Queere Nation?: (Re-)Imaginationen des Nationalen im queeren deutschen Film der Nachwendezeit 9783839468418

Welchen Platz nimmt Queerness in der deutschen Post-Wende-Nation ein? Und welche Erzählungen von Nation und Queerness bi

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Queere Nation?: (Re-)Imaginationen des Nationalen im queeren deutschen Film der Nachwendezeit
 9783839468418

Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Theorien zum Zusammenhang von Nation, Ethnizität, Gender und Sexualität
2.1 Zur Konstruktion von Nation und Ethnizität im Deutschland des ausgehenden 20. Jahrhunderts
2.2 Theoretisierung, Historisierung und Politisierung von (Homo-)Sexualität – zum Anliegen und der Herausbildung von ›Queer‹ und der Queer Theory
2.3 Nation, Gender und Sexualität – von Verwerfungen, Einschlüssen und Grenzüberschreitungen
3. Film als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung
3.1 Film und Gesellschaft
3.2 Film, Nation, (trans)nationales Kino
3.3 Film, Gender und Sexualität
4. Queere Spuren in der deutschen Filmgeschichte
Einleitung
4.1 Experimente der Kaiserzeit
4.2 Anfänge des queeren Films im Weimarer Kino
4.3 Unterbrechung im Nationalsozialismus
4.4 Nachkriegskino und geteiltes Kino
4.5 Deutsches Kino seit den 1990er Jahren
5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen
5.1 USA als ›ersatz homeland‹?: My Father Is Coming und Salmonberries
5.2. Hybride Queers in Alles wird gut und Lola und Bilidikid
5.3 Queeren des deutschen Migrationsregimes in Kleine Freiheit und Fremde Haut
5.4 Queere Erinnerungskultur und nationale Selbstvergewisserung in Aimée und Jaguar und Der Einstein des Sex
5.5 Hin zu einer Europäisierung und Globalisierung der Zugehörigkeiten – Dezentrierung des Nationalen in Gespenster und Ghosted?
6. Resümee
6.1 Nationale Themen und Motive
6.2 Genres und Erzählstrategien
6.3 Zur Rolle von Stereotypen und den Funktionen von Queerness
6.4 Zusammenfassung
Abbildungsverzeichnis
Filmografie
Bibliografie

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Jeanette Roche Queere Nation?

Film

Jeanette Roche ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft an der FernUniversität in Hagen. Sie lehrt und forscht in den Bereichen medienwissenschaftlicher Queer & Gender Studies.

Jeanette Roche

Queere Nation? (Re-)Imaginationen des Nationalen im queeren deutschen Film der Nachwendezeit

Die vorliegende Arbeit wurde an der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen als Dissertation für das Fach Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft angenommen. Sie wurde von Jun.-Prof. Dr. Irina Gradinari und Prof. Dr. Michael Niehaus betreut. Die Arbeit wurde durch das Promotionsstipendium ›Gender Studies‹ der FernUniversität in Hagen gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: //dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Screenshot aus Lola und Bilidikid (D 1999, R: Kutluğ Ataman), mit freundlicher Genehmigung von Prof. Martin Hagemann (zero fiction film). Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839468418 Print-ISBN: 978-3-8376-6841-4 PDF-ISBN: 978-3-8394-6841-8 Buchreihen-ISSN: 2702-9247 Buchreihen-eISSN: 2703-0466 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter https://www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Für Maris Orla, Antoinette und meine Schwestern.

Inhalt

1.

Einleitung .................................................................................9

2. Theorien zum Zusammenhang von Nation, Ethnizität, Gender und Sexualität ........... 17 2.1 Zur Konstruktion von Nation und Ethnizität im Deutschland des ausgehenden 20. Jahrhunderts.......................................................................... 17 2.2 Theoretisierung, Historisierung und Politisierung von (Homo-)Sexualität – zum Anliegen und der Herausbildung von ›Queer‹ und der Queer Theory ................... 36 2.3 Nation, Gender und Sexualität – von Verwerfungen, Einschlüssen und Grenzüberschreitungen .............................................................. 48 3. 3.1 3.2 3.3

Film als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung .................................... Film und Gesellschaft .................................................................... Film, Nation, (trans)nationales Kino ....................................................... Film, Gender und Sexualität...............................................................

65 65 67 73

4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Queere Spuren in der deutschen Filmgeschichte ....................................... Experimente der Kaiserzeit ............................................................... Anfänge des queeren Films im Weimarer Kino............................................. Unterbrechung im Nationalsozialismus ................................................... Nachkriegskino und geteiltes Kino ........................................................ Deutsches Kino seit den 1990er Jahren ...................................................

83 84 85 89 90 94

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen ......... 99 5.1 USA als ›ersatz homeland‹?: My Father Is Coming und Salmonberries ....................... 99 5.1.1 Ent-Identifizierung und Disidentification............................................ 99 5.1.2. Deutsches Kino und die USA – Bilder der USA im deutschen Film .................... 101 5.1.3 Dekonstruktion einer westdeutschen Identität: My Father Is Coming (1991) ............102 5.1.4 Dekonstruktion der ostdeutschen Identität: Salmonberries ..........................123 5.1.5 Fazit .............................................................................. 147 5.2. Hybride Queers in Alles wird gut und Lola und Bilidikid .....................................148 5.2.1 Queere Dritte Räume und Umschreiben der Nation von ihren Rändern ...............149

5.2.2 Alles wird gut: Anti-rassistische Interventionen im deutschen Film ..................150 5.2.3 Lola und Bilidikid: Queeres türkisch-deutsches Kino ................................. 176 5.2.4 Fazit ..............................................................................201 5.3 Queeren des deutschen Migrationsregimes in Kleine Freiheit und Fremde Haut ............ 202 5.3.1 Symbolische und materielle Grenzen, Fuzzy Borders und Autonomie der Migration .. 203 5.3.2 Kleine Freiheit .................................................................... 205 5.3.3 Fremde Haut ...................................................................... 226 5.3.4 Fazit ............................................................................. 250 5.4 Queere Erinnerungskultur und nationale Selbstvergewisserung in Aimée und Jaguar und Der Einstein des Sex ............................................ 252 5.4.1 Queere Erinnerungskultur ......................................................... 253 5.4.2 Aimée und Jaguar ................................................................. 256 5.4.3 Der Einstein des Sex............................................................... 276 5.4.4 Fazit ............................................................................. 298 5.5 Hin zu einer Europäisierung und Globalisierung der Zugehörigkeiten – Dezentrierung des Nationalen in Gespenster und Ghosted?................................ 299 5.5.1 Die unheimlich queere Nation unter Bedingungen von Europäisierung und Globalisierung ................................................................ 299 5.5.2 Gespenster ........................................................................301 5.5.3 Ghosted ...........................................................................319 5.5.4 Fazit ............................................................................. 337 6. 6.1 6.2 6.3 6.4

Resümee ............................................................................... 339 Nationale Themen und Motive ........................................................... 339 Genres und Erzählstrategien............................................................. 346 Zur Rolle von Stereotypen und den Funktionen von Queerness ............................ 348 Zusammenfassung ...................................................................... 352

Abbildungsverzeichnis ...................................................................... 357 Filmografie.................................................................................. 359 Bibliografie ................................................................................. 363

1. Einleitung

Einführung und Fragestellung Das Jahr 2020 erwies sich unabhängig davon, dass es von einer globalen Pandemie geprägt war, auch als ein ›Superjahr‹ des queeren deutschen Films – dabei wurden besonders die Filme Kokon (2020) von Leonie Krippendorff, Neubau (2020) von Johannes Maria Schmit und Tucké Royale sowie Futur Drei (2020) von Faraz Shariat breit rezipiert und rezensiert. Wenngleich sich die Filme unterschiedlicher zentraler Handlungsthemen und Ästhetiken bedienen, so ist ihnen doch die Exploration des Themenfelds Queerness im postmigrantischen1 Deutschland gemein. Deutschland wird hier von der Großstadt bis in die Provinz einerseits als fast ›selbstverständlich‹ mehrsprachiger, multiethnischer und überwiegend queerfreundlicher Ort gezeichnet, während andererseits gleichzeitig weiter bestehende Ausschlüsse, Diskriminierungen und Gewaltverhältnisse auf interpersoneller wie institutionell-staatlicher Ebene inszeniert und problematisiert werden. Damit beteiligen sich die Filme auch an der gesellschaftlich-medialen Debatte um das 30-jährige Jubiläum zur deutsch-deutschen Vereinigung im Jahr 2020, in der aus jüdischer und migrantischer Perspektive ein neues Geschichtsbewusstsein eingefordert wird, das das hegemoniale Wende- und Einheitsnarrativ hinterfragt (vgl. Lierke/ Perinelli 2020: 4ff.). Auch kam 2020 der deutsch-israelische Film Kiss Me Kosher von Shirel Peleg in die Kinos: Während Queerness in dieser Screwball-Komödie ebenso völlig normalisiert gezeichnet wird, sind es die komplizierten deutsch-israelischen Beziehungen inklusive der deutschen nationalsozialistischen Vergangenheit, mit denen sich hier vor der Folie einer lesbischen Liebe einer weißen Deutschen und einer Israelin auseinandergesetzt wird und die den filmischen Konflikt befeuern – um am Ende in einer Hochzeit aufgelöst zu werden und damit eine Versöhnung der beiden Nationen nahezulegen.

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›Postmigrantisch‹ beschreibt eine Gesellschaft, in der es nicht mehr nur um Migration im eigentlichen Sinne geht, sondern der Diskurskomplex ›Migration‹ zum Kristallationspunkt der Verhandlung von Fragen des egalitären Zugangs zu Rechten und Ressourcen für alle wird (vgl. Foroutan 2019).

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Queere Nation?

Dass natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit2 und Queerness in genannten Filmen auf diese Weisen und mit diesen Divergenzen verhandelt werden, hängt neben dem sich pluralisierendem und auch (neo-)liberalisierenden gesellschaftlich-kulturellen Diskurs (welcher gleichzeitig neben dem erstarkenden Rechtspopulismus besteht) auch mit ihren filmischen Vorläufern aus den ersten beiden Jahrzehnten der Nachwendezeit3 zusammen. Einer Auswahl dieser Filme ist diese Arbeit gewidmet. Die Auswahl begründet sich aus der in den Filmen zu findenden Vielfalt der filmischen Strategien und Thematiken, die das Thema in seiner Breite repräsentieren. So wurden Filme ausgewählt, die sich unterschiedlicher Genre-Strategien bedienen und das Spektrum queerer Filme von Filmen mit kleinerem und mittlerem Budget, die sich eher im Autor:innenkino verorten und besser finanzierten Genre-/Mainstream-Filmen, die queere Themen abdecken, abbilden. Die deutsch-deutsche Vereinigung 1990 läutete als »(gesellschafts)politische[s] Großereignis« (Dietze 2019b: 23) und »politisch dominante[s] Schlüsselereignis« (Faulstich 2010: 7) des Jahrzehnts eine Zeit struktureller und soziokultureller Veränderungen auf nationaler wie globaler Ebene ein (vgl. Faulstich 2010: 14ff.). Während global gesehen politische Ereignisse wie das Ende der Sowjetunion, der Krieg im Kosovo, Entstehung und Erweiterung der Europäischen Union oder der Aufstieg Chinas als Weltmacht prägend waren und es auf politischer Ebene darum ging sich im Zuge global verschobener Machtkonstellationen neu zu positionieren, so spielten im hegemonialen öffentlichen Diskurs auf nationaler Ebene die Frage nach den Bedingungen und der Praxis der Fusionierung zweier Staatssysteme und der Produktion einer ›Einheit‹ eine bedeutende Rolle im Diskurs (ebd.). Aber auch umfassender sozialer Wandel zeichnete sich seit den 1990er Jahren ab: So gingen die Geburten drastisch zurück, die ›traditionelle‹ heteronormative Kleinfamilie und die Ehe verloren immer mehr an Bedeutung, womit der Weg frei gegeben war für andere Lebensentwürfe und -stile wie Single-Leben oder Liebesbeziehungen ohne Kinder (vgl. Faulstich 2010: 14); auch historisch marginalisierte und in nationalen Diskursen veranderte4 nicht-heterosexuelle Lebensentwürfe und Menschen, die sich außerhalb des Zweigendersystems verorteten, erstritten nach und nach Entkriminalisierung (von Homosexualität 1994), mehr Sichtbarkeit und Rechte im Diskurs und wurden so auf ambivalente Weise in die Nation eingebunden (vgl. Kapitel 2.3). Gleichzeitig machten sich mit einem Anstieg von Arbeitslosigkeit vor allem in der ehemaligen DDR mit dem neoliberalen Umbau durch die Treuhandanstalt auch Abstiegsängste breit und befeuerten auch das (Wieder-)Erstarken des Rechtsextremismus, der in Anschlägen auf Migratisierte u.a. in Rostock, Hoyerswerda, Solingen und Mölln im öffentlichen Diskurs sichtbar wurde und mit der Aufdeckung des NSU 2011 einen traurigen Höhepunkt erreichte. So kämpften also verschiedene soziokulturelle Leitbilder und Lebensentwürfe um gesellschaftliche Hegemonie oder Anerkennung.

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Zur Beschreibung des Konzepts der ›natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit‹ siehe Kapitel 2.1 Die ›Nachwendezeit‹ wird dabei im Anschluss an Khouloki (2010) breit gefasst und meint damit die Zeit direkt nach der Wende bis 2009 (vgl. Khouloki 2010: 135), diese Arbeit umfasst damit konkret Filme von 1991–2009. Hier nehme ich eine Eindeutschung des Prozess des otherings vor, wie er im Englischen verwendet wird.

1. Einleitung

In Zeiten der Transformation muss auf nationaler Ebene neu ausgelotet werden, was vom Vergangenen beibehalten und was verworfen werden soll. Wie Nadine Freund ausführt, finden nach Systemwechseln und/oder politischen Umbrüchen »besonders intensive Verhandlungen darüber statt […], was an symbolträchtigen Gütern beibehalten und an nationalen Mythen aktiviert, reaktiviert und abgelegt werden soll, wie viel Kontinuität und wie viel Neubeginn erinnerungspolitischer Art einer Staatsgründung oder Staatsumbildung innewohnen soll und auf welches historische Erbe die Nation ihr Selbstverständnis fortan aufbauen will« (Freund 2010: 24). Damit ergibt sich die Frage »[…] wie die deutsche Gesellschaft der 90er Jahre mit der historische[n] Chance zur Neudefinition […] des ›Nationalen‹ durch das Ende der DDR und die Wiedervereinigung umging« (Freund 2010: 24f.). So stellte die deutsch-deutsche Vereinigung auch eine »Zäsur in der Zugehörigkeitsfrage dar« (Schrader 2015: 12), da »[v]iele Eingewanderte, die sich bis Dato als Deutsche verstanden, […] gezwungen [wurden], sich neu zu definieren« (ebd.). Erinnerungs- und Migrationsdiskurse werden hier also zentral, da durch sie »die Frage nach der Konstruktion von Zugehörigkeit im Rahmen des Nationalstaats« (Motte/Ohliger 2004: 47, zit. in Schrader 2015: 8) aufgeworfen wird. Mit einem erweiterten Blick der Nachwendezeit in die ersten beiden Jahrzehnte nach der Vereinigung sind diese Fragen und Diskurse für die in dieser Arbeit analysierten Filme relevant. Die Vorstellungen von Nationen im Spannungsfeld von Homogenität und Heterogenität sind in modernen Gesellschaften wesentlich über Medien vermittelt (vgl. Anderson 1983). Damit ist das medial-kulturelle Feld immer auch politisch und eines ideologischer, gesellschaftlicher Bedeutungskämpfe (vgl. Fiske 1987: 284). Das audiovisuelle Medium Film inszeniert und verhandelt Zugehörigkeiten zu verschiedenen sozialen Differenzkategorisierungen und den (vermachteten) Zusammenhang dieser Kategorien auf verschiedene Weise und betont sie somit entweder, schwächt sie in ihrer Bedeutung ab oder verschiebt sie und trägt dazu bei, sie umzuformen. Film bildet gesellschaftliche Entwicklungen und Machtverhältnisse also nicht (nur) ab, sondern trägt maßgeblich zur Mitgestaltung dieser bei. Irina Gradinaris (2020) These folgend, dass kollektives Gedächtnis5 5

Der Begriff des kollektiven Gedächtnisses wird in den Kulturwissenschaften in der Untersuchung von Erinnerungskulturen verwendet. (vgl. Erll 2011: 7). Ich schließe mich der weiten Definition des Begriffs von Astrid Erll an, die den Ausdruck als »Oberbegriff für all jene Vorgänge organischer, medialer und institutioneller Art, denen Bedeutung bei der wechselseitigen Beeinflussung von Vergangenem und Gegenwärtigem in soziokulturellen Kontexten zukommt« (Erll 2011: 6) benutzt. Der konkrete Begriff des ›kollektiven Gedächtnisses‹ geht auf den Soziologen Maurice Halbwachs zurück, der diesen seit den 1920er Jahren prägte. Seine zentrale These beinhaltet, dass Gedächtnis sozial bedingt ist, da es sich über die Eingebundenheit der Menschen in ihre sozialen Gefüge entwickelt. Dabei stehen individuelles und kollektives Gedächtnis in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander: Individuelle Erinnerungen bildeten »Ausblickspunkt[e]« (vgl. Halbwachs 1987: 31) – Standorte, die aufgrund von kultureller Prägung und Sozialisation angenommen werden – für kollektive Erinnerungen. Identitätsbildung von Gruppen spielt im kollektiven Gedächtnis eine tragende Rolle, da das erinnert wird, was Gruppeninteressen bestärkt und die Kontinuität der Gruppe betont. Damit wird deutlich, dass das kollektive Gedächtnis immer notwendig eine (Re-)Konstruktion darstellt, eine Art und Weise des Erinnerns an Vergangenes, das sich an Bedürfnissen in der Gegenwart orientiert (vgl. Erll 2011: 16ff.). Neben Halbwachs kommt auch Aby Warburg eine

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ohne den Film gar nicht möglich wäre (vgl. Gradinari 2020: 1), lässt sich zudem folgern, dass die Nation in ihrer je aktuellen Form durch die filmischen Imaginationen dieser existiert. Die Liberalisierungstendenzen der 1990er Jahre ermöglichten auch das erneute Aufblühen der queeren Filmproduktion. Im anglophonen Raum entwickelte sich eine neue Welle im Filmschaffen, bekannt geworden unter dem Schlagwort New Queer Cinema, in Deutschland entstanden in den Jahrzehnten nach der Vereinigung eine Bandbreite an queeren bzw. als queer rezipierten Filmen. Filme dieser Gruppe bearbeiten die Kategorien Gender und Sexualität explizit und stellen dabei Lebensentwürfe in den Mittelpunkt, die von heteronormativen Lebensentwürfen und mitunter auch einem binären Modell von Geschlecht abweichen. In einer Reihe dieser queeren deutschen Filme in den 1990er und 2000er Jahren werden natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit verhandelt und/oder Narrative deutscher Geschichte zur Disposition gestellt. In der vorliegenden Arbeit nehme ich diese queeren Filme als Ausgangspunkt meiner Überlegungen und verfolge mit meiner Analyse das Ziel, über das Herausarbeiten der Verhandlung6 des Zusammenhangs von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und Queerness in den Filmen auszuloten, wie diese Filme an den (Neu-)Modulationen von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und Queerness an der Schnittstelle von Diskursen zu Nation, Europäisierung und Globalisierung mitarbeiten. Dabei interessieren mich folgende Fragen: Wie wird der Zusammenhang von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und Queerness in den Filmen verhandelt? Wie formen die Filme dadurch die ›imaginierte Gemeinschaft‹ (Anderson 1983) mit? Was ist die Funktion von Queerness im Verhältnis

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entscheidende Rolle in der Prägung eines Begriffes von kollektivem Gedächtnis zu – ebenfalls in den 1920er Jahren entwickelte der Kunsthistoriker die Begriffe des ›sozialen Gedächtnisses‹ sowie des ›europäischen Kollektivgedächtnisses‹ (vgl. Erll 2011: 23). Medien spielen bei ihm eine zentrale Rolle bei der Weitergabe von Erinnerung, das wichtigste Medium stellt bei ihm das Kunstwerk dar, allerdings bezieht er auch alltagskulturelle Objekte oder Literatur in seine Überlegungen mit ein (ebd.). Gemeinsam ist Warburg und Halbwachs, dass für sie Kultur und Erinnerung Ergebnis menschlichen Tuns sind, womit sie gegen den dominanten Biologismus ihrer Zeit stellen (ebd.). Halbwachs’ Ansätze bilden den Ausgangspunkt zu Weiterentwicklungen des Konzepts des kollektiven Gedächtnisses, wozu Jan und Aleida Assmann im deutschsprachigen Kontext wichtige Beiträge leisteten. Jan Assmann (1988) prägte dabei den Begriff des kulturellen Gedächtnisses als »jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümliche Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten […], in deren ›Pflege‹ sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewusstsein von Einheit und Eigenheit stützt« (Assmann 1988: 15). Aleida Assmann (2007) verwendet die Begriffe des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses größtenteils synonym, betont in ihren Ausführungen aber vor allem die zentrale Rolle von Medien für Erinnerungsprozesse, durch die Erinnerungen gespeichert und wieder aufgerufen werden können (vgl. Assmann 2007: 34ff.) und diese Erinnerungen so als Bezugspunkte für kollektive Identitätskonstruktionen wie im Falle von Nationen herangezogen werden können (vgl. Assmann 2008). Verhandlung bzw. Aushandlung kann in Anlehnung an Homi Bhabha als sich stetig verändernder Prozess zwischen hegemonialen und gegenhegemonialen Positionen innerhalb verschiedener Felder gesehen werden, also der Artikulation widersprechender Elemente ohne die Aufhebung dieser, was immer mit Ambivalenzen und der Produktion eines ›Dazwischen‹ einhergeht (vgl. Bhabha 2004: 38ff.).

1. Einleitung

zu natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit in den Filmen? Welche »nationale[n] Themen« (Lüdeker 2012: 42; vgl. Kapitel 3.2) werden bedeutsam? Auf welches kulturelle Bild- und Wissensrepertoire greifen die Filme zurück und wie ist ihr Umgang mit diesem – wie re-inszenieren sie dieses oder formen es um? Inwiefern arbeiten sie so an (gegen-)hegemonialen Vorstellungen und Narrativen von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit mit, reaffirmieren oder unterminieren sie? Wie also verhalten sich die Filme zur »bundesdeutsche[n] Normalerzählung«7 (Barricelli 2015: 46) und inwiefern problematisieren die Filme die ›Maskerade der Einheit‹ (vgl. Hayward 2005: 101)? Welche alternativen Weisen des belongings (vgl. hierzu Kapitel 2.1) werden inszeniert und imaginiert? Welche Themen, Genres und Motive werden hier relevant? Dabei lautet meine These, dass das (doppelte) Normalisierungsnarrativ die Verhandlung von Queerness und Nation in den Filmen anleitet. Es wird angenommen, dass Queerness hier als Katalysator der Hinterfragung hegemonialer Vorstellungen zur natio-ethno-kulturell kodierten Zugehörigkeitsordnung einerseits, nationaler Selbstvergewisserung andererseits fungiert. Somit reflektieren die Filme in der Zusammenschau Ambivalenzen in Bezug auf Kollektivität und schreiben am »kollektiven Imaginären«8 mit.

Methoden Um den aufgeworfenen Fragen nachzugehen, beziehe ich für meine Analyse Ansätze der Filmanalyse sowie die dekonstruktiven Stoßrichtungen der Queer Theory mit ein. Das analytische Begriffsinstrumentarium in der Filmanalyse ist nicht einheitlich und durch verschiedene Schulen geprägt. Für meine Analyse greife ich auf filmanalytische Grundsätze der Cultural Studies zurück, wie sie Norman Denzin in seinem Aufsatz zur Kritischen Visuelle Analyse ausführt oder Douglas Kellner als ›diagnostische Kritik‹ beschreibt und ergänze diese durch eine Zusammenführung verschiedener Ansätze zur Analyse filmischer Gestaltungsmittel, die ich unter dem Oberbegriff des Close Reading zusammenfasse. Denzin entwickelt die Kritische Visuelle Analyse als Methode zur kritischen Gesellschaftsanalyse mit Film (vgl. Denzin 2000: 426f.). Als Enthüllung, Beleuchtung, Erforschung der Gesellschaft ist Film für Denzin immer durch vermachtete/mit Machtstrukturen durchzogene Kategorisierungen wie Klasse, Race, Gender oder Nation geprägt, weshalb die Aufgabe einer kritischen Filmanalyse darin bestehe, die Inszenierung dieser Machtverhältnisse anhand der Darstellung kultureller Normen/Schlüsselwerte im Film zu analysieren (Denzin 2000: 417), wobei es vor allem darum ginge, zu fragen, wie kulturelle Schlüsselkonzepte/Normen im Text idealisiert oder umgeformt würden. Somit 7

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Damit ist die Erzählung der Erfolgsgeschichte der kapitalistischen Neuausrichtung Deutschlands nach der Vereinigung unter der Hegemonie der BRD und ihrer weiß-deutsch-männlichen Politikelite gemeint (vgl. Barricelli 2015: 46). Für Christina von Braun bezeichnet das kollektive Imaginäre »jene Macht, die die westliche Gemeinschaft zusammenhält und den Konsens herstellt, der das Zusammenleben von vielen Individuen sichert. Die Form, die der Konsens annimmt, entspricht keiner bewußten Bestimmung. Dennoch steht sie unter dem Einfluß von Technik und Wissenschaft. Sie entspricht den medialen Bedingungen jedes Zeitalters. Das heißt, sie verdankt sich einem Netzwerk, das durch die verschiedenen Medien gebildet wird, über die ein Zeitalter verfügt« (vgl. von Braun 2001: 5f.)

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könnten vielschichtige Bedeutungen herausgearbeitet werden (vgl. Denzin 2000: 425). Realistische und subversive Lesart als zwei Modi Film zu betrachten, sollen in Denzins Methode immer beide auf einen Text angewendet werden und gegeneinander gelesen werden, einander herausfordern (vgl. Denzin 2000: 425). Denzins Methode kann also dazu dienen, Muster und Strukturen im Film und deren Verhältnis zu gesellschaftlichen Normen ausfindig und beschreibbar zu machen. Kellners Vorschlag der diagnostischen Kritik zielt ähnlich wie Denzins Ansatz zur Beschreibung der Darstellung von Normen und Machtverhältnissen im Film, zielt jedoch noch mehr auf Ideologiekritik und politische Analyse. So lese eine diagnostische Kritik Filme in Bezug auf ihre angebotenen politischen Botschaften und die Mobilisierung von Begehren, Affekt in Verbindung mit verschiedenen Subjektpositionen diesbezüglich (vgl. Kellner 1995: 121). Durch die verschiedenen Inszenierungen von Race, Klasse und Gender tragen Filme zur Produktion politischer Identitäten bei, die es gelte, in der kritischen Filmanalyse als Kulturund Gesellschaftsanalyse herauszuarbeiten (ebd.). Das diagnostische Lesen von Filmen könnte so zur Formulierung progressiver politischer Praktiken und der Konstruktion sozialer Alternativen beitragen (vgl. Kellner 1995: 117). Close Reading stellt weniger eine konkrete Methode als einen Ansatz dar, mit dem die textimmanente und -nahe, detailgetreue und differenzierte Analyse eines kulturellen Textes vorgenommen werden kann (vgl. Hallet 2010: 293ff.). Zwar stammt der Ansatz aus der Literaturwissenschaft, sein Prinzip wurde aber in die Filmanalyse übertragen. In der Filmanalyse werden auf der Makroebene außerfilmische gesellschaftliche Kontexte, Genre und Erzählstrategien sowie auf der Mikroebene Kameraeinstellungen und -bewegungen, Licht, Ton und Montage relevant. Das Zusammendenken der beiden Ansätze ermöglicht es Makro- und Mikrostrukturen der Filme sowie die Frage nach dem Verhältnis zu dominanten Normvorstellungen und Subversionsstrategien hinsichtlich der Fragestellung zu analysieren. Die Analyse wird theoretisch gestützt durch unterschiedliche Ansätze der Gender Studies und der Queer Theory, der Nations-/Migrations- und Grenzforschung oder der Kulturtheorie, welche in den jeweiligen Kapiteln erläutert werden, argumentiert aus einer queerfeministischen sowie post-/de-kolonialen Perspektive, die sowohl die postnazistischen als auch postmigrantischen Bedingungen in Deutschland anerkennt.

Aufbau der Studie Nach zwei einführenden theoretischen Kapiteln zur Nation und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit sowie dem Zusammenhang von Nation und Film und Hin-/Ausführungen zum Queer Film, folgt ein historisches Kapitel zu Spuren von Queerness im deutschen Film. Das anschließende Analysekapitel setzt sich aus fünf Unterkapiteln zusammen, die thematisch gruppiert werden, um so zentrale Diskurse zum Themengebiet zu identifizieren: Im Kapitel ›Das andere Zuhause USA? My Father Is Comiung und Salmonberries‹ setze ich mich durch die Linse des Konzepts der Disidentifikation mit zwei Filmen von Anfang der 1990er Jahre auseinander, die die USA als queeres »ersatz homeland« (Rentschler 1984: 605) imaginieren, während sie sich mit Deutschland disidentifizieren. Das Kapitel ›Hybride Queers in Alles wird gut und Lola und Bilidikid‹ beschäftigt sich aus der theoretischen Perspektive der Konzepte des ›Dritten Raums‹ und der ›Queer Dia-

1. Einleitung

spora‹ mit zwei Filmen, die über queere Interventionen, die natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit als hybrid vorschlagen. In ›Queeren des Deutschen Migrationsregimes in Kleine Freiheit und Fremde Haut‹ analysiere ich zwei Filme, in denen Narrative der illegalisierten Überschreitung der Nationsgrenzen mit denen der Überschreitung von Gender- und Heteronormativitätsgrenzen verflochten werden, wobei von dem Wechselspiel der Wirkmacht von Grenzregimen sowie der »Autonomie der Migration« (Boutang 2002) ausgegangen wird. Das Kapitel ›Queeren der Erinnerungskultur und nationale Selbstvergewisserung in Aimée und Jaguar und Der Einstein des Sex‹ beschreibt auf Grundlage der Überlegungen zu queerer Erinnerungskultur und queerer Zeitlichkeit den Einsatz von Queerness zur Entfaltung von nationalen Entschuldungs- und Läuterungsnarrativen in Bezug auf den Nationalsozialismus. Im abschließenden Analysekapitel ›Hin zu einer Europäisierung und Globalisierung der Zugehörigkeiten – Dezentrierung des Nationalen? in Gespenster und Ghosted‹ wird anhand von Überlegungen zum Un/Heimlichen die Bedeutung von Queerness bei der Neuauslotung von Zugehörigkeitsverhältnissen unter Bedingungen der Europäisierung und Globalisierung herausgearbeitet. Im Resümee fasse ich die aus den Analysekapiteln gewonnen Erkenntnisse in Bezug auf die Fragestellung zusammen und nehme eine Gesamtzusammenschau in Bezug auf die Inszenierung natio-ethno-kultureller Themen, Genres und Erzählstrategien sowie der Funktionen von Queerness und Stereotypisierungen vor.

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2. Theorien zum Zusammenhang von Nation, Ethnizität, Gender und Sexualität

In diesem Kapitel wird die Arbeit theoretisch und historisch eingebettet. Dabei gehe ich zunächst auf kanonisierte Konzeptualisierungen der Nation sowie auf den Zusammenhang von Nation, Nationalismus und Staat ein, stelle dann den Bezug zu Race und Ethnizität sowie zu Globalisierung, Transnationalität und -kulturalität her, um zu einem Verständnis von Nation als einer »natio-ethno-kulturell kodierten Zugehörigkeitsordnung« (Mecheril 2016) in der Migrationsgesellschaft des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert in Deutschland zu gelangen, welches in den deutschen Kontext eingeordnet wird. Anschließend gebe ich einen Überblick zur Politisierung von Sexualität im akademischen (teilweise mit Bezug auf den aktivistischen) Diskurs sowie der Entwicklung und den Grundzügen der Queer Theory. Schließlich wird es darum gehen, wie sich das Verhältnis der Nation zu Gender und (Homo-)Sexualität gestaltet, was in Bezug zu nationalstaatlichen Regulierungsweisen steht und historisch durch Veranderung geprägt war, sich im neoliberalen Zeitalter und in Deutschland insbesondere seit den 1990er-Jahren im globalen Norden allgemein jedoch immer weiter in Richtung Inkorporierung in die Nation bewegt, mit gleichzeitiger Abwertung des als weniger ›progressiv‹ proklamierten globalen Südens, während gleichzeitig konservative und rechte Queerfeindlichkeit weiter fortbesteht.

2.1 Zur Konstruktion von Nation und Ethnizität im Deutschland des ausgehenden 20. Jahrhunderts Das Wort Nation entspringt dem lateinischen natio, das so viel wie ›Abstammung‹ oder ›Volk‹ bedeutet (vgl. Hobsbawm 1990: 26). Die Nation im Sinne eines Territoriums mit politischem System (dem Nationalstaat) und ›zugehörigen‹ Bürger:innen steht in Europa in Verbindung mit der Französischen Revolution bzw. den Transformationen durch die Aufklärung und der Herausbildung der bürgerlichen Ordnung im ausgehenden 18. Jahrhundert, womit sich die Nation als Erscheinung der Moderne beschreiben lässt (vgl. Mense 2017: 6; Lohl 2014: 183). Entgegen der nationalideologischen Essenzialisierung ist

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Ernest Renans Aufsatz What is a Nation? (1990 [1882]) zu nennen, der mittlerweile als Klassiker der konstruktivistischen Nationsforschung und als eine frühe konstruktivistische Position innerhalb dieser gesehen wird (vgl. Pierson 2000: 47). Renan beschäftigt sich mit den Elementen, die als grundlegend und vermeintlich natürliche Prinzipien für die Nation in Stellung gebracht werden – das dynastische Prinzip, das Prinzip der ›reinen ›Rasse‹, das der Sprache, der Religion und der Geographie – und enttarnt sie als historisch nicht haltbar (ebd.). Stattdessen sieht er die Nation als ›spirituelles Prinzip‹, das sich aus der Verbindung von Erinnerung an die gemeinsame Vergangenheit und den Konsens in der Gegenwart gemeinsam leben zu wollen zusammensetzt – eine groß angelegte Loyalitäts- und Solidaritätsgemeinschaft (vgl. Renan 1990 [1882]: 19). So wird bereits hier deutlich, dass Nationen als historische geopolitische Entwicklungen erschienen sind, die nachträglich diskursiv naturalisiert und essenzialisiert wurden. Trotz dieses frühen Versuchs einer Entnaturalisierung haben die von Renan genannten Prinzipien in der Mobilisierung nationalistischer Ideologien immer wieder Anwendung gefunden. Seit dem Erscheinen von Ernest Gellners Nations and Nationalism sowie Benedict Andersons Imagined Communities (beides 1983) hat sich in der Nations- und Nationalismusforschung das konstruktivistische Verständnis von Nation durchgesetzt. Beide Nationskonzepte gehen von Nationen als modernen Erscheinungsformen aus, die soziokulturell hergestellt sind. Gellner stellt dabei den mythischen Aspekt dieser Konstruktion heraus: »Nations as a natural, God-given way of classifying men, as an inherent though longdelayed political destiny, are a myth; nationalism, which sometimes takes pre-existing cultures and turns them into nations, sometimes invents them, and often obliterates pre-existing cultures: that is a reality, for better or worse, and in general an inescapable one« (Gellner 1983: 49). Die vom Nationalismus erfundene Nation ist bei Gellner eng mit dem Staat1 verknüpft. Dies wird auch aus seiner Nationalismusdefinition ersichtlich: »In brief, nationalism is a theory of political legitimacy, which requires that ethnic boundaries should not cut across political ones, and, in particular, that ethnic boundaries within a given state – a contingency already formally excluded by the principle in its general formulation – should not separate the power-holders from the rest« (Gellner 1983: 1). Auch wenn Nation (als Idee der Zugehörigkeit) und Staat (als sozialpolitische Organisationsstruktur einer Gemeinschaft) nicht als deckungsgleich zu betrachten sind, gehen jedoch Nationalismus und Staat oft ineinander auf. Für Gellner erklärt sich dies historisch: Die Entstehung von Nationalstaaten hing mit der Transformation der Organisierung von Gesellschaft mit dem Austreten aus der Agrargesellschaft und dem Eintreten in die Industriegesellschaft und damit einhergehender, sich ausbreitender Alphabetisierung und

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Bei der Definiton des Staates schließe ich mich Nira Yuval-Davis und Floya Anthias an, die diesen als Institution mit offizialisierter Macht beschreiben, als: »a body of institutions which are centrally organized around the intentionality of control with a given apparatus of enforcement (juridical and repressive) at its command and basis« (Yuval-Davis/Anthias 1989: 5)

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Grundbildung zusammen (vgl. Gellner 1983: 35ff.). Für Bildung, deren Organisierung, Bereitstellung von Infrastruktur und Finanzierung einer universalen Alphabetisierung bedurfte es eines Staates (vgl. Gellner 1983: 35); da das Feld der Bildung untrennbar mit Kultur verbunden ist, müssen – so Gellners Argumentation – der Staat und der Nationalismus, politische und nationale Grenzen, in der Moderne zusammenfallen (vgl. Gellner 1983: 38). Die von Gellner beschriebene nationalistische Logik der Übereinstimmung von Staat und Nation im Nationalstaat wurde von Nira Yuval-Davis als Fiktion beschrieben, welche dennoch als Basis nationalistischer Ideologien funktioniere (vgl. Yuval-Davis 1997: 27). Auch Wodak/de Cilia/Reisigl et al. (1998) betonen in Anlehnung an Hobsbawm (1990), dass sich der Begriff der Nation in seiner Verwendung immer auf »eine bestimmte Form des modernen Territorialstaats, auf den ›Nationalstaat‹« (Hobsbawm 1990: 20, zit. in Wodak/de Cilia/Reisigl et al. 1998: 20) bezieht, den eine Nation entweder hat oder den es zu erreichen gilt. Die realen historischen Ausformungen dessen variieren und betonen beispielsweise politische oder ethno-kulturelle Einheit jeweils mit unterschiedlichen Akzentuierungen (vgl. Wodak/de Cilia/Reisigl et al. 1998: 21ff.). Nira Yuval-Davis unterscheidet analytisch drei Dimensionen von Nationskonzeptionen, mit unterschiedlichen Verhältnissen zum Staat: Volksnation, Kulturnation, Staatsnation (vgl. Yuval-Davis 1997: 32). Während die ›Volksnation‹ den Mythos eines gemeinsamen Ursprungs mobilisiert, um die Nation zu homogenisieren und als ›Andere‹ angesehene zu exkludieren, bezieht sich die ›Kulturnation‹ auf ein gemeinsames symbolisches Erbe wie die Sprache oder Religion oder anderer Traditionen, welche essenzialisiert und damit zu definitorischen Kernen der Nation werden (ebd.); die Staatsnation hingegen definiert sich am meisten über die juridifizierte Staatsangehörigkeit (citizenship), weshalb das spezifische Staatsterritorium und dessen Souveränität hier mehr im Vordergrund steht (vgl. YuvalDavis 1997: 33). Die beschriebenen Nationsformen können sich überschneiden und überlagern (vgl. Wodak/de Cilia/Reisigl et al. 1998: 27), aber auch den Blick für spezifische Ausformungen von Nation schärfen. Aus dem Anspruch der Deckungsgleichheit von Staat und Nation und der faktischen Deckungsungleichheit ergeben sich vielfältige Kämpfe um die Bedeutung und Hegemonie vom Verhältnis Nation und Staatlichkeit (vgl. Yuval-Davis 1997: 14f.), wie Yuval-Davis ausführt: »The notion of ›the nation‹ has to be analysed and related to nationalist ideologies and movements on the one hand and the institutions of the state on the other hand. Nations are situated in specific historical moment and are constructed by shifting nationalist discourses promoted by different groupings competing for hegemony« (Yuval-Davis 1997: 15). Das Verhältnis von Staat, Nation und Nationalismus stellt sich also als ein Verweisungszusammenhang dar, der historisch variiert und sich in ständigen Aushandlungsprozessen befindet. Wie es Michael Walsh treffend formuliert: »The state, through the control of key institutions will attempt to influence conceptions of the national, while the discourses of nationalism will, as Rosen puts it, ›aspire to define the state‹« (Walsh 1996: 5). Ein weiteres konstruktivistisches und in der heutigen Nationsforschung wahrscheinlich das bekannteste und meistzitierte Konzept, Nation zu denken, stellt Benedict

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Andersons Idee der Nation als imagined community (vgl. Anderson 1983) dar. Diese zentrale Idee Andersons hat in den Jahrzehnten seit dem Erscheinen seines Buches weitreichende Popularisierung in der Nationalismusforschung und darüber hinaus erfahren und avancierte seither zu einem der zentralsten Konzepte für die neuere Nationsforschung bzw. Theoretisierungen der Nation. Anderson sieht also alle Gemeinschaften, die die Möglichkeit face-to-face miteinander in Kontakt zu treten nicht haben, als vorgestellt an (vgl. Anderson 1983: 98); eine Nation ist nach seiner bekannten Definition »eine vorgestellte politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän«, die imaginiert sei, weil die vielen Angehörigen einer Nation sich gegenseitig nicht kennen, »aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert« (Anderson 1983: 15). Bedeutend für Anderson sind dabei die Medientechnologien, die über die Vorstellung von Gleichsprachigkeit und Gleichzeitigkeit die Nationsbildung erst ermöglichten, wobei das Druckwesen und alle technischen Neuerungen, die sich zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert in diesem Bereich abspielten, ab dem 19. Jahrhundert dann durch die Verbreitung und das massenhafte Konsumieren von Roman und Zeitung, eine besondere Rolle einnähmen (vgl. Anderson 1983: 29). Aber auch Reformation und schließlich das Voranschreiten der kapitalistischen Produktionsweise als gesellschaftspolitische Entwicklungen und Umwälzungen sind nach Anderson von Bedeutung: »Im positiven Sinn aber wurden diese neuen Gemeinschaften durch eine eher zufällige, doch explosive Interaktion möglich, dich sich zwischen einem System von Produktion und Produktionsbeziehungen (dem Kapitalismus), einer Kommunikationstechnologie (dem Buchdruck) und dem unausweichlichen Faktum entwickelt, dass die Menschen verschiedene Sprachen haben« (Anderson 1983: 50). Durch die Verbreitung von Druckerzeugnissen in den unterschiedlichen Sprachen, erkannten sich Menschen nach Anderson als mit Anderen einem Sprachbereich zugehörig, wodurch sich im ersten Schritt die Vorstellung ergebe, dass alle, die dasselbe Medium mit derselben Sprache konsumierten, etwas gemeinsam hätten. Im zweiten Schritt sedimentiere sich diese Vorstellung in der Realität und materialisiere sich im Alltag durch ›Hinweise auf die Nation‹, beispielsweise in Form von Zeitungen, nationalen Symbole wie Fahnen, Hymnen, Sportteams, einer nationalisierten Kultur ausgedrückt in Ritualen, Essen oder Bekleidung und einer gemeinsamen Erinnerungskultur (vgl. Lohl 2014: 185). Dadurch bleibt die Nation nicht nur in der Vorstellungswelt, sondern entfaltet Wirkmacht in der Realität, institutionalisiert in Staaten mit Grenzen, die Zugehörigkeiten definieren, wird sie so zu einer »reale[n] Fiktion« (Claussen 2002: 29), die wiederum naturalisiert wird (ebd.). Diese Naturalisierung hänge, so Anderson, auch damit zusammen, dass die Zugehörigkeit zu einer Nation nicht frei gewählt sei und dadurch so erscheine als wären nationale Anrufungen nicht interessengeleitet (vgl. Anderson 1983: 143). Das ermöglicht es der Nation auch »nach [Todes-]Opfern [zu] verlangen«2 (ebd.).

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Aleida Assmann bezeichnet die Opferbereitschaft für die Nation auch als »paradigmatische Form der Teilhabe an nationaler Identität« (Assmann 1993: 245).

2. Theorien zum Zusammenhang von Nation, Ethnizität, Gender und Sexualität

Nicht weniger bedeutend stellt die breit rezipierte Arbeit Eric Hobsbawms Nationen und Nationalismus: Mythos und Realität seit 1780 von 1990 dar. Aus der konstruktivistischen Positionierung heraus zieht Hobsbawm ebenfalls eine politische Schlussfolgerung: So könne »kein ernsthafter Historiker, der über Nationen und Nationalismus arbeitet, ein überzeugter politischer Nationalist sein« und an etwas glauben, was »offensichtlich in dieser Form nicht existiert« (Hobsbawm 1990: 24). Hobsbawm beschreibt in seiner Schrift die Bedeutungs- und Erscheinungsweisen der Nation seit dem späten 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Er zeichnet die Entwicklung und Verwendung des Begriff seit Ende des 18. Jahrhunderts nach und kommt dabei zu dem Schluss, dass dem Nationsverständnis erst im 19. Jahrhundert »ethnische Zugehörigkeit, gemeinsame Sprache, Religion, gemeinsames Territorium und gemeinsame geschichtliche Erinnerungen« (Hobsbawm 1990: 32) als definitorische Merkmale zugrundegelegt wurden, da zunächst das politisch-revolutionäre Verständnis auf den Ideen der Französischen und Amerikanischen Revolution aufbauend in der Literatur überwog (vgl. Hobsbawm 1990: 29). Für Hobsbwam stellt der Prozess der Popularisierung des Nationenkonzepts bzw. des Nationalismus einen durch kulturelle und politische Eliten initiierten dar, die mit dem »Niedergang der wirklichen Gemeinschaften« (Hobsbawm 1989: 188) wie Dorf und Großfamilie auf der Suche nach neuen massenmobilisierenden Zugehörigkeitsangeboten waren (vgl. Hobsbawm 1990: 59): »Nationalismus und Staat übernahmen die Assoziationen von Verwandtschaftsgruppe, Nachbarschaft und von Heimatboden und übertrugen sie auf Territorien und Bevölkerungen von einem Umfang und einer Größe, die diese Begriffe auf reine Metaphern reduzierte« (Hobsbawm 1989: 188). Den Erfolg des Nationenkonzepts sieht er also darin begründet, dass in vielen Fällen »nationale Bewegungen bestimmte Spielarten kollektiver Zugehörigkeitsgefühle mobilisieren konnten« (Hobsbawm 1990: 59), welche er »protonational« (ebd.) nennt. Mit der ›vorgestellten Gemeinschaft‹ der Nation lässt sich für Hobsbawm »zweifellos die emotionale Leere füllen« (Hobsbawm 1990: 59), die sich durch die Auflösung der von Hobsbawm so genannten ›wirklichen Gemeinschaften‹ eingestellt hatte. Somit sind Nationen für Hobsbawm »Doppelphänomene«, die zwar »von oben konstruiert« sind, aber auch im Zusammenhang stehen mit den »Hoffnungen, Bedürfnisse[n], Sehnsüchte[n] und Interessen der kleinen Leute« (Hobsbawm 1990: 21f.). Wie schon Anderson die Bedeutung der Sprache bei der Herausbildung und Aufrechterhaltung der Nation beschrieben hat, spielt auch laut Hobsbawm Sprachenpolitik eine bedeutende Rolle bei der Konstruktion von Nationen. Nationale Sprachen stellen, so die Argumentation, im Zeitalter des Nationalismus nicht die »archaischen Fundamente einer Nationalkultur« (Hobsbawm 1990: 68) dar als die sie dargestellt werden, sondern vielmehr Ergebnisse einer Normierung, Standardisierung und Vereinheitlichung verschiedener Sprachpraktiken durch gesellschaftliche Eliten (ebd.). Dennoch erscheint Sprache für das (Selbst-)Verständnis und in der Naturalisierung der modernen Nationen als zentrales Element, da eine in Druckform fixierte Sprache »einen größeren Anschein von Dauerhaftigkeit und damit auch (durch eine optische Illusion) von ›Ewigkeit‹ verlieh« (Hobsbawm 1990: 76). Somit operieren Nationalstaaten immer (noch) mit einem »Gebot[…] der Einsprachigkeit« (Butler 2016: 583), auch wenn es unter Bedingungen der

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Globalisierung, die sich seit 1989 intensiviert und beschleunigt (vgl. Halle 2008: 5) »keine Rückkehr zum monolingualen Nationalstaat« (Butler 2016: 584) gibt.

Nation, Ethnizität und Race Aus den bisherigen Ausführungen zu den kanonisierten (nicht überraschenderweise, aber bemerkenswerterweise cis männlich dominierten) konstruktivistischen Ansätzen zum Konzept der Nation lässt sich ableiten, dass Ethnizität, aber auch Race in der Funktion als Marker der Distinktion von ›Wir‹ und ›Anderen‹ einen wesentlichen Faktor für die Konstruktion von Nationen darstellen. Wie Yuval-Davis ausführt, stehen Nation und Ethnizität in der Moderne in einer sich wechselseitig bedingenden Relation zueinander, jedoch in einer variablen (vgl. Yuval-Davis 1997: 16f.). Yuval-Davis sieht keinen inhärenten Unterschied zwischen beiden, denn beide seien »Andersonian ›imagined communities‹« (Yuval-Davis 1997: 17). Auch Stuart Hall hat herausgestellt, dass Ethnizität und auch Race mit der Nation »in einem komplexen und ambivalenten Verhältnis steh[en]« (Hall 2018: 141), denn genannte Praktiken des Einschlusses und der Ausgrenzung bzw. der Homogenisierung und Naturalisierung hängen immer mit Rassismus oder Ethnozentrismus zusammen. Ethnizität zusammen mit deren Zuschreibung kann mit Stuart Hall als »›starke‹ Variante kultureller Identität« (Hall 2018: 125) verstanden werden, die auch an eine Vorstellung von Erblichkeit und einer bestimmten originären Herkunft geknüpft ist und so naturalisiert wird (vgl. Hall 2018: 125). Ethnizität funktioniert dabei wie Race als gleitender Signifikant (vgl. Hall 2018: 126), mit dem jeweils der biologistische Kern im Diskurs über kulturelle Differenzen untermauert wird (vgl. Hall 2018: 85). Ethnizität steht zugleich in einem Spannungsverhältnis mit Race: Die Kategorien sind eng miteinander verbunden, haben aber eine je andere Geschichte – mit der Ethnizität als Kategorie deutlich jüngeren Datums, welche seit den 1980er Jahren wieder verstärkt im globalen Diskurs mobilisiert und auch von akademischer Seite größerer Betrachtung unterzogen wird (vgl. Hall 2018: 106f.; Thomas 2003: 35). Den verwickelten Zusammenhang von Nation, Race und Ethnizität hat Étienne Balibar treffend beschrieben. Bei Balibar stellt sich der Zusammenhang von Nation und Rassismus als dialektischer und verschwommener dar (vgl. Balibar 1991: 38, 50), dennoch besteht ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis zwischen beiden. So wirkt Rassismus bei Balibar als Ergänzung zu Nationalismus, ist unerlässlich bei seiner Konstruktion, dennoch aber unzureichend als einzige ideologische Quelle (vgl. Balibar 1991: 54). Dabei operiere die Nation mit fiktiven Ethnizitäten (vgl. Balibar 1991: 49), die in der Vorstellung der Nation bedient werden und in der Nation zu einer Gemeinschaft verschmolzen werden sollen. In ihrer Mobilisierung können sie somit soziale Realität werden können und Wirkmacht entfalten (vgl. Thomas 2003: 38). Nationalismus, Rassismus und fiktive Ethnizitäten bedingen sich bei Balibar schließlich wechselseitig: Rassismus unterhält eine notwendige Beziehung zu Nationalismus; Nationalismus trägt zu Rassismus durch die Produktion einer fiktiven Ethnizität bei, um die herum sich der Nationalismus organisiert (vgl. Balibar 1991: 49). Insgesamt stellt sich der Zusammenhang mit Stuart Hall als »fragementiertes Feld von Antagonismen […], das sich weigert, zu einem einheitlichen und vernähten Raum […] zu werden und stattdessen als Feld von Differenzen bestehen bleibt« (Hall 2018: 117) dar.

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Zusammenfassend lässt sich also zunächst festhalten, dass die Idee der Nation auf Homogenisierung fußt, denn die nationale Gemeinschaft findet ihre Institutionalisierung in einem (National-)Staat, der nach innen hin homogen und sich nach außen hin zu anderen Staaten abgrenzen soll. In diesem Sinne ist die Nation eine relationale Entität, die sich in einem fluiden Aushandlungsprozess mit sich stetig veränderndem ›Selbst‹ und ›Anderem‹ befindet (vgl. Duara 1995, zit. in Pierson 2000: 53), das jedoch eingebettet ist und stabilisiert wird in bzw. durch eine Erzählung einer lange zurückreichenden Geschichte der Nation. Die innere Einheit und äußere Abgrenzung werden in nationalistischen Projekten also versucht durch die Erzählung der gemeinsamen Geschichte der Nation, nationale Mythen, deren Bearbeitung und Verbreitung in Medien und die Sozialisation in den Institutionen der Nation in deren Sprache herzustellen (vgl. Balibar 2005: 97ff.; Mense 12f.). In diesem Prozess wird die Vorstellung der Nation wie erwähnt naturalisiert, so dass ihre soziale Konstruktion verschleiert und sie als möglichst ›natürliche Heimat‹ empfunden wird. Das staatliche Gewaltmonopol ist bei der Durchsetzung dieser Homogenisierung unerlässlich (vgl. Wodak/de Cilia/Reisigl et al. 1998: 31). Das macht die Nation zu einer Verwalterin und Hervorbringerin von In- und Exklusionen, um kollektive Identitäten der Zugehörigkeit zu schaffen und diese über das Konzept der Staatsangehörigkeit juristisch zu offizialisieren. Dabei zeigen sich das staatliche und das ethnisch-kulturelle Modell als unterschiedliche, aber verbundene Spielarten, die Nation zu charakterisieren bzw. ideologisch auszuformen (vgl. Yuval-Davis 1997: 32). Aus den erläuterten Theoretisierungen und Historisierungen der Nation im Zusammenhang mit Staat und Nationalismus lässt sich nachvollziehen, wie Nationen mit ihren gesellschaftsstrukturierenden Auswirkungen zum »brisanteste[n] Symptom der Moderne« (Castro Varela/Dhawan 2015: 259) werden konnten. Darüber hinaus trägt ein konstruktivistisches Verständnis dazu bei zu verstehen, wie »die heutigen Institutionen und Antagonismen in die Vergangenheit projiziert werden können, um den ›Gemeinschaften‹ eine relative Stabilität zu verleihen, von denen das Gefühl der individuellen ›Identität‹ abhängt« (Balibar/Wallerstein 1990: 15).

Nation als Narration und Hybridität Auch auf das narrative Element bei der Produktion der Nation wurde aufmerksam gemacht, wie es bereits Benedict Anderson ausgeführt hat. Mit Stuart Hall erfüllt die Erzählung der Nation in Medien und der Alltagskultur die Funktion, Differenz als Einheit darzustellen (vgl. Hall 1996: 617), um »das Individuum mit den größeren Entwicklungen auf kollektiver Ebene [zu] verknüpfen« (Hall 2018: 124). Die Nation als Erzählung zu denken, ermöglicht es also, konkrete Sinngebungsprozesse und narrative Strategien (und mit ihnen auch Genres) ihrer Hervorbringung und Verhandlung in den Blick zu nehmen. Homi K. Bhabha betont in seiner Konzeption der Nation als Erzählung die Ambivalenz des Nationalen und der kulturellen Verarbeitung dieser (vgl. Bhabha 1990: 2): Das Nationale als System kultureller Signifikation zeichnet sich für ihn eher durch Widersprüchlichkeit und Instabilität, welche sich aus dem sozialen Leben ergeben (vgl. Bhabha 1990: 1f.), aus statt der propagierten Einstimmigkeit. Ausgehend von einem performativen Verständnis von Sprache betrachtet Bhabha darüber hinaus die Grenze des Innens und Außens des Nationalen als hybrid, als immer im Prozess neuer Bedeutungsproduktionen und damit unvorhersehbar begriffen (vgl. Bhahba 1990: 4). Als ambivalente Narra-

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tion sieht Bhabha in der Verhandlung der Bedeutung des Nationalen das Verhältnis von Zentrum und Marginalität somit auch als vermachtet, aber immer wieder wandelbar: »America leads to Africa; the nations of Europe and Asia meet in Australia; the margins of the nation displace the centre; the peoples of the periphery return to rewrite the history and fiction of the metropolis. The island story is told from the eye of the aeroplane which becomes that ›ornament‹ that holds the public and the private in suspense. The bastion of Englishness crumbles at the sight of immigrants and factory workers« (Bhabha 1990: 6). In diesem Zitat klingt bereits der Begriff der Hybridität an, den Bhabha im Kapitel DissemiNation in The Location of Culture (2004) aufgreift. Die Nation von ihrer Hybridität her zu denken, macht den Raum zwischen Zeichen und Bedeutung, indem Sinn noch nicht fixiert ist (vgl. Bhabha 2004: 209), sondern sich Möglichkeiten zur Aushandlung ergeben, deutlich. Neben Hybridität kommt in DissemiNation jedoch vorrangig Zeitlichkeit ins Spiel, welche Anderson einst durch den Roman als kontinuierlich produziert beschrieben hat, um Nation als homogen hervorbringen zu können. Bhabha sucht nach Diskontinuitäten, dekonsturiert also Nation als narrativ essenzialiserte Einheit. Zeitlichkeit in Bezug auf die Nation sieht Bhabha daher in das pädagogische und das performative Prinzip gespalten, welche zur Ambivalenz des Nationalen beitragen: »In the production of nation and narration there is a split between the continuist, accumulative temporality of the pedagogical, and the repetitious, recursive strategy of the performative. It is through this process of splitting that the conceptual ambivalence of modern society becomes the site of writing the nation« (Bhabha 2004: 209). Das Pädagogische bezieht sich auf die dominanzgesellschaftliche, nationalistische Erzählung, die den Ursprung der Nation in einer Vergangenheit verortet und Legitimität aus dieser zieht. In dieser von der Vergangenheitserzählung geprägten Gesellschaft wird den Bürger:innen die Identifizierung mit dem Nationalen nahegelegt. Die Performanz trägt der Komplexität des täglichen sozialen Lebens Rechnung, denn dessen Heterogenität benötige »narrative performance« (Bhabha 2004: 209), die ein prozessuales Schreiben des Nationalen verlangt. In der Performanz, die die Wiederholung tradierter Narrative erfordert, gelangen die Zeichen in Bewegung und Verschiebungen finden statt, die Narration der Nation kann somit über- oder umgeschrieben werden (ebd.). Während die pädagogische Zeitlichkeit also versucht, mit nationalistischem Impetus heterogene Erzählungen zu unterdrücken und die Nation in Abgrenzung zu anderen ebenso homogenen Nationen zu konstruieren, interveniert das Performative von der Grenze her und wird dort subversiv wirksam, indem das vermeintlich ›Andere‹ im Nationalen sichtbar gemacht wird (vgl. Bhahbha 2004: 222). Durch die Intervention des Performativen entsteht also ein Raum für Marginalisierte, entgegen der hegemonialen homogenisierenden Erzählungen, so dass »no political ideologies could claim transcendent or metaphysical authority for themselves« (Bhabha 2004: 212). Wie Bhabha verdeutlicht, verläuft die Grenze zum Anderen nicht an der Grenze von Staaten, sondern inmitten der Nation. Hier können »Polarisierungen verhandelt werden, indem die Grenzen des Diskurses herausgefordert und dessen Begrifflichkeiten verschoben werden […]« (Castro Varela/Dhawan 2015: 249). Bhabhas Konzeptualisierung resoniert mit Andrew Hig-

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sons Überlegungen, welcher Nationen aufgrund der innerhalb dieser immer schon bestehenden Differenzen trotz nationalistischer Homogenisierungsbestrebungen als immer auch schon diasporisch geprägt bezeichnet (vgl. Higson 2002: 82). So bestehe in der Nation immer ein Spannungsverhältnis von Einheit und Vielheit, Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit (vgl. Higson 2002: 83f.). So wird mit Bhabha und Higson die immer schon gegebene Hybridität3 und Heterogenität von Nation sichtbar sowie das prozessuale, uneinheitlich-ambivalente und narrative Element des Nationalen verdeutlicht.

Nation, Transkulturalität und Globalisierung Auch wenn die Nation als wirkmächtiger identitätsstiftender Bezugsrahmen wirkt und sich »die rechtlichen Systeme des Nationalstaats in einem fort [reproduzieren]« (Butler 2016: 583), ist es dennoch von Bedeutung auch die Prozesse der neoliberalen Globalisierung4 , die durch gesteigerte transnationale Migration von Kapital und Menschen, der Ausbreitung der Medienkommunikation und kulturellen Produkten der letzten Jahrzehnte (vgl. Hall 2018: 121), aber auch Re-Nationalisierungstendenzen und sich fortschreibender intersektionaler globaler Ungleichheit gekennzeichnet ist, im Zusammenhang mit der Nation zu betrachten. In diesem Zusammenhang erfuhren neben ›Globalisierung‹ auch Ansätze wie ›Transnationalität‹ oder ›Transkulturalität‹ Konjunktur, um Prozesse der Überschreitung nationaler Grenzen bei weiterem Fortbestehen einer in Nationalstaaten aufgeteilten Welt und deren Effekte, zu denken. Gemein ist ihnen allen, dass sie die Bedeutung der Grenzüberschreitung betrachten und den Blick auf die Deterritorialisierung von Politik, Wirtschaft und Kultur lenken (vgl. Faist 2010: 14). Dennoch unterscheiden sie sich in ihrer Genese und ihren Verwendungsweisen. ›Transnational‹ kann in diesem Zusammenhang als sich auf Prozesse beziehend, die über die Grenzen souveräner Staaten hinweg stattfinden und dabei relativ stabile

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Bhabhas Verständnis von Hybridität wurde jedoch auch vielfach kritisiert. Kien Nghi Ha (2005) fragt mit einem Blick auf den »Hype um Hybridität« (Nghi Ha 2005) kritisch, inwiefern hier »eine fortschreitende Kommodifizierung kultureller Identitäten und Alteritäten, die als konsumierbarer Warenfetisch nicht nur unbekannte Arten der ästhetischen Differenzproduktion generieren, sondern auch tradierte Machtverhältnisse und Arbeitsverteilungssysteme in der Gesellschaft erneuern« (Nghi Ha 2005:13). Auch wenn Homi K. Bhabha (2004) betont, dass Hybridität ein Ort von »difference without an assumed or imposed hierarchy« (Bhabha 2004: 4) sei, kommt Nghi Ha mit Irmela Schneider zu dem Schluss, dass »das Hybride […] nicht den Gegenbegriff zum Hierarchischen und Hegemonialen, sondern zum Binären und Dichotomischen« (Schneider 1997: 43, zitiert in Nghi Ha 2005: 56) bilde und betont damit einmal mehr, dass Hybriditätsdenken neue Denkbewegungen hervorbringen, Machtstrukturen aber kaum zu überwinden vermöge. In den weiteren Überlegungen soll diese Perspektive insofern miteinbezogen werden, dass Hybridität in Bezug auf die Nation weniger als machtkritischer und mehr als dichotomietranszendierender Begriff gedacht und verwendet wird, also nicht die Auslöschung von Ungleichheitsverhältnissen meint, sondern eher als Ausdruck der Unabgeschlossenheit und immer schon bestehenden Heterogenität von Nationen gelesen wird. Der Zusatz ›neoliberal‹ ist hier von Bedeutung, da ›Globalisierung‹ als solches nicht neu ist und die Welt seit Beginn der kolonialen Projekte Europas zu prägen begann; lediglich die globale Vernetzung, Kommunikation und Bewegung von Gütern und Menschen hat sich seit dem Ende des Kalten Kriegs intensiviert.

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Verbindungen bilden, verstanden werden (vgl. Faist 2010: 13). Der Transkulturalitätsbegriff hingegen (der dem Bhabha’schen Hybriditätsbegriff ähnelt) blickt eher auf die in kultureller und sozialer Praxis immer schon vorhandene gegenseitige Verknüpfung, Vernetzung und Durchdringung verschiedener Sinnsysteme (vgl. Gippert et al. 2008: 11) und dekonstruiert die Mythen von Homogenität von (National)Kulturen unter dem Eindruck der seit den 1990er Jahren zunehmenden europäisierenden und globalen Verbindungen der Lebensweisen5 . Der Anthropologe Nestor García Canclini bietet einen interessanten Ansatz, der die verschiedenen Bedeutungsebenen von Transnationalität, Transkulturalität und Globalisierung verbindet und mit der Nation zusammendenkt. Er entwickelt ein Verständnis von Globalisierung in Auseinandersetzung mit Hybridität, setzt jedoch am Punkt der Anderson’schen imagined community an und weitet diese auf eine globale Ebene aus. Canclini betrachtet dementsprechend auch Globalisierung als imaginiert. Dabei bezieht er sich weniger auf ökonomische Vorgänge, sondern auf Kunst, Literatur und Medien und möchte die Veränderungen beschreiben, die sich durch Globalisierungsprozesse vollziehen sowie alternative Weisen mit diesen umzugehen herusarbeiten (vgl. Canclini 2014: 116). Globalisierung bedeutet für ihn vielfältige, multidimensionale Prozesse, die einerseits Homogenisierung vorantreiben und in der sich andererseits Fragmentierungen und Heterogenität ausdrücken, innerhalb derer Differenzen neu geordnet, Ungleichheiten aber nicht ausgelöscht werden (vgl. Canclini 2014: 25). Diese Heterogenität, die auch Canclini als Hybridität umschreibt, zeigt sich bei ihm in einer Pluralität von Imaginären, Narrativen und interkulturellen, intersektionalen und dialogischen Formen von Globalisierung (vgl. Canclini 2014: xxxix). Dabei ruft er nationale und regionale Entitäten dazu auf, vermittelnd einzugreifen um demokratisch mit Veränderungen der Globalisierung umzugehen (vgl. Canclini 2014: xxxi). Das Imaginäre bei Canclini bezieht sich einerseits auf Finanzinstitutionen und globale Medienunternehmen, die Imaginationen einer besseren Welt für alle erschaffen, obwohl sie daran beteiligt sind, Ungleichheiten aufrechtzuerhalten und andererseits auf Migrant:innen, die Imaginäres durch ihr Wissen, das sie in andere Kontexte mitbringen und die »fractures and segregations of globalization« (vgl. Canclini 2014: xxxviii) mitproduzieren. Dies geht einher mit Sara Ahmeds Verständnis von Globalisierung, die diese nicht als einförmiges Phänomen, sondern als Zusammenspiel von »uneven processes whereby certain locales are constituted as ›the global‹« (Ahmed 2000: 14) sieht. Canclini plädiert für die Nation weder als Gegnerin oder Opposition der Globalisierung noch als Unterstützerin profitorientierter Wettbewerbspolitiken, sondern als Vermittlungsinstanz zwischen 5

Der Transkulturalitätsbegriff wurde dem Hybriditätsbegriff ähnlich kritisiert. So zeigt sich mit Gabriele Dietze aus einer anti-rassistischen gendersensiblen Perspektive, dass die Denkbewegung rassisierende Logiken enthält, da ›Kultur‹ die zentrale Bezugsgröße bleibt (vgl. Dietze 2008: 39f.). So könne Transkulturalität zwar das Denken in Kategorien kultureller Geschlossenheit und Reinheit überwinden und zum Verständnis für verschiedenste Identitätsentwürfe beitragen; ›Kultur‹ bleibt jedoch der zugrundeliegende Bezugsrahmen. Auch wenn Transkulturalität mit einer entschiedenen Abwendung von biologistischen Erklärungen einhergeht, gründet sie sich – so Dietze – doch auf kulturalistischen und differenzialistischen Rassismen, die der Einteilung von Menschen in durch Herkunft definierte Gruppen und oft deren Unveränderbarkeit nicht abschwört (vgl. Dietze 2008: 28).

2. Theorien zum Zusammenhang von Nation, Ethnizität, Gender und Sexualität

verschiedenen kulturell kodierten Wertvorstellungen, die sich in Form von Migration, Medien oder Literatur begegnen. Sein Konzept imaginierter Globalisierungen spricht sich damit für einen demokratischen Kosmopolitanismus aus, in dem sich das nationale und transnationale bzw. globale nicht monolithisch gegenüberstehen (vgl. Canclini 2014: 24). Mit Canclini können Nation und Globalisierung also nicht als Antithesen, sondern sich verschränkende Prozesse gesehen werden, die an komplexen imaginären Konfigurationen mitwirken. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass Transnationalismus und Globalisierung (symbolische) Grenzen nur (potenziell) redefinieren, nicht jedoch entfernen (vgl. Halle 2008: 10). Damit wird es möglich die Verwobenheit von Nation und Globalisierung aufzuzeigen ohne die Wirkmacht des jeweils anderen Registers aus den Augen zu verlieren. Die Nation löst sich im Zuge der Globalisierung also nicht auf, sondern transformiert sich im vermachteten Wechsel- und Zusammenspiel von lokal, regional, national und transnational/global.

Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit Um die beschriebenen Verschlingungen von Nation, Kultur, Ethnizität und damit zusammenhängenden Ein- und Ausschlussprozessen unter Bedingungen der Globalisierung zu fassen, eignet sich Paul Mecherils Begriff der »natio-ethno-kulturell kodierten Zugehörigkeitsordnungen« (Mecheril 2016: 15). Dieser bringt zum Ausdruck, dass das Begriffstrio ›Kultur‹, ›Nation‹ und ›Ethnizität‹ im Alltags- wie wissenschaftlichen Diskurs ineinanderfließt; ›natio-ethno-kulturell‹ stellt damit die Verflochtenheit und Mehrdimensionalität dieser Begriffe dar (vgl. Mecheril 2003: 23ff.) und macht auf die Interdependenz6 der Kategorien aufmerksam. So würden Nation, Ethnizität und Kultur in der Migrationsgesellschaft7 »in durchaus verschwommener Bedeutung und Konsequenz« (Mecheril 2016: 15) produziert und eingesetzt, was sich sowohl auf die Ebenen des Konzepts, die materiellen und formalen Bereiche der Grenzen und Gesetze, aber auch die soziale und kulturelle Ebene der Identität beziehe (ebd.). Dies gelte insbesondere für den deutschen Kontext aufgrund dessen ethnischer Begründung des Nationalstaats (vgl. Mecheril 2002: 109; siehe auch nächster Abschnitt). Mecherils Konzept sehe ich als Möglichkeit, die immer schon interdependenten Kategorien der Zugehörigkeit als solche zu 6

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Der Ansatz der ›Interdependenz‹ hat sich in Auseinandersetzung mit dem der ›Intersektionalität‹ entwickelt. Der Ansatz der Intersektionalität geht auf Kimberle Crenshaw zurück, die damit als Erste einen Begriff für die Überschneidung sozialer Differenzkategorien geliefert hat. Diese stehen im Intersektionalitätsansatz miteinander in Verbindung, überschneiden sich sozusagen. Der Ansatz wurde dafür kritisiert, dass er von isolierten Kategorien ausgeht, die unabhängig von den Schnittpunkten nicht miteinander in Verbindung stehen (vgl. Dietze et al. 2007: 9). Er wird hier allerdings verwendet, wenn er in der Literatur als solcher benannt wird. Für meine eigenen Analysen eignet sich die Idee der Interdependenz besser, da er davon ausgeht, dass Kategorien sich immer schon wechselseitig beeinflussen, wodurch die »Beziehungen von Ungleichheit bzw. Marginalisierung« (ebd.) betont werden. Mecheril meint mit ›Migrationsgesellschaft‹ »eine allgemeine Perspektive, mit der die gegenwä rtige und historische Vielfalt des Wanderungsgeschehens und die wechselseitig konstitutive Dynamik von Grenzformationen und Zugehö rigkeitsordnungen in den Blick kommen« (Mecheril 2016: 15). Mit Naika Foroutan ließe sich dieser Blick aus heutiger Perspektive erweitern und lässt die gegenwärtige Gesellschaft als ›postmigrantische‹ erkennbar werden (vgl. Foroutan 2019; siehe Kapitel 2.1).

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erfassen und dies in Verbindung mit einer Gesellschaftscharakterisierung zu bringen. Nation kann so in ihrer Komplexität beschreibbar werden, die Zusammenhänge und Wechselbeziehungen mit Ethnizität und kulturalisierten Race-Konstruktionen8 sowie die platzanweisende, zugehörigkeitszuweisende oder -entziehende Funktion der Nation, die über eine Gegenüberstellung des ›Außens‹ und ›Innens‹ operiert, werden so sichtbar. Darüber hinaus ermöglicht Mecherils Ansatz, das Konzept der Nation als Imagination mit Fragen nach ›nationaler Identität‹ zusammenzubringen. Sowohl in der englisch- als auch deutschsprachigen akademischen Diskussion werden diese Konzepte oft synonym verwendet (vgl. Lüdeker 2012: 19), ohne dies transparent zu machen9 . In Mecherils Konzept läuft beides zusammen, der Verschwommenheit des Bezugs der Begriffe aufeinander Rechnung tragend. Die Idee der natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit kann damit als Scharnier zwischen dem Subjekt und dem gesellschaftlichen Kontext dienen, der Ein- und Ausschlüsse organisiert und verkoppelt ›Nation‹ und ›nationale Identität‹ produktiv miteinander, ohne sie unbenannt gleichzusetzen. Die von Mecheril so benannte Zugehörigkeitsordnung bezeichnet für ihn »jene machtvollen Zusammenhänge, die durch eine komplexe Form der Ermöglichung und Reglementierung, der symbolischen, kulturellen, politischen und biographischen Einbeziehung und Ausgrenzung von Individuen auf diese produktiv Einfluss nehmen. Die Zugehörigkeitsordnung kann man als strukturierten und strukturierenden Zusammenhang beschreiben, in dem aus Individuen Subjekte werden« (Mecheril 2016: 18).

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In Diskursen über ›kulturelle Differenz‹ wird der Begriff ›Kultur‹ seit etwa der 1990er Jahre hier als Chiffre für Race verwendet und ermöglicht es, eine überkommende Ideologie einer angeblichen naturhaftigen Andersartigkeit verschiedener Races in ein neues Gewand zu stecken (vgl. Balibar 1991: 21f.). Somit wird ›Kultur‹ schließlich naturalisiert und auf eine Weise essenzialisiert, über die nicht nur Differenz, sondern damit einhergehend auch Hierarchie markiert wird (ebd.). Étienne Balibar nennt dies »racism without races« (Balibar 1991: 21). Gerhard Jens Lüdeker hat ›Nation‹ und ›nationale Identität‹ in Zusammenhang und Abgrenzung voneinander definiert: Während Nation bei Lüdeker »eine diskursiv hergestellte Gemeinschaftskonstruktion, deren Merkmale von den Mitgliedern in ihrer Vorstellung als untereinander verbindlich angesehen werden« (Lüdeker 2012: 27) meint und den »Ankerpunkt« (Lüdeker 2012: 26) darstellt, auf den sich Nationalismus und nationale Identität beziehen, gehe es bei der nationalen Identität um »eine gemeinschaftliche Konstruktion, die auf narrativen und diskursiven Prozessen beruht, in deren Zentrum die Ausdeutung und die reziproke Anerkennung der Nation und ihrer konstitutiven Merkmale steht« (Lüdeker 2012: 45). Bei Lüdeker unterscheiden sich Nation und nationale Identität also nur im Punkt der Praxis bzw. ›Ausdeutung‹: Nation wird als der vorgestellte Konsens angesehen, während nationale Identität das Inkraftsetzen dieses Konsenses durch Handlungen darstellt. Da im Film (und nicht nur da) beides zusammenläuft – es wird Bezug genommen auf Vorstellungen von Nation im kulturellen Bild- und Wissensrepertoire und diese werden aktiv filmisch bearbeitet, also immer auch spezifische Ausdeutungen produziert – ist Lüdekers Unterscheidung für mich nicht hilfreich. Darüber hinaus lässt Lüdekers Konzept keinen Platz für die Aushandlungsprozesse, um die es mir hier geht: Es soll nicht gezeigt werden, wie eine hegemoniale Konstruktion in größtmöglicher narrativer und symbolischer Schließung ›verbindlich‹ wird, sondern es soll um die vielfältigen und verwobenen Prozesse von Affirmation und Subversion, die Prozesse des Annehmens und Infragestellens mit filmischen Mitteln gehen, die in den Filmen relevant werden. Daher eignet sich Mecherils Konzept der natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit, welches diesen Prozessen Raum ermöglicht.

2. Theorien zum Zusammenhang von Nation, Ethnizität, Gender und Sexualität

Mit ›Zugehörigkeit‹ werden Konzepte wie ›Identität‹ oder ›Staatsangehörigkeit‹, Subjekt- und Kollektivebene gleichzeitig angerufen, ohne sich nur auf Eine zu beziehen. So kann auf das Spannungsfeld von Selbst- und Fremdverortung, Subjekt und Institution, Imaginationen und Praktiken sowie deren komplexe Zusammenhänge verwiesen werden10 . Ähnlich bezieht sich auch Jerry White auf den Zugehörigkeitsbegriff, wenn er von national belongings anstatt Nation oder nationaler Identität in Bezug auf seinen Vorschlag der Neubestimmung des Begriffs des nationalen Kinos spricht (vgl. White 2004) (siehe hierzu auch Kapitel 3.2). Dennoch ist zu bedenken, dass das Denken in ›Zugehörigkeit‹ unter Bezug auf vermachtete Kategorisierungen in den Worten Isabell Loreys auch »naturalisierende[…] und hierarchisierende[…] Effekte« (Lorey 2008: 138) haben kann. Über ›Zugehörigkeit‹ können hegemoniale kollektive Ordnungen hergestellt werden, die bestimmte Subjekte als ›dazugehörig‹ konstruieren, zur Norm erheben und ins Zentrum der Ordnung stellen, dabei andere ausschließen bzw. als Abweichung der Norm konstruieren. Eine so konstruierte Ordnung wirkt essenzialisierend und hat »Abwertungs- und Ausgrenzungsprozesse zur Folge« (Meißner 2019: 15). Für Isabell Lorey stellen nur »subjektive wie kollektive Praxen des Entziehens« (Lorey 2008: 145), die Verweigerung der Kategorien, also eine Art Nicht-Zugehörigkeit eine Möglichkeit dar, sich der Macht der Konstruktion von Kategorien der Zugehörigkeit zu entwinden. Dieser dekonstruktivistische, auf sozialpolitische Interventionen zielende Ansatz ist für meine Analyse jedoch nur bedingt sinnvoll und einsetzbar, da die hier analysierten Filme gerade Zugehörigkeiten sowohl mobilisieren als sich diesen zu entziehen versuchen, immer wieder jedoch ein Oszillieren zwischen Affirmation und Subversion in der Auseinandersetzung mit der Zugehörigkeitsordnung die Filme prägt. Einen anderen Weg über Zugehörigkeit zu denken schlägt Kerstin Meißner in Relational Becoming (2019) vor und kann den Zugehörigkeitsbegriff in seiner Komplexität erfassen und produktiv machen. Ihrer Konzeptualisierung von Zugehörigkeit folge ich hier. Sie nimmt keine identitäre Perspektive ein, aber betont trotzdem Zugehörigkeit im Sinne einer durch feministiche New Materialism-Ansätze geprägte »Ko-existenz« (Meißner 2019: 13) und sieht Zugehörigkeit als doppelt und ambivalent besetzt. In dieser Perspektive beschreibt Zugehörigkeit keinen Zustand, sondern »relationale Prozesse der Anbindung und Loslösung […] und ein Doing Belonging […]« (Meißner 2019: 11) bzw. »Zugehörigkeitspraktiken und -erfahrungen« (ebd.). Dadurch möchte Meißner das Konzept der Zugehörigkeit von seiner »Ursprünglichkeit und Natürlichkeit […] befreien« (ebd.), um es repolitisieren zu können (vgl. Meißner 2019: 11). Indem sie praxistheoretisch die Prozesshaftigkeit von Zugehörigkeiten in den Blick nimmt, wird es möglich, Zugehörigkeit nicht auf einer Skala von Struktur und Handlungsfähigkeit verorten zu müssen, sondern sie als »trans-aktionale Praxis und damit als Erfahrung des Mit-Seins und des Mit-Werdens« (Meißner 2019: 12) zu verstehen. So könnten das menschliche Bedürfnis nach ›Sich-Zugehörig-Fühlen‹ und die Einbindung in homogenisierende vermachtete

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Auch grenzt sich der Begriff der Zugehörigkeit von dem der Identität ab, dem Konnotationen von Essenzialismus und Krisenhaftigkeit anhängen auch wenn sie anti-essenzialistische gewendet und dekonstruiert wurden (vgl. Hall 1996: 596; vgl. Brubaker/Cooper 2000), aber nicht, um sich diesem zu entziehen, sondern um ihn produktiv zu verkomplizieren.

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Zuschreibungsprozesse zusammengebracht werden, um Zugehörigkeit als »sowohl Ursache als auch Effekt sozialer Praktiken des Mit« (Meißner 2019: 11) zu denken. Die hieraus entstehende Ambivalenz steht dabei im Mittelpunkt von Meißners Zugehörigkeitskonzept. Zugehörigkeit gedacht als Zusammenspiel aus Körpern, Diskursen, Selbst- und Fremdwahrnehmung bedingt damit auch ein nie gänzlich Zugehörig-Sein-Können, da Zugehörigkeit immer nur kontextspezifisch bestimmt werden kann und Aushandlungen bedarf (vgl. Meißner 2019: 14). Ähnlich konzipiert auch Joanna Pfaff-Czarnecka unter Bezug auf Rogers Brubaker und Frederick Cooper (2000) den Zugehörigkeitsbegriff. Auch wenn sie belonging (ein Begriff, den sie synonym zu ›Zugehörigkeit‹ verwendet) zunächst eher statisch als »Aufgehobensein in einem vertrauten sozialen Raum« (Pfaff-Czarnecka 2012: 19) konzipiert, kommt sie zu einem prozessualen und relationalen Verständnis von Zugehörigkeit bzw. belonging, das »kollektivierende Eindeutigkeiten in Frage [stellt] und […] kollektive Identitäten bloß als mögliche Form von Gemeinsamkeit« (Pfaff-Czarnecka 2012: 24) ansieht und gleichzeitig die Wirkmacht der »Politiken der Zugehörigkeit« (Pfaff-Czarnecka 2012: 25) betont. In Anlehnung an Pfaff-Czarnecka, Meißner und Mecheril lässt sich (natio-ethno-kulturelle) Zugehörigkeit somit als Zusammenspiel von Vorstellungen, Praktiken und Erfahrungen im Spannungsverhältnis zwischen hegemonialen homogenisierenden Ordnungen und Prozessen diskursiver Aushandlung von Identitäten, die in Ambivalenzen und Ambiguitäten eingebunden sind, verstehen; kategoriale und kollektivierende Anrufungen von Nation, Gender, Sexualität, Race oder Ethnizität spielen dabei als wirkmächtige Ordnungsprinzipien eine bedeutende Rolle, die in ihrem Zusammenwirken »spezifische Dominanzverhältnisse« (Mecheril 2003: 23) hervorbringen. Pfaff-Czarnecka, Meißner und Mecheril zusammengedacht ermöglichen mir eine theoretische Einbettung, die die Frage nach der Aushandlung natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und je spezifische Inszenierungsweise und Mobilisierung im Film an der Schnittstelle von Figur und Erzählweise, die diese mit der Ebene des Kollektivs verbinden sowie im Oszillieren zwischen hegemonialer Anrufung und emanzipativer Umformung analysierbar macht. Oft wird Zugehörigkeit im Zusammenhang mit Migration thematisiert (vgl. Meißner 2019: 42), so auch bei Meißner und Mecheril. Reise-, Migrations- und Grenzmotive bzw. Motive des Migratisiert-Werdens11 sind Bestandteile aller analysierten Filme und für sie alle mehr oder weniger relevant. So werden in den Filmen beispielsweise Migrationserfahrungen bzw. Migratisierung im Kontext des ›Auswanderns‹, Reisens oder des Alltagsrassismus und diasporischer Erfahrungen thematisiert. Gleichzeitig soll Zugehörigkeit nicht auf Migrationserfahrungen reduziert werden (ebd.) und damit auch vermieden werden, Fremdheitszuschreibungen zu reproduzieren, weshalb sie zwar als Bestandteil von, aber nicht als gleichbedeutend mit Zugehörigkeitsverhandlungen gesehen wird. Dennoch stellt der Komplex ›Migration‹ in der »Migrationsgesellschaft« (Mecheril 2016) eine bedeutende Perspektive bei der Aushandlung von Zugehörigkeitsverhältnissen und somit auch nationale Selbstbilder dar. Dabei würden unter anderem 11

Alyosxa Tudor definiert ›migratisiert‹ folgendermaßen: »Migratisiert sind Personen, denen ›Migrationshintergrund‹ oder ›Migrationserfahrung‹ zugeschrieben werden, statisiert sind diejenigen, denen Nichtmigration – also Station – zugeschrieben wird« (Tudor 2014: 399).

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»Geschlechterverhältnisse als thematische Arena der Konstruktion von natio-ethnokulturell kodierten Hierarchien, der Umstand, dass in immer mehr Staaten die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft auch nach Emigration und Einbürgerung möglich ist, die Auseinandersetzungen um die Frage, wer ›wir‹ sind, die Pluralisierung von kollektiven Erinnerungsnarrativen etwa mit Bezug auf die Shoa oder Antisemitismus oder die zuweilen an rassistische Konstruktionen des und der Anderen anschließende Form der Unterscheidung von Menschen« (Mecheril 2016: 5) relevant. ›Migrationsgesellschaft‹ sehe ich, wie erwähnt, als Charakterisierung der Nation bzw. natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsordnung Deutschland im ausgehenden 20. und im 21. Jahrhundert in »allgemeine[r] Perspektive« (Mecheril 2016: 15). Es wird also deutlich, dass, auch, wenn Zugehörigkeit nicht nur auf Migration reduziert wird, das nationale Territorium, der Raum, in dem sich Subjekte bewegen und die Frage, welche Subjekte Zugang zu welchem Raum erhalten, wie sie sich in diesem bewegen können und wer welche nationalen Grenzen überschreiten kann, zentrale Orte in der Aushandlung und Produktion von Zugehörigkeitsordnungen einnimmt. So stellt auch Mecheril fest, dass »[n]atio-ethno-kulturelle Kontexte […] imaginierte Räume mit territorialer Referenz« (Mecheril 2003: 25, Herv.i.O.) darstellen, die aufgrund der in sie eingelassenen Herrschaftsverhältnisse und die Widerstände gegen diese »umkämpfte[…] und sich wandelnde […]« (ebd.) Räume darstellen. Filme sind in diesem Zusammenhang so bedeutend, da Film die Sehnsucht nach nationaler Zugehörigkeit entscheidend mit als begehrenswert hervorgebracht hat (vgl. Kapitel 3 und 4). So muss die Verhandlung von (natio-ethno-kultureller) Zugehörigkeit ernst genommen und als ein wichtiges (politisches) Bedürfnis an der Schnittstelle von Imaginationen, Bildern und Identitätsdiskursen erfasst werden.

Nationales Denken und Deutschland Für Deutschland war nationales Denken immer schon an völkisches Denken gebunden, hatte also immer schon eine ausgeprägte ethno-kulturelle Komponente. Auch wenn die nationale Idee allgemein ursprünglich als »antiständische, egalitäre Befreiungsideologie« (Langewiesche 1994: 7) wirkte, wandelte sie sich im 19. Jahrhundert jedoch zu einer rechtsgewandten Ideologie (Langewiesche 1994: 14) bzw. war die revolutionäre Wurzel des nationalen Gedankens in Deutschland von je her viel geringer ausgeprägt, als dies beispielsweise in Frankreich der Fall war (vgl. Mense 2017: 9). Für die Überwindung der deutschen ›Kleinstaaterei‹ brauchte es ein Subjekt, auf das sich in bezogen werden, das als ›deutsches‹ angesprochen werden konnte, wodurch das ›Volk‹ entstand bzw. ersonnen wurde. In der ideologischen Ausarbeitung dessen, was ›die deutsche Nation‹ sei und zu bedeuten habe, waren vor allem Johann Gottfried Herder, Wilhelm von Humboldt und der extreme Nationalist Johann Gottlieb Fichte federführend – sie alle konzipierten die Nation als homogene Gemeinschaft (ein ›Volk‹) mit gemeinsamer Abstammung, Geschichte, Sprache, Kultur (Bräuche, Riten) und einem Territorium (vgl. Herder 2015 [1779]; Fichte 2008 [1808]; von Humboldt 1973 [1820]). Der Volksbegriff war damit bereits von Beginn an eine konstitutive Größe im deutschen Nationalismus. Figuren wie Friedrich Ludwig Jahn und Ernst Moritz Arndt trugen dazu bei, den Volksgedanken germanozentrisitsch (also ethnozentristisch) mit antisemitischem Gedankengut aufzuladen, wobei das Volk als Abstammungsgemeinschaft bzw. Blutsgemeinschaft (ius sangui-

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nis) immer stärker in den Vordergrund rückte (vgl. Kellersohn 2018: 62). Damit war der Grundstein für völkischen Nationalismus in Deutschland, als extrem rechte Spielart des Konzepts der Nation, gelegt, der seine Institutionalisierung als Herrschaftsform im Nationalsozialismus fand. Dieses Verständnis von Nation in Deutschland hat Kontinuitäten bis in die Gegenwart. Mit der Nation ist in Deutschland also auch immer die Vorstellung einer »ununterbrochenen Blutslinie von den Germanen bis zu den Deutschen von heute« (Widmann 1994: 175) verbunden. Auch wenn Deutschland seit der deutsch-deutschen Vereinigung 1989 in beiden Teilen demokratisch verfasst ist, hängen neurechte Strömungen auch heute noch völkischen Ideen an, aber auch das bis 2000 ausschließlich geltende Abstammungsprinzip bezeugt die rechte Wurzel deutschen Nationaldenkens. Wie Wolfgang Kaschuba beschreibt, ist nach 1989 in Deutschland, aber auch in Europa insgesamt, im Lichte von Globalisierungs- und Migrationsprozessen ein Bedrohungsszenario aufgebaut worden, das eine »doppelt fundamentalistische Politik« verschärft, welche die vermeintlich ethnische Basis in Nationen mobilisiert und auf Homogenisierung im Innern abzielt, damit diese nach außen hin verteidigt werden kann (vgl. Kaschuba 2001: 20). Dazu würde mit »Geschichte, Herkunft [und] kultureller Authentizität« argumentiert und symbolische wie mediale Inszenierungen dieser die Neuausrichtung der Nation im ›kollektiven Gedächtnis‹ verankert (vgl. Kaschuba 2001: 20f.). Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 03.10.1990 unter der Dominanz der BRD, die hiermit einherging, wurde einerseits das historische Bild der deutschen Nation als »auf struktureller Ebene in dem an der Abstammung orientierten Staatsbürgerschaftsrecht […], auf kultureller Ebene in autoritären und etatistischen Traditionen, Anti-Parteienaffekten und geringer Konfliktakzeptanz sowie mit ethnisch-kulturellem Selbstverständnis korrespondierender Fremdenfeindlichkeit« (Westle 1999: 43) identifizierten weiter fortgeschrieben, andererseits bildeten sich Individualisierungstendenzen in Richtung Flexibilisierung und Diversifizierung von Geschlechter-, Begehrens- und Lebensformen weiter aus, welche in einem widersprüchlichen Verhältnis zu besagten Traditionslinien stehen. Im hegemonialen Diskurs blieb die (Körper-)Metapher der Einheit vorherrschend, bei der ein Zusammenkommen von Ost und West propagiert wurde (vgl. Pontzen 2015), in dieser jedoch ungleiche Machtverhältnisse vorherrschten (vgl. Goel 2010) und z.B. migratisierte Körper aus der Imagination komplett ausgeschlossen wurden (vgl. Schrader 2015: 9ff.). Damit einhergehend schritt seit der deutschen Einheit prozesshaft die »Normalisierung der deutschen Nation« (Lohl 2014: 181) voran. Jan Lohl beschreibt diesen Prozess in seiner Auseinandersetzung mit deutschem Nationalismus nach der Vereinigung aus sozialpsychologischer Sicht und gibt dabei wichtige Anhaltspunkte für ein Verständnis des Normalisierungsdiskurses. Dabei bezieht sich Lohl u.a. auf die ältere kritische Theorie, die der Nation im Kapitalismus die Funktion zuschreibt, ein Identifikationskollektiv zum emotionalen Bearbeiten der Ängste und Verletzungen, die der Kapitalismus erzeuge, bereitzustellen. In dieser Argumentation eröffnet die Besetzung einer Subjektposition der Nation die Möglichkeit »kollektivem Narzissmus, d.h. zu einem Gefühl kollektiver Macht und Größe, die sie als Einzelne [offizialisierte Mitglieder der Nation] nicht haben« (Lohl 2014: 197) hervorzurufen. Die Zugehörigkeit

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zum historischen Kollektiv des Nationalstaats kann ein Sicherheitsgefühl entstehen lassen, welches besonders im Neoliberalismus, der durch den Zwang zur Selbstoptimierung und -bewertung Gefühlsstrukturen der Unzulänglichkeit produziere, erneut an Relevanz gewinne (Lohl 2014: 199). Gleichzeitig mussten Strategien des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und der Teilung gefunden werden, die es erlaubten, sich nach 1989 als eine Einheit zu imaginieren und sich auf ein Kollektiv mit positiver Konnotation zu beziehen. Die diskursive Konstruktion der Nation nach 1989 als ›normalisiert‹ ermögliche, wie Lohl ausführt, beides. Zentral für diesen Prozess sei hierbei die »Vorstellung, dass ihre nationalsozialistische Vergangenheit aufgearbeitet sowie Schuld und Täterschaft anerkannt sind« (Lohl 2014: 203). Die Schuldanerkennung funktioniere hierbei als Strategie der allmählichen Distanzierung zum Nationalsozialismus, die im vereinigten Deutschland voll verwirklicht werde und dadurch eine nationale Subjektposition produziert, die sich positiv auf den Nationalstaat beziehen könne (vgl. Lohl 2014: 204f.). Der Prozess der Schuldanerkennung wird als Fortschrittserzählung inszeniert und gleichzeitig als Distanzierung vom gespaltenen Deutschland: Nach 1945 in der Reaktion auf die NS-Verbrechen waren zunächst Schuldabwehr und das Schweigen/Verleugnen der eigenen oder familiären Geschichte und Rolle im NS vorherrschend; mit der institutionellen Abwehrkonstellation im Kalten Krieg ließ sich dann die Schuldabwehr und schließlich Entschuldung verweben, da das jeweils andere deutsche Kollektiv als Kontinuität des NS konstruiert, wohingegen das Eigene als rehabilitiert imaginiert wurde, während gleichzeitig eine Opferposition gegenüber den Alliierten eingenommen werden konnte und die Täter:innenposition in den Hintergrund gerückt wurde (vgl. Lohl 2014: 202f.). Die Teilung bot somit die Möglichkeit, »narzisstische Kränkungen von der eigenen nationalen Identität abzuspalten und der jeweils anderen Seite zuzuschlagen, während die eigene Nation als neu, wertvoll und moralisch integer verstanden werden konnte« (Lohl 2014: 203). Die Aufhebung dieser wirkte dementsprechend als Strukturverlust einhergehend mit der Suche nach einem Ersatznarrativ für Schuld und Täter:innenschaft – im Narrativ der Schuldanerkennung fand sich die Lösung, da hieraus Schuldentlastung und schließlich Normalisierung bzw. Läuterung folgen kann (vgl. Lohl 2004: 204). Dies lässt sich an den Debatten der 1990er Jahre, wie der Goldhagen-Debatte12 , der Walser-Bubis-Debatte13 und der damit 12

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Die Goldhagen-Debatte entspannte sich 1996 im Zuge der Veröffentlichung der Untersuchung des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Daniel Goldhagen, der die These vertrat, dass der Nationalsozialismus eng mit einem tief im Deutschtum verwurzelten Antisemitismus zusammenhinge, der seit dem 19. Jahrhundert eliminatorische Züge besaß (vgl. Fischer 2017: 317f.). Die der Veröffentlichung folgende breite Mediendiskussion mündete in einem »Abwehrkonsens« (Fischer 2017: 318) in der Medienlandschaft und trug zu einem »neuen deutschen Opferdiskurs« (Fischer 2017: 319) bei. Die Debatte entspannte sich im Nachgang einer Rede von Martin Walser im Herbst 1998, der beklagte, das NS-Vermächtnis werde als ›Moralkeule‹ instrumentalisiert und hierfür zunächst breite öffentliche Zustimmung erhielt (vgl. Lorenz 2017: 320). Der damalige Präsident des Zentralrats der Deutschen Juden Ignatz Bubis kritisierte Walser scharf und warf ihm vor, den Wunsch nach einem nichtjüdischen deutschen Schlussstrich zu befeuern (ebd.). Auch die Antisemitismusforschung wies Walsers Rede Täter-Opfer-Umkehr nach (vgl. Lorenz 2017: 321). Die Debatte ebbte nach Bubis’ Tod 1999 ab. Walser versuchte sich über die folgenden Jahrzehnte hinweg, immer wieder zu rehabilitieren (vgl. Lorenz 2017: 321f.).

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einhergehenden Schlussstrichdiskussion, der Konstruktion einer Täter:innenschaft der Jüd:innen oder des deutschen Opferdiskurses, in Zuge dessen sich eine Diskursverschiebung abzeichnete, die den Deutschen einen Platz in der Geschichte als Opfer der nationalsozialistischen Eliten einräumen sollten (vgl. Russo 2017: 380), deutlich ablesen. Mit diesem neuen »nationalen Konsens« (Messerschmidt 2008) der Schuldanerkennung konnte eine Erzählung einer Nation als »Weltmeister [sic!] […] der Vergangenheitsbewältigung« (Lohl 2014: 213) kreiert werden, mit der sich ein positiver Selbstbezug wiederherstellen ließ. Hiermit zusammenhängend müssen rassistische Debatten über Migration bzw. ›Integration‹ und ›deutsche Leitkultur‹ gesehen werden, die die ethnokulturelle Wurzel des deutschen Selbstverständnisses wieder zum Vorschein bringen und erneut zeigen, dass »das deutsche nationale Selbstbild […] sich traditionell über kulturelle Abgrenzung« (Czollek 2018: 65, Herv.J.R.) erzeugt. Der öffentliche Diskurs über die ›Andersheit‹ von ›Kulturen‹ (aus dominanzkultureller14 Perspektive) wird so zum Kristallationspunkt von Abwehrreflexen in der postnationalsozialistischen und gleichzeitig postmigrantischen Gesellschaft. Rassismus, der sich in der Debatte der letzten Jahrzehnte oft als anti-muslimischer gezeigt hat, wird verschleiert, während er gleichzeitig einen Platz auf der öffentlichen Bühne einnehmen kann. Da Rassismus mit dem NS in Verbindung gebracht wird, wird in Deutschland »kaum etwas so sehr [ge]fürchtet wie die Diagnose, rassistisch zu sein« (Messerschmidt 2008: 43), daher muss Rassismus unsichtbar gemacht und als »kulturelle […] Unvereinbarkeiten« (ebd.) diskutiert werden. In diesem Prozess, der bereits als allgemeiner angesprochen und nun auf den deutschen Kontext bezogen wird, wird ›Kultur‹ für nationale Selbstvergewisserung, die in ein weißes, deutsches, christlich(-sekulär)es ›Wir‹ und ein nicht-weißes, muslimisches oder ›migrantisches‹ ›Nicht-Wir/Andere‹ aufspaltet, instrumentalisiert und in Stellung gebracht (vgl. Messerschmidt 2008). Gleichzeitig wird bzw. muss in dieser Logik die fehlende Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen gesehen werden, die im Gegensatz zum NS nicht anerkannt, sondern weiterhin verschwiegen, entnannt oder geleugnet werden (ebd.). Ein Selbstverständnis als »postkoloniale« und »postnationalsozialistische«15 Nation (vgl. Messerschmidt 2008) fehlt weitestgehend, auch ein Selbstbild als Einwanderungsland, das lange bestritten wurde16 , beginnt sich 14

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Birgit Rommelspachers Konzept der Dominanzkultur nimmt die Strukturierung der Gesellschaft durch Kategorien der Über- und Unterordnung an. Das Leben in einer Dominanzkultur bedeutet für sie »die Internalisierung meist unbewußter [sic!] Strategien, das Bemühen, die Privilegien und die eigene Vormachtstellung zu erhalten und auszubauen mithilfe ständiger Hierarchisierungen entsprechend der hier herrschenden kulturellen Normen in allen Bereichen des Lebens« (Rommelspacher. 1994: 22f.). Astrid Messerschmidt plädiert in diesem Zusammenhang für eine »doppelte Perspektive, bei der Nachwirkungen kolonialer und nationalsozialistischer Welt- und Selbstbilder in den Blick genommen und unterschieden werden« (Messerschmidt 2008: 56, Herv.i.O.). In der deutschen hegemonialen Debatte um Migration werden die dichotomen Figuren der ›Deutschen‹ und der ›Ausländer‹ gegeneinander in Stellung gebracht (vgl. Heidenreich 2015: 48). Migration wird in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg größtenteils als Arbeitsmigration gedacht, was auf eine »›Stunde-Null‹-Narration« (Heidenreich 2015: 30) zurückzuführen ist, in deren Logik Migration nach Deutschland mit dem Anwerberabkommen 1955 begonnen hatte, wodurch Kontinuitäten von Migration und die Geschichte ihrer Regulierung ausgeblendet sowie gleichzeitig in den Dienst des Gründungsmythos einer Erzählung des (nicht-faschistischen und -rassisti-

2. Theorien zum Zusammenhang von Nation, Ethnizität, Gender und Sexualität

sehr schleppend und mit vielen Widerständen in der deutschen Dominanzgesellschaft zu etablieren. Aus genannten Überlegungen wird einerseits deutlich, wie Nationen Erzählungen über sich selbst streithaft und in vielen Debatten aushandeln, um hegemoniale nationalistische Geschichtsdeutung herauszubilden oder zu stabilisieren, wie mediale Produkte sich darin einschreiben oder diese umschreiben können und andererseits auch der Blick darauf gelenkt, wie diese Narrative subversiv ›von den Rändern her‹ unterlaufen werden können, wie sich in den Ambivalenzen Räume für die Herausforderung dieser Narrative eröffnen können, im Schreiben der Nation, aber auch durch einen nicht-oppositionellen Blick auf Globalisierung, in dem Nation und Globalisierung als ineinander verschränkte Prozesse verstanden werden. Allen genannten Konzipierungen von Nation ist zudem eines gemein: Sie sehen die Nation als historisch kontingentes Gemachtes und verweisen auf ihren soziokulturellen, diskursiven Konstruktionscharakter sowie darauf, dass politische Ordnungen in der Moderne wesentlich auf Imaginationen und Erinnerungen angewiesen sind. Die imaginierte Nation kann dabei als Assoziationsraum gedacht werden, der als »System kultureller Repräsentationen« (Hall 1994: 200) über Symbole, Geschichten, Erinnerungskultur bzw. kollektivem Gedächtnis in unterschiedlichen Medien diskursiv verhandelt wird. Filme können demnach als Medien, die »Erzählungen der Nation« (Figge 2015: 16) produzieren, gedacht werden (näher zum Zusammenhang von Nation und Film in Kapitel 3.2). Aus diesen Ausführungen ergibt sich ein Verständnis von Nation als wirkmächtiger, aber kontingenter, wandelbarer Ordnung, die sich im ausgehenden 20. Und 21. Jahrhundert als migrationsgesellschaftlich/postmigrantisch geprägte, natio-ethno-kulturell kodierte Zugehörigkeitsordnung darstellt, deren postnationalsozialistischer und postkolonialer Charakter (ohne ›Schlussstrich‹) in Deutschland im dominanzgesellschaftlichen Diskurs oft entnannt wird. Diese Konzipierungen sind für mich relevant, da ich die verschiedenen inszenierten doing belongings in den Filmen herausarbeite und auf ihre Ambivalenzen bezüglich der Bearbeitung nationaler bzw. natioethno-kultureller Zugehörigkeitsverhältnisse hin untersuche und damit versuche, mich den je aktuellen politischen Bedürfnissen, die die jeweiligen Filme zum Ausdruck bringen, anzunähern. Dabei wird die Verhandlung der Verflechtungen von natio-ethno-kulturellen und sexuellen (und damit auch vergeschlechtlichten) belongings interdependent – wie in Kapitel 1 erläutert – in den Blick genommen.

schen) nationalen Neuanfangs in der BRD nach dem Nationalsozialismus gestellt werden konnten (vgl. Heidenreich 2015: 25ff.). Nach der deutsch-deutschen Vereinigung, im Lichte von Änderung der nationalstaatlichen Grenzen, neoliberalem Umbau der ehemaligen DDR gepaart mit dem nationalistisch-rassistischen Diskurs, der Deutschland als homogene Einheit weißer Deutscher sah, spitzten sich diese Debatten auf tragische Weise in den gewaltsamen Angriffen auf Migratisierte zu (vgl. Halle 2008: 138). Das Narrativ, dass Deutschland ›kein Einwanderungsland‹ sei, geht jedoch noch weiter in der Geschichte zurück, besagte dies bereits die ›Verwaltungsvorschrift zum Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz‹ von 1913, welche bis 1990 noch ohne Einschränkungen wirksam war (vgl. Meier-Braun 2017: 17). Erst 1999 wurde in einer Broschüre der Regierung zu den Neuerungen im Staatsangehörigkeitsrecht – bei denen mit erleichterten Einbürgerungsbestimmngen für Kinder von Migrant:innen in Deutschland zum ersten Mal vom Abstammungsprinzip (ius sanguinis) abgewichen wurde – erstmals von öffentlicher Stelle aus anerkannt, dass »Deutschland […] schon längst zum Einwanderungsland geworden« (Meier-Braun 2017: 18) ist.

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2.2 Theoretisierung, Historisierung und Politisierung von (Homo-)Sexualität – zum Anliegen und der Herausbildung von ›Queer‹ und der Queer Theory Der Begriff Queer entstammt dem deutschen ›verquer‹, wurde im 16. Jahrhundert in den englischen Sprachgebrauch übernommen und ist dort seit dem 20. Jahrhundert als Schimpfwort für ›lesbisch‹ oder ›schwul‹ verwendet worden (vgl. Kraß 2005: 17), wurde aber in den 1990er Jahren als positive Selbstbezeichnung schrittweise wieder angeeignet. Die Queer Theory entstand in den 1990er Jahren zunächst im US-amerikanischen Kontext und stellte einen Kurswechsel in geschlechts- und sexualitätstheoretischen Debatten in Wissenschaft und Aktivismus dar (vgl. Raab 2011: 55). Als Reaktion auf und Weiterentwicklung von identitätsbasierten schwul-lesbischer sexueller Minderheiten- bzw. Integrationspolitiken versuchte die Queer Theory Identitätslogiken zu problematisieren und mit Bezug auf Poststrukturalismus und Dekonstruktion binäre Modelle von Gender und Sexualität zu hinterfragen. Im Gegensatz zu einer Anerkennungspolitik für LGBT* will Queer als Konzept, das sich nicht auf Identität, sondern Anti-Normativität bezieht, kein Aufnehmen in den politischen und ökonomischen Mainstream erreichen, sondern hinterfragt das dieser Politik zugrundeliegende Denksystem und zielt auf die Infragestellung immer wieder neu produzierter Normen (vgl. Loist 2018: 38). Insgesamt stellt die Queer Theory kein zu vereinheitlichendes Projekt dar, sondern eine produktive und im Fluss bleibende Strömung, innerhalb derer unterschiedliche und sich teils widersprechende Ansätze zusammenlaufen (vgl. Laufenberg 2018: 1f.). Da Queer Theory auch in eingem Zusammenhang mit politischem Aktivismus steht, werden auch die politischen Entwicklungen Eingang in die folgenden Beschreibungen finden.

Die Politisierung von Sexualität Im Jahr 1970, im gesellschaftlichen Klima Neuer Sozialer Bewegung und sexueller Revolution, politisierte Kate Milletts Arbeit Sexual Politics zum ersten Mal die Kategorie Sexualität als Herrschaftsverhältnis (vgl. Raab 2011: 57). Sexualität wird hier als unterdrückendes patriarchales Verhältnis gedacht, woraus sich ein gesellschaftlich zwangsheterosexuelles Verhältnis ergibt, dem die Ausbeutung und Unterwerfung der Frau unter den Mann zu Grunde liegt (vgl. Millett 2000 [1969]: 23ff.). Anknüpfend an die ›Entdeckung‹ von Sexualität als sozialer Ordnungskategorie, sehen auch Adrienne Rich und Catharine MacKinnon Sexualität als Unterdrückungverhältnis, ein Denkansatz, der als ›Repressionshypothese‹ bekannt wurde. Ihre Ausführungen bilden Basistexte für sich anschließende (lesbisch-)feministische Theoretisierungen (vgl. Raab 2011: 58). Während MacKinnon aus marxistischer Perspektive Sexualität im Patriarchat analog zu Arbeit im Kapitalismus bestimmt (vgl. MacKinnon 1989: 3ff.), versucht Rich mit dem Konzept der Zwangsheterosexualität zu zeigen, dass Lesben aufgrund der Wirkmacht dieses Denksystems immer wieder invalidiert, marginalisiert oder nicht ernst genommen werden (vgl. Rich 1980: 632). Heterosexualität als Institution sieht sie als Basis männlicher Dominanz und Herrschaft an (vgl. Rich 1980: 633) und argumentiert, dass (Zwangs-)Heterosexualität als politische Institution erkannt und analysiert werden müsse (vgl. Rich 1980: 637). Männliche Dominanz beinhalte u.a. die Kontrolle weiblicher Sexualität und Körper, die Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft, das Abschotten von oder den Raub des Wissens

2. Theorien zum Zusammenhang von Nation, Ethnizität, Gender und Sexualität

von Frauen sowie die Restriktion des Bewegungsradius von Frauen (vgl. Rich 1980: 638f.). All diese Facetten tragen nach Rich zur Zwangsheterosexualität bei, bei der Frauen davon ›überzeugt‹ bzw. belogen würden, dass nur Heterosexualität die einzige Option für sie sei (vgl. Rich 1980: 639;657). Zwangsheterosexualität avanciert damit zur zentralen Kategorie bei der Machtausübung von Männern über Frauen. Lesbische Existenz stehe hierbei für einen Tabubruch und eine Zurückweisung der vorgesehenen Rolle als heterosexuell Begehrende und damit Unterdrückbare (vgl. Rich 1980: 649). Gleichzeitig betont Rich auch den enormen emotionalen und ökonomischen Aufwand sowie die Gefahr, die es bedeutet, ein Leben zu führen, das sich auf keine vorgegebenen und tradierten Muster stützen kann (ebd.). Damit wird deutlich, dass es sich nicht um eine harmlose ›Präferenz‹ handelt, sondern um ein vermachtetes System, das alle gesellschaftlichen Sphären durchdringt. Auch Gayle Rubin (2005 [1984]) betonte Sexualität als soziales Stratifikationssystem und argumentiert – an der Repressionshypothese festhaltend – dass abweichende Sexualität in der Spätmoderne unterdrückt würde (vgl. Rubin 2005 [1984]: 31). Sexuelle Verhältnisse sieht sie als ein ständiges Kampffeld zwischen dominanzkulturellen Institutionen und Betroffenen und deren Verbündeten (vgl. Rubin 2005 [1984]: 63). Moral Panics, Momente, in denen sich Sex-Diskurse verdichten und verändern, sieht sie dabei als Transformationskatalysatoren politischer Kämpfe und Prozesse (vgl. Rubin 2005 [1984]: 67) und plädiert dafür, Gender und Sexualität getrennt voneinander zu betrachten und ein umfassendes Begriffsrepertoire über das sexuelle System Bestandteil des Instrumentariums gesellschaftlicher Analyse werden zu lassen (vgl. Rubin 2005 [1984]: 32ff.). Diese wichtigen Überlegungen von Millett, MacKinnon, Rich und Rubin bilden gleichzeitig die Basis für weitere Theoriearbeit wie auch die Grundlage von Foucaults Kritik der Repressionshypothese und seiner Beschreibungen der Herausbildung von (Homo-)Sexualität, die einen ersten Paradigmenwechsel herbeiführte und einen wichtigen Bezugstext der Queer Theory bildet.

Herausbildung der Queer Theory und soziale Bewegungen für LGBTIQ*-Rechte Mit Foucaults Der Wille zum Wissen: Sexualität und Wahrheit 1 von 1983 wandelt sich das Verständnis von Sexualität: Mit seiner Beschreibung des ›Sexualitätsdispositivs«17 , welches sich als Produktionsapparat von Diskursen über den Sex, darstellt (vgl. Foucault 1983: 29), nimmt er eine Kontextualisierung und Historisierung von Sexualität vor und widerspricht der Repressionshypothese. Er zeigt, wie Sexualität nicht repressiv unterdrückt, sondern Diskurse über Sexualität seit dem 19. Jahrhundert durch die Entstehung der staatlichen Institutionen und Ausdifferenzierung der Humanwissenschaften auf vielfältige Weise produziert wurden, immer eingebunden in jeweilige Macht- und Wissenssysteme und -mechanismen (vgl. Foucault 1983). Damit historisiert er Sexualität nicht nur, sondern entnaturalisiert das Verständnis von Sexualität, die durch eine Aufteilung in normale und abnormale Sexualitäten vorgenommen wird, um die Individuen

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Foucault beschreibt hier vier Bereiche institutioneller Maßnahmen: »Hysterisierung des weiblichen Körpers«, »Pädagogisierung des kindlichen Sexes«, »Sozialisierung des Fortpflanzungsverhaltens«, »Psychiatrisierung der perversen Lust« (vgl. Foucault 1983: 103f.).

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und die Bevölkerung disziplinieren zu können (vgl. Foucault 1983: 128)18 . Sexualität befindet sich hierbei an der Schnittstelle »von ›Körper‹ und ›Bevölkerung‹« (Foucault 1983: 142). Daran anknüpfend wird Sexualität immer mehr als historisch kontingente Konstruktion und spezifische Konfiguration in sich immer verändernden Mustern der Organisation von Begehren und damit auch als politisches Kampffeld gesehen (vgl. bspw. Kraß 2005; Weeks 1999)19 . Jedoch trug Foucault nicht nur zur Historisierung und Entnaturalisierung von Sexualität bei, er zeigt auch den Wandel im Verständnis gleichgeschlechtlicher sexueller Praktiken auf: Während bis ins 19. Jahrhundert im Sodomiediskurs sexuelle Handlungen nicht differenziert und diese – soweit sie nicht der Reproduktion gedient haben – als sündhaft und verbrecherisch eingestuft wurden, wurden sie nun pathologisiert und als körperliche und mentale Eigenschaft eines Individuums gesehen. Foucault bringt dies auf den Punkt, wenn er schreibt: »Der Sodomit war ein Gestrauchelter, der Homosexuelle ist eine Spezies« (Foucault 1983: 18). ›Der Homosexuelle‹ wurde nun zu einer Persönlichkeit mit Vergangenheit und Anatomie, Charakter und Physiologie (vgl. Foucault 1983: 47), Homosexualität zu einer Identität. Seine Sexualität wird damit zur allwährenden Präsenz und ist ihm ›eingekörpert‹, »[…] schamlos […] ins Gesicht und auf den Körper geschrieben, ein Geheimnis, das sich immerfort verrät« (Foucault 1983: 47). Die Etablierung der Figur des pathologisierten Homosexuellen hat aber auch Widerstand20 hervorgebracht und die Möglichkeitsbedingung für die Homosexualität geschaffen, »von sich selber zu sprechen, auf ihre Rechtmäßigkeit oder auf ihre ›Natürlichkeit‹ zu pochen – und dies häufig mit dem Vokabular und in den Kategorien, mit denen sie medizinisch disqualifiziert wurde« (Foucault 1983: 123). So vollzog sich also die Veränderung in der Bewertung gleichgeschlechtlicher sexueller Praktiken von einer Handlung einer Person hin zu einer Identität einer Person. Bemerkenswerterweise entstand der Begriff Homosexualität damit auch nicht in Ableitung von Heterosexualität, im Gegenteil wurde Heterosexualität als Kategorie erst einige Zeit später eingeführt (vgl. Fuss 2013 [1991]: 4). Damit wird deutlich, dass auch die hegemonial naturalisierte und universalisierte Kate-

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Foucault bringt das in Verbindung mit der Herausbildung der Bio-Macht. Bio-Macht beinhaltet die Praktik »Kräfte hervorzubringen, wachsen zu lassen und zu ordnen, anstatt sie zu hemmen, zu beugen oder zu vernichten« (Foucault 1983:132) wie es mit der Disziplinarmacht der Fall war. Es entstand nach Foucault ein Bewusstsein darüber, dass, um die Zukunft einer Gesellschaft zu bestimmen, das Regieren über Sexualität bedeutend war, wodurch Sexualität – auch mit wachsender Verbreitung des Kapitalismus – zu einer Sache der Verwaltung und einer Staatssache wurde (vgl. Foucault 1983: 30ff.): »[…] eine Angelegenheit, in der sich der gesamte Gesellschaftskörper und fast jedes seiner Individuen der Überwachung unterziehen musste« (Foucault 1983: 115). Foucaults Beobachtung, dass Sexualität an der Schnittstelle zwischen Subjekt und gesellschaftlicher Organisationsform liegt, wird zum Ausgangspunkt für andere Arbeiten, die zu ähnlichen Schlüssen in der Beschreibung moderner Sexualität kommen. So beschreibt Anthony Giddens Sexualität als »malleable feature of self, a prime connecting point between body, self-identity and social norms« (Giddens 1992: 15) und auch Jeffrey Weeks macht darauf aufmerksam, dass Sexualität das Individuum mit anderen Individuen, aber auch einem breiten Spektrum institutioneller Einbindungen und Regulierungen verbindet (vgl. Weeks 2017: 5). Dies leitet sich auch aus Foucaults Machtbegriff ab, innerhalb dessen Macht nicht nur als negative, sondern als produktive Kraft gesehen wird, denn: »wo es Macht gibt, gibt es Widerstand« (Foucault 1983: 116).

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gorie Heterosexualität ein kultureller Diskurseffekt und historisch kontingent ist (Jagose 2017 [1996]: 30). Andere Autor:innen schließen sich Foucaults Thesen in Bezug auf die Herausbildung der Homosexualität als Kategorie an oder widersprechen ihnen. Alan Bray führt in Homosexuality in Renaissance England (1988) das Ende des 17. Jahrhunderts als Zeitpunkt der Entstehung homosexueller Kneipen- und Subkultur (in sog. molly houses) (zumindest in englischen Städten) an und widerspricht damit Foucaults Thesen (vgl. Bray 1988: 14ff.). Er argumentiert, dass die Kategorie Homosexualität nach und nach zu einer Basis für ein Gruppengefühl wurde und hier zum ersten Mal als Lebensform auftrat (vgl. Bray 1988: 84ff.). Anders argumentiert John D’Emilio, der sich Foucault anschließt und die Entstehung der Homosexualität im späten 19. Jahrhundert verortet. Er schreibt aus einer marxistischen Perspektive und bringt Dynamiken des Kapitalismus mit der Herausbildung und Entwicklung der Homosexualität in Verbindung. Somit habe in den USA die Lohnarbeit die Grundlagen für Homosexualität als Identitätskategorie hervorgebracht, da nun Familie keine Produktionseinheit mehr war und sich somit Möglichkeiten auftaten, außerhalb der heterosexuell organisierten Familienstruktur zu stehen und dennoch den Lebensunterhalt bestreiten zu können (vgl. D’Emilio 1992: 5f.). Ähnliches beobachtet Jeffrey Weeks, der die Entstehung von Homosexualität als Kategorie auf familiäre Umstrukturierungen durch Industrialisierung und Urbanisierung zurückführt (vgl. Weeks 1999: 2). Jedoch betont er auch die Non-Linearität dieser Entwicklungen: Zwar gingen mit Veränderungen in der kapitalistischen Produktionsweise Veränderungen im Sexualleben einher, jedoch bestehe eine komplexe und nicht direkt kausale Beziehung zwischen Kapitalismus und Sexualität, da diese durch diverse gesellschaftliche Institutionen vermittelt sei (vgl. Weeks 1999: 22). So unterschiedlich diese Ansätze teilweise argumentieren, so sehr haben sie eines gemeinsam: Sie beziehen sich alle auf männliche Homosexualität, setzen diese damit als implizite Norm und blenden weibliche Homosexualität und Fragen der Überschreitung von Zweigeschlechtlichkeit aus. Da weibliche Homosexualität anders als männliche Homosexualität lange nicht kriminalisiert, sondern ignoriert wurde, nimmt sie historisch eine andere Position ein als männliche Homosexualität und brauchte länger, um eine Basis für eines gemeinsames Gruppengefühl herzustellen (vgl. Jagose 2017 [1996]: 26). Die Entwicklung moderner lesbischer Identität hat Lilian Faderman in Surpassing the Love of Men: Romantic Friendship and Love Between Women from the Renaissance to the Present (2002 [1985]) detailliert beschrieben. Faderman betrachtet Beziehungen zwischen Frauen, deren stärkste Emotionen sich aufeinander bezogen als lesbisch, auch wenn in vielen der Fälle, die sie untersucht, kein Nachweis für sexuelle Akte zwischen den Frauen gefunden werden kann. Für Faderman liegt der Grund der oft absenten Sexualität in den hegemonialen Sichten dieser Jahrhunderte, die Frauen die Erfahrung sexueller Lust absprachen, was diese wiederum internalisiert hätten (vgl. Faderman 2002 [1985]: 17f.). Sie argumentiert, dass vor dem 20. Jahrhundert romantische Beziehungen zwischen Frauen toleriert und nicht kriminalisiert oder pathologisiert wurden. (Lesbische) Frauen, die sich in Männerkleidern kleideten und damit Anspruch auf männlichen Privilegien erhoben und mit sexueller Aggressivität konnotiert wurden, wurden jedoch verfolgt (vgl. Faderman 2002 [1985]: 17). Als Reaktion auf die Frauenbewegungen wurde weibliche Homose-

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xualität allerdings umfassender pathologisiert und gesellschaftlich abgewertet (vgl. Faderman 2002 [1985]: 260). Auch Valerie Traub beschäftigt sich mit den Entstehungsbedingungen der Figur der Lesbe (vgl. Traub 1995: 85). Im Aufsatz The Psychomorphology of the Clitoris (1995) versucht sie, über das Verfolgen der erotischen Spuren zwischen Frauen zu einem nicht-essenzialistischen Verständnis von (lesbischer) Sexualität zu kommen. Traub erkennt eine strukturelle Verbindung zwischen der Klitoris und der Figur der Lesbe in ihren kulturellen Referenzen in der Moderne (vgl. Traub 1995: 82f.). Anders als die pathologisierende Verbindung zwischen Klitoris und Lesbe, die Freud vornahm, wiederanzuzeigen und die Klitoris essenzialistisch als Inbegriff lesbischer Lust zu romantisieren, schlägt Traub vor, die Verbindung von Körperteilen mit bestimmten sexuellen Vorlieben aufzuheben, um so Sexualität zu de-essenzialisieren und zu denaturalisieren (vgl. Traub 1995: 83). Dabei untersucht sie die Reiseberichte aus dem 16. und 17. Jahrhundert und kommt anders als Faderman zu dem Schluss, dass gleichgeschlechtliche Lust und Liebe zwischen Frauen sehr wohl schon immer als Bedrohung männlicher Macht wahrgenommen wurde (vgl. Traub 1995: 87ff.). Im deutschsprachigen Kontext setzt sich Sabine Hark mit der Genealogie lesbischer Diskurse auseinander. Auch sie macht in deviante Subjekte. Die paradoxe Politik der Identität (1999) darauf aufmerksam, dass die ›allgemeine‹ Homosexualitätsgeschichte lediglich die Geschichte männlicher Homosexualität darstelle. Da Diskurse um weibliche Homosexualität anderen Regeln folgten, müsse sie als eigenständige Kategorie untersucht werden (Hark 1999: 79). Nach Hark entstand weibliche Homosexualität erst Ende des 19. Jahrhunderts als wissenschaftliche Kategorie (ebd.). Eine Selbstwahrnehmung als ›lesbisch‹ entstand allerdings nicht in Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Bezeichnungen, sondern in traditionell homosozialen Frauenräumen und in der Frauenbewegung, welche sich erst nach dem 1. Weltkrieg in Großstädten wie Berlin oder Paris zu Subkulturen ausweiten konnte/n (vgl. Hark 1999: 80). Ähnlich wie Foucault sieht sie einen Wandel vom Fokus auf Praktiken hin zu Identitäten »durch die Einkörperung gleichgeschlechtlichen Begehrens in bestimmten Individuen, die dann, zusammengefaßt in einer eigenen Identitätskategorie, am Rand der hegemonialen Kultur positioniert und den normalisierenden Praktiken des modernen Willens zum Wissen unterstellt werden« (vgl. Hark 1999: 89). Wie Foucault kommt Hark ebenfalls zu dem Schluss, dass die Identitäten ›Homosexueller‹, nachdem sie erst einmal als solche in gesellschaftlichen Diskursen etabliert werden, nicht nur als Abgrenzung des ›Normalen‹ vom ›Unnormalen‹ wirkten, sondern auch politische Mobilisierung aufgrund der Identität möglich machten. Die unterschiedlichen Ansätze bieten also verschiedene Erklärungen und Historisierungen zur Herausbildung der Kategorie ›Homosexualität‹ an, sind sich jedoch alle darin einig, dass sie eine historisch kontingente und keine überzeitliche Kategorie darstellt und dass es eine Entwicklung hin von Verhalten zu Identität gab, womit sie einen wichtigen Beitrag zum Verstehen der Herausbildung der Kategorie ›Homosexualität‹ in der Moderne leisten. Einen anderen Zugang zu Queerness bietet die dekonstruktivistische Richtung an, bei der es weniger darum geht, männliche oder weibliche Homosexualität zu historisie-

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ren oder essenzialistisch zu beschreiben, sondern den Blick auf Gender und Sexualität als Diskurseffekte zu lenken. So machte sich Monique Wittig für die Denaturalisierung von Gender stark und schaffte damit Anknüpfungspunkte zu den späteren Arbeiten von Teresa de Lauretis und Judith Butler, die die Dekonstruktion der Kategorien Gender und Sexualität in den Mittelpunkt rückten. Wittig, die diese Gedanken erstmals 1979 in einem Konferenzbeitrag formulierte, möchte sich von den Essenzialisierungen des lesbischen Feminismus abwenden und zeigen, dass Gender einen Unterdrückungseffekt darstellt. Was Lesben, Frauen und schwule Männer für Wittig gleichsam unterdrücke, sei die unhinterfragte Norm der Heterosexualität (vgl. Wittig 1992: 53). Somit wendet sie sich zugleich gegen die Naturalisierung von Heterosexualität, die trotz des Bewusstseins für den Konstruktivismus im lesbischen Feminismus und in der Homo-Befreiungsbewegung aufrechterhalten werde (vgl. Wittig 1992: 54). Nach Wittig basieren alle Institutionen der heterosexuellen Gesellschaft (›straight mind‹) auf der ontologischen Bedingung eines Anderen, weshalb die Geschlechterdifferenz aufgelöst werden müsste, um das heterosexuelle Diktat zum Verschwinden zu bringen (vgl. Wittig 1992: 55). Während bei Wittig Heterosexualität als wichtigste Kategorie der Theoretisierung von Machtverhältnissen angesehen wird, macht Teresa de Lauretis (2003 [1988]) auf die Verwobenheit von Sexualität und Gender aufmerksam und bemüht sich aus sexualitätstheoretischer Perspektive auf Gender um eine Neuformulierung »gegenderte[r] Sexualität« (de Lauretis 2003 [1988]: 86). Somit plädiert sie dafür, Sexualität und Gender gleichzeitig als separat und zusammengehörend anzusehen (vgl. de Lauretis 2003 [1988]: 112). Sie schlägt ein »komplexeres Bild des psycho-sozio-sexuellen Subjektes« vor, »eines, das weder das soziale [Gender] noch das anatomische Geschlecht [sex] verleugnet, sondern sie transzendiert« (de Lauretis 2003 [1988]: 95), und versucht so ein Neudenken der Kategorien der Analyse von Sex-Gender-Systemen anzustoßen. Diese Auffassungen der Verwobenheit von Gender und Sexualität sowie der Fokus auf das heterosexuelle System als normierend fließen auch in die Arbeit von Judith Butler ein, die mit Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity (1990) (und in deutscher Version 1991 als Das Unbehagen der Geschlechter erschienen) einen weiteren Paradigmenwechsel herbeiführte, der rückblickend die Herausbildung der Queer Theory als heterogenes macht- und identitätskritisches Projekt beförderte und auch im deutschsprachigen Kontext in- und extensiv rezipiert wurde/wird. Butler geht von einer ›heterosexuellen Matrix‹ aus, die sie als »Machtdispositiv, durch welches das Konstrukt eines natürlichen Geschlechtskörpers sowie natürlicher Zweigeschlechtlichkeit hervorgebracht wird« (Butler 1991: 21) beschreibt. Diese Matrix ermögliche erst das Zustandekommen von Gender, das sich durch performative Wiederholung in Körpern einschreibt. Die zentrale Idee, die Butler in Gender Trouble also ausführt, ist die, dass nicht wie in feministischen Debatten bisher geltend, von einer Trennung von sex (dem ›biologischen‹ Geschlecht) und Gender (dem ›sozialen‹ Geschlecht) auszugehen sei, sondern dass sex genauso wie Gender sozial und diskursiv hervorgebracht bzw. performativ hergestellt und inkorporiert sei (vgl. Butler 1990: 10f.). Mit dieser Denkbewegung trägt sie zu einem nicht-essenzialisierenden Verständnis von Gender und Sexualität bei, indem sie die Aufspaltung von Geschlechterdenken in ›Natur‹ und ›Kultur‹ aufhebt und als Diskurseffekt erkennbar werden lässt (vgl. Kilian 2010: 96). Dabei wird das erwähnte Konzept der Performativität zentral: Als »stylized repetition of acts« (Butler 1990: 178; Herv. i.O.) über die

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Zeit hinweg, verbunden mit Wiederholung und Ritualisierung erzielen die performativen Akte den Effekt der Naturalisierung eines vermeintlichen inneren Kerns auf der Oberfläche des Körpers (vgl. Butler 1990: xv): Die angebliche ›Identität‹ wird so durch körperliche Signale und andere Diskurselemente – hier folgt Butler vor allem Foucault und Wittig – hergestellt. Damit wird deutlich, dass der vergeschlechtlichte Körper bei Butler keinen ontologischen Status außerhalb körperlicher Handlungen haben kann. Die vermeintlich innere ›Essenz‹ wird zu einem Diskurseffekt, der innere geschlechtliche Kern entpuppt sich so als bloße Illusion, durch die Sexualität innerhalb des Systems der Zwangsheterosexualität reguliert wird (vgl. Butler 1990: 173). In ihrer Annäherung an die Norm kann die Performativität ›gelingen‹ oder ›scheitern‹ – und hier liegt bei Butler auch das Potenzial zur Überschreitung von Normen: Gender(-Normalisierungen) kann/können auch performativ verschoben werden – als Imitation ohne Original kann Gender in der Wiederholung durch Verschiebung resignifiziert werden (vgl. Butler 1993: 176, 224). Dies könne beispielsweise durch Gender-Parodie passieren; gleichzeitig ist Parodie für Butler nicht an sich subversiv (vgl. Butler 1993: 176). Trotz des Potenzials der Resignifizierung sieht Butler Gender nicht als beliebig und voluntaristisch, da es nie außerhalb von Machtdynamiken und Diskursen existiere. Gender ist lediglich »Überlebensstrategie im Zwangssystem« (vgl. Butler 1990: 151) und bei Übertretung der Regeln (Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität) mit Sanktionen verbunden (ebd.). Mit Butler Gender als performative historische Kategorie, die geschichtliche und örtliche Veränderungen durchläuft (vgl. Butler 2004: 9), zu sehen, eröffnet damit die Möglichkeit, den Blick für Gender als offen für ständiges remaking (auch kulturell und geopolitisch unterschiedliches) zu betrachten (vgl. Butler 2004: 10). Gender kann damit aber auch nie ›wahr‹ oder ›falsch‹ sein, sondern nur Wahrheitseffekt eines Diskurses, der Identität zu stabilisieren versucht (vgl. Butler 1990: 174). Wie bereits erwähnt besteht für Butler zwischen Gender und Sexualität mit Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität als Normen ein konstitutives Wechselverhältnis über (heterosexuelles) Begehren, aber kein deterministischer Zusammenhang. Somit ließe sich nicht von der Subversion bestimmter Gender-Normen auf sexuelle Praktiken schließen, sondern könne im Gegenteil manchmal sogar dazu dienen, nichtnormative Sexualität einzugrenzen und damit normative Sexualität konstitutiv intakt zu halten (vgl. Butler 1990: xiv); dennoch ist Butler der Meinung, dass die Kontrolle von Gender-Grenzen dazu dienen kann, Heterosexualität abzusichern (vgl. Butler 1990: xii). Sie will also eine nicht-kausale, nicht-reduktionistische Beziehung zwischen Sexualität und Gender aufrechterhalten (vgl. Butler 1993: 238), dennoch aber die Verbindungslinien aufzeigen und sich für einen theoretischen Rahmen stark machen, durch den gezeigt werden kann, wie Sexualität durch das shaming und policing von Gender reguliert wird (vgl. Butler 1993: 238). Butler theoretisiert Sexualität und Gender also in dynamischer Beziehung zueinander (vgl. Butler 1993: 239), ohne dass sie ineinander aufgehen würden. Sie zeigt auch die konstitutive Beziehung von Feminismus und Queer auf (vgl. Butler 1993: 240) – durch die Linse der Betrachtung der regulativ wirkenden ›heterosexuellen Matrix‹ gelingt es ihr, Gender aus einer queeren Perspektive neu zu denken. Mit Foucault und Butler sind bereits zwei Wegbereiter:innen bzw. mit Butler auch einer konkreten Vertreterin eines queertheoretischen Verständnisses von Gender und Sexualität benannt, die seit den 1990er Jahren in diesem Zusammenhang stark rezipiert und deren Ideen oft zum Ausgangspunkt weiterer Theoretisierungen von Queer heran-

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gezogen wurden. Butlers Konzipierungen der heterosexuellen Matrix wurden von den Queer-Theoretiker:innen Laurent Berlant und Michael Warner konkretisiert und zum Konzept der Heteronormativität ausgebaut, welches die gesamtgesellschaftliche Durchdringung verdeutlicht. Während Butler zeigt, dass in Diskursen über Sexualität Heterosexualität als Norm gesetzt wird, machen Berlant und Warner deutlicher, dass alle gesellschaftlichen Institutionen von dieser Normsetzung geprägt sind: »Unter Heteronormativität verstehen wir die Institutionen, Strukturen des Verstehens und praktische Orientierungen, die Heterosexualität nicht nur als kohärent – d.h. eine Sexualität bildend –, sondern auch als privilegiert erscheinen lassen […]. Sie besteht weniger aus Normen, die als eine Doktrin zusammengefasst werden können, als vielmehr aus einem Gefühl der Richtigkeit, das in widersprüchlichen Manifestationen – oft unbewusst, und den Praktiken oder Institutionen selbst immanent – produziert wird. Kontexte, die kaum sichtbare Beziehungen zu sexueller Praktik haben, wie etwa Lebensnarrative oder Generationenidentitäten, können in diesem Sinne heteronormativ sein, während in anderen Kontexten Formen von Sex zwischen Männern und Frauen nicht heteronormativ sein müssen. Heteronormativität unterscheidet sich somit als Konzept von Heterosexualität« (Berlant/Warner 2005: 78). Heteronormativität im Verständnis von Berlant und Warner zeigt sich demnach in Arenen wie »Nationalität, Staat und Gesetz, in Wirtschaft, Medizin und Bildung ebenso wie in den Konventionen und Affekten der Narrativität, der Romantik und den anderen geschützten kulturellen Räumen« (Berlant/Warner 2005: 87). Mit all den vielfältigen Praktiken, in denen Heteronormativität zu finden sei, die sich nicht (vorrangig) auf Sexualität bezögen, werde diese hegemonial. Die Queer Theory hat nun zum Anliegen, die Diskurseffekthaftigkeit und damit historische Kontingenz von Heteronormen sichtbar zu machen, zu deren Denaturalisierung und Dezentrierung beizutragen und die Systeme der Regulierung von Sexualität zu analysieren. Dieser Logik folgend bezeichnet Nina Degele die Queer Theory auch als »Verunsicherungswissenschaften« (Degele 2003: 20). Im wissenschaftlichen Diskurs tauchte ›Queer Theory‹ in dieser konkreten Bezeichnung erstmals 1991 in der Zeitschrift differences auf und wurde dort von der bereits zitierten Teresa de Lauretis als Herausgeberin verwendet, die die Ausgabe mit dem Titel Queer Theory: Lesbian and Gay Sexualities versah (vgl. Kraß 2005: 18; Raab 2011: 46). Im Umfeld zunehmender Skepsis gegenüber dem identitätsbasierten ›ethnischen‹ Homo-Befreiungs-Modell in den USA, das mittlerweile eher gesellschaftliche Integration, denn Emanzipation versprach, hatte die sich herausbildende Queer Theory die Dekonstruktion von Identitätskategorien, besonders in Bezug auf ein binäres Gender-System und Sexualität, zum Ziel. Im Gegensatz zur neueren Identitätspolitik der Homo-Befreiung versteht Queer Identität als vermittelt, als »provisorisch und kontingent« (Jagose 2017 [1996]: 100), ohne jedoch ihre Wirkmacht zu verleugnen. 1990 verwendete die aktivistische Gruppe Queer Nation21 , eine Gruppe, die aus der New Yorker ACT-UP-Bewegung

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Die Verbindung von ›Queer‹ und ›Nation‹ ist hier nicht als (homo-)nationalisitische Geste zu werten (näher zu Homonationalismus in Kapitel 2.3), sondern als eine Umkodierungsstrategie, mit der zu damaligem Zeitpunkt zwei unvorstellbare Konzepte miteinander verknüpft wurden (vgl. Schoonover/Galt 2016: 24). Ian Barnard weist jedoch darauf hin, dass auch in radikalen und nicht-assimi-

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im Zuge von AIDS-Aktivismus hervorgegangen war, zum ersten Mal Queer als positive Selbstbezeichnung (vgl. Kraß 2005: 17f.). Bewegungsgeschichtlich stand Queer in den Anfängen zunächst dem Kontext des HIV/AIDS-Aktivismus in den USA nahe, da sich auch hier Zweifel am Nutzen stabiler Identitätskategorien ausbreiteten: Das Virus erforderte Solidarität über Gruppengrenzen hinaus, außerdem hatte der Identitätsdiskurs dazu beigetragen, den homophoben Diskurs von AIDS als ›Schwulenkrankheit‹ zu befeuern. In der Kritik daran ging es vor allem um die Verschiebung des Diskurses von Identität hin zu sexuellen ›Risikopraktiken‹ und zur Aufklärung über safer sex (vgl. Kraß 2005: 18; Crimp 1992: 14; Jagose 2017 [1996]: 121). In Queer vollzog sich somit einerseits eine Kontinuität zur frühen Homo-Befreiung22 und Teilen des lesbischen Feminismus wie auch ein Bruch mit dem ethnischen Modell schwul-lesbischer Identität und essenzialisierenden Konzepten des lesbischen Feminismus (vgl. Jagose 2017 [1996]: 98). Im deutschen Kontext verläuft diese Entwicklungslinie aufgrund der unterschiedlichen Funktionsweisen und -logiken der Homo-/Queerphobie und damit der Bewegungsgeschichte etwas anders. Da sich hier die schwul-lesbische Assimilationspolitik erst in den 1990er Jahren und nicht wie in den USA bereits in den 1980er Jahren wirklich zu etablieren begann, trat auch eine Hinwendung zu queeren Ansätzen erst später auf (vgl. Genschel et al. 2017: 188). So wird der Begriff hier seit Mitte der 1990er Jahre in verschiedenen Szenen verwendet, wobei die Berliner Szene in dieser Hinsicht eine Vorreiter:innenrolle spielte. So gab es beim Christopher Street Day (CSD) 1993 und 1994 erstmalig Teilnehmer:innen, die sich als queer verorteten und 1994 fand erstmalig der ›alternative‹ (als Alternative zum

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latorischen Projekten wie Queer Nation dominante Gesellschaftsstrukturen reproduziert wurden, da auch hier überwiegend die Interessen weißer Männer im Zentrum standen (vgl. Barnard 2003: 2). Die Stonewall Riots wurden in der LGBTIQ* Geschichtsschreibung zum Gründungsmythos der Homo-Befreiungsbewegung stilisiert. Die mehrere Tage andauernden Straßenschlachten mit der Polizei nahmen die Bedeutung eines Wendepunkts in schwul-lesbischem Selbstverständnis und strategischer Politik ein. In Abgrenzung von der Assimilationspolitik der Homophilenorganisationen der vorangegangenen Jahrzehnte wurde nun auf Stolz statt Scham (Gay Pride) und auf eine Strategie des Herausstellens des Anders- statt des Gleichseins gesetzt (vgl. Kraß 2005: 16; Jagose 2017 [1996]: 46ff.). In einem zeithistorischen Kontext der Neuen Sozialen Bewegung und der Neuen Linken entlud sich hier eine radikale Energie, die ähnlich wie andere gegenkulturelle Bewegungen der Zeit nicht Integration, sondern »Ablehnung der herrschenden Kultur« (vgl. Jagose 2017 [1996]: 50) und Befreiung hiervon zum Ziel hatte (vgl. Kraß 2005: 16). Die Anfänge der Homo-Befreiung waren noch prinzipiell revolutionär und intersektional, da sie ihre Kämpfe mit denen anderer Bewegungen in Verbindung stehend sah (vgl. Jagose 2017 [1996]: 50). So kritisierten manche Gruppen der Homo-Befreiung nicht nur das Patriarchat, da es männlichen Homosexuellen ihre Männlichkeit absprechen würde, sondern arbeiteten auf die Auflösung der Kategorien Homo- und Heterosexualität zugunsten potenzieller Bisexualität hin. Anfangs waren eine Reihe sexuelle Marginalisierter wie Bisexuellen, Drag Queens oder trans Menschen und unter diesen auch People of Color Bestandteil der Revolten bzw. federführend (vgl. Jagose 2017 [1996]: 58), allerdings dominierte über die Zeit der weiße, männliche und mittelständische Teil der Bewegung (ebd.). Die Homo-Identität als zentraler Mobilisierungsfaktor des Befreiungsmodells bildete auch die Grundlage des sich aus diesem entwickelnden ›ethnischen Modell‹ homosexueller Identität, bei dem sich eine immer assimilatorischere, bürgerbewegtere Richtung, die nun das Ziel der Anerkennung als marginalisierter Gruppe und rechtlicher Gleichstellung verfolgte, durchzusetzen begann (vgl. Jagose 2017 [1996]: 78).

2. Theorien zum Zusammenhang von Nation, Ethnizität, Gender und Sexualität

›kommerziellen‹) CSD in Berlin statt (vgl. Genschel et al. 2017: 189). Die Gruppe Queer Nation Berlin (später: Queer Action Berlin), die sich 1993 gründete, verstand sich als undogmatische Gruppe, die sich assimilatorischer Politik entgegenstellte (vgl. Woltersdorff 2017: 168). Oft wurde Queer im BRD-Kontext als Versuch verwendet, Forderungen verschiedener sexualpolitisch emanzipatorischer Gruppen zusammenzubringen und Sexualpolitik mit Anti-Kapitalismus zu verbinden (ebd.). Die Theorieproduktion der Queer Theory war seit den 1990er Jahren vor allem im US-Amerikanischen akademischen Kontext, wo sie sich in und aus den Gay und Lesbian Studies heraus schnell institutionell etablieren konnten, breit und vielfältig. Die Professionalisierung von Queer Theory und Institutionalisierung an Universitäten ist dabei auch als zweischneidiges Schwert zu sehen: Zwar kann Queer Theory damit als Wissensfeld weitergetragen und erweitert werden, komme allerdings damit hauptsächlich der akademischen Karriere zugute und daher auch »elitär und abgekoppelt« (vgl. Jagose 2017 [1996]: 139) wirken. Im deutschen Kontext wird Queer Theory mittlerweile häufig als Bestandteil der Gender Studies angesehen bzw. in diesem Kontext unterrichtet (vgl. Raab 2004: 56). Während sich die Gender Studies in Deutschland in einer konfliktreichen Auseinandersetzung zwischen Frauen- und Frauenlesbenbewegung, feministisch interessierter Wissenschaft und Frauenforschung entwickelt haben, gibt es für die Queer Theory als US-Theorieimport keine solche Entsprechung, was auch mit der Marginalisierung lesbisch-schwuler Theoriebildung in der deutschsprachigen feministischen Forschung zu tun hat; so wurden auch Queere Theorien, die aus dem Feminismus kommen, z.B. Butlers, zunächst heftig umstritten, bevor sie Anerkennung fanden (vgl. Raab 2004: 57). Mittlerweile hat ›Queer‹ Eingang in die Universitäten gefunden, die Binarisierung von geschlechterkritischer Gender-Forschung und sexualitätstheoretischer Queerforschung mit ersterer als Zentrum und zweiterer als Rand besteht jedoch oft weiterhin fort (vgl. Raab 2004: 58).

Annäherungen an ›Queer‹ Eine ›Definition‹ und damit Festschreibung von Queer als einem Konzept, das sich Identität entziehen will, bleibt heikel und konflikthaft. ›Queer‹ wurde in akademischen Diskursen, die den emanzipatorischen Charakter und das Potenzial von Queer als identitätskritischer Denkbewegung betonen möchten, wie im vorigen Abschnitt erwähnt, vor allem als dekonstruktivistischer Ansatz im Widerstand gegen Normalisierungsregime (vgl. Warner 1993: xxvi) theoretisiert und ›definiert‹. Damit wendet sich Queer für viele Theoretiker:innen genau gegen eine Festschreibung in definitorische Grenzen. Queer wird also häufig als gegen und in Relation zum Normativen gesehen und kann damit nie fixiert sein (vgl. Sullivan 2003: 43). Als »identity without an essence« (Halperin 1995: 62) wendet es sich gegen monolithische Identitätskonzepte, wie bspw. Eve Kosofsky Sedgwick 1993 in Tendencies beschreibt. Queer ist hier: »the open mesh of possibilities, gaps, overlaps, dissonances and resonances, lapses and excesses of meaning when the constituent elements of anyone’s Gender, of anyone’s sexuality aren’t made (or can’t be made) to signify monolithically« (Sedgwick 1993: 8). Auch Jack Halberstam betont den nicht-normativen Charakter von Queer, wenn er schreibt: »Queer refers to nonnormative logics and organizations of community, sexual

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identity, embodiment, and activity in space and time« (Halberstam 2005: 6). Queer wendet sich damit gegen die heteronormative Organisierung von Welt; nicht-normativ und anti-identitär zu denken bedeutet in diesem Sinne auch ein Denken gegen eine Idee von kohärenter Homosexualität als konstitutivem Außen oder Opposition von Heterosexualität. In diesem Sinne sieht auch Alexander Doty Queer als eine Denkbewegung, die »[u]ltimately […] should challenge and confuse our understanding and uses of sexual and gender categories« (Doty 1993: xvii). Indem sich also festen Identitäten verweigert wird, wird auch die Differenz, die die Homo-Hetero-Binarität erst zustandekommen lässt, untergraben und somit werden bürgerliche Ideologien herausgefordert (vgl. Meyer 2004: 138). Damit wendet sich Queer wie angesprochen nicht nur gegen Heteronormativität, sondern auch gegen Homonormativität, die Lisa Duggan als »a politics that does not contest dominant heteronormative assumptions and institutions, but upholds and sustains them, while promising the possibility of a demobilized gay constituency and a privatized, depoliticized gay culture anchored in domesticity and consumption« (Duggan 2002: 179) konzeptualisiert. Mit seinem dekonstruktiven Anspruch kann Queer mit Nikki Sullivan auch als Praktik, als doing bzw. in Anlehnung an David Halperin als positionality gesehen werden (vgl. Sullivan 2003: 49) und kann Heteronormativität so »to quiz, to spoil, to disorder, to denaturalise, to ridicule« (Sullivan 2003: 51). Darüber hinaus wurde Queer neben diesen engeren auf Heteronormativität bezogenen als weiteres, insgesamt potenziell gesellschaftstransformatives Konzept gedacht. So sieht Michael Warner in Queer die Möglichkeit einer universalisierenden Utopie, die Normalisierung als Gewaltverhältnis darzustellen vermag (vgl. Warner 2000: xxvi) und plädiert für einen strategischen Einsatz von Queer, bei dem es lesbisch und schwul nicht ersetzt, sondern ergänzt (vgl. Warner 2000: xxviii). Lauren Berlant und Michael Warner sehen in diesem Sinne queere Kultur in der Funktion eines »Projekt[s] der Welterzeugung« (Berlant/Warner 2005: 92), welches »Formen des emotionalen, erotischen und persönlichen Lebens […] unterstützen [soll], die öffentlich sind im Sinne von zugänglich, erinnerbar und von kollektiver Aktivität getragen« (Berlant/Warner 2005: 98). Auch Gudrun Perko fasst Queer weiter und schlägt vor, Queer als »plural-queer« zu denken, eine Variante, »in der die größtmögliche Vielfalt von menschlichen Seinsweisen und Lebensformen […] unter dem politisch-strategisch verwendeten Oberbegriff Queer gefasst wird« (Perko 2005: 8). Dies verbindet sie mit der ethischen Forderung der grundlegenden Transformation des gesellschaftlichen Systems an Normen mit dem Ziel »eines glücklichen respektive gelungenen Lebens aller Menschen« (Perko 2005: 55). Ein mit Berlant/Warner und Perko gedachtes plural-queeres Projekt der Welterzeugung ermöglicht es also, die Ausrichtung auf politisch-emanzipatorische Veränderung hin im Blick zu behalten und ist anschlussfähig an das interdependente Ineinanderdenken von Kategorien jenseits von Gender und Sexualität, da verschiedene identitätsbildende Diskurse »den Einfluß von queer [verwenden], um den ineinander verschachtelten Schwierigkeiten von Sprache, Haut, Migration und Staat gerecht zu werden« (Sedgwick 1993: 9). In diese Stoßrichtung haben Philip Brian Harper, Anne McClintock, José Esteban Muñoz und Trish Rosen Queer als Ausgangspunkt für eine interdependente bzw. in ihrer Bezeichnung transektionale, anti-normative und inter-

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ventionistische Kritik konzeptualisiert. So verstehen sie Queer als »point of departure for a broad critique that is calibrated to account for the social antagonisms of nationality, race, gender, and class as well as sexuality« (Harper/McClintock/Muñoz et al. 1997: 3). So wird deutlich, dass, wenn die Queer Theory in ihrem Anspruch als normkritisches Projekt ernstgenommen wird, sie das Potenzial bietet, mit Queer über das Verhältnis zu den Kategorisierungen Sexualität und Gender hinauszudenken und intersektionale/interdepedente Anschlüsse zu Normierungen, Ausschlüssen und Binarisierungen, die auf anderen Kategorien wie Race, Ethnizität, Nation oder Be_Hinderung basierend wirksam werden, herzustellen (vgl. Dietze/Haschemi Yekani/Michaelis 2007)23 , mit dem Anspruch, dass die Analyse des Ineinandergreifens von binarisierenden, wirkmächtigen, auf Normierung ausgerichteten Anrufungen Ausgangspunkt für politische Veränderung und Transformation der Kategorien an sich sein kann. Für einen deutschen Kontext würde dies durch das traditionell rassistisch und ethnisch geprägte Verständnis von ›Deutschsein‹ vor allem bedeuten, »Perverse« und »Migrant:innen« miteinander ins Gespräch zu bringen und die Verwicklungen der Regime der Normalisierung in Bezug auf diese zu untersuchen (vgl. Genschel et al. 2017: 192). In dieser Ausrichtung von Queer auf eine interdependente Perspektive wird auch deutlich, welchen Bezug Queer zu Feminismus haben kann: Als offenes Denksystem, das bei Sexualität ansetzt, aber allgemein anti-normativ, emanzipatorisch und nicht monokategoriell denkt, kann der Bezug zwischen feministischen und queertheoretischen Debatten hergestellt werden. In einer solchen queerfeministischen Perspektive werden Hetero- (und Homo-)Normativität mit Androzentrismus zusammengedacht und das Zusammenwirken von Sexualität und Gender mit deren wechselseitigem Bedingungsverhältnis betont. Die internationale Entwicklung, queer als queerfeministisch zu denken liegt schon allein deshalb nahe, da bedeutende Theoretiker:innen der Queer Theory gleichzeitig Feminist:innen sind: Judith Butler, Douglas Crimp, Teresa de Lauretis, Diana Fuss, David Halperin, Diana Fuss, Eve Kosofsky Sedgwick, Valerie Traub, Jeffrey Weeks (vgl. Jagose 2017 [1996]: 150). Damit wird dem feministischen Aktivismus wie feministischen Theorien neue Impulse gegeben. Zunächst geht es um eine Verschiebung des Fokus von ›der Frau‹ auf die Viefalft von Begehrensformen und Berücksichtigung von Intersektionalität (Verschränkung von Genre, Race und Klasse). Sullivans Ansatz Queer in Verbform als Queeren, also als Praxis des Hinterfragens von Heteronormativität und Geschlechterbinarität zu denken ist darüber hinaus anschlussfähig an den queerfeministischen Ansatz der kritischen Verortung. lann hornscheidts Konzept der kritischen Verortung meint ein Denken, das Machtverhältnisse kritisch an die soziale Positionierung rückgebunden reflektiert. Die beiden 23

Problematische Tendenzen der Queer Theory wie weiße Dominanz ihrer Akteur:innen oder die Problematik der dennoch auftretenden Festschreibung von Identitäten unter dem Oberbegriff Queer wurden in den letzten Jahren von Seiten der Trans Studies kritisiert, die sich in Anlehnung an und Abgrenzung zur Queer Theory herausgebildet haben (vgl. Hacker 2018: 30). Mit dem Begriff des ›transing‹ beschreiben transfeministische Ansätze die multidirektionale Durchkreuzung von realen wie symbolischen Grenzen (ebd.). Trotz der Ausleuchtung der Leerstellen der Queer Theory in den Trans Studies, werde ich für diese Arbeit am Begriff Queer der Queer Theory festhalten, da die analysierten Filme als queere Filme rezipiert werden und Queerness hier überwiegend in Bezug auf Sexualität relevant wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass transing nicht in einigen Filmen auch eine Rolle spielen kann oder konzeptuell abgelehnt wird.

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Ansätze zusammengedacht führen zu einem kritisch verorteten Verständnis von Queer. Queer als relationale, nicht-normierende Denkbewegung, als Praxis und nicht als Essenz, kritisch verortet immer als anti- bzw. contra_diskriminierend versuchen zu denken und damit Kritik an hegemonialen, unterdrückenden, paternalistischen und kapitalistischen Praktiken, Strukturen, Institutionen zu ermöglichen, richtet sich gegen Hetero- und Homonormativitäten, bleibt jedoch nicht auf solche Momente beschränkt, in denen binäre Modelle von Gender oder Sexualität in Frage gestellt werden, sondern versucht, diese Denkbewegung auch auf weiter gedachte gesellschaftliche Verhältnisse zu übertragen. Insgesamt lassen sich queere [Bild-]Politiken als solche verstehen, die auf die Entprivilegierung der heteronormativen [Blick-]Ordnung zielen (vgl. Genschel et al. 2017 [1996]: 167) und sich der Annahme fester Formen und abschließender Bedeutungen widersetzen (vgl. Brandes/Adorf 2008). Inwiefern ein queerfeministisches, intersektionales/interdependentes Verständnis von Queer und Queerness bzw. eine queer-experimentelle Ästhetik in den Filmen, denen ich mich in dieser Arbeit widme, zum Tragen kommt, inwiefern sich diese also als Interventionen in die heteronormativ strukturierte Ordnung lesen lassen oder inwiefern sie eine assimilatorische, homonormalisierende Version von Queerness nahelegen, in der Queer nur als Oberbegriff für lesbisch, schwul oder binär trans fungiert und auf die anerkennende Einbindung in die Norm der natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsordnung ausgerichtet ist und sich in Genrekonventionen und damit einhergehenden Bildrepertoires und Stereotypien einfügt, sowie wie sich dieses Spannungsverhältnis ausgestaltet, wird im Analyseteil erörtert. Im folgenden Abschnitt wird es jedoch zunächst darum gehen, die bisherigen Ausführungen zu Nation, Gender und Sexualität miteinander zu verbinden und den Zusammenhang zwischen diesen zu beschreiben.

2.3 Nation, Gender und Sexualität – von Verwerfungen, Einschlüssen und Grenzüberschreitungen In diesem Abschnitt wird es um den Zusammenhang von Nation, Gender und (Homo)Sexualität gehen. Dabei wird der Ausgangspunkt die Vergeschlechtlichung der Nation sein, da diese auch Implikationen für das Verhältnis der Nation zu als deviant markierter und Homosexualität hat. Hierbei spielen sowohl »imaginative geographies« (Said 1978) als auch staatliche Regulierungsweisen eine Rolle. Den Zusammenhang betrachte ich aus historisch-theoretischer Perspektive.

