niederschlag fragt, den Lichtheims Studie in den seither erschienen Arbeiten zu Qoh gefunden hat, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, den mit Qoh beschäftigten Exegeten sei an diesem Gewinn bislang nicht wirklich gelegen gewesen. Mehr als okkasionelle Verweise und die obligate Zitierung im Literaturverzeichnis finden sich kaum.36 Die Herausforderung, die Lichtheims Studie auch für die Qoh-Exegese darstellt, scheint seitens der alttestamentlichen Wissenschaft noch nicht recht angenommen worden zu sein. 37 II. Mesopotamische Weisheitsliteratur und Probleme ihrer Überlieferung im 1. Jt. Mit der schon mehrfach genannten Habilitationsschrift von O. Loretz (1964) ist die Studie genannt, die sich in der Forschung der letzten drei Jahrzehnte am dezidiertesten für die Verwurzelung Qohelets in der geistigen Kultur des Alten Orients ausgesprochen hat.38 Es bleibt das große Verdienst dieser Arbeit, die mit der Veröffentlichung des Lambert'schen magnum opus leicht zugänglich

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ZAW 96 (1984) 307. Ausnahmen sind die Habilitationsschrift von 77i. Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), und die jüngst publizierte Dissertation von O. Kaisers Schüler A. Fischer, Skepsis (1997). Letzterer fordert mit Recht, man müsse „über die Grenzen der biblischen Spruchweisheit hinaus die in der frühhellenistischen Epoche gewachsene weisheitliche Koine des östlichen Mittelmeerraums einbeziehen" (53), verfolgt in seiner eigenen Arbeit dieses Programm allerdings nur am Rande. Zuhanden künftiger Leserinnen und Leser sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, daß das Buch eine äußerst positive Würdigung durch HJ. Thissen (Enchoria 14 [1986] 189-197) erfahren hat, worin der Rezensent auch ein vollständiges Register der zitierten Texte bietet, das den Gebrauch des Buches sehr erleichtern kann. Vgl. bes. den Abschnitt "Qohelet und die Keilschriftliteratur" (Loretz, Qohelet [1964], 90-134).

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gemachte mesopotamische Weisheitstradition systematisch zur Kontextuierung des Qoh-Buches herangezogen zu haben.39 Daß Loretz Beziehungen von Qoh zur ägyptischen Weisheit oder zur griechisch-hellenistischen Philosophie kategorisch ablehnte, hat seiner These von der altorientalischen Verwurzelung geschadet und ebenso dezidierten Widerspruch hervorgerufen. 40 Dabei sind die Kritiker der Differenziertheit der Loretz'schen Position nicht immer ganz gerecht geworden. Loretz sprach nicht etwa von "babylonischem Einfluß", wie dies z.B. Michel in seinem Forschungsbericht formuliert 41 , sondern von einer "Verbundenheit"42 bzw. "strukturellen Parallelität"43 im Denken, von "Ähnlichkeiten"44, die ihn zu dem Schluß führten, Qoh stünde "in einer langen und gutbezeugten Tradition" altorientalischer Problematisierung der Gerechtigkeit Gottes und der menschlichen Existenz.45 Die These ließ durchaus Raum für die offenkundige Originalität Qohelets. Daß Qohelet von den uns bekannten Werken der mesopotamischen Weisheitsliteratur "abhängig", "Konzeption und Tendenz seines Werkes von babylonischen Texten beeinflußt" seien (so wiederum Michel46), hat Loretz, wenn ich recht sehe, so prononciert gar nicht behauptet. Ausdrücklich ist bei ihm nur davon die Rede, daß Qohelet "bereits Vorhandenes aufgegriffen und von dorther sein eigenes Werk aufgebaut" 47 habe; er habe die altorientalische Tradition aber auch schöpferisch überwunden.48 Nur für Qoh 9,7-9 und die Anklänge an Motive des Gilgamesch-Epos wollte Loretz direkte literarische Bekanntschaft in Erwägung ziehen.49 Ansonsten dachte er pauschaler an eine 39

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Vgl. jüngst das präzise Referat von O. Kaiser, der meint, Loretz sei mit seiner Arbeit "der Nachweis gelungen, daß sich die Eigenart Kohelets auf dem gemeinsamen semitischen Hintergrund besser als auf dem ägyptischen zu erkennen gibt" (Beiträge [1995], 25). S.o. Anm. 25, 27, 28. Qohelet (1987), 54ff. Loretz nahm zwar einen allgemeinen Einfluß Mesopotamiens auf die israelitische Weisheitsliteratur an, fügte jedoch sogleich hinzu: "Wichtiger als der Nachweis einer direkten oder indirekten Abhängigkeit ist die Frage, inwieweit ein alttestamentliches Buch wie Qohelet mit dieser [seil, der mesopotamischen] Überlieferung in den Anschauungen und in der Problemstellung übereinstimmt und sich zugleich abhebt" (Qohelet [1964], 90f; meine Hervorhebungen). Loretz, Qohelet (1964), 90. Ebd. 132. Ebd. 133. Anders als manche seiner Kritiker sah Loretz in dieser Voraussetzung von Traditionen und Erfahrungen semitisch-altorientalischer Kultur nicht etwa einen Gegensatz zur Verwurzelung des Qoh-Buches in der alttestamentlichen oder besser altisraelitisch-judäischen Weisheit, da er letztere selbst - zu Recht - als integralen Bestandteil der altorientalisch-semitischen Tradition verstand. Michel, Qohelet (1988), 57. Loretz, Qohelet ( 1964), 225. Ebd. 133und218ff. "Ohne eine sichere Entscheidung treffen zu können, haben wir...die Möglichkeit zu erwägen, daß Qohelet das altbabylonische Gilgameschepos ganz oder in Auszügen kannte - bei der weiten Verbreitung dieser Dichtung ist dies ja nicht ausgeschlossen" (Qohelet [1964], 128).

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Vermittlung altorientalisch-semitischer Fragestellungen vom mesopotamischen "Tafelhaus" ( é - d u b - b a ¡bit tuppi) über die kanaanäische und israelitische Schule. 50 R. Braun stellte in seiner Kritik von 1973 fest, daß es Loretz nicht gelungen sei, "über gemeinsame, gelegentlich noch dazu allgemein weisheitliche oder pessimistische Topoi hinaus" in den verglichenen Textbereichen eine gemeinsame "allgemeine Aussagemotivation und -form" festzustellen. Die folgenden Überlegungen werden diesem Urteil im großen Ganzen zustimmen können. Mit Recht wies Braun darauf hin, daß dem Qoh-Buch nicht gerecht werden kann, wer vom keilschriftlichen Material her das Problem der Gerechtigkeit Gottes als sein wichtigstes Thema bestimmen will. 51 Vor allem aber wandte er sich entschieden gegen die Loretz'sche Tafelhaus-Hypothese: Der Hinweis auf die Schulüberlieferung bleibe "zu pauschal, um als echtes historisches Argument gewertet werden zu können"52.

In der Tat lassen sich von mittel- und spätbronzezeitlichen Keilschrifttexten und dem daraus postulierten Schulbetrieb im 'kanaanäischen' Syrien und Palästina des 2. Jts. keine generellen Schlüsse über Qohelet'sches Bildungsgut im Juda des 4. oder 3. Jhs. v. Chr. ziehen. Eine historisch-kritische Komparatistik muß sich dem Problem der Überlieferungskanäle stellen und fragen, welche weisheitlichen Texte und Traditionen des Orients in der persischen und hellenistischen Zeit überhaupt noch gelesen und tradiert wurden, in welchem Rahmen dies geschah, ob diese Traditionen zu jener Zeit noch eine lebendige Diskussion repräsentierten und wie es um die Möglichkeit ihrer Vermittlung in ein judäisches Intellektuellenmilieu bestellt war. Selbstverständlich sind gerade in der Frage der transkulturellen Überlieferung nur Hypothesen möglich. Diese lassen sich jedoch auf dokumentiertes Textmaterial abstützen. Zwar ist anzunehmen, daß der erhaltene Textbestand nur einen Bruchteil des einst im Umlauf befindlichen darstellt. Aber schon der erhaltene Bestand - der im Bereich der Keilschriftliteratur repräsentativer sein dürfte als in dem der nordwestsemitischen und ägyptischen Weisheitsliteratur, die auf Papyrus und anderen vergänglichen Materialien tradiert worden ist macht m.E. einen Survey wie den folgenden möglich und sinnvoll. 1. Ludlul bel nëmeqi

53

"Ich will preisen den Herrn der Weisheit", eine Dichtung der ausgehenden Kassitenzeit (spätes 13. oder frühes 12. Jh. v. Chr.54), galt im 7.-6. Jh. in 50 51 52 53

Vgl. a.a.O. 91-94. Braun, Popularphilosophie (1973), 10 zu Loretz, Qohelet (1964), 132f. Braun, a.a.O. 13. Edition: Lambert, BWL (1960), 21-62, 283-302, 343-345 (dazu die Rez. von R. Borger, BiOr 18 [1964], 51-53); Wiederherstellung des einleitenden Hymnus: Wiseman, New Text (1980); Moran, Notes (1983); letzte deutsche Übersetzung: von Soden, TUAT III/l (1990), 110-135. Für neuere Studien vgl. Denning-Bolle, Wisdom (1992), 129-132; Sitzler, Vorwurf (1995), 84-99; Lambert, Some new (1995), 32-34 (alle mit weiterführenden Literaturangaben).

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Assyrien und Babylonien als Klassiker, wie die breite Bezeugung auf Tafeln aus Ninive, Kalchu, Assur, Sultantepe, Babylon und Sippar, die Existenz eines philologischen Kommentars aus Ninive, die Registratur im Werkeverzeichnis Rm 618 und gelegentliche Zitierungen in anderen Texten beweisen. 55 Wie lange die Komposition im Umlauf blieb, ist nicht bekannt; in Babylon ist eine Überlieferung zumindest bis in persische Zeit nicht ausgeschlossen. 56 Thema ist das Schicksal eines Mannes namens Subsi-mesrê-Sakkan, der aus einer angesehenen Position in große Not fällt. Sein Gott, seine Göttin und die Schutzgeister haben ihn verlassen, Gebet und Ritual können ihm nicht helfen, weshalb er in der Tiefe der Not generelle Zweifel an der Einsichtigkeit göttlicher Urteile äußert. Dann aber wird er auf Marduks Geheiß durch verschiedene Rituale wiederhergestellt. Die Dichtung beginnt mit einem Hymnus auf Marduk und endet mit einem Dankgebet und der Aufforderung an alle Menschen, Marduk zu preisen. Deutlich handelt es sich um eine poetische, als lange monologische Konfession gehaltene Propagandaschrift für die Vertiefung der persönlichen Mardukfrömmigkeit. 57 Ihre Zugehörigkeit zur Weisheitsliteratur ist nicht unumstritten; ihre Verbreitung als Gelehrtenliteratur spricht jedoch für eine solche Zuordnung. 58 Obwohl der Text in der alttestamenüichen Wissenschaft verständlicherweise meist als Parallele für das Ijob-Buch herangezogen worden ist, wollte Loretz auch verschiedene Gemeinsamkeiten zwischen ihm und dem Qoh-Buch erkennen, "die sowohl die Daibietungsform wie auch die Thematik betreffen"59. Er tat sich beim Nachweis dieser Gemeinsamkeiten allerdings schwer und verkannte m.E. wichtige Aspekte beider Dichtungen: Weder Ludlul noch das Qoh-Buch handeln vom "scheinbaren Versagen der göttlichen Gerechtigkeit"60, wie Loretz meint. Die "Erkenntnis", daß es dem Gerechten wie dem Sünder geht und ihm das Schicksal des Gottlosen widerfahrt61, wäre ein Thema für die Klageliteratur, wird von Qoh (8,10-15) aber gerade nicht in dieser Pauschalität formuliert. Aber auch im Ludlul ist wohl nicht eine generelle "Erkenntnis" das Thema, sondern die Uneinsichtigkeit des individuell-paradigmatischen Schicksals des Leidenden für diesen selbst, die nur im Vertrauen auf die größere Weisheit Marduks aufgehoben werden kann.

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Zur Datierung zuletzt von Soden, TUAT III/l (1990), l l l f ; Lambert, Some new (1995), 33f. Vgl. Lambert, BWL (1960), 26; von Soden, TUAT III/l (1990), 114. Zur Datierungsproblematik der Textvertreter allgemein v.a. Oelsner, Materialien (1986), 191-194 mit Anm. 704, 710, 71 lf, der ebd. 207 auch Ludlul zu den Kandidaten für lange Überlieferung zählt. Das Diagramm von Sitzler, Vorwurf (1995), 117 rechnet (ohne nähere Begründung) mit einer Überlieferung bis ins 5. Jh. Vgl. Albertz, Ludlul (1988). Vgl. Sitzler, Vorwurf (1995), 85f. Loretz, Qohelet (1964), 96, zum Vergleich im Ganzen ebd. 95-101. Ebd. 97. Ebd. 98.

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Den Tiefpunkt in der Problemstellung erreicht Ludlul in der zweiten Tafel, wo der Klagende eine Aufzählung all seiner Taten der Frömmigkeit mit einem Seufzer, einem Eingeständnis und einer Frage beschließt, die Loretz mit Qoh 3,11 und verwandten Aussagen über die "geheimnisvolle Unerkennbarkeit der Pläne des göttlichen Handelns" verband62: II

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"Wüßte ich doch, daß hiermit der Gott einverstanden ist! Was man selbst für gut hält, könnte für den Gott ein Frevel sein; Was dem eigenen Herzen schlecht erscheint, könnte dem Gott gut gefallen. Wer kann den Willen der Gottheiten im Himmel erfahren? Wer begreift den Ratschluß des Anzanunzû63? Wo je erfahren den Weg Gottes die 'Umwölkten' (d.h. die Menschen)?"

Darauf folgt eine Aufzählung von plötzlichen Schicksalwendungen, wie sie beim Klagenden gerade nicht einzutreten scheinen: 39 40 41 42 43 44 45 46 47

"Wer (eben noch) kraftvoll lebte, staib in Bedrängnis;64 Plötzlich wurde er in Furcht versetzt, (aber) gleich wieder lärmt er vergnügt; In einem Augenblick singt er ein Freudenlied, Einen Schritt weiter klagt er laut wie ein Klagepriester; Wie (beim) Öffnen und Schließen ist ihr Sinn geändert. Hungern sie, werden sie einem Leichnam gleich. Bei Wohlergehen sprechen sie vom Aufstieg in den Himmel; Betrüben sie sich, reden sie vom Hinabsteigen in die Unterwelt! Über dieses (alles) dachte ich nach, konnte den Sinn davon aber nicht ergründen!"

Man mag sich ob dieser Reflexionen über die Verborgenheit des Gotteswillens und die Inkonsistenz des menschlichen Lebens ganz allgemein an die Rede Qohelets von den unerforschbaren Plänen Gottes, der im Himmel ist65, und an die (anthropologische) hœbœl-Thematik66 Qohelets erinnert fühlen. Der erste Eindruck trübt sich freilich schnell, wenn man die Topoi in ihren jeweiligen Kontexten situiert und erkennt, daß diese in ihrem Gesamtduktus ganz unterschiedliche Tendenzen haben und kaum aufeinander bezogen werden können.

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Ebd. 99. Nach von Soden (AHw 1510f; TUAT III/l [1990], 122 Anm. 37a) ist Anzanunzû "Grundwasseihorizont" ein Name Eas, der hier aber wohl mit Marduk identifiziert wäre; anders noch Lambert, BWL (1960), 40f, 290. Die vier aufeinanderfolgenden Parallelismen mit Umkehrsätzen zeigen deutlich, daß es dem ¿»¿//«/-Dichter hier weder um die Feststellung des "hinfalligen Wesens des Menschen" noch um den Satz "niemand hat über den Todestag Gewalt" (Qoh 8,8) geht (so Loretz, Qohelet [1964], 99f), sondern um die plötzlich und unerwartete Wende des Schicksals. Vgl. Michel, Untersuchungen (1989), 274-289. Vgl. Lohfink, Windhauch (1989).

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Das in der Ludlul-Dichtung thematisierte Problem ist, wie zuletzt D. Sitzler eindringlich nachgewiesen hat, nicht die göttliche Gerechtigkeit, sondern die Unzulänglichkeit der herkömmlichen Instrumente, den Willen der Götter (zumal der persönlichen Schutzgottheiten) zu deuten und ihre Gunst für sich gewinnen zu können. Angesichts dieser fundamentalen Unsicherheit sehen sich die Menschen scheinbar(!) willkürlichen Mächten ausgesetzt und werden zwischen Klage und Lob hin und hergerissen. Wie im Ijob-Buch wird dieses Problem zugleich als existentielles und als prinzipiell-kognitives ('weisheitliches') im Modus der reflektierenden Klage verhandelt. Anders als bei Ijob ist es in der ¿«¿/«/-Dichtung die Lösung des existenziellen Problems des Klagenden, das den Weg für die Lösung des kognitiven ('weisheitlichen') Problems weist: Beide können nur von Marduk selbst kommen, in desen Entschlüsse weder Götter noch Menschen Einsicht haben. Ihm allein verdankt der Klagende seine Rettung , aber erst durch die Erfahrung seiner Not ist ihm deutlich geworden, daß die Ordnung der Welt und seine eigene Existenz ihre Mitte in Marduks Plänen haben. Diesem Höchsten Gott, der allein das Epithet "Herr der Weisheit" (bel nêmeqi) verdient, sollen sich deshalb alle Menschen preisend zuwenden. "Damit ist das Herz des Marduk die Grenze jeder 'Erlernbarkeit' der Weltzusammenhänge und jeder Deutung der Gegenwart (zum Beispiel durch Opferschau und Traumdeutung)." Im Blick auf den Vergleich mit dem Qoh-Buch scheint mir bedeutsam, daß die Einsicht in die letztliche Undurchsichtigkeit des göttlichen Willens in der ¿«d/«/-Dichtung nicht zu einer Relativierung der kultischen und sozialen Normen führt: Der Klagende ist und bleibt bis zum Ende "ein Idealtyp mesopotamischer Normerfullung"69; er besteht nach seiner Genesung ein Flußordal (IV 1-m), wodurch seine Unschuld erwiesen ist, und warnt sogleich vor jeder Nachlässigkeit Esangila gegenüber.70

Das knappe Referat mag deutlich gemacht haben, daß die Ludlul-Dichtung und das Qoh-Buch verschiedenen Welten angehören. Ludlul thematisiert in der Verbindung von Hymnus und Klage eine "überwundene Krise" (J. Assmann), wobei besonders der Hymnus Träger der neuen Theologie ist71; mit der Lösung des existenziellen Problems behauptet die Dichtung auch das kognitive verarbeitet zu haben. Ganz anders das im Status der Dissonanz verharrende Qoh-Buch: Es kennt weder die spezifische Konzentration auf die Lei67

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"Auffällig ist nun, daß die persönlichen Gottheiten des Leidenden bei seiner Rehabilitation nicht erwähnt werden. Die Dämonen weichen, aber die Schutzgötter und Lebenskräfte treten nicht wieder an ihre alte Stelle" (Sitzler, Vorwurf [1995], 90f). Ebd. 88; "... die Erkenntnisfahigkeit des Menschen hat eine Grenze in den Willensentscheidungen des Gottes Marduk. (...) Der Weise und Gerechte muß mit diesen Plänen leben, ohne sie kennen zu können" (ebd. 98). Ebd. 93. "Insgesamt kann man feststellen, daß der Kläger dieses Textes einen 'klassischen Loyalisten' der alten mesopotamischen Weltordnung verkörpert, der im Laufe der Dichtung zu einem 'frommen Loyalisten' der neuen Mardukherrschaft wird, indem er durch unschuldiges Leiden das neue Zentrum der Weltordnung (Marduk) an der eigenen Person als heilsam erfahrt" (Sitzler, Vorwurf [1995], 94). Darauf hat Sitzler, Vorwurf ( 1995), 126 mit Recht hingewiesen.

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densproblematik noch deren divinatorisch-rituelle Auflösung, weshalb ihm Klage wie Hymnus verschlossen sind. Es relativiert seine Feststellung der Begrenztheit menschlicher Einsicht in das Weltgeschehen weder durch den Sprung in eine (quasi-fideistische) Frömmigkeit, die immer noch mit dem Gedanken göttlichen Lohns operiert, noch durch Propagierung eines bestimmten Kultes. Und es steht insgesamt in einem viel gebrocheneren Verhältnis zu den gesellschaftlichen und religiösen Leistungs- und Erfolgsmaximen seiner Zeit. Von der ¿«¿//«/-Dichtung führt vielleicht eine Brücke zum Ijob-Buch, aber keine zu Qohelet. 2. 'Babylonische

Theodizee'72

Steht es bei dieser akrostichischen Dichtung des Sangil-kïnam-ubbib besser um die Vergleichbarkeit mit dem Qoh-Buch? Der Text ist von früheren Bearbeitern zuweilen als 'Babylonischer Qohelet' etikettiert worden, doch wurde die Bezeichnung fallengelassen, als E. Dhorme seinen dialogischen Charakter erkannte.73 Bezüglich der Entstehungszeit schwanken die Bearbeiter zwischen dem späten 11. Jh. und der Zeit um 800. In unserem Zusammenhang ist wichtiger, daß der Text durch Tafeln aus Ninive, Assur, Babylon und einen Kommentar aus Sippar oder Borsippa75 bezeugt ist, also fast ebenso weite Verbreitung wie die Ludlul-Dichtang gefunden hat.76 Vielleicht wurde er sogar noch länger als jene überliefert: Der spätbabylonische Kommentar könnte nach dem Urteil von J. Oelsner "aus dem hellenistischen Borsippa stammen"77, die jüngste der drei späten Tafeln aus Babylon78 nach Meinung des Herausgebers Lambert "seleukidisch oder gar parthisch" sein.79 Das Gedicht ist ein aus 27 Strophen von jeweils 11 Zeilen bestehendes Akrostich, dessen Anfangssilben als Selbstempfehlung des Verfassers zu lesen sind:

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Edition: Lambert, BWL (1960), 63-89, 302-310, 345 (rez. R. Borger, BiOr 18 [1964] 53); letzte deutsche Übersetzung: von Soden, TUAT III/l (1990), 143-157. Für neuere Studien vgl. Denning-Bolle, Wisdom (1992), 136-158; Sitzler, Vorwurf (1995), 99109 (Lit.); Lambert, Some new (1995), 34-36. Dhorme, Ecclésiaste ou Job? (1923). Vgl. Lambert, BWL (1960), 66f; von Soden, TUAT III/l (1990), 143. Erstere Herkunftsangabe bei Lambert, BWL (1960), 69; Letzteres vermutet Oelsner, Materialien (1986), 227. Die Dichtung wird in einem spätassyrischen Werkverzeichnis genannt, und der Name seines Autors erscheint in verschiedenen Schreibungen auf einer spätbabylonischen Schülertafel aus Sippar (Lambert, BWL [1960], 63f). Oelsner, Materialien (1986), III. Vgl. im Blick auf die Textvertreter a, 1 und m aus der Slg. Spaitoli Oelsner, Materialien (1986), 191f (mit Anm. 704) und 207. Lambert, BWL (1960), 63. Das Diagramm von Sitzler, Vorwurf (1995), 117 rechnet bei Ludlul und der 'Theodizee' mit gleicher Überlieferung, führt jedoch generell nicht über das 5. Jh. hinaus.

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"Ich, Sangil-klnam-ubbib, der Beschwörungspriester, grüße segnend den Gott und den König." Jede Strophe besteht aus je fünf parallelen Doppelzeilen und einer "odd line", deren Position in der Strophe variieren kann, die jedoch oft besonders bedeutungstragend zu sein scheint. Die äußere Form will den Leser offenbar in einen Entschlüsselungsprozeß locken. Der Text ist von einem hochgebildeten Literaten geschrieben worden und war vermutlich für ebensolche Kollegen (vielleicht auch den König selbst) bestimmt. Er inszeniert ein intellektuelles Spiel und setzt implizit voraus, nur von besonders raffinierten Geistern verstanden werden zu können.80 Generalthema des Dialogs ist die Frage nach dem Nutzen der Frömmigkeit, Ziel des Gesprächs ist es, einen denkenden Menschen trotz seines Mißerfolgs und der ungerechten Ordnung der Welt vor der Verzweiflung und dem 'Aussteigen' zu bewahren. Erinnert das Thema unmittelbar an Ijob, so das Ziel eher an Qohelet. Die Gesprächspartner werden in der Literatur gewöhnlich als Leidender/Klagender/Dulder und als Ratgeber/Freund bezeichnet. Sie bleiben anonym - m.E. mit gutem Grund, da sie wohl beide von der Raffinesse und Kompetenz des Verfassers Zeugnis ablegen sollen.81 Im Unterschied zu sonstigen mesopotamischen Dialogen fehlen Redeeinleitungen im Narrativ. S. Denning-Bolle hat deshalb unlängst unter Verweis auf altägyptische Gespräche mit dem Ba oder mit dem Herzen82 und auf das Qoh-Buch annehmen wollen, es handle sich bei der 'Theodizee' um einen "inner dialogue".83 Die häufigen gegenseitigen Anreden (z.B. als "mein Freund") weisen jedoch deutlich auf einen 'wirklichen' Dialog zweier sehr unterschiedlich charakterisierter Personen: eines Klagenden und Ratsuchenden, der das Problem artikuliert, sich mit dem Rat aber nicht zufriedengibt, am Ende gleichwohl einlenkt, und eines ihm antwortenden weisen Ratgebers84. Für das Verständnis der Dichtung ist es nicht unerheblich, daß der Antwortende den Klagenden immer wieder auf dessen eigene Vemunftbegabtheit hinweist, ihn auffordert, seinen Verstand auch zu gebrauchen und nicht zu verzweifeln.85 Die Vermutung liegt nahe, daß es sich auch bei dem Klagenden um

80 81 82

83 84

85

Vgl. dazu auch van der Toorn, Dialogue (1991). Vgl. Denning-Bolle, Wisdom (1992), 157f. Vgl. zu diesen auch als "Gedichte des Lebensmüden" und "Klage des Chacheperreseneb" bekannten Texten jüngst Hornung, Dichtung (1996), 95-98, 106109 (Auszüge), 177-180; Renaud, Dialogue (1991). Denning-Bolle, Wisdom (1992), 155-158. Der Klagende bezeichnet den Ratgeber als "sehr klugen Mann" (Z. 5), "Wissenden" (6), "Besonnenen" (7), "Freund" (23), der dem Gott der Weisheit vergleichbar ist (230, "Gefährten" und Ratgeber (45), dessen Antwort angenehm wie der Nordwestwind ist (67f), der "über alle Einsicht verfügt" (200), zum Schluß als "Freund" (265, 287) und "Barmherzigen" (287); nur im Mittelteil, wo die Klage besonders heftig wird, fehlen die Anreden. Vgl. Denning-Bolle, Wisdom (1992), 140. Der Ratgeber spricht z.B. vom "regen Verstand" (14) und der "geordneten Einsicht" (35) des Klagenden, tituliert ihn in Z. 66f gar (ironisch?) als "Dattelpalme, Baum des Reichtums, meinen kostbaren Bruder, beschenkt mit jeglicher Weisheit, ein Juwel an Klugheit", in Z. 78 als "Verstandbegabten, der du ohne Vernunft nachdachtest"; vgl. auch Z. 167, 212f, 217, 254 ("Tüchtiger, Kenntnisreicher, der über Einsicht verfügt"). "The friends of Job do

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einen 'weisen' Kollegen handelt: "Der Kläger... verköipert... den Typos des sozial unter Druck geratenen, verantwortungsbewußten und loyalen Angehörigen der geistigen Führungsschicht, der den Bezugsrahmen seiner Ethik verloren hat, aber bereit ist, ihn sich neu geben zu lassen"86 - die Charakterisierung träfe zweifellos auch im Blick auf Ijob und Qoh zu. Da mein Verständnis der Dichtung in mancher Hinsicht von den bisherigen Bearbeitungen und ihrer Rezeption in der Qoh-Diskussion abweicht, muß ich den Redeverlauf87 hier paraphrasieren: Der Leidende klagt, früh seine Eltern verloren zu haben und von niemandem aufgezogen worden zu sein (Strophe I); der Freund weist auf die Unausweichlichkeit des Todes hin und stellt fest, Erfolg im Leben sei nur dem möglich, der Gott und Göttin fürchte (II). Der Klagende entgegnet, mit Erfolg und Gewinn sei es bei ihm vorbei (III): 27 28 29 30 32 33

"Verdecktsein der Gestalt (und) Mangel hält mich darnieder, Mein Erfolg (kuSiri) ist verschwunden, mein Wohlstand (mutturi) ging vorüber. Die Kraft wurde schwach, zu Ende ist es mit dem Handelsertrag (iSdihu). Depression und Wehklage verräucherten [mein] Gesicht. (...) Kann der gute Tag (um dumqf) für mich ganz dauerhaft sein? Seinen 'Weg' würde ich (gerne) erler[nen] (alaktäSu alam[mad])."

Wer vom Qoh-Buch herkommt, wird beim Stichwort "Erfolg" (kuiiru, auch in Z. 161) 88

sogleich an das hebräische Äquivalent kiSrôn (Qoh 2,21 4,4 5,10, vgl. 10,10 11,6) , beim Stichwort "guter Tag" (um dumqi) an den yôm tôbâ von 7,14 und beim Wunsch nach Dauer an Qohelets ceterum censeo von der Vergänglichkeit und Unbeständigkeit der Lebenssicherungen denken. Wir bleiben vorerst beim Dialog, der den Freund mit dem Rat an den Klagenden fortfahren läßt, beständig die "rechten Normen" (sakki miîari, womit hier Kultbräuche gemeint sein dürften) zu beachten (IV). Dagegen wendet der Klagende ein, der Wildesel, der Löwe und der Neureiche würden satt, ohne je an eine Opfergabe zu denken, er selber habe dagegen regelmäßig geopfert, was ihm offensichtlich nichts genützt habe (V). Diesen Satz betrachtet der Ratgeber offenbar als überheblich, entgegnet er doch sogleich (VI): 58

"Du magst stabil wie die Erde sein (vgl. Qoh 1,4b), der Rat des Gottes ist (doch) fern!" (Z. 58)89

Er nimmt die Vergleiche mit Onager und Löwe auf und weist darauf hin, daß beide Tiere letztlich eijagt enden, wie denn auch der Neureiche plötzlich vom König zunichte gemacht werden kann. Sein Fazit ruft deshalb erneut zur Frömmigkeit zurück:

86 87 88 89

not display such patience and subtlety" (Denning-Bolle, Wisdom [1992], 142), vom ersten Redegang abgesehen. Sitzler, Vorwurf (1995), 106. Zu formalen Aspekten, die es erlauben, den Redeverlauf nachzuzeichnen ("odd line" und "pivotal point"), vgl. Denning-Bolle, Wisdom (1992), 140f. Loretz, Qohelet (1964), 107. Lambert, BWL (1960), 75; ganz anders übersetzt von Soden, ohne jedoch den Satz verstanden zu haben (TUAT III/l [1990], 149 mit Anm. 58a-b).

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66

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"Den guten Lohn des Gottes (gimil dumqi Sa ili), der bleibt, suche immer wieder!"

Der Klagende verdankt den Rat, wiederholt dann aber seinen Einwand in krasser Verallgemeinerung (VII): 70 71 72

"Den Weg des Glücks (uruh dumqi) gehen diejenigen, die nicht ständig den Gott suchen; arm aber wurden j etzt und schwach, die zur Gö [ttin] flehen. In meiner frühen Jugend schon forschte ich nach dem Willen des Gottes

73 74 75

mit Nasestreichen und Flehen suchte ich meine Göttin. Doch ziehe ich das Joch in einem Frondienst ohne Gewinn (ilku Sa lä nêmeli), hat doch der Gott nun festgesetzt statt Reichtum Dürftigkeit."

(fem ili),

Der Problemträger klagt nicht mehr darüber, ungerecht behandelt zu werden, sondern behauptet, sein Schicksal entspreche einer eigentlichen Gesetzmäßigkeit: Kultische Nachlässigkeit führe zu Glück, Frömmigkeit ins Unglück. Der Ratgeber scheint dies als eine Art Apostasie aufzufassen (VIII) und wirft dem Klagenden vor, er verleumde die Kultordnungen (kittü) und die "Pläne des Gottes" (usurti ili), obwohl doch den Menschen die Gedanken der Gottheiten so "verborgen wie das Innere des Himmels" seien (Z. 82, vgl. 256). Im folgenden ist der Text sehr staric zerstört. Die Klage scheint sich in Verzweiflung verwandelt zu haben, denn der Klagende redet den Gesprächspartner nicht mehr an, sondern erklärt, auf sein Glück verzichten, aber auch keine Kultordnungen mehr einhalten zu wollen (XIII). Der Ausstieg aus seiner sozialen Umgebung scheint ihn noch stärker als zuvor mit den Ungerechtigkeiten der Gesellschaft zu konfrontieren, die er in mehreren Reihungen von Umkehrsätzen als 'verkehrte Welt' beschreibt (XV, XVII), in der der Königssohn ärmlich, der Sohn des Dürftigen dagegen reich gekleidet daherkomme (vgl. Qoh 4,14-16). Als Fazit dieser Beobachtungen formuliert er: 187 "Gefallen ist der Besitzer von Reichtum, fern (von ihm) ist der G[ewinn (laturru)]."

Damit scheint mm, wenn ich den im Mittelteil äußerst lückenhaften Text recht verstehe, der Freund wieder einen Anknüpfungspunkt gefunden zu haben, um den Verzweifelten auf den Weg der 'Weisheit' zurückzuführen. Er stellt fest (XVIII), Reichtum und Armut seien seit jeher ein Summu. Von Soden versteht dies als "kasuistischen Wenn-Satz" und übersetzt als 90

"Gesetz" , doch ist bei dem starken Interesse der Dichtung an Ritus und Kult vielleicht eher an die Regelhaftigkeit von Omen-Sätzen zu denken, die mit demselben Wort Summa eingeleitet werden. Jedenfalls ist der Klagende nun wieder bereit, Rat anzunehmen und in den Texten nachzuforschen (XIX). Der Ratgeber scheint ihm als Wichtigstes zu empfehlen, der Führung der Götter zu folgen und die Riten einzuhalten (XX).

90

Von Soden, TUAT III/l (1990), 153 Anm. 198a.

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Die dann folgenden Strophen beschreiben offenbar, wie der vormals Verzweifelte in einem schrittweisen Rehabilitationsprozeß zu neuem Vertrauen in den unerforschlichen Plan Gottes geführt wird. Der Ratgeber spricht ihm Mut zu (XXII): 239

"Der du den Bescheid Gottes nicht suchtest: Was könnte dein Erfolg (kuSirka) sein?

240

Wer das Joch des Gottes (nir ili) zieht, mag mager bleiben, hat aber doch regelmäßig zu essen. Den guten Hauch der Gottheiten suche immer wieder, dann wirst du, was du in diesem Jahr verlorst, innert kurzem ersetzen können."

241 242

Der vormals Verzweifelte scheint nun jedoch von der Unverändeibarkeit der Verhältnisse auszugehen und in eine Art fatalistische Lethargie gefallen zu sein. Dabei beruft er sich auf seine Erfahrung bzw. (wie Qohelet) auf sein "Sehen": 243 244 245 246 247 248 249 250 251

"In der Gesellschaft (ina adnäti) sah ich mich um: Gar verschiedenartig sind die Bedingungen91 für sie! Der Gott verlegt dem Sarrabu-Oämon nicht den Weg. Es zieht auf den Wasserläufen der Erzeuger das Schiff, auf dem Bett (aber) lagert sich sein Erstgeborener. Es geht einem Löwen gleich der große Bruder seinen Weg, es jauchzt (jedoch) der Jüngere (schon), wenn er den Onager treibt. Auf der Straße wie ein Herumtreiber jagt umher der Erbe, der zweite Sohn (aber) schenkt dem Dürftigen Speise. Wenn ich mich vor den Gottheiten demütige, was gewinne ich dabei?"

Der Sinn der Reihe und des Hinweises auf die unverrückbaren Privilegien der Erstgeborenen und Erben besteht wohl darin zu unterstreichen, daß Arbeit und Anstrengung weder im zivilen noch im religiösen Bereich etwas an den Verhältnissen zu ändern vermögen. Der Klagende will also der optimistischen Prognose seines Freundes nicht trauen und rechnet nicht mit einer Verbesserung seiner Situation (XXIII). In seiner Resignation tendiert er dazu, erneut dem Gott die Verantwortung bzw. Schuld an den Verhältnissen zuzuschieben. Der Ratgeber tadelt dies als "Bosheit des Herzens" und "Drangsalieren Gottes" und weist noch einmal auf die Unerforschlichkeit des göttlichen Willens hin (XXIV): 256 257 262 263

91

"Der Sinn des Gottes ist uns fem wie das Innere des Himmels, seine Klugheit ist schwer zu erfassen, daher begreifen die Menschen (sie) nicht. (...) Ein Tölpel als Sohn wird zuerst geboren, tüchtig und tapfer wird der zweite genannt.

Mit iäätu (wörtl. "Arm, Seite, Kraft, Lohn", AHw I 365) können sowohl die "Voraussetzungen, Startbedingungen" als auch die aktuellen "Bedingungen" gemeint sein.

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264

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Man mag aufmerken, aber was der Plan Gottes (pakku ilim) ist, begreifen die Menschen nicht."

Das Erstgeborenenrecht gilt - so der Einwand des Ratgebers - nicht absolut. Nun kommt langsam ein 'Umerziehungsprozeß' in Gang, der Genötigte wird zum Lernenden. In seiner vorletzten Rede spricht er nicht mehr vom Fehlverhalten der Götter, sondern von dem der Menschen, die nicht nach moralischen Gesichtspunkten urteilen, sondern nur Einfluß und Macht folgen, Schwache und Rechtschaffene dagegen mißachten und verstoßen (XXV). Dem stimmt der Ratgeber zu und führt es darauf zurück, daß Enlil, Ea und Marni den Menschen bei ihrer Erschaffung die "mehrdeutige Rede" und die Lüge mitgaben (XXVI). Daran ist nichts zu ändern. Was dem Klagenden deshalb bleibt, spricht dieser in der letzten Strophe (XXVII) aus: dem Ratgeber für seine Barmherzigkeit zu danken und künftig auf die Protektion eines "Helfers", die Sympathie der persönlichen Schutzgottheit oder die Gnade des ordnungsstiftenden Königs, des (richtenden) "Sonnengottes der Menschen" zu hoffen ein Programm, das ziemlich genau der Selbstempfehlung des Verfassers im Akrostich 92 entspricht (s.o.).

Ein Vergleich der 'Babylonischen Theodizee' mit biblischen Stoffen, v.a. dem Ijob- und dem Qoh-Buch, steht vor großen Schwierigkeiten. Ein fatales Problem liegt darin, daß die Dichtung besonders im Mittelteil so schlecht erhalten ist und für ihre Deutung nicht zuletzt deshalb die biblischen 'Parallelen' oft erkenntnisleitend waren. Dies gilt auch noch von der neuesten deutschsprachigen Bearbeitung durch W. von Soden, die mit einer engen Verwandtschaft mit dem Ijob-Buch rechnet und z.B. wie selbstverständlich davon ausgeht, daß die Sympathie des Dichters beim Klagenden liege und "die Zweifel des Dulders auch die des Dichters" seien. 93 Nach meinem Verständnis hat sich der Dichter sowohl bei der Darstellung der Zweifel als auch bei den weisen Reden des Freundes um größtmögliche Kunst und Überzeugungskraft bemüht; seine eigene Position dürfte am ehesten in der Problemlösung und in der Auflösung des Akrostichs zu erkennen sein. 94 Es ist die Position eines Weisen, der die Brüchigkeit einer allzu platten Vergeltungstheologie erkannt hat, Leiden und Not aber nicht auf das Versagen der persönlichen Schutzgottheiten zurückführen und von daher auch nicht den Nutzen der Religion bestreiten will. Wenn er zum Schluß die Verkehrtheit der Verhältnisse auf die seit der Schöpfung den Menschen gegebene "mehrdeutige Rede" zurückführt, so mag uns dies als intellektuelle Demission vor dem kognitiven Problem erscheinen. 95 Altorientalische Leser werden hier vielmehr - ganz auf der Linie der letzten Strophe - einen loyalen Versuch erkannt haben, an der Widersprüch-

92 93 94 95

So auch Sitzler, Vorwurf (1995), 109 Anm. 438. Von Soden, TUAT III/l (1990), 146; so schon Buccellati, Tre saggi (1972), 172 u.v.a. Vgl. auch Denning-Bolle, Wisdom (1992), 157f. Vgl. neben von Soden auch Loretz, Qohelet (1964), 105; vgl. Lambert, Some new (1995), 35.

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lichkeit der Erfahrung festzuhalten, gleichzeitig aber eine diskrete Hoffnung auf Gott und König zu artikulieren. 96 Ist die 'Theodizee' wirklich das Zeugnis eines im Vergleich zu Ludlul "müde gewordenen Glaubens", wie W. von Soden unlängst formuliert hat? 97 Ein Bibliker fühlt sich bei einer derartigen Beurteilung unwillkürlich an eine bestimmte Richtung der Qoh-Interpretation erinnert, die Qohelet des resignativen Defaitismus angesichts der "unveränderbaren Welt" 98 bezichtigt und seine Kanonizität in Frage gestellt hat. Keines der beiden Urteile wird m.E. den Texten gerecht. Die 'Theodizee' steht insofern in einem frappanten Kontrast zu Ludlul, als sie an der Feststellung des amoralischen Funktionierens der Welt bis zum Schluß festhält, dieses als letztlich von den Schöpfergottheiten (als Urhebergottheiten) verursacht und deshalb unveränderbar behauptet, dagegen aber gerade nicht die größere Macht Marduks aufbietet, sondern ihre Hoffnung in die Verehrung der persönlichen Schutzgottheit(en) und das schlichtende Wirken des Königs setzt. 99 Auch sie steht freilich wie Ludlul und trotz des Abgleitens in die Verzweiflung im Mittelteil - in einem weit weniger gebrochenen Verhältnis zur Wirklichkeit und zu zentralen Institutionen von Religion und Gesellschaft als Qohelet. Die Dialogform erlaubt es ihr, auch der größten (wiewohl literarisch inszenierten) Verzweiflung stets die gemessene Sicherheit des weisen Rates entgegenzuhalten und damit insgesamt einen ruhigeren Kurs zu steuern als das Qoh-Buch. Dessen Problemstellung ist in mehrfacher Hinsicht ungleich schärfer: zum einen formal, weil die Debatte gerade nicht dialogisch aufgelöst, sondern im denkenden Subjekt allein geführt wird; zum andern, weil es dem im Rahmen des Monotheismus argumentierenden Qohelet verwehrt ist, verschiedene Ebenen von Theologie und Frömmigkeit nebeneinander funktionieren zu lassen. Einer seiner theologischen Kernsätze ("Gott hat den Menschen recht gemacht, sie sind es, die viele Berechnungen suchen" [7,29]) liest sich denn auch, wie Loretz mit Recht gesagt hat, "wie eine verneinende 96

97 98 99

Daß der Dialog am Ende "a true compromise and resolution" gefunden habe, hat neuerdings Denning-Bolle betont (Wisdom [1992], 151, 155 u.ö.). Vgl. auch Sitzler, Vorwurf (1995), "Der Text als Gesamtwerk führt...auf die Forderung [m.E. wäre "Hoffnung" oder "Erwartung" hier angemessener, C.U.] nach einem starken Helfer hin, der dem leidenden Gerechten in der asozialen Gesellschaft einen Lebensraum möglich macht. Dieser Helfer ist der König und soll von der persönlichen Gottheit herbeigebracht werden" (108). Von Soden, TUAT III/l (1990), 146. Crüsemann, Welt (1979). Daß "mit dem Hinweis auf die Erschaffung des Menschen als eines Lügners und eines Bösewichtes...die Problematik, warum es dem Bösen gut geht und dem Gerechten schlecht, ungelöst" bleibt (so Loretz, Qohelet [1964], 105 mit Hinweis auf Lambert, BWL [1960], 65), stimmt nur bedingt. In diametralem Widerspruch zum Skopus der 'Theodizee' steht die Meinung, daß bei einer solchen Ätiologie "eine Bestrafung des Bösen nicht mehr gefordert werden" könne (so Loretz ebd.).

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Antwort auf die Worte des Dialogs" 100 von der schöpfergöttlichen Stiftung der Lüge. Damit sei nicht behauptet, Qohelet respondiere auf die 'Theodizee1: Der Kontext, in dem das Qoh-Zitat steht, stellt ja zum einen die Frage selbst (7,25) und argumentiert zum andern noch auf ganz anderem Wege (7,26-28). Dennoch ist es bemerkenswert, in der 'Theodizee' eine Ätiologie der schöpfungsgestifteten Lüge und Verdorbenheit der Menschen formuliert zu finden, die einer fatalistischen oder opportunistischen Meinung nahesteht, wie sie von Qohelet gerade bestritten wird. M.W. ist sie im orientalischen Schrifttum nirgends sonst in dieser Deutlichkeit formuliert worden. 101 Das Qoh-Buch ist jedoch in einem entscheidenden Punkt einen Schritt weiter: Die 'Theodizee' problematisiert - wie das Ijob-Buch - den Nutzen der Frömmigkeit und mobilisiert (offenbar erfolgreich) die Weisheit als Stütze der Frömmigkeit; das Qoh-Buch bewegt sich jenseits dieser Fragestellung (die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes ist, wie gesagt, nicht sein Problem), bezweifelt nun vielmehr den (existenziellen wie kognitiven) Nutzen bzw. die Verläßlichkeit der Weisheit. Rudimente einer 'Theodizee'-Problematik, wie sie die babylonische Dichtung beschäftigt, ließen sich allenfalls im Hintergrund von 3,9-15 ausmachen (vgl. zur Verbindung von Erfolg/Gewinn und gottgegebener Mühe 102 v.a. Z. 76). Die zuletzt genannte Stelle könnte auch im Blick auf das Stichwort '•öläm einen Vergleich mit der 'Theodizee' lohnen. S. Denning-Bolle hat im Anschluß an J. Bottéro (1977) deutlich herausgearbeitet, daß der weise Ratgeber gegenüber der Klage und Verzweiflung seines Gesprächspartners konstant an der Überzeugung festhält, daß nur die korrekte Beachtung der Frömmigkeitsregeln den Menschen einen Kontakt mit der ihnen kognitiv verschlossenen, aber allein stabilen göttlichen Wirklichkeit eröffnet 103 : "through piety one may glimpse what is eternal" 104 . Qohelet würde dem wohl prinzipiell zugestimmt haben, die Möglichkeit des Verstehens des "Ewigen" allerdings skeptischer beurteilt und den Weg der Vermittlung nicht in der Beachtung kultischer Regeln, sondern in der Haltung der "Freude" gesucht haben.

100 101 102 103

104

Loretz, Qohelet (1964), 105. Vgl. aber den Hinweis von Lambert, Some new (1995), 36 auf die Lüge als m e im sumerischen Mythos "Inanna und Enki". Vgl. auch die cinyän-Problematik in Qoh 1,13 2,23.26 3,10 4,8 5,2.13 8,16. "... what the friend stresses is the necessity of looking forward to what is permanent. Do not become entangled in the transiencies of this world, urges the friend, but direct your gaze to the divine which is enduring. And it is piety that one needs in order to reach that realm" (Wisdom [1992], 141). Ebd. 144. Sitzler spricht von einer "Veränderung des Welt- und des Gottesbildes von der Vorstellung der Ordnungsmächte zur Vorstellung der persönlichen Frömmigkeit" (1995: 109) und übersieht dabei, daß auch Helfer, persönliche Schutzgottheit und König "Ordnungsmächte" sind.

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3. 'Pessimistischer

Dialog'105

A l s nächste unter den einschlägigen mesopotamischen Weisheitsdichtungen ist hier der sog. pessimistische 'Dialog z w i s c h e n Herr und Diener', ein D o k u m e n t satirischer Selbstproblematisierung der Weisheit, anzuschließen. Hier kann ich m i c h kürzer fassen. Der Text m a g "früh im 7. Jh." 106 entstanden sein und ist in K o p i e n des 7. Jhs. aus Assur und N i n i v e und einer vielleicht hellenistischen aus B a b y l o n 1 0 7 bezeugt. "Our author has no known literary antecedents and displays m o s t unorthodox views" 1 0 8 - dies allein regt zu einem Vergleich mit dem Q o h - B u c h an. 1 0 9 Der Dialog besteht aus zehn Wechselreden, die alle mit dem Aufruf "Sklave, stimm mir (stets) zu!" und der Antwort "Jawohl, mein Herr, jawohl!" einsetzen. Darauf äußert der Herr einen Plan, zu dessen Ausführung ihn der Sklave unter Zitierung von (traditionell-weisheitlichen?) Lehrsprüchen, Redensarten und Argumenten emphatisch ermutigt. Sofort aber ändert der Herr seine Absicht und will das Gegenteil tun - und auch dazu ermutigt ihn der Sklave, wiederum mit Hilfe einschlägiger Sprüche. Als erstes Beispiel sei Abschnitt 6 zitiert: 46 47 48 49 50 52 52

"Sklave, stimme mir (stets) zu (mitanguranni uo )\" "Jawohl, mein Herr, jawohl!" "Eine Frau will ich lieben! " "Liebe, mein Herr, liebe! Ein Mann, der eine Frau liebt, kann Not und Wehklage gering achten." "Nein, Sklave, ich will diese Frau nicht lieben! " "Liebe [nicht], mein Herr, liebe nicht! Eine Frau ist eine tiefe Zisterne, ein Loch, ein Graben... Eine Frau ist ein geschliffenes Eisenschwert, das den Hals des Mannes durchschneidet."

Als zweites Beispiel zitiere ich Abschnitt 9: 70

105

106 107 108 109

110

" Sklave, stimme mir (stets) zu) ! " "Jawohl, mein Herr, jawohl!"

Edition: Lambert, BWL (1960), 139-149, 323-327, 346; letzte deutsche Übersetzung: von Soden, TUAT III/l (1990), 1158-163. Für neuere Studien vgl. Denning-Bolle, Wisdom (1992), 165-175 (Lit.); Lambert, Some new (1995), 36f. Von Soden, TUAT III/l (1990), 158f. Zu deren Datierung vgl. Oelsner, Materialien (1986), 207 mit Anm. 764. Lambert, BWL (1960), 140. Vgl. Loretz, Qohelet (1964), 110-116 mit Verweis auf ältere Literatur. Loretz selber betont v.a. die Unterschiede zwischen den beiden Werken, lehnt eine direkte Beziehung ab und sieht Gemeinsamkeiten nur in einigen Topoi und allgemein im "literarischen Problem...: starke Abhängigkeit von der Tradition und selbständige Verarbeitung und Stellungnahme zu ihr" (ebd. 116). Der Sklave soll generell und jederzeit zustimmen - noch bevor der Herr seine Meinung geäußert hat! Vgl. hierzu Kraus, Lebensgefühl (1960), 117 Anm. 5.

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"Eine öffentliche Wohltat für mein Land will ich leisten! "

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"Leiste, mein Herr, leiste! Ein Mann, der eine öffentliche Wohltat für sein Land leistet, Seine Wohltaten sind im Tragkorb Marduks niedergelegt ! " "Nein, Sklave, ich will diese Wohltat nicht leisten!" "Leiste nicht, mein Herr, leiste nicht! Geh hinauf und ergeh dich auf den alten Hügeln111 : Sieh die Schädel der letzten und der früheren (Verstorbenen) an: Wer war da ein Schurice, und wer ein Wohltäter?"

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In der letzten Sequenz ist die Verteilung der Reden umstritten, weil sich der Redegang ändert. Wer die bisherigen Sprecherwechsel zum Vorbild nimmt, wird wie folgt verstehen: 79 80 81 82 83 84 85 86

"Sklave, stimm mir (immer) zu! " "Jawohl, mein Herr, jawohl!" "Was ist denn nun gut?" "Meinen Hals und deinen Hals brechen und in den Fluß werfen, das ist (nun) gut! Wer ist denn so lang, daß er zum Himmel aufsteigen könnte? Wer ist denn so breit, daß er die Unterwelt/Erde umfassen könnte?" 112 "Nein113, Sklave, ich töte dich und laß dich vor mir in den Tod gehen." "Aber für meinen Herrn seien es nur noch drei Tage, die er nach mir zu leben hat." 1 ' 4

D a s Gespräch verläuft derart eigenartig, daß manche Bearbeiter ihm den Charakter einer Weisheitsschrift absprechen wollten und den Text als Satire, Saturaalie oder Parodie klassifizieren wollten. 1 1 5 D a g e g e n haben besonders Bottéro und Buccellati, ohne den humorvollen bzw. ironischen Aspekt zu bestreiten, auf die Häufung und Funktion der 'weisheitlichen' Redensarten in den Antworten des Sklaven hingewiesen. Meinte Bottéro, der Autor mokiere sich "d'une certaine manière compassée et bornée de fonder perpétuellement sa conduite sur des lieux communs" 1 1 6 , so wollte Buccellati mit mehr Sympathie für den geistreichen Sklaven in der Dichtung die Inszenierung des weisheitli-

111 112 113 114 115

116

Möglicherweise ein Zitat aus Gilgamesch I i 16 und XI 303, wo es allerdings um das Betrachten der Mauern von Uruk geht. Vgl. zu diesem Topos, der u.a. im (sumerischen) Epos "Gilgamesch und Huwawa" bezeugt ist, Lambert, BWL (1960), 327. Für eine anderslautende Konjektur vgl. Buccellati, Tre saggi (1972), 99. So im Anschluß an Lambert, BWL (1960), 148f mit Denning-Bolle (Wisdom [1992], 165, 170) u.v.a.; anders von Soden, TUAT III/l (1990), 163. Vgl. Loretz, Qohelet (1964), 110-113; besonders scharf wie oft hat FR. Kraus "ein 'philosophisches Zwiegespräch', das als Denkmal eines skeptischen, ja zynischen Pessimismus galt, als burlesk-farcenhafte Satire" erkennen wollen (Lebensgefühl [1960], 113). Bottéro, Mésopotamie (1987), 312.

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chen Ideals einer "scienza degli opposti" erkennen. 117 Die letztere Beobachtung ist insofern interessant, als sie die Auseinandersetzung mit Gegensatz und Paradox als spezifisch weisheitliche Problematik bestimmt, woher vielleicht auch neues Licht auf die Frage nach den sog. Widersprüchen im Denken Qohelets fallen könnte. 118 Wenn Buccellati allerdings meinte, der Sklave stehe sozusagen in einer Prüfungssituation und bestehe alle Prüfungen seines Herrn, weil er immer die rechte Antwort parat habe, dann scheint mir die karikierende Ironie der Dichtung nicht recht getroffen zu sein: Die Konsequenz der vom Herrn geforderten Zustimmung, die der Sklave nicht verweigern kann, ist ja die, daß der Sklave trotz all seiner lehrreichen Ratschläge seinen Herrn faktisch nicht mehr berät, so daß dieser im Erwägen des einen und seines Gegenteils gefangen bleibt und letztlich untätig bleibt - so lange, bis er schließlich angesichts der Feststellung des ohnehin alle treffenden Todesschicksals, mit dem ihn der Sklave in den Selbstmord zu treiben droht, nur noch dessen Tötung als Befreiungstat ins Auge faßen kann. 119 Sowohl Bottéro als auch Buccellati haben ihre Deutung des Dialogs mit einem Hinweis auf die nur scheinbar paradoxen Oppositionen in Qoh 3,1-8 begründen wollen. 120 Der Kontrast könnte freilich kaum größer sein, geht es dem Qoh-Gedicht (das kaum vom Verfasser selber stammen dürfte) doch um Zeiten, je Verschiedenes zu tun, wogegen im 'Pessimistischen Dialog' der unschlüssige Herr solche Zeiten gerade nicht zu ergreifen weiß und zum Tun nie kommen kann, weil die 'Weisheit' seines versatilen Sklaven ihm keinen wirklich praktischen Rat zu geben imstande ist. Lambert will als allgemeinen "thought-content" des Dialogs "the futility of all human endeavour" bestimmen und sieht darin einen Bezugspunkt zu Qohelet. 121 Dieser ist aber ganz allgemein und überdies für den Dialog keineswegs gesichert, so daß die These kaum weiterhilft.

117 118 119

120 121

Ihm folgt Denning-Bolle, Wisdom (1992), 166ff. Vgl. dazu bes. Fox, Contradictions (1989). Die letzte Antwort des Sklaven macht freilich deutlich, daß die 'Befreiung' eine kurzfristige sein würde. Das Problem, das die Satire wohl absichtlich nicht lösen will (oder nicht lösen kann?), ist das der eingangs und immer wieder geforderten und gewährten Zustimmung. Dafür, den Autor und/oder den Sklaven deshalb zum Skeptiker zu erklären (so wieder Denning-Bolle, Wisdom [1992], 171f), besteht ebenso wenig Anlaß wie für die Behauptung, der 'Dialog' verweise seine Leser in den Z. 83-84 letztlich auf die Transzendenz (so im Anschluß an Bottéro, Dialogue [1966], auch Denning-Bolle, Wisdom [1991], 173). Vgl. nur den Gedankengang von Abschnitt 7 über das Zurüsten eines Opfers, der gegenüber einer solchen Deutung geradezu blasphemisch klingt: "Ja, ja, rüste zu: Wer opfert, gewinnt Vertrauen - nein, nein, rüste nicht: Du lehrst (so) deinen Gott, wie ein Hund hinter dir herzulaufen!" (Z. 55-60). Bottéro, Mésopotamie (1987), 314-316; Buccellati, Tre saggi (1972), 96f. Lambert, Some new (1995), 36; "...it can be suspected that there is a common wisdom theme somewhere in the background of the two works" (ebd. 37).

Qohelet im Horizont altorientalischer Weisheitsliteratur

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Blicken wir kurz auf die bisher behandelten Texte zurück, können wir als Zwischenfazit festhalten, daß die Konfrontation mit dem Qoh-Buch zwar gelegentlich die eine oder andere topische Gemeinsamkeit oder aber gerade deutlich unterschiedliche Akzentsetzungen erkennen läßt, von einer eigentlichen Verwandtschaft der babylonischen Dichtungen mit dem biblischen Buch jedoch keine Rede sein kann. Anderslautende Argumentationen bleiben diesbezüglich zu sehr im allgemeinen, zielen gelegentlich sowohl am babylonischen wie am biblischen Material vorbei oder wirken zu konstruiert, um überzeugende Indizien auch nur für eine vage Geistesverwandtschaft liefern zu können. Allen drei bisher genannten Dichtungen ist gemeinsam, daß sie in verschiedenen Modi traditionelle Frömmigkeits- und Weisheitsideale problematisieren, diese aber kaum je richtig zu überwinden vermögen. Sie bleiben stark von typisch mesopotamischen Denkvoraussetzungen des 2. und frühen 1. Jts. geprägt, wie sie sich im Qoh-Buch an keiner Stelle (mehr) finden. 122 Vor allem aber ist grundsätzlich festzustellen, daß Verbindungen zum QohBuch überlieferungsgeschichtlich ganz unwahrscheinlich sind: Die drei Texte mögen bis in persische oder hellenistische Zeit überliefert worden sein, sie sind in der Spätzeit kaum über Babylon und evtl. Borsippa hinaus bekannt gewesen. Mag in der Perserzeit eine Verbindung von der 'Theodizee' bzw. einer nicht erhaltenen verwandten Komposition zur Ijob-Dichtung denkbar sein, so scheint sich in der hellenistischen Zeit außer spätbabylonischen Schreibern und Gelehrten niemand mehr für diese Texte interessiert zu haben. Im Unterschied zu einigen später zu nennenden Lehren bzw. Spruchsammlungen und dem sog. Fürstenspiegel (s.u. 6 ), bei denen wir mit (vollständigen oder Teil-)Übertragungen ins Aramäische rechnen können, ist die nicht-gnomische babylonische Weisheitsliteratur eine exklusive Domäne babylonischer Schreiber geblieben, die diese Texte (als Klassiker und/oder Curiosa) weiter kopiert, aber nicht mehr produktiv fortgeschrieben und ihnen auch keine neuen Kompositionen zur Seite gestellt haben. Übersetzungen ins Aramäische dürfte es hier ebenso wenig gegeben haben wie solche ins Griechische. Die sog. Graeco-Babyloniaca 123 ignorieren die Weisheitsliteratur, ein Nachhall in anderssprachigen Literaturen ist nicht bekannt. Wenn Verbindungen zwischen dem seleukidischen Babylon und dem ptolemäisch verwalteten Jerusalem im Bereich spezifisch weisheitlicher Literatur erwogen werden sollten, dann höchstens im Blick auf Gattungen, die auch bzw. vorwiegend in aramäischer Sprache überliefert wurden.

122 123

Vgl. zur epochalen Differenz der Fragestellungen in bezug auf die "basic questions of opposites" den Beitrag von Horton, Concept (1972). Zu diesen vgl. v.a. Oelsner, Bedeutung (1972), Materialien (1986), 239-245; Maul, Neues (1991), La fin (1995).

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4. Qohelet'sche Reminiszenzen an die

Gilgamesch-Literatur?

Von diesem Zwischenstandort aus können wir uns nun der vielverhandelten Frage nach Beziehungen des Qoh-Buches zur Gilgamesch-Literatur zuwenden. Wenngleich diese nicht zur Weisheitsliteratur im engeren Sinn gehört, nimmt sie doch zahlreiche Topoi aus jener auf und ist sie insgesamt v.a. in der ausführlichen, 'kanonischen' Elftafelversion 124 von Sîn-lëqë-unninni aus der Zeit um 1200 v. Chr., aber wohl auch schon, soweit erkennbar, im fragmentarisch erhaltenen altbabylonischen Zyklus 125 - von der 'weisheitlich'philosophischen Frage nach dem Glück und dem Lebenssinn des paradigmatischen Menschen Gilgamesch angesichts des Todesschicksals durchzogen. Dieser im weiteren Sinne 'weisheitliche' Charakter tritt besonders in den langen Reden deutlich zutage. 126 Berührungen zwischen der Gilgamesch-Literatur und dem Qoh-Buch hat die Forschung an drei Texten bzw. Themen feststellen wollen: (1.) dem Bild vom dreifach gezwirnten Faden bzw. Strick in 4,12; (2.) dem sog. Carpe diem-Gedicht 9,7-9 (hier wird die Diskussion durch die jüngst fertiggestellte Dissertation von J.Y.-S. Pahk127 neuen Auftrieb bekommen, die den Vergleich auf Qoh 8,16-9,10 ausweitet); (3.) dem Thema von der Vergänglichkeit der menschlichen Existenz (Stichworte Mru und hœbœt)n% (1.) Der dreifach gezwirnte Faden: A. Shaffer hat 1967 eine ältere Beobachtung von S.N. Kramer129 aufgenommen und daraufhingewiesen, daß 124 125 126

127 128

129

Die XII. Tafel des 'kanonischen' Zyklus dürfte diesem nachträglich angefügt worden sein und nicht auf Sîn-lëqë-unninni zurückgehen. Zur Überlieferungsgeschichte vgl. Tigay, Evolution (1982); Lambert, Gilgamesh (1987); Tournay/Shaffer, L'épopée (1994), 10-12. Vgl. Buccellati, Tre saggi (1972), 1-36; Tigay, Evolution (1982), 163; Denning-Bolle, Wisdom (1992), 88-103 sowie zahlreiche Einzelbeobachtungen von Müller, Gilgamesch-Epos (1991), der trotz der Deutekategorien "fromme Resignation vor dem allgemeinen Todeslos" und "Beruhigung im Unabänderlichen" von einem Vergleich mit Qoh absieht. Vgl. jedoch ebd. 82 zum Ganzen: "das durch die im Epos erzählten Erfahrungen gesammelte Wissen ist schmerzlich - wie etwa die Erkenntnis des späten Kohelet". S. u. Anm. I53a. Loretz, Qohelet (1964), behandelt die Aspekte (2) und (3), Shaffer, Background (1967), und Tigay, Claims (1993), verbinden (1) und (2); alle drei Gesichtspunkte werden bei de Savignac, Sagesse (1978), und Jones, From Gilgamesh (1990), diskutiert. Auf den von Loretz darüber hinaus genannten, sehr allgemeinen Gesichtspunkt "Name und Gedächtnis in der babylonischen Literatur" (vgl. Loretz, Qohelet [1964], 128-132, 225-234), der in der Gilgamesch-Literatur eine wichtige Rolle spielt, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden, da das Thema - zumal mit seinen ägyptischen Verästelungen - eine monographische Behandlung erfordern würde und im Qoh-Buch eine andere Koloration hat als im Gilgamesch-Epos. Die Zurückweisung durch Braun, Popularphilosophie (1973), 12 ist sicher zu knapp geraten. Vgl. Kramer, Gilgamesh (1947), 40.

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s i c h das in Q o h 4 , 1 2 v e r w e n d e t e B i l d v o m dreifach g e z w i r n t e n F a d e n s c h o n in d e m auf T a f e l n der altbatrylonischen Z e i t überlieferten, s u m e r i s c h e n E p o s " G i l g a m e s c h und H u w a w a "

finde. D a s E p o s handelt v o m Z u g G i l g a m e s c h s

und E n k i d u s z u m Zedernwald.

Vor dem Kampf gegen

Huwawa

spornt

G i l g a m e s c h seinen v o m furchtbaren A u s s e h e n des Zedernwächters verstörten Gefährten an: GLL = GH A 106 "Laß doch Enkidu, zwei Leute zusammen werden nicht sterben. Wer ans Boot gebunden ist, ertrinkt nicht. 107 Einen dreifach zusammengefalteten Stoff wird niemand durchschneiden. 108 Von einer Mauer kann das Wasser niemanden wegschwemmen. 109 In einem Rohrhaus wird ein Feuer nicht erlöschen. 110 Hilf du mir, so will ich dir helfen - was könnte uns einer dann anhaben?" S h a f f e r w o l l t e im s u m e r i s c h e n T e x t "the ultimate s o u r c e o f the m o t i f ' erk e n n e n und nahm zunächst eine A b h ä n g i g k e i t des g a n z e n Passus Q o h 4 , 9 - 1 2 v o n der s u m e r i s c h e n D i c h t u n g an. 1 3 1 W e n i g später stützte er d i e T h e s e durch den H i n w e i s auf ein nunmehr bekannt g e w o r d e n e s akkadisches Fragment, das 132 einst z u m 'kanonischen' E l f - bzw. Z w ö l f t a f e l e p o s gehört haben muß. Nur d i e s e s ist bis in hellenistische Z e i t weiterüberliefert w o r d e n 1 3 3 , nur hier läßt sich e i n e ü b e r l i e f e r u n g s g e s c h i c h t l i c h e V e r b i n d u n g z u Q o h v e r n ü n f t i g e r w e i s e erwägen. In der 'kanonischen' V e r s i o n findet sich der V e r g l e i c h g l e i c h z w e i m a l , und z w a r leicht adaptiert, im leider stark zerstörten K o n t e x t der Zedernwaldepisode: GE IV vi 3-6/11-14 ?1M || V ii 23-26 135 3 II 23

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131 132 133

134 135 136

"Ein rutschiger Boden kann nicht [zwei gefährden, die einander helfen. 136

Letzte Edition: Edzard, Gilgames (1990, 1991; zur einschlägigen Stelle vgl. 1991, 202); jüngste deutsche Übersetzung: Edzard, TUAT III/3 (1993), hier 545; vgl. auch Tigay, Evolution (1982), 166; Tournay/Shaffer, L'épopée (1994), 298 mit Anm. p. "... the whole passage 4:9-12 is dependent on the Sumerian composition" (Background [1967], 75*). New Light (1969). Der jüngste bekannte Textzeuge aus Babylon ist arsakidisch (nach 251 v. Chr.); die jüngste Kopie aus Uruk datiert ins Jahr 147 der seleukidischen Ära (d.h. 165/4 v. Chr.). Vgl. Oelsner, Materialien (1986), 167f, 206; Tournay/Shaffer, L'épopée (1994), 220f; zur weiteren Nachgeschichte vgl. ebd. 26f; Tigay, Evolution (1982), 251-255. Hier Rede Gilgameschs, vgl. Hecker, TUAT III/4 (1994), 693; abweichende Übersetzung bei Tournay/Shaffer, L'épopée (1994), 118. Hier Rede Enkidus, vgl. Tigay, Evolution (1982), 166; Tournay/Shaffer, L'épopée (1994), 123f. Übersetzung in Anlehnung an Schott/von Soden, Gilgamesch-Epos (1969), 43, 46. Bei deren Deutung dürfte zwar Qoh 4,10 Pate gestanden haben, doch scheint die Übersetzung nun durch das Emar-Fragment Nr. 781 Z. 6'f eine Stütze gefunden zu haben (vgl. Tournay/Shaffer, L'épopée [1994], 118):

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4 y 24 5 II 25 6 II 26

Zwei Drillinge (dagegen) [... Ein dreifaches Seil [kann nicht zerrissen werden.] Ein starker Löwe (und) seine zwei Jungen [sind unbesiegbar]."137

Beachtet man den literarischen Kontext und vergleicht die beiden Versionen, zwischen denen eine jahrhundertelange, komplexe Überlieferungsgeschichte liegt, genau miteinander, so wird jedenfalls Shaffers ältere These einer Abhängigkeit vom Sumerischen nicht gestützt: Der (mehrdeutige) sumerische Vergleich handelt gar nicht von einem Strick, sondern von einem (wohl zusammengefalteten) Stück Stoff. 138 Er steht in einer Reihe mit drei anderen Formulierungen, die jeweils starke Verbindungen von zwei Größen (Boot und Schwimmender, Mann auf Mauer, Rohr und Feuer) zum Gegenstand haben. Diese Vergleiche passen im Blick auf die Zweizahl besser zum Kontext, dem es um die Kraft des Freundes/rararej geht. Der dazu etwas sperrige Vergleich mit dem Stoffstück dürfte hier deshalb verwendet worden sein, weil es sich um ein wohlbekanntes Sprichwort handelte.139 In der akkadischen Version ist der Vergleich mit dem nicht durchschneidbaren dreifachen Stoff zu dem Wort vom nicht reißenden dreifachen Seil 'übersetzt' worden, vermutlich weil er für das tertium comparationis (Kraft) sprechender war. Isoliert betrachtet, steht das akkadische Sprichwort Qoh 4,12 also näher. Die anderen Vergleiche des sumerischen Textes sind im Akkadischen durch neue ersetzt worden, von denen nun drei als gemeinsames Merkmal eine Dreizahl aufweisen (Drillinge, dreifaches Seil, drei Löwen140...). Ob es sich dabei um geprägte Sprichworte, eine traditionelle Gruppe oder Formulierungen ad hoc handelt, wissen wir nicht. Die Inkongruenz der Dreiervergleiche in einem Kontext, der von der Stärke von zwei Freunden handelt, ist hier offenbar nicht mehr nur eine Konzession an ein beliebtes Sprichwort, sondern eine bewußte Option. Der Fortschreiber bzw. 'Nachdichter' wollte damit vielleicht zum Ausdruck bringen, daß der vereinte Einsatz zweier Freunde deren Kraft nicht nur verdoppelt, sondern verdreifacht, also geradezu potenziert. Im Blick auf Qoh 4,10 ist natürlich auch die erste Zeile interessant, erst recht in der nun durch ein Fragment aus Emar indirekt gestützten Über-

137 138 139 140

„Wir zwei, die davon gehört haben: [χ] χ lu-ú mu$-hal-si-tum4-ma 2-n[a] [wir gehen,] mag (dort) auch rutschiger Boden sein, zu zweit." Anders Schott/von Soden, Gilgamesch-Epos (1969), 43, 46: "Des gewaltigen Löwen zwei Jung e können ihn fortstoßen"', ähnlich Tournay/Shaffer, L'épopée (1994), 118. Dies wird in den Übersetzungen von Shaffer, Background (1967), und Tournay/ Shaffer, L'épopée (1994), 298 verdeckt. Vgl. allgemein Hallo, Proverbs (1990), zu unserer Stelle 215f. Die oben gegebenen Übersetzungen vorausgesetzt; weniger deutlich im Fall der in Anm. 137 zitierten Deutung.

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Setzung.141 Hier handelt es sich nicht um einen Vergleich, sondern um eine kontextgebundene Aussage: der glitschige Boden meint den Weg zum Zedernwald. In Qoh 4,9-12 steht das Wort vom dreifach gezwirnten Faden am Ende einer Reihe von generellen Feststellungen, die vom Vorteil handeln, den zwei Verbundene gegegenüber einem Alleinstehenden haben: sie können einander aufhelfen, sie können einander wärmen, sie können einem Angreifer widerstehen. Das Wort vom dreifachen Strick fungiert hier als Metapher, um die elementare Verbindung von Zweien durch die noch stärkere von Dreien zu überbieten und so auf den Wert 'Verbindung, Gemeinschaft' hin zu verallgemeinern, der seinerseits im Kontrast zum Wettkampf jedes gegen jeden (4,4) steht.142 Ich bin geneigt, nicht nur im letzten, sondern auch im ersten Glied eine Reminiszenz an die im babylonischen Text bezeugte Gruppe zu sehen. Die beiden mittleren Glieder sind jedoch hier wie dort ohne genaue Parallele. Auch die Tatsache, daß in Qoh 4,12a anders als im Gilgamesch-Epos die Zwei einem Angreifer gegenüberstehen (und nicht umgekehrt selbst die Angreifer sind), läßt m.E. an einem direkten Zusammenhang von Qoh 4,10-12 mit der akkadischen Dichtung zweifeln. Wir werden der Spannung von Verwandtschaft und Differenz wohl am besten gerecht, wenn wir eine gebrochene Vermittlung nicht nur des einen babylonischen Sprichworts143, sondern der ganzen Spruchgruppe außerhalb des Epos annehmen. Diese wäre dann "unabhängig vom Gilgameschepos in der internationalen Spruchüberlieferung tradiert"1 4, dabei modifiziert worden und erst in modifizierter Gestalt in Qoh 4 angekommen. (2.) Der Rat der Schenkin und Qoh 9,7-9: Seit 1905145 wird als keilschriftliche 'Parallele' zu Qoh 9,7-9 ein Auszug aus einem um 1800 v. Chr. datierten, vielleicht aus Sippar stammenden Fragment einer altbabylonischen Gilgamesch-Erzählung zitiert, das heute in Berlin aufbewahrt wird (Gilg. Me.

141

142

143 144 145

S.o. Anm. 136. In unserem Zusammenhang ist jedoch ausdrücklich hervorzuheben, daß die Tafel Emar Nr. 781 offenbar weder die Zweier- noch die Dreiervergleiche kennt, auch nicht den mit dem dreifach gezwirnten Seil (vgl. Tournay/Shaffer, L'épopée [1994], 118). Wie immer man die Frage der literarischen Abhängigkeit beurteilen will: Die keilschriftlichen Spruchreihen stehen Qoh 4,7-12 jedenfalls näher als Gen 2,18; Dtn 5,16 oder die Nikomachische Ethik (zu Schwienhorst-Schönberger, Glück [1994], 133 mit Anm. 30)! Vgl. Tigay, Evolution (1982), 166. Michel, Qohelet ( 1988), 57. Grimme, Babel (1905).

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= V A T 4105 1 4 6 ). Es handelt sich um eine Rede der Schenkin Gilgamesch nach dem Tod seines Freundes Enkidu begegnet: G i l g . M e . = V A T 4 1 0 5 + , K o l . iii 1 "Gilgamesch, wohin läufst du? 2 Das Leben, das du suchst, wirst du sicher nicht finden! 3 Als die Götter die Menschheit erschufen, 4 wiesen sie der Menschheit den Tod zu, 5 nahmen das Leben in ihre eigene Hand. 6 Du, Gilgamesch, voll sei dein Bauch, 7 Tag und Nacht sei andauernd froh, du! 8 Täglich mache ein Freudenfest, 9 Tag und Nacht tanze und spiele! 10 Gereinigt seien deine Kleider, 11 dein Haupt sei gewaschen (und) du mit Wasser gebadet! 12 Sieh auf das Kind, das deine Hand gefaßt hält, 13 die Frau/Gattin148 freue sich auf deinem Schoß! 14 Dies (allein) ist das Tu[n der Menschen], 15 [Gilgamesch, wohin läufst du?] 16 Wer am Leben ist, so[ll sich des Lebens freuen.]"

, der

attä GilgameS lü mali karaSka urrl u muSï hitaddu attä ümiSarn Sukun hidûtam urrî u müSl sür u mëlil lü ubbubü subätüka qaqqadka lü mese mê lü ramkäta subbi sehram säbitu marhîtum

lihtaddâm

qätika ina

sûni[k]a

annâma íipi[r awïlûtim] [dGilgameS êi tadâl] ία baltu l[ihdu balâtam]

D i e Gemeinsamkeiten sind unübersehbar: Aufforderung zu Essen, Trinken 1 4 9 und Feiern, reiner Kleidung und Körperpflege, Hinweis auf das Freuen mit der Frau. D i e Kommentatoren beschränken sich in der Regel auf einen topischen Vergleich, ohne zu behaupten, die Topoi hätten an beiden Stellen auch die gleiche Funktion. D i e unterschiedlichen Nahkontexte nehmen auf j e unterschiedliche Problemstellungen Bezug. 1 5 0 D i e gewichtige theologische Prämisse der Schenkin, daß die Götter das Leben in ihrer eigenen Hand 146

147 148 149 150

Sog. Meissner-Tafel; letzte deutsche Übersetzung bis Z. 14 durch Hecker, TUAT III/4 (1994), 665f; vgl. Tournay/Shaffer, L'épopée (1994), 203f mit Anm. k; Ergänzung von Z. 15-16 im Anschluß an Th. Jacobsen nach Abusch, Request I (1993), 2 Anm. 2. Erst in der 'kanonischen' Version trägt diese den Namen ΛSi duri. Zu akk. marhîtum vgl. neben AHw II 611b; CAD M/1 281 die Erwägungen von Abusch, Request I (1993), 9 Anm. 38. Im Gilgamesch-Fragment sind Essen und Trinken in der Wendung "voll sei dein Bauch" wohl zusammengefaßt. Vgl. Loretz, Qohelet (1964), 118; zur Schenkinnen-Perikope vgl. jüngst Tigay, Claims (1993), 50f; Abusch, Request I (1993: bes. zu den Inversionen in Z. 10-11: Kleiden vor Baden und 12-13: Kind vor Frau) und II (1993: bes. zu Z. 6-9).

