Psychologie in der hellenistischen Geschichtsschreibung 9783515134736, 9783515134750, 3515134735

Dirk Rohmann zufolge sahen die erhaltenen hellenistischen Historiker im harmonischen Zusammenwirken der Seelen gemäß der

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Psychologie in der hellenistischen Geschichtsschreibung
 9783515134736, 9783515134750, 3515134735

Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
1: DER HISTORIKER ALS ARZT ODER VERDERBER DER SEELE
1.1 GESCHICHTSSCHREIBUNG ALS HEILKUNST BEI POLYBIOS
1.2 SEELENWANDERUNG UND HISTORISCHER DETERMINISMUS BEI DIODOR
1.3 PLUTARCH UND DIE FRAGMENTE DER GRIECHISCHEN HISTORIKER
2: DIE PSYCHOLOGIE VON HERRSCHERN BEI POLYBIOS
2.1 PHILIPP V. VON MAKEDONIEN
2.2 ARATOS VON SIKYON
2.3 DIE SCIPIONEN, IHR VERHÄLTNIS ZU POLYBIOS UND DIE SPÄTERE REZEPTION
2.4 TYRANNEN
3: PSYCHOLOGISCHE WIRKUNG SCHLECHTER HERRSCHER BEI DIODOR
3.1 HELLENISTISCHE PROJEKTIONEN AUF DAS ALTE ÄGYPTEN
3.2 WELT DER GRIECHISCHEN HEROEN
3.3 PHILOSOPHISCHE „SEELENGRÖßE“ IN DER ARCHAISCHEN ZEIT
3.4 ARCHAISCHE GESETZGEBER IN DER MAGNA GRAECIA
3.5 NIEDERGANG DER GRIECHISCHEN POLISWELT AM ENDE DER KLASSISCHEN ZEIT
3.6 PHILOSOPHISCHE „SEELENGRÖßE“ UND LOKALGESCHICHTE ZU BEGINN DES HELLENISMUS
3.7 ALEXANDER DER GROßE
3.8 DIE HELLENISTISCHE STAATENWELT
4: PSYCHOLOGIE DER KRIEGSFÜHRUNG
4.1 DAS IDEALBILD DES KOMMANDEURS UND SEINE ENTARTUNG BEI POLYBIOS
4.2 KÖRPER-SEELE-METAPHORIK BEI DIODOR
5: INTERAKTION DER SEELE MIT DEM GÖTTLICHEN
5.1 WAHNSINN ALS GÖTTLICHE STRAFE BEI POLYBIOS
5.2 WAHNSINN UND SEUCHEN BEI DIODOR
6: ERGEBNISSE UND AUSBLICK
BIBLIOGRAPHIE
PERSONEN- UND ORTSREGISTER
SACHREGISTER
STELLENREGISTER

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Dirk Rohmann

Psychologie in der hellenistischen Geschichtsschreibung

Alte Geschichte Franz Steiner Verlag

Palingenesia | 137

Palingenesia Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft Begründet von Rudolf Stark Herausgegeben von Christoph Schubert Band 137

Psychologie in der hellenistischen Geschichtsschreibung Dirk Rohmann

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf.

Coverabbildung: Phönix aus einem byzantinischen Mosaik aus Antiochia am Orontes, jetzt im Louvre (Paris) © akg-images / Erich Lessing Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2023 www.steiner-verlag.de Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13473-6 (Print) ISBN 978-3-515-13475-0 (E-Book)

VORWORT Dieses Buch geht zurück auf ein Forschungsprojekt, das von der Gerda Henkel Stiftung von 2020 bis 2022 durch ein Forschungsstipendium nach der Habilitation gefördert worden ist. Der Gerda Henkel Stiftung danke ich ebenfalls für einen Druckkostenzuschuss. Dem Herausgeber der Reihe, Christoph Schubert, und Gutachtenden danke ich für die Aufnahme, sorgfältige Durchsicht und Hinweise sowie Armin Eich für die Ansiedelung des Forschungsprojekts an die Alte Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal. Ein Großteil des Manuskripts entstand während der Covid19-Pandemie und der damit zusammenhängenden Lockdowns und Beschränkungen des öffentlichen Lebens. Diese Umstände haben zwar weniger zu Präsentation und akademischer Diskussion von Forschungsergebnissen, dafür aber vielleicht umso mehr zu einem fokussierten, von äußeren Umständen unabhängigen Zustand der ataraxia seitens des Autors geführt. Denn bereits Seneca hat als Kenner der Materie zur Erreichung dieses Zustandes und zum Studium der Seele Kontaktbeschränkungen empfohlen: Quid tibi vitandum praecipue existimes, quaeris? turbam.

INHALTSVERZEICHNIS Einleitung ...................................................................................................

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1 1.1 1.2 1.3

Der Historiker als Arzt oder Verderber der Seele................................. Geschichtsschreibung als Heilkunst bei Polybios ................................ Seelenwanderung und historischer Determinismus bei Diodor............. Plutarch und die Fragmente der griechischen Historiker ......................

26 27 38 50

2 2.1 2.2 2.3 2.4

Die Psychologie von Herrschern bei Polybios ..................................... Philipp V. von Makedonien ................................................................. Aratos von Sikyon............................................................................... Die Scipionen, ihr Verhältnis zu Polybios und die spätere Rezeption... Tyrannen .............................................................................................

56 57 61 63 81

Psychologische Wirkung schlechter Herrscher bei Diodor ................... Hellenistische Projektionen auf das alte Ägypten ................................ Welt der griechischen Heroen ............................................................. Philosophische „Seelengröße“ in der archaischen Zeit ......................... Archaische Gesetzgeber in der Magna Graecia .................................... Niedergang der griechischen Poliswelt am Ende der klassischen Zeit .. Philosophische „Seelengröße“ und Lokalgeschichte zu Beginn des Hellenismus ........................................................................................ 3.7 Alexander der Große ........................................................................... 3.8 Die hellenistische Staatenwelt .............................................................

94 95 101 106 112 119

3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6

125 129 135

4 Psychologie der Kriegsführung ........................................................... 151 4.1 Das Idealbild des Kommandeurs und seine Entartung bei Polybios ..... 152 4.2 Körper-Seele-Metaphorik bei Diodor .................................................. 167 5 Interaktion der Seele mit dem Göttlichen............................................. 179 5.1 Wahnsinn als göttliche Strafe bei Polybios .......................................... 180 5.2 Wahnsinn und Seuchen bei Diodor...................................................... 189 6 Ergebnisse und Ausblick .......................................................................... 203 Bibliographie .............................................................................................. Personen- und Ortsregister .......................................................................... Sachregister ................................................................................................ Stellenregister .............................................................................................

207 222 226 229

EINLEITUNG Seit jeher haben Fragen nach Herkunft, Beschaffenheit und Schicksal der Seele die Menschen fasziniert. Bereits die homerischen Epen schildern den Austritt der Seele aus dem Körper sowie das Nachleben der Seele und knüpfen dabei jeweils an ältere Ideen an.1 Sowohl die medizinische als auch die philosophische Fachliteratur der klassischen Zeit Griechenlands haben den Grundstein für die theoretische und spekulative Beschäftigung mit der Seele in der Antike gelegt, wie neuere Arbeiten gezeigt haben.2 Diese durchaus verschiedenen Konzepte haben wiederum literarische Produktionen direkt beeinflusst, wie neuerdings etwa Brooke Holmes am Beispiel der Tragödien des Euripides gezeigt hat, die selbst zeitgenössische Diskurse widerspiegeln und wechselseitig beeinflussen. 3 Der Niederschlag dieser zeitgenössischen Diskurse auf die Geschichtsschreibung der hellenistischen Zeit, trotz ihrer teilweisen Nähe zur Tragödie – sei es in polemischer Abgrenzung oder als tatsächliches Darstellungsprinzip –, stellt jedoch bislang ein Desiderat der Forschung dar. Dabei haben die spätestens in hellenistischer Zeit herausgebildeten Ansichten einzelner Philosophenschulen bis weit in die Kaiserzeit hinein im Kern unverändert Bestand gehabt. Diese philosophischen Hauptströmungen waren von einer Vielfalt des Seelenbegriffes geprägt, wie der Seelenwanderung (Pythagoreismus), der vom Körper untrennbaren (späterer Aristoteles) und vergänglichen Seele (Stoizismus) sowie der materiellen und aus Atomen bestehenden Seele (Epikureismus).4 1

2

3 4

Bruno Snell, Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen, Hamburg 21948; Thomas Jahn, Zum Wortfeld „Seele–Geist“ in der Sprache Homers, München 1987. Ioannis G. Kalogerakos, Seele und Unsterblichkeit. Untersuchungen zur Vorsokratik bis Empedokles, Stuttgart 1996, 1–6 zu der homerischen Welt und S. 22–31 zu den Anfängen der Lehre der Seelenwanderung und damit verbundenen Unterscheidung von Seele und Körper. Zu den früheren Traditionen, Krešimir Matijević, Ursprung und Charakter der homerischen Jenseitsvorstellungen, Paderborn 2015. Christopher Gill, The Body's Fault? Plato's Timaeus on Psychic Illness, in: Maureen R. Wright (Hrsg.), Reason and Necessity, London 2000, 59–84; Beate Gundert, Soma and Psyche in Hippocratic Medicine, in: John P. Wright, Paul Potter (Hrsg.), Psyche and Soma: Physicians and Metaphysicians on the Mind–Body Problem from Antiquity to Enlightenment, Oxford 2000, 13–35; Jacques Jouanna, The Theory of Sensation, Thought and the Soul in the Hippocratic Treatise Regimen: Its Connections with Empedocles and Plato's Timaeus, in: Philip van der Eijk (Hrsg.), Greek Medicine from Hippocrates to Galen: Selected Papers, Leiden 2012, 195–228. Brooke Holmes, The Symptoms and the Subject, Princeton 2010, insbes. 228–274. Für die verschiedenen Ansätze der einzelnen Philosophenschulen siehe bereits Erwin Rohde, Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen, Bd. 2, Tübingen 71921, 158–170 und 296–335 in Ergänzung zu der im Weiteren genannten Literatur. Eine Zusammenfassung der früheren, insbesondere deutschsprachigen Forschung zur Seele in der archaischen griechischen Literatur findet sich bei Jan N. Bremmer, The Early Greek Concept of the Soul, Princeton 1983, 6–10. Was den jüngeren Aristoteles angeht, so hat Marcel Detienne, De la catalepsie à

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Einleitung

Trotz der hohen literarischen Produktivität dieser Epoche ist die hellenistische Geschichtsschreibung nur als Trümmerfeld auf uns gekommen.5 Neuere Studien einschlägiger Autoren, die, wie Polybios, in aussagekräftigen Fragmenten von beträchtlicher Länge erhalten geblieben sind, untersuchen gelegentlich die den historischen Darstellungsprinzipien zugrundeliegenden philosophischen Konzepte, jedoch nicht speziell die Philosophie der Seele.6 Auch die medizingeschichtliche Forschungsliteratur hat sich bislang noch nicht explizit mit psychologischen Theorien speziell des Hellenismus beschäftigt. So liegen zwar medizingeschichtliche Spezialuntersuchungen zur Seele in der Welt des klassischen Griechenlands, aber keine entsprechenden Darstellungen zum Hellenismus vor.7 Die mangelnde Erschließung dieser Fragestellung wird mit der für den Hellenismus ungünstigen Quellenlage begründet.8 Jenseits allgemeiner Überlegungen zu den Auswirkungen hellenistischer Staatenbildungen auf Kenntnisstand, Anwendung und Verbreitung medizinischen Wissens lässt diese kaum gesicherte Erkenntnisse zur Abgrenzung von früheren und späteren Epochen zu.9 Für das ptolemäische Ägypten existiert zwar immerhin ein Fundus dokumentarischer Evidenz, doch ist dieser für Fragen der Seelenpflege nicht ergiebig.10 Ähnliches gilt für medizinische Fragmente, wie die des Herophilos, der Untersuchungen zum menschlichen Gehirn durchgeführt hat, ohne sich l'immortalité de l'âme, La nouvelle Clio 10 (1958), 123–135 darauf hingewiesen, dass sich in Fragmenten dieser Zeit Hinweise für eine mögliche Trennung von Körper und Seele finden. 5 Hermann Strasburger, Umblick im Trümmerfeld der griechischen Geschichtsschreibung, in: Historiographia Antiqua, FS Willy Peremans, Leuven 1977, 3–52; Christopher A. Baron, Timaeus of Tauromenium and Hellenistic Historiography, Cambridge 2013, 2–6. Für weitere Literatur siehe Kapitel eins, S. 50 unten. 6 Cecil W. Wooten, The Peripatetic Tradition in the Literary Essays of Dionysius of Halicarnassus, in: William W. Fortenbaugh, David C. Mirhady (Hrsg.), Peripatetic Rhetoric after Aristotle, New Brunswick, NJ 1994, 121–130; Frank W. Walbank, Fortune (tyche) in Polybius, in: John Marincola (Hrsg.), A Companion to Greek and Roman Historiography, Bd. 2, Malden 2005, 349–355; René Brouwer, Polybius and Stoic Tyche, GRBS 51 (2011), 111–132. Carl Wunderer, Die psychologischen Anschauungen des Historikers Polybios. Untersuchung, Erlangen 1905 zeigt dagegen, dass dieses Thema früh Interesse gefunden hat. Bei dieser Abhandlung handelt es sich um ein Essay (54 Textseiten ohne das Vorwort), der sich ausgehend von psychologischen Abhandlungen seiner Zeit mit kognitiven Fähigkeiten (Sinneseindrücke, Verstand, Gedächtnis, Gefühle und Wille), daneben auch mit Persönlichkeitsentwicklung und psychologischen Problemen einzelner Personen sowie mit Massenpsychologie bei Polybios beschäftigt. Bereits Wunderer maß dem Thema der Psychologie große Bedeutung bei: „Den Organismus des Staates, die Umwandlungen der Staatsform, die Politik eines Staates, alles führt der Historiker in letzter Linie auf psychische Kräfte zurück“ (ebd., 46). 7 Benett Simon, Mind and Madness in Ancient Greece: The Classical Roots of Modern Psychiatry, Ithaca 1978; Jackie Pigeaud, La maladie de l'âme. Etude sur la relation de l'âme et du corps dans la tradition médico-philosophique antique, Paris 1981 u.ö. 8 Georg Wöhrle, Studien zur Theorie der antiken Gesundheitslehre, Stuttgart 1990, 190–212. 9 Attilio Mastrocinque, Les médicins des Séleucides, in: Philip van der Eijk, Herman F.J. Horstmanshoff, Pieter H. Schrijvers (Hrsg.), Ancient Medicine in Its Socio-Cultural Context, Amsterdam 1995, 143–150; Rebecca Flemming, Empires of Knowledge: Medicine and Health in the Hellenistic World, in: Andrew Erskine (Hrsg.), A Companion to the Hellenistic World, Oxford 2003, 449–463. 10 Philippa Lang, Medicine and Society in Ptolemaic Egypt, Leiden 2013.

Einleitung

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jedoch zu Therapien geistiger Erkrankungen zu äußern.11 Aussagekräftige Ergebnisse liegen dagegen für die Ansichten über die menschliche Seele und mit ihr verwandte Konzepte bei einzelnen bedeutenden hellenistischen Philosophen und philosophischen Schulen vor.12 Doch muss auch hier die Rekonstruktion der damaligen Schriften und Ansichten anhand ihrer Rezeption durch spätere, oftmals christliche Autoren erfolgen, die sich eben auch oft in polemischer und verzerrender Weise mit vorchristlichen Seelenkonzepten auseinandersetzen.13 Ähnlich verhalten sich die Rezeption und Überlieferung hellenistischer Philosophien der Seele durch ebenfalls skeptisch urteilende medizinische Autoren der Antike.14 Die Psychologie war in der Antike keine eigenständige wissenschaftliche Disziplin. Es gab auch keinen konkreten Begriff für sie, das Wort Psychologie ist vielmehr ein modernes Lehnwort aus dem Griechischen. Dennoch existierten Lehrmeinungen zur Seele des Menschen sowie zu ihrer Erkrankung bereits in der Antike und sind sowohl durch medizinische als auch durch philosophische antike Autoren überliefert. Die moderne Forschung hat herausarbeiten können, dass bereits im Griechenland der klassischen Zeit (die relativ gut dokumentiert ist) sowie in der Kaiserzeit philosophische und medizinische Abhandlungen zur Seele des Menschen einander ähnlich waren, diese beiden Wissensfelder sich also gegenseitig bereicherten.15 Darüber hinaus haben diese Abhandlungen bzw. die darin diskutierten Inhalte weitere literarische Texte außerhalb der Fachliteratur beeinflusst. Die medizinischen und philosophischen Fragen jener Zeit zur Seele des Menschen waren antiken Autoren generell bekannt.16 Grundsätzlich war die frühe griechische Geschichtsschreibung an psychologischen Fragestellungen interessiert. Bereits Herodot, von Cicero als Vater der Geschichtsschreibung bezeichnet, hat sich sporadisch mit der Seelenlehre seiner Zeit

11 T 239 von Staden (1989). 12 Anthony A. Long, Soul and Body in Stoicism, Phronesis 27 (1982), 34–57; Michael Frede, The Stoic Doctrine of the Affections of the Soul, in: Malcolm Schofield, Gisela Striker (Hrsg.), The Norms of Nature: Studies in Hellenistic Ethics, Cambridge 1986, 93–110; Beiträge in Jacques Brunschwig, Martha C. Nussbaum (Hrsg.), Passions and Perceptions: Studies in Hellenistic Philosophy of Mind. Proceedings of the Fifth Symposium Hellenisticum, Cambridge 1993; Beiträge in Richard A.H. King (Hrsg.), Common to Body and Soul: Philosophical Approaches to Explaining Living Behaviour in Greco-Roman Antiquity, Berlin 2006; David Konstan, A Life Worthy of the Gods: The Materialist Psychology of Epicurus (Neuauflage), Las Vegas 2008; Jan N. Bremmer, Die Karriere der Seele. Vom antiken Griechenland ins moderne Europa, in: Bernd Janowski (Hrsg.), Der ganze Mensch, Berlin 2012, 173–198; Beiträge in Dorothea Frede, Burkhard Reis (Hrsg.), Body and Soul in Ancient Philosophy, Berlin 2009; Jean-Baptiste Gourinat, Les stoïciens et l'âme, Paris 22017. 13 Dirk Rohmann, Christianity, Book Burning and Censorship in Late Antiquity: Studies in Text Transmission, Berlin 2016. 14 Robert J. Hankinson, Body and Soul in Galen, in: King (2006), 232–258. 15 Philip van der Eijk, Medicine and Philosophy in Classical Antiquity: Doctors and Philosophers on Nature, Soul, Health and Disease, Cambridge 2005, insbes. 8–29 und Ders., Cure and (In)curability of Mental Disorders in Ancient Medical and Philosophical Thought, in: William V. Harris (Hrsg.), Mental Disorders in the Classical World, Leiden 2013, 307–338. 16 Van der Eijk (2005), insbes. 41; Holmes (2010).

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Einleitung

beschäftigt.17 Insbesondere sein Exkurs zu Ägypten projiziert die ihm geläufige Vorstellung der Seelenwanderung auf die ägyptische Religion, wohl um die Ursprünge der Seelenwanderung bei den Griechen bzw. der pythagoreischen Philosophie zu erklären oder ihr Autorität zu verleihen.18 Herodot vergleicht zudem Staaten mit der Seele von Menschen und weist den Gesetzen (nomoi) eine wichtige Funktion für deren jeweilige Ordnung zu.19 Im Zusammenhang mit seiner Erzählung des lydischen Königs Gyges wurde dieser Gedanke von Platon rezipiert.20 Zudem findet sich bereits bei Herodot die Vorstellung, dass sich göttliche Strafe für die Schuld einer Person bis auf die Nachfahren erstrecken kann.21 Thukydides, der andere hochbedeutende Historiker des fünften Jahrhunderts v. Chr. und Pionier der Geschichtsschreibung, diskutiert in seinem Werk zum Peloponnesischen Krieg einerseits keine philosophische Theorie zur Seele und war insgesamt an religiösen Fragen, also auch an solchen zum Nachleben der Seele, weniger interessiert als Herodot.22 Wie Pierre Huart anhand von Wortfelduntersuchungen aufgezeigt hat, hat Thukydides andererseits psychologische Ansätze an seine wissenschaftliche Deutung der Geschichte angelegt. Für seine Massenpsychologie sind, wie auch bei vielen weiteren Autoren, die Leidenschaften der Menschen entscheidend, während er den nach seiner Darstellung großen Menschen der Geschichte besondere intellektuelle Fähigkeiten zuspricht.23 Möglicherweise beruht Thukydides gerade in den überlieferten Reden seines Geschichtswerkes, in denen er seine Interpretationen der historischen Akteure deutlich macht, auf den philosophischen Abhandlungen zur Seele in seiner Zeit, etwa auf dem Helenae encomium des Gorgias von Leontinoi, da er dort den Einfluss von Leidenschaften wie der Furcht auf die Menschen anhand der damals gängigen Lehre der Körpersäfte beleuchtet.24 Wie insbesondere Kapitel eins zeigen wird, waren auch die hellenistischen Historiker mit dem philosophischen und medizinischen Kenntnisstand zur Seele des Menschen grundsätzlich vertraut. Die Tragiker hatten zumindest insofern Einfluss auf die hellenistische Geschichtsschreibung, als einige Historiker bestimmte historische Begebenheiten im Stil einer Tragödie darstellten. Für die Tragiker ist die Seele jedenfalls als Sitz der Leidenschaften bedeutsam, welche die Tragik einer Person ausmachen können. Aischylos äußert sich nicht ausführlich zu dem Fortleben der Seele nach dem Tode. Dafür ist bei ihm eine zentrale Figur, wie Orestes, durch ihre Leidenschaften und 17 Cic., leg. 1,5: patrem historiae. 18 Insbesondere Hdt. 2,123. Zu den ägyptischen religiösen Hintergründen siehe Louis V. Z̆abkar, Herodotus and the Egyptian Idea of Immortality, JNES 22 (1963), 57–63. 19 Siehe hierzu Michael Davis, The Soul of the Greeks: An Inquiry, Chicago 2011, 6f. und 158 sowie die Kapitel vier und fünf, 75–101. 20 Hdt. 1,8–13; Plat., rep. 2, 359b–360d. Siehe Davis (2011), 139–158. 21 Hdt. 1,91; 6,86γ. 22 Siehe dazu Pierre Huart, Le vocabulaire de l'analyse psychologique dans l'œuvre de Thucydide, Paris 1968, 37–57 und 442f. 23 Ebd., insbes. die Zusammenfassung 497–507. 24 So Virginia Hunter, Thucydides, Gorgias, and Mass Psychology, Hermes 114 (1986), 412–429, inbes. 423–426 mit Belegen für psychologische Deutungen in den Reden bei Thukydides, etwa 3,37–48.

Einleitung

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den dadurch verursachten Wahnsinn bestimmt.25 Sophokles beschreibt das Nachleben der Seele im Hades, also mit der schon Homer bekannten griechischen Vorstellung der Unterwelt.26 Bei dem späteren Euripides (ca. 480–406 v. Chr.) findet sich überhaupt der erste Beleg, dass das pneuma (also der Geist) von vergöttlichten Menschen in den Himmel eingeht.27 Seine Tragödie Alkestis beschreibt zudem den Tod und die Unterwelt ausführlich.28 Die Tragödien zeigen also eine Entwicklung verschiedener religiöser und philosophischer Vorstellungen zur Seele des Menschen, die zu dieser Zeit verbreitet waren. Besonders alt war die Philosophie des Pythagoras (6. Jh. v. Chr.) und ihre in vorchristlicher Zeit stark verbreitete Lehre der Seelenwanderung.29 Kernelemente dieser philosophischen Tradition waren die Unsterblichkeit der Seele, die nach dem Tod in andere Lebewesen eingeht, sowie die Wiederkehr des Gleichen nach festen Zeitaltern und die grundsätzliche Einheit alles Lebenden.30 Etwa um diese Zeit vertraten auch die Orphiker, also Anhänger einer religiösen Lehre, die diese auf den mythischen Dichter Orpheus zurückführten, die Seelenwanderung. Die Seelenwanderung spielte auch in der Philosophie Platons (ca. 427– ca. 347) eine Rolle.31 Der Mythos des Er am Ende des Hauptwerkes Politeia berichtet 25 Aisch., Choeph. 211, 233, 1022–1024. Siehe Thomas B.L. Webster, Some Psychological Terms in Greek Tragedy, JHS 77 (1957), 149–154, hier 152f. Zahlreiche Belegstellen zum Wahnsinn bei den drei großen Tragikern finden sich bei Josef Mattes, Der Wahnsinn im griechischen Mythos und in der Dichtung bis zum Drama des fünften Jahrhunderts, Heidelberg 1970, 74–92, der hier zu dem Ergebnis kommt, dass zumindest Euripides, der besonders häufig Symptome des Wahnsinns beschreibt, medizinische Schriften zum Wahnsinn bekannt waren. 26 Der Hades wird insbesondere erwähnt in Soph., Ant. 519 und 911; Soph., El. 463; Soph., Oid. T. 30 und 972; Soph., Phil. 861. Ausführliche Beschreibung in Soph., Oid. K. 1556–1578; Immer noch einschlägig: Rohde, Bd. 2 (1921), 240f. 27 Eur., Erechtheus, frg. 370, Z. 71f. Kannicht, TGF, Bd. 5.1, S. 410–418, hier 415. Weitere Erwähnungen des Himmels (aether) als Aufenthaltsortes von Verstorbenen: Eur., Suppl. 1139f.; Eur., El. 59; Eur., frg. 971 Nauck, TGF, S. 674 = Kannicht, TGF, Bd. 5.2, S. 968. Siehe Bremmer (2012), 179f.; Rohde, Bd. 2 (1921), 249 und 257f. 28 Die eigentliche Darstellung beginnt in Eur., Alc. 252. 29 Die sehr umfangreiche Forschungsliteratur zu den einzelnen Philosophenschulen muss hier natürlich auf einige neuere oder besonders einschlägige Darstellungen begrenzt werden. Einzelne Aspekte werden weiter unten noch bei passender Gelegenheit konkretisiert. Zu der Seelenlehre des Pythagoras und der Pythagoreer siehe allgemein: Leonid Zhmud, Pythagoras and the Early Pythagoreans, Oxford 2012, 221–238 (insbesondere zu dem Verhältnis mit den Orphikern); Bartel L. van der Waerden, Die Pythagoreer. Religiöse Bruderschaft und Schule der Wissenschaft, München 1979, 116–147. Christoph Riedweg, Pythagoras: Leben, Lehre, Nachwirkung, München 32017, 54f. und 86–89. Eine aktuelle Zusammenfassung der Seelenlehren einzelner Philosophen ist George Karamanolis, Seele, A. Griechisch-Römisch, RAC 50 (2020), 111–136. 30 Besonders einschlägig ist Porph., VPyth. 19. 31 Zu Platons Seelenlehre siehe insbesondere Michael Erler, Die Philosophie der Antike, Bd. 2.2: Platon (Grundriss der Geschichte der Philosophie, Abt. 1), Basel 2007, 375–390 (mit weiterer Literartur). Zum historischen Hintergrund der Seelenpflege in Platons Werken vgl. Friedrich Solmsen, Plato and the Concept of the Soul (Psyche): Some Historical Perspectives, Journal of the History of Ideas 44 (1983), 355–367. Zu Platons Lehre der Seelenteile und ihrer weiteren Bedeutung Hendrik Lorenz, Plato on the Soul, in: Gail Fine (Hrsg.), The Oxford Handbook of Plato, New York 22019, 506–529.

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Einleitung

davon, dass der Seele nach dem Tod auf dem Weg zum Himmel Belohnungen oder Bestrafungen zuteilwerden, indem sie nach einer kurzen Zeit im Jenseits gemäß ihren Verdiensten oder Vergehen in abgestuften neuen Lebewesen wiedergeboren wird.32 Die Seele war also für Platon wie für Pythagoras unsterblich und somit höherrangig als der Körper.33 Nur Philosophen seien von diesem Kreislauf der Seelenwanderung ausgenommen und könnten Teil des Göttlichen werden.34 Jeder Seele sei zudem ein Stern im Himmel zugewiesen, und die Seele erfülle ihr naturgemäßes Streben nach dem Guten am besten im Einklang mit der natürlichen Harmonie des Kosmos.35 Plato vergleicht daher die Seele des Menschen mit der Ordnung eines Staates bzw. der Polis.36 Eine wichtige Neuerung von Platon war die Einteilung der Seele in drei Teile, Begierden, Tatkraft und vernunftmäßige Lenkung. Diese Teile haben wiederum in der Politeia ihre Entsprechung in den einzelnen Ständen des Staates.37 Platons Theorie der Seelenteile wirkte bei Aristoteles und seiner Schule, also den Peripatetikern, nach. Besonders das frühere Werk des Aristoteles, etwa die Nikomachische Ethik, geht von verschiedenen Seelenteilen aus. In seinem Spätwerk, vor allem der einschlägigen Schrift De anima, steht das Verhältnis von Körper und Seele im Vordergrund, wobei ein Forschungsproblem hinsichtlich der Frage besteht, inwiefern Aristoteles den materialistischen Philosophenschulen anhängt, welche alles Geistige auf Eindrücke, Prozess und Wirkungen der materiellen Welt zurückführen. Aristoteles war im Allgemeinen bemüht, den Widerspruch zwischen einer vom Körper getrennten Seele und ihren Interaktionen und vom Körper ausgehenden Wahrnehmungen aufzulösen, indem er in der Seele die Fähigkeit zur sinnlichen Wahrnehmung, zum Verlangen und zu weiteren geistigen Tätigkeiten sah.38 Die Seelenlehre des Aristoteles ist somit ein Zwischenglied und eine ausgleichende Position zu den materialistischen Philosophien, wie dem Epikureismus, die im Hellenismus zunehmend populär werden sollten. In seiner Psychologie steht Aristoteles einer atomistischen Naturphilosophie näher als platonischer Metaphysik. Die stoische Philosophie hat für die hier behandelte Epoche und die erhaltenen Historiker eine besondere Bedeutung. Im Unterschied zu den platonischen und aristotelischen Schriften sind die originalen Texte verloren, dennoch lassen sich

32 33 34 35 36 37

Plat., rep. 10, 614b–621d. Plat., rep. 10, 608c–612a. Plat., Phaid. 78b–84b und 105c–108c; Plat., Phaidr. 245c–250c. Plat., Tim. 41d und 90a–d. Plat., rep. 4, 435a–445e. Einschlägig hierzu ist das vierte Buch der Politeia, bes. Plat., rep. 4, 435c spricht diese Dreiteilung der Seele direkt an. Siehe auch Plat., Tim. 34b–37c. 38 Zur Psychologie des Aristoteles siehe Hellmut Flashar, Aristoteles, in: Ders. (Hrsg), Die Philosophie der Antike, Bd. 3: Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos (Grundriss der Geschichte der Philosophie, Abt. 1), Basel 22004, 167–492, hier 371–379; zu dem angesprochenen Forschungsproblem Richard Sorabji, Body and Soul in Aristotle, Philosophy 49 (1974), 63–89 und Lorenz (2019), jeweils mit Diskussion einschlägiger Passagen der genannten Werke sowie weiterer Forschungsliteratur. Eine einschlägige Definition der Seele ist Aristot., an. 2,1, 412b.

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Grundzüge der stoischen Seelenlehre rekonstruieren.39 Im Unterschied zu Platon und Aristoteles sahen die Stoiker die Seele als Einheit an. Sie verstanden die Seele weitgehend synonym mit dem pneuma („Lebensatem“), das durch Wahrnehmung und Antrieb (horme) gesteuert werde.40 Zu diesem Antrieb gehörten insbesondere die Leidenschaft (pathe) bzw. negative Emotionen, also seelische Fehlfunktionen, die dem Verstand widersprächen.41 Chrysippos, das dritte Schuloberhaupt der Stoa im 3. Jahrhundert v. Chr., zählte insbesondere die Habgier, die Trunksucht und Maßlosigkeit zu diesen Leidenschaften.42 Ein Mensch, der im Sinne der stoischen Philosophie als Weiser galt, war entsprechend von diesen Leidenschaften frei, er zeichnete sich also durch Affektfreiheit (apatheia) aus. Gemeint ist eine Person, die zwar nicht gefühlskalt ist, sondern Entscheidungen stets nur auf rationaler Basis trifft. Die Welt selbst war nach den Stoikern von einem göttlichen pneuma beseelt und laut Chrysippos in allen Teilen verbunden.43 Die Stoiker dachten daher auch, dass die Sterne einen Einfluss auf das irdische Geschehen haben. 44 Der stoische Weise steht für die weise Voraussicht sowie für ein Leben im Einklang mit dieser kosmischen Ordnung. Im Lateinischen wird dieses Ideal ausgedrückt durch das Diktum secundum naturam vivere, „im Einklang mit der Natur leben“.45 Diese Gedanken waren auch für die hellenistische Geschichtsschreibung zentral. Für die Epikureer schließlich war die Seele materiell und bestand aus Atomen.46 Die Seele stirbt laut Epikur mit dem Körper, da beide, wie die Welt 39 Siehe neben der im Weiteren genannten Literatur speziell zu diesen zusammengehörenden Aspekten der Affektenlehre und des Ideals des stoischen Weisen bzw. Philosophen Max Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 71992, 141–157 sowie neuerdings Maximilian Forschner, Die Philosophie der Stoa: Logik, Physik und Ethik, Darmstadt 2018, 117–122 (zum pneuma) und 217–245 (zur Ethik und zum stoischen Weisen, jeweils mit früherer Literatur), und Anna Schriefl, Stoische Philosophie. Eine Einführung, Stuttgart 2019, 141–150. Einschlägig zu der stoischen Seelenlehre Anthony A. Long, Stoic Psychology, in: Keimpe Algra et al. (Hrsg.), The Cambridge History of Hellenistic Philosophy, Cambridge 1999, 560–584 sowie kurz zusammengefasst Vanessa de Harven, Rational Impressions and the Stoic Philosophy of Mind, in: John E. Sisko (Hrsg.), Philosophy of Mind in Antiquity, London 2019, 214–235, bes. 215f. Trotz der grundsätzlichen Betrachtung der menschlichen Seele als Einheit gingen auch die Stoiker von verschiedenen Wirkkräften innerhalb der Seele aus. Siehe dazu Brad Inwood, Walking and Talking: Reflections on Divisions of the Soul in Stoicism, in: Klaus Corcilius, Dominik Perler (Hrsg.), Partitioning the Soul: Debates from Plato to Leibniz, Berlin 2014, 63–83. Die stoische im Vergleich mit der epikureischen Seelenlehre behandelt außerdem Julia Annas, Hellenistic Philosophy of Mind, Berkeley 1992, bes. 103–120 zu den stoischen Emotionen bzw. Leidenschaften und 175–188 zur epikureischen Willensfreiheit. 40 Hierokles, ethike stoicheiosis, Sp. 1, Z. 15–33 (von Arnim, 7–10). 41 Stob. 2,7,10 (Wachsmuth/Hense, Bd. 2, 88). 42 Diog. Laert. 7,111. 43 Chrysippos, Stoicorum veterum fragmenta Bd. 2, 473. Siehe Forschner (2018), 121f. 44 S. Emp., adv. math. 9,79. 45 Cic., fin. 5,9,24; griechisch: Diog. Laert. 7,88 mit weiterem Kontext. 46 Zur Seelenlehre Epikurs instruktiv John M. Rist, Epicurus: An Introduction, Cambridge 1972, 74–99 sowie Christopher Gill, Psychology, in: James Warren (Hrsg.), The Cambridge Companion to Epicureanism, Cambridge 2009, 125–141. Zur Funktionsweise der atomistischen Seele und des Bewusstseins Francesca Masi, Francesco Verde, Mind in an Atomistic World, in: Sisko

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insgesamt, aus Atomen bestehen. Wenn die Seele bei Platon durch metaphysische Ideen geprägt war, so erfährt sie bei Epikur die Welt durch Sinneswahrnehmung. Da die Epikureer die Erkenntnis der materiellen Welt als einzige Wahrheit ansahen, während viele andere Philosophen, wie die Platoniker, die Seele und die Welt der Ideen als der materiellen Welt überlegen betrachteten, unterscheidet man die jeweiligen Lehren als Materialismus bzw. Idealismus. Lucretius (ca. 99– ca. 55), der ein lateinisches Lehrgedicht über den Epikureismus seiner Zeit verfasste, unterteilte die Seele in einen irrationalen und rationalen Teil, in anima und animus.47 Den freien Willen erklärt Lucretius mit zufälligen Abweichungen in der anfänglichen Bewegung der Atome.48 Bei allen Unterschieden zum Stoizismus war ein Weiser im epikureischen, ähnlich wie im stoischen Sinne eine Person, die sich durch größtmögliche Seelenruhe auszeichnet. Epikur sprach dabei von ataraxia („Ungestörtheit“ der Seele). Sie diente allerdings einem anderen ethischen Endziel, nämlich dem Gewinn von Freude (hedone).49 Was die antike Medizin und ihre Definitionen der menschlichen Seele betrifft, so besteht das grundsätzliche Problem, dass das medizinische Wissen der Antike stark durch den bekanntesten medizinischen Autor, Galen (ca. 129– ca. 199/216), geprägt wurde, der bereits in die hohe Kaiserzeit gehört. Der medizinische Kenntnisstand zur Seele des Menschen, also insbesondere zu ihrer Erkrankung, das heißt zum Wahnsinn, ist also besser für die Zeit ab dem zweiten Jahrhundert n. Chr. als für die Zeit davor belegt.50 Gleichwohl weist bereits Robert Hankinson darauf hin, dass die frühen griechischen medizinischen Schriftsteller sich oft der vorsokratischen materialistischen Philosophie eines Empedokles anschlossen und den Begriff der Seele hauptsächlich aus praktischen Erwägungen, also zur Therapierung und zwar meist in Einheit mit körperlichen Beschwerden nutzten, etwa in Form einer Diät zum Ausgleich der Körpersäfte.51 In seiner klassischen Überblicksdarstellung zur antiken Medizin sieht Vivian Nutton trotz des fragmentarischen Zustandes der Quellen Hinweise auf einen medizinischen Schwerpunkt auf Pharmakologie und Chirurgie, die im Hellenismus im Vergleich zur Diätetik an Bedeutung gewannen, wobei die Säftelehre weiterhin vorherrschend blieb, darüber hinaus aber auch medizinischen Erklärungen von Ansteckungen durch Krankheitserreger in der epikureischen Philosophie aufkamen. Parallel zu der Diversifizierung der Philosophie

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(2019), 236–257. Zur ataraxia Malte Hossenfelder, Epikur, München 32006, 100–104 und Katharina Held, Hedone und Ataraxia bei Epikur, Paderborn 2007, bes. 115–179. Einschlägig ist Lucr. 3,231–829. Lucr. 2,216–262. So insbesondere Epik., frg. 490 Usener. Einen weitgehend aktuellen allgemeinen und umfassenden Überblick sämtlicher Arbeiten zur psychischen Störung und damit verwandter Phänomene in der Antike bietet Chiara Thumiger, A History of the Mind and Mental Health in Classical Greek Medical Thought, Cambridge 2017, 1–16, insbesondere S. 8, Anm. 10 zu den Leidenschaften bzw. Emotionen. Robert J. Hankinson, Greek Medical Models of Mind, in: Stephen Everson (Hrsg.), Psychology, Cambridge 1991, 194–217. Hynek Bartoš, Soul, Perception and Thought in the Hippocratic Corpus, in: Sisko (2019), 64–83 geht insbesondere für die im Corpus Hippocraticum gesammelten Autoren von einer begrifflichen und konzeptuellen Nähe von Körper und Seele aus.

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beobachtet Nutton eine solche auch im Bereich der Medizin, nicht zuletzt durch das Auftreten von Wanderärzten.52 Ob sich dadurch im Hellenismus eine veränderte medizinische Sicht auf die Seele des Menschen ergab, lässt sich insofern nicht sagen; insbesondere das Kapitel fünf wird aber weiter der Frage nach der angenommenen „Infektiosität“ seelischer Erkrankungen nachgehen. Die medizinhistorische Forschung gerade der jüngeren Zeit hat einige weitere Fortschritte gemacht, die das vorgalenische Verständnis der Seele und ihrer Erkrankung sowie die Erklärungsund Therapieansätze besser zu verstehen helfen. Besonders einschlägig für die Frage nach medizinischen Theorien zur Seele des Menschen und zum Wahnsinn in der Antike sind zwei neuerdings herausgegebene Sammelbände. Der aktuellste, medizinhistorische Sammelband beschäftigt sich dabei schwerpunktmäßig nicht nur mit Galen, sondern darüber hinaus mit den für Althistoriker meist weitgehend unbekannten, nur fragmentarisch erhaltenen medizinischen Autoren vom ersten bis zum siebten Jahrhundert n. Chr., mit Schwerpunkt auf der Spätantike.53 Ein wichtiges Ergebnis für die vorliegende Studie ist, dass diese Autoren die einzelnen Individualerkrankungen, die unter den Oberbegriff geistiger Krankheiten gefasst werden können, mit körperlichen, weniger mit psychologischen Ursachen erklärten, und sich insgesamt im Rahmen des zeitgenössischen medizinischen Diskurses und seiner Therapiemöglichkeiten bewegten.54 Zudem findet sich erstmals bei Aulus Cornelius Celsus (ca. 25 v. Chr. – ca. 50 n. Chr.), also bereits in nachhellenistischer Zeit, eine medizinische Systematik von Geisteskrankheiten.55 Demgegenüber steht die philosophische Tradition, am besten bekannt durch die Stoa, aber auch durch andere Philosophenschulen vertreten, wonach unter Wahnsinn in einem nichtmedizinischen Sinne eine ganze Reihe von Verhaltensabweichungen verstanden werden können. Wie der Beitrag von Marke Ahonen zusammenfasst, war der stoische Weise ein letztlich nicht-existentes Ideal (eines Königs, Richters usw.), dem gegenüber die meisten Menschen als „wahnsinnig“ gelten müssen. Die Stoiker unterscheiden „Wahnsinn“ in diesem allgemeinen Sinne von speziellen Geisteskrankheiten, die körperliche Ursachen haben, wie der Melancholie, schließen aber grundsätzlich jede Form der seelischen Erkrankung in ihr Therapieschema ein.56 Über dessen konkrete Anwendung ist wiederum wenig bekannt, indirekt (über Plutarch und Galen) lässt sich aber erschließen, dass dieser Ansatz von den Therapien, welche die medizinischen Autoren beschreiben, 52 Vivian Nutton, Ancient Medicine, London 2004, 140–156. Zum Epikureer Lucretius und der antiken Erkenntnis, dass sich Krankheitserreger durch Ansteckung insbesondere über die Luft ausbreiten siehe S. 75, Anm. 85 unten. 53 Chiara Thumiger, Peter N. Singer (Hrsg.), Mental Illness in Ancient Medicine: From Celsus to Paul of Aegina, Leiden 2018. 54 Siehe dazu insbesondere die Zusammenfassung von Chiara Thumiger, Peter N. Singer, Introduction. Disease Classification and Mental Illness: Ancient and Modern Perspectives, in: Thumiger/Singer (2018), 1–32, hier 32 sowie etwa auch den Beitrag von Ricarda Gäbel, Mental Illnesses in the Medical Compilations of Late Antiquity: The Case of Aetius of Amida, in: Thumiger/Singer (2018), 315–340, hier 339f. 55 Thumiger/Singer (2018), 14. 56 Marke Ahonen, Making the Distinction: The Stoic View of Mental Illness, in: Thumiger/Singer (2018), 343–364.

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grundsätzlich verschieden war.57 Die hellenistischen Geschichtsschreiber sind, wie die vorliegende Studie zeigen wird, in dieser Taxonomie weit eher von einem philosophischen als von einem medizinischen Konzept von Wahnsinn ausgegangen. Der andere, kurz zuvor erschienene Sammelband von historisch und psychiatrisch tätigen Autoren beschäftigte sich mit verschiedenen Fragestellungen zum Themenkreis der Geistesstörung in medizinischen und nicht-medizinischen Autoren.58 Im Rahmen dieser Einführung sei dabei verwiesen auf die begriffsgeschichtliche Studie zum Wahnsinn und zu Geisteskrankheiten von Chiara Thumiger.59 Außerdem deutet darin Maria M. Sassi den Timaios des Platon in Teilen so, dass Platon gesetzliche Strafen als Heilung der Seele rechtfertigte.60 Wie Kapitel drei zeigen wird, hat Diodor ähnliche Ansichten. Mit hellenistischen Historikern beschäftigte sich keiner der Beiträge. Die frühere Arbeit von Simon war dem gegenüber der Versuch eines ausgebildeten Psychiaters, also nicht eines Historikers oder Altphilologen, die Konzepte von Verstand, Seele und Wahnsinn in verschiedenen, überwiegend nicht-medizinischen literarischen Gattungen Griechenlands in der klassischen Zeit mit der modernen Psychologie des 19. und 20. Jahrhunderts zu vereinen. Seine Intention war es also hauptsächlich, im klassischen Griechenland einen Wegbereiter der modernen Psychologie zu entdecken.61 Im Unterschied zu solchen nicht primär historisch interessierten Arbeiten hat bereits Jackie Pigeaud zu Recht darauf hingewiesen, dass entsprechende Analogien zwischen moderner und antiker Sichtweise häufig den antiken Texten nicht gerecht werden, und sich stattdessen der Frage gewidmet, inwiefern in der medizinischen und philosophischen (stoischen und epikureischen) Tradition seelische Erkrankungen aus körperlichen Ursachen erklärt wurden. Ihr Ergebnis war bereits, dass für die medizinische Literatur letztlich nur körperliche Beschwerden relevant sind, während die seelische Erkrankung ein moralisierendes Konzept der nicht-medizinischen Literatur war.62 Chiara Thumigers neue Monographie zur geistigen Erkrankung ist eine wichtige medizinhistorische Studie, untersucht jedoch hauptsächlich das Corpus Hippocraticum, also im Wesentlichen das Corpus erhaltener medizinischer Autoren vor Galen, die unter dem Namen des Hippokrates überliefert wurden. Sie kommt dabei ebenfalls zu dem Ergebnis, dass diese Autoren Geisteskrankheit ausschließlich aus körperlichen Ursachen erklärten und daher auch die Therapie auf die Heilung

57 Christopher Gill, Philosophical Psychological Therapy: Did It Have Any Impact on Medical Practice, in: Thumiger/Singer (2018), 365–380. 58 Siehe die Beiträge in William V. Harris (Hrsg.), Mental Disorders in the Classical World, Leiden 2013. 59 Chiara Thumiger, The Early Greek Medical Vocabulary of Insanity, in: Harris (2013), 61–96. 60 Maria M. Sassi, Mental Illness, Moral Error, and Responsibility in Late Plato, in: Harris (2013), 413–426, hier 425. 61 Simon (1978), insbes. 41f. 62 Pigeaud (1981), 527–539. Neben den Fragmenten der Stoiker und Epikureer bilden die Fragmente des Asklepiades von Prusa, Galen und Caelius Aurelianus das untersuchte Corpus (S. 22f.).

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körperlicher Beschwerden gerichtet ist.63 Das bekannteste Beispiel für eine solche medizinische Schrift ist De morbo sacro des Hippokrates, welche die Epilepsie aus einem Ungleichgewicht der Körpersäfte zu deuten sucht.64 Insbesondere spielen laut Thumiger in diesen medizinischen Schriften die Leidenschaften eine nur sehr geringe Rolle, und es sind dabei gerade Leidenschaften, wie der Zorn, welche in anderen Literaturgattungen, etwa der Tragödie, aber auch der in dieser Studie im Mittelpunkt stehenden Geschichtsschreibung, als Ursache für Wahnsinn verstanden werden.65 Natürlich ist es möglich, dass andere, heute verlorene medizinische Schulen den Leidenschaften mehr Raum gegeben haben und zu ähnlichen Meinungen über den Wahnsinn als Endpunkt exzessiver Leidenschaften gekommen sind, da Galen auf diesen Überlegungen aufbaute. Bereits Hippokrates setzte sich in De morbo sacro von anderen Schulen ab, die eine Heilung mit seiner Meinung nach magischen bzw. religiösen Methoden anstrebten.66 Von Galen selbst stammen schließlich mehrere Schriften, welche exzessive Leidenschaften, insbesondere den Zorn, als geistige Erkrankung deuten. Besonders einschlägig ist die Abhandlung Galens De propriorum animi cuiuslibet affectuum dignotione et curatione.67 Galen sieht in dieser Abhandlung, in der er sich selbst von Epikur absetzt und somit von der Vielfalt psychologischer Theorien der Antike Zeugnis gibt, die Freiheit von Leidenschaften als den idealen Lebensweg an, der dem Weisen entspricht.68 Das Gegenteil von diesem Ideal ist ein Mensch, der sich von seinen Leidenschaften, insbesondere dem besonders schädlichen Zorn, leiten lässt und somit mehr an ein Tier als an einen vernunftbegabten Menschen erinnert. Eine Heilung von diesem Zustand des Wahnsinns ist wiederum möglich durch Verhaltenstherapie, indem der Betroffene unter Anleitung eines Philosophen äußere

63 Chiara Thumiger, A History of the Mind and Mental Health in Classical Greek Medical Thought, Cambridge 2017, 421f. 64 Edition: Émile Littré (Hrsg.), Oeuvres complètes d'Hippocrate, Bd. 6, Paris 1849 (Ndr. Amsterdam 1962), 352–396. Zweisprachige Ausgabe: Hermann Grensemann (Hrsg.), Die hippokratische Schrift Über die heilige Krankheit, Berlin 1968 (Ndr. 2015), 57–91. 65 Thumiger (2017), 337–376 und 419f., insbes. 338–340 zur nichtmedizinischen Literatur sowie 345–352 zum Zorn, der in mehreren Schriften Galens zentral ist und für den Thumiger unter der Rubrik emotions vorgalenische medizinische Lehrmeinungen anführt. Einen Überblick über das antike philosophische Verständnis der Leidenschaften als Wahnsinn (insbesondere in der Stoa) gibt Florian Sittig, Psychopathen in Purpur. Julisch-claudischer Caesarenwahnsinn und die Konstruktion historischer Realität, Stuttgart 2018, 118–120. Siehe auch die Einführung in antike Theorien zum Zorn (ὀργή) bei Anne Bäumer, Die Bestie Mensch. Senecas Aggressionstheorie, ihre philosophischen Vorstufen und ihre literarischen Auswirkungen, Frankfurt a.M. 1982, insbes. 17–71 zu Aristoteles und hellenistischen Philosophenschulen. 66 Hippokr., de morbo sacro 1,10–46. 67 Edition: Wilko de Boer (Hrsg.), Corpus medicorum Graecorum 5.4.1.1, Leipzig 1937, 3–37. Übersetzung: Peter N. Singer et al., Galen: Psychological Writings, Cambridge 2013, 237–282. Weitere einschlägige Abhandlungen Galens sind De animi cuiuslibet peccatorum dignotione et curatione, Quod animi mores corporis temperamenta sequantur sowie De indolentia. Siehe Thumiger (2017), 345 für weitere Literatur. 68 Gal., De propriorum animi cuiuslibet affectuum dignotione et curatione 1 und 3 Singer et al. (Kühn Bd. 5, S. 1 und 7–14; de Boer 3 und 6–11).

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Anreize beseitigt, die seinen Leidenschaften Nahrung geben. 69 In diesem Kontext äußert sich Galen selbst auch herrschaftskritisch, indem er bemerkt, dass der Umgang mit Mächtigen entsprechend schlecht für die geistige Gesundheit ist, da dieser Umgang Begehrlichkeiten und Neid weckt.70 Galen hat insgesamt das medizinische Wissen seiner Zeit im Vergleich zur hellenistischen Epoche substantiell weiterentwickelt, und zwar in dem Maße, dass auch für spätere Jahrhunderte bis in die frühe Neuzeit hinein sein systematisches und umfangreiches Werk autoritativ blieb.71 Galen hat insbesondere auch auf psychologischem Gebiet die medizinische Kenntnis seiner Zeit vorangebracht, indem er sich mit früheren, heute verlorenen philosophischen Werken vor allem der Stoa (und ihres bekannten Vertreters Chrysippos) kritisch auseinandersetzte. Ohne sich auf eine konkrete Definition der Seele festlegen zu wollen, machte er dabei weitere Fortschritte darin, den verschiedenen Seelenteilen einen anatomischen Sitz im Körper zuzuweisen (wie den Leidenschaften das Herz und dem Verstand das Gehirn, aber auch dem Verlangen die Leber). Er erzielte somit ein besseres Verständnis über das Zusammenspiel von seelischen Affekten und organischen Ursachen. Wie Platon, so ging auch Galen von verschiedenen Seelenteilen aus. 72 Eine besondere Rolle spielte in den Untersuchungen Galens insgesamt der Zorn, verstanden als 69 Gal., De propriorum animi cuiuslibet affectuum dignotione et curatione 4–7 Singer et al. (Kühn Bd. 5, S. 14–40; de Boer 11–27). 70 Gal., De propriorum animi cuiuslibet affectuum dignotione et curatione 3 Singer et al. (Kühn Bd. 5, S. 8f.; de Boer 7f.). 71 Siehe dazu Owsei Temkin, Galenism: Rise and Decline of a Medical Philosophy, Ithaca 1973; Vivian Nutton, The Fortunes of Galen, in: Robert J. Hankinson (Hrsg.), The Cambridge Companion to Galen, Cambridge 2008, 355–390. 72 Paul W. Harkins, Walther Riese, Galen: On the Passions and Errors of the Soul, Columbus, OH 1963, insbes. 14–17; Robert J. Hankinson, Galen's Anatomy of the Soul, Phronesis 36 (1991), 197–233; Ders., Actions and Passions: Affection, Emotion, and Moral Self-Management in Galen's Philosophical Psychology, in: Brunschwig/Nussbaum (1993), 184–222; Miklos Maroth, Galen als Seelenheiler, in: Jutta Kollesch, Diethard Nickel (Hrsg.), Galen und das hellenistische Erbe, Stuttgart 1993, 145–157; Teun Tieleman, Galen and Chrysippus on the Soul: Argument and Refutation in the De Placitis Books II-III, Leiden 1996, 38–65 (insbes. 55–60 zu der Leber als Sitz des Verlangens); Julius Rocca, Galen on the Brain: Anatomical Knowledge and Physiological Speculation in the Second Century AD, Leiden 2003; Pierluigi Donini, Psychology, in: Hankinson (2008), 184–209; Hankinson (2006); Robert J. Hankinson, Medicine and the Science of Soul, Canadian Bulletin of Medical History 26 (2009), 129–154, bes. 132–139 zur Definition der Seele bei Galen; Robert J. Hankinson, Partitioning the Soul: Galen on the Anatomy of the Psychic Functions and Mental Illness, in: Corcilius/Perler (2014), 85–106; Julia Trompeter, Die gespannte Seele: Tonos bei Galen, Phronesis 61 (2016), 82–109; Peter N. Singer, The Essence of Rage: Galen on Emotional Disturbances and Their Physical Correlates, in: Richard Seaford, John Wilkins, Matthew Wright (Hrsg.), Selfhood and the Soul: Essays on Ancient Thought and Literature in Honour of Christopher Gill, Oxford 2017, 161–196 und Ders., Galen's Pathological Soul: Diagnosis and Therapy in Ethical and Medical Texts and Contexts, in: Thumiger/Singer (2018), 381–420; Robert J. Hankinson, Galen's Philosophy of Mind, in: Sisko (2019), 258–278; Julien Devinant, Disorders of the Soul: Emotions and Clinical Conditions in Galen, in: George Kazantzidis, Dimos Spatharas (Hrsg.), Medical Understandings of Emotions in Antiquity: Theory, Practice, Suffering. Ancient Emotions III, Leiden 2022, 247–269.

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Leidenschaft bzw. Erkrankung der Seele. Galen sah als Ursache für diese und andere Leidenschaften ein Ungleichgewicht der Körpersäfte, das wie auch eine Reihe physischer Erkrankungen durch Therapiemaßnahmen zur Herstellung des Gleichgewichts geheilt oder gelindert werden könne, also etwa durch eine modifizierte Diätetik, Bäder und Beseitigung negativer äußerer Reize.73 Einschlägige philosophische Schriften, mit denen sich Galen und andere auseinandersetzten, müssen im Hellenismus ursprünglich in beträchtlicher Zahl zirkuliert sein. Ebenso muss man annehmen, dass eine Flut an Fürstenspiegelliteratur existierte, da die wenigen erhaltenen historischen Schriften und Fragmente eine intensive Auseinandersetzung mit den positiven und negativen Eigenschaften von Monarchen erkennen lassen, wie auch diese Studie zeigen wird. Das beste noch erhaltene Zeugnis für diese Art der philosophisch-herrschaftskritischen Abhandlungen stammt bereits aus der frühen römischen Kaiserzeit von dem Philosophen und Senator Seneca, der in der stoischen Tradition steht. Sein Traktat De ira ist vor dem Hintergrund der Herrschaft des Caligula nach dessen Tod entstanden und steht somit in der Tradition hellenistischer Tyrannentopik, während das Gegenstück De clementia als Fürstenspiegel für den jungen Nero konzipiert war. Senecas Schrift De ira ist die erste, welche Caligula als wahnsinnig beschreibt. Im Kontext sieht Seneca den Zorn als Ursache für Wahnsinn, der zudem mit der zu seiner Zeit medizinischen Vorstellung eines Ungleichgewichts der Körpersäfte sowie mit Selbsterhebung, Grausamkeit und daraus folgender Verachtung von Göttern und Menschen in Zusammenhang steht.74 Ähnliche Kategorien des Wahnsinns legte auch der spätere Biograph Suetonius an den Wahnsinn des Caligula an. 75 Diese Darstellung einiger der julisch-claudischen Kaiser als wahnsinnig hat in der althistorischen Forschung zu einer langen Debatte über den sogenannten Cäsarenwahnsinn geführt.76 Die vorliegende Studie befasst sich insbesondere mit der Psychologie und dem Wahnsinn von Monarchen und Tyrannen in hellenistischer Zeit und kann insofern einen Beitrag dazu leisten, das Konzept des Wahnsinns in den kaiserzeitlichen historischen Texten besser zu verstehen. Es handelt sich hierbei also nicht um den Versuch, moderne psychologische Theorien an die Geschichtsschreibung der 73 Einschlägig und instruktiv zum Zorn Heinrich von Staden, The Physiology and Therapy of Anger: Galen on Medicine, the Soul, and Nature, in: Felicitas Opwis, David Reisman (Hrsg.), Islamic Philosophy, Science, Culture, and Religion: Studies in Honor of Dimitri Gutas, Leiden 2012, 63–87. 74 Sen., de ira 1,20f. Siehe auch meine frühere Arbeit, Dirk Rohmann, Gewalt und politischer Wandel im 1. Jahrhundert n. Chr., München 2006, 37–45 zu diesen Schriften des Seneca. 75 Die Darstellung des Caligula als „Monster” beginnt mit Suet., Cal. 22, dort findet sich auch bereits die Überheblichkeit des Caligula gegenüber den Göttern. Beispiele für seine Grausamkeit sind Suet., Cal. 26,4–32,3. Suetonius beschreibt außerdem Caligula (Suet., Cal. 30,2: infensus; 53,1; Suet., Claud. 9,1) sowie den Vorgänger Claudius wiederholt als zornig (Suet., Claud. 30,1; 38,1; 40,3). 76 Die Forschungsliteratur zum Cäsarenwahnsinn ist kaum überschaubar, doch bietet Sittig (2018), 16–21 sowie 29–44 einen ausführlichen und informativen Überblick. Da er auf S. 40 direkt von Herodot zu Tacitus übergeht, ist das Thema des Wahnsinns bei hellenistischen Monarchen außerhalb der allgemeineren Forschung zur Tyrannentopik noch nicht einschlägig behandelt.

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Antike anzulegen. Dies wäre ein Unternehmen, das nicht von einem Historiker, sondern von einem Psychologen oder Medizinhistoriker durchgeführt werden müsste. Die vorliegende Studie arbeitet vielmehr die antiken Vorstellungen und Konzepte heraus, welche die erhaltenen griechischsprachigen Geschichtsschreiber des Hellenismus an die Seele des Menschen und ihre Eigenschaften anlegten. Sie verzichtet daher auch weitgehend auf medizinischen Jargon. Bevor Gliederung und Thesen dieser Studie vorgestellt werden, soll zunächst ein Fragment aus De re publica des Cicero vergegenwärtigt werden, welches zentral ist für das Verständnis der weiteren Ausführungen. Cicero (106–43 v. Chr.) rekurrierte in seinem staatstheoretischen Hauptwerk, das nur in Auszügen und Fragmenten überliefert ist, auf Polybios, also einen der Hauptautoren dieser Studie, sowie auf einen weiteren Kreis hellenistischer Gelehrter und Philosophen. Am Ende von Buch zwei beschreibt Cicero den römischen Staat als eine menschliche Seele, deren vernunftloser und von übermäßigen Leidenschaften ergriffener Teil (in der verwendeten Metaphorik ein Wildtier) gebändigt und in harmonische Eintracht gebracht wird, wie verschiedene Instrumente in der Musik und wie die von Menschen nicht wahrnehmbare Sphärenharmonie der Planeten. Voraussetzung für diese Harmonie und das Wohlergehen des Staates ist die Gerechtigkeit, außerdem die seelischen Eigenschaften von Staatsmännern und Philosophen, das römische Idealbild der ältere Scipio.77 Als Sieger über Hannibal im zweiten Punischen Krieg war der ältere Scipio in der späten römischen Republik der ideale Repräsentant römischer Werte. Die Abwesenheit dieser Harmonie in einem Staat wirkt dagegen wie eine ansteckende Krankheit, die außer Kontrolle gerät, wie Cicero an anderer Stelle ausführt.78 Cicero überliefert damit eine zentrale Lehrmeinung des Philosophen Pythagoras. Soweit bekannt, ging diese eigentlich als Geheimlehre angelegte Philosophie davon aus, dass eine allgemeine Verbundenheit (sympatheia) in der Welt existiert, während im Staat die Gerechtigkeit Grundlage für erfolgreiches Zusammenleben und Harmonie ist und diese Gerechtigkeit durch Bindung der Gesetze an das Göttliche und durch ein Seelengericht erzielt wird.79 Pythagoras galt außerdem als legendärer Erfinder der Musik, indem er die der Harmonie zugrundeliegenden Schwingungen und Frequenzen mathematisch beschrieb, und er erkannte das gleiche Prinzip in der nur von ihm und seinen Schülern wahrnehmbaren

77 Cic., rep. 2,40,67–2,42,69. Cicero beschreibt dabei Scipio (namentlich erwähnt mit anderen in 3,3,5) als Person „mit Glanz der Seele“ bzw. „des Verstandes“ (Cic., rep. 2,42,69 = Aug., civ. 2,21: splendore animi) sowie als „Lehrer der Wahrheit und staatsmännischen Exzellenz [...] deren Seelen sich höher erheben“ (Cic., rep. 3,3,4: quorum animi altius se extulerunt ... veritatis et virtutis magistri). Cicero spricht von „Eintracht“ (Cic., rep. 2,42,69 = Aug., civ. 2,21: concordia), die etwa dem griechischen sympatheia entspricht. 78 Cic., off. 2,23,80 (contagionibus malorum) und 3,22,88 (ordinum coniunctio). Ähnlich Plut., de Pyth. or. 28, 408b–c; Chion, epist. 14,2 Hercher. Siehe Helmut Berve, Die Tyrannis bei den Griechen, München 1967, Bd. 1, 482 und Bd. 2, 741. 79 Porph., VPyth. 49f. und Iamblichos, VPyth. 30,174f. und 179. Dazu Riedweg (2017), 40 und 56, zu der harmonía unter verschiedenen sozialen Gruppen im Staat als politischem Erziehungsideal der Pythagoreer außerdem 85f. Siehe auch van der Waerden (1979), 100–115.

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Sphärenharmonie und glaubte, dass die Musik die Seele von Leidenschaften reinigen und zur richtigen Lebensführung anleiten kann.80 Wie bereits angedeutet, galt in den wichtigsten Philosophenschulen des Hellenismus eine dramatische Abweichung von diesem Idealzustand als Wahnsinn, der wiederum als ein Übermaß von Leidenschaften und Begierden verstanden wurde. Philosophische und medizinische Abhandlungen, welche den Wahnsinn und die Heilmittel dagegen zum Thema haben, interessieren sich dabei vor allem für das Individuum, während die Historiker die Frage diskutierten, welchen staatszersetzenden Einfluss die seelischen Eigenschaften der historischen Akteure haben konnten. Insbesondere die griechischen Historiker des Hellenismus fragten sich, wie sie den relativen Niedergang ihrer Welt im Vergleich zum Römischen Reich erklären konnten. Wie diese Studie zeigen wird, erkannten sie als eine der Ursachen die Missachtung dieser staatlichen und kosmischen Harmonie, verursacht durch den Wahnsinn einzelner Personen und in der Folge durch den kollektiven Wahnsinn der Gemeinschaft, oder sie setzten sich zumindest mit dieser Deutung auseinander. Hintergrund ist, dass in der vorindustriellen Welt das Verständnis von „Ansteckung“ nicht auf Infektionskrankheiten begrenzt war. So hat zuletzt Gregor Rohmann die These vertreten, dass die mittelalterliche Tanzwut als sich epidemisch ausbreitende Geisteskrankheit wahrgenommen wurde und noch im 19. Jahrhundert in die Nähe von Infektionskrankheiten rückte.81 Kernthese der vorliegenden Studie ist also, dass in der Deutung hellenistischer Historiker negative seelische Eigenschaften und Wahnsinn epidemisch um sich greifen und im Ergebnis zum Niedergang von Staaten führen. Entsprechend liegt der Erfolg des expandierenden Römischen Reiches in der erfolgreichen Abwehr dieser staatszersetzenden Tendenzen. Hauptautoren sind dabei die beiden noch selbst dem Hellenismus angehörenden Historiker Polybios (ca. 200– ca. 120 v. Chr.) und Diodor (1. Jh. v. Chr.), deren Werk zumindest teilweise in direkter Überlieferung erhalten ist, sowie in Kapitel eins in einer eigenständigen Sektion und darüber hinaus als Ergänzung zu den Hauptautoren die überlieferten Fragmente hellenistischer Historiker.82 In dem von Cicero verwendeten Bild symbolisiert das Tier den in Anarchie und Wahnsinn zerfallenden Staat, von dem sich der göttliche 80 Hauptquellen sind Porph., VPyth. 30–33; Iamblichos, VPyth. 15,65f.; 25,110–112; 27,121; 33,224; Aristoxenos frg. 26 Wehrli; Quint., inst. 1,10,32; 9,4,12; Cic., de consiliis suis frg. 3 (Garbarino, 91). Weitere Traditionen bei Riedweg (2017), 44–48. Zur Lehre der Seelenwanderung bei den Pythagoreern und anderen vorsokratischen Philosophen, Kalogerakos (1996), insbes. 133–137 zu der kathartischen Wirkung der Musik und ihrem Einfluss auf die sonst schlecht überlieferte Ethik der Pythagoreer. 81 Gregor Rohmann, Tanzwut. Kosmos, Kirche und Mensch in der Bedeutungsgeschichte eines mittelalterlichen Krankheitskonzepts, Göttingen 2012, 48–53. Siehe auch den Index, s.v. Tanzepidemie. Die Gleichheit des Nachnamens ist zufällig. 82 Grundlage hierfür war eine Datenbanksuche in der elektronischen Edition Brill's New Jacoby (BNJ) zu englischen und griechischen Begriffen zum Wahnsinn, zur Seele und den Leidenschaften. Im Folgenden werden die Fragmente der griechischen Historiker stets nach dieser neuen Edition zitiert, die Zählung ist dabei die gleiche wie in den ursprünglichen Bänden hrsg. von Felix Jacoby (und Fortsetzer), Die Fragmente der griechischen Historiker, 4 Teile mit Unterbänden, Berlin/Leiden 1926–1999 (FGrH).

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Beistand abwendet. Der dahinterstehende Mechanismus wurde einerseits verstanden als Übertragung negativer seelischer Eigenschaften und Störungen auf weitere Personen, die sich von Vorbildern, welche Macht und Einfluss besitzen, vereinnahmen und gleichsam „anstecken lassen“. Die einzelnen Kapitel dieser Studie werden zahlreiche Fallbeispiele sowie methodische Bemerkungen und Vergleiche vorstellen, welche den Staat als Seele deuten und das Seelenleben des Einzelnen auf die Gemeinschaft extrapolieren. Andererseits wurde der Wahnsinn im engeren Sinne als Epidemie verstanden. Besonders Kapitel fünf wird zeigen, dass Autoren wie Diodor Seuchen teilweise als göttliches Strafgericht verstanden, wobei diese Seuchen sowohl körperliche als auch seelische Symptome verursachen können und gerade die letzteren in Verbindung stehen mit den Fehlhandlungen einzelner Monarchen und den Schlüsselereignissen, die zum Verlust der Autonomie in der griechischen Staatenwelt führten. Kapitel zwei und fünf stellen antike Anschauungen zur Verbreitung des Wahnsinns durch Dämonen und die Seelen Verstorbener in Relation zu der Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Die dahinterstehenden Mechanismen wurden in der Antike teilweise richtig erkannt, beruhten aber auf Beobachtungen und Analogieschlüssen, die eine Epidemie seelischer Störungen plausibel erscheinen ließen. Thematisch behandelt Kapitel eins methodische Ausführungen der hellenistischen Historiker zur Seele des Menschen, zum Nachleben der Seele und den Auswirkungen auf das Diesseits sowie zum Selbstverständnis der Geschichtsschreibung als Seelenpflege bzw. Medizin für die Seele. Ein Ergebnis ist, dass Polybios in den Idealen des stoischen Weisen den Schlüssel für den Aufstieg von Gemeinwesen sieht, während bei Diodor Elemente der pythagoreischen Seelenlehre zentral sind, indem er seine Geschichtsschreibung selbst als Strafgericht der göttlichen Providenz versteht sowie als Beitrag zur Ausbildung seelischer Eigenschaften, die dann wiederum ein Gemeinwesen erfolgreich im Einklang mit der Providenz leben lassen. Er sieht sich also als Eingeweihten, der die Prinzipien der kosmischen Harmonie mit Worten darstellen und seinem Publikum näherbringen will. Kapitel zwei wird zeigen, dass Polybios einen psychisch schädlichen Einfluss der verschiedenen, demokratisch nicht legitimierten Berater auf zentrale historische Akteure ausmacht und sich dieser seelische Schaden auf das weitere Gemeinwesen überträgt, das in der Folge dem Wahnsinn verfällt, während Polybios sich selbst als idealen Berater darstellt, der die Scipionen mit den Geheimnissen der griechischen Philosophie vertraut macht. Die Scipionen erlangen dabei gemäß den pythagoreischen Lehren zur Seelenwanderung im Traum Kenntnis der göttlichen Providenz oder stehen zumindest in diesem Ruf, während die Providenz generationenübergreifend die seelischen Eigenschaften von Tyrannen der griechischen Welt als sukzessives Strafgericht für Verfehlungen festlegt. Kapitel drei argumentiert, dass die Wiederherstellung der kosmischen Ordnung durch Seelenharmonie ein zentrales Anliegen der Universalgeschichte des Diodor ist. Wie bei Polybios übertragen sich auch hier die negativen oder positiven seelischen Eigenschaften einzelner Herrscher oder Dynastien auf das Gemeinwesen, das in der Folge einen Niedergang oder wie das Römische Reich durch die Scipionen und andere fähige Politiker einen Aufschwung erfährt. Da Diodor aber Universalgeschichte schreibt, sieht er den besten Zustand der seelischen

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und staatlichen Harmonie meist in der Frühgeschichte einzelner Gemeinwesen am ehesten verwirklicht, und zwar besonders in seiner Heimat Sizilien, wo die legendäre Gesetzgebung und Bildung angeblich darauf zielten, staatliche Harmonie zu verwirklichen und staatszersetzende Elemente sozial zu isolieren. Da diese Gesetzgebung und staatliche Ordnung wiederum in den pythagoreischen Lehren begründet ist, die sich von Sizilien aus nach Italien und die weitere Welt verbreiteten, schreibt er also seiner Heimat die geistigen Grundlagen für die erfolgreiche römische Expansion zu. Sowohl Polybios als auch Diodor, so Kapitel vier, erklären die Expansion von Gemeinwesen zumindest teilweise direkt aus der seelischen Verfassung, insbesondere der Fähigkeit zur seelischen Fürsorge, ihrer führenden militärischen Kommandeure, da gemäß der inhärenten Seelenlehre sich die innere Harmonie auf die Armee überträgt oder die Armee im Misserfolg von Wahnsinn betroffen ist, der sich wie ein Krebsgeschwür ausbreitet und zu Zersetzung und Abfall führt. Die hellenistischen Autoren vergleichen dabei sowohl den Staat als auch seine Armee mit einer Seele, die von Leidenschaften gestört, aber durch sachkundige Leitung, also gleichsam durch den Verstand, zum Erfolg geführt werden kann. Insbesondere Diodor führt zentrale Tugenden in der Selbstdarstellung der Römer, wie moderatio und clementia, indirekt auf die pythagoreischen Lehren seiner Heimat zurück. Das abschließende Kapitel fünf zeigt zudem, dass die besprochenen hellenistischen Historiker zeitweise von einer Epidemie des Wahnsinns ausgingen, der sich in seiner äußersten Form in der Überheblichkeit gegenüber den Göttern und der Zerstörung von Heiligtümern zeigte, und in dieser Epidemie eine Erklärung darin sahen, warum sich die Gunst der Providenz von der alten Welt des östlichen Mittelmeerraums nach Westen hin deutlich verschoben hatte. Die einzelnen Kapitel behandeln dabei die thematischen Fragen jeweils in Unterabschnitten getrennt nach den beiden Hauptautoren, da sich ihre Gedankenwelt doch jeweils unterscheidet, wobei Kapitel zwei und drei nur Polybios bzw. Diodor behandeln, da die positiven seelischen Eigenschaften von Monarchen und Politikern sowie ihre Entartung jeweils großen Raum einnehmen und sich eine Gliederung nach den einschlägigen Fallbeispielen anbot. Die Leitfragen und wichtigsten Ergebnisse sind jeweils zu Beginn der Kapitel zusammengefasst.