Nation und Gender Die geschlechtlich-sexuelle Kodierung der Nation wird in oben vorgestellten, kanonisierten Arbeiten zur Nation meist ausgeblendet. Vielen früheren Forscher:innen der Nation standen Konzepte der Gender Studies noch nicht zur Verfügung, so findet sich die Trennung von Gender und Nation bzw. das Versäumnis die Verschränkung von Nation und Gender zu erkennen beispielsweise in Andersons Theoretisierung der Nation eingeschrieben. Ruth Roach Pierson zeigt auf, wie Anderson in seiner Einleitung davon schreibt, dass alle Menschen eine Nation ›hätten‹ oder haben sollten sowie sie ein

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Geschlecht ›hätten‹ (vgl. Pierson 2000: 41). Auch charakterisiert Anderson die nationale Gemeinschaft als eine männliche, in der die Frau nur am Rande als Mutterfigur, die zum Zeichen für kulturelle Zugehörigkeit reduziert wird, auftaucht (vgl. Wenk 2000: 64f.). Dieses Beispiel legt nicht nur frei, wie die Nation als männliche gedacht ist, sondern kann auch als symptomatisch für die cis männlich geprägte und androzentristische Ausrichtung der (kanonisierten und prominenten) Nationsforschung gesehen werden. Dennoch existiert eine Reihe von Arbeiten, die den Nexus Nation, Gender, Sexualität in den Blick nehmen. Nira Yuval-Davis und Floya Anthias sind wohl die bekanntesten Vertreterinnen, die die Vergeschlechtlichung von Nationen untersucht haben; in ihrer Einleitung zu Women – Nation – State (1989) beschreiben sie die verschiedenen Arten und Weisen wie Frauen an staatlichen und nationalen Projekten teilnehmen bzw. beteiligt werden: Als biologische Reproduzentinnen der Nation und Angehörige des nationalen Kollektivs; als Reproduzentinnen der Grenzen des nationalen Kollektivs durch gesetzte Restriktionen in Bezug auf Sexualität und Heirat; als aktive Überbringerinnen und Produzentinnen der nationalen Kultur; als symbolische Repräsentantinnen nationaler Differenz; als aktive Teilnehmerinnen in nationalen Kämpfen. Davon ausgehend kann Nationalismus als immer schon vergeschlechtlichter Diskurs betrachtet und nicht ohne die Thematisierung und Theoretisierung von ungleichen Machtverhältnissen in Bezug auf Gender verstanden werden (vgl. Yuval-Davis/Anthias 1989: 7). Diese naturalisierte Differenz verbindet sich nun mit unterschiedlichen Zeitlichkeiten: Das Weibliche steht in Bezug auf die Nation für das zeitlose nationale Gedächtnis, das zyklische Prinzip, die Garantie für nie endende Reproduktion und damit für die Zukunft – Frauen sollen also die atavistischen, authentischen nationalen Traditionen verkörpern, während das Männliche den traditionellen, progressiven Fortlauf der Geschichte und damit auch der Moderne und des nationalen Fortschritts bedeutet (vgl. Wenk 2000: 73; McClintock 1997: 92). Frauen sind damit also nicht aus der Nation ausgeschlossen, sondern an einen bestimmten Platz verwiesen, den der ›Kulturträgerinnen‹. Der Körper von Frauen und deren Sexualität bzw. Kontrolle dieser, stellen also eine bedeutsame Komponente für das Selbstverständnis der Nation sowie im Prozess der Grenzziehung zwischen der ›eigenen‹ und der ›anderen‹ nationalen und ethnischen Gruppe dar. Die in die Nation eingeschriebenen Geschlechterverhältnisse dienen der Machterhaltung und sind daher Arenen des Kampfes um Bedeutungen und Ressourcenverteilungen. So urteilt Anne McClintock: »All nationalisms are gendered; all are invented; all are dangerous« (McClintock 1997: 89). Die Einschreibung geschlechtlicher Differenz in den Nationalismus ermöglicht es in dessen Logik, das Nationale mit den Bestrebungen von Männern gleichzusetzen – nationale Macht wird mit Männlichkeit verknüpft (ebd.). (Binäre) Geschlechterdifferenz und deren spezifische Ausformung dient nach McClintock daher dann auch allzu oft dazu, nationale Differenzen und Machtverteilungen zwischen Männern symbolisch zu definieren (vgl. McClintock 1997: 89). Während Männlichkeit und Nation als metonymisch gedacht würden, würden Frauen eher metaphorisch oder symbolisch mit der Nation assoziiert werden (vgl. McClintock 1997: 90). Somit sind hegemoniale Nationsnarrative im Sinne eines Vaterlandes meist männlich kodiert (vgl. Enloe 2014: 44). Dennoch betont auch McClintock, dass es nicht das eine nationale Narrativ

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gebe, da unterschiedliche Gruppen je nach Geschlecht, Race, Ethnizität, Alter usw. nationale Formationen je anders erlebten (vgl. McClintock 1997: 93). Eve Kosofsky Sedgwick verweist mit ihrer wegweisenden Studie zum England des 19. Jahrhunderts darauf, wie sich männliche Verbände und Organisationen (wie Militär, Sport usw.) gerade aufgrund der heterosexuellen Ideologie und damit einhergehender erzwungener Nähe von Männern durch Homoerotik auszeichen, welche allerdings zugleich durch Homophobie abgewehrt wird. Sedgwick schlägt den Begriff der Homosozialität hervor, die das patriarchale Organisationsprinzip – auch in Bezug auf die Nation – beschreibt (vgl. Sedgwick 2012 [1985]: 275ff.). Eine frühe Studie aus dem deutschsprachigen Raum, die international kaum rezipiert wurde, die Erkenntnisse bereits genannter Studien jedoch vorwegnimmt, ist Klaus Theweleits Dissertation Männerphantasien (2019 [1977]). In dieser als kulturwissenschaftlich angelegten Arbeit zeigt Theweleit größtenteils am Beispiel von Freikorps-Literatur und -Briefen der Zwischenkriegszeit, wie sich die als soldatisch gedachte Nation auf einem Ausschluss bis hin zur Vernichtung von Anderen (Frauen, Jüd:innen, Kommunismus) imaginiert und konstituiert. Dabei hat Theweleit – wenn auch nicht in diesen Begriffen – nicht nur einen intersektionalen Fokus, sondern zeigt auch die männliche, homosoziale und homoerotische Dimension der Nation auf. International breiter rezipiert, aber in ähnlicher Stoßrichtung wie Theweleit zeigt George Mosse (1985) den Zusammenhang zwischen bürgerlicher Gesellschaft, der Herausbildung der Nation und des Nationalismus gemeinsam mit sich verändernden Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen auf. Dabei diente ein Ideal von Männlichkeit als Grundlage und die nationalen Stereotypen und wurden zu Verkörperungen des ›Normalen‹ erhoben (vgl. Mosse 1985: 10ff.). Für Deutschland bzw. Preußen führt Mosse hier besonders die Turn- und die Burschenschaftsbewegung (bei Theweileit – Männerbünde und -seilschaften) an, Bewegungen, die nationale Erneuerung entgegen französischer Okkupation zum Ziel hatten und die Schönheit des männlichen Körpers und dessen Stärke betonten (ebd.). Dabei wurde das griechische Ideal zum Symbol der Männlichkeit (vgl. Mosse 1985: 14), gleichzeitig aber auch zum Störfaktor, da es homoerotische Potenziale bot, die Nationalismus immer wieder versuchen musste, ihrer Konnotationen zu entleeren (vgl. Mosse 1985: 16). Während Männlichkeit für Rationalität und Aktivität stand, beinhaltete das nationale Stereotyp von Frauen, die als Hüterinnen der Moral und Ordnung idealisiert wurden, passive Verkörperungen (vgl. Mosse 1985: 16ff.). Seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurde die Symbolisierung der Nation in Frauenfiguren wie der Germania oder der Britannia populärer, während Frauen in ihren Lebensrealitäten mit der sich ausbreitenden bürgerlichen Geschlechterideologie immer mehr in ihre Schranken gewiesen und diejenigen, die nicht das Ideal der bescheidenen und keuschen Frau verkörperten (verkörpern wollten) als Gefahr für Gesellschaft und Nation konstruiert wurden (vgl. Mosse 1985: 90). Für Deutschland wurden also in der Zeit der napoleonischen Kriege die Grundmuster des modernen Mythos der deutschen vergeschlechtlichen Nation gestrickt und im Verlauf des langen 19. Jahrhunderts in sprachliche und bildliche Modelle gegossen, die seither adaptiert, umgeformt oder verfeinert und von diversen politischen oder sozialen Gruppen für ihre Zwecke eingesetzt wurden (vgl. Hagemann 2000: 195f.), was auf die

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bedeutende Rolle von kulturellen Produkten bei dieser Fusionierung von Gender und Nation (vgl. Aho 2020) verweist. In Bezug auf das konstitutive Außen der Nation lässt sich deren Vergeschlechtlichung beispielsweise anhand von preußischer Kriegsrhetorik gegen den französischen Feind betrachten: ›Die Franzosen‹ wurden als feminine ›Schwächlinge‹ dargestellt, während ›die Deutschen‹ als starker Verteidiger ihres ›Vaterlands‹ stilisiert wurden (vgl. Blom 2000: 15). Bestimmte Verständnisse von Männlichkeit wurden also als Indikatoren für nationale Überlegenheit gedeutet; gleichzeitig zeigt sich an diesem Beispiel die Verknüpfung von Gender, Nationalismus und Ethnizität in der Formierung der Nation (vgl. Blom 2000: 18). Ähnliche Verweiblichungsstrategien des Anderen lassen sich beispielsweise auch an den Darstellungen von Jüd:innen beobachten (vgl. Gilmann 1993). Im Innern wurde die ohnehin vergeschlechtlichte Arbeitsteilung dadurch verstärkt, dass der Frau der häusliche Raum als ein spezifisch weiblicher zugewiesen wurde und ihre Aufgaben dort als »national women’s tasks« (vgl. Hagemann 2000: 193) universalisiert wurden. ›Die Familie‹ nimmt (auch, aber nicht nur für Preußen) historisch eine besondere Position dabei ein, die Geschlechterverhältnisse auch in Bezug zur Nation zu bestimmen. Abgesehen von der erwähnten vergeschlechtlichten Arbeitsteilung spielte die Familie in diesem Sinne so in Preußen eine bedeutende Rolle bei der ›Eingemeindung‹ der Frau in die Nation, da sie von Staatsangehörigkeit ausgeschlossen waren und nur durch die Heirat mit einem Mann mit der Nation ›verbunden‹ werden konnten (vgl. Pierson 2000: 46). Die Familie war damit also bedeutend für die Naturalisierung von Hierarchisierungen: Mit der Installation der Hierarchie von Männern – Frauen – Kindern in der Familie konnten Hierarchisierungen innerhalb des Nationalstaats unter Bezug auf das Begriffsrepertoire der Familie gerechtfertigt und soziale damit zu natürlicher Differenz stilisiert werden, die sich zu einer vermeintlich ›natürlichen‹ Einheit zusammenfügte (vgl. McClintock 1997: 91). So ist es also seit der französischen Revolution in westlichen Nationen geläufig, sich als Familie zu imaginieren (vgl. Blom 2000: 8), gleichzeitig wird die nukleare, heterosexuelle Familie als Mikrokosmos für die Nation gesehen (vgl. Conrad 2004: 4) – eine Entwicklung, die Imaginationen und Repräsentationen von Nationen entscheidend prägt. Die Beschreibung von Nationen mit Begriffen der Familie bezeichnet Silke Wenk als ein »familialistisches Beschreibungsmuster« (vgl. Wenk 1999: 38). In diversen europäischen nationalistischen Bestrebungen wurde dieses Muster angewandt, um die Idee des nationalen Kollektivs zu allegorisieren und um patriarchale Familienformen aufrechtzuerhalten (vgl. Eley 2000: 33; Caine/Sluga 2000: 97). Diese Betonung der Familie für das (Fort-)Bestehen der Nation bestärkte somit auch die vergeschlechtlich-sexualisierten Hierarchien und die mütterliche Rolle von Frauen (ebd.). Der Figur der Mutter kommt also eine besondere Bedeutung mit je nach Funktionalisierung verschiedenen Konnotationen zu und kann in Zeiten der (Re-)Konstitution der Nation beispielsweise als »Wunsch nach ›(Wieder-)Herstellung‹ eines ungeteilten, ›ursprünglichen Zustands‹, der als Einheit mit der Mutter vorgestellt wird« (Härtel/Schade 2002: 205) in Erscheinung treten. In Deutschland nach 1871, ähnlich wie in anderen europäischen Nationen, wurde die Familie vom Staat reguliert und als Ort der Reproduktion der Nation und nationaler Werte angesehen (vgl. Caine/Sluga 2000: 97). Das Bild der Nation beruht im Deutschland des

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19. Jahrhunderts also auf einem spezifischen Frauen- und Familienbild mit den Frauen bzw. Müttern am Rand, »where they enabled the male center to hold« (Peterson 1997: 82). Nach dem ersten Weltkrieg wurden dieser vergeschlechtlichten und familialisierten Imaginationen von Nation mit dem sich ausbreitenden Biologismus, der sich immer mehr auf soziale und politische Gegebenheiten bezog, verknüpft und kulminierte in der Vorstellung des ›Volkskörpers‹. Familien wurden als die elementaren Zellen des Volkskörpers gedacht und schrumpfende Familiengrößen als Zelldegeneration angesehen (Hogle 1999: 47), Bilder, die sich im Nationalsozialismus fortsetzten (diese Konstruktion bildet auch den Ausgangspunkt für den Ausschluss der ›Anderen‹ der Nation, die als infektiös für den ›Volkskörper‹ imaginiert wurden, hierzu mehr in den folgenden Abschnitten). 1949 wurde in der BRD die Familie als besonders schutzwürdig in das Grundgesetz aufgenommen und blieb auch nach der deutsch-deutschen Vereinigung weiter in Artikel 6 des Grundgesetzes bestehen. Dieser »Familismus« (Notz 2015: 10) mit einem »ideologisierten Familienverständnis« (ebd.) also denkt die Familie als die »›Keimzelle‹« (Notz 2015: 11) der Nation und stellt noch immer den »Dreh- und Angelpunkt aller sozialen Organisationen« (Notz 2015: 8) dar. In der DDR war die Entwicklung etwas anders gelagert, da sie nicht nur die Gleichberechtigung gesetzlich festschrieb, sondern auch das Recht auf Arbeit für Frauen (vgl. Notz 2015: 148). Trotzdem blieben Haus- und Sorgearbeit weiblich kodierte Aufgaben und auch die heterosexuelle Kleinfamilie als tragende Institution wurde nicht in Frage gestellt, weshalb nicht von einer Aushebelung des Familismus gesprochen werden kann (vgl. Notz 2015: 150f.). So haben Nationsbildungen also ähnliche Muster hervorgebracht, jedoch mit unterschiedlichen historischen und politischen Lagerungen. Dies ist insofern interessant, als dass die Familie zugleich auch Ort der Entwicklung und Stabilisierung bürgerlicher (Reproduktions-)Sexualität wird. Wie Foucault zeigt, hängt die Familie in ihrer Vergeschlechtlichung auch mit Sexualität zusammen: »Die im 18. Jahrhundert aufgewertete Familienzelle hat es ermöglicht, daß sich auf ihren beiden Hauptachsen (Mann-Frau und Eltern-Kinder) die Grundelemente des Sexualitätsdispositivs entwickeln (weiblicher Körper, kindliche Frühreife, Geburtenregelung und – in geringerem Maße – Klassierung der Perversen). Die zeitgenössische Familie ist nicht als eine soziale, ökonomische und politische Allianzstruktur zu verstehen, die die Sexualität ausschließt oder zumindest einengt […]. Die Familie hat vielmehr die Sexualität zu verankern und ihr festen Boden zu bieten« (Foucault 1983: 107). Die Familie formt damit nicht nur heterosexuelle Zweigeschlechtlichkeit, sondern auch deren konstitutives Außen und die komplexe Verschränkung von Familie, Nation, Gender und Sexualität wird ersichtlich.

Nation(alismus) und (Homo)Sexualität Die Vorstellung von Nationen lässt sich allerdings nicht allein an der heteronormativen Ehe und Familie anschließen, sondern braucht auch ihr konstitutives Außen. Die Verbindung der Konstruktion von ab/normal Sexualität mit Nationalismus, einhergehend mit der Produktion und Reglementierung bestimmter Gender- und Körperpolitiken, hat aus historischer Perspektive George Mosse in Nationalism and Sexuality. Middle-Class Morality and Sexual Norms in Modern Europe (1985) umfassend untersucht. Mosses Beschäftigun-

2. Theorien zum Zusammenhang von Nation, Ethnizität, Gender und Sexualität

gen mit dem Zusammenhang von Nationsbildung und Sexualität zeichnen die Entwicklung von Diskursen rund um Respectability (Anständigkeit, also positiv bewerteter Sexualpraktiken) und damit der Konstruktion von zu fördernden und zu polizierenden sexuellen Praktiken und Subjektpositionen vom 18. Jahrhundert bis zum Nationalsozialismus nach, mit Deutschland als Hauptbezugspunkt (und Bezügen zu anderen europäischen Nationen). Dabei beschreibt Mosse normativierte Sexualität in Europa historisch eng mit Nationalismus verknüpft (vgl. Mosse 1985: 1). Besonders (männliche) Homosexualität und Masturbation schienen bürgerliche Anständigkeit herauszufordern und mussten daher verpönt, bekämpft und abgewertet werden (vgl. Mosse 1985: 25)24 . Homosexualität stand für die Verwirrung der Geschlechter, sexuellen Exzess, Primitivismus und Umstürzung der Ordnung (vgl. Mosse 1985: 25) sowie die Antithese von Anständigkeit (vgl. Mosse 1985: 37). Im 19. Jahrhundert war es, wie auch Foucault betont, vor allem die Medizin, die daran beteiligt war, die Kategorien ›normal‹ und ›abnormal‹ abzustecken. Das Gegenbild zum die Nation repräsentierenden schönen, starken Mann bekam das Bild des nervösen, instabilen, hässlichen Homosexuellen und Masturbator, das zu einem wichtigen Symbol der Darstellung der Gefahr für die Nation wurde (vgl. Mosse 1985: 31). Dies fiel mit der Ausbreitung darwinistischer Ideen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammen, wodurch das männliche Ideal weiter bestätigt und mit Aussicht auf den 1. Weltkrieg die Ansicht verschärft wurde, dass es essenziell für das Wohl der Nation sei, nicht-fortpflanzungsfähige sexuelle Praktiken zu bekämpfen (vgl. Mosse 1985: 33f.). Auch verweist Mosse auf die Zusammenhänge der Diskurse über Sexualität und Rassismus.25 So wurde der Diskurs der Anständigkeit auch im europäischen Rassis24

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Zwar erkennt Mosse Foucaults Einsichten der Herausforderung der Repressionshypothese (vgl. Kapitel 2.2) an und stimmt zu, dass sich die Diskurse über Sexualitäten vermehrten, betont jedoch stärker, dass die Diskurse der Anständigkeit, die Sexualitäten klar kategorisierten, für die gelebten Realitäten der als ab/normal Konstruierten eine große Wirkmacht entfalteten (vgl. Mosse 1985: 21f.). In ihrer Charakterisierung der bürgerlichen Gesellschaft als auf Anständigkeit pochend bei Mosse und »wirklich und direkt pervers« (Foucault 1983: 137) bei Foucault scheinen sich Mosse und Foucault diametral gegenüberzustehen. Und es stimmt, dass sich Mosse von Foucault auch abgrenzt. Wie jedoch Killian Harrer beschreibt, resonierten Teile von Foucaults Arbeiten sehr stark mit Mosses Arbeit, da er sich sowohl für die Verbindungen und als auch Spannungen zwischen bürgerlichem Anstandsdiskurs und Massenpolitik interessierte (vgl. Harrer 2018). Wenngleich ein spannungsreiches Verhältnis zwischen den Arbeiten von Mosse und Foucault besteht, so nicht notwendigerweise ein Widerspruch, da sich beide mit den Regulierungsweisen von Homosexualität bzw. die Einteilung in ›normale‹ und ›abnormale‹ oder pathologisierte Sexualitäten auseinandersetzen (Foucault spricht hier davon, dass die »Diskursivierung des Sexes darauf [zielt], jene Formen der Sexualität, die sich der strengen Ökonomie der Reproduktion nicht unterwerfen, aus der Wirklichkeit zu vertreiben« (Foucault 1983: 129)), jedoch unter unterschiedlichen Vorannahmen. Mit Gabriele Dietze ließe sich hier festhalten, dass das Aufkommen von Sexualität als Kategorie ein »doppeltes Gesicht von Befreiung und Repression und von Enttabuisierung und Stigmatisierung« (Dietze 2019a: 35) hatte. Für die spezifische Verknüpfung von (Homo)Sexualiät und Nation(alismus) sind Mosses Arbeiten wegweisend, nicht nur, weil sie ganz spezifisch auf die Bestimmung des Verhältnisses der beiden Kategorien eingehen, sondern auch, weil sich viele weitere Arbeiten zum Themenfeld auf Mosse beziehen. Auch Foucault macht auf diesen Aspekt aufmerksam: In der Medikalisierung der (Homo)Sexualität ging es auch immer um die Bestimmung dessen, was sich aus staatlicher Sicht fortpflanzen sollte, um den ›gesunden‹ Staatskörper zu (re-)produzieren (Foucault 1983: 116). Dies ging einher mit

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mus im 19. und 20. Jahrhundert genutzt und mit der Konstruktion abnormaler Sexualität vermischt. Schwarze und Jüd:innen wurden mit Zuschreibungen exzessiver Sexualität, einem Fehlen an Männlichkeit und damit einhergehend Femininität belegt, ähnlich wie es bei der Figur des Homosexuellen der Fall war (vgl. Mosse 1985: 36; Gilman 1993: 196; Herzog 2013: 23)26 . Diese Nachzeichnung der Entstehung und Entwicklung des Nationalismus in Zusammenhang mit Sexualität zeigt, wie die Dämonisierung von als ›deviant‹ konstruierter Sexualität (zusammen mit einer binären Geschlechterordnung und einer Rassifizierung und Diskriminierung nicht-weißer Bevölkerungen innerhalb und außerhalb des Nationalstaats) bereits in die Ursprünge des Nationalstaats eingeschrieben war und sich im geschichtlichen Verlauf fortsetzte. Mosses Ausführungen als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit der Herausbildung von Nation(alismus), staatlichen Regulierungspraktiken und (Homo)Sexualität wurden von diversen Autor:innen aufgegriffen. Sam Pryke (1998) nimmt die fehlende Theoretisierung von Mosses Ausführungen zur Grundlage seiner generellen Theoretisierung des Verhältnisses von Nation und Sexualität. Dabei schlägt er drei Elemente vor, in denen Sexualität und Nation besonders eng verknüpft sind: In nationalen sexuellen Stereotypen, in Bezug auf Sexualität (und sexuelle Gewalt) in nationalen Konflikten und in Prozessen des nation building (vgl. Pryke 1998: 531). Die Zuschreibung der Homosexualität wurde nach Pryke immer wieder als Mittel eingesetzt, um politische Gegner:innen einer Nation abzuwerten oder zu diffamieren (vgl. Pryke 1998: 540). Auch beschreibt Pryke die Verfolgung und Polizierung von Homosexualität als vermeintliche Bedrohung der nationalen Ordnung zur Förderung der inneren Homogenisierung der Nation (vgl. Pryke 1998: 540ff.). Auch wenn Prykes Ansatz sich hauptsächlich auf Momente der Nation in der Krise stützt, bietet er doch Anknüpfungspunkte für die Frage nach der Heterosexualisierung der Nation, die bspw. V. Spike Peterson (1999) aufgreift. Sie hat gezeigt, dass Nationalismus sowohl binär vergeschlechtlicht auch heterosexualisiert strukturiert ist. Peterson führt aus, dass die Nation einem heterosexistischen Ordnungsmuster folgt, welches männliche Dominanz durch die Kontrolle weiblicher Körper und Sexualität sicherstellt und damit die Reproduktion der Nation zu gewährleisten sucht (vgl. Peterson 1999: 40). Auch Gayatri Gopinath (2006) argumentiert, dass Nationalismus Heterosexualität als zentrales Disziplinierungsregime installiert und dabei über die Disziplinierung weiblicher und nicht-heterosexueller Körper funktioniere (vgl. Gopinath 2006: 9), wobei

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der Entwicklung von Programmen der Eugenik, die in staatsrassistischem Denken der Kausalität Vererbung-Entartung kulminierte (ebd.). Damit macht auch Foucault deutlich, wie die Reglementierung von (Homo-)Sexualität mit rassistischen Ideen Hand in Hand ging und wie diese historisch ineinander verwickelt waren. Zu Mosses Perspektive, der auch von Rassismus spricht, wenn er Antisemitismus meint, kann hinzugefügt werden, dass beide »Praktiken der Kategorisierung, Diskriminierung und Verfolgung von Anderen, die durch diese Praktiken definiert und identifiziert werden« (vgl. Messerschmidt 2008: 42) darstellen, jedoch nicht auf dieselbe Weise funktionieren. Denn im Antisemitismus ist das Andere im Gegensatz zum Rassismus »nicht nur minderwertig, sondern mit Macht ausgestattet. Und deshalb gefährlich« (Messerschmidt 2005: 139, zit. in Messerschmidt 2008: 46). So biete Antisemitismus die Möglichkeit, selbst eine Opferposition einzunehmen und sich als Ausgebeutete:r zu imaginieren (ebd.).

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in Gopinaths Beispiel männliche Homosexualität durchaus zugelassen wird, während weibliche Homosexualität (aufgrund der Aufforderung zur Reprodutkion) besonders Restriktionen zu Opfer fällt. Andere Arbeiten betonen neben der Heterosexualisierung der Nation in nationalistischer Ideologie jedoch die vielfältigen Aus- und Umformungen von Sexualitäten (im Plural) mehr. So werden Mosses Nationalism and Sexuality im Sammelband Nationalisms and Sexualities (1992) von Andrew Parker et al. nicht nur multipliziert, sondern pluralisiert und es wird auf die Vielfältigkeit und die widersprüchlichen historischen Ausformungen und Verschränkungen der beiden Konzepte hingewiesen (vgl. Parker et al. 1992: 4). Aus der immer schon gegebenen Verschränktheit, in ihren historisch variierenden und sich verändernden Konfigurationen ergibt sich somit, dass auch das (sexuelle) ›Andere‹ der Nation kein überhistorisch Gleichbleibendes sein kann (ebd.) und Sexualität in Bezug auf die Nation als veränderliches Symbol gesehen werden muss (vgl. Stychin 2003: 9 unter Bezug auf Beriss 1996: 191). So ergeben sich mannigfaltige Konfigurationen des Zusammenspiels von Nation, Gender und Sexualität, auch abhängig von der jeweiligen Lage der Nation, historisch veränderbar, aber immer verschränkt mit den jeweils geltenden gesellschaftlichen Hierarchisierungen (vgl. Brinker-Gabler/Smith 1997: 15). Das Feld der Beschäftigung mit dem Zusammenhang von Nation und Sexualität überschneidet sich zum Teil mit dem Feld der Queer Migration und Queer Diaspora Studies, da es hier um die Frage geht, welchen (queeren) Subjekten bei trasnantionalen Grenzüberschreitungen aufgrund welcher Eigenschaften, Zuschreibungen, nationalstaatlicher Gesetzgbungen und Praktiken Rechte und Partizipationsmöglichkeiten zu- oder abgesprochen werden, also wie Migrationspolitiken mit Sexualpolitiken zusammenhängen. Vorstellungen des »nationalen[n] ›Wir‹ und die ›anderen‹« (Thomas 2003: 50) finden sich also nicht nur in staatlichen Ein- und Ausschlusspraktiken in Bezug auf die Regulation von Mobilität und Migration (vgl. Luibhéid 2005: xxivf.) sowie dem diskursiven Status von Diaspora-Gruppen wieder, sondern sind verknüpft mit (ethnifizierten oder rassifizierten) Vorstellungen von Sexualitäten. Migration oder deren Zuschreibung und Sexualität zeigen sich also beide als Kristallationspunkte nationalstaatlicher Steuerungsbestrebungen (vgl. Kosnick 2016: 3)27 . 27

Der Zusammenhang von Migration und Diaspora sowie Queerness wurde in Studien hierzu oft als einer der Analogie zwischen Queerness, die Heterormativität subvertiert und Diaspora oder Migrant:innen, die nationale Stabilität und geographische Grenzen herausfordern, theoretisiert und deren transformatives, befreiendes Potenzial betont (vgl. Wesling 2008: 31). So unterstreichen Arnaldo Cruz-Malavé und Martin F. Manalansan (2002) beispielsweise die vermeintlich vermittelnde Rolle von migratisierten Queers zwischen Nation, Diaspora, den Lokalen und dem Globalen (vgl. Cruz-Malavé/Manalansan 2002: 2). Manalansan (2006) führt diese Denkweise fort in der Behauptung der gegenseitigen positiven Beeinflussung von Queer- und Migrationsstudien (vgl. Manalansan 2006: 225ff.). Auch Cindy Patton und Benigno Sánchez-Eppler (2000) heben den Zusammenhang zwischen Mobilität in Bezug auf die Überschreitung von nationalen wie Gender- oder Sexualitätsgrenzen hervor, stellen aber auch die Komplexität und das spannungsreiche Verhältnis von Geopolitiken und Begehren heraus (vgl. Patton/Sánchez-Eppler 2000: 3). Anne-Marie Fortier (2002) bringt in ihrer Konzeptualisierung von Queer Diasporas Marker von Mobilität, Globalisierung und Queerness zusammen, um ein analytisches Werkzeug zu schaffen, das beleuchtet, wie diasporische Queers »new transnational spaces of belonging« (Fortier 2002: 194) bewohnen, wodurch Reterritorialisierungsprozesse stattfinden könnten (ebd.). Wie Meg Westling (2008) zeigt,

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Es wird also ersichtlich, dass Nation, Gender und Sexualität historisch vermachtet sind, sich daraus jedoch keine überhistorische oder dekontextualisierte Essenz bilden ließe, sondern jede historische Konfiguration als umkämpfte Hegemonie gesehen werden muss, die variabel bleibt, weil die Bedeutungskämpfe fortlaufend geführt werden und sich auch Unterschiede in Bezug auf männliche und weibliche Homosexualität zeigen (siehe nächster Abschnitt). In jeglicher Hinsicht sind Nationen – so zeigen die bisherigen Ausführungen jedoch auch – immer auch »imagined sexual communities« (Jackson 2009: 23), geprägt von historisch gewordenen heterosexistischen (und rassistischen) Machtverhältnissen, aber auch im Wandel. Diese Einsicht der Vermachtetheit der Diskurse über Sexualität im Verhältnis zu Nation mit ihrer Geschichte der Dämonisierung sexuell Veranderter wie auch deren Variabilität ist vor allem in Bezug auf neuere Debatten der Einbindung von Queerness in die Nation von Bedeutung.

Regulierung von Homosexualität in Deutschland und sexuelle Politiken Staat und Nation, wie bereits ausgeführt wurde, sind also nicht dasselbe, stehen aber in einem Verweisungszusammenhang. Sie wirken aufeinander und so speisen Imaginationen der Nation staatliche Ideologie oder bedienen sich dieser und umgekehrt. Der Rechtsdiskurs ist in diesem Zusammenhang bedeutend, da Vorstellungen von ›Anständigkeit‹ und damit die Frage der Bewertung von Sexualitäten eng an die Erlangung von Staatsbürger:innenrechten geknüpft sind (vgl. Stychin 2003: 12) und sich diese Diskurse in liberalen Rechtsstaaten beständig ausweiten (vgl. Stychin 2003: 16). Da der Erhalt von Staatsbürger:innenrechten gleichzeitig die Disziplinierung und damit Normalisierung der Subjekte bedeutet, müssen diejenigen, die sexuelle Rechte erstreiten wollen, gleichsam als ›gute Bürger:innen‹ vorstellbar werden bzw. sich als solche verkaufen, denn: »[T]he rights of sexual citizenship seem only to flow to responsible citizens who contribute to the common good« (ebd.). Der kontinuierliche Ausbau der Staatsbürger:innenrechte für die historisch sexuell Anderen der Nation, ist also in gewisser Weise ›ein zweischneidiges Schwert‹: Notwendig, um die Möglichkeit zu haben, die Dominanzverhältnisse umzuformen, gefährlich, da diese Form der Normalisierung die Einbindung an ein System erfordert, das Dominanzverhältisse an anderer Stelle perpetuiert. Die staatliche Regulierung von (männlicher) Homosexualität in Deutschland geht bis ins Jahr 1871 zurück und damit mit der Gründung Deutschlands als Nationalstaats einher, wodurch einmal mehr deutlich wird, wie konstitutiv Diskurse ab/normer Sexualität in das moderne Nationenverständnis eingeschrieben sind. So wurde 1871 der berüchtigte §175 in das deutsche Reichsstrafgesetzbuch aufgenommen (und sollte für 123 Jahre bestehen bleiben) mit dem Wortlaut: »Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Perbringen diese Äquivalenzherstellungen jedoch auch Probleme mit sich: Westling warnt vor der Überbetonung und Mystifizierung des subversiven Transgressionspotenzials in der Verknüpfung von Queerness und Migration und deren Zuschreibung, da diese Gefahr laufe, eigene Normativitäten zu produzieren, die den Blick für die Prozesse der Herausbildung des Zusammenhangs von Migration/Diaspora und Sexualität, ohne das Ergebnis bereits zu kennen, verstellten (vgl. Westling 2008: 36). Migration, Diaspora und Queerness bedrohen dominanzgesellschaftliche Selbstbilder der (als homogen vorgestellten) Nation eben nur potenziell und sind eingebunden in ein sich ständig wandelndes (wenn auch nicht beliebiges) Feld diskursiver (Re-)Signifikationprozesse.

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sonen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden« (Kraß 2005: 13). 1935 wurde dies unter den Nationalsozialist:innen verschärft; bereits ein »Betrachten in wollüstiger Absicht« (ebd.) reichte nun aus, um sich strafbar zu machen und der Zusatz §175a forderte »Zuchthaus bis zu zehn Jahren« für »einen Mann über einundzwanzig Jahre, der eine männliche Person unter einundzwanzig Jahren verführt« (Kraß 2005: 13). Dies diente oft zur Elimination politischer Gegner:innen (ebd.)28 . Unter diesen Paragraphen fanden im Nationalsozialismus bis 1945 um die 50000 Verurteilungen statt, ca. 15000 dieser wurden in Konzentrationslagern getötet (vgl. Kraß 2005: 13). 1968 wurde der §175 in der DDR erstmals entschärft, in der Bundesrepublik folgte eine Entschärfung im Jahr 1969, auch wenn Sex zwischen »einem Mann über 18 Jahren […] mit einem Mann unter 21 Jahren« (Kraß 2005: 14) noch immer kriminalisiert wurde. 1973 wurde Straffreiheit ab 18 Jahren eingeführt, was die rechtliche Schieflage jedoch noch nicht ganz beseitigte, da das Schutzalter für Mädchen bei 16 Jahren lag (ebd.). Erst 1994 wurde Homosexualität bzw. der §175 vollständig und ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Frauen waren vom §175 nicht betroffen, auch wenn die Aufnahme dieser immer wieder diskutiert wurde (vgl. Raab 2011: 14). Grundsätzlich wurde weibliche Homosexualität wie zu Beginn des Kapitels beschrieben eher widersprüchlich behandelt und schwankte zwischen Ignorieren und Verteufelung, gesetzliche Restriktionen blieben jedoch auf männliche Homosexualität gerichtet, da Frauen scheinbar nicht in derselben Weise als politische Subjekte im Nationalstaat gesehen wurden und mit der zugeschriebenen Sphäre des Privaten Abweichungen eher auf der Ebene des Sozialen durch Stigmatisierung reguliert werden. Im 20. Jahrhundert in Deutschland stellte sich jedoch eine gesteigerte Ablehnung gegen Lesben ein (vgl. Mosse 1985: 91) – weibliche Homosexualität wurde nun ebenfalls durch Reglementierungsmaßnahmen versucht zu regulieren,

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Die ersten historischen politischen Mobilisierungen aufgrund der pathologisierten Kategorie Homosexualität, begaben sich in den Homophilenbewegungen, die sich vor allem in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern und der USA ab Ende des 19. Jahrhunderts formierten. Ihr Ziel war vornehmlich aufklärerisch und reformerisch, sie wollten das Denken über Homosexualität verändern, warben für Toleranz und Anerkennung bzw. gegen Kriminalisierung (vgl. Jagose 2017 [1996]: 37). Karoly Maria Benkert, von dem die erste öffentliche Verwendung des Begriffs dokumentiert ist, wandte sich 1869 mit einem offenen Brief gegen den deutschen Gesetzgeber, der die Kriminalisierung männlicher Homosexualität anstrebte (vgl. Jagose 2017 [1996]: 38). Nach der Kriminialisierung 1871 gründete 1897 der Mediziner und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK) und setzte sich für die Abschaffung des §175 ein. Er war der Meinung Homosexualität sei etwas Angeborenes, ein ›drittes Geschlecht‹ als Zwischenstufe zwischen männlich und weiblich (vgl. Jagose 2017 [1996]: 38). Wie Benkert betonte auch das WhK, dass Homosexualität niemandem schade, aber Leid über die Stigmatisierten brachte (ebd.). Eine weitere Organisation in der deutschen Homophilenbewegung stellte die von Benedikt Friedländer maskulinistische, nationalistische, rechte »Gemeinschaft der Eigenen« dar, die 1902 ins Leben gerufen wurde. Sie richtete sich gegen Hirschfelds biologistische Argumentation, jedoch vor allem aufgrund ihres Männlichkeitsideals, das alles Weibliche, das bei Hirschfeld Bestandteil seines Verständnisses von Homosexualität war, abwertete (vgl. Mosse 1985: 42). Ein in dieser Arbeit analysierter Film, Der Einstein des Sex, beschäftigt sich mit dem Leben von Magnus Hirschfeld im Kontext seiner wissenschaftlichen und politischen Arbeit (vgl. Kapitel 6.4.3).

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beispielsweise durch Pathologisierung, die nicht selten mit der Internierung in psychiatrischen Anstalten (vgl. Mosse 1985: 105) oder im Nationalsozialismus mit der Stigmatisierung ›asozial‹ im Konzentrationslager endete (vgl. Schoppmann 1997: 246; vgl. auch Kapitel 6.4.2). Frauen, die so offensichtlich von zugeschriebenen Rollenbildern als Ehefrauen und Mütter abwichen, teils als große Bedrohung für die Familie und die Nation wahrgenommen (vgl. Mosse 1985: 105). Die schrittweise Entkriminalisierung und Entstigmatisierung (die immer auch auf die unermüdlichen politischen Kämpfe von Aktivist:innen verweist) ging mit einer ebenso schrittweisen Integration schwul-lesbischer Politiken in staatliche Strukturen einher, die vor allem seit den 1980er Jahren Vorschub nahm und sich bspw. in der Institutionalisierung der ersten Gleichstellungsbehörde in Deutschland, dem Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen in der Berliner Landesregierung 1989 abzeichnete (vgl. Raab 2011: 19). Im Zuge der ›Integration‹ lässt sich eine Verlagerung der öffentlichen homophoben Debatten auf die rechtliche Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften (vgl. Kraß 2005: 14) und im Anschluss die ›Ehe für Alle‹ nachzeichnen. Das am 10. November 2001 verabschiedete Gesetz zur eingetragenen Lebenspartnerschaft wurde als ein Schritt zur rechtlichen Gleichstellung mit der Ehe gesehen, am 01. Oktober 2017 folgte schließlich das Inkrafttreten eines Gesetzes, das auch die gleichgeschlechtliche Ehe ermöglicht; dennoch steht die Reform des Abstammungsrechts noch aus, das queeren Eltern die gemeinsame Eintragung in die Geburtsurkunde des Kindes ermöglicht, unabhängig von der biologischen Elternschaft. Die paradoxe Logik hinter dieser rechtlichen Diskriminierung bringt Andreas Kraß auf den Punkt: »Einerseits sollen sie Kinder haben, andererseits dürfen sie es nicht« (Kraß 2005: 9). So bleiben Familienverhältnisse in Bezug auf Reproduktion, Erziehung und emotionale intergenerationelle Unterstützungsverhältnisse weiterhin heteronormativ reguliert und privilegiert (Hajek 2012: 155f.). Linke schwul-lesbische und queer-feministische Gegner:innen dieser Assimilationspolitik sehen das Problem jedoch weniger bzw. nicht nur in der rechtlichen Schieflage, sondern in der Institution der Ehe selbst und sehen die Entprivilegierung heterosexueller Ehe als Ziel emanzipatorischer Sexualpolitiken (vgl. Hajek 2012: 166). So verbinden sich in der liberalisierenden Gesetzgebung seit den 1990er Jahren homophobe Diskurse mit neoliberalen, die nicht-heterosexuelle Subjektivitäten zum Preis der Privatisierung emotionaler Nahverhältnisse aufwerten. Damit wurde im Gegensatz zur Lebensformenpolitik, die die Trennung von familiären und partner:innenschaftlichen Rechten von der Institution der Ehe forderte, das Modell der ›Homo-Ehe‹ hegemonial, das sich mit dem heteronormativen Mainstream verknüpfen ließ und für ›Anerkennung‹, ›Respekt‹ und ›Toleranz‹ der jeweiligen privaten und individuellen Lebensentscheidungen warb (vgl. Hajek 2012: 165)29 . Die erläuterten nationalstaatlichen Integrationspolitiken ›der Homosexualität‹ der späten 1980er und 1990er Jahre in Deutschland stehen in enger Verbindung mit dem Fall

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Auch auf dem Feld der Entbinarisierung von Gender gab es legislative Vorstöße. So wurde mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2018 das Personenstandsgesetz reformiert und eine dritte Geschlechtsoption (›divers‹) eingeführt. Diese bleibt jedoch in einer biologistischen Logik verhaftet, da die Option nicht auf Wahlfreiheit beruht, sondern auf einer medizinisch feststellbaren »Variante der Geschlechtsentwicklung« (Markwald 2020).

2. Theorien zum Zusammenhang von Nation, Ethnizität, Gender und Sexualität

der Mauer bzw. der Vereinigung der beiden deutschen Staaten und den gesellschaftspolitischen Geschichts-, Erinnerungs- und Gegenwartsdiskursen über Deutschland und ›die deutsche Einheit‹ sowie der »neoliberalen Diskurshoheit der 1990er und 2000er Jahre« (Holzhauser 2018: 588)30 (siehe Kapitel 2.2 zur Entwicklung von Assimilation vs. Befreiung von Normen in den USA). Die beschriebenen, sich ausweitenden Entwicklungen können mit dem Begriff der ›Homonormativität‹ gefasst werden. Zuvor als sexuell deviant Stigmatisierte können so in die konsumkapitalistisch ausgerichtete Nation eingehegt und damit ›normalisiert‹ werden. Nach Kath Browne und Catherine Nash beschreibt Homonormativität neue Privilegien derer, die einst sexuelle Dissident:innen waren (vgl. Browne/Nash 2016: 6), erreicht durch politische und soziale Assimilation, legislative Rechte oder die Anerkennung und Durchsetzung der Menschenrechte für LGBTIQ*. Dieser Rechtsdiskurs mit sich ausweitenden Rechten privilegiert dabei wie beschrieben bestimmte Formen ›homosexueller‹ Ausdrucksformen und Körper wie Praktiken und reguliert diese so, dass sie sich in Normen einpassen, die dem neoliberalen privatisierten Ideal möglichst nahekommen (ebd.). Die ›Ehe für Alle‹ wird damit als homonormative Institution erkennbar, die gleichgeschlechtliche Paare normalisiert, reguliert und assimiliert, wobei wohlhabende, monogame Paare anderen Formen queerer Verwandtschaftsverhältnisse gegenüber höherwertig behandelt werden (ebd.). Auch auf globaler Ebene spiegeln sich ähnliche Politiken, wobei die Kategorie der Klasse wieder mehr in den Blick kommt. In The Globalization of Sexuality (2004) untersucht Jon Binnie den Zusammenhang zwischen Nationalismus, Globalisierung und sexuellen Politiken. Er geht in Bezug auf Mittelklasse-LGBTQI*-Identitäten von einer symbiotischen Beziehung zwischen dem Nationalstaat und neoliberaler Globalisierung aus, was er unter anderem an den wieder stärker werdenden nationalistischen Tendenzen während gleichzeitig voranschreitender Globalisierung festmacht (vgl. Binnie 2004: 11). Binnie geht von einer grundsätzlichen Bedrohung des Nationalstaats durch Sexualität generell und durch als von der Norm abweichend konstruierte Sexualitäten im Speziellen aus, da Sexualität schwer zu kontrollieren sei. Homosexualität sei hier als besonders gefährlich angesehen, da sie die festen Kategorien, die der Nationalstaat für sein Selbstbild benötige, hinterfrage (vgl. Binnie 2004: 15). Im transnationalen Kapitalismus würden jedoch bestimmte Homosexualitäten als vereinbar mit dem Nationalstaat angesehen, nämlich dann, wenn sie als »respectable, responsible gay or lesbian living in a so-called family of choice […] as a responsible consumer« (Binnie 2004: 17) kommodifiziert werden könnten. Auch andere Kommentator:innen weisen auf den Zusammenhang der Art der kapitalistischen Produktionsweise mit der Regulation von Homosexualität hin und diagnostizieren Queer im Spätkapitalismus als Ausformung eines Lifestyles oder in Kompliz:innenschaft mit kapitalistischer (Kultur-)Industrie (vgl. Edelman 1994: 114; Raab 2011: 33), wodurch queere Lebensweisen zu einer Inkorporierung in die kapitalistische Hegemonie beitragen könnten (vgl. Hennessy 2000: 105). Wie Rosemary Hennessy aus marxistischer Perspektive argumentiert, würde die Kommodifizierung sexu-

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Der neoliberale Umbau, dessen Grundstein in Deutschland in den 1970er Jahren gelegt wurde, erlebte mit dem Ende des Kalten Krieges und Francis Fukuyamas propagiertem ›Ende der Geschichte‹ (vgl. Fukuyama 1992) einen Auftrieb, der in den kommenden Jahrzehnten stetig ausgebaut wurde (vgl. Ptak 2017: 76ff.)

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eller Identitäten damit entgegen einer möglichen kollektiven Handlungsfähigkeit wirken und eine Entsolidarisierung auf Klassenbasis bewirken (vgl. Hennessy 2000: 105f.). Zwar stütze sich der Kapitalismus noch auf die Heteronorm als Organisationsprinzip, so wie der Staat sexuelle Normen in Bildung, Heirat, Migration verfestige; dennoch würden Queers mehr und mehr in den kapitalistischen Mainstream eingebunden, was auch zeige, dass der Kapitalismus Heteronormativität nicht notwendigerweise brauche (vgl. Hennessy 2000: 107). Wie Binnie ausführt, hätten Schwule und Lesben durch assimilatorische Politiken gewisse politische und symbolische Anerkennung erfahren, die »struggles for sexual citizenship […] a fight for inclusion within nationhood« (Binnie 2004: 30) implizierten, während sich radikalere queere Politiken gleichzeitig stark mit der Nation disidentifizieren würden (vgl. Binnie 2004: 37). Im Zuge der assimilatorischen Politiken, die sich mit gegenwärtigen Nationalismen oft vereinbaren ließen, warnt er besonders vor der Verbreitung eines neuen Rassismus, bei dem Rechte in Bezug auf sexuelle Diversität zu Markern des Entwicklungsstands einer Nation würden, »that tolerance and recognition becomes a measuring point of a nation’s success at developing« (Binnie 2004: 68). Diese Normalisierung zur Abgrenzung gegenüber den Staaten, die LGBTIQ* diese Rechte nicht zusprechen (eine Reihe Staaten des Globalen Südens, aber auch Osteuropas und Ostasiens) weist Strukturähnlichkeiten mit älteren Diskursen der Orientalisierung auf, die mit einer Binarisierung in den überlegenen Westen, der ein aufgeklärtes, zivilisiertes Subjekt im Zentrum hat und einem vermeintlich ›unterentwickelten‹, ›barbarischen‹ Osten einhergeht. Jasbir Puar (2007) beschreibt dies im Kontext von Diskursen, die politische Homosozialität zulassen, mit dem Begriff des ›Homonationalismus‹. Bereits Ann Stoler formulierte in Race and the Education of Desire: Foucault’s History of Sexuality and the Colonial Order of Things (1995), dass westliche Konzepte von Sexualität immer mit der Produktion des Anderen zusammengedacht werden müssten »in the broader force field of empire where the technologies of sex, self, and power were defined as ›European‹ and ›Western‹ as they were refracted and remade« (Stoler 1995: 195). Puars Konzept des Homonationalismus greift diese Ideen auf und stellt besonders seit dem 11. September 2001 eine Verschärfung dieser Politiken fest, bei der weiße Mittelklasse-Schwule und -Lesben in westliche liberale Demokratien auf Kosten von Migratisierten eingeschlossen würden. Puar konstatiert in diesem Kontext den Aufstieg einer globalen politischen Ökonomie des Neoliberalismus, die »whiteness as a queer norm and straightness as a racial norm« (Puar 2007: xxiv) sehen würde31 . Homonationalismus, so Puar, beinhalte damit eine Doppelbewegung einerseits des Annehmens nationalistischer Agenden durch gewisse Queers sowie andererseits deren Anerkennung in gewissen nationalistischen Agenden und geht mit einer Einstellung zivilisatorischer Überlegenheit einher (vgl. Puar 2007: xxiv). Nikita Dhawan (2015) schließt sich Puars Ausführungen zwar an, verkompliziert diese jedoch durch eine solidarische Kritik, die Puars Ansatz eine Eindimensionalität bescheinigt, welche sich als unzureichend für die Analyse der Verknüpfung verschiedener Machtdimensionen erweise. Homonationalistische Positionen würden bisweilen

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Dies geht einher mit Roderick A. Fergusons Diagnose, dass Homonationalismus nicht nur mit der Abwertung von anderen Nationen im Außen einhergeht, sondern auch mit der Vorstellung von homogenen weißen, Mittelklasseangehörigen innerhalb der Nation, die auch als queer denkbar werden und Rassifizierten, denen Heterosexualität zugeschrieben wird (vgl. Ferguson 2005: 53).

2. Theorien zum Zusammenhang von Nation, Ethnizität, Gender und Sexualität

einer Staatsphobie anheimfallen, die die Ambivalenz des Staates als »Quelle von Homophobie, Gewalt und Repression« einerseits und »Adressat postkolonialer queerer Strategien, um sexuelle Gerechtigkeit zu befördern« (Dhawan 2015: 49) anderseits, ausblende. Sie fordert daher eine »komplexere, multidirektionale Kritik, die gewalttätige Praktiken auf beiden Seiten der postkolonialen Trennlinie in den Blick nimmt« (Dhawan 2015: 38) und der »feministisch-postkoloniale[n] Auseinandersetzung mit Zwangsheterosexualität« (Dhawan 2015: 42) Rechnung trägt. Robert Nichols weist darüber hinaus darauf hin, dass Puars Konzept ein gewisser US-Zentrismus innewohnt und schlägt für europäische Kontexte vor, das Konzept des Homonationalimus mit Diskursen um Toleranz und liberalen Werten zusammenzubringen, die sich hier überlagerten (vgl. Nichols 2012: 51). Darüber hinaus sei dem US-amerikanische Homonationalismus ein Widerspruch eingeschrieben, da er an eine Vorstellung des US-amerikanischen (maskulinistischen und christlich-konservativen) Nationalismus und Exzeptionalismus gebunden ist, in dem europäische Nationen in homophober Manier als queer oder verwei/ch/b/licht abgewertet werden (vgl. Nichols 2012: 52). Diese Nuancen sind wichtig zu beachten, Jin Haritaworn (2009) oder Zülfukar Çetin (2015) weisen jedoch darauf hin, dass der Begriff des Homonationalismus im europäischen, genauer im deutschen Kontext jedoch sehr wohl greifen kann. Haritaworn beschreibt die deutsche Spielart des Homonationalismus als »Neuerfindung der deutschen Gesellschaft als ›schwulenfreundlich‹« (Haritaworn 2009: 53): »[Dies] geschieht durch die Verschiebung von Homophobie auf ihre Ränder, die sich spezifisch lokalisieren lassen. Während Homophobie als Problem von Kreuzberg, Neukölln, Schöneberg oder St. Georg ethnisiert wird, wird der Vorbehalt, dass es Homophobie auch unter Mehrheitsdeutschen gäbe, klassifiziert: ›Höchstens im tristesten Plattenbauverlies Ostdeutschlands‹, […], ›in den ausländerfreien Zonen der Provinz‹, ›rund um eine Kirche im bayerischen Dorf‹ (Bozic 2008)« (ebd.). Çetin beschreibt »den Homonationalismus als eine Ausdrucksform von Dominanzkultur« (Çetin 2015: 36) und dessen Ausbreitung und Etablierung ebenfalls im Zuge der Normalisierung des AIDS-Diskurses gegen Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er und hieran anschließend die Diskurse um die ›Ehe für Alle‹ (vgl. Çetin 2015: 37). Für ihn stellt Homonationalismus in Deutschland eine Form »›neue[r]‹ Sexualpolitik« (ebd.) dar. Hier bildet sich laut Çetin eine »Allianz von Staat, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Medien der Dominanzgesellschaft […], die durch Studien, Berichterstattung, Kampagnen und Soziale Arbeit einen Kampf der Kulturen im Namen der ›freiheitlich-demokratischen‹ Grundordnung der BRD offenbart« (Çetin 2015: 38). Sexuelle Politiken, die sich homonationalistischer Diskurse bedienen, stellten also für den Neoliberalismus, wie Gundula Ludwig genauer ausführt, wichtige Betätigungsfelder dar, um einen demokratischen Anschein aufrechterhalten zu können. Der Neoliberalismus sei, so Ludwig unter Bezug auf Wendy Brown (2005), im Kern zutiefst antidemokratisch, benötige aber »demokratisches Vokabular« (Ludwig 2016: 28) als Legitimationsgrundlage – sexuelle Politiken seien ein wichtiger Baustein hierfür (ebd.). So sei die Maßgabe der sexuellen Selbstkontrolle der Idee der sexuellen Selbstbestimmung

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Queere Nation?

gewichen, die zur Flexibilisierung des Sexualitätsdispositivs beigetragen habe (Ludwig 2016: 28). Dies korreliere mit Anrufung der Subjekte als unternehmerische im Neoliberalismus, immer angehalten ihre Individualität auszugestalten und zu optimieren. Da Sexualität auch im Neoliberalismus die ›innere Wahrheit‹ des Subjekts bedeute, hingen ein Gefühl von sexueller Selbstbestimmung und individueller Freiheit eng zusammen (vgl. Ludwig 2016: 30). Homonormative Politiken würden demnach ermöglichen, die Kernbegriffe des Neoliberalismus ›Privatisierung‹ und ›individuelle Verantwortung‹ in die Selbstführungsweisen von Subjekten einzuschreiben, damit durch neue Formen wie die ›Homo-Ehe‹ das Voranschreiten der Privatisierung von Sorge mitzubedingen und der anti-sozialen Stoßrichtung des Neoliberalismus Vorschub leisten (vgl. Ludwig 2016: 32). Sexualität fungiere damit als Scharnier für das Regieren über die Subjekte, denn über Sexualität könne das neoliberale Projekt in Alltagspraktiken verankert werden (vgl. Ludwig 2016: 33). Somit beeinflusst der Neoliberalismus nicht nur sexuelle Politiken, sondern sexuelle Politiken tragen zudem zu den Ermöglichungsbedingungen des Neoliberalismus bei (vgl. Ludwig 2016: 28f.). Daher regt Ludwig an, den Begriff der Heteronormativität zu überdenken und führt unter Bezug auf Foucaults Differenzierung von Normativität, Normalisierung und Normation den Begriff der Heteronormalisierung an, womit gemeint ist, dass unter der diskursiven Voraussetzung der Herstellung eines Ähnlichkeitsverhältnisses zwischen hetero- und homosexuellen Lebensweisen abweichende Lebensweisen integrierbar, domestiziert und damit entpolitisiert würden (vgl. Ludwig 2016: 35)32 . So ließe sich durch diese normalisierten Praktiken Teil der nationalen Gemeinschaft werden, wodurch auch die Fortschreibung der Degradierung nicht-westlicher Staaten begünstigt werde (vgl. Ludwig 2016: 39f.), die bereits bei Binnie, Duggan und Puar erwähnt wurde. Wie Raab betont, gebe es im Neoliberalismus jedoch nicht nur vereinnahmende Assimilation, sondern immer auch »neokonservative Verwerfungen von sexueller und geschlechtlicher Differenz« (Raab 2011: 136), also antifeministische und queerfeindliche Vorstöße von rechts bzw. »Resouveränisierungsstrategie[n] weißer hegemonialer Männlichkeit« (Henninger et al. 2020: 370). Diese gehen einher mit einem »Ethnosexismus« (Dietze 2019a: 12), bei dem Gender, Sexualität sowie Religionszugehörigkeit kulturalisiert (ebd.) und mit »okzidentale[r] Überlegenheitsproduktion« (Dietze 2019a: 14) verknüpft werden. Hierbei drückt sich antimuslimischer Rassismus über das Narrativ der angeblichen Bedrohtheit weißer (und damit als ›Nationszugehörige‹ gemeinte) Frauen aus33 . In diesem Kontext ist auch das Selbst- und Fremdverständnis der EU als queerfreundlich bedeutend, welches nicht nur mit der Förderung und Vereinnahmung von LBTIQ*-Rechten für das EU-Projekt einhergeht, sondern wie im Falle von Homonationalismus dazu eingesetzt wird, ethische Überlegenheit gegenüber den ›Anderen‹ herzustellen, während von EU-feindlichen oder rechten Akteur:innen zugleich Homosexualität nicht nur als westliches, sondern auch als EU-Produkt als Abzulehnendes betrachtet wird (vgl. Slootmaeckers 2019). In dieser Gemengelage und Gleichzeitigkeit ließe sich mit Heike Raab zu dem Schluss kommen, dass die Regulierungen von und Diskurse über (Homo-)Sexualität 32 33

Auch wenn ich die Denkbewegung Ludwigs ansprechend finde, spreche ich selbst diesbezüglich jedoch von Homo- oder Queernormalisierung bzw -normativität. Dieses Phänomen wurde von Sara Farris auch als ›Femonationalismus‹ bezeichnet (vgl. Farris 2011).

2. Theorien zum Zusammenhang von Nation, Ethnizität, Gender und Sexualität

widersprüchlich, heterogen und mit verschiedenen politischen Kämpfen verbunden sind (vgl. Raab 2011: 141). Um der die 1990er und 2000er Jahre bestimmende Ambivalenz zwischen bestehender Abwertung und sich verbreitender Normalisierung von zuvor als deviant markierten Sexualitäten in dem sich ausbreitenden Neoliberalismus cum Homonationalismus deutscher Version nach der Vereinigung Rechnung zu tragen, schließe ich mich den Überlegungen Antke Engels (2002) an, die das gleichzeitige Wirken der Machtmechanismen rigide Normativität, die mit Ausschlüssen sowie flexible Normalisierung, die mit Integration in hegemoniale Verhältnisse einhergeht, konstitutiv für neoliberale Gesellschaften ansieht (vgl. Engel 2002: 204). Engel schlägt vor, mit Hilfe der relationalen Begriffe der Enthierarchisierung und Denormalisierung den Blick eher darauf zu richten, inwiefern »Hierarchien und Normalisierungen verstärkt oder abgebaut werden« (ebd.), anstatt bestimmte Begriffe oder Zielsetzungen mit normativem Wert aufzuladen und festzuschreiben. Aus vorigen Ausführungen zeigt sich also das historisch durch Abwertung, sich seit den 1990er Jahren in Globalen Norden, aber vor allem für Deutschland durch die Entstehung und Erweiterung der Europäischen Union widersprüchlich – in einem Tanz von nationalstaatlichen Integrationspolitiken, homonationalistischen Überlegenheitsdiskursen und diskriminierenden Ausschlussforderungen von rechts – entfaltende Verhältnis von Homosexualität bzw. Queerness (hier hauptsächlich in ihrer Funktion als Sammelbegriff für LGBTI*-Identitäten) und Nation als komplexe Gemengelage, die mit dem Normalisierungsdiskurs in Bezug auf die deutsche Geschichte koindiziert. Wie dieser doppelte Normalisierungsdiskurs in den Filmen zum Tragen kommt und verhandelt wird, wird in den Analysen dieser Arbeit aufgegriffen.

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3. Film als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung

Als bedeutungsvolle Instanz gesellschaftlicher Sinnstiftungsprozesse wird Film für die wissenschaftliche Betrachtung interessant. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Medium Film fällt vielfältig aus und erfolgt aus unterschiedlichsten disziplinären Perspektiven. So lassen sich in den Geschichts-, Medien-, Kultur-, Literaturwissenschaften, der Soziologie, der Philosophie und den verschiedenen interdisziplinären Studies (Gender Studies, Cultural Studies, Critical Race Studies) Arbeiten zu Film finden. Darüber hinaus hat sich die Filmwissenschaft als eigene Disziplin etabliert. Somit ist es bei der Betrachtung von Filmtexten als Untersuchungsgegenständen – wie in der vorliegenden Arbeit der Fall – unerlässlich, die Perspektiven, aus denen Film hier betrachtet wird, vorzustellen. In diesem Abschnitt wird es einerseits darum gehen, meine theoretischen Zugänge zum und Verortungen im Feld der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Film darzulegen und andererseits darum, einen Überblick über Theoriediskussionen und Forschungsstand, welche in Bezug auf queeren Film relevant werden, zu geben. Meine Zugänge zum Medium Film werde ich anhand von Ansätzen, die sich mit dem Zusammenhang von filmischen Inszenierungen und Gesellschaft auseinandersetzen, erläutern. Anschießend gehe ich auf filmwissenschaftliche Diskussionen zu Film und Nation ein und komme anschließend unter Bezug auf feministische Filmtheorien zum queeren Film. Hier schließt das Kapitel nach einem Überblick über Forschungen zum queeren Film mit möglichen Defintionsansätzen queeren Films und setzt diese zu meinem Analysekorpus ins Verhältnis.

3.1 Film und Gesellschaft Dem audiovisuellen Medium Film wird die Fähigkeit zugesprochen, gesellschaftliche Geschehnisse so zu bearbeiten und einem Publikum kognitiv und emotional zugänglich zu machen, dass es zu Identitätsstiftungsprozessen beitragen kann (vgl. Preußer 2010: 216). Als Bestandteile gesellschaftlicher Prozesse in einer Gesellschaft, die von Medialisierung geprägt ist (vgl. Gradinari/Ritzer 2021: 4) kann je nachdem, was wie im Film inszeniert oder ausgespart wird, als bedeutungsvoll oder bedeutungslos für gesellschaftliche Beschäftigungs- und Verarbeitungsprozesse wirken (vgl. Hickethier

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Queere Nation?

2007: 16). Diese Prozesse sind dabei »immer auch mit Macht und Herrschaft verbunden« (Hickethier 2007: 19). Der narrative Spielfilm spielt hierbei eine bedeutende Rolle und damit auch die Fiktionalität desselben. Umberto Eco hat die Brüchigkeit der Grenze zwischen ›Fiktion‹ und ›Realität‹ aufgezeigt, da sich ›Fiktionen‹ in das ›kollektive Imaginäre‹ einschreiben und durch diese Einprägungen Glaubwürdigkeit für ›die Realität‹ erlangen (vgl. Eco 1984: 182f.). Wie Oliver Kohns darlegt, ist die Fiktion jedoch nicht als Gegensatz zum Realen zu denken, sondern konstitutiver Bestandteil der Begründung der sozialen und politischen Ordnung (vgl. Kohns 2014: 19). Es kommt also zu einer »Durchkreuzung der Unterscheidung zwischen ›real‹ und ›fiktiv‹« (ebd.). Ähnlich argumentiert Christine Gledhill in der Auseinandersetzung mit Genre und Gender, da sie »die Fiktionen der Medien […] weder als ›Spiegelungen‹ noch als ›Verzerrungen‹, die an einem fixen Paket primärer ›realer‹ Verhältnisse zu messen sind, […] sondern als Orte kultureller Zirkulation und sekundärer kreativer Ausarbeitung« (Gledhill 2004: 200) begreift, welche einen »eigenen Beitrag zu kulturellen Aushandlungsprozessen« (ebd.) leisten. So lässt sich mit Irina Gradinari und Johannes Pause (2018) (die sich u.a. auch auf Kohns beziehen) in Bezug auf den Realismus filmischer Inszenierungen (eine Rubrik, der sich auch die hier analysierten Filme größtenteils zuordnen lassen) sagen, dass »die Wirklichkeit […] ohne Medien(-Technologien) gar nicht mehr denkbar ist« (Gradinari/Pause 2018: 20). Medien und dabei insbesondere die filmischen Inszenierungen lassen sich damit als die vermachtete Wirklichkeit formend verstehen (vgl. Gradinari/Pause 2018: 21). Dabei können sie auch als third spaces (Bhabha 2004) fungieren, wenn sie Machtverhältnisse hegemonialer und marginalisierter Gruppen in einer Gesellschaft als solche inszenieren und sich dadurch ein Raum eröffnet, diese zu unterlaufen (vgl. Haase 2007: 5) oder werden als Instrument eingesetzt, spezifische politische oder Identitätsentwürfe zu artikulieren und zu verhandeln. Als Feld, das sich explizit mit dem Zusammenhang von Kultur, Medien und Macht beschäftigt, können die Cultural Studies gesehen werden, die sich seit etwa Mitte der 1960er Jahre zunächst vor allem in Großbritannien herausgebildet haben. Die Cultural Studies sehen sich als machtkritisches Projekt, innerhalb dessen sich mit Fragen sozialer Machtverteilung und Formen sozialer Differenz beschäftigt wird unter Blick auf die Rolle, die (massen)mediale Produkte dabei spielen, Machtverhältnisse und gesellschaftliche Ideologien aufrechtzuerhalten oder zu hinterfragen (vgl. Tinkcom/Villarejo 2001: 1). Oft auch verwendet als Überbegriff für eine Reihe kritischer Projekte in Bereichen von Feminismus, Queer Theory, Race Studies, Poststrukturalismus, materialistischen Analysen und Nationalismuskritik wollen sie (de-)konstruktivistisch und anti-essenzialistisch kritische Kulturanalyse betreiben. Film wird aus Sicht der Cultural Studies als soziale und kulturelle Praxis verstanden, die mit anderen sozialen und kulturellen Praktiken verknüpft ist (vgl. Winter 2003: 151). In der Filmanalyse sollen aus Sicht der Cultural Studies die filmischen Deutungsangebote herausgearbeitet und bezüglich ihrer Politik untersucht werden: »Konkret ist damit gemeint, die filmischen Bedeutungsangebote in ihrem soziokulturellen Kontext zu sehen und das Augenmerk darauf zu richten, welche Positionen für die Zuschauer/-innen [sic!] angeboten werden, in welcher Weise damit bestimmte Diskurse aufgegriffen, unterstützt, in Frage gestellt oder problematisiert werden bzw.

3. Film als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung

welche Verknüpfungen mit welchen Machtkonstellationen hergestellt werden« (Hipfl 2006: 165). Dabei ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Opposition von Mainstream und alternativen Filmen, universalistischen und partikularen Aussagen zunehmend unhaltbar und redundant wird (vgl. Tinkcom/Villarejo 2001: 3), da Filme immer weniger klare Positionen einnehmen, »sondern selbst anhaltende Aushandlungsprozesse in Gang setzen« (Gradinari/Immer/Pause 2018: 18), die die eigenen Axiome selbstreflexiv einbinden (ebd.). Im deutschsprachigen Raum überschneiden sich die Ideen der Cultural Studies mit filmsoziologischen Ansätzen und teilen mit den Cultural Studies die Überzeugung, dass Film und gesellschaftliche Dynamiken zusammengedacht werden müssen. Dies lässt sich bis zu Siegfried Kracauers ideologiekritischen Überlegungen zum Zusammenhang von Film und Gesellschaft in den 1940er Jahren zurückführen, der Film als Ästhetisierung der »psychologische[n] Dispositionen […], vorherrschenden[n] Haltungen und weit verbreitete[n] innere[n] Tendenzen« (Kracauer 1979 [1947]: 12) in einer Gesellschaft theoretisierte. Aus dieser Perspektive lassen sich Filme als gesellschaftliche Entwicklungen reflektierend, hervorbringend und antizipierend fassen. Filme geben somit Einblicke in »die jeweiligen Codierungen von Intimität, von Ängsten oder ethnischen Konflikten, […] stabilisieren dominante Sinnmuster, stellen diese aber auch in Frage« (Mai/Winter 2006: 11). In Bezug auf Gender und Sexualität lässt sich aus dieser Perspektive feststellen, dass medial-ästhetische Bearbeitungen von Gender und Sexualität mit gesellschaftlichen Strukturierungen dieser in einem wechselseitigen Beeinflussungsverhältnis zueinanderstehen und unser Wissen über diese Kategorien mitbestimmen (vgl. Saalfeld 2018: 153f.). Somit »dokumentieren und modifizieren« (Keppler/Peltzer 2018: 16) Filme Gesellschaft also und tun dies durch die Artikulation von Verständnissen bestimmter Elemente gesellschaftlichen Lebens. In der filmanalytischen Aufdeckung der Inszenierungsweisen filmischer Produkte lässt sich schließen »auf welche Weise mediale Produkte bestimmte Haltungen für die individuelle und gemeinschaftliche Praxis relevanter Themen und Entwicklungen präfigurieren und damit Teil des orientierenden Wissens der Mitglieder jeweiliger Gesellschaften werden können« (Keppler/Peltzer 2018: 17). Filmanalyse muss damit immer auch kritische Gesellschaftsanalyse sein (vgl. Winter 2012: 42). Vor dem Hintergrund dieser Einsichten stellt sich auch die Frage zum Zusammenhang von Film und Nation.

3.2 Film, Nation, (trans)nationales Kino Film und Nation In der Filmwissenschaft gilt »das Nationale als problematische Kategorie« (Hake 2004: 18), wobei in der Forschung Einigkeit darüber besteht, dass das Kino für nationale (Selbst-)Bilder das wichtigste Medium darstellt, denn seit seinem Beginn war das Kino mit dem Projekt der Nationalisierung und des Nationalismus verschränkt. Sowohl das

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Kino als auch die Nation als vergleichsweise neue Phänomene in der Geschichte nahmen immer schon sich verändernde und teils problematische Funktionen in Bezug aufeinander an (Williams 2002: 1). Moderne Nationalisierungstendenzen vollziehen sich im ähnlichen Zeitraum Ende des 19. Jahrhunderts, indem die Entwicklung und Popularisierung der Filmtechnik auftreten. Mit Bezug auf Andersons imagined community vertritt Bettina Mathes die Ansicht, dass visuelle Medien einen nicht weniger großen Einfluss auf die Weiterentwicklung von Nationen als der Buchdruck hatten (vgl. Mathes 2007: 8) – bereits in der Idee der ›Imagination‹ sei dem visuellen Feld eine besondere Bedeutung zugemessen (ebd.). Film bzw. Kino kann in diesem Kontext somit ein »besonders mächtiges Medium, um Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen« (Mathes 2007: 8) darstellen und wird deshalb bedeutend für Nationsbildungsprozesse und die Imagination der Nation angesehen (vgl. Hake 2004: 12) – Film kann so im Beitrag zur Produktion eines »Politischen Imaginären« (Doll/Kohns 2014) den Anschluss des Individuums an das politische Gemeinwesen, das selbst auch ein kollektives Bildrepertoire darstellt, ermöglichen. Da Medien und besonders der Film, der immer in Kollaboration vieler Akteur:innen entsteht, niemals vollkommen beherrschbar sind, geben sie immer auch Informationen über kognitive und emotionale kulturelle Prozesse und speichern damit auch mit Verweis auf Siegfried Kracauer das »Unbewusste der Nation« (Mathes 2007: 9). Diese Speicher- und Archivfunktion des Films ermöglicht es, »das Imaginäre des Vergangenen im Gegenwärtigen zu bewahren« (Hake 2004: 11), genau genommen Vergangenheit als Bestandteil der Gegenwart herzustellen (vgl. Gradinari 2020). Darüber hinaus stellte Kino von Beginn an auch eine Plattform für kulturelle, politische und gesellschaftliche Debatten und kritische Reflexion bereit, was sich besonders in Bezug auf Fragen nach nationaler Kultur und Identität immer wieder zeigte (Hake 2004: 5). In Anerkennung der immer schon medialen Vermitteltheit der Nation, ist es also naheliegend Film als wichtigen Faktor beim Nachvollziehen von Nationsbildungs- und -verhandlungsprozessen anzusehen (vgl. Logge 2014: 23). Dabei können Filme teilweise sogar an die Stelle »nationaler Mythen als kollektives Gedächtnis« (Mai/Winter 2006: 15) treten. Anstatt also nur als separat gedachte Entität mit der Nation in Beziehung zu stehen, stellt Kino einen bedeutenden Teil des Prozesses des Definierens der Nation dar, da Kino und andere Massenmedien als wichtige Arenen konfligierender Interessensgruppen, um über die Selbst- und Fremdverständnisse der Nation zu streiten, fungieren (vgl. Williams 2002: 4). Ein Film wird dann im nationalen Diskurs besonders interessant oder für diesen bedeutsam, wenn »nationale Themen« (Lüdeker 2012: 42), also solche gegenwärtigen oder historischen Themen und Ereignisse, die in Diskursen über die nationale Gemeinschaft Konjunktur bekommen, in einem Film »inhaltlich oder ästhetisch« (Lüdeker 2012: 274) verhandelt werden und es ihm gelingt »die Nation betreffende Gehalte aus dem kulturellen und kommunikativen Gedächtnis anzusprechen, zu aktivieren oder dort überhaupt erst zu platzieren« (ebd.). In Filmen finden sie Ausdruck in der wiederholten filmischen Aufmerksamkeitslenkung auf banale Nationalismen wie nationale Symbole, Orte, Denkmäler, gesprochenen Sprachen, durch Dialoge über nationale Identitäten, die Inszenierung historischer Ereignisse sowie intertextuelle Referenzen (vgl. Hjort 2000: 123ff.). Sie kommen in diversen Genres vor, werden über den Film hinweg entfaltet, verstehen sich oft als Intervention in bestehende Diskurse und verweisen oft auf Anerkennungspolitiken (ebd.). Hjort unterscheidet dabei die zwei Typen der mono- und interkulturellen

3. Film als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung

Themen, die je nostalgisch, ethnisch, polemisch oder ironisch (vgl. Hjort 2000: 129ff.). So sind nationale Themen mit Lüdeker »variabel, aber nicht beliebig« (Lüdeker 2012: 42, Herv.i.O.). Die Unterscheidung der Typen, wie sie Hjort vornimmt, kann zu einer gewissen Genreblindheit führen, dennoch kann der Ansatz der nationalen Themen die Verhandlung des Nationalen über Genres hinweg beschreiben und ermöglicht es so, einen breiteren Blick über Genres hinaus, die für gewöhnlich stark mit der Konsolidierung des Nationalen verbunden werden wie beispielweise der Kriegsfilm, einzunehmen. So wird deutlich, dass Film, der nationale Themen behandelt – verbunden mit der Tendenz des Films, Figuren zu typisieren, allegorisieren und über Genrekonventionen als Vertretung des Kollektivs (vgl. Gradinari 2021) zu abstrahieren – als »fiktionale (Auto-)Ethnografie[…]« (Figge 2015: 17) gesehen werden kann, anhand derer sich aus gegenwärtiger Perspektive Herstellungs- und Dekonstruktionsprozesse des Nationalen beobachten lassen (ebd.). Beide Prozesse sind für mein Verständnis zum Zusammenhang von Film und Nation sowie für meine Analyse in dieser Arbeit von Bedeutung, da es in dieser Arbeit nicht nur darum geht, zu zeigen, wie Film Nation produzieren und nationalistische Tendenzen vorantreiben kann, sondern auch wie Nation als zugehörigkeitsstiftender Bezugsrahmen durch Film befragt werden kann bzw. wie sich das mitunter ambivalente Wechselspiel dieser Sinngebungsprozesse gestaltet. In Bezug auf den explizierten sozialwissenschaftlichen Begriff der natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsordnung und deren Relevanz für die Charakterisierung der Nation seit den 1990er Jahren (vgl. Kapitel 2.1) ließe sich in Bezug auf Film gewendet also sagen, dass ›nationale Themen‹ in den 1990er und 2000er Jahren als ›natio-ethno-kulturelle Themen‹ an Bedeutung im Film gewinnen.

Nationales und transnationales Kino Mit der Idee der Nation ist neben der Kanonliteratur auch nationales Kino verbunden. Auch wenn der Zusammenhang von Nation und Film unbestritten scheint, bleibt einerseits die Frage nach einer Charakterisierung und Abgrenzung entsprechender jeweiliger nationaler Kinos eine komplexe. Soll also das Kino thematisch oder genrespezifisch auf nationale Kontexte und Symboliken beziehen oder diese kritisieren und gar unterwandern? Andererseits ist dem Kino als audiovisuellem Medium das gleiche Verfahren genuin, das nationale Metaphern international anschlussfähig macht. So popularisierte gerade der Italo-Western den Ursprungsmythos der USA über die Grenzen hinweg. Der Blick auf nationale Kanons, ästhetische Stile und institutionelle Rahmenbedingungen und die Idee der Abgrenzung unterschiedlicher nationaler Kinos sorgt somit für Debatten und diverse Ideen dazu, wie das ›nationale Kino‹ beschaffen sei. Für Alan Williams stellen Nationalkinos Schauplätze der Konflikte zwischen verschiedenen Interessensgruppen dar (vgl. Williams 2002: 5). Sie sind damit nicht ›Dinge‹ an sich, sondern Teile einer komplexen Dynamik, innerhalb derer Filme auf eine bestimmte Art und Weise Funktionen in Bezug auf die Nation erfüllen (sollen) und daher auch Waffen im Streit um Hegemonie im kompetitiven globalen Kapitalismus darstellen können (vgl. Williams 2002: 6). Filme könnten Werte und Verhaltensweisen, die mit einer bestimmten Nation assoziiert werden, reflektieren und verbreiten und zudem als eine Projektion der Nation angesehen werden (vgl. Williams 2002: 8f.). Durch die damit verbundene notwendige Abgrenzung sei nationales Kino immer nur in Relation zu anderen nationalen Kinos zu denken (vgl.

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Williams 2002: 10). Gegenwärtiges kommerzielles Kino ist für Williams am besten als Kontinuum zu beschreiben, bei dem Budget eine herausragende Rolle spielt: Er unterscheidet zwischen globalem und internationalem Kino. Globale Filme stellen dabei kapitalintensive Filme dar, die eher den Action-Genres zugeordnet werden können (vgl. Williams 2002: 17), wohingegen sich internationale Filme durch low budget und Filmfestivalorientierung auszeichnen und in der Tradition von Independent Cinema und Autor:innenkino stehen, wobei Autor:innenfilm grundsätzlich eher als eine männliche Kunstdomäne galt. Für Williams sind diese ›internationalen‹ Filme gleichzeitig auch selbstbewusst national, allerdings in einer oppositionellen Weise, sich gegen den eigenen Staatsapparat wendend; sie kommen aus einer nationalen Tradition, aber sind gegen diese, wenn auch innerhalb dieser zu verorten (vgl. Williams 2002: 18f.). Neben diesen unterscheidet Williams eine weitere Kategorie, nationale Filme mit mittlerem Budget, die für ein nationales Publikum gedacht sind, mit wenig Ambition zum Export (vgl. Williams 2002: 18). Stephen Crofts hingegen sieht nationale Filmkultur oft auch in Abgrenzung zu Hollywood definiert, wie es beispielsweise in Bezug auf die Kunstkinos europäischer Nationen der Fall sei (vgl. Crofts 2002: 29). Unter Bezug auf Thomas Elsaesser (1987) meint er jedoch auch, dass Hollywood nie als das totale Andere beschrieben werden könne, da so viel einer jeden nationalen Filmkultur implizit mit Hollywood verknüpft sei (Elsaesser 1987: 166, zit. in Crofts 2002: 26). Staatliche Filmförderung spielt für Crofts bei der Ausprägung einer nationalen Filmkultur zudem eine wichtige Rolle, da Filme mit staatlicher Filmförderung oft zu Selbstzensur neigten, um nicht die ›Hand zu beißen, die sie füttert‹ (vgl. Crofts 2002: 30). Der Begriff ›Nationales Kino‹ wird konventionellerweise also dazu verwendet, die Filme zu beschreiben, die innerhalb eines bestimmten Nationalstaats produziert werden. Andrew Higson (1989) meint jedoch, dies sei nicht nur nicht der einzige, sondern nicht der angemessenste Weg sie zu beschreiben und spricht sich dafür aus, die Rezeptionsseite viel stärker mit einzubeziehen (vgl. Higson 2002 [1989]: 52). In den diversen Verständnissen dessen, was als nationales Kino angesehen wird, sieht Higson vier Auslegungen: Ein industriebasiertes Verständnis frage danach, wo und von wem Filme gemacht werden; ein textbasiertes Verständnis danach, worum es in den Filmen gehe, welche nationalen Projektionen in den Filmen zu finden seien und in welchem Ausmaß sie daran beteiligt sind, ein Verständnis von Nationalität in den Filmen selbst zu erkunden, zu befragen und zu konstruieren; ein rezeptionsbasiertes Verständnis frage danach, welche Filme rezipiert, wo wie viel konsumiert werden; und ein kritikbasiertes Verständnis schließlich reduziere nationales Kino auf die Qualität des Kunstkinos und sei eher vorschreibend als beschreibend (vgl. Higson 2002 [1989]: 53). Higson selbst spricht sich am ehesten für ein rezeptionsbasiertes Modell aus, nationales Kino zu denken. Für Higson hat das nationale Kino immer auch eine generische Funktion, da es zur Etablierung eines auf Genres basierten narrativen Bilds einer Nation beiträgt (vgl. Higson 2002 [1989]: 54). Daher müsse es in Beziehung zu einer existierenden politischen, ökonomischen und kulturellen Identität wie auch nationalen Traditionen gesehen werden (vgl. Higson 2002 [1989]: 60). Die kulturelle Identität eines bestimmten nationalen Kinos sieht er bestimmt durch: Den Korpus von Filmen, der die dominanten Diskurse, Themen und Erzähltraditionen widerspiegelt, der Grad zu dem sich die Filme auf das beziehen, was als Natio-

3. Film als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung

nalerbe angesehen wird, die Art und Weise wie Kino selbst dazu beiträgt, die Nation zu produzieren, damit einhergehend der formelle Stil dieser Filme und die Gefühlsstrukturen und Weltsichten, die diese Filme produzieren (vgl. Higson 2002 [1989]: 62). Nationales Kino arbeitet für Higson immer in einer Doppelbewegung des Ausdrückens einer homogenisierten Nationalkultur sowie des Fort- und Weiterschreibens an der Konstruktion einer bestimmten Subjektivität (vgl. Higson 2002 [1989]: 63). In einem späteren Artikel revidiert Higson einige seiner früheren Positionen und kritisiert den Eurozentrismus und Anglozentrismus seiner Konzeption von nationalem Kino (vgl. Higson 2005: 62), seine Annahme, dass Filmbilder lediglich ›Projektionen‹ des Nationalen darstellten, revidiert er jedoch nicht. Er spricht sich für einen Rahmen aus, Kino zu denken, der das Nationale dezentriert, indem er auch regionale und transnationale Momente des Kinos in Bezug auf Produktion, Distribution und Rezeption anerkennt (vgl. Higson 2005: 66) und gleichzeitig kulturelle Diversität als Teil der Produktionsebene des nationalen Kinos sieht, anstatt von der Intention der Produktion einer homogenen, abgeschlossenen Gemeinschaft im nationalen Kino auszugehen (vgl. Higson 2005: 70f.). Dennoch hält er die Kategorie des Nationalen weiterhin für sinnvoll, um über Kino nachzudenken, aber nicht als essenzialistische und gegebene, sondern als kontingente, zu kontextualisierende und gegebenenfalls zu herausfordernde (vgl. Higson 2005: 72f.). Jerry White (2007) schlägt im Anschluss an Higson (2002 [1989]) vor, den Begriff des nationalen Kinos von seiner historischen Assoziation mit Nationalstaaten zu lösen, und spricht sich für ein flexibleres Verständnis davon aus, was nationales Kino sein kann, bei dem er sich mehr auf subnationale Einheiten und deren Publikum bezieht. White will in seinem Bestreben die Idee des nationalen Kinos umformen, weg von einem Verständnis des nationalen Kinos, das sich auf die feste territoriale Einheit des Nationalstaats oder Narrative, die sich explizit mit nationalen Themen auseinandersetzen, beziehen, hin zu einer Einbeziehung disperser (sub-)nationaler Kinos wie des kurdischen oder yiddischen Kinos, das über verschiedene Nationalstaaten verstreut ist, ohne dabei jedoch die Macht, die von nationalstaatlichen Institutionen in Bezug auf Filmförderung ausgeht, auszublenden (ebd.). Dabei präferiert er den Begriff des belonging, der von der Passzugehörigkeit unabhängig sein kann, anstatt von nationaler Identität zu sprechen und kann damit die Begrenztheit des konventionellen Verständnisses von nationalem Kino erweitern. Irina Gradinari (2020) schlägt mit dem Begriff ›Staatsgenre‹ eine analytische Kategorie vor, mit der sich für die von staatlicher Seite besonders bedeutsame Filme für das kollektive Gedächtnis fassen lassen können (vgl. Gradinari 2020: 11f.). Besonders gut budgetierte Genrefilme und hierin speziell Kriegsfilme fallen darunter, die die nationale Selbstvergewisserung konsolidieren sollen (ebd.). Mit Mette Hjort und Scott MacKenzie (2005) kann nationales Kino am besten in Bezug auf das Konflikthafte des Nationalen verstanden werden. Damit stellen Filme (als Filmtexte selbst und als Produkt der Aushandlung institutioneller Rahmenbedingungen) keine Repräsentation oder den Ausdruck feststehender Elemente nationaler Kultur dar, sondern sind selbst »loci of debates« (Hjort/MacKenzie 2005: 22) über die Geschichte und die umkämpften Selbstverständnisse der Nation. Diese Auffassung ähnelt Sabine Hakes Ausführungen zum nationalen Kino, die dieses als »eine Zusammensetzung aus vielen Kräften und Einflüssen […] innerhalb der existierenden Organisation und Interpretati-

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on von Kultur« (vgl. Hake 2004: 20) sieht und gleichzeitig den fiktionalen Charakter einer Vorstellung eines nationalen Kinos betont (vgl. Hake 2004: 16) sowie Irina Gradinaris Ideen zum Staatsgenre, »in dem aktuelle politische Identitäten verhandelt werden« (Gradinari 2020: 11). Hjorts/MacKenzies, Hakes und Gradinaris Konzeptualisierungen eröffnen einen Raum, in dem sich Assoziationen zum nationalen Kino zusammenführen lassen, ohne abschließende Antworten anhand präfigurierter Kategorien zu geben. Neben der Bedeutung des Nationalen für das Kino ist auch zu betonen, dass das Medium Film seit Beginn besonders auf der Seite der Produktion, Distribution und Rezeption auch immer mit transkulturellen und transnationalen Prozessen zusammenhing. So war die Geschichte des Kinos eine von komplexen Netzwerken, der Zusammenarbeit oder aber auch Konkurrenz verschiedener Nationen. Bereits gilt die Ära des Stummfilms bzw. des Frühen Films als Periode des regen Austauschs und der internationalen Kooperation in der Filmindustrie (vgl. Hake 2004: 23). In Anerkennung dessen und unter dem Eindruck der sich globalisierenden Medienkultur hat sich in den 2000er Jahren auch der Begriff des ›transnationalen Kinos‹ etabliert (vgl. Ezra/Rowden 2006). Transnationales Kino in diesem Verständnis meint die Tatsache, dass Filme, deren Ästhetiken und narrative Dynamiken die Auswirkungen des Kapitalismus, der Digitalisierung und Globalisierung und neuer Medientechnologien in einem vernetzten Weltsystem in verstärkter Weise reflektieren (vgl. Ezra/Rowden 2006: 1;7). Somit sind in der Idee des transnationalem Kinos sowohl die Anerkennung Hollywoods Dominanz und die gegenhegemonialen Antworten von Filmemacher:innen vormaliger Kolonien sowie Narrative über Migration und Diaspora enthalten (ebd.). Transnationales Kino ermögliche es demnach die sich verändernden Weisen, in denen die gegenwärtige Welt von einer immer größer werdenden Anzahl von Filmemacher:innen über verschiedene Genres hinweg als »global system rather than as a collection of more or less autonomous nations« (Ezra/Rowden 2006: 1) imaginiert wird, zu fassen. Film ist also immer auch in seiner Doppelbewegung, einem Oszillieren von Film als globalem Produkt wie auch als Vehikel für nationale Projekte zu sehen (vgl. Haase 2007: 1). Politische Gemengelage, ideologisch-hegemoniale Staatsausrichtung, staatliche Förderung oder Repression bestimmen die Kinoindustrien je mehr oder weniger und je nachdem werden Filme importiert oder exportiert bzw. finden Kooperationen in der Filmproduktion, Austausch im Filmpersonal, Übernahme oder Abgrenzung von bestimmten Ästhetiken und Dramaturgien statt oder nicht, v.a. in Bezug auf das Hollywood-Kino (vgl. Haase 2007: 17ff.). Verschränkt mit der Achse national – international/global/transnational müssen also die der sich immer ändernden politischen und ideologischen Bezüge gesehen werden (vgl. Hake 2004: 12), in deren Dienst Filme oft versucht werden zu stellen. Wie in allen Ländern war auch in Deutschland Film seit der Kaiserzeit ein beliebtes Mittel, die nationalistischen Bestrebungen und die Stimmung im Land zu verarbeiten (vgl. Conboy 1999: 355; siehe hierzu auch Kapitel 5). Besonders im post-nationalsozialistischen Zeitalter ist es beim Nachdenken über deutsches Kino zu berücksichtigen, dass Deutschlands problematische Geschichte die Populärkultur unter Verdacht setzte, Massen politisch zu manipulieren. Damit stellt es auch einen bedeutenden Teil deutscher Kinogeschichte dar, diese Identität zu problematisieren (vgl. O’Regan 2002: 123). Dementsprechend kann die Formel ›deutscher Film‹ mit Sabine Hake keine essenzialisitische

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Größe sein, sondern wird immer auch einen diskursiven Effekt darstellen – dabei geht es vor allem um »Spannungen zwischen den kulturellen, ökonomischen und politischen Festschreibungen des Nationalen« (Hake 2004: 14). Der diskursive Konstruktionscharakter des Labels ›deutscher Film‹ wird außerdem deutlich, wenn in Betracht gezogen wird, dass diese Beschreibung zugleich als Reaktion auf die Dominanz von Hollywood zu werten ist, wenn die immer schon große Zahl von nicht-Deutschen in der deutschen Filmindustrie miteinbezogen oder die Anzahl der Koproduktionen mit anderen Ländern mitbedacht werden (vgl. Hake 2004: 14). Somit ist es schwer, eine Uniformität in dem auszumachen, was als ›Nationalkino‹ oder ›nationaler Film‹ gilt, auch wenn Etiketten wie »Neuer deutscher Film« oder »Neues Deutsches Queeres Kino« im Diskurs vergeben werden; genau dieses Fehlen an Uniformität, das damit einhergehende Instabile der Kategorie des Nationalen in der Auseinandersetzung und in einem Spannungsfeld mit dem transnationalen kann mit Hake jedoch als eine bedeutende Eigenschaft von Filmen, die unter deutschem und generell nationalem Kino subsumiert werden, angesehen werden (ebd.). Auch wenn der Begriff des nationalen Kinos umstritten bleibt, möchte ich für dieses Projekt am Begriff des deutschen Kinos/Films für die Beschreibung der von mir ausgewählten Filme festhalten, weniger als einer essenzialistischen, als mehr einer analytischen Kategorie, die aber die inter-/transnationalen Aspekte des Filmschaffens und Kinos an sich nicht ausblendet, sondern mit dem Nationalen verwoben sieht. Mein Verständnis von ›nationalem Kino‹ schließt sich dabei White, Hjort/MacKenzie und Hake an und erkennt sowohl an, dass ›nationales Kino‹ in nationalstaatliche-institutionelle Rahmenbedingunen, wie Förderlandschaften und Produktionsinfrastruktur eingebunden ist, dabei dominanzkulturelle Verständnisse von Nation aufnehmen, diese aber auch kritisch reflektieren oder dekonstruieren und daher einen Knotenpunkt der Debatten über Nation und national belonging darstellen kann. ›Der nationale Film‹ befindet sich somit in einem kontinuierlichen Prozesse der Bedeutungsaushandlung. Dabei werden die transnationalen Dynamiken des Films im Zeitalter der neoliberalen Globalisierung nicht ausgeblendet, sondern ein Standpunkt eingenommen, von dem aus das Nationale und das Transnationale als sich gegenseitig durchdringend und nicht im Gegensatz zueinander stehend gesehen werden können.

3.3 Film, Gender und Sexualität Von der Feministischen Filmwissenschaft zu den Queer Film/Cinema Studies Die Frage nach der Erforschung von Gender und Sexualität im Zusammenhang mit Film wurde in Bezug auf an den Cultural Studies orientierte Ansätze bereits angedeutet, soll jetzt jedoch eingehender betrachtet werden. Mit Teresa de Lauretis kann Film als »Technologie des Geschlechts« (de Lauretis 1996:57) aufgefasst werden – Film und Gender stehen also in einem Wechselverhältnis zueinander und müssen beide als solche analysiert werden. Die Brille feministischer Filmwissenschaft ermöglicht es, den Blick darauf zu lenken, wie vergeschlechtlicht-sexualisierte Machtverhältnisse in der filmischen Bildproduktion verarbeitet und erzeugt werden. Indem Gender zur zentralen Analysekategorie im Filmischen gemacht wird, können diese Machtverhältnisse analysiert werden,

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während neuere Ansätze in intersektionalen/interdependenten Analysen darüber hinausgehen. Während frühe feministische Filmforschung sich auf die Fragen konzentrierte welche ›Bilder von Frauen‹ in Bewegtbildproduktionen hervorgebracht werden und Film als Abbild der Realität verstanden (vgl. Treiblmayr 2015: 54), vollzog sich Mitte der 1970er Jahre eine theoretische Wendung, bei der Film als »zeichenproduzierende Praxis« (Trischak 2002: 2) erkannt wurde. Im Weiteren stellte sich mit Laura Mulveys psychoanalytischer Theoretisierung des ›männlichen Blicks‹ ein Paradigmenwechsel in der feministischen Filmforschung ein (vgl. Mulvey 1985 [1975]). Mulvey unterscheidet in ihrem Aufsatz drei ›männliche Blicke‹ im (Hollywood-)Film: Den der Kamera, den der Zuschauer:innen, die notwendigerweise den Blicken der ›männlichen‹ Kamera folgen und den der männlichen Filmprotagonisten, während Frauen die Angeblickten darstellen (vgl. Mulvey 1985 [1975]). Mulveys Konzept wurde viel beachtet, aber auch für seine Ahistorizität oder die Annahme eines monolithischen männlichen Blicks sowie die Vernachlässigung der Position der weiblichen Zuschauerin kritisiert. Allerdings konnten neuere Ansätze oft auf Mulveys Konzept aufbauen oder dieses weiterentwickeln, z.B. in Theorien des oppositional gaze aus einer Schwarzen Perspektive (vgl. hooks 1992), in Bezug auf die Entlarvung kolonialer Blickstrukturen (vgl. Kaplan 1997) oder in queeren Blicktheorien (mehr dazu später in diesem Kapitel) (vgl. Straayer 1995; Halberstam 1998; 2001). Seit Mitte der 1970er Jahre wurde auch postmodernen dekonstruktivistischen Ansätzen mehr Beachtung geschenkt: Während Kaja Silverman diese in der Theoretisierung der weiblichen Stimme im Film mit den psychoanalytischen Ansätzen verbindet (vgl. Silverman 1988), entwirft de Lauretis ein Modell nicht-binarisierter Gender-Identitäten, die flexibel und multipel sind und sich nicht nur an Gender ausrichten, sondern Race, Klasse und Individuum auf offene Art und Weise in die Analyse mit einbeziehen und dabei (Gender-)Kategorien dekonstruieren sollen (vgl. de Lauretis 1996; Lange 2007: 41). Schwul-lesbische Filmwissenschaft und seit den 1990er Jahren Queer Film und Cinema Studies beziehen sich so zum Teil auf Erkenntnisse aus feministischer Filmwissenschaft, machen aber auch auf die blinden Flecke aufmerksam, den die feministische Filmwissenschaft bis in die 1980er Jahre behielt: Die ihren Theoretisierungen zugrunde liegende Heteronormativität (Smelik 2007: 497). Schwule und lesbische Kritiker:innen intervenierten in die Lücken der bisherigen Filmforschung mit ›queeren‹ Lesarten klassischer Hollywood-Filme sowie mit der Beschäftigung mit Filmen, die von Schwulen und Lesben produziert wurden (vgl. Smelik 2007: 498), mit queeren Inhalten in Filmen oder mit Fragen nach dem queeren Publikum. Die Forschung zu Queer-Cinema blickt auf ein beeindruckendes Feld zurück, dessen Entfaltung bis vor kurzem vor allem in den USA möglich war. Die Anfänge im angelsächsischen Raum waren zunächst davon geprägt, die Sichtbarkeit und Anerkennung schwul-lesbischer und bisexueller Figuren und deren Darstellung im Film herauszustellen und die Positionierung im akademischen Diskurs. Der Filmkritiker Parker Tyler machte hier mit Screening the Sexes: Homosexuality in the Movies einen Anfang, indem besonders schwule Kinoaffinität in den Mittelpunkt gestellt wurde (vgl. Adnum 2011). Die ersten beachteteren Beiträge aus der schwul-lesbischen Filmwissenschaft gibt es seit den 1970er Jahren. Das Magazin Jump Cut wurde in diesem Zusammenhang ein wichtiges Medium für schwul-lesbische Filmwissenschaft (vgl.

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Creekmur/Doty 1995: 5) und brachte immer wieder Ausgaben heraus, die sich explizit schwul-lesbischem Film widmeten (vgl. Mangin 1989: 51). Thomas Waugh’s Aufsätze wie bspw. A Fag-Spotters Guide to Eisenstein wurden in den 1970ern in Jump Cut publiziert und Robin Wood’s bekannt gewordener Aufsatz Responsibilities of a Gay Film Critic erschien 1978 als Aufsatz in Film Quarterly (ebd.). Besonders Richard Dyers Sammelband Gays and Film (1978) und Vito Russos The Celluloid Closet: Homosexuality and the Movies (1981) wurden als Studien sehr bekannt. Dyers für das Britische Filminstitut erschienene Buch von 1978 enthielt Aufsätze, die Stereotypisierung, Pornographie, Politik und Ideologie oder schwule Filmproduktion diskutierten (vgl. Kaplan 2008: 21). Vito Russos Studie The Celluloid Closet (welche 1995 auch als Dokumentarfilm erschien) von 1981 kritisierte das unterdrückerische Bild von Schwulen im Mainstream-Kino und forderte schwule und lesbische Filmemacher:innen und Schauspieler:innen zum Coming-Out heraus, um ihr Filmemachen zu politisieren (ebd.). Lesbische Positionen blieben im akademischen Diskurs zunächst weniger gehört, was vermutlich auch daran liegt, dass lesbische Wissenschaftlerinnen weniger machtvolle Positionen bekleideten als schwule Männer (vgl. Creekmur/Doty 1995: 5). Caroline Sheldons Lesbians and Film (1977) stellte eine der ersten explizit lesbischen filmwissenschaftlichen Publikationen dar. Lesbische Wissenschaftlerinnen analysierten in Folgearbeiten lesbische Tropen im Hollywood-Film und beschäftigten sich mit den starken Frauenfiguren in Filmen der 1930er und 1940er Jahre sowie mit Filmen von Feministinnen über Lesben (vgl. Kaplan 2008: 21). Lucy Arbuthnot und Gayle Seneca beschrieben in ihrer Analyse von Gentlemen Prefer Blondes (1953) bspw. das implizite lesbische bonding zwischen Marilyn Monroe und Jane Russell (vgl. Arbuthnot/Seneca 1990: 112ff.). Weitere einflussreiche Publikationen der früheren (anglophonen) schwul-lesbischen Filmwissenschaft umfassen zum Beispiel James Hobermans und Jonathan Rosenbaums Midnight Movies von 1983, eine Aufsatzsammlung, die Filme von Filmemacher:innen wie Kenneth Anger, Andy Warhol, Paul Morissey oder Isaac Julien untersucht, The Uninvited (1990) von Patricia White, die implizites lesbisches Begehren zwischen weiblichen Figuren im Hollywood-Film weiter erforscht oder Richard Dyers Now You See It (1990), in dem er Filme von schwulen und lesbischen Regisseur:innen als notwendige Fiktionen beschreibt (vgl. Dyer 1990: 264). Einen wichtigen Beitrag zur Theoretisierung von Gender, Sexualität und Film(genres) aus nicht-heteronormativer Perspektive hat in den 1990er Jahren außerdem Carol J. Clover geleistet. In ihrer einflussreichen Studie Men, Women and Chain Saws: Gender in the Modern Horror Film (1992) untersucht sie Subgenres von Horrorfilmen, in denen weibliche Figuren oder Gender-Themen besonders stark vertreten sind: Slasher-Filme, Okkult-Horror und Rape-Revenge-Filme. Sie legt die Filmstrukturen offen, die die Identifikation mit dem final girl anstatt deren männlichen Peinigern ermöglichen (vgl. Clover 1992: 8). Sie argumentiert, dass die Heldinnen in Slasher-Filmen als transformierte Männer angesehen werden können und bewertet die Gewalt gegen Frauen als einen Platzhalter für Sex zwischen Männern (vgl. Clover 1992: 107/15). Somit trägt sie zu einem nicht-deterministischen Verständnis filmischer Blickregime bei, zeigt die Verbindungslinien in den Inszenierungsweisen zwischen Gender und Sexualität auf und liest den Horrorfilm queer (noch bevor dies in der Filmtheorie so bezeichnet wurde).

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Clovers Studie kündigt auch die Verschiebung von den schwul-lesbischen zu den Queer Cinema Studies an, die sich mit den 1990er Jahren einstellt. Nun ging es darum, Hetero- und Homonormativität analysieren. In gegenseitiger Inspiration von Filmtheorie und Queer Theory konnten und können mit dem Blick der Queer Cinema Studies grundlegende Fragen zu Normierungen in Bildproduktion und Wahrnehmungsstrukturen gestellt werden (vgl. Tedjasukmana 2016: 612). In diesem Zusammenhang sind Alexander Dotys Queer Readings beispielsweise in Making Things Perfectly Queer (1993) zu erwähnen: Hierbei deckt Doty durch textuelle und kontextuelle Analysen queere Elemente im Mainstream-Film auf und bietet somit einen neuen Blick auf kulturelle Produkte an, queert das Auteur-Konzept und betont den Rezeptionsprozess des Publikums für die Entwicklung einer queeren Lesart (vgl. Doty 1993). In den queeren Lektüren von Filmen wie Dotys können neue Blicke auf Filmtexte entstehen und zuvor nicht bedachte Lesarten werden ermöglicht (vgl. Tadjesukmana 2016: 615). In der queeren Rekonzeptualisierung des Blicks waren Jack Halberstams Analysen einflussreich. In Female Masculinity (1998) beschreibt er einen »queer gaze« (Halberstam 1998: 175), indem er eine psychoanalytische Blicktheorie à la Laura Mulvey vermeidet und davon ausgeht, dass der Blick schon immer multidimensional ist (vgl. Halberstam 1998: 179). So könnten queere Verbindungen zur Schaulust im Kino hergestellt werden, die nicht durch das psychoanalytische Sprachgerüst beschränkt wird (ebd.). In Halberstams bekanntgewordener Analyse von Boys Don’t Cry (1999) sieht er im Film einen »transgender gaze« (Halberstam 2001: 294) konstruiert, indem das Publikum durch die Kameraführung dazu gezwungen wird, dem Blick der trans Figur Brandon zu folgen (ebd.). Ebenfalls mit Bezug auf Boys Don’t Cry (1999) sowie auf Mansfield Park (1999) konzeptualisiert Michele Aaron die:den »new queer spectator« (Aaron 2004b: 197), die:der sich durch die queerer werdende Konstruktion der Blickregime im US-amerikanischen bzw. westlichen Mainstreamfilm und die breitere Rezeption queerer Figuren auszeichnet (vgl. Aaron 2004b: 197f.). Dennoch warnt Aaron vor allzu großem Enthusiasmus, da empirische Publikumsstudien auch zeigten, dass eine große Lücke zwischen queerer Intention und realer Mainstream-Rezeption von Filmen bestehe und darüber hinaus wenig assimilierte Queers immer noch oder sogar vermehrt aus queeren Mainstream-Filmen ausgeschlossen blieben (ebd.). Michele Aarons Sammelband New Queer Cinema: A Critical Reader, aus dem auch ihr Artikel über new queer spectatorship stammt, beschreibt, wie aus einem radikalen Impuls zu Ende der 1990er Jahre ein Nischenmarkt für queeres Publikum geworden war und wie queere Narrative langsam aber stetig in den Mainstream einsickerten (vgl. Aaron 2004a: 8f.). Als umfassende Studie zu Filmen, Filmemacher:innen und Ästhetiken des New Queer Cinema leistet der Sammelband einen bedeutenden Beitrag zur Übersicht des Felds, aber auch zu dessen weiterer Kanonisierung. In Queer Cinema: Schoolgirls, Vampires, and Gay Cowboys (2012) beschäftigt sich Barbara Mennel mit der Herausbildung und Entwicklung der Tropen von Queerness im Mainstream- wie queerem Kino. Dabei gibt sie einen Überblick über queere Spuren in der Filmgeschichte von den Anfängen des Weimarer Kinos über das New Queer Cinema der 1990er Jahre bis zum globalen queeren Kino der Gegenwart. In der Reihe der historischen und Übersichtsarbeiten lassen sich auch die Arbeiten von Harry M. Benshoff and Sean Griffin nennen, die mit ihrem Sammelband Queer Cinema: The Film Reader (2004) und ih-

3. Film als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung

rer Anthologie Queer Images. A History of Gay and Lesbian Film in America (2010) bedeutende Beiträge zur schwul-lesbisch-queeren Filmgeschichtsschreibung und zur differenzierten Auseinandersetzung mit schwul-lesbisch-queerer Filmproduktion geleistet haben. Mit den 2010er Jahren erweitert sich schließlich auch der Fokus der anglozentristischen Queer-Film-Forschung. In ihrer Publikation New Queer Cinema: The Director’s Cut (2013), der von ihr so benannten Welle des Filmschaffens, geht B. Ruby Rich über den US-Kanon mit der Thematisierung ›internationaler‹ Filme hinaus und kommentiert neuere Entwicklungen im queeren Kino. Karl Schoonovers und Rosalind Galts Queer Cinema in the World (2016) weitet den Blick im Vergleich zu genannten Publikationen jedoch nochmals deutlich, indem es die Frage nach dem Zusammenspiel von queeren Politiken und Weltkino zum Ausgangspunkt nimmt. Die Autor:innen möchten eurozentristische Sichtweisen mit der Frage nach der Konstruktion verschiedener Welten (worlding) dezentrieren und zeigen, wie globales queeres Kino Alternativen zu dominanten kapitalistischen, nationalen hetero- und homonormativen Weltbildern anbieten kann. Im Zuge der größeren Sichtbarwerdung der Trans Studies sowie von trans im Film formieren sich in den letzten Jahren auch die Trans Cinema Studies (vgl. Loist 2018: 40; Steinbock 2016). In diesem Zusammenhang sind die Studien von Annette Raczuhn (2018) Trans*Gender im Film: Zur Entstehung von Alltagswissen über transsex* in der filmisch-narrativen Inszenierung und Rebecca Bell-Metereau (2019) Transgender Cinema, die beide einen Überblick über trans im Film geben, federführend. Auch Wiebke Straubes 2014 erschienene Dissertation Trans Cinema and its Exit Scapes: A Transfeminist Reading of Utopian Sensibility and Gender Dissidence in Contemporary Film (2014) schlägt in diese Kerbe und beschäftigt sich mit den ästhetischen Strategien in Trans Filmen, die Momente utopischer Sensibilitäten entstehen lassen. Auch Studien zu queerer Filmkultur und queeren Produktionskontexten (vgl. bspw. Henderson 2008; Loist 2015) wurden in den letzten Jahren populärer. Wie aus den vorangegangenen Ausführungen deutlich wird, ist deutschsprachige Forschung zu queerem Film und Forschung zu (zeitgenössischem) deutschen queerem Film rar gesät. 2018 erschien der erste deutschsprachige Sammelband zu queerem Film Queer Cinema (Brunow/Dickel: 2018), in dem Ruby Richs kanonisierter Text New Queer Cinema erstmals auf deutsch übersetzt vorliegt und Analysen zu verschiedenen deutsch- und nicht deutschsprachigen queeren Filmen enthalten sind – ein Meilenstein der deutschsprachigen Forschung zum queeren Film. Zu deutschem, queeren Film existieren neben Einzel-/Überblicksaufsätzen in Sammelbänden oder Tagungsbeiträgen kaum umfassendere Auseinandersetzungen, jedoch sind hier auch Ausnahmen zu finden. So zum Beispiel die englischsprachige Arbeit der kanadischen Germanistin Alice Kuzniar The Queer German Cinema (Kuzniar 2000), in der Kuzniar unterschiedliche Beispiele deutschen, queeren Kinos bis zurück in die 1920er Jahre heranzieht und deren transformatives Potenzial diskutiert. Auch Christopher Treiblmayrs Studie Bewegte Männer: Männlichkeit und männliche Homosexualität im deutschen Kino der 1990er, die sich als geschichtswissenschaftlicher Beitrag mit deutschen Filmen, die männliche Homosexualität thematisieren, beschäftigt, kann in diesem Zusammenhang gesehen werden. Auch wenn ein Großteil der Forschung zum queeren (auch deutschen queeren) Film sich in den anglophonen Akademien konzentriert, ist jedoch insgesamt auch

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eine Extensivierung und Vervielfältigung der Studien im deutschsprachigen Raum zu verzeichnen.

Definitiorische Annäherung an Queeren Film Die Frage, was genau einen queeren (Spiel-)Film zu einem solchen macht, bleibt mit dem Hinweis auf die Analyse dem Anspruch an die Dekonstruktion von Hetero- und Homonormativität jedoch nur unzureichend beantwortet. Was macht einen Queer-Film also genau aus? Und wer entscheidet das? Es besteht hier nicht immer Einigkeit in der wissenschaftlichen Debatte und es wird immer wieder diskutiert, ob Produktion, Filmtext selbst, Rezeption oder deren Zusammenspiel bestimmen, was queeres Kino ist. Mit Karl Schoonover und Rosalind Galt ließe sich argumentieren, dass Kino als inhärent queeres Medium gesehen werden kann, da einerseits queere Filmschaffende schon immer Teil des breiteren Filmkanons waren und andererseits selbst die dominantesten Modi an Blickregimen immer wieder eine Gendermobilität von ihrem Publikum erforderten (vgl. Schoonover/Galt 2016: 11ff.). Die Autor:innen lehnen eine Festschreibung dessen, was als queerer Film gelten soll, ab und betonen stattdessen die queeren affektiven Strukturen, die die verschiedenen Filme, die sie untersuchen, hervorrufen (vgl. Schoonover/Galt 2016: 20ff.).Wenngleich es hilfreich ist, sich die schon immer queeren Potenziale des Kinos zu vergegenwärtigen, scheint eine weitere Spezifizierung, was queeres Kino (noch) sein könnte, sinnvoll. Alice Kuzniar, die ›queer‹ als Doppelbegriff sieht, der manchmal in Übereinstimmung mit schwul oder lesbisch und manchmal im Widerspruch zu diesen Kategorisierungen agiert (vgl. Kuzniar 2000: 257), sind Queer-Filme vor allem solche, die sich in einem Feld von »counterpolitics« (Kuzniar 2000: 258) in Bezug auf Sexualität und Gender bewegen. Für Kuzniar wenden sich Queer-Filme gegen festgeschriebene Identitätskategorien, manchmal auf experimentelle Art und Weise, dissident oder unvorhersehbar (vgl. Kuzniar 2000: ebd.). Damit sind Queer-Filme solche, die sich gegen Diskurse oder Ideologien stellen, die versuchen, sexuelles Verhalten oder Gender in Regeln zu gießen, egal ob diese aus Hetero- oder Nicht-Hetero-Umfeldern kommen (vgl. Kuzniar 2000: 258). Somit ist für Kuzniar queeres Kino solches, das überzeugende Modelle für das Umarbeiten (remaking) von Identitäten und Begehrlichkeiten anbietet und diese nicht konsolidiert (vgl. Kuzniar 2000: 262f.). Dieses Umarbeiten kann beispielsweise durch die Umstrukturierung des Visuellen nahegelegt werden, die Transformationen des Selbst anregen könnten (vgl. Kuzniar 2000: 264). In diesem Sinne sei queeres Kino immer politisch, wenn auch nicht notwendigerweise aktivistisch (vgl. Kuzniar 2000: 259). Ähnlich argumentieren Harry Benshoff und Sean Griffin, die queere Filme als solche sehen, die sich in Beziehung zu Sexualitäten setzen, Filme, die es vermögen, menschliche Sexualität neu- oder umzudenken (vgl. Benshoff/Griffin 2004:1). Lesbische und Schwule Sexualitäten können in diesen enthalten sein, allgemein würde es sich jedoch um Filme handeln, die Nicht-Heterosexualitäten bzw. Sexualitäten, die sich nicht potenziell reproduktiver heterosexueller Monogamie verschreiben, thematisieren (vgl. Benshoff/Griffin 2004: ebd.). Queeres Kino wäre dann ein solches, das essenzialisierende Konzepte sexueller Identität in Frage stellt und zeigt, wie rigide Kategorisierungen menschliche Erfahrungen eigentlich nicht widerspiegeln.

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Der Filmemacher Todd Haynes beschreibt queere Filme als Möglichkeiten, nicht nur nicht-heterosexuelle Geschichten zu erzählen, sondern auch Wahrnehmungsgewohnheiten zu irritieren, beispielsweise durch die Strukturierung einer Erzählung entgegen dominanter Erzählkonventionen, um so die Strukturen der heteronormativ organisierten Welt hinterfragbar zu machen (vgl. Haynes im Interview mit Wyatt 1993: 8). Alexander Doty unterscheidet lesbische, schwule und bisexuelle Texte oder Textelemente von queeren. Während erstere Arbeiten, Positionen oder Lesarten von sich selbst so positionierenden Lesben, Schwulen und Bisexuellen meinen, die ihre sexuelle Orientierung in ihren Produktionen oder Rezeptionen parallelisieren, stellt queer in Dotys Verständnis nicht-heterosexuelle Arbeiten, Positionen oder Lesarten von Menschen dar, die entweder nicht dieselbe sexuelle Orientierung wie im Dargestellten teilen (er nennt hier als Beispiel schwule Männer, die Freude daran finden, eine lesbische Sitcom anzusehen) oder sich als nicht-heterosexuell, aber nicht als lesbisch, schwul oder bisexuell identifizieren (vgl. Doty 1993: xviii). Damit eröffnet er die Möglichkeit Queerness nicht nur im Text selbst, sondern auch in der Zuschauer:innenentscheidung und -haltung gegenüber einem Filmtext zu finden. Darüber hinaus ist Dotys Unterscheidung insofern hilfreich, als dass sie nicht annimmt, dass jeder Film mit schwulen oder lesbischen Figuren oder Themen notwendigerweise nicht-normative Perpsektiven vertritt. Nick Davis unternimmt den Versuch, Ideen zu queer mit Ansätzen von Gilles Deleuze zusammenzubringen. Im Ergebnis betrachtet Davis verschiedene Filme, in denen »minor queerness« (Davis 2013: 6) in Erscheinung tritt. Der Ausdruck ›minor queerness‹ ist dabei an das Konzept der »minor art« (Davis 2013: 5) von Deleuze und Guattari angelegt, das sie in Bezug auf Franz Kafka entwickelt haben. Minor art kann als eine Form künstlerischen Schaffens verstanden werden, mit dem marginalisierte Mitglieder die Ausdrucksformen der Dominanzkultur durch ihr Schaffen umformen und so ein neues kollektives Bewusstsein für ›Minorisierte‹ erzeugen (vgl. Davis 2013: ebd.). Davis’ Modell Deleuzianisch gedachten Queeren Kinos meint ein Kino, das Begehren deterritorialisieren, also aus seinen Strukturen lösen kann, um es umzugestalten (vgl. Davis 2013: 5). Dabei sollen auch für Davis Hetero-, aber auch Homonormativitäten herausgefordert werden (vgl. Davis 2013: 5). Die Filme, die Davis meint, könnten schwule und lesbische Themen oder Geschichten beinhalten und/oder ein nicht-heterosexuelles Publikum adressieren, würden sich jedoch nicht auf diese beschränken (vgl. Davis 2013: 24). Davis will seinen Fokus allgemein weniger darauflegen, was Queer-Filme sind, sondern darauf, was sie werden und tun (vgl. Davis 2013: 25). Er kommt schließlich zu einer Bestimmung davon, was Queere Filme ausmacht: »Perhaps, then, queer films are those that producers cannot resist making, which cannot be made (or marketed) as gay or lesbian films, yet which also cannot be made (or marketed) otherwise. Minorness lies in the how and the why of each filmmaker’s response to the paradox« (Davis 2013: 26). Festzuhalten bleibt, dass im Anschluss an die anti-identitäre und dekonstruktivistische Stoßrichtung der Queer Theory queere Filme als solche gesehen werden können, die sich in Beziehung zu Sexualität und Gender setzen, sich aber gegen festgeschriebene Identitätskategorien wenden. Queere Filme probieren dabei immer wieder visuelle Ausdrucksformen, die den Konventionen der Dominanzkultur entgegenlaufen und diese potenziell

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umstrukturieren und sind somit potenziell dem Autor:innenkino zuzuordnen. Es sollen tradierte Bilder transformiert und neue ästhetische Formen gefunden werden. Filmermacher:innen greifen so auf Erfahrungen des Experimentalkinos zurück, auch weil oft nur ein kleines Produktionsbudget zur Verfügung steht. Damit regen sie auch zum Umarbeiten von hegemonialen Identitätskonzepten an. Ähnlich wie Queer als Konzept ist auch das, was als queeres Kino bezeichnet werden kann, insgesamt jedoch nur relational und in Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen und historischen Kontext, in dem es entsteht, zu bestimmen. Was als queerer Film gilt oder rezipiert wird, ist also an den fluiden und sich immer verändernden gesellschaftlichen Aushandlungsprozess dessen, was als sexuelle und/oder identitätsstiftende Norm und was als deren Überschreitung gilt, gebunden (vgl. Loist 2018: 36). Queerness im Film, die Formen und Möglichkeiten der Darstellung stehen also in engem Wechselverhältnis zu hegemonialen Diskursen in Bezug auf Gender und Sexualität intersektional verschränkt/interdependent mit anderen Kategorisierungen sowie den Produktions- wie Rezeptionsbedingungen ihres Entstehungskontexts. Dabei bewegen sich queere Filme in einem paradoxen Verhältnis zu Identitätskategorien wie lesbisch oder schwul bzw. zu queer als Identitätsmarker (im Gegensatz zu queer als anti-normativ), da der Filmmarkt über dieselben identitären Kategorien funktioniert, über die es gilt, sich hinwegzusetzen. Auch mit beschriebenem Verständnis von queerem Film verschreibe ich mich in dieser Arbeit jedoch keinem präfiguriertem Verständnis davon, was ich als ›queeren‹ Film bewerte; stattdessen untersuche ich Filme, die in der akademischen Literatur als queere Filme diskutiert wurden (so beispielsweise bei Kuzniar 2000; Dawson 2018; Brunow 2020), unabhängig davon, ob sie einer oder anderen Definitionen oder ›idealtypischen‹ Vorstellungen von queeren Filmen standhalten, um Aussagen darüber treffen zu können, welche ›natio-ethno-kulturellen Themen‹ in den Filmen, die als queer gelten, relevant werden bzw. welche Funktionen Queerness hier in Bezug auf natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit einnimmt und wie diese verhandelt werden. Dabei handelt es sich bei allen Filmen um Filme, bei denen Nicht-Heterosexualität als zentrales Handlungselement zum Einsatz kommt, in manchen Filmen auch die Überschreitung von Gender-Binaritäten. Alle hier analysierten Filme installieren queere Figuren1 als zentral für ihren Filmtext, ihre Form ist je nach Film jedoch mehr oder weniger an konventionalisierten Darstellungsformen und Genrenormen ausgerichtet. In diesem Zusammenhang ist vor allem die ästhetische und sozialpolitische Spannung von Queerness und Genrehaftigkeit, welche mit dem Themen und Ideen der Nationen verbunden ist, und damit die von Subversion und Affirmation, von Innovation und Tradition, von Dekonstruktion und Stabi1

Die Selbst- und Fremdpositionierung der Figuren variiert: Manche Figuren bezeichnen sich oder werden dezidiert als ›lesbisch‹ oder ›schwul‹ bezeichnet, in einem Großteil der Filme bleibt eine genaue Positionierung zu Identitätsmarkern jedoch offen und Nicht-Heterosexualität oder die Überschreitung des Genderbinarismus werden zwar (oft auch in Verbindung mit einem CoimgOut-Narrativ) dargestellt, aber nicht notwendigerweise identitär eingeordnet. Da die Filme alle, wie beschrieben, als ›queere Filme‹ gelten, werde ich auf die Figuren größtenteils als ›queere Figuren‹ Bezug nehmen, je nach der Inszenierungsweise und Thematisierung im Film auch Bezug auf ›lesbisch‹ oder ›schwul‹ nehmen. ›Queerness‹ fungiert hier also als Begriff zum Verweis auf die Überschreitung der zweigeschlechtlichen Hetero-Norm und die Spannung der Doppeldefinition als Sammelbegriff für LGBTIQAA+-Identitäten und Norm- bzw. Identitätskritik bleibt bestehen.

3. Film als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung

lisierung, ja von Ausgeschlossensein und Hegemonie von Bedeutung. Die Filme wurden im Kino oder Fernsehen ausgestrahlt, erhielten fast alle auch staatliche Filmförderungen und stellen alle narrative Spielfilme dar. Die jeweiligen Filmemacher:innen identifizieren sich bisweilen als schwul, lesbisch oder queer, aber nicht bei allen Filmen ist dies der Fall. Bevor ich zur Analyse der Filme übergehe, widme ich mich im nächsten Kapitel jedoch der (komplizierten) Geschichte von Queerness in der deutschen Filmgeschichte, auf die sich die Filmemacher:innen der Gegenwart zurückgreifen und mit der sie sich auseinadersetzen.

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4. Queere Spuren in der deutschen Filmgeschichte

Queerness im Film – oder das, was wir aus heutiger Perspektive als solche bezeichnen – deren Formen und Möglichkeiten der Darstellung stehen in engem Wechselverhältnis zu hegemonialen Diskursen in Bezug auf Gender, Sexualität und Nation sowie Produktions- und Rezeptionsbedingungen ihrer Entstehungszeit, wie auch schon im vorangegangenen Kapitel deutlich wurde; politische, kulturelle und (produktions)ökonomische Kontexte bestimmen also immer mit, welche queeren Filme oder Filme mit aus heutiger Sicht ›queeren Spuren‹ zu welcher Zeit entstehen können und wie sich die eventuelle Verknüpfung mit Themen, die natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsverhältnisse betreffen, im queeren Film darstellen. Je nachdem, welche Definition von queerem Kino oder Queer-Filmen angelegt wird, ändert sich das Feld dessen, was rückblickend als Queer-Film gegolten haben mag. So ist eine Geschichtsschreibung, die Queerness und Film zusammenbringt immer auch als Konstruktion zu betrachten (wie im Übrigen jede Form der Geschichtsschreibung). ›Queere‹ Filme, wenn von ihnen in der Vergangenheit vor den 1990er-Jahren gesprochen wird, sind demnach immer auch als eine Projektion aktueller Konzepte aus der Gegenwart in die Vergangenheit zu betrachten. Dabei werden ›LGBTI*‹ und ›Queer‹, auch wenn sie im Kern andere Grundannahmen vertreten, oft synonym verwendet oder die Verwendungsweisen überschneiden sich stark (wie ich auch im vorigen Abschnitt in Bezug auf das heutige Verständnis von queerem Film erläutert habe). Dennoch ist es gewinnbringend, die Geschichte heteronormativitäts-dissdenter und expliziter und aber auch queer kodierter und implizierter oder aus heutiger Sicht queerfeindlicher Spuren im Film zu betrachten, um die anschließend analysierten Filme in diesem ästhetisch-historischen Kontext sehen zu können, die die Filme in ihren Inszenierungsweisen mitprägen. Es lässt sich also darüber streiten, wann der erste deutsche Queer-Film entstanden ist. Alice A. Kuzniar und Rebecca Beirne zufolge, denen ich mich anschließe, kann der deutsche Queer-Film auf eine mittlerweile über 100-jährige Geschichte zurückblicken (vgl. Kuzniar 2000: 171; Beirne 2012: 169). Innerhalb dieser Geschichte gilt deutscher queerer Film seit der Stummfilmzeit immer wieder als Pionier in der Darstellung queerer Gender und Sexualitäten (vgl. Brunow 2020: 371). Anders als die Andern von Richard Oswald aus dem Jahre 1919 gilt in der akademischen Literatur meist als erster queerer deutscher Film, doch bereits in der Kaiserzeit gab es Vorläufer queerer Filme wie Ge-

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schlechterwechselkomödien, welche wiederum auf Vaudeville und Boulervardkomödien zurückgehen. Was hier nachgezeichnet werden soll, ist ein Abriss aus der Geschichte von Queerness im deutschen Film, der jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Abgeschlossenheit erhebt, sondern Trends und Entwicklungen darstellen möchte.

4.1 Experimente der Kaiserzeit Die Zeit des ›Deutschen Kaiserreichs‹ (ein retrospektiver und historisch unscharfer Begriff, der die Zeit von 1871–1918, also bis zur Ausrufung der ›Weimarer Republik‹, umfasst) stellte eine »antagonistische […] Gesellschaft« (Wehler 1994: 234) dar, die sich durch Modernisierung, Urbanisierung und Industrialisierung auszeichnet, aber auch dem Anhaften an überkommenen ständischen Traditionen (vgl. Wehler 1994: 19ff.). Darüber hinaus spielten Expansionismus, Kolonialismus und Militarismus eine herausragende Rolle in der kaiserlichen Innen- und Außenpolitik (ebd.), die die soldatische Männlichkeit zu konsolidieren versuchten. Diese widerstreitenden gesellschaftlichen Entwicklungen spiegeln sich auch auf dem Gebiet der Regulierung von (Homo-)Sexualität wider, welches ein Kampffeld zwischen Kriminalisierung und Kampf gegen diese darstellte (vgl. Kapitel 2.3) Der Film als Medium war eng verknüpft mit den Umwälzungen der Zeit. So zeigten sich im Film die damaligen Veränderungen wie Arbeitskämpfe und Frauenemanzipation (vgl. Hake 2004: 41), verknüpft mit dem Starsystem der Zeit: Während männliche Stars nationale und traditionelle Männlichkeit darstellten, nahmen weibliche Stars unterschiedliche Positionen von traditionell bis subversiv ein (vgl. Hake 2004: 40). Nationale und ethnische Markierungen fanden auch hier bereits statt, wenngleich sich Stereotypisierungsmuster im Film erst im Verlauf der Filmgeschichte herausbildeten. Mit dem Krieg wurde das noch relativ neue Medium Film stärker in dessen Dienst gestellt und mehr an den Zielen des Nationalismus ausgerichtet (vgl. Hake 2004: 51). Sabine Hake nennt dies das »nationalistische Erwachen des Kinos« (Hake 2004: 52). Durch Krieg entstand eine starke Verbindung zwischen Industrie und Staat, was die Filmtechnik und -kultur und somit die Wahrnehmung nachhaltig (vgl. Virilio 1986), auch nach dem Krieg, beeinflusste (vgl. Hake 2004: 51). Queere Spuren lassen sich im Film der Kaiserzeit hauptsächlich in den ›Geschlechterwechselkomödien‹ verorten. In der Komödie Aus eines Mannes Mädchenzeit von 1913 mit unbekannter:m Regisseur:in, die auf der literarischen Vorlage Aus eines Mannes Mädchenjahren, einer autobiographischen Erzählung einer Intersex-Figur, die unter dem Pseudonym N.O. Body 1907 veröffentlicht wurde, basiert, wird über den Gender Drag der Hauptfigur die »Natürlichkeit von Geschlecht, Geschlechteridentität, Sexualität und Begehrensflüssen […] von Grund auf infrage gestellt […]« (König 2020: 96). Der Film wird als einziger der Vorkriegszeit, der die Denaturalisierung binärer Gender- und Begehrensordnungen anstrebt, gesehen (vgl. König 2020: 95). Ernst Lubitschs Ich möchte kein Mann sein von 1918 fällt mit Erstausstrahlung in Deutschland am 01.Oktober 1918 (vgl. IMDb o.J.b) gerade noch in die Kaiserzeit und markiert dabei aber auch schon den Übergang zur Weimarer Republik (die am 09. November 1918 ausgerufen wurde). Ernst Lubitschs filmische Erkundung queerer Sensibilitäten, in der sich Ossi Oswalda als Mann verklei-

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det und ihrem Vormund Dr. Kersten in Männerkleidung den Kopf verdreht, bedient sich wie Aus eines Mannes Mädchenzeit Hosenrollen, um die Grenzen von Geschlecht und Begehren spielerisch auszuloten und homoerotische Spannungen zu erzeugen. Auch wenn Hosenrollen an sich eine lange Theatertradition mit sich bringen, werden sie hier spezifisch dazu eingesetzt, Themen rund um Geschlecht und Sexualität im Film zu verhandeln. Diese ersten filmischen Annäherungen an queere Themen bildeten Wegbereiterinnen einer ganzen Reihe von Filmen mit queeren Themen im Weimarer Kino.

4.2 Anfänge des queeren Films im Weimarer Kino Auch die Zeit der Weimarer Republik ist in den Worten Sabine Hakes eine »Zeit der Widersprüche und Unvereinbarkeiten« (Hake 2004: 57), in der demokratische, linke und emanzipatorische mit rechten und völkischen Ideologien im Widerstreit standen, Nationalisierung und Internationalisierung einander entgegenstanden (ebd.). Mit der neuen Republik taten sich zunächst neue Freiheiten auf, das kulturelle Leben erfreute sich eines Aufschwungs und auch queere Lebensweisen konnten mehr Raum im öffentlichen Leben einnehmen. Im Weimarer Berlin waren schwule und lesbische Kneipen sogar so populär, dass sie auch heterosexuelles Publikum anzogen, genauso populär war die Mode, die mit der Subkultur verbunden wurde (vgl. Kuzniar 2000: 27). 1919 gründet Magnus Hirschfeld das Institut für Sexualwissenschaft, das einen Zufluchtsort auch für queere Menschen bot und an dem Forschung und Behandlung aller Fragen rund um Sexualität durchgeführt wurden (vgl. Kapitel 2.3). Darüber hinaus gab es vermehrte Bestrebungen, den §175 abzuschaffen, was jedoch trotz Teilerfolgen letztendlich nicht gelang (vgl. Zinn 2017: 62ff.). Mit Dagmar Herzog ließe sich konstatieren: »Deutschland hatte […] am Anfang des 20. Jahrhunderts die liberalste Sexualkultur der Welt« (Herzog 2013: 26). Diese Phase endete jedoch 1933. Mit Weltwirtschaftskrise und Hyperinflation in Deutschland ging jedoch auch der Aufstieg der völkisch-rechten Bewegungen einher, die schließlich auch die Liberalisierungstendenzen der 1920er Jahre zerstörten, was faktisch und symbolisch in der Vernichtung Magnus Hirschfelds Instituts 1933 deutlich wird. Dem Filmschaffen der Weimarer Jahre wird bedeutend für die deutsche Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts, so etablieren sich hier Techniken und Motive, welche als das »historisch Imaginäre« (Elsaesser 1999: 10, Herv. i.O.) des deutschen Kinos nach dem Zweiten Weltkrieg für das west- und ostdeutsche Kino konstitutiv werden (vgl. Elsaesser 1999). Die Nationalisierung der Filmproduktion während des 1. Weltkriegs führte zu einer Stimulierung der heimischen Filmproduktion, was Deutschland zu einem der wichtigsten Filmproduzenten auf der europäischen Bühne dieser Zeit werden ließ (vgl. Brown 2016: 6). Die 1917 gegründete UFA1 galt Mitte der 1920er Jahre als einzig bedeutende Konkurrenz zu US-Produktionen auf europäischem Markt (vgl. Hake 2004: 65), wogegen die USA versuchten vorzugehen, indem sie UFA-Personal abwarben – 1922 gingen zum Beispiel Ernst Lubitsch und Pola Negri, 1926 Friedrich Wilhelm Murnau nach Hollywood (vgl. Hake 2004: 66). Mit der zunächst freiheitlichen Stimmung konnte u.a. 1

Mit Kracauer ließe sich die Gründung der UFA auch als »Geburt des eigentlichen deutschen Films« (Kracauer 1979 [1947]: 42) bezeichnen.

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ein Film wie Anders als die Andern entstehen; mit dem Reichslichtspielgesetz von 1920, mit dem die Grundlagen für die Einführung einer Filmzensur in der Weimarer Republik (nach einer kurzen Periode ohne Filmzensur seit 1918) entgegen u.a. »entsittlichender« Filme geschaffen wurde, trat der konservative Gegenschlag jedoch zu Tage2 . Wie hier ersichtlich wird und wie auch Hake beschreibt, sah sich der Weimarer Film diversen Spannungen ausgesetzt, wie beispielsweise »zwischen der Förderung deutscher Traditionen und der Nachahmung amerikanischer Stile und denen zwischen dem Einsatz für nationalistische Politik und dem Glauben an europäische Zusammenarbeit« (Hake 2004: 108). Trotzdem bleibt mit dem Weimarer Film das Bild des Films als progressiven Mediums verbunden (ebd.), was sich gerade in den queeren Filmen und Spuren in Weimarer Filmen abzeichnet. Die bereits im Kino der Wilhelminischen Ära auftretenden Hosenrollen im Film setzen sich auch im Weimarer Kino in Filmen wie Hamlet (1921, Sven Gade/Heinz Schall) mit Asta Nielsen oder Der Fürst von Pappenheim (1927, Richard Eichberg) mit Mona Maris fort und können als Zeichen des sehnsuchtsvollen Imaginierens alternativen Begehrens gelesen werden (vgl. Kuzniar 2000: 22). Während sich homoerotische Spannungen oder queere Subtexte in einigen Filmen der Zeit finden lassen, so werden in der Forschung jedoch der bereits erwähnte Anders als die Andern von 1919 sowie Leontine Sagans Film Mädchen in Uniform von 1931 als die zwei heute bekannten Filme der Zeit, die sich beide zentral, unmissverständlich und positiv mit Homosexualität beschäftigten, betrachtet (vgl. Dyer 2003: 23). Richard Oswald drehte unter der wissenschaftlichen Leitung von Magnus Hirschfeld eine Reihe von Aufklärungsfilmen3 (vgl. Roberts 2007: 111) und 1919 schließlich Anders als die Andern, der die Hürden für und Diskriminierung von Homosexuellen (Männern) thematisiert und damit für die Abschaffung des §175 und die Anerkennung von Homosexualität als einer ›natürlichen‹ Spielart menschlichen Empfindens eintritt. Das Drehbuch hierzu verfasste Oswald gemeinsam mit Magnus Hirschfeld (vgl. Dyer 2003: 28). Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Bill Forster, der 1904 erschien; hierin verliebt sich Herbert in einen anderen Schuljungen, Ernst (vgl. Dyer 2003: 25). Ernst weist Herbert jedoch zurück und Herbert bringt sich schließlich um (ebd.). Der Film modifiziert die Geschichte etwas, behält jedoch die Themen von Coming-out und unglücklichem Ende bei: Violinist Paul Körner und sein Schüler Kurt verlieben sich; nachdem Körner vom Erpresser Bollek in die Enge getrieben wird und nach einem Gerichtsverfahren gegen diesen gesellschaftlich stigmatisiert ist, nimmt er sich das Leben. Magnus Hirschfeld hat im Film einen Auftritt als er selbst und hält eine Rede, in der für die Akzeptanz von Homosexualität eintritt. Nach seiner Erstausstrahlung war der Film zwar ein Kinoerfolg, löste aber einen öffentlichen Skandal aus (vgl. Kuzniar 2000: 30) und wurde ein Jahr später verboten (vgl. Dyer 2003: 26). Richard Dyer streicht die Ambivalenzen des Films heraus: So ist

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So heißt es im Lichtspielgesetz: »Die Zulassung eines Bildstreifens erfolgt auf Antrag. Sie ist zu versagen, wenn die Prüfung ergibt, daß die Vorführung eines Bildstreifens geeignet ist, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden, das religiöse Empfinden zu verletzen, verrohend oder entsittlichend zu wirken, das deutsche Ansehen oder die Beziehungen Deutschlands zu auswärtigen Staaten zu gefährden« (vgl. Lichtspielgesetz 1920). Beispielsweise den vierteiligen Film Es werde Licht (1917–18) über die Folgen der Syphilis oder Prostitution (1919) über die Schicksale junger Sexarbeiterinnen (vgl. Kracauer 1979 [1947]: 50).

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es der eher feminin auftretende Paul Körner derjenige, der sich letztlich umbringt, während der eher maskuline Kurt überlebt. Auch die Wahl Conrad Veidts als Schauspieler für die Figur Paul Körner bleibt ambivalent: Zwar hatte er sich bereits als attraktiver und verführerischer Star etabliert, andererseits haftete vielen seiner Rollen etwas Tragisches, Krankes, Melancholisches an, wie z.B. der Rolle des grausamen Somnambulen Cesare unter dem Bann von Dr. Caligari (vgl. Dyer 2003: 30). Dyer bescheinigt Veidt »vampire qualities« (Dyer 2003: 32) und eine Dualität von »attractive yet repulsive« (Dyer 2004: 30), die in seiner Star-Persona und seinen Rollen wirkten (vgl. Dyer 2003: 32). Vito Russo merkt darüber hinaus an, dass sich mit dem Selbstmord Körners ein erzählerisches Thema filmisch etablierte, das queere Geschichten auf der Leinwand noch lange prägen sollte (vgl. Russo 2007: 20), nämlich die Verunmöglichung einer queeren Beziehung durch den Tod eines:einer Parnter:in. Dennoch, so bemerkt Alice Kuzniar, dauerte es Jahrzehnte bis Homosexualität wieder so explizit dargestellt wurde (vgl. Kuzniar 2000: 30). Mädchen in Uniform von 1931 wird als erster deutscher Film, der eine lesbische Geschichte erzählt, angesehen (vgl. Hake 2004: 107). Basierend auf dem Theaterstück Gestern und Heute von Christa Winsloe von 1930 erzählt der Film die Geschichte der Schülerin Manuela, die sich im preußischen Mädcheninternat in ihre Lehrerin, Fräulein von Bernburg, verliebt. Während Manuela im Bühnenstück stirbt, gibt es den Film mit zwei verschiedenen Enden, wobei der Film mit Happy End populärer wurde (vgl. Russo 1981: 43). Carl Froehlich war als Berater in der Produktion tätig und regte an, den Titel des Films von Gestern und Heute auf Mädchen in Uniform zu verändern, um mehr Zuschauer:innen anzuziehen (vgl. Dyer 2003: 44). Diese und andere Entscheidungen Froehlichs, wie die Rettung Manuelas am Ende oder die Wahl von Dorothea Wieck anstatt der männlicher wirkenden Margarete Melzer als Darstellerin der Fräulein von Bernburg, trugen ironischerweise dazu bei, das lesbische Thema des Films zu unterstreichen, anstatt es zu entschärfen: Der Titel verstärkt die Bezogenheit der Mädchen aufeinander, das neue Figurenensemble bringt ein anderes Bild lesbischer Liebe zum Vorschein und das glückliche Ende fühlt sich wie eine Affirmation von lesbischer Liebe an (vgl. Dyer 2004: 45). Zur Zeit seines Erscheinens war der Film sowohl ein Erfolg bei der Filmkritik als auch kommerziell in Deutschland und im Ausland (vgl. Dyer 2004: 42). Dennoch musste Mädchen in Uniform als lesbischer Film wiederentdeckt werden, da viele Kritiken hierauf nicht eingingen, sondern eher die Femininität des Films oder seinen Anti-Autoritarismus betonten (ebd.). In den USA wurde der Film von der Zensur nur akzeptiert, als das Ende verändert wurde und Szenen herausgeschnitten wurden, die die Liebe von Manuela zeigten, sodass lesbische Liebe nur noch in den Film hineininterpretiert werden konnte (vgl. Dyer 2004: 44). Auch Mädchen in Uniform macht auch Gebrauch von Cross-dressing, um lesbisches Begehren darzustellen und bildete insgesamt eine einflussreiche Vorlage für viele Internats-Filme mit lesbischer Handlung oder homoerotischem Subtext (vgl. Dawson 2015: 3). Kaum in der Forschung beachtet wurde die Verbindung zwischen staatlicher Zurichtung und deren Reflexion und Kritik vermittelt über Homosexualität, die der Film macht. Die homophobe Antwort auf den als emanzipatorisch bewerteten Mädchen in Uniform gibt der Film Anna und Elisabeth von Frank Wysbar aus dem Jahr 1933 mit derselben Besetzung in den Hauptrollen, wobei Manuela jetzt Anna darstellt (vgl. Basaran et al. 2018: 34f.). Hier nun begehrt die schwer kranke Gutsherrin Elisabeth Anna und begeht am Ende Selbstmord, da sie die Nicht-Erfüllung ihres Liebeswunsches nicht verkraftet (ebd.). Obwohl

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Wysbar mit seinem Film für die NS-Kulturfunktionäre das ›gesunde Volksempfinden‹ verletzte (vgl. Filmdienst o.J.), lässt sich am Film dennoch die Verschiebung des gesellschaftlichen Klimas ablesen: Während die mit dem ›arischen‹ Namen belegte, bäuerliche Anna ihr Liebesglück mit dem ›arischen‹ Martin findet, wird die ›kranke‹ Elisabeth aus dem Volkskörper aussortiert (vgl. Dyer 2003: 60ff.). Vom sexuell liberalen Weimar ist hier »nichts (mehr) zu spüren« (Gramann/Schlüpmann 1981: 31). Als erste Darstellung einer Lesbe im deutschen Film überhaupt wird die Rolle der Gräfin Geschwitz in Georg Wilhelm Pabsts Die Büchse der Pandora von 1929 gesehen (vgl. Russo 1981 22). Im auf den ›Lulu-Werken‹ Der Erdgeist (1895) und Die Büchse der Pandora (1904) Frank Wedekinds basierende Drama (vgl. Elsaesser 2000: 262) spielt Alice Roberts, die in die von Louise Brooks verkörperte Lulu verliebte Gräfin. Einen kurzen, aber bemerkenswerten (und in der Filmgeschichte kaum beachteten) Auftritt einer Lesbe gibt es im Film Cyankali von 1930. In Hans Tintners Drama über ungewollte Schwangerschaft im Lichte der Kriminalisierung von Abtreibung in der Weimarer Republik, das auf dem Theaterstück des kommunistischen jüdischen Arztes und Schriftstellers Friedrich Wolf basiert, kauft in einer Szene eine Frau das Magazin Die Freundin an einem Kiosk (vgl. Hoyer o.J.). Die Freundin gilt als bedeutendste und auflagenstärkste Lesbenzeitschrift der Weimarer Republik und war von 1924 bis 1933 zu beziehen (vgl. Lybeck 2014: 131). Als »Symbol der lesbischen Identität im Berlin der 1920er Jahre« (Hürner 2010: 39) konnte die Einblendung des Magazins durchaus identitätsstiftend wirken und stellt die wahrscheinlich erste Abbildung einer Homosexuellenzeitschrift im Film dar (vgl. Hoyer o.J.). Weitere Weimarer Filme mit queeren Inhalten oder Spuren sind zum Beispiel Carl Theodor Dreyers Michael (1924), Wilhelm Dieterles Geschlecht in Fesseln (1928) und Reinhold Schünzels Viktor und Viktoria (1933). Diese Filme vereint die Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung und Norm am Ende durch entweder den Tod der Figuren oder die letztendliche Einfügung in die cis Heteronorm, wie es in vielen der Weimarer Filmen mit aus heutiger Sicht queeren Themen oder Andeutungen der Fall ist (vgl. Basaran et al. 2018: 35). Es wird deutlich: Filme dokumentieren so queere Themen der Zeit, suchen nach möglichen Ausdrucksmöglichkeiten dafür, welche bis heute queeres Begehren im Film prägen, referieren zugleich meist noch auf ein immer noch repressives System, das Homosexualität kriminalisiert und verandert (vgl. Basaran et al. 2018: 35f.). Andere Filme wie Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu (1922) und auch der bereits erwähnte Das Cabinet des Dr. Caligari (1920) von Robert Wiene können durchaus als homoerotische und gender-subversive Fantasien durchscheinend lassen gelesen werden (vgl. Kuzniar 2000: 30; König 2020), verbinden diese aber dennoch immer mit dem Monströsen, Kranken, Unheimlichen bzw. Unheilbringenden, was ebenfalls zu einer Tradition in der 2. Hälfte des 20. Jh. im Hollywoodkino wird. Auch Marlene Dietrichs berühmt gewordener androgyner Auftritt in Josef von Sternbergs Der Blaue Engel (1930) kann in diesem Zusammenhang gelesen werden, da es schließlich Dietrichs Figur der Lola Lola ist, die zu Beginn der Ikonografie der Femme fatale steht und das Unglück des Immanuel Rath bedingt. Insgesamt lassen sich also zahlreiche queere Spuren im Kino der Weimarer Zeit finden. Für Alice Kuzniar haben deutsche Produktionen schon in der Weimarer Zeit eine führende, innovative Rolle im Queer- bzw. Schwulen- und Lesbenfilm gespielt und mit ihren genderfluiden oder homosexuellen Figuren »queer sensibilities« (Kuzniar 2000: 1) späterer Jahrzehnte vorweggenommen (vgl. Kuzniar 2000: ebd.). Der Neue Deutsche Film

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und deutsches queeres Kino seit den 1990ern werden demnach auch oft in einer Traditionslinie mit dem Weimarer Kino gesehen (vgl. Kuzniar 2000: 4). Die Periode der Produktion dieser Filme, die aus heutiger Sicht queere Ästhetiken, Figuren oder Geschichten anbieten, wurde durch den Nationalsozialismus weitestgehend unterbrochen und nahm erst mit ersten Vorstößen des Neuen Deutschen Films (NDF) seit den 1960er Jahren und vor allem in den 1970er Jahren u.a. mit den Filmen von Rainer Werner Fassbinder und Rosa von Praunheim wieder an Fahrt auf.

4.3 Unterbrechung im Nationalsozialismus Bereits noch in den letzten Jahren der Weimarer Republik wurde der Film zur Waffe im politisch-ideologischen Kampf (vgl. Hake 2004: 58; 100). Die UFA produzierte unter dem Einfluss des rechtskonservativen Anteilseigner Alfred Hugenberg und des Direktors Ludwig Klitzsch zunehmend konservativ und nationalistisch ausgerichtete Filme, Jüd:innen wurden gekündigt und es kam zu einer erneuten Emigrationswelle (vgl. Hake 2004: 99ff.). Linksliberale gründeten daraufhin den ›Volksverband für Filmkunst‹ und versuchten, Film als revolutionäres Mittel einzusetzen (ebd.). Mit der Machtübernahme der Nazis 1933 verschwanden die genderdissidenten, liberalen oder progressiven Filme und Narrative nicht komplett, aber waren viel eingeschränkter möglich. Da auch die Sexualdiskurse und -politiken in Nationalsozialismus deutlich widersprüchlicher waren als gemeinhin angenommen (vgl. Herzog 2013: 27)4 , kann auch davon ausgegangen werden, dass bei intensiverer Forschung auch mehr Ambivalenzen in NS-Filmen gefunden werden könnten. Homoerotische Andeutungen schienen sich bisweilen in sonst systemkonformen oder antisemitischen Filmen zu äußern, wie etwa in Robert und Bertram (1939) von Hans Zerlett oder Wunschkonzert (1940) von Eduard von Borsody (vgl. König 2020). Darüber hinaus diente Zarah Leander als Projektionsfläche für queere Fantasien im NS-Film und galt weit bis in die Nachkriegszeit als Ikone in queeren (jedoch hauptsächlich schwulen) Subkulturen (vgl. Kuzniar 2000: 57ff.). Dabei waren mehrere Aspekte hierfür Ausschlag gebend wie Kuzniar beschreibt: Neben Leanders tiefer »queer voice« (Kuzniar 2000: 63), die als männliche Stimme imaginiert werden kann (vgl. Kuzniar 2000: 64), waren es auch die Inhalte ihrer Lieder wie »Kann denn Liebe Sünde sein?« oder »Einen wie dich könnt’ ich lieben«, die queere Lesarten zuließen (ebd.). Diese Interpretation ist vor allem im Lichte der Tatsache, dass der Schreiber vieler ihrer Lieder Bruno Balz offen homosexuell lebte und deshalb auch immer wieder in Konflikt mit dem NS-Staat kam, schlüssig. Darüber hinaus konnten auch viele der Filmhandlungen von Filmen, in denen sie spielte, mit einem schwulen Publikum resonieren, da sie hier oft Liaisons eingeht, die ihrem eigentlichen Bedürfnis widersprechen und damit eine Verbindung zu queeren Lebenswelten hergestellt werden konnte (vgl. Kuzniar 2000: 64f.). Auf-

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Zwar wurden zunächst in Einklang mit der konservativ-christlichen Linie schwul-lesbische Lokale geschlossen oder Pornografie aus dem öffentlichen Leben verbannt, heterosexuelle ›arische‹ Sexualität erfuhr ab Mitte der 1930er Jahre jedoch einen Liberalisierungsschub – so wurde, wie es Dagmar Herzog beschreibt, die »sexaffirmative Botschaft von Hirschfeld und anderen Aktivisten […] zugleich abgelehnt und angeeignet« (Herzog 2013: 28; Herv.i.O.).

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grund dieser Aspekte konnte das Publikum eine imaginäre Beziehung zu ihr aufbauen und sich mit ihr identifizieren (vgl. Kuzniar 2000: 62). Das, was aus heutiger Perspektive als Melodrama bezeichnet werden würde, kommt hierbei eine große Bedeutung zu: Zwar verfestigt es in seiner Funktion als Genre, das weibliches Begehren und Leiden darstellt, Geschlechterrollen größtenteils, lässt hier aber bisweilen »mehrdeutige Darstellungen von Erotik und Sexualität« (Hake 2004: 137) zu. Offen und emanzipatorisch angelegte queere Filme konnte es in dieser Zeit jedoch nicht geben.

4.4 Nachkriegskino und geteiltes Kino Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich die Kinos in den verschiedenen Besatzungszonen separat voneinander, allerdings im Dialog miteinander (vgl. Kannapin 2005) und mit Bezug auf das Weimarer Kino (vgl. Elsaesser 1999). Während Film im US-Sektor als Mittel zur Re-Education diente und Hollywood-Importfilme erzieherisch wirken sowie die ethischen und politischen Werte transportieren sollten, die das US-amerikanische Weltbild eines demokratischen Kapitalismus vorsah (ebd.), waren die Filme der neu gegründeten DEFA im sowjetischen Sektor darauf ausgerichtet, sozialistische und internationalistische Ideen zu verbreiten (vgl. Hake 2004: 162). Alle Sieger:innenmächte verfolgten also das Ziel, ihre jeweilige deutsche Zone als Symbol ihres Sieges zu installieren (vgl. Haase 2007: 29). Die DEFA wurde vom Beginn an eine staatlich monopolisierte Institution, im Westen wurden ideologische und ökonomische Anliegen der Vermarktung von Hollywood-Filmen zusammengebracht – Tendenzen, die sich schließlich auch in den Filmlandschaften der DDR und BRD widerspiegelten (vgl. Haase 2007: 30). Im Klima der staatlichen Homophobie – zwar wurde der Paragraph 175 1968 in der DDR abgeschafft, queere Menschen wurden jedoch überwacht, verfolgt und diffamiert (vgl. Ehrhart 1998: 461ff.) – waren queere Inhalte in DEFA-Filmen, die immer auch unter Zensur standen, kaum vertreten. Daher wird Heiner Carows Coming Out von 1989 oft als erster queerer Film der DDR gewertet. Ironischerweise hatte der Film am Abend der Maueröffnung seine Premiere und etliche Gäste gingen direkt von der Premierenparty zu den offenen Grenzübergängen (vgl. Charlotte von Mahlsdorf, zit. in Sieg 2007: 284). Die Strategie des Films ist eine bewusst universalistische und normalisierende: Schwule werden als ›normale‹ Männer dargestellt und vermeintlich ›natürliche‹ Normen werden problematisiert (vgl. Sieg 2007: 285f.). In der Verbindung von Homosexualität und Antifaschismus im Film wirkt er dem Vorwurf der Dissidenz am Staat entgegen und wirbt zugleich für ein anti-homophobes Selbstverständnis der sozialistischen Gesellschaft (vgl. Sieg 2007: 288ff.). Wenngleich Coming Out der einzige Film bleibt, der Homosexualität und den Kampf gegen Diskriminierung als zentral für den Film setzt, weist neuere Forschung auch darauf hin, dass sich die Darstellung nicht-normativer Sexualität im DEFA-Film vielschichtiger gestaltet als bisher angenommen (vgl. Frackman/Stewart 2018: 3). So findet Faye Stewart einen ›homosozial romantischen‹ Erzählstrang in Egon Günthers Film Der Dritte (1972) zwischen Protagonistin Margit und deren Kollegin Lucie (vgl. Stewart 2018: 84f.), während Evan Torner auf das Portrait einer bisexuellen polyamoren Frau in der Episode Rosi – 36 Jahre des Dokudramas Guten Morgen, du Schöne (1980) hinweist und weitere bisexuell-polyamore Spuren in Filmen wie Im Staub der Sterne (1976, Gottfried Kol-

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ditz) und Alle meine Mädchen (1980, Iris Guser) ausfindig macht (vgl. Torner 2018: 106ff.). Darüber hinaus weist Kyle Frackman auf die Dokumentation Die andere Liebe (1988, Helmut Kißling/Axel Otten) hin, in der für Akzeptanz Homosexueller beim (heterosexuellen) dominanzgesellschaftlichen Publikum geworben wird (vgl. Frackman 2018: 225ff.). Im bundesdeutschen Kino tauchten queere Themen in den 1950ern zunächst im homophoben Gewand wieder auf, im Film Anders als du und ich (1957) des Nazi-Regisseurs Veit Harlan, der auch den antisemitischen Hetzstreifen Jud Süß (1940) zu verantworten hat. Der Titel erinnert an Anders als die Andern, was auch Richard Oswald bemerkte und ihm widerstrebte. Der als Jude in die USA Geflohene beschwerte sich daraufhin bei Harlan in einem Brief, vom Ansehen seines Films profitieren zu wollen (vgl. Brief Richard Oswalds an Veit Harlan, zit. in Treiblmayr 2015: 199). Auch wenn Harlan angibt, mit seinem Film gegen Diskriminierung eintreten zu wollen und besonders homophobe Szenen erst aufgrund der Zensurbestimmungen nachgedreht wurden (vgl. Treiblmayr 2015: 199f.), greift Harlans Film insgesamt auf antisemitisches Begriffsrepertoire zurück, um Homosexualität zu ›charakterisieren‹ (vgl. Falk 2008: 121) und lässt als ›Halbstarkenfilm‹, der gesellschaftliche Problemlagen offenlegen will, Homosexualität zu einem Symptom einer »vaterlosen Gesellschaft« (vgl. Hake 2004: 194), die ihre Jugend allein lässt, werden. 1958 folgt die Neuverfilmung von Mädchen in Uniform von Géza von Radványi und schreibt zwar die homophoben Töne aus Anders als du und ich nicht fort, tritt aber sachter auf als das Original von 1931 und kann nicht an dessen Kanonisierungserfolg als ›lesbischer Klassiker‹ anschließen (vgl. Mayer 2012). Die Queerness der Beziehung von Manuela und Fräulein von Bernburg wird in der Version von 1958 entschärft, indem sie als kindliche Verliebtheit in eine Mutterfigur und bloßem Umweg zur heteronormativen Erfüllung (die zu Ende des Films noch aussteht, sich aber durch den endgültigen Abschied zwischen Manuela und Fräulein von Bernbrug anzubahnen scheint) gezeichnet wird (vgl. Fest 469f.). Im Einsatz der Stars der Zeit Romy Schneider als Manuela und Lilli Palmer als Elisabeth von Bernburg wird die Romantik zwischen den beiden Verkörperungen idealer deutscher Weiblichkeit zudem voyeuristisch ausgeschlachtet (vgl. Fest 2012: 470). Damit passen die beiden Filme zu den retraditionalisierenden Tendenzen des bundesdeutschen Films nach 1945 (vgl. Hake 2004: 195) und können weder emanzipatorische Visionen anbieten noch dazu beitragen, der binären heteronormativen Ordnung etwas entgegenzusetzen. In den 1960er Jahren trugen mehrere Momente in der Filmgeschichte dazu bei, die nationalistische, heteronormative (Film-)Ordnung wieder brüchiger werden zu lassen. Die Verfilmung von Thomas Manns Novelle Tonio Kröger durch Rolf Thiele 1964 machte hier einen Anfang. Expliziter als in Manns Vorlage wird das queere Begehren des Protagonisten hier dargestellt (vgl. Whitinger 2000: 99f.), in der Rezeption bleibt der Film jedoch überwiegend bedeutungslos (vgl. Whitinger 2000: 80). Volker Schlöndorffs Der Junge Törless von 1966, Schlöndorffs erster (und national wie international viel beachteter) Spielfilm, stellt eine weitere Literaturverfilmung (von Robert Musils Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906)) mit homoerotischer Komponente dar (vgl. Dawson 2015: 3). Darüber hinaus wird Schlöndorffs Film zu einem frühen Film des ›Jungen Deutschen Films‹ gezählt (vgl. Dyer 2003: 253), der unter dem Label Neuer Deutscher Film (NDF) international bekannt wurde (vgl. Flinn 2004: 6). Dieser entwickelte sich seit dem Beginn der 1960er Jahre bzw. im Nachklang des Oberhausener Manifests von 1962. Mit dem Manifest sollte

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die Abkehr vom deutschen Nachkriegsfilm herbeigeführt werden (vgl. Hake 2004: 249). In der Zusammenkunft der 26 filmemachenden Unterzeicher:innen des Oberhausener Manifests war eine erste Grundlage geschaffen, auf Basis derer Öffentlichkeit generiert werden konnte, was 1967 zu einem ersten Erfolg mit dem von der Bundesregierung finanzierten Kuratorium Junger Deutscher Film führte (vgl. Elsaesser 1989: 22). Aus den zur Verfügung gestellten Geldern konnten bald die ersten Filme finanziert werden (ebd.). Queere (Sub-)Texte waren in den Filmen des NDF der 1970er Jahre keine Seltenheit (vgl. Dawson 2015: 4), Dagmar Brunow geht sogar so weit zu konstatieren, dass der NDF als queere Bewegung an sich gesehen werden muss (vgl. Brunow 2020: 371). Hier zeigt sich auch die Verbindung zwischen queerem Kino und avantgardistischen Kinobewegungen wie dem Neuen Deutschen Film (vgl. Kuzniar 2000: 1). Schlüsselthemen dieses (zweiten deutschen queeren) Kinos waren oft die Inszenierungen von den Leben deutscher Homosexueller (vgl. Beirne 2012: 170). Eric Rentschler beschreibt das NDF zugleich als ein Kino, »which at its best spoke for the nation by speaking (indeed: acting out) against it« (vgl. Rentschler 2000: 264) – die Verknüpfung queerer und nationaler Themen zeigt sich hier also besonders akzentuiert. In Jagdszenen aus Niederbayern (1969, Peter Fleischmann), der zu einem der ersten aus dem Kuratorium finanzierten Filmen gehört (vgl. Elsaesser 1989: 22), geht es um einen jungen Mann, der der Homosexualität verdächtigt wird. Der Film sympathisiert mit dem als sexuellen und sozialen Außenseiter portraitierten und schließlich aus dem Dorf vertriebenem Abram und lässt nicht Abrams (vermeintliche) Homosexualität, sondern die traditionalistische Dominanzgesellschaft des deutschen Dorfes als pathologisch erscheinen (vgl. Elsaesser 1989: 141). Der berühmteste Filmschaffende, der dem NDF zugerechnet wird und immer wieder queere Inhalte und Figuren in seinen Filmen Platz gab, ist Rainer Werner Fassbinder, der selbst offen bisexuell war (vgl. Dawson 2015: 4). Relevante Filme diesbezüglich sind Die bitteren Tränen der Petra von Kant (1972) über eine toxische lesbische Liebesbeziehung, Faustrecht der Freiheit (1975) über einen schwulen Schausteller und dessen wirtschaftlicher Auf- wie Abstieg im Zusammenhang mit Klassismus in der schwulen Szene, den Fassbinder selbst spielt, In einem Jahr mit 13 Monden (1978), der den Fokus auf einen trans Figur legt und Querelle (1982), Fassbinders letzter Film, der auf Jean Genets Roman Querelle de Brest (1947) basiert (ebd.). Im episodisch strukturierten Deutschland im Herbst (1978), der ein Gemeinschaftsprojekt verschiedener Filmemacher:innen des NDF darstellt, spielt Fassbinder sich selbst in einer homosexuellen Beziehung (vgl. Kuzniar 2000: 18). Auch andere queere Formen des Begehrens werden etwa in Martha (1974) und Angst essen Seele auf (1974) behandelt, die zudem im letzteren intersektional problematisiert werden. Fassbinder gilt so als der »produktivste, […] begabteste, einflussreichste und umstrittenste« (Hake 2004: 270) Filmemacher des NDF. Seine Filme beschäftigen sich immer wieder unter Einsatz von queeren Figuren, aber nicht ausschließlich, mit gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen und Exklusionsmechanismen. Diesen Mechanismen sowie Tiefenstrukturen des Nachkriegsdeutschlands und deren Auswirkungen auf Einzelne spürt er in seiner melodramatischen BRD-Trilogie nach, die wohl zu den bekanntesten seiner Werke zählt. Ein weiterer zu erwähnender Filmemacher im Kontext des NDF und seiner queeren Elemente ist der selbst schwule Werner Schroeter, dem es weniger darum ging, queere

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Geschichten zu erzählen, sondern der eine campe Ästhetik5 einsetzt, um seine »Mischung[en] aus Oper, Melodram, Mythos, Ritual und Performance-Kunst« (vgl. Hake 2004: 298) wie in Der Tod der Maria Malibran (1971) zu inszenieren. Auch die lesbische Filmemacherin Ulrike Ottinger setzt in ihren Filmen auf Queerness der Form in Verbindung mit (Gender-)Queerness, Androgynität und BDSM (vgl. Kuzniar 2000: 140ff.), wie beispielsweise in ihrem Film Madame X – eine absolute Herrscherin (1977). Ottingers ›Berlin-Trilogie‹ Bildnis einer Trinkerin (1979), Freak Orlando (1981) und Dorian Grey im Spiegel der Boulevardpresse (1984) fokussiert die sozialen Ränder alten Bundesrepublik vor der Kulisse des geteilten Berlins. Ihre allegorischen Figuren und ihre campy und trashige Ästhetik sind queer, feministisch und gesellschaftskritisch, ohne sich dogmatisch einer politischen Idee zu verschreiben (vgl. Lang 2019: 187ff.). Rosa von Praunheim machte sich 1971 mit Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt einen Namen und gab damit auch Anstoß für die Politisierung der schwul-lesbischen Szene in (West-)Deutschland (vgl. Dawson 2015: 4). Sein filmischer Output ist enorm und er wurde über die Jahrzehnte zu dem Namen, der in Verbindung mit deutschem queerem Film gebracht wird – auch nach dem Ende des NDF, der in der Filmgeschichtsschreibung für gewöhnlich mit dem Tod Fassbinders und der Wahl des Konservativen Helmut Kohls zum Kanzler, beides 1982, in Verbindung gebracht wird (vgl. Haase 2007: 47). Damit setzte in Deutschland auch im kulturellen Bereich eine konservative Wende ein (vgl. Hake 2004: 291). Fassbinder und von Praunheim hatten es mit ihren Filmen jedoch für einen Moment in der Kinogeschichte geschafft, ein »post-closet milieu« (Kuzniar 2000: 18) zu eröffnen, ohne den im Amerikanischen Kino vorherrschenden Coming-Out Film vorgeschaltet gehabt zu haben. Damit zeigen sich die vielfältigen queeren Sensibilitäten des NDF, auch wenn diese in der hegemonialen Rezeption selten als solches anerkannt werden (vgl. Kuzniar 2000: 19); sofern diese jedoch anerkannt werden, werden die queeren NDF-Filme teilweise sogar als Vorbotinnen der New Queer Cinema-Bewegung (NQC) in den 1990ern in den USA gesehen (vgl. Beirne 2012: 169) (ausführlicher zum NQC im nächsten Abschnitt). Als breit rezipierter »post-gay liberation« (vgl. Russo 1981: 187) Film aus den 1980ern ist Frank Ripplohs Taxi zum Klo (1980) anzuführen. In Taxi zum Klo stehen Frank und sein Liebhaber Bernd, die sich selbst spielen, für zwei entgegengesetzte Lebensentwürfe, die vor der Folie der vielfältigen Nischen und Subkulturen der Berliner Großstadt verhandelt werden: Während Frank die sexuelle Unverbindlichkeit und das großstädtische Nachtleben schätzt, möchte sich Bernd lieber mit seinem Freund in monogamer Beziehung lebend auf einem Bauernhof niederlassen; am Ende gehen sie aufgrund ihrer Differenzen auseinander. Russo beschreibt den Film deshalb als revolutionär, weil er Fragen zur Repräsentation positiver Bilder von Homosexualität, die in manchen Kreisen queeren

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Susan Sontag beschreibt Camp in ihren bekannt gewordenen Aufsatz »Notes on Camp« (2018 [1964]) als eine bestimmte Erlebnisweise (sensibility) mit einer Liebe für das Artifizielle und Übertriebene (vgl. Sontag 2018 [1964]: 1), als einen Blick auf die Welt als ein ästhetisches Phänomen, bei dem vor allem auf Stilisierung wertgelegt wird (vgl. Sontag 2018 [1964]: 2). So fallen in der campen Ästhetik Form und Inhalt auseinander (ebd.). Sontag sieht schwule Subkultur und campe Ästhetik eng miteinander verknüpft (vgl. Sontag 2018 [1964]: 12), wenngleich auch Camp als »mode of enjoyment« (Sontag 2018 [1964]: 13) für sie weit darüber hinausgeht.