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behalten hätten, hat in Qoh 9 ebenso wenig eine Entsprechung wie Gilgameschs Klage um den toten Freund und die Einweisung Gilgameschs vom Bordell hin zu einem 'normalen' Familienleben.151 Aber es gibt auch eine Verwandtschaft zwischen den Ko-Texten: In beiden Texten geht es um ein 152

Kontrastverhalten angesichts des unvermeidlichen eigenen Todes. Insgesamt scheinen die Gemeinsamkeiten in gleicher Reihenfolge so auffällig, daß oft mit einer 'Parallele' oder gar mit der "nächsten Parallele"153 gerechnet wird. Einen Schritt weiter geht nun J.Y.-S. Pahk l i 3 a : Er erweitert die Vergleichsbasis auf Qoh 8,16-9,10 und notiert nicht weniger als 14 "semantisch-inhaltliche Ähnlichkeiten": "nicht finden" (Z. 2 || Qoh 8,17), "der Tod für die Menschheit" (Z. 4) || "ein und dasselbe Geschick" (Qoh 9,2f), "die Götter nahmen in ihre Hände" (Z. 5) || "in der Hand Gottes" (Qoh 9,1), ila (Pl. Ζ. 3) II 'œlohïm (Qoh 8,17 9,1.7), attä GilgameS (Ζ. 6) || lêk (Qoh 9,7), "dein Bauch sei voll" (Z. 6) II "iß dein Brot und trink deinen Wein" (Qoh 9,7) etc. Allerdings gebe es auch Unterschiede (etwa die Nichterwähnung des in Gilg. Z. 12 genannten Kindes bei Qoh), die insgesamt jedoch weniger Gewicht hätten als die Gemeinsamkeiten. Pahk vergleicht dann den "argumentativen Stil" der beiden Texte. Der Vergleich sei dadurch erschwert, daß die beiden Texte eine unterschiedliche Kommunikationssituation voraussetzten: Gilg. einen Dialog zwischen der Schenkin und Gilgamesch, Qoh einen Selbstbericht. Forme man den Dialog in einen ex hypothesi konstruierten Selbstbericht Gilgameschs um - ein Verfahren, dem ich aus methodologischen Gründen sehr reserviert gegenüberstehe - , dann stünden sich die beiden Texte noch näher. Berücksichtige man schließlich den größeren Kontext der beiden Werke, dann ergäben sich weitere Übereinstimmungen: In beiden sei eine königliche Gestalt von großer Weisheit die Hauptfigur; sie zeichne sich durch Bauten (Mauern von Uruk, Häuser, Gärten etc. in Qoh 2,4-9) aus, werde dann jedoch mit dem Tod als dem 151

152

153

Beachte den Hinweis auf das Kind in Z. 10. "The mention of the child transforms the sexual relationship with the marftitum into a family relationship. His partner is now also his 'wife', and the birth of a child is a consequence of their relation. The woman, the child, both represent normality. (...) The sexual act is now a procreative act which brings into being the posterity and future signalled by the child. Progeny implies death, and thus the woman and child also suggest mortality and are a most pronounced way for Siduri to impart to Gilgamesh the notion of his mortality and to express the hope that he accept his mortal nature. But progeny also implies immortality. A child is a form of immortality, and in our passage, this is the only form of immortality that Gilgamesh can hope for" (Abusch, Request I [1993], 7; vgl. 13f). Gegen Jones, From Gilgamesh (1990), 371, der das Kontrastverhalten im altbabylonischen Fragment ausschließlich auf die Beendigung der Klage um den toten Enkidu beziehen will, ist Gilgameschs Hauptproblem an dieser Stelle die Furcht vor seinem eigenen Tod. Dies zeigt deutlich seine vorausgehende Rede: "Möge ich den Tod, den ich andauernd fürchte, nicht sehen" (VAT 4105+, Kol. ii, Z. 13; Hecker, TUAT III/4 [1994], 665). Kaiser, Beiträge (1995), 25; "one of the most striking parallels between the two works", "one of the strongest arguments that Qoheleth depended upon Gilgamesh" (Jones, From Gilgamesh [1990], 369).

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Geschick der Menschen konfrontiert; sie suche nach dem Sinn des Lebens, müsse aber erkennen, daß nur die Götter/Gott über das Leben verfügte(n); einziger Weg des Menschen sei deshalb das fröhliche Leben mit der Gattin/Braut. Pahks These lautet: "Kohelet hat das Gilgameschepos in irgendwelcher Weise gekannt und in diskursiver Form in seinen Text eingearbeitet." Freilich sei dies vorderhand nur eine "theoretische Hypothese", da die erforderlichen Quellen fehlten, um die Kanäle der Überlieferung und der Übersetzung in zeitlicher und örtlicher Hinsicht präzisieren zu können. Pahks These argumentiert hier sehr breitflächig, obwohl mittlerweile eine präzisere überlieferungsgeschichtliche Argumentation möglich wäre. Wie hätte man sich die Vermittlung vom einen Text zum andern konkret vorzustellen? Loretz hatte 1964 festgestellt, "wegen der weiten Verbreitung, die den Gilgamesch-Erzählungen sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Ausdehnung beschieden waren (sie) und 154

die sich...weit nach Westen bis nach Palästina erstreckte" , sei "eine direkte Berührung der Israeliten mit diesem alten Erzählungsstoff nicht ausgeschlossen, sondern nahezu zu erwarten" . Selbst Michel, der ansonsten die Annahme eines babylonischen Einflusses auf das Qoh-Buch verwirft, will angesichts der genannten 'Parallelen' nicht ganz ausschließen, daß 156 Qohelet das babylonische Epos gekannt und aus ihm habe zitieren können. Auch Jones 157 rechnet mit literarischer Abhängigkeit Qohelets vom Gilgamesch-Epos. Pahk hat also (offenbar ohne Kenntnis der Arbeit von Jones und der neuesten Stellungnahme von Tigay) in

153a Pahk, Canto (1996), bes. 13-71. Die Arbeit von Pahk war bei Abschluß des vorliegenden Beitrags noch nicht veröffentlicht, weshalb ich mich an dieser Stelle nicht detailliert mit ihr auseinandersetzen kann. Grundlage meiner Bemerkungen zu Pahks These ist eine deutschsprachige Zusammenfassung des ersten Teils seiner Dissertation mit dem Titel "Eine vergleichende Untersuchung über Koh 8,16-9,10 und Gilg. Me. iii", die er für die Grazer Tagung erstellt und den Teilnehmern der Tagung dankenswerterweise überlassen hatte. Ich möchte ausdrücklich hervorheben, daß ich die Textvergleiche von Pahk im einzelnen für überaus interessant halte, wenngleich ich, wie sich zeigen wird, der These eines genetischen Zusammenhangs von Qoh 8,169,10 und Gilg. Me. iii aufgrund methodologischer und überlieferungsgeschichtlicher Bedenken nicht zustimmen kann. 154 Der Hinweis bezieht sich auf das in diesem Zusammenhang gerne zitierte, ins 14. Jh. datierte Fragment aus Megiddo, das 1959 von A. Goetze und S. Levy veröffentlicht worden war. Vgl. dazu nun Tigay, Evolution (1982), 123-126, 285f; Hecker, TUAT III/4 (1994), 670; Tournay/Shaffer, L'épopée (1994), 174-177. Das Fragment enthält die Schilderung eines Deliriums Enkidus im Anschluß an die Zedernwaldepisode, gehört somit in deren größeren Zusammenhang und wird von den Bearbeitern in der Regel gegen Ende der Taf. VII der 'kanonischen' Version piaziert. Da die Zedernwaldüberliefening lange Zeit selbständig tradiert wurde, kann das Fragment eine Bekanntschaft palästinischer Schreiber mit dem ganzen Epos und mit der Schenkinnenrede (sei es in einer der altbabylonischen Versionen, sei es in einer hypothetischen mittelbabylonischen Version) natürlich nicht beweisen. 155 Loretz, Qohelet (1964), 117. 156 Michel, Qohelet (1988), 57; in diesem Sinne auch Müller, Neige (1978), 254f (= Mensch [1992], 159f). 157 Jones, From Gilgamesh (1990), bes. 372.

Qohelet im Horizont altorientalischer Weisheitsliteratur

187

bisher einzigartiger Ausführlichkeit eine Hypothese zu begründen versucht, die in jüngerer Zeit eine Art revival erlebt. Einen bemerkenswerten Positionswechsel hat neuerdings Tigay vorgenommen, der sich durch eine Analyse der Überlieferungsgeschichte der Gilgamesch-Literatur und durch konsequentes Beharren auf der Notwendigkeit der empirischen Plausibilisierung bibelwissen158

schaftlicher Hypothesen verdient gemacht hat. War er früher davon ausgegangen, der Rat der Schenkin sei - ähnlich wie der Spruch vom dreifach gezwirnten Faden - aus dem Bereich der Popularweisheit in die Gilgamesch-Dichtung übernommen worden, was die Ver159 wandtschaft mit Qoh 9 zu Genüge erkläre , so will er in einem 1993 publizierten Aufsatz aus Qoh 9,7-9 4,9-12 (s.o.) und Dan 4,30 den Schluß ziehen, jüdische Schriftsteller der nachexilischen Zeit hätten verschiedene Motive des Gilgamesch-Epos, vielleicht sogar das Epos selbst gekannt. Natürlich sieht auch er die Unterschiede zwischen Qoh 9,7-9 und dem Rat der Schenkin, meint jedoch, sie seien nicht größer als die zwischen der 'zentralen' und anderen peripheren (z.B. hethitischen) Gilgamesch-Überlieferungen, zwischen denen ein unbestreitbarer genetischer Zusammenhang besteht. "There were multiple versions of many ancient literary texts and we have no control over which versions reach (sic) foreign territory."161 M E. ist die These, daß der Verfasser des Qoh-Buches das GilgameschEpos in irgendeiner Form gekannt haben sollte, unhaltbar. Der Grund ist einfach: Tigay hat mit seiner bahnbrechenden Studie von 1982 den Weg zu einer möglichst exakten und kritischen Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte der Gilgamesch-Literatur anhand der erhaltenen Textvertreter gewiesen. Damit geht es nicht mehr an, die Abhängigkeit eines Textes von der Gilgamesch-Literatur "in irgendeiner Form" behaupten und dies pauschal durch den Hinweis auf ein spätbronzezeitliches Fragment aus Megiddo 162 und auf die jüngsten babylonischen Textvertreter163 stützen zu wollen. Die Rede der Schenkin ist, wie gesagt, bislang nur aus einem altbabylonischen Fragment (Gilg. Me.) bekannt. In den hethitischen, hurritischen und anderen Fragmenten der Spätbronzezeit ist sie bislang nicht bezeugt. 164 In die 'kanonische' Version

158 159

160 161 162 163 164

Vgl. zu Letzterem den von ihm herausgegebenen Sammelband "Empirical Models for Biblical Criticism" (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 1985). Tigay, Evolution (1982), 167-169. "The barmaid's advice has so many parallels around the world that its origin in popular wisdom seems assured" (ebd. 169). Tigay berief sich hier auf Gordis (Koheleth [1951], 303f), von dem er sich in seinem Aufsatz von 1993 nun kritisch distanziert. Tigay, Claims (1993), bes. 255. Ebd. 254. S.o. Anm. 154. S.o. Anm. 133. Allerdings ist die Textüberlieferung hier sehr lückenhaft, vgl. nur Tournay/Shaffer, L'épopée (1994), 196f. Im hurritisch-hethitischen Spachbereich scheint durchaus großes Interesse an der Schenkinnen-Perikope bestanden zu haben, vgl. von Schuler, Kleinasien (1965), 165f.

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Sîn-lëqë-unninnis ist sie nicht aufgenommen worden!165 D a allein die 'kanonische' Version bis in die Spätzeit überliefert worden ist, kann beim gegenwärtigen Stand der Quellen mit einer Kenntnis der Schenkinnen-Rede im 1. Jt. nicht gerechnet werden - und zwar weder in Assyrien noch, erst recht, in Palästina. Pahk hat seine These mit einem Mischtext aus altbabylonischen (Gilg. Me., Gilg. Y [s.u. (3.)], Gilg. M e g . ) und 'kanonischen' (GE) Tafeln begründet, w i e er historisch nie existiert hat. D i e These steht deshalb auf tönernen Füßen. 1 6 6 W e r einen genetischen Zusammenhang z w i s c h e n der Schenkinnen-Rede und Q o h 9 , 7 - 9 postulieren will, müßte diesen über ein - vorderhand gänzlich hypothetisches - bronzezeitliches, 'kanaanäisch'-altsyrisches Z w i s c h e n g l i e d konstruieren. In seiner Stellungnahme von 1980 ging Loretz "von der Annahme aus, daß in Qoh 9,7-9 älteres Überlieferungsgut enthalten ist, das auch im Gilgamesch-Epos in Erscheinung 167 tritt" . Er meinte das ältere Überlieferungsgut mit kolometrischer Schärfe im Wortlaut rekonstruieren zu können "Wohlan, iß fröhlich dein Brot und trinke wohlgemut deinen Wein! [...] Jederzeit seien deine Kleider weiß, und an Öl auf deinem Haupte möge es nicht mangeln. Genieße das Leben mit der Frau, die du liebst ,..169 all die Tage deines nichtigen Lebens

165

166

167 168 169

Wie die ninivitische Version klar erkennen läßt, fehlt die Rede am einschlägigen Ort auf derX. Tafel: i 46 - ii 14 bietet die Gilgamesch-Rede, auf die der Rat der Schenkin Siduri antworten müßte; ii 15 leitet aber gleich die nächste Gilgamesch-Rede mit der Frage nach dem Weg zu Utnapischtim ein (vgl. Hecker, TUAT III/4 [1994], 720f). Abusch rechnet mit absichtlicher Tilgung der Schenkinnen-Rede (Request I [1993], 12). In den Bearbeitungen von Schott/von Soden (Gilgamesch-Epos [1969], 81f) und Tournay/Shaffer, (L'épopée [1994], 203f) wird der Textausfall durch die harmonisierende Einschaltung der altbabylonischen Meissner-Millard-Tafel auf S. 203f verdeckt. Fischer, Skepsis (1997), 137 Anm. 442 u.v.a. haben sich dadurch irreführen lassen, wenn sie die Schenkinnen-Rede als „Tafel X, Kol. III" zitieren! Vgl. aber Anm. 127. Meine Skepsis bezieht sich ausschließlich auf Pahks These der literarischen Abhängigkeit des Qoh-Buches von der Gilgamesch-Literatur. Seine exegetischen Beobachtungen zu Qoh 8,16-9,10 - die mir noch nicht zugänglich sind werden davon nicht tangiert. Loretz, Topoi (1980), 268; beachte die offene Formulierung! Vgl. ebd. 268f; die von Loretz angenommenen Ergänzungen Qohelets stehen kursiv in der rechten Spalte. Loretz rechnet hier mit dem Ausfall des parallelen Kolons, das von Qohelet durch den Satz "all die Tage deines nichtigen Lebens" ersetzt worden sei (a.a.O. 270; in seiner Transkription und Übersetzung ebd. 269 typographisch allerdings mißverständlich oder inkorrekt wiedergegeben).

Qohelet im Horizont altorientalischer Weisheitsliteratur

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[...] Denn das ist dein Anteil am Leben und an deiner Mühe, mit der du dich unter dem Himmel abmühst. Qohelet habe eine poetische, bikolare Einheit aufgegriffen und durch prosaische Einfügung seiner eigenen Themen hœbœl und camäl neu interpretiert. Das rekonstruierte Lied stimme mit Hld 5,1 oder dem sog. Sardanapal-Epigramm "...du aber, Fremdling, iß, trink, liebe; was sonst der Mensch hat, ist nicht der Liebe wert"170 überein. Qohelet habe das Lied wohl nicht der Gilgamesch-Überliefening entnommen, da es im Unterschied zum Rat der Schenkin weder von der Ehefrau noch von Nachkommenschaft rede. Die Abhängigkeitsfrage sei eher so zu lösen, daß den beiden Texten eine gemeinsame Tradition zugrundeliegen dürfte, die in der mesopotamischen Gilgamesch-Überliefening und der 'kanaanäisch'-altsyrischen Tradition, welche ihrerseits die Vorlage für Qohelet geliefert habe, je unterschiedlich akzentuiert worden sei.171 Nun hat jüngst auch Abusch für den Rat der Schenkin ein Tavernenlied als Prototyp angenommen, in dem vom Kind noch nicht die Rede gewesen sei:172

Gilg. Me. = VAT 4105+, Kol. iii 10 11 13

"Gereinigt seien deine Kleider, dein Haupt sei gewaschen (und) du mit Wasser gebadet! die Frau freue sich auf deinem Schoß ! "

Dieses Lied wäre Qoh 9,8-9a jedenfalls ähnlicher als die vollständige Gilg.-Fassung. Trifft die Hypothese das Richtige, so könnten wir den überlieferungsgeschichtlichen Weg wie folgt rekonstruieren: aStammu-Lied(er) altsyrische Variante(n)

Rat der Schenkin

QoK 9,8-9a Eine direkte Bekanntschaft des Qoh-Verfassers mit der Gilgamesch-Literatur muß dann nicht mehr angenommen werden. 1991 bestimmte Loretz das Verhältnis von altorientalischer, altisraelitisch-jüdischer Tradition und Qohelet'schem Eigenbeitrag aber noch einmal anders: Auf Qohelet selber gingen nur die Sätze 9,6 und 9,10 zurück; 9,7-9 seien demgegenüber sekundär und das Werk verschiedener Hände. Dem Einschub liege ein "altorientalisch-israelitisches Trinklied" zu-

170

171 172

Vgl. zu diesem in vielen Varianten überlieferten Epigramm neben Braun, Popularphilosophie (1973), 137 mit Anm. 442 vor allem Weißbach, Sardanapal (1920), 24412448. Vgl. ebd. 270f. Abusch, Request I (1993), 8 zum "aitammu prototype". Auch Loretz spricht von einem "Tavemenlied" (Jüdischer Gott [1994], 162 Anni. 34).

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gründe, dessen Motive sich bis auf den Schenkinnen-Rat zurückverfolgen ließen, das jedoch „bereits seit längerer Zeit den pädagogischen Bedürfnissen der israelitisch-jüdischen Weisheitslehrer adaptiert worden" sei. Die "kolometrisch überschüssigen Ergänzungen" bakdl 'et "jederzeit" und 'aicer 'ähabtä "die du liebst" zeigten, daß die Weisheitslehrer "die ursprünglich wohl zu Gelage und Liebesgenuß mit der Dirne oder mit der Frau in der Schenke gedachte Aufforderung in der israelitisch-jüdischen Überlieferung der Weisheitsschule zeitlich verallgemeinert und auf die Ehefrau bezogen" hätten. In der adaptierten Form sei das Lied dann bestens geeignet gewesen, "die düsteren Gedanken Qohelets über den Gang alles Lebens in die Unterwelt moralisch unanstößig vom traditionellen Weisheitsgut her etwas aufzuhellen". So lasse sich nun auch die Frage, ob im Qoh-Buch "babylonischer Einfluß" vorliege, im Blick auf 9,7-9 "befriedigend beantworten: Die Kommentatoren zitieren ein Lied, dessen Topoi bereits im altbabylonischen Gilgamesch-Epos bezeugt sind, das aber schon vor der Eingliederung ins Qohelet-Buch durch die eingeschobenen Ergänzungen...den jüdischen Moralvorstellungen angeglichen 173 worden ist. " Für die 'Lebensphilosophie' Qohelets selber ist Qoh 9,7-9 dann unerheblich. Der Loretz'sche Thesenschub zeugt zwar von einem kreativen Umgang mit den Texten, 174 der immer neue hiSbonôt hervorzubringen weiß , geht aber von ebenso schematischen wie offenbar variabel handhabbaren methodologischen Voraussetzungen im Blick auf die Kolometrie und neuerdings auch die Verteilung von Poesie und Prosa aus. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Interpret im Text zunehmend findet, was er vorher schon weiß, zumal in bezug auf den Sitz im Leben und die Moral, und daß der konkrete Textvergleich eher unsorgfältiger wird. So fallt z.B. auf, daß eine der beiden späten 'Ergänzungen' der jüdischen Weisheitslehrer (bskäl 'et "jederzeit") bereits im altbabylonischen Schenkinnenrat ein Äquivalent hat ("Tag und Nacht", Z. 7, 9; "täglich" Z. 8). Auch scheinen die Texte durchaus andere Konfigurationen von Moralvorstellungen zu bezeugen, als Loretz meint: Es ist die Schenkin, die Gilgamesch zur Liebe mit seiner Ehefrau im Blick auf Nachkommenschaft auffordert (wobei Abusch allerdings mit sekundärer Ergänzung rechnet); ob Qoh 9,9 dagegen selbst in der 'ergänzten' Endgestalt exklusiv von der Liebe zur Ehefrau spricht, ist durchaus fraglich. Hier von Moralisierung, erst recht von einer175 Angleichung an spezifisch jüdische Moralvorstellungen zu sprechen, scheint mir verwegen. Die neuesten Thesen von Loretz lösen sich also bei näherem Hinsehen in eine Reihe von kaum begründeten und schwer begründbaren Behauptungen auf. Als Konstante durchzieht 173 174 175

Loretz, Frau (1991), 257f. Vgl. Qoh 7,29 und dazu die semantischen Erörterungen bei Loretz, Frau (1991), 258ff. Fischer, Skepsis (1997), 137ff folgt der Loretz'schen Kolometrie von 1991, ohne deren Widerspruch zum älteren Vorschlag zu diskutieren, hält aber gerade die Überschüsse für die Qohelet'sche Eigenleistung, die ganz den weisheitlichen Moralvorstellungen seiner Zeit entsprochen habe. Die vermeintliche Moralisierung den "jüdischen Weisheitslehrem" zuzuschreiben, ist in jedem Fall mißverständlich - als ob diese spezifisch jüdisch wäre (s.u. Anm. 248). Moralisierungen des Carpe diem-Motivs finden sich auch anderswo (s.u. Anm. 248), etwa in Sir 14,11-19 und in der 16. Lehre des Pap. Insinger (Thissen, TUAT III/2 [1991], 299-301; ebd. 299 (17) 4 ist "Die 17. Lehre" zu "Die 16. Lehre" zu korrigieren).

Qohelet im Horizont altorientalischer Weisheitsliteratur

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seine Arbeiten die Blindheit für den ägyptischen Horizont. Es liegt nahe, eine gattungsbedingte Verwandtschaft von Qoh 9,7-9 mit dem Rat der Schenkin oder einem diesem vorausliegenden aitammu-Lied anzunehmen. In den weiteren Umkreis von Qohelet gehört aber auch die ägyptische Tradition der sog. Harfnerlieder und des "Feierns des schönen Tages" (s.u. IV.2.).

(3.) Mru und hœbœl·. Loretz176 und de Savignac177 haben den Qohelet'schen Topos hœbœl in Analogie zur Verwendung des Wortes Mru "Wind" in der akkadischen Literatur verstehen wollen und dabei einem Text aus der Gilgamesch-Literatur besonderes Gewicht gegeben. Eine um 1700 v. Chr. anzusetzende altbabylonische Tafel aus Uruk oder Larsa, die heute in Yale aufbewahrt wird (Gilg. Y), läßt Gilgamesch vor dem Gang zum Zedernwald die Vergänglichkeit des menschlichen Tuns mit der Metapher Mru "Wind" charakterisieren: Gilg. 140 141 142 143

Y, Kol. iv178 "Wer, mein Freund, könnte den Himmel ersteigen? Nur die Götter si[tzen] ewig bei Schamasch! Die Menschheit aber: ihre Tage sind gezählt, was immer sie tun wird, ist Wind (Säru)\"

Im Trotz gegen dieses Geschick will Gilgamesch gegen Huwawa kämpfen und die Zeder in der Mitte des Bergwaldes fallen, um sich so wenigstens "einen Namen, der ewig bleibt, zu setzen" und dadurch, wenn nicht dem Tod, so doch dem Vergessen zu entgehen. "Name" und Gedächtnis stehen hier kontrastiv zu "Wind" und Vergessen.

Sehe ich recht, so hätte das akkadische Wort Mru179, das ähnlich wie das hebräische rûah zunächst Wind (Qoh 1,6 8,8a!), Atem, Hauch und andere 180 Luftbewegungen bezeichnet , nur hier die von Loretz u.a. angenommene spezifische Bedeutung "Flüchtigkeit, Vergänglichkeit, Todesverfallenheit", wie sie für hœbœl etwa in Jes 57,13 oder Ps 62,10 144,4 u.ö. geltend gemacht werden kann. Ansonsten gehen die Konnotationen bei übertragenem Gebrauch eher in Richtung des Trügerischen, der Lüge und der Nichtigkeit, wofür das Hebräische bekanntlich andere Begriffe als hœbœl verwendet. Die spezifische Akzentuierung "Flüchtigkeit, Vergänglichkeit" dürfte den Sinn des zitierten

176 177 178

179 180

Loretz, Qohelet (1964), 126-128. De Savignac, Sagesse ( 1978), 319f. Hecker, TUAT III/4 (1994), 656; vgl. Tournay/Shaffer, L'épopée (1994), 86. Ganz anders übersetzte Buccellati·. "Quanto all'umanità, i suoi giorni sono contati, quello che conseguono non è che vento" (Tre saggi [1972], 9), der mit dieser Deutung allerdings allein zu stehen scheint. Vgl. AHw III 1192f; CAD S/2 133-140. Vgl. dazu ra'üt rûah "Haschennach Wind" in Qoh 1,14.17; 2,11.17.26; 4,4.6.16; 6,9.

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Gilgamesch-Passus nicht genau treffen 181 , sondern von vorneherein unter dem Eindruck der Qohelet'schen vanitas angesetzt worden sein.182 Ob dabei der Sinn von hœbœl im Qoh-Buch richtig getroffen wurde, wäre eigens zu fragen. 183 Es gibt einen weiteren, wichtigeren Grund dafür, die zitierte Stelle bei einem Vergleich der Gilgamesch-Literatur mit dem Qoh-Buch nicht allzu stark zu gewichten: Die altbabylonischen Gilgamesch-Texte nehmen das Stichwort Mru an keiner andern Stelle mehr auf, so daß es jedenfalls kein Programmwort wie das Qohelet'sche hœbœl darstellt. Die gleichen Bedenken erheben sich auch gegen den von Jones favorisierten Vergleich von Mru mit rûah in Qoh 2,17 u.ö. 184 Die einschlägige Wendung wäre ràût rûahls5, auch sie ein Programmtopos im Qoh-Buch, was sich von Mru im GilgameschZyklus nicht sagen läßt. Mangels erhaltener Texte wissen wir nicht einmal, ob eine der jüngeren peripheren Versionen oder die 'kanonische' Version die Rede Gilgameschs und das Stichwort Mru wörtlich weiterüberliefert haben. 186 Wenn dem Begriff Mru aber in keiner der bekannten Gilgamesch-Versionen besonderes Gewicht zukommt, dann ist von der Annahme eines - wie immer gearteten - Zusammenhangs von Mru mit hœbœl oder rûah, erst recht von der Hypothese literarischer Abhängigkeit, abzusehen.187 5. Eine neu erschlossene sumero-akkadische Weisheitskomposition aus Emar bzw. Sippar An dieser Stelle ist auf eine sumero-akkadische Weisheitskomposition aus altbabylonischer Zeit hinzuweisen, die seit knapp zehn Jahren unter den Bezeichnungen "Poem of Early Rulers" bzw. "Ballade des héros des temps jadis" diskutiert wird. Die Textvertreter stammen aus Sippar (altbabylonisch, ca. 1800-1600 v. Chr.), U|arit, Emar (beide mittelbabylonisch, ca. 13. Jh. v. Chr.) und Ninive (7. Jh.). Die Abfolge der Spruchteile ist nicht bei allen 181 182 183

184

185 186 187 188

CAD S/2 139 s.v. 5a übersetzt unsere Stelle mit "whatever they do is nothingness". Vgl. auch unten Anm. 195 ! Vgl. zum anthropologischen Akzent von hœbœl im Qoh-Buch Lohfink, Windhauch (1994), und Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 14-17. Die ^¿«/-Aussagen im Qoh-Buch kreisen um die Frage nach dem Gewinn (Michel, Untersuchungen [1989], 80; Backhaus, Zeit [1993], 332-344). Das läßt sich von iäru in der zitierten Gilgamesch-Stelle nicht sagen. Jones, From Gilgamesh (1990), 366-368. Auf rûah als Bezugswort für akk. iäru hatte schon Dahood (in seiner Rezension von Loretz, Qohelet: Bib. 46 [1965], 234) hingewiesen, vgl. Braun, Popularphilosophie (1973), 12. S.o. Anm. 180. Die einschlägigen Ninive-Tafeln brechen genau an dieser Stelle ab; vgl. Tournay/ Shaffer, L'épopée (1994), 79. Vgl. zu iäru auch unten Anm. 195! Editionen: Alster, Poem (1990: Sippar); Nougayrol, Ugaritica V (1968), 291-304 Nr. 164-166 (Ugarit); Arnaud, Recherches (1987), 359-365 Nr. 767 (Emar); für die Texte

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193

Textzeugen gleich; außerdem handelt es sich bei einem Textvertreter aus Sippar offensichtlich um einen Teil eines Bittgebetes für einen babylonischen K ö n i g (Abl-esuh?), w o g e g e n die Emar-Tafel ebenso deutlich einen A u s z u g aus einer ausführlicheren mesopotamischen Vorlage darstellt, der eigenständig als g e s c h l o s s e n e Komposition überliefert wurde. Eine Tafel aus Ugarit 1 8 9 enthält eine kürzere Version des aus Emar bekannten A u s z u g s mit abweichender Spruchfolge 1 9 0 , darüber hinaus z w e i weitere Abschnitte, die dem Ganzen den Charakter eines poetischen weisheitlichen Traktats geben. 1 9 1 M. Dietrich will eine östliche und eine westliche Tradition unterscheiden und die Texte aus Emar und Ugarit als Z e u g e n für den produktiven U m g a n g syrischer Literaten der Späten Bronzezeit mit mesopotamischen Quellen verstehen. 1 9 2 Aber selbst die genannte ausführliche Tafel aus Ugarit dürfte im Ganzen die östliche, babylonische Tradition widerspiegeln. 1 9 3 Obwohl die Komposition weit außerhalb unseres chronologischen Rahmens liegt, läßt der Blick auf eine tentative Übersetzung im Anschluß an die Emar-Version doch sofort ihre Bedeutung für unser Thema erkennen. Die Einleitung, in der babylonischen Großkomposi194 tion, die hinter der Tafel Ug. V Nr. 164 stehen dürfte, offenbar eine Art 'Refrain' , lautet: 1 2 3

189 190 191

192 193 194 195

"Bei Enki wurden die Bestimmungen (vor)gezeichnet, auf Geheiß desselben?) Gottes wurden die Lose geworfen, seit frühesten Zeiten geschah dies195 so."

aus Emar und Ugarit vgl. nun die Partitur bei Dietrich, Leben (1992); zu den Fragmenten aus Ninive vgl. Lambert, Some new (1995), 38. Bearbeitungen und Interpretationen bieten darüber hinaus Wilcke, Königsliste (1988), 137-139; Tournay/Shaffer, L'épopée (1994), 24-26; Lambert, Some new (1995), 37-42. Nougayrol, Ugaritica V (1968), 293-295 Nr. 164. In der Zählung von Emar die Z. 1-3.17-18.7-9.19.22; vgl. die Synopse bei Dietrich, Leben (1992), 13. Der zweite Abschnitt der Lehrrede ist von Dietrich, Leben (1992), 28 neu ediert worden. Er lautet: „Die Menschheit kann das (richtige) Handeln von sich aus nicht wissen, die Bestimmung ihres Tages und ihrer Nacht liegt beim Gott - (deshalb:) niemand darf für Menschen eine Last bestimmen, niemand darf gegen Menschen eine Schmähung aussprechen, niemand darf gegenüber einem Schwachen Mißachtung zeigen" etc. Dietrich, Leben (1992), lOf. Lambert hält alle Textvertreter für Rezensionen ein und derselben babylonischen Tradition (Some new [1995], 42). Ug. V Nr. 164 bietet den gleichen 'Refrain' zu Beginn eines jeden der erhaltenen drei Abschnitte. In der normalsumerischen Spalte von Nougayrol, Ugaritica V (1968), Nr. 164 soll hier im stehen, was Wilcke in der akkadischen Spalte zur Konjektur §A]-n/ und der Übersetzung "Seit vergangenen Tagen gibt es Wind" geführt hat (Königsliste [1988], 138; gefolgt von Alster, Poem [1990], 22; Lambert, Some new [1995], 38 "From days of old there has been vanity (literally 'wind')"). Es dürfte sich dabei jedoch um ein

194

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Hierauf folgt ein Zitat einer herkömmlichen Meinung: 4

"Hörst du nicht immer aus dem Mund eines Altvorderen:

5

'Diese sind solche und jene sind solche,

6

oben liegt ihr Wohnsitz, [unten liegt ihr dauerhaftes Haus] 196 '?"

Damit ist offenbar an die Wertschätzung von Heroen der Frühzeit gedacht. Dagegen steht dann die Antithese und ein erstes Fazit: 7

"So fern der Himmel ist - eine Hand kann (sie) nicht erreichen;

8

So tief die Unterwelt ist - nichts weiß man (von ihnen).

9

Das ganze Leben ist wie ein flüchtiger Blick,

10

das Leben der Menschen ist nicht für die Dauer."

Nun schließt die Beweisführung durch rhetorische Fragen an, wie wir sie ähnlich auch bei den (ungefähr zeitgenössischen) ägyptischen Harfnerliedern wieder antreffen werden: 11

"Wo ist (König) Alulu, der 36000 Jahre lang regierte?

12

Wo ist (König) Etana, der in den Himmel aufstieg?

13

Wo ist Gilgamesch, der wie Ziusudra sein Leben suchte?

14

Wo ist Huwawa, [nachdem ihm gehuldigt und er gepackt wurde 197 ]?

15

Wo ist Enkidu, der Macht im Lande ausübte?

17

(...) Wo sind sie, die großen Könige, die seit frühesten Zeiten bis jetzt (lebten)?

18

Sind sie nicht empfangen, sind sie nicht geboren worden?"

Selbst die prominenten Könige und Heroen der Vorzeit sind jetzt nur tot - und zwar so tot, als hätten sie gar nie gelebt. Der Sinn des Passus besteht offenbar darin, die Nichtigkeit des Nachruhms hervorzuheben. Den Toten hilft aller Ruhm nichts, man weiß nichts mehr von ihnen. Deshalb wendet sich der Blick nun vom Tod zum Leben, und zwar vorerst via negationis: 19

"Ein Leben ohne Freude - welchen Vorteil hat es gegenüber dem Tod?"

Wer Qohelet kennt, muß bei den Stichworten "Freude" (namäru, eigentlich "Glanz") und "Vorteil haben" (watäru D, wurzelverwandt mit hebräisch yitrôn) aufmerken. Die Fortsetzung bestätigt den Eindruck der (wenn auch entfernten) Verwandtschaft: Mißverständnis handeln: In der silbensumerischen zweiten Spalte der Emar-Tafel steht i - η i m, die beschädigte normalsumerische Spalte muß also INIM gehabt haben (so richtig Dietrich, Leben [1992], 14, der anstelle von Wilckes konjiziertem §A]-ra nun -rr-[t]um ergänzt und annitum liest). Dies legt die - kollationsbedürftige Vermutung nahe, auch auf der Ugarit-Tafel sei nicht IM (ABZ 399), sondern das sehr ähnliche INIM (ABZ 15) zu lesen. Dann aber entfällt an dieser Stelle das Stichwort IMliäru "Wind" ganz, mit ihm eine Reihe der bei Lambert, Some new (1995), 38, 41f angestellten Folgeüberlegungen. 196 197

In Anlehnung an Alster, Poem (1990), 22; etwas anders Dietrich, Leben (1992), 15: "Oberhalb der Wohngegend [sind sie7, unterhalb der Wohngegend sind sie7]". Ansprechende Ergänzung von Wilcke, Königsliste (1988), 138.

Qohelet im Horizont altorientalischer Weisheitsliteratur

20 21 22 23 24

195

"Mann, ich will dir zeigen, wer dein Gott ist: Weise ab, vertreibe die Klagen, mißachte den Kummer (wörtl. 'Schweigen')! An die Stelle eines ganzen Tages Herzensfreude möge (dann getrost) ein Kummertag von 36000 Jahren treten. Wie über einen Sohn freue sich (die Biergöttin) Zitas (über dich). Dies ist die Bestimmung (usurtum) der Menschen."

Die sumerische Vorlage aus Sippar formuliert am Ende leicht abweichend: "[...] bestimmte [Leben] für die Götter. Mag einer auch wie Ziusudra sein Leben suchen, so ist der Tod doch das Geschick der Menschen."198 Daß sich die Sippar-Version auf die altbabylonische Gilgamesch-Überlieferung von Sippar (vgl. Gilg. Me.) bezieht, ist unübersehbar. Von der Emar/Ugarit-Version allein auf deren direkte literarische Abhängigkeit von der altbabylonischen Schenkinnen-Perikope zu schließen, wie Dietrich dies getan hat, 1 " erscheint mir verwegen. M.E. stützt die Emar/Ugarit-Version eher unsere Vermutung, daß wir es bei der Schenkinnen-Rede von Gilg. Me. nicht mit einem spezifischen bzw. exklusiv auf die Gilgamesch-Überlieferung beschränkten Stoff zu tun haben, sondern daß dort Topoi verwendet werden, die selbständig im Rahmen von aitammu- bzw. Trinkliedern kursierten. Der neu erschlossene Text 2 0 0 ist im Blick auf unser Thema in mehrfacher Hinsicht bedenkenswert: Er bestätigt die bisher nur durch die SchenkinnenR e d e begründete Vermutung, daß die Wurzeln der Carpe diem-Motivik, w a s den alten Vorderen Orient betrifft, in der mesopotamischen aitammubzw. Trinklied-Tradition liegen dürften. Hier wurde diese Motivik im Rahmen der literarischen Tradition mindestens bis ins 7. Jh. (Fragmente aus N i n i v e ) weiterüberliefert, ohne doch im literarischen Medium - über die mündliche Tradition v o n Tavernenliedern können wir keine Aussagen machen - kreativ fortgeführt worden zu sein. Gleichzeitig bietet der Text aus Emar auch ein klares Zeugnis für eine Kenntnis der mesopotamisch-altbabylonischen Carpe diem-Motivik durch keilschriftkundige nordsyrische Literaten der Späten Bronzezeit. Wir befinden uns damit zwar immer noch im Bereich der babylonischen Tradition; ein Transfer in die westsemitische Tradition ist für das 2. Jt. noch nicht dokumentiert. 2 0 1 D i e Hypothese, daß Qoh 9 , I f f mit der

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Nach Lambert, Some new (1995), 40; vgl. aber Alster, Poem (1990), 23. So Dietrich, Leben ( 1992), 24ff. Daß es ein solcher ist, scheint mir trotz Wilckes Exklamation "Das ist ein Trinklied, frech und zynisch. Ein Studentenlied mit einer Anspielung auf die Königsliste" (Königsliste [1988], 139) unbestreitbar. Warum sollte sich ein solches nicht in einer weisheitlichen Komposition finden? Daß der Transfer im Emar-Text noch nicht stattgefunden hat, zeigt sich emblematisch an der Nennung der Biergöttin (Z. 23), wogegen in Qoh 9,7 selbstverständlich von Wein die Rede ist.

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Verbindung der Frage nach dem einen Geschick aller Menschen, einer in der Freude begründeten Lebensphilosophie und einem Trinklied in einer alten gemeinorientalischen Tradition steht, gewinnt jedoch angesichts der in Emar bezeugten Verbindung der Motive "Geschick/Bestimmungen", "Leben - Tod", "Vorteil" und "Freudentag" erheblich an Plausibilität.202 Diese Tradition reicht bis in die altbabylonische Zeit hinauf, sie bedurfte keiner besonderen Anstöße y · 203 aus Ionien. 6. Fazit und Varia Die Konfrontation des Qoh-Buches mit einschlägigen Werken der mesopotamischen Weisheit hat bestätigt, daß abgesehen von okkasionellen topischen Berührungen von einer Verwandtschaft des Qoh-Buches mit der spezifisch mesopotamischen Weisheit, erst recht von Einflüssen oder Abhängigkeiten keine Rede sein kann. Diese inhaltliche Feststellung ist durch die überlieferungsgeschichtliche Beobachtung zu ergänzen, daß die zitierten Werke der mesopotamischen Weisheitsliteratur zwar in Babylonien bis in die persische oder hellenistische Zeit weiter tradiert worden sind, daß sie damals jedoch vom Gilgamesch-Epos in seiner 'kanonischen' Fassung abgesehen - keine sehr weite Verbreitung mehr gehabt haben können. Die nicht-gnomische keilschriftliche Weisheitsliteratur wurde in der zweiten Hälfte des 1. Jts. auch nicht mehr produktiv fortgeschrieben, sondern nur noch als eine Art Gelehrtenballast in sehr begrenztem Umfang weiter tradiert. Von einer solchen 'fossilisierten' Tradition sind Anstöße bis in die levantinisch-palästinische Weisheitsdiskussion, an der das Qoh-Buch teilhat, nicht zu erwarten. Eine Abhängigkeit des Qoh-Buches von der Gilgamesch-Literatur läßt sich m.E. fast ebenso sicher ausschließen. Die jüngst von Tigay und Pahk erneuerte Hypothese wirft, wie wir gesehen haben, mehr Probleme auf, als sie löst. Im großen Ganzen ergibt sich als Fazit, daß die pauschale Rede von "der altorientalischen Tradition" im Blick auf das Qoh-Buch zu undifferenziert ist und der Spezifizität des historischen Kontextes, in dem jenes Buch entstanden ist, zu wenig Rechnung trägt: eines Kontextes, in dem judäisch-palästinische, levantinisch-aramäische und, zumal unter der Ptolemäerherrschaft, ägyptische Traditionen eine bedeutendere Rolle gespielt haben dürften als mesopotamische Weisheitstexte. Dennoch hat uns der Vergleich der mesopotamischen Texte mit dem biblischen Buch immer wieder interessante Beobachtungen zu den je unterschiedlichen Problemstellungen und Argumentationen machen lassen - im Sinne eines gewissermaßen 'interkulturellen' bzw. 'interkontextuellen' Gesprächs zwischen Texten, die voneinander keine Kenntnis gehabt haben können, die wir aber als 202 203

Lambert, Some new (1995), 42 will darüber hinaus auch eine topische Verwandtschaft zwischen Z. 5 der Emar-Komposition und Qoh 1,11 erkennen. Zu Braun, Populaiphilosophie (1973), 137f.

Qohelet im Horizont altorientalischer Weisheitsliteratur

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heutige Leserinnen und Leser, die von beiden Welten fast gleich weit entfernt sind, durchaus mit Gewinn miteinander konfrontieren können. Vor allem hat uns der Blick auf eine viel zitierte 'Parallele' in der altbabylonischen Gilgamesch-Literatur die Existenz einer weit ins 2. Jt. zurückreichenden Tradition von Tavernenliedern erkennen lassen, in denen zum Essen, Trinken, Feiern und Lieben aufgefordert wurde. Sowohl in der altbabylonischen Schenkinnen-Rede als auch in dem neu erschlossenen Text aus Sippar bzw. Emar ist die Carpe diem-Topik dieser Trinklieder in den Dienst weisheitlicher Reflexion über das unausweichliche Todesgeschick genommen worden: Weil auch die heroischsten Gestalten unter den Menschen sterben müssen, bleibt den Menschen als Bestes, das gegenwärtige Leben auszuschöpfen und in der steten Freude des Festes zu genießen. Dieser Verbindung von Trinklied und Lebensphilosophie werden wir weiter unten - in etwas anderer Gestalt - auch in Ägypten, Syrien und Palästina wiederbegegnen. Mit ihr dürfte ein - wenn auch nur ein - Schlüssel zum Verständnis des Qohelet'schen Aufrufs zur Freude gefunden sein. Weitere mesopotamische Texte, die Loretz und andere mit Topoi des QohBuches in Verbindung gebracht haben, sind in unserem Survey nicht mehr detailliert zu behandeln. Sie repräsentieren zwar stärker die beweglichere, leichter aktualisierbare gnomische Weisheit. Aber die Textüberlieferung ist meist zu schmal oder die Verwandtschaft zu allgemein, als daß sich eine wie immer geartete Beziehung zum Qoh-Buch wahrscheinlich machen ließe. Wenn überhaupt an Beziehungen zu denken ist, dann ist gleichzeitig eine aramäische Vermittlung zu postulieren. Nur in je einem einzigen Exemplar aus der Bibliothek Assurbanipals haben sich die sog. 204 205 'Ratschläge eines Pessimisten und der sog. 'Babylonische Fürstenspiegel erhalten. Bei den 'Ratschlägen' handelt es sich wohl um einen Auszug aus einem nicht erhaltenen größeren Werte, dessen Kenntnis nicht auf Ninive beschränkt geblieben sein muß. Die in den 'Ratschlägen' angestellten Überlegungen zum Verhältnis von Traum und Sorgen (Z. 19ff) sind schon 1956 von A.L. Oppenheim mit Qoh 5,2 in Beziehung gebracht worden. Auffallig ist jedenfalls, daß Qohelet hier (wie oft) einen poetischen Spruch zitiert, der sich weder in der alttestamentlichen Spruchliteratur erhalten hat noch in der hellenistischen Popular207 philosophie eine Parallele zu finden scheint . Was den 'Fürstenspiegel' betrifft, im 7./6. Jh. 208 ein zitierfahiges Referenzwerk , so meint Lichtheim eine Passage im Vorspann der Lehre 204 205 206 207 208

Edition. Lambert, BWL (1960), 107-109, 315f; vgl. Lorelz, Qohelet (1964), 108f; letzte deutsche Übersetzung: von Soden, TUAT III/l (1990), 169. Edition: Lambert, BWL (1960), 110-115, 316f; vgl. Loretz, Qohelet (1964), 110; letzte deutsche Übersetzung: von Soden, TUAT III/l (1990), 170-173. Oppenheim, Dreams (1956), 227; vgl. aber Loretz, Qohelet (1964), 109 Anm. 327. Vgl. Braun, Populaiphilosophie (1973), 126f. Beachte jedoch Oppenheims Hinweis auf Herodot VII 16,2! Hinweise dazu in der bei Uehlinger, Weltreich (1990), 527 Anm. 63 genannten Literatur.

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des Anchscheschonqi damit verbinden zu können. Auch hier müßte wohl eine aramäische Übermittlung angenommen werden. Die von der Tradition letztlich auf Utnapischtim von Schuruppag zurückgeführten 210 'Counsels of Wisdom sind ausweislich einer ins Jahr 458 v. Chr. zitierten Tafel aus Babylon sicher bis in die persische Zeit tradiert worden. Sie enthalten z.B. den Rat, seine innersten Gedanken selbst dann nicht Jauszusprechen, wenn man allein ist (Z. 131-133). ll Loretz hat Qoh 10,20 und Achiqar Χ 3Γ daneben gestellt (s.u. III.I.)· Wie der Vogelvergleich zeigt, der im babylonischen Text fehlt, stehen sich die beiden levantinischen Stellen näher. Lichtheim hat die Mahnung, nicht in einen öffentlichen Streit einzugreifen (Z. 31-37), in den ägyptischen Lehren des Ani (8,16), in der Lehre des Anchscheschonqi (19,1 lf 22,2125), in der syrischen und slawischen Achiqar-Überlieferung und im Pseudo-Menander wie212

dergefunden. Die Mahnung hat ihren Ursprung in den sumerischen Ratschlägen von/des Schuruppag (22-27/31), ist von dort zuerst in die akkadische, dann in die ägyptische Weisheitsliteratur gewandert und dabei zum internationalen Gemeingut geworden. 213 D a ß Sprüche aus keilschriftlichen Lehren des 7 /6. Jhs. über aramäische Vermittlung ihren W e g auch in vereinzelte Qoh-Zitate gefunden haben könnten, läßt sich prinzipiell nicht ausschließen, obwohl entsprechende N a c h w e i s e bislang nicht sicher erbracht worden sind. Ob und w i e lange mesopotamische Proverbiensammlungen in akkadischer Sprache 2 1 4 in der persischen und hellenistischen Zeit noch überliefert wurden, ist nicht bekannt. D i e produktive Überlieferung und Fortschreibung v o n Lehren und Spruchsammlungen wurde i m Orient ab dem 7. Jh. v. Chr. eine bevorzugte D o m ä n e der aramäischen Weisheitsliteratur, der wir uns im folgenden zuwenden wollen. III. L e v a n t i n i s c h e , bes. a r a m ä i s c h e W e i s h e i t : Achiqar-Sprüche und Königstravestien Einflüsse levantinischer Weisheitsliteratur auf das Qoh-Buch sind - v o n den innerisraelitisch-judäischen Zusammenhängen natürlich abgesehen - in der Forschung viel weniger diskutiert worden als solche aus Mesopotamien oder Ägypten. Der Hauptgrund liegt bei der ungleich spärlicheren Quellenbasis. D i e an "nordwestsemitischen Einflüssen" 2 1 5 interessierten Arbeiten haben sich stets entweder auf 'kanaanäische' (d.h. in aller Regel ugaritische) sog.

209 210 211 212 213 214 215

Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 23f. Edition: Lambert, BWL (1960), 99-106, 311-315; vgl. Loretz, Qohelet (1964), 122f; letzte deutsche Übersetzung durch von Soden, TUAT III/l (1990), 163-168. Kottsieper, Sprache (1990), 12, 20; TUAT III/2 (1991), 336. Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 13-18. Vgl. Quack, Ani (1994), 215-217. Edition: Lambert, BWL (1960), 213-282, 338-341. Die von Loretz, Qohelet (1964), 123-126 zusammengestellten 'Parallelen' sind nicht überzeugend. Braun, Popularphilosophie ( 1973), 13.

Qohelet im Horizont altorientalischer Weisheitsliteratur

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Parallelen des 2. Jts.216 oder aber auf vermeintlich aramäische, phönizische oder gar aschdoditische Eigentümlichkeiten der Sprache Qohelets berufen. 217 Diese Diskussion, neuerdings erschöpfend durch A. Schoors (1992) aufgearbeitet, ist nicht unser Thema. Unter der Rubrik "levantinisch" wären im Rahmen unserer Fragestellung vor allem drei Teilbereiche zu untersuchen: 1. außerbiblisch überlieferte frühjüdische Weisheitstraditionen der persischen und hellenistischen Zeit, deren magistrale Zusammenstellung durch M. Küchler, so weit ich sehe, immer noch nicht für den Vergleich mit Qohelet - bes. im Hinblick auf eine genauere Verortung der Positionen, mit denen Qohelet im kritischen Gespräch steht - genutzt worj

2.

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· »218

den ist ; die aramäische Weisheitsliteratur, die, wie eben schon angedeutet, als Hauptvermittlerin zwischen der älteren mesopotamischen und der jüngeren ägyptischen Weisheitsliteratur in der spätassyrischen, babylonischen und persischen Zeit gelten darf. Exemplarisch für diese Vermittlerfunktion steht die Achiqar-Tradition219: die Gestalt Achiqar (ein syrischer Beamter am Hof Sanheribs und Asarhaddons), die Sprüche, deren älteste erhaltene Textform bekanntlich durch aramäische Papyri aus Elefantine 220 geboten wird , und die Rahmenerzählung, die wir von denselben Papyri kennen, von der sich aber auch demotische Fragmente221 erhalten haben. In einer umfassenderen Untersuchung wäre auch den Spuren syrischer Weisheitstraditionen nachzugehen, die sich aus einem systematischen Vergleich mesopotamischer und spätägyptischer Weisheitslehren eruieren lassen müßten. 222 Vgl. neben Dahood v.a. Whitley, Parallels (1979), und die neueren Studien von Loretz. Vgl. im Überblick Michel, Qohelet (1988), 46-51, 58; Kaiser, Beiträge (1995), 13-16. Die Arbeit von Küchler wird weder im Forschungsbericht noch in der Vollständigkeit anstrebenden Bibliographie von Michel (Qohelet [1988], Untersuchungen [1989]) erwähnt und von fast allen neueren Kommentaren und Monographien ignoriert. Hierin zeigt sich einmal mehr das Problem sektorieller Engführungen in der neueren QohForschung. Eine Ausnahme stellt die Habilitationsschrift von Th. Krüger dar, die von ihrem Programm her (s.o. Anm. 7) nicht darauf verzichten kann. Vgl. dazu nach wie vor Küchler, Weisheitstraditionen (1979), 319-414 und zuletzt Greenfield, Wisdom (1995); Cazelles, Ahiqar (1995). Vgl. dazu nun die Edition von Porten/Yardeni, TADAE (1993), 22-53; wichtigste neuere Bearbeitungen: Lindenberger, Proverbs (1988); Kottsieper, Sprache (1990), und TUAT \\V2 (1991), 320-347; vgl. jüngst auch Fates, Riflessioni (1994). Edition: Zauzich, Fragmente ( 1984). Dagegen bietet der in den letzten Jahren in den Vordergrund gerückte demotischaramäische Pap. Amherst 63 nach dem Überblick von Vleeming/Wesselius (Studies I [1985], 7-11) offenbar keine spezifisch weisheitlichen Überlieferungen, weshalb er hier nur beiläufig als weiteres eindrückliches Zeugnis für die Vermittlerfunktion des Aramäischen zwischen der mesopotamischen (Kottsieper, Aufnahme [1992]), syrisch-

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3.

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nicht-(nur-)jüdische 'weisheitliche' Traditionen aus der Region Südpalästina, soweit sie sich inhaltlich überhaupt fassen lassen. 223

Im Rahmen dieses Überblicks muß ich mich auf ein paar Bemerkungen zu den beiden letzteren Aspekten beschränken. 1.

Achiqar-Sprüche224

Verbindungen zwischen den Achiqar-Sprüchen und dem Qoh-Buch sind in der Forschung punktuell immer wieder einmal angenommen 225 , aber m.W. nie systematisch untersucht und geprüft worden. Dies wirkt nicht nur bei Arbeiten, die das Qoh-Buch weitgehend binnenalttestamentlich interpretieren, störend, sondern auch bei komparatistischen Programmschriften wie denjenigen von Loretz und Braun. Vielleicht wären deren allzu schroffe Einseitigkeiten zu vermeiden gewesen, wenn sie die an den Achiqar-Sprüchen ablesbare Vermittlerposition der aramäischen Weisheit stärker berücksichtigt hätten. Immerhin findet sich bei Loretz eine ganze Reihe von Hinweisen auf aramAchiqar 226 , wogegen Braun und manche seiner Nachfolger diesen Bereich schlicht ignoriert haben. Erst die jüngste Forschung hat sich nun daran gemacht, die aramAchiqar-Tradition als eigentlichen Schlüssel zur Erforschung der 'internationalen' Fluidität weisheitlicher Traditionen in persischer und hellenistischer Zeit zu nutzen. 227 I. Kottsieper hat gezeigt, daß die Sprüche wohl im 7. Jh. im südsyrischen Raum, näherhin im Antilibanon bzw. um Damaskus entstanden sind. 228 Eine nur kursorische Zusammenstellung von 'parallelen' Topoi aufgrund einiger einschlägiger Arbeiten, die sich bei einem systematischen Vergleich vielleicht erweitern ließe, führt zu folgendem Ertrag:

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palästinischen (Kottsieper, Anmerkungen [1988]) und ägyptischen Welt zu erwähnen ist. Was etwa von der im AT gerühmten edomitischen Weisheit (vgl. Jer 49,7 Ob 8 Ijob), womit vielleicht doch nicht nur Kupferbergbau gemeint ist, jedenfalls nicht gesagt werden kann. Für die jüngste Edition und wichtigste Bearbeitungen s.o. Anm. 220. Vgl. nur Galling, Kohelet-Studien (1932), 299, wonach sich im aramAchiqar "allerlei Hierhergehöriges" finde. Vgl. Loretz, Qohelet (1964), 325 s.v. (von Kaiser, Beiträge [1995], 21 Anm. 93 offenbar als bester Einstieg in die Problematik gewertet). Vgl. bes. Lichtheim, Wisdom Literature (1983), und s.o. Anm. 11. Kottsieper, Sprache ( 1990), 241 -246.

Qohelet im Horizont altorientalischer Weisheitsliteratur

Qoh 2,3a™ 2,24 u.ö.230 2,26 5,18 9,II 231 6,10b u.ö.232 do. 7,8a 7,8b 7,16233 8,2-4 23 ' 10,4235 10,9236 10,20237

Lindenberger

aramAchiqar Porten/Yardeni

Kottsieper

Saying 12 Saying 40, 42 Saying 60 Saying 21 Saying 54-56 Saying 14a Saying 62 Saying 58 Saying 17-21 Saying 38 Saying 15

12,95 (187) 9,43 (127), 45 (129) 10,65f (149f) 6,10 (88) 10,58-60 (142-145) 6,2 (80) 10,68 (152) 10,62 (147) 6,6-10 (84-88) 11,83 (173) 6,3f (81-82)

IX 14 (92) V 2 (127), 4(129) VI 8f (149f) X 10 (104) VI 1-4(142-145) X 2 (96) VI 11 (152) VI 6(147) X 6-10 (100-104) XII 15 (125) X3f (97-98)

201

Sicher sind die 'Parallelen' im einzelnen von unterschiedlicher Überzeugungskraft, vor allem müßten natürlich jedesmal auch ihr 'biblischer' Hintergrund 2 3 8 und ihre weitere Verbreitung genau geprüft werden, um die Qohelet'schen Entlehnungen, wenn es sich denn um solche handeln sollte, recht profilieren zu können. 2 3 9 Immerhin fallt auf, daß sich verschiedenen

229 230 231 232 233 234

235 236 237

238 239

Loretz, Qohelet (1964), 198f Nr. 7; Lindenberger, Proverbs (1983), 66. Lindenberger, Proverbs (1983), 120. Loretz, Qohelet ( 1964), 200 Nr. 11. Ebd. 198 Nr. 5; Lindenberger, Proverbs (1983), 87. Whitley, Koheleth (1979), 125; Lindenberger, Proverbs (1983), 147. Loretz, Qohelet (1964), 75, 206 Nr. 51 im Anschluß an H.L. Ginsberg; Whitley, Koheleth (1979) 71f, 176; Lindenberger, Proverbs (1983), 82; Michel, Untersuchungen (1989), 94f; Fischer, Skepsis (1997), 38 Anm. 161. Vgl. aber unten Anm. 240. Vgl. hierzu auch Spr 14,35; 19,12; 20,2. Lindenberger, Proverbs (1983), 114 im Anschluß an M L. Margolis. Loretz, Qohelet (1964), 123, 208 Nr. 64, 267 Anm. 230 im Anschluß an H.L. Ginsberg; Whitley, Koheleth (1979), 176; Lindenberger, Proverbs (1983), 73, 75; Fischer, Skepsis (1997), 38, Anm. 161. Vgl. zu 7,8a etwa die Hinweise bei Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 165 Anm. 30. Im Blick auf die Königsspriiche 8,2-4 liegt die Achiqar-Tradition als Spenderin (s.o. Anm. 234) vielleicht näher als die von Lohfink formulierte Alternative ("alte Sprichworte [...], so als ob es in Jerusalem noch einen König gebe. Kohelet...denkt aber an die alexandrinische Realität": Kohelet [21980], 57). Wie alte Jerusalemer Sprüche klangen, zeigen etwa Spr 20,2 und 24,2lf. Die Achiqar-Parallele steht Qoh näher. Daß Qohelet die alexandrinische Realität gemeint hat, könnte der "Gotteseid" von 8,2 indizieren (vgl. Josephus, Ant XII 1). Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 182186 denkt bei 8,2-5 an das Zitat einer Lehre, die Qohelet dann (ab V. 6) kritisch relativiere. In unserem Zusammenhang ist besonders interessant, daß genau mit V. 6f ein Ton angeschlagen wird, der im demotischen Pap. Insinger (s.u. IV.4.) seine Entsprechung hat. Im Blick auf 10,20 meint Schwienhorst-Schönberger, hier werde "offensichtlich nicht mehr auf das tatsächliche Leben vorbereitet" (Glück [1994], 219). So offensichtlich scheint mir das zwar nicht zu sein, aber die scheinbar kontext-

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Kommentatoren je vier benachbarte Sprüche oder gar Spruchgruppen aus Kol. VI und X als 'Parallelen' zu Qoh-Sprüchen nahegelegt haben. Waren derartige Spruchgruppen unabhängig von der ganzen Sammlung in kleineren Sammlungen, vielleicht auch Florilegien im Umlauf? M.W. sind die Kompositionsprinzipien und die Redaktionsgeschichte von aramAchiqar noch weitgehend unerforscht, sodaß wir in der Frage von Quellen oder Teilkompositionen, die u.U. auch eigenständig weiterüberliefert worden sein könnten, vorderhand im Dunkeln tappen.240 Lichtheim hat jedoch festgestellt, daß manche Sprüche der demotischen Lehre des Anchscheschonqi der syrischen Achiqartradition näher stehen als der aramäischen Spruchsammlung: "This means that there must have existed intermediate versions of Ahiqar of later date than the known Aramaic text, and it was from these that the translations were made."241 Stellt man dazu die offenkundige Fluidität der späteren Fortentwicklung der Achiqar-Spruchsammlungen in Rechnung, die Spruchmaterial enthalten, dessen Ableitung vom aramAchiqar z.T. ganz ausgeschlossen ist, dann darf in hellenistischer Zeit mit einer gewissen Variabilität größerer und kleinerer aramäischer Achiqar-Sammlungen gerechnet werden. Daß Qohelet mindestens eine derartige Kollektion gekannt haben dürfte, ist mehr als wahrscheinlich. Auf sie dürften nicht nur die hier notierten 'Parallelen' zurückgehen, sondern vielleicht auch die Spruchreihe in 4,10-12 (Stichwort "dreifach gezwirntes Seil", s.o. II.4.1.), für die wir ebenfalls eine aramäische Vermittlung postuliert haben. Es wäre m.E. eine lohnende Aufgabe für die weitere Forschung am QohBuch, über das Sammeln okkasioneller Sondageresultate hinaus diesen Verbindungen weiter nachzugehen und zu prüfen, ob sich bei der Rezeption vermutlich aramäischen Spruchgutes durch Qohelet bestimmte Regeln erkennen lassen. An welchem Ort innerhalb der Qohelet'schen Diatribe - die Adäquanz dieser von N. Lohfink vertretenen Deutung des Gesamtaufbaus des Buches einmal vorausgesetzt - wird dieses Spruchgut aufgenommen? 242 Wird es auch gelegentlich zustimmend zitiert oder generell kritisch problematisiert?243 Hebt es sich in seinen jeweiligen Qoh-Kontexten immer deutlich von seiner literarischen Umgebung ab, oder ist es ein organischer Bestandteil davon? Lassen

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(und konzept-?)lose Aneinanderreihung von unzusammenhängenden Sprüchen deutet in der Tat auf Zitation geprägten Spruchguts (so auch Fischer, Skepsis [1997], 39). S.o. Anm. 12. Vgl. nur Quack, Ani (1994), 220: Achiqar "ist selbst in gewissem Umfang ein Sammelbecken für Weisheitstraditionen, z.B. ist 10,5-6 der altaramäischen Überlieferung...deutlich mit Merikare E 32 verwandt". Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 15, vgl. 21: "The author of the Demotic Instruction of Ankhsheshonqy was familiar with the Aramaic Wisdom of Ahiqar in a version (or versions) which stood much closer to the Syriac and other translations than to the fifth century text from Elephantine." S.u. Anm. 373. Vgl. dazu die Überlegungen von Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 23 If; Fischer, Skepsis (1997), 52f u.ö.

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sich von daher die Kriterien für die hypothetische Erhebung des Qohelet'schen Zitatenschatzes, die Gordis, Whybray, Michel und andere formuliert haben, bestätigen?244 Stützen sie das aus der herkömmlichen Literarkritik übertragene Kriterium der inhaltlichen Widersprüchlichkeit und die Forderung Michels, daß "bei der Annahme eines Zitates...auch eine Stellungnahme Qohelets erkennbar sein (sollte)"? Was ist der Anteil des herkünftig aramäischen Spruchgutes gemessen am ganzen Zitatenschatz des Buches? Was ist dessen relatives Gewicht im Vergleich zum Corpus der Zitate bzw. Anspielungen an die ältere 'biblische' bzw. außerbiblisch-jüdische Spruchweisheit? Es ist hier wie so oft leichter, die Fragen zu stellen, als sie zu beantworten. Im Rahmen meines Surveys kann ich über das Fragenstellen nicht hinausgehen, ganz abgesehen davon, daß derartige Fragen ohnehin nur von Spezialisten vernünftig weiterbearbeitet werden können, die über eine intime Kenntnis des Buches verfügen. 2. Symposia und Königstravestien Im Zusammenhang mit dem Schenkinnenrat und der Weisheitskomposition aus Emar wurde oben auf die seit altbabylonischer Zeit bezeugte Verbindung von Trinklied, Carpe diem und einer praktischen Lebensphilosophie des Feierns angesichts des unausweichlichen Todes hingewiesen, wie sie auch im Qoh-Buch mehrfach bezeugt ist. Diese traditionelle Verbindung wurde im 1. Jt. wie im gesamten östlichen Mittelmeerraum, so auch in Syrien und Palästina mit Sicherheit weiter gepflegt. Sie bedurfte keiner besonderen Gelehrtenüberlieferung, sondern wurde im Rahmen von Symposien der reichen Oberschicht lebendig erhalten, wie sie durch zyprische und syro-phönizische Darstellungen (Abb. /) 245 und Texte dokumentiert sind. Die marzihu/marzëah-Feiern, auf deren spezielle Problematik an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann246, dürften einen, wenn auch nicht den einzigen Sitz im Leben dieser lebendigen Tradition dargestellt haben (vgl. auch das bêt miStœh in Jer 16,8). Für das späteisenzeitliche Juda ist die einschlägige Motivik indirekt durch Jes 22,13 bezeugt. Ab dem 5. Jh. wird die Darstellung eines lagernden Mannes und seiner auf oder neben der Kline sitzenden Gattin dann im ganzen

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Grundlegend zur Zitaten-Theorie Gordis, Quotations (1939), Literary Usage (1949), Koheleth (31968), 95-109; Whybray, Identification (1981); Michel, Qohelet (1987), 27-33; Untersuchungen (1989), 133f, 245ff; vgl. auch Spangenberg, Quotations (1991); Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 160ff. Karageorghis, Erotica (1993), 8 Fig. 1 mit allerdings problematischer Deutung auf eine 'heilige Hochzeit'; Maier, Frau (1995), 242 Abb. 12. Vgl. dazu Lewis, Cults (1989), 80-94, die sehr dezidierten Thesen von Loretz, Marzlhu (1993), und Schmidt, Beneficent Dead (1994), Register s.v.

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Mittelmeerraum ein beliebtes Motiv von Grabstelen(!) und Sarkophagreliefs, so etwa auf dem berühmten sog. Satrapensarkophag von Sidon {Abb. 2)247. Die Konstellation des Symposions und die Liebe von Mann und Frau als einer Macht, die allein dem Tod ebenbürtig ist (vgl. Hld 8,6), erscheint hier noch einmal in wiederum erneuerter, akkulturierter Gestalt.248 H.-P. Müller hat jüngst darauf hingewiesen, daß die Darstellung der von Qohelet als ma'asay "meine Werke" bezeichneten königlichen Luxusbauten, die sich im Rahmen der Königstravestie in Qoh 2,4-6 findet, in der Aufzählung des "Werks" (m c bd) des ammonitischen Königs Amminadab II. auf der um 600 v. Chr. zu datierenden Flascheninschrift vom Teil Siran "eine sehr weitgehende Entsprechung"249 hat. Die Inschrift, die Müller als Epigramm deutet - "pointierte Gelegenheitspoesie in knappster Fassung, deren ebenfalls weithin subliterarische Parallelen wir aus Hellas seit dem 8.-6. Jh. v. Chr. kennen, wo sie teilweise für den Vortrag bei Symposien bestimmt waren"250 - , nennt Weinberg und (Palast-)Gärten, Reservoir und Zisternen, wozu die Weinberge, Gärten und Teiche in Qoh 2,4-6 ebenso zu vergleichen sind wie die - von Müller nicht erwähnten - realen Anlagen im östlichen und südöstlichen Umfeld der Jerusalemer Altstadt, die in vorhasmonäischer Zeit auf die "Könige von Israel in Jerusalem" zurückgeführt worden sein dürften. Ähnliches findet sich in größerem Zusammenhang schon in der Meschac-Inschrift, dort auch die Entsprechung zum Groß- und Kleinvieh von Qoh 2,7. Die Flascheninschrift vom Teil Siran und Qoh 2 gehen aber auch darin überein, daß sie diese Werke mit der Vorstellung des Genießens und der Freude (SMH) des Königs verbinden. Wie Müller mit Hinweis auf Hld 6,12 gezeigt hat, wurde ein Amminadab offenbar wie Salomo auch noch von späteren Dichtern der persischen oder hellenistischen Zeit poetisch überhöht, auch dort im Kontext von Königstravestie und mit Hinweis auf Parkanlagen (Hld 6,1 1).252 Die Evokation 247 248

249

250 251 252

Kleemann, Satrapen-Sarkophag (1958), Taf. 13; Maier, Frau (1995), 245 Abb. 14. Vgl. zum Ganzen nun den sorgfältigen Überblick von Maier, Frau (1995), 234-247, die im Anschluß an Fehr, Gelage (1971), und Dentier, Banquet couché (1982), auch griechische Darstellungen miteinbezieht. Diese Bilder demonstrieren trotz Spr 5,18ff augenfällig die Inadäquanz der jüngsten Loretz'schen These zu Qoh 9,9, wonach das 'aicer 'ähabtä eine Ergänzung darstelle, die den Text spezifisch "jüdischen Moralvorstellungen" angepaßt habe (s.o. bei Anm. 175). Bereits Backhaus, Zeit (1993), 69 hatte vermutet, "daß Qohelet hier eine literarische Vorlage (Tatenbericht eines Königs in der Ich-Form) verarbeitet hat"; dazu Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 63: "Formal erinnert der Text an altorientalische Königsinschriften." Müller, Amminadab (1995), 157 mit Verweis auf einschlägige Lexikonartikel von R. Keydell (1962, 1975). Müller, TUAT 1/6 (1985), 646-650. Vgl. dagegen als moralische Alternative den arabischen König Lemuel von Massa (Spr 31,1-9)!

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derartiger Gestalten im Rahmen aristokratischer Trinkgelage und Liebesspiele wird den Hintergrund für die Königstravestie von Qoh 2 darstellen, wo sie in den Dienst einer spezifisch 'weisheitlichen' bzw. philosophischexperimentellen Fragestellung genommen ist.253 Damit verdichtet sich noch einmal unser (schon oben in II.4.2. und am Ende von II.5. gewonnener) Eindruck, daß der Weisheit des Qoh-Buches eine dezidierte Affinität zum aristokratischen Symposium eignet. Ein Blick auf die Darstellungen im frühptolemäischen Grab des Petosiris254 legt die Vermutung nahe, daß bei alledem nicht exklusiv an ammonitisch-judäische Hintergründe zu denken ist, sondern an eine ägypto-orientalische Koinè mit hellenistischer Koloration. Wer die zugehörige Inschrift von Petosiris1 Tochter Tehen liest, kann - immer im Blick auf Qoh 2 - die Realien der Siran-Inschrift noch um das Ambiente von Vieh und Feldern, Knechten und Mägden, Sängern und Sängerinnen ergänzen: Tchen "(...) Der Herr des Imti-Gaues läßt dich reich sein an Wein nach deinem Wunsch, so daß dein Tag schön ist. Du bist reich an Bäumen, und der Garten leuchtet von allen Arten Blüten zu ihrer Zeit. Angenehm ist es darin für dich, täglich ein Fest zu feiern. (...) Du verfügst über zahlreiche schöne Musikantinnen, fehlerlos anzusehen, mit angenehmen Stimmen wie die (göttliche Sängerin) Meret. Sie erheitern (smh.sn)2i> dein Herz, wenn sie beschwipst sind, bis die Nacht kommt alltäglich. Dies wird dir getan nach deinem Herzenswunsch."

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Vgl. die genaue Bestimmung des Verhältnisses von Wein, Freude, Glücksexperiment und Vernunft in Qoh 2 bei Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 59, 62-68. Fischer, (Skepsis [1997], 5) spricht in bezug auf die Königstravestie treffend von einem „gesellig-literarischen Rollenwechsel", bemerkt allerdings nicht, daß ein solcher zu dem von ihm postulierten Sitz im Leben des Qoh-Buches in der Schule in Spannung steht. Vgl. Lefebvre, Petosiris (1923/24), T. III; Picard, Influences (1930). Dabei ist allerdings in Ägypten wie in Palästina immer auch die durch den Grabkontext geforderte, auf den ersten Blick eher steif wirkende Zurückhaltung in den Darstellungen zu berücksichtigen. Hatte Lefebvre, Petosiris (1923/24), I 86 Anm. 11 noch fragend erwogen: „smh.sn: le verbe aurait-il un sens transitif: «verser l'oubli dans ton cœur, endormir ton cœur»? Je n'en connais pas d'exemple et préfère corriger smh.sn en shmh.sn", so ist heute für die Wendung s(h)mh ib die Bedeutung "das Herz (die Sorge) vergessen lassen" unumstritten, wozu man Qoh 5,19 vergleichen sollte (zum Ganzen Fox, Entertainment Song [1982]). Inschrift Nr. 58b, Z. 16f, Lefebvre, Petosiris (1923/24), I 86, II 30; Obersetzung in Anlehnung an Otto, Biographische Inschriften (1954), 176.

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Diese Welt in ihrer teils ikonographischen 257 , teils literarischen Selbststilisierung bildet den ägypto-palästinischen Horizont der frühhellenistischen Zeit, vor dem die Königstravestie von Qoh 2 erst recht dramatisch und nachvollziehbar wird. Daß in dieser Welt die in Qoh 2,8b als "Wonne der Menschen" bezeichneten Siddâ waSiddôt - eine Wendung, die schon in den frommen Ohren von antiken Übersetzern und Lesern Anstoß 258 259 260 erregt hat - , nicht entweder Haremsdamen oder "Kellnerinnen" sind, sondern beides zugleich, bedarf nach Betrachtung der genannten Primärquellen keiner weiteren Beweisführung. IV. Der ägyptische Horizont: sog. biographische Inschriften, Harfnerlieder und späte Lehren Mit dem zuletzt zitierten Text sind wir bereits in den Bereich des spätzeitlichen Ägypten übergetreten. Bevor wir uns hier der eigentlichen Weisheitsliteratur zuwenden, will ich kurz bei dem Grab des Petosiris verweilen und auf einige weitere Felder hinweisen, die für die Forschung am Qoh-Buch in seiner Umwelt noch kaum fruchtbar gemacht worden sind. W o von spätägyptischer Weisheit die Rede ist, denken wir in der Regel an Lebenslehren. Mit diesen ist aber nur eine, sehr spezifisch ausgeprägte Gestalt spätägyptischer Weisheit benannt. Daneben hat sich die neuere ägyptologische Forschung auch dem Bereich der sog. biographischen Inschriften der Spätzeit als einer Nebenquelle für die spätägyptische Weisheit zugewandt. 261 1. Biographische

Inschriften der Spätzeit

Handelt es sich hier auch in aller Regel um Inschriften aus dem funerären Bereich, zunächst also Primärquellen für Totenkult und Jenseitsvorstellungen 262 , so sind diese Inschriften in ihrer Evokation der vergangenen irdischen Existenz der Verstorbenen doch insofern für 'weisheitliche' Fragestellungen offen, als die biographischen Selbststilisierungen sehr oft Aspekte eines Lebensethos erkennen lassen, das deutliche Verbindungen zu den in den Maximen der Lebenslehren vorgetragenen Idealen aufweist - wo es nicht dezidiert pragmatischere Akzente setzt, die jedoch gleichfalls weisheitlichen (bzw. le-

257

Vgl. auch die kurz nach der Entdeckung dem Vandalismus zum Opfer gefallenen Fresken in den hellenistischen Gräbern von Marescha, bes. das sog. Musikantengrab (,Keel/Küchler, OLB II [1982], 874-876; Kuhnen, Palästina [1990] 73-75).

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Vgl. Bons, Siddä watiddöt (1987), 16.

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Lohfink, Kohelet ( 2 1980), 28.

260

Bons, Siddo wafiddöt (1987), bes. 15.

261 262

S.o. Anm. 12. Corpus der Quellen: Munro, Totenstelen (1973), bei dem archäologische, kunstgeschichtliche und ikonographische Fragestellungen im Vordergrund stehen; über seine Literaturangaben erschließt das Werk auch den Zugang zu den Inschriften.

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bensphilosophischen) Charakter haben. 263 Besonders wenn die biographischen Inschriften sich direkt an ihre supponierten Leserinnen und Leser wenden, sie zu einem gerechten und vorbildlichen Verhalten auffordern und ihnen dafür Lohn und Erfolg versprechen, ist ihre Nähe zu den Lebenslehren oft mit Händen zu greifen. Wie zu erwarten, ist die Verwandtschaft mit den Lebenslehren bei jenen Inschriften besonders groß, die im Auftrag gutgestellter Persönlichkeiten aus der Oberschicht von gebildeten Schreibern verfaßt wurden, die selber aus dem Bildungsbetrieb über direkte Kenntnis von Lebenslehren verfügt e 264 ten. Das im mittelägyptischen Tuna el-Gebel, der Nekropole von Hermopolis, gelegene Grab des Petosiris, eines Hohenpriesters des Thot von Hermupolis zur Zeit Philipps III. Arrhidaios (323-316 v. Chr.), ist ein besonders eindrückliches Dokument der Begegnung Ägyptens mit dem friihptolemäischen Griechentum.265 Die Grabdekoration weist eindeutig hellenische Einflüsse auf und bezeugt eine "intensive Auseinandersetzung mit der künstlerischen und religiösen(l) Welt der neuen Landesherren" . Die Inschriften bewegen sich stärker im Rahmen der traditionell ägyptischen Konventionen. Die Grabarchitektur zeigt Anleihen aus der Tempelarchitektur und läßt vermuten, daß das Bauwerk nicht nur als Familiengrab, sondern zugleich als Kultstätte für den vergöttlichten Petosiris konzipiert war. Diese scheint "als Wallfahrtsort der Griechen, die in Petosiris einen Weisen verehrten, und als Ruhestätte vieler, die hier vielleicht einen Schutzpatron fanden, bis ins 4. nachchristliche Jahrhundert hinein ihren sakralen Charakter" bewahrt zu haben.267 In unserem Zusammenhang ist die bereits zitierte Inschrift der Tochter Tehen besonders erwähnenswert, die die Fortdauer der aus dem Neuen Reich bekannten Tradition des "Feierns des Schönen Tages"268 (dazu gleich) dokumentiert und einen plastischen Eindruck vom Lebensgefühl der autochthonen Aristokratie jener Zeit vermittelt.

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Vgl. in dieser Hinsicht etwa die weiter unten am Ende von IV.2. zitierte Inschrift des Nebneteru! Vgl. zum Ganzen nach wie vor die grundlegende Arbeit von Otto, Biographische Inschriften (1954), bes. die Kapitel über "Charakter und Lebensideal", "Stellung zur Familie", "Gesellschaftliches und soziales Ideal" und die zusammenfassenden Bemerkungen ebd. 123-125. Edition: Lefebvre, Petosiris (1923/24); Auszüge aus den Grabinschriften bei Otto, Biographische Inschriften (1954), 174ff; Lichtheim, AEL III (1980), 44ff; vgl. Nakaten, Petosiris (1982; Lit.). Nakaten, Petosiris (1982), 995. Die ebd. Anm. 21 angekündigte Arbeit von Frau Nakaten ist noch nicht erschienen. Man wartet gespannt auf die Auflösung des Ausrufezeichens! Doch ist die Forschung auch unabhängig davon wieder neu in Bewegung gekommen, vgl. bes. Théodoridès, La condition humaine (1991); Menu, Le tombeau de Pétosiris (1994ff). Nakaten, Petosiris (1982), 996. Vgl. dazu nun bes. Assmann, Tag (1989) = Stein (1991), 200-234.

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D i e aus M e m p h i s stammende, ins Jahr 42/41 v. Chr. datierte Stele 269

der

Taimhotep ist ein ergreifendes Zeugnis für die Verwendung des Carpe diem-Motivs im spätptolemäischen Ägypten. D i e im Alter v o n 31 Jahren verstorbene Frau des Hohenpriesters Pascherienptah erzählt, w i e sie nach der Geburt dreier Töchter erst auf besondere Veranlassung des vergöttlichten Imhotep einen Sohn bekam, bald darauf aber verschied. N a c h der Schilderung der Begräbnisriten w e n d e t sie sich direkt an ihren Gatten, um ihn zum Genuß des diesseitigen Lebens aufzufordern: Taimhotep "O mein Liebster (wörtl. Bruder), mein Gatte, mein Freund, Hoherpriester! Laß dein Herz nicht müde werden, zu trinken und zu essen, trunken zu sein und zu lieben! Mache dir einen schönen Tag! Folge deinem Herzen Tag und Nacht! Laß keine Sorgen in dein Herz! Koste die Jahre aus, die auf Erden sind! Der Westen, das ist das Land des Schlummers, eine lastende Dunkelheit, der Wohnort derer, die dort sind (d.h. der Toten). Schlafen ist ihre Beschäftigung (oder: Sie schlafen in ihren Mumienformen). Sie erwachen nicht, um ihre Brüder zu sehen. Sie können nicht ihre Väter und ihre Mütter erblicken. Ihre Herzen entbehren ihre Frauen und ihre Kinder. Das Wasser des Lebens, in dem die Nahrung jeden Lebens ist, Durst ist es für mich. Es kommt (nur) dem zu, der auf Erden ist. Ich aber dürste, obwohl Wasser neben mir ist. Ich kenne nicht den Ort, wo es ist, seit ich zu diesem Tale gelangt bin. Gib mir fließendes Wasser! Sage zu mir: "Nicht sei deine Gestalt fern vom Wasser!" Wende mein Antlitz zum Nordwind am Ufer des Wassers! Vielleicht wird mein Herz sich doch kühlen in seinem Leid. Der Tod, 'Komm' ist sein Name, er ruft jeden zu sich. Sie kommen zu ihm sogleich, obwohl ihre Herzen aus Furcht vor ihm schaudern. Keiner sieht ihn unter den Göttern und Menschen. Die Großen sind in seiner Hand wie die Geringen. 269

Vgl. Munro, Totenstelen (1973), 165, 168, 338 Nr. BM 147 und Taf. 64 Abb. 217; Otto, Biographische Inschriften (1954), 190-194; Lichtheim, AEL III (1980), 59-65; Reymond, Records (1981), 165-177 Nr. 20; vgl. auch Assmann, Stein (1991), 222 Anm. 94; Ockinga, TUAT II/4 (1988), 540-544.