KAPITEL EINS: DER HISTORIKER ALS ARZT ODER VERDERBER DER SEELE Dieses Kapitel hat die Aufgabe, explizite Theorien zur Seele, zum Nachleben der Seele, zu ihrer Erkrankung und Ansteckung sowie Vergleiche über die „Seele“ des Gemeinwesens und des Einzelnen zusammenzustellen und zu diskutieren. Schwerpunkt sind die beiden in großem Umfang erhaltenen Werke der genuin hellenistischen Autoren Polybios und Diodor. Bei Polybios steht das Selbstverständnis des Historikers als Arztes, der sich vor allem um die seelische Gesundheit der Menschen sorgen sollte, im Mittelpunkt. Polybios sieht seine eigene Aufgabe darin, eine Anleitung für politisch tätige Menschen zu verfassen, die von wissenschaftlicher Wahrheitsliebe, nicht von Effekthascherei ausgeht, da sich die so ausgebildete seelische Exzellenz auf die weiteren Bürger, die Regierten und das ganze Gemeinwesen überträgt. Das Ideal dieser seelischen Exzellenz ist die Geisteshaltung des stoischen Weisen, also einer Person, die besonders im Unglück Größe zeigt und angesichts von Schicksalsschlägen nicht ihre positive Grundeinstellung ändert. An dem gleichen stoischen Ideal misst Polybios daher Staaten, sieht insbesondere den römischen Staat als vorbildlich in seiner Bewältigung von Krisen durch Verfassungsreformen, die dann zu der idealen Verfassung geführt haben, sowie den Niedergang der hellenistischen Welt durch moralische Schwächen der Monarchen und weiteren Führungspersonen begründet. Diodor sieht ebenfalls sein Geschichtswerk als Anleitung, seelische Größe zu erreichen. Er unterfüttert diesen anscheinend verbreiteten Ansatz allerdings mit philosophischen Exkursen zur Seele und zu ihrem Nachleben. Zwar besteht sein Werk großenteils aus Exzerpten früherer Autoren, aber bereits in der Gewichtung einzelner Schulen zeigt sich der eklektische Ansatz Diodors. Insbesondere stützt er sich auf die pythagoreische Lehre der Seelenwanderung, nach der die Seele gemäß ihrer Verdienste wiedergeboren wird, ein Lehrsatz, in dessen Dienst sich die Geschichtsschreibung des Diodor sieht. Zusammen mit der Unendlichkeit und Determiniertheit des Universums und der es durchziehenden göttlichen Providenz entwickelt Diodor seine Geschichtstheologie als Versuch, die Gesetzmäßigkeiten in der Geschichte zu erkennen. Von der grundsätzlichen Fähigkeit der ewigen Seele, am Ende ihres Lebens in die Zukunft zu sehen, ist er daher überzeugt. Gemäß den intellektuellen Diskursen seiner Zeit lehnt er die Mythen und das Nachleben der Seele im Hades zugunsten der pythagoreischen Seelenlehre als Erfindungen der historischen Frühzeit ab. Das Bild, das sich aus den Fragmenten der griechischen Historiker ergibt, ist dagegen unvollständig, zeigt aber, dass sowohl die Fähigkeit, durch psychische Exzellenz in Träumen die Zukunft vorauszusehen, als auch die pythagoreische Lehre der unsterblichen Seele und der Seelenwanderung bei hellenistischen Historikern verbreitet waren.

1.1 Geschichtsschreibung als Heilkunst bei Polybios

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1.1 GESCHICHTSSCHREIBUNG ALS HEILKUNST BEI POLYBIOS Die medizinischen Theorien seiner Zeit haben den heute bekanntesten Geschichtsschreiber des Hellenismus, Polybios, beeinflusst. Polybios stammte aus Megalopolis auf der Peloponnes, war führender Politiker im Achaiischen Bund und kam als Kriegsgefangener nach dem dritten Makedonischen Krieg nach Rom, wo er zum Lehrer des jüngeren Scipio, also in die höchsten Kreise der römischen Macht aufgenommen wurde. Sein Geschichtswerk ist heute vor allem deshalb bekannt, da er erstmals den Aufstieg des Römischen Reiches in den Mittelpunkt seiner Darstellungen rückte und somit die spätere Erfolgsgeschichte richtig erkannte. Diesen Aufstieg deutete er gemäß den verfassungsrechtlichen Theorien seiner Zeit mit der angeblich ausgewogenen Mischverfassung Roms, die demokratische, aristokratische und monarchische Elemente einschließe und somit den Umschwung in die jeweilige Entartungsform verhindere sowie den Kreislauf der Verfassungen effektiv durchbreche. Somit sei es Rom anders als den griechischen Stadtstaaten möglich gewesen, von inneren Unruhen unbeschadet sich auf die äußere Expansion zu konzentrieren. Die diesbezüglichen Ausführungen des Polybios im sechsten Buch, die glücklicherweise vollständig überliefert sind, haben Staatstheoretiker der frühen Neuzeit beeindruckt, insbesondere die Gründungsväter der Vereinigten Staaten von Amerika.1 Sie haben damit einen signifikanten Beitrag zur Entstehung moderner Demokratien geleistet. Dabei greift Polybios auf ein ganzes Arsenal von zu seiner Zeit existierender Geschichtsschreibung zurück. Von diesen verschiedenen Werken ist uns heute nur noch wenig bekannt. Nicht einmal das Geschichtswerk des Polybios selbst ist vollständig überliefert. Die Quellen, die er selbst herangezogen hat, sind lediglich durch den Text des Polybios selbst als Fragmente erhalten, und zwar in den seltensten Fällen als wörtliche Zitate. Polybios ist vielmehr ein polemischer Autor, der andere Geschichtsschreiber widerlegen möchte und daher ihre Darstellungen gerne polemisch überspitzt. Besonders gut dokumentiert ist dies für seinen Widersacher Timaios von Tauromenion, dem Polybios wiederholt vorwirft, eine sensationslustige, parteiische und verfälschende Geschichtsschreibung zu pflegen.2 So vergleicht er Timaios an einer Stelle mit einem theoretischen Arzt, der sein Wissen allein aus dem Studium medizinischer Handbücher beziehe. Zwar sei diese Form von theoretischem Wissen sowohl bei Ärzten als auch bei Historikern den “Quacksalbern“ bzw. Schreibern, die ihrem Publikum nur nach dem Mund reden, vorzuziehen. Aber es fehlten Timaios doch die praktischen Kenntnisse in der Politik, um sein

1

2

Siehe Gilbert Chinard, Polybius and the American Constitution, Journal of the History of Ideas 1 (1940), 38–58. Wilfried Nippel, Mischverfassungstheorie und Verfassungsrealität in Antike und früher Neuzeit, Stuttgart 1980 zeichnet die weitere Diskussion und Anwendung der Mischverfassung in der griechischen Antike nach (insbes. 142–155 zu Polybios) sowie die Auswirkungen auf die englische Mischverfassungstheorie und den modernen Konstitutionalismus. Zur Kritik des Polybios an Timaios siehe Klaus Meister, Historische Kritik bei Polybios, Wiesbaden 1975, 3–55 und Mario A. Levi, La critica di Polibio a Timeo, in: Miscellanea di studi alessandrini in memoria di Augusto Rostagni, Turin 1963, 195–202.

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1 Der Historiker als Arzt oder Verderber der Seele

theoretisches Wissen auch richtig anzuwenden.3 Damit gibt Polybios zu verstehen, dass er seine eigene Geschichtsschreibung als Gegenbild sieht, also als den nützlichen Teil der Medizin in diesem Vergleich und seine eigene Rolle als die eines guten Arztes versteht, der auf die Gegenwart und Zukunft einwirken soll. An anderer Stelle stellt Polybios seinen Gegner Timaios gar als Besessenen dar, hauptsächlich deshalb, weil dieser Autoren aus der Zeit Alexanders des Großen deutlich anders bewertet, als er selber. Denn laut Timaios seien Kallisthenes, Alexanders Hofhistoriker, ein Schmeichler gewesen, Demosthenes, der große Redner und ausgesprochene Gegner Philipps II. von Makedonien, also des Vaters von Alexander, sei hingegen zu Recht zu loben.4 In seiner Gegenansicht spiegelt sich die promakedonische Tendenz des Polybios, wobei man aus heutiger Sicht sicher eher Timaios in seiner Bewertung dieser Autoren zustimmen würde. Mit einer krankmachenden, wahnsinnigen Geschichtsschreibung meint Polybios also eine solche, die in unerwünschter Weise noch auf gegenwärtige Konflikte einwirkt. In diesem Kontext der Kritik an Timaios ist das ausführlichste und expliziteste Zeugnis des Polybios über seine Deutung der Geschichtsschreibung als Medizin anzuführen, welches daher hier in gesamter Länge wiedergegeben werden soll. Dem voraus geht die Bemerkung, dass Timaios ein Stubengelehrter sei, der in den Bibliotheken von Athen zwar viele Historiker gelesen habe, aber nicht allein deshalb selbst ein guter Historiker sei:5 Daraus, dass Geschichtsschreibung und Medizin etwas gemeinsam haben, da beide grob gesagt aus drei Teilen bestehen, folgt, dass sich auch die charakterlichen Eigenschaften von Personen, die sich um sie bemühen, ähnlich zueinander verhalten. Zunächst einmal gibt es insgesamt drei Arten der Medizin, wobei ihr erster Teil der logische ist, der nächste der ernährungswissenschaftliche, der dritte der chirurgische und pharmazeutische. […] Der logische Teil, welcher meistens von den Schulen, die sich nach Herophilos und Kallimachos von Alexandria benennen, ausgeht, hat sicherlich seinen festen Platz in der Medizin, aber mit ihrem derartigen Auftreten und anmaßendem Verhalten nehmen seine Vertreter ein solches Wahnbild ihrer selbst in Anspruch, dass es schiene, als sei niemand anders der Thematik mächtig. Doch wenn man sie mit der Realität konfrontiert und ihnen eine erkrankte Person anvertraut, so findet man heraus, dass sie sich genauso jeder Nützlichkeit entziehen wie Personen, die überhaupt niemals eine medizinische Abhandlung gelesen haben. Einige erkrankte Personen, die sich ihnen aufgrund 3 4 5

Pol. 12,25e. Pol. 12,12b: θειασ(μὸν) ... τῶν ὀνειρωττόντων καὶ δαιμονώντων ἐν τοῖς ὑπομνήμασιν („die Raserei von Personen, die in ihren Schriften Träume haben und von Dämonen besessen sind“). Pol. 12,25d: ἐχούσης γάρ τι παραπλήσιον τῆς ἱστορίας καὶ τῆς ἰατρικῆς διὰ τὸ κατὰ τὰς ὁλοσχερεῖς διαφορὰς ἑκατέραν αὐτῶν ὑπάρχειν τριμερῆ, παραπλησίους εἶναι συμβαίνει καὶ τὰς τῶν ἐπιβαλλομένων ἐπ’ αὐτὰς διαθέσεις· οἷον εὐθέως τῆς ἰατρικῆς, ἑνὸς μὲν μέρους αὐτῆς ὑπάρχοντος λογικοῦ, τοῦ δ’ ἑξῆς διαιτητικοῦ, τοῦ δὲ τρίτου χειρουργικοῦ καὶ φαρμακευτικοῦ, γένους *** ὁλοσχερῶς. ε ..... μαι τῶι καταψεύδεσθαι τοῦ ἐπιτηδεύματος *** τὸ δὲ λογικόν, ὃ δὴ πλεῖστον ἀπὸ τῆς Ἀλεξανδρείας ἄρχεται παρὰ τῶν Ἡροφιλείων καὶ Καλλιμαχείων ἐκεῖ προσαγορευομένων, τοῦτο μέρος μέν τι κατέχει τῆς ἰατρικῆς, κατὰ δὲ τὴν ἐπίφασιν καὶ τὴν ἐπαγγελίαν τοιαύτην ἐφέλκεται φαντασίαν ὥστε δοκεῖν μηδένα τῶν ἄλλων κρατεῖν τοῦ πράγματος· οὓς ὅταν ἐπὶ τὴν ἀλήθειαν ἀπαγαγὼν ἄρρωστον ἐγχειρίσῃς, τοσοῦτον ἀπέχοντες εὑρίσκονται τῆς χρείας ὅσον [καὶ] οἱ μηδὲν ἀνεγνωκότες ἁπλῶς ἰατρικὸν ὑπόμνημα· οἷς ἤδη τινὲς τῶν ἀρρώστων ἐπιτρέψαντες αὑτοὺς διὰ τὴν ἐν λόγῳ δύναμιν οὐδὲν ἔχοντες δεινὸν τοῖς ὅλοις πολλάκις ἐκινδύνευσαν. Alle Übersetzungen sind meine eigenen.

1.1 Geschichtsschreibung als Heilkunst bei Polybios

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ihrer rhetorischen Fähigkeit anvertrauten, obwohl sie gar nichts Ernstes hatten, haben nun schon oft ihre ganze Gesundheit auf das Spiel gesetzt.

Der Sinn dieser Ausführungen ist zunächst unmittelbar klar. Wie ein guter Arzt sich nicht nur durch theoretisches Wissen auszeichnet, sondern darüber hinaus dieses Wissen auch praktisch anwenden kann, so soll auch ein Historiker nicht nur viele Schriften von Vorgängern studiert, sondern sich auch praktische Kenntnisse als Staatsmann angeeignet haben, um das historische Geschehen angemessen zu deuten. Polybios spielt dabei mit den Schulen von Herophilos und Kallimachos auf die Gelehrtentätigkeit der medizinischen Schule von Alexandria an, wo auch die berühmte Bibliothek stand und wo Herophilos als Pionier der Vivisektion und Obduktion bekannt wurde, der zudem das menschliche Gehirn als Sitz des Verstandes erkannte. Alexandria musste somit gleichsam als Inbegriff der theoretischen Gelehrsamkeit gelten. Heinrich von Staden identifiziert wahrscheinlich zu Recht den weiteren Schulgründer Kallimachos, über den sonst wenig bekannt ist, mit einem Schüler des Herophilos.6 Warum Polybios ihn trotz dieses Status als eigenständigen Schulgründer bezeichnet, lässt sich nicht mehr genau ermitteln, wahrscheinlich ist jedoch nach von Staden, dass er einen eigenen, noch stärker rationalistischen Ansatz verfolgte. Polybios kritisiert dabei nicht diese berühmten Mediziner als solche, sondern vielmehr spätere Epigonen, welche zwar den Lehrern in der Aneignung von Wissen nacheiferten, aber keine originellen Fortschritte mehr zu verzeichnen hatten, vielmehr das theoretische Wissen ihrer Schule verabsolutierten, statt es kritisch zu hinterfragen. Bei näherem Blick wird wiederum die Interpretation der Geschichte als Heilkunst mit all ihren positiven und negativen Folgen bei Polybios deutlich. Es lässt sich nur vermuten, warum die genannten Patienten, die nicht ernsthaft erkrankt waren, allein durch Begegnung mit den kritisierten theoretischen Medizinern ihre Gesundheit auf das Spiel setzten. Angesichts der Tendenz der Kritik des Polybios sowie der medizinischen Richtung, die mit den beiden Namen des Herophilos und des Kallimachos verbunden werden, sah er wohl die konkrete Gefährdung darin, dass diese theoretischen Mediziner weniger an der Behandlung ihrer Patienten als an der Erforschung neuer Therapieansätze sowie an der Vermehrung ihres eigenen Wissens über den menschlichen Körper interessiert waren. Deshalb konnten sie ihre Patienten mit vorgetäuschter Gelehrsamkeit womöglich dahingehend manipulieren, sich als Objekte zweifelhafter Studien zur Verfügung zu stellen. Es geht Polybios nicht allein um die falsche Diagnose, denn den umgekehrten Fall, dass eine schwer erkrankte Person vorzeitig aus der Therapie entlassen wird, nennt er nicht. Als Motiv der Ärzte für diese Übertherapie sieht Polybios den finanziellen Gewinn an, denn im folgenden Abschnitt schreibt er, dass schlechte Historiker in Analogie zu diesen Ärzten lediglich ihren Lebensunterhalt sichern wollen.7 Es geht jedoch auch nicht allein um teure, aber nutzlose Therapien, denn die angesprochenen Therapien werden ausdrücklich als Gesundheitsrisiko dargestellt. 6 7

Heinrich von Staden, Herophilus: The Art of Medicine in Early Alexandria. Edition, Translation and Essays, Cambridge 1989, 480–483. Pol. 12,25d 3.

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1 Der Historiker als Arzt oder Verderber der Seele

Übertragen auf die Geschichtsschreibung bedeutet diese Analogie, dass auch der Historiker seinen „Patienten“, das heißt seinen Lesern, Schaden zufügen kann, indem er diese etwa gleichsam übertherapiert. Polybios dachte bei diesen Lesern wohl auch an Personen, die selbst politisch tätig waren und in einer amoralischen Interpretation der Geschichte, wie sie durch Auftragsschreiber vermittelt wurde, Methoden zur Manipulation ihrer Gemeinwesen anstatt zur Mehrung des Allgemeinwohles vorfanden. Die hier gemeinte Geschichtsschreibung ist also didaktisch-belehrend, sie enthält zumindest Elemente eines Fürstenspiegels. Außerdem führt er im Weiteren aus, dass diese hier kritisierten theoretischen Ärzte sich bewusst an eine Zuhörerschaft wenden, indem sie wie Wanderphilosophen von Polis zu Polis zu ziehen.8 Polybios kritisiert somit nicht nur, dass einige Ärzte und Historiker nur von Profit geleitet werden, sondern auch, dass deshalb Historiker wie Ärzte oder Wanderphilosophen durch öffentliche Lesung ihrem Beruf nachgehen und somit einen verderblichen Einfluss auf die Seelen der Menschen und auf das Gemeinwesen ausüben können. Dieser schädliche Einfluss eines Teiles der Geschichtsschreibung auf die Seele der Menschen erinnert wiederum an die an anderer Stelle von Polybios vorgetragene Kritik an der sogenannten tragischen Geschichtsschreibung. 9 Diese Abwertung anderer Geschichtsschreiber als tragisch war wohl polemisch überspitzt, sofern sich dies anhand der vorwiegend nur bei Polybios erhaltenen Fragmente überprüfen lässt. In der modernen Forschung wird daher teilweise neutraler von „mimetischer Geschichtsschreibung” gesprochen. 10 Der Begriff des Tragischen geht indes zurück auf die Theorien des Aristoteles zur Tragödie:11 Die Tragödie ist eine Nachahmung einer ernsten und in sich geschlossenen Handlung, die eine gewisse Größe hat. Ihre Sprache ist ein Genuss und von Abschnitt zu Abschnitt verschieden.

8 9

Pol. 12,25d 6f. Besonders in Pol. 2,56,10–12. Pol. 2,16,13–15 (= BNJ 566 Timaios von Tauromenion F 68) zählt auch Timaios zu den Historikern, die sich tragischer Elemente bedienen. 10 Klaus Meister, Die griechische Geschichtsschreibung, Stuttgart 1990, 95–101, schlägt als Alternative „mimetische Geschichtsschreibung“ vor, wendet diesen Begriff allerdings auch selbst nicht konsequent an. Vgl. Ders., Geschichtsschreibung II. Griechenland, DNP 4 (1998), 992–996, bes. 994. Eine Bibliographie zu der tragischen Geschichtsschreibung bei Polybios finden sich außerdem bei Meister (1975), bes. 109–126 und bei Frank W. Walbank, History and Tragedy, Historia 9 (1960), 216–234; Viktor D'Huys, How to Describe Violence in Historical Narrative, AncSoc 18 (1987), 209–250, hier 217f., Anm. 25f.; John Marincola, Polybius, Phylarchus, and ‘Tragic History’: A Reconsideration, in: Bruce Gibson, Thomas Harrison (Hrsg.), Polybius and His World: Essays in Memory of Frank W. Walbank, Oxford 2013, 73–90, hier 73, Anm. 1 (Literatur); im Weiteren deutet der Autor die besonders einschlägige Auseinandersetzung mit dem Historiker Phylarchos (BNJ 81) in Pol. 2,56–63 als Priorisierung der Geschichtsschreibung aufgrund ihres Wahrheitsgehalts vor der Tragödie. Vgl. auch den Überblick der Literatur zu Methodik und Geschichtsbild des Polybios bei Felix Maier, „Überall mit dem Unerwarteten rechnen“. Die Kontingenz historischer Prozesse bei Polybios, München 2012, 1–16. 11 Aristot., poet. 1449b: ἔστιν οὖν τραγῳδία μίμησις πράξεως σπουδαίας καὶ τελείας μέγεθος ἐχούσης, ἡδυσμένῳ λόγῳ χωρὶς ἑκάστῳ τῶν εἰδῶν ἐν τοῖς μορίοις, δρώντων καὶ οὐ δι’ ἀπαγγελίας, δι’ ἐλέου καὶ φόβου περαίνουσα τὴν τῶν τοιούτων παθημάτων κάθαρσιν.

1.1 Geschichtsschreibung als Heilkunst bei Polybios

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Sie hat die Form einer Handlung, nicht einer Erzählung. Sie ruft Mitleid und Furcht hervor und bewirkt hierdurch eine Reinigung von derartigen Leiden.

In dieser kathartischen Auslegung hat die tragische Geschichtsschreibung also angeblich eine unmittelbare seelische Wirkung, die aber anders als in der Tragödie bei Aristoteles von Polybios gar nicht als heilsam, sondern als krankmachend gesehen wird.12 Diese Diskreditierung ergibt sich unmittelbar aus dem oben angesprochenen Vergleich mit Ärzten, die an ihren Patienten verdienen wollen und dabei schädliche und wahrscheinlich experimentelle Therapien verschreiben. Polybios setzt daher auch seinen eigenen historiographischen Ansatz positiv, und vor allem mit Blick auf dessen seelische Wirkung, von der diskreditierten Form ab: „Der dritte Teil, welcher in einem jeden Gewerbe den wahren Geisteszustand darstellt, ist nicht nur selten anzutreffen, sondern wird auch häufig durch das Gerede und die Dreistigkeit verdunkelt, die wiederum dem Mangel an Urteilsvermögen bei den meisten Menschen verschuldet sind,” wie Polybios im unmittelbaren Kontext mit Blick auf die Dreiteilung von Medizin und Geschichtsschreibung ausführt.13 Mit diesem „dritten Teil” meint er in dieser Analogie die Fähigkeit, das theoretische und praktische Wissen heilbringend, also nicht zum Schaden der Menschen einzusetzen. Geistige Gesundheit, die sich vom Einzelnen auf das Gemeinwesen überträgt, ist somit das Ziel der einzig richtigen Geschichtsschreibung. Der abermalige Vergleich des falschen Historikers mit einem Arzt, der aus den falschen Motiven heraus handelt, schließt daher die Analogie ab; die von Polybios selbst sogenannte und befolgte pragmatische Geschichtsschreibung ist das Gegenteil davon:14 In der gleichen Weise ist auch die pragmatische Geschichtsschreibung dreiteilig, wobei ihr erster Teil in der fleißigen Durchsicht von Dokumenten und der Zusammenstellung des aus ihnen gewonnenen Materials besteht, ihr zweiter in der Betrachtung von Städten und Regionen, von Flüssen und Häfen sowie überhaupt von Eigenheiten und Abständen in allem, was auf dem Land und auf dem Meer liegt, und schließlich ihr dritter in der politischen Betätigung. Ähnlich wie um die Medizin bemühen sich viele auch um die Geschichtsschreibung, wegen des hohen Ansehens, das sie bereits genießt, doch viele Autoren bringen für diese Unternehmung 12 Aristot., poet. 1450a 33 spricht in diesem Zusammenhang von psychagogein („die Seele verführen“). Siehe dazu Paul C. Dilley, Seelenleitung, RAC 50 (2020), 177–199, hier 182f. 13 Pol. 12,25d 7: τὸ δὲ τρίτον, τὸ τὴν ἀληθινὴν προσφερόμενον ἕξιν ἐν ἑκάστοις τῶν ἐπιτηδευμάτων, οὐ μόνον ὑπάρχει σπάνιον, ἀλλὰ καὶ πολλάκις ὑπὸ τῆς στωμυλίας καὶ τόλμης ἐπισκοτεῖται διὰ τὴν τῶν πολλῶν ἀκρισίαν. Das einleitende τρίτον ist m.E. auf das gleiche Wort in Pol. 12,25d 3 zu beziehen und meint daher den dritten Teil von Medizin bzw. Geschichtsschreibung, also deren praktische Anwendung. Nicht direkt gemeint ist hier die Dreiteilung der Medizin in Diätetik, Pharmakologie und Chirurgie, die vor allem durch den medizinischen Autor Aulus Cornelius Celsus (de medicina 1, pr.) bekannt ist. 14 Pol. 12,25e 1–3: τὸν αὐτὸν δὴ τρόπον καὶ τῆς πραγματικῆς ἱστορίας ὑπαρχούσης τριμεροῦς, τῶν δὲ μερῶν αὐτῆς ἑνὸς μὲν ὄντος τοῦ περὶ τὴν ἐν τοῖς ὑπομνήμασι πολυπραγμοσύνην καὶ τὴν παράθεσιν τῆς ἐκ τούτων ὕλης, ἑτέρου δὲ τοῦ περὶ τὴν θέαν τῶν πόλεων καὶ τῶν τόπων περί τε ποταμῶν καὶ λιμένων καὶ καθόλου τῶν κατὰ γῆν καὶ κατὰ θάλατταν ἰδιωμάτων καὶ διαστημάτων, τρίτου δὲ τοῦ περὶ τὰς πράξεις τὰς πολιτικάς, παραπλησίως ἐφίενται μὲν ταύτης πολλοὶ διὰ τὴν προγεγενημένην περὶ αὐτῆς δόξαν, προσφέρονται δὲ πρὸς τὴν ἐπιβολὴν οἱ μὲν πλεῖστοι τῶν γραφόντων ἁπλῶς δίκαιον οὐδὲν πλὴν εὐχέρειαν καὶ τόλμαν καὶ ῥᾳδιουργίαν, παραπλήσιον τοῖς φαρμακοπώλαις δοξοκοποῦντες καὶ πρὸς χάριν λέγοντες ἀεὶ τὰ πρὸς τοὺς καιροὺς ἕνεκα τοῦ πορίζειν τὸν βίον διὰ τούτων· περὶ ὧν οὐκ ἄξιον πλείω ποιεῖσθαι λόγον.

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1 Der Historiker als Arzt oder Verderber der Seele überhaupt keine entsprechenden Veranlagungen mit abgesehen von Verantwortungslosigkeit, Kühnheit und Irreführung. Den Apothekern gleich biedern sie sich an, stets reden sie einem nach dem Mund und sagen, was ihnen opportun erscheint, um dadurch für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Sie sind es nicht wert, dass man über sie noch mehr Worte verliert.

Die ideale Geschichtsschreibung sieht Polybios in einer Mischung aus Quellenstudium, Autopsie und praktischer Erfahrung in der Politik. Er wird anders als viele seiner Zeitgenossen auf die medizinischen Fortschritte seiner Zeit mit Misstrauen herabgeblickt haben. Besonders verdächtig schienen ihm die Verkäufer von Heilkräutern und Drogen, deren Nutzen nach Polybios oft in der eingebildeten Wirkung bestanden haben dürfte. Er rückt hier die Geschichtsschreibung in die Nähe der Magie, insofern als zwischen den palliativen und magischen Attributen von pharmaka („Heilmittel“) begrifflich nicht getrennt wurde, und deren schädlichen Einflüssen auf das seelische Wohlergehen.15 Konkret kritisiert er an seinem Gegner Timaios dessen rhetorisches Geschick, das allerdings gerade einen entsprechend schädlichen Einfluss auf seine Schüler und Rezipienten ausübt, ähnlich den Philosophen der platonischen Akademie, die mit gestellten Beispielen zwar Studenten anziehen, diese aber nicht moralisch bessern und somit ihre gesamte Schule in Verruf bringen.16 Ebenso kritisiert er das Geschichtsbild des Timaios als einen Körper, der zwar ansonsten gesund, aber aufgrund des Mangels an historischer Wahrheit erblindet und somit in seiner Gesamtheit schwer erkrankt ist:17 In derselben Weise haben auch historische Werke, auch wenn sie noch so sehr stilistisch, rhetorisch oder in anderer Hinsicht der ihnen eigenen Methodik schwere Fehler aufweisen, aber dennoch der Wahrheit verpflichtet sind, Anspruch darauf, zumindest in die Nähe zur sogenannten Geschichtsschreibung gerückt zu werden, sobald sie aber vom Weg der Wahrheit abkommen, dürfen sie nicht mehr zur Geschichtsschreibung gezählt werden. Aus diesem Grund sage auch ich deutlich, dass die Wahrheit der leitende Gedanke historischer Werke sein muss, und irgendwo in meiner Abhandlung mache ich auch selbst diese Aussage, indem ich das folgende schreibe, dass nämlich wie die Gesamtheit eines beseelten Körpers nutzlos wird, wenn man ihm das Augenlicht nimmt, so auch von der Geschichtsschreibung, nimmt man ihr die Wahrheit weg, nichts anderes übrigbleibt als eine gefährliche Märchenerzählung.

Es geht also nicht lediglich um literarische Fragen und künstlerische Bewertung, sondern darum, dass Polybios seinem Gegner vorwirft, mit seiner Art der Geschichtsschreibung einen schädlichen Einfluss auszuüben, so dass andere verdienstvollere Aspekte seiner Arbeit ganz zurücktreten. Besonders deutlich wird dieser heilende oder schädliche Einfluss auf die Seele des Menschen anhand der verwendeten Metaphorik, welche Polybios benutzt, um besonders grausame 15 Zu dem Begriff, LSJ, s.v. φάρμακον; siehe auch Gerhard Thür, Pharmakeia, DNP 9 (2000), 744. 16 Pol. 12,26c–d. 17 Pol. 12,12,2f.: τὸν αὐτὸν τρόπον καὶ τῶν συγγραμμάτων ὅσα μὲν ἂν ἢ κατὰ τὴν λέξιν ἢ κατὰ τὸν χειρισμὸν ἢ κατ’ ἄλλο τι διαμαρτάνηται τῶν ἰδίων μερῶν, ἀντέχηται δὲ τῆς ἀληθείας, προσίεσθαί φησι τὸ τῆς ἱστορίας ὄνομα τὰς βύβλους, ὅταν δὲ ταύτης παραπέσῃ, μηκέτι καλεῖσθαι δεῖν ἱστορίαν. ἐγὼ δὲ διότι μὲν ἡγεῖσθαι δεῖ τῶν τοιούτων συγγραμμάτων τὴν ἀλήθειαν ὁμολογῶ, καὶ κατὰ τὴν πραγματείαν αὐτός που κέχρημαι λέγων οὕτως, ὅτι, καθάπερ ἐμψύχου σώματος τῶν ὄψεων ἐξαιρεθεισῶν ἀχρειοῦται τὸ ὅλον, οὕτως ἐξ ἱστορίας ἐὰν ἄρῃς τὴν ἀλήθειαν, τὸ καταλειπόμενον αὐτῆς ἀνωφελὲς γίνεται διήγημα.

1.1 Geschichtsschreibung als Heilkunst bei Polybios

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Charaktereigenschaft von Menschen herauszustreichen. Ein Beispiel dafür ist der auktoriale Kommentar im Kontext einer Massenhinrichtung während des karthagischen Söldnerkrieges (241–237) in Sardinien im Anschluss an den ersten Punischen Krieg. Polybios berichtet dabei über ausgesucht qualvolle Exekutionen karthagischer Soldaten und ihres Kommandeurs Geskon durch den abgefallenen gallischen Söldner Autaritos.18 Polybios vergleicht die seelische Verfasstheit des gallischen Söldnerheeres mit einem Krebsgeschwür, das weiter wuchert und noch gesundes Gewebe angreift:19 Wenn man sich daher dies anschaut, wird man nicht zögern zu sagen, dass nicht nur die Körper der Menschen und gewisse in ihnen sich bildende Geschwüre wüten und völlig unheilbar werden, sondern noch viel mehr die Seelen. Denn was die Geschwüre betrifft, so breiten sie sich manchmal, wenn jemand sich daranmacht, sie ärztlich zu behandeln, noch schneller aus, da sie eben dadurch gereizt werden; wenn man sie aber wieder in Ruhe lässt, zerstören sie gemäß der ihnen eigenen Natur die Umgebung immer weiter und geben keine Ruhe, als bis sie das ihnen untergelegene Gewebe ganz zersetzt haben. Ebenso wachsen auch in den Seelen oft solche schwarzen, eiternden Flecken heran, so dass am Ende kein Lebewesen gottloser und grausamer wird als der Mensch.

Im weiteren Kontext dient Polybios diese medizinische Darstellung der menschlichen Seele dazu, die Wirkungslosigkeit ebenso von Strafen wie von Nachsicht bei solchen (seiner Meinung nach) zu Wildtieren verkommenen Menschen darzustellen, vor allem aber auch die geradezu ansteckende negative psychologische Wirkung ihres Kommandeurs sowie allgemein der frühen Erziehung von Menschen herauszustreichen: 20 Als die erste Ursache dieses Geisteszustandes, die auch den größten Anteil daran hat, muss man die schlechten Gewohnheiten ansehen sowie die falsche Erziehung von Kindern, doch es gibt zahlreiche weitere, darunter besonders die ständige ausufernde Gewalt und Arroganz ihrer Vorgesetzten.

Unter ausufernder Gewalt (hybris) versteht Polybios dabei eine auch rechtlich besonders strafbare Handlung. Nach Aristoteles war hybris definiert als das Verlangen, sich über andere zu erhöhen, um ihnen Entehrung (atimia) und Schande (aischyne) zuteilwerden zu lassen. Eine Person, die so handelt und dabei insbesondere gewalttätig wird, handele aus keinem nachvollziehbaren Motiv heraus, 18 Zu Person und weiteren Quellen, Linda-Marie Günther, Geskon [3], DNP 4 (1998), 1017. 19 Pol. 1,81,3–7: διόπερ εἰς ταῦτα βλέπων οὐκ ἄν τις εἰπεῖν ὀκνήσειεν ὡς οὐ μόνον τὰ σώματα τῶν ἀνθρώπων καί τινα τῶν ἐν αὐτοῖς γεννωμένων ἑλκῶν καὶ φυμάτων ἀποθηριοῦσθαι συμβαίνει καὶ τελέως ἀβοήθητα γίνεσθαι, πολὺ δὲ μάλιστα τὰς ψυχάς. ἐπί τε γὰρ τῶν ἑλκῶν, ἐὰν μὲν θεραπείαν τοῖς τοιούτοις προσάγῃ τις, ὑπ’ αὐτῆς ἐνίοτε ταύτης ἐρεθιζόμενα θᾶττον ποιεῖται τὴν νομήν· ἐὰν δὲ πάλιν ἀφῇ, κατὰ τὴν ἐξ αὑτῶν φύσιν φθείροντα τὸ συνεχὲς οὐκ ἴσχει παῦλαν, ἕως ἂν ἀφανίσῃ τὸ ὑποκείμενον· ταῖς τε ψυχαῖς παραπλησίως τοιαῦται πολλάκις ἐπιφύονται μελανίαι καὶ σηπεδόνες ὥστε μηδὲν ἀσεβέστερον ἀνθρώπου μηδ’ ὠμότερον ἀποτελεῖσθαι τῶν ζῴων. 20 Pol. 1,81,10: τῆς δὲ διαθέσεως ἀρχηγὸν μὲν καὶ μεγίστην μερίδα νομιστέον ἔθη μοχθηρὰ καὶ τροφὴν ἐκ παίδων κακήν, συνεργὰ δὲ καὶ πλείω, μέγιστα δὲ τῶν συνεργῶν τὰς ἀεὶ τῶν προεστώτων ὕβρεις καὶ πλεονεξίας. Zu der häufigen Darstellung wahnsinniger Menschen als Wildtiere in der übrigen antiken Literatur hat zuletzt Sittig (2018), 113f. einen kurzen Überblick gegeben.

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sondern lediglich, weil sie aufgrund dieser Erniedrigung Vergnügen, geradezu sexuelle Lust (hedone), empfinde.21 Aus dem Strafrecht des klassischen Athen ist bekannt, dass der Vorwurf der hybris im Zusammenhang mit einem Verfahren der Körperverletzung nicht als Privatklage, sondern als Klage im öffentlichen Interesse behandelt wurde, die bei Nachweis der Schuld schwere Strafen nach sich zog.22 Der Vorwurf der hybris zielt daher auch bei Polybios auf einen kranken Geisteszustand, der sich auf andere überträgt und somit wie eine Krankheit ansteckend ist. Laut Polybios vollzieht sich die Ansteckung top down, vergleichbar den Herdeninstinkten von Wildtieren, und wird jeweils von Generation zu Generation übertragen. Die medizinische Terminologie, die Polybios hier verwendet, illustriert somit, dass das athenische Strafrecht, sowie vermutlich auch das Strafrecht der weiteren griechischen Welt, über das wir sonst nur unzureichend informiert sind, in der hybris eine Bedrohung der staatlichen Gemeinschaft sah, indem dieses Verhalten gleichsam ansteckend wirkte und sich insbesondere von Personen mit Autorität aus auf weitere Personen und Generationen übertragen konnte. Diese ansteckende Wirkung einer wahnsinnigen Geisteshaltung kann sich demnach leicht auf ein Gemeinwesen übertragen. Daher sind insbesondere Staatenlenker eigentlich Ärzte, welche die ihnen Anvertrauten zu heilen haben:23 Denn was für einen Vorteil haben Personen, die krank sind, von einem Arzt, der die Ursachen für körperliche Krankheitsbilder nicht kennt? Was für einen Vorteil haben sie von einem Politiker, der nicht die Fähigkeit hat, Schlussfolgerungen darüber zu treffen, wie, warum and woher Handlungen ihren Ausgangspunkt genommen haben? Denn jener wird niemals den Anschein haben, in geeigneter Form Behandlungen für körperliche Leiden zu empfehlen, und auch der Staatsmann wird nicht ohne Kenntnis von Beweggründen auf irgendwelche Ereignisse angemessen reagieren können.

In diesem Kontext hat der Historiker die Aufgabe, politisch tätigen Menschen eine Anleitung zu bieten, um zufälligen Ereignissen mit Blick auf Präzedenzfälle jeweils richtig zu begegnen. Die von ihm angegriffenen Historiker, wie Timaios, haben dies anscheinend nicht im Sinn, sondern wollen in erster Linie lediglich ein gut zu lesendes Geschichtswerk verfassen. Polybios sieht sich hier also selbst als Arzt, der sowohl sein praktisches Wissen im politischen Leben als auch sein angelesenes historisches Wissen Zeitgenossen oder künftigen Generationen weitergeben will. Der Politiker wiederum ist gleich einem praktischen Arzt, der auf Krankheiten, also Störungen der staatlichen Gemeinschaft, mit einer Therapie reagiert, indem er 21 Aristot., rhet. 2,2,5f., 1378b 23–25. Das hybris-Gesetz überliefert Demosth., or. 21,47. Instruktive Analyse: Nick R.E. Fisher, Hybris and Dishonour, Greece and Rome 23 (1976), 177–193. Ausführliche Diskussion des Begriffs: Ders., Hybris. A Study in the Values of Honour and Shame in Ancient Greece, Warminster 1992. 22 Die Standarddarstellung ist Stephen Todd, The Shape of Athenian Law, Oxford 1993, 268–276. 23 Pol. 3,7,5f.: τί γὰρ ὄφελος ἰατροῦ κάμνουσιν ἀγνοοῦντος τὰς αἰτίας τῶν περὶ τὰ σώματα διαθέσεων; Τί δ’ ἀνδρὸς πραγματικοῦ μὴ δυναμένου συλλογίζεσθαι πῶς καὶ διὰ τί καὶ πόθεν ἕκαστα τῶν πραγμάτων τὰς ἀφορμὰς εἴληφεν; οὔτε γὰρ ἐκεῖνον εἰκὸς οὐδέποτε δεόντως συστήσασθαι τὰς τῶν σωμάτων θεραπείας, οὔτε τὸν πραγματικὸν οὐδὲν οἷόν τε κατὰ τρόπον χειρίσαι τῶν προσπιπτόντων ἄνευ τῆς τῶν προειρημένων ἐπιγνώσεως.

1.1 Geschichtsschreibung als Heilkunst bei Polybios

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insbesondere bei Konflikten den ersten Ursachen nachgeht. Darunter sind jedenfalls auch Geisteskrankheiten zu verstehen, denn Polybios vergleicht besonders in einer Passage von Buch 38 die innere Zerrissenheit der polis Patrai mit einer um sich greifenden Geisteskrankheit. Im Kontext schildert Polybios die Verwerfungen angesichts der Zerstörung von Korinth 146 v. Chr. durch römische Truppen unter Führung des Konsuls Lucius Memmius sowie der Zerschlagung des Achaiischen Bundes. Noch im gleichen Jahr wurde das verbündete Makedonien, das einst von Alexander dem Großen geführt wurde, als Provinz dem Römischen Reich eingegliedert. Patrai war Gründungsmitglied des Achaiischen Bundes, der sich im vorausgehenden Jahr mit Rom überworfen und die Hegemonie auf der Peloponnes erstrebt hatte:24 Das ganze Land war infiziert von einer geistigen Störung, wobei die Bürger sich gegen Mauern warfen sowie die Klippen hinabstürzten, so dass, wie das Sprichwort sagt, sogar ein Feind Mitleid über die Katastrophe von Griechenland empfunden hätte, wenn er sie nur gesehen hätte. In früheren Zeiten wurden sie in die Irre geführt und sind manchmal in jeder Hinsicht zu Boden gestürzt, wenn sie etwa über die politische Richtung stritten oder Alleinherrscher ihr Vertrauen missbrauchten. Doch zu der Krisenzeit, über die ich jetzt spreche, versagten sie im Unglück, das wie allgemein angenommen von der Gedankenlosigkeit ihrer Führungspersonen und der ihnen eigenen Ignoranz verschuldet wurde.

Polybios selbst hatte Interesse daran, die politische Führungsschicht in Patrai scharf zu kritisieren. Er selbst gehörte zu den 1000 politischen Oppositionellen, die von der Führung des Achaiischen Bundes, dem sein Vater Lykortas zeitweilig als Stratege sowie er selbst 170/69 als Hipparch angehörte, von der Peloponnes 167 v. Chr. nach Rom verbannt wurden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass er über die spätere Führungsschicht des Achaiischen Bundes mit negativer Tendenz berichtete. In dem zitierten Absatz spricht er sogar davon, dass diese dem Wahnsinn verfallen waren und somit die gesamte Landschaft mit ihrer Erkrankung angesteckt und in das Verderben gestürzt hatten. Damit spielt er auf den vorausgehenden Bruch mit Rom an. Das verwendete Wort pharmakeia meint dabei einen Zauberbann, der über der gesamten Landschaft lag und die Menschen in den Wahnsinn trieb.25 Es handelt sich also um einen polemischen Abschnitt, in dem Polybios für einen Austausch der bisherigen Führungsschicht plädiert. Dabei legt er die gleiche Theorie der Ansteckung top down zugrunde, wie zuvor bei dem Gallier und karthagischen Söldner Autaritos. Das unsinnige Verhalten von Politikern, vor allem von Alleinherrschern, die nicht demokratisch rechenschaftspflichtig sind, überträgt sich auf die gesamte Gruppe und stürzt das Gemeinwesen in das Unglück. Diesen inneren Zusammenhang des mentalen Zustandes von Individuen und Staaten und den sich daraus ergebenden Schicksalsschlägen thematisiert Polybios 24 Pol. 38,16,7–9: πάντα δ’ ἦν πλήρη παρηλλαγμένης φαρμακείας τῶν ῥιπτούντων ἑαυτοὺς εἰς τὰ φρέατα καὶ κατὰ κρημνῶν, ὥστε κατὰ τὴν παροιμίαν κἂν ἐχθρὸν ἐλεῆσαι θεασάμενον τὴν τότε περιπέτειαν τῆς Ἑλλάδος. τὸν μὲν γὰρ πρὸ τοῦ χρόνον ἐσφάλλοντο καὶ τοῖς ὅλοις ἔπταιον ἐνίοτε, ποτὲ μὲν ὑπὲρ πραγμάτων διαφερόμενοι, ποτὲ δὲ παρασπονδούμενοι διὰ τῶν μονάρχων· κατὰ δὲ τοὺς νῦν λεγομένους καιροὺς ἠτύχησαν ἀτυχίαν ὁμολογουμένην διὰ τὴν τῶν προεστώτων ἀβουλίαν καὶ διὰ τὴν ἰδίαν ἄγνοιαν. 25 Frank W. Walbank, A Historical Commentary on Polybius, Bd. 3, Oxford 1979, 713 ad locum.

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auch in Buch fünf. Hintergrund ist ein Erdbeben in Rhodos, das sich kurz vor dem Jahre 225 v. Chr. ereignet haben muss und bei dem unter anderem der berühmte Koloss von Rhodos einstürzte. Es handelte sich dabei um eine Bronzestatue des Helios, die von Chares von Lindos hergestellt wurde. 26 Als Quelle diente Polybios eine heute verlorene Lokalgeschichte des Zenon von Rhodos, der ein Zeitgenosse von Polybios war.27 Es ist daher nicht klar, ob der folgende sentenzenhafte Einschub daraus entnommen ist. Es handelt sich jedenfalls um eine Bewertung, die mit der bislang diskutierten Gedankenwelt des Polybios in Einklang steht:28 Ein solcher Unterschied besteht sowohl im Privatleben der Menschen als auch in gemeinsamen staatlichen Angelegenheiten zwischen Ignoranz und Trägheit einerseits sowie Sorgfalt und Klugheit andererseits, dass den erstgenannten glückliche Zufälle Schaden zufügen, für die letztgenannten sogar Katastrophen zum Anlass für Besserung werden.

Polybios zeichnet hier das Bild des stoischen Weisen, der den Lauf des Schicksals, das er nicht beeinflussen kann, gleichmütig hinnimmt und sogar noch im Unglück überwiegend einen Vorteil sieht.29 Das didaktische Bild, das Polybios mit seiner Geschichtsschreibung vermitteln will, ist also genau dieses Ideal des Staatsmannes, dessen Größe sich im Unglück zeigt. Es steht im Gegensatz zu der vorgenannten Unfähigkeit der Führungspersönlichkeiten von Patrai, aus der Niederlage gegen Rom noch Kapital zu schlagen (und sich auf die prorömische Seite des Polybios zu stellen) statt gleichsam den Kopf zu verlieren und so das gesamte Land in das Verderben zu ziehen. Der eben erwähnten Polis von Rhodos gelang es nämlich, von den umgebenden Städten und vor allem von den Königen Hieron II. und Gelon von Syrakus sowie von Ptolemaios III. Euergetes und Seleukos II. Kallinikos und den kleinasiatischen Königen, wie Prusias von Bithynien und Mithridates II. von Pontos, Spenden zum Wiederaufbau zu sammeln.30 Mit diesem stoischen Ideal beginnt Polybios auch seine berühmte Analyse der römischen Mischverfassung. 31 Zu Beginn von Buch sechs sieht Polybios einen 26 Plin., nat. 34,41; rhet. Her. 4,9. 27 Walbank, Commentary, Bd. 1 (1957), 616, ad locum. 28 Pol. 5,88,3: τοσοῦτον ἄγνοια καὶ ῥᾳθυμία διαφέρει παρ’ ἀνθρώποις ἐπιμελείας καὶ φρονήσεως περί τε τοὺς κατ’ ἰδίαν βίους καὶ τὰς κοινὰς πολιτείας, ὥστε τοῖς μὲν καὶ τὰς ἐπιτυχίας βλάβην ἐπιφέρειν, τοῖς δὲ καὶ τὰς περιπετείας ἐπανορθώσεως γίνεσθαι παραιτίας. 29 Für Literatur zum stoischen Weisen siehe S. 15, Anm. 39 oben. 30 Pol. 5,88,5–90,4. 31 Kurt von Fritz, The Theory of the Mixed Constitution in Antiquity: A Critical Analysis of Polybius' Political Ideas, New York 1954 vergleicht die Theorie des Polybios zu der Mischverfassung kritisch mit der historischen Realität und weiteren Überlieferung zur römischen Verfassung; Frank W. Walbank, Polybius and the Roman State, GRBS 5 (1964), 239–260 diskutiert, ob die Mischverfassung ein wesentlicher Grund für den Aufstieg des Römischen Reiches war. Ders., A Greek Looks at Rome: Polybius VI Revisited, Scripta Classica Israelica 17 (1998), 45–89 (Ndr. in Ders., Polybius, Rome, and the Hellenistic World: Essays and Reflections, Cambridge 2002, 277–292) sieht aber auch einen sich zu Lebzeiten des Polybios bereits abzeichnenden Verfall Roms. Weitere Literatur zur Mischverfassung: Andrew Lintott, The Theory of the Mixed Constitution at Rome, in: Richard O. Brooks (Hrsg.), Cicero and Modern Law, London 2009, 70–85, der weitere Diskussionen der Mischverfassung in der antiken Literatur vergleicht); Robin Seager, Polybius' Distortions of the Roman ‘Constitution’, in:

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inneren Zusammenhang zwischen Staaten und den Fähigkeiten ihrer Politiker, auf besondere Umstände jeweils besonders zu reagieren. Ihre geistige Größe zeige sich, wie eben die des Staates, vornehmlich im Unglück, das gemäß dem Ideal des stoischen Weisen zu ertragen ist.32 Polybios spielt damit auf einzelne Krisenzeiten an, insbesondere die Ständekämpfe sowie bestimmte militärische Bedrohungen, auf welche die Stadt Rom jeweils mit Verfassungsänderungen reagiert hat. Aus einer rigorosen Analyse der römischen Verfassung leitet sich daher für ihn eine Prognose der zukünftigen Entwicklung des Römischen Reiches ab.33 In Analogie zu Sparta ist die Seele eines Staates dann gesund, wenn Verfassung, Institutionen und Gesetze für einen demokratischen Ausgleich sorgen: „Sobald jede von diesen beiden Eigenschaften, nämlich Tapferkeit und Besonnenheit, sich in einer einzigen Seele oder in einer einzigen Stadt vereinigen, wird aus ihnen nicht einfach das Böse entstehen, und sie werden nicht von ihren Nachbarn unterworfen”.34 Besonders wichtige Werte sind demnach, „die Götter zu verehren, die Eltern zu ehren, die Älteren zu respektieren“, als auch die meritokratische Hierarchie bei Mehrheitsmeinungen zu beachten.35 Laut Polybios entsteht die ursprüngliche Staatsform der Monarchie bereits aus der Krise, also der Krankheit des Staates, gegen die sowohl bei Tieren als auch bei Menschen der Stärkste als Anführer hervorgeht.36 Der Kreislauf der Verfassungen, also der Umschlag einer Verfassungsform in die ihr jeweils entsprechende Entartungsform, entspricht einer Degeneration und Krankheit.37 Polybios stellt hier die aus seiner Sicht geistig „gesunden“ römischen Politiker den teilweise gescheiterten Politikern in Griechenland gegenüber. Zusammengefasst sieht Polybios also die Aufgabe der guten Geschichtsschreibung, insbesondere seines eigenen Werkes, darin, für die körperliche und seelische Gesundheit von Menschen, vor allem solchen, die diese Werke lesen, zu sorgen und damit auch für ganze Staaten. Der Zusammenhang ergibt sich daraus, dass sich seelische Krankheit von Staatenlenkern auf die weitere Gemeinschaft überträgt, diese also ansteckend wirkt. Insbesondere im Blick hat er seinen erklärten Gegner Timaios und die weitere „tragische“ Geschichtsschreibung, welche per definitionem eine solche seelische Wirkung entfaltet. Wie Demagogen können auch Historiker mit manipulativen Absichten insbesondere durch den mündlichen Vortrag einen verderblichen Einfluss auf die Seelen der Menschen ausüben. Das psychologische Ideal, das Polybios selbst positiv vertritt, ist die Geisteshaltung des stoischen Weisen, dessen apatheia, also Freiheit von Affekten und Leidenschaften, sich vor allem im Unglück zeigt. Auch die römische Verfassung habe mit stoischer apatheia

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Gibson/Harrison (2013), 247–254 sieht einige Verzerrungen in der Darstellung der römischen Mischverfassung, die eigentlich in vielen Punkten eine aristokratische Ordnung ist. So in Pol. 6,2,5 und ähnlich auch Pol. 4,8. Pol. 6,3,1–4. Pol. 6,48,4: ἑκατέρων δὲ τούτων ὁμοῦ συνδραμόντων εἰς μίαν ψυχὴν ἢ πόλιν, ἀνδρείας καὶ σωφροσύνης, οὐτ’ ἐξ αὐτῶν φῦναι κακίαν εὐμαρὲς οὔθ’ ὑπὸ τῶν πέλας χειρωθῆναι ῥᾴδιον sowie der weitere Kontext des Abschnitts. Pol. 6,4,5: θεοὺς σέβεσθαι, γονεῖς θεραπεύειν, πρεσβυτέρους αἰδεῖσθαι. Pol. 6,5,4–9. Pol. 6,4 und Pol. 6,9,10–13.

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auf innere und äußere Krisen reagiert, und zwar im Gegensatz zu der von Polybios anschließend als degeneriert besprochenen griechischen Staatenwelt, die stattdessen (wie Patrai und Rhodos) zum Wahnsinn neigt.38 Im folgenden Abschnitt wird zu diskutieren sein, ob auch Diodor, der andere relativ umfangreich überlieferte Historiker des Hellenismus, sich von dieser Idee, dass die Geschichtsschreibung als Anleitung zur seelischen Bildung dient, leiten ließ. 1.2 SEELENWANDERUNG UND HISTORISCHER DETERMINISMUS BEI DIODOR Bei der Bibliotheke des Diodor handelt es sich überwiegend um Kompilationen früherer Geschichtswerke, in denen der Autor nur gelegentlich mit einer subjektiven Meinung eingegriffen hat.39 Nichtsdestotrotz sind seine psychologischen Theorien und Konzepte, mit denen er historisches Geschehen beschreibt, überwiegend homogen, wie im Weiteren gezeigt werden soll. Diese Homogenität spricht wiederum dafür, dass hellenistische Autoren sich ähnlicher Diskurse bedienten und dass somit auch das Werk des Polybios jenseits faktioneller Tendenzen einen gewissen Konsens widerspiegelt. Daher sollen auch in dieser Analyse die expliziten Vorstellungen zur Seele, soweit sie für hellenistische Historiker relevant waren, weitgehend als Allgemeingut verstanden werden, wobei natürlich zu berücksichtigen ist, 38 Dass Polybios die Verfassungen von Teilen der griechischen Stadtstaaten als degeneriert empfand, wird besonders an Pol. 6,43,2–4 deutlich. 39 Einführung in die Methode und Quellen des Diodor bei Dino Ambaglio, Introduzione alla Biblioteca storica di Diodoro, in: Dino Ambaglio, Franca Landucci Gattioni, Luigi Bravi (Hrsg.), Diodoro Siculo: Biblioteca storica. Introduzione generale, Mailand 2008, 3–102, hier 11–28. Kenneth S. Sacks, Diodorus Siculus and the First Century, Princeton 1990, bes. 204–206 sowie Ders., Diodorus and his Sources. Conformity and Creativity, in: Simon Hornblower (Hrsg.), Greek Historiography, Oxford 1994, 213–232, bes. 213f. weist zu Recht darauf hin, dass das Urteil der älteren Forschung, Diodor sei ein reiner Kopist ohne eigenes Urteil gewesen, kaum überprüfbar ist, da die Originalquellen verloren sind, das Erhaltene aber auf einen Grad der Eigenständigkeit hindeutet, insbesondere in der moralisierenden Tendenz des Werkes, die als Einheit erscheint. Auch Massimiliano Pavan, La teoresi storica di Diodoro Siculo, RAL 16 (1961), 19–52, 117–151 (mit Zusammenfassung der älteren Forschung auf S. 19–22) wies bereits auf eine Eigenständigkeit der politischen Theorien im Werk des Diodor hin. Zustimmend: Nicolas Wiater, Geschichte als imaginäres Museum. Zum Geschichtsmodell in Diodors Bibliotheke, WJA 30 (2006), 59–85, hier 59f. Die Frage wurde bereits im 19. Jahrhundert diskutiert: Rudolf Neubert, Spuren selbständiger Thätigkeit bei Diodor, Bautzen 1890. Nicolas Wiater, Geschichtsschreibung und Kompilation. Diodors historiographische Arbeitsmethode und seine Vorstellungen von zeitgemäßer Geschichtsschreibung, RhM 149 (2006), 248–271, hier 251–253 weist zudem darauf hin, dass Diodor bereits durch seine Kompilationsarbeit deutlich im Sinne seiner Lehrmeinung selektierte und dass diese Methode zu seinen Lebzeiten als beste Praxis galt. Vgl. Michael Rathmann, Diodor und seine „Bibliotheke“. Weltgeschichte aus der Provinz, Berlin 2016, 308f., der ebenfalls zumindest von einer gezielten Selektion des Materials durch Diodor ausgeht. Anders (d.h. der früheren Lehrmeinung des wenig originellen Kopisten anhängend): Delfino (Dino) Ambaglio, La biblioteca storica di Diodoro Siculo: problemi e metodo, Como 1995, 9.

1.2 Seelenwanderung und historischer Determinismus bei Diodor

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dass verschiedene Theorien zur Seele koexistieren, die wiederum abhängig waren von einzelnen religiösen oder philosophischen Weltanschauungen. Um daher einen Einblick darüber zu erhalten, wie Diodor sich als eigenständiger Autor wahrgenommen sehen wollte, ist ein Blick in die Einleitung hilfreich, in der er seinen historischen Ansatz aufführt. Ziel seiner Universalgeschichte sei es demnach, gerade durch das Scheitern der mythischen Heroen und historisch bedeutenden Persönlichkeiten die Leser dazu auszubilden, das Nützliche zu erkennen, ohne selbst entsprechende negative Erfahrungen durchlaufen zu haben.40 Den Begriff der Universalgeschichte verwendet Diodor programmatisch als erstes Wort seines Textes selber, und es handelt sich um eine solche, da er den Anspruch hat, vom Beginn der Welt bis in seine eigene Gegenwart Geschichte zu schreiben.41 Damit gibt Diodor zugleich seine Geschichtstheologie zu erkennen, sieht er doch die Aufgabe des Historikers darin, der göttlichen Providenz zu dienen:42 [...] einige Historiker sind Diener der Vorsehung geworden. Denn wie die Vorsehung die gesetzmäßige Ordnung der sichtbaren Sterne und die natürlichen Geschicke der Menschen zu einem allumfassenden Wechselspiel zusammenführt, sie dabei fortwährend durch alle Zeit antreibt und allen Menschen einzeln das zuweist, was ihnen aus dem Schicksal zufällt, so haben auch die Historiker die Ereignisse der gesamten Welt allumfassend aufgezeichnet, als seien es die Ereignisse einer einzigen Stadt, und somit gezeigt, dass ihre Abhandlungen eine einzige Zusammenstellung und ein allumfassender Marktplatz für Vergangenes sind.

Da historische Ereignisse also demnach immer wiederkehren, sei diese Methode geeignet, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, aber auch, vergleichbar mit der Konsultation eines Ältestenrats, den jeweils erfolgversprechendsten Weg einzuschlagen.43 Diodor exzerpiert hier möglicherweise den stoischen Philosophen Poseidonios oder hält sich, wie Robert Bees herausgearbeitet hat, zumindest an die stoischen Theorien seiner Zeit.44 Sehr ähnlich wie Polybios sieht also auch Diodor eine didaktische Funktion der Geschichtsschreibung, keinen künstlerischen Selbstzweck. Auch Diodor hat dabei ausdrücklich die psychologische Wirkung seines Werkes im Blick, da er, wie gesagt, gerade in der Erkenntnis des Scheiterns prominenter Akteure den größten didaktischen Wert für die Leser sieht. Damit spielt er ebenso wie Polybios auf die kathartische, reinigende Wirkung der 40 Diod. 1,1,1f. 41 Diod. 1,1,1: τὰς κοινὰς ἱστορίας. 42 Diod. 1,1,3: ... τινὲς ὑπουργοὶ τῆς θείας προνοίας γενηθέντες. ἐκείνη τε γὰρ τὴν τῶν ὁρωμένων ἄστρων διακόσμησιν καὶ τὰς τῶν ἀνθρώπων φύσεις εἰς κοινὴν ἀναλογίαν συνθεῖσα κυκλεῖ συνεχῶς ἅπαντα τὸν αἰῶνα, τὸ ἐπιβάλλον ἑκάστοις ἐκ τῆς πεπρωμένης μερίζουσα, οἵ τε τὰς κοινὰς τῆς οἰκουμένης πράξεις καθάπερ μιᾶς πόλεως ἀναγράψαντες ἕνα λόγον καὶ κοινὸν χρηματιστήριον τῶν συντετελεσμένων ἀπέδειξαν τὰς ἑαυτῶν πραγματείας. 43 Diod. 1,1,4f. 44 Siehe Robert Bees, Der Universalhistoriker als Diener der göttlichen Vorsehung: zu Diodor I 1, 3 = Poseidonios, Fr. 80 Theiler, Studi Classici e Orientali 48 (2002), 207–232. Die Zuweisung stammt ursprünglich von Karl Reinhardt, Kosmos und Sympathie. Neue Untersuchungen über Poseidonios, München 1926, 184f. Siehe dazu auch Luciano Canfora, Le but de l'historiographie selon Diodore, in: Herman Verdin, Guido Schepens, Els de Keyer (Hrsg.), Purposes of History: Studies in Greek Historiography from the 4th to the 2nd Centuries B.C., Leuven 1990, 313–322 mit weiterer Literatur.

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Geschichtsschreibung sowie auch der Tragödie auf die menschliche Seele an, die durch das Studium der Vergangenheit ähnlich wie durch das Erleben einer tragischen Handlung geläutert wird. Diodor spricht an anderer Stelle explizit die Funktion der Geschichtsschreibung einerseits als Korrektiv von Arroganz im Glück, andererseits als Trost für Unglück an und erklärt diese Funktion damit, dass die Geschichtsschreibung zahlreiche Beispiele für ein plötzliches Umschlagen des Schicksals bietet. 45 Diese Peripetie ist natürlich ebenso zentral für die Tragödie. Darüber hinaus sieht Diodor aber auch das Wirken der göttlichen Providenz in der Welt, woraus er die Theorie ableitet, dass Geschichte sich wiederholt und dass sich insbesondere die Folgen menschlicher Handlungen vorhersagen lassen. Nicht im Widerspruch dazu sieht er die Freiheit des menschlichen Willens. Zwar diskutiert Diodor diese Thematik an keiner Stelle seines Werkes, aber bereits aus dem gesamten Ansatz seiner Einleitung wird deutlich, dass der Mensch seine Geschicke bis zu einem gewissen Grad selbst in der Hand hat, denn andernfalls wäre der Sinn dieser Art der Geschichtsschreibung, nämlich als Anleitung für richtiges Handeln zu dienen, in Frage gestellt. Geradezu zwangsläufig knüpft sich an diese Überlegungen die Frage nach dem Fortleben der Seele und ihrer möglichen pränatalen Existenz. Auch diese ist Diodor offenkundig wichtig genug, um sie gleich zu Beginn seines Geschichtswerkes zu diskutieren. Darin verweist er das Nachleben der Seelen im Hades und die Bestrafungen und Belohnungen, die sie dort erleiden, in den Bereich des Mythos, ohne jedoch zu dieser Frage eine starke Position einzunehmen:46 Denn wenn schon die Geschichtenerzählung über das Geschehen im Hades, obwohl sie den Charakter einer fabrizierten religiösen Vorstellung hat, viel dazu beiträgt, die Menschen zu Frömmigkeit und Gerechtigkeit zu führen, um wie viel mehr muss man davon ausgehen, dass die Geschichtsschreibung, die Prophetin der Wahrheit, die auch gewissermaßen die Mutterstadt der Philosophie in ihrer Gesamtheit ist, noch besser imstande ist, den Charakter zur Exzellenz vorzubereiten.

Diese prophetische Eigenschaft der Geschichtsschreibung ergibt sich aus ihrer Fähigkeit, die Providenz richtig aus der Vergangenheit zu analysieren und somit mittelbar die Zukunft besser abschätzen zu können, wie man aus dem Vorausgehenden schließen kann. Die Geschichtsschreibung hat daneben die Aufgabe, staatsrelevante Verbrechen und ihre Urheber der Nachwelt zu überliefern, um somit zeitgenössische Personen von solchen Handlungen abzuschrecken. Sie sei „die Zeugin der Boshaftigkeit gemeiner Menschen, die Wohltäterin des gesamten Menschengeschlechtes“.47 Daraus ergibt sich, dass für Diodor Strafen im Jenseits für irdisches Verhalten nicht existieren, vielmehr sind die Menschen selbst dafür verantwortlich, dass ihr schlechter Ruf die Übeltäter überlebt, wie Diodor selbst deutlich zu versteh45 Diod. 18,59,4–6. 46 Diod. 1,2,2: εἰ γὰρ ἡ τῶν ἐν ᾅδου μυθολογία τὴν ὑπόθεσιν πεπλασμένην ἔχουσα πολλὰ συμβάλλεται τοῖς ἀνθρώποις πρὸς εὐσέβειαν καὶ δικαιοσύνην, πόσῳ μᾶλλον ὑποληπτέον τὴν προφῆτιν τῆς ἀληθείας ἱστορίαν, τῆς ὅλης φιλοσοφίας οἱονεὶ μητρόπολιν οὖσαν, ἐπισκευάσαι δύνασθαι τὰ ἤθη μᾶλλον πρὸς καλοκἀγαθίαν; 47 Diod. 1,2,2: μάρτυρα δὲ τῆς τῶν φαύλων κακίας, εὐεργέτιν δὲ τοῦ κοινοῦ γένους τῶν ἀνθρώπων. Ebenso Diod. 1,2,4.

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en gibt: „Denn alle Menschen leben aufgrund ihrer naturgegebenen Gebrechlichkeit nur einen kurzen Teil der gesamten Ewigkeit, während der gesamten darauffolgenden Zeit sind sie tot“.48 Ein Fortleben der Seele außerhalb des Körpers ist damit nicht zwingend ausgeschlossen, doch ist diese Aussage weder mit der damals verbreiteten Annahme einer Seelenwanderung noch mit einem Fortleben im Hades vereinbar, denn in beiden Fällen sind Strafen und Belohnungen für das diesseitige Leben Teil der postmortalen Existenz bzw. bestimmen die Art des zukünftigen Lebens. Mit diesen Ansichten geht Diodor somit weiter als Polybios, der zwar in der Analyse der Verfassungen von Stadtstaaten eine Methode sieht, um ihren zukünftigen Erfolg zu prognostizieren und ebenfalls eine didaktische Anleitung für politisch tätige Menschen verfassen will, aber nicht soweit geht zu konstatieren, dass sich daraus Erkenntnisse über zukünftige Entwicklungen ableiten lassen. Aus ethnographischer Sicht sind zeitgenössische und historische Vorstellungen der Seelenwanderung für Diodor gleichwohl von Interesse. Eine besondere Rolle spielt dabei die philosophische Lehre des Pythagoras, welche Diodor in mehreren Büchern seiner Bibliotheke erwähnt oder nacherzählt. So erwähnt Diodor in seinem ethnographischen Exkurs über die Gallier, dass diese den pythagoreischen Lehren zur unsterblichen Seele und zur Seelenwanderung anhängen.49 Stefan Schorn ist sicherlich darin Recht zu geben, dass Diodor keinesfalls der einzige Historiker seiner Zeit war, der sich intensiv für das Leben und die Lehre des Pythagoras interessierte, sondern dass er damit einer allgemeinen Tendenz ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. folgte.50 Denn die erste Hälfte des nur fragmentarisch erhaltenen Buchs zehn, welches sich ausführlich mit Pythagoras und seinen Schülern beschäftigt, beschließt eine weitere methodische Reflexion über den Wert der Geschichtsschreibung als Stellvertreterin der Bestrafungen und Belohnungen von Personen in ihrem Fortleben. Diese Reflexion ist mit den entsprechenden Überlegungen in der Einleitung praktisch identisch: „Schuldzuweisung ist eine Bestrafung für Schlechtigkeit, die ohne physische Bestrafung auskommt“, wie es hier etwa heißt.51 Allem Anschein nach dient das Leben des Pythagoras und seiner Schüler der positiven Belohnung durch die Geschichtsschreibung, denn daran schließt sich kontrastierend ein Katalog von Gräueltaten einzelner Tyrannen an, angefangen mit dem Exemplum des Perserkönigs Kambyses II. (529–522), der in der griechischen 48 Diod. 1,2,3: πάντες γὰρ ἄνθρωποι διὰ τὴν τῆς φύσεως ἀσθένειαν βιοῦσι μὲν ἀκαριαῖόν τι μέρος τοῦ παντὸς αἰῶνος, τετελευτήκασι δὲ πάντα τὸν ὕστερον χρόνον. 49 Diod. 5,28,6. Über diesen Glauben der Seelenwanderung bei den gallischen Druiden berichten auch Iulius Caesar, Bellum Gallicum 6,14 sowie Strab. 4,4,4, jedoch beide ohne Pythagoras namentlich zu erwähnen. Aufgrund der griechischen Kolonien in Südgallien könnte tatsächlich ein Bezug zu Pythagoras bestehen, ob dies nun dem Selbstverständnis der Druiden entsprach (die laut Caesar in öffentlichen Angelegenheiten griechische Buchstaben benutzten) oder eine interpretatio Graeca des Diodor ist. 50 Stefan Schorn, Pythagoras in the Historical Tradition: From Herodotus to Diodorus Siculus, in: Ders., Studien zur hellenistischen Biographie und Historiographie, Berlin 2018, 409–429 (Ndr. von Carl A. Huffman (Hrsg.), A History of Pythagoreanism, Cambridge 2014, 296–314), insbes. 428f. zu den Quellen des Diodor für die entsprechenden Passagen von Buch 10 (wohl unbekannte Quelle, die auf Aristoxenos beruht). 51 Diod. 10,12,1: ὁ δὲ ψόγος τιμωρία φαυλότητος ἄνευ πληγῆς.

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historiographischen Tradition seit Herodot, und ebenso bei Herodot, als „halbverrückt“ galt.52 Innerhalb dieses Tyrannenkataloges führt Diodor den Tyrannenmörder Aristogeiton, der 514 v. Chr. in Athen Teil einer Verschwörung gegen die Peisistratiden war, sowie den vorsokratischen Philosophen Zenon von Elea an, der sich ebenfalls verschworen hatte, und zwar gegen den dortigen Tyrannen Nearchos. Beide wurden als Folge gefoltert und haben, so Diodor, bewiesen, dass seelische Größe (parastasis tes psyches) bedeutender sei als physische Unversehrtheit.53 Allein dieser Kontext verdeutlicht bereits, dass die ausführliche Diskussion der Seelenlehre des Pythagoras den didaktischen Zweck hat, ein Fundament für die historiographische Diskussion um Jenseitsstrafen zu bieten, wobei das Leben des Pythagoras und seiner Schüler selbst als Exemplum für charakterliche Exzellenz dient. Die philosophischen Lehren des Pythagoras leiten sich bei Diodor logisch aus dem Axiom der Seelenwanderung ab. Pythagoras habe an die Seelenwanderung geglaubt und daher Vegetarismus gepredigt (schließlich könnten die Seelen von Menschen auch als Tiere wiedergeboren werden, außerdem verleitet Fleischverzehr die menschliche Seele zu Zorn und Trägheit).54 Wie van der Waerden außerdem gezeigt hat, ging diese Philosophie von einer ewigen Wiederkehr aus, und zwar nach Ablauf eines „großen Jahres“, wenn alle Planeten nach Vollendung ihrer Umläufe wieder an der gleichen Stelle des Himmels stehen. Die Pythagoreer glaubten somit auch an einen astrologischen Fatalismus, da sich der Gang des Schicksals aus dem Stand der Planeten ableiten ließe.55 Für historische Ereignisse gibt es also zumindest Analogien, da das Schicksal die gleiche Wendung nimmt. Die Seele, und zwar gerade die der Gerechten, hat in der pythagoreischen Philosophie außerdem nach ihrem Tod Anteil am Göttlichen.56 In Ausnahmesituationen können die Seelen der Menschen das Wissen von früheren Einkörperungen abrufen. So habe sich Pythagoras selbst laut Diodor noch an sein vergangenes Leben als Held des trojanischen Krieges erinnern können.57 Die pythagoreischen Lehren zielten daher insgesamt auf eine Besserung des Charakters, insbesondere auf das Vermeiden von Zorn und Wut, und somit auf die seelische Gesundheit.58 Diodor verinnerlicht diese Lehren insofern, als er auch in seiner Geschichtsschreibung eine Anleitung zur Vervollkommnung künftiger Charaktere sieht. So habe auch Pythagoras tyrannische Gemüter bewusst aus seinen Schülerkreisen ausgeschlossen.59 Die Fähigkeit, die Zukunft

52 Diod. 10,14,1: μανικός; Hdt. 3,89; Inge Hofmann, Anton Vorbichler, Das Kambysesbild bei Herodot, AfO 27 (1980), 86–105. 53 Diod. 10,17,2–18,6. 54 Diod. 10,6,1. Über die direkten Auswirkungen des Fleischverzehrs auf die Seele berichtet im 4. Jahrhundert v. Chr. der Historiker Theopompos von Chios (BNJ 115 F 57 = Athen. 4,46, 157d–e). 55 Van der Waerden (1979), 252–268. 56 Ebd., 116–123. 57 Diod. 10,6,1–3. 58 Diod. 10,7f.; 10,10; 10,11,2. 59 Diod. 10,11,1.

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voraussagen zu können, ergibt sich ebenfalls aus dem pythagoreischen Axiom der Seelenwanderung:60 Pythagoras von Samos und einige andere der alten Naturphilosophen haben dargelegt, dass die Seelen der Menschen eine unsterbliche Existenz haben und dass sie in Einklang mit dieser Lehre auch die Zukunft voraussehen können, und zwar in jenem Moment, wenn sie am Ende ihres Lebens sich von ihrem Körper trennen.