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Aktivismus‹ gefordert wurden, ignorierte und eine vielschichtigere und subjektive Antwort auf die Diskussion bereitstellte (vgl. Russo 1981: 187f.). Monika Treuts Filme wie Verführung: Die grausame Frau (1985) und Die Jungfrauenmaschine (1988) stellen bedeutende Filme queerer Subkultur dieser Dekade dar. Während Treut und ihre Partnerin Elfi Mikesch, mit der sie den Film Verführung drehte, bei der Berlinale 1985 für die Darstellung der S-/M-Praktiken im Film noch ausgebuht und auch 1988 für Die Jungfrauenmaschine beschimpft wurden, erhielt Treut 2017 den Special Teddy Award der Internationalen Filmfestspiele Berlin für ihr Lebenswerk (vgl. Treut im Interview mit Hippen 2017; Treut im Interview mit Lange 2017). Monika Treut kann als Vorreiterin sowohl queer-feministischer Debatten in Deutschland als auch des New Queer Cinema (NQC) der 1990er Jahre gesehen werden (vgl. auch Kapitel 6.5.3).

4.5 Deutsches Kino seit den 1990er Jahren Mit dem Mauerfall transformierte sich Deutschland nicht nur territorial, politisch und sozial, sondern auch kulturell und filmisch. Die Neubestimmung, was Deutschsein nun bedeute im gesellschaftlichen Klima der Normalisierung und einer sich mit ›Multikulturalismus‹ auseinandersetzenden Gesellschaft, findet sich auch im Kino ausgehandelt. Wenngleich sich manche thematischen und stilistischen Trends der 1980er fortsetzten, lässt sich auch eine »Jahr Null«-Atmosphäre der Nachkriegszeit im Kino feststellen (vgl. Haase 2007: 52). Eric Rentschler hat das Kino der 1990er Jahre in Deutschland auf die berühmt gewordene Formel des »post-wall cinema of consensus« (vgl. Rentschler 2000) gebracht, dessen Filmemacher:innen wie Doris Dörrie oder Sönke Wortmann mit ihrer Massenunterhaltung bewusst für einen ›neuen deutschen Konsens‹ werben (vgl. Rentschler 2000: 264), ein Kino also, das sich damit durch das Fehlen kritischer Stimmen auszeichnet (vgl. Rentschler 2000: 262ff.). Rentschler bemängelt am deutschen Film nach dem Mauerfall neben der Ausrichtung der Filmproduktion am Faktor der Wirtschaftlichkeit, die hiermit zusammenhängende Orientierung an Genrekonventionen (im vermeintlichen Gegensatz zum Autor:innenenkino des NDF), Koproduktionsstrukturen zwischen Film und Fernsehen, amerikanisierten Vertriebsstrukturen sowie einen Trend hin zu gesellschaftlicher Individualisierung und Oberflächlichkeit, die sich im Film spiegelten (vgl. Rentschler 2000; ähnlich Halle 2008: 7). Nach 1989 wird also auf althergebrachte Formen und Genres zurückgegriffen, um sich deren Stabilisierungsfunktion zunutze zu machen (vgl. Hake 2004: 305). Das ›cinema of consensus‹ lässt sich besonders an der Neuen Deutschen Komödie sehen. Die bereits seit den 1980ern populärer werdende Komödie boomte in der ersten Hälfte der 1990er Jahre und befriedigte den Wunsch nach weniger komplizierten Narrativen deutscher Geschichte (vgl. Haase 2007: 52). Innerhalb dieses Unterhaltungskinos waren die ästhetischen Grenzen eng und die Filmformen geschlossen (vgl. Lang 2019: 191). Aber mehr und mehr entwickelte das deutsche Kino in den 1990er Jahren auch wieder komplexere Narrative und begann die neuen Realitäten post-Vereinigung herauszufordern u.a. mit Themen wie die Spaltungen zwischen Ost- und Westdeutschland, damit einhergehende oder daraus resultierende soziale Ungleichheiten, Migration und Globalisierung. Damit einher ging auch ein »verstärktes Bewusstsein für Identität

4. Queere Spuren in der deutschen Filmgeschichte

als Konstruktion […], auch in Bezug auf Fragen ethnischer und nationaler Identität« (Hake 2004: 331). Das ›migrantische‹ und darunter besonders das türkisch-deutsche Kino spielte in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle, ein »transnational turn« (Cooke/Homewood 2011: 4), der Filmemacher:innen wie Publikum dazu anhält, über Deutschlands Platz in der Welt sowie Konstruktionen des Deutschseins nachzusinnen (ebd.). Der kinemtografische Austausch zwischen Deutschland und den USA in Bezug auf Schauspieler:innen und Produzent:innen wurde einmal mehr intensiviert, aber auch der Markt für deutsche Produktionen wuchs wieder stärker (vgl. Haase 2007: 52f.). In den 1990er und 2000er Jahren gab es also mehr als einen Kino-Trend: Zusätzlich zur Popularität von High-concept Filmen, haben auch kleinere, lokale Low-BudgetProduktionen an Aufschwung gewonnen (vgl. Haase 2007: 54). In Bezug auf queere Filme zeichnet sich ein vielfältiger Produktions- und Finanzierungsmodus aus und Synergieeffekte zwischen Film und Fernsehen werden sichtbar. So spielen sowohl kommerzielle Filmgesellschaften, staatliche Filmförderung, der öffentlich-rechtliche Rundfunk (und hier besonders ›Das kleine Fernsehspiel‹ des ZDF, als wichtiges Format für Nachwuchsregisseur:innen (vgl. Hake 2004: 280), das Filme von Rainer Werner Fassbinder oder Elfi Mikesch sowie zwei der hier analysierten Filme, Kleine Freiheit und Alles wird gut, finanziert hat), unabhängige Finanzierungsmodi sowie internationale Kooperationen eine Rolle (vgl. Brunow 2020: 372). Die normalisierenden Tendenzen des Mainstream-/Genre-Kinos beeinflussten auch queeres Filmemachen, wie sich an den hier analysierten Filmen beispielsweise in Bezug auf die verstärkte Ausrichtung an international verständlicher Hollywood-Filmsprache und Narration (z.B. Fremde Haut, Aimée und Jaguar) zeigt. Aber auch experimentelle Formen (beispielsweise in den Filmen von Michael Brynntrup oder Ashley Hans Scheirl) bzw. Autor:innenkino spielten in queerem Filmschaffen der 1990er eine Rolle (vgl. Kuzniar 2000: 19f.), wie sich in den analysierten Filmen beispielsweise an Salmonberries oder Gespenster sehen lässt. Auch das in den USA und Großbritannien aufkommende New Queer Cinema (NQC) beeinflusste deutsche queere Filmemacher:innen. Es zeichnete sich zwar durch eine große Bandbreite von Themen und Ästhetiken aus, dennoch vereinte die Filme des NQC der Stil des von Rich so benannten »Homo Pomo« (Rich 2018 [1992]: 19), der für die Verbindung von Homosexualität und Postmoderne steht und durch »Elemente von Appropriation, Pastiche und Ironie, sowie ein alternatives, von Sozialkonstruktivismus geprägtes Geschichtsbild« (ebd.) gekennzeichnet ist. In der Hybridisierung von Genres und dem Spielen mit Sehgewohnheiten und konventionalisierten Erzählstilen setzen sich die Filme des NQC in Verhältnis zu Erzählweisen des Hollywood-Kinos und stellen somit auch eine Art Metakino dar, das queere Figuren zeigt, aber auch deren Darstellungen im Mainstream kommentiert (vgl. Benshoff/Griffin 2010: 222). Außerdem machte es sich frei von früheren Konventionen wie der Forderung nach der Produktion positiver Bilder über Queerness wie sie besonders im anglophonen Diskurs über Queere Filme in den 1970ern und 1980ern oft gestellt wurde (vgl. Dawson 2015: 2). Das NQC, dessen Filme als »queer films made by queers« (ebd.) umschrieben werden können, entstand innerhalb einer größtenteils jüngeren Generation von Filmemacher:innen auf der Suche nach einer neuen Filmsprache, wobei die Koinzidenz von Reagans Amtszeit, AIDS, Videokameras, günstiger Miete in großen Städten und die Herausbildung von Queer als Konzept und Gemeinschaft zumindest für den US-amerikanischen Kontext

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eine große Rolle bei der Entstehung des NQC gespielt haben dürfte (vgl. Rich 2013: xvf.). Einen Großteil der Filme des NQC stellen US-amerikanische Independent-Produktionen dar, wie beispielsweise Todd Haynes’ Poison (1991), der drei aneinandergeschnittene Geschichten erzählt, die mit Helden-, Horror und Homostereotypen spielen, Gregg Arakis The Living End (1992) eine queere Thelma&Louise-Abwandlung mit zwei HIVpositiven schwulen Männern oder Gus Van Sants My Own Private Idaho (1991), der im Milieu schwuler Sexarbeiter spielt. Auch wenn das NQC neue stilistische und thematische Impulse setzte, so wurde doch auch die weiß-cis-männliche Dominanz kritisiert (vgl. Aaron 2004: 7). Bekannt gewordene lesbische Filme des NQC stellen beispielsweise Rose Troches und Guinevere Turners Go Fish (1994) über die Freuden und Leiden der lesbischen Max und ihres Freundinnenkreises dar oder Cheryl Dunyes The Watermelon Woman (1996), der erste Film einer Schwarzen Lesbe, der sich mit queeren Themen in Verschränkung mit dem Vermächtnis von Sklaverei und Rassismus in den USA auseinandersetzt. Daneben werden auch einige britische Filme zum NQC gezählt, wie Derek Jarmans anachronistisch angelegter Film Edward II (1991) über die homosexuelle Liebe König Edwards II. oder Isaac Juliens Looking for Langston (1989), der dem Dichter und Schriftsteller Langston Hughes und der Harlem Renaissance aus einer Schwarzen queeren Perspektive ein Denkmal setzt (vgl. Dawson 2015: 3). Im deutschen Kontext werden vor allem die Filme von Monika Treut als Verterterinnen des NQC gewertet, deren Film My Father Is Coming (1991) auch Gegenstand der Analyse ist. Aber auch Filme wie Prinz in Hölleland (1993) von Michael Stock oder Oi!Warning (1998) von den Brüdern Dominik und Benjamin Reding wurden zum deutschen NQC gezählt (vgl. Treiblmayr 2015: 278). Der große Mainstream-Erfolg von Kimberley Peirces Films Boys Don’t Cry (1999) wird als Ende des NQC eingeschätzt (ebd.). Seit den 2000ern spielen Themen rund um sexuelle Präferenzen immer öfter eine untergeordnete Rolle und Themen rund um Grenzverschiebungen und -überschreitungen im Allgemeineren, oft in Verbindung mit Themen wie Migration, Exil oder Diaspora, stehen mehr im Fokus des deutschen Queer-Films (vgl. Beirne 2012: ebd.), wie in den analysierten Filme Kleine Freiheit (2003), Fremde Haut (2005), Gespenster (2005) oder Ghosted (2009) zu bemerken ist. Diese Tendenz lässt sich auch auf das europäische Kino übertragen, in dem sich eine reichhaltige Produktion queerer Filme vorfinden lässt. Beispiele hierfür sind in Filmen wie dem finnischen A Moment in the Reeds (2017) von Mikko Mäkelä, der von der Sommerliebe zwischen einem finnischen und einem syrischen geflüchteten jungen Mann in Finnland handelt oder dem britischen Monsoon (2019) von Hong Khaou, in dem ein britisch-vietnamesischer Mann, dessen Eltern als Geflüchtete nach Großbritannien kamen zum ersten Mal seit 30 Jahren in sein Herkunftsland zurückkehrt und sich dort in einen US-amerikanischen Sohn eines Vietnamkriegsveteranen verliebt, zu sehen. Damit einher geht auch eine Verschiebung zur stärkeren Vermischung verschiedener Genres (vgl. Beirne 2012: 171), aber auch eine gewisse Normalisierung queerer Themen, wie sich an Filmen wie Marco Kreuzpaintners Sommersturm (2004) zeigt (vgl. Dawson 2015: 5). Ab den 2010er Jahren wird v.a. im anglosächsischen Kontext vermehrt vom New Wave Queer Cinema gesprochen, das mit den Filmen von Travis Mathews und Ira Sachs assoziiert wird (vgl. Haschemi Yekani 2018: 112) und queeres Leben realistisch und in größerer Komplexität darstellen will. Für den deutschen queeren Film könnte diesbezüglich Axel

4. Queere Spuren in der deutschen Filmgeschichte

Ranischs queere No-Budget-Mumblecore-Variante Dicke Mädchen (2011) über zwei Männer, die sich in den Rollen Sohn und Pfleger um eine demenzkranke Frau kümmern und sich ineinander verlieben, genannt werden. Auch das »New Trans Cinema« (vgl. Rich 2013: 271, Herv.i.O.) nimmt seit den 2010ern ebenfalls im Kontext überwiegend angelsächsischen Filmschaffens mit Dokumentation wie Wu Tsangs Wildness (2012) über trans Latinas, Fernsehserien wie Transparent (2014–2017) über Transition und Familie/Elternschaft oder Filmen wie Tangerine (2015) von Sean Baker über trans Sexarbeiterinnen an Fahrt auf und lässt ›Trans‹ zum neuen ›Queer‹ werden (ebd.). Wissenschaftliche Diskussionen entspannen sich auch hier rund um das Spannungsfeld von Emanzipation vs. Instrumentalisierung; im deutschen Kontext sind hier beispielsweise Sabine Bernardis Film Romeos (2011) über die Liebe zwischen einem trans Jungen und einem cis Jungen zu nennen oder Johannes M. Schmits und Tucké Royales Neubau (2020), der die Geschichte des trans Manns Markus, der zwischen den Verpflichtungen gegenüber der pflegebedürftigen Mutter im ländlichen Brandenburg und der Sehnsucht nach Berlin und einer queeren Community hin- und hergerissen ist, erzählt. Weiterhin führen sich im deutschen queeren Film zudem die bereits angesprochenen Trends von Normalisierung sowie Akzentuierung der Verschränkung von Queerness mit Ethnizität oder Race fort. Filme wie Zoltan Pauls Frauensee (2012) über das Kreisen zweier lesbischer Pärchen umeinander, Monika Treuts Von Mädchen und Pferden (2014), eine lesbische Liebesgeschichte vor dem Hintergrund eines Pferdehofs, oder Anne Zohra Berracheds Zwei Mütter (2013) über den Kinderwunsch eines lesbischen Paars illustrieren die Homonormalisierung queerer Themen im Film, aber auch das »Spannungsverhältnis zwischen der zunehmenden Normalisierung lesbischer Repräsentationen und der gleichzeitig andauernden Marginalisierung lesbischer Geschichten« (vgl. Haschemi Yekani 2018: 111). Weitere ›Kinderwunschfilme‹ mit (verheirateten) homosexuellen Paaren, die für das Fernsehen produziert wurden, wie Matthias Steurers Vier kriegen ein Kind (2015) und Nana Neuls Unser Kind (2018) verdeutlichen einerseits die homonormativen Tendenzen im Film, nehmen andererseits die gesellschaftlichen Diskurse über sogenannte ›Regenbogenfamilien‹ auf. Filme wie Stephen Lacants Freier Fall (2013) oder Ádám Császis Sturmland (2014) arbeiten sich einmal mehr an den Themen Homoerotik, Homosexualität und Repression bzw. internalisierte Homophobie in männerbündlerischen Gruppen wie Polizei und Fußballteam ab. Der Verhandlung von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit in Verbindung mit Queerness widmen sich Filme wie Dennis Todorovićs Sascha (2010) über das Coming-Out eines in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen mit montenegrinischen Eltern, Tor Ibens Wo willst du hin, Habibi? (2016) ebenfalls ein Coming-Out-Film über den schwulen Ibo mit türkischem Familienhintergrund oder Ofir Raul Graizers The Cakemaker (2017) über eine zwischen Israel und Deutschland angesiedelte Liebesgeschichte zwischen zwei Männern. Auch Yony Leisers Desire Will Set You Free (2015) über das queere Berliner (Nacht-)Leben aus der Perspektive eines israelisch-palästinensisch-amerikanischen Schriftstellers und eines russischen Künstlers, die eine Beziehung eingehen, Ali Hakims Bonnie und Bonnie (2019) über die Liebe von Kiki und Yara vor dem Hintergrund Yaras konservativer albanischer Familie sowie Faraz Shariats Futur Drei (2020) über den queeren Parvis, Sohn einer iranischen Familie, die in der zweiten Generation in Deutschland lebt, und dessen Beziehung zu den geflüchteten Geschwistern Banafshe und Amon beschäftigen sich mit dieser Verknüpfung. All diese Filme leisten einen Beitrag zur Verhandlung von queeren

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Zugehörigkeiten im Spannungsfeld von Nationalisierung, Europäisierung und Transnationalisierung und wirken nicht nur daran mit, Nationalismus als Ideologie zu hinterfragen, sondern die Vorstellungen von Queerness und Zugehörigkeit in Deutschland zu pluralisieren. Queerer Film in Deutschland bzw. queere Spuren im deutschen Film können damit auf eine lange Geschichte zurückblicken. Deutsches queeres Kino, vor allem in seinen künstlerischen und experimentellen Formen, erkundete demnach immer wieder Wege, Gender, Sexualität, Begehrensstrukturen und Grenzverschiebungsprozesse auf neue Arten und Weisen auszudrücken und zu verhandeln und spielt provokativ mit dem, was das Auge sehen und nicht sehen kann (vgl. Kuzniar 2000: 5). Für Kuzniar sind es vor allem die Momente, in denen Queerness als Unruhe stiftend, störend und rätselhaft auftritt, die das deutsche queere Kino ausmacht (vgl. Kuzniar 2000: 17). Wie es der Filmemacher Michael Brynntrup im Interview mit Kuzniar ausdrückt, würde queeres Kino dazu ermutigen, aus sich selbst herauszugehen und überzeugende Modelle zum Umarbeiten von Identitäten und Begehren anbieten (vgl. Brynntrup in Kuzniar 2000: 262). Dem folgend stünde auch für deutsches queeres Kino zwar eine Betonung von Fluidität ganz oben auf der Agenda (vgl. Kuzniar 2000: 262f.); es zeigt sich entgegen dieser Einschätzung aber auch, dass auch queerer Film in Deutschland, besonders seit 1989 nicht per se als disruptiv oder anti-normativ konzipiert ist und wirkt, sondern sich zunehmend im Spannungsfeld von Homonormalisierung und Subversion, Mainstream und Subkultur bewegt bzw. sich als ambivalenter darstellt als eine Einordnung entlang der Trennlinie ›normativ‹ und ›anti-normativ‹ das zulassen würde. Besonders in Bezug auf das Verhältnis von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und Queerness ist dies festzustellen, wie ich in den folgenden Analysen darstellen werde.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

5.1 USA als ›ersatz homeland‹?: My Father Is Coming und Salmonberries In diesem Kapitel beschäftige ich mich mit den Filmen My Father Is Coming (1991) von Monika Treut und Salmonberries (1991) von Percy Adlon, die jeweils die Migration einer weißen Deutschen in die USA thematisieren und hierüber Fragen natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und sexuellen Begehrens verhandeln. Dabei beziehe ich mich in der Analyse auf Michel Pêcheux’ Konzept des Ent-identifizierens und José Estéban Muñoz’ Konzept der disidentification, die durch weitere Theoriezugänge ergänzt werden. Meine These zu diesem Kapitel lautet, dass die Filme in verschiedenen Genres über transnational ausgerichtete Narrative die USA als Kontrastfolie und Sehnsuchtsort produzieren, durch die die USA als (potenziell) queeres »ersatz homeland« (Rentschler 1984: 605) imaginiert werden können und als Folie für Gegen-Identifizierung dienen kann, während die Filme in Bezug auf Deutschland und Deutschsein Disidentifikation nahelegen.

5.1.1 Ent-Identifizierung und Disidentification Der marxistische Theoretiker Michel Pêcheux entwirft das Konzept der Ent-Identifizierung in Bezug auf die Klassenverhältnisse in Abgrenzung zu von ihm so benannter Identifizierung und Gegen-Identifizierung (vgl. Pêcheux 2014 [1978]: 10ff.). Identifizierung meint für Pêcheux das Anerkennen des der herrschenden bürgerlichen Ordnung durch das Subjekt, Gegen-Identifizierung die Zurückweisung dieser und stattdessen die Hoffnung im Aufgehen in einer anderen, z.B. proletarischen Staatsordnung (vgl. Pêcheux 2014 [1978]: 10ff.). Da Pêcheux davon ausgeht, dass Identifizierung und Gegen-Identifizierung untrennbar zusammengehören und Gegen-Identifizierung letztendlich dieselbe Art der Unterwerfung produziert (vgl. Pêcheux 2014 [1978]: 10), schlägt er Ent-Identifizierung als einen Ausweg aus dieser theoretischen und praktischen Zwickmühle vor: Er beschreibt Ent-Identifizierung als Bruch, durch den den ideologischen Auswirkungen von Identifizierung und Gegen-Identifizierung entkommen und Transformation herbeigeführt werden könne (vgl. Pêcheux 2014 [1978]: 11f.).

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Diese Ent-Identifizierung nehme in der proletarischen Revolution »the ideological form of the tendency of the non-state« (vgl. Pêcheux 2014 [1978]: 23, Herv.i.O.) an, die Tendenz zum ›Nicht-Staat‹. Ent-Identifizierung bzw. Disidentifikation1 wurde seitdem auch auf theoretische und politische Felder außerhalb des Klassenkampfes angewandt. So beschreibt Judith Butler (1993) Disidentifikation als Interventions- und Transformationsmöglichkeit im Feld queerer und feministischer Politiken. Durch (kollektive) Disidentifikation könnten regulative Normen unter deren Anwendung sich sexuelle Differenz materialisiert gebrochen und Geschlechterverhältnisse rekonzeptualisiert werden (vgl. Butler 1993: 4). José Esteban Muñoz knüpft in seiner Konzeptualisierung von Disidentifikation an Pêcheux und Butler an und sieht diese als eine Überlebensstrategie in Praktiken minoritärer Subjekte, durch die eine diskriminierende Perspektive der Dominanzgesellschaft auf nicht normkonforme Subjekte verhandelt werden kann (vgl. Muñoz 1999: 4). Die von Muñoz vorgeschlagene Form von (Anti-)Identitätspolitik verortet sich direkt an der Schnittstelle von essenzialistischen und konstruktivistischen Diskursen über Identität (vgl. Muñoz 1999: 6). Für Muñoz stellt das disidentifizierende Subjekt jenes dar, das taktisch-strategisch an und gegen dominante kulturelle Formen und Ideologien arbeitet, um diese von innen heraus zu transformieren, um so nachhaltigen strukturellen Wandel zu erzielen, ohne lokale alltägliche Widerstandspratiken aus den Augen zu verlieren (vgl. Muñoz 1999: 11f.). Dabei gehe es um das »reworking of those energies that do not elide the ›harmful‹ or contradictory components of any identity« (ebd.). Disidentifizieren bedeutet demnach Umarbeiten, Umformen durch das Hineinlesen in ein Subjekt oder Objekt, von dem mensch qua Subjektposition ausgeschlossen wäre (vgl. Muñoz 1999: 12). Aus Muñoz’ Queer-of-Color-Perspektive bedeutet dies die Disidentifikation mit dem weißen Ideal, nicht in der Zurückweisung von dominanter Kultur und der von ihr nahegelegten Begehrensstrukturen, aber auch nicht im Zurückweisen eines vollständigen Aufgehens in dieser, sondern im »desire with a difference« (vgl. Muñoz 1999: 15), bei dem es um das Aushandeln zwischen Begehren, Identifikation und Ideologie gehe (ebd.). Disidentifikation kann also als Strategie gesehen werden, die in einem vermachteten Diskurs Handlungsmacht ermöglicht, mit dem Anspruch immer im Fluss zu bleiben, um sich zu Verschiebungen in Machtkonstellationen innerhalb von Diskursen positionieren zu können (vgl. Muñoz 1999:19). Für Johanna Schaffer beinhaltet das Konzept der Disidentifikation die »Tendenz zur […] Un_Form« (Schaffer 2015: 163) und wirkt somit deklassifizierend sowie deklassierend, hat also das Potenzial, »Klassifikationen ebenso wie Hierarchien durcheinander[zu]bring[en]« (ebd.). Im folgenden Kapitel beziehe ich mich immer wieder auf das Konzept der Disidentifikation und der Gegen-Identifizierung, um die Verhandlung von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit in Bezug auf Deutschland und die USA und deren Verhältnis sowie sexuellem Begehren im Kontext von Migrations- und Reiseerfahrungen in beiden Filmen zu analysieren und der Frage nachzugehen, inwiefern und welche Disidentifikationen oder Gegen-Identifizierungen hier inszeniert werden. Die Disidentifikation oder Gegen-Identifizierung werden im Film vor allem als Reisemotive oder Migrationserfahrung realisiert, dabei hat filmhistorisch die USA als ein Sehnsuchtsort eine große Tradition.

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Verschiedene Übersetzungsweisen desselben Konzepts

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

5.1.2. Deutsches Kino und die USA – Bilder der USA im deutschen Film Die USA haben für den deutschen Film seit den Anfängen der Kinoindustrie eine bedeutende Rolle gespielt (vgl. Haase 2007: 14). Diese filmindustriellen Verknüpfungen lassen sich allein schon an der Flucht im Nationalsozialismus oder der Auswanderung in den 1980er Jahren vieler deutscher Filmschaffender nach Hollywood erkennen (vgl. Dawson 2015: 3; Haase 2007: 49). Aber nicht nur personell-filmindustrielle, sondern vor allem auch Distributions- und Rezeptionszusammenhänge spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle. In der Stummfilmära wurden viele Filme von den USA nach Deutschland exportiert, was aufgrund des Stummfilms einfach zu bewerkstelligen war (vgl. Haase 2007: 17). Nach nationalistischen Abschottungstendenzen im 1. Weltkrieg, öffnete sich der deutsche Filmmarkt dem US-Film in den 1920ern wieder, aber es nahmen auch immer mehr Bedenken ob des ökonomischen und kulturellen Einflusses der USA zu (ebd.). Auch wenn deutsche Filme in Deutschland noch in den 1930ern den größten Anteil an Erträgen einspielten, wuchs der Einfluss US-amerikanischer Filme in Deutschland (vgl. Haase 2007: 18). Dies betraf jedoch nicht nur den Film, sondern die gesamte Populärkultur bis in das öffentliche und private Leben hinein, zeigte sich im Kino aber auf besonders offensichtliche Weise (vgl. Hake 2004: 92). Die darauffolgenden Debatten über die ›Amerikanisierung‹ ›deutscher Kultur‹ zeigten die unterschiedlichen Einstellungen gegenüber den USA auf. Die USA wurden zur Vorlage aller Vorzüge und Nachteile, die mit Fortschritt und Modernität zusammenhingen und so Enthusiasmus und Ablehnung zugleich hervorriefen (vgl. Haase 2007: 18). In den 1920ern wurde amerikanische Massenkultur nach den gescheiterten Revolutionsversuchen von 1918–19 als »substitute revolution« und »vehicle for radical modernization and democratization of both German culture and life« (Kaes 1985: 323, zit. in Haase 2007: 19) gesehen. Im Nachkriegsdeutschland waren die USA vor allem anziehend, da sie ein Modell einer modernen, vitalen Gesellschaft bereitstellten, das Fortschritt, Wohlstand und Demokratie versprach (vgl. Haase 2007: 219). Daran lässt sich die Tendenz ablesen, dass gerade immer dann positive bis verklärende USA-Bezüge auftraten, wenn es galt, sich nach Krisen als Nation wieder ihrer selbst zu vergewissern und Ängste vor der Zukunft zu kompensieren (vgl. Linke/Tanner 2006: 3). Wie Angelika Linke und Jakob Tanner beschreiben, zeigt sich in Europa jedoch bereits seit dem 18. Jahrhundert ein Wechselspiel zwischen »Attraktion und Abwehr« (Linke/Tanner 2006: 1) und eine »ambivalente Haltung« (ebd.) gegenüber den USA, die immer instabil und schwankend blieb und dabei mehr über die eigenen nationalen Befindlichkeiten als über die USA selbst aussagten (vgl. Linke/Tanner 2006: 1f.). Die USA werden somit zu einer »Chiffre« (Linke/ Tanner 2006: 1) und das Reden über die USA zur Analyse der eigenen Probleme, Gegenwart und Zukunftsvision (vgl. Linke/Tanner 2006: 2). Die USA als »Kontrastfolie und Abgrenzungsfigur, als Sehnsuchtsort und Fluchtlinie« (Figge 2015: 44) zeigt sich daher auch im deutschen Film. Wie Eric Rentschler bemerkt, sind die USA in deutschen Filmen – oft durch die Augen deutscher Besucher:innen oder Auswanderer:innen dargestellt – als Fantasie, Traum oder auch Alptraum vorzufinden (vgl. Rentschler 1984: 605). Die USA fungieren als ein »playground for the imagination« (Rentschler 1984: 606), ein Spiegel, der die Konflikte seiner Immigrant:innen und Besucher:innen reflektiert (ebd.). Sie dienen damit als Katalysator für das Ausloten des Selbst auf dem Boden des Anderen:

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»an imaginary, a site where the subjects comes to understand itself through a constant play and identification with reflections of itself as an other« (Rentschler 1984: 607). In der deutschen Filmgeschichte lassen sich einige Beispiele für Narrative deutscher US-Immigrant:innen finden: Beispielsweise in Luis Trenkers Der verlorene Sohn (1934), in dem Protagonist Tonio erst alle Glanz- und Schattenseiten der USA kennenlernen muss, um schließlich doch in sein Herkunftsdorf zurückzukehren und dieses schätzen zu können oder in Verflucht, dies Amerika (1974) von Volker Vogeler, in dem fünf bayrische Wilderer versuchen, ihr Glück in den USA zu finden und scheitern sowie in Stroszek (1977) von Werner Herzog, in dem ein Straßensänger aus Berlin zusammen mit einer befreundeten Sexarbeiterin und seinem Nachbarn gemeinsam in die USA auswandert und sich dort am Existenzminimum durchschlägt. Hier wird die Aushandlung von Deutschsein vor der Folie der USA aufgegriffen und Narrative des Scheiterns am Gegenüber produziert, die zur Stabilisierung eines nationalen Selbstbildes beitragen können. Auch My Father Is Coming (1991) und Salmonberries (1991) beschäftigen sich mit Emigration aus Deutschland und dem Versuch der Etablierung in den USA. Vor der Folie der deutschen Vereinigung und damit auch sich transformierender globaler Zusammenhänge sowie im Prozess der »Neuverortung der deutschen Gegenwart« (Hake 2004: 305) dienen die USA erneut als Kontrastfolie und Sehnsuchtsort, von dem aus die Dynamiken von interdependenten Zugehörigkeiten und Grenzverschiebungsprozessen verhandelt werden. Anders als beispielhaft zitierte Filme werden hier die Aushandlungen von Nation nicht nur anhand der Demarkationslinien Migration und der Gegenüberstellung Deutschland – USA vorgenommen, sondern mit Fragen von (Nicht-Hetero-)Sexualität und Ethnizität verknüpft und produzieren außerdem Narrative des Gelingens des Aufbaus eines »ersatz homeland« (Rentschler 1984: 605). Nach Rosa von Praunheims Dokumentarfilm Überleben in New York (1989) stellen My Father Is Coming und Salmonberries die ersten deutschen Spielfilme dar, die diese Verknüpfung herstellen und tragen einerseits dazu bei, essenzialistische Konzepte von Nation und Zugehörigkeit zu queeren und produzieren andererseits zwar ambivalente Bilder der USA, tendieren letztendlich jedoch zum verklärenden Einlösen des individualisierten (neoliberalen) Freiheitsversprechen im ›Land der unbegrenzten Möglichkeiten‹ und bieten Gegen-Identifizierungen an, während Deutschland als Ort von dem sich abgewandt, mit dem sich disidentifiziert wird, gezeichnet wird.

5.1.3 Dekonstruktion einer westdeutschen Identität: My Father Is Coming (1991) My Father Is Coming – queere Sexkomödie gegen Patriarchat und Nation? Der Film My Father Is Coming thematisiert im komödiantischen Modus die Suche nach sexueller und finanzieller Freiheit der deutschen Emigrantin Vicky (Shelley Kästner) im New York der frühen 1990er Jahre und ihre Auseinandersetzungen mit ihrem bayrischen Vater (Alfred Edel), der sie in New York besucht und ebenfalls beginnt, seine Sexualität zu erkunden. Um unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen, täuscht Vicky, die in einem Restaurant jobbt, ihrem Vater vor, als Schauspielerin zu arbeiten und mit ihrem schwulen Mitbewohner Ben (David Bronstein) verheiratet zu sein, während sie zur selben Zeit ihr queeres Begehren für ihre cis weibliche Arbeitskollegin Lisa (Marie Lou Graulau) und den trans Mann Joe (Michael Massee) entdeckt. Die Ausgangslage des Versteck-

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

spiels durchzieht die Struktur des Films und dient als Folie der Aushandlung des Machtverhältnisses zwischen Vater und Tochter, dominanzgesellschaftlicher patriarchaler und patriotischer Männlichkeit und queerer, emanzipierter, kosmopolitischer Weiblichkeit. Dabei befragt der Film heteronormative Gewissheiten sowie Narrative nationaler Selbstund Fremdbilder und erkundet Queerness in Verknüpfung mit Fragen natio-ethno-kultureller Zugehörigkeitsordnungen.

Performativität von Gender, Sexualität und Nation Der Vorspann eröffnet die Interaktion und Vermischung nationaler Imaginationen auf auditive Weise. Die Melodie aus dem Off im Vorspann beginnt mit Blasmusikklängen, die die Assoziation zu bayrischer ›Volksmusik‹ herstellen. Nach einigen Takten geht die Musik über in elektronische loungemusikartige Klänge, die die Assoziation mit urbanen Zentren nahelegt. Anschließend wiederholt sich das erste Musiksegment, um wieder in das zweite überzugehen, welches sich schließlich weiter in die ersten Einstellungen des Films auf der Bildebene, die ein Panorama New Yorks zeigen, zieht. Die verschiedenen musikalischen Elemente rufen Assoziationen mit ›Deutschland‹ (bzw. Bayern als pars pro toto für Deutschland) und ›USA‹, provinziell und großstädtisch, rückständig und progressiv auf, unterlaufen sie aber zugleich in der gelungenen Verbindung der Musikelemente. Das Aufeinandertreffen und die Verknüpfung der verschiedenen Elemente auf der auditiven Ebene lässt das Aufeinandertreffen des Vaters, der als zunächst typisierte Figur bayrisch-deutsche patriarchale Normen verkörpert, mit der US-amerikanischen Großstadt ›anklingen‹, und zugleich auf die Hybridisierung dieser Elemente sowie die Aushandlung des Ein/gen/en durch das Andere (allerdings in einem geopolitischen Machtverhältnis der mindestens moralischen und in Teilen ökonomischen Überlegenheit der USA) hinweist, die im Film erkundet wird. Im musikalischen Aufführen der typisierten (Klang-)Kulturen nimmt die Musik eine performative Funktion ein, um in eines der Leitthemen des Films einzuführen. Die Darstellung der Performativität von Gender, Sexualität und Nation im Film, um diese zu entnaturalisieren, bildet einen bedeutenden Bestandteil des Films und wird in einer Reihe von Szenen inszeniert. Performativität ist gleichermaßen für die Gender und Nation von Bedeutung (vgl. Kapitel 2.2ff.). Während Judith Butler Performativität mit der heterosexuellen Matrix zusammenbringt und Gender als performativ, als »stylized repetition of acts« (Butler 1990: 178), versteht, betont Homi K. Bhabha das Performative – die Wiederholung, in der Bedeutungsverschiebungen möglich werden – als Möglichkeit der Intervention in hegemoniale Nationsnarrative (vgl. Bhabha 2004: 212, vgl. auch Kapitel 2.1). Ein Denken von der Performativität her ermöglicht es also Nation, Gender und Sexualität aus nicht-essenzialistischer Perspektive zu betrachten. Diese Idee, zumindest eine simplifizierte Version davon, scheint der Film aufzugreifen – die Narration der ersten 15 Minuten des Films werden durch eine Inszenierung von natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gender und Sexualität als performativ strukturiert und stellen damit nicht nur deren Diskurseffekthaftigkeit aus, sondern verdeutlichen dem Publikum auch die Politik des Films. Sorgfältig konstruiert und entfaltet der Film diese Stück für Stück: Begonnen wird mit der Demonstration, dass Nation mit Performativität zusammenhängt und die ›Erkennbarkeit‹ von ›Nationalität‹ in einer Person mit bestimmten Praktiken der Normierung und Normwiederholung zusammenhängt; im Mokieren über

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den Vater als komischer Figur, in der überzeichnete Tropen des deutschtümelnden Bayers inszeniert sind, wird anschließend ein Verständnis von Nation als einer essenziellen Eigenschaft, die sich in Personen ›widerspiegelt‹ unterlaufen; im nächsten Schritt werden diese Erkenntnisse der vorangegangenen Szenen mit der Performativität von Gender- und Sexualitätsnormen verknüpft und queer re-signifiziert. So plädiert der Film für performative Machtkritik durch Komik und führt Umformung durch Aneignung vor. Zugleich ist Performativität bzw. Performance das zentrale Element der Filmkunst selbst, so macht My Father is Coming selbstreflexiv auf die eigene Beschaffenheit aufmerksam: Performativität verqueert somit auch die Filmästhetik, führt eigene Strukturen vor, die die Bedingungen für bestimmte Begehrensformen schaffen oder scheitern lassen.

Abb. 1-3: My Father Is Coming (D 1991, R: Monika Treut)

In der ersten hier relevanten Sequenz bei einem Vorsprechen für eine Rolle in einer Fernsehwerbung, für die sich Vicky bewirbt, wird die essenzialistische Annahme, dass Menschen ihre jeweilige Nation oder Ethnizität ›natürlicherweise‹ verkörpern könnten, durch die Inszenierung des performativen Charakters nationaler Typisierungen als Trugschluss ausgestellt. Die Szene beginnt mit dem Kamerablick in einen Raum, in dem eine sitzende telefonierende Person eine Reihe von in einer Schlange anstehenden Menschen mit kurzen Gesprächen und »Next«-Rufen ›abfertigt‹. Bei einem Kameraschwenk wird deutlich, dass alle anstehenden Personen im Raum als weiblich und asiatisch gelesen werden können. Vicky kündigt bei der telefonierenden Angestellten an, dass sie für das Vorsprechen gekommen sei, und erhält als Antwort, dass das Vorsprechen für die deutsche Touristin in einem anderen Raum stattfinde. Hier wird bereits auf homogenisierende Zuschreibungen, die aufgrund von vermeintlicher ethnischer Zugehörigkeit, Akzent oder Sprache gemacht werden, Bezug genommen und gezeigt, wie dies in dieser Logik mit der Fähigkeit eine bestimmte Ethnizität oder Nation zu verkörpern einhergeht. Darüber hinaus wird die Medien-/Werbeindustrie als Produzentin und Motor der Perpetuierung solcher Zuschreibungen inszeniert. In der nächsten Szene des Vorsprechens ist Vicky nun im ›richtigen‹ Raum zu sehen. Die Kamera zeigt die Leiterin des Vorsprechens in Nahaufnahme aus leichter Untersicht mit einem festen Blick und etabliert so deren Autorität über die Situation. Die nächste Einstellung zeigt Vicky, die an einem Tisch sitzend in Aufsicht gezeigt wird und eine Szene vorspielt, bei der sie eine Restaurantbestellung aufgibt. Die Autorität der Leiterin wird in der darauffolgenden Einstellung noch bestärkt, in der Vicky in noch größerer Aufsicht und in Halbtotale am Tisch sitzend gezeigt wird, während die Leiterin am rechten Bildrand stehend und in

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Nahaufnahme im Bildvordergrund erscheint und durch Abdunklung düster wirkend über die Szene wacht. Vickys Aufführung der Restaurantbestellung kommentiert sie zunächst mit »more arrogant«, dann mit der Anweisung »German tourist«, um Vickys »I’d like…« mit einer weiteren Anordnung zu unterbrechen: »I’d like? Think Deutschmarks, nasty, superior. Alright – think of the Nazis«, woraufhin Vicky ihren Text nur noch laut herausschreit. In der beschriebenen Szene werden neben der Referenz auf den Nationalsozialismus vor allem der Zusammenhang von Nation und Performativität in der überzeichneten Darstellungsweise von Kamera und Figureninteraktion betont: Die passdeutsche Vicky kann eben nicht nur durch ihr bloßes Sein ein Vorstellungsbild von Deutschsein verkörpern, sondern muss dieses spielen, performen. Das Ineinanderfallen von Performativität mit dem Akt des Schauspielens, also einer Performance, legt die Herstellung essenzialistischer Nationsvorstellungen frei und legt nahe, dass Nationen nur als gespielte, aufgeführte erkennbar werden, also das Aufführen bestimmter Normvorstellungen und imaginärer Bilder unerlässlich scheint, wenn eine Person als Angehörige einer Nation erkennbar sein soll. Die Wiederholungen, die Vicky angeordnet werden, aufzuführen, zeigen nicht nur, dass eine Aufführung aus einem bewertenden Blick auch Scheitern kann bzw. eingeübt werden muss, sondern weisen auch auf die Möglichkeit des Verschiebens und Veränderns in der Wiederholung hin. Der hierarchisierende Blick der Bewertungsinstanz, die die Aufführung als gut, schlecht, richtig oder falsch einstuft, wird hier deutlich und verweist auf die gesellschaftlichen Normen und den Zwangscharakter dieser, in die die Performativität der natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit und anderer wirkmächtiger Kategorisierungen eingebunden ist. Das performative Element in Bezug auf natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit wird im Film in einer anschließenden Szene in einer Unterhaltung von Vicky und Lisa betont: »Hope you are better at it [German] than I am at playing Puerto Rican. Let me tell you, nobody ever believes me when I tell them I am a Puerto Rican.« Der Film bietet hier also eine Perspektive an, aus der nahegelegt wird, dass hegemoniale Bilder von Nation immer auch performativ hergestellt werden, da es scheinbar notwendig ist, etwas aufzuführen, was mensch schon immer gewesen sein soll, sondern auch, wie diese Anrufung scheitern kann bzw. wie Lisa durch ihr Coming-out als puertorikanisch in eine bestimmte (heteronormative?) Vorstellung davon, wie ›puertorikanisch‹ aussieht und was es bedeutet, interveniert. Diese Szenen etablieren eine anti-essenzialisitsche Haltung gegenüber natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit als naturalisierter Kategorie und schulen das Publikum so in Vorbereitung auf die nächste Sequenz, die Ankunft des Vaters, der stereotype Assoziationen mit Deutschland, speziell Bayern, ganz selbstverständlich zu verkörpern scheint (Lodenmantel mit Hornsknöpfen, Weißwürste im Gepäck und über ›deutsche Tugenden‹ schwärmend) in einem kritischen Blick auf die Naturalisierung von Zugehörigkeitskategorien. Im Zusammenklang mit der Szene von Vickys Vorsprechen wirkt er wie eine Parodie seiner selbst, in einer perfekten Aufführung und Inbegriff aller gängigen Stereotypen gegenüber Deutschen bzw. deutscher Männlichkeit in den USA. Darauf wird er auch von seiner Umwelt gestoßen und in diesem stilisierten culture clash der US-amerikanischen Großstadt und des Vaters überzeichneter kleinbürgerlicher, patriarchaler Deutschtümelei werden Ironie und Komik erzeugt. Durch die Einbettung in das durch Performativität informierte

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Setting des Films wird der Vater somit als komische Figur erkenntlich. In den nächsten Szenen werden des Vaters patriarchal-heteronormative und mit ›deutsch‹ assoziierte Einstellungen von Ordnungsbessenheit und Überheblichkeit vorgeführt und diverse Figuren machen sich mit Dialog- und Bildwitz akzentuiert über die Ansichten des Vaters lustig. So wird der Vater zu einer Allegorie der deutschen Nation, die gleich durch parodistische Momente nicht ernst genommen und so als unhaltbar vorgeführt wird. In der Verbindung der Vorführung der performativen Elemente des Nationalen aus den Szenen mit Vicky und Lisa mit der überzeichneten Figur des Vaters durch Plotstruktur und Montage wird zugleich das performative Moment nationaler Zugehörigkeitsaufführungen betont und sich über heteropatriarchal-nationale Vorstellungen lustig gemacht. Die Nation wird zum Witz. Das Genre der Komödie als prädestinierter Ort der Beschäftigung mit der bürgerlichen Ordnung (vgl. Hickethier 2005: 9) kommt hier also auf subversive Art und Weise zum Einsatz. Die Komikerzeugung erfolgt durch eine Konstruktion von Inkongruenz, indem mit Wissen und Erwartungen gespielt wird (vgl. Carroll 1991, zit. in Mikos 2008: 147). So wirken die Verhaltensweisen des Vaters im Filmtext komisch, weil sie sich inkongruent gegenüber der erzählten Welt der New Yorker Großstadt zeigen. Aber auch die Handlungen der anderen Filmfiguren produzieren komische Momente, indem sie nicht ›wie (vom Vater) erwartet‹ auf die patriarchalen und patriotischen Aussagen reagieren, sondern diese durch Nicht-Ernst-Nehmen, Belächeln, Witzeln ins Lächerliche ziehen. Somit wird ein komischer Plot durch die inszenierte Konfrontation der beiden ›Welten‹ produziert. Die Zuschauenden sollen so aus der Perspektive der Haupt- und Transferfigur Vicky über die deutsche Kultur lustig machen. Wie Kathleen Rowe Karlyn darlegt, kann Antiautoritarismus ein Charakteristikum von Komödie sein, die ein prädestiniertes Genre darstellen kann, um das ›Gesetz des Vaters‹ anzugreifen und Hierarchie zu »level, disrupt and destroy« (Rowe Karlyn 2008: 158). In dieser Perspektive triumphiert der Sohn über den Vater (vgl. Rowe Karlyn 2008: 158) oder in der queer-feministischen Wendung von My Father Is Coming die Tochter bzw. Frauen und Queers über den Vater bzw. das nationalistische Hetero-Patriarchat. Der Vater wird damit als Figur gezeichnet, deren deutsche hegemoniale Männlichkeit2 als überkommen nahegelegt wird, wodurch der Film auch an der Dezentrierung des »BMW-Subjekt[s]« (Buchwald 2001: 13) arbeitet. Unter dem BMW-Subjekt versteht Dagmar Buchwald »das bürgerliche, männliche, weiße Subjekt moderner Kulturen« (Buchwald 2001: 12), das sich als die menschliche Norm imaginiert (ebd.). Das Mokieren über die Deutschtümelei des Vaters wird in der anschließenden Sequenz auch mit Gender-Performativität und queer(end)er Re-Signifizierung verknüpft. Hier kommt der Vater in Vickys Wohnung an und begegnet Ben, dem schwulen Mitbewohner und vermeintlichen ›Ehemann‹ Vickys, zum ersten Mal. Raumeinnehmend und mit kariertem Holzfällerhemd erscheint Ben, nach Vickys Aufforderung in einer früheren Szene ›butch‹ aufzutreten, in der Wohnung. Beim Anblick des Handstaubsaugers, den der Vater Vicky als Geschenk mitgebracht hat, verfällt Ben, der in der Szene zuvor noch vom Mund seines Liebhabers als ›dustbuster‹ geschwärmt hat, zusammen mit Vicky in Gelächter. Im Spiel Bens als heterosexueller, ›butcher‹ Ehemann 2

Zu Typen von Männlichkeiten vgl. Kapitel 6.2.3

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Vickys werden nicht nur Männlichkeit und Heterosexualität, Gender und Sexualität, als performativ erkennbar, sondern eine Bewältigungsstrategie im Umgang mit dem Patriarchat inszeniert, während gleichzeitig der Handstaubsauger als Zeichen deutscher Ordnung und Überlegenheit (der Vater schwärmt von der viel besseren deutschen Technik) queer re-signifiziert wird. Das Selbstverständnis als sauber und der damit zusammenhängende Sauberkeitsdiskurs der bürgerlichen Ordnung wird angeeignet, gequeert und queere Sexualität, die historisch als dreckig, pervers, unrein galt, mit dem Werkzeug der Sauberkeitsherstellung verknüpft. Vickys und Bens Lachen, an dem auch die Zuschauenden teilnehmen können, verstärkt diese Pointe und so erscheint der mit dem Handstaubsauger am Boden kriechende Vater als Witzfigur – das Patriarchat wird als lächerlich, weltfremd und rückständig dargestellt und es wird erneut angedeutet, wie Zeichen der Unterdrückung subversiv im Sinne der Veränderbarkeit von Normen (vgl. Deutscher 1997: 27) umgedeutet werden können. Diese ersten Szenen bereiten also die Bühne für die Subversion wirkmächtiger Kategorisierungen von Nation, Gender und Sexualität durch Komik im weiteren Verlauf des Films. Nicht-normative weibliche und queere Subjekte werden dabei als zentral bei der Dezentrierung patriarchaler Männlichkeit und Rekonzeptualisieurng des geltenden Wissens gesetzt. Performative Praktiken werden über den Film hinweg als zentrale Inszenierungsweisen um die Prozesse des Hervorbringens, Aufrechterhaltens oder Umarbeitens wirkmächtiger Kategorisierungen auszustellen eingesetzt und werden in Bezug auf Gender und Sexualität mit wortwörtlichen Performances in Verbindung gebracht. Ähnlich wie Judith Butler, der es neben der Handlungsmacht und Subversionsmöglichkeit auch zentral auf den Zwangscharakter des performativen Gendersystems ankommt, betont Erika Fischer-Lichte aus einer theaterwissenschaftlichen und performance-theoretischen Perspektive das Handlungselement des Performativen jedoch mehr. Für Fischer-Lichte bringen performative Akte »diejenige Wirklichkeit, auf die sie verweisen erst hervor […]« (Fischer-Lichte 2015: 44), entstehen im Vollzug von Handlung und sind dabei immer verkörpert (ebd.). Andrea Seier (2007) weist darauf hin, dass eine Gleichsetzung von Performances mit Performativität Gefahr läuft, die Handlungsseite hervorzuheben und den Aspekt der Struktur zu vergessen, was zu einer Überbetonung der subversiven Eigenschaften von Performances führe (vgl. Seier 2007: 61). Butler und Fischer-Lichte unterscheiden sich erheblich, können jedoch zusammengebracht werden, wenn Performativität mit Seier als »Scharnier […], das Mikro- und Makroebene miteinander in Beziehung setzt« (Seier 2007: 63) gesehen wird und damit Struktur und Handlungsmacht zusammengedacht werden. So gewendet wird der Begriff der Performativität da wirksam »wo er das einzelne ästhetische Phänomen, eben einen Film, ein Theaterstück, eine Performance, an den generellen Prozess der Re-Signifikation bindet« (ebd.). Aus dieser Perspektive können auch die Szenen von Performances im Film betrachtet werden, um den Zusammenhang zwischen Performance, Performativität, Gender und Sexualität, zwischen Subversion, Normierung und Neu-Anordnung, die der Film her-

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stellt, zu betrachten. Eine kurze Szene, in der Bens Freund Tito eine Voguing3 -Performance einstudiert, ist hier besonders interessant, auch weil sie eine Referenz auf den damals sehr viel Aufmerksamkeit hervorgerufenen Dokumentarfilm Paris is Burning (1990) von Jennie Livingston darstellt und sich damit explizit auf queere Subkultur New Yorks bezieht. Im Schuss-Gegenschuss werden jeweils Tito und Ben in Großaufnahme gezeigt, Tito, wie er seine Voguing-Bewegungen aufführt und übt, Ben, wie er Tito dabei zusieht, das Gesehene kommentiert und Tito entweder lobt (»That’s right«), maßregelt (»No, no, around«) oder sonstige Anweisungen gibt (»Vogue for me«, »Come on, work that runway«), was er anders machen soll (welche Tito alle befolgt), alles begleitet von poppigen Beats, die Ben auf seinem Kassettenrekorder spielt. Nach der Aufführung versichert sich Tito, dass er auch wirklich im Club Mars auftreten kann, was Ben, der den Auftritt für ihn organisiert hat, bejaht. Die Praxis des Voguing wurde als subversive beschrieben, beispielsweise bei Susanne Quinten und Christiana Rosenberg (2018): »Differente Körperbilder, queere Geschlechterbilder und artifiziell hergestellte Kleiderkörper, die beim Voguing erzeugt werden, können als eine Praxis betrachtet werden, die den Körper als kulturell geformtes Konzept beschreibt und hinterfragt. Lateinamerikanische, homosexuelle und marginalisierte Jugendliche kritisierten und hinterfragten […] mittels ihrer soziokulturellen Praxis Voguing Normen, die das Geschlecht betreffen. Beim Voguing loten sie mobile Identitäten, quasi identities in motion, aus (Quinten/Rosenberg 2018: 116, Herv.i.O.)«. Titos queere Voguing-Performance stellt so gesehen generell hegemoniale Gender- und Körperpraktiken in Frage und mobilisiert anti-essenzialistische Identitätskonzepte, auch wenn Voguing nach Paris is Burning immer mehr in den Mainstream einsickerte und besonders durch Madonna popularisiert wurde. Dies wird durch die Unterbrechung der Narration, die durch diese Szene entsteht, da sie sich nicht in die linearkausale Narration des Rests des Films einreiht, als queerer Moment in der Narration hervorgehoben. Gleichzeitig wird Titos Performance eingebunden in Machtverhältnisse dargestellt. So sind sowohl die Möglichkeit aus dem privaten Vergnügen seiner Performance einen öffentlichen Auftritt zu machen als auch die einzelnen Komponenten dieser von Bens Zugang zu Ressourcen, Wissen und seinem normierenden und reglementierenden Blick auf Tito abhängig. Bens weißer Blick und seine Kontakte zum Club-Besitzer bestimmen hier also die Option sowie die Art und Weise des subversiven Ausdrucks, der der queeren Latinx-Community4 zur Verfügung steht. Damit werden die Machtverhältnisse auch innerhalb von queeren Communities inszeniert, jedoch nicht problematisiert, da in dieser Szene alle Beteiligten als zufrieden mit der Situation dargestellt werden und dies auch im weiteren Verlauf des Films nicht mehr thematisiert wird. Damit produziert der Film eine Ambiguität, bei der hegemoniale Gender-

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Voguing entstand seit den 1960er Jahren in der queeren Schwarzen Community in Harlem und kann als eine Tanzpraktik, bei der Posen in Tanz transformiert werden, gesehen werden (vgl. Krauß 2020: 11). ›Latinx‹ hat sich im anglophonen Raum in den letzten Jahren als genderoffene (Selbst-)Bezeichnung und Alternative für die Latino/a etabliert.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Normen gequeert sowie destabilisiert und im selben Zug rassistische Blick- und Machtverteilungsstrukturen reproduziert werden. Titos Performance nimmt hier also genau die von Seier angesprochene Scharnierfunktion ein: Einerseits wird die Praktik des Voguing inszeniert, mit der hegemoniale Konzepte von Gender, Körper und Sexualität hintrefragt werden können, andererseits bleibt die Performance eingebunden in größere gesellschaftliche Machtstrukturen. Dadurch, dass das Unterbrechungsmoment der Performance weitestgehend konsequenzlos bleibt, scheitert die Re-Signifikation vermachteter Praktiken im Film größtenteils. Damit bleibt die Szene ambivalent und kann zwar den performativen Charakter von Gender und der Gender-Performance zugeschriebener sexueller Orientierung inszenieren und den Raum für die Möglichkeit einer queeren(den) Auflösung hegemonialer Kategorien öffnen, reflektiert die vermachtete Verknüpfung von Gender, Race und Begehren jedoch nicht. Dies wird auch in der Zusammenschau mit der vorangehenden Szene deutlich, denn auch Vicky probt ihren Auftritt im Club Mars. Anders als im Schuss-Gegenschuss mit dem im Bild präsenten Blick des innerdiegetischen Publikums zeigt die Kamera Vickys Performance aus einer Perspektive, der halbnahen Normalsicht, und blendet erst am Ende der Vorführung Vickys Publikum, hier bestehend aus Christa und deren Schwester, ein, welches applaudiert und ihr zu ihrer Darbietung gratuliert. Während Tito den reglementierenden Blicken und Kommentaren Bens ausgesetzt ist, kann Vicky ihre Performance sowohl ohne Unterbrechung als auch ohne Maßregelung aufführen. Das Publikum ist hier Rezipient:in des Films und nicht Bewertungs- und Normierungsinstanz. So ist es letztlich der rassifizierte Unterschied, der die unterschiedlichen Darbietungsmöglichkeiten bedingt. Insgesamt inszeniert der Film also immer wieder den performativen Charakter von Gender, Sexualität und Nation, stellt die Prozesse, durch die wirkmächtige Diskurse produziert werden, als vermachtet dar und bietet dem Publikum damit an, über Möglichkeiten ihrer Subversion, Veränderbarkeit und Resignifikation nachzudenken. Performativität wird zum Prinzip, das sich durch den Film zieht, um die Welt als Gemachte zu entwerfen – so argumentiert der Film für die Entnaturalisieurng sozialer Verhältnisse und präsentiert Kategorisierungen als historisch gewachsene, kontingente. Performative Praktiken werden hier zum Vehikel der Infragestellung des heteronormativen und homogenisierenden Zwangssystems, allerdings um den Preis der Zentrierung von Weißsein und der performativen Resignifikationsmöglichkeiten in Performances. Damit ist der Film als situiert in den feministischen und dekonstruktivistischen Diskursen der Zeit zu verorten, inszeniert sie und produziert sie durch die Mittel der Komödie mit.

Disidentifikation mit Deutschsein? Als weitere Strategie des kritischen Reflektierens essenzialisierender und homogenisierender nationaler Diskurse kommt Disidentifikation zum Einsatz. Anhand verschiedener Situationen und Figureninteraktionen produziert der Film ein Klima der Disidentifikation mit Deutschland, teilweise mit der Idee homogenisierender natio-ethno-kultureller Zugehörigkeitsordnungen insgesamt. Disidentifikatorische Momente werden in Dialogszenen zwischen Vicky und Lisa und Vicky und dem Vater über den Film hinweg inszeniert, beispielsweise als Vicky ihre Rolle im Vorsprechen gegenüber Lisa als ›kind of the European‹ bezeichnet oder wenn

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sie dem Schwärmen des Vaters über deutsche Technik nur einen müden, augenrollenden Blick abgewinnen kann. Vickys »failed interpellation[s]« (Muñoz 1999: 7) werden im Film also eingesetzt, um Disidentifikation zu inszenieren und Vicky tritt so als national disidentifizierende Figur auf. Neben diesen vereinzelten Momenten der gescheiterten Interpellation der Figur Vicky baut der Film insgesamt eine disidentifikatorische Haltung gegenüber Deutschland über die Konfrontation des Vaters mit sowohl dem New Yorker Alltagsleben und der so inszenierten Selbstbestimmtheit der Frauen darin als auch mit der deutschen NS-Vergangenheit im öffentlichen Raum auf. Letzteres wird in einer kleinen Szene deutlich, in der der Vater bei einem Strandspaziergang in einem Café ein Schild mit der Aufschrift ›Knishes‹ entdeckt. Er fragt Vicky auf Deutsch, was Knishes seien; auf ihre englische Antwort »Come Dad, let’s go« hin insistiert er »Ich will, dass du deutsch mit mir sprichst« und beginnt den Mitarbeiter hinter der CaféBar in gebrochenem Englisch mit starkem deutschem Akzent zu fragen, was Knishes seien. Der Mitarbeiter antwortet nicht und blickt den Vater nur fest an. Vicky flüstert dem Vater ins Ohr, dass es in New York eine Menge russischer Juden gebe und diese keine Deutschen mögen würden, während sie den ungläubig und verwirrt dreinblickenden Vater von der Bar wegzieht. Als deutsch charakterisierte Anspruchshaltung und deutsch-nationaler Anti-Amerikanismus werden hier in ihrem Ausdruck in der Abwehrhaltung gegenüber der englischen Sprache isnzeniert. Englisch (auch noch in der Verwendung durch die ›eigene‹ Tochter!) wird hier zur »Bedrohung der nationalen Identität« (Stein 2004: 1)5 , selbst auf US-amerikanischem Boden. Damit einher geht eine Ignoranz gegenüber jüdischem Leben und jüdischer (Ess-)Kultur, die anders als in Deutschland im US-amerikanischen Kontext mit Sanktionen wie dem ungnädigen Blick des Bar-Mitarbeiters, dessen Weigerung zur Interaktion und des Verkaufs von Essen dargestellt wird. Darüber hinaus stellt die Szene dar, dass sich mit dem Nationalsozialismus nicht ›abschließen‹ lässt bzw. wie Micha Brumlik formuliert, es widerlegt sei, dass sich »diese Vergangenheit in einem substantiellen Sinn ›bewältigen‹« (Brumlik 2015: 13) lasse, auch wenn dieser Umstand in deutschen Erinnerungsdiskursen zum ›Schlussstrich‹ bisweilen ignoriert wird, wie am Vater dargestellt. Die Ignoranz und Verwirrung des Vaters legen also nahe, dass sich das Erbe und die Kontinuitäten des Nationalsozialismus in Deutschland durchaus anders oder mehr verdrängen lassen, als dies in den USA der Fall ist. Die USA werden damit zum Spiegel für Deutschlands Vergangenheit in der Gegenwart und bringen das Verdrängungstopos zutage. Dies geht in dieser Szene einher mit der Dezentrierung des patriarchalen Anspruchs des Vaters an Vicky, indem er als unbeholfen und unwissend gezeichnet wird und Vicky die Situation durch ihr Sprach-, Geschichts- und Kulturwissen gekonnt navigiert. Besonders im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit wird hier ein Phänomen in der Aufarbeitungsgeschichte dargestellt, das sich in den 1990er Jahren vermehrt zeigte und bei dem die Kinder der Täter:innengeneration ein ähnliches Verhältnis einnahmen wie die Alliierten zu den Täter:innen (vgl. Ströh 2015: 47). In der darauffolgenden Szene wird

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Wie Dieter Stein ausführt, wird Englisch von patriotischen Deutschen oft als bedrohlich empfunden: »[W]enn das wichtigste Vehikel nationaler Identität bedroht ist, die nationale Standard-Sprache, dann fühlt sich auch die Nation bedroht und einem Sprachimperialismus ausgesetzt, gegen den es sich ganz vorzüglich emotional reagieren lässt« (Stein 2004: 1).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

der Vater verunsichert durch eine skatende Frau (»Brauchen die Frauen hier keine Männer mehr?«) – der Diskurs um die ›Krise der Männlichkeit‹, der sich in den 1990er Jahren in Deutschland zuspitzte und durch den soziale Gewissheiten irritiert wurden (vgl. Treiblmayr 2015: 138) wird hier aufgerufen und durch die Montage eine Verknüpfung zur vorangegangenen Szene hergestellt – die Männlichkeitskrise wird so in Verbindung mit der Weigerung gebracht, Deutschland als postnationalsozialistische Nation zu reflektieren und nahegelegt, dass eine feministische Aktualisierung der Genderordnung auch Räume für eine adäquatere Aufarbeitung des deutschen Nationalsozialismus schaffen könnte und umgekehrt. Die fehlende Auseinandersetzung des Vaters mit der deutschen NS-Vergangenheit und sein unreflektierter Nationalismus werden akzentuiert, als der Vater in einer zufälligen Treppenhausunterhaltung auf seine Herkunft angesprochen wird und sagt, dass er Deutscher sei und sich sein Gegenüber als »German, too, but Jewish« zu erkennen gibt. Auf die Frage, wo er »at the time« gewesen sei, erwidert der Vater kurz angebunden und mit ablehnendem Tonfall nur, dass er ein Schuljunge und sein Vater vor dem Krieg gestorben war. Hier wird der Vater implizit mit der Idee einer Kollektivschuld (vgl. Ströh 2015: 45) konfrontiert. Diese Idee geht davon aus, dass »alle Deutsche[n] als Deutsche Schuld an der Shoah« (Ströh 2015: 45f.) tragen und wurde bis in die 1990er Jahre im Diskurs weitestgehend tabuisiert (vgl. Ströh 2015: 46). In der ablehnenden Haltung des Vaters wird diese Tabuisierung inszeniert und er wird implizit als Vertreter der in Deutschland populären Ansicht, dass nur eine kleine Gruppe ›Nazis‹ die Verantwortung für die Shoah trage (ebd.) dargestellt. Damit thematisiert der Film die Kontinuitäten der Schuldabwehr oder Befürwortung des ›Schlusstrichs‹ im post-nazistischen Deutschland und kann durch das Nahelegen der Identifikation mit Positionen, die dem Normalisierungsnarrativ widersprechen über die Inszenierung des Vaters als Antipathieträger, politisierend wirken. In der Zusammenschau dieser Szenen wird also eine Verknüpfung von patriarchalen Vorstellungen und Nationalismen vorgenommen und nahegelegt, wer (nämlich eine heteronormative, patriarchale und patriotische Männlichkeit) einen Schlussstrich mit der NS-Vergangenheit ziehen möchte und wer sich mit Geschichtsbewusstsein ausgestattet mit Deutschsein disidentifiziert (nämlich eine queere, kosmopolitische Weiblichkeit). Gleichzeitig wird hier auch die Konfrontation Deutscher im Ausland mit der NS-Vergangenheit, also den immer auch imaginären Bildern über Deutschland und der Erfahrung der kollektivierenden Identitätzuschreibung, vorgeführt. Vom Filmtext wird – zumindest in der ersten Hälfte des Films – jedoch die Perspektive der Abgrenzung vom und Belächelung des Vaters und dessen wofür er steht, nahegelegt. So produziert der Film eine disidentifikatorische Haltung gegenüber heteropatriarchalem (deutschen) Nationaldenken und regt das Publikum dazu an, hegemoniale Modelle von Zugehörigkeit, gesellschaftlicher Ordnung und Geschichtsschreibung zu hinterfragen. Deutschland und die USA werden über die Figur des Vaters in der ersten Filmhälfte auf diese Weise kontrastiert und dichotom als patriarchal vs. emanzipiert und faschistoid vs. anti-faschistisch portraitiert. Vicky tritt dabei gegenüber Deutschsein wie auch den USA zunächst disidentifizierend auf, so sagt sie in einer Szene, dass sie sich »anti-perky« und »antiAmerican« fühle, was sich jedoch gegen Ende des Films zu einer Gegen-Identifizierung hin verschiebt, als sie romantischen und sexuellen Erfolg verzeichnen kann. Im Filmver-

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lauf machen sowohl Vicky als auch der Vater eine Transformation durch, die bei beiden mit sexueller Befreiung verknüpft ist und beim Vater das zusätzliche Element der Ablösung vom nationalistischen Denken beinhaltet.

TransFormationen von Zugehörigkeiten Im Film werden Mobilität, (E)Migration und damit nationale Grenzüberschreitungen mit individuellen Transformationsprozessen verknüpft. Für Vicky hängt Transformation dabei nicht ursächlich mit der Emigration in die USA zusammen, jedoch werden die USA zum (einzigen) Ort, an dem sich Transformationsprozesse für sie vollziehen können. Dabei werden sexuelle Transformation, also Vickys Beziehungen mit Lisa und Joe mit einem Narrativ der Selbstfindung, mit den Elementen persönlicher Entwicklung, gestärktem Selbstbewusstsein und beruflichem Erfolg zusammengebracht. Besonders eindrücklich wird dies anhand der Kontrastierung von Vickys Portraitfotos und Bewertung dieser durch je eine weitere Figur zu Beginn und Ende des Films dargestellt. In einer Szene im ersten Drittel des Films begutachtet Ben die Fotos, die Vicky für ihre Bewerbungen als Schauspielerin anfertigen hat lassen, und kommentiert »Let’s see, you look so controlled here. Have you ever thought of making it with a dyke?« und deutet somit einen Zusammenhang zwischen nicht-heterosexuellem Sex und der Möglichkeit der persönlichen Entwicklung und des Loslassens von Disziplin und Norm an, der im Film weiter ausgebaut wird. Die letzten Szenen des Films zeigen Vicky auf dem Weg zu einem Treffen mit ihrer Agentin. Bei einem Zusammenstoß auf der Straße fallen ihr ihre Bilder aus der Hand und landen auf dem Gehweg. Die Agentin kommt in die Szene und stellt fest: »I think you need new photographs, my dear«. In ihrer Doppeldeutigkeit spielt die Szene also darauf an, dass Vicky jetzt, nachdem sie ›Sex mit einer dyke‹ hatte, nicht mehr so kontrolliert ist, sich weiterentwickelt hat und die Abbildung auf dem Foto ihrem Selbst nicht mehr entspricht. Die Tatsache, dass nicht mehr ihr Mitbewohner, sondern ihre Agentin nun als Bewertungsinstanz fungiert, stellt zudem einen Indikator für Fortschritt in Vickys beruflicher Etablierung dar. Auch in der Art und Weise der Darstellung der Bilder selbst lässt sich die Entwicklung und das Narrativ der sexuellen Befreiung, die auch Befreiung und Erfolg in allen anderen Lebensbereichen mit sich bringt, ablesen. Während die Bilder, die Ben zu Beginn kommentiert, in halbnaher Einstellung und im Halbdunkel gezeigt werden, wird Vickys Foto am Ende in Großaufnahme und in großen Teilen gut ausgeleuchtet eingeblendet. In der Gegenüberstellung wird die Entwicklungslogik, die hier konstruiert wird, deutlich: Vickys Bild, zunächst dunkel und schwer erkennbar, wird am Ende ›in neuem Licht‹ betrachtet. Auch wenn Vicky hier (noch) kein neues Foto hat, wird Vickys ›Erleuchtung‹ hier bereits auf der Bildebene umgesetzt. Das Comingout, die Beziehung zu Lisa und die Affäre mit Joe, verhelfen Vicky also zu einem neuen, ›besseren‹, erfolgreicherem, glücklicherem Selbst. Mit dieser Verknüpfung wird einerseits die Konstruktion Vickys als emanzipatorische, selbstbestimmte Figur gestärkt, die sich dem Einflussbereich des Patriarchats erfolgreich entzogen hat und ihr Leben abseits von heteronormativer, bürgerlich-monogamer Ideologie gestaltet. Andererseits werden mit individualistischer Transformationslust, Fortschrittslogik und Happy End typische Merkmale einer postmodernen Identitätskonzeption, die auf einer »Erfindung des Selbst« (McRobbie 1994: 72) aufbaut, inszeniert, welche eng mit dem Konsumkapitalismus verwoben ist (vgl. Ang 2003: 104f.). Somit schreibt sich die Filmnarration auch in

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

eine liberale Glücksideologie ein, die der (US-amerikanischen) Konsumgesellschaft zugrunde liegt und deren »höchster Wert […] ein glückliches Leben« (vgl. Bauman 2009: 61) darstellt.

Abb. 4-5: My Father Is Coming (D 1991, R: Monika Treut)

Abb. 6-7: My Father Is Coming (D 1991, R: Monika Treut)

So produziert der Film Ambivalenzen zwischen Emanzipation und Einfügung in die hegemoniale Ideologie, die gemeinsam bestehen bleiben. Das Aufrufen einer konsumkapitalistischen Glücksideologie verbunden mit den USA als Ort, an dem sich das (queere) Glück verwirklicht, trägt hier dazu bei, die Idee des ›American Dream‹ zu reproduzieren, wenngleich Alice Kuzniar darauf aufmerksam macht, dass US-amerikanisch-Sein und Queerness im Film nicht zusammenfallen, wodurch Binaritäten vermieden würden (vgl. Kuzniar 2000: 169). Der Zusammenhang zwischen Vickys Transformation und ihrem Coming-out wird noch deutlicher, wenn die Coming-out-Szene, die sich anhand der Performance im Club Mars vollzieht, gemeinsam mit der dieser einige Szenen vorangegangenen bereits angesprochenen Übungsszene betrachtet wird. Während Vicky in der Übung ihrer Performance als einziger Szene im Film ihr Haar zusammengebunden trägt, was an Bens Kommentar erinnert, der sie als ›controlled‹ beschrieben hat und mit erwähntem (wie sich

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nun zeigt, mehrdeutigem) statischen Kamerablick zeigt, wird ihre eigentliche Performance im Club Mars in verschiedenen Einstellungen und aus verschiedenen Kameraperspektiven festgehalten, wirkt also deutlich dynamischer und weist so auf den Veränderungsprozess, den sie durchläuft, hin. Darüber hinaus verwendet Vicky in der Übung eine hohe Singstimme und tänzelt durch das Bild, wohingegen sie bei ihrem öffentlichen Auftritt ihren Songtext mit vor einer Hintergrundmelodie einspricht und eine tiefere Stimme verwendet. Ihr Auftreten in Abendkleid und mit Handschuhen vor einem weißen Satinhintergrund im Club lässt sie divenhaft und glamourös wirken (im Gegensatz zum ›unschuldig-mädchenhaften‹ Blümchenhintergrund in der Kontrastszene). Die Beleuchtung stellt dabei einen weiteren Aspekt dar, mit dem Transformation angezeigt wird: Während die Beleuchtung in der Übungs-Performance ebenso statisch ist, ist die Beleuchtung in der Club-Performance dynamischer und spielt mit der Ausleuchtung. Damit wird einerseits die szenige, verruchte Club-Atmosphäre unterstrichen, darüber hinaus aber auch auf die Uneindeutigkeiten Vickys queeren Begehrens verwiesen, da sie sich zwar zu Lisa, aber zu keiner nicht-heterosexuellen Identitätskategorie bekennt. In dem Lied, das Vicky performt fragt sie: »Am I ready to love you now? Am I ready to kiss you now? Am I ready to trust you now ’cause I am ready lust for you now?« und beantwortet diese Fragen selbst mit den Worten »I opened my heart, let out the feelings I’d hidden, thinking love was forbidden. […] Now I’m lost in your arms […] I guess I’m really ready to love you now«. Indem Vicky die Doppelbewegung eines Coming-outs, ohne sich jedoch eine sexuell definierten Identität zuzuschreiben, vollzieht, wird im Film an dieser Stelle auch die Differenz, die die Homo-Hetero-Binarität erst zustandekommen lässt, untergraben, so eine kritische Betrachtung der bürgerlichen Ideologie nahegelegt und nach Moe Meyers Definition von queer Queerness produziert (vgl. Meyer 2004: 138). Diese queerende Geste wird von Vickys Femmeininität noch verstärkt. Femmeininität verwende ich hier als Kompositum aus ›femme‹ (als lesbischer Subjektposition) und ›Femininität‹ (als spezifischen Ausdruck von Weiblichkeit), um das Zusammenfallen einer nicht-heterosexuellen (aber nicht explizit lesbischen) und femininen Subjektposition zu beschreiben. Wie Alice Kuzniar mit Bezug auf Biddy Martin argumentiert, kennzeichnet Vickys Femmeininität die Durchlässigkeit der Binaritäten von homo- und heterosexuell (vgl. Kuzniar 2000: 168). Wie Lisa Duggan und Kathleen McHugh beschreiben, kann die Femme als transgressive Figur gelesen werden, die identitäre Kategorien sprengt: »[…] ›Fem(me)‹ ist keine Identität, keine Geschichte, kein Ort auf der Landkarte des Begehrens. Der Körper der Fem(me) ist anti(identitär), ein queerer Körper in fem(me)ininem Drag« (Duggan/ McHugh 2014: 47). So gesehen betont Vickys femmeininies Auftreten im Film ihr queeres, bis zum Ende hin uneindeutig bleibendes Coming-out. Über die Figur Vicky wird die Transformation von einer als gegeben geglaubten Identität hin zu einer Fluidität von Begehren inszeniert und gezeigt, dass es keiner ultimativen identitären Einordnung bedarf, diese provisorisch und in Zwischenräumen bleiben kann. Gleichzeitig wird Coming-Out als notwendige soziale Praktik inszeniert, die aus/f/geführt werden muss, eines Publikums und dessen Anerkennung bedarf, um als erfolgreich gelten zu können, um mit Lisa Sex zu haben (erst nach Vickys Performance werden die beiden zum ersten Mal bei einer Sexszene gezeigt) und zusammen

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

zu sein. In der Inszenierung des öffentlichen Coming-outs bemüht der Film also ein populäres Narrativ queerer Geschichten. Wie Esther Saxey (2008) anmerkt, sind Coming-out-Narrative oft identitätspolitisch motiviert und arbeiten mit einem Narrativ der ›Entdeckung‹ des ›Wahren Ichs‹, das nun endlich ausgelebt werden könne (vgl. Saxey 2008: 1). Gleichzeitig könnten Coming-out-Narrative, auch dazu beitragen, komplexe Geschichten über die Konstruktion von Identitäten zu erzählen (vgl. Saxey 2008: 2). Aus Saxeys Sicht können Co-ming-out-Geschichten trotz ihrer identitätspolitischen Neigung bisweilen auch als interventionistische Elemente in Debatten um Gender, Sexualität und die menschenwürdige Organisierung von Gesellschaft als Ganzes darstellen (vgl. Saxey 2008: 5f.).

Abb.8: My Father Is Coming (D 1991, R: Monika Treut)

Die hier dargestellte Transformation speist sich also aus einer Ambivalenz von queerer Ermächtigung und Einfügung in das normative Skript des Coming-Outs: In Vickys Coming-out ohne dieses identitätspolitisch einzuordnen öffnet sich ein Spannungsfeld eines dekonstruktiven Moments in einer identitätsbasierten, aber dennoch minoritären Praktik. Nicht nur wird die Transformation durch die Veränderung, die sich aus den gegeneinandergesetzten Szenen ergibt, erzeugt, auch innerhalb der Performance ist eine Transformation auszumachen. Während Vicky zu Beginn in Aufsicht gezeigt wird und sich an einer Wand haltend aufstützt, was sie unsicher wirken lässt, wird sie im Verlauf der Performance in Aufsicht und Großaufnahmen gezeigt. Es entsteht der Effekt des ›Wachsens‹ Vickys, sie wächst förmlich über sich hinaus und erscheint nun (endlich) die Kontrolle zu haben, statt ›controlled‹ zu sein. Das Ausziehen der Handschuhe während der Darbietung unterstreicht dabei sowohl das Coming-out als auch das Abstreifen der heteronormativen Zwangsjacke, derer sie sich entledigt und die sie bisher – wie ihr Songtext nahelegt – davon abgehalten habe, ihren wahren Gefühlen nachzugeben. Die beiden Szenen zusammen gesehen und die Transformation in der Coming-out-Sze-

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ne selbst verdeutlichen also die Verknüpfung mit Transformation hin zu einem glücklicherem Selbst und tragen somit zu den vorgenannten Narrativen im Spannungsfeld von emanzipatorischer Selbst- und liberaler, vermeintlich unpolitischer Glücksfindung bei. Somit wird auch deutlich, dass das Zusammenfallen von erster öffentlicher Performance, Coming-out und erstem Mal Sex mit Lisa bzw. einer Frau und der Entdeckung durch den Vater hierbei im Film nicht zufällig ist – die sich bis zu diesem Zeitpunkt im Film kontinuierlich verstärkende Ablösung vom Vater vollzieht sich an der Bruchlinie (nicht-hetero-)sexueller Befreiung. Auf Lisas besorgte Nachfrage nach der Entdeckung durch den Vater entgegnet Vicky nur »He has his life and I have mine«. Vickys Transformationsprozess wird im Film narrativ jedoch nicht als aus sich selbst heraus entstehend entfaltet, sondern eingebunden in die Interaktion mit wesentlichen Katalysatoren in Form queerer Figuren im Film wie Lisa und Ben, allen voran jedoch der Figur Joe. Als Vicky bei einem Date mit Joe Zweifel an einer Beziehung mit Lisa hegt, da sie nicht wisse, ob sie »made that way« sei, hält Joe sie dazu an, über ihren eingeschränkten Blick auf sich selbst hinauszuwachsen: »There you go again. You know, it’s like I said. The body is there to do what you want it to do«. Daraufhin zeigt Joe Vicky Fotos einer Person mit weiblicher Gender-Präsentation und gibt erste Andeutungen, dass es sich bei dieser Person und ihm selbst um denselben Körper handelt. Erst nach dieser Denaturalisierung des Zusammenhangs von Körper, Gender und Begehren kann Vicky sich einer Beziehung mit Lisa öffnen und darüber hinaus die Affäre mit Joe weiterführen, wodurch das Gespräch mit Joe als Anstoß hierzu inszeniert wird. Darüber hinaus ist Joe nicht nur Katalysator für Vickys Coming-out und ihre nicht-monogamen Beziehungen, sondern auch für die Veruneindeutigung, die damit einhergehen (da ihre Identifizierung in Bezug auf Sexualität wie erwähnt im gesamten Film nicht explizit benannt wird). Diese Offenheit suggeriert Unabgeschlossenheit und eine Dezentrierung von Identität bei Betonung eines Werdens statt des Seins. In Vickys queerem becoming werden Zugehörigkeitspraktiken entessenzialisiert, wenngleich durch die Einhaltung populärer Erzählkonventionen auch gewisse narrative Schließungen herbeigeführt werden (z.B. das für die romantische Komödie obligatorische Happy End, das eine teleologische Erzählstruktur verdeutlicht). Damit entsteht zwar Ambivalenz in Bezug auf Vickys queeres Werden und ihre Figurenentwicklung, das Narrativ, das der Film in diese Richtung hin aufbaut, wird abgeschwächt. Joe wird ab dem Zeitpunkt seines Eintritts in den Film als geheimnisvolle und mysteriöse Figur gezeichnet, die teils kryptische Aussagen trifft und damit zunächst unzugänglich bleibt. So betrachtet er beispielsweise immer wieder sein Gesicht im Spiegel, der als zweiter schief hängender geometrischer Rahmen im Bildkader erscheint und Joes Gesicht ›queer‹ fixiert, und erklärt auf Vickys Nachfrage hin, dass er sich immerzu ansehen müsse, »because I keep forgetting who I am«, begleitet von sphärischen Klängen, die die Mysteriösität unterstreichen. Dadurch entsteht eine weitere Ambivalenz, in Bezug auf Joes Funktion im Film: Einerseits fungiert er als Beförderer und auslösendes Moment von Vickys Transformation, andererseits wird er vom Film durch das Ausstellen seiner ›Besonderheit‹ und dem wiederholten Einsatz des Spiegels als Notwendigkeit für

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

die Möglichkeit der Selbsterkennung auch auf eine Weise verandert, die schließlich den Effekt hat, sein trans Sein zu spektakularisieren und fetischisieren6 . Während Vickys Transformation sich zu großen Teilen in Bezug auf ihre sexuelle Orientierung abspielt, bezieht die Transformation des Vaters auch die Identifikation mit dessen Deutschsein zentral mit ein. Dabei arbeitet das gesamte Figurenensemble weiblicher und queerer Figuren an der Dezentrierung seiner patriotisch-essenzialistischen Sichtweisen auf Nation und heteronormativen Sichtweise auf Sexualität, Queerness lässt so nationale Identitätskonzepte obsolet werden. Damit werden zwar weibliche und queere Figuren als Beförder:innen der erfolgreichen Hinterfragung heteropatriarchaler und nationalistischer Ideologien inszeniert, dies kreiert jedoch auch den Effekt der Zentralsetzung der Figur des Vaters. Auch wenn der Film Vickys Perspektive einnimmt, sie sich wie beschrieben von ihm emanzipiert und die Transformation des Vaters nur einen Handlungsstrang besetzt, entsteht bisweilen die Wirkung, dass die Vaterfigur, mit der es schließlich auch zur Versöhnung kommt, das Gravitationszentrum bleibt (wie bereits im Titel angedeutet ist). So wird der Vater implizit in den Mittelpunkt gerückt, nur seine Ankunft gibt überhaupt den narrativen Ausgangspunkt für die Entfaltung der Geschichte und des filmischen Konflikts. Damit führt der Film ein narratives Muster konventioneller Komödien teilweise fort und stellt den Patriarchen als nicht ernst zu nehmend aus, platziert ihn damit dennoch im Zentrum der Geschichte (vgl. Rowe Karlyn 2008: 159). Neben bereits angesprochenen Momenten, die die Hegemonie des Vaters dezentrieren, sind es die Begegnung mit der Pornodarstellerin Annie Sprinkle (die sich im Film selbst spielt) sowie TV-Werbung, für die der Vater rekrutiert wird bzw. deren Verknüpfung, die die Transformation des Vaters anstoßen. Während die Begegnung von Hans mit Annie für ihn als sexuelle Offenbarung inszeniert wird, sieht Annie die Beziehung eher unter dem Gesichtspunkt der Karriereentwicklung, da sie Hans’ Kontakte in Deutschland als Möglichkeit betrachtet, ihr Publikum dort auszubauen. Beeindruckt von Annies Schamlosigkeit beschließt der Vater, sie nach einem Date zu fragen; bei Annie zu Hause scheint Hans nur daran interessiert zu sein, Annie körperlich näherzukommen, während diese die Gelegenheit nutzt, ihn mit ihrer Arbeit vertraut zu machen und über trans Rechte aufzuklären, für die sie sich als Verbündete sieht. Hier kommt wieder die Figur Joe ins Spiel: Annie zeigt dem Vater ein Video eines TV-Auftritts Joes, in dem Joe über sein trans Sein spricht. Während der Vater sich immer wieder Annies Brüsten zuwenden will, hält sie ihn dazu an, das Video weiter anzusehen. In diesem stellt eine Talkshow-Moderatorin Joe Fragen, die eine mit trans Themen nicht vertraute Dominanzgesellschaft an eine trans Person haben könnte und durchaus als transfeindlich eingeordnet werden können, bis Joe entgegnet, nun mit direktem Blick in die Kamera sprechend: »Let me explain something to you, Rebecca. I’ve never felt like a transsexual. I’m a man and I’ve always felt that way. The only difference is now my body matches the way I feel.

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Darüber hinaus dürfte die Besetzung der Rolle in der bewegungspolitischen Rezeption aus heutiger Sicht als problematisch bewertet werden, da der trans Mann Joe vom cis Mann Michael Massee dargestellt wird.

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You see, the body is just an envelope for the soul and people should have the choice to become who they are«. Diese sehr didaktisch wirkende Szene mit dem Durchbrechen der vierten Wand richtet sich also direkt an ein Publikum ›wie Hans’, eine Dominanzgesellschaft, in der trans Themen marginalisiert werden. Auch wenn sich der Film hier für körperliche und geschlechtliche Selbstbestimmung ausspricht, hat dieser didaktische Gestus die Ausstellung von trans Sein als etwas zu Erklärendes und damit eine weitere Veranderung dessen zu Folge. Die Ausgestaltung dieser Szene schließt an die Beschreibung des Toleranzdiskurses durch Wendy Brown an, die diesen als Machtdiskurs erkennbar macht. Für Brown bedeutet Toleranz: »(T)olerance is necessitated by something one would prefer did not exist. It involves managing the presence of the undesirable, the tasteless, the faulty […]. As compensation, tolerance anoints the bearer with virtue, […] it provides a gracious way of allowing one’s taste to be violated. It offers a robe of modest superiority in exchange for yielding« (Brown 2006: 25). Diese Strategie des Werbens für Toleranz trägt hier in liberaler Manier also eher dazu bei, die Überlegenheit der cis geschlechtlichen Dominanzgesellschaft zu markieren als für die Förderung des Verständnisses der Gleichwertigkeit von trans Menschen einzutreten. Somit bleibt die Position der trans Figur Joe im Film auch insgesamt ambivalent: Wiederholt wird er als Katalysator für Transformation (nun für Vickys Vater) und sexuelle wie geschlechtliche Befreiung eingesetzt und wird damit zum amerikanisierten Zeichen von Emanzipation, wird dabei aber selbst spektakularisiert und schreibt sich mit der von Joe vertretenen Idee des Körpers als zu kontrollierendes Vehikel für den individuellen Willen auch in einen neoliberalen Diskurs von Selbstoptimierung ein.

Abb. 9-10: My Father Is Coming (D 1991, R: Monika Treut)

In der sich an die Szene mit Joes Video anschließenden erotischen Massage von Hans durch Annie wird die Transformation des Vaters deutlich ins Bild gesetzt. Während er zu Beginn der Massage verkrampft seine Hände schützend auf seinem Bauch zu Fäusten ballt, entspannt er diese im Verlauf und lässt schließlich die Arme komplett zu den Sei-

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ten sinken. Im Kontakt mit kosmopolitisch (und kapitalistisch!) denkender Weiblichkeit (Annie will ihren Markt in Deutschland ausbauen) wird nationalistische Männlichkeit transformiert. Die Einblendung Annies als direkt in die Kamera blickend, als sie Hans massiert und mit meditativer Stimme davon spricht, zu entspannen und die Muskeln in den Genitalien anzuspannen, um sexuelle Energie durch den Körper zu pumpen, lässt auch sie hier als direkt an das Publikum gerichtet wirken, also an die ›Hans’ da draußen‹. Diese Strategie spiegelt sich in Monika Treuts Aussage zum Film, dass sie in der Beziehung zwischen Hans und Annie ein heterosexuelles Publikum erreichen wollte, um es für queere Themen zu sensibilisieren: »With My Father Is Coming, I wanted to reach out to straight people, and open them up through the character of the father, who has a relationship with Annie Sprinkle. Annie herself is kind of ambiguous; she’s bisexual, and she is in touch with prostitutes and transsexuals. (Monika Treut im Interview mit Gemünden/Kuzniar/Phillips 1997: 5). Die Einblendung in Großaufnahme von Hans’ nackten Körperteilen und seinem Gesichtsausdruck beim Erleben von sexueller Lust bricht gleichzeitig mit der Normsetzung und Sehgewohnheit, die nur junge, normschöne Körper im sexuellen Lustempfinden zeigt und macht zugleich die Doppeldeutigkeit des Filmtitels deutlich. Dies steht im Kontrast zum Nicht-Zeigen des Werbespots, den Hans im gleichen Zeitraum der Begegnung mit Annie dreht; nur dessen bayrisch klingende Begleitmusik (hier findet sich die Melodie des Titelsongs wieder) ist zu hören, als Christa und Vicky den Werbespot zufällig im Fernsehen sehen. Der angedeuteten Essenzialisierung der Werbeindustrie (der Vater wurde spezifisch wegen seines ›deutschen Aussehens‹ für den Spot angeworben) wird also kein sichtbarer Raum (mehr) eingeräumt, während die sexuelle ›Befreiung‹ des Vaters einige Szenen zuvor in Großaufnahmen und detailreich dargestellt wird. Damit werden sexuelle Befreiung und das Frei-Werden von rigiden (nationalen) Normvorstellungen und Stereotypen miteinander verbunden, was auch zu Ende des Films deutlich wird. In der Versöhnungsszene mit Vicky nach einem Streifzug durch die Stadt im Anschluss an den Bruch mit Vicky, fragt der Vater Vicky zunächst, wie es sei, ›wenn zwei Frauen zusammen sind‹, um dann einzulenken: »Du brauchst es mir nicht erklären, ich versteh‹ dich«. Während die ›sexuelle Befreiung‹ die Transformation des Vaters in Gang setzt, knüpft die Inszenierung des Spaziergangs durch die Stadt an die literarische Figur des reflektierenden Flaneurs im Sinne von Walter Benjamin an und intellektualisiert die Figur des beschränkten Patriarchen, der plötzlich auf ambivalente Weise ›versteht‹. Anschließend gibt der Vater Vicky einen Umschlag mit Geld, das er in seinem Engagement für den Werbespot verdient hat. Nach der Anekdote, dass die Agentur ihn betrogen und viel zu wenig Geld ausgezahlt hat, trinken die beiden (selbst-)ironisch »Auf Amerika«. Auch wenn die USA hier als ›Fluch und Segen zugleich‹ konstruiert werden, bleiben es jedoch diese Erfahrungen, die der Vater hier gemacht hat, die sein Verständnis für Vicky und die Abwendung von deutschem Überlegenheitsgebaren ermöglichen. Die Selbstironie der Figur des Vaters zeigt dabei seine Entwicklung von der deutsch-nationalen Witzfigur, zur humorvollen Figur, die über Identifikationen mit Nationen selbstironisch lachen kann, hin an. Paradoxerweise wirkt so die Figur des Vaters nach der Transformation seiner patriarchalen nationalen Männlichkeit als Botschafter einer Idee der multi-kul-

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turellen, sexpositiven, queeren Gemeinschaft, die nationale Zugehörigkeit nicht mehr braucht. Dennoch ist es bemerkenswert, dass die Versöhnung zwar stattfinden kann, es jedoch die Vaterfigur ist, die ihre Denkweise ändert, die nun ›versteht‹, während Vicky unapologetisch bleibt und der Film so ihre Weltsicht als die anzustrebende konstruiert. Bei des Vaters Figurenentwicklung wirkt auch die US-amerikanische Großstadt als Entwicklungs- und Liberalisierungsmotor. Dabei wird die Großstadt, hier speziell New York mit ihren Engen (z.B. Wohnungen) und Weiten (z.B. der Strand und die Promenade), aber vor allem Hochhäuserpanoramen immer wieder ins Bild gesetzt und knüpft damit an Darstellungstraditionen aus anderen Auswanderungsfilmen an. Der Film setzt Hochhäuser, als Epitome einer postmodernen Architektur und Kultur und als gigantische Symbole für den US-amerikanischen Konsumkapitalismus ein, welche zu Projektionsflächen für die Kontemplation des ›Eigenen‹ und des ›Anderen‹, der deutschen Provinz und der postmodernen US-Millionenstadt werden. Das so erzeugte »Raumbild« als Ausdruck der »hegemonialen[n] Struktur« (Ipsen 1987: 146) der Gesellschaft evoziert damit die ›unbegrenzten Möglichkeiten‹ und relativiert die Bedeutung des Vaters, allgemeiner gesprochen der Einzelnen, im Angesicht der Steinwüste. Die Überschreitung nationaler Grenzen, hier in Form der Reise des Vaters, wird zum Auslöser der Überschreitung persönlicher und weltanschaulicher Grenzen und setzt persönliche und gesellschaftliche Liberalisierung mit transnationaler Bewegung im Raum gleich. Regressivem deutschen Nationalismus wird die Hinwendung zu vermeintlich progressiverem, dennoch ambivalent dargestelltem, US-amerikanischen Patriotismus gegenübergestellt. Diese Hinwendung zum Amerikanischen und damit Dezentrierung des deutschen Nationalismus, den der Vater zu Beginn des Films auf überzeichnete Weise verkörpert hat, zeigt sich in der Abreiseszene und betont damit einmal mehr die Zentralität der Idee der Reise über nationale Grenzen als Arbeit am Selbst. Mit einem Verständnis von Reise als Migration im Sinne einer Bewegung von Körpern und Begehrensformen, aber auch die damit verbundene Ästhetiken, im Raum verstanden, kann an Hauke Lehmanns Konzept von Migration als »Bewegung, welche die Verankerung in fixen Subjektpositionen löst und einen Schwebezustand herbeiführt« (Lehmann 2011: 156) angeknüpft werden. Wie Lehmann darlegt, ermöglicht es dieses Verständnis von Migration, Körper- und Identitätskonstruktionen und mit ihnen in Verbindung stehende Differenzkategorien wie Gender oder Race als ebensolche zu erkennen und somit hinterfragbar zu machen (vgl. Lehmann 2011: ebd.). Nikos Papastergiadis weist ebenfalls darauf hin, dass Migration und Selbstkonzeption eng zusammenhängen: Bewegung wird nicht nur als die Fähigkeit, sich von Ort zu Ort zu bewegen gesehen, sondern damit verbunden auch die Fähigkeit, Alternativen zu denken, verstanden (vgl. Papastergiadis 2000: 4). Die Reise als Veranschaulichung von Transformationen oder zum Zwecke der Implementierung von neuen Epistemen hat also aufgrund ihrer persuasiven Kraft eine lange ästhetische Tradition (vgl. Gradinari/Müller/Pause 2016). Die Bewegung, die des Vaters Reise in sein Konzept von Selbst und Welt gebracht hat, ist in besagter Abschiedsszene an den Zeichen seiner Amerikanisierung zu erkennen: Mit Baseballmütze, T-Shirt und Stoffjacke verabschiedet sich der Vater von Vicky und Annie, die dem Vater im wegfahrenden Taxi schließlich noch ihren gehobenen Rock hinterher streckt. Annies Anwesenheit in dieser Szene ist von Bedeutung: So werden die USA als Ort der Freiheit in Zusammenhang mit sexuellen Transformationen abschließend bestätigt.

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Zusammen mit etwas plakativer Hybridität – der Vater trägt neben den überwiegenden Zeichen von US-Amerikanismus einen Koffer mit bayrischer Flagge mit sich – bleibt fraglich, ob das Narrativ der Darstellung der harmonischen Versöhnung von deutsch und amerikanisch/sich ausbreitendem Neoliberalismus und voll entfaltetem neoliberalem Konsumkapitalismus, Vater und Tochter/Patriarchat und queerer Weiblichkeit über kollektive Symboliken, wie sie hier ins Bild gesetzt wird, dazu beiträgt, die herrschende National-Ordnung zu destabilisieren oder diese nicht eher imaginativ konsolidiert.

Abb. 11-12: My Father Is Coming (D 1991, R: Monika Treut)

Zwar argumentiert My Father Is Coming gegen essenzialisitische und binäre Modelle von Zugehörigkeiten sowie Entwicklung, Fluidität, Werden und die Disidentifikation mit der deutschen Nation werden favorisiert, jedoch bisweilen auf Kosten eines Reifizierens der USA als Ort der (sexuellen) Freiheit als positiver Gegenfolie. Die Darstellung von Glück als gleichbedeutend mit beruflicher Etablierung gepaart mit dem freien Leben von jeglicher Form von Sexualität in den USA trägt damit dazu bei, die hegemoniale Stellung der USA und deren Imagination als ›Traumland‹ zu verfestigen. Diese Strategie funktioniert auch (oder gerade) in einem Film, der deutsche Geschichte problematisiert und den deutschen Patriarchen aufs Korn nimmt, weil die USA als »hinreichend gutartig« (Anderson 2018: 208) wahrgenommen werden. Darüber hinaus werden die USA als Gegenbild zum Mythos der vorbildlichen und gelungenen Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland gezeichnet und zum antifaschistischen ›Erinnerungsort‹ (in dem Sinne, dass hier die Erinnerung an den NS wachgehalten wird) stilisiert sowie zum Symbol der Freiheit und Demokratie. So werden liberale und linke deutsche Sehnsuchtsbilder der USA hier zusammengebracht und zeichnen die US-amerikanische Großstadt als Schauplatz einer modernen queeren Utopie. Anders als andere Auswanderungsfilme, produziert My Father Is Coming dennoch eine gewisse Ambivalenz von Verteufelung und Glorifizierung, die jedoch in den angesprochenen Versöhnungen am Ende größtenteils aufgelöst wird. Queerness bewegt sich dabei im Spannungsfeld als Facette der individualistischen Selbstfindung und sogar Erfüllungsgehilfin der Etablierung im Showbusiness sowie der Infragestellung des binarisierenden Heteropatriarchats. Letzteres wird trotz der Tendenz, die USA als queeren Sehnsuchtsort zu idealisieren, deutlich. Im Ein-

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nehmen der Perspektive weiblicher und queerer Figuren und der Dezentrierung der hegemonialen Position des Vaters wird diesem nicht nur die Möglichkeit zu einer alternativen Männlichkeitskonzeption eröffnet, sondern es wird auch ein Konzept von Familie/Nation imaginiert, in dem Hierarchisierungen nivelliert und Geschlechterordnungen neu geschrieben werden. Erst die ›Entwurzelung‹ durch nationale und symbolische Grenzüberschreitungen verhilft den deutschen Figuren hier eine Utopie der Gleichheit verwirklichen zu können. Interaktion findet hier nun auf Augenhöhe statt, wie sich darin zeigt, dass der Vater Vickys Wunsch, weiterhin in den USA zu wohnen, schließlich respektiert; eine Sexarbeiterin nimmt den (hier leeren) symbolischen Platz der Mutter ein, ohne, dass es diskussionswürdig werden würde. Eine solche inklusive Familien-Gemeinschaft kann das historische Narrativ von Nation umformen und transformativ wirken, stellt das gesellschaftliche Organisationsprinzip Nation als solches allerdings nicht in Frage und schafft über die Verknüpfung mit dem bereits angesprochenen beruflichen Aufstiegs Vickys und des Happy Ends Anschlussfähigkeit an homonormative Narrative der Flexibilisierung von Sexualität im Neoliberalismus. So entsteht im Film ein Wechselspiel zwischen humoristischer Kritik am Heteropatriarchat als Verweis auf die hegemoniale Organisation von Gesellschaft, der Disidentifikation mit Deutschland und der Ausstellung von Nation als performativ hergestellt sowie der teilweisen Reifizierung eines sich bereits homonormativ ausrichtenden US-amerikanischen Neoliberalismus und der Entwurf der USA als Ort der Freiheit und individueller Emanzipation. Als intertextuelle Referenz auf Werner Herzogs Stroszek (1977), in dem Alfred Edel, der in My Father den Vater spielt, einen kurzen Auftritt als Gefängnisdirektor hat, der die Hauptfigur Bruno ›zur Vernunft‹ bringen will, schreibt sich der Film darüber hinaus in die deutsche (Autoren)-Filmgeschichtsschreibung ein und formt das dort vorgeschlagene Deutschland-/ USA-Narrativ um. Zum einen werden die USA durch das Narrativ des Gelingens der ›Integration‹ durch beruflichen Aufstieg in My Father im Gegensatz zu Stroszek als erfolgsversprechender neoliberal-queerer Ort gezeichnet, zum anderen wird die Geschichte in My Father durch die Inszenierung der Sexarbeiterin als Helferin- und Transformationsfigur, die am Ende sogar den leeren Platz der Mutter einnimmt, (sex-)positiv gewendet und die USA so zum Land sexueller Transformation und Emanzipation.

Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass My Father Is Coming dem Publikum zwar immer wieder Angebote macht, die Interdependenz von Gender, Sexualität und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit abseits binärer Kodierungen von cis und trans, homo und hetero sowie Deutsch und US-Amerikanisch zu denken, dennoch aber zum Preis der Inszenierung der USA als ›Ort der unbegrenzten Möglichkeiten‹ zu Ende des Films und dessen Angebot zur Gegen-Identifizierung. Migration und Reise, nationale Grenzüberschreitungen also, werden in Bezug auf die Gesamtstruktur als entscheidende Motoren für die diversen Transformationen im Film angelegt. Weibliche und queere Figuren werden als wesentliche interventionistische Figuren in der Herausforderung eines nationalistisch orientierten Heteropatriarchats installiert; in der Figur Joe wird eine trans Figur darüber hinaus zum Katalysator für sexuelle Selbstfindung. Die Mittel der Komödie werden hier genutzt, um hegemoniale Verhältnisse kritisch zu reflektieren: Die Komifizierung des Vaters als Archetyp des Bayers in der Symbolisierung

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Deutschlands wird hier als zentrale Strategie der Machtkritik eingesetzt. Anders als in der Neuen Deutschen Komödie werden die subversiven Möglichkeiten des Genres mehr betont, sodass der Film mehr Dissens- als Konsenskino darstellt. Somit können geltende hegemoniale Zugehörigkeitskonstruktionen teilweise erschüttert und neu geordnet werden. Das Herausfordern eines kleinbürgerlichen patriarchalen Nationalismus wird durch die Disidentifikation mit Deutschsein und der Ausstellung von sowohl nationaler Zugehörigkeit als auch mit ihr verknüpften Kategorien Gender und Sexualität als performativ hergestellt. Insgesamt funktioniert dies jedoch auch über die sich über den Film vereindeutigende Reifizierung des Narrativs der USA als queerer und liberaler Utopie (und schränkt den Dissens ein). In der Absage an alles, was im Film mit Deutschland konnotiert wird und der Hinwendung zum US-Amerikanismus entsteht insgesamt also nur eine selektive Abgrenzung von patriotisch-nationalistischem Gedankengut, auch wenn der Konstruktionscharakter der Nation verdeutlicht wird. Implizit wird der US-amerikanische Weg damit als Modell für Deutschland nach der Vereinigung nahegelegt und die USA als alternativer Ort der Zugehörigkeitserfahrung, als ›anderes Zuhause‹ für progressive Deutsche beworben. Queerness oszilliert hier zwischen der Funktion als Marker einer subversiven Haltung hegemonialer Normen gegenüber und als Arbeit an einem neoliberalen Narrativ, in dem die Flexibilisierung des Sexualitätsdispositivs Queerness in die kapitalistische Verwertungslogik einbindet bzw. Queerness selbst zum Kapital wird.

5.1.4 Dekonstruktion der ostdeutschen Identität: Salmonberries Percy Adlons Salmonberries erhielt beim World Film Festival in Montréal 1991 den Grand Prix of the Americas (vgl. Anderson o.J.). Im Anschluss daran wurde es zunächst wieder ruhig um den Film; erst nachdem der Film von Adlons Sohn auf Video herausgegeben wurde und schnell zu einem Kultfilm in der lesbischen Community avancierte, wurde er vereinzelt und limitiert in Kinos in den USA gezeigt (vgl. Percy und Felix Adlon im Interview mit Q32). Percy Adlon gilt als Regisseur, der den Geist des Autor:innenenkinos des Neuen deutschen Films, der etwa seit 1982 von der Bildfläche verschwand, noch durch die 1980er und bis in die 1990er Jahre trug (vgl. Hake 2004: 297; Percy Adlon im Interview mit Q32). Er weist Hollywood-Darstellungskonventionen größtenteils zurück, interagiert dennoch immer wieder mit den USA als Schauplatz seiner Filme und imaginärem Ort (vgl. Haase 2007: 2), wie sich bereits an seinem mehrfach ausgezeichnetem Film Out of Rosenheim/Bagdad Café von 1987 zeigt, der sich um die sich entwickelnde Freundinnenschaft einer in der US-amerikansichen Wüste gestrandeten weißen Bayerin und der afroamerikanischen Motel-Betreiberin, bei der erstere unterkommt, dreht. Trotz des Bekanntheitsgrads manch seiner Filme, seiner sozial und politisch oft progressiven Narrative (vgl. Haase 2007: 9) und seiner eigenwilligen Filmsprache, wurde Adlons Arbeit, so auch Salmonberries, im wissenschaftlichen Diskurs kaum beachtet. Sein Filmschaffen wird in Publikationen zu deutschem und/oder queerem Kino erwähnt (vgl. z.B. Kuzniar 2000; Hake 2004), aber kaum eingehender betrachtet. So lassen sich auch zu Salmonberries wenige detaillierte Analysen finden. Alice Kuzniar erwähnt Salmonberries in ihrem Buch zu deutschem queerem Kino kurz als Film, der kulturelle Vermischungen als Aufeinandertreffen von butch und femme inszeniere (vgl. Kuzniar 2000: 158). Jack

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Halberstam streift den Film in einem kurzen Kommentar als Teil seiner Auseinandersetzung mit Female Masculinities im Abschnitt über postmoderne butches in der Popkultur und beschreibt ihn als »weird film« (Halberstam 1998: 223), der das Narrativ der nicht erwiderten Liebe einer Lesbe gegenüber einer ihr Begehren verdrängenden Hetera reproduziere (vgl. Halberstam 1998: 224). Lediglich Ingeborg Majer O’Sickey (1997a) und Christine Haase (2007) setzen sich mit dem Film auseinander, wobei nur Majer O’Sickey eine Feinanalyse des Films vornimmt. Majer O’Sickey beschreibt Salmonberries als einen der ersten Filme, die sich mit der deutschen Frage nach der Wiedervereinigung und der Inbetrachtnahme der DDR-Geschichte in dieser Hinsicht auseinandersetzt, dabei Identiätskonstruktionen hinterfragt sowie binäre Oppositionen konstruiert und dekonstruiert (vgl. Majer O’Sickey 1997a: 407). Christine Haase sieht im Film die Verhandlung einer fundamental deutschen Angelegenheit: Die Frage nach der Signifikanz der Vergangenheit für das Individuum und die Nation (vgl. Haase 2007: 153) und kommt zum Schluss, dass der Film das Streben nach Heterogenität als bereichernde kulturelle und soziale Praxis nahelegt (vgl. Haase 2007: 157). Diesen Einschätzungen möchte ich mich mit meiner Analyse anschließen und in meiner Analyse zeigen, wie Nation, (E)Migration und Queerness als Modi der Aushandlung von Zugehörigkeit behandelt werden und in diesem Prozess immer wieder Identifizierungen und Disidentifikationen stattfinden. Über die genannten Analysen gehe ich insofern hinaus, als dass ich die Dynamiken der Konstruktion und Dekonstruktion von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit, Gender und Sexualität eingehend und in ihrer Verknüpfung betrachte und die Frage nach der Bedeutung der USA für die Aushandlung der deutschen Geschichte und umgekehrt beleuchte. Die Weiten Alaskas werden hier zu Sehnsuchtsorten sowie Projektionsflächen stilisiert, die dabei Darstellungselemente des Heimatfilms aufgreifen und umarbeiten. Dabei werden die Themen der Suche nach individueller und kollektiver Zugehörigkeit sowie Traumatisierung und deren Auflösung zugleich mit dem historischen Hintergrund der deutsch-deutschen Vereinigung zusammengebracht. Im Hin und Her zwischen den USA und Deutschland werden Zugehörigkeitsverhandlungen bzw. die Suche nach zugehörigkeitsstiftenden Kategorien und Anhaltspunkten mit Grenzüberschreitungen nationaler, ethnischer, gender- und sexualitätsbezogener Art verknüpft, wobei patriarchale Logiken immer wieder delegitimiert werden. Die binäre Strukturierung von Zugehörigkeitskategorien wird in diesem Prozess immer wieder hinterfragt, in Teilen aber auch (mitunter rassistisch) reifiziert.

Salmonberries – zwischen Stereotypisierung und Veruneindeutigung?7 Der in Kotzebue, Alaska und Berlin spielende Film Salmonberries inszeniert die Geschichte der Figuren Roswitha »Witha« (Rosel Zech) und Kotzebue »Kotz« (k.d. lang), die sich in der alaskischen Kleinstadt Kotzebue begegnen. Kotz war als Neugeborenes in der alaskischen Wildnis in einer Schachtel zusammen mit einem Schild mit der Aufschrift ›Kotzebue‹ gefunden worden und sucht in der Stadt Kotzebue nach Antworten auf Fragen über ihre Herkunft. Dort trifft sie auf Witha, die im Alter von 24 Jahren aus der DDR nach 7

Teile dieser Analyse sind im Aufsatz »Störung, Destabilisierung und Verunsicherung in Percy Adlons ›Salmonberries‹«, in: Irina Gradinari; Michael Niehaus (Hg.): Störung, Verunsicherung, Destabilisierung. Filmanalysen. Hagen: Hagen University Press, S. 136–154, verarbeitet.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Alaska floh und seitdem in der Kleinstadt als Bibliothekarin arbeitet. Kotz entwickelt eine gewisse Fixierung auf Witha und bittet sie unnachgiebig um Hilfe. Nach diversen Abwehrversuchen öffnet sich Witha Stück für Stück und beginnt, auch die eigene Vergangenheit ihrer Flucht aus der DDR und die Ermordung ihres Ehemannes bei der Flucht zu erzählen und bei einer Berlin-Reise aufzuarbeiten. In der Begegnung der Protagonist:innen fragt der Film, nach (be)longings und durchkreuzt Binaritäten auf der Ebene von Gender, Sexualität und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit, ohne diese endgültig zu verwerfen.

Abb. 13-15: Salmonberries (D 1991, R: Percy Adlon)

Die ersten 15 Minuten des Films etablieren die Ausgangssituation der Machtverhältnisse und -verteilung der Figuren im Film, besonders zwischen Kotz und Witha, zeigen die Klassenunterschiede zwischen beiden an, deuten auf den latenten Rassismus bei der Figurenkonzeption hin, führen aber bereits auch Momente der Dezentrierung einer für wahr gehaltenen Ordnung auf. Die erste Einstellung zeigt eine Großaufnahme des Gesichts der Figur Butch (Oscar Kawagley), der den Angehörigen einer indigenen Gruppe Alaskas und Withas Kollegin Noayaks (Jane Lind) Vater darstellt, eine Fellmütze tragend, der Hintergrund ist mit blauem Licht ausgeleuchtet. Dies verweist zunächst auf das Setting des Films in Alaska bzw. dem Ort Kotzebue mit seiner zu 70 % indigenen Bevölkerung (vgl. City of Kotzebue 2011), wobei das blaue Licht und die Fellmütze bereits die dortige Kälte vermitteln. Während die Kamera von seinem Gesicht wegzoomt und ihn so im Raum, in dem er sich befindet, erkennen lässt, meditiert er über die Schönheit der Worte und Beschreibungen in Flauberts Madame Bovary, während die zwischen Bücherregalen stehende Witha ihn mit strengem Ton versucht dazu anzuhalten, sich zu beeilen. Im Schnitt-Gegenschnitt zwischen Witha und Butch wird schließlich noch eine dritte Figur, Kotz, eingeblendet, die mit dem Rücken zu den anderen Figuren steht, aber nur dem Publikum sichtbar wird – Butch und Witha scheinen sie nicht zu bemerken –, die Kamera macht durch die Einblendung von Ausschnitten von Kotz’ Jacke in mehreren Einstellungen jedoch immer wieder auf die Anwesenheit der Figur aufmerksam, ohne doch deren Gesicht zu zeigen. Damit wird die Aufmerksamkeit des Publikums bei der Figur gehalten, ohne jedoch, dass eine der intradiegetischen Figuren ihre Anwesenheit registrieren würde, obwohl die Figur mitten im Raum steht. So bekommt die Figur zunächst keine Identität. Ohne mehr als die Rückseite der Figur zu zeigen oder durch einen point-of-view-shot die (Beobachter:innen-)Perspektive der Figur einzunehmen und so eine Sehgewohnheit zu bedienen, nimmt die Kamera einen objektiven Blick auf das Geschehen ein, der sich aber nicht mit den erwarteten Reaktionen in der dargestellten Welt (Bemerken der dritten Figur) deckt. Auch durch die nächsten Einstellungen hinweg wird

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Kotz von Witha und Butch nicht gesehen, erst als Butch die Bibliothek verlässt, bemerkt Witha Kotz. Im gleichzeitigen Zeigen wie Verschleiern durch die Kamera hier wird Uneindeutigkeit produziert und irritiert, was bereits auf die Störung der Ordnung in den folgenden Szenen hinweist. Nachdem Witha Kotz bemerkt hat, versucht sie Kotz kurz angebunden und schroff, auf einen anderen Tag zu vertrösten, da sie die Bibliothek schließen will. Eintönig und unnachgiebig fordert Kotz jedoch das Buch über die Stadt Kotzebue. Als Kotz dieses wild und unvorsichtig durchblättert, schreit Witha sie an, aufzuhören mit dem Zusatz »You don’t treat books like that! Do you even know how to read?«. Die Kamera wechselt hier im Schuss-Gegenschuss zwischen Witha in Naheinstellung und ›Normalperspektive‹, den Blick nach unten, auf Kotz gerichtet und Kotz in Großaufnahme, geduckt und gebeugt stehend, langsam den Kopf hebend und von unten mit hartem Blick auf Witha schauend. Hier zeigen das Zusammenspiel aus Kameraperspektiven und Withas Aussagen sowohl das gesellschaftliche Machtverhältnis zwischen den beiden als auch dessen Aktualisierung im Habitus an. Witha wird so als Angehörige des Bildungsbürger:innentum und die Norm darstellend inszeniert, die auf die unterlegene Kotz herabsieht und sie in ihrer Ungebildetheit zu erziehen versucht. Zudem wird ihr Deutschsein, das sie einige Szenen später benennt, als Verkörperung eines ›autoritären Charakters‹«8 angedeutet und sich in der folgenden Überspitzung über ein Stereotyp des Deutschseins mokiert. Nach Withas Angriff auf Kotz fletscht diese die Zähne, dreht sich und fegt eine Reihe Bücher vom nahestehenden Bücherregal, die durch den Raum fliegen. Die Slow-motion-Aufnahme, Kotz’ Drehung sowie eine Einstellung aus extremer Untersicht auf Kotz im Prozess des Bücherwerfens weisen auf die Besonderheit, die Verwirrung und die Intervention in die Machtverhältnisse durch Kotz hin. Witha rennt zum Telefon, und ruft die Polizei an, aber da rennt Kotz auch schon aus der Bibliothek. Kotz tritt hier zum ersten Mal als liminale Figur auf, was im Verlauf des Films weiterentwickelt wird. Sie bringt im Wortsinne Unordnung in Withas sorgfältig geordnete Bibliothek, stört also die etablierte Ordnung und die bürgerliche Ideologie, die mit dieser zusammenhängt. Der Name der Figur (den das Publikum zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht kennt) bringt diese Liminalität, die die Figur verkörpert auf den Punkt, verweist er doch auf die Erfahrung

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Die Theorien zum autoritären Charakter haben ihren Ursprung bei Sigmund Freud, der sich auf Gustave Le Bon bezieht und nach Ursachen der Unterwerfung von Massen unter eine Obrigkeit forscht (vgl. Clemens 2016: 305). Erich Fromm fügt der Obrigkeitshörigkeit noch einen weiteren Aspekt hinzu, der den autoritären Charakter formt: das Vergnügen daran gegenüber gesellschaftlich schwächer gestellten Menschen oder Gruppen Macht und Unterdrückung auszuüben (vgl. Fromm 2016: 45). Theodor W. Adorno entwickelt diesen Ansatz weiter und schlüsselt die einzelnen Elemente des autoritären Charakters auf (vgl. Adorno 2016: 45). Zusammen mit Max Horkheimer arbeitet er die Funktionsweise des Antisemitismus heraus und weist auf den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Anpassung und Hass auf Minoritäten in der kapitalistischen Ordnung heraus. Sie kommen zu dem Schluss, dass auch die liberalen Tendenzen mit ihrer Toleranzforderung und der Aufforderung zur Assimilation dem Faschismus seine Grundlagen nicht entziehen können und beschreibt so die Funktionsweise des Antisemitismus (vgl. Horkheimer/Adorno 1988: 178ff.). In meiner Entlehnung des Begriffs des autoritären Charakters beziehe ich mich hier hauptsächlich auf die Aspekte Hierarchiegläubigkeit und Lust an der Machtausübung.

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des Kontrollverlust beim Erbrechen. Kotz bewegt sich also auf der Grenze dieser Ordnung, indem sie einerseits Zugang zu dieser finden möchte, diese aber auch irritiert, deren Grenzen testet. In diesem Verhalten in Verbindung mit Kotz’ Wortkargheit erinnert Kotz an ein trotziges Kind. J. Jack Halberstam beschreibt Kindheit als eine gewisse queere Lebensphase und sieht in Kindern die »encapsulation of all the normativity and the antinormativity of society« (Halberstam 2013). So wie sich in Kindern nach Halberstam also Normativität und Antinormativität kreuzen und eine Verbindung eingehen, die nicht entlang binärer Pole auseinanderdividiert werden kann, so kann auch Kotz als eine Figur gelesen werden, die die Grenzen von Normen herausfordert, indem sie durch ›kindisch‹-anti-normatives Verhalten (z.B. Bücherwerfen,Wegrennen) Irritationen hervorruft und damit gleichzeitig die geltenden Normen der dargestellten/Withas Ordnung sichtbar macht. Kotz’ impulsives Verhalten, das Kotz dazu bringt, die geltenden Regeln und Gesetze zu missachten sowie die hier angedrohte Polizierung zur Wiederherstellung der Ordnung, deuten auf die Verkörperung anarchistischer Qualitäten (ebd.) in dieser Figur hin. Kotz scheint jedoch auch die Grenzen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren zur Debatte zu stellen. So wie Halberstam Verbindungslinien zwischen Kindern und Tieren zieht (vgl. Halberstam 2020:101f.), kann auch bei Kotz eine Qualität, die Kinder wie Tiere zugleich auszeichnet, ausgemacht werden: Kotz ist zunächst überwiegend stumm bzw. bedient sich kaum der menschlichen Sprache, was zugleich auch als Verweigerung der symbolischen Ordnung und somit des Gesetzes des Vaters verstanden werden kann. Wie in beschriebener Szene spricht Kotz in der ersten Hälfte des Films entweder nicht oder nur, wenn es die Situation wirklich erfordert, dafür ist doch das Körpergebaren und die Interaktion mit Dingen umso deutlicher. Mit Halberstam könnte Kotz durchaus auch als ein wild child bezeichnet werden. Das wild child ist eine Figur, die aus Geschichten um Kinder, die von Tieren aufgezogen wurden, vor allem im 18. Jahrhundert, entstand (ebd.). Das wild child ist vor allem dadurch charakterisiert, keine menschliche Sprache entwickelt zu haben. Außerhalb der sprachlichen Ordnung existierend, ist es auch außerhalb des patriarchalen Gesetzes, anarchisch und damit an der Grenze der menschlichen Ordnung situiert. Filmische Hinweise auf Kotz’ Liminalität bezüglich der menschlich/nicht-menschlichen wie imaginären und symbolischen Ordnung ziehen sich durch die erste Hälfte des Films. In dieser ersten Sequenz zeigt sich dies am Schweigen und an den wenigen gepressten Worten in der Antwort an Witha. Mit Büchern weiß Kotz nicht umzugehen, durchblättert sie wild und fletscht Zähne bei Zurechtweisungen. Später im Film wird Kotz nachts in einer riesigen Satellitenschüssel sitzend und mit Hunden heulend gezeigt – Kotz heult in die Nacht hinein und die Hunde heulen ihre Antwort zurück. Auch Kotz’ Herkunft ruft eine unmittelbare Assoziation mit dem wild-child-Narrativ hervor: In einer Box in der Wildnis ausgesetzt ist Kotz’ Herkunft unbekannt. Hier nun besteht der entscheidende Unterschied zwischen Kotz und wild child Narrativen: Kotz ist nicht bei Tieren, sondern bei Menschen aufgewachsen. Ihre Verbindung zu nicht-menschlichen Qualitäten, die hier dargestellt wird, stellt jedoch einen weiteren Aspekt dar, der ihre Liminalität unterstreicht. Mit Kalpana Seshadri lässt sich Kotz auch als humAnimal beschreiben, das sich an der Schwelle zwischen menschlich/nicht-menschlich außerhalb des Gesetzes bewegt, ihre Stummheit auch als »mode of refusal« (Seshadri 2012: 21) oder »space for opposition« (ebd.) gelesen werden, ein Akt des Widerstands gegen die symbolische Ordnung (vgl. Seshadri 2012: 21).

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Auch Kotz’ Gender-Präsentation und ihr Passing9 als ›boy‹/›junger Mann‹ (wie Witha Kotz anspricht) trägt zur Wirkung Kotz’ als Schwellenfigur, die Binaritäten als solche ausstellt und herausfordert, bei. Während Witha Kotz also als ›jungen Mann‹ wahrnimmt und sie als delinquenten Jugendlichen anspricht, kontert Kotz dies mit einem spontanen stummen, nacktem Erscheinen in Mitten der Bücherregale in der Bibliothek und lässt Witha mit einem erstaunten Ausdruck auf dem Gesicht zurück. Passing kann mit Elaine Ginsberg, Anhängerin eines subversiven Verständnisses von Passing, als eine Herausforderung für Essenzialisierungen gesehen werden, da es die Ontologie von Identitätskategorisierungen und deren Konstruktion befrage (vgl. Ginsberg 1996: 4). Damit werde eine »category crisis« (Ginsberg 1996: 13) hervorgerufen und die Sicherheit hegemonialer Kategorisierungen bedroht (vgl. Ginsberg 1996: ebd.). Passing habe »the potential to create a space for creative self-determination and agency: the opportunity to construct new identities, to experiment with multiple subject positions, and to cross social and economic boundaries that exclude or oppress« (Ginsberg 1996: 16). Auch Jack Halberstam spricht in Female Masculinities davon, dass eine Person, die als ein Gender passt, hierdurch gegenderte Kategorisierungen neu organisieren könne (vgl. Halberstam 1998: 29). Christine Mayerhofer hingegen ist der Meinung, dass Passing seine Wirkung als Störung von essenzialisierenden Kategorisierungen erst entfaltet, wenn es aufhört, Passing zu sein, da erfolgreiches Passing ja genau durch seine Unsichtbarkeit und damit Aufrechterhaltung der geltenden Normen definiert sei (vgl. Mayerhofer 2014: 26). Kotz’ Passing bzw. dessen Aufhebung ermöglicht mit Ginsberg, Halberstam und Mayerhofer hier eine Störung einer Gender-Ordnung, die auf der sichtbaren binären Logik basiert – Withas erstaunter Blick veranschaulicht dies hier – und ermöglicht ihr die Teilhabe an männlichen Privilegien durch den Zugang zu Arbeit (in einer Mine). Der »naked body shot« (Straube 2014: 42), der sich als Konvention in der Darstellung von trans im Film etabliert hat, reproduziert gleichzeitig jedoch insofern einen gewissen Gender-Essenzialismus, als dass Gender mit vermeintlich an Körpermarkern wie Brüsten und Genitalien ›ablesbarem‹ Geschlecht gleichgesetzt wird, dessen Logik sich jedoch zugleich aus der Geschlechterordnung und dem Medium Film als visuelles ergibt. Trotzdem betont Kotz’ Passing hier die Wirkung der Figur Kotz als Schwellenfigur, die Ordnungen durcheinanderbringt, unterstützt durch die Skurrilität des wortlosen Entkleidens inmitten von Büchern und in der alaskischen Kälte, die durch das kalte blaue Licht hier

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Passing meint das ›durchgehen‹ als einer Kategorie zugehörig, die der sozial zugewiesenen entgegensteht. Die Theoriediskussion um das Konzept erstreckt sich von passingals Täuschung (vgl. Chekola/Arden McHugh 2012: 15) über Passing als subversiv und anti-essenzialistische Strategie (vgl. Ginsberg 1996: 4) bishin zu Passingals durchaus auch affirmativ (vgl. Mayerhofer 2014: 26). Passing möchte ich mit Erving Goffman als Verbergen jedes potenziell stigmatisierenden Aspekts einer Persönlichkeit (vgl. Mayerhofer 2014: 2) fassen, wobei er Stigma dabei als »all those qualities of an individual that would be regarded as ›blemish‹ or ›weakness‹ by dominant social standards« (Mayerhofer 2014: 2) versteht. Damit favorisiere ich eine breite Definition von Passing, die auf verschiedene Bereiche und Kategorisierungen übertragen werden kann und der Geschichte des Konzepts gerecht wird. Begriffsgeschichtlich wurde Passing zuerst im US-amerikanischen Kontext seit dem 17. Jahrhundert in Bezug auf Race verwendet, mit dem Ausdruckto pass for white. Später wurde das Konzept dann auch auf andere Kategorisierungen z.B. Gender und seit Kürzerem auch auf Sexualität übertragen (vgl. Mayerhofer 2014: 2).

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einmal mehr angezeigt wird. Durch Kotz’ hier eingeführte Liminalität deutet sich an, dass Grenzaushandlungen zentral für den Film werden. Im Austesten der Grenzen der bestehenden Ordnung produziert der Film hier eine Widerständigkeit und Spannung mit dieser. Gleichzeitig begibt sich der Film in der ›Animalisierung‹ Kotz’ auf dünnes Eis, was die Reifizierung rassistischer Tropen angeht. Wie sich im Filmverlauf herausstellt, ist Kotz in Teilen Angehörige der indigenen Iñupiat: In der Animalisierung Kotz’ besonders in der Gegenüberstellung mit der hochkulturell gebildeten Witha, die diese in ihrer Delinqunz in die Schranken weist, riskiert der Film die Reproduktion der langen rassistischen Erzähl- und Darstellungstradition Rassifizierter als ›tierisch‹ und ›barbarisch‹. Die musikalischen Themen des Films, die in diesen Szenen eingeführt werden, ziehen sich durch den gesamten Film und betonen das Klassenverhältnis von Kotz und Witha, signifizieren aber auch nationale Zugehörigkeit. Während bei Withas erstem Auftritt aus dem Off Beethovens Frühlingssonate eingespielt wird, wird Kotz’ Flucht aus der Bibliothek und das gezeigte Rennen durch den Ort mit dem Titelsong Barefoot hinterlegt, der von k.d. lang selbst gesungen wird. Mit der Gegenüberstellung klassischer, ›hochkultureller‹ und Pop-Musik werden der gesellschaftlichen Ungleichheit zwischen der Bibliothekarin und der Minenarbeiterin bestimmte Klangsphären zugeordnet und dieses Machtverhältnis einerseits aufgezeigt, andererseits auch nationale Stereotype und deutsche Fantasien über die USA reproduziert, indem die Assoziation Deutschlands als Kulturnation und die USA als geist- und kulturloser Raum aufgerufen wird (vgl. von Saldern 1996: 242). Durch die Konstruktionen und Dekonstruktionen und die Ambivalenz, die diese Gleichzeitigkeit produziert, kündigen sich die Neuordnungen der Zugehörigkeitsverhältnisse im Filmverlauf an. Vor diesem Hintergrund wird in Salmonberries die Reorganisation der Weltordnung mit dem Fall der Berliner Mauer verhandelt und am Ende eine Disidentifikation mit hegemonialen Zugehörigkeitsdiskursen nahegelegt, die Fragen nach der Relevanz essenzialistischer nationaler, ethnischer, geschlechtsspezifischer und sexueller Kategorien für ein Verständnis von Zugehörigkeit ›nach 1989‹ aufwerfen.

Konstruktionen und Dekonstruktionen von natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeiten Das bereits angesprochene musikalische Thema, das jeweils Assoziationen zu Kotz bzw. den USA/›Popkultur‹ und Witha bzw. Deutschland/›Hochkultur‹ herstellt, trägt über den Film hinweg wesentlich zur Konstruktion von Alterität in Bezug auf die jeweiligen nationalen Kontexte bei. Wie in den Eingangsszenen kommen diese Musikstücke immer dann zum Einsatz, wenn es entweder um die jeweilige Figur geht (z.B. als Kotz Witha das erste Mal zu Hause besucht und ihre persönlichen Gegenstände betrachtet) oder wenn die jeweiligen Landschaftsumgebungen ohne handlungsvorantreibende Inhalte eingeblendet werden (z.B. die Eiswüsten Alaskas oder beim Spaziergang durch Berlin). Damit werden in Verbindung von Musik, Bildsprache und Handlungsverlauf Differenzen in Bezug auf die Imaginationen der USA und Deutschland produziert. Die USA bzw. Alaska als Ort, an dem die erste Hälfte des Films spielt, werden auf der Bildebene immer und immer wieder in Bildern weiter, leerer Eiswüsten dargestellt. In Jean Baudrillards America (2000) dient die Wüste als Chiffre zur Beschreibung der USA. Durch die Betrachtung der Wüste meint er, das Wesen des sozialen Lebens in den USA zu erkennen (vgl. Baudrillard 2000: 63). Für ihn stellen sie einerseits Metaphern der Leere der zwischenmenschlichen Be-

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ziehungen dar (ebd.) sowie Gegenorte zum Überfluss der Städte andererseits Momente der Kulturkritik: »The inhumanity of our ulterior, asocial, superficial world immediately finds its aesthetic form here, its ecstatic form. For the desert is simply that: an ecstatic critique of culture […]« (Baudrillard 2000: 5). Schon in Adlons Out of Rosenheim/Bagdad Café diente die Wüste als Schauplatz für eine Geschichte, die die Trostlosigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen einerseits aufzeigt und andererseits versucht, nationale und ethnische Grenzen zu überbrücken. In Salmonberries wird die Leere der zwischenmenschlichen Beziehungen signifiziert durch die arktische Eiswüste Alaskas und damit mit Kälte in Verbindung gebracht. Inge Stephan (2019) beschreibt Kälte- und Eismetaphoriken in Verbindung mit Emotionen und Gender und stellt die Verbindung von Eis und Weiblichkeit heraus: Der Zusammenhang von Weiblichkeit und Wasser kehre hier auf ›eingefrorene‹ Weise wieder (vgl. Stephan 2019: 10f.). Stephan weist zudem darauf hin, dass die globalen Transformationen und Krisen seit 1989 mit Kältemetaphoriken erzählt werden (vgl. Stephan 2015: 16). Zugleich sind Eiswüsten immer auch national unspezifisch, da alle sonstigen Referenzpunkte fehlen. Was bleibt ist der Eindruck eines »Außenbezirks« (Gotto 2017: 197), auch des Filmischen, denn die Bilder von Eis und Schnee bilden zudem eine Referenz auf die Kinoleinwand und reflektieren somit auch die filmische Medialität (ebd.). Als »Möglichkeitsraum« für das »[d]as Rätselhafte, das Begriffslose, das schwer Fassbare« (Gotto 2017: 197) eignet sich die Eiswüste hier besonders gut zur Darstellung nicht nur der rätselhaften Figuren wie auch von Queerness als einer Qualität, die sich den Rastern des Eindeutigen entzieht. All diese genannten Elemente spielen auch für Salmonberries eine Rolle. Mit den langen und immer wiederkehrenden Einstellungen der alaskischen Eiswüsten, die zum langsamen, fast meditativen Tempo und der melancholischen Atmosphäre des Films beitragen, in Verknüpfung mit den allmählich auftauenden ›eingefrorenen‹ Emotionen der Protagonistinnen, dem Fall der Mauer und den ebenso eisigen, schneebedeckten und teils auch flächigen Bildern von Berlin und Deutschland werden diese Bedeutungsebenen ineinandergeschoben. Darüber hinaus erinnern die Bilder von Leere und Weite auch an koloniale Imaginationen von ›weißen Flecken‹ auf der Landkarte (vgl. Honold 2005: 138) (die hier tatsächlich als weiße Flecken im Bild auftreten), die zudem noch feminisiert und sexualisiert werden (mehr dazu im Abschnitt Belonging an und über Grenzen?). Damit verweist der Film auch auf eine koloniale Geschichte bzw. deren Spuren in der Gegenwart, die die USA wie auch das Gebiet um Kotzebue prägen, auf die mehrfach Bezug genommen wird. In einer Szene gräbt Kotz heimlich das Ortsschild Kotzebues, das eine kurze Geschichte des Ortes beschreibt und Kotz aufgrund dieser Beschreibung russische Vorfahren vermutet, aus und bringt es zu Witha, da Witha zuvor darauf bestanden hatte, dass Kotzebue ein deutscher Name sei. Witha zeigt sich zunächst unwillig, sich zu Kotz’ Provokation zu äußern, erzählt auf Kotz’ Drängen hin jedoch ›die‹ Geschichte des Ortes. Sie erzählt vom deutschen Dramatiker August von Kotzebue, der vom Theologiestudenten Karl Ludwig Sand ermordet wurde. Von Kotzebue war der Vater von Otto von Kotzebue, der die Gegend ›entdeckt‹ und die russische Staatsangehörigkeit hatte, weil seine Eltern zeitweise in Reval, Estland gelebt hatten. Diese Geschichte findet sich in der Bibliothek als Poster-Ausstellung, auf die Witha im Verlauf der Erzählung immer wieder zeigt und die von der Kamera in Großaufnahmen eingeblendet wird.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Abb. 16-17: Salmonberries (D 1991, R: Percy Adlon)

Damit reproduziert der Film koloniale Geschichtsschreibung unter groben Auslassungen wie des Iñupiat-Namens für die Region oder der Geschichte des Ortes vor der ›Entdeckung‹ durch von Kotzebue als auch des Hintergrundes des Attentats Sands an August von Kotzebue10 und verdeutlicht das epistemische Privileg der weißen Kolonisator:innen (bzw. deren Nachfahr:innen) (vgl. Mignolo 2007: 459) selbst in einem scheinbar so entlegenen Ort wie Kotzebue (oder gerade dort?). Withas Version von Geschichte hier präsentiert dem Publikum also die Geschichte des Ortes aus der Sicht der Sieger (Frauenr kamen darin nicht vor, wie Witha selbst betont), wobei auch von einer Frau erzählt, welche ebenfalls aus dem Großgeschichtsnarrativ ausgeschlossen geblieben ist. Es werden also die hegemonialen Diskurse thematisiert, die einst der nationalen Interessen gedient haben, längst jedoch in Vergessenheit geraten sind und aus einer Perspektive der Nicht-Repräsentierten als Wissen vorkommen, das keinen Bestandteil der nationalen Selbstbilder Deutschlands oder Russland der Gegenwart darstellen. So werden russische Kolonialphantasien hier sichtbar, aber eben gebrochen, durch die deutsche Witha, die zwar als Leiterin der Bibliothek auch Verwalterin des Archivwissens fungiert, zugleich jedoch selbst als politisch Geflüchtete eine Fremde hier ist. Die öffentlich zugängliche Bibliothek, die die Geschichte ausstellt sowie das Ortsschild, das die Geschichte des Ortes ebenfalls erzählt, werden die Dynamiken öffentlicher Geschichte deutlich, bei der native American Geschichte und Kultur ausgeschlossen bleibt. Dadurch wird deutlich, dass Nationsbilder politische Konstruktionen sind, die sich hier jedoch als nicht als funktional erweisen. Auch die Figuren werden daran nicht angeschlossen, sondern durchkreuzen in ihrer Beziehung nationale Fantasien und Konstruktionen.

Abb. 18-20: Salmonberries (D 1991, R: Percy Adlon)

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Carl Ludwig Sand war Anhänger der nationalen Idee, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch antiständische Züge hatte und ermordete von Kotzebue aufgrund seiner als ›undeutsch‹ geltenden Gesinnung (Wyrwa 2012: 139)

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Abgesehen vom Aufrufen kolonialen Bildrepertoires und den angesprochenen Verknüpfungen von Wüste, Kälte, Emotion und Nation rufen die Bilder der eisigen Landschaften noch weitere Darstellungstraditionen auf und erinnern an das ›deutsche‹ Genre des Heimatfilms. Der Heimatfilm zeichnet sich durch idyllische ländliche Landschaftsaufnahmen aus, in langen Panoramaeinstellungen, die Ruhe vermitteln und Sentimentalität hervorrufen (vgl. Schrödl 2004: 29). Das Genre des Heimatfilms war in den 1950er Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg verbreitet und unterbreitete in der Begegnung zwischen ›Eigenem‹ und ›Fremdem‹ »Vorschläge zur Neukonstruktion der Nation« (Schrödl 2004: 33). All dies geschieht unter Reifizierung patriarchaler und autoritärer bis rassistischer und antisemisitscher Strukturen durch Geschlechterverhältnisse und Handlungsverläufe im Film (vgl. Schrödl 2004: 36; Figge 2015: 89ff.; von Moltke 2004: 224). Im Anschluss an Irina Gradinari kann der Heimatfilm auch als »Staatsgenre« (vgl. Gradinari 2021) gesehen werden kann, welches staatlich priorisierte Genres in einem Genreregime meint (ebd.). Salmonberries greift diese Darstellungstraditionen auf und vollzieht hiermit eine Doppelbewegung der Konstruktion eines romantisierenden Blicks auf Alaska und der Dekonstruktion des Deutschlands des Heimatfilms, wobei die Tatsache, dass es sich hier um einen Autorenfilm handelt von Bedeutung ist. Dieser Bezug auf das Genre 1991, also kurz nach der ›Wende‹ in Deutschland, kann als Aktualisierung des Diskurses nach der Suche nach Zugehörigkeit in Zeiten gesellschaftspolitischen Umbruchs gesehen werden. Während der Heimatfilm eine Re-Nationalisierung anstrebt, verfährt Salmonberries anders: In der Zitation des Genres bei gleichzeitiger Verschiebung (z.B. durch die Handlungsort außerhalb Deutschlands) und den Einsatz der Schauspielerin Rosel Zech, die aus Fassbinders BRD-Trilogie (Lola, 1981 und Die Sehnsucht der Veronika Voss, 1982) bekannt ist, welche die Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg kritisch betrachtet, schlägt der Film nicht heteropatriarchalen Nationalismus, sondern liberalen Amerikanismus als präferierten Modus der Zugehörigkeit vor. Der Nationalismus oder selbst die Imaginationen einer (nie dagewesenen) Heimat sind somit auch repräsentationsästhetisch nicht mehr möglich. Während Deutschland nur durch die Großstadt Berlin direkt nach dem Mauerfall ins Bild gesetzt wird, ist es die Natur Alaskas, die hier als idyllisch inszeniert wird. In dieser Kontrastierung findet sich eine gewisse Verklärung der USA anstatt Deutschlands – ein ähnlicher Effekt wie in My Father Is Coming, erreicht durch andere Mittel. Die USA werden auch hier zum »ersatz homeland« (Rentschler 1984: 605), was besonders deutlich wird, als Witha zu Ende des Berlin-Besuchs resümiert, dass Alaska ihr Zuhause sei. Alaska als Rand- und Grenzort der Nation wirkt dabei zugleich als Möglichkeitsraum, die Zwischenräume und Ambivalenzen von Gender, Begehren und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit zu bewohnen. Berlin wirkt als »Stadt zwischen den Zeiten« (Rudolph 2014: 134), ein Ort, der im »Wartezimmer der Geschichte« (Nooteboom, zit. in Rudolph 2014: ebd.) sitzt und noch nicht weiß, wohin seine Reise geht (ebd.). Damit kann Salmonberries als eine Art ›Anti-Heimatfilm‹ gelesen werden (vgl. Majer O’Sickey 1997b: 211). Entgegen der bunten Farbenfreude des Heimatfilms finden sich in den größtenteils weißen, unbunten Bildern der alaskischen Schneelandschaften jedoch kaum Wärmespenden, das ›ersatz homeland‹ bleibt größtenteils karg und kalt, genauso wie das verschneit-graue Berlin im Film. Der Film erzeugt im Vereinigen der romantisierenden Sehnsuchtsbilder von Landschaft, Einblendungen von glücklichen Kindern und Momenten der Gemeinschaft mit Kälte, Vereinzelung, Perspektiv-

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

losigkeit und Patriarchat die USA als ambivalenten Gegenraum zu Deutschland. Damit wird deutlich, dass es in Salmonberries nur ein gebrochenes Verhältnis zu jeglicher nationaler Zugehörigkeit geben kann. Dies wird durch die sich entfaltende disidentifikatorische Haltung von Kotz in Bezug auf Nation noch deutlicher. So wendet sich Kotz im Verlauf des Berlin-Besuchs von der Idee ab, dass die deutschen Kotzebues etwas mit ihr zu tun haben könnten und drückt dies gegenüber Witha so aus, identifiziert sich mit ihrer native American Herkunft und schafft sich so gesteigerte Handlungsmacht. Dieser Moment der Identifikation, des Anspruch-Erhebens auf die Zugehörigkeit zu den Iñupiat ist in mehrfacher Hinsicht bedeutend für den Film: Zum einen wird hier die Präferenz der Identifikation mit Ethnizität statt Nation inszeniert und macht auf die Ausschlüsse, die homogene (in diesen Fällen Weißseins-)Nationsvorstellungen produzieren, aufmerksam; zum anderen werden auch die ostdeutschen Befindlichkeiten und die Disidentifikation mit der BRD kurz nach der deutschen Vereinigung aufgegriffen11 . Gleichzeitig zeigt sich hier die Tendenz des Films, jegliche Marginalisierungserfahrungen gleichzusetzen. Die hier relevante Szene spielt sich im Lokal ›Grüne Linde‹ in Berlin ab, das Kotz und Witha nach dem Besuch an Karls (Withas Ehemann) Grab aufsuchen. Im Halbdunkel der Kneipe stehen Menschen in Grüppchen zusammen und unterhalten sich über ihren Alltag in der wiedervereinigten Bundesrepublik. Die aufgebrachten Schilderungen ihrer prekären Wohn- und Arbeitsverhältnisse nach der Wende und resignierenden Aussagen wie »Jetzt, zu dieser Zeit hier, geb’ ich dem Land keine Chance mehr« werden mit Großaufnahmen von aufgeregten Gesichtern und wütenden Handgesten bebildert. Die Kamera schwenkt zu Kotz und Witha, die dem Treiben stumm am Rand sitzend folgen. Schließlich steigt Kotz, schnell atmend, auf die Bar und verkündet »I understand you. I’m Eskimo. I’m Eskimo. I am an Eskimo«. Nach kurzem Verstummen der Lokalbesucher:innen meldet sich ein Mann zu Wort, der in Berliner Dialekt ruft »Ick bin ooch en Eskimo«, woraufhin die Menge in lautes Gelächter ausbricht und eine Frau mit ernstem Ton und Gesicht hinzufügt »We are all Eskimos«. Im Bekenntnis zur eigenen Herkunft, im Finden der eigenen Stimme über sich selbst im Gegensatz zur Stummheit des Filmbeginns wird Kotz’ Emanzipation hier deutlich. Die Kamera unterstreicht dies durch Kotz’ Positionierung auf der erhöhten Bar und die Untersicht der Kamera, die Kotz über allen anderen im Raum stehen lässt. In diesem Moment der emanzipatorischen Anerkennung der eigenen Herkunft und Minderheitenzugehörigkeit und des performativen Coming-Outs als Iñupiat distanziert sich Kotz von der Idee der Zugehörigkeit zu einer Nation (die sie zuvor als entweder russisch oder deutsch zu erkennen geglaubt hatte) und disidentifiziert sich mit hegemonialen euro-amerikansichen Zugehörigkeitskonzepten. Dies kann mit Walter Mignolos Konzept des »delinking« (Mignolo 2007: 453) gefasst werden. De-linking schlägt das Abwenden von einer eurozentristischen, von kolonialer Unterdrückung geprägten Universalität ab, um zu einer Pluriversalität zu gelangen (ebd.), die die Verknüpfungen von Unterdrückungsgeschichten sichtbar machen soll (vgl. Mignolo 2007: 497f.). In der Verknüpfung von Kotz’

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Ein anderer queerer Film der 1990er, der dies thematisiert, ist Prinz in Hölleland (1993) von Michael Stock, in dem u.a. die Hierarchisierung von DDR und BRD kurz nach der Wende und die komplizierten »dis/re/locations« (Brinker-Gabler 1997: 265) ehemaliger DDR-Bürger:innen verhandelt werden.

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Bekenntnis zu einer durch Kolonisierung unterdrückten ethnischen Gruppe und dem vermeintlichen Verständnis für die ostdeutsche Erfahrung nach der Wende produziert der Film allerdings auch eine Äquivalenzsetzung der Erfahrung von native Americans und DDR-Bürger:innen. Auch wenn die Marginalisierung Ostdeutscher nach der Wende bzw. die asymmetrische Übernahme des kapitalistischen Wirtschaftssystems für Gesamtdeutschland anstatt einer ›Vereinigung‹ auf Augenhöhe nicht geleugnet werden soll und es dem Film gelingt, das »Zwischenstadium der Ungewissheit« (Wilde 2010: 84) und die »Stimmung der Regellosigkeit« (Wilde 2010: ebd.) in der ehemaligen DDR direkt nach der Wende zu inszenieren, zeugt die hier stattfinde Äquivalenzsetzung jedoch vom eurozentristischen Blick des Films (was überdies in der Verwendung des umstrittenen Begriffs ›E.‹ für die Iñupiat deutlich wird). Zwar zeigt der Film durch das ironische Auslachen Kotz’ durch die Kneipenbesucher:innen und Kotz’ Enttäuschung auch das Machtverhältnis zwischen Weißen und Rassifizierten auf, im Einblenden der Frau am Ende der Szene, die aus voller Überzeugung zu sagen scheint, dass sie alle ›E.‹ seien, wird letztendlich doch das Äquivalenznarrativ favorisiert. Dies zeigt sich auch an der Nahaufnahme der Frau in leichter Untersicht, die den Rufaustusch abschließt und eine gewisse Erhabenheit ihrer Einsicht suggeriert. So bleibt der Emanzipationsmoment Kotz’ ambivalent und es gelingt hier nicht, einen eurozentrischen Blick zu dezentrieren. Die Auseinandersetzung mit hegemonialen Nationsdiskursen in Bezug auf die Figur Witha funktioniert vor allem als Gegen-Identifizierung mit den USA. Dies wird nicht nur an ihrer Erklärung von Alaska als ihrem Zuhause deutlich, sondern vor allem in der Auseinandersetzung mit der DDR und ihrer Flucht aus dieser. In zwei Szenen erzählt sie einen Teil ihrer Geschichte, einmal in Alaska, noch vor der Deutschland-Reise und das zweite Mal in Berlin, am vermeintlichen (da sie sich nicht sicher ist, ob dies wirklich der Ort ist) Ort ihrer Flucht durch einen Tunnel vom Osten in den Westen. Beide Male ist sie umgeben von einer Schneefläche und wird entweder inmitten des Schnees oder ihr Gesicht vor dem Hintergrund des jeweils eisblauen Himmels gezeigt, beide Male mit Kotz an ihrer Seite. Die leeren Flächen – der Schnee, der Himmel, bisweilen auch das Gesicht – dienen als Projektionsflächen für Withas Erinnerungsrekonstruktionen – das Nicht-Zeigen des Erinnerten als Strategie der umso deutlicheren Betonung in der Anregung zur Imagination. In beiden Szenen, in denen Witha die Geschichte ihrer Flucht erzählt, berichtet sie von der Repression in der DDR, die sie und ihren Mann zur Flucht veranlasst hatten. In der ersten Szene in Alaska erzählt sie von ›den Deutschen‹, die ihren Mann erschossen, von den Eltern, die Kommunist:innen waren, dem Vater, der in einem Konzentrationslager starb und der Mutter, die sie und ihren Bruder in Berlin großzog. Über das Leben in der DDR monologisiert sie: »Mother was very weak but so happy that we were in the East when Germany was divided, with the communists who wanted to realize the ideals of my father that all people are equal. But then they built the wall. They locked us in. We couldn’t say what we were thinking, we couldn’t write what was in our hearts, we coudln’t do what we thought was right and fair. ›Like with the nazis‹ my mother used to say. She died. I married when I was 21. Karl and I decided to escape. […]« In der zweiten Szene in Deutschland gibt Witha dem Publikum auch einen Grund für die Repression in der DDR:

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Witha: »Here were mines everywhere and watchtowers« Kotz: »It was a prison. Why?« Witha: »Because the idea of the equality of everyone was misused by a few« Der Film präsentiert hier eine Version des Blicks auf die DDR nach der Wende, blendet jedoch die Deutungskämpfe über die DDR-Geschichte aus, die zu dieser Zeit ebenfalls entfacht wurden. Der Vergleich mit dem Nationalsozialismus – der direkt über das Zitieren der Mutter und indirekt über die Gefängnisrhetorik, die in diesem Kontext Assoziationen von Konzentrationslagern aufruft, stattfindet – wurde in den Geschichtswissenschaften wie auch der deutschen Öffentlichkeit zu Beginn der 1990er Jahre unter dem Stichwort ›doppelte Vergangenheitsbewältigung‹ heftig diskutiert. Vor allem konservative Kritiker:innen vertraten diese Gleichsetzung von DDR und NS, was von anderen Seiten als problematisches Abschwächen der Singularitätsthese gesehen wurde (vgl. Rudnick 2015: 303). Diese Einschätzung wurde für ihre Undifferenziertheit sowie Verharmlosung des NS kritisiert und im Laufe der 1990er Jahre setzte sich immer mehr die Ansicht durch, dass Ähnlichkeiten wie Unterschiede aufzuführen seien und Komplexitätsreduktion vermieden werden solle (vgl. Rudnick 304f.). Auch Hinweise darauf, dass der NS eine genuin deutsche Diktatur gewesen sei, während das auf die DDR nicht zutreffe, wurden populärer (vgl. Evans 2005; Jesse 2005). Ende der 1990er Jahre führten diese geschichtspolitischen Auseinandersetzungen dann zum Begriff der ›zweifachen Vergangenheitsbewältigung‹, unter dessen Vorzeichen mehrere Ausstellungen unter Betonung des je Spezifischen etabliert wurden in der Hoffnung, unverhältnismäßige Gleichsetzungen entkräften zu können (vgl. Rudnick 2015: 306f.). In Salmonberries wird hier also eine zum Erscheinungszeitpunkt des Films zu Beginn der 1990er eine nicht unpopuläre These in Bezug auf die DDR vertreten. Mit der Bezugnahme auf erinnerungsrelevante Ereignisse positioniert sich der Film innerhalb der Aushandlung der Geschichte und deren Aktualisierung im kulturellen Gedächtnis durch Film, allerdings mit einer Deutung, die auch zur damaligen Zeit eher dem konservativen Milieu zuzuordnen war. Damit ist Salmonberries in der Post-Wende-Filmproduktion jedoch nicht allein: Zu Beginn der 1990er entstanden eine Reihe von Filmen, die einen starken Täter:innen-OpferDualismus zwischen Staat und Zivilbevölkerung herstellen und favorisieren (vgl. Lüdeker 2010: 113f.)12 . Dies findet sich auch in Salmonberries. Zwar wird dieser Täter:innenOpfer-Erinnerungsdiskurs in Salmonberries teilweise dadurch gebrochen, dass in Gestalt des Bruders als SED-Mitglied die Verstricktheit zwischen Staat und konkreten Subjekten, öffentlich und privat zum Vorschein kommt und eine Dichotomisierung zumindest unrein erscheinen lässt, prägt das Narrativ dennoch, vor allem in der Kontrastierung mit den USA. Damit schreibt sich Salmonberries ein in eine konservative und anti-kommunistische Rhetorik und konstruiert die Gegen-Identifizierung mit den USA über die Figur Witha als einzige Möglichkeit, ein Zuhause zu finden. In dieser Kontrastierung stellt Salmonberries eine Gegenüberstellung von repressivem vs. ideologischem Staatsapparat her

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Diese Narrative stellen jedoch nicht die einzigen dar: Die Ostkomödien zu Beginn der 1990er blendeten politische Fragen gänzlich aus, während einigeDEFA-Regisseur:innen eine nachträglich systemkritische Auseinandersetzung mit der DDR anstrebten (vgl. Lüdeker 2015: 62ff.).

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und verknüpt diese mit Bewertungen. Wie Louis Althusser beschreibt, fasst die marxistische Staatstheorie den Staat als repressiven Apparat, der seine »repressive Ausführungsund Interventionsmacht […] im Dienste der herrschenden Klassen« (Althusser 1977: 115) ausführt und durch seine Institutionen wie Polizei, Gefängnis, Gericht, Armee und Regierung auftritt (ebd.). Repressiv meint dabei also, dass er »auf der Grundlage der Gewalt funktioniert« (Althusser 1977: 119) und dass ein Staatsapparat »in erster Linie auf der Grundlage der Repression (die physische inbegriffen) […] [und] nur in zweiter Linie auf der Grundlage der Ideologie arbeitet« (Althusser 1977: 121). Ideologische Staatsapparate (ISA) zeichne demgegenüber aus, dass sie überwiegend auf Basis von Ideologie zu funktionieren (ebd.). Diese sind laut Althusser »vielfältig, unterschieden, ›relativ autonom‹ und in der Lage, ein objektives Feld für Widersprüche zu liefern« (Althusser 1977: 123). Beispiele für ISA sind hier Schule, Kirche oder Familie, wobei die Schule als dominierender in kapitalistischen Gesellschaften gesehen wird (vgl. Althusser 1977: 126), denn dort würden Menschen durch Disziplinierung, Bewertung und Ein-/Ausschlüsse zur Einpassung in die gesellschaftlichen Verhältnisse »dressiert« (vgl. Althusser 1970: 121). Die DDR wird im Film als repressiver Staatsapparat dargestellt – Polizei, Gefängnis, Gewalt und unterdrückerische Regierung sind hier alle referenziert. Der ideologische ist zunächst weniger offensichtlich, es lassen sich aber dennoch Versatzstücke hiervon finden: Die Schulkinder, die fröhlich lachend durchs Bild rennen, die Zusammenarbeit der Bibliothek, in der Witha arbeitet, mit der örtlichen Schule, das von der Stadt Kotzebue betriebene ›Recreation Center‹, indem diverse kulturelle Veranstaltungen stattfinden und als Ort der Gemeinschaft inszeniert wird. Während der Film also den repressiven Staatsapparat in Form der DDR direkt ablehnt, verschleiert er die subtilere Gewalt des ideologischen Staatsapparats im Kapitalismus. Der ideologische Staatsapparat wird so durch Nicht-Benennung legitimiert und als Gegen-Ort zur Unfreiheit inszeniert. Kommunismus bedeutet hier also Repression (und umgekehrt), während Kapitalismus Freiheit, Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und Bildung verspricht. Als Gegenbild zur DDR funktionieren die USA hier also auch implizit Legitimationsvehikel für die vereinte Bundesrepublik. Auch wenn diese wie beschrieben im Film kritisiert wird, wird sie in diesem Moment der Kritik auch als Demokratie erkennbar. Als unfertiger Ort der Baustelle und der Transformation kurz nach dem Mauerfall – vor Withas und Kotz’ Hotelzimmer ist ein Arbeiter mit Reparaturen beschäftigt, während die eingeblendeten Berliner Wahrzeichen wie Fernsehturm und eine Arbeiterstatue auch von den der fortwährenden Anwesenheit der DDR-Geschichte zeugen – gibt es hier, so vermittelt es der Film, allerdings noch (ideologische) Arbeit zu tun – die USA können über beschriebene Konstruktion also als Vorbild wirken, während Leben in der DDR nur als traumatisierend inszeniert wird.