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Keiner kann seinen Fluch von allen, die er liebt, fernhalten. Er raubt den Sohn von seiner Mutter lieber als den Greis, der in seiner Nähe umhergeht. Alle Furchtsamen bitten vor ihm; er aber wendet sein Angesicht ihnen nicht zu. Er kommt nicht zu dem, der zu ihm fleht. Er hört nicht auf den, der ihn preist. Man sieht ihn nicht, so daß ihm Geschenke an irgendetwas gemacht werden könnten."

Angesichts dessen, was wir sonst von älteren ägyptischen Vorstellungen über die jenseitige Existenz wissen, klingt die hier sich äußernde kritisch-skeptische Position erstaunlich. Sie erinnert unwillkürlich an Qoh 9,5a: "Die Lebenden wissen (wenigstens), daß sie sterben müssen, aber die Toten wissen gar nichts."

Daß auch "ihr Andenken vergessen" (9,5b), "ihr Lieben, ihr Eifern und Hassen längst vergangen ist" und es für sie "auf ewig keinen Anteil mehr gibt an allem, was geschieht" (9,6), liest sich wie ein Qohelet'scher Kommentar zu dieser und verwandten Totenstelen, die nicht müde werden, das Glück der vergangenen Familienbeziehungen, Erfolg und Hochschätzung der Verstorbenen zu beschwören. 2. Das "Feiern des schönen Tages" und die Tradition der Harfnerlieder Die Skepsis der Taimhotep und ihre Aufforderung zum "Feiern des schönen Tages" sind im ägyptischen Kontext traditionsgeschichtlich270 mit den sog. Harfnerliedern271 verknüpft, die in der Forschung seit der Entdeckung des Genres immer wieder auch mit der Qohelet'schen Skepsis und bes. mit seinem Aufruf zur Lebensfreude in 9,7-9 in Verbindung gebracht worden sind. Die Harfnerlieder - genauer: eine, die 'häretische' Gruppe unter ihnen, s.u. "fordern zum Festgenuß auf, indem sie an die Kürze und Kostbarkeit des menschlichen Lebens erinnern."272 Das berühmteste unter ihnen ist das Anteflied 273, das laut seiner Überschrift "im Grab des seligen (Königs) Antef vor dem Sänger zur Harfe" aufgezeichnet sein und d.h. doch wohl aus der Zeit der

270 271

272 273

Vgl. Otto, Biographische Inschriften (1954), 45-51; Assmann, Fest (1977), 74ff. Vgl. dazu nebst dem Überblick von Assmann, Harfnerlieder (1977), für Texteditionen und -bearbeitungen Lichtheim, Songs (1945); Wente, Make Merry (1962); Osing, Chants (1992); Kákosy/Fábián, Djehutimes (1995), für Interpretation und Sitz im Leben die Studien von Assmann, Fest (1977); Stein (1991), bes. 215ff; Fox, Entertainment Song (1982). Assmann, Stein (1991), 233. Edition: Fox, Song of Songs (1985), 378-380; jüngste Übersetzungen durch Assmann, TUAT II/6 (1991), 905f; Hornung, Dichtung (1995), 153.

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frühen 11. Dyn. (21./20. Jh. v. Chr.)274 stammen soll275, in Wirklichkeit aber erst in der späten Amarnazeit entstanden sein dürfte276. Für dessen Verständnis in seinem ägyptischen Kontext ist zunächst darauf hinzuweisen, daß es sich offenbar um eine Art Modelldichtung handelt, der andere Lieder als eigenständige Variationen eines berühmten Vorbilds folgen wollen.277 Bedeutsam ist auch die doppelte Überlieferung des Antefliedes - im spät-amarnazeitlichen Grab des Payatiemhab aus Saqqara (um 1340 v. Chr.) und (besser erhalten) auf dem Pap. Harris 500 aus der 19. Dyn. inmitten einer Sammlung von Liebesliedern. Diese doppelte Überlieferung fugt sich gut zu der Beobachtung, daß die Harfnerszenen im funerären Kontext die Nachfolge der Gastmahlszenen der früheren 18. Dyn. angetreten haben. Die Harfnerlieder, erst recht die der 'häretischen' Gruppe, sind also nicht etwa ausschließlich von spezifisch funerären Zusammenhängen her zu erklären, sie haben dort nur ihre bevorzugte "Aufzeichnungsform" gefunden. Ihr erster Sitz im Leben dürfte "in der geselligen oder intimen Festfeier des 'Schönen Tages'" zu suchen sein.279 M. Fox rechnet sie zusammen mit den Liebesliedern und anderen Gesängen zur großen Gruppe der "entertainment songs". Antef "Eine Generation vergeht, andere bleiben/kommen 280 seit der Zeit der Vorfahren.

274 275

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280

Zu den verschiedenen Königen dieses Namens der 11., 13. und 17. Dyn. vgl. Schneider, Pharaonen (1994), 74-77. Goedicke, Date (1977), bes. 192f wollte in.tw.f trotz der Schreibung in Kartusche nicht als Name, sondern als 'Leerformel' für den Verstorbenen "he was/is carried away", in Verbindung mit der Kartusche "the name (of) him who was carried away" verstehen, hat sich mit dieser Deutung aber nicht durchsetzen können. Der Bezug auf einen bestimmten König und die Deutung als 'sprechender Name' müssen sich gegenseitig nicht ausschließen. Assmann, Fest (1977), 64 hält, wenn schon, eine Übersetzung "möge er (zurück) gebracht werden" für "sprachlich korrekter", doch stünde diese in krassem Gegensatz zu dem am Ende des Liedes Gesagten. Fox, Antef (1977), 400f plädiert für Pseudepigraphie, dazu s.u. Vgl. zur Datierungsproblematik Goedicke, Date (1977); Fox, Antef (1977), 400-403. Assmann, Harfnerlieder (1977), 975. Wenn wir im folgenden nicht die ganze Palette der Harfnerlieder behandeln, sondern uns für den Vergleich mit Qoh auf dieses und wenige andere Beispiele konzentrieren wollen (ganz analog eine Reihe von neueren Textsammlungen, z.B. die oben in Anm. 273 genannten Übersetzungen von Assmann und Hornung), dann sind wir dazu also von der ägyptischen Tradition selbst ermächtigt. Assmann, Fest (1977), 59. Assmann, Stein (1991), 215, vgl. 217. Vgl. diesbezüglich die ältere Kontroverse zwischen Lichtheim, Songs (1945: funerär, ähnlich Fox, Antef [1977] 394-400), und Wente, Make Merry (1962: säkular). "Kommen" ist die in anderen Liedern verwendete Variante; vgl. Assmann, Stein (1991), 215 Anm. 73.

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Die Götter, die vordem entstanden, ruhen in ihren Pyramiden; die Edlen und Verklärten gleicherweise liegen begraben in ihren Pyramiden. Die (aber) da Gräber281 aufführten - ihre Stätte ist nicht mehr - : Was ist mit ihnen geschehen? Nun, ich habe die Worte des Imhotep und des Hordedef gehört, deren Sprüche in aller Munde sind282 (, aber:) Wo sind ihre Stätten? Ihre Mauern sind zerfallen, ihre Stätte gibt es nicht, als wären sie nie gewesen. Keiner kommt von dort, daß er erzähle, wie es um sie steht, daß er sage, was sie brauchen, daß er unser Herz beruhige, bis (auch) wir dorthin gelangen, wohin sie gegangen sind. Du aber283: Erfreue dein Herz, um all das zu vergessen! Gut ist es für dich, deinem Herzen zu folgen, solange du lebst. Gib Myrrhen auf dein Haupt, kleide dich in feinstes Linnen, salbe dich mit echtem Öl des Gottesbesitzes. Vermehre dein Wohlbefinden, laß dein Herz nicht müde werden. Folge deinem Herzen in Gemeinschaft mit deiner Liebsten. Tu deine Arbeit auf Erden, ohne dein Herz zu kränken, bis jener Tag der (Toten-)Klage zu dir kommt. Der Herzensmatte28,1 hört ihre Schreie nicht, und ihre Klagen retten das Herz eines Mannes nicht aus der Unterwelt. Refrain (bzw.: Nochmals):285 Feiere den schönen Tag, werde dessen nicht müde!

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Die Unterscheidung "Pyramiden" - "Gräber" in Anlehnung an Fox, Antef (1977) 404 ("sepulchres" und "tombs"). Anspielung auf ältere Lebenslehren, namentlich auf den in der Lehre des Hordedef überlieferten Satz: "Lege dir ein Haus an im Heiligen Bezirk, und statte trefflich aus deinen Sitz im Westen" (vgl. Assmann, Fest [1977], 71 Anm. 33, 75). Hier in erster Linie Anrede an den Grabbesucher als implizierten Leser, nicht an den Verstorbenen, wie die anschließenden klaren Hinweise auf das diesseitige Leben vor dem Tod zeigen. Damit ist wohl nicht, wie auf den ersten Blick vermutbar, der Verstorbene gemeint, sondern Osiris, den die Totenklagen veranlassen sollten, den Verstorbenen vor dem "erneuten Sterben" zu bewahren (Fox, Antef [1977], 416). In Pap. Harris 500 als Rezitationsanweisung rot geschrieben (Assmann, Fest [1977], 56 Anm. 3). Vgl. auch Fox, Antef (1977), 411 ad loc., dessen Deutung als "technical term designating a certain musical mode or melody, of the sort frequent in biblical Psalms" allerdings nur bei einer Überschrift überzeugen könnte.

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Bedenke: Niemandem ist es gegeben, seine Habe mit sich zu nehmen. Bedenke: Keiner, der ging, kommt wieder/ist (je) wiedergekommen."286

Das Lied besteht aus zwei klar unterscheidbaren, symmetrischen Hauptteilen: Im ersten Teil ist der Bruch der durch Grabbauten und -kult ermöglichten Kommunikation zwischen Verstorbenen und Lebenden das Problem. Die Pyramiden der Großen mögen nach wie vor bestehen, aber die weniger monumentalen Gräber sind nicht mehr, nicht einmal die des berühmten Grabarchitekten Imhotep und des weisen Hordedef, dessen Lehre doch ausdrücklich zur Vorbereitung des Grabes auffordert287 - selbst diese exemplarisch Weisen und ihre Grabbauten sind dem Vergessen anheimgegeben (vgl. Qoh 2,16a)! Mit den Gräbern aber ist auch die Möglichkeit der Kommunikation mit den Verstorbenen und des Wissens um das Jenseits verloren gegangen: "Keiner kommt von dort, daß er erzähle, wie es um sie steht, daß er sage, was 288

sie brauchen..." Nicht die Tatsache eines Fortlebens wird hier bestritten , sondern die Möglichkeit, darüber etwas erfahren zu können. 289 Der letzte Satz des ersten Teils bereitet den zweiten vor: Auch die Lebenden werden dorthin gelangen, wohin die Verstorbenen gegangen sind; aber da sie über jenen Ort jetzt noch nichts wissen können (vgl. Qoh 3,21), bleibt ihnen nur das "Feiern des schönen Tages", um "das Herz zu beruhigen (bzw. vergessen zu machen)". Dies ist das Thema des zweiten Teils mit seinen ausführlichen Aufforderungen zum Feiern. Daß "der Herzensmatte" die Klageschreie nicht hört, unterstreicht noch einmal die Kommunikationslosigkeit zwischen Diesseits und Jenseits. Zum Schluß wird wie in zwei Merksätzen das Fazit gezogen: Die Habe ist jetzt, vor dem Gehen, durch das "Feiern des schönen Tages" zu genießen (vgl. Qoh 3,22). Das Aufkommen solcher Lieder hat, wie v.a. M. Fox gezeigt hat, einen konkreten historischen Ort in der Geschichte Ägyptens: Es ist die spätere Amamazeit, in der die Grabkulte zum Erliegen gekommen sind und das Wissen um das Jenseits verdrängt worden war. Wird Skepsis über den Nutzen von Grabbauten auch schon im älteren "Gespräch des Lebensmüden mit seinem Ba" laut und schließt auch dort der Aufruf: "Folge dem schönen Tag! Vergiß 290

die Sorge!" an

, so erhält die Gegenüberstellung im Anteflied doch eine noch nie gekannte

Dramatik, ist auch die Schilderung des "Schönen Tages" hier so ausführlich wie noch nie zuvor in der ägyptischen Literatur. In seinem ersten Teil formuliert das Lied eine ganze Reihe von 'Häresien' im Gegenüber zum (vor- und nach-Amama-zeitlichen) Jenseitsglau286 287 288 289 290

Übersetzung in Anlehnung an Assmann, TUAT II/6 (1991), 905f und Hornung, Dichtung (1995), 153. Zu Imhotep und Hordedef vgl. Fox, Antef ( 1977), 414. So Assmann, Harfnerlieder (1977), 78, wonach die Klage über den Verfall der Gräber die "Hoffnung auf Fortdauer" als Illusion entlarven wolle. So zu Recht Fox, Antef (1977), 414f. Vgl. Assmann, Fest (1977), 76; Fox, Antef (1977), 402f; Renaud, Dialogue (1991), 25.

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ben - vielleicht ist dies der Grund, weshalb es sich in seiner (allerdings erst im jüngeren Textvertreter erhaltenen) Überschrift geradezu pseudepigraph mit der legitimierenden 292 Autorität eines seligen Königs versieht. Wie gleichzeitig 'richtig' und doch auch schockierend das Lied für Zeitgenossen geklungen haben muß, zeigt seine gewundene Rezeption und die teilweise explizite Auseinandersetzung mit ihm, die im wenig jüngeren thebanischen Grab des Gottesvaters Neferhotep (1319-1292 v. Chr.) einsetzt. Dort finden sich gleich drei Harfnerlieder, die in einer bestimmten Reihenfolge gelesen werden wollen: Neferhotep I "(...) Generationen vergehen seit der Zeit des Gottes, doch Nachwuchs tritt an ihre Stelle. Re zeigt sich am frühen Morgen, und Atum geht unter im Westgebirge. Männer zeugen, Frauen empfangen, jede Nase atmet den Lufthauch der Morgen kommt, und schon sind ihre Kinder an ihre Stelle getreten."293 Dazu ist ein Lied aus einem etwas jüngeren Grab der 20. Dyn. zu vergleichen: Inherchau "Geschlechter vergehen seit der Zeit des Gottes, junge Generationen treten an ihre Stelle. (...) Der Nil fließt nordwärts, der Wind weht südwärts, jedermann hat seine Stunde."294 Dies sind zunächst einmal Entfaltungen des ersten Satzes des Antefliedes. Sie binden den Wechsel der Generationen in den kosmischen Kreislauf der Sonne und die Bewegungen von Wasser und Wind ein. Wenngleich die Zwi291

292 293 294

Zerstörung der Gräber, Verschwinden aller materiellen Spuren, Leugnung von Besitz und sozialen Distinktionen im Jenseits, keine Hoffnung auf Wiederkehr... (vgl. Assmann, Fest [1977], 71/73). Den Widerspruch zu den zentralen Lebensregeln (Assmann, Stein [1991], 224) halte ich für weniger bedeutsam, allein schon deshalb, weil die Texte offenbar nicht dieselbe soziale Gruppe wie die Lebenslehren im Blick haben. Beachte nun auch die Interpretation von Osing, wonach im Grab des Nefersecheru (19. Dyn.) die 'häretischen' bzw. pessimistischeren Positionen vom Harfner und den Klagefrauen vertreten werden. Der Grabherr höre diesen zu, halte selbst aber am 'orthodoxeren' Jenseitsglauben fest (Chants [1992], 22/24). Vgl. Assmann, Harfnerlieder ( 1977), 64f. Übersetzung in Anlehnung an Assmann, TUAT II/6 (1991), 907 und Hornung, Dichtung (1995), 154. Übersetzung von Assmann, Fest (1977), 77.

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schenstufen verloren sind, so ist es doch mehr als naheliegend, den Qohelet'schen Prolog 1,3-11, der in V. 4a.5 in derselben Abfolge, in 1,6.7 in umgekehrter Reihenfolge formuliert und in 1,11 mit der Feststellung des Erinnerungsbruchs zwischen den Generationen endet, als eine in der Verlängerung dieses Entfaltungsprozesses zu situierende Fortschreibung zu verstehen. In der Fortsetzung formuliert das erste Neferhoteplied dann eine implizite Antithese zu Antef, indem es nicht den Gnbbesucher, sondern den Verstorbenen selbst - zu dem das Anteflied gar nicht hätte reden können! - zum Feiern auffordert: Neferhotep I "Feiere den Tag, du Gottesvater! Gib Parfum und bestes Salböl miteinander an deine Nase, Lotos und Kränze von Perseafrüchten an deine Brust, deine Geliebte (wörtl. Schwester), die du im Herzen trägst, sie schmiegt sich an deine Seite. Gib vor dich Sänger und Musikanten, vergiß alles Übel, erinnere dich der Freude (sie!), bis daß jener Tag kommt des Landens in diesem Lande, das das Schweigen liebt und wo das Herz des liebenden Sohns nicht müde wird. Feiere den Tag, gerechtfertigter (= verstorbener) Neferhotep, du tüchtiger Gottesvater mit reinen Händen! Ich habe alles gehört, was jenen (Vorfahren) zugestoßen ist: ihre [Mauern] sind zerstört, ihre Stätte ist nicht mehr, sie sind, als wären sie nie entstanden seit der Zeit des Gottes. Die Herren... [Pflanze Sykomoren] am Ufer deines Teiches, damit dein Seelenvogel unter ihnen sitze und ihr Wasser trinke. Folge deinem Herzen in jeder Hinsicht, doch gib Brot dem, der keinen Acker hat, damit dir ein guter Name zuteil wird für alle Zukunft... Feiere den Tag, du mit reinen Händen, Gottesvater Neferhotep..., bis der kommt, der sieht, aber nicht gesehen wird, der keine Fristen kennt am Tag, der die Herzen zerstört, der das Haus zusammenfallen läßt, wenn er kommt. Gedenke des Tages, da du gezogen wirst 295

Der begnadete 'Kryptomant' J. Assmann meint, der ägyptische Text des Neferhotep wirke kryptisch und gewinne Sinn erst im Licht der späten Variante Qoh 1,4-7 (Stein [1991], 217 Anm. 76)! Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 27ff zitiert eine ganze Reihe von griechischen Kosmologen als 'Parallelen'. Deren Vorstellungen stehen dem Qohelet'schen Prolog aber femer als die zitierten Passagen aus Harfnerliedern, außerdem dürften sie von ägyptischen kosmologischen Vorstellungen abhängig sein (vgl. hierzu im allgemeinen Keel, Weltbilder [1993]).

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zu diesem Lande, das die Menschen mischt es gibt keine Wiederkehr..."296

Dadurch daß die Festfreude nun (bzw., nach der parenthetischen Negation von Amarna, wieder) dem Verstorbenen zugesprochen und dieser auf diese Weise 'seliggesprochen' werden kann, scheint die vom Anteflied ausgelöste Kontroverse entschärft, das Problem gelöst, der Jenseitsglaube retabliert. Aber die Lösung ist doch nur eine scheinbare. Wer genau liest, wird sehen, daß mit der Adressatenänderung das Erschrecken vor dem Tod nicht gemildert werden konnte. Besonders die letzte Strophe macht den Eindruck, als ob sie den doch bereits Verstorbenen an den Tod erinnern wolle. Kein Zweifel: Mit der Amarnazeit bekam der Tod in Ägypten ein neues Gesicht, so daß das "Feiern des schönen Tages" auch in den weniger 'häretischen' Harfnerliedern einen zuvor noch nicht gekannten Ernst erhielt. Ist im ersten Lied die Absetzung von Antef eher implizit, so äußert sich das zweite dann eigentlich polemisch gegen "jene Lieder,...die das Diesseits erheben und das Totenreich herabsetzen": Neferhotep II "Ihr trefflichen Edlen alle und ihr, Göttemeunheit der 'Lebensherrin', hört den Gesang, der für diesen Gottesvater angestimmt wird in der Verehrung seines machtvollen Ba und seiner vorzüglichen Mumie, jetzt, da er ein Gott ist, der ewig lebt und im Westen erhoben wurde: auf daß (mein Lied) als Erinnerung diene für die Zukunft für jeden, der im Vorbeigehen eintritt.297 Ich habe jene Lieder gehört, die in den Gräbern der Vorfahren stehen, und was sie erzählen, um das Diesseits zu erheben und das Totenreich herabzusetzen. Warum wird dergleichen angetan dem Lande der Ewigkeit, dem gerechten, das keinen Schrecken kennt, dessen Abscheu der Streit ist? Da ist keiner, der gegen seinen Nächsten rüstet, (in) diesem Land, das keinen Widersacher hat; Alle unsere Verwandten ruhen in ihm seit der Zeit der ersten Urzeit. Die noch entstehen werden, Millionen und Millionen, werden (ebenfalls) alle zu ihm kommen. Es kann kein Verweilen geben in Ägypten, 296 297

Übersetzung in Anlehnung an Assmann, TUAT II/6 (1991), 907 und Hornung, Dichtung (1995), 154f. Anders Hornung: "(Die Lieder) dienen als Mahnung für die Zukunft / für jeden, der dahingehen wird."

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und niemanden, der nicht (dorthin) gelangte. Diese Lebenszeit, die man auf Erden verbringt, sie gleicht einem (flüchtigen) Traum, und man sagt: »Willkommen, wohlbehalten und heil!« zu dem, der den Westen erreicht hat."298 Es ist ganz offenkundig: Hier wird an einer Kontroverse gearbeitet, die durch das Anteflied ausgelöst worden und danach nicht mehr zur Ruhe gekommen ist. Die Neferhoteplieder versuchen, den Schock aufzufangen und ihn in eine transformierte Verklärungstheorie umzuleiten. Das dritte Lied ist ganz der Verklärung des Verstorbenen gewidmet. Damit ist Antefs These von der Kommunikationslosigkeit zwischen Verstorbenen und Lebenden definitiv widerrufen, das Wissen um den Verbleib der Verstorbenen retabliert. Im Zusammenhang unserer Überlegungen zum Qoh-Buch ist an dieser Stelle nur ein knapper Ausschnitt zu zitieren, der vom "dauernden Namen" und dem fortwährenden Gedenken handelt. Auch hier ist die Antithese zum Anteflied ganz deutlich zu erkennen: Neferhotep ΙΠ "Wie glücklich bist du, da du dich mit den Herren der Ewigkeit vereint hast, wie immerwährend dauert dein Name, der verklärt ist im Jenseits! (...) Für dich setzen sich die beiden Klagefrauen (Isis und Nephthys) ans Tor und klagen um deinen Namen... 299 Du Gottesvater, dein Gedenken ist in Heliopolis, geschützt bist du in Theben, und man muß dich nicht suchen bis in Ewigkeit, denn dein Name soll nicht vergessen werden..."300 Man kann Qohelets "Es gibt keine Erinnerung..." als Antithese zu einer These verstehen, die wohl nirgends so emphatisch beschworen worden ist wie in den 'orthodoxeren1, verklärenden Harfnerliedem. Von der bleibenden Wirkung des 'häretischen' Antefliedes aber zeugen nebst der Abschrift in Pap. Harris 500 weitere 'häretische' Versionen der 19. und 20. Dyn., besonders die Untergruppe F301, die in ihrer "Herabsetzung des Totenreichs" bzw. der Toten fast noch weiter gehen als das Anteflied.302 Sie reden zwar den Verstorbenen an, wollen ihn aber nur an das erinnern, was der Sänger ihm schon zu Lebzeiten immer vorgetragen habe: die Verlo-

298 299 300 301 302

Übersetzung in Anlehnung an Assmann, TUAT II/6 (1991), 908 und Hornung, Dichtung (1995), 155f; vgl. nun auch Kàkosy/Fâbiàn, Djehutimes (1995), 217f. Vgl. Anm. 284. Übersetzung in Anlehnung an Hornung, Dichtung (1995), 156f; Kákosy/Fábián, Djehutimes (1995), 220f; vgl. Assmann, Fest (1977), 69. Nach der Klassifikation von Assmann, Harfnerlieder (1977), 974; es handelt sich um die von Wente, Make Merry (1962), edierten Lieder. Eine interessante Vermittlerposition zwischen der 'häretischen' und der 'orthodoxen' Gruppe nimmt das von Osing, Chants (1992), 17ff publizierte Lied aus dem Grab des Nefersecheru (19. Dyn.) ein (s.o. Anm. 291).

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renheit der Toten für die Lebenden. Die doppelte Brechung zeigt ganz deutlich, daß es sich hier primär um Lieder an Lebende handelt, die im Grab als indirekte Botschaften an die Grabbesucher zu verstehen sind, Lieder, deren zuversichtlicher Diskurs über die jenseitige Existenz zerschlagen ist und die, an die Toten gerichtet, in stärkstem Kontrast zur 'orthodoxen' Verklärung fast wie Abschiedslieder klingen, so das Lied im Grab des Thotemhab (19. Dyn.): Thotemhab "Ich habe dich aufgemuntert, seit du auf Erden warst, als du (noch) deine Kraft hattest: Höre nicht auf, deinem Wunsch zu folgen, bis der Tag des Landens kommt.303 Jene (vergangenen) Generationen sind im Frieden gegangen, und neue Generationen kommen an ihre Stelle. Die aber, die gegangen sind seit der Zeit des Gottes, sie sind nicht wiedergekommen. Ihre Namen werden gesucht, indem man nachforscht, aber nicht ein Ziegel ihres Hauses ist (geblieben). Ihre Gesichter wissen nicht, wie zu feiern oder ihrem Wunsch zu folgen. Ihr Besitz ist andern gelassen. Sie sind gegangen, sie sind vorbeigegangen. 'Wenn doch nur...', wird gesagt. Du hast meine Worte gehört, wie ich dir vorgetragen habe, was ich gesehen habe.304 Mein Herz hat aufgehört, müde zu werden. Ich habe meinen Refrain beendet."305 Im Unterschied zum Anteflied wird hier das Carpe diem-Motiv nur in der Einleitung ganz kurz angesprochen. Auch der Generationenwechsel (vgl. Qoh 1,4.11) wird nur angedeutet. Dann gibt sich der Sänger der melancholisch wirkenden, "herzensmüden" Schilderung der Existenz der Toten hin, die für die Lebenden gegangen sind und weder gekannt noch erinnert werden können. Vergleichen wir bes. die 'häretische' Gruppe der Harfnerlieder mit Texten aus dem Qoh-Buch, so fallen eine Reihe von Gemeinsamkeiten ebenso wie Unterschiede auf: Gemeinsam ist beiden der Aufruf zum Feiern, zum Genie303 304 305 306

Ein Text (Nr. 9) fügt hinzu: "und der, der sieht, aber nicht gesehen wird und der keine Fristen kennt am Tag der Herzensklage..." (Wente, Make Merry [1962], 126/128). Verweist der Satz auf eine vorgegebene Tradition oder auf eine besondere 'Schau' des blinden(!) Sängers? Übersetzung in Anlehnung an Wente, Make Merry (1962), 122ff. Assmann meint, das Carpe diem sei "so zwingend, daß es in diesen Liedern gar nicht mehr explizit angeschlagen wird" (Harfnerlieder [1977], 975).

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ßen der jetzt vorhandenen Güter angesichts eines Todesschicksals, das die Menschen der Kommunikation mit den Lebenden, ja der Erinnerung überhaupt entreißen wird. Am deutlichsten ist die Verwandtschaft wohl im Blick auf das einleitende Gedicht Qoh l,(3)4ff, das Assmann als Schlüssel zum Verständnis der entsprechenden Passagen über das Kommen und Gehen der Generationen und den kosmischen Kreislauf in Neferhotep I und Inherchau bezeichnet hat.307 Sodann könnte Qoh 2,16f mit seiner Feststellung des gleichen Geschicks für den Weisen wie für den Ungebildeten auf entsprechende Aussagen über Imhotep und Hordedef im Anteflied respondieren - so sehr, was nicht übersehen werden darf, Qoh 2,16f von seinem Ko-Text her und der Frage nach dem Vorteil der Weisheit motiviert ist. Gemeinsamkeiten zeigen sich schließlich wieder in bezug auf Qoh 9,6ff, wobei freilich sowohl die Wortwahl wie die Reihenfolge im Vergleich zu der altbabylonischen Gilgamesch-Stelle bzw. dem hypothetisch erschlossenen aStammu-Li&A weniger parallel verlaufen. Auffälligerweise halten sich die Harfnerlieder in bezug auf Essen und Trinken zurück. Nur bei Inherchau heißt es ganz am Schluß: "Gib Trunkenheit in dein Herz, täglich!"308 Die jüngeren, Qoh zeitlich viel näher stehenden Texte von Tehen und Taimhotep, die keine Harfnerlieder, mit deren Topik aber offenbar vertraut sind, formulieren hier deutlicher. Eine direkte literarische Abhängigkeit Qohelets von bestimmten Harfnerliedern anzunehmen, besteht sicher kein Grund: Die Verbindungslinien sind zu schwach, erst recht, wenn wir bedenken, daß die uns bekannten Harfnerlieder alle in Gräbern des Neuen Reiches aufgezeichnet sind, näherhin von der späteren Amarnazeit bis in die 20. Dyn. datieren, d.h. vom Qoh-Buch ein knappes Jahrtausend entfernt sind. Das überlieferungsgeschichtliche Problem stellt sich hier mit derselben Dringlichkeit wie im Falle der mesopotamischen Weisheitsliteratur. Allerdings muß dabei auch die besondere Überlieferungssituation und Quellenlage mitbedacht werden: Aus der Zeit nach der 20. Dyn. sind uns keine Harfnerlieder mehr bekannt, weil von da an keine Felsgräber mehr angelegt, die Toten vielmehr in Holzsärgen bestattet wurden. Die Harfnerlieder kamen für die Sargdekoration, die ja mit erheblich weniger Fläche auskommen und sich auf das für den jenseitigen Weg der Toten Wesentliche beschränken mußte, nicht in Frage. Wir dürfen aus dem scheinbaren Abbrechen der Überlieferung nicht den Schluß ziehen, es habe im 1. Jt. keine Harfnerlieder mehr gegeben, erst recht nicht, deren Topik sei damals in Ägypten nicht mehr bekannt gewesen. Gegen diese Annahme spricht zunächst die Tatsache, daß zumindest das Anteflied ja auch im Verein mit Liebesliedern auf einem Papyrus überliefert ist. Daß Liebeslieder wie die des Pap. Harris 500 auch noch im 1. Jt. gesungen wurden, zeigt indirekt das mit diesen in Vielem eng verwandte Hohelied. Vor allem aber beweisen die Inschrift des Gaufür307 308

S.o. Anm. 295. Lichtheim, Songs (1945), 201. Vgl. nun auch den neu edierten Text aus dem Grab des Nefersecheru, Osing, Chants (1992), 19.

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sten Nebneteru aus der 22. Dyn. (s.u.), die der Tehen aus der frühptolemäischen und die der Taimhotep aus der römischen Zeit, daß die Topik der Harfnerlieder das Neue Reich lange überlebt hat.309 Außerdem läßt sich hier das Zeugnis Herodots (II 78) über einen ägyptischen Brauch zitieren, der bei Gastmählern der Reichen gepflegt worden sei: "Beim Gastmahl, wie es die Reichen halten, trägt nach der Tafel ein Mann ein hölzernes Bild einer Leiche, in einem Sarge liegend, herum. Es ist aufs beste geformt und bemalt und ein oder zwei Ellen lang. Er hält es jedem Zechgenossen vor und sagt: »Schau den an, trink und sei fröhlich! Wenn du tot bist, wirst du, was er ist.«" 310

Ein auffalliges Textsignal in Qoh 9,7, der unvermittelte Umschlag von der die vorangehenden Verse bestimmenden Reflexion über das Schicksal der Toten (3. Pers. pl.) in die direkte Anrede und Aufforderung zum Feiern (Imperative), dürfte seine Erklärung aus dieser Tradition des Memento morì bzw. Carpe diem bei Symposien finden. 9,7ff ist offensichtlich nicht ad hoc für seinen KoText verfaßt worden. Vielmehr wird hier ein Lied zitiert, dessen ursprünglicher Sitz im Leben das Symposium gewesen sein dürfte. Schließlich kann noch auf das demotische sog. Harfnergedicht hingewiesen werden, das im 1./2. Jh. n. Chr. im oberägyptischen Achmim verfaßt worden sein dürfte.311 Es handelt sich um eine Invektive gegen einen Harfner, dem vermutlich von einem rivalisierenden Berufskollegen - vorgeworfen wird, er sei nicht nur ein schlechter Sänger und Musiker, sondern zudem nur auf Fressen und Saufen aus und überdies sexuell verkommen. Die Vorwürfe sind deutlich genug, um erkennen zu lassen, welch wichtige Rolle die Harfner bei Symposien auch in der Spätzeit noch spielten, wobei sie offenbar ganz bestimmte Lehren und Traditionen pflegten - oder eben eher 'häretische' Tendenzen vertraten.312 309

310 311 312

Auf die Traditionslinie, die das Anteflied, die Inschriften von Tehen und Taimhotep und das Qoh-Buch verbindet, hat schon Humbert (Recherches [1929], 110-112) hingewiesen: "Cette invitation au plaisir fondée sur une lucide aperception de la fragilité du bonheur, sur un cruel sentiment du caractère éphémère de la vie, sur une implacable conviction du néant de l'Au-Delà, ce sont les nuances mêmes de la veine pessimiste que nous venons de constater en Egypte. L'exception juive, formulée...en termes passablement stéréotypés quoique uniques dans la littérature biblique, appelle une tradition comme antécédent et s'intègre dans la tradition égyptienne comme dans son contexte naturel et pleinement satisfaisant" (112, meine Hervorhebung). Man wird der Diagnose einer "implacable conviction du néant de l'Au-Delà" weder im Blick auf die Harfneriieder noch im Blick auf Qoh zustimmen können; mit seinem Grundpostulat lag Humbert gleichwohl richtig. Vgl. Assmann, Stein (1991), 223 mit weiteren Nachweisen (Plutarch, Lukian) in Anm. 95. Jüngst ediert von Thissen, Harfenspieler (1992), zur Datierung vgl. ebd. lf. Dem angefeindeten Harfner wird wiederholt "Abweichung von der Lehre" vorgeworfen, vgl. dazu Thissen, Harfenspieler (1992), 43 und 47 zu 3,7.11. Im Blick auf Qoh

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S o bleibt als Fazit festzuhalten: D i e Harfnerlieder b e z e u g e n e i n e anhaltende K o n t r o v e r s e in b e z u g auf das G e s c h i c k der M e n s c h e n nach d e m T o d und ruf e n - z u m i n d e s t in ihrer 'häretischen' F o r m - angesichts des u n a u s w e i c h l i c h e n T o d e s z u m L e b e n s g e n u ß h i c et n u n c b e i m "Feiern des s c h ö n e n Tages" auf. W e n n nicht alles täuscht, haben die Harfner diese K o n t r o v e r s e der anästhesierenden W i r k u n g der Rituale und B e k e n n t n i s s e z u m Trotz über Jahrhunderte h i n w e g w a c h g e h a l t e n . J. A s s m a n n ist beizupflichten, w e n n er d i e s e "Stücke orientalischer G e l a g e p o e s i e " 3 1 3 in e i n e e n g e B e z i e h u n g z u m Q o h - B u c h bring e n will: "Das B u c h K o h e l e t ist voller solcher ägyptisch-orientalischer Festp o e s i e , und es m a g w o h l sein, daß hier m a n c h e s 'Harfnerlied' ägyptischer, m e s o p o t a m i s c h e r oder kanaanäischer Herkunft e i n e n ähnlichen U n t e r s c h l u p f g e f u n d e n hat w i e die L i e b e s p o e s i e im H o h e l i e d

(sie).1,314

Nebneteru "Ich machte festlich meine Tage mit Wein und Myrrhe, ich merzte die Müdigkeit in meinem Herzen aus. Denn ich wußte, daß Finsternis im Tal (der Toten) herrscht. Nicht ist daher töricht, wer seinen Herzenswunsch erfüllt. (...) Sei nicht knauserig mit dem, was du hast, handle nicht geizig mit deinem Vermögen! Sitze nicht im Zelt der Trübsal (wörtl. des Herzensfischens), den morgigen Tag vorhersagend, bevor er gekommen ist. Verweigere dem Auge nicht seine Träne, damit sie nicht dreifach kommt. Schlafe nicht, wenn die Sonne im Osten steht, leide keinen Durst zu Seiten des Biers! Der Westen (d.h. Totenwelt und Grab) fordert: Gib Belohnimg dem, der seinem Herzen folgt. Das Herz ist ein Gott, der Magen seine Kapelle. Es freut sich, wenn die Glieder im Fest sind." 315

313 314

315

7,27 ist bemerkenswert, daß der verkommene Harfner ab und zu auch misogyne Töne anschlägt, wobei er literarische Vorlagen aufnimmt, dazu Thissen, "Tadel der Frauen" (1986). Selbstverständlich hat er nicht nur 'Harfnerlieder 1 gesungen (vgl. den Hinweis auf Klagelieder in 1,12), sondern auch Geburtstagslieder und Hochzeitsgesänge (l,18f; vgl. die in 2,1 genannten 40 Rollen mit solchen Liedern!) u.v.a.m. Assmann, Stein ( 1991 ), 221. Ebd. 222. Assmann meint, die Verbreitung der Topoi sei nicht auf literarischem Weg, sondern auf der Ebene der Festbräuche geschehen. Muß die Alternative in die eine oder andere Richtung entschieden werden? Die Harfner kannten jedenfalls auch eine literarische Tradition, s.o. Anm. 312. Otto, Biographische Inschriften (1954), 136ff Nr. 5; Jansen-Winkeln, Biographien (1985), 117ff Text A 10, bes. 122; vgl. Assmann, Fest (1977), 80f; Stein (1991), 220.

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Den deutlichsten Beweis für die Pflege dieser Tradition, in der sich Orientalisch-Ägyptisches und Hellenistisches problemlos vereinigten und heute kaum mehr unterscheiden lassen, in Jerusalem bietet ein Epigramm im hellenistischen Jason-Grab316: ΕΥΦΡΑΙΝΕΣΤΕ Ol ΖΩΝΤΕΣ ΑΔΕΛΦΟΙ K(AI) ΠΕΙΝ OMA 0(ΥΔΕΙΣ) ΑΘΑΝ[Α(ΤΟΣ) "Feiert, ihr lebenden Brüder, und trinkt dabei. Niemand ist unsterblich!"317

Dagegen bezeugt Weish 2 eine anhaltende Kontroverse über die symposiastische Lebensphilosophie angesichts des Todes im Kontext der jüdischen Diaspora von Alexandrien des 1. Jhs. v. Chr. Kein Zweifel: Der Verfasser von Weish 2 wäre auch dem Qoh-Buch mit Skepsis begegnet. 3. Späte hieratische Lehren Mit den Lebenslehren scheinen wir zunächst eine andere Welt zu betreten: Die Welt der Schreiber und Lehrer ist ja nicht unbedingt die der reichen Oberschicht und ihrer Symposien. Wenn ich auf den vorangehenden Seiten auf der letzteren insistiert habe, dann deshalb, weil ich davon ausgehe, daß auch die Differenz zwischen den traditionelleren judäischen Weisheitslehren, wie sie sich in Spr findet, zu Qoh nicht nur als eine Differenz der (Lehr-)Inhalte zu verstehen und auch nicht nur auf die veränderten sozio-ökonomischen Bedingungen in einer (scheinbar unveränderbar gewordenen) Welt zurückzuführen ist, sondern letztlich mit dem ganz anderen Sitz im Leben der jeweiligen Texte zusammenhängt. Man mag über das Verhältnis von Weisheit und Schule denken, wie man will: Daß die Überlieferung der Lehren des Spr-Buches in hellenistischer Zeit im Rahmen der Tempelschule gepflegt worden sein dürfte, ist wahrscheinlich. Daß die Lebensphilosophie des Qoh-Buches dagegen einen anderen Hintergrund hat als die Schule, scheint mir ebenso deutlich - trotz dem jüngst vorgelegten, interessanten und aufwendigen Versuch von A. Fischer, das Gegenteil zu beweisen.3172 Vieles erklärt sich m.E. am zwanglosesten aus der symposiastischen Tradition. Von daher wird man sich nicht wundern müssen, wenn die Berührungen zwischen spätägyptischen Lebenslehren und dem Qoh-Buch auf den ersten 316

Hinweis darauf bei Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994) 207 Anm. 59; vgl. auch oben Anm. 18. 317 Lesung und Übersetzung nach Puech, Inscriptions (1983), 482, 491-494; vgl. Bieberstein/Bloedhorn, Jerusalem (1994), II 14f. Die Grabanlage ist in frühhellenistischer Zeit errichtet worden, vielleicht als Grabmal der vor-makkabäischen Hohenpriester (so Puech), ist also mit dem Qoh-Buch direkt zeitgenössisch. Die griechische Inschrift soll nach Puech allerdings erst bei der Wiedeibenutzung der Anlage in der ersten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. angebracht worden sein. 317a Fischer, Skepsis (1997), bes. 35-50.

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Blick nicht sehr zahlreich zu sein scheinen. 3 1 8 Unsere Frage nach dem vielgestaltigen 'dritten Horizont' darf diese Lehren aber nicht übergehen, sind sie doch, w i e am eindrücklichsten das Beispiel des Demotischen Weisheitsbuches (s.u. [3.]) zeigt, das in mehreren Varianten Handschriften erhalten ist und aus dessen Umkreis noch eine ganze Reihe verwandter Lehren, Florilegien u.ä. bekannt geworden sind, ein wichtiges Zeugnis für eben j e n e "zeitgenössische Diskussion", der wir hier auf der Spur sind. Ich m u ß mich hier allerdings darauf beschränken, den Survey zu Ende zu führen, ohne in Detaildebatten eintreten zu können. 3 1 9 Dabei will ich an dem nun schon mehrfach erprobten Prinzip festhalten, nur Texte zu berücksichtigen, deren Überlieferung zeitlich in den Rahmen unserer Vorgabe (persische und hellenistische Zeit) fallt. S o weit ich sehe, ist die Überlieferung der ägyptischen Weisheitslehren des 3. und 2. Jts. in der sog. 'Spätzeit', erst recht in der zweiten Hälfte des 1. Jts. bisher noch w e n i g erforscht. 3 2 0 Der Kenntnisstand ist also nicht der gleiche w i e bei der mesopotamischen Weisheitsliteratur. Das Corpus der einschlägigen Texte sei deshalb v o n vorneherein auf solche reduziert, die erst in jener 'Spätzeit' verfaßt worden sind. 3 2 1 Was späte hieratische Lehren betrifft, so ist hier auf zwei Texte hinzuweisen, die jüngst 322 in hervorragenden Bearbeitungen zugänglich gemacht worden sind: die Lehren des Ani

318 319 320

321

322

Es bleibt abzuwarten, ob es der Dissertation von Sh. Burkes (s.o. Anm. 12) gelingen kann, diesen Eindruck zu falsifizieren. Auch dafür ist prospektiv auf die Arbeit von Sh. Burkes zu verweisen. Dieser Eindruck eines Außenseiters ist mir durch verschiedene Ägyptologen, die ich diesbezüglich um Rat gebeten hatte, bestätigt worden. Eine knappe Zusammenstellung einschlägiger Daten findet sich bei Jasnow, Wisdom Text (1992), 39 Anm. 52: Manuskripte von Amenemope aus der 26. Dyn. und der "Late period"; Hordedef aus der "Late period"; ein Fragment der Lehre Amenemhats für seinen Sohn aus der 30. Dyn. Die undifferenzierte Rede von der "Late Period/Basse Époque/Spâtzeit" in der ägyptologischen Forschung erweist sich hier einmal mehr als fatal. Noch nicht zugänglich war mir Cribiore, Writing (1996). Damit kann an dieser Stelle auch auf eine detaillierte Diskussion all jener vermeintlichen 'Parallelen' verzichtet werden, die Humbert (Recherches [1929], 107-124) zusammengetragen hat; vgl. zur Kritik bes. Loretz, Qohelet (1964), 57-84 und zusammenfassend Michel, Qohelet (1988), 52-54. Es handelt sich dabei fast ausschließlich um Texte früherer Epochen (Ptahotep, Dialog des Lebensmüden mit seinem Ba, Klagen des Chacheperreseneb, Klagen des Bauern, Mahnworte des Ipuwer, Pap. Anastasi I usw.), deren Überlieferung im 1. Jt. der genauen Untersuchung bedürfte. Die von Humbert, Galling, von Rad u.a. vertretene formgeschichtliche Herleitung der Qohelet'schen Weisheit aus der Tradition der ägyptischen Königslehren oder -testamente kann ad acta gelegt werden (Loretz, a.a.O. 57-65; Schwienhorst-Schönberger, Glück [1994], 43f). Neuedition mit Kommentar durch Quack, Ani (1994); vgl. Brunner, Weisheit (1988), 196-214, 462-469.

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aus der Zeit der 26. Dyn. und die Lehre des Pap. Brooklyn 47.218.135 , die zwischen der 26. und der 30. Dyn. verfallt worden sein muß und wahrscheinlich in die persische Zeit zu datieren ist. Die beiden Texte schließen zwar noch nicht die große Überlieferungslücke, die zwischen den Lehren des Neuen Reiches und den demotischen Lehren klafft. Sie übeibrükken diese aber mindestens teilweise, da sie eine Reihe von Maximen erstmals bezeugen, die 324

dann in der jüngeren, demotischen Lehre des Anchscheschonqi wieder auftauchen , und stellen so eine Art Bindeglied zwischen den älteren und den späten Lehren dar. Es sei eigens darauf hingewiesen, daß sich die beiden Herausgeber Jasnow und Quack in ihren Arbeiten ausdrücklich mit der Lichtheim'schen These auseinandersetzen, die ägyptische Weisheit sei ab der Perserzeit in einen starken Austausch mit ihrem 'internationalen Kontext1 getreten und habe zunächst Maximen aus aramäischen Spruchsammlungen, später auch gnomische Maximen aus griechischer Tradition rezipiert. Je im Blick auf die von ihnen herausgegebene Lehre kommen Jasnow und Quack zu divergierenden Resultaten: 325 Äußert sich Jasnow gegenüber der These außerägyptischer Einflüsse eher skeptisch , so will Quack den von ihm edierten Weisheitstext geradezu programmatisch "in seinem kulturellen Umfeld" situieren. Ein Kapitel seines Buches trägt den Titel "Internationale Weisheitsbeziehungen", darin greift der Autor einmal bis auf die sumerische Lehre von/des Schuruppag zurück. 326 Für die Annahme von Einflüssen fordert er jedoch wie Lichtheim "enge Verbindungen 327 in Inhalt und Form, will man nicht dem Risiko zufälliger Anklänge zum Opfer fallen" . Eine Entscheidung wird sich m.E. in vielen Fällen auf dem rein philologischen Feld gar nicht fallen lassen. Sie bedarf der historischen, bes. der sozialgeschichtlichen Konkretion: Wer waren die Träger einer bestimmten Lehrüberlieferung, hatten sie überhaupt die Möglichkeit zu Kontakten mit Weisheitstraditionen anderer Herkunft?

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326 327

Edition mit Kommentar durch Jasnow, Wisdom Text (1992); vgl. die wichtige Rezension, mit teilweise abweichender deutscher Übersetzung, durch Quack, Weisheitstext (1993). Vgl. bes. Jasnow, Wisdom Text (1992), 37 in bezug auf die Bedeutung landwirtschaftsbezogener Maximen: "In this respect at least, Onkhsheshonqy is no longer quite so unique...". Ebd. 4 If: "my own reading of the Brooklyn papyrus encourages me to suggest that the Demotic wisdom texts are firmly rooted in native tradition and that foreign influence need not be invoked to explain their apparent differences from their predecessors". Vgl. das gleichlautende Urteil von Devauchelle, Originalité (1995), 221, 225ff, "...que les influences étrangères sur la littérature sapientiale en langue égyptienne parvenue jusqu'à nous sont très faibles, voire nulles. Il faut pouvoir démontrer que des influences ou des emprunts existent...et prendre en considération des «clichés» qui peuvent être communs à des civilisations différentes, jusqu'à user d'une formulation quasi identique, sans pour autant qu'il y ait contact ou échange entre ces civilisations" (228). Quack, Ani (1994), 206-220. Ebd. 206; vgl. Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 15.

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4. Die demotische

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Weisheit28

329

(1.) Die Lehre des Anchscheschonqi wird ins 4./3. Jh. datiert und ist durch zwei Textvertreter aus Gebelein (ptolemäisch) und Achmim (spätptolemäisch) bezeugt. Ein dritter Papyrus aus Magdola im Fayum, der ins 3./2. Jh. datiert wird, könnte eine Variante zu Anchscheschonqi repräsentieren.330 Zum weiteren Umfeld von Anchscheschonqi dürften außerdem zwei Papyri 331 aus der Mitte des 2. Jhs. aus Memphis gehören, die heute im Louvre aufbewahrt werden. Diese Lehre, die sich durch eine ausführliche Rahmenerzählung 332

(besser: einen narrativen Vorspann ) von den anderen Lehren unterscheidet, was sie gattungsmäßig mit den Achiqar-Sprüchen verwandt erscheinen läßt, mit denen auch eine ganze 333 Reihe von Einzelsprüchen verwandt sind , stammt aus einer eher ländlichen Umgebung, wie z.B. die Distanz zur Stadt (6,15), die auf die fleißige Landarbeit gelegte Emphase und generell die vielen landwirtschaftsbezogenen Maximen zeigen. Schon von daher sind Berührungen mit dem Qoh-Buch kaum zu erwarten. Zwar hat B. Gems er sieben 'Parallelen' zwischen Anchscheschonqi und dem Qoh-Buch nachweisen und von daher auf eine mögliche 334 Bekanntschaft Qohelets mit der ägyptischen Lehre schließen wollen. Von den sieben sind 335

aber nur gerade zwei einigermaßen überzeugend - beide (22,5 || Qoh 10,9 und 19,10 || Qoh 11,1336) gehören nach Lichtheim dem Bereich der 'internationalen' Weisheit an, 337können die These einer Bekanntschaft Qohelets mit Anchscheschonqi also nicht begründen. (2.) Wesentlich kürzer ist die Lehre des Pap. Louvre der aus Memphis stammen dürfte und in die Mitte des 2. Jhs. datiert werden kann. Wer nach 'Parallelen' sucht, wird höchstens eine einzige, einigermaßen akzeptable Stelle finden (1,2: "Wer im Angesicht Gottes eine Sache verspricht, sie ihm dann aber nicht gibt, wird sie ihm (dennoch) geben

328 329

330 331 332 333 334

335 336 337 338

Vgl. den Übelblick von Smith, Weisheit (1986), wozu nun noch de Cenival, Fragment (1990), und Jasnow, Ashmolean (1991), zu ergänzen sind. Edition: Thissen, Anchscheschonqi (1984); letzte deutsche Übersetzung: Thissen, TUAT III/2 (1991), 251-277; vgl. Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 13-92; Brunner, Weisheit (1988), 257-291, 483-491. Pezin, Fragment (1982). Edition: Williams, Some Fragmentary (1976), 264-270; vgl. Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 100-102. Darin findet sich der oben bei Anm. 209 angesprochene Passus. S.o. Anm. 241. Vgl. Gemser, Instruction (1960), mit der allerdings sehr vorsichtigen Schlußfolgerung: "These many similarities do let one ask if in Qoheleth an Egyptian background or at least some connection with Egyptian wisdom is not likely" (126). Vgl. auch Spr 26,27 und Sir 27,25; dazu Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 29 Nr. 3. Vgl. Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 31 Nr. 7; vgl. Fischer, Skepsis (1997), 164; Seow, Socioeconomic Context (1996), 193f. Vgl. schon Loretz, Qohelet (1964), 86-88; Michel, Qohelet (1988), 53. Edition: Volten, Pap. Louvre (1955); letzte deutsche Übersetzung: Thissen, TUAT III/2 (1991), 277-280; vgl. Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 93-100; Brunner, Weisheit (1988), 292-294, 492.

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(müssen), und zwar zur eigenen Schande" || Qoh 5,3f). Nicht wegen dieser einen Stelle ist die Lehre in unserem Zusammenhang bemerkenswert, sondern wegen der physischen Nachbarschaft der kleinen Lehre zu Texten ganz anderer Gattung: Auf der Rückseite des Papyrus findet sich neben einer ebenfalls demotisch geschriebenen Klage an den König eine griechische Inventarabrechnung. Damit gibt der Papyrus unvermittelt einen Blick in die konkrete Lebenswelt und den sozialen Kontext frei, in der derartige Lehrexzerpte überliefert bzw. gebraucht wurden: die Welt von kleinen Geschäftsleuten und Beamten, die noch in der fortgeschrittenen hellenistischen Zeit der Meinung waren, mit den autochthonen, ziemlich biederen Lebensregeln durchkommen zu können. Ahnlich enthalten zwei Papyri aus Memphis 340 (Louvre 2377 und 2380 ) aus der Zeit von 163-159 neben Auszügen aus Lehren j e einen Entwurf für ein griechisch geschriebenes Memorandum. Ich frage mich, ob diese Mischdokumente, wie Lichtheim meint, wirklich "glimpses into the workshop of sapiential 341

composition" erlauben. Ist es nicht wahrscheinlicher, daß es sich um Exzeipte aus größeren Lehren, um kleine Florilegien handelt, die nicht so sehr die Genese von Texten als vielmehr die spezifischen Lebenskontexte, in denen demotische Weisheit von Privatleuten tradiert und gebraucht werden konnte, sozusagen das Wirken und den Nutzen der Lebensphilosophie im Geschäfts- und Beamtenalltag beleuchten? 342

(3.) Unter dem Sammelbegriff Demotisches Weisheitsbuch wird eine ganze Gruppe von Handschriften zusammengefaßt, deren bekannteste der Pap. Insinger aus Achmim (1. Jh.343 n. Chr.) und einige aus Tebtunis stammende Kopenhagener Papyri (2. Jh. n. Chr.) sind. Trotz der jungen Handschriften rechnet man in der Regel mit einer Entstehung der Lehre schon im 2. Jh. v. Chr. Im Unterschied zur Lehre des Anchscheschonqi gehört diese Lehre nun deutlich in ein städtisches Milieu von gebildeteren Kaufleuten und (höheren?) Beamten. Lichtheim hat vermutet, daß der Verfasser über hellenistische Popularphilosophie und Gno344 mologien Zugang zu stoischem Denken gehabt habe. Das Weisheitsbuch stellt sich als eine komplexe Komposition von 25 "Lehren" dar, die wie einzelne Kapitel ihre je eigene Überschrift tragen345, worauf eine variable Anzahl 339 340 341 342

343

344 345

Thissen, TUAT III/2 (1991), 278 Anm. 2a weist daraufhin, daß die fragmentarische Stelle Anchscheschonqi 14,2 wohl entsprechend zu ergänzen ist. S.o. Anm. 331. Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 100. Vgl. hierzu zuletzt mit ausführlichen Literaturangaben Thissen, TUAT III/2 (1991), 280-319; vgl. Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 107-234; Brunner, Weisheit (1988), 259-349, 492-506. Aufgrund des Kolophons von Pap. Insinger wird die Lehre manchmal auch nach dem dort genannten Schreibernamen irrtümlich als "Phibis" oder "Lehre des Phibis" bezeichnet. Wisdom Literature (1983), 123ff. Beispiele: "Die 7. Lehre: die Lehre, in allen Dingen ausgeglichen zu sein...", "Die 8. Lehre: nicht gierig zu sein, damit du dich nicht mit der Armut anfreundest", "Die 11. Lehre: der Weg, dir Schutz zu verschaffen, damit man dich nicht in eine Zwangslage bringt", "Die 16. Lehre: laß es deinem Fleisch nicht schlechtgehen, wenn du (etwas) im Magazin hast", "Die 17. Lehre: laß nicht die Sorgen ins Kraut schießen, damit du nicht in Unruhe gerätst" usw.

Qohelet im Horizont altorientalischer Weisheitsliteratur

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Sentenzen folgt, die am Ende jedes Kapitels mit meist vier sog. Paradoxen, einem gleichbleibenden Fazit und einem Vermerk, wieviele Sentenzen in einem Kapitel stehen, beschlossen werden. Die Funktion der Paradoxe scheint darin zu bestehen, die zuvor formulierten Regeln vor falschen Umkehrschlüssen zu schützen und die Vorstellung fester Determination zu unterlaufen , lautet das Fazit doch stets: "Das Schicksal (S3y) und der Zufall (shne), die eintreten - Gott ist es, der sie sendet." Eine Reihe von Paradoxen, die unwillkürlich an Qohelet erinnert, steht z.B. in 7,13-18: "Es gibt den, der bescheiden lebt, um zu sparen, und er gerät (trotzdem) in Armut. Es gibt den, der das nicht kann, und das Schicksal gibt ihm (trotzdem) Reichtum. Nicht der Weise, der spart, ist es, der ein Guthaben vorfindet. Andererseits ist es nicht der Verschwender, dessen Begleiter die Armut ist. Gott gibt (einerseits) Reichtum in einer Zuwendung ohne (daß) Einnahmen (gemacht werden). Er läßt andererseits Armut in einer Börse entstehen ohne (daß) Ausgaben (getätigt werden). Das Schicksal und der Zufall, die eintreten - Gott ist es, der sie sendet."347 Nicht zuletzt aufgrund seiner Zeitstellung, aber auch wegen inhaltlicher Berührungen, die jedenfalls viel zahlreicher sind als solche mit dem Qoh-Buch348, ist das Demotische Weisheitsbuch bisher v.a. mit Sir verglichen worden.349 Daß inhaltliche bzw. sachliche Berührun346

347

348 349

"...to explain the observable reversals of fortune by relating them to the concept of change and to the actions of the deity working through fate and fortune; to emphasize that reversals of the human condition, though unforseeable, should be expected in principle; to make man realize...that the cause-and-effect relationship was not only reversible but also multiple and largely hidden from man's understanding; lastly, and this is the author's most difficult teaching..., the reversals caused by the deity affect even man's inner being" (Lichtheim, Wisdom Literature [1983], 148f)· Vgl. zum Ganzen ebd. 138-150, zuvor schon dies., Observations (1979), 297-305; sowie Thissen, TUAT III/2 (1991), 280f; und im Blick auf Qoh nun Fischer, Skepsis (1997), 107f. Paradoxa und eine Variante des Schlußsatzes finden sich isoliert schon in Anchscheschonqi 26,5-8: „Es gibt eine Haft, die am Leben erhält. Es gibt eine Freilassung, die Mord bedeutet. Es gibt den, der spart, ohne Gewinn zu machen. Alle sind in der Hand des Schicksals (Wy) und Gottes" (Thissen, TUAT III/2 [1991], 275). Lichtheim verweist auf 33 Stellen aus Sir, gegenüber 8 (darunter 5 unspezifischen) aus Qoh. Vgl. hierzu bes. Sanders, Ben Sira (1983), dazu aber die Rezensionen von H.J. Thissen (Enchoria 14 [1986] 199-201) und R. Pezin (CdE 63, no. 126 [1988] 281283). Die Studie von Lichtheim, Wisdom Literature (1983), hat die Verwandtschaft zu Sir bestätigt, ohne daraus doch den Schluß direkter Abhängigkeit zu ziehen: "the Wisdom of Ben Sira is P[ap.]Insinger's closest contemporary and counterpart in

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gen aber auch mit älterer biblischer Weisheitsliteratur nicht ausgeschlossen werden können, hat Th. Schneiders Vergleich von Insinger Kap. 24 mit Ijob 38 gezeigt.350 Vom Qoh-Buch herkommend, stößt man immer wieder einmal auf sporadische Parallelen, etwa die folgende: "Der Herr über eine Million, der das Sparen gerühmt hat, wird sie nicht in seiner Hand auf den Berg (der Toten) mitnehmen (können). (...) Groß ist das Leid für die, die den Weg verlassen haben (und) ihre Ersparnisse einem anderen hinterlassen (müssen)" (18,13.17). Wer würde hier nicht an Qoh 2,18f.21 denken? Ganz generell fällt auf, wie sich in dieser 351 Weisheit, die den alten Begriff der "Ma'at" (des gerechten Gleichgewichts) verloren hatte 352 und eine Sprache, die stark vom Geschäftsleben geprägt war , für die Lebensphilosophie fruchtbar zu machen suchte, ökonomische Kategorien als Leitbegriffe etablierten, etwa 353 c i-shn, eigentlich "Vorteil, Geschäft" , für "Glück". Ahnliches ist doch auch von Qohelet und seiner Frage mâ yitrôn zu sagen. Bezüglich des Todes, besser eines jenseitigen Lebens kann sich das demotische Weisheitsbuch ebenso skeptisch äußern wie Qohelet: "Der Tod und das Leben morgen - wir wissen nichts davon" (17,6). Es dürfte kein Zufall sein, daß sich dieser Satz am Anfang der 16. Lehre findet, wo es um Essen und Trinken und den Genuß des Reichtums geht - offenkundig in Verlängerung mancher Topoi, die wir nunmehr von Harfner- und Bankettliedern kennen (17,15: "Wein, Weib und Essen sind eine Freude für das Herz"). Auffällig und entfernt an Qoh 12 erinnernd findet sich im gleichen Kapitel auch eine längere Reflexion über die Lebensalter. Ich breche hier ab - der Vergleich bedürfte eines systematischeren Zugangs. Die Beispiele mögen aber genügen, um zu zeigen, daß hier durchaus Gemeinsames zu finden sein könnte. Daß dies nur verwandte Fragestellungen in ähnlicher Zeit, keinesfalls literarische Bekanntschaft indiziert, daran wird, wer das Demotische Weisheitsbuch im Zusammenhang liest, kaum zweifeln wollen. Zwischen diesem Buch und Qoh liegen Welten 354 - und doch gehört es unbedingt zu der "zeitgenössischen Diskussion", in deren Horizont das Qoh-Buch situiert werden sollte.

350 351 352

353 354

Jewish sapiential literature owing to a far-reaching congruence in points of view, type of piety, and themes" (184). Schneider, Hiob 38 (1991). Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 39. Vgl. allerdings die beiläufigen, abgeschwächten Verwendungen ebd. 58 s.v. m3cw, η m3'.t, mt.t m3c.t. Vgl. nur in den Übersetzungen von Thissen die Begriffe "Lohn", "Besitz", "Reichtum", "Überschuß", "Guthaben", "Einnahmen", "Gegenwert" (einer Lehre, 8,3!), "Hypothek", "Geld", "Geschenke", "Eigentum" usw. Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 57 s.v. Was schlaglichtartig die Überschrift der 24. Lehre beleuchten möge: "Der Weg, die Größe Gottes zu erkennen und sie in seinem (deinem?) Herzen existieren zu lassen" (30,18).

Qohelet im Horizont altorientalischer Weisheitsliteratur

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V. Die "Weisheit des Festes" - oder: Qohelet als Symposiast? Wir kommen zum Schluß. Der zu knappe Blick auf ägyptische Quellen dürfte gezeigt haben, daß wir uns hier insgesamt wohl in größerer Nähe zum QohBuch bewegten als im Bereich der eingangs diskutierten mesopotamischen Texte. Vor allem aber sollte, so hoffe ich, der rasche Gang durch die doch recht zahlreichen Texte gezeigt haben, daß sie angehört werden müssen, wenn wir uns von der Welt, in der das Qoh-Buch entstanden ist, eine angemessene Vorstellung machen, die Situation und die Diskussion, die das Buch voraussetzt, auch nur in ihren gröbsten Konturen erheben wollen. Mesopotamische, syrisch-aramäische, ammonitische, ägyptische Quellen wurden hier in einer Art 'wildem Chor' zusammengeführt, der das Gespräch zwischen Judentum und Hellenismus, das manche Exegeten im Qoh-Buch inszeniert sehen wollen, kräftig stören und durcheinander bringen sollte. Qohelet steht im Gespräch mit Positionen, die nicht alle in biblischen Büchern oder bei griechischen Philosophen nachzulesen sind. Das Qoh-Buch erschließt sich keineswegs nur von einem "doppelten Horizont" - dem der israelitischen Weisheit und dem der hellenistischen Philosophie - her. Es gibt einen 'dritten Horizont', und wir können auf ihn nicht verzichten, wenn wir Qohelet und das Qoh-Buch aus der komplexen intellektuellen Situation seiner Welt verstehen wollen. Zu vieles wird in diesem Buch zitiert, zu vieles diskutiert, zu vieles vorausgesetzt, was sich von den nur zwei Horizonten her nicht recht belegen läßt. 355 Dem ist gleich präzisierend und korrigierend hinzuzufügen, daß natürlich auch die Rede vom 'dreifachen Horizont' und die schwerpunktmäßige Isolation des 'dritten Horizonts' in diesem Beitrag nur einen Behelf zur Wiederbelebung einer notwendigen Diskussion darstellen konnte. Es handelt sich wie beim Binom "Judentum und Hellenismus" um ein künstliches Modell im Interesse der Problemformulierung. Die Wirklichkeit sah anders aus: "... the purveyors of Aramaic, Egyptian, and Greek wisdom worked in a medium which they recognized as being an international one. And they were all the more ready to spread and trade their wares as their subject matter was designed for teaching, persuasion, and the widest possible consumption,"356 Da gab es also einerseits 355

356

In der Grazer Diskussion führten Norbert Lohfuiks Überlegungen zur Diatribenstruktur bzw. zur palindromischen Buchstniktur - deren Adäquanz einmal vorausgesetzt (vgl. seinen Beitrag in diesem Band, bes. III.3.) - zu der Vermutung, je nach Position im Verlauf der Diatribe bzw. je nach Stand der Argumentation oder des Leseverlaufs sei in den einzelnen Teilen vielleicht nicht immer mit einer gleich starken Präsenz aller drei Horizonte zu rechnen. Vielmehr zeigten exordium und applicatio eine Nähe zu den Harfnerliedern, die anderen Teilen völlig abgehe; die demonstratio bzw. narratio scheint auf der Topik von Königstravestien aufzubauen; die Verwendung von Achiqar- und verwandten Sprüchen der (auch) literarischen Tradition ist im Bereich der refutatio besonders plausibel. Hier bleibt noch sehr viel Detailarbeit zu leisten. Lichtheim, Wisdom Literature (1983), 106 (Hervorhebungen von mir).

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nur eine Welt, gleichzeitig aber natürlich mehr als nur drei Horizonte. Oder anders formuliert: Je nach gesellschaftlichem Ort mußte man an den verschiedenen Horizonten je anderes sehen - und sei es nur deshalb, weil der Zugang zu aramäischen Spruchsammlungen ebensowenig allen offengestanden haben kann wie der zur "orientalischen Gelagepoesie". So will ich den vorangehenden Survey mit ein paar Überlegungen schließen, die sich mir im Verlaufe der Grazer Tagung zu einer These verdichtet haben: angestoßen zunächst durch die Konfrontation mit den mesopotamischen, levantinischen und ägyptischen Texten; verbunden mit einem gewissen Unbehagen, daß unsere Diskussionen gelegentlich um Textmerkmale kreisten, die als 'objektiv beschreibbar' bezeichnet wurden, ohne daß wir uns über ihre Funktion und Bedeutung immer hätten einigen können; gestochen schließlich vom Eindruck, manche unserer Probleme seien nicht nur ziemlich fern von denen unserer eigenen Mitwelt, sondern auch unter weitgehender Abstrahierung von der realen (vergangenen) Welt formuliert, die den diskutierten Text doch allererst hervorgebracht hat. Die abschließende These versucht also eine Antwort auf die Frage: Was für eine Welt war der erste Sitz im Leben Qohelet'scher Philosophie? Verschiedene neuere Studien zum Qoh-Buch erkennen den Kern des Qohelet'schen Denkens in seiner 'Philosophie der Freude' angesichts des unausweichlichen Todes und der Unmöglichkeit, sich bleibenden, das Leben 357

überdauernden Vorteil erwerben zu können. Einem unbefangenen Leser stellt sich mit diesem Kern auch ein Hauptproblem für das Verständnis des Buches.358 Wie ein roter Faden durchziehen die Stellen, in denen von der Freude die Rede ist bzw. zur Freude aufgefordert wird, das ganze Buch. Woher aber gewinnt die Freude ihre Intensität? (1) Freude und Lebensgenuß werden (als Alternative zur 'Weisheit') erstmals im Rahmen der Königstravestie von 2, Iff genannt, von deren Verankerung in der orientalisch-hellenistischen Festkultur oben in III.2. die Rede war. Das Experiment mit der (durch den Verstand kontrollierten, 2,3) Freude führt Qohelet zur Einsicht, daß auf diesem Weg kein bleibender Gewinn (yitrôn) zu erwerben ist (2,11). (2) Die anschließende Reflexion, daß es zwischen dem Weisen und dem Toren keinen Unterschied im Blick aufbleibenden Gewinn gebe und der Mensch von all seiner Mühe und seinem Streben über das Leben hinaus nichts habe, läuft auf die Feststellung hinaus: "Nicht

357

358

Vgl. etwa Whybray, Preacher of Joy (1982); Lohfmk, Revelation (1990); ders., Freu dich (1995); Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), bes. 80-87, 146-149, 200-207, 324-332; beachte auch den Beitrag von F. von Kutschern in diesem Band, bes. Abschnitt 4. "Diese Koexistenz von Lebensfreude und Todesbewußtsein ist nicht leicht zu begreifen, und das heißt ja bei existenzphilosophischen Fragen auch: nachzuvollziehen. Ich sehe darin aber das zentrale Problem für das Verständnis des Textes" (F. von Kutschera, a.a.O. S. 363f).

Qohelet im Horizont altorientalischer Weisheitsliteratur

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im Menschen selbst gründet das Glück, daß er essen und trinken und durch seinen Besitz das Glück selber kennenlernen kann. Ich habe vielmehr beobachtet (!), daß dies aus der Hand Gottes kommt." (2,24) Hier wird der spätere Imperativ "Freu dich..." vorbereitet und, wie Schwienhorst-Schönberger schreibt, "die Frage nach dem Inhalt und der Bedingung der 359

Möglichkeit menschlichen Glücks" "schöpfungstheologisch" beantwortet. Die kommentierende Bemerkung von V. 25f nimmt mit den Stichworten "Weisheit, Erkenntnis, Freude" auf die vorangehenden Experimente und Reflexionen Bezug. Auch sie kulminiert in der Freude, ohne sie inhaltlich über das bereits Gesagte (Essen, Genießen) hinauszuführen. Im Hintergrund von 2,26 steht bereits das Carpe diem-Motiv. (3) Die Feststellung von 2,24 wird fast wörtlich im Fazit des ersten Buchteils wiederholt: "Ich erkannte, daß es nichts Besseres gibt in ihrer (der Menschen) Verfügungsgewalt, als sich zu freuen und sich so während seines Lebens Glück zu verschaffen. Daß aber ein Mensch essen und trinken kann und durch all seinen Besitz das Glück genießen kann, auch das ist eine Gabe Gottes" (3,12f). Von den Gaben Gottes aber gilt, daß sie "Ewigkeitsqualität" haben (3,14). (4) Die Reflexion über das unausweichliche Todesschicksal (3,16ff) läuft auf die Erkenntnis hinaus: "Ich sah ein: Es gibt nichts Besseres (kein Glück), als daß der Mensch sich an seinem Tun freue - dies ist sein Anteil. Denn wer wollte ihn dahin bringen, sich an dem zu freuen, was nach ihm sein wird?" (3,22) Der zweite Satz mit seiner "These, daß nur in dieser Welt, und da nur vor dem Tod, Glück möglich ist: als Freude, die der Mensch aus seinem Tun gewinnt" , impliziert ein ganzes Argument; er dürfte sich mit dem Einwand auseinandersetzen, der Mensch dürfe nicht (gewissermaßen hedonistisch) nur die diesseitige Freude pflegen, sondern solle im Blick auf Künftiges leben, dieses vielleicht geradezu vorbereiten und sich darauf freuen. Solche Vorfreude über etwas, worüber der Mensch keine Kenntnis haben kann, weist Qohelet zurück. Das Argument problematisiert in Auseinandersetzung mit Ps 73,25f u.a. den Status des Künftigen (als Leben oder Tod) in seiner Bedeutung für das gegenwärtige Leben. Angesichts der Prekarität des Künftigen ist das höchste Gut die Freude am gegenwärtig Gegebenen. Der Satz führt nahe an die oben im Zusammenhang mit den Harfnerliedem besprochene symposiastische Memento mori- bzw. Carpe diemTopik heran, ohne sie ausführlich zu entfalten. (5) Wie sehr die Hochschätzung der Freude an die Erkenntnis des unausweichlichen Todes geknüpft ist, zeigt sich auch daran, daß in der Fortsetzung, wo verschiedene Bereiche gesellschaftlichen und religiösen Verhaltens thematisiert werden, das Stichwort simhâ zunächst verschwindet. Es taucht erst da wieder auf, wo die Reflexion erneut auf den Tod zu sprechen kommt: Über den Tod hinaus kann keiner etwas mitnehmen, niemand kann sich bleibenden Gewinn erwerben. Angesichts des Todes bleibt dem Menschen nur eines: "Das ist etwas, was ich eingesehen habe: Das vollkommene Glück (tôb "iter yäpceh) besteht darin, daß jemand ißt und trinkt und das Glück kennenlemt durch 359 360 361 362

Glück (1994), 80ff; vgl. aber auch Krüger, Frage (1994). Schwienhorst-Schönberger, a.a.O. (1994), 86. Lohßnk, Kohelet (21980), 35. Vgl. Michel, Untersuchungen (1989), 121ff; Krüger, Gegenwartsdeutung (1990), 288f.

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seinen eigenen Besitz, für den er sich unter der Sonne anstrengt während der wenigen Tage seines Lebens, die Gott ihm geschenkt hat. Denn das ist sein Anteil. Außerdem: Immer, wenn Gott einem Menschen Reichtum und Wohlstand geschenkt und ihn ermächtigt hat, davon zu essen und seinen Anteil fortzutragen und durch seinen Besitz Freude zu gewinnen, besteht das eigentliche Geschenk Gottes darin, daß dieser Mensch sich nicht so oft daran erinnern muß, wie wenige Tage sein Leben zählt, weil Gott ihn sich um die Freude seines Herzens bemühen läßt" (5,17-19).363 (6) Auch in 7,14f steht der Aufruf zur Freude am "guten Tag" in unmittelbarem Zusam364

menhang mit dem Gedanken an den Tod. (7) In 8,15 ist es die Erkenntnis, daß innerhalb der dem Leben gesetzten Frist sich kein kohärenter Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen beobachten lasse, es Frommen schlecht und Gottlosen gut gehe, "weil das Urteil über die böse Tat nicht alsbald vollstreckt wird" (8,11), also wiederum eine Reflexion im Horizont des Lebensganzen und des Todes (beachte den Hinweis auf das Begräbnis in 8,10), die Qohelet zur Hochschätzung der Freude führt: "Darum pries ich die Freude, denn es gibt für den Menschen nichts Gutes unter der Sonne, als essen und trinken und sich freuen. Dies begleite ihn bei seiner Mühe die ganze Zeit seines Lebens, das Gott ihm unter der Sonne gegeben hat." (8,15) (8) Das oben im Zusammenhang mit dem Schenkinnen-Rat im Gilgamesch-Zyklus angesprochene Lied 9,7-9(10) respondiert direkt auf die Erkenntnis des "einen Geschicks" und die Unmöglichkeit, in bezug auf die jenseitige Existenz nach dem Tode etwas Sicheres zu wissen. Es führt damit, wie wir gesehen haben, auch die Kontroverse der ägyptischen Harfnerlieder weiter, eine Tradition, die ihren Sitz im Leben vornehmlich im Rahmen von Symposien hatte. (9) Auch im Schlußgedicht 11,7-12,8 - nach N. Lohfink möglicherweise ein verfremdetes Gastmahl-Lied - bestimmt der Aufruf zur Freude das Gegenprogramm zur Erkenntnis des unausweichlichen Todes. Er ergeht hier freilich an den jungen Mann, der gleichzeitig angehalten wird, bei aller Freude die Mühen des Alters nicht zu vergessen. Der Aufruf zum Carpe diem nicht nur angesichts des Todes, sondern auch angesichts des Alters und der damit verbundenen Beschwerden, könnte auf griechischen Einfluß zurückgehen , hat aber eine entfernte Entsprechung auch in der 16. Lehre des Demotischen Weisheitsbuches. Zwar heißt es hier: "Schön ist das Leben dessen, der alt geworden ist, wenn er über das, was er in der Hand hat, verfügen kann" (17,9). Dann aber wird eindringlich auf verschiedene Beschwerden des Alters und die Unmöglichkeit hingewiesen, nach 60 die Freuden des Lebens noch wirklich genießen zu können. Darauf folgt der - offensichtlich an Jüngere gerichtete Satz: "Wein, Weib und Essen sind eine Freude für das Herz" (17,15), etwas weiter die Sen363 364

365 366

Übersetzung nach Lohfink, Kohelet (21980), 45f; vgl. nun aber ders., Revelation (1990); Fischer, Skepsis (1997), 81-86. Mit dem "Unglückstag", den Gott ebenso wie den "guten Tag" gemacht habe, dürfte nicht zuletzt der Todestag gemeint sein, so auch Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 167. Lohfink, Freu dich (1995) 183f. So in der Grazer Diskussion die Vermutung von N. Lohfink.