Diodor führt im Weiteren exempla an und verdeutlicht somit, dass dieses Vorauswissen gut in den Plan seiner Geschichtsschreibung passt. So habe bereits Achilles bei Homer und in neuerer Zeit Alexander der Große neben weiteren ungenannten Personen auf diese Weise die Zukunft zutreffend vorausgesagt.61 Das Buch 18, mit dem er die eigentliche Epoche des Hellenismus beginnen lässt, verfolgt sogar das Ziel zu zeigen, dass Alexander mit seiner Vorhersage eines Machtkampfes um seine Nachfolge richtig gelegen hat und sich somit auch die Schlussfolgerung des Pythagoras nachvollziehen lässt. 62 Gleichwohl wird dieses Wissen nur den Auserwählten zuteil, denn Diodor verurteilt andernorts einen namentlich nicht genannten Sklaven des Antigonos von Enna, einen der Initiatoren im ersten sizilischen Sklavenkrieg (135–132), als „Magier und Wundertäter“, der vorgab, im Traum von den Göttern die Zukunft zu erfahren.63 In der antiken Tradition galt Pythagoras, anders als bei Diodor, selbst nicht selten als Zauberer.64 Diodor lag also an einer klaren Unterscheidung zwischen vorgegaukelter Scharlatanerie und tatsächlicher Fähigkeit, die Wege des Schicksals vorherzubestimmen, zumal er seinem eigenen Geschichtswerk eine entsprechende Funktion zusprach. Sofern Diodor auktorial über Religion und Ehrfurcht vor den Göttern berichtet, rückt er daher das Nachleben der Menschen in den Vordergrund und sieht darin den Grund für die Verehrung der Götter. In Buch acht geht Diodor deutlich über seine Bemerkungen zum Nachleben der Seele des Menschen in der Einleitung hinaus und sieht dieses als beinahe axiomatisch an.65 Jedoch verweist er im gleichen Kontext agnostisch auch darauf, dass eine absolute Kenntnis des Göttlichen nur auf Glauben beruhen kann:66 Was für eine Art von Eifer müssen wir gegenüber den Göttern an den Tag legen, die sich den religiös pflichtbewussten Menschen nicht nur in diesem Leben gnädig erweisen, sondern auch nach dem Tod und die, wenn man den Mysterien glauben muss, ihren Lebensweg mit angenehmem Nachruhm für die gesamte Ewigkeit vorbereiten? 60 Diod. 18,1,1: Πυθαγόρας ὁ Σάμιος καί τινες ἕτεροι τῶν παλαιῶν φυσικῶν ἀπεφήναντο τὰς ψυχὰς τῶν ἀνθρώπων ὑπάρχειν ἀθανάτους, ἀκολούθως δὲ τῷ δόγματι τούτῳ καὶ προγινώσκειν αὐτὰς τὰ μέλλοντα καθ’ ὃν ἂν καιρὸν ἐν τῇ τελευτῇ τὸν ἀπὸ τοῦ σώματος χωρισμὸν ποιῶνται. 61 Diod. 18,1,2–5. 62 Diod. 18,1,6. 63 Diod. 34/35,2,5 Walton = 34,2 Goukowsky: μάγος καὶ τερατουργὸς. 64 Über antike Traditionen zu Pythagoras: Riedweg (2017), bes. 21–23 zu den magischen Ursprüngen des Pythagoras. 65 Besonders in Diod. 8,15,1. 66 Diod. 8,15,3: ποίαν χρὴ πρὸς αὐτοὺς ποιεῖσθαι τοὺς θεοὺς σπουδήν, οἳ οὐ μόνον τοὺς εὐσεβεῖς ἐν τῷ ζῆν εὖ ποιοῦσιν, ἀλλὰ καὶ μετὰ τὸν θάνατον * εἰ δὲ καὶ ταῖς τελεταῖς δεῖ ἀγωγὴν μετ’ εὐφημίας ἡδείας εἰς ἅπαντα τὸν αἰῶνα παρασκευάζουσιν;

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Das angesprochene Nachleben der Seelen der Menschen besteht also hauptsächlich wieder im Nachruhm, für den die Geschichtsschreibung einen entscheidenden Beitrag leistet. Wie kurz zuvor gezeigt, stand Diodor der Möglichkeit von Strafen im Jenseits skeptisch gegenüber, die Reputation eines Menschen auch nach seinem Tod war dagegen real. Nichtsdestotrotz hält Diodor im Kontext religiöses Pflichtbewusstsein für eine der wichtigsten Institutionen im menschlichen Zusammenleben. Ein Eingreifen der Götter in die Welt der Menschen durch Belohnung und Bestrafung sei schon zu Lebzeiten der Menschen zu beobachten. Daher erklären sich auch die Diskurse um den Untergang und besonders den Tod von Tyrannen, etwa im bereits angesprochenen Buch zehn, die im Kontrast zu dem Leben des Pythagoras stehen. Diese Diskurse werden in Kapitel zwei genauer untersucht. Wie Polybios sieht dabei auch Diodor die gleichen providentiellen Mechanismen im Leben des Menschen wie in der Existenz von Staaten hervortreten, wodurch sich wiederum Aussagen für die Zukunft treffen lassen:67 Da religiöse Pflichterfüllung schon für Privatpersonen die Voraussetzung ist, um glücklich zu sein, um wie viel mehr ist sie für Staaten angemessen. Denn diese sind der Unsterblichkeit näher und besitzen deswegen eine Natur, die mit den Göttern enger verwandt ist, existieren eine lange Zeit und können somit auch die Vergütung erwarten, die sie verdient haben, nämlich politische Vorherrschaft für religiöse Pflichterfüllung und Bestrafung für nachlässiges Verhalten gegenüber den Göttern.

Der unmittelbare Kontext dieser Überlegungen zum göttlichen Wirken in der Geschichte ist bezeichnenderweise das (hier nur fragmentarisch überlieferte) Leben des zweiten römischen Königs Numa Pompilius.68 Diodor erklärt also indirekt den Aufstieg des Römischen Reiches zur Ordnungsmacht durch die römische Religion. Als griechischsprachiger Autor bringt er diese religiöse Pflichterfüllung an gleicher Stelle wiederum in Zusammenhang mit pythagoreischer Philosophie (also dem Dogma der Seelenwanderung), denn Numa sei von Pythagoras selbst unterrichtet worden. Michel Humm ist sicherlich recht zu geben, dass dieser Identifizierung eine längere mündliche Tradition zugrunde lag und sie möglicherweise auf eine Hellenisierung der römischen Oberschicht im vierten oder dritten Jahrhundert v. Chr. zurückgeht.69 Cicero, der als erste vorliegende schriftliche Quelle darüber berichtet, sah in dieser Identifizierung den Versuch, die Eigenständigkeit der römischen Verfassung zu bezweifeln.70 Diodor stimmt aber mit Cicero (ebenso mit Polybios, auf den sich Cicero im Kontext beruft) darin überein, dass sich aus der ursprünglichen Einrichtung eines Stadtstaates dessen zukünftige Erfolge prognostizieren lassen.

67 Diod. 8,15,5: Ὅτι ζηλωτῆς οὔσης τοῖς ἰδιώταις, πολὺ μᾶλλον οἰκείαν εἶναι ταῖς πόλεσι· τῆς τε γὰρ ἀθανασίας ἐγγύτερον οὖσαι προσῳκειωμένην τοῖς θεοῖς τὴν φύσιν ἔχουσι καὶ πολὺν χρόνον διαμένουσαι προσδοκῶσι τὴν ὀφειλομένην ἀμοιβήν, τῆς μὲν εὐσεβείας τὴν ἡγεμονίαν, τῆς δὲ εἰς τὸ θεῖον ὀλιγωρίας τὴν τιμωρίαν. 68 Diod. 8,14. 69 Michel Humm, Numa and Pythagoras: The Life and Death of a Myth, in: James H. Richardson, Federico Santangelo (Hrsg.), The Roman Historical Tradition: Regal and Republican Rome, Oxford 2014, 35–51. 70 Cic., rep. 2,28f.

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Die Inklusion der griechischen Mythen in die Universalgeschichte liest sich daher stellenweise als Rechtfertigung der von Diodor postulierten Wiederkehr der immer gleichen Prinzipien in der Geschichte. In Buch fünf, welches die griechische Frühgeschichte behandelt, überliefert Diodor den Mythos von Zeus, der „die Gottlosen und Bösen unter den Menschen vollständig ausgelöscht“ habe. 71 Aus diesem Grund sei Zeus gleich einem Schöpfergott als „Ursache des Lebens“ zu verehren und „diese Ansichten sollen in den Seelen derer, die Wohltaten von ihm empfangen haben, entstehen“, so dass er auch mit besonderen Opferungen zu verehren sei.72 Die Zeus-Verehrer sind also Auserwählte und nach der oben skizzierten Geschichtstheologie ist die angemessene Verehrung ein Garant für individuelles und staatliches Wohlergehen, da sie das Böse aus der Welt verbannt. Zu diesen Taten des Zeus zählt dabei auch die Bestrafung des Asklepios, des Erfinders der Medizin, denn dieser habe die Menschen dem personifizierten Hades entrissen.73 Der Einleitung zufolge, in welcher er die Existenz des Hades als eines transzendenten Ortes bezweifelt, erkennt Diodor auch in diesem Mythos eine Allegorie, die zur moralischen Erbauung beitragen soll. Wiederum wird die griechische Kultur als auserwählte vorgestellt, denn die Kunst des Asklepios und seiner Nachfahren habe sich zuerst unter den Griechen verbreitet.74 Die für sein Geschichtswerk zentrale pythagoreische Seelenlehre führt Diodor auf das alte Ägypten zurück.75 Die Überlieferung, dass Pythagoras während seiner Ausbildung den Orient, vor allem die ägyptische Hochkultur, besucht und dabei zahllose Anregungen für seine Lehre empfangen habe, war in der Antike verbreitet. Besonders im Hellenismus war es den griechischen Autoren ein Anliegen, die griechische und ägyptische Kultur als Einheit zu begreifen. Die wohl falsche Herleitung der pythagoreischen Seelenwanderung und Wiedergeburtslehre beruht dabei auf dem Ägyptenbuch des Herodot.76 Auch die oben angesprochene Funktion der Geschichtsschreibung als Richterin über das Leben der Menschen in der Vergangenheit und Anleitung für charakterliche Exzellenz in der Gegenwart sieht Diodor letztlich in dem ägyptischen Ritus der Einbalsamierung begründet. Dieser wiederum erfülle die gleiche Funktion wie der griechische Mythos, wie im Folgenden im Kontext der Ahnenverehrung diskutiert wird:77 71 Diod. 5,71,6: ἄρδην ἐξ ἀνθρώπων ἀφανίσαι τοὺς ἀσεβεῖς καὶ πονηρούς. 72 Diod. 5,72,2: αἴτιον εἶναι τοῦ ζῆν; 5,72,1: ἐγγενέσθαι δόξας δικαίους ἐν ταῖς τῶν εὖ πεπονθότων ψυχαῖς. 73 Diod. 4,71,1–3. 74 Diod. 4,71,4–5. 75 Diod. 1,98,2. 76 Zu den weiteren literarischen Traditionen um die Orientreisen des Pythagoras siehe Riedweg (2017), 20f., 76–79 insbes. zu Hdt. 2,81; 2,123,3 und 4,95f. 77 Diod. 1,93,3f.: οἱ μὲν γὰρ Ἕλληνες μύθοις πεπλασμένοις καὶ φήμαις διαβεβλημέναις τὴν περὶ τούτων πίστιν παρέδωκαν, τήν τε τῶν εὐσεβῶν τιμὴν καὶ τὴν τῶν πονηρῶν τιμωρίαν· τοιγαροῦν οὐχ οἷον ἰσχῦσαι δύναται ταῦτα προτρέψασθαι τοὺς ἀνθρώπους ἐπὶ τὸν ἄριστον βίον, ἀλλὰ τοὐναντίον ὑπὸ τῶν φαύλων χλευαζόμενα πολλῆς καταφρονήσεως τυγχάνουσι· παρὰ δὲ τοῖς Αἰγυπτίοις οὐ μυθώδους, ἀλλ’ ὁρατῆς τοῖς μὲν πονηροῖς τῆς κολάσεως, τοῖς δ’ ἀγαθοῖς τῆς τιμῆς οὔσης, καθ’ ἑκάστην ἡμέραν ἀμφότεροι τῶν ἑαυτοῖς προσηκόντων ὑπομιμνήσκονται, καὶ διὰ τούτου τοῦ τρόπου ἡ μεγίστη καὶ συμφορωτάτη διόρθωσις γίνεται

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1 Der Historiker als Arzt oder Verderber der Seele Denn die Griechen haben in fingierten Mythen und diskreditierten Gerüchten ihren Glauben in diesen Angelegenheiten überliefert, nämlich entweder als Ehrung von Personen, die in religiöser Pflichterfüllung gelebt haben, oder als Bestrafung der Bösen. Deswegen können diese Erzählungen nicht nur keinen Beitrag dazu leisten, die Menschen zu einem exzellenten Lebenswandel anzuspornen, sondern sind im Gegenteil großer Verachtung ausgesetzt, da sie von schlechten Menschen verhöhnt werden. Doch weil bei den Ägyptern die Strafe für die Bösen und die Ehrung der moralisch Guten nicht dem legendären, sondern dem sichtbaren Bereich angehört, werden beide Personenkreise jeden Tag daran erinnert, was ihnen jeweils zusteht und aufgrund dieses Brauchs kommt die größte und nützlichste Besserung der Charaktereigenschaften zustande. Als beste Gesetze, so glaube ich, muss man nicht diejenigen ansehen, welche die Menschen reich werden lassen, sondern diejenigen, durch welche sie besonders fähig in ihren Charaktereigenschaften werden und besonders geeignet für staatliches Zusammenleben.

Der Bezug zwischen seelischen Eigenschaften, Erinnerungskultur als Richtschnur für das Nachleben und der Gesetzgebung entspricht dabei genau den Traditionen, welche die griechischen Stadtstaaten von Ägypten übernommen haben sollen. Ägyptische Bräuche hätten auf Lykurgos, Platon und Solon gewirkt und damit die Gesetzgebung in den griechischen Stadtstaaten beeinflusst, Pythagoras habe religiöse Bräuche, Geometrie, Zahlenlehre und die Lehre der Seelenwanderung von dort übernommen.78 Auch die Heilkunst, in der griechischen Welt zuerst vertreten durch Asklepios, führt Diodor im Ursprung auf die ägyptische Göttin Isis zurück, die er somit als historische Person versteht.79 Diodor spielt in seinem oben zitierten Vergleich von ägyptischer Ahnenverehrung und griechischen Mythen auf die zeitgenössische rationale Mythenkritik an, waren doch diese Überlieferungen von physischen Unmöglichkeiten geprägt, die schon ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. als solche wahrgenommen wurden und unter dem Einfluss der im 5. Jahrhundert aufkommenden Sophistik bedeutender wurden.80 Diodor grenzt seine eigene Geschichtsschreibung, welche als Universalgeschichte auch den Mythos mit einschließt, davon ab, vor allem deshalb, weil es sein Anliegen ist, das durch historische Überlieferung gesicherte Wissen zusammenzufassen, damit dieses, wie die ägyptische Ahnenverehrung, für die griechische Poliskultur einen Nutzen hat. Diodor unterzieht daher auch selbst den Mythos einer rationalen Kritik. Denn die Unterwelt, der Hades, wie ihn der mythische Sänger Orpheus zuerst verkündet hatte, sei nichts anders als eine griechische Adaption der ägyptischen Ahnenverehrung, so Diodor weiter.81 Die angeblichen postmortalen Bestrafungen der Seelen im Hades, die Diodor bereits in der Einleitung angesprochen hatte und die er hier noch einmal deutlich als „erfundene Einbildungen“ bezeichnet, seien nichts anderes als ägyptische Riten, also das Zurschaustellen von einbalsamierten Verstorbenen.82 Diodor unterzieht die Mythen also bereits einer euhemeristischen Kritik, indem er

78 79 80 81 82

τῶν ἠθῶν. κρατίστους δ’, οἶμαι, τῶν νόμων ἡγητέον οὐκ ἐξ ὧν εὐπορωτάτους, ἀλλ’ ἐξ ὧν ἐπιεικεστάτους τοῖς ἤθεσι καὶ πολιτικωτάτους συμβήσεται γενέσθαι τοὺς ἀνθρώπους. Diod. 1,98,1f. Diod. 1,25. Siehe dazu Hans-Joachim Gehrke, Geschichte als Element antiker Kultur. Die Griechen und ihre Geschichte(n), Berlin 2014, 104f. und 114f. Diod. 1,96,4. Diod. 1,96,5: εἰδωλοποιίας ἀναπεπλασμένας.

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wie Euhemeros, der frühhellenistische Namensgeber dieser Tradition, in den Göttern und Heroen der Frühzeit Menschen sieht, die als Lohn für ihre Verdienste göttlich verehrt wurden. Auch die späteren christlichen Autoren haben darauf aufgebaut, um die griechisch-römische Götterwelt als Irrglauben zu diskreditieren.83 Der Bezug zwischen dem Hades und dem diesseitigen Nachruhm verstorbener Personen wird besonders an den mythologisch beschriebenen Pforten des Hades deutlich: „Dort sind auch die anderen Pforten der Wahrheit und neben diesen steht das kopflose Standbild der Gerechtigkeit“.84 Diodor gibt somit dem in seiner Zeit viel kritisierten Mythos einen allegorischen Sinn, dass sich nämlich anhand der Beurteilung der Lebensleistungen von Personen durch die Nachwelt bereits deren Belohnung und Bestrafung vollzieht. Zusammen mit dem Einfluss der Providenz auf die Seelen der Menschen stellen sich für Diodor die kosmogonischen Fragen nach der Bedeutung der Providenz auf das Universum, dessen Ursprung, Beschaffenheit und zukünftigen Bestand. Diodor stützt sich dabei ebenfalls zu Beginn seines Werkes zunächst auf die gängigen Theorien seiner Zeit. Demnach sei die Welt zusammen mit der Menschheit entweder ohne zeitlichen Beginn und daher auch ohne zeitliches Ende oder es gebe einen Ursprung sowohl der Welt als auch der Menschheit und damit auch ein zeitliches Ende von beidem.85 Mit dem ersten Modell meint Diodor Aristoteles und die frühen Peripatetiker, mit dem zweiten den Stoizismus, vor allem die Lehre des Poseidonios, an den sich Diodor auch in der Einleitung möglicherweise eng anlehnte, um seine Geschichtstheologie vorzustellen. 86 Die stoische Theorie eines Beginns der Menschheit ist mit dem universalhistorischen Ziel, die Anfänge der Welt bis zur Gegenwart darzustellen, zu vereinbaren und wird damit im Folgenden als Ausgangspunkt genommen. Die stoische Theorie einer ewigen Wiederkehr steht außerdem im Einklang mit den eingangs geäußerten Annahmen zur göttlichen Providenz und Voraussehbarkeit menschlicher Entscheidungen. So lässt Diodor seine Darstellung der ägyptischen Frühgeschichte mit der Annahme eines festen Anfangs der Menschheit beginnen.87 Diese gehört allerdings selbst zu dem auch von ihm selbst in Zweifel gezogenen Mythos. Sein geschichtstheologischer Ansatz, wie er in der

83 Neuere Studie zu diesem Thema und seiner christlichen Rezeption sind William Adler, From Adam to Abraham: Malalas and Euhemeristic Historiography, in: Laura Carrara, Mischa Meier, Christine Radtki-Jansen (Hrsg.), Die Weltchronik des Johannes Malalas. Quellenfragen, Stuttgart 2017, 27–47 sowie Nickolas P. Roubekas, An Ancient Theory of Religion: Euhemerism from Antiquity to the Present, London 2017, bes. 115–138. Zum Euhemerismus in der antiken Tradition siehe auch Marek Winiarczyk, Euhemeros von Messene. Leben, Werk und Nachwirkung, München 2002, bes. 136–167. 84 Diod. 1,96,9: ὑπάρχειν δὲ καὶ ἄλλας πύλας Ἀληθείας, καὶ πλησίον τούτων εἴδωλον ἀκέφαλον ἑστάναι Δίκης. 85 Diod. 1,6,3. 86 Aristot., met. 11, 1072a 23–1075b 33. Siehe François Chamoux, Pierre Bertrac, Yvonne Vernière (Hrsg.), Diodore de Sicile. Bibliothèque historique, Bd. 1, Paris 1993, 35 ad locum. Zu den Stoikern Walter Spoerri, Späthellenistische Berichte über Welt, Kultur und Götter, Basel 1959. 87 Diod. 1,10f.

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Einleitung formuliert ist, ist daher besser mit der astrologischen Lehre der Chaldäer zu vereinbaren:88 Die Chaldäer sagen daher, dass die Natur der Welt ewig ist und weder eine anfängliche Schöpfung hat noch in Zukunft eine Vernichtung erleiden wird. Sie sagen auch, dass die Position und geordnete Gestaltung des Universums durch eine göttliche Vorsehung entstanden sind und dass jedes einzelne Ereignis im Himmel weder zufällig noch aus sich selbst heraus, sondern nach dem festgesetzten und wahrhaft begründeten Urteil der Götter ausgeführt wird.

Diodor stimmt mit späteren römischen Autoren darin überein, dass die Ursprünge der Astrologie auf die Chaldäer, eine Priesterkaste aus Babylon, zurückgehen.89 Darüber hinaus schreibt er eine sehr alte astrologische Tradition den Ägyptern zu, die sich auch durch archäologische Funde belegen, jedoch nicht genau datieren lässt.90 Diodor geht es dabei aber nicht um eine rein antiquarische Nacherzählung des damaligen Kenntnisstandes zu den Chaldäern, sondern im Gegenteil nimmt er mit seinem Exkurs Bezug auf hellenistische philosophische Systeme. Das hier verworfene Konzept des Zufalls (tyche) als Weltenlenker wird dabei von verschiedenen Schulen unterschiedlich bewertet. Bei den Stoikern rückt – trotz ihrer grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Kontingenz (Zufall) und Determinismus – die Tyche in die Nähe zur Providenz selbst und wird auch von Polybios in diesem Sinne verwendet, wie Brouwer zu Recht gezeigt hat.91 Diodor grenzt sich hier also nicht von den Stoikern, sondern von den Peripatetikern ab, denn es ist gerade die Providenz, die er der Tyche entgegenstellt. Bei Aristoteles und seiner peripatetischen Schule ist Tyche ein Ordnungsprinzip seit der Entstehung der Welt.92 Die Vorstellung, dass sich das Universum „aus sich selbst heraus“ (automaton), also nach Naturgesetzen bewegt und aus dem Zusammenstoß der Atome entstanden ist, ist der epikureischen Philosophie und dem mit ihr verwandten Atomismus des Demokritos zuzuordnen. Der Zufall ist im Atomismus also bereits für die Entstehung der Welt selbst verantwortlich. Dieses wertvolle, da frühe Zeugnis zu den Chaldäern ist Teil seiner Darstellung der Ursprünge Mesopotamiens, doch steht es im unmittelbaren Kontext des Vergleiches dieses alten Wissens mit den griechischen Philosophenschulen.93 Dieser Vergleich zeigt, dass Diodor in seinen Ausführungen zu den Chaldäern kritisch Bezug nimmt auf die Uneinigkeit der Philosophenschulen und dieses alte überlieferte Wissen der Chaldäer positiv davon absetzt. 88 Diod. 2,30,1: οἱ δ’ οὖν Χαλδαῖοι τὴν μὲν τοῦ κόσμου φύσιν ἀίδιόν φασιν εἶναι καὶ μήτε ἐξ ἀρχῆς γένεσιν ἐσχηκέναι μήθ’ ὕστερον φθορὰν ἐπιδέξεσθαι, τὴν δὲ τῶν ὅλων τάξιν τε καὶ διακόσμησιν θείᾳ τινὶ προνοίᾳ γεγονέναι, καὶ νῦν ἕκαστα τῶν ἐν οὐρανῷ γινομένων οὐχ ὡς ἔτυχεν οὐδ’ αὐτομάτως ἀλλ’ ὡρισμένῃ τινὶ καὶ βεβαίως κεκυρωμένῃ θεῶν κρίσει συντελεῖσθαι. 89 Weitere Autoren sind Cicero (div. 1,19; 2,46), und Plinius d.Ä. (nat. 7,193). 90 Diod. 1,81. Das älteste ägyptische Ostrakon mit astrologischem Inhalt stammt bereits aus der Zeit des Hellenismus: Otto Neugebauer, Demotic Horoscopes, Journal of the American Oriental Society 63 (1943), 115–127, hier 121. Es ist natürlich möglich, dass frühere Zeugnisse nicht erhalten sind. 91 Brouwer (2011), 111–132. 92 Siehe dazu John Dudley, Aristotle's Concept of Chance: Accidents, Cause, Necessity, and Determinism, Albany, NY 2012, 326–358. 93 Diod. 2,29,5f.

1.3 Plutarch und die Fragmente der griechischen Historiker

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Das philosophische System, das Diodor bevorzugt, ist also eklektisch. Sein eklektisches Verfahren hindert aber Diodor keinesfalls daran, eine eigenständige, philosophisch unterfütterte Geschichtstheologie zur Grundlage seiner Darstellung werden zu lassen. Wie auch bei Polybios ist die stoische Philosophie zentral, vor allem mit Bezug auf die göttliche Providenz und den historischen Determinismus. Daher erklärt sich die Sympathie, mit der Diodor über die traditionelle Astrologie berichtet, denn sein Geschichtswerk geht ebenfalls von einer Vorhersagbarkeit zukünftiger Ereignisse aus, sowohl im Leben des Einzelnen als auch bezogen auf staatliche Entwicklungen. Für die Funktion der göttlichen Providenz im Leben des Einzelnen wiederum ist bei Diodor die Seelenlehre fundamental, welche nicht im Stoizismus, sondern im Pythagoreismus gegründet ist. Alexander der Große und andere seien nur dadurch in der Lage gewesen, die Zukunft sicher vorauszusehen, dass sie im Augenblick des Übertritts der Seele vom Leben zum Tod sich ihres zukünftigen Lebens bewusst wurden. Diese Fähigkeit setzt eine vorherbestimmte Zukunft voraus. Die Frage nach der Freiheit des Willens, die sich deshalb stellt, weil eine fest determinierte Zukunft keine Handlungsmöglichkeiten erlaubt, beantwortet Diodor nicht direkt. Freiheit des Willens setzt er gleichwohl indirekt voraus, denn schließlich beruht darauf sein Konzept der postmortalen Beurteilung, Belohnung und Bestrafung. Gemäß den mythenkritischen Strömungen seiner Zeit sieht er Jenseitsvorstellungen, wie die des Hades als des Richtortes für die Seelen nach dem Tode, als Erfindungen der Vorzeit an. Diese hatten jedoch den gleichen Zweck wie die von Diodor selbst betriebene Geschichtsschreibung, nämlich schlechte Handlungen als solche zu überliefern und somit zur seelischen Bildung beizutragen. Dieses Verständnis der Aufgabe des Geschichtsschreibers setzt kein Fortleben der Seele voraus, folgt aber in seiner Logik der Seelenlehre des Pythagoras. Diodor steht einem Weiterleben der Seele wohl eher skeptisch gegenüber, insbesondere eine Bestrafung im Jenseits (dem Hades) lehnt er als Mythos ab. Er schließt die pythagoreische Seelenwanderung nicht aus, verfolgt aber selbst einen rationalistischen Ansatz, indem er das Konzept der Jenseitsbestrafung als didaktische Analogie zur Geschichtsschreibung verwendet. Er zeigt sich dabei vermutlich offen für die verschiedenen Weltanschauungen seiner Zeit, um einen möglichst breiten Kreis von Rezipienten anzusprechen, insbesondere auch solche Personen, die dem Mythos kritisch gegenüberstanden. Im Anschluss soll daher erörtert werden, wie sich insbesondere die pythagoreische Philosophie und ihre Vorstellungen zur Seele des Menschen in den weiteren, nur fragmentarisch überlieferten Geschichtswerken des Hellenismus widerspiegeln. 1.3 PLUTARCH UND DIE FRAGMENTE DER GRIECHISCHEN HISTORIKER Während von Polybios und Diodor jeweils nur ein Werk und selbst dieses nur in Auszügen direkt überliefert ist, da der Inhalt ganzer Bücher nur durch byzantinische Exzerptsammlungen bekannt ist, stellt sich die Überlieferungssituation des ursprünglich reichen Bestandes weiterer hellenistischer Historiker noch weitaus

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ungünstiger dar. Die hellenistische Geschichtsschreibung ist lediglich als Trümmerfeld überliefert. Aus dem Gesamtbestand der namentlich bekannten griechischen Geschichtsschreibung ist vielleicht nur 2% auf uns gekommen.94 Für die hellenistischen Autoren stellt sich das Zahlenverhältnis noch ungünstiger dar. Carl Schneider schätzt die Anzahl namentlich bekannter Historiker aus der Zeit des Hellenismus auf etwa 600.95 Es ist natürlich möglich, dass viele weitere Autoren uns ganz unbekannt bleiben. Dieser ursprüngliche Bestand ist lediglich aus den Fragmenten der insgesamt 856 Historiker bekannt, die ihre Werke in griechischer Sprache verfasst haben und die in dieser Form von Felix Jacoby zusammengestellt wurden. Diese Fragmentsammlung wird derzeit in überarbeiteter Form und mit Übersetzungen versehen durch eine Vielzahl von Autoren im Rahmen der elektronischen Datenbank Brill’s New Jacoby neu herausgegeben, wobei es sich überwiegend um die gleichen Fragmente handelt. Nicht alle diese Historiker sind in die Epoche des Hellenismus zu datieren, und in vielen Fällen ist die Datierung unsicher oder allenfalls sehr grob über Anfangs- oder Endpunkte definiert, insbesondere bei den Anonymi, etwa bei angenommenen Regionalgeschichten. Hinzu kommt eine Reihe von Einträgen bei Pseudo-Plutarch, die wahrscheinlich erfunden sind, wobei sich nicht beweisen lässt, dass es diese Autoren nicht gab. Dennoch bilden die hellenistischen Autoren, möglicherweise neben solchen aus der Kaiserzeit, wahrscheinlich das Gros der insgesamt 856 Historiker. Bei den Fragmenten handelt es sich meist um kurze Erwähnungen, Zusammenfassungen einzelner Sachverhalte, selten um wörtliche Wiedergaben durch spätere Autoren. Vor allem kaiserzeitliche und spätantike Autoren jeder Richtung hatten noch direkt oder indirekt Zugang zu den heute verlorenen Werken aus dem Hellenismus und zitieren daraus oder erwähnen sie oder deren Verfasser. Damit ein einheitliches Bild über die weitere Verbreitung von Ideen, Vorstellungen und Konzepten zur menschlichen Seele zu zeichnen, ist naturgemäß nicht möglich. Es bestätigen sich gleichwohl einige Tendenzen, die bei Polybios und Diodor deutlich geworden sind, insbesondere zum Fortleben der Seele, das sich wiederum teilweise mit Vorstellungen von psychischer Gesundheit und Seelenpflege verband. Philosophische Abhandlungen zur Seele des Menschen sind aus dem Hellenismus ebenfalls nicht direkt überliefert, eine besondere Rolle spielen daher die philosophischen Abhandlungen des Plutarch (ca. 45– vor 125 n. Chr.), der zwar ebenfalls selbst bereits in die Kaiserzeit gehört, aber früher tätig war als Galen und der vor allem ältere Autoren durch schriftliche oder mündliche Überlieferung im Rahmen seiner Ausbildung noch gut kannte. Die wichtigsten Aussagen des Plutarch zur Seele des Menschen sollen in dieser Sektion daher ebenfalls vorgestellt werden. Diese heute verlorenen Historiker des Hellenismus haben sich nachweislich monographisch mit philosophischen Fragen zur Seele des Menschen beschäftigt. 94 Strasburger (1977), 3–52; John Marincola, Introduction, in: Ders. (Hrsg.), A Companion to Greek and Roman Historiography, Oxford 2007, 1–9; Anthony Kaldellis, The Byzantine Role in the Making of the Corpus of Classical Greek Historiography: A Preliminary Investigation, JHS 132 (2012), 71–85, hier 72. 95 Carl Schneider, Kulturgeschichte des Hellenismus, Bd. 2, München 1969, 439.

1.3 Plutarch und die Fragmente der griechischen Historiker

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So ist Herakleides von Pontos, ein Autor historischer Werke, der im 2. Jahrhundert v. Chr. im ägyptischen Oxyrhynchos und in Alexandria wirkte, als Autor eines Traktats zur Seele belegt.96 Ausweislich eines längeren Zitats behandelte auch Alkimos, ein Rhetoriklehrer und Historiker aus dem 4. oder 3. Jahrhundert v. Chr., philosophische Fragen zur Seele in seiner Schrift Pros Amyntan.97 Außerdem ist eine „die Seele zur Liebeslust anreizende Veröffentlichung“ des Philippos von Amphipolis belegt, der laut der Suda als Historiker bekannt war, wobei sich seine Lebensdaten lediglich aufgrund der frühesten Erwähnung auf die Zeit vor dem späten vierten nachchristlichen Jahrhundert eingrenzen lassen und der Beschreibung nach diese Schrift weniger philosophische Fragen zur Seele als vielmehr erotische Themen behandelte.98 Zudem verfasste Aristoteles ein heute noch erhaltenes Traktat über die Seele anlässlich des Todes von Eudemos von Zypern, der selbst Offizier und platonischer Philosoph war und Dion von Syrakus gegen den Tyrannen Dionysios II. unterstützt hatte.99 Wenn auch nicht quantifizierbar, so lässt sich doch ein Interesse von Historikern der griechischen Welt insbesondere der hellenistischen Zeit (einschließlich der westgriechischen Gründungen etwa in Unteritalien und auf Sizilien, wo auch Diodor beheimatet war) an philosophischen Betrachtungen zur Seele konstatieren. Nicht nur Philosophen interessierten sich für diese Fragen. Besonderes Interesse hatten griechische Historiker, deren Tätigkeit nachweislich in die Zeit des Hellenismus fällt, an den pythagoreischen Lehren zur Seele des Menschen. 100 Insbesondere führt der spätantike Neuplatoniker Iamblichos einen Katalog von Autoren auf, darunter dem frühhellenistischen Historiker Neanthes, neben namentlich genannten pythagoreischen und peripatetischen Philosophen, 96 BNJ 840 Anonym, über Rom und Italien F 23 = Plut., Camillus 22,2–5 = Heraclides Ponticus, frg. 28 (Voss, 54–55). Zu dem Datum siehe Gregory S. Bucher, Anonymous, On Rome and Italy (840), BNJ (2016, online abgerufen am 20. September 2021) . 97 BNJ 560 Alkimos F 6 = Diog. Laert. 2,114 Marcovich. Zur Datierung: David G. Smith, Alkimos (560), BNJ (2016, online abgerufen am 20. September 2021) . 98 BNJ 280 Philippos von Amphipolis T 2 (lectionibus animum ad delicias pertrahentibus) = Theodorus Priscianus, euporista 2,11 (Rose, 133). Zur Person: BNJ 280 T 1 = Suda, phi 351 Adler. 99 Plut., Dion 22,5. Als Testimonium eines griechischen Historikers wird es unter BNJ 561 T 1 (Timonides von Leukas) geführt, da Timonides ein griechischer Historiker ist, der dort erwähnt ist, allerdings mit dem Traktat des Aristoteles in keinem direkten Zusammenhang steht. Das Werk des Aristoteles ist kritisch ediert durch David Ross (Hrsg.), Aristotelis de anima, Oxford 1956. 100 Hierzu gehört auch BNJ 115 Theopompos von Chios F 343 = Pol. 16,12,7, der erwähnt, dass Menschen, welche das Heiligtum des Zeus in Arkadien betreten, keinen Schatten werfen, und damit wohl auf die pythagoreische Lehre der schattenlosen Seele von Verstorbenen anspielt (Plut., aetia Romana et Graeca 300a–d und de sera numinis vindicta 564d); BNJ 76 Duris von Samos F 22 = Diog. Laert. 1,119f.; BNJ 273 Alexandros Polyhistor F 93 = Diog. Laert. 8,24–36. Die Datierung folgt hier und weiter unten dem BNJ. Ein Grenzfall ist BNJ 88 Timagenes von Alexandria F 2 = Amm. 15,9,2–8, insbes. 15,9,8, der bereits in die augusteische Zeit gehört und eine Verbindung zwischen dem keltischen Druidentum und den Lehren des Pythagoras sieht.

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welche darüber berichten, dass die Seele des Pythagoras selbst mehrfach wiedergeboren wurde.101 Wie zuvor gezeigt, lässt sich ein ähnliches Interesse für Diodor, in geringerem Umfang auch für Polybios konstatieren. Die vorgenannten einschließlich der fragmentarischen Historiker standen dabei den Lehren des Pythagoras positiv gegenüber, Timaios von Tauromenion, gegen den sich Polybios öfters polemisch äußerte, sah in Pythagoras dagegen einen Wahnsinnigen. 102 Hekataios von Abdera, der zur Zeit Alexanders des Großen und seiner Nachfolger als Historiker tätig war, nannte außerdem die „Selbstgenügsamkeit“ als das Ziel der seelischen Bildung und rückt ausweislich des Testimoniums in die Nähe des atomistischen Philosophen Demokritos.103 Auffallend ist bei den relevanten Fragmenten der griechischen Historiker das Interesse an pythagoreischer und atomistischer Philosophie im Unterschied zu der platonischen Philosophie, die dann bei Plutarch dominiert. Die pythagoreische Seelenlehre war nicht die einzige, die bei hellenistischen Historikern diskutiert wurde. Apollodoros von Athen referierte ausführlich die Ansichten Homers zum Nachleben der Seele in der Unterwelt.104 Neben diese Darstellung griechischer Philosophenschulen und griechischer Texte treten ethnographische Exkurse zu Lehren von der Seele des Menschen oder solchen Darstellungen, die zumindest zunächst außerhalb des griechischen Kulturkreises entstanden sind. Die jeweiligen Vorstellungen zur Seele verbanden sich dabei mit kosmogonischen Lehrmeinungen. Besonders umfassend exzerpiert wurde das Werk des ägyptischen Priesters Manetho (wohl um die Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr.), der spätestens seit der frühen Kaiserzeit als legendär galt. Dabei zirkulierten verschiedene Schriften unter seinem Namen, die nicht authentisch sind.105 Diogenes Laertios, der wichtigste Gewährsmann für antike Philosophenschulen, die nicht durch Primärtexte erhalten sind, überliefert kosmogonische Ausführungen von Manetho zusammen mit denen des Hekataios von Abdera (4. Jh. v. Chr.), der ebenfalls ein philosophiegeschichtliches Werk über Ägypten verfasst hat.106 Das letztere Werk war dabei ausweislich des Diogenes Laertios die Grundlage für den bekannteren Text des Manetho. Die dort vertretene Position, Beginn und Endlichkeit des Kosmos, ist zusammen mit der Seelenwanderung eine ausgleichende Position zu den beiden bei Diodor diskutierten Ansätzen (s.o.), denn zu der providentiellen Geschichtsdeutung des Diodor passt am besten die Theorie eines unendlichen Universums, in dem die Bewegungen der Sterne genau wie die Handlungen der menschlichen Seelen voraussaugbar sind, die somit auch wiedergeboren werden. Bei Manetho heißt es dazu: „die Seele lebt weiter und betritt einen anderen Köper“. 107 Daraus geht der Ursprung der Seele nicht hervor.

101 102 103 104 105 106 107

BNJ 84 Neanthes F 33 = Iambl., Theologoumena arithmeticae (de Falco, 52). BNJ 566 F 16 = Athen. 4,56, 163e–f Olson: μανίας („Wahnsinn”). BNJ 264 T 3b = Clem. Al., strom. 2,130,4–5, insbes. 2,130,4: αὐτάρκειαν. BNJ 244 F 102c = Stob. 1,53 (Wachsmuth/Hense, 421–427). Christian Hornung: Manethon, RAC 24 (2012), 1–6. Felix Jacoby, Hekataios 4, RE 7.2 (1912), 2750–2769. BNJ 609 Manetho F 17 = Diog. Laert. 1,10f., insbes. 1,11: τὴν ψυχὴν καὶ ἐπιδιαμένειν καὶ μετεμβαίνειν.

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Ein Fragment des Megasthenes, überliefert bei Strabon, dem Geographen am Schnittpunkt von Hellenismus und früher römischer Kaiserzeit, berichtet über die Weltanschauungen und das Kastenwesen in Indien, wobei er einen Vergleich der Lehren der indischen Brahmanen mit denen der wegweisenden griechischen Philosophen zieht. Beide glaubten an die Schöpfung und Endlichkeit des Universums, einen in die Welt eingreifenden Gott, die Unsterblichkeit der Seele und die Existenz des mythischen Hades. Strabon macht also über eine interpretatio Graeca diese ethnographische Beschreibung für seine Leser verständlich und denkt dabei explizit an die platonische Philosophie.108 Im Anschluss zitiert Strabon den Alexanderhistoriker Onesikritos und dessen Vergleich der indischen Brahmanen mit pythagoreischen Philosophen.109 Zudem berichtet Tacitus, wohl unter Hinzuziehung eines älteren Textes, über jüdische Lehren zum Fortleben der Seele.110 Die oben erwähnten ethnographischen Exkurse von Polybios und Diodor zu Ansichten zur Seele sind also keine Ausnahmen, sondern anscheinend war das Interesse an diesen und den weiteren daran geknüpften Fragestellungen im Hellenismus verbreitet. Von besonderer Relevanz für das Verständnis hellenistischer Autoren über die Seele und ihrer Erkrankung sind außerdem die Schriften des Plutarch. In seinen erhaltenen kleineren Schriften, die zumeist philosophischer Natur sind und heute als Moralia zusammengefasst werden, behandelt Plutarch einige thematisch seelische Aspekte, wie Tugenden und Laster oder Leiden der Seele oder sonstige Eigenschaften der Seele des Menschen.111 Diese Schriften sind somit das ausführlichste 108 BNJ 715 Megasthenes F 33 = Strab. 15,1,58–60, insbes. 15,1,59. 109 BNJ 134 Onesikritos F 17a = Strab. 15,1,63–65, insbes. 15,1,65. 110 BNJ 737 Anonym, varia de Iudaeis F 21 = Tac., hist. 5,1,1–13,2, insbes. 5,5,3: „Sie glauben, dass die Seelen derer, die im Krieg oder unter Folter sterben, in die Ewigkeit eingehen.“ (animosque proelio aut suppliciis peremptorum aeternos putant). Die zugrundeliegende Quelle und ihre Datierung sind bei diesem Fragment unklar und nur durch die Entstehungszeit der Historien des Tacitus etwa im ersten Jahrzehnt des 2. Jahrhunderts n. Chr. als terminus ante quem begrenzt. 111 Die einschlägigen lateinischsprachigen Standardtitel der Editionen lauten: 5. De profectibus in virtute („Über die Fortschritte in der Tugend“, 75a–86a), 9. De virtute et vitio („Über Tugend und Laster“, 100b–101d), 17. Mulierum virtutes („Tugenden der Frauen“, 224e–263c), 21. De Alexandri Magni fortuna aut virtute or. I et II („1. und 2. Rede über Glück oder Tugend Alexanders des Großen“, 326d–345b), 27. An virtus doceri possit („Kann man Tugend lehren?“, 439a–440c), 28. De virtute morali („Über die moralische Tugend“, 440d–452d), 29. De cohibenda ira („Über die Mäßigung des Zorns“, 452e–464d), 30. De tranquillitate animi („Über Gemütsruhe“, 464e–477f), 33. An vitiositas ad infelicitatem sufficiat („Führt Lasterhaftigkeit bereits zum Unglück?“, 498a–500a), 34. Animine an corporis affectiones sint peiores („Sind die Leiden der Seele schlimmer als die des Körpers?“, 500b–502a), 37. De cupiditate divitiarum („Über die Geldgier“, 523c–528b), 39. De invidia et odio („Über Neid und Haß“, 536e–538e), 77. De libidine et aegritudine („Über Lust und Kummer“, Teubner 6/3,49) und 78. Parsne an facultas animi sit vita passiva („Ist die Empfindungsfähigkeit ein Teilbereich oder eine Fähigkeit des Gemütes?“, Teubner 6,3/60). Wegen der Trennung Plutarchs zwischen Seele und Verstand wurden Titel, die sich überwiegend auf Verstandestätigkeiten beziehen, nicht gelistet. Zu den Seelenteilen und Plutarchs eigener Interpretation der Weltseele siehe auch Matthias Baltes, Plutarchs Lehre von der Seele, in: Epinoemata. Kleine Schriften zur antiken Philosophie und homerischen Dichtung, hrsg. von Marie-Luise Lakmann, München 2005, 77–99 (= La dottrina dell'anima in Plutarco, Elenchos 21, 2000, 245–270).

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Zeugnis griechischsprachiger philosophischer Betrachtungen zur Seele in nachklassischer Zeit, sie kennen also die Philosophenschulen des Hellenismus noch aus dem Überlieferungsstand in der Antike. Thematisch behandeln die Moralia die Beschaffenheit der Seele und hierbei insbesondere ihre Abtrennung als Sitz des Gemüts von Körper und Verstand als den weiteren Teilen des Menschen; 112 die Einteilung der Seele in rationale und irrationale Elemente, die jeweils für Tugenden bzw. Laster zuständig sind und zu einem glücklichen bzw. unglücklichen Leben führen.113 Plutarch verteidigt dabei die Ansichten Platons zur Schöpfung, zur Beschaffenheit der Seele und zum Primat der Seele gegen die anderen Philosophenschulen. 114 Außerdem behandeln diese Abhandlungen die Krankheiten der Seele, also die Leidenschaften, die wie die seelischen Laster ein unglückliches Leben verursachen, aber durch die rationale Seite des Menschen, also durch den Verstand, unterdrückt werden können.115 Unter den Leidenschaften ist der Zorn besonders belastend für die Gesundheit der unsterblichen Seele und kann sich durch Trunkenheit sogar zum Wahnsinn steigern.116 Andere Beispiele für Leidenschaften sind Hass und Neid.117 Da die Seele unsterblich ist, ist ihre Pflege noch wichtiger als die des Körpers, für dessen Pflege Ärzte zuständig sind, für die Pflege der Seele dagegen Philosophen.118 Plutarch beschäftigt sich in einem Traktat aber auch mit der Frage, ob Alexander der Große durch seine Tugend oder durch das Schicksal zum Welteneroberer wurde. Plutarch folgt dabei einer alexanderfreundlichen Tradition, indem er die philosophische Ausbildung Alexanders hervorhebt, dessen Eroberungszüge als philosophische Tat beschreibt, welche dazu gedacht war, die Welt außerhalb Griechenlands zu domestizieren, und dessen Seele und seelische Eigenschaften positiv von den Seelen anderer Eroberer und Herrscher abhebt.119 Diese Abhandlung zeigt also, dass in der rhetorischen Tradition der Antike philosophische Fragen zur Seele mit historischen Bewertungen verknüpft wurden. Wie Kapitel zwei argumentieren wird, spielten vergleichbare Fragen bereits in den historischen Schriften des Hellenismus eine Rolle, also bereits in dem Bruchteil, der heute noch erhalten ist, und man wird somit davon ausgehen können, dass die Abhandlung Plutarchs über

112 Plut., de facie in orbe lunae 28–30 (943a–945e). Das Nachleben der Seele ist dabei spezifisch mit dem Mond assoziiert. Die Trennung zwischen Seele, Körper und Verstand war in der Antike natürlich nicht allgemein akzeptiert, so etwa von BNJ 137 Kleitarchos von Alexandria F 39 = Maximus Confessor, Eclogae, s.v. Κλειτάρχου; 2 (PG 91, 734B). 113 Plut., de virtute morali, passim (440d–452d) und An vitiositas ad infelicitatem sufficiat (498a–500a), inbes. 2 (498c–e). 114 Plut., de animae procreatione in Timaeo, passim (1012b–1030c). 115 Plut., de tranquillitate animi, passim (464e–477f) und De invidia et odio (536e–538e). 116 Plut., de cohibenda ira (452f–464d), insbes. 1–3 (452f–454e) und 6–16 (455e–464d). 117 Plut., de invidia et odio (536e–538e). 118 Plut., animine an corporis affectiones sint peiores, passim (500b–502a) und consolatio ad uxorem 6–10 (609e–611f). 119 Plut., de Alexandri magni fortuna aut virtute (326d–345b), insbes. 1,4–5 (327e–329a) zum Vergleich Alexanders mit Philosophen und 1,8–9 (329f–331c) zum Vergleich zwischen den Seelen Alexanders und anderer Herrscher.

1.3 Plutarch und die Fragmente der griechischen Historiker

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Alexander und sein Vergleich mit anderen Herrschern auf eine vorausgehende Jahrhunderte alte Tradition zurückblicken konnte. Zusammenfassend werden also verschiedene Ideen, Konzepte und Vorstellungen zur Seele und ihrem Fortleben in den Fragmenten der griechischen Historiker diskutiert. Doch ist die Seelenwanderung auch in diesen Texten dominierend und die Unsterblichkeit der Seele wird zumindest in dem erhaltenen Bestand in jedem Fall vorausgesetzt. Allerdings könnte es der Überlieferung geschuldet sein, dass die in späteren Jahrhunderten, vor allem bei christlichen Autoren, verhasste epikureische Ansicht der mit dem Tod des Körpers endenden Seele dort keine Rolle spielt. Die Schriften des Plutarch, der selbst als historischer Biograph tätig war, zeigen indes, dass die Leidenschaften in der Seele und ihre Therapie zu den zentralen einschlägigen Themen zählten. Die weiteren Kapitel, die wiederum im Schwerpunkt Polybios und Diodor als die erhaltenen Autoren der hellenistischen Geschichtsschreibung behandeln, werden bei passender Gelegenheit weitere Aspekte zur Seele des Menschen im Kontext der jeweils übergreifenden Fragestellung behandeln, da sich dieses Kapitel bewusst nur auf allgemeine und methodische Textabschnitte konzentrieren sollte.

KAPITEL ZWEI: DIE PSYCHOLOGIE VON HERRSCHERN BEI POLYBIOS Das vorausgehende Kapitel hatte dargelegt, dass Polybios seine Aufgabe als Geschichtsschreiber mit der eines Arztes verglich, der seine Mitmenschen zu heilen sucht, während die von ihm kritisierten Historiker durch Eigennutz and falsche Vorsätze angeblich ihren Mitmenschen schadeten. Dieses Kapitel soll zeigen, dass Polybios den von ihm verschiedentlich angeführten medizinischen Ansatz an seine Darstellung konkreter Handlungsträger, hellenistischer Könige, Herrscher und Tyrannen sowie römischer und auswärtiger Politiker, anlegt. Konkret ausgewählt werden Fallbeispiele von Personen, für deren psychologisches Charakterbild sich Polybios interessierte und das er darlegte: Philipp V. von Makedonien, Aratos von Sikyon, die Scipionen sowie die hierfür einschlägigen Tyrannen. Dieses Kapitel wird zeigen, dass für Polybios Berater, die er als undemokratische, oligarchische Elemente der griechischen und weiteren Staatenwelt verstand, häufig einen negativen Einfluss auf Könige sowie (als Erzieher) auf jugendliche Prinzen ausübten. Insbesondere letztere Deutung ist psychologisierend, es geht nicht so sehr um den schlechten Rat, welche diese Personen geben, als vielmehr um den längerfristigen seelischen Schaden, den sie verursachen (im Gegensatz zu Polybios, der als Berater der Scipionen und Historiker als Seelenheiler wirkt). Dieser seelische Schaden hat dann teilweise unmittelbare Auswirkungen auf das weitere Gemeinwesen, das in seiner Gesamtheit dem Wahnsinn verfällt. In seinen Charakterbildern nimmt Polybios häufig außerdem eine Zweiteilung vor, die sowohl diachron als auch synchron eintreten kann. Das positive Idealbild entspricht dabei dem stoischen Weisen und der Freiheit von Affekten. Die Scipionen (der jüngere und ältere Scipio) nehmen aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung für die römische Expansion sowie aufgrund des Umstandes, dass Polybios ihnen als Berater und Erzieher dient, eine Sonderrolle ein, die sich in mantischen Träumen und ihrer Hinwendung zur Philosophie niederschlägt. Ihre von Polybios mit kritischem Abstand erwähnte Interaktion mit dem Göttlichen gab Cicero in der Rezeption des sogenannten Scipionenkreises den Anlass, sie aus dem Kreislauf der Seelenwanderung befreit in die göttliche Sphäre der Milchstraße zu versetzen. Die sekundäre Rezeption (des Somnium Scipionis Ciceros) durch Macrobius gibt aus neuplatonischer Perspektive Aufschlüsse darüber, wie die mantischen Träume der Scipionen mit ihren seelischen Eigenschaften zusammenhängen. Polybios steht solchen Ansätzen zwar kritisch gegenüber, seine Auseinandersetzungen mit den Wahnträumen seines Rivalen Timaios zeigt aber, dass er sich mit diesen Vorstellungen auseinandersetzte, die von anderen Historikern wiederum so zusammengefasst wurden, dass die sichtbare Welt durch die Seelen von Verstorbenen bevölkert wird, die zuständig sind für falsche und wahre Träume, für Krankheit und Gesundheit der Menschen. Diese Vorstellungen werfen wiederum ein Schlaglicht

2.1 Philipp V. von Makedonien

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darauf, wie Gelehrte dieser Zeit den Aufstieg Roms erklärten. Das Gegenbild dazu geben die Tyrannen der hellenistischen Welt ab. An ihnen zeigt sich die Providenz, die generationenübergreifend seelische Eigenschaften und Strafen determiniert, die sich als Wahnsinn auf das weitere Gemeinwesen übertragen und dessen Niedergang verursachen. Auch diese dem Wahnsinn zuneigenden Emotionen und Charaktereigenschaften zeugen teilweise von dem schlechten Einfluss der jeweiligen Berater, beispielsweise im Fall des karthagischen Feldherrn Hannibal, welcher laut Polybios eigentlich der kongeniale Gegner des älteren Scipio war. 2.1 PHILIPP V. VON MAKEDONIEN Eine der wichtigsten, von Polybios im Detail charakterisierten Personen ist Philipp V. von Makedonien (238–179), dessen Charakterbild Polybios über mehrere Bücher hinweg zeichnet. Philipp von Makedonien ist zentral für die Absicht des Polybios, den Aufstieg Roms zur dominierenden Mittelmeermacht darzustellen, denn er verbündete sich im zweiten Punischen Krieg mit Hannibal und löste später durch seine Expansionsbestrebungen gegen Pergamon ein Eingreifen Roms und somit den ersten makedonisch-römischen Krieg aus. Dieser endete mit der entscheidenden makedonischen Niederlage bei Kynoskephalai im Jahre 197 v. Chr. Danach begann die allmähliche Auflösung der hellenistischen Staatenwelt und die römische Expansion in die griechische Welt. Aus der prorömischen Sicht des Polybios musste Philipp von Makedonien somit als Gescheiterter und als tragische Figur erscheinen.1 Polybios folgt bei dieser Charakterisierung einem klassischen Muster der Tyrannentopik, nämlich der zweiteiligen Entwicklung von einem vorbildlichen Herrscher zu einem Tyrannen, die sich am besten durch eine plötzlich ausbrechende geistige Erkrankung erklären lässt:2 Denn es ist nicht leicht, einen König zu finden, der von Natur aus mit reicheren Anlagen begabt gewesen wäre, um große Taten zu vollbringen. Er besaß Klugheit, Gedächtnisleistung und eine ausgezeichnete Anmut, dazu noch das Auftreten und die Autorität, die einem König zukommt, vor allem aber Fähigkeit und Courage im Kriegswesen. Es ist auch nicht leicht, in kurzer Zeit zu erklären, was genau es dann war, was all diese Eigenschaften übertraf und aus einem König mit natürlichen guten Anlagen einen außer Kontrolle geratenen Tyrannen machte. Daher wird

1 2

Ausfühlich behandelt von Frank W. Walbank, Philip V. of Macedon, Cambridge 1940 (Ndr. Hamden, CT 1967). Pol. 4,77,2–4: βασιλέα γὰρ πλείοσιν ἀφορμαῖς ἐκ φύσεως κεχορηγημένον πρὸς πραγμάτων κατάκτησιν οὐκ εὐμαρὲς εὑρεῖν· καὶ γὰρ ἀγχίνοια καὶ μνήμη καὶ χάρις ἐπῆν αὐτῷ διαφέρουσα, πρὸς δὲ τούτοις ἐπίφασις βασιλικὴ καὶ δύναμις, τὸ δὲ μέγιστον, πρᾶξις καὶ τόλμα πολεμική. καὶ τί δή ποτ’ ἦν τὸ ταῦτα πάντα καταγωνισάμενον καὶ ποιῆσαν ἐκ βασιλέως εὐφυοῦς τύραννον ἄγριον οὐκ εὐχερὲς διὰ βραχέων δηλῶσαι. διὸ καὶ περὶ μὲν τούτων σκέπτεσθαι καὶ διαπορεῖν ἄλλος ἁρμόσει καιρὸς μᾶλλον τοῦ νῦν ἐνεστῶτος. Ähnlich positiv berichtet Pol. 5,29,1f. sowie 10,26 über den jungen Philipp. Eine Zweiteilung des Charakterbildes ist neben den weiteren in diesem Kapitel besprochenen Personen vor allem durch die ersten julisch-claudischen Kaiser bekannt (Augustus, Tiberius und Caligula, insbesondere in der Darstellung des Suetonius).

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2 Die Psychologie von Herrschern bei Polybios eine andere Gelegenheit besser geeignet sein, diese Umstände zu diskutieren und zu hinterfragen, als diejenige, die jetzt vor uns liegt.

Philipp ist daher für Polybios im Grunde genommen „sozusagen der allgemeine Liebling der Griechen aufgrund der Wohltätigkeit seiner Wahl“. 3 Im Kontext geht dieses Urteil eher auf die finanziellen Ausgaben Philipps als auf seinen Charakter zurück, es steht daher nicht im Widerspruch zu Philipps Scheitern. Die genaue Erklärung für das selbstverschuldete Scheitern des Philipp von Makedonien ist Teil der weiteren Anlage des Geschichtswerkes. Sie soll hier näher diskutiert werden. Der Charakter Philipps von Makedonien verändert sich bei Polybios aufgrund der psychologisch ansteckenden Wirkung und des schädlichen Einflusses der Personen, die ihn jeweils umgeben, beraten oder zu Handlungen anleiten. Frank W. Walbank hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Zweiteilung des Bildes von Philipp deutlich der Parteinahme zugunsten Aratos von Sikyon geschuldet ist, der ein führender Stratege des Achaiischen Bundes war.4 Nach 220 v. Chr. war Aratos am Hofe Philipps von Makedonien tätig, bis dieser den Aratos 213 v. Chr. angeblich vergiften ließ.5 Dabei handelt es sich jedoch lediglich um ein Gerücht, das Polybios wohl als Teil seiner Tyrannentopik anführt.6 Diese Zweiteilung ist allerdings auch den psychologischen Theorien des Polybios geschuldet. Bereits in der Charakterzeichnung des jungen Philipp tritt dessen negative Beeinflussung durch Gefolgsleute und Berater zu Tage. So treten in Buch fünf, noch vor der eigentlichen Wende vom begabten König zum Tyrannen, die Leidenschaften Philipps V. negativ hervor.7 Polybios kontrastiert dabei die Charaktereigenschaften Philipps V. mit seinen berühmten Vorgängern, Philipp II. von Makedonien und dessen Sohn, Alexander dem Großen. Diese Verirrung der Leidenschaften, also der seelischen Qualitäten Philipps, ist wiederum zurückzuführen auf dessen Verlangen nach Vergeltung, die sich nicht kühl und berechnend, sondern im Affekt, das heißt im Zorn vollzieht: „Denn gute Menschen müssen zwar in den Krieg ziehen gegen Personen, welche aus Unwissenheit Unrecht begehen, aber nicht mit Zerstörung und Vernichtung der Sünder, sondern nur mit ihrer Besserung und dauerhaftem Wandel“. 8 Dies ist ein zentraler Aspekt der stoischen Affektenlehre sowie des Ideals des stoischen Weisen, der sich auch in der Bestrafung von Personen, welche diese Bestrafung verdient haben, von jeder seelischen Regung frei machen soll. 3 4 5 6 7 8

Pol. 7,11,8: κοινός τις οἷον ἐρώμενος ἐγένετο τῶν Ἑλλήνων διὰ τὸ τῆς αἱρέσεως εὐεργετικόν. Walbank, Commentary, Bd. 1 (1957), 528 ad Pol. 4,77,1–8. Siehe auch Walbank (1939), 46f. für weitere historische Hintergründe. Die einschlägige Biographie von Aratos von Sikyon stammt ebenfalls von Frank W. Walbank, Aratos of Sicyon, Cambridge 1933. Pol. 8,12. Pol. 5,11,1. Siehe dazu ausführlich S. 183 unten. Pol. 5,11,5: οὐ γὰρ ἐπ’ ἀπωλείᾳ δεῖ καὶ ἀφανισμῷ τοῖς ἀγνοήσασι πολεμεῖν τοὺς ἀγαθοὺς ἄνδρας, ἀλλ’ ἐπὶ διορθώσει καὶ μεταθέσει τῶν ἡμαρτημένων. Der hellenistische Historiker Hegesias von Magnesia (BNJ 142 F 23 = Rutilius Lupus, Schemata dianoeas et lexeos 1,11, ed. Halm, Rhetores Latini Minores, S. 8) nennt ebenfalls Zorn im Gegensatz zum Verstand als schlechten Anlass für einen Krieg, da Zorn die Masse der Menschen zu falschem Handeln verleitet.

2.1 Philipp V. von Makedonien

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Der Kontext, in dem Philipp V. so gehandelt haben soll, ist der Bundesgenossenkrieg zwischen Makedonien und dem Aitolischen Bund von 220 bis 217 v. Chr., während dessen die Aitoler die Heiligtümer von Dion und Dodona zerstören ließen und im Gegenzug Philipp 218 v. Chr. selbst in Aitolien die Zerstörung von Heiligtümern anordnete.9 Philipp V. besaß zwar nach Polybios alle Fähigkeiten, wie ein König und nicht wie ein Tyrann zu handeln, doch wurde er beeinflusst je nachdem, an welche Berater er sich gerade wandte:10 Daher sollte man aufgrund seiner Jugend wahrscheinlich nicht jede Ursache für die Ereignisse zu dieser Zeit Philipp selbst zuschreiben, sondern vielmehr den Personen unter seinen Freunden, welche sich zu ihm gesellten und mit ihm kooperierten, unter denen sich Aratos und Demetrios von Pharos befanden. Festzustellen, wessen Rat es gewesen sei, ist selbst für Personen, die nicht anwesend waren, nicht schwierig.

Polybios sieht also auch hier die größte Empfänglichkeit für schlechte Charakteranlagen in der Jugend einer Person, sie ist also der Erziehung geschuldet. Der hier erwähnte Demetrios von Pharos, der für die Entwicklung zum Schlechten verantwortlich ist, rät an anderer Stelle Philipp zum Krieg gegen die Römer.11 Daher war für Polybios Demetrios von Pharos ein wichtiger Verursacher des Niedergangs der griechischen Staatenwelt. Aratos von Sikyon ist dagegen auch hier sein lobenswerter Gegenspieler. Im Weiteren spricht Polybios von einem „Beweis für die verschiedenartigen Motive bei ihren Ratschlägen, welche sie Philipp in ähnlichen Umstanden erteilten“.12 Polybios knüpft in Buch sieben daran an, indem er Demetrios voll verantwortlich macht für den Umschwung Philipps vom König zum Tyrannen.13 Als Philipp auf Veranlassung seiner Berater Statuen und heilige Gebäude in Thermos in Aitolien aus Vergeltung zerstören ließ, habe Demetrios von Pharos ihm 9 Pol. 5,11,2–4; 7,14,3. 10 Pol. 5,12,5: Ἴσως μὲν οὖν οὐκ ἄν τις αὐτῷ Φιλίππῳ τῶν τότε γενομένων πᾶσαν ἐπιφέροι τὴν αἰτίαν διὰ τὴν ἡλικίαν, τὸ πλεῖον δὲ τοῖς συνοῦσι καὶ συμπράττουσι τῶν φίλων, ὧν ἦν Ἄρατος καὶ Δημήτριος ὁ Φάριος. ὑπὲρ ὧν οὐ δυσχερὲς ἀποφήνασθαι καὶ μὴ παρόντα τότε ποτέρου τὴν τοιαύτην εἰκὸς εἶναι συμβουλίαν. Auch Flavius Josephus, der hier eine angebliche Rede des späthellenistischen bis frühkaiserzeitlichen Historikers Nikolaos von Damaskos wiedergibt, berichtet über die Söhne des Herodes, dass sie „von der Bosheit ihrer Berater verdorben wurden“ (BNJ 90 F 143 = Ios., ant. Iud. 17,107–120, hier 17,108: κακίᾳ συμβούλων διεφθαρμένους) und deshalb ein Komplott schmiedeten; einer von ihnen, Antipatros, sei wahnsinnig gewesen (Ios., ant. Iud. 17,109: μανίαν). Zur Person: Klaus Bringmann, Antipatros [5], DNP 1 (1996), 777f. Philipp II. soll nach dem Zeugnis des Theopompos von Chios zu Trunkenheit und Wahnsinn geneigt haben (BNJ 115 F 282 = Athen. 10,46, 435b). Schuld daran waren seine Berater, so BNJ 115 F 224 = Athen. 4,61–62, 166f–167c; BNJ 115 F 225a = Pol. 8,9,5–13; BNJ 115 F 225b = Athen. 6,77, 260d–261a; BNJ 115 F 225c = Pseudo-Demetrius, De elocutione 27 Radermacher. Der schädliche Einfluss von Beratern auf jugendliche Prinzen war also wohl ein Topos. Zum Motiv der Jugendlichkeit bei Polybios sowie speziell in Bezug auf Philipp V. siehe auch Brian C. McGing, Youthfulness in Polybius: Philip V of Macedon, in: Gibson/Harrison (2013), 181–199. 11 Pol. 5,101,7–102,1; 5,105,1; 5,108,5–7. Theodor Büttner-Wobst, Demetrios 44a, RE Suppl. 1 (1903), 342–345. 12 Pol. 5,12,7: δεῖγμα τῆς προαιρέσεως ἑκατέρων ἐν οἷς (συνεβουλεύσαντο Φιλίππῳ) παραπλησίως ὁμολογούμενον. 13 Pol. 7,13,7.

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2 Die Psychologie von Herrschern bei Polybios

außerdem noch den Rat gegeben, das mit Makedonien verbündete Messene durch eine List an sich zu reißen und dabei gleichzeitig das religiöse Vertrauen, das die Messenier in ihn setzten, zu missbrauchen. Philipp sollte die Gelegenheit, in der Akropolis zu opfern, nutzen, um die Stadt in seine Gewalt zu bringen. Von diesem Vorhaben, das ihm Demetrios nahelegen wollte, konnte ihn Aratos gerade noch abbringen. Dennoch habe Philipp damit sein Vertrauen in der griechischen Welt verspielt.14 Ob es sich wirklich so zutrug, ist natürlich zweifelhaft, denn Philipp hat jedenfalls diesen Plan, sofern er ihn denn gehabt hätte, nicht umgesetzt. Polybios ergreift mit diesem Narrativ vor allem sehr deutlich Partei, gibt diesem historischen Wendepunkt aber auch eine psychologische und pädagogische Erklärung:15 Für junge Könige haben die Auswahl und das Urteil von Freunden, die sie begleiten, einen mächtigen Einfluss darauf, ihre Herrschaft fehlzuleiten oder auch zu bessern. Doch darüber wissen die meisten von ihnen nichts, stehen dem ganzen geradezu gleichgültig gegenüber, und verschwenden auch keinen Gedanken daran.

Polybios erklärte bereits zuvor, dass die Berater um den jungen König Philipp ihn möglichst von Aratos „isolieren“ wollten.16 Diese Wortwahl steht einer psychologisch-medizinischen Sprache nahe, insofern die schlechten Berater den jugendlichen Philipp komplett dem Einfluss des Aratos entziehen wollten, um so die Seele des jungen Erwachsenen vollständig für sich zu vereinnahmen. In dieser Deutung liegt die Schuld für die Fehlhandlungen Philipps bei seinen Beratern. Vollends erwarb sich Philipp seinen Ruf für Grausamkeit in der griechischen Welt nach dem Tod des Aratos und im Bündnis mit dem Seleukiden Antiochos III., als Philipp im Jahre 202 Kios an der Propontis zerstören ließ, so Polybios weiter.17 Ab diesem Zeitpunkt war der Wandel vom natürlich begabten Prinzen zum wahnsinnigen Despoten im Narrativ vollzogen und zeigt sich noch deutlicher in seinem darauf folgenden Angriff auf Pergamon, wo Philipp Heiligtümer zerstören ließ: „Denn er gab sich der Wut hin, so wie ein Wahnsinniger, und richtete seinen Zorn mehr gegen die Götter als gegen die Menschen“.18 Als nächstes soll daher das Charakterbild des Aratos von Sikyon, der diesen anfänglichen positiven Einfluss auf Philipp hatte, im Mittelpunkt stehen.

14 Pol. 7,12–14, besonders 7,14,5. 15 Pol. 7,14,6: τηλικαύτην τοῖς νέοις βασιλεῦσι ῥοπὴν ἔχει καὶ πρὸς ἀτυχίαν καὶ πρὸς ἐπανόρθωσιν τῆς ἀρχῆς ἡ τῶν παρεπομένων φίλων ἐκλογὴ καὶ κρίσις, ὑπὲρ ἧς οἱ πλείους οὐκ οἶδ’ ὅπως ῥᾳθυμοῦντες οὐδὲ τὴν ἐλαχίστην ποιοῦνται πρόνοιαν. 16 Pol. 5,16,9: μονώσαντες. 17 Pol. 15,22,3. 18 Pol. 16,1,2: χαριζόμενος γὰρ οἷον εἰ λυττῶντι τῷ θυμῷ, τὸ πλεῖον τῆς ὀργῆς οὐκ εἰς τοὺς ἀνθρώπους, ἀλλ’ εἰς τοὺς θεοὺς διετίθετο. Die Zerstörung von Heiligtümern erwähnt Pol. 16,1,4f. in diesem Kontext. Ähnlich auch Liv. 31,26,9–13 mit Bezug auf den weiteren Angriff auf Athen 200 v. Chr., der von den Römern abgewehrt werden konnte.

2.2 Aratos von Sikyon

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2.2 ARATOS VON SIKYON Aratos von Sikyon (271–213) war mehrfach Stratege im Achaiischen Bund.19 Bereits als Jugendlicher begann sein Kampf gegen die Tyrannis, als der Tyrann Abantidas von Sikyon 264 v. Chr. Kleineias, den Vater des Aratos, töten ließ und Aratos selbst in das Exil musste, aus dem er im Jahre 251 zurückkehrte. Aratos beendete die Stasis in seiner Heimatstadt und führte in der Folge zunächst den Freiheitskampf der Griechen gegen Makedonien an. In den 220er Jahren v. Chr. näherte sich Aratos im Kampf gegen Sparta Makedonien an und wurde zum Berater Philipps V., der ihn schließlich angeblich ermorden ließ. Da Polybios deutlich für Aratos von Sikyon Partei ergreift, ist das Charakterbild eindimensional, es gibt keine chronologische Zweiteilung, sondern der Charakter ist in sich ruhend.20 Was macht dieses Idealbild aus? Eine Charakterentwicklung, wie bei Philipp V. von Makedonien, ist bei Aratos nicht notwendig, der Charakter ist im Gegenteil in einem Abschnitt zusammengefasst:21 Dies scheint mir die passende Gelegenheit zu sein, kurz über diesen Mann zu sprechen, und zwar was die Eigenheit seines Charakters angeht. Denn Aratos war in jeder übrigen Hinsicht ein Mann, der für einen politischen Lebensweg vollkommen geeignet war. Denn er war ein talentierter Redner, ein klarer Denker und fähig darin, sich an sein eigenes Urteil zu halten. In seinem Vermögen, politisch unterschiedliche Richtungen mit Gleichmut hinzunehmen, Freunde fest an sich zu binden und Bündnisse zu schmieden, stand er niemandem nach.

Aratos unterscheidet sich also vor allem darin elementar von Philipp V., dass er einerseits in seiner Urteilsfindung gänzlich unbeeinflusst ist von Beratern und äußeren Reizen, während Philipps Anlagen sich nur dann entfalten konnten, wenn er von den richtigen Personen, das heißt vor allem von Aratos selbst geleitet wurde. Aratos hat daher genau diese positive Charaktereigenschaft des versierten Beraters, die ihn auch zu einem geeigneten Politiker macht. Er steht für die demokratischen Institutionen der Demokratie und Staatsphilosophie. Darin wiederum repräsentiert er das Bild des stoischen Weisen, der dadurch führt, dass er selbst keiner Führung bedarf. Den Überlegungen aus Kapitel eins zufolge sah Polybios die Wirkabsicht seiner eigenen Geschichtsschreibung genau darin, zu dieser Geisteshaltung anzuleiten, der Historiker identifiziert sich also selbst mit Aratos, da Aratos ebenso wie Polybios selbst dem „pragmatischen“, also „politischen Lebensweg“ (pragmatikon 19 Benedikt Niese, Aratos 2, RE 2.1 (1895), 383–390. 20 Zu dieser Tendenz des Polybios und den Quellen, die er benutzt (insbesondere Memoiren des Aratos sowie die Darstellung des Phylarchos in Buch zwei, in Buch vier vielleicht Mitteilungen von Weggefährten des Aratos), siehe Walbank (1933), 11–15. Vgl. zu dem Charakterbild auch Arthur M. Eckstein, Moral Vision in The Histories of Polybius, Berkeley 1995, 239f., der ebenfalls von einem feststehenden Charakter ausgeht, der jedoch durch äußere Einflüsse verändert werden kann. Für den psychologischen Einfluss des Aratos auf Philipp vgl. bereits Wunderer (1905), 33–37. 21 Pol. 4,7,11–8,2: ὑπὲρ οὗ δοκεῖ μοι πρέπον εἶναι βραχέα προειπεῖν διὰ τὴν ἰδιότητα τῆς φύσεως. Ἄρατος γὰρ ἦν τὰ μὲν ἄλλα τέλειος ἀνὴρ εἰς τὸν πραγματικὸν τρόπον· καὶ γὰρ εἰπεῖν καὶ διανοηθῆναι καὶ στέξαι τὸ κριθὲν δυνατός, καὶ μὴν ἐνεγκεῖν τὰς πολιτικὰς διαφορὰς πρᾴως καὶ φίλους ἐνδήσασθαι καὶ συμμάχους προσλαβεῖν οὐδενὸς δεύτερος.