Nation und Patriarchat als Traum/a In den Verhandlungen von (der Suche nach) natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeiten spielen Traum und Trauma eine Rolle in Bezug auf Nation, aber auch in Bezug auf die Auseinandersetzung mit dem Patriarchat. So werden in der Figur Witha Trauma und Nation zusammengebracht und der abgeschwächt-patriarchale Kommunismus, ja die Antifaschismusidee zur Quelle traumatisierender Erfahrung. Der Film nutzt dabei unterschiedliche Mittel, um Withas Trauma als solches erkennbar zu machen und zu ästhetisieren. So wird immer wieder ihre emotionale Kälte, ihre Abwehrhaltung und ihr Rück-

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

zug in Alaska gezeigt; sie wiegelt Kotz’ Kennenlernversuche schroff ab und kommentiert diese mit Sätzen wie »I don’t talk about myself«. Erst als Kotz bei einem Besuch zufällig Withas Schafzimmer, dessen Wände mit Gläsern gefüllt mit roten Beeren vollgestellt sind, entdeckt, beginnt sie, erstmals etwas von sich zu erzählen und ihre backstory wound (vgl. Krützen 2004: 30ff.) wird nach und nach entfaltet: »I like to collect berries«, meint Witha zunächst rechtfertigend und fügt auf Kotz’ erstauntes »There’s tons of them! In patterns!« hinzu: »Well, I have a little screw loose, too«. Witha erzählt, dass sie immer mit ihrem Mann Beeren sammeln gegangen war und diese Tradition fortführte als sie nach Alaska kam. Zunächst wollte sie den Menschen in Kotzebue die Beeren geben, aber diese stellten Fragen. Da sie ›allein mit ihren Bildern‹ sein wollte, begann sie, die Beeren zu sammeln, in Muster zu stellen, die Muster immer wieder neu zu arrangieren. Withas rot erleuchtetes Beerenzimmer wirkt zunächst als Gegenraum, als Ort der Wärme inmitten der Kälte Alaskas. Es wirkt verlockend, der Kontrast zwischen dem sonst weißen, blauen und allgemein kaltem Licht im Film zu dem roten Licht von Withas Schlafzimmer, scheint auch Kotz anzuziehen, in den Bann zu ziehen. Die Geschichte von Withas Flucht und der Ermordung ihres Mannes wenige Szenen später, stellt das Zimmer jedoch in ein anderes Licht. Hier beschreibt Witha: »It was a march night. We had bought an escape route. It went underground, from a house in East Berlin directly to the West and ended up directly behind the wall. We were almost through. We were running both with suitcases, backpacks, he with his violine case. Then the spotlight, the voice-over speaker: ›Stehenbleiben, das ist ein Befehl«, and then the gunshots. Karl runs, falls over the violine case. Shots. I turn around, want to help him. Shots. He yells: »Run, Roswitha, for god’s sake, run, run!«. I stood there, I couldn’t move, I see his blood, the pool around him gets bigger and bigger. He whispers »Please run«. I ran, I ran, far. That’s how I came here. I’ve never left this place again but I always see that spot that gets bigger and bigger«. Die immer größer werdende Blutlache, die Witha, wie sie sagt, immer und immer wieder sieht, also als traumasymptomatischer Flashback hier auftaucht, lassen das Beerenzimmer als Ausdruck ihres Traumas erscheinen. Im Beerenzimmer wird das Trauma Tag für Tag reinszeniert. Einerseits geht von ihm ein gewisser Bann und eine ins Bild gesetzte besondere Strahlkraft und Atmosphäre aus. Neben Einkapselung der Zeit und Erinnerung bietet es auch einen Rückzugsort von der als feindselig wahrgenommenen Welt. Andererseits bleibt es eingekapselt, im intimsten Raum des Hauses, dem Schlafzimmer, kompartmentalisiert und architektonisch eingebaut und damit fest in der Struktur des Hauses verankert. Von der Reinszenierung des traumatsichen Ereignisses geht aber auch eine betäubende Wirkung aus, sodass die Temperatur Withas Innenwelt der der Außenwelt entsprechen kann. Der betäubende Effekt der Beeren wird deutlich als Kotz aus Versehen vergorene Beeren isst, direkt auf Withas Bett einschläft und auch nach dem Aufwachen noch ganz benommen scheint. Der Ursprung Withas Traumas wird mit den Verfolgungspraktiken der DDR verknüpft; diese erscheinen dabei als eingelassen in patriarchale Strukturen, als Kampf zwischen beschützendem und gefährlichem Patriarchen, zwischen Täter und Wächter. Der Beginn der Auflösung der Traumaschleife wird im Film verbunden mit der deutschen Vereinigung und Kotz’ queerer Eigensinnigkeit. In einer alternierenden Montage,

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mit sich immer mehr beschleunigendem Rhythmus durch mehr und kürzer werdenden Schnitte, verdichtet sich die Handlung, die in drei parallel ablaufende Szenarien eingeblendet wird: Kotz sieht im Fernsehen einen Bericht über den Fall der Mauer in Berlin; Noayak und Ehemann sowie Betreiber des örtlichen Bingoclubs Chuck haben einen Streit über Chucks nicht eingehaltene Versprechen und Noayak verlässt die Wohnung; Witha sortiert ihre Beeren neu. Die nächtlichen, spärlichen Beleuchtungen und die Geräuschkulisse mit heulenden Hunden, Funkgeräuschen und Gewehrschüssen aus der Ferne erzeugen zusätzlich ein Szenario der Spannung und Bedrohlichkeit. Als Kotz die Nachrichten von der Wiedervereinigung sieht, rennt sie mit einem Messer bewaffnet aus dem Haus. Sie macht sich auf den Weg zu Chucks Haus, die Einstellungen alternieren nun zwischen Witha, Kotz und Chuck: Witha steigt auf eine Leiter, um an hoch oben stehende Beeren zu kommen; Kotz findet das Geld, das sie offenbar gesucht hatte, aber wird von Chuck entdeckt und bedroht diesen mit einem Messer; Witha lässt die Beeren fallen und das Glas zerschellt auf dem Boden; Kotz droht Chuck und rennt weg. Die alternierende Montage zeigt hier deutlich den Zusammenhang der drei Szenarien an. ›Die Wende‹ wird hier auch zur dramaturgischen Wende im Film, die Wiedervereinigung zum Plotpoint. Wie in der Bücherwurf-Szene in der Bibliothek wird auch hier eine Zeitlupe eingesetzt und so erneut die Disruption einer Ordnung durch den verlangsamten Blick auf sie dargestellt. Die Reinszenierung der Wiedervereinigung als globales Medienereignis macht diese noch besonders deutlich. Die Einblendung der Fernsehübertragung im Film betonen das zweite, mediatisierte Leben der Mauer auf dem Bildschirm und im öffentlichen Erinnern (vgl. Göktürk 2011: 83). Somit trägt der Film dazu bei, Mauerfall und Wiedervereinigung zu einem Event zu stilisieren, das Lokalität mit einem globalen Blick produziert (vgl. Göktürk 2011: 82). Der Fernsehbeitrag inszeniert die deutschdeutsche Vereinigung indes entlang der Linien des hegemonialen öffentlichen Erinnerungsdiskurses, bei dem weiße Deutsche nun wieder mit weißen Deutschen ›vereinigt‹ sind. Auch wenn interne Ausschlüsse (z.B. Schwarzer Deutscher oder Gastarbeiter:innen) damit unbeleuchtet und entnannt bleiben, produzieren die Fernsehbilder dennoch eine transnationale Perspektive auf die Vereinigung und den Zusammenbruch der politischen Weltordnung, indem sie als Ausschlag gebend für Kotz’ Handlungen inszeniert wird. Die Vereinigung nach dem Fall der Mauer wird zur Möglichkeit des metaphorischen Falls von Withas Mauern, die sie um sich gebaut hat, initiiert durch Kotz’ Unnachgiebigkeit (sie kauft zwei Flugtickets nach Berlin für sich und Witha vom geklauten Geld und überredet Witha zur gemeinsamen Reise nach Berlin). Die deutsche Vereinigung wirkt damit als Katalysator für die Vereinigung von Kotz und Witha. In Berlin scheint die DDR-Geschichte Witha zunächst noch ›im Griff‹ zu haben, wie die Einblendung der Hand der Arbeiterstatue in Großaufnahme, die Kotz und Witha zu umfassen scheint, als sie durch das Bild laufen, suggeriert (vgl. Abb. 18), doch löst sich Withas Trauma hier schließlich auch auf. Mit dem Besuch des Ortes, an dem der Tunnel, durch den Witha geflohen war, mit dem Aufsuchen des Bruders und schließlich mit dem Besuch von Karls Grab. Der Film verfolgt damit eine Struktur der Traumaaufarbeitung, die Freuds psychoanalytischer Idee hierzu entspricht: Durch Erinnern und den Vollzug der »unerledigte[n] Reaktion« (Freud 1893: 126), hier das Zurückgehen an den Ort des Geschehens, die ›Beerdigung‹ Karls und die Konfrontation mit dem Bruder Albert. Der Gestus des Erinnerns und des Vollziehens der ausstehenden Reaktion wird beim Besuch von Karls Grab ins

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Bild gesetzt: Nachdem Witha das Grab mit Blättern bedeckt findet, schiebt sie diese beiseite und sitzt eine Weile am Grab; schließlich bedeckt sie es wieder mit Blättern. Das Ent- und Bedecken symbolisieren somit das Erinnern und Abschiednehmen als Teil der Therapie Withas Traumas und so die Versöhnung mit der Vergangenheit. Die Begegnung mit dem Bruder stellt in Withas Verarbeitungsreise einen besonderen Aspekt dar, da sie sich hier nicht nur nochmals vom früheren SED-Staat, den ihr Bruder symbolisiert, emanzipiert, sondern damit auch vom Patriarchen, dessen Platz der Bruder anstelle des gestorbenen Vaters eingenommen hatte. Withas Besuch bei Albert ist von kurzer Dauer und stellt keine Rückkehr mit dem Zweck der Versöhnung mit der Familie dar, sondern den finalen Abschied. In dieser Szene sind es vor allem die Gesten, Mimiken und affektiven Qualitäten, die die Risse im Patriarchat und Withas Abwendung hiervon erscheinen lassen. In Großaufnahme werden Alberts nervöses Zucken um die Mundwinkel und Augen und seine scheinbar schwitzenden Hände, die er bei Withas Ankunft an seiner Anzughose reibt, eingeblendet, in Halbtotale ist der angespannte Muskeltonus des Gesamtkörpers zu erkennen. Albert breitet seine Arme zur Umarmung aus, Witha nimmt jedoch nur seine Hand und schüttelt sie. Entgegen Alberts Nervosität bleibt Witha die meiste Zeit über ruhig und gefasst. Als Albert in Tränen ausbricht und sich bei Witha entschuldigt, legt sie ihre Hand an seine Wange und beruhigt ihn, Alberts Unsicherheit steht Withas besonnener Entschiedenheit gegenüber. Besonders der Abschied verdeutlicht dies. Witha legt erneut ihre Hand auf Alberts Wange, sagt »Leb wohl« und verlässt das Haus zusammen mit Kotz, ohne ein weiteres Wort, ohne sich umzudrehen, während Albert und seine Frau ihnen hinterherrennen. Der schiefe Kamerawinkel mit Blick auf Albert und seinen verdutzten Gesichtsausdruck nach Withas und Kotz’ Abgang betonen den Bruch, der hier vollzogen wird: In Withas Klarheit wird die Wucht dieser Abwendung und der Emanzipation Withas umso deutlicher, in Alberts Unruhe spiegelt sich die patriarchale Verunsicherung wider. So überwindet Witha hier die als traumatisierende und patriarchale Nation inszenierte DDR, unterstützt durch Kotz, die in dieser Szene als Wahlfamilie auftritt. Damit kommentiert der Film nicht nur den Zusammenbruch der DDR, sondern auch die brüchig gewordenen Strukturen von heteropatriarchaler Familie und Nation als solcher und verknüpft sie mit einer queeren Re-orientierung, die in der Aufarbeitung des Traumas möglich wird. So beschreibt Witha Kotz gegenüber im Anschluss, wie die Trauma-Bilder vor ihrem inneren Auge verschwinden und sie lächelt zum ersten Mal im Film. (Kommunistische) Nation und Patriarchat als traumatische Parameter werden hier also im Erinnern und Vollenden der Reaktion aufgelöst, mit Hilfe der queeren Figur Kotz, die hier als Initiatorin, Katalysatorin und Unterstützerin fungiert. Kotz’ Beginn der eigenen Abwendung vom Patriarchat wird vor allem in einem (Tag)Traum vermittelt, um sich dann in einer finalen Begegnung mit Chuck zu realisieren. Kotz’ Tagtraum gliedert sich in mehrere Episoden: Zu sehen sind Chuck und Kotz auf einer Bühne, auf der Kotz mit einem Messer auf Chuck einsticht; Chuck fällt tot um, das Publikum bestehend aus Kotzbuer:innen lacht; in der nächsten Traumszene ist Chuck inmitten einer Schar Kinder zu sehen, Chuck hebt ein Kind, das mit ›EntdeckerInsginien‹ Hut und Fernrohr ausgestattet ist, auf einen Tisch und dirigiert die singenden Kinder; in einer weiteren Traumsequenz ist Kotz mit verbundenen Augen zu sehen, wie sie auf der Bühne auf einem Stuhl sitzt, während Chuck ihr mit einem Stacheldraht

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gefährlich nah an den Hals kommt; schließlich springt Chuck in einer letzten Traumsequenz durch eine mit Papier ausgekleidete Tür, die den Schriftzug ›Germany‹ trägt. Die Interaktion mit den Kindern setzt Chuck in einen kolonialen Kontext und kommentiert damit nicht nur seine Anwesenheit als einer der wenigen Weißen im Dorf, sondern weist auch auf die kolonialen Kontinuitäten der Beziehung weißer US-Amerikaner:innen mit native Americans hin. Darüber hinaus gibt die Szene einen Hinweis auf den Umstand, den Kotz erst ganz zu Ende des Films erfahren soll, nämlich Chucks tatsächliche Verstrickung in koloniale Machtstrukturen zur eigenen Bereicherung. So war er nach Kotzebue gekommen, um von dort aus seine ›Expeditionen‹ ins Eis zu unternehmen, um dort mit ansässigen Iñupiats ›zu handeln‹. Der erträumte Mord an Chuck kann sowohl als Entledigung von kolonialen Machtverhältnissen gelesen werden, was besonders im Lachen des Publikums zum Ausdruck kommt, als auch – rückblickend – als Vatermord gelesen werden, da sich Chuck am Ende als Kotz’ Vater entpuppt. In einem Verständnis von Traum als das Ausleben unterdrückter Wünsche (vgl. Freud 1952: 556) kann die Szene also als Absage an Patriarchat und weiße Vorherrschaft gesehen werden, die Kotz hier vor dem inneren Auge durchspielt. Durch die Point-of-view-Szene wird dem Publikum ein Identifikationsmoment mit Kotz’ Fantasie ermöglicht und steht dem kolonialen Gestus an anderen Stellen des Films entgegen. Dies wird verstärkt durch die Intervention in Sehgewohnheiten, die sich hier (und an anderen Stellen des Films) durch abrupten Beginn und Endes des Traums ohne Einbindung in die weitere Handlung sowie die plötzlich einsetzende Veränderung der Lichtverhältnisse und Geräuschkulisse zeigt und als queerende Filmästhetik beschrieben werden kann. Die Traumszene ist damit auch instruktiv für Kotz’ Ablehnung gegenüber Chuck, der Kotz in der Szene der Auflösung der biologischen Verwandtschaft von Kotz und Chuck die Arme zur Umarmung entgegenstreckt. Kotz weicht nur zurück, blickt ihm hart in die Augen und löst sich vom Ödipuskomplex und damit den westlichen Subjektivierungsstrukturen.

Abb. 21-23: Salmonberries (D 1991, R: Percy Adlon)

Durch die ähnliche Figurenpositionierung im Bild stellt die Szene eine Äquivalenz zur Traumszene her, die als Vatermordszene erkennbar wird, und Kotz’ stechender Blick ruft den Eindruck eines Wunschtraums – nach Freud sind viele Träume als Wunscherfüllung zu verstehen – hervor. Zugleich findet sich hier die beschriebene Szene zwischen Witha und Albert gespiegelt, in der Witha vor dessen Umarmung zurückweicht. So wird hier die Ablehnung des Patriarchats anhand des als wörtlich genommenen Sich-Entziehens inszeniert. Dieser Gestus des Sich-Entziehens als emanzipatorischen Akt erinnert an Jean Cocteaus Einsicht in Das Weißbuch: »Das Laster liegt bei der Gesellschaft und

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nicht in meinem aufrechten Gang. Ich ziehe mich zurück. […] Aber ich dulde nicht, daß man mich toleriert. Dafür bin ich zu verliebt in die Liebe und in die Freiheit« (vgl. Cocteau 1982: 72). Auch Kotz und Witha dulden hier nicht von den Patriarchen in die Arme geschlossen und ›endlich‹ toleriert zu werden, sondern ziehen sich erhobenen Hauptes zurück, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ob zusammen, bleibt offen, Kotz’ Anklopfen an Withas Tür in der letzten Einstellung, legt dies jedoch nahe. Der melodramatische Modus der Erzählung von Traum/a und Befreiung hiervon erleichtert dem Publikum dabei das Erleben von Weltgeschichte als subjektiver Geschichte. In der Suche nach Zugehörigkeit werden in Salmonberries also Träume und Traumata, deren Entschlüsselung und Auflösung dafür eingesetzt, (kommunistische) Nation und Patriarchat als Gewaltverhältnisse kenntlich zu machen und Freiheit in deren Überwindung zu finden. Im Trauma wird auch die historische und identitätsstiftende Kontinuität unterbrochen, die für Nationen bis 1989 von großer Bedeutung war (vgl. Gradinari 2020: 139). Es zeigt sich, dass die (kläglichen) Versuche des ›Entgegenkommens‹ seitens des Patriarchats nicht auf einer Einsicht in Gleichwertigkeit, sondern aus Selbstmitleid (Albert) oder gekränktem Stolz (Chuck) erwachsen. Hegemoniale Ideen von belonging werden teilweise aufgegeben und in der Betonung eines prozesshaften longings, das sich nur in Andeutungen erfüllt, dekonstruiert.

Belonging an und über Grenzen Im melodramatischen Modus wird die Sehnsucht nach belonging der Protagonistinnen zum zentralen Motiv des Films; verschränkt mit Migration werden das vermeintlich Eigene und Andere konstant und wechselseitig mit Hinblick auf ihr zugehörigkeitsstiftendes Potenzial aufgerufen oder verworfen, um schlussendlich Zugehörigkeit in ihrer ›Natürlichkeit‹ zu befragen. Zugehörigkeit wird hier zu einem sozialen Prozess des Sehnens, Hin- und Fortbewegens, Verwerfens, Findens, transnationalen Grenzüberschreitens. In der Suche an und über Grenzen nehmen die Motive Migration und Reise, die spätestens seit dem Roadmovie auch verbunden sind mit der Suche nach einer neuen Identität und der Absage an Tradition, demnach auch eine zentrale Stellung im Film ein, handlungsleitend, aber auch symbolisch. Mit der Grenzauflösung zwischen BRD und DDR geht für die Protagonistinnen im Film auch die Auflösung ihrer bisherigen (sozialen) Rollen einher und es wird ein Zusammenhang von nationalen Grenzen, deren Neuziehung und Überschreitung mit der Neuaushandlung symbolischer Grenzen verknüpft. Grenzauflösung und -verschiebung sowie Migration fallen hier mit Figurenentwicklung zusammen. War es in Kotzebue Witha, die Kotz mit Informationen über die Stadt und deren Geschichte versorgt hat, wird nun Kotz zur Begleiterin auf der Reise zu Withas Herkunftsort. Während Kotz’ Stummsein sich in Berlin mehr und mehr auflöst, Kotz teilweise eloquent Zusammenhänge erklärt und Witha emotional unterstützt, erscheint Witha in Berlin verletzlicher, weniger forsch gegenüber Kotz und mehr auf Augenhöhe mit ihr. Die gegenseitige Unterstützung und Annäherung, die dadurch entsteht, hat also enthierarchisierende Folgen, wirkt deklassierend und delegitimiert die zuvor sehr klar gezeichneten gesellschaftlichen Hierarchien zwischen Kotz und Witha. Dies wird besonders in einem Moment in Berlin offenbar als Kotz Witha fragt »Can you teach me?« und sie nur antwortet »Can I honestly teach you anything?«. Damit hebelt Witha ihren eigenen Anspruch auf die Wissenshierarchie, die sie im ersten Teil des Films immer und

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immer wieder aufgeführt hat, aus. Zwei Szenen, eine in Alaska und eine in Berlin, in denen jeweils Witha für Kotz und Kotz für Witha die jeweiligen Bedürfnisse der anderen im Suchprozess verbalisiert, in Worte fasst, was die andere gerade nicht in Worte fassen kann, verdeutlichen diesen Prozess der Enthierarchisierung, aber auch der Annäherung durch Einfühlung. Die Spiegelszenen mit ihren ähnlichen syntaktischen und semantischen Strukturen des Dialogs, wie – »And now you want to know« – »Yes« – »who your father was« – »Yes« – »and your mother – »Yes« – »and who you are«//»Now you wanna know where they brought him after« – »Yes« – »Maybe your brother knows« – »Yes«. Gleiche Sturkturen universalisieren Fragen der Identitätsfindung und Vergangenheitsaufarbeitung unabhängig von gesellschaftlichen Machtverhältnissen, romantisieren diese damit unter der Ausblendung der Partikularitäten als Fragen der conditio humana. In Berlin wirkt die Figur Kotz auch fröhlicher und flirtet nun offensiver mit Witha, »a young, blossoming dyke right in front of your eyes« (k.d. lang im Bonusmaterial der Film-DVD), wie es k.d. lang beschreibt. Auch die Kosenamen, die sich Witha und Kotz in Berlin geben – Switha und Bubu – zeigen diese Veränderung, aber auch die voranschreitende gegenseitige Öffnung und Annäherung an. Darüber hinaus kommen sich Kotz und Witha in Berlin auch körperlich immer näher, sie umarmen sich als es Witha kalt ist, Kotz legt ihren Arm beschützend um Witha, als sie Albert besuchen, sie teilen das Hotelzimmer miteinander; schließlich kulminiert diese Annäherung in einer (scheiternden) Liebesszene. Diese bahnt sich an, als Witha Kotz umarmt, um sich für die Unterstützung bei ihrem Aufarbeitungsprozess zu bedanken. Witha trägt ein schwarzes Unterkleid, Kotz einen Bademantel, es wird also bereits eine Atmosphäre der Intimität inszeniert. Der Türrahmen, in dem die beiden stehen, rahmt sie als Paar, die Umarmung dauert an und die Antizipation des Kusses steigt – doch Witha löst sich aus der Umarmung und setzt sich auf ein Bett. Unbeirrt folgt Kotz ihr, eine lange Einstellung zeigt Kotz und Witha auf dem Bett sitzend, Witha mit ratlosem Gesichtsausdruck, während Kotz sie bewundernd ansieht. Einen Moment lang passiert nichts. Kotz macht Witha schließlich Komplimente, kommt ihr näher, sie küssen sich fast, aber im letzten Moment rennt Witha zum gegenüberstehenden Bett. Kotz überschüttet Witha weiterhin mit Komplimenten, kniet sich auf die am Bett liegende Witha und schließlich küssen sie sich. Einen Augenblick hält der Kuss an, bis Witha »Stop, stop!« ruft und Kotz von sich stößt. Im Hin und Her, im ›Fast-und-dann-doch-nicht‹ entsteht ein tanzartiger Rhythmus, in dem Kotz Withas Takt der Unentschlossenheit folgt. In einer langatmigen Monolog-Sequenz aus neun Einstellungen, die durch schwarze Abblenden getrennt aufeinanderfolgen und den Lichtverhältnissen nach durch die Nacht hindurch bis zum nächsten Morgen andauern, erklärt Witha ihre Gefühle für Kotz und Alaska. Während Kotz die ganze Zeit über still und unbewegt auf einer Bettkante sitzt, ist Witha in verschiedenen Positionen, aus verschiedenen Kamerablickwinkeln und in verschiedenen Einstellungsgrößen zu sehen, mal im Nachthemd, je mehr oder weniger bedeckt mit einer Decke. Die Lichtverhältnisse variieren zwischen dunkler und heller, werden aber am Ende der Szenen immer heller. Die Szene intensiviert den Eindruck von Withas Unentschlossenheit, Rast- und Ruhelosigkeit ihrer Suchbewegung, dem Versuch der Positionierung, die die verschiedenen Körperhaltungen im Raum (sitzend, stehend, der Kamera abgewandt, zugewandt) und die verschiedenen Stadien der Be- und Enthüllung des Körpers anzeigen. Sie gesteht Kotz ihre Liebe und sagt ihr zugleich, dass sie nicht mit ihr zusammen sein kann, sie

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

nennt Alaska ›jetzt sogar noch mehr‹ ihr Zuhause, bezeichnet Kotz als den wichtigsten Menschen für sie und meint aber, dass zwei Frauen nicht zusammen sein können wie ›man and woman‹. Die Szene endet mit Kotz’ Aussage, dass sie nicht bei Witha bleiben könne und einem Schwächeanfall von Kotz. Für Halberstam werden hier die erotischen Spannungen, die über den Film hinweg aufgebaut wurden, enttäuscht und in dem populären Stereotyp der »unrequited dyke desire for a repressed straight woman« (Halberstam 1998: 224) aufgelöst. Wenngleich Halberstam hier zu Recht die Reproduktion eines populären Narrativs lamentiert, das die Zurückweisung lesbischer Liebe als Kulminationspunkt der emotionalen und erotischen Annäherung zwischen zwei Frauen setzt, so kompliziert der Film dieses Narrativ auch. Zwar wird hier in einer vereinfachenden Lesart ein Narrativ produziert, das körperlich-sexuelle Handlungen als definitorischen Moment von Nicht-Heterosexualität begreift, bei genauerem Hinsehen wird dieses jedoch an einigen Stellen gebrochen. Abgesehen davon, dass Witha ihre Liebe gegenüber Kotz in ihrem Monolog auf vielfältige Weise artikuliert, ist auch die Einblendung des Spiegels im Moment des Kusses instruktiv für die Komplizierung der Halberstam’schen Lesart. Während in allen anderen Momenten der beschriebenen Szenen die Kamera direkt auf Kotz und Witha blickt, schwenkt sie im Moment des Kusses zu einem Spiegel. Der Spiegel in seiner vieldeutigen Symbolik kann hier in verschiedene Richtungen gedeutet werden: Ob er Selbsterkenntnis bzw. Offenbarung von Wahrheit verheißt und ob diese ›Wahrheit‹ die Erkenntnis von der Nicht-Heterosexualität Withas oder deren Gegenteil bedeutet, wird aus dieser Szene allein nicht ersichtlich. Zusammengelesen mit einer Szene früher im Film deutet sie jedoch auf die sexuelle Spannung zwischen den Protagonistinnen hin und lässt die Spiegelszene als Moment der Erkenntnis der ›eigentlichen‹ Beziehung von Kotz und Witha erscheinen. Sie erkennen sich ineinander, es wird aber auch angedeutet, dass dieses Begehren im Imaginären verbleibt. Entgegen der Einschätzungen, die fehlende Sexszene beklagen, existiert diese m.E. nach in einer Szene, in der Witha und Kotz gemeinsam mit dem Schlitten in die alaskische Natur fahren, wenngleich auch nicht in ihrer konventionellen Form über die Darstellung zweier nackter Körper zusammen. In besagter Szene in Alaska fahren Kotz und Witha zusammen in die alaskische Weite hinaus, Kotz auf dem Schneemobil, Witha auf dem hinten angehängten Schlitten. Durch Kamerafahrten in die Schneeweiten, das Einfangen des Sonnenlichts, das auf dem Schnee glitzert durch die Kamera und das Einspielen des Titelsongs Barefoot aus dem Off wird eine romantische Stimmung und Atmosphäre kreiert, die mit Nahaufnahmen Withas genussvollen und Kotz’ hoffnungsvollen Blicks alternieren. Sie scheinen den Moment zusammen zu genießen. Das Abtasten der Kamera von ›nackten‹ und ›unangetasteten‹ Schneeflächen und Natur erinnert an das Abtasten von Körpern, die sich zum ersten Mal nackt begegnen, die Montage mit Withas zufriedenem, lächelndem Gesicht mit oft geschlossenen Augen unterstreicht diesen Genuss und legt eine sexuelle Analogisierung nahe. Die Szene scheint so als eine Metonymie des sexuellen Aktes zu dienen, auch weil hier eine Erotisierung sowie Feminisierung der Natur suggeriert wird und in der Montage mit Withas Gesicht eine Feminisierung derselben. Kotz wird indessen als maskulinisiert inszeniert, da sie es ist, die Witha vom fahrenden Schneemobil aus immer wieder über die Schulter blickend beobachtet und zudem als fahrend und damit aktiv gezeigt wird. Damit werden Assoziationen zu butch-femme-Dynamiken als »lesbenspezifische Art, Geschlechterdifferenz zu dekonstruieren und dabei

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die erotische Energie von Frauen zu reklamieren« (Nestle, zit. in Funk 1997:27) aufgerufen und erotisiert die Vergeschlechtlichung und Gender-Präsentationen der Figuren in ihrer Interaktion.

Abb. 24-25: Salmonberries (D 1991, R: Percy Adlon)

Abb. 26-27: Salmonberries (D 1991, R: Percy Adlon)

Die Reproduktion dieser alten Trope der Feminisierung von Natur wird hier zudem queer gebrochen und als Projektionsfläche für lesbische Fantasien inszeniert. So wird ein ›queer space‹ produziert, in dem Queerness »for some fleeting moments, dominates the (heterocentric) norm, the dominant social narrative of the landscape« (Désert 1997: 21). Das Abtasten der eisigen Landschaft durch die Kamera als visuelles Gegenteil für das durch Lust erhitzte Erforschen des Körpers der Anderen zeigt zudem an, dass das Gezeigte auf mehr verweist, als das oberflächlich zu Sehende und gleichzeitig genau diese Oberfläche der einzige Ort ist, an dem dieses metonymisch angedeutete ›Mehr‹, diese eigentliche Erotik und Spannung, zur Geltung gebracht werden kann. Auf den Oberflächen – Eis, Schnee, in dicke Mäntel und Felle gepackte Körper, Gesichtsausdrücke – wird hier also die eigentliche Tiefe der Szene erkennbar. Auch wenn also Witha Kotz’ Avancen im Hotelzimmer abwehrt und der direkte Blick auf den lesbischen Sex hier verwehrt bleibt, wendet der Film jedoch eine Inszenierungsstrategie an, die über die bloße Darstellung einer Sexszene hinausgeht: Er regt die Fantasie des Publikums durch die Äquivalenz der Kameraführungsstrategien an und kreiert ein einer Sexszene entsprechendes Erfahrungsmoment. In der Verknüpfung dieser Szenen lässt sich Withas Begehren also nicht als rein ablehnend, sondern als mindestens ambivalent erkennen. Dies zeigt sich auch auf dem Rückflug von Berlin nach Alaska: Während Kotz Witha nicht beachtet, blickt Witha immer wieder besorgt, hoffend und fragend zu Kotz herüber. Withas

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Begehren und ihre Orientierung bleiben schwankend und zögerlich, aber es bleibt offen, wie die Liebe der beiden ausgehen wird. Damit produziert der Film – entgegen Halberstams Einschätzung – m.E. eine gewisse Uneindeutigkeit, die den Raum für die Dezentrierung von Heteronormativität weit öffnet. Gleichzeitig hängt Withas Auseinandersetzung mit dem eigenen Begehren mit der Verhandlung nationaler Zugehörigkeit und den Fantasien eines Zuhauses zusammen: Erst der Monolog über ihr Begehren ermöglicht es ihr, Alaska als Zuhause zu benennen. Erst durch diverse De- und Reterritorialisierungsprozesse, Grenzüberschreitungen nationaler und sexueller Art, Abgrenzungen und Annäherungen können sich die Protagonistinnen schließlich verorten, auch wenn dieser Prozess unabgeschlossen bleibt, worauf mit dem offenen Ende verwiesen wird. Wenngleich der Film Withas vermeintlich überlegene Haltung gegenüber Kotz in der zweiten Hälfte dezentriert, gleicht dies die zuvor aufgebaute rassistische, klassistische und nationalchauvinistische Atmosphäre nicht vollends aus, zu vielschichtig wurde diese über den Film hinweg aufgebaut. Nicht nur Körpersprache, Gestik, Mimik und Stimme sowie Dialoge und Rettungsnarrative der native American durch die Weiße kommen hier ins Spiel, sondern auch weitere gestalterische Elemente wie Withas Auftreten in überwiegend weißen, hellen Kleidern, während Kotz dunkle Farben trägt. Auch wenn die zweite Filmhälfte versucht, diese Logik zu invertieren, indem es nun Kotz ist, die Witha ›rettet‹ oder Farbkodierungen umgedreht werden, indem Witha im schwarzen Nachthemd und Kotz im mintfarbenen Bademantel erscheint, gelingt dies nur teilweise. In Kotz’ Verehrung Withas, in der Bezeichnung Withas als Engel und Kotz’ unterwürfige Bitte, Witha solle ihr doch beibringen, sich richtig auszudrücken, wird deutlich, dass Machtverhältnisse, die hier aufgrund von Alter, Klasse und Ethnizität bestehen nicht einfach umgedreht werden können. Auch wenn Witha anerkennt, dass sie erst durch Kotz ihren Platz finden konnte, behält sie weiterhin die Definitionsmacht. Die dramaturgische Struktur der Umkehrung der Dynamik geht nicht auf und macht unfreiwillig die strukturelle Bedingtheit von gesellschaftlichen Hierarchisierungen deutlich, die nicht durch den Willen Einzelner im Privaten umgestürzt werden können. Dennoch wird die Arbeit entgegen hegemonialer Zugehörigkeitsnarrative und tradierter Wahrnehmungsmuster im Film deutlich u.a. auch an der Struktur und Ästhetik des Films. Der melodramatische Modus der romantischen Erzählung und der Verknüpfung mit – wenn auch gebrochenen – Darstellungstraditionen des Heimatfilms ergänzen sich in ihrer Erschaffung einer sehnsüchtig aufgeladenen Atmosphäre. Diese und damit das lineare Narrativ des Films werden allerdings immer wieder unterbrochen. Zwischen einzelnen Szenen werden ethnographisch anmutende Bilder der lokalen natives montiert. Zusammengesehen mit den Landschaftsaufnahmen erscheinen diese in einem anderen Licht und wirken nun fast dokumentarisch. Die Bilder der Iñupiat erscheinen damit als Scharnier zwischen Melodrama und den dokumentarischen Aufnahmen. Während der melodramatische Modus auf die Produktion des »Affekt[s] der Sentimentalität und der sentimentale[n] Anrührung« (Wulff 2017: 1) aus ist, zielt der ethnographisch-dokumentarische Modus eher auf die distanzierte Betrachtung, um so den Eindruck von Authentizität zu kreieren (vgl. Keifenheim 2011: 6). Diese Mischung aus Affizierung und Distanzierung, die in Salmonberries hier gewählt wird und durch das direkte Kontrastieren emotional aufgeladener Szenen mit Landschafts- oder Aufnahmen der (anonym bleibenden) Iñupiat in der Montage verstärkt wird, erzeugt immer wieder

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Stör- und Irritationsmomente für das Publikum. Damit werden dominante Erzählkonventionen gebrochen und es entsteht ein Verfremdungseffekt, durch den eine Konfrontation mit der Medialität des Films provoziert wird und damit nicht nur medienreflexiv wirkt, sondern auch den Konstruktionscharakter von Identität und Zugehörigkeit erkennbar lassen werden kann. Durch das Hin und Her des Bedienens verschiedener Genrekonventionen sowie der Modifikation des deutschen Heimatfilmgenres entsteht insgesamt ein Filmraum, der verunsichernd wirkt. Zusammen mit wiederkehrenden, plötzlich auftretenden ›Bildstörungen‹, die sich in einer sich unvermittelt verändernden Licht- und Soundscape äußern, produziert der Film so eine queere Form, die filmische Wahrnehmungskonventionen und damit auch tradierte Muster des In-der-Welt-Seins hinterfragt. Insgesamt werden hegemoniale, heteronormative und nationalstaatlich homogenisierende Zugehörigkeitskonzepte zugunsten einer entbinarisierenden Prozesshaftigkeit befragt, wenn auch nicht aufgelöst. Kotz’ queere Störungen der herrschenden Ordnung setzen diesen Prozess wesentlich in Gang. Dichotome Kategorien werden so problematisiert und die Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu einer hegemonialen Ordnung als fehlgeleitete Suchbewegung entlarvt. Auch wenn Alaska und die Iñupiat-Identität sich als wichtige Bezugspunkte im Koordinatensystem der Zugehörigkeit herausstellen, finden Kotz und Witha auch belonging aneinander, wenn auch nicht in Zweisamkeit, sondern in geteilter Einsamkeit. Damit denormalisiert der Film auch hegemonialen Narrative von Liebe und Romantik und endet mit einem Plädoyer für queeres Werden als Modus des belonging.

Zusammenfassung In Salmonberries werden die Neuordnung von Grenzziehungen und die Transformation der bis dato bestehenden Weltordnung durch die deutsch-deutsche Vereinigung mit der Disidentifikation mit Deutschland und insbesondere der DDR verknüpft. Die Frage nach Zugehörigkeiten wird in diesem Film überwiegend im melodramatischen Modus verhandelt. Im charakteristischen ›Durcharbeiten‹ des Traumas als staatliche nationale Geschichtserfahrung ergreift der Film die Chance Gemeinschaft jenseits des Nationalen zu entwerfen. Durch die Figurenperspektive, aus der Geschichte erzählt wird, wird dem Publikum die im Film präsentierte Version von Geschichte als identifikatorisches Moment angeboten, von dieser dann durch die Migration zu distanzieren, sich also buchstäblich davon zu entfernen. Der teilweise zunächst herablassende und klassistische Habitus der Figur Witha wird im zweiten Teil des Films versucht zu dekonstruieren, die Figurenentwicklungen wirken dabei zwar wenig glaubwürdig, aber haben dennoch den Effekt der Verunsicherung binärer und ausschließender Kategorien. Kotz tritt dabei als liminale Figur auf, die die queere Transformation der bestehenden Ordnung in Gang bringt. Während das Narrativ der DDR als repressivem System aufgebaut und in Gegensatz zum Westen (BRD und USA) gesetzt wird und dabei problematische erinnerungspolitische Gleichsetzungen der DDR mit dem NS produziert werden, fungieren Mauerfall und Vereinigung zugleich doch als weltpolitische Grenzauflösung, die den Weg für die individuelle Auflösung traumatischer Erlebnisse sowie den Raum für die queere Annäherung der Hauptfiguren und so eine queere Utopie eines anderen Zusammenlebens öffnet. Gleichzeitig werden die USA bzw. Alaska erneut zum ›ersatz homeland‹ und Sehnsuchtsort stilisiert und machen Salmonberries damit zwar zu einem deutschen ›Anti-

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Heimatfilm‹, tragen damit aber gleichzeitig zu gegen-identifizierenden Narrativen über die USA bei, brechen diese jedoch auch immer wieder. Salmonberries interveniert dabei in Sehgewohnheiten und stellt mit seiner queeren Ästhetik homogenisierende Narrative in Frage. Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gender und Sexualität erscheinen dadurch letztendlich als optionale Bezugsgrößen für identifikatorische Prozesse, die nur in De- und Rekonstruktionsprozessen sinnvoll angeeignet werden – Prozesse, in denen mehr queere Fragen offenbleiben als straighte Antworten gegeben werden.

5.1.5 Fazit My Father Is Coming und Salmonberries begleiten die Protagonistinnen auf ihren Suchen nach belonging und verhandeln dabei Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit vor dem Hintergrund der deutschen Wiedervereinigung, bei der die USA als Schauplatz und Gegenbild entworfen wird. Über das Motiv der (E)Migration wird das ›Andere‹ – jedoch nicht als Abgewertetes, sondern gerade über eine lesbische Beziehung als gleichwertige oder auch überlegene Vergleichsfolie – beleuchtet, um das ›Eigene‹ zu ergründen. Lesbische Beziehung ermöglicht so eine paritäre, enthierarchisierte Lebensform, die zugleich – weil es um Frauen geht – eine Perspektive der Marginalisierten nun ins Zentrum rückt. Mit ihnen werden neue Subjektformen durchgespielt, die natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit als obsolet vorführen. Die USA werden dabei zum ambivalenten Ort der Selbstverwirklichung, der am Ende Deutschland als Wahlheimat vorgezogen wird. Über einen gewissen Pro-Amerikanismus, der die USA als Siegerin im Kalten Krieg bestätigt, wird hier also Disidentifikation mit Deutschland hergestellt und einerseits homogene Nationalismen in Frage stellt, bisweilen aber auch anti-kommunistische/-totalitaristische bzw. pro-demokratisch-kapitalistische binäre Oppositionen artikuliert und die Gegen-Identifizierung mit den USA nahelegt. In der Zusammenschau der Filme zeigt sich dies auch am Unterschied in der Inszenierung von Bewegungsfreiheit: Während Witha in Salmonberries als aus der DDR Geflüchtete erst nach der Vereinigung nach Berlin reisen kann, wird in My Father die Bewegungsfreiheit in der vormals ›freien Welt‹ dadurch deutlich, dass Grenzen oder Reisebeschränkungen nicht thematisiert werden. In beiden Filmen wird eine Differenz zwischen Deutschland und den USA auch wesentlich über musikalische Motive konstruiert: Während in My Father Is Coming bayrische Blasmusik eingesetzt wird, um Deutschland zu symbolisieren, nimmt diese Rolle in Salmonberries klassische Musik ein. Damit werden ganz unterschiedliche Aspekte dessen aufgerufen, was deutsche Selbst- und Fremdbilder ausmacht, von bäuerlicher Provinzialität als Bild der BRD bis zu traditionsreicher Hochkultur der DDR. Die Musik, die eingesetzt wird, um die USA zu symbolisieren, einmal elektronische in My Father Is Coming und Pop-Musik in Salmonberries, ist im Vergleich zu den beiden deutschen musikalischen Themen jedoch als ›moderner‹ anzusehen und schreibt sich ein in eine Dichotomisierung von Rück- und Fortschrittlichkeit, bei der die USA als das noch zu Erreichende erscheinen. Während in My Father Is Coming über Deutschsein gelacht wird, wird in Salmonberries über Deutschsein geweint. Auch wenn beide Filme unterschiedliche Genre(konventionen) nutzen, um disidentifikatorische Momente mit Deutschland und manchmal auch Nation als zugehörigkeitsstiftenden und -sortierendem Konzept an sich hervorzurufen,

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ist ihnen jedoch die Inszenierung einer gewissen deutschen Überheblichkeit – egal ob bayrisch oder preußisch geprägt – gemein, die im Verlaufe des Films durch die Begegnung mit queeren Figuren und Reiseerfahrungen dezentriert wird. Während die Handlung in My Father Is Coming ausschließlich in den USA bzw. New York angesiedelt ist, so Fantasien über Deutschland aufruft und lediglich über Figuren dargestellt ist, bringt Salmonberries Deutschland und die USA bzw. Berlin und Kotzebue/Alaska miteinander ins Gespräch. Die Mischung aus Deutsch und Englisch, die in beiden Filmen je nach Kontext gesprochen wird sowie der intensive Kontakt der jeweiligen Filmemacher:innen mit den USA, mit eigener zeitweiliger Emigration, stellt die Idee des nationalen Kinos in Frage und befragt damit auch die Kategorie des Nationalen indirekt auf seine Wirkmächtigkeit. In der Zusammenschau der Filme fällt die Stadt-Land-Dichotomie auf, mit der beide Filme, allerdings in entgegengesetzter Weise, operieren. Während Vicky und ihr Vater in My Father Is Coming von der deutschen Provinz in die US-amerikanische Großstadt – also einer der wichtigsten Kultur- und Kapitalzentren der USA – kommen, zieht sich die deutsche Großstädterin Witha in Salmonberries im Gegensatz dazu in den Weiten und der Einsamkeit Alaskas zurück, bei der eine Bewegung vom Zentrum zur Peripherie inszeniert wird. Damit zeigt sich, dass weder Land noch Stadt als definitorischen Momente für den einen oder anderen nationalen Kontext dienen, sondern als weitere Differenzmarker eingesetzt werden, um den Effekt eines größtmöglichen Unterschieds zu erreichen – sprechen in My Father Is Coming die Gebäude bzw. die Architektur der Großstadt zum Publikum, ist es in Salmonberries die Eiswüste Alaskas. In beiden Filmen dienen queere Figuren als Katalysatoren für die Auseinandersetzung mit Zugehörigkeiten und dem Wegbewegen von essenzialistischen und hegemonialen Ideen. Während Queerness in My Father Is Coming u.a. dazu dient, die USA als queer haven zu inszenieren und damit auch Narrative von sexuellem Exzeptionalismus mitproduziert, forciert Salmonberries keine Differenzkonstruktion zwischen Deutschland und den USA auf der Grundlage von Queerness, aber auch keine Coming-out-story, da Kotz von Beginn an als queere Figur in Erscheinung tritt. Queere Interventionen, Ästhetiken und Geschichten dienen in beiden Filmen dazu, Zugehörigkeit als Prozess erscheinen zu lassen und sich mit homogenen Zugehörigkeitskonzepten zu disidentifizieren. Damit tragen sie zu der Aushandlung natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit nach der Wiedervereinigung insgesamt gesehen auch insofern bei, als dass sie (re-)nationalisierenden (dominanzgesellschaftlichen) Diskursen transnationale und queere (Re-)Orientierungen entgegenstellen.

5.2. Hybride Queers in Alles wird gut und Lola und Bilidikid Im Folgenden beschäftige ich mich mit den Filmen Alles wird gut (1998) von Angelina Maccarone und Lola und Bilidikid (1999) von Kutluğ Ataman, Filme, in denen über Queerness die hegemoniale Setzung von Deutschsein als gleichbedeutend mit Weißsein in Frage gestellt und interdependente Zugehörigkeitsverhältnisse verhandelt werden. Die These zu diesem Kapitel lautet, dass die Filme queere Interventionen von den imaginierten ›Rändern‹ der Nation in unterschiedlichen Genres darstellen, anhand derer eine Neukalibrierung natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit als hybrid vorgenommen wird, gleichzeitig

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

aber auch westliche Coming-out- und chronologische Fortschrittsnarrative aktualisiert werden.

5.2.1 Queere Dritte Räume und Umschreiben der Nation von ihren Rändern Für die Betrachtung der Filme in diesem Kapitel eignet sich Homi K. Bhabhas Konzept des ›Dritten Raums‹ (third space) (1990). Dieses ist eng mit seinem Konzept der Hybridität verknüpft, das bei seinem Verständnis von Nation eine bedeutende Rolle einnimmt (vgl. Kapitel 2.1). Durch Hybridität dekonstruiert Bhabha die Nation als eine homogene Entität, da sie immer schon durch einen ›Dritten Raum‹ für die Verhandlung des Nationalen innehatte (vgl. Bhabha 1990: 211). Der ›Dritter Raum‹ ist jene Lücke zwischen des Bedeuteten und des Bedeutenden, des Zeitpunkts des Aussprechens oder Ausführens eines kulturellen Zeichens und dessen erneuter Verknüpfung mit einem Inhalt, welche einen Bedeutungsspielraum eröffnet, in dem Sinn zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem bzw. verschiedener kultureller Subjektpositionen ausgehandelt werden kann (vgl. Sieber 2012: 100f.). So ergibt sich die Möglichkeit, Machtverhältnisse von innen heraus zu verschieben. Der third space ist also ein Raum, »an dem Polarisierungen verhandelt werden, indem die Grenzen des Diskurses herausgefordert und die Begrifflichkeiten verschoben werden« (Castro Varela/Dhawan 2015: 249). Der ›Dritte Raum‹ kann damit als Ausweg aus dem binär, polarisierenden Denken des ›Ich/Wir‹ und der ›Andere‹ gesehen werden und entsteht als Erfahrungsbereich im Spannungsfeld zwischen Identifikation und Differenz. In Analogie zur kolonialiserten Subjektposition bei Bhabaha kann hier die migratisierte Subjektiposition als »privilegierte[r] Ausgangspunkt« (Castro Varela/Dhawan 2015: 259) dienen, da durch ihre Anwesenheit in der Nation Konzepte von Staatsangehörigkeit und Nationalkulturen als konstruiert, kontingent und umstritten wahrgenommen werden können (ebd.). Im third space realisiert sich Bhabhas Gedanke, den er in DissemiNation beschreibt (vgl. Kapitel 2.1), dass die Nation durch die von ihr Marginalisierten, ihren ›Rändern‹, umgeschrieben werden kann. Im Folgenden wird deshalb von Interesse sein, wie die Filme solche ›Dritten Räume‹ produzieren und welche Neuschreibungen der Nation von ihren Rändern her vorgenommen werden (können). Um der kritisierten Gender-/Sexualitäts-Blindheit von Bhabhas Konzept Rechnung zu tragen, wird ihm das Konzept der queer diasporas13 von Gayatri Gopinath (2006) zur 13

Das Konzept der Diaspora hat sich in seiner Bedeutung und Verwendungsweise mehrfach geändert: Wurde es ursprünglich dazu verwendet, die historische Erfahrung der Vertreibung und Verstreuung in verschiedene Weltregionen von vor allem Jüd:innen bezeichnen, findet es in neueren Bedeutungsweisen als ein Begriff Anwendung, der nicht nur für die (Selbst-)Bezeichnung anderer Gruppen und Communities verwendet wird und nicht nur erzwungene Vertreibung, sondern auch andere Gründe wie Arbeitsmigration einer Gruppe von signifikanter Größe bezeichnet (vgl. Faist 2010: 12). Trotzdem bleibt der Begriff unscharf, wird synonym mit anderen Begriffen ›ethnische Minderheit‹ verwendet und entzieht sich einer abschließenden Definition (vgl. Chapin 1996: 276). Daher ist es von Bedeutung den Begriff kontextuell einzubetten und dessen Angemessenheit auszuloten. Im Kontext der beiden Filme ist der Anwendung der Begriff der ›Diaspora‹ nicht widerspruchsfrei. Sowohl in Bezug auf die türkisch/e/-deutsche Community als auch auf Schwarze Deutsche gibt es hier keine einheitliche Linie sowohl was wissenschaftliche Diskussionen als auch Selbstbezeichnungen angeht. Daher werde ich den Diaspora-Begriff nicht pauschal weiterverwenden, sondern ggf. weiter kontextualisieren oder die Verwendung spezifizieren. Gopinaths

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Seite gestellt, mit dem es möglich ist, die Verwicklungen von nationaler Zugehörigkeit, Migratisierung/Rassifizierung und nicht-normativen Begehrensmustern zu verdeutlichen. Gopinath untersucht in ihrer Studie die Zusammenhänge von Sexualitätsdiskursen mit früheren und sich fortsetzenden Diskursen von Kolonialismus, Nationalismus, Rassismus und Migration (vgl. Gopinath 2006: 3). Durch queeres diasporisches Begehren kann für Gopinath der traditionell rückwärtsgewandte Blick der Diaspora umgekehrt werden (ebd.) und aufzeigen, wie sowohl staatlicher als auch diasporischer Nationalismus heterosexuell strukturiert sind (vgl. Gopinath 2006: 10). Damit queert ihr Projekt sowohl Konzepte von Nation als auch Diaspora, indem sie freilegt, wie beide auf einer heteronormativen, reproduktiven Logik aufbauen (ebd.). Queerness wird so zu einem Weg, nationalistische Ideologien herauszufordern; queer diasporas als Konzept stellt also eine gleichzeitige Kritik von Heterosexualität und Nation dar, während es die binären Oppositionen Nation vs. Diaspora, Heterosexualität vs. Homosexualität, Original vs. Kopie sprengt (vgl. Gopinath 2006: 11) und bezieht sich dabei insbesondere auf die weibliche queere diasporische Subjektivität, die sie als ›unmögliche‹ ausweist. Queer Diasporas sind mit Anne-Marie Fortier Teil von »diasporic horizons« (Fortier 2002: 192), der »projection of […] queer belongings and culture, within a spatio-temporal horizon defined in terms of multi-locality, cultural diversity, dispersal, and conflict« (ebd.). Diaspora ist in diesem Verständnis kein erreichter Zustand, sondern ein Prozess und ein Konzept, das mobilisiert wird, um »imagined remains of belonging« (ebd.) auszuhandeln. ›Dritter Raum‹ und queer diasporas werden im Folgenden als analytische Werkzeuge dazu dienen, aufzuzeigen, wie nicht-normatives Begehren in den Filmen ethno-national(istisch)e Narrative subvertieren kann; dabei wird interessant, wie sich die queer-migratisierten/rassifizierten(/-diasporischen) Horizonte in Bezug auf natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit gestalten, die die Filme in Bezug auf die Nachwendenation im Kontext der Globalisierung eröffnen und gleichzeitig als Narrative einer ›besseren Version von Nation‹ herhalten können.

5.2.2 Alles wird gut: Anti-rassistische Interventionen im deutschen Film Nach der deutsch-deutschen Vereinigung wird Rassismus in seinen verschiedenen Formen in Deutschland wieder sichtbarer. Hiervon zeugen nicht nur Zahlen und bekannt gewordene rassistische Angriffe wie in Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen, sondern auch die Alltagserfahrungen von Rassismus Betroffener. So prangerte beispielsweise Audre Lorde, eine Schwarze lesbische Feministin aus den USA, die die Afrodeutsche Bewegung maßgeblich mitprägte, diese rassistische Gewalt in einem ihrer Gedichte an (vgl. Michaels 2006: 22). Medien prägen und formen rassistische Diskurse immer mit. Besonders audiovisuelle Medien wie der Film, die immer auch mit Stereotypisierungen operieren, »haben dazu beigetragen, den Rassismus aufrechtzuerhalten, zu verbreiten und zugleich auch zu hinterfragen« (Gradinari/Ritzer 2021: 5). Wie Wulf D. Hund (2019) ausführt, waren Denkansatz zu queer diasporas ist hier trotzdem hilfreich, um einerseits die heteronormative Strukturierung sowohl von Nations- als auch Diaspora-Narrativen sichtbar zu machen und um die Interdependenz ineinandergreifender ›Ränder‹ der Nation zu erkennen.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Rassismus und Film seit Beginn der Filmgeschichte aufs Engste miteinander verknüpft, was sich auch im Einsatz des Films als Medium ethnologischer Forschungen zeigt (vgl. Hund 2019: 8). Der Film inszenierte dabei alle Formen und Erscheinungsweisen historischer Rassismen und trug damit zur Stigmatisierung der als ›anders‹ Imaginierter bei (vgl. Hund 2019: 1ff.). So wurden Afrikaner:innen bereits in Filmen wie Weiße Göttin der Wangora (1916) und Eine Weiße unter Kannibalen (1921) von Hans Schomburgk als kannibalisch, »abergläubisch und barbarisch« (Hund 2019: 4) dargestellt. ›Klassiker‹ des rassistischen Films stellen weiterhin David Wark Griffiths The Birth of a Nation (1915), Fritz Langs Metropolis (1927) oder Merian C. Coopers und Ernest B. Schoedsacks King Kong (1933) dar (vgl. Hund 2019: 9ff.). Auch orientalistische Fantasien, oft verknüpft mit antimuslimischen Stereotypen, oder die Verbindung von Rassismus und Sexismus stellten verbreitete Tropen dar (vgl. Hund 2019: 4). Damit wurden im Film von Beginn an rassistische »visuelle Ideologie[n]« (Mosse 1990: 9, zit. in Hund 2019: 5) verbreitet und »racist symbolic capital« (vgl. Weiß 2010: 47) angehäuft. So waren selbst Zuschauer:innen ohne großes ökonomisches oder kulturelles Kapital in der Lage, »sich […] ihrer Zugehörigkeit zu einer ›weißen‹ (oder ›christlichen‹ und jedenfalls ›zivilisierten‹) Gemeinschaft [zu] versichern, die sich für berechtigt hielt, als primitiv inszenierte andere zu belächeln, zu verachten und zu unterdrücken.« (Hund 2019: 6). Im deutschen Film halten sich rassistische Tropen vor allem in Bezug auf Afrika, Afrikaner:innen und Schwarze (vgl. Figge 2015), aber auch in Bezug auf Migrant:innen und Migratisierte hartnäckig bis heute. Rassismus im Film bleibt jedoch nicht unhinterfragt (vgl. Kibler 2015: 51) und diverse Gegenbewegungen wie beispielsweise Filme des US-amerikanischen Black Arts Movement bzw. das Black Independent Cinema machten es sich zur Aufgabe den rassistischen Darstellungen aus der Dominanzgesellschaft etwas entgegenzusetzen (vgl. Denzin 2008: 247). Filme aus dem anglophonen Raum wie Mira Nairs Mississippi Masala (1991), Spike Lees Crooklyn (1994) oder Ang Lees Eat Drink Man Woman (1994) hinterfragten sowohl rassistische Stereotypisierungen sowie bisweilen auch Gender-Rollen (vgl. Denzin 2008: 258). Für den Bereich queerer Filme nahmen Filme wie Isaac Juliens Looking for Langston (1989) oder Cheryl Dunyes The Watermelon Woman (1996) eine Vorreiter:innenrolle darin ein, Anti-Rassismus und Heteronormativitätskritik zu verbinden (vgl. Kapitel 5), wobei schon Blackplotation Produktion der 1970er Jahre mit Queerness arbeiten. Für den deutschen queeren Film nimmt Angelina Maccarones Alles wird gut (1998) diese Pionier:innenrolle ein (vgl. Eley 2012: 231) und bringt mit diesem den ersten deutschen Film über die Liebe zweier Schwarzer deutscher14 Frauen heraus (Zurück auf Los! (2000) – ebenfalls mit und 14

Das sich in den 1980ern beginnende herausbildende Verständnis Schwarzer Menschen in Deutschland als Gruppe ging zunächst mit der Findung des Begriffs ›afrodeutsch‹ einher. In der Weiterentwicklung der Bewegung bildete sich der inklusivere Begriff ›Schwarze Deutsche‹ heraus (vgl. Campt 2003: 289). ›Afrodeutsch‹ und ›Schwarze Deutsche‹ haben sich maßgeblich im transkulturellen Austausch Schwarzer Frauen zwischen den USA und Deutschland ausgebildet (ebd.) (mehr hierzu später in diesem Kapitel). Die Frage der Zugehörigkeit zur Schwarzen Diaspora ist in Bezug auf Schwarze Deutsche eine komplexe: Einerseits verbindet sie mit anderen Schwarzen Communities im Westen die Tatsache der rassistischen Diskriminierung und Veranderung in Bezug auf natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, andererseits können sie sich weniger als z.B. in Bezug auf das Vereinigte Königreich oder dies USA auf eine Herkunft verbunden mit dem transatlantischen Sklav:innenhandel beziehen (vgl. Wright 2011: 266). Michelle Wright sieht Schwarze Identi-

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auch von Pierre Sanoussi-Bliss – führt dies mit Blick auf die schwule Berliner Subkultur fort). Alles wird gut wurde ursprünglich für die TV-Reihe Wilde Herzen im NDR gedreht, in der schon Filmemacherin Angelina Maccarones Spielfilmdebüt Kommt Mausi Raus?! (1995) zu sehen war (vgl. Mennel 2002: 50). Neben seinem TV-Auftritt gewann der Film auch den Preis für den besten Spielfilm auf Filmfestivals L.A. Outfest und Newfest N.Y. Maccarone, die seit Kommt Mausi Raus?! (1995) für die Diversifizierung lesbischer Filmbilder steht, beschreibt in einem Interview mit Dagmar Brunow, dass sie die rassistischen Produktionsbedingungen von Kommt Mausi Raus?! den Anfang der Entwicklung der Geschichte von Alles wird gut bildeten: »[…] die Produzentin verbot mir, die Freundin der Protagonistin mit einer afrodeutschen Schauspielerin zu besetzen. Die Begründung lautete, dass es ja nicht im Drehbuch stehe. Dort stand allerdings auch nirgends, dass die Figur weiß sei. Letztendlich durfte sie dann asiatisch-deutsch sein. Ein ›Kompromiss‹, der ein gutes Beispiel für Rassismus Made in Germany ist. Diese gefährlich dumme Ignoranz brachte Fatima El-Tayeb und mich dann dazu, gemeinsam ein Drehbuch zu schreiben, in dem die Charaktere nicht nur explizit als Schwarze hineingeschrieben waren, sondern indem dieser Rassismus, der so tut als sei er keiner, ein zentrales Thema ist.« (Interview mit Angelina Maccarone in Brunow 2018: 189f.).« Alles wird gut ist bisher mäßig erforscht. Einzelne Zeitschriftenartikel greifen den Film als beispielhaft für die Herausbildung afrodeutschen Bewusstseins in Deutschland seit den 1980er Jahren heraus (vgl. Gunter 2018) oder diskutieren ihn im Zusammenhang mit filmischen Produktionsbedingungen für minorisierte Frauen in den 1990er Jahren (vgl. Mennel 2002), eine umfassendere Analyse des Films in Bezug auf die Verhandlung von Sexualität und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit im Film steht jedoch aus.

Alles wird gut – eine Schwarze queere Screwball-Komödie In der in Hamburg spielenden romantischen Komödie Alles wird gut wird Nabou (Kati Stüdemann) von ihrer Freundin Katja (Aglaia Szyszkowitz) verlassen und nimmt einen Job als Haushälterin bei Kim (Chantal de Freitas) an, die im selben Haus wie Katja wohnt, um zu versuchen, Katja zurückzugewinnen. Kim ist eine erfolgreiche Karrierefrau, die in einer Werbeagentur arbeitet. Dort hofft sie auf baldige Teilhaberinnenschaft und hat eine Affäre mit ihrem Chef Dieter Lauer (Uwe Rohde). Die Geschichte entfaltet sich rund um eine Reihe von Missverständnissen und Konflikten, schließlich kommen sich Nabou und Kim näher – Kim kündigt in der Werbeagentur und entscheidet sich für Nabou. Der

tät im Westen generell als diasporisch und transnational und dadurch als »fluid, heterogeneous, and intersecting« (Wright 2011: 282), im Folgenden werde ich dennoch den Begriff Schwarze Deutsche wählen, auch um die Stoßrichtung des Films entgegen der Veranderung Schwarzer Deutscher Rechnung zu tragen, außer, wenn ich mich auf die Verwendung durch andere Autor:innen beziehe. Zur weiteren Geschichte der Herausbildung afrodeutschen Bewusstseins und der Organisierung der Bewegung Schwarzer Deutscher vgl. bspw. Oguntoye et al. (1986), El-Tayeb (2011), Gunter (2018).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Film inszeniert das lesbische Begehren zweier Schwarzer Frauen füreinander als zu präferierende Alternative gegenüber heterosexuellen oder queeren Beziehungen zu Weißen und verhandelt dies im Kontext der Frage des Zusammenhangs von Race und Nation. Die ersten Einstellungen, die zeigen, wie Katja die Beziehung mit Nabou beendet und sie wortwörtlich ›vor die Tür setzt‹, situieren die Handlung in einem nicht-heteronormativen Setting, führen jedoch über die Symbolik des Rauswerfens auch in das übergeordnete Thema der Frage nach In- und Exklusion ein. Dies wird auf auditiver Ebene durch den in den 1990er Jahren populären Trennungs-Song Hedonism der Band Skunk Anansie unterstrichen, dessen Zeilen »Just because you feel good/Doesn’t make you right, oh no« von der individuellen Ebene der Trennung in einer Liebesbeziehung auch auf eine strukturelle Ebene der Diskriminierungserfahrungen bezogen werden können. Eine Schwarze Lesbe in Deutschland zu sein, so wird bereits angedeutet, bedeutet, ein permanentes ›Rausgeworfen-‹ und ›Nicht-Zugehörig-Gemacht-Werden‹ durch rassistische Zuschreibungen zu erleben. Auch werden in den Eingangsszenen Genre-Erwartungen sowohl geweckt als auch unterlaufen: So wird die verlassene Nabou in der anschließenden Szene in der Badewanne in rotem Badewasser im roten, spärlich beleuchteten Badezimmer gezeigt. Ästhetiken von Selbstmord, Erotik und Selbstfürsorge werden miteinander verbunden und mit Nabous scherzhaften Bemerkungen ihrer Mitbewohnerin gegenüber, die Nabou schockiert an den Haaren unter dem Wasser hervorzieht, ironisiert. Der hier zu beobachtende humoristische Tonfall, Exzentrik, Selbstironie und Verwechslung bzw. Mehrdeutigkeit stellen das Publikum hier also auf das Genre der Screwball-Komödie ein (vgl. Byrge et al. 2001: 2f.), deren charakteristische Elemente der Besetzung mit weißen, heterosexuellen Figuren durch eine Schwarze, queere Hauptfigur zugleich umgeformt wird. Durch das Bespielen eines seit der besonders aus klassischem Hollywood bekannten Genres wird so eine Geschichte Minorisierter massenanschlussfähig, während gleichzeitig Genrekonventionen in Bezug auf Sexualität, damit verbunden auch Gender sowie Race unterlaufen und als veränderbar dargestellt werden. Das zentrale Konfliktfeld der Screwball-Komödie, die geltenden Geschlechterverhältnisse und mit ihnen verbundene Normen, Konventionen und Institutionen wie die heterosexuelle Ehe werden in Alles wird gut ebenso zum Gegenstand, aber verqueert. So eröffnet der Film dem Publikum die Möglichkeit der Erkenntnis des konstitutiven Wechselverhältnisses von Genre, Gender und Sexualität und eröffnet potenziell die Möglichkeit, dass auch Kategorien sozialer Ordnung wie die Nation entnaturalisiert und ent-selbstverständlicht werden können. Wie Filmemacherin Maccarone ausführt, wählten sie und die weitere Drehbuchautorin Fatima El-Tayeb das Genre der Screwball-Komödie, »da wir diese emanzipatorische Form beide sehr mochten und sie uns passend schien, um die Norm und das Konzept des ›Anderen‹ als absurd zu entlarven« (Brunow 2018: 189f.). Wie Barbara Mennel konstatiert, verkomplizieren die Drehbuchautorinnen Maccarone und El-Tayeb mit ihrer Genre-Wahl die Dichotomie zwischen den Modi des ›cinema of duty‹ und ›pleasures of hybridity‹, eine Dichotomie, die Deniz Göktürk in Bezug auf die Darstellung migratisierter und ethnisierter Gruppen im Film beschrieben hat (vgl. Göktürk 2000 in Bezug auf Malik 1996: 202–215) und zeichnen ein ambivalentes Bild (vgl. Mennel 2002: 57), das ein Spannungsfeld von kritischer Arbeit an der Hegemonie eines rassistischen Diskurses der Mehrheitsgesellschaft und Unterhaltung, eröffnet und

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offenhält. Damit wird die Komplexität des Zusammenspiels sozialer Kategorisierungen und Hierarchisierungen sowie die Möglichkeit machtkritischer Diskursinterventionen vorgeführt, ohne in einen moralisierenden Tonfall zu verfallen oder Opfernarrative fortzuschreiben. Queere, Schwarze Weiblichkeit wird hier als kritische Instanz bei der Infragestellung von Weißsein in der Bestimmung nationaler Zugehörigkeit konstruiert. Dies zieht sich durch den Film, wie ich im Folgenden beschreiben werde. Durch die ironisierenden Elemente unterstreicht Alles wird gut den fragilen Status kategorialer Grenzen und kann als Kommentar auf den Exklusionscharakter homogenisierender Gender-, Sexualitäts- Ethnizitäts- und Nationsnarrative gelesen werden. Als antirassistische Diskursintervention adressiert der Film komplexe Dynamiken von Ein- und Ausschluss im Deutschland des ausgehenden 21. Jahrhunderts und ermöglicht einen kritischen sowie zugleich spöttisch-bloßstellenden Blick auf die rassistisch-queerfeindliche Dominanzgesellschaft aus Perspektive minorisierter Subjekte, bleibt in der Re_produktion von Essenzialisierungen und einem linearen ›It-gets-better‹-Narrativ15 (wie sich im Titel wortwörtlich spiegelt) teilweise nicht unambivalent.

Schwarze, queere, weibliche Subjekte in Deutschland Schwarze, queere Weiblichkeit wird in Alles wird gut zum Knotenpunkt der Auseinandersetzung mit Veranderungsprozessen in Deutschland in den späten 1990er Jahren. Über Race und Sexualität wird hier die Frage, wer welchen Platz in der natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsordnung einnehmen kann, ausgetragen. Wie Michelle M. Wright argumentiert, wird das Schwarze deutsche Subjekt nicht dadurch verandert, dass es als nicht-zugehörig zur deutschen Nation konstruiert wird, sondern dadurch, dass es als afrikansiches Anderes fehlidentifiziert wird (vgl. Wright 2011: 267). Für die folgende Diskussion der Rolle Schwarzer queerer Weiblichkeit im Film beschreibe ich Weißsein als Norm, die Geschichte der Bewegung Schwarzer Deutscher in Deutschland, und ziehe Theoretisierungen Schwarzer Weiblichkeit bzw. nicht-weißer queeer Weiblichkeit heran. Wie in der Theoretisierung von Weißsein immer wieder betont wurde, fungiert Weißsein als nicht-markierte Norm, die ermöglicht, Weiße als Individuen, als Menschen, und Rassifizierte als homogene ›Andere‹ zu sehen (vgl. bspw. Thi Minh Ha 1989: 54; Dyer 1997: 1ff.; Reckwitz 2006; Ahmed 2006). Wie Richard Dyer ausführt, ist diese Unsichtbarkeit von Weißsein als rassifizierte Position in weißem Diskurs allgegenwärtig und in den Film als Medium und Produkt eingeschrieben (vgl. Dyer 1997: 3). Alles wird gut durchbricht diese Norm: Durch die Gegenüberstellung der individualisierten Schwarzen queeren Hauptfiguren und ihrem engsten nicht-deutsch-weißen Umfeld als Sympathieträger:innen und den weißen Deutschen als typisierte Neben- oder Randfiguren wird eine Identifikation mit den Hauptfiguren und ihrer Schwarzen nicht-heteronormativen und machtkritischen Perspektive nahegelegt. Dabei werden sie jedoch nicht als Opfer gesellschaftlicher Hierarchisierungen stilisiert, sondern als intelligente, gewitzte

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Das ›It Gets Better Project‹, eine US-amerikanische NGO, die sich mit ›hoffnungsstiftenden‹ queeren Lebensgeschichten an queere Jugendliche wendet, wurde von Queer-Theorietiker:innen dafür kritisiert, Zukunftsorientierung als normative zeitliche Ausrichtung zu propagieren und ein neoliberales Bild vom gesellschaftlichen Aufstieg von Queers durch Einbindung in die kapitalistische Verwertungslogik voranzutreiben (vgl. Puar 2010; Nyong’o 2010; Michaelsen 2014).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Figuren mit einem breiten Verständnis für gesellschaftliche Prozesse und Machtverhältnisse inszeniert, während die weißen Figuren als einfältig, beschränkt oder distanzlos dargestellt werden, als ›Witzfiguren‹ die Folie für Spötteleien bilden und Weißsein als gesellschaftliche Positionierung sichtbar wird.

Abb. 28-29: Alles wird gut (D 1998, R: Angelina Maccarone)

Die Stereotypisierung der weißen Figuren wird besonders deutlich in der Karikaturisierung von Kims Kolleg:innen in einer Sequenz stilisiert – Kollegin Silvia weiß zwar um die diskriminierende Bedeutung des N-Wortes, weigert sich gleichzeitig gegen das Unterlassen dessen Verwendung; Kollege Kurt ›interveniert‹ in kolonialrassistischer Manier, indem er vorschlägt, eine Kasse zu eröffnen, in die jede Person 5 DM einzahlen muss, wenn sie das N-Wort verwendet, um den Erlös an ›Kinder in Afrika‹ zu spenden. Zusammen mit dem unter weißen Kolleg:innen verbreiteten Gerücht um Kims kannibalische ›Schwester‹ (Nabou wird für Kims Schwester gehalten), die jemandem die Nase abgebissen haben soll, werden die weißen Kolleg:innen in Verbindung mit verbreiteten alltagsrassistischen Stereotypen gebracht und in deren Hyperbolisierung zu Karikaturen der weißen, deutschen Dominanzgesellschaft stilisiert. Auf der visuellen Ebene werden sie es zum Beispiel durch ihr synchrones Bananenessen vorgeführt, wodurch zugleich ein rassistisches Stereotyp umgekehrt wird. Die Banane wird hier als mehrdeutiges Zeichen aufgerufen: Einerseits als koloniales Gut, das sich beim Weltmeister des Bananenessens Deutschland (vgl. Wilke 2004: 327) als selbstverständlich in den Alltag einfügt und dessen koloniale Geschichte damit so allgegenwärtig und unsichtbar zugleich wird wie die rassistischen Denkmuster der Kolleg:innen; andererseits als Symbol der Entmenschlichung Schwarzer Menschen (vgl. Omar 2017), das über die »semantische Brücke Banane-Affe-schwarzer Mensch« (ebd.) in rassistischen Diskursen bis heute unentwegt reproduziert wird. In der Verknüpfung des Symbols Banane mit Kims Kolleg:innen werden diese zu Akteur:innen der wortwörtlichen Einverleibung kolonialrassistischer Diskurse und eine Umkehrung der Zuschreibung Banane-Affe findet statt, indem sie weißen Menschen attribuiert wird. Damit wendet der Film den Prozess der Animalisierung auf weiße Menschen an, reproduziert damit jedoch keine gewaltvolle Zuschreibung durch andere Figuren im Film, sondern ironisiert rassistische Zuschreibungen und entlarvt somit deren Absurdität. Die Ironie der Szene wird durch den Bildwitz des Bisses in die Banane am Endpunkt einer Szene stehend und die Synchronizität des Bisses der beiden Kolleg:in-

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nen unterstrichen und als bedeutungstragend gesetzt bzw. hervorgehoben. Die Applikation der rassistischen Stereotype an Weißen lacht diese aus, macht also die Unwirklichkeit ihrer Semantik frei und entmachtet so die Wirkung der gewaltsamen Rassismen. Mit Mitteln wie diesen findet in Alles wird gut zugleich eine Entnormalisierung und Dezentrierung von Weißsein statt und unterstützt die Konstruktion einer Filmwelt, die die Lebens- und Erfahrungswelt der Schwarzen queeren weiblichen Protagonistinnen fokussiert und als Identifikationspunkte nahelegt. Schwarzsein und Schwarze Weiblichkeit haben sich in Deutschland (im Vergleich z.B. zur USA) erst ab Mitte der 1980er Jahre als politische und Bewusstseinskategorie herausgebildet (vgl. Michaels 2006: 23). Maßgeblich an der Entwicklung und Politisierung der Kategorie ›afrodeutsch‹ beteiligt war in diesem Zusammenhang die erwähnte Schwarze Feministin und lesbische Poetin und Audre Lorde, die 1984 das erste Mal nach Deutschland eingeladen wurde, um an der Freien Universität Berlin zu lehren und seitdem bis zu ihrem Tod im Jahre 1992 eine enge Beziehung zu Deutschland und der sich etablierenden afrodeutschen Bewegung aufrechterhielt (vgl. Michaels 2006: 22). Damit wird nicht nur die enge Verknüpfung afrodeutscher Identitätsbildung mit US-amerikanischer Theoriebildung deutlich, sondern auch die Zentralität queerer Weiblichkeit in diesem Prozess, die als konstitutiv für diesen Politisierungsprozess begriffen werden muss. Als Meilenstein wird diesbezüglich das Erscheinen des Buches Farbe bekennen: Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte von May Ayim, Katharina Oguntoye und der weißen Herausgeberin Dagmar Schultz 1986 begriffen sowie die Gründung der Organisationen ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V.) und ADEFRA e.V., einer Vereinigung afrodeutscher Frauen. In der Publikation Talking Home: Heimat aus unserer eigenen Feder (1999) wird an die Errungenschaften von Farbe bekennen angeknüpft und eine erste Publikation queerer Frauen of Color in Deutschland herausgegeben und dabei ein explizit transnationaler Blick eingenommen (vgl. Gunter 2018: 73). Wie Gunter (2018) betont, ist Schwarze deutsche Wissensproduktion innerhalb und gleichzeitig außerhalb der Nation verortet, einerseits durch andere diasporische Einflüsse geprägt und wird andererseits auch von Menschen außerhalb der Schwarzen deutschen Community konsumiert. Dadurch kann sie auch in dominante Diskurse einsickern und die Existenz Schwarzer deutscher Menschen in Deutschland hierdurch geltend machen. In genau diesem zeit- und diskursgeschichtlichen Kontext ist auch Alles wird gut und die Verhandlung Schwarzer queerer Weiblichkeit in Deutschland darin anzusiedeln. Dabei stehen Kim und Nabou, deren Gender und Race zunächst ihre einzigen Gemeinsamkeiten scheinen, im Mittelpunkt. Die initiale Inszenierung des Films der beiden Figuren als gegensätzlich entspricht nicht nur den Genrekonventionen, sondern trägt auch dazu bei, eine größere Vielfalt an afrodeutschen Figuren zu inszenieren. Während die offen lesbisch lebende Nabou sich die Wohnung mit der ebenfalls lesbischen italienischdeutschen Guiseppa teilt, sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt und darauf hofft, Lottokönigin zu werden, wohnt die vermeintlich heterosexuelle, schicke Kim allein, macht Karriere in einer Werbeagentur und stellt Nabou als Haushaltshilfe an. Durch die individuelle Zeichnung der jeweiligen nicht-weißen bzw. migratisierten engsten Vertrauten der beiden, wird das Figurenensemble um weitere nicht-weiß-deutsche Figuren ergänzt und trägt zur Inszenierung der Vielfalt passdeutscher Subjektpositionen bei. Die Figur Nabous Mitbewohnerin Guiseppa, die Nabou ›Kulturimperialistin‹ nennt, weil sie

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

sich kulturelle Versatzstücke verschiedener kultureller Kontexte und Religionen aneignet, trägt zu einer Inszenierung bei, die nicht-weiß-deutschen Subjekten nicht automatisch moralische Überlegenheit zuschreibt und damit Reduktionismus entgegenwirkt. Kims ehemalige Affäre und bester Freund Kofi, ein ›promovierter Kellner‹, der seinen Sohn Kwame allein großzieht, dient zur Inszenierung einer nicht-normativen Schwarzen Männlichkeit und greift über Kofis geplante Rückkehr in sein Herkunftsland Ghana die Schwierigkeiten Schwarzer Menschen in Deutschland, trotz hoher Bildung eine adäquate Beschäftigung zu finden und damit den strukturellen Rassismus bei der Personalauswahl (vgl. Hieronymus et al. 2012: 2) auf. Im Verlauf des Films offenbaren sich nach dem Aushandeln von Konflikten mehr Gemeinsamkeiten zwischen Kim und Nabou, beispielsweise in ihrer linken Politisierung (Nabou im Kritisieren von Guiseppas ›Kulturimperialismus‹ und Kims Kritik eurozentrischer und ›sozialkitschiger‹ Filme sowie ihre Jugendpolitiserung in der ›AG Revolution‹) und anti-rassistischen Einstellung und bereiten so den Weg für die Annäherung der beiden. Damit wird nahegelegt, dass Erfahrungen mit Alltagsrassismus in Schwarze queere Weiblichkeit eingeschrieben ist, genauso wie Widerstandspraktiken in Form anti-rassistischer Interventionen als alltägliche Notwendigkeit dargestellt werden. Den Umgang der Figuren mit alltagsrassistischen Situationen, die in den Film eingewoben sind, werde ich im Folgenden in einer Schlüsselsequenz Nabous anti-rassistischer Intervention betrachten. Die Kamera folgt in dieser Sequenz Nabou, die zuerst im Straßenverkehr rassistisch beschimpft wird und anschließend bei ihrem Job als Verkäuferin in einem U-Bahn-Kiosk den rassistischen Aussagen und Zuschreibungen mehrerer Kund:innen ausgesetzt ist. Über die verschiedenen Erfahrungen, die Nabou hier mit Rassismus macht in Verbindung mit dem Aufrufen der Debatten rund um Schokoküsse, die in den 1990er Jahren viel Aufsehen erregten, wird ein Bild von Allgegenwärtigkeit rassistischer Erfahrungen im deutschen in diesem Fall großstädtischen Alltag gezeichnet, das wesentlich über die Markierung und Zuschreibung von Nabous Körper als Schwarz funktioniert. So wird in einer Szene im Straßenverkehr beispielsweise im Assoziieren des Autofahrers von ›Nabou‹ mit ›Afrika‹ – er echauffiert sich über Nabous Fahrradfahrstil mit ›Wir sind hier doch nicht in Afrika!« – die rassistische Vorstellung der deutschen Nation als Gemeinschaft weißer Körper deutlich. Durch das unvermittelte und unvorhergesehene Auftreten rassistischer Zuschreibungen und Diskriminierungen im Alltag macht der Film die Struktur von Alltagsrassismus sichtbar. Solche Szenen tauchen immer wieder auf, ohne weiteren Bezug zur Handlung zu haben, und wirken für Zusehende in ihrer Häufigkeit und Unterbrechung des Handlungsverlaufs fast lästig. Durch die Wiederholungen und die rhytmisch gestaltete ständige Unterbrechung der Narration wird in der Verdichtung die Struktur des Alltagsrassismus sichtbar, durch die für ein weißes Publikum Empathie mit von Rassismus Betroffenen ermöglicht werden kann und begünstigt so die Reflexion von Diskriminierungsverhältnissen (vgl. Mukhida 2012: 501), für nicht-weißes Publikum kann sich in der Inszenierung ein ›Wiedererkennungsmoment‹ zur eigenen Erfahrungswelt einstellen, da eine Kollektiverfahrung inszeniert wird, die politisierend wirken kann. Die Politisierung wird in dieser Sequenz vor allem auch durch Nabous Interventionen, wie das Zeigen des Mittelfingers als Reaktion auf die rassistische Beschimpfung des

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Fahrers erreicht. Wie Christoph Görlich und Christian Helge Peters beschreiben, können Körper in ihren affektiven Empörungen als emanzipatorische Kräfte der Opposition und des Wandels beschrieben werden. Dabei können die affektiven Entladungen gegen Machtverhältnisse die Logik hegemonialer Ordnung hinterfragen (vgl. Görlich/ Peters 2018: 36). Das Auto mit dem weißen männlichen Autofahrer kann hier als Symbol für diese Ordnung verstanden werden, die Nabou mit ihrer Intervention des Mittelfingerzeigens – als Zeichen der Verachtung und Provokation (vgl. Schwöbel 2004: 212) – herausfordert.

Abb. 30: Alles wird gut (D 1998, R: Angelina Maccarone)

Bewegung wird im gezeigten Ausschnitt also politisch und als Praxis gegenderter und rassifizierter Körper erkennbar. Mobilität, Körper und Körperzeichen werden miteinander verschränkt und affektiv aufgeladen. Körper in Bewegung tragen hier also zur Ausstellung der jeweiligen Geschichten gesellschaftlicher Ein- und Ausschlussmechanismen bei und fordern diese heraus. Durch die Neu-Imagination von Raum kann eine Neu-Imagination natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit vorgenommen werden. Dies lässt sich besonders gut an einer weiteren Szene illustrieren, die Nabous Interaktion mit der Kundin, die einen Schokokuss bestellt und dabei den rassistischen Begriff hierfür verwendet, inzeniert. Nabou ist zu sehen, in einem Verkäuferinnenkostüm mit Haube und echauffiert sich über das Gesagte. Zusammen mit vorangegangenen Einstellungen gelesen kann Nabous an die Aussage der Kundin anschließende wütende Reaktion als Erwiderung auf nicht nur eine isolierte Situation mit einer einzelnen Person gelesen werden, sondern wird im Kontext der beschriebenen Wiederholungsstruktur als Reaktion auf viele Situationen, die ihr im Alltag unvorhergesehen begegnen, inszeniert. Durch die Gesichter in Nahaufnahme werden Ausdrücke der Verwunderung und des Erstaunens auf der einen Seite sowie des Ärgers, des Genervtseins und der Wut auf der anderen Seite betont; Affekte werden damit zentrale Elemente der Szene, wodurch die emotionalen Investitionen, die in Verhandlungen über Diskriminierung getätigt werden, verdeutlicht werden.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Entgegen der Individualisierung von Affekten und Emotionen bemühen sich die Affect Studies, Affekte und Emotionen als eingebunden in gesellschaftliche Machtverhältnisse zu theoretisieren. Der Affekt Wut wirkt in der gezeigten Szene als Störung des als normal angenommen Alltagsablaufs und damit handlungsvorantreibend bzw. handlungslenkend. Um über den Zusammenhang von Wut, gesellschaftlichen Machtverhältnissen und deren Veränderung nachzudenken, bezieht sich Sara Ahmed in ihrer Studie The Cultural Politics of Emotion auf Audre Lorde, die schreibt: »My repsonse to racism is anger. I have lived with anger, ignoring it, feeding upon it, learning to use it before it laid my visions to waste, for most of my life. Once I did it in silence, afraid of the weight. My fear of anger taught me nothing… [A]nger expressed and translated into action in the service of our vision and our future is a liberating and strengthening act of clarification… Anger is loaded with information and energy.« (Lorde 1984: 124, 127, zit. in Ahmed 2014: 175) Wut wird also als Antwort auf Ungerechtigkeit und Rassismus, als Vision für die Zukunft, als Übersetzung von Schmerz, deren Aufladung mit Energie und Information (ebd.).

Abb. 31-32: Alles wird gut (D 1998, R: Angelina Maccarone)

Abb. 33-34: Alles wird gut (D 1998, R: Angelina Maccarone)

Wut bedeutet für Lorde das Benennen von Praktiken und Erfahrungen von Rassismus, aber auch die Energie, eine andere Welt imaginieren zu können. In Anschluss daran formuliert Ahmed, dass Wut für feministische und anti-rassistische Subjekte auch bedeute, sich von Wut befeuert in eine andere körperliche Welt zu bewegen. Dies korrespondiert mit Nabous Verhalten in der gezeigten Szene. Im Verlauf des Streits beginnt

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Nabou sich der Uniform, die sie trägt, zu entledigen. Nabous Ausziehen der Uniform, die als Zeichen für die Rolle der Dienstleisterin und der Unterordnung der Dienstleistenden unter die Wünsche der Kund:innen gelesen werden kann, und das Verlassen des Kiosks, des Raumes innerhalb dessen sie die Rolle der Dienstleisterin einnimmt, kann als ein Sich-Entledigens dieser dienenden Rolle gesehen werden. Silke Wenk verdeutlicht in Bezug auf ethnologische Studien, die die Bedeutung von Kleidung aufzeigen, wie diese auch zu Hierarchisierung und Unterdrückung verwendet werden kann: »Like language, cloth in its communicative aspect can be used to coerce« (Schneider/Weiner 1989: 26, zit. in: Wenk 2002: 225). Dabei würde Kleidung Dilemmata des sozialen und politischen Lebens repräsentieren, wie z.B. die Frage, wie die Vergangenheit in die Gegenwart geholt werden könne (ebd.). Darüber hinaus gehören mit Judith Butler vestimentäre Praktiken zur performativen Produktion von Identitäten. Mit dem Ausziehen der Dienstkleidung streift Nabou also auch den historischen Diskurs von Schwarzen als Sklav:innen und Dienstleister:innen, der auch filmisch mit Schwarzen mammies und Dienerinnen im Hollywood prominent ist (DelGaudio 1983: 23), ab und emanzipiert sich performativ aus der Situation. Durch das Verlassen des Kiosks verlässt sie gleichsam die Szene, die Kamera bleibt auf die Chefin und die Kundin fixiert. Damit zieht sich Nabou aus der Szene, entzieht sich der Situation und des Diskurses durch Entzug des Körpers. Sie wird als aktiv Handelnde inszeniert, die die Situation durch ihre Handlung verändert. Die beiden anderen Frauen bleiben in der Situation zurück. Mit Deleuze kann das Ziel progressiver anti-repressiver Politik bedeuten, »Kräfteverhältnisse zugunsten des körperlichen Aktiv-werdens zu verschieben« (Görlich/Peters 2017: 67). Auch wenn dies hier nicht in Form eines organisierten Protests oder einer anderen kollektiven Handlungsform zu sehen ist, kann dies trotzdem zum gezeigten Ausschnitt in Bezug gesetzt werden. Der Gegensatz von Stasis und Bewegung im Bild kann als Gegensatz von Stasis und Bewegung im Denken verstanden werden. Die Kundin und die Chefin bleiben in ihrem Weltbild fixiert, während Nabou sich hiervon distanziert bzw. Bewegung oder Irritation in dieses Denken bringt. Mit ihren letzten Worten »Küsst euch doch selber!« durchbricht Nabou nicht nur die rassistische, sondern auch heteronormative deutsche Hegemonie, auf die in der Szene Bezug genommen wird mit ihrem ironischen Hinweis auf Homoerotik. Die Kadrierung produziert die beschriebene Inszenierung von Nabous Körper als einem aus der rassistisch und heterosexistisch strukturierten Norm ausbrechenden hierbei mit: Der Kiosk mutet in seiner quadratischen Form inmitten eines U-Bahnhofes stehend und aufgrund seines begrenzten und engen Raumes an wie eine ›Box‹, aus der Nabou ausbricht, was durch die ausschweifende Handbewegung beim Abstreifen der Uniform noch verdeutlicht und durch das Weglaufen in die Weite des U-Bahnhofs hinein betont wird. Unterstrichen wird Nabous Handeln von der auftretenden Gleichzeitigkeit von Wut und komischer Überzeichnung in der Szene. Die Darstellung Nabous im überzeichneten Verkäuferinnenkostüm kann als ironischer Kommentar auf und Ausstellung von Signifikationspraktiken zur Herstellung von Ungleichheit verstanden werden. Die Absurdität des Kostüms, das als Verkleidung zu erkennen ist, als etwas, das sich nicht in das Bild des Körpers einpasst, wird so deutlich. Damit erregt es Aufmerksamkeit und lenkt den Blick auf die Absurdität kolonialrassistischer Diskurse. Diese Überzeichnung lässt

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Komik entstehen. Komik kann in diesem Zusammenhang erneut die Funktion der Ausstellung und Reflexion von Machtverhältnissen einnehmen und wird als Strategie und Möglichkeit der Normtransgression, als Subversion, als Spiel mit den akzeptierten Regeln, Normen und Praktiken einer Gesellschaft (Davies/Ilott 2018: 9) eingesetzt. Die hier dargestellte Mischung aus Komik und ernsthafter Kritik an Rassismus mit einerseits des Witzes in seiner Funktion des Unterbrechens der Narration und andererseits der Wut in der Funktion des Vorantreibens der Narration, hat eine Dissonanz zur Folge. Diese wirkt disruptiv, störend, irritierend und durch die Verschaltung von Komik und Wut wird eine antirassistische Diskursintervention produziert. Trotz der emanzipatorischen Ansätze, reproduziert der Film an dieser Stelle Erfahrungen mit Alltagsrassismus jedoch erst, um sie schließlich zu kritisieren. Die ästhetische und narrative Form des Fernsehfilms, der eine relative Detaillosigkeit und narrative Schließungen verlangt, könnte hier Teil des Grundes sein, warum diese Art der Narration gewählt wurde. Dennoch arbeitet der Film durch die Vorführung der verschiedenen Formen von Rassismus auf der Skala von absichtlicher Beleidigung und unbewusster Reproduktion von Rassismus in Sprachpraktiken an der Deautomatisierung der Wahrnehmung. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Schwarze Deutsche Lesbe Nabou hier als Katalysatorin der Auseinandersetzung mit dem rassistischen und heteronormativen deutschen Normalzustand gezeigt wird. Das Aufführen rassistischer Normalisierungen der weißen, deutschen Mehrheitsgesellschaft unterbricht sie mit affektiv aufgeladenen körperlichen Handlungen und erzeugt somit Störungsmomente. Bewegung wird hier politisch. Nabous Körper wird als widerständiger, ausbrechender Körper, der sich eines gewaltvollen Diskurses entledigt und sich den öffentlichen Raum aneignet, politisiert. Es wird vor allem sichtbar, dass ihr Dasein nicht selbstverständlich ist. Durch die Nahaufnahmen in Kombination mit dem starken emotionalen Verhalten wird para-proxemische Nähe erzeugt, um das Gefühl zu vermitteln, Nabou richtet sich an das Publikum selbst. ›Vom Rand her‹ wird sie somit als die deutsche Hegemonie befragend inszeniert und in eine alltagsrassistische Situation – über den Affekt Wut vermittelt – intervenierend dargestellt. Schwarze queere Weiblichkeit wird hier zum emanzipatorischen Motor, durch den gesellschaftliche Verhältnisse reflektiert und befragt werden. So wird also ein Gegenstandpunkt Schwarzer queerer Frauen gegenüber dem entgegengebrachten Rassismus der Dominanzgesellschaft inszeniert. Während der Erzählstrang um Nabou sich neben der Politisierung von Race im deutschen Kontext vorrangig mit ihrem Liebesschmerz um Katja und ihr Verlieben in Kim beschäftigt und sie damit als etabliert in ihrer sexuellen Orientierung inszeniert, stehen im Erzählstrang um Kim das Motiv ›Selbstfindung‹, das als Suche nach Kims ›wahren‹ sexuellen und romantischen Begehren verknüpft mit Fragen der beruflichen Orientierung inszeniert wird, im Zentrum. Die narrative Struktur ist dabei so angelegt, dass sich Kims chaotisches, ›undurchsichtiges‹ Leben, das metaphorisch durch ihre mit Kleidung behangene, mit dreckigem Geschirr vollgestellte, in dämmriges Licht getauchte Wohnung dargestellt wird, durch Nabous Eintreten in dieses als Haushaltshilfe wortwörtlich geordnet wird: Zu Beginn des Films ist Kim mehrfach als zwischen ihren in der Wohnung hängenden Klamotten verschwindend eingeblendet – nicht nur ist der Blick auf Kim selbst verstellt, auch ist ihr Leben selbst ein einziger closet. Der Weg zum Lüften des

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Schleiers führt über Nabou, die Kims Leben ›aufräumt‹ – Selbstfindung und ComingOut sind hier erneut ineinander verschränkt. Darüber hinaus wird Kims Selbstfindungsprozess auch über Arbeit am Selbst inszeniert. Über den gesamten Film hinweg wird Kim dabei gezeigt, wie sie sich immer wieder variierende Affirmationen über sich selbst aufsagt: Dabei fallen Sätze wie »Ich bin stark. Ich bin stark und kreativ«, nachdem Dieter ein Date mit Kim absagt, »Ich bin eine Katze« oder »Ich bin ein Auto«, wenn es um die Gestaltung von Katzenfutter- und Autowerbekampagnen geht, aber auch »Ich bin eine erwachsene Frau und ich weiß, was ich will«, nachdem Kim und Nabou miteinander geschlafen haben und Kim unsicher ist, ob sie mit Nabou zusammen sein möchte. Kim produziert sich dabei als autonomes und kreatives Subjekt. Die Überschneidung von Kims Arbeit in der ›Kreativitätsbranche‹, dem Modus der aktiven Hervorbringung eines selbstverantwortlichen und selbstermächtigten Selbst in Zusammenhang mit ihrem Coming-Out als Selbstverwirklichung ist dabei kein Zufall. Wie Andreas Reckwitz (2012) ausführt, ist es nicht nur zu einem Imperativ an das postmoderne Subjekt geworden, kreativ zu sein (vgl. Reckwitz 2012; 2017); auch ist das kreative Subjekt in der »Gesellschaft der Singularitäten« (Reckwitz 2017) ständig dazu angehalten, sich selbst zu verwirklichen (ebd.). In der Kreativität findet nicht nur die Selbstverwirklichung statt, über die Kreativität wird das sich über die Kreativität ›selbstverwirklichende‹ Subjekt durch die creative industries auch immer mehr eingehegt in die kapitalistische Verwertungslogik (vgl. Reckwitz 2012: 11ff.). Die Subjekte sind dabei nicht nur dazu aufgerufen, sich in allen Bereichen des Lebens, ›selbst zu erfinden‹, ›Identität‹ und ›Lebensstil‹ selbst werden zu bestimmenden Logiken der Produktion des Selbst (ebd.) in der »Kultur der ›Selbsterschaffung‹« (Reckwitz 2012: 12). Die Auseinandersetzung mit und aktive Gestaltung von sexueller Orientierung zeigt sich so zunächst als Facette der Eingliederung in die postfordistische Produktionsweise. Damit signalisiert Alles wird gut auch die potenzielle Kompliz:innenschaft von kapitalistischer Vergesellschaftung über Kreativität mit sexueller Selbstfindung. Wenngleich dieser Prozess aufgerufen wird, so wird er doch auch am Ende des Films umgeformt: Kim kündigt ihren Job – wechselt die Seiten – und ist mit Nabou zusammen. Somit zeigt sich der Prozess der (sexuellen) Selbstfindung schließlich als widersprüchlicher: Ermöglicht durch die Techniken der kreativen Arbeit am Selbst, sich in seinem Resultat jedoch gegen diese wendend. Gleichzeitig vollzieht sich in der Suche nach der Antwort auf »Was bin ich?« auch eine gewisse Fluidität in der Selbstkonzeption. Alles wird gut löst diese Suche nach Identität, postmoderne Dekonstruktion und Entessenzialisierung von Identitätskonzeptionen also nicht auf, sondern setzt das Oszillieren zwischen Beidem ein, um genau diese Spannung zwischen Identitätsfindung und -behauptung sowie Abkehr von allen Identitäten als konstitutiv für die Subjektkonstitution im Deutschland der 1990er Jahre zu postulieren. An Kims Beispiel wird dies sowohl universalisiert wie partikularisiert: Kim steht somit zugleich für ein Phänomen postmoderner Subjektkonstitution, die gesellschaftliche Suche nach Orientierung und ›sich selbst‹ in sich pluralisierenden und differenzierenden Lebenswelten nach der Vereinigung und im neoliberalen Kreativzeitalter, die den zeitgeschichtlichen Entstehungskontext des Films prägen und wird zugleich als spezifisch für ihre Positionierung als Schwarze deutsche Frau, die sich mit ihrem nicht-heterosexuellem Begehren konfrontiert sieht, inszeniert. In der komischen Überzeichnung von Kims ›Mantra-Szenen‹ ironisiert der Film zugleich den Diskurs über das Identitätsspek-

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takel postmoderner Lebenswelten und weist in Kims Konflikt, sich für oder gegen eine Beziehung mit Nabou zu entscheiden, aus Sorge vor einem Leben als »Schwarze Lesbe in Deutschland« trotzdem auf die Wirkmächtigkeit von Machtverhältnissen hin. Gleichzeitig wird Kims Geschichte nicht nur als ihre individuelle Coming-Out-Story erzählt, sondern ist verstrickt mit ihrer Familiengeschichte und den gesellschaftspolitischen rassistischen und historischen Bedingungen. Wie Nabou beim heimlichen Durchforsten von Kims privaten Dingen in Kims Pass erfährt, ist Kims Passname Erika. Durch die Einblendung von Kims deutschem Pass wird sie einerseits eindeutig als Staatsangehörige Deutschlands inszeniert, was das hegemoniale Narrativ der deutschen Nation als weiß durch den Bezug auf nationalstaatliche Symboliken auf einer weiteren, visuellen, Ebene destabilisiert, andererseits wird auch deutlich, dass sie sich ihres weißdeutsch kodierten Geburtsnamen entledigt hat und ihn gegen einen weltgewandteren Namen, noch dazu einen nicht-binär kodierten, eingetauscht hat. Damit wird neben Kims formeller Zugehörigkeit gleichzeitig eine persönliche Disidentifikation und Abkopplung von nationaler Zugehörigkeit inszeniert. In der Wahl eines nicht-binären Namens ist zugleich eine subtile Heteronormativitätskritik Kims angelegt und weist auf ihre Fluidität, was Gender oder kategoriale Identifikation betrifft, hin. Im Gespräch mit Kofi, der Kim nahegelegt hatte, sie solle mit ihm zusammen nach Ghana auswandern, erfährt das Publikum mehr über Kim: Kim: »Du hast gut Reden, deine ganze Verwandtschaft wartet auf dich. Meine war froh, als ich endlich weg war.« Kofi: »Na du doch auch« Kim: »Schwäbische Erbsenzähler« Kofi: »Und was ist mit deinem Alten? Ich denk ’ du wolltest den suchen?« Kim: »Klar, das Ami-Land is’’ ja nicht so groß« Kofi: »Warum versuchst du’s nicht mal?« Kim: »Weil ich nicht mehr zehn bin und glaube, das Leben läuft wie in Toxi« Die Figur Kim wird durch ihre persönliche Familiengeschichte in zeit- und kulturgeschichtliche spezifisch deutsche Ereignisse und Diskursformationen eingebettet. Wie Fatima El-Tayeb im Interview mit Barbara Kosta (2002) beschreibt, steht die Figur Kim für die Schwarzen deutschen Kinder, die in den 1950ern und 1960ern in Westdeutschland als sog. ›Besatzungskinder«16 auf die Welt kamen. Ihren Vater, einen amerikani-

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Anders als die Schwarzen Kinder, die aus der französischen Rheinlandbesatzung seit 1918 entstanden und im öffentlichen Diskurs erheblichen Diskriminierungen ausgesetzt waren, konnten die ›Besatzungskinder‹, die oft aus Liaisons weißer deutscher Frauen und afroamerikanischer alliierter Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland entstanden, unter dem wachsamen Augen der Alliierten weniger öffentlich diskreditiert werden, bildeten jedoch eine zerstückelte Gruppe, da sie oft bei weißen Müttern oder in Heimen fernab von einer Schwarzen Community aufwuchsen (vgl. Wright 2011: 270). Insgesamt wurde die Anwesenheit der Schwarzen deutschen Kinder in Deutschland im 20. Jahrhundert durch eine heteropatriarchale, nationalistische Logik wahrgenommen, in der die deutsche Nation im Moment der Schwäche, in dem es deutscher Männlichkeit nicht möglich war, die Körper weißer Frauen zu ›beschützen‹ und zu kontrollieren von Schwarzer Männlichkeit durch die Produktion Schwarzer Kinder angegriffen wurde (vgl. Wright 2011: 269). Schwarze Kinder waren daher auch zugleich das Beharren des Kriegs- und Besatzungstraumas in

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schen Soldaten, lernte Kim nie kennen und sie wuchs in einem süddeutschen Dorf voller Weißer auf (vgl. Kosta; El-Tayeb 2002: 35f.): »There was no place for people like her, so she basically had to reinvent herself. She moves to the city, broke off all contacts with her family, and renamed herself« (ebd.), kommentiert Drehbuchautorin El-Tayeb.

Abb. 35-36: Alles wird gut (D 1998, R: Angelina Maccarone)

Damit wird deutlich, dass Kims Neuerfindung von sich selbst verbunden ist mit gesellschaftlich-historischen Gegebenheiten und während sie sich in Bezug auf ihre sexuelle Orientierung in einem Prozess der Neuerfindung befindet, diese in Bezug auf ihre weiß-deutsche ländliche Herkunftsfamilie bereits vorgenommen hat. Durch intertextuelle Referenz auf Toxi situiert sich der Film konkret in der filmischen Diskursgeschichte zu Race und Nation im deutschen Film. Toxi, ein racial melodrama von Robert A. Stemmle aus dem Jahr 1952, beschäftigt sich mit dem Schwarzen ›Besatzungskind‹ Toxi, einer modernisierten und eingedeutschten Version der Figur Topsy aus Uncle Tom’s Cabin, welche von einer weißen Familie aufgenommen und am Ende von ihrem Schwarzen US-amerikanischen Soldaten-Vater abgeholt und mit ›nach Hause‹ in die USA genommen wird (vgl. Figge 2015: 49). Dabei kreiert Toxi ein ambivalentes Bild zwischen »Aneignung von Schwarzsein, aber auch als Spur Schwarzer Subjektivität« (ebd.). Mit der Referenz auf Toxi in Alles wird gut positioniert sich der Film als Teil des kulturellen Gedächtnisses der Logiken der hierarchischen Dynamik von Schwarzsein und Weißsein in Deutschland. Gleichzeitig weist der Film durch Kims Abwiegeln auf die Aktualisierung der Narrative seit Toxi hin: Dabei wird durch das nicht mehr mögliche Zuschreiben der Zugehörigkeit der ›Besatzungskinder‹ zu den USA die Anerkennung ihrer Zugehörigkeit zu Deutschland bzw. eines Platzes in deutsch-hegemonialer Geschichtsschreibung eingefordert. Damit re-aktiviert der Film Inhalte aus dem kulturellen Gedächtnis, die im hegemonialen Diskurs wenig Beachtung finden, schreibt nun das etablierte Motiv – Schwarze sind Fremde im deutschen Selbstverständnis – um und platziert sich so explizit im Diskurs über natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit. Der Film positioniert die Protagonistinnen jedoch nicht nur im Kontext deutscher Geschichte und bindet diese darüber in dieses Narrativ ein, er geht darüber hinaus, indem er die Geschichte – hier als Familiengeschichte, die in einem historischen Kontext

der Gegenwart, Symbol der Buße für die Verbrechen des Nationalsozialismus wie auch eine Referenz auf die Niederlage und die Schande des Nationalsozialismus.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

von Kolonialismus verortet wird – von den Protagonistinnen ›umschreiben‹ lässt. Um Nabou auf die Rolle der ›Schwester‹ vorzubereiten, die Nabou gegenüber Dieter und dessen Mutter spielen soll, erzählt Kim Nabou mehr über ihre Familiengeschichte. Dabei bemerkt Nabou, dass Kim auf Familienfotos nie mit ihrer Mutter zu sehen ist »[w]eil ihr neuer Mann kein Bock auf ein Schwarzes Gör hatte und sie anscheinend auch nicht«, wie Kim erklärt. Daraufhin schlägt Nabou vor, dass sich die beiden eine eigene, neue Familiengeschichte für sie beide als Schwestern ausdenken17 . Das rassistische Familienerbe wird umgeformt und eine Geschichte von Schwesternschaft im doppeldeutigen Sinne kann sich formen. Während Kim und Nabou sich zusammen diese neue Familiengeschichte ausdenken, sind ihre Stimmen aus dem Off zu hören und sie werden auf der Bildebene bei verschiedenen Freizeitaktivitäten gezeigt. Sie verbringen Zeit miteinander und haben Spaß zusammen, so wird Kim beispielsweise nach einem gemeinsamen Kinobesuch lachend und gelassen gezeigt, anders als nach dem gemeinsamen Kinobesuch mit Dieter, als sie sich genervt von dessen Unverständnis gegenüber feministischer und anti-rassistischer Sozialkritik gezeigt hat. Dieser narrative Wendepunkt – die beiden tragen keine Konflikte mehr aus, sondern fangen an, sich zu mögen – geht mit dem filmischen Mittel des Zeigens der beiden gemeinsam im Bild über mehrere Szenen hinweg einher, im Gegensatz zu den zuvor dominanten Parallelmontagen. Im Hintergrund spielt in all diesen Szenen, in denen die beiden Freizeit zusammen verbringen Feeling Good von Nina Simone und unterstreicht diesen Prozess der Annäherung. So werden Annäherung auf der romantischen Ebene mit dem Neuschreiben der (eigenen) Geschichte zusammengebracht. Auch wenn die beiden ironisch auf rassistische Bilder zurückgreifen, um ihre Geschichte für weiße zu konstruieren (so seien sie beispielsweise von katholischen Missionaren vor Menschenfressern aus dem Urwald gerettet worden), inszeniert die Szene auch die Möglichkeit des Umschreibens durch ein Umdefinieren der dominanten Narrative als Moment der Verbindung und der Selbstermächtigung. Als Wendepunkt für die Beziehung der beiden legen diese Szenen somit nahe, dass sich Kim erst auf Nabou, auf nicht-heteronormatives Begehren, einlassen kann, als sie sich von ihrer Familiengeschichte und damit einhergehend dem (kolonial-)rassistischen Erbe deutscher Geschichte löst; gleichzeitig ermöglicht die Anziehung zu Nabou die Disidentifikation von der deutschen rassistischen Geschichte. Dies wird durch die visuelle und körperliche Abwesenheit der Mutter und Herkunftsfamilie (im Falle sowohl Kims als auch Nabous) und das Einsetzen Nabous als Wahlfamilie in Form der angeblichen Schwester und schließlich als Liebhaberin symbolisiert.18 Queersein wird damit zum Katalysa17

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Das Neuschreiben einer eigenen Geschichte taucht bereits 1996 im bereits erwähnten US-amerikanischen queeren Film The Watermelon Woman von Cheryl Dunye auf (vgl. Kapitel 5). Hier meint Protagonistin Cheryl in Bezug auf die historischen Leerstellen in der Geschichte Schwarzer Frauen, dass es manchmal notwendig sei, die eigene Geschichte selbst zu schreiben, und begibt sich auf die Suche nach der Geschichte einer Schwarzen und wie sich herausstellt lesbischen Filmschauspielerin aus den 1930er Jahren in diversen Archiven. Überhaupt ist die einzige im Film anwesende Mutter die Dieters und unterstreicht die ›Heimatlosigkeit‹, die die Figuren im Ausschluss aus den hegemonialen Narrativen erfahren. Gleichzeitig wird Dieters Mutter als einfältig und peinlich dargestellt. Sie verwechselt ständig deutsche Fremdwörter. Dieser ironische Seitenhieb fungiert als Antwort auf eine Szene, in der Nabou darauf angesprochen wird, dass sie ja ›gut deutsch spreche‹. Das weiße Deutschland wird mit seinen rassisti-

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tor für selbst gewähltes belonging, die nicht an hegemoniale, ›vorgeschriebene‹ nationalrassistische Narrative gebunden ist und Schwarze queere Weiblichkeit trägt somit dazu bei, dominante Vorstellungen von nationaler Homogenität und Heteronormativität anzufechten. Denn wenn queere Schwarze Subjekte sich weigern, sexuellen Gender- oder rassifizierten Forderungen nachzukommen, bestreiten sie die Logik und die Dominanz dieser Regime (vgl. Gopinath 2006: 28) und können Normen subversiv unterlaufen. Damit besteht Alles wird gut auf Schwarze queere weibliche Handlungsfähigkeit und gewitzte Intelligenz, um der Undenkbarkeit dieser Subjektposition in heteronormativen, dominanten Narrativen entgegenzuwirken und die Position im Zentrum der (deutschen) Geschichte einzufordern.

Normalisierung lesbischen Begehrens und lesbischer Blick Bei der Zentralisierung der Schwarzen queeren weiblichen Figuren ist auch die Normalisierung von queerer Sexualität und dabei insbesondere Schwarzer lesbischer Sexualität und Romantik von Bedeutung. Das ist insofern eine bedeutende Leistung, als dass diese Sexualitätsformen im Film kaum zum Ausdruck gelangen. Filme des New Queer Cinema haben zwar dazu beigetragen, neue Formen weiblicher Intimität zu zeigen und lesbische Geschichten weiter in die Populärkultur zu tragen (vgl. Pick 2004: 104), blieben sie jedoch in queeren Filmen in den 1990er Jahren im Vergleich zu schwulen oder männlich-dominierten Narrativen unterrepräsentiert (ebd.). So betitelte Michelle Aaron das queere Kino der 1990er-Jahre als eine »boys‹ own story« (Aaron 2004a: 7), indem weibliche und of Color-Geschichten weniger beachtet wurden (vgl. Kapitel 5). Daher blieb das Erzählen lesbischer Geschichten bedeutend, nicht nur um Heterosexualität, sondern auch die Hegemonie des männlichen Narrativs anzugreifen (vgl. Pick 2004: 105). Besonders die Repräsentation von Lesben of Color spielt dabei eine große Rolle, da diese selbst in lesbischen Filmen gegen Null ging (vgl. El-Tayeb 2002: 41). Auch wenn sich diese ›anderen‹ Geschichten auf einem schmalen Grad zwischen der wachsenden Einbindung in den Mainstream bzw. postmoderner Assimilation einerseits und des Eintretens für eine radikale Politik andererseits bewegten, sich gleichzeitig aber immer noch am negativen Bild von Lesben als Psychokiller, Vampire, Opfer oder psychisch Kranke abarbeiteten (vgl. Pick 2004: 107), war es notwendig die Präsenz lesbischer und of ColorNarrative zu stärken. Seit Rose Troches Go Fish von 1994 breitete sich im anglophonen Raum eine Welle lesbischer Filme aus, die sich in ihren Strategien in zwei Kategorien einteilen lassen: Einerseits innerhalb der Konventionen der Hollywood-Romanze bleibend, bei der rigide Konventionen intakt bleiben (z.B. Donna Deitchs Desert Hearts von 1985); andererseits die Romanze in einer weiblichen Welt platzierend und Klischees wie butch/femme widerstrebend (z.B. Go Fish) (vgl. Pick 2004: 109). Auch wenn sich Alles wird gut nicht in eine Traditionslinie mit dem New Queer Cinema stellt, lässt sich der Film genau zwischen diesen beiden Strategien ansiedeln: Kim kommt aus der ›Hetero-Welt‹, mit deren Konventionen und Machtverhältnissen hier gespielt wird, während sich Nabou komplett mit Subkultur und Szene-Welt umgibt. Eine ›Normalisierung‹, queerer, schen Vorurteilen konfrontiert, während gleichzeitig die Mutter als Symbol für nationale Prokreation belächelt wird. So wird Wahlfamilie als der zugeschriebenen Familie auf mehreren Ebenen als vorzuziehend produziert.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

nicht-heteronormativ ausgerichteter oder lesbischen Begehrens, die ich hier als Desensationalisierung und Entstigmatisierung begreife, findet statt und lässt sich zunächst in der Allgegenwärtigkeit sowie Alltäglichkeit dieser ausmachen. So werden im Verlauf des Films sowohl die beiden Protagonistinnen als auch die Nebenfiguren Guiseppa und Katja bei Kuscheln, Sex und in romantischen Beziehungen mit Frauen gezeigt, oft ohne dies in einen handlungsvorantreibenden Kontext zu setzen. Dabei werden in Alles wird gut zwei Strategien angewandt und diese Normalisierung im Sinne einer Entstigmatisierung zu erreichen: Hohe Frequenz und Ästhetisierung (zur Ästhetisierung des lesbischen Blicks im Film siehe auch Hashemi Yekani 2018). In Bezug auf Frequenz ist es vor allem Nabous Ex-Freundin Katja, die hier immer wieder in erotischen Situationen gezeigt wird. Neben der unvermittelten Einblendung lesbischer Sexualität, wird auch eine voyeuristische Blickstruktur reproduziert, die für gewöhnlich mit dem ›männlichen‹ Blick identifiziert wird, denn Nabou beobachtet Katja heimlich. Gleichzeitig wird diese durch Nabous Subjektposition und die Tatsache, dass Nabou Katja nicht aus voyeuristischen Gründen nachstellt, sondern versucht, ihre verlorene Liebesbeziehung zu re-etablieren, irritiert, dennoch aber der voyeuristischen Schaulust ausgesetzt. Damit referenziert Alles wird gut populäre vermachtete, heteronormative Blickkonstellationen, deutet diese aber zugleich bis zu einem gewissen Grad um und ermöglicht es so, lesbische Erotik an so vielen Stellen wie möglich im Film zu platzieren. Diese Normalisierung wird darüber hinaus dadurch verstärkt, dass lesbisches Begehren als Teil des Stadtbilds genauso wie in der subkulturellen Szene inszeniert wird und nicht nur im Privaten verbleibt. Durch die immer wiederkehrende Einblendung dessen entsteht für das Publikum ein Gewöhnungseffekt, der im Gesamtbild Entsensationalisierung zur Folge hat. Damit wird lesbischem Begehren als den im Mainstreamfilm immer noch ›Anderen‹ des heterosexuellen Begehrens entgegengewirkt. Auch wenn es von einem queeren Film zu erwarten ist, dass er sich um nichtheteronormatives Begehren dreht, ist es in diesem Kontext insofern bemerkenswert, als dass Alles wird gut für den öffentlich-rechten Rundfunk mit vermeintlich überwiegend weiß-deutscher heterosexueller ZuschauerInnenschaft (vgl. Kosta und El-Tayeb 2002: 34) gedreht wurde. Darüber hinaus lässt sich mit Chris Straayer (1995) feststellen, dass die sexuelle Aktivität von Lesben im Film das Potenzial habe, einen Raum zu eröffnen, innerhalb dessen sowohl heterosexuelle als auch lesbische Frauen selbstbestimmt Lust erfahren können (vgl. Straayer 1995: 44). Hier werden also tradierte Sehgewohnheiten gestört und neue Sehgewohnheiten durch Wiederholung und Normalisierung ›eingeübt‹, um verschiedene Gruppen im Publikum zu affizieren, während sich der Angelpunkt der Geschichte um die Interaktion der in der Dominanzgesellschaft marginalisierter Subjekte mit sich selbst dreht (ebd.). Neben Katja wird dies auch in der Figur von Guiseppa fortgeschrieben, die bei ihrer Arbeit für den Anzeigenteil einer Zeitung – scheinbar nicht zum ersten Mal – mit einer Kundin flirtet. Damit wird lesbisches Flirten in Alltagssituationen als genauso ›normal‹ wie Hetero-Flirten inszeniert und gleichzeitig eine Ästhetisierung lesbischen Begehrens durch Berührungen und Blicke von Guiseppa und der Kundin vorgenommen. Wie Straayer beschreibt, besteht die Herausforderung der Inszenierung lesbischer Erotik im Film darin, die im traditionellen Kino typischerweise nicht-sexuellen Blicke zwischen Frauen zu erotisieren (vgl. Straayer 1995: 47). Während der männliche, erotisierte Blick unidirektional verlaufe, sei der lesbische erotische Blick jedoch einer des

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Austauschs, der nach einem Blick schaut, der erwidert, nicht nur empfangen wird und die Basis für zweidirektionale sexuelle Aktivität legt (vgl. Straayer 1995: 45). In der Erotisierung des Blickens zwischen Lesben im Film wird also besonders der Augenkontakt genutzt, um erotische Verbindung und Begehren zu inszenieren. Durch die Elimination des Männlichen aus dieser Blickstruktur werden somit auch heterosexuelle und patriarchale Strukturen bedroht (vgl. Straayer 1995: 52). Dieser lesbische Blick wird in der Szene zwischen Guiseppa und der Kundin deutlich, im Annäherungsprozess von Nabou und Kim jedoch ausgebaut und mit steigender Spannung aufgeladen. Bereits eine halbe Filmstunde, bevor sich Kim und Nabou zum ersten Mal küssen, werden sie in intensivem Augenkontakt gezeigt, bis zum ersten Kuss noch weitere sieben Mal, oft in Groß- oder Nahaufnahme. Die Kadrierung rahmt die beiden als Paar und baut so die sich steigernde sexuelle und romantische Spannung zwischen Kim und Nabou auf. In anderen Einstellungen, in denen sie im Schuss-/Gegenschuss gezeigt werden, sind sie in ausgedehnten Großaufnahmen zu sehen; durch Langsamkeit und Gesprächspausen, in denen es nur Blicke gibt, werden diese Blicke erotisiert und lesbisches Begehren ästhetisiert.

Abb. 37-39: Alles wird gut (D 1998, R: Angelina Maccarone)

Abb. 40-41: Alles wird gut (D 1998, R: Angelina Maccarone)

Damit wird es auch im Gegensatz zu heterosexuellem Begehren inszeniert, denn die einzige gezeigte heterosexuelle Beziehung im Film, die zwischen Kim und Dieter, wird weder mit begehrenden Blicken noch mit sexueller oder romantischer Spannung aufgeladen. Das lesbische Begehren zwischen zwei Schwarzen deutschen Frauen wird hier zum erstrebenswerten Lebensentwurf, während die heterosexuelle Beziehung mit einem weißen, deutschen cis Mann verworfen wird. Die Ästhetisierung lesbischen Begehrens findet ihren Höhepunkt in der Sexszene zwischen Kim und Nabou. Mit knapp zwei Minuten Länge, Wechsel zwischen Nah- und Großaufnahmen auf Gesichter, Mün-

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der, Körperteile sowie Tempoveränderungen zwischen Zeitlupe und schnellen Schnitten mit schnelleren Bewegungen, unterstrichen durch Wiederholungen, wird lesbischer Sex als sinnlicher Moment zweier Frauen, die sich selbst genug sind, inszeniert und romantisiert.

Abb. 42-43: Alles wird gut (D 1998, R: Angelina Maccarone)

Abb. 44-45: Alles wird gut (D 1998, R: Angelina Maccarone)

Durch das ausgedehnte und raumfordernde Zeigen von lustvollem Sex zweier Schwarzer deutscher Frauen miteinander werden normative Regime der Sichtbarkeit durchbrochen und weisen auf ihr sonst Ausgeschlossenes hingewiesen. Die Hintergrundmusik nimmt dabei eine ambivalente Rolle ein. Der ruhige A-capella-Gesang ohne instrumentale Zusätze erzeugt einen makellosen Moment der Intimität. Gleichzeitig wurde der Film für die ›afrikanisch klingende‹ Hintergrundmusik in dieser Szene kritisiert, mit der Begründung er reproduziere eine Rückstellung der beiden in eine Fremdheit, die er den Rest des Filmes über behauptet überwinden zu wollen (vgl. Kosta und El-Tayeb 2002: 39). Fatima El-Tayeb äußert sich im Interview mit Barbara Kosta dazu und führt die Intention der Regisseurin Maccarone aus, das Gegenteil zum Ziel gehabt zu haben: Dadurch ein Lied der afrobelgischen Gruppe Zap Mama gewählt zu haben, eine Band, die zum Ziel hat, zwischen essenzialistischen Konzepten von ›afrikanisch‹ und ›europäisch‹ ihre eigene Stimme zu finden, also genau das versucht, was auch Anliegen des Films darstellt (ebd.). Anstatt einer Re-Essenzialisierung soll also die Hybridität der beiden Figuren im Vergleich zu einer sich monoethnisch definierenden deutschen Dominanzgesellschaft hervorgehoben werden. So gelesen könnte durch die Musik, die sich verschiedene Kodes aneignet und vermischt, begleitet, in dieser Logik

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im Moment der Vereinigung der beiden Protagonistinnen ein ›Dritter Raum‹ eröffnen. Queere rassifizierte Subjekte würden sich hier in das Spannungsfeld zwischen Identifikation und Differenz einschreiben, ohne es aufzulösen. In der Beziehung könnten sich die Figuren aus den biografischen Zuschreibungen durch die Nation lösen, nachdem die Nation in den Biografien der Figuren sichtbar wurde. Gleichzeitig kann die Hintergrundmusik ohne Hintergrundinformationen auch als nur ›afrikanische‹ fehlgedeutet werden, wodurch Alles wird gut genau in dem Moment der Durchbrechung normativer Sichtbarkeitsregime das Risiko der Reproduktion essenzialisierender Zugehörigkeitszuschreibungen eingehen und sich hier selbst die Gelegenheit einer pointierten Provokation nehmen kann. Diese Ambivalenz selbst steht jedoch auch für die liminale Position queerer rassifizierter Subjekte, deren Sichtbarkeit binäre und homogene Kategorien brüchig werden lassen kann. Das Ende von Alles wird gut stellt genregemäß ein Happy End dar: Während sich eine Zukunft für das Paar zunächst nicht abzeichnet, führt die Wendung in letzter Minute doch noch einen für das Paar glücklichen Ausgang herbei. In dieser letzten Szene folgt Nabou Kim zu einer Büroparty auf einem Schiff im Hamburger Hafen, die sie durch spitze Bemerkungen immer wieder stört und ironisiert. Als Dieter ansetzt, Kim einen Heiratsantrag zu machen, springt Nabou »Ich kündige!« – rufend vom Schiff ins Wasser; Kim springt ihr auf Dieters Antrag »Ich kündige auch« antwortend hinterher. Sie schwimmt zu Nabou, die sich an einer Boje festhält und die beiden küssen sich. Die Kolleg:innen und Dieters Mutter werden eingeblendet und echauffieren sich (Kolleg:innen: »Die eigene Schwester!«; Mutter: »Das ist eben doch eine andere Konfektionsgemeinschaft.«); Nabou und Kim haben aber nur Augen füreinander: Kim fragt Nabou was jetzt passiere, diese antwortet mit »Hakuna Matata« – »Kein Problem« auf KiSwahili – und der Film mündet in seine letzte Einstellung. Während das Happy End, das durchaus zugleich als offenes Ende zu deuten ist, durch Entsprechung der Genre-Erwartung als normerfüllend gelesen werden kann, wird es im Kontext einer Screwball-Komödie, die sich um queere und of Color Figuren dreht, durchaus subversiv aufgeladen. Da lesbische Narrative historisch immer wieder dieselben traurigen Enden lesbischen Begehrens in Tod, Mord oder heterosexueller Ehe reproduzierten, kann (wie ich im Kapitel zu My Father Is Coming jedoch gezeigt habe, muss dies nicht der Fall sein – dort ermöglicht erst Queerness das Gelingen des Etablierens in der Medienindustrie, vgl. Kapitel 6.1.3) ein Happy End durch die In-Anspruchnahme dieser »strukturell privilegierte[n] Position« (Haschemi Yekani 2018: 119) subversiven Charakter entfalten. Wie Fatima El-Tayeb beschreibt, wollten sie und Angelina Maccarone unbedingt ein Happy End schreiben, da es in den 1990er Jahren kaum Filme über Lesben mit gutem Ausgang gab (vgl. Kosta und El-Tayeb 2002: 41). Die Boje beschreibe dabei eine lesbische Heterotopie, die gleichzeitig durch die Nicht-Ernsthaftigkeit der Verwendung der Boje spielerisch ironisiert wird (ebd.). Heterotopien sind laut Foucault: »wirksame […] Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können« (Foucault 2002: 39).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Durch Kodierung des Schiffs, der »Heterotopie schlechthin« (Foucault 2002: 46) durch Dieters Heiratsantrag als heterosexuelle ist dieses als Widerlager zu gesellschaftlichen Normen wirkungslos geworden. Somit wird die Boje zum ›Rettungsanker‹ und ermöglicht Widerstand in der Ablehnung der heterosexuellen Institution der Ehe, auch wenn der Ort und Rahmen ungleich unsicherer ist als der des Schiffs. Das Umgebensein von Wasser symbolisiert kulturgeschichtlich jedoch gleichzeitig Weiblichkeit (vgl. Theweleit 2019 [1977]: 240) und verdeutlicht damit die ultimative Elimination des Männlichen aus der Beziehung zwischen Kim und Nabou. Der Sprung ins Wasser bedeutet auch, sich auf unsicheren Boden zu begeben und legt eine noch nicht signifizierte Weiterentwicklung der Nation nahe. Kims »Hakuna Matata« kann als ambivalentes Moment, ähnlich der Hintergrundmusik in der Sexszene gelesen werden: Einerseits findet durch das Herausgreifens eines Satzes aus einer afrikanischen Sprache, zu der beide keinen biographischen Bezug haben, eine Homogenisierung ›Afrikas‹ und damit Schwarzer deutscher Menschen statt und reproduziert somit eine Essenzialisierung und Rückstellung in Fremdheit, die in der Motivation der Filmemacherinnen vermieden werden soll; andererseits aktualisiert die Referenz auf den KiSwahili-Ausspruch für »Kein Problem« bzw. »Alles wird gut« die komplexe Frage nach der Identifikation mit einem DiasporaNarrativ in den Figuren Nabou und Kim und eignet sich das durch den kulturindustriellen Walt-Disney-Hit Der König der Löwen populär gewordene Diktum wieder an. Durch diese Umbesetzung und die Feststellung früher im Film, ›dass sie beide KiSwahili sprechen‹ besetzen die queeren Schwarzen Subjekte den durch die Walt-DisneyCorporation ›geklauten‹ Ausspruch wieder neu, was als widerständiger Akt gegen Praktiken globaler kulturimperialistischer Vereinnahmungen gewertet werden kann. Die Tatsache, dass der Film zuerst Hakuna Matata heißen sollte, dann aber davon abgesehen wurde, weil rechtliche Schritte der Walt-Disney-Corporation gegen die Filmemacherinnen gefürchtet wurden (vgl. Mennel 2002: 59), verdeutlicht diese Machtverhältnisse auch in den Produktionsverhältnissen. Durch die Verbindung des Insistierens sowohl auf das afrikanische Erbe sowie des genauso realen Deutschseins der Protagonistinnen scheint durch die Wiederaneignung des Ausspruchs wieder ein ›Dritter Raum‹ auf, durch den die Gleichzeitigkeit von Beidem ermöglicht wird; gleichzeitig wird dies dadurch ironisiert, dass beide Figuren die Sprache offensichtlich nicht sprechen. Die Verschaltung mit Queerness trägt außerdem dazu bei, die Überwindung von Normativitäten zu betonen – Zugehörigkeit wird pluriversal und verweist mit Arturo Escobar auf eine Welt, die sich aus vielen Welten mit ihren je eigenen Ontologien und Epistemologien konstituiert (vgl. Escobar 2020). Durch die Durchbrechung der hegemonialen Exklusivität des happily ever after wird dieses nur für nicht-weiße und nicht-heterosexuelle Figuren und Geschichten denkbar und trägt dazu bei, Diskursgrenzen in Richtung eines Eintretens für die Diversifizierung von Lebensentwürfen zu verschieben. Im Abwenden vom heterosexuellen Happy End oder dem nicht-heterosexuellen tragischen Ende wagt Alles wird gut über die Figuren Kim und Nabou symbolisch ›den Sprung ins kalte Wasser‹ mit der Aussicht und Hoffnung darauf, dass trotzdem ›alles gut wird‹. Dabei trägt der Film jedoch auch dazu bei, Queerness mainstreamfähig zu machen und aufkommende homonormative Fortschritts- und ›It gets better‹-Narrative (vgl. Rich 2013: 262ff.) mitzuschreiben, diese aber auch bewusst zu ironisieren, nicht zu letzt durch die Wahl des Genres der Komödie.

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Die Produktion des Films für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk trägt hiermit zu einem deutschen Fernsehdiskurs, innerhalb dessen nationale Zugehörigkeitsnarrative verhandelt werden, bei. Durch die Entstigmatisierung lesbsichen Begehrens in Alles wird gut wird auf der Selbstverständlichkeit der Existenz Schwarzer deutscher Lesben bestanden. Gleichzeitig geht der Film bisweilen darüber hinaus, die Nation als ›diversere‹ neu zu behaupten, indem die Protagonistinnen dominanzgesellschaftliche Narrative durch komische Elemente ironisieren und ihre Ablehnung dem rassistischen deutschen ›Normalzustand‹ gegenüber zum Ausdruck bringen. Wie bereits an einzelnen Szenen mehrfach expliziert, werden Elemente von Komik in Alles wird gut durchweg eingesetzt, um Normen sichtbar zu machen und durch das Belachen dieser subversiv zu wirken. Wie Leila Mukhida ausführt, wirkt Humor in Alles wird gut subversiv, da er von Zusehenden eine gewisse Kompetenz bzgl. des Erkennens sozialer Skripte, die das Verhalten der Figuren beeinflussen, erfordere (vgl. Mukhida 2012: 490). Die emotionale Verbindung zu Schwarzen Protagonist:innen durch das Lachen über weiße hat die Distanzierung von diesen weißen Figuren und die Identifikation mit den Schwarzen Protagonistinnen zur Folge, wodurch es ermöglicht wird, gesellschaftliche Normen zu erkennen und einen kritischen Blick – den Blick der Protagonistinnen – auf diese einzunehmen (vgl. Mukhida 2012: 493). Dabei werden in Alles wird gut drei Arten von Humor genutzt: Überzeichnung in der Darstellung von Handlungen der Figuren als allgemeines Genreelement, gegenseitiges Necken und Ironisieren der nicht-weißen Figuren untereinander und das Sich-Lustigmachen über weiße Figuren. Die effektive Verwendung von Humor als Vehikel der Subversion steht jedoch in einem Spannungsfeld mit den Entwicklungen des Unterhaltungsfilms in den 1990er Jahren in Deutschland. Wie Sabine Hake (2004) erläutert, hat die »Renaissance des Unterhaltungskinos« (Hake 2004: 304) nach der Wiedervereinigung ihren Grund in der »stabilisierende[n] Funktion der klassischen Erzählung« (Hake 2004: 305), auf die Filmemacher:innen ähnlich wie in der Nachkriegszeit nun zurückgriffen (vgl. auch Kapitel 5). In der Neubestimmung, was Deutschsein nun bedeute, wurde versucht normalisierende, unproblematischere Entwürfe von Deutschsein mit verheißungsvollen Narrativen von Hybridität in Einklang zu bringen (ebd.; Kaes 1998: 566f.), wobei die »Krise der Heterosexualität als Hauptthema […] fungierte« (Hake 2004: 305). Diese Krise wird in Alles wird gut mit einer Schwarzen deutschen, lesbischen Liebesgeschichte beantwortet. Dadurch wird hier zwar eine ›andere‹ Geschichte als in konventionelleren Vertreter:innen des national harmonisierenden Unterhaltungsfilms der 1990er erzählt, trotzdem schreibt der Film am Mainstream-Narrativ der Suche nach dem ›Deutschland nach der Wiedervereinigung‹ mit. Mit seinem realistischen Stil, der Wahl dieser populären Form und des Mitarbeitens an der Neuimagination Deutschlands in den 1990ern hinterfragt er hegemoniale Narrative von Homogenität und lässt sich nicht auf das Zeichnen eines unkomplizierten Bildes Deutschlands, das der Selbstvergewisserung dient, ein, bleibt in seiner politischen Aussage jedoch größtenteils vage und scheint radikale gesellschaftstransformatorische und dezidiert anti-nationale Ansätze als ›Jugendfantasien‹ zu verwerfen (zumindest könnte Kofis ironischer Kommentar auf Kims Mitgliedschaft in der ›AG Revolution‹ so zu verstehen sein). Auch wenn Alles wird gut auf der Ebene des Filmtexts selbst durchaus in Teilen als eine Absage an das hegemoniale Nationskonzept gelesen werden kann, wirkt der Film durch die Einbindung in den Diskurskomplex »Deutsches Unterhaltungs-

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kino in der Nachwendezeit« und deutsches öffentlich-rechtliches Fernsehen bzw. der damit zusammenhängenden Genrelogiken eher systemimmanent, denn radikal. Als einziger deutscher Film seit der Wiedervereinigung, der eine Geschichte aus der Perspektive Schwarzer queerer Weiblichkeit und darin eingewoben verdrängte Elemente deutscher Geschichte im TV als Verkörperung des deutschen medialen Mainstreams in den 1990er Jahren erzählt, kreiert Alles wird gut jedoch eine kritische Sichtbarkeit, die die Idee von Deutschsein als Weißsein und Heterosexuell-Sein hinterfragt und verkompliziert.

Politisieren des Raums und der Bewegung Wie ich bereits an anderer Stelle in diesem Kapitel beschrieben habe, wird Bewegung und damit Raum in Alles wird gut politisiert, indem sich widerständige Körper öffentlichen Raum aneignen und damit gesellschaftliche Ein- uns Ausschlussmechanismen herausfordern. Dies lässt sich nicht nur an einer isolierten Sequenz beobachten, sondern zieht sich als visuelles Muster durch den ganzen Film. Dabei werden viele Schnitte und kurze Szenen als Charakteristika der Screwball-Comedy eingesetzt und erzeugen Bewegung und Dynamik. Wie El-Tayeb im Interview über den Film erwähnt, hatten Maccarone und sie beim Schreiben des Drehbuchs zunächst geplant, ein Road Movie zu drehen, da es sich gut eigne, die Entwicklung der Beziehung zweier Menschen, die zunächst nichts gemeinsam zu haben scheinen, darzustellen, diese Idee jedoch verworfen, da zur selben Zeit Thelma and Louise in die Kinos kam und sie nicht den Anschein erwecken wollten, sie hätten von diesem Film kopiert (vgl. Kosta und El-Tayeb 2002: 32). Aufgrund seiner spezifischen Thematik, in der der Prozess, die Reise, die Bewegung im Mittelpunkt steht, funktioniert das Genre Road Movie besonders für die Darstellung von Identitätsbildungen und -brüchen (vgl. Lehmann 2011: 181) und bietet damit eine besondere Möglichkeit, Wandlungsprozesse darzustellen. Dabei geht es weniger um »Angaben von Herkunft und Ziel […], sondern [um] die Art und Weise, in welcher sich der Wandel, in welcher sich die Bewegung vollzieht« (Lehmann 2011: 178). Die ursprüngliche Idee, Alles wird gut als Road Movie zu konzipieren, spiegelt sich an der vielen Bewegung im Film, die auch hier als Folie für Wandlung und Raumaneignung gesehen werden kann.

Abb. 46-47: Alles wird gut (D 1998, R: Angelina Maccarone)

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Abb. 48-49: Alles wird gut (D 1998, R: Angelina Maccarone)

Bewegung, die im Film politisierend wirkt und die selbstverständliche Anwesenheit nicht-weißer Subjekte im Stadtbild veranschaulicht (vgl. Mennel 2002: 58), tritt im Film in verschiedenen Formen auf, wie Rennen, Fahrradfahren, Autofahren, Spazieren, Schwimmen. Dem Fahrrad als Nabous bevorzugtem Fortbewegungsmittel kommt dabei besondere Bedeutung zu. Nabou fährt nicht nur mit dem Fahrrad, sondern bringt es mit in die Wohnung, wäscht es oder versucht sich in verschiedenen ›Stunts‹ bei der alltäglichen Fortbewegung mit dem Fahrrad. Fahrradfahren als Mobilitätspraktik war seit ihrem Beginn an eine höchst politische und in ihren Anfängen ausschließlich Männern gestattet. Als Mobilität ermöglichende Praktik wurde Fahrradfahren zu einer feministischen; Frauenrechtlerin Susan B. Anthony behauptete 1896 in Bezug auf das Fahrrad sogar, dass es mehr für die Emanzipation der Frau als irgendetwas anderes in der Welt getan habe und es Frauen ein Gefühl von Freiheit und Selbstvertrauen gebe (vgl. Posch 2017). Auch wenn Frauen nun schon lange Fahrrad fahren, avanciert die fahrradfahrende Frau im Film dennoch noch bisweilen zu einem Zeichen der Selbstbestimmung und Raumaneignung, auch in filmischen Inszenierungen wie beispielsweise in dem DDR-Film Das Fahrrad (1981) von Evelyn Schmidt. (vgl. Dietze 2019b: 32). Zusätzlich wurde Fahrradfahren vielfach als weiße Praktik beschrieben, wodurch die Inszenierung eines Schwarzen weiblichen Körpers – zudem noch mit Zeichen der Coolness und Queerness (Sonnenbrille und ›Combat Boots‹) sowie einem schnellen Rad und Fahrstil ausgestattet – politisierend wirken kann und dazu beiträgt Nabou als unabhängig und selbstbestimmt zu inszenieren. Durch die Einbindung des Fahrrads in Alltagspraktiken, die über rein funktionalistische Aspekte der Fortbewegung hinausgehen, wird einerseits Nabous Individualität akzentuiert und trägt damit dazu bei, Schwarze deutsche als Angehörige einer diversen Gruppe zu zeichnen und andererseits Nabous Eigensinnigkeit inszeniert. Die damit einhergehende Unbekümmertheit lässt sich durchaus mit ihrer Klassenherkunft in Verbindung bringen, da sie, obwohl sie als Kims Haushaltshilfe arbeitet, als Figur aus einem Mittelklassehaushalt angelegt ist, während Kim im Gegensatz aus dörflichen Verhältnissen stammt und sich ihren Status hart erarbeiten musste (vgl. Kosta und El-Tayeb 2002: 35ff.). Die Inszenierung von Nabous größerer Bewegungsfreiheit im Vergleich zu Kim symbolisiert ihren ›Vorsprung‹ und ihre ›größere Freiheit‹ in Bezug auf Klasse, aber auch was das Ausleben ihrer sexuellen Orientierung angeht und unterstreicht damit das Narrativ, dass sie Kim dazu verhilft, sich von heterosexuellen Normen zu lösen. Fahrradfahren als Aneignungspraxis verweist auf den Stadtraum, in dem dies stattfindet: Durch den Film

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hinweg bewegen sich die Figuren durch den Hamburger Stadtraum und eigenen sich diesen als ihren eigenen an. Wie Barbara Mennel in Bezug auf Werner Schiffauer betont, neigten Minorisierte in Städten öfter dazu, sich mit der Stadt als der Nation zu identifizieren (vgl. Schiffauer 2000: 15, zit. in Mennel 2002: 58), wodurch die Stadt als stellvertretend für und alternativ zur Nation zugleich werde (ebd.). Damit plädiert Alles wird gut mit der Aneignung des Stadtraums durch das selbstverständliche Sich-Bewegens innerhalb dessen für ein Bild der Nation, das minorisierte Subjekte als integralen Bestandteil dieser anerkennt und das Einforderns gleichberechtigten Existierens innerhalb dieser symbolisiert. Die Einblendung sowohl als ›deutsch‹ konnotierter Praktiken wie Tagesschau-Schauen, Ravioli-Essen oder Lottospielen mit der Zusammenführung von Symbolen von ›global‹ konnotierten Praktiken wie Sushi-Essen, Tortillas-nach-aztekischem-Rezept-Backen oder Tai-Chi-Praktizieren, inszeniert den Stadtraum als hybriden Raum, jedoch eher in einem unkritischen Verständnis als »konsumierbarer Warenfetisch« (Nghi Ha 2005: 13), der die Schaulust mit ›pleasures of hybridity‹ (Göktürk 2000) befriedigt, ohne dadurch eine Ordnung in Frage zu stellen. An Inszenierungen aus einem Road Movie bzw. einer Verfolgungsjagd erinnern besonders die Szenen am Ende des Films, in der in Parallelmontage drei Autos auf dem Weg zur Büroparty auf einem Schiff im Hafen unterwegs sind: Dieter mit Nabou, die ›die Hochzeit verhindern will‹, Kim, die sich mit Affirmationen Mut zuspricht sowie Guiseppa mit Kofi (und Katja, die sich, wie sich herausstellt, in Guiseppas Cabriolet versteckt hatte und Nabou wieder für dich gewinnen möchte), die ebenfalls die ›Hochzeit‹ verhindern wollen. Die Parallelmontagen und schnellen Schnitte beschleunigen die dynamische Entwicklung. Der Raum des Hafens ist bei diesem Höhepunkt nicht zufällig gewählt. Durch den Film hinweg werden Kofi und Kim mehrfach dabei gezeigt, wie sie vor dem Bild des Hafens gemeinsam Tai Chi praktizieren. Die zentrale Stellung des Hafens als Ort, an dem Bewegung stattfindet, an dem sich Aufeinandertreffen vollzieht und Machtverhältnisse offengelegt werden, inszeniert den Hafen als Kontaktzone. Wie Marie Louise Pratt beschreibt, ist die Kontaktzone »the space of colonial encounters, the space in which peoples geographically and historically separated come into contact with each other and establish ongoing relations, usually involving conditions of coercion, radical inequality, and intractable conflict. […] ›Contact zone‹ in my discussion is often synonymous with ›colonial frontier‹« (Pratt 1992: 6). Der Hafen ist aber auch ein Ort der Offenheit und Unbestimmtheit, eine Kontaktzone mit dem Anderen, ein liminaler Ort. In diese ›koloniale Grenze‹ schreiben sich die Schwarzen deutschen und zugleich postkolonialen Subjekte ein, nehmen sich ihren Raum mit Selbstfürsorge und der Verfolgung des eigenen Liebesglücks. Diese als privat kodierten Praktiken werden in der Kontaktzone Hafen politisiert und tragen dazu bei, Narrativen hegemonialer Geschichtsschreibung queere Geschichten Rassifizierter entgegenzusetzen. Nabous und Kims Sprung ins Wasser betont den Schwellenzustand, in den sie sich hier begeben: Kim löst sich von der heteropatriarchalen Norm, die sie bisher bei Dieter und seiner Werbeagentur gehalten hatte und begibt sich in eine ungewisse Zukunft. Durch den Vollzug dieses Ablösens im liminalen Raum Wasser werden Assoziationen zur christlichen Taufe, die das Eintreten in die christliche Ge-

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meinschaft bedeutet, aufgerufen und ironisiert: Kim tritt durch ihren Sprung offiziell in die queere Community ein. Damit wird dem in Deutschland hegemonialen christlichen Säkularismus ein queerer Seitenhieb verpasst und die Pluralität von Lebensentwürfen gefeiert.

Zusammenfassung Alles wird gut reflektiert die rassistische und heteronormative deutschen Hegemonie und arbeitet durch den dargestellten queeren Antirassismus dem Diskursfeld der Antidiskriminerung zu. Mit Ironie wird die selbstverständliche, diskriminierungsfreie Existenz queerer Schwarzer Subjekte in Deutschland eingefordert. Dabei werden die Schwarzen deutschen lesbischen Figuren mit Symbolen von Individualität und Hybridität ausgestattet, zuweilen aber auch Essenzialisierungen (wenn auch ungewollt?) re_produziert, die kritischen Momenten die Schärfe nehmen können. Dennoch interveniert Alles wird gut in ein Bild der hegemonial als weiß und heterosexuell imaginierten Nation. Durch das populäre Genre der Komödie und die Ausstrahlung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kann von der Anschlussfähigkeit an den Mainstream ausgegangen werden, was zugleich auf die Ambivalenz bezüglich Zugehörigkeitsnarrativen verweist: Zwar wird in Aussicht gestellt, dass die Zukunft in Deutschland auch Schwarz, lesbisch und selbstbestimmt sein kann (soll), bleibt in Bezug auf das Potenzial der Dekonstruktion zugehörigkeitsrelevanter Kategorien von Nation, Gender, Sexualität oder Race jedoch beschränkt und in großen Teilen binär. Normalisierung und öffentliches Coming-out schreiben sich hier zwar in westliche Fortschrittsnarrative ein, tragen durch Entsensationalisierung jedoch zu Entstigmatisierung und zur Durchbrechung etablierter Blickregime und Sehgewohnheiten bei.

5.2.3 Lola und Bilidikid: Queeres türkisch-deutsches Kino Im deutschen Diskurs über ›Migration‹ und ›Integration‹ werden dominanzgesellschaftlich sowohl diejenigen als Migrant:innen hergestellt, die selbst und vor kurzer Zeit migriert sind, als auch diejenigen, die bereits vor Generationen migriert sind oder einer Familie angehören, die vor Generationen migriert ist, selbst jedoch keine direkte ›Migrationserfahrung‹ gemacht haben. Besonders die Gruppe der türkischen Migratisierten, die oft als Gastarbeiter:innen in den 1960er bis 1970er Jahren nach Deutschland rekrutiert wurden und ihre Nachfahr:innen stehen in öffentlichen Debatten19 des Deutschlands der 1990er Jahre oft im Fokus, da sie die größte Gruppe Migratisierter im Deutschland der 1990er Jahre darstellen (vgl. Chapin 1996: 275). Mit den Aspirationen der Türkei Teil der EU zu werden, haben türkische Migrant:innen nach der Vereinigung einen ambivalenten Status als »possible citizens« (Halle 2008: 142, Herv.i.O.) inne. Gleichzeitig werden sie im dominanzgesellschaftlichen Diskurs als ›andere Seite‹ eines kulturalisierten Konflikts gesehen, der stark von der historischen Orientalisierung des Osmanischen Reichs im deutschen und europäischen kollektiven Imaginären geprägt ist, die Kontinuitäten bis

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Debatten, die aus heutiger Sicht als Auseinandersetzungen um den ›postmigrantischen‹ Charakter Deutschlands zu bezeichnen wären (vgl. Kapitel 1; 2.1).

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in die Gegenwart aufweist (vgl. Frackman 2015: 102f.). Damit stellt ihre Anwesenheit Einheitsnarrative, die immer auch ›Weißseins-Narrative‹ der (deutschen) Nation darstellen, potenziell in Frage. Das Erscheinungsjahr des Films 1999 war geprägt durch den Diskurs über den ›Doppelpass‹ bzw. die ›doppelte Staatsbürger:innenschaft‹ im Zuge der Diskussionen um die Reformierung des Staatsangehörigkeitsrecht 2000 (siehe Kapitel 2.1), die in Deutschland aufgewachsene Kinder türkischer Migrant:innen im Mediendiskurs als paradigmatische Beispiele für potenziell ›Doppelpassberechtigte‹ besonders betrafen. In den Auseinandersetzungen hierum zeigen sich, dass die Position türkischer Migrant:innen und deren Nachfahren in Deutschland eine instabile bleibt (vgl. Frackman 2015: 103). Ihre umkämpfte Stellung als ›interne Andere‹ im Diskurs über natio-ethnokulturelle Zugehörigkeit ist damit politisch höchst aufgeladen. Berlin nimmt dabei eine besondere Rolle ein, da hier besonders viele Türk:innen, türksich-deutsche Menschen oder Menschen mit türkischer Familiengeschichte leben (vgl. Kleff/Seidel 2009: 43f.). Im deutschen Kino wurde Immigration nach Deutschland (oft nicht nur in Bezug auf türkische Migrant:innen) vielfach Gegenstand filmischer Auseinandersetzung. In der Filmgeschichtsschreibung hat sich ein Narrativ durchgesetzt, das einen gewissen Wandel der Filme in Zusammenhang mit Migration ausmacht. Mit Filmen wie Katzelmacher (1969) oder Angst essen Seele auf (1973) von Rainer Werner Fassbinder, Helma SanderBrahms Shirins Hochzeit (1976) oder Hark Bohms Yasemin (1988) wurden Migration, Zugehörigkeit und Zusammenleben in Deutschland aus weiß-deutscher Mehrheitsperspektive betrachtet, weshalb Georg Seeßlen dieses als »Kino der Fremdheit« (Seeßlen 2002: 23) bezeichnet. Demgegenüber sieht Seeßlen das »Kino der Métissage«20 (Seeßlen 2002: 25), also ›Vermischung‹, indem Migratisierte ihre eigenen Geschichten erzählen, wie besispielsweise in Fatih Akins Gegen die Wand (2004). Ömer Alkın (2017) kritisiert diese Idee der ›Wandlung‹ im deutschen Kino jedoch und sieht in ihr ein dichotomisierendes, westlich-eurozentristisches Fortschrittsnarrativ reproduziert, das komplexe Dynamiken sowie minoritäre Produktionen vernachlässigt und so nicht haltbar ist (vgl. Alkın 2017: 5ff.). Ein gewisser Wandel lässt sich jedoch im Entstehen des queeren, ›migrantischen‹ bzw. migratisierten Kinos feststellen, das die Nation – im Sinne von Gopinaths queer diasporas – nicht nur als einheitlich weiß-deutsche in Frage stellt, sondern auch als heterosexuell strukturierte. Lola und Bilidikid (1999) gilt als einer der ersten türkisch-deutschen Filme, die nicht-heterosexuelle Subjekte und nicht-heterosexuelles Begehren in den Mittelpunkt stellen (Naiboglu 2018: 175). Filmemacher Kutluğ Ataman, der in Kalifornien studiert hat (vgl. Göktürk 2007: 340), hat bereits vor Lola und Bilidikid einige Filmerfolge zu verzeichnen. Sein Kurzfilm Fuga (1988) wurde auf mehreren internationalen Filmfestivals präsentiert und sein erster Spielfilm Karanlik Sular (›The Serpent’s Tale‹) (1995), hat Preise auf mehreren Filmfestivals gewonnen (vgl. Hamm-Ehsani 2008: 366f.). Lola und Bilidikid hat Auszeichnungen auf Filmfestivals in

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Mit Deniz Göktürk (2000) in Bezug auf Sarita Malik (1996) kann diese Phasenunterteilung auch als einer Entwicklung vom »cinema of duty« zu den »pleasures of hybridity« (Göktürk 2000 unter Bezug auf Malik 1996) gesehen werden (vgl. Kapitel 6.2.2). Sabine Hake und Barbara Mennel fügen diesen Phasen noch eine dritte hinzu, die etwa mit dem neuen Millennium einsetzt mit kosmopolitischer Ausrichtung, im dominanten Modus des Genre-Kinos, aber auch ästhetisch experimentellen Arbeiten (vgl. Hake/Mennel 2012: 5).

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Turin, Oslo und Istanbul gewonnen sowie den Preis für den Besten Film beim The New Festival in New York und den Jury-Preis bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin (vgl. Internet Movie Database o.J.c). In der Reihe ›türkisch-deutscher Film mit queeren Themen‹ folgen nach Lola und Bilidikid Filme wie Auslandstournee (1999) von Ayşe Polat (der zugleich dem kurdischen Kino zuzuordnen wäre) oder Auf der anderen Seite (2007) von Fatih Akin.21

Lola und Bilidikid – Subversion oder Reaffirmation? Lola und Bilidikid zeichnet ein fiktionales Bild der Freuden und Leiden eines jungen, türkisch-deutschen Schwulen sowie eines Freund:innenkreises in der queeren, migratisierten Szene in Berlin und verbindet dabei verschiedene Genreelemente miteinander. Unter prekären Arbeits- und Lebensbedingungen meistern Lola (Gandi Mukli) und ihr Freund:innenkreis sowie ihr Freund Bili (Erdal Yildiz) mit Travestie-Kunst und Sexarbeit ihren Alltag. Lola ist mit Bili zusammen, der sie überreden will, sich einer geschlechtsverändernden22 Operation zu unterziehen und mit ihm zusammen eine Strandbar in der Türkei zu eröffnen. Im Verlauf des Films wird Lola ermordet. Gleichzeitig erkundet der 17-jährige Murat (Baki Davrak), der in zweiter Generation in einer türkischen Kreuzberger Gastarbeiter:innenfamilie aufwächst und sich im Filmverlauf als Lolas Bruder herausstellt, sein erwachendes nicht-heterosexuelles Begehren. Ein weiterer Erzählstrang entspannt sich um die entstehende Liebesgeschichte zwischen Iskender (Murat Yilmaz), einem migratisierten Sexarbeiter aus Lolas und Bilis Umfeld, und Friedrich (Michael Gerber), einem ostdeutschen Aristokraten, die um Anerkennung ihrer Beziehung durch Friedrichs Mutter Ute (Inge Keller) kämpfen. Dabei verknüpfen die ineinanderlaufenden Erzählstränge Melodramatik, Komödie und Elemente des Action- und Westernkinos und spannen ein Feld mit einer Bandbreite von Perspektiven auf die Aushandlung natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit in Verbindung mit Queerness auf. Die ersten Minuten des Films zeigen die Brüder Murat und Lola, die bislang nichts von der Existenz des jeweils anderen wissen, unabhängig voneinander in Parallelmontagen bei ihren nächtlichen Unternehmungen in Berliner Schwulenkontexten. Sowohl auf visueller wie auf auditiver Ebene wird hier ein Kontrast zwischen out und closeted sein

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Diese werden im Gegensatz zu Lola überwiegend als türkisch-deutsche, denn als queere Filme gelesen, operieren jedoch mit queeren Figuren bzw. beinhalten einen Erzählstrang mit einer queeren Geschichte. Stärker noch als in Lola wird in diesen Filmen das Verhältnis von Deutschland und der Türkei ausgelotet, indem beide Filme sowohl in Deutschland und der Türkei spielen und mit der Mobilität der Protagonist:innen zwischen diesen Schauplätzen spielen. Diese Filme inszenieren die Idee der »Deutschkei« als transnationales Netzwerk zwischen Deutschland und der Türkei, das diese mehr noch als Lola miteinander verbindet und hybridisiert (vgl. Argun 2003: 226). Wenn es sich um einen selbst gewählten Eingriff handelt, ist der Begriff der ›geschlechtsangleichenden OP‹ vorzuziehen. Hier wird jedoch in Ermangelung eines eindeutigeren Begriffs der Begriff der ›geschlechtsverändernden Operation‹ verwendet, um die dominanzgesellschaftlich verwandten diskriminierenden Bezeichnung nicht zu reproduzieren, aber gleichzeitig das Gewaltverhältnis darzustellen, dem sich Lola ausgesetzt sieht: Lola identifiziert sich weder als weiblich noch wünscht sie eine Veränderung ihrer Genitalien und Gespräche hierüber basieren lediglich auf Bilis Wunschvorstellungen und Drohungen.

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eingeführt: Während Murat sich begleitet von unheilvoller Musik unsicher und auf der Hut in dunklen cruising areas23 in einem Park herumschleicht und schließlich wegläuft, tritt Lola in einem hell und bunt erleuchteten Club als Travestiekünstlerin, begleitet von türkischer Musik mit treibenden Klängen, auf. Closeted sein bedeutet Heimlichkeit, Unsicherheit und Einsamkeit, out sein bedeutet Community, Freiheit und Glamour. Dennoch werden beide als von patriarchalen Männlichkeiten eingeschränkt bzw. unter ihnen leidend gezeigt: Murats Bruder Osman weist ihn zurecht, als er ihn in der Nähe des Parks aufliest und Lolas Freund Bili sorgt durch das Verprügeln eines Freiers dafür, dass Lola, Bili und die ganze Gruppe an Freud:innen aus dem Club geworfen werden. Diese Eingangsszenen bereiten die Bühne für das sich um die Brüder entspannende Drama des Kampfes um Anerkennung Lolas und Murats in ihren Communities und der Gesamtgesellschaft. Nicht-normative Männlichkeit und nicht-heterosexuelles Begehren sowie die Verweigerung des Einfügens in binäre Gender-Kodes migratisierter Subjekte werden darin zu Herausforderern der Zentralität patriarchaler Männlichkeit in der Bestimmung nationaler und familiärer Zugehörigkeit. Damit adressiert Lola und Bilidikid komplexe Dynamiken von Zugehörigkeiten im Spannungsfeld von Gender, Begehren und Ethnizität im nationalen Kontext Deutschlands der 1990er Jahre und dekonstruiert nicht nur essenzialistische Kategorien, sondern legt auch eine westliche Art und Weise von Emanzipation als Ausweg aus gesellschaftlichen Zwangsverhältnissen nahe. Als Beispiel für das Zusammenspiel von vergeschlechtlichtem Begehren und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit in deutschem Kino, werden in Lola und Bilidikid vielfältige ›Grenzüberschreitungen‹ thematisiert: So werden Gender- und Begehrensgrenzen sowie Grenzen, die sich aus dem Zusammenspiel rigider Vorstellungen von Ethnizität und Nation ergeben, überschritten und vornehmlich über die Inszenierung der Figuren Lola und Murat im Film reflektiert. Damit subvertiert und problematisiert der Film essenzialistische und vermachtete Vorstellungen abschließender Kategorisierungen und fordert mit dieser Hybridisierung, die sich auch in der Vermischung der Genreelemente zeigt, ein normatives – cis männliches, heterosexuelles, weißes – nationales Narrativ heraus. Bei der eingehenderen Betrachtung der audiovisuellen Konfigurationen der Bedeutungsproduktion in Lola und Bilidikid werde ich nachvollziehen, wie der Film ein Gegenlesen normativer Konzeptionen des cis männlichen nationalen, an der heteronormativen Kernfamilie ausgerichteten Narrativs durch nicht-normative Männlichkeiten und Begehrenskonstellationen vornimmt, dabei gleichzeitig ein Fortschrittsnarrativ, das ein westlich-normatives Konzept von Out-Sein als wünschenswert nahelegt und ausloten, welche Rolle stereotype Darstellungen protestierender Männlichkeit dabei spielen. Aufgrund seines Erfolgs und seiner Komplexität hat Lola und Bilidikid viel Aufmerksamkeit von Seiten der Wissenschaft bekommen, sowohl von Seiten der Gender Studies als auch von Seiten der Männlichkeits- und Migrationsforschung. In Bezug auf meine Fragestellung wurde Lola und Bilidikid vor allem hinsichtlich der Konstruktion und Dekonstruktion ethno-nationaler Stereotype und Tropen der Darstellung des Nicht-Heterosexuellen kontrovers diskutiert. So sieht beispielsweise Barıs Kılı23

Cruising kann als »Suche nach anonymen sexuellen Abenteuern im öffentlichen Raum« (Mooshammer 2001: 8) beschrieben werden und hat kulturgeschichtlich eine lange Tradition in schwulen Subkulturen.

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çbay viele Figuren in Lola und Bilidikid als bloße Karikaturen und erkennt im Film ein Beispiel des »cinema of duty« (Malik 2006, zit. in Göktürk 2007: 333).24 Auch Deniz Göktürk sieht Karikaturisierungen im Film, aber auch das Hinterfragen binärer (Gender-)Grenzen und das transnationale Potenzial des Films (vgl. Göktürk 2007: 340f.). Karin HammEhsani hingegen beschreibt den Film als Teil einer neuen Generation türkisch-deutschen Filmemachens, die sich durch Selbstbewusstsein statt Selbststigmatisierung auszeichnet und sieht Lola und Bilidikid als einen Film, in dem binäre Dichotomisierungen destabilisiert werden (vgl. Hamm-Ehsani 2008: 366f.). Rob Burns beschreibt Lola und Bilidikid als Film, der essenzialisierende Vorstellungen von Identität befragt (vgl. Burns 2006: 147) und auch Christopher Treiblmayrs Einschätzung geht in eine ähnliche Richtung – er sieht die Gefahr, Stereotype zu verfestigen, nicht, da Überzeichnungen als solche erkennbar und damit neu geschrieben werden würden (vgl. Treiblmayr 2015: 312f.). Der Filmemacher Ataman selbst scheint Kategorisierungen als fluide und konstruiert, aber mit gesellschaftlicher Wirkmacht und deshalb notwendiges Übel, auf das sich bezogen werden muss, anzusehen: »Obviously everything is in constant flux, as it ought to be, and everything is prefabricated, yet continuously re-created and reformulated. But I do not think identity belongs to the individual. Identity is like a jacket. People you never see will make it and you wear it. Identity is something other than you, outside of you. It is a question of perception. You can be aware of it and manipulate it, play with it, amplify it, or mask it for infinite reasons. […] I believe in an absence of identity, but I still need to define people. I need to define myself. I need categories to put people in. Otherwise, it is impossible. We all need a vocabulary of identity in order to exist socially.« (Ataman in Honigman 2004: 82) Darüber hinaus versteht er den Film als »second generation« ›Gay-Film‹ (Interview mit Kutluğ Ataman, Bonusmaterial DVD Lola und Bilidikid), der sich nicht mehr nur mit dem Selbstfinden innerhalb einer queeren Community beschäftigt, sondern gesamtgesellschaftliche Thematiken aus einer queeren Perspektiven heraus betrachtet. In meiner Analyse möchte ich mich in der Einsicht der Unvermeidbarkeit von Stereotypen im Film (vgl. Chow 2015, ausführlicher in Kapitel 7.3) weniger damit beschäftigen, inwiefern der Film Stereotype weiterschreibt, aber teilweise auf die narrative Funktion von Stereotypen im Film eingehen. Darüber hinaus interessiert mich in der Analyse, ob und wie die queeren, migratisierten Figuren als Teil der oder quer zur natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnung stehend inszeniert werden und an welcher Imagination von Nation der Film hierdurch arbeitet.