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tenz: "Der vom Schicksal in seiner Zeit Begünstigte ist der, der währenddessen an den Tod denkt" (18,6). 367

Die Zusammenstellung der simhâ-Texte zeigt zunächst, daß diese im Blick auf das Buchganze keine strukturtragende Funktion haben368 (dazu ist ihre Verteilung zu disparat369). Sie durchziehen das Buch jedoch wie ein roter Faden370 und sind in erster Linie durch einen thematischen Impuls motiviert: Wo immer die Rede auf den Tod, auf das Letzte oder das Ganze kommt, folgt ein Hinweis auf die Freude als das Beste, das dem Menschen in seinem Leben gegeben ist. An sieben von neun Stellen wird die Rede von der Freude durch die Erwähnung von Essen und Trinken bzw. Essen, Trinken und Genießen konkretisiert. Dies ist nicht nur allgemein im Sinne eines concretum pro abstracto zu verstehen, weist vielmehr auf den konkreten Hintergrund des Symposions als des Ortes von Freude und Lebensgenuß par excellence. Das Festmahl galt in der Antike als "Paradigma vollen Lebens" (F. von Kutschera), als der Ort, wo die Freude nicht nur gewünscht oder erbeten, sondern in höchster Intensität erfahrbar, das Leben gefeiert wurde, und zwar, wie der Emar-Text, die Harfnerlieder, Herodot (Hist II 78), Jes 22,13, Weish 2 und die griechische Inschrift im Jerusalemer Jason-Grab als Exponenten einer breiten Tradition zeigen, durchaus angesichts des Todes. Einen solchen Hintergrund im Kontext "orientalischer Gelagepoesie" (J. Assmann) machen auch die oben diskutierten traditionsgeschichtlichen Verbindungen zu altorientalisch-altlevantinischen Tavernenliedern und zur Tradition der ägyptischen Harfnerlieder wahrscheinlich. Dabei ist bemerkenswert, daß von den acht iwzM-Texten sechs ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Freude eine von Gott geschenkte Gabe sei.371 Wo solche Emphase nötig ist, wird in der Regel Nicht-Selbstverständliches oder Bestrittenes zum Ausdruck gebracht, besteht ein besonderer Begründungs- und Legitimationsbedarf, wie ihn weder die Trinklied- noch die Harfnerlieder-Tradition kennen. Hier könnte sich eine spezifisch judäisch-jüdische Kontroverse äußern, zu der neben Qoh 7,1-6 u.a. Weish 2 als Gegenposition zu Qoh zu vergleichen wäre. Deren genauen Hintergrund zu erhellen, bedürfte einer eigenen Untersuchung. Standen die symposiastischen Versammlungen der Oberschicht und des handeltreibenden 'Mittelstandes', zu dem Qohelet selber gehört haben dürfte, in Konkurrenz zum Tempelkult und seinen zœbah-¥ei\tm, die der Freude der ganzen 367 368

370

Vgl. Thissen, TUAT III/2 (1991), 299f. Diese Meinung hatte Rousseau, Structure (1981), 210-213 vertreten, vgl. dagegen die oben im Beitrag von N. Lohfink in Anm. 11 zitierten Arbeiten. Beachte jedoch den Hinweis von Lohfink, daß die acht simhâ-Texte insofern gleichmäßig über das Buch verteilt seien, als in jedem der rhetorischen Hauptteile jeweils zwei íim/iá-Texte zu stehen kommen (vgl. seinen Beitrag in diesem Band, Anm. 73). "Aucun autre refrain du livre n'est à ce point développé" (Rousseau, Structure [1981],

371

Vgl. Qoh 2,24.26; 3,13; 5,17-19; 9,7; indirekt 7,14; 8,15; (11,9); 12,1.

369

212).

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Volks- bzw. Familiengemeinschaft dienen sollten (Lev 23,40 Dtn 12,7.12.18 14,26 16,11.14 26,11 27,7)372? Oder fanden sie gerade im Umfeld des Tempels in den Hallen der Reichen statt, weshalb sie bei einem Teil der Tempelbesucher, die an den Symposien nicht teilnehmen konnten, Anstoß erregten? Werden die Freude, das Essen, Trinken und Genießen als das eigentliche Antidot zum Tod gewertet, so liegt jedenfalls die Annahme nahe, die darin sich äußernde Qohelet'sche Lebensphilosophie sei primär und prinzipiell im Rahmen der symposiastischen Tradition entwickelt und artikuliert worden. Daß Bankette und Symposien tatsächlich ein Ort des Philosophierens, des Belehrens, des Diskutierens, des Vortragens von Dichtungen und - selbstverständlich auch des Singens waren, wissen wir nicht nur aus der griechischen Tradition, sondern auch aus Sir 32. Hier wird zunächst dem Vorsitzenden geraten, im Interesse der Freude für eine gute Ordnung des Banketts zu sorgen. Dann heißt es über das rechte Verhältnis von Rede und Gesang: "Ergreife das Wort, Alter, denn es steht dir zu, aber schränke die Belehrung ein und hindere den Gesang nicht. Wo man singt, schenk nicht kluge Reden aus: Warum wolltest du zur falschen Zeit deine Weisheit anbringen? Ein Rubin in Goldgeschmeide ist ein schönes Lied beim Weingelage. Ein Smaragdsiegel in einer Goldfassung ist Gesang bei süßem Wein. Rede du, junger Mann, nur wenn man dich dazu drängt, wenn man dich nachdrücklich zwei- oder dreimal darum bittet. Dann faß dein Wort knapp und sag viel mit Wenigem, gleiche dem, der beides kann: Wissen und Schweigen. Mach dich nicht wichtig unter angesehenen Leuten, und behellige Ältere nicht mit zu vielen Fragen..." (Sir 32,3-9)

Mir scheint, das Nebeneinander verschiedenster Kleingattungen (Spruchgattungen der weisheitlichen Tradition, Königstravestie im Selbstbericht, Lehrreden, Reflexionen, Zitate, Gedichte und Lieder) im Qoh-Buch und das gelegentlich ganz unvermittelte Springen von einer zur andern (etwa von der Reflexion zum Lied in 9,7) sei am ungezwungensten vor dem Hintergrund des Symposions (als des realen Sitzes im Leben und/oder als einer fiktiv-idealen Konstellation) zu verstehen. Solche symposiastische Veranstaltungen hat es im frühhellenistischen Juda des 3./2. Jhs. offensichtlich gegeben. Belehrung und Lied spielten dabei eine wichtige Rolle. Weisheit und/oder Philosophie wurden zu jener Zeit nicht nur in den Schulen und auf den 372

Vgl. dazu v.a. Braulik, Freude (1988). Th. Krüger verwies in diesem Zusammenhang bei der Grazer Diskussion auf die in Qoh4,17 sich äußernde, distanzierte Haltung zum zxbah-Opitr.

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Marktplätzen dargeboten, es gab sie nicht nur als öffentliche Diatribe 373 ; sie wurden auch - und für die Oberschicht vielleicht vor allem - als private Diskussion im Rahmen von Symposien gepflegt. Könnte die Hypothese, wonach das Qoh-Buch kulturgeschichtlich am besten als symposiastische Philosophie verstanden werden kann, vielleicht sogar neues Licht auf den änigmatischen Titel werfen, der dem Buch seinen Namen gegeben hat? Wie ist der blasse Titel "Versammlungsleiter" zu konkretisieren? 374 Lohfink hat jüngst die Umschreibung "le fondateur et l'animateur d'un cercle philosophique" vorgeschlagen. 375 Ist mit ha-qôhœlœt am Ende gar ein philosophisches Symposion, mit dem Qohelet ein Symposiarch gemeint? Es ging in diesem Beitrag zunächst darum, den 'dritten Horizont' überhaupt wieder wahrzunehmen. Vielleicht könnten sich von hier aus ganz neue Zugänge zum Qoh-Buch eröffnen.

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Lohfinks soziologisch-sozialgeschichtliche Verortung Qohelets als eines Wanderphilosophen bzw. des Buches als Diatribe stützen sich stark auf die Charakterisierung Qohelets durch den ersten Epilogisten in 12,9 (vgl. seinen Beitrag in diesem Band, bes. Anm. 71 und 73, und bereits ders., Kohelet [21980], llf; Epilogues [1995], 8284, 86f). Nach meinem Verständnis des ersten Epilogs geht es dort gerade darum, das Miß trauen gegenüber dem Qoh-Buch dadurch zu entschärfen, daß es inhaltlich, formal und im Blick auf die Adressaten für akzeptabel erklärt wird. Die Apologie setzt entsprechende Bestreitungen voraus: Qohelet sei gar kein rechter "Weiser/Lehrer" gewesen, er habe nur in geschlossenen Kreisen - also gerade nicht öffentlich - philosophiert und seine Sentenzen geprägt, ohne sich seriös mit der Tradition auseinandergesetzt zu haben. Daß „der erste Epilogist im Fachjargon der Schule eine idealtypische Beschreibung Kohelets liefert, die keine biographische Auskunft gibt", hat jüngst auch Fischer betont (Skepsis [1997] 21ff, hier 27). Denkt man an zwei Phasen der Genese des Qoh-Buches (Symposion als ursprünglicher Sitz im Leben, das Buch als Diatribe), so ließen sich die Lohfink'sche und meine eigene These durchaus miteinander vereinbaren. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), lOf. Epilogues (1995), 83.

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Reinhold Bohlen (Trier)

Kohelet im Kontext hellenistischer Kultur Zeitliche Abgrenzung und namentliche Bezeichnung einer geschichtlichen Epoche stellen stets eine Übereinkunft dar. Diese beruht auf einer auswertenden Deutung der Vergangenheit, die der indistinkten Menge z.B. politischer, militärischer, sozio-ökonomischer, intellektueller und künstlerischer Phänomene eine gewisse Ordnung verleiht. Per definitionem ist Geschichtsschreibung ein Auswahlvorgang, der eine Taxonomie schafft, ruft Gabriele Boccaccini in Erinnerung1. Dementsprechend gibt uns unsere Themenstellung zunächst auf, den Begriff "hellenistische Kultur" zu umreißen, und zwar verstanden als Sichtung und Gewichtung von epochal-relevanten Merkmalen verschiedener Sektoren bzw. Straten. Dabei gilt es, zweierlei zu beachten: Zum einen entzieht sich der Begriff einer statischen Bestimmung, denn hellenistische Kultur kann angemessen nur als ein Prozeß beschrieben werden2. Zum anderen empfiehlt es sich, nicht von einem Gegenüber von "Judentum", in unserem Falle vertreten durch Kohelet, und "hellenistischer Kultur" auszugehen, sondern - gemäß heutigem Forschungsstand -, von unterschiedlich positionierten "Judentümern" in der hellenistischen Kultur3. 1. Die Voraussetzungen 1.1 Hellenistische Kultur Nach der neuesten deutschsprachigen Geschichte des Hellenismus von Hans Joachim Gehrke läßt sich mit der so benannten Epoche ein "eindeutig begrenzbares zeitliches Kontinuum" mit eigener Prägung bezeichnen4. Dieses ist

1

2 3 4

G. Boccaccini, History of Judaism (1995), 285: "The identification of a historical period, in terms of chronology and nomenclature, is always a convention... It depends on the evaluative work of historians who interpret the past by giving a certain order to the indistinct mass of social and intellectual phenomena. By defintion, writing history is a process of selection that produces a taxonomy" (unter Berufung auf J.J.E. Gracia, Philosophy and Its History: Issue in Philosophical Investigation, Albany NY 1992). L.L. Grabbe, Hellenistic Judaism (1995), 54: "Hellenistic culture can be adequately described only as a process". Vgl. L.L. Grabbe, Hellenistic Judaism (1995), 65.71-73. Vgl. zum Folgenden: H.J. Gehrke, Geschichte des Hellenismus (1990), 1-3.129-131. Zum Epochenbegriff vgl. außerdem R. Bichler, 'Hellenismus' (1983) (Bibliographie S. 199-214), sowie die bei H. Flashar/W. Görler, Die hellenistische Philosophie (1994), 10 verzeichnete neuere Literatur.

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Reinhold Bohlen

wesentlich charakterisiert durch die auf den Erfolg makedonischer Waffen gestützte Expansion des Griechischen und die völlige Öffnung der Gebiete der orientalischen Hochkulturen; es ließ eine zwar facettenreiche doch auch durch spezifische Entwicklungen unterscheidend geprägte neue Oikumene entstehen: - Die im Politischen sich ergebende herrschaftliche Überlagerung bringt neue bestimmende Organisationsformen mit sich (Monarchien mit vornehmlich gräko-makedonischem Personal in Zentralen und Verwaltungsstäben; Städtebünde; 'internationale' Schiedsgerichtsbarkeit). - Aufgrund von massiven wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen treten die Leistungskräftigeren deutlich hervor. - Es setzt sich ein neues Lebensgefühl durch, "insofern sich das Bewußtsein der Ohnmacht gegenüber dem Geschehen stark ausprägt... Individuelle Heilssuche tritt vor politisches Engagement und schafft sich besonders in der Religion neue Perspektiven"5. - Unter den sich ausbildenden neuen Formen und Inhalten auch in Philosophie und Kunst sei insbesondere auf eine Schwerpunktverlagerung innerhalb der hellenistischen Philosophie auf die sich an das Individuum richtende Ethik hingewiesen. Von der Philosophie wurde erwartet, daß "sie dem Individuum, das den Rückhalt der Polis verloren hatte, den Weg zum Glück in allen Lebenslagen auch des Alltags aufzeige"6, und zwar unter jedweden politisch-sozialen Umständen7. - Das auf eine neue Ebene gehobene Verhältnis von Griechen und Nicht-Griechen stellt eine signifikante und konstituierende Thematik der Epoche dar.

5 6

7

H.J. Gehrke, Geschichte des Hellenismus (1990), 2. H. Flashar/W. Görler, Die hellenistische Philosophie (1994), 8. Als weitere gemeinsame Merkmale der hellenistischen Philosophie arbeiten Flashar/Görler 1994, 4-8 heraus: (1) Trotz der Ausweitung griechischer Kultur auf andere geographische Räume blieb die hellenistische Philosophie an Athen gebunden. (2) Ort der hellenistischen Philosophie waren die in ganz bestimmten Formen und Strukturen verfaßten Schulen mit einer mehr oder weniger festen Mitgliedschaft. (3) Die hellenistische Philosophie bildete Systeme. (4) Trotz ihres Systemcharakters hielten sich die Philosophenschulen für Anregungen und Kritik offen, so daß sich in einem späten Stadium (Antiochos aus Askalon, ca. 140/125 - 68 v.Chr.) die Konturen der Systeme bis zu einem Eklektizismus verwischten. (5) Obgleich alle hellenistischen Schulen auf älteren Positionen beruhten, hat in ihnen etwas grundsätzlich Neues begonnen, das seinen Niederschlag auch in einer weitgehend neuen Terminologie fand. (6) Hellenistische Philosophie ist weithin durch eine Trennung von Philosophie (betrachtet als systematisch gegliedertes, rational nachvollziehbares Wissen) und Wissenschaft (betrachtet als Suche nach Unklarem, noch nicht Gewußtem) gekennzeichnet. (7) Trotz der Individualisierung ihrer Ethik ist die hellenistische Philosophie - etwa im Hinblick auf politische Missionen von Philosophen - nicht völlig entpolitisiert. Dies betont für Epikureismus und Stoa M. Forschner, Glück des Menschen (1993), 29.

Kohelet im Kontext hellenistischer Kultur

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Insofern etliche der genannten Elemente als Strukturen oder Prozesse bereits vor der hellenistischen Epoche greifbar sind, hatte der Hellenismus zwar "eine Reihe innergriechischer Voraussetzungen"8, bedurfte aber einer ausschlaggebenden Initialzündung, nämlich des Wollens eines Individuums, Alexanders d. Gr.9. Die Diskussion um das Ende der Epoche dürfen wir in unserem Zusammenhang vernachlässigen (Einnahme Alexandriens 30 v.Chr.; Übergang zur römischen Kaiserzeit; Ausbreitung des Islam im 7. Jh. n.Chr.), gilt doch die historiographische Kategorisierung der raum-zeitlichen Koordinaten des Koheletbuches als Zeit des (Früh-)Hellenismus heute als unbestritten, sehen wir von dem die communis opinio anfragenden Versuch D.C. Fredericks' ab, aufgrund der Sprachgestalt des Buches für ein vorexilisches Datum (8./7. Jh.) zu votieren10. 1.2 Kohelet: Raum-zeitliche

Koordinaten

1

Seit langem' ist im Hebräischen des Buches ein spätbiblisches Hebräisch (Late Biblical Hebrew) erkannt, das nach dem Urteil Anton Schoors' unzweifelhaft einige mischnische sowie der Mischna nahe Züge aufweist, gleichzeitig der Sprache nachexilischer (Chr, Esr, Neh, Dan, Sir) oder zumindest exilischer biblischer Bücher (Ez, Dt-Jes, P-Texte im Pentateuch) nahesteht12. Es ist durchsetzt von lexikalischen und grammatischen Aramaismen13, die teilweise für ein Spätstadium des biblischen Hebräisch in Anspruch genommen werden dürfen14. In Qumran wurden Fragmente zweier Handschriften geborgen15, deren älteste, 4QKoh a (=4Q109) paläographisch um 175-150 v.Chr. datiert wird16. Unter Einrechnung einer für Durchsetzung und Verbreitung des Buches notwendigen Zeitspanne läßt sich "die Wende vom 3. zum 2. Jh. 8 9

10

11 12 13

14 15

16

H.J. Gehrke, Geschichte des Hellenismus (1990), 3. Dabei ist es für unsere Fragestellung unerheblich, ob wir die von HJ. Gehrke nachdrücklich vertretene Einbeziehung Alexanders in die Epoche billigen oder ob wir mit anderen erst den Tod des großen Makedonen zu ihrem Ausgangspunkt nehmen; vgl. dazu H J. Gehrke, Geschichte des Hellenismus (1990), 3.131. Vgl. D.C.Fredericks, Qohelet's Language (1988); dazu die Besprechungen durch A. Schoors (JBL 108, 1989, 698-700) und J. Kottsieper (ZAW 102, 1990, 148f.) sowie/1. Schoors, Preacher (1992), 14f.222. Einen eingehenden Überblick über die Erforschung der Sprache Kohelets bieten A. Schoors, Preacher (1992), 1-16; F. Bianchi, Language (1993). Vgl. Α. Schoors, Preacher (1992), 221f. M. Wagner, Aramaismen (1966), 145, und WC Delsman, Sprache (1982), weisen z.B. insgesamt 80 lexikalische Aramaismen nach, was einen Gesamtbestand von über 3% ausmacht. Vgl. A. Schoors, Preacher (1992), 223. 4QKoha (=4Q109) und 4QKohb (= 4Q110); zu Editionen und Bearbeitungen vgl. J. Maier, Die Qumran-Essener II (1995), 47 (wo allerdings BASOR 135, 1954, zu lesen ist). Vgl. E. Ulrich, Ezra and Qoheleth Manuscripts from Qumran (1992), 143.

252

Reinhold Bohlen

v.Chr. als terminus ad quem für die Entstehung des Buches betrachten"17. Da Jesus Sirach, dessen Werk in den ersten drei Jahrzehnten des 2. Jh. v. Chr. entstanden ist18, den Ecclesiastes vielfach voraussetzt19, gehe ich - mit der Mehrzahl der Forscher - von einer Entstehung des Koheletbuches im 2. oder 3. Drittel des 3. Jh. v.Chr. aus20. Als Entstehungsort gilt aufgrund durchscheinenden palästinischen Milieus21 und der literarischen Travestie eines Königs in Jerusalem Palästina, näherhin Jerusalem, als sehr wahrscheinlich22; ein in der älteren Literatur erwogener zeitweiliger Aufenthalt des "Versammlungsleiters" im ägyptischen Alexandrien ist nicht nachzuweisen.23 1.3 Folgerungen Damit darf die eben angedeutete Epochen-Phänomenologie Gültigkeit auch für die Entstehungszeit des Buches Kohelet beanspruchen, bedarf jedoch - aus zumindest zwei Gründen - weiterer Differenzierung: (1) Die in vielen Bereichen und an vielen Orten erfolgte Annäherung der griechisch-makedonischen Kultur mit den jeweils einheimischen Kulturen schaffte nach heutigem Verständnis keine neue Einheit, "sondern ein sich mehr oder weniger stark beeinflussendes Nebeneinander"24. (2) Da die hellenistische Kultur nur als Prozeß verstanden werden kann, innerhalb dessen auch das Judentum Kohelets angesiedelt ist, gilt es, möglichst exakt den Standort Kohelets in Aktion und Reaktion innerhalb des Spektrums der Hellenisierung zu beschreiben. Dieser Standort hängt nicht nur global von der Zeitstellung des Verfassers und der Bestimmung seines Wirkortes ab, sondern auch - in differenzierendem Urteil - vom belegbaren Grad der Hellenisierung seiner Lebenswelt und ggf. seiner 17 18 19

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24

O. Kaiser, Grandriß (1994), 85. Vgl. dazu eingehend R. Bohlen, Die Ehrung der Eltern bei Ben Sira (1991), 333-337. Gegen C.F. Whitley, Koheleth (1979), 122-131, der eine zeitliche Priorität Ben Siras vor dem zwischen 152-145 v.Chr. (S. 143f.) datierten Kohelet nachzuweisen versucht. Vgl. O. Kaiser, Grundriß (1994), 85 ("etwa um die Mitte des 3. Jh.s v.Chr."); O. Kaiser 1995, 50f. ("etwa im zweiten Drittel des 3. Jh.s v. Chr."); L. SchwienhorstSchönberger, Kohelet (1995), 267 ("wahrscheinlich zwischen 250 und 190 v.Chr."). Vgl. H.W. Hertzberg, Palästinische Bezüge (1957). Vgl. dazu den Forschungsüberblick bei O. Kaiser, Beiträge zur Kohelet-Forschung (1995), 10-17. Nach P. Kleinert, Koheleth (1909), 499, führen die wenigen Züge von Lokalkolorit, die das Buch bietet, bis Kap. 7 auf Jerusalem (vgl. 4,17; 5,7), von Kap. 8 ab auf Ägypten, speziell auf die See- und Residenzstadt Alexandrien (vgl. 11,1; 8,2-8; 10,47.16fi). P. Kleinert entfaltet "die Vorstellung, daß der Verfasser, nachdem er den ersten Teil Kap. 3-7 in Jerusalem abgeschlossen, sich ... nach Alexandrien begeben und am Ptolemäerhofe eine nicht unansehnliche Stellung gewonnen" und er dort sein Buch vollendet habe (S. 500). E. Zeller, Philosophie der Griechen (1923), 301 Anm. 2, hält die Abfassung des Buches in Alexandrien nicht für wahrscheinlich, räumt aber ein, daß sich sein Verfasser dort längere oder kürzere Zeit aufgehalten haben mag. HJ. Gehrke, Geschichte des Hellenismus (1990), 129f.

Kohelet im Kontext hellenistischer Kultur

253

Person, sowie vom Nachweis potentieller Sozialisationsagenten bzw. literarischer Vermittlungsinstanzen. 2. Kohelet im Kontext hellenistischer Kultur

Mit der 1792 publizierten Entdeckung des damaligen Subregenten des hochfürstlich-Wirzburgischen Seminariums zum guten Hirten, des drei Jahre später zum Professor der orientalischen Sprachen an der Würzburger Universität avancierten und dann zum Weihbischof berufenen Gregor Zirkel15, "daß Gräcismen im Prediger vorkommen 26, Schloß sich nicht nur ihm "auf einmahl [!] ein ganz neuer Horizont auf'27. Denn sein Postulat, daß das Hebräisch des Buches ein "Studium der griechischen Sprache und Gelehrsamkeit" voraussetze28, wurde zu einem nicht erlahmenden movens der seitherigen KoheletForschung, so daß es - wie Diethelm Michel in seinem Forschungsbericht unterstreicht - seit Heinrich Graetz29 und Paul Kleiner f "zur Pflicht eines jeden Auslegers" gehört, "sich mit dem Problem des hellenistischen Einflusses auf Qohelet auseinanderzusetzen"31. Dabei erfuhr die Problemstellung eine Ausdifferenzierung, die sich vornehmlich folgenden Streitpunkten zuwandte: (1) dem Vorhandensein von Gräzismen32, also von sprachlichen Wendungen (Worte, Begriffe, grammatisch-syntaktische Konstruktionen), deren vom "normalen" Hebräisch abweichende Gestalt aufgrund griechischen Einflusses zu erklären sei; (2) den Motivparallelen bzw. möglichen Einflüssen/Abhängigkeiten in Form und Gehalt seitens griechisch-hellenistischer Literatur33 und

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26 27 28 29 30

31 32

33

Zur Bio- und Bibliographie vgl. Franz Karl Felder, Gelehrten- und SchriftstellerLexikon der deutschen katholischen Geistlichkeit, Bd. 2 (hg. v. Franz Joseph Waitzenegger), Landshut 1820, 543-546 (= Deutsches Bibliographisches Archiv. Microfiche-Edition, München u.a. 1982, Fiche 1416, Nr. 387-390). G. Zirkel, Untersuchungen (1792), XIVf.; der Nachweis wird ebd. S. 46-56 geführt. G. Zirkel, Untersuchungen (1792), XV. G. Zirkel, Untersuchungen (1792), 120. Kohélet oder der salomonische Prediger, Leipzig 1871. Sind im Buche Koheleth außerhebräische Einflüsse anzuerkennen?: ThStKr 56 (1883) 761-782; Zur religions- und kulturgeschichtlichen Stellung des Buches Koheleth: ThStKr 82 (1909) 493-529. D. Michel, Qohelet (1988), 59. Vgl. G. Zirkel, Untersuchungen (1792), 46-56; L. Levy, Qoheleth (1912), 12-16; R. Braun, Kohelet und die frühhellenistische Populaiphilosophie (1973), 44-55; kritisch K. Galling, Stand und Aufgabe der Kohelet-Forschung (1934), 362; O. Kaiser, Judentum und Hellenismus (1982), 70f.; O. Kaiser, Botschaft (1995), 27. Wiederholte kritische Sichtungen (vgl. z.B. K. Galling, Stand und Aufgabe der Kohelet-Forschung (1934), 363-366) der aus Dichtung und Gnomik herangezogenen Parallelen führen immer wieder zu dem Ergebnis, daß diese zwar u.U. für eine Vertrautheit Kohelets mit griechisch-hellenistischer Literatur sprechen können, diese aber nicht zwingend beweisen, "da ähnliche Situationen ähnliche Gedanken zu provozieren vermögen" (0. Kaiser, Grundriß (1994), 88).

254

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Philosophie3" bis hin zur jüngst durch Oswald Loretz neu bewerteten Frage nach der Bedeutung des Wechsels von Poesie und Prosa in Koh35, und schließlich (3) einer eher mittelbaren Beeinflussung durch den Geist der hellenistischen Epoche, die sich etwa äußere im Beharren Kohelets auf der eigenen Beobachtung 36 , der damit verbundenen Form des Selbstberichtes37, 34

Wenn auch das Urteil Eduard Zellers uneingeschränkt gilt, daß "keine von den philosophischen Schulen jener Zeit" Kohelet "seinem ganzen Standpunkt nach für sich hätte in Anspruch nehmen können" (E.Zeller, Philosophie der Griechen (1923), 304), so wurden doch vielfache Versuche unternommen, Parallelen zu einzelnen Philosophen(schulen), ggf. vermittelt durch die Popularphilosophie, nachzuweisen (vgl. z.B. L. Levy, Qoheleth (1912), 16-25; R. Braun, Kohelet und die frühhellenistische Popularphilosophie (1973); C.F. Whitley, Koheleth (1979), 165-175, bei vorausgesetzter Entstehung des Koheletbuches im 2. Jh. v.Chr.). Doch auch hier ist - neben anderem zu fragen, ob derartige Motivparallelen nicht eher "für die Vergleichbarkeit der Grundsituation der zum Spielball der hellenistischen Monarchen gewordenen Völker sprechen" als für eine direkte Kenntnis hellenistischer Philosophie (O. Kaiser, Beiträge zur Kohelet-Forschung (1995), 30). Schon Julius Guttmann urteilte: "Die wenigen wirklichen Entsprechungen betreffen Gedanken, die in keinem notwendigen Zusammenhange mit einem der philosophischen Systeme stehen, und beweisen nicht mehr als eine Berührung mit griechischer Populärbildung. Wie immer man aber in solchen Einzelfragen denken mag, die ganze Denkweise Qohelets hat mit wissenschaftlicher Philosophie nichts gemein und verrät nichts von ihrem Einfluß. Seine Kritik der Lebensgüter stützt sich nicht, wie die der griechischen Philosophen, auf ein methodisches Prinzip, sondern gründet sich auf unmittelbare Lebenserfahrung. Er mißt sie nicht an dem Begriff eines wahrhaften Gutes, sondern überzeugt sich empirisch von ihrer Wertlosigkeit" (J. Guttmann, Philosophie des Judentums (1933), 26). Guttmann konzediert, daß Kohelet im "weitesten Sinne ... dem individualistischen Geiste griechischer Aufklärung verwandt und ohne ihn schwer möglich" sei. Auch sei "ein Zusammenhang mit der pessimistischen Lebensbeurteilung einzelner griechischer Denker" vorstellbar, aber "von einer wirklichen Abhängigkeit von griechischer Philosophie" könne keine Rede sein (J. Guttmann, Philosophie des Judentums (1933), 28).

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Vgl. O. Loretz, Anfänge jüdischer Philosophie nach Qohelet 1,1-11 und 3,1-15 (Ί991); ders., „Frau" (1991); ders., Jüdischer Gott (1994). Demnach stellen die Prosateile in Koh die sprachliche und stilistische Neuerung Kohelets dar, eine weisheitlichphilosophische Prosa zu schaffen, angestoßen durch die griechisch-hellenistische philosophische Prosa. Die poetischen Teile des Buches stammen hingegen von Redaktoren und Korrektoren, die so das schockierend Neue einer weisheitlichen Diskussion in Prosa durch traditionelle Poesie abzumildern und der Tradition anzugleichen suchen. Das Gewicht dieses Argumentes zu betonen wird Otto Kaiser nicht müde, vgl. z.B. O. Kaiser, Judentum und Hellenismus (1982), 79 (fragt, ob nicht gerade in der "distanzierten Berufung auf die eigene Erfahrung" der wesentliche Beitrag zu suchen ist, den der Hellenismus zum Denken Kohelets geleistet hat); O. Kaiser, Grundriß (1994), 85.88; O. Kaiser, Botschaft (1995), 48.50; O. Kaiser, Beiträge zur KoheletForschung (1995), 31. Vgl. O.Kaiser, Grundriß (1994), 85.88; O. Kaiser, Beiträge zur Kohelet-Forschung (1995), 248.

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dem Fragen nach dem Glück38. Weithin akzeptiert ist jenes von Martin Hengel skizzierte Ensemble von Eigentümlichkeiten Kohelets, "in denen Berührungen mit dem Geist des frühen Hellenismus sichtbar werden könnten"39: die kritische Individualität der Verfasserpersönlichkeit, ihre universalistische, von allen Schranken nationaler Begrenzung freie Sehweise, die radikale Kritik der Vergeltungslehre der traditionellen Weisheit, das Zurücktreten der persönlichen Züge Gottes, insofern sich zwischen Gott und Mensch Schicksalsbegriffe schieben, die Empfehlung der Ergebung und in der praktischen Lebensführung des vorsichtigen Mittelweges, ihr Verpflichtetsein gegenüber einer "bürgerlichen" Ethik. Angesichts der 200jährigen, bisher nicht konsensfähigen Forschung zum Thema "Kohelet und der Hellenismus", in der variantenreich fast alle denkbaren Positionen vertreten worden sind40, möchte ich hier nicht versuchen, die Wege und die Erträge der bisherigen Diskussion nachzuzeichnen, zu resümieren oder gar zu bilanzieren. Vielmehr möchte ich zunächst (2.1.) einen wesentlichen Aspektbereich der hellenistischen Kultur in punktueller Sondierung auf unsere Fragestellung hin angehen, nämlich die Grundbefindlichkeiten der Epoche, verstanden als Grunderfahningen und Lebenssituationen der Menschen. In einem zweiten Schritt (2.2.) möchte ich auf dem Hintergrund dieser Sondierung zwei neue, fast gleichzeitig entstandene Arbeiten zum Thema vorstellen, um - daran anknüpfend - die Methodenfrage bewußtzumachen (3.). 2.1 Grundbefindlichkeiten der hellenistischen Epoche und ihre Reflexe im Buch Kohelet, dargestellt an Koh 4,1; 5,7f. Über menschliche Gnindbefindlichkeiten der hellenistischen Epoche herrscht weitgehendes Einvernehmen·": Infolge der Auflösung der Polis-Struktur erfuhren sich die Griechen im politischen Handeln als eingeschränkt, fremdbestimmt; für die Nicht-Griechen war der Druck, auch der Leistungsdruck, durch fremde Herrscher gestiegen. Gleichwohl übte die neue Kultur eine starke Anziehungskraft aus. Der bestimmende Grundzug der Epoche war "der des Ausgeliefert- und Geworfenseins. Man fühlte sich als Opfer des Geschehens... Die Kräfte, denen man dabei ausgesetzt war, schienen ebenso unüber-

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O. Kaiser, Botschaft (1995), 50. Vgl. M. Hengel, Judentum und Hellenismus (1973) 232-234; das Zitat findet sich S. 232. Das dazu Notwendige ist in den Forschungsberichten bei K. Galling, Stand und Aufgabe der Kohelet-Forschung (1934), 361-366; C.F. Whitley, Koheleth (1979), 158161; D. Michel, Qohelet (1988), 58-65; L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 233-244 und O. Kaiser, Beiträge zur Kohelet-Forschung (1995), 26-31.238-249 gesagt. Vgl. zum Folgenden; HJ. Gehrke, Geschichte des Hellenismus (1990), 71-75.

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windlich wie unergründlich"42. Sie manifestierten sich in den zahlreichen Kriegsläuften, in Raub und Seeraub, in plötzlich auftretenden katastrophalen Versorgungsnotlagen. Die Macht der Tyche rückte zunehmend ins Blickfeld und Bewußtsein der Menschen. In dieser Epoche einer starken Emigration und Kolonisation und dadurch geförderter Horizonterweiterung mußte sich das Individuum neu finden. "Deshalb spricht man nicht zu Unrecht vom Individualismus als Grundzug der hellenistischen Epoche und spielt gerade in den objektivierten Positionen hellenistischer Geistigkeit der Universalismus eine bedeutende Rolle"43. Der Aufschwung von Mathematik, Astronomie, Geographie und Medizin, hier vor allem durch die in Alexandreia seit den ersten Ptolemäern aufgekommene neue Anatomie44 läßt auf eine verstärkte Hinwendung zur Empirie schließen45. Seit langem ist beobachtet, daß derartige Mentalitätsstrukturen sich auch im Kohelet-Buch spiegeln. M.E. läßt sich an Einzelbeispielen überzeugend nachweisen, daß es sich hier nicht nur um etwa gleichzeitige, jedoch von einander unabhängige Parallelphänomene handelt, sondern um solche Gegebenheiten, die in ihrem konkreten Erscheinungsbild Auswirkungen hellenistischer Zivilisation und Kultur sind. So kommt Kohelet etwa zu Beginn und Abschluß der Einheit 4,l-5,8 46 auf ökonomische, soziale und politische Rahmenbedingungen seiner Zeit und Heimat zu sprechen: "Und wiederum47 beobachtete ich all die Ausbeutung, die ins Werk gesetzt wird unter der Sonne. Tränen der Ausgebeuteten, aber sie haben keinen Tröster. Und aus der Hand ihrer Ausbeuter: Gewalt, aber sie haben keinen Tröster" (Koh 4,1).

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IIJ. Gehrke, Geschichte des Hellenismus (1990), 72. HJ. Gehrke, Geschichte des Hellenismus (1990), 72f. Zugleich jedoch wurden Grenzen gezogen zwischen Griechen und "Barbaren". Die Koine setzte sich als Verkehrssprache, auch als Hoch- und Verwaltungssprache durch. Wandlungen zeigten sich im Bereich der Familie und der Stellung der Frau. "Die Möglichkeiten und Räume der Frauen in der patriarchalisch geprägten Männergesellschaft" sind "in einer für seinerzeitige Begriffe auffalligen Weise gewachsen" (S. 75) Vgl. F. Kudlien, Art. Medizin (1988), 433. Vgl. O. Kaiser, Anknüpfung und Widerspruch (1995), 56. Zu dieser Abgrenzung vgl. F. Bianchi, Qo4,l (1992), 301f.; L. SchwienhorstSchönberger, Glück (1994), 126-128. Daß die Wendung ΠίΟίΟ -nntíl nicht die Wiederholung einer Handlung meint, sondern die Hinwendung zu einer weiteren/neuen Beobachtung markiert, betonen D. Michel, Untersuchungen (1989), 251, und F. Bianchi, Qo 4,1 (1992), 302f„ zu Recht.

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"Wenn Ausbeutung des Armen und Vorenthaltung von Recht und Gerechtigkeit du in der Provinz beobachtest, wundere dich nicht über den Sachverhalt! Denn einen Hohen überwacht ein Höherer, und Hochgestellte48 sind über ihnen. Aber: Der Vorteil eines Landes bei all dem ist dies: ein König für das bebaute Feld49" (Koh 5,7-8). Was Kohelet hier beobachtet, sind die Auswirkungen der hellenistischen Staatsideologie, der Verwaltungsstrukturen und der Steuerorganisation in der ptolemäischen Provinz "Syrien und Phönikien"50, in der er lebte. Denn bereits die ersten Ptolemäer haben Koilesyrien nach der militärischen Eroberung als ihren zweiten großen Außenbesitz neben der Kyrenaika rasch und intensiv für die Wirtschaft und die Verwaltung ihres Reiches erschlossen. Dies spiegelt sich literarisch in den Papyri des Zenon-Archivs 51 , in einem Erlaß Ptolemaios' II. Philadelphos aus dem Jahre 260 über die Deklaration von Vieh und Sklaven 52 sowie in der Tobiadenerzählung des Josephus Flavius53. Archäologisch aufschlußreich ist die nachgewiesene Verbreitung ptolemäischer Münzen und für das jüdische Kernland speziell die bis zur Zeit Ptolemaios' II. (282-246) reichende Serie von lokalen Jehud-Münzen, die vermutlich vom Jerusalemer Hohenpriester auf Geheiß der Regierung in Alexandria ausgegeben wurden54. 48

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Ein Verständnis als Intensitätsplural, bezogen auf die oberste Verwaltungsspitze (bei G. Anderlini, Qohelet 5,7-8 (1995), 14.17, auf den König ["il più alto di tutti"] ), ist durchaus möglich; vgl. jedoch Λ. Schoors, Preacher (1992), 72f. Zur Möglichkeit, bei Vernachlässigung der masoretischen Satzabgrenzung Koh 5,8 als Pendenskonstruktion aufzufassen ("Aber: Der Vorteil eines Landes bei allem/in jeder Hinsicht - dies ist ein König für das bebaute Feld") s. F.J. Backhaus, Pendenskonstruktion (1995), 22. Eine ausführliche Behandlung der durch V. 8 gestellten philologischen Probleme bietet G. Anderlini, Qohelet 5,7-8 (1995), 17-24. Zur territorialen Ausdehnung der ptolemäischen Provinz, insbesondere zu ihrer Nordgrenze, vgl. jetzt C.G. den Hertog, Territorialgeschichte Koilesyriens (1995). Vgl. dazu einführend P. W. Pestman, Zenon Archive (1981); C. Orrieux, Les papynis de Zénon (1983). Zur Palästinareise des Zenon im Auftrag des Dioiketen Apollonios von Dezember 260 bis mindestens April 258 vgl. S. Mittmann, Zenon im Ostjordanland (1970); zu den Bezügen der Papyri zu "Syrien und Phönikien" vgl. A. Passoni dell'Acqua, Le testimonianze papiracee (1986). PER Inv. Nr. 24552 gr. (C. Ord. Ptol. 21-22), erstmals veröffentlicht von L. Liebesny, Erlaß (1936); zu weiteren Bearbeitungen vgl. Reinhold Scholl, Sklaverei in den Zenonpapyri (Trierer historische Forschungen; 4), Trier 1983, 226f. los. ant. XII, 158-236. Vgl. L. Mildenberg, Yehud. A Preliminary Study of the Provincial Coinage of Judaea, in: Greek Numismatic and Archaeology (FS Margaret Thompson), Wettern 1979, 183-196; Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. I, New York 1982; C.R. Harrison, Qoheleth in Social-historical Perspective (1991), 148-164; ders..

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Schon Ptolemaios I. Soter (306/4-283/2) hatte ein einheitliches Münzsystem für die Kernländer Ägypten, Kyrenaika, Zypern und Koilesyrien geschaffen, in denen ausschließlich königlich-ptolemäisches Geld als Zahlungsmittel erlaubt war55. So wurden auch die Judäer sehr schnell zumindest von zwei Bereichen der hellenistischen Welt erfaßt, von der Verwaltung und von der Wirtschaft56. Um das Verwaltungs- und Besteuerungssystem 57 zu durchschauen, müssen wir zunächst die entscheidende Schichtung der Bevölkerung des Landes wahrnehmen: hier die Einheimischen (λαοί), dort die Griechen bzw. Makedonen, vornehmlich königliche Beamte, Angehörige der Besatzungsarmee und Kleruchen, die eine privilegierte Klasse bildeten. Ebenso wie das Kernland Ägypten galt den ptolemäischen Herrschern auch die Provinz Syrien und Phönizien als speergewonnenes Land (δορίκτητος χώρα), das aufgrund der absoluten Königsideologie dem Monarchen zufiel 58 . Ein Großteil des Landes unterstand ihm unmittelbar. Diese von halbfreien Königsbauern bestellte γή βασιλική ist auch hier durch die Zenon-Papyri nachgewiesen. Andere Flächen wurden zur Ansiedlung von Militärbauern ausgewiesen, die in besonderem Maße in Koilesyrien angesiedelt wurden; auch die neugegründeten Poleis mußten mit Grundbesitz ausgestattet werden. Hohe Beamte wurden mit Gütern belehnt. In Syrien und Phönizien stellte das von den λαοί bewohnte Dorf die steuerliche

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Hellenisation (1994), 100-102: "The very existence of the Hellenistic Yehud coins bears eloquent testimony to the extent and speed with wich the Ptolemies assumed control over the fledgling monetary economy of their Palestinian territories. Within a very few decades of establishing clear title to southern Coele-Syria, the Ptolemies had incorporated even the insignificant Judean mint into their monetary system. Jerusalem, owing perhaps to its relative military unimportance, escaped the fate of being settled as Ptolemaic cleruchy. But in terms of economic domination, the Judean capital was no less ruled by Alexandria than if it had been under the command of a local military governor" (S. 101). Vgl. G. Hölbl, Geschichte des Ptolemäeireiches (1994), 31. „The archaeological record of third century BCE Palestine indicates that Judea had been integrated into the Ptolemaic economy quite early in the Hellenistic period. That integration is unquestionably reflected in the period's tax collection system as well as its official and provincial coinage" (C.R. Harrison, Hellenization in Syria-Palestine (1994), 106). Zu Einzelheiten vgl. M Rostovtzeff, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt (1955), 23f.274-278; V. Tcherikover, Hellenistic Civilization (1959 / 1985), 59-63; M. Hengel, Das Gleichnis von den Weingärtnern Mc 12,1-12 (1973), 32-55; M.Hengel, Juden, Griechen und Barbaren (1976), 38-51; R.S. Bagnali, Administration (1976), 18-24; W. Boochs, Finanzverwaltung (1985), 116-141; E. Bickerman, Four Strange Books of the Bible (1988), 71-79; R. Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches (1994), 27-31.57-64. Vgl. dazu A. Mehl, ΔΟΡΙΚΤΗΤΟΣ ΧΩΡΑ. Kritische Bemerkungen zum 'Speererwerb' in Politik und Völkerrecht der hellenistischen Epoche: Ancient Society 11-12 (1980-81), 173-212.

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und wirtschaftliche Grundeinheit dar. Durch die Verpachtung der direkten Steuern und Abgaben an τίλώναι haben die Ptolemäer ein System geschaffen, das ihnen zwei gewichtige Vorteile bot. Zum einen erreichten sie dadurch eine lückenlose Erhebung der von ihnen verhängten Steuern und Abgaben bis in das kleinste Dorf hinein; zum anderen gelang es ihnen so, die einheimische Oberschicht an sich zu binden. Denn die wohlhabenden Familien zeichneten für die Erhebung der königlichen Einkünfte verantwortlich, da sie die dazu erforderliche Bürgschaft leisten konnten 59 . Der Landbevölkerung, deren Arbeitskraft der König für sich beanspruchte, waren drückende Lasten auferlegt. "Die Beamten der Zentralregierung hatten die optimale wirtschaftliche Ausbeutung sicherzustellen, vor allem im Hinblick auf die reichen Rohstoffe und Produktionsgüter, die in Ägypten fehlten; die Besteuerung wurde daher direkt durch königliche Beauftragte durchgeführt" 60 . Hier haben die "Tränen der Ausgebeuteten, die keinen Tröster finden"61, und die durch die Ausbeuter angewendete Gewalt, auf die Koh 4,1 hinweist, ihren Sitz im Leben. Denn "die Überwachung der Steuermoral war streng: Hinterziehung durch Fehldeklaration oder gar Steuerverweigerung wurden durch hohe Strafen geahndet... Steuerschuldnern drohte Gefängnis oder gar Zwangsverkauf in die Sklaverei"62. Bei dem in Koh 5,7b geschilderten System, "einen Hohen überwacht ein Höherer, und Hochgestellte sind über ihnen", spiegelt sich m.E. eine zweifache Realität. Zum einen die drei Verwaltungsebenen: In der Provinz überwachten die Oikonomoi an der Spitze der Hyparchien die Staatseinkünfte. Diesen übergeordnet war der Dioiketes für ganz Syrien und Phönikien, der sich wiederum gegenüber dem Dioiketen in Alexandrien verantworten mußte63. Zum anderen standen zwischen dem Steuerzahler und dem staatlichen Einziehungsbeamten die Steuerpächter. Insofern diese dem König ein vereinbartes Steueraufkommen garantierten, übten sie ihrerseits "eine wirksame Kontrolle über die staatlichen Beamten aus, denn durch jede Unregelmäßigkeit von deren Seite wurden die Steuerpächter geschädigt, da sie Ausfälle aus eigenem Kapital zu decken hatten"64. 59 60 61

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Zum ptolemäischen Pachtsystem vgl. die instruktiven Ausführungen bei U. Wilcken, Griechische Ostraka (1899), 516-569. R. Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches (1994), 59f. Überzeugend hat F. Bianchi, Qo 4,1 (1992) nachgewiesen, daß der homonyme Parallelismus "sie haben keinen Tröster" sowohl Menschen wie auch Gott im Blick hat: Weder Gott noch Menschen bieten im aus unmittelbarer Erfahrung hervorgegangenen Urteil Kohelets Abhilfe für die Unterdrückungssituation, der viele gezwungenermaßen unterworfen sind (S. 307). M. Hengel, Judentum und Hellenismus (1973), 40. O. Kaiser, Grundriß (1995), 58, denkt bei dem Personenkreis "zumal an Sklaven, versklavte Kriegsgefangene und Einwohnerschaften ganzer Städte". Vgl. R. Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches (1994), 60. R. Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches (1994), 63. Zu Recht vermutet M. Hengel, Judentum und Hellenismus (1973), 98: In Koh 5,7 "könnte sich zugleich der Druck

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Auch die nachgeschobene Feststellung "Aber: Der Vorteil eines Landes bei all dem ist dies: ein König für das bebaute Feld" (Koh 5,8) erklärt sich aus der Zeitgeschichte 6 5 . Ludger Schwienhorst-Schönberger vermutet in diesen Worten eine Legitimationsparole des ptolemäischen Königtums, die Kohelet zitierend zu einer satirischen Ideologiekritik ummünzt, indem er "auf die Diskrepanz zwischen einer solchen Theorie und der Wirklichkeit in der Provinz Juda" hinweist 66 . Nichts steht m.E. im Wege, die Aussage zu personalisieren: Ist es doch durch Zenon-Papyri belegt, daß Ptolemaios II. sich persönlich für die experimentelle Landwirtschaft engagierte, insbesondere im Fajjum. Er ließ sogar ausländische Gesandtschaften dorthin führen 67 ; königliches Interesse an der Landwirtschaft fand damals Anerkennung. Ja, die Sorge des Königs als Nährer für das Wohlergehen seiner Untertanen zählt zu den wichtigsten Themen des hellenistischen Herrscherideals 68 . So stellt Theokrit in seinem Loblied auf Ptolemaios II. (Idyll. 17, 76-79) einen Zusammenhang her zwischen der v o m König garantierten Ordnung und der in den Ländern des Reiches von Männern unzähliger Völker zur Reife gebrachten Saat69. Es sei daran erinnert,

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der hierarchisch gestuften ptolemäischen Verwaltungsbürokratie widerspiegeln, die Hand in Hand mit der Oberschicht die Bevölkerung ausbeutete." Für das Kernland Judäa dürften die von Paul Lapp (Ptolemaic Stamped Handles from Judah: BASOR 172, 1963, 22-35) untersuchten, aus der Mitte des 3. Jh. v. Chr. datierenden, gestempelten Krughenkel in jedem Fall ein Naturalien-Abgabesystem belegen. N. Lohfink, Kohelet (1980), 42f, versteht sie als Meinung Kohelets, der in der vom ptolemäischen Staat angestrebten Umwandlung von möglichst viel bebautem Land in Königsland das relativ bessere Agrarsystem gegenüber "dem alten, völlig entarteten System" gesehen habe. L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 139-141, möchte die "anerkanntermaßen änigmatischen Verse 5,7-8" so verstehen, daß 5,7b.8 Antworten der Systemverteidiger zitieren: V. 7b wende sich "gegen den Vorwurf der Rechtsbeugung durch Hinweis auf ein durch unabhängige Instanzen gegliedertes Überwachungssystem", V. 8 "gegen den Vorwurf der Verarmung des Landes durch Hinweis auf den Vorteil einer dem König unmittelbar unterstellten Landwirtschaft, der Institution der γή βασιλική" (S. 1390- Die obigen Zitate finden sich S. 140 und 141. Versteht man V. 8 als Zitat, kann jedenfalls die "königsfreundliche" Haltung der Aussage bei einem ansonsten "königskritischen" Kohelet nicht mit G. Anderlini, Qohelet 5,7-8 (1995), 22f., als Argument gegen die Übersetzung "ein König für das bestellte Feld" angeführt werden. Vgl. R. Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches (1994), 63, mit Hinweis auf PCZ 59155 vom 27.12.256, und die S. 295 Anm. 154 angegebene Literatur: Rolf Johannesen, Ptolemy Philadelphus and Scientific Agriculture: Classical Philology 18, 1923, 156-161; C. Örrieux, Les papyrus de Zénon (1983), 79-93. Vgl. H. Schmitt, Art. Herrscherideal (1988). [n der Übertragung E. Staigers·. "Über ein großes Gebiet und ein großes Meer ist er mächtig. Länder unzählige und von Männern unzählige Völker Bringen zur Reife die Saat mit Hilfe des Regens vom Himmel."

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daß der vielleicht zeitlich nicht allzuweit entfernt niedergeschriebene Vers 2 Chr 26,10 anerkennend die landwirtschaftlichen Ambitionen des judäischen Königs Usija (Asarja) registriert, die sich u.a. in Großunternehmen im Negev niederschlugen. Von diesem Herrscher wird vermerkt, er habe den Ackerbau geliebt70. Doch die u.a. aus der Züchtung neuer Pflanzen, durch Förderung des Terrassenbaus und durch künstliche Bewässerung resultierende Ertragssteigerung, die wir konkret auch von der Weinbaudomäne des Dioiketen Apollonius im galiläischen Beth Anath kennen, kam fast ausschließlich den höheren Gesellschaftsschichten zugute71. Und insofern bietet das Wort vom "Vorteil eines Landes" den Ausgebeuteten den wenn auch nur schwachen Trost, daß es im Interesse des königlichen Staatsmerkantilismus liegt, ihre einträgliche Arbeitskraft und somit ihre Existenz zu erhalten72. Aus diesem Grunde sollte das erwähnte73 Prostagma für Syrien und Phönikien Ptolemaios' II. künftig verhindern, daß die eingeborene halbfreie Landbevölkerung ( σ ώ μ α τ α λαϊκά (λ(ύθ(ρα) aufgrund privater Verschuldung versklavt werden konnte74. Doch welch andere Erwartung hegte man im Judentum: Während die hellenistische Staatsökonomie geradezu auf einer institutionalisierten wirtschaftlichen Ausbeutung breiter Bevölkerungsschichten beruhte, erwartet Ps 72,4 vom gerechten König das Eintreten für die Armen durch das "Zermalmen des Ausbeuters". Es sind exakt die Ungerechtigkeiten des Systems, deren Kohelet sich bewußt wird. Gerade in diesem Sinne ist Ecclesiastes - um mit Elias Bickerman zu sprechen - "a product of Ptolemaic Jerusalem"75 und steht damit unabweisbar inmitten der hellenistischen Kultur. In dem dargelegten Fall ergibt sich für Kohelet aus der Beobachtung der in Wirtschaft, Verwaltung und Justiz auftretenden strukturellen Ungerechtigkeit die Frage nach dem Schicksal des Menschen, der von Gott geschaffen ist und der insbesondere als wirtschaftlich Schwacher unter seinem Schutz steht. Denn - wie Gerstenberger nachgewie-

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(Theokrit: Die echten Gedichte. Deutsch v. Emil Staiger [BAW.GR], Zürich Stuttgart 1970, 156). In den W . 86f. sind unter den eroberten Ländern, über die Ptolemaios als König mit Kraft regiert, auch Phönizien und Syrien genannt. Vgl. dazu M. Hengel, Das Gleichnis von den Weingärtnern Mc 12,1-12 (1968), 1116. Vgl. M. Hengel, Judentum und Hellenismus (1973), 86-91.96-98. Vgl. M. Hengel, Judentum und Hellenismus (1973), 93f.: "Die einfache Landbevölkerung, die σώματα λαϊκά èλίΰθΐpa, erschien primär als Ausbeutungsobjekt, auf das man nur insofern Rücksicht zu nehmen brauchte, als ihre wirtschaftliche Produktivität nicht eingeschränkt werden durfte." Insofern der Staat dieses Eigeninteresse verfolgt, kann seine gute Organisationstruktur in Friedenszeiten für jede Gesellschaftsschicht und für jedes unterworfene Volk in unterschiedlichem Maß von Vorteil sein, stellt G. Anderlini, Qohelet 5,7-8 (1995), 31, fest. Vgl. oben Anm. 52. R. Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches (1994), 63. E. Bickerman, Four Strange Books of the Bible (1967), 141.

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sen hat - stellt die in der Wurzel ptöJi und ihren Derivaten zum Ausdruck kommende Anklage gegen Ausbeutung und Erpressung nicht einfach auf einen zivilrechtlichen Tatbestand ab. "Vielmehr gehören derartige Bedrohungen des Nächsten in den Verantwortungsbereich der Kultgemeinde"76; die Ethik aus dem Glauben ist also tangiert. Das Ergebnis dieser punktuellen Sondierung anhand von Koh 4,1; 5,7-8: Wesentliche Elemente, die als Grundbefindlichkeiten, als kennzeichnende Grunderfahrungen und Lebenssituationen der hellenistischen Epoche gelten (politische Fremdbestimmung, gesteigerter Herrschafts- und Leistungsdruck, Erfahrung des Ausgeliefertseins, Auswertung eigener Beobachtung), spiegeln sich im Ecclesiastes wider, insofern der im ptolemäischen Jerusalem lebende und lehrende jüdische "Versammler" sie wahrnimmt und auf sie reagiert. Hieran kann es m.E. keinen Zweifel geben. Christian Klein sieht in diesen Negativerfahrungen zu Recht "den Auslöser für den bei Kohelet festgestellten Zusammenbruch weisheitlichen Selbst- und Wirklichkeitsverständnisses"77. 2.2 Die Frage nach einer weitergehenden Interaktion auf der Reflexionsebene Die entscheidende Frage ist nun, ob sich die Behandlung des Themas "Kohelet im Kontext hellenistischer Kultur" methodisch mit derartigen Erkenntnissen bescheiden muß - selbstverständlich unter Einbeziehung hier nicht behandelter strukturell ähnlicher Reaktionen im diskursiven Denken Kohelets. Oder ist für die beiden Größen eine weitergehende Interaktion auf der Reflexionsebene dieser Ausdruck wäre den Begriffen Beeinflussung / Abhängigkeit vorzuziehen - anzunehmen78, gar bis hin zu dem Postulat einer in Kohelet vorliegenden umfangreichen Diskussion hellenistischer Philosophie und Geisteswelt, "die sowohl auf Qohelet selbst, als auch auf seine Kommentatoren, die aus der traditionellen jüdischen Weisheitslehre kommen, zurückzuführen ist"79. Bei dieser Weichenstellung scheiden sich die Geister. Dies möchte ich im folgenden anhand zweier fast gleichzeitig entstandener Arbeiten illustrieren, die je in gründlicher Kenntnis der Forschungsgeschichte und der aktuellen Forschungssituation signifikant andere Wege gehen. 2.2.1 C. Robert Harrison (1991) Robert Harrison entwickelt in seiner 1991 von der Duke University angenommenen, in Deutschland kaum bekannten Dissertation "Qoheleth in Social-

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Vgl. E.S. Gerstenberger, Art. cäsaq (1989), 444 bzw. 446. C. Klein, Kohelet und die Weisheit Israels (1994), 198. Ähnlich formuliert J.G. Gammie, Stoicism (1985), 173, wenn er "an inquiry into the nature and extent of interaction that obtained between Qoheleth and the Stoics ..." unternimmt. O. Loretz, Anfange jüdischer Philosophie nach Qohelet 1,1-11 und 3,1-15 (1991), 224.

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historical Perspective" folgende These: Kohelets Werk ist völlig unabhängig von einem Kontakt mit der griechischen philosophischen Tradition, der griechischen Sprache und der griechischen materiellen Kultur geschaffen worden; es muß vielmehr verstanden werden als eine Antwort auf das früheste Eindringen der hellenistischen Zivilisation in die judäische Gesellschaft, d.h. auf die schnelle und durchgreifende Eingliederung der Levante in die ptolemäische Wirtschaft und der dadurch bedingten Entstehung einer neuen einheimischen Mittelklasse, der petite bourgeoisie80. Für Harrison ist also unbestritten, daß Judäa z.Zt. Kohelets wirtschaftlich voll in das ptolemäische System integriert war und sein Buch daher die gesellschaftlichen Veränderungen widerspiegle, die durch die ptolemäische Wirtschaftspolitik in Gang gesetzt wurden. Doch daß Kohelet von griechischer Philosophie und Literatur beeinflußt gewesen sei81, ist nach Einschätzung Harrisons ungeachtet zahlreicher angeführter Parallelen bisher nicht überzeugend nachgewiesen und zwar infolge methodischer Schwächen. Insbesondere würden griechische Zitationen ohne Berücksichtigung ihres Stellenwertes im Zusammenhang philosophischer Systeme, literarischer Kontexte oder historischer Überlieferungen betrachtet. Zudem setze die Annahme eines griechischen Einflusses auf Kohelet einen nicht beweisbaren - institutionellen Kontext voraus, in dem dieser Einfluß vermittelt worden wäre. Vorhandene Gemeinsamkeiten - oft allgemein und oberflächlich - ließen sich zum einen daraus erklären, daß sie menschliche Grundfragen betreffen, zum anderen daraus, daß sie voneinander unabhängige Entwicklungen darstellten, die sich aus ähnlichen gesellschaftlichen Prozessen ergaben. Vor allem aber bestehe keine Notwendigkeit, für Kohelet "Quellen" außerhalb der israelitisch-jüdischen Weisheitsliteratur zu suchen, denn sein Gedankengut (Pessimismus, Skeptizismus, Determinismus, Todesfurcht, Gedanken zur Armut, Ausübung von Macht usw.) habe seinen Ursprung in den klassischen hebräischen Texten. Da auch die breit diskutierten archäologischen Befunde fur Harrison keinen weitergehenden kulturellen Einfluß des Hellenismus im Judäa des 3. Jh. v.Chr.82 belegen, wohl aber in den umgebenden Gebieten, entfaltet Harrison folgende Sicht83: Die Integration Judäas in die ptolemäischen Wirtschaftsstrukturen führte zur Entstehung einer neuen Klasse, der petite bourgeoisie, und 80

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Vgl. CR. Harrison, Qoheleth in Social-historical Perspective (1991), V-VI. In mehrfacher Hinsicht haben die Ausführungen Bickermans "Koheleth or The Philosophy of an Acquisitive Society" (E. Bickerman, Four Strange Books of the Bible (1967), 139167) Harrisons Untersuchung angeregt (vgl. C.R. Harrison, Qoheleth in Socialhistorical Perspective (1991), 64-66). Vgl. C.R. Harrison, Qoheleth in Social-historical Perspective (1991), 67-132: " Greek Influence in Qoheleth". Vgl. C.R. Harrison, Qoheleth in Social-historical Perspective (1991), 134-197: "Hellenization in Third Century Palestine: The Archaelogical Evidence". Vgl. C.R. Harrison, Qoheleth in Social-historical Perspective (1991), 199-270: "Economy and Society in Third Century BCE Judea".

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veränderter Verhaltensnormen. Die neue Mittelklasse war gekennzeichnet durch Streben nach Wohlstand, Profitgier, Spekulation, beschleunigtes Lebens- und Arbeitstempo, Materialisierung und Kommerzialisierung der Werte. Gleichzeitig erlebte diese Klasse, wie bedroht jeder einzelne durch die Wechselfälle des Lebens und durch wirtschaftlichen Mißerfolg war. In diesem Kontext sind zu verstehen: Kohelets häufige Verwendung von Termini aus Handel und Wirtschaft sowie Bezeichnungen für hektische oder mühevolle Aktivitäten, seine Betrachtungen über die Unberechenbarkeit des Schicksals, sein Pessimismus, sein Bewußtsein der Fragwürdigkeit des Strebens nach Reichtum, aber auch sein Aufruf zu Freude und Lebensgenuß. Dieser Aufruf steht immer in Verbindung mit der Mühe und Arbeit, die die petite bourgeoisie Judäas zu dieser Zeit kennzeichnen, ist also aus dem sozio-ökonomischen Kontext der Zeit zu verstehen: Mühe und Arbeit lohnen sich nur, wenn man darin Freude findet. Diese Interpretation in den Kontext der vergleichenden Soziologie (P.L. Berger, S.N. Eisenstadt) einordnend, folgert Harrison™ : Viel von der Literatur, die als Quelle für Kohelets Gedankengut herangezogen wird, stammt aus Zeiten vergleichbarer Umwälzungen (archaisches Griechenland, hellenistisches Athen). Ähnlichkeiten in den sozioökonomischen Bedingungen können die Gemeinsamkeiten zwischen Kohelet und Autoren dieser Epochen erklären, ohne daß kultureller Einfluß zur Erklärung herangezogen werden muß. 2.2.2 Ludger Schwienhorst-Schönberger (1994) Demgegenüber versucht Ludger Schwienhorst-Schönberger in seiner 1992 angenommenen Münsteraner Habilitationsschrift, "das Buch Kohelet als ganzes im Horizont hellenistischer Philosophie" zu verstehen85, nachdem schon Norbert Lohfink das Buch Kohelet als den deutlichsten Ort der Begegnung Israels mit griechischer Philosophie innerhalb der Bibel bezeichnet hat, insofern die Welt des Hellenismus durchschlage u.a. im Aufgreifen der hellenistischen Popularphilosophie, im ποικιλόμ€τρον86, in den angewandten Prinzipien der philosophischen Diatribe und in der auf griechische Strukturen hin transparenten Syntax87. Aus der Überzeugung heraus, "daß die Frage nach dem Inhalt und den Bedingungen der Möglichkeit menschlichen Glücks das Thema des Buches ist" (246), das es zudem mit den hellenistischen Philosophenschulen teilt88, und daß das Buch Kohelet engste Parallelen zur Diatribe aufweist, unternimmt er "einen Vergleich zwischen der Lehre Kohelets als ganzer und den hellenistischen Philosophien in ihrem Grundansatz" (250). Insofern die 84 85 86 87 88

Vgl. CR. Harrison, Qoheleth in Social-historical Perspective (1991), 272-339: "Interpretive Sociological Paradigms". L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 246. Vgl. dazu kritisch O. Loretz, „Frau" (1991), 254 Anm. 24. Vgl. N. Lohfink, Kohelet (1980), 9.10.15. Vgl. dazu jetzt auch M. Forschner, Glück des Menschen (1993), 22-79.

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von Kohelet zentral gestellte Frage nach dem Inhalt und den Bedingungen der Möglichkeit menschlichen Glücks "gegenüber der traditionellen israelitischen Weisheit eine Weiterentwicklung" darstelle, sei "Kohelet vor einem doppelten Horizont zu verstehen: vor dem Horizont der israelitischen Weisheit und vor dem Horizont der hellenistischen Philosophie" (279). In der Hauptfunktion des Koheletschen AZ>/-Urteils, traditionelle Werte und Güter als via negationis der Glücksphilosophie zu relativieren, erkennt Schwienhorst-Schönberger eine Strukturparallele zur hellenistischen Philosophie, deren gemeinsames Programm in der Entwertung alles Unverfügbaren besteht 89 . "Kohelet setzt sich nicht direkt mit Ansichten hellenistischer Philosophen auseinander. Aber indem er so sehr betont, daß Glück eine Gabe Gottes ist, setzt er ... den Problemhorizont der hellenistischen Philosophie voraus. Seine Theologie des Glücks läßt sich vor dem Horizont hellenistischer Philosophie als eine originelle Explikation biblischer Schöpfungstheologie verstehen" (297). Die außerordentliche Betonung der Unverfügbarkeit des Glückes dürfte Kohelet "im Horizont der Grundposition hellenistischer Eudämonologie entfaltet haben" (303). Schwienhorst-Schönberger hält es also für wahrscheinlich, daß sowohl "die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit menschlichen Glücks" als auch "die These, daß Glück letztlich eine Gabe Gottes ist, angestoßen wurde durch die hellenistische Philosophie, insbesondere durch ihre in Form der Popularphilosophie repräsentierten Gestalt", in der "die literarische Gattung der Diatribe ihre besondere Kraft und Wirkung" entfaltete (309). In der systematischen Vorbereitung des Aufrufes, die Freude als das höchste Gut zu ergreifen, erkennt Schwienhorst-Schönberger den Versuch Kohelets, "die Ethik anthropologisch, ontologisch und theologisch zu begründen" (326). In diesem, innerhalb der biblischen Literatur singulären systematischen Denkansatz zeige sich ein Problembewußtsein, "das durch den ethischen Naturalismus der griechisch-hellenistischen Philosophie angeregt worden ist, derzufolge das Sollen im Sein begründet sein muß" (327).

3. Methodologische Folgerungen Wenn Schwienhorst-Schönberger den seinen eigenen Entwurf motivierenden Forschungsrückblick "Kohelet und der Hellenismus" resümiert: "In der Frage, ob das Buch Kohelet unter hellenistischem Einfluß entstanden ist, stehen sich die unterschiedlichen Positionen nach wie vor gegenüber" 90 , so gilt dies nach Ausweis der beiden vorgestellten Arbeiten auch weiterhin. Jedoch sind die Voraussetzungen und die Konturen sowohl der tendenziell bejahenden als 89

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M. Forschner, Glück des Menschen (1993), 44, stellt als spezifisch hellenistischen Gedanken heraus, "daß vollendetes Glück dem Menschen nur in einem Verhältnis radikaler Distanz zu allem sich eröffnet, was nicht uneingeschränkt in seiner Hand ist". L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 245.

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auch der tendenziell verneinenden Positionen deutlicher geworden. Auf der Grundlage des von J. Flanagan entwickelten holographischen Geschichtsmodells91 stellt Harrison die Fragen nach der gesellschaftlichen Struktur Judäas im 3. Jh. v.Chr. und nach Ausmaß und Geschwindigkeit des Wandels, den der Hellenismus in der ptolemäischen Epoche für Judäa mit sich brachte. Dabei ist es ihm nicht um Kohelets gesellschaftliche Position zu tun, sondern um das Publikum, für das seine Gedanken relevant sein sollten. Insofern Harrison den Grad der Hellenisierung der Lebenswelt Kohelets unter Einbeziehung aller verfügbarer Daten "nur" als durchgreifende Eingliederung des Landes in die ptolemäische Wirtschaft und der dadurch bedingten Entstehung einer neuen einheimischen Mittelklasse definiert, gesteht er einerseits eine gewisse Hellenisierung zu, fordert aber von den Verfechtern eines weitergehenden kulturellen Einflusses den Nachweis der dazu notwendigen Vermittlungsinstanzen. Und hier legt er in der Tat den Finger in eine wunde Stelle. Denn der von Schwienhorst-Schönberger vorgelegte faszinierende Entwurf, - das aufgrund der erhobenen Kompositionsstruktur erarbeitete Gesamtverständnis einmal als zutreffend vorausgesetzt92 -, beruht letztlich auf der Annahme, daß es verwunderlich wäre, wenn "ein jüdischer Weisheitslehrer am Ende des 3. Jahrhunderts in Jerusalem ... die Frage nach dem Glück des Menschen in das Zentrum seiner Lehre stellt" und "dabei nicht von einer in der hellenistischen Philosophie schon seit fast hundert Jahren diskutierten Frage angeregt worden wäre"93. Zudem bröckeln stützende Konvergenzargumente94 in dem Maße ab, indem die literarkritischen Voraussetzungen95, die kompositionskritische Analyse96 sowie die Bestimmung des genus litterarium des Gesamtwerkes als 91

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Vgl. J. Flanagan, History as Hologram: Integrating Literary, Archaeological and Comparative Sociological Evidence, in: SBL 1985 Seminar Papers, hg. v. K.H. Richards, Atlanta 1985, 291-314; ders., David's Social Drama: A Hologram of Israel's Iron Age (JSOT.S 73), Sheffield 1988. Vgl. die kritische Stellungnahme dazu bei J. Vílchez, [Rezension zu L. SchwienhorstSchönberger 1994] (1995), 564; grundsätzlich auch bei C. Klein, Kohelet und die Weisheit Israels (1994), 166f. L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 274. So berührt sich z.B. die Konzentration Kohelets auf das persönliche Glück mit der Verinnerlichung des Glückbegriffs hellenistischer Ethiken nach der Zerstörung der Polisordnung: "Glück wird nicht mehr schwerpunktmäßig gesetzt in erfahrungsmäßig beglaubigte und institutionell gestützte Formen des Miteinanderlebens und -handelns in einer autarken Polisgemeinschaft..., sondern in eine näher zu bestimmende Disposition und Aktivität der autark gemachten Seele" (M Forschner, Glück des Menschen (1993), 24). Vgl. z.B. das neuerliche Plädoyer bei O. Loretz, „Frau" (1991), 247, "die Rätsel des Qohelet-Buches literarkritisch anzugehen und von mehreren Schichten des Buches zu sprechen". Nach Meinung von J. Vílchez, [Rezension zu L. Schwienhorst-Schönberger 1994] 1995, 564, bindet sich L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994) in seiner Kompositionsanalyse an eine Struktur, die dem Text auferlegt und nicht aus ihm abgeleitet

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Diatribe97 in Frage gestellt werden. Hier bleibt ein weites Feld, dessen polyvalente Deutung sicherlich auch in Zukunft ein signum der Koheletforschung sein wird. Andererseits weist Harrisons Position - jenseits möglicher Detailkritik gleichfalls Schwachstellen auf, seine Bestimmung des Hellenisierungsgrades des jüdischen Kernlandes um die Mitte des 3. Jh. v. Chr. einmal als zutreffend vorausgesetzt: Zum einen schließt er die intellektuelle Interaktion Kohelets mit der zugestandenermaßen stärker hellenisierten Umwelt aufgrund einer zu restriktiv gehandhabten lokalen Fixierung aus98. Zum anderen vernachlässigt Harrison jene Positionen Kohelets, die nicht einfachhin aus der traditionellen Weisheitstheologie ableitbar sind; m.a.W. der bei Kohelet oft zu beobachtende neue Denkansatz bei solchen Themen, die bereits in der ihm überkommenen Weisheitstradition behandelt wurden, findet keine hinreichende Würdigung und Erklärung 99 . Indem Harrisson grundsätzlich eine Einwirkung der in der Lebenswelt Kohelets manifesten hellenistischen Epochenphänomene auf dessen Reflexionen bejaht, erscheint mir sein Ausschluß weiterer Interaktionen auf der Reflexionsebene als zu apodiktisch. Seine These mahnt allerdings dazu, Indizien nicht mit Beweisen zu verwechseln. Welche Vorsicht hier angezeigt ist, mag abschließend jener Stoßseufzer von J.G. Eichhorn verdeutlichen, den er in seiner wohlwollenden Besprechung der unsere Themenstellung eröffnenden "Untersuchungen" Zirkels "über den Prediger" 1792 äußerte "Wenn nur der Einfluß der griechischen Sprache und Philosophie auf den alten Verfasser ... gewisser wäre!"100 und den Otto Kaiser völlig unabhängig davon in unserer Gegenwart inhaltlich wiederholt: "Läßt sich die Möglichkeit auch nicht ausschließen, daß der eine Generation vor Ben Sira in Juda, wenn nicht Jerusalem wirkende Weise bereits Griechisch konnte und griechische

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ist, eine Struktur, die zu perfekt, logisch und westlich verstanden sei, um als sicher angenommen werden zu können. Ahnlich warnt C. Klein, Kohelet und die Weisheit Israels (1994), 163, grundsätzlich: "Zudem läuft jeder dieser Versuche Gefahr, in seiner Suche nach 'systematischer Anlage1 eine Forderung an das Buch Kohelet heranzutragen, die einer altorientalischen Schrift unangemessen ist." Vgl. die kritische Stellungnahme dazu bei C. Klein, Kohelet und die Weisheit Israels (1994), 163f., und J. Vilchez, [Rezension zu L. Schwienhorst-Schönberger 1994] 1995, 564, sowie die weiterführenden Anregungen bei O. Kaiser, Beiträge zur Kohelet-Forschung (1995), 248f. Immerhin räumt CR. Harrison, Hellenization in Syria-Palestine (1994), 106, ein, daß Kohelet zu jenen scharfsinnigen Beobachtern gezählt haben könnte, die, nicht unempfindlich gegenüber dem frischen Wind rundum, "anticipated an impending crisis of faith engendered by the Hellenistic culture that was encompassing Judea". In diesem Zusammenhang darf an die Maxime Rainer Brauns erinnert werden, wonach für Gedankenmotive und Topoi Kohelets, deren Herkunft alttestamentlich-jüdisch nicht zu erklären ist, "von der historisch sinnvollen Wahrscheinlichkeit der Möglichkeit fremder Einflüsse" auszugehen ist (R. Braun, Kohelet und die frühhellenistische Populaiphilosophie (1973), 42). J.G. Eichhorn, [Rezension zu G. Zirkel, Der Prediger Salomon] (1792), 911.

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Schriftsteller oder zumindest Florilegien benutzte, so läßt sie sich zum ehrlichen Bedauern des Referenten auch nicht zwingend beweisen"101.

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O. Kaiser, Beiträge zur Kohelet-Forschung (1995), 30f.

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Johannes Marböck (Graz)

Kohelet und Sirach Eine vielschichtige Beziehung Die offene Themenformulierung - Kohelet und Sirach stehen nebeneinander macht aufmerksam auf die Offenheit und Vielschichtigkeit einer Fragestellung. Dies sind die bis zur Stunde diskutierte Problematik literarischer Beziehungen sowie die Frage nach spezifischen Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen beiden Gestalten und Werken, die auch je für sich alles andere als einfach zu verstehen oder gar in den Griff zu bekommen sind. Im Rahmen unseres Tagungsprogrammes ist die Thematik unter der umfassenderen Rubrik „Kohelet im Kanon" eingeordnet; das heißt wohl, daß auf diesem Aspekt auch der Hauptakzent liegen soll. So soll zu Beginn kurz an die Frage literarischer Beziehungen zwischen Kohelet und Sirach sowie an die Kanonproblematik erinnert werden; im Hauptteil wird versucht, die Eigenart dieser zwei Stimmen, ihr Neben-, Mitund Nacheinander im Kanon an einzelnen Fragestellungen etwas zu illustrieren, ausgehend vor allem von der Theodizeeperikope Sir 39,12-35. Den Abschluß bilden einige Bemerkungen zum Verhältnis von Gott und Mensch bei Sirach und Kohelet, sowie zur Bedeutung des Mit- und Nacheinander der beiden Stimmen im Kanon.

1. Kannte Sirach Kohelet? Die seit der Wiederentdeckung hebräischer Teile des Sirachbuches vor 100 Jahren immer wieder aufgegriffene Frage nach sprachlich-inhaltlichen Bezügen im Sinn eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen beiden Literaturwerken ist im Kontext der gestellten Thematik m.E. keineswegs die gewichtigste, muß aber doch kurz in Erinnerung gerufen werden.1 Unter zwei ausführlichen Stellungnahmen zu Beginn des Jahrhunderts vertritt Norbert Peters eine literarische Abhängigkeit des von ihm erst zwischen 145 und 130 v. Chr. angesetzten Kohelet vom Sirachbuch,2 Andreas Eberharter hingegen in Auseinandersetzung mit Peters nachdrücklich die Kenntnis und Benützung 1 2

F.J. Backhaus, Qohelet (1993) bietet die letzte ausführliche Diskussion der immer wieder behandelten Stellen mit Literaturhinweisen. N. Peters, Ecclesiastes (1903); C.F. Whitley, Koheleth (1979) vertritt ebenfalls eine Ansetzung Kohelets nach Sirach; eine ausführliche Auseinandersetzung - mit Ablehnung seiner These - s. zuletzt bei F.J. Backhaus, Zeit (1993), 412-420.

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Johannes Maiböck

Kohelets bei Sirach. 3 Die Positionen differieren bis in die Gegenwart: neben positiven Stimmen für dieses Gefalle von Kohelet zu Sirach u.a. bei Boccaccinf, Lohfink5, Schräder6 machen sich aber auch Kritik bzw. Zurückhaltung gegenüber zu großer Sicherheit und Eindeutigkeit in der Feststellung von literarischen Beziehungen bemerkbar. „Ob allerdings aus Berührungen und Entsprechungen in der Sache und auch in der Formulierung wirklich eine Abhängigkeit beweisbar ist, erscheint keineswegs klar." Über diese Feststellung von Diethelm MicheF hinaus bleibt für Otto Kaiser „die Frage, ob Sirach das Koheletbuch tatsächlich kannte, unentscheidbar." 8 Die gründlichste derzeitige Diskussion der Vergleichsstellen von Franz Josef Backhaus reiht sich in diese Linie mit dem Resultat: „Die in der Qohelet-Forschung bzw. in der Sirachforschung immer wieder aufgezeigten sprachlichen und inhaltlichen Bezüge zwischen Qohelet und Sirach sind m.E. nicht haltbar. Nach der obigen Einzelanalyse gibt es keine Hinweise für direkte literarische Bezüge zwischen Qohelet und Sirach."9 Differenzierend wird jedoch angemerkt: „trotz fehlender literarischer Bezüge ist es nicht auszuschließen, daß Sirach Qohelet zumindest in literarischer Form gekannt hat."10 Grund für die gegensätzlichen Positionen ist zweifellos eine erst auszubauende Methodologie und Kriteriologie zur Bestimmung literarischer Abhängigkeiten bzw. der Richtung von Zitaten. Als unterste Ebene wird dabei mit W. Richter nicht das Einzelwort, sondern die Wortfügung anzunehmen sein, wie Vanoni kürzlich an einem Beispiel gezeigt hat. Dabei ist auch mit komplizierten 3 4 5 6 7 8 9

10

11

A. Eberharter, Kanon (1911), 31-51. Im Prinzip positiv, wenn auch sehr sorgsam und differenzierend, ist auch E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 55-65. G. Beccaccini, Ben Sira (1991). Ν. Lohfink, Kohelet (41993), 13f vermutet, daß das Sirachbuch Sprüche und Kohelet ersetzen sollte; Sirach setzt nach L. auch Kohelet voraus: ebd. S.7. L. Schräder, Leiden (1994), 114 verweist zu Sir 14,11-19 darauf, daß Jesus Sirach das Koheletbuch gekannt und benützt hat. D. Michel, Qohelet (1988), 108 (108-111). O. Kaiser, Beiträge (1995), 13f mit Verweis auf T. Middendorp, Stellung (1972), 8590. F.J. Backhaus, Qohelet (1993), 50. - Diskutiert werden 35 einzelne Kohelettexte mit den entsprechenden Passagen aus Sirach (34-45) sowie die zwei Themenkreise des „Caipe diem" und des „nicht genossenen Besitzes" (45-50). F.J. Backhaus, Qohelet (1993), 51; vgl. auch die Frage, ob Sirach nicht Aussagen zum Thema Tod aus dem Sprüchebuch unter Berücksichtigung Kohelets interpretiert'. F.J. Backhaus, Zeit (1993), 398. G. Vanoni, Anspielungen (1995), 387.391 mit reicher Literatur zur Frage der Intertextualität: vgl. vor allem M. Pfister, Konzepte (1985), 1-30 mit seinen qualitativen und quantitativen Kriterien. - G. Braulik, Deuteronomium (1996) exemplifiziert die von Pfister genannten Kriterien von Referentialität, Kommunikativität, Autoreflexivi-

Kohelet und Sirach

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Abhängigkeiten zu rechnen,12 wie z.B. mit der Möglichkeit verschleierter, verdeckter Zitate.13 Dazu kommt für das Sirachbuch, abgesehen von der schwierigen Textüberlieferung, die Problematik seines sehr spezifischen Umganges mit vorgegebenen Texten und Traditionen, auf den in einer Reihe neuerer Studien mehrfach übereinstimmend aufmerksam gemacht wurde. So hat bereits Middendorf die Eigenständigkeit und Freiheit Sirachs gegenüber dem biblischen Text betont.14 Reiterer hat am Beispiel des Väterlobs gezeigt, daß Sirach „anscheinend die Übernahme von Zitaten aus dem protokanonischen Alten Testament" meidet, daß sich zwar öfter festgefügte Wortverbindungen von zwei, selten von drei Worten finden,15 Zitate in der Länge eines ganzen Stichos dagegen fehlen.16 Beentjes bestätigt ebenfalls, daß Sirach dem Alten Testament weit weniger Wendungen unmittelbar entnommen hat als in der Sekundärliteratur oft angenommen; bei den meisten nur einmal im Alten Testament und nur einmal im hebräischen Sirachtext vorkommenden Wortverbindungen liegen Redensarten, Topoi, weisheitlich geprägte Wendungen vor.17 In einer Studie zum Verhältnis von hebräischem und griechischem Sirach stellt Benjamin G. Wright fest, daß es auf Grund der starken Integration des biblischen Materials in sein Werk schwer zu entscheiden sei, in welchem Ausmaß von Ben Sira Material aus schriftlichen biblischen Texten bzw. aus anderen (schriftlichen oder nichtschriftlichen) Quellen verwendet wurde; er zeigt sich auch (vielleicht zu) pessimistisch gegenüber der Möglichkeit des Nachweises durchgehender textlicher Abhängigkeit Sirachs von den Sprüchen, Psalmen und Ijob, trotz der Annahme, daß er diese gekannt hat.18 So wird man bei aller Zustimmung zur kritischen Sichtung des Vergleichsmaterials und der Schwierigkeit eines positiven, zwingenden Aufweises literarischer Bezüge zwischen Kohelet und Sirach gerade vom spezifischen, eigenständigen Umgang Ben Siras mit dem überlieferten Text her die Möglichkeit einer Kenntnis Kohelets nachdrücklich offenhalten (müssen?). Ein

12 13 14 15 16 17 18

tat, Strukuralität, Selektivität und Dialogizität. Der weiterführende Beitrag von U. J. Hebel, Poetics (1991) konnte für die vorliegende Studie nicht mehr berücksichtigt werden. - F.J. Backhaus, Qohelet (1993), 32f nennt als seine methodischen Kriterien nur Übereinstimmung in der Lexemwahl und der Aussage, d.h. im literarischen Kontext. G. Vanoni, Anspielungen (1995), 387 mit Verweis auf den Terminus „Verzahnungen" bei Lohfink. W. Ritzel, Hermeneutik (1980) illustriert in seinem Beitrag aus der Germanistik 358f auch die Möglichkeit verschleierten Zitierens. T. Middendorf, Stellung (1972), 35-49. F.V. Reiterer, Urtext (1980), 237. Vgl. F. V. Reiterer, Urtext (1980), 238. P.C. Beentjes, Jesus Sirach (1981), 172f. B.G. Wright, Difference (1989), 225-230. - Im Gegensatz zur Reserve von B.G. Wright, Difference (1989), 226 legt sich z.B. für F.K Reiterer, Ijob (1994) eine gute Kenntnis Ijobs im Sirachbuch nahe.