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2 Die Psychologie von Herrschern bei Polybios

tropon) folgt, wie an dem oben zitierten Abschnitt deutlich wird. Dennoch ist das Charakterbild des Aratos zweigeteilt, allerdings nicht chronologisch, als ein sich wandelnder Charakter, sondern hinsichtlich Stärken und Schwächen, denn Aratos war als Militär nur teilweise erfolgreich:22 In gleicher Weise sind die natürlichen Eigenschaften der Menschen sehr verschiedenartig, und zwar nicht nur was ihre Körper betrifft, sondern vielmehr in Bezug auf ihre Seelen. Daher kommt es, dass ein und derselbe Mann nicht nur in Situationen, bei denen unterschiedliche Aktivitäten gefragt sind, für einige bestens gerüstet ist, für andere wiederum gar nicht, sondern auch bei gleichartigen Aktivitäten ist häufig ein und dieselbe Person sowohl intelligent als auch von zögerlichem Verstande, oder gleichermaßen kühn und feige. Dies ist auch kein Widerspruch, sondern eine Gewohnheit, die denen gut bekannt ist, die aufmerksam hinschauen wollen.

Polybios geht also allgemein davon aus, dass die in seiner Geschichtsschreibung behandelten Personen solche Widersprüche aufweisen. Als Hintergrund möchte Polybios die späteren Niederlagen des Achaiischen Bundes vor allem gegen Sparta unter der teilweisen Führung des Aratos apologetisch begründen, seien doch diese den negativen Charaktereigenschaften des Aratos zuzuschreiben, der aber nichtsdestotrotz in seinem übrigen politischen Leben Hervorragendes geleistet habe. Diese verallgemeinerte Feststellung gegensätzlicher Kräfte in der Seele des Menschen ist als Replik an die Kritiker des Aratos zu lesen, zeigt aber auch, dass die beobachtete Zweiteilung im Leben eines Tyrannen Teil einer breiteren Psychologisierung des historischen Geschehens bei Polybios ist. An ganz anderer Stelle führt er aus, dass es nur wenigen Personen gelinge, ihre positiven Anfänge gerade dann zu Ende zu führen, wenn sich das Schicksal gegen sie stellt. Der Kontext dieser Bemerkung ist die Inaktivität von Attalos I. von Pergamon gegen Philipp V. von Makedonien.23 Auch hier zeigt sich das Idealbild des stoischen Weisen, der sich von Schicksalseinflüssen frei macht. Polybios beendet daher diesen Abschnitt über den Charakter des Aratos mit dem Appell, dass die Leser seinem Urteil auch dann vertrauen sollten, wenn seine Darstellung, wie im Fall des Aratos, scheinbar Widersprüchliches bietet.24 Polybios widersetzt sich hier also der Erwartung, dass die Darstellung der Fähigkeiten und Charakterzüge einer Person in sich konsistent sein müsse. Als drittes Fallbeispiel für die Charakterzeichnung bei Polybios sollen daher die beiden bekanntesten Scipionen (Scipio Africanus der Ältere und der Jüngere) dienen, schließlich stand Polybios dem älteren Scipio selbst während der Zeit seiner Kriegsgefangenschaft als Berater zur Seite und war der Lehrer des jüngeren Scipio. Die Art, wie Polybios deren natürliche charakterlichen Eigenschaften, und vor allem deren Vollendung, zeichnet, verrät somit viel über das Selbstverständnis des 22 Pol. 4,8,7f.: οὕτως αἱ τῶν ἀνθρώπων φύσεις οὐ μόνον τοῖς σώμασιν ἔχουσί τι πολυειδές, ἔτι δὲ μᾶλλον ταῖς ψυχαῖς, ὥστε τὸν αὐτὸν ἄνδρα μὴ μόνον ἐν τοῖς διαφέρουσι τῶν ἐνεργημάτων πρὸς ἃ μὲν εὐφυῶς ἔχειν, πρὸς ἃ δ’ ἐναντίως, ἀλλὰ καὶ περί τινα τῶν ὁμοειδῶν πολλάκις τὸν αὐτὸν καὶ συνετώτατον εἶναι καὶ βραδύτατον, ὁμοίως δὲ καὶ τολμηρότατον καὶ δειλότατον. οὐ παράδοξα ταῦτά γε, συνήθη δὲ καὶ γνώριμα τοῖς βουλομένοις συνεφιστάνειν. 23 Pol. 16,28,1–6. Zur Person: Andreas Mehl, Attalos [4] I., DNP 4 (1997), 227f. 24 Pol. 4,8,12.

2.3 Die Scipionen, ihr Verhältnis zu Polybios und die spätere Rezeption

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Polybios als Historiker. Denn wie in Kapitel eins gezeigt, sah er die Funktion einer geglückten Geschichtsschreibung in der Beratung und charakterlichen Erziehung von politisch tätigen Menschen. Diese Selbstdarstellung des Polybios hat Autoren bis zum Ende der Antike beschäftigt, wie im Folgenden anhand der Rezeption des Cicero und der sekundären Rezeption des Macrobius zu zeigen sein wird. Alle Autoren sahen die göttliche Inspiriertheit der Scipionen, die sich insbesondere im Traum offenbarte, als Schlüssel für den Aufstieg Roms zur Ordnungsmacht, da die Scipionen demnach eine vorbildhafte Wirkung auf den römischen Staat hatten. Polybios geht dabei auf die damals offenbar gängige Vorstellung der Ubiquität der Seelen von Verstorbenen ein, welche mit den Lebenden interagieren und sieht insbesondere den jüngeren Scipio als Prototyp des Philosophen in Rom. 2.3 DIE SCIPIONEN, IHR VERHÄLTNIS ZU POLYBIOS UND DIE SPÄTERE REZEPTION Scipio Aemilianus (185–129 v. Chr.), mit vollem Namen Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus Numantinus, auch bekannt als Publius Africanus der Jüngere, entstammte einer besonders illustren senatorischen Familie und gehört zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der römischen Republik.25 Sein leiblicher Vater, Aemilius Paullus, war Sieger der entscheidenden Schlacht von Pydna 171 v. Chr. im dritten Makedonischen Krieg, bei der die römische Vorherrschaft im griechischen Osten gefestigt wurde. Dessen Vater, Lucius Aemilius Paullus, war dagegen 216 v. Chr. in der Schlacht bei Cannae im zweiten Punischen Krieg gegen Hannibal geschlagen und getötet worden. Scipio Africanus der Jüngere wurde zudem von Publius Cornelius Scipio, dem kränklichen Sohn des älteren Scipio (Publius Cornelius Scipio Africanus) adoptiert. Die Adoption hatte dynastische Gründe. Der Beiname Numantinus des jüngeren Scipio geht auf dessen Sieg im spanischen Krieg im Jahre 133 v. Chr. zurück, als Scipio die Stadt Numantia belagerte und die dort eingeschlossenen Keltiberer aushungern ließ. Bereits im Jahre 146 v. Chr. war es ihm gelungen, Karthago im dritten Punischen Krieg zu zerstören. Aufgrund dessen erhielt er den Beinamen Africanus, den bereits sein Adoptivgroßvater getragen hatte. Daher wird und wurde dieser der jüngere und jener der ältere Scipio (Africanus) genannt. Neben seinen politischen und militärischen Erfolgen war Scipio der Jüngere ein Förderer der noch jungen lateinischen Gelehrsamkeit sowie der Mäzen des Polybios, unseres Autors.26 Vor allem durch das literarische Werk des Politikers, Philosophen und Redners Cicero wurde dem sogenannten Scipionenkreis ein literarisches Denkmal gesetzt. Nachdem Polybios nach Beendigung des dritten Makedonischen Krieges nach Rom verbracht worden war, wurde er im Hause des älteren Scipio 25 Die noch aktuelle einschlägige Biographie zum jüngeren Scipio ist Alan E. Astin, Scipio Aemilianus, Oxford 1967. 26 Zu den literarischen Ambitionen und philhellenischen Interessen des jungen Scipio siehe auch Astin (1967), 15–17.

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2 Die Psychologie von Herrschern bei Polybios

aufgenommen und zum Hauslehrer seiner Söhne bestellt. Glaubt man Cicero, gehörte diesem Kreis um Scipio unter anderem auch der hellenistische stoische Philosoph Panaitios sowie der römische Jurist Laelius an. Außerhalb der Werke von Cicero, vor allem des fiktiven Dialoges De re publica, ist allerdings nichts über diese weiteren Verbindungen bekannt.27 Die Seelenwanderungslehre, welche für die erhaltene hellenistische Geschichtsschreibung zentral ist, bildet in Ciceros De re publica sogar den Endpunkt der Verklärung der römischen republikanischen Vergangenheit. Im Somnium Scipionis, also jenem Teil des Werkes, der nicht erst durch die Entdeckung des Palimpsests, einer im 7. Jahrhundert gelöschten und überschriebenen Handschrift (CLA 35), im 19. Jahrhundert bekannt geworden ist, sondern durch einen Kommentar des spätantiken Autors Macrobius auch im Mittelalter gelesen wurde, versetzt Cicero die Seele des Scipio in den Sternenhimmel. Anlass für die Seelenschau ist ein Traum, welcher den jungen Scipio zu Gast bei Massinissa, dem König von Numidien und Vertrauten des älteren Scipio im zweiten Punischen Krieg, heimsuchte.28 Dass Scipios Adoptivvater, also der ältere Scipio, in der Lage ist, dem jungen Scipio dessen Zukunft vorauszusagen, einschließlich der Zerstörung Karthagos und Numantias, zeigt, dass auch Cicero von einer Providenz ausging, die den Seelen ausgewählter Personen im Jenseits bekannt wird, oder zumindest diese somit verbreitete Ansicht für seine Erzählung nutzte.29 Im Traum wird weiterhin offenbart, dass Staatenlenkern, zumindest solchen, die sich um den Planeten Erde verdient gemacht haben, ein fester Platz in der Milchstraße und in Gemeinschaft der ihnen Gleichgestellten bestimmt ist.30 Die Seele ist also ewig, nicht von außen bewegt, das heißt mit einem freien Willen versehen, jedoch für gewöhnlich im Kreislauf der Seelenwanderung gefangen:31 Denn dies ist die der Seele eigentümliche Beschaffenheit und Natur. Wenn sie von allen Dingen die einzige ist, die sich selbst bewegt, dann ist sie ganz gewiss nicht gezeugt worden, sondern ist vielmehr ewig. [...] Denn die Seelen von solchen Personen, die sich den Genüssen ihres Körpers ergeben, sich als deren Gehilfen preisgegeben und durch den Antrieb der Begierden, die wiederum den Genüssen untertan sind, die Rechte von Göttern und Menschen verletzt haben, drehen sich, nachdem sie ihre Körper verlassen haben, um die Erde selbst herum, und kehren zu diesem Ort erst zurück, nachdem sie viele Jahrhunderte lang umhergetrieben worden sind.

Damit wird weniger auf die Sühne der Seele in einem vorchristlichen Fegefeuer angespielt, sondern auf den Wiedereintritt der Seelen in die Körper von 27 Hermann Strasburger, Der “Scipionenkreis”, Hermes 94 (1966), 60–72; James E.G. Zetzel, Cicero and the Scipionic Circle, HSPh 76 (1972), 173–179. 28 Cic., rep. 6,9f. 29 Cic., rep. 6,11f. 30 Cic., rep. 6,13–16. 31 Cic., rep. 6,28f.: nam haec est propria natura animi atque vis; quae si est una ex omnibus quae se ipsa moveat, neque nata certe est et aeterna est. ... namque eorum animi qui se corporis voluptatibus dediderunt, earumque se quasi ministros praebuerunt, inpulsuque libidinum voluptatibus oboedientium deorum et hominum iura violaverunt, corporibus elapsi circum terram ipsam volutantur, nec hunc in locum nisi multis exagitati saeculis revertuntur.

2.3 Die Scipionen, ihr Verhältnis zu Polybios und die spätere Rezeption

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Neugeborenen. Denn Cicero schrieb sein Werk über den Staat sowie das nachfolgende über die Gesetze ausdrücklich in Anlehnung an die gleichnamigen Werke Platons. In Platons „Staat“ beschreibt der Mythos des Er ein Totengericht, von dem die Menschen nach tausend Jahren in jenen Bereich des Himmels versetzt werden, der die Gestirne in Bewegung setzt, von wo aus die Seelen erneut nach eigener Wahl in irdische Körper eingehen und wiedergeboren werden.32 Auch andere zentrale Dialoge Platons führen die Seelenwanderung als Jenseitsvorstellung an. 33 Cicero wendet sich hier gegen die epikureische Philosophie, welche ein Leben nach dem Tod und somit jede Form von Totengericht ablehnt. Ziel des Lebens sei es den Epikureern zufolge deshalb, ein Maximum an Genuss im zeitlich begrenzten Leben zu erreichen. Nach der traditionellen Sicht, welche allerdings die Sicht von Gegnern wie Cicero ist, haben epikureische Philosophen ein Leben in der Politik abgelehnt, mutmaßlich deshalb, weil diese philosophischen Ideale sich dort nicht hinreichend verwirklichen ließen. Neuere Betrachtungen, wie die von Gert Rooskam und Jeffrey Fish betonen daher zu Recht, dass dieses Bild schon in der Antike zugespitzt war und epikureische Philosophen auch von sich aus beratenden Einfluss in der Politik suchten, wie umgekehrt auch hellenistische und römische Politiker sich als Epikureer sahen.34 Die zugrundeliegende Haltung der Epikureer war also wohl das Eingeständnis, dass anders als in Platons utopischem Philosophenstaat philosophische, weltabgeschiedene Einsicht und politische Tätigkeit sich schlecht in einer Person vereinigen lassen. Auch Cicero meint vermutlich nicht akademisch tätige Personen, welche die epikureische Richtung vertreten, sondern gerade politisch aktive Menschen, wie Caesar und seine Faktion der „Popularen“, die volksnahe Werte vertraten und als Epikureer galten, während Cicero sich selbst immer (vor allem auch in De re publica) den „Optimaten“ zurechnete.35 Bereits in der Spätantike fanden die Ausführungen des Cicero zur Seele des Menschen durch den Neuplatoniker Macrobius ausführliche Beachtung. Die Kommentierungen des Macrobius zum Somnium Scipionis sind zum Verständnis der Darstellung der Scipionen bei Polybios wichtig, weil Macrobius ein Verständnis 32 Plat., rep. 10, 614c–621b. 33 Plat., Phaid. 80d–82c; 108e–114c; Plat., Tim. 90e–92c. 34 Jeffrey Fish, Not All Politicians Are Sisyphus: What Roman Epicureans Were Taught about Politics, in: Ders., Kirk R. Sanders (Hrsg.), Epicurus and the Epicurean Tradition, Cambridge 2011, 72–104; Geert Rooskam, Live Unnoticed = (Lathe biōsas): On the Vicissitudes of an Epicurean Doctrine, Leiden 2007; Don Fowler, Lucretius and Politics, in: Miriam Griffin. John Barnes (Hrsg.), Philosophia Togata: Essays on Philosophy and Roman Society, Oxford 21997, 120–150. 35 Cicero spielt in De re publica auf die optimates im Sinne einer spätrömischen Faktion an, indem er die Aristokratie als die relativ beste unvermischte Staatsform beschreibt, sofern die Aristokraten noch den römischen Idealen entsprechen: 1,34,52; 1,42,65; 3,34,46. Zur Einordnung Caesars: Frank C. Bourne, Caesar the Epicurean, CW 70 (1977), 417–432; Zweifel daran, die allerdings das Bild, das über Caesar zirkulierte, nicht in Frage stellen: Richard G. Mulgan, Was Caesar an Epicurean? (Sallust, BC 51.20), CW 72 (1979), 337–339. Obwohl auch vereinzelte Vertreter anderer Schulen ein Nachleben der Seele bezweifelt haben mögen, so war doch der Epikureismus (und der ihm zugrundeliegende Atomismus) die einzige Lehre, die systematisch ein Fortleben der Seele ausschloss.

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für antike philosophische Vorstellungen der Seele hatte, welches der modernen Forschung nur noch indirekt zugänglich ist, und sollen daher im Folgenden in ihrem historischen Kontext vorgestellt werden. Neben dem Somnium Scipionis zeigen die Saturnalia das antiquarische Interesse des Macrobius und des mit ihm assoziierten Symmachuskreises an antiker Religion, die von der philosophischen Betrachtung der Seele nicht zu trennen ist.36 Dabei geht Macrobius gerade in den Teilen zur Seelenlehre teilweise vom Kenntnisstand der Spätantike aus, insbesondere vom Neuplatonismus etwa eines Porphyrios oder Plotinos, die zu den bekanntesten Vertretern des Neuplatonismus zählen und die er selbst als Gewährsmänner anführt.37 Wie gesagt, ist das Somnium Scipionis separat als Teil des einschlägigen Kommentares des Macrobius überliefert, der etwa um die Wende vom 4. zum 5. oder im frühen 5. Jahrhundert verfasst wurde. Diesem spätantiken Autor fällt eine Mittlerrolle zwischen klassischer Antike und christlichem Mittelalter zu, da die Werke des Macrobius die neuplatonische Philosophie vertreten, die dem Christentum in wichtigen Ideen, insbesondere der Seelenlehre, verwandt war, auch wenn Macrobius das Christentum gar nicht erwähnte. Diese weltanschauliche Ausrichtung hat zu Spekulationen darüber geführt, ob Macrobius selbst Altgläubiger oder Christ war und vor allem auch, wie er zum Christentum stand, ob er diesem also etwa als Altgläubiger mit Ablehnung oder Verbitterung gegenüberstand oder indifferent und auch kaum einen Widerspruch zwischen den Religionen sah. Grundsätzlich hat vor allem das Christentum die pagane Philosophie abgelehnt, wobei die meisten christlichekklesiastischen Autoren Platon und den Neuplatonismus überall dort für das Christentum vereinnahmt haben, wo kein Widerspruch mit der Bibel vorlag, während die Philosophen, insbesondere auch die neuplatonischen, das Christentum während seines Aufstieges im Römischen Reich verlacht haben.38

36 Da weder Macrobius noch die weiteren überlieferten Schriften aus diesem klassisch gebildeten Gelehrtenkreis ihre Quelle angaben (was insgesamt in der Antike unüblich war) besteht ein Forschungsproblem dahingehend, ob Macrobius noch umfangreich Originaltexte einsehen konnte oder seine Informationen aus Kompendien sowie auch heute noch erhaltenen Texten der römischen Kaiserzeit bezog. Auch hier sei anstatt einer ausführlichen Bibliographie verwiesen auf Alan Cameron, The Last Pagans of Rome, Oxford 2011, 218–220, 387–395, 531–546, 566 zusammen mit der dort genannten Literatur. Alan Cameron kam dabei zu dem Ergebnis, dass dieser pagane Gelehrtenkreis durchaus noch Zugang zu heute verlorenem Wissen hatte. Spezialstudien zu den Quellen des Macrobius sind Egbert Türk, Macrobius und die Quellen seiner Saturnalien: eine Untersuchung über die Bildungsbestrebungen im SymmachusKreis, Diss. Freiburg 1961 sowie Richard Bernabei, The Treatment of Sources in Macrobius' Saturnalia, and the Influence of the Saturnalia during the Middle Ages, Ann Arbor 1979 (microfilm), bes. 12–99. 37 Macrobius beruft sich in den Commentarii in Somnium Scipionis insbesondere 1,8,5 und den folgenden Ausführungen zur Seelenlehre auf Plotinos, außerdem in relevanten Kontexten in 1,13,9; 1,13,20; 1,17,11 sowie in 1,3,17 zur Traumlehre auf Porphyrios. 38 An dieser Stelle möchte ich auf mein früheres Buch verweisen: Rohmann (2016). Dieser und der folgende Abschnitt versuchen nicht, das Thema Christentum und pagane Literatur bibliographisch zu erfassen, da dies ausufern würde und meine Position in dem genannten Titel dargelegt ist. Für das Verhältnis von Christentum und Neuplatonismus sind die Seiten 93–96, 151f. und 169–174 einschlägig.

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Alan Cameron hat in einem Aufsatz die Möglichkeit erwogen, dass Macrobius ein Christ war und diese Zugehörigkeit weiterführende Spekulationen über seine mögliche ablehnende oder kritische Haltung gegenüber dem Christentum von vornherein ausschließt.39 Die Religionszugehörigkeit hängt ab von der konkreten Identifizierung des Autors mit einer prosopographisch bekannten Person. Eine solche Identifizierung ist letztlich nicht beweisbar, und die Forschung ist daher traditionell davon ausgegangen, dass Macrobius ein Altgläubiger war.40 Wenn er doch ein Christ war, so wäre gerade bei der von Alan Cameron präferierten relativ späten Datierung und Identifizierung mit einem Prätorianerpräfekten des Jahres 430 n. Chr. das eigene Christentum kein Ausschlusskriterium für eine gegenüber dem Christentum kritische Position, da spätestens ab dem frühen fünften Jahrhundert das Christentum für den Zugang zu hohen Verwaltungsämtern praktisch vorausgesetzt wurde, eine somit erzwungene Konversion also ebenfalls für eine kritische Position plausibel wäre.41 Für eine kritische Haltung des Macrobius gegenüber dem Christentum spricht, dass er in seinem Hauptwerk, den Saturnalia, pagane römische Senatoren, wie Quintus Aurelius Symmachus und Nicomachus Flavianus, auftreten lässt. Diese römischen Senatoren und ihr weiterer Kreis, zu dem dann wohl auch Macrobius gehört haben dürfte, haben die klassischen Werke neu in Pergamentcodices übertragen und verbessert, die dann im Frühmittelalter die Grundlage für die heutige handschriftliche Überlieferung vieler lateinischer Texte waren.42 Die Saturnalia des Macrobius bewahren zudem zahlreiche Informationen zur römischen Religion, und zwar in einer Zeit, als diese Religion dem Christentum als Irrtum der Vergangenheit erschien. Wenn Macrobius also dem Christentum kritisch gegenüberstand, so hätte es sich für ihn kaum angeboten, polemisch zu werden, denn er selbst oder sein Werk hätten dafür verurteilt werden können, und das Werk wäre so auch sehr wahrscheinlich nicht weiter überliefert worden.43 Im Endeffekt war es so 39 So Alan Cameron, The Date and Identity of Macrobius, JRS 56 (1966), 25–38, erneut verteidigt: Alan Cameron (2011), 265–272. 40 Die frühere Forschungsliteratur findet sich ebenfalls bei Alan Cameron (1966), in den Anmerkungen auf S. 25f. Eine neuere Diskussion der verschiedenen Forschungsmeinungen ist Philippe Brugisser, Macrobius, RAC 23 (2010), 831–856, hier 842–852. 41 PLRE 2, Theodosius 8, 1101. Die religiöse Zugehörigkeit der spätrömischen Senatoren findet sich bei Michele R. Salzman, The Making of a Christian Aristocracy, Cambridge, MA 2002, 65–68 und 228. 42 Auch zu dem sogenannten Symmachuskreis habe ich meine Position insbesondere zu Alan Cameron (2011) und der früheren Forschung in Rohmann (2016), 212–217, 229f. dargelegt. 43 Die erhaltenen Briefe des Symmachus erwähnen das Christentum vermutlich aus den gleichen Gründen nicht, ebenso wenig wie das berühmteste und letzte Werk des römischen Senators Boethius (ca. 480– ca. 525), die Consolatio philosophiae. Zudem brach nach der Hinrichtung des Boethius im Zusammenhang mit einer Verschwörung in Italien die Pflege klassischer Schriften ab, diese wurden vor der karolingischen Renaissance nicht mehr nachweislich kopiert. CLA 33, der einzige nachgewiesene Codex mit einem paganen lateinischen Text der klassischen Zeit, stammt wahrscheinlich nicht ursprünglich aus Italien, da der Codex das Bürgerkriegsepos des Lucan zusammen mit einem Text des Isidor von Sevilla enthielt. Zur klassischen Bildungstradition im 5. Jahrhundert n. Chr. siehe auch Matthias Gerth, Bildungsvorstellungen im 5. Jahrhundert n. Chr.: Macrobius, Martianus Capella und Sidonius Apollinaris, Berlin 2013, bes. 8–113 zu Macrobius.

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vielleicht in jedem Fall das beste, das Christentum erst gar nicht zu erwähnen. Die Ausführungen des Macrobius sind jedenfalls Teil einer zeitgenössischen Debatte in römischen Gelehrtenkreisen und sicherlich nicht ohne Bezug auf das zu dieser Zeit dominierende Christentum zu verstehen. Dieser Bezug zeigt sich bereits an den Interpretationen zu Ciceros Kritik an den Epikureern. Die Kritik des Cicero an den Epikureern war in De re publica mit seiner Ablehnung von Caesar und der politischen Richtung der „Popularen“ verknüpft, darüber hinaus lehnte Cicero den Epikureismus auch aus philosophischen Gründen ab.44 Dieser philosophische Konflikt steigerte sich in der Spätantike zu einem ausgebildeten weltanschaulichen Gegensatz. Denn vor allem das Christentum, aber auch teilweise der diesem doch recht nahestehende Neuplatonismus, verwarf den Epikureismus hauptsächlich wegen seiner Ansichten zur Schöpfung, aber auch zur Seele als die Ursache des vom Teufel gestreuten falschen Wissens in der Welt. 45 In der Deutung des Neuplatonikers Macrobius sind es natürlich richtigerweise die epikureischen Philosophen, welche Cicero meint, wenn er von Personen spricht, die den platonischen Mythos des Er als Fiktion verlacht haben und die auch in der oben zitierten Passage gemeint sind mit den Personen, deren Seelen nicht Eingang in die Milchstraße finden.46 Macrobius rechtfertigt diese fiktionalen Elemente innerhalb von Platons philosophischem Traktat mit dem weitgehenden Konsens der meisten Philosophenschulen, dass die Beziehung der Menschen zum Göttlichen sowie das Metaphysische überhaupt sich allein für eine fiktionale Darstellung eignen, diese sogar das ideale didaktische Vehikel für die Vermittlung dieser Vorstellungen ist. Er rechtfertigt gleichermaßen die fiktionalen Elemente in Ciceros De re publica, also insbesondere den Traum des Scipio, da dieser Traum dem gleichen Zweck dient.47 Wie in Kürze zu zeigen sein wird, verwendet auch Polybios anscheinend bewusst fiktionale Elemente in diesem Kontext von metaphysischen Träumen. Parallelen zwischen dem Geschichtswerk des Polybios und dem Kommentar des Macrobius zeigen sich also in den Interpretationen von mantischen Träumen. Zunächst einmal gilt das für den Kreis derjenigen, die überhaupt für solche Träume empfänglich sind: „Nur die vornehmsten Männer sind Zeugen der verborgenen Wahrheit und die Weisheit ist ihre Dolmetscherin“.48 Diese Aussage des Macrobius bezieht sich also auf Philosophen, die an der Weisheit teilhaben. Nun wird man bei Scipio dem Jüngeren nicht gerade von einem Philosophen reden können. Zwar umgab er sich mit einem Gelehrtenkreis, dem laut Cicero neben Polybios auch

44 Besonders einschlägig für seine Ablehnung der Philosophie Epikurs ist das zweite Buch von Ciceros De finibus bonorum et malorum. 45 Auch hier sei an Stelle einer umfassenden Bibliographie auf Rohmann (2016), und zwar vor allem das einschlägige Kapitel vier mit weiterer Literatur verwiesen. 46 Der Originaltext des Cicero ist im Palimpsest verloren. Das Fragment des Macrobius, der indirekt aus Cicero referiert, also noch das gesamte Werk vorliegen hatte, ist dem sechsten und letzten Buch De re publica zugeordnet: Cic., rep. 6,7 = Macr., somn. 1,2,1, der diese Personen im Anschluss mit den Epikureern identifziert. 47 Macr., somn. 1,2,13–21. 48 Macr., somn. 1,2,18: summatibus tantum viris sapientia interprete veri arcani consciis.

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griechische Philosophen wie Panaitios angehörten.49 Scipio selbst war natürlich nicht akademisch tätig, wie auch überhaupt um diese Zeit und darüber hinaus griechische Gelehrsamkeit in der römischen Oberschicht mit einiger Skepsis gesehen wurde.50 Macrobius diskutiert diese Frage ausdrücklich an späterer Stelle, indem er sich auf den Begründer des Neuplatonismus Plotinos beruft, demzufolge der Zustand des ewigen Lebens, den Cicero als Existenz der Seele in der Milchstraße beschreibt, vor allem von Philosophen, daneben aber auch von Staatsdienern erreicht werden kann, sofern diese philosophische Tugendideale in ihrem Handeln verwirklichen.51 Auch wenn weder Cicero noch Polybios den Neuplatoniker Plotinos gelesen haben können, so ist doch anzunehmen, dass Plotinos auf ältere Traditionen rekurrierte und es die früheren Autoren wenig anders gesehen haben werden. Die Typologie der Träume sowie die weiteren Erläuterungen, die Macrobius zu ihr gibt, können nicht nur das Somnium Scipionis Ciceros, sondern auch die Narrative von Träumen bei Polybios besser verstehen helfen. Diese Systematik des Macrobius ging wohl auf Artemidoros von Daldis zurück, der im 2. Jahrhunderts n. Chr. ein einschlägiges Werk verfasst hatte und den Macrobius vielleicht ebenfalls über die Schriften des Neuplatonikers Porphyrios kannte.52 Macrobius sieht dabei die drei bekannten Typen eines Weissagungstraumes sowie die ihnen zugrunde liegenden Elemente im Somnium Scipionis in jeder Hinsicht erfüllt. Das Kriterium des Orakeltraumes ist erfüllt, da in diesen eine Person mit Autorität, darunter auch Eltern, wie im Fall des Scipio, der von seinem leiblichen Vater und seinem Adoptivvater instruiert wird, Weisungen über seine eigene Zukunft erfährt.53 Ebenso ist das Kriterium des Wahrtraums erfüllt, definiert als Traum, dessen Wahrsagung

49 Cic., rep. 1,10,15; 1,21,34. 50 Das bekannteste Beispiel ist der ältere Cato, demzufolge sich die griechischen Gelehrten seiner Zeit gegen römische Bürger verschworen hatten und diese töten wollten: Plut., Cato 22f.; Plin., nat. 29,6–8. Cato selbst hat allerdings von der griechischen Bildung profitiert. Auch Cicero spricht wiederholt dieses Spannungsverhältnis in De re publica an, so in Cic., rep. 2,15,28f. Monographisch behandelt wurde dieses Verhältnis von Erich S. Gruen, Culture and National Identity in Republican Rome, Ithaca 1992. 51 Macr., somn. 1,8,3–13. Die einschlägigen Ausführungen von Plotinos sind erhalten: Plot. 1,2. Eine Zusammenfassung, auf die sich Macrobius wahrscheinlich bezieht, liegt außerdem mit Porphyrios, sententiae ad intellegibilia ducentes 32 vor. Kommentare dazu sind Angelo R. Sodano (Hrsg.), Porfirio. Introduzione agli intelligibili, Neapel 1979, 36–42 sowie Luc Brisson (Hrsg.), Porphyre. Sentences, Bd. 2, Paris 2005, 628–642. Siehe dazu auch Friedrich Heberlein (Hrsg.), Macrobius Ambrosius Theodosius: Kommentar zum Somnium Scipionis, Stuttgart 2019, 399f., ad locum. 52 So Jacques Flamant, Macrobe et le néoplatonisme latin à la fin du IVe siècle, Leiden 1977, 161f.; ähnlich Beat Näf, Traum und Traumdeutung im Altertum, Darmstadt 2004, 169f.; anders: Mario Regali (Hrsg.), Macrobio. Commento al Somnium Scipionis, Libro 1, Pisa 1983, 227f.; weitere literarische Quellen und Dokumente zur antiken Traumdeutung sind zusammengetragen von Gregor Weber, Kaiser, Träume und Visionen in Prinzipat und Spätantike, Stuttgart 2000, 30–91; Gil H. Renberg, The Role of Dream-Interpreters in Greek and Roman Religion, in: Gregor Weber (Hrsg.), Artemidor von Daldis und die antike Traumdeutung, Berlin 2015, 233–262. 53 Macr., somn. 1,3,8 und 1,3,12.

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eintritt.54 Vor allem aber entspricht das Somnium Scipionis einem Schlüsseltraum, der Zweideutigkeiten erhält, und sich wiederum in die Unterarten selbst- und fremdbezogen, gemeinschaftlich, den Staat und das Universum betreffend aufteilt.55 Auch diese Kriterien treffen insgesamt zu, da Scipio Offenbarungen über sich selbst, weitere Personen, über das gemeinsame Schicksal der Seele, die Zukunft des Staates und das Universum erfährt.56 Dies ist nach Macrobius durchaus überraschend, war der jüngere Scipio doch zu dieser Zeit noch keineswegs zu den höchsten Staatsämtern aufgestiegen, die es ihm allein erlaubten, im Traum Weissagungen den Staat und das Universum betreffend zu erfahren. Doch sieht Macrobius bei Scipio eine Ausnahme vorliegen, da Scipio im Nachhinein den Erzfeind Karthago besiegte und sich darüber hinaus in der Philosophie auszeichnete. 57 Gerade diesen zweiten Punkt wiederholt Macrobius dezidiert ganz am Ende seines Kommentars, dass also der jüngere Scipio sich gegenüber den Römern vor ihm darin auszeichnete, dass er sich nicht nur der Politik, sondern auch der philosophischen Kontemplation zugewandt hatte.58 Wie wir gleich sehen werden, hatte bereits Polybios ähnliche Überlegungen zu berücksichtigen, also die angeblichen mantischen Fähigkeiten der noch jungen Scipionen, die Klassifikation eines mantischen Traumes sowie damit verbundene Fragen von Fiktionalität. Macrobius verurteilt in diesem Kontext, ähnlich wie Cicero, die materialistische Philosophie der Epikureer, welche den körperlichen Genüssen Priorität gegenüber der Seele einräumt, da die Seele nach dieser Ansicht zusammen mit dem Körper stirbt. Eine Pflege der Seele mit Rücksicht auf ihr Weiterleben ist daher nicht sinnvoll. Macrobius erklärt hier mit einer entsprechenden Weltsicht das Bild der Verwandlung der Menschen in Wildtiere, das im Weiteren bei hellenistischen Autoren, vor allem bei Polybios noch öfters begegnen wird:59 Eine Seele, welche die Gewöhnung an den Körper sich ihm untertan gemacht und gewissermaßen von einem Menschen zu einem wilden Tier verwandelt hat, schreckt vor der Trennung von ihrem Körper zurück und wenn sie gleichwohl unvermeidlich wird, flieht sie nur unter Seufzen und gegen ihren Willen in die Unterwelt.

Diese animalischen Menschen bzw. Seelen sind also Menschen, die eine materialistische Weltsicht haben und nicht an ein Weiterleben der Seele nach dem Tod glauben, sei es aus philosophischer Überzeugung, wie die Epikureer, oder aus Unbildung und Unkenntnis der wahren Philosophie. Derartige Ausführungen waren für christliche Leser akzeptabel, welche diese Vorbehalte gegenüber den 54 55 56 57 58 59

Macr., somn. 1,3,9 und 1,3,12. Macr., somn. 1,3,10: proprium aut alienum aut commune aut publicum aut generale. Macr., somn. 1,3,13. Macr., somn. 1,3,14–16. Macr., somn. 2,17,7–11. Macr., somn. 1,9,4: hinc anima, quam in se pronam corporis usus effecit atque in pecudem quodam modo reformavit ex homine, et absolutionem corporis perhorrescit et cum necesse est, non nisi cum gemitu fugit indignata sub umbras [Verg., Aen. 12,952]. Polybios zitiert (im Kontext der Fragestellung dieses Kapitels) insbesondere Theopompos (BNJ 115 F 225a) dahingehend, dass die Berater von Philipp II., dem Vater Alexanders des Großen, „Wildtiere“ (Pol. 8,9,13: θηρία) waren. Davon distanziert sich Polybios im Folgenden natürlich sehr deutlich.

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Epikureern teilten sowie insgesamt dem Weiterleben der Seele eine große Bedeutung beimaßen. Nicht akzeptabel war natürlich die gleich darauffolgende Lehrmeinung der Seelenwanderung, wie sie vor allem vom Platonismus (aber auch vom Pythagoreismus) vertreten wurde, wonach menschliche Seelen im nächsten Leben Tiere bewohnen können, wenn ihr Verhalten im früheren Leben sie dafür geeignet erscheinen lässt. 60 Vor allem übertragen sich nach dieser Vorstellung Seuchen auf den Körper: „die körperlichen Seuchen verlassen sie [die Seelen nach dem Tod] nicht gänzlich“.61 Gemeint sind also Gedanken, insbesondere natürlich die epikureischen und materialistischen Auffassungen einer Seele, die mit dem Körper stirbt, die ansteckend wirken (denn unter pestis, „Seuche“, ist eine ansteckende Krankheit zu verstehen). Sie stehen gleichwertig neben dem Selbstmord, der ebenfalls einen Aufstieg in ein besseres Leben oder gar das ewige Leben verhindert.62 Die Offenbarung des Aemilius Paullus bei Cicero, dass „Euer sogenanntes Leben der Tod ist“, deutet Macrobius einerseits so, dass bereits die von ihm sogenannten „Theologen“ (theologi), also die frühesten griechischen Naturphilosophen und Dichter bzw. die Begründer der Mythen, die deren Texten zugrunde liegen, das Leben selbst als die eigentliche Unterwelt gesehen haben, in das die unsterbliche Seele, nachdem sie das Wasser der Lethe, Fluss des Vergessens, getrunken hat, bei jeder Wiedergeburt erneut eingeht.63 Die klassische Philosophie eines Pythagoras und Platon hat daraufhin die Vorstellung der Unterwelt dahingehend modifiziert, dass diese der Bereich zwischen Erde und Mond bzw. (je nach Schulrichtung) den Planeten ist, von wo aus die Seelen entweder in das ewige Leben der Milchstraße aufsteigen oder eben während ihres Abstieges durch die Himmelskreise weitere Tode erleiden und zur Erde herabgleiten.64 Eine positive Prognose für das künftige Leben ist also durch die eigene Wahl eines entsprechenden philosophischen Systems gegeben. Auserwählte, wie Scipio, sind Vermittler dieser Erkenntnisse an die Menschen. Insgesamt sind die Ausführungen des Macrobius von einer neuplatonischen Weltsicht und Ablehnung des Epikureismus getragen, dennoch dienen sie dazu, das Werk des Cicero, der selbst einen eklektischen Ansatz hatte und insbesondere platonische und stoische Elemente vereinte, in seiner Zeit zu verstehen.65 Diese Rezeption der mantischen Eigenschaften der Scipionen durch Cicero und die sekundäre Rezeption durch Macrobius können die Intention des zugrundelie60 Macr., somn. 1,9,5. 61 Macr., somn. 1,9,5. Macrobius zitiert auch hier die Aeneis des Vergil: [non] funditus corporeae excedunt pestes [6, 736f.]. 62 Macr., somn. 1,13,1–20. 63 Cic., rep. 6,14: vestra vero quae dicitur vita mors est. Dazu die Besprechung bei Macr., somn. 1,10,6–17. Unter theologi verstanden die christlichen Autoren, wie Isidor von Sevilla (Isid., orig. 8,6,18), die frühesten Naturphilosophen. Cicero (nat. deor. 3,53) sieht die Mythen als die Hinterlassenschaft der theologi an. Im Kontext bezieht Macrobius den Begriff auf Vergil und die Beschreibungen im 6. Buch der Aeneis. 64 Macr., somn. 1,11,1–12. 65 Zu den philosophischen Schriften Ciceros gibt es natürlich viel Forschungsliteratur, daher sei lediglich verwiesen auf die neuere Einführung von Wilfried Stroh, Cicero, Redner, Staatsmann, Philosoph, München 22010.

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genden Textes des Polybios besser verstehen helfen. Da die Historien des Polybios mit der Niederlage des Achaiischen Bundes im Jahre 146 v. Chr. endeten, die letzten Bücher aber praktisch verloren sind und der Traum des jüngeren Scipio laut Cicero auf das Jahr 149 v. Chr. datiert, kann man nicht mehr genau wissen, ob das Werk des Polybios eine Andeutung darauf enthielt.66 Dafür finden sich bei Polybios Ausführungen zu den mantischen Eigenschaften des älteren Scipio, der dann bei Cicero als die Person auftritt, welche dem jüngeren Scipio im Traum die Zukunft richtig voraussagt. Bereits in seinen einleitenden Bemerkungen zu Scipio zählt Polybios den älteren Scipio zu den Personen, die vergleichsweise „göttlich“ und „den Göttern angenehm“ sind, die „göttliche Inspirationen“ haben sowie über die Gabe der „Voraussicht“ verfügen.67 Polybios vergleicht ihn mit Lykurgos, dem mythischen Gesetzgeber Spartas. Der Vergleich ist in der historischen Bedeutung naheliegend, überraschenderweise hebt Polybios allerdings die beiden gemeinsame göttliche Inspiration hervor, genau genommen die Wirkung, die von dieser göttlichen Inspiration auf die weitere Gesellschaft ausgeht. 68 Diese Charakterisierung zeigt, dass Scipio für Polybios die oben geschilderte Fähigkeit hat, die Zukunft vorauszusagen, da, so die Schlussfolgerung, seine Seele in transzendenten Momenten Zugang zu dem providentiellen Wissen der göttlichen Sphäre hat und nicht, wie die breite Masse, im Kreislauf der Seelenwanderung gefangen ist; oder zumindest hinterließ er bei seinen Mitmenschen genau diesen Eindruck. Im Weiteren schränkt Polybios diese angebliche göttliche Inspiration des Scipio ein, schreibt ihm vielmehr einen entsprechenden allgemeinen Ruf zu, der in Wirklichkeit aber nur dessen überragenden Charakteranlagen geschuldet sei. Denn diese Reputation geht nach Polybios zurück auf die frühe politische Karriere des Scipio und dessen Zugang zur Ädilität, angeblich das höchste Amt, das für jüngere Anwärter auf die senatorische Laufbahn noch realistischerweise zu erreichen war.69 In diesem Kontext schildert Polybios eine komplizierte und schwer glaubliche Geschichte, dass der junge Scipio zweimal geträumt habe, dass ihm selbst und seinem älteren Bruder Lucius im gleichen Jahr die Ädilität verliehen werde. Um die Chancen seines Bruders fürchtend, habe er dies seiner Mutter mitgeteilt, die zu dieser Zeit göttlichen Beistand für die Wahl suchte und somit für die Eingebung empfänglich gewesen sei. Im Ergebnis seien tatsächlich beide gewählt worden, trotz des außergewöhnlich jungen Alters des Publius Scipio, und zwar genau aus dem Grund, dass der nächtliche Traum in Rom glaubhaft erschienen sei und es die allgemeine Erwartung gegeben habe, dass Scipio die Gabe hat, mit den Göttern kommunizieren zu können.70 Für Polybios ist es dabei aber wichtig herauszustellen, dass ihm nur deshalb geglaubt wurde, den Göttern nahezustehen, weil er durch seine Ansprache 66 Cic., rep. 6,9 nennt den Militärtribunat Scipios als Datum. Da Scipio laut Cic., rep. 6,8 = Macr. somn. 1,4,2 den Traum lange für sich behielt, hat Polybios ihn allerdings kaum erwähnen können. 67 Pol. 10,2,6: θειοτέρους; 10,12,7: καὶ θειοτάτους εἶναι καὶ προσφιλεστάτους τοῖς θεοῖς; 10,2,12: ὑποταττομένους; 10,2,13: προνοίας. 68 Pol. 10,2,10–12. 69 Pol. 10,4,1. 70 Pol. 10,4,3–5,5.

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tatsächlich als göttlich inspiriert erschien.71 Polybios lässt es dabei offen, ob Scipio tatsächlich diesen Traum gehabt oder ihn lediglich erfunden hat, es ist ihm vielmehr wichtig zu betonen, dass die Reputation des Scipio verdient war, weil er in seiner öffentlichen Präsentation so auftrat, als ob er tatsächlich engen Umgang mit den Göttern pflegte. Mit der Erzählung als solcher verbinden sich eine Reihe Probleme chronologischer und genealogischer Art. Polybios datiert die Wahl zur Ädilität und den vorausgehenden Traum auf die Zeit der Abwesenheit seines Vaters, Publius Cornelius Scipio, von Rom, als dieser einen Proconsulat in Spanien innegehabt und daher die Mutter des älteren Scipio die Wahl allein vor Ort unterstützt hatte. 72 Dieser Proconsulat fällt in das Jahr 217 v. Chr., Publius Cornelius Scipio, der Vater des älteren Scipio, blieb dort wohl mehrere Jahre und fiel 211 ebenfalls in Spanien im Kampf gegen die Karthager im zweiten Punischen Krieg.73 Walbank sieht hierin bereits eine Unstimmigkeit, denn die Ädilität erhielt der ältere Scipio erst im Jahre 213 v. Chr.74 Allerdings ist es natürlich möglich, dass der Vater bereits vor einiger Zeit Rom verlassen hatte und sein imperium infolge des zweiten Punischen Krieges auf mehrere Jahre verlängert wurde, auch wenn die Formulierung des Polybios es nahelegen mag, dass die Abreise noch nicht lange zurücklag.75 Lucius ist außerdem der jüngere, nicht der ältere Brüder des Publius Cornelius Scipio Africanus. Damit kann auch seine Ädilität, deren Datum sonst nicht belegt ist, nicht in ein so frühes Jahr wie 213 v. Chr. fallen, denn bereits Publius war zu diesem Zeitpunkt ungewöhnlich jung und Lucius erreichte erst 193 die Praetur, die Ädilität wird also nur wenige Jahre vorausgegangen sein.76 Aus diesen Unstimmigkeiten zieht Walbank die sicherlich zutreffende Schlussfolgerung, dass Polybios hier bewusst manches Detail verdreht hat, da er gerade über Scipios Familiengeschichte bestens informiert war.77 Einen Grund dafür nennt Walbank nicht. Aus den oben dargelegten Ausführungen wird immerhin deutlich, dass sich mit solchen Traumerzählungen wie hier, in Zusammenhang mit einer Kommunikation mit dem Göttlichen, die Erwartung einer Fiktionalität verband. Sie dient insbesondere der Dramatisierung, der inneren Plausibilität und Begegnung des Vorwurfs, die Traumerzählung habe der 71 Pol. 10,5,6. 72 Pol. 10,4,5. 73 Mit dem Vater des älteren Scipio gemeint ist P. Cornelius Scipio, siehe Karl-Ludwig Elvers, Cornelius [I 68] Scipio, P., DNP 3 (1997), 177. 74 Walbank, Commentary, Bd. 2 (1967), 199f. ad locum. Datierung der Ädilität nach Liv. 25,2, 6–8; siehe auch Karl-Ludwig Elvers, Cornelius [I 71] Scipio Africanus, P., DNP 3 (1997), 182f. 75 Pol. 10,4,5: τὸν μὲν γὰρ πατέρα τότε πλεῖν συνέβαινεν εἰς Ἰβηρίαν στρατηγὸν καθεσταμένον ἐπὶ τὰς προειρημένας πράξεις („Damals ereignete es sich, dass sein Vater aufgrund der Ereignisse, die ich oben dargestellt habe, nach Spanien entsandt worden war, um dort ein größeres Kommando zu übernehmen.“). Polybios erweckt also den Eindruck, die Abreise nach Spanien liege noch nicht lange zurück, vielleicht um seine Darstellung dramatischer erscheinen zu lassen. 76 Karl-Ludwig Elvers, Cornelius [I 72] Scipio Asiagenes, L., DNP 3 (1997), 183. 77 Walbank, Commentary, Bd. 2 (1967), 200. Howard H. Scullard, Scipio Africanus, 1970, 30f. könnte Recht haben, dass Polybios wegen der sachlichen Fehler die Darstellung nicht von Laelius übernommen hat.

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Förderung der eigenen Karriere, statt der des Bruders gedient. Sicherlich hat Polybios einige Ereignisse in rhetorischer Weise zugunsten Scipios ausgelegt. Bei der Frage, welcher der Brüder der jüngere war, könnte allerdings eine Verwechslung vorgelegen haben, zumal das Geburtsjahr des Lucius auch heute nicht mehr bekannt ist, ebenso wenig wie das Jahr seiner Ädilität. Polybios wendet sich im Kontext jedenfalls ausdrücklich gegen die „alltägliche Meinung“, für die es nach diesen Ereignissen feststand, dass Scipio tatsächlich im Traum mit den Göttern kommunizierte.78 Polybios will diese Ansicht über seinen Förderer sicherlich nicht anzweifeln, aber ihr doch einen neuen Spin geben: Scipio habe sich durch seine Leistungen einen solchen Ruf verdient; ob er dabei tatsächlich mit den Göttern kommunizierte, ist nachrangig. Den Kriterien des Macrobius zufolge war die Traumerzählung des Polybios deutlich kleiner angelegt als diejenige des Cicero, wenn auch mehrere Elemente vergleichbar sind. Zunächst greift das Kriterium des Wahrtraums, da die vorausgesagte gemeinsame Wahl zur Ädilität zumindest nach dem Narrativ des Polybios tatsächlich eingetreten ist. Zudem begegnet Scipio selbst seiner Mutter im Traum, der somit als Orakeltraum bezeichnet werden kann, auch wenn aus dem Kontext nicht ersichtlich wird, von wem Scipio die Weissagung direkt empfing.79 Schließlich trifft auch das Kriterium des Schlüsseltraums zu, der sowohl selbst- als auch fremdbezogen ist, da er die unmittelbare Zukunft von Scipio selbst und seinem Bruder voraussagt. Darüber hinaus enthält er keine Hinweise, die den Staat oder das Universum betreffen, sieht man von der Schnittmenge des gemeinsam besetzten Amtes im Staat ab, das allerdings auf der Eingangsstufe verbleibt und daher nicht schicksalhaft für den Staat ist. Polybios will also einerseits herausstreichen, dass Scipio bereits in jungen Jahren den Ruf der göttlichen Inspiration genoss, andererseits aber nicht gegen das später von Macrobius formulierte Prinzip verstoßen, dass Voraussagen, die schicksalhaft für den Staat sind, nur für Personen angemessen sind, die aktuell die höchsten Ämter im Staat bekleiden. Polybios selbst stand Traumerzählungen, zumindest solchen, die von den falschen Personen oder zu falscher Gelegenheit wiedergegeben werden, kritisch gegenüber, wie er an anderer Stelle ausführt. So tadelt er seinen Historikerrivalen Timaios dafür, dass dieser an andere nicht die gleichen Maßstäbe anlegt, wie an sich selbst, und zwar besonders dann, wenn es um Träume und Wahnvorstellungen geht:80 Anklagen und lächerlich machen [sollten wir] den Wahnsinn von Personen, die in ihren schriftlichen Abhandlungen Träume haben und dabei von einem Dämon besessen sind. Vor allem sollten solche Personen, die selbst viel von solcher Torheit produzieren, froh sein, derartigen

78 Pol. 10,5,9: τῇ καθωμιλημένῃ δόξῃ περὶ αὐτοῦ. Auch das weitgehend kontextlose Fragment Pol. 33,21,2 distanziert sich von Traumerzählungen. 79 Den Kern des Traums referiert Polybios in 10,4,6. 80 Pol. 12,12b,1: *** κατηγορεῖν καὶ θειασ(μὸν δια)σύρειν τῶν ὀνειρωττόντων καὶ δαιμονώντων ἐν τοῖς ὑπομνήμασιν· ὅσοι γε μὴν αὐτοὶ πολλὴν τῆς τοιαύτης ἐμπεποίηνται φλυαρίας, τοὺς τοιούτους ἀγαπᾶν ἂν δέοι μὴ τυγχάνοντας κατηγορίας, μηδ’ ὅτι καὶ τῶν ἄλλων αὐτοὺς κατατρέχειν· ὃ συμβέβηκε περὶ Τίμαιον.

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Anklagen aus dem Weg zu gehen, anstatt selbst andere zu verunglimpfen. Diese Beschreibung trifft auf Timaios zu.

Polybios war also nicht durchgehend auf Menschen mit Traumerlebnissen gut zu sprechen. Wie bereits in Kapitel eins ausgeführt, steht diese Polemik gegen Timaios im Kontext der Ausführungen zur Geschichtsschreibung als Medizin für die Seele.81 Nur auserwählten Personen war im Traum der Zugang zum Göttlichen möglich. Auch für die übrigen stellten sich entsprechende Visionen ebenfalls als real dar, der Grund war aber eine dämonische Täuschung, die im Ergebnis Wahnsinn verursachte. Als Dämonen wurden dabei Geister verstanden, die nicht dem Bereich des Göttlichen angehörten, sondern in einer Zwischenwelt leben und den Menschen sowohl nutzen als auch schaden können.82 In der Traumerzählung des Scipio ging es Polybios also vor allem darum, diesen Traum von den dämonischen Träumen eines Timaios deutlich abzugrenzen. Laut der Ausführungen in Platons Politeia wiederum hat ein Traum nur Erkenntniswert, wenn die Menschen, die ihn empfangen, ihre drei Seelenteile, Vernunft, Mut und Begierde zügeln und miteinander in Einklang bringen, die Träume von Tyrannen hingegen, welche durch ihre Begierden geleitet werden, führen zu Handlungen, die schädlich für den Staat sind.83 Auch der stoische Philosoph Zenon und weitere Autoren sahen in der Art des Traumes einen Spiegel des Charakters.84 Die Ausführungen des Polybios stehen damit in Einklang. Laut dem späthellenistischen Historiker Alexander Polyhistor sind die Seelen der Verstorbenen sogar überall in der Luft präsent und für die Träume der Menschen sowie die Vorboten von Gesundheit und Krankheit verantwortlich. Diese Allgegenwart der Seelen in der Welt rückt in die Nähe zu epidemiologischen Erkenntnissen dieser Zeit, die durch Lucretius bekannt sind, der (aus heutiger Sicht zutreffend) erklärt, dass sich Krankheitserreger durch die Luft, beispielweise durch das Sprechen, übertragen.85 Polybios wird diesen Erklärungen zu Träumen und zu der Ubiquität von Seelen und Dämonen, wie sie Alexander Polyhistor vorträgt, nach 81 Siehe oben, S. 32. 82 Johanna ter Vrugt-Lentz, Carsten Colpe, Johann Maier, Clemens Zintzen, Geister (Dämonen), B. Nichtchristlich, IIa-IIIc, RAC 9 (1976), 598–668. Zum begleitenden Verhältnis zwischen Seele und daimon in der vorsokratischen Philosophie, Kalogerakos (1996), 222–225 und 268–275. 83 Plat., rep. 9, 571c–572b. Dazu und den weiteren Ansichten Platons zu Träumen, siehe Näf (2004), 57–59. 84 Zenon, Stoicorum veterum fragmenta Bd. 1, Nr. 234, S. 56 = Plut., de profectibus in virtute 12, mor. 82F. 85 Lucr. 6,1090–1286, insbes. 1119–1137 und 1242–1246. Hippokrates ging ebenfalls von einer Übertragung epidemischer Krankheiten durch die Luft aus: Hippokr., de natura hominis 9 (Littré, Bd. 6, 54–56); vgl. dazu Mischa Meier, Seuche, RAC 50 (2020), 421–456, hier 421– 425. Hippokrates und (in geringem Umfang) Galen kannten das epidemiologische Konzept des miasma, also einer Ansteckung, die sich von organischer Fäulnis über die Luft überträgt. Siehe dazu Jacques Jouanna, Air, miasmes et contagion à l'époque d'Hippocrate, et survivance des miasmes dans la médecine posthippocratique (Rufus d'Ephèse, Galien et Palladios), in: Sylvie Bazin-Tacchella, Evelyne Samara (Hrsg.), Air, miasmes et contagion : les épidémies dans l'Antiquité et au Moyen Age 2001, Langres 9–28.

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2 Die Psychologie von Herrschern bei Polybios

den Ausführungen oben zwar mit einer gewissen Skepsis gegenüber gestanden haben, setzt sich aber gleichwohl mit ihnen auseinander, da sie wohl zu seiner Zeit verbreitet waren:86 Die Luft ist überall mit Seelen erfüllt. Diese werden einerseits als Dämonen, einerseits als Heroen bezeichnet. Von diesen ausgehend werden den Menschen Träume, Vorzeichen und Krankheiten gesendet, und nicht nur den Menschen, sondern auch den Schafen und übrigen Tieren. Um ihretwillen gibt es Reinigungsrituale, Sühnopfer sowie die Kunst der Weissagung, der Prophezeiung und ähnlicher Riten in ihrer Gesamtheit. Man sagt, dass es das wichtigste Anliegen bei den Menschen ist, die Seele zum Guten oder zum Schlechten anzuleiten. Die Menschen sind glücklich, wenn eine gute Seele entsteht, [eine schlechte Seele] kommt dagegen niemals zu Ruhe oder bleibt auf ihrem eingeschlagenen Kurs.

„Gute Seelen“ bzw. Heroen sind also für positive Ereignisse gegenüber Menschen und Tieren verantwortlich, die Dämonen für Unglücksfälle und Krankheiten. Der diese Ausführungen des Alexander Polyhistor überliefernde spätantike Autor Diogenes Laertios reiht sie in sein achtes Buch ein, das insgesamt den Pythagoreismus und speziell die pythagoreische Seelenlehre behandelt. Die hier genannten spirituellen Wesen sind nicht nur Vorboten von Seuchen, sondern auch für ihre Entstehung selbst verantwortlich, wie auch ein weiteres Fragment der griechischen Historiker zeigt. Denn der spätantike pagane Historiker Zosimos, für den man hier den kaiserzeitlichen Autor Phlegon von Tralleis als Zwischenquelle annimmt, beschreibt die mythischen Ursprünge der stadtrömischen ludi saeculares ebenfalls unter Hinweis auf einen Traum, der den Kindern des Valesius (mythischer Stammvater der römischen Aristokratenfamilie der Valerier) ereilte, in welchem sie die Weisung erhielten, am Campus Martius für die Unterweltgötter zu opfern. Aus diesen sakralen Handlungen entstanden dann die ludi saeculares als Sühnopferrituale, welche Rom tatsächlich von einer Seuche befreiten.87 Wenn Scipio also zu den Personen gehört, deren Träume echte Prophezeiungen sind, so hat er Anteil an der göttlichen Sphäre der Heroen und ist somit für die glückliche Zeit des Römischen Reiches verantwortlich. Timaios gehört hingegen zu den Personen, welche den Täuschungen der Dämonen erliegen. Die eigene Haltung des Polybios zu diesen Fragen ist erkennbar distanziert, mit Bezug auf Timaios polemisch, trotzdem sind ihm diese Ansichten bekannt, und er greift sie daher in seinem Werk auf. Beat Näf ist darin recht zu geben, dass im Hellenismus, insbesondere aufgrund der stoischen Schule des Poseidonios, aber auch der weiteren Philosophenschulen Träume als gottgesandte Offenbarungen wichtiger wurden, wie sich etwa an den Überlieferungen zu Alexander dem Großen sowie den Dokumenten und erhaltenen

86 BNJ 273 F 93 = Diog. Laert. 8,24–36, hier 32: εἶναί τε πάντα τὸν ἀέρα ψυχῶν ἔμπλεων· καὶ ταύτας δαίμονάς τε καὶ ἥρωας ὀνομάζεσθαι· καὶ ὑπὸ τούτων πέμπεσθαι ἀνθρώποις τούς τ’ ὀνείρους καὶ τὰ σημεῖα νόσους τε, καὶ οὐ μόνον ἀνθρώποις ἀλλὰ καὶ προβάτοις καὶ τοῖς ἄλλοις κτήνεσιν· εἴς τε τούτους γίνεσθαι τούς τε καθαρμοὺς καὶ ἀποτροπιασμοὺς μαντικήν τε πᾶσαν καὶ κληδόνας καὶ τὰ ὅμοια. μέγιστον δέ φησιν τῶν ἐν ἀνθρώποις εἶναι τὴν ψυχὴν πεῖσαι ἐπὶ τὸ ἀγαθὸν ἢ ἐπὶ τὸ κακόν. εὐδαιμονεῖν τ’ ἀνθρώπους ὅταν ἀγαθὴ ψυχὴ προσγένηται, μηδέποτε δ’ ἠρεμεῖν μηδὲ τὸν αὐτὸν ῥόον κρατεῖν. Textkonstitution nach Long. 87 BNJ 257 Phlegon von Tralleis F 40 = Zos. 2,1,1–6,1, hier 2,2,3f. mit 2,1,1 und 2,3,3.

2.3 Die Scipionen, ihr Verhältnis zu Polybios und die spätere Rezeption

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Autoren dieser Zeit zeigen lässt.88 Außerdem sind unter den Fragmenten der griechischen Historiker aus hellenistischer Zeit Träume überliefert oder erwähnt, welche Könige zum Anlass nahmen, erfolgreich ihr Herrschaftsgebiet zu vergrößern.89 Insofern den Traumerzählungen ähnliche Auffassungen zugrunde liegen, wie die oben zitierten des Alexander Polyhistor, könnte also auch entsprechend die Vorstellung einer Durchdringung der Welt durch Seelen von Heroen sowie durch Dämonen verbreitet gewesen sein. Zumindest hatte deren Kommunikation mit den Menschen in diesen Traumerzählungen direkte Auswirkungen auf die Führung eines Staates und dessen Wohlergehen und Expansion. Die Verbindung zum Göttlichen, die sich im mantischen Traum offenbart, war nach verbreiteter Ansicht auch in der Familie der Scipionen gegeben, wie sowohl Polybios als auch Cicero ausdrücklich belegen. Wird darüber hinaus Scipio der Jüngere auch von Polybios als erster Römer gesehen, der Politik und Philosophie vereinte? Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu beachten, dass Polybios selbst für die Erziehung des jüngeren Scipio verantwortlich war. Neben eine panegyrische Charakterzeichnung treten also Bescheidenheitstopoi, zumal Polybios den von ihm angeprangerten Bombast eines Timaios ablegen musste. Bezeichnenderweise ist dennoch die erste Aussage über gemeinsame Begegnungen dahingehend, dass Scipio sich von Polybios Bücher lieh und sich beide über den Inhalt unterhielten, also Scipio tatsächlich bereits in jungen Jahren Gelehrsamkeit und somit Neigung zur Philosophie zeigte, wenn auch der Begriff selbst im gesamten Kontext nicht erwähnt wird.90 Der Grund für diese Nichterwähnung ist wohl in den bereits erwähnten römischen Vorbehalten gegenüber dieser griechischen Gelehrsamkeit zu sehen.

88 Näf (2004), 63–79, bes. 79. Neben Artemidoros ist Philochoros von Athen (BNJ 328: dazu auch Näf, 2004, 47) ein wichtiger Autor der hellenistischen Traumdeutung; siehe BNJ 328, T 7 = Tert. de anima 46, wo Tertullian einen Katalog antiker Autoren zu mantischen Traumdeutungen anführt, die sich nicht immer genau datieren lassen, zu denen aber auch der hellenistische Philosoph Strato von Lampsakos sowie der Peripatetiker Kratippos von Pergamon aus dem ersten Jahrhundert v. Chr. zählen. Siehe Jan H. Waszink, Quinti Septimi Florentis Tertulliani De Anima, Leiden 2010, 495, ad Tert., de anima 46,10, wo die besonders einschlägigen Autoren gelistet werden. Vielleicht ist das Traumbuch des Philochoros mit dem Buch zur Weissagung identisch, das in BNJ 328 T 1–2 = Suda, phi 441 Adler bzw. Scholia in Hesiodi opera et dies 808 (Gaisford, Poetae Minores Graeci 2, 441) unter seinen Werken genannt wird. Als christlicher Autor war Tertullian natürlich nicht daran interessiert, den philosophischen oder religiösen Hintergrund speziell dieser Traum-Prophezeiungen zu erläutern. Tertullian führt diese exempla stattdessen im Rahmen eines Katalogs von Träumen gegen die Argumentation von Epikur an, dass solche Träume nicht möglich sind, denn nach der atomistischen Lehre Epikurs stirbt die Seele zugleich mit dem Tod des Körpers. Dennoch führt Tertullian allgemein die zahlreichen Erwähnungen früherer Autoren auf den Stoizismus und dessen Lehrmeinungen über die Providenz zurück, von denen er sich abgrenzt. Die dort erwähnten Voraussagungen zukünftiger Ereignisse im Traum geschehen zu Lebzeiten, nicht erst am Ende des Lebens, so dass anders als bei Diodor (siehe Kapitel eins) kein erkennbarer Bezug zu der pythagoreischen Seelenlehre vorliegt. 89 BNJ 91 Strabon F 5 und BNJ 124 Kallisthenes F 27 = Tert., de anima 46. 90 Pol. 31,23,4. Demnach wurde auf die Bücher als das verbindende Element der Freundschaft zwischen Scipio und Polybios bereits zuvor hingewiesen, und zwar wahrscheinlich in Buch 30

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2 Die Psychologie von Herrschern bei Polybios

Ebenso präsent ist dieses Bild von Scipio dem Jüngeren als erstem römischen Philosophen in der sich gleich anschließenden Anekdote. Diese ist also nicht nur aufschlussreich für das Charakterbild, das Polybios von seinem Schüler Scipio zeichnen will, sondern auch allgemein für sein Verständnis der menschlichen Seele und der Erziehung und Verstärkung positiver seelischer Eigenschaften. Der jüngere Scipio beklagt sich hier im Einzelgespräch gegenüber Polybios darüber, dass er selbst von seinen Landsleuten als weniger talentiert angesehen werde, als sein älterer Bruder, und er daher auch, so seine Vermutung, im Gespräch mit Polybios vor dem älteren zurücktreten müsse: „Meiner Meinung nach bin ich für alle Menschen jemand, der still und müßig ist, wie ich vom Hörensagen weiß, sowie weit entfernt von der römischen Schule und Wirklichkeit, weil ich mich entschieden habe, keine Gerichtsreden zu halten“.91 Diese Aussage ist natürlich gleich mehrfach eine Anspielung auf ein philosophisches Gemüt, das theoretischen Studien zugewandt ist, für das von den meisten Römern kritisierte otium („die Muße“) lebt und die in rhetorischer Bildung erworbenen Fähigkeiten noch nicht einmal für die politische Laufbahn nutzt.92 Der jugendliche Scipio erscheint dabei als jemand, der gegenüber der Philosophie naiv ist, da auch seine Landsleute dem Zitat zufolge nichts mit dieser urgriechischen Lebensweise anfangen können. Die Antwort des Polybios zeigt daher, dass sich dieser der Problematik natürlich nicht nur bewusst war, sondern in der Selbstdarstellung seiner pädagogischen Arbeit mit dem jüngeren Scipio und seinem älteren Bruder eine Rechtfertigung dafür sieht, das negative Bild der griechischen Philosophie in Rom zu korrigieren:93 Was also die Lehren angeht, um die Ihr Euch, wie ich sehe, jetzt eifrig bemüht, so werdet Ihr keinen Mangel haben an Personen, die Euch dabei bereitwillig unterstützen werden, und zwar sowohl Dich als auch ihn. Denn ich sehe, dass bereits eine große Gruppe solcher Menschen aus Griechenland gegenwärtig hierher strömt.

Gemeint sind natürlich griechische Lehrer und Philosophen. Mit mathemata („Lehren“) sind neben Mathematik und Astrologie vor allem geisteswissenschaftliche Studien gemeint, philotimeomai („sich mit Eifer bemühen“) enthält das philos aus philosophia sogar im Wortstamm.94 Polybios wollte das negativ besetzte Wort „Philosophie“ wohl unter allen Umständen vermeiden, aber auch keinen Zweifel daran lassen, was er meint. Darunter gefasst wurden nicht nur theoretische Studien, sondern vor allem auch eine danach ausgerichtete Lebensweise, wie Polybios im Anschluss ausführt. Denn Scipio habe nicht den kostspieligen Vergnügungen seiner Altersgenossen gefrönt, sondern auf seine Erbschaft teilweise verzichtet und sich

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(laut Pol. 31,23,1), das allerdings nur fragmentarisch überliefert ist und diese Passage nicht mehr enthält. Pol. 31,23,11: δοκῶ γὰρ εἶναι πᾶσιν ἡσύχιός τις καὶ νωθρός, ὡς ἀκούω, καὶ πολὺ κεχωρισμένος τῆς Ῥωμαϊκῆς αἱρέσεως καὶ πράξεως, ὅτι κρίσεις οὐχ αἱροῦμαι λέγειν. Dieser Gegensatz zwischen otium und politischem Handeln ist wiederum beispielsweise in Ciceros De re publica prominent, so bereits in der Einleitung (Cic., rep. 1,4,8–1,9,14). Pol. 31,24,6–7: περὶ μὲν γὰρ τὰ μαθήματα, περὶ ἃ νῦν ὁρῶ σπουδάζοντας ὑμᾶς καὶ φιλοτιμουμένους, οὐκ ἀπορήσετε τῶν συνεργησόντων ὑμῖν ἑτοίμως, καὶ σοὶ κἀκείνῳ· πολὺ γὰρ δή τι φῦλον ἀπὸ τῆς Ἑλλάδος ἐπιρρέον ὁρῶ κατὰ τὸ παρὸν τῶν τοιούτων ἀνθρώπων. LSJ, s.v. μάθημα, 1072.

2.3 Die Scipionen, ihr Verhältnis zu Polybios und die spätere Rezeption

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einen Ruf für Abstinenz und Nobilität des Charakters erworben.95 Ein Widerspruch zu römischen Tugenden ergibt sich daraus nicht, denn Scipio habe sich neben diesen philosophischen Eigenschaften auch virtus (bzw. im Griechischen andreia, also männliche Werte) erworben, und zwar durch die Jagd.96 Entscheidend für diese philosophische Lebensweise ist das Bemühen, anderen Menschen keinen Schaden zuzufügen, auch nicht im Rechtsstreit, denn (so die zugrundeliegende Anschauung) letztlich könne man sich selbst oder Angehörige im Kreislauf der Seelenwanderung auf der Verliererseite wiederfinden:97 Denn die einen konnten nur Anerkennung erfahren, wenn sie einem ihrer Mitbürger Unrecht zufügten, schließlich führt die Art und Weise, in der Rechtsprozesse geführt werden, zu diesem Ergebnis. Scipio jedoch verursachte niemals irgendeine Form von seelischer Qual und gewann gleichwohl den allgemeinen Ruf einer männlichen Vollkommenheit, und zwar mit Taten statt mit Worten. Aus diesem Grund überholte er diese in kurzer Zeit in einer Weise, an die sich überhaupt kein einziger Römer erinnern konnte, obwohl er in seiner Liebe zum Ruhm einen ganz anderen Weg beschritt als alle übrigen nach Sitte und Recht der Römer.

Das Charakterbild des jüngeren Scipio dient also dazu, griechische Philosophie für ein römisches Publikum hoffähig, sogar begehrenswert zu machen. Polybios kritisiert hier, dass Rom aufgrund der Ablehnung philosophischer Studien weitgehend schriftlos ist und über keine eigene Geschichtsschreibung, sondern nur über mündliche Tradition verfügte. Diesen Mangel will er natürlich mit seinem eigenen Werk beheben. Dieses Charakterbild des Scipio dient in der gesamten Anlage des Werkes dazu, den Aufstieg Roms zur Ordnungsmacht im Mittelmeerraum zu begründen. Seelische Qualitäten der leitenden Staatsmänner haben nämlich in der Geschichtsphilosophie des Polybios eine unmittelbare Auswirkung auf das, was Polybios oben als „Sitte und Recht“ bezeichnet. Die Gesetzgebung und weitere Einrichtung des Staates wiederum bestimmen die seelischen Eigenschaften seiner Bewohner und seines geschichtsteleologischen Fortschritts laut Buch sechs, das zu Beginn die römische Verfassung behandelt und gegen Ende zu weiteren Schlussfolgerungen gelangt. Polybios möchte also auch hier wiederum die griechische Philosophie als zentralen Baustein für den Erfolg von Staaten ausweisen: 98

95 Pol. 31,25,2–28,13. 96 Pol. 31,29,1 sowie die weiteren Paragraphen, 31,29,2–9. 97 Pol. 31,29,10–12: οἷς μὲν γὰρ οὐκ ἦν ἐπαίνου τυχεῖν, εἰ μὴ βλάψαιέν τινα τῶν πολιτῶν· ὁ γὰρ τῶν κρίσεων τρόπος τοῦτ’ ἐπιφέρειν εἴωθεν· ὁ δ’ ἁπλῶς οὐδένα λυπῶν ἐξεφέρετο τὴν ἐπ’ ἀνδρείᾳ δόξαν πάνδημον, ἔργῳ πρὸς λόγον ἁμιλλώμενος. τοιγαροῦν ὀλίγῳ χρόνῳ τοσοῦτον παρέδραμε τοὺς καθ’ αὑτὸν ὅσον οὐδείς πω μνημονεύεται Ῥωμαίων, καίπερ τὴν ἐναντίαν ὁδὸν πορευθεὶς ἐν φιλοδοξίᾳ τοῖς ἄλλοις ἅπασι πρὸς τὰ Ῥωμαίων ἔθη καὶ νόμιμα. 98 Pol. 6,47,1–4: ἐγὼ γὰρ οἶμαι δύ’ ἀρχὰς εἶναι πάσης πολιτείας, δι’ ὧν αἱρετὰς ἢ φευκτὰς συμβαίνει γίνεσθαι τάς τε δυνάμεις αὐτῶν καὶ τὰς συστάσεις· αὗται δ’ εἰσὶν ἔθη καὶ νόμοι· (ὧν) τὰ μὲν αἱρετὰ τούς τε κατ’ ἰδίαν βίους τῶν ἀνθρώπων ὁσίους ἀποτελεῖ καὶ σώφρονας τό τε κοινὸν ἦθος τῆς πόλεως ἥμερον ἀπεργάζεται καὶ δίκαιον, τὰ δὲ φευκτὰ τοὐναντίον. ὥσπερ οὖν, ὅταν τοὺς ἐθισμοὺς καὶ νόμους κατίδωμεν παρά τισι σπουδαίους ὑπάρχοντας, θαρροῦντες ἀποφαινόμεθα καὶ τοὺς ἄνδρας ἐκ τούτων ἔσεσθαι καὶ τὴν τούτων πολιτείαν σπουδαίαν, οὕτως, ὅταν τούς τε κατ’ ἰδίαν βίους τινῶν πλεονεκτικοὺς τάς τε κοινὰς πράξεις ἀδίκους θεωρήσωμεν,

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2 Die Psychologie von Herrschern bei Polybios Meiner Meinung nach gibt es zwei Prinzipien in jedem Staat, angesichts derer sich ihre militärische Stärke und politische Verfassung als entweder begehrenswert oder verächtlich ergibt. Damit meine ich Sitten und Gesetze. An diesen ist begehrenswert, dass die Menschen, die ihr Leben an ihnen ausrichten, religiös und klug werden und der allgemeine Charakter des Stadtstaates sich zu Zivilisiertheit und Gerechtigkeit entwickelt, doch aus dem Verächtlichen ergibt sich das Gegenteil. Wenn wir auch jetzt beobachten, dass die Gewohnheiten und Gesetze bei einem bestimmten Volk in einem guten Zustand sind, so meinen wir, dass seine Menschen voller Zuversicht und ihre Politik exzellent sein werden. Wenn wir dagegen beobachten, dass seine Menschen in ihrem Privatleben voller Begierden und die öffentlichen Handlungen ungerecht sind, so scheint es ebenfalls klar zu sein, dass nach unserer Auffassung ihre Gesetze, ihre Sitte im Einzelnen und ihr Staat in seiner Gesamtheit moralisch schlecht sind.