Ensemble der (nicht-)queeren Männlichkeiten und Inszenierungen von Nation In Lola und Bilidikid werden wie erwähnt anhand von Männlichkeits- und Sexualitätsentwürfen die Schnittstellen von Zugehörigkeitsmarkern wie Ethnizität, Nation und Familie verhandelt; Gender- und Begehrenskonstellationen bilden daher auch die Konfliktli24

In der Tatsache der queerfeindlichen Todesdrohungen gegen den Regisseur nach der Ausstrahlung des Films in der Türkei (Guthmann 2000, zit. in Kılıçbay 2008: 99) lässt sich jedoch darauf schließen, dass Ataman in seinem ›Pflichtbewusstsein‹ einen wunden Punkt getroffen hat.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

nien anhand derer die Selbst- und Fremdverortungen von Zugehörigkeiten, Essenzialismus und Hybridität ausgetragen werden. In einem Figurenensemble divers positionierter Männlichkeiten werden In- und Exklusionskämpfe in Bezug auf natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit ausgetragen. Ich beziehe mich in der Analyse in meiner Bezeichnung von Männlichkeiten auf Raewyn Connells (1999) soziologische Klassifizierung von Männlichkeitstypen. Connell unterscheidet mehrere Formen von Männlichkeit in westlichen Gesellschaften, die sich aus der Verzahnung mit anderen Kategorien wie Ethnizität, Klasse oder Sexualität ergeben, und deren Beziehungen zueinander, was es ihr ermöglicht eine relationale Typologisierung von Männlichkeiten zu entwerfen, die jedoch als wandelbar gedacht ist (vgl. Connell 1999: 130). Das Ringen um die Hegemonie einer bestimmten Version von Männlichkeit bildet für sie das »Schlüsselelement von Männlichkeit« (vgl. Connell 1999: 131). Die unterschiedlichen Typen, die Connell unterscheidet, sind hegemoniale, untergeordnete und komplizenhafte Männlichkeit. Diesen fügt sie noch das Konzept der marginalisierten und protestierenden Männlichkeiten hinzu, das es ermöglicht, auch die Strukturmarker Klasse und Race bzw. Ethnizität mit einzubeziehen. Hegemoniale Männlichkeit beschreibt Connell als »[…] jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit in Frage gestellt werden kann« (vgl. Connell 1999:130). In Bezug auf das Geschlechterverhältnis und Männlichkeit sieht Connell hegemoniale Männlichkeit als solche, die aktuelle Gültigkeit in Bezug auf die umkämpfte Legitimität des Patriarchats hat und damit männliche Vorherrschaft sicherstellen soll (vgl. Connell 1999: 130). Als wichtigste Unterschiedungslinie in der patriarchal verfassten Gesellschaft hin zur untergeordneten Männlichkeit sieht sie die »Dominanz heterosexueller Männer und die Unterordnung homosexueller Männer« (vgl. Connell 1999: 131). Dieser Ausschluss mache sich durch eine Reihe ausschließender Praktiken bemerkbar, wie bspw. kulturelle, staatliche, wirtschaftliche Diskriminierung und die Gefahr des Erfahrens körperlicher Gewalt. Homosexuelle Männlichkeit wird zu dem Sammelbecken für alle Attribute, die hegemoniale Männlichkeit aus ihrer Männlichkeitskonzeption verbannt und damit oft als gleichbedeutend mit Weiblichkeit bewertet (vgl. Connell 1999: 132). Wie Connell herausstellt bezieht sich dies beispielsweise auch auf passiven Analsex, der dem Schwulsein zugeordnet und mit Weiblichkeit assoziiert wird (ebd.). Somit wird homosexuelle Männlichkeit zu der Version von Männlichkeit, die sich am untersten Ende der Männlichkeitshierarchie befindet (vgl. Connell 1999: 132). Dennoch gebe es auch andere untergeordnete Männlichkeiten, wie bspw. als »schwach« empfundene Männer, die mit Schimpfwörtern und anderen Formen von Gewalt stigmatisiert werden und auch hier wieder eine Verknüpfung mit Weiblichkeit hergestellt wird (ebd.). Die Dynamik von Dominanz und Unterordnung verkomplizierend, schlägt Connell eine dritte Kategorie, die der komplizenhaften Männlichkeit vor. Diese beschreibt, dass nur eine kleine Gruppe Männer der hegemonialen Männlichkeit in all ihren Facetten entspricht, Männer aber dennoch vom System der männlichen Dominanz in der Gesamtgesellschaft profitieren. Diese Gruppe zieht ihren Nutzen aus der »patriarchalen Dividende« (vgl. Connell 1999: 133). Komplizenhaft sind demnach Männlichkeiten, die Nutznießer des Patriarchats sind, sich aber der Gefahren des Patriarchats an seiner Speerspitze entziehen (ebd.). Zu denken wäre dabei an Männer, die Kompromisse mit Frauen eingehen, diese in ihrem Privatleben respektieren, keine körperliche Gewalt gegen sie anwen-

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den, aber trotzdem ein ablehnendes Bild gegenüber Feministinnen haben (vgl. Connell 1999: 133). In Bezug auf einen weiteren Typ, den Connell unterscheidet, marginalisierte Männlichkeit, kommen die Kategorien Klasse und Race ins Spiel. Marginalisierung soll hierbei die »Beziehungen zwischen Männlichkeiten dominanter und untergeordneter Klassen oder ethnischer Gruppen […] beschreiben« (vgl. Connell 1999: 134) und ist immer im Verhältnis mit Ermächtigung der hegemonialen Männlichkeit zu sehen. Männlichkeiten, die sich mit dieser Marginalisierung nicht zufrieden geben und als Reaktion eine »Männlichkeitsfassade« (Connell 1999: 170) entwickeln, die ein gespaltenes Bewusstsein von »Egalitarismus und Misogynie« (Connell 1999: 177) produziert, nennt sie protestierende Männlichkeiten. So liefert sie ein Instrument, um einerseits Gewalt rassifizierter Männlichkeiten im Zusammenspielen von Klasse, Ethnizität und Nation zu betrachten, andererseits die Möglichkeit zu erklären, dass bspw. einzelne Schwarze Sportler als Vorbild hegemonialer Männlichkeit gelten können, während Strukturen gleichzeitig unverändert bleiben (vgl. Connell 1999: 134f.). Inszenierungen protestierender Männlichkeitendurchziehen den Film. Angefangen bei der Gruppe Neonazis, die sowohl Lola bedrohen als auch Murat verprügeln und die Bili für Lolas Tod verantwortlich macht, über Osman, der, wie sich ganz zu Ende herausstellt, Lolas wirklicher Mörder ist, Bili, der sich sein Schwulsein nicht eingestehen will, um seine Männlichkeit nicht zu ›verlieren‹, und Lola deshalb zu einer geschlechtsverändernden OP drängen will, bishin zu Iskender, der im Verlauf der Beziehung mit seinem Geliebten Friedrich von seiner Macho-Männlichkeit abrücken kann. Darüber hinaus dreht sich jeder der drei Handlungsstränge, die sich sukzessive näher kommen und schließlich teilweise überschneiden, um die Auseinandersetzung einer schwulen/marginalisierten Männlichkeit mit einer protestierenden schwulen Männlichkeit: Murat mit seinem Bruder Osman (von dessen Schwulsein Zusehende erst im letzten Teil des Films erfahren), Lola mit Bili und Friedrich mit Iskender. In der Inszenierung dieses Verhältnisses der verschiedenen nicht-heterosexuellen Figuren zueinander als antagonistisches spiegelt sich eines der Ziele Atamans mit dem Film, das er in einem Interview beschreibt: Die Herausbildung einer unterdrückerischen Kultur innerhalb einer unterdrückten Gruppe – homophobe Gewalt innerhalb der türkischen Community – in Deutschland sichtbar zu machen und zu kritisieren (vgl. Ataman 1999, zit. in Treiblmayr 2015: 307). Damit wird die Binarität von unterdrückerischer Dominanzgesellschaft vs. unterdrückter Minderheit verkompliziert und die heteronormative Strukturierung von weiß-deutscher sowie migratisierter Communities wird deutlich. Aber auch Atamans ursprüngliche Motivation für den Film, die sich häufenden rassistischen Übergriffe in Deutschland nach der Vereinigung auf türkische oder andere Migratisierte oder Menschen of Color (vgl. Hamm-Ehsani 2008: 368) zu thematisieren, strukturieren die Konfliktkonstellation der widerstreitenden Männlichkeiten im Film. Damit ist der Film eingebettet in den deutschen Kontext nach der ›Wende‹, indem sich gewalttätige Übergriffe auf migratisierte (queere) Personen mit dem Wiedererstarken und der Zuspitzung rechtsextremer Gewalt vermehren (vgl. Stöss 2010: 112; Rommelspacher 2007: 1) (vgl. auch Kapitel 1). Der Film bezieht sich dabei auf diese deutsche Realität (vgl. Kılıçbay 2008: 98) und stellt rechtsextreme Gewalt durch die Auseinandersetzung mit der Gruppe Neonazis dar. In einer Szene zu Beginn des Films wird das Dominanzgebaren der Gruppe jugendlicher Neonazis, die der Film zunächst als Antagonisten Lolas

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

und Bilis einführt, inszeniert und etabliert die Ausgangssituation eines Teils des Feldes der widerstreitenden Männlichkeiten. In besagter Szene werden Lola und Bili nachts auf einem verlassenen Gelände von der Gruppe Neonazis rassistisch (»Kamelficker«) und queerfeindlich (»Schwanzlutscher«) beschimpft und bedroht. In der Beschimpfung »Ab nach Baghdad, Türkenpack!« wird die Gruppe als Vertreterin eines völkischen Nationalismus dargestellt, der Menschen ethnisch-kulturell homogenisiert und vor welchen sich die ›eigene‹ Gemeinschaft schützen müsse (vgl. Mense 2017: 228). Der vermeintliche ›Herkunftsort‹ (Baghdad) fungiert dabei als »anachronistischer Ort« (McClintock 1995: 35), der ahistorisch und mit orientalistischen Imaginationen aufgeladen ist und dient dazu ein »natio-ethno-kulturelle[s] ›Wir‹« heraufzubeschwören, das nur über die Imagination eines »Nicht-Wir«, das »nicht hierher, an diesen Ort gehört und deshalb hier vermeintlich legitimerweise über weniger Rechte verfügt« (Mecheril et al. 2010: 13f.) möglich wird. In dieser Orientalisierung schwingt antimuslimischer Rassismus mit, welcher sich als »durchzogen von dem Bedürfnis, Musliminnen und Muslime auf einen gesellschaftlich untergeordneten Rang zu verweisen sowie ihre Zugehörigkeit zur deutschen und europäischen Gesellschaft zu negieren« (Shooman 2014: 222) darstellt. Somit sei der »Stabilisierung einer nationalen Gemeinschaftskonstruktion (Stichwort ›deutsche Leitkultur‹) wie auch der Anrufung einer übernationalen ›abendländischen‹ Identität« (ebd.) gedient. Während Lola und Bili in dieser Szene hauptsächlich durch die Großaufnahmen ihrer Gesichtsausdrücke und durch verwackelte Aufnahmen der Handkamera ins Bild gesetzt werden, wird die Gruppe Neo-Nazis mit einem statischen Blick in halbnahen Einstellungen eingeblendet. So wird der Eindruck von Bedrohung/Instabilität gegenüber Stabilität erzeugt und in der Schuss-Gegenschuss-Montage durch die direkte Kontrastierung verstärkt. Die Hierarchie zwischen den beiden Seiten wird so in ihrer Aufführung zugleich ›verfestigt‹. Zusammen mit der ›Bomberjacke‹, die Neonazi Rudy trägt, wird die Gruppe Neonazis mit Kennzeichen des von Klaus Theweleit so betitelten »Körperpanzers«25 (Theweleit 2019 [1977]) versehen, der sich gegen das vermeintliche Eindringen alles ethnisch, sexuell und geschlechtlich Anderen des heterosexuellen, weißen cis Mannes richten muss, auch um eventuelle Homoerotik der eigenen Gruppe abzuwehren. Im Aufeinandertreffen der Figuren auf der filmischen Mikroebene der Figureninter25

Auch wenn Theweleit sich auf die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts bezieht, kann davon ausgegangen werden, dass sich Kontinuitäten dieses Männlichkeitsbildes in rechten und rechtsradikalen Szenen bis in die Gegenwart hindurchziehen. Wie er ausführt, verbinden sich im »soldatische[n] Mann« (Theweleit 2019 [1977]: 755), den er für die Zwischenkriegszeit beschreibt, Furcht gegen Frauen und Nicht-Weiße so, dass diese Männer einer körperlichen und psychischen Verhärtung, ›Panzerung‹ bedurften, um die vermeintlichen ›Eindringlinge‹ erfolgreich abwehren zu können. Diese Reterritorialisierung hat bei Theweleit den Ursprung in der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. Durch die Entgrenzungen der Erfindungen und ›Entdeckungen‹ wurden Wünsche freigesetzt, die für den Aufbau und des Funktionieren des aufkommenden Kapitalismus jedoch unterdrückt werden mussten (vgl. Theweleit 2019 [1977]: 378f.), was durch Selbstdistanzierung und Abschotten alles Fließenden, Durchlässigen vom Selbst geschah (vgl. Theweleit 2019 [1977]: 384ff.). Was sich aus jahrhundertelanger Quelle speiste, fand im Faschismus das organisatorische und ideologische Fundament. Dieses Wehrhafte, das ›soldatische‹ Abwehren des ethnisch und geschlechtlich/sexuell Anderen, um das Selbst erhalten und die vermeintlich ethnisch homogene Nation ›schützen‹ zu können, zeigt sich auch in der beschriebenen Szene.

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aktion werden Konflikte um Fragen um Zuschreibungen, legitimierte und delegitimierte Zugehörigkeiten, die in außerfilmischen sozialen Konflikten sowie auf der Diskursebene verhandelt werden, verdichtet dargestellt. In einer späteren Szene, in der die Gruppe Neonazis und Murat bei einem Schulbesuch des Olympia-Stadions aufeinandertreffen, wird dieses Dominanzgebaren des weiß-deutschen ›natio-ethno-kulturellen Wirs‹ wieder demonstriert, aber gleichzeitig, zumindest in Ansätzen, queer resignifiziert. Das als ›völkische Kultstätte‹ konzipierte Stadion wurde von den NationalsozialistInnen zum Zweck der Beherbergung der Olympischen Spiele 1936 gebaut (vgl. Schäche/Szymanski 2001) und schrieb sich schon allein durch die Darstellung in Leni Riefenstahls Olympia-Epos (1938) in das visuelle Gedächtnis der deutschen Nation ein, untrennbar verknüpft mit dem Nationalsozialismus. In der eingeblendeten feiernd und jubelnd durch das Stadion rennenden Neonazi-Gruppe aktualisiert sich die Assoziation zum Nationalsozialismus und inszeniert die deutsche Nation der 1990er in Kontinuität mit der nationalsozialistischen Geschichte. Dies wird besonders deutlich, als der Anführer der Gruppe auf die Fackel klettert, jubelt und dabei die Arme in einer Siegesgeste in die Luft streckt. In derselben Sequenz ereignet sich außerdem eine sexuelle Annäherung Murats mit dem Neuling der Nazi-Gruppe Walter auf einer der öffentlichen Toiletten im Stadion. Die Situation schlägt in einen gewalttätigen Übergriff um, als die anderen beiden Neonazis die Szene entdecken, welcher damit endet, dass Walter unter Gruppendruck auf den am Boden liegenden Murat uriniert. Hier wird einerseits die Verwicklung zwischen Queerfeindlichkeit und Rassismus und die verzwickte Situation Murats im ›Dazwischen‹ der konservativen, homophoben ›eigenen‹ Community und der rassistischen, homophoben weiß-deutschen Neonazis besonders deutlich inszeniert, wie aus den Anfeindungen der Neonazis gegen Murat hervorgeht: Rudy: »Schwule Sau. [Lachen] Lauf zu deinen Kebabs und erzähl‹ ihnen, was wir mit dir gemacht haben, vielleicht wollen sie sich ja revanchieren« [Walter uriniert auf Murat und sucht unsicher den Blick des Anführers Henryk] Henryk: »Seine türkischen Brüder werden ihn so in den Arsch ficken, das ist das, was passieren wird, die will’s doch die Sau, die schwule« Damit inszeniert der Film die allgegenwärtige Gefahr der Gewalt gegen Migratisierte durch ›Deutsche‹ und lässt Murats queeres Begehren als Knotenpunkt der Vorstellungen von (Nicht-)Zugehörigkeit zu einer ethno-nationalen Gemeinschaft fungieren, indem er die heteronormativen Logiken deutscher wie migratisierter Communities aufzeigt. Wie Gayatri Gopinath (2006) darlegt, zeigen sich Geschichten von Kolonialismus und Rassismus in der Gegenwart, wenn queere Sexualität artikuliert wird (vgl. Gopinath 2006: 2). Somit wird queeres Begehren zentral für die Erzählung der Kontinuität der Vergangenheit in der Gegenwart, wie sich im Übergriff auf Murat zeigt – nationalsozialistisch-rassistische Ideologie wird hier durch homophobe Gewalt aktualisiert, schreibt sich in der (filmischen) Gegenwart deutscher Geschichte weiter und damit am visuellen Gedächtnis rassistisch und queerfeindlich motivierter Gewalthandlungen mit. Als weiterer Marker für die Kontinuität der Vergangenheit in der Gegenwart fungieren im Film Namen. Wie Hamm-Ehsani (2008) ausführt, verweisen die Namen Osman und Murat auf die Gründer des Osmanischen Reichs, während der Name von Seeckt (Friedrichs Nachname) auf

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den deutschen Wehrmachtsgeneral Hans Friedrich von Seeckt verweist (vgl. Hamm-Ehsani 2008: 374ff.). Von Seeckt, der im Ersten Weltkrieg im Osmanischen Reich stationiert war, unterstützte die dortigen Machthaber im Genozid an den Armenier:innen. So wird auf die verflochtenen Geschichten des Genozids zwischen Türkei und Deutschland verwiesen (vgl. Hamm-Ehsani 2008: 377). Der Name Ute (Friedrichs Mutter) verweist auf die ›Nibelungenmutter‹ und Königin im Nibelungenlied. Namen nehmen hier also die Funktion des Anzeigens des Fortlebens der Vergangenheit in der Gegenwart an, weisen aber auch auf die Verwicklung von (nationaler) Geschichte(n) hin. Hamm-Ehsani sieht im Film durch das Ziehen der Verbindungslinien zwischen Deutschland und der Türkei die Intention, durch das Sichtbarmachen der gewaltsamen Vergangenheit beider Nationen eine Vision für eine demokratische Zukunft herzustellen, die Queers in der Mitte der Nation miteinschließt (ebd.).

Abb. 50: Lola und Bilidikid (D 1999, R: Kutluğ Ataman)

Über das Vehikel Nicht-Heterosexualität werden in Lola und Bilidikid somit homogenisierende, patriarchale, ethno-nationale Ideologien herausgefordert und Anschlüsse zur gewaltvollen Verfolgung des (ethnisch oder sexuell) ›Anderen‹ der Nation im Nationalsozilismus hergestellt. Trotz der Einhegung durch Gewalt kann in Murats Ausleben seines homosexuellen Begehrens im Raum des überdeterminierten Olympia-Stadions andererseits ein anti-faschistischer Triumph sowie eine queere Herausforderung an eine deutsche dominanzgesellschaftliche Geschichtsschreibung, die nationalsozialisitische Phänomene der Gegenwart in ihrer Kontinuität zur Vergangenheit entnennt oder leugnet, gesehen werden. Im Einweben von Queerness in das geschichtliche Erbe des Nationalsozialismus, das hier durch die Einblendung des Olympiastadions aufgerufen wird, entfaltet der Film von Beginn an eine queere Resignifikation nationaler Symbolik, denn bereits in den ersten Einstellungen wird die Figur Murat mit nationalen Symbolen ›vernäht‹, in dem Murat vor dem Hintergrund der Siegessäule ins Bild tritt. Die Einblendung der Berliner Siegessäule zu Beginn und auch in den letzten Szenen des Films nimmt damit Funktion des framings des Films ein und erzeugt den Effekt einer ›berlinischen‹ Erzählung, die

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als pars pro toto für eine ›nationale‹ Erzählung fungiert. Gleichzeitig ist die Siegessäule als Symbol doppelt konnotiert: Einerseits als deutsches Nationalsymbol, andererseits als Verweis auf die schwul-lesbische Szene Berlins (ähnlich: Hamm-Ehsani 2008: 375). Die Siegessäule wurde 1873 errichtet, um an Preußens Siege über Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71) zu erinnern (vgl. Hagen/Ostergren 2020: 56). Als Sinnbild für Berlin evoziert sie den damit Sieg Preußens in den sog. ›Deutschen Einigungskriegen‹ und steht für ein ›geeintes‹ Deutschland unter preußischer Führung. Die Bronzestatue auf der Spitze der Säule stellt Viktoria, die römische Göttin des Sieges bzw. Borussia, Preußens Personifikation dar (visitberlin o.J.). Damit nimmt der Film sogleich in der ersten Einstellung eine allegorische Anrufung der Nation vor26 und kündigt die Verhandlung von natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsverhaltnissen visuell an. Durch die Einblendung der Siegessäule kann die Assoziation mit dem nationalen Thema des Films also besonders gut hergestellt werden.

Abb. 51–52: Lola und Bilidikid (D 1999, R: Kutluğ Ataman)

Die Siegessäule als Nationalsymbol kann jedoch auch queer gelesen werden: Die räumliche Nähe der Siegessäule zum Tiergarten, der in Berlin einen bekannten schwulen cruising spot darstellt, trägt dazu bei, diese in einer queeren Umdeutung auch als Symbol für das queere Berlin oder sogar das queere Deutschland zu sehen. Das unterstreicht die Tatsache, dass Europas auflagenstärkstes kostenloses queeres Magazin den Namen ›Siegessäule‹ trägt, das bereits eine Umkodierung nationaler Symbole vornimmt. Mit dem programmatischen Titel der Zeitung »Wir sind queer Berlin« wird dieser Effekt der doppelten Signifikation der Siegessäule und ihrer Einblendung im Film noch verstärkt. Auch stellt Ataman hiermit eine intertextuelle Verbindung zu einem anderen deutschen queeren Film aus dem Jahr 1980, Taxi zum Klo, von Frank Ripploh, her. Die Siegessäule wird dort eingeblendet, als der schwule Frank aus dem Krankenhaus ausreißt, um in der Nähe einer öffentlichen Toilette im Berliner Tiergarten eine sexuelle Bekanntschaft zu suchen, und schreibt sich somit ein in das queere kollektive (Bild-)Gedächtnis. So 26

Wie Koschorke et al. (2007) ausführen, stellen in Europa weibliche Verkörperungen bedeutsame Nationalallegorien dar, durch die sich die Nation erstellt und sich ihrer selbst vergewissert. Der vergeschlechtlichte Körper nimmt bei den Imaginationen und Repräsentationen der Nation damit eine edeutende Rolle ein (vgl. Koschorke et al. 2007: 11). Auch Silke Wenk verweist auf das »imaginär Allgemeine« (Wenk 1996: 116), das in weiblichen Allegorien in Form repräsentativer Skulpturen dargestellt wird.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

ist Murat mit einem Blick als Schwuler, der nachts im Tiergarten auf der Suche nach einer sexuellen Begegnung ist, identifizierbar, gleichzeitig legt die visuelle Verbindung von Siegessäule und Murat auch ein Verständnis von Murat als Teil der Nation nahe. Die queer nation, die hier evoziert wird, wirkt in der nächtlichen Atmosphäre, die mit Gewittergeräuschen und dissonanten Klängen aus dem Off begleitet wird und in der die Siegessäule in Großaufnahme und Untersicht der Kamera gezeigt wird, jedoch bedrohlich und unbehaglich. Dies wird betont, als der Kuss zweier Männer im Moment des Donnerns und Blitzens als hell erleuchteter Schockmoment ins Bild bricht und Murat zum Wegrennen veranlasst. Die Frage nach dem Platz des Queeren in der vergeschlechtlichten natio-ethno-kulturell kodierten Zugehörigkeitsordnung, in der die zunächst aufgerufene Unbehaglichkeit eine große Rolle spielt, wird besonders auch in der Beziehung der Figuren Lola und Bili bzw. Bilis Unvermögen seine schwule Männlichkeit als solche zu leben, deutlich. In der Beziehung mit Lola akzentuieren sich Bilis heteronormative Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen, die sich mit internalisierter Homophobie paaren, ganz besonders, was an Bilis Drängen, Lola solle sich der geschlechtsverändernden Operation unterziehen, Lolas Weigerung und dem Konflikt, der sich hieraus entspannt, inszeniert wird. Als Bili Lola das erste Mal mit dieser Idee konfrontiert, befinden sich die beiden nackt zusammen im Bett, der Raum ist kitschig-romantisch in rot-gold gehalten, Blumentapeten an den Wänden, es sind Kerzen aufgestellt. Bili will Lola davon überzeugen, mit ihm in die Türkei zu gehen, eine Strandbar zu eröffnen und zu heiraten, da sie »wie diese deutschen Schwuchteln […] nicht zusammenleben« könnten. Während Lola denkt, dass es die Leute in Deutschland »’n Scheiß [interessiert], was wir zusammen tun«, meint Bili, sie müssten »wie ganz normale Leute leben: Wie Mann und Frau. Eben eine ganz normale Familie. Ich komm‹ nach Hause, du bist da. Aber da gibt es noch ein kleines Problem!« Diesem ›Problem‹, Lolas Penis, dem Bili mit 3000 Mark in der Türkei Abhilfe schaffen will (»Und schon ist die Sache erledigt. Keiner stellt irgendwelche blöden Fragen«), begegnet Lola wütend: Lola: »Und warum nicht du, verdammt nochmal? Du bist doch so wild auf ’ne Familie!« Bili: [Lacht] »Weil ich ein Mann bin und du nicht« [Lacht, breitet sich über die ganze Breite des Bettes aus] Lola: »Ich hab’ überhaupt kein Problem für den Rest meines Lebens ’ne Perücke zu tragen. Aber mehr ist nicht drin!« Bili: »Mach‹ keinen Spaß, Lola! [Hebt Finger] Eher bring’ ich dich um und mich auch! Wenn’s sein muss, schneid‹ ich dir den Schwanz ab!« Bili drückt sein Verständnis von sich als Mann aus (»Weil ich ein Mann bin und du nicht«) und rekurriert auf ein biologistisches Verständnis von Männlichkeit in Bezug auf sich selbst, indem ›Mann sein‹ ›Penis haben‹ bedeutet. In der Rechtfertigung, warum Lola und er ›noch nicht‹ »wie ganz normale Leute« und wie »Mann und Frau« zusammenleben, greift er gleichzeitig paradoxerweise auf ein nicht-biologistisches Verständnis von Gender zurück, um Lola ›als Frau‹ und sich als heterosexuell imaginieren zu können (Lola hingegen verweist unabhängig von ihrer momentanen Gender-Präsentation mehrfach im Film darauf, ein schwuler Mann und nicht trans weiblich zu sein).

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Die Kameraeinstellungen produzieren und unterstreichen Bilis Männlichkeitsdemonstration in dieser Szene durch seine raumeinnehmende Dominanz: Es ist durchgehend Bili, der seinen Arm um Lola legt, teilweise auf ihr liegt, während sie sich unterhalten und ›cool‹ seine Zigarette anzündet oder raucht; er ist im Bildvordergrund positioniert und breitet sich über den gesamten Bildvordergrund aus, als er Lola gegenüber seine Männlichkeit betont, während sich Lola – im Bildhintergrund – in einer Ecke des Bettes kauert. Die Operation würde hier also nur eine Anpassung an Lolas ›eigentliches‹ Frausein darstellen. Der Kastrationswunsch unterstreicht in der Tat jedoch eher die Fragilität Bilis Männlichkeitskonzeption, da seine Männlichkeit nur aufrechterhalten werden kann, wenn sein Begehren von gegengeschlechtlicher Binarität geprägt ist. Um seiner eigenen Kastrationsangst – der ›Entmännlichung‹, die das SichEingestehen seiner Homosexualität bzw. das Genießen analer Sexualität symbolisch bedeuten würde (vgl. Pronger 1992: 203) – zu begegnen, will/muss er einen anderen Mann kastrieren.

Abb. 53: Lola und Bilidikid (D 1999, R: Kutluğ Ataman)

In einer späteren Szene erklärt Bili Murat, dass er immer abstreiten müsse, schwul zu sein, wenn ihn jemand frage, denn: »Das Leben von Schwulen ist kein Leben.« Aber solange Murat ›ihnen nicht seinen Arsch hinhalte‹, sei er ›auf der sicheren Seite‹, also nicht schwul, denn, so Bili: »Ein Mann ist ein Mann. Und ein Loch ist ein Loch. Egal, wo man’s reinsteckt. Klar? […] Also lass’ dir gesagt sein, sei kein Loch!« Die Gleichsetzung von ›Mann‹ mit ›Penetrieren‹ und ›Frau‹ mit ›Penetriertwerden‹ (vgl. McClintock 1995: 23) scheint hier als einzige Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der die Illusion der Heterosexualität. Paul Scheibelhofer belegt Männlichkeiten, die als Veranderte mit sowohl der ethnisierte/rassifizierten Marginalisierungserfahrung durch die Dominanzgesellschaft als auch mit dem Anspruch des Patriarchats, eine hegemoniale Männlichkeit hervorzubringen, konfrontiert werden, mit dem Begriff »fremd-gemacht[er]« Mann (Scheibelhofer 2018: 2). Um mit der Mischung aus Marginalisierung und Kontrollstreben umgehen zu können, würde dieser demnach bisweilen eine »ethnisierte Präsentation von Zuge-

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hörigkeit« und einen »Boxerstil« annehmen (vgl. Huxel 2014 und Wellgraf 2017, zit. in Scheibelhofer 2018: 17f.). Dieser wird in der Figur Bili inszeniert, welcher sich u.a. durch dessen zur Schau gestellte Coolness (weißes T-Shirt oder Hemd zusammen mit einer schwarzen Lederjacke, Gelfrisur, bisweilen gepaart mit Zigarette oder Sonnenbrille) dargestellt wird und dessen Figurenkonzeption ähnlich wie die der Gruppe Neonazis als (stereo-)typisiert und eher starr zu beschreiben ist. Darüber hinaus stilisiert sich Bili selbst als Held, wie er in seiner ersten Interaktion mit Murat durchblicken lässt: »Meine Freunde nennen mich Bili. Das ist die Abkürzung für ›Bili the Kid‹. [Murat blickt fragend] Der Westernheld, Mann!« Damit nimmt er Bezug auf Billy the Kid, der in den 1890ern Jahren in den USA als ›Gesetzloser‹ lebte (Encyclopedia Britannica o.J.). Neben der historischen Person stellt Billy the Kid auch ein legendär aufgeladenes und idealisiertes Symbol protestierender Männlichkeit dar, das sich Bili hier aneignet und wortwörtlich verkörpert, auch entgegen das Bild des Schwulen als verweib/ch/licht. Die Abwehr Lolas von Bilis protestierender Männlichkeit und seiner internalisierten Homophobie stellt einen zentralen Punkt bei Lolas Figurenkonzeption als nicht-normativ und in Abgrenzung zu Bili als individualisierter und vielschichtiger dar. Dieses Wehren gegen Bilis paternalistische und patriarchal inspirierte Einhegungsversuche von Lolas körperlicher Autonomie und geschlechtlicher Selbstbestimmung kulminiert in einer Auseinandersetzung und der Trennung von Bili und Lola: Protestierende, selbst-repressive und nicht-normative schwule Männlichkeit, so legt der Film hier nahe, sind ultimativ nicht miteinander vereinbar. Lola nimmt dabei die Rolle der Kämpferin gegen das ›eigene‹ Patriarchat ein. Wie María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan darstellen, sind es meist diasporische Feministinnen, denen die Rolle des Aushandelns zwischen dem Kampf gegen ›eigene‹ patriarchale Strukturen und rassistisch eingefärbten liberalen Positionen zukommt (vgl. Castro Varela/Dhawan 2015: 262). Lola kommt hier also die Position der ›diasporischen Feministin‹ zu, die gegen (internalisierte) Queerfeindlichkeit in ihrer Community kämpft. Diese weiblich kodierte Diskursposition verstärkt damit deren homosexuelle Männlichkeit als nicht-normativ und emanzipatorisch, in ihr schwingt aber auch der Unterton einer Gleichsetzung von Homosexualität mit Weiblichkeit mit. Im Showdown schließlich gelingt Bili die begehrte Kastration, zwar nicht an Lola, die zu diesem Zeitpunkt bereits tot ist, jedoch an einem der Neonazis. Was Bili mit Lola nicht (mehr) machen konnte, agiert er jetzt an deren Peiniger aus und zeigt somit ultimativ, ›wer hier der Mann ist‹. In der Umleitung der Kastration auf einen anderen Mann wird Bilis als heterosexuell imaginierte patriarchale Ordnung wiederhergestellt und der ›andere‹ Mann zugleich feminisiert. Männlichkeit wird hier zu Blutrünstigkeit, was in Bili anschaulich wird, als er mit seinem blutbefleckten weißen Hemd und dem Messer in der Hand zum Schlachter der Anderen (Männer) stilisiert wird. Nicht nur für ihn, sondern auch für den Anführer der Nazigruppe endet dieses gewalttätige Ausagieren schließlich mit dem Tod, wodurch der Film nahelegt, dass Männlichkeit (und unterdrückte Homosexualität) in ihrer extremsten Form tödlich endet. Die Figur Murats ist hingegen als (doppelt) hybride konzipiert. Die Hybridität drückt sich hier paradoxerweise in seinem weiß-deutschen Passing aus. Dadurch wird er zum perfekten türkisch-deutschen Hybridsubjekt und kann diverse Subjektpositionen zur selben Zeit einnehmen. Gleichzeitig wirkt er dadurch auch perfekt assimiliert, was sei-

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ne Figur besonders anschlussfähig macht an das Narrativ des offen schwulen Rächers/ Rangers (als der er sich nach Bilis Proklamation als Westernheld positioniert), der sich in einen westlich-liberalen Diskurs von befreiter Homosexualität einschreibt. Dies zeigt sich in der Konfrontationsszene mit Osman, in der sich Murat mit Bilis Determiniertheit und Lolas Weltsicht klar gegen Osman positionieren und sich damit von ihm und seinen patriarchalen Ansprüchen emanzipieren kann. Murat tritt in dieser Szene wie schon im Showdown als Verkörperung Lolas mit der roten Perücke auf, die Lola in der Nacht ihres Todes und als Osman sie von zu Hause vertrieben hatte, trug. Die Perücke in stechendem rot und schulterlangen Locken erinnert an eine Clownsperücke. Im Film wirkt sie (zunächst nicht unproblematischerweise in Bezug auf Lola) als visuelles Zeichen für einen ›tragischen Clown‹.

Abb. 54-56: Lola und Bilidikid (D 1999, R: Kutluğ Ataman)

Dies kehrt sich allerdings um, als Murat Osman konfrontiert. Mit Perücke und verschmierter Schminke erscheint er morgens in der Wohnung von Osman und der Mutter. Während der Konfrontation, bei der Murat aufdeckt, dass Osman Lola umgebracht hat, legt Murat die Perücke ab, zieht die weiblich kodierte Kleidung aus und wäscht sich das Gesicht. Im Moment der Entlarvung drehen sich die Machtverhältnisse um. Osman sinkt auf einen Stuhl nieder, die Kamera in Aufsicht auf ihn gerichtet, während im Gegenschuss Murat aus Untersicht gezeigt wird und so seine Überlegenheit verdeutlicht wird. Schließlich ist es Osman, dessen Pullover an Clownsanzüge erinnert, der als tragischer Clown, mit verzerrt-verzweifeltem Gesichtsausdruck allein zurückgelassen wird. Dabei verändert sich auch Murats Blickrichtung bzw. die Blickachse zwischen Murat und Osman. Konnte Murat Osmans Blicken bisher nur ausweichen, sieht er ihn jetzt direkt an und ›auf ihn herab‹. Was Nils Jablonski als sich über den Film wiederholende »asymmetrische Spiegelungen« (Jablonski 2020: 121) mit der »Kollektivfigur Lola/Murat« (ebd.) am Ende beschreibt, fasse ich als Konzipierung des perfekten Hybridsubjekts Murat, das sich m.E. jedoch durch eine Reihe von Toden und Wiedergeburten konstituiert. So sind die Motive Tod und Wiedergeburt nicht nur verknüpft mit dem Auflehnen gegen das Patriarchat, das von Osman verkörpert wird und Murats Männlichkeitskonzeption, sondern auch mit Murats Coming-out und seinen Umgang hiermit. Sowohl in seiner Herkunftsfamilie als auch bei Bili galt Murat als ›Ersatz‹ Lolas nach deren Rauswurf (=familiären Tod)/physischem Tod. Somit soll Murat in beiden Konstellationen das sein, was Lola nicht sein wollte: Der heterosexuelle Sohn bzw. die Ehefrau. Noch in derselben Nacht als Murat von zu Hause wegläuft und sich damit einen ersten Schritt davon entfernt und gleich-

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zeitig einem öffentlichen Coming-out nähert, indem er Lolas Auftritt in einer queeren Bar ansieht, stirbt Lola. In der von Bili geplanten Racheaktion für Lola tritt Murat als ›Wiedergeburt‹ von Lola auf, indem er sie personifiziert. Nach Bilis Tod erfährt die Figur Murat eine Art zweite Wiedergeburt in der Konfrontationsszene mit Osman, bei der sie sich der ersten entledigen kann. Die Figuren Lola und Bili laufen hier im ›erneuerten‹ Murat zusammen (vgl. Treiblmayr 2015: 313) und vollenden damit die doppelt hybride Figurenkonzeption Murats. Die jeweilige ›Wiedergeburt‹ fungiert hier also als Emanzipationsmoment: Während sich Murat mit der ersten ›Wiedergeburt‹ als schwul outet und sich Eintritt in die queere Szene verschafft, emanzipiert er sich mit der zweiten gegen das Patriarchat. Nach der ›Wiedergeburt‹ am Ende des Films, der Vereinigung von Lola und Bili in Murat, wird Murat somit selbst zu einer Figur, die Hybridität ausstellt und die Schwellensituation von Identitäten, ganz im Sinne des Dritten Raums Bhabahs als grenzenherausfordernd aufrechterhält. Der stereotype, also eindimensional und defizitär, dargestellte Patriarch fungiert dabei als Zeichen für die Mangelhaftigkeit des Patriarchats. Wiedergeburt als ein Symbol von Neuanfang, wird hier installiert, um eine Coming-out-Geschichte als Emanzipationsprozess zu erzählen, und schreibt sich damit in die Reihe von populären Coming-out-Narrativen in der westlichen Erzähltradition ein. Die Umformung des alten Narrativs des Tods der queeren Figur unterstützt diesen Effekt: nur die oute queere (Haupt-)Figur, die zusätzlich noch den Brückenschlag zwischen der Dominanzgesellschaft und der migratisierten Community schlagen kann, überlebt, während die selbstrepressiven schwulen Männlichkeiten sterben oder isoliert enden. Damit legt Lola und Bilidikid nahe, ein ›neues Leben‹ nur durch Coming-out leben zu können und wirkt damit zwar emanzipatorisch, verschreibt sich aber einem westlichen, outen Modell von NichtHeteronormativität komplett. Über Murat, der an Anfang und Ende des Films steht, wird die Emanzipationserzählung auch als Fortschrittserzählung gerahmt, was die in Bezug auf die Siegessäule beschriebene Wirkung spiegelt und verstärkt: Während die erste Szene Murats von Bedrohlichkeit, Dunkelheit und Versteck geprägt ist, spielt die letzte Szene Murats im Tageslicht auf der Straße und ist verknüpft mit der Emanzipation der Mutter: Murat und Mutter schreiten hier zusammen in eine vermeintlich bessere Zukunft – das neue Subjekt der multikulturellen Gesellschaft ist feminisitsch/queer emanzipiert, out und hybrid. In Beachtung Murats Einbindung in das nationale Narrativ jedoch bleibt diese Hybridität eher dichotomietranszendierend als enthierarchisierend. Im dargelegten Zusammenspiel des Figurenensembles wird zudem deutlich, dass besonders starre Stereotypisierungen kontrastierend eingesetzt werden und vielschichtiger, individualisierter konzipierten Hauptfiguren gegenüberstehen, wodurch sie in ihrer Funktion als Gegenfolie der Identifikations- und Sympathieträger:innen erkennbar werden. Hybridität im Sinne des ›Dritten Raums‹ zeigt sich im Film auch in der Sprache. Wie Castro Varela und Dhawan (2015) darlegen, lässt sich Sprache schlecht fixieren und eignet sich daher sehr gut zum Widerstand gegen hegemoniale Verhältnisse (vgl. Castro Varela/ Dhawan 2015: 239). Im Vermischen von deutsch und türkisch, dem Einfließen lassen von Slang-Wörtern ins Deutsche und dem Changieren zwischen den verschiedenen Sprachen und Kodes eignet sich der Freund:innenkreis um Lola und Bili Sprache und damit Gestaltungsraum in der eigenen Lebenswelt an. In diesem Ermächtigungs- und Vermischungsprozess entsteht somit ein ›Dritter Raum‹, innerhalb dessen die Grenzen der je-

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weiligen vermeintlich homogenen Sprachen heterogenisiert und hybridisiert werden. In der Aneignung der Variabilität und Flexibilität von Sprache erschließen sich die queeren, migratisierten Subjekte in Lola und Bilidikid ein Stück Handlungsraum, indem sie deutsche und türkische Elemente ineinanderfließen lassen. Kılıçbay (2008) nennt dies ›Queer Kanak Sprak‹ (Kılıçbay 2008: 122). Damit fordern sie die nationalstaatliche Vorstellung von Einheit von Territorium, Bevölkerung und Sprache heraus und verdeutlichen, dass Imaginationen nationaler ›(R)Einheit‹ nach 1989 komplexer sind als weiß und einsprachig-deutsch. Darüber hinaus lässt sich Hybridität auch in Bezug auf das Genre feststellen: In der Vermischung der verschiedenen Genreelemente sowie der Verhandlung der romantischen Beziehungen in verschiedenen Genreregistern wird im Film Hybdridisierung auf alle Filmebenen bezogen. Dem Kampf der Männlichkeiten im melodramatischen und Action-Modus wird allerdings auch queere Subversion im komischen Modus gegenübergestellt, in dem die queer nation nicht mehr mit Bedrohung verknüpft wird, sondern Zugehörigkeit in queerer Community und romantischer Liebe bei gleichzeitigem Queeren der heteronormativen nationalen und migratisierten Logik verspricht. Auf der Ebene der Figureninteraktion verdichtet sich das Mockieren über die repressive Heteronorm in einer Szene, in der das ›Queeren der Diaspora‹ im Gopinath’schen Sinne eingelöst wird. Lolas Freundin Kalipso, eine trans Frau, die im Alltag jedoch meist in männlich kodierter Gender-Präsentation aufrtritt, trifft in dieser Szene geschminkt und in weiblich konnotierter Kleidung eine Nachbarin im Treppenhaus. Im Gespräch mit der (türkischen) Nachbarin, die Kalipso erst erstaunt erkennt, als diese ihr sagt, sie würde sich normalerweise als Mann verkleiden, um den wolllüstigen Blicken der Männer zu entgehen, werden Gender-Normen nicht nur gequeert, sondern ad absurdum geführt: In Kalipsos Auftritt wird Gender als ›Kopie ohne Original‹ (vgl. Butler 1991) aufgeführt und patriarchale Normen werden mit Kalipsos Verweis auf die Notwendigkeit ihrer Verkleidung, um ihre ›Ehre‹ und ›Jungfräulichkeit‹ zu behalten, dadurch ironisiert, dass das Publikum die Szene als ›Eingeweihtes‹ betrachtet. Gleichzeitig wird hier vorgeführt, wie das queere migrantische Subjekt auch der eigenen Diaspora nicht mehr angehören, die durch die Nachbarin repräsentiert ist und unterstreicht deren Subektposition als ›unmögliche‹ im Sinne Gopinaths. Eine weitere Szene hebt die queer nation auf eine kollektive Ebene, nun jedoch bereits ohne bedrohlich zu wirken, eher im Gegenteil: Die Liebhaber Friedrich und Iskender verlieren beim Scherzen und Flirten den Halt und landen in Unterwäsche auf einem architektonischen Modell Friedrichs der Stadt Berlin. In Aufsicht zeigt die Kamera die auf den Häusern Liegenden lachend, während der Fernsehturm in Iskenders Arm gelandet ist, er ihn fast zu umarmen scheint. Damit verknüpft der Film die beiden Männer visuell nicht nur affirmativ mit dem Kollektiv und reiht sie in die Nation ein, sondern geht darüber hinaus und lässt das evozierte Kollektiv durch die sich liebenden Männer wortwörtlich zum Einsturz bringen. Die natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnung wird in diesem Moment nicht nur symbolisch als ›diversere‹ resignifiziert, sondern als tatsächlich durch die lustvolle queere Intervention umgestaltete und ›dekonstruierte‹ ins Bild gesetzt.

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Abb. 57: Lola und Bilidikid (D 1999, R: Kutluğ Ataman)

Dem Einsatz von regionalen und nationalen Symbolen, um die Figuren in den größeren Kontext der Nation einzuordnen, wird ›der Kiez‹ gegenübergestellt, der mit Community und Zuhause auf der einen Seite sowie Heimatlosigkeit doppelt signifiziert ist. Die meisten Orte der queeren Community im Film stellen öffentliche Orte dar, oft draußen und/oder nachts eingeblendet – neben Clubs/Bars, öffentliche Toiletten, ›Hellas Imbiß‹, Berliner Straßen oder verlassene Gelände sowie Parks, welche zugleich ›Randorte‹ sind. Queerness ist somit überall zu sehen, jedoch als subaltern, als marginalisiert. Wohnungen und Innenräume sind seltener zu sehen, außer in Verbindung mit Friedrich, der von allen Figuren am häufigsten in seiner Wohnung oder dem Haus seiner Mutter gezeigt wird. Dies schafft eine gewisse Atmosphäre der ›Obdachlosigkeit‹ in Lola und Bilidikid, die durch Szenen wie Kalipsos Auszug (der als nicht-freiwillig anklingt und ohne, dass thematisiert wird, wohin sie ziehen wird) oder Murats temporäres Auf-der-Straße-leben verstärkt wird. So sind queere migrantische Subjekte an die Nation weder in der Öffentlichkeit angeschlossen – hier werden sie regelrecht bedroht – noch durch die Familie, welche einen wichtigen Ort darstellt, nationale Ideologie mit der individuellen Gefühlswelt zu binden und die Nation zu stabilisieren. Gleichzeitig wird durch die sich wiederholt eingeblendeten Kiezorte ein Gefühl der Community erzeugt. ›Zuhause‹27 wird für die migratisierten Queers aus Lola und Bilidikid somit zu einem prekären, bedrohten Ort, der sich immer wieder auflösen kann und reproduziert dadurch durchaus das populäre Bild des Zuhauses als einer der Hauptorte von sexueller und Gender- Unterdrückung für queere Subjekt (vgl. Gopinath 2006: 14) – es folgt auch in Lola und Bilidikid auf den Verstoß der heteronormativen Regeln des Zuhauses der Verlust desselben. Gleichzeitig wird ›Zuhause‹ in seiner vermeintlichen Natürlichkeit, die sich aus ›angeborener‹ Zugehörigkeit zu Familie und dieser als Mikrokosmos der Nation auch aus nationaler Zugehörigkeit ergibt, dekonstruiert und eine Vision als einer Kiezcommunity als ›Zuhause‹ entgegenge-

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Ich verwende hier überwiegend den Begriff des Zuhauses statt ›Heimat‹, um auf die problematische Geschichte des Begriffs im deutschen Kontext von Ausgrenzung und Nationalsozialismus zu verweisen (vgl. Zöller 2015: 20). Auf ›Heimat‹ wird nur zurückgegriffen, wenn es konkret um die Art und Weise der Konstruktion eines Heimatphantasmas geht.

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stellt. Mit Anne-Marie Fortier ist das queer-diasporische Zuhause nicht mehr bestimmt von einer Herkunft, sondern wird zu einem Ziel, das jedoch unfixiert, fluktuierend und nie gänzlich zu erreichen ist (vgl. Fortier 2001: 409). Fluktuierend bleibt dieses Ziel auch im Film, was sich anhand der Vielzahl der Community-Orte, die ins Bild gesetzt werden, zeigt. Lola und Bilidikid eröffnet damit jedoch durchaus die Möglichkeit, ›Zuhause‹ als wählbar zu erkennen und inszeniert die Idee einer Wahlfamilie im Zusammenhalt von Lola und ihren Freundinnen. Die Spannung zwischen der Einbindung der Figuren in die natio-ethno-kultureller Zugehörigkeitsordnung und dem Gegenentwurf der KiezCommunity als Wahlfamilie, löst sich zu Ende des Films in Richtung der Einbindung in das nationale Kollektiv auf – die Figuren sind zwar nun entweder tot, vereinzelt oder in Zweierkonstellationen zurückgeblieben, dennoch schlägt das Filmende hoffnungsvolle Töne an und verknüpft dies mit der abermaligen Einblendung der Siegessäule. Am Filmende werden die Figuren also doch in die natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnung eingebunden und das Queeren nationaler Symbolik läuft auf eine mögliche hoffnungsvolle Zukunft für die queeren migratisierten Subjekte in der Nation hinaus. Es wird also erneut die Siegessäule eingeblendet, allerdings hat sich eine Wandlung im Vergleich zur Eingangsszene vollzogen: Nun ist sie bei Tageslicht, in einer Totale und mit einer Kranfahrt aufgenommen, die durch das Steigen der Kamera und sich Entfernen vom Untergrund den Eindruck erweckt, die Siegessäule würde wachsen. Auch die Allee, die zur Siegessäule führt, ist zu sehen, mit dem in die Weite fahrenden Taxi, in dem sich Lolas Freudinnen Kalipso und Şehrazat befinden. Die begleitende Hintergrundmusik ist kraftvoll und aufsteigend, Flötenmusik, in die eine weibliche Gesangsstimme in türkischer Sprache einstimmt. Dadurch wirkt die letzte Einstellung dynamisch und hoffnungsvoll und steht damit im Kontrast zur Düsterkeit der Anfangsszene. Nach dem Tod bzw. dem Verlassen der Patriarchen, der Emanzipation Murats und seiner Mutter, der Anerkennung der Liebe von Friedrich und Iskender durch Ute (vgl. hierzu folgender Abschnitt) und der finanziellen Absicherung von Kalipso und Şehrazat durch Utes Brosche, die Iskender weggeworfen hatte und die die beiden wiedergefunden haben, wird trotz tragischer Verluste also aller Grund zur Hoffnung auf eine bessere Zukunft inszeniert. Die Musik deutet auch auf eine Resignifikation der Nation als hybride hin, in der Marsch oder Hymne ausgedient haben (zu Blasmusik und Nation im Film vgl. Gradinari 2021: 55). Damit schließt Lola und Bilidikid wieder mit einer Referenz auf die Nation, auf Berlin und das queere Berlin – nun voll von Potenzialen, Hoffnungen und Triumphen. In der Verknüpfung der migratisierten Queers mit der Staatssymbolik wird in ihnen die Vision eines ›neuen Deutschlands‹ allegorisiert, das hybrid und queer erscheint.

Mütterliche cis Weiblichkeit und Zuhause Cis Frauen erscheinen in Lola und Bilidikid entweder als Mütter oder es werden ihnen ›mütterliche‹ Attribute der Fürsorge und des Beheimatens zugeschrieben. Hier parallelisiert sich das Muster, das sich auch in Bezug auf protestierende Männlichkeitsinszenierungen finden lässt – pro Handlungsstrang gibt es eine Mutterfigur – und scheint allein durch dieses strukturelle Merkmal nahezulegen, dass Mütter immer als (periphere) Bezugspunkte in einer geschlechtlich, sexuell und natio-ethno-kutlurell kodierten Ordnung fungieren. Cis Frauen scheinen nur als Mütter oder Mutterfiguren vorstellbar und nehmen eher randständige Rollen ein, die zwar in Selbstbestimmung, Präsenz und

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Verhältnis zu ›Kindern‹ variieren, die letztendlich jedoch immer mit Mutterattributen verknüpft werden. Damit reproduziert der Film eine patriarchale Strukturposition der Mutter als die, die Männer (Ehemänner, Söhne) versorgt, während diese die Welt bestimmen. Trotzdem funktioniert jede Mutterfigur im Film anders. So lässt sich im Vergleich der mütterlichen Figurenkonzeptionen erkennen, wie über Mütterlichkeit verschiedene Versionen von Zuhause und Zugehörigkeit verhandelt werden. Murats und Lolas Mutter wird zunächst als konservativ und unter patriarchaler Herrschaft stehend inszeniert. So schreitet sie nicht ein, als Osman Murat in sein Zimmer sperrt, als Lola vor der Tür der Familie auftaucht, auch wenn sie zu wissen scheint, was passiert, was sich in ihrem verzweifelten Gesichtsausdruck spiegelt. Damit wird auch hier die Trope der still leidenden Mutter (vgl. Theweleit 2019 [1977]: 133) aktualisiert. Ihre untergeordnete Stellung betont sie selbst, als sie Murat wäscht, nachdem er von der Neonazi-Gruppe verprügelt wurde. Murat, der hier bereits von Lolas Existenz weiß, fragt sie in dieser Szene, warum sein älterer Bruder die Familie verlassen musste, woraufhin die Mutter vom durch den Vater und Osman initiierten Rauswurf Lolas erzählt: »Dein Vater beschloss, alle seine Sachen wegzuwerfen. Alle Spuren von ihm sollten beseitigt werden. Er sagte: ›Ich habe einen Sohn verloren. Ich will einen neuen.‹ So kamst du auf die Welt. Ich durfte nichts sagen, Ich bin ja nur eine dumme Frau. Das ist alles, was ich weiß. Du darfst Osman deswegen nicht hassen. Er ist das Oberhaupt der Familie. Er ist vielleicht nicht immer nett zu dir, aber er meint es nicht böse. Wir versuchen, in diesem fremden Land zu leben. Wir müssen beide auf ihn hören. Verstehst du?« In der Erzählung der Mutter wird deutlich, wie sie einerseits von den patriarchalen familiären Strukturen in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt wird (›Ich durfte nichts sagen‹) und wie sie diese Struktur andererseits in ihre Selbstkonzeption einfügt (›Ich bin ja nur eine dumme Frau‹). So muss sie ihr Kind vertreiben, auch, wenn sie es nicht will, weil sie dem Familienoberhaupt gehorchen muss. Diese untergeordnete Stellung in patriarchalen Strukturen kreuzt sich mit ihrem Status als Migratisierte (›Wir versuchen, in diesem fremden Land zu leben‹). Damit wird sie im Film als interdependent Diskriminierte mit eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten aufgrund ihrer Positionierung dargestellt. Zudem produziert die Szene die Mutter als Hüterin des Familiengeheimnisses und verortet sie in der mit Weiblichkeit und Mutterschaft assoziierten Rolle als Transporteurin kulturellen Wissens in nationalen wie ethnischen Gemeinschaften, die ihr traditionell zugeschrieben werden mit der Funktion der Reproduktion der Diaspora. Dass sie als einzige Mutter im Film in dieser Rolle inszeniert wird, verstärkt den Eindruck, dass sie als ›typisch‹ für ihre ›ethnische Gruppe‹ konstruiert wird, im Gegensatz zu den anderen beiden Mutterfiguren, die mit individuelleren Merkmalen ausgestattet werden, vor allem Friedrichs Mutter Ute. In der Geburt Murats – der Wiederherstellung der heterosexuellen Ordnung der patriarchalen Familie durch die symbolische Auslöschung Lolas, dem Austausch des queeren ›Schandflecks‹ durch einen vermeintlich heterosexuellen Sohn – wurde die Generationenfolge (vermeintlich) gesichert und die in der patriarchalen wie auch diasporische Logik für den Erhalt der Gruppe notwendige Kontinuität durch Reproduktion (wieder-)hergestellt. Murat wird Teil der Familie und ethnischen Gruppe, während Lola nur noch durch die Spur ihrer Perücke im Schrank der

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Mutter, also im Versteck, existieren kann. Die individuelle Familiengeschichte wird hier in das Kollektiv eingebunden. Dabei unterstreicht die Inszenierung, dass es sich hierbei um eine bedeutungsvolle Szene handelt, dadurch, dass die Kamera die Familiengeschichte durch Großaufnahmen der Gesichter mit starren Blicken emotionalisiert und die Szene mit einer Variation des unheilvollbringend klingenden musikalischen Themas des Films auf der Tonebene untermalt wird. Die Konstruktion der kümmernden Weiblichkeit und Mutterrolle wird in dieser Szene durch den Akt des Waschens fortgeführt. Während ihrer Erzählung fährt die Mutter damit fort, Murat zu waschen, – sie seift Murat ein und schüttet Wasser über Murats Kopf, während das Wasser seinen Körper hinunterläuft – was die Vergeschlechtlichung der sorgenden Praktik unterstreicht. Durch das Zusammenführen des Waschens als Akt der mütterlichen Pflege mit der Erzählung der weiblichen Unterlegenheit im Rauswurf des eigenen Sohnes wird die Konstruktion der Mutter als Fürsorgerin der Familie, die sich dem männlichen Prinzip stets unterordnet, unterstrichen und aktualisiert einen Diskurs über die Rolle des Weiblichen in Nationalnarrativen: Das Fantasma der Mutter als ›Heimat‹, die sich kümmert und beanstandungslos die (Kriegs-)Opfer soldatischer Männlichkeit pflegt (vgl. Kämper 2018; Theweleit 2019 [1977]: 133). Allerdings wandelt sich diese Inszenierung der Mutter in einer den letzten Szenen des Films: Als die Mutter mithört, dass Osman Lola ermordet hat, ohrfeigt sie Osman wortlos, verlässt die Wohnung und läuft in die Weite des Panoramas hinein weg, während sie ihr Kopftuch abstreift (und Murat ihr folgt, das Kopftuch aufhebend).

Abb. 58-60: Lola und Bilidikid (D 1999, R: Kutluğ Ataman)

Die Musik aus dem Off verändert sich dabei und entwickelt sich von dem dramatischen Thema, das sich durch den Film zieht, hin zu einem befreienden und auflösenden Geigen-Crescendo. Am Ende des Films emanzipiert sich die Mutter also, indem sie die ihr sowohl geschlechtlich als auch ethnisch zugeschriebene häusliche Umgebung als Umgebung der Unterdrückung (vgl. Seipel 2009: 182f.) verlässt und so auch die damit verbundenen Machtverhältnisse hinter sich zurücklässt. Das in diesem Prozess stattfindende Abstreifen des Kopftuchs wird damit zum Emanzipationszeichen, wodurch allerdings die populäre Kodierung des Kopftuchs als patriarchales Unterdrückungszeichen reproduziert wird. Wie Nanna Heidenreich erläutert: »Indem die Frau […] ihr Kopftuch abnimmt, wird sie in eine spezifische Sichtbarkeit überführt« (Heidenreich 2015: 200), zugleich aber auch die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung und der Reproduktion der türkischen Diaspora in Frage gestellt. Die spezielle Bedeutung des Kopftuchs in der deutschen nationalen Imagination als Zeichen der Andersheit und Unterdrückung der muslimischen Frau (vgl. Weber 2004: 33) wird hier als visueller Marker aufgerufen

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und im Abstreifen desselben die Minimierung ihrer Andersheit und Unterdrückung nahegelegt. Murats Aufheben des Kopftuchs bleibt daher ebenso widersprüchlich wie der Emanzipationsakt selbst, da sich nicht erschließt, ob er das Kopftuch aufhebt, weil er die Verbindung zur Mutter sucht, weil er es als patriarchalen Marker reklamieren will oder es womöglich selbst tragen möchte. Durch die Emanzipation der Mutter aus den alten Strukturen wird dennoch eine Neukodierung der Zugehörigkeitsmarker Zuhause, Familie und Nation vorgenommen, was in der Vereinigung mit Murat eine postmodern aufgeklärte, feministische und homofreundliche Version dieser nahelegt, wie im vorherigen Abschnitt erläutert. Gleichzeitig basiert diese Neukodierung auf dem Aufrufen stereotyper Bilder von Unterdrückung und reproduziert anti-muslimisch-rassistische Tropen, um sie zu überwinden. Friedrichs Mutter hingegen, eine reiche Aristokratin, wird von Beginn an als emanzipierte, alleinstehende, ältere Frau gezeichnet, mit Hang zu Ruppigkeit und Direktheit. Im Gegensatz zur Fürsorgerin ist sie hier diejenige, die umsorgt wird: Friedrich bringt ihr heiße Milch, Kekse für ihren Hund und lässt sie während der Renovierung ihrer Villa bei sich wohnen. Durch ihre Abwesenheit aus ihrem ›eigentlichen‹ Haus entsteht aber zugleich auch ein Möglichkeitsraum, innerhalb dessen Friedrich und Iskender durch Sex auf der Baustelle, die ihre Villa zu dem Zeitpunkt darstellt, dieses Haus oder zu Hause in ein schwules umkodieren können (vgl. vorheriger Abschnitt zu Iskenders und Friedrichs Fallen auf das Berlin-Modell). Dennoch wird der Mutter schließlich ›Mutterfürsorge‹ zugeschrieben und drückt sich aus, als sie sich und ihren Sohn bedroht sieht: Sie versucht Iskender zu bestechen und damit von Friedrich fernzuhalten, weil sie befürchtet, dass dieser das Familienvermögen erben könnte, sollte es eine Gesetzesänderung geben, die gleichgeschlechtliche Ehe ermögliche. Nach einem daraus entstandenen Streit mit Iskender entschuldigt sie sich bei ihm mit den Worten »Ich wollte nur meinen Sohn beschützen – verstehen Sie das?« Im Gegensatz zu ihrer bisherigen Inszenierung als harte Pragmatin, ›erweicht‹ sie in der beschriebenen Szene buchstäblich, als sie die Liebe zu ihrem Sohn beschreibt. Die Kamera konstruiert dies durch Distanzverringerung und Enthierarchisierung zwischen ihr und Iskender mit. Zunächst steht die Mutter in dieser Szene am oberen Ende der Stufen zu ihrer Villa und steigt diese hinab, während sie die Sorge um ihren Sohn ausdrückt. Sind sie und Iskender zunächst in halbnaher Einstellung getrennt im Bild zu sehen, werden sie in der darauffolgenden Einstellung beide zusammen im Bild in Großaufnahme gezeigt. Durch das Herabsteigen der Stufen begibt sie sich buchstäblich auf dieselbe Ebene wie Iskender und erkennt damit an, dass sie beide durch die Liebe zu Friedrich verbunden sind. Zum ersten Mal im Film lächelt sie liebevoll – das ›Erweichen‹ übersetzt sich in ihr Minenspiel – und verbindet sich sogar körperlich mit Iskender, indem sie ihm in einer fürsorglichen Geste die Haare aus dem Gesicht streicht und sein Gesicht ›tätschelt‹. Damit ist die weiche, liebende Muttergeste doppelt kodiert: Einerseits als Liebe dem Sohn gegenüber, andererseits als eine, die die homosexuelle Beziehung des Sohnes und des Liebhabers als gleichwertiges Lebensmodell anerkennt. Zusammengelesen mit ihrer bisherigen Inszenierung erhält die Chiffre ›Mutter‹ in Bezug auf Ute so auch eine doppelt nicht-normative Zuschreibung: In großen Teilen verkörpert sie keine normativ fürsorgliche Mutter und darüber hinaus ist die normativ aufgeladene mütterliche Fürsorge, als sie doch aufscheint, nicht nur verknüpft mit der Liebe zum eigenen Kind, son-

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dern auch – und durch die Einblendung von ihr zusammen mit Iskender statt Friedrich vor allem – mit der Anerkennung der nicht-normativen Beziehung ihres Sohnes gegenüber seinem migratisierten Liebhaber. Der nächste Moment in der Szene bringt jedoch eine weitere Wendung: Ute fällt zurück in ihre ›eigentliche‹ Rolle und ordert Iskender an, ihre Koffer ins Haus zu tragen. So legt der Film nahe, dass das Potenzial der Harmonisierung gesellschaftlicher Machtverhältnisse durch ›Anerkennung‹ in einer multikulturellen queeren Nation nur realisiert werden kann, solange die ökonomische Machtbasis, also die Besitz- und Klassenverhältnisse unangetastet bleiben; die Dominanzgesellschaft stellt sich mit Queeren (und) Migratisierten außerdem nur ›auf eine Stufe‹, wenn die diskursive Machtposition im Toleranzdiskurs unangefochten bleibt. Das Begehren nach der Fürsorge und Anerkennung der Mutter, der Wunsch nach Zugehörigkeit, ermöglicht diese gesellschaftliche Übereinkunft, was in Iskenders augenrollender, aber nachgiebiger Reaktion verbildlicht wird. Gleichzeitig re_produziert die Diskrepanz der Inszenierung der beiden Mütter eine Binarität zwischen ›weißer, deutscher, reicher, emanzipierter, fortschrittlicher‹ und ›nicht-weißer, migratisierter, der Arbeiter:innenklasse zugehöriger, unterdrückter, rückständiger‹ cis Weiblichkeit bzw. Mütterlichkeit in Bezug auf Murats und Lolas Mutter. Auch wenn Lolas und Murats Mutter sich am Ende emanzipiert, scheint die Ausgangslage für das Narrativ der ›türkischen‹ Mutter notwendigerweise die einer in beengten Verhältnissen Eingeschlossenen sein zu müssen. Dieser Kontrast verstärkt sich durch die Tatsache, dass Friedrichs anders als Murats und Lolas Mutter einen Namen hat (Ute), während über Lolas und Murats Mutter nur als ›Mutter‹ gesprochen wird. Die dritte Mutterfigur tritt in Gestalt von Hella, der Imbissbudenbesitzerin, bei der der Freund:innenkreis um Bili und Lola sich täglich treffen, auf. Als täglicher Anlaufpunkt, als Vertrauensperson und Beraterin in schwierigen Lebenslagen, als ›Tante‹, die als Teil der Familie imaginiert wird (Lola) oder witzelnd als ›Hure‹, mit der sich zusammen trinken lässt (Bili), ist sie als Kiez-/Szene-/Ersatz/Wahlmutter inszeniert. Dies wird akzentuiert, als sie dem nun obdachlosen Murat Essen, Schlafplatz und Arbeit im Imbiss gibt, nachdem Lola verschwunden und ihr Tod noch nicht bekannt ist. Damit werden auch ihr mütterliche Attribute der Fürsorge zugeschrieben; gleichzeitig wird durch diese Inszenierung das Abstammungsnarrativ von Familie und in deren Erweiterung Nation dekonstruiert. Dadurch legt der Film in Bezug auf Hella nahe, dass es für Zugehörigkeitspraktiken und -erfahrungen keine (Bluts-)Verwandtschaft oder vermeintlich ›natürliche‹ Abstammung braucht. Die Mutterfiguren sind so auch als Absagen an patriarchale Gesellschaftsordnung zu sehen, zugleich versprechen sie als Mittlerinnen Anschlussmöglichleiten an die Nation über klassenspezifische Zugehörigkeit – vor allem Elite und Unterschicht scheinen für die Inklusion offen zu sein. Alle drei Mutterfiguren bleiben eng verknüpft mit den jeweiligen ›Behausungen‹, die jedoch bis zum Ende des Films alle Transformationen erleben: Murats und Lolas Mutter wird immer nur in den engen Wohnräumen eingeblendet bis sie am Ende hieraus ausbricht; im Haus von Friedrichs Mutter finden Renovierungsarbeiten statt und schließlich zieht sie wieder in das Haus ein; Hellas Imbiss wird kurzerhand zur Bleibe für Murat umfunktioniert. Im Rückgriff der Inszenierung der Mutterfiguren auf cis normative Bilder von Mütterlichkeit und Sorge wird durch die jeweiligen mit ihnen verknüpften Wendungen (Emanzipation aus patriarchalen Strukturen, Anerkennung homosexueller

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Liebe, Sorge trotz nicht vorhandener Abstammungsverwandtschaft) schließlich über die Figur der Mutter und den verschiedenen Konzipierungen und Transformationen des Zuhauses ein Narrativ einer ›anderen‹ Nation mitgeschrieben, das jene als offene, hybride, nicht-heterosexuelle denkbar macht und damit dazu beiträgt nicht-normative Arten Zugehörigkeit vorstellbar werden zu lassen, dabei auf tradierte Mutter-Fantasmen zurückgreift, diese jedoch auch umformt. Zudem scheint ›Mutterliebe‹ über Klassen und Ethnien hinweg zu funktionieren und ermöglicht den Anschluss an die:den Andere:n. Dadurch reproduziert der Film jedoch auch die traditionelle Vergeschlechtlichung von Nation, indem Mutterfiguren eher metaphorisch bzw. topographisch gebunden für die Nation stehen, während Männer als direkte Repräsentanten metonymisch mit ihr verknüpft werden. Dennoch werden über die Mutterfiguren die Verhältnisse zu Zugehörigkeitsordnungen reflektiert, während es sich gilt, von den Patriarchen abzugrenzen.

Deutscher Film und intertextuelle Bezüge in Lola und Bilidikid Aus Intertextualitäts-Perspektive nimmt Lola und Bilidikid Referenz auf deutsche Filme über die Verhandlung von Zugehörigkeit in Bezug auf Gender, Begehren, Klasse und Nation und schreibt damit an den Aushandlungen von Deutschsein in unterschiedlichen zeithistorischen Kontexten mit. So knüpft der Film motivisch und filmästhetisch an Rainer Werner Fassbinders Lola (1981) an, der wiederum Josef von Sternbergs Der Blaue Engel (1930) aufgreift, welcher auf Heinrich Manns Roman Professor Unrat (1905) basiert. Fassbinders Lola von 1981 bildet den letzten Film aus seiner ›BRD-Trilogie‹, die neben Lola die Filme Die Ehe der Maria Braun (1978) und Die Sehnsucht der Veronika Voss (1982) umfasst. In ihnen setzt sich Fassbinder mit der Zeit ab dem Zweiten Weltkrieg auseinander, zeigt faschistische Kontinuitäten im Nachkriegsdeutschland durch die Linse dreier frauenzentrierter Melodramen auf und reflektiert damit auch die kapitalistisch orientierte bürgerInnenliche Gesellschaft kritisch. Lola (1981) ist ebenfalls im sexarbeiterischen Milieu angesiedelt und spielt zur Zeit des ›Wirtschaftswunders‹; Korruption und der Kampf um gesellschaftlichen Aufstieg (bzw. gegen gesellschaftlichen Abstieg) bestimmen hier das kleinstädtische, westdeutsche Treiben, das sich die Sexarbeiterin Lola zunutze macht und sich schließlich den Aufstieg durch Heirat ermöglicht. Während Fassbinders Lola Erfolg hat, stirbt Atamans Lola. Diese tragische Wendung des Lola-Schicksals kann als Kommentar auf die Zuspitzung der gesellschaftlichen Situation zwischen ›Wirtschaftswunder‹ und ›Nachwendezeit‹ gesehen werden. Während gesellschaftlicher Aufstieg in der Nachkriegszeit (für die weiße, von Klassismus betroffene Lola der weststädtischen Kleinstadt) möglich war, wird für die Nachwendezeit ein tragischeres, aber auch deutlich vielstimmigeres Bild gezeichnet. Lola und Bilidikid knüpft nicht nur narrativ an die Aushandlung von Marginalisierung und Anerkennung sowie das sexarbeiterische Milieu an, sondern greift auch dessen Farbenspiel aus rot und blau auf. Der »Dialog zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen« (Seeßlen 1992: o.S.) zwischen Wärme und Kälte (ebd.) aus Fassbinders Lola setzt sich auch in Atamans Lola und Bilidikid fort und wird in Lola selbst am kontrastreichsten inszeniert.

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Abb. 61-63: Lola und Bilidikid (D 1999, R: Kutluğ Ataman)

Doch vermischen sich rot und blau im Gegensatz zu Fassbinders Lola hier mehr, treten immer wieder zusammen in fast allen Figuren und Schattierungen auf und bilden bisweilen ein vielschichtiges Farbarrangement. Dies kann als Verweis auf die gesellschaftliche Hybridisierung seit Lola gesehen werden, als mögliches verstärktes Ineinanderfließen von Männlichkeit und Weiblichkeit in der Postmoderne und als Queeren der Binarität. Der farbästhetische Anschluss an Lola verweist gleichzeitig auf den inhaltlichen Anschluss an Fassbinders Lola und seine BRD-Trilogie: Als aktualisierte Version des Deutschlandpanoramas, nun nicht mehr in der Nachkriegszeit, sondern in der Zeit nach der ›Wende‹ legt Lola und Bilidikid nicht die Korruption des BürgerInnentums offen, sondern steht für das Entlarven von Diskriminierungsstrukturen in Deutschland, die aus der Interdependenz von Rassismus, Nationalismus und Queerfeindlichkeit geboren werden. Damit bietet Lola und Bilidikid ein Empathisierungsangebot für die oft prekäre Situation von (migratisierten) Queers in Deutschland und stellt sich damit ähnlich wie Alles wird gut, aber mit anderen Mitteln, als Diskursintervention in den ›deutschen Normalzustand‹, auf den sich bezogen wird, dar und ermöglicht neue Subjektivierungen. Weiterhin schließt Lola und Bilidikid durch Intertextualität an den internationalen Diskursen um Queerness und queere Subkulturen und deren Thematisierung im europäischen Film an. Auch Filme wie The Crying Game (1992) von Neil Jordan und High Heels (1991) von Pedro Almodóvar setzen queere und gendertransgressive Figuren und Themen für ihre Genrehybride zwischen Melodram und Actionkino ein, hier funktionieren die gendertransgressiven Figuren als Nebenfiguren jedoch eher als Folie, um Kategorienkrisen in anderen Bereichen zu verhandeln, denn als komplexe Figuren, die die Aushandlung der intersektionalen Verknüpfung von Kategorisierungen anleiten.

Zusammenfassung Insgesamt lässt sich also festhalten, dass in Lola und Bilidikid der gesellschaftliche Kampf um geltende und positiv besetzte Narrative (nationale) Zugehörigkeit zu erzählen von progressiven Kräften gewonnen wird, die gegen Essenzialismus, Gender-Binarität und -Rigidität und für Hybridität, Entbinarisierung und Selbstbestimmung eintreten. Die Veruneindeutigungen, Transgressionen und Grenzverschiebungen funktionieren dabei über die teilweise Reproduktion und Reaffirmation von (visuellen wie narrativen) Tropen migratisierter Rückständigkeit und Queerfeindlichkeit, indem gerade die Antagonisten und protestierenden Männlichkeiten im Film wenig individualisiert und typisiert gestaltet wurden. So inszeniert Lola und Bilidikid emanzipatorische Momente vor der Kontrastfolie typisierter Darstellungen ›überkommener‹ ethno-nationalistischqueerphober Männlichkeiten. Diese stehen im Kontrast zu den weniger typisierten

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Hauptfiguren und verstärken damit die mit ihnen nahegelegte Identifizierung. Vermittelt über ihre Queerness stellen die hybriden queeren migratisierten Subjekte in Verknüpfung mit nationalen Symboliken in Lola und Bilidikid auch die Imagination der deutschen Nation als weiß und deutschsprachig, als heterosexuelles ›Volk‹ und ›Einheit‹ aus Ost und West sowie die Heteronormativität migratisierter Milieus in Frage. Die kritische Reflexion natio-ethno-kultureller Homogenisierungen wird hier also durch die Dekonstruktion des heterosexuellen, männlichen Subjekts vorgenommen. Mit Coming-out als zentralem Vehikel im Emanzipationsprozess installiert, schreibt sich Lola und Bilidikid durch die Kontrastierung mit patriarchaler Unterdrückung aber auch in westliche Fortschritts- und Coming-out-Narrative ein, die eine gesellschaftlich offen gelebte Homosexualität zur erwünschten Norm erheben. Es zeigt sich auch, dass der Anschluss an die Nation über schwules Begehren hier durchaus möglich ist, worauf bereits Gopinath (2006) hinweist. Damit zeichnet Lola und Bilidikid ein ambivalentes Bild von Zugehörigkeitsnarrativen von Nation, Gender und Sexualität, legt die Hoffnung auf eine Zukunft der Nation als liberale und offene, die Hybridität, NichtBinaritäten, Uneindeutigkeiten, dritte Räume, Queerness, zulässt, nahe, geht dabei über etablierte Zugehörigkeitsnarrative teilweise hinaus, aber reaffirmiert die natioethnokulturelle Zugehörigkeitsordnung in einer ›bunteren‹ Form als gesellschaftliches Organisationsprinzip schlussendlich.

5.2.4 Fazit Sowohl in Lola und Bilidikid als auch in Alles wird gut werden Rassismus und Diskriminierung gegenüber queeren und diasporischen bzw. migratisierten Subjekten im Nachwende-Deutschland thematisiert und inszeniert. Dabei werden diese in unterschiedlichen Formen von mikroaggressivem Alltagsrassismus bishin zu Bedrohung und körperlicher Gewalt dargestellt. Deutschland wird als ambivalenter Ort der Freiheit und Diskriminierung zugleich inszeniert: Besonders subkulturelle queere Szenen werden als selbstverständliche Orte der Gemeinschaft und Selbstentfaltung gezeichnet, während Diskriminierung besonders in Bezug auf die Interdependenz von nicht-heteronormativem Gender oder Begehren mit nicht-Weißsein dennoch eine alltägliche Erfahrung und Bedrohung darstellt. Diese Gleichzeitigkeiten produzieren Ambivalenzen, die auch die Filme nicht auflösen. In diesen Ambivalenzen entstehen in beiden Filmen aber auch ›Dritte Räume‹, die sich in Musik oder Sprachgebrauch am offensichtlichsten artikulieren. Dies sind Momente, in denen sich die akustische Dimension gegenüber der Bildlichkeit emanzipiert, was ein besonderes affektives Potenzial entfaltet, normative Subjektivität zu verunsichern und zu destabilisieren. In beiden Filmen wird dabei die Symbolik des Wassers verwendet: Lolas Leiche wird im Wasser gefunden, Bili stürzt im Tode ins Wasser, Murat wird gewaschen, als er von Lola erfährt, Kim und Nabou springen ins Wasser, um sich zueinander zu bekennen. Als Symbol für Weiblichkeit, aber auch für alles Fließende, nicht zu einer Identität Verfestigendeund damit auch fluide kategoriale Grenzen fungiert Wasser als Raum des Übergangs, der Erneuerung und der Transformation. Damit werden auch die religiös aufgeladenen Symbole der Taufe und Wiedergeburt aufgerufen, die in der Inszenierung der Emanzipations- und Coming-

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Out-Prozesse mitschwingen und die religiösen Konnotationen zugleich umdeuten oder ironisieren. Alles wird gut und Lola und Bilidikid enden beide mit einem verheißungsvollen, ein Stück utopischen Hoffnungsschimmer auf eine anti-rassistische, queerfreundliche Gesellschaft. Die chronologischen Filmnarrationen – auch unter Beachtung der Orientierung am westlichen Modell des Coming-Outs als Schlüssel zum befreiten Leben – und die hoffnungsvollen Enden ermöglichen einem liberalen Publikum eine Erlösung von Schuldgefühlen in Bezug auf Gewalt und Diskriminierung, da diese immer ›Anderen‹ zugeschrieben werden kann (Neonazis, homophoben Migratisierten in Lola und Bilidikid; ›Rassist:innen‹ ›CDU-Wähler:innen‹ in Alles wird gut) und arbeiten damit an nationalen Selbstvergewisserungsnarrative für eine liberale, gebildete (weißdeutsche) Mittelschicht mit. Gleichzeitig stellen die hier präsentierten Narrative Herausforderungen an dominanzgesellschaftliche Nationsnarrative von Einheit in Frage und setzen diesen ›andere‹ Imaginationen der Nation entgegen. Nicht-weiß-deutsche queere Figuren und Communities werden hier zu Hoffnungsträger:innen, die die Nation in eine egalitärere, ›hybride‹ Zukunft führen können. Damit schaffen die Filme einerseits Narrative entgegen der ausschließlich von Tod und Elend geprägten Enden in queeren Filmen, andererseits werden damit aufkommenden Homonormativitätsund Homonationalismusnarrativen westlichen Fortschritts fortgeschrieben und dem gesellschaftlichen Diskurs des vermeintlich unpolitischen liberalen Multikulturalismus in die Hände gespielt. Gleichzeitig unterstützen beide Filme einen Diskurs der Antidiskriminierung und können Hoffnung auf eine ›bessere‹ Zukunft erzeugen. Beide Filme erheben den Anspruch an eine realistische Darstellungsweise und fordern damit auch ein Ernstnehmen ihrer fiktionalen Narrative als Kommentare auf lebens- und sozialweltliche Erfahrungen, die den Diskurs über Diskrminierungen in Deutschland in progressiver Weise mitprägen sollen. »[Q]ueeriasporisierende[e]« (Köppert 2017: 203) Subjekte wirken als katalysatorisch für Gesellschaftskritik und nationale Selbstvergewisserung zugleich, aber mit unterschiedlichen Anteilen. Lola und Bilidikid bleibt dabei ambivalenter und vielschichtiger als Alles wird gut, was ja mit der Wahl des Genres und unterschiedlicher intertextueller Dichte der Filme zusammenhängt. Trotzdem überragt am Ende in beiden Filmen der interventionistische den assimilatorischen Gestus.

5.3 Queeren des deutschen Migrationsregimes in Kleine Freiheit und Fremde Haut In diesem Kapitel diskutiere ich die beiden Filme Kleine Freiheit (2003) von Yüksel Yavuz und Fremde Haut (2005) von Angelina Maccarone, die Migration nach Deutschland, sexuelle Identität und die Konfrontation mit dem deutschen Migrationsregime im städtischen und ländlichen Kontext thematisieren. Dabei lautet die These, dass die Filme in der Inszenierung der Wirkmacht und Porosität nationaler Grenzen zugleich sowohl utopische Entwürfe von Gemeinschaft nahelegen (Kleine Freiheit), als auch darstellen, wie Ideologien von exkludierendem Staatshandeln und Nationsvorstellungen ineinandergreifen können (Fremde Haut). Nicht-heterosexuelle Beziehungen dienen als Zufluchts-

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

stätte in Deutschland, das insgesamt als unbehaglicher und bedrohlicher Ort für (queere) Asylsuchende und Illegalisierte inszeniert wird. Migration und Asyl können als nationale ›Dauerthemen‹ in Deutschland gesehen werden, da sich hieran die Diskussion über die Rechtmäßigkeit der Anwesenheit im Nationalstaat kristallisiert; die Debatte erreichte zu den Entstehungszeitpunkten der Filme einen neuen Kulminationspunkt, da zu dieser Zeit in Deutschland heftig über ein neues Zuwanderungsgesetz debattiert wurde, mit dessen Inkrafttreten 2005 die Bedingungen für die Zuwanderung ›Hochqualifizierter‹ erleichtert werden und eine bessere Infrastruktur für ›Integrationskurse‹ für alle Migrant:innen bereitgestellt werden sollte (vgl. Kleiner-Liebau 2008: 10), im dominanten Diskurs Migrant:innen aber immer noch »als natio-ethno-kulturell Andere konstruiert werden« (Goel 2009: 100), während die Rechtslage für Geflüchtete, die wegen Diskrimnierung aufgrund von sexueller Orientierung oder Gender-Identität fliehen, zum Zeitpunkt des Erscheinens der Filme prekär bleibt.28 Theoretische Zugänge, die dieses Kapitel mit überwiegend sozialwissenschaftlichen Gedanken zu Grenzregimen rahmen, finden sich in William Walters Konzept der ›fuzzy borders‹ und Yann Moulier Boutangs Idee der ›Autonomie der Migration‹.

5.3.1 Symbolische und materielle Grenzen, Fuzzy Borders und Autonomie der Migration Grenzen werden im westphälischen Verständnis als Trennungslinien zwischen Nationalstaaten verstanden; die Grenze umschließt in dieser Logik den Nationalstaat, markiert sein souveränes Territorium – Grenzumrisse machen den Nationalstaat auf der Landkarte erkennbar. Neuere Beiträge aus der Grenz- und Migrationsforschung stellen dieses Konzept von Grenze in Frage und gehen von einer Multiplizität von Grenzen aus (vgl. Walters 2006: 141); sie beschreiben Grenzen in der EU mit voranschreitender europäischer Integration als »fuzzy« (Weaver: 1997; Axford/Huggins: 2000; Christiansen: 2000, zit. in Walters 2006: 142), also unscharf, verschwommen und nicht nur an einem Ort vorhanden. Damit einher gehe ein Prozess des »reborderings« (ebd.), also der Neubestimmung von Grenzen, die laut William Walters in ihren wirtschaftlichen Bedeutungen abnehmen und in der Kontrolle klandestiniserter Akteur:innen an Bedeutung gewinnen (Walters 2006: 142). Von der Grenze im Zusammenhang eines ›reborderings‹ zu denken, ermögliche es laut Walters, diese als kontingente soziale Praktik zu verstehen (ebd.), die sich im Zusammenspiel verschiedener Akteur:innen in gesellschaftlichen Machtverhältnissen konstituiert. Ähnlich sehen Étienne Balibar und Erin M. Williams Prozesse der

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Erst nach einem EuGH-Urteil vom 07.11.2013 musste Verfolgung aufgrund von sexueller Orientierung oder Gender-Identität auch in das deutsche Asylrecht aufgenommen werden. In der Entscheidungspraxis im Vorfeld des Urteils wurden Asylanträge mit der Begründung abgelehnt, dass betroffene Personen sich in den Privatraum zurückziehen könnten und daher nicht generell gefährdet wären. Auch wenn diese Begründung nicht mehr möglich ist, so werden in momentaner Entscheidungspraxis Asylanträge oft mit der Begründung abgelehnt, dass »in dem Heimatstaat der Asylbewerber nicht gezielt nach Homosexuellen gefahndet werde und dass ein Strafverfahren gegen die Asylbewerber daher äußerst unwahrscheinlich sei« (LSVD 2019).

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Grenzziehung als fluktuierend, sich verändernd, und meinen, dass Grenzen damit »dispersed a little everywhere, wherever the movement of information, people […] is happening« (Balibar/Williams 2002: 71) zu finden seien. Somit würden Grenzen zunehmend ubiquitär und multipel (vgl. Balibar/Williams 2002). Claudia Bruns betont auch den Zusammenhang der Grenze mit Rassismus und weist auf die Verknüpfung symbolischer wie materieller Grenzen hin (vgl. Bruns 2017: 2), vor allem die Materialisierung von Grenzen »aus Interrelationen zwischen territorialen und symbolischen Grenzziehungs- und Identitätsprozessen« (Bruns et al. 2021: 16), wobei neben Race hier ebenfalls auf Gender als wirkmächtige Kategorie verwiesen wird (ebd.). Aus »soziale[n] Grenzen« können somit »materielle[…] Grenzarchitekturen […] (Ghetto, Lager, Gefängnis, Grenzzäune usw.)« (Bruns 2017: 2) werden. Damit lässt sich Grenze als allumfassendes Phänomen denken, das für diejenigen, die aus der Nation ausgeschlossen werden sollen, eine konstante Bedrohung darstellt. Das Verständnis der Malleabilität und Veränderlichkeit von Grenzen sowie deren Eingebundensein in Machtverhältnissen liegt auch der Idee des Grenz- oder Migrationsregime-Begriffs zugrunde, der in der Kritischen Migrationsforschung entworfen wurde, wobei Migration als »maßgebliche Kraft über das Grenzgeschehen« (Karakayali/Tsianos 2005: 49) gesehen wird. Regime lässt sich dabei definieren als »institutionalisierte Form des norm- und regelgeleiteten Verhaltens bei der politischen Bearbeitung von Konflikten oder Interdependenzproblemen in unterschiedlichen Sachbereichen«, welche sich aus »Prinzipien, Normen, Regeln und Entscheidungsverfahren« (Wolf 1994: 423, zit. in Karakayali/Tsianos 2005: 46) zusammensetzt. Mit der Einsetzung des Regime-Begriffs können Regulierungsweisen also als Effekte sozialer Dynamiken angesehen werden (ebd.). In einem Migrationsregime verlaufen diese Dynamiken mit Blick auf Machtverteilungen asymmetrisch (vgl. Karakayali/Tsianos 2005: 49) und nehmen weniger hermetische Abriegelung, sondern Entrechtung und Verteilung von Arbeit zum Ausgangspunkt; es gehe somit nicht nur um Exklusion, sondern auch darum, »ein System von Sperren zu errichten, das letztlich […] dazu dient, ›einen aktiven Prozess der Inklusion migrantischer Arbeit durch ihre Klandestinisierung‹ [Formulierung von Nicholas de Genova] zu produzieren« (Mezzadra 2005, zit. in Karakayali/Tsianos 2005: ebd.). Dabei wird von einer »Autonomie der Migration« (Boutang 2002) ausgegangen, ein Begriffkonstrukt, das Migrationspraktiken in ihrer Subjektivierung anstatt Marginalisierung betrachtet (vgl. Bojadžijev/Karakayali 2007: 207), und hervorgehoben, dass Migration deren Kontrollversuche beeinflusse und zur permanenten Umgestaltung ihrer Kontrollmechanismen nötige (vgl. Karakayali/Tsianos 2005: 37). Dem Ansatz Migration von der Autonomie her zu denken, wurde vorgeworfen, Migration zu romantisieren und durch die Betonung des Aspekts der Arbeit, die Idee vom Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit zu reproduzieren, also Reproduktionsarbeit und Patriarchat damit nicht zu berücksichtigen (Benz/Schwenken 2005). Dennoch kann der Ansatz vielversprechend sein, um Migration aus ihrer Subjektivität heraus und mit Blick auf Subjektivierungsprozesse zu betonen, wenn sie als Aneignungsversuche im Grenzregime verstanden werden, durch die Momente der Unkontrollierbarkeit hervorgebracht werden können, die aber auch die Techniken zum Versuch ihrer Kontrolle mit entstehen lassen und dabei in den Blick genommen wird, wie dies mit heteronormativen nationalstaatlichen Logiken und deren Durchbrechung verknüpft ist. ›Fuzzy‹ auf der einen Seite und ubiquitäre Grenzen auf der an-

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deren Seite, welche aus der Verknüpfung materieller und symbolischer Grenzen zusammen mit der Idee der Autonomie der Migration in der Einbindung in Grenz- und Migrationsregime hervorgehen, dienen als Analyseperspektive, informieren die Konstruktion der Grenzregime und Grenzverhandlungen in den Filmen und sind daher von Bedeutung, um die Verhandlung natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit in Verflechtung mit der Überschreitung nationalstaatlicher, Gender- und Sexualitätsgrenzen in den beiden Filmen zu betrachten.

5.3.2 Kleine Freiheit Kurdisches und Kurdisch-deutsches Kino Unter der Kategorie türkisch-deutsches Kino wird in Bezug auf den deutschen Film oft auch Kino von kurdisch-türkischen Filmemacher:innen gerechnet. Dies entspricht der Kategorisierungstradition des nationalen Kinos, in der ›Herkunft‹ nationalstaatlich und nicht nach Selbstidentifikation vorgenommen wird. Kurdisch-deutsches Kino wurde somit nie als relevante Größe des deutschen Kinos diskutiert. Demgegenüber steht jedoch der Begriff des kurdischen Kinos, unter den alle Produktionen kurdischer Filmemacher:innen in kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei, dem Iran, Irak und in Syrien sowie der Diaspora gefasst werden können. Die Anfänge des kurdischen Films werden unterschiedlich beschrieben. Während Suncem Koçer soweit zurückgeht, Zaré (1926), einen armenischen Film über kurdisches Dorf-Leben von Hamo Beknazarian, als ersten kurdischen Film zu bezeichnen (vgl. Koçer 2014: 474), verortet Mehmet Aktas die Anfänge kurdischen Kinos in den Filmen Yilmaz Güneys wie Die Herde (1978/79) und Der Weg (1981) Ende der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre (vgl. Mehmet Aktas und Bülent Kücük im Interview mit Amin Farzanefar 2005). Im türkischen Diskurs hat sich der Begriff des kurdischen Kinos seit Ende der 1990er Jahre etabliert; seit Beginn der 2000er Jahre erfahren kurdische Filme größere internationale Zirkulation und Sichtbarkeit (vgl. Koçer 2014: 473). Kurdischer Film ist somit ein neues Phänomen, das insofern von besonderer nationler Bedeutung ist, weil diese Filme kurdischer Filmemacher:innen mit kurdischen Themen dazu beitragen, eine kurdische Nation auch ohne kurdischen Nationalstaat zu imaginieren (vgl. Koçer 2014: 475). Kurdische Kulturproduktionen in der europäischen Diaspora bilden damit Beispiele für die immer schon transnationale Ausrichtung kurdischen Kinos und transnationale Imagination, die von jeweils bereits existierenden nationalen Diskursen geprägt ist (ebd.). Die Verwendung kurdischer Sprache im Film stellt dabei einen bedeutenden Faktor der imaginären Gemeinschaftsbildung und kultureller Resilienz dar (vgl. Koçer 2014: 474). Um kurdisches Kino zwischen nationalstaatlicher Verortung und transnationaler Imagination einzuordnen, bietet sich für Suncem Koçer Arjun Appadurais Konzept der ethnoscapes an (vgl. Koçer 2014: 474). Ethnoscapes beschreiben nach Appadurai: »the landscape of persons who constitute the shifting world in which we live: tourists, immigrants, refugees, exiles, guest workers, and other moving groups and individuals constitute an essential feature of the world and appear to affect the politics of and between nations to a hitherto unprecedented degree« (Appadurai 1990: 297).

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Damit wird deutlich, dass neben der Produktion einer imaginären kurdischen Nation, kurdischer Film, gerade kurdischer Film aus dem Exil auch für Diversität und Heterogenität stehen, da jede:r diasporische Filmemacher:in auch vom jeweiligen Nationalkinos des Exillandes geprägt ist: Deutscher kurdischer Film würde sich somit von z.B. französischem kurdischen Film unterscheiden (vgl. Mehmet Aktas im Interview mit Amin Farzanefar 2005). Kurdischer Film siedelt sich also schon per definitionem in einem Spannungsfeld von nationalen, ethnischen, diasporisch-migratisierten und transnationalen Zugehörigkeiten an. Damit hat er nicht nur das Potenzial, unterschiedliche Zuschauer:innengruppen anzusprechen, sondern auch Ideen nationaler Zugehörigkeit zu heterogenisieren, entessenzialisieren oder zu dekonstruieren. Dies zeigt sich auch in der Person des Filmemachers des Films Kleine Freiheit (2003) Yüksel Yavuz, der in der akademischen Diskussion oft dem türkisch-deutschen Kino zugerechnet wird, sich selbst aber als kurdisch-deutscher Filmemacher sieht (vgl. Bülent Kücük im Interview mit Amin Farzanefar 2005). Sein Film Kleine Freiheit wird damit nicht nur als einer der ersten Filme ›türkisch-deutschen‹ Kinos gerechnet, der sich mit Queerness auseinandersetzt, sondern nach Auslandstournee (1999) auch der zweite Film, einer:s kurdisch-deutschen Filmemacher:in, in der Queerness eine Rolle spielt sowie einer der ersten Filme, die den prekären Status von Kurd:innen in Deutschland thematisieren (vgl. Naiboglu 2018: 178). Yavuz, der mit 16 Jahren aus der kurdischen Türkei seinem Vater nach Deutschland nachfolgte, thematisiert in seinen Filmen die politische Situation in den kurdischen Gebieten und in der kurdischen Diaspora und legt seinen Filmen die politische Intention zugrunde, Aufmerksamkeit für die Probleme kurdischer Minderheiten zu generieren (vgl. Kraenzle 2009: 93). Kleine Freiheit konnte mit seinem kurdischen und queeren Thema den Publikumspreis des Internationalen Istanbul Film Festivals 2004, den Hauptpreis des Ankara International Filmfestivals 2003 gewinnen und spielte 2003 auf den Internationalen Filmfestspielen von Cannes (vgl. Naiboglu 2018: 176). Damit stellt er nach der Dokumentation Mein Vater, der Gastarbeiter (1994) und Aprilkinder (1998) den dritten Langfilm des Filmemachers dar (vgl. Naiboglu 2018: 178). Kleine Freiheit ist bisher wenig erforscht. In einzelnen Zeitschriftenartikeln wird der Film mit Bezug auf die Rekonzeptualisierung nationaler Narrative bzw. lokalen und globalen Verflechtungen (vgl. Kraenzle 2009) oder in Bezug zu postrepräsentationellen Ästhetiken (vgl. Naiboglu 2018) diskutiert. Dabei steht jedoch eine Analyse aus, die die Verflechtung und Dekonstruktion von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit in Verbindung mit Gender- und Sexualitätsbezogenen Kategorisierungen genauer untersucht.

Kleine Freiheit – Queere Freiheit? In Kleine Freiheit 29 schlägt sich der 16-jährige Baran (Cagdas Bozkurt), der nach dem Tod seiner Eltern fünf Jahre zuvor aus der kurdischen Türkei nach Deutschland gekommen war, in Hamburg mit einem Job als Fahrradbote für einen Kebab-Imbiss durch.

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Die Kleine Freiheit ist eine Parallelstraße der Großen Freiheit in Hamburg, einer Seitenstraße der Reeperbahn. Der Titel spielt außerdem auf den Film Große Freiheit Nr. 7 (1944) von Helmut Käutner an, in dem Hans Albers einen ›ewigen‹ Seefahrer verkörpert (vgl. Göktürk 2004: 1), eine intertextuelle (und vielleicht ironische?) Referenz, durch die der Film sich mit deutscher Filmgeschichte verwebt und implizit seine Anerkennung in dieser einfordert.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Da Barans Asylantrag abgelehnt wurde, sieht er sich als Illegalisierter der ständigen Bedrohung durch eine mögliche Polizeikontrolle und daraus resultierender Abschiebung ausgesetzt.30 Die Geschichte entspannt sich um den Alltag aus Arbeit, Angst vor Abschiebung, politischen Auseinandersetzungen innerhalb der kurdischen Community sowie Freund:innenschaften mit anderen von Armut oder Migratisierung Betroffenen im Kiez und der queeren Beziehung zu Chernor (Leroy Delmar). Am Ende werden Baran und Chernor als Illegalisierte enttarnt und festgenommen. Die ersten Einstellungen des Films zeigen das Bild einer Handkamera; zu sehen sind kurdischsprechende, ältere Menschen, die sich über Alltagsthemen, die auf ein Landleben schließen lassen, unterhalten. Die Kamera zeigt, wie innerhalb dieser Unterhaltung das Bild der Handkamera vor- und zurückgespult wird. Das Handkameraaufnahme läuft weiter und das Gesicht eines alten Mannes in Großaufnahme wird eingeblendet, der auf kurdisch in die Kamera sagt: »Meine Zeit ist vorbei […]. Die Zeit, in der mein Rat gefragt wurde, ist vorbei.« Ein Schnitt beendet das Handkamerabild und es wird Hamburg bei Nacht im Panorama gezeigt, zu sehen ist eine Polizeikontrolle auf der Straße im Bildhintergrund. Baran fährt mit seinem Fahrrad im Bildvordergrund ins Bild, stellt es ab und sieht sich im Weggehen mehrfach nach den Polizist:innen um

Abb. 64–65: Kleine Freiheit (D 2003, R: Yüksel Yavuz)

Abb. 66–67: Kleine Freiheit (D 2003, R: Yüksel Yavuz)

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Der Film inszeniert hier den Umstand, dass ihm unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten mit abgelehntem Asylantrag in Deutschland zum Zeitpunkt des Films mit 16 Jahren die Abschiebung droht (vgl. Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: o.J.) (im Jahr 2012 wurde das verfahrensfähige Alter auf 18 Jahre erhöht (vgl. Deutscher Bundestag 2012: 1)).

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Die zwei kontrastierenden Szenen rufen mehrdeutige Assoziationen auf: Zum einen deutet die Gegenüberstellung des kurdischen Dorfs mit der deutschen Großstadt und dem Ausspruch des alten Mannes, dass seine Zeit vorbei sei darauf hin, dass sich das Leben im kurdischen Dorf für den Protagonisten Baran, dessen Familie in Diyarbakir in den Kameraaufnahmen zu sehen ist, in der Vergangenheit befindet, aber die Gegenwart noch immer prägt und inszeniert andererseits Differenz zwischen den beiden Orten. Zum anderen schwingt im Aufrufen einer ›Zeit, die vorbei ist‹ eine Spur Nostalgie einer vermeintlich besseren Zeit und die implizite Frage nach der Charakterisierung der Gegenwart mit. Im Kontext der kurdischen Diaspora kann dies als Verweis auf der Fragmentierung durch Konflikt und Krieg und die damit einhergehende Flucht und Migration kurdischer Menschen in verschiedene Länder gelesen werden. Darüber hinaus kann die Einsicht des alten Mannes auch als Hinweise auf die Erosion des Patriarchats gedeutet werden und wirft die Frage auf, welche Stellung dies im Film einnehmen wird. Das Einblenden der Bilder eines Camcorders für den privaten Gebrauch als Rahmen im Rahmen des Bildes sowie das verpixelte Hin- und Herspulen, das Verweilen auf einem bestimmten Moment unter Ausblendung anderer, weist auch auf die Funktion des Films als Speicher- und Erinnerungsmedium hin, eine Reflexion des Filmischen, die über den Film hinweg ausgebaut wird: Das Zurückspulen und die potenziell unendliche Wiederholbarkeit dient als Erinnerungsmoment und Anhaltspunkt Barans im Jetzt, das ihn an seine kurdische Familie im Herkunftsort erinnern, Sehnsüchte, aber auch Gefühle der Zugehörigkeit evozieren können und die Frage nach der Rolle des Medialen im Erinnern aufwirft. Die Verpixelung weist jedoch auf die Medialität und damit Vermitteltheit der Erinnerung hin. In diesem medienreflexiven Moment wird die Bedeutung von Medien für die (diasporische) Erinnerungskultur deutlich und inszeniert private Videoaufnahmen als Geschichtsträgerinnen. In Barans Gegenwart fügen sich also Fragmente seiner Vergangenheit ein, durch die seine kurdische Herkunft mit der deutschen Realität verbunden wird. Durch das Einblenden von Barans Familie wird er auch eingebettet in eine Familiengeschichte und in ein Kollektiv, wodurch er nicht als Vereinzelter, sondern als eingebunden in die Kontinuität seiner Community im Film platziert wird. Damit findet sich bereits in den ersten Einstellungen das ins Bild gesetzt, was Daniela Berghahn und Claudia Sternberg (2010) unter Bezug auf Avtar Brahs soziologischer Konzeption des ›diasporischen Raums‹ ebenso nennen (diaspora space) und auf neue Konfigurationen im europäischen Film beziehen. Innerhalb des diasporischen filmischen Raums werden Erinnerungen Migratisierter an das Herkunftsland mit der Gegenwart im Aufenthaltsland ineinandergeschoben und zu einem transnationalen Raum, der die Imaginationen von Zugehörigkeit prägt (vgl. Berghahn/Sternberg 2010: 18) – ein Muster, das sich im europäischen Film mit der sich intensivierenden Globalisierung ausgebreitet hat und die Neuverhandlung europäischer Kollektividentitäten fordert (vgl. Berghahn/Sternberg 2010: 15ff.). Somit könnte ein diverses Publikum unabhängig von deren Positionierung als migratisiert, diasporisch oder statisiert an den Verbindungen, die die Filme herstellen, teilhaben, wenn auch je nach Positionierung auf unterschiedliche Art und Weise (vgl. Berghahn/Sternberg 2010: 18). Die Camcorder-Bilder, die im Film als Aufnahmen von Barans Familie mit seinem ›Opa‹ inszeniert werden, stellen in ihrem Ursprung Aufnahmen des Filmemachers Yüksel Yavuz’ eigener Familie dar (vgl. Naiboglu 2018: 179). Damit werden autobio-

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graphische Momente und Dokumente in den Film eingeflochten, die sich auch in der Figur Barans spiegeln, der aus derselben Region stammt wie Yavuz und im Film und 16 Jahre alt ist, das Alter, in dem Yavuz nach Deutschland kam (vgl. Göktürk 2004: 1). Gleichzeitig löst der Film damit auch einen Authentizitätsanspruch ein, der Filmen, die Migration thematisieren zugeschrieben wird (vgl. Seipel 2009: 116) und reiht sich mit seiner vermeintlichen »Realitätsnähe« (Seipel 2009: 123) in populäres narratives Muster von Migrationserzählungen ein. Mit kurdisch als der ersten Sprache, die im Film gesprochen wird – die Mehrsprachigkeit setzt sich über den ganzen Film hinweg fort – positioniert sich dieser im Diskursfeld des kurdischen Films, während die darauffolgende Einstellung mit der Einblendung des Hinweises auf die Produktionsfirma und auf die Co-Produktion mit dem ZDF – Das kleine Fernsehspiel die deutsche Prägung und das deutsche Setting des Films demonstriert. Damit wird bereits in den ersten Einstellungen das Konstrukt des ›deutschen Films‹ sowie Deutschland als einer monoethnischen und einsprachigen Nation in Frage gestellt und eine Komplizierung homogenisierender Narrative nahegelegt, die die Einbeziehung verschiedener Referenzrahmen von Zugehörigkeit, verschiedener frames und deren Verflechtung miteinander vorschlägt, indem sie visualisiert und durch die Montage verschaltet werden. Sowohl in der Einbindung der biographischen Dokumente und Referenzen in den fiktionalen und nicht autobiographischen Film, als auch in Komplizierung des ›nationalen Films‹, findet eine Vermischung statt, die die Dekonstruktion von Binaritäten mit und im gesamten Film spiegelt bzw. wird ein Muster etabliert, das sich durch den Film zieht: Die grundsätzliche Verweigerung gegenüber Eindeutigkeiten und widerspruchsfreien Auflösungen. Durch die Einblendung einer Polizeikontrolle bereits zu Beginn, wird ein weiteres Motiv eingeführt, das sich durch den Film zieht und immer wieder handlungsleitend auf die Protagonisten wirkt: Die Störungen des Alltagsablaufs durch die massive Polizeipräsenz, die jederzeit unvorhergesehen auftauchen kann und aufgrund derer sich Baran mit Bedacht durch den öffentlichen Raum bewegen muss. Sein mehrfaches Umsehen nach der Polizei und schnelles Weggehen verdeutlicht dies und verweist auf die schwierige Situation Illegalisierter in Deutschland: Das faktische »Leben in einem vollständig rechtsfreien Raum, stets auf der Hut vor Entdeckung und somit vollkommen schutzlos und angreifbar« (Assall 2005). Diese Schutzlosigkeit und Prekarität narrativiert und symbolisiert der Film noch in der ersten Filmsequenz: Baran kann nicht arbeiten, denn er hat Zahnschmerzen. In einer komisch überzeichneten und mit Figuren überladenen Szene in schnellem Tempo ›behandelt‹ Barans Chef die Problematik mit einem erhitzten Dönerspieß, während die umstehenden Kollegen Baran festhalten; die Szene endet mit Barans verhallendem Schmerzschrei. Hier dient die Überzeichnung dazu, die Drastik der Situation als Illegalisierter zu verdeutlichen: Abhängig von seinem nicht registrierten Job kann sich Baran keinen Krankheitstag leisten und selbst wenn, könnte er als Illegalisierter keine offizielle zahnärtzliche Versorgung in Anspruch nehmen. Der Anfang nimmt hier auf ironische Weise das Ende vorweg: Baran wird aufgrund seines Status als Illegalisierter erneut ›festgenommen‹ und gegen seinen Willen ›behandelt‹. Damit etablieren die Eingangsszenen auch die prekäre Situation Barans, die in die Gesamtstruktur und -narration des Films eingeflochten ist.

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In Kleine Freiheit werden die Unterstützung aus der Community und Marginalisierung in der Gesamtgesellschaft gegenüberstellt, ohne zu essenzialisieren, um Themen ethnischer und nationaler Loyalitäten und deren Überschreitung im deutschen Kontext zu diskutieren. Mobilität wird hier im Reigen mit deren Einschränkung dargestellt und die Perspektive auf den Versuch der Ausübung der eigenen Handlungsmacht im Kontext asymmetrischer Machtverhältnisse privilegiert. Zusammen mit der Inszenierung patriarchal-heteronormativer Erwartungshaltungen, deren ›Zeit vorbei ist‹ im Kontrast mit nicht-heteronormativer Praxis unterstreicht der Film den schwammigen Zusammenhang wie zugleich ubiquitären Status geographischer und vergeschlechtlicht-/sexualisierter Grenzen. Damit wird in Kleine Freiheit die Transgression heteronormativer, nationalstaatlich und ethnisch aufgezwungener Grenzen inszeniert. Der Film unterstützt so einen Diskurs, der die deutsche Asyl- und Migrationspolitik problematisiert, mit Fokus auf die Herausforderungen der kurdischen Community und den Exklusionscharakter homogen ausgerichteter ethno-nationaler Vorstellungswelten.

Verschiedenartige Grenzen in ihrer Wirkmacht und Fluidität Ethno-nationale sowie geschlechtlich-sexuelle Grenzziehungen werden in Kleine Freiheit sowohl in ihrer Wirkmacht als auch in ihrer Fluidität dargestellt, wobei Bewegungsmotive zentral werden. Zugehörigkeit in Deutschland am Ende der 1990er Jahre wird so gesehen von der Grenze aus verhandelt, wobei Prozesse des Einschließens und Ausschließen, des Grenzen-Ziehens zwischen Ich/Wir und der:die:das Andere:n nicht als klare Linien, sondern als Aushandlungsprozesse, als reborderings, die zum Teil an Zufälle gebunden sind, inszeniert werden. Grenze in ihren verschiedenen Bedeutungsschichten wird damit ein kontingentes Konglomerat aus nationalstaatlichen Regulationen, individuellen Transgressionen und ambivalenten doing belongings in Bezug auf interdependent miteinander verschränkten Kategorien der Zugehörigkeit.

Abb. 68-70: Kleine Freiheit (D 2003, R: Yüksel Yavuz)

Die Anwesenheit der Grenze mit ihren Praktiken der Kontrolle und Aufrechterhaltung nicht nur an der Grenze, die Nationalstaaten voneinander trennt, sondern auch im nationalstaatlichen Innern wird, wie erwähnt, im Film durch die enorme visuelle und handlungsleitende Polizeipräsenz inszeniert. Die Polizei als zentrale Institution moderner Staatlichkeit fungiert hier als Zeichen für das Gewaltmonopol des Staates, das durch die Polizei abgesichert wird31 . In der Darstellung der Polizierung rassifizierter und Be31

Wie Sam Mitrani (2013) am Beispiel der Chicagoer Polizei zeigt, war die Institution der Polizei von Beginn an nicht nur mit dem modernen Staat, sondern mit dem kapitalisitschen modernen Staat

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völkerungen im Film erzeugt der Film eine ständige Bedrohungslage durch diese. Diese Bedrohung strukturiert den Plot und prägt die Bildkomposition: Durch den Film hinweg taucht die Polizei immer wieder im Bild auf und auf ihr Auftauchen muss mit Strategien des Wachsam-Seins, Ausweichens, Versteckens und Fliehens, um dieser zu entgehen, reagiert werden. Durch dieses bildliche Vokabular und die Veränderung des Tagesablaufs mit dem Eintritt der Polizei ins Bild wird die Situation ständiger Gefahr und Unterbrechung für den illegalisierten Baran verdeutlicht und nahegelegt, dass es keine Nische im öffentlichen Raum gibt, die Aufatmen erlaubt. Die Art und Weise wie Polizeibeamte und Autos sowohl unverstellt als auch immer wieder durch Fenster, am Bildrand oder im Hintergrund gezeigt werden, unterstreicht diese Latenz der Bedrohung – auch wenn sie sich zunächst nicht als akute realisiert, ist sie jedoch immer da, schwingt immer mit. So entsteht ein filmischer Rhythmus des Spannungszustands und der Rastlosigkeit. Diesem spannungsreichen Ineinanderflechten von alltäglichem Leben und konstanter Bedrohung entsprechend entsteht in Kleine Freiheit bisweilen eine Atmosphäre des Getriebenseins und legt nahe: Flucht oder Migration hören nicht bei der Ankunft in Deutschland auf, sondern gehen hier ggf. weiter, in Barans und auch Chernors Fall in Form vom alltäglichen Fliehen vor Behörden wegen abgelehntem Asylantrag. Die Grenze und die Inachtnahme vor dieser, die Bedrohung und Beschränkung der Bewegungsfreiheit durch diese wird damit ubiquitär, allgegenwärtig und zur Bedrohung der von der Nation Ausgeschlossenen. Gleichzeitig wird das deutsche Migrationsregime in seiner Produktivität in Bezug auf die Einbindung klandestinisierter Arbeitskraft inszeniert: Sowohl Baran als auch Chernor sind auf prekäre, unsichere und informelle Formen von Arbeit angewiesen, um ihr Überleben zu sichern. In ihren jeweiligen Arbeiten – dem Drogenverkauf und der Arbeit für einen Kebab-Laden – ruft Kleine Freiheit gewisse Stereotype in Bezug auf die in bestimmten Communities verbreiteten Arbeiten auf, die auch im gesellschaftlichen Dominanzdiskurs immer wieder reproduziert werden, macht aber auch deutlich, dass dies keine gewählten Arbeiten sind, sondern diejenigen, zu denen sie durch ihre Netzwerke Zugang erhalten können. Diese Arbeit ist es auch, die Baran im Gegensatz zur immer wieder vorgeführten Einschränkung von Bewegung auch einen gewissen Bewegungsspielraum, Bewegungsfreiheit ermöglicht: Als Botenjunge für den Kebab-Laden fährt er mit dem Fahrrad durch den Kiez und erlangt dadurch Momente der freien Bewegung und Autonomie. Die vielfachen Einblendungen von Baran auf seinem Fahrrad, bisweilen zusammen mit Chernor illustrieren dies. Auch hier taucht ähnlich wie in Alles wird gut das Fahrrad erneut als Symbol für Raumaneignung und Bewegungsfreiheit auf. Die Fahrradszenen, die auch immer wieder Barans Gesicht in Großaufnahme zeigen, bis zu einer Minute lang sind und so eine Unterbrechung des sonst eher treibenden Rhythmus des Films darstellen, inszenieren diese ›Kleinen Freiheiten‹, die Baran trotz seiner prekären Situation hat bzw. sich nimmt. Gleichzeitig bleiben Mobilität und Bewegung auch immer doppelt besetzt: Als Momente der Bewegungsfreiheit und als Ausweichbewegungen, um dem Migrationsregime zu entkommen. Unterstrichen wird diese Doppelbewegung durch die Hinterlegung der Fahrradszenen mit der Musik des Mercan Dede Ensembles, die Saz-Klänge mit verknüpft, denn sie sollte in ihren Ursprüngen vor allem die Eliten vor der Arbeiter:innenklasse schützen (vgl. Mitrani 2013: 133).

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elektronischen Klängen verbindet und damit nicht nur auf Hybridität verweist, sondern durch die Wirkung der Musik als gleichzeitig meditativ und treibend das Spannungsverhältnis von Selbstbestimmung und Kontrolle sowie Bedrohung verdeutlicht. Visuell wird dies mit einer Bild-Metapher auf den Punkt gebracht, als sich Baran auf dem Fahrrad zwischen fahrenden Autos hindurchschlängelt: Als schwächerer Verkehrsteilnehmer muss er sich vor den Autos in Acht nehmen, seine Bewegungsfreiheit auf dem Fahrrad wird durch diese eingeschränkt. Die Kameraaufsicht verstärkt dies, da Baran zwischen den Autos zwar souverän auftritt, aber auch seine Schwäche und Unterlegenheit hervorgehoben wird. Trotzdem ermöglicht ihm das Fahrrad überhaupt am fahrenden Verkehr teilnehmen zu können und wird im Gegensatz zum Auto nur durch Barans eigene Anstrengung und Muskelkraft angetrieben. Diese Szene verdeutlicht seine Stellung im Migrationsregime und die ambivalente und prekäre Freiheit, die Baran erfährt. Hier wird das Wechselspiel aus nationalstaatlichen Kontroll- und Einhegungsversuchen sowie Autonomie der Migration visualisiert.

Abb. 71–72: Kleine Freiheit (D 2003, R: Yüksel Yavuz)

Abb. 73–74: Kleine Freiheit (D 2003, R: Yüksel Yavuz)

Die Spannung von Bewegung und deren Begrenzung wird auch durch die verschiedenen räumlichen Visualisierungsstrategien dargestellt: Während im Außenraum oft leere Räume oder Panoramen gezeigt werden, sind Innenräume von Enge, Spärlichkeit oder Unübersichtlichkeit geprägt. Daneben birgt der öffentliche Raum sowohl das Versprechen von relativer Freiheit und Entfaltung als auch Bedrohung, während der Innenraum relative Sicherheit vor Kontrolle und Abschiebung, aber auch Einschränkung in Bezug auf Platz und Möglich-

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

keiten der Entfaltung bedeutet. Durch die Wiederholung der Einblendung derselben Außenräume wird aber auch deutlich, wie relativ diese vermeintliche Bewegungsfreiheit ist, da sie sich größtenteils auf den eigenen Kiez beschränkt und sich dort in immer wiederkehrenden Schleifen wiederholt. Das Privileg des Fahrrads in Bezug auf Ermöglichung von mehr Bewegungsfreiheit und der Erweiterung des Bewegungsradius’ zeigt sich deutlich im Verlust des Fahrrads durch den Verlust des Jobs. Nicht nur wird die Knüpfung von Freiheitsgewinn an eine bezahlte Arbeit aufgerufen, der Verlust des Fahrrads wirft Baran zurück auf sich selbst und führt ihn zu steigender Immobilität. Das Motiv des Verlusts wird in Bezug auf das Fahrrad besonders deutlich dargestellt, zieht sich jedoch durch den ganzen Film: Neben Barans Zahnverlust zu Beginn des Films erfährt das Publikum im Verlauf vom Verlust Barans Eltern; Chernor verliert seine Wohnung und berichtet vom Verlust seiner Familie durch Kontaktabbruch, er verliert sein gespartes Geld, als er von seinen ›Kumpels‹ beklaut wird und damit zusammenhängend verliert er auch seine Bleibe; Baran berichtet vom Verlust eines Lottogewinns eines illegalisierten Bekannten durch Betrug dessen Freundes; er verliert, wie erwähnt, auch Job und Fahrrad, mit des Käptns (ein schwuler Obdachloser und Freund von Baran und Chernor) Tod verlieren Baran und Chernor zudem einen Freund; Barans Kamera verliert im Verlauf des Films immer mehr an Akku und am Ende verliert Baran nicht nur Chernor (an die Polizei), sondern verlieren auch beide ihre Freiheit. Den Verlusterfahrungen und realen Beschränkung von Bewegung setzt der Film aber auch konkrete wie imaginative Momente der Selbstermächtigung im Alltag entgegen und schafft damit eine spannungsreiche Gemengelage, in die sowohl Machtverhältnisse, als auch Glück, Zufall und Vernetzung hineinspielen. In diesem Zusammenhang wird besonders Australien immer wieder, besonders von Chernor, als Sehnsuchtsort aufgerufen. In all diesen Inszenierungen von Im/Mobilität produziert Kleine Freiheit ein ambivalentes Bild: Deutschland wird dabei zum zwiespältigen Ort der Un/Möglichkeiten, an dem Verheißung und Verfolgung, Autonomie und Abschiebung untrennbar miteinander verknüpft bleiben. Grenzen werden dabei nicht mehr an einem Ort bzw. nicht mehr nur an der Grenze gedacht, sondern entgrenzt; dabei werden sie fluide und verschwommen, aber auch allgegenwärtig. In Kleine Freiheit wird das Spiel am Ende für das Grenzregime entschieden, was das asymmetrische Verhältnis zwischen Migrant:in und Migrationskontrolle betont; die Möglichkeit einer anerkannten Zugehörigkeit in Deutschland, die mit der Notwendigkeit »verletzlichen subalternen Gruppen Zugang zum Staat zu ermöglichen, um damit den Prozess der Dekolonisierung in Gang zu halten« (Dhawan 2015:49) zusammenhängt, wird Baran und Chernor im Film verwehrt. Die Szene von Barans und Chernors Entdeckung durch die Vertreter des Grenzregimes kommt schließlich unvorhergesehen: Sie werden von zwei Zivilpolizisten kontrolliert, während sie auf einer Bank sitzen und sich ausgelassen unterhalten und Kameraaufnahmen machen. Bezeichnenderweise sind es am Ende sowohl nicht die uniformierten Polizisten, die durch den Film hinweg Barans und Chernors Bewegungsradius bestimmten, die sie schließlich stellen als auch eine Kontrolle in einem Moment des Sitzens, Entspannens und Witzemachens, also einem Moment des Nicht-Wachsam-Seins. Damit wird narrativ einmal mehr die Unvorhersehbarkeit sowie Allgegenwärtigkeit des Vollzugs der Grenze betont.

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Baran und Chernor versuchen zu entkommen: In Barans und Chernors Flucht wird ein letztes Mal deren Autonomie sowie deren Wille, sich Freiheit zu erkämpfen in verdichteter Form inszeniert. Chernor wird festgenommen, Baran kann fliehen. Nach rastlosem Überlegen sucht er nach der Waffe, an die er im Laufe des Films zufällig gekommen war und sie nachdem er sie fast gegen den im Kiez aufgetauchten Verräter seiner Eltern fast eingesetzt hatte, schließlich entsorgt hatte, findet sie und setzt zu einem Befreiungsversuch an: Mit vorgehaltener Waffe fordert Baran vor der Polizeiwache Chernors Freilassung und wird schließlich selbst überwältigt. Im zum Scheitern verurteilten Befreiungsversuch Chernors durch Baran verdeutlicht der Film den Versuch des Inkraftsetzens von Handlungsmacht in einer strukturell unterprivilegierten Situation: Baran fordert das deutsche Grenzregime direkt und fordernd (»Lass ihn los, sonst knall‹ ich dich ab! Ich schieße, wenn du meinen Freund nicht gehen lässt!«) heraus, auch wenn die Übermacht dessen von Beginn an abzusehen war. Auch die Warnung seines Cousins Haydars, die Wache sei ›eine Festung‹ kann Baran nicht abhalten. Die Anspielung auf die ›Festung Europa‹ – ein Terminus, der im deutschsprachigen Diskurs immer wieder eingesetzt wird, um auf den Ausbau des europäischen Migrationsregimes hinzuweisen – wird hier deutlich hergestellt und verweist auf die Abschottung an Europas Außengrenzen, den Zusammenhang nationaler sowie europäischer Grenzarchitekturen und argumentiert für das Zusammendenken beider als sich gegenseitig durchdringend. Kleine Freiheit romantisiert hier weder die ›Autonomie der Migration‹, noch bagatellisiert der Film die Wirkmacht von Grenzregimen, sondern inszeniert das Migrationsregime als ein durch Kampfdynamiken geprägtes. Barans affektgeleitete Befreiung Chernors leitet sich aus der intimen Beziehung der beiden ab. Obwohl Baran mehrfach, zuletzt direkt vor Chernors Befreiungsversuchs, die Möglichkeit angeboten wurde, sich einen gesicherten Aufenthaltsstaus zu schaffen, indem er die Tochter des Chefs oder deren Cousine heiratet, lehnt Baran ab und entscheidet sich für den Versuch der Befreiung seines Freundes, auch wenn er damit seine eigene Abschiebung riskiert und herbeiführt. Hier wird auf die Verflechtung von nationalstaatlichen Grenzregimen und Heteronormativität32 verwiesen: Eine heteronormative Einordnung durch Heirat einer Frau mit legalisiertem Aufenthaltstitel bedeutet Schutz vor Abschiebung, während eine hiervon abweichende die Konfrontation des Grenzregimes darstellt – sowohl zum persönlichen Nachteil als auch in der Funktion der Sichtbarmachung seiner Ungerechtigkeit. Die Transgression der Grenze der Heterosexualität bedingt in Kleine Freiheit also die Transgression der Unsichtbarkeit Barans als Illegalisiertem und subvertiert das nationalstaatliche doing border durch Barans doing belonging. In Barans Weigerung der heterosexuellen Heirat weist er Grenzen in doppelter Weise zurück – als Einfügung in den Nationalstaat durch eine als legal betrachtete Erlaubnis zum Aufenthalt in Deutschland sowie als Einfügung in die Heteronormativität (und/oder das bürgerliche Konzept der Ehe) durch Heirat einer Frau. Die fuzzy borders des Nationalstaats gehen in Kleine Freiheit mit der fuzziness in Bezug auf Begehren einher, jedoch mit entgegengesetzten Machteffekten. Barans und 32

Dies hat sich mit dem 01.Oktober 2017 geändert, denn seither gibt es auch die gleichgeschlechtliche Ehe in Deutschland, die auch als Instrument der Aufenthaltssicherung eingesetzt werden könnte.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Chernors Beziehung wird zunächst als Freundschaft mit gemeinsamen Unternehmungen und gemeinsamem ›Rumhängen‹ inszeniert. In Barans Sorge um und Wut über Chernors Drogendealen beginnt sich die emotionale Verbindung zu vertiefen und intensiviert sich weiter als Chernor spontan bei Baran einzieht nachdem er aus seiner Bleibe geworfen wurde. Auch wenn sich die Beziehung zwischen beiden sukzessive vertieft, wird sie nicht als lineare Geschichte von Kennenlernen hin zu Sex und Liebe erzählt, sondern changiert immer wieder zwischen verschiedenen Modi, die einmal mehr nach Freundschaft – getrennte Alltagsabläufe, freundschaftliche Unterhaltungen – einmal mehr nach Romantik – ein als romantisch inszeniertes Date, Austausch von Zärtlichkeiten, gemeinsames Auftreten bei Festlichkeiten in der Öffentlichkeit wie der Restauranteröffnung von Barans Chef – aussehen. Dementsprechend beschreibt Baran Chernor changierend als als ›ein Freund‹ oder ›mein Freund‹.

Abb. 75-77: Kleine Freiheit (D 2003, R: Yüksel Yavuz)

Chernor lässt einen Kommentar seiner Kumpels in Bezug auf Baran, dass es Chernor ›ja ganz schön erwischt‹ hätte, unkommentiert. So bleibt die Beziehung der beiden undefiniert, bricht immer wieder aus einem Raster aus, wenn Zusehende meinen, sie kategorisiert zu haben. In ihrer Uneindeutigkeit, Fluidität und Offenheit der Form wird die Beziehung der beiden queer und fordert Binaritäten heraus. Dies fügt sich mit dem queeren Rhythmus des Films zusammen, den Naiboglu in dem Wechsel aus Hypermobilität und empfundenen Unbewegtheit von Großaufnahmen ausmacht (vgl. Naiboglu 2018: 180). Diese Queerness des Texts ermöglicht paradoxerweise deren Verkennung oder Entnennung in der Rezeption. So wird die Beziehung zwischen Baran und Chernor von Göktürk als ›Freundschaft‹ beschrieben, während der romantische oder sexuelle Anteil an der Beziehung nicht benannt wird (vgl. Göktürk 2004: 1). Die Tatsache, dass es zwar ein zärtlich-sexuelle, aber keine Kussszene gibt, mag hierzu beitragen und weist darauf hin, wie Queerness, die sich nicht in heteronormative Sehgewohnheiten der Inszenierung von Liebe und Romantik einfügt, leicht unsichtbar (gemacht) wird. Zwar wird Chernor von seinen Mitbewohnern queerfeindlich beleidigt und es tut sich die Frage auf, ob der Verlust einer Unterkunft mit den queerfeindlichen Gesinnungen der Mitbewohner verknüpft ist, aber überwiegend schreibt sich der Film nicht in die hegemonialen narrativen Muster der Erzählung von Nicht-Heterosexualität ein. Damit wird auch deutlich, wie Kleine Freiheit im Uneindeutig-Lassen der Beziehung zwischen Baran und Chernor zwar Gefahr läuft, diese unsichtbar zu machen oder zur Randnotiz ohne weiteren Bezug zur Handlung werden zu lassen, diesem mit visuellen und narrativen Strategien letztendlich entgegenwirkt. Denn filmisch wird die Intimität zwischen Chernor und Baran

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jedoch sowohl angedeutet als auch konkret visualisiert. Andeutungen finden sich in den vielen Szenen, in denen sie auf dem Bett sitzend oder im Bett liegend gezeigt, was auf die Beziehung, die über Freundschaft hinausgeht, verweist. Konkrete Inszenierung von Romantik findet sich in einer Szene des Ausflugs zu einem Jahrmarkt, während hier gleichzeitig ihre Situation als Illegalisierte metaphorisch aufgerufen wird. Dort sind Baran und Chernor in einem Fahrgeschäft zu sehen, ausgelassen lachend und sich amüsierend. Im Nervenkitzel ergreift Baran auch kurz Chernors Hand. Im Anschluss werden die beiden in einem Fotoautomaten gezeigt, wie sie zusammen Fotos aufnehmen. Das kurze Händchenhalten stellt den ersten visuellen Marker der queeren Beziehung der beiden im Film dar und wird verstärkt durch das sich anschließende gemeinsame Fotoschießen. Wie Nora Mathys in einer anthropologischen Studie über den Umgang mit Fotos von Jugendlichen beschreibt, gelte das Automatenfotomachen als intim und als »Mädchensache« (Mathys 2006: 263) und werde von Jungen aufgrund der Konnotation mit Homosexualität eher vermieden (vgl. Mathys 2006: 263f.). Damit werden Baran und Chernor in gesellschaftlich als homosexuell konnotierter Praktik einschreibend dargestellt, während das Foto, das sie schießen gleichzeitig eher einem Bild von Freundschaft gleicht.33 Damit beginnt die Grenze zwischen Freundschaft, Intimität und Begehren zu verschwimmen und uneindeutiger zu werden. Gleichzeitig wird hier neben queerer Annäherung auch die prekäre Situation der Jugendlichen versinnbildlicht. Wie sich das Fahrgeschäft im Kreis dreht, während der Hintergrund verschwimmt und sie sich bei den Händen halten, bewegen sich auch Chernor und Baran auf den immerselben Schleifen durch ihren Kiez und auch wenn sie einen Moment des Ausgelassenseins genießen, bleiben sie fest in ihren Sitzen fixiert, so wie ihre relative Bewegungsfreiheit immer eingeschränkt bleibt. Aus dieser Intensität heraus ergibt sich ihre Beziehung, wie Yavuz beschreibt (vgl. Yavuz, zit. in Kuzniar 2012: 262). Der Jahrmarkt bleibt aber doch nur eine weitere ›kleine Freiheit‹. Visuell führt sich diese Metapher im Fotoautomaten fort: Obwohl sie hier einen Moment des bondings und des Schaffens von gemeinsamen Erinnerungen erleben können, findet dieser in einer engen, begrenzten Box statt. Gleichzeitig evoziert diese eine visuelle Metapher des closets, der durch die Fluidität der Beziehung dekonstruiert und in diesem Moment gleichzeitig reifiziert wird, da es keine konventionalisierte Coming-out-Geschichte gibt. Somit werden Bewegungsfreiheit, deren Einschränkung und Queerness in Kleine Freiheit miteinander verflochten. Ohne Prekarität zu romantisieren, verwickelt Kleine Freiheit die Bedingung zur Möglichkeit des queeren Annäherns mit prekären Mobilitätspraktiken. Das Überschreiten von Legalität und das Überschreiten von Heteronormativität wird zusammengebracht und verweist einerseits auf die doppelte Subversion nationalstaatlicher Regulierungsweisen sowie auf die doppelte Marginalisierung durch diese. Prekarität und Freiheit werden hier 33

In einem Interview mit dem Filmemacher wird die Uneindeutigkeit und Fluidität des Begehrens in den Figurenkonzeptionen von Chernor und Baran deutlich: »Es ist diese Intensität [der Illegalisierung und Verfolgung], die zu sowas führt, zumal in der [sic!] Alter ist man auch einfach auf der Suche nach sexueller Orientierung. Das heißt aber nicht, dass sie Homosexuelle sind, wobei man bei dem schwarzen Jungen das schon sagen kann, aber bei dem kurdischen Jungen nicht unbedingt. […] [A]ber anscheinend ist er [Chernor] schon so orientiert. Der kurdische Junge nicht, aber er lässt sich darauf ein, vielleicht ist er auch doch homosexuell« (vgl. Yavuz, zit. in Kuzniar 2012: 262).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

als »begriffliche Klammer eines ebenso widersprüchlichen wie komplementären Verhältnisses« (Fink et al. 2013: Klappentext) miteinander verschaltet und einander bedingend inszeniert. Darin entspannt sich ein Spannungsfeld zwischen Transgression heterosexueller Norm und der Evozierung von Queerness, um Undefiniertheit – ohne Aufenthalt, ohne Staat, ohne Arbeitsvertrag – auszudrücken. Gleichzeitig wird Queerness immer wieder als Fluchtpunkt und Rettungsanker inszeniert: Nicht nur unterstützen sich Chernor und Baran gegenseitig und sorgen füreinander – Baran lässt Chernor bei sich wohnen, fragt seinen Chef nach Arbeit für ihn, Chernor bläut Baran ein, die Waffe, zu der Baran im Filmverlauf kommt, zu entsorgen und sucht ihn, als er morgens nicht mehr im Bett liegt – sondern sie retten sich sogar im wortwörtlichen Sinne gegenseitig: Chernor, der Baran in einem emotional aufgewühlten Moment von der Kante eines Hausdachs wegzieht und Baran, der versucht Chernor aus den Händen der Polizei zu befreien. (Barans) Zimmer und Bett fungieren hier nicht nur als Zeichen des sexuellen, sondern auch als Symbolisierungen dieses sicheren Ortes, an den beide am Ende des Tages zurückkommen – Queerness wird hier zum safe space in einer sonst feindseligen Außenwelt. Damit oszilliert Queerness in Kleine Freiheit zwischen mehreren Koordinatenpunkten und lässt sich am Ende nicht auf eine Bedeutung festschreiben. Das Zusammenspiel dieser Elemente macht Kleine Freiheit zu einem queeren Film, auch wenn die Queerness der Protagonisten selbst nie allein im Vordergrund der Geschichte steht. Vielmehr wird Queerness im Sinne von David Ruffolos post-queer politics in Kleine Freiheit mehr als becoming denn als being (vgl. Ruffolo 2009) inszeniert (ähnlich wie auch schon in Salmonberries). In Kleine Freiheit werden Grenzen als machtvolle Gebilde der Exklusion und Kontrolle dargestellt, aber auch in mehrfacher Weise zurückgewiesen und versucht aufzulösen: Die Grenzen zwischen Freundschaft und Liebe, Hetero- und Homosexualität, aber auch nationalstaatliche Grenzen werden in Frage gestellt, subvertiert und in einem queeren Rhythmus die Vorzüge deren Überwindung nahegelegt. Auch in Bezug auf Ethnizität wird dies deutlich.

Community of the Marginalized und Konfliktdynamiken Durch die Figuren Baran und Chernor werden im Film nicht nur staatliche und heteronormative Grenzen befragt, im Gegensatz zu den meisten anderen Figuren werden über Baran und Chernor auch Verbindungen zwischen verschiedenen ethnisierten oder marginalisierten Subjekten und Communities hergestellt. Queerness wird in Kleine Freiheit damit zum Katalysator von symbolischer Grenzüberwindung und Solidarität zwischen verschiedenen in Deutschland Marginalisierten. Das Verhältnis der Migratisierten zur weiß-deutschen Dominanzgesellschaft wird auf verschiedene Weise inszeniert und verschiedene Strategien des Umgangs kommen in der Konzeption der unterschiedlichen Figuren zum Tragen: Als Orientierung an den Standards für Qualität, guten Geschmack und Normalität dieser (Barans Chef), als Streben nach Zugehörigkeit zu dieser (Nergiz, die Tochter des Chefs) oder als Ausgeschlossenwerden aus dieser (Chernor und Baran). Der Chef wird mehrfach als sein und das Verhalten anderer regulierend in Bezug auf die Erwartungen, von denen er denkt, die Dominanzgesellschaft richte sie an die jeweiligen Adressat:innen, gezeigt. Bereits in den Eingangsszenen bezieht sich der Chef auf die Erwartungen ›der Deutschen‹ gegenüber Migratisierten als er den Küchenchef Ha-

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ci Baba dazu anhält, die Wachteln nicht zu trocken, sondern mit Soße zuzubereiten, da »das die Deutschen nicht [essen]«. Auch in späteren Szenen bezieht er sich auf Erwartungen der weiß-deutschen Dominanzgesellschaft, als bei der Restauranteröffnung ein Streit entflammt und er die Streitparteien leise warnend dazu anhält, diesen beizulegen, denn: »Wir haben deutsche Gäste«; und als er Baran entlässt, bezieht er sich auf Deutsche und erklärt er habe »aus diesem Sumpf hier« mit der Restauranteröffnung in einem anderen Kiez herauskommen wollen, aber dort, wo ein Schuss gefallen war, würden Deutsche nicht mehr essen. Es wird deutlich, dass er eine ›Integrationsstrategie‹ verfolgt, durch die er sich erhofft, im Anziehen deutscher Kund:innenschaft möglichst viel Einkommen generieren und durch das beflissentliche Halten an und Erfüllen von Regeln und Normen eine gewisse Unauffälligkeit genießen zu können. Seine Tochter Nergiz hingegen, die als postmigrantische Angehörige der zweiten Einwanderungsgeneration selbst keine Migrationserfahrung hat, scheint sich in die Dominanzgesellschaft einzupassen und zu assimilieren, was beispielsweise daran deutlich wird, dass sie im Gegensatz zu anderen Figuren durchgängig nur deutsch spricht oder zum Unverständnis anderer Figuren nicht weiß, was ›Sumak‹ ist. Besonders zeigt sich dies auch darin, dass sie als Gästin Teil einer überwiegend weiß-deutschen SilvesterWohnungsparty ist, dieselbe Party, bei der Baran und Chernor, die Essen liefern, ignoriert und paternalistisch behandelt werden. Im Gegensatz zu Nergiz ist das Verhältnis von Baran und Chernor zur Dominanzgesellschaft also von Unterprivilegiertheit, Marginalisierung und Diskriminierung geprägt. Damit verweist Kleine Freiheit einerseits die Komplexität von Beziehungen von Migrant:innen und Postmigrant:innen zur weiß-deutschen Gesellschaft und hebt durch diese Konstruktion andererseits Barans und Chernors gesteigerte Prekarität als Illegalisierte hervor. Doch spielt diese Dominanzgesellschaft für Baran und Chernor nur insofern periphär eine Rolle, als dass sich diese eine eigene Gemeinschaft an Vertrauten aufbauen. So werden neben Barans Cousin Haydar, Barans Freundin Alma und der Käptn als Barans engste Vertraute inszeniert. Alma, die im Bosnienkrieg nach Deutschland geflohen war, arbeitet trotz medizinischer Ausbildung in Bosnien in Deutschland in einem Café in der Nähe des Kebab-Ladens und beginnt im Verlauf des Films eine Liebesbeziehung mit Haydar. Die Kiezbank des in die Jahre gekommene Seemanns ›Käptn‹ dient als Treffpunkt und er als Ansprechpartner für alle Lebenslagen. Damit stehen Nah-Beziehungen, die ethno-nationale, Alters- und Geschlechtergrenzen überschreiten im Mittelpunkt Barans sozialen und Unterstützungsnetzwerks, worin sich auch die Beziehung zu Chernor einpasst. Barans Freund:innenkreis einer Gemeinschaft der Prekarisierten34 legt einerseits Diskriminierungserfahrung in Deutschland als Basis einer Gemeinschaftsbildung sowie Solidarität füreinander zugrunde und plädiert andererseits für Freund:innenschaft über ethnische Grenzen hinaus. Barans Freund:innenkreis und seine Beziehung zu Chernor bilden damit auch einen Kontrapunkt zu den essenzialisierenden und vorurteilsbeladeneren Ideen von Gemeinschaft und Nahbeziehung, die aus dem Umfeld an Baran und Chernor herangetragen werden. So macht sich Nergiz über Barans Freundschaft mit dem Käptn lustig, als sie ihn fragt, warum er überhaupt 34

Nach Judith Butler ist Prekarität »eine Rubrik, die Frauen, homosexuelle, transsexuelle, arme, behinderte und staatenlose Menschen zusammenschließt« (Butler 2016: 588).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

mit diesem »alten Sack« befreundet sei, der stinke und sie jeden morgen »widerlich« anglotze – eine Behauptung, die Baran dadurch aushebelt, dass er Nergiz verrät, dass der Käptn schwul ist. Aber auch in Bezug auf ihre Beziehung werden Baran und Chernor mit Vorurteilen gegenüber dem jeweils anderen aus ihren Communities konfrontiert. Ein Kumpel Chernors ist darüber entsetzt, wie er mit einem Weißen befreundet sein könne, ein anderer bezeichnet Baran als »abgefuckten Kurden«. Auch Barans Umfeld hegt Vorurteile gegenüber Chernor, so will Barans Chef Chernor keinen Job vermitteln, weil er keinen Schwarzen Essen ausliefern lassen will und Haydars Freund Delil (Oktay Çagla) fasst Chernor in die Haare mit dem Kommentar, er hätte noch nie einen Schwarzen aus der Nähe gesehen, was Baran mit der Erklärung kontert, Delil sei zu lang in den Bergen gewesen. Im Gegensatz zu den essenzialisierenden Vorstellungen des Umfelds werden die queeren(den) Figuren Baran und Chernor narrativ als Grenzüberwinder ethnonationaler Demarkationslinien installiert und es wird auch nahegelegt, dass, während ›andere‹ innerhalb ›ihrer‹ Communities bleiben, eine queere Community das Potenzial hat, Menschen verschiedener Hintergründe zusammenzubringen. Mit dem Sich-Loslösen von einem dichotomisierenden Modell von Community und Zugehörigkeit wird in Kleine Freiheit für eine queere Form des doing belongings plädiert und ethno-nationales belonging gequeert, um einen Modus der »convivality« als »Streben nach neuen Möglichkeiten und Formen des Zusammenlebens« (Pfaff-Czarnecka 2012: 26) aufzuzeigen. Deutschland wird hier zum Ort multiethnischer Solidarität und Gemeinschaft, jedoch in einem asymmetrisch vermachteten Verhältnis zur Dominanzgesellschaft. Dabei finden die marginalisierten Subjekte aus Kleine Freiheit in einer Parallele zu Lola und Bilidikid in Deutschland sowohl home als auch homelessness, welche fließend ineinander überzugehen scheinen: Während Baran und Chernor sich überhaupt erst durch einen obdachlosen gemeinsamen Freund kennenlernen und Chernor nur aufgrund seiner bevorstehenden Obdachlosigkeit bei Baran einzieht, gibt der Kiez, die immer wiederkehrenden Räume, Menschen und Geschichten auch Halt, ein home, in der Wiederholung der immer gleichen Orte stellt sich auch beim Publikum die Wirkung einer Vertrautheit ein. Gleichzeitig wird in Kleine Freiheit auch unmissverständlich deutlich gemacht, dass homelessness Prekarität und Gefahr bedeutet als der kranke Käptn auf seiner Kiezbank stirbt, nachdem er Chernors Appell lieber »ins Heim« zu gehen nicht nachgekommen war. In der Thematisierung von Gemeinschaft werden in Kleine Freiheit zwar interethnische Freund:innenschaft und Zusammenhalt thematisiert, aber der Fokus bleibt insgesamt doch auf der kurdischen Community. Diese wird als heterogen dargestellt, sowohl in Bezug auf finanziellen und Aufenthaltsstatus als auch in Bezug auf unterschiedliche Positionen bezüglich des türkisch-kurdischen Konflikts, der hier immer wieder aufgerufen wird.35 35

Udo Steinbach bezeichnet den Kurd:innen-Konflikt, den Konflikt des »größte[n] Volk[s] ohne Land« (Mihatsch 2018), als »Palästina-Konflikt des 21. Jahrhunderts« (Steinbach 1997: 2). Der türkisch-kurdische Konflikt (der hier im Mittelpunkt gegenüber anderen Konflikten zwischen Kurd:innen und der Mehrheitsgesellschaft in anderen Ländern des kurdischen Siedlungsgebiets wie Iran, Irak, Armenien oder Syrien steht, da Baran und sein Umfeld Teil der türkisch-kurdischen Community sind) hat sich wie Martin Dolzer beschreibt »in [seiner] nationalistisch-rassistischen Ausprägung – über Jahrhunderte entwickelt […] und in unterschiedlicher Ausprägung ununter-

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Auf den Konflikt wird jedoch eher implizit und ›am Rande‹ in Alltagssituationen rekurriert. Damit zeichnet Kleine Freiheit ein Bild des Konflikts, als auch im Alltag in Deutschland immer mitschwingend, wenn auch selten konkret ausbuchstabiert, trotzdem immer unter der Oberfläche schwelend.

Abb. 78: Kleine Freiheit (D 2003, R: Yüksel Yavuz)

Trotz der (vermeintlichen) Frontenstellung ›türkisch‹ vs. ›kurdisch‹ wird in Kleine Freiheit eine heterogene kurdische Community inszeniert, die keinen homogenen Block der ›kurdischen Perspektive‹ darstellt, sondern vielmehr diverse Konfliktlinien innerhalb der Community. So steht Haydar im Konflikt mit einer Gruppe ehemaliger

brochen fortgesetzt« (Dolzer 2012: 10f.). Als Ursprung des Konflikts wird gemeinhin der Niedergang des Osmanischen Reichs nach 1918 und der anschließenden Aufteilung des Osmanischen Gebiets unter Kolonialmächten gesehen, wobei das kurdische Siedlungsgebiet in unterschiedliche Nationalstaaten zersplittert wurde (vgl. Steinbach 1997: 2). Obwohl Kurd:innen zunächst der Status einer geschützten Minderheit erhalten sollten, wurde ihnen dieser vom türkischen Staat jedoch schließlich verwehrt (vgl. Mihatsch 2018). Die wirtschaftliche und religiöse Marginalisierung in der kemalistischen Türkei bedingte die ersten Aufstände von Kurd:innen auf türkischem Staatsgebiet 1923 (vgl. Steinbach 1997: 3). In den 1970er Jahren formierte sich schließlich die marxistische PKK (kurdische Arbeiter:innenpartei) (vgl. Mihatsch 2018). Nachdem sich die Situation von Kurd:innen seit dem Militärputsch 1980 in der Türkei dramatisch verschlimmerte und viele u.a. nach Deutschland flohen, spitzte sich die Lage zu und die PKK begann 1984 schließlich mit bewaffnetem Guerilla-Kämpfe gegen das türkische Militär (vgl. Kooperation für den Frieden 2007: 8). Seitdem wurde sie von der Türkei als separatistisch bekämpft (ebd.). Nach einem einseitigen Waffenstillstand 1998 von Seiten der Kurd:innen und Inhaftierung des PKK-Führers Abdullah Öcalan entspannte sich die Situation zunächst, sollte sich jedoch nach der Aufkündigung des Waffenstillstands durch die PKK seit 2004 wieder verstärken (vgl. Kooperation für den Frieden 2007: 8). Bis 2010 hatte der Konflikt »rund 40.000 Tote, 3.500 zerstörte Dörfer, über 2,5 Millionen zur Flucht und Migration gezwungene Menschen« (Gürbey 2010: 181) gefordert und nationalistische Gesinnungen beider Seiten intensiviert (ebd.). Bis heute ist der Konflikt nicht beendet, sondern hat sich unter Präseident Recep Tayyip Erdoğan noch verschärft (vgl. Mihatsch 2018).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

kurdischer Freiheitskämpfer:innen, – »kleine Überbleibsel der alten Linken«, wie er sie beschreibt – welcher in einem Schuss bei der Restauranteröffnung des Chefs endet. Auch in Barans Konflikt mit dem neu im Kiez aufgetauchten Selim wird die Komplexität der Interaktion von ›zu Hause‹ und Diaspora, hier anhand sich verschiebender Machtverhältnisse, inszeniert. Nach der ersten Begegnung zwischen Baran und Selim, bei der Selim als Helfer und Verbündeter auftritt, nachdem er Baran bei einem Fahrradunfall geholfen hatte, stellt er sich schließlich als derjenige heraus, der das Dorf von Barans Eltern, welches die Guerilla-Kämpfer:innen unterstützte, beim türkischen Militär verraten hatte und Barans Eltern daraufhin verschleppt und ermordet wurden. Die Wendung, die den Blick vom freundlichen kurdischen Mitbürger zum Feind und Verräter bringt, ereignet sich im Kebab-Laden im Gespräch zwischen Haydar und Selim. Während Haydar zunächst zu einem freundlichen Gespräch mit Selim anzusetzen scheint und von seiner Guerilla-Kampftätigkeit erzählt, lässt er im Gesprächsverlauf deutlich werden, dass er Selim als Verräter erkannt hat – der Tabak, den Selim raucht sowie seine Narbe am Auge haben ihn verraten. Mit den Worten »Das war unser Dorf. Sei froh, dass du noch am Leben bist« enttarnt Haydar Selim endgültig, dieser rennt daraufhin aus dem Laden. Die Kamera inszeniert diese Wendung durch die Kamerabewegung. Im Moment vor Haydars Konfrontation werden Haydar und Selim zunächst in eine Frontenstellung gebracht, indem beide im selben Bildausschnitt in Nahaufnahme am jeweils äußeren Bildrand positioniert werden. Hier wird deutlich, wie sich die ehemaligen Fronten wieder gegenüberstehen und sich Konfliktkonstellation von kurdischen Herkunftsort bis in die deutsche Großstadt ziehen: Egal, wie weit die Entfernung, auch in der Diaspora kann die Vergangenheit nicht ausgelöscht werden. In einem folgenden langsamen Kameraschwenk, der mit dem Kamerablick über Selims Schulter auf Haydar beginnt, sich langsam im Halbkreis um die beiden dreht, um schließlich über Haydars Schulter auf Selim blickend zu enden, während Haydar vom Verrat seines Dorfes erzählt, wird deutlich, wie sich nicht nur der Blick auf Selim verändert, sondern auch, wie hier ein narrativer Wendepunkt inszeniert wird: Von nun an denkt Baran, der alles mitgehört hat, den Mörder seiner Eltern zu kennen und will sich rächen. Der ›Dreh‹ der Kamera dreht auch die Machtverhältnisse: Schien Selim derjenige gewesen zu sein, der seine Position dazu nutzte, um ein Dorf zu verraten und sich damit vermeintlich selbst einen Vorteil zu schaffen, ist er in der Diaspora als Verräter enttarnt und im Vergleich zu Haydar und Baran, die in ihre Community eingebunden sind, ist er im weiteren Verlauf als vereinzelt und orientierungslos dargestellt. Über die Motive Verrat und Rache wird hier auf die Fragmentierung der kurdischen Gemeinschaft verwiesen und einerseits die politischen Spaltungen verdeutlicht und damit Heterogenität inszeniert sowie andererseits die Intensitäten betont, die Krieg und Trauma produzieren. So produziert Kleine Freiheit ein Bild, das die kurdische Community, und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit als solche, nicht homogen, sondern vielmehr geprägt von Brüchen, Leerstellen und offenen Fragen erscheinen lässt. Anstatt Antworten zu geben, stellt Kleine Freiheit Spannungsverhältnisse dar.

Queer Accented Cinema, Erinnerung und Trauma Thematisch und visuell greift Kleine Freiheit auf sozialrealistische Filmelemente wie auch auf die des accented cinema zurück (vgl. Kraenzle 2009: 93f.). Während sozialrea-

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listisches Kino sich meist im Mainstream-Film und der Gesellschaft marginalisierten Subjekten und Geschichten zuwendet – oft verbunden mit langen Einstellungen, LaienSchauspieler:innen und Geschichten von Prekarität – thematisiert accented cinema in dieser Tradition stehend besonders Diaspora, Exil und Migration aus der Sicht migrantischer, exilierter oder Diaspora-Filmemacher:innen (vgl. Naficy 2001). In Kleine Freiheit können das Aufrufen von Erinnerungen an ein früheres Zuhause und die Vergangenheit durch Fotos, Souvenirs und Landschaftsaufnahmen, Mehrsprachigkeit und räumliche Metaphern von (Im)Mobilität als Charakteristiken des accented cinema gesehen werden (vgl. Kraenzle 2009: 94), während die Ästhetik des Dokumentarischen, die für sozialrealistische Filme kennzeichnend ist, die Bilder prägt und die angesprochene Authentifizierung mit dem Effekt, dass die »Diegese den historischen RezipientInnen als der wirklichen sozialen Welt […] homolog erscheint« (Kirsten 2009: 211, Herv.i.O.), verstärkt und damit eine politisch appellative Funktion einnehmen kann.

Abb. 79: Kleine Freiheit (D 2003, R: Yüksel Yavuz)

Baran, der durch den Film hinweg entweder ein Video seiner Familie auf seinem Camcorder ansieht oder mit derselben Kamera seine Umgebung, seinen Alltag und die Menschen darin filmt, setzt die mit der Kamera produzierten Videos als Mittel der subjektiven Erinnerung an zu Hause sowie zur Aneignung seiner Umwelt ein. Damit wird die Kamera zum Hilfsmittel des worldings unter Bedingungen der Illegalisierung und Prekarisierung. Aihwa Ong (2011) beschreibt worlding als emergente, situierte Alltagspraktiken, die auf kreative Art und Weise dazu beitragen, alternative gesellschaftliche Konfigurationen zu imaginieren und mitzugestalten sowie besonders in urbanen Zentren von Bedeutung sind (vgl. Ong 2011: 12). Diese Inszenierung der Weltwahrnehmung Barans durch die Kameralinse als worlding wird deutlich als Baran mit dem Fahrrad durch die Stadt fährt und dabei filmt. Bilder der Reeperbahn mit wackelnder, schneller Handkamerafahrt und von Techno-Musik aus dem Off begleitet fügen sich zu einer Assemblage der Sinneswahrnehmungen zusammen, die nur durch die Inter-

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

vention eines Polizisten, der Baran anweist, nicht mit dem Fahrrad auf dem Gehweg zu fahren, unterbrochen wird. Mit seiner Kamera konstruiert Baran ein Bild von Hamburg und Deutschland, wie er es wahrnimmt. In der Verschränkung des Fahrradfahrens mit dem Filmen, welche er beide als Modi der handlungsermächtigenden Aneignung nutzt, wird das worlding betont und nahegelegt, dass das ordnende Eingreifen des Nationalstaates (in der Verkörperung des Polizisten) zwar Wirkmacht entfaltet, nicht aber das Aneignen von Raum oder das selbstbestimmte Gestalten von Erinnerungsstücken verhindern kann. Barans subjektive Kamera in Kleine Freiheit eröffnet einen diaspora space, der es einem dominanzgesellschaftlichem Publikum ermöglicht, Deutschland aus der Perspektive von Geflüchteten und Migrierten zu sehen und diese Geschichten als Teil Deutschlands zu begreifen, während gleichzeitig Identifikationspunkte für ein migratisiertes Publikum geschaffen werden. Durch das Einnehmen der Perspektive eines illegalisierten, kurdischen Jugendlichen auf seine Realität in Deutschland in Kleine Freiheit werden damit auch Narrative der herrschenden Ordnung kontrapunktiert und zur Pluralität von Geschichte(n) beigetragen. Es wird Multiperspektivität erzeugt und der auktorialen Kamera eine Perspektive hinzugefügt, die deren Autorität sowie die des deutsch-weißen Blickregimes in Frage stellt. Baran macht durch die Aneignung der Position des Blick- und Bedeutungsproduzenten damit seine eigene (marginalisierte) Geschichte in der (dominanten) Geschichte sichtbar. Durch dieses Ineinanderflechten der Perspektiven und der Strategie der Dezentrierung einer dominanten Perspektive trägt Kleine Freiheit zu einem Diskurs bei, der singuläre und hegemoniale Narrative von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit herausfordert. Durch die Polyphonie der Eindrücke und Intensitäten auf den unterschiedlichen Ebenen wird das nationale Masternarrativ durch eine inklusivere Wahrnehmungspraxis erweitert. Im Einweben und Hervorheben von marginalisierten Erinnerungen in einem für das deutsche Fernsehen produzierten Film können homogenisierende Nationsnarrative hinterfragt und eine Vielschichtigkeit von doing belongings dargestellt werden. Dies geht jedoch einher mit der Einblendung des sich im Verlauf des Films immer weiter leerenden Akkus der Kamera und versinnbildlicht Barans fortschreitende Prekarität – seine Handlungsspielräume werden immer kleiner. Zwar wird die Macht des letztendlich doch überlegenen Staatsapparates betont, deren Vertreter in Form von Polizisten die Kamera bei Barans Verhaftung zu Ende des Films ausschalten, doch ist es die sich hieran anschließende und auch letzte Szene des Films, die die Perspektivierung betont: Hier ist wieder ein Teil der Anfangsszene von Barans Familie in seinem Herkunftsort zu sehen. Barans Handkameraaufnahmen der Familienszenen rahmen die Handlung und produzieren eine kreisförmige Struktur einer Wiederholung, die der Linearität der Prekarität entgegensteht. Allerdings beinhaltet die hier aufgeführte Wiederholung eine Differenz: Die letzte Szene des Films endet mit der Einblendung zweier Frauen exakt in dem Moment bevor der Patriarch aus der beschriebenen Anfangsszene den Raum betritt. Sein Ausspruch über seine Zeit, die vorbei sei, wird hier performativ umgesetzt und der Film endet ohne seinen Auftritt zu wiederholen. Hier zeigt sich eine Doppelbewegung des Films: Einerseits wird durch die zyklische Struktur die Eingebundenheit in die Gemeinschaft und die Generationenfolge betont, ein beliebtes Stilmittel in Filmen, in denen Migration verhandelt wird (vgl. Seipel 2009: 159), andererseits wird dieses Einschreiben mit einer Umfor-

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mung verknüpft, sodass nahegelegt wird, dass Queerness als queerfeministisch und anti-patriarchal verstanden werden soll. Die Zirkularität wird aufgerufen, aber gebrochen – der Kreis wird nicht mehr völlig geschlossen und so passt sich der Film nicht nahtlos in die Kontinuitätserzählung ein, sondern formt ein populäres Motiv von Migrationserzählungen feministisch um. Baran wird so zwar als Teil seiner Community inszeniert, aber einer ›modernisierten‹. Rückbesinnung auf und Erinnerung an den eigenen Herkunftsort oder die Herkunftsfamilie, die Einbindung der Figuren in eine größere Gemeinschaft sowie das Teilen dieser Erinnerung mit Anderen wird in Kleine Freiheit immer wieder als ein Ankerpunkt, der den Figuren Halt zu geben scheint, dargestellt. Baran betrachtet immer wieder das Video seiner Familie, zeigt es Chernor und hat ein Bild seiner Schwester in seinem Zimmer; Bilder von Chernors Familie, mit der er seit mehreren Jahren keinen Kontakt mehr hat, tapezieren die Wand seines Zimmers; Almas Wände sind behangen mit einem Poster von Sarajevo, sie bewahrt eine bosnisch-herzegowinische Flagge bei sich auf und muss beim Anblick des Hamburger Panoramas von ihrem Balkon immer an Sarajevo denken. Herkunftsfamilie und -Ort treten als nostalgische Zeichen des Zuhauses auf, die dazu beitragen, eine akzentuierte Gefühlsstruktur geprägt von Sehnen nach dem Zuhause gemischt mit Gefühlen der Traurigkeit und/oder Entfremdung im Einwanderungsland (vgl. Horat 2011: 91) im Film zu produzieren.