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weiteres Argument mag etwas banal und simpel erscheinen, dennoch: Ist es (angesichts vieler möglicher Anspielungen) denkbar oder wahrscheinlich, daß bei einer Abfassung des Koheletbuches in der zweiten Hälfte des 3. Jh. v. Chr. bzw. gegen 200 v. Chr. in Jerusalem19 ein Gebildeter vom Rang des Siraziden von einem derart profilierten Denker wie Kohelet bzw. von dessen Buch mit seinen beunruhigenden, traditionskritischen Thesen nichts gewußt bzw. absichtlich keine Kenntnis genommen haben könnte?20 So scheint mir eine vorsichtige Option für ein Echo Kohelets bei Ben Sira bzw. für Reaktionen des schriftgelehrten Weisen auf Aussagen Kohelets immer noch nicht von der Hand zu weisen. Aus den vielfach behandelten Vergleichsstellen sei abschließend zumindest kurz auf einige Beispiele als Illustration der Problematik hingewiesen. So werden etwa aus Koh 3 immer wieder Koh 3,1 la und Sir 39,16.33; Koh 3,IIb.14a und Sir 18,6f; 42,21 sowie Koh 3,15b und Sir 5,3 in Beziehung gesetzt. Die deutlichste sprachliche Beziehung scheint zwischen Koh 3,15b/Sir 5,3b zu bestehen: Koh 3,15b: Sir 5,3b:

*p")3"nx ttîpa1 ΟΤΙ^ΝΓΠ CSTU ffip3B Π1ΓΓ Ό

Der für Koheletausleger schwierige Satz „und Gott wird das Verjagte (Entschwundene) wieder suchen " betont, vielleicht als Kritik an menschlicher Weisheit, daß nur Gott das Auseinanderstrebende, Vergangenheit (Anfang) und Zukunft (Ende) zusammenhalten kann.21 Die Sirachstelle hingegen warnt mit der Formulierung vor leichtfertigem Vertrauen auf Gottes Langmut: „denn YHWH sucht die Verfolgten. "22 Die völlige Verschiedenheit von Kontext und Aussageziel sprechen gegen eine literarische Abhängigkeit;23 denkbar schiene in diesem Fall mit Lohfinl?4 die je verschiedene Verwendung eines vorliegenden, bekannten Sprichwortes. Als weitere Bezugstexte gelten Koh 3,llb.l4a/Sir 18,6f; 42,21c. Koh 3, IIb

19 20 21 22 23 24

03^3 "|Π3 Ο^ΓΓΠΧ DJ TOynrrnK ο ι κ π Nsant 1 ? im ^ s a *po~iin ïîîoa η τ ι ^ κ π neur-raa

Vgl. zuletzt F.J. Backhaus, Zeit (1993), 420. Dies wäre umso verwunderlicher, falls Kohelet ein Schulbuch der Jerusalemer Tempelschule war, wie N. Lohfink, Kohelet C11993), 12f vermutet. Vgl. L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), llOf; s. auch N. Lohfink, Kohelet (41993), 32f: „Nichts, was die gleitende Zeit verjagte, ist verloren." So G. Sauer, Jesus Sirach (1981), 517. Zur Textdiskussion s. zuletzt A. Mmissale, Versione (1995), 41A.8. F.J. Backhaus, Qohelet (1993), 38. N. Lohfink, Kohelet (41993), 33.

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Kohelet und Sirach

14a Sir

18,6 a b

42,2lb c 25

D^wb ΤΠ" Nin DTÒKH 7V0W im'bD Ό ΤΙ»Τ i n a 1 ? u o o i η'Όΐπ1? px vbv ουκ Ζοτιν έλαττώσαι oùôk προσθέιναι καϊ οίικ 'éavLU (ξίχνίάσαί τα θαυμάσια

του

κυρίου

d^ibö κιπ ηπκ SítíO «Si ^OKJ «S

Kohelet verweist auf die Grenzen menschlichen Erkennens, das die Fülle der Wirklichkeit nicht vollständig erfassen kann (3,11), sowie auf die Grenzen menschlichen Handelns, das dem vollkommenen Tun Gottes nichts hinzufügen bzw. wegnehmen kann (3,14): „Jetzt erkannte ich: Alles, was Gott tut, geschieht in Ewigkeit. Man kann nichts hinzufügen und nichts wegnehmen, und Gott hat bewirkt, daß man ihn furchtet." Auch Sir 18,4-7 geht es um die Unergründlichkeit der Werke bzw. Großtaten Gottes; Sir 42,17-25 feiert ebenfalls die Wunder Gottes, die niemand erzählen kann, sein grenzenloses Wissen (42,17-20), die Taten seiner Weisheit, seine Ewigkeit und Unabhängigkeit von einem Ratgeber (42,21) sowie die Harmonie der Geschöpfe im Hinblick auf ihre Aufgaben (42,22-25). Dreimal (Koh 3,14; Sir 18,6a; 42,21c) begegnet jeweils im Kontext von Aussagen über das große, vollkommene Schöpferhandeln Gottes die aus Dtn 4,2a; 13,1b und Spr 30,6a bekannte sog. Kanonformel „nichts hinzufügen und nichts wegnehmen", Sir 18,6a nur griechisch; Sir 42,21c ist das Verb 1713 ersetzt durch außerdem steht zweimal das Nifal. Auch die Konsequenzen des vom Menschen nicht zu verändernden Werkes Gottes stehen einander zumindest in Koh 3,14 und Sir 18,6f sehr nahe: Gottesfurcht (Koh 3,14b), Ungenügen und ratloses Staunen des Menschen in Sir 18,7/" D.h. auch wenn man für die Wortlautformel selber weisheitlichen Ursprung annehmen will,27 der sonst nirgends begegnende Kontext der Schöpfung sowie Gottesfurcht und Staunen als Konsequenz könnten hier eine literarische Beziehung nahelegen. In Sir 42,21c ist neben dem Wortlaut auch die Akzentsetzung im Kontext leicht verändert.28 Auf die Frage der Beziehung von Koh 3,11a zu Sir 39,16.33 wird im Zusammenhang mit den Aussagen zur Theodizee näher einzugehen sein. Hier soll als weiteres Beispiel noch Koh 7,13f und Sir 33(36),15 genannt werden: Koh 7,13 a b 25

26 27 28

D"nbnn πνΰΏ'ηκ η κ ι ima κοκ ηκ p r ò ' » ν "Ό "3

Vgl. GL. Prato, Problema (1975), 125 zur Textkritik: der Masadatext liest für die meist mit «pu ergänzte Lücke in HsBt)D«3. Y. Yadin, Ben Sira Scroll (1965) vermutet in Mas eine Verwechslung von ηο'/ηοκ. Anders F.J. Backhaus, Qohelet (1993), 37. M. Weinfeld, Deuteronomy (1972), 261-265. Auch GL. Prato, Problema (1975), 169 läßt hier die Frage einer literarischen Abhängigkeit offen.

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14a b Sir 33(36), 15

πκ-ι nun orai aiaa rrn m i a o r a ητι^χπ nœa nrnau 1 ? nrnx dj πηικο η π χ οηκπ κ ^ k^ö m y r b s bx nwa bs bx anrt [rrr] mwb nr n^to D^ta D^ia

Kohelet erinnert in seiner Kritik tradierten Wissens an die Machtlosigkeit des Menschen vor der Fügung Gottes (7,13; vgl. 1,15): beide, der gute Tag, aber auch der beschwerliche Tag, letztlich der Tod, sind von Gott gegeben und darum anzunehmen:29 „Siehe das Werk Gottes: Fürwahr, wer vermag gerade zu machen, was er gekrümmt hat? Am guten Tag sei guter Dinge und am schlechten Tage siehe: auch diesen wie jenen hat Gott gemacht, so daß der Mensch nicht herausfindet, was nach ihm ist! " Das Sirachwort beschließt die grundsätzliche Abhandlung 33(36),7-15 über die polare Struktur der Schöpfung: 30 „Schau aufjedes Werk Gottes, sie alle sind paarweise, eines entsprechend dem anderen, " Die Berührungspunkte zwischen beiden Texten sind bemerkenswert: die Eröffnung mit dem Imperativ ΠΚΊ bzw. dem von Sirach bevorzugten B3J Hifil (vgl. Sir 9,8; 39,20; 41,20; 42,25; 43,1; 51,19), der Hinweis auf das Werk (Koh) bzw. jegliches Werk Gottes (Sir), schließlich die nur an diesen beiden Stellen begegnende Formulierung ΠΤ noub ΠΤ (vgl. noch Sir 42,24 Mas). Dazu kommt die Thematik der Polarität der Zeit, von Gut und Böse, ja vielleicht sogar von Leben und Tod, so daß es mir schwierig scheint, hier nur an einen weisheitlichen Topos als Ausgangspunkt für beide Texte und nicht an eine literarische Beziehung zu denken.31 Die Unterschiede zeigen m.E. bereits etwas von den verschiedenen Annäherungsweisen von Kohelet und Sirach an Probleme. Während Kohelet auf die Ambivalenz der unverfügbaren Wirklichkeit existentiell-konkret mit dem Rat antwortet, das Gute des guten Tages zu genießen und auch im schlimmen Tag das Werk Gottes anzunehmen, führt Sirach das ΠΤ riDîîb ΠΤ explizierend (und systematisierend) weiter; er eröffnet eine umfassendere Verständnismöglichkeit, indem er die polare Struktur als Prinzip der ganzen Schöpfung aufweist und in 33(36), 14f zusammenfaßt: Gegenüber gegenüber gegenüber gegenüber 29 30 31

dem Bösen steht das Gute, dem Leben der Tod, dem guten Menschen der Frevler, dem Licht die Finsternis.

L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 166-168. Zur Perikope s. GL. Prato, Problema (1975), 13-61. T. Middendorp, Stellung (1972), 87f spricht stattdessen von einem gemeinsamen Ausgangspunkt, ebenso P.C. Beentjes, Jesus Sirach (1981), 450f. Auch F.J. Backhaus, Qohelet (1993), 41 sieht keinen literarischen Bezug. H.P. Rüger, Le Siracide (1984), 65 sieht eine Abhängigkeit von Koh 7,14 gegeben.

Kohelet und Sirach

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Schau auf jedes Werk Gottes, sie alle sind paarweise, eines entsprechend dem anderen?1 Damit soll bei diesem Fragenkreis abgebrochen werden, auch wenn es notwendig und reizvoll wäre, bei einzelnen Texten weiterzudiskutieren, wieweit nur von gemeinsamen, zeitgenössischen weisheitlichen Topoi zu reden ist oder bei Sirach doch ein literarisches, z.T. kritisches Echo auf Kohelet anzunehmen ist. Ich nenne etwa noch Koh 5,14.15.17 und Sir 31(34),3-4; Koh 5,17-19 und Sir 30,22f; Koh 9,10 (9,7-10) und Sir 14,16 (14,11-16); Koh 10,6 und Sir 11,4-6; Koh 12,9 und Sir 37,23-26 (37,19-26). Von Koh 3,11 und Sir 39,1235 wird später noch ausführlicher zu reden sein. Auch wenn eine umfassende Anwendung der Kriterien von Intertextualität auf eine größere Anzahl von Texten noch wünschenswert ist, scheint es mir derzeit eher fraglich, daß sich bemerkenswerte Differenzen zu zentralen gemeinsamen Themen und Fragen (Zeit, Einsichtigkeit der Werke Gottes, Erkenntnisfähigkeit des Menschen; sozialer Umgang mit den Gütern; Tod und Erinnerung bzw. Name; Gottesfurcht . ..) nur dem Zufall der weisheitlichen Topik der Stunde verdanken sollen. Referentialität als Anknüpfung und Distanz zum Prätext, vor allem Entfaltung einzelner Aussagen als Folie für einen größeren Text und dialogische Stellungnahme bleiben plausibel. 2. Zur Frage der Kanonisierung Eine zweite, unabhängig von der Frage einer literarischen Abhängigkeit Kohelet und Sirach verbindende Diskussion betrifft das äußerst unterschiedliche Geschick beider Schriften in der Geschichte des biblischen Kanons, in der die Ketubim - so Lohfink - vielleicht das spannendste Kapitel darstellen.33 Ich möchte auch hier nur an die Problemstellung erinnern34 und kurz meine Position skizzieren. Mindestens so schwierig wie der Weg Kohelets in den hebräischen Kanon scheint mir eine Erklärung dafür, daß ein Werk wie die Weisheit Jesus Sirachs, das in seiner Gesamtkonzeption formal und vor allem inhaltlich der Tradition weitaus mehr entsprach als die herausfordernde Kritik Kohelets und zweifellos keiner nachträglichen Rechtfertigung bzw. Hermeneutik bedurfte, Kohelet gegenüber vorerst „unterlag". 32 33 34

Text nach HE; zur Diskussion des Textes s. G L. Prato, Problema, 20f; P. W. Skehan, A.A. Di Leila, Wisdom (1987), 396. Ν. Lohfink, Les épilogues (1995). Zur Frage der Kanonisierung Kohelets vgl. neben der A. 33 genannten Studie N. Lohfink, Kohelet ("l993), 12-14; D. Michel, Qohelet (1988), 116-126; C. Dohmen, Büchermachen (1992); F.J. Backhaus, Weisheit (1994). - Zu Sirach im Judentum vgl. S.Z. Leiman, Canonization (1976), 92-102; M. Gilbert, Introduction (1988), 36-40; ders., Jesus Sirach (1995), 885-888.

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Das heißt wohl, daß zur Zeit der Abfassung des Sirachbuches, die m.E. nicht allzuweit vor 175 v. Chr. anzusetzen sein dürfte,35 Kohelet bereits einen gewissen zeitlichen Vorsprung und vor allem eine offensichtlich kaum mehr zu erschütternde Position in maßgebenden Kreisen Jerusalems erlangt haben mußte. Zur Erklärung dieses paradoxen „prae" scheinen mir die Überlegungen bzw. Vermutungen von Norbert Lohfink derzeit am hilfreichsten.36 Demnach wäre der sog. erste Epilog Koh 12,9-11, insbesondere 12,11, nicht bloß Zeugnis einer Zuordnung zu den Weisheitsschriften,37 sondern zugleich möglicher Reflex einer Diskussion um die Benützung Kohelets als neues Lehrbuch in der Tempelschule im Kontext einer dort dringend gewordenen Auseinandersetzung mit der hellenistischen Sinnwelt; dabei mag auch eine starke Verfasserpersönlichkeit, eventuell die Herkunft aus einer einflußreichen Familie oder deren Protektion eine Rolle gespielt haben. - Daß hinter der grundsätzlichen Warnung des zweiten Epilogs Koh 12,12-14, noch mehr bzw. weitere Bücher zu machen (12,12), als konkretes Anliegen die Abwehr des Anspruches Sirachs als neue Synthese der Tradition sowie als Ersatz gestanden sein könnte, fände in Koh 12,13f eine plausible Bestätigung und Begründung: Gottesfurcht, Beobachtung der Gebote und Gericht, Themen, die in Sirach K l bereits programmatisch und explizit mit der Weisheit verbunden sind, finden sich, so die Verteidigung, bereits bei Kohelet (vgl. Koh 4,17 und 5,6 sowie die redaktionelle Bearbeitung in 11,9b);38 d.h. das Sirachbuch wäre als Lehrbuch überflüssig. 35

36

37

38

Der Tod Simons II. (196 v. Chr.) ist in Sir 50,1 wohl bereits vorausgesetzt. Die Bitten um Weisheit und Frieden für das Priesteitum (Sir 45,26; 50,23) und um Bestand des Pinhasbundes für Simon und seine Nachfolger mögen bereits auf beginnende Konflikte unter Onias III. (196-174) verweisen. Nuanciert und ausführlich zuletzt in N. Lohfink, Les épilogues (1995). Die Hypothese Lohfinks wird zustimmend rezipiert von D. Michel, Qohelet (1988), 117f; R. Michaud, Qohélet (1987), 201-203; L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 10. F.J. Backhaus, Weisheit (1994) versucht im Epilog drei Schichten bzw. auch Phasen (12,9-10; 12,11; 12,12-14) zu unterscheiden. C. Dohmen, Büchermachen (1992), 49-52 versteht unter dem einen Hirten in Koh 12,11 Gott selber und sieht in 12,9-11 bereits einen Abschluß des Corpus der Weisheitsschriften angedeutet. F.J. Backhaus, Weisheit (1994), 39-43.45-50 sieht in der Hirtenmetaphorik das Zeugnis einer eigenen, noch im 3. Jh. v. Chr. anzusetzenden Salomoredaktion, die Kohelet mit den anderen Weisheitsschriften zusammendenkt. N. Lohfink, Les épilogues (1995), 88-90 hingegen beläßt m.E. mit Recht auch das Bild vom königlichen Hirten in 1 lb auf der Ebene des Kontextes des Sprichwortes von IIa über die Funktion der Lehrerworte! N. Lohfink, Les épilogues (1995), 94f. - Zur theologischen Nähe zwischen Koh 12,1214 und Sirach vgl. auch G.T. Sheppard, Wisdom (1980), 121-128; F.J. Backhaus, Weisheit (1994), 44.51-54; L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 168173.322; O. Kaiser, Beiträge (1995), 7A.16. - Zurückhaltend gegenüber einer kanonkritischen Funktion von Koh 12,12-14 und einer Beziehung zur Gesetzestheologie bei Sirach äußert sichM Fishbane, Interpretation (1985), 9.

Kohelet und Sirach

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Zu einer solchen denkbaren theologischen Argumentation für einen Ausschluß Sirachs als Schulbuch kam zweifellos auch der Gang der Geschichte: der Tod des von ihm hochverehrten und in Sir 50 hymnisch gefeierten Hohepriesters und wohl auch Gönners Simon II. 196 v. Chr., 39 noch vor der Vollendung seines Werkes. Auch seine Stellungnahme für die Zadokiden (Sir 45,25f; 50,1-21.24; 51,12i) dürfte ihn wegen ihres hellenisierenden Vertreters Jason und der Unterbrechung der Linie durch Menelaos (vgl. 2 Makk 4,23-29) bei den Makkabäern in Mißkredit gebracht haben; dies mag sich nach der Machtergreifung der Hasmonäer und ihrer Usurpation auch der Hohenpriesterwürde durch Jonatan und Simon (1 Makk 10,15-21; 14,35) nochmals wiederholt haben. Spuren dieser Wirren und Wandlungen könnten sich z.B. bereits in der griechischen Übersetzung im Fehlen der Bitte um Gottes bleibende Huld für Simon und seine Nachkommen Sir 50,24 niedergeschlagen haben, 40 auch im Fehlen der Danklitanei in Gr zwischen Sir 51,12 und 13 mit ihrem Hinweis auf die Erwählung der Söhne Zadoks. - Ein weiterer Grund dafür, daß Sirach keine unmittelbare Anerkennung im sich formierenden hebräischen Kanon gefunden hat, mag schließlich, wie kürzlich Oda Wischmeyer gezeigt hat, in seiner eher elitären quietistisch-konservativen Bildungskonzeption gelegen sein, der sowohl durchschlagskräftige politische Visionen als auch eine intensivere, aktive und positive Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie nach dem Modell Kohelets oder auch der Weisheit Salomos fehlte; zudem hat er vielleicht nicht als Lehrer an einer öffentlichen Schule, sondern eher an einer „privaten Weisheitsschule sui generis" gewirkt. 42 Dennoch ist nicht erst die Aufnahme in die griechische Bibel, sondern bereits die Orientierung von Koh 12,12-14 an Kategorien des Sirachbuches zum Zeichen geworden, daß, um mit Lohfink zu sprechen, der ursprünglich Unterlegene gewonnen hat. 43 3. Zwei Weisen theologischen Denkens - Kohelet und Sirach Nach diesen zweifellos spannenden Vorfragen, die die Forschung wohl noch länger beschäftigen werden, stehen wir beim Versuch einer Lektüre von

39 40 41 42

43

P. W. Skehan, A.A. Di Leila, Wisdom (1987), 550. P.W. Skehan, A.A. Di Leila, Wisdom (1987), 554; anders SM Olyan, Relationship (1987), 271A.31 und 275A.41. O. Wischmeyer, Kultur (1995), 298-302. O. Wischmeyer, Kultur (1995), 175-180, insbesondere zum Terminus OTTO ΓΓ3 in Sir 51,23 bzw. m-B' in 51,29 in 175f und 180; vgl. auch A. Mmissale, Versione (1995), 144.146 zu m-B" sowie 148A. 193 mit Verweis auf die Wiedergabe von ΒΠΠ n-2 mit οίκος παιδ(ίας in Gr; vgl. auch Syr sowie P.W. Skehan, A.A. Di Leila, Wisdom (1987), ζ. St. Vgl. Ν. Lohfink, Les épilogues (1995), 95.

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Kohelet und Sirach im Nacheinander des Kanons44 gerade bei der Vielfalt des Sirachbuches vor der Schwierigkeit einer Auswahl. Bereits ein Blick auf bei Kohelet fehlende oder stark zurücktretende Themen vermöchte etwas von der Eigenart der beiden Werke zu verdeutlichen: Sirachs Versuch einer großen, positiven Synthese der Traditionen der Tora, der Propheten und der sich formierenden Schriften als Ergänzung oder Gegenüber zur radikalen Konzentration und Reduktion Kohelets auf wenige für ihn fundamentale Fragen und Orientierungen.45 Interessanter aber ist vielleicht die je verschiedene Beleuchtung, das spezifische Echo der gleichen bzw. einer ähnlichen Fragestellung in diesen einander zeitlich nahestehenden Werken aus dem Raum des frühen Judentums. 3.1 „ Die Werke Gottes sind alle gut. " - Sir 39,12-35 undKoh 3,11 Mir scheint unter den vielen möglichen Ausgangspunkten die gewählte Theodizeeperikope eine hilfreiche Illustration der charakteristischen Annäherungen der beiden Weisen an Fragen um die Wirklichkeit der Schöpfung sowohl in der literarischen Gestalt als auch in der Aussage, die gerade in diesem Fall nicht zu trennen sind. Zugleich kommt dabei die Frage literarischer Beziehungen von Sirach und Kohelet nochmals zur Sprache. Daß es sich um eine „neuralgische Stelle" handelt, zeigen die kritischen Urteile, die Sir 39,12-35 bis zur Stunde provoziert. Othmar Schilling sieht darin „eine vereinfachte Deutung der Weltübel und Naturkatastrophen, wenn der Weisheitslehrer sie als unmittelbare Strafwerkzeuge in der Hand Gottes deutet";46 für Segal ist „diese Philosophie von Ben Sira oberflächlich und begrenzt".47 Zuletzt hat Lutz Schräder festgestellt: „Ein starrer Allmachtsbegriff zwingt offenbar dazu, Gott zum Urheber alles Leides zu machen, weshalb er die Gerechtigkeit Gottes nur durch die aller Erfahrung widersprechende Behauptung retten kann, alles Leiden diene einem positiven Zweck." Er betrachtet Sirachs Lehrsätze zur Gesamterklärung menschlichen Leidens gegenüber der vorausgehenden alttestamentlichen Tradition als Rückschritt. So

44

45 46 47 48 49

In den großen Septuagintacodices B, S, A steht Sirach im Anschluß an die Weisheit Salomos: vgl. die Tabelle bei R. Beckwith, Canon (1985), 194 sowie 377-380 (Ecclesiasticus), 386-395 (Apocrypha); zur syrischen Tradition S.196. - Kohelets Frage kreist um den Gewinn bzw. Vorteil des Menschen, vor allem um das Glück: so L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 80-87.274-279. Besonders beachtenswert für eine Weisheitsschrift ist bei Kohelet das Zurücktreten der Mahnworte. O. Schilling, Buch (1956), 165. M.Z. Segal, Spr (21958), 32 (31-33). L. Schräder, Leiden (1994), 229. Vgl. L. Schräder, Leiden (1994), 23 If. - S. auch meine Stellungnahme: J. Marböck, Weisheit (1971), 143 (138-145): „Der gewiß sehr positiv zu wertende Versuch zu einer Gesamtschau, zur Systematik, kann der Gefahr, die Wirklichkeit zu vereinfa-

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Kohelet und Sirach

mag gerade unter dem Gesichtspunkt der Frage einer Vermittlung zwischen Gottes Gerechtigkeit und der Erfahrung von Widersprüchen in der Schöpfung bzw. von Leid ein Blick auf Koh 3,11 und Sir 39,12-35 der Mühe wert sein.50 3.1.1 „Alles hat er schön gemacht zu seiner Zeit ...jedoch...!"-

Koh 3, II

Koh 3,11 verbindet eine Reihe gewichtiger Stichworte mit Sir 39,16.33. Koh 3 , i i a b

Sir 39,16(33)

mvj rts" nm SnrrriK onba "¡na D ü r r n s d j οηκπ Kan-'-tò -ΙΒΧ •'Snn η ι ε π ΰ ΐ '¿¡Kin o'nbxrt / m n t c x rraynrrnx ΟΌΊΒ (Πΐϋΰη) "WD (piso 1 ) ρ ^ ο " ίπρώ -j-ns (bsb)

Der diskutierte Koheletvers gibt, wenn ich die Ausleger des Buches recht verstehe, nach dem Gedicht über die Unverfügbarkeit der auf den Menschen zukommenden Zeiten und Widerfahrnisse, letztlich seiner Welt, nach der Frage nach dem „Gewinn" (Koh 3,9) und dem Blick auf das „Geschäft der Menschen" (3,10; vgl. 1,13) eine positive Antwort: „Das alles hat er schön gemacht zu seiner Zeit, darüber hinaus hat er die Ewigkeit in ihr Herz gegeben, jedoch ohne daß der Mensch das Tun herausfinden kann, das Gott tut, vom Anfang bis zum Ende. " Gott hat nicht nur alles schön bzw. gut (vgl. Gen 1,31) gemacht, sondern den Menschen Anteil an der Ewigkeit (vgl. 1,4.10) gegeben, sie in ihr Herz51 gelegt; doch der Mensch kann die Fülle der Wirklichkeit, das Tun Gottes nicht vollständig erfassen: Konsequenz aus diesen Grenzen seines Erkennens, das keine festen Regeln ableiten kann, und aus den Grenzen seines Handelns gegenüber dem größeren Tun Gottes ist die Annahme der geschenkten Freude (Koh 3,12) und die Gottesfurcht (3,14).52 Zu den positiven Aussagen von Koh 3,1 la gehören im Kontext jedenfalls auch ihre unüberwindbaren Grenzen.

50 51

52

chen, nicht immer ganz entgehen." Mit dem dort ebenfalls geäußerten Prädikat „zu rationalistisch" wäre ich heute zurückhaltender. F.J. Backhaus, Zeit (1993), 370-382 zur Frage der Theodizee bei Kohelet. Zu Deutung und Diskussion s. neben den Koheletkommentaren zuletzt F.J. Backhaus, Zeit (1993), 119-124; L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 107. - N. Lohfink, Kohelet (41993), 32 deutet b'libbam auf die jedem Geschehen zukommende Ewigkeit, nicht auf die Menschen. Zur Auslegung von Koh 3,10-15 vgl. vor allem L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 100-112; F.J. Backhaus, Zeit (1993), 119-131.

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Johannes Marböck

3.1.2 Sir 39,12-35 - Lehre und Bekenntnis Ob nun der Sirachtext mit gleichen thematischen Stichworten Kohelet als Zeugnis unmittelbarer Auseinandersetzung53 anklingen lassen bzw. „zitieren" will oder nicht: im Nacheinander und Miteinander des größeren, biblischen Kanons scheint es berechtigt, in dieser Perikope eine bemerkenswerte Ergänzung und Weiterführung durch eine Stimme der Tradition zu sehen, als Zeugnis durchaus verschiedener Denkweisen und Positionen im Jerusalem des ausgehenden dritten und beginnenden zweiten Jahrhunderts v. Chr. Dies gilt bereits für Kontext und Gestalt der Aussage über Güte bzw. Schönheit des Handelns Gottes, die bei Sirach durch die Verbindung sehr verschiedener Elemente geprägt und betont wird:54 In der Eröffnung 39,12-15 begegnen weisheitliche Überlegung als Anrede an „Fromme" (V'LOL OOLOL: 39,13) und Einladung zu Lobpreis und Bekenntnis (39,14c-15). Die bekenntnishafte These (39,16) wird gegen Einwände (39,21) verteidigt und mit Argumenten aufzuweisen versucht (39,22-31). Der Abschluß 39,3235 rahmt diese lehrhafte Entfaltung neuerdings mit Bekenntnis und Zurückweisung der Einwände (39,33.34) und mündet wieder in die Aufforderung zum Lobpreis (39,35). Diese Dynamik der Gestalt ist auch für den Inhalt und seine Zielrichtung bedeutsam, nicht zuletzt im Blick auf Kohelet. Sirach spricht in der Überzeugung vom Gewicht (von der Inspiration: 39,12b?) seiner Rede, in der Erwartung von Wirkungen in der Dimension des Religiösen, wie schon die Bilder 39,13b-14b andeuten (vgl. 50,8f), vor allem aber die Häufung der Aufforderungen zum Gotteslob in sechs Stichen (39,14c-15d), mit der rahmenden Wiederholung V.35. Bei Kohelet fehlen nicht nur Sprache und Pathos der Hymnentradition; er mahnt vielmehr in seiner religionskritischen Äußerung 4,17-5,6 zur äußersten Zurückhaltung gegenüber der traditionellen religiösen Artikulation von Opfer und Gebet (Koh 5,1.6). Wo vielleicht am ehesten von hymnischem Pathos im Kontext der Schöpfung gesprochen werden könnte, geschieht dies wie im Gedicht vom kreisenden Kosmos 1,4-11 in einer völlig neuen Sprache bzw. am Schluß des Buches. Sir 39,16 „Die Werke Gottes sind alle gut, sie sorgen56 zu jeder Zeit für jeden Bedarf' ist beides: Zusammenfassung und Ziel des Aufrufs zum Lob von 53

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F.J. Backhaus, Qohelet (1993), 37; ders., Zeit (1993), 375 ist gegenüber einer literarischen Beziehung beider Texte zurückhaltend; er verweist vor allem auf das Fehlen des für Sirach charakteristischen und wichtigen Terminus "pis. Die gründlichste Behandlung der Perikope findet sich bei G.L. Prato, Problema (1975), 62-115. Vgl. Ν. Lohfink, Kohelet (41993), 39-41; L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 136-138; F.J. Backhaus, Zeit (1993), 174-184. Im hebräischen Text ist in HB zu V.16b aufgrund der Kongruenz zum Plural der Werke Gottes in 16a wohl ebenfalls eine Pluralform anzunehmen: vgl. G.L. Prato, Problema (1975), 68-71 zur Textkritik von 39,16.21.33.34.

Kohelet und Sirach

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V.14c-15d, aber auch die These der folgenden ausführlichen Belehrung; bei Kohelet hingegen wird durch den Kontext nachdrücklich an Grenzen für die positive Aussage erinnert, vorher (3,10 als Erinnerung an 1,13) und nachher (3,1 lb; 3,14f). Während Kohelet auf Grenzen der Erkenntnis des Ganzen verweist, führt Sirach das hymnische Bekenntnis nun auf der Ebene der Argumentation weiter, d.h. die Güte und Zweckmäßigkeit57 der Werke Gottes zu ihrem Zeitpunkt (vgl. Koh 3,11a: ini?3) sind für ihn auch einsichtig zu machen. Ist es nur Zufall, daß die weisheitliche Topik von Γ)ΰ/κοαρός hebräisch und griechisch im Sirachbuch am häufigsten begegnet,58 oder doch Echo auf Kohelet? Eine erste Illustration der souveränen und heilvollen Vorsehung Gottes (39,18-20) aus der Tradition ist die Zuweisung der Funktion für das ambivalente Element des Wassers (39,17) durch das Wort. In 39,21 beginnt die Theodizee im engeren Sinn mit der Abwehr von Einwänden gegen die These von V. 16: Man darf nicht sagen: Das - wozu (dient) das? Denn alles ist für seine Aufgabe vorgesehen. Man darf nicht sagen: Das ist schlechter als jenes; denn alles ist zu seinem Zeitpunkt von Bedeutung. „Sage nicht" verweist über die didaktisch-literarische Funktion hinaus wohl auf aktuelle Fragen.59 Sirach betont in seiner Antwort die Zweckhaftigkeit ( i m j O-lS1? ^DH) und den rechten Zeitpunkt m m ^ n ) allen Geschehens. Erinnerungen aus der Geschichte (Salomo; Landnahme; Sodom und Gomorrha) und ihre Deutung (39,22-24) erläutern das Prinzip von V.21 durch eine Unterscheidung: „Gutes für die Guten hat er zugeteilt von Anfang an, entsprechend für die Bösen Gut und Böse" (39,25); d.h. die Bestimmung der geschaffenen, in sich guten Dinge ist von Anfang an auf das Verhalten der Menschen hingeordnet. Zwei Beispielreihen sollen der Bestätigung der Thesen und Prinzipien von V. 16.21.25 dienen. 39,26-27 argumentiert mit Gütern des täglichen Lebens, die sich durch rechten Gebrauch auf die Guten positiv, durch schlechten Gebrauch (39,27b: vgl. Num 11,20)60 auf die Bösen schlecht auswirken. 39,28-31 nennen neun geschöpfliche Wirklichkeiten vor allem mit strafendem Charakter (vgl. Dtn 32,22-25), die ihre Funktion zur rechten Zeit 57

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Zu den Belegstellen Sirachs für "ps, das im AT nur 2 Chr 2,15 begegnet, vgl. die Tabelle bei G.L. Prato, Problema (1975), 395f. - Von der Erfüllung von Aufgaben der Schöpfungswelke sprechen neben Sir 39,16.21.30.33 noch 38,1 und 42,23. ΠΒ als von Gott verfügte, bestimmte Zeit: Sir 2,2.11; 5,7; 11,17(19) 20(22); 17,2; 33(36),8; 36(33),8; 38,13; 43,6; 51,10.12.30. Statt der seltenen Formulierung "inxb yx 39,21a.c.34 steht bei Sir sonst ιηκπ SK: vgl. Sir 5,3f; ll,21f; 15,llf(V.12: ΐηκη IS); 16,17 G (HB16,15); 31(34),12.31. - Koh 7,10: ιηκη Die Lesart der Masadarolle mrb sowie HBmare KltS kann an Num 11,20 erinnern.

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erfüllen (30c: DDTlsS; 30d: nvb) und - im Gegensatz zum Verhalten der Menschen (vgl. Num 20,24; 27,14 Mose und Aaron) - Gottes Auftrag ohne Widerspruch, mit Jubel vollziehen. Der abschließende Rahmen 39,32-35 ist Synthese von Lehre und Bekenntnis. V.32 erinnert an den Prozeß der schriftlichen Fixierung; V.33-34 wiederholen als Resultat der Reflexion die Thesen von V. 16 bzw. 21, das umfassende Bekenntnis zur Güte und Zweckhaftigkeit aller Geschöpfe bzw. Werke Gottes sowie die Zurückweisung von Einwänden: auch scheinbar zerstörerische Elemente erfüllen ihre Aufgabe in der Ordnung Gottes. Der Unterschied liegt nicht in der Qualität der geschöpflichen Wirklichkeit, sondern in einer heilvollen oder strafenden Funktion - je nach dem Verhalten der Menschen. Eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem Anlaß der Bemühungen des Siraziden wäre nach Martin Hengel die Auseinandersetzung mit in radikalem Sinn weiterentwickelten Konsequenzen einer pessimistischen Welt- und Lebensanschauung;61 konkreter ist die Überlegung von Otto Kaiser, das Bekenntnis zur Zweckhaftigkeit der ganzen Schöpfung „als eine jüdische Variante der stoischen Lehre von der göttlichen Providenz" zu betrachten, „die für den Menschen als Gattung vorgesorgt [!] und die Mißgeschicke des Einzelnen und selbst die ganzer Völker im Dienste der zweckmäßigen Harmonie des Ganzen in Kauf nimmt." 62 Dennoch sei gefragt, ob die Aussagen Sirachs nicht als Echo auf Koh 3,11 gelesen werden sollen, das die Schönheit bzw. Güte der Werke Gottes nicht bloß bestätigt, sondern, worauf Kohelet bewußt verzichtet, gegen Einwürfe verteidigt und aus der Tradition argumentierend aufzuweisen versucht. Vielleicht ist der Aufruf zum hymnischen Bekenntnis mit Herz und Mund, zum Lobpreis des Namens des Heiligen in V.35 als Klammer zu 39,14d und letztes Wort der Lehre in anderer Weise auch „Rückkehr zu Kohelet" bzw. zum Ijobschluß - nämlich Andeutung und Eingeständnis der Unzulänglichkeit und Grenzen des Weges traditioneller theologischer Argumentation,63 vor allem angesichts der Erfahrung, daß die Elemente des Kosmos in ihrer richtend-strafenden Funktion nicht zwischen Übeltätern und Rechtschaffenen unterscheiden. So läßt schon die Doxologie als letzte Aussage zur Frage der Schöpfungsordnung zumindest vermuten, daß es zu einfach ist, mit nicht wenigen Kritikern Sirach aufgrund seiner Argumentation als rationalistisch, oberflächlich bzw. rückschrittlich gegenüber Kohelets Desillusionierung menschlicher Erkenntnismöglichkeit vor dem Ganzen der Wirklichkeit zu apostrophieren. Es sind m.E. Umrisse zweier Annäherungen an Fragen um die Antinomien der 61 62 ·» 63

Vgl. M. Hengel, Judentum (21973), 262; Hengel scheint ebd. A.243 mit Hertzberg eine Kenntnis Kohelets bei Sirach vorauszusetzen. O. Kaiser, Anknüpfung (1995), 57f.61; vgl. auch M Hengel, Judentum (1973), 268; J Marböck, Weisheit (1971), 144f mit Hinweisen auf Texte der Stoiker; M. Pohlenz, Stoa, 1 ("1970), 98-101; Die Vorsehung; 2 ^1972), 55-58. Dies betont G L Prato, Problema (1975), 114f.380.

Kohelet und Siiach

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Schöpfungswirklichkeit, die hier zum Ausdruck kommen: Kohelets Zurückhaltung gegenüber einer argumentierenden Theodizee, sein Verzicht auf die Sprache der traditionellen Doxologie und seine existentielle Anweisung zum kleinen, praktikablen Schritt des Genusses der gewährten Freude, auf der Seite Sirachs ein ständiges, vorsichtiges Tasten nach positiven Möglichkeiten rationalen Verstehens damals offenbar beunruhigender Phänomene der Schöpfungsordnung, nach dem Aufweis ihrer Güte, der in Lob und Bekenntnis mündet. Ein Blick auf die Fortsetzung der Thematik mag dies bestätigen. So reflektiert unmittelbar anschließend Sirach in 40,1-1764 neuerdings über Gegensätze in der Schöpfung, ausgehend von der Zuteilung menschlicher Mühsal (pÖU) (40,l-5b.5c-7) wie Sorgen, Furcht, Streit. Die Antwort benennt zwei Pole: die traditionelle Deutung als Strafe für Sünder (40,8-11), konkretisiert in der Vergänglichkeit ungerechten Reichtums sowie der Nachkommen der Gewalttäter und Gottlosen (40,13f.l5f). Diese Aussagen sind interessanterweise in 40,12 und 17 von zwei positiven Feststellungen umklammert, daß die einzige dauerhafte, bleibende Wirklichkeit - gegenüber den Bösen - das Gute ist: In 40,12 ist dieser Wert die πίστις (vgl. G: Sir 1,27; 27,16 - H: 45,4; 46,15 rUTOK): 40,12a b

Jede Bestechung und Ungerechtigkeit wird ausgetilgt, καί πίστις elf τον αιώνα στήσβται.

In 40,17 sind es ΙΟΠ (χάρις) - Güte, Loyalität und ηρ*Π (èλεημοσύνη) - Gerechtigkeit bzw. Wohltun/Almosen: 40,17a b

t2i72"' χ1? o'piyb nom (if) ΓΓΟΓΙ Κ1? I M ΊΟΠ (Mas) l'on ηιΛ πρ-rai Güte wird in (wie die) Ewigkeit nicht wanken (ausgerottet), 65 und Wohltun wirdfür immer bestehen 65

Bemerkenswerterweise sprechen die zwei Verse der Inklusion nicht vom Erfolg bzw. Glück der Rechtschaffenen, das ja Kohelet radikal in Frage gestellt hatte (Koh 3,16f; 7,15-18; 8,12b-13; 9,2f), sondern dreimal von der Dauer und Beständigkeit positiver Werte. Es scheint, daß Sirach auch hier die Grenzen menschlicher Rede angesichts erfahrbarer Widersprüche respektiert und positiv nur zu sagen wagt: Wer Gutes tut, tut Bleibendes, Dauerhaftes66 Man mag wieder fragen, ob hier Kohelet weitergedacht bzw. ergänzt werden soll. Ähn64 65 66

GL. Prato, Problema (1975), 300-331. Zur Diskussion des Textes s. ausfuhrlich G.L. Prato, Problema (1975), 308.311.325A.44.45.46 sowie P. W. Skehan, A.A. Di Leila, Wisdom (1987), 465f. Vgl. dazu vor allem G.L. Prato, Problema (1975), 321.325.330f.387.

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liches gilt für die in K.41,1-13 anschließende Erörterung der spannungsreichen Wirklichkeit des Todes, der bitter, aber auch süß sein kann (41, lf). Er ist allgemeines Gesetz des Schöpfers (41,3f); eine negative Wirklichkeit ist er für die Bösen (41,5-9). Vielleicht darf 41,10-13 wieder als Weiterführung von bzw. Auseinandersetzung mit Kohelet gelesen werden, 67 wenn Sirach ausdrücklich mit der Tradition an der bleibenden Wirklichkeit vom Ruf der Güte ("ton DU)), am Verbleiben und der Dauer von Ruf/Name/Ansehen gegenüber dem vergänglichen Gut des Lebens festhält (vgl. auch Sir 44,1-15). Über diese hier genannten Texte hinaus vermöchte auch ein Blick auf den Gesamtkontext des Buches zu zeigen, daß Sirach sich nicht damit begnügen will, vor der Unverfügbarkeit der Widerfahrnisse (Koh 3,1-9) und der Verwundbarkeit durch Zeit und Zufall (Koh 9,11) einfach stehenzubleiben. Das Aufgebot der ganzen Palette von Antworten aus der Tradition68 zeigt ein vielfältiges, reflektierendes Tasten bezüglich der ambivalenten und irritierenden Erfahrungen als zentrales Anliegen, sein systematisierendes Interesse, offenbar auch die Aktualität der Probleme, und dies besonders nachdrücklich gegen Schluß (Sir 39,12-43,33). - So verweist Sir 20,9 auf die Ambivalenz von Dingen, deren Wirkung wider Anschein wechseln kann (vgl. Sir 20,10-17; auch ll,4cd). Im Zusammenhang mit der Frage des Wohlergehens von Sündern bringt der Weise neben der Polarität der Schöpfungswerke schließlich die Pädagogik Gottes ins Spiel, die in Langmut und Erbarmen mit der Vergänglichkeit und Kleinheit der Menschen auf ihre Umkehr wartet (Sir 18,8-10.1113); allerdings darf Gottes Erbarmen auch nicht leichtfertig mißbraucht werden, da Erbarmen und Zorn spannungsreich verbunden sind (vgl. 5,4-7; 16,612). Als weiterer, letzter Ansatz zum Verständnis schmerzlich-widerständiger Erfahrungen begegnet das Motiv der Erprobung und Prüfung des Schülers der Weisheit in den Gedichten 4,11-18, vor allem 4,17f, und 6,24-30, ebenso die Prüfung des Gottesfürchtigen, der seine Standhaftigkeit im Dienst des Herrn zu erweisen hat (2,1-14; vgl. 44,20d von Abraham). Der Weg endet jeweils positiv: mit der Offenbarung der Weisheit (4,17f; 6,24-30; 51,13-29), dem Bekenntnis vertrauensvoller Übergabe in die erbarmungsvollen Hände Gottes (2,18), aber auch einer letzten Überlegenheit (43,23ff) und Unergründlichkeit Gottes selber, der weitaus größer ist als seine Werke (43,28.30 bzw. 43,2733), von denen der Weise bei seinem großen Gang durch die Schöpfung nur „Weniges" (43,32b) gesehen hat. Man fühlt sich an den Schluß des Ijobbuches 67

68

Auch F.J. Backhaus, Zeit (1993), 398 zieht dies in Erwägung; dort 390-398 zur Todesthematik als „hermeneutischer Schlüssel" für Kohelet sowie zum QuantitätsQualitätswechsel, d.h. vom langen Leben zum postmortalen guten Namen in Sir 41,11-13. G. Beccaccini, Origine (1986) (= ders., Ben Sira, (1991), 99-124: The Problem of Salvation). Zur Darstellung und „Lösung" der Spannung zwischen gegenwärtiger Erfahrung und dem Glauben an Gottes Herrschaft und endgültiges Ja zu seiner Schöpfung im Ijobbuch s. E. W. Nicholson, Limits (1995).

Kohelet und Sirach

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(Ijob 42,5f) erinnert. Vielleicht kann ein letzter Gedankengang diese unterschiedlichen Positionen der beiden Weisen noch etwas verständlicher machen. 3.2. Zum Verhältnis Gott und Mensch bei Kohelet und Sirach Das Verhältnis Gott und Mensch mag wie in einem Brennpunkt die Ansätze beider Werke in ihrer Eigenart, auch in der Komplementarität ihres kanonischen Nach- und Miteinander nochmals profilieren. Ich wähle für diese abschließende Skizze - bei allem Wissen um die Problematik - zur Exemplifizierung Gottes Geben: Gott als Geber des Glücks bei Kohelet, Gott und die Gabe der Weisheit bei Jesus Sirach. Kohelet entscheidet sich in seiner Annahme der Herausforderung durch die hellenistische Geistes- und Lebenswelt für radikale Konzentration auf eine anthropozentrische Fragestellung, auf die Frage nach dem Gewinn (Koh 1,13), letztlich nach dem Glück des Menschen (Koh 2,24-26),69 das nicht mit der Herstellung oder dem Besitz traditioneller Werte (Koh 1,12-2,23) gleichzusetzen ist, sondern als Glückserfahrung, als Freude (Koh 5,18; vgl. 9,7; 11,8f) bestimmt wird. Gegenüber dieser literarisch und inhaltlich geschlossenen Ausrichtung auf ein zentrales Problem des Menschen, das vom zeitgenössischen Denken vorgegeben war, scheinen bei Ben Sira, dessen Anliegen bei der Vielfalt der Einzelthemen gar nicht einfach zu bestimmen ist, nicht so sehr bzw. nicht nur unmittelbar bedrängende Probleme der menschlichen Existenz, sondern stärker systematisch-theologische Fragen eine Rolle zu spielen, wie neben den Theodizeetexten vor allem die zwei grundlegenden Rahmentexte 1,1-10 und K.24 über Weg und Wirklichkeit der Weisheit Gottes in Kosmos und Geschichte andeuten (vgl. auch 16,26-17,17).70 Sirach versucht dabei im Gegensatz zu Kohelet die Tradition nicht nur in Sprache und Form, sondern vor allem in der ganzen inhaltlichen Fülle geradezu enzyklopädisch nocheinmal darzubieten; sein ganzes Werk, nicht bloß die K.44-49.50, sind Π13Χ mttî 0*7117- πατέρων ύμνος - laus patrum. Dabei leitet ihn wohl nicht nur die Angst um den Verlust der Geschichte, die im Gespräch Kohelets mit seinen Zeitgenossen nur verhalten in der Gestalt Salomos aufscheint, sondern die Überzeugung vom Wert der Überlieferungen Israels als tragendes Fundament der Gegenwart. Darüber hinaus ist (will?) Sirach nach Kohelet auch als ausdrückliche Erinnerung zu (ge)lesen (werden), was es in die Zukunft konkret mitzunehmen gilt, wie es schließlich Koh 12,12-14 nachträglich bestätigt hat. Dieses Proprium Israels stand ja wenig später tatsächlich auf dem Spiel.

69 70 71

L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 80-87 (zu 2,24-26) sowie 274-279. Vgl. J. Marböck, Weisheit (1995), 73-100. R. Hanhart, Status (1995) hat die theologische Dimension und Herausforderung der seleukidischen Religionspolitik nachdrücklich hervorgehoben. Man könnte fragen, ob Sirach nicht einem möglichen Mißverständnis Kohelets im Sinn der Vernachlässigung des Propriums Israels wehren möchte.

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Vielleicht noch markanter als die Unterschiede zwischen einer konkreten anthropozentrischen und einer umfassenderen systematisch-theologischen Fragestellung sind m.E. die Aussagen über Gottes Handeln am Menschen im jeweiligen Kontext, d.h. die sich darin äußernden Konzeptionen der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Bei Kohelet geschieht dies in seiner radikal theozentrischen Antwort auf die Frage nach den Bedingungen menschlichen Glücks.72 Glück als Glückerfahrung gründet nicht im Menschen, sondern ist Gabe Gottes (Koh 2,24; 3,12), die in der Gegenwart zu ergreifen ist: Dieser gebende Gott, der dabei souverän und unverfügbar bleibt, auch gegenüber kultisch-religiösem Tun (Koh 4,17-5,6), wird jedoch nach Koh 5,17-19 - ich folge hier Lohfink13 - in der Freude des Herzens als Form göttlicher Antwort bzw. Offenbarung, d.h. „von innen her", zum deus revelatus. Bei aller Freiheit dieses Grottes im Setzen von Grenzen, in der Gabe des Glücks und der Freude des Herzens, d.h. trotz der Aussagen über Gottes Transzendenz und Überlegenheit (vgl. Koh 5,1; 6,10; 7,13), gibt es jedoch ein untrennbares Ineinander göttlichen und menschlichen Handelns in der Glückserfahrung (Koh 3,22), nach 3,15 eine radikale Innerweltlichkeit des weltüberlegenen Gottes, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durchdringt, der nach 5,17-19 als Schöpfer (vgl. 1,13b; 3,11) auch zum Offenbarer wird.74 Gegenüber solch frei verfügendem, souveränem Geben und Zuteilen Gottes erscheint bei Jesus Sirach diese Beziehung stärker als ein dialogisches Geschehen zwischen Gott, Welt und Mensch, als Suchen, Entgegenkommen, Begegnen und schließlich Geschenk bzw. Offenbarung der Weisheit Gottes. Auch die Weisheit ist nach den gewichtigen theologischen Formulierungen der Eröffnungstexte Sir 1,1-10 und 24,3 eine bei Gott existierende und von ihm ausgehende Gabe und Wirklichkeit, die in einer sehr komplexen Balance,75 die keineswegs einfache Identität bedeutet, mit der Tora in Verbindung steht.76 In dieser „asymmetrical relationship"77 ist die Tora der vor der Schöpfung stehenden Weisheit (Sir 1,1.4; 24,9) zeitlich nachgeordnet, als Ordnung der Weisheit Gottes für die Schöpfung (vgl. Sir 17,7b. 12.14), als 72 73

74

75 76 77

L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 297-311. N. Lohfink, Qoheleth (1990); vgl. auch L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 146-149. F.J. Backhaus, Zeit (1993), 193-195 meint, daß vielleicht der Hörer/Leser durch die unterschiedlichen positiven bzw. negativen Deutungsmöglichkeiten der Wurzel Π3Ι) in 5,19b in seiner Hinschätzung von Gott verunsichert werden soll; vgl. auch die Aibeitsübersetzung S.437. - Vgl. auch die bei D. Michel, Qohelet (1988), 145 notierten Übersetzungsmöglichkeiten. L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 296 spricht von einer „Theologie radikaler Immanenz und Transzendenz Gottes"; vgl. auch ebd. 294.299-301. Es ist wohl das, was N. Lohfink, Kohelet ("1993), 15f die „radikale Gott-Welt-Metaphysik" nennt. G. Boccaccini, Ben Sira (1991), 99: „a complex play of balances". Zum Thema Weisheit und Tora bei Sirach vgl. J. Marböck, Gesetz (1995); G. Boccaccini, Ben Sira (1991), 83-99; M.A. Jolley, Function (1995). G. Boccaccini, Ben Sira (1991), 88.

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Offenbarung dieser Weisheit in der Geschichte (Sir 24; vgl. aber auch das Väterlob K.44-49 mit der Verbindung 43,33 zu 44,1) und auch als Erziehung zur (der) Weisheit (Sir 6,18.37). Die Mitteilung der Weisheit Gottes an die Menschen geschieht jedoch zum Unterschied vom unverfügbaren Geben Gottes bei Kohelet in einer Bewegung, einem Prozeß, als Frucht gegenseitigen Zusammenwirkens zwischen Gott/Weisheit und Mensch, wie es die Weis78

heitsperikopen abwechslungsreich entfalten. Die Mitteilung der über alles Fleisch (Sir 1,9) ausgegossenen Weisheit an die Gottesfürchtigen (1,10)79 deutet das personale Geschehen ein erstes Mal an, ebenso der Übergang von Gottes Weisheit im Kosmos zu den DTOn bzw. "tön "ίμκ gegen Schluß in 43,33 und 44,1. In 4,11-19 verheißt die Weisheit nach einem Weg verborgener Begleitung und Prüfung (4,16f) Erfüllung des Herzens und Offenbarung ihrer Geheimnisse (4,18)! Auch in Sir 6,18-37 folgt der Aufforderung zum Mühen mit allen Kräften um Weisheit (6,18-27) die Verwandlung dieser Anstrengungen in Kostbarkeit, schließlich Einsicht und Weisheit als Frucht von Gottesfurcht und Nachsinnen über die Gebote (6,3 6f). Am schönsten zeigt sich die Struktur der Begegnung in Sir 14,20-15,10: Der Suche des Liebenden, der sich durch Gottesfurcht und Toragehorsam (15,1) in Nähe und Gegenwart der Weisheit begibt (14,20-27), kommt diese als Mutter und Braut mit ihren Gaben entgegen (15,2-10); in Sir 24,18-22 lädt die Weisheit ein, sich von ihren im Land Israel reichlich wachsenden Früchten zu sättigen. Das Schlußakrostichon 51,13-27 faßt diese Bewegung lebenslangen leidenschaftlichen Suchens, Findens und Beschenktwerdens nochmals zusammen.80 Im Idealbild des schriftgelehrten Weisen Sir 38,24-39,11 geschieht dieser Dialog in der Gestalt des Gebets: auf die Hinwendung zum Schöpfer in Gebet und Bitte um Vergebung antwortet Gott in seiner Freiheit durch die Erfüllung mit dem Geist der Einsicht (39,5-6). In Sir 18,1-14, dem Abschluß der ersten großen Theodizeeperikope (Sir 15,11-18,14), einem Text mit vielen Anklängen an Sir 1,110, übernimmt sogar das Erbarmen Gottes, der gnädig und barmherzig ist (2,11), die Funktion der Weisheit: Gott hat es in seiner Großmut über die hinfälligen Menschen ausgegossen (1,9; 18,11b), es gilt allem Fleisch (1,10a; 18,13b). Nach diesen Texten scheint Sirach das Tun Gottes am Menschen wieder ein Stück aus der radikalen Verborgenheit und Unverfügbarkeit Kohelets zurückzuholen, insbesondere in der Konzeption der Begegnung zwischen Gott und 78 79

80

Zu den Weisheitsperikopen vgl. neben den Sirachkommentaren J Marböck, Weisheit (1971), 15-125; O. Rickenbacher, Weisheitsperikopen (1973). Mit Syr; G: άγαπώοιι*·, zum Text vgl. zuletzt P.W. Skehan, A.A. Di Leila, Wisdom (1987), 137, der gegen J. Haspecker, Gottesfurcht (1967) den griechischen Text vorzieht. Zur Diskussion des schwierigen Textes mit großen Unterschieden zwischen der griechischen und hebräischen Fassung, die in 11 QPs bezeugt ist, s. zuletzt neben den Kommentaren L. Schräder, Leiden (1994), 75-82.

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Mensch im Suchen, Entgegenkommen und Finden der Weisheit. Kohelet ist bemerkenswerterweise die einzige der sog. Weisheitsschriften, in der die Gestalt der Frau Weisheit völlig fehlt, selbst in Form eines Textes wie Ijob 28. Bei Sirach ist diese Weisheit allerdings über den Gewinn von Wissen, Bildung und Erfolg hinaus, vor allem Sir 1,1-10 und K.24, zu einer universalen Kategorie geworden, die man am ehesten mit Offenbarung bzw. Wirken Gottes in verschiedenen Stufen umschreiben könnte: 81 im Kosmos (Sir 24,3-7), in der Erwählung und Geschichte Israels (24,8-17), schließlich in der Tora (24,23) und ihren Wirkungen im Weisen (24,25-34) bzw. den einzelnen Weisheitssuchenden. Bei allem Anerkennen der Grenzen menschlichen Erkennens (vgl. Sir 43,27-32; 18,4-7; 1,2-6) feiert Sirach gegenüber dem Verzicht Kohelets auf derart umfassende Konzeptionen und seiner Beschränkung auf die konkrete, geschenkte Glückserfahrung als Offenbarung Gottes neuerdings die universale Zugänglichkeit und Nähe der Weisheit Gottes und ihre Gegenwart in Israel als ständiges Angebot. Zuvorkommen (prévenance) ist nach Beauchamp überhaupt der Zug, mit dem das Ganze der Weisheit sich in einem Wort zusammenfaßt. 82 Daß diesen Ansätzen auch Unterschiede in den Konsequenzen entsprechen, kann nur noch angedeutet werden. Bei Kohelet ist dies einmal die Gottesfurcht als Anerkennung des Schöpfers (3,14b) und Kern der religiösen Existenz (5,6b), der jedoch nicht einfachhin für Toraobservanz zu vereinnahmen ist (7,15-18; 8,12b.13), 83 wie es in 12,13 schließlich doch geschehen ist. Am Ziel seiner Philosophie und Theologie stehen die großen Aufforderungen zur Freude (9,7-10; 11,9-12,7) als Annahme der guten Schöpfung (3,11) und der Offenbarung des Schöpfergottes (5,19). 84 Dieser konkret-realistischen zeitgemäßen Ermutigung zu wenigen möglichen Schritten in einer unüberschaubaren, unsicheren Welt stehen bei Sirach nicht nur das ganze Aufgebot der bei Kohelet fehlenden Einzelweisungen der traditionellen Weisheit gegenüber, die offenbar nicht vernachlässigt oder gar vergessen werden sollten, etwa das soziale Interesse, sondern analog zum theologisch-systematischen Interesse auch umfassendere Ziele von Pädagogik 81

82 83

84

So m.E. mit Recht A.A. Di Lelia, Meaning (1993), 136 mit RE. Murphy. Vgl. auch L.G. Perdue, Wisdom (1994), 243-290, ch. 6: „I Covered the Earth like a Mist". Cosmos and History in Ben Sira, bes. 286-288. P. Beauchamp, Testament, 1 (1977), 120. Mit L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 322-324. - Seiner Absetzung von D. Michel, Untersuchungen (1989), 386, für den Gottesfurcht nur Reaktion auf die Begegnung mit dem fremden Gott ist, ist zuzustimmen. Auch für F.J. Backhaus, Zeit (1993), 361-366 stellt die Gottesfurcht als Ausdruck des Abstandes des Menschen zum Schöpfer eine „resignierende Haltung" dar: 365. - N. Lohfink, Windhauch (1990), 28f hingegen spricht in seiner positiven Interpretation von der „Haltung von Scheu und Hinhören in einem" bzw. von der "Haltung, in der der Mensch, Gott zugewandt, seine nie übersteigbare Grundsituation auf angemessene Weise aushält". L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 324-332.

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und Lehre. Dies ist vor allem ein neu konzipiertes, überaus gefülltes Verständnis von Gottesfurcht als ein Brennpunkt des Werkes. Sirachs Gottesfurcht 85 schließt über die scheue Anerkennung des Schöpfers hinaus nach der grundlegenden Reflexion und Paränese Sir 1,11-2,18 Hingabe des Herzens (1,28-2,6), Vertrauen (2,6-11), Vertrauen und Beobachtung der Tora (1,26; 32[35],23-33[36], 1), Demut (vgl. l,26f; 3,17-20), ja Gottesliebe ausdrücklich ein (2,15f; 7,29-31; 34,13-16); sie durchdringt auch alle einzelnen Lebensbereiche. „Nomistisch" wird darum der Ganzheit von Innen und Außen mit dem Akzent auf der Innerlichkeit im Verständnis der Gottesfurcht bei Sirach 86 sicher nicht gerecht. D.h. wenn Koh 12,13 einen hermeneutischen Schlüssel für eine relecture Kohelets im Sinne Sirachs darstellt, wird die Beobachtung der Gebote in Gottesfurcht als Vertrauen und Haltung tiefer persönlicher Frömmigkeit hineingebunden. So gehört zur Gottesfurcht - hierin tritt nochmals die Verschiedenheit zweier Persönlichkeiten zutage - bei Sirach als eine zentrale Kategorie weisheitlicher Äußerung und Lehre, wie zu 39,12-35 schon festgestellt, das Lob Gottes*1 das gegen Schluß immer stärker hervortritt. Während Kohelet in seinem zentralen religionskritischen Abschnitt 4,17-5,6, der auf die Gottesfurcht in 5,6 zugeht, auch vor dem wortreichen naiven Beten warnt (5,1) 88 und explizite Gebete völlig fehlen, 89 begegnen bei Sirach sowohl Reflexion als auch Praxis, vor allem das hymnische Element. Sir 15,9f begegnet das Loblied als Anteil bzw. Aufgabe der Lehre des gottesfürchtigen Weisen, 39,5f stehen Gebet und Lobpreis im Zentrum der Charakteristik des schriftgelehrten Weisen; Davids Lob des Schöpfers und seine Sorge für den Kultgesang (47,8-10) machen ihn zu einem herausragenden Beispiel der weisen und frommen Männer (44,5) der Geschichte. Nach Sir 17,8 (17,6-10) ist Erkenntnis und Lobpreis der Großtaten Gottes Wirkung der den Menschen ins Herz gelegten Gottesfurcht. So münden vor allem die großen Schöpfungstexte in das Lob Gottes (vgl. 18,1-14) bzw. sind durch ihre Rahmung als solches zu verstehen (Sir 39,15.35; 42,15-43,33). Aber auch an den für Sirach entscheidenden Einschnitten der Geschichte, nach der Grundlegung des aaronitischen Priestertums m 45,25e.f (H B ) und am Abschluß der feierlichen Liturgie des Hohepriesters Simon, steht die Aufforderung zum Lobpreis. Den Schluß des Buches bildet nochmals das Danklied 51,1-12, und 51,29 ruft er auf, sich seiner

85 86 87 88 89

Neben der großen Monographie von J. Haspecker, Gottesfurcht (1967) vgl. A.A. Di Leila, Meaning (1993), 146-148. Vgl. J. Haspecker, Gottesfurcht ( 1967), 341. Vgl. J. Marböck, Sir 15,9f (1995), 167-175. Vgl. N. Lohfink, Kohelet (41993), 39. Kann man die Aussage Koh 3,11a, daß Gott alles schön gemacht hat, sowie die Aufforderungen zur Annahme der von Gott gewährten Freude als Spuren verhaltenen Gotteslobes bei Kohelet verstehen?

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Lehre zu freuen und seines Liedes nicht zu schämen, 90 das bereits am Beginn (Sir 1,1-10) und in der Mitte (K.24) Lob der Weisheit ist. Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, daß hier Grundoptionen des Werkes zum Ausdruck kommen, die den kritischen Fragen Kohelets und seiner Zurückhaltung in der Rede von Gott und seinem Handeln den Raum des Lobpreises der Tradition Israels nachdrücklich offenhalten. Zum Abschluß Im Gegenüber der zwei Weisen ist Kohelet unbestritten der brillantere Literat und radikalere Denker, der etwas vom unmittelbaren Atem seiner Zeit, dem Verlust von Geborgenheit eingefangen hat. Er fasziniert in der unerbittlichen Konsequenz seiner Fragen und der Kritik vorläufiger traditioneller Sicherheiten und Werte, mit seinem Mut zur Konzentration auf Weniges als Orientierung für Unbehauste: auf das ehrfürchtig-scheue Stehenbleiben vor dem freien Verfügen Gottes, aber zugleich auf den Ruf zur Annahme der Gaben des Schöpfers im Angesicht des Todes. Sirach wirbt wohl kurze Zeit darauf nochmals für seine breite literarische und theologische Synthese der Tradition von Glaube, Kult und Ethos, von Tora, Propheten und Schriften, vielleicht als Angebot bzw. nochmaliger Versuch einer Integration aller Gruppen Israels91 im Haus der Tradition, das ihn noch beherbergt und trägt. Er tut dies in der Sprache der Affirmation, der Bejahung der vom Schöpfer geschenkten Erkenntnismöglichkeiten des Menschen (Sir 17,1-14), dem Gottes Weisheit entgegenkommt, in der Verteidigung und hymnischen Feier der Güte der Werke Gottes, vor allem der kultisch-religiösen Ordnung seiner Tage. Die Zurückhaltung des weisen Schriftgelehrten, auch Kohelets, läßt er nur dort hinter sich, wo er mit an der Tora und den Propheten inspirierter Leidenschaft in Sir 34(31),21-35(31), 17(22) gegenüber Oberflächlichkeit und Mißbrauch des Gottesdienstes an den Gott des Rechtes und der Armen erinnert und nach dem Eingreifen Gottes für sein Volk und den Zion ruft [Sir 35,18(31,22) - 36,17(19)(22)]. Wie immer es um den konkreten Anlaß seines Werkes bestellt sein mag die Schulbuchhypothese bleibt plausibel -, Sirach stellt nicht nur auf Grund diskutabler Anspielungen an Kohelet, sondern durch seine nach Koh 12,12-14 - „vorauslaufend rezipierte" bzw. vorbereitete - Gegenwart im Kanon der griechischen Bibel eine Einladung dar, nach der kritischen Sichtung der Tradition und über die Schritte des „Carpe diem" bei Kohelet hinaus nochmals die konkreten Inhalte „des Ganzen" zu hören (Koh 12,13; vgl. 4,17) bzw. nicht aus dem Blick zu verlieren. Es wäre jedoch zu wenig, ja sogar gefährlich, nur Kohelet durch Sirach „auszubalancieren". Ein redlicher Makler und Zeuge der Tradition wie Sirach 90 91

Vgl. O. Wischmeyer, Kullur (1995), 172f. Vgl. H. van Broekhoven, Model (1990), 26-28.

Kohelet und Sìrach

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bedarf genauso der Herausforderung Kohelets, soll sein bejahendes Wort von Gottes Weisheit, sein Lob nicht leichtfertig klingen. Die Wahrheit der Bibel, des größeren Gottes, gibt es nur in der Vielfalt und Spannung der Stimmen.

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Johannes Marbeck

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Thomas Krüger (Zürich)

Die Rezeption der Tora im Buch Kohelet1 ι.

Der Dichter des großen Tora-Psalms 119 bezeichnet sich als einen Genossen aller, die Jahwe fürchten und seine Befehle halten (V.63), wie es v.a. das Deuteronomium mehrfach fordert. 2 Von daher müßte er sich eigentlich auch mit Kohelet verbunden fühlen, denn auch das Buch Kohelet ruft ja zum Schluß seine Leser dazu auf, Gott zu fürchten und seine Gebote zu befolgen (Koh 12,13). Nun stammt freilich diese Mahnung nicht aus dem Munde bzw. der Feder "Kohelets", des "Autors" und Protagonisten des gleichnamigen Buches. Sie steht vielmehr im Nachwort seines "Herausgebers" und wird von der Mehrzahl heutiger Exegetinnen und Exegeten als ein sekundärer oder tertiärer Zusatz betrachtet, 3 der dem Koheletbuch nachträglich einen etwas "orthodoxeren" Anstrich verleihen sollte. (Dabei projiziert das Etikett "orthodox" allerdings spätere Entwicklungen anachronistisch in die Geschichte des Judentums vor der Zeitenwende zurück.) Sollte die Deutung von Koh 12,13 als "orthodoxe" Ergänzung zutreffen (was ich nicht glaube"), hätte diese jedoch durchaus ambivalente Folgen gehabt. Denn mit dem Nachwort des "Herausgebers" - und vielleicht noch ein paar weiteren kleinen Retuschen im Text - wäre ja die vielfach recht "unorthodoxe" Argumentation Kohelets allenfalls notdürftig und oberflächlich korrigiert, zugleich aber auch mit einer Art "Approbatur" und "Imprimatur" versehen worden, das einem "orthodoxeren" Leserkreis den Zugang zu diesem Buch eröffnete. 5

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2 3 4

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Der vorliegende Beitrag gibt im Wesentlichen unverändert die Textgrundlage für mein Referat in Graz am 5. September 1996 wieder (Abschnitt IX. wurde beim Vortrag etwas gekürzt). Da mir Irmtraud Fischer freundlicherweise die schriftliche Vorlage für ihr Korreferat zur Verfügung gestellt hat, konnte ich einige ihrer Ergänzungen und kritischen Anfragen wenigstens noch in den Fußnoten berücksichtigen. Vgl. Dtn 5,29; 6,2; 8,6; 13,5; 17,19; 28,58; 31,12 und dann auch Sir l,26ff; 10,19; 23,27; 32,22-33,1. Vgl. z.B. O. Kaiser, Grundriß (1994), 86f. M.E. handelt es sich bei "Autor" bzw. "Protagonist" und "Herausgeber" um verschiedene literarische "Stimmen" im Koheletbuch, das auf einen Verfasser zurückgeht, vgl. Μ Κ Fox, Qohelet (1989), 3 l l f f . Vgl. z.B. A. Lauha, Kohelet (1978), 223.

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Thomas Krüger

Sieht man sich jedoch den Text und seinen Kontext genauer an, wird es m.E. durchaus fraglich, ob die Mahnung, Gott zu fürchten und seine Gebote zu halten, am Ende des Koheletbuchs wirklich so "orthodox" ist, wie sie heutigen Exegetinnen und Exegeten offenbar weithin erscheint. So ist es bereits unklar, ob V.l 3 überhaupt als Fazit des Koheletbuchs zu lesen ist. In diesem Sinne versteht den Text z.B. die Zürcher Bibel von 1931, die folgendermaßen übersetzt: "Die Summe des Ganzen höre: Fürchte Gott und halte seine Gebote! ,.."6 Mindestens ebenso gut möglich wäre es aber auch, V. 13 als Aussage über die vielen Bücher zu verstehen, vor deren ermüdender Lektüre V. 12 warnt. Norbert Lohfink 7 hat kürzlich vorgeschlagen, Koh 12,12f dementsprechend zu interpretieren: "Doch (vor) mehr als diese(n) [in V. 11 genannten 'Worten von Weisen'] - (davor,) mein Sohn, nimm dich in acht! Selbst wenn man niemals aufhörte, immer noch mehr Bücher zu machen, und den Leib ruinierte durch immer noch mehr Studieren, wäre, nachdem man alles gelesen hat, das Schlußwort nur: Fürchte Gott und halte seine Gebote!" Will man in der Übersetzung beide Verständnismöglichkeiten offen halten, könnte man V.l 1-13 etwa folgendermaßen wiedergeben: "Worte von Weisen sind wie Ochsenstacheln, und wie eingeschlagene Nägel sind gesammelte Sprüche. Sie sind von einem einzigen Hirten gegeben. Und über diese hinaus - mein Sohn, laß dich warnen! - werden viele Bücher gemacht, ohne Ende, doch das viele Studieren ermüdet den Leib. Ist alles gehört, lautet der Schluß: Fürchte Gott und halte seine Gebote ..."* Interpretiert man die Mahnung, Gott zu fürchten und seine Gebote zu halten, als Fazit nicht des Koheletbuchs, sondern der ebenso zahlreichen wie (nach V. 12) ermüdenden religiösen Literatur seiner Zeit, würde das Nachwort des Koheletbuchs keineswegs auf die Linie einer "orthodoxen" Tora-Frömmigkeit einschwenken, sondern diese vielmehr ironisch aufs Korn nehmen. Aber auch wenn man V . l 3 als Fazit des Koheletbuchs versteht, erhält die Mahnung, Gott zu fürchten und seine Gebote zu halten, durch den darauf folgenden, von den Kommentatoren häufig übergangenen Satz: "Das gilt für alle

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Ähnlich die Luther-Bibel von 1984: "Laßt uns die Hauptsumme aller Lehre hören ..." und die römisch-katholische "Einheitsübersetzung" von 1980: "Hast du alles gehört, so lautet der Schluß ..." Näher am Hebräischen bleibt A. Lauha, Kohelet (1978), 221: "Zu guter Letzt laßt uns die Summe hören ..." Zur Syntax vgl. A. Schoors, Preacher (1992), 168.207f. Zu ηιο vgl. Dan 7,28 (Kròn η NS1D) und Sir 43,27 ( i m γρ). Ν. Lohfink, Satzeröffnungen (1996), 133f; vgl. ders., Epilogues (1995), 90ff. So die (vorläufige) Neuübersetzung des Koheletbuchs für die Zürcher Bibel (1996). Bei deutschen Kohelet-Zitaten lehne ich mich im Folgenden eng an diese Übersetzung an. Auf eine detailliertere Diskussion philologischer Probleme muß ich hier leider verzichten, vgl. dazu neben den Kommentaren bes. A. Schoors, Preacher (1992).

Die Rezeption der Tora im Buch Kohelet

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Menschen", 9 eine neue Wendung, die möglicherweise ganz "unorthodox" ist. Man könnte diesen Satz so verstehen, daß eigentlich alle Menschen den Gott Jahwe verehren und die (mosaische?) Tora befolgen sollten 10 - auf die "Israel" dann jedenfalls anders als in Bar 3,9-4,4 keinen exklusiven Anspruch geltend machen könnte. Man kann Koh 12,13 mit seinem Schlußsatz aber auch als rein pragmatische Empfehlung an alle Menschen interpretieren, sich im alltäglichen Leben "undogmatisch" an die religiösen und kulturellen Normen zu halten, die sie jeweils gerade in ihrem Lebensumfeld vorfinden." Das würde einer skeptischen Lebenspraxis entsprechen, wie sie Sextus Empiricus in seinem "Grundriß der pyrrhonischen Skepsis" beschreibt (I 23f): "Wir halten uns ... an die Erscheinungen und leben undogmatisch nach der alltäglichen Lebenserfahrung"; dazu gehört u.a. die "Überlieferung von Gesetzen und Sitten", aus der "wir es für das alltägliche Leben so übernehmen, daß wir die Gottesfurcht als ein Gut, die Gottlosigkeit als ein Übel betrachten ... Dieses alles meinen wir jedoch undogmatisch".12 Franz Delitzsch 13 schrieb in seinem Kommentar zu Koh 12,13: "Es ist ein großer Ged[anke] der damit ausgesprochen ist, näml[ich] die Reduction des israelitischen Gesetzes auf seinen gemeinmenschlichen Kern." Statt von einer "Reduction" sollte man jedoch m.E. besser von einer "Relativierung" der Tora sprechen. Auf ihren "gemeinmenschlichen Kern" reduziert wird die Tora eher durch die ethische Maxime, Gott zu fürchten und sich vom Bösen fernzuhal9

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So die (vorläufige) Neuübersetzung der Zürcher Bibel (1996) und die Luther-Bibel. Vgl. die Zürcher Bibel (1931): "denn das ist jedes Menschen Sache" und A. Lauha, Kohelet (1978), 221: "denn das gilt für jeden Menschen". Anders die "Einheitsübersetzung"·. "Das allein hat jeder Mensch nötig." Möglich wäre auch die Übersetzung: "das ist der ganze Mensch" (so ιV. Lohfink in einem Diskussionsbeitrag), deren Sinn mir freilich im vorliegenden Kontext nicht ganz deutlich ist. Vgl. z.B. Dtn 4,6-8 (aber auch V.19!); Jes 2,3f; 42,3f; 51,4f; Mi 4,2f (aber auch V.5!); dazu etwa N. Lohfmk / E. Zenger, Gott (1994); I. Fischer, Tora (1995). In ihrem Korreferat wies I. Fischer darüber hinaus noch auf Jes 24,5 und Sir 17,11-14 (dazu: J. Marböck, Gesetz [1995]) hin. Vgl. zu vorbildlicher "Frömmigkeit" außerhalb Israels (und ohne Tora) z.B. Gen 20 (V.ll!); Jona 1; 3; Mal 1,11.14; Ruth und Hiob. Übers. M. Hossenfelder, Sextus Empiricus (1985), 99: "[23] Wir halten uns also an die Erscheinungen und leben undogmatisch nach der alltäglichen Lebenserfahrung, da wir gänzlich untätig nicht sein können. Diese alltägliche Lebenserfahrung scheint vierteilig zu sein und teils aus Vorzeichnung der Natur, teils aus Erlebniszwang, teils aus Überlieferung von Gesetzen und Sitten, teils aus Unterweisung und Techniken zu bestehen. [24] Und zwar aus natürlicher Vorzeichnung, sofern wir von Natur aus die Fähigkeit besitzen, sinnlich wahrzunehmen und zu denken; aus Erlebniszwang, sofern uns Hunger zur Nahrung, Durst zum Getränk führt; aus Überlieferung von Sitten und Gesetzen, sofern wir es für das alltägliche Leben so übernehmen, daß wir die Gottesfurcht als ein Gut, Gottlosigkeit als ein Übel betrachten; aus Unterweisung in Techniken schließlich, sofern wir nicht untätig sind in den Techniken, die wir übernehmen. Dieses alles meinen wir jedoch undogmatisch." F. Delitzsch, Hoheslied (1875), 422.