Wenn die Menschen im Einzelnen ihr Leben nach philosophischen Grundsätzen ausrichten, ergibt sich daraus der Erfolg eines Staates. Für das historische Rom traf dieser Grundsatz aus den genannten Gründen natürlich allenfalls in der Praxis zu, da eine theoretische Diskussion über den besten Staat bis zur Zeit des Polybios in Rom zumindest nicht in schriftlicher Form stattfand. Nichtsdestotrotz sieht Polybios offenkundig die Zeit für Rom gekommen, solche philosophischen Grundsätze, die Diskussion darüber und damit einen wichtigen Teil der griechischen Kultur, sich selbst anzueignen und möchte diese Akzeptanz für die weitere Zukunft Roms empfehlen, wie im folgenden Zitat zu sehen sein wird. Der Kontext ist ein Vergleich der Verfassungen von Sparta und Kreta, wobei Kreta als Beispiel für einen Staat dient, der nach dem oben Zitierten schlecht bzw. verächtlich ist und Sparta dem begehrenswerten bzw. gerechten und exzellenten Modell entspricht. 99 Im Gesamtkontext des sechsten Buches ist natürlich Rom noch erfolgreicher als Sparta. Kreta ist deshalb der schlechtere Staat, weil er übermäßigen Wert auf privaten Besitz legt.100 Sparta ist vor allem deshalb innerhalb Griechenlands weit überlegen, weil seine Verfassung durch den legendären Gesetzgeber Lykurgos mit einem göttlichinspirierten Plan eingerichtet wurde.101 Bereits diese göttliche Inspiriertheit verbindet also Lykurgos mit Scipio (dem Älteren), der ebenfalls im Ruf stand, mit den Göttern in Kontakt zu stehen. Im Folgenden vergleicht Polybios dann die menschliche Seele mit einem Staat und argumentiert, so meine Schlussfolgerung, dass beide sich von der richtigen Philosophie leiten lassen sollten:102 Wenn diese beiden Eigenschaften in einer Seele oder in einem Stadtstaat sich vereinen und in Harmonie miteinander stehen, nämlich männliche Vollkommenheit und Selbstbeherrschung, so geht aus ihnen nicht leicht etwas Schlechtes hervor noch werden sie einfach von ihren Nachbarstaaten erobert.

Diese Sentenz, die im Kontext fast für sich steht, entspricht also genau dem Charakterbild der Scipionen, insbesondere des jüngeren Scipio, welcher die beiden

99 100 101 102

δῆλον ὡς εἰκὸς λέγειν καὶ τοὺς νόμους καὶ τὰ κατὰ μέρος ἤθη καὶ τὴν ὅλην πολιτείαν αὐτῶν εἶναι φαύλην. Pol. 6,45–48. Besonders deutlich formuliert in Pol. 6,46,4. Pol. 6,48,2. Pol. 6,48,4: ἑκατέρων δὲ τούτων ὁμοῦ συνδραμόντων εἰς μίαν ψυχὴν ἢ πόλιν, ἀνδρείας καὶ σωφροσύνης, οὐτ’ ἐξ αὐτῶν φῦναι κακίαν εὐμαρὲς οὔθ’ ὑπὸ τῶν πέλας χειρωθῆναι ῥᾴδιον.

2.4 Tyrannen

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erwähnten Eigenschaften, männliche Vollkommenheit (virtus bzw. andreia) und philosophische Selbstbeherrschung, in einer Seele vereinte. Dieser Bezug wird auch durch die im Kontext erwähnte göttliche Inspiriertheit deutlich, vor allem aber durch die Eigenschaft der beiden Scipionen als Verteidiger Roms angesichts des Expansionsstrebens des benachbarten Karthagos. Gerade der jüngere Scipio dient somit dazu, griechische Philosophie mit römischen Tugenden, vor allem der militärischen Stärke, zu verknüpfen, wobei der Zusammenhang insofern gesucht ist, als theoretische Studien und militärische Tatkraft normalerweise nicht gut zusammenpassen. Das tertium comparationis ist also die Selbstbeherrschung (sophrosyne), also wiederum eine Tugend, die den stoischen Weisen auszeichnet, der unbeeinflusst von Affekten Entscheidungen trifft. Auch Cicero betonte die göttliche Inspiriertheit und Abstammung des Romulus, der ähnlich wie Lykurgos für Sparta der Gründer der Stadt Rom war, und stellte ihn so Scipio zur Seite.103 Plutarch sollte in seinen Parallelbiographien um 100 n. Chr. Lykurgos dem zweiten römischen König und Gründer der römischen Religion, Numa Pompilius zur Seite stellen. Polybios ging es hier nicht nur darum, berühmte griechische und römische Staatsmänner als ebenbürtig nebeneinander zu stellen oder die Überlegenheit der römischen Seite zu betonen, sondern vor allem um die Kommunikation ihrer Seelen mit göttlichen Sphären, zu denen wiederum die Lehre der Philosophie, die er in Rom etablieren will, den geeignetsten Weg ebnet. 2.4 TYRANNEN Wenn sich die seelischen Eigenschaften des idealen Staatsmanns also durch Selbstbeherrschung im Sinne der Philosophie und durch das Vermögen, selbst mit dem Göttlichen in Kommunikation zu treten, auszeichnen, so müssen Tyrannen natürlich für die gegenteiligen Wesenszüge stehen. Sie lassen sich durch ihre Begierden, insbesondere Grausamkeit und Zorn leiten, die Götter kommunizieren nicht mit ihnen direkt, dafür aber über sie und zwar mit der Bürgerschaft, an deren Spitze sie stehen, und das weitere Schicksal ihrer Seele versinnbildlicht sich bereits in der Art und Weise des Todes:104 Einige Historiker, die über den Untergang des Hieronymus geschrieben haben, haben sozusagen viel Text produziert und viele Märchen verfasst. Dabei haben sie von bösen Omen berichtet, die ihnen vor dem Beginn seiner Herrschaft erschienen sind, und von den Unglücksfällen der Bewohner von Syrakus. Sie haben auch tragische Geschichten verfasst über die 103 Cic., rep. 2,2,4–2,3,5; 2,5,10; 2,10,17f. 104 Pol. 7,7,1–2: Ὅτι τινὲς τῶν λογογράφων τῶν ὑπὲρ τῆς καταστροφῆς τοῦ Ἱερωνύμου γεγραφότων πολύν τινα πεποίηνται λόγον καὶ πολλήν τινα διατέθεινται τερατείαν, ἐξηγούμενοι μὲν τὰ πρὸ τῆς ἀρχῆς αὐτοῖς γενόμενα σημεῖα καὶ τὰς ἀτυχίας τὰς Συρακοσίων, τραγῳδοῦντες δὲ τὴν ὠμότητα τῶν τρόπων καὶ τὴν ἀσέβειαν τῶν πράξεων, ἐπὶ δὲ πᾶσι τὸ παράλογον καὶ τὸ δεινὸν τῶν περὶ τὴν καταστροφὴν αὐτοῦ συμβάντων, ὥστε μήτε Φάλαριν μήτ’ Ἀπολλόδωρον μήτ’ ἄλλον μηδένα γεγονέναι τύραννον ἐκείνου πικρότερον. Demades von Athen spielt in einem Fragment mit unbekanntem Kontext ebenfalls auf den Zorn von Königen an (BNJ 227 F 25 = Demades, frg. 123 de Falco).

82

2 Die Psychologie von Herrschern bei Polybios Grausamkeit seiner Charakterzüge und die Gottlosigkeit seiner Taten, vor allem aber über die widersinnigen und fürchterlichen Ereignisse, die mit seinem Tod einhergingen, so dass weder Phalaris noch Apollodoros noch irgendjemand sonst ein schonungsloserer Tyrann geworden sei, als jener es war.

Polybios stellt diese Art der Charakterzeichnung mit kritischem Abstand dar. Seinen Ausführungen zufolge waren dies Allgemeinplätze in der Darstellung eines Tyrannen, die in der Geschichtsschreibung seiner Zeit verbreitet waren und im Fall des Tyrannen Hieronymus von Syrakus auf die Spitze getrieben wurden. Polybios spielt dabei wiederum auf die von ihm sogenannte tragische Geschichtsschreibung an, allerdings nicht auf Timaios, der um 250 v. Chr. starb und somit die Herrschaft des Hieronymus nicht mehr erlebt hatte. Lediglich über den Historiker Baton von Sinope (BNJ 268) ist überliefert, dass er über Hieronymus geschrieben hatte, die weiteren Historiker, auf die Polybios anspielt, sind dagegen nicht bekannt. 105 Auch das Leben des Hieronymus von Syrakus selbst ist weitgehend im Dunkeln, da das Buch sieben des Polybios, dem das Zitat oben entnommen ist, nur in Fragmenten vorliegt.106 Da Hieronymus 215 v. Chr. bereits im Alter von 15 Jahren als König von Syrakus auf seinen Vater Gelon II. folgte, ist es naheliegend (und so auch in der Parallelüberlieferung des Livius angedeutet), dass er analog zu den obigen Beispielen unter dem Einfluss von Beratern stand, die den jugendlichen Charakter verdarben. Nach der römischen Version des Livius waren es jedenfalls diese Berater, die ihn zum Bündnis mit Karthago gegen Rom drängten, woraufhin er bereits 214 v. Chr. einer Verschwörung zum Opfer fiel.107 Phalaris, der wahrscheinlich von etwa 570 bis 555 Tyrann von Agrigent war, und Apollodoros, der von 279 bis zu seiner Vertreibung im Jahre 276 über Kassandreia herrschte, waren in der Antike sprichwörtlich für ihre Grausamkeit bekannt.108 Im zwölften Buch der Historien beschreibt Polybios den ehernen Stier, in dem Phalaris seine Gegner rösten ließ.109 In Kombination werden diese beiden Herrscher auch von Seneca in seiner Schrift De ira erwähnt, dort stehen sie für den Typus von Personen, die rein aus Zorn und Vergnügen, ohne das Motiv der Vergeltung, Menschen foltern und töten.110 Ein weiterer kaiserzeitlicher Autor beschrieb sogar den Tyrannenmörder als eine Person, die aus einem Gerechtigkeitsgefühl, nicht aus einer Leidenschaft heraus

105 BNJ 268 F 4 = Athen. 6,59, 251e. Siehe dazu Walbank, Commentary, Bd. 2 (1967), 39 ad Pol. 7,7,1. 106 Klaus Meister, Hieronymos [3] von Syrakus, DNP 3 (1997), 546; Berve (1967), Bd. 1, 471–475 mit Bd. 2, 735f. 107 Liv. 24,4–6 und 24,25f. Der Einfluss der Berater wird in Liv. 24,4,2 deutlich: eam aetatem, id ingenium [ut] tutores atque amici ad praecipitandum in omnia vitia acceperunt. („Seine Erzieher und politischen Freunde verstanden, dass er in diesem Alter und bei dieser charakterlichen Veranlagung geneigt war, in ein ganz lasterhaftes Leben zu stürzen.“), ähnlich Liv. 24,6,9; 24,25,2. 108 Barbara Patzek, Phalaris, DNP 9 (2000), 726; Julius Kaerst, Apollodoros 43, RE 1.2 (1894), 2851; Berve (1967), Bd. 1, 129–132 und 391f. mit Bd. 2, 593–595 und 709. 109 Pol. 12,25,1–5. 110 Sen., de ira 2,5,1f.

2.4 Tyrannen

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Phalaris getötet hatte.111 Phalaris hatte dieses Ende demnach verdient. Auch bei Polybios ist also dieser Typus des grausamen Tyrannen in seiner seelischen Veranlagung der Selbstbeherrschung des stoischen Weisen, wie sie etwa der jüngere Scipio verkörpert, diametral entgegengesetzt. Im Kontext richtet sich die Kritik an den Historikern des Hieronymus daher auch nicht auf das Charakterbild als solches, sondern vielmehr darauf, dass angesichts der kurzen Regierungszeit die von ihnen angeführten Belege für dessen grausamen Charakter aus den Proportionen geraten.112 Die Bewertung, ob der Tod einer Person ihrem Leben angemessen ist, findet sich bei Polybios häufiger. Ein besonders kurioses Beispiel ist der Fall des Aristomachos von Argos, der nach den Worten des Polybios gefoltert wurde und „die schwerste Bestrafung verdient hatte“, unter anderem deshalb, weil „er selbst Tyrann von Argos war und auch von Tyrannen abstammte“.113 Letztere Bemerkung deutet zwar nicht zwangsläufig darauf hin, dass Aristomachos, wie die Seelen im Somnium Scipionis eine Belohnung oder Bestrafung im Jenseits erfahren, aber doch auf das Wirken einer göttlichen Providenz, welche die Menschen einem gerechten Schicksal zuführt, welches wiederum nicht nur durch den eigenen freien Willen, sondern auch durch biologische Abstammung und die somit von Geburt an mitgegebenen Anlagen gerechtfertigt ist.114 Polybios begründet jedenfalls sein Urteil über Aristomachos damit, dass dieser ebenfalls Bürger gefoltert hat und somit in gerechter Vergeltung das gleiche Schicksal erleidet.115 111 BNJ 559 Polykritos von Mende T 2 = Pseudo-Phalaris, epist. 70: „Denn du warst stark genug, die Leidenschaft eines Tyrannenmörders zu überwinden“ (ἡ μὲν γὰρ ἰσχὺς τυραννοκτόνον νενίκηκε πάθος) usw. Dass ein Tyrannenmörder tatsächlich auch aus Leidenschaft handeln konnte, zeigt das Beispiel des Kallisthenes (BNJ 124 T 1 = Suda, kappa 240 Adler), der angeblich ein Komplott gegen Alexander den Großen plante und insgesamt „durch große Impulsivität“ (ῥύμῃ πολλῇ) gekennzeichnet war. 112 Pol. 7,7,3–6. 113 Pol. 2,59,4: τῆς μεγίστης ἄξιον κρίνω τιμωρίας und 2,59,1: καὶ τετυραννηκότα μὲν Ἀργείων, πεφυκότα δ’ ἐκ τυράννων. Im Kontext von 2,59 referiert Polybios den Historiker Phylarchos (BNJ 81), der sowohl Aristomachos als auch den Tyrannenbegriff genau gegenteilig bewertet, Polybios wendet sich gegen diese Deutung. Darstellungen von Gewalt bei hellenistischen Historikern, wie diese hier, untersucht D’Huys, (1987), bes. 222f. zu Aristomachos von Argos. Zur Kritik des Polybios an Phylarchos siehe Meister (1975), 95–106 sowie bes. 101–103 zu Aristomachos von Argos. 114 Wie bereits in Kapitel eins angedeutet, bestimmt der Gedanke der göttlichen Providenz das Werk des Diodor, weniger das des Polybios. Aber auch Polybios erwähnt in seinem Werk natürlich die pronoia, laut Thesaurus Linguae Graecae an 69 Stellen. Viel geschrieben wurde über den Begriff der tyche, wobei Polybios darunter teilweise die Providenz versteht. Eine langanhaltende Forschungskontroverse besteht darüber, ob sich diese Bedeutung von tyche mit einer spezifisch stoischen Auslegung von pronoia deckt, wobei zumindest insofern Einigkeit besteht, als Polybios einzelne Aspekte der stoischen Providenz für sein Geschichtswerk übernahm. Siehe dazu Lisa I. Hau, Tykhe in Polybios: Narrative Answers to a Philosophical Question, Histos 5 (2011), 183–207, bes. 183–185 (mit älterer Literatur). Für eine Diskussion von Belegstellen von tyche in Polybios, Walbank, Commentary, Bd. 1 (1957), 16–26, insbesondere 21–23 für Überschneidungen zwischen Providenz und tyche. 115 Pol. 2,59,9–60,2.

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Ein überraschend anderes Urteil fällt Polybios dagegen mit Blick auf Hermeias (gest. um 220 v. Chr.), welcher der oberste Minister des Seleukidenkönigs Antiochos III. war. Sein Charakter wird von Polybios als grausam dargestellt: Genau wie ein Tyrann, so sei auch Hermeias „von Natur aus zur Grausamkeit veranlagt“ gewesen und habe aufgrund dieser Grausamkeit falsche Anklage erhoben, Unschuldige bestraft und sei dazu noch neidisch auf die Höflinge in seinem Umfeld gewesen.116 Da nur die Darstellung des Polybios existiert, ist diese schwer zu überprüfen, die Charakterisierung deutet jedenfalls auf einen Karrieristen am Hof des Antiochos hin.117 Trotz dieser ungünstigen Einführung erscheint das gewaltsame Ende des Hermeias unverdient: „Hermeias endete also auf eine solche Weise das Leben, indem er eine Strafe erlitt, die seiner Taten nicht würdig war“.118 Hermeias wurde von den politischen Freunden des Seleukidenkönigs erstochen, da ein Komplott gegen Antiochos aufflog, den Hermeias töten wollte, um seinen Platz einzunehmen. Das unwürdige Ende ist also wohl so zu verstehen, dass Hermeias einen langsameren und qualvollen Tod verdient hätte, und vor allem einen solchen, der nicht als heldenhaftes Ableben im Zuge einer Verschwörung gegen einen König gesehen werden konnte. Denn Polybios fügt hinzu, dass die Familie des Hermeias anschließend gesteinigt wurde, wahrscheinlich aus dem Grund, dass sich ähnlich wie bei Aristomachos die göttliche Providenz hier immerhin am Schicksal der Familie des Hermeias zeigen lässt. Denn diese Steinigung durch die Bevölkerung von Apameia in Syrien ist im Kontext Ausdruck der Erleichterung über den Tod des Hermeias.119 Bei der Bewertung des Hermeias kommt hinzu, dass dieser anders als Aristomachos ein Höfling und Berater des Königs und selbst kein Herrscher war. Dass Polybios jedenfalls an das Wirken einer göttlichen Providenz glaubte, welche Herrscher mit tyrannischen Seeleneigenschaften zumindest teilweise einer gerechten Strafe zuführte, geht aus dem folgenden Zitat ausdrücklich hervor, welches das Ende von Philipp V. von Makedonien und Antiochos III. einordnet:120 Wer könnte daher dieses Bündnis wie ein Spiegelbild anschauen, ohne sich vorzustellen, dass er darin Frevel gegen die Götter und Grausamkeit gegen die Menschen entdeckt, vor allem aber die außergewöhnliche Habgier der vorgenannten Könige? Doch wer von denen, die dem Schicksal für den Ausgang menschlicher Angelegenheiten einige Schuld zuweisen, würde nicht 116 Pol. 5,41,3: φύσει δ’ ὠμὸς. 117 Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Narrativ des Polybios bietet Walter Otto, Hermeias 1, RE 7.1 (1912), 726–730 sowie Hatto H. Schmitt, Untersuchungen zur Geschichte Antiochosʼ des Großen und seiner Zeit, Wiesbaden 1964, 121f. 118 Pol. 5,56,13: Ἑρμείας μὲν οὖν τούτῳ τῷ τρόπῳ μετήλλαξε τὸν βίον, οὐδεμίαν ὑποσχὼν τιμωρίαν ἀξίαν τῶν αὑτῷ πεπραγμένων. 119 Pol. 5,56,13f. 120 Pol. 15,20,4f.: ἐξ ὧν τίς οὐκ ἂν ἐμβλέψας οἷον εἰς κάτοπτρον εἰς τὴν συνθήκην ταύτην αὐτόπτης δόξειε γίνεσθαι τῆς πρὸς τοὺς θεοὺς ἀσεβείας καὶ τῆς πρὸς τοὺς ἀνθρώπους ὠμότητος, ἔτι δὲ τῆς ὑπερβαλλούσης πλεονεξίας τῶν προειρημένων βασιλέων; οὐ μὴν ἀλλὰ τίς οὐκ ἂν εἰκότως τῇ τύχῃ μεμψάμενος ἐπὶ τῶν ἀνθρωπείων πραγμάτων ἐν τούτοις ἀντικαταλλαγείη, διότι ἐκείνοις μὲν ἐπέθηκε μετὰ ταῦτα τὴν ἁρμόζουσαν δίκην, τοῖς δ’ ἐπιγενομένοις ἐξέθηκε κάλλιστον ὑπόδειγμα πρὸς (ἐπ)ανόρθωσιν τὸν τῶν προειρημένων βασιλέων παραδειγματισμόν; In ähnlicher Weise stellt Pol. 13,5,4–6 die Wahrheit als größte der Gottheiten dar, die sich am Ende trotz aller Anfeindungen stets durchsetzt.

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dadurch versöhnt werden, dass es diesen Herrschern danach eine angemessene Strafe zuwies und so anhand der vorgenannten Könige für die Besserung der Nachgeborenen ein besonders schönes Beispiel und mahnendes Zeichen mit auf den Weg gab.

Hermeias hatte also auch in seinem Anschlagsversuch gegen Antiochos III. versagt, der nach dieser sehr harschen Bewertung des Polybios doch eigentlich in dessen Sinne gewesen sein musste, obwohl das Motiv dazu natürlich ein falsches war. Das Bündnis, auf welches Polybios oben anspielt, ist der Teilungsvertrag zwischen Philipp und Antiochos gegen den jungen König Ptolemaios V., der wohl im Jahre 203 geschlossen wurde. Laut Polybios wollten Philipp und Antiochos das Ptolemäerreich in geheimer Absprache unter sich aufteilen. Ob dies wirklich der Inhalt der Übereinkunft war, ist jedoch strittig, da Appian lediglich von einem Verteidigungsbündnis spricht.121 In der Folge geriet Philipp in Konflikt mit Pergamon, das seinerseits die Römer um Hilfe bat. In diesem makedonisch-römischen Krieg (200–197 v. Chr.) unterlag Philipp in der Schlacht von Kynoskephalai 197 v. Chr. entscheidend, für die hellenistische Staatenwelt bedeutete diese Schlacht den Anfang vom Ende. Polybios deutet diese spätere Entwicklung daher als direkte Folge der moralischen Verwerflichkeit des Philipp und des Antiochos: 122 Letztendlich hat das Schicksal in sehr kurzer Zeit das Königreich des Ptolemaios wieder in Ordnung gebracht, was aber deren Herrscherfamilien und Nachfolger angeht, so wirkte es dahingehend, dass die einen völlig darniederliegen und zerstört sind, die anderen umgarnte es mit fast den gleichen Todessymptomen.

Wie schon bei Aristomachos von Argos, so zeigt sich also auch hier, dass sich die moralische Verwerflichkeit von Herrschern auf nachfolgende Generationen überträgt, an denen die Providenz Rache nehmen kann, wenn auch die ursprünglichen Täter verschont werden. Polybios äußert sich zwar nicht direkt zur Frage von Belohnungen und Bestrafungen der Seelen von Menschen im Jenseits, sieht hier aber das gleiche Prinzip bereits im Diesseits verwirklicht. Antiochos war nach dem Zeugnis des Polybios jedenfalls selbst davon überzeugt, dass die göttliche Providenz im Weltgeschehen ihren Platz hat. Hintergrund ist der Kriegszug des Antiochos gegen seinen ehemaligen General Achaios den Jüngeren, der gegen Antiochos eine Usurpation versucht hatte, aber im Jahr 213 v. Chr. in Sardes in Kleinasien eingeschlossen war. Der Söldnerführer Kambylos war seinerseits abgefallen und hatte Antiochos angeboten, den Achaios in einen Hinterhalt zu locken: „Im Glauben, dass das Vorhaben geradezu göttlich inspiriert gewesen sei, drängte er Kambylos beständig dazu, es in die Tat umzusetzen.“123 Bereits hier 121 Eine Zusammenstellung der Quellen dazu (darunter Pol. 3,2,8 und 16,1,8f.; vgl. App., Mac. 4,1) findet sich bei Walbank, Commentary, Bd. 2 (1967), 471–473 ad Pol. 15,20 zusammen mit der bis dahin erschienenen Literatur sowie bei Boris Dreyer, Die römische Nobilitätsherrschaft und Antiochos III. (205 bis 188 v. Chr.), Hennef 2007, 259–272 mit ausführlicher Diskussion der Hintergründe. Ausführliche Diskussion auch bei Schmitt (1964), 237–261. 122 Pol. 15,20,8: τὸ τελευταῖον ἐν πάνυ βραχεῖ χρόνῳ τὴν μὲν Πτολεμαίου βασιλείαν ἡ τύχη διώρθωσε, τὰς δὲ τούτων δυναστείας καὶ τοὺς διαδόχους τοὺς μὲν ἄρδην ἀναστάτους ἐποίησε καὶ πανωλέθρους, τοὺς δὲ μικροῦ δεῖν τοῖς αὐτοῖς περιέβαλε συμπτώμασι. 123 Pol. 8,17,3: καὶ νομίζων ὡς ἂν εἰ σὺν θεῷ γίνεσθαι τὴν ἐπιβολήν, ἠξίου καὶ πολλάκις ἐδεῖτο τοῦ Καμβύλου συντελεῖν τὴν πρᾶξιν.

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tritt also der hinterhältige Wesenszug des Antiochos hervor, den das Schicksal am Ende selbst einholen und dafür abstrafen sollte. In einem Fragment zum Ende des Werkes, welches Bezug nimmt auf die Zerstörung von Korinth durch die Römer im Jahre 146 v. Chr., bei welcher der Achaiische Bund aufgelöst wurde, zeigt sich das Schicksal, welches an Philipp und Antiochos Rache nimmt, erfüllt:124 Daher möchte ich persönlich gerne sagen, dass ich glaube, ein gleichsam verständiger und kunstreicher Schicksalszug hat sich dem Unverstand und Wahnsinn der Herrscher entgegengestemmt. Diese Macht wurde in jeder Hinsicht und überall von der Ignoranz der führenden Staatsmänner vertrieben, und doch hatte sie beschlossen, auf jede erdenkliche Weise die Achaier zu retten, und kam dabei auf die einzig verbleibende List, wie ein meisterhafter Ringkämpfer. Diese List bestand darin, die Griechen schnell zu Fall zu bringen und sie leicht zu besiegen.

Mit dem Wahnsinn der ungenannten Staatsmänner gemeint ist die antirömische Haltung des Achaiischen Bundes. Für Polybios hatte die göttliche Vorsehung aktuell Rom zur Herrschaft im Mittelmeerraum ausersehen, der Widerstand dagegen war der Ignoranz der Politiker im Achaiischen Bund geschuldet. Der Wille, sich gegen die Providenz zu stellen, wenn auch unwissend, wird als Wahnsinn gedeutet. Aufgrund des Zusatzes tis („eine Art von“) bei tyche („Schicksal“) argumentiert Walbank gegen Konrat Ziegler, dass Polybios weniger an eine metaphysische Deutung dieser Schicksalsmacht denkt, sondern das Paradox der Rettung durch Vernichtung in den Vordergrund stellt.125 Im Zusammenhang mit der oben zitierten Aussage zum Frevel des Philipp und dessen Sühne ist hier aber wohl doch an ein konkretes göttliches Walten zu denken, zumal tis auch im Sinne von „eine bestimmte Form“ (des Schicksals) verstanden werden kann, die nicht näher genannt werden soll.126 Konkret angespielt wird im Kontext auf Diaios von Megalopolis, der mit kurzer Unterbrechung von 150/49 bis 146 Stratege des Achaiischen Bundes war, und auf Kritolaos, Stratege des Jahres 147/6, die den Bund in die Katastrophe führten, indem sie den Krieg gegen Rom provozierten.127 Polybios kritisiert Kritolaos dabei als einen Demagogen, der die Bevölkerung der im Bund zusammengeschlossenen Städte mit polarisierender Rhetorik gegen die Römer aufbrachte, so dass die römische Gesandtschaft unter Sextus Iulius Caesar zu Recht „die Ignoranz und den Wahnsinn des Kritolaos verurteilte“.128 Dieser Wahnsinn der Demagogie überträgt sich auch hier auf die Bevölkerung: „Das ganze Land war infiziert von

124 Pol. 38,18,8f.: ἐγὼ γὰρ ἂν εἴποιμι διό(τι) δοκεῖ μοι καθαπερανεὶ τύχη τις ἀντερεῖσαι πανοῦργος καὶ τεχνικὴ πρὸς τὴν ἄνοιαν καὶ μανίαν τῶν ἡγουμένων, ἥτις ἐξωθουμένη πάντῃ καὶ πάντως ὑπὸ τῆς ἀγνοίας τῶν προεστώτων, βουλομένη δὲ κατὰ πάντα τρόπον σῴζειν τοὺς Ἀχαιούς, ἐπὶ τὸ καταλειπόμενον ἦλθεν ὥσπερ ἀγαθὸς παλαιστής. τοῦτο δ’ ἦν τὸ ταχέως σφῆλαι (καὶ) ῥᾳδίως ἡττῆσαι τοὺς Ἕλληνας· 125 Walbank, Commentary, Bd. 3 (1979), 716f., ad Pol. 38,18,8; Konrat Ziegler, Polybios 1, RE 21.2 (1952), 1440–1578, hier 1536f. 126 LSJ, s.v. τις, A.I.3. 127 Linda-Marie Günther, Diaios, DNP 3 (1997), 511. 128 Pol. 38,11,6–11; 38,13,8. Zitat nach Pol. 38,11,6: κατεγνωκότες ἄγνοιαν καὶ μανίαν τοῦ Κριτολάου.

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einer geistigen Störung“.129 Dieser Wahnsinn von politischen Führungspersonen äußert sich also sowohl im Aufbegehren gegen die göttliche Providenz als auch in der Demagogie dieser Personen. Das oben angesprochene Wechselverhältnis zwischen der beinflussbaren Jugend eines Erben väterlicher Macht und dem schädlichen Einfluss seiner Erzieher und Berater ist sogar zentrales Element in der Theorie des Kreislaufs der Verfassungen in Buch sechs. Dieses Wechselverhältnis ist insbesondere verantwortlich für den Umschlag der Aristokratie, der „Herrschaft der Besten“, in die Oligarchie, die „Herrschaft der Wenigen“, die im Kontext der folgenden Beobachtung steht:130 Wenn wiederum die Kinder eine derartige Machtfülle von ihren Vätern erhalten, sie somit keine schlechten Erfahrungen gemacht haben, vor allem aber keine Erfahrungen in allgemeiner politischer Gleichheit und Redefreiheit und sie von Anfang an in der Machtfülle und dem Wohlstand ihrer Väter aufgezogen wurden, so stürzen sich die einen in Habgier und gesetzloses Gewinnstreben, die anderen in Trunksucht und die mit ihr einhergehenden exzessiven Gelage, wieder andere vergewaltigen Frauen und schänden Knaben. Dadurch verwandeln sie die Aristokratie in eine Oligarchie.

Ähnliches gilt auch, so die Schlussfolgerung, für den ersten Umschwung von der Monarchie zur Tyrannis, der dann eintritt, wenn aus einem Wahlkönigtum eine dynastische Nachfolgeregelung hervorgeht.131 Bereits Platon und Aristoteles nennen dabei die Laster der Habgier bzw. der Trunksucht und der sexuellen Übergriffigkeit als Ursachen für den Sturz der Monarchie, der Aspekt der Entstehung und Einprägung der negativen Charaktereigenschaften des Tyrannen in Kindheit und Jugend ist im Vergleich dazu bei Polybios neu.132 Polybios muss diese pädagogische Deutung nicht als erster hergestellt haben, denn die Historien des Polybios selbst, vor allem Buch sechs, zeigen, dass die Debatte um die Entstehung von Verfassungsformen in der hellenistischen Staatenwelt weit vorangeschritten war, die Auswahl der erhaltenen Schriften ist dagegen sehr begrenzt. Dennoch ist, wie bereits erwähnt, die Begründung der negativen und positiven Charaktereigenschaften von Staatsmännern aus dem Einfluss von Erziehern und Beratern auf die junge, noch leicht zu beeinflussende Seele in den Historien insgesamt auffällig und auch in dem obigen Zitat zur Theorie des Kreislaufs der Verfassungen angedeutet. Polybios zählt dabei in einem Fragment von Buch 13 die Habgier zu den seelischen Erkrankungen, 129 Pol. 38,16,7: πάντα δ’ ἦν πλήρη παρηλλαγμένης φαρμακείας. Siehe dazu auch Kapitel eins, S. 35 oben. 130 Pol. 6,8,4f.: ὅτε δὲ διαδέξαιντο πάλιν παῖδες παρὰ πατέρων τὴν τοιαύτην ἐξουσίαν, ἄπειροι μὲν ὄντες κακῶν, ἄπειροι δὲ καθόλου πολιτικῆς ἰσότητος καὶ παρρησίας, τεθραμμένοι δ’ ἐξ ἀρχῆς ἐν ταῖς τῶν πατέρων ἐξουσίαις καὶ προαγωγαῖς, ὁρμήσαντες οἱ μὲν ἐπὶ πλεονεξίαν καὶ φιλαργυρίαν ἄδικον, οἱ δ’ ἐπὶ μέθας καὶ τὰς ἅμα ταύταις ἀπλήστους εὐωχίας, οἱ δ’ ἐπὶ τὰς τῶν γυναικῶν ὕβρεις καὶ παίδων ἁρπαγάς, μετέστησαν μὲν τὴν ἀριστοκρατίαν εἰς ὀλιγαρχίαν. 131 Pol. 6,8,6. Zum Umschwung der Monarchie in die Tyrannis, Pol. 6,7,6–8. 132 Plat., rep. 8, 551a; Aristot., pol. 5, 1314b. Der hellenistische Historiker Duris von Samos erwähnt, dass besonders in der archaischen Zeit Herrscher der Trunksucht mit Leidenschaft nachgegangen sind: BNJ 76 F 15 = Athen. 12,66, 546c–d. Da abgesehen von Homer keine Überlieferung aus dieser Zeit bekannt ist, handelt es sich also um einen Topos. Allgemein zu dem Topos der Trunksucht bei Polybios siehe Eckstein (1995), 285–289 sowie bereits Wunderer (1905), 6f.

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die auch nicht von selbst zurückgeht, sondern sich im Gegenteil durch Bedürfnisbefriedigung noch weiter verstärkt, aber durch rationale Argumentation immerhin heilbar ist:133 Er wusste nicht, dass wie bei Ödemen die äußerliche Behandlung mit Flüssigkeiten niemals zu einer Ruhepause oder einer Sättigung der Wassersucht führt, sofern niemand die zugrundeliegende körperliche Erkrankung heilt, es in gleicher Weise auch nicht möglich ist, das Verlangen nach immer mehr zu befriedigen, ohne das Böse in der Seele durch eine vernünftige Argumentation auszubessern.

Hintergrund dieses Vergleichs zwischen der Wassersucht und der Habgier in der Seele des Menschen ist die Entwicklung der griechischen Staatenwelt unter dem Söldnerführer und Strategen des Aitolischen Bund, Skopas. Der Vergleich als solcher ist nicht neu, sondern war in der griechischen Welt verbreitet.134 Aufschlussreich ist daher die Anwendung auf eine konkrete historische Person, die Polybios hier exklusiv vornimmt. Skopas hatte 212/11 das Bündnis mit Rom im Krieg gegen Philipp V. von Makedonien gesucht.135 Das politische Scheitern des Skopas erklärt Polybios dadurch, dass Skopas angesichts seiner Charaktermängel nicht in der Lage war, eine aitolische Schuldenkrise durch Gesetze zu beenden, und in der Folge gezwungen war, in das ptolemäische Alexandria zu fliehen.136 Darüber hinaus wurde Skopas nach militärischen Misserfolgen wegen Befehlsverweigerung und Bereicherung in Alexandria vor Gericht gestellt und starb eines unnatürlichen Todes, er wurde also hingerichtet oder nahm sich freiwillig das Leben. Sein Name stand daraufhin sprichwörtlich für Habgier.137 Nach der sehr negativen Bewertung des Polybios hatte Skopas daher sein gerechtes Ende gefunden. Die oben zitierte „vernünftige Argumentation“, die allein als Heilmittel gegen die seelische Erkrankung durch Habgier dienen könnte, ist also nach der obigen Diskussion der Rolle der Providenz in der Geschichte so zu verstehen, dass diese seelische Erkrankung entweder in diesem Leben oder dem der Nachkommen zu einer direkten Bestrafung führen wird. Skopas versinnbildlichte (dem tendenziösen Bild des Polybios zufolge) dieses Schicksal so sehr, dass er überall, wo er anlegte, „zwei Altäre aufstellte, einen für den Religionsfrevel, den anderen für Gesetzesbruch“ und somit „von Göttern und Menschen die verdiente Strafe fand“. 138 Auch hier schlägt sich 133 Pol. 13,2,2: οὐκ εἰδὼς ὅτι, καθάπερ ἐπὶ τῶν ὑδρωπικῶν οὐδέποτε ποιεῖ παῦλαν οὐδὲ κόρον τῆς ἐπιθυμίας ἡ τῶν ἔξωθεν ὑγρῶν παράθεσις, ἐὰν μὴ τὴν ἐν αὐτῷ τῷ σώματι διάθεσιν ὑγιάσῃ τις, τὸν αὐτὸν τρόπον οὐδὲ τὴν πρὸς τὸ πλεῖον ἐπιθυμίαν οἷόν τε κορέσαι μὴ οὐ τὴν ἐν τῇ ψυχῇ κακίαν λόγῳ τινὶ διορθωσάμενον. 134 Ein solcher Vergleich ist überliefert für Diogenes (Mullach, Fragmenta philosophorum Graecorum Bd. 2, 302, frg. 27 = Stob. 3,10,45, Wachsmuth/Hense, Bd. 3, 419), Aristippus (Plut., mor. 524b) und Bion (Stob. 97,31 = Wachsmuth/Hense, Bd. 5, 813) sowie bei Horaz (Hor., carm. 2,2,12–15; Hor., epist. 2,2,146–148). Zu dem Topos des Reichtums und der damit verbundenen Versuchungen siehe Eckstein (1995), 70–83 und 244–246. 135 Walter Ameling, Skopas [3], DNP 11 (2001), 637. 136 Pol. 13,1 und 13,1a. 137 Die Einzelheiten dazu schildert. Pol. 18,53,1–54,12; eine Gesamtbewertung gibt Pol. 18,55,1. 138 Pol. 18,54,10: δύο κατεσκεύαζε βωμούς, τὸν μὲν Ἀσεβείας, τὸν δὲ Παρανομίας. Pol. 18,54,11: τυχεῖν τῆς ἁρμοζούσης δίκης καὶ παρὰ θεῶν καὶ (παρ’) ἀνθρώπων.

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die seelische Verirrung des Einzelnen auf die politische Kultur der Gemeinschaft nieder, wie man an der aitolischen Schuldenkrise und seinen eigenen Niederlagen gegen die Seleukiden sehen kann. Die Verdunkelung der wahren Charaktereigenschaften historisch bedeutender Persönlichkeiten durch den Einfluss politischer Freunde und Berater wird vor allem an dem Charakterbild des Hannibal deutlich. Der berühmte karthagische Feldherr war der Gegner Scipios des Älteren im zweiten Punischen Krieg. Hannibal hatte den römischen Truppen in der Schlacht bei Cannae 216 v. Chr. die bis dahin empfindlichste Niederlage zugefügt, war aber letztendlich in der Schlacht von Zama, die 202 v. Chr. von Scipio geleitet wurde, unterlegen. In der Gestaltung des Polybios sollte Hannibal daher wohl als großer Gegner gezeichnet werden, der den Ruhm des Scipio umso deutlicher hervortreten lässt. Polybios setzt sich dabei mit der in Rom verbreiteten Ansicht auseinander, dass Hannibal den für Tyrannen typologischen Hang zu Grausamkeit und Habgier besaß.139 Diese Ansicht greift Polybios wohl aus seiner pro-scipionischen Perspektive an:140 Denn manche sagen zwar, dass Charakteranlagen durch die Umstände zur Schau gestellt werden und dass ein Teil der Menschen im Besitz von persönlicher Macht sein wahres Wesen offenbart, selbst wenn sie dieses bis dahin völlig unterdrückt hatten, der andere Teil wiederum im Angesicht des Misserfolges. Doch meiner Ansicht nach ist diese Aussage ganz und gar nicht korrekt. Mir jedenfalls scheint es sich nicht nur in den wenigsten, sondern in den meisten Fällen so zu verhalten, dass die Menschen gezwungen sind, manchmal aufgrund der Empfehlungen politischer Freunde, manchmal auch aufgrund der Komplexität der Ereignisse, entgegen ihren eigenen Prinzipien zu reden und zu handeln.

Die erste genannte Position, gegen die sich Polybios hier wendet, ist also wiederum durch ihre Nähe zur Tragödie gekennzeichnet, da nach dieser Position sich der wahre Charakter einer Person erst zeigt, wenn ihr Schicksal eine radikale Wende zum Guten oder zum Schlechten nimmt. Laut der Poetik des Aristoteles ist nämlich ein plötzlicher Umschlag des Schicksals (Peripetie) charakteristisch für die Tragödie. Insbesondere „ist ein Erkennen, wie der Begriff selbst anzeigt, ein Wechsel von Unwissen zu Kenntnis, das entweder zu Freundschaft oder zu Feindschaft führt, und zwar bei denen, die zum Glück oder zum Unglück bestimmt sind“.141 Das Schicksal eines Menschen ist demnach also vorhergezeichnet und die Wahrheit tritt in Extremsituationen von Erfolg oder Misserfolg am deutlichsten hervor. Nach Polybios verhält sich die Sachlage genau umgekehrt. Ein politisch tätiger Mensch ist 139 So in Pol. 9,22,8. Polybius sagt nicht direkt, dass es sich um die römische Sichtweise handelt, doch finden sich diese Gemeinplätze bei den späteren Autoren: Diod. 26,14,1–2 Walton = 26,19–20 Goukowsky; App., Hann. 3,12, 28,121f., 31,132 und 59,248–60,251; Liv. 26,4,9; Cic., off. 1,12,38; Cic., Lael. 1,28. 140 Pol. 9,22,9f.: ἔνιοι μὲν γὰρ ἐλέγχεσθαί φασι τὰς φύσεις ὑπὸ τῶν περιστάσεων, καὶ τοὺς μὲν ἐν ταῖς ἐξουσίαις καταφανεῖς γίνεσθαι, κἂν ὅλως τὸν πρὸ τοῦ χρόνον ἀναστέλλωνται, τοὺς δὲ πάλιν ἐν ταῖς ἀτυχίαις. ἐμοὶ δ’ ἔμπαλιν οὐχ ὑγιὲς εἶναι δοκεῖ τὸ λεγόμενον· οὐ γὰρ ὀλίγα μοι φαίνονται, τὰ δὲ πλεῖστα, ποτὲ μὲν διὰ τὰς τῶν φίλων παραθέσεις, ποτὲ δὲ διὰ τὰς τῶν πραγμάτων ποικιλίας, ἄνθρωποι παρὰ τὴν αὑτῶν προαίρεσιν ἀναγκάζεσθαι καὶ λέγειν καὶ πράττειν. 141 Aristot., poet. 1452a: ἀναγνώρισις δέ, ὥσπερ καὶ τοὔνομα σημαίνει, ἐξ ἀγνοίας εἰς γνῶσιν μεταβολή, ἢ εἰς φιλίαν ἢ εἰς ἔχθραν, τῶν πρὸς εὐτυχίαν ἢ δυστυχίαν ὡρισμένων.

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darauf angewiesen, gerade in Extremsituation nicht selbst zu entscheiden, sondern die Entscheidung Beratern zu überlassen oder sich zu verstellen und dadurch auf einen glimpflichen Ausgang in einer Notsituation zu hoffen. Hannibal entspricht in dieser Zweiteilung jedoch den Eigenschaften der Scipionen, da diese Personen gemein haben, dass sie sich nicht von äußeren Umständen und Personen leiten lassen: „So verfügt ein Mann über einen großen wunderbaren Reichtum durch eine Seele, die von Natur aus und von Anfang an passend ausgestattet ist, alles was menschenmöglich ist, in Angriff zu nehmen“.142 Die seelischen Eigenschaften, welche wiederum idealerweise eine stoische Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen aufweisen, sind also bereits von Geburt an festgelegt, schwache Gemüter werden dagegen durch Erzieher und Berater geformt. Dieser Sentenz über die Unzulänglichkeit historischer Darstellungen, die Seele eines Menschen wirklich zu durchschauen, folgt ein Katalog von Politikern und Tyrannen, die genau aus diesem Grund der äußeren Beeinflussung als in sich widersprüchliche Personen hervorgetreten sind. Die meisten der genannten Personen werden an anderen Stellen des Werkes ausführlicher besprochen.143 Den Abschluss des Kataloges, also die wohl wichtigste Position darin, nimmt Philipp V. von Makedonien ein (s.o.). Laut Polybios war die diametral entgegengesetzte Zweiteilung seines Charakters – boshaft und sanftmütig – allein den oben erwähnten Beratern zuzuschreiben.144 Ein weiteres Beispiel für diesen negativen Einfluss von Beratern ist Kleomenes III. von Sparta.145 Kleomenes wird dabei noch relativ positiv bewertet, obwohl er Polybios selbst sowie der weiteren Führungsschicht des Achaiischen Bundes als Tyrann galt.146 Im Kontrast zu Kleomenes steht in dessen Charakterzeichnung in Buch fünf der Historien Ptolemaios IV. Philopator, Pharao von Ägypten, an dessen Hof Kleomenes im Krieg mit Antigonos III. von Makedonien floh (der sich gerade mit dem Achaiischen Bund unter Aratos von Sikyon verbündet hatte) und gegen den er sich an einer Verschwörung beteiligte.147 Ptolemaios erscheint dabei als der stereotype Tyrann, der nach der oben gegebenen Definition sich den Lastern der sexuellen Begehrlichkeit und Trunksucht hingab und somit laut Polybios zu Recht von Verschwörungen bedroht war.148 Die Bewertung des Kleomenes zum Ende seines Lebens fällt dagegen sogar positiv aus: „So schied also Kleomenes aus dem Leben, ein Mann, der im gesellschaftlichen Umgang sich Geschicklichkeit angeeignet hatte, zur Staatsverwaltung befähigt war, kurz gesagt, eine

142 Pol. 9,22,6: οὕτως μέγα τι φύεται χρῆμα καὶ θαυμάσιον ἀνὴρ καὶ ψυχὴ δεόντως ἁρμοσθεῖσα κατὰ τὴν ἐξ ἀρχῆς σύστασιν πρὸς ὅ τι ἂν ὁρμήσῃ τῶν ἀνθρωπίνων ἔργων. 143 Eine Zusammenstellung, einschließlich der Parallelüberlieferung, findet sich bei Walbank, Commentary, Bd. 2 (1967), 151f., ad locum. 144 Pol. 9,23,9. 145 Karl-Wilhelm Welwei, Kleomenes [6] III, DNP 6 (1999), 580. 146 Pol. 2,47,3; Plut., Aratos 38. 147 Ernst Badian, Antigonos [3] Doson, DNP 1 (1996), 755. 148 Pol. 5,34,10.

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Führungspersönlichkeit, die von Natur aus der Königsherrschaft würdig war“.149 Diese positive Bewertung ist wohl aus der anschließenden Feindschaft zu Ptolemaios einerseits sowie aus dem Entschluss eines würdevollen Freitods im Kontext zu verstehen. Dieser Hintergrund kann dazu beitragen, die folgende Sentenz im Kontext des oben angeführten Charakterbildes von Hannibal, die ebenfalls über Kleomenes urteilt, besser zu verstehen:150 War darüber hinaus Kleomenes von Sparta nicht einerseits ein äußerst gnädiger König, andererseits ein unerbittlicher Tyrann, als Privatperson wiederum ein weltgewandter Menschenfreund? Und doch existierten wohl kaum in ein und denselben Charakteren widersprüchliche Geisteszustände, sondern vielmehr werden etliche Herrscher dazu gezwungen, sich dem Wechsel der äußeren Umstände anzupassen, und legen oft eine ihrer Natur entgegengesetzte Einstellung an den Tag, so dass die Charakteranlagen dieser Personen überhaupt nicht aufgedeckt werden, sondern sie im Gegenteil noch eher verdunkelt werden. Den gleichen Effekt haben auch die Eingebungen politischer Freunde, und zwar nicht auf Führungspersönlichkeiten, Herrscher und Könige, sondern auch auf Städte.

Kernpunkt der Kritik ist also wiederum die undemokratische Beeinflussung von einzelnen Herrschern sowie der Politik ganzer Städte durch einen externen Beraterkreis, da unter den philoi („politischen Freunden“) Berater des Königs, häufig Offiziere, verstanden werden.151 Diese Personen waren nicht Teil der tradierten Institutionen griechischer Stadtstaaten. Polybios macht seine Ablehnung für diese undemokratische Willensfindung deutlich, indem er das demokratische Athen im frühen fünften Jahrhundert v. Chr. unter Aristeides und Perikles positiv hervorhebt und das Gegenbild dazu im Athen des späten fünften und des vierten Jahrhunderts unter Kleon und Chares sieht, von denen ersterer als Demagoge und Populist gilt, letzterer als Repräsentant einer Zeit, als Athen in die Gegnerschaft der Makedonen geriet.152 Solche Personen oder äußere Einflüsse für bestimmte Tiefpunkte verantwortlich zu machen hat also auch den Zweck, einen Herrscher oder eine Stadt, die grundsätzlich positiv gesehen werden, für die negativen Seiten ihrer Politik zu entschuldigen. Daraus ergibt sich eine indirekte Rechtfertigung für den Tyrannenmord, denn – wie Polybios an anderer Stelle ausführt – das Schicksal, Glück oder 149 Pol. 5,39,6: Κλεομένης μὲν οὖν οὕτω μετήλλαξε τὸν βίον, ἀνὴρ γενόμενος καὶ πρὸς τὰς ὁμιλίας ἐπιδέξιος καὶ πρὸς πραγμάτων οἰκονομίαν εὐφυὴς καὶ συλλήβδην ἡγεμονικὸς καὶ βασιλικὸς τῇ φύσει. 150 Pol. 9,23,3–5: ἔτι δὲ Κλεομένης ὁ Σπαρτιάτης οὐ χρηστότατος μὲν βασιλεύς, πικρότατος δὲ τύραννος, εὐτραπελώτατος δὲ πάλιν ἰδιώτης καὶ φιλανθρωπότατος; καίτοι γ’ οὐκ εἰκὸς ἦν περὶ τὰς αὐτὰς φύσεις τὰς ἐναντιωτάτας διαθέσεις ὑπάρχειν· ἀλλ’ ἀναγκαζόμενοι ταῖς τῶν πραγμάτων μεταβολαῖς συμμετατίθεσθαι τὴν ἐναντίαν τῇ φύσει πολλάκις ἐμφαίνουσι διάθεσιν ἔνιοι τῶν δυναστῶν πρὸς τοὺς ἐκτός, ὥστε μὴ οἷον ἐλέγχεσθαι τὰς φύσεις διὰ τούτων, τὸ δ’ ἐναντίον ἐπισκοτεῖσθαι μᾶλλον. τὸ δ’ αὐτὸ καὶ διὰ τὰς τῶν φίλων παραθέσεις εἴωθε συμβαίνειν οὐ μόνον ἡγεμόσι καὶ δυνάσταις καὶ βασιλεῦσιν, ἀλλὰ καὶ πόλεσιν. 151 Zu den philoi ausführlich Heinz Kortenbeutel, philos, RE 20.1 (1941), 95–103; Hatto H. Schmitt, Hof, F. Philoi und andere Hoftitel, in: Ders., Ernst Vogt (Hrsg.): Kleines Lexikon des Hellenismus, Wiesbaden 2003, 254–258. 152 Zu Kleon: Thuk. 3,36,6; Diod. 12,55,8f. Besonders negativ ist die Darstellung in der Komödie „die Ritter“ des Aristophanes. Zum Bild Athens im vierten Jahrhundert: Pol. 18,14, zu Chares: Winfried Schmitz, Chares [1], DNP 4 (1997), 1097f.

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2 Die Psychologie von Herrschern bei Polybios

Unglück, von Heeren, Städten oder Bevölkerungsgruppen liegt im Charakter einer einzigen Person begründet, durch deren Beseitigung die Gemeinschaft eine ganz andere und vor allem bessere Zukunft vor sich hat.153 Das weitere von Polybios im unmittelbaren Kontext angeführte Beispiel ist Agathokles, der Tyrann von Sizilien war, und sein unerklärliches Auftreten. Agathokles hat sich laut Polybios lediglich während seines Aufstieges zur Macht als grausamer Tyrann gezeigt, nach deren Verfestigung jedoch als sanftmütiger Herrscher.154 Hintergrund ist, dass Scipio der Ältere nach dem Zeugnis des Polybios Agathokles von Syrakus zu seinen staatsmännischen Vorbildern zählte, die „besonderen Wagemut und intellektuelle Gabe in sich vereinigten“.155 Auch in dieser überlieferten Aussage ist also die Vereinigung von griechischen (philosophischen) und römischen (militärischen) Tugenden zentral. Das wahre Wesen des Agathokles musste nach dieser Logik ein ausgeglichenes philosophisches Naturell sein, das sich nur vorübergehend durch den Aufstieg aus einfachen Verhältnissen zur Alleinherrschaft und den hierfür erforderlichen Eigenschaften verstellen muss. Denn so schildert Polybios sowohl im Kontext als auch an anderer Stelle die Charaktereigenschaften des Agathokles: dieser „muss von Natur aus große und hervorragende Eigenschaften besessen haben“, und genau deshalb war es ihm gelungen, seinem früheren Leben zu entkommen.156 Agathokles dient also nicht als Beispiel für den Einfluss der Berater, sondern vielmehr für eine Persönlichkeit, welche, wie Hannibal, unter äußeren Zwängen ihren wahren Charakter verstellen muss. Eine klare Bewertung des Charakters des Hannibal, um den es hier letztlich geht und für den die anderen historischen Personen im Kontext lediglich Vergleichspunkte bieten, nimmt Polybios hier auffälligerweise nicht vor. Zwar ist das neunte Buch, das diesen ganzen Kontext enthält, in den Handschriften nur fragmentarisch überliefert, die Ausführungen zu Hannibal sind jedoch ausführlich und wirken in sich geschlossen, wurden also wohl von den Exzerptoren vollständig

153 Pol. 32,4,1f.. Konkret erwähnt wird hier Lykiskos von Stratos (dazu Linda-Marie Günther, Lykiskos [3], DNP 7 (1999), 564), der laut Polybius erschlagen wurde. Allerdings bleibt hier offen und ist auch sonst nicht bekannt, ob er aus politischen Gründen getötet wurde. 154 Pol. 9,23,2. 155 Pol. 15,35,6: ὅτι γὰρ ἐκ φύσεως ἀνάγκη μεγάλα προτερήματα γεγονέναι περὶ τὸν Ἀγαθοκλέα. 156 Pol. 15,35,2; 12,15,5–8. Zitat nach Pol. 12,15,5: ἐκ φύσεως ἀνάγκη μεγάλα προτερήματα. Rathmann (2016), 180f. erklärt das weitaus negativere Urteil des Diodor (so in Diod. 19,3,1f. und 4; 19,4,6; 19,9,6f.; 20,63,1–5) damit, dass dieser als Bewohner von Sizilien persönliche Gründe hatte. Ebenfalls ausschließlich negativ berichtet Timaios, nach Pol. 8,10,12 und 12,15,1–4, über Agathokles, und zwar ebenfalls aus persönlichen Gründen, denn Agathokles war für die Verbannung des Timaios verantwortlich, dazu Rathmann (2016), 180, Anm. 91 mit weiterer Literatur. Die ältere einschlägige Studie zu Agathokles bei Diodor ist Klaus Meister, Die sizilische Geschichte bei Diodor von den Anfängen bis zum Tod des Agathokles. Quellenuntersuchungen zu Buch IV–XXI, München 1967, 131–165, der ebenfalls von einem stark polemischen Bild ausgeht, das auf Timaios zurückgeht, während Diodors andere Hauptquelle, Duris von Samos, von positiven Topoi zu berichten weiß.

2.4 Tyrannen

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berücksichtigt.157 Der Grund ist vielleicht darin zu sehen, dass Hannibal der Gegner Scipios des Älteren war und außerdem der Feldherr, welcher L. Aemilius Paullus in der Schlacht bei Cannae 216 v. Chr. geschlagen und die empfindlichste Niederlage der römischen Geschichte bis dahin zugefügt hatte. Dieser Aemilius Paullus war der leibliche Großvater Scipios des Jüngeren. Hannibal war also einerseits der Erzfeind Roms, konnte also kaum verklärt werden, andererseits hätte er als Gegner der Scipionen, gerade mit Blick auf die Niederlage des Aemilius Paullus, eigentlich als großer Gegner bewertet werden müssen. Vielleicht hat Polybios es also vermieden, sich festzulegen, um nirgendwo anzuecken. Die Ausführungen des Polybios verdunkeln jedenfalls mehr den Charakter des Hannibal, als dass sie ihn aufhellen. Beispielsweise galt Hannibal demnach unter den Karthagern als habgierig, Polybios schreibt diese Habgier jedoch dem Einfluss seines Bruders Mago zu.158 Mago hatte also einen ähnlich negativen Einfluss auf Hannibal wie die Berater auf die griechischen Tyrannen. Bei den Römern galt Hannibal dagegen als grausam, wie generell ein Tyrann in der griechischen Welt als grausam galt. Diese Grausamkeit schreibt Polybios allerdings einem Gladiator zu, der Hannibal zu diesen Handlungen antrieb.159 Im Ergebnis sei daher nicht mehr zu erkennen, wie sich sein Naturell in Wahrheit verhielt, da Hannibal von zu vielen Beratern umgeben war und die äußeren Umstände es weiter verdunkelten.160 Erst in Buch 23 (sofern dieses Fragment aus der Suda richtig zugeordnet ist) kommt Polybios beiläufig auf dieses Thema zurück und stellt fest, dass Hannibal „von Natur aus eine Führungspersönlichkeit und in seiner staatsmännischen Art allen anderen weit überlegen“ gewesen ist. Dies zeige sich daran, dass es niemals eine Verschwörung gegen ihn gab.161 Hier werden also die pragmatika, d.h. die staatsmännischen Fähigkeiten, gewürdigt, nicht aber moralische oder philosophische Qualitäten, die bei anderen Personen im Vordergrund stehen. Diese Formulierung war also wohl mit Rücksicht auf die Scipionen gewählt. Das folgende Kapitel wird zeigen, dass auch Diodor mit positiven und negativen seelischen Eigenschaften von Herrschern den Aufstieg oder Niedergang von Staaten exemplifiziert.

157 Das gesamte Charakterbild Hannibals umfasst Pol. 9,22–26. Die Textkonstitution beruht auf drei Handschriften, jeweils byzantinischen Exzerptsammlungen. Siehe dazu die kritische Edition von Büttner-Wobst, Bd. 3, 27–32; Auflösung der Siglen, Bd. 1, IV–VI. 158 Pol. 9,22,8 und 9,25,11 mit 9,25,1. 159 Pol. 9,24,5–8. 160 Pol. 9,24,1f. 161 Pol. 23,13,1f. = Suda, alpha 2452 Adler. Zitat nach 23,13,1: τῇ φύσει τὸν ἄνδρα τοῦτον ἡγεμονικὸν καὶ πολύ τι διαφέροντα τῶν ἄλλων πρὸς τὸν πραγματικὸν τρόπον.

KAPITEL DREI: PSYCHOLOGISCHE WIRKUNG SCHLECHTER HERRSCHER BEI DIODOR Wie Kapitel eins gezeigt hat, steht bei Diodor die seelische Erbauung im Zentrum seines Geschichtswerks. Diodor geht fest von dem Wirken der Providenz im Weltgeschehen aus, die sich an gerechten Belohnungen und Bestrafungen im Diesseits zeigt.1 Die Frage des Nachlebens der Seele ist dabei letztlich offengelassen, besonders in den ethnographischen Exkursen ist aber die pythagoreische Seelenwanderung prominent. Sie unterstreicht die didaktisch-teleologische Absicht des Werkes, nämlich die Menschen zu einem moralisch hochstehenden Leben anzuleiten und so vor Schicksalsschlägen im Diesseits und möglichen Strafen der Seele im Jenseits oder im nächsten Leben zu bewahren. Sein Werk ist insofern als Beitrag zur Seelenpflege zu verstehen. Das folgende Kapitel wird zeigen, dass Diodor eine pythagoreische Tradition der inneren seelischen Harmonie eines Gemeinwesens durch Gerechtigkeit zusammen mit Seelenruhe, die als ethisches Prinzip von verschiedenen Philosophenschulen, insbesondere den Stoikern und Epikureern, vertreten wurde, zum Narrativ seiner Universalgeschichte werden lässt.2 Dabei erkennt Diodor grundsätzlich in der Frühgeschichte eines Reiches oder einer kulturell verbundenen Gemeinschaft deren größte Phase der Blüte, so war etwa das pharaonische Ägypten in Gerechtigkeitsgefühl und Macht dem ptolemäischen überlegen. Ähnlich wie Polybios beschreibt auch Diodor an der Seite von Monarchen Berater, die keine Aristokraten im moralischen Sinne und auch keine Demokraten sind und die nicht nur die Monarchen mit schlechter Gesinnung „anstecken“, sondern auch das weitere Gemeinwesen, für dessen Niedergang dann die Providenz sorgt. Die mythologische Zeit Griechenlands schildert Diodor als eine Epoche, die einerseits von Wahnsinn und Verwandtenmord betroffen war, aber auch in der goldenen Zeit des Kronos eine Blütezeit erlebte, da er Gerechtigkeit als seelische Qualität in der weiteren griechischen Welt verbreitete. Dieser ausgeprägte philosophische Gerechtigkeitssinn bei Diodor zeigt sich in der archaischen Zeit Griechenlands durch demokratische Legitimierung und unbedingten Widerstand gegen Tyrannen, dessen Aufrichtigkeit besonders unter der 1

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Ambaglio (1995), 97–107 diskutiert einige der zahlreichen Belege für das Wirken der Providenz in der Universalgeschichte Diodors in allgemeiner Form, nicht mit Bezug auf die Seele des Menschen. Auf diese Darstellung sei also verwiesen, wenn man dem Wirken der Providenz speziell bei Diodor weiter nachgehen will. Vgl. auch die Literatur in Kapitel eins, Anm. 44 oben. Zu den philosophischen Ausführungen zu seelischen Erkrankungen sowie zu der ihnen entgegengesetzten Seelenruhe siehe ausführlich Pigeaud (1981), 139–242 (Epikureer bzw. Atomisten) und 243–371 (Stoiker).

3.1 Hellenistische Projektionen auf das alte Ägypten

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Folter bewiesen werden kann. Eine zentrale universalgeschichtliche Rolle spielte in der Interpretation Diodors dann seine Heimat Magna Graecia darin, das Gemeinwesen mit Gerechtigkeit auszustatten, indem schlechte Gesellschaft und ihr schädlicher Einfluss verboten sind sowie die Menschen durch Bildung in Schulen seelisch geheilt und so mit den Göttern versöhnt werden. Zugrunde lagen pythagoreische Lehren, die sich von der Magna Graecia aus auch in Rom verbreiteten. Durch die Gerechtigkeit als Herrschaftsprinzip stehen in der Folge einzelne griechische und westgriechische Stadtstaaten unter sich in seelischer Harmonie und erleben einen Aufschwung bzw. erleiden durch Vernachlässigung dieser Tugend ihren Niedergang und den Verlust ihrer Freiheit. Mit Alexander dem Großen erreicht diese Philosophie dann zwar einen vorläufigen Höhepunkt, stirbt aber auch mit ihm und wird durch epikureische Intervention symbolisch verdrängt. Die Gunst der Providenz wendet sich also von der griechischen Welt des Ostens ab und Rom zu, wo sie vor allem durch die Scipionen in römischen Tugenden repräsentiert wird. Im griechischen und westgriechischen Kerngebiet in hellenistischer Zeit zeigt sich die Providenz dagegen vor allem insofern, als sie einzelne Dynastien im Zeitraum nach Alexander allmählich und generationenübergreifend für seelische Vergehen bestraft. In diesem und in weiteren Kapiteln ist es bei der Analyse einzelner Abschnitte der Bibliotheke oft nicht mehr möglich zu beurteilen, ob Diodor den Text aus seinen Quellenvorlagen unverändert kompilierte oder gemäß der Darstellungsabsicht seines Werkes veränderte, wie zuletzt Rathmann zu Recht betont hat. 3 Wenn ein solcher Quellenvergleich möglich ist, soll allerdings darauf hingewiesen werden. Die benutzten Autoren gehören jedenfalls i.d.R. selbst dem Hellenismus an, die so ermittelten Diskurse sind, bei aller möglichen Nuancierung, ein Spiegelbild der hellenistischen Geschichtsschreibung, zumindest insofern Diodor sie aussuchte. 3.1 HELLENISTISCHE PROJEKTIONEN AUF DAS ALTE ÄGYPTEN Die Ausführungen Diodors zur ägyptischen Frühgeschichte (Buch eins, Kapitel 42–68) beginnen mit dem ersten Pharao Menes, der (in dieser Tradition) um 3000 v. Chr. datiert wird, sowie der ersten Dynastie und enden mit Amasis (570–526 v. Chr.), der unmittelbar vor der persischen Eroberung regierte. Daran schließt sich ein systematischer Exkurs zu Gesetzen und religiösen Bräuchen an, der auf Autopsie beruht.4 Daneben benutzte Diodor als Quellen wohl Herodot, außerdem Ktesias von Knidos und die hellenistischen Historiker Hekataios von Abdera und Manetho, deren Werke im Original aber jeweils verloren sind.5 Jedenfalls ist das Bild, welches Diodor von dem alten Ägypten zeichnet, idealisierend, die Vergangenheit 3 4 5

So Rathmann (2016), insbes. 268f., sowie Kapitel eins, S. 38 oben. Diod. 1,44,1 erwähnt die eigene Ägyptenreise wohl des Jahres 60/59 v. Chr. (Diod. 1,83,9). Eine ausführliche Diskussion der Ägyptenreise findet sich bei Rathmann (2016), 82–104. Zu Menes siehe Chamoux/Bertrac/Vernière, Diodore, Bd. 1 (1993), 98 Anm. 1 ad Diod. 1,45,1. Zu den Quellen für diese Kapitel des ersten Buches, siehe Chamoux/Bertrac/Vernière, Diodore, Bd. 1 (1993), 11–17.

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3 Psychologische Wirkung schlechter Herrscher bei Diodor

verklärend, nicht bezogen auf das in der Gegenwart verfallende Ptolemäerreich. Insbesondere in seiner Einschätzung ägyptischer Herrscher legt Diodor Ideale der hellenistischen Welt an. Das ideale Herrscherbild ist wiederum von der stoischen Philosophie geprägt, wie der folgende Abschnitt zu erkennen gibt:6 Weil sie in Einklang mit ihrem Brauch so handelten, nahmen sie überhaupt keinen Anstoß an den Seelen [der Menschen] oder fügten diesen Schaden zu, sondern im Gegenteil glaubten sie, ein besonders glückliches Leben zu führen. Denn sie glaubten, dass alle anderen Menschen sich ohne Verstand ihren natürlichen Leidenschaften hingeben und so viele Dinge tun, die ihnen Schaden oder Risiken einbringen, wobei etliche Menschen sogar wissen, dass sie im Begriff sind zu sündigen, und nichtsdestoweniger Schlechtes tun, überwältigt von Liebe, Hass oder irgendeiner anderen Leidenschaft, dass sie selbst aber nach einem Leben trachten, das von den klügsten Männern bevorzugt wird, und daher auch die wenigsten unabsichtlichen Fehler begehen.

Im Kontext gemeint sind die Pharaonen des oben angesprochenen Zeitraums der Blütezeit des alten Ägyptens. Das hier angesprochene Prinzip des idealen Monarchen ist, genau wie bei den von Polybios charakterisierten Akteuren der hellenistischen und römischen Welt, die stoische Affektenlehre, nach der sich die Menschen von jedweder Leidenschaft frei machen sollen, um andere führen zu können. Der genaue Wortlaut des ersten Satzes, in dem von den Seelen der Menschen die Rede ist, ist dabei nicht unumstritten, eine neuere Edition schlägt vor, „Seelen“ (psychais) durch „Schicksal“ (tychais) zu emendieren, obwohl die Handschriften keinen Anhaltspunkt dafür bieten.7 Hintergrund ist, dass der Sinn dadurch auf den ersten Blick befremdlich wirken mag, so übersetzt etwa Charles H. Oldfather in der Loeb Classical Library „so far were they from being indignant or taking offence in their souls“.8 Beide Verben regieren aber den Dativ, und die hier angenommene Bedeutung, dass die Pharaonen nicht anderen Seelen schaden wollen und diese Einstellung für die beste Lebens- und Regierungsweise halten, ist durch den Kontext nahegelegt, der im Zitat wiedergegeben ist.9 Der Sinn des Satzes ist also, dass sich Staaten und Reiche immer dann besonders günstig entwickeln, wenn ihre Herrscher im Einklang mit einer kosmischen Ordnung leben, in der die Menschen größtmögliche Rücksicht aufeinander nehmen und dadurch auch von sich selbst Schaden abwenden. Dies stellt natürlich ein Wunschdenken dar. Erreicht wird dieser Zustand 6

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Diod. 1,71,2f.: ταῦτα δὲ κατὰ τὸ ἔθος πράττοντες οὐχ ὅπως ἠγανάκτουν ἢ προσέκοπτον ταῖς ψυχαῖς, ἀλλὰ τοὐναντίον ἡγοῦντο ἑαυτοὺς ζῆν βίον μακαριώτατον· τοὺς μὲν γὰρ ἄλλους ἀνθρώπους ἐνόμιζον ἀλογίστως τοῖς φυσικοῖς πάθεσι χαριζομένους πολλὰ πράττειν τῶν φερόντων βλάβας ἢ κινδύνους, καὶ πολλάκις ἐνίους εἰδότας ὅτι μέλλουσιν ἁμαρτάνειν μηδὲν ἧττον πράττειν τὰ φαῦλα, κατισχυομένους ὑπ’ ἔρωτος ἢ μίσους ἤ τινος ἑτέρου πάθους, ἑαυτοὺς δ’ ἐζηλωκότας βίον τὸν ὑπὸ τῶν φρονιμωτάτων ἀνδρῶν προκεκριμένον ἐλαχίστοις περιπίπτειν ἀγνοήμασι. So Chamoux/Bertrac/Vernière, Diodore, Bd. 1 (1993), 139. Der kritische Apparat weder in dieser Edition noch in der Teubner-Edition von Bekker/Dindorf/Vogel (1888), 121, welche auch diesem Buch sowie dem Thesaurus Linguae Graecae zugrunde liegt, listet irgendeine Abweichung von psychais in den Handschriften. Charles H. Oldfather (Hrsg.), Diodorus Siculus: Library of History, Bd. 1, Cambridge, MA 1933 u.ö., 247. LSJ, s.v. ἀγανακτέω, II.2c; s.v. προσκόπτω, I.1b.

3.1 Hellenistische Projektionen auf das alte Ägypten

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gemäß der stoischen Philosophie dann, wenn sich das gesamte Handeln rein nach dem Verstand ausrichtet und von den Leidenschaften möglichst unbeeinflusst ist. Diese ist zugleich die „klügste“ Lebensform, also eine dem Philosophen entsprechende, der nach einer größtmöglichen ethischen Rationalität strebt. Dieser Leitsatz zieht sich wie ein roter Faden durch die Charakterbilder einzelner Pharaonen im ersten Buch. So wird Bakenranef bzw. im Griechischen Bokchoris (720–715 v. Chr.), der zweite König der 24. Dynastie, als Herrscher beschrieben, der durch „Klugheit“ ausgezeichnet war. 10 Bei Herodot wird er gar nicht erwähnt.11 An anderer Stelle beschreibt Diodor ihn als fähigen Gesetzgeber.12 Entweder Diodor selbst oder seine Vorlage haben ihm diese Eigenschaft also vielleicht erstmals zugeschrieben, wohl aufgrund der Informationen zum Gesetzeswerk, die ihn wiederum in der hellenistischen Topik als Philosophenkönig erscheinen lassen. Iulius Africanus (ca. 160– nach 240) und die späteren christlichen Chronisten überliefern Fragmente des Ägypters Manetho, der Diodor hier möglicherweise als Vorlage diente. Sie beschreiben Bokchoris zwar als Gesetzgeber, aber nicht ausdrücklich mit dem Attribut der Klugheit.13 Direkt im Anschluss an die erstmalige Erwähnung von Bokchoris führt Diodor den mit Bakenranef zeitgenössischen Pharao von Kusch, Sabakos (Shabaka) auf, der sich durch „Ehrfurcht gegenüber den Göttern und Güte“ auszeichnete.14 Insbesondere sah er von einigen Todesstrafen ab und verhängte stattdessen Zwangsarbeit.15 Die Gottheit kommunizierte daher mit ihm in zweideutiger Weise, Sabakos legte diesen Traum zugunsten der Bevölkerung aus und trat uneigennützig zurück.16 Auch in dieser Person spiegelt sich also das Ideal des weisen Herrschers, der selbst möglichst wenig Schaden verursachen will. In seinem systematischen Exkurs zu Gesetzen und religiösen Bräuchen Ägyptens hebt Diodor ebenfalls dieses Herrscherbild hervor:17 10 Diod. 1,65,1: „Bokchoris war in körperlicher Hinsicht ganz und gar verachtenswert, aber an Klugheit war er denen, die vor ihm herrschten, weit überlegen.“ (...Βόκχορις, τῷ μὲν σώματι παντελῶς εὐκαταφρόνητος, ἀγχινοίᾳ δὲ πολὺ διαφέρων τῶν προβασιλευσάντων.). Ähnlich 1,94,5. Auch hier ist unklar, ob die Weisheit dieses Pharaos auf eine ägyptische Tradition zurückgeht. Diodor weist diese Eigenschaft jedenfalls nicht ausdrücklich der ägyptischen Tradition zu. 11 Zu Bocchoris, Chamoux/Bertrac/Vernière, Diodore, Bd. 1 (1993), 210. 12 Diod. 1,79,1; 1,94,5. 13 BNJ 609 F 2 = Georgios Synkellos, Ecloga chronographica (Dindorf, 99–144 = Mosshammer, 59–87, hier: Dindorf, 138 = Mosshammer, 82); BNJ 609 F 3c = Hier. chron. a.Abr. 1–1671 (Auszüge aus Manetho), hier 1240 (Helm, 86b); BNJ 609 F 28 = Georgios Synkellos, Ecloga chronographica (Dindorf, 170–397 Auszüge = Mosshammer, 102–249, hier: Dindorf, 347 = Mosshammer, 216). Eine weitere wahrscheinliche Vorlage ist Hekataios von Abdera (BNJ 264 F 25 = Diod. 1,10–98). 14 Diod. 1,65,2: εὐσεβείᾳ δὲ καὶ χρηστότητι. 15 Diod. 1,65,3–4. 16 Diod. 1,65,5–8. 17 Diod. 1,70,6: ἀνθομολογεῖσθαι δ’ ἦν ἀναγκαῖον καὶ τὰς κατὰ μέρος ἀρετὰς αὐτοῦ, λέγοντα διότι πρός τε τοὺς θεοὺς εὐσεβῶς καὶ πρὸς τοὺς ἀνθρώπους ἡμερώτατα διάκειται· ἐγκρατής τε γάρ ἐστι καὶ δίκαιος καὶ μεγαλόψυχος, ἔτι δ’ ἀψευδὴς καὶ μεταδοτικὸς τῶν ἀγαθῶν καὶ καθόλου πάσης ἐπιθυμίας κρείττων, καὶ τὰς μὲν τιμωρίας ἐλάττους τῆς ἀξίας ἐπιτιθεὶς τοῖς ἁμαρτήμασι, τὰς δὲ χάριτας μείζονας τῆς εὐεργεσίας ἀποδιδοὺς τοῖς εὐεργετήσασι.