Abb. 80–81: Kleine Freiheit (D 2003, R: Yüksel Yavuz)

Ana Hoffner weist darauf hin, dass Erinnerungsprozesse jedoch auch immer Verzerrungen von Zeit, Raum und Identität enthalten (vgl. Hoffner 2018: 13). Damit kann Erinnern auch mit Queerness in Verbindung gebracht werden: Erinnern wird zu einem Prozess des Queerens von Erlebnissen (vgl. Hoffner 2018: 8ff.). Erinnerung steht im Film jedoch auch in Verbindung zu Trauma. Hoffner schlägt vor, Trauma als Ort des Widerstands gegen dominante historische, (post-)nationalstaatliche Geschichtsschreibung zu konzipieren (vgl. Hoffner 2018: 11) und legt den Schwerpunkt nicht wie andere Theoretiker:innen auf das traumatische Erlebnis selbst, sondern auf das Danach, die Zeit der postness des Traumas (vgl. Hoffner 2018:16). So wird Trauma nicht als subversiv romantisiert, sondern entpathologisiert, indem aus dem Wiederkehren des traumatischen Erlebnisses ein Verständnis von Trauma abgeleitet wird, das dieses als überwältigendes Ereignis, welches sich nicht mehr in lineare Formen des Historisierens einpassen kann, erkennbar werden lässt (vgl. Hoffner 2018: 18).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

In Kleine Freiheit werden verschiedene (Kriegs-)Traumata referenziert, am deutlichsten jedoch Haydars. In der Silvesternacht werden Einblendungen des Feuerwerks mit der Einblendung Haydars beim Erleben eines Albtraum gegeneinandergeschnitten. Durch eine Erklärung Barans wird der Lärm des Feuerwerks als der Lärm von Bomben aus Haydars Perspektive und als Auslöser für einen Alptraum wie Haydar ihn oft habe, erkennbar. In der Montage von ›Neujahr‹ und ›Trauma‹ deutet sich nicht nur an, dass sich das Trauma-Muster auch neuen Jahr fortsetzen wird; durch die Einblendung des Feuerwerks in Verknüpfung mit Haydars Albtraumerleben werden zudem deutsch-hegemoniale Assoziationen in ihrer Singularität durchbrochen. Durch den Deutungsrahmen von Trauma können sich sonst ausgeschlossene Perspektiven Geschichten in die dominanten weißdeutschen kulturellen Konnotationen einschreiben. Die störende Kraft des Traumas bietet eine Chance, ausschließende Narrative aus der Perspektive der Ausgeschlossenen zu betrachteten. Somit wird Trauma ein konstitutiver Teil von Geschichte selbst, wodurch eine Verbindung zwischen sozial-historischen Narrativen und davon wie diese von Einzelnen verkörpert werden, hergestellt werden kann (vgl. Hoffner 2018: 20). In Kleine Freiheit wird durch die Inszenierung des Traumas das Durchbrechen von Zeitnormen als einer queeren Form von Erinnerung thematisiert. Die dominanzgesellschaftliche Assoziation mit ›Feuerwerk‹ wird umgedeutet und mit einer Erinnerung verknüpft, die diese Normierung als re-traumtisierende inszeniert. Queere (Formen der) Erinnerungen werden hier also zu Markern der Umformung singularisierender Narrative und Kleine Freiheit zu einem Beispiel des queer accented cinema.

Zusammenfassung In Kleine Freiheit werden der Rassismus und die Heteronormativität des deutschen Migrationsregimes und dessen (versuchte) Subversionen durch migrantische Figuren inszeniert. Queere Rhythmen, Zeitlichkeiten und Figuren produzieren eine Atmosphäre der Infragestellung national homogener und ethnischer exklusiver Kategorisierungen. Der Film argumentiert für ein Verständnis von Gemeinschaftlichkeit, das Solidarität gegenüber Verfeindung präferiert und zeichnet die homogenisierende natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnung als gewaltvolle. Einem bedrohlichen Migrationsregime steht der Zusammenhalt der Protagonisten und deren ebenfalls marginalisierter engster Vertrauter entgegen. Vorurteile, Rassismus, inter- und innergemeinschaftliche Konflikte werden jedoch ebenfalls dargestellt und Spannungen inszeniert, auf die keine auflösende Antwort gegeben wird. Mit massiver Polizeipräsenz und Verfolgung der Illegalisierten wird die Nation zur Bedrohung, der es geschickt auszuweichen und zu entwischen gilt. Durch Mobilitätsmetaphern wird dieses Ausweichen inszeniert; obwohl es immer wieder gelingt, können die Protagonisten am Ende doch der Abschiebung nicht entgehen und die Asymmetrie des Verhältnisses wird zugunsten der mächtigeren Partie entschieden. In der visuellen Trostlosigkeit und Kahlheit der Filmbilder spiegelt sich die Härte des Migrationsregimes und nimmt damit auch den Ausgang des Versuchs ihm zu entkommen vorweg. Die Nation als Ordnungsinstanz wird durch die nahegelegte Identifikation mit den Protagonisten in ihren Exklusionsmechanismen als rassistisch, heteronormativ und gewaltförmig organisiert entworfen. Die kurdische Community in Deutschland wird als komplexe dargestellt, die Hintergründe der kämpferischen Auseinandersetzungen in der Türkei in den Film eingeflochten und die Prekarisierung von

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Kurd:innen auch im deutschen Asylsystem inszeniert. So nimmt Kleine Freiheit Züge des »cinema of duty« (Malik 2006, zit. in Göktürk 2007: 333) an, stellt sich jedoch auch der Herausforderung in der deutschen Öffentlichkeit eine größere Reichweite für kurdische Themen zu erhalten und durch die Ausstrahlung im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen auch die Mehrheitsgesellschaft für diese zu interessieren. Die fluide Beziehung zwischen Baran und Chernor stellt sich einem binarisierenden Verständnis von platonisch vs. romantisch entgegen, trägt aber auch zu der Entnennung der queeren Beziehung in der Rezeption bei, eine Ambivalenz, die sich auch in der Herstellung von Anschlussfähigkeit an den Mainstream versus der Herausforderung hegemonialer Narrative parallelisiert.

5.3.3 Fremde Haut Regimekritik und Iranische Queers im Film Besonders seit den 2000ern finden sich eine Reihe von Filmen, die sich in Bezug auf den Iran an einem regimekritischen Diskurs beteiligen; als Beispiele hierfür lassen sich Filme eine Reihe Filme anführen: Der im Iran verbotene Film Chaneh’e Pedari (2000) von Kianusch Ajari beispielsweise oder Iran Zendan (2010) des im deutschen Exil lebenden Daryush Shokofs über die Situation politischer Gefangener im Iran. Auch The Green Wave (2010), eine Dokumentation des iranisch-deutschen Ali Samadi Ahadi über die Proteste im Iran nach den Wahlen 2009, Mohammad Rasoulofs Manuscripts Don’t Burn (2013) über die gewalttätigen Methoden des iranischen Geheimdienstes sowie There Is No Evil (2020) zur Auseinandersetzung mit der Todesstrafe im Iran zählen hierzu. Auch die Dokufiktion Taxi Teheran (2015) von Jafar Panahi sowie Teheran Tabu (2017) über sexuelle Repression im Iran von Ali Soozandeh, der ebenfalls in Deutschland lebt, fallen in diese Kategorie. Filme, die sich an diesem kritischen Diskurs beteiligen und die Kriminalisierung und Verfolgung von LGBTIQ*-Personen thematisieren, existieren nur einige Wenige, wobei Sharayet – eine Liebe in Teheran (2011) der iranisch-US-amerikanischen Filmemacherin Maryam Keshavarz, in dem eine lesbische Liebe im Mittelpunkt steht und die Dokumentation Be Like Others (2008) von Tanaz Eshaghian über trans Sein im Iran sowie Khastegi (2008) von Bahman Motamedian, der ebenfalls das Leben von trans Menschen im Iran zum Thema hat, als prominente Beispiele zu nennen sind. Auch wenn die Situation von LGBTIQ*-Personen im Iran nicht das Hauptthema von Angelina Maccarones Fremde Haut (international unter dem Namen Unveiled vertrieben) (2005) darstellt, muss der Film, der als Hauptfigur eine queere Person, die aufgrund der Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung aus dem Iran flieht, im Kontext dieses Diskurskomplexes um die Verfolgung aufgrund von sexueller Orientierung und Gender-Identität im Iran (auch in den westlichen Medien) gesehen werden. Der Film hat diverse Nominierungen bei Filmfestivals erhalten und nationale sowie internationale Filmpreise gewonnen, so zum Beispiel den Hessischen Filmpreis für Beste Regie 2005, den Großen Preis der Jury auf dem Image Nation Filmfestival in Montréal 2005 oder den Golden Aphrodite Award als bester Film und beste Hauptrolle beim Internationalen Filmfestival Zypern 2006. Deutsche Fernsehanstalten lehnten den Film wegen des ›Fehlens einer deutschen Identifikationsfigur‹ jedoch fast durchweg ab (vgl. h-o 2005). Wie Maccarone in einem Interview beschreibt, sei die Idee zum Film zusammen mit Judith Kaufmann, der Drehbuch-Co-Autorin, bereits 1998

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

entstanden (vgl. Swartz 2005). 2002 schickten sie das Drehbuch erstmals an Jasmin Tabatabai, die die iranische Hauptfigur spielt, selbst iranisch-deutsch ist und viele Vorschläge zur Bearbeitung des Drehbuchs beisteuern konnte (ebd.). Trotz des Rekurses auf die Situation der Menschen im Iran, die sich nicht in das heteronormative System einpassen, betont Maccarone, dass es ihr ein Anliegen gewesen sei, einen Film zu drehen, der im In- wie Ausland auch als Film über Deutschland verstanden wird (vgl. Interview mit Angelina Maccarone, Bonusmaterial DVD Fremde Haut). Durch den großen nationalen und internationalen Erfolg des Films hat er auch viel akademische Aufmerksamkeit von deutschen wie internationalen, hauptsächlich anglophonen Forscher:innen erhalten. Um nur einige Beispiele zu nennen werden hier Fragen von nationaler, ethnischer und Gender-Zugehörigkeit diskutiert, das deutsche Asylsystem und darin besonders die Situation queerer Asylsuchender in den Blick genommen oder Aspekte von queerer Diaspora und Fragen der Darstellung von Trans und Crossdressing im Film mit der Diskussion dieser Themen in anderen Filmen verglichen. So betrachtet Skadi Loist Fremde Haut zusammen mit dem Film Boys Don’t Cry (1999), in dem auf einer wahren Begebenheit beruhend der Teenager Brandon Teena wegen seines trans Seins ermordet wird. In den Filmen überschneiden sich die Themen des Eintretens einer geschlechterüberschreitenden Figur in einen weißen, homophob und patriarchal geprägten provinziellen Kontext der unteren Mittelschicht, wobei Fremde Haut zusätzlich die Themen Ethnizität, Klasse und Race mit einbeziehe (vgl. Loist 2006: 37), um eine Geschichte »ü b e r deutsche Politik und transnationale queere Identität« (Loist 2006: 38) zu erzählen. Alice Kuzniar will in ihrem Artikel zu Fremde Haut zusammengedacht mit Kleine Freiheit (2003) Globalisierungsstudien und Queer Studies verkomplizieren, indem sie auf die Interdependenz von Kategorisierungen hinweist (vgl. Kuzniar 2012). Ähnlich argumentiert auch Emily Jeremiah, die zeigt, wie Fremde Haut auf die gleichzeitige gewaltvolle Aufrechterhaltung der nationalstaatlichen wie Gender-Grenzen hinweist und durch die Hinterfragung der Unveränderlichkeit von Sexualität und Gender die Konzepte von sowohl Heterosexismus als auch Nationalismus herausfordert (vgl. Jeremiah 2011). Für Michele Aaron siedelt sich der Film zwischen dem Cross-dressing-Genre, dem New Queer Cinema und der Ästhetik des accented cinema an und würde durch die wechselseitige Bestimmung des »accented as queer and the queer as accented« zu einem »new ›quare‹ cinema« (Aaron 2012: 323) beitragen36 . Rachel Lewis nimmt Fremde Haut hingegen zum Anlass, die Situation von LBTIQ*s im Asylsystem genauer in den Blick zu nehmen und arbeitet die Inszenierung dieses im Film heraus, wobei sie zu dem Schluss kommt, dass Fremde Haut die Herausforderungen beim Asylgesuch speziell für lesbische Asylsuchende thematisiert und eine Intervention in die momentane Politik darstellt (vgl. Lewis 2010). In meiner Analyse möchte ich die bereits geleistete Arbeit honorieren, aber insofern darüber hinausgehen, dass ich nicht nur das deutsche Grenzregime und das interdependente Zusammenspiel von Sexualität und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnungen in den Blick nehme, sondern auch darauf eingehe, welche Bilder von Orientalismus und

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Auch wenn dies in Bezug auf die Ästhetik zutreffen mag, so ist Fremde Haut jedoch nicht als Film des accented cinema als solches einzustufen, da es sich bei Angelina Maccarone nicht um eine Exiloder Diaspora-Filmemacherin handelt, die Einflüsse dessen lassen sich im Film jedoch finden.

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Okzidentalismus37 in Fremde Haut zur Disposition gestellt werden und die ambivalente Rolle, die die weiß-deutsche Figur Anne einnimmt, betrachten.

Fremde Haut – re-orienting belongings? Der Film Fremde Haut handelt von Flucht aus dem Iran und Ankunft in Deutschland der iranischen Übersetzerin Fariba Tabrizi (Jasmin Tabatabai) im Kontext von Verfolgung aufgrund von sexueller Orientierung, inszeniert eine Überlebensstrategie, die sich das binäre Gender-Regime zu Nutze macht und vereint dabei einen überwiegenden melodramatischen mit einem (subtilen) komischen Modus. Nachdem die iranischen Behörden von ihrer Beziehung mit einer Frau erfahren hatten, musste Fariba fliehen, um sich der Verfolgung der Behörden zu entziehen. An der Grenze zu Deutschland wird ihr die Einreise verweigert und das Asylverfahren im Flughafenverfahren38 durchgeführt, wobei ihr Asylantrag abgelehnt wird39 . Nur als sie die Identität eines Mitinsassen Siamak (Navíd Akhavan), der Suizid begeht, annimmt, gelingt es Fariba in männlich kodierter Kleidung und als Mann passend zur Durchführung ihres Asylverfahrens nach Deutschland einzureisen. Wie bereits in anderen analysierten Filmen aus vorherigen Kapiteln dient eine Variation des strategischen Versteckspiels als Ausgangslage, um die herum sich die Geschichte der Aushandlung von Queerness und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit entspannt und wird als Ringen mit dem rassistischen deutschen Umfeld und der Liebesgeschichte mit der weiß-deutschen Anne (Anneke Kim Sarnau), während Fari-

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Im Anschluss an Fernando Coronil kann Okzidentalismus als Möglichkeitsbedingung von Orientalismus gesehen werden (vgl. Coronil 1996: 56) und produziert hierarchisch organisierte Konzeptionen des Westens und seiner ›Anderen‹, die mit imperialen Macht- und Dominanzansprüchen verknüpft sind (vgl. Coronil 1996: 56f.). Okzidentalismus bedeutet für Coronil demnach »the ensemble of representational practices that participate in the production of conceptions of the world, which (1) separate the world’s components into bounded units; (2) disaggregate their relational histories; (3) turn difference into hierarchy; (4) naturalize these representations; and thus (5) intervene, however unwittingly, in the reproduction of existing asymmetrical power relations« (Coronil 1996: 57). Nach Gabriele Dietze, Claudia Brunner und Edith Wenzel konstituieren sich okzidentalistische Identitäten im Westen nach dem Ende des Kalten Krieges als erster und 09/11 als zweiter Zäsur neu und schaffen sich ein Gegenüber, »um sich selbst in einem sich neu ordnenden Machtgefüge der internationalen Gemeinschaft wiederzuerkennen und bestehende Dominanzansprüche zu sichern oder auszubauen« (Dietze/Brunner/Wenzel 2015: 11). Okzidentalismus kritisch zu betrachten meint demnach die Hinterfragung der »Asymmetrie von Macht- und Herrschaftsverhältnissen«, die sich aus der »›Imperialität‹ (Rilling 2007) des kapitalistischen Weltsystems« (Dietze/ Brunner/Wenzel 2015: 13) speisen. Der Film bezieht sich hier auf diese Art des Asylverfahrens: »Für Einreiseversuche auf dem Luftweg gilt im Falle einer Asylbeantragung ein Sonderverfahren: das sogenannte Flughafenverfahren. Hierbei wird das Asylverfahren vor der Entscheidung der Bundespolizei über die Einreise – also noch im Transitbereich – durchgeführt, wenn die Antragstellenden sich nach mündlichem Schutzersuchen nicht mit einem gültigen Pass oder Passersatz ausweisen können oder aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen« (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2019). Die Verfolgung aufgrund von Gender-Identität oder sexueller Orientierung gilt in Deutschland erst seit 2013 als anerkannter Asylgrund (vgl. §3b Abs.1Nr.4 AsylG); der Film verweist hier also auf die auch rechtlich prekäre Situation queerer Fliehender.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

ba als »Siamak«40 weiter als Mann auftreten muss, inszeniert. Am Ende wird Fariba enttarnt, sie wird festgenommen und abgeschoben. Beim Rückflug vernichtet sie auf der Flugzeugtoilette Faribas Papiere und nimmt wieder »Siamaks« Identität an. Bereits in den ersten Szenen des Films werden die Themen Repression und Subversion in Bezug auf die Gender- und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnung dargestellt. In den Eingangseinstellungen wird Fariba gehüllt in ein schwarzes Kopftuch mit Sonnenbrille im Flugzeug sitzend gezeigt. Nachdem über die Lautsprecher verkündet wurde, dass die Grenze aus dem Iran überquert wurde, entledigen sich viele Frauen im Flugzeug ihrer Kopftücher und Mäntel, Fariba zieht sich auf die Flugzeugtoilette zurück. Nachdem sie ihr Kopftuch benässt hat, bedeckt sie damit die Belüftungsanlage und beginnt zu rauchen. Gleich zu Beginn wird hier durch die Inszenierung der vestimentären Praktiken der Frauen im Iran und bei Überschreitung dessen Grenze auf Repression in Bezug auf Gender verwiesen und der Film scheint zunächst eine populäre Aussage über den Iran im Westen aufzurufen. Dennoch wird im selben Zug das rein strategische Befolgen von Regeln von Frauen gezeigt und Fariba als subversiv sowie Meisterin des Versteckens eingeführt: Auch unter Repression und Verbot findet sie Lücken sich Freiheiten zu nehmen, wenn auch in sehr begrenztem Rahmen, was durch die Enge der Flugzeugtoilette und den Kamerablick in den Spiegel, der einen doppelten Rahmen im Filmbild bildet und so den Bildausschnitt, in dem Fariba als zu sehen ist, verkleinert, betont wird. Das Kopftuch wird dabei vom Unterdrückungszeichen (vgl. Kapitel 6.2.3) zum Emanzipationsermöglicher uminterpretiert und die kreative Subversion Faribas nahegelegt: Erst die Zweckentfremdung des Verhüllens nicht des Haars, sondern des Rauchmelders ermöglicht Fariba das Rauchen. An der deutschen Grenze angekommen, wird sie jedoch mit einer ganz anderen Art von Repression konfrontiert und die Darstellung des Irans als repressives Regime in der Gegenüberstellung mit Repression an der deutschen Grenze auf anderer Ebene relativiert: Die Einreise wird ihr ohne als valide anerkannte Papiere verwehrt und sie tritt ein in das deutsche Asylsystem. Visuell wird die Grenze als ebenso fast überwunden wie unüberwindbar dargestellt. Während Faribas Spiegelung im Glas, das sie und den Grenzbeamten trennt, andeutet, dass sie die Grenze so gut wie überquert hat, macht die direkt folgende Einstellung, in der sie von der anderen Seite der Glasscheibe, in der sich die Aufschrift ›non-EU‹ spiegelt, zusammen mit einem Polizisten zu sehen ist, deutlich, dass sie nicht so einfach auf die andere Seite kommen kann – ihr Eintritt ist abhängig von der Autorität der Grenzbeamt:innen als dem Teil des Grenzregimes, die die Grenze aufrecht erhalten und polizieren. Die im Iran erlebte Repression der Selbstbestimmung und Bewegungsfreiheit in Bezug auf Gender wird an der deutschen Grenze zur Reglementierung der Bewegungsfreiheit in Bezug auf die Zugehörigkeit zur Nation. Die Ablehnung des Asylgesuchs Faribas aufgrund ihr zugeschriebener Unglaubwürdigkeit nachdem sie ihren wahren Fluchtgrund genannt hatte, in den folgenden Sequenzen inszeniert sowohl die Politiken der Entscheidung über Asylverfahren als auch die Spezifik von Asylgesuchen aus Anlass der Verfolgung aufgrund von sexueller

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Wenn ich mich auf Fariba als Siamak passend beziehe, werde ich dies durch « kenntlich machen und das Pronomen ›er‹ verwenden, da »Siamak« von der Außenwelt als männlich wahrgenommen und adressiert wird.

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Orientierung. So wird hier ähnlich wie es auch in Kleine Freiheit an einer Stelle thematisiert wurde, auf die Abhängigkeit für die Gewährung von Asyl von der Fähigkeit der Antragstellenden, Glaubwürdigkeit bei den Entscheider:innen zu erlangen, Bezug genommen. Bei Anträgen, bei denen die sexuelle Orientierung eine Rolle spielt, werden nicht nur Aspekte der (In)konsistenz der Geschichte in die Herstellung von (Un)Glaubwürdigkeit entscheidend, sondern auch westlich geprägte, oft stereotype, Vorstellungen darüber, wie ›Lesben‹ oder ›Schwule‹ auszusehen haben und welche Verhaltensweisen nicht-heterosexuelle Orientierung ›beweisen‹ würden (vgl. Manalansan 2006: 232). Faribas Ablehnung verweist auf dieses Spannungsfeld und sowie die Schwierigkeiten, die sich für Betroffene im Zusammenspiel eines vermachteten Regimes der Kontrolle von Ein- und Ausschluss aus der Nation verschränkt mit Fragen der sexuellen Orientierung und der erschwerten Glaubwürdigkeitsherstellung ergeben. Diese Szenen etablieren die Ausgangslage für die Verhandlung der transnationalen Dynamiken von Diskriminierung im Film sowie die Narrativierung der Suche nach einem Ort, an dem ein Leben ohne Verfolgung möglich ist. Nicht-normative Männlichkeit (die Fariba für die anderen Figuren verkörpert) und nicht-heterosexuelles Begehren werden hier zu Potenzialen der Hinterfragung von dominanzgesellschaftlichen Vorstellungen heteronormativ strukturierter natio-ethno-kulturell kodierter Zugehörigkeit. Fremde Haut nimmt so Bezug auf die Verhandlungen von Zugehörigkeit im Deutschland des beginnenden 21. Jahrhunderts aus queerer, migratisierter Perspektive und bettet dies in einen Kontext transnationaler Grenzüberschreitungen ein. Dabei werden Gender, Sexualität, Ethnizität und Nation nicht nur als wirkmächtig dargestellt, sondern auch in ihrer Stabilität und Fixiertheit befragt, wobei sowohl okzidentale Ideen eines überlegeneren Deutschlands und Westens (vgl. Dietze/Brunner/ Wenzel 2015: 12) kritisch reflektiert, als auch Orientalismus reproduziert werden. In den vielfältigen Grenzüberschreitungen in Bezug auf Gender, Sexualität und Nation vor allem durch Fariba bzw. »Siamak« und später Anne werden essenzialistische und binarisierende Kategorisierungen jedoch eher in ihrem Fließen und in Unabgeschlossenheit präferiert als sie zu reifizieren. Mit dieser filmischen Befragung normativer und vermachteter Ideen von Gender, Sexualität und Nation, aber auch mit einem selbstironischen Blick auf Deutschland in der Überzeichnung stereotyper Zuschreibungen reflektiert Fremde Haut ein westliches Narrativ von Fortschritt und plädiert für die kritische Betrachtung nationalstaatlicher Ein- und Ausschlusspraktiken sowie die Gewaltförmigkeit der heteronormativ strukturierten Genderordnung.

Abb. 82–83: Fremde Haut (D 2005, R: Angelina Maccarone)

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Abb. 84–85: Fremde Haut (D 2005, R: Angelina Maccarone)

Grenz-/Genderregime und Deutschlandbilder In Fremde Haut wird filmisch die Gegenüberstellung von übermächtigem Grenzregime und autonomen Praktiken der Unterwanderung sowie von Ideen (Faribas) über Deutschland und erlebten Realitäten in Deutschland eingesetzt, um ordnende nationalstaatliche Praktiken des Ein- und Ausschlusses kritisch zu beleuchten. Über den Film hinweg werden dabei visuelle Symbole des Eingeschlossenseins und der Sehnsucht nach Bewegungsfreiheit – wie der Kamerablick durch Zäune, Barrikaden, Fenstergitter o.ä. sowie Flugzeuge oder Vögel – verwendet, um Faribas ausweglose und fremdbestimmte Situation zu verdeutlichen. Besonders im Flughafengefängnis wird die Macht des Grenzregimes, Bewegungsfreiheit einzuschränken inszeniert. So wird Fariba immer wieder in engen überfüllten Räumen des Gefängnisses, durch Zäune hindurch(blickend) oder hinter Zäunen sowie bei verschiedenen Transporten in Polizeiautos gezeigt. Besonders bei der Darstellung der erkennungsdienstlichen Behandlung werden Assoziationen zur filmischen Darstellung von Gefängnisinsass:innen aufgerufen und damit auf die durch das Grenzregime stattfindende Kriminalisierung von Geflüchteten verwiesen. Dabei wird Fariba von allen Seiten fotografiert und rektal untersucht. So zeigt der Film die Prozesse der Kriminalisierung und Illegalisierung von Menschen durch das deutsche Migrationsregime aus der Perspektive der Illegalisierten auf – Fariba ist als Hauptfigur installiert, der durch den Film hinweg gefolgt wird – und verweist auf die ungleichen Machtverhältnisse hierbei, wobei identifikatorische Anknüpfungspunkte für das Publikum gebildet werden. Das Warten und die Ungewissheit, die durch das sich wiederholende Sitzen auf demselben Stuhl und mehrfache im Polizeitransporter Transferiertwerden zu unterschiedlichen Orten ohne Erklärung dargestellt werden, betonen diese Ungleichheit. In einer zeigenden Erzählweise, die Erklärung verweigert, können beim Publikum Verwirrung und Ohnmachtsgefühle produziert werden – (vermeintliche) Publikumsgefühle werden mit den (vermeintlichen) Gefühlen der Filmfiguren analogisiert und so ein empathisierendes Identifikationsangebot geschaffen. Ungleiche Machtverhältnisse werden auch immer wieder in Interaktionen mit der Polizei inszeniert. So erscheinen die Beamten durch Untersicht der Kamera oft übergroß oder Interaktionen werden unterbrochen, sobald sie den Raum betreten. Wie Angelina Maccarone in einem Interview beschreibt, verfolgte sie mit ihren Darstellungen des Asylsystems und den Umständen in Deutschland einen Realismusanspruch, um mit ihrem Film politische Aussagen zu machen. Mit dieser ›Authentifi-

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zierung‹ werden beim Publikum auch potenziell emotionale Anknüpfungspunkte zur Situation Geflüchteter in Deutschland gebildet: »The biggest challenge was to tell a story that takes place in very real circumstances of German society. I wanted to be totally exact when it came to political facts to make it a story that matters on this level as well« (Maccarone im Interview mit Swartz 2005). Trotz der genannten Inszenierung von Asymmetrie werden auch Momente der Subversion und Aneignung des Systems gezeigt, auch, wenn sie nicht immer erfolgreich verlaufen. So versucht Siamak beispielsweise bei einem Gefangenentransport zu fliehen, indem er aus dem Autobus springt, wird aber umgehend wieder eingefangen, wobei eines seiner Brillengläser zertrümmert wird. Auch Fariba sucht diese kleinen Momente, das System zu umgehen und besticht einen Polizisten, um telefonieren zu können. Sie ruft ihre im Iran gebliebene Geliebte Shirin an, die ihr jedoch nahelegt, nicht mehr anzurufen, da sie im Iran bleiben werde. In dieser Szene wird nicht nur die Aneignung von Systemlücken inszeniert, sondern auch sowohl der Druck durch das iranische System sich nicht-heterosexuellen Beziehungen abzuwenden, als auch Korruption in Deutschland. Damit re_produziert Fremde Haut hier zwar die homonationalistisch vereinnahmte Vorstellung der Unfreiheit queerer Menschen im ›Nicht-Westen‹, dekonstruiert aber zugleich das Gegenbild der Vorstellung des Rechtsstaats Deutschland und legt nahe, dass sich ›der Westen‹ und der ›Nicht-Westen‹ nur dahingehend unterscheiden, dass sie verschieden repressiv agieren. Damit verweigert Fremde Haut hier »okzidentalistische[…] Selbstvergewisserung« (Dietze/Brunner/Wenzel 2015: 13) und befragt so die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Akteur:innen des deutschen Migrationsregimes bzw. seiner deutschen Beamt:innen im Film. In derselben Szene wirft Fremde Haut implizit die Frage auf, was Deutschsein bedeutet und wie es sich definiert, wer deutsch ist oder sein sollte und wer nicht und welche Minimalbedingungen hierfür erfüllt sein müssen als Fariba dem Polizisten beiläufig die Antwort auf die Frage nach ›einem deutschen Dichter der Romantik‹ in einem Kreuzworträtsel nennt. Während Fariba, als Übersetzerin für Deutsch, als gebildet, studiert, mittelschichtsangehörig und sich in deutscher ›Hochkultur‹ auskennend markiert wird, wird der Polizist als ungebildet und seine vermeintlich ›eigene‹ Geschichte und Kultur nicht kennend dargestellt. Damit stellt der Film die Willkür des Konzepts der ›Staatsangehörigkeit‹ durch Abstammung und Passinhaber:innenschaft heraus. Auch verschiedene im Diskurs über natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit zirkulierende Selbst- und Fremdbilder Deutschlands (deutsche ›Hochkultur‹ im hegemonialen Diskurs und Deutschland als rassistischer Staat im kritischen Diskurs) werden hier nebeneinandergestellt und die Widersprüchlichkeiten, die sich hier vereinigen ausgestellt, wodurch auf die Gleichzeitigkeit der Existenz dieser verwiesen wird. Wie Sara Ahmed ausführt, sind Kategorisierungen wie Sexualität, Gender oder Race Ausschlag gebend dafür, wie sich Körper in Zeit und Raum ausrichten (können) bzw. ausgerichtet werden (vgl. Ahmed 2006). Nur Körper, die als »in line« (Ahmed 2006: 111) gelesen würden, könnten sich demnach im Raum ausbreiten. An Faribas Situation lässt sich ablesen, wie die Re-Orientierung des Körpers im geographischen Raum eine Re-Orientierung im sozialen Raum zur Folge hat: Während sie im Iran als Übersetzerin für Deutsch Privilegien des Weißseins und der Zugehörigkeit zur gebildeten Mittelklasse genießt, muss sie beim Eintritt in das deutsche Asylsystem sowohl ihre Ethnizitäts- als

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

auch Klassenprivilegien ›abgeben‹, um in Deutschland ›in line‹ zu sein, was hier gleichbedeutend mit ›marginalisiert‹ wird – auch wenn ihr Wissen bemerkt wird, ändert es nichts an ihrer strukturellen Situation als queere Geflüchtete. Fremde Haut führt hier die Dynamiken von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit, Klasse und vergeschlechtlichter Sexualität vor und zeigt die Widersprüche dieser auf.

Abb. 86–87: Fremde Haut (D 2005, R: Angelina Maccarone)

Abb. 88: Fremde Haut (D 2005, R: Angelina Maccarone)

Während Fariba im Flughafenknast noch zu Siamak sagt, dass er »hier in Deutschland ein neues Leben anfangen« könne, und damit Deutschland als Sehnsuchtsort nach einem ›besseren Leben‹ aufgerufen wird, zeigt der Film in seinem Verlauf auf, dass Faribas Vorstellung von Deutschland und die Realität, die sie erlebt, weit auseinander liegen. Dadurch dekonstruiert der Film die Idee von Deutschland als »Traumland« (Dohrenbeck/Niehr 2000: 157) für Migrant:innen und legt nahe, dass das ›gute Leben‹ in Deutschland an Race- und Staatsangehörigkeitsprivilegien geknüpft ist. Die Polizierung der Grenze findet auch in Fremde Haut (ähnlich wie in Kleine Freiheit) nicht nur an der Grenze statt, sondern wird im Innern des Staates fortgeführt. Im Film wird dies anhand von Zollkontrollen bei »Siamaks« Arbeitgeber, bei einer nächtlichen Polizeikontrolle beim Autofahren und der Festnahme »Siamaks« und darauf folgende Abschiebung am Ende des Films dargestellt. Die Grenze und deren Kontrolle werden dabei erneut ubiqui-

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tär, zur allgegenwärtigen Bedrohung. Zur Überwindung dieser Bedrohungslage wird – eine weitere Handlungsparallele zu Kleine Freiheit – das Nahelegen einer heterosexuellen Heirat mit einer deutschen Frau (was Zimmergenosse in der Asylunterkunft Maxim (Jevgenij Sitochin) »Siamak« empfiehlt) als Strategie der Sicherung des Aufenthalts in Deutschland dargestellt und erneut auf die Heterosexualisierung der Nation verwiesen. Die allgegenwärtige Bedrohung durch das Grenzregime wird in einer Szene verbalisiert, in der »Siamak« den Kontrollbehörden bei der Arbeit in der Sauerkrautfabrik nur knapp mit Annes Hilfe, die ihn im Sauerkraut versteckte, entkommen konnte: Anne: »Mir ist echt fast das Herz stehengeblieben« »Siamak«: »Danke« Anne: »Das ist ja wohl das Mindeste. Du musst ja ’ne wahnsinnige Angst haben dauernd« »Siamak«: »Puh. Ja« Anne: »Warum gibt der Hermann euch nicht einfach einen Arbeitsvertrag?« »Siamak«: »Dürfen nicht« Anne: »Echt nicht? Ist ja absurd« Die spontane Empörung der weiß-deutschen Figur Anne, die als Sympathieträgerin und mögliche Identifikationsfigur für ein weiß-deutsches Publikum fungiert, kann affizieren, damit politisierend wirken und das dargestellte Gewaltverhältnis für eine Mehrheitsperspektive erfahrbar machen. Dennoch reproduziert die Strategie des Einsatzes der weißen, strukturell privilegierteren Figur um die Darstellung eines Machtverhältnisses zu betonen alte Muster des paternalistisch geprägten (politischen) Films, wie sie bspw. auch in Rainer Werner Fassbinders Angst essen Seele auf (1974) oder in Günter Wallraffs/Jörg Gförers Ganz Unten (1986) zum Einsatz kommt. Im zitierten Gesprächsausschnitt verweist der Film direkt auf die Kriminalisierung der Arbeit Asylantragsstellender und führt die von Anne so benannte Absurdität des deutschen Migrationsregimes vor: Als billige Arbeitskraft sind informell beschäftigte Arbeiter:innen sowohl gewollt, um Produktionskosten niedrig halten und so die innerdeutsche Wirtschaft vorantreiben zu können als auch verpönt und gejagt für ihre ›Gesetzesübertretung‹. Damit fügen sich Migrant:innen in informellen Arbeitsverhältnissen in neoliberales Wirtschaften ein, da sie »die Masse perfekt flexibler Arbeitskräfte [sind], denn sie können je nach Auftragslage angeworben und entlassen werden« (Terray 2002: 2). Diesem Umstand Rechnung tragend, stellt Fremde Haut die Widersprüche des Migrationsregimes dar und präsentiert das Spiel aus Kontrolle und ›Wegsehen‹ als ein konstitutives Element nationalstaatlichen Agierens im Neoliberalismus. Zudem stellt der Film die Arbeit im informellen Sektor als vergeschlechtlichte dar, denn neben »Siamak« sind auch die anderen in der Fabrik informell Beschäftigten und anderen Gezeigten informell Arbeitenden männlich. Männlichkeit wird hier also zum Privileg des Zugangs zu informeller Arbeit. In »Siamaks« Fall, der das Geld spart, um einen Pass (für seine ›Schwester‹ Fariba) kaufen zu können, wird so auch nahegelegt, wie selbst der illegalisierte Zugang zur Möglichkeit einer angstfreien Bewegungsfreiheit durch männliche Privilegien erleichtert wird und welche Vorteile ihm sein Passing selbst in der Situation der weitgehenden Entrechtung im Asylverfahren bringt.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

»Siamaks« Angst und Anspannung wird nicht nur im Moment der Zollkontrolle deutlich, sondern zieht sich durch den Film hinweg durch seinen traurigen bis unsicherängstlich wirkenden Gesichtsausdruck, der immer wieder in Großaufnahme gezeigt wird und die Handlungsentfaltung affektiv auflädt. Die Inszenierung von Bedrohung der Aufdeckung durch das Grenzregime korreliert in Fremde Haut mit der Inszenierung der Bedrohung und Angst vor der Aufdeckung »Siamaks« zugewiesenen Geschlechts durch das patriarchale Genderregime. Bei »Siamaks« erstem Auftritt im Film zeigt sich wie Gender- und Nations-Grenzen in Fremde Haut miteinander verknüpft und damit als aufeinander verweisend dargestellt werden: Um die nationalstaatliche Grenze als »Siamak« zu überschreiten, muss das Überschreiten der Gender-Grenze unsichtbar werden und bleiben. Filmisch wird dies durch das Präsentieren des Ergebnisses und nicht der ›Verwandlung‹ von Fariba in »Siamak« gezeigt: »Siamak« wird hier zunächst von hinten mit dem Rücken zur Kamera ins Bild gesetzt, dann sein nervöses Fußwackeln eingeblendet, um bei der anschließenden Verkündung der Beamt:in, dass er zum Zwecke der Durchführung seines Asylverfahrens in die Bundesrepublik Deutschland einreisen dürfe, Faribas Gesicht als »Siamak« mit kurzen Haaren und Siamaks Brille zu zeigen. Nur als »Siamak« kann Fariba nun die nationalstaatliche Grenze überschreiten und ist im weiteren Verlauf somit auf das Aufrechterhalten des Passings angewiesen. Allein durch Faribas Re-Orientierung in Bezug auf Gender mit einem einwandfreien (›in line‹) passing als »Siamak« kann hier die Ausbreitung und Neuausrichtung im geographischen Raum stattfinden. Faribas Auftreten als »Siamak« kann mit Ana Hoffner gesprochen als »survival drag« (Hoffner 2018: 33) gelesen werden: Das Annehmen einer anderen Gender-Identität wird damit zum Widerstandsakt gegen die Gefahr für das eigene Leben (vgl. Hoffner 2018: 32), geht aber mit der Gefahr des Entdeckt-Werdens einher. In »Siamaks« ›survival drag‹ wird sich das zweigeschlechtliche Gender-Regime zunutze gemacht, um das Grenzregime zu umgehen und damit sowohl Grenz- als auch Genderpraktiken als performativ ausgestellt.

Abb. 89: Fremde Haut (D 2005, R: Angelina Maccarone)

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Ähnlich wie die Bedrohung durch die potenziell allgegenwärtige Polizierung der Grenzen des Nationalstaats, ist damit aber auch die Bedrohung des Scheiterns des Passings allgegenwärtig. In den Dusch- und Badszenen im Film verdichtet sich dies. Mit der Inszenierung diverser Duschszenen schreibt sich Fremde Haut ein in die filmische Darstellung von Passing-Narrativen, die das Polizieren von Geschlechtergrenzen mit dem angeführten Beweis der »Unhintergehbarkeit des Körpers« (Hoenes 2014: 40) zusammenbringen, charakterisiert aber auch die Aufrechterhaltung des Passings als arbeitsreichen Prozess. So muss »Siamak« vor Sonnenaufgang aufstehen, um ungestört und unentdeckt im Duschcontainer des Asylbewerber:innenlagers duschen zu können. Im Kerzenschein löst er hier den Verband, der die abgebundenen Brüste versteckt und wird gezeigt, wie er sich Bartstoppeln mit Wimperntusche und Zahnbürste schminkt. Während es »Siamak« hier gelingt, sich der potenziellen Bedrohung des Scheiterns seines Passings zu entziehen, erhöht sich der Druck bei der Arbeit. Nach Vollendung des Arbeitstags in der Sauerkrautfabrik wird hier für gewöhnlich zweigeschlechtlich getrennt gemeinsam geduscht. Mehrfach drängen deutsche Kollegen und sein Zimmernachbar Maxim »Siamak« auch zu duschen, da er stinke. So muss sich »Siamak«, um sein Passing nicht aufzugeben, weiteren, mitunter rassistischen Anfeindungen aussetzen. In Bezug auf den Gesamtfilm nimmt die Toilette/das Badezimmer eine ambivalente Funktion zwischen Ort der Repression und einziger Ort der Freiheit und des Mensch-Selbst-Sein-Könnens ein. Acht Mal über den Film hinweg werden Badezimmerszenen dargestellt und rahmen den Film mit einer Szene auf der Flugzeugtoilette zu Beginn und Ende des Films sogar ein. Während die All-Gender-Toilette im Flugzeug als die Möglichkeit der Gender-(Rollen-)transgression und damit die Ermöglichung von Bewegungsfreiheit und Selbstbestimmung bietend inszeniert wird, wird das binär-geschlechtlich getrennte Bad in der Fabrik zum angstbesetzten Ort der GenderEntdeckung. Solange »Siamak« im Bad ohne die Anwesenheit kontrollierender weißer Männlichkeit sein kann, wird hier aber auch das Gefühl des Fehl-am-Platz-Seins ausgesetzt. Darüber hinaus wird das Bad auch als Ort der Enthüllung und des bondings gezeichnet, als Fariba sich nach der Ablehnung ihres Asylantrags schluchzend gegenüber Siamak outet und dieser sie tröstet sowie im Gespräch mit Anne, als »Siamak« dieser die Neuigkeit seiner bevorstehenden Abschiebung unterbreitet (zur Bedeutung des Badezimmers in Fremde Haut vgl. auch Dawson 2018: 27). In besagter Badszene in der Sauerkrautfabrik gerät »Siamak« in eine Konfrontation mit Uwe, der auch an Anne interessiert ist und »Siamak« rassistisch beschimpft, und macht sich Männlichkeitskodes – wie festen Blick, aggressive Körperhaltung und harten Tonfall – zur Aufrechterhaltung persönlicher Sicherheit zunutze, während er sonst eine eher nicht-normative Männlichkeit verkörpert. Im Oszillieren zwischen Männlichkeitsnormen erfüllen, um nicht enttarnt zu werden und diese durch NichtAggression und Zurückhaltung zu untergraben, konstruiert Fremde Haut ethnisierte Männlichkeit als kritische Perspektive auf weiß-deutsches Dominanzstreben und lässt zugleich Männlichkeit als Maskerade erkennbar werden. Damit verknüpft verunsichert »Siamaks« verborgene und schließlich enttarnte Queerness das Dominanzstreben weißdeutscher Männlichkeit, deren Kränkung sich in gewaltvollen Normierungs- und Vertreibungsversuchen entlädt. Durch das Einnehmen von Faribas Perspektive und ihren Einsatz als Hauptfigur wird in Fremde Haut über ethnisierte Queerness patriarchalen

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und ethno-national homogenisierenden Perspektiven eine Absage erteilt. Über den filmischen Realismus und das Identifikationsangebot mit »Siamak«/Fariba werden Anschlüsse an reale Verfolgungen Veranderter durch zivile oder staatliche Akteur:innen in Deutschland hergestellt, wodurch okzidentalistische Selbstvergewisserungsnarrative befragt und Fragen der (Un)Angemessenheit ethno-national-heteronormativer hegemonialer Dominanzansprüche aufgeworfen werden können. Damit legt der Film auch die Notwendigkeit der Anerkennung der Instabilität von Männlichkeit nahe und entfaltet eine anti-nationale Perspektive über deren Dekonstruktion. Darüber hinaus werden über die Alltagserfahrungen »Siamaks« verschiedene Diskurspositionen zu Deutschland aufgegriffen und zusammengeführt, sodass die Widersprüche, Diskrepanzen und Ambivalenzen zwischen diesen erfahrbar werden. Hierbei wird im Film eine Inszenierungsweise gewählt, die verschiedene Erfahrungsebenen direkt kontrastiert und damit Spannungen erzeugt: In mehreren Briefen an Siamaks Eltern, die Fariba Siamak versprochen hatte zu schreiben, falls ihm etwas zustoße, beschreibt »Siamak« seine Eindrücke von Deutschland, die als Voice-over und auf Farsi (mit deutschen Untertiteln) zu hören sind. Dabei wird Deutschland unter anderem als ›schönes‹ und ›reiches‹ Land beschrieben, mit putzfreudigen und freundlichen Menschen. Auf der Bildebene wird indessen eingeblendet, wie »Siamak« aus Fenstern grimmig beäugt und skeptisch beobachtet wird oder wie er Bus fährt, kurz nachdem das Publikum erfahren hat, dass »Siamak« als illegalisierter Saisonarbeiter 4€/Stunde verdient, was laut Sabine, der Tochter des Chefs, »nicht mal für Jetzt« ausreiche. Anstatt der beschriebenen Freundlichkeit ist »Siamak« also einem verandernden weißen Blick (vgl. Fanon 1986) ausgesetzt und kann nicht am Reichtum des Landes teilhaben. Darüber hinaus wirft diese kontrastierende Verschaltung der Bild- und Tonebene die Frage auf, ob Deutschland vielleicht gerade deswegen so reich ist, weil Arbeiter:innen wie »Siamak« systematisch entrechtet und ausgebeutet werden. Gleichzeitig wird aber auch »Siamaks« Wunschbild in Übereinstimmung mit populären Vorstellungsbildern von Deutschland seiner gelebten Erfahrung als Asylbeantragender gegenübergestellt und korrigiert. Die beschriebene Strategie in Fremde Haut regt zur kritischen Reflexion am deutschen Migrationsregime sowie einem Selbstbild von selbstverdientem Reichtum an und ermöglicht eine Multiperspektivität, die die ›Norm‹ als bloßen Machteffekt erkennbar werden lässt. Das (doppeldeutige) Graffiti »Kanaken ficken«, das an die Hauswand des Asylbewerber:innenlagers gesprüht ist und mehrmals eingeblendet wird als »Siamak« daran vorbeiläuft, kommentiert dabei den Rassismus und die subtile Diskriminierung, die den ›Hintergrund‹ »Siamaks« Erfahrungen in Deutschland bilden, visuell. Die schwäbische Kleinstadt wird als provinziell, patriarchal und heteronormativ dargestellt und bei einem nächtlichen Besuch des Stuttgarter Rotlicht-Viertels mit der Homofreundlichkeit und dem Relativismus der Großstadt kontrastiert. Durch »Siamaks« Blick, der hier aus dem fahrenden Auto heraus einem sich küssenden Männerpaar hinterhersieht, wird hier auf eine andere Seite von Deutschland, in dem im Vergleich zum Iran ein gewisses Maß an Freiheit und Nicht-Verfolgung gegenüber LGBTIQ*-Lebensweisen verwiesen. Damit re_produziert Fremde Haut einerseits eine populäre Stadt-Land-Dichotomie, in der die Großstadt als liberaler Ort der Freiheit, Möglichkeiten und Selbstentfaltung inszeniert wird, während dem Dorf und der Kleinstadt Provinzialität und ein gesteigertes Maß an Rassismus und patriarchaler He-

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teronormativität zugeschrieben werden. Gleichzeitig wird besonders durch »Siamaks« ungläubiges Hinterherblicken ein homonationalistisches Narrativ aufgerufen, in dem Deutschland als Gegenfolie zum Iran in seiner ›Fortschrittlichkeit‹ betont wird41 . Dieser Moment homonationalistischer Selbstvergewisserung wird aber auch in Vergleichen Deutschlands mit dem Iran gebrochen als Anne und »Siamak« sich über Sielmingen (den Ort, in dem sie nun beide leben) und Teheran unterhalten. Während Teheran mit seinen 10 Millionen Einwohner:innen von Anne mit ›New York oder so‹ verglichen wird, bezeichnet »Siamak« Sielmingen nur als ›klein‹. In dieser Gegenüberstellung wird Deutschland im Chakrabarty’schen Sinn provinzialisiert (vgl. Chakrabarty 2000), während auf den Iran als modernes, kosmopolitisches Land verwiesen wird. Durch Abwesenheit des Irans im Bild werden orientalisierende Blickstrukturen nicht bedient, das Publikum durch Referenzen und Vergleiche aber dazu angehalten, ihn zu imaginieren. Damit zeigt sich die Ambivalenz von Nicht-/Sichtbarmachung, gleichzeitig wird somit ein Imaginationsraum eröffnet, der sich nicht auf eindeutige Bilder festlegt. Maccarone selbst beschreibt ihren Film im Interview mit dem Anspruch Polaritäten zu hinterfragen: »I think one of the main problems is our thinking within constricted concepts like polarities. There is good or evil, the ›free world‹ or suppression. I believe the world, the human, is more complex than that. The simple solutions that are suggested by polarities are dangerous. Thinking like ›we are good, they are evil‹ has existed for a long time and justified a lot of horrible things people do to each other. I wanted to show that on either side there are humans. If the ›bad guys‹ are human too they do have a bigger responsibility for their decisions.« (Maccarone im Interview mit Swartz 2005). Deutsche Provinzialität wird durch das Setting der Szene auf einem Krautfeld betont und stellt damit gleichzeitig einen ironischen Verweis auf das Bild der Deutschen als ›Krauts‹ im anglophonen Raum (vgl. Witt 2015: 39) dar. Als v.a. im Zweiten Weltkrieg verwendeter Ausdruck (ebd.) wird so auch auf die NS-Vergangenheit Deutschlands hingewiesen und hält diese im visuellen Gedächtnis des Publikums. So wird in Fremde Haut ein Spannungsfeld von Selbst- und Fremdbildern auf Deutschland aufgespannt, das sich zwischen relativer Freiheit für weiße, staatsangehörige und Bewegungseinschränkung für nicht-weiße asylsuchende Subjekte sowie den Polen Queerfeindlichkeit und Homonormativität wie auch Provinzialismus und Liberalismus bewegt. In einer einfach konsumierbaren Filmsprache und einer überwiegend linearen Narration (bis auf die kreisförmige Schließung zu Ende des Films), die sich an global verbreitete Ästhetiken anlehnt, wird Fremde Haut einerseits zum massenanschlussfähigen Film, vermeidet dabei gleichzeitig die Produktion vereindeutigender Bilder. So produziert der Film Komplexität und zeigt Ambivalenzen auf, macht diese aber konsumier- und nachvollziehbar; durch die authentisierende Darstellung verweist er auch auf die Wirkmacht von Grenzregimen und realen Auswirkungen der nationalstaatliche regulierten In- und Exklusionen. 41

Hierbei ist auch zu bedenken, wie Nikita Dhawan betont, dass »die Obsession und ›Betroffenheit‹ westlicher Medien bezüglich der Situation iranischer Queers nicht isoliert von den geopolitischen Interessen des Westens in dieser Region betrachtet werden können« (Dhawan 2015: 50).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

In dieser Kombination des Einsatzes leicht konsumierbarer Filmsprache mit einer gegenhegemonialen Perspektivierung, die jedoch auch Momente der Selbstvergewisserung nicht ausspart, schreibt sich der Film ein in ein Diskursfeld der kritischen Reflexion von Grenzarchitekturen, Normierungs- und Gewaltverhältnissen, bleibt aber ambivalent in Bezug auf seine imaginative geographies.

Lesbische, internationale Liebe auf dem Land Die sich entwickelnde Liebesbeziehung von »Siamak« und Anne stellt ein zentrales Handlungsthema in Fremde Haut dar. Dabei sind es vor allem Blicke und später Berührungen, durch die die sich aufbauende Nähe und Verbindung der beiden inszeniert und ästhetisiert wird. Diese sich aufbauende Verbindung wird jedoch immer wieder von weißer, normierender Dominanzgesellschaft und dabei meistens hegemonialer Männlichkeit durch Einschreiten in jede (mögliche) Annäherung oder (versuchte) Sabotage dieser unterbrochen. Damit inszeniert Fremde Haut romantische Beziehungen, die rassifizierte/ethnisierte Grenzen überschreiten als konflikthaft und verschränkt diese mit der Überschreitung heteronormativer Grenzen. Der Film schreibt sich so in eine Tradition filmischer Narrative, innerhalb derer Liebe, die rassifizierte Grenzen überschreitet, als problematisch und potenziell Konflikte im persönlichen Nahumfeld provozierend inszeniert wird, ein (vgl. Rightler 2008: vi). Wie bell hooks beschreibt: »True love in television and movies is almost always an occurrence between those who share the same race. When love happens across boundaries […], it is doomed for no apparent reason and/or has tragic consequences. White and black people learning lessons from mass media about racial bonding are taught that curiosity about those who are racially different can be expressed as long as boundaries are not actually crossed and no genuine intimacy emerges« (hooks 1995: 113). Auch wenn sich dies auf den US-amerikanischen Kontext bezieht und dabei hauptsächlich die Beziehungen zwischen weißen und Schwarzen Figuren meint, kann dies auf den Kontext von Fremde Haut insofern übertragen werden, dass die sich anbahnende Beziehung zwischen »Siamak« und Anne den filmischen Konflikt befeuert: Von ihrem ersten Blickkontakt an werden sie mit Feindseligkeiten aus dem Umfeld konfrontiert, ihre Beziehung wird problematisiert sowie hinterfragt und schließlich dürfen sie auch nicht zusammenbleiben. Gleichzeitig ist es nur entgegen dem Widerstand des Umfelds, dass die Beziehung der Figuren überhaupt als ›transgressiv‹ erscheint (vgl. Perry/Sutton 2006: 889). Die ersten Versuche der Kontaktaufnahme gehen von Anne aus und werden in Blickaustauschen inszeniert. Dem voraus ging ein Gespräch mit einer Kollegin, bei dem diese eine Verabredung mit »dem ersten, der durch diese Tür kommt« zur Bedingung für die Schenkung eines Fahrrads für Annes Sohn Melvin macht. Als »Siamak« durch die Tür kommt, wehrt Anne zunächst ab, da sie nicht wisse, was sie mit ihm reden solle, dann lässt sich Anne auf das ›Spiel‹ ein und wirft »Siamak« bei der Arbeit erste interessierte Blicke zu, die dieser erwidert. Dabei werden diese Blicke vergeschlechtlicht und bestätigen Gender-Normen genauso wie sie diese auch hinterfragen. Durch Annes Initialisierung des Blickkontakts und die Installierung der Blickrichtung von Anne ausgehend wird die vergeschlechtliche Hierarchisierung des ›männlichen Blicks‹

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(vermeintlich) umgekehrt; im Schuss-Gegenschuss der sich Ansehenden wird Annes Blick durch das schüchtern wirkende Hinter-der-Maschine-Hervorsehen und das Spiel aus Hin- und Wegsehen feminisiert, während »Siamaks« Blick durch Erwidern, Standhalten und direktes Blicken männlich kodiert wird (zur Vergeschlechtlichung des Blicks vgl. Dyer 1982: 61) und mit dem Wissen und Begehren der Zuschauenden gespielt, die um »Siamaks« survival drag wissen. Durch diese sich komplementierenden Strategien des Blickens wird die nicht-(hetero)normative Beziehung angedeutet – und ein genderfluider Blick konzipiert, bei der die Identifikation zwischen heterosexuell, lesbisch und genderqueer hin- und herpendelt. Gleichzeitig reproduziert Fremde Haut damit auch eine rassifizierte Blickhierarchie, in der das weiße Subjekt das nicht-weiße anblicken, beobachten kann (vgl. Kaplan 1997). In »Siamaks« Zurückblicken wird diese jedoch insofern destabilisiert, als dass er den Blick nicht nur erwidert, sondern auch in seinem Blicken wahrgenommen wird. Hier wird aber auch normierendes Intervenieren, wie es sich durch den Rest des Films zieht, eingeführt: Durch Uwe, der den Blickaustausch zwischen Anne und »Siamak« beobachtet und wütend in Annes Richtung blickt. Filmisch wird seine Intervention dadurch verdeutlicht, dass er durch die Blickachse zwischen »Siamak« und Anne läuft und diese hiermit unterbricht. In Fremde Haut wird damit der Versuch der Dominanz weißer Männlichkeit über marginalisierte Männlichkeit verschränkt mit Einhegung weißer Weiblichkeit dargestellt und zeigt den Zusammenhang zwischen Rassismus, Nationalismus und Heteropatriarchat auf: Wenn der (weiße) Frauenkörper als symbolischer Ort der Nation gedacht wird, der durch Männlichkeit geschützt werden muss (vgl. Ludwig 2014: 54f.), stellt das Begehren einer weißen, deutschen Frau eines nicht-Staatsangehörigen, also eine natio-ethno-kulturelle Grenzen überschreitende Liaison, eine Bedrohung der weißdeutschen Nation dar. Über den polizierten weiblichen Körper wird damit der rassistische Reflex des ›Schutzes‹ der ›Penetration‹ der Nation durch Migrant:innen ausagiert und der Film nimmt so Bezug auf eine Argumentationsstrategie, die sich im rassistischen Diskurs einer weißen deutschen Mitte über ›Migration‹ immer wieder finden lässt (vgl. Shooman 2014: 215). Der Frauenkörper wird hier also als patriarchale Kampfarena fragiler Männlichkeit konstruiert. Als Mittel zur Inszenierung dessen dient das sich wiederholende Einschreiten in jede Form der Annäherung oder des Kontakts zwischen »Siamak« und Anne durch Uwe und später Andi, das als immer wiederkehrende Unterbrechung eines romantischen Moments wirkt. So wird einerseits die Einbindung Annes in ein dichtes Netz sozialer Kontrolle, durch das sie gegängelt und überwacht wird dargestellt und andererseits Loyalität des Publikums mit dem entstehenden Liebespaar Anne und »Siamak« erzeugt. Uwes und Andis ›Interventionen‹ sind neben verbalen Aufforderungen zur Rechtertigung oder der Denunziation »Siamaks« meist als körperliche dargestellt – sie stellen sich Anne und »Siamak« direkt ›in den Weg‹, positionieren sich zwischen ihnen bzw. stellen sich in ihre Mitte – eine ›unvermittelte‹ Kommunikation zwischen Anne und »Siamak« wird so erschwert. Der Eindruck entsteht, dass Anne ›nie aus dem Blick gelassen‹ wird, wodurch eine weitere Bedrohungssituation für »Siamak« aufgebaut wird. Aus der Inszenierung verschiedener Arten von Grenzüberwachungen zwischen vergeschlechtlich-nationalstaatlich und sozial wird in Fremde Haut für »Siamak« damit ein undurchlässiges Geflecht aus bedrohlichen Kontrollmechanismen gestrickt, aus dem es sich nur schwer befreien lässt. Diese sich aufbauende Dynamik es-

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kaliert, als Uwe und Andi Annes Sohn Melvin eines Nachts verfrüht von einem Campingurlaub nach Hause bringen und Fariba dort in weiblich kodierter Unterwäsche in der Küche sitzend vorfinden, ihren neu erstandenen ›Blauen Pass‹42 in Händen haltend. Während Uwe, der durchweg als Aggressor gezeichnet wurde, bei Faribas ›Entdeckung‹ komplett sprachlos ist und schließlich anfängt, zu weinen, beginnt Andi, Fariba direkt anzugreifen und beschimpft sie sowohl rassistisch als auch misogyn und queerfeindlich (»Musst alles kaputtmachen, hä? Kommst hier hin und denkst, du kannst dir alles nehmen, ja?«/»Was bist du überhaupt, du kleine dreckige Fotze?«/»Hier. Kuck sie dir an, ja, wegen so einem heulst du? Wegen der? Wegen ’ner Frau?«) bis Uwe auch anfängt, Fariba zu bedrohen und sie aus dem Haus werfen möchte. Als diese die Haustür öffnet, um der Situation zu entfliehen, läuft sie direkt der Polizei in die Hände und wird nach einem erfolglosen Fluchtversuch festgenommen. In der Eskalation des filmischen Konflikts mit Faribas Enttarnung als Frau wird im Film die Verquickung von patriarchalem Nationalismus und Queerfeindlichkeit nahegelegt: Materielle und symbolische Grenzziehungspraktiken fallen zusammen und verstärken sich gegenseitig – als Migrant ist mensch in Deutschland verbaler Diskriminierung ausgesetzt, als queere Migrantin körperlicher Gewalt. Damit wird nicht nur an der Dekonstruktion des Mythos von okzidentalistischer Geschlechtergerechtigkeit gearbeitet, sondern auch in die Befragung der homonationalistischen Fantasie in der nur ›die Anderen‹ queerfeindlich sind, nahegelegt. Darüber hinaus entwirft die beschriebene Szene Grenzregime und Patriarchat als zusammenhängende Gewaltverhältnisse, indem das Patriarchat hier ultimativ als Ermöglicher des Grenzregimes gezeichnet wird. Die patriarchalen Strukturen des Nationalen sowie nationalistischen Strukturen des Heteropatriarchats werden sichtbar. Visuell wird dies durch den Griff erst Uwes wie Andis und kurz darauf der Polizist:innen symbolisiert. Fest im Griff diskriminierender Strukturen gibt es für Fariba kein Entkommen.

Abb. 90–92: Fremde Haut (D 2005, R: Angelina Maccarone)

Faribas Gesicht, eingerahmt, fixiert durch die Grenzen des Polizeiautos am Ende der Szene und als letzte gezeigte Szene Faribas in Deutschland unterstreicht dies. Annes versuchte Interventionen bleiben sowohl mit Uwe als auch mit der Polizei erfolglos. Auch weiße Weiblichkeit, die als antipatriarchale und antinationalistische ›Retterin‹ auftritt, muss letztendlich scheitern. Das tragische Ende von Faribas Aufenthalt in Deutschland mit ihrer Abschiebung in den Iran, wo ihr Folter und Tod droht, nimmt in ihrer erneuten 42

Der ›Blaue Pass‹ oder ›Reiseausweis für Flüchtlinge‹ ist ein Passdokument speziell für asylbeantragende Geflüchtete, das deren Aufenthalt in Deutschland anerkennt, das Reisen ermöglicht und als Ersatzdokument für den Pass des Herkunftslandes gilt (vgl. Deutscher Bundestag 2018).

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Annahme von »Siamaks« Identität auf der Flugzeugtoilette eine subversive Wendung, lässt Faribas Zukunft jedoch offen. Während sie Faribas Papiere zerreißt und die Toilette hinunterspült, ist ihre Stimme aus dem Off (in Farsi) zu vernehmen: »Es fällt mir schwer, die Frau, die ich liebe, zurückzulassen. Aber ich werde alles tun, um bald wieder zu ihr zurückzukehren«. Es bleibt offen und uneindeutig, ob sie damit Fariba, also sich selbst, oder Anne meint, wodurch die doppelte Trennung von der Frau, mit der sie romantisch verbunden ist und der Frau, als die sie sich eigentlich fühlt, durch ihre Abschiebung deutlich wird. Gleichzeitig sichert ihr die Gender-Transgression ein weiteres Mal (wahrscheinlich) das Überleben und der survival drag kommt nun auch im Iran als lebensrettende Taktik zum Einsatz. Im Verbinden jeder Grenzüberschreitung mit einer Gender-Überschreitung wird nicht nur eine Parallele zwischen Deutschland und dem Iran gezogen, sondern auch darauf verwiesen, dass sie nur als Mann passend, also mit männlichen Privilegien ausgestattet in der jeweiligen Nation anerkannt werden, bleiben und überleben kann – so reflektiert der Film das Patriarchat als globales gesellschaftliches Gewaltverhältnis. Der Film endet mit der Einblendung »Siamaks«, der sich mit Kamerablick auf den Spiegel der Flugzeugtoilette gerichtet, von der Frau zum Mann verwandelt, sich schließlich »Siamaks« Brille aufsetzt, um den ›look‹ zu komplettieren und sich selbst im Spiegel in die Augen sieht. Der Spiegel als »Ort der Selbst(v)erkennung« (Saalfeld 2018: 158) fungiert hier erneut als Motiv in der Inszenierung der ›Doppelidentität‹ »Siamak«/Faribas sowie als zusätzlicher Rahmen im Bild. Er weist nicht nur darauf hin, dass Fariba erkennt, dass sie nur als »Siamak« eine Chance auf eine Zukunft hat, sondern verweist in der Darstellung der Gender-Verwandlung und -Transgression innerhalb des fixierenden Rahmen des Spiegels auch darauf, dass das Gendersystem als Zwangssystem an die Lesbarkeit hegemonialer Gender-Normen gebunden ist und hier die Gender-Performance nicht auf der Gender-Identität der Person beruht, sondern durch äußere Umstände erzwungen ist. Die Determiniertheit in »Siamaks« Gesichtsausdruck verweist auf deren doppelten Wortsinn und wird verstärkt durch das Gesicht in Großaufnahme: Mit seiner Entschlossenheit »Siamak« zu sein (bzw. sein zu müssen) geht zugleich die Tatsache der Unentrinnbarkeit des Lebens in einer männlichen Gender-Identität einher. In »Siamaks« Blick in den Spiegel als letzte Einstellung wird also seine Festschreibung auf ein Geschlecht, das er nicht selbst gewählt hat, ›offensichtlich‹, wodurch Fremde Haut binär organisierte Gender-Regime als ultimativ repressiv und hierarchisch organisiert zeichnet. Die Schlussszene ›spiegelt‹ die Eingangsszene und produziert in der narrativen Kreisstruktur den Eindruck der Ausweglosigkeit von Faribas/»Siamaks« Situation. Dabei ist auch das Flugzeug als Ort des Transits von Bedeutung: Fariba/»Siamak« wird damit sowohl zu Beginn als auch Ende des Films im ›Dazwischen‹ verortet und ihre prekäre Stellung durch die Transgression von exklusiv organisierten Gender- und Nationsgrenzen einmal mehr betont. Der Inszenierung von Bedrohung der Annäherung von Anne und »Siamak« steht die filmische Romantisierung dieser gegenüber. Zum Einsatz kommen hier lange Einstellungen von Großaufnahmen der bereits erwähnten Blicke, oft unterlegt mit Klängen aus dem Titelsong oder anderer romantischer Musik, Großaufnahmen von Berührungen und der Aufbau von Spannung durch mehrere ›Beinhahe-Küsse‹. Annäherung wird als Re-Orientierung der Körper hinzu größerer Nähe visualisiert, verbunden mit Berührung und Blicken. Bei der gemeinsamen Arbeit auf dem Krautfeld kommt es zur ersten

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Berührung, bei der ersten Verabredung zum ersten ›Beinhahe-Kuss‹, der durch das Auftauchen von Uwe, Andi und Sabine jedoch nicht zustande kommt. Nach zwei weiteren missglückten Anläufen, küssen sich »Siamak« und Anne schließlich. Im Hinauszögern des Kusses und dem einhergehenden Suspensionsaufbau wird das Publikum angehalten, mit den Protagonist:innen ›mitzufiebern‹, wodurch eine Identifikation mit der nationale und Klassendifferenzen (Anne ist im Gegensatz zu Fariba nicht akademisiert und als klassische ›Arbeiterin‹ kodiert) grenzüberschreitenden und lesbischen (wie das Publikum weiß) Liebe ermöglicht wird. Über die Identifizierung mit dem Paar werden Anknüpfungspunkte geschaffen, durch die das Publikum, das um »Siamaks« eigentliche Identität weiß, an das nicht-heterosexuelle Begehren angeschlossen werden kann. An zwei Stellen werden Berührungen im Kontext des Sich-Näher-Kommens mit der Gender-Uneindeutigkeit »Siamaks« verknüpft. Nachdem Anne auf dem Nachhauseweg des ersten Treffens im Auto beginnt »Siamaks« Hand zu halten, betrachtet sie seine Hände genauer und vergleicht seine Hände mit »Siamaks« Kettenanhänger der Hand der Fatima. Sie scheint zu bemerken, dass sie »Siamaks« nach ihrem Wissensstand cis männliche Hand mit einer weiblich konnotierten Hand verglichen hat und beginnt sie genauer zu betrachten. Die Kamera springt dabei zwischen Großaufnahmen der Hände (die schließlich aufeinander gelegt, also im direkten Vergleich eingeblendet werden), Annes fragendem Blick und Faribas besorgtem Blick (bis die Situation von einer Polizeikontrolle unterbrochen wird), wodurch sowohl die Nicht-Normativität von »Siamaks« Händen als auch die Gefühlsregung Annes betont wird.

Abb. 93: Fremde Haut (D 2005, R: Angelina Maccarone)

Ein weiteres ›Zeichen‹, das Anne dazu veranlasst, »Siamaks« cis Männlichkeit in Frage zu stellen, findet Anne als sie ihn in seiner Unterkunft besucht. Sie erzählt vom Kaiserschnitt bei der Geburt ihres Sohnes, woraufhin »Siamak« sie fragt: »Deine Narbe – merkst du die noch?« und Anne etwas überrascht antwortet: »Das hat mich ja noch niemand gefragt […] – zumindest noch kein Mann«. Daraufhin nimmt sie »Siamaks« Hand und führt sie zu ihrem Bauch, um ihm zu verdeutlichen, wie sich die Narbe anfühlt. Die Verbindung von Berührungen und der Hinweise auf »Siamaks« zumindest nicht cis

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Geschlechtlichkeit konstruieren hier Gender als eingeschrieben in Körperlichkeit und es wird ein gewisser Gender-Essenzialismus eingesetzt, der es für schlüssig hält, Gender an normierten Verhaltensweisen und Körpermerkmalen ›erkennen‹ zu können. Wie Emily Jeremiah betont, wird durch die Betonung von Berührung in Fremde Haut andererseits auch ein Gegensatz zur maskulinistischen Voyeurismus gebildet (vgl. Jeremiah 2011: 588) und steht damit normativen Sehgewohnheiten entgegen. Im Zusammenbringen vom Annäherungsprozess und den sich häufenden Hinweisen auf »Siamaks« ›Andersheit‹ in Bezug auf Gender, produziert der Film in Bezug auf Annes Begehren jedoch einen anti-essenzialistischen Gestus, da die als heterosexuell gezeichnete Anne »Siamaks« ›wahres‹ Geschlecht zwar langsam zu erkennen scheint, sie ihm aber trotzdem (oder gerade deshalb?) näher kommen möchte. In der Sexszene zwischen den beiden wird die ›Enthüllung‹ von Faribas ›Weiblichkeit‹ durch Anne visualisiert. Die Enthüllung von »Siamaks« ›eigentlichem‹ Geschlecht wird in einer Körperenthüllung dargestellt, bei der Anne beginnt, »Siamaks« Oberkörper mit Hemd und darunterliegendem Binder langsam zu entkleiden. Hier wird (wieder – siehe auch Salmonberries) ein »naked body shot« (vgl. Straube 2014: 203) verwendet, wie er in trans Filmen der 2000er viel eingesetzt wurde, um zwischen einem vermeintlich ›wahren‹ und ›gefühltem‹ Geschlecht visuell zu unterscheiden. Damit wird die biologistische Logik des Gebundenseins von Gender an Körper reproduziert, wodurch sich der Film weiter in Gender-Essenzialisierungs-Narrative einschreibt. Gleichzeitig scheint Anne nicht überrascht, als sie Fariba entkleidet hat, was die Auslassung eines verbalen Coming-Outs nahelegt und entdramatisierend wirkt. Auch werden Faribas Brüste als ›sekundäres Geschlechtsmerkmal‹ nicht fokussiert und nur fast wie ›zufällig‹ gezeigt als sie Anne entkleidet, was fast einer Verweigerung des bedeutungsstiftenden Kamerablicks auf sie entspricht. In Reaktion auf die Kritik, diesen Moment nicht dramatisch genug gestaltet zu haben, antwortet Maccarone: »Of course, it was a conscious decision to not show these moments as dramatic plot points with a lot of music and other cinematographic devices. One reason is that I wanted to avoid the cliche of such scenes. […] Anne falls in love with Siamak/Fariba. Her hesitation due to the fact that she learns she actually fell in love with a woman seems petty when she is faced with the threat of Fariba’s deportation« (Maccarone im Interview mit Swartz 2005). Andererseits lässt sich im zuerst stattfindenden Ausziehen von Fariba und der längeren Kamerafokussierung auf den Prozess des Ausziehens eine gewisse größere Dramatisierung des ›Enthüllungsmoment‹ in Bezug auf Fariba als in Bezug auf Anne feststellen. Damit bleibt die Szene ambivalent und setzt im intertextuellen Vergleich zwar weniger dramatische Mittel ein, um den filmischen an den Körper geknüpften ›Beweis‹ für ein bestimmtes Geschlecht zu erbringen, kann der Auslassung eines solchen Momentes trotzdem nicht widerstehen. In der Selbstverständlichkeit der Anziehung zwischen den beiden unabhängig von Gender-Kategorien können Gender- und Begehrenskategorien hier jedoch verflüssigt und entessenzialisiert werden und es wird deutlich dargestellt, dass der Wunsch zusammenzusein für die Figuren stärker ist als fixierende Kategorisierungen. Die populären Mittel der Romantisierung als Katalysatorin der Überschreitung

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

und Überwindung von vermachteten gesellschaftlichen Unterschieden wird hier eingesetzt und produziert ein massenkompatibles Narrativ mit queerer Wendung.

Einsamkeit, Zweisamkeit und Rettungsreflexe (Nicht-)Zugehörigkeit wird in Fremde Haut nicht nur über die Inszenierung direkter, verbaler oder institutioneller Ein- und Ausschlussmechanismen dargestellt, sondern auch durch die Produktion einer melodramatisch aufgeladenen Affektwelt, durch die sich »Siamak« bewegt. Die Darstellung von Einsamkeit, Erinnerung und Sprachlosigkeit auf der einen Seite sowie Zweisamkeit, Hoffnung und Sich-Mitteilen-Können auf der anderen Seite dienen im Film dabei als Strategien in der Verhandlung von Zugehörigkeit. Mit der Einsamkeit findet sich ein Motiv des accented cinema aufgegriffen: »Sadness, loneliness, and alienation are frequent themes, and sad, lonely, and alienated people are favorite characters in the accented films« (Naficy 2001: 27). So produziert der Film, auch wenn er nicht als accented cinema im engeren Sinne zu betrachten ist, doch eine »Accented Structure[…] of Feeling« (Naficy 2001: 26), die sich aus Entfremdung und Einsamkeit konstituiert. In dieser akzentuierten Gefühlsstruktur ähneln sich Fremde Haut und Kleine Freiheit, wenngleich Einsamkeit in Kleine Freiheit eine weniger große Rolle spielt (vgl. Kapitel 6.3.2). Nach der Einreise nach Deutschland in der ersten Hälfte des Films ist »Siamak« als weitgehend isoliert und allein dargestellt, eine Einsamkeit, die sich in halbnahen bis Panorama-Einstellungen visualisiert findet, die nur ihn allein im Bild zeigen. Mit dieser Einsamkeit einhergehend findet sich eine Sprachlosigkeit, die in den einsamen Handlungssequenzen durch das oftmalige Fehlen gesprochener Sprache, dafür aber mit der Unterlegung mit traurigen Klängen, akzentuiert wird; wenn »Siamak« spricht, dann nur, wenn es notwendig wird, beispielsweise um an Arbeit zu kommen oder sich zu verteidigen. Im Kontrast hierzu hat »Siamak« bzw. Fariba vor der Einreise sowohl auf Deutsch (mit Beamten) als auch auf Farsi (mit Siamak) und Englisch (mit Mitinsass:innen) kommuniziert. Hier findet sich die Trope des ›sprachlosen Migranten‹ (vgl. Heidenreich 2015: 49) aufgegriffen, allerdings dahingehend verschoben, dass der Film darstellt, wie Fariba erst durch die Einreise nach Deutschland ihre Stimme verloren hat, also der Kontext die Sprachlosigkeit produziert. In der Gestalt von »Siamak« wird Fariba zur »Anteillosen« (Rancière 2002: 24) in der »Aufteilung des Sinnlichen« (Rancière 2008)43 . Im Film findet sich dies wiederum verschränkt mit der Gender-Transgression bzw. des survival drags als »Siamak«, da jeder Einsatz der eigenen Stimme in einem polizierenden, binären Gender-System »Siamaks« Entdeckung als Frau und damit Abschiebung zur Folge haben könnte. Durch das Wissen des Publikums, dass nur »Siamak«, aber nicht Fariba ›stumm‹ ist, wird die Trope modifiziert und mit Gender in Verbindung gebracht: Gender-Dissidenz wird zum Verstummungsmotor im Heteropatriarchat.

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Die Idee der Aufteilung des Sinnlichen in Polizei und Politik beschreibt, »welche Subjekte an politischen Entscheidungen, Verhandlungen und Diskussionen teilhaben können und welche anteillos sind«, welche »Gehört-Werden und Nicht-Gehört-Werden« (Muhle 2008: 10).

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Abb. 94: Fremde Haut (D 2005, R: Angelina Maccarone)

Erinnerungen an und Verbindungen zum Herkunftsort herzustellen werden dabei als Praktiken der Kreation eines »sense of home« (Neil 2015: 30) in der ›unheimlichen‹ Situation dargestellt. Für »Siamak« findet sich diese Verbindung vor allem im Besuch Siamaks Grabes (er vergräbt Siamaks aus dem Asylgefängnis geschmuggelte Leiche auf einem Feld) und im erwähnten Briefeschreiben an Siamaks Eltern. Wie Eithne Luibhéid gezeigt hat, findet bei queeren Migrant:innen nach der Migration oft eine Neuverhandlung der affektiven Verbindungen zum Herkunftsland und der eigenen Familie statt (vgl. Luibhéid 2014: 221). Mit dieser Idee operiert auch der Film: In der Überblendung der Briefe als Stimmen aus dem Off und in Farsi mit Szenen aus »Siamaks« einsamem Leben in Deutschland auf der visuellen Ebene, wird die Figur des ›stummen Migranten‹ umgeformt und ein Perspektivenwechsel weg von ›von der deutschen Dominanzgesellschaft auf Geflüchtete‹ hin zu ›vom Geflüchteten auf die deutsche Dominanzgesellschaft‹ vorgenommen; es wird aber auch deutlich, dass »Siamak« bedingt durch die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Anscheins, dass er als der Sohn der Eltern schreibt, nur eine gebrochene Verbindung zum Iran herstellen kann und eine Neuaushandlung nur bedingt stattfinden kann. Dennoch sind dies die einzigen Momente nach der Einreise nach Deutschland, in denen »Siamak« eine Stimme bekommt. Diese wirkt jedoch geisterhaft und körperlos, da sie weder Fariba gehört, noch die wirklichen Erlebnisse »Siamaks« beschreiben kann. Faribas eigene Herkunftsfamilie wird nicht thematisiert und es kann nur gemutmaßt werden, ob zu dieser aufgrund von Faribas Nicht-Heterosexualität oder aus anderen Gründen kein Kontakt besteht. Im Annehmen von Siamaks Identität wird »Siamak« jedoch auch zum (imaginären) ›Sohn‹, gewinnt damit an einem sense of home in einer Situation, in der er sonst alles verloren hat. Eine andere Verbindung ›nach Hause‹ visualisiert der Film in der Darstellung des Betrachtens von Erinnerungsstücken – auch hier zeigt sich eine Ähnlichkeit zu Kleine Freiheit. Faribas Erinnern wird gezeigt als sich »Siamak« ein Foto von Fariba und Shirin ansieht und schließlich die eine Hälfte mit Fariba im Bild verbrennt. Die Kamera fängt »Siamaks« verschwommene Spiegelung im Fenster, an dem er sitzt, ein und visualisiert die in Auflösung begriffene Verbindung. Gleichzeitig formt der Film das Motiv der durch das ›eigene‹ Patriarchat ›eingesperrten Migrantin‹, die sehnsüchtig aus dem Fenster sieht

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(vgl. Heidenreich 2015: 132), um: Nicht (nur) das iranische Patriarchat sperrt Fariba/»Siamak« ein, sondern in transnationaler Verknüpfung hiermit auch das deutsche Asylsystem. Zunächst scheint »Siamak« nur bei Siamaks Grab einen Zufluchtsort zu haben, welcher jedoch auch sprachlos und ohne materielles Gegenüber bleibt. »Siamaks« Zimmermitbewohner Maxim hingegen ruft sich sein verlassenes zu Hause, mit wiederholtem Ansehen eines Videos der Gegend, in der er gelebt hatte, in Erinnerung. Dieses ritualisierte Erinnern erzeugt bei ihm, wie er es ausdrückt »Gemütlichkeit«. Besonders der Kontrast der Weite der Landschaft in den Videos und der Enge des Raumes, in dem Maxim mit »Siamak« lebt, wird hier visualisiert. Migration, Asyl und Einsamkeit werden hier zum Gefängnis, die Flucht in die Vergangenheit oder einen imaginären Ort der Zugehörigkeit zum Wohlfühlort. Sara Ahmed (2006) beschreibt die Gefühle des Wohlfühlens (comfort) und Unwohlseins (discomfort) am Beispiel von (Nicht-)Heterosexualität. Wohlfühlen beschreibt dabei »wellbeing and satisfaction, but it also suggests an ease and easiness« (Ahmed 2006: 147) und ein Gefühl der Zugehörigkeit (vgl. Ahmed 2006: 148), während Unwohlsein mit Orientierungslosigkeit und einem Gefühl des Fehl-am-Platz-Seins einhergehe (ebd.). Dieses Fehl-am-Platz-Sein oder Fehl-am-PlatzGemacht-Werden wird deutlich in Maxims Erinnerungspraktiken dargestellt, aber auch in »Siamaks« Inszenierungen von Einsamkeit und Sprachlosigkeit. »Siamaks« Fehl-amPlatz-Sein bzw. Unwohlsein verbindet sich hierbei jedoch auch noch mit seiner GenderTransgression: Um als Mann in Deutschland zu passen, muss er seine Komfort-Zone als Frau verlassen und sich in eine Subjektposition begeben, in die er sich (vermeintlich) nicht wohlfühlt. Das Unwohlsein als Migrant:in in Deutschland und das Unwohlsein in der ›fremden Haut‹ »Siamaks« produziert im Film also eine doppelte Einsamkeit und Sprachlosigkeit. In der Verweigerung der Möglichkeit des Sprechens migratisierter Figuren sieht Nanna Heidenreich eine »doppelte Entsubjektivierung« (Heidenreich 2015: 50) aus Sprachlosigkeit und Handlungsunfähigkeit. Der Austritt aus der Sprachlosigkeit »Siamaks« in Bezug auf die deutsche Gesellschaft, verändert sich durch den Kontakt mit Anne und kündigt sich zum ersten Mal an, als »Siamak« von Annes Freund:innen im Rahmen rassistischer Witze dazu gedrängt wird, zu singen. Wider Erwarten der Anwesenden singt »Siamak« ein Lied auf Farsi, das sowohl Anne als auch ihre Freund:innen zu beeindrucken scheint. Der Prozess des (Wieder-)Findens der Stimme ist hier verknüpft mit den Widersprüchlichkeiten der Situation, die aus dem Umstand, im Iran als Frau nicht öffentlich singen zu dürfen, auf den hier verwiesen wird und in Deutschland als migratisierter Mann dazu gedrängt zu werden, zusammensetzt und stellt einen Schlüsselmoment in »Siamaks« beginnender Selbstoffenbarung gegenüber Anne dar. Auch wenn »Siamak« also alles andere als handlungsunfähig gezeichnet wird, braucht es im Film doch mehrfach die Hilfe von Anne, um brenzligen Situationen zu begegnen. Auch Anne wirkt einsam, aber auf eine andere Weise als »Siamak«. Obwohl sie immer als eingebunden in eine Gemeinschaft dargestellt wird, scheint sie sich in dieser nicht ganz zugehörig oder wohl zu fühlen. Ihr ›Fehl-am-Platz-Sein‹ zeigt sich an mehreren Stellen im Film, beispielsweise in einer Szene, in der »Siamak« der rassistischen Kommentare der Freund:innen Annes ausgesetzt ist und sie diesen nicht zustimmt: Sabine: »Auf Ex, Ayatollah!« Anne: »Der heißt nicht Ayatollah, der heißt Siamak«

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Sabine: »Salmiak, was ist das denn für ’n Name« Anne: »Das kotzt mich echt an, das ist sowas von primitiv« Sabine: »Wenn wir dir zu primitiv sind, dann kanst ja wieder nach Frankfurt gehen« Andi: »Genau, Frankfurt, das kennst ja schon«. Auch als Sabine Anne dafür kritisiert, dass sie an »Siamak« Interesse zeigt, wird deutlich, dass Anne sich mit dem ›Eigenen‹ nicht notwendigerweise identifiziert: »Vielleicht will ich einfach nur jemanden kennenlernen, der anders ist. Der ganz woanders herkommt und anders denkt«.

Abb. 95: Fremde Haut (D 2005, R: Angelina Maccarone)

Mit »Siamak« spricht sie darüber, wie sie schon oft überlegt hat, aus Sielmingen Ort wegzuziehen, es auch schon versucht hat (als sie mit 17 mit einem Musiker nach Frankfurt gezogen war) es aber nicht funktioniert hatte und sie zurückkommen musste. Auf »Siamaks« Vorschlag »Kannst du wieder versuchen« entgegnet sie »Stimmt eigentlich«. Es zeigt sich also, dass Annes Einsamkeit weniger durch die Nicht-Zugehörigkeit zu bestimmten gesellschaftlichen Kategorisierungen zustande kommt, sondern durch eine Differenz zum normativen Verständnis dieser. »Siamak« ermöglicht es Anne hier, andere Perspektiven und Denkweisen einzunehmen und unterstützt sie dadurch im Prozess des Ablösens vom vorgefertigten Normgerüst der schwäbischen Kleinstadt. Der Kontakt mit nationaler, ethnischer, Klassen-, Gender- und sexualitätsbezogener Alterität wird hier also zum Katalysator für die Entwicklung eines gegenhegemonialen doing belonging. Somit entsteht eine gewisse Gegenseitigkeit in der Unterstützung, was die Reziprozität der Beziehung zu unterstreichen scheint. Es zeigt sich bei genauerer Betrachtung allerdings auch, dass Annes Hilfe »Siamak« gegenüber dabei auch in ein Retter:innennarrativ44 abzugleiten droht. Die Blickdramaturgie, die eine Blickrichtung von Anne auf »Siamak« installiert, bringt dieses Narrativ bereits beim ersten Kontakt der beiden in Bewegung. 44

Vera Hernán und Andrew Gordon beschreiben die filmische Trope des white savior als Präsenz einer weißen Person, die u.a. »rescues people of color from poverty and disease, or leads […] [indigenous people] in battle for their dignity and survival« (Hernán/Gordon 2003: 33)

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Nach diesen ersten Blicken, ›rettet‹ Anne »Siamak« vor der Entdeckung des Zolls und damit vor Abschiebung, ermutigt ihn, den Plan des Autoklaus und -weiterverkaufs, um sich einen Pass kaufen zu können, durchzuführen (und ermöglicht damit Mobilität auf doppelte Weise) und versucht ihn gegenüber Andi und Uwe sowie gegenüber der Polizei zu verteidigen bzw. vor Festnahme zu bewahren. Besonders eindrücklich visualisiert wird die ›weiße Retterin‹ Anne in einer Einstellung, in der Anne und »Siamak« in Annes Wohnung zusammen im Bett liegen in der ersten Nacht als »Siamak« bei Anne übernachtet. Während »Siamak« in Embryo-Position mit dem Rücken zu Anne gedreht auf der Seite liegt und tief und fest zu schlafen scheint, liegt Anne wach neben ihm und umarmt ihn. Sowohl die Körperpositionen, die Wach-Schlaf-Differenz als auch die Farbästhetik des in prallem Rot gehaltenen Raums im Gegensatz zum Grau in Grau der Szenen, die »Siamak« alleine in Sielmingen zeigen (vgl. Abb. 93), tragen dazu bei, dem Retter:innennarrativ visuellen Nachdruck zu verleihen: Während »Siamak« sich infantilisiert in den ›sicheren Armen‹ Annes endlich entspannen und schlafen kann, ›wacht‹ Anne schützend über ihm. Annes ›Schutz‹ wird betont, als »Siamak« nach dem Autoklau zu Siamaks Grab geht und dort die Kette mit der Hand der Fatima ablegt, die er bisher zum Schutz getragen hatte. Mit Anne an seiner Seite braucht er Fatimas Schutz scheinbar nicht mehr. Trotz dieses Identifikationsangebots kann Anne »Siamak« am Ende nicht retten und das Rettungsnarrativ wird zugleich ausgestaltet, aber letztlich nicht bestätigt. Obwohl dominanzgesellschaftliche Sehgewohnheiten bedient, der Weiße-Retter:inKomplex zunächst aktualisiert, einem bürgerlich-liberalem deutschen Selbstbild geschmeichelt und dadurch gesellschaftliche Hierarchien potenziell verfestigt werden, löst sich die jeweilige Einsamkeit hier auch in einer Zweisamkeit auf, deren Inszenierung ein queeres belonging und Wohlfühlen vermittelt. Zweisamkeit und Wohlfühlen werden visuell in Einstellungen, die beide zusammen innerhalb des Bildkaders zeigen und narrativ in der Darstellung von persönlichen Gesprächen, in denen sich Anne und »Siamak« gegenseitig zuhören und die damit Gehört-Werden und AngenommenSein vermitteln sowie durch kleine Abenteuer, die als Momente der Freiheit und des Vergnügens dargestellt werden, in Szene gesetzt. Insgesamt wird damit eine affektive Atmosphäre der Wärme und Zugehörigkeit in Bezug auf die Beziehung von »Siamak« und Anne geschaffen, die das Publikum weiter zu Sympathisant:innen dieser werden und es mit deren queeren Beziehung verbünden lässt. Trotzdem bleibt die Beziehung ambivalent in Bezug auf die gesellschafltichen Hierarchien zwischen den Figuren und legt einerseits nahe, dass Gefühle von Zugehörigkeit abseits normativer Regime möglich und vielleicht sogar wünschenswert sind, zeigt andererseits jedoch, wie vermachtete Kategorisierungen trotzdem wirkmächtig bleiben. Dennoch wird der Ort des Wohlfühlens, des Sich-am-richtigen-Platz-Fühlens, des belongings queer, allerdings nur im romantischen und damit individualisierten Sinne. Durch die Darstellung »Siamaks« außerhalb jeder Community- oder politischer Anbindung (ganz anders als in Kleine Freiheit) und dem einzigen Ort der Zugehörigkeit in der romantischen Beziehung mit Anne schreibt sich der Film in ein Narrativ ein, das durch die Konzentration auf romantische Liebe das (neoliberale) Individualisierungsparadigma (vgl. Sauer 2016: 90) unterstützt. Queere Liebe bedeutet hier dennoch Befreiung, die Abwesenheit dieser Leid. Zwar plädiert der Gesamtfilm für die Denormalisierung hegemonialer Narrative von Nation, Gender, Sexualität und doing belongings, versucht sich jedoch nicht im Aus-

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loten politischer Antworten, sondern zeigt – ähnlich wie in Maccarones früherer Film Alles wird gut (vgl. Kapitel 6.2.2) – individualisierte Lösungswege auf. Dennoch betont Fremde Haut Widrigkeiten und damit misogyne Queerfeindlichkeit, denen die Figuren Anne und Fariba schließlich ausgesetzt sind und kann insofern politiserend wirken, dass er dazu anregen kann »für Formen der Anerkennung [zu] kämpfen, die Prekarität reduzieren« (Butler 2016: 588).

Zusammenfassung In Fremde Haut werden die Dynamiken, Verstrickungen und Ambivalenzen von deutschem Grenzregimen und Gender-Regimen in melodramatischem Modus verhandelt. Auch wenn orientalisierende Narrative bisweilen eingesetzt werden, um Kontrastierungen zu produzieren, werden sie genauso oft wieder dekonstruiert. Somit finden sich Imaginationen okzidentalistischer Selbstvergewisserung immer wieder kritisch beleuchtet, gleichzeitig werden bisweilen neoliberale Individualisierungsnarrative produziert. Die Verschränkungen von Grenzüberschreitungen auf den unterschiedlichen Ebenen natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und Queerness legen ein Konzept von gesellschaftlichen Verhältnissen als kontingent und fluide und dennoch wirkmächtig nahe und installieren ein Spannungs- und Wechselverhältnis zwischen einschränkender Struktur und emanzipativer Handlungsmacht bzw. Autonomie der Migration. Durch das Erzählen der Geschichte aus Faribas Perspektive und damit die Identifikationsermöglichung mit ihrer Figur für das Publikum, interveniert Fremde Haut in die Vorstellung eines exklusiven kollektiven Imaginären, das nicht-weiße und -deutsche Perspektiven ausblendet. Über Queerness werden hier zudem Queerfeindlichkeit und Homonationalismus als unvereinbare und dennoch gleichzeitig existierende Phänomene im nationalen wie transnationalen Kontext dargestellt. Queerness wird damit ambivalenter Ort der Herausforderung rassistisch-ausschließender Nationsnarrative sowie zum einzigen Ort der Möglichkeit von (individualisiertem) belonging (in der Beziehung mit Anne) und des Überlebens (im survival drag), wenngleich zum prekären, da Fariba jegliche Möglichkeit zu offizialisierter Zugehörigkeit oder gesellschaftlicher Anerkennung am Ende verwehrt bleibt.

5.3.4 Fazit Die Filme Kleine Freiheit und Fremde Haut beteiligen sich beide am Diskurs über den Rassismus und die heteronormative Strukturierung des deutschen Grenzregimes im Deutschland der 2000er Jahre und stellen über die Figurenperspektivierungen Umgangsstrategien und Interventionsmöglichkeiten dar. Sie bedienen sich beide Formen des filmischen Realismus, authentifizieren so ihre Erzählungen und politisieren sie als natio-ethno-kulturell relevante Themen. Dabei stellen sie auch das Ausagieren der Grenze im Innern des Nationalstaats und die konstante Arbeit an der Aufrechterhaltung der Unterscheidung zwischen ›Wir‹ und die ›Anderen‹ dar, in beiden Filmen personifiziert durch Polizei-, Zoll- und Grenzbeamt:innen. Das Grenzregime tritt dabei als allgegenwärtige Bedrohung für die Geflüchteten ohne Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis auf. Eine Hetero-Heirat mit einer Frau mit stabilem Aufenthaltstitel wird in beiden Filmen als Ausweg aus den aufenthaltsrechtlich prekären Situationen von Dritten na-

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

hegelegt, aber auch in beiden Filmen verworfen. Die Einfügung in die heteronormative Strukturierung der Nation ist hier also keine Alternative. Illegalisierte Arbeit ist sowohl in Kleine Freiheit als auch in Fremde Haut als überlebens- und das Weiterleben sichernd inszeniert, beispielsweise um Geld für einen Pass zu sparen oder um Geld zu sparen, um auswandern zu können. Arbeit ermöglicht in beiden Fällen ein Mindestmaß an Bewegung(sfreiheit), auch wenn diese unter prekären, kriminalisierten und damit immer bedrohlichen Umständen ausgeführt wird. Nicht-zugehörig gemacht zu werden wird in beiden Filmen immer wieder mit der Sehnsucht nach einem ›Woanders‹ in Verbindung gebracht – Herkunftsland, Australien, ›weg‹ – und ist visuell verbunden mit der Einblendung von Mobilitätszeichen wie Schiffen oder Flugzeugen. Obwohl die zwei Filme die kreativen Strategien und ›Autonomie der Migration‹ betonen, enden sie schließlich mit der Abschiebung der Protagonist:innen. Damit wird Deutschland in den beiden Dramen für die Protagonist:innen am Ende als unbewohnbar dargestellt. Gleichzeitig wirken die Filme so auch am Narrativ der »radical excision« (Halle 2008: 141) von Migrant:innen und Migratisierten im deutschen Film mit: Auch wenn beide Filme so Exklusionsmechanismen problematisieren, ist dieses Narrativ jedoch durchaus dahingehend problematisch, als dass sich die Auflösung der narrativen Konflikte erst in Abreise oder Tod (bzw. hier Abschiebung) der Hauptfiguren einstellt (vgl. Halle 2008: 142). Die Angst vor diesem Ende baut sich in beiden Filmen von Anfang an auf, akzentuiert damit das eigentlich Noch-Nie-Dazu-Gehört-Haben und enttäuscht somit die Hoffnung auf das Finden von legalisierten Anerkennung in Deutschland: Queere Migrant:innen erscheinen hier als die doppelt Ausgeschlossenen der Nation, die Nation wird zugleich im Bhabha’schen Sinne (vgl. Kapitel 2.1) von ihrer Grenze her befragt. Die Inszenierung von Queerness enthält aber auch in beiden Filmen ein aus emanzipatorischer Perspektive zu problematisierendes Element: Während es Kleine Freiheit durch die Fluidität und Undefiniertheit der Beziehung zwischen Baran und Chernor einfach macht, besonders aus einem hegemonialen Blick heraus deren Queerness zu ›übersehen‹ oder sogar zu entnennen, schreibt sich Fremde Haut, mit der expliziten queeren Liebesgeschichte, die jedoch mit der Individualisierung von belonging einhergeht, im Gegensatz zu Kleine Freiheit in ein neoliberales Narrativ vom persönlichen Glück im Privaten ein und evoziert zusammen mit der Darstellung »Siamaks« Erstauntseins über die sich in der Öffentlichkeit küssenden Männer und so der Gegenüberstellung mit dem queerfeindlichen Iran Momente eines homonationalistischen Gestus’ okzidentaler Selbstvergewisserung. Im Gegensatz zu Kleine Freiheit, in dem beide Protagonisten migratisiert und als eingebunden in Communities dargestellt werden, erzählt Fremde Haut die Geschichte von einer Liebe einer weißdeutschen und einer nicht-weiß-deutschen Figur, zwischen denen sich große gesellschaftliche Hierarchien befinden und in der vor allem die nicht-deutsche Figur als isoliert von jeder Community und weitestgehend einsam dargestellt wird. In der Zusammenschau der Filme zeigt sich daran auch, wie Fremde Haut die ›Andersheit‹ »Siamaks«/Faribas betont, während Kleine Freiheit unterstreicht, wie die migratisierten Figuren sich unabhängig von einer sie marginalisierenden deutschen Dominanzgesellschaft ein Unterstützungsnetzwerk aufbauen. Dieser Unterschied findet sich auch verknüpft mit einer Stadt-Land-Dichotomie, die sich im Vergleich der beiden Filme findet: Während die Großstadt in Kleine Freiheit als divers, Community und verschiedene Le-

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bensentwürfe ermöglichend gezeigt wird, wird die Kleinstadt/das Dorf in Fremde Haut als konservativ, homogen, geprägt von sozialer Kontrolle und direkter Diskriminierung von als Anderen konstruierten gezeichnet. Somit zeigt sich im Vergleich eine Dichotomoisierung von ›fortschrittlicher‹ Stadt und ›rückschrittlicher‹ ländlicher Gegend, die populäre gesellschaftliche Diskurse diesbezüglich bedient. Das Motiv der Flucht wird in beiden Filmen ›verqueert‹, jedoch mit je anderen Narrativierungen. Während Baran und Chernor aus politischen und/oder wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen und in Deutschland erst ihr nicht-heteronormatives Begehren entdecken, sich Queerness in Kleine Freiheit aus der Intensität Illegalisierter im Zusammenspiel von Prekarität und Solidarität ergibt und sich nicht nur auf die Protagonisten, sondern auch auf den Filmrhythmus und die Konstruktion von traumatischer Erinnerung bezieht, ist die Flucht in Fremde Haut ursächlich mit Queerness verknüpft in einem sonst linear und in großen Teilen an Mainstream-Konventionen ausgerichtet erzählten Film; in beiden Fällen wird Deutschland jedoch als Ort der (Hoffnung auf die) Möglichkeit des Lebens von Queerness inszeniert, womit beide auch auf Imaginationen okzidentaler Freiheit und Phantasien westlicher sexueller Emanzipation referieren. Beide Filme versuchen sich in gewisser Weise in einem Queeren des deutschen Migrationsregimes und auch wenn sie den direkten Widerstand gegen dieses in Kleine Freiheit und den survival drag als kreative Subversion in Fremde Haut inszenieren, bleibt am Ende – im Gegensatz zu den hoffnungsvollen postmigrantischen und postkolonialen Ausblicken in Lola und Bilidikid und Alles wird gut – die Hoffnungs- und Ausweglosigkeit der Situation, sobald mensch sich im deutschen Asylsystem befindet, bestehen und Deutschland wird zum unwirtlichen Ort für alle (Queers), die das okzidentale Freiheitsversprechen hier eingelöst finden möchten.

5.4 Queere Erinnerungskultur und nationale Selbstvergewisserung in Aimée und Jaguar und Der Einstein des Sex In diesem Kapitel beschäftige ich mit den Filmen Aimée und Jaguar (1999) von Max Färberböck sowie Der Einstein des Sex (1999) von Rosa von Praunheim, die beide historische, queere jüdische Personen fiktionalisieren; was die beiden Filme verbindet, ist der Bezug auf die nationalsozialistische Gewalt, wobei die Darstellung dieser in Der Einstein des Sex durch die Darstellung des ganzen Lebens des Protagonisten und nicht nur eines Ausschnitts geringer ausgeprägt ist. Es handelt sich bei den Filmen zum einen um Privatpersonen in der Liebesgeschichte zwischen einer deutschen und einer jüdischen Frau während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland (Aimée und Jaguar) und zum anderen um die Geschichte einer öffentlichen Person, Magnus Hirschfeld, dessen Leben und das von ihm gegründete Institut für Sexualforschung, das im Nationalsozialismus zerstört wurde (Der Einstein des Sex). In den Analysen gehe ich der Frage nach, welche Rolle die Anwesenheit queerer, jüdischer Figuren in Bezug auf die ›Vergangenheitsbewältigung‹ des Nationalsozialismus in Deutschland einnimmt. Dies betrachte ich unter anderem mit Blick auf Überlegungen zu Queerer Zeitlichkeit sowie zur Erinnerungskultur. Dabei stelle ich die These auf, dass Queerness über die Einbindung in selbstvergewissernde Erinnerungsnarrative zur nationalen Läuterung eingesetzt wird, wodurch die Nation der

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Gegenwart als queerfreundliche und anti-faschistische (in diesem Kontext ›das nationalsozialistische Erbe als ›bewältigt‹ habend‹ meinend) re-imaginiert werden kann, dies aber durchaus nicht in einer Totalität passiert, sondern sich mitunter Zwischenräume queerer Zeitlichkeit eröffnen.

5.4.1 Queere Erinnerungskultur Die Erinnerungskultur und das kollektive Gedächtnis stellen wichtige Bezugspunkt für die Beschäftigung mit der Nation dar, da hiermit der Blick auf die bedeutende Rolle von Überlieferungen für die Gemeinschaftsbildung gelenkt wird (vgl. Lohl 2014). Vergangenheitsdiskurse werden so zu maßgeblichen Arenen der Konstruktion der Nation (vgl. Lohl 2014: 192). Dabei verändern sich »Vergangenheitsversionen […] mit jedem Abruf, gemäß den veränderten Gegenwarten« (Erll 2011: 7). Wie Astrid Erll betont, ist »[i]ndividuelle und kollektive Erinnerung [.] damit zwar nie ein Spiegel der Vergangenheit, wohl aber ein aussagekräftiges Indiz für die Bedürfnisse und Belange der Erinnernden in der Gegenwart« (ebd.). Das kollektive Gedächtnis funktioniert somit als Speicher für Bilder und Geschichten, die sich gegenseitig erklären und unterstützen, die sich aufeinander beziehen und die Gedanken und Handlungen der Mitglieder eines Kollektivs beeinflussen ohne einer besonderen Erklärung zu bedürfen, wobei Vergeschlechtlichung auch immer eine Rolle spielt (vgl. Wenk 2000: 64; vgl. auch Kapitel 2.1; 2.3). Was erinnert und vergessen wird, ist also immer mit den hegemonialen Verhältnissen und damit auch mit Gender und Sexualität verknüpft (vgl. Hirsch/Smith 2002:6). Wie Irina Gradinari ausführt, speisen sich gegenwärtige Nationskonstruktionen in Europa in erster Linie aus den erinnerungspolitischen Konsequenzen des Zweiten Weltkrieges und der jeweils unterschiedlichen Einschreibung der Ereignisse in das kollektive Gedächtnis (vgl. Gradinari 2019: 184). In den letzten Jahrzehnten wurde dem kulturellen wie politischem Erinnern an den zweiten Weltkrieg weiter gesteigertes öffentliches Interesse zuteil, was auf unterschiedliche Faktoren, wie der vermehrten öffentlichen Thematisierung und kulturellen Verarbeitung der Shoah, den Forderungen von Gruppierungen, die historisch Ungerechtigkeiten erfahren haben sowie die immer steigenden, sich weiter globalisierende Mediatisierung zurückgeführt werden kann (vgl. Ashplant et al. 2009: 3f.). In der deutschen (mediatisierten) Erinnerungskultur, die in den 1990er Jahren einen Aufschwung erlebt hat, ist ›kritisches‹ Gedenken an den Nationalsozialismus Teil des nationalen Selbstverständnisses geworden (vgl. Schober 2019). Wie Larissa Schober ausführt, läuft dieses Erinnern jedoch Gefahr, den gesellschaftlichen Handlungsauftrag zu vergessen und anzunehmen, dass Erinnerung bereits reiche, um Diskriminierung, Gewalt und Genozid in der Zukunft abzuwenden (vgl. Schober 2019: 18). Dadurch könnte es zum »Erinnern ohne Konsequenzen« (Schober 2019: 19) verkommen. Idealerweise würden aus der Vergangenheit und dem Gedenken an diese Schlüsse für Gegenwart und Zukunft gezogen, ohne dabei Instrumentalisierungen vorzunehmen (ebd.). In Bezug auf die hier analysierten Filme ist dies insofern interessant, als dass sich mit diesen Überlegungen fragen lässt, welche Funktion das Erinnern durch die Filme hier einnehmen kann. Medien und dabei besonders Filme als »Erzähl- und Affektmedien« (Gradinari 2021) können als Scharniere zwischen dem Individuum und dem Kollektiv gesehen

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werden, über die es ermöglicht wird, sich in Beziehung zu der Geschichte und nationalen Themen zu setzen. Besonders der Erinnerungsfilm als Film, der »einen Bezug zwischen der Gegenwart und den damaligen Ereignissen herstell[t]« (Noack 2010: 10), nimmt hierbei eine besondere Stellung ein, denn er »kann kollektiv sinnstiftend wirken« (Lüdeker 2012: 274), da sich Vergangenes »leichter mit eindeutigem Sinn belegen« (Lüdeker 2012: 275) lasse als Gegenwärtiges45 . Geschichte/n, die aus heutiger Perspektive als ›queer‹ bezeichnet werden kann/können, zählt/zählen oft zu den aus den Geschichtsbüchern und Archiven und somit auch dem kollektiven Gedächtnis oder nationalen Erinnerungskulturen ausgeschlossenen, wodurch queere Vergangenheit nicht immer leicht zugänglich ist (vgl. Love 2009: 21). Aufgrund der Pathologisierung und Kriminalisierung von Menschen nicht-normativer Sexualitäten und Gender wurden sie als der Überlieferung nicht würdig angesehen. Wie Michel Foucault in seinem Aufsatz The Life of Infamous Men (1979) in Bezug auf Homosexualität beschreibt, lassen sich Spuren dieser in der Vergangenheit oft nur in Kriminalarchiven finden. In Reaktion auf diese ausgelassenen oder stigmatisierenden Geschichten entstand vielfach das Bedürfnis, nicht-normative Sexualitäten und Gender der Vergangenheit zu erforschen und deren Geschichten weiterzugeben. Da auf institutionelle Archive oft nicht zurückgegriffen werden konnte, entstanden aus den Fragmenten der rückblickend so eingeordneten ›Queers‹ der Vergangenheit mitunter auch queere Archive metaphorischer Art. Mit Jack Halberstam, der sich auf den Begriffs des ›Archivs‹ bezieht, das sich um den Mord an Brandon Teena bzw. dessen mediale Verarbeitung, einer trans Person in den USA, gebildet hat, können queere Archive als »resource, a productive narrative, a set of representations, a history, a memorial, and a time capsule« (Halberstam 2005: 23) verstanden werden und schließen damit materielle Institutionen, die Materialien sammeln als auch als ein ›imaginäres‹ Archiv aus Geschichten und Narrativen ein. Ann Cvetkovich beschreibt in An Archive of Feelings: Trauma, Sexuality, and Lesbian Public Cultures (2003), dass queere Archive mit allen Auslassungen, Unterdrückungen und Gewalterfahrungen immer auch als Archive von Emotion und Trauma verstanden werden müssen (vgl. Cvetkovich 2003: 242) und führt aus: »They address particular versions of the determination to ›never forget‹ that gives archives of traumatic history their urgency. That gay and lesbian history even exists has been a contested fact, and the struggle to record and preserve it is exacerbated by the invisibility that often surrounds intimate life, especially sexuality« (ebd.).

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Zum Verhältnis von Film und Geschichte allgemein ließe sich sagen, dass sie »eine schwierige Beziehung« (Seeßlen 2019: 36) haben. Denn einerseits scheint es als folgten die Darstellungsweisen des Kinos der klassischen Geschichtsschreibung, andererseits bleiben immer Leerstellen bestehen, egal wie viele Geschichten auch erzählt werden (ebd.). Wie Robert A. Rosenstone zur Inszenierung von Geschichte im Film expliziert, lassen sich sechs Konventionen bei der Darstellung historischer Inhalte im (nicht experimentellen bzw. Mainstream-Spiel-)Film ausmachen: »1. History as a story set in the framework of (moral) progress […], 2. History as a story of individuals […], 3. History as a closed, uncontested story […], 4. History as emotional, personal, dramatic […], 5. History as process […], 6. History with a »period look« (Rosenstone 1995: 10). Aus diesem Blickwinkel lässt sich der Konstruktionsscharakter jederGeschichtsdarstellung (im Film) erkennen.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Im ›Nicht Vergessen‹, also im in der Gegenwart das Vergangene Erinnern, immer wieder in die Gegenwart zurückzuholen, um in die Zukunft zu leiten, zeigt sich auch eine bestimmte Form von Zeitlichkeit. Wie Heather Love in Feeling backward. Loss and the politics of queer history (2009) beschreibt, hängt queeres Erinnern mit einer Ambivalenz der Gefühle einer »divided allegiance« (Love 2009: 27) zusammen: Der Entscheidung, sich entweder in die Richtung einer besseren Zukunft zu orientieren oder den gewaltvollen Geschichten der Vergangenheit anzuhängen (ebd.). So fänden sich Queers der Gegenwart in der »odd situation of ›looking forward‹ while we are ›feeling backward‹« (Love 2009: 27). Für Love ist es daher wichtig, sich der Vergangenheit zuzuwenden, um deren Kontinuitäten in der Gegenwart erkennen zu können. Sie sieht die Gegenwart demnach auch als Kontinuität (und nicht Opposition) zur Vergangenheit und ist der Meinung, dass das affektive Leben vieler queerer Subjekte noch immer ähnlich strukturiert sei wie in Zeiten vor der gay liberation (vgl. Love 2009: 19). Heutiger gay pride lasse sich demnach nur als Spiegelbild von gay shame verstehen. Die Spuren der Vergangenheit begleiten das Bild des gay pride also und erinnern laut Love damit auch immer daran, dass sich die Geschichte auch wieder umkehren könnte (vgl. Love 2009: 20). Queere Geschichte würde damit zu einer Geschichte von »wounded attachments« (Brown 1993, zit. in Love 2009: 43), die es bedarf aufgearbeitet ohne repariert zu werden (ebd.). Scott Bravman nimmt in Queer Fictions of the Past: History, Culture and Difference (1997) einen kritischeren Standpunkt zu queerer Geschichtsschreibung bzw. den Fiktionalisierungen queerer Vergangenheit ein und betont, dass queere Subjekte nicht nur ein komplexes, sondern durchaus widersprüchliches Verhältnis zur Geschichte einnehmen (vgl. Bravman 1997: 4). Denn »queer fictions of the past« wären immer auch daran beteiligt »queer fictions of the present« mitzuproduzieren, anzufechten oder aufrechtzuerhalten (ebd.). So laufe auch queere Geschichtsschreibung Gefahr, homogenisierende und vereinheitlichende (Fortschritts-)Narrative sowie Ausschlüsse Marginalisierter zu produzieren, anstatt die Brüche und heterogenen Geschichten sichtbar zu machen, ohne der Versuchung anheim zu fallen, eine Identität konstruieren zu wollen (vgl. Bravman 1997: 5). Gleichzeitig eröffnet die Beschäftigung mit queeren Geschichten der Vergangenheit die Möglichkeit, lineare und heteronormative Geschichtsnarrative zu hinterfragen und zu einem »touching across time« (Dinshaw in Dinshaw et al. 2007: 178) beizutragen, welches sich gegen lineare Geschichtsschreibung wendet und vielfältige Zeitlichkeiten in der Gegenwart sichtbar werden lassen kann (ebd.). Wie José Esteban Muñoz beschreibt, kann ein Verständnis von Zeit als nicht-linear als queer gesehen werden, als ein »stepping out of the linearity of straight time« (Muñoz 2009: 25). Queere Zeitlichkeit kann demnach auch als ein Sich-Abwenden vom heteronormativen Lebensskript »adolescence – early adulthood – marriage – reproduction – child rearing – retirement – death« (Halberstam in Dinshaw et al. 2007: 182) gesehen werden. Mit einem Andersdenken von Zeit kann auch Geschichte anders gedacht werden und sich ein Raum eröffnen für eine »history that is not straight« (Dinshaw in Dinshaw et al. 2007: 185). Die Überlegungen zum Spannungsfeld des queeren Erinnerns und filmischen kollektiven Gedächtnisses, queerer Geschichtsschreibung und zur queeren Zeitlichkeit sollen dazu dienen, auszuloten, wo die analysierten Filme queere Zeitlichkeiten produzieren und wo sie sich womöglich trotz ihrer queeren Geschichte(n) in heteronormative und

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im Anschluss daran hegemoniale Nationsnarrative einschreiben. Mit genannten Konzepten wird im Folgenden also betrachtet, welche Rolle die Filme im umkämpften Erinnern an das Leben und Kämpfen jüdischer Queers zu Zeiten des (aufstrebenden) Nationalsozialismus einnehmen und an welchen Erzählungen von (Queerness in Bezug auf die) Nation die Filme hier mitarbeiten.

5.4.2 Aimée und Jaguar Deutsches Kino und ›Vergangenheitsbewältigung‹ Nachdem sowohl BRD als auch DDR ihr jeweiliges Nationsverständnis in Bezug zum Nationalsozialismus definiert hatten (die BRD mit antitotalitärem Grundkonsens und die DDR als antifaschistischer Staat (vgl. Freund 2010: 27f.)), blieb der Nationalsozialismus auch nach der deutsch-deutschen Vereinigung ein bedeutendes Feld erinnerungspolitischer Auseinandersetzungen (vgl. Freund 2010: 38). Film nahm dabei eine einflussreiche Stellung ein, bishin zur »Verwandlung der deutschen Geschichte in eine Filmphantasie« (Hake 2004: 321). Das neue Interesse am Nationalsozialismus und Fragen der deutschen Identität brachte eine Reihe historischer Filme hervor, die sich auf vergangene Erlebnisse und Geschehnisse bezogen (vgl. Hake 2004: 320). Dabei wurde diese filmische Aufarbeitung in den 1990er Jahren im deutschen Film konventioneller (vgl. Hake 2004: 321; Seeßlen 2019: 37) und stützte sich wie beispielsweise in Joseph Vilsmaiers Filmen wie Stalingrad (1996), Comedian Harmonists (1998) oder Marlene (2000) mit der Inszenierung visueller Spektakel und effektvoller Designs auf Sensationalisierungsstrategien (vgl. Hake 2004: 322). Durch solche und ähnliche Geschichtsinszenierungen trugen die Filme maßgeblich sowohl zu Entpolitisierung (vgl. Seeßlen 2019: 37) als auch zu Normalisierung (vgl. Hake 2004: 322) deutscher Geschichte bei. In der Auslassung von Erklärungsansätzen des Nationalsozialismus verkommt Geschichte in diesen Filmen zum Event. Diesen revisionistischen Trend seit den 1990er Jahren schreiben auch humoristische Zeitfilme wie der satirische Film Schtonk! (1992) von Helmut Dietl über die falschen Tagebücher Hitlers oder der Imagination eines überlebt-habenden Hitlers in Gespräch mit dem Biest (1997) von Armin Mueller-Stahl fort. Sie verwenden historische Materialien, um die Relevanz der faschistischen Geschichte für ein Deutschland nach der Vereinigung auszuloten (vgl. Hake 2004: 323f.), tragen aber auch oft zur Banalisierung des Holocaust bei (vgl. Seeßlen 2019: 37). Ein weiteres Muster im deutschen Vergangenheitsbewältigungsfilm seit den 1990er Jahren stellt das der »symbolische[n] Versöhnung von Selbst und Anderem – Deutschen und Juden [sic!]« (Hake 2004: 324) dar. Wie bereits der erwähnte Comedian Harmonists schreibt sich auch Max Färberböcks Aimée und Jaguar in diesen Trend ein (ebd.), jedoch mit einer queeren Version dieser. Der Film von 1999 basiert auf den Erinnerungen der weißen Deutschen Elisabeth »Lilly/Aimée« Wust, deren Liebesgeschichte mit der deutschen Jüdin Felicitas »Felice/Jaguar« Schragenheim von Erica Fischer im Buch Aimée und Jaguar. Eine Liebesgeschichte, Berlin 1943 (1995) sowie im BBC-Dokumentarfilm Love Story Berlin 1942 (1997) von Catrine Clay beschrieben werden. Färberböcks Film Aimée und Jaguar, mit dem pathetisch anklingenden Untertitel Eine Liebe größer als der Tod, erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde international rezipiert. Neben Nominierungen für den Goldenen Bären bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin, den Oscar für den bes-

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

ten nicht-englischsprachigen Film bei den Golden Globe Awards und einen GLAAD (Gay and Lesbian Alliance Against Defamation) Media Award, hat der Film Preise bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin, beim Deutschen und beim Bayrischen Filmpreis gewonnen sowie den Preis für den besten Film beim Milan International Lesbian and Gay Film Festival 2000 erhalten (vgl. Internet Movie Database o.J. a). Wie Färberböck in einem Interview beschreibt, wollte er mit dem Film danach forschen »wozu Menschen fähig sind, im Positiven wie im Negativen« (Färberböck im Interview mit Brenneisen 2001: 14) und zwar »keine sentimentale Love Story ab[…]feiern und dennoch die Wucht der Emotionen […] treffen« (ebd.). Aus dem Eintauchen in diese Geschichte ließe sich dann schließlich die Kontinuität des Damals im Heute und die Kontingenz wie grundsätzliche Wiederholbarkeit von Geschichte ableiten: »Die Erfahrung, dass die Vergangenheit und die Gegenwart nur durch eine sehr dünne Linie getrennt sind. Wenn man begreift, dass die Menschen damals keine verblödeten Schrullen, sondern uns sehr verwandte Menschen waren, wird einem klar, dass es keinen Schock für die Menschen gibt, der nicht wiederholbar wäre« (Färberböck im Interview mit Brenneisen 2001: 15). Die große Popularität von Buch und Film zog auch eine erhebliche Fülle an akademischen Auseinandersetzungen mit diesen nach sich. Während der Film viel nationale und internationale mediale Anerkennung erhalten hat und auch in queeren Communities sehr erfolgreich war, melden sich in akademischen Publikationen kritischere Stimmen zu Wort. Wie einige Beispiele des akademischen Diskurses über den Film zeigen, thematisieren diese neben den Diskrepanzen zwischen Film und Buch Fragen von (Un/ Mit)Schuld der Deutschen im Nationalsozialismus, die Vereinnahmung von HolocaustNarrativen für national-rehabilitatorische Diskurse sowie Fragen nach Zugehörigkeit, Passing als sowohl heterosexuell als auch jüdisch und damit verbunden die Frage nach der Subversionskraft queerer Weiblichkeit. So setzt sich Christa Zeller Thomas mit der positiven Rezeption des Films in queeren Communities weltweit auseinander und entdeckt darin revisionistische und universalisierende Tendenzen sowie die Ermöglichung der Identifizierung von Lesben mit dem Opferstatus (vgl. Zeller Thomas 2014: 63f.; 77). Muriel Cormican argumentiert in eine ähnliche Richtung und weist darauf hin, dass durch die Fokussierung auf die Liebesgeschichte die Erfahrung von Jüd:innen im Nationalsozialismus trivialisiert werde (vgl. Cormican 2003: 108) und bezieht sich dabei u.a. auf die vernichtende Kritik Esther Dischereits am Film. Diese betont die Bereicherung Lillys an Felice und die Abhängigkeit, die die Beziehung prägte sowie die eventuelle Mitschuld Lillys an Felices Tod, welche im Film durch die Dramatik der Liebesgeschichte übertüncht werde (vgl. Dischereit 1999). Während Dischereit dem Film gegenüber eine klar skeptische Haltung einnimmt, bemerkt Cormican jedoch, dass der Film Lilly durchaus auch kritisiere (vgl. Cormican 2003: 107). Cathy S. Gelbin und Leanne Dawson hingegen legen ihren Analysefokus mehr auf die Inszenierung queerer Weiblichkeit in Aimée und Jaguar. So beschreibt Leanne Dawson die Inszenierung von Melancholie im Film unter Bezug auf Judith Butlers Konzept der gender melancholia und kommt zu dem Schluss, dass die Femininität der Protagonistinnen im Film dazu beiträgt, melancholische Lesarten des Films zu verkomplizieren und das Potenzial hat, subversiv zu wirken (vgl. Dawson 2012). Cathy S. Gelbin hingegen betrachtet queere Femininität in ihrer

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Funktion für Holocaust-Repräsentationen und kommt zu dem Schluss, dass queere Weiblichkeit in Filmen wie Aimée und Jaguar dazu dient, Frauen sowohl als Opfer als auch als Widerstandsfiguren des Nationalsozialismus zu inszenieren (vgl. Gelbin 2007). Aimée und Jaguar wurde, wie sich zeigt, in der akademischen Literatur oft entweder mit Bezug auf die deutsche Vergangenheit oder die Nicht-Heterosexualität der Figuren besprochen, selten wird dabei die Intersektionalität anerkannt, was von einer binären Logik eines großen Teils bisheriger Forschung zum Film zeugt. Auch verlaufen die Analysen oft eher dichotom entlang der Demarkationslinien von affirmativer vs. kritischer Lesart; mit meiner Lesart des Films möchte ich dazu beitragen, diese zu verkomplizieren und die Ambiguitäten und Ambivalenzen des Filmtexts mehr herausarbeiten. Darüber hinaus wurde Aimée und Jaguar bisher noch nicht durch die theoretische Linse queerer Zeitlichkeit heraus betrachtet. In meiner Analyse werde ich betrachten, wie Queerness und Nation in Aimée und Jaguar ins Verhältnis miteinander gesetzt werden und welche doing belongings hier inszeniert werden, um darüber hinaus auszuloten, welche Rolle der Film bei der Rekonzeptualisierung und Aushandlung natio-ethnokultureller Zugehörigkeit nach 1989 einnehmen kann. Dabei werde ich nachvollziehen, wie der Film ambivalente Narrative des belongings und becomings produziert, indem einerseits dominante Verhältnisse durch die queere Liebesgeschichte und die Liebe zwischen einer Deutschen und einer Jüdin denormalisiert werden, der Film andererseits an einem deutschen Entschuldungs-, Versöhnungs- und (Homo-)Normalisierungsnarrativ in Bezug auf deutsche Nation und Geschichte mitschreibt.

Aimée und Jaguar – nationale Selbstvergewisserung oder subversive queere Weiblichkeit? Aimée und Jaguar thematisiert die (sich tatsächlich zugetragene) Liebesgeschichte der deutschen Jüdin Felice Schragenheim (Maria Schrader) und der weißen deutschen Mitläuferin Lilly Wust (alt: Inge Keller, jung: Juliane Köhler) inmitten des Berlins des Zweiten Weltkriegs und Nationalsozialismus in Deutschland und bringt dabei Elemente aus Melodrama und Heritage Film zusammen. Dabei wird durch das Mittel der Rückblende das Leben der gealterten Lilly Wust in der Jetzt-Zeit der Filmentstehung (1999) mit der Binnenhandlung der Erinnerungen an den Krieg und der Liebe mit Felice, die zu Ende des Films von Nazis entdeckt und festgenommen wird, verschaltet. Eine Einblendung am Ende verrät, dass die historische Felice wahrscheinlich bei einem ›Todesmarsch‹ ums Leben gekommen ist und die historische Lilly 1999 weiterhin in Berlin lebt. Der Film ist mehrschichtig erzählt. Die Binnenhandlung, die im nationalsozialistischen Berlin situiert ist, wird von einer Rahmenhandlung im Jahr 1999 umspannt, die wiederum durch Szenen aus der Zeit der Binnenhandlung in Vor- und Abspann umklammert wird. So werden die Binnenhandlungen des Vor- und Abspanns zur Rahmung des Gesamtfilms und etablieren die Blickrichtung, die den Film prägt und von dem Film gegenüber kritischen Stimmen problematisiert wurde – von Lilly auf Felice. Die ersten Einstellungen inszenieren dies deutlich: Nachdem Felice in der Szene im Sommerkleid in einem grünen Park mit Lillys Kindern spielend, lachend und rennend in einer Totale gezeigt wurde, wird Lilly hinter einer Fotokamera in halbnaher Einstellung eingeblendet, Felice und die Kinder ablichtend, während sie das Geschehen mit »So ist schön!« und »Gut!« kommentiert. Im Schuss-Gegenschuss werden abwechselnd Felice und Lilly

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gezeigt; in der nächsten Einstellung ist Felice lächelnd (vor der Kamera) posierend ebenfalls in halbnaher Einstellung zu sehen, Lilly wirft ihr in der folgenden Einstellung einen Handkuss zu.

Abb. 96–97: Aimée und Jaguar (D 1999, R: Max Färberböck)

Einerseits wird hier das romantische Liebes- (und Familien-)Glück von Felice und Lilly ins Bild gesetzt, andererseits zeigt die Blickdramaturgie deutlich an, dass Lilly mit der Kamera ausgestattet und Anweisungen gebend als Bildproduzentin in den Film eintritt. Damit etabliert und verdeutlicht der Film von der ersten Einstellung an, wer hier durch wessen Linse abgebildet wird und wessen Perspektive – trotz der sich in der späteren Binnenhandlung auffächernden Perspektivenvielfalt – die Deutungshoheit behält. Diese Rahmung wiederholt sich in der letzten Szene als Lilly Felice erneut fotografiert und damit wiederum indiziert, dass Felice Beteiligung an der Produktion einer Geschichte, in die sie wesentlich involviert ist, durch den Fakt ihrer Abwesenheit entzogen bleibt. So bleibt die Perspektive, der Blick auf Geschichte, der weißen, deutschen Nazi-Sympathisantin leitend für die Geschichte. In der nächsten Szene, in der die gealterte Lilly zum ersten Mal eingeblendet wird, wird die vorangegangene Szene als Rückblende erkennbar. Wie Irina Gradinari und Michael Niehaus (2020) unter Bezug auf Maureen Turim (1989) beschreiben, stellt ein Flashback »eine Schnittstelle zwischen Subjektivem und Sozialem dar, die auch Fragen nach der Narrativierung von Geschichte aufwirft« (Gradinari/Niehaus 2020: 7) dar. Im Einsatz der Rückblende vor allem in der Binnenhandlung, die den Großteil des Films einnimmt, zeigt sich also ein erster Hinweis darauf, wie das Publikum durch den Blick der weißen Deutschen an die kollektive Erinnerung angeschlossen wird. Die Binnenhandlung wird durch ein zufälliges Zusammentreffen der gealterten Lilly mit Ilse, einer Freundin und Geliebten Felices und früheren Angestellten bei Lilly Wust, im Senior:innenheim in Gang gesetzt und verkompliziert die ersten Szenen in Bezug auf Erzählperspektive, Blickrichtung sowie Genderpräsentation und gegenderter Verhaltensweisen der Protagonistinnen. Ilses (junge) Erzählstimme aus dem Off eröffnet die Binnenhandlung im November 1943 und mit der Einführung einer neuen Erzählinstanz ändert sich auch die Blickrichtung. Bei der Darstellung des folgenden ersten Zusammentreffens von Lilly und Felice ist es Felice, die Lilly zunächst aus der Ferne im Konzert, das Ilse und Felice auch besuchen, sieht.

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Als Felice Lilly sieht, kommentiert sie dies mit den Worten »Hübsch. Sehr hübsch«. Auch hier kommt wieder Schuss-Gegenschuss zum Einsatz, mit dem Unterschied, dass die Kameraperspektive mit der Aufnahme Felices in Untersicht und Lillys in Aufsicht, eine Blickrichtung von oben nach unten konstruiert, die das ›auf Lilly blicken‹ gegenüber ›in Lillys Richtung blicken‹ betont. Außerdem ist es im Folgenden Felice, die die erste Begegnung initiiert, als sie Lilly, die im Chaos des ausgebrochenen Bombenalarms ihre Brille verliert, anspricht, um ihr ihre Brille zurückzugeben – Felice ermöglicht so gesehen hier also erst Lillys Blick. Die Blick- und Aktionsrichtung, die mit der ersten Interaktion als Beginn der Beziehung der beiden konstruiert wird, ist hier also genau umgekehrt und konterkariert damit die in den ersten Einstellungen nahegelegte Hierarchie und Rahmung. Diese Beobachtung lässt sich mit der gegenderten Kodierung durch Kleidung in der ersten Szene im Vergleich zum Gesamtfilm zusammenbringen: Während Felice anfangs im Sommerkleid und Lilly im Hosenanzug (wie sich herausstellen wird Felices) zu sehen ist, wird innerhalb der ersten 20 Minuten des Films deutlich, dass Lilly diejenige ist, die als typische heterosexuelle kleidertragende cis (Haus-)Frau inszeniert wird und deren Figur damit mit mehr Zeichen der Feminität aufgeladen wird, wohingegen Felice die Figur ist, die mit Zigarette und Hosenanzug mit mehr Männlichkeitsmarkern verknüpft wird. In der Verschaltung von Vergeschlechtlichungskodes und Blickrichtung bzw. Machtverhältnis und Zuschreibung zu einer Figur in der ersten Szene und der gegenteiligen Inszenierung derselben im sich entwickelnden Filmgeschehen, gibt der Film also Hinweise auf einerseits Machtverhältnisse in Deutungshoheiten, andererseits Widersprüche, Reibungen, Fragezeichen in der Geschichte. Damit führt der Film subtil vor, wie dominante Geschichtsschreibung die Interpretationsschemata historischer Ereignisse versucht vorzugeben und somit ›Geschichte der Sieger:innen‹ gemacht wird. In Bezug auf die Aufarbeitung der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit wird so darauf verwiesen wie jüdische Geschichte(n) oft nur noch durch die Darstellung der deutschen hegemonialen Geschichtsinterpretation weiterbesteht und welche Verzerrungen hieraus entstehen können. Die implizite Frage, die der Film hier aufwirft, stellt also nicht nur zur Debatte, ob Felice sich auch so sehen würde, wie sie durch Lillys Linse repräsentiert wurde, sondern legt auch nahe, deutsche Erinnerungspolitik kritisch zu betrachten. Gleichzeitig legen die beschriebenen, fast gegenteilig aufgebauten Szenen die Fluidität von Gender-Präsentation und Begehren nahe, indem sie Transformation ins Bild setzen. Damit verweist der Film nicht nur auf queeres Lebensgefühl der Weimarer Republik, die auch im Nationalsozialismus nicht ganz ausgelöscht werden konnte, wie auf deren Stilisierung, Romantisierung und Typisierung in der Populärkultur in ihrem Nachgang, sondern nimmt auch Bezug auf ein Konzept von Identität, das nicht ein starres Sein, sondern ein sich in Bewegung befindendes Werden favorisiert. Dies wird sich im Filmverlauf anhand der Figur Lilly zeigen, die sich von der Nazi-Mitläuferin und völkischen Hausfrau zu einer queeren Femme mit Stil und Sinn für Ästhetik entwickelt. Aimée und Jaguar verhandelt damit auch die Frage von Wandel und der Möglichkeit der Herausforderung von Machtverhältnissen durch eine Re-Orientierung im Sozialen über Orientierung hin zu Queerness. Diese Eingangsszenen bereiten also die Bühne für die Aushandlung der Zusammenhänge von Queerness, Ethnizität und Nation im deutschen Nationalsozialismus und werfen Fragen nach Erinnern und Verges-

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sen, Instrumentalisieren und Rehabilitieren deutscher Geschichte(n) und queerer Erinnerungskultur auf in einem Narrativ, das sich in der sich anschließenden Rahmen- und Binnenhandlung jedoch mehr in Richtung Selbstvergewisserung, deutscher Entschuldung und deutsch-jüdischer Versöhnung bewegt.

Deutschlandbilder: Bedrohung und Verfolgung von Jüd:innen Wie Irina Gradinari beschreibt, stellt das Genre des Kriegsfilms einen wichtigen Eckpfeiler in der Aushandlung nicht nur der Erinnerung an den Krieg, sondern der Bedeutung des Kriegs für die Gegenwart sowie der (Neu-)Verhandlung nationaler Selbstbilder dar und bildet so eine bedeutsame Grundlage für nationale Selbstvergewisserungsnarrative (vgl. Gradinari 2015: 8ff.). Mit dem »Anspruch, die Bevölkerung als Kollektiv anzusprechen« (Gradinari 2018: 336) könne über die Verschaltung des Publikums mit der Nation diese in ihrem Selbstverständnis bestätigt werden (ebd.).

Abb. 98: Aimée und Jaguar (D 1999, R: Max Färberböck)

Der Zweite Weltkrieg, vor dessen Hintergrund auch Aimée und Jaguar spielt, kann in Bezug auf Aushandlung Narrative nationaler Selbstbilder immer noch als »umkämpftes geschichtspolitisches Feld« (ebd.) gesehen werden, dessen Neujustierung eng in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Erinnerungspraktiken steht. Während Aimée und Jaguar meistens weniger als (Anti-)Kriegsfilm gelesen wird (vgl. von Gottberg 2004: 93), denn als Queer-Film, Romanze, Heritage-Film oder Melodrama, spielt der Hintergrund Krieg eine große Bedeutung, in den Film-Bildern wie auch im Handlungsverlauf – Bombenangriffe, brennende und zerstörte Straßenzüge sowie nationale Freund:in-/Feind:in-Dichotomien sind fest in Handlung und Ästhetik des Films verankert – weshalb darauf geschlossen werden kann, dass auch hier eine ›Bevölkerung als Kollektiv‹ angesprochen wird, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass dies in Abgrenzung zu ›den Nazis‹ passiert, die Bevölkerung sich damit als widerständiges bzw. dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallenes Kollektiv imaginieren kann.

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Dies wird zu Anfang des Films, fünf Minuten nach Beginn des Films in der Inszenierung des ersten Bombenangriffs, der den bürgerlichen Kulturgenuss Felices, Ilses, Lillys und deren Liebhaber im Konzert ›Beethovens 9.‹ stört, deutlich gemacht: In extremer Untersicht wird nach dem Beginn des Alarms im Konzert, begleitet von den Sirenen des Bombenalarms auf der Tonebene, das Statuenpaar ›Diskuswerfer und Staffelläufer‹ eingeblendet, die bis heute am Berliner Olympiastadion stehen und in ihrer martialisch anmutenden faschistischen Ästhetik gewissermaßen Materialisierungen der NS-Ideologie darstellen. Dem gegenüber steht die Menge der Menschen, die das Konzert besuchen. So wird gleich zu Beginn der Binnenhandlung eine Menge eingeblendet mit so vielen Statist:innen wie zu keinem anderen Zeitpunkt im Film. So wird ›die Bevölkerung‹ mit ›den Nazis‹ kontrastiert und steht fest: Es sind ›die Nazis‹, die Unheil über die Zivilbevölkerung bringen; diese wird so als ›Opfer‹ inszeniert, wie sich an den nachfolgenden Einstellungen zeigt, in denen Bilder von Zerstörung und Bombenangriff mit dem ängstlichen Rennen und Verstecken in Bunkern gezeigt wird. Der Film greift so auf populäre Narrative in der deutschen Erzählung über Zweiten Weltkrieg und Holocaust zurück, bei der ›den Nazis‹ – als kleine Führungselite gedacht – die Verantwortung hierfür zugeschrieben wird, während bei den meisten Deutschen keine Schuld vorliege, womit die These einer deutschen Kollektivschuld (vgl. Ströh 2015: 46f.) entkräftet wird und der Film das Opfernarrativ, das seit Mitte der 1990er Jahre im Erinnerungsdiskurs verstärkt bemüht wurde (vgl. Ruckert et al. 2015: 364ff.), bestärkt. Die beschriebene extreme Untersicht auf die Statuen, die diese noch größer und gewaltiger erscheinen lässt, referenziert damit auch Totalitarismus und Überwachung im NS-Staat, die Gefahr des ›Andersseins‹ im Sinne des Abweichens vom völkischen, arischen Ideal und die Gefahr des Sich-nichtder-Ideologie-Unterwerfens darin. Das Risiko des Entdecktwerdens und die vielfältigen Praktiken des Sich-Versteckens, Tarnens und Sich-Entziehens (bzw. -Müssens) für Jüd:innen werden im Film anhand der Figur Felice und ihres Freund:innen- und Familienkreises vorgeführt. Im Film lauert die Gefahr der Enttarnung überall, auf der Straße, hinter jeder Ecke und potenziell in jeder Situation. Dies wird bereits innerhalb der ersten Minuten deutlich, als ein Unbekannter Felice während des Bombenalarms beim Namen ruft. Felice dreht sich um, die Großaufnahme ihres Gesichts zeigt einen angsterfüllten Ausdruck. Erst jetzt gibt sich der Unbekannte als ehemaliger Patient ihres Vaters zu erkennen und warnt sie, dass sie vorsichtig sein soll. In der zusätzlichen Untermalung mit unheilvollbringender Musik soll nahegelegt werden, dass der nette Verbündete auch ein Nazi hätte sein können und Bewegung im öffentlichen Raum für Jüd:innen 1943 prinzipiell unsicher ist. Ähnlich unvorhergesehen und bedrohlich inszeniert der Film weitere Momente des Aufeinandertreffens mit Fremden im öffentlichen Raum, die als (potenzielle) Gefahr zu bewerten sind, beispielsweise die strengen Blicke eines Soldaten als sich Felice und Ilse in einem Hauseingang miteinander unterhalten oder die Begegnung mit zwei Männern auf der Straße, die Felice und ihre Freundinnen im Vorbeigehen begutachtend ansehen, wenige Momente später ihre Freundin Lotte, die etwas hinter der Gruppe zurückgeblieben war, kontrollieren und als diese keine Ausweispapiere vorlegen kann und versucht zu fliehen, erschießen.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Abb. 99–101: Aimée und Jaguar (D 1999, R: Max Färberböck)

Die Verfolgung von Jüd:innen wird in einer Szene durch das Hetzen eines Schäferhundes auf Felices Spur als Jagd inszeniert und so als entmenschlichend dargestellt. Begleitet werden diese Szenen von Felices anschließendem schnellen Weglaufen und sich im Gehen Umdrehens, um die permanente Angst vor Verfolgung zu illustrieren. In Zusammenhang hiermit stehen Szenen des Laufens allgemein, die sich durch den Film hinweg ziehen. Immer und immer wieder läuft Felice durch Straßen, manchmal muss sie dabei anfangen zu rennen. Dieses stetige Laufen visualisiert das Zeugnis von Gerd Ehrlich, eines Freundes der historischen Felice, der im Dokumentarfilm Love Story Berlin 1942 beschreibt: »I had to be on the move always. You went out, always a briefcase, looking official. You always walked fast as if you had a place to go. Now between twelve and two we went from one restaurant to the other, we went to the movies very frequently, after a while we discovered the theatres«. Mit dieser Notwendigkeit sich immer in Bewegung befinden zu müssen, um nicht entdeckt zu werden, geht in Aimée und Jaguar eine Inszenierung von Felices als sich immer wieder im Zwielicht, in Hauseingängen und Treppenhäusern aufhaltend einher. Konversationen mit Ilse wie Lilly finden im Zwielicht eines Hauseingangs statt, mit einem Freund, dem sie geheime Informationen aus der Redaktion übergibt, trifft sie sich in einem spärlich belichteten, heruntergekommenem Treppenhaus und auch als ihre Großmutter deportiert wird beobachtet sie die Szene aus dem Schatten eine Treppenabsatzes heraus. Zwielicht und Treppenhaus als Motive des Dazwischen, als Schwellen zeigen den unbestimmten Raum, in dem sich die Untergetauchten aufhalten an – die Nischen und Übergänge, die Suche nach möglichst sicherem Unterschlupf, werden hier unter der zunehmenden Entrechtung und Verfolgung im NS zur alltagsprägenden Normalität. Das Treppenhaus als Übergang dient jedoch auch der Symbolisierung der unmittelbaren räumlichen Nähe der extremen politischen Gegensätze und wird als Ort der Konfrontation dieser inszeniert – das Aufeinandertreffen von NS-treuen und NS-kritischen bis widerständigen Positionen wird mehrfach im Treppenhaus dargestellt und kommt besonders in zwei komplementär wirkenden Szenen zum Ausdruck. In der ersten Szene hat Lilly eine Auseinandersetzung im Treppenhaus mit ihrem Nazi-Liebhaber Ernst, der androht, Lillys NS-kritischen Vater nach einem Streitgespräch anzuzeigen. Ernsts Stehen auf einer höheren Treppenstufe als Lilly in Verbindung mit der extremen Untersicht der Kamera auf Ernst bzw. im Gegenschuss der extremen Aufsicht auf Lilly zeigt in dieser Szene nicht nur dessen Verachtung, sondern auch das politisch-ideologische wie damit verbunden vergeschlechtliche Ungleichgewicht der Kräfteverhältnisse zwischen ihnen

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an, das sich in Ernsts Ausspruch »Menschen wie euch wird’s nicht mehr lang geben« verdeutlicht. Dieser Moment kann als erste Wendung in Lillys unhinterfragter Unterstützung des NS-Regimes gesehen werden und funktioniert dabei zugleich als Moment der Entschuldung Lillys, da diese sich (zumindest scheinbar) vom Nationalsozialismus abwandte als sie dessen Grausamkeit erkannte (ein Narrativ, zu dem sich übrigens keine Entsprechung in der Lebensgeschichte der historischen Lilly Wust findet). In der zweiten Szene später im Film trifft Felice in Lillys Treppenhaus Nachbar:innen, die NSDAPMitglieder sind und die Felice dazu auffordern, Lilly auszurichten, dass diese sich bei der Ortsgruppe melden solle, da ihre Kinder ›weg‹ müssten. Felice antwortet auf diese Aufforderung mit den Worten: »Haben Sie schon gehört, dass General Paulus und sein ganzer Stab zu den Russen übergelaufen ist? Sie kommen näher und näher, unter deutscher Führung. Man sollte ihnen alle eine Spritze geben«. Die Todesdrohung, die Nazi Ernst gegen Lilly und ihre Familie ausgesprochen hat, gibt Felice an Lillys Nachbar:innen zurück. So rächt Felice, ohne es zu wissen, Lilly und die potenzielle Wendung der Kräfteverhältnisse wird so inszeniert. Damit arbeitet die politische Auseinandersetzung im Treppenhaus an der Dichotomisierung von ›bösen‹ Nazis (Militärs, Parteizugehörige) vs. ›guter‹ Zivilbevölkerung (naive, ›ahnungslose‹ Mitläufer:innen, Jüd:innen) mit. Als Schwellenort wird das Treppenhaus im Film zum Ort der Möglichkeit, Auseinandersetzung und Gefahr zugleich und symbolisiert die Schwellensituation Deutschlands 1943 mit sich näherndem Kriegsende sich abzeichnenden, jedoch noch unbestimmten Ausgangs.

Abb. 102–103: Aimée und Jaguar (D 1999, R: Max Färberböck)

Im drastischen Gegensatz zu den Szenen des Zwielichts und Verstecks wird im Film gleichzeitig eine Art getarnte Hypervisibilität Felices im öffentlichen Raum inszeniert. Sie arbeitet unter falschem Namen bei einer Nazi-Zeitung, geht in diesem Zusammenhang zu Nazi-Bällen und hält sich mit ihren Freundinnen in der Freizeit bevorzugt im Hotel am Zoo auf, »wo so viel SS und Militär herumlief, dass sich die Rassenfrage von selbst erledigte« wie Ilses Stimme aus dem Off kommentiert. Durch selbstverständliche Anwesenheit in der Mitte der Nazis wird diese nicht hinterfragt. Gleichzeitig inszeniert der Film hier die trotzige Widerstandsstrategie, sich Räume nicht nehmen zu lassen und sich geschickt in diese einzuschleusen. Auch wenn in Aimée und Jaguar zweifelsohne Entschuldungsnarrative am Werk sind und die Verfolgung jüdischer Mitmenschen zur Folie wird, auf der die Liebesgeschichte abgebildet wird, zeigen vorangegangene Schilde-

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

rungen jedoch auch, dass der Film die Verfolgung von Jüd:innen im NS durchaus ernst nimmt, aber Jüd:innen auch nicht nur als Opfer funktionalisiert, sondern auch alltagspraktische und politische Widerstandsstrategien darstellt; ein Großteil der ersten 45 Minuten des Films ist der Inszenierung der Lebenssituation der Protagonist:innen im Krieg gewidmet, die Annäherung zwischen Lilly und Felice beschleunigt sich erst im zweiten Drittel des Films. Dargestellte Widerstandsstrategien umfassen dabei Akte wie Essen von Nazis klauen, um sie mit Freund:innen und Familie zu teilen, sich über Nazis lustig zu machen oder zu versuchen, diese dazu zu benutzen, das System auszutricksen. Nazis ins Lächerliche zu ziehen als Widerstandsstrategie von Jüd:innen zeigt sich auch in der zweiten Begegnung von Felice und Lilly im ›Hotel am Zoo‹. Nachdem Ilse Felice von Lillys Behauptung sie könne Juden riechen erzählt hatte, fühlt sich Felice herausgefordert: »Vielleicht kann sie’s ja wirklich. […] Juden riechen« und hält ihr beim Treffen im Hotel ihren Arm unter die Nase mit der Frage, wonach sie rieche. Lilly, verblüfft, antwortet »Gut. Riecht irgendwie…ist das französisch?«, woraufhin Felice mit »Bravo« applaudiert. Diese Vorführung Lillys vor Felices Freundinnen fordert durch die Konstruktion des Publikums als sich im Kreis der ›Eingeweihten‹ befindenden dieses dazu auf, sich ebenso über deutsche Nazis zu mokieren. Die Absurdität der nationalsozialistischen »Rassenlehre« und Ideologie wird somit demonstriert und die weltanschauliche Überlegenheit der Nicht-Nazis, hier repräsentiert durch Felice und ihre Freundinnen, unterstützt von einem Kamerabild, das Lilly sowohl vereinzelt auf einer Seite des Tisches unterlegen erscheinen lässt, dargestellt. Diese Momente des individuellen Widerstands in Aimée und Jaguar können auch antifaschistische Identifikationspunkte bieten, die einem vereinfachenden Lesen des Films als »stehende Milieu-Bilder« (Dischereit 1999) entgegensprechen. Andererseits werden jedoch durchaus einige antisemitische Klischees bemüht, eingewoben in die Figur der Felice, die sich im Sprechen anderer über Felice, im Sprechen Felices über sich selbst sowie in der ästhetischen Gestaltung des Films zeigen. Dabei ist davon auszugehen, dass diese Klischees unbewusst re_produziert werden, da sie nicht dekonstruiert oder benannt werden, sondern zur Konstruktion des Gegensatzes zwischen Lilly und Felice eingesetzt werden. Diese unbewussten antisemitischen Muster im Film bleiben aber gerade aufgrund ihrer Nicht-Benennung oder Enttarnung so wirkmächtig (vgl. Figge 2015: 124). Im Treffen mit ihrem Freund Fritz, bei dem Felice aus der Redaktion gestohlene, geheime Dokumente übergibt, bezichtigt er sie, ›kein Risiko mehr‹ zu kennen, wodurch sie nicht nur sich selbst, sondern auch den ganzen Freund:innenkreis gefährde. Bereits wenige Minuten nach Beginn des Films wird Felice also mit dem Stereotyp der nicht domestizierbaren, bedrohlichen Jüdin (vgl. Stögner 2005: 37) belegt. Gleich im Anschluss meint Ilses Stimme aus dem Off über Felice, dass sich niemand so gut verstellen konnte wie Felice und sie dachte »Felice wäre viele Menschen und immer wenn man einen hat, wird man von ’nem anderen betrogen. Sie war wirklich schwer zu fassen«. Hier stellt sich zwar einerseits die Frage, inwiefern dies ein Hinweis darauf sein könnte, dass auch die Liebe zu Lilly ein Element des Verstellens zugunsten der Steigerung Felices Überlebenschancen beinhaltete und somit als implizite Dezentrierung Lillys Narrativ über die Geschichte der beiden gelesen werden kann, reproduziert aber auch die antisemitische Trope des hinterlistigen Juden bzw. der »nicht greifbare[n], irrlichternde[n]«

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(Krobb 1993: 250, zit. in Stögner 2005: 37) Jüdin. Auch das Stereotyp von Jüd:innen als krank und hysterisch (vgl. Gilman 1993: 76) wird aufgegriffen, als Felice in einem Streit mit Ilse insistiert: »Bei ›Felice spinnt‹ waren sich immer alle einig«. Die farbliche Kodierung von Felice, vor allem im Gegensatz zu Lilly produziert zudem eine Kontrastierung von weiß/schwarz bzw. hell/dunkel, besonders auch in den Momenten des Films, in denen beide gegeneinandergeschnitten werden oder zusammen im Bild auftauchen, wobei Lilly in vorwiegend hellen Kleidern sowie warm ausgeleuchteten Umgebungen gezeigt wird, während Felice in dunkle Kleider gehüllt oft vor dunkleren Hintergründen zu sehen ist. Die jeweils blonden und dunkelbraunen Haare der Schauspielerinnen unterstreichen diese Farbkodierung noch zusätzlich. Wie Frantz Fanon beschreibt, sind ›schwarz‹ und ›böse‹ in Darstellungen in Europa eng miteinander verknüpft (vgl. Fanon 1985: 123). Während schwarz für Tod, Schmutz und sonstiges Unheil stehe, symbolisiere weiß Frieden oder Unschuld (ebd.). Die Jüdin Felice und die Deutsche Lilly mit diesen Farbkodierungen zu belegen, spielt nicht nur antisemitischen Physiognomisierungen, bei denen ›jüdisch‹ und ›schwarz‹ gleichbedeutend werden (vgl. Gilman 1993: 173) in die Hände, sondern betont die (angebliche und wie sich in Bezug auf lesbische sexuelle Erfahrungen noch zeigen wird, doppelte) Unschuld Lillys, respektive des deutschen Kollektivs. Lillys Charakterisierung als naive Mitläuferin unterstreicht dies. Wie Koepnick (2002) argumentiert hat, kann die Figur der Felice auch als Spiegelfigur zu Süß Oppenheimer aus Veit Harlans antisemitischen Jud Süß (1940) gesehen werden (vgl. Koepnick 2002: 63f.). Dieselben Eigenschaften, die in Jud Süß als jüdisch und zu verabscheuend inszeniert wurden – geheimnisvoll, eskapistisch, modern – finden sich in Aimée und Jaguar als jüdisch und begehrenswert bzw. verführerisch wieder (was auch wenig uneindeutig so dargestellt wird – in der ersten längeren Unterhaltung von Lilly und Felice schenkt Felice Lilly wie aus dem Nichts einen roten Apfel und verschiebt das misogyne christliche Erbsündennarrativ in Richtung queer-jüdisch). Somit aktualisiert Aimée und Jaguar antisemitische Klischees bisweilen nicht nur, sondern setzt diese auch noch als Kontrastfolie für ›die deutsche Unschuld‹ ein.

Abb. 104–106: Aimée und Jaguar (D 1999, R: Max Färberböck)

Ein besonders perfides Beispiel findet sich in der Entschuldung der Deutschen durch jüdische Worte als Felice im Streit zu Ilse sagt: »Du verurteilst die Wust. Weil sie keine Meinung hat? Ist das schon ein Verbrechen?« und legt damit nicht nur nahe, dass so etwas wie eine ›unpolitische‹ Haltung existiere, sondern auch, dass eine solche keine Schuld auf sich laden könne. Durch seine revisionistischen Tendenzen schreibt sich der Film in den deutschen Nachwende-Heritage-Film ein, der aufgrund der Struktur einer po-

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sitiven Neuimagination Deutschlands auch mit dem Nachkriegsgenre des Heimatfilms in Verbindung gebracht wird. Aufgrund dieser Verbindungslinie von Heritage- und Heimatfilm wird der Film zum »Heritage/Heimat film« (vgl. Frey 2013: 4), welcher einen versöhnlichen Ton anschlägt und so die Identifikationsfantasien mit jüdischen Opfern für das deutsche Publikum ermöglicht (ebd.). Zusammen mit kostümfilmartigen Kulissen und Einstellungen, die den Holocaust ästhetisieren und stark emotionalisierend wirken wie beispielsweise eine Großaufnahme von Felices Gesicht, das durch die Flammen eines brennenden Klaviers hindurch aufgenommen wird und so darin aufzugehen scheint, wird der Film bisweilen auch zum »Holokitsch« (Spiegelman im Interview mit Löffler 2012). Damit oszilliert der Film zwischen der Produktion von Entschuldungsnarrativen und Infragestellung dieser. Die verschiedenen Erzählperspektiven im Film tragen mit dazu bei, diesen Eindruck des Oszillierens und der Vielstimmigkeit von Geschichte zu produzieren. Neben Ilses Voice-over wird das Geschehen an unterschiedlichen Stellen sowohl aus Felices als auch aus Lillys Perspektive verfolgt und weist auf die verschiedenen Fragmente einer Geschichte hin, die in der Zusammenschau teils widersprüchliche Narrative erzeugt. Auch wenn der Film nicht so multiperspektivisch verfährt wie das Buch, wird hier doch der Versuch gewagt, Multiperspektivität mit Konventionen des narrativen Spielfilms zusammenzubringen. Die Momente der Subversion oder Verkomplizierung und Multiperspektivität tragen insgesamt jedoch dennoch dazu bei, ein populäres Narrativ von nationaler Selbstvergewisserung in den 1990er Jahren in Deutschland eher zu stabilisieren als zu hinterfragen, indem sich das Publikum über Lillys Figurenentwicklung und die Kompliz:innenschaft mit dem jüdischen Widerstand als gerechtes und vom nationalsozialistischen Denken befreites imaginieren kann, während gleichzeitig antisemitische Klischee im Film bemüht werden und Versöhnung als zentrales Motiv auftritt. Alexandra Lynn Barron hat ähnliche Narrative in Literatur und Film, die das romantische Genre einsetzen, um eine Versöhnung zweier miteinander im Konflikt stehender Gruppen durch Paarbildung zu inszenieren, untersucht und queere Geschichten dieser Art in einem internationalen Kontext als queer national romance bezeichnet (vgl. Barron 2005). Die queer national romance ermögliche es dem Publikum, die Nation auf eine neue Art und Weise zu imaginieren (vgl. Barron 2005: vii). Die Bezeichnung leitet sie vom Genre der national romance ab, das sich im 18. Jahrhundert entwickelt hatte und indem zwei Liebende aus verfeindeten Nationen, oft eine imperiale Macht und deren Kolonie, zusammenkommen, wodurch der Konflikt zwischen ihren Nationen symbolisch geheilt wird (vgl. Barron 2005: 11). Die queer national romance, die nach demselben Muster verfährt, nur, dass es sich hier um ein nicht-heterosexuelles Paar handelt, wurde nach Barron 1985 mit dem Film My Beautiful Laundrette begründet (ebd.). Aimée und Jaguar als queer national romance gesehen verschärft die Frage nach der ideologischen Funktion des Darstellens der jüdisch-deutschen Versöhnung durch die lesbische Paarbildung. Das Oszillieren zwischen Selbstvergewisserung und Subversion relativiert sich gegen Ende des Films verstärkt, indem der Fokus immer mehr auf Lillys Leid gelegt wird. Neben der bereits beschriebenen Rahmung und der Tatsache, dass es die Begegnung zwischen Lilly und Ilse im Senior:innenheim die Binnenhandlung der Rückblende, innerhalb derer auch Felice eine eigene Perspektive bekommt, überhaupt erst in Gang setzt, ist es im

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Verlauf des Films zunehmend Lilly, deren Perspektive auf Geschehnisse dominiert. Nicht nur, dass Ilses Erzählstimme aus dem Off irgendwann einfach abbricht, als Felice nach Lillys Coming-out gegenüber ihrem Mann erneut untertauchen muss, wird Lillys Stimme kurzzeitig als Erzählstimme eingesetzt, als sie sich fragt, wo Felice ist und sie in der Dunkelheit ihrer Wohnung leidvoll Wartende eingeblendet wird. Nach Felices Verhaftung ist es wiederum Lillys Leid, das dem Publikum präsentiert wird; sie liegt weinend und schreiend am Boden, während das letzte Bild, das von Felice eingeblendet wird das ihrer Abführung durch die SS darstellt. Während Felices Verhaftung in einer halbnahen Einstellung festgehalten ist und somit das Hauptaugenmerk darauf gelegt wird, die Gesamtsituation zu erfassen, ist Lillys Weinen durch die Großaufnahme ihres den Boden berührenden Gesichts dargestellt, das somit Emotion betont und eine Identifikationsfläche für das Publikum bietet. Es stellt zugleich die letzte Einstellung der Rückblende dar, bevor die gealterte Lilly und Ilse wieder im Bild zu sehen sind. Während also die Identifikation mit Lillys Schmerz nahegelegt wird, wird Felice keine eigene Perspektive des Erlebens der Verhaftung und der folgenden Internierung zunächst in Berlin und die spätere Deportation nach Theresienstadt zugestanden.