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ten, wie sie im Buch Hiob vertreten wird (vgl. Hi 1,1.8; 2,3; 28,28). Sie setzt voraus, daß der Mensch auto-nom selbst bestimmen kann, was gut ist und was böse (vgl. Hi 31,1 [ff]). Koh 12,13 trägt demgegenüber dem Sachverhalt Rechnung, daß der Mensch bei seinen ethischen Urteilen und Entscheidungen immer schon mit traditionalen Vorgaben konfrontiert ist,14 die er kritisch reflektieren kann (und muß, vgl. Koh 6,1 Iff), von denen er sich aber nicht völlig emanzipieren kann, die mithin eine relative Geltung behalten. Angesichts der Mehrdeutigkeit von Koh 12,13 erscheint es mir jedenfalls fraglich, ob das Nachwort des Koheletbuchs wirklich so ungebrochen dem entspricht, was man gemeinhin unter einer "orthodoxen" Tora-Frömmigkeit versteht. Möglicherweise ist die Aufforderung, Gott zu fürchten und seine Gebote zu halten, gar nicht so weit entfernt von dem Ansatz einer vernünftigen und kritischen Rezeption religiöser Traditionen, der für das Korpus des Buches (Koh 1,3-12,7) charakteristisch ist. II. Darin wird zwar mehrfach zur Gottesfurcht aufgerufen,15 nicht aber dazu, Gottes Gebote zu halten.16 Doch wer Koh 4,17 entsprechend den Tempel aufsucht, um dort etwas zu hören, wird sich der Tora, die er dort ja wahrscheinlich u.a. auch zu hören bekommt, wohl nicht prinzipiell verschließen. So nimmt denn auch im unmittelbar anschließenden Kontext Koh 5,3f eine Bestimmung der Tora der Sache und zum Teil auch dem Wortlaut nach auf: "Wenn du Gott ein Gelübde ablegst, erfülle es ohne Verzug. Denn die Toren gefallen ihm nicht. Was du gelobst, das halte. Besser du gelobst gar nichts, als daß du gelobst und es nicht hältst." Sowohl die Aufforderung, Gelübde ohne Verzug zu erfüllen, als auch das Zugeständnis, auf Gelübde ganz zu verzichten, entsprechen Dtn 23,22-24. Beides wird in Koh 5,3f aber nicht ausdrücklich als Tora-Bestimmung zitiert, sondern als ein Wort Kohelets vorgebracht, das einer besonderen Legitimation und Autorisierung durch die Tora keineswegs bedarf. Zudem wird die Anweisung in Koh 5 anders begründet als in Dtn 23. In Dtn 23,22f wird der Forderung, Gelübde unverzüglich zu erfüllen, Nachdruck verliehen durch die Drohung, Gott werde ein unerfülltes Gelübde einfordern (tü~H), und es werde als Sünde (ΧίΰΠ) am Menschen haften, während das Unterlassen von Gelübden keine Sünde darstelle. Nach Koh 5,3 hingegen wäre es einfach töricht, ein

14 15 16

Vgl. die enge Verbindung von "Gottesfurcht" und "Belehrung" in Spr l,7ff und 9,Iff. Vgl. Koh 3,14; 5,6; 7,18; 8,12f und dazu etwa F.J. Backhaus, Zeit (1993), 361ff; L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 320ff. In Koh 8,5 kann rmn sowohl einen "Befehl" des Königs meinen als auch ein "Gebot" Gottes oder die in V.2-4 formulierte "Anweisung". V.5 wird durch die Fortsetzung in V.6-9 jedenfalls kritisch korrigiert (s.u. IX.).

Die Rezeption der Tora im Buch Kohelet

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abgelegtes Gelübde nicht zu erfüllen, und würde (Gott) nicht gefallen." Die Tora-Bestimmung über die Gelübde wird hier also schlicht deshalb rezipiert, weil sie vernünftig und allgemein einsichtig erscheint, und sie wird im Rezeptionsvorgang zugleich dementsprechend modifiziert.18 Dabei wird vielleicht auch auf der Grundlage von Dtn 23,22ff an anderen Bestimmungen der Tora Kritik geübt. Die Forderung, seine Gelübde unverzüglich zu erfüllen, läßt nämlich die in Num 30 eingeräumte Möglichkeit der Aufhebung von Gelübden (von Frauen durch ihren Mann bzw. Vater) ebenso problematisch erscheinen wie die Bestimmungen zur Erleichterung der Erfüllung von Gelübden in Lev 27. Andererseits macht die Freistellung des völligen Verzichts auf Gelübde klar, daß diese keineswegs zu den von Gott mehr oder weniger selbstverständlich erwarteten Äußerungen der Frömmigkeit gehören, wie es z.B. Dtn 12 vorauszusetzen scheint.19 In ähnlicher Weise relativiert auch Koh 4,17 die religiöse Bedeutung des (Schlacht-) Opfers (Π2Τ) - wenn dieses hier nicht sogar rundweg als töricht (dis)qualifiziert wird. "Gib acht auf deine Füße, wenn du zum Hause Gottes gehst. Und tritt hinzu, um zu hören, und nicht, um ein Schlachtopfer zu stiften wie die Toren. Sie erkennen nicht, daß sie Schlechtes tun."20 Koh 5,5 warnt sowohl vor der Sünde als auch vor deren nachträglicher Verharmlosung als Versehen (Π33Β): "Laß nicht zu, daß dein Mund dich in Schuld bringt, und sage nicht vor dem Boten (d.h. wohl: dem Priester): Es war ein Versehen." Wie u.a. Lev 4-5 und Num 15 zeigen, bedeutet Π33ΪΙ - als '"Irrtum' im Sinne von 'unwissentlichem, unbeabsichtigtem Vergehen'" - "nicht geringere Schuld oder Schuldlosigkeit, sondern lediglich das bevorzugte Angebot von Sühne".21 In Lev 4-5 werden neben "versehentlichen" (Kap. 4; 5,14-19) und "verborgenen" (5,2fï) Verschuldungen auch Vergehen wie die Unterlassung 17

18

19 20

21

In vergleichbarer Weise wird etwa auch der Aufruf zur Freigebigkeit in Koh l l , l f anders als in Dtn 15,7-11 nicht mit Sünden-Drohungen und Segens-Versprechungen motiviert, sondern rein "vernünftig" mit dem Hinweis auf die Kontingenz und Unvorhersehbarkeit der Zukunft. Vgl. auch Koh 10,20 mit Ex 22,27 und Koh 7,7 mit Ex 23,8/Dtn 16,19. Vgl. F.J. Backhaus, Zeit (1993), 181f. Daß "Kohelet aus der religiösen Praxis ausgerechnet die Gelübde in dieser Breite heraus [greift]", hängt wohl auch damit zusammen, daß "bei ihnen die Gefahr, die Unverfügbarkeit Gottes aus den Augen zu verlieren, besonders groß ist", worauf I. Fischer in ihrem Korreferat hinwies. Siehe V.6.11.17.26. Vgl. auch Ps 76,12; Jon 1,16; 2,10 u.a. und CA. Keller: THAT II 41f. Nach Koh 9,2 gab es jedenfalls Menschen, die nicht opferten. - Zu den philologischen Problemen von Koh 4,17 vgl. A. Schaars, Preacher (1992), 171.179.182f.208; F.J. Backhaus, Zeit (1993), 175f. Zur Sache ("Hören" statt "Opfern") vgl. u.a. 1 Sam 15,22; Jes 1,10-20; 66,1-4; Jer 6,16-21; 7,21-23; Ps 40,7. Daß Koh 4,17 "in prophetischer Tradition" stehe, wurde von I. Fischer in ihrem Korreferat betont. R. Knierim: THAT II 870 und 872; vgl. N. Lohfink, Tor (1983).

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einer Zeugenaussage (5,1), Veruntreuung, Meineid u.a. (5,20ff) als sühnbar betrachtet, die kaum ohne Bewußtsein und Vorsatz begangen werden können. Nach Num 15 scheint hingegen nur für "versehentlich" begangene Sünden kultische Sühnung und Vergebung möglich zu sein (V.22-29), während vorsätzliche, "mit erhobener Hand" ausgeführte Vergehen mit der Ausrottung aus der Volksgemeinschaft geahndet werden müssen (V.30f; vgl. als Illustration die Steinigung eines "Sabbatschänders" in V.32-36).22 Folgt man dieser strengeren Sicht, ist eine Teilnahme am Tempelkult nur für solche Menschen möglich, die sich außer Versehen nichts zuschulden kommen lassen23 - bzw. alles, was sie sich zuschulden kommen lassen, als Versehen erklären können (vgl. Koh 10,4f).24 Gegen eine derartige Verharmlosung oder Verleugnung von Schuld fordert Koh 5,5 zu einem vernünftigen Umgang damit auf - im Bewußtsein, daß "kein Mensch auf Erden so gerecht ist, daß er nur Gutes tut und niemals sündigt" (Koh 7,20). Wieder geschieht dies sozusagen mit der Tora (Lev 4-5) gegen die Tora (Num 15), wobei Num 15,25ba (Κ1Π TO© Ό) vielleicht sogar in Koh 5,5ay "zitiert" wird.25 III.

Dieser vernünftig-kritische Ansatz der Tora-Rezeption im Koheletbuch steht im Widerspruch zur Forderung eines buchstäblich "blinden"26 Tora-Gehorsams, wie sie in der Tora Num 15,38-40 erhebt. Danach sollen die Israeliten an den Zipfeln ihrer Gewänder Quasten mit einer Schnur aus blauem Purpur anbringen, deren Funktion folgendermaßen beschrieben wird: "Ihr sollt sie ansehen und dabei an alle Gebote Jahwes denken und sie tun und sollt nicht eurem Herzen und euren Augen nachforschen, denen ihr nachhurt, damit ihr an alle meine Gebote denkt und sie tut und eurem Gott heilig seid. "

22 23 24

25 26

Vgl. M. Fishbane, Inteipretation (1985), 190ff. Vgl. auch die sog. "TempeleinlaJMiturgien" in Ps 15 und 24. Während Ps 19,13f "Versehen" und "verborgene (Sünden)" im Gegensatz zu "schweren Vergehen" für unvermeidlich (und vergebbar) hält, scheint es Ps 119 für durchaus möglich zu halten, daß ein Mensch (mit Gottes Hilfe) auch solche "Irrtümer" vermeiden kann (vgl. V.10.21.67.118). Vgl. F.J. Backhaus, Zeit (1993), 183 Anm. 55. (Die Formulierung ist freilich nicht so signifikant, daß der Schluß auf ein "Zitat" zwingend erschiene.) Mit Recht wies I. Fischer ("als Katholikin mit einer sinnenfalligen religiösen Tradition") in ihrem Korreferat darauf hin, daß die Quasten als "sinnenfallige Aufforderung, sich der Gebote der Tora zu erinnern", nach Num 15,39 von den Israeliten angesehen werden sollen, so daß man sie nicht einfach "als Ausdruck einer blind zu nennenden Tora-Observanz" interpretieren könne. Doch scheint mir (als Protestant?) in Num 15 mindestens die Gefahr erkennbar zu werden, daß "sinnenfallige" (und von Menschen verfertigte!) "religiöse" Symbole den Blick auf die "alltägliche" Lebenserfahrung ("Augen") und ihre vernünftige Interpretation ("Herz") nicht nur erschließen, sondern auch verstellen können.

Die Rezeption der Tora im Buch Kohelet

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Wie bereits die Rabbinen bemerkt haben (vgl. bSabbat 30b), läuft dem die Aufforderung in Koh 11,9 diametral entgegen: "Geh deinen Weg mit Verstand und mit offenen Augen!" (wörtlich: "Geh auf den Wegen deines Herzens und im Sehen deiner Augen!"). Sie wird durch den Nachsatz: "Und wisse, daß über all dies Gott mit dir ins Gericht gehen wird!", wohl nicht relativiert oder korrigiert, sondern im Gegenteil noch verstärkt: Gott wird den Menschen dafür zur Rechenschaft ziehen, ob er von seinem Herzen und seinen Augen, seiner Vernunft und seiner Erfahrung lebensorientierenden Gebrauch macht.27 Auch diese pointierte Gegenposition zu Num 15 kann sich freilich auf die Tora berufen. Besonders das Deuteronomium zeichnet sich aus durch ein nachdrückliches "Dringen auf Beteiligung des ganzen lëb" an der Frömmigkeit: "Der Mensch wird hier aufgerufen zum Hören und Handeln 'von ganzem Herzen und von ganzer Seele1 (Dtn 4,29; 6,5; 10,12; 11,13). Sein Wissen um Jahwes Taten soll er im Herzen bewahren (4,9.39; 6,6; 8,5 u.ö.)".28 Und dieses Wissen basiert auf dem, was seine Augen gesehen haben (3,21; 4,3 .9.34; 6,22; 7,19; 9,17; 10,21; 11,7; 29,lf). Wenn das Programm einer "Beherzigung" der Tora im Deuteronomium auch bisweilen einer massiven Indoktrination (mindestens) bedenklich nahekommt, 29 steht es doch wenigstens im jetzt vorliegenden Textzusammenhang unter dem Vorzeichen von Dtn 4,6-8. Danach ist die Tora von Israel zu "beherzigen", weil sie vernünftig und gerecht ist und als solche nicht nur den Israeliten einsichtig, sondern allen Menschen, die sie hören. Auf dieser Linie ließe sich gegen Num 15 eine vernünftig-kritische Rezeption der Tora aus der Tora selbst begründen. 30 Eine solche Begründung findet sich nun aber im Koheletbuch nicht. Das dürfte damit zusammenhängen, daß das Koheletbuch nicht nur einzelne Texte und Bestimmungen der Tora vernünftig-kritisch rezipiert, sondern auch ein Konzept der gesamten Tora als letztinstanzlich-normativer, kanonischer "Weisung" Gottes kritisch in Frage stellt - und dies aus gewichtigen theologischen Gründen. IV. Koh 3,14 stellt fest, "daß alles, was Gott schafft, endgültig ist. Nichts ist ihm hinzuzufügen und nichts ist davon wegzunehmen". Wie in Sir 42,21 wird hier die in Dtn 4,2 und 13,1 gebrauchte "Kanonformel" 31 vom Wort der Tora auf 27

28 29

30 31

Vgl. die Hinweise auf bNedarim 10a sowie Graetz und Levy bei L. SchwienhorstSchönberger, Glück (1994), 226 Anm. 126 (der Koh 11,9b "[m]it den meisten Auslegern ... für eine sekundäre Erweiterung des zweiten Epilogisten" hält: ebd. 226). F. Stolz: THAT I 865. Vgl. zur "Erinnerungskultur" des Dtn und seinen Mitteln "kollektiver Mnemotechnik" J. Assmann, Gedächtnis (1992), 212ff (bes. 218ff), zu ihren problematischen Aspekten B. Lang, Orwell (1984). Vgl. Th. Krüger, Herz (1997). Vgl. auch Jer 26,2; Spr 30,6 und z.B. J. Assmann, Gedächtnis (1992), 103ff.

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das gesamte Wirken Gottes übertragen. Dieses muß nicht wie der Wortlaut der Tora vor Veränderungen geschützt werden - es kann überhaupt nicht verändert werden und muß es auch nicht,32 denn Gott "hat alles so gemacht, daß es schön ist zu seiner Zeit" (Koh 3,11). Von daher ist es als "Kanon" sehr viel besser geeignet als ein Text wie die Tora, der vom "Lügengriffel der Schreiber" verfälscht werden kann (Jer 8,8), und der möglicherweise auch Bestimmungen enthält, die nicht gut und nicht lebensförderlich sind (Ez 20,25). 33 Zweifellos kann man Koh 3,14 in seinem Kontext auch verstehen, ohne die Tora und ihre Deutung als letztinstanzlich-normative "Weisung" Gottes durch die "Kanonformel" zu kennen. Insofern läßt es sich nicht "beweisen", daß Koh 3,14 mit intertextueller Bezugnahme auf Dtn 4,2 und 13,1 formuliert ist.34 Für sich allein gelesen besagt Koh 3,14 schlicht und einfach, daß Gottes Wirken vom Menschen nicht verändert werden kann (und muß). Setzt man den Text jedoch in eine intertextuelle Beziehung zur Tora, erweitert sich die Bedeutung von Koh 3,14 dahingehend, daß die Tatsache, daß Gottes Wirken nicht veränderbar und nicht veränderungsbedürftig ist, für den Menschen von lebensorientierender, "kanonischer" Bedeutung ist. Genau diese Funktion hat aber das Wirken Gottes nach Koh 7,13f: "Betrachte das Werk Gottes: Wer kann gerade machen, was er gekrümmt hat? Am Tag des Glücks sei guter Dinge, und am Tag des Unglücks bedenke: Auch diesen wie jenen hat Gott gemacht. Denn was künftig sein wird, kann der Mensch nicht wissen." Auch der Schlußsatz von Koh 3,14: "Gott hat es so gemacht, daß man sich vor ihm fürchtet", ergibt unter der Voraussetzung, daß hier die Funktion des "Kanons" von der Tora auf das gesamte Wirken Gottes übertragen wird, einen guten Sinn, ist es doch nach Dtn 4,10; 17,19 und 31,12f die Tora, welche die Jahwefurcht lehrt. Trifft es zu, daß Koh 3,14 die Kanonizität der Tora kritisch relativiert durch die Kanonizität des gesamten Wirkens Gottes, ergibt sich daraus eine Reihe von Folgeproblemen: Soll sich der Mensch am gesamten Wirken Gottes orientieren, muß er (oder sie) es ja zunächst einmal als solches erkennen und begreifen. Wie aber kann er das? Handelt es sich bei "allem, was Gott schafft", um die Gesamtheit der Erfahrungswirklichkeit des Menschen oder um einen Teilbereich oder einen Aspekt davon? Worin kann überhaupt eine mögliche Orientierungsleistung erfahrener oder erfahrbarer Wirklichkeit bestehen? Gibt es eine "Normativität des Faktischen"? Müssen Erfahrungen nicht allererst als Erfahrungen des Wirkens Gottes interpretiert werden? Können nicht überhaupt nur interpretierte Erfahrungen orientierende Funktion haben? Woran 32 33

34

Zum Bedeutungsspektrum der Wendung ρκ + b + Inf.cs. ("nicht dürfen / können / müssen") vgl. Est 4,2; 8,8; Esr 9,15; 1 Chr 23,26. Eine im Ansatz vergleichbare Relativierung der (schriftlichen) Tora durch das gesamte Wirken Gottes zeigt sich etwa auch in der Konzeption von "Gesetz" ( m i n ) und "Zeugnis" (ΠΤΊΒΠ) im Jubiläenbuch, vgl. O.H. Steck, Zeugen (1995 / 1996). Zum Problem vgl. etwa J. Heibig, Intertextualität (1996).

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aber kann und soll sich dann die Interpretation der Erfahrungswirklichkeit selbst orientieren? Was ist ihr "Kanon"? Diese Folgeprobleme, die sich aus der Übertragung der "Kanonformel" von der Tora auf das gesamte Wirken Gottes in Koh 3,14 ergeben, werden im Koheletbuch keineswegs ausgeblendet, sondern intensiv reflektiert - und dies mit substantiellem Rückgriff auf die Tora. Das möchte ich im Folgenden zeigen. V. Nach Koh 3,11 hat Gott "alles so gemacht, daß es schön ist zu seiner Zeit". Diese Behauptung wird im Koheletbuch mit keinem Wort begründet. Sie kommt nach Koh 1,12-2,26 sogar eher überraschend, denn dort war eigentlich nur von negativen Aspekten des Wirkens Gottes die Rede: Er überläßt den Menschen die "leidige Mühe", "in Weisheit alles zu erforschen und zu erkunden, was unter dem Himmel getan wird" (1,13); er hält den Menschen in einer solchen Abhängigkeit, daß er aus eigener Kraft nicht einmal "essen und trinken und sich etwas Gutes gönnen kann bei seiner Mühe" (2,24); und er teilt den Menschen Weisheit, Freude und Güter in einer Weise zu, die nur als willkürlich und "sinnlos" (^3Π) bezeichnet werden kann (2,26). Ich habe an anderer Stelle zu zeigen versucht, daß die Ausführungen von Koh 1,12-2,26 in Koh 3,10-4,12 kritisch reflektiert und korrigiert werden. 35 Während in 1,12-2,26 die Erfahrungswirklichkeit danach beurteilt wird, ob sie dem Menschen ein "gutes Leben" mit Gütern, Weisheit und Freude verfügbar macht - was in 2,22-26 zu einem insgesamt negativen Ergebnis fuhrt - , wird in 3,1 Off genau umgekehrt von den Gegebenheiten der Erfahrungswirklichkeit her allererst bestimmt, was für den Menschen ein "gutes Leben" sei (vgl. 3,12f.22). Dabei verweist 3,12f auf die unmittelbare Evidenz des "Guten": Die Menschen bringen nichts "Gutes" zustande, außer "Gutes zu tun" und "Gutes zu genießen". Die Pointe dieser Tautologie zeigt sich im Vergleich mit den Ausführungen in 1,12-2,26. Dort erwiesen sich nämlich alle vermeintlichen "Güter" wie "Weisheit", "Freude" oder "große Werke" bei nachträglicher Reflexion als "nichtig" und "Greifen nach Wind". Demgegenüber hält 3,12f daran fest, daß gut ist, was dem Menschen in elementarer und unmittelbarer Evidenz als gut erscheint. Gutes zu tun und Gutes zu genießen, zu essen, zu trinken und sich zu freuen. Mit dieser Berufung auf die unmittelbare Evidenz des "Guten" wird aber die Argumentation von 1,12-2,26 nicht wirklich widerlegt, denn nach dem dort Ausgeführten erscheint ja die vermeintliche Evidenz des "Guten" gerade problematisch. Das entscheidende Gegenargument findet sich vielmehr in 3,11: "Er (Gott) hat alles so gemacht, daß es schön ist zu seiner Zeit. Auch hat 35

Vgl. Jh. Krüger, Qoh 2,24-26 (1994).

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er ihnen (den Menschen) die ferne Zeit ins Herz gelegt, nur daß der Mensch das Werk, das Gott gemacht hat, nicht von Anfang bis Ende begreifen kann." Im Anschluß an 3,1-9 ergibt sich daraus erstens, daß erfolgreiches menschliches Handeln in jedem Fall von Zeitumständen abhängt, die menschlicher Kontrolle entzogen sind. Wenn aber alles, was der Mensch zustande bringt, für ihn nur "zu seiner Zeit" und mithin relativ verfügbar ist, können auch Essen, Trinken und Freude nicht dadurch entwertet werden, daß sie "aus Gottes Hand" kommen (2,24); sie sind vielmehr "ein Geschenk Gottes" (3,13). Die in 1,12-2,26 vorgeführte "Entwertung alles Unverfügbaren 1,36 wird damit hinfälKgWenn Gott "alles so gemacht hat, daß es schön ist zu seiner Zeit", folgt daraus zweitens, daß es "schön" ist, wenn der Mensch genau dann Gutes tut und Gutes genießt, wenn er dazu in der Lage ist. Freude und Genuß können dann nicht dadurch entwertet werden, daß sie nicht Frucht eigener Anstrengungen des Menschen sind (vgl. 2,1 Of. 19) oder dem Menschen nicht zuverlässig als bleibender "Gewinn" seiner Anstrengungen erhalten bleiben (vgl. 2,1 Iff). Auch damit entfällt ein zentrales Argument für die Abwertung von Freude und Genuß in 1,12-2,26. Schließlich besagt 3,11 drittens, daß der Mensch das Werk Gottes "nicht von Anfang bis Ende begreifen kann". Damit wird die Mehrdeutigkeit der Erfahrungswirklichkeit reflexiv eingeholt, die sich im Nebeneinander von 1,12-2,26 und 3,10-4,12 zeigt. Damit entsteht aber zugleich auch das Problem, woher der Mensch eigentlich wissen kann, daß Gott "alles so gemacht hat, daß es schön ist zu seiner Zeit". Die Einsicht, daß alles zu seiner Zeit schön ist, vermag vielleicht das Gedicht in 3,1-8 zu vermitteln. Daß Gott es so gemacht hat, mag unter der - zur Enstehungszeit des Koheletbuchs noch weithin akzeptablen - Voraussetzung plausibel erscheinen, daß die Erfahrungswirklichkeit als Ganze auf das Wirken einer (oder auch mehrerer) Gottheiten) zurückzuführen ist. Das in Koh 3 entwickelte Konzept des Wirkens Gottes und der Beziehung des Menschen dazu scheint aber auch und nicht zuletzt in Rezeption der biblischen Urgeschichte entwickelt zu sein und für die intendierten Leser des Koheletbuchs auf diesem Hintergrund an Plausibilität zu gewinnen.37 VI.

Nach Gen 1,31 sah Gott, nachdem er die Welt geschaffen hatte, "alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut" (vgl. V.4.10.12.18.21.25). Wenn 36 37

Zu diesem Grundansatz hellenistischer Philosophie vgl. M. Hossenfelder, Philosophie (1985), 34 u.ö. Vgl. C.C. Forman, Use (1960); H.W. Hertzberg, Prediger (1963), 229f; L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 103ff; kritisch dazu D. Michel, Qohelet (1988), 67ff; F.J. Backhaus, Zeit (1993), 120ff.

Die Rezeption der Tora im Buch Kohelet

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Koh 3,11 statt "gut" (31B) das Prädikat "schön" (ΠΕΡ) verwendet, soll damit kaum das positive Urteil über die Schöpfung Gottes abgeschwächt werden (so H.-P. Müller).38 Eher wird hier das Prädikat "gut" aus Gen 1 im Sinne von "griechisch-kosmologischem kalos" interpretiert (so O. Kaiser).39 Vor allem aber scheint der Wechsel von "gut" in Gen 1 zu "schön" in Koh 3 damit zusammenzuhängen, daß in Gen 1 von der ursprünglichen Schöpfung Gottes ("am Anfang") die Rede ist, in Koh 3 hingegen von der Welt in ihrer gesamten zeitlichen Erstreckung ("alles ... zu seiner Zeit"). Diese ist aber auch nach der Urgeschichte nicht mehr so uneingeschränkt "gut" wie "am Anfang": "Gott sah die Erde an", heißt es zu Beginn der Sintfluterzählung (Gen 6,12), "und siehe, sie war verdorben, denn verdorben hatte alles Fleisch seinen Weg auf der Erde." Nach der Urgeschichte ist demnach die Erfahrungswirklichkeit des Menschen nicht einfach identisch mit der Schöpfung Gottes. Zwischen beiden besteht eine Differenz in zweifacher Hinsicht: Zum einen hat sich die ursprünglich in jeder Hinsicht "sehr gute" Schöpfung im Lauf der Zeit so verändert, daß die Erde "verdorben" wurde. Zum anderen geht dieser Prozeß nicht (allein)40 auf das Wirken Gottes zurück, sondern auf das Wirken "allen Fleisches", das die Erde mit seiner "Gewalttätigkeit" (ΟΏΠ) erfüllt (Gen 6,11.13). Dabei spielt insbesondere das Verhalten des Menschen eine Rolle, dem Gott ja nach Gen 1 die Herrschaft über die Tierwelt übertragen hatte: Seine "Bosheit" ist groß und das "Denken" seines "Herzens" nur böse (Gen 6,5; vgl. 8,21). Koh 3 kann nun verstanden werden als ein Versuch, dieses Konzept der Erfahrungswirklichkeit als "gebrochener" Schöpfung Gottes so zu reformulieren, daß die Differenz zwischen Schöpfungs- und Erfahrungswelt nicht als Resultat eines Prozesses verstanden wird, der sich im Lauf der Zeit abgespielt hat, sondern als ein Moment der Konstitution der Erfahrungswirklichkeit, das in der Kontingenz der Zeit selbst erfahrbar ist. Auch wenn die Welt als Schöpfung Gottes aus der Sicht des Menschen "gute" und "schlechte" Seiten hat (vgl. Koh 7,14), ist und bleibt sie doch insgesamt "schön" (Koh 3,11).41 Während die Urgeschichte in Gen 1,1-2,3/4 prononciert von einer Schöpfung Gottes "am Anfang" spricht, die nach sechs Tagen "fertig war" (Π*?3 pi.: Gen 2, If), versteht Koh 3,11-15 die Wirklichkeit in ihrer gesamten zeitlichen 38

39 40 41

H.-P. Müller, Skepsis (1986), 14. Die griechische Übersetzung des Sirachbuchs gibt das hebräische aiB in 39,16 mit καλός wieder, in V.33 hingegen mit αγαθός, hält also beide Prädikate offenbar für austauschbar. O. Kaiser, Mensch (1985), 101. Vgl. immerhin das nicht ganz unproblematische Verhalten der "Götter" in Gen 6,1-4. Demgegenüber hält Jesus Sirach (gegen Koh 3,11? - so H.-P. Müller, Skepsis [1986], 14 Anm. 60) daran fest, daß die Werke Gottes auch in der gegenwärtigen Erfahrungszeit allesamt "gut" (Sir 39,16.33) und "begehrenswert" (Sir 42,22) sind, muß dann aber doch zugestehen, daß auch "Schlechtes erschaffen" wurde (Sir 40,10: "wegen des Frevlers"; vgl. 39,21.25.27.34 neben V.16.33).

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Erstreckung als "Werk Gottes".42 Daß damit die üblichen Kategorien der Beschreibung menschlicher Erfahrungswirklichkeit gesprengt werden, lassen die verschiedenen Aussagen über das "Werk Gottes" in Koh 3,11.14f erkennen: Gott hat alles zu seiner Zeit gemacht (Perfekt, V. 11); alles, was er macht (Imperfekt), bleibt auf fernste Zeit, und er hat es so gemacht (Perfekt), daß man sich vor ihm fürchtet (V. 14); indem Gott sucht (Imperfekt), was verloren ging, sorgt er dafür, daß sich im Wechsel der Zeit (vgl. 3,1-8) Gleichartiges wiederholt (V.15, vgl. 1,4-11 und Gen 8,21f).43 Hinter diesem hochkomplexen und spannungsvollen Gefüge von Aussagen über das "Werk Gottes" scheint das Interesse zu stehen, einerseits die Gesamtheit der Erfahrungswirklichkeit als Schöpfung Gottes zu begreifen, andererseits aber doch nicht einfach "alles, was der Fall ist", in gleicher Weise als "Werk Gottes" zu betrachten, um damit sowohl der "schlechthinnigen Abhängigkeit" des Menschen von Gott als auch seiner "relativen Freiheit" in der Welt Rechnung zu tragen. Beides gehört zur menschlichen Selbsterfahrung.44 Die Mythen der Urgeschichte stellen dem Koheletbuch die Sprache zur Verfügung, mit der diese Erfahrung kommuniziert werden kann - und werden zugleich im Lichte dieser Erfahrung neu formuliert. Dabei scheint Koh 3,10-15 v.a. das Moment der Kontinuität zwischen Schöpfungs- und Erfahrungswelt im Blick zu haben, der folgende Abschnitt V. 16-22 hingegen v.a. das Moment der Differenz. VII. Ein Element der Kontinuität zwischen Schöpfungs- und Erfahrungswelt besteht nach Koh 3,11 in den Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkenntnis: Gott hat den Menschen "die ferne Zeit in ihr Herz gelegt, nur daß der Mensch das Werk, das Gott gemacht hat, nicht von Anfang bis Ende begreifen kann". Beides gehört demnach zur schöpfungsmäßigen Konstitution des Menschen. Das ist in der Urgeschichte nicht so eindeutig ausgesagt. Allenfalls in Gen 2-3 könnte man einen Hinweis darauf sehen, doch geht es hier nicht um das Begreifen des gesamten Wirkens Gottes, sondern um die "Erkenntnis von Gut und Böse". Auch diese steht aber nach Koh 6,12 dem Menschen nicht einfach zur Verfügung: "Wer weiß denn, was gut ist für den

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Vgl. bereits "Deuterojesaja" (Jes 40,26.28; 41,20; 42,5; 44,24; 45,7f.l2.18) und dann etwa Sir 43,33 ("Jahwe hat alles gemacht"); 43,27 ("er ist alles"); Arist 210 ("Gott bewirkt ständig alles"); 234 ("alles wird von Gott nach seinem Willen bereitet und verwaltet") oder auch Kleanthes' Zeus-Hymnus (Z.15f: "Kein Werk geschieht auf Erden ohne dich, Gottheit, weder in der göttlichen Äthersphäre noch im Meer" [B. Effe, Hellenismus (1985), 158f]). Zur eschatologie-kritischen Dimension dieses Konzepts vgl. Th. Krüger, Dekonstniktion (1996). Vgl. F. Schleiermacher, Glaube (1830), §32ff.

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Menschen im Leben, in der Zeit seines flüchtigen Lebens, die er verbringt wie ein Schatten?"45 Für den Ansatz einer vernünftig-kritischen Rezeption der Tora im Koheletbuch bildet dieses immer wieder zum Ausdruck gebrachte Bewußtsein der Grenzen menschlicher Erkenntnis und Vernunft 46 ein wichtiges selbstkritisches Korrektiv, das davor bewahren kann, die Möglichkeiten vernünftiger Kritik gegenüber der Tradition zu überschätzen. Es scheint, daß die "Gottesfurcht", zu der das Koheletbuch wiederholt aufruft, vor allem dieses Bewußtsein der eigenen Grenzen wachhält und kultiviert. Eindeutig und unzweifelhaft gut ist nach Koh 3,12f nur eines: Gutes zu tun und Gutes zu genießen, zu essen, zu trinken und sich zu freuen. 47 Wenn dieses "Gute" zugleich als "schön" qualifiziert (5,17; vgl. 3,11) und als "ein Geschenk Gottes" bezeichnet werden kann (3,13; 5,18), deutet dies darauf hin, daß im Essen und Trinken und in der Freude ein Stück ungebrochener Schöpfungswirklichkeit für den Menschen erfahrbar bleibt. Das entspricht Gen 1 und 2, wonach Gott bei der Erschaffung des Menschen dafür Sorge trug, daß der Mensch zu essen hat (Gen l,29f; 2,9.16), daß er nicht allein ist (Gen 2,18ff; vgl. Koh 4,9ff; 9,9) und daß er sich fortpflanzt (Gen 1,28), was ja in der Regel mit nicht unbeträchtlichem Genuß verbunden ist. All dies ist freilich nach der Urgeschichte in der gegenwärtigen Wirklichkeit nur mehr gebrochen erfahrbar (vgl. Gen 3,16ff; 9,2ff). Hier scheint das Koheletbuch ein wenig "optimistischer" zu sein, rechnet es doch immerhin mit der Möglichkeit, daß ein Mann sein Leben gemeinsam mit einer Frau genießen kann, die er liebt (Koh 9,9) - ohne sie zu beherrschen? (Gen 3,16)48 - , und vielleicht auch damit, daß der Mensch bei seiner Ernährung auf Fleischgenuß - in Gestalt von "Schlachtopfern" (Π3Τ) - verzichten kann (vgl. Koh 4,17; 9,2). Gleichwohl sind Essen, Trinken und Freude auch nach dem Koheletbuch in der Regel mit Mühe und Arbeit verbunden und immer von der Kontingenz der Zeit und der Sterblichkeit des Menschen bedroht. Ob in der Sterblichkeit des Menschen (und der Tiere) ein Element der Kontinuität oder ein solches der Differenz zwischen Schöpfungs- und Erfahrungswelt vorliegt, wird im Koheletbuch wie auch in der Urgeschichte nicht ganz klar. Aus der Drohung in Gen 2,17 (vgl. 3,3) und dem Urteil in Gen 3,19

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Dagegen hat nach Sir 17,6f Gott die Menschen bei ihrer Erschaffung mit der Fähigkeit zur "Erkenntnis" von "gut und böse" ausgestattet. Erst V.16 bringt hier (nachträglich) die kritischere Perspektive von Gen 6,5 / 8,21 ein. Vgl. Koh 1,11; 3,11.22; 6,12; 7,14.24; 8,7; 9,1.12; 10,14; ll,2.5f. Vgl. Koh 3,22; 5,17-19; 7,14; 8,15; 9,7-10; 11,1-12,7. In ihrem Korreferat wies I. Fischer auf die Nähe dieser Sicht des Verhältnisses von Mann und Frau im Koheletbuch zum Hohenlied hin (das bis zur mittelalterlichen Separierung der "Megillot" und ihrer chronologischen Anordnung entsprechend dem Festkalender als dritter Teil des "Corpus Salomonicum" unmittelbar auf Spr und Koh folgte, vgl. u.a. b Baba batra 14b); vgl. dazu etwa Ph. Trible, Gott (1993), 169ff.

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(vgl. V.22.24) geht nicht eindeutig hervor, ob es dem Menschen möglich gewesen wäre, ewig zu leben, wenn er das göttliche Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, nicht übertreten hätte.49 Auch in Koh 3,16-21 und 9,1-3 wird zwar der Tod mit menschlicher Schuld in Zusammenhang gebracht, aber keine eindeutige Beziehung von Ursache und Wirkung zwischen beiden hergestellt. So bleibt auch hier offen, ob der Tod ein Element der Schöpfungswirklichkeit oder der "gebrochenen" Erfahrungswelt darstellt. VIII. Die wesentliche Differenz zwischen Schöpfungs- und Erfahrungswelt besteht nach Koh 3,16-21 ebenso wie nach Gen 4 und 6 darin, daß Menschen die Welt durch Unrecht "verderben" (Gen 6,12): "Zur Stätte des Rechts dringt das Unrecht vor, und zur Stätte der Gerechtigkeit das Unrecht" (Koh 3,16). Diese "Brechung" der Schöpfung in der Erfahrungswirklichkeit wird durch den Wechsel und die Kontingenz der Zeit zugleich ermöglicht und begrenzt: "Zeit gibt es für (*?) jegliches Vorhaben und (so auch) für (bzw. gegen: bv) alles, was dort geschieht" (V.I7, vgl. V.l-8). Insofern sie dem Unrecht Grenzen setzt, ist die Zeit Gottes "Gericht" über "Gerechte" und "Frevler", die sich in Anbetracht der generellen Bosheit der Menschheit ohnehin nur relativ voneinander unterscheiden lassen. (In diesem Sinne sind dann m.E. auch die Aussagen über das "Gericht" Gottes in Koh 8,6; 11,9 und 12,14 zu verstehen.) 50 Koh 3,18-21 relativiert die Unterscheidung von "Gerechten" und "Frevlern" durch die Gegenüberstellung von Mensch und Tier. Der syntaktisch schwierige V.1851 ist m.E. am ehesten folgendermaßen zu interpretieren: "Ich dachte über die Menschen: Gott hob sie heraus (bzw. wollte sie herausheben) und sah doch (bzw. mußte doch sehen), daß sie nur Tiere sind." Der Text spielt dann nicht nur auf Gen l,26ff an, wonach Gott den Menschen über die übrige Tierwelt herausheben wollte,52 sondern auch auf das Scheitern dieses Unternehmens im Fortgang der Urgeschichte, in dem Gott feststellen mußte, daß auch der Mensch "Fleisch ist" (Gen 6,3) und sich wie "alles Fleisch" verhält (Gen 6,12f). 53 Dementsprechend traf die Sintflut Menschen und Tiere in gleicher Weise (Gen 7-8) und verpflichtete sich Gott im Anschluß daran gegenüber Menschen und Tieren dazu, niemals wieder durch eine Sintflut "alles Fleisch" zu ver-

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Das nehmen z.B. Sir 25,24; Weish l,12ff; 2,23f und Paulus (Rom 5,12ff; 6,23; 1 Kor 15,21) an. Zu Gen 2f vgl. etwa J. Barr, Garden (1992). Vgl. auch C. Dell'Aversano, BSOn (1990). Vgl. dazu u.a. A. Schoors, Preacher (1992), 112f.l80ff; F.J. Backhaus, Zeit (1993), 137f. So auch F.J. Backhaus, Zeit (1993), 138. Dagegen sprechen z.B. Sir 17,2-4 und Ps 8 auch im Blick auf die gegenwärtige Erfahrungswelt ganz ungebrochen von einer Herrschaft des Menschen über die Tiere.

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nichten (Gen 9,8-17).5'1 Neben der Bestrafung einzelner Schuldiger (Gen 9,5f) stellt also nach der Sintflut die generelle Sterblichkeit von Menschen und Tieren das "Gericht" über ihre Bosheit und Gewalttätigkeit dar. So sieht es jedenfalls Koh 3,19f und wendet dabei das Urteil Gottes über den Menschen von Gen 3,19 (vgl. 2,7.19) auf Menschen und Tiere an. Da Menschen und Tiere nach Gen 6,17 und 7,22 (vgl. 2,7; 6,3) denselben Lebensatem haben (Koh 3,19), ist es mindestens äußerst fraglich, ob es den Menschen nach dem Tod anders ergehen wird als den Tieren (V.21, vgl. 12,7).55 Die Menschen sind wie die Tiere dem Zufall (mpO)56 und dem Tod ausgesetzt. Da sie sich wie die Tiere verhalten, ist vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus nichts dagegen einzuwenden. IX. Eine Reihe von weiteren Aussagen im Koheletbuch scheint dieses Konzept einer durch menschliches Fehlverhalten "gebrochenen" Schöpfung aufzunehmen und im jeweiligen Kontext argumentativ einzusetzen. - So ist nach Koh 7,20 "kein Mensch auf Erden (so) gerecht, daß er (nur) Gutes tut und niemals sündigt". Im Kontext (V. 15-22) wird damit die Beobachtung, daß manchmal ein Gerechter in seiner Ungerechtigkeit zugrunde geht, ein Ungerechter hingegen in seiner Bosheit lange lebt (V. 15), relativiert und korrigiert: Einen völlig gerechten Menschen gibt es gar nicht. Von daher wird auch die Mahnung, weder "übergerecht" noch "allzu oft ungerecht" zu sein (V. 16f), verständlich. Es ist nicht einfach eine Art "goldener Mittelweg", was dem Menschen hier empfohlen wird, sondern ein realistisches Bewußtsein seiner Möglichkeiten (V. 17) und Grenzen (V. 16), gerecht zu handeln (V. 18). Im Wissen um seine eigene Fehlbarkeit soll der Mensch - auch und gerade in der Beziehung zu ihm Untergebenen - bereit sein, auch anderen Fehler zuzugestehen (V.21f). - Koh 7,29 stellt fest: "Gott hat den Menschen recht (""12)'') gemacht, sie aber suchten große Erkenntnisse (ΓΠ33ϊ!Π)." Hier wird ganz eindeutig ein Bruch zwischen der Schöpfung des Menschen durch Gott und seiner gegenwärtig erfahrbaren Verfaßtheit konstatiert. Für diesen Bruch verantwortlich ist der Mensch mit seiner Suche nach "großen Erkenntnissen" bzw. "Erfindungen".57 Das entspricht der Sicht der Urgeschichte: Aufgrund seines Strebens nach

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Während in Gen 6,19; 7,15f.21; 8,17 "alles Fleisch" sich nur auf die Tiere zu beziehen scheint, schließt es in Gen 9,11.15-17 ebenso wie in Gen 6,3.12f.l7 deutlich die Menschen mit ein. Vgl. demgegenüber Ps 49,13/21; 73,21ff. Zu mpn als "Zufall" vgl. 1 Sam 6,9; Rut 2,3. Je nachdem, ob man die Pluralform rmaon von patín oder (mit MT: rró'atín) von patín herleitet - falls zwischen diesen beiden Nomina vormasoretisch überhaupt unterschieden wurde.

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"Erkenntnis (ΠίΠ) von Gut und Böse" ist der Mensch des "Paradieses" verlustig gegangen (Gen 3); diesen Verlust sowie weitere Verschlechterungen seiner Lebensbedingungen versuchte er durch kulturelle und technologische "Erfindungen" zu kompensieren (Gen 4, vgl. Gen 11); im Urteil Gottes sind all seine Gedanken, Pläne und Erfindungen jedoch ausschließlich schlecht und böse (Gen 6,5: 13*7 m œ n n Gen 8,21: ΒΙΚΠ nb 12Ρ). Im Kontext (V.23-29)58 bildet Koh 7,29 das abschließende Argument gegen verschiedene Konzepte von "Weisheit" (vgl. bereits 7,16f.l9), die den Anspruch erheben, dem Menschen durch besondere Einsichten zu einem "guten Leben" verhelfen zu können. - Koh 8,6 enthält mit dem Satz V1?» n m DIN Π n m die engste (und einzige wirkliche) alttestamentliche Parallele zur Formulierung in Gen 6,5 Π21 p K 3 D-rxn r u n . Von daher dürfte hier mit CIN Π r u n jedenfalls nicht nur das "schlimme Geschick" des Menschen im Blick sein,55 sondern auch und vor allem seine "Bosheit".60 Der mit Ό eingeleitete V.6b kann dann als Begründung zu V.6a gelesen werden: "Für jedes Vorhaben gibt es Zeit und Gericht, denn die Bosheit des Menschen lastet schwer auf ihm." Das würde bedeuten, daß die Kontingenz der Zeit (ni?; vgl. 9,11: WS! nu, "Zeit und Zufall") das "Gericht" (BBttlö) Gottes über die "Bosheit des Menschen" darstellt (vgl. 3,16ff). Im Kontext (V.l-9) leitet Koh 8,6 die kritische "Dekonstruktion" der (ambivalenten und doppeldeutigen) Ratschläge von V.l-5 ein. Diese kulminierten in der Überzeugung, daß derjenige, der - je nach Lesart von V.2f den Befehl des Königs, das Gebot Gottes oder den Rat des Textes befolgt, nichts Schlechtes ( m ~0~t) kennen(lernen) werde, und "das Herz eines Weisen" nu kenne (V.5). Die Wendung BSÏÏD1 n s kann hier im Sinne von "die rechte Zeit"61 oder "Zeit und Ordnung"62 verstanden werden. V.6 nimmt nun aus V.5 die Stichworte Böööl Π1) und i n (Π1Η) in umgekehrter Reihenfolge wieder auf und formuliert damit eine radikale Kritik an der dort geäußerten Überzeugung: In der "Zeit" waltet keineswegs eine verborgene "Ordnung", deren Kenntnis es dem Weisen ermöglicht, "schlechte" Erfahrungen bzw. "böse" Handlungen zu vermeiden.63 Vielmehr ist die Kontingenz der "Zeit" (nu) - der Mensch "weiß nicht, was geschehen wird" (V.7) - gerade Gottes "Gericht" (BSfflö) über die "Bosheit" des Menschen. V.8 stellt dann in ähnlicher Weise - mit Aufnahme des Stichworts pe1?® - die Behauptung einer un58 59 60 61 62 63

Vgl. dazu Th. Krüger, Frau (1992). So die "Einheitsübersetzung". So die Luther-Bibel, vgl. die Zürcher Bibel: "was der Mensch Böses tut". Vgl. F.J. Backhaus, Zeit (1993), 250f. So die "Einheitsübersetzung". Vgl. F.J. Backhaus, Zeit (1993), 247. Dieses Konzept scheint Sir 39,12ff zu vertreten; vgl. auch die Ordnung der "Zeiten" in Dan 7ff und "apokalyptischen" Geschichtsentwürfen.

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eingeschränkten "Macht" des Königs in V.4 kritisch in Frage. V.4-5 werden somit in V.6-8 regelrecht "zurückbuchstabiert". - Nach Koh 8,11 "wächst in den Menschen die Lust, Böses zu tun", "weil das Urteil über die böse Tat nicht sogleich vollstreckt wird". Wörtlich besagt das Hebräische hier, das Herz der Menschen sei "voll davon, Böses zu tun". Der Sache nach entspricht diese Aussage dem, was in Gen 6,5 und 8,21 über das menschliche Herz gesagt wird. Der erste Fall in der Bibel, in dem Gott ein "Urteil über die böse Tat nicht sogleich vollstreckte", findet sich bekanntlich in der Paradiesgeschichte von Gen 2-3: Gott hatte dem Menschen angedroht, er müsse sterben, sobald er vom Baum der Erkenntnis esse (2,17). Der Mensch tat dies - und lebte danach noch mehr als 800 Jahre (vgl. Gen 5,3-5). Hätte Gott damals das Urteil sogleich vollstreckt, gäbe es die Menschheit nicht. Insofern kann Koh 8,11 im Kontext (V.10-15) auch als ein Argument dafür gelesen werden, daß die Tatsache, daß es "Sündern" und "Frevlern" bisweilen besser ergeht als "Gerechten" und "Gottesfürchtigen", weil Gottes "Urteil über die böse Tat nicht sogleich vollstreckt wird", der "Gottesfurcht" nicht schon ihren Wert nimmt: "Es ist gut für die Gottesfürchtigen, daß sie sich fürchten vor Gott" (V. 12)64 - auch wenn es ihnen nicht unbedingt besser geht als den "Frevlern", wenn sie sich so verhalten. Die Verbindung von Gerechtigkeit und Wohlergehen wird damit programmatisch aufgelöst. - Nach Koh 9,3 "ist das Herz der Menschen voll Bosheit, und Verblendung ist in ihrem Herzen, solange sie leben". Wieder entspricht dies der Sache nach Gen 6,5 und 8,21. Ebenso wie Koh 7,20 relativiert diese Aussage im Kontext (V. 1-10) die Gegenüberstellung von "Gerechten" und "Frevlern" usw. (V.2f). Da alle Menschen in ihrem Innersten von "Bosheit" und "Verblendung" bestimmt sind, ist es nur recht und billig, wenn "alle dasselbe Geschick trifft" und am Ende der Tod: "Jeden trifft, was ihm gebührt (wörtl.: alles ist so, wie es jedem gebührt): Dasselbe Geschick trifft den Gerechten und den Frevler ..." (V.2). Deshalb sollte sich der Mensch nicht aus Gründen vermeintlicher "Gerechtigkeit" und "Reinheit" möglichen Genuß im Leben versagen und womöglich auf eine Kompensation solchen Verzichts durch Gott nach dem Tode hoffen. (Der Satz: "Die Gerechten und die Weisen und ihre Werke sind in Gottes Hand", in V.l spielt vielleicht auf derartige Erwartungen an.65) Vielmehr sollte er sich immer des Vorzugs des Lebens gegenüber dem Tod bewußt sein (V.4-6), genießen, was er genießen kann (V.7-9), und tun, was er zutun vermag (V.l 0; vgl. 11,1-12,7).

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Zur Konstruktion (...«?/ ~>m . . . b 2its) vgl. Koh 2,3. Versteht man Koh 8,12b in dem Sinne, daß es den Gottesfürchtigen gut gehen werde, wenn sie sich vor Gott fürchten, ist diese Aussage kaum sinnvoll mit dem Kontext zu verbinden. Vgl. D. Michel, Untersuchungen (1989), 180ff mit Hinweis auf Weish 3,1-3.

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X. Daß Menschen unterdrückt werden und Gewalt erleiden "und keinen haben, der sie tröstet" (Koh 4,1), daß es Menschen gibt, die "für den Wind arbeiten" und ihr Leben "in der Finsternis fristen" müssen, ohne jemals über genügend Güter (Haiti)66 zu verfügen, um sich satt essen und trinken zu können, was ihnen doch eigentlich als ihr "Anteil" (pbn) zusteht (5,15-17) - für solche Mißstände trägt nach dem Koheletbuch also nicht Gott die Verantwortung, sondern Menschen. Dürfte man die Pendenskonstruktion in Koh 3,1361 nicht nur in dem Sinne auflösen, daß es sich in jedem Fall um ein Geschenk Gottes handelt, wenn ein Mensch bei all seiner Mühe essen und trinken und Gutes genießen kann, sondern auch in dem Sinne, daß es ein Geschenk Gottes ist, daß jeder Mensch essen und trinken und Gutes genießen kann (vgl. Gen 1,29), ließe sich diese Aussage geradezu als eine Apologie des Schöpfergottes lesen - ganz im Sinne des bekannten Spruchs 1130 der ägyptischen Sargtexte, der wohl aus dem 19. Jh. v.Chr. stammt: "Ich habe die vier Winde geschaffen, damit jedermann atmen kann in seinem Lebensraum ... Ich habe die große Flut (d.h. die Nilüberschwemmung) geschaffen, damit der Arme wie der Reiche sich ihrer bemächtige ... Ich habe jedermann wie seinesgleichen geschaffen und nicht befohlen, daß sie Unrecht tun. Es ist (nur) ihr Wille ('Herz'), der meinem Wort zuwiderhandelt."68 Die Verteilung der von Gott zur Verfügung gestellten Güter ist nach dem Koheletbuch jedenfalls Sache der Menschen (vgl. Koh 11,lf). So ist es auch im Deuteronomium, das dazu auffordert, die Bedürftigen und Besitzlosen durch den Zehnten in jedem dritten Jahr (Dtn 14,22-29; 24,12), die Teilnahme an den Opferfesten (Dtn 16,14; 26,11 u.ö.) sowie das Recht auf Mundraub (Dtn 23,24f) und Nachlese (Dtn 24,19-22) an den in Israel verfügbaren Gütern zu beteiligen. Sie sollen nicht nur "essen und satt werden" (Dtn 14,29; 24,12 u.ö.), sondern auch "fröhlich sein" (Dtn 16,14; 26,11). Während jedoch das Deuteronomium die Besitzenden mit der Versprechung göttlichen Segens dazu zu motivieren versucht, die Bedürftigen und Besitzlosen an ihren Gütern partizipieren zu lassen (vgl. Dtn 14,29; 16,14 u.ö.),69 argumentiert Koh 11, lf rein vernünftig und erfahrungsbezogen damit, daß auch für wohltätige Zwecke scheinbar "hinausgeworfenes" Gut sich für den Spender wider Erwarten auszahlen kann, und daß es im Blick auf unkalkulierbare Unglücksfalle sinnvoll sein kann, anderen Anteil an seinen Gütern zu geben.70 Die Schwächen, aber

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Vgl. Th. Krüger, Güter (1997). Vgl. dazu W. Groß, Pendenskonstruktion (1987), 126f.140.179; F.J. Backhaus, Pendenskonstruktion (1995), 4f. Übers. E. Hornung, Dichtung (1996), 117. Vgl. z.B. auch Sir 3,30-4,10; 29,1-20. Vgl. M. V. Fox, Qohelet (1989), 273ff, der zu V. 1 auf die ägyptische Lehre des AnchScheschonki (Z.301) verweist: "Tu eine gute Tat und wirf sie in die Flut; wenn das

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auch die Stärken einer solchen vernünftig-kritischen Tora-Rezeption liegen auf der Hand. XI. Aus den skizzierten Beobachtungen und Hypothesen ergibt sich für die Rezeption der Tora im Buch Kohelet ein komplexes und differenziertes Bild. Einzelne Bestimmungen der Tora werden aufgenommen, weil und insofern sie vernünftig erscheinen. Das Konzept der Tora als einer letztinstanzlich-normativen, "kanonischen" Weisung Gottes für die menschliche Lebensführung wird jedoch theologisch kritisiert und relativiert. Das hindert aber nicht daran, der Tora - und hier insbesondere der Urgeschichte - wesentliche Elemente einer theologischen Deutung der menschlichen Erfahrungswirklichkeit zu entnehmen und diese kreativ weiterzuentwickeln. In Anlehnung an eine von Elisabeth Schüssler Fiorenza71 vorgeschlagene Unterscheidung ließe sich vielleicht sagen: Das Koheletbuch rezipiert die Tora nicht als ("mythischen") "Archetypus", der "historisch beschränkten Erfahrungen und Texten absolute, universale Gültigkeit [verleiht], so daß sie normative und autoritative Geltung für alle Zeiten und Kulturen beanspruchen", sondern als (allerdings nicht "historischen") "Prototypus", d.h. "nicht... als autoritative Quelle (source), sondern als resource, als Reservoir von Schätzen und LebensMitteln", das zu "kritischer Bewertung und Würdigung" herausfordert und befreit. Anders (und kürzer) gesagt: Das Koheletbuch rezipiert die Tora nicht als "kanonischen", sondern als "klassischen" Text.72 Darin stimmt es mit einem Großteil der zeitgenössischen spätisraelitischen bzw. frühjüdischen Literatur überein.73 Die Eigenart seiner Rezeption der Tora in diesem theologiegeschichtlichen Umfeld scheint v.a. darin zu bestehen, daß es gegenüber der Tora nicht nur ein gewisses Maß an kreativer Freiheit praktiziert, sondern

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Wasser austrocknet, wirst du sie wiederfinden" (Übers. H. Brunner, Weisheit [1988], 283). E. Schüssler Fiorenza, Brot (1991), 42ff - die folgenden Zitate finden sich ebd. 42f und 48f. Vgl. dazu etwa J. Assmann, Gedächtnis (1992), lOlff; D. Tracy, Theologie (1993), 24ff. Vgl. etwa J. Maier, Testamenten (1990), 13ff; Ders., Qumran-Essener (1996), 9ff. In ihrem Korreferat wies I. Fischer zum Vergleich auf die divergenten (und insofern interpretations- und diskussionsbedürftigen) Rechtstraditionen im Pentateuch sowie die Kritik an Dtn 23,3ff im Buch Ruth hin (vgl. auch Gen 38 und dazu Th. Krüger, Genesis 38 [1993]). Bei aller notwendigen und berechtigten Betonung der Offenheit und des dialogischen Charakters des atl. "Kanons" sollte jedoch m.E. nicht übersehen werden, daß es in diesem "Kanon" auch Texte gibt, welche der kodifizierten Tora eine letztinstanzlich-normative Bedeutung zuschreiben (vgl. z.B. Neh 13,1-3) und insofern dem Konzept eines "mythisch-archetypischen" Kanons (nach E. SchüsslerFiorenzä) mindestens nahe kommen.

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diese Freiheit auch explizit für sich in Anspruch nimmt, begründet und kritisch reflektiert. Damit scheint es im biblischen Kanon ein Modell für einen kanonkritischen, "aufklärerischen", dabei aber durchaus auch selbstkritischen Umgang mit religiösen Traditionen zu bieten.

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Die Rezeption der Tora im Buch Kohelet

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Eberhard Bons (Straßburg)

Das Buch Kohelet in jüdischer und christlicher Interpretation* Einleitung: Ausgangsfragen und Aufgabenstellung

In diesem Vortrag möchte ich ein Problem behandeln, das uns schon in der ältesten rabbinischen Rezeptionsgeschichte des Buches Kohelet begegnet. Wann auch immer sich ein erster Konsens über die religiöse Autorität des Buches Kohelet ausgebildet haben mag - ab dem Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. beschäftigte die Rabbinen die Frage: Unter welchen Bedingungen kann das Buch Kohelet als maßgeblich oder verbindlich für spätere Generationen von Gläubigen gelten bzw., sobald diese Kategorien entwickelt waren, als kanonisch?1 Anders gefragt: Welcher hermeneutischer Maßnahmen bedurfte es im Altertum, damit das Buch Kohelet, angeblich ein "unheimlicher Gast im jüdischen und christlichen Kanon" (so Hans-Peter Miller2), ein Heimatrecht in der Synagoge und später auch in der Kirche erhalten bzw. (mit einem anderen Terminus:) als Synagogen- bzw. kirchenfähig gelten konnte?3 Damit ist eine erste Ausgangsfrage benannt. Eine zweite schließt sich daran an: Welche Konsequenzen traten ein, als die im Altertum etablierten hermeneutischen Voraussetzungen einer Kohelet-Interpretation vor dem Forum einer historisch-kritischen Exegese nicht mehr bestehen konnten? Welche Implikationen hat also die Feststellung, daß das Buch Kohelet aufgrund von Interpretationen "Synagogen- bzw. kirchenfähig" gemacht wurde, die heute nur noch als unzureichend angesehen werden? Diethelm Michel formuliert das Problem wie folgt: "Wenn richtig ist, daß diejenigen, die Kohelet nicht im Kanon haben wollten, ihn besser verstanden haben als seine Befürworter, stellt sich fur den heutigen Ausleger die Frage, ob er für das Buch innerhalb des Kanons eine Funktion angeben kann."4 Wie kann eine christliche Auslegung dann heute mit einem Buch * 1 2 3 4

Für Hinweise zum Manuskript und zum Vortag danke ich besonders Heim Prof. Dr. Reinhold Bohlen, Trier, und Herrn Prof. Dr. Georg Braulik OSB, Wien. Zur Unterscheidung von heiligen, kanonischen und klassischen Texten im Judentum vgl. E Zenger, Sinai (1993), 70. H.-P. Müller, Gast (1987), 440. Der Ausdruck "synagogenfähig" stammt von K. Galling, Stand (1934), 359. D. Michel, Koheletbuch (1990), 353. Ähnlich ders., Qohelet (1988), 122: Die "modernen Exegeten ... geraten in dem Bestreben, nach dem von dem Verfasser ursprünglich gemeinten Sinn zu fragen, nicht selten unversehens in die Front derer, die vor fast zweitausend Jahren die Aufnahme des Buches in den Kreis der Heiligen Schriften ablehnten. Und damit stehen sie vor einer eigenartigen Aufgabe: nach der Tradition ihrer Kirche gehört das Buch in den Kanon - nach ihrer Einsicht hatten eher

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umgehen, das wegen seiner inhaltlichen Besonderheiten wie ein Fremdkörper im jüdischen wie auch im christlichen Kanon wirkt? In den folgenden beiden Abschnitten werden kurz die wichtigsten Aussagen antiker jüdischer und christlicher Kohelet-Interpretationen vorgestellt. Ich konzentriere mich dabei auf diejenigen, die den Zweck hatten, dem Buch in Synagoge und Kirche Anerkennung zu verschaffen (I-II). Anschließend soll die jüdische Rezeptionsgeschichte nicht mehr weiter verfolgt, sondern kurz der Weg zu einer christlich begründeten Abwertung des Buches Kohelet in der Neuzeit nachgezeichnet werden (III). Zuletzt werden einige neuere Ansätze einer spezifisch christlichen Kohelet-Rezeption diskutiert. Dabei steht allerdings nicht die Frage im Vordergrund, ob das Buch Kohelet zu Recht oder zu Unrecht in den Kanon gelangt ist, sondern wie Christen heute in ein Gespräch mit ihm treten können (IV). I. Kohelet, der Prediger der Gottesfurcht und des Tora-Studiums Rabbinische Kohelet-Interpretationen5 Die endgültige Aufnahme des Buches Kohelet in die Sammlung der Schriften, die zur Ausbildung des jüdischen Kanons führten, war Gegenstand heftiger Kontroversen, vor allem zwischen den Mitgliedern der Schule Schammais und denen der Schule Hilleis.6 Besonders inhaltliche Gründe dürften die Rabbinen aus der Schule Schammais veranlaßt haben, gegen die Sakralität des Buches zu plädieren. Ohne daß diese Gründe in den überlieferten Texten eigens benannt werden, vermutet Peter Schäfer, daß sich die Gelehrten aus der Schule Schammais "an der

diejenigen recht, die es nicht im Kanon haben wollten. Es fehlt noch eine Untersuchung darüber, wie dieses Problem von den verschiedenen Exegeten bewältigt wird II

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Im folgenden geht es lediglich um eine kurze Darstellung der rabbinischen KoheletInterpretation. Auf die weitere jüdische Auslegungs- und Wirkungsgeschichte gehe ich an dieser Stelle nicht näher ein. Ausgeklammert ist im folgenden Abschnitt auch die Frage des liturgischen Gebrauchs des Buches Kohelet beim Sukkot-Fest. Wann und aus welchen Gründen das Buch mit diesem Fest in Verbindung gebracht wurde, ist nicht bekannt. Vgl. dazu J. Vílchez Lindez, Eclesiastés (1994), 98f. Die einschlägigen Texte sind u.a. zusammengestellt bei E. Podechard, L'Ecclesiaste (1912), 7ff; P. Schäfer, Synode (1975), 118ff; G. Stemberger, Jabne (1988), 166ff; J. Trublet, Constitution (1990), 142f; K.J. Dell, Wisdom (1994), 313ff; J. Vílchez Lindez, Eclesiastés (1994), 94-98. Offen mag in diesem Zusammenhang die Frage bleiben, inwieweit das Buch Kohelet im ersten nachchristlichen Jahrhundert de facto als mehr oder weniger verbindliche Schrift in jüdischen Gemeinden in Gebrauch war (vgl. die Qumran-Handschriften von Kohelet) und die Entscheidung von Jabne sich nur gegen den Ausschluß eines längst (im Gottesdienst?) eingeführten Buches wandte. Vgl. hierzu E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 12f; J. Vílchez Lindez, Eclesiastés (1994), 96f; ferner D. Barthélémy, L'état (1984), 26-30.

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weltlichen oder 'unorthodoxen' Lebensauffassung"7 des Werkes stießen. Gegen die Ablehnung und somit für die Eignung des Buches zur gottesdienstlichen Verwendung8 wurden jedoch eine Reihe von Argumenten vorgebracht. Folgende sind hier zu nennen, wobei im einzelnen offenbleibt, welche Überzeugungskraft sie de facto in der Debatte über die Anerkennung des Buches besaßen9: 1. Offenbar haben die Aussagen der beiden Epiloge dazu beigetragen, den vorausgehenden Text stärker an die übrigen Schriften der hebräischen Bibel anzunähern. 10 Diese Behauptung wird nicht erst von der modernen historischkritischen Exegese aufgestellt, die die Epiloge als sekundär ansieht. Schon bT Schab 30b weiß davon, daß wegen seines Endes, das als religiöse Lehre gelten könne, das Buch Kohelet nicht abgelehnt wurde.11 In dieselbe Richtung geht eine Notiz des Hieronymus. Er verfügt durch seine jüdischen Gewährleute über die Information, daß das Buch Kohelet wegen seiner Abwertung der Schöpfung Gottes sowie seiner Vorliebe für irdische Genüsse als oblitterandus angesehen wurde, d.h. keine religiöse Anerkennung verdiene und nicht mehr zu überliefern sei. Erst aufgrund der in Koh 12,13f enthaltenen Aussagen habe es sich als würdig erwiesen, in die Zahl der heiligen Schriften aufgenommen zu werden. 12 In der aktuellen Diskussion zum Thema "Canon criticism" ist diese Fragestellung erneut aufgegriffen und nach dem "Kanon-Bewußtsein" gefragt worden, das hinter den Epilogen sichtbar wird. Ohne hier die umfangreich gewordene Diskussion in ihren Details referieren zu wollen13, sei folgendes festgehalten: Anscheinend wird durch die Ermahnung "Fürchte Gott und achte seine Gebote" (Koh 12,13) den Adressaten des Buches vermittelt, daß die Inhalte der Weisheit nicht autonom sind gegenüber den Geboten der Tora sowie den Anweisungen der Propheten. Gerald H. Wilson sieht sogar durch den Gebrauch von mswt in Koh 12,13 eine Verbindung hergestellt zwischen den mswt als weisheitlichen Anweisungen des Sprichwörterbuches und den mswt als den Geboten des deuteronomischen Gesetzes. Wer Gott fürchtet, hält nicht nur letztere Gebote, sondern orientiert sich auch an den Lehren der Wei-

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So Ρ Schäfer, Synode (1975), 120. Weitere Dokumente zitiert E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 11. P. Schäfer, Synode (1975), 122. Vgl. auch D. Michel, Qohelet (1988), 117: "Über die Einzelheiten dieses Prozesses [sc. der Kanonisierung des Buches Kohelet] wissen wir so gut wie nichts." J. Trublet, Constitution (1990), 144: "Ces informations nous renseignent moins sur les véritables critères de canonicité que sur le processus même de la canonisation du livre." Vgl. exemplarisch D. Michel, Koheletbuch (1990), 352. Vgl. Der Babylonische Talmud (ed. L. Goldschmidt), 1/2, 518. Zur Stelle vgl. femer E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 11; K.J. Dell, Wisdom (1994), 314. Hieronymus, Comment, in Eccl. 12,13-14: ... ex hoc uno capitulo [= 12,13-14] mentisse auctoritatem, ut in divinorum voluminum numero poneretur ... Die Diskussion wird u.a. zusammengefaßt von K.J. Dell, Wisdom (1994), 308-313; vgl. zur Thematik auch F.J. Backhaus, Weisheit, bes. 44ff.

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sen, sowohl Kohelets als auch des Lehrers, dem die Sprichwörter des gleichnamigen Buches in den Mund gelegt sind.14 2. Wie wir aus rabbinischen Dokumenten wissen, war die Zuschreibung des Buches Kohelet an Salomo ein weiteres wichtiges Argument für seine Anerkennung. 15 Eine indirekte Bestätigung der salomonischen Autorschaft erkannte man nicht nur in Koh 1,1, sondern auch in der Auskunft von 1 Kön 5,12 ("er [= Salomo] sagte dreitausend Sprichwörter, und die Zahl seiner Lieder war 1005"). Danach konnte Salomo eben mehr zugeschrieben werden als nur das Sprichwörterbuch, das Hohelied und einzelne Psalmen (Tosefta Yad II,1416). Wie Katherine J. Dell mehrmals betont17, waren mit der Annahme der salomonischen Verfasserschaft noch längst nicht alle Probleme gelöst, weder für jüdische noch für christliche Ausleger Kohelets. Denn nicht nur das Problem der Widersprüche des Buches verlangte nach einer Lösung (s.u.). Es drängte sich auch die Frage auf, in welcher Reihenfolge Salomo die drei Bücher verfaßt habe und zu welchem Zeitpunkt speziell das Buch Kohelet. Denn seine angebliche Geringschätzung irdischer Güter etwa in Koh 2,1822 war schwerlich mit den biblischen Aussagen zu vereinbaren, die von seinem unermeßlichen Reichtum sprechen. Dieses Problem führte zu vielfältigen Spekulationen über eine zeitweilige Entthronung, die Salomo als Buße für seine Gesetzesübertretungen auferlegt worden sei. 3. Auch wenn Salomo als der Verfasser des Buches Kohelet angesehen wurde und die dort dargelegten Weisheitslehren mit der Tora in Verbindung gebracht werden konnten, blieben (für Juden wie für Christen) etliche problematische, ja anstößige Stellen übrig, die einer Erklärung bedurften. Dabei wurden angebliche Widersprüche19 meist so gelöst, daß man die jeweiligen Aussagen auf ganz verschiedene Realitäten (z.B. Diesseits - Jenseits) bezog. Die zur Diskussion stehenden Stellen widersprachen sich dann nicht mehr, sondern handelten von ganz unterschiedlichen Inhalten. Selbst dort wo der 14 15 16 17 18

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Vgl. G.H. Wilson, Words (1984), 183ff. Vgl. D. Barthélémy, L'état (1984) 17; neuerdings K.J. Dell, Wisdom (1994), 320; Ch. De/élix, Qohélet (1995), 21-24. Zitiert bei G. Stemberger, Jabne (1988), 167. Vgl. K.J. Dell, Wisdom (1994), 315.320.325f.328. Näheres sowie Belege bei S. Holm-Nielsen, Book (1976), 79f; K.J. Dell, Wisdom (1994), 320-322. Auch Hieronymus kannte noch diese Tradition, vgl. ders., Comment. in Eccl. 1,12 (= CCL 72, 258): Aiunt Hebraei hunc librum Salomonis esse paenitentiam agentis, quod in sapientia divitiisque conflsus per mulleres offenderli Deum. Vgl. dazu die Aussage in bT Schab 30a (= Der Babylonische Talmud [ed. L. Goldschmidt], 1/1, 516): "Wo ist, o Selomo, deine Weisheit, wo ist deine Einsicht?! Nicht genug, daß deine Worte den Worten deines Vaters David widersprechen, sie widersprechen sogar sich selber." Vgl. auch die von E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 1 If, zitierten Texte aus der rabbinischen Literatur, die auf Widersprüche im Buch Kohelet aufmerksam machen; femer K.J. Dell, Wisdom (1994), 304f.

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Bibeltext nicht explizit in dieser Weise differenzierte, schrieb man ihm also eine solche Differenzierung zu. Insofern verlieh man ihm stellenweise einen völlig neuen Sinn. Doch dazu bedurfte man nicht unbedingt dieses Mittels. Auch anderswo war man bereit, Inhalte in den Text hineinzulesen, die ihm fremd waren oder bestenfalls aus ihm nicht explizit hervorgehen.20 Drei Beispiele sollen dies verdeutlichen: a) Der Satz "Zum Lachen sagte ich: 'Lobenswert', und zur Freude: 'Was bringt sie schon ein'?" (Koh 2,2) erschien als widersprüchlich.21 Das Problem löste man, indem man das lobenswerte Lachen auf das Lachen Gottes bezog, 22

das er "den Gerechten in der zukünftigen Welt zuwendet" . Dagegen ist die Freude (Koh 2,1) diejenige "anläßlich einer gottgefälligen Handlung". Von der Freude, die nichts mit der Erfüllung einer Gesetzesvorschrift zu tun hat, gilt jedoch: "Was bringt sie schon ein?" b) Daß das Kohelet-Buch auch anderswo von der Tora spricht, schien aus 1,3 hervorzugehen.23 Danach bezieht sich der Satz: "Welchen Gewinn hat der Mensch von all seiner Mühe (cml), die er hat unter der Sonne?" nur auf seine Arbeit im engen Sinne, die keinen Erfolg bringt, nicht aber auf das Studium der Tora, das nach rabbinischer Ansicht ebenfalls (ml ist. Dazu kommt, daß der bei Kohelet wiederkehrende Ausdruck "unter der Sonne" für jüdische Ausleger ein "über der Sonne" impliziert. "Unter der Sonne" bezieht sich dann in dem zitierten Satz auf die Arbeiten in dieser Welt, "über der Sonne" auf die Erfüllung der Tora. c) Der Satz "dies [sc. Essen, Trinken und Freude] soll ihn begleiten in seiner Arbeit die Tage seines Lebens" (Koh 8,15) wird durch eine allegorische Exegese sowie durch eine Konjektur abgemildert. Man bezog nämlich den Ausdruck "die Tage seines Lebens" auf das Grab, und statt tfmlw "in seiner Arbeit" las man Wwlmw "in dieser Welt", was man wohl ebenfalls auf den Zustand des Todes bezog. Da dort aber, so die entscheidende Schlußfolgerung, weder Essen noch Trinken benötigt werden, können damit nur die Tora sowie die guten Taten gemeint sein.24

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Vgl. dazu Ch. Defélix, Qohélet (1995), 23f: "Partout, le texte est devenu 'prétexte' à la présentation d'une autre thèse, au moyen d'une habile exégèse des versets qui en respecte, sinon le contenu sémantique, du moins la matérialité." Das Wort m'hôlât wird heute meist anders übersetzt, so daß kein Widerspruch mehr besteht; vgl. KBL 3 , 129: "sinnlos". Vgl. bT Schab 30b, zitiert nach: Der Babylonische Talmud (ed. L. Goldschmidt), 1/1, 519; vgl. auch K.J. Dell, Wisdom (1994), 315. Vgl. zum Folgenden bT Schab 30b; LevR 23,10; KohR 1,3 (alle Texte auch zitiert bei K.J. Dell, Wisdom (1994), 314-316); vgl. auch S. Holm-Nielsen, Book (1976), 80; Ch. Defélix, Qohélet (1995), 24. Vgl. KohR 2,24. Text zitiert bei K.J. Dell, Wisdom (1994), 317; S. Holm-Nielsen, Book (1976) 81f; Ch. Defélix, Qohélet (1995), 25.

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Ich sehe davon ab, Ihnen noch weitere Argumentationsverfahren vorzustellen, die das Ziel hatten, das Buch Kohelet "synagogenfähig" zu machen.25 Lediglich möchte ich mit Dell26 festhalten, daß die mit dem Epilog beginnende Annäherung des Buches Kohelet an die Tora in den rabbinischen Diskussionen ihre Fortsetzung gefunden hat. Die damals entwickelte Interpretation27 ermöglichte es, in Kohelet einen Anhänger der Tora und ihres Studiums zu sehen. 28 Damit war eine wichtige Voraussetzung für seine Anerkennung geschaffen; denn das Buch konnte nun als torakonform angesehen werden. Zugleich bildete die rabbinische Interpretation einen Anknüpfungspunkt für die christliche Kohelet-Interpretation, insofern sie zum Teil vergleichbare Methoden anwandte. Dazu sofort. II. Kohelet, der Prediger des contemptus mundi - Die Kohelet-Interpretation des Hieronymus 1. Vorbemerkung: Die Anfänge christlicher Kohelet-Interpretation Erforschung

und ihre

Die christliche Kirche hat mit den in griechischer Sprache überlieferten heiligen Schriften des Judentums auch das Buch Kohelet in ihren Kanon heiliger Schriften 29

übernommen. Dabei stellte sie Kohelets "Kanonfähigkeit" nicht noch einmal grundsätzlich in Frage. Ob Theodor von Mopsuestia dabei eine Ausnahme bildet oder ob ihm nur zu Unrecht Kritik an diesem Konsens zugeschrieben wird, mag hier unentschieden bleiben. Neuerdings mehren sich die 30 Stimmen, die die Anathematisierung auf ein Mißverständnis zurückfuhren. Die Verurteilung seiner

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So nahm man beispielsweise an, daß Salomo im Buch Kohelet mehrmals zwei abweichende Auffassungen zu derselben Fragestellung vertreten habe, wovon die zweite eine Korrektur der ersten darstelle. Vgl. S. Holm-Nielsen, Book (1976), 81 ("exegetical technique of re-thinking"); K.J. Dell, Wisdom (1994), 305. Vgl. K.J. Dell, Wisdom (1994), 315.318.325. Zu dieser Uminteipretation Kohelets bemerkt D. Michel, Qohelet (1988), 120: "Hier war sicherlich nicht bewußte Täuschung am Werk, sondern die Überzeugung, der nunmehr als heilig anerkannte Text müsse innerhalb des bekannten Rahmens der Gesamtheit der als heilig anerkannten Texte einen Sinn haben." Vgl. R. Murphy, Ecclesiastes (1992), liv: "Qoheleth was made into a rabbinic sage who is governed by the Torah." Die Frage, ob ein solcher Kanon schon dem hellenistischen Judentum bekannt war oder erst ein christliches Produkt war, kann hier offenbleiben. Vgl. dazu etwa D. Barthélémy, L'état (1984), 12.40-45. Fraglich ist nämlich, ob Theodor die Kanonizität des Buches Kohelet grundsätzlich bestritt oder ob er ihm nur eine Art "anderer Inspiration" zuschrieb als etwa den Propheten. Vgl. dazu W. Strothmann, Kohelet-Kommentar (1988), 195f; J. Vilchez Lindez, Eclesiastés (1994), 99-101, bes. 101. Der fragmentarisch erhaltene Kommentar Theodors ist in zwei von W. Strothmann edierten Textausgaben (s. das Literaturverzeichnis am Ende dieses Artikels). Zur Kohelet-Exegese des Theodor von Mopsue-

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Lehre durch das 2. Konzil von Konstantinopel (553) zeigt jedenfalls, daß die Kirchenfähigkeit des Buches Kohelet in der Alten Kirche kaum angezweifelt wurde. Das bedeutet jedoch nicht, daß Kohelets Aussagen bei Christen kein Befremden erregt hätten.31 Wie ein Blick in die patristische Exegese zeigt, konfrontierte das Buch seine christlichen Leser mit beträchtlichen Schwierigkeiten. Die Versuche, ihm eine neue, christliche, d.h. mit dem Neuen Testament vereinbare und für Christen nutzbringende (vgl. 2 Tim 3,16), nötigenfalls allegorische Interpretation32 zu verleihen und es somit "kirchenfähig" zu machen, sind nachweisbar für die Zeit ab dem 3. Jahrhundert. Aus dieser Epoche sind fragmentarisch erhalten die Auslegungen des Origines sowie seines Schülers Dionysios von Alexandrienkomplett liegt dagegen vor die Metaphrasis in Ecclesiasten Salomonis, deren Autor Gregor der Wundertäter, ebenfalls ein Schüler des Origines, war.34 Aus Gründen der Übersichtlichkeit sehe ich davon ab, Ihnen diese sowie andere Kohelet-Auslegungen der Väterzeit detailliert vorzustellen. Dazu kommt eine andere Schwierigkeit. M.W. fehlt es bis heute an einer umfassenden Geschichte der Auslegung des Buches Kohelet in der patristischen Literatur, die die verschiedenen Interpretationsansätze in ihrer Entwicklung zuverlässig und vollständig beschriebe und somit die Einarbeitung in die Materie erleichterte.35 Lediglich einige gründliche Artikel des italienischen Patrologen Sandro Leanza sowie eine Abhandlung von Svend Holm-Nielsen 6 vermitteln einen vorläufigen Einblick in die Wirkungsgeschichte des Buches Kohelet im

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stia, bes. zu seiner Auslegung des Literalsinnes vgl. J. Jarick, Theodore of Mopsuestia (1995), 308ff. Vgl. S. Leanza, L'atteggiamento (1982), 77: "Il pacifico accoglimento άζ\\'Ecclesiaste nel Canone non deve tuttavia far credere che il contenuto e certe dottrine di questo libro, e specialmente le affermazioni di ispirazione edonistica-epicurea, non suscitassero anche tra i cristiani, non meno che tra gli Ebrei, imbarazzo e perplessità." Vgl. auch J. Jarick, Theodore of Mopsuestia (1995), 306. Vgl. dazu S. Leanza, Condizionamenti (1991), 27ff; ferner H. Karpp, Bibel IV (1980), 53: "Das Alte Testament mußte nunmehr die Aufgabe, die Schriftbegründung für den Glauben liefern, mit dem Neuen Testament teilen und überließ diesem bald den Vorrang. Dadurch konnte es freier ausgelegt werden, und zwar jetzt vom ganzen Neuen Testament her..." Zu Überlieferungsfragen vgl. vor allem die verschiedenen Studien von S. Leanza, u.a.: L'esegesi (1975); zusammenfassend ders., Catene (1977), passim. Vgl. im einzelnen dazu S. Leanza, L'atteggiamento (1982), passim. Vgl. zum Forschungsstand auch R Berndt, Skizze (1994), 8f. Die an der Gregoriana angefertigte Dissertation von S. Streza, Storia (1992), war mir nicht zugänglich. Ein weiteres, von der neueren Forschung kaum bearbeitetes Feld ist die übrige Beschäftigung der Kirchenväter mit dem Buch Kohelet, etwa die Berufung auf dieses Werk im Zusammenhang von Schriftbeweisen. Vgl. hierzu vorläufig die Beispiele, die Quacquarelli, Lettura (1992), passim, anführt. Vgl. auch ders., Interpretation (1974), 173-177. Zur Kritik an einigen pauschalen Äußerungen Holm-Nielsens zur Wirkungsgeschichte des Kohelet-Kommentars des Hieronymus vgl. S. Leanza, Sul Commentario (1988), 279f.