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3 Psychologische Wirkung schlechter Herrscher bei Diodor Der Hohepriester musste auch die Tugenden des Pharaos im Einzelnen loben, indem er sagte, dass dieser den Göttern gegenüber ehrfürchtig und den Menschen gegenüber gnädig gestimmt ist; denn er hat seine Emotionen unter Kontrolle, ist gerecht und großherzig, dabei auch noch fern von Trug, freigebig mit seinem Besitz und ganz allgemein gesagt über alles Begehren erhaben; Vergehen ahndet er mit Strafen, die milder ausfallen, als es gerechtfertigt wäre; Gegengaben, welche die erbrachten Leistungen noch übertreffen, gibt er denen, die als Wohltäter auftreten.

Im Kontext beschreibt Diodor eine öffentliche Opferzeremonie in Anwesenheit des Volkes. Er sieht dabei den ägyptischen Pharao als Autokraten, der zwar nicht rechenschaftspflichtig ist, aber in besonderer Weise an bestehende Gesetze gebunden, und zwar bis zu dem Punkt, dass das Privat- und Arbeitsleben des Pharaos bis in die Einzelheiten hinein festgelegt ist.18 Diodor sieht also auch hier idealisierend einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen gerechter Herrschaft, gerechten Gesetzen und dem seelischen Wohlbefinden der Menschen. Dieser Zusammenhang wird an der Strafpraxis besonders augenfällig, da nach dieser Theorie ein Regime besonders erfolgreich ist, das selbst den geringsten Schaden zufügt und so nach dem Talionsprinzip auch am wenigsten Schaden selbst erleidet. Entscheidend ist dabei, dass gemäß dem Ideal des stoischen Weisen Strafen nicht aus Leidenschaften, wie dem Zorn, heraus ausgesprochen werden sollten, damit sich der Zorn nicht gegen den Herrscher selbst richtet, sondern die kosmischen Kräfte, symbolisiert durch die erwähnte Ehrfurcht gegenüber den Göttern, in Harmonie miteinander stehen. Grundsätzlich sind dabei für das pharaonische Ägypten die gleichen Arten von Strafen belegt, wie für andere Teile der antiken Welt, darunter also Todesstrafen und Strafen wegen Hochverrats. Ob die Strafpraxis im pharaonischen Ägypten vergleichsweise streng oder milde war, lässt sich in der modernen Forschung nicht mehr beurteilen.19 An die ritualisierten Worte schloss sich ein Gebet an, das den Pharao von Schuld an Fehlhandlungen ausnahm und stattdessen seinen Lehrern und Beratern Strafen für falsche Eingebungen andachte.20 Nach der Opferhandlung selbst las der Schriftgelehrte (hierogrammateus) aus den heiligen Büchern vor, um dem Pharao die Taten bedeutender Vorgänger vor Augen zu stellen.21 Die Lehre dieser heiligen Bücher, dass „die seelische Größe der alten Könige“ vorbildlich ist und ihre Nachahmung Herrschern zur Ehre gereicht und zur eigenen göttlichen Verehrung führt, strahlte dabei sogar auf Persien aus, da Dareios I. (549–486) sich davon direkt inspirieren ließ, wie Diodor an anderer Stelle ausführt.22 18 Diod. 1,70,1–4. 19 Einen neueren Überblick zu der Frage der Vergleichbarkeit der Strafpraxis gibt Renate MüllerWollermann, Crime and Punishment in Pharaonic Egypt, Near Eastern Archaeology 78 No. 4, Special Issue: Crime and Punishment in the Bible and the Near East (2015), 228–235 mit früherer Literatur, darunter die vorausgehende Dissertation der Verfasserin: Dies., Vergehen und Strafen. Zur Sanktionierung abweichenden Verhaltens im alten Ägypten, Leiden 2004. 20 Diod. 1,70,7. 21 Diod. 1,70,9. 22 Diod. 1,95,4: τήν τε μεγαλοψυχίαν τῶν ἀρχαίων βασιλέων. Das Bild des Dareios als eines weisen vorbildlichen Herrschers ist dabei ein Gegenbild zu seinem Sohn Xerxes, der während der Perserkriege und vor allem in der Schlacht bei den Thermopylen einige Erfolge gegen die Griechen erringen konnte – so in den Persai des Aischylos. Bei Herodot finden sich keine Hinweise

3.1 Hellenistische Projektionen auf das alte Ägypten

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Die Zeremonie erfüllt damit eine ähnliche Funktion wie das Geschichtswerk des Diodor selbst, nämlich die seelische Erbauung von Menschen in staatlicher Leitungsposition und die Anleitung zum richtigen Handeln im Kontext der göttlichen Providenz, wie in Kapitel eins vorgestellt. Diodor wird hier also seine eigene Vorstellungswelt auf seine Beschreibung ägyptischer Herrschaftsriten, die wiederum auf Autopsie beruht, hineinprojiziert haben. Besonders deutlich wird dieser Bezug und die darin enthaltene Kritik an negativen Aspekten der griechischen Staatenwelt an Diodors Urteil über die Unterwanderung einer gerechten und im Einklang mit der göttlichen Ordnung stehenden Gesetzgebung durch menschengemachte Rhetorik. Daher hatten die Ägypter anwaltliche Vertretung untersagt, „denn sie glaubten, dass die Künste der Rhetoren, das Zauberwerk ihres Vortrags und die Tränen derer, die in Gefahr sind, viele dazu überreden, über strenge Gesetze und gewissenhafte Wahrheitsfindung hinwegzusehen“. 23 Diodor sieht also ähnlich wie Platon in seinem Werk Sophistes einen staatszersetzenden Einfluss der in Athen und andernorts seit der klassischen Zeit auftretenden rhetorisch geschulten Gerichtsredner und weiterer Personen, die sich in öffentlichen Kontexten der Redekunst bedienen.24 Emotionen, in diesem Fall das Mitleid der Richter mit den Angeklagten, sind also auch hier das Element, welches den staatlichen Zusammenhalt unterminiert und zu sozialer Ungleichheit führt.25 Diodor hält hier der eigenen Gesellschaft moralisierend einen Spiegel vor. Legitimiert ist die autokratische Stellung des Pharaos dadurch, dass die ihn beratenden Priester die göttliche Providenz richtig erkennen. Darauf, so das nun folgende Argument, bezieht sich das bei Diodor überlieferte Gebet, wonach der Fluch für schädliche Entscheidungen auf die Berater, nicht auf den Pharao selbst fallen soll. Die Hofzeremonie, insbesondere die Proskynese (Fußfall bzw. Unterwerfungsgeste), begründet Diodor damit, dass die Ägypter nicht die Person des Pharaos verehrten, sondern vielmehr die sich in ihm manifestierende göttliche Providenz.26 Der Pharao verkörpert dabei diese Providenz aber nicht von sich aus, sondern die ihn umgebende Priesterkaste ist dafür zuständig, die Zukunft, also den göttlichen Willen, aufgrund von Astrologie und Divination vorauszusagen und die ebenfalls in den heiligen Büchern aufgezeichneten Taten der Pharaonen der Vorzeit richtig auf die gegenwärtige Situation zu beziehen. Wie Diodor dabei weiterhin ausführt, ist die Bestimmung der Providenz Aufgabe des Kollektivs, nicht, wie in Griechenland, einzelner Priester.27 Die Unterwerfung unter das Göttliche bezieht sich mit

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darauf, dass Dareios ägyptischen Bräuchen gefolgt ist, im Gegenteil war er von den Künsten eines ägyptischen Arztes enttäuscht (Hdt. 3,129–132). Diod. 1,76,1: καὶ γὰρ τὰς τέχνας τῶν ῥητόρων καὶ τὴν τῆς ὑποκρίσεως γοητείαν καὶ τὰ τῶν κινδυνευόντων δάκρυα πολλοὺς προτρέπεσθαι παρορᾶν τὸ τῶν νόμων ἀπότομον καὶ τὴν τῆς ἀληθείας ἀκρίβειαν. Siehe hierzu etwa Helga Scholten, Die Sophistik. Eine Bedrohung für die Religion und Politik der Polis?, Berlin 2003, bes. 275–326; Jan Dreßler, Wortverdreher, Sonderlinge, Gottlose. Kritik an Philosophie und Rhetorik im Klassischen Athen, Berlin 2014, 54–131. So im unmittelbaren Kontext: Diod. 1,76,2f. Diod. 1,90,3. Diod. 1,73,4f.

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anderen Worten auf die Gemeinschaft, welche den göttlichen Willen bestimmt. Die öfters angesprochene „seelische Größe“ ist wiederum auf die richtige Erkenntnis des göttlichen Willens bezogen und äußert sich in den überlieferten Gesetzen. So heißt es über den ersten tradierten gesetzgebenden Pharao Menes (ca. 3150–3125): „ein Mann, der in seiner Seele groß war und von allen, die in der Erinnerung fortleben, derjenige mit dem größten Gemeinsinn“.28 Diese wahrscheinlich verklärte Sicht auf das alte Ägypten ist also als Gegenbild zu der häufig kritisierten Funktion von Beratern am Hof hellenistischer Herrscher zu sehen. Im Unterschied zu den Priestern und Weissagern des Pharaos erkunden diese gerade nicht die göttliche Providenz, sondern dienen ihren eigenen Interessen und verderben die Seele des Herrschers, statt dessen Gemeinsinn zu fördern. Als Konsequenz war die Diodor umgebende hellenistische Welt im Untergang begriffen, während das Gegenbild der ägyptischen, auf göttlich inspirierten Gesetzen beruhenden Herrschaft für den Erfolg steht:29 Aus diesem Grund hielten sie während der längsten Zeit, für die Aufzeichnungen über ihre Könige erhalten sind, an einer am Gemeinsinn ausgerichteten politischen Ordnung fest und führten ein besonders glückseliges Leben, das so lange fortwährte, wie das oben erwähnte Gesetzessystem Bestand hatte, vor allem aber herrschten sie über die meisten Völker und besaßen die größten Reichtümer, ihre Länder schmückten sie mit unübertrefflichen Kunstwerken und Bauten und ihr Städte mit kostbaren und vielfältigen Weihgeschenken.

Auch in diesem Werturteil verbindet sich also eine Herrschaft, die auf Gesetzen beruht, die wiederum die göttliche Providenz abbilden, mit einem glückseligen Leben der Gemeinschaft und einer stabilen staatlichen Ordnung. Die Seele des Herrschers spiegelt sich dabei im Wohlbefinden des gesamten Staates und in seiner militärischen Dominanz. Als Gegengabe an die Götter dienen wiederum die religiösen Bauwerke und Gaben, die kosmische Wirkung ist also ausgewogen und in der Seele des Herrschers symbolisiert. Ein Gegenbild zu dieser vollendeten Ordnung sind nicht nur indirekt die im Verfall begriffenen hellenistischen Reiche, sondern gleich im Anschluss an die ägyptische Geschichte ebenfalls Assyrien, das zu Beginn von Buch zwei behandelt wird. Im Zentrum steht dort der legendäre Herrscher Ninos, der erste bekannte Herrscher Assyriens in Mesopotamien und Gründer der Hauptstadt Ninive.30 Bei 28 Diod. 1,94,1: ἄνδρα καὶ τῇ ψυχῇ μέγαν καὶ τῷ βίῳ κοινότατον τῶν μνημονευομένων. Der Name des Menes ist erschlossen (mit guten Gründen, da er in der weiteren Überlieferung als erster Gesetzgeber gilt), aber nicht in dieser Schreibung handschriftlich überliefert, da der Text hier verderbt ist. 29 Diod. 1,71,5: τοιγαροῦν πλεῖστον μὲν χρόνον τῶν μνημονευομένων βασιλέων πολιτικὴν κατάστασιν ἐτήρησαν, εὐδαιμονέστατον δὲ βίον ἔχοντες διετέλεσαν, ἕως ἔμεινεν ἡ προειρημένη τῶν νόμων σύνταξις, πρὸς δὲ τούτοις ἐθνῶν τε πλείστων ἐπεκράτησαν καὶ μεγίστους πλούτους ἔσχον, καὶ τὰς μὲν χώρας ἔργοις καὶ κατασκευάσμασιν ἀνυπερβλήτοις, τὰς δὲ πόλεις ἀναθήμασι πολυτελέσι καὶ παντοίοις ἐκόσμησαν. Die Bedeutung der Gesetzgebung zur Bildung der Seele betont noch einmal dezidiert Diod. 1,93,4. Dieser Abschnitt wurde in Kapitel eins auf S. 46 besprochen. 30 Laut Diod. 2,1–3. Mit Diodor beginnt die direkte Überlieferung zu Ninos, der in Keilschriftenquellen nicht erwähnt wird. Bei Orosius (1,4) und den christlichen Chronisten steht er für den Niedergang der Menschen aus dem paradiesischen Urzustand.

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Diodor ist Ninos ein rücksichtloser Gewaltherrscher, dessen Reich trotz anfänglicher militärischer Erfolge am Ende zerstört wurde und der auch keine bedeutenden Nachfolger hervorbrachte.31 Dieses negative Bild ist im Wahnsinn des obersten Beraters von Ninos bereits vorweggenommen: „Teils aus Furcht vor den Drohungen des Königs und teils aus Liebe verfiel Onnes in einen Zustand der Wut und in den Wahnsinn, legte eine Schlinge um seinen Hals und erhängte sich“.32 Im Kontext erzwang Ninos die Scheidung des Onnes von seiner Frau Semiramis, da er sie selbst begehrte und zur Königin machte, unter der das Reich seine Blüte erreichte. Das Erhängen galt in der Antike als besonders schändlicher Tod, als Selbstmordmethode war es besonders verachtet.33 Diese Todesart muss daher als Manifestation der seelischen Erkrankung verstanden werden. Der Wahnsinn war also in der Begründung der Dynastie bereits angelegt und manifestierte sich wiederum an dem engsten Berater des Herrschers. Dieser Wahnsinn des königlichen Beraters war wiederum verschuldet durch die exzessive Strafandrohung des Königs im Zusammenhang mit einer ebenso exzessiven Leidenschaft, in diesem Fall der Liebe zu Semiramis. Wie in der folgenden Sektion zu besprechen sein wird, ist das Zusammenspiel von Liebesschmerz und Wahnsinn ebenfalls ein sich wiederholendes Motiv in der griechischen Mythologie. 3.2 WELT DER GRIECHISCHEN HEROEN Diodor ist ein wichtiger Fundort für die Mythologie der olympischen Götterwelt. Diodor selbst war sich bewusst, dass sein Bericht über die griechische Frühzeit in das Reich der Fabeln gehörte, er selbst verwendet den Ausdruck „mythisch“ oder „mythologisch“ beispielsweise für Traditionen im Zusammenhang mit dem Heros Herakles oder dem Weingott Dionysos und bezeichnete seine gesamte Erzählung der ägyptischen, mesopotamischen und griechischen Frühgeschichte als „Mythologie“.34 Der Unmöglichkeit, gesicherte Erkenntnisse über diese Traditionen zu erlangen, war Diodor sich dabei bewusst.35 Diodor benutzte auch hier wieder Vorlagen, so basiert sein Narrativ zu Herakles auf einem einschlägigen Enkomion des

31 So bes. in Diod. 2,1,7–10; 2,21,8–22,1; 2,23,4; 2,28,8. Die Darstellung beruht auf Ktesias von Knidos, der in Diod. 2,20,3 erwähnt wird. Das assyrische Reich bestand laut dem (weitgehend legendären) Narrativ des Diodor für dreizehn Jahrhunderte bzw. 30 Generationen bis zu dessen Vernichtung durch die Meder im Jahre 609 v. Chr. 32 Diod. 2,6,10: ὁ δὲ Ὄννης ἅμα μὲν τὰς τοῦ βασιλέως ἀπειλὰς δείσας, ἅμα δὲ διὰ τὸν ἔρωτα περιπεσὼν λύττῃ τινὶ καὶ μανίᾳ, βρόχον ἑαυτῷ περιθεὶς ἀνεκρέμασε. Diod. 2,5,1 nennt Onnes „den ersten aus dem königlichen Rat und den ernannten Statthalter von ganz Syrien“ (πρῶτος δ’ ἦν τῶν ἐκ τοῦ βασιλικοῦ συνεδρίου καὶ τῆς Συρίας ἁπάσης ἀποδεδειγμένος ὕπαρχος). 33 Wichtige Untersuchungen der neueren Zeit zum Selbstmord in der griechischen Welt sind Eva Cantarella, I supplizi capitali in Grecia e a Roma, Mailand 1991, 179–185; Anton van Hooff, From Autothanasia to Suicide, London 1990, 64–72. 34 Diod. 3,45,5: μυθικῶς; 3,67,4: μυθολογίας; 4,1,1: τὰς παλαιὰς μυθολογίας. Die Fundstellen für Verben und Substantive, die sich von mythos herleiten, sind zu viele, um sie aufzulisten. 35 Diod. 4,1.

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Matris von Theben, das allerdings verloren ist.36 Gleichwohl lässt sich an ausgewählten Passagen zeigen, dass Diodor eine einheitliche Position zur Seele und Gesundheit der Seele in der Bibliotheke bezieht. Diese Position schlägt sich ebenso bei den Herrschern der ägyptischen und mesopotamischen Frühzeit wie den griechischen Heroen, die ebenfalls als bedeutende Herrscher in ihrer Zeit verstanden wurden, und den historischen Herrschern und Politikern Griechenlands nieder, wie in dieser Sektion verdeutlicht werden soll. Trotz der mythologischen Bedeutung der Taten des Herakles, nimmt sein Wahnsinn einigen Raum in den literarischen Bearbeitungen ein. Sowohl Euripides als auch Seneca schrieben eine Tragödie Herakles bzw. Hercules Furens, die überliefert sind und in denen der Wahnsinn des Herakles im Vordergrund steht. Zunächst aber steht bei Diodor genau wie bei der Einführung einiger historisch bedeutender Personen durch Polybios (s.o.) der Aspekt der seelischen Größe als natürlicher Anlage im Vordergrund. Denn bereits in seiner Jugend war Herakles laut Diodor „berühmt durch den Glanz seiner Seele“.37 Diese natürliche Anlage übertrug sich wiederum auf sein weiteres Umfeld, da Herakles im Kontext Theben die Freiheit wiederbringt und von der Fremdherrschaft der (ebenfalls mythologischen) Minyer befreit.38 Den sich anschließenden Wahnsinn begründet Diodor damit, dass Herakles in der Folge unter den Einfluss von Personen gerät, die selbst in Konflikt zueinander stehen und diese Zerrissenheit auf Herakles übertragen. So gab ihm Kreon von Theben seine Tochter Megara zur Frau, während Eurystheus von Argolis diese Entwicklung mit Misstrauen sah und zusammen mit Herakles‘ Vater Zeus und dessen rachsüchtiger Frau Hera Herakles zu den zwölf Arbeiten überredet:39 Aufgrund dieser Vorgänge fiel Herakles in einen Zustand der außergewöhnlichen Verzweiflung. Denn er kam zu dem Entschluss, dass diese Dienstbarkeit einer sozial niederen Person gegenüber der ihm eigenen Tapferkeit überhaupt nicht würdig war, doch Zeus nicht zu gehorchen, der sogar sein Vater war, das erschien ihm unangemessen und sogar unmöglich. Nachdem er nun also in große Verzweiflung gestürzt war, ließ Hera wütende Raserei auf ihn hinab, und er selbst war in seiner Seele gequält und verfiel dem Wahnsinn. Als die Leidenschaft in ihm wuchs, wurde er seiner Sinne beraubt, und er machte sich daran, den Iolaos zu töten, doch als jener floh und seine eigenen Kinder, die er gemeinsam mit Megara hatte, sich in der Nähe 36 Diese Beobachtung geht bereits auf die Übersetzung mit Kommentar von Oldfather (1933), 365, Anm. 29 zurück und wird auch von der neueren Forschung einhellig akzeptiert, so etwa von Iris Sulimani, Diodorus' Mythistory and the Pagan Mission: Historiography and CultureHeroes in the First Pentad of the Bibliotheke, Leiden 2011, 47 und 63. 37 Diod. 4,10,2: ψυχῆς λαμπρότητι περιβόητος. 38 Diod. 4,10,2–5. 39 Diod. 4,11,1–2: Τούτων δὲ πραχθέντων ὁ μὲν Ἡρακλῆς ἐνέπεσεν εἰς ἀθυμίαν οὐ τὴν τυχοῦσαν· τό τε γὰρ τῷ ταπεινοτέρῳ δουλεύειν οὐδαμῶς ἄξιον ἔκρινε τῆς ἰδίας ἀρετῆς, τό τε τῷ Διὶ καὶ πατρὶ μὴ πείθεσθαι καὶ ἀσύμφορον ἐφαίνετο καὶ ἀδύνατον. εἰς πολλὴν οὖν ἀμηχανίαν ἐμπίπτοντος αὐτοῦ, Ἥρα μὲν ἔπεμψεν αὐτῷ λύτταν· ὁ δὲ τῇ ψυχῇ δυσφορῶν εἰς μανίαν ἐνέπεσε. τοῦ πάθους δ’ αὐξομένου τῶν φρενῶν ἐκτὸς γενόμενος τὸν μὲν Ἰόλαον ἐπεβάλετο κτείνειν, ἐκείνου δὲ φυγόντος καὶ τῶν παίδων τῶν ἐκ Μεγάρας πλησίον διατριβόντων, τούτους ὡς πολεμίους κατετόξευσε. μόγις δὲ τῆς μανίας ἀπολυθείς, καὶ ἐπιγνοὺς τὴν ἰδίαν ἄγνοιαν, περιαλγὴς ἦν ἐπὶ τῷ μεγέθει τῆς συμφορᾶς. πάντων δ’ αὐτῷ συλλυπουμένων καὶ συμπενθούντων, ἐπὶ πολὺν χρόνον κατὰ τὴν οἰκίαν ἡσύχαζεν, ἐκκλίνων τὰς τῶν ἀνθρώπων ὁμιλίας τε καὶ ἀπαντήσεις.

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aufhielten, da erschoss er diese mit Pfeilen, als ob sie seine Feinde wären. Als er aber von seinem Wahnsinn noch gar nicht ganz befreit war und den Fehler, den er begangen, erkannt hatte, war er tief bestürzt ob der Schwere seines Vergehens. Doch obschon alle Personen Mitgefühl mit ihm hatten und seine Trauer teilten, zog er sich für lange Zeit in sein Haus zurück und scheute den Umgang mit Menschen und jede Versammlung.

Die Elemente des Wahnsinns, die hier beschrieben werden, sind also vertraut, das Narrativ dabei aber kaum Diodor zuzuschreiben, sondern dieses gehört zum Standardrepertoire des Mythos von Herakles. So findet sich der zeitweilige Wahnsinn und die Ermordung der Kinder in den beiden genannten Tragödien.40 Dennoch offenbart die konkrete Ausgestaltung durch Diodor (oder seine verlorene Vorlage) einen konkreten Diskurs der Seele und ihrer Erkrankung. Der Wahnsinn des Heros macht sich unmittelbar in seiner ganzen Mitwelt bemerkbar. Der Wahnsinn selbst ist nicht nur ausgelöst durch eine Intrige der rachsüchtigen Hera, sondern durch die sich gegenseitig widersprechenden Handlungsstränge, also die Abneigung des Herakles gegen Eurystheus von Argos und seine gleichzeitige Loyalität und sein kindlicher Gehorsam Zeus gegenüber. Diese Abneigung gegenüber Eurystheus geht darauf zurück, dass Hera durch göttliche Intervention Eurystheus zum erstgeborenen Enkel des Perseus machte, um so Herakles als König über die Nachfahren des Perseus zu übergehen.41 Der Wahnsinn ist auf jeden Fall eine Erkrankung, vor der selbst Personen mit großer seelischer Gesundheit nicht geschützt sind und die (im Falle des Herakles, aber natürlich auch anderer Personen) allein von außen verursacht wird entweder durch sich widersprechende Ziele, die von verschiedenen Personen vorgegeben werden, oder durch eine komplizierte Konstellation von Beziehungen, da Hera mythologisch für die Eifersucht steht.42 Die Eifersucht manifestiert sich wiederum in der Perzeption des Nachwuchses, sie ist in dem Zitat oben eine Leidenschaft (pathos), die direkt den Wahnsinn, also die Tötung des Nachwuchses, verursacht. Solche mythologischen Narrative des durch Wahnsinn verursachten Verwandtenmordes waren in der Geschichtsschreibung des Hellenismus insgesamt verbreitet. Insbesondere beruht eine weitere Erwähnung des Wahnsinns des Herakles bei Diodor laut den Fragmenten der griechischen Historiker auf einer älteren Darstellung zu den Argonauten.43 Ein Mythograph wohl des 4. Jahrhunderts v. Chr. (der also vielleicht noch nicht zum Hellenismus zählt), berichtet vom Muttermord des Alkmaion und sagt ausdrücklich, dass die Götter ihn von seinem anschließenden Wahnsinn heilten, da er durch den Muttermord seinen Vater rächte und diese Handlung somit „religiös gerecht“ war.44 Mehrere hellenistische Historiker berichten in erhaltenen Fragmenten zudem von göttlichen Steinen, welche Wahnsinn bei Menschen verursachen oder Menschen von Wahnsinn befreien konnten, und zwar 40 Eur., Herc. 822ff., Sen., Hercules furens 939ff. 41 Diod. 4,9. 42 Für eine Bibliographie zu Hera und ihren Attributen, siehe Fritz Graf, Hera, I. Kult und Mythos, DNP 5 (1998), 357–360. 43 BNJ 32 Dionysios Scytobrachion F 14 = Diod. 4,40–55, hier 4,55,4. 44 BNJ 12 Asklepiades von Tragilos F 29 = Scholia Graeca in Homeri Odysseam 11.326 (Dindorf, Bd. 2, 508): ὁσίως.

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besonders im Zusammenhang mit der phrygischen Göttermutter Kybele.45 In der Version des Demaratos äußerte sich dieser Wahnsinn im Verwandtenmord.46 Der Verwandtenmord war also wegen der besonderen Schwere der Schuld des Täters mit einem Zustand der Unzurechnungsfähigkeit assoziiert, da geistig gesunden Menschen kaum zuzutrauen, und galt als schwere Form der göttlichen Rache. Das gleiche Motiv des Wahnsinns findet sich daher in Diodors Bearbeitung des Mythos der Sieben gegen Theben. Er ist durch die gleichnamige Tragödie des Aischylos am besten bekannt. In der Version des Diodor (ähnlich bei Aischylos) ist Amphiaraos ein Weissager am Hof von Argos und der Gatte der Eriphyle, die wiederum die Schwester des Adrastos, des Königs von Argos, ist. Während der Vorbereitungen des Zuges gegen Theben lehnt Amphiaraos die Teilnahme ab, da er seinen Tod voraussieht. Dabei kommt es zum Konflikt zwischen Amphiaraos und Adrastos um die Königsherrschaft, Eriphyle wird mit der Schlichtung beauftragt.47 Der Mythos hat also ähnliches Potential für ein Eifersuchtsdrama im Zusammenhang mit einer Staatsaffäre und tragischen Verwicklungen, wie die oben besprochene Vorgeschichte zu den Arbeiten des Herakles. Eriphyle, die selbst durch die mythische Gabe eines goldenen Halsbandes dazu gebracht worden ist, entscheidet ganz im Sinne von Adrastos. Amphiaraos nimmt daher an dem Zug gegen Theben teil, gibt aber seinem Sohn Alkmaion den Auftrag, Eriphyle zu töten, sollte er im Kriegszug sterben, was er voraussah und was schließlich auch eintrat.48 Amphiaraos tat dies aus Rache, weil er davon ausging, dass seine Frau ihn verraten hatte.49 Alkmaion, der Sohn des Amphiaraos, verfällt daraufhin dem Wahnsinn:50 Folglich tötete Alkmaion daraufhin seine Mutter gemäß den Vorschriften seines Vaters, und da er sich bewusst war, dass er eine Schändung begangen hatte, verfiel er dem Wahnsinn.

Alkmaion wird daraufhin aufgrund eines Orakelspruchs zum Anführer der Epigonen gewählt, also der Söhne der Männer, die im Zug gegen Theben gefallen waren. Diese wiederum unternehmen einen neuerlichen, diesmal erfolgreichen Zug gegen Theben.51 In den erhaltenen Teilen des Werkes des Diodor ist Alkmaion im 45 So bei BNJ 79 Eudoxos von Rhodos F 5 = Aristot., mirabilium auscultationes 173, 847a und BNJ 284 Agatharchides von Samos F 3 = Ps.-Plut., de fluviis 10.4f. (Müller, Geographi Graeci minores, Bd. 2, 649f.). Bei letzterem ist allerdings die Datierung unklar, der Name wahrscheinlich sogar eine Erfindung von Pseudo-Plutarch. Siehe dazu Paola Ceccarelli, Agatharchides of Samos (284), BNJ (2016, online abgerufen am 27. September 2021). Ähnlich, aber ohne Bezug zur Göttermutter Kybele ist BNJ 572 Nymphodoros von Syrakus F 20 = Natalis Comes, mythologiae 9,2 (ed. Padua 1616). Semos von Delos (BNJ 396 F 6b = Photios, lexikon, s.v. Πράμνιος οἶνος, ed. Naber, Bd. 2, S. 102) erwähnt einen Felsen auf einer Insel, aus dem Wein fließt, „der die Leidenschaft beruhigt“ (τὸν πραΰνοντα τὸ μένος). 46 BNJ 42 Demaratos F 4 = Ps.-Plut., de fluviis 9,3 (Müller, Geographi Graeci minores, Bd. 2, 648) steht ebenfalls in Verbindung zur Göttermutter Kybele. 47 Diod. 4,65,5f. 48 Diod. 4,65,5f. und 8. 49 Diod. 4,65,6. 50 Diod. 4,65,7: οὗτος μὲν οὖν ὕστερον κατὰ τὰς τοῦ πατρὸς ἐντολὰς ἀνεῖλε τὴν μητέρα, καὶ διὰ τὴν συνείδησιν τοῦ μύσους εἰς μανίαν περιέστη. 51 Diod. 4,66,1–4.

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Weiteren nicht mehr erwähnt. In der Parallelüberlieferung, vor allem der gleichnamigen Tragödie des Euripides und in der mythographischen Bibliotheke des (Pseudo-) Apollodoros, irrt Amphiaraos im Wahsinn durch die Peloponnes und durch Nordwestgriechenland, heiratet in Psophis (in Arkadien), dessen Umland in der Folge unfruchtbar wird, und kommt schließlich durch ein weiteres Eifersuchts- und Familiendrama zu Tode.52 Der Wahnsinn ist also nicht nur ein Produkt der verschiedenen Einflüsse von Akteuren im Umfeld des Betroffenen, deren Handeln sich jeweils aus dem eigenen Machtdenken heraus begründet; sondern der Wahnsinn des Alkmaion hat im Weiteren auch unmittelbare Auswirkungen auf die Personen, mit denen Alkmaion in Kontakt kommt, sogar auf die Feldfrucht. Umgekehrt führt die mythische Reise- und didaktische Tätigkeit eines Heros, der durch besondere seelische Größe und Lauterkeit gekennzeichnet ist, zu allgemeinem Glück und zur Fruchtbarkeit der einzelnen Landschaften, wie aus dem Beispiel des Kronos hervorgeht:53 Da Kronos also der älteste [der Titanen] war, wurde er König. Er führte die Menschen, die ihm untertan waren, von ihrer agrarischen Lebensweise hin zur Zivilisation, und da er deshalb große Anerkennung fand, gelangte er zu vielen Gegenden der Welt. Allen Menschen brachte er Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit der Seele bei. Aus diesem Grund wurde den später Geborenen überliefert, dass die Menschen, die zur Zeit des Kronos lebten, in jeder Hinsicht gutherzig und unschuldig, ja sogar mit Glück gesegnet wurden.

Im Zeitalter des Kronos vereinen sich erneut Gerechtigkeit (also eine weise Gesetzgebung) in der Gesellschaft und Aufrichtigkeit in der Seele zunächst des göttlichen Herrschers selbst sowie im Weiteren auch der Personen, die ihm persönlich begegnen oder seine Anhänger sind. Die Seele des Herrschers ist also repräsentativ für das Wohlergehen der Gemeinschaft. Gerechtigkeit, seelische Tugenden und materieller Wohlstand sind dabei als Einheit gedacht, sie bedingen sich wechselseitig. Wie generell den Autoren der Antike, so gilt auch Diodor das Zeitalter des Kronos als das goldene Zeitalter, also als ein Zeitalter der paradiesischen Unschuld, das in seiner eigenen Zeit unerreicht ist, die nachfolgenden Epochen wurden bereits als Zeiten des Verfalls gesehen.54 Bei Hesiod, dem ersten Autor, der über das Goldene Zeitalter des Kronos schreibt, und den Diodor gleich im Anschluss an den Text oben zitiert, steht die Abwesenheit von Krieg und von vergleichbaren Übeln im

52 Weitere Quellen finden sich in Albert Schachter, Alkmaion [1], DNP 1 (1996), 507f., insbesondere Eur., Alcmaeon, frg. 65 und 87 Nauck, TGF, S. 380 und 385 = Kannicht, TGF, Bd. 5.1, S. 208 und 218; Apollod. 3,86–90 Wagner; Paus. 8,24,7. 53 Diod. 5,66,4: τὸν μὲν οὖν Κρόνον ὄντα πρεσβύτατον βασιλέα γενέσθαι, καὶ τοὺς καθ’ ἑαυτὸν ἀνθρώπους ἐξ ἀγρίου διαίτης εἰς βίον ἥμερον μεταστῆσαι, καὶ διὰ τοῦτο ἀποδοχῆς μεγάλης τυχόντα πολλοὺς ἐπελθεῖν τόπους τῆς οἰκουμένης. εἰσηγήσασθαι δ’ αὐτὸν ἅπασι τήν τε δικαιοσύνην καὶ τὴν ἁπλότητα τῆς ψυχῆς· διὸ καὶ τοὺς ἐπὶ Κρόνου γενομένους ἀνθρώπους παραδεδόσθαι τοῖς μεταγενεστέροις εὐήθεις καὶ ἀκάκους παντελῶς, ἔτι δ’ εὐδαίμονας γεγονότας. 54 Zu den weiteren Bearbeitungen in der Antike siehe Hartwig Heckel, Zeitalter, DNP 12.2 (2002), 706–709 mit weiterer Literatur.

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Mittelpunkt.55 Diodor hingegen betont das Zusammenspiel von seelischer Größe, Gerechtigkeit und (militärischer) Stärke seines Königreichs, denn seine Herrschaft verbreitete sich vor allem im Westen, sein Kult wurde entsprechend bei den Römern und Karthagern gepflegt.56 Diodor erkennt hier also offenbar einen Nachteil der griechischen Welt bzw. des Mutterlandes. Insgesamt steht also der mythologische Teil der Universalgeschichte Diodors in Einklang mit seiner moralisierenden Absicht (s.o., Kapitel eins), darzulegen, dass seelische Größe von Führungspersonen Charisma verleiht und sich auf das gesellschaftliche Zusammenleben eines Staates überträgt; das gleiche gilt für die Erkrankung der Seele. Im Folgenden wird auf die Charakterisierung historischer Herrscher und Tyrannen einzugehen sein, und zwar unter der Frage, wie Diodor deren seelische Eigenschaften bewertet, beginnend mit der archaischen Zeit, sofern solche Diskurse bei der Portraitierung von Herrschern eine Rolle spielen. 3.3 PHILOSOPHISCHE „SEELENGRÖßE“ IN DER ARCHAISCHEN ZEIT Diodors Darstellung der Geschichte Griechenlands in archaischer und klassischer Zeit ist weitgehend vollständig erhalten. Diese Epoche nimmt Buch elf bis 15 ein, Buch 16 beginnt dann mit Philipp II. von Makedonien, dem Vater Alexanders des Großen. Besonders aus der Sicht des ausgehenden Hellenismus erschien diese Epoche innerhalb der schriftlich dokumentierten Geschichte als Blütezeit der griechischen Staatenwelt, die aufgrund ihrer Kolonien auf Diodors Heimatort Agyrion in Sizilien ausstrahlte, der selbst eine griechische Siedlung war. Die Grundlage für die Gesetzgebung in klassischer Zeit geht zudem häufig auf die archaische Periode zurück (der Zeit ab den homerischen Epen bis zu den Perserkriegen im beginnenden 5. Jahrhundert v. Chr.). Phasenweise war die klassische Zeit aber auch durch Gewaltherrschaften und Verwerfungen geprägt. Zuletzt hat Michael Rathmann es außerdem unternommen, an Fallbeispielen, bei denen dies aufgrund der Parallelüberlieferung möglich ist, Eigenheiten in der spezifischen Perspektive Diodors, etwa in der Parteinahme gegenüber historischen Personen, aufgrund seiner Familiengeschichte herauszuarbeiten.57 Für Diodor war es daher wichtig, die Gründe für diese unterschiedlichen Entwicklungen herauszuarbeiten. In diesem Kapitel soll gezeigt werden, dass wiederum der innere Zustand in der Seele einzelner Menschen ein häufiges Motiv ist, mit dem Diodor eine Parteinahme zeigt. Die verschiedenen Grade geistiger Gesundheit sind für die archaische Zeit bei Diodor besonders an drei Personen festzumachen: Pittakos von Mytilene als einem der Sieben Weisen, Kambyses als nichtgriechischem Herrscher und Aristogeiton als athenischem Tyrannenmörder, welcher den Weg zur Demokratie ebnete. Die weiteren Bücher 55 Hesiod ist mit diesem Bild des Kronos in Diod. 5,66,6 zitiert, die weitere Rezeption in der Antike war ähnlich, siehe dazu Heckel, a.a.O. 56 Diod. 5,66,5. 57 Rathmann (2016), 173–200. Dass Diodor besonders lokalgeschichtlich interessiert war, war schon vorher bekannt, siehe Ambaglio (1995), 53–57 sowie Eduard Schwartz, Diodorus 38, RE 5.1 (1903), 663–704, hier 663.

3.3 Philosophische „Seelengröße“ in der archaischen Zeit

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haben dann unter anderem verschiedene Gesetzgebungsverfahren einzelner legendärer und demokratisch gewählter Amtsinhaber zum Thema, vor allem auf Sizilien, der Heimat Diodors oder der näheren Umgebung. Die Sieben Weisen galten in der griechischen Tradition als bedeutende Staatsmänner, die vor den eigentlichen (vorsokratischen) Philosophen auftraten, also nicht als Philosophen im engeren Sinne zu verstehen sind, aber nichtsdestotrotz als Vorläufer der griechischen Philosophie gesehen werden. Sie stellen also in klassischer und hellenistischer Zeit das Pendant zu den legendären gesetzgebenden Pharaonen in Ägypten dar. Zum ersten Mal erwähnt, einschließlich einer Liste von Namen, unter denen Thales von Milet und Solon von Athen (der selbst Gesetzgeber war) wohl zu den berühmtesten zählen, sind sie bei Platon.58 Die Überlieferung aus dieser Zeit ist sehr unsicher, spätestens in hellenistischer Zeit müssen diese Personen als legendär gelten, sogar die Namen selbst, die dieser Liste zugezählt wurden, änderten sich häufig.59 In der Antike wurden ihnen Weisheitssprüche zugeschrieben, die meisten davon sind heute in dem spätantiken lateinischen Gedicht Ludus Septem Sapientium des Ausonius erhalten.60 Bereits bei Platon findet sich an zweiter Stelle der Name des Pittakos. Dessen Lebenszeit ist nicht genau bekannt, er war aber Anfang des 6. Jahrhunderts Tyrann von Mytilene. 61 Bei Diodor ist er der Prototyp des weisen Gesetzgebers, der Tugenden wie Seelengröße, philosophisches Wissen und militärische Führungsstärke auf sich vereint:62 Pittakos von Mytilene war nicht nur in seiner Weisheit bewundernswert [...]. Denn er war ein verdienstvoller Gesetzgeber und, wenn er einzelnen Bürgern begegnete, ein unparteiischer Wohltäter, außerdem befreite er seine Vaterstadt von den drei großen Unglücken: Tyrannenherrschaft, innere Zerrissenheit und Krieg. Pittakos war ein tiefer Denker, ein umgänglicher Herrscher, und er besaß Selbstironie. Aus diesem Grund schien er allen ohne Zweifel ein perfekter Mann zu sein, der jede positive Eigenschaft besaß. Denn in seiner Gesetzgebung zeigte er sich staatsmännisch und klug, in seinem Glauben gerecht. Was seine Führungsqualität beim Waffengang angeht, so war er mutig, was aber seine Seelengröße angeht, die sich im Profitstreben äußert, so war er nicht auf Geld aus.

Trotz dieser positiven Eigenschaften, die Pittakos auf sich vereinte, erscheint er in einem Fragment des Alkaios, jedoch natürlich nicht bei Diodor (der allerdings in

58 Plat., Prot. 343a. 59 Siehe dazu Detlev Fehling, Die sieben Weisen und die frühgriechische Chronologie. Eine traditionsgeschichtliche Studie, Bern 1985, 9–25 und 39–48. 60 Zusammenstellung der dort und anderswo erhaltenen Sprüche bei Jochen Althoff, Dieter Zeller (Hrsg.), Die Worte der Sieben Weisen, Darmstadt 2006 sowie bei Bruno Snell, Leben und Meinungen der Sieben Weisen. Griechische und lateinische Quellen, München 41971. 61 Justus Cobet, Pittakos, DNP 9 (2000), 1054–1056. 62 Diod. 9,11,1f.: Ὅτι Πιττακὸς ὁ Μιτυληναῖος οὐ μόνον ἐν σοφίᾳ θαυμαστὸς ἦν, ... νομοθέτης τε γὰρ ἀγαθὸς ὑπῆρχε κἀν τοῖς κατὰ μέρος πρὸς τοὺς πολίτας κοινὸς καὶ φιλάνθρωπος, καὶ τὴν πατρίδα τριῶν τῶν μεγίστων συμφορῶν ἀπέλυσε, τυραννίδος, στάσεως, πολέμου. Ὅτι Πιττακὸς βαθὺς ἦν καὶ ἥμερος καὶ τὴν παραίτησιν ἔχων αὐτὸς ἐν αὐτῷ. διὸ δὴ πᾶσιν ἐδόκει τέλειος ἀνὴρ εἶναι πρὸς πᾶσαν ἀρετὴν ὁμολογουμένως· κατὰ μὲν γὰρ τὴν νομοθεσίαν ἐφαίνετο πολιτικὸς καὶ φρόνιμος, κατὰ δὲ τὴν πίστιν δίκαιος, κατὰ δὲ τὴν ἐν τοῖς ὅπλοις ὑπεροχὴν ἀνδρεῖος, κατὰ δὲ τὴν πρὸς τὸ κέρδος μεγαλοψυχίαν ἀφιλάργυρος.

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diesem Buch nur in Auszügen überliefert ist) als Tyrann.63 Alkaios stammte, wie Pittakos, ursprünglich aus Mytilene (auf Lesbos) und schrieb um die Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert lyrische Gedichte.64 Es gab also unterschiedliche Ansichten darüber, ob Pittakos ein weiser und gerechter Herrscher war. Alkaios selbst war allerdings ein politischer Gegner des Pittakos und wurde von diesem sogar verbannt, Pittakos selbst wurde dabei als Schlichter in dem politischen Wettkampf vom demos gewählt, daher war er auch eigentlich kein Tyrann, sondern vom Volk legitimiert.65 Der oben zitierte Text zeigt, dass er in der späteren Tradition selbst als Befreier von Tyrannen auftrat. Gemeint ist unter anderen die Familie des Alkaios, die an diesen Machtkämpfen, aufgrund derer er verbannt wurde, beteiligt war. Wie Strabon weiterhin schreibt, hat Pittakos den Frieden in der Stadt wiederhergestellt und anschließend die Herrschaft an das Volk zurückgegeben.66 Er galt somit als Prototyp eines demokratischen Herrschers und wurde wohl deshalb zu den Sieben Weisen gezählt.67 Der Begriff „Seelengröße“, um den es hier geht, verbindet sich also nicht nur mit einer weisen Gesetzgebung, sondern vor allem auch mit der Demokratie. Dieses demokratische Verständnis zeigt sich in dem oben zitierten Text daran, dass Pittakos gegenüber den einzelnen Bürgern als Wohltäter auftrat und in seiner Seelengröße Geld und Profit ablehnte. Das Konzept der „Seelengröße“ (megalopsychia bzw. lateinisch magnanimitas) als philosophische Kategorie aristokratischer Persönlichkeitszüge geht im Kern auf die Ethik des Aristoteles zurück und wurde im Stoizismus zu einer Tugend, die sich hauptsächlich im Gleichmut des Weisen gegenüber dem Schicksal zeigt.68 Diese „Seelengröße“ rückt also im Hellenismus sehr in die Nähe der ihr verwandten Affektfreiheit und Seelenruhe. In den weiteren Fragmenten von Buch neun ist Pittakos außerdem ein Befürworter der gerechten Landverteilung durch Los, lehnt ein Geschenk des Kroisos ab, der sprichwörtlich für Reichtum steht, begnadigt seinen Gegner Alkaios, und nennt Kroisos gegenüber die Herrschaft der Gesetze als die beste Herrschaftsform.69 Pittakos erscheint deshalb als weise und als Vorläufer der eigentlichen griechischen Philosophen, weil er die Idee der Demokratie bereits vor ihrer philosophischen Erörterung praktisch umgesetzt hat. Ebenfalls wird daher Thettalos aus Athen, Sohn des Tyrannen Peisistratos (vor 600–527), als „weise“ bezeichnet dafür, dass er als einziger

63 Alk. 87 Diehl [2. Bd. 1] = 348 Lobel/Page = 348 Voigt; Strab. 13,2,3 zählt ihn ebenfalls „zu den Tyrannen“ (ἐν δὲ τοῖς τυράννοις). 64 Emmet Robbins, Alkaois [4], DNP 1 (1996), 493–496. 65 Aristot., pol. 3, 1285a 35–40; Diog. Laert. 1,75. 66 Strab. 13,2,3. 67 Aristot., pol. 3, 1285a 31f. spricht von einem „gewählten Tyrannen“ (αἱρετὴ τυραννίς). 68 Besonders einschlägig ist Aristot., eth. Nic. 4,3, 1123b. Zur stoischen Auslegung: Cic., off. 1,20,67–69; Chrysippos, Stoicorum veterum fragmenta, Bd. 3, Nr. 264f. und 269f., S. 64–66. Siehe dazu John Procopé, Hochherzigkeit (μεγαλοψυχία), RAC 15 (1991), 765–795, bes. 778–781 zu den hellenistischen Philosophen. Die von Cicero in De officiis vorgetragene Sicht geht auf den Stoiker Panaitios von Rhodos zurück. Siehe dazu Andrew Dyck, On Panaetius' Conception of μεγαλοψυχία, MH 38 (1981), 153–161. 69 Diod. 9,12,1–3; 9,27,4.

3.3 Philosophische „Seelengröße“ in der archaischen Zeit

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unter seinen Brüdern die Tyrannenherrschaft niedergelegt und statt ihrer nach Gleichheit unter den Bürgern gestrebt hat.70 Das Gegenbild zu diesen positiven seelischen Eigenschaften des demokratisch gesinnten Pittakos stellt der persische Großkönig Kambyses II. (reg. 530–522) dar:71 „Kambyses war von Natur aus wahnsinnig und in seiner logischen Urteilskraft gestört, die Größe seines Königreiches ließ ihn noch viel grausamer und überheblicher werden“.72 Dabei handelt es sich wahrscheinlich um einen Topos der griechischen Tradition, da ägyptische Quellen Kambyses nicht negativ darstellen.73 Diodor sieht also ähnlich wie Polybios eine Gefahr darin, dass die Größe der ererbten Herrschaft zu Wahnsinn führt, seelische Gesundheit umgekehrt zu einer Ausdehnung der Herrschaft. Der Wahnsinn entstand bei Kambyses nicht als Folge des Einflusses, den seine Berater auf ihn ausübten, sondern war ihm bereits bei der Geburt mitgegeben. Die Folgen dieses Wahnsinns zeigten sich laut Diodor darin, dass Kambyses die Mumie des Pharaos Amasis (reg. 570–526) schändete, das Orakel von Zeus Ammon in der Oase Siwa verbrennen und seine Anwohner versklaven ließ.74 Diodor beruht hierbei auf Herodot, der ebenfalls Kambyses als wahnsinnig beschreibt und die beiden vorgenannten Taten überliefert.75 Allerdings ist Kambyses bei Herodot zunächst vor allem jähzornig, erst in Folge einer religiösen Freveltat gegen den Kult des Apis (im Griechischen Epaphus, ein Stier, der als Fruchtbarkeitsgott verehrt wurde) brach bei ihm vollends der Wahnsinn aus.76 Dieser manifestierte sich wiederum in Schandtaten seiner Familie gegenüber, also der Tötung des Bruders und der Heirat mit seiner Schwester, die er ebenfalls töten ließ. 77 Diese Handlungen stehen mit dem Attribut des Apis im Sinne einer direkten Rache für den Religionsfrevel in Zusammenhang, da sie sich gegen die eigene Familie wenden, die von dem Attribut der Fruchtbarkeit eigentlich geschützt ist. Herodot stellt diesen Zusammenhang ausdrücklich her und nennt als weitere mögliche Ursache für den Wahnsinn die „heilige Krankheit“, also die Epilepsie.78 Die unterschiedlichen Schwerpunkte, die Diodor setzt, um den Wahnsinn des Kambyses zu begründen, sind dagegen eher verfassungstheoretischer Natur (vergleichbar den oben besprochenen Ausführungen des Polybios zum Kreislauf der Verfassungen) als

70 Diod. 10,17,1: σοφὸς. Über Thettalos ist sonst wenig bekannt, die Parallelüberlieferung widersprüchlich, siehe dazu Konrad Kinzl, Thessalos [2], DNP 12.1 (2002), 454. 71 Zur Person des Kambyses: Amélie Kurth, Helen Sancisi-Weerdenburg, Kambyses [2] II., DNP 6 (1999), 219–221. 72 Diod. 10,14,1: Ὅτι ὁ Καμβύσης ἦν μὲν φύσει μανικὸς καὶ παρακεκινηκὼς τοῖς λογισμοῖς, πολὺ δὲ μᾶλλον αὐτὸν ὠμὸν καὶ ὑπερήφανον ἐποίει τὸ τῆς βασιλείας μέγεθος. 73 Siehe Leo Depuydt, Murder in Memphis: The Story of Cambyses's Mortal Wounding of the Apis Bull (Ca. 523 B.C.E.), JNES 54 (1995), 119–126 sowie Kurth/Sancisi-Weerdenburg, a.a.O., mit weiterer Literatur. 74 Diod. 19,14,2f. 75 Der Wahnsinn des Kambyses ist besonders in Hdt. 3,27–30 dargestellt, die Schändung der Mumie des Amasis in Hdt. 3,16 und die Verbrennung des Orakels von Zeus Ammon in Hdt. 3,25,3. 76 Diod. 3,30,1 im Kontext von 3,28f. 77 Diod. 3,31f. 78 Diod. 3,33.

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religiös begründet. Eine bei Geburt mitgegebene hohe Machtfülle kann demnach den Ausbruch von Wahnsinn bei Herrschern begünstigen. Die wechselhafte Geschichte der griechischen Staatenwelt im späten sechsten und im fünften Jahrhundert führte in der Darstellung des Diodor dann dazu, dass sich die oben beschriebenen positiven seelischen Eigenschaften im Widerstand gegen die Tyrannis zeigten. Dieses Motiv wird mit zwei historischen Personen, die auch in der griechischsprachigen Parallelüberlieferung bereits besser fassbar sind als die zuvor Genannten, wieder aufgegriffen: Aristogeiton und der Philosoph Zenon von Elea. Aristogeiton ging in die griechische Geschichtsschreibung als Tyrannenmörder ein.79 Sein Versuch, die Tyrannen und Söhne des kurz zuvor erwähnten Peisistratos, Hippias und Hipparchos, bei den Panathenäen 514 v. Chr. zu ermorden, scheiterte jedoch, nur Hipparchos kam dabei ums Leben. Aristogeiton wurde anschließend gefoltert und hingerichtet.80 Bei Aristogeiton zeigten sich seelische Größe und seelischer Edelmut im Augenblick der Folter, diese Eigenschaften zeichneten ihn auch vor den Mitverschwörern aus:81 Größe der Seele unter den Folterqualen und geduldige Standhaftigkeit angesichts seiner Leiden zeichneten allein den Aristogeiton aus, welcher in diesen furchtbaren Zeiten zwei große Qualitäten offenbarte, nämlich Aufrichtigkeit gegenüber seinen Freunden und Rache an seinen Feinden. Aristogeiton machte gegenüber jedermann deutlich, dass Edelmut der Seele über große körperliche Schmerzen erhaben ist.

Dieser Abschnitt soll hier in Zusammenhang mit den sehr ähnlichen Aussagen zum Philosophen Zenon von Elea diskutiert werden, daher lohnt es sich, diesen Abschnitt gleich folgen zu lassen:82 Der Philosoph Zenon wurde wegen eines Komplotts gegen den Tyrannen Nearchos unter der Folter verhört [...]. Unter der größten Intensität der Folterqualen tat er so, als ob seine Seele den Schmerzen unterliegen würde, und rief aus: ‚Hört auf! Ich werde die ganze Wahrheit sagen‘.

In der Folge nennt Zenon allerdings nicht die Namen der Mitwisser, sondern biss dem Tyrannen so fest in das Ohr, dass Zenon getötet werden musste, um Nearchos zu befreien. Zenon von Elea ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Gründer der stoischen Schule im 3. Jahrhundert v. Chr., Zenon von Kition. Dieser ältere Zenon von Elea ist vor allem bekannt durch das Schildkröten-Paradoxon, das ihm zugeschrieben wird, wonach Achilleus, der Held von Troja, eine Schildkröte, die vor ihm startet, nicht überholen kann, da die Schildkröte sich immer etwas 79 Elke Stein-Hölkeskamp, Aristogeiton [1], DNP 1 (1996), 1109f. 80 Hdt. 5,55; Thuk. 1,20; 6,54,1–59,1; Aristot., Ath. pol. 18. 81 Diod. 10,17,2f.: ἡ δὲ ἐν ταῖς βασάνοις παράστασις τῆς ψυχῆς καὶ τὸ καρτερικὸν τῆς τῶν δεινῶν ὑπομονῆς περὶ μόνον ἐγενήθη τὸν Ἀριστογείτονα, ὃς ἐν τοῖς φοβερωτάτοις καιροῖς δύο μέγιστα διετήρησε, τήν τε πρὸς τοὺς φίλους πίστιν καὶ τὴν πρὸς τοὺς ἐχθροὺς τιμωρίαν. Ὅτι ὁ Ἀριστογείτων πᾶσιν ἐποίησε φανερὸν ὡς ἡ τῆς ψυχῆς εὐγένεια κατισχύει τὰς μεγίστας τοῦ σώματος ἀλγηδόνας. 82 Diod. 10,18,1: Ὅτι Ζήνωνος τοῦ φιλοσόφου διὰ τὴν ἐπιβουλὴν τὴν κατὰ τοῦ Νεάρχου τοῦ τυράννου κατὰ τὰς ἐν ταῖς βασάνοις ἀνάγκας ἐρωτωμένου... 10,18,4: κατὰ τὴν ἐπιτονωτάτην ἐπίτασιν τῆς βασάνου προσποιηθεὶς ἐνδιδόναι τὴν ψυχὴν ταῖς ἀλγηδόσιν ἀνέκραγεν, Ἄνετε, ἐρῶ γὰρ πᾶσαν ἀλήθειαν.

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weiterbewegt hat, wenn Achilleus ihren Vorsprung eingeholt hat.83 Der Tyrann Nearchos ist ausschließlich durch die über Zenon von Elea überlieferte Anekdote bekannt, die nicht nur Diodor, sondern auch einige spätere Autoren erwähnen.84 Die psyche des Zenon wird dabei in diesem Kontext allein von Diodor angesprochen, der diesen Aspekt also für wichtig befunden hat. Die Folter diente in der griechisch-römischen Antike dazu, im Zusammenhang mit einer gerichtlichen Befragung von Zeugen, die man der Falschaussage verdächtigte, die Wahrheit festzustellen.85 Sklaven wurden dabei grundsätzlich nur unter der Folter vernommen, da im positiven wie negativen Sinne die Befangenheit gegenüber den Eigentümern als zu hoch gesehen wurde, um eine objektive Aussage zuzulassen. Die Folter wurde daher auch bei Verschwörungen angewendet, da sie die einzige Methode schien, um die Wahrheit über Hintergründe und Mittäter zu erfahren. Kate Cooper hat in diesem Kontext zu Recht darauf hingewiesen, dass christliche Märtyrer eine große Anziehungskraft ausübten, da sie unter der Folter sich zum christlichen Gott bekannten, obwohl das Gegenteil von ihnen verlangt wurde, und somit die Wahrheit ihres Glaubens unter Beweis stellten.86 Eine ähnliche Analogie liegt auch der Würdigung seelischer Größe unter der Folter bei Diodor zugrunde. Diese Eigenschaft ist, wie oben ausgeführt, mit dem Kampf gegen die Tyrannis und für die Demokratie verknüpft. Unter der Folter zeigt sie sich im besonderen Maße, da die Folter die Wahrheit in reinster Form hervortreten lässt. Das Bekenntnis zum Kampf gegen die Tyrannis ist außerdem eine philosophische Haltung, welche einem Weisen wie Zenon von Elea zu eigen ist. Diese philosophische Haltung setzt wiederum Freiheit von Affekten, aber auch überhaupt von Schmerz und Todesfurcht voraus. Sie ist somit die absolute Erkenntnis dessen, was wichtig ist. Da Folterungen in der antiken Welt zudem mit Unfreien assoziiert waren, war die Folterung von freien Statuspersonen ein Symbol für die Gesetzlosigkeit der Tyrannis. Im Umkehrschluss war die rule of law das beste Mittel gegen die Entstehung einer Tyrannis und die rule of law selbst das Ergebnis einer weitblickenden philosophischen Seele, wie Diodor anhand der legendären Gesetzgebung seiner Herkunftsregion deutlich macht, wie im Folgenden gezeigt werden soll.

83 Aristot., phys. 6,9 (239b 14–29). 84 Val. Max. 3,3 ext. 3; Diog. Laert. 9,26f. 85 Siehe dazu Gerhard Thür, Beweisführung vor den Schwurgerichtshöfen Athens, Wien 1977; Edward Peters, Torture, Oxford 1985, 11–25; Leonhard Schumacher, Servus index, Wiesbaden 1982; Pietro Cerami, Tormenta pro poenis adhibita, in: Oliviero Diliberto (Hrsg.), Il problema della pena criminale tra filosofia greca e diritto romano. Atti del deuxième colloque de philosophie pénale Cagliari, 20–22 aprile 1989, Neapel 1993, 29–50. 86 Kate Cooper, The Voice of the Victim: Gender, Representation, and Early Christian Martyrdom, Bulletin of the John Rylands Library 80 (1998), 147–157, hier 152–154 mit Bezug auf Page DuBois, Torture and Truth, London 1991, 7.

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3.4 ARCHAISCHE GESETZGEBER IN DER MAGNA GRAECIA Für Diodor ist es wichtig herauszustellen, dass moralphilosophische Prinzipien der Kern einer guten Gesetzgebung sind. Besonders deutlich zeigt sich diese Ansicht an seiner Behandlung der Gesetzgebung des Charondas, der in Catania auf Sizilien wirkte. Das Leben des Charondas ist dabei legendär, es lässt sich auch nicht genauer datieren als auf die Zeit von der Mitte des 7. bis zum Ende des 6. Jahrhunderts.87 Diodor ist die Hauptquelle für Charondas, dem er als Bewohner von Sizilien offenbar ein Denkmal setzen wollte. Charondas galt in hellenistischer Zeit als Anhänger des Pythagoras, wobei Diodor ihn zwar nicht direkt als Pythagoreer darstellt, aber die Gesetzesfragmente, welche er ihm zuschreibt, wohl einer neupythagoreischen Tradition angehören.88 Für die Rechtsphilosophie Diodors und die damit zusammenhängenden psychologischen Theorien sind die Fragmente des Charondas also aufschlussreich, da er in besonderer Weise seinen sizilischen Landsmann als idealen Gesetzgeber portraitieren und somit wohl auch eigene Vorstellungen in die legendäre Person hineinprojizieren wollte. In diesem Sinne hochrelevant ist das Gesetz zum Verbot der schlechten Gesellschaft, da diese die Seele verdirbt, die Leidenschaften aufwühlt, den Charakter verdirbt und somit wie eine Krankheit die Seele infiziert:89 Charondas schrieb auch ein außerordentliches Gesetz über schlechte Gesellschaft, das von den anderen Gesetzgebern ignoriert wurde. Denn er ging davon aus, dass die guten Menschen manchmal aufgrund ihrer Freundschaft und ihres Umgangs mit den bösen ihre Lebensweise zum Schlechten ändern und dass die Schlechtigkeit, wie eine seuchenhafte Krankheit, sich ausbreitet auf das Leben der Menschen und die Seelen der besten infiziert. Denn der Weg zum Schlechteren führt abwärts und erleichtert daher die Reise. Aus diesem Grund werden auch viele Menschen mit maßvoller Lebensweise von inneren Genüssen verleitet und verfallen anschließend schlechten Gewohnheiten. So untersagte der Gesetzgeber, aus dem Wunsch heraus, diese Störung unter Kontrolle zu halten, sich auf freundschaftlichen Umgang mit den Bösen einzulassen, ordnete Rechtsverfahren gegen schlechte Gesellschaft an, und brachte diejenigen

87 Zur Person Karl-Joachim Hölkeskamp, Charondas, DNP 2 (1997), 1109f.; Max Mühl, Die Gesetze des Zaleukos und Charondas, Klio 22 (1929), 105–124, 432–463 (letzteres zu Charondas und den Traditionen, die Diodor vorliegen hatte). Ausführlich zur (klar abgelehnten) Historizität der von Diodor überlieferten Gesetze des Charondas, Karl-Joachim Hölkeskamp, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, Stuttgart 1991, 139–143 mit früherer Literatur. Die wichtigste Quelle zur Gesetzgebung des Charondas ist Aristot., pol. 2, 1274a 23–1274b 8, der diese Gesetze als wenig originell bezeichnet. 88 Siehe dazu neben Mühl, a.a.O. auch Zhmud (2012), 114 mit weiteren Quellen. 89 Diod. 12,12,3: ἔγραψε δὲ ὁ Χαρώνδας καὶ περὶ τῆς κακομιλίας νόμον ἐξηλλαγμένον καὶ τοῖς ἄλλοις νομοθέταις παρεωραμένον. ὑπολαβὼν γὰρ τοὺς ἀγαθοὺς ἄνδρας ἐνίοτε διὰ τὴν πρὸς τοὺς πονηροὺς φιλίαν καὶ συνήθειαν διαστρέφεσθαι τὰ ἤθη πρὸς κακίαν, καὶ τὴν φαυλότητα καθάπερ λοιμικὴν νόσον ἐπινέμεσθαι τὸν βίον τῶν ἀνθρώπων καὶ νοσοποιεῖν τὰς ψυχὰς τῶν ἀρίστων· κατάντης γὰρ ἡ πρὸς τὸ χεῖρον ὁδός, ῥᾳδίαν ἔχουσα τὴν ὁδοιπορίαν· διὸ καὶ τῶν μετρίων πολλοὶ τοῖς ἤθεσιν, ὑπούλοις ἡδοναῖς δελεασθέντες, εἰς ἐπιτηδεύσεις χειρίστας περιώκειλαν· ταύτην οὖν τὴν διαφθορὰν ἀναστεῖλαι βουλόμενος ὁ νομοθέτης ἀπηγόρευσε τῇ τῶν πονηρῶν φιλίᾳ τε καὶ συνηθείᾳ χρήσασθαι, καὶ δίκας ἐποίησε κακομιλίας, καὶ προστίμοις μεγάλοις ἀπέτρεψε τοὺς ἁμαρτάνειν μέλλοντας.

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Personen, welche die Absicht hatten, dagegen zu verstoßen, mit schweren Strafen von ihrem Vorhaben ab.

Der Begriff der kakomilia („schlechte Gesellschaft“), mit dem Diodor den schädlichen Einfluss böser Menschen auf die Seelen von Individuen beschreibt, die ohne diesen Einfluss ein moralisch gutes Leben führten, ist im Gesamtbestand der antiken griechischen Literatur nur zweimal und nur in diesem oben zitierten Abschnitt belegt.90 Das dahinter stehende Konzept, also die ansteckende Wirkung moralisch schlechter Eigenschaften auf die Seele des Menschen, war hingegen offenbar in hellenistischer Zeit verbreitet, zumindest wenn man nach Polybios und Diodor geht, wie auch im Weiteren noch ausgeführt werden soll. Die Gesetzgebung des Charondas ging dabei davon aus, dass die Menschen eine natürliche Neigung haben, sich von moralisch schlechten Menschen beeinflussen zu lassen. Aus der späteren Sicht des Diodor führte diese Tendenz zum teilweisen Niedergang der demokratischen Stadtstaaten in klassischer und nachklassischer Zeit, wenn also etwa die Bürgerschaft durch Demagogen beeinflusst wurde.91 Nicht weiter erklärt ist, wer jeweils bestimmt, welche Personen der „schlechten Gesellschaft“ zugerechnet werden können, und wie Missbrauch vermieden werden kann. Da es sich bei den erwähnten Rechtsverfahren im griechischen Text um dike, nicht um graphe handelt, also um eine Privatklage, nicht um eine öffentliche Klage, war das Verfahren anscheinend so gedacht, dass der Kläger den Nachweis erbringen musste, dass ein bestimmter Personenkreis diesen schädlichen psychologischen Einfluss ausübte.92 In der Praxis wäre ein solches Gesetz schwer umzusetzen gewesen, ohne bestimmte Personen ganz von der Bürgerschaft zu entfernen. Es handelt sich also um eine Utopie, allerdings um eine solche, die den Verbannungsgesetzen in Teilen der griechischen Welt nahekam. Im klassischen Athen beispielsweise (für welches das Rechtssystem hauptsächlich durch die attischen Redner relativ gut bekannt ist), war die Verbannung die effektive Strafe für Personen, welche nicht zu einer festgesetzten Gerichtsverhandlung erschienen, weil die Erfolgsaussichten, insbesondere ihr Leumund, also ihre Reputation innerhalb der Bürgerschaft, zu schlecht waren. Stephen Todd ist also wohl darin Recht zu geben, dass nicht die Bestrafung, sondern die Entfernung des Täters aus der Gemeinschaft das ausschlaggebende Motiv war.93 Mordund Totschlagsprozesse wurden unter freiem Himmel geführt, Angeklagte mussten sich teilweise von einem Boot aus verteidigen, wohl deshalb, weil eine von ihnen ausgehende Ansteckungsgefahr angenommen wurde.94 Im 5. Jahrhundert war es zudem in Athen möglich, einzelne Bürger ohne ein Gerichtsverfahren oder Angabe von Gründen allein durch das Scherbengericht (ostrakismos) temporär aus der 90 Dies ergibt eine Suche nach κακομιλι* im Thesaurus Linguae Graecae. Abgesehen von diesem Abschnitt des Diodor ist das Wort nur in den Exzerpten Diodors, die den Text wörtlich übernehmen, sowie in einem Lexikon ebenfalls aus mittelbyzantinischer Zeit belegt. 91 Zu dieser Bedrohung der Poliskultur siehe etwa Scholten (2003), bes. 275–326; Dreßler (2014), 54–131. 92 Zur Unterscheidung zwischen dike- und graphe-Verfahren ist die Standarddarstellung Todd (1993), 98–122. 93 Todd (1993), 140f. 94 Todd (1993), 272–274.

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Bürgerschaft zu entfernen, als Grund dafür galt in der Antike die Vermeidung einer Tyrannis.95 Auch dieses Verfahren hatte also Ähnlichkeiten zu dem legendären Gesetz des Charondas, da ein negativer Einfluss einzelner Personen auf die Bürgerschaft dadurch eliminiert werden sollte. Die weiteren legendären Gesetze des Charondas, die Diodor anführt, haben ebenfalls die moralische und seelische Bildung der Bürgerschaft zum Ziel. Insbesondere erließ Charondas laut Diodor eine allgemeine Schulpflicht, dass also alle Bürger im Lesen und Schreiben unterrichtet werden sollten und dass die Polis für den Lohn der Lehrer aufkommen sollte, damit jeder sich den Unterricht leisten konnte.96 Zur seelischen und moralischen Bildung trägt aber auch das andere bei Diodor überlieferte Gesetz des Charondas bei, welches darauf zielt, dass Männer, die ein zweites Mal heiraten, nicht mehr als politische Ratgeber für ihre Heimatstadt auftreten können, da eine erneute Heirat bedeutet, dass die erste nicht zufriedenstellend war, der Mann den gleichen Fehler aber nochmal begeht und so nicht einmal für seinen Hausstand sorgen kann. 97 Dieses Gesetz zieht also eine Analogie von der Regelung von Familienangelegenheiten zur Verwaltung des Gemeinwesens und setzt ähnliche Fähigkeiten voraus. Männer, die zweimal heiraten, sind demnach „töricht“.98 In einer dichterischen Fassung des Gesetzes, die Diodor folgen lässt, wird der wiederverheiratete Mann auch als „wahnsinnig“ beschrieben.99 In die gleiche Richtung geht das Gesetz zum Schutz der Waisen, welches Eifersuchtsdramen und Erbschaftskonflikte verhindern sollte.100 Das Gesetz zur Entehrung von Deserteuren sollte außerdem Feigheit im Krieg verhindern, zielt also ebenfalls auf die Stärkung männlicher Tugenden.101 Schließlich überliefert Diodor über die Gesetze des Charondas auch noch, dass Sykophanten, also falsche Ankläger und Denunzianten, öffentlich einen Tamariskenzweig tragen sollten. Auch dieses Gesetz sollte negative seelische Eigenschaften verhindern, vor allem aber sollte es im Kontext mit dem oben besprochenen Gesetz zur schlechten Gesellschaft offenbar einen Missbrauch verhindern, dass also der Vorwurf der schlechten Gesellschaft nicht in verleumderischer Absicht erfolgt. Das legendäre Gesetz zur Schulpflicht und dem allgemeinen Erwerb der Fähigkeiten von Lesen und Schreiben begründet Diodor unter anderem damit, dass nur auf diese Weise das Andenken an Menschen der Vergangenheit sowie „die 95 Weitere Quellen und Literatur in Peter J. Rhodes, Ostrakismos, DNP 9 (2000), 103f. Die Hauptquelle ist Aristot., Ath. pol. 22; 43,5. 96 Diod. 12,12,4. 97 Diod. 12,12,1. 98 Ebd.: ἄφρονας. 99 Diod. 12,14,1: μανικὸν. Wahrscheinlich handelt es sich in dem ersten Zitat zum Gesetz der schlechten Gesellschaft um eine Anspielung auf den Phoenix des Euripides, da auch Aischin. 1,152 (= Eur., Phoenix, frg. 812 Nauck, TGF, S. 623–625 = Kannicht, TGF, Bd. 5.2, S. 851–853) aus dieser Tragödie des Euripides etwas umfangreicher und mit ähnlichem Inhalt zitiert. Das zweite Zitat, zur Wiederheirat, stammt von einem unbekannten Autor (= frg. adesp. 110 Kock, CAF Bd. 3, S. 425 = frg. 148 Kassel/Austin, PCG, Bd. 8, S. 54). 100 Diod. 12,15. Ähnlich die späteren Revisionen zu Heiratsgesetzen in Diod. 12,18. 101 Diod. 12,16,1f.

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vollendetsten Lehrsätze verständiger Männer“ bewahrt werden können.102 Die Intention, die Diodor bei dieser Schulpflicht annimmt, entspricht also der eigenen Intention des Diodor, ein Geschichtswerk zu verfassen, nämlich um durch die Überlieferung der Taten und Meinungen bedeutender Personen der Vergangenheit die Seele der Rezipienten zu bilden, wie in Kapitel eins dargelegt. Auch aus dieser Kommentierung des Diodor geht also hervor, dass er in die legendäre Person des Charondas seine eigene Vorstellungswelt hineinprojiziert. Diodor porträtiert in diesem Abschnitt den idealen Gesetzgeber als eine Person, welche die Seelen der Mitmenschen durch Verordnungen heilt und vergleicht den Gesetzgeber, wie in Kapitel eins den Historiker, mit einem Arzt, die Gesetzgebung mit Medizin:103 In einer solchen Weise übertraf er die früheren Gesetzgeber, denen zufolge Kranke aus öffentlichen Geldern von eigenen Ärzten geheilt werden sollten, dass die erstgenannten zwar die Körper einer medizinischen Behandlung für würdig befanden, Charondas aber die Seelen heilte, die durch Bildungsmangel gestört waren, und wir beten zwar darum, dass wir jene Ärzte niemals brauchen werden, aber wir wünschen uns, dass wir unsere gesamte Lebenszeit mit den Lehrern der Bildungskultur verbringen.