Abb. 107–108: Aimée und Jaguar (D 1999, R: Max Färberböck)

Die Wendung vom Ernstnehmen von Felices Perspektive und der Inszenierung ihrer Figur als Figur, die unabhängig von Lilly existiert und agiert, verkommt hier zum Einsatz Felices als Folie für Lillys Leid und bestätigt die Fantasie von Deutschen als (›eigentliche‹) Opfer des Krieges bzw. ›der Nazis‹. Der Film lässt Lilly dennoch nicht völlig unkritisiert: In einer weiteren Rückblende wird deutlich, wie Ilse Lilly dafür verurteilt, dass sie Felice in Theresienstadt besucht hat und ihr eine Mitschuld an deren Tod anlastet (»Sie werden sie wegschicken. Weißt du, was du da getan hast, Lilly? Weißt du das?«). Auch im Gespräch zwischen Ilse und Lilly im Senior:innenheim kommentiert der Film Lillys Position zum Geschehenen, als Ilse Lilly auf ihre Klage, das Schicksal hätte sie betrogen antwortet: »Jaja, früher der Führer, jetzt das Schicksal. Immer was anderes. Möglichst was Großes. Tut mir leid, Lilly. Für den Witz bin ich zu alt. Du hast dich betrogen. Du. Und sonst keiner«. Während hier eine Dezentrierung der deutschen Opferstellung angedeutet wird, lenkt der Film jedoch nur Momente später ein, um im letzten Dialog von Lilly uns Ilse die Narration doch noch zumindest mit einer Unsicherheit in Bezug auf die Schuldfrage zu beschließen:

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Lilly: »War es meine Schuld, Ilse?« Ilse: »Ich weiß nicht, Lilly. Ich war mir immer sicher, zu sicher. Felice ist geblieben, weil sie dich geliebt hat und du bist zu ihr gefahren, weil du sie geliebt hast. Mehr kann ich nicht sagen«. Anschließend reicht Ilse Lilly mit den Worten »Na komm, Lilly« die Hand und zeigt somit Versöhnung an, unabhängig von Lillys Mitschuld. Diese Visualisierung einer Versöhnung reiht sich ein in die ins Bild gesetzten Versöhnungen Lillys und Felices in der Binnenerzählung: In zwei Szenen umarmen sich Lilly und Felice nach einem Streit innig, jeweils in naher Einstellung, die die Umarmung betont. Dabei wird die angesprochene farbliche Kodierung beibehalten und jeweils Lillys Gesichtsausdruck eingeblendet, während Felices Gesicht nicht zu sehen ist. Das (weiß-deutsche) Publikum hat Teil an Lillys Erleichterung und kann erleichtert mit ihr darüber aufatmen, dass sich die jüdische Figur mit ihr (in der Vergangenheit wie Gegenwart) versöhnen will. Diese allegorisch zu lesenden Versöhnungsmomente wirken also am Erlösungsnarrativ mit. Die historischen Figuren, die im Buch ihr Zeugnis ablegen und die im Film zur Figur der Ilse amalgamiert wurden, standen Lilly interessanterweise nicht so versöhnlich gegenüber. Im Gegenteil haben sie sich nach Felices Verhaftung von ihr distanziert (vgl. Fischer 1994: 289; Cormican 2004: 117). Der einzige Moment des Films, der eine Spur von Eingeständnis in Lillys nationalsozialistischer Gesinnung und deren Menschenverachtung ausdrückt, ist der Moment direkt nach Felices Coming-out als jüdisch und Lillys Antwort hierauf: »Wie kannst du mich lieben?«. Bemerkenswert ist dieser Moment auch, weil er im Kontrast zur Erzählung der historischen Lilly steht, die im Buch beschreibt, sie hätte auf Felices Offenbarung mit den Worten »Jetzt erst recht« reagiert. Der Film schreibt Lilly hier einen so nicht vorhandenen Moment der Selbstreflexion und des Eingeständnisses zu, der die Frage aufwirft, ob Lilly nicht doch mehr als eine naive Mitläuferin war. Die parallel angelegte Struktur zwischen Felices Coming-out als jüdisch vor Lilly und Lillys Coming-out als lesbisch vor ihrem Ehemann Günther wirkt jedoch sowohl als Relativierung der nationalsozialistischen Ideologie als auch als Geste der Neuimagination der Nation im Sinne der queer national romance. Während der Patriarch Günther auf Lillys Offenbarung mit Gewalt reagiert und mit Vergeltung droht, folgt auf Felices Coming-out vor der Nazi-Mitläuferin Lilly die Versöhnung. Damit wird in einem ›queer-national-romantischen‹ Gestus nahegelegt, dass lesbische Liebe Grenzen überwinden kann, die heterosexuelle Ehe nicht zu überschreiten vermag und durch die lesbische Liebe eine neue Nation als geläuterte und ausgesöhnte imaginiert werden kann. Darüber hinaus wirkt diese Konstruktion die nationalsozialistische Ideologie relativierend, da der Film nahelegt, dass diese als ›fehlgeleitet‹ erkannt und einfach abgelegt werden könne, wenn denn die:der richtige Partner:in eine:n in romantischer Vereinigung davon überzeugen kann, während patriarchales Machtstreben stärker wirkt als die (einige Szenen zuvor beteuerte) Liebe zu Frau und Kindern. Auch wenn der Film die Figur Lilly also nicht ganz ungescholten davonkommen lässt, dominiert am Ende jedoch ein romantisierender und versöhnlicher Ton, der es ermöglicht, Lillys und damit auch deutsche Unschuld zu imaginieren. Den Anspruch an den Film, eine weibliche Perspektive auf den Krieg darzustellen (vgl. Interview mit Färberböck im Bonusmaterial der DVD), löst der Film in großen Teilen ein. Männer bleiben abwesend oder Randfiguren, wenn

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sie keine Nazis sind, dann jedoch meistens ›mindestens‹ Patriarchen. Wenngleich die Darstellung weiblicher (und queerer, die Färberböck hier versäumt zu erwähnen) als historisch vernachlässigter Perspektiven auf das Erleben des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs löblich erscheint und einen Beitrag entgegen der »weiblichen Geschichtslosigkeit« (Bovenschen 2012: 88) darstellt, trägt sie in Aimée und Jaguar auch dazu bei, dass es größtenteils Frauen sind, die als Opfer des Kriegs imaginiert werden und arbeitet so auch an der »Ausbildung neuer Frauenmythen« (ebd.) mit. In der Kombination mit bereits ausgeführten Mechanismen ermöglicht der Film so einen weiteren Anknüpfungspunkt an ein nationales Selbstbild als Opfer, indem über die symbolisch mit der Nation assoziierte Frau und das etablierte Narrativ der Frau als Opfer (und Mutter als die Lilly immer wieder ins Bild gesetzt wird) nationale Identifikation mit deren Opferstatus stattfinden kann. In Bezug auf die Darstellung queerer Geschichten der Vergangenheit nimmt der Film eine ambivalente Position ein. Zwar kommt der Arbeit des immer weiteren Aus- und Aufbaus einer queeren Erinnerungskultur große Bedeutung zu (hierzu mehr im folgenden Abschnitt), in Verknüpfung mit einem nationalen Versöhnungs- und Normalisierungsnarrativ, das durch die vermeintliche Augenhöhe aufgrund des Fehlens einer gegenderten Hierarchie noch verstärkt wird, können diese Geschichten jedoch auch zu Homonormalisierung, die Integration in hegemoniale Verhältnisse befördert, beitragen und lassen es zu, Aimée und Jaguar als Narrativ einer queer national romance zu lesen.

Belonging als Becoming each other In Bezug auf die Inszenierung der Liebesgeschichte von Lilly und Felice wird neben der farblichen Kodierung, die Dichotomisierung erzeugt, auch eine zunehmende visuelle Angleichung der beiden inszeniert und produziert eine (weitere) Ambivalenz, die sich zwischen der Verbildlichung des beschriebenen Versöhnungsnarrativs durch die Auflösung der Differenz und der Visualisierung eines doing belonging bewegt. Im Verlauf des Films werden Felice und Lilly in unterschiedlichsten Szenen in Kleidung der jeweils Anderen sowie in Kleidern mit unterschiedlichen geschlechtlichen Konnotationen gezeigt (wie zu Beginn des Kapitels erläutert). Felice, die vor der Annäherung mit Lilly androgyner und maskuliner gezeichnet ist, wird nun auch in (Lillys) Kleidern eingeblendet; Lilly, die als Hausfrau eine normative kleidertragende cis Weiblichkeit verkörpert, ist bisweilen auch in Felices Anzug und nach deren Festnahme in androgynerer Kleidung zu sehen. Der erste Filmmoment, in dem der ›Kleidertausch‹ eingeblendet wird, wird in zwei gegeneinandergeschnittenen Szenen umgesetzt; zunächst wird Felice gezeigt, die in der Redaktion in einem grauen Hosenanzug auf einem Schreibtisch sitzend einen Brief von Lilly liest, anschließend wird die oben beschriebene Anfangsszene, in der Lilly Felice und die Kinder im Park fotografiert in einer längeren Version wiederholt, Lilly Felices grauen Hosenanzug tragend. Es ist deshalb bedeutend, dass es zuerst Lilly ist die in Felices Anzug gezeigt wird, da somit auf die ungleich größere Transformation Lillys hingewiesen wird. Das grau als Mischung aus schwarz und weiß symbolisiert hier das Verschmelzen von Lilly und Felice und trägt dabei die Trope von der Gleichsetzung von Identifikation oder Impersonifizierung mit Anziehung zwischen Frauen (vgl. Sieg 2002: 312) weiter. Die Verflüssigung der Gender-Präsentationen wird in den zwei sich direkt anschließenden Szenen durch die Gegenüberstellung zwei konträr geschlechtlich kodierter Auf-

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tritte der Figuren erreicht. Zunächst werden Lilly und Felice dabei gezeigt, wie sie sich füreinander zurecht machen, Lilly noch immer im selben Anzug, nun aber mit Hemd und Fliege, Felice in einem rot-weiß karierten, dirndlähnlichen Kleid. Lilly wird zum ersten Mal im Film rauchend gezeigt, sie tanzen und lachen. Direkt im Anschluss folgt die Einblendung einer Szene von Lillys Geburtstagsfeier mit Felices Freundinnen. Felice ist hier im schwarzen Smoking mit Zylinder zu sehen, während Lilly in einem ausladenden Ballkleid den Raum betritt und die beiden wiederum miteinander tanzen. Durch die Inszenierung des code switchings wird problemlos Fluidität zwischen lesbischen Subjektpositionen zwischen butch und femme suggeriert und mit einem Gleichheitspostulat (lesbischer Beziehungen) verknüpft. Mit sich intensivierender, emotionaler Bindung verstärkt sich das Aufbrechen der zuvor als fixierter inszenierten Gender-Kodierung und referenziert die Trope der Befreiung von gesellschaftlichen Rollenerwartungen in lesbischen Beziehungen. Anders als Sieg (2002), die in diesem Prozess ein An-Sich-Reißen und damit Eliminieren Felices durch Lilly sieht, funktioniert das Sich-Ähnlicher-Werden in Aimée und Jaguar m.E. in beide Richtungen und ist gerade durch die Lust am Schauen, die hierdurch kreiert wird, auch ideologisch wirksam. Während die Feminisierung Felices (im Vergleich zur historischen Felice, die als eher tomboyish beschrieben wird (vgl. Fischer 1994)) als Bedienen eines männlichen Blicks kritisiert werden könnte, kann es jedoch auch als Ästhetisierung queerer Femininität gelesen werden, durch die gerade das Stereotyp der Nachahmung vergeschlechtlicher Rollen in lesbischen Beziehungen durchbrochen wird. So kann die stilisierte Femmeininität Felices und Lilly in diesem Zusammenhang durchaus die Transgression und Denormalisierung des Heteropatriarchats betonen. Der Einsatz von Tanzszenen für die Darstellung von Transgression und Normhinterfragung ist dabei kein Zufall. Die Akte des Tanzens stellen Augenblicke dar, durch die die Narration unterbrochen und »utopische oder traumhafte Momente« (vgl. Figge 2015: 330) geschaffen werden. In diesen Momenten der Suspendierung von Narration werden damit Räume des Übergangs, eine »Potentialität ›anders‹ zu werden, sich zu verändern« (ebd.) produziert. Wie Wibke Straube ausführt, können Tanzmomente im Film »space[s] of ›escape‹« (Straube 2014: 94) werden, innerhalb derer neue Verbindungen durch körperlichen Kontakt und gemeinsame Bewegung hergestellt werden können (ebd.). Tanz unterstützt im Film also Momente des queeren (Ähnlicher-)Werdens und der Transformation weg von rigiden Gender- und Sexualitätskonzepten. Begleitet sind die beiden Tanzszenen von Blicken in den Spiegel und Aufnahmen durch eine Fotokamera. Diese Momente des sich selbst und gegenseitigen Anschauens unterbrechen hegemonial männliche Blickregime, inszenieren lesbische Schaulust und zelebrieren eine queere Ästhetik der 1920er-Jahre wie sie im kollektiven Gedächtnis verankert ist und unentwegt in der Popkultur reproduziert wird. Das gemeinsame Werden, das Ähnlicher-Werden, das Aneinander-Angleichen wird besonders in der ersten Sexszene zwischen Lilly und Felice verdeutlicht. Zu Beginn sind beide in kurzen Nachthemden zu sehen, Felice in einem schwarzen, Lilly in einem weißen, wodurch die bisher eingesetzten Farbkodierungen wiederholt und direkt nebeneinandergeschnitten werden. Nach mehreren Sekunden, in denen Lilly dabei gezeigt wird, wie sie zittert und schluchzt, während Felice versucht sie zu beruhigen, schlingt Lilly schließlich ihre Arme um den nun nackten (und damit nicht mehr schwarz kodierten) Oberkörper Felices, mit den Worten »Es ist zu viel. Ich kann nicht aufhören zu zittern«.

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Indem die Kamera nun Felice folgt, die ihren Kopf auf eine Ebene mit Lillys Kopf bringt und sagt »Ich auch nicht. Wir zittern beide…um die Wette«, wird eine Enthierarchisierung zwischen der erfahreneren Felice und der noch unerfahrenen Lilly vorgenommen, die sich fortführt, als sich die beiden nebeneinanderliegend – und nicht wie zuvor Felice auf Lilly liegend – schließlich küssen. Enthierarchisierung geht hier einher mit Verschmelzung. Belonging wird in Aimée und Jaguar also größtenteils als becoming each other imaginiert. Dieses bleibt jedoch ambivalent, auch wenn Lilly Felice nicht nur ›inkorporiert‹, da sich das becoming each other nahtlos in die beschriebenen Selbstvergewisserungsnarrative einschreibt – denn genau durch diese Momente der Schaulust, der (vermeintlichen) Subversion, der Anteilnahme an der Zelebrierung ihrer Liebe durch das Aufführen queerer Ästhetiken funktioniert die Sympathielenkung im Film, sodass das Publikum die ideologischen Implikationen des Versöhnung-/Entschuldungsnarrativs entweder nicht bemerkt oder billigend in Kauf nimmt. Die durch die Einbettung in eine leicht konsumierbare Filmsprache nostalgischer Heritage-Filmbider vorangetriebene Normalisierung lesbischer Liebe in der Kombination mit vermeintlich progressiven Figuren fügt sich demnach auch leicht in ein Narrativ der queer national romance nicht nur von deutsch-jüdischer Versöhnung und deutscher Entschuldung, sondern auch deutscher Einheit nach der Vereinigung ein, in der eine Vielfalt von Lebensentwürfen zelebriert wird, so lange sie (vergangenheits)normalisierenden Interessen dient.

Queere Erinnerungsarbeit und queere Zeitlichkeit In Aimée und Jaguar überschneidet sich, wie beschreiben, die Inszenierung einer Erinnerung an die Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland (und den von Deutschland okkupierten Gebieten) im Nationalsozialismus mit der Erinnerung an ein Fragment queerer Geschichte. Somit wird der Film Teil des queeren kollektiven Gedächtnisses, das in der Sichtbarmachung queerer Geschichte immer auch mit dem Imperativ des ›nicht Vergessens‹ traumatischer Geschichte einhergeht (vgl. Cvetkovich 2003: 242). Im von Cvetkovich angeführten Anspruch des ›Nicht Vergessens‹ wird deutlich, wie traumatische queere Geschichten sich mit denen des Holocaust und den antifaschistischen Forderungen des Nicht-Vergessens verbinden und kreuzen können.

Abb. 109-110: Aimée und Jaguar (D 1999, R: Max Färberböck)

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Abb. 111-112: Aimée und Jaguar (D 1999, R: Max Färberböck)

Die Verfolgung nicht der Heteronorm entsprechender Menschen gestaltete sich im nationalsozialistischen Deutschland mehrschichtig. Während männliche Homosexualität mit dem §175 kriminalisiert wurde, traf dies auf weibliche Homosexualität nicht in gleicher Weise zu (vgl. Schoppmann 1997: 5), da Frauen in der NS-Frauenpolitik als vom Mann abhängig gesehen und ihnen damit selbstbestimmtes sexuelles Begehren abgesprochen wurde (vgl. Hájková/Bosold 2017). Dennoch waren auch Lesben Repression und bisweilen Verfolgung ausgesetzt und wurden oft in Kombination mit anderen Vorwürfen immer wieder verhaftet und als ›asozial‹ Stigmatisierte in KZs interniert (vgl. Schoppmann 1997: 246). Weiterhin waren auch Lesben von der Auflösung von Szene-Lokalen und -Treffpunkten sowie der Gefahr von Festnahme durch Razzien solcher betroffen (vgl. Schoppmann im Interview mit Schulteß 2018). Auch weibliche Homosexualität galt als ›entartet‹, weswegen Frauen, die auffielen auch immer von Denunziation bedroht waren (ebd.). Die Erinnerung an lesbische Liebe zu Zeiten des NS in Filmen wie Aimée und Jaguar kann also auch dazu beitragen, die Erinnerung an Verfolgung und Unterdrückung von Lesben im NS am Leben zu halten. Im Film sind Repression und Diskriminierung lesbischer Liebe hauptsächlich durch die Abwesenheit öffentlicher Treffpunkte sowie die verächtlichen Reaktionen von Lillys Mann Günthers und Ilses Vater dargestellt, wodurch der Zusammenhang von Lesbischsein und Prekarisierung deutlich gemacht wird. Da queere und dabei besonders lesbische Geschichte zu Zeiten der Ausstrahlung von Aimée und Jaguar (und immer noch) in Bezug auf den NS größtenteils durch ihr Fehlen charakterisiert ist, verwundert es nicht, dass der Film national wie international von LBTIQ* Communities breit rezipiert und als Meilenstein zelebriert wurde (vgl. Zeller Thomas 2014: 63f.). Wie Zeller Thomas beschreibt, wurde der Film damit zu einem kulturellen Symbol kollektiver Identität queerer Communities und kann auch als Zeichen des sich globalisierenden Erfolgs queerer Bewegungen gelesen werden (vgl. Zeller Thomas 2014: 64). So trägt der Film trotz (oder vielleicht gerade wegen?) seines national selbstvergewisserndern Gestus zu einer transnationalen queeren Erinnerungskultur bei. Diesen affirmativen Rezeptionen des Films durch queere Communities wurde vor allem mit den Vorwürfen der Vereinnahmung des Narrativs und damit der Trivialisierung der Grauen der Shoah (ebd.) sowie Enthistorisierung (vgl. Zeller Thomas 2014: 87) begegnet. Es wird also deutlich, dass sich der Film auch in der Rezeption in einem Spannungsfeld bewegt, zwischen (dem doppelten) ›Never forget‹ und der Instrumentalisierung durch eine globalisierte Homorechtsbewegung. So ruft er unter unterschiedlichen Vorzeichen bei unterschiedlichem Publikum Huldigung wie Ablehnung hervor.

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Besonders durch die affirmative Rezeption kann der Film zu homonationalistischem Marketing Deutschlands im Kontext eines globalen gay prides beitragen, sodass sich zeigt, wie nationale Konsolidierung und transnationale Homonormalisierung miteinander einhergehen können. Aus der Perspektive queerer Zeitlichkeit gesehen, kann der Film jedoch auch Momente des »touching across time« (Dinshaw in Dinshaw et al. 2007: 178) ermöglichen und lineare Geschichtsschreibung hinterfragen. Besonders die Figur der Felice wird hier bedeutend. Zwar klingen in der Figur Lilly Momente der Abwendung von linearen, heteronormativen Zeitregimen an, wenn sie beschreibt, wie sie in den letzten 50 Jahren nur »ein Gedanke, ein Gesicht, ein Name« beschäftigt hat, zusammen mit dem Austreten aus der heteronormativen, reproduktiven Linearität durch die Trennung von Günther zugunsten der Beziehung mit Felice; das Familienleben, das sie mit Felice hat, die monogamen Vorstellungen von Beziehung, die sie vertritt, wie auch der Ehevertrag, den sie mit Felice schließt, versehen sie jedoch auch mit eher homonormativen Markern, die ein heteronormatives Zeitlichkeitsmodell nur insofern überschreiten, als dass sie es nicht-heterosexuell replizieren. Felice hingegen verschreibt sich weder Monogamie, auch als sie bereits mit Lilly zusammen ist, noch hat sie Interesse an der Zukunft oder einem ›für immer‹, wie die gealterte Ilse in einer der letzten Szenen Lilly berichtet: »Weißt du, was Felice gesagt hat? Die Wust, das gierige Stück, kriegt den Kragen nicht voll. Da lässt sie mich einen Vertrag unterschreiben. Für immer, für immer! Das klingt wie ›n Grabstein«. Besonders Felices eigene Aussagen in der letzten Filmszene sind für ein Verständnis von Felice als Figur, durch die ein Konzept queerer Zeitlichkeit im Film vertreten wird, instruktiv. In dieser Szene spielen Felice, ihre Freundinnen Klärchen, Ilse, Erika und Lilly Karten, während im Hintergrund das Lied »Für immer und immer« spielt und Anlass zu einer Unterhaltung über Zeit und Liebe gibt: Felice: »Für immer und immer – ein Totengesang« [.] »Und du, Maus, da hinten, was sagst du?« Lilly: »Wozu?« Felice: »Na, ewige, einzige, ideale, große Liebe« Lilly: »Man kann danach suchen, find ich« Klärchen: »Ach schrecklich, eine einzige große Liebe und dann noch danach suchen? Klingt furchtbar« […] Felice: »Das Leben ist nicht so, es kratzt und schabt und irgendwann fängt man an, die Fenster zu putzen« Lilly: Wird mir nicht passieren« Felice: »Na hört, echte Romantik. Sie ist von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, das ist ihre Welt« Lilly: »Und du? Was willst du, Felice?« Felice: »Ich? Dich, euch, alle, alles! Aber ich begnüge mich mit einem Moment, nur einem. So vollkommen, dass er für das ganze Leben reicht« Klärchen: »Das ist ja ganz leicht, wo gibt’s sowas?« Felice: »Na jetzt zum Beispiel. Der hier, der ist doch ganz gut. Ich will nicht für immer,

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ich will jetzt und jetzt und jetzt […]. Ich will jede Menge jetzt und ich will es so lange, bis ich alt und grau bin«. Mit der Figur Felice wird die »Inszenierung von Unsterblichkeit« (Gradinari 2021), die für eine nationale Allegorisierung wichtig ist (ebd.), unterbrochen und ein Kontrapunkt zum vereinheitlichenden Nationalnarrativ gebildet. So macht der Film in seinen finalen Momenten doch noch auf die Geschichts- und Normalisierungskonstruktion, an der er selbst mitwirkt, aufmerksam und installiert die jüdische queere Figur als subversive, die in hegemoniale und heteronormative Nationsnarrative interveniert. Darüber hinaus wird in dieser Konversation Lillys Narrativ der Liebesgeschichte in Frage gestellt und ein Bezug zu Erica Fischers Zweifeln im Buch hergestellt: »Ich glaube nicht, daß Jaguar bei Aimée geblieben wäre. Lilly wußte das […]. Sie [Jaguar] muß es sich gefallen lassen, der ewigen Verklärung anheim zu fallen« (vgl. Fischer 1994: 290). Diese ›ewige Verklärung‹ durchbricht der Film mit dieser Szene als Schlusspunkt des Films und ironisiert damit seinen eigenen Untertitel einer »Liebe größer als der Tod«. Das Thema der romantischen Liebe wird auf eine Meta-Ebene gehoben, wodurch nicht nur Genre-Konventionen der (queer national) romance reflektiert werden, sondern auch die Effekte der teils kitschigpathetischen Melodramatisierung der Liebeserzählung abgeschwächt werden. Im Abschwören heteronormativer Zeitlichkeit ohne Monogamie und Zukunft, in einer Aneinanderreihung von Momenten im Jetzt nimmt der Film Lee Edelmans Einsatz für eine queere Ethik in No Future. Queer Theory and the Death Drive (2004), welche sich weigert, sich reproduktivem Futurismus zu verschreiben, vorweg. Für Edelman könne queere Theorie dazu dienen »[to] disidentify with the promise of futurity« (Edelman 2004: 27). Die verbalisierte Disidentifikation mit romantischer Liebe und reproduktivem Futurismus betont nicht nur die Queerness der Figur Felice, sondern unterstreicht die vorangegangene Binnenerzählung als Konstruktion. Queere Zeitlichkeit wird hier also zum Katalysator für das Hinterfragen eines normalisierenden Narrativs der Versöhnung und Rehabilitierung Deutschlands im Post-Faschismus und bietet dem Publikum (doch noch) die Möglichkeit die den Film dominierende Narration kritisch zu betrachten. So gesehen produziert der Film neben dem selbstvergewissernden Normalisierungsnarrativ auch Momente mit, die die Werkzeuge, die es ermöglichen dieses Narrativ zu befragen, bereits mitliefern.

Zusammenfassung Aimée und Jaguar verhandelt anhand des queeren deutsch-jüdischen Versöhnungsnarrativs die (neue) Bedeutung der sich normalisierenden Nation nach der Wende. Während die Marginalisierung und Auslöschung jüdischen Lebens im Nationalsozialismus verdeutlicht wird, ohne auf entwürdigende Darstellungen von Vernichtung zurückzugreifen, aber jüdische Vernichtung zugleich ästhetisiert und Multiperspektivität eingesetzt wird, um die Vielstimmigkeit von Geschichte darzustellen, konstruiert der Film über die lesbische Liebesgeschichte vermittelt auch ein Narrativ jüdisch-deutscher Versöhnung und wirkt damit auch als Narrativ einer homonormalisierenden queer national romance wie auch eines das nationale Selbstbild stabilisierenden Heritage-/Heimatfilms. Geschichte wird dabei als Fortschritt und als Rückschritt zugleich dargestellt. In Referenzen auf Weimarer queere Kultur wird das ›Jetzt‹ der Rückblende im NS zum re-

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pressiven Rückschritt, im Vergleich zum ›Jetzt‹ der alten Lilly und Ilse (1999) wird Geschichte als Fortschritt dargestellt und die Jetzt-Zeit der 1990er Jahre als eine ›bessere‹ Zeit für queere Menschen sowie eine Zeit, die das Erbe des NS überwunden hat, imaginiert. Normalisierung deutscher Geschichte geht also mit Normalisierung queeren Begehrens einher. Dennoch bereichert der Film queere Erinnerungskultur um einen raren Beitrag über lesbische Liebe in Zeiten des Nationalsozialismus und kann somit als zu gesellschaftlichen Diskursen beitragend gesehen werden, die das Konstruieren von Erinnerungskulturen aus marginalisierten Perspektiven heraus ermöglichen. Genderpräsentation und Sexualität werden als fluide Kategorien gezeigt, während queere Weiblichkeit als subversives Potenzial in der Hinterfragung heteropatriarchaler Normen eingesetzt wird, wobei durch die so erreichte Sympathisierung mit den Figuren gleichzeitig das queer-nationale Narrativ bestärkt wird. Der ambivalente Status von Queerness im Film verschränkt sich mit der ebenso ambivalent inszenierten Un/schuldsfrage, in Bezug auf welches sich – besonders in Momenten der Ausstellung oder Hinterfragung von Lillys Deutungsmacht – auch kritische Identifikationspunkte ausmachen lassen. Dominant bleibt schließlich jedoch das Narrativ der Versöhnung, das national selbstvergewissernd wirkt und hinterlässt ein Bild einer rehabilitierten deutschen Nation, das dazu beiträgt, diese zu Ende der 1990er Jahre als neoliberale und geläuterte ›Einheit in Vielfalt‹ zu imaginieren. Was hier entwickelt wird, ist also ein inklusiver Nationsbegriff in einem Genre, das als stark identitätsstiftendes in Bezug auf nationale Konsolidierung angelegt ist. Trotz oder gerade aufgrund der nicht-heterosexuellen Wendung der Genrekonventionen kann der Film doppelt identitätsstiftend wirken und Deutschland als in Bezug auf die Geschichte normalisiert und – einem internationalen Trend der Queer National Romance folgend – in Bezug auf Heterosexualität modernisiert imaginiert werden. Nationale Konsolidierung und transnationale Homonormalisierung geben sich hier die Hand.

5.4.3 Der Einstein des Sex Queere Biopics und Historienfilme Mit der erstmaligen Verwendung des Begriffs ›Biopic‹ 1951 (vgl. Taylor 2002: 20) stellen Filme über das Leben und Wirken berühmt gewordener historischer Persönlichkeiten ein Genre mit langer Tradition in der Filmgeschichte dar und können als »Spielart des historischen Films« (Taylor 2002: 21) gesehen werden. Biopics über queere Personen wurden seit Beginn der 1990er Jahre populärer. Dabei sind vor allem zunächst Filme über einflussreiche schwule Männer entstanden. Nachdem die patriarchale Ordnung biografische Filme, die dazu dienen sollen, »eine[…] allgemein bekannte[…] historische[…] Persönlichkeit, die etwas Interessantes im Leben geleistet hat« (Künemund 2018: 142), vor allem über heterosexuelle, weiße cis Männer hervorgebracht hat (vgl. Künemund 2018: 143), scheint es nicht verwunderlich, dass auch die ersten Reihen von Filmen über nichtheterosexuelle historische Personen männlich dominiert waren, zumal dies auch auf das NQC allgemein, wie an anderer Stelle bereits angeführt (vgl. Kapitel 5), sowohl in Bezug auf Filmschaffende als auch Figuren in dargestellten Geschichten, zutraf. Das Biopic kann als »hybride, aber aktive Neuschreibung von Geschichte« (Taylor 2002: 71) gesehen werden, bei dem Fiktion und Nichtfiktion miteinander verschaltet werden (vgl. Taylor

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2002: 78). Damit wird auch die Biopic-Figur zu einer hybriden, die einerseits fiktional, aber auch in der historischen Vergangenheit existiert habend (vgl. Taylor 2002: 90ff.). Biopics vermischen sich demnach auch immer mit anderen Genres, speziell dem melodramatischen Modus, in dem sich Kampf um Gerechtigkeit und die Gegenüberstellung oder Verbindung von Persönlichem und Kollektivem, dem Individuum und der Nation, besonders gut erzählen lässt (vgl. Taylor 2002: 88). In historischen Filmen, wie sie Biopics immer auch darstellen, wird zudem vermittelt über die Vergangenheit eine Aussage zur Gegenwart gemacht: »Films that engage history are more concerned to explore the present in relation to the past: history, directly or indirectly, becomes the subtext to address contemporary issues« (Landy 1990: 18, zit. In Taylor 2002: 87). In der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart produzieren historische Filme eine »mythische Neuschreibung« (Taylor 2002: 87) von Geschichte und schreiben diese auf doppelte Weise, im Gestern und im Heute (vgl. Lagny 1997: 471). Populäre queere Biopics46 , die seit den 1990er Jahren entstanden sind, die an dieser Form der Geschichtsschreibung mitwirken, umfassen beispielsweise Edward II (1991) von Derek Jarman, Wilde (1997) von Brian Gilbert, Bennett Millers Capote (2005) oder Milk (2008) von Gus Van Sant. Rosa von Praunheims Der Einstein des Sex – Magnus Hirschfeld (1999) ist neben seiner Dokufiktion Ich bin meine eigene Frau (1991) über und mit Charlotte von Mahlsdorf einer der ersten und wenigen queeren Biopics im deutschsprachigen Raum. Rosa von Praunheim machte sich 1971 mit Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt einen Namen und gab damit auch Anstoß für die Politisierung der schwul-lesbischen Szene in Deutschland (vgl. Dawson 2015: 4). Sein filmischer Output ist enorm und er wurde über die Jahrzehnte zu dem Namen, der in Verbindung mit deutschem queerem Film gebracht wird (ebd.). Sabine Hake teilt von Praunheims Werk, das sie als »aktivistische Einstellung zu den Rechten der Homosexuellen« (Hake 2004: 298) einnehmend beschreibt, in drei Kategorien: Filme, die auf polemische Art und Weise gegen Diskriminierung arbeiten, Low-BudgetMelodramen und Dokumentarfilme über Personen aus der Geschichte der Homorechtsbewegung (vgl. Hake 2004: 298f.). Der Einstein des Sex macht für Christopher Treiblmayr eine vierte Kategorie auf, da es sich für ihn hier um einen »Historienfilm in Spielfilmlänge« (Treiblmayr 2015: 259) handle. Dass gerade von Praunheim, die »Kristallationsfigur der Zweiten Homosexuellenbewegung in Deutschland« (Treiblmayr 2015: 273) einen Film über den Begründer der Ersten Homorechtsbewegung Hirschfeld hervorgebracht hat, kann dabei als weitere Ebene der Verschränkung von Vergangenheit und Gegenwart gedeutet werden. Mit der historischen Person Magnus Hirschfeld hat sich u.a. der Hirschfeld-Biograph Manfred Herzer ausführlich beschäftigt. In Bezug auf das Jüd:innentum scheint Hirschfeld sich nach Herzer am ehesten als Atheist gesehen zu haben und empfand

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Jan Künemund stellt in Frage, ob es so etwas wie ein queeres Biopic überhaupt geben kann, wenn das Genre Biopic mit filmischen Narrationsstrategien arbeitet und kommt zu dem Ergebnis, dass Filme über queere Personen, die den Konventionen des Biopics entsprechen, kein Queer Cinema sein können bzw. queeres Kino über queere Personen keine Biopics sind (vgl. Künemund 2018). In Anlehnung an die Überlegungen zu queerem Kino und der Ausrichtung der Arbeit mit Blick auf Filme, die als ›queere‹ verhandelt werden (vgl. Kapitel 3.3), übernehme ich diese allgemeine Einteilung nicht, wenngleich ich Künemunds Darlegung für nachvollziehbar halte.

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sich im Ausgesetztsein antisemitischer Angriffe »als Opfer einer Zwangsidentifikation von seiten der Rassisten und Nazis« (Herzer 2001: 54). Der Sozialdemokratie scheint er sich im Studium zugewandt zu haben und er kann dem rechten Flügel der Partei, die eher an Reformpolitik als Revolution interessiert war und den 1.Weltkrieg befürwortete, zugerechnet werden (vgl. Herzer 2001: 56f.). Zur Auseinandersetzung mit Homosexualität habe ihn nach eigener Aussage die Verfolgung des Prozesses um Oscar Wilde und der Suizid eines seiner homosexuellen Patienten veranlasst (vgl. Herzer 2001: 94). Eine eigene nicht-heterosexuelle Orientierung Hirschfelds blieb zu seinen Lebzeiten nur Spekulation, wurde von seinen Gegner:innen u.a. den Nazis als Tatsache, die sich politisch gegen ihn wenden ließ, verwendet (vgl. Herzer 2001: 140ff.). In seinen letzten Lebensjahrzehnten scheint er seine Homosexualität jedoch offener gelebt zu haben (vgl. Herzer 2001: 152). Hirschfelds Lehre wird bis heute kontrovers diskutiert. Wo kritische Stimmen vor allem seine Zugewandtheit zur Eugenik, seinen Biologismus und die Prägung des Wortes ›Transvestit‹ als von Homosexualität abzugrenzendes Phänomen monieren (vgl. Traiblmayr 2015: 263f.) und seinen Ideen bereits in den 1930er Jahren Obsoleszenz attestieren (vgl. Herzer 2001: 27f.), halten andere Hirschfelds Zwischenstufenlehre für den Anfang einer »wissenschaftlich begründete[n] Auflösung binomer Sexuiertheit« und damit einen »epochalen Paradigmenwechsel im Verständnis der menschlichen Sexualdifferenz« (vgl. Bauer 2004: 39). Hirschfeld Zwischenstufenlehre hatte die Idee zum Gegenstand, dass »alle Menschen […] intersexuelle Varianten« (Ramien47 1896: 49, zit. in Bauer 2004: 41, Herv.i.O.) sind und stellte somit die Einteilung in Mann und Frau sowie Hetero- und Homosexualität in Frage. In Folge der Zerstörung des Instituts für Sexualwissenschaft 1933 und des Nationalsozialismus gerieten seine Ideen in Vergessenheit bzw. wurden auch nach dem Ende des NS in der Bundesrepublik tabuisiert (vgl. Herzer 2001: 32f.). Dies lag wohl in großen Teilen an der Besetzung relevanter Institutionen mit Nationalsozialisten, die sich dezidiert von Hirschfeld abzugrenzen wussten (ebd.). Ab 1970 setzte sich eine Lesart durch, die Hirschfeld in seiner Hinwendung zur Eugenik gewissermaßen als ›Vordenker‹ des NS-Eugenik sehen wollte, auch wenn Hirschfeld selbst im Gegensatz zu nationalsozialistischen Ideologien immer auf Freiwilligkeit und Selbstbestimmung beharrte (vgl. Herzer 2001: 36). Erst seit den 1980er Jahren entstand wieder eine vermehrte Auseinandersetzung mit Hirschfelds Person und Werk und mündete in die Gründung der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft 1982 (vgl. Dose 2013) und 2011 mit der Gründung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in eine staatlich verankerte Institution (vgl. Bundesstiftung Magnus Hirschfeld 2019). Rosa von Praunheims Film über die historische Person Magnus Hirschfeld wurde zwischen 1999 und 2004 auf mehreren internationalen Filmfestivals gezeigt, darunter das São Paulo International Film Festival 1999, das Miami Gay and Lesbian Film Festival 2000 oder das Reykjavik Gay and Lesbian Film Festival 2004 (vgl. Internet Movie Database o.J. d). Der Filmemacher sieht seinen Film selbst als den wohl massentauglichsten, mit dem er die historische Person Hirschfeld respektiert sehen möchte:

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›Theodor Ramien‹ war ein Pseudonym, das Hirschfeld verwendete (vgl. Herzer 2001: 244).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

»›Der Einstein des Sex‹ ist, glaube ich, mein konventionellster Film. Manche wird es vielleicht enttäuschen, dass der Film eine richtige Geschichte mit spannenden Charakteren erzählt, bei der man am Schluss auch weinen kann. Ich wollte, dass die historische Figur des Vaters der Schwulenbewegung, Magnus Hirschfeld, ernst genommen wird und die Sittengeschichte der Jahrhundertwende glaubhaft wirkt« (vgl. von Praunheim o.J.). In der akademischen Rezeption hat der Film bisher nicht sehr viel Aufmerksamkeit erhalten. Zwar wird er im Zusammenhang mit von Praunheims Filmschaffen wahrgenommen (vgl. z.B. Dawson 2015: 4), doch als eigenständiger Film wurde er bisher kaum genauer betrachtet. Lediglich Christopher Treiblmayr analysiert Der Einstein des Sex aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive mit Blick auf männliche Homosexualität im deutschen Kino der 1990er Jahre und kommt zu dem Schluss, dass der Film zwei politische Aussagen nahelegt: Die Notwendigkeit der Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen und den Wunsch nach Re-Politisierung der Schwulenbewegung in Deutschland (vgl. Treiblmayr 2015: 277). Wenngleich hiermit ein Anfang gemacht ist, steht eine Analyse des Films bezüglich des interdependenten Ineinandergreifens von Sexualität und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit jedoch aus. Ausgehend von der Idee der »mythische[n] Neuschreibung« (Taylor 2002: 87) von Geschichte durch historische Filme und damit Biopics über historische Personen der Vergangenheit, werde ich in meiner Analyse untersuchen, wie in Der Einstein des Sex die Verschränkung von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und Queerness funktioniert und dabei ausloten, zu welchem Bild von deutscher Geschichte (der Schwulenbewegung) und Gegenwart der Film hierdurch beiträgt.

Der Einstein des Sex – zwischen Erinnerung und Heroisierung? Rosa von Praunheims Film folgt der Figur Magnus Hirschfeld (Kai Schumann (jung), Friedel von Wangenheim (alt)) chronologisch in vignetten-, oft sketchartigen Szenen und Episoden, die ein Ich-Erzähler (Hirschfeld (alt) selbst) in einer Voice-over-Narration als allwissender Erzähler über den Film hinweg kommentiert. Dabei werden besonders die Themen der Arbeit als Arzt, Sexologe und Reformer, Hirschfelds Privatleben und die antisemitischen Angriffe gegen Hirschfeld verhandelt. Der Film folgt der öffentlichen Person Hirschfeld bis zu Gründung und Zerstörung des Instituts für Sexualwissenschaft sowie der Privatperson Hirschfeld von der Kindheit, durch Jugend und Erwachsenenleben mit seinen Liebschaften hindurch bis ins französische Exil, in dem er stirbt. Die ersten Minuten etablieren die Erzähl- und Gestaltungselemente sowie Themen, die sich durch den Film hindurchziehen. Zunächst wird das Panorama eines Strands und der Blick auf das Meer zusammen mit Einblendung des Schriftzugs »1878 Ostseestrand in der Nähe von Kolberg« gezeigt, im Kameraschwenk kommt ein malendes Kind ins Bild, das nun von vorne gezeigt wird. Hinter dem Kind tritt ein preußischer Polizeibeamter ins Bild und schaut dem Kind beim Malen über die Schulter. Der Kamerablick fällt auf das Bild und zeigt die gemalte Darstellung zweier kopulierender Hunde. Der Polizeibeamte packt das Kind am Ohr und zieht es mit sich. In der sich anschließenden Szene ist das Kind – Magnus – mit dem Vater zu sehen, der ihm versichert, dass es »nichts Schlechtes« sei »die Dinge dieser Welt sehen zu wollen«, spricht ihm zu, sich nicht zu

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schämen und bietet ihm ein Ingwerstäbchen an. Der Vater fragt Hirschfeld, was er denn einmal werden wolle, worauf die Erzählstimme aus dem Off mit den Worten einsetzt »Das konnte ich Vater natürlich nicht sagen«, während auf der Bildebene Hirschfelds Buch Geschlechtskunde eingeblendet und durchblättert wird. Die Einblendung von Ort und Zeit, die das Geschehen im Leben von Magnus Hirschfeld situiert und als gestalterisches Mittel u.a. im Dokumentarfilm häufig gebraucht wird sowie der Einsatz des Ich-Erzählers, wirken authentifizierend, legen damit einen Wahrheitsgehalt des Dargestellten nahe und stehen im Kontrast mit der faktischen Fiktionalisierung des Gezeigten. Diese Verbindung aus Fiktion und Authentifizierung, der Verknüpfung von Fakten aus Hirschfelds Leben mit fiktionalen Elementen, zieht sich durch den Film und hat einerseits den »paradoxe[n] Effekt eines gesteigerten Wahrheitsgehalts […], obwohl die Fakten nicht stimmen« (Herzer 2001: 21), macht andererseits auf den Umstand der immer vorhandenen Konstruiertheit von Geschichte(n) aufmerksam (sofern das Publikum sich der Nicht-Faktizität bewusst ist). Durch Hirschfelds Zeichnungen und deren Verbindung zu seiner späteren Arbeit als Sexologe wird bereits vom ersten Moment eine Kohärenz der Persönlichkeit nahegelegt. In der Antwort aus dem Off auf die Frage Hirschfelds Vaters, was er denn einmal werden wolle visuell verknüpft mit der Einblendung seines Buchs zur Geschlechtskunde, wird dies verstärkt, indem suggeriert wird, dass Hirschfeld schon immer gewusst habe, was einmal ›aus ihm werden‹ solle. So wird gleich zu Beginn ein zentrales Genreelement des Biopics erfüllt und dabei durch die Linearität und Chronologie der Handlung unterstützt. Die Verschaltung der Einhaltung von Konventionen einerseits gepaart mit karikaturisierender Überzeichnung, die das Dargestellte gleichzeitig ironisiert sowie fiktionalisierenden Elementen andererseits, produziert ein Spannungsfeld aus Brüchen und Konventionen und stellt gleichsam einen Meta-Kommentar auf Hirschfelds Leben dar, der sich durch seine Reformbestrebungen des §175 an geltenden Normen abarbeitete, ihnen zuwider lief, sich durch das Schweigen zu seiner eigenen sexuellen Orientierung aber auch nie ganz von ihnen lösen konnte. Auch Hirschfelds Konflikt mit der preußischen Sexualmoral, die durch Tabuisierung von Sexualität und Kriminalisierung bestimmter als homosexuell und ›widernatürlich‹ eingestufter Handlungen charakterisiert ist, wird hier bereits angedeutet. Nicht nur die Präsenz des preußischen Beamten in der Eingangsszene des Films, sondern besonders auch die Kameraführung macht das Verhältnis Hirschfelds zum preußischen Staat deutlich: Die extreme Untersicht, in der der sitzende Junge Hirschfeld klein und der hinter ihm mit in die Hüften gestützte Arme stehende Polizist übergroß (sogar so groß, dass dessen Brust und Kopf nicht mehr im Bild zu sehen sind), erscheint, deutet auf das Machtverhältnis hin, in dem Hirschfelds Arbeit sich situiert. Die nächste Einstellung, die das Blicken des Beamten auf die Zeichnung in Großaufnahme festhält, konstruiert den Blick des Staates als urteilenden, sanktionierenden und bedrohlichen, der überall ›lauert‹ und auf eine Gelegenheit wartet, vermeintlich abnormes Verhalten zu bestrafen. Ganz im Gegensatz hierzu steht die sich anschließende Szene mit dem Vater, bei der sich das Blick- und Größenverhältnis umkehrt. Hier ist es Magnus, der steht, während der Vater sitzt, wodurch Magnus und Vater sich auf einer Ebene – auf Augenhöhe – befinden, die sich auch im vom Vater gezeigten Wohlwollen in der Unterhaltung ausdrückt. In diesen Eingangsszenen werden im Film so Verweise auf das Spannungsfeld, innerhalb dessen sich die Homorechtsbewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert befand, gegeben: Zwischen dem

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

›strafenden Blick‹ des Staates durch die Kriminalisierung männlicher Homosexualität im §175 sowie das auf die auf der anderen Seite liberalisierenden Bedingungen, unter denen Organisierung und die Entstehung einer Subkultur möglich wurden, ein gesellschaftlicher Deutungs- und Machtkampf, der sich besonders in den 1920er Jahren mit dem Aufstieg der Nazis verschärfte. Hirschfeld wird hier also von Beginn an als Figur der Infragestellung geltender, staatlich institutionalisierter Normen stilisiert. Die Zusammenführung von Fiktion und Wahrheitsanspruch, mit ironischem Unterton, stellt Geschichte dabei als Konstruktion aus und stellt sie so »im Modus der Möglichkeit« (Taylor 2002: 71) dar. Damit interveniert der Film in den historischen Ausschluss queerer und jüdischer Geschichte(n), im Falle Hirschfelds der konkreten Auslöschung der Erinnerung an ihn durch den Nationalsozialismus und schafft durch die lineare, kohärente Erzählweise über Magnus Hirschfelds Leben und Wirken im Kontext der ersten Homosexuellenbewegung in Deutschland aber auch einen Gründungsmythos einer queer nation, die sich in homonationalisierende Tendenzen im ausgehenden 20. Jahrhundert problemlos einschreiben kann. Die Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit, die verklärenden Elemente in der Inszenierung einer historischen Persönlichkeit, die symbolische Bedeutung entfalten kann sowie die Bebilderung von Alterität, um Identität festzulegen als Elemente der Mythenbildung (vgl. Münkler 2009: 21ff.), kommen hier zum Einsatz, wie auch in den nächsten Abschnitten gezeigt wird.

Abb. 113–114: Der Einstein des Sex (D 1999, R: Rosa von Praunheim)

Nation, Männlichkeit und Homosexualität Das Zusammenspiel von Sexualität und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit wird im Film anhand unterschiedlicher Themen verhandelt. Dabei fällt zunächst die Aushandlung dieses Verhältnisses über die rivalisierenden homosexuellen Männlichkeitskonzeptionen und damit auch konträren Versionen von Homo-Befreiung der Figuren Adolf Brand und Magnus Hirschfeld auf. Auch wenn sie bisweilen aus strategischen Gründen zusammenarbeiten, befinden sie sich in einem antagonistischen Verhältnis zueinander. Während der historische Hirschfeld als Repräsentant »[e]ine[r] Art sozialliberaler Philanthropie« (Herzer 2001: 56) gesehen werden kann, wird der Herausgeber des ersten homosexuellen Magazins in Deutschland Der Eigene Brand als historische Person als Unterstützer der nationalistischen Rechten bewertet, der griechische Schönheitsideale und ›Knabenliebe‹ hochpries (vgl. Mosse 1988: 42). Brands Magazin, das zwischen 1896

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und 1931 monatlich herausgegeben wurde und zeitweise bis zu 150.000 Leser:innen verzeichnete, bediente sich auch des Rassismus und Antisemitismus, um größere Popularität zu erreichen und huldigte Männlichkeit, während Weiblichkeit abgewertet wurde (ebd.). So wurde neben der verbreiteten Darstellung nackter Jungen vor ›germanischer‹ Natur 1926 beispielsweise auch die rassistische Beilage ›Rasse und Schönheit‹ herausgegeben (vgl. Mosse 1988: 42). Die Kombination aus ähnlichem Interesse und Ziel, dabei jedoch unterschiedlichen politischen Ausrichtungen und Strategien wird auch im Film ausgearbeitet und deutet sich seit der ersten Begegnung der beiden an, verschärft sich im Verlaufe des Films jedoch immer mehr. Mit den Worten »Verschwenden Sie nicht ihre Zeit mit solchen Missgeburten. Es gibt genug deutsche Männer, die sich der Freundesliebe würdig erweisen« schaltet sich Brand beim ersten Aufeinandertreffen in ein erfolglos verlaufenes Interview mit einem unwilligen Forschungsteilnehmer Hirschfelds in einem Café in das Gespräch ein und schon hier deutet sich seine nationalistische Gesinnung, die sich mit einem essenzialistischen Ideal soldatischer Männlichkeit verbindet, die ihren reinsten Ausdruck in der ›Freundesliebe‹ finde, an. Brand stellt sich Hirschfeld mit einem äußerst festen Händedruck, nach dem sich Hirschfeld seine Hand vor Schmerz schüttelt, vor, was sich bei einer späteren Begegnung im Film wiederholt und damit seine Gleichsetzung von Männlichkeit mit Stärke ironisch kommentiert. Sein Ideal soldatischer freundesliebender Männlichkeit deutet sich auch in seinem Abschiedsgruß ›Horrido‹48 an, den Hirschfelds Assistent und an Hirschfeld romantisch interessierte Baron von Teschenberg im Anschluss augenrollend kommentiert und meint, Brand könne nicht ernst genommen werden, besonders, weil er sich über von Teschenbergs feminine Art mokiert habe. Auch damit ordnet der Film Brand bereits als karikaturhafte, überzeichnete Witzfigur ein; dennoch will Hirschfeld ihn zunächst für das WhK gewinnen. Im Verlauf des Films wird Brand mehrfach inmitten von griechischen Statuen und nackten Jünglingen gezeigt, die seine Ideale visuell unterstreichen. Die Konstruktion der Gegensätzlichkeit von Hirschfeld und Brand wird in einem weiteren Treffen von Brand direkt ausbuchstabiert, als Hirschfeld ihn um seine Unterschrift für seine Petition gegen den §175 bittet: »[…] was ein wahrhaft Eigener von ihrem tuntigen Komitee zu halten hat: Von den zwischigen Wesen, mit denen Sie sich umgeben, ihren unmännlichen Anstrengungen, ihrem eitlen Auftreten und dem ganzen verweichlichten, bürgerlichen §175-ReichstagsScheißdreck«. Ein Streitpunkt, in dessen Zusammenhang Brand Hirschfeld antisemitisch sowie die Menschen, mit denen er sich umgibt als ›degeneriert‹ beschimpft und zur endgültigen Trennung der Wege beider führt, wird anhand der Frage nach der (Un)Moral des öffentlichen Outings bekannter und Staatspersonen inszeniert. Während dies für Brand der einzige Weg ist, den §175 auszuräumen, ist Hirschfeld der Meinung, dass das Privatleben eines Menschen geschützt bleiben müsse. Besonders zugespitzt wird die Gegenüberstellung von Brand und Hirschfeld am Thema des ersten Weltkriegs in nacheinander montierten Szenen inszeniert. In der ersten Szene mobilisiert Brand junge Männer als 48

Ein Gruß, der in Jagd und Militär verwendet wird.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Kriegsteilnehmer (für den 1. Weltkrieg) mit einer Rede, in der er propagiert, dass es »keine Freundschaft ohne Vaterland und ebenso […] kein Vaterland ohne Freundschaft« gebe und lässt die zuhörenden jungen Männer »Männerliebe ist Heldenliebe« und »Nieder mit den Tunten, Tanten, Trinen, Huschenpuschen« skandieren. Anschließend wird Brand inmitten eines Schlachtfelds als einziger Überlebender auf einem Berg von Leichen eingeblendet. Die Großaufnahmen auf die toten Gesichter von Brands Kameraden zusammen mit seinem entsetzten Gesichtsausdruck und einer Unheil verkündenden musikalischen Untermalung aus dem Off stellen die zuvor gezeigte Kriegsbegeisterung in Frage. Die anschließende Szene, in der Hirschfeld zusammen mit seiner Assistentin Dorchen (Tima die Göttliche), eine trans Frau, die Hirschfeld nach deren Versuch sich den Penis zu amputieren, eingestellt hat, Kriegsverwundete verarztet, verstärkt nicht nur die Konstruktion Brands als fehlgeleiteten Antagonisten im Kriegseifer, sondern stilisiert Hirschfeld auch zum mildtätigen Helden. In der Montage der beiden Szenen in direkter Abfolge, kommentiert der Film, wer hier ›auf der richtigen Seite der Geschichte‹ steht und pointiert damit nicht nur die Kontrastierung der Figuren, sondern produziert damit auch Hirschfeld als gerechtfertigte Spitze einer neuen, potenziell queeren Nation nach dem ersten Weltkrieg. Damit schreibt der Film Hirschfeld auch eine AntikriegsPosition zu, die der historische Hirschfeld gar nicht vertreten haben dürfte (vgl. Herzer 2001: 57). Diese wird akzentuiert als Hirschfeld darüber sinniert, dass er Dorchen und den anderen Mitarbeiter:innen das Schicksal an die Front zu müssen durch deren Einsatz im Sanitätsdienst oder in der Nähstube ersparen konnte und damit als ›Retter‹ den direkten Gegensatz zu Brand bildet, von dessen Schützlingen kein Einziger überlebt hat. In Dorchens Antwort auf Hirschfelds Frage hin, ob er ein kalter Mensch sei, wird dieser Kontrast noch betont: »Aber Doktorchen, Sie sind doch so ein wundervoller, warmer, hilfsbereiter Engel«. Durch die Einblendung Hirschfelds in weißem Kittel vor einem an der Wand hängenden Kruzifix, während Dorchen ehrfurchtsvoll zu ihm aufsieht, wird seine Platzierung als ›Engel‹ unterstrichen und er als Retter der queeren ›Schäfchen‹ in der (christlich!) religiösen Aufladung überhöht.

Abb. 115–116: Der Einstein des Sex (D 1999, R: Rosa von Praunheim)

Die Gegenüberstellung des sozialdemokratisch-reformerischen Hirschfelds und Nationalanarchisten Brands im Film funktioniert also als Etablierung und Stabilisierung Hirschfelds als Held des Geschehens. Eine essenzialistisch gedachte, homosexuell-soldatische Männlichkeit wird als Identifikationsangebot abgelehnt und die Identifikation mit Hirschfelds anti-essenzialisitscher Lehre nahegelegt. Der Film legt so auch na-

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he, dass jede Form militaristischem Nationalismus in Gewalt und Verderben führt, egal, ob diese sich einem hetero- oder homosexuellen soldatischen Männlichkeitsideal verschreibt und macht somit auch darauf aufmerksam, dass sich Homosexualität und rechte Gesinnung nicht ausschließen, im Gegenteil bereits in die Anfänge der Homo-Befreiung in Deutschland eingeschrieben waren. In der Heroisierung Hirschfelds wird zugleich ein Gründungsmythos der Homorechtsbewegung erzeugt, wobei die erwähnten Genrekonventionen unterstützend wirken. Die Ironisierung, die durch Überzeichnung entsteht und sich durch den ganzen Film zieht, steht dem Effekt der Heroisierung nicht entgegen, im Gegenteil wird diese dadurch sogar noch unterstützt, da sie als camper Exzess gelesen und so Idenfikation des (queeren) Publikums erzeugt werden kann. Die Stilisierung des »Gründungsvater[s]« (Treiblmayr 2015: 262) der deutschen LGBT-Bewegung, »Papa Hirschfeld« (wie ihn sein Liebhaber Giese im Film nennt), des ›hilfsbereiten Engels‹ funktioniert so als mythischer Referenzpunkt für Imagination einer queer nation. Auch wenn sich diese gegen eine soldatische Männlichkeit wendet, bleibt auch die homosexuelle, queere Nation in ihrem Kern männlich und trägt zu einem maskulinisierten Nationsnarrativ (vgl. Enloe 2014: 44) bei, in dem alles, was als nicht-männlich oder nicht-phallisch konnotiert ist, abgewertet wird.49 Sowohl in Bezug auf Hirschfeld als auch auf Brand wird die Nation also als phallozentristische imaginiert. Auch Hirschfeld umgibt sich gerne mit phallischen Symbolen, die durch den Film hinweg in Vorderund Hintergrund der Bildkomposition eingebaut werden. Dies zeigt sich nicht nur in der Dekoration von Hirschfelds Büro und Privaträumen, sondern auch in der Ausstattung des Institus für Sexualwissenschaft, das Besucher:innen mit einem Porträt von Oscar Wilde, Epitom schwuler Kultur, begrüßt. Auch wenn sehr verstreut auch Abbildungen von Lesben oder Intersex-Personen eingeblendet werden, bleibt die Bildumgebung überwiegend phallisch geprägt. Was auf Hirschfelds heteronormativ geprägte Familie befremdlich wirkt (seine Tante hält sich regelmäßig die Augen vor die Hand, um die phallischen Objekte um Hirschfeld herum nicht betrachten zu müssen) und damit als Anknüpfungspunkt für eine Irritation der Heteronorm dient, bietet einerseits schwule Blickangebote und stellt andererseits das von Brand immer wieder aufgerufene Bild Hirschfelds als Anhänger alles ›Zwischigem‹ in Frage, lässt diese zumindest jedoch ambivalent erscheinen. Seiner Tante Gesche (Christa Pasemann) gegenüber rechtfertigt sich Hirschfeld für das Aufstellen verschiedenster phallischer Gegenstände im Raum mit Platzmangel: »Ich habe einfach zu wenig Platz hier. Und ich sammle nun mal so gerne«. Hirschfelds Sammelwut verknüpft sich mit einem weiteren Thema, anhand dessen sich die Verschaltung von Sexualität und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit im Film verhandelt wird, nämlich Hirschfelds und den Filmtext durchziehenden (Kolonial-)Rassismus. Dieser offenbart sich im Film zum ersten Mal bei der Inszenierung Hirschfelds erster Auslandsreise nach dem Studium. Dabei wird der junge Hirschfeld an Deck eines Schiffes in einem Liegestuhl sitzend gezeigt, wie er einen mit nacktem Oberkörper und Tattoos bedeckten

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Dies wird auch an einer anderen Stelle im Film akzentuiert als Hirschfeld den Polizeipräsidenten in verschiedene Bars der Szene ausführt: Die Lesbenbar, in der die anwesenden Frauen als ruhig, lesend und »dezent« inszeniert werden, ist dem Polizeipräsidenten zu anständig und langweilig, weshalb Hirschfeld ihn mit auf einen schwulen Tuntenball nimmt, auf dem er sich prächtig amüsiert.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

arbeitenden und in einer unbekannten Sprache vor sich hinsingenden, nicht-weißen Matrosen beobachtet50 . Die Kamera fängt dabei abwechselnd Hirschfelds Blick und den in Groß- und Detailaufnahmen gezeigten Körper des namenlosen Matrosen ein, welche im Wechsel aneinander geschnitten werden oder zeigt den Körper des Matrosen im Bildvordergrund mit Hirschfelds starrendem Blick auf diesen im Bildhintergrund. Damit wird ein imperialer Blick (vgl. Kaplan 1997) Hirschfelds inszeniert. Wie E. Ann Kaplan ausführt, ist dieser imperiale Blick der eines weißen männlichen Subjekts, welches das kolonisierte Andere betrachtet (vgl. Kaplan 1997: 62). Dabei betont Kaplan den Zusammenhang von Kolonialismus und Kino, die sich etwa zur selben Zeit entwickelten und in denen die Kamera zum Instrument westlicher Reisender wurde, ihre ›Entdeckungen‹ zu dokumentieren und schließlich zu dominieren (ebd.). Die so etablierten Blickverhältnisse würden im westlichen Kino immer wieder reproduziert und haben sich damit tief in das Unbewusste dieser Kinokulturen eingeschrieben, sodass sie unbewusst koloniale Imaginationen reflektierten (vgl. Kaplan 1997: 60f.) und sich in deutschem Kino bereits in den Anfängen des Filmschaffens und insbesondere in der Weimarer Republik als Motive etablierten (vgl. Nagl 2009). Diese koloniale Blickstruktur wird im Film durch Hirschfelds Blicke aktualisiert – Hirschfelds Blicke kolonisieren den Körper des Matrosen geradezu. Ein Mitreisender beobachtet Hirschfeld und verspricht ihm daraufhin ein Erlebnis »das Sie nie vergessen werden«, was sich als nächtliche Party der nicht-weißen Matrosen unter Deck entpuppt, bei der getanzt und musiziert wird. Hier wird dasselbe Blickverhältnis inszeniert, aber durch die Dunkelheit, den schneller werdenden Rhythmus der Trommeln im diegetischen Hintergrund, der hierzu mit Dolchen tanzend-kämpfenden, fast nackten Körper sowie den schweißnassen Glanz der Körper in Intensität gesteigert – ein wahrhaftes »Spektakel des ›Anderen‹« im Halle’schen Sinne (vgl. Hall 1997). Hirschfelds gesteigerte Erregung wird dabei an seinen starrenden Blicken auf die tanzenden Männer, dem Schweißabwischen und des Leckens über die eigenen Lippen erkenntlich. Sein Mitreisender kommentiert die Sexualisierung der rassifizierten Blickobjekte Hirschfelds mit den Worten »Sie sind ja im Stande, diese armen Menschen mit Blicken förmlich auszutrinken« und küsst ihn wenige Sekunden später, während sich der Rhythmus des Trommelns und Tanzens weiter steigert. Die nicht-weiß kodierten sowie exotisierten51 Körper und Rhythmen werden dabei zur Folie für Hirschfelds erste sexuelle Erfahrungen mit einem (weißen!) Mann. So verknüpft der Film homosexuelles Begehren mit dem Begehren nach dem ›Anderen‹ und deutet damit auch auf die kolonialen Verstrickungen des deutschen Kaiserreichs hin. Wie Antje Schuhmann beschreibt, kann die »ideengeschichtliche, soziale und politische Entwicklung der Nation in Europa […] nicht von den Einflüssen der europäischen kolonial-imperialen Projekte auf Europa selbst abgetrennt werden« (vgl. Schuhmann 2004: 23). Die hiermit in Zusammenhang stehen-

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Neben dem Aufgreifen der schwulen Trope des Matrosen und des Einschreibens in eine schwule Ästhetik, stellt der Film hier eine intertextuellen, visuellen Bezug zu Rainer Werner Fassbinders Querelle (1982) her, ein Film der auf Jean Genets Roman Querelle de Brest (1947) basiert und die Verstrickungen des Matrosen Querelle in Affären mit Männer und Kriminalität thematisiert. Graham Huggan beschreibt Exotisierung als politische wie ästhetische Praxis, die zwischen den Polen Fremdheit und Vertrautheit oszilliert und konfligierenden politischen Interessenlagen dienen kann (vgl. Huggan 2001 13f.). Siehe näher zu Exotisierung Kapitel 6.5.3.

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den Ideologien lagern sich in den Fantasien und Begehrlichkeiten der Subjekte ab. Dies wird in Der Einstein des Sex an dieser Stelle ersichtlich: Zwar kommentiert der Mitreisende Hirschfelds Blicke, diese scheinen sein Begehren für Hirschfeld jedoch erst zu animieren und zu steigern. Mehr noch, erst über den gemeinsamen Rassismus vermittelt, das exotisierende Begehren für ›das Andere‹ finden sie das Begehren füreinander, wird also Figurenentwicklung möglich. Hier gilt also: (Gemeinsamer) Rassismus wirkt anziehend unter (vermeintlich) weißen Männern. Hirschfelds queere Nation ist also weiß bzw. eine, die sich über geteilten Kolonialrassismus konstituiert, während das kolonisierte Andere zum Schau- und Lustobjekt fetischisiert wird. Im Differenzkonsum werden ›die Anderen‹ zur Projektionsfläche sexueller Sehnsüchte, das rassifizierte nicht-westliche Andere wird zum konstitutiven Element westlicher Homosexualität. Dabei reproduziert der Film koloniale Blickstrukturen, ohne sie abschließend zu problematisieren und produziert damit ein nationales queelonging – ein Begehren und eine Sehnsucht nach der (weißen) queeren Nation.

Abb. 117: Der Einstein des Sex (D 1999, R: Rosa von Praunheim)

Dies schreibt sich in weiteren Filmmomenten weiter, beispielsweise im orientalisierenden Gestus bei einem ›Notfall‹, zu dem Hirschfeld gerufen wird. Die hier relevante Szene beginnt mit einer Totale auf ein Hotelzimmer, in das Hirschfeld eintritt. Empfangen wird er dort von einem säbelhaltenden Mann mit Fes und nacktem Oberkörper, eine Person liegt auf einem Bett, eine andere sitzt daneben, beide sind verschleiert. Der Raum ist spärlich belichtet, die Szene wird mit Zurna-Klängen aus dem Off begleitet. Die Person, die neben dem Bett sitzt, beginnt auf Türkisch auf Hirschfeld einzureden, dieser versteht sie jedoch nicht, bis ein jüngerer Begleiter die Satzfetzen »Hermaphrodit«, »Tochter einzige« und »Operation« einstreut. Hirschfeld schaut der auf dem Bett liegenden Person unter den Rock (ohne nach deren Einverständnis zu fragen oder zu erklären, was er tun wird) und bestätigt die ›Diagnose‹, weigert sich jedoch vehement die ›Operation‹ durchzuführen – bis ihm eine Kiste mit Gold und Schmuck als Bezahlung angeboten wird und er schließlich um eine Woche Bedenkzeit bittet. Nachdem er bei einem Vortrag in München angegriffen und schwer verletzt wurde, entschließt er sich, den Auftrag anzunehmen und führt die Amputation mit Dorchens Assistenz schließlich durch. Die

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Operation zur Abtrennung des Penisses wird als blutig-brutales Unterfangen inszeniert. In Halbtotale wird Hirschfeld gezeigt, der sich zwischen den geöffneten Beinen der:des Patient:in zu schaffen macht, von den argwöhnischen Blicken eines Wächters beäugt, während er das nervöse Dorchen beschwichtigt. Die nächsten Einstellungen zeigen eine Reihe von Nah- und Großaufnahmen, zuerst der besorgten Gesichter der Zusehenden, gefolgt von einem Zucken der geöffneten Beine und Blutspritzen, einem erschrockenen Aufschrei Dorchens und schließlich des blutbespritzten Gesichts Hirschfelds in Großaufnahme, der ein Stück blutbeschmierten Penis in einer Nierenschale ablegt. Dieses wird anschließend in einem Behältnis mit Feuer verbrannt, der Beweis der Schmach eines uneindeutigen Geschlechts endgültig vernichtet. Die beschriebenen Szenen greifen auf visuelle und affektive orientalisierende Stereotype zurück, um den »eigentlich rätselhaft[en]« (vgl. Herzer 2001: 204f.) Umstand, wie der historische Hirschfeld zum Kapital zur Gründung des Instituts für Sexualwissenschaft kam, mit fiktionalem Inhalt zu füllen. Da ›der Orient‹ in der abendländischen Imagination oft mit dem dem Mysteriösen in Verbindung gebracht wurde (vgl. Said 1978: 34), scheint es wohl naheliegend, die rätselhafte Herkunft des Geldes zur Gründung des Instituts zu orientalisieren. Die Kombination von orientalisierenden Kostümen (Fes, Schleier, Säbel) und Musik, ›fremder‹ Sprache, die Hirschfeld nicht versteht, produziert das ›Anderssein‹ der Situation und der Figuren darin. Die Tatsache, dass Hirschfeld zunächst ablehnt und nur aufgrund des größeren Ziels, das er vor Augen hat, die Prozedur schließlich widerwillig durchführt sowie die affizierenden Großaufnahmen, die die blutige Amputationsszene sensationalisierend aufladen, konstruieren ein Bild des ›Orientalischen‹ als barbarisch und erweitern die Inszenierung des Differenzspektakels im Film – eine Reihe von ›konstitutiven Anderen‹ werden hier also ins Bild gesetzt, um Hirschfelds queere Nation vor dem Hintergrund seines Jüdischseins weiß und christlich/weiß-deutsch ›integriert‹ werden zu lassen. Es fällt auf, dass die Person, um deren Genitalien es hier geht, weder von Hirschfeld noch von ihrem sie begleitenden Aufgebot an Figuren jemals persönlich adressiert wird oder sich selbst äußert. Sie bleibt seltsam stumm, fast unbeteiligt und keine der Figuren scheint es auch nur in Erwägung zu ziehen, sie um ihre Meinung oder ihr Einverständnis zu befragen. Dies steht vor allem in Kontrast zu Hirschfelds Behandlung anderer (weißer!) Patient:innen, die über den Film hinweg mehrfach zu sehen sind und in denen er als zugewandt, empathisch und informierend auftritt. Damit inszeniert der Film nicht nur rassistische und patriarchale Strukturen, die der Figur keine eigene Sprechposition zuspricht und sie ihrer Handlungsfähigkeit beraubt, sondern auch auf binarisierende Normen, innerhalb derer Intersex-Personen zwangsoperiert und kosmetisch genitalverstümmelt werden (vgl. Klöppel 2014:107). In der überzeichneten, spektakularisierenden Darstellung der Gewalt an der Intersex-Figur kann hier jedoch kaum von einem kritisch kommentierenden Gestus gesprochen werden, vielmehr sensationalisiert und objektifiziert der Film den rassifizierten Intersex-Körper, um eine informationelle Lücke möglichst spektakulär fiktional schließen zu können. Die Verknüpfung des Auftretens einer IntersexFigur im Film und deren osmanischer Herkunft reproduziert zudem die Trope des Orients als Ort des sexuell und geschlechtlich Abnormalen (vgl. Boone 2014: 103f.). Wie Todd Kontje in seinem Buch über deutsche Orientalismen beschreibt, dienten diese in ihrer langen Tradition hauptsächlich dazu zu definieren, was (nicht) deutsch ist (vgl. Kontje 2004: 13). In der Szene wird somit ein gewisses ›Anti-Bild‹ Deutschlands produziert und

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es wird deutlich, dass es in ›Papa Hirschfelds‹ homosexueller Nation zwar eigentlich keinen Platz für den hier so dargestellten orientalischen Barbarismus gibt, die Verflechtungen des Okzident und Orient jedoch tief in die Institutionen der Nation eingeschrieben sind, da Hirschfeld das Institut nur mit dem Geld aus der Amputationsoperation gründen kann. Der Film verdeutlicht dies visuell in einer Überblendung von der Kiste mit Gold und Schmuck zum Eingangsschild des Instituts für Sexualwissenschaft. Damit legt der Film nahe, dass das Institut nur aufgrund der moralisch fragwürdigen Praxis Hirschfelds entstehen konnte und problematisiert dies, stellt aber dennoch keinen Bruch mit der Heroisierung Hirschfelds her, da nur durch diesen ›Utilitarismus‹ ein Ort entstehen konnte, der im Folgenden als bedeutsamer Bildungs- und Versammlungsort für die queere Community gezeichnet wird. Die von Rassismus geprägten Szenen kulminieren schließlich in der Etablierung von Hirschfelds Museum, das Teil des Instituts darstellt. Als Auswuchs seines bereits erwähnten ›Hobbys‹, des Sammelns, wird das Museum zu ›Bildungszwecken‹ verwendet – Hirschfeld wird dabei gezeigt, wie er eine Gruppe von weißen, männlichen Figuren hohen gesellschaftlichen Status’ durch die Ausstellung führt und dort u.a. »Penisrohre der Papua« aus Neuguinea zeigt sowie deren Verwendung erläutert. Die Frage, wie der ›Sammler‹ Hirschfeld an diese Objekte kam wird weder gestellt noch beantwortet oder nahegelegt. Hier schreibt sich die zugleich augenscheinliche und ebenso stillschweigende Verflechtung kolonisierender Nationen und von diesen kolonisierten Ländern im Filmtext fort. So war beispielsweise der Norden Neuguineas seit 1885 als ›Schutzgebiet‹ des deutschen Kaiserreichs in Kaiser-Wilhelms-Land umbenannt worden, wo daraufhin »naturkundliche (oft gemeinsam mit völkerkundlichen) Objekte gesammelt« (Deutscher Museumsbund 2019: 29) und in deutschen Museen ausgestellt wurden. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr die Institution des Museums mit dem Kolonialismus verknüpft ist (vgl. Greve 2019: 11), was sich in der beschriebenen Szene spiegelt. Eine kritische Sicht, die die Ausstellung kolonialer Gegenstände im Museum problematisieren würde, ist hier jedoch nicht zu erkennen. Vielmehr präsentiert Hirschfeld seine Sammlung von »sexuelle[n] Objekte[n] aus der ganzen Welt« mit Stolz, wie er auch ausführt: »Ich bin nun grade stolz darauf, dass es mir gelungen ist mit dieser Sammlung eine öffentliche Angelegenheit daraus zu machen« und ergänzt, dass im liberalen und aufgeklärten Zeitalter alle die Möglichkeit haben sollten, solche Objekte zu betrachten. Dass ›alle‹ eine weiße, männliche Norm reproduziert, wird schon allein aus der äußerst homogenen Gruppe an Besuchern ersichtlich und die Frage drängt sich auf, wo die Menschen, die jene Penisrohre hergestellt oder getragen, ge- oder verkauft haben, in diesem ›alle‹ erscheinen. Hinweise darauf, dass die dargestellte Szene intendiert, nur eine Ausstellung der kolonialen, rassistischen Vorstellungen der Zeit oder Hirschfelds als Person zu inszenieren, lassen sich bestenfalls am ironischen Grundton und der Stilisierung der Szenen finden, welche in einer großzügigen Lesart Ambivalenzen erzeugen, insgesamt jedoch sehr affirmativ und rassistische Blickstrukturen reproduzierend wirken. Im Gegenteil wird die Szene dazu eingesetzt, Hirschfeld weiter als progressiven Aufklärer zu inszenieren, der den biederen Konservatismus der »Herren« herausfordert. Neuguinea wird dabei als Ort ausschweifender sexueller Handlungen imaginiert und mit dem Kaisserreich als ›anständiger‹ kontrastiert (»In Neuguinea ein absolutes Muss in der

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Männermode, hierzulande natürlich undenkbar«) und reproduziert dabei ein weiteres Mal kolonialrassistische Sexualisierung52 , die ein weiß-schwules Publikum anspricht.

Abb. 118–120: Der Einstein des Sex (D 1999, R: Rosa von Praunheim)

Insgesamt durchziehen kolonialrassistische Blickstrukturen den Filmtext und arbeiten daran mit, eine Imagination der Nation als weiß bzw. jüdisch-christlich integriert in Abgrenzung zu einem nicht-weißen ›Anderen‹ fortzuschreiben. Damit wirken sie an einem selbstvergewisserndes Narrativ einer Nation mit, die auch nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ihre koloniale Vergangenheit tabuisiert und Schlüsselereignisse kolonialer Gewalt wie den Völkermord an den Nama und Herero im heutigen Namibia in den 1990ern nicht anerkannt hat (vgl. Zimmerer 2019)53 . Nicht-weiße Figuren und deren Praktiken werden dabei abwechselnd exotisiert oder sexualisiert und barbarisiert. Das Zusammenspiel von Sexualität und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit wird im Film auch anhand des Themas Antisemitismus inszeniert, dem sich Hirschfeld vermehrt ausgesetzt sieht. Obwohl sich, wie beschrieben, der historische Hirschfeld nicht mit dem Jüd:innentum identifizierte, wurde er von der Öffentlichkeit als jüdischer Wissenschaftler wahrgenommen und von den Nazis als solcher verfolgt. Im Film wird hierauf Bezug genommen. Bei einem Vortrag in München wird Hirschfeld verbal mit Publikumskommentaren wie »Juda verrecke« oder »Volksjustiz gegen Judenverderbnis« und im Anschluss an den Vortrag tätlich angegriffen und schwer verletzt. In der äußerst didaktischen Vortragsszene werden Hirschfelds Ideen der »sexuelle[n] Zwischenstufen« und der Menschenrechte für LGBT* den antisemitisch diskriminierenden Attacken gegenübergestellt. Durch das Einschreiben des Antisemitismus in die homophobe Position verunmöglicht der Film die Identifikation mit dieser Position für ein deutsches Mehrheitspublikum, das gelernt hat, sich von Antisemitismus (zumindest öffentlich) abzugrenzen und trägt dazu bei, Queerness durch die Abgrenzung von deutschen Antisemit:innen im positiven Sinne zu normalisieren. Der didaktische Gestus (vgl. auch Treiblmayr 2015: 269), der durch Hirschfelds Auftreten mit erhobenem Zeigefinger und Zeigestab unterstrichen wird, ist in seiner Wirkung jedoch zu problematisieren – wenngleich ihm eine löbliche Intention abgewonnen werden kann – weil er einmal mehr wenig Raum zur Eigentätigkeit im kritischen Denken für eine Auseinandersetzung mit der

52 53

Ausführlicher zum Thema der Sexualisierung (und Infantilisierung) ›der Anderen‹, vgl. Hark/Villa 2017: 72. Erst im Mai 2021 wurde der Genozid offiziell von Deutschland als ein solcher anerkannt.

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deutschen Nazi-Vergangenheit für das Publikum lässt, sondern präskriptiv und schematisch wirkt, wodurch sich ein Publikum womöglich wenig angesprochen werden fühlt. Die widersprüchlichen Entwicklungen zwischen fortschreitender Liberalisierung und zunehmendem völkischen Nationalismus in den 1920er Jahren der Weimarer Republik werden im Film in der Einblendung von historischen dokumentarischen/ Nachrichten-Aufnahmen der Zeit illustriert und authentisieren die sich anschließenden Szenen über Aufbau und Zerstörung Hirschfelds Instituts. Die Montage von Bildern aus Freizeit und Entertainment in diesem Ausschnitt dokumentarischer Aufnahmen, die den Eindruck der Offenheit und Unbeschwertheit der Zeit evozieren, kontrastiert mit Zügen von Menschen mit Hakenkreuzflaggen durch die Straßen und Bildern von Hyperinflation und Armut, stellen die Gegensätze und das umkämpfte politische Terrain verdichtet in einer Dynamik dar, die schließlich in zunehmende Faschisierung mündete. Hirschfelds Erzählerstimme aus dem Off hingegen beschreibt die 1920er Jahre als »glückliche und erfolgreiche Jahre«, erzählt dabei von seinen beruflichen Errungenschaften und Erfolgen in seinen Bemühungen »alle Aspekte der Sexualität öffentlich zu machen«. Vor diesem inszenierten Hintergrund einer durch Widersprüche geprägten Zeit spitzen sich die antisemitischen Angriffe gegen Hirschfeld narrativ zu und münden im Film 1930 in eine weitere antisemitische Attacke mit einem durch die Fensterscheibe geworfenen Schweinekopf. Als Hirschfeld im selben Jahr zu einer Vortragsreise in die USA aufbricht, zeigt sich Dorchen besorgt, dass er nicht mehr zurückkommen würde, denn »dieser Österreicher hat schon 20 % im Reichstag«, Hirschfeld beschwichtigt sie jedoch. Erst als die nationalsozialistische Agitation gegen Hirschfeld zunimmt und zwei Jahre später die Patient:innenkartei gestohlen wird, wird auch Hirschfeld im Film der Ernst der Lage bewusst und Giese weist ihn am Telefon an, auf keinen Fall nach Deutschland zurückzukehren, da er »[i]m Stürmer […] in der Rubrik ›Der Jude als Verbrecher‹ an erster Stelle« stehe. Wenig später wird das Institut für Sexualwissenschaft schließlich von Nazis geplündert und zerstört. Im Film sieht Hirschfeld Joseph Goebbels »Feuerrede« und die Plünderung seines Instituts in einer Wochenschau im Kino. In dieser Szene wird zunächst Hirschfelds Blick auf die Leinwand gezeigt, auf der historische Ausschnitte aus der Rede mit einer fiktionalen Inszenierung der Plünderung montiert sind. Die Kamera zeigt eine Großaufnahme von Hirschfeld und seinem neuen Liebhaber Tao Li, die sich besorgt ansehen und Tao Li, der über Hirschfelds Hand streichelt. Anschließend wird das Leinwandbild den gesamten Bildausschnitt einnehmend gezeigt, während die Kamera langsam vom Schwarz-Weiß- ins Farbbild überblendet. Diese Authentifizierungsstrategie verdeutlicht, dass die Plünderung des Instituts auf historischen Tatsachen beruht und von der Mischung aus fiktionalen und tatsachenbasierten Szenen im Rest des Films abzugrenzen ist. Damit ermahnt der Film das Publikum, dass der Nationalsozialismus reale Auswirkungen auf reale Menschen hatte. So pocht der Film darauf, dass, selbst wenn historische Figuren und Ereignisse sich mit fiktionalen im Rest des Films vermischen und nicht voneinander unterscheidbar sind, dieses Ereignis wirklich ›so war‹ und als solches an_erkannt werden soll. In Bezug auf die Szenen der Plünderung selbst ist vor allem Dorchens »pathetische[r], aber doch identifikationswirksam[er]« (Treiblmayr 2015: 271) Auftritt als ›Nazi-Schreck‹ hervorzuheben. Nachdem Giese sie, die in dieser Szene in unauffälliger, männlich kodierter Kleidung auftritt, weggeschickt hat, damit sie sich in Sicherheit bringen kann, scheint sie mit

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

der Entscheidung zu hadern und wird mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck hinter dem Zaun des Instituts stehend gezeigt, während Giese in Innern von Nazis verprügelt wird. Einige Einstellungen später nimmt sie den Hut, den sie trägt, um so unauffällig wie möglich zu sein, ab und erscheint schließlich mit wallendem Haar und in einem rosa Kleid und mit rotem Lippenstift wieder im Institut, um Giese zur Hilfe zu eilen und interveniert in den Angriff auf Giese an die Nazis in der Szene gewandt: »Ihr seid vielleicht mutige Krieger. Seid ihr stolz darauf? Na los, schlagt mich, wenn ihr stolz darauf seid. Schlagt mich. Was ist? Warum so schüchtern? Traut ihr euch nicht, eine kleine Schwuchtel zusammenzuschlagen? […] Zeigt, wie herrlich ihr seid!« Im Schuss-Gegenschuss zeigt die Kamera Großaufnahmen der Gesichter der betreten blickenden Nazis, die still stehen und Nah- und Großaufnahmen Dorchens, die während ihres Monologs durch den Raum läuft und die Nazis herausfordernd anblickt, welche schließlich ohne weitere Zwischenfälle den Raum verlassen. Durch ihre Intervention hat sie eine Irritation hervorgerufen, die die Angreifer erstarren lässt, während sie an Handlungsmacht gewonnen hat, um sich souverän durch die Situation zu bewegen. Wie Treiblmayr argumentiert, schlägt sie, gespielt von der »Polit-Tunte« (Treiblmayr 2015: 270) Tima die Göttliche, eine »Brücke von der Ersten zur Zweiten Homosexuellenbewegung« (Treiblmayr 2015: 271). In ihrem Auftritt lässt sich der Wunsch der Möglichkeit eines Eingreifens in die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit lesen, aber auch als Möglichkeit, eine Ohnmacht der Vergangenheit durch die Brille der Gegenwart zu verändern und sich Geschichte wieder anzueignen. Trotzdem wirkt die Rettung der Figur Giese durch Tima die Göttliche in der Figur Dorchens als paternalistischer Akt einer Generation, die sich pride statt shame auf die Fahne geschrieben hat und darin ihre (Er)Lösung findet.

Abb. 121–123: Der Einstein des Sex (D 1999, R: Rosa von Praunheim)

Gerade das Eingreifen in einen Akt der Zerstörung durch Nazis legt nahe, dass Vertreter:innen dieser Generation von sich glauben, sie selbst hätten in die Nazi-Verbrechen interveniert, was sich in die Basiserzählung der Bundesrepublik als »pluralisitsch und offen« (Herz 1996: 93) integrieren lässt und sich stabilisierend und konsolidierend bzgl. nationaler Diskurse auswirken kann. Bei der Plünderung des Instituts werden Schriften zerstört, Bücher konfisziert und eine Statuette von Hirschfelds Kopf auf einem Stab aufgespießt aus dem Gebäude getragen. Erneut verknüpft mit historischen Aufnahmen der Bücherverbrennung im NS werden zuerst Hirschfelds Bücher und dann Hirschfelds Kopf im Feuer verbrennend eingeblendet. Der Einsatz des Feuers als Symbol der Zerstörung und Auslöschung jüdischer und hier auch homosexueller Kultur im NS ähnelt dem in Aimée und Jaguar stark und lässt Muster in der Bildsprache von Filmen, die den Ho-

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locaust thematisieren, deutlich werden. Mit der Zerstörung des Instituts ist gleichsam das Ende des Films markiert: Hirschfeld, der nach Betrachten der Bilder wie in Schockstarre auf seinem Kinosessel gezeigt wird und krank und gebrochen wirkt, wird mit Hilfe seines Liebhabers Tao Li und einer Kinoangestellten aus dem Kinosaal geführt, in der nächsten Einstellung wird die Information eingeblendet, dass Hirschfeld am 14. Mai 1935 im Exil gestorben ist und über den Verbleib von Giese und Dorchen berichtet. In dieser Verknüpfung erscheint die Zerstörung seines Lebenswerks als Zerstörung des Lebens(willens) und legt nahe, dass ›die Nazis‹ zumindest indirekt die Schuld am Tode Hirschfelds tragen. Dies bestärkt die Forderung nach der offiziellen Anerkennung auch Homosexueller als Opfergruppe des NS, was ihnen bis ins Jahr 2002 verwehrt blieb und trägt dazu bei, dies im öffentlichen Bewusstsein zu verankern54 .

Abb. 124: Der Einstein des Sex (D 1999, R: Rosa von Praunheim)

Geschichte wird in Der Einstein des Sex in Zyklen des Fortschritts und Regression erzählt: Während das Narrativ im Kaiserreich von Repression, Pathologisierung und Suizid geprägt ist und durch fiktionale wie historische Einblendungen von so Gestorbenen untermalt wird, überwiegen in der Weimarer Zeit Bilder von Vergnügen und der Möglichkeit sich einer Gemeinschaft zugehörig zu fühlen, wie es beispielsweise bei einem Fest im Garten von Hirschfelds Institut inszeniert wird. Die Zerstörung des Instituts illustriert die Kontingenz von Geschichte und die Bedrohung, dass einmal erstrittene emanzipatorische Räume auch wieder verloren werden können. Der Einstein des Sex trägt in Bezug auf die Darstellung des Zusammenspiels von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und Queerness insgesamt zur Etablierung eines Gründungsmythos der Homosexuellenbewegung bei. Die Sympathiserungsangebote 54

1985 wurden Homosexuelle in einer Rede von Richard von Weizsäcker zum 40. Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus das erste mal als Opfergruppe des Nationalsozialismus benannt (vgl. Pretzel 2015: 214). 1988 konnten noch Überlebende bei finanzieller Bedürftigkeit Entschädiungsleistungen beantragen, erst 2002 wurden aber die Urteile, die während des NS unter §175 und §175a gefällt wurden, pauschal aufgehoben, was eine offizielle Position im Erinnerungsdiskurs ermöglichte (ebd.). Ebenfalls 2002 wurde die Einrichtung der Magnus-Hirschfeld Stiftung als Kollektiventschädigung beschlossen (vgl. Pretzel 2015: 214).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

bei überwiegender Auslassung bzw. Entschuldung der aus heutiger Perspektive zu kritisierender Praktiken oder Ideen rehabilitieren Hirschfeld bzw. dessen historische Persona von den kritischen Perspektiven auf sie. Diese Rehabilitation erfolgt immer wieder vermittelt durch rassistische Blickangebote und Narrative, die seine Integration in Erinnerungsdiskurse einer als weiß imaginierten deutschen Dominanzgesellschaft ermöglicht. Durch die Betonung der Andersheit der ›Anderen Anderen‹ wird sein eigenes ›Andersgemachtwerden‹ im Nationalsozialismus als Jude abgeschwächt und ermöglicht über (gemeinsamen) Kolonialrassismus eine Imagination von Ähnlichkeit zwischen Jüd:innen und Deutschen bzw. eine retrospektive ›Weißwaschung‹ Hirschfelds, was sich in die ›Versöhnungsnarrative‹ der Zeit einpasst. Die ›Vergangenheitsbewältigung‹, die der Film leistet bezieht sich also nur auf den NS, während die Aufarbeitung der kolonialen Verstrickungen Deutschlands unangetastet gelassen werden. Dies deckt sich mit den Narrativen der hegemonialen deutschen Erinnerungspolitik, innerhalb derer die Aufarbeitung des NS zur »Wiedereintrittskarte in den Kreis der ›zivilisierten‹ Nationen« (Zimmerer 2015) wurde, während die Auseinandersetzung mit kolonialen Verbrechen und deren Anerkennung weiterhin nicht Teil des offiziellen deutschen Selbstverständnisses werden konnte und den Umstand ausspart, dass die Verbrechen des NS in nicht unerheblicher Weise auf vergangenen ›Experimenten‹ aus den Kolonien aufbauen (Brumlik 2004: 28). Damit reproduziert der Film rassistische Blickund Denkstrukturen und trägt durch die Identifikationsangebote mit hegemonialen Nations- und Erinnerungsnarrativen auf Kosten rassifizierter Figuren zur Normalisierung von Homosexualität bei, die darüber hinaus hauptsächlich als weiße, männlichphallozentristische produziert wird.

Der Einstein des Sex als Beitrag zur queeren Erinnerungskultur, Hirschfeld als Erinnerungsfigur Der Einstein des Sex trägt jedoch auch dazu bei, einen Teil queerer (Bewegungs-)Geschichte zu popularisieren, zu erinnern und im kollektiven Gedächtnis zu verankern. Damit fügt der Film queerer Erinnerungskultur ein weiteres Element hinzu und kann »dazu beitragen, dass der Name Hirschfeld wieder bekannter wird und die Nazis nicht recht behalten, die alles taten, damit sein Name vergessen wird« (von Praunheim o.J.). Dabei werden im Film zum Teil sehr konventionelle Erzählweisen gewählt und mit weniger konventionellen Gestaltungselementen verknüpft. Die erwähnte kausal-lineare und chronologische Erzählweise in Verbindung mit Hirschfelds Erzählstimme aus dem Off, die Gesehenes für das Publikum einordnet, Lücken zwischen einzelnen Episoden narrativ füllt und Zusammenfassungen bei Zeitraffern anbietet, produziert eine »straight time« (Muñoz 2009: 25), die homonormalisierend wirkt und Sympathien für die Emanzipationsgeschichte ›der Homosexuellen‹ erzeugt. Dem gegenüber stehen vignettenhafte Szenen, die vom Bildaufbau und der Verwendung häufiger Halbtotalen her an Bühnenszenen aus dem Theater erinnern. Sie sind gespickt mit karikaturhaften Darstellungen von Figuren und ironisierenden Bild-, Gesprächs- und Figurelementen, was die sonst leicht konsumierbare Filmsprache bisweilen bricht, aber auch, wie erwähnt als camper Exzess genossen werden kann. Die Ausgestaltung der Figur Hirschfelds als Privatperson und als öffentliche Person ermöglicht schließlich ein »touching across time« (Dinshaw in Dinshaw et al. 2007: 178), welches die Verbindung in die Vergangenheit aus der Gegen-

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wart herausstellt. Damit entsteht eine Verbindungslinie und verdeutlicht die Relevanz des Erinnerns an das Vergangene zur Einordnung und Veränderung der Gegenwart. Der filmische Hirschfeld wirkt dabei als Erinnerungsfigur. Wie Irina Gradinari beschreibt, »führen [Erinnerungsfiguren] Vergangenheit und Gegenwart zusammen und sind an der Grenze zwischen Realität und Fiktion zu verorten« (vgl. Gradinari 2019: 191). Durch die Verbindung des Damals mit dem Heute könnten durch die Erinnerungsfigur vergangene und kontemporäre Polit-Diskurse verkoppelt werden, die Bedeutsamkeit der Geschichte für die Gegenwart verdeutlicht und Identifikationsangebote bereitgestellt werden (ebd.). Diesbezüglich erweisen sich besonders Hirschfelds berufliche und aktivistische Tätigkeiten als aufschlussreich. Hirschfeld wird als unermüdlicher Kämpfer für die Abschaffung des §175 und die Etablierung einer diskriminierungsärmeren Gesellschaft inszeniert. Die Erzählstimme aus dem Off trägt dabei wesentlich hierzu bei, indem sie die Handlungen auf der Bildebene rahmt, mögliche Bedeutungen festschreibt und neue hinzufügt. So wird hier beispielsweise die Abweisung von Teschenbergs durch Hirschfeld nach von Teschenbergs romantischer Annäherung als Entscheidung für die Arbeit und gegen privates Glück benannt, denn »[e]s galt, den §175 abzuschaffen«, weshalb sich Hirschfeld als »überzeugter Sozialdemokrat« mit August Bebel in Verbindung setzte. Kontroverse Anteile seiner Lehren und Praktiken als Arzt werden wie erwähnt zeitweise gestreift, aber letztendlich immer wieder abgeschwächt oder entschuldigt. Die Prägung des Begriffs ›Transvestit‹, der in den Auseinandersetzungen um Hirschfelds Lehren problematisiert wird, wird von Teschenberg zugeschrieben und die Debatte hierum somit aufgeweicht (vgl. Treiblmayr 2015: 269). Sein aus heutiger Perspektive biologischer Determinismus, der in Bezug auf seine Gedanken immer wieder kritisiert wird, wird nur nebenbei in seinem Münchener Vortrag angesprochen, bei dem insgesamt die Botschaft überwiegt, dass allen Menschen Menschenrechte zustehen. Ebenfalls beschwichtigt werden die Experimente der Hodentransplantation, für die der historische Hirschfeld mit dem Wiener Professor Eugen Steinach zusammenarbeitete, als Hirschfelds Erzählstimme seine Vermittlung von Patienten in diesem Zusammenhang mit einem reuevollen ›leider‹ kommentiert. Diese »historisch falsch[e]« (vgl. Treiblmayr 2015: 269) Darstellung eines Bewusstseins Hirschfelds über die Problematik dieser Operationen trägt dazu bei, Hirschfelds Lehren und Praktiken als widerspruchsfreier zu zeichnen als sie es womöglich waren. Auch Hirschfelds Zusammenarbeit mit der Polizei, für deren Unfreiwilligkeit es keine Indizien gibt (vgl. Herzer 2001), kann in diesem Zusammenhang gesehen werden. Im Film wird Hirschfeld im Wald mit vorgehaltener Waffe dazu genötigt, mit auf die Polizeistation zu kommen, wo ihn der Polizeipräsidenten erpresst, er würde Hirschfelds Homosexualität öffentlich machen, wenn Hirschfeld ihn nicht mit mit Insider-Informationen bei Ermittlungen gegen das ›Erpresserwesen‹ unterstützen würde, worauf Hirschfeld den Polizisten mit in Bars und Tanzlokale der ›Szene‹ nimmt. In der ironischen Kritik staatlicher Repression wird Hirschfeld zunächst radikaler gezeichnet, als er eigentlich war, wenngleich die fast freundschaftliche Annäherung im Prozess der ›Zusammenarbeit‹ zwischen ihm und dem bürgerlichen Staat Hirschfeld mehr als Reformer denn Revolutionär erkennbar werden lässt. Die Tanzszene zwischen von Teschenberg und dem Polizeipräsidenten illustriert dabei das harmonische ›Verschmelzen‹ der Sphären Homosexuellenbewegung und Nationalstaat

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

und queert diesen gleichsam (zum Zusammenhang von Tanz und Transformation (vgl. Kapitel 6.4.2)). Der Film legt damit nahe, dass Homosexualität und Nation durchaus in einer freundlichen Melange existieren können, die so lange aufrechterhalten werden kann, so lange die Tatsache verschleiert oder ignoriert wird, dass eine Ko-optierung im Sinne der hegemonialen staatlichen Ordnung stattfinden kann ohne diese Ordnung zu hinterfragen oder sie im Gegenteil zu bestärken.

Abb. 125: Der Einstein des Sex (D 1999, R: Rosa von Praunheim)

Diese ›Verschleierungstaktik‹ wird im Film anhand der Verkleidung des Polizeipräsidenten dargestellt, der in einem clownsartigen Kostüm zum Tuntenball erscheint und zusammen mit Hirschfeld ›Ekel und Abscheu‹ verkörpert, wobei Hirschfelds Kostüm weiß und des Polizeipräsidentens Kostüm schwarz kodiert ist. So wird zugleich die Kollaboration dargestellt sowie moralisch bewertet und verdeutlicht, dass Hirschfeld hier auf der ›unschuldigen‹ Seite steht, wenngleich diese auch ironisiert wird (zur Bedeutung der Farben schwarz und weiß vgl. Kapitel 6.4.2). So wird insgesamt dennoch ein in der Gegenwart der späten 1990er Jahre massenanschlussfähiges Narrativ vorangetrieben, das an Homonormalisierung und womöglich auch Homonationalismus mitarbeitet, ohne Hirschfeld vollständig als ›Kollaborateur‹ entlarven zu müssen. Insgesamt wird Hirschfelds Arbeit in beschriebenen Szenen beschönigt und geglättet, in der akademischen Literatur über den historischen Hirschfeld kontrovers diskutierte Punkte seiner Lehre ausgelassen oder heruntergespielt. Dies trägt dazu bei, die Erinnerungsfigur Hirschfeld als positives Identifikationsbild für die Homorechtsbewegung am Ende der 1990er Jahre zu inszenieren und bereitzustellen: Eine positive Geschichte, auf die sich bezogen werden kann, Hirschfeld als Pionier und Begründer der Bewegung, dessen Lehren und Praktiken mit einem Konzept sozialer Gerechtigkeit vereinbar sind, sie vielleicht sogar verkörpert. Die Imagination einer deutschen queer nation wird so gefestigt und die Erinnerung an die Errungenschaften eines deutschen Wissenschaftlers gestärkt, was sich leicht in das beliebte Selbstbild Deutschlands als »Dichter- und Denker-Nation« einfügt. Als gleichzeitig auch jüdischer Wissenschaftler trägt die Geschichte über Hirschfeld und die Zerstörung seines Instituts durch Nazis auch zur Aufarbeitung deutscher Geschichte und dem deutsch-jüdischen Versöhnungsnarrativ bei, besonders in dem Na-

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zis als gewalttätiger Schlägertrupp gezeichnet werden, von denen sich leicht abgrenzen lässt. So wird damit ähnlich wie in Aimée und Jaguar ein Narrativ kreiert, das eine geläuterte Nation heraufzubeschwören versucht, die in der Gegenwart frei von Antisemitismus ist. Damit kann der Film zwar einen Anknüpfungspunkt bieten, die Nation auch als plural zu imaginieren, schreibt jedoch auch an einem homonationalistischen Narrativ mit, was sich auch im zuvor beschriebenen Rassismus abzeichnet. Die dominanzgesellschaftliche Idee von nationaler Zugehörigkeit wird somit um (zumindest säkulares) Jüdischsein und Nicht-Heterosexualität erweitert, bleibt insgesamt jedoch in einem rassistischen und affirmativen Begriff hiervon stecken.

Hirschfeld privat Der Film trägt auch dazu bei, ein Bild von Hirschfeld als Privatmenschen, der »so gut wie vollständig hinter der quasi offiziellen Fassade [verschwindet]« (vgl. Herzer 2001: 20) und das von der Forschung als »eigenartig blass und fragmentarisch« beschrieben wird, mit fiktionalem Leben zu füllen und damit eine Figur als Projektionsfläche für Identifikation zu schaffen. In der Darstellung des privaten Hirschfelds geht es vor allem um Hirschfelds sexuelle, romantische und freundschaftliche Beziehungen. In den verschiedenen Phasen seines Lebens sind es dabei vier Figuren, die ihn (in dieser Chronologie) durch sein Leben begleiten: Baron Herrmann von Teschenberg, Dorchen, Karl Giese und Tao Li. Im Anschluss an einen Kuss mit Herrmann Baron von Teschenberg wehrt Hirschfeld die Möglichkeit einer Beziehung zwischen den beiden als »unmöglich« ab, da er in ihr wie erwähnt die Gefährdung seiner Reputation und Karriere sieht. Die Tendenz keine oder kaum romantische und sexuelle Nähe zuzulassen schreibt sich im Verlauf des Films fort, immer wieder wird Hirschfeld über den Film hinweg von sich selbst und Anderen als einsam beschrieben, immer wieder von jemandem geliebt und verehrt dem:der er sich nicht öffnet: von Teschenberg weist er zurück (weshalb ihn dieser schließlich verlässt und Hirschfeld Selbstbezogenheit vorwirft), Dorchen liebt er nicht zurück, Giese verlässt er für seine Vortragsreise und betrügt ihn mit Tao Li. Seine Einsamkeit und sexuelle Frustration unterdrückt er durch Süßigkeitengenuss, der an diversen Stellen des Films immer wieder eingeblendet wird und einen running gag erzeugt. Dorchen gegenüber gibt er zu, dass er, auch wenn er sich einsam fühle, »große Angst« habe, dass eine Liebe seine »gesamte Arbeit gefährden könnte«, woraufhin Dorchen die Darstellung seines Liebeslebens zusammenfasst: »Sie sind wahrscheinlich der größte Liebesexperte des Universums, aber Sie haben von der Liebe so viel Ahnung wie diese Tischkante«. Hirschfelds Zurückhaltung und die Frustration seiner Liebhaber hierüber mündet im Film auch in Konflikte und wird besonders in der Beziehung mit Giese hervorgehoben. Über ein Jahrzehnt hinweg bestand die Beziehung im Film mit Giese, trotzdem bleibt dieser offiziell nur sein ›Archivar‹ und Hirschfeld nimmt ihn nicht mit auf seine Vortragsreise in die USA, da »zwei Männer zusammen« dort nicht möglich seien. Neben Hirschfelds Heroisierung als öffentlicher Person wird in der Inszenierung seiner Einsamkeit und gewissen Unzulänglichkeit was private Beziehungen angeht, diesbezüglich eher das Bild eines Antihelden produziert, das das des Helden nicht bricht, sondern ergänzt und dadurch bestärkt, dass es Hirschfeld ›menschlich‹ und zugänglich wirken lässt und so Identifizierung befördern kann. Neben dem Unwillen, sich auf Nahbeziehungen einzulassen, lässt sich jedoch auch eine schrittweise Öffnung

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Hirschfelds nachvollziehen. Während er die Beziehung zu von Teschenberg grundlegend ablehnte, kann er eine Beziehung mit Giese eingehen, bekennt sich aber auch zu ihm nie öffentlich. Mit Tao Li hingegen scheint es Hirschfeld zum ersten Mal möglich, sich in der (französischen) Öffentlichkeit als Paar zu zeigen und eine Wohnung zu teilen. Damit wird neben Hirschfelds sich wiederholender Unfähig- oder -willigkeit, Beziehungen einzugehen gleichzeitig eine Lebensgeschichte inszeniert, die sich bis zum Ende des Lebens Schritt für Schritt mehr öffnete. In der Evolution Hirschfelds romantischer und sexueller Beziehungen wird ein ›Coming-out‹-Narrativ im übertragenen Sinne inszeniert, womit der Film für das Ende der 1990er Jahre in westlichen Homorechtsbewegungen vorherrschende Modell von Emanzipation, Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Teilhabe bzw. Sichtbarkeit wirbt. Coming-out wird zum Heilmittel gegen Einsamkeit, schützt vor dem Auseinanderbrechen von Beziehungen und trägt dazu bei, ›Gründungsvater Hirschfeld‹ weitere Sympathiepunkte beim Publikum sammeln zu lassen, was die Figur Hirschfeld als Identifikationsfigur weiter bestärkt. So spinnt auch die Darstellung Hirschfelds als Privatperson am Narrativ der Homonormalisierung mit, das identitätsstabilisierend wirken kann.

Abb. 126: Der Einstein des Sex (D 1999, R: Rosa von Praunheim)

Zusammenfassung In Der Einstein des Sex wird die Lebens- und Wirkensgeschichte von Magnus Hirschfeld im Spannungsfeld von Sexualität und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit von der Kaiserzeit bis in die NS-Zeit erzählt. Die chronologische und geschlossene Narration des Biopic erschafft einen Gründungsmythos einer queer nation und trägt gleichzeitig zur Popularisierung Hirschfelds als bedeutende Figur queerer Erinnerungskultur bei. Auch bisweilen ironische Brüche in der Narration irritieren weniger als dass sie Identifikation generieren. Hirschfeld wird dabei gleichzeitig als Held (öffentliche Ebene) und als Antiheld (private Ebene) erzählt, was Anknüpfungspunkte für Identifizierung schafft, während der Mythos des ›Gründungsvaters‹ bestärkt wird. Nation, Sexualität und Ethnizität hängen im Film eng zusammen, so sind die Möglichkeiten der individuellen und kollektiven Ausdrucksweisen von Homosexualität sowohl an staatliche Repressionen geknüpft wie auch an die gesellschaftlichen Kämpfe gegen Diskriminie-

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rung. Während die Kämpfe für und gegen staatliche Repression und Nationalismus als divers dargestellt werden, liegt ihnen jedoch immer eine Imagination der Nation als weiß/weißgewaschen und männlich/phallisch zugrunde. Der Einsatz von Exotisierungsstrategien und kolonialrassistischen Blickstrukturen indiziert den ausgeblendeten Zusammenhang von Nationalsozialismus und Kolonialismus sowie den unterschiedlichen Stand der Aufarbeitung in den 1990er Jahren. Die Darstellung Hirschfelds als Opfer von Nazis verknüpft mit der Darstellung von Nazis als dumpfe Schlägertrupps trägt dazu bei, Toleranzdiskurse um (männliche) Homosexualität mit dem Bild einer geläuterten Nation verbinden zu können und kann homonationalistische Diskurse bestärken. So lässt sich B. Ruby Richs Frage, ob das queere Biopic dieselben ›Sünden‹ wie sein heterosexuelles Gegenstück (beispielsweise Zeichnung des:der Protagonist:in als Held:in und whitewashing) (vgl. Rich 2013: xxv) verfällt, im Fall von Der Einstein des Sex größtenteils mit ›ja‹ beantworten. Identitätsbasierte Modelle von Zugehörigkeit werden damit eher gestärkt als in Frage gestellt und Hirschfeld als ›Papa‹ des weiß(gemachten)überwiegend-schwulen ›Wirs‹ der imagined sexual community evoziert, wenngleich der Film einen Beitrag dazu leistet, einen Anknüpfungspunkt für Erinnerung abseits heteronormativer Geschichtsschreibung bereitzustellen.

5.4.4 Fazit Aimée und Jaguar und Der Einstein des Sex verhandeln den Zusammenhang von Queerness und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit anhand der Geschichten queerer historischer Personen verknüpft mit der Verfolgung von Jüd:innen im Nationalsozialismus. Beide Filme thematisieren die Leben realer Personen und leisten hiermit Erinnerungsarbeit und einen Beitrag zur queeren Erinnerungskultur. Dabei bedienen sie sich in großen Teilen konventioneller Erzählformen, die eine straight time fortschreiben können sowie einordnender homodiegetischer Erzählinstanzen aus dem Off, wenngleich es immer wieder Momente oder Figuren gibt, die queere Zeitlichkeiten produzieren. In beiden Filmen nimmt die Verfolgung der Hauptfiguren im Nationalsozialismus einen bedeutenden Teil der Erzählung ein, in Aimée und Jaguar, der größtenteils während des NS spielt dadurch, dass der Schwerpunkt auf der Erzählung Liebesgeschichte während des Krieges liegt, in Der Einstein des Sex hauptsächlich, weil die antisemitische Verfolgung den Handlungsverlauf des inszenierten Lebenswegs und der Arbeit (bzw. Auslöschung dieser) Hirschfelds entscheidend prägt. Gemeinsam ist beiden Filmen die Darstellung des Nationalsozialismus bzw. von Nazis als brutalen ›Anderen‹, ein emplotment 55 , das die Imagination der Unschuld des Großteils der Deutschen ermöglicht und damit eine Läuterungsfunktion erfüllt. Die Situierung der Handlung in der Vergangenheit, die sich leichter mit eindeutigem Sinn belegen lässt (vgl. Kapitel 6.4.1), erleichtert die Allegorisierung der Hauptfiguren. Während in Aimée und Jaguar die Versöhnung von Deutschen und Jüd:innen durch das Verschmelzen Lillys und Felices in der Liebesbeziehung imaginiert werden kann, ist

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Nach Hayden White stellt das emplotment die Überführung historischer Fakten in eine Geschichte bzw. Plotstruktur dar, durch die diese »einen Teil ihrer Erklärungswirkung« (White 1986: 103) beziehen und steht im Gegensatz zu Chroniken, die lediglich Fakten chronologisch aufzählen, ohne sie mit Bedeutung zu versehen oder zu ordnen (ebd.).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

es in Der Einstein des Sex vor allem die Darstellung Hirschfelds als Kämpfer für Gerechtigkeit und Frieden und Identifikationsangebote mit diesem, die u.a. über kolonialrassistische Blickstrukturen, die eine weiße, deutsche Nation produzieren, vermittelt werden, welche diese Imagination ermöglichen. Mit der Verfilmung des Lebens und Wirkens der öffentlichen Person Magnus Hirschfeld wird ein Stück deutscher Geschichte geschrieben, die seit dem Nationalsozialismus aus dem kollektiven Gedächtnis weitestgehend verdrängt bzw. gelöscht wurde und eröffnet so sowohl eine Erweiterung des öffentlichen Erinnerns als auch die Integration queerer Geschichten in homonationalistische Narrative, die sich mit der Pionierarbeit Hirschfelds, der Offenheit der 1920er Jahre und der vorbildlichen Aufarbeitung der deutschen Geschichte, die ›auch Homosexuellen‹ Zugehörigkeit zur Nation ermöglicht, brüsten können. Die Inszenierung von Privatpersonen in Aimée und Jaguar hingegen, schafft Zugänglichkeit und bietet über das Einnehmen der Perspektive Lillys besonders nach Felices Deportation einem breiten Publikum die Imagination jüdischen Leidens als deutschem Leiden, was sich in das problematische Narrativ Deutscher als Opfer einschreibt. Insgesamt leisten beide Filme bedeutsame Beiträge zur Erinnerungskultur, indem sie die Popularisierung queerer Geschichten der Vergangenheit vorantreiben, produzieren aber auch selbstvergewissernde Narrative der Nation, die hegemoniale Identitätsdiskurse eher stabilisieren als sie zu dekonstruieren. Deutsche Geschichte wird in den Filmen als nicht-heterosexuelle Geschichte re-imaginiert, ohne dabei queer im emanzipatorischen Sinne zu werden.

5.5 Hin zu einer Europäisierung und Globalisierung der Zugehörigkeiten – Dezentrierung des Nationalen in Gespenster und Ghosted? In diesem Kapitel beschäftige ich mich mit den Filmen Gespenster (2005) von Christian Petzold und Ghosted (2009) von Monika Treut, die die Auseinandersetzung mit Europa, Globalisierung, queeren Figuren bzw. lesbischem Begehren und der Thematisierung des Geisterhaften vereint. Als Co-Produktionen stellen sie streng genommen keine ›deutschen‹ Filme dar, wurden aber von deutschen Filmemacher:innen umgesetzt – auch hier zeigt sich die Porosität der Kategorie des nationalen Kinos, wie sie bereits erwähnt wurde. Darüber hinaus wird Gespenster akademisch nur in zweiter Linie als queerer Film und in erster Linie als Film der Berliner Schule rezipiert. Somit verhandeln die Filme nicht nur Fragen nach Zugehörigkeiten anhand der Darstellung nationaler und heteronormativer Grenzüberschreitungen, sondern stellen auch ›Grenzfälle‹ des Untersuchungsgegenstands dar. Dennoch werden sie für die Analyse hinzugezogen, da ›Europa‹ und ›Globalisierung‹ in Verbindung mit Queerness wichtige Bezugsgrößen darstellen, um das Verhältnis von natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeiten und sexueller Orientierung in Bezug auf Deutschland im beginnenden 21. Jahrhundert auszuloten.

5.5.1 Die unheimlich queere Nation unter Bedingungen von Europäisierung und Globalisierung In seinem Aufsatz Das Unheimliche von 1919 beschäftigt sich Sigmund Freud mit der Bestimmung dessen, was als ›unheimlich‹ bezeichnet wird in Bezug auf die Psyche wie auch

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auf Kunst und Literatur. Für ihn gehen das Heimliche und das Unheimliche ineinander über (vgl. Freud 1919: 1); das Unheimliche bei Freud macht unter Bezug auf Friedrich W. J. Schelling bei Freud »etwas, was im Verborgenen hätte bleiben sollen und hervorgetreten ist« (Freud 1919: 8) aus. Dabei stelle es nichts Neues dar, »sondern etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm nur durch den Prozess der Verdrängung entfremdet worden ist« (Freud 1919: 8). Das Unheimliche ist in diesem Verständnis also zugleich das (verdrängte) »Heimliche-Heimische« (Freud 1919: 10). Die Doppelbedeutung des Heimlichen als des verdrängten Verborgenen, des ›Anderen‹ sowie des mit dem Heimischen, dem Zuhause, in Verbindung Stehendem verdeutlicht wie das Un/heimliche und das Eigene zusammenhängen und erinnert an Freuds spätere Ausführungen in Das Unbehagen in der Kultur von 1930. Diese Abhandlung ist zu einem kanonisierten Text der (westlichen) Kulturtheorie geworden. Darin beschreibt Freud, dass das menschliche Sein in der Kultur unumgänglich ist und genauso unumgänglich auch zu ›Unbehagen‹ führt. Einen entscheidenden Grund dafür sieht Freud in Triebverzicht zum Wohle der Gemeinschaft (vgl. Freud 1952: 457). Dieser Triebverzicht bei Freud bezieht sich vorrangig auf die Bereiche Aggression und Sexualität. Zur Aufrechterhaltung der Gemeinschaft sieht er die »Einschränkung des Sexuallebens [als] unvermeidlich« (Freud 1952: 468), wodurch die Norm der reproduktiven heterosexuellen Monogamie entstehe (vgl. Freud 1952: 464) und Homosexualität so zum Verdrängten dieser Struktur macht. Zusammen mit dem Aggressionstrieb, der durch die Kultur in seine Schranken gewiesen muss, entsteht also das ›Unbehagen in der Kultur‹ (vgl. Freud 1952: 473). Für Freud ist also Kultur nicht ohne Unbehagen zu denken, genauso wie das Unheimliche im Heimischen zu finden ist. Homi Bhabha greift Freuds Ausführungen zum Unheimlichen in seinen Gedanken und Analysen zu ›unhomeliness‹ auf und bezieht es auf die koloniale und postkoloniale Erfahrung von Verdrängung, Exil und Hybridität (vgl. Bhabha 2004: 9ff.). Unhomely meint dabei nicht homeless, sondern das Aufbrechen der Grenzen zwischen dem Privaten und Öffentlichen verbunden mit dem Gefühl der Entortung, das die postkoloniale Welt prägt. Das Unheimliche besitzt also auch eine zeitliche Komponente, die auch Freud schon beschreibt, Bhabha nun aber auf kollektive Erfahrungen überträgt (vgl. Britton 1999: 121). In den Beschreibungen Bhabhas zu Prozessen kultureller Entortung wird deutlich, dass das Unheimliche nie außerhalb des als Eigenem Angesehenen verortet ist, sondern seinen Platz innerhalb jedes kulturellen Systems und Diskurses einnimmt. Elisabeth Bronfen umschreibt dies mit »Ambivalenz […], die unserer multikulturellen Welt innewohnt« (Bronfen 2000: x) und fasst Bhabhas Konzept von Unheimlichkeit folgendermaßen zusammen: »[D]aß diese [Ambivalenz] nämlich eine Vorstellung von Nation und den Trost der Zugehörigkeit zu einem heimisch-vertrauten Ort immer mit der unheimlichen, aber unvermeidbaren Bedrohung verschränkt, die von dem kulturell Anderen ausgeht, z.B. mit dem Gefühl von Fremdheit, von Andersartigkeit und fehlender Zugehörigkeit« (ebd.). Über das Gefühl der Unheimlichkeit bezogen auf Nation und Andersartigkeit hinaus hat es bei Bhabha eine deutliche Gender-Komponente: Alle seiner Beschreibungen der unhomeliness beziehen sich auf Frauenfiguren aus der Literatur. Celia Britton erklärt sich dies dadurch, dass Frauen(figuren), denen traditionell die Sphäre des Privaten und Häuslichen zugeschrieben wird, das Zusammenbrechen der getrennten Sphären

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

drastischer erleben und sie sich daher besser für die Dramatisierung dessen eignen (vgl. Britton 1999: 120). Zwar wird das Unheimliche dadurch nicht automatisch weiblich, doch aber durch Weiblichkeit dargestellt. Das ist mit Freud gedacht insofern nicht verwunderlich, als dass das Unheimliche bei Freud auch mit den weiblichen Genitalien und dem Uterus in Verbindung gebracht wurde (vgl. Freud 1952: 259), also dem Ursprung und damit verbunden der Figur der Mutter. Daneben ist das Unheimliche auch mit Queerness in Verbindung gebracht worden. So meint Nicholas Royle unter Bezug auf Hélène Cixou, die auf die queeren Spuren in Freuds Text zum Unheimlichen eingeht: »The uncanny is queer. And the queer is the uncanny« (vgl. Royle 2003: 43, Herv.i.O.). Das Queere verbindet mit dem Unheimlichen das Aufzeigen der Dynamiken von vertraut und fremd, innen und außen, die die heteronormative Gesellschaft strukturieren und zugleich im Queeren/Unheimlichen kollabieren, indem diese Binaritäten herausgefordert werden und Ambiguität an deren Stelle tritt (vgl. Palmer 2012: 8). Patricia White (1991) weist darüber hinaus darauf hin, dass lesbisches Begehren im Kino als Gespenst oder gespenstisch dargestellt wurde und damit weibliche Homosexualität als gleichzeitig disruptives wie verdrängtes und abzuweisendes Moment des Kinos deutlich wird (vgl. White 1991: 144ff.). Diese Überlegungen dienen als Ausgangspunkt für die Betrachtung der Filme Gespenster (2005) und Ghosted (2009), in denen die Verhandlung von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit, Europäisierung, Globalisierung, Reisen und Migration in Verbindung mit Queerness und Geistern bzw. die Frage nach der Un/heimlichkeit gebracht wird. Dabei wird die These aufgestellt, dass die Figur des Geistes dazu dient, die Entortungen der Globalisierungen und des Neoliberalismus zu thematisieren und dabei mit lesbischer Sexualität verbunden, um nicht mehr diese, sondern einmal den Kapitalismus (Gespenster) und einmal den ostasiatischen Raum im Gegensatz zum Westen (Ghosted) als unheimlich zu beschreiben. Die transnational ausgerichteten Filme mit lesbischen Narrativen verdeutlichen die Signifikanz von Sexualität bei der (Neu-)Verortung von belonging im europäisierten und globalisierten Raum.

5.5.2 Gespenster Berliner Schule und Christian Petzolds Filme Christian Petzold gilt als Regisseur der Berliner Schule. Das Label ›Berliner Schule‹ entstand in der Filmkritik und wurde das erste Mal im Zusammenhang mit Angela Schanelecs Film Mein langsames Leben (2001) verwendet (vgl. Abel 2013: 10). Zusammen mit Schanelec wurden Christian Petzold und Thomas Arslan zur (ersten Welle der) Berliner Schule gezählt, spätere Vertreter:innen sind u.a. Maren Ade, Ulrich Köhler, Christoph Hochhäusler, Benjamin Heisenberg oder Valeska Grisebach (ebd.). Petzold, Schanelec und Arslan besuchten zur selben Zeit Anfang der 1990er die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), die Regisseur:innen der ›zweiten Welle‹ besuchten aber auch Filmhochschulen in München oder Hamburg (vgl. Abel 2013: 10). Wie Marco Abel beschreibt, setzten sich die Filme der Berliner Schule vom deutschen (Mainstream-)Kino nach der Wende vor allem durch den ersten (kollektiven) Versuch des Voranbringens filmischer Ästhetiken seit dem Neuen Deutschen Film ab (ebd.). Dieses Kino lässt sich jedoch nicht einfach in vorgegebene kinematographische Kategorien einpassen, sondern lässt die Grenzen von Ka-

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tegorien wie (trans)nationalen, progressiven und Autor:innenkino verschwimmen (vgl. Tovey 2014). Daher konstituieren die Filme der Berliner Schule für Abel auch ein Gegenkino (vgl. Abel 2013). Alle Filmemacher:innen der Berliner Schule vereinigt nach Abel ein Thema, nämlich »the question of Deutschland« (Abel 2013: 4, Herv. i.O.) nach der Wende. Die Filme der Berliner Schule drehen sich jedoch nicht nur um Fragen nach dem Wesen und der Bedeutung der Nation und Deutschseins, sondern auch um Kapitalismus bzw. Neoliberalismus. Wie Seeßlen beschreibt, geht es den Filmen der Berliner Schule darum, »[d]en Kapitalismus dar[zu]stellen, obwohl das in unseren Erzählmaschinen eigentlich verboten ist« (Seeßlen 2007) und ihn als »Raum und Zeit von Gespenstern« (ebd.) zu erzählen. Damit stellten die Filme ein politisches Kino dar, ohne sich einer klaren Ideologie zu verschreiben, da es »Fragen nicht beantwortet, sondern schärft« (Seeßlen 2007). Die Filme der Berliner Schule sind dabei stilistisch vielfältig, was eine Charakterisierung der Schule über kinematographisch-gestalterische Elemente allein erschwert, lange Einstellungen, nicht-konventionelle Kameraperspektiven und nur sehr eingeschränkte Verwendung nicht-diegetischer Musik sind jedoch sehr üblich (vgl. Tovey 2014). Dennoch wurde der Stil der Berliner Schule versucht zu beschrieben und mit Labeln wie »Verismus« und »reflektierter Realismus« belegt (Baute et al. 2006). All diese thematischen wie stilistischen Elemente lassen sich anhand der Filme Christian Petzolds nachvollziehen. So will er die sozialen und ökonomischen Entwicklungen in Deutschland nach der Wende beschreiben (vgl. Fisher 2013: 4) und setzt sich dafür mit den Mechanismen und Wirkungsweisen des Neoliberalismus auseinander (vgl. Fisher 2013: 2). Das Kino stellt für ihn dabei eine prädestinierten Ort dar, »an dem das Gemeinwesen, in dem wir uns bewegen, durchleuchtet und bearbeitet, durchsucht und hinterfragt wird« (Petzold o.J.). In einem Interview beschreibt Petzold: »In den neunziger Jahren, als wir unsere ersten Filme drehten, war Deutschland noch sehr stark geprägt von der alten Bundesrepublik, es war ein sehr dezentrales Land. Doch die Provinz tauchte in den Filmen oft nur als Karikatur auf, man sah verschrobene, manchmal etwas bekloppte Leute. Dabei definieren sich 99 Prozent aller Deutschen über Autos, Reihenhäuser und Bausparverträge. Diese Welt wollten wir erkunden und dabei zeigen, dass auch in ihr große Geschichten, große Tragödien spielen können« (Petzold im Interview mit Beier 2013). Geister stellen für Petzold dabei die Marginalisierten der globalen Ökonomie dar (vgl. Fisher 2013: 4), zu deren Darstellung seine Filme immer wieder Atmosphären von Schwebezuständen herstellen (vgl. Fisher 2013: 1). In seiner »Gespenster-Trilogie« wird dies überdeutlich; sie umfasst neben dem Film Gespenster (2005) außerdem die Filme Die innere Sicherheit (2000) und Yella (2007) und gibt der Reihe mit dem zweiten Film Gespenster, einer deutsch-französischen Co-Produktion, einen sowohl queeren wie auch europäischen Twist. Der Film wurde im Wettbewerb der 55. Internationalen Filmfestspiele Berlin gezeigt und gewann den Preis der deutschen Filmkritik 2005. In der Presse wurde der Film breit rezipiert, im akademischen Diskurs zwar weniger wahrgenommen als andere seiner Filme, jedoch als Teil seines Werks immer wieder referenziert oder analysiert (vgl. bspw. Löffler 2011, Fisher 2013, Abel 2013). Als explizit queere Geschichte (der Berliner Schule) wurde Gespenster jedoch kaum analysiert, aber dennoch als queerer Film beschrieben (vgl. Dawson 2015).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Gespenstische Begegnungen In Gespenster wird ein Tag (bzw. 24 Stunden, von Frühstück bis Frühstück) der in einem betreuten Jugendheim wohnenden Nina (Julia Hummer) erzählt, die zwei Begegnungen macht: Mit der wahrscheinlich wohnungslosen Toni (Sabine Timoteo), in die sich Nina verliebt und mit Françoise (Marianne Basler), einer französischen Frau, die denkt, dass Nina ›Marie‹, ihre als Kind entführte und verschwundene Tochter, ist. Nach der ersten Begegnung ziehen Nina und Toni gemeinsam durch die Stadt, klauen Klamotten, nehmen an einem Film-Casting teil und gehen zusammen zur After-Party des Castings. Sie verbringen die Nacht zusammen und als Nina am nächsten Morgen aufwacht, ist Toni verschwunden. Auch Nina und Françoise verbringen Zeit zusammen und sie scheinen beide überzeugt, dass Françoise Ninas (bzw. Maries) Mutter ist, bis Françoises Mann Pierre (Aurélien Recoing) Nina wegschickt und erklärt, seine Frau sei krank und Marie tot. Es bleibt offen, ob Nina wirklich Marie ist und am Ende gehen alle wieder auseinander. Die ersten Szenen des Films evozieren zentrale Themen und Motive: Geisterhaftigkeit, Neoliberalismus, Europa (in Berlin) sowie die Anziehung zwischen Nina und Toni. In den ersten Einstellungen wird der Kamerablick durch die Windschutzscheibe eines auf der Berliner Stadtautobahn fahrenden Autos gezeigt, dabei ist die Bachkantate Ich hatte viel Bekümmernis (BWV 21) (diegetisch) zu hören; schließlich wird der Fahrer eingeblendet, sein Kopf von halb hinten in Großaufnahme, während die Musik weiterspielt und das Navigationssystem in französischer Sprache Wegbeschreibungen erteilt. Hier wird das für den Film noch zentrale Motiv des Autofahrens (durch Berlin) eingeführt, ohne dass der von Häusern und Autos eingerahmte Berliner Stadtring Freiheitsversprechen bergen würde. Die Verknüpfung von Bachs Kantate, die sowohl Assoziationen mit deutscher ›Hochkultur‹ als auch christlichen Normen hervorruft mit den französischsprachigen Anweisungen des Navigationssystems beschwören gleichzeitig Imaginationen eines geeinten, ›kultivierten‹ Europas herauf. Das Kontrastbild hierzu wird in der nächsten Szene aufgebaut. Mit einem Schnitt stoppt die Musik abrupt, auch die Szenerie wechselt: Nina ist mit Warnweste, Müllsack und Müllgreifer in einer weiten Einstellung inmitten einer von Bäumen umgebenen Wiese zu sehen, wie sie Müll auf der Wiese einsammelt, im Hintergrund sind das Rauschen des Windes und das Zwitschern von Vögeln deutlich zu hören. Dann zeigt die Kamera sie in einer Naheinstellung, immer noch von hinten. Als sie Schreie hört, dreht sie sich um, zum ersten Mal mit dem Gesicht in die Kamera und eine point-of-view-Shot Ninas zeigt wie zwei Männer an einer jungen Frau (Toni) zerren, diese in ein Gebüsch ziehen. Nina geht in die Richtung der Szene, findet einen Ohrring auf dem Boden und hebt ihn auf. Sie nähert sich dem Geschehen, sieht wie die Männer die junge Frau schlagen, ihr eine Halskette abreißen und wegrennen. Ninas und Toni Blicke treffen sich zum ersten Mal, sie sehen sich einen Moment lang in die Augen, dann ertönt ein Ruf »Hey«, Nina dreht den Kopf in die Richtung des Rufs, Toni rennt weg und Nina geht in die Richtung des Rufens zurück. Ein Mann mittleren Alters – der, wie sich erschließen lässt, der Anleiter der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für (arbeitslose) Jugendliche ist, an der Nina teilnimmt – sieht Nina mit prüfendem Blick an und fragt Nina, ob sie etwas gefunden habe. Auf ihr »Nee« entgegnet er:

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Anleiter (A): »Wie auch? Wie soll denn der Müll da auch hinkommen?« Nina (N): »Ich hab’ schon die ganze Wiese saubergemacht« A: »Die ganze Wiese. Verarschen kann ich mich alleine. Du denkst wohl, du bist die erste, die sowas probiert. Schön den Beutel füllen an den Mülleimern und dann mit fetter Beute in die Frühstückspause gehen« N: »Das hab’ ich nicht gemacht, ich hab’ wirklich die ganze Wiese saubergemacht«. Im Weggehen schüttet der Anleiter Ninas Müllbeutel wieder auf der Wiese aus und sagt »Jetzt kannst du die Wiese saubermachen«, während er geht und Nina, die beginnt die Wiese wieder zu säubern, zurücklässt. Diese zweite Szene inszeniert nicht nur die institutionellen Praktiken der neoliberalen effizienzlogischen Zurichtung, sondern stellt eine Verbindung zu dem her, was für Petzold das Geisterhafte gegenwärtiger Kapitalismusausformungen ausmacht. Wie er beschreibt, seien die Millionen Arbeitslosen in Deutschland »actually also ghosts, in a bubble, that live in a parallel world« (Petzold, zit. in Fisher 2013: 96), worauf diese Sequenz Bezug zu nehmen scheint. Das Gefühl der Parallelwelt entsteht durch die Kontrastierung mit der vorangegangenen Szene: Obwohl mitten in Berlin, wirkt der Berliner Tiergarten, in dem die Handlung angesiedelt ist, als großer Gegensatz zu den viel befahrenen Berliner Straßen. Das Geisterhafte, das Petzold beschreibt, findet sich auch atmosphärisch ausgedrückt: Mit dem Fehlen von Musik, und der Präsenz lauter Hintergrundgeräusche entsteht eine spukhafte Geräuschkulisse, mit Petra Löffler ließe sich hier auch von »Ghost Sounds« (Löffler 2011) sprechen56 . Der Einsatz der Steadicam, die es ermöglicht, »[d]ie Figuren aus ihren Definitionen [zu lösen]« (Petzold 2020) intensiviert diesen Eindruck des Gespensterhaften. Dies wird von der waldartigen Umgebung des Tiergartens noch verstärkt und erinnert damit fast an einen Märchenwald, Ninas Finden des Ohrrings an Aschenputtels Schuh (ein paar Szenen später findet Nina tatsächlich auch noch Tonis Schuh auf dem Weg liegen und gibt ihn ihr, als sie Toni hinter einem Baum versteckt findet). Das überrascht nicht, denn Märchen dienten als Inspirationsquelle für den Film: Das Motiv des Waisenkinds im Wald, das den Wald wieder verlassen muss, wollte Petzold in der Figur Ninas realisieren (vgl. Petzold im Interview mit Suchsland 2004); und die Geschichte des Märchens vom Totenhemdchen, in dem einer Mutter der Geist ihres verstorbenen Kinds immer wieder erscheint, weil sie es nicht loslassen kann, war eine der Vorlagen Petzolds zur Ideenentwicklung zum Film (vgl. Petzold 2004). Die Aschenputtel-Assoziation legt zwar eine romantische Assoziation nahe als Nina und Toni sich zum ersten Mal direkt anblicken, es bleibt aber über die nächsten Filmminuten unklar, ob die Anziehung zwischen Toni und Nina wirklich romantischer oder sexueller Natur ist. Damit werden zunächst Hinweise gelegt, diese aber auch im Schwebezustand gehalten (vgl. Fisher 2013: 1). Diese zentralen Themen des Films, die die ersten Szenen 56

Wenngleich Löffler mit Ghost Sounds vorwiegend die technisch reproduzierten Stimmen der Bachkantaten im Film beschreibt, möchte ich den Begriff auf die gesamte Musik- und Geräuschkulisse im Film erweitern: Die präzise eingesetzte Mischung aus körperlosen, da technisch reproduzierten, Stimmen, Rufen und Schreien von außerhalb des Bildausschnitts sowie lange Passagen ohne diegetische oder extradiegetische Musik, nur mit Geräuschelementen wie Wind, Straßenlärm oder Absatzklappern versetzt, schaffen eine geisterhafte Klanglandschaft, die den gesamten Film durchdringt.

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etablieren, werden neben weiteren im Filmverlauf entwickelt und hierüber gesellschaftliche Ordnungsverhältnisse sowie belongings verhandelt, wobei (die Suche nach) Zugehörigkeit in der postmodernen neoliberalen Welt mit einem Fragezeichen versehen bleibt. Dabei wird über Queerness bzw. lesbische Sexualität die Unheimlichkeit des neoliberalen Blickregimes inszeniert, in dem lesbisches Begehren zum Kapital im Kampf um einen Platz in der Unterhaltungsindustrie funktionalisiert wird, andererseits behält es die Atmosphäre des Gespenstischen im Sinne des Ephemeren und Flüchtigen bei.

Die Un_Heim_lichkeit des neoliberalen Berlins und Europas Auch wenn der Schauplatz von Gespenster ausschließlich in Berlin angesiedelt ist, erzählt der Film dennoch nicht nur eine Geschichte in und über Deutschland, sondern auch über Europa. Wie Claudia Bruns beschreibt, definiert sich Europa mit fortschreitender europäischer Integration und Grenzabbau im Innen durch verstärkte Abgrenzung nach außen, gerade an den Ostgrenzen (vgl. Bruns 2017: 19). Die Idee eines vereinten Europas ist dabei nicht neu, bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, also bereits vor dem ersten Weltkrieg, gab es Entwürfe zu einem vereinten Europa, aufbauend auf der Idee Europas als einer gemeinsamen Kultur und Zivilisation (vgl. Ichijo 2016: 68). Mit dem Ende des 2. Weltkriegs breitete sich die Idee eines vereinten Europas weiter aus und nach dem Ende des Kalten Kriegs – besonders seit 2002 mit der Einführung des Euros – schienen die Grenzen innerhalb Europas mehr und mehr zu verschwinden und ein ›neues Europa‹ gesteigerter Zirkulation von Waren, Geld und Menschen auf dem Vormarsch (vgl. Rossman 2016: 1). Europa wurde damit immer mehr synonym mit der EU und das Ökonomische zum organisationellen Leitrprinzip (vgl. Brown 2015: 40). Daneben wurde Europa seit den 1990er Jahren auch immer synonymer mit West-Europa (vgl. Ichijo 2016: 73) und besonders die deutsch-französischen Beziehungen wurden nach Jahrhunderten der Feind:innenschaft zwischen den beiden Nationen als Kernelemente eines geeinten Europas angesehen (vgl. Bühler/Mentz 2017: 5ff.; Ichijo 2016: 69). Ähnlich wird auch in Gespenster das geeinte, ›integrierte‹ Europa über die deutsch-französische Beziehung aufgerufen. So werden gleich in der ersten Szene die beiden körperlosen Ghost Sounds von Bachs deutschsprachiger Kantate und dem französischsprachigen Navigationssystem hörbar, während das Auto durch Berlin fährt, und so alle drei miteinander verflochten; auch die über 40 Minuten aufgebaute alternierende Montage der beiden Erzählstränge ›Nina und Toni‹ und ›Françoise und Pierre‹ deuten den Zusammenhang der beiden an. An keiner Stelle des Films wird die Französischsprachigkeit Françoises und ihres Manns erklärt, in Frage gestellt, dient nie als Marker von Andersartigkeit oder auch nur als bemerkenswert. Genauso verhält es sich mit dem Sprachwechsel, wenn Françoise mit Nina und Toni auf Deutsch spricht. Petzold beschreibt die Idee des Zusammentreffens von deutsch und französisch in Berlin als auf die Beobachtung zurückgehend, dass um den Mauerfall herum viele Menschen aus europäischen Ländern nach Berlin kamen, um die welthistorischen Ereignisse mit eigenen Augen betrachten zu können (vgl. Fisher 2013: 99f.). In diesem Zusammenhang hatte Petzold auch von einer französischen Journalistin gehört, die mit ihrer Familie nach Berlin kam und dort über das Verschwinden eines kleinen Mädchens berichtete (ebd.). In der Verankerung von Gespenster in Erlebnissen des Filmemachers um den Mauerfall herum wird die Verbindungslinie zu soziopolitischen Dimensionen des Films deutlich und sie zeigt, dass Entwicklungen in Deutsch-

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land und Europa seit der Wende explizite Bezugsgrößen im Film darstellen, auch wenn diese Vergangenheit im Film nicht expliziert, sondern zugunsten einer dominanten Gegenwart verdrängt wird, in den Bildern der geschichtsträchtigen Orte der Stadt aber immer wieder in die Gegenwart des Films bricht. Wie in den geisterhaften Geschichten und Atmosphären im Film die individuellen Geschichten der Figuren sie immer wieder einholen, wird auch die deutsche und deutsch-französisch-europäische Vergangenheit immer wieder wachgerufen. Das Europa im Film ist damit aber keines, das eine neue oder zusätzliche, post-nationale Zugehörigkeit verspricht; denn die drei Frauen, die sich im Film begegnen, sind alle auf einer nicht enden wollenden Suche: Françoise nach ihrer entführten Tochter, Nina nach irgendeiner Form von belonging (egal ob romantisch bei Toni oder familiär bei ihrer ›Mutter‹) und Toni nach einer Karriere im Show-Business. Die Suche nach Zugehörigkeit wird im Film vornehmlich durch ihr Scheitern dargestellt. Dieses Nicht-Finden von Zugehörigkeit und Zuhause, diese Un_Heim_lichkeit, in einem neoliberalen Europa, das sich in Berlin verdichtet, stellt sich im Film nicht nur anhand des auseinanderfallenden Plots und der Klanglandschaft (wie bereits erwähnt) dar, sondern findet sich auch in der Darstellung der Figuren, des Stadtraums und der Bewegung innerhalb dessen. So werden Figuren in ihren ersten Einstellungen, aber auch über den Film hinweg von hinten oder halbhinten gezeigt, sie sind abgewandt: Voneinander, vom Publikum, aber auch von der Gesellschaft und ihren Normen, Erwartungen als solcher sowie auch von (ihrer eigenen) Geschichte, denn ihre Hintergrundgeschichten sind vor allem durch Lücken, Auslassungen, Lügen und allenfalls fragmentarische Erzählungen geprägt.

Abb. 127–128: Gespenster (D/F 2005, R: Christian Petzold)

Abb. 129–130: Gespenster (D/F 2005, R: Christian Petzold)

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

So ist Françoise in ihrem ersten Auftritt im Film bei ihrer Entlassung aus der Psychiatrie über eine Minute lang nur von hinten zu sehen, bis die Kamera auch ihr Gesicht zeigt. Zusammen mit einer Ärztin oder Krankenschwester (die ganz in weiß gekleidet ist, während Françoise komplett in schwarz gekleidet ist) geht sie die langen, verschlungenen, leeren Gänge der Psychiatrie entlang, die durch Türen voneinander getrennt sind, welche mit Schlüsseln und Karten von der Ärztin oder Krankenschwester geöffnet werden. Die Kamera folgt ihr, es wird kein Wort gesprochen, zu hören sind nur die Hintergrundgeräusche des Türenöffnens und des Klackens von Françoises Schuhabsätzen auf dem Boden. Die 80 Sekunden lange Szene ist ohne Schnitt gedreht und erzeugt in der Länge der Abgewandtheit in Verbindung mit dem Fehlen von Musik oder Gespräch Trostlosigkeit und Dumpfheit. Dies wird verstärkt durch den Nicht-Ort der Psychiatrie. Nach Marc Augé stellen Nicht-Orte Orte der Supermoderne dar, die im Gegensatz zum so von ihm benannten anthropologischen Ort weder Identität, Relation oder Geschichte besitzen (vgl. Augé 1995: 87). An Nicht-Orten gibt es mit Augé damit auch nur eine immerwährende, nicht enden wollende Gegenwart (vgl. Augé 1995: 104). Nicht-Orte tragen demnach auch nicht zum Identitäts- oder Beziehungsaufbau bei, sondern erzeugen nur Einsamkeit und Ähnlichkeit (vgl. Augé 1995: 103). Beispiele für Nicht-Orte stellen Shopping-Malls, Bahnhöfe, Hotels oder Krankenhäuser dar (vgl. Augé 1995). Die Verdrängung der Geschichte lässt die Nicht-Orte unheimlich erscheinen. Augés Nicht-Orte sind damit die neoliberalen Orte schlechthin, die der Film mit der neoliberalen Vereinzelung (vgl. Klautke/Oehrlein 2007: 10) verbindet, die hier zum Motiv wird und in der Einsamkeit und Unheimlichkeit der Nicht-Orte in der beschriebenen Szene von Françoises Psychiatrieentlassung spürbar wird. Aber auch darüber hinaus ist Gespenster voll von NichtOrten: Neben dem Hotel (vgl. Fisher 2013: 104), in dem Françoise und Pierre wohnen und Ninas betreutem Jugendheim, wird das Publikum in die Shopping-Mall, in der Nina und Toni Klamotten klauen, geführt sowie zum Supermarkt, vor dem Françoises Tochter Marie entführt wurde. Dabei wird auch die Identitätslosigkeit und immerwährende Ähnlichkeit, die Augé als charakteristisch für Nicht-Orte beschreibt, inszeniert. So antwortet Nina auf Tonis Nachfragen zu Elementen aus Ninas Leben, zum Beispiel, ob der Ort, an den Nina Toni gebracht hat, ein Heim sei, mehrfach »Sowas Ähnliches«. Diese Nicht-Identität steht auch repräsentativ für anti-identitäre postmoderne Identitätsentwürfe, auf die der Film hier einen pessimistischen Blick wirft. Auch der öffentliche Raum wirkt in Gespenster geisterhaft, so zeichnen sich öffentliche Plätze, egal ob im Park, im Wohngebiet oder inmitten des Stadtzentrums durch ihre (Menschen-)Leere aus. Damit wird Berlin zur Geisterstadt und die Protagonist:innen gemäß des Titels zu in ihr herumwandernden Gespenstern. Dieses fast ziellose ›Herumwandern‹ wird auch in den Figurenbewegungen deutlich: Ständig laufen, rennen, fahren die Figuren durch Berlin an sich immer wieder wiederholenden Orten und Schauplätzen rund um den Potsdamer Platz und Tiergarten. In seinen Ausführungen zur Unheimlichkeit beschreibt Freud das Moment der Wiederholung als »Quelle des unheimlichen Gefühls« (Freud 1919: 10). Das geisterhafte Wandeln der Figuren im Film symbolisiert das Nicht-vom-Fleck-kommen in der endlosen Suche der Figuren ohne letztendlich Erlösung zu finden. Auch wenn Europa offenen Grenzen (nach innen) bereithält, drehen sich die Figuren hier im Kreis und finden in ihnen keine Freiheit.

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Das Aufrufen von Geistern, also dem Vergangenen, aber immer noch Anwesendem, um die Gegenwart zu beschreiben, weist auf die Nicht-Identität der Gegenwart mit sich selbst hin, wie es Jaques Derrida in Bezug auf das Auftreten von Geistern in Spectres of Marx darlegt (vgl. Derrida 1994: xix). Mit Derrida, der sich in seiner ›hauntology‹ mit der Frage nach der Rolle des Marxismus im Lichte der globalen neoliberalen Transformationen nach 1989 und der fortschreitenden europäischen Integration beschäftigt, lässt sich sagen, dass die Beschäftigung mit dem Geisterhaften notwendig für jedes Nachdenken über Gerechtigkeit ist, denn: »It is necessary to speak of the ghost, indeed to the ghost and with it, from the moment that no ethics, no politics, whether revolutionary or not, seems possible and thinkable« (ebd., Herv. i. O.). So ist es nicht verwunderlich, dass die Gespenster des Films die Zentren des Neoliberalismus heimsuchen.

Abb. 131–133: Gespenster (D/F 2005, R: Christian Petzold)

Anstatt die ›Geister der Geschichte‹ des historisch bedeutenden Potsdamer Platzes zu beschwören, »Petzold conjures […] ghosts created by the processes and practices of the contemporary world« (Fisher 2013: 104) (wie Essen, Kleidung und persönliche Befindlichkeiten), wie es Jaimey Fisher treffend beschreibt. Mit diesen Mitteln sowie durch das Fehlen eines establishing shots, was den Potsdamer Platz, Tiergarten und Berlin nur für diejenigen erkennbar werden lässt, die die Umgebung selbst genau kennen (vgl. Fisher 2013: 104), wird Berlin als Topos dekonstruiert und bietet keinen zugehörigkeitsstiftenden Anknüpfungspunkt mehr – zwar werden Berlin, Deutschland, Europa in ihrer Geschichtlichkeit evoziert, diese wird aber entgegen der Erwartungen aus der ersten Szene, die Europa musikalisch aufruft, über den Film hinweg dekonstruktivistisch entfaltet. Somit werden zwar essenzialisierende natio-ethnokulturelle Zugehörigkeitsmuster in Frage gestellt, aber kein Gegenbild entworfen für das es sich zu kämpfen lohne, denn es bleiben nur Einsamkeit und Leere. Besonders eindrücklich werden Geisterhaftigkeit und gegenwärtiger neoliberaler Kapitalismus in einer Szene verknüpft, in der Nina und Toni aus der Perspektive einer Überwachungskamera in einem Shopping-Center gezeigt werden. Das Kaufhaus wirkt leer, nur Nina und Toni sind zu sehen, auf der Überwachungskamera wirken sie wie sich bewegende Verkörperungen der Schaufensterpuppen, wie gespenstische Laufstegmodels, und neben den überlebensgroßen Werbeplakaten mit Frauen wird hier die vergeschlechtlichte Warenwerdung und Objektifizierung von Weiblichkeit im Kapitalismus ausgestellt (vgl. Illouz 2012). Das mechanische Klacken der Überwachungskamera, als diese zoomt, bestärkt diesen Eindruck der voyeuristischen Objektifizierung: Die Frau ist hier nicht mehr nur Objekt des männlichen Blicks, sondern des Blicks des technisierten (und damit wie-

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

derum doch auch hegemonial geschlechtlich konnotierten) Überwachungskapitalismus. Shoshana Zuboff beschreibt in ihren Ausführungen zum Überwachungskapitalismus, der beim Erscheinen ihres Buchs 2019 viel ausufernder agiert als bei der Veröffentlichung des Films 2005, wie eine neue Logik im Kapitalismus die Abschöpfung von Daten über Menschen durch Überwachungstechnologien immer umfassender nutzt, um Verhaltensvorhersagen machen und so das Kauf- und Konsumverhalten beeinflussen und steuern zu können (vgl. Zuboff 2019: 14). Interessanterweise verknüpft Zuboff ihre Ausführungen mit einem (sehr naturalisierendem) Aufrufen des homes als substanziellem menschlichen Bedürfnis und das Auftreten des Überwachungskapitalismus mit dem Verlust desselben (vgl. Zuboff 2019: 11ff.; 19). Genau diese Abwesenheit von home im Überwachungskapitalismus, in diesem Sinne eine Un_heim_lichkeit ruft Gespenster in diesen Bildern auf und verweist ein weiteres Mal darauf, dass den Figuren im Film, die aus den Effizienzlogiken der Ökonomie herausfallen, jede Form von home, von Zugehörigkeit verwehrt bleibt und inszeniert die Produktion von unhomeliness im Kapitalismus. Die Wiederholungen der Einblendungen der Bilder von Überwachungskameras über den Film hinweg produzieren darüber hinaus eine unheimliche Blickstruktur (vgl. auch nächster Abschnitt).

Abb. 134: Gespenster (D/F 2005, R: Christian Petzold)

Um trotzdem überleben zu können, ist die Figur Toni auf das Klauen angewiesen, eine Konstruktion, die die sozialen Ungerechtigkeiten des Kapitalismus konkret zur Oberfläche bringt. Die Männer, die sie zu Beginn des Films attackieren, tun, dies, weil sie von ihnen gestohlen hat, sie bringt Nina zu einer Wohnung (ein Ex-Freund?), bei der ihr Diebstahl vorgeworfen und mit dem Rufen der Polizei gedroht wird und schließlich entwendet sie im entscheidenden Moment zwischen Françoise und Nina Françoises Portemonnaie. Als Nina Toni darauf anspricht, erwidert diese »Weil wir Hunger haben und sie Prada-Sachen trägt«, bringt die inszenierten Klassenverhältnisse damit auf den Punkt und lässt dabei auch Pierre Bourdieus Idee von ästhetischen Stilen als klassenspezifischen Distinktionsmerkmalen in Die feinen Unterschiede (1982) denken. So dienen

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vestimentäre Praktiken im Film immer wieder dazu, Besitz- und Zugehörigkeitsverhältnisse zu thematisieren: Nina gibt Toni ein T-Shirt, da Tonis beim Angriff der Männer zerrissen wurde, Nina und Toni klauen für den Casting-Auftritt Oberteile bei H&M und T-shirts mit dem Aufdruck ›Freundinnen‹ etikettieren Nina und Toni im Casting. Freundinnenschaft wird hier in Anlehnung an Joan Rivieres Begriff der Maskerade (vgl. Riviere 1929: 306), zur bloßen Hülle, deren Inneres leer bleibt und die sich Toni und Nina anlegen müssen, um in der Casting-Welt zu Erfolg kommen zu können – was sich auch in einer ausgedachten Geschichte Tonis über das Kennenlernen von Nina und Toni zeigt. Was hier dargestellt wird, ist die Kommodifizierung persönlicher Beziehungen: Freundinnenschaft wird zur Ware, die das ›Casting-Mädchen‹ Toni dem Regisseur anpreisen will/muss, um sich selbst ein (vermeintlich) besseres Leben erkaufen zu können. In dieser Welt sind Individuen austauschbar, was sich darin zeigt, dass Toni erst mit ›Susanne‹ zum Casting will und nur auf Nina zurückgreift, als Susanne (die nie persönlich auftritt und von der Toni nur erzählt) absagt. Die Szene versinnbildlicht damit sowohl das Vordringen des Neoliberalismus in alle Lebensbereiche als auch die Oberflächlichkeit der Unterhaltungsindustrie.

Abb. 135: Gespenster (D/F 2005, R: Christian Petzold)

In der sinnentleerten Welt des Neoliberalismus, die Gespenster präsentiert, gehen sowohl von nationalen als auch vermeintlich post-nationalen Gefügen keine haltbaren Zugehörigkeitsversprechen mehr aus, auch dem »progressiven Neoliberalismus« (Fraser 2017) wird eine Absage erteilt. So werden Essenzialismen teilweise aufgelöst, am Ende bleibt die Auflösung selbst als einzige Konstante, das Gespenstische kommt als »a constituent element of modern social life« (Gordon 1997: 7) Vorschein. Geschichte wird durch die Tyrannei der und Prekarisierung in der Gegenwart ›privatisiert‹ (vgl. ähnlich Fisher 2013: 104) und stellt nur eine un_heimliche Kulisse für ein (Über-)Leben im Suchmodus dar. In Gespenster ist das Gespenstische mit dem Weiblichen verknüpft, aber auch mit dem Queeren.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Nina und Toni – ein queeres Märchen? In Gespenster laufen die genannten gespenstischen Referenzen zu Berlin und Europa, neoliberale Prekarisierungserfahrungen und Queerness ineinander. Das Motiv der Suche nach Zugehörigkeit wird queer ausgedeutet, aber ebenfalls enttäuscht. Nina und Toni stellen zwei sehr unterschiedliche Typen von Weiblichkeit im Umgang mit einer unwirtlichen Welt dar: Während Nina, das »Waldmädchen« (Petzold im Interview mit Suchsland 2004) schüchtern, fast naiv und zerbrechlich wirkt, sich mit eingefallenen Schultern und gesenktem Kopf durch die Welt bewegt, stellt Toni das kämpferische Mädchen aus der Stadt dar, die sich erhobenen Hauptes resolut durchbeißt. Im Aufeinandertreffen dieser Typen bildet sich eine Dynamik aus, in der die dominante Toni die sich fügende Nina mit- aber auch in ihren Bann zieht. Während Ninas Bewunderung und Gefühle für Toni wirklich gefühlt zu sein scheinen, scheint Toni in Nina lediglich eine Erfüllungsgehilfin für ihre Zwecke zu sehen. Aus dieser Ausgangslage heraus schwankt die Begegnung der beiden abhängig von Tonis Gemütslagen zwischen dem Aufbau von Nähe und Intimität einerseits und den Abweisungen Ninas durch Toni andererseits. Dennoch wird die Begegnung zwischen Nina und Toni, wie bereits erwähnt, durch Versatzstücke aus Märchen als romantische angelegt und es werden in den ersten Szenen Hoffnungen auf ein ›queeres Märchen‹ genährt57 . Der Film oszilliert jedoch über weite Teile zwischen Anziehung und Ablehnung zwischen den Protagonistinnen und verwischt die Grenzen von Freundinnenschaft und Romantik immer wieder. Im letzten Drittel des Films werden die beiden jedoch schließlich als Paar etabliert, nur um die Paarkonstellation wenig später als funktionalistisch zu enttarnen und wieder aufzulösen. In der Szene der Paaretablierung ist zunächst ein vollständig rot ausgeleuchteter Raum zu sehen, im Hintergrund ist Lounge-Musik zu hören. In Nah-Einstellung ist zunächst Toni zu sehen, die den Körper langsam zur Musik bewegt, den Blick gesenkt. Sie hebt den Blick, blickt in eine Richtung und fordert Nina mit den Worten – nun lächelnd – »Nina – komm!« dazu auf zu ihr zu kommen. In Großaufnahme ist Ninas Gesicht zu sehen, die den Kopf leicht schüttelt und ein leises »M-m« von sich gibt. Der Kamerablick wechselt mehrmals zwischen der Großaufnahme von Ninas zaudernd-geschmeicheltem Gesichtsausdruck zu Toni, die immer näher zu Nina kommt und diese schließlich überzeugt. Die beiden umarmen sich und tanzen langsam und eng umschlungen, während die Kamera sie in Nahaufnahme aus verschiedenen Perspektiven einfängt. Ein Achsensprung erweckt dabei den Eindruck, dass sie ›rundum‹ ineinander versunken sind. Zunächst ist nicht klar, wo sich die beiden befinden. Die Konturen des Raumes sind unklar, die beiden wirken nun wirklich wie in einer »bubble« (Petzold, zit. in Fisher 2013: 96), um es mit Petzolds Worten zu sagen. Auch ob es sich um einen Traum oder eine Fantasie handelt, bleibt für einige Momente unklar. Deutlich wird nur, dass hier ein Moment konstruiert wird, in 57

Das Märchen als Inspirationsquelle für einen queeren Film taucht auch in Michael Stocks Prinz in Hölleland (1993) auf. Im Gegensatz zu Gespenster, in dem Versatzstücke verschiedener Märchen im Film auftreten, wird in Prinz in Hölleland ein Erzählstrang eingeflochten, in dem ein Märchen anhand eines Puppentheaters von Anfang bis Ende erzählt wird. Das Märchen spiegelt dabei die Entwicklungen des Erzählstrangs ›reale Welt‹ und übersetzt sie mit queerer Wendung in Märchentropen mit dem Unterschied, dass sich die beiden Enden unterscheiden: Während das Märchen mit dem klassischen Märchen-Happy-End schließt, endet der Erzählstrang in der diegetischen Realwelt mit dem Tod eines Protagonisten.

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dem Nina und Toni ganz aufeinander bezogen sind, intensive Blicke austauschen und einander nah sind. Mit den leicht verlegenen und flirtenden Blicken sowie dem langsamen, engen Tanz wird auf leicht erkennbare Darstellungsformen romantischer Liebe zurückgegriffen und die beiden werden zum romantischen Filmpaar. Die Romantik ist jedoch nicht von langer Dauer, denn nach nur wenigen Einstellungen, die die beiden aus verschiedenen Perspektiven miteinander tanzend zeigen, fällt Tonis Blick auf etwas, das aus der »bubble« hinausweist, die Blickachse verschiebt sich. In der nächsten Einstellung löst die Kamera auf, worauf Toni geblickt hat, als der Regisseur des Castings eingeblendet wird, der Toni und Nina beobachtet. Während Nina und Toni in am rechten Bildrand in rotes Licht getaucht zu sehen sind, ist der Regisseur im Bildhintergrund sichtbar, in der Mitte des Bildausschnitts positioniert, das rote Licht, das Toni und Nina umhüllt, geht auf ihn über, gleichzeitig ist er auch dem weiß ausgeleuchteten Hintergrund mit anderen Partybesucher:innen verbunden. Die geringe Schärfentiefe mit Fokus auf den Regisseur lässt ihn scharf und Toni und Nina verschwommen erscheinen, was seine Zentrierung weiter hervorhebt. Somit wird nicht nur deutlich, dass sich Toni und Nina keineswegs ›in einem Traum‹ befinden, sondern auf der Party, zu der sie der Regisseur eingeladen hatte; mit der Veränderung der Blickachse wird also auch ihre romantische ›bubble‹ zerstört. Die bubble ›Nina und Toni‹ ist bildlich an den Rand gedrängt, zentral ist nun des Regisseurs Blick auf die beiden, der von Toni wahrgenommen und erwidert wird. Im Bildaufbau, der Ausleuchtung und der selektiven Schärfe zeigt sich verbildlicht wie Tonis und Ninas Bezug aufeinander in der patriarchal-kapitalistisch strukturierten innerfilmischen Realität verunmöglicht wird. Die folgenden Szenen akzentuieren dies. Nachdem der Regisseur aus dem Bild geht, lässt Toni Nina unter dem Vorwand, etwas zu trinken zu holen, auf der Party zurück. Als Nina Toni nach einer Weile sucht, findet sie sie zusammen mit dem Regisseur in einem Nebenraum nah aneinander stehend und lachend. Nina will gehen, doch Toni überredet sie zu bleiben. Toni beginnt eng mit Nina, deren Körpersprache zunächst Zögern ausdrückt, zu tanzen. Im Schuss-Gegenschuss werden Ninas und Tonis Tanz mehrere Male mit den starrenden Blicken des Regisseurs, der die beiden in raumeinnehmender Pose auf einem Sofa sitzend beobachtet, kontrastiert. Diese Blickachse wird unterbrochen, als die Frau des Regisseurs die Szene betritt, ihn beim Anblick der Situation ohrfeigt, wegläuft und er ihr folgt. Nach einem Moment der Stille und des Blickens in verschiedene Richtungen, treffen sich Tonis und Ninas Blicke, sie beginnen zu lachen und sich intensiv zu küssen. Wenige Augenblicke später wiederholt sich die Struktur der vorangegangenen Tanzszene: Toni blickt auf, in der nächsten Einstellung ist wieder der Regisseur zu sehen, nun in der Glastür stehend, Toni und Nina beobachtend, die beiden als Spiegelungen in der Glastür im Bild seines Beobachtens anwesend. In der Wiederholung der Aufführung des männlichen Blicks (vgl. Mulvey 1985 [1975]: 808) aus der vorangegangen Szene wird diese Blick- und Machtstruktur hervorgehoben und vom Film aber durch Ninas Weigerungen, ihre Aussage, dass sie den Regisseur nicht mag und das Lachen der beiden über die Ohrfeige nicht nur reproduziert, sondern auch ausgestellt, kenntlich gemacht und damit als vermachtet sichtbar. Dadurch, dass beide Szenen jedoch immer mit dem Blick des Regisseurs auf Toni und Nina als Endpunkt enden, werden die Machtverhältnisse aber nicht nur verdeutlicht, sondern zu definitorischen Momenten über die Situation: Die erotische Annäherung von Toni und Nina wird durch Tonis Blick zum Regisseur zur Einla-

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

dung zum Blicken, die Situation scheint nur zum Zwecke der Anregung seiner sexuellen Fantasien konstruiert. Die Sexualisierung von lesbischem Begehren im Heterosexismus (vgl. Barton 2019) wird von Toni für die Erreichung ihrer eigenen Ziele genutzt. In dieser Ökonomie des Blickens wird der emanzipatorische, kämpferische oder anti-normative Kern von Queerness ausgehöhlt, Queerness ist hier reine Maskerade. Queerness wird darüber hinaus zum (sexuellen/erotischen) Kapital (vgl. Hakim 2010: 499)58 und dadurch in die Ökonmie eingehegt, gleichzeitig wird queeres belonging verunmöglicht. Die Spiegelungen in der Glastür verweisen auf Toni und Nina als Spiegelungen der Fantasie des Regisseurs, dessen Lustobjekte; im Entzug ihres Subjektstatus’ bleibt nur ein gespenstischer Hauch einer verschwommenen Spiegelung.

Abb. 136-137: Gespenster (D/F 2005, R: Christian Petzold)

Zusammen mit der Wiederholung der zuvor erwähnten über den Filmverlauf hinweg eingeblendeten Blicke der Überwachungskameras wird in Gespenster so ein un/heimlichzurichtendes Blickregime erzeugt und ausgestellt. Der Blick des Überwachungskapitalismus und der männliche Blick werden durch ihre jeweiligen Wiederholungen in eine Strukturanalogie gesetzt, wodurch der Film nicht mehr lesbisches Begehren als das ›Unheimliche‹ (wenn doch auch als gespenstisch im Sinne von nicht greifbar) produziert, sondern das Blickregime der spätkapitalistischen Verwertungslogik, das es beobachtet und in seine Ökonomie einbindet. Der Umstand, dass dies die letzte Szene darstellt, in der Toni und Nina zusammen auftauchen, betont dies. In der nächsten Szene wacht Nina am nächsten Morgen allein im selben Raum auf und erfährt von der Frau des Regisseurs, dass Toni mit deren Mann »weg zum Ficken« ist. Ninas ›Königin‹ Toni (wie sie sie zuvor bezeichnet) ist (und bleibt) verschwunden. Im Dialog mit Françoise werden sowohl Ninas Wunsch nach Zugehörigkeit, Tonis geisterhaftes Auftauchen sowie die Normalisierung von Queerness deutlich: Françoise (F): »Ist Toni deine Freundin?« Nina (N): »Sie hat mit mir geschlafen und dann war sie weg«

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Catherine Hakim beschreibt erotic capital als eine weitere Form des Kapitals neben den von Pierre Bourdieu bestimmten Formen des ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals (vgl. Hakim 2010: 499). So sei erotic capital nicht nur auf den Dating- und Heiratsmärkten von Bedeutung, sondern auch auf Arbeitsmärkten, in den Medien, der Politik oder in Situation alltäglicher Interaktion (ebd.).