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christlichen Altertum. Dazu kommen die wirkungsgeschichtlichen Ausführungen in einigen Kohelet-Kommentaren, etwa in denen von Emmanuel Podecharct1 und Roland E. Murphy,38 Angesichts dieser Forschungslücken begnüge ich mich damit, Ihnen die Kohelet-Interpretation eines bestimmten christlichen Denkers in ihren Grundzügen vorzustellen, und zwar die des Hieronymus. Ich beziehe mich dabei auf den Kohelet-Kommentar, den er im Frühjahr 389 in Betlehem verfaßt hat.39 Diese Wahl ist aus zwei Gründen gerechtfertigt: Hieronymus vereinigt in seinem Kommentar verschiedene Interpretationsweisen, die er von älteren Autoren, insbesondere von Origines, übernimmt.40 Außerdem ist sein Kommentar über Jahrhunderte einflußreich, ja beinahe meinungsbildend geworden (s.u.). Das schließt jedoch nicht aus, daß einzelne Autoren, etwa der schon erwähnte Theodor von Mopsuestia sowie im Mittelalter Andreas und Hugo von St. Viktor andere Wege gegangen wären, besonders in ihrer dezidierten Erforschung des Literalsinnes.4 Die wesentlichen Elemente von Hieronymus' Kohelet-Exegese42 möchte ich nun in sieben Schritten erarbeiten. 2. Hieronymus' Kohelet-Exegese 1. Im Vorwort seines Kommentars bemerkt Hieronymus, er habe fünf Jahre zuvor, seinerzeit noch in Rom weilend, der inzwischen verstorbenen Blesilla das Buch Kohelet vorgelesen, "damit ich sie zur Geringschätzung des irdischen Lebens veranlaßte (ad contemptum istius saeculi) und sie alles, was sie in der Welt sieht, fur nichtig betrachten sollte"43. Diese Auslegung ist für Hieronymus keine willkürliche Adaptation des Buches Kohelet zu einem bestimmten, einmaligen Zweck. Sie entspringt vielmehr der Spekulation über den theologischen Stellenwert des Werkes in der salomonischen "Trilogie" Sprichwörter, Kohelet und Hoheslied. Ähnlich wie schon Origines (Commentarius in Canticum Canticorum, 85,10-1 δ)44 hält Hieronymus das Sprichwörterbuch für eine Lektüre, mit der Salomon den An37 38 39 40

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E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 21-35. R.E. Murphy, Ecclesiastes (1992), xlviii-lvi. Vgl. schon ders., Qohelet Interpreted (1982), 331-337. Vgl. S. Leanza, Sul Commentario (1988), 267f. Vgl. S. Leanza, ebd., 275: "Girolamo ha presente tutto questo ventaglio di possibilità che la precedente tradizione esegetica gli offre, e, com'è suo costume, vi fa saltuariamente ricorso con un certo eclettismo." Vgl. u.a. S. Holm-Nielsen, Book (1976), 86f; S. Leanza, Sul Commentario (1988), 280 Anm. 63; R. Berndt, Skizze (1994), 5f. Vgl. hierzu speziell den schon zitierten Artikel von S. Leanza, Sul Commentario (1988), passim. Zu Hieronymus' Bibelauslegung vgl. allgemein H. Graf Reventlow, Epochen, II (1994), 39-52; zur Zielsetzung seiner Kommentare vgl. H.F.D. Sparks, Jerome (1970), 535-541; R. Kieffer, Jerome (1996), 669-675. Hieronymus, Comment, in Eccl. (= CCL LXXII, 263): ... ut earn ad contemptum istius saeculi provocarem, et omne quod in mundo cernerei, putaret esse pro nihilo. Vgl. dazu H Graf Reventlow, Epochen, I (1990), 183; R. Berndt, Skizze (1994), 12.

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fänger auf dem Weg der Weisheit mit seinen Pflichten vertraut macht. Im Buch Kohelet lehrt er den Mann in reifem Alter, alles in dieser Welt für hinfällig und vergänglich zu halten. Im Hohenlied schließlich bereitet er diejenigen, die ihre Laster abgelegt und der Pracht dieser Welt entsagt haben, auf die Begegnung mit Christus vor. 2. Bevor ich auf die Problematik zu sprechen komme, welche Beziehung für Hieronymus zwischen Salomo und Christus besteht, möchte ich seine Kohelet-Interpretation näher charakterisieren und in diesem Zusammenhang auf ihre Voraussetzungen und Konsequenzen eingehen. Wie schon die rabbinischen Gelehrten die Welt "unter der Sonne" von der "über der Sonne" unterschieden, so kann auch Hieronymus einen vergleichbaren Dualismus aus dem Buch Kohelet ableiten, und zwar aufgrund zweier Voraussetzungen. Die erste ist im alttestamentlichen Text selbst begründet: Kohelet unterstreicht immer wieder den so begrenzten Wert, die Vergeblichkeit, menschlichen Mühens. Da der Mensch spätestens mit dem Tod alles Errungene preisgeben muß und alles Planen an ihm seine Grenze findet, kann für die im Leben erworbenen Werte nur der Satz gelten, daß alles ban, lateinisch vanitas sei.46 Jetzt aber kommt eine zweite, Kohelet noch fremde Voraussetzung ins Spiel: Die Welt, für die die vaw/tas-Aussage gilt, ist nicht die einzige. Denn der Mensch kann nicht nur auf ein Jenseits nach dem Tod hoffen, sondern ihn erwartet dort auch das Urteil für sein Verhalten im Diesseits, wie Hieronymus aus Koh 12,14 schließt ("Denn jede Tat wird Gott vor Gericht bringen ,..").47 Dabei steht für Hieronymus fest, daß - gegen den Sinn von Koh 2,15f — Weise und Ungebildete nicht beide demselben Schicksal, und zwar dem Vergessen, anheimfallen. Dem Weisen steht nämlich eine andere Zukunft im Jenseits bevor als dem Ungebildeten.48 3. Die Gedanken des Jenseits sowie des Gerichts, die Hieronymus in die Kohelet-Interpretation hineinträgt, führen zu einer neuen Bewertung des Diesseits. Dieses ist ja für Kohelet der Ort, in dem der Mensch, wenn auch nur rätselhaft und flüchtig, das Wirken Gottes verspüren kann, und zwar besonders in den Momenten der Freude und des Glücks (vgl. Koh 3,12f; 9,7-10). 45 46

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Hieronymus, Comment, in Eccl. 1,1 (= CCL 72, 250f). Vgl. Hieronymus, Comment, in Eccl., 1,3 (= CCL 72, 253): Post generalem sententiam quod vana sint omnia, ab hominibus incipit; quod frustra in mundi istius labore desudent, congregantes divitias, endientes ¡iberos, ambientes ad honorem, aedificia construentes et in medio opere subita morte subtracti audiant: Insipiens, hac nocte auferetur anima tua a te; quae autem parasti, cuius erunt? Maxime cum ex omni labore nihil secum ferant, sed nudi in terram redeant, unde sumpti sunt. Hieronymus, Comment, in Eccl. 12,1 (CCL 72, 351): Sic, inquit, abutere mundi rebus ut scias te in ultimo iudicandum. Hieronymus, Comment, in Eccl. 2,15f (= CCL 72, 269): Non enim similiter sapiens et insipiens habebunt in futuro memoriam quando consummatio veniet universitatis; et nequaquam pari exitu tenebuntur, quia hic ad refrigerio, ille perget ad poenam. Zur Uminterpretation des hebräischen Textes vgl. S. Holm-Nielsen, Book (1976), 73.

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Eine solche Erfahrung wird aber durch die Hoffnung auf das Jenseits nicht nur relativiert. Vielmehr ist die vergängliche Welt angesichts der Unvergänglichkeit Gottes nichts anderes als vanitas vanitatum. Sie verdient daher nicht, daß man sich in ihr abmüht, zumal das Leben durch den Tod begrenzt ist und man in der Welt keine bleibende Stätte hat.50 Die adäquate Haltung ihr gegenüber ist daher die Geringschätzung, der schon zitierte contemptus istius saeculi. Dieser ist jedoch nicht mit einer resignativen Einstellung zu verwechseln. Denn Hieronymus plädiert weder für eine Respektlosigkeit oder Verantwortungslosigkeit gegenüber den Werten dieser Welt noch für eine Spiritualität der Entsagung oder Weltflucht. Der contemptus ist vielmehr motiviert durch die Erwartung des Kommenden, das ungleich größer ist als alle menschlichen Errungenschaften. An sie sollen Christen einfach nicht allzu viele Hoffnungen knüpfen. 51 Wenn Kohelet also dazu auffordert, das Leben zu genießen, oder wenn er betont, daß Essen und Trinken ein Geschenk Gottes sind, sollen Christen sich nicht zu einer planvollen Suche nach Glück im Sinne Epikurs veranlaßt sehen. Denn als Gäste auf dieser Welt können sie mit ihrer Arbeit nicht mehr erlangen als ihre Nahrung; einen weiteren "Gewinn" wirft die Arbeit nicht ab.52 Darum soll man sich nach 1 Tim 6,8 mit dem an Nahrung und Kleidung begnügen, was man hat. Und wer den Eindruck hat, mehr zu haben als notwendig, soll das Überflüssige den Armen geben.53 Um noch kurz eine andere, vergleichbare Argumentation vorzustellen: Die Stelle Koh

49 50 51

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Vgl. Hieronymus, Comment, in Eccl. 1,2 (= CCL 72, 252f). Hieronymus, Comment, in Eccl. 12,6-8 (= CCL 72, 281): magnae vanitatis est in hoc saeculo laborare et nihil profutura conquirere. Vgl. auch S. Holm-Nielsen, Book (1976), 67: "Contempt for this world does not mean that you should be longing to get away from it, but it means that you should use this world and this life, which has in reality been given by God, in such a way that you prepare yourself for the world and the life to come. Contempt for the world is not to let oneself be tied by worldly things, temporary as they are, but to use them as the means to obtain eternal life. In a way, one may say that the spiritual interpretation of the scripture is the path leading to a spiritual understanding." Mit unserer heutigen Terminologie: Die Suche nach Glück darf nicht zum Selbstzweck werden, da es keine endgültige Erfüllung schenkt. Vgl. hierzu Hieronymus, Comment, in Eccl. 3,12f (= CCL 72, 278): Propterea colonus et hospes mundi homo datus est, ut brevi vitae suae fruator tempore et spe prolixioris aetatis abscissa, cuneta quae possidet quasi ad alia profecturus aspiciat, et quod potest bene facial, in vita sua; nec frustra ob congregandas opes cogitationibus torqueatur. Neque se putet plus de suo labore lucrari posse, quam cibum et potum et si quid de opibus suis in bonis operibus expenderit, hoc solum Dei donum est. Ex quibus, non, ut quidam aestimant, ad luxuriam et delicias et ad desperationem, secundum illud Isaiae: Manducemus et bibamus, eras enom moriemur [Jes 22,31], instar animalium provocamur; sed secundum apostolum: Habentes victum et vestitum, his contenti sumus [1 Tim 6,8], Et quidquid supra habere possumus, in pauperibus nutriendis et egentium largitione consummamus. Statt consummamus ist wohl zu lesen consumimus, vgl. H. Thum, Text (1989), 237.

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3,5 "eine Zeit zum Umarmen, eine Zeit, die Umarmung zu lösen" bezieht Hieronymus wie manche heutigen Ausleger auf die sexuelle Begegnung.54 Wiederum zieht er mehrere Bibelstellen heran, um den Sinn des Zitates zu verdeutlichen. So stimmt seiner Meinung nach Paulus mit Kohelet insofern überein, als er in 1 Kor 7,5 nicht zur grundsätzlichen Enthaltsamkeit auffordert, dieser jedoch ebenfalls ihren Platz zuweist: "Entzieht euch nicht einander, es sei denn im gegenseitigen Einverständnis und nur eine Zeitlang, um für das Gebet frei zu sein." Die Zeit des Umarmens sieht Hieronymus außerdem gerechtfertigt durch den Schöpfungsauftrag Gen 1,28 "Wachset und mehret euch und erfüllt die Erde", die Zeit der Enthaltsamkeit durch die paulinische Empfehlung "wer eine Frau hat, soll so sein, als habe er keine" (1 Kor 7,29).55 4. In diesen und ähnlichen Fällen mag man sich fragen, inwiefern eine Exegese methodisch zulässig ist, die Zitate aus den verschiedensten biblischen Zusammenhängen miteinander kombiniert, damit diese einander interpretieren. Darum wird es - aus heutiger methodischer Perspektive - nicht schwer fallen, Mißverständnisse und Mängel in der Kohelet-Auslegung des Hieronymus aufzudecken. Was beabsichtigt er aber mit diesem Verfahren? Wie Leanza mit Recht feststellt56, dient diese trotz aller Unzulänglichkeiten am Literalsinn orientierte Exegese dazu, die theologischen und ethischen Aussagen Kohelets abzuschwächen, darunter auch diejenigen, die des Epikureismus verdächtig sind. Wie sich auch anhand anderer Beispiele zeigen ließe, bemüht Hieronymus in der Regel57 nicht von vornherein eine allegorische Auslegung, um problematischen Stellen zu erklären.58 Statt dessen versucht er, zunächst mit dem Mittel der wörtlichen Interpretation den Text zu erhellen. Diese trägt aber nicht nur den Dualismus Diesseits-Jenseits in den Text hinein, sondern zieht andere biblische, vor allem neutestamentliche Zitate heran, die geeignet sind, die Aussagen Kohelets zu relativieren. Somit kommt also nicht der allegorischen Exegese die Hauptaufgabe zu, Kohelet "kirchenfähig" zu machen, sondern der Bestimmung des Literalsinnes nach der beschriebenen Methode.59 5. Welche Aufgabe hat dann aber die allegorische Auslegung? Sie soll dazu verhelfen, die spiritales divitiae60 des Buches kennenzulernen und ad altiora 54 55 56 57 58

59 60

Vgl. exemplarisch L. Schwienhorst-Schönberger, Nicht im Menschen (21996), 95f; vorsichtiger J. Vilchez Lindez, Eclesiastés (1994), 230. Vgl. Hieronymus, Comment, in Eccl. 3,5 (= CCL 72, 275). Vgl. S. Leanza, Sul Commentario (1988), 277. Zu den Ausnahmen vgl. S. Leanza, Sul Commentario (1988), 277. Der Begriff der allegorischen Exegese sei hier deskriptiv, nicht wertend verstanden, dies nicht zuletzt angesichts der neueren Diskussion zum Verhältnis von allegorischer und historisch-kritischer Exegese. Zu den Versuchen, Anliegen und Grenzen beider aufzuzeigen, vgl. exemplarisch U.H.J. Körtner, Schrift (1995), 12ff; B. Studer, Exegese (1996), 82f.90ff. Vgl. S. Leanza, Sul Commentario (1988), 278f. Hieronymus, Comment, in Eccl. 2,24-26 (= CCL 72, 272).

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conscendere,61 Eine solche Interpretation steht meist losgelöst neben der wörtlichen und hat mit ihr in der Regel außer dem auszulegenden Text nichts gemeinsam. An den zwei Kohelet-Stellen, die ich soeben vorgestellt habe, sei dies aufgezeigt: Die Nahrung, die Gott schenkt, sind nach der allegorischen Auslegung der Leib und das Blut des Herrn, wobei Hieronymus dies nicht nur auf die eucharistischen Gaben bezieht, sondern auch auf die geistliche Nahrung, die die Lektüre der Schrift bietet.62 Was schließlich nach Koh 3,5 umarmt werden soll, ist nach der allegorischen Auslegung des Hieronymus kein menschlicher Partner, sondern die Weisheit, denn von ihr sagt Spr 4,8 (der von Hieronymus zitierte Text weicht von der Vulgata ab): "Ehre sie, und sie wird dich umarmen. " Der Mensch kann aber, so Hieronymus, nicht unablässig bei der Betrachtung der himmlischen Dinge verweilen; er darf auch nicht die elementaren Bedürfnissen seines Körpers vernachlässigen. Darum ist eine Zeit notwendig, in der er seinen Geist aus der Umarmung der Weisheit lösen kann.63 6. Schließlich möchte ich auf ein letztes Verfahren aufmerksam machen, das Hieronymus - wieder unter Rückgriff auf ältere Vorbilder - wählt, um die christliche Aktualität und Relevanz des Kohelet-Buches zu begründen. Autor des Buches Kohelet ist für Hieronymus zweifellos der König Salomo. Das bedeutet aber nicht, daß er als Sinn dieses Werkes vornehmlich den anerkennt und zu rekonstruieren sucht, der vom Verfasser möglicherweise beabsichtigt war. Im Gegenteil, diese Fragestellung der neuzeitlichen Exegese ist Hieronymus fremd. In seinem Kommentar wendet er sich an Christen, denen er den Sinn des Buches aus einer vom Neuen Testament und von den christlichen Erfahrungen der ersten Jahrhunderte bestimmten Perspektive erschließen möchte. Die vorhin referierten Auslegungen konnten dies deutlich zeigen. Hieronymus verleiht insofern dem Buch Kohelet einen spezifisch christlichen Sinn. Für ihn spricht deshalb letztlich nicht mehr allein Salomo als historische Persönlichkeit durch den Text des Kohelet-Buches, sondern Christus als neuer Salomo. Anders ausgedrückt: Für Hieronymus wendet sich Salomo im Buch Kohelet nicht nur an ein Publikum seiner Zeit; es enthält darüber hinaus einen spirituellen Sinn für Christen. Nach dem Kommen Christi ist es möglich, diesen im Buch latenten Sinn zu finden. Daher ist nun Christus derjenige, der als "neuer Salomo" durch das Buch des "alten Salomo" spricht. Die Entsprechung Salomo - Christus übernimmt Hieronymus aus der altkirchlichen Tradition. Möglicherweise geht sie schon auf das Neue Testament zurück, konkret auf das Q-Logion Mt 12,42 par. Lk 11,31 "siehe, dieser ist größer als Salo61 62

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Hieronymus, Comment, in Eccl. 3,5 (= CCL 72, 275). Vgl. Hieronymus, Comment, in Eccl. 2,24-26 (= CCL 72, 272); 3,12-13 (= CCL 72, 278). Zur Abhängigkeit dieser Exegese von Origines vgl. S. Leanza, L'atteggiamento (1982), 79f. Dort auch Belege für eine ähnliche Auslegung bei Dionysios von Alexandrien. Hieronymus, Comment, in Eccl. 3,5 (= CCL 72, 275).

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rao", eventuell auch auf die Bezeichnung Jesu als Davidssohn.64 Hieronymus gibt sich aber nicht damit zufrieden, gemäß der intelligentia spiritalis lediglich zu behaupten, Christus sei als der neue Kohelet, griechisch εκκλησιαστής anzusehen.65 Vielmehr sucht er dies aus Koh 2,7 abzuleiten "... mehr besaß ich als alle meine Vorgänger in Jerusalem". Nun ist auch Hieronymus bekannt, daß Salomo mit seinem Vater David nur einen Vorgänger in Jerusalem hatte, das ja unter Saul von den Jebusitern gehalten wurde. Statt aber Kohelet, den angeblichen Sohn Davids, der Fiktion zu überführen, sieht er den Namen εκκλησιαστής jetzt auch auf Christus bezogen. Die Diener und Dienerinnen, die Kohelet nach Koh 2,7 erwirbt, sind dann diejenigen, die den Geist der Gottesfurcht haben und die geistlichen Gaben mehr erstreben, als sie sie schon besitzen.66 7. Wiewohl Hieronymus manche der vorhin dargestellten Gedanken und Interpretationsverfahren von älteren Vorbildern, besonders von Origines, übernimmt, grenzt er sich auch von diesen ab. Die allegorische Exegese spielt bei weitem nicht die Rolle wie bei Origines und seinen direkten Schülern.67 Dasselbe gilt von einem anderen Argument, mit dem in ähnlicher Weise manche modernen Exegeten die Uneinheitlichkeit der Aussagen Kohelets zu erklären suchen: Kohelet zitiere in seinem Buch entweder seine früheren Ansichten oder aber Meinungen seiner Gesprächspartner oder Kontrahenten. In jedem Fall enthalte das Buch aber eigene oder fremde Zitate. Sofern es sich dabei um eigene handelt, habe Salomo sie zitiert, um sie dann zu verwerfen68; sind es aber fremde Zitate, sei das Buch Kohelet als fiktiver Dialog zu verstehen, als sogenannte Prosopopöie, in der Salomo seine Gesprächspartner zu Wort kommen lasse. Solche Theorien wurden erstmals von Gregor dem Wundertäter69 vertreten und später weiterentwickelt von den postnizänischen Kirchenvätern (u.a. von Gregor von Nyssa, Gregor dem Großen u.a. ). ™ Im KoheletKommentar des Hieronymus spielen sie aber nur eine untergeordnete Rolle.71

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Für nähere Einzelheiten sei verwiesen auf J. Brière, Salomon (1991), 48 If; R. Hanig, Christus (1993), passim. Vgl. Hieronymus, Comment, in Eccl. 1,1 (= CCL 72, 251). Hieronymus, Comment, in Eccl. 2,7 (= CCL 72, 265). Vgl. zu der Stelle auch S. Holm-Nielsen, Book (1976), 71 f. Vgl. S. Leanza, L'atteggiamento (1982), 90. Von S. Holm-Nielsen, Book (1976), 73, als "re-thinking" bezeichnet; vgl. denselben Ausdruck in bezug auf rabbinische Theorien zur Uneinheitlichkeit des Buches Kohelet ebd., 81. Vgl. dazu J. Jarick, Gregory Thaumaturgos' Paraphrase (1990), passim. Belege bei S. Leanza, L'atteggiamento (1982), 85-88.90; RE. Murphy, Ecclesiastes (1992), 1-li. Vgl. das Beispiel der Exegese zu 9,7f, das S. Leanza, L'atteggiamento (1982), 88f, anführt. Zur Erklärung des "Re-Thinking" greift Hieronymus in seiner Erklärung zu 2,15f; vgl. S. Holm-Nielsen, Book (1976), 73.

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An dieser Stelle breche ich meine Ausführungen zu Hieronymus' KoheletKommentar ab. Festzuhalten bleibt, daß er ein ganzes Spektrum von Methoden beherrscht, um aus dem alttestamentlichen Buch eine Botschaft für Christen herauszulesen. Dabei kommt der Allegorie sowie der Theorie der Prosopopöie noch eine verhältnismäßig geringe Bedeutung zu. Spätere Autoren griffen auf Hieronymus' Methoden bereitwillig zurück, setzten aber teilweise andere Akzente als er, indem sie etwa die Erforschung des Literalsinnes zugunsten der allegorischen Erklärung zurückdrängten. 72 Trotzdem blieb er jahrhundertelang die Autorität in der Kohelet-Auslegung. 73 An dieser Stelle möchte ich nur auf einen verweisen: Andreas von Sankt Viktor (f 1175), der wie kaum ein anderer Exeget des Mittelalters am Textsinn des Buches Kohelet festhält. 74 Er orientiert sich nicht nur in zahlreichen Auslegungsfragen am Kommentar des Hieronymus (z.B. bei der Erklärung von Koh 2,15; 3,5b u.ö.) 75 ; er entnimmt ihm auch eine zentrale Deutungskategorie: Das Buch Kohelet leite den gereiften und auf seinem geistlichen Weg fortgeschrittenen Menschen an, diese Welt geringzuschätzen. 6 Somit findet ein Element der spezifisch christlichen Auslegung des Buches Kohelet Eingang in einen Kommentar, der sich im übrigen der Auslegung des Literalsinnes verschrieben hat. Es ist hier nicht der Ort, auf die Funktion dieses Interpretaments im Zusammenhang des Kommentars einzugehen. Auch kann an dieser Stelle nicht die Frage verfolgt werden, wie sich für Andreas von Sankt Viktor der Literalsinn des Buches Kohelet mit den Vorgaben der christlichen Theologie vereinbaren läßt. 77 Festgehalten sei nur folgendes: Zwar verziehet Andreas (wie übrigens schon sein Vorgänger Hugo von Sankt Viktor 78 ) darauf, dem Buch Kohelet mit Hilfe der Allegorie eine christliche Deutung oder einen spirituellen Sinn zu verleihen. Er sieht aber nicht davon ab, schon in der Erläuterung des ersten Verses der Interpretation des Buches eine bestimmte christliche Richtung zu 72

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Insofern ist die Stellung des Hieronymus in der patristischen Auslegungsgeschichte des Buches Kohelet ziemlich singular. Vgl. 5. Leanza, Condizionamenti (1991), 49, der noch auf Gregor von Agrigent hinweist. Vgl. exemplarisch S. Leanza, Un capitolo (1985), 367ff, wo er den Kohelet-Kommentar eines unbekannten mittelalterlichen Autors vorstellt, der über weite Strecken den Text von Hieronymus' Kommentar übernimmt. Für sämtliche Einzelheiten sei hier verwiesen auf R. Berndt, André de Saint-Victor (1991), Kp. V-VII. Zur Abhängigkeit des Andreas von Sankt-Viktor von Hieronymus vgl. vor allem R, Berndt, André de Saint-Victor (1991), 134f.220.260f.315 u.ö. Andreas von Sankt Viktor, Expositio histórica in Ecclesiasten 1,1 (= CCM 53B, 93): ... maturiorem et perfectiorem, virilem scilicet aetatem instituit, ut mundum ipsum contemnat et nihil eorum quae illius sunt fixum et stabilem et duraturum credat, sed potius universa quae mundi ambitu continentur caduca et transitoria et vana esse pro certo habeat. Vgl. dazuR. Berndt, André de Saint-Victor (1991), 258f.287ff.293.301ff.310. Vgl. zu dessen Kohelet-Inteipretation u.a. H. de Lubac, Exégèse médiévale, II/l, 433435; S. Holm-Nielsen, Book (1976), 86-88.

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geben, die durchaus noch im Laufe des Kommentars aufgenommen wird: Diese Welt ist zu verachten. Wer aber gerecht ist und Gottes Gebote hält, den wird er in der zukünftigen Welt für sein Verhalten belohnen.79 Die Verachtung der Welt und die Liebe Gottes, die sich im Halten der Gebote äußert: Dies waren die Motive, die bis in die Neuzeit hinein, ja bis ins 19. Jahrhundert zahlreiche christliche Autoren als die Quintessenz der Botschaft Kohelets ansahen, ob sie sich nun explizit auf Hieronymus bezogen oder nicht.80

II!. Von Kohelet, dem Prediger christlicher Sorgenlosigkeit, zu Kohelet, dem Prediger des Scheiterns alttestamentlicher Weisheit 1. Reformatorische

Kohelet-Interpretationen

Die schon im Humanismus einsetzende und von der Reformation aufgegriffene neuzeitliche Exegese erhob die Forderung, den wörtlichen Sinn eines Textes zu rekonstruieren und so das Verständnis der Bibel von allen im Laufe der Kirchengeschichte aufgetragenen Übermalungen zu befreien.81 Die damals aufkommende, von dogmatischen Zwängen sich allmählich loslösende Bibelwissenschaft82 war allerdings noch weit davon entfernt, an Kohelets Aussagen Kritik zu üben. Ebensowenig versuchte sie, ihm seinen Platz im biblischen Kanon streitig zu machen. So lehnte Martin Luther3 zwar die allegorisierenden Tendenzen in der KoheletAuslegung ab und wies die Behauptung zurück, Kohelet predige in seinem Werk

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Andreas von Sankt Viktor, Expositio histórica in Ecclesiasten 3,17 (= CCM 52B, 112): Nunc iustus ab iniusto et impio piene discerni non potest. In futuro autem Deus inter utrumque discernet, utrique secundum quod promeruit retribuens. Vgl. dazu R. Berndt, André de Saint-Victor (1991), 310. Beispiele für Kohelet-Inteipretationen dieser Art bei G. Ravasi, Qohelet (1988), 412f; E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 31f; zu seiner eigenen Sympathie für die Idee der Nichtigkeit der Welt vgl. ebd., 197. - Immer wieder wird in der Literatur auf das einflußreiche Werk De imitatione Christi des Thomas von Kempen von 1441 hingewiesen, der in den ersten Worten des Buches Kohelet, in lateinischer Version vanitas vanitatum, eine Aufforderung zur Verachtung dieser Welt sieht. Zur Übernahme von Kohelet-Motiven in die Kirchenlieder-Dichtung vgl. O. Eißfeldt, Alles Ding (1970), 70ff. Vgl. exemplarisch Erasmus von Rotterdam, In Novum Testamentan Praefationes, 6264. R Berndt, Andrée de Saint-Victor (1991), 313, macht mit Recht darauf aufmerksam, daß die Anfänge der Entwicklung, die zur Verselbständigung der Exegese von der (systematischen) Theologie führte, schon in der Schule von Sankt Viktor zu beobachten sind. Vgl. zu seiner Kohelet-Auslegung einschlägig E. Wölfel, Skepsis (1958). Da dieses Thema in den auslegungsgeschichtlichen Passagen der Sekundärliteratur zu Kohelet ausführlich behandelt wird, sei hier auf eine eingehendere Darstellung der Thematik verzichtet. Vgl. ebenfalls E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 29-33; S. HolmNielsen, Book (1976), 88-91; D. Michel, Qohelet (1988), 121f.

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den contemptus mundi,84 Er weist dem Text aber eine neue Aufgabe zu. Nach seiner Ansicht - ich fasse mich hier kurz - hat der Mensch trotz all seines Planens und Wirkens nicht die Zukunft in der Hand.85 Dennoch soll er nicht untätig sein, sondern bei seinem Handeln die Gaben und Güter, die ihm Gott in jedem Augenblick zur Verfugung stellt, bereitwillig nutzen. Was ihn in seiner Arbeit leiten soll, ist das Vertrauen auf Gottes Fürsorge sowie das sorglose Sich-Fügen in seinen Willen, zu dem Mt 6,34 auffordert: "Denn der morgend tag wird seyn selbst sorge haben, Es ist gnug das eyn iglich tag seyn ubel hat." Und Luther fugt sogleich hinzu: "Diser spruch ist die glose und ynnhalt dises buchs [= Kohelets]. Sorgen fur uns gehört Gott zu, Unser Sorgen feylt doch, und gibt eyttel verlome mühe."86 Wie zu recht in der Sekundärliteratur zu Luthers Kohelet-Deutung vermerkt wird, ist diese weitgehend von einem am Neuen Testament, speziell an der Bergpredigt ausgerichteten Vorverständnis bestimmt.87 Ähnliches gilt dann auch von zahlreichen Kommentarwerken der Folgezeit, die sich an Luthers KoheletAuslegung inspirierten, zugleich aber die vanilas-vanitatum-Aussage Kohelets betonen. Die Botschaft des Buches besteht ihnen zufolge darin, die vanitas alles Irdischen, aller menschlicher Bemühungen und Wünsche aufzuzeigen. Das schließt nicht aus, daß man - sozusagen vorläufig - auf Erden das jeweils sich anbietende Glück freudig und mit Dankbarkeit Gott gegenüber genießt und sich nicht um die Zukunft sorgt.88 2. Die Kritik an Kohelet in der Exegese des 19. und 20. Jahrhunderts Einer historisch-kritischen, d.h. am ursprünglichen Text und seinem Sinn interessierten Exegese konnten die bisher referierten christlichen Interpretationen nicht mehr genügen. Tatsächlich trugen verschiedene exegetische Einsichten dazu bei, die Autorität des Buches Kohelet in Frage zu stellen. Schon im Jahr 1644 trug Hugo Grotius seine Zweifel an der salomonischen Verfasserschaft des Buches vor.89 Dann war aber nicht mehr der weise König par excellence der Urheber des unter dem Namen "Kohelet" überlieferten Werks, sondern ein uns im übrigen unbekannter Verfasser der hellenistischen Epoche. Wenn sich weiterhin zeigte, daß die Epiloge sekundär sind und sie die Funktion hatten, dem Buch seinen Weg 84 85 86 87 88 89

Näheres bei S. Holm-Nielsen, Book (1976), 89. Vgl. G. White, Luther on Ecclesiastes (1987), 188ff. M. Luther, Vorrhede auf den prediger Salomo (= WA.DB 10/2, 106). Vgl. D. Michel, Qohelet (1988), 122, unter Berufung auf E. Wölfel, Skepsis (1958), 115f. Belege bei E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 33f. Nachweise bei J. Vílchez Lindez, Eclesiastés (1994), 23. Daß Martin Luther erstmals die salomonische Verfasserschaft des Buches Kohelet in Frage stellte, wird inzwischen bestritten. Die fragliche Stelle in den "Tischreden" lautet nämlich in ihrer lateinischen Fassung: ñeque is [= Salomo] conscripsit Ecclesiasticum, sed tempore Maccabaeorum a Syrach conscriptus est (= WA TR 2, 653). Die Rede bezieht sich also auf das Buch Sirach, nicht auf das Buch Kohelet. Vgl. J. Vílchez Lindez, Eclesiastés (1994), 22f.

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in den Kanon zu bahnen, dann brach von neuem das Problem auf, wie es um seinen sonstigen Inhalt bestellt sei. Die vor allem ab dem 19. Jahrhundert90 vorgetragene Kritik an Kohelet folgt zwei Argumentationslinien, die sich freilich ergänzen können. 1. Wer sich dem letztlich auf Hegels Geschichtsphilosophie zurückgehenden Modell einer fortschreitenden, Altes und Neues Testament umfassenden Entwicklung der Offenbarung verpflichtet fühlte, konnte rasch zu folgender Einsicht gelangen: Das Buch Kohelet steht noch auf einer früheren Stufe der theologischen Erkenntnis als das Neue Testament und wird somit von ihm aufgehoben. Drei Beispiele mögen dies verdeutlichen: a) In seinem Kommentar von 1875 bemüht Franz Delitzsch die Begrifflichkeit der Hegeischen Philosophie, um den Abstand kennzuzeichnen, der das Buch Kohelet von der neutestamentlichen Offenbarung trennt: "Ein neutestamentlicher Gläubiger würde ein Buch wo [sie statt 'wie'] das B. Job oder gar wie das B. Koheleth nicht schreiben können ohne Versündigung an der geoffenbarten Wahrheit, ohne Verleugnung der unterdeß ermöglichten besseren Erkenntnis, ohne Rückfall auf einen überwundenen Standpunkt. Der Verf. des B. Koheleth gehört der Offenbarungsreligion auf ihrer alttest. Vorstufe an, er ist ein vorchristlicher Gläubiger ..." Zu dieser Bewertung des Buches Kohelet gesellt sich allerdings die Bewunderung für seinen scharfsinnigen Autor, der trotz seines "tiefen Einblick(s) in die Vergänglichkeit und Nichtigkeit alles Irdischen" nicht der Resignation verfallen sei, sondern dieses "Hohelied der Gottesfurcht" angestimmt habe.91 Später findet Delitzsch schärfere Worte: "Und Koheleth auf seinem Schutthaufen beweist, wie noth es thut, daß nun bald der Himmel über der Erde sich öffne." 92 b) In seinem ausführlichen Kommentar von 1912 greift auch der französische Gelehrte Emmanuel Podechard (f 1951) das Entwicklungsmodell auf. Auch er spricht von einem "Fortschritt in der Offenbarung" 93 , in der die spätere Stufe das hervorbringt, was die frühere noch unentfaltet in sich birgt. Denn indem Kohelet immer wieder die Nichtigkeit alles Irdischen betont, bereitet er indirekt den Boden für das Aufkommen der Lehre von einer Vergeltung im Jenseits. "Wenn auch Kohelet selbst keineswegs die Existenz von einer jenseitigen Vergeltung beweisen wollte, so hat er doch mit einem außerordentlichen Nachdruck eine der Prämissen aufgestellt, die diese Schlußfolgerung notwendig machen sollten."94 An anderer Stelle geht Podechard noch weiter: "Wenn auch seine [= Kohelets] Schlußfolgerungen vom Evange90 91 92 93 94

Vgl. auch J. Vilchez Lindez, Eclesiastés (1994), 33. Alle Zitate bei F. Delitzsch, Hoheslied und Koheleth ( 1875), 189f. F. Delitzsch, ebd., 192. Vgl. E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 197: "progrès de la révélation". E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 197: "Quant à Qohéleth lui-même, il n'entendait certes pas démontrer l'existence des rétributions futures, mais il a établi avec une rare vigueur une des prémisses qui rendaient cette conclusion nécessaire."

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Hum noch weit entfernt sind, ist es keineswegs paradox zu sagen, daß mit ihm das Judentum immer mehr die Richtung des Christentums einschlägt. Seine zentrale Idee [= die der Nichtigkeit des Irdischen] ist schon eine christliche."95 Somit zählt das Buch Kohelet zu den alttestamentlichen Texten, die - positiv verstanden - die Ankunft des Christentums vorbereiten.96 Für Christen ist es zwar durch die neutestamentliche Offenbarung überholt, aber dennoch wegen seiner vcmitas-Lehre sowie wegen der Aussagen von 12,14 nützlich.97 c) Wenn auch nach Delitzsch und Podechard Kohelet auf einer vom Christentum überwundenen Stufe der Offenbarung steht, ist beiden eine betonte Abwertung des Verfassers und seines Buches fremd. Anders der niederländische Exeget Gerrit Wildeboer, der in seinem 1898 erschienenen Kommentar schreibt: "Kohelet nimmt einen wichtigen Platz im Kanon des AT ein. Er ist ein wertvolles Dokument aus der Geschichte von Israels einzigartiger Religion. Seine Bedeutung für die Geschichte des Reiches Gottes ist aber rein negativ. Es spricht aus ihm ein schreiendes Verlangen nach Befriedigung geistiger Bedürfnisse und Nöte, wie solche im ganzen AT nicht rückhaltloser aufgedeckt sind als hier, ein Verlangen, das nur in dem gestillt werden konnte, der das ewige Leben ist und das ewige Haus in dem Vaterhaus mit seinen vielen Wohnungen (Joh 14,2) erkennen lässt."98 Wenn auch Wildeboer anerkennende Worte für Kohelets Gottesglauben findet99, so ist dieser doch für Christen keine Autorität mehr. Das Buch Kohelet ist nämlich das Produkt einer Phase des Niedergangs, die durch das Neue Testament abgelöst wird. Es kann daher nicht als positive, sondern nur als negative Vorbereitung des letzteren verstanden werden. Das Buch Kohelet und das Neue Testament verbindet nicht mehr eine nach dem Modell des Offenbarungsfortschrittes gedachte Kontinuität; d.h. die frühere Stufe würde von der späteren nicht nur aufgehoben im Sinne "von außer Kraft gesetzt", sondern sie wäre auch in ihr aufgehoben im Sinne von "aufbewahrt". Statt einer solchen dialektischen Entwicklung liegt für Wildeboer eine Art Bruch vor: Mit dem Buch Kohelet, einem der letzten Bücher des Alten Testaments, scheitert die alttestamentliche Weisheit und gerät, so Aarre Lauha, in den "weltanschaulichen Bankrott".100 Das Chri95

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E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 196: "... et bien que ses conclusions pratiques restent loin de l'Évangile, il n'est point paradoxal de dire qu'avec lui le judaïsme s'infléchit de plus en plus dans la direction du christianisme. Son idée essentielle est déjà une idée chrétienne.". Ähnlich die Bewertung Kohelets durch L. Di Fonzo, Ecclesiaste (1967), 82; HD. Preuß, Einführung (1987), 191; G. Ravasi, Qohelet (1988), 56. Vgl. zu dieser evolutiven Vorstellung auch E. Zenger, Das Erste Testament ( s 1995), 120-122. Vgl. E. Podechard, L'Ecclésiaste (1912), 199. G. Wildeboer, Der Prediger (1898), 119. G. Wildeboer, ebd., 116: "Wie schwer es ihm auch fällt, er für seine Person hält fest an Gott und will, dass Gottesfurcht die Menschen bei ihrem Thun und Treiben leite." A. Lauha, Kohelet (1978), 22f (dort im Genitiv). Zur Vokabel "Bankrott" im Zusammenhang der Einschätzung der Aussagen Kohelets vgl. R.E. Murphy, Recent Rese-

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stentum übernimmt nun die Aufgabe, das Erbe des alttestamentlichen Gottesglaubens anzutreten.101 Wildeboers Kohelet-Interpretation fand ihre Nachfolger. Hans Wilhelm Hertzberg beendet seinen 1963 erschienen KoheletKommentar mit den Worten: "Hier [sc. beim Buch Kohelet] war das Alte Testament im Begriff, sich totzulaufen. Hinter diesem völligen Nichts auf der Menschenseite war nur noch 'die neue Kreatur' des NT als Hilfe möglich. Das Buch Qoh, am Ende des AT stehend, ist die erschütterndste messianische Weissagung, die das AT aufzuweisen hat."102 In eine ähnliche Richtung geht der schon zitierte Kommentar von Aarre Lauha aus dem Jahr 1978.103 2. Wer noch gar nicht das Neue Testament als Maßstab wählte, sondern gleichsam "synchron" Kohelet mit dem übrigen Alten Testament verglich, konnte ohne Mühe seine Eigentümlichkeiten feststellen. So bemerkt der jüdische Ausleger Heinrich Graetz, keineswegs ein Kritiker Kohelets, in der Einleitung seines Kommentars von 1871: "Und eben so wie die religiöse Stimmung, vermisst man in demselben [sc. dem Buch Kohelet] die in sich selige Harmlosigkeit, welche den übrigen heiligen Schriften inne wohnt."104 Ausführlicher listet Walther Zimmerli in einem Artikel von 1983 eine Vielzahl von Unterschieden auf: "Da ist nirgends etwas von der Begegnung Gottes mit seinem Volk Israel in Gericht und Gnade zu sehen - diese Eigentümlichkeit teilt der Prediger mit den Proverbien und Hiob. Aber das ist auch nichts zu finden von offenem Vertrauen zu Jahwe, wie es in den Proverbien, zumal deren jüngster Sammlung Prov 1-9, zu finden ist. Es ist auch nichts zu finden von dem glutvollen Ringen um die Gerechtigkeit Gottes, wie es das Hiobbuch zeigt. Da ist auch nichts von dem didaktischen Pathos der Spruchweisheit, die den Weg gottesfürchtigen Handelns weist, und schon gar nichts von der Leidenschaft der Propheten, die das Unrecht ihrer Tage angreifen. Da ist nichts von der Glut des Psalmgebetes in seinem Rühmen der hohen Werke und seinem Geschrei aus der Anfechtung heraus. Gewiß, das Gebet ist nicht verwehrt. Wohl aber wird vor seinen vielen Worten gewarnt (5,1). Der Gang zum Tempel ist nicht verboten, aber es wird auch da zur rechten Behutsamkeit gemahnt (4,7). Und schon gar fehlt Kohelet (wie wiederum der übrigen alttestamentlichen Weisheit) jede Hoffnung auf ein eschatologisches Eingreifen Gottes."105 Dieser Vergleich des Buches Kohelets mit dem übrigen Alten

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arch (1993), 131, zu Lauhas und vergleichbaren Kohelet-Interpretationen vgl. E. Zenger, Das Erste Testament (s1995), 34-36.150. Es liegt nahe, in dieser Interpretation eine Anwendung des sogenannten Substitutionsmodells zu sehen, nach dem Israel durch die Kirche ersetzt wird. Vgl. dazu B. Klappert, Israel (1980), 14ff. H.W. Hertzberg, Prediger (1963), 237f. Vgl. wesentlich vorsichtiger D. Michel, Koheletbuch (1990), 353. Vgl. A. Lauha, Kohelet (1978), 22-24. H. Graetz, Kohélet (1871), 2. W. Zimmerli, Unveränderbare Welt (1983), 112.

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Testament mündet bei Zimmerli keineswegs in eine Abwertung Kohelets. Denn er sieht die Eigentümlichkeiten Kohelets nicht als Defizite seiner Theologie und seines Credos an bzw. als Mängel in seiner Einstellung zu Weisheit und Wissen. Freilich scheiden sich an diesem Vergleich die Geister. Während die einen etwa aus der fehlenden Zwiesprache Kohelets mit Gott106 oder aus seinem angeblich fehlenden Urvertrauen107 keine negativen Schlußfolgerungen ziehen, schlagen andere den entgegengesetzten Weg ein. Das belegen etwa die zahlreichen Qualifizierungen Kohelets als Skeptiker, Pessimist, Agnostiker usw., von denen die Forschungsberichte ein eindrückliches Bild vermitteln. 108 In eine ähnliche Richtung geht die Deutung des Buches als eines Zeugnisses der Krise, in die die spätalttestamentliche Weisheit geraten sei.109 Die Anzahl der Beispiele ließe sich mühelos vermehren. Aber auch ihre begrenzte Zahl erlaubt eine Schlußfolgerung: Wenn das Buch Kohelet als ein Außenseiter im Alten Testament angesehen wird, das auf viele Themen von Tora und Propheten kaum Bezug nimmt110, wenn es, aus neutestamentlicher Perspektive betrachtet, als überholt oder als Produkt eines Niedergangs gelten muß, dann verstummt das Buch für Christen. Auf der Basis eines solchen Vorverständnisses kann man zwar versuchen, mit den Mitteln der Exegese den ursprünglichen Sinn des Textes zu erhellen. Eine Relevanz für Christen hat das Buch Kohelet dann aber nicht mehr. Oder es kann sie nur noch lehren, "wie man nicht über und zu Gott reden darf' 111 . Somit stellt sich die Frage: Wie kann eine christliche Kohelet-Rezeption aussehen, die den aufgezeigten Problemen zu entgehen sucht? Einerseits erhebt sich die Forderung, daß sie nicht hinter das heutige exegetische Methodenbewußtsein zurückfällt und dem Literalsinn des Textes gerecht zu werden sucht. Andererseits soll sie nicht wieder in eine Abwertung des Buches münden. Sie hat daher den Text nicht an dem zu messen, was er nicht sagt, was aber anderswo im Alten oder Neuen Testament enthalten ist, sondern an dem, was er sagt. Kurz: Sie hat ihm einen Eigenwert zuzubilligen, der ihm unab106

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Um nur zwei Autoren zu nennen: E. Glasser, Procès (1970), 207: "... il lui a sans doute manqué une expérience: celle d'une communion intense avec Dieu." R.E. Murphy, Faith (1987), 259: "Neither does Qoheleth betray a close and warm relationship to God." So O. Kaiser, Sinnkrise (1978), 17 (dort kursiv); ähnlich ders., Schicksal (1987), 50. Belege dazu in den Forschungsüberblicken, etwa bei J. Vílchez Lindez, Eclesiastés (1994), 33-38. Vgl. als Beispiel eines wesentlich ausgewogeneren Vergleichs des Buches Kohelet mit dem übrigen AT R.N. Whybray, Ecclesiastes (1989), 58-61. Neuere Beispiele: HD. Preuß, Einführung (1987), 69.116f.134; J.L. Crenshaw, Ecclesiastes (1988), 28. Vgl. zur Kritik an dieser Theorie u.a. R.E. Murphy, Recent Research (1993), 131. Vgl. noch A. Lauha, Kohelet (1978), 22f. Anders R.N. Whybray, Ecclesiastes (1989), 59. Mit dieser Ansicht setzt sich E. Zenger, Das Erste Testament ( s 1995), 35 kritisch auseinander.

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hängig von anderen biblischen Aussagen zukommt.112 Für die christliche Rezeption ergibt sich dann die Frage: Enthält das Buch Kohelet ungeachtet seiner vermeintlichen oder wirklichen Unterschiede zu anderen biblischen Texten eine komplementäre Botschaft, die diese ergänzt? Kann es so verstanden werden, daß es von neutestamentlichen Aussagen nicht aufgehoben (im Sinne von "überholt") wird, sondern mit ihnen in ein imaginäres Gespräch treten kann, in dem es seine Anliegen geltend machen kann? Diese Fragen möchte ich im folgenden und letzten Abschnitt beantworten. Dabei beziehe ich einige in den vergangenen Jahrzehnten von den Exegeten entwickelte Lösungsmöglichkeiten in meine Überlegungen ein, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.113 IV. Kohelet - ein Prediger für Christen? 1. Kohelet als "Gesprächspartner" Nach dem Zeugnis des Hebräerbriefs hat Gott viele Male und auf vielerlei Weise durch die Propheten zu den Vätern gesprochen (Hebr 1,1). Tatsächlich bezeugen die Schriften des Alten Testaments eine Vielzahl von Möglichkeiten, über Gott und zu Gott sowie über seine Beziehung zu den Menschen zu reden. Es ist nicht nur eine Forderung exegetischer Methodik, jeden dieser Texte als ein autonomes Werk zu verstehen, das eine eigene Aussage hat, die nicht auf die eines anderen Textes zu reduzieren ist. Auch der Respekt gegenüber den meist unbekannten Urhebern dieser Schriften sowie gegenüber denen, die sich seit Jahrhunderten in ihnen wiederfinden, verlangt es, die betreffenden Texte als eigenständige Glaubenszeugnisse anzuerkennen. So wenig es möglich ist, sie auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen114, so wenig ist es legitim, eines dieser Zeugnisse am Maßstab eines anderen zu messen. Zwar trifft es zu, daß Texte verfaßt wurden, um andere zu ergänzen oder zu kritisieren. Spätere Redaktionsstufen sowie die Verschiedenheiten zweier Texte zum selben Thema mögen dies verdeutlichen (vgl. die Unterschiede zwischen den Königs- und Chronikbüchern).115 Die Tatsache, daß das Alte Testament solche gegensätzlichen, oft widersprüchlichen Meinungen stehen läßt, mahnt aber zur 112 113

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Vgl. auch E. Zenger, ebd., 46f; ders., Sinai (1993), 78f. Verwiesen sei u.a. auf G. Fanoni, Schöpfung (1992), passim, der die Schöpfungstheologie Kohelets für Christen fruchtbar machen möchte, ferner auf J.-P. Molina, Jésus (1992), 239ff, der zahlreiche inhaltliche und formale Gemeinsamkeiten zwischen der Verkündigung Jesu und den Aussagen Kohelets erkennt. Vgl. E. Glasser, Procès (1970), 208: "... mais le résultat [sc. einer Anpassung des Buch Kohelets an das Buch Ijob oder an bestimmte Psalmen] eût été un nouveau livre de Job, poésie en moins, et non le livre de l'Ecclésiaste. Il fallait que Qohelet fût celui qu'il a été; son essai sur les rapports entre sagesse et bonheur dans un monde créé par Dieu est irremplaçable." Zum Gespräch, das die Bücher Sirach und Weisheit mit dem Buch Kohelet führen, vgl. E. Zenger, Das Erste Testament (s1995), 150f.

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Vorsicht gegenüber allen Versuchen, diese Vielfalt einzuschränken. Die Auffassung, ein Text büße seinen Wert ein, weil er von einem späteren korrigiert werde oder das Niveau eines früheren nicht erreiche, beruht auf einer Vorentscheidung: Indem man mit der einen Meinung sympathisiert, verschließt man sich dem Gespräch mit der gegenteiligen. Mit dem Terminus "Gespräch", der übrigens auch in der Philosophie als hermeneutische Kategorie etabliert ist (s.u.), sind wir bei einem Begriff angelangt, der in der Frage einer heutigen christlichen Kohelet-Rezeption nützlich sein kann. Ein Gespräch setzt eine Gesprächsbasis voraus, die den anderen, hier das Buch Kohelet, als eine Art Gesprächspartner versteht. Der ist nicht der schweigende Zuhörer, der die christliche Position ohne die Möglichkeit eines Einspruchs hinnehmen und vor Christen verstummen muß. Genausowenig ist von Christen verlangt, sich "bedingungslos auf die von ihm [sc. Kohelet] gegebenen Antworten einzulassen"116. Vielmehr ist das Gespräch mit ihm an einer Verständigung interessiert. Das bedeutet: Das Buch Kohelet kann sein Anliegen zur Sprache bringen und dabei mit einer prinzipiellen Aufgeschlossenheit rechnen. Das Gespräch setzt also eine Lernbereitschaft voraus, die davon ausgeht, daß die eigene Position nicht die endgültige ist und keine Ergänzungen mehr benötigen würde, sondern durch die Auseinandersetzung mit dem Fremden gewinnt. "Verständigung im Gespräch ist nicht ein bloßes Sichausspielen und Durchsetzen des eigenen Standpunktes, sondern eine Verwandlung ins Gemeinsame hin, in der man nicht bleibt, was man war."117 Können also Christen aus dem imaginären Gespräch mit Kohelet, das die intensive Lektüre seines Buches darstellt, lernen? Können sie in der Auseinandersetzung mit dem Fremden das unentdeckte Eigene finden und es sich insofern zu eigen machen? Zwei Aspekte des Buches Kohelet, an die das christliche Gespräch mit ihm anknüpfen kann, seien hervorgehoben: a) "Die Ausgebeuteten weinen, und niemand tröstet sie " (Koh 4,1) Kohelet bietet keine spekulative Theologie, die allgemeingültige Aussagen über das Wesen und Wirken Gottes machen würde. Er ist auch kein Prophet, der mit dem Anspruch aufträte, seinen Adressaten eine göttliche Botschaft zu überbrin116

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O. Kaiser, Schicksal (1987), 32. Die Fortsetzung des Zitats lautet: "Aber es könnte doch sein, daß seine [= Kohelets] zentrale Anfechtung auch noch die unsere ist und wir im Gespräch mit ihm am Ende den Weg zur eigenen Gewißheit finden." H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode ("1975), 360. Vgl. zur theoretischen Legitimation dieses hermeneutischen Ansatzes u.a. ebd., 349ff; E. Grassi, Einleitung (1982), 29f: "Das Gespräch erweist sich ... nicht nur als eine Weise der Vermittlung von bestehenden Wissensinhalten, sondern als eine ursprüngliche Methode, neues Wissen zu schaffen ... Konkret: ... Neue Zusammenhänge eröffnen sich plötzlich, bilden sich, verflechten sich und lösen sich auf. In diesem Sinn erweist sich das Vorgeben eines allgemeinen und überall geltenden Kodes in Wirklichkeit als Hindernis für ein sich ereignendes Verstehen. Lehren und Lernen verweilen dann im Bereich des rein Deduktiven, bei dem jedes ursprüngliche Geschehen verdorrt."

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gen." 8 Weiterhin greift er nicht auf überlieferte Bekenntnisse oder auf Lehrmeinungen der israelitischen Weisheit zurück, die ihm helfen könnten, seine Fragen zu beantworten, oder die ihn ein optimistischeres Weltbild lehrten.119 Die Lehre eines Weiterlebens nach dem Tod war ihm sicherlich bekannt (vgl. Koh 3,21); vielleicht wußte er auch von (apokalyptischen?) Hoffnungen auf eine Vergeltung im Jenseits.120 Beides wird aber abgelehnt. Schließlich beruft er sich nicht auf Gottes Taten in der Geschichte Israels oder auf die Israel gegebenen Verheißungen.121 Was immer er von solchen überkommenen Lehren hielt, auch von denen, 122

die er nicht eigens erwähnt - seine Einsichten beruhen auf der kritisch reflektierten eigenen, begrenzten Erfahrung. Vor diesem Forum haben die aus der weisheitlichen und theologischen Tradition überkommenen Lehren keinen Bestand. Die Erfahrung lehrt Kohelet beispielsweise, daß die Ausgebeuteten keinen Befreier haben, auch nicht Gott (Koh 4,1), und daß der Gesetzesbrecher nicht mit einem frühen Tod rechnen muß (Koh 8,13f). Ist aber diese Erfahrung nur das Zeugnis eines Außenseiters, das Christen getrost überhören können? Beileibe nicht. Sie erfahren zwar durch Jesu Verkündigung, daß die Gottesherrschaft nahegekommen ist und sich unaufhaltsam ausbreiten wird (vgl. u.a. Mk 4,30-32). Die Zukunft, die Jesus verheißen hat, steht aber in ihrer Fülle noch aus. Christen leben daher in der Spannung zwischen einem "schon jetzt", in dem die Herrschaft Gottes angekommen ist, und einem "noch nicht", auf das sie ihre Hoffnung richten. In dieser "Zwischenzeit" werden sie immer wieder mit der Tatsache konfrontiert, daß Menschen - oft sehr bewußt - zu den Mitteln des Unrechts und der Gewalt greifen und andere ihre Opfer werden, ohne daß ein Sinn ihrer Leiden erkennbar ist.123 Wenn Christen aus dieser Perspektive das Buch Kohelet lesen, können sie daran erinnert werden, nicht das Unrecht, die Bedrängnis und Anfechtung, die Menschen hic et nunc erfahren, aus den Augen zu verlieren. Selbst wenn sie darauf vertrauen, daß Gott eines Tages alle Tränen abwischen wird (Jes 25,8; Ofïb 7,17) - diese Zusage hebt den Schmerz der Betroffenen nicht auf. Sie rechtfertigt auch keine Indifferenz diesen gegenüber, die auf die Zukunft verweist, sich von der Gegenwart aber nicht mehr anrühren läßt. Mit den Worten Walter Zimmeriis: "Wer nur von jener Aufhebung [= des Leides] weiß und nicht mehr vom Leben angefochten ist, das heute vieler Unterdrückter Tränen fließen läßt, wer nicht mehr versteht, daß nicht nur ein Hiob (3,Iff.), sondern auch ein Jeremía (20,14ff.) den 118 119

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Vgl. J. Vílchez Lindez, Eclesiastés (1994), 44, unter Berufung auf A.M. Dubarle. Vgl. R.E. Murphy, Faith (1987), 259: "He is unwilling to compromise with specious arguments that might provide a more optimistic view of life." Ders., Ecclesiastes (1992), lxviii. Vgl. D. Michel, Qohelet (1988), 73f; ders., Untersuchungen (1989), 137.164.272f u.ö. Kritisch dazu F.J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 398-411. Vgl. dazu R.E. Murphy, Faith (1987), 258. Vgl. dazu R.E. Murphy, Ecclesiastes (1992), lxviii. Vgl. auch E. Glasser, Procès (1970), 208: "Le livre de Qohelet est toujours actuel. Le mal qu'il dépeint nous atteint encore; la venue du Christ a laissé subsister la mort, la méchanceté des hommes et l'insécurité de la vie comme de l'histoire."

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Tag seiner Geburt verwünscht und sich wünscht, nicht geboren zu sein, kann wohl auch die Botschaft dessen nicht verstehen, der aus der Tiefe in der qualvollen Solidarität mit allen Leidenden zu seinem Gott geschrieen hat: 'Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?' (Mt. 27,46; Ps. 22,2)"124 Jean-Pierre Molina bringt dies auf eine kurze Formel: Das Buch Kohelet dient dazu, den Niedrigen Ehre zu erweisen ("rendre honneur aux humbles"125). So verstanden, kann die Lektüre des Buches Kohelet den Blick zurücklenken auf die Gegenwart mit ihren ungelösten Rätseln und ihrer Sinnlosigkeit, mit der es sich auseinanderzusetzen gilt. Von Kohelet können Christen lernen, eine skeptische Einstellung zu bewahren gegenüber allen "ideologischen" Versuchen, aktuelles Leiden zu verdrängen. Dazu zählen die Schwärmerei, die vor lauter Erlösungsgewißheit das Leiden der Menschen nicht mehr wahrhaben will, sowie die Absage an alle Verantwortung, die sich damit herausredet, daß Gott ja einst, in Zukunft, die Sünder zur Rechenschaft ziehe.126 In eine ähnliche Richtung geht Roland E. Murphy. Das Buch Kohelet warne Christen vor einer gebrauchsfertigen Anwendung der Lehren des Heils, die den "ersten Schrei" überhöre.127 b) "... und am Unglückstag sieh ein: Auch ihn... hat Gott geschaffen" (Koh 7,14) Kohelet macht die Erfahrung128, daß es dem Menschen - und wäre er auch noch so weise oder reich - verwehrt ist, aus eigener Kraft dauerhaftes Glück zu erlangen; denn dieses würde spätestens durch seinen Tod relativiert. Er kann auch gar nicht über sein Geschick verfugen. Erst recht vermag der Mensch nicht in Gottes Pläne Einsicht zu nehmen und eine Antwort darauf zu verlangen, warum dieser ihm Glück oder Unglück beschert. Vielmehr stößt der Mensch mit seinem Fragen immer wieder an die Grenze des Erkennens, die ihm ein Deus absconditus setzt. Daraus folgert Kohelet aber nicht, Gott sei im Schicksal des Menschen nicht am 124 125

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W. Zimmerli, Das Buch des Predigers Salomo (31981), 176. J.-P. Molina, Vanité (1993), 36. Ähnlich auch L. Di Fonzo, Ecclesiaste (1967), 82: "Sottolineando con patetica accentuazione l'essenziale vanità e stoltezza della vita stessa degli uomini, nelle sue peggiori espressioni di vizi e storture, invidie, oppressioni e violenze pubbliche e private, fortemente deplorate con sentimenti di viva partecipazione al dolore dei buoni, egli ha dato conforto alle anime sensibili e approfondito nell'uomo gli stessi sentimenti di fraterna commiserazione e pietà." Vgl. zum Folgenden auch J.-P. Molina, Jésus (1992), 253f; ders., L'Ecclésiaste (1995), 65f. Molina sieht dort Jesus als einen Eiben Kohelets an, der seine Gedanken weiterführe, besonders aber eine skeptische Grundhaltung von ihm übernommen habe. Auf seine umfangreichen, z.T. problematischen Argumentationen kann hier nur hingewiesen werden. Vgl. auch J. Ellul, Raison (1987), 215. R.E. Murphy, Kohelet (1976), 569. Er fügt hinzu: "Das ist auch der Grund, weshalb Kohelet zum biblischen Kanon gehört." Vgl. auch B. Lang, Mensch (1979), 69: "Kohelet ist das Gegengift gegen alle Theorie, die aus dem Leben auswandert." Vgl. zum Folgenden u.a. O. Kaiser, Schicksal (1987), 40f.49; ausführlich L. Schwienhorst-Schönberger, Nicht im Menschen (21996), 286ff.298ff.

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Werk oder er halte sich grundsätzlich aus ihm fem.129 Er steht vielmehr hinter dem Schicksal130 - seine Pläne bleiben aber dem Menschen verborgen und rätselhaft. Diese Einsicht ruft bei Kohelet keineswegs Auflehnung oder Widerspruch hervor. Ebensowenig empfiehlt er eine Resignation, die sich in Passivität, Pessimismus, ethischem Nihilismus oder Quietismus äußern würde.131 Die Antwort Kohelets auf das unbegreifliche Handeln Gottes ist vielmehr die (schöpfungstheologisch motivierte) Gottesfurcht (Koh 3,14 u.ö.)132: Fern jeglichen Gefühls der schützenden Nähe Gottes, wie sie manche Psalmisten erfahren haben mögen, rät Kohelet dazu, sich unter Gottes rätselhaften Willen zu beugen. Die "Gottesfurcht" konkretisiert sich dann in der Bereitschaft, das von Gott gewährte vergängliche Glück ebenso hinzunehmen (vgl. Koh 3,13; 9,7-10) wie das von ihm geschickte Unglück (vgl. Koh 7,14133). Kurz: Die Gottesfurcht äußert sich in der "scheue(n) Anerkennung der Gottverfugtheit aller Dinge".134 Diese Haltung ist nicht zu verwechseln mit einem widerwilligen Sich-Abfinden mit dem Schicksal, das ohnmächtig oder verzweifelt den verlorenen Chancen nachtrauert und voller Angst um das eigene Wohlergehen der unheilvollen Zukunft entgegensieht. Die Gottesfurcht ist auch nicht gepaart mit einem Gefühl des Bedauerns oder der Enttäuschung, das Kohelet einem Gott gegenüber empfinden würde, der nicht seinen Erwartungen gemäß handelt. Überhaupt wird man keine tragische Stimmung aus Kohelets Empfehlungen herauslesen können.135 "Er jammert nicht... darüber, daß Gott nicht des Menschen Kindermädchen ist ..,"136 Er fällt auch nicht in "ein resignatives, süsssaures Carpe diem"137. Die Gottesfurcht verbindet sich eher mit einer Art Gelassenheit: Wer Gott sein Schicksal überläßt, frei ist für das Los, das er zuteilt, verzichtet darauf, sein Glück an den Maßstäben der eigenen Erwartungen auszurichten oder es gar mit Hilfe seines eigenen, den Gesetzen der Endlichkeit unterworfenen Planens erreichen zu wollen.138 Insofern bezeugen 129 130 131 132

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Vgl. R. Gordis, Koheleth (1951), 112. Das Schicksal stellt bei Kohelet keine von Gott unabhängige Macht dar, vgl. O. Kaiser, Sinnkrise (1978), 15. Vgl. J. Ellul, Raison (1987), 215; R E. Murphy, Qoheleth and Theology (1991), 33; O. Kaiser, Schicksal (1987), 48.50. Die Gottesfurcht und der Verzicht auf die Auflehnung sind für R.E. Murphy, Qoheleth and Theology (1991), 32, die beiden "bottom lines" (= Ergebnisse, Konsequenzen), die am Ende der Erfahrungen Kohelets stehen. Vgl. auch O. Kaiser, Schicksal (1987), 46f. Zur Gottesfurcht bei Kohelet vgl. die Überlegungen von F.J. Backhaus, Zeit und Zufall (1993), 36Iff; L. Schwienhorst-Schönberger, Nicht im Menschen (21996), 320ff. Vgl. dazu L. Schwienhorst-Schönberger, Nicht im Menschen (21996), 167f. W. Zimmerli, Unveränderbare Welt (1983), 113. Vgl. auch R.E. Murphy, Qoheleth and Theology (1991), 32; ders., Faith (1987), 26. Vgl. M.A. Klopfenstein, Skepsis (1972), 108f. O. Kaiser, Ideologie (1984), 136. M.A. Klopfenstein, Freude (1991), 104. O. Kaiser, Schicksal (1987), 50; vgl. ders., Ideologie (1984), 148.

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Kohelets Gedanken eine Freiheit gegenüber sich selber und gegenüber Gott. Otto Kaiser bemüht einen Kohelet fremden Begriff, um diese seine Haltung zu charakterisieren. Er versteht sie als eine resignatio - nicht im negativen Sinne einer notgedrungenen und unfreiwilligen Annahme eines entfremdenden Schicksals, sondern im Sinne einer resignatio in Deum.139 Denn: "... wenn sein Rat zur Freude echt war, sein carpe diem nicht aus der Verzweiflung, sondern aus Gottgelassenheit kam, lebte und lehrte er mehr als er sagte"140 auch wenn Kohelet seine Gedanken nicht in die Form eines Gebetes kleidete und Gott gegenüber - gleichsam performativ - sein Vertrauen aussprach. Was können Christen aus diesen expliziten Aussagen und impliziten Haltungen Kohelets lernen? Ist die Hoffnung auf die Auferstehung ein unüberwindbares Hindernis für das Gespräch mit ihm, so daß Kohelet für sie überholt ist? Keineswegs. Die Auseinandersetzung mit den Rätseln und den Momenten der Sinnlosigkeit dieses Lebens bietet auch Christen eine genügend breite Basis, um das Gespräch mit Kohelet aufzunehmen. 141 Drei Gedanken, die eng miteinander zusammenhängen, verdienen hier Beachtung: 1. Auch für Christen gilt, daß der Tod ihre Endlichkeit besiegelt und alle Hoffnungen und Sicherheiten zerstört, die auf menschlichem Planen beruhen. Wer auch sie getrost "sterben lassen kann", d.h. sie weder mit einem Blick auf das Jenseits verachtet noch auf sie trauernd zurückblickt, macht aus diesen endlichen Machwerken keine vermeintlich unendlichen und wird frei für die Begegnung mit Gott, auch schon vor dem Tod. Denn das Wissen um die eigene Endlichkeit und um die des selbstgeschaffenen Glücks kann dazu bereit machen, den "jeweilige(n) jetzige(n) Augenblick ... im Vertrauen auf den unbegreiflichen Gott" anzunehmen. Das Leben, in dessen Freuden sich Gott zeigt, wird somit nicht entwertet, und dem Tod wird nicht seine Brisanz genommen. 143 Aus dieser Perspektive betrachtet, ist für Christen kein contemptus mundi angebracht. Wenn sie auch an eine Auferstehung und ein Leben nach dem Tod glauben, trennt sie dies nicht völlig von Kohelet. Im Gegenteil: Erst wenn sie in den Freuden dieses Lebens die Nähe Gottes erfahren können, berechtigt sie dies dazu, auf eine vergleichbare Erfahrung nach ihrem Tod zu hoffen. 14

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O. Kaiser, Determination (1989), 260. Ähnlich J.T. Walsh, Despair (1982), 47: "Qoheleth's attitude is resigned acceptance of life's ultimate meaninglessness and of death's finality. This can rightly be called despair - yet it is peaceful." O. Kaiser, Schicksal (1987), 50. Vgl. auch J. Vílchez Lindez, Eclesiastés (1994), 46-48. Ν. Lohfink, Kohelet (1980), 16. Vgl. Ν. Lohfink, ebd., 16. Vgl. A. Bonora, Qohelet (1987), 148f; R.E. Murphy, Kohelet (1976), 570; ders., Ecclesiastes (1992), lxix. Beide berufen sich hier auf einen Gedanken Dietrich Bonhoeffers.

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2. Wenn Christen mit vollem Ernst beten "Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde" (Mt 6,10), nehmen sie Abschied von einem Gott, der sich ihren Erwartungen fügen soll. Sie wissen genauso wie Kohelet, daß Gott anders ist als jegliches menschliche Bild von ihm. Roland E. Murphy hält es für Kohelets größten theologischen Beitrag, daß er an der Andersheit Gottes festhält, in dessen Mysterium Christen prinzipiell nicht mehr Einsicht gewinnen könne. Sie können sich aber wie er auf Gottes "Geschäftsbedingungen" einstellen.145 Anders gesagt: Da er im Himmel ist (so Koh 5,1), kann er sich nicht vom Menschen vereinnahmen und sein Verhalten vorschreiben lassen. Vielmehr kann Kohelet Christen lehren, daß ihr Verhältnis zu Gott in der Spannung zwischen dem "Unser Vater" und dem "Gott ist im Himmel" steht. Christliches Gottvertrauen rechtfertigt damit keine "Schwärmerei", die nur das "Unser Vater" betont und die Andersheit Gottes aufzuheben versucht ist.146 3. Wer das "Dein Wille geschehe" betet, vertraut sich einem Gott an, der, wie es in einem Kirchenlied heißt, "auf die rauhe Bahn führt", jedenfalls nicht dahin, wohin man es sich wünscht. Auch wenn Kohelet sein Vertrauen Gott gegenüber nicht in Gebete faßt - Christen können von ihm lernen, "sich ... ins Offene des jeweils nächsten Augenblicks zu stellen, einfach in Gottes Verfügung" 147 und ohne zu wissen, wohin sie dieser Weg im einzelnen führen wird. Wenn sie sich ihm überlassen, verlieren alle endlichen Werte, auf die sie ihr Glück bauen, ihren Wert, selbst das eigene Leben. In einem solchen "Lebenskonzept" ist die Hoffnung auf die Auferstehung kein "Fremdkörper" mehr, sondern sie ist integriert in das gelassene Vertrauen auf Gott, das das ganze Leben prägt und sich auch noch im Angesicht des Todes bewähren , 148 kann. 2. Das Gespräch mit der Wirkungsgeschichte des Buches Kohelet Es wäre widersprüchlich, wenn man das Buch Kohelet als Gesprächspartner fur Christen zurückgewinnen wollte, zugleich aber seine jüdische und christliche 145 146

147 148

R.K Murphy, Kohelet (1976), 569; ders., Faith (1987), 260; ders., Qoheleth and Theology (1991), 32. Vgl. W. Zimmerli, Unveränderbare Welt (1983), 113f. Ähnlich K. Galling, Prediger (1940), 47: "Obwohl das Buch K. allein um den veiborgenen fernen Gott weiß, hat es im Kanon (des AT und darüber hinaus der christlichen Bibel Alten und Neuen Testaments) seinen Platz, weil in ihm mit radikalem Ernst ein letztlich auswegloses Bemühen um das Verstehen eines von der undurchsichtigen 'Vorsehung' ständig bedrängten und begrenzten Lebens bezeugt wird." Vgl. auch J Ellul, Raison (1987), 210. N. Lohfink, Kohelet (1980), 17. Ähnlich O. Kaiser, Schicksal (1987), 51: "Aber keine Spekulation und keine Berichte über die Selbstbekundungen Verstorbener werden uns Frieden und Gewißheit geben, wenn wir nicht vorher mittels der Annahme unserer Endlichkeit, mittels der resignatio in Deum diesen Frieden gewonnen haben. Wer der Auferstehung Christi und der Gewißheit des ewigen Lebens teilhaftig werden will, der muß sich, um es in der Sprache des Apostels zu sagen, mit ihm in den Tod geben, Rom 6,Iff."

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Wirkungsgeschichte mit einem Gefühl der Überlegenheit betrachtete. Ohne hier die für die Behandlung dieses Problems notwendige Ausführlichkeit anzustreben, seien folgende Gedanken notiert: 1. Die Interpretationsverfahren, mit denen jüdische Gelehrte die Orthodoxie des Buches Kohelet zu verteidigen suchten, mögen für Exegeten, die am Literalsinn interessiert sind, skurril klingen. Sie zeugen aber von dem Bemühen der Rabbinen, das Buch nicht nur zu überliefern, sondern ihm auch einen Sinn zu verleihen, der innerhalb bestimmter religiöser Traditionen und Überzeugungen konsensfáhig war. Insofern unterscheiden sich diese Initiativen nur materialiter, nicht formaliter von allen späteren Versuchen, das einmal kanonisierte Buch an die übrige Bibel anzunähern und so für die Gläubigen der jeweiligen eigenen Generation fruchtbar zu machen. Dabei galten freilich für die Rabbinen andere hermeneutische Maßstäbe als für christliche Theologen der Väterzeit oder späterer Epochen. Immerhin: Wenn jüdische und christliche Ausleger das von Kohelet verschiedentlich angesprochene Essen und Trinken allegorisch auf die Lektüre der Schriften beziehen konnten, lassen sie ihn aber implizit dazu auffordern, sein Werk mit der übrigen jüdischen und christlichen Bibel zu vergleichen. Daß bei diesem Vergleich nicht nur Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten auffallen, tritt erst allmählich wieder ins Bewußtsein heutiger Exegese.149 2. Die von Hieronymus begründete Exegese, Kohelet lehre den contemptus mundi und die Vorbereitung auf das Leben nach dem Tod, hat, wenigstens in bestimmten Grenzen, ihre Berechtigung: nicht im Sinne einer alles Irdische respektlos verachtenden Weltflucht, sondern im Sinne einer Einstellung, diese vorhandene Welt zu nutzen und zu genießen, sein letztes Vertrauen aber auf Gott zu setzen. 3. Die von Martin Luther entwickelte Kohelet-Deutung betont eine Gemeinsamkeit zwischen Kohelet und den Aussagen von Mt 6,25-34. Dort lädt Jesus ein, den Augenblick auszukosten, in der Gegenwart zu leben, sich Gott anvertrauen und das anzunehmen, was Gott im jeweiligen Augenblick schenkt.150 Wenn Luther die Aussagen Kohelets mit diesem Abschnitt der Bergpredigt in Verbindung bringt, ist dies nicht völlig willkürlich. In Mt 6,25.28 warnt Jesus vor der Sorge um Nahrung und Kleidung. Dies begründet er in Mt 6,28 mit einem Naturver^leich: Die Lilien des Feldes wachsen, ohne sich abzumühen (où KOÏÏLÛOLU) und zu spinnen. Und trotzdem, so fährt Jesus fort, sei Salomo in all seiner δόξα nicht so gekleidet gewesen wie eine von diesen Blumen. Implizit bedeutet das: Salomo, für das Neue Testament der Verfasser auch des Buches Kohelet, hat sich abgemüht (κοπιάω, hebräisch c ml), um δόξα zu erlangen (3 Kön 3,13; ähnlich 2 Par 1,12). Und doch ist das Produkt dieser Mühe unvergleichbar geringwertiger als die Gaben, die Gott in 149

Vgl. dazuR.N. Whybray, Ecclesiastes (1989), 58-61.

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Vgl. auchA Bonora, Qohelet (1987), 145. Vgl. W. Bauer, Wörterbuch (61988), 901.

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seiner Sorge den Lilien, erst recht aber den kleingläubigen Menschen (Mt 6,30) zukommen läßt.152 Welche Konsequenz ergibt sich aus dem Vergleich von Mt 6,25-34 und Kohelet? Geht die Zusage der Bergpredigt, Gott kümmere sich täglich um die elementaren Bedürfnisse des Menschen, nicht weit über die Aussagen und Erfahrungen des Buches Kohelet hinaus? Dies mag auf den ersten Blick so scheinen. Und doch wird dieses "Mehr" relativiert: Wer sich auf die von Jesus verkündigte Gottesherrschaft einläßt, verzichtet ebenso auf den Gewinn unter der Sonne und überläßt sich genauso wie Kohelet dem über153 raschenden Handeln Gottes. 3. Abschließende Bemerkungen Das "Gespräch" mit dem Buch Kohelet hatte nicht zum Ziel, jedem seiner Sätze eine christliche Deutung zu verleihen. Seine Absicht war vielmehr, mit einer weit verbreiteten Meinung in Diskussion zu treten, nach der das Buch Kohelet mit dem Neuen Testament unvereinbar sei, ja von ihm überholt werde. Dabei stellte sich heraus, daß durch die Auseinandersetzung mit dem Buch Kohelet christliches Denken und Reden von Gott, von Tod und von Erlösung hinzulernen kann.154 Es versteht sich von selbst, daß das Buch Kohelet nicht das Neue Testament relativiert oder umgekehrt, genausowenig wie etwa die Erfahrungen des Vertrauens, wie sie manche Psalmen wiedergeben, die Klagen Ijobs ersetzen können. Wenn die Bibel jedoch eine Vielfalt von Glaubenserfahrungen widerspiegelt und diese eine Vielfalt von Identifikationsmodeilen darstellen, dann - und hier sei mir eine allegorische Kohelet-Interpretation erlaubt - kann es auch im Leben von Christen verschiedene Zeiten geben: eine für die Beschäftigung mit den Evangelien oder mit den Psalmen, aber auch eine für Kohelet und den Versuch, ihn mit den anderen Zeugen alt- und neutestamentlichen Glaubens ins Gespräch zu bringen. Ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber Kohelet ist, so Roland E. Murphy 5, nicht angebracht.