Bildung und Heilung der Seele, ebenso wie Bildungsmangel und seelische Störung, gehen demnach also ineinander über. Lehrer der paideia, der antiken höheren Bildung, wirken, wie Diodors Geschichtswerk selbst, als Ärzte, welche die Seelen der einzelnen Menschen und der Gesamtheit der Bürgerschaft heilen. Diodor führt seine eigene Arbeit auf das Wirken des legendären Gesetzgebers zurück, seine Heimat Sizilien kann besonderen Anspruch auf diese Art von Literaturtätigkeit erheben. Als Konsequenz seiner seelsorgerischen Tätigkeit hat Charondas den Wortlaut des Gesetzes über alle Kontrollorgane gestellt, um zu vermeiden, dass Angeklagte durch rhetorisch geschickte Verteidigungsreden den Gerichtshof umstimmen können.104 Auch hier äußert Diodor also Kritik an der in Teilen der griechischen Welt aus seiner Sicht überhand nehmenden Praxis der Gerichtsrede, wie sie durch die überlieferten und bekannten attischen Gerichtsredner bezeugt ist, und er projiziert diese Praxis nicht nur auf die ägyptische (s.o.), sondern auch auf die sizilische Frühzeit. Als Konsequenz dieser von ihm als ideal und notwendig angesehenen Ordnung hat sich Charondas selbst das Leben genommen, als er versehentlich in der gesetzgebenden Versammlung (ekklesia) mit einer Waffe erschien, aber zuvor ein Gesetz erlassen hatte, welches das Tragen von Waffen in der Versammlung verbietet.105 Darüber hinaus waren nach diesem Entwurf Gesetzesänderungen nur schwer möglich, da jede Person, die eine solche Änderung beantragte, mit einer Schlinge um den Hals die Abstimmung abwarten musste und das Leben verlor, wenn der Antrag 102 Diod. 12,13,2: τὰς χαριεστάτας τῶν φρονίμων ἀνδρῶν ἀποφάσεις. 103 Diod. 12,13,4: καὶ τοσοῦτον ὑπερεβάλετο τοὺς πρότερον νομοθετήσαντας δημοσίῳ μισθῷ τοὺς νοσοῦντας τῶν ἰδιωτῶν ὑπὸ ἰατρῶν θεραπεύεσθαι, ὥσθ’ οἱ μὲν τὰ σώματα θεραπείας ἠξίωσαν, ὁ δὲ τὰς ψυχὰς τὰς ὑπ’ ἀπαιδευσίας ἐνοχλουμένας ἐθεράπευσε, κἀκείνων μὲν τῶν ἰατρῶν εὐχόμεθα μηδέποτε χρείαν ἔχειν, τοῖς δὲ τῆς παιδείας διδασκάλοις ἐπιθυμοῦμεν ἅπαντα τὸν χρόνον συνδιατρίβειν. 104 Diod. 12,16,3–5. 105 Diod. 12,19,1f. Pol. 36,13,2 enthält eine ähnliche moralisierende Aussage über Gesetzgeber, die sich nicht an ihre Regeln halten und deshalb von der Schicksalsgöttin bestraft werden.

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scheiterte.106 Der Primat der Legislative über der Judikative ist in der legendären Gesetzgebung des Charondas also mit der Seelenpflege der Polisgemeinschaft begründet und die weitgehende Unverletzlichkeit der Gesetze mit der Seelengröße und Weisheit des Gesetzgebers. Das gleiche Bild zeichnet Diodor an anderer Stelle für Diokles von Syrakus. Diokles soll demnach für jedes einzelne Vergehen feste, und zwar strenge Strafen festgelegt haben, um damit das Böse unter den Menschen zu bekämpfen.107 Den Richtern, die über einen Einzelfall entschieden, blieb somit nur noch ein geringer Ermessensspielraum. Diokles starb daher auch in sehr ähnlicher Weise wie Charondas, indem er das Verbot zum Tragen von Waffen an sich selbst vollstreckte. 108 An seinen Gesetzen und an seinem Tod selbst offenbart sich seine Seele: „Dieser plötzliche Wendepunkt am Ende seines Lebens legte Zeugnis ab für die hervorragenden Eigenschaften und die Strenge seiner Seele“.109 Diokles von Syrakus lebte um 400 v. Chr. Das Gesetzeswerk, das Diodor ihm zuschreibt, stammt wohl nicht von diesem Diokles, sondern von einem gleichnamigen Gesetzgeber aus archaischer Zeit, den Diodor hier verwechselt.110 Der historische Diokles, der um 400 v. Chr. lebte, sorgte laut Diodor zudem dafür, dass die Verfassung von Syrakus demokratischer wurde, indem Gesetzgeber gewählt und Ämter durch Los zugewiesen wurden.111 Ähnlich den vorgenannten Beispielen verknüpft Diodor sowohl eine am Guten orientierte Gesetzgebung als auch das Zeugnis der Wahrheit und Bekenntnis zur Demokratie im Augenblick des Todes mit einer bedeutenden Person seiner eigenen Herkunftsregion. Diese Sorge um die Seelen der Menschen liegt bei Diodor schließlich auch dem legendären Gesetzgebungswerk des Zaleukos aus dem unteritalischen Lokroi zugrunde. Diodor behandelt dabei Zaleukos unmittelbar nach Charondas und vergleicht die jeweiligen Gesetze. Ebenso wie Charondas lässt sich noch nicht einmal die Historizität des Zaleukos klären, ebenfalls strittig ist die Frage, welche Traditionen in das Gesetzgebungswerk, das Diodor oder andere ihm zuschreiben, eingeflossen sind. Zaleukos wird ebenfalls auf das 7. oder 6. Jahrhundert v. Chr. datiert, die ihm zugeschriebenen Gesetze sind aber wahrscheinlich in späterer Zeit nach und nach entstanden.112 Diodor zählt Zaleukos jedenfalls zu den Schülern des Pythagoras.113 Im Kontext dieses Kapitels geht es um die Frage, wie aus der Sicht des Geschichtswerks des Diodor, das (wie in Kapitel eins gezeigt) auch sonst vielerorts pythagoreische Philosophie zum Verständnis der Vorgänge in den Seelen der 106 107 108 109 110 111 112 113

Diod. 12,17,1–5. Diod. 13,35,4. Diod. 13,33,2f. Diod. 13,35,5: ἐμαρτύρησε δ’ αὐτοῦ τὴν ἀρετὴν καὶ τὴν σκληρότητα τῆς ψυχῆς ἡ περὶ τὴν τελευτὴν περιπέτεια. Zur Person und weiteren Literatur, siehe Klaus Meister, Diokles [3] von Syrakus, DNP 3 (1997), 609f. Diod. 13,34,6; ähnlich auch Aristot., pol. 5, 1304a 27. Die Literatur und Quellenlage ist ähnlich wie oben, S. 112, Anm. 87; außerdem Reinhold Wolters, Zaleukos, DNP 12.2 (2002), 690; Hölkeskamp (1991), 187–198. Diod. 12,20,1.

3.4 Archaische Gesetzgeber in der Magna Graecia

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Menschen heranzieht, Gesetzgebung und Seelenpflege verknüpft werden. Auch wenn Diodor hier weitgehend aus seinen Vorlagen kompiliert, so sind die sich damit verbindenden Vorstellungen doch konsistent und bereits in der moralisierenden Intention der Universalgeschichte Diodors angelegt. Diodor priorisiert dabei Charondas insofern, als er diesen zuerst erwähnt und seine Gesetze in größerem Umfang darstellt, und zwar wohl deshalb, weil Lokroi sich im äußersten Süden des italienischen Festlandes befindet, also nahe Sizilien, Diodors Heimat. Diodor will also die originellsten Anteile der archaischen Gesetzgebung seiner Herkunftsregion zuweisen. Das Gesetzeswerk des Zaleukos ergänzt dabei die moralisch-didaktischen Gesetze des Charondas vor allem in den Verordnungen zur Ehrerbietung gegenüber den Göttern, welche Diodor im Kontext anspricht und ausdrücklich mit der seelischen Reinheit der Menschen in Zusammenhang bringt:114 [...] dass sie die Götter verehren sollen, da sie für die Menschen die Ursache aller schönen und guten Eigenschaften im Leben sind, und dass sie ihre Seele von allem Schlechten reinhalten sollen, weil er glaubte, dass die Götter sich nicht über die Opfergaben und Aufwendungen der Bösen freuen, sondern vielmehr über die Bildung des Charakters der guten Menschen zur Gerechtigkeit und zum Guten hin.

Die Verehrung der Götter trägt also nicht nur zur seelischen Bildung bei, sondern diese selbst ist die Manifestation eines entsprechend religiösen Lebens. Äußere Zeremonien und damit verbundene finanzielle Ausgaben dienen dagegen oftmals nur dazu, das eigene Gewissen zu beruhigen und ein moralisch schlechtes Leben zu verdecken. Auch hier zeigt sich also wieder die Zeitkritik Diodors sowie die Projektion eines utopischen Idealzustandes in die Frühzeit und auf eine überragende Führungsperson, die mit philosophischer Weisheit die Gesetze so eingerichtet hat, dass sie die Seelen der Menschen heilen sollen. Insbesondere erwähnt Diodor im unmittelbar vorausgehenden Kontext den Glauben an die göttliche Schöpfung der Welt, der vor allem durch die Epikureer abgelehnt wurde, welche den Zusammenstoß der Atome und die darauf folgende Evolution des Lebens als die Ursache der Welt ansahen, also einen Einfluss des Göttlichen auf Entstehung und Gang der Welt ausschlossen. Im Original, also nicht als sekundäre Zitierung, ist die Innensicht der Epikureer nur durch das Lehrgedicht De natura rerum des Lucretius aus dem ersten Jahrhundert v. Chr. handschriftlich in Bibliotheken überliefert. Dieses Gedicht stellt die Evolutionstheorie in einiger Ausführlichkeit dar.115 Lucretius sieht sich ebenfalls ausgerechnet in seiner Seelenlehre (dass nämlich die Seele des Menschen aus Atomen besteht und sterblich ist) als Arzt, der die Menschen heilen will, und zwar

114 Diod. 12,20,2: ...σέβεσθαί τε τοὺς θεούς, ὡς πάντων τῶν ἐν τῷ βίῳ καλῶν καὶ ἀγαθῶν αἰτίους ὄντας τοῖς ἀνθρώποις, ἔχειν δὲ καὶ τὴν ψυχὴν καθαρὰν πάσης κακίας, ὡς τῶν θεῶν οὐ χαιρόντων ταῖς τῶν πονηρῶν θυσίαις τε καὶ δαπάναις, ἀλλὰ ταῖς τῶν ἀγαθῶν ἀνδρῶν δικαίαις τε καὶ καλαῖς ἐπιτηδεύσεσι. 115 Lucr. 2,1023–1174. Einige Briefe Epikurs sind in Buch 10 des Diogenes Laertios vollständig, aber indirekt überliefert. Andere epikureische Texte sind archäologische Funde, wie beispielsweise die Inschrift des Diogenes von Oinoanda oder die Bibliothek in der Villa dei Papiri in Herculaneum.

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in seiner Sicht vom falschen Glauben an die Götter.116 Der Schulgründer, Epikur (ca. 341– ca. 270), lebte bereits zur Zeit des Hellenismus. Diodor will also betonen, dass die pythagoreische Tradition sehr viel älter ist als die epikureische und dass die Gesetze der goldenen Frühzeit der westgriechischen Welt die damals noch reine und wahre Seelenlehre widerspiegeln.117 Diese war jedenfalls auf Harmonie der gesamten Bürgerschaft untereinander ausgerichtet, die Seelenpflege des Einzelnen diente also der Seelenpflege der Gemeinschaft und des Staates. Denn Zaleukos soll im Weiteren verordnet haben, dass Rechtsstreitigkeiten immer auf Aussöhnung der Parteien zielen sollten. Wer sich nicht daran hielte, gelte als seelisch verworfen:118 Dass solche Personen, welche dem zuwiderhandeln, von ihren Mitbürgern als Wilde angesehen werden sollen, deren Seelen ungebildet sind. Die Amtsinhaber drängte er dazu, nicht eigensinnig oder anmaßend zu sein und auch nicht aus Hass oder Freundschaft ein Urteil zu fällen.

Auch hier zielt der Vergleich der seelischen Unkultiviertheit mit „Wilden“, also Menschen, die jenseits des Einflussbereiches griechischer Zivilisation leben, darauf, ihnen höhere menschliche Verstandestätigkeit abzusprechen. Eine Vorbildfunktion haben Amtsinhaber, besonders solche, die Streit schlichten müssen, diese müssen unparteiisch sein, sich damit aber von Affekten freimachen, um ihre Führungsposition legitim auszuüben. Besonders negative Eigenschaften sind Selbstinteresse und Arroganz. Gegenmittel gegen diese seelischen Krankheiten sind Bildung und philosophische Weisheit, denn beides besaß Zaleukos nach dem Narrativ des Diodor.119 Wie bei den mythischen Heroen Eifersuchtskonflikte zum Wahnsinn der Seele führten, so wollte Zaleukos laut Diodor durch demonstrative Zeichen der Schande Frauen und verheiratete Männer von einer polygamen Lebensart abbringen, um somit das harmonische Zusammenleben der Bürgerschaft zu stärken.120 Die legendären Gesetze des Charondas, die von Diodor höher gewichtet werden, da jener seiner eigenen Heimat nähersteht, umfassen die Bereiche Bildung, Vermeidung von Denunziation und Erbstreitigkeiten, also weltliche Angelegenheiten. Die Religionsgesetze des Zaleukos zielen auf die religiöse Sphäre, die Monogamiegesetze indirekt auch, da das höchste Götterpaar, Zeus und Hera, für Untreue mit allen negativen Folgen bzw. für eheliche Treue steht. Insgesamt schreibt Diodor 116 So Lucr. 1,921–950, und zwar als Einleitung in die Atomlehre, welche mit der Erkenntnis endet, dass die Seele wegen der Existenz der Atome sterblich ist (Lucr. 3,417–829). 117 Zur frühen Geschichte der griechischen Besiedelung im Westen siehe John Boardman, The Greeks Overseas: Their Early Colonies and Trade, London 1980 u.ö., 161–224. 118 Diod. 12,20,3: τὸν δὲ παρὰ ταῦτα ποιοῦντα διαλαμβάνεσθαι παρὰ τοῖς πολίταις ἀνήμερον καὶ ἄγριον τὴν ψυχήν. τοὺς δὲ ἄρχοντας παρεκελεύετο μὴ εἶναι αὐθάδεις μηδὲ ὑπερηφάνους, μηδὲ κρίνειν πρὸς ἔχθραν ἢ φιλίαν. Demades von Athen, ein Historiker des 4. Jahrhunderts v. Chr., der die Zeit Alexanders des Großen noch erlebte, gibt in einem Fragment mit unbekanntem Kontext (BNJ 227 F 62 = Demades, frg. 105 de Falco) eine sehr ähnliche moralisierende Ansicht wieder. Vgl. auch (bereits in augusteischer Zeit) BNJ 90 T 6 = Ios., Iud. ant. 16,370–372, insbes. 16,372. 119 Diod. 12,20,1: κατὰ παιδείαν τεθαυμασμένος („bewundert wegen seiner Bildung“) und 12,20,3: μάλα σοφῶς καὶ περιττῶς („sehr weise und herausragend“) jeweils mit Bezug auf Zaleukos und seine Gesetze. 120 Diod. 12,21.

3.5 Niedergang der griechischen Poliswelt am Ende der klassischen Zeit

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ideengeschichtlich seiner Heimat Magna Graecia eine Führungsrolle innerhalb der griechischen Poliswelt zu. Diese Führungsrolle geht wiederum maßgeblich auf das Wirken und die Lehre des Pythagoras zurück, für den die Bildung der Seele des Menschen ein zentrales Anliegen war. Wie in der nächsten Sektion gezeigt werden wird, kommt Diodor darauf zurück, um den von ihm so empfundenen Niedergang der griechischen Poliswelt zu erklären. 3.5 NIEDERGANG DER GRIECHISCHEN POLISWELT AM ENDE DER KLASSISCHEN ZEIT Die moralisierende Tendenz, die sich in der legendären Gesetzgebung der archaischen Zeit spiegelt, ist im Folgenden ein Schlüssel zum Verständnis historischer Vorgänge der jüngeren Vergangenheit. Explizit lässt sich diese Tendenz an wertenden Passagen aufzeigen, in denen Diodor mutmaßlich seiner Universalgeschichte, die vielfach auf Kompilationen früherer Texte beruht, einen inneren geschichtsteleologischen Zusammenhang verleiht, der das eigentliche Ziel einer Universalgeschichte ist, wie in Kapitel eins besprochen. Beispielhaft zeigt sich diese moralisierende Geschichtsteleologie, die Übertragung der Seelenharmonie von der Bürgerschaft auf die äußeren Beziehungen bzw. das Scheitern dieses Ideals, in der programmatischen Einleitung zu Buch 15 an Sparta am Ende der klassischen Zeit: 121 Denn wer würde nicht, und zwar aus gutem Grund, über solche Menschen denken, dass sie eine Anklage verdient haben? Sie haben von ihren Vorfahren eine bestens gegründete Vormachtstellung empfangen, die außerdem aufgrund des herausragenden Charakters ihrer Vorfahren länger als 500 Jahre aufrechterhalten wurde, und doch mussten die Spartaner damals miterleben, dass diese durch ihren eigenen schlechten Rat zerstört wurde. Denn die Menschen, die vor ihnen lebten, hatten sich unter vielen Mühen und großen Gefahren hohes Ansehen erarbeitet, und sie verhielten sich gegenüber ihren Untergebenen fair und menschlich. Die später Geborenen behandelten ihre Bundesgenossen gewaltsam und grausam, außerdem begannen sie ungerechte und überhebliche Kriege gegen die Griechen. Aufgrund ihres eigenen schlechten Rates haben sie völlig zu Recht ihre Herrschaft weggeworfen.

Im unmittelbar vorausgehenden Kontext spielt Diodor auf die Niederlagen Spartas bei Leuktra im Jahre 371 und bei der Schlacht von Mantineia des Jahres 362 v. Chr. an.122 Die Schlacht bei Leuktra beendete die Hegemonie Spartas zugunsten von Theben und den jeweiligen Verbündeten. Die Schlacht von Mantineia schwächte beide Seiten und hinterließ ein Machtvakuum in Griechenland, das schließlich zur 121 Diod. 15,1,3: τίς γὰρ ἂν οὐχ ἡγήσαιτο κατηγορίας αὐτοὺς ἀξίους ὑπάρχειν, οἵτινες παρὰ τῶν προγόνων παραλαβόντες ἡγεμονίαν κάλλιστα τεθεμελιωμένην, καὶ ταύτην διὰ τὴν ἀρετὴν τῶν προγόνων διαφυλαχθεῖσαν ἔτη πλείω τῶν πεντακοσίων, οἱ τότε Λακεδαιμόνιοι διὰ τὴν ἑαυτῶν ἀβουλίαν καταλυθεῖσαν ἐπεῖδον, οὐκ ἀλόγως. οἱ μὲν γὰρ πρὸ αὐτῶν βεβιωκότες πολλοῖς πόνοις καὶ μεγάλοις κινδύνοις τὴν τηλικαύτην κατεκτήσαντο δόξαν, ἐπιεικῶς καὶ φιλανθρώπως προσφερόμενοι τοῖς ὑποτεταγμένοις· οἱ δὲ μεταγενέστεροι βιαίως καὶ χαλεπῶς χρώμενοι τοῖς συμμάχοις, ἔτι δὲ πολέμους ἀδίκους καὶ ὑπερηφάνους ἐνιστάμενοι πρὸς τοὺς Ἕλληνας, οὐκ ἀλόγως ἀπέβαλον τὴν ἀρχὴν διὰ τὰς ἰδίας ἀβουλίας. 122 Diod. 15,1,2.

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Eroberung durch Philipp II. von Makedonien und der Epoche des Hellenismus führte. Für diesen Epochenwandel macht Diodor also den „schlechten Rat“ der spartanischen Seite verantwortlich, im Griechischen a-boule. Die boule war in vielen griechischen Stadtstaaten, besonders in Athen, die Ratsversammlung mit umfassenden politischen Aufgaben, das Wort boule meint allgemein jede Form von Beratung.123 Diodor bringt also in Analogie zu den weiteren Ausführungen dieses Kapitels hier zum Ausdruck, dass einerseits die ursprünglich intakte spartanische Bürgerschaft mit den schlechten Einflüssen einzelner Personen infiziert wurde und die frühere seelische Harmonie in sich selbst und den Bündnispartnern nicht aufrechterhalten konnte. Diodor nennt daher im Folgenden als Grund für den Krieg Spartas gegen Mantineia, und somit als geschichtsteleologischen Grund für den Niedergang Spartas, die moralisch falsche Intention: „Sie betrachteten das wirtschaftliche Wachstum, das aufgrund der Friedenszeit eingetreten war, mit Argwohn und waren eifrig darauf bedacht, den Stolz der Männer [von Mantineia] zu brechen“.124 In der bewussten Demütigung des Gegners sieht Diodor auch in dem oben zitierten Text die Ursache für den Umschwung der Verhältnisse. Andererseits sieht Diodor hier, ähnlich wie Polybios im Kreislauf der Verfassungen, eine Degeneration, die nach den zugrundeliegenden Theorien der hellenistischen Welt dann eintritt, wenn spätere Generationen sich nicht mehr, wie frühere, ihre Erfolge erarbeiten müssen, sondern damit zur Welt kommen.125 Diodor wendet also hier die im Vorausgehenden besprochenen Theorien zur politischen Seele und ihrer Entartung auf die wichtige Epochengrenze am Ende der klassischen Welt an. Diese Epochengrenze wurde auch von Diodor als solche gesehen, da er sie programmatisch an den Beginn von Buch 15 setzt. Diodor verstärkt diese Zäsur von der klassischen Zeit der Polis zu deren Niedergang unter makedonischer Vorherrschaft dadurch, dass im Folgenden (im Jahre 388) Platon mit seinem Versuch scheitert, am Hofe des Tyrannen Dionysios I. von Syrakus (ca. 430–367) als Berater tätig zu werden.126 Die Chance auf einen Ausweg aus der Krise der griechischen Staatenwelt war aus der Sicht Diodors somit vertan. Diodor muss dieses Scheitern umso mehr bedauert haben, als er hier wiederum von seiner eigenen Heimat Sizilien berichtet, die sich doch vormals (durch das legendäre Gesetzeswerk des Charondas) als Vorreiter der auf philosophischer Grundlage errichteten Demokratie gegen die Tyrannis erwiesen hatte. Dieses Bedauern des Diodor zeigt sich darin, dass er Dionysios von Syrakus im Anschluss an die Verstoßung Platons am Wahnsinn erkranken lässt. Die erhaltene literarische Parallelüberlieferung, eine Biographie des Plutarch sowie der siebte Brief Platons, berichten dagegen nicht direkt über den Wahnsinn des Dionysios, auch wenn Plutarch schreibt, dass Dionysios gegenüber seiner Umgebung sehr argwöhnisch auftrat und 123 Einschlägig für die Demokratisierung der Ratsversammlung in Athen ist Peter J. Rhodes, The Athenian Boule, Oxford 1972. 124 Diod. 15,5,3: ὑπώπτευσαν αὐτῆς τὴν αὔξησιν τὴν γινομένην ἐκ τῆς εἰρήνης, καὶ τὰ φρονήματα τῶν ἀνδρῶν ἔσπευδον ταπεινῶσαι. 125 Siehe dazu Kapitel zwei, S. 87 oben. 126 Diod. 15,7,1. Die erste Sizilienreise und Bekanntschaft mit Dionysios erwähnt ebenfalls Nep., Dion 2; Diog. Laert. 3,18f.

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dass sein Sohn Dionysios II. in seiner Beziehung zu Platon „außer sich war vor Neid, wie es bei verzweifelten Liebhabern der Fall ist“.127 Platon scheiterte auch auf zwei weiteren Sizilienreisen unter Dionysios II. daran, seine Ideen von einem philosophischen Idealstaat zu verwirklichen. Bei Diodor ist der Wahnsinn des Tyrannen Dionysios I. dagegen zwar auch eine Folge von Neid, der jedoch aufkam, weil er sich selbst als großen Poeten sah, seine Gedichte aber bei den olympischen Spielen durchfielen.128 Da er seinen Misserfolg nicht eingestehen wollte, nahm er seinerseits an, dass die Personen in seiner Umgebung neidisch auf ihn waren und ihn deshalb töten wollten:129 Als Dionysios von der Geringschätzung gegenüber seinen Gedichten hörte, verfiel er in außerordentlichen Kummer. Da seine Leidenschaft immer mehr an Heftigkeit zunahm, ergriff eine wahnhafte Störung von seiner Seele Besitz. Er sprach davon, dass alle seine Freunde auf ihn neidisch seien, und hegte den Verdacht, dass sie ein Komplott gegen ihn schmieden wollten. Schließlich waren seine Wut und sein Wahnsinn so weit fortgeschritten, dass er viele seiner Freunde mit falschen Anschuldigungen hinrichten ließ und nicht wenige in die Verbannung schickte. Zu diesen zählte auch Philistos und sein eigener Bruder Leptines – Männer, die sich durch ihre Tapferkeit ausgezeichnet hatten und ihm selbst in Kriegen viele große Dienste geleistet hatten.

Da Diodor niemanden unter den Hingerichteten und unter den Verbannten nur zwei Personen namentlich erwähnt, muss man wohl von tyrannentopischen Elementen der Darstellung ausgehen. Der unter den Verbannten genannte Philistos von Syrakus (ca. 430–356) war dabei ein Historiker (dessen Werke nicht erhalten sind), Berater und Offizier des Dionysios, außerdem ein Gegner der Reformpläne Platons.130 Sowohl Philistos als auch Leptines wurden bald darauf rehabilitiert.131 Der 127 So Plut., Dion 9,3–8; ähnlich über den jüngeren Dionysios 14,4–7; 16,3: μαινομένου καθάπερ οἱ δυσέρωτες ὑπὸ ζηλοτυπίας. Weder diese Biographie noch der siebte und achte Brief Platons, in dem er auf seine Sizilienreisen eingeht, erwähnen den angeblichen Wahnsinn von Dionysios I. oder Dionysios II., ebenso wenig wie Plutarchs Biographie des Dion. Die Darstellung der ersten Sizilienreise Platons insbesondere bei Diodor ist legendenhaft und topisch, siehe dazu Kai Trampedach, Platon, die Akademie und die zeitgenössische Politik, Stuttgart 1994, 105f. (mit Diskussion früherer Literatur). Über die Sizilienreise Platons berichten außerdem papyrologische Fragmente. Siehe Konrad Gaiser, Philodems Academica. Die Berichte über Platon und die Alte Akademie in zwei herkulanensischen Papyri, Stuttgart 1988, 164–171 für den Text mit Übersetzung. 128 Der Kontext der dichterischen Ambitionen des Dionysios ist Gegenstand von Diod. 15,6. 129 Diod. 15,7,3: ὁ δὲ Διονύσιος ἀκούσας τὴν τῶν ποιημάτων καταφρόνησιν ἐνέπεσεν εἰς ὑπερβολὴν λύπης· αἰεὶ δὲ μᾶλλον τοῦ πάθους ἐπίτασιν λαμβάνοντος, μανιώδης διάθεσις κατέσχε τὴν ψυχὴν αὐτοῦ, καὶ φθονεῖν αὐτῷ φάσκων ἅπαντας τοὺς φίλους ὑπώπτευεν ὡς ἐπιβουλεύοντας. καὶ πέρας ἐπὶ τοσοῦτο προῆλθε λύττης καὶ παρακοπῆς, ὥστε τῶν φίλων πολλοὺς μὲν ἐπὶ ψευδέσιν αἰτίαις ἀνελεῖν, οὐκ ὀλίγους δὲ καὶ ἐφυγάδευσεν· ἐν οἷς ἦν Φίλιστος καὶ Λεπτίνης ὁ ἀδελφός, ἄνδρες διαφέροντες ἀνδρείᾳ καὶ πολλὰς καὶ μεγάλας χρείας ἐν τοῖς πολέμοις αὐτῷ παρεσχημένοι. 130 Siehe Klaus Meister, Philistos, DNP 9 (2000), 818f. Die prosopographischen Angaben beruhen auf den Testimonien von BNJ 556. 131 Diod. 15,7,3. Zu Dionysios und Philistos, insbesondere zu den mutmaßlichen Quellen Diodors für die Regierungszeit des Dionysios (Timaios und eben Philistos selbst) siehe außerdem Lionel J. Sanders, Diodorus Siculus and Dionysius I of Syracuse, Historia 30 (1981), 394–411.

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Wahnsinn des Tyrannen Dionysios äußerst sich also bezeichnenderweise in der Verstoßung von Beratern, die einerseits einen positiven Einfluss auf die Lenkung der Staatsgeschäfte haben, sich andererseits, wie Platon und Philistos, durch literarische Tätigkeit im Bereich der Philosophie oder der Geschichtsschreibung auszeichnen. Diodor betrachtet die Ereignisse um den Tyrannen seiner Heimat Sizilien aus dem Blickwinkel, dass er selbst mit seiner Universalgeschichte einen solchen positiven Einfluss auf die Staatsgeschäfte nehmen will, und Herrscher, die diese Möglichkeit ablehnen, entsprechend kritisch. Was Dionysios tatsächlich zu den Verbannungen bewogen hat, bleibt somit unbekannt. Leptines hatte allerdings zuvor eigenmächtig im Krieg zwischen den griechischsprachigen Bewohnern Süditaliens und den italischen Lukanern einen Frieden geschlossen.132 Die Verbannungen und erwähnten weiteren Prozesse hatten also wohl einen politischen Hintergrund. Diodor stellte wohl den gekränkten Dichterstolz des Dionysios in den Vordergrund, um die Betroffenen in Schutz zu nehmen, denn sonst hätten sie in ihrer Funktion der Beratung des Tyrannen trotz ihres literarischen Hintergrundes versagt. Das Gegenbild zum Versagen Spartas und der westgriechischen Welt am Vorabend der makedonischen Expansion nimmt Theben unter der Führung des Epameinondas (gest. 362 v. Chr.) ein.133 Er war der bedeutendste thebanische Feldherr in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts. Sein Ruhm gründete sich vor allem darauf, dass er 371 v. Chr. die Spartaner in der Schlacht bei Leuktra entscheidend besiegte, indem er es aufgrund seiner neuen Taktik der „schiefen Schlachtordnung“ vollbrachte, dass eine Angriffsformation den linken Flügel des spartanischen Heeres überrennen konnte.134 Wie oben gezeigt, sah Diodor zu Beginn von Buch 15 diese Schlacht als Epochengrenze, die den Untergang der spartanischen Hegemonie markiert. Der Schlachtentod des Epameinondas und dessen charakterliche Würdigung stehen dagegen am Ende von Buch 15, das zudem mit einer Überleitung und Ausblick auf Philipp II. von Makedonien, den Vater Alexanders des Großen, schließt.135 Für Diodor ist Epameinondas also der letzte würdige Vertreter der griechischen Stadtstaaten in klassischer Zeit. Folgerichtig sieht er ihn als größer an als andere bedeutende Vertreter der archaischen und klassischen Polis, wie etwa die Athener Solon, Themistokles und Perikles.136 Deren jeweilige herausstechende Charaktereigenschaften habe Epameinondas in ihrer Gesamtheit auf sich vereinigt:137 132 Diod. 14,102,2f. 133 Zur Person und weiterer Literatur zur Person und Epoche, siehe Karl-Wilhelm Welwei, Epameinondas, DNP 3 (1997), 1061–1063. 134 Xen., hell. 6,4,3–15; Diod. 15,53–56; Plut., Pelopidas 23; Paus. 9,13,3–12. 135 Diod. 15,95,4. 136 Diod. 15,88,2. 137 Diod. 15,88,3f.: καὶ γὰρ ῥώμῃ σώματος καὶ λόγου δεινότητι, πρὸς δὲ τούτοις ψυχῆς λαμπρότητι καὶ μισαργυρίᾳ καὶ ἐπιεικείᾳ, καὶ τὸ μέγιστον, ἀνδρείᾳ καὶ στρατηγικῇ συνέσει πολὺ διήνεγκε πάντων. τοιγαροῦν ἡ πατρὶς αὐτοῦ ζῶντος μὲν ἐκτήσατο τὴν ἡγεμονίαν τῆς Ἑλλάδος, τελευτήσαντος δὲ ταύτης ἐστερήθη καὶ τῆς ἐπὶ τὸ χεῖρον ἀεὶ μεταβολῆς ἐπειράθη, καὶ πέρας διὰ τὴν ἀφροσύνην τῶν ἡγουμένων ἀνδραποδισμοῦ καὶ κατασκαφῆς ἔλαβε πεῖραν. Ἐπαμεινώνδας μὲν οὖν παρὰ πᾶσι περιβόητον ἔχων τὴν ἀρετήν, τοιαύτης ἔτυχε καταστροφῆς τοῦ βίου.

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Denn an Körperkraft, Intensität der Rede, darüber hinaus durch seine seelischen Eigenschaften – Brillanz, Verachtung von Geld, Fairness sowie ganz besonders Tapferkeit und taktisches Verständnis – war er allen weit überlegen. Aus diesem Grund errang seine Vaterstadt zu seinen Lebzeiten die Vorherrschaft über Griechenland, doch nach seinem Tod wurde sie dieser wieder beraubt und sie erlebte einen stetigen Wandel zum Schlechteren, schließlich machte sie aufgrund des Wahnwitzes ihrer führenden Staatsmänner die Erfahrung von Versklavung und Zerstörung. Folglich endete Epameinondas, der eine Tapferkeit besaß, die von allen gerühmt wurde, auf derartige Weise sein Leben.

Diodor sieht also auch hier den Niedergang der klassischen Polis durch den Wahnsinn der auf Epameinondas folgenden Politiker und Feldherren begründet. In seiner Aufzählung der positiven Eigenschaften des Epameinondas sieht er außerdem eine Hierarchie, da die seelischen Eigenschaften über den körperlichen stehen und unter diesen wiederum solche Eigenschaften, die einen erfolgreichen Kommandeur auszeichnen, Vorrang haben. Für Diodor ist es kein Zufall, dass ausgerechnet Epameinondas alle positiven seelischen Eigenschaften auf sich vereinigt, sondern diese Überlegenheit ergibt sich vielmehr aus seiner philosophischen Ausbildung. Diodor erwähnt diese philosophische Ausbildung gleich bei der erstmaligen Vorstellung von Epameinondas in Buch 15, um im Kontext dessen rhetorische Fähigkeiten zu erklären:138 Dieser übertraf nicht nur die Menschen seines eigenen Volksstammes, sondern auch alle übrigen Griechen weit an Tapferkeit und taktischem Verständnis. Denn er hatte lange Zeit Bildung auf jedem Gebiet genossen, und zwar ganz besonders in der pythagoreischen Philosophie.

Die allgemeine Charakterisierung ist also teilweise sogar fast wörtlich die gleiche, wie in dem oben zitierten Abschnitt, zumal Diodor im Folgenden auch noch die körperliche Überlegenheit nennt. Die pythagoreische Ausbildung ist allerdings nur hier erwähnt. Nicht namentlich genannt ist in diesem Buch Diodors der pythagoreische Philosoph, von dem Epameinondas ausgebildet wurde, nämlich Lysis von Tarent. Diodor erwähnt ihn allerdings bereits in Buch zehn in dieser Eigenschaft als Lehrer des Epameinondas und fügt hinzu, dass dieser ihm insbesondere die pythagoreischen Tugenden, „Durchhaltevermögen und Einfachheit“, beigebracht habe.139 Cornelius Nepos schreibt im gleichen Zusammenhang, dass aus römischer Sicht diese Lehren als „oberflächlich“ abzulehnen sind. 140 Cornelius Nepos stammte aus Gallia Cisalpina, gehörte dem Ritterstand an und lebte bis in die frühen Regierungsjahre des Augustus hinein, er war also fast ein Zeitgenosse des Diodor. Cornelius Nepos deutet somit eine unterschiedliche Wahrnehmung an zwischen den 138 Diod. 15,39,2: οὗτος γὰρ οὐ μόνον τῶν ὁμοεθνούντων, ἀλλὰ καὶ πάντων Ἑλλήνων πολὺ προέσχεν ἀνδρείᾳ τε καὶ στρατηγικῇ συνέσει. μετέσχε γὰρ ἐπὶ πολὺ πάσης παιδείας, καὶ μάλιστα τῆς Πυθαγορικῆς φιλοσοφίας. Der Kontext, in dem die rhetorische Begabung des Epameinondas dargestellt ist, ist Diod. 15,38,3. 139 Diod. 10,11,2: καρτερίας καὶ λιτότητος. 140 Nep., Epaminondas 2,2: atque haec ad nostram consuetudinem sunt leuia et potius contemnenda; at in Graecia, utique olim, magnae laudi erant. („Und diese Eigenschaften sind nach unserer Tradition oberflächlich und am besten zu verabscheuen. Doch in Griechenland waren sie jedenfalls zu dieser Zeit aller Ehren wert“). Ebenfalls erwähnt ist das Lehrer-Schüler-Verhältnis in Plut., de genio Socratis 16 (mor. 585e); Paus. 9,13,1.

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lateinischsprachigen Bewohnern des Römischen Reiches und der griechischsprachigen Bevölkerungsgruppe in der Magna Graecia, die Diodor vertritt. Der Philosoph Lysis war bereits im jugendlichen Alter von Tarent nach Theben ausgewandert.141 Diodor hat möglicherweise diesen Philosophen aus Tarent und sein Mentorenverhältnis zu Epameinondas bei den Westgriechen in der Magna Graecia als bekannt vorausgesetzt. Denn sonst wäre kaum zu erklären, dass er ihn in diesem Zusammenhang nicht nennt, obwohl Lysis sich als Mentor und Berater des Epameinondas große Verdienste erworben hat und somit den von Diodor favorisierten Typus des philosophischen Beraters ideal vertritt. Pythagoras ist selbst in der Magna Graecia als Philosoph in Erscheinung getreten, die Lehre des Pythagoras war daher bei den Westgriechen besonders populär. In der Antike zirkulierte zudem ein pseudoepigraphischer Brief des Lysis, in dem er die Echtheit von gefälschten schriftlichen Aufzeichnungen des Pythagoras bezeugt und den Adressaten ermahnt, die geheime philosophische Lehre des Pythagoras nicht mit der Öffentlichkeit zu teilen.142 Lysis galt also als herausragender Vertreter der Schule des Pythagoras, da man ihm direkte Kenntnis der Originallehren zuschrieb. Die oben angedeuteten Todesumstände des Epameinondas spiegeln ebenfalls die Lehrmeinungen der pythagoreischen Philosophie wider. Diodor stellte den Tod des thebanischen Feldherrn bei der Schlacht von Mantineia im Jahre 362 v. Chr., welche das Schicksal der griechischen Staatenwelt in der Schwebe ließ, unmittelbar vor der oben zitierten abschließenden Charakterisierung und im Zusammenhang mit der weiteren Karriere des Epameinondas in großer Ausführlichkeit dar. Demnach sei am Wendepunkt der Schlacht Epameinondas persönlich mit seiner Eliteeinheit in die feindlichen Schlachtreihen hineingestürmt und habe den spartanischen Kommandanten mit einem Wurfgeschoss getroffen.143 Anschließend sei er von den spartanischen Soldaten selbst attackiert und von einem Speer tödlich verwundet worden. Immerhin sei es den Thebanern gelungen, ihren sterbenden Kommandanten in das eigene Feldlager zu bringen, wo die Ärzte allerdings nur noch hätten feststellen können, dass bei Entfernen des Speeres aus der Wunde der Tod folgen würde. Auf die Frage, welche Seite die militärische Oberhand habe, habe er genau dies angeordnet, um den Sieg der mit den Spartanern verbündeten Boiotier nicht mehr erleben zu müssen.144 Epameinondas ist bei Diodor also selbst Herr seines Schicksals. Die Gewissheit des Weiterlebens seiner Seele, ihr zukünftiges Schicksal als Folge der in diesem Leben getroffenen Entscheidungen (wie Diodor selbst die pythagoreische Lehre laut Kapitel eins vorstellt), erleichterten ihm diese Entscheidung. Der Feldherr erscheint hier als Vorbild für seine Soldaten, welche 141 Plut., de genio Socratis 13 (mor. 583b). Zu weiteren Testimonien zu Lysis von Tarent siehe Pierre Lévêque, Pierre Vidal-Naquet, Épaminondas pythagoricien ou le problème tactique de la droite et de la gauche, Historia 9 (1960), 294–307, hier 307f. 142 Zu diesem Brief siehe Walter Burkert, Hellenistische Pseudopythagorica, Philologus 105 (1961), 16–43, hier 17–28, insbes. S. 20, Anm. 3–5 zu antiken Zitierungen; Edition mit Übersetzung sowie Einführung mit Kommentar von Alfons Städele, Die Briefe des Pythagoras und der Pythagoreer, Meisenheim am Glan 1980, 154–159 bzw. 203–251. 143 Diod. 15,86,4. 144 Diod. 15,87,1–6.

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laut Diodor ebenfalls „danach verlangten, etwas Glanzvolles zu erreichen, und um des Ruhmes willen den Tod edelmütig willkommen hießen“.145 Denn auf diese Weise war es ihm möglich, da kinderlos, wenigstens zwei Siege (bei Leuktra und bei Mantineia) der Nachwelt zu hinterlassen, wie er selbst gesagt haben soll.146 Zudem validierte seine Entscheidung die Ergebnisse der Weissager auf beiden Seiten, die im Vorfeld jeweils einen Sieg voraussagten.147 Die pythagoreische Seelenlehre hatte nach Diodor außerdem direkten Einfluss auf den Aufstieg Makedoniens unter Philipp II. so wie die mit ihr darin verwandte platonische Lehre auf die Ereignisse in Sizilien, der Heimat Diodors, wie die folgende Sektion zeigen wird. 3.6 PHILOSOPHISCHE „SEELENGRÖßE“ UND LOKALGESCHICHTE ZU BEGINN DES HELLENISMUS Diodor lässt mit Buch 16 seiner Universalgeschichte eine neue Pentade beginnen. Zudem beginnt dieses Buch mit dem Aufstieg Philipp II. von Makedonien (reg. 359–336 v. Chr.), des Vaters Alexanders des Großen. Für Diodor beginnt damit ein neues Kapitel in der Geschichte der Welt, das sich großenteils mit der modernen, zum ersten Mal von Johann Gustav Droysen (1808–1884) so bezeichneten Epoche des Hellenismus deckt, welche die Zeit ab dem Tod Alexanders, teilweise auch bereits die Zeit ab dem Tod Philipps abdeckt.148 Diodor macht deutlich, dass er mit diesem Buch eine solche Epochenwende behandelt, weil er gleich im Prooemium die Unterwerfung der griechischen Poliswelt unter die Herrschaft Makedoniens zum Thema des Buches erklärt. Im Jahre 326 v. Chr. rief Neapolis (das heutige Neapel) im zweiten Samnitenkrieg Rom zu Hilfe und schloss einen Bündnisvertrag. In der Folge gerieten auch die weiteren griechische Städte in Abhängigkeit von Rom. Mit der Eroberung von Tarent 272 und von Rhegion 270 v. Chr. war die gesamte griechische Staatenwelt Italiens durch verschiedene Verträge Teil der römischen Ordnung geworden.149 Mit der Unterwerfung des griechischen Mutterlandes unter die Herrschaft Philipps war für Diodor daher auch das Ende der Unabhängigkeit der Magna Graecia eingeläutet. Diodor beschreibt Philipp als einen fähigen Herrscher, der über die entsprechenden seelischen Eigenschaften verfügt: „Denn dieser König wurde zu einer Person, die sich durch militärischen Sachverstand, Tapferkeit und Seelengröße

145 Diod. 15,86,3: τοῦ δὲ δρᾶσαί τι λαμπρὸν ἐφιέμενος, εὐγενῶς ἀνεδέχετο τὸν ὑπὲρ τῆς δόξης θάνατον. 146 Diod. 15,87,6. 147 Diod. 15,85,1. 148 Droysens Geschichte des Hellenismus (Gotha 1877) erschien in drei Bänden, die bereits zuvor in erster Auflage als Einzelbände erschienen waren (Hamburg 1833–1843). 149 Zur Geschichte der Magna Graecia siehe etwa Peter Funke, Western Greece (Magna Graecia), in: Konrad H. Kinzl (Hrsg.), A Companion to the Classical Greek World, Oxford 2006, 153–173.

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auszeichnete“.150 Diese Eigenschaften sind auch wörtlich ähnlich formuliert wie die oben analysierte Charakterisierung des Epameinondas und teilweise der erfolgreichen Herrscher, die ihm vorausgehen. Diodor weist ausdrücklich darauf hin, dass Philipp zu einer solchen Persönlichkeit „wurde“ (gegone) und deutet damit wohl an, dass Philipp, ähnlich wie Epameinondas, diese Eigenschaften durch seine Ausbildung erworben hat. Denn wie es gleich im folgenden Abschnitt heißt, war Philipp ebenfalls von Lysis von Tarent in der pythagoreischen Philosophie ausgebildet worden, da er im Krieg seines Vaters Amyntas III. gegen Illyrien von den Siegern als Geisel nach Theben in die Obhut des Vaters von Epameinondas gegeben und mit diesem zusammen aufgezogen worden war.151 Aus diesem Grund konnte Philipp im Folgenden sich in den Nachfolgekämpfen gegen seine beiden älteren Brüder sowie anschließend trotz der vorausgegangen militärischen Verluste in den regionalen Konflikten durchsetzen. Dass Lysis von Tarent dabei wieder nicht namentlich erwähnt ist, zeigt wahrscheinlich, dass Diodor den Namen als bekannt voraussetzte, denn er nennt als gemeinsamen Lehrer „einen pythagoreischen Philosophen“.152 Die Parallelquelle, die Epitome historiarum Philippicarum des Iustinus, welche auf das verlorene Werk des Pompeius Trogus aus augusteischer Zeit zurückgeht, erwähnt ebenfalls die gemeinsame Erziehung mit Epameinondas, jedoch ohne einen konkreten Lehrer.153 Laut Plutarch war Lysis noch zu Lebzeiten des Iason von Pherai gestorben, der als Tyrann im Jahre 370 ermordet wurde, denn in dem Traktat des Plutarch erwähnt Epameinondas in wörtlicher Rede eine vor kurzem erfolgte Gesandtschaft des Iason sowie im Kontext das Grab des Philosophen Lysis.154 Lysis kann also nicht mehr gelebt haben, als Philipp wahrscheinlich zwischen 368 (oder 369) und 365 in Theben war, zumal Epameinondas bereits 371 als siegreicher Feldherr aus der Schlacht bei Leuktra hervorgegangen war, also das Schulalter bereits lange hinter sich hatte.155 Wie Plutarch außerdem an anderer Stelle bezeugt, lebte Philipp während seines Aufenthalts in Theben im Haus des Pammenes, der ein Vertrauter, aber nicht der Vater des Epameinondas war, und wurde daher auch nicht mit diesem zusammen aufgezogen.156 Der wahre Kern ist also wohl, dass Philipp durch seine Bekanntschaft mit Epameinondas in Theben mit pythagoreischer Philosophie in Kontakt kam, wobei Diodor den Einfluss des berühmten Philosophen aus der Magna Graecia auf Philipp, den Eroberer der griechischen Poliswelt, aufbauschen möchte. Der gleiche Gegensatz zwischen seelischer Größe, welche allein die Philosophie verleiht und deren Ablehnung für die griechische Poliswelt das Ende bedeutet, und tyrannischer Herrschaft findet sich ebenfalls noch zu Beginn von Buch 16 im 150 Diod. 16,1,6: γέγονε γὰρ ὁ βασιλεὺς οὗτος ἀγχινοίᾳ στρατηγικῇ καὶ ἀνδρείᾳ καὶ λαμπρότητι ψυχῆς διαφέρων. 151 Diod. 16,2,2f. 152 Diod. 16,2,3: Πυθαγόριον ἔχοντος φιλόσοφον. 153 Iust. 7,5,1f. 154 Plut., de genio Socratis 14 (mor. 583f–584b). 155 Zur Datierung des Aufenthalts von Philipp in Theben siehe André Aymard, Philippe de Macédoine otage à Thèbes, REA 56 (1954), 15–36, hier 16–26. 156 Plut., Pelopidas 26,5. Zur Person Hans Beck, Pammenes [1], DNP 9 (2000), 211.

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Konflikt zwischen Dion und Dionysios II., dem Tyrannen von Syrakus, wieder. Diodor kommt hier also erneut auf seine Herkunftsregion zu sprechen und sieht in den Ereignissen auf Sizilien einen Schlüssel zum Verständnis der Epochenwende. Dion ist bekannt als Freund und Anhänger Platons, der auf Sizilien eine neue Herrschaftsordnung in Anlehnung an Platons philosophischen Idealstaat verwirklichen wollte. Von Dionysios II. deshalb in die Verbannung geschickt, gelang es ihm, im Exil in Griechenland seine Freundschaft zu Platon zu festigen und außerdem mit einer angeworbenen Söldnertruppe Dionysios bei seiner Rückkehr nach Sizilien zu stürzen. In den anschließenden Machtkämpfen in Syrakus wurde er selbst verdächtigt, eine Tyrannis errichten zu wollen und schließlich ermordet.157 Zu Beginn von Buch 16 behandelt Diodor den Zeitraum vom Exil in Griechenland ab dem Jahre 366 bis zur Befreiung von Syrakus im Jahre 357.158 Ungeachtet seines Endes gilt Dion für Diodor als Idealist, der in philosophischer Uneigennützigkeit die Verfassung von Syrakus erneuern wollte und damit tragisch scheiterte. Diese Bewertung wird deutlich in den Beschreibungen der seelischen Eigenschaften Dions:159 Durch seine Seelengröße befreite er die Syrakusaner und die übrigen Sizilier [...] Dieser Mann geriet aufgrund der Exzellenz und der Größe seiner Seele bei dem Tyrannen unter Verdacht, denn man glaubte, dass er dazu fähig war, die Tyrannenherrschaft abzuschaffen. [...] Der Grund für Dions Überlegenheit waren die Seelengröße und die Tapferkeit, die er hatte, und das Wohlwollen derer, die zur Freiheit bestimmt waren, aber noch größer als all das war die Unmännlichkeit des Tyrannen sowie der gegen ihn gerichtete Hass der Menschen, über die er herrschte.

Die Tapferkeit bzw. das männliche Verhalten (andreia) des Dion ist der Feigheit bzw. der Unmännlichkeit des Tyrannen gegenübergestellt. Die Formulierungen, welche die seelischen Eigenschaften des Dion beschreiben, sind etwa wörtlich die gleichen, mit denen Diodor Epameinondas und Philipp II. von Makedonien beschreibt. Das allen Gemeinsame ist die philosophische Ausbildung und das philosophische Gedankengut, das die Griechen des Mutterlandes von dem Pythagoreer Lysis und der Westgrieche Dion von Platon erworben hatten. Sowohl die Pythagoreer als auch die Platoniker glaubten an die Seelenwanderung. Die Unterweisung durch die Philosophen führt also zu den Eigenschaften, welche die „Seelengröße“ (lamprotes tes psyches) ausmachen. Die Tapferkeit ergibt sich mutmaßlich daraus, 157 Die Literatur zu Dion ist umfangreich, eine erste Übersicht bietet Klaus Meister, Dion [I 1], DNP 3 (1997), 619f. Einschlägige Monographien sind Helmut Berve, Dion, Wiesbaden 1957 und Hermann Breitenbach, Platon und Dion. Skizze eines ideal-politischen Reformversuches im Altertum, Zürich 1960. Hauptquellen sind neben Diodor (15,74,5–16,36,5) Platons siebter und achter Brief sowie eine gleichnamige Biographie des Plutarch. 158 Diod. 16,6; 16,9–13. 159 Diod. 16,6,1: διὰ τὴν λαμπρότητα τῆς ψυχῆς ἠλευθέρωσε Συρακοσίους καὶ τοὺς ἄλλους Σικελιώτας...; 16,6,4: οὗτος δὲ διὰ τὴν εὐγένειαν καὶ τὴν λαμπρότητα τῆς ψυχῆς εἰς ὑποψίαν ἦλθε τῷ τυράννῳ, δόξας ἀξιόχρεως εἶναι καταλῦσαι τὴν τυραννίδα. 16,9,3: αἰτία δ’ ὑπῆρχε τῷ Δίωνι τῶν προτερημάτων μάλιστα μὲν ἡ ἰδία λαμπρότης τῆς ψυχῆς καὶ ἀνδρεία καὶ ἡ τῶν ἐλευθεροῦσθαι μελλόντων εὔνοια, τὸ δὲ τούτων ἁπάντων μεῖζον ἥ τε ἀνανδρία τοῦ τυράννου καὶ τὸ τῶν ἀρχομένων πρὸς αὐτὸν μῖσος.

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dass ein glorreicher Tod im Kampf für die Freiheit zu verbesserten Bedingungen der Wiedergeburt der Seele führt, sie folgt also als logisches Korrolar aus der „richtigen“ Seelenlehre. Dionysios II. hat sich dagegen zwar anfänglich für die Philosophie Platons interessiert und ihn zweimal nach Syrakus eingeladen, ihn aber anschließend als Anhänger der politischen Opposition um Dion zurückgewiesen.160 Für Diodor besteht kein Zweifel daran, dass nur diese philosophische Ausrichtung von Herrschern zum nachhaltigen Erfolg der Polis führt, das Versäumnis der Herrscher von Syrakus, die Tyrannis durch einen platonischen Philosophenstaat zu ersetzen, also der Grund für den allmählichen Verlust der Unabhängigkeit ist. Denn in diese Erzählung der Ereignisse um Dion eingebettet ist die erfolgreiche Stadtgründung von Tauromenion auf Sizilien:161 Andromachos von Tauromenion, welcher der Vater von Timaios, dem Verfasser von Geschichtswerken, war und sich selbst durch Reichtum und durch Seelengröße auszeichnete, versammelte um sich die Menschen, welche die Zerstörung von Naxos durch Dionysios überlebt hatten.

Die darauffolgende Stadtgründung auf dem Monte Tauro nördlich von Naxos auf Sizilien war aufgrund dieser seelischen Eigenschaften ihres Gründers – so Diodor weiter – eine sehr erfolgreiche, die erst unter Augustus zu einer römischen Kolonie wurde (wohl 21 v. Chr.).162 Der Erfolg von Aristomachos und Tauromenion wird auch von Plutarch bezeugt.163 Im Bürgerkrieg nach der Ermordung von Iulius Caesar im Jahre 44 v. Chr., also zu den Lebzeiten Diodors, war Tauromenion zusammen mit anderen sizilischen Städten ein Stützpunkt für Sextus Pompeius, den Gegner des Augustus und der Caesarianer, und erlebte eine weitere Blütezeit, die sich für Diodor mutmaßlich positiv und als weitgehend unabhängig von dem Zentralregime in Rom darstellte.164 Timaios von Tauromenion (BNJ 566) ist hauptsächlich durch Polybios bekannt, der ihn wahrscheinlich zu Unrecht als Paradebeispiel für einen schlechten Historiker sieht, sein Werk ist im Original nicht überliefert. Da Diodor ihn als Quelle zugrunde legt und beide in Sizilien wohnhaft sind, wird das Urteil des Diodor deutlich günstiger ausgefallen sein.165 Denn wie Diodor selbst ist 160 Die Hauptquelle für diese beiden Sizilienreisen Platons ist Plut., Dion 11–21. 161 Diod. 16,7,1: Ἀνδρόμαχος ὁ Ταυρομενίτης, Τιμαίου μὲν τοῦ τὰς ἱστορίας συγγράψαντος πατὴρ ὤν, πλούτῳ δὲ καὶ ψυχῆς λαμπρότητι διαφέρων ἤθροισε τοὺς ἐκ τῆς Νάξου τῆς κατασκαφείσης ὑπὸ Διονυσίου περιλειφθέντας. 162 Diod. 16,7,1f. Zumindest ist dies der Eindruck, den Diodor im Kontext hinterlässt, wobei Tauromenion in den Jahrhunderten, welche auf die Neugründung durch Aristomachos folgten, ein Spielball lokaler Interessenspolitik wurde, siehe dazu Maria C. Lentini, Klaus Meister, Tauromenion, DNP 12.1 (2002), 57f. In ähnlicher Weise besitzt der Mederkönig Arbakes „Seelengröße“ (Diod. 2,24,1: ψυχῆς λαμπρότης). Es gelingt ihm somit, mithilfe chaldäischer Weissagungen 625 v. Chr. den assyrischen König Sardanapal zu besiegen und Ninive zu zerstören (Diod. 2,24–28). 163 Plut., Timoleon 10,7. 164 Zur Geschichte Siziliens zur Zeit des Sextus Pompeius und zum archäologischen Befund von Städten wie Tauromenion siehe Shelley C. Stone III, Sextus Pompey, Octavian and Sicily, AJA 87 (1983), 11–22. 165 Siehe Thorsten Fögen, Zur Kritik des Polybios an Timaios von Tauromenion, in: Listy filologické / Folia philologica 122 (1999), 1–31, insbes. 9f. zur Kritik des Diodor an Timaios in

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auch Timaios als Historiker dieser Zeit Hüter einer philosophischen Weltsicht, welche die angesprochene Seelengröße verleiht und die gesamte Polis zum Wohlstand führt. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Diodor seine Heimat Sizilien und das weitere Westgriechenland am Wendepunkt zur hellenistischen Epoche als eine Region beschreibt, welche die historische Chance vergeben hat, die philosophische Lehren ihrer Gründungszeit (und damit die Theorien zur Seele und ihrer Bedeutung für den regionalen Wohlstand) beizubehalten. Sie hat sogar (wie Dionysios I. und II. gegenüber Platon) diese soterischen Lehren abgelehnt oder war an deren Umsetzung gescheitert. Wie die nächste Sektion zeigen wird, hat Diodor in dem Aufstieg Alexanders des Großen und seinen Eroberungszügen eine Hochzeit dieser philosophischen Lehren gesehen, spätestens mit seinem Tod verbindet sich aber symbolisch eine Abkehr von ihnen, die dann wiederum Folgen für die griechische Staatenwelt hatte. 3.7 ALEXANDER DER GROßE Diodor schreibt Alexander allenfalls sehr vereinzelt „Seelengröße“ zu.166 Er steht damit wohl im Gegensatz zu den Diskussionen der hellenistischen Rhetorenschulen, in denen die seelischen Eigenschaften Alexanders eine wichtige Rolle spielten. So findet sich in einem Traktat Plutarchs öfters die „Seelengröße“ Alexanders erwähnt und die entsprechenden Eigenschaften Alexanders im Besonderen oder von Herrschern und ihren Untertanen im Allgemeinen diskutiert.167 Plutarch nennt Alexander sogar „eine wahrhaft philosophische Seele“.168 Diodor erwähnt dagegen Bezug auf den Tyrannen Agathokles, die vielleicht auf Polybios beruht und somit nicht unbedingt das Gesamturteil des Diodor widerspiegelt. Vgl. Meister (1975), 3–55, insbes. 24f. zu Diodor sowie Truesdell S. Brown, Timaeus of Tauromenium, Berkeley 1958, 91–106 zu weiteren antiken Fragmenten, die sich neben Polybios mit Timaios beschäftigten. Zu Leben und Werk des Timaios außerdem Lionel Pearson, The Greek Historians of the West: Timaeus and His Predecessors, Atlanta 1987, 37–51; Ders., Myth and Archaeologia in Italy and Sicily – Timaeus and His Predecessors, YClS 24 (1975), 171–195 sowie Riccardo Vattuone, Sapienza DʼOccidente. Il pensiero storico di Timeo di Tauromenio, Bologna 1991. 166 Nach meiner Durchsicht wird die megalopsychia Alexanders nur in Diod. 17,69,5, im Kontext der Rückführung griechischer Kriegsgefangener in Persien erwähnt, die laut 17,69,2–4 einen besonders ungewöhnlichen und bemitleidenswerten Anblick boten. Vielleicht ist diese Darstellung eine Reflexion des skrupellosen Vorgehens Alexanders in Griechenland. 167 Plut., De Alexandri magni fortuna aut virtute 4: μεγαλοψυχίας (zweimal: 327e und 328a). Die Seele (ψυχη als Suchwort) wird sogar zehnmal erwähnt: 330a; 330c; 330d; 330e; 331e; 334b (zweimal); 336f; 339a; 344d. Zu den Hintergründen dieser Diskussion immer noch einschlägig: Werner Hoffmann, Das literarische Porträt Alexanders des Großen im griechischen und römischen Altertum, Diss. Leipzig 1907, bes. 33–43, der indirekte und spätere Zeugnisse der verlorenen rhetorischen Tradition im Hellenismus auswertet. Moderne psychologische Theorien zu der Persönlichkeit Alexanders werden neuerdings diskutiert von Richard A. Gabriel, The Madness of Alexander the Great and the Myth of Military Genius, Barnsley 2015, 73–83. Vgl. auch Siegfried Lauffer, Alexander der Große, München 1978, 200–205, der versucht, ein Charakterbild von Alexander zu entwerfen. 168 Plut., de Alexandri magni fortuna aut virtute 10 (331e): Φιλοσόφου τοίνυν ἐστὶ ψυχῆς.

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noch nicht einmal die philosophische Ausbildung Alexanders.169 Aristoteles, der berühmte Mentor Alexanders, wird von Diodor zwar genannt, aber nicht innerhalb der beiden Alexanderbücher (Buch 17 und Anfang von Buch 18) oder sonst im Kontext von Alexander dem Großen.170 Eine mögliche Erklärung wäre, dass Diodor (oder seine Vorlagen, über die er dann aber in den jeweiligen Teilen auch nicht hinausgehen wollte) ihn negativ bewerteten, entweder um Alexander als unphilosophischen Geist darzustellen oder um Aristoteles davor in Schutz zu nehmen, dass er als Prinzenerzieher trotz der großen Eroberungen, z.B. moralisch oder weil das Alexanderreich nicht von Dauer war, versagt haben könnte. Auch Aristoteles erwähnt in seinen doch umfangreich erhaltenen Schriften Alexander nicht.171 Eine andere Möglichkeit wäre, dass Diodor der peripatetischen Philosophie des Aristoteles negativ gegenüberstand und daher verschweigen wollte, dass Alexander, der in seinen Eroberungszügen bis nach Indien vorgedrungen war, in der Philosophie des Aristoteles ausgebildet wurde. Die peripatetische Philosophie hätte somit zu der platonischen und vor allem der pythagoreischen Philosophie in Konkurrenz gestanden und ebenfalls die individuellen seelischen und die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine solche Vergrößerung geschaffen. Die wenigen Belegstellen für Aristoteles in der Bibliotheke des Diodor lassen dabei keine Bewertung des Philosophen erkennen. Aristoteles wird allerdings unter die großen Philosophen eingereiht.172 Da Diodor auch sonst über die Ausbildung Alexanders kein Wort verliert, ist wohl der wahrscheinliche Grund für die Nichterwähnung des Lehrer-SchülerVerhältnisses, dass Diodor Alexander gerade nicht als philosophisch geprägten Herrscher darstellen wollte. Dabei hat Diodor ein überwiegend positives Alexanderbild gezeichnet. Er vertritt die sogenannte Vulgata-Tradition der antiken Geschichtsschreibung, die neben ihm noch Iustinus und Curtius Rufus umfasst. Die gerade Diodor in weiten Teilen zugrundeliegende Quelle ist Kleitarchos, der selbst neben Alexander vor dessen 169 Über die Jugend Alexanders berichtet lediglich der kurze Abschnitt Diod. 17,1. Zu dem LehrerSchüler-Verhältnis zwischen Aristoteles und Alexander siehe Fritz Schachermeyer, Alexander der Große. Das Problem seiner Persönlichkeit und seines Wirkens, Wien 1973, 82–93. 170 Der Philosoph Aristoteles ist in Diod. 12,1,5; 14,78,1–2 und 15,76,4 erwähnt. Alexander war von 343 bis 340 der Schüler des Aristoteles. Neuere Alexanderbiographien (vgl. auch die im Folgenden aufgeführte Literatur zu Alexander, sofern diese auf die jeweils diskutierten Textstellen ausführlich eingeht) sind Nicholas G.L. Hammond, Alexander the Great, King, Commander and Statesman, London 1980; Albert B. Bosworth, Conquest and Empire: The Reign of Alexander the Great, Cambridge 1988; Nicholas G.L. Hammond, The Genius of Alexander the Great, London 1997; Pedro Barceló, Alexander der Große, Darmstadt 2007; Johannes Engels, Philipp II. und Alexander der Große, Darmstadt 22012; Hans-Joachim Gehrke, Alexander der Große, München 62013; Wolfgang Will, Alexander der Große. Geschichte und Legende, Darmstadt 2014: Ian Worthington, By the Spear: Philip II, Alexander the Great, and the Rise and Fall of the Macedonian Empire, Oxford 2014. 171 Zum Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen Aristoteles und dem jungen Alexander siehe auch Robin Lane Fox, Alexander der Grosse. Eroberer der Welt, aus dem Englischen übersetzt von Gerhard Beckmann, Stuttgart 22004 (Originaltitel: Alexander the Great, London 1973), 56–66, insbes. 57 zu der Nichterwähnung in den Schriften des Aristoteles. 172 Diod. 12,1,5 und 15,76,4.

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Tod in Babylon in Erscheinung trat und Alexander wohl auch erst dort kennengelernt hatte.173 Das Werk des Kleitarchos war panegyrisch und im Hellenismus beliebt. Es beruhte teilweise auf Hörensagen und enthielt jedenfalls eine Reihe fiktionaler Sensationsgeschichten.174 Philosophische Autoren des Hellenismus bewerteten die Person Alexanders dagegen eher negativ und seine Eroberungsleistung als Raubzug.175 Diodor und die weiteren Autoren der Vulgata-Tradition erkennen in dem späten Alexander nach der Besetzung Ägyptens und der Vergottung am Orakel des Ammon in der Oase von Siwa in ebenfalls negativer Weise die Züge eines orientalischen Tyrannen.176 Im Tod Alexanders und Verfall seines Reiches sah Diodor außerdem einen Verfall und Niedergang der griechischen Welt.177 Es ist daher bezeichnend, dass Diodors Erzählung über das Leben Alexanders erst im Zusammenhang mit dem unmittelbar bevorstehenden Tod nach seiner Rückkehr nach Babylon auf den Themenkreis der Seele eingeht. Die relevanten Abschnitte, die im Folgenden besprochen werden, beruhen dabei wahrscheinlich sehr überwiegend auf dem Alexanderhistoriker Kleitarchos.178 Alexander der Große kehrte im Februar 323 v. Chr. nach Babylon zurück, nachdem er die Stadt bereits im Jahre 330 erobert hatte und von dort aus zu seinem weiteren Feldzug nach Indien aufgebrochen war. Auf dem Rückweg nach Babylon nahm sich der indische Weise Kalanos (bzw. bei Diodor Karanos), der Alexander aus Taxila am Fuße des Himalaya-Gebirges gefolgt war, das Leben. Dieses Ende des Kalanos, der wahrscheinlich ein indischer Brahmane war, hat in der Antike breites Interesse gefunden, wobei die Beschreibungen seines Sterbens in Einzelheiten voneinander abweichen.179 Plutarch und Cicero verknüpfen das Ende des Kalanos mit dem Tod Alexanders, denn jener soll prophetisch geweissagt haben, dass sich die beiden in Babylon wiederbegegnen würden.180 Beide Autoren haben sich natürlich auf ältere 173 BNJ 137. Die Bekanntschaft mit Alexander ist in Plin., nat. 3,57f. belegt. Zur Person siehe Ernst Badian, Kleitarchos [2], DNP 6 (1999), 571. Zur Geschichte der Quellenforschung über Diodors Alexanderbuch siehe Jakob Seibert, Alexander der Große, Darmstadt 1972, 25–29; vgl. neuerdings Sabine Müller, Alexander der Große. Eroberungen, Politik, Rezeption, Stuttgart 2019, 26. 174 Nicholas G.L. Hammond, Three Historians of Alexander the Great. The So-Called Vulgate Authors: Diodoros, Justin and Curtius, Cambridge 1983, 85, 160–164. 175 Zu diesem Bild bei den Philosophen ist Hoffmann (1907), 1–18 immer noch eine gute Zusammenfassung. 176 Siehe dazu Wolfgang Will, Alexander, C. Rezeption: Literatur, 1. Antike, DNP Suppl. 8, 21–28, hier 23; Hoffmann (1907), 26–30; 43. 177 So auch Gerhard Wirth, Diodor und das Ende des Hellenismus. Mutmaßungen zu einem fast unbekannten Historiker, SAWW, phil.-hist. Klasse 600, Wien 1993, 52; vgl. neuerdings Rathmann (2016), 272. 178 Siehe dazu Hammond (1983), 79 mit Zusammenfassung, dazu die Ausführung auf S. 71–78 zu Diod. 17,107,1–5; 17,112,2–5 (beruht nicht auf Kleitarchos, sondern auf Diyllos: BNJ 73); 17,116,4 und 17,117,1–3. 179 Für weitere Quellen und Literatur siehe Claire Muckenstrum-Poulle, Kalanos, DNP 6 (1999), 151 sowie Brian Bosworth, Calanus and the Brahman Opposition, in: Wolfgang Will (Hrsg.), Alexander der Große. Eine Welteroberung und ihr Hintergrund, Bonn 1998, 173–203. Der genaue Ort des Freitodes unterscheidet sich in den Quellen. 180 Plut., Alexander 69,7; Cic., div. 1,47. Arr., an. 7,3.

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Quellen gestützt, Plutarch wahrscheinlich unter anderem (wie Diodor) auf Kleitarchos.181 Obwohl also Diodor diese Tradition mutmaßlich kannte, erwähnt er zwar nicht die Prophezeiung, begründet den Freitod des Kalanos aber folgendermaßen: „Er entschied sich dazu, sich aus dem Leben zu entfernen, da ihm der Höhepunkt der Glückseligkeit sowohl von der Natur als auch von dem Schicksal verliehen worden war“.182 Im unmittelbaren Kontext erwähnt Diodor zwar, dass der indische Weise erkrankt war, aber wegen des Bezugs zum Tod Alexanders ist mutmaßlich gemeint, dass mit der Rückkehr nach Babylon der Zenith des Alexanderzuges überschritten war, zudem das Alexanderreich gleich nach dessen Tod auseinanderfallen und die griechische Staatenwelt ihre Unabhängigkeit verlieren oder nicht mehr wiedergewinnen würde. Laut Diodor „war der Inder Karanos in der Philosophie weit vorangekommen“.183 Diodor projiziert hier also die Eigenschaften der seelischen Beschauung der Zukunft, welche die griechische, insbesondere die pythagoreische Philosophie verleiht, auf den indischen Weisen. Laut Plutarch gehörte Kalanos zu der Gruppe der Gymnosophisten, also indischer Asketen, die über die Lehren griechischer Philosophen, wie Pythagoras und Sokrates, informiert waren.184 Der genaue Inhalt ihrer Lehre ist heute nicht mehr bekannt, aber noch der heutige Hinduismus, in dessen Tradition die Brahmanen und Gymnosophisten standen, geht von einer Wiedergeburt der Seelen aus.185 Plutarch beschreibt ebenfalls Kalanos und die Gymnosophisten, mit denen Alexander ein legendäres Gespräch geführt haben soll, als Weise, die eine philosophische Lehre vertreten, welche der pythagoreischen sehr ähnlich ist. So soll der älteste von ihnen als die wichtigste Lehre angesehen haben, dass der Weise sich durch körperliche Mühen von seelischen Schmerzen befreit, um so sein Urteil zu stärken und die Allgemeinheit gut beraten zu können.186 Dieser Zusammenhang zeigt also auf, warum pythagoreisch ausgebildete Personen sich besonders zur Staatsführung eignen, wie Diodor sowohl in seiner Einleitung als auch an 181 Zu Plutarchs Quellen für die Alexandervita siehe die Einleitung in James R. Hamilton, Plutarch, Alexander: A Commentary, Oxford 1969, xlix–lxii sowie John E. Powell, The Sources of Plutarch's Alexander, JHS 59 (1939), 229–240. 182 Diod. 17,107,2: ...ἔκρινεν ἑαυτὸν ἐκ τοῦ ζῆν μεταστῆσαι ὡς τὸ τέλειον τῆς εὐδαιμονίας παρά τε τῆς φύσεως καὶ τῆς τύχης ἀπειληφώς. 183 Diod. 17,107,1: Κάρανος ὁ Ἰνδός, ἐν φιλοσοφίᾳ μεγάλην ἔχων προκοπὴν. 184 Plut., Alexander 64f. In 65,5 erwähnt Plutarch den Gymnosophisten Kalanos. Siehe dazu Claire Muckenstrum-Poulle, Gymnosophisten, DNP 5 (1998), 28f.; speziell zu den Kontakten der Gymnosophisten mit griechischer Philosophie Patrick Robiano, Les gymnosophistes éthiopiens chez Philostrate et chez Héliodore, REA 94 (1992), 413–428, hier 414, 421–424. Ausführlich zu den Quellen Friedrich Pfister, Das Nachleben der Überlieferung von Alexander und den Brahmanen, Hermes 76 (1941), 143–169. 185 Zur Tradition der Askese im Hinduismus siehe Axel Michaels, Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart, München 1998, 347–356. 186 Strab. 15,1,63–65, hier insbes. 15,1,65. Zu Alexanders Verhältnis zu den Brahmanen und ihrer Philosophie siehe Albert B. Bosworth, Alexander and the East: The Tragedy of Triumph, Oxford 1996, 93–97, der insbesondere das Interesse Alexanders an diesen Lehren herausarbeitet. Über das Verhältnis von Alexander zu Kalanos sowie die Wirkungsgeschichte dieser Episode Alexander Demandt, Alexander der Große. Leben und Legende, München 2009, 252–259.

3.7 Alexander der Große

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bereits erwähnten Beispielen deutlich macht. Diodor möchte also wohl Alexander gerade nicht als pythagoreisch geprägten Herrscher darstellen, da er auf diesen pythagoreischen Einfluss erstmalig in Zusammenhang mit dem bevorstehenden Tod des Kalanos anspielt, zu dem Alexander im Kontext ausdrücklich seine Zustimmung gibt und der die folgende Reaktion auslöste:187 Karanos befolgte seine eigenen Lehrmeinungen, stieg in das Feuer, und starb, indem er sich darin verbrennen ließ. Von den Anwesenden hielten die einen ihn für wahnsinnig, andere in seiner Leidensfähigkeit für eitel, wieder andere aber waren beeindruckt von seiner guten Seele sowie seiner Todesverachtung.