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F: »Wärst du gerne mitgegangen?« N: »M-m, ich wollte, dass sie bei mir bleibt«. Die bildliche Auslassung der Sexszene lässt diese traumhaft oder gespenstisch im Sinne einer Spur des Vergangenen erscheinen. Queerness kann hier nur als ephemere Begegnung gelebt werden und markiert die Unmöglichkeit gelingenden belongings. Der Film inszeniert hier die »emotionale Ungewissheit im Bereich von Liebe, Romantik und Sexualität« in der Spätmoderne, die Eva Illouz (2018) als »direkte soziologische Folge einer Ideologie der individuellen Wahl« (Illouz 2018: 14), die mit dem Kapitalismus verknüpft ist, charakterisiert. Das Märchen-Happy End bleibt den Protagonistinnen in diesem Sinne somit verweigert. Luc Boltanski und Ève Chiapello beschreiben die Tendenz des »neuen Geist des Kapitalismus« sich Kritik einfach einzuverleiben (vgl. Boltanski/Chiapello 2018 [1999]: 488ff.); ähnlich ist auch Queerness in Gespenster nicht mehr emanzipatorisch, disruptiv (oder un_heim_lich), sondern (ermöglichender) Teil des ›Geists‹ der neoliberalen, europäischen Supermoderne geworden.

Die verlorene Tochter und die kranke Mutter Im Erzählstrang rund um Nina und Françoise werden die Motive des Verlorengehens und (vermeintlichen) Wiedergefundenwerdens verhandelt, verknüpft mit Fragen nach dem Ursprung, des home und der unhomeliness. Wie Petzold beschreibt, geht dieser Teil des Films auf zwei Ursprünge zurück, die das Gespenstische auch in diesem Erzählstrang verankern: Das bereits erwähnte Märchen vom Totenhemdchen und ein Erlebnis Petzolds in den Ardennen, als er dort Bilder schon lange verschwundener Mädchen in einem öffentlichen Aushang sah zusammen mit von Computern errechneten Bildern, wie sie heute aussehen würden (vgl. Petzold 2004). Dazu bemerkt Petzold: »Diese errechneten Portraits waren merkwürdig geisterhaft. Auf diesen Bildern sah man Antlitze, ohne soziale Alterung, merkwürdig blass, nicht von dieser Welt. Eigentlich tot. Gespensterportraits« (ebd.). Die erste Begegnung von Nina und Françoise (und später in der Szene Toni) ist eingebettet in die produzierte Bildlandschaft der ›Berliner Geisterstadt‹ und inszeniert die unhomeliness des Figurenensembles. Françoises erste Kontaktaufnahme erfolgt unmittelbar, in dem sie, ohne direkt vorher im Bild gewesen zu sein, eine Hand auf Ninas Schulter legt. Nina, die gerade mit gestohlener Kleidung aus dem Shopping-Center geht, denkt, dass es sich um eine:n Kaufhausdetektiv:in handelt, rennt weg und ›stellt‹ sich Françoise schließlich, als sie in eine Sackgasse gerät. Françoise spricht sie zunächst auf Französisch an, wechselt dann zu Deutsch und meint in Nina ihre vor einem Berliner Supermarkt verschwundene Tochter Marie zu erkennen. Zur Überprüfung will sie sehen, ob Nina eine Narbe am linken Knöchel hat. Toni betritt die Szene, versucht Nina zum Gehen zu bewegen, Nina aber zeigt ihren Knöchel und eine Narbe wird sichtbar. Françoise will daraufhin sehen, ob Nina einen Leberfleck in Form eines Herzens zwischen den Schulterblättern hat, was Nina selbst nicht weiß. Noch bevor die Frage nach dem Muttermal gelöst werden kann, stiehlt Toni Françoises Geldbörse und rennt zusammen mit der zögerlichen Nina weg.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Die unhomeliness, die die hier versammelten Figuren antreibt, wird in dieser fast zehnminütigen Szene der ersten Begegnung deutlich: Während Françoise auf der Suche nach ihrem ›Geisterkind‹ selbst in der Welt ›herumgeistern‹ muss und Marie immer und immer wieder in fremden Mädchen entdeckt, nimmt Nina, das ›heimatlose‹ Waisenkind, auch ein äußerst unwahrscheinliches und weit hergeholtes Angebot eigener Geschichte, Familie und Zugehörigkeit bereitwillig an. Was Stuart Hall für den Effekt der kolonialen Entwurzelung als »endless desire to return to ›lost origins‹, to be one again with the mother« (Hall 1990: 227) beschreibt, kann auf das Waisenkind Nina übertragen werden. Die körperlichen ›Beweisstücke‹ Narbe und Leberfleck werden zu Eintrittskarten zu einem potenziellen home. Home, so wird hier zunächst nahegelegt, scheint in den Körper eingeschrieben zu sein, eine biologistische Behauptung, die der Film jedoch einige Szenen später dekonstruiert. Denn auch im Spiegel kann Nina nicht v/erkennen, ob sie das Muttermal trägt oder nicht – damit wird der Körper vom unhintergehbaren ›Schlüssel‹ zur Möglichkeit eines belongings zum unzugänglichen Terrain, das bestenfalls bruchstückhafte Antworten auf Ursprungsfragen zulässt. Die in Gespenster produzierte unhomeliness ist dabei immer zwischen Entortung und tatsächlicher homelessness (Toni scheint wohnungslos zu sein, Ninas wohnt in einem anonymen ›Heim‹ und Françoise im Hotel) angesiedelt. Während die innere Einsamkeit der Figuren erneut in der komplett leeren Berliner Stadtkulisse visualisiert wird, hat dieser Bildaufbau einen weiteren Effekt, den auch Jaimey Fisher beschreibt: Die Kontrastierung der geschichtsträchtigen Umgebung und Gebäude mit der Fokussierung auf die eigene private Tragödie verdeutlicht die (persönliche wie öffentliche) Geschichtsvergessen-/unwissenheit (vgl. Fisher 2013: 104), die die Orientierungslosigkeit der Figuren (mit-)produziert. Françoises einziger Orientierungspunkt ist ein Berliner Supermarkt, der Supermarkt, vor dem Marie entführt wurde, den sie immer wieder des Nachts auf-/heimsucht. Lediglich die Hoffnung auf das Wiederfinden Maries treibt Françoise an und lässt sie dadurch selbst zu einer Art Untoten werden. Damit bringt der Film Mutterschaft in die Nähe der Fixierung der Mutter auf ihr Kind und pathologisiert diese damit. In der Verknüpfung von Weiblichkeit mit Krankheit legt Gespenster nicht nur nahe, dass die postmoderne Welt Menschen allgemein krankmacht, sondern reproduziert eine alte Trope ›hysterischer‹ Weiblichkeit (vgl. Schaps 1982: 10f.) (die anhand von Françoise besonders im Vergleich zu ihrem Mann, der sie aus der Psychiatrie abholt und immer wieder versucht, sie ›zur Vernunft zu bringen‹ deutlich dargestellt wird) und zieht sich damit seinen eigenen kritischen Stachel. Die spätkapitalistische Aktualisierung des Stoffs des Totenhemdchens löst hier keine emanzipatorische Erneuerung einer alten Geschichte ein, sondern stellt lediglich eine Modifikation dar, die Weiblichkeit nicht aus altbekannten Schablonen zu lösen vermag. Über die Mutter-Tochter-Beziehung wird auch das Verhältnis zum (post-)nationalen Zuhause verhandelt. Das Scheitern des Herstellens einer Beziehung zur Mutter, der metaphorischen Verkörperung von home, Zugehörigkeit (vgl. Kılıçbay 2006: 111), Ursprung und Fortbestehen der Nation, symbolisiert die Entortung im neoliberalen Deutschland und Europa. Ähnlich wie in den Filmen Auslandstournee (1999) von Ayşe Polat und Auf der anderen Seite (2007) von Fatih Akın, die Queerness, natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit

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mit Geisterhaftigkeit und dem Verhältnis zur Mutter in Verbindung bringen, bleibt die Mutter auch in Gespenster unzugänglich und letztlich nicht erreichbar. Die Frage nach der Herkunft, dem Ursprung und damit der Kontinuität ist bedeutend für die Produktion einer kollektiven Identität (vgl. Aho 2020) – im Nicht-Auflösen in einer Ursprungsgeschichte verweigert der Film dem Publikum einen Anschluss an ein nationales kollektives Imaginäres und dezentriert das Nationale als primäre zugehörigkeitsstiftende Kategorie zwar und deterritorialisiert es im Aufwerfen des transnationalen Bezugsrahmens in Ansätzen; in der Verweigerung jeglicher Zugehörigkeit in Verbindung mit der Tristesse des geisterhaften Umherwanderns evoziert der Film jedoch eine gewisse Nostalgie für den Ursprung, die Sehnsucht nach der ›nostos‹, der Heimkehr. Damit wirkt der Film schließlich doch eher reaktionär als radikal und das Motiv der Unerreichbarkeit bleibt bestehen.

Abb. 138–139: Gespenster (D/F 2005, R: Christian Petzold)

Bereits in der beschriebenen ersten Begegnung stellt sich Nina buchstäblich ein Hindernis in den Weg, das den Zugang zur ›Mutter‹ verunmöglicht: Während Nina auf Françoises Avancen eingehen zu scheinen möchte, stellt sich Toni zwischen die beiden. Diese Struktur der Verunmöglichung der endgültigen Erreichbarkeit der Mutter wiederholt sich am Ende als sich Françoise und Nina nach Tonis Verschwinden am nächsten Tag am selben Ort des Vortags wiedertreffen. Zunächst gehen sie Arm in Arm zusammen aus dem Bild, eine Einstellung, die die Vereinigung mit der Mutter nahezulegen scheint. Françoise nimmt Nina in der nächsten Szene ihrem Cabriolet mit und erzählt ihr eine Geschichte darüber, wie sie als Baby nur im Auto schlafen konnte, weshalb sie sie über Monate hinweg nächtelang im Auto durch die Stadt fuhr: »Irgendwann war ich nicht mehr müde, ich war wunderbar wach. Jetzt bin ich wieder wunderbar wach, Marie« und tätschelt dabei Ninas Wange. Von der Vergangenheit, in der Mutter und Kind noch miteinander verbunden waren (»Als ich dich stillte«), wird eine direkte Linie zur Gegenwart hergestellt, die die ›Wiedervereinigung‹ von Mutter und Tochter festigt. Einige Einstellungen lang sind Nina und Françoise noch zusammen in der Hotellobby des Hotels, in dem Françoise wohnt, zu sehen, bis Françoises Mann Pierre die Szene betritt und Françoise zum Gehen auffordert. Sie geht mit ihm, weist ihn noch an, Nina etwas Geld zu geben und wendet sich dann wartend ab. Nina will das Geld nicht annehmen und will zu Françoise, doch Pierre hält sie zurück. Im Handgemenge mit Pierre, das in Nahaufnahme im Bildvordergrund eingeblendet ist, ruft Nina

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

»Ich will zu meiner Mama«, doch Françoise steht abgewandt in einiger Entfernung im Bildhintergrund, erwidert Ninas traurig-sehnsüchtigen Blick nicht mehr und ist nur noch verschwommen zu sehen. Nachdem Pierre Nina nachdrücklich verdeutlicht »Du bist nicht Marie. Marie ist tot« gehen Pierre und Françoise gemeinsam weg, während Nina allein zurückbleibt. Der in greifbarer Nähe scheinende Zugang zu einem home, einer Geschichte, einem Ursprung bleibt Nina versagt. In seiner Meditation über die Bezugslosigkeit und Sinnentleertheit der europäischen Supermoderne bleibt Gespenster jedoch in einem biologistischen Konzept von home stecken. Ohne ›echte‹ (=biologische) Mutter, ohne ein einzig wahres ›Mutterland‹, gibt es kein Zuhause. Anders als die bereits zitierten Filme Auslandstournee und Auf der anderen Seite wird kein Konzept von Wahlverwandtschaft oder chosen family entworfen, mit dem sich alternative Modi von Zugehörigkeiten denken ließen. Die Figuren sind den Verhältnissen ausgeliefert, Verschiebungen gelingen auch in den Wiederholungen des Kreisens durch die immer selben Orte der Stadt nicht und jegliches Potenzial zum Ausbruch aus den Verhältnissen verflüchtigt sich schnell, löst sich in Luft auf. Am Ende geht Nina wieder an dem Mülleimer, in den Toni tags zuvor Françoises geklaute Geldbörse entsorgt hat, vorbei und findet darin einen Ausdruck mit einem Bild von Marie als kleinem Kind und weiteren Bildern, die Computerberechnungen des Aussehens von Marie mit steigendem Lebensalter simulieren. Über Ninas Schulter aufgenommen, zeigt die Kamera wie Nina ein zusammengefaltetes Blatt langsam auseinanderfaltet, mit jeder Auffaltung eine etwas ältere Version von Marie enthüllend. Mit dem Auffalten der letzten Faltung wird sichtbar, dass ›Marie‹ bzw. ihr computersimuliertes Bild genauso aussieht wie Nina. Nach einigen Momenten der Betrachtung knüllt Nina das Papier zusammen und wirft Geldbörse und Papier wieder zurück in den Mülleimer, geht in Richtung Park mit dem Rücken zur Kamera aus dem Bild, womit der Film endet. Die von Petzold so benannte zweite Inspirationsquelle für den Film wird also erst in den letzten Einstellungen sichtbar, als Handlungsgrundlage für die Figur Françoise erkenntlich und verleiht ihrem im Film als irrational und ›krank‹ gezeichneten Taten überraschend Plausibilität. Neben den Inspirationen aus Märchen, die Petzold zitiert, wird hier auch das Doppelgänger:innenmotiv, wie es seit den Werken E.T.A. Hoffmanns verwendet wird (vgl. Bär 2005: 9), aufgegriffen, mit Unheimlichkeit aufgeladen und zur unerwarteten Legitimation des Geschehenen. Dennoch wendet sich Nina von der Idee, Marie zu sein, ab. Petzold beschreibt die Schlussszene folgendermaßen: »Sie zeigt dem Film ihren Rücken, geht aus dem Film raus. Damit sagt sie: ich will diese Geschichten nicht mehr. Daran kann ich mich nicht mehr aufbauen. Ich brauche das nicht mehr. Diese Geschichten wärmen mich nicht mehr. Diese Trostgeschichten haben mir nicht geholfen, jetzt muss ich die Kälte aushalten« (Petzold im Interview mit Keilholz 2005). Ob Nina nun wirklich Marie ist, bleibt also offen und kann als Frage auch nach dem Filmende weiter in den Köpfen des Publikums spuken. Gespenster soll, wie es Petzold ausdrückt, eine »Nachgeschichte« (Petzold im Interview mit Keilholz 2005) sein, eine Geschichte, die zu einem Zeitpunkt stattfindet, »[w]o die Geschichten schon alle vergangen und erzählt sind« (ebd.). Das erinnert an JeanFrançois Lyotards These vom »breaking up of the grand Narratives« (Lyotard 1984: 15).

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Die Meta-Erzählungen der Moderne hätten, so Lyotard, in der Postmoderne ihre Glaubwürdigkeit als gesellschaftliche Legitimationsgrundlage verloren (vgl. Lyotard 1984: 37). Auch wenn sich Lyotard vorrangig mit dem Wissenschaftssystem beschäftigt, kann der Bogen zum Film Gespenster dennoch geschlagen werden: In einer Welt, in der es keine ›großen Erzählungen‹ mehr gibt, geistern die Protagonistinnen als Suchende durch die Welt, kann alles nur noch ›Nachgeschichte‹ sein, auch wenn die Geschichte die Bilder des Films immer wieder heimsucht. Auch Vilém Flussers Nachgeschichte. Eine korrigierte Geschichtsschreibung (1997 [1985]) klingt hier an; Flusser, der in seinen Medientheorien die Ausweglosigkeit aus Feedbackschleifen zwischen Bild, Empfänger:innen und Sender:innen in der postmodernen Bilderwelt prognostiziert (vgl. Flusser 2018 [1984]), meint in seiner Nachgeschichte, »technische Billder« seien nur dann »entzifferbar […], wenn die Struktur des Apparats« (Flusser 1997 [1985]: 79) aufgedeckt wird. In Gespenster wird auf die Strukturen verwiesen, sie werden angedeutet; die Figuren tasten ihre Welt nach Sinn und Zugehörigkeit ab, ohne greifbaren Halt auf ihren Oberflächen zu finden und bleiben dabei in den heterosexistisch-technisierten Blickstrukturen gefangen. Die Filmfiguren scheitern an der herrschenden Ordnung – und die ›Erlösung‹ der (queeren) Gespenster bleibt damit auf jeder Ebene aus.

Abb. 140: Gespenster (D/F 2005, R: Christian Petzold)

Zusammenfassung Gespenster thematisiert die Suche nach (verlorenen) belongings im Berlin, Deutschland und Europa des Nachwende-Neoliberalismus. Im mit Märchenversatzstücken versetzten ›reflektierten Realismus‹ der Berliner Schule erzählt der Film vom Gespenstischen der vom Kapitalismus Prekarisierten bzw. das Gespenstische, das das gesellschaftliche System hervorbringt. Queerness bzw. lesbisches Begehren tritt dabei ambivalent auf, einmal als weitere Ent_täuschung von Hoffnung auf Bindung, andererseits als Kapital auf dem kapitalistischen Markt, immer jedoch so weit normalisiert, als dass dem Modus Queerness jegliche gegenhegemoniale Schlagkraft entzogen, er vielmehr eingehegt in die Verhältnisse scheint. Queerness bleibt hier zwar gespenstisch, ist jedoch nicht mehr

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

unheimlich, denn unheimlich sind hier die (Blick-)Verhältnisse. Die Verhandlung der Mutter-Tochter-Beziehung kann im Film als Verhandlung des Verhältnisses zum Nationalen und Europäischen gelesen werden und präsentiert am Ende auch hier nur Vereinzelung und das Ende aller Gewissheiten. Dabei begibt sich der Film in gefährliches Fahrwasser der Pathologisierung von Weiblichkeit. In seiner Inszenierung setzt der Film auf die Erschaffung einer geisterhaften Atmosphäre mit einer Mischung aus langen Sequenzen, und einer Klanglandschaft aus Ghost Sounds, der Mischung aus technisch-reproduzierter, also körperloser, gezielt eingesetzter Musik und dem Überwiegen vom Fehlen dieser unter dem Einsatz von deutlich hörbaren Hintergrundgeräuschen des Alltags. Mit dem Versagen aller Zugehörigkeiten trotz deren Rekonfigurationen adressiert Gespenster die Un_Heim_lichkeiten des beginnenden 21. Jahrhunderts in Europa ohne Hoffnung auf einen utopischen Gegenentwurf oder Solidarität.

5.5.3 Ghosted Monika Treuts Filmschaffen Monika Treut wird als eine der wichtigsten Filmemacherinnen deutscher queerer Filme seit den 1980er Jahren bis in die Gegenwart rezipiert, teils als weibliches lesbisches Äquivalent Rosa von Praunheims. Seit ihrem ersten Film Verführung: Die grausame Frau (1985), in dem die Geschichte von Wanda, einer deutschen lesbischen Domina, die ihre Sklav:innen vor Publikum erniedrigt, erzählt wird, beschäftigt sie sich mit verschiedenen Aspekten menschlicher Sexualität, die in den Mainstream-Medien als deviant markiert und portraitiert werden (vgl. Summers 2005: 273f.). Dagmar Brunow bezeichnet Monika Treuts filmisches Werk als queer, nicht, weil es LGBT*-Themen beinhaltet, »sondern weil es sich jeglichem Bestreben nach ›Normalität‹ entgegenstellt und dabei soziale und ökonomische Ungleichheiten thematisiert« (Brunow 2018: 125), immer einhergehend mit einer »dezidiert lesbisch-feministisch[en]« (Brunow 2018: 126) Haltung. Treut selbst sagt zu ihrem Filmschaffen im Zusammenhang mit queerem Kino: »Als ich anfing, hat es ja den Begriff ›queer‹ noch gar nicht gegeben. Die Berlinale hatte noch keine Panorama-Sektion und queere Filmfestivals wurden damals nur in den USA veranstaltet. Es war darum in Deutschland auch schwierig, solche Filme zu vermarkten. Mein zweiter Film, ›Die Jungfrauenmaschine‹, ist hier zuerst auch wieder durchgefallen. Und zwar auf dem Filmfestival in Hof. Der Leiter Heinz Badewitz hatte ihm den besten Platz im Programm eingeräumt und ich habe ihn noch davor gewarnt. Ich habe geahnt, dass auch er nicht dem deutschen Zeitgeist entsprach. Und also gab es wieder viele Leute, die wütend aus dem Kino herausgestürmt sind, und der Kritiker der Zeit schrieb: ›Dieser Film vernichtet das Kino!‹ Im Kino aber war er dann etwas später sehr erfolgreich. In Berlin lief er ein ganzes Jahr lang« (Treut im Interview mit Hippen 2017). Treuts Arbeit ist gekennzeichnet von der Exploration sexueller Subkulturen, immer wieder verbunden mit Migration und Mobilität (vgl. Brunow 2018: 125f.). Grenzüberschreitungen und Transformationen auf verschiedenen Ebenen bilden dabei wichtige Bezugspunkte; so war sie eine der ersten, die in ihren Filmen trans Identitiäten thematisierte, richtete ihr Filmschaffen immer wieder transnational aus, schaffte damit Reflexionsräu-

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me über Zugehörigkeiten und Identitäten (ebd.) und kann damit etablierte Normen befragen. In diesem Zusammenhang bemerkt Monika Treut: »To me my films are not provocative, even though some people, especially straight men, seem to think so. However, the immobile section of society seems to feel threatened by some of the things they see in my films because they fear for their established position. Open-minded people feel a whiff of fresh air.« (Treut im Interview mit Gemünden/Kuzniar/Phillips 1997: 5). Diese Qualität ihrer Filme, heteropatriarchale Normen zu problematisieren, kommt auch in My Father Is Coming – hier als Komödie – zum Einsatz, wie ich in Kapitel 6.1.3 beschrieben habe. Treuts Film Ghosted aus dem Jahre 2009 ist nach den Dokumentarfilmen Made in Taiwan (2005) und Tigerfrauen wachsen Flügel (2005) Treuts dritter Film, in dem Taiwan eine zentrale Rolle spielt. Treuts Interesse an Taiwan entstand durch einen längeren Aufenthalt bei einem Filmfestival (vgl. Treut im Interview mit Hippen 2017), die ersten Ideen zu ihren Filmen entstanden »organisch« (ebd.) durch Kontakte, die Treut in Taiwan knüpfte. Für Treut ist Taiwan »eine spannende Gesellschaft, weil sie so viele Widersprüche in sich trägt« (Treut im Interview mit Bandhold o.J.). Der Film Ghosted, eine der ersten deutsch-taiwanesischen Ko-Produktionen (vgl. Nieder o.J.) wurde auf den 59. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Panorama gezeigt und lief unter anderen auf dem London Lesbian and Gay Film Festival und dem Edinburgh International Film Festival (vgl. Ya-Chen 2014) und wurde von der Deutschen Film- und Fernsehbewertung mit dem Prädikat ›wertvoll‹ ausgezeichnet (FBW Filmbewertung o.J.). Akademisch wurde der Film kaum wahrgenommen. Zwar wird der Film in einigen wenigen Zeitschriftenartikeln als Referenzpunkt für transnationales oder queeres Kino verwendet und taucht als solcher beispielsweise in in einem Artikel von Rachel Lewis über transnationales Kino und Pädagogik auf (vgl. Lewis 2016), eingehendere Analysen sind bisher jedoch kaum zu finden. Zwei Ausnahmen lassen sich jedoch nennen: Chen Ya-Chen analysiert Ghosted in Zusammenschau mit dem Werk der taiwanesischen Schriftstellerin Li Ang, die Monika Treut auch die Idee der Verfilmung einer taiwanesischen Geistergeschichte als erste näherbrachte (vgl. Treut im Interview mit Bandhold o.J.) und sieht ihn als spirituellen Triumph über das Patriarchat und den Essenzialismus (vgl. Ya-Chen 2014); Alice Kuzniar hingegen steht dem Film kritischer gegenüber und beschreibt ihn in einer vergleichenden Zusammenschau mit Filmen von Doris Dörrie und Ulrike Ottinger als »self-exploration via the exotic Other« (Kuzniar 2011: 176). Mit meiner Analyse möchte ich eine erste ausführliche Betrachtung des Films vornehmen. Dabei werde ich ähnlich wie in Kuzniars Stoßrichtung die exotisierenden und kolonialisierenden Blickstrukturen herausarbeiten, mit denen der Film die Verknüpfung von Globalisierung, die Kontrastierung von Deutschland und Taiwan, das Geister- und Doppelgängermotiv sowie Queerness auflädt, diese aber dahingehend verkomplizieren, dass ich hierbei auch auf das Zusammenwirken von Selbstreflexivität des Films in Verknüpfung mit Veranderung eingehe. Die These dabei ist, dass lesbisches Begehren als Zeichen von Modernität und des Westens zum Einsatz kommt, also ›im Westen‹ normalisiert und ›im Osten‹ als Normtransgression begriffen wird. Geister hingegen fungieren als Zeichen für ›den Osten‹, als Gegenstück zur Rationalität des Westens, die sich so jedoch neu erfinden kann und dadurch verun_heim_licht wird. West und Ost durchdringen sich

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

hier gegenseitig mit ihrer jeweiligen ›Andersartigkeit‹, jedoch unter der hierarchischen Bedingung der Re-Produktion verandernder Blickstrukturen.

Ghosted – Orientalismus im Gewand queerer Globalisierung? In einer Mischung aus Romanze und taiwanesischer Geistergeschichte beschäftigt sich der in Hamburg und Taiwan gedrehte Ghosted mit der Liebe zwischen Sophie Schmitt (Inga Busch), einer Hamburger Künstlerin und Filmemacherin und Ai-Ling Chen (Huan-Ru Ke), einer Taiwanesin, die nach Hamburg kommt, um mehr Informationen über ihren verstorbenen Vater zu herauszufinden und im Restaurant ihres Onkels (Jack Kao) zu arbeiten. In ineinandergeschobenen, nicht chronologisch angeordneten Zeitebenen erzählt der Film von der Liebe der beiden, Ai-Lings Tod, Sophies künstlerischer Aufarbeitung dessen und Selbsterkundung sowie Sophies Begegnung mit Ai-Lings Geist in Gestalt der angeblichen Journalistin Mei-Li. Am Ende reist Sophie (erneut) nach Taiwan, um an einer Gedenkfeier für Ai-Ling teilzunehmen, um die Geister der Toten zu verabschieden. Dabei erscheinen Sophie Ai-Ling und Mei-Li im Rauch des Feuers. Die Endszene wird bereits in den ersten Einstellungen aufgerufen, ohne jedoch in einen Zusammenhang eingebettet zu werden, der ihre Funktion erklärt. Die erste Einstellung nach dem Vorspann zeigt den Kamerablick auf eine Waldlandschaft, die in Teilen mit Rauch oder Nebel bedeckt ist. Aus dem Off sind rauschende und pfeifende Geräusche zu hören, die in der zweiten Einstellung in eine ruhig-traurige Keyboard-Melodie münden, deren Klänge im Filmverlauf immer wieder zu hören sein werden. Die zweite Einstellung zeigt eine Feuertonne mit brennendem Feuer in Großaufnahme, in das etwas hineingeworfen wird, wobei nur Hände und keine Figuren in ihrer Gesamtheit sichtbar werden. Die Kamera zoomt näher an das Feuer heran, schließlich in das Feuer hinein und zeigt, dass es sich bei den in das Feuer geworfenen Gegenständen um Geldscheine verschiedener Währungen – neuer taiwanesischer Dollar, aber auch US-Dollar – handelt. Nach weiteren verschiedenen Einstellungen auf das Feuer zeigt die Kamera die nicht mehr brennende, aber rauchende Tonne und daraufhin die bereits gezeigte Landschaft, die im Rauch/Nebel versinkt. Die Mischung aus der Einblendung einer scheinbar leeren Landschaft, die an chinesische Landschaftsmalerei erinnert (vgl. Kuzniar 2011: 181) und im Rauch versinkt, also immer unsichtbarer und unzugänglicher wird, den Ghost Sounds der ersten Einstellung, traurigen Klängen, einer Zeremonie mit unbekanntem Hintergrund und die Einblendung von Körperteilen von Figuren ohne deren Körper in ihrer Gesamtheit oder Gesichter zu zeigen erzeugt eine mystisch-unheimliche Atmosphäre. Damit wird bereits in der ersten Einstellung ein »western myth of emptiness« (Sluyter 2002: 8) aufgerufen (es stellt sich heraus, dass der Schauplatz der Szene Taiwan ist), der über Jahrhunderte als Rechtfertigungsstrategie zur Kolonisierung nicht-westlicher Länder und Bevölkerungen eingesetzt wurde und damit auch dazu beitrug, den Westen als dem Nicht-Westen gegenüber überlegen zu konstruieren (ebd.). Besonders auch (Ur-)Wälder als Ausdruck dieser kolonialen Imagination von Landschaft werden hier zu einem wichtigen Bestandteil kolonialer Vorstellungs- und Bilderwelten (Sluyter 2002: 8). So wird die Kolonisierung Taiwans, die eine lange Geschichte u.a. mit europäischer Kolonisierung im 17. und 18. Jahrhundert (vgl. Heylen 2012: 34ff.) hat, gleich von der ersten Kameraeinstellung an mit Kamerablicken reproduziert. Die mystische Atmosphäre der ersten Einstellungen wird

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in die sich anschließende erste Szene mit Figuren hineingetragen. Die folgenden Einstellungen zeigen ein kleines Restaurant am Straßenrand in einer ländlichen Gegend, es ist dunkel, Grillenzirpen und Hundebellen sind zu hören; im Anschluss wird zum ersten Mal Ai-Lings Gesicht in Großaufnahme eingeblendet, deren Blick auf etwas fällt, was durch die folgende Einstellung als religiöser Schrein erkenntlich wird. Die nächsten Einstellungen zeigen ein Familienfoto mit drei Erwachsenen und einem Kind, die sich im Filmverlauf als Ai-Ling, ihre Mutter, ihren ›Onkel‹ (der ihr biologischer Vater ist) und ihren ›Vater‹ (der nicht ihr biologischer Vater ist) erschließen und daran anschließend das Bild des verstorbenen Vaters eingebettet in einen weiteren Schrein, der mit Opfergaben und Kerzen bestückt ist. Durch die Einblendung Ai-Lings Gesicht in Großaufnahme als erstem zu sehendem Gesicht einer Figur im Film wird der koloniale Blick auf Taiwan sogleich mit einer Feminisierung verknüpft, die ebenso ein Mittel im kolonialen Diskurs darstellt, um Unterlegenheit zu signifizieren. Die Montage der Einstellungen mit dem als establishing shot eingesetzten Blick auf die ›geheimnisvolle‹ Landschaft, der daran anschließende Kamerablick auf das Zuhause und Restaurant Ai-lings und ihrer Mutter im abgelegenen, ländlichen Taiwan mit den Einblendungen religiöser Zeichen positioniert Ai-Ling darüber hinaus in semantischer Nähe zu Natur und Religion. Wie Julia Dittmann in ihrer Ausarbeitung einer rassismussensiblen Filmanalyse darlegt, werden nicht-weiße Figuren in Filmen mit rassistischen Blickregimen oft mit der Natur verbunden oder ›verwachsen‹ mit dieser, dazu in Verbindung mit Religion oder Aberglauben oder in schwer zugänglicher Landschaft dargestellt (vgl. Dittmann 2017: 542ff.).

Abb. 141: Ghosted (D/TW 2009, R: Monika Treut)

Damit spannen diese ersten Szenen ein koloniales Blickregime59 auf, das in Ghosted zwar durchaus verkompliziert, bisweilen durchbrochen und queer aktualisiert, aber immer wieder re_produziert wird und den Rahmen und das ideologische Fundament

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Juliane Strohschein beschreibt es als »Komplex von Bildelementen und Blickpraxen mit Weißsein als privilegiertem Signifikant« (Strohschein 2007: 32).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

des Films bildet. Dieser Rahmen wird auch wortwörtlich um- und ins Bild gesetzt, indem sich die erste Einstellung, wie erwähnt, modifiziert in der letzten wiederholt. Mit dieser letzten Einstellung wird die erste erklärt und verständlich, dass es sich hierbei um die Gedenkfeier für Ai-Ling handelt. Sophies Blick, deren Subjektive die einzige in den letzten Einstellungen bildet, wird dabei als impliziter Rahmen gesetzt, der Sophies Wahrnehmung als Anfangs- und Schlusspunkt des Films setzt. So wird am Ende deutlich, dass der westliche Blick auf Taiwan über dem ganzen Film spukt bzw. schon von Beginn an gespukt hat und dem Titel Ghosted eine weitere – unheimliche – Bedeutungsebene verleiht.

Taiwan und Deutschland – Bilder der Globalisierung zwischen Ost und West Die Kontrastierung von Taiwan und Deutschland, das Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen nationalen Kontexten auf verschiedenen Zeitebenen unter jeglicher Ausblendung von Flughäfen oder Grenzen über den gesamten Filmverlauf in Ghosted erzeugt eine Bildlandschaft der Globalisierung, in der globale Mobilität konstitutiver Bestandteil der menschlichen Erfahrung wird. Was sich zunächst als Gleichwertigkeit in Differenz darzustellen scheint, offenbart bei genauerem Hinsehen jedoch den westlichen Anspruch auf Definitionsmacht in der Bestimmung der globalen Beziehungen. Auch wenn der Film Machtverhältnisse oder Überlegenheitsansprüche teilweise auch immer wieder aufdeckt, reproduziert er sie jedoch mehr als dass er sie dekonstruieren würde. Die Ausblendung von Grenzen und damit auch die Dethematisierung der mit ihnen einhergehenden Mobilitätshierarchisierungen und -restriktionen (anders als – wie gezeigt – in Fremde Haut oder Kleine Freiheit) mit der gleichzeitigen Aufrechterhaltung eines verandernden Blicks von Deutschland nach Taiwan lässt sich innerhalb der ersten zehn Filmminuten in der Art der Kameraeinstellungen sowie in der Montage der Szenen erkennen als Ai-Ling von Taiwan nach Deutschland reist, vorgeblich um von ihrem Onkel mehr über ihren Vater zu erfahren. Zunächst wird in diesen Szenen Taipeh in einem Kameraschwenk als Panorama von oben gezeigt, dann ist Ai-Ling im Taxi in Taipeh zu sehen, wie sie durch die Stadt (wahrscheinlich auf dem Weg zum Flughafen) fährt und durch die Fenster des Autos nach draußen sieht.

Abb. 142–144: Ghosted (D/TW 2009, R: Monika Treut)

Der unschärfer werdende Kamerablick geht in eine weiße Abblende über, um wieder in einen unscharfen Kamerablick zu wechseln. Ai-Lings Hände sind zu sehen, wie sie das beschlagene Fenster eines fahrenden Autos von innen säubern. Durch das Fenster werden Autos und Straßen in Deutschland bzw. Hamburg sichtbar, die Ai-Ling wieder

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durch das Taxifenster beobachtet. Der Übergang von Taiwan nach Deutschland ist damit ein weicher, glatter. Zwar wird Ai-Lings Reise durch das Sitzen auf der jeweils anderen Seite der Autositzbank symbolisiert, Grenzen oder die Anstrengungen des Reisens spielen hier jedoch keine Rolle, globale Mobilität wird hier als reibungsloser Akt dargestellt. Taiwan und Deutschland werden hier buchstäblich miteinander vernäht, das im Globalisierungsdiskurs viel bemühte Schrumpfen und Zusammenwachsen des Globus, die »raumzeitlichen Verdichtungen […] von Distanzen und Temporalitäten« (Hall 2018: 122f.) im Bild aktualisiert. Die Mischung aus verschiedenen Sprachen – Taiwanesisch, Deutsch und Englisch als Verständigungssprache – im Filmverlauf, betont sowohl den Eindruck des Sprachkontakts und der Vermischung unter Bedingungen der Globalisierung wie auch des ›globalen Dorfs‹, in dem sich alle trotz unterschiedlicher Erstsprachen mit einer (Kolonial-)Sprache verständigen können. Was der Film hier und im Verlauf, in dem immer wieder vom deutschen in den taiwanesischen Kontext gewechselt wird, evoziert, gleicht Ulrichs Beck Idee des »transnational social space«, eine Denkfigur »that joins together what connot be combined: to live and act both here and there« (Beck 1997: 28). Scheint mit der Verwischung von Grenzen eine gewisse globale Gleichwertigkeit nahegelegt zu werden, zeigt sich durch den Einsatz des establishing shots beim ersten Blick auf Taipeh und der Verzicht auf denselben beim ersten Blick auf Hamburg die Ungleichwertigkeit in der Dartsellung. Während Hamburg/Deutschland damit als bekannt und nicht durch Bilder erklärungsbedürftig vorausgesetzt wird, wird Taipeh/ Taiwan als Kontext eingeführt, der einer bildlichen Einführung bedarf und damit als das ›Fremde‹ markiert, obwohl der Film in diesen Sequenzen nicht der deutschen Sophie, sondern der taiwanesischen Ai-Ling folgt. So wird Deutschland bzw. Europa/der Globale Norden/der Westen60 zum unmarkierten Zentrum – der eurozentristische Blick und die »imaginative geography« (Said 1978: 49) des Films wird deutlich. Der Film inszeniert hier grenzenlose Mobilität, ohne darauf zu verweisen, dass »Vorstellungen von Hypermobilität auf Mobilitätsvorstellungen innerhalb der Europäischen Union oder Ländern der sogenannten ›ersten Welt‹ basieren« (Butler 2016: 584) und vollzieht damit ein »colonial behavior« (Spivak 2008 zit. in Butler 2016: 584). Die ersten Filmminuten lassen noch vermuten, dass Ai-Ling die Hauptfigur darstellt, da sie sich um Ai-Lings Wunsch nach Deutschland zu reisen und ihre Ankunft in Deutschland drehen. Mit der zweiten Sequenz, in der Sophie ihre Videoarbeit über die verstorbene Ai-Ling in Taipeh vorstellt, wird jedoch deutlich, dass sich die Szenen mit Ai-Ling nur um Rückblenden handeln können. Zwar wird in diesen Rückblenden die Geschichte auch aus Ai-Lings Perspektive erzählt und Ai-Ling tritt als aktiv Handelnde auf, es wird aber auch deutlich, dass der Erzählstrang mit Ai-Ling lediglich als Folie für die Geschichte von Sophies Auseinandersetzung mit Ai-Lings Tod und Taiwan bildet. So wird Sophie im Verlauf als ›eigentliche‹ Hauptfigur erkennbar. Die beiden Zeitebenen

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Globaler Norden/Westen und Globaler Süden/Osten meinen keine geographischen Regionen an sich, sondern verweisen auf die Konstruktion und Schaffung der Welt durch Geschichten von Gewalt und Kolonialismus, mit dem Ziel, unter ›Gobalem Süden/Osten‹ die Weltregionen zu beschreiben, »that have experienced the most political, social, and economic upheaval, and which have suffered the brunt of the greatest challenges, facing the world under globalization« (López 2007: v).

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

sind dabei instruktiv sowohl für die Beziehung von Sophie und Ai-Ling als auch für das Verhältnis von Deutschland und Taiwan: Während Sophies Zeitebene die der Gegenwart darstellt, ist Ai-Lings Zeitebene die der Vergangenheit und der Erinnerung (was sich im Titel von Sophies Videoarbeit Remembrance widerspiegelt), die Assoziationen von ›Tradition‹ und ›Moderne‹ werden in die filmzeitlichen Struktur eingeschrieben. Doch ist es genau die Vergangenheit, die die Gegenwart immer wieder heimsucht, haunted. So sehr die Welt hier also zusammenwächst und die Bild- und Erfahrungswelten sich globalisieren, so sehr bleibt die Definitionsmacht des Blicks auf die Welt beim Westen, selbst bei einer Ko-Produktion wie Ghosted. Dennoch soll betont werden, dass Taiwan in den Filmbildern keineswegs ausschließlich als rückständig oder vormodern präsentiert wird, im Gegenteil: Taiwan wird durch Bilder der Großstadt Taipeh an dieser und an anderen Stellen im Film als hochmodern, technisiert, ›kultiviert‹ und dynamisch präsentiert. Vielmehr wird in Bezug auf Taiwan der Gegensatz zwischen Traditionalismus und Modernismus, (Aber)Glaube und Rationalismus ins Bild gesetzt und über den Film hinweg konstruiert, wie auch an beschriebener Szene in der Montage ersichtlich wird: Auf Szenen abgelegenen ländlichen Idylls folgen Bilder der Weltstadt Taipeh. In Deutschland dagegen scheint dieser Gegensatz nicht zu existieren; Großstadt, Individualismus und die Auflösung traditioneller Familien- und Gemeinschaftsformen bestimmen hier das Bild, repräsentiert durch Sophie als eigensinniger, alleinlebender Künstlerin, die völlig autonom scheint. Was das Publikum über Taiwan erfährt, ist in großen Teilen entweder durch einen objektivierenden westlichen Blick oder durch eine Selbstorientalisierung geprägt. Bereits bei den ersten Einstellungen, die Sophie in Taipeh zeigen, deutet sich dies an: Sophie läuft gelassen und mit interessiertem Blick durch die Straßen Taipehs, fährt mit der U-Bahn, geht in ein Gebäude; die Kamera wechselt dabei zwischen Einstellungen Sophies, die sie in ihrem weißen Hosenanzug durch die Straßen schlendernd zeigen, Subjektiven Sophies in Nahaufnahme, die ihre Umgebung beobachtet, auf einzelne Personen oder Straßenzüge und Panorama-Einstellungen, die den Stadtraum erfassbar machen.

Abb. 145–147: Ghosted (D/TW 2009, R: Monika Treut)

Die Aufnahmen muten nicht nur dokumentarisch, sondern fast ethnographisch an: Mit ihrem beobachtenden Blick tastet Sophie die ihr neue Welt ab, unterstützt durch eine Kamera, die das städtische Treiben Taipehs in seiner ›Buntheit‹ ›abbildet‹. Dabei werden gleichzeitig populäre Bilder asiatischer Großstädte aufgerufen und ein westliches (Bild-)Wissen über dieselben bestätigt. Dieser Eindruck erhärtet sich im Filmverlauf. Bei einem Ausflug mit Mei-Li zeigt sich, wie Orientalisierung und Selbstorientali-

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sierung auch problemlos Hand in Hand gehen können. Mit dem Versprechen, ihr Taipeh zu zeigen, wie sie es ›in keinem Reiseführer‹ fände, überredet Mei-Li Sophie dazu, Zeit mit ihr zu verbringen, nur um sie zu Orten wie dem Liberty Square oder einem Nachtmarkt zu führen, die in jedem Reisehandbuch zu finden sind. Damit wird ein westlicher Blick bedient und Taiwan als touristische Destination beworben (vgl. Mulky 2011: 50) und in die Bildsprache einer bunten Konsumwelt eingebunden. Die Selbstorientalisierung funktioniert dabei als effektive Strategie, um Exotisierung zu verschleiern, schließlich hat Mei-Li Sophie dazu überredet, mit ihr mitzukommen. In keiner Weise findet diese visuelle Ausbeutung für den deutschen Kontext statt, der damit erneut als unmarkierte Norm mitkonstruiert wird. Die Kontrolle über die Blick- und Bildproduktion mit einem verandernden Gestus zeigt sich besonders deutlich in Sophies Video- und Filmarbeit. Mit ihrem Film über Ai-Ling (ausführlicher hierzu im nächsten Abschnitt) und die taiwanesische Community in Hamburg wird Sophie als Filmemacherin ins Bild gesetzt. Dabei wird sie immer wieder beim Filmen und Bearbeiten ihres Filmmaterials gezeigt. Sophie tritt hier also als Konstrukteurin von Bild und Narrativ über die Taiwanes:innen in Deutschland auf. Mit ihrem ethnologischen Blick wird Sophie zum Zentrum der Diskursproduktion, zur »Produzent[in] der Wahrheit und der Wirklichkeit« (Gutiérrez Rodríguez 2003: 31). Taiwan/es:innen wird/werden damit lediglich Protagonist:innen in Sophies Erzählung und dienen ihr als »native informants« (Spivak 1999). Wie Spivak beschreibt, schließe eine solche Beziehungsstruktur die »impossibility of the ethical relation« (Spivak 1999: 6) ein – Sophies ›native informants‹ können in diesem Verhältnis also gar nicht anders denn als Objektifizierte positioniert sein. Während Sophie also als »aktiv blickend« (Dittmann 2017: 545) und damit als machtvoll dargestellt wird, wird den Taiwanes:innen im Bild ein »passiver Status als angeblicktes Objekt« (Dittmann 2017: 545) zugewiesen und damit die binäre Konstruktion rassistischer Blickstrukturen wie sie Dittmann (2017) beschreibt, reproduziert. Auch die Tatsache, dass Sophies Kamera bisweilen im Bild anwesend ist – eine Strategie, die Laura Mulvey als Möglichkeit der Thematisierung des blickenden Subjekts und damit der Ausstellung der hierarchischen Blickasymmetrie beschreibt (vgl. Mulvey 1985 [1975]) – durchbricht die Blickstrukturen in dieser Konstellation nicht, da Sophies Blick so zwar thematisiert, aber an keiner Stelle problematisiert wird, sich die bildliche Brechung nicht im Plot oder der Blickökonomie insgesamt widerspiegelt und sich damit als Scheinreflexion entlarvt.

Abb. 148–149: Ghosted (D/TW 2009, R: Monika Treut)

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Die Kamerabilder zeigen diese Hierarchisierung in einer Einstellung, in der Sophie ein Interview mit der taiwanesischen Künstlerin Chu-Li führt, besonders an: Nicht nur sitzt Chu-Li während Sophie steht, sodass Sophies Kamera in Aufsicht auf Chu-Li blickt und damit ein Blickgefälle konstruiert, darüber hinaus befinden sich die beiden bei der Aufnahme in einem Schulklassenzimmer. Zwischen Tafel und Kindertischen/-stühlen wirkt Chu-Li selbst wie eine Schülerin und damit infantilisiert – eine weitere Strategie im kolonialen Diskurs zur Hierarchisierung des Veranderten (vgl. Dittmann 2017: 542). Damit wird hier die historische Verwobenheit von Kino und Kolonialismus aufgerufen (vgl. Shohat/Stam 2014: 100ff.), kann allerdings nicht dazu dienen, ein Machtverhältnis auszustellen, da es nicht als solches herausgefordert wird, sondern im Gegenteil Sophie als Identifikationsfigur inszeniert wird. Damit nimmt sich der Film eine großartige Gelegenheit, tiefergehend über die Konstruktion von Blickstrukturen im Medium Film nachzudenken und wirkt entpolitisierend. Zwar gibt es einzelne Filmmomente, in denen eine westliche Hegemonie oder Normsetzung in Frage gestellt wird, so wird Deutschland von Ai-Lings Onkel als bürokratischer Ort, an dem sich mit seinem chinesischen Restaurant »kein Geld mehr verdienen« lässt, thematisiert und damit auf die oft prekäre Situation von Migrant:innen in Deutschland verwiesen, in Bezug auf Sophies Rolle als kultivierte Wandlerin zwischen den Welten, die aus ihrem Kosmopolitismus sogar noch Kapital schlagen bzw. berufliche Reputation erlangen kann, ist das jedoch nicht der Fall. Die von Sophie gefilmten Frauen kommen im Film nur zu einem Thema zum Wort: Geisterglauben in der taiwanesischen Vergangenheit und Gegenwart. So bekommt das Publikum in didaktisch und für das westliche Publikum aufbereitet wirkenden Szenen aus Sophies Videomaterial eine Einführung in ›das taiwanesische Verhältnis‹ zur Geisterwelt. Eine Interviewte erläutert, ihre Großeltern würden noch an Geister glauben, wohingegen sie das für Aberglauben halte; Chu-Li führt aus: »Spirits or ghosts play an important part in Taiwanese culture, especially female ghosts will come back after they died to revenge what people have done to them«. Anders als in Gespenster sind Treuts Geister also keine, die in den Mühlen des Spätkapitalismus hervorgebracht werden, sondern Geister einer uralten asiatischen Geistertradition, die als Tropen asiatischer Erzähltraditionen (vgl. Foxworth 2011: 237ff.) in eine romantisierte wie romantisierende Globalisierungsgeschichte eingebunden werden. Während das Auftreten von Ai-Lings Geist in Gestalt von Mei-Li und der Konstruktion des Films dieses Umstandes als Tatsache auf der einen Seite eine westliche Weltsicht mit ihrem Rationalitätsanspruch zu untergraben scheint, werden in der Bemühung des Doppelgänger:innenmotivs rassifizierte Stereotype durch die Hintertür wieder in den Film geholt, in dem die beiden asiatischen Frauen wortwörtlich austauschbar werden (vgl. ähnlich Kuzniar 2011: 181). Der bildliche Hinweis, dass Ai-Lings Geist Sophie als Mei-Li heimsucht, der direkt in der ersten Begegnung zwischen Sophie und Mei-Li bei Sophies Kunstinstallation gegeben wird, indem Mei-Li mit Ai-Lings überlebensgroßen Installationsbildern überblendet wird, wird dabei so ausufernd dargestellt, dass er die Austauschbarkeit der beiden Frauen nur immer weiter betont bzw. performativ herstellt. Besonders eindrücklich stellt sich dies in einer Szene dar, in der Ai-Ling in einer von Sophies Videoaufnahmen im Videobild durch Mei-Li ausgetauscht wird. Sophie sieht sich in dieser Szene auf ihrem Laptop Videoaufnahmen von Ai-Ling an, die Tai-Chi-Praktiken für Sophie aufführt. Sie wird von Mei-Li unterbrochen, die an der Tür klingelt und Sophie dazu überredet, mit ihr zu kommen.

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Nachdem die beiden Frauen die Wohnung verlassen haben, fällt der Kamerablick zurück auf den Laptop-Bildschirm, auf dem noch immer Ai-Lings Video zu sehen ist. Als Ai-Ling im Video bei einer Drehung mit dem Rücken zur Kamera steht, verschwimmt das Bild und statt Ai-Ling ist nun Mei-Lis Rückansicht zu sehen, die sich wieder dreht und direkt in die Kamera blickt – Ai-Ling ist nun zu Mei-Li geworden. In einer weiteren Szene wird diese Austauschbarkeit in der Verdopplung dargestellt, als Mei-Li Sophie nach Deutschland folgt und dieselben Orte aufsucht, an denen auch Ai-Ling in ihrer Todesnacht vorbeikam. Die Wiederaufführung derselben Kameraeinstellungen, in denen Ai-Ling aufgenommen wurde, lassen Mei-Lis Streifzug unheimlich wirken.

Abb. 150–152: Ghosted (D/TW 2009, R: Monika Treut)

Ähnlich wie in Gespenster wird hier die Strategie der Dopplung bzw. Wiederholung eingesetzt, um Unheimlichkeit darzustellen. Erst als Mei-Li nach Deutschland kommt und auf Ai-Lings Spuren wandelt, werden ihr in einer Verknüpfung aus Spiegel- und Traumsequenz die Umstände von Ai-Lings Tod offenbar. Zwar wird so im Modus des Geisterhaften die Durchdringung von ›Ost‹ und ›West‹ dargestellt, jedoch nicht, ohne eine weitere Dichtomoisierung mitzuproduzieren: Die Geister eines jungen Mannes und einer alten Frau, die Mei-Li mehrfach erscheinen, begegnen ihr nur in Taiwan, jedoch nicht (mehr) in Deutschland, obwohl ihr dort die Aufklärung von Ai-Lings Tod gelingt. Somit existiert die ›echte‹ Geisterwelt im Film doch nur in Taiwan, nach Deutschland kommt ein Geist nur mit einem konkreten Anliegen; die Geisterwelt bleibt doch ›im Osten‹ verortet und diese Grenze wird nur im Sinne einer Normtransgression und wortwörtlichen Verun_heim_lichung überschritten, in der das ›Eigene‹ vom ›Anderen‹ heimgesucht wird. So erzählt der Film in großen Teilen eine exotisierende Geschichte der Selbstbildung des westlichen Subjekts durch die Konfrontation mit dem Anderen, wie auch von Kuzniar beschrieben (vgl. Kuzniar 2011: 176) – ›interkulturelle‹ Begegnung, deren Verlust und die künstlerische Verarbeitung dessen, in dem die taiwanesischen Geister eher die Funktion orientalisierter Requisiten einnehmen, verstärkt dadurch, dass Sophie selbst zunächst zwar nicht versteht, was vor sich geht, jedoch niemals selbst von der Un_heim_lichkeit berührt zu werden scheint, da sie immer ruhig und gefasst erscheint – anders als Mei-Li, die mehrfach in Verwirrung oder Schreck gezeigt wird, als sie beginnt zu ahnen, dass ihr Körper als Vehikel eines Geistes dienen könnte. Die Konstruktion der Lesbe als unheimlich findet hier also nur in Bezug auf die taiwanesische Figur Anwendung; so wird die im Film hergestellte Dichotomie zwischen unterdrückter und befreiter Sexualität (vgl. nächster Abschnitt) betont.

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

In der Schlussszene, in der Sophie an der Gedenkfeier für Ai-Ling teilnimmt, ihr eine gute Reise wünscht und Ai-Ling und Mei-Li nochmal als Geister im Feuer erscheinen wird zwar eine romantisierende Versöhnung von Ai-Ling mit Sophie, Taiwan mit Deutschland, ›Ost‹ mit ›West‹ inszeniert, es darf jedoch nicht vergessen werden, dass dies auf Kosten von Ai-Lings Leben und zugunsten von Sophies Aufarbeitungsprozess geschieht. Susanne Zantops Ausführngen über koloniale Fantasien als bedeutend für die Herausbildung deutscher Nationalidentität im vorkolonialen Deutschland61 (vgl. Zantop 1997) können auf Ghosted übertragen werden: Durch die Mobilisierung kolonialer Fantasien wird im Film beobachtbar, wie deutsche natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in Auseinandersetzung mit und Abgrenzung oder Vereinnahmung von einem ›Anderen‹ stabilisiert wird, wobei das Nationale in Diskurse von Okzidentalismus/Orientalismus eingebunden ist. Dabei werden koloniale Imaginationen dahingehend verkompliziert, dass dichotome Gegenüberstellungen nicht länger greifen – die globalisierte Welt ist komplexer geworden, die ›Welten‹ stellen sich als ineinander verflochten dar, wenngleich Hierarchisierungen dabei nicht aufgelöst werden. So bleibt die Definitionsmacht dieses Verflechtungsverhältnisses und des ›weißen Blicks‹ (vgl. Fanon 1986) westlich, wird aber durch die Augen Sophies weiblich und erfährt dadurch eine vergeschlechtlichte und ›verqueerte‹ Aktualisierung des kolonialen Diskurses.

Ai-Ling, Sophie und Mei-Li – eine queere Spukgeschichte? An der Beziehung zwischen Ai-Ling und Sophie kristallisieren sich die im vorigen Abschnitt aufgezeigten Hierarchisierungen besonders und sie trägt dazu bei, diese Hierarchisierungen zu amplifizieren. Dabei agiert Sophie nicht als white savior, sondern von Beginn der Beziehung an als ›Konsumentin‹ der exotisierten Ai-Ling. Chandra-Milena Danielzik und Daniel Bendix beschreiben Exotismus als Spielart von Rassismus, »in de[r] die rassialisierte Grenzziehung durch die Sexualisierung des ›Anderen‹ scheinbar unterwandert wird. […] Weisse [sic!] [klassifizieren] aber nur Menschen des globalen Südens als ›exotisch‹, was darauf verweist, dass es sich um eine rassialisierte Form der Sexualisierung handelt. […] Das ›Fremde‹ und ›Exotische‹ kann und soll erobert, konsumiert und einverleibt werden. Da die Perspektive des/r Betrachters/in auf das ›Exotische‹ ein Weisser, eurozentrischer Standpunkt ist, kann der Blick nicht umgekehrt und Weisssein nicht exotisiert werden« (Danielzik/Bendix 2010: 6). Nachdem Ai-Ling und Sophie im Kino beim Schauen eines taiwanesischen Kinofilms ins Gespräch gekommen waren, überredet Sophie Ai-Ling zusammen in eine Bar zu gehen:

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Zantop zeigt, wie sich seit den 1770er Jahren in den deutschsprachigen Gebieten eine kolonialistische Subjektivität bzw. ein ›latenter Kolonialismus‹ mit einem kolonialen Kult ausgebildet hat, der sich vorrangig in Geschichten in diversen Genres über sexuelle Eroberungen oder Liebe zwischen Koloniserenden und Kolonisierten mit Schauplätzen in kolonialen Territorien, die das ›Fremde‹ vertraut werden ließen, ausdrückte (vgl. Zantop 1997: 2). Diese Geschichten arbeiten laut Zantop als das politische Unbewusste der Nation, das die Formierung der nationalen Identität dahingehend stützte, indem es die Illusion produzierte, dass sich in Bezug auf die koloniale Expansion die Nation einer Meinung sei und so schließlich für eine Fürsprache zum kolonialen Projekt mobilisiert werden konnte (vgl. Zantop 1997: 6).

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Sophie: »Would you like to drink something with me?« Ai-Ling: »I’m not sure« Sophie: »Come on, it’s still early. […] You have to tell me more about Taiwan«. Ai-Ling wird zur (gedrängten) Informantin über das unbekannte Taiwan (Sophie erklärt zuvor, fast gar nichts über Taiwan zu wissen) und zum zu erobernden, sexualisierten ›Anderen‹ – am Ende des Abends küssen sich Sophie und Ai-Ling zum ersten Mal. Ebenfalls in diesen Szenen zu beobachten ist die über den Film hinweg immer wiederkehrende Verdopplung von Bildschirmen im Filmbild. Während hierin einerseits eine Reflexion der »Verbildlichung der Welterfahrung« (Wulf/Merkel 2002: 15) unter Bedingungen einer sich globalisierenden Welt gesehen werden kann, manifestiert sich hier andererseits die Gerinnung der veranderten Ai-Ling zum Bild (Sophies). In einer überwältigenden Fülle wird Ai-Lings Abbild immer wieder im Filmkader eingeblendet: Überlebensgroß und fast hologrammartig in Sophies Videoarbeit, beim ersten Date, bei dem Sophie Bilder von Ai-Ling macht, auf Videos, die sich Sophie auf ihrem Laptop ansieht, auf einer DVD mit den Bildern vom ersten Date, die Sophie Ai-Ling schickt, um sie zu einem weiteren Treffen zu bewegen sowie in Sophies Film. In Sophies Bildern ›eingefangen‹ (Ai-Ling versucht Sophies Linse immer wieder zu entkommen) sagen diese mehr über die Konstruktion von Sophies Bild von Ai-Ling und Taiwan aus als über Ai-Ling selbst. Wie bell hooks beschreibt, könnten in einer Situation, in der Race und Ethnizität als »resources for pleasure« kommodifiziert werden, »the culture of specific groups, as well as the bodies of individuals, […] as constituting an alternative playground where members of dominating races, genders, sexual practices affirm their power-over in intimate relationships with the Other« (hooks 1996: 23) gesehen werden. Die lesbische Beziehung wird dabei zur Komplizin des kolonialen Blicks, indem über die vermeintliche (genderbezogene) Gleichheit die hierarchische Natur der Beziehung zwischen Ai-Ling und Sophie (auch in der Rezeption des Films) in den Hintergrund gerückt wird. In der Verdopplung der Bildschirme verdoppelt sich zudem die Geisterhaftigkeit Ai-Lings durch die dem gefilmten Bild inhärente geisterhafte Struktur und betont in diesem Fall Ai-Lings Entsubjektivierung durch Entkörperung und die Imagination Ai-Lings als Projektion von Sophies Fantasie. Das Un_heim_liche an diesem Film stellt sich also nicht durch den Fakt von Ai-Lings Geist-Werden in Mei-Li dar, sondern ist auch in der (Art und Weise der) Re_produktion von Ai-Lings Bild durch Sophie zu finden.

Abb. 153–154: Ghosted (D/TW 2009, R: Monika Treut)

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Die ungleichen Ausgangslagen werden im Film jedoch sehr klar ins Bild gesetzt und sogar als Basis der Beziehung von Sophie und Ai-Ling nahegelegt. Während Sophie eine eigene Wohnung, ein schickes Auto und beruflichen Erfolg hat, wohnt Ai-Ling, die zunächst vorhatte, nur wenige Wochen in Deutschland zu bleiben, in einem kleinen Zimmer bei einem Freund und arbeitet als Kellnerin im Restaurant ihres Onkels. Damit ist Sophie nicht nur mit Klassenprivilegien, sondern im Gegensatz zu Ai-Ling auch mit einem Beruf ausgestattet und damit individualisierter gezeichnet (vgl. Dittmann 2017: 541) als Ai-Ling. Als die Mutter des Freundes, bei dem Ai-Ling wohnt und die sie immer wieder gängelt, Ai-Ling aus der Wohnung werfen will, ruft Ai-Ling Sophie an, deren SMS sie bis dahin ignoriert hatte und zieht bei Sophie ein. Dem Verhältnis von Sophie und Ai-Ling wohnen damit zumindest prostitutive Elemente inne. Damit erfüllt Ai-Ling gegenüber Sophie eine gewisse »sexuelle Dienerschaft« (Dittmann 2017: 544), die laut Dittmann Elemente der Konstruktion »Schwarz-kastriert inszenierte[r]« (ebd.) Figuren darstellen können. Darüber hinaus tritt Sophie wiederholt in belehrender Weise auf, wodurch der Film Ai-Ling zusätzlich – neben dem sowieso bestehenden Altersunterschied zwischen den beiden – infantilisiert und ›erziehen‹ will als weiteres Element der hierarchisierenden Konstruktion weißer und nicht-weißer Figuren (vgl. Dittmann 2017: 542). Betont durch Sophies besseres Englisch und damit die Möglichkeit einer elaborierteren Ausdrucksweise re_produziert der Film in großen Teilen die typisierende Darstellung der ›silent Asian woman‹ (vgl. Hagedorn 1994: 74). Sophies Privilegien werden auch anhand der unterschiedlichen Erfahrungen im jeweils anderen Land dargestellt: Während Sophie sich auch in Taiwan eine eigene Wohnung leisten kann und ihre Arbeit von der dortigen Kulturszene gefeiert wird – neben der Ausstellung in der Kulturstiftung wollen Fans ein Foto mit ihr machen und Mei-Li gibt sich zunächst als Journalistin aus, die ein Interview mit ihr führen will –, befindet sich Ai-Ling in Deutschland in einer prekäreren Situation. Neben ihrer unsicheren Wohn-, ist sie auch mit einer unsicheren Arbeitssituation konfrontiert, da ihr Onkel aus finanzieller Not sein Restaurant schließlich für einen Spottpreis verkaufen muss. So führt der Film zumindest auf dieser Ebene die ungleichen Ausgangslagen von Sophie und Ai-Ling vor und produziert Klassenzugehörigkeit als potenzielles Konfliktmoment romantischer Beziehungen. Dies bleibt insgesamt jedoch eine Randnotiz und gewinnt neben der erläuterten übergreifenden Blickdramaturgie kaum an Bedeutung, besonders auch, da die Identifikation mit der Perspektive Sophies eine Umkehrung des Blicks größtenteils verunmöglicht. Die Trope der ›stummen asiatischen Frau‹, die sich in Bezug auf die Figur Ai-Lings findet, wird in ähnlicher Struktur, aber gegensätzlicher Bedeutung auch in Bezug auf die Figur Mei-Li bedient. Jessica Hagedorn (1994) beschreibt die Darstellung asiatischer Frauen im Film anhand zweier konträr gezeichneter Figuren, die der ›stummen asiatischen Frau‹ ihr abgewertetes Gegenbild entgegenstellt: »If we are ›good‹, we are childlike, submissive, silent and eager for sex […] or else we are tragic victim types […]. And if we are not silent, suffering doormats, we are demonized dragon ladies – cunning, deceitful, sexual provocateurs« (Hagedorn 1994: 74). Die Verdopplung Ai-Lings (Geists) in Mei-Li resultiert also nicht nur in der beschriebenen Austauschbarkeit der beiden Frauen, sondern auch in der Aufführung beider Tro-

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pen – Ai-Ling wie beschrieben in der Darstellung als kindlich und Mei-Li als hinterlistig, drängend und einen geheimen Plan verfolgend: Sie spioniert Sophie in ihren jeweils verlassenen Wohnungen in Taipeh und Hamburg hinterher, spürt sie in Deutschland auf und behauptet eine Identität, die sich als falsch herausstellt. Aber auch im Bereich des Sexuellen wird diese Dichotomisierung der beiden akzentuiert. Während die erste sexuelle Annäherung zwischen Sophie und Ai-Ling aus einem Candle-Light-Dinner hervorgeht, mit langsamer, träumerischer Musik unterlegt ist und in der Darstellung der Sex-Szene verschiedene spärlich belichtete halb bedeckte oder unbedeckte Körperteile wie Münder, Schultern, Brüste in Großaufnahme gezeigt und damit die sexuelle Begegnung der beiden mit konventionalisierten Mitteln romantisiert, erotisiert und als einvernehmlich dargestellt werden, ist die sexuelle Annäherung zwischen Sophie und Mei-Li im starken Kontrast hierzu gezeichnet. Direkt nach der in Rückblende erzählten Sexszene zwischen Sophie und Ai-Ling werden Sophie und Mei-Li in einem Café in Taipeh in einer Situation gezeigt, in der Mei-Li versucht Sophie zum Sex zu überreden, woraufhin Sophie geht. In einer späteren Szene in Hamburg taucht Mei-Li vor Sophies Haustür auf, sagt, sie könne Sophie nicht vergessen und versucht erneut, Sophie zu küssen, was ihr diesmal gelingt. Schließlich werden die beiden nach dem Sex, halb nackt im Bett liegend, eingeblendet, im Tageslicht und ohne jegliche Musik aus dem Off. Bedrängung und das Fehlen von Emotionalisierung/Romantisierung oder Erotisierung charakterisieren also die Darstellung der sexuellen Beziehung von Sophie und Mei-Li. Der Film buchstabiert die beiden Stereotype jedoch nicht nur aus, sondern synthetisiert sie schließlich in der Inszenierung von Mei-Lis Körper als Wirtin für Ai-Ling Geist. In den Schlussszenen wird dies konkret ins Bild gesetzt, als Ai-Ling und Mei-Li in der Zeremonie gemeinsam im Feuer erscheinen, bevor Ai-Lings Geist auf die Reise geschickt wird.

Abb. 155: Ghosted (D/TW 2009, R: Monika Treut)

Damit flicht der Film zwei stereotypisierende Darstellungsweisen in der Erzählung einer Geschichte ein, die darauf hinausläuft, dass Deutschland für die taiwanesische Reisende/Migrantin auf der Suche nach ihrem Vater nichts als den Tod übrighatte –

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

Deutschland bleibt für Ai-Ling un_heim_lich. Während sich die Angehörige des Westens/Globalen Nordens als interkulturell sensible Weltbürgerin inszenieren kann und unbeschwert mehrmals zwischen verschiedenen Kontexten wechselt, wird Ai-Lings einzige Möglichkeit, nach dem Aufbruch nach Deutschland zurück nach Taiwan zu kommen, als Geist zu reisen. Dennoch bleibt Sophies Position nicht völlig unangefochten, wie in einer Konversation zwischen Ai-Ling und Sophie nach einem Anruf von Ai-Lings Mutter deutlich wird: S: »How come she has to phone you every single day?« A: »Sorry, that’s just the way it is with us« S: »I think it’s pretty weird her phoning all the time« A: »I think it’s pretty weird that you never talk to your parents« S: »We don’t have much to say to each other« A: »And you think that’s good?« Kollektivismus wird hier gegen westlichen Individualismus in Stellung gebracht (vgl. Nieder o.J.) und kreiert einen Moment subversiver Infragestellung der sonst unhinterfragten Hegemonie. Auch die Blickhierarchie dreht sich hier für einen Moment um und Ai-Ling blickt zurück. Dies stellt den einzigen Filmmoment dar, in dem Ai-Ling in Aufsicht auf Sophie blickt. Auch blickt sie Sophie hier direkt an, im Gegensatz zu ihrem sonst oft ausweichenden Blick. Wie bell hooks in ihren Ausführungen zum Politisieren von Blickbeziehungen bemerkt, existierten »spaces of agency […] for black people, wherein we can both interrogate the gaze of the Other but also look back« (hooks 1992: 116), welche sie mit dem Begriff des »oppositional gaze« (hooks 1992: 115) belegt. Auch wenn Ai-Ling nicht Schwarz ist und sich bell hooks auf die Zuschauerinnenblicke Schwarzer Frauen bezieht, kann doch eine Analogie zu den rassifizierten Subjektpositionen und Blickstrukturen in Ghosted hergestellt werden. In Ai-Lings oppositionellem Blick wird ein Moment der Brechung der sonst dominanten Blickrichtung produziert und Ai-Ling ein Moment des Widerstands zugesprochen – das Zurückblicken wird zur »site of resistance« (hooks 1992: 116). Auch an anderer Stelle im Film werden Widersprüche in der Figurenkonzeption Sophies erkennbar, denn sie vergisst das gemeinsame geplante Wochenende mit Ai-Ling, scheint mit Chu-Li zu flirten und fährt stattdessen mit Chu-Li auf eine Arbeitsreise. Ai-Ling fühlt sich vernachlässigt und bespricht ihre Sorgen mit Sophies Nachbar Leon, der Sophie jedoch sogleich verteidigt und meint, er sei froh, dass sie die Freude für ihre Arbeit nach längerer Zeit wiedergefunden hat. Mit den generellen Schwierigkeiten, in Deutschland Fuß zu fassen, wirkt Ai-Ling insgesamt un_heim_lich entortet. Deutschland kann Ai-Ling nicht viel bieten, auch wenn sie hier zur lesbischen Liebe findet, die sie allerdings vor ihrer Familie verheimlicht und Sophie als ›Vermieterin‹ bezeichnet. Im Gegensatz zu Sophies offen gelebter Sexualität bedient der Film hier weitere Narrative westlicher – sexueller – Überlegenheit. Zwar können die Aufenthalte im jeweils anderen Land für sowohl Sophie als auch Ai-Ling einen »liminale[n] Raum« eröffnen, der »eine Transformation des Subjekts ermöglicht oder in Aussicht stellt« (Morsch 2015: 134), wie Thomas Morsch in Bezug auf Erfahrungen des Reisens beschriebt, in der Gegenüberstellung des sexuell freien, liberalen, ›outen‹ Westens mit einem queerfeindlichen ›Rest‹ arbeitet der Film

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jedoch durchaus an der Herstellung eines Narrativs sexuellen Exzeptionalismus mit. Dieser kann mit Paola Bacchetta und Jin Haritaworn mit Homotransnationalismus in Verbindung gebracht werden, wobei es sich um »the production and specifically transnational circulation of neocolonial, orientalist, sexist and queerphobic discourses, such as about persecuted […] queers. They flow mainly across Global Northern borders but also elsewhere. They appear in several genres« (Bacchetta/Haritaworn 2011: 134) handelt. Auch wenn Ai-Ling aufgrund der Beziehung zu Sophie nicht verfolgt, sondern diese eher ausgeschwiegen wird, folgt die Narration des Herausstellens der Verheimlichung auf Ai-Lings Seite gegenübergestellt mit dem öffentlichen Ausleben der lesbischen Beziehung auf Sophies Seite einer ähnlichen Logik wie die von Bacchetta und Haritaworn beschriebene.

Abb. 156: Ghosted (D/TW 2009, R: Monika Treut)

Queerness besitzt im Film also die Funktion der Aushandlung des Verhältnisses von Freiheit und Unterdrückung in Verbindung mit globalen Machtverhältnissen: In Bezug auf Deutschland und damit den Westen bzw. Globalen Norden wird Queerness normalisiert, was sich nicht nur in der Selbstverständlichkeit Sophies im Umgang mit ihrem Lesbischsein zeigt, sondern auch in der Darstellung der Beziehung von Sophie und Ai-ling über Coming-out oder Zusammenkommen hinaus in größerer Breite und im Alltag – Queerness ist hier eingehegt in ein progressiv-neoliberales, individualistisches Selbst, für das Selbst- und Welterfahrung (mit bisweilen neokolonialen Zügen) an erster Stelle steht; in Bezug auf Taiwan, ist es erst der Kontakt mit dem Westen (für den Sophie hier steht), der Taiwan Queerness wortwörtlich umarmen lässt und in der Umarmung von Sophie und Ai-Lings Mutter symbolisiert wird – wenn auch eine zögerliche Umarmung, die Sophie initiiert, dennoch eine schließlich erwiderte, die Ai-Ling selbst nicht zu Teil wurde. In der von eurozentristischen (Blick-)Strukturen durchdrungenen Welt, in der »die einzig denkbare Zukunft der Welt in ihrer fortschreitenden Verwestlichung« (Con-

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

rad/Randeria 2002:12) liegt und in der »die Ergebnisse des europäischen Fortschritts exportiert« (Conrad/Randeria 2002: 13) werden, wird Queerness, in dem sie zum Marker für den Westen wird, als Maßstab von Fortschrittlichkeit angelegt. Queerness wird hier also zum Kriterium der Klassifizierung vermeintlich ›modernder‹ und ›rückständiger‹ Gesellschaften (vgl. Nichols 2012: 54f.). Auf der Ebene des Plots wirkt Queerness damit überwiegend affirmativ in Bezug auf den Status Quo von Machtverhältnissen unter Bedingungen der Globalisierung. Im Vorhandensein von Geistern werden Grenzen von Binarität – durch die Anwesenheit eines Dritten und der Missachtung von räumlichen Grenzen – überschritten, wie aber in Bezug auf die Stereotypisierung der taiwanesischen Figuren diskutiert wurde, werden dadurch allenfalls Doppelbewegungen vollzogen, die subversive Tendenzen sogleich wieder in schematischen Darstellungen des ›Anderen‹ auflösen. In Bezug auf die Ebene der Narrationsstrategien und Montage lässt sich jedoch ein gewisses Queeren von linearem Erzählen feststellen: Die vielfältigen Sprünge zwischen Zeitebenen und Orten wirken verwirrend und verhindern eine einfache Orientierung innerhalb der Geschichte. Damit wird das Publikum nicht nur angehalten, sich immer wieder neu zu orientieren, Positionsbestimmungen immer wieder neu vornehmen zu müssen, sondern es wird auch die Komplexität einer globalen Welt inszeniert, in der jede Art von Orientierung und Zugehörigkeit einen Aushandlungsprozess darstellt – in diesem Sinne versinnbildlicht der Film auch die vielfältigen doing belongings im Zeitalter globaler Verflechtungen und der Diversifizierung von Lebenswelten. Damit gibt der Film Anknüpfungspunkte für ein »Queer Worlding« (Haraway 2008: xxiii), welches jedoch in Spannung zu den homotransnationalistischen Tendenzen und rassistischen Blickstrukturen im Film bestehen bleibt.

Vorstellungen von Familie und Vorstellungen von (natio-ethno-kultureller) Zugehörigkeit Die jeweiligen Bedeutungen von Familie für die Figuren im Film laden die Vorstellungen von ›Orient‹ und ›Okzident‹ mit den Assoziationen von ›Kollektivismus‹ und ›Individualismus‹ auf, dichotomisieren sie diesbezüglich und akzentuieren so die Bedeutungsverhandlungen um natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit. Im Erzählstrang um Ai-Ling wird die Bedeutung von Familie vor allem anhand des handlungsleitenden Motivs der Suche nach der eigenen Herkunft erzählt. Während Ai-Lings Mutter von Beginn an (hyper)präsent ist – in den ersten Szenen physisch, später am Telefon – existiert Ai-Lings verstorbener Vater nur als Bild im Film. Ai-Lings Onkel, der sich schließlich als ihr biologischer Vater herausstellt, nimmt eine zentrale Rolle dabei ein, ihr in Deutschland ein Zuhause zu schaffen – er organisiert ihre Unterkunft und stellt, als sie sich entscheidet, länger in Deutschland zu bleiben, ihr finanzielles Auskommen dadurch sicher, dass er ihr bezahlte Arbeit in seinem Restaurant gibt. Die zentrale Rolle der Frage nach dem (biologischen) Vater zeigt sich in den ersten Szenen, da die erste Subjektive im Film dem Blick auf ein Bild des Vaters und ein Familienbild mit beiden Vätern darstellt, zweiteres dasselbe Bild, das Ai-Ling mit auf ihre Reise nach Deutschland nimmt. Nachdem Ai-Ling durch einen illegalen DNA-Test herausgefunden hatte, dass ihr Onkel ihr biologischer Vater ist, wird sie dabei eingeblendet, wie sie das Familienfoto so knickt, dass nur noch ihr Onkel, ihre Mutter und sie selbst auf dem Foto zu erkennen sind. Ai-Ling wird so als Anhängerin ei-

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nes biologistisch und essenzialistisch verwurzelten Konzepts von Zugehörigkeit inszeniert – Herkunft und Familie werden in eins gesetzt. Wie im Ausblenden des sozialen Vaters aus dem Foto deutlich wird, zählt für sie nur die ›Blutsverwandtschaft‹. Sophies Eltern hingegen sind abwesend und unwichtig, sowohl für den Handlungsverlauf als auch für die Entwicklung der Figur. Als Sophie von Ai-Lings Vorhaben des DNA-Tests erfährt, geraten die beiden in einen Streit. Während Ai-Ling meint, dass es für sie wichtig sei, »to know where I come from«, ist Sophie der Meinung, dass viel wichtiger sei, darüber nachzudenken, wo sie jetzt sei und dass sie ihre Energie dazu nutzen sollte, »to make something of yourself«.

Abb. 157–158: Ghosted (D/TW 2009, R: Monika Treut)

Die Bedeutung von Familie korrespondiert dabei mit dem jeweiligen Verhältnis zu natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit. Während es für Ai-Ling wichtig bleibt, ›wo sie herkommt‹, scheinen für die ›Weltbürgerin‹ Sophie (vordergründig) weder biologische Verwandtschaft noch natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit als Elemente der Subjektkonstitution zu greifen. Damit vertritt sie zwar ein entessenzialisiertes Verständnis von Zugehörigkeit, welches aber eingebunden ist in das Aufführen der Befürwortung eines neoliberalen Multikulturalismus und verflochten ist mit Race- und Klassen-Privilegien. Sophie kann es sich als Profiteurin des kapitalistischen (Welt-)Systems leisten, sich aus dem qua Geburt zugeschriebenen Familien- bzw. Nationszusammenhang so weit zu lösen, wie es ihr beliebt. Hier wird nicht nur auf einer weiteren Ebene die Kontrastierung der beiden ›Welten‹ aufgeführt, sondern auch Deutschland mit seiner Geschichte einer zerstörerischen Blutund-Boden-Ideologie über die Abgrenzung zum ›Anderen‹ als transformiertes, modernisiertes und geläutertes dargestellt, während Ai-Lings Position durch Sophies belehrende Worte herabgesetzt und als überkommen markiert wird. Als einer ›echten‹ patriarchalen Vaterfigur (und Nation) bedürftig und in Verbindung mit einem Gespräch über Ai-Lings Abhängigkeit gegenüber Sophie, wird Ai-Lings Haltung als anti-emanzipatorische ausgewiesen, aber auch als gefährliche: Am Ende sind zwar die biologischen Eltern (wieder) vereint, jedoch ist ihr Kind gestorben. Das Anhängen an starren und biologistischen Ideen von Zugehörigkeit hat also den Verlust von derselben zur Folge. Aus Sophies Perspektive, derer also, die den Film wie erläutert rahmt, ist Nation als identitätsstiftender Bezugsrahmen nicht mehr von Bedeutung, sondern findet sich durch ein progressiv-neoliberales Verständnis von Selbstentfaltung und Multikulturalismus ersetzt. Da-

5. Queerness und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit in ausgewählten Filmen

mit wird belonging hier zu einer zu gestaltenden Forderung an das Subjekt, das sich unabhängig von durch Geburt zugeschriebenen natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsordnungen selbst entwerfen, optimieren soll und sich dem kulturellen Differenzkonsum hingeben kann, ohne dabei globale Machtverhältnisse in Frage stellen zu müssen.

Zusammenfassung In Ghosted werden Queerness und Globalisierung im Modus einer Geister- und Doppelgänger:innengeschichte erzählt. Dabei kommen objektifizierende Blickstrukturen zum Einsatz und Globalisierung wird als Kulturmix dargestellt, wobei jedoch ein koloniales Blickregime bedient wird. Es werden sowohl Verwischungen von Grenzen und vermeintlichen Differenzen auf globaler Ebene vorgenommen als auch Differenzmarkeirungen reifiziert. Queerness wird zum Marker für Modernität und Fortschritt, heteronormative Setzungen existieren nur in Taiwan bzw. wirken nur im Kontext der taiwanesischen Community als Hindernis bei der Selbstentfaltung und -offenbarung. Taiwan als Globaler Süden/Osten wird schließlich durch den Anstoß des Westens für Nicht-Heterosexualität sensibilisiert. Dennoch finden sich queerende Momente in der Narration, vor allem im Ineinanderschieben der und Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Zeit- und Raumebenen, wodurch Erzählgewohnheiten irritiert werden können. Die Evozierung der Geister kann binäre Logiken stören, mobilisiert dafür jedoch eine Reihe von populären Tropen asiatischer Weiblichkeit, die im Vergleich zur individualisiert gezeichneten Figur Sophies entindividualisierend wirken. Die Aushandlungen der Familienverhältnisse korrespondieren mit den Verhältnissen zu natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit. Für den deutschen Kontext greifen essenzialisierende Konzepte von Nation nicht mehr als identifikatorische Schablonen, wohingegen für den taiwanesischen Kontext eine biologistische Verbindung zur Nation bedeutend für die Subjektivierung bleibt. Dabei wird eine Bewertung und Hierarchisierung dieser sich gegenüberstehenden Zugehörigkeitskonzeptionen vorgenommen, wodurch sich Deutschland seiner gewaltvollen und biologistisch motivierten Geschichte entlasten kann. Belonging wird hier in neoliberal-globalisierter Logik über eine weltoffene und individualistische Selbstfindungserzählung inszeniert. So produziert der Film trotz emanzipatorischer Momente und Ambivalenzen insgesamt einen homotransnationalistischen Gestus und schöpft das Potenzial einer transnationalen queeren Geschichte wenig aus. Unheimlich wirkt an Treuts Geisterfilm vor allem, wie wenig subversiv – trotz der beschriebenen Brüche – ein Film der einstigen Vorreiterin queer-feministischer Vorstöße im Film und einer der wenigen deutschen Vertreterinnen des New Queer Cinema Ende der 2000er-Jahre noch ist/sein kann.

5.5.4 Fazit In den Filmen Gespenster und Ghosted werden Deutschland, Europa und die Globalisierung mit Queerness und (weiblichen, queeren) Geistern verbunden. Zusammen mit der Erscheinung eines anderen weiblichen queeren Geistes in Auf der anderen Seite (2007) und den ›gespenstischen‹ Doppelgänger:innen in Lola und Bilidikid und Fremde Haut bildet sich hier ein neuer Topos im deutschen Film mit queeren Bezügen heraus und zeigt die Verschiebung des Motivs der ›unheimlichen Lesbe‹ an. Dabei ist Queerness kaum noch

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unheimlich, scheint jedoch immer noch als Vehikel der Verknüpfung mit dem Unheimlichen im Film zu funktionieren. Ghosted wechselt zwischen verschiedenen nationalen Schauplätzen, wohingegen Gespenster verschiedene Nationalitäten lediglich an einem Ort aufeinandertreffen lässt. Mit Versatzstücken aus Märchen und Elementen der asiatischen Geistergeschichten werden in die sonst am Realismus ausgerichteten Filme fantastische Elemente eingeflochten. In beiden Filmen lösen sich neben den Grenzen von intradiegetischer ›Realität‹ und ›Fiktion‹ auch nationalstaatliche Grenzen gewissermaßen auf oder scheinen nicht mehr zu existieren: Europa wird in Gespenster als grenzenloser Raum aufgerufen, nationale Zugehörigkeiten spielen keine Rolle mehr, wohingegen ein biologistisches Verständnis von Verwandtschaft und Zugehörigkeit weiterhin mit Bedeutung für Zugehörigkeit aufgeladen werden. Berlin wird dabei zum Ort, an dem sich Europa trifft. Auch in Ghosted spielen Grenzen kaum eine Rolle mehr, ein einfaches Wechseln zwischen Kontexten wird ins Bild gesetzt, wobei globale Machtverhältnisse sich hier insofern spiegeln, dass es für das weiße westliche Mittelklasse-Subjekte mit wesentlich weniger Anstrengung verbunden ist, vom einen in den anderen nationalen Kontext zu wechseln. Beide Filme thematisieren Formen der Subjektivierung im Neoliberalismus und inszenieren diese auf unterschiedliche Weise: Während in Gespenster Klassenantagonismen und die aktivierenden Anrufungen an das Subjekt im Neoliberalismus als Motoren zunehmender Vereinzelung vorgeführt werden, werden in Ghosted auch Momente, die Prekarisierung und kapitalistischen Konkurrenzkampf aufzeigen, dargestellt, die gelegentlichen Verweise auf Klassenantagonismen geraten vor der Folie der westlichen ›Selbstverwirklichung‹ jedoch in den Hintergrund, welche zum positiv besetzten Anspruch an das selbstverantwortliche Subjekt, das sich in einer westlich geprägten Welt behaupten will, wird. Momente, die einem kapitalismuskritischen Diskurs zuträglich sein könnten in Ghosted werden so von der Reproduktion althergebrachter rassifizierter und eurozentristischer Blickstrukturen überschattet. In Gespenster wird schließlich jegliche Form von Zugehörigkeit verweigert und das Subjekt findet sich allein auf sich selbst zurückgeworfen; in Ghosted findet nur das weiße queere Subjekt, das sich von essenzialistischen Zugehörigkeitsvorstellungen gelöst hat, als Weltbürgerin überall ein Zuhause und filmisches Happy End, während ihr taiwanesisches Gegenstück, das dem Essenzialismus anhängt, nur den Tod findet. Über diese Konstruktion kann sich Deutschland als von biologistisch-rassistischen Ideen gereinigt vorstellen und solche Zugehörigkeitsvorstellungen der Vergangenheit zuschreiben. Queerness dient in Ghosted dazu, die vermeintliche Fortschrittlichkeit des Globalen Nordens/Westens gegenüber dem Globalen Süden/Osten anzuzeigen und wird in beiden Filmen normalisiert sowie eingebunden in eine diversifizierte Ökonomie: Als Kapital und als Facette eines schillernden emanzipierten Selbst wirkt Queerness nicht mehr anti-normativ, sondern als eine neue westlich-europäische Norm. In beiden Filmen ist das lesbische Begehren nicht mehr per se das ›Un_heim_liche‹, sondern wird dazu eingesetzt, das Un_heim_liche zu reformulieren.

6. Resümee

6.1 Nationale Themen und Motive Die analysierten queeren Filme greifen ›natio-ethno-kulturell relevante Themen‹ auf und arbeiten so an Diskursen über die Verhandlung des Zusammenhangs von natio-ethnokultureller Zugehörigkeit und Queerness mit. Dabei werden natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit und Queerness miteinander in Verbindung gebracht und konstitutieren sich im gegenseitigen Wechselspiel. Die national relevanten Themen (die sich in meiner Kapitelstruktur meiner Analysen widerspiegeln) beinhalten, jeweils in Bezug auf Queerness: Das Verhältnis (Ost- und West-)Deutschlands zu den USA, die Frage nach der Stellung queer-diasporischer bzw. rassifizierter und ethnisierter Gruppen in Deutschland sowie nach nationalen Grenzziehungen bzw. der Frage nach der staatlichen Regulation von queerer Migration und Asyl auf der Basis von Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Gender-Identität, deutsche Geschichte, insbesondere die des Nationalsozialismus, des (entnannten) Kolonialismus und der Wiedervereinigung sowie die Frage nach Queerness in einer neoliberalen Welt, die von Europäisierung und Globalisierung geprägt ist. Die Mobilisierung dieser Themen und erinnerungsrelevanten Ereignisse erfolgt durch den Einsatz national relevanter kollektiver Symboliken, die Inszenierung der Filmhandlung an Erinnerungsorten und öffentlichen Orten sowie der Typisierung von Figuren, sodass sie sich als symbolische Vertreter:innen bestimmter Gruppen lesen lassen oder auch durch die Dekonstruktion genannter Strategien. Darüber hinaus sind die natio-ethno-kulturellen Themen und aufgerufenen gesellschaftspolitischen Diskurslinien eingebunden in die Narration, setzen Filmkonflikte in Gang und treiben die Handlung voran. In My Father Is Coming beispielsweise wird der Nationalsozialismus als konstitutiv für ein deutsches Fremdbild dargestellt und durch das sich immer wiederholende Stoßen auf das Thema als nicht überwunden oder ›bewältigt‹ dargestellt. New York, in dessen Stadtraum der Vater im Film immer wieder auf die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands gestoßen wird, wirkt dabei als eine Art ›Erinnerungsort‹. Durch die Mobilisierung einer ganzen Stadt bzw. der USA, die zum Erinnern drängt, macht My Father darauf aufmerksam, dass »nie wieder alles gut« (Czollek 2020: 182, Herv. i.O.) wird. Die bayrische Flagge als kollektive Symbolik wird hier eingesetzt, um den Nationalchau-

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vinismus der Vaterfigur aufzurufen und zugleich zu ironisieren. Durch das culture-clashMotiv wird dabei nicht nur Komik erzeugt, sondern auch auf die ›Rückständigkeit‹ des Weltbilds der Vaterfigur gestoßen. Salmonberries stellt den einzigen Film des Korpus’ dar, der sich explizit mit der DDR und der deutsch-deutschen Vereinigung auseinandersetzt. Diese wird als Medienereignis eingeblendet und Berlin kurz nach der Wende wird hier zur Verdichtung der Diskurse um die deutsche Teilung und Wiedervereinigung als Baustelle stilisiert. Die Großstädte Berlin und seine symbolträchtigen öffentlichen Plätze sowie Monumente und Hamburg als zweitgrößte Stadt mit dem Hafen und seiner problematischen historischen Relevanz als »Tor zur kolonialen Welt« (Dohrn 2020), werden in einer Reihe von Filmen immer wieder ins Bild gesetzt und kommen als Schauplätze zum Einsatz: Neben Salmonberries ist dies auch in Lola und Bilidikid, Aimée und Jaguar, Der Einstein des Sex sowie Gespenster auf unterschiedliche Arten und Weisen in Bezug auf Berlin der Fall, in Alles wird gut, Kleine Freiheit und Ghosted in Bezug auf Hamburg. Gerade Berlin als Erinnerungsort und besonders guter Schauplatz um Zugehörigkeitsfragen zu thematisieren – aufgrund sowohl seiner prominenten Stellung in der Filmgeschichte als auch als Ort, an dem die Teilung von DDR und BRD am präsentesten war (vgl. Khouloki 2010: 135) – werden neben Fernsehturm und Siegessäule, Olympiastadion und dem in Zweiten Weltkrieg beschädigten Martin-Gropius-Bau (vgl. Fisher 2013: 112), Berliner Straßenzüge, die entweder für ihre Geschichts- und Prestigeträchtigkeit bekannt sind (z.B. Potsdamer Platz) oder bestimmte in der deutschen Öffentlichkeit bekannte ›Kieze‹ (z.B. Kreuzberg) als Handlungsorte gewählt, wobei oft Totale oder Panoramaeinstellungen genutzt werden – außer in Gespenster, bei dem die Zergliederung und Verlorenheit der Figuren in ihrem Umfeld im Vordergrund steht – und so die Einbettung der Figuren in einen überindividuellen soziohistorischen Kontext hergestellt. Darüber hinaus tauchen in den Filmen Elemente, die von theoretischer Seite als konstitutiv für die Nation beschrieben wurden, als zentrale Motive auf: Familie (mit der in sie eingeschriebene heteronormative GenderOrdnung), Raum (und die Bewegung darin bzw. die In- und Exklusion darin/daraus), Sprache bzw. Ein- und Mehrsprachigkeit sowie die (kollektive) Erinnerung (vgl. Kapitel 2.1). Diese werden in allen analysierten Filmen in spezifischen Formen relevant und dienen entweder zur Einbindung von Queerness in die nationale Hegemonie oder als Orte der queeren Subversion homogenisierender Zugehörigkeitsanrufungen. Dass die Familie als Zentrum der bürgerlichen Geschlechterordnung und als »Drehund Angelpunkt aller sozialen Organisationen« (Notz 2015: 8), welche als »generelles Motiv« (Albers/Grundmann 2007: 90f., zit. in Iwen 2019) im Film auftaucht, im queeren Film, nur oft unter anderen Vorzeichen ebenfalls stark vertreten ist, ist an sich nicht überraschend. Interessant ist jedoch zu betrachten, wie in der Mehrzahl der Filme über die Familienbeziehungen das Verhältnis von Nation und Queerness ausgehandelt wird. Wie Johannes von Moltke in Bezug auf den Autor:innenfilm herausstellt, wurde in diesem seit den 1970er Jahren immer stärker die Geschichte eines Individuums mit deutscher Geschichte verknüpft (vgl. von Moltke 2010: 164), wobei die Verbindung von persönlicher und nationaler Geschichte oft in Form allegorisierter Weiblichkeit dargestellt wurde, so beispielsweise in Helma Sanders-Brahms Deutschland, bleiche Mutter (1980) oder in Fassbinders Frauenfiguren, besonders denen seiner ›BRD-Trilogie‹ (vgl. von Moltke 2010: 165). Mit Rückgriff auf Thomas Elsaesser beschreibt er den ›Königsweg‹ zu deut-

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scher Geschichte mit den 1970ern aber auch als Familiengeschichte (vgl. von Moltke 2010: 164). In einem Großteil der hier analysierten Filme findet sich Ähnliches wieder (wodurch auch die impliziten wie expliziten Verbindungen des Queeren Kinos zum Autor:innenfilm deutlich werden), denn: Die Familienbeziehungen fungieren hier als ›Mikrokosmos der Nation‹ (vgl. Conrad 2004; zum historischen Zusammenhang von Familie und Nation vgl. Kapitel 2.3). Dabei findet sich McClintocks Einschätzung zum Verhältnis von Gender und Nation (Männer als metonymisch, Frauen als metaphorisch im Verhältnis zur Nation) in den hier analysierten Filmen nur bedingt wieder. Väter und Patriarchen treten zwar überwiegend als metonymisch in Verbindung mit der Nation stehend auf, während Mutterfiguren in großen Teilen (wenn sie denn eine Rolle spielen) metaphorisch mit Zuhause, Zugehörigkeitsgefühl, Ursprung und Reproduktion aufgeladen werden, jedoch nicht in allen Filmen ist dies der Fall. So ist es in Ghosted die Vaterfigur, anhand derer Fragen nach Ursprung, Herkunft und Zugehörigkeitsgefühl verhandelt werden, während die Mutterfigur für Taiwan steht. Zugleich sind sowohl diverse Väter als auch Mütter in mehreren Filmen tot (in Salmonberries und Lola kommt deshalb der ältere Bruder als Familienpatriarch zum Einsatz), oder in verschiedenen Konstellationen unbekannt oder abwesend, werden teilweise durch soziale Eltern ersetzt oder bleiben als Leerstelle bestehen. Somit zeigt sich, dass die Familienbeziehungen sich oft schon zu Beginn des Films als gebrochene, nicht-traditionelle darstellen oder sich auf die Tradition der fehlenden Mutter im Film berufen, um Heimatlosigkeit zu evozieren. Der vergeschlechtlichte Charakter von Nation und die Familie als Mikrokosmos werden damit zwar aufgerufen, aber auf vielfältige Weise dargestellt, was sowohl auf Pluralität als auch auf Fragmentierung des Verhältnisses zur Nation im ausgehenden 20. Und beginnenden 21. Jahrhundert verweist. Innerhalb der Familienbeziehungen bewegt/bewegen sich die queere/n Figur/en insgesamt entweder affirmativ oder intervenierend, zeigt/zeigen deren vergeschlechtlichte und heteronormative Strukturierung auf oder fügen sich in diese homonormalisierend ein. In Aimée und Jaguar zeigt sich Letzteres: Während Felice keine Familie mehr hat bzw. diese verliert, wird sie in Lillys Familie eingemeindet. Lillys Eltern akzeptieren die Beziehung der beiden und nehmen Felice in ihre Familie auf – das Jüdische wird in die deutsche Nation integriert und so eine Schuldentlastungs- und Versöhnungsfantasie bedient. In Der Einstein des Sex wird ›Papa Hirschfeld‹ zum Vater der queeren Nation stilisiert und durch die ›Weißwaschung‹ des ›Papa‹ durch geteilten Kolonialrassismus die Nation zusätzlich als jüdisch-christlich-säkulär integrierte aufgeladen. In My Father Is Coming bildet die Auseinandersetzung mit dem Vater eine zentrale Rolle bei der Emanzipation aus der zugeschriebenen Heterosexualität, während die Mutter nie thematisiert wird, ähnlich verfährt auch Salmonberries in Auseinandersetzungen mit und Abgrenzungen von den jeweiligen familiären Patriarchen (Bruder oder Vater) und abwesenden Müttern. In allen bisher genannten Filmen spielen neben der biologischen Herkunftsfamilie auch Konzepte von Wahlverwandtschaft und -familie eine große Rolle, durch die fehlende Mutter wird hierbei die Denaturalisierung von Zugehörigkeit erleichtert. Wie Jeffrey Weeks, Brian Heaphy und Catherine Donovan zeigen, gewinnen in der Spätmoderne nicht-herkunftsfamiliäre Strukturen aufgrund von Unsicherheiten und Flexibilisierungen an Bedeutung (vgl. Weeks/Heaphy/Donovan 2001: 20) und gerade in nicht-heterosexuellen Lebenszusammenhängen entsteht eine Experimentierfreudigkeit oder -not-

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wendigkeit mit neuen Formen und Re-Organisierung von Zusammenleben und Verantwortungsübernahme (vgl. Weeks/Heaphy/Donovan 2001: 21; 23). Wahlfamilien könnten demnach als die gewählten Lebenszusammenhänge und Netzwerke gesehen werden, innerhalb derer Menschen zusammenleben und füreinander Verantwortung übernehmen ohne eine biologische Verwandtschaft zu haben (vgl. Weeks/Heaphy/Donovan 2001: 9). In Lola und Bilidikid sowie in Alles wird gut wird die Rolle von Community und Wahlfamilie besonders betont: In Lola werden Community und Wahlfamilie sowohl als Gegenkonzepte von Herkunftsfamilie verhandelt, aber auch in ihrer Widersprüchlichkeit dargestellt; in Alles wird gut werden queere Wahlfamilie und straighte Herkunftsfamilie in direkter Opposition inszeniert und das Queere als unvereinbar mit dem Weiß-Deutschen dargestellt. In Kleine Freiheit werden Herkunftsfamilie und Wahlfamilie zwischen Brüchen und Loyalitäten inszeniert und Komplexitäten von Familiennetzwerken zwischen Herkunftsort und Diaspora werden deutlich, wobei das deutsche Migrationsregime stets Gegner:in bleibt. In der ethnisch pluralistischen ›Community der Marginalisierten‹ lassen sich hier jedoch Halt und Solidarität finden. In Fremde Haut wird die iranische Herkunftsfamilie unerreichbar und imaginär, während die deutsche Wahlfamilie der weißdeutschen Figur repressiv und normativierend auftritt und Queerness sich in Abgrenzung zu Beidem platziert. In Gespenster gibt es keine Familie mehr, die Bestand hätte, weder die vermeintliche Herkunfts- noch die potenzielle Wahlfamilie, was jedoch nicht in einer Hoffnung auf eine bessere, queere Zukunft aufgelöst wird. Ghosted betrachtet – zumindest im Westen – nicht mehr die Herkunftsfamilie, sondern die ›globale (queerfreundliche) Familie‹ als zugehörigkeitsstiftend und spricht sich damit für eine progressiv-neoliberale Globalisierung mit dem Westen als Maß für Fortschrittlichkeit aus, wird aber in Gegensatz zum Globalen Süden/Osten gesetzt, in dem biologische Verwandtschaft und Herkunft als zentral für individuelles belonging gesetzt werden. Familie ist in den Filmen also als Motiv zu verstehen, durch das Spannungen zwischen natio-ethnokultureller Zugehörigkeit und Sexualität verhandelt werden. Über das Queeren traditionell vergeschlechtlichter und heterosexualisierter Familienstrukturen in genannten Filmen werden natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnungen (nicht nur, aber auch kritisch) reflektiert, bisweilen werden Alternativen inszeniert und so Formen der (nichtreproduktiven) Re-Organisierung des Zusammenlebens in einer Welt der postness imaginiert. Ästhetisch interessant werden hier vor allem Umarmungen bzw. das Versagen dieser: so wird in My Father, Aimée und Jaguar, Ghosted und Fremde Haut die Umarmung zur Geste der Einbindung in ein nationales Kollektiv, während das Versagen dieser in Salmonberries dazu dient, die Disidentifikation mit demselben anzuzeigen. Die (sexuellen) Politiken des Raums, die in sich in den Filmen beobachten lassen, erzeugen ein bestimmtes Raumwissen in Bezug auf natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit: In allen Filmen werden Elemente der Raumaneignung, der Mobilität und Migration, der Beschränkung des Raums oder Überschreitung räumlicher Grenzen zu bedeutungstragenden und -generierenden Elementen in der Aushandlung des Zusammenhangs von Queerness und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit. Raumkonfigurationen können als heterogene und umkämpfte Gefüge betrachtet werden (vgl. Soja 1996), die von Gender, Sexualität, Ethnizität oder Nation strukturiert sind bzw. diese strukturieren. Genauso kann Sexualität nicht ohne die Räume, innerhalb derer sie praktiziert und gelebt wird, verstanden werden (vgl. Browne/Lim/Brown 2007: 4). Raumkonfiguratio-

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nen im Film wirken daran mit, diese Strukturierungen aufzuzeigen oder zu befragen und den natio-ethno-kulturellen Raum auf bestimmte Weise zu imaginieren, wobei Deutschland in allen Filmen mit einem anderen nationalen Raum narrativ oder bildlich kontrastiert wird. Die in den Filmen erzeugten natio-ethno-sexuellen Topographien stellen die heteronormative Logik der Raum- und Nationskonstruktion zur Disposition, Bewegung, Mobilität und Migration werden darüber hinaus teilweise konstitutiv für die Erweckung eines queeern Begehrens der Protagonist:innen. In filmischen Raumkonstruktionen wird das Verhältnis der Figuren zur Nation reflektiert, gleichzeitig transformieren die Figuren den Raum durch Bewegung in ihm. Sara Ahmeds Annahme, dass ein queeres Leben zu leben einen Grad an Desorientierung mit sich bringt, da sich das queere Subjekt nicht nahtlos in die heteronormative Strukturierung des öffentlichen wie privaten Raums einfügen kann (vgl. Ahmed 2006: 21f.), zeigt sich in den Rauminszenierungen sowie Bewegungsmetaphern und -motiven einiger der analysierten Filme und geht oft mit der Überschreitung nationaler Grenzen und damit der Neuausrichtung im Raum (My Father, Salmonberries, Kleine Freiheit, Fremde Haut, Ghosted) oder der Resignifizierung nationaler Symbole als queer (Lola, Alles wird gut) einher, wobei Grenzen von nicht vorhanden bis unüberwindbar auftreten. Andere Filme des Korpus politisieren den strukturierten Raum durch die Darstellung des Ringens von Praktiken der Raumaneignung und Raumbegrenzung, dem Spiel von Strukturierung und Handlungsmacht. Queere Mobilität operiert hier als disruptive Kraft und kann hegemoniale Strukturen und soziale Normen der Filmwelten herausfordern. Fortbewegungsmittel wie Fahrrad, Auto oder Motoroller werden hier immer wieder als Symbole der Raumaneignung und der sozialen Mobilität inszeniert (Alles Wird Gut, Kleine Freiheit, Lola, Fremde Haut) und stehen mitunter beengten Wohnräumen entgegen, die besonders in Bezug auf Migration und Asyl als solche dargestellt werden (Fremde Haut, Kleine Freiheit, Lola). Treppenhäuser als Motive des Dazwischen fungieren immer wieder als Orte der Begegnung mit dem ideologisch-politisch Anderen (My Father, Alles Wird Gut, Lola, Aimée und Jaguar) und verweisen auf den städtischen Charakter eines Großteils der Filme. Auch sich wiederholende und begrenzte Außenräume, die von den Protagonist:innen in Schleifen immer wieder durchlaufen werden, spielen hier eine Rolle (Lola, Kleine Freiheit, Gespenster). Das Thema der Reise und der Migration ist in genannten Filmen präsent und es lassen sich Überschneidungen zu Themen und Ästhetiken des (post)migrantischen und des akzentuierten Kinos (vgl. Naficy 2001) feststellen (vgl. Kapitel 6.3), nationale Grenzüberschreitung wird dabei meist mit Identitätsentwicklung verknüpft. Die Figuren der Filme sind immer wieder tatsächliche und symbolische Grenzüberwinderinnen, sie rekonfigurieren den nationalen und transnationalen Raum und zeigen an, dass sich die Nation in Transformation befindet, in der Relationen neu bestimmt werden. Damit geben die Filme den Figuren immer wieder die Chance, ihren Platz in der Welt neu zu verhandeln und an neuen queeren Subjektentwürfen zu partizipieren. Private und Community Räume vs. Öffentliche Räume stehen oft in einem Antagonismus von queer/sicher und heteronormativ/unsicher und verweisen so auf die räumliche Prekarität in Bezug auf Queerness (Lola, Kleine Freiheit, Fremde Haut, Aimée und Jaguar, Der Einstein des Sex). In der Zusammenschau der Filme werden darüber hinaus die unterschiedlichen Semantisierungen von Land- und Stadträumen deutlich. Während, wie erwähnt, die meisten Filme mit ihrer Wahl der Großstadt als zentralen Handlungsort

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die Stadt, die im populären ›sexuellen Imaginären‹ (vgl. Weston 1995, zit. in Halberstam 2005: 30) als paradigmatischer Ort von Queerness gilt (vgl. Halberstam 2005: 30), aufrufen und inszenieren, spielt in zwei Filmen, Salmonberries und Fremde Haut, der ländliche Raum die herausragende Rolle. Der ländliche Raum gilt in diesem sexuellen Imaginären als dem Nicht-der-Heteronormativität-entsprechendem als grundsätzlich feindlich gestimmt und ersinnt eine Opposition der beiden Räume (vgl. Halberstam 2005: 30f.). Diese Opposition wird in Fremde Haut sehr deutlich inszeniert. Mit Jack Halberstam (2005) kann dieses binäre Verständnis jedoch auch verkompliziert werden, wodurch die komplexen Arrangements räumlicher und sozialer Zugehörigkeiten und Ausschlusslogiken zum Vorschein kommen und das Verständnis, dass der Landraum als essenziell feindlich allem Queeren gegenüber gesinnt ist und wirkt, herausfordern. Dieses komplexere Verständnis wird in Salmonberries inszeniert, denn der Widerspruch zwischen weitem, offenem Landraum und der engmaschigen, normativierenden sozialen Überwachung, wie sie in Fremde Haut dargestellt ist, ist in Salmonberries so nicht vorhanden. Im Gegenteil wird in Salmonberries der weite, eiswüstenhafte Landraum geteilter Einsamkeit der Stadt Berlin vorgezogen und entgegengestellt. Auch wenn die Figurenentwicklung der Öffnung, die Verarbeitung des Traumas und körperliche Annäherung in der Stadt passiert, so ist jedoch eher die Reise als der Raum ›Stadt‹ an sich als Transformationsmotor zu sehen; und obwohl der Kuss zwischen den Protagonistinnen erst in der Stadt passieren kann, so ist doch die ›eigentliche‹ Sexszene, die die Montage im Film herstellt (vgl. Kapitel 6.1.4), in direkter Verbindung mit dem Landraum Alaska inszeniert – Queerness entsteht hier also als besondere Beziehung zum ländlichen Alaska. So lässt sich festhalten, dass auch wenn der Stadtraum in der Zusammenschau der Filme als queerer Ort dominant bleibt, sich auch Durchbrechungen dieses sexuellen Imaginären finden lassen, die diese Binarisierung verkomplizieren. In Bezug auf den Zusammenhang natio-ethnokultureller Zugehörigkeit und Queerness im Verhältnis zu Raum werden in den Filmen eine Reihe von Visualisierungen von Ein- und Ausschlüssen produziert. Dabei werden nationalstaatliche Grenzen wie auch symbolische Grenzen überwiegend als Exklusionsfaktoren des rassifizierten Queeren inszeniert, während weiße okzidentale Queers als im grenzenlosen Europa oder als unbeschwert auf dem Globus wandelnd dargestellt werden. In diesem Zusammenhang wird auch Sprache als Marker natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit relevant. Bis auf drei der analysierten Filme (Alles Wird Gut, Der Einstein des Sex, Aimée und Jaguar) sind alle anderen mindestens zwei-, oder sogar mehrsprachig. Mehrsprachigkeit wird zum Zeichen der Hybridisierung und Transnationalisierung des nationalen Films und die Filme machen deutlich, dass es »keine Rückkehr zum monolingualen Nationalstaat« (Butler 2016: 584) gibt. Aber auch die Hierarchisierung durch Sprache bzw. Sprache als Distinktionsmerkmal für natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit wird in den Filmen inszeniert (Lola, My Father, Fremde Haut), genauso wie die Abnahme der Bedeutung von Sprachgrenzen in der Globalisierung (Ghosted, Gespenster). In My Father wird die konkrete Auseinandersetzung über Sprache zum Marker der Dezentrierung von Deutschsein und somit politisiert: Während der Vater auf Vickys Deutschsprechen besteht, wird das Sprechen einer Sprache, die dem Vater kaum zugänglich ist als Symbol für Vickys Emanzipation – das alte Deutschland ist abgehängt. Kode-Switching, das hybride Wandern zwischen Sprachen, ist in einer Reihe der Filme zu finden (Lola,

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Fremde Haut, Kleine Freiheit, Gespenster, Ghosted) und schafft eine Atmosphäre, die die natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnung bis zu einem gewissen Grad vom Sprachgebrauch entkoppelt. So wird im deutschen queeren Film hier neben Deutsch Englisch, Türkisch, Kurdisch, Farsi, Französisch, Chinesisch und ein paar Worte KiSwahili gesprochen. Alles wird gut stellt zwar einen fast ausschließlich einsprachig deutschen Film dar, aber auch hier ist das Thema Sprache relevant und politisiert, denn es wird bedeutungsvoll, dass nur Deutsch gesprochen wird: Die Schwarze Protagonistin wird darauf angesprochen, dass ihr Deutsch ›aber gut‹ sei und über ihre Einsprachigkeit verdeutlicht, dass ihr Deutsch selbstverständlich gut ist, weil es die einzige Sprache ist, die sie spricht – die Feststellung, dass sowohl Nabou als auch Kim ›KiSwahili sprechen‹, weil sie ›Hakuna Matata‹ verstehen, verdeutlicht dies. So wird Einsprachigkeit hier zum Mittel der Dezentrierung einer als weiß imaginierten Nation. Gleichzeitig wird im Film über die Unfähigkeit der Mutter des Chefs, korrekte Fremdworte zu verwenden, eine Komik produziert, die in ihrem Kern darauf zielt, auszustellen, dass Deutsch- und Weißsein nicht mit komplexen Sprachverständnis und -gebrauch korrespondiert ohne dabei klassistisch zu werden, da die Mutter als ›schicke Dame‹ karikiert wird. Aimée und Jaguar und Der Einstein des Sex allerdings sind fast vollständig einsprachig (in Aimée und Jaguar gibt es eine Szene, in der ein jüdischer Geflüchteter, den Felices Großmutter beherbergt mit einem Akzent spricht und in Der Einstein des Sex spricht eine Kinomitarbeiterin in einem Pariser Kino in der letzten Szene französisch mit Hirschfeld). Diese Einsprachigkeit korrespondiert mit der Tendenz der beiden Filme ein Entschuldungs- und Normalisierungsnarrativ zu produzieren, in dem das Jüdische als Teil des deutschen (queerfreundlichen) Kollektivs imaginiert wird. Auch Erinnerung als Element der Produktion natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit wird in den Filmen relevant. Dabei nehmen die individuellen Erinnerungen migratisierter Figuren die Funktion der Herstellung eines Gefühls der Entortung ein und dienen der Darstellung der Erfahrung der Veranderung in Deutschland (Kleine Freiheit, Fremde Haut). Als Teil kollektiven Gedächtnisses erfüllt die Bearbeitung nationaler Geschichte in den Filmen unterschiedliche Funktionen, die von Läuterung der Nation bzw. des deutschen vermeintlich anti-faschistischen Kollektivs (Aimée und Jaguar, Der Einstein des Sex) über ein geisterhaftes Anhaften von Erinnerungsspuren ohne dass jedoch klar wird, was sie bedeuten (Gespenster) bis hin zur Erinnerung an die Schanden der Nation, die bisweilen verdrängt oder vergessen werden wollen, aber immer direkt unter der Oberfläche schwelen (My Father, Salmonberries), reichen. Insgesamt verhandeln die Filme natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit auf unterschiedlichen Ebenen und kombinieren diese aber auch: Manche binden ihre Geschichte mehr über eine Bildsprache, die sich Erinnerungsorte oder nationale Ikonografien zunutze macht (Der Hamburger Hafen, Berlin mit seinen Straßenzügen und Monumenten, Polizei, Pässe und Grenzarchitekturen zur Darstellungen staatlicher Regulierungsgewalt, aber auch die Evozierung nationaler Kontexte durch die Einblendung nationaler Symboliken und deren audiovisueller Verarbeitung), in die eines kollektiven Imaginären ein, andere bewegen sich mehr auf der Identitätsebene und bearbeiten national relevante Themen anhand der Dynamiken sowie Konflikten der Figurenkonstellationen und deren Zugehörigkeitsmarkierungen in Zusammenhang mit Raumkonfigurationen. Beide Ebenen sind Teil der Aushandlung natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und

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adressieren unterschiedliche Diskurspunkte im Diskursfeld und sind oft ineinander verwoben.

6.2 Genres und Erzählstrategien Die Filme bedienen sich verschiedener Erzählstrategien. Die linearen Erzählweisen überwiegen deutlich, jedoch finden sich eine Reihe von Filmen, die trotz einer kontinuierlich fortschreitend erzählten Geschichte eine Verknüpfung von Beginn und Ende der Filme setzen und so eine kreisartige Struktur entstehen lassen, wie es in Kleine Freiheit, Fremde Haut und Ghosted besonders akzentuiert ist. Die lineare Erzählweise trägt zur Konstruktion von Fortschrittserzählungen bei, die oft mit Coming-Out (meist als Emanzipationsmoment erzählt) und/oder der Einbindung in, Versöhnung mit oder Abwendung von der Nation korrelieren. Die zyklische Form nimmt verschiedene Funktionen ein, von der Darstellung von Ausweglosigkeit (Fremde Haut), über die Einbindung in ein Kollektiv (Kleine Freiheit und in etwas abgewandelter Form auch in Lola) bis hin um die Rahmung durch die Perspektive der weißen, deutschen Figur anzuzeigen (Ghosted, Aimée und Jaguar). Rückblenden oder Sprünge in der Erzählung werden bisweilen eingesetzt (Aimée und Jaguar, Ghosted), jedoch in der Unterzahl. In manchen Filmen kommen verfremdende oder eine lineare Narration durchbrechende Elemente vor (Salmonberries, Kleine Freiheit, Ghosted), die durch die Momente der Störung oder Irritation queere Rhythmen erzeugen, Brüche produzieren oder Räume anbieten, glatte Narration zu reflektieren, wodurch das Publikum immer wieder angehalten ist, sich neu im Film zu orientieren. Somit variiert die Komplexität der Erzählstrategien zwischen den Filmen stark, was sich mitunter auch mit Genrekonventionen in Verbindung bringen lässt. Insgesamt finden sich in den analysierten Filmen immer wieder Genrehybridisierungen oder Elemente eines Genres zeigen sich in einem Film, in dem sonst andere Genrekonventionen dominant werden. Daher kann es an manchen Stellen hilfreich sein, dem Vorschlag von Theoretikerinnen wie Christine Gledhill (1987) oder Deborah Thomas (2000) zu folgen, Komödie, Melodram und Romanze als »Modi des filmischen Ausdrucks und Erlebens zu begreifen, die über die Grenzen verschiedener Genres hinweg zum Einsatz kommen können« (Hettich 2020: 56). Dennoch lassen sich beispielsweise Alles wird gut und My Father klar als Komödien beschreiben. Während die Konventionen der romantischen Komödie als mainstreamtauglichem Unterhaltungsgenre hier genutzt werden, um »neue Lebensformen [zu] popularisieren« (ebd.), zieht sich der melodramatische Modus durch alle anderen Filme, auch wenn sie bisweilen komische Elemente oder Erzählstränge beinhalten. Die Romanze bzw. romantische Elemente spielen in allen Filmen bis zu einem gewissen Grad eine Rolle, da maßgeblich über das Liebespaar die Abweichung von der Heteronorm inszeniert wird. Weitere Modi und Stile, die relevant werden, sind der Heritage-Film und das Biopic, die genreübergreifenden Stile des accented cinema und des filmischen Realismus (als »ästhetische und fiktionale Form« (Kirsten 2009: 2010, Herv.i.O.)) sowie der Autor:innenfilm (nicht im Gegensatz zu Genres, sondern in »komplexe[r] Relation« (Ritzer 2020: 155) hierzu) und das New Queer Cinema. Auch Elemente des spezifisch queeren Genres, des Coming-Out-Films (vgl. Loist 2018: 44) bisweilen auch in Verbindung mit Coming-of-Age-Elementen, sind in fast allen Filmen zu

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finden, nehmen aber im zeitlichen Verlauf von Beginn der 1990er bis Ende der 2000er insgesamt ab. Auffällig ist, dass der melodramatische Modus insgesamt jedoch den weiter verbreiteten darstellt. Dies muss nicht nur im Kontext der insgesamten Zunahme der Vorliebe für melodramatische Formen auch im Film der 1990er (vgl. Hake 2004: 189) gesehen werden, sondern auch im Kontext der Form des Melodramas selbst als »die filmische Form des Durcharbeitens« (Heidenreich 2015: 144, Herv. i.O.), besonders in Bezug auf Sexualität, Gender und Familie, platziert in einem breiteren gesellschaftlichen Kontext (ebd., unter Bezug auf Mulvey 1987). Gleichzeitig ist dies jedoch auch in einem breiteren Kontext der Filmgeschichte nicht-heterosexueller Figuren zu sehen, die insgesamt eher tragisch enden (vgl. Russo 1981). Der melodramatische Modus, oft unter Einsatz eines realistischen Stils, dem immer noch der Anspruch der ›authentischen Darstellung‹ entgegengebracht wird (vgl. Heidenreich 2015: 235ff.), bringt den Fokus auf ein gewisses Leiden an den gesellschaftlichen Verhältnissen der Figuren mit sich und arbeitet damit auch in ambivalenter Weise an den Leidensgeschichten queerer Figuren auf der Leinwand mit. Die Komödie, die im post-vereinigten Deutschland eine bedeutende Rolle in ihrer Stabilisierungsfunktion einnimmt (vgl. Kapitel 5), tritt in den analysierten Filmen überwiegend in einer anderen Funktion auf: Hier werden über die Nutzung des Genres der romantischen Komödie Heteronorm und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit re-imaginiert und mit der Strategie der Ironie auch einem weiß-deutschen, heterosexuellen Publikum ermöglicht, sich eines selbstreflexiven Blicks zu unterziehen und gleichzeitig Identifikationsangebote für queere (und) nicht-weiße Zusehende geschaffen. Die Filme können hierdurch potenziell subversiv wirken und so könnte sich im Lachen über sich selbst sowie im gemeinsamen Lachen eine Möglichkeit darstellen, einen Raum für das Denken einer anderen Form der gesellschaftlichen Organisation als die nationaler Kollektivierung zu öffnen, in dem sich Vorannahmen und gesellschaftliche Normen hinterfragen lassen. Damit nehmen die hier analysierten Komödien im Gegensatz zur Neuen Deutschen Komödie eher die Funktion der Destabilisierung der hegemonialen Erzählung der weiß und heteronormativ strukturierten natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsordnung in Bezug auf den deutschen Kontext an – auch wenn die Filme in ihrer Narration linear und wenig komplex erzählt sind und so auch Widersprüche und Ambivalenzen produzieren wie in den Einzelanalysen gezeigt wurde. Darüber hinaus zeigt sich, dass sich die Tendenz der Genres, die prädestinierter für die Produktion stabilisierender Nationsnarrative sind wie Erinnerungs-/Heritage Film und Biopic, auch in queere Filme überträgt, angeleitet durch die Genrekonventionen, wie an den Beispielen Aimée und Jaguar und Der Einstein des Sex deutlich wurde, da diese am stärksten auf Identitätsstiftung mit ihrer jeweils nahegelegten Version von Nation ausgelegt sind. Insgesamt legen Genrekonventionen also die Atmosphäre in Bezug auf Fragen natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit nahe, determinieren jedoch nicht notwendigerweise das ultimative Scheitern an den Verhältnissen oder die Integration in die Nation. Queerness fordert die Genrekonventionen dabei nicht per se heraus, zumal sich, wie beschrieben, auch queere Genres herausbilden; im zeithistorischen Kontext gelesen können die Filme Genrekonventionen durch Queerness jedoch oft leicht überschreiten, besonders in denjenigen Beispielen, in denen eine intersektionale Verknüpfung mit Fragen der Diskriminierung aufgrund von Race/Ethnizität inszeniert wird, ist dies der Fall.

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Da Genre und Gender konstitutiv miteinander verschränkt sind und damit auch mit Fragen der Sexualität in Verbindung stehen, wird die Frage nach deren Zusammenhang auch in den hier untersuchten Filmen relevant. Die Filme mit Handlungsschwerpunkt in schwulen Communities und mit schwulen Figuren als Protagonisten sind mit drei Filmen zwar in der Unterzahl, dennoch lassen sich Tendenzen feststellen: So spielt körperliche Gewalt in diesen Filmen eine größere Rolle, auch, aber nicht nur in Form körperlich ausagierter Queerfeindlichkeit. In Lola lässt sich dies auch anhand der Vermischung melodramatischer mit Western-/Actionelementen erklären – wo der melodramatische Modus männlich ausgedeutet wird, werden andererseits Genreelemente männlich kodierter Genres gequeert, aber reifizieren gleichzeitig die Verknüpfung von Männlichkeit und Gewalt. In den romantischen Komödien zeigt sich eine Dominanz lesbischer Themen, die den Trend der Abwendung vom lesbischen ›Problemfilm‹ und die Hinwendung zur Komödie in Filmen mit lesbischen Themen in den 1990er Jahren anzeigt (vgl. Pramaggiore 1997: 66). Der weiblich kodierte melodramatische Modus bleibt in den lesbischen Filmen in der Zusammenschau jedoch insgesamt trotzdem präsenter; die Filme mit schwulen Themen zeigen zudem weniger oft Nah- und Großaufnahmen, Ästhetisierungen des Körpers und Romantisierungen in den Sexszenen und arbeiten mit einer objektiven Kamera1 – so lassen sich Tendenzen binär geschlechtlicher Kodierungen teilweise an den Genrekonventionen und Inszenierungsweisen festmachen. Wenngleich in den Filmen Gender-Grenzen auch immer wieder anhand von Figuren befragt werden und auch trans, uneindeutige oder genderqueere Figuren auftauchen, lassen sich in Bezug auf Genre sowohl Momente der Auflösung von Gender-Kodierungen als auch deren Aufrechterhaltung finden. Insgesamt zeigt sich, dass über die Genres und GenderKonnotationen hinweg größtenteils das liberale Mittelklassesubjekt bzw. die ›guten Queers‹ an die Nation angeschlossen werden kann.

6.3 Zur Rolle von Stereotypen und den Funktionen von Queerness Wie aus den Analysen ersichtlich wurde, spielen Fragen nach Stereotypisierungen in den Filmen immer wieder eine Rolle und Gedanken zu ihren Bedeutungen haben auch die Forschungsliteratur zu den Filmen häufig beschäftigt. Mit Richard Dyer dienen Stereotype in Fiktionen auch immer dazu, etwas Unsichtbares sichtbar zu machen, während sie dabei Fluides fixieren und in größere Nähe zur dominanten Norm rücken (vgl. Dyer 1999: 211). Dabei unterscheidet Dyer zwischen typisierten und vielschichtigen (im Original werden diese Figuren als »novelistic« (ebd.) beschrieben) Figuren, wobei vielschichtige Figuren sich durch Mehrdimensionalität und 1

Angesichts der Tradition der Ästhetisierung des männlichen Körpers in schwulen Filmen ist dies doch erstaunlich. Mittlerweile hat sich dies verschoben und expliziter schwuler Sex mit Nahaufnahmen und Körperästhetisierungen sind deutlicher häufiger in queeren Filmen dargestellt. Ich gehe für die untersuchten Filme von einer Schwellensituation aus, einerseits da sie sich auf der Schwelle zwischen Mainstream und Subkultur bewegen und andererseits, da sich die Filme auf einer zeitlichen Schwelle bewegen, zu einer Zeit, zu der sich die Darstellungskonventionen mit fortschreitender Normalisierung beginnen zu verschieben.

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Figurenentwicklung auszeichnen, während typisierte Figuren durch wenige und sofort erkennbare Eigenschaften, also Eindimensionalität, konstruiert werden, die sich in der Narration nicht weiterentwickeln (vgl. Dyer 1999: 215). Stuart Hall beschreibt Stereotypisierung unter Bezug auf Dyer ebenfalls als eine Festlegung und Reduktion auf bestimmte Eigenschaften zusammen mit einer Fixierung und Naturalisierung der Norm (vgl. Hall 1997: 258): »So the first point is – stereotyping reduces, essentializes, naturalizes and fixes ›difference‹. Secondly, stereotyping deploys a strategy of ›splitting‹. It divides the normal and the acceptable from the abnormal and the unacceptable. It then excludes or expels everything which does not fit, which is different« (ebd., Herv.i.O.). In einem solchen Verständnis wird bei der Betrachtung von Stereotypisierungen nach Hall also die Verbindung zwischen Darstellungspraktiken, Differenz und Macht offenbar (vgl. Hall 1997: 259). Stereotype verfahren für Hall auf zwei Ebenen: Auf einer bewussten und offensichtlichen sowie einer unbewussten und verdrängten Ebene (vgl. Hall 1997: 263). Damit beziehen sich Stereotype nicht nur auf das, was als ›real‹ angenommen wird, sondern auch auf Fantasien und Projektionen mit dem spaltenden Effekt einer ambivalenten binären Struktur, bei der Oppositionen gegeneinander in Stellung gebracht werden zwischen denen sich das stereotypisierte Subjekt ewig hin- und her bewegen muss (vgl. Hall 1997: 263f.). Im Gegensatz zu Hall geht es Rey Chow um die Betrachtung der Unvermeidbarkeit von Stereotypen zusammen mit den möglichen Folgen der politischen Instrumentalisierung von Stereotypen. Auch Chow weist darauf hin, dass Stereotypen eine gewisse – anders als bei Hall gelagerte – Ambivalenz innewohnt: Zwar ist ihnen laut Chow immer eine Hierarchie eingeschrieben und sie essenzialisieren, gleichzeitig sind sie jedoch auch unvermeidbare Bestandteile »kulturübergreifender, transethnischer Repräsentation« (vgl. Chow 2015: 90). Dabei sei Essenzialisierung selbst »in den subversivsten und radikalsten Umschreibungen von Kultur reproduziert« (Chow 2015: 89) und Stereotype immer ein Teil von Visualität. Chow geht es also nicht darum, Stereotype zu verteufeln, sondern sie auf ihre Funktion im gesellschaftlichen Zusammenleben hin zu befragen. Dabei spricht sie sich mit Frederic Jameson dafür aus, dem Dilemma der Gefahr von Stereotypen dadurch zu entkommen, »der anderen Gruppe zu erlauben, ihr bevorzugtes Selbstbild von sich darzulegen und dann mit jenem fortan ›offiziellen‹ Stereotyp zu arbeiten« (Jameson 1995: 274, zit. in Chow 2015: 79). Auch wenn alle Filme also bis zu einem gewissen Punkt Stereotype verwenden (vgl. Benshoff/Griffin 2010: 15), ist es mit Rey Chow von Bedeutung, die Unterschiede in und spezifischen Funktionen von Stereotypisierung in den analysierten Filmen näher zu betrachten. Die Anwendung von Stereotypen in den analysierten Filmen lässt sich in Bezug auf die Fragestellung mit der zentralen Funktion der Ermöglichung der Entwicklung der queeren Figur und des Vorantreibens der Narration durch das Zur-Verfügung-Stellen einer Abgrenzungsfolie zusammenfassen. Der individualisierter, multidimensionaler gezeichneten queeren Figur stehen oft typisiertere, nicht queere Figuren gegenüber, von denen es sich durch einen höheren Grad an (Stereo-)Typisierung abzugrenzen gilt. In den stereotypisierten Figuren verdichten sich gleichzeitig Diskurspositionen über natioethno-kulturelle Zugehörigkeit; im Aufrufen dieser Diskurse bieten sie Anknüpfungs-

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punkte für die Aushandlung derselben und treiben so die Geschichte als Handlungsauslöser für die Protagonist:innen auch immer wieder voran. Queerness wird dabei auch oft verknüpft mit Narrativen der Selbstfindung oder Selbstverwirklichung (My Father, Salmonberries, Alles Wird Gut, Ghosted). Diese Tendenz der Stereotypisierung zur Ermöglichung von Entwicklung der queeren Figur geht oft einher mit der Ermöglichung von Entwicklung für die weiße(re) Figur (Salmonberries, Lola, Aimée und Jaguar, Der Einstein des Sex, Ghosted), wobei bisweilen der Anschluss an homonationalistische Diskurse hergestellt wird oder zu problematisierende exotisierende Bild- und Blickstrategien fortgeschrieben werden. Alles wird gut verfährt diesbezüglich jedoch genau entgegengesetzt und entlarvt so die Mechanismen und Wirkweisen von Stereotypisierungen und queert sie aus einer Schwarzen Perspektive. In My Father ist vor allem der Vater in Bezug auf Stereotypisierung zu nennen: Während er in der ersten Hälfte des Films eindimensional Floskeln eines narzisstischen deutschen Selbstbilds verbreitet, wird mit seinem sexuellen Abenteuer und der Konfrontation mit Queerness ein Prozess angestoßen, der auch ihm eine Entwicklung zugesteht, während die Figur Vicky von Beginn an als vielschichtig und sich in einem queeren Entwicklungsprozess befindend gezeichnet wird. Stereotypisierung erfüllt hier also die Funktion der Produktion von Komik (ähnlich wie in Alles Wird Gut) und eröffnet die Möglichkeit das Sexualbefreiungsnarrativ in Gang zu setzen, während Queerness als emanzipatorisch und disidentifizierend mit der nationalchauvinistischen Heteronorm funktioniert. In ähnlicher Funktion als emanzipatorisch und transgressiv sowie eine vermeintliche Ordnung störend findet sich Queerness auch in Salmonberries, Lola und Alles wird gut. In Salmonberries findet sich Stereotypisierung in Bezug auf nationale und ethnische auditive und visuelle Kodierungen: Der weißen deutschen Witha sind helle Farben und auf der Tonspur klassische Musik zugeordnet, während die ethnisierte Kotz weniger oft hell ausgeleuchtet und bekleidet ist und durch US-amerikanische Popmusik musikalisch aus dem Off begleitet wird. Musik dient in den analysierten Filmen immer wieder dazu natio-ethno-kulturelle Assoziationen hervorzurufen oder deren Hybridisierung anzuzeigen (Lola, Alles Wird Gut, Kleine Freiheit, Gespenster, Der Einstein des Sex). In Lola ermöglicht die Stereotypisierung und Statik der Figuren des Bruders, der Gruppe jugendlicher Nazis und Bilis die Entwicklung Lolas und vor allem Murats, der sich emanzipieren und die von repressiven heterosexistischen ethno-nationalistischen Männlichkeiten geprägte Ausgangssituation überwinden kann. In Fremde Haut dienen ähnlich wie in Alles wird gut die Gruppe der weißen Deutschen als typisierte Abgrenzungsfolie (abgesehen von der Figur Anne, der ›guten‹ weißen Deutschen), vor der sich die Handlung durch die:den queeren Protagonist:in Fariba/»Siamak« perspektiviert, entfaltet. Ähnlich wie in Ghosted hängen Stereotypisierung auch in Der Einstein des Sex mit der Produktion einer kolonialen Blickstruktur zusammen; in beiden Fällen ermöglicht diese Blickstruktur Entwicklung für die Hauptfigur – während in Der Einstein des Sex Hirschfeld erst über den Umweg des Begehrens für nicht-weiße Figuren seine Homosexualität zulässt und über die Imagination der ›Andersheit‹ nicht-weißer oder nicht-westlicher Bevölkerungen die Imgination der queer nation als christlich-jüdisch integriert möglich wird, dient die Stereotypisierung der beiden taiwanesischen Figuren in Ghosted dazu, die transkulturelle Selbstfindungserzählung der weißen queeren Figur zu bebildern.

6. Resümee

Die Funktionen von Stereotypen hängen also mit Queerness auf der Figurenebene und den Funktionen von Queerness in den Filmen zusammen. Die Funktionen von Queerness in den Filmen lassen sich in drei Kernkategorien in Bezug auf die Fragestellung zusammenfassen, wobei diese sich auch überschneiden oder sich in teilweise widersprüchlicher Weise in einzelnen Filmen mehrere Elemente an unterschiedlichen Stellen oder bezüglich unterschiedlicher Ebenen finden lassen: Emanzipatorischtransgressiv in Bezug auf die Heteronorm der natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsordnung, teilweise mit queerer Community, Wahlfamilie oder romantischer Beziehung als safe space oder Zufluchtsort, in denen queeres belonging abseits oder zumindest querliegend zu natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsordnungen inszeniert wird (My Father, Salmonberries, Lola, Alles Wird Gut, Fremde Haut, Kleine Freiheit); assimilatorisch und als Teil des Ganzen einer natio-ethno-kulturellen (oder europäischen/globalen) Zugehörigkeitsordnung dargestellt (Gespenster, Ghosted, Lola, My Father, Salmonberries); und affirmativ-selbstvergewissernd, mit teils homonationalistischem Gestus, der es ermöglicht, die Zugehörigkeit zu einer queer nation zu imaginieren (Aimée und Jaguar, Der Einstein des Sex, Ghosted). Dabei treten queere Figuren oft in ein Verhältnis zu materiellen und symbolischen Grenzziehungen: Sie sind entweder Grenzüberwinder:innen bzw. Grenzverwischer:innen oder werden als Eingegrenzte dargestellt, oft beides zusammen. Das Queere als potenziell Transgressives, da historisch Ausgeschlossenes, wird zum prädestinierten Ort für die Thematisierung von Grenzen. In diesem Zusammenhang fällt auch die Häufung des Auftretens des Queeren mit dem Geisterhaften auf (Lola, Fremde Haut, Ghosted, Gepsenster). Wie das Queere kann das Geisterhafte leicht mit der Bedeutung von Grenzüberschreitung oder -verwischung aufgeladen werden: Während in Lola und Fremde Haut das queere Geisterhafte mit dem Verschwimmen der Grenze von Leben und Tod unter Bedingungen rassistisch-/nationalchauvinistischer Zwangsheterosexualität verknüpft wird, so wird das Geisterhafte in Gespenster und Ghosted zum Zeichen für das Grenzenlose – die Grenze wird verdrängt und gegen eine grenzenlose Welt eingetauscht, die durch die Widersprüchlichkeiten des globalen Kapitalismus heimgesucht wird. In allen Fällen kommt das historisch verdrängte Queere als ›Heimsuchung‹ (im doppelten Wortsinne) zurück, aber nicht notwendigerweise als ›Unheimliches‹. Während in Ghosted ›Unheimlichkeit‹ vor allem für die von Ai-Lings Geist heimgesuchte MeiLi entsteht, während die westliche, weiße Figur sich unbeeindruckt von Ai-Lings Spuk zeigt und damit eine Dichotomisierung geschaffen wird, die das Lesbische im Westen rehabilitiert, ist es in Gespenster neben dem Verschwimmen von intradiegetischer ›Realität‹ und ›Fiktion‹ die männlich-technische Blickstruktur der Ökonomie, die als unheimliche inszeniert wird. Aber nicht nur das Geisterhafte, sondern auch das Motiv des:der Doppelgänger:in, der Täuschung oder des Geheimnisses sind in allen Filmen zu finden. Während es sich in Der Einstein des Sex nur auf die Homosexualität von Magnus Hirschfeld bezieht und damit ein klassisches Motiv des closeted-Seins re_produziert, tritt es in allen anderen Filmen auch in Verbindung mit weiteren Narrationselementen auf. Damit schöpfen die Filme noch aus einer Epistemology of the Closet (Sedgwick 1990), die die westliche Denkordnung prägt und in der das Versteckspiel die »defining structure of gay oppression« (Sedgwick 1990: 71) darstellt, gleichzeitig aber auch in »wider mappings of secrecy and disclosure« (ebd.) eingebunden ist. Die Filme bedienen sich zwar noch dem mittlerweile klassischen Versteck-/Coming-out-Narrativ, aber spinnen

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es auch weiter zu einem in der Zusammenschau nuancenreichen Spiel mit Geheimnissen, Täuschungen, Doppelungen, Aufdeckungen, Spuren und Heimsuchungen. In der Verknüpfung von Queerness, closet und andere Formen von ›Verstecken‹ werden weitere Gesellschaftsbereiche eingebunden in die Semantik des closet und dessen Wirkmacht für die Imaginationen westlicher Gesellschaften deutlich. Die Ästhetisierung von Queerness greift teilweise auf tradierte Darstellungsmuster zurück (bspw. in Bezug auf die Inszenierung von Dating und Romantik) und formt sie nicht-heterosexuell aus, aber es werden auch immer wieder innovative Darstellungsweisen erprobt. Besonders in Bezug auf Blickkonstellationen und die Ästhetisierung von Intimität trifft dies zu. So werden in My Father und Alles wird gut ein lesbischer Blick entworfen, bei dem die inszenierten begehrenden Blicke von Gegenseitigkeit (und nicht Unidirektionalität) geprägt sind und männliche Blickstrukturen umformen. Fremde Haut konzipiert darüber hinaus einen genderfluiden Blick, bei der die Identifikation zwischen heterosexuell, lesbisch und genderqueer flottiert. Darüber hinaus sind es Gesten und Berührungen, die immer wieder für die Darstellung queerer Intimität und Annäherung dienen (Fremde Haut, Aimée und Jaguar, Kleine Freiheit, Alles wird gut) und eine queere Ästhetik der Zärtlichkeit entwerfen. Insgesamt lässt sich eine Bedeutungsverschiebung von eher emanzipatorisch-transgressiv zu mehr assimilatorisch und/oder affirmativ hin feststellen. Zwar vereint die Filme alle eine eher transnationale und/oder multiethnische Ausrichtung, die Deutschsein als Weißsein und in seiner ethnonationalen Wurzel befragt und deutsche Geschichte bearbeitet; allerdings werden zu Beginn der 1990er Jahre noch die USA als queer haven inszeniert und die Figuren disidentifizierten sich mit Deutschland, wohingegen Ende der 2000er Jahre Deutschland selbst zum Ort des ambivalenten Einschlusses von Queer geworden ist. Darüber hinaus funktioniert Queer ab Ende der 1990er Jahre seit Aimée und Jaguar auch, um das Normalisierungsnarrativ deutscher Geschichte zu bestärken oder sich als queerfreundlich gegenüber einem Anderen zu imaginieren. Gleichzeitig werden Ende der 1990er Jahre komplexe Geschichten von Rassismus und Queerfeindlichkeit aus der Dominanzgesellschaft, über das deutsche Grenzregime und die Queerfeindlichkeit diasporischer Communities präsenter. Der Zusammenhang von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und Queerness stellt sich damit als ein teils widersprüchlicher und ambivalenter dar, nicht nur in der Zusammenschau der Filme, sondern auch in den Filmtexten selbst.

6.4 Zusammenfassung Die Filme produzieren bisweilen konfligierende und ambigue Narrative vom Zusammenhang von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit bzw. Deutschsein und Queerness, die nebeneinander existieren und sich überlagern. Während die Filme an vielen Stellen in der Überschreitung symbolischer wie nationalstaatlicher Grenzen ein hybrides und transnationales Bewusstsein vorantreiben, arbeiten die Filme an anderen Stellen mehr an einer ›inklusiven‹ Affirmation einer queer nation mit, mitunter beides im selben Film oder auf verschiedenen Ebenen desselben Films. Die interessantesten Spannungen in und zwischen den Filmen ergeben sich daraus, dass sie oft weder komplett dem Main-

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stream zugeordnet werden können, noch komplett marginal, insgesamt weder vollkommen radikal subversiv noch einzig und allein assimilatorisch (trotz der genannten analytischen Einteilung in Kapitel 7.3) sind. Die Fragestellung dieser Dissertation interessierte sich für die Verhandlung des Zusammenhangs von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und Queerness in als queer bezeichneten deutschen Filmen der 1990er und 2000er Jahre. Die Ausgangsthese dazu lautete, dass das (doppelte) Normalisierungsnarrativ die Verhandlung von Queerness und Nation anleitet und Queerness dabei als Katalysator der Hinterfragung als essenzialistisch gedachter natio-ethno-kultureller Zugehörigkeiten einerseits fungiert und andererseits mit national selbstvergewissernden Narrativen verknüpft wird. In fünf Analysekapiteln habe ich diese Fragestellung und These untersucht. Im Kapitel ›Das andere Zuhause USA? My Father Is Comiung und Salmonberries‹ ging ich der These nach, dass die Filme in transnational ausgerichteten Narrativen in verschiedenen Genres die USA als queeres »ersatz homeland« (Rentschler 1984: 605) imaginieren und gegenidentifizieren, während sie sich mit Deutschland disidentifizieren. Dabei kam ich zu dem Schluss, dass die USA zum Ort der (queeren) Selbstverwirklichung werden, der in beiden Filmen zur Wahlheimat wird, jedoch im Prozess nicht unambivalent gezeichnet wird. Auch wenn in Salmonberries die Rückkehr nach Deutschland den Prozess der Traumaaufarbeitung in Gang setzt, wird sich schließlich in beiden Filmen mit Deutschland und Deutschsein disidentifiziert. Das Kapitel ›Hybride Queers in Alles wird gut und Lola und Bilidikid‹ verfolgt die These, dass durch die Filme queere Interventionen von den ›Rändern‹ der Nation vorgenommen und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit als hybrid reformuliert wird, während sie in Teilen westliche Fortschrittsnarrative aktualisiert werden. Hierbei schloss ich aus meiner Analyse, dass Deutschland in den Filmen als ambivalenter Ort von Gemeinschaft und Selbstentfaltung in queeren Szenen auf der einen Seite und Diskriminierung in der heteronormativen Dominanzgesellschaft wie Diaspora-Gemeinschaft auf der anderen Seite gezeichnet wird, wobei mit den hybriden Figuren des Films zum Teil ›Dritte Räume‹ produziert werden. In ›Queeren des Deutschen Migrationsregimes in Kleine Freiheit und Fremde Haut‹ ging ich der Annahme nach, dass die Filme sowohl Wirkmacht als auch Porosität des deutschen Grenzregimes inszenieren und dies mit Gender und Sexualität verbinden. Ich kam zu dem Schluss, dass queere Asylsuchende in den Filmen die Grenzen von natioethno-kultureller Zugehörigkeit von ihren Rändern her befragen, während sie am Ende jedoch die aus der Nation Ausgeschlossenen bleiben müssen. Für das Kapitel ›Queeren der Erinnerungskultur und nationale Selbstvergewisserung in Aimée und Jaguar und Der Einstein des Sex‹ stellte ich die These auf, dass Queerness in den Filmen als Vehikel zur Narrativierung nationaler Läuterung und Selbstvergewisserung dient und kam zu dem Schluss, dass dies nicht nur anhand der Einbindung durch konventionelle Erzählformen und Genreelemente passiert und damit eine straight time produziert, sondern auch über die ›Weißwerdung‹ der jüdischen Figuren sowie die Konstruktion einer Gruppe ›der Nazis‹ passiert, um deutsche Unschuld zu imaginieren, wenngleich die Filme auch als ermächtigende Elemente queerer Erinnerungskultur dienen können.

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Im schließenden Analysekapitel ›Hin zu einer Europäisierung und Globalisierung der Zugehörigkeiten – Dezentrierung des Nationalen? in Gespenster und Ghosted‹ verfolgte ich die These, dass Queerness bzw. lesbische Sexualität dazu eingesetzt werden, den Un/Heimlichkeiten der neoliberalen Europäisierung und Globalisierung nachzugehen und komme zu dem Schluss, dass sich in beiden Filmen Grenzen aufzulösen scheinen, nationale Zugehörigkeitsverhältnisse befragt und als weitestgehend irrelevant inszeniert werden. Gleichzeitig bleiben biologistische Verwandtschaftsverhältnisse weiterhin wirkmächtig, während Queerness assimiliert und als nun positiv bewertetes Attribut sexueller Selbstbestimmung des Westens oder Kapital im Kampf um einen ertragreichen Platz in der neoliberalen Ökonomie in Erscheinung tritt. Nicht ›die Lesbe‹ ist hier unheimlich, sondern die nicht-westliche Lesbe bzw. die männlich-technisierte (Blick-)Ökonomie. Die anfängliche These konnte somit bestätigt und zugleich erweitert werden: Die Filme arbeiten am Bild- und Vorstellungsrepertoire des Verhältnisses von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und Queerness – sie formulieren emanzipatorische Ansätze zu einer Umformung natio-ethno-kultureller Zugehörigkeitsordnungen und implizieren ein belonging, das fluide, multipel und heterogen sein kann, mobilisieren aber auch Imaginationen einer geläuterten Nation, die in ihrer Neuerfindung als progressive, neoliberale Ökonomie ›gute‹ Queers mit in die nationale Erzählung einschließt, während illegalisierte Queers weiterhin als billige Arbeitskräfte verwertet, aber ultimativ exkludiert werden. Somit legen sie (teilweise in sich) ambivalente und widersprüchliche Narrative des Verhältnisses von Nation und Queerness nahe. Damit bieten die Filme eine Reihe von Entwürfen queerer Subjektpositionen für das Verhältnis zur Nation unter Bedingungen der Europäisierung und Globalisierung an und arbeiten an der Neukonfiguration der kulturellen Wahrnehmung des Verhältnisses von Queer und Nation. Darüber hinaus lässt sich eine Bedeutungsverschiebung ausmachen: Während Queerness zu Beginn der 1990er Jahre eher als oppositionell und transformativ inszeniert wird, wird Queerness gegen Ende der 1990er Jahre häufiger affirmativ in die natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnung eingegliedert. Dies entspricht der in Kapitel 2.3 explizierten homonormativen und homonationalistischen und -normalisierenden Entwicklungen im Globalen Norden. Dies drückt sich in gesteigertem Maße seit den 2010er Jahren auch in der massiven Zunahme der queeren Figuren und ›Contents‹ in Angeboten von StreamingDiensten aus und lässt mit der Etablierung der ›Inclusion Policy‹ der Amazon Studios oder der verpflichtenden ›Diversity Checklist‹ der Filmförderung Hamburg SchleswigHolstein im deutschen Kontext neue Fragen im Spannungsfeld von Gleichstellungsbestrebungen und Repräsentationsfragen sowie Zensurrisiken aufkommen (vgl. Amazon Studios 2021; Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein 2020). Insgesamt sind die Narrative jedoch nicht einheitlich und der Zusammenhang von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und Queerness wird als kontingenter und umkämpfter wahrnehmbar mit Queerness als Ort der konstanten Aushandlung. Auch im Jahr 2021 gehen die Aushandlungen von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und Queerness nicht nur, aber auch im deutschen queeren Film, weiter: Queere und migratisierte (Film-)Positionen erhalten mehr Gehör denn je im öffentlichen Diskurs, wie 2020 beispielsweise an den durchweg positiven Kritiken und Medienrezeptionen des Films Futur3 von Faraz Shariat zu beobachten war. In diesem Zusammen-

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hang wurde bereits das Neue Queere Deutsche Kino (bzw. New Queer German Cinema) ausgerufen (vgl. Rauch 2020) und lädt zu weiterer Forschung am queeren deutschen Film und seiner Aushandlung zwischen hegemonialen Anrufungen natio-ethno-kultureller Zugehörigkeitsordnungen und Inszenierungen von queerer Community ein. Gleichzeitig ziehen (vermeintlich) queere oder (pseudo- und post-)feminisitische Figuren immer mehr in den normalisierten Fernseh- und Streaming-Mainstream oder das kapitalistische Superheld:innenuniversum ein, (während an anderer Stelle im Diskurs antifeministische, männerrechtlerische, völkisch-nationalistische und queerfeindliche Stimmen lauter werden). Die Zukunft eines queeren und emanzipatorischen Films ist offen, aber nicht zufällig – es bleibt also spannend, welche Bilder und Narrative der imagined sexual community die nächsten Jahrzehnte prägen werden.

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Abbildungsverzeichnis

Abb.1-12: Screenshots aus My Father Is Coming Abb. 13–27: Screenshots aus Salmonberries Abb. 28–49: Screenshots aus Alles Wird Gut Abb. 50–51; 53–60; 62–63: Screenshots aus Lola und Bilidikid; Abb 52: Screenshot aus Taxi zum Klo; Abb. 61: Screenshot aus Lola Abb. 64–81: Screenshots aus Kleine Freiheit Abb. 82–95: Screenshots aus Fremde Haut Abb. 96–112: Screenshots aus Aimée und Jaguar Abb. 113–126: Screenshots aus Der Einstein des Sex Abb. 127–140: Screenshots aus Gespenster Abb. 141–158: Screenshots aus Ghosted

Filmografie

Aimée und Jaguar – Max Färberböck, D, 1999 Alle meine Mädchen – Iris Guser, DDR, 1980 Alles wird gut – Angelina Maccarone, D, 1998 A Moment in the Reeds – Mikko Mäkelä, FI, 2017 Anders als die Andern – Richard Oswald, D, 1919 Anders als du und ich – Veit Harlan, BRD, 1957 Angst essen Seele auf – Rainer Werner Fassbinder, BRD, 1974 Aprilkinder – Yüksel Yavuz, D, 1998 Angst essen Seele auf – Rainer Werner Fassbinder, BRD, 1973 Auf der anderen Seite – Fatih Akin, D/TR, 2007 Aus eines Mannes Mädchenzeit – unbekannt, D, 1913 Auslandstournee – Ayşe Polat, D, 1999 Be Like Others – Tanaz Eshaghian, IRN, 2008 Bildnis einer Trinkerin – Ulrike Ottinger, BRD, 1979 Bonnie und Bonnie – Ali Hakim, D, 2019 Boys Don’t Cry – Kimberley Peirce, USA, 1999 Capote – Bennett Miller, USA/CAN, 2005 Chaneh’e Pedari – Kianusch Ajari, IRN, 2000 Comedian Harmonists – Joseph Vialmaier, 1998 Coming Out – Heiner Carow, DDR, 1989 Crooklyn – Spike Lee, USA, 1994 Cyankali – Hans Tintner, D, 1930 Das Cabinet des Dr. Caligari – Robert Wiene, D, 1920 Das Fahrrad – Evelyn Schmidt, DDR, 1981 Der Blaue Engel – Josef von Sternberg, D, 1930 Der Einstein des Sex – Rosa von Praunheim, D, 1999 Der Fürst von Pappenheim – Richard Eichberg, D, 1927 Der Junge Törless – Volker Schlöndorff, BRD, 1966 Der König der Löwen – Walt Disney Studios, USA, 1994 Der Tod der Maria Malibran – Werner Schroeter, BRD, 1971 Der verlorene Sohn – Luis Trenker, D, 1934

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Der Weg – Yilmaz Güney, TU/CHE, 1981 Desert Hearts – Donna Deitch, USA, 1985 Desire Will Set You Free – Yony Leiser, D, 2015 Deutschland, bleiche Mutter – Helma Sanders-Brahms, BRD, 1980 Deutschland im Herbst – Gemeinschaftsprojekt von 11 NDF-Regisseur:innen, BRD, 1978 Dicke Mädchen – Axel Ranisch, D, 2011 Die andere Liebe – Helmut Kißling/Axel Otten, DDR, 1988 Die bitteren Tränen der Petra von Kant – Rainer Werner Fassbinder, BRD, 1972 Die Büchse der Pandora – Georg Wilhelm Pabst, D, 1929 Die Ehe der Maria Braun – Rainer Werner Fassbinder, BRD, 1978 Die Herde – Yilmaz Güney, TU, 1978/79 Die Jungfrauenmaschine – Monika Treut, BRD, 1988 Die innere Sicherheit – Christian Petzold, D, 2000 Die Sehnsucht der Veronika Voss – Rainer Werner Fassbinder, BRD, 1982 Dorian Grey im Spiegel der Boulevardpresse – Ulrike Ottinger, BRD, 1984 Eat Drink Man Woman – Ang Lee, USA, 1994 Edward II – Derek Jarman, GB, 1991 Eine Weiße unter Kannibalen – Hans Schomburgk, D, 1921 Faustrecht der Freiheit – Rainer Werner Fassbinder, BRD, 1975 Frauensee – Zoltan Paul, D, 2012 Freak Orlando – Ulrike Ottinger, BRD, 1981 Freier Fall – Stephen Lacant, D, 2013 Fremde Haut – Angelina Maccarone, D, 2005 Fuga – Kutluğ Ataman, USA, 1988 Futur Drei – Faraz Shariat, D, 2020 Ganz Unten – Günter Wallraff/Jörg Gförer, BRD, 1986 Gegen die Wand – Fatih Akin, D, 2004 Geschlecht in Fesseln – Wilhelm Dieterle, D, 1928 Gespenster – Christian Petzold, D/F, 2005 Gespräch mit dem Biest – Armin Mueller-Stahl, D, 1997 Ghosted – Monika Treut, D/TW, 2009 Go Fish – Rose Troche/Guinevere Turner, USA, 1994 Hamlet – Sven Gade/Heinz Schall, D, 1921 High Heels – Pedro Almodóvar, ES, 1991 Ich bin meine eigene Frau – Rosa von Praunheim, D, 1991 Ich möchte kein Mann sein – Ernst Lubitsch, D, 1918 Im Staub der Sterne – Gottfried Kolditz, DDR, 1976 In einem Jahr mit 13 Monden – Rainer Werner Fassbinder, BRD, 1978 Iran Zendan – Daryush Shokof, D, 2010 Jagdszenen aus Niederbayern – Peter Fleischmann, BRD, 1969 Jud Süß – Veit Harlan, D, 1940 Karanlik Sular (The Serpent’s Tale‹) – Kutluğ Ataman, TR, 1995 Katzelmacher – Rainer Werner Fassbinder, BRD, 1969 Khastegi – Bahman Motamedian, IRN, 2008 King Kong – Merian C. Cooper/Ernest B. Schoedsack, USA, 1933

Filmografie

Kiss me Kosher – Shirel Peleg, D/IL, 2020 Kleine Freiheit – Yüksel Yavuz, D, 2003 Kokon – Leonie Krippendorff, D, 2020 Kommt Mausi Raus?! – Angelina Maccarone, D, 1995 Lola – Rainer Werner Fassbinder, BRD, 1981 Lola und Bilidikid – Kutluğ Ataman, D, 1999 Looking for Langston – Isaac Julien, GB, 1989 Love Story Berlin 1942 – Catrine Clay, GB, 1997 Madame X – eine absolute Herrscherin – Ulrike Ottinger, BRD, 1977 Made in Taiwan – Monika Treut, D/TWN, 2005 Manuscripts Don’t Burn – Mohammad Rasoulof, IRN, 2013 Marlene – Joseph Vilsmaier, D, 2000 Martha – Rainer Werner Fassbinder, BRD, 1974 Mädchen in Uniform – Leontine Sagan, D, 1931 Mädchen in Uniform – Géza von Radványi, D, 1958 Mein langsames Leben – Valeska Griesbach, D, 2001 Mein Vater, der Gastarbeiter – Yüksel Yavuz, D, 1994 Metropolis – Fritz Lang, D, 1927 Michael – Carl Theodor Dreyer, D, 1924 Milk – Gus Van Sant, USA, 2008 Mississippi Masala – Mira Nair, USA, 1991 Monsoon – Hong Khaou, GB, 2019 My Father Is Coming – Monika Treut, D, 1991 My Own Private Idaho – Gus Van Sant, USA, 1991 Neubau – Johannes M. Schmit/Tucké Royale, D, 2020 Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt – Rosa von Praunheim, BRD, 1971 Nosferatu – Friedrich Wilhelm Murnau, D, 1922 Oi! Warning – Dominik und Benjamin Reding, D, 1998 Olympia (Teil I&II) – Leni Riefenstahl, D, 1938 Out of Rosenheim/Bagdad Café – Percy Adlon, BRD, 1987 Paris is Burning – Jennie Livingston, USA, 1990 Poison – Todd Haynes, USA, 1991 Prinz in Hölleland – Michael Stock, D, 1993 Querelle – Rainer Werner Fassbinder, BRD, 1982 Robert und Bertram – Hans Zerlett, D, 1939 Romeos – Sabine Bernardi, D, 2011 Rosi, 36 Jahre, in: Guten Morgen, du Schöne – Thomas Langhoff, DDR, 1980 Salmonberries – Percy Adlon, D, 1991 Sascha – Dennis Todorović, D, 2010 Sharayet – eine Liebe in Teheran – Maryam Keshavarz, FRA/USA/IRN, 2011 Shirins Hochzeit – Helma Sander-Brahms, BRD, 1976 Shtonk! – Helmut Dietl, D, 1992 Sommersturm – Marco Kreuzpaintner, D, 2004 Stalingrad – Joseph Vilsmaier, D, 1996

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Stroszek – Werner Herzog, BRD, 1974 Sturmland – Ádám Császis, D, 2014 Tangerine – Sean Baker, USA, 2015 Taxi Teherean – Jafar Panahi, IRN, 2015 Taxi zum Klo – Frank Ripploh, BRD, 1980 Teheran Tabu – Ali Soonzadeh, D/Ö, 2017 The Birth of a Nation – David W. Griffith, USA, 1915 The Cakemaker – Ofir Raul Gazier, IL/D 2017 The Celluloid Closet – Rob Epstein/Jeffrey Friedman, USA, 1995 The Crying Game – Neil Jordan, GB, 1992 The Green Wave – Ali Samadi Ahadi, D, 2009 The Living End – Gregg Araki, USA, 1992 There Is No Evil – Mohammad Rasoulof, IRN, 2020 The Watermelon Woman – Cheryl Dunye, USA, 1996 Tigerfrauen wachsen Flügel – Monika Treut, D/TWN, 2005 Tonio Kröger – Rolf Thiele, BRD, 1964 Toxi – Robert A. Stemmle, BRD, 1952 Transparent – Joey Soloway, USA, 2014–2017 Unser Kind – Nana Neul, D, 2018 Überleben in New York – Rosa von Praunheim, BRD, 1989 Verflucht, dies Amerika – Volker Vogeler, BRD, 1974 Verführung: Die grausame Frau – Monika Treut, BRD, 1985 Vier kriegen ein Kind – Matthias Steurer, D, 2015 Von Mädchen und Pferden – Monika Treut, D, 2014 Viktor und Viktoria – Reinhold Schünzel, D, 1933 Weiße Göttin der Wangora – Hans Schomburgk, D, 1916 Wilde – Brian Gilbert, GB, 1997 Wildness – Wu Tsang, USA, 2012 Wo willst du hin, Habibi? – Tor Iben, D, 2016 Wunschkonzert – Eduard von Borsody, D, 1940 Yasemin – Hark Bohm, BRD, 1988 Yella – Christian Petzold, D, 2007 Zaré – Hamo Beknazarian, UdSSR, 1926 Zurück auf Los! – Pierre Sanoussi-Bliss, D, 2000 Zwei Mütter – Anne Zohra Berracheds, D, 2013

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Medienwissenschaft Marco Abel, Jaimey Fisher (Hg.)

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Medienwissenschaft Sven Quadflieg, Klaus Neuburg, Simon Nestler (eds.)

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