152

153 154 155

Ausführlich zu diesen Texten und ihrem alttestamenüichen Hintergrund M.F. Olsthoorn, Jewish Background, 45-49; DM Carr, From D to Q, 164-172; HD. Betz, Sermon, 459ff; M Dumais, Sermon, 265-273. Zu einer ähnlichen Thematik in Ps 127 vgl. B. Renaud, Salomon, 41 Iff. Vgl. auch Ν. Lohfink, Kohelet (1980), 17. Vgl. zur Hermeneutik eines solchen Gesprächs auch E. Zenger, Sinai (1993), 76-80. RE. Murphy, Ecclesiastes (1992), lxix.

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Franz Kutschera (Regensburg)

Kohelet: Leben im Angesicht des Todes Das Buch Kohelet handelt vom menschlichen Leben, seinen Möglichkeiten und Grenzen. Es geht um das erreichbare Glück und die rechte Haltung im Leben. Die Aussagen darüber sind Resultate eigenen Nachdenkens aufgrund eigener Erfahrung. Daher kann man von einem existenzphilosophischen Werk reden, selbst wenn es in keiner philosophischen Tradition steht. Das Buch hat zudem nicht nur historisches Interesse, seine Problemstellung ist vielmehr durchaus aktuell. Für Kohelet ist der Tod die definitive Grenze personaler Existenz. Nach zweitausend Jahren des Glaubens an ein ewiges Leben ist das auch heute weithin die herrschende Auffassung. Kohelet vertritt ferner einen Individualismus in dem Sinn, daß der Wert des Lebens in seinem Nutzen für den betreffenden Menschen besteht, und auch darin geht man heute mit ihm einig. Diese Verbindung von radikaler Endlichkeit und einem subjektiven Wertmaßstab stellt für uns wie für Kohelet den Sinn des Lebens zutiefst in Frage. Seine Überlegungen münden trotzdem in einen Aufruf zur Lebensfreude und zu aktivem Handeln. Dieses Ja zu einem endlichen Leben ist eine Haltung, um deren Verständnis sich zu mühen in unserer geistigen Situation sicher lohnt. Das Buch Kohelet spricht also nicht nur Theologen an. Leider ist man nun als Laie eigenen Verständnisbemühungen nicht enthoben, denn die Interpretation des Textes ist selbst in den Grundlinien umstritten. Abgesehen von zahllosen Varianten im Detail gibt es zwei gegensätzliche Grundtendenzen: Man sieht Kohelet entweder primär als Künder der Nichtigkeit des Lebens, wie das z.B. Diethelm Michel oder Aarre Lauha tun, oder man sieht ihn primär als Künder der Freude wie z.B. Norbert Lohfink und Ludger SchwienhorstSchönberger.1 Ich habe den Eindruck, daß die erstere Interpretation deutlich weiter verbreitet ist, und will Sie daher im folgenden, etwas überzogen, als Standardinterpretation bezeichnen. Nun werden solche simplen Etiketten wie „Künder der Nichtigkeit" und „Künder der Freude" den im einzelnen sehr differenzierten Deutungen kaum gerecht. Es ist ja auch unbestritten, daß Kohelet beides verkündet. Wo Tod und Nichtigkeit betont werden, verblaßt jedoch leicht die Freude - ebenso, wie der Tod verblaßt, wo die Freude betont wird. Mir scheint der Rang des Buches, der Rang seiner Sicht menschlichen Daseins aber gerade in der Intensität des Todesbewußtseins wie der Lebensfreude zu liegen, und darin, daß beides gleichgewichtig nebeneinander und zusammen besteht. Diese Koexistenz von Lebensfreude und Todesbewußtsein 1

Vgl. dazu auch L. Schwienhorst-Schönberger,

Glück (1994), 1.

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ist nicht leicht zu begreifen, und das heißt ja bei existenzphilosophischen Fragen auch: nachzuvollziehen. Ich sehe darin aber das zentrale Problem für das Verständnis des Textes. Will man diese Intuition von der Gleichgewichtigkeit von Lebensfreude und Todesbewußtsein plausibel machen, so muß man im Effekt mehr gegen die Standardinterpretation argumentieren als gegen ihre Konkurrenten, denn die Aussagen über Tod und Nichtigkeit haben im Text eine weit solidere Stütze als jene über die Freude. Besonders wenn es darum geht, woher die Freude ihre Intensität gewinnt, kraft derer sie dem Todesbewußtsein widerstehen kann, ist man auf etwas prekäre Auslegungen einzelner Textstellen und indirekte Argumente angewiesen. Es macht daher auch mehr Mühe, gegen als für die Standardinterpretation zu argumentieren. Man kommt also als Laie, den das Buch fasziniert, kaum umhin, sich unbewaffnet in den Meinungsstreit der Alttestamentler einzumischen, d.h. ohne die an sich nötigen historischen und theologischen Kenntnisse. In meinem Fall kommt sogar noch hinzu, daß ich kein Hebräisch kann, den Text also nicht einmal lesen kann, um dessen Deutung es geht. Ich bin daher auf Blessuren gefaßt, hoffe aber, in diesem Kreis aus meinen Fehlern lernen zu können. 1. Der definitive Tod In unserem Buch findet sich dieselbe Auffassung vom Tod wie in den früheren alttestamentlichen Schriften: Der Tod ist das definitive Ende personaler Existenz; dieses Leben ist für uns das ganze Dasein.2 Eine alte Formel ist „Tote preisen Dich nicht", vorgebracht oft als Argument gegenüber Gott, den vom Tod Bedrohten zu erretten.3 Es ist zwar gelegentlich von einem Schattenreich des Todes die Rede, aber das ist kaum mehr als ein Gegenbild des Lebens, ähnlich dem in der Odyssee XI. Die erste eindeutige Aussage von einer Auferstehung der Toten findet sich erst in Dan 12,2f. Noch in Sirach (41,1-4) wird der Tod als endgültig angesehen. Erstaunlicherweise sagen viele Interpretationen Kohelets wenig dazu, warum denn der Tod bei ihm zu einem zentralen Thema wird, obwohl sich sein Verständnis nicht gewandelt hat, und warum aus dieser alten Sicht des Todes nun ganz neue Konsequenzen gezogen werden.4 Mit Ausnahme von Ijob wird der Tod in den älteren Schriften des AT kaum thematisiert und seine

2

3 4

Vgl. Koh 9,4-6 und z.B. Pss 88,6-7.11-13; 115,17. Man kann m.E. 12,7b, wenn das nicht ohnehin spätere Einfügung ist, kaum als Bekenntnis Kohelets zu irgendeiner Form der Fortexistenz nach dem Tode lesen - oder auch nur: als Ausdruck einer Hoffnung darauf -, wie das L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 197ff; 230 tut, ohne das Grundproblem und das Anliegen Kohelets zu verfehlen. Der Atem ist zunächst nicht mehr als die Lebenskraft, nicht die Seele in einem personalen Sinn. Vgl. z.B. Pss 6,6; 30,10; Jes 38,18. Eine Ausnahme ist z.B. R. Gordis, Kohelet (1955), vgl. 33f.

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Auffassung nicht problematisiert. Nach der Standardinterpretation erscheint das intensive Todesbewußtsein Kohelets - Michael Fox spricht sogar von einer „Todesobsession" - lediglich als persönliche Eigenart. Dann bleibt seine Deutung menschlicher Existenz aber ohne tieferes, insbesondere ohne geistesgeschichtliches Interesse. Daß Ijob und Kohelet beginnen, über den Tod zu reden, ist ein Symptom dafür, daß die alte Vorstellung von ihm nun ihre Selbstverständlichkeit verliert und zunehmend zum Stein des Anstoßes wird. Das ist wohl mit einem Wandel des Menschenbildes, des menschlichen Selbstverständnisses zu erklären. Während sich der einzelne früher wesentlich auch als Teil seiner Familie, seiner Sippe und seines Volkes verstand, begreift er sich nun als Individuum, dem gegenüber die Gemeinschaft sekundär ist. Während er früher in gewissem Sinn in seinen Kindern und Enkeln, in seiner Sippe und seinem Volk weiterlebte, wird diese Art des Weiterlebens nun zunehmend als bedeutungslos angesehen. Der Tod gewinnt damit eine sehr viel stärkere Radikalität; er steht dem Lebenswillen und dem Streben nach Erfüllung eindeutiger entgegen als früher. Ein zweiter Faktor ist vielleicht, daß die Juden sich stärker mit ihrem Volk identifizierten als z.B. die Ägypter. Das hatte wohl auch religiöse Gründe: Ihr Gott war nicht primär der Gott aller Menschen, sondern der Gott Israels, er hatte seinen Bund mit dem Volk geschlossen, nicht mit einzelnen Personen, und er hatte dem Volk und wiederum nicht den Individuen Heil zugesagt. Mit dem Untergang des Königtums, dem Exil und dem Verlust politischer Selbständigkeit wurde diese Identifizierung zunehmend problematisch. Es ging nun vor allem, das erstemal explizit im Buch Ijob, um das Verhältnis Gottes zum Einzelnen - zum Bürger gewissermaßen, nicht nur, wie früher, zum König oder Propheten als herausgehobener Persönlichkeit. Der Wandel des Selbstverständnisses hatte gravierende Konsequenzen, gerade auch im religiösen Bereich. Am deutlichsten wird das am Beispiel der Theodizee. Früher ging es nur um die Gerechtigkeit Gottes gegenüber seinem Volk. Alles Unheil wurde aus einer Schuld des Volkes erklärt, wie z.B. beim Zug durch die Wüste und bei der Landnahme. Dieses Erklärungsschema wird dann auch auf die Königsgeschichte angewendet: auf Ungehorsam folgt Strafe, die das Volk zur Umkehr bewegt. Mit dem Verlust staatlicher Eigenständigkeit verlor es jedoch seine Anwendbarkeit. Für die Erklärung des Unheils, das den einzelnen betrifft, - und das Geschick des einzelnen wird nun eben zum zentralen Thema - eignet es sich nur, solange sein Leben als Teil eines größeren Lebens gilt, solange es als gerecht erscheint, wenn Gott Unrecht an den Kindern und Enkeln rächt oder Gerechtigkeit an ihnen belohnt. Dann bleibt in jedem Fall, in dem ein Gerechter ins Unglück gerät, die Auskunft: das ist Strafe für ein (anzunehmendes) Vergehen eines Vorfahren, oder: es wird ausgeglichen durch ein (anzunehmendes) Glück der Nachkommen. Steht jedoch der einzelne für sich selbst und beschränkt sich sein Anteil am Dasein auf sein eigenes Leben, so ist dieses Erklärungsmuster nicht mehr

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brauchbar. Der Versuch der Freunde Ijobs, dessen Unglück mit einer evtl. unbewußten Sünde zu erklären, führt sich ad absurdum. Erst jetzt entsteht das Theodizeeproblem, wie es uns heute geläufig ist. Der klassische Text dazu ist das Buch Ijob. Das Problem wird dort nicht gelöst. Gott selbst lehnt das alte Erklärungsschema ab, wenn er Ijob recht gibt gegenüber seinen Freunden. Hält man am Tod als Grenze menschlicher Existenz fest, so bleibt jedoch nur der Hinweis, daß es Gott wegen seiner überragenden Macht und Weisheit nicht zugemutet werden könne, sein Tun vor dem Menschen zu rechtfertigen. Oder, positiver gewendet: daß dem Menschen das Wissen um das Ganze und die Zukunft fehle, kraft dessen er das Handeln Gottes beurteilen und sagen könnte: Dies ist vermeidbares, unverdientes, sinnloses Leiden. Es bleibt nur das Vertrauen auf die Güte Gottes, aber dieses Vertrauen stößt eben an seine Grenze, wenn ein offensichtlich Gerechter im Elend stirbt und das sein definitives Ende ist. Auch im Buch Kohelet wird das Problem der Theodizee eindrücklich formuliert: „Aber ein und dasselbe Geschick trifft den Gesetzestreuen und den Gesetzesbrecher, den Guten, den Reinen und den Unreinen, den Opfernden und den, der nicht opfert. Dem Guten ergeht es wie dem Sünder, dem Schwörenden ebenso wie dem, der den Schwur scheut. Das ist das Schlimme an allem, was unter der Sonne getan wurde, daß alle dann ein und dasselbe Geschick trifft ..." (9,2-4). Charakteristischerweise ist weder in Ijob noch in Kohelet vom Volk Israel die Rede - es spielt für die Nöte und Fragen des einzelnen offenbar keine Rolle mehr. 2. Gott und Mensch Ein zweites Bedenken, nun speziell gegen die Standardinterpretation, betrifft die Annahme einer konstanten orthodox-biblischen Gottesvorstellung, mit der dann jene Kohelets kontrastiert wird. Kohelet steht zwar, sagt man, auf dem Boden des jüdischen Monotheismus und sein Gott ist der allmächtige Schöpfer der Welt, er ist aber nicht mehr der Gott der Väter, nicht der Helfer Israels, niemand, an den man sich mit Dank, Lobpreis oder Bitte wenden kann. Er ist kein Du, sondern eine ferne Schicksalsmacht, kaum mehr als eine Personifikation der in Natur und Geschichte wirkenden Mächte, dessen, was wir heute „Zufall und Notwendigkeit" nennen. Daher sieht man die Aufnahme des Buches in den alttestamentlichen Kanon auch als Irrtum an. Diese Irrtumshypothese scheint mir nun völlig unplausibel zu sein. Man kann kaum annehmen, die Jerusalemer Autoritäten hätten sich durch die Salomon-Fiktion in 1,12 irreführen lassen5 oder durch Kohelets Ermahnungen zur Gottesfurcht, obwohl dieses Wort bei ihm einen ganz anderen Sinn hat und nur das Bewußtsein der Endlichkeit und Abhängigkeit, der eigenen Nich-

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Das meinen z.B. R. Gordis, Koheleth (1955), 41 uncM. Lauha, Kohelet (1978), 20.

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tigkeit, meint.6 „Das Predigerbuch hat ziemlich bald nach seiner Veröffentlichung eine anerkannte Stellung im Judentum erworben", schreibt A. Lauha7. Man kann sich also kaum über die Person des Autors und seine Stellung zu den Glaubenstraditionen getäuscht haben - allenfalls erst sehr viel später, als das Buch schon zur Tradition gehörte. Die Irrtumshypothese verträgt sich auch schlecht mit der von ihren Vertretern betonten Tatsache, daß man die Problematik des Buchs bereits früh erkannte.8 Es bedarf also einer besseren Erklärung, warum das Buch in den Kanon aufgenommen wurde, obwohl man seine Schwierigkeiten sah. Man muß doch wohl in den Lehren Kohelets, trotz ihrer ungemütlichen Modernität, einen hilfreichen Beitrag in der geistigen Situation der Zeit gesehen haben.9 Nun hat sich aber das Bild Gottes in den alttestamentlichen Schriften (und ihren Entwicklungsstadien) ohnehin stark gewandelt. Das Bild Kohelets kann so durchaus Züge von in seiner Zeit verbreiteten Vorstellungen widerspiegeln. Tatsächlich erscheint Gott bei Kohelet nicht so radikal anders als im Buch Ijob, wenn man dort einmal das happy End wegläßt. Ist der Tod endgültig, so wird - im Rahmen der nun herrschenden individualistischen Anschauungen die These vom Tun-Ergehen-Zusammenhang empirisch prüfbar und erweist sich als falsch. Wie soll, wenn man davor nicht einfach wie Jesus Sirach fromm die Augen verschließt10, die Vorstellung von Gott dann wesentlich anders aussehen als bei Kohelet? Gott entzieht sich dann unseren Kategorien von Gerechtigkeit oder Güte, und wird so zu einem sehr fernen, unbegreiflichen Gott.11 Es muß so scheinen, als liebe Gott die einen grundlos, und die anderen möge er nicht; den ihm Sympathischen schenke er Wissen, Können und Freude, den anderen nehme er alles, was sie sich mühsam erarbeitet haben (2,26). Dieser Gott unterscheidet sich dann nur mehr wenig von einer launischen und unberechenbaren Fortuna. In einer Situation, in der ein Nihilismus sehr nahe lag, war die Absage Kohelets an ihn und die positive Haltung zum Leben sicher eine Empfehlung, trotz seines beunruhigenden Gottesbildes. Wichtig scheint mir ferner, daß die Welt bei Kohelet kein „seelenloser Mechanismus" ist. Das deutet sich freilich nur an einzelnen Stellen des Buches 6 7 8

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10 11

So D. Michel, Untersuchungen (1989), 275. A. Lauha, Kohelet (1978), 20. Das belegt der 2. Nachtrag sowie orthodoxe Einschübe wie 11,9b und auch die deutliche Kritik in Weish 2,1-9.22 und 3,1-3. Vgl. dazu D. Michel, Qohelet (1988), 111 und 116ff. Zumindest müßte die Oberschicht, der Kohelet nach R. Gordis angehörte, ihre Ansichten in seinen Lehren wiedergefunden haben. Eine so radikale Sicht menschlicher Existenz ist aber kaum schichtspezifisch. Vgl. die Aufforderungen zum Gottesvertrauen in Sir 2. Güte, Barmherzigkeit und Treue Gottes gelten bei den Propheten zwar fast ausschließlich seinem Volk, nicht einzelnen Personen (vgl. z.B. Hoseas Aussagen über die Barmherzigkeit Gottes 11,1-11), aber diesen gelten sie jedenfalls mittelbar, und in den Pss kommt das Gottesverhältnis des einzelnen deutlicher zum Ausdruck.

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an, z.B. in 3,11 : „Gott hat alles zu seiner Zeit schön gemacht" (die Interpretation dieser Aussage im Kontext ist freilich umstritten) oder als Hintergrund der Aussagen in 1,4-7 und 1 l,7f. Die positive Haltung zur Welt ist ein Grundzug jüdischen Glaubens, der in Jesus Sirach, Kap. 43, noch einmal sehr gut zum Ausdruck kommt. Wert und Sinn der Schöpfung, an der sich Gott nach Gen 1,31 selbst freut, stehen außer Zweifel. Unser heutiges Bild der Natur ist hingegen wertfrei, und Stephen Weinberg, ein Nobelpreisträger für Physik unserer Tage, sagt: „Je begreiflicher uns das Universum wird, desto sinnloser erscheint es auch".12 Uns scheint das Universum begreiflich, aber sinnlos, Kohelet schien es unbegreiflich, aber wertvoll. In diesem Punkt halte ich Kohelet für weniger modern als die Standardinterpretation. Nach ihm können wir den Wert des Universums freilich nicht voll erfassen, da er sub specie aeternitatis besteht, während unser menschlicher Horizont nur einen zeitlich wie räumlich winzigen Ausschnitt umfaßt. Daß Kohelet den Wert der Welt anerkannte, ist eine wichtige Voraussetzung meiner Annahmen im letzten Abschnitt dieser Überlegungen. Was die anderen Aussagen Kohelets über Welt und Mensch angeht, gehe ich mit der Standardinterpretation konform. Ich will hier nur kurz auf das Bild des Menschen eingehen. Zunächst sind die Ansichten Kohelets über die menschlichen Möglichkeiten, durch Handeln etwas zu bewirken, so skeptisch, daß man von einem - wenn auch fast fröhlichen - Fatalismus sprechen kann.13 Gott bewirkt alles Geschehen (2,24; 11,5), auch das Tun des Menschen (9,7). Dessen Erfolg jedenfalls liegt nicht in der Hand des Agenten, sondern in der Gottes. Da dessen Wille für uns unerforschlich ist (11,5; 1,11; 3,11) und wir nur Einzeltatsachen, aber nicht ewige Zusammenhänge und Gesetze erkennen (9,1 lf), können wir auch nicht zuverlässig planen. Der Erfolg bleibt daher unsicher, selbst wenn wir noch so umsichtig zu Werke gehen. Im menschlichen Leben hat alles seine Stunde (3,1-9), da wir die aber nicht kennen, wissen wir nicht, ob die Umstände für unsere Vorhaben günstig sind. Daß allein Gott oder die Götter den Erfolg ihres Tuns in der Hand haben, ist keine besonders bemerkenswerte These. Sie findet sich z.B. auch in der griechischen Dichtung von Homer bis Euripides. Bemerkenswert ist allein der Determinismus. Denn damit verliert menschliches Bemühen seinen Sinn. Es kommt nicht entscheidend darauf an, was man tut, wenn „Gott [es] längst so festgelegt hat, wie es ihm gefiel" (9,7). Im Islam verbindet sich mit dem Determinismus die Ergebung in den allbestimmenden, unabänderlichen und unerforschlichen Willen Allahs - Ergebung im Sinn einer Bejahung. Hier ist jedoch nur davon die Rede, daß der Mensch seine Abhängigkeit von Umständen und Faktoren anerkennen muß, die sich seiner Kenntnis oder Kontrolle entzie12 13

S. Weinberg, Minuten (1977), 212. Wie im stoischen Determinismus spiegeln sich darin vielleicht die Erfahrungen der Menschen, die in den hellenistischen Großreichen eher Objekte als Subjekte der Politik und der Geschichte waren.

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hen. Das ist für Kohelet Teil der Gottesfurcht. Für eine Bejahung des Geschicks fehlt das Vertrauen auf die Güte Gottes. Wir müssen uns in unsere Abhängigkeit und Unselbständigkeit finden, müssen anerkennen, daß unser eigener Wille ohnmächtig bleibt, daß wir die Welt nicht nach unseren Vorstellungen verändern können. Kohelets Skepsis bzgl. menschlicher Erkenntnisfähigkeit ist schon angeklungen.14 Als Augenblickswesen erkennen wir nur, was gerade ist oder vor kurzem war, und können von da nicht zu dem gelangen, was immer ist, zu den ewigen Strukturen und Gesetzen der Welt. Wichtig scheint mir nun aber auch ein Satz, dessen Übersetzung freilich wieder umstritten ist, der Satz in 3,11 nämlich, Gott habe Ewigkeit in den Geist des Menschen gelegt. Da Kohelet jedoch öfter davon redet, daß Gott dem Menschen die Mühe auferlegt habe, sich um Erkenntnis (des Ewigen) zu bemühen15, wird auch unabhängig von dieser Stelle seine Überzeugung klar, daß den Menschen ein Streben nach Ewigem auszeichnet, das über seine realen Möglichkeiten hinausgeht: Er will die ewigen (generellen) Zusammenhänge erkennen und kann doch nur partikuläre Fakten feststellen. Ich sehe ferner eine deutliche praktische Parallele zu diesem theoretischen Dilemma bei Kohelet: Der Mensch strebt auch nach ewigen Werten, er strebt nach Dauer dessen, was ihm wertvoll ist - und ist doch ständig mit der Vergänglichkeit alles ihm Erreichbaren konfrontiert. Er will an bleibenden, ewigen Werten teilhaben, an etwas, das nicht nur für ihn selbst Wert hat - und ist doch ständig mit der Begrenztheit und Relativität des ihm Erreichbaren konfrontiert. Wenn Kohelet eingangs die Frage stellt: „Was für einen Gewinn hat der Mensch bei all seinem Mühen, mit dem er sich unter der Sonne abmüht?" (1,3), so ist „Gewinn" für ihn etwas Dauerndes. Die ganze Fragestellung des Buches setzt also die „Ewigkeit in unserem Geist" auch in praktischer Hinsicht voraus. Der Mensch ist für Kohelet ein tragisches Wesen: Er strebt von Natur aus nach dem, was er seiner Natur nach nicht erreichen kann. Mit dem besonderen Verhältnis zu Gott entfällt endlich auch das, was den Menschen vor den Tieren auszeichnet: Mensch und Tier „haben ein und dasselbe Geschick. Wie diese, so sterben jene. Beide haben ein und denselben Atem. Einen Vorteil des Menschen gegenüber dem Tier gibt es da nicht. Beide sind Windhauch" (3,19). Dieses Weltbild hat mit dem modernen manches gemein: Der Mensch ist nicht Subjekt, sondern Objekt des Geschehens. Er ist nicht frei, sondern unterliegt Naturgesetzen, die zumindest im mesokosmischen Bereich deterministisch sind. Er unterscheidet sich nicht grundsätzlich vom Tier, hat keine besondere Würde. Er ist aus Erde, d.h. aus Materie entstanden, und wird wieder zu Staub. Der Tod ist das endgültige Ende seiner Existenz. Es gibt keinen

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Vgl. dazu insbesondere auch 8,16f. Vgl. 1,13; 3,10.

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Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen, „das Universum ist taub für seine Musik und gleichgültig gegen sein Hoffen, Leiden oder Verbrechen", wie Jaques Monod sagt.16 3. Die Nichtigkeit der Lebensziele Das Thema des ersten Teils unseres Buches (1,3-3,15) ist die Fruchtlosigkeit allen menschlichen Tuns und Strebens. Alles Bemühen ist ein schlechtes Geschäft (1,13), es lohnt sich nicht. Der Wert von materiellem Besitz, Macht und Wissen und allen Erfolgen wird für Kohelet im Blick darauf fragwürdig, daß mit dem Tod alles endet. Im Tod werden Arme und Reiche, Mächtige und Ohnmächtige, Gebildete und Ungebildete gleich (2,14 und 2,17). Machtpositionen und Besitz gehen an andere über. Das Argument für die Nichtigkeit der Dinge ist also primär unsere eigene, nicht ihre Vergänglichkeit; sie sind kein Besitz für immer, weil wir selbst nicht für immer da sind, uns ihrer also nicht für immer erfreuen können. Hinzu kommt die Abhängigkeit von äußeren Umständen, die Unsicherheit, ob unsere Anstrengungen ihr Ziel erreichen und wie lange uns das Erreichte erhalten bleibt (2,24). Geht man vom Tod als endgültiges Ende menschlicher Existenz aus, so ist für uns über ihn hinaus nichts zu hoffen. Dann ist der Nutzen oder Wert einer Sache jener, den sie für mich zu meinen Lebzeiten hat. Und da der Zeitpunkt des eigenen Todes unsicher ist und große Pläne wegen der Abhängigkeit von unkontrollierbaren und unsicheren äußeren Umständen sinnlos sind, reduziert sich der Wert der Dinge auf ihren gegenwärtigen oder kurzfristigen Nutzen. Die Konsequenz ist dann das carpe diem. „So habe ich eingesehen: Es gibt kein Glück, es sei denn, der Mensch kann durch sein Tun Freude gewinnen. Das ist sein Anteil. Wer könnte es ihm ermöglichen, etwas zu genießen, das erst nach ihm sein wird?" (3,22). Man soll nicht nach Gütern wie Besitz oder Macht trachten, denn all das bewirkt allein noch kein Glück. Es kann sein, daß der Reiche und Mächtige nichts von seinem Besitz hat, weil er z.B. krank wird (z.B. 6,lf). Das einzig unbedingt Positive ist die Freude, das Glück selbst. Das ist zwar ebenfalls nichts Bleibendes, aber jedenfalls etwas in sich (intrinsisch) Positives. „Das vollkommene Glück besteht darin, daß jemand ißt und trinkt und das Glück kennenlernt durch seinen eigenen Besitz, für den er sich unter der Sonne anstrengt während der wenigen Tage seines Lebens, die Gott ihm geschenkt hat. Denn das ist sein Anteil" (5,17). Beschränken sich die Erwartungen auf dieses Leben, so wird gerade die Besinnung auf seine Kürze dazu führen, daß man versucht die Tage zu genießen, die einem gegeben sind. Man wird nicht nach großen Dingen streben, sondern die kleinen Dinge des Lebens intensiver erleben und sich ihrer freuen. Diese Erfahrung begegnet uns schon im Gilgamesch-Epos in der Ermahnung 16

J. Monod, Zufall und Notwendigkeit (1971), 211.

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der Schenkin, auf deren Verwandtschaft mit Koh 9,7-9 man oft hingewiesen hat. Ludger Schwienhorst-Schönberger zitiert die Ermahnung Herakles' an den trauernden Diener aus Euripides' Alkestis (779-789), die das carpe diem ebenfalls eindrücklich formuliert.17 Ähnliche Gedanken finden sich auch in der altägyptischen Literatur18. Hier irgendwelche Abhängigkeiten anzunehmen, wäre sicher verfehlt. Die Einsicht, daß es darum geht, dies Leben zu nützen, wenn es das einzige ist, das wir haben und haben werden, die Erkenntnis, daß es dabei um Freude, um Glück als einzig intrinsische Werte geht, ist zu allgemein, als daß man Abhängigkeiten vermuten müßte. 4. Freude Nach der Standardinterpretation ist damit die Lebensphilosophie Kohelets umschrieben: Angesichts des Todes als des definitiven Endes unserer Existenz ruft er zum Lebensgenuß auf. Dann ist das Ganze zwar im Rahmen des AT neu, sonst jedoch nicht weiter bemerkenswert. Die Haltung hat dann auch keinen wesentlichen Bezug zur Religion mehr, so daß sich wieder die Frage stellt: „Wie kommt so etwas ins AT?". Zudem ist das Ganze wenig überzeugend und konsistent. Am Anfang, beim Bericht über Kohelets frühere Versuche, zu einem erfüllten Leben zu kommen, heißt es ja: „Ich dachte mir: Auf, versuch es mit der Freude, genieß das Glück! Das Ergebnis: Auch das ist Windhauch. Über das Lachen sagte ich: Wie verblendet!, über die Freude: Was bringt sie schon ein?" (2,lf). Wie paßt das zum Aufruf der Freude im Schlußlied (11,9)? Und vor allem: Warum läßt die Intensität des Todesbewußtseins, die ja im Schlußlied großartig zum Ausdruck kommt, nicht alle Freude verblassen? Man muß die Freude, von der in 11,9 die Rede ist, wohl als etwas Intensiveres begreifen als wir es üblicherweise meinen, wenn wir vom „Lebensgenuß" reden. Im Text wird mehrfach betont: Es gibt kein Glück, es sei denn man freut sich seines Besitzes, wobei diese Freude exemplarisch durch Essen und Trinken charakterisiert wird (vgl. z.B. 3,12f.22; 9,7-9). Das steht auch in 5,17. Dort schließt sich aber ein weiterer Gedanke an. In der Übersetzung von A. Lauha heißt es: „Siehe, was ich als gut erachtet habe: daß es angenehm ist, zu essen und zu trinken und sich's wohl sein zu lassen bei all dem Mühen, das einer sich macht unter der Sonne in seinen befristeten Lebenstagen, die ihm Gott gegeben hat. Denn das ist sein Teil ... Fürwahr: er denkt nicht so oft an die [wenigen] Tage seines Lebens, da Gott ihn mit der Freude seines Herzens befaßt." (5,18 hält Lauha für einen Einschub des 2. Redakteurs). Der letzte Satz besagt, ein Positivum der Freude sei, daß sie den Gedanken an den Tod verdrängt. Wenn wir uns freuen, verblaßt für einen Augenblick das Bewußtsein der Vergänglichkeit, das unser Leben sonst überschattet. Nun 17 18

L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 297. Vgl. dazu D. Michel, Qohelet (1988), 52ff.

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vergißt man aber den Tod sicher nicht bloß beim Essen und Trinken, sondern bei jeder Beschäftigung oder Erfahrung, bei der man sich auf anderes konzentriert. Der Gedanke kann also kaum sein, daß uns Freude von den düsteren Perspektiven ablenkt, daß sie eine narkotische Funktion hat. Man kann die Begründung in 5,19 jedoch auch so lesen: „Da Gott ihm Antwort gibt durch die Freude seines Herzens". Für diese Übersetzung hat u.a. Norbert Lohfink plädiert.19 Sie wirft nun ein ganz neues Licht auf Kohelets Gedanken. Was heißt „Gott antwortet ihm in der Freude seines Herzens"? Man kann das, wie N. Lohfink, theologisch lesen und sagen: In der Freude offenbart sich Gott, es wird eine Nähe zu ihm erfahren, die sonst im Buch völlig zu fehlen scheint. Zumindest für einen personalen Kontakt bietet der Text, so weit ich sehe, aber wenig Anhalt. Viel Anhalt bietet er allerdings auch für den Vorschlag nicht, den Kausalsatz gewissermaßen ontologisch zu lesen und zu sagen: In der Freude haben wir einen, wenn auch nur momentanen, flüchtigen Kontakt mit dem, worauf unser Sehnen sich letztlich richtet: dem Ewigen. Der Unterschied mag unbedeutend erscheinen, aber nach dem Text insgesamt ist es wohl leichter, Kohelet eine (qualitative) Erfahrung von Ewigkeit zuzuschreiben als eine Erfahrung personaler Offenbarung. Vielleicht ist also die „Antwort Gottes" keine Selbstoffenbarung, sondern die momentane Erfüllung der Ewigkeitssehnsucht des Menschen. Kohelet sagt wiederholt: Freude ist das einzige Glück, das dem Menschen zugänglich ist. Auchsie ist zwar Windhauch, da sie nichts „einbringt" (2,lf), also nichts Bleibendes ist, aber in sich, so lange sie währt, ist sie gut. Sie ist der „Anteil des Menschen" (5,17; 9,9), die Weise, in der wir an der Fülle des Seins teilhaben - ich hatte oben vorausgesetzt, daß Kohelet die traditionelle jüdische Überzeugung vom Wert der Welt teilt. Mehr als dieser transitorische Kontakt mit dem Ewigen, der großen Wirklichkeit, ist uns als Menschen nicht gegeben; damit haben wir uns zu begnügen. In der Welt ist eine unermeßliche Wertfülle verwirklicht. Jedes Gewahrwerden der ewigen Ordnung der Dinge, erfüllt uns daher mit Freude.20 Freude - in einem speziellen, herausgehobenen Sinn - ist also auch Zeichen unseres Kontakts mit der großen Wirklichkeit. Solche Freude kann den Schatten des Todes verblassen lassen, nicht der Genuß von Sachertorte. Daß in unserem Buch von der Freude vor allem in Verbindung mit Essen und Trinken die Rede ist, ist kein Einwand: Bei Essen und Trinken wird man auch an ein Festmahl denken, das in der Antike Paradigma vollen Lebens ist.21 Die Freude kann nur dann Gegengewicht zum Tode sein, wenn sie intensiv ist und ein ontologisches Fundament hat, d.h. nicht bloß 19 20

21

Vgl. N. Lohfink, Qoheleth 5: 17-19 (1990), 625-35. Vgl. a. L. Levy, Qohelet (1912), 98ff. Nach 8,16f kann zwar der Mensch die ewige Ordnung der Dinge nicht erkennen, partiell gelingt das aber offenbar doch, wie die Aussagen in 1,4-10 oder 3,1-15 zeigen. So auch L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 201f.

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einer Illusion über den Gegenstand entspringt. Das ontologische Fundament ergibt sich aus der Deutung von 5,19 und die Sinnlichkeit der Freuden, die Kohelet vor Augen hat, spricht stärker für ihre Intensität als es abstrakte Inhaltsbestimmungen tun könnten. Bei dieser Interpretation ist der Gedanke in 5,19 zentral für die Botschaft Kohelets. Zentral für das Verständnis des Buches ist er auch deswegen, weil hier schlagartig das Lebensgefühl deutlich wird, das hinter dieser Deutung menschlicher Existenz steht: Ohne daß das erörtert würde, erscheint als tiefstes Anliegen des Menschen eine Teilhabe am Ewigen, Daueraden, Gültigen, Unbedingten, Göttlichen. Der Stachel im menschlichen Leben ist daher seine Endlichkeit und Begrenztheit. Der Tod trennt uns von der Ewigkeit. Das Todesbewußtsein wirft einen Schatten auf unser ganzes Leben, denn in ihm ist uns gegenwärtig, daß wir keinen dauernden Anteil an der Fülle des Seins haben können. Nur in der Freude haben wir einen momentanen Kontakt mit ihr, und daher sind die Augenblicke der Freude die Höhepunkte unseres Daseins. Wenn Gott Ewigkeit, d.h. das Streben nach Ewigem in unseren Geist gelegt hat, wie Kohelet meint, so können wir nur in jenen Momenten wirklich glücklich sein, in denen wir sie berühren. Soweit wir in die Geschichte zurückblicken können, war der Mensch bemüht, sich selbst in seiner Eigenart zu begreifen. Er hat versucht zu erkennen, woher er kommt, wohin er geht und was sein Platz im Universum ist. Auf solche Fragen gibt es keine zugleich überzeugenden und einfachen Antworten. Der Mensch war sich vielmehr immer selbst ein Rätsel. Das zeigt schon die Vielfalt heterogener Auskünfte über Wesen und Bestimmung des Menschen, die Religion, Philosophie und Wissenschaft gegeben haben. Der Mensch erfährt sich als zutiefst ambivalent. Seiner Größe steht sein Elend gegenüber, und so wird ihm in vielen Mythen und Theorien eine doppelte Natur, eine göttliche und eine tierische, zugeschrieben. Im Buch Kohelet ist von einem göttlichen Funken im Menschen keine Rede, auch nicht von seiner Gottebenbildlichkeit (Gen 1,27) oder davon, daß Gott ihm seinen Lebensodem eingehaucht hätte - geschweige denn von der Heilszusage Gottes, die in Ez 37,9f die Toten zum Leben erweckt. Der Mensch unterscheidet sich nicht wesentlich von den Tieren. Er selbst und sein Leben sind Windhauch. Vom Elend des Menschen ist bei Kohelet ausführlich die Rede. Obwohl er aber nicht von der Größe der Menschen spricht, ist das Bild, das er von menschlicher Existenz zeichnet, doch nicht zu stark vereinfachend und verkürzend. Sie wird sicher nicht vergoldet: Beschränktheit, Bedingtheit, Unsicherheit des Lebens werden ausführlich dargestellt, und die Gewalt des Todes und der Schatten, den er über das Leben wirft, sind selten so eindrucksvoll beschrieben worden wie im Schlußlied (12,lfï). Selbst mit dem Aufruf zur Freude verbindet sich zugleich die Aufforderung, der kommenden dunklen Tage zu gedenken (11,8).

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Kohelet schwärzt das Bild menschlicher Existenz aber auch nicht ein. Das Buch verbreitet keinen Pessimismus oder düsteren Fatalismus, sondern endet mit einer Aufforderung zu tatkräftigem Handeln und zum Lebensgenuß (1 l,4ff). Die Freude ist zwar der bescheidene und flüchtige Anteil des Menschen am Glanz der Wirklichkeit, aber in ihr erreicht uns doch für einen kurzen Moment ein Strahl ewigen Lichts. Die Größe des Menschen wird in dem deutlich, was seine Tragik begründet: daß Gott das Streben nach Ewigem in seinen Geist gelegt hat. Dadurch unterscheidet er sich dann eben doch vom Tier; weniger in dem, was er ist, als in dem, was er sein möchte und auch sein wollen muß. So hält der Text beides zusammen: Glück und Elend menschlichen Lebens. Läßt man das Schlußlied beim Vers 11,9 beginnen, so setzt es ein mit der Aufforderung: „Freu dich, junger Mann, in deiner Jugend, sei heiteren Herzens in deinen frühen Jahren!" Dann heißt es aber: „Gedenke deines Grabes schon in den Tagen deiner Jugend, ehe die Tage der Krankheit kommen und die Jahre dich erreichen, von denen du sagen wirst: Ich mag sie nicht!" (12,l). 22 In diesem Festhalten sowohl an der Größe wie auch am Elend menschlichen Lebens, die beide intensiv erfaßt werden, liegt der Rang des Buches. Seine Sicht menschlicher Existenz läßt sich nicht auf die doch etwas platte, abgegriffene und inhaltsarme Formel carpe diem bringen. Diese Formel steht ja auch für ganz verschiedene Haltungen und Überzeugungen. Schon im weiteren Umfeld von Kohelet findet sich in Sir 14,11-19 und im rabbinischen Judentum eine Aufforderung zur Lebensfreude, die einen ganz anderen Charakter hat. Sie beruht auf dem Glauben an den guten und gerechten Gott, der die Welt erschaffen hat und die Geschichte lenkt. Es ist Dankbarkeitspflicht, sich dessen zu freuen und das zu genießen, was Gott einem schenkt. Was dieses carpe diem von jenem Kohelets unterscheidet, ist das Fehlen der Ewigkeitssehnsucht des Menschen und der Intensität des Todesbewußtseins. Der Tod erscheint hier in milder Gestalt: Der Tod des Gerechten kommt nach einem erfüllten, guten Leben, wenn man „betagt und lebenssatt" ist, wie es in Gen 25,8 von Abraham heißt. Kohelet hingegen ruft zur Freude auf in einem Leben, dessen Erfülltsein niemand garantiert, einem Leben, das auf den deprimierenden Verfall im Alter zugeht, der in 12,2-7 so realistisch und eindrucksvoll geschildert wird. Die Freude, die er verkündet, muß also schon etwas Intensiveres sein als bloßer Lebensgenuß, wenn sie sich auch im Angesicht der Vernichtung halten soll. Innerhalb des AT markiert das Buch zugleich den Punkt der geistigen Entwicklung, in dem die existentiellen Anliegen der Menschen kaum mehr mit der Konzeption des Todes als des definitiven Endes der Existenz verträglich 22

Zu dieser Variante der üblichen Übersetzung vgl. z.B. D. Michel, Qohelet (1988), 166f. A. Lauha, Kohelet (1978), 204ff hält den 2. Teil von 11,10 (zur Eitelkeit der Jugend) und den 1. Teil von 12,1 (das Gedenken) für eine Einschiebung, ebenso wie 12,7b.

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waren. Dieser Widerspruch, der zunächst das Elend des Menschen deutlich macht, zeigt aber zugleich seine Größe. Pascal sagt in den Pensées: „Die Größe des Menschen ist so offensichtlich, daß sie sich sogar aus seinem Elend ableiten läßt, denn was für die Tiere Natur ist, das nennen wir Menschen Elend; da also heute seine Natur der der Tiere gleich ist, erkennen wir daraus, daß er von einer besseren Natur gefallen ist, die ihm einst zu eigen war. Denn wer hält sich für unglücklich, wenn er nicht König ist, es sei denn ein entthronter König?"23

23

B. Pascal, Pensées, Nr. 120 in der Zählung von L. Brunschvicg.

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Literatur Fox, Michael V., Qohelet and his Contradictions (JSOTS 71), Sheffield: The Almond Press, 1989. Gordis, Robert, Koheleth - The Man and His World. A Study of Ecclesiastes, New York: Schocken Books, 1955. Lauha, Aarre, Kohelet (BK/AT XIX), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1978. Levy, Ludwig, Das Buch Qohelet. Ein Beitrag zur Geschichte des Sadduzäismus, Leipzig: J.C. Hinrichs'sche Buchhandlung, 1912. Lohfink, Norbert, Qohelet 5: 17-19 - Revelation by Joy: CBQ 52 (1990), 625635. Michel, Diethelm, Qohelet (EdF 258), Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft, 1988. Michel, Diethelm, Untersuchungen zur Eigenart des Buches Qohelet (BZAW 183), Berlin - New York: de Gruyter, 1989. Monod, Jaques, Zufall und Notwendigkeit, München: Piper 1971; Orig Ausg.: Le hasard et la nécessité, Paris: Seuil 1970. Pascal, Blaise, Pensées, in Oeuvres complètes, hg. von L. Brunschvicg und P. Boutroux, 14 Bd., Paris 1908-25, Bd. 12-14. Schwienhorst-Schönberger, Ludger, „Nicht im Menschen gründet das Glück" (Koh 2,24). Kohelet im Spannungsfeld jüdischer Weisheit und hellenistischer Philosophie (HBS 2), Freiburg i.B.: Herder 1994 Weinberg, S., Die ersten drei Minuten, München: Piper, 1977; Orig.-Ausg.: The First Three Minutes (Basic Books), New York 1977.

Frank-Lothar Hossfeld (Bonn)

Die theologische Relevanz des Buches Kohelet Der folgende Beitrag hat im Aufriß dieser Tagung eine zweifache Funktion: Er soll die theologischen Aussagen Kohelets vergleichen mit den einschlägigen Aussagen, die sonst im Alten Testament über Gott gemacht werden1, und er soll am Ende der Kohelet-Tagung „wie ein Schnitter Nachlese halten", d.h. anknüpfen und zusammenfassen.

1. Einstieg mit der Kanongeschichte des Koheletbuches Heutzutage ist es richtigerweise üblich geworden, Aussagen zum Ganzen eines biblischen Buches nicht ohne den Blick auf die Kanongeschichte zu machen, insbesondere im Blick auf den kanonischen Abschluß eines Buches und dann auf den Ort des Buches im Kanon des Alten und Ersten Testamentes und weiter im Blick auf die sogenannte Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte im Judentum wie im Christentum. Im Falle des Buches Kohelet ist das Ergebnis mit Blick auf seine Interpretationsgeschichte bezeichnend und vielleicht zugleich mager: Das frühe und spätere rabbinische Judentum hatte mit dem Buch seine Schwierigkeiten (vgl. die Diskussion zwischen den Schulen Hillels pro und Schammais contra der Heiligkeit Kohelets, vgl. die Irritation durch die sich widersprechenden Aussagen im Buche und weitere Diskussionen trotz der Jabne-Entscheidung, Kohelet in den Kanon endgültig aufzunehmen). Die jüdische Position nimmt aus Kohelet das Motiv der Freude auf (Kohelet als Festrolle für Sukkot). Sie kämpft mit den internen Widersprüchen des Buches aus der Hand Salomos und möchte das Buch toraverträglich haben. Im Christentum sieht es nicht viel anders aus: Das NT übernimmt punktuell einzelne Mahnungen und Motive aus dem Buch Kohelet, ohne daß deutlich wird, daß es sich intensiver und systematisch mit dem Buch beschäftigt hat (vgl. etwa Koh 5,1 und Sir 7,14 in Mt 6,7 [wenig Worte beim Beten]; Koh 8,15 mit dem Lobpreis der Freude und das Gleichnis vom Kornbauern Lk 12,19; Koh 5,1 und 7,9 in Jak 1,19 [Vorzug des Hörens vor dem Reden]; Koh 11,5 in Joh 3,8 [Weg des Windes]; Koh 5,14 in 1 Tim 6,7 [der Mensch von Natur aus ohne Besitz]). Auch für die Kirchenväter bleibt Kohelet sperrig und muß entsprechend umgebogen werden. Im Christentum steht die Frage an, inwieweit Kohelet sich mit dem NT verbinden läßt, zugespitzt auf die Frage

1

Vgl. die Ankündigung von L. Schwienhorst-Schönberger, sem Band auf S. 6.

Forschung (1997), in die-

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von Tod und Auferstehung - ist Kohelet Vertreter derer, die keine Hoffnung haben? Diese Polarität ist wohl Ursache dafür, daß Kohelet zum Katalysator hermeneutischer Zuordnungen von AT und NT wird. D. Michel reißt die Spannung auf, wenn er den Blick auf die Rezeptionsgeschichte folgendermaßen zusammenfaßt: „Wenn richtig ist, daß diejenigen, die Kohelet nicht im Kanon haben wollten, ihn besser verstanden haben als seine Befürworter, stellt sich für den heutigen Ausleger die Frage, ob er für das Buch innerhalb des Kanons eine Funktion angeben kann. Hier kann jeder nur persönlich antworten".2 Die Probleme der Rezeptionsgeschichte sind hausgemacht - sie stammen aus dem Buch selber. Kanongeschichte als Versuch, das ganze Koheletbuch zu erfassen, hat seine weichenstellenden Versuche am Ende des Koheletbuches selber. Die Not, Kohelet zu verstehen, beginnt schon hier - genauer beim für das AT „singulären" Faktum zweier Nachworte. Der Weg, Kohelets Botschaft von den Nachworten her zu entwickeln, ist jüngst von O. Kaiser beschritten worden. 3 Zwei Fakten verdienen dabei herausgehoben zu werden, die in der neueren Exegese4 nicht strittig sind: Im Koheletbuch gibt es zwei Nachworte: Koh 12, 9-11.12-14. Es sind keine üblichen Fortschreibungen oder Redaktionen, sondern an Einleitung und Aussage erkennbare deutliche Kommentare, Worte der Herausgeber zu einem vorliegenden schriftlichen Ganzen, das zwar unterschiedlich in der Ausdehnung bestimmt wird (maximal 1,2-12,8 und davon abweichend z.B. A. Fischer 1,4-12,75), aber nach Meinung der Exegeten von den Herausgebern als abgeschlossenes Ganzes respektiert und zugleich beurteilt wird. Das zweite Faktum wird ebenso mit Konsens unter den Exegeten behauptet: Die Herausgeber haben dieses Ganze in seiner eigenen Aussage nicht voll erfaßt. Sie haben das schwierige Buch für die weisheitliche Überlieferung und den Kontext der Schriften mit Erfolg zu retten versucht, seinen Anspruch auf kanonische Würde untermauert und es dabei zugleich in seiner Sperrigkeit nivelliert. Der erste Herausgeber macht Kohelet zu einem üblichen Weisheitslehrer; die Spannung schlägt sich in der form- und gattungskritischen Beobachtung nieder, daß Kohelet Sprichwörter formte (12,9), während das Ko2 3 4

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Ders., Koheletbuch (1990), 353. Ders., Botschaft (1995). Vgl. D. Michel, Qohelet (1988), 168; C. Dohmen/M. Oeming, Biblischer Kanon (1992), 30-42; L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 7-11; Chr. Klein, Kohelet (1994), 162; O. Kaiser, Botschaft (1995), 52 mit der beim ersten Epilogisten abweichenden Versangabe 12,8-11, die mit der von ihm angenommenen Rahmung 1,1-3 zusammenhängt. Angaben zur Maiburger Dissertation von A. Fischer, Furcht Gottes oder Skepsis? Untersuchungen zur Komposition und Theologie des Buches Kohelet, 1994, sind zu finden bei O.Kaiser, Botschaft (1995), 51f. Inzwischen ist die Arbeit erschienen als BZAW 247.

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heletbuch nach neuerer Erkenntnis durch die Groß- oder Obergattung der Lehrrede/Diatribe gekennzeichnet ist6. Ferner hat der zweite Herausgeber das Buch in seiner Aussage fromm umgebogen. Er legt das Buch dem Salomo in die Hand und deutet die Ethik Kohelets um. Beide Herausgeber haben also Kohelet gezähmt oder vom Mainstream der alttestamentlichen Weisheit her Schadensbegrenzung getrieben. Erst die historisch-kritische Erforschung erkämpft sich eine gerechte Würdigung der Eigenaussage Kohelets. D.h. der Blick auf die Interpretationsgeschichte unterstreicht Ganzheit und Eigenheit von Kohelets Aussagen von Anfang an. 2. Die bekannten und klassischen Schwierigkeiten mit Kohelets Buch Gerade beim Buch Kohelet stößt man in der Exegese bald auf das Faktum, daß das schlichte Verstehen von Worten bzw. Wortkombinationen und Begriffen, das Begreifen von Sätzen und kleineren Satzgruppen bzw. Textabschnitten und darüber hinaus das Verständnis der Struktur der Gesamtkomposition bis auf den eindeutigen Rahmen von 1,2 und 12,8 nicht so klar und eindeutig sind. Ferner schlagen Abweichungen auf diesen Ebenen von Wort, Satz und Text dann oft unmittelbar auf das Gesamtverständnis der Botschaft Kohelets durch7. Wir haben während der Tagung die Hinweise auf eine interne Vernetzung der Gesamtkomposition vermehrt, selbst wenn wir feststellen mußten, daß die Gliederung von Großabschnitten umstritten und fließend bleibt. Ich erinnere nur an die Phänomene der „Stimmenhierarchie" und der Selbstzitation8. Der bekannte Eindruck setzt sich durch, daß diese Schwierigkeiten damit etwas zu tun haben, daß Kohelet seine Alltagssprache zum Vehikel philosophischer Präzision macht, die erst erarbeitet werden muß, bevor sie mit ihren Gehalten und Konnotationen bekannt ist und ein Gedankengang nachvollzogen werden kann. Leitbegriffe und Lieblingswörter werden bei Kohelet gefüllte termini technici mit konstanter Bedeutung und zugleich einem Reichtum 6

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8

Die formgeschichtliche Studie von Chr. Klein, Kohelet (1994), 64 interpretiert Koh 12,9 in eben diesem Sinne: „Denn es ist nicht von einem mäSäl die Rede, den Kohelet gedichtet haben soll, sondern ... von vielen m'Säüm. Als der erste Epilogist diese Zeilen schrieb, bezog er sich damit offensichtlich nicht auf das Buch Kohelet als Gesamtopus, sondern auf die Vielzahl der in ihm enthaltenen Texte." Allerdings lehnt Klein eine Gesamtkonzeption für Kohelet ab, a.a.O. 166: "Das Buch ist kein homogenes Ganzes. Es besteht aus einer Reihe von Texten, die selbst da, wo sie einen fortschreitenden Gedankengang erkennen lassen, ihre Eigenständigkeit behalten." Dazu das Urteil von L. Schwienhorst-Schönberger, Forschung (1997), 5 in diesem Band: "Im Buch Kohelet hängt irgendwie alles miteinander zusammen. Insbesondere die Fragen nach Aufbau, Einheitlichkeit, Gattung und Thema lassen sich nicht voneinander trennen. " Vgl. die Ausführungen von N. Lohfink, Koheletbuch (1997), in diesem Band S. 39121, insbesondere zu Koh 8,5-7.16f.

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an Konnotationen (vgl. das Gute/das Glück, der Windhauch, die Ruah als Wind oder Lebensatem oder Geist, der bleibende, dauerhafte Gewinn, der verbleibende Anteil, die Rede von Gott oder der Gottheit usw.). Häufiger macht die änigmatische Breviloquenz Schwierigkeiten, die dem Leser den Eindruck aufdrängt, nur in Ausschnitten an einer breiteren Debatte teilzunehmen. Ein Erkenntnisgewinn ist die Zitatentheorie, die die Arbeit der Literarkritik aufhebt in die spezifisch größere Diskussionseinheit. Wie die in sich konsistenten kleinen Einheiten wiedergewonnen werden können, so können auch Widersprüche im Grundtext in eine logisch fortschreitende Argumentation aufgelöst oder durch logische Differenzierung miteinander versöhnt werden (vgl. 3,21 gegen 12,7). Schwierig bleibt für mich - nach einem Kompaß rufend - z.B. der Abschnitt über Mann und Frau Koh 7,26-29. Der exegetische Trend geht von der gattungs- und formenkritischen Erhebung der Kleinform zur Suche nach der zusammenbindenden Großform des gesamten Buches, sei sie mit O. Kaiser 9 als reflektierende Lehrrede oder mit N. Lohfink, L. Schwienhorst-Schönberger u.a. als Diatribe bezeichnet. Auf die Fläche des Gesamttextes übertragen heißt das: Auszugehen ist von einem gewissen Konsens, daß die Basis der Ausführungen Kohelets im Traktat von 1,3-3,15.(22) zu finden ist; diese Basis hat die Funktion der Grundlegung, die im Rest des Buches aufgegriffen und vielleicht mit stringenter Logik weitergeführt (vielleicht nicht weiterentwickelt) wird bis hin zur Klimax am Ende in 9,7 oder enger 11,7-8.9-12,7. Die begriffsgesättigte Sprache, die gedankliche Konsistenz von kleineren Abschnitten und die argumentative Linie der Großform geben dem Koheletbuch seinen spezifischen Charakter. 3. Die Besonderheit Kohelets: Kohelet als Philosoph und Theologe Nach altem (E. Renan) und erneuertem Verständnis10 ist Kohelet auch und gerade Philosoph! L. Schwienhorst-Schönberger nennt in seiner jüngsten zusammenfassenden Darstellung" vier Punkte der Relevanz des Koheletbuches, drei davon beziehen sich auf die Philosophie: 1. „das Buch mit den stärksten Affinitäten zur Philosophie" und „Korrektiv gegenüber einer einseitig offenbarungspositivistisch orientierten (biblischen) Theologie"; 2. „Gesprächspartner antiker und neuzeitlicher Philosophien" durch den kritisch-eudämonistischen Ansatz mit Beziehungen zur modernen Existenzphilosophie; 3. „in der biblischen Schöpfungstheologie verwurzelte[r] Gesprächspartner moderner 9 10

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Ders., Botschaft (1995), 49. Vgl. D. Michel, Untersuchungen (1989), 273: "In der Tat: Gegenüber all den neuen Versuchen seiner Zeit weigert er sich, sich auf den Flügeln des Glaubens über die Grenzen des Wißbaren hinaustragen zu lassen. Darin liegen seine Größe - und seine Grenze. Er ist ein konsequent im Bereich des Empirischen bleibender Philosoph." Ders., Das Buch Kohelet (1995), 269f.

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Anthropologien und Psychologien... und gleichzeitig Kritiker neuzeitlicher (evolutionistischer) Fortschrittsideologien". In seiner Habilitationsschrift '"Nicht im Menschen gründet das Glück (Koh 2,24). Kohelet im Spannungsfeld jüdischer Weisheit und hellenistischer Philosophie" hat man den Eindruck, daß L. Schwienhorst-Schönberger - typisch katholisch! - den Philosophen Kohelet betont und fließend zum Theologen übergehen lassen kann; Empirie und Offenbarung, Philosophie und Theologie sind für Schwienhorst-Schönberger keine unüberwindbaren, diametralen Gegensätze. Das Verhältnis der beiden Funktionen „Philosoph" und „Theologe" ist in der obigen Teilüberschrift offen: Ist Kohelet primär Philosoph mit theologischen Prämissen und Horizontangaben aus dem biblischen Schöpfungsglauben - ein theologisch imprägnierter Philosoph? Oder ist Kohelet der biblische Vorläufer einer „fides quaerens intellectum" - ein Theologe mit philosophischen Ambitionen? Fragen wir einfacher, aber für den biblischen Kontext ungewohnter: Warum ist Kohelet Philosoph? Wir können das durch den Eindruck des Vortrags von Franz von Kutschera12 verlängern: Der Philosoph erfaßt den außergewöhnlichen Philosophen Kohelet als Denker des menschlichen Elends, der gebrochenen Größe der Menschen, der denkerisch Freude und aktives Leben in der Konzentration auf das individuelle Leben mit der Radikalität des Todes als Grenze verbindet. Die kurze Debatte im Anschluß an den Vortrag hat den Eindruck verschärft, indem sie den Ansatz Kohelets bei der eigenen Erfahrung unterstrich oder den Zen-Buddhismus als geistesverwandt erwähnte. Eine erste Antwort kann die Großform seines Buches geben. Sie ist mehr als ein weisheitlicher Spruch mit dessen Kumulation bzw. Sammlung oder mehr als eine kürzere Darlegung; sie ist Lehrrede oder Diatribe - eine durchgehend argumentierende, auf Überzeugung drängende Darstellung, eine Metaweisheit nicht für Heranwachsende, sondern für fortgeschrittene Jünglinge. Eine zweite Antwort gibt Kohelets Art zu denken und zu argumentieren. Unter den Exegeten ist man sich einig, daß der kritische Impetus von Anfang bis zum Ende des Buches durchgeht; ob er fortschreitend variiert13 oder systematisierend entwickelt14 wird - darüber kann man streiten. Er bestimmt das Testverfahren der Königstravestie und die immer wieder zu findenden Auseinandersetzungen mit traditioneller Weisheit, zeitgenössischen Strömungen innerhalb des beginnenden Frühjudentums und der hellenistischen Popularphilosophie.

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Oers., Kohelet: Leben im Angesicht des Todes (1997) in diesem Band S. 363-376. So F.J. Backhaus, Zeit (1993), 320 und ders., Widersprüche (1997) in diesem Band S. 123-154. So L. Schwienhorst-Schönberger, Forschung (1997), in diesem Band S. 7-14.

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Kohelet will nicht neue Regeln, Maximen und Zusammenhänge finden, sondern vorgegebene Regeln und Lehrsätze an der vorhandenen Wirklichkeit überprüfen 15 . Er prüft nicht nur an der Wirklichkeit, sondern prüft auch die logische Stringenz, vor allem wenn er die Gegner mit eigenen Waffen schlägt und Inkonsequenz oder Brüchigkeit anzeigt. Sein Denken ist schlußfolgernd. Er arbeitet mit Abstraktionen wie dem „Guten und Schönen" von Koh 5,17 als dem herausragenden höchsten Gut/Glück; er vergleicht Güter und Werte, hierarchisiert und reduziert. Das alles sind rationale Strategien. Er beharrt auf der persönlichen Individualität: D.h. die eigene Vernunft erhebt im Beobachten und Fragen ihren Anspruch. Er unterscheidet z.B. beharrlich zwischen Erwerb und Haben von Gütern und deren Genuß bzw. Auskosten des Besitzes (vgl. 2,21; 2,26; 5,9; 6,2). Eine dritte Antwort gibt der Inhalt seiner Darlegungen: Kohelet bedenkt den Menschen als universales Gattungswesen zwischen Geburt und Tod. Er bedenkt ihn auf sein Verhalten, sein Tun und Lassen an und für sich (soziale Fragen spielen eine begleitende, keine tragende Rolle). Dabei geht es ihm um Grundhaltungen wie Gottesfurcht, Freude, Handlungsbereitschaft (vgl. 11,4.9b) - prinzipielle, nicht nur einmalig punktuelle, sondern wiederholbare Handlungen bzw. Formen des Verhaltens. Vom Menschen ausgehend bedenkt Kohelet Gott als die selbstverständliche einzige Gottheit im Unterschied zum und im Kontakt mit dem Menschen. Diese Gottheit - die alte Beobachtung trifft zu - ist der Gott der Philosophen und nicht der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Von diesem Ansatz her fasse ich mit vorsichtigem Blick auf den einschlägigen Kontext des Alten Testaments nun sowohl die Anthropologie als auch die Ethik Kohelets ins Auge. 4. Die Anthropologie Kohelets Kohelet betreibt seine Anthropologie im Rahmen und Horizont der creatio continua. Die Unterscheidung von creatio prima (Welterschaffung) und creatio continua (Welterhaltung) ist zumindest als Akzentsetzung hilfreich. Die creatio continua ist der Orgelton, den das einleitende Kosmos-Gedicht 1,4-11 an15

Treffend finde ich die Charakterisierung von L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 232: "Er [sc. Kohelet, F.-L. H] tradiert nicht das überlieferte gesellschaftliche Wissen, sondern macht dieses Wissen selbst und das sich darin artikulierende Selbstverständnis des Menschen zum Ausgangspunkt seines Fragens. Nach der hier vorgelegten Analyse des Buches Kohelet hat es den Anschein, daß Kohelet in ähnlicher Weise nicht das traditionelle Wissen und Können unreflektiert oder inkonsequent weiter tradiert, sondern dieses Wissen selbst und das in diesem Wissen sich verstehende Menschsein zum Ausgangspunkt seiner Beobachtungen, Fragen und Reflexionen macht. Von daher aber ist es gar nicht verwunderlich, sondern durchaus erwartbar, daß er keine inhaltlichen Weisungen traditioneller Provenienz erteilt. Er ist kein Weisheitslehrer, sondern ein Philosoph."

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schlägt und den Kohelet in den weiteren Darlegungen nicht verläßt. Ob Kohelet einmal, und zwar in 8,16f, creatio prima und continua in einer Einheit zusammenfaßt16, erscheint mir fraglich. Auf den Weltanfang, auf Geschichte vom Anfang her und auf Zäsuren innerhalb der Geschichte rekurriert er nicht. Das gilt auch unter den Bedingungen der (oben) von Th. Krüger herausgestellten Bezüge zu Gen 1-6". Kohelet konzentriert sich auf die condition humaine im Jetzt und in der jeweiligen Gegenwart des Menschen. Aus dem gewohnten biblischen Menschenbild streicht er den Herrlichkeitsaspekt, die königliche Hoheit des Menschen, der diesen mit Gott verbindet, sei es den königlichen Menschen im Paradies von Gen 2-3, sei es die Hoheit und Pracht des Zwischenwesens Mensch in Ps 8 oder auch Ez 28, sei es die Gottebenbildlichkeit des Menschen aus Gen 1. Gerade die Königstravestie dient der Reduktion des Menschen auf seine Vergänglichkeit. Das Kosmosgedicht 1,4-11 ist auf dem Hintergrund der creatio continua unbedingt mit N. Lohfink positiv zu interpretieren18, wofür ich aus den Psalmen vor allem auf die partielle Parallele von Ps 19,2-7 verweise (die Herrlichkeit Gottes in der Ordnung der Zeiten und im Sonnenumlauf mit Licht und Glut der Sonne). Auf der Folie des beständigen Kreislaufs im Kosmos hebt sich schon im Kosmosgedicht und in der Ausgangsfrage 1,3 der Mensch ab. Er ist ein mühevoll arbeitendes Wesen unter Licht und Glut der Sonne (1,3); er ist Mitglied einer vergänglichen Generation (1,4); er ist in bezug auf sein sinnlich-geistiges Wahrnehmen gegenüber dem Kreislauf von begrenzter Natur; es gibt für ihn keine Erinnerung in der Folge der Zeiten (1,11). Kohelet kennt keinen Generationenvertrag der Erinnerung und widerspricht damit vehement der gesamten israelitischen Erinnerungs- und Gedächtniskultur (vgl. die priesterliche Theologie und ihren häufigen Rekurs auf das Gedenken von Generation zu Generation; vgl. die Pflicht der Erzählgemeinschaft Israel, z.B. Ps 78; 95 oder Jes 56,5). In der Königstravestie geht es um die conditio humana sub specie mortis (2,14-18): Der Tod trifft unterschiedslos alle Menschen; er zerstört die Erinnerung und vergällt die Liebe zum Leben. Der Tiefpunkt der Anthropologie ist in 2,23 erreicht (Dasein in Schmerzen, Arger und Unruhe des Herzens). Der Abschnitt 3,10-15 stellt die Anthropologie in den theologischen Rahmen: Gott hat dem Menschen sein mühevolles Dasein zugewiesen. Er hat dem Menschen die Ewigkeit ins Herz gegeben, doch ohne daß der Mensch Gottes 16

17 18

Vgl. L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 191 zu 8,16f: "Weil Gott letzüich unerkennbar ist, ist auch sein Werk, die Schöpfung, nicht voll erkennbar. D'rÒK nöBD muß hier als Einheit von creatio prima und creatio continua verstanden werden." Siehe dazu den Aufsatz von Th. Krüger, Rezeption (1997), in diesem Band S. 303325. Im Gegensatz zu D. Michel, Untersuchungen (1989), 5, und O. Kaiser, Botschaft (1995), 55.

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daß er dem Handeln Gottes etwas hinzufügen oder wegnehmen kann. Innerhalb der Negationsaussagen sticht die positive Andeutung ins Auge: Was heißt die Ewigkeit ins Herz der Menschen geben (3,11)? Was bedeutet diese Partizipation an Gott? Ist das der Rest der Auszeichnung des königlichen Menschen mit Weisheit, mit der Erkenntnis von Gut und Böse, oder die Fähigkeit, nach Anfang und Ende von Geschehenszusammenhängen zu fragen? Der Mensch bleibt unfähig, den Konnex der Taten in den Zeiten und Zeiträumen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu erkennen (3,15). Der Schluß des Traktates 3,16-22 thematisiert den Tod als Ende mit Gericht (3,16f) und als Gleichmacher des Unterschieds zwischen Mensch und Tier (3,18-21). Hier wie in 2,14.16 kommt der verwandte Ps 49,11-13.14f.21 (Grundpsalm) ins Spiel19! Das Thema Tod bleibt roter Faden in 6,1 lf (vgl. Ps 39,7); 7,13f; 8,6-8 und vor allem in 9,1-6.1 lf: In 9,5f wird der Tod als das radikale Ende dargestellt: Die Toten haben kein Wissen bzw. kein Bewußtsein; sie erhalten keinen Lohn; die Erinnerung wird dem Vergessen anheimgegeben; Streben und Emotionen sind vergangen; eine Verbindung zum Leben auf der Erde existiert nicht mehr. Man wird hier an das "schwärzeste Gebet" des Psalters in Ps 88,11-13 erinnert20. Der Tod kommt von außen, trifft wie ein Fatum die Menschen und läßt sie plötzlich in seinem Netz zappeln (9,1 lf). Das Schlußgedicht 11,9-12,7 umspannt das Leben bis zum unausweichlichen Tod. Der Tod als das Ende schlechthin verschärft die Rückfrage an zwei Stellen, ob sie Andeutungen zum Geschehen im Tode machen. Wenn es in 3,16f nicht um irdische Rechtsprechung, auch nicht um das immerwährende Gericht, sondern um das Endgericht im Tode geht, dann ist die Frage aufgeworfen, was dieses individuelle Gericht im Tode meint21 und vor allem, welchen Wert die Gerichtsentscheidung wohl durch Gott überhaupt noch hat? Kann man anhand von 12,7 vermuten, daß „Kohelet ... nicht ein Leben der Toten bei Gott [leugnet und] ... in dieser Hinsicht völlig offen [ist]"22? Das ruft noch einmal das Verhältnis von 3,21 und 12,7 auf53. Es geht wohl nicht um eine Spekulation des Weiterlebens menschlicher Seinsprinzipien oder Anteile nach dem Tode, sondern ganz im Sinne traditioneller Menschenschöpfung um die Rückkehr des Lebensatems zu Gott, der das Leben gegeben bzw. dem Menschen eingehaucht hat (Gen 2,7). Dann ist 12,7 eine 19 20 21

22 23

Vgl. zu Ps 49 die Auslegung von F.L. Hossfeld: Ders./ E. Zenger, Psalmen (1993), 299-308. Vgl. zu Ps 88 jetzt W. Groß, Perspektiven (1992), 57f. Vgl. L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 118: "Auch in 3,16 ist das Thema [sc. der Tod, F.-L. H.] implizit präsent: das Endgericht, das den Gerechten wie Ungerechten trifft, meint dort das individuelle Gericht im bzw. nach dem Tod." So L. Schwienhorst-Schönberger, Glück (1994), 199. Dazu ebd. 230.

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theologische Umschreibung des menschlichen Exitus, die allerdings leicht im Sinne des Weiterlebens umzudeuten war. Die Anthropologie Kohelets ist dann durch drei Spezifika gekennzeichnet: durch die mangelnde Verfügung des Menschen über seine Handlungen (deren Anfang, Ende und Konsequenzen), durch die kurze Dauer des an- und hinfälligen Menschenlebens und durch den drohenden Tod als radikales Ende. Kohelet vertritt eine Anthropologie der Niedrigkeit des Menschen. 5. Die Ethik Kohelets

Ihre Darstellung kann sich auf drei Schwerpunkte konzentrieren. Die Gottesfurcht, den Aufruf zur Freude bzw. das Carpe-diem-Motiv und die Aufforderung zum beherzten Handeln. Die Gottesfurcht ist in 3,14 von Gott bewirkt, dem Gott, der den für den Menschen undurchsichtigen Weltenlauf lenkt; von daher kann man die Gottesfurcht inhaltlich als Scheu, Respekt und Bewußtsein von der Distanz zwischen Gott und Mensch bestimmen. In 5,6 faßt die Gottesfurcht die einzelnen religiösen Verhaltensformen der sog. Religionskritik zusammen (4,17-5,6): Hören von Schriftlesungen im Tempel statt Opfer; wenige statt viele Worte beim Gebet zum transzendenten Gott im Himmel; Vorsicht bei Gelübden und Abstehen vom leichtfertigen Umgang mit Bußopfern für versehentliche Sünden. Man hat den Eindruck, es gehe um die Wahrung des Kontaktes zu Gott, aber um die Vermeidung von Übermaß mit der Absicht der Manipulation Gottes. Gottesfurcht soll dem Verhältnis des Menschen zum anderen Gott adäquat sein. Von V. 6a her (vgl. 5,2) mit der Betonung der Vielzahl der Träume, der Windhauche und Worte drängt sich der Eindruck auf, daß es um religiöse mediocritas zwischen Minimum und Maximum geht. In 7,15-18 wird Gottesfurcht mit der mediocritas, der virtus in medio gleichgesetzt. Sie umschreibt ein situationsgerechtes pragmatisches Verhalten und ist ein natürliches philosophisches Handlungsprinzip - meilenweit entfernt von der himmelstürmenden Ethik der imitatio Dei im Heiligkeitsgesetz Lev 19,1 oder der Bergpredigt Mt 5,48. In ihrer profanen Distanz zur Tora - weder heiß noch kalt, vgl. Apk 3,15 - ist es eine Zumutung für die Torafrommen! In 8,12b-14 wird die traditionelle Gottesfurcht als Toragehorsam kritisiert. Sie hält mit der Behauptung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs der Wirklichkeit nicht stand und ist darum obsolet; die wahre Gottesfurcht ist religiöse mediocritas. Zum Aufruf zur Freude kann hier nur anhand der tragenden Stellen skizzenhaft und grob zusammengefaßt folgendes gesagt werden: Die Verse 2,lf problematisieren die Freude durch die Windhauchaussage. Die Freude läßt sich wohl nicht als bleibend herstellen.

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Die Verse 2, lf problematisieren die Freude durch die Windhauchaussage. Die Freude läßt sich wohl nicht als bleibend herstellen. In 2,10 ist Freude Anteil, aber nicht bleibender Gewinn. Gemäß 2,24-26 kann die Freude nur von Gott gegeben werden; der Mensch kann sie sich nicht bereiten. Zugleich ist sie eine vergehende, keine dauernde Glückserfahrung. Die Freude wird in der Gegenwart erfahren als Gabe Gottes, auf die der Mensch eingeht, die er annimmt (3,12). Nach 5,17-19 besteht das höchste Glück im Erfahren der Freude angesichts eines von Seiten Gottes befristeten Lebens. In 8,15 ist Freude das einzige verbliebene Glück, das den Menschen im befristeten Leben begleiten soll. Freude ist also wiederholbare Erfahrung. In 9,7-10 wird die Freude als Lebensqualität, als festliches Leben mit Essen, Trinken, frischen Kleidern, Öl und Liebe zur Frau beschrieben. Sie ist befristet und soll als punktuelle Handlung immer wiederholt werden. Gott hat solches Verhalten von Urzeit her festgelegt (Idee des concursus simultaneus zwischen Gott und Mensch). Gemäß ll,8.9f soll Freude das Leben in seiner Erstreckung von Jugend an bis zur Grenze des Alters prägen. Freude ist keine Droge zum Vergessen des Todes, sondern bewußte Handlung mit Blick auf das Alter mit Krankheit, Reduktion des Lebens und Einmünden in den Tod24. Neben der Mahnung zur Gottesfurcht und den Darlegungen und Aufrufen zur Freude gewinnt noch die Aufforderung zum Handeln einen gewissen Eigenstand: 9,10 empfiehlt: Handle aus der Situation heraus mit vollem physischen und mentalen Einsatz, bevor der Tod kommt. Dieses abstrakte, formale Prinzip bekämpft einen Quietismus und läßt sich vielleicht situationsethisch verstehen. 11,4-6 fordert das Handeln ohne Vorsorge auf eine undurchschaubare Zukunft. Der Mensch soll sich auf Eventualitäten einstellen und mehrere Eisen im Feuer haben. In 11,9a finden wir einen Aufruf zur freien Gestaltung aus der gegebenen Situation heraus; er hat prompt auch die orthodoxe Korrektur von V. 9b provoziert25. Diese Handlungsregeln sind erstaunlich offen und flexibel, von geradezu bestürzender Liberalität. Ob solches nur in Opposition zu einer sich verhärtenden eifernden Orthodoxie in hellenistischer Zeit plausibel ist? 24 25

Vgl. jetzt auch die Ausführungen zum Thema des Koheletbuches bei L. Schwienhorst-Schönberger, Forschung (1997), in diesem Band S. 29-31. Zur Literar- und Redaktionskritik dieser Stelle jetzt den Beitrag von L. SchwienhorstSchönberger, Forschung (1997), S. 17f in diesem Band.

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geschenkte und vom Menschen ergriffene Gabe der Glückserfahrung in festlicher Lebensqualität, ein Gegengewicht zu Krankheit, Leiden, Alter und Tod. Der Aufruf zum Handeln verrät weite Liberalität. Das ist keine Minimalethik, aber auch keine Umsetzung theologischer Traditionen. Das ist philosophisch inspiriertes Aufbrechen biblischer Ethosüberlieferungen. 6. Fazit 1. Kohelet bedenkt nicht den Menschen am Anfang, sondern den Menschen im Jetzt seines individuellen begrenzten Lebens. Die Ursachen für die Begrenzung liegen in der mangelnden Verfügung über das eigene Handeln, in der Kürze der menschlichen Lebenszeit und in der Radikalität des Todes als Ende des Menschen ohne Möglichkeiten der individuellen Weiterexistenz in Teilen der eigenen Existenz (Geist, unsterbliche Seele) oder in auf die eigene Existenz rückverweisenden Zeichen wie Erinnerung, Besitz und Ruhm. 2. Der monotheistisch-eine und einzige Gott ohne Offenbarungsgeschichte setzt die Rahmenbedingungen des Menschenlebens. Er ist der für den Menschen unerreichbare Schöpfer vornehmlich als Erhalter des Universums und des Menschen, der Beherrscher der unendlichen Dauer bzw. Ewigkeit, derjenige, der die einzelnen Handlungen gewährt und schickt bzw. setzen läßt (im Denkmodell des concursus simultaneus). 3. Dem Menschen bleibt die Annahme der Rahmenbedingungen durch bewußtes Aufgreifen der geschenkten und befristeten Erfahrung der Freude/des Guten/des Glücks. Die von Gott vor allem in der Zeit gesetzten Rahmenbedingungen sollen vom Menschen durch ein beherztes, kaum normiertes Handeln ausgefüllt werden. Insgesamt verkündet Kohelet eine philosophische Position im Horizont des biblischen Gottesglaubens. Sie hat ihre theologische Relevanz aus ihrer philosophischen Denkform und aus der Evidenz ihrer zwar in der Geschichte entstandenen, aber grundsätzlichen und darin überzeitlichen, universal anwendbaren Position.

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Die theologische Relevanz des Buches Kohelet

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ZEITSCHRIFT FÜR ANTIKES CHRISTENTUM JOURNAL OF ANCIENT CHRISTIANITY (ZAC) Herausgegeben von Hanns Christof Brennecke und Christoph Markschies in Verbindung mit Susanna Elm - Karla Pollmann Christoph Riedweg - Georg Schöllgen - Rowan Williams Wolfgang Wischmeyer Band 1 (1997) 2 Hefte pro Band im Gesamtumfang von ca. 320 Seiten Bandpreis DM 148,- / öS 1.095,- / sFr 132,-; Einzelheftpreis DM 80,- / öS 592,- / sFr 73,ISSN 0949-9571 Die Zeitschrift für antikes Christentum / Journal of Ancient Christianity (ZAC) ist eine interdisziplinäre, akademische Zeitschrift, die den Dialog zwischen der Kirchengeschichte bzw. der historischen Religionswissenschaft und der klassischen Altertumswissenschaft in allen ihren Teildisziplinen (der klassischen und christlich-orientalischen Philologie, alten Geschichte, klassischen bzw. christlichen Archäologie sowie der antiken Philosophie- und Rechtsgeschichte) fördern will. Sie wendet sich daher an alle Forscherinnen und Forscher sowie Studierenden auf diesen Gebieten und insbesondere an diejenigen, die sich mit dem antiken Christentum beschäftigen. Die Zeitschrift weiß sich in allen ihren Anstrengungen besonders dem Programm von Hans Lietzmann (1875-1942), aber auch der Tradition französischer und angelsächsischer Erforschung der Geschichte des antiken Christentums verbunden. Preisändening vorbehalten

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