Die Reaktion des Alexanderzuges war also uneinheitlich, nur einige erkannten das Verhalten als vorbildlich an. Der größere Teil konnte dagegen mit der Darbietung nichts anfangen, dieser Teil folgte also nicht der richtigen Philosophie der Seele. Diodor lässt keinen Zweifel, dass er selbst diese Art des Freitodes als vorbildlichen Ausdruck größter Leidensfähigkeit und Weisheit ansieht, da das erste Verb im zweiten Satz katagignosko für eine vorurteilsbehaftete moralische Verurteilung steht.188 Arrian, der in den späteren Teilen seiner Anabasis Alexandri ebenso wie Diodor auf dem Offizier Alexanders, Nearchos, beruht, sagt ebenfalls, dass die Reaktionen auf den Freitod des Kalanos verschieden ausfielen, allerdings habe Alexander selbst das Schauspiel als „unpassend“ empfunden, während seine Soldaten es als ein Wunder ansahen, dass der indische Weise sich in den Flammen noch nicht einmal bewegte.189 Eine klare Anspielung auf die zugrundeliegende griechische Philosophie der äußersten Leidensfähigkeit findet sich bei Arrian allerdings nicht.190 Der Tod des Kalanos ist also exemplarisch, wenngleich in Teilen unverstanden. Alexander selbst stirbt dagegen nicht in würdiger philosophischer Weise, sondern laut Diodor (und der weiteren Überlieferung) im Gegenteil während eines Gelages am übermäßigen Weinkonsum, indem er sich an zu viel ungemischtem Wein verschluckt.191 Bei Arrian und Plutarch stirbt Alexander dagegen infolge eines Fiebers unbekannter Ursache.192 Auch an der Todesart zeigt sich also, dass Diodor eine für Alexanders Ende ungünstige Tradition überliefert. Die Todesart charakterisiert Alexander als Tyrannen, der häufig an Trunksucht stirbt.193 187 Diod. 17,107,5: ὁ δὲ Κάρανος ἀκολουθήσας τοῖς ἰδίοις δόγμασι τεθαρρηκότως ἐπέστη τῇ πυρᾷ καὶ μετὰ ταύτης καταφλεχθεὶς ἐτελεύτησεν. τῶν δὲ παρόντων οἱ μὲν μανίαν αὐτοῦ κατέγνωσαν, οἱ δὲ κενοδοξίαν ἐπὶ καρτερίᾳ, τινὲς δὲ τὴν εὐψυχίαν καὶ τὴν τοῦ θανάτου καταφρόνησιν ἐθαύμασαν. 188 LSJ, s.v. καταγιγνώσκω. 189 Arr., an. 7,3,5: ἐπιεικὲς. Strab. 15,1,68 betont, dass es verschiedene Darstellungen über Kalanos und seinen Freitod gab. Bei Ail., var. 5,6 ist es hingegen Alexander, welcher die Todesverachtung des Kalanos bewundert. Zu den Quellen des Arrian: Albert B. Bosworth, A Historical Commentary on Arrian's History of Alexander, Bd. 1, Oxford 1980, 16–34. Diodor erwähnt Nearchos als Gewährsmann in 17,112,4. 190 Siehe dazu oben, S. 132. 191 Diod. 17,117,1–3. Ähnlich: BNJ 126 Ephippos von Olynth F 3 = Athen. 10,44, 434a–b; BNJ 127 Nikobule F 1 und 2 = Athen. 10,44, 434c; 12,53, 537d. 192 Arr., an. 7,25; Plut., Alexander 76. 193 Zu diesem Topos siehe Kapitel zwei, S. 87 oben.

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3 Psychologische Wirkung schlechter Herrscher bei Diodor

Der zweite direkte Hinweis auf die Seele Alexanders hängt unmittelbar mit dessen Tod in Babylon zusammen. Denn in der Version des Diodor rieten die babylonischen Astrologen (Chaldäer) Alexander davon ab, Babylon überhaupt zu betreten, da er dort sterben werde, falls er die Stadt betrete.194 Wie in Kapitel eins gezeigt, hat Diodor seine eigene Geschichtstheologie als im Einklang mit den Lehren der Chaldäer stehend gesehen und diese sogar positiv von der Uneinigkeit der griechischen Philosophenschulen abgesetzt. 195 In der Folge entscheidet sich Alexander dann aber doch dazu, seinen geplanten Einzug in Babylon durchzuführen, und zwar deshalb, weil ihn eine Gruppe um den griechischen Philosophen Anaxarchos von Abdera, der ihn begleitete, davon überzeugte, Prophezeiungen gegenüber grundsätzlich skeptisch zu sein:196 Als diese von dem Grund erfuhren, bestürmten sie ihn mit philosophischen Argumenten und stimmten ihn effektiv so sehr um, dass er alle Wahrsagerei verachtete und ganz besonders diejenige, die von den Chaldäern in Ehren gehalten wurde. Auf diese Weise kam der König, so als ob er in seiner Seele verwundet und durch die Argumente der Philosophen geheilt worden wäre, mit seiner Streitmacht nach Babylon.

In Wirklichkeit wird Alexander natürlich gerade nicht in seiner Seele geheilt, sondern vielmehr mit der falschen Lehre infiziert, wie bereits die Konjunktion hosperei („so als ob“) andeutet. Anaxarchos war ein Philosoph aus der Schule des Demokritos, eines Hauptvertreters der antiken Atomlehre.197 Er ging also (wie die etwas späteren Epikureer) davon aus, dass die Seele aus Atomen besteht, mit dem Tod untergeht und daher nicht in der Lage ist, im Jenseits die Zukunft kennenzulernen. Die Atomisten vertraten ein rein materialistisches und kausales Verständnis der Welt, wie bereits das Lehrgedicht De rerum natura des Lucretius zeigt. Die Parallelquelle Iustinus gibt das Argument des Anaxarchos sogar kurz wieder, wonach zukünftige Ereignisse nicht für Menschen vorhersehbar und falls auf natürlichen Ursachen beruhend auch nicht veränderbar seien.198 In der Erzählung des Diodor heißt es weiter, dass Alexander nach dem Einzug in Babylon und unmittelbar vor seinem Tod aufgrund von Wunderzeichen seinen Tod vorausahnte und deshalb über diese Philosophen in Wut geriet, die Chaldäer und die Macht des Schicksals aber anerkannte.199 Der Tod des Alexanders erfüllt also die didaktische Absicht, den Leser über die falsche Seelenlehre aufzuklären. Diodor verstärkt seine didaktische 194 Diod. 17,112,2f. Möglicherweise missverstand Alexander einen Hinweis auf ein altorientalisches Ritual, einen Doppelgänger vorgehen zu lassen. Dazu Hans M. Kümmel, Ersatzrituale für den hethitischen König, Wiesbaden 1967, 183–186 sowie neuerdings Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, München 22015, 169f. 195 Siehe oben, S. 48f. 196 Diod. 17,112,5: οὗτοι δὲ μαθόντες τὴν αἰτίαν καὶ τοῖς ἐκ φιλοσοφίας χρησάμενοι λόγοις ἐνεργῶς τοσοῦτον μετέθηκαν αὐτὸν ὥστε καταφρονῆσαι μὲν πάσης μαντικῆς, μάλιστα δὲ τῆς παρὰ Χαλδαίοις προτιμωμένης. διόπερ ὁ βασιλεύς, ὡσπερεὶ τετρωμένος τὴν ψυχὴν καὶ τοῖς τῶν φιλοσόφων ὑγιασθεὶς λόγοις, εἰς τὴν Βαβυλῶνα μετὰ τῆς δυνάμεως εἰσῆλθεν. Anaxarchos und die Gruppe der Griechen sind unmittelbar davor erwähnt. 197 Siehe Tiziano Dorandi, Anaxarchos, DNP 1 (1996), 670 mit weiterer Literatur. 198 Iust. 12,13. 199 Diod. 17,116,4.

3.8 Die hellenistische Staatenwelt

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Intention dadurch, dass er an anderer Stelle von umfangreichen weiteren Eroberungsplänen Alexanders spricht.200 Diese Pläne sind nirgendwo sonst belegt und daher wenig glaubhaft. Ebenfalls erwähnen die weiteren Parallelquellen, Arrian und Appian, zwar die Warnung der Chaldäer, aber nicht die Beeinflussung Alexanders durch griechische Philosophen.201 Plutarch erwähnt lediglich, dass Alexander sich der Warnung der Chaldäer widersetzt hat, fügt allerdings hinzu, dass Alexander mutlos und gegenüber dem Göttlichen und seinen Freunden argwöhnisch wurde.202 Diodor bietet hier also anscheinend eine bewusste Interpretation, die zu seinem Gesamtplan passt, die Bedeutung der Providenz in der Geschichte herauszuarbeiten. Er wird sich also bewusst für diese Version entschieden haben. Insgesamt schildert Diodor Alexander den Großen als einen Mann, der zum Ende seines Lebens den falschen Lehrmeinungen der griechischen Philosophie zuneigte, während mit Kalanos die wahre Seite dieser Philosophie gleichsam ihren Höhepunkt erreicht und alsdann freiwillig von der Bühne abtritt. Wie die nächste Sektion zeigen wird, hatte sich in der hellenistischen Welt dieses Verhältnis bereits zugunsten Roms verschoben, während die Providenz einzelne hellenistische Könige mit Wahnsinn bestraft, die sich in der Folge von Rom abwenden. 3.8 DIE HELLENISTISCHE STAATENWELT Die Epoche des Auseinanderfallens des Alexanderreiches, der Entstehung und des Vergehens der Nachfolgereiche sowie des Aufstieges des Römischen Reiches im östlichen Mittelmeerraum bietet weitere Anknüpfungspunkte für den von Diodor angenommenen Zusammenhang zwischen der Seele des Herrschers und der Seele des Staates. Diese eigentliche Epoche des Hellenismus beginnt bei Diodor mit Buch 18, wobei lediglich Buch 18 bis 20 gut erhalten sind, Buch 21 bis 40 hingegen nur in kurzen Fragmenten. Über diese Teile lässt sich naturgemäß relativ wenig sagen, dennoch finden sich die Anlagen zur Bewertung von Herrschern samt ihrer Bedeutung für das weitere Schicksal von Städten, Staaten und Reichen in ausgewählten Sentenzen wieder, die in diesem Abschnitt zusammengeführt werden sollen. Die zugrundeliegende Theorie beschreibt besonders ein Zitat aus dem verlorenen

200 Diod. 18,4,1–6. Zu diesen angeblichen weiteren Plänen siehe Fritz Schachermeyer, Alexander in Babylon und die Reichsordnung nach seinem Tode, Wien 1970, 187–194 mit weiterer Literatur. Wenn also Diodor den Einfluss der Atomisten auf Alexander als Wendepunkt in der Geschichte sieht, erscheint die Deutung von Sacks (1990), 160–203, dass seine Universalgeschichte auf Caesar ausgerichtet war, wenig wahrscheinlich, denn Caesar selbst galt als Epikureer und missachtete vor seinem Tod die Providenz, so in Suet., Iul. 81,4. 201 Die Warnung der Chaldäer sowie die Gründe Alexanders, sich ihr zu widersetzen, sind dargestellt in Arr., an. 7,16,5–7,17,6. Alexander vermutete demnach, dass die Chaldäer vermeiden wollten, dass er den Tempel des Belus wiedererrichtet. Laut einem Exkurs bei App., civ. 2,153,641–646 sollen ihm die Chaldäer lediglich dazu geraten haben, die Stadt aus einer anderen Himmelsrichtung zu betreten, doch auch diese Warnung soll Alexander missachtet haben. 202 Plut., Alexander 73,1 und 74,1.

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ethischen Hauptwerk Epikurs, den „Hauptlehren“ (kyriai doxai).203 Dieses stammt aus der programmatischen Einleitung zu Buch 25:204 Der Philosoph Epikur erklärte in dem von ihm als ‚Hauptlehren‘ betitelten Werk, dass das gerechte Leben ungestört verläuft, das ungerechte dagegen voll von schwerster Störung ist. Mit einem kurzen Satz umfasst er somit einen großen und wahren Sinn, der außerdem insgesamt dazu geeignet ist, das Schlechte unter den Menschen aufzuheben. Denn die Ungerechtigkeit ist die Mutterstadt alles Schlechten und sie verursacht nicht nur bei Privatpersonen, sondern auch insgesamt bei Volksgruppen, Nationen und Königen das größte Unglück.

In dem erhaltenen Text Diodors ist dies der einzige Beleg für den Philosophen Epikur als Person.205 Da Epikur von einer materiellen, sterblichen Seele aus Atomen ausging, lehnte Diodor, wie oben gezeigt, den Epikureismus prinzipiell ab.206 Wie andere antike Autoren, welche den Epikureismus ablehnten, sah Diodor aber offenbar Epikur in ethischen Fragen als zitierfähige Autorität an.207 Das hier erwähnte Konzept der „Ungestörtheit“ (ataraxia) der Seele ist mit der stoischen apatheia verwandt und fand als „Seelenruhe“ (tranquillitas animi) Eingang bei römischen Autoren wie Cicero und Seneca, die darunter beide griechischen Begriffe fassen konnten.208 Diodor zieht diese epikureische Sentenz im zweiten Teil des Zitats jedenfalls ausdrücklich als Erklärungsprinzip seiner Universalgeschichte heran. Aufgrund des fragmentarischen Zustandes von Buch 25 ist der unmittelbare historische Bezug dieses philosophischen Lehrsatzes nicht mehr genau erkennbar. Buch 24 behandelte jedenfalls die Geschichte des Mittelmeerraumes bis zum Ende des ersten Punischen Krieges, Buch 25 setzte dann mit dem karthagischen Söldnerkrieg ein (241–237), der teilweise Diodors Heimat Sizilien betraf, wo die Söldner im ersten Punischen Krieg gekämpft hatten. Diodor betont im Anschluss an den zitierten Text, dass dieser durch die Ungerechtigkeit Karthagos verursacht wurde, das seinen Söldnertruppen nicht den versprochenen Lohn zahlen wollte. 209 Diodor sieht hier also seine 203 Laut Diog. Laert. 10,26–28 hat Epikur insgesamt 300 Bücher (nach antiker Zählung) verfasst. Die wichtigsten Werke sind dort namentlich aufgeführt. 204 Diod. 25,1,1 Walton = 25,1a Goukowsky: Ὅτι Ἐπίκουρος ὁ φιλόσοφος ἐν ταῖς ἐπιγεγραμμέναις ὑπ’ αὐτοῦ Κυρίαις Δόξαις ἀπεφήνατο τὸν μὲν δίκαιον βίον ἀτάραχον ὑπάρχειν, τὸν δὲ ἄδικον πλείστης ταραχῆς γέμειν, βραχεῖ παντελῶς λόγῳ πολὺν καὶ ἀληθῆ νοῦν περιλαβὼν καὶ τὸ σύνολον δυνάμενον τὴν κακίαν τῶν ἀνθρώπων διορθοῦσθαι. ἡ γὰρ ἀδικία μητρόπολις οὖσα τῶν κακῶν οὐ μόνον τοῖς ἰδιώταις ἀλλὰ καὶ αὐτοῖς συλλήβδην ἔθνεσι καὶ δήμοις καὶ βασιλεῦσι τὰς μεγίστας ἀπεργάζεται συμφοράς. 205 Eine Suche im Thesaurus Linguae Graecae ergab lediglich Treffer für das Verb ἐπικουρέω („Anhänger Epikurs sein“): Diod. 3,9,4; 11,65,4; 17,44,3; 19,49,2; 37,2,2. 206 Siehe oben, S. 48f. und 117f. 207 Zum Nachleben Epikurs in der Spätantike siehe Rohmann (2016), 149–197 sowie insbesondere zu der Ethik Epikurs in der Antike die Beiträge in Michael Erler (Hrsg.), Epikureismus in der späten Republik und der Kaiserzeit, Stuttgart 2000, darin besonders Dieter Timpe, Der Epikureismus in der römischen Gesellschaft der Kaiserzeit, 42–63 (mit weiterer Literatur in Anm. 1, S. 42f.). 208 Siehe Maximilian Forschner, Ataraxie, LThK 1, 31993, 1123. 209 Diod. 25,2. Einschlägig zum Söldnerkrieg ist Dexter Hoyos, Truceless War: Carthage’s Fight for Survival, 241 to 237 BC, Leiden 2007, bes. 6–12 zur unmittelbaren Entstehungsgeschichte und dem Söldnerheer auf Sizilien.

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moralisierende These, dass ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl der Staatenlenker zum allgemeinen Wohlstand bzw. das gegenteilige Verhalten zum Niedergang führt, in besonderer Weise bestätigt. Die nicht vorhandene Seelenruhe der Führungspersonen überträgt sich auf die Gemeinschaft. Konkret macht Diodor in den Fragmenten von Buch 25 dieses geschichtsteleologische Prinzip, dass die seelische Verfassung einzelner Führungspersönlichkeiten sich auf das weitere Gemeinwesen überträgt, an der Person des Hamilkar Barkas fest. Hamilkar Barkas war der Vater Hannibals und operierte im ersten Punischen Krieg ab 247 v. Chr. als Kommandeur gegen römische Stellungen in Süditalien und Sizilien. Im Friedensvertrag mit den Römern des Jahres 241 v. Chr. gelang es ihm allerdings nur, den eigenen freien und ehrenhaften Abzug auszuverhandeln.210 Mit Blick auf die Geschichte seiner Heimat Sizilien war Hamilkar für Diodor daher von besonderem Interesse. Diodor sieht in Hamilkar den Prototyp eines Machtpolitikers, der einen sehr ungünstigen Einfluss auf das Gemeinwesen hat, dem er vorsteht, und somit als Typus einer ungerechten Person, von der Epikur in dem oben zitierten Abschnitt sprach:211 Später aber, nach Beendigung des Krieges gegen Libyen, versammelte er um sich eine Gefolgschaft von besonders verkommenen Menschen, und aufgrund dieser Personen sowie auch aufgrund seiner Kriegsbeute erzielte er maximale Gewinne. Da er außerdem sah, dass er durch seine Taten mächtiger wurde, verschrieb er sich dem Populismus und dem Irrglauben der Massen und brachte so das Volk dazu, ihm das Kommando über ganz Spanien zu übergeben, und zwar auf unbestimmte Zeit.

Hamilkar vereint also die charakteristischen Attribute eines Tyrannen auf sich, schlechte Berater, durch sie verursachte Geldgier, dadurch wiederum verübte Ungerechtigkeit, Demagogie und Macht ohne Rechenschaftspflicht. Nach dem Gerechtigkeitsbegriff Epikurs ist dieses Leben durch „Störung“ (tarache) gekennzeichnet, diese wiederum überträgt sich auf die Bevölkerung durch Populismus, also eines entsprechenden politischen Auftretens. Über das demagogische Auftreten des Hamilkar ist sonst nichts bekannt, so dass diese Charakterisierung Hamilkars bei Diodor mutmaßlich eine spätere Projektion ist, welche westgriechische und gesamtgriechische politische Deutungen auf Karthago überträgt.212 Grundsätzlich war laut Aristoteles die Verfassung von Karthago eine Mischverfassung aus oligarchischen und demokratischen Elementen, reiche Männer galten dabei als besonders geeignet, um in der Volksversammlung in Ämter gewählt zu werden.213 Laut Polybios waren persönliches Gewinnstreben und Ämterkauf in Karthago sogar

210 Zur Person siehe Klaus Geus, Prosopographie der literarisch bezeugten Karthager, Leuven 1994, 50–58. 211 Diod. 25,8,1 Walton = 25,10 Goukowsky: ... ὕστερον δὲ μετὰ τὴν κατάλυσιν τοῦ κατὰ τὴν Λιβύην πολέμου συστησάμενος ἑταιρείαν τῶν πονηροτάτων ἀνθρώπων καὶ ἐκ τούτων ἀθροίζων καὶ ἐκ τῶν λαφύρων ὠφελείας, ἔτι δὲ αὑτὸν ὁρῶν ταῖς πράξεσιν αὐξανόμενον καὶ δοὺς εἰς δημοκοπίαν καὶ πλήθους ἀρέσκειαν παρεστήσατο τὸν δῆμον ἑαυτῷ παραδοῦναι τὴν στρατηγίαν ὅλης τῆς Ἰβηρίας εἰς χρόνον ἀόριστον. 212 Geus (1994), 55, nennt keine Parallelquelle zu Diod. 25,8. 213 Aristot., pol. 2, 1273a–b.

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verbreitet und akzeptiert, wurden also nicht als Demagogie gesehen. 214 Spätestens für den zweiten Punischen Krieg konstatiert Polybios einen Verfall der Verfassung Karthagos, in welcher die Öffentlichkeit einen zu großen und für diesen Krieg schädlichen Einfluss auf die Politik hatte.215 Polybios sieht also ein generelles Verfassungsproblem, nicht ein fehlgeleitetes Handeln einzelner Personen. Ebenfalls ist unbekannt, wer zu der im oben zitierten Abschnitt erwähnten Gefolgschaft Hamilkars zählte, mit Ausnahme seines Schwiegersohnes Hasdrubal, dem tatsächlich von antiken Autoren Demagogie und Ämterkauf nachgesagt wurden.216 Da Hasdrubal erst mit dem Kommando des Hamilkar in Spanien in Erscheinung tritt, hat Diodor mit seiner Priorisierung den Schwerpunkt wohl wiederum auf seine Heimat Sizilien gelegt.217 Das gleiche Prinzip der Ungerechtigkeit bzw. der Geldgier als des Ursprungs des Schlechten in der Menschheitsgeschichte sah Diodor auch im östlichen Mittelmeerraum am Werk. So spielt er bereits programmatisch in der Einleitung zu Buch 21, also dem Beginn des zweiten Teils seines Werkes aus 40 Büchern, auf den von Epikur hergeleiteten Begriff der „Mutterstadt“ (metropolis) an, von der die weiteren Übel der Menschen ausgehen: 218 Menschen, die Verstand haben, müssen alles Schlechte vermeiden, aber ganz besonders die Habgier. Denn wegen der Hoffnung auf Profit stachelt diese schlechte Eigenschaft viele Menschen zur Ungerechtigkeit an und wird somit für die größten Missstände unter den Menschen verantwortlich. Aus diesem Grund und weil sie die Mutterstadt der Verbrechen ist, verursacht sie nicht nur bei Privatpersonen, sondern auch bei den größten Königen zahlreiche schwere Katastrophen.

Hier ist es also wieder die Habgier, welche die Ursache des Verfalls von Königreichen ist, da sie die Könige dazu bringt, sich persönlich zu bereichern und somit gegen die Interessen der Bürger, der eroberten Städte oder der Nachbarn zu handeln. Der Begriff der Mutterstadt (metropolis), den Diodor sowohl hier als auch in seiner Interpretation des oben zitierten Satzes von Epikur verwendet, ist mit dem griechischen Kolonialismus assoziiert, wobei Diodor selbst in einem Siedlungsgebiet griechischer Kolonisten lebte. Das Laster bzw. Übel der Habgier verbreitet sich von dieser Mutterstadt auf die weitere Welt, wie die Habgier der Könige auf die weiteren Bürger. 214 Pol. 6,56,1–5. 215 Pol. 6,51, insbesondere 6,51,3: „Zumindest zu jener Zeit, als sie mit dem Hannibalischen Krieg beschäftigt waren, wurde [die Verfassung] der Karthager schlechter [...]“ (κατά γε μὴν τοὺς καιροὺς τούτους, καθ’ οὓς εἰς τὸν Ἀννιβιακὸν ἐνέβαινε πόλεμον, χεῖρον ἦν τὸ Καρχηδονίων...). 216 App., Ib. 4,16; Nep., Hamilcar 3,3. Siehe dazu Paul Goukowsky (Hrsg.), Diodore de Sicile, Fragments, Bd. 2, 2006, 268f., Anm. 40. 217 Zur Person Hasdrubals, des Nachfolgers und Schwiegersohns des Hamilkar Barkas siehe Linda-Marie Günther, Hasdrubal [2], DNP 5 (1998), 172. 218 Diod. 21,1,4a Walton = 21,1 Goukowsky: Πᾶσαν μὲν κακίαν φευκτέον ἐστὶ τοῖς νοῦν ἔχουσι, μάλιστα δὲ τὴν πλεονεξίαν· αὕτη γὰρ διὰ τὴν ἐκ τοῦ συμφέροντος ἐλπίδα προκαλουμένη πολλοὺς πρὸς ἀδικίαν μεγίστων κακῶν αἰτία γίνεται τοῖς ἀνθρώποις. διὸ καὶ μητρόπολις οὖσα τῶν ἀδικημάτων, οὐ μόνον τοῖς ἰδιώταις ἀλλὰ καὶ τοῖς μεγίστοις τῶν βασιλέων πολλὰς καὶ μεγάλας ἀπεργάζεται συμφοράς.

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Das Wort metropolis ist in seinen unterschiedlichen grammatischen Fällen mehrfach bei Diodor belegt.219 Die meisten Belege sind nicht metaphorisch, sondern bezeugen den eigentlichen Wortsinn als Hauptstadt oder Stadt, von der Kolonien ausgingen, jedoch mit insgesamt drei Ausnahmen. Zwei dieser Ausnahmen sind die beiden oben zitierten Abschnitte zu Epikur und zur Habgier. Die dritte Ausnahme stammt hingegen aus der Einleitung. Dort spricht Diodor von der Geschichtsschreibung als „Mutterstadt der Philosophie in ihrer Gesamtheit“ und davon, dass die Geschichtsschreibung die Charaktere der Menschen ausbilden kann, und zwar in ähnlicher Weise wie die Erzählungen von Bestrafungen in der Unterwelt.220 Auch hier ist also der Begriff der Mutterstadt so verstanden, dass von ihr moralische Eigenschaften auf die Menschen ausgehen. Die Geschichtsschreibung dient also der charakterlichen Ausbildung der Seelen der Menschen. Athenaios, ein „Buntschriftsteller“ der Zweiten Sophistik, sprach in einem ähnlichen Sinn davon, dass ein gastrologisches Gedicht des Archestratos von Gela die Mutterstadt der Philosophie Epikurs, insbesondere seiner Naturphilosophie, gewesen sei. 221 Athenaios schreibt dieses Urteil dem Chrysippos von Soloi (ca. 280– ca. 207), einem stoischen Philosophen, zu. Aus dieser gegnerischen Perspektive sollte daher die epikureische Naturphilosophie, welche jeden Einfluss des Göttlichen auf die Natur ausschließt, als eine Lehre erscheinen, die auf den Bedürfnissen des Magens beruht und daher eine Verantwortung des Menschen gegenüber dem Göttlichen oder dem Nachleben ablehnt. Diese Mutterstädte der jeweiligen Philosophien durchdringen in allen Fällen die verschiedenen Bereiche des Lebens. Im unmittelbar folgenden Kontext wendet Diodor seine These der persönlichen Habgier als der Ursache aller Verderbnis von Herrschern und Staaten gleich auf den unmittelbaren makedonischen Nachfolger Alexanders des Großen, Antigonos I. Monophthalmos, an. Antigonos war ein bedeutender Feldherr Alexanders und behielt in der Babylonischen Reichsordnung von 323 v. Chr. seine Satrapien in Kleinasien. In den sich anschließenden Diadochenkriegen gelang ihm die Eroberung des asiatischen Teils des ehemaligen Alexanderreiches. Nach seinem Sieg gegen die ptolemäische Flotte ließ er sich 306 v. Chr. zum König von Makedonien ausrufen und erhob somit Anspruch auf das gesamte Alexanderreich, scheiterte aber anschließend bei seinem Versuch, das Ptolemäerreich in Ägypten militärisch einzunehmen, und kam schließlich im Jahre 301 bei der Schlacht von Ipsos (in Anatolien) ums Leben. Diese Schlacht hatte er zusammen mit seinem Sohn Demetrios I. Poliorketes, der zwischenzeitlich die griechische Poliswelt unter seine Kontrolle gebracht hatte, gegen die übrigen Diadochen verloren.222 Antigonos ist daher für

219 Insgesamt zwölf weitere Belege: Diod. 1,2,2; 3,7,3; 3,47,4; 4,19,2; 11,37,3; 12,30,3 und 4; 14,30,6; 14,69,5; 15,30,5; 15,90,3; 17,70,1 zusätzlich zu den oben zitierten 21,1,4a und 25,1,1. 220 Diod. 1,2,2. Dieser Abschnitt ist oben, S. 40, ausführlich behandelt worden. 221 Athen. 3,63, 104b. 222 Zur Person des Antigonos siehe Richard A. Billows, Antigonos the One-Eyed and the Creation of the Hellenistic State, Berkeley 1990.

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3 Psychologische Wirkung schlechter Herrscher bei Diodor

Diodor im unmittelbaren Kontext des zitierten Abschnitts oben der Prototyp für den Niedergang der hellenistischen Staatenwelt:223 König Antigonos entwickelte sich von einer Privatperson zu einem Herrscher und war somit der mächtigste Mann unter den Königen seiner Zeit, und doch war er mit den Geschenken, die ihm das Schicksal zutrug, nicht zufrieden, sondern indem er es unternahm, in ungerechter Weise die Königreiche der anderen auf sich selbst zu vereinigen, warf er seine eigene Herrschaft weg und wurde gleichzeitig damit aus dem Leben gerissen.

Indem Diodor diesen Satz zentral an den Beginn des zweiten, zeitgeschichtlichen Teiles seines Werkes stellt, wird das Scheitern des Antigonos zu einem zentralen Wendepunkt der Universalgeschichte. Diodor beschreibt Antigonos wiederholt als einen Mann, der von Gold und Silber angezogen wurde und seine Eroberungszüge danach ausrichtete. 224 Auch sein Sohn Demetrios I. Poliorketes hat bei Diodor die typischen seelischen Eigenschaften eines Herrschers, der den ihm anvertrauten Staat in das Verderben stürzt: „Außerdem war er in seiner Seele abgehoben, großspurig und zeigte seine Verachtung nicht nur gegenüber der Menge, sondern auch gegenüber denen, die selbst politische Macht haben“.225 Darüber hinaus besaß er die bereits erwähnte topische Eigenschaft eines Tyrannen, nämlich dass er trunksüchtig war, allerdings auch ein ausgesprochen fähiger Kommandant, der mit Körper und Seele bei der Sache war.226 In dem Fragment zur Schlacht von Ipsos stellt Diodor gleichwohl den Tod des Antigonos als ehrenvoll dar, da ihm ein standesgemäßes Begräbnis zuteilwurde, allerdings wird Antigonos genau wie Alexander durch die Prophezeiungen der babylonischen Chaldäer vor diesem ungünstigen Ausgang gewarnt.227 Die eigentliche Darstellung der Schlacht von Ipsos ist dabei verloren und nur durch einen internen Querverweis von Buch 19 im Kontext des Todes des Alexander bekannt. Diodor maß beiden Männern also wohl einen ähnlichen Stellenwert bei bzw. sah ihr Sterben als wegweisend für die weitere griechische Staatenwelt. Besonders unehrenhaft ist dagegen der Tod des Agathokles und seiner Nachfahren. Agathokles (reg. 316–289) zählte nicht zu den Diadochen, sondern war in dieser Zeit nach dem Tod Alexanders Tyrann von Syrakus, ab 305/4 v. Chr. auch König des von ihm geschaffenen sizilischen Reiches. Seine Statusaufwertung folgt der Tendenz der weiteren griechischen Welt zur Monarchie. Diodor schrieb also hier wieder die Geschichte seiner Herkunftsregion und räumt Agathokles aus

223 Diod. 21,1,1 Walton = 21,2 Goukowsky: Ὅτι Ἀντίγονος ὁ βασιλεὺς ἐξ ἰδιώτου γενόμενος δυνάστης καὶ πλεῖστον ἰσχύσας τῶν καθ’ αὑτὸν βασιλέων οὐκ ἠρκέσθη ταῖς παρὰ τῆς τύχης δωρεαῖς, ἀλλ’ ἐπιβαλόμενος τὰς τῶν ἄλλων βασιλείας εἰς αὑτὸν ἀδίκως περιστῆσαι τὴν ἰδίαν ἀπέβαλεν ἀρχὴν ἅμα καὶ τοῦ ζῆν ἐστερήθη. 224 So in Diod. 19,46,6; 19,48,7–8. 225 Diod. 20,92,4: ἐπὶ δὲ τούτοις ὑπῆρχε καὶ τῇ ψυχῇ μετέωρος καὶ μεγαλοπρεπὴς καὶ καταφρονῶν οὐ τῶν πολλῶν μόνον, ἀλλὰ καὶ τῶν ἐν ταῖς δυναστείαις ὄντων... Zu diesen seelischen Eigenschaften und ihren Folgen siehe Sektion 3.5 oben, S. 119–125. 226 Diodor erwähnt dies a.a.O. Zu der Trunksucht als topischer Eigenschaft eines Tyrannen siehe oben, S. 87. 227 Diod. 21,1,3–4b Walton = 19,55,7–9 und 21,3 Goukowsky.

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diesem Grund ausführlichen Platz ein.228 In den Jahren seines Aufstieges war die Herrschaft des Agathokles durch staatliche Gewalt geprägt, er selbst kam durch einen Staatsstreich an die Macht. In den Folgejahren ging er gegen sizilische Städte vor, welche die Oligarchen aufgenommen hatten, die er selbst aus Syrakus verbannt hatte. Sein Ausgreifen auf Sizilien brachte ihn in Konflikt mit Karthago, das er in einer nordafrikanischen Expedition sogar beinahe einnehmen konnte, bevor er am Ende doch geschlagen aufgeben musste. Trotzdem konnte er seine Macht auf Sizilien ausbauen und weitere Teile der westgriechischen Welt in seinen Einflussbereich bringen.229 Wie oben dargelegt, hatte Polybios eine hohe Meinung von Agathokles. Laut seinem Zeugnis soll Scipio der Ältere Agathokles zu seinen größten Vorbildern gezählt haben, was wohl auf dessen Auftreten gegenüber Karthago zurückzuführen ist sowie darauf, dass sich die Scipionen der griechischen Geisteswelt gegenüber aufgeschlossen zeigten. Diodor beruht dagegen in den Teilen seines Werkes zu Agathokles auf Timaios, der selbst zu den aus Syrakus verbannten Personen zählte und Agathokles sehr finster darstellte.230 Diodor wird diese Sichtweise persönlich geteilt haben, auch wenn seine Motive im Einzelnen nicht bekannt sind. Diodor sieht ausdrücklich im Tod der Söhne des Agathokles sowie implizit in der Todesdarstellung des Agathokles selbst die göttliche Vorsehung am Werk, welche gerechte Rache an den seelischen Eigenschaften des Tyrannen nimmt. Das Schicksal der Söhne des Agathokles ist dabei eingebettet in eine Beweisführung für die Existenz der Vorsehung, in deren Dienst Diodor sich (laut seiner Einleitung, s.o.) sieht: „Man kann wohl auf die unglaublichen Elemente der Expedition des Agathokles nach Libyen hinweisen sowie auf die Bestrafung, die seinen Nachkommen wie durch göttliche Vorsehung zuteilwurde.“231 Diodor teilt also die Ansicht, die auch Polybios gegenüber ausgewählten Tyrannen vertrat, dass sich deren Schuld auf nachfolgende Generationen überträgt. Wie oben dargelegt, verbinden sich mit dieser Ansicht Vorstellungen der Seelenwanderung.232 Diodor spielt im Kontext darauf an, dass Agathokles in Nordafrika gegen Karthago zwar erstaunliche Erfolge zu verzeichnen hatte. Im Jahre 308 ließ er jedoch laut Diodor seinen Verbündeten Ophellas, einen Offizier Alexanders, der als ptolemäischer Stadthalter von Kyrene eingesetzt war, ermorden und vereinigte so das Heer des Ophellas mit seinem eigenen. Er verlor anschließend beide Söhne aus erster Ehe sowie das gesamte nordafrikanische Heer. Diodor war sehr negativ gegenüber Agathokles 228 Diod. 19,5–21,17 Walton = 19,5–21,31 Goukowsky. 229 Einschlägig zur Person und der sizilischen Politik dieser Zeit sind Helmut Berve, Die Herrschaft des Agathokles, SBAW, phil.-hist. Klasse, Jg. 1952, H. 5, München 1953 sowie Caroline Lehmler, Syrakus unter Agathokles und Hieron II. Die Verbindung von Kultur und Macht in einer hellenistischen Metropole, Frankfurt a.M. 2005, insbes. 36–48. Diod. 19,102–110 ist charakteristisch für die Charakterzeichnung des Agathokles mit den typischen Zügen eines Tyrannen, insbesondere Grausamkeit. 230 Siehe oben, S. 92, Anm. 156. Diod. 21,17,1 Walton = 21,30,1 Goukowsky spielt auf Timaios an bzw. nennt ihn als Quelle für die vorausgehende Darstellung. Namentlich erwähnt ist Timaios kurz zuvor in Diod. 21,16,5 Walton = 21,29,5 Goukowsky. 231 Diod. 20,70,1: Τῆς δ’ Ἀγαθοκλέους στρατείας εἰς Λιβύην ἐπισημήναιτ’ ἄν τις τό τε παράδοξον καὶ τὴν εἰς τὰ τέκνα γενομένην τιμωρίαν οἷον τῇ θείᾳ προνοίᾳ. 232 Siehe Kapitel zwei, S. 83–85 oben.

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eingenommen, und vielleicht war der Hintergrund lediglich, dass es zwischen den Verbündeten zu einem Konflikt um den Oberbefehl des Heeres gekommen war.233 Diodor stellt diesen Zusammenhang im Rahmen einer Beweisführung für die göttliche Vorsehung in der Geschichte dar: „Das göttliche Wesen zeigte offenkundig an, dass durch den Gesetzesbruch gegen jenen [Ophellas] ein göttliches Vorzeichen von Ereignissen, die diesem [Agathokles] später widerfuhren, offenbar wurde“.234 Mit diesem göttlichen Zeichen gemeint ist der Verlust der beiden Söhne sowie des eigenen Heeres als direkte Vergeltung für seinen Verrat an Ophellas, der ihm nahestand und dem er das Heer wegnahm, wie Diodor weiter ausführt. Der ganze Abschnitt ist somit gedacht als Demonstration gegenüber Personen, welche die Existenz der Vorsehung bezweifeln (also insbesondere den Epikureern, die insgesamt einen Einfluss des Göttlichen auf die Welt ausschließen): „Dies soll also gesagt sein als meine Antwort auf diejenigen, welche auf derartige Vorstellungen herabblicken“.235 Dieser Abschnitt ist durch seine Länge und wiederholten einschlägigen Deutungen also ein auffälliges Beispiel für das Wirken der Providenz in der Geschichte und wohl nicht ohne Zufall auf die Reichsgründung in Sizilien zu Beginn der hellenistischen Epoche bezogen, da Diodor ab hier das Ende der freien westgriechischen Poliswelt gekommen sieht und diese Welt ein wichtiger Teil seiner Universalgeschichte ist. Auch der Tod des Agathokles selbst gilt Diodor als Beweis des Eingreifens der göttlichen Vorsehung in die Geschichte. Dieses Eingreifen wiederum versteht Diodor als direkte Vergeltung für die wahrscheinlich topische Grausamkeit und Habgier des Tyrannen, so bereits in der inhaltlichen Vorwegnahme des Todes des Agathokles im noch umfangreich überlieferten Buch 20:236 Denn als er wieder auf Sizilien war, führte er überraschend einen Seekrieg gegen die Liparischen Inseln, obwohl ihre Bewohner sich friedlich verhalten hatten, und verlangte von Menschen, die keinerlei Unrecht begangen hatten, die Zahlung von fünfzig Talenten Silber. Denn tatsächlich erschien vielen Menschen das, was ich zu berichten habe, einem göttlichen Einfluss zu unterliegen, da sein Gesetzesbruch ein Zeichen, das von einer Gottheit gesetzt wurde, nach sich zog.

Der Ursprung alles Bösen ist also wieder die Gier nach Gold und Silber und das deshalb begangene Unrecht. Das Göttliche bestraft diese Sünden sofort. Die Liparischen Inseln sind Sizilien nördlich vorgelagert und waren zu dieser Zeit von Westgriechen besiedelt, auf deren Seite Diodors Sympathien lagen.237 Im unmittelbaren Kontext besteht der Vorwurf gegen Agathokles in seinem Befehl, dass die 233 Diod. 20,40–43 berichtet ausführlicher über diesen Sachverhalt und lässt diese Beurteilung zu, insbesondere 20,42,4–5. 234 Diod. 20,70,3: ... φανερῶς ἐπεσημήνατο τὸ δαιμόνιον ὡς διὰ τὴν εἰς τοῦτον παρανομίαν τῶν ὕστερον αὐτῷ γεγενημένων * τὸ θεῖον ἐπιστήσαι ... 235 Diod. 20,70,4: ... ταῦτα μὲν οὖν ἡμῖν εἰρήσθω πρὸςτοὺς καταφρονοῦντας τῶν τοιούτων. 236 Diod. 20,101,1f.: ... κατὰ μὲν γὰρ τὴν Σικελίαν Ἀγαθοκλῆς, εἰρήνην ἀγόντων τῶν Λιπαραίων, ἐπιπλεύσας αὐτοῖς ἀπροσδοκήτως εἰσεπράξατο τοὺς μηδ’ ὁτιοῦν προαδικήσαντας ἀργυρίου τάλαντα πεντήκοντα. ὅτε δὴ πολλοῖς ἔδοξε θεῖον εἶναι τὸ ῥηθησόμενον, τῆς παρανομίας τυχούσης ἐπισημασίας παρὰ τοῦ δαιμονίου. 237 So Diod. 5,7–11.

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Bewohner die eingeforderte Summe selbst aus den Weihgeschenken an Aiolos (Gott der Winde) und Hephaistos (Gott der Vulkane) aufbrachten, die dort verehrt wurden, weil die Liparischen Inseln vulkanischen Ursprungs sind. Als Folge nahm zuerst Aiolos Rache und versenkte die Schiffe des Agathokles im Meer. Hephaistos sparte sich demnach seine Rache für später auf, die darin bestand, dass Agathokles lebendig verbrannt werden sollte (da Vulkan das Feuer repräsentiert):238 „Was jedoch den Tod des Agathokles angeht, so wird, wenn wir zu der geeigneten Gelegenheit kommen, das Geschehene das soeben Gesagte bestätigen“.239 Diesen internen Querverweis nimmt Diodor in Buch 21 in einem Abschnitt wieder auf, der fragmentarisch, aber umfangreich überliefert ist:240 Indem Agathokles im Laufe seiner Herrschaft sehr zahlreiche und sehr vielfältige Morde ausgeführt hatte und zu der gegen seine Landsmänner gerichteten Grausamkeit noch den Frevel gegen die Götter hinzufügte, wirkte er darauf hin, dass das Ende seines Lebens mit seiner Gesetzlosigkeit gleichwertig war.

Agathokles wurde laut dem Kontext bei Diodor Opfer einer gegen ihn gerichteten Verschwörung. Sein Enkel Archagatos, dem Agathokles sein Heer anvertraut hatte, das zuvor sein gleichnamiger Vater geführt hatte (ein Sohn aus zweiter Ehe des Agathokles, der in Nordafrika gefallen war), fühlte sich übergangen, als er dieses Heer dem Sohn des Agathokles aus zweiter Ehe (der ebenfalls Agathokles hieß) übergeben sollte.241 Die Nachfolgefrage hatte also alle Elemente eines Eifersuchtsdramas, die aus den drei Eheschließungen des Agathokles resultierten. Wie Diodor zuvor dargelegt hatte (durch die oben besprochene legendäre Gesetzgebung des Charondas, der diese Art von Erbschaftskonflikten verhindern wollte, sowie auch durch die mythologische Behandlung des Herakles), sind diese Arten von Eifersuchtsdramen zwischen Nachkommen verschiedener Frauen der Grund für Wahnsinn und Verderben sowohl der betreffenden Männer als auch der staatlichen Gemeinschaft, wenn diese Männer politisch tätig sind oder Herrschaft ausüben.242 Nach der weiteren, allerdings unglaubwürdigen Darstellung (denn sie ist im Kern eine geheime Verschwörung) ließ der übergangene Archagatos nicht nur den jüngeren Agathokles, sondern auch den König Agathokles töten, und zwar letzteren mit einer vergifteten Feder, die der König als Zahnstocher benutzte. Der König starb an unheilbarer Zahnkaries und gab den Siziliern zuvor die Freiheit zurück. Ein Gesandter des mit ihm verbündeten und verschwägerten makedonischen König Demetrios I. Poliorketes ließ Agathokles noch bei Bewusstsein einäschern, da

238 So die weitere Erzählung von Diod. 20,101,2f. 239 Diod. 20,101,4: Οὐ μὴν ἀλλ’ ὑπὲρ μὲν τῆς καταστροφῆς Ἀγαθοκλέους, ὅταν πρὸς τοὺς οἰκείους χρόνους ἔλθωμεν αὐτοῦ, τὸ γενόμενον βεβαιώσει τὸ νῦν εἰρημένον ... 240 Diod. 21,16,5 Walton = 21,29,5 Goukowsky: Ἀγαθοκλῆς μὲν πλείστους καὶ ποικιλωτάτους φόνους ἐπιτελεσάμενος κατὰ τὴν δυναστείαν, καὶ τῇ κατὰ τῶν ὁμοφύλων ὠμότητι προσθεὶς καὶ τὴν εἰς θεοὺς ἀσέβειαν, πρέπουσαν παρέσχε τῇ παρανομίᾳ τὴν τοῦ βίου καταστροφήν... In Diod. 21,16,1 Walton hat der Herausgeber daher das Zitat von oben, Diod. 20,101,4 als Textzeugen wiederholt. 241 Diod. 21,16,2f. Walton = 21,29,2f. Goukowsky. 242 Siehe oben, S. 104f., 114 und 118f.

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Agathokles angesichts seiner Krankheit sich nicht mehr artikulieren konnte.243 Diodor sieht in diesem abschließenden Ende die verzögerte Rache des Hephaistos, des Gottes der Vulkane, und den auf Agathokles zurückfallenden Verrat an Verbündeten, insbesondere an Ophellas, für den Diodor genau diese späte Rache konstatiert.244 An diesem Narrativ des Diodor wird besonders deutlich, dass er in der Einleitung zu Buch eins seine Universalgeschichte als Anleitung zur seelischen Besserung versteht, indem sie die gleiche didaktische Funktion übernimmt, wie die Mythen der Bestrafungen der Seelen im Hades.245 Das Vermögen des Agathokles wurde anschließend konfisziert, seine Statuen umgestürzt, er verfiel also einer damnatio memoriae, welche diese düstere Todesdarstellung des Diodor begründet.246 Diese in ihren Grundzügen auf Timaios von Tauromenion zurückgehende Todesdarstellung entspricht also der Intention Diodors und steht im Gegensatz zu der Parallelüberlieferung des Iustinus, bei dem Agathokles während eines Feldzuges schwer erkrankt und anschließend stirbt, also einen vergleichsweise ehrenvollen Tod im militärischen Kontext erleidet, wenn auch durch Krankheit, nicht im Kampf.247 Im Vergleich mit diesen expliziten Aussagen zu Herrschern des hellenistischen Ostens haben bei Diodor einige der führenden Politiker des Römischen Reiches die entgegengesetzten positiven seelischen Eigenschaften. Eine besondere Rolle spielen dabei, ähnlich wie bei Polybios, die Scipionen. An diesen (allerdings verhältnismäßig seltenen) expliziten Aussagen zeigt sich, dass Gegenwart und Zukunft der Universalgeschichte in römischer Hand lagen. Diese expliziten Aussagen sind vergleichsweise selten, vielleicht weil auch die entsprechenden Bücher meist nur fragmentarisch erhalten sind. Früher waren die griechischen Stadtstaaten, nicht zuletzt die westgriechischen Kolonien Vorbilder gewesen, da Gesetzgeber wie Charondas und Zaleukos aus der richtigen seelischen Einstellung heraus die Voraussetzungen für staatlichen Erfolg schufen, jetzt haben die Römer dieses Erfolgsrezept übernommen. So wollte Charondas verhindern, dass von einem moralisch schlechten Politiker eine staatszersetzende psychologische Wirkung ausgeht, bei Zaleukos hatte der ideale Politiker ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl und war von negativen Emotionen frei. Die Westgriechen haben also mutmaßlich eine Mittlerfunktion gehabt, zumal Pythagoras, der bei Diodor für diese erfolgreiche Seelenlehre steht, zumindest aus dieser Perspektive von Magna Graecia aus einen bedeutenden Einfluss auf Rom gehabt hat.248 Insbesondere das Buch 27, welches thematisch das Ende des 243 244 245 246 247 248

Diod. 21,16,4f. Walton = 21,29,4f. Goukowsky. Siehe oben, S. 143. Siehe Kapitel eins, S. 40–49 oben. Diod. 21,16,6 Walton = 21,29,6 Goukowsky. Siehe auch Berve (1953), 74–77. Iust. 23,2. Siehe auch Meister (1967), 164f. Cic., rep. 2,15,28–2,19,34 ist der Standardtext für die Diskussion, ob sogar die Einrichtungen der römischen Religion durch König Numa auf Pythagoras zurückgehen. Cicero verneint dies. Im Jahre 181 v. Chr. wurden Bücher der pythagoreischen Philosophie verbrannt, die angeblich in dem Sarg des Numa gefunden wurden. Die Hauptquelle dafür ist Val. Max. 1,1,12. Diese Bücher waren möglicherweise Fälschungen, durch die Anhänger des Pythagoras ihre These des pythagoreischen Einflusses auf die römische Frühgeschichte stützen wollten. Der Vorfall zeigt,

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zweiten Punischen Krieges behandelt, ist (den erhaltenen Fragmenten nach zu urteilen) voll von römischer Selbstdarstellung von clementia und moderatio (Milde und Mäßigung):249 Unter den menschlichen Angelegenheiten hat weder das Schlechte noch das Gute irgendwann eine feststehende Ordnung, da das Schicksal gewissermaßen in bestimmter Absicht alles von der einen zur anderen Seite verschiebt. Wir sollten daher unseren großen Stolz ablegen und im Unglück, das andere betrifft, unser eigenes Leben sicher machen. Denn wer sich den Gestürzten gegenüber fair verhält, sollte es in besonderer Weise verdient haben, in den Wechselfällen des Lebens Fürsorge zu erfahren.

Der unmittelbare Kontext dieses in Exzerpten vorliegenden Textes ist der Feldzug des Publius Cornelius Scipio Africanus in Nordafrika (204–203 v. Chr.).250 Die Karthager hatten im Jahre 203 einen Friedensvertrag mit Scipio ausgehandelt, diesen jedoch wieder gebrochen, als Hannibal, der von seinem Feldzug in Spanien zurückgerufen wurde, in Nordafrika eintraf. Im folgenden Jahr 202 sollte Hannibal in der Schlacht von Zama entscheidend geschlagen werden. Die Karthager hatten dabei zunächst die römische Versorgungsflotte im Golf von Tunis angegriffen und daraufhin auch die römischen Gesandten, die Scipio nach Karthago geschickt hatte.251 Diodor lässt auf diesen Vertragsbruch einen längeren moralisierenden Textabschnitt folgen, dem das Zitat oben entnommen ist. Das vertragsbrüchige Verhalten der Karthager ist darin also das Gegenbild zu dem Verhalten des Scipio, der im Kontext sich weigert, Rache zu nehmen an karthagischen Gesandten nach Rom, die zufällig in seine Hände gerieten. Scipio verkörpert demnach die römischen Tugenden der clementia und moderatio, welche den Erfolg des Römischen Reiches im Krieg gegen Hannibal garantieren, da er auch in der folgenden Sentenz und im weiteren Kontext angesprochen ist:252 Es ist weniger erforderlich, dass Menschen, die den Wunsch haben zu herrschen, in den anderen Eigenschaften ihren Mitmenschen voraus sind, als dass sie alle Menschen durch ihre Milde und ihre Mäßigung übertreffen müssen.

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dass diese Tradition besonders strittig war. Siehe dazu ausführlich Dirk Rohmann, Book Burning as Conflict Management in the Roman Empire (213 BCE –200 CE), AncSoc 43 (2013), 115–149, hier 120–122 (mit weiterer Literatur). Diod. 27,15,3 Walton = 27,20 Goukowsky: Ὅτι οὐδὲν παρὰ ἀνθρώποις οὔτε κακὸν οὔτε ἀγαθὸν ἑστηκυῖαν ἔχει τὴν τάξιν, τῆς τύχης ὥσπερ ἐπίτηδες πάντα μετακινούσης. διὸ καὶ προσήκει τὸ πολὺ φρόνημα κατατιθεμένους ἐν τοῖς ἀλλοτρίοις ἀκληρήμασι τὸν ἴδιον ἐξασφαλίζεσθαι βίον. ὁ γὰρ τοῖς ἐπταικόσιν ἐπιεικῶς χρησάμενος δικαιοτάτης ἂν ἐν ταῖς τοῦ βίου μεταβολαῖς τύχοι πολυωρίας. Excerpta de sententiis 310 (Boissevain, 358). Zum historischen Kontext siehe Howard H. Scullard, Scipio Africanus, 1970, 116–139 sowie neuerdings Gastone Breccia, Scipione l'Africano. L'invincibile che rese grande Roma, Rom 2017, 129–158. Diod. 27,11f. Walton = 27,14f. Goukowsky. Vgl. Pol. 15,1f.; Liv. 30,25; App., Lib. 34,143–35,150. Die Literatur zu den Punischen Kriegen ist kaum überschaubar, stellvertretend sei auf die jüngste Darstellung hingewiesen von Michael Sommer, Schwarze Tage. Roms Kriege gegen Karthago, München 2021. Diod. 27,16,2 Walton = 27,22 Goukowsky: Ὅτι τοὺς ἡγεῖσθαι βουλομένους τῶν ἄλλων οὐχ οὕτω τοῖς ἄλλοις ὑπερέχειν ἀναγκαῖον ὡς ἐπιεικείᾳ καὶ μετριότητι δεῖ νικᾶν ἅπαντας.

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Milde und Mäßigung sind also die entscheidenden Merkmale einer jeden Führungsperson, die sonst über keine Expertise notwendigerweise verfügen muss. Im Weiteren führt Diodor aus, dass die faire Behandlung von Eroberten für eine Reichsgründung und Expansion günstig ist und stabilisierend wirkt, da sie das Vertrauen von Unterworfenen und Bundesgenossen in die Zentralgewalt stärkt. 253 In einem weiteren Fragment sieht er in einer Person (gemeint ist insbesondere Scipio), die gegen gefährliche wilde Tiere ebenso wie gegen „die Grausamkeit der Karthager und den animalischen Teil der Menschheit“ erfolgreich ist, einen „öffentlichen Wohltäter“.254 Diodor erkennt also in diesem positiven Ideal des Herrschers, das durch Scipio verkörpert wird, ein Gegenbild zu Menschen, die durch ihre Bezogenheit auf die Bedürfnisse des Körpers und exzessiven Emotionen den andernorts vielfach erwähnten Wildtieren gleichen.255 Da die Geschichte durch die in ihr wirkende Providenz auf ein Ziel hin gerichtet ist, sind die Karthager nach dieser Beurteilung also nicht zur nachhaltigen Herrschaft bestimmt, ihr Verhalten soll das Wirken der Providenz demonstrieren. Die gleiche Philosophie der Mäßigung gegenüber Verlierern vertritt Lucius Aemilius Paullus Macedonicus. Dieser war der Sohn von Lucius Aemilius Paullus, der die Schlacht bei Cannae gegen Hannibal verheerend verloren hatte und dabei selbst getötet worden war. Zu seinen Söhnen zählte der jüngere Scipio, der aus politischen Gründen von der Familie der Scipionen adoptiert wurde. Die Familien der Aemilier und der Scipionen waren also politisch eng befreundet. Lucius Aemilius Paullus Macedonicus war außerdem Sieger in der Schlacht von Pydna 168 v. Chr. im dritten Makedonischen Krieg gegen König Perseus von Makedonien. 256 Das makedonische Reich löste sich durch diese Niederlage auf, die hellenistische Staatenwelt im östlichen Mittelmeer wurde dabei neu geordnet und geriet unter zunehmende Abhängigkeit von Rom. Der jüngere Scipio war bei der Schlacht persönlich anwesend und stand Aemilius Paullus zur Seite.257 In der Charakterzeichnung des Aemilius Paullus bei Diodor im Anschluss an die Schlacht von Pydna spiegelt sich also genau wie bei den Scipionen die römische Selbstdarstellung des parcere subiectis et debellare superbos („Unterworfene schonen und Hochmütige niederkämpfen“).258 Diodor übernimmt dabei die folgende Selbstaussage des Aemilius Paullus fast wörtlich von Polybios:259 253 Ebd. 254 Diod. 27,18,2 Walton = 27,29 Goukowsky: κοινὸς ἂν εὐεργέτης ... τὴν Καρχηδονίων ὠμότητα καὶ τὸ θηριῶδες τῆς ἀνθρωπότητος. 255 Ein Beispiel, neben den weiteren in dieser Studie diskutierten, für diese Tiermetaphorik ist Diod. 18,67,5: „Denn ein Hass, der in guten Zeiten verstummt und nach einem Wandel zum Schlechten ausbricht, verhält sich wie ein Wildtier in seinem Zorn gegen das Ziel seiner Verachtung.“ (τὸ γὰρ ἐν ταῖς εὐτυχίαις σιωπώμενον μῖσος, ὅταν ἐκ μεταβολῆς ἐν ταῖς ἀτυχίαις ἐκραγῇ, ταῖς ὀργαῖς ἀποθηριοῦται πρὸς τοὺς μισουμένους). 256 Zur Person: Karl-Ludwig Elvers, Aemilius [I 32] Paullus, L., DNP 1 (1996), 181f. 257 Diod. 30,22,1 Walton = 30,29 Goukowsky. 258 Verg., Aen. 6,853. 259 Diod. 30,23,1 Walton = 30,30a Goukowsky: ... ἀλλ’ ἐάν τις μάλιστα ἐπιτυγχάνῃ κατὰ τὸν ἴδιον βίον ἢ τὰς κοινὰς πράξεις, τότε μάλιστα τῆς ἐναντίας τύχης ἔννοιαν λαμβάνειν καὶ διὰ μνήμης ἔχειν ἑαυτὸν ἄνθρωπον ὄντα. διαφέρειν γὰρ ἀπεφήνατο τοὺς ἀνοήτους τῶν νοῦν ἐχόντων τῷ

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[...] sondern wenn jemandem im Privatleben oder in Staatsangelegenheiten besonderes Glück zuteilgeworden ist, dann soll er besonders darüber nachdenken, dass ihm ein gegenteiliges Schicksal beschieden sein kann, und er soll im Gedächtnis behalten, dass er ein Mensch ist. Denn er legte dar, dass die Uneinsichtigen sich von denen, die Verstand haben, darin unterscheiden, dass die erstgenannten nur aus ihren eigenen Niederlagen eine Lehre ziehen, die letztgenannten aber bereits aus den Niederlagen, welche die anderen erleiden.

Der genaue Kontext geht aus den Fragmenten im Buch des Diodor selbst nicht mehr hervor. In den Parallelquellen, Polybios (der ebenfalls nur in Exzerpten vorliegt) und Livius, folgt dieses Zitat auf die Gefangennahme des Perseus durch Aemilius Paullus auf Samothrake.260 Diese Worte fielen in einem Kriegsrat, nachdem Perseus seine Niederlage eingestanden hatte.261 Aemilius Paullus führte bei seiner Rückkehr nach Rom den kriegsgefangenen Perseus im Triumphzug mit.262 Auf den römischen Triumphzug spielen auch die oben aus Diodor zitierten Worte des Aemilius Paullus zur menschlichen Begrenztheit an, welche in den Parallelquellen fehlen.263 Beim römischen Triumphzug saß ein Staatsklave auf dem Wagen des Triumphators und sagte wiederholte zu diesem: „Blick hinter Dich und denke daran, dass Du ein Mensch bist“. Der Satz selbst ist in der lateinischen Literatur der Antike nur bei

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τοὺς μὲν ἐν ταῖς ἰδίαις ἀτυχίαις, τοὺς δὲ ἐν ταῖς τῶν ἄλλων διδάσκεσθαι. ... Pol. 29,20,2–4 ist fast wörtlich der gleiche Text, Diodor hat lediglich die etwas längere Ausführungen des Polybios leicht gekürzt, die Aussage καὶ διὰ μνήμης ἔχειν ἑαυτὸν ἄνθρωπον ὄντα („und er soll im Gedächtnis behalten, dass er ein Mensch ist“) jedoch ergänzt. Das betreffende Buch des Polybios ist allerdings nur in Exzerpten erhalten. Walbank, Commentary, Bd. 3 (1979), 392 geht davon aus, dass die Aussage ursprünglich von Polybios stammt und lediglich von seinem Exzerptor gekürzt wurde, jedoch ohne eine Begründung anzugeben. Eine weitere Parallelquelle zu diesem Sachverhalt ist Liv. 45,7f., insbes. 45,8,6f., welche die Worte des Aemilius Paullus zwar sinngemäß ähnlich wiedergeben, dabei aber ebenso vor allem auf die clementia des Siegers, nicht auf die menschliche Begrenztheit des Triumphators abheben. Diese Aussage zur menschlichen Begrenztheit kann daher auch von Diodor ergänzt worden sein. Liv. 45,4,2–6,12; vgl. Plut., Aemilius Paullus 26f., der die oben zitierten Worte des Aemilius Paullus nicht hat. Der Text des Polybios bricht dagegen bereits in 29,19 mit der Flucht des Perseus von Pydna ab. Da Livius hier aber auf Polybios beruht, ist der Inhalt ungefähr bekannt. Siehe auch hierzu Walbank, Commentary, Bd. 3 (1979), 392. Liv. 45,7,1: consilio aduocato. Liv. 45,40,5f. Plut., Aemilius Paullus 33,8. Siehe die Diskussion zur Textkonstitution oben, Anm. 259. Eine Ähnlichkeit besteht aber zu dem hellenistischen (3. Jh. v. Chr.) Fragment BNJ 265 Rhianos von Bene (auf Kreta) F 60 = Stob. 3,4,33 (Wachsmuth/Hense, Bd. 3, 227f.), insbesondere: „Wenn aber jemand im Überfluss lebt, und ein Gott schenkt ihm Glück und Macht über viele Menschen, dann vergisst er, dass er mit den Füßen auf der Erde steht und dass er von sterblichen Eltern gezeugt ist, sondern aufgrund von Anmaßung und Irrtum seines Verstandes donnert er wie Zeus [...]“ (ὃς δέ κεν εὐοχθῆισι, θεὸς δ᾽ ἐπὶ ὄλβον ὀπάζηι, | καὶ πολυκοιρανίην, ἐπιλήθεται οὕνεκα γαῖαν | ποσσὶν ἐπιστείβει, θνητοὶ δέ οἱ εἰσὶ τοκῆες, | ἀλλ᾽ ὑπεροπλίηι [τε] καὶ ἁμαρτωλῆισι νόοιο | ἷσα Διὶ βρομέει). Der Text ist wahrscheinlich als Warnung gegen Verblendung (daher die Erwähnung der Göttin Ate im Folgenden) im Kontext des hellenistischen Herrscherkults gedacht. Siehe Édouard des Places, Un poème du IIIe siècle avant Jésus-Christ contre la divinisation des souverains, Recherches de Science Religieuse 48 (1960), 55–61 mit früheren Übersetzungen und Kommentaren ebendort, 56, Anm. 3.

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dem christlichen Autor Tertullian belegt.264 Diodor verbindet hier also den römischen Triumph mit der von ihm favorisierten seelischen Einstellung des erfolgreichen Staatsmannes, die – wie gezeigt – vor allem auf die pythagoreische Philosophie in seiner Heimat Sizilien zurückgeht. Da diese seelische Eigenschaft in der Bibliotheke des Diodor der Schlüssel zu einer erfolgreichen Staatsführung ist, begründet er mit ihr den Aufstieg des Römischen Reiches sowie den Sieg Roms über Makedonien und die weitere hellenistische Staatenwelt. Einzelne hellenistische Herrscher, die im Konflikt mit Rom standen, beschreibt Diodor je nachdem, ob sie den römischen Idealen nahe- oder fernstanden, als erfolgreich oder als gescheitert. Beispiele dafür sind der Seleukidenkönig Antiochos IV. Epiphanes (reg. 175–164) sowie sein Neffe Ptolemaios VI. Philometor (reg. 181–164 und 163–145).265 Beide Könige waren in den sechsten Syrischen Krieg ab 170/69 involviert, in welchen auch Rom eingriff. Die Ereignisse sind daher eng verwoben mit dem dritten Makedonischen Krieg. Antiochos wollte dabei seinen Neffen Ptolemaios VI. gegen die Mitregentschaft seiner Schwester Kleopatra II. und seines Bruders Ptolemaios VIII. als alleinigen Herrscher unter seiner Vormundschaft einsetzen. Die Römer befürchteten, dass Antiochos IV. durch den Erwerb Ägyptens zu mächtig werden könnte und traten deshalb in den Krieg ein, in dem Antiochos im Juli 168 am Tag von Eleusis sich auf militärischen Druck Roms zurückziehen musste, das gerade den makedonischen König Perseus in der Schlacht von Pydna besiegt hatte. Ptolemaios VI. wurde außerdem im Jahre 164 v. Chr. im Kontext der innerptolemäischen Machtkämpfe vertrieben. Er suchte daraufhin bei den Römern, von denen das ptolemäische Ägypten durch den Kriegsausgang abhängig geworden war, um Hilfe und konnte ein knappes Jahr später nach der Vertreibung seines Bruders wieder als Herrscher in Alexandria einziehen. Später kam es zu einer Versöhnung der Mitregenten. Antiochos, der sich mit Rom verfeindet hatte, wird trotz seiner Erfolge von Diodor als charakterlich ungeeignet für die Herrschaft eingeschätzt. Demnach unterschied er sich von den übrigen hellenistischen Königen etwa darin, dass er heimlich durch die Stadt zog, sich unter das Volk mischte, an Trinkgelagen teilnahm und sich vor allem als römischer Senator ausgab.266 Diese Charakterisierung entspricht in Teilen einer gängigen Tyrannentopik, so sehen sowohl Polybios als auch Diodor einen Tyrannen als trunksüchtige Person an.267 Dass der spätere Kaiser Nero ebenfalls incognito durch die Straßen Roms gezogen sein soll, gibt zumindest einen Hinweis darauf, dass dieser Topos ebenfalls schon früher verbreitet war.268 Auch Polybios, den Diodor hier als Vorlage benutzt, stellt Antiochos sehr ähnlich dar, seine 264 Tert., apol. 33,4: respice post te! hominem te memento! 265 Zu den Personen und den zahlreichen Quellen zu diesen Königen siehe Andreas Mehl, Antiochos [6] IV., DNP 1 (1996), 769; Walter Ameling, Ptolemaios [9] VI. Philometor, DNP 10 (2001), 540–542. 266 Diod. 29,32,1 Walton = 29,35 Goukowsky. Eine ähnliche Beschreibung des Antiochos als trunksüchtigen und eigenwilligen Herrschers, der sich von den übrigen Königen unterscheidet, ist Diod. 31,16 Walton = 31,22f. Goukowsky. 267 Siehe oben, S. 87, 134 und 140. 268 Tac., ann. 13,47,2; Cass. Dio 62,14,2.

3.8 Die hellenistische Staatenwelt

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Beschreibung ist sogar um einige Details ausführlicher.269 Diodor stellt (auf Grundlage der Formulierungen des Polybios) Antiochos wegen seiner Selbstdarstellung als römischer Senator ausdrücklich als wahnsinnig dar:270 Er tat dies mit so großer Aufmerksamkeit und so großem Ehrgeiz, dass Menschen mit Geschmack sich über ihn wundern mussten. Denn einige erkannten darin ein schlichtes Gemüt, andere eine Störung, wieder andere Wahnsinn.

Der Wahnsinn, der sich im Verhalten des Antiochos äußert, geht wohl, wie bei den anderen diskutierten Personen, darauf zurück, dass Antiochos sich laut Diodor zwar im Syrischen Krieg gegen Ägypten als fairer und gnädiger Gewinner zeigte, bei anderen Gelegenheiten jedoch als Mann, der Gesetze und Verträge missachtete.271 Das gewaltsame Eingreifen des Antiochos IV. in Judäa führte zudem im Jahre 166 zum Makkabäeraufstand, welcher die militärischen Kräfte des Seleukidenreiches über Jahrzehnte binden sollte und zu dessen Untergang beitrug.272 Obwohl diese Ereignisse in den erhaltenen Fragmenten aus den späteren Büchern Diodors kaum überliefert sind, wird man davon ausgehen können, dass sie Diodor ebenfalls dazu geführt haben, das Urteil des Polybios zu übernehmen und sogar noch zu verstärken. Denn ein bei Hieronymus überliefertes Fragment spricht davon, dass Antiochos in Judäa und andernorts religiöse Konflikte geschürt hat, da er „von den Fackeln der Habgier entflammt war“.273 Der letztliche Grund für den beschriebenen Wahnsinn des Antiochos ist also wiederum seine Habgier, aus der sich die anderen seelischen Leiden herleiten, wie Diodor ebenfalls bei anderen Personen deutlich macht.274 Ptolemaios VI. zeichnet sich dagegen durch die von ihm demonstrativ zur Schau gestellte Armut und Demut gegenüber Rom aus, die zu seiner Wiedereinsetzung in Ägypten führen. Entscheidend dafür war sein „mitleiderregendes Aussehen“.275 Der zukünftige Seleukidenherrscher Demetrios I. Soter (reg. 162–150), der zu dieser Zeit in Rom als Geisel war, soll ihm dazu geraten haben, stattdessen im königlichen Gewande in Rom einzuziehen, was Ptolemaios dankend ablehnte. Auf diese Weise sicherte sich Ptolemaios also das Wohlwollen Roms, da er gerade nicht als hellenistischer König, sondern als Mann aus dem Volk auftrat und somit in den Worten Diodors die mögliche Wendung des Schicksals versinnbildlichte und 269 Pol. 26,1 und 1a. 270 Diod. 29,32,1 = 29,35 Goukowsky: καὶ ταῦτ’ ἔπραττε μετὰ πολλῆς ἐπιστάσεως καὶ φιλοτιμίας ὥστε τοὺς χαριεστάτους ἄνδρας ἀπορεῖν περὶ αὐτοῦ· οἱ μὲν γὰρ ἀφέλειαν, οἱ δὲ ἀλογίαν, τινὲς δὲ μανίαν αὐτοῦ κατεγίνωσκον. Pol. 26,1,7 ist inhaltlich ähnlich, aber nicht wörtlich gleich. Diodor ist sogar ausführlicher, bei Polybios findet sich zur Andeutung des Wahnsinns lediglich μαινόμενον („verrückt seiend“). 271 Der Gegensatz spiegelt sich in Diod. 30,14,1 Walton = 30,18 Goukowsky gegenüber 30,18,2 Walton = 30,22b Goukowsky. 272 Siehe dazu Erich S. Gruen, The Construct of Identity in Hellenistic Judaism: Essays on Early Jewish Literature and History, Berlin 2016, 333–358 (mit weiterer Literatur). 273 Diod. 31,18a Walton = Diod. 31,29 Goukowsky = Hier., comment. in Dan. 11,36 (PL 25,570): avaritiae facibus accensum. 274 Siehe oben, S. 138–143. 275 Diod. 31,18,2 Walton = 31,29 Goukowsky: σχήματι οἰκτρῷ.

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3 Psychologische Wirkung schlechter Herrscher bei Diodor

darstellte.276 Im Anschluss hebt Diodor den kappadokischen König Ariarathes V. Eusebes Philopator aus ähnlichen Gründen als besonders erfolgreich hervor, da er unter anderem das Bündnis zwischen Kappadokien und Rom erneuerte. Darüber hinaus zeichnete er sich durch seine griechische Bildung aus und „er zeigte, dass seine übrige Lebensführung sehr bemerkenswert war, und widmete sich der Philosophie“.277 Polybios lobt dagegen die innere Einstellung des Ariarathes gegenüber Rom sowie den Zustand seines Königreiches, erwähnt aber zumindest in den erhaltenen Fragmenten nicht das philosophische Gemüt des Königs.278 Diodor will hier also zumindest den für ihn richtigen Teil der griechischen Philosophie als überlegene Form der Lebensführung verstanden wissen, die zudem ein Wegbereiter für die erfolgreiche römische Expansion ist. Diesen erfolgreichen römischen Regierungsstil wiederum vertreten besonders die Scipionen, so auch Publius Cornelius Scipio Nasica Corculum, der sich gegen den älteren Cato und die von diesem geforderte Zerstörung Karthagos aussprach: 279 Wenn Karthago außerdem verschont bliebe, brächte die Furcht vor dieser Stadt die Römer notwendigerweise dazu, in Harmonie miteinander zu leben und über ihre Untergebenen in fairer und ehrbarer Weise zu herrschen. Diese Eigenschaften sorgen am besten für den Fortbestand und das Wachstum von Herrschaft.

Diodor spielt hier also auf seine eigene unmittelbare Vergangenheit der römischen Bürgerkriege an, wie er im Folgenden andeutet, denn er spricht ausdrücklich von „innerem Krieg unter den Bürgern“ als Folge dieser Entwicklung.280 Auch hier zeigt sich, dass Diodor durchgehend die Scipionen als Vertreter jener Richtung ansieht, die im Kern auf die pythagoreische Lehre von Gerechtigkeit und Harmonie im erfolgreichen Staat zurückgeht. Wie das folgende Kapitel zeigen wird, legte Diodor ähnliche psychologische Ansätze an militärische Kontexte an und erklärt militärischen Erfolg teilweise mit den „richtigen“ seelischen Eigenschaften des Befehlshabers.

276 Diod. 31,18,1 und 3 Walton = 31,28 und 29 Goukowsky. 277 Diod. 31,19,8 Walton = 31,31 Goukowsky: τήν τε ἄλλην ἀγωγὴν τοῦ βίου ἀξιολογωτάτην ἐνδεικνύμενος καὶ φιλοσοφίᾳ προσανέχων. 278 Pol. 31,3. 279 Diod. 34/35,33,5 Walton = 35,26,5 Goukowsky: πρὸς δὲ τούτοις σωζομένης μὲν τῆς Καρχηδόνος ὁ ἀπὸ ταύτης φόβος ἠνάγκαζεν ὁμονοεῖν τοὺς Ῥωμαίους καὶ τῶν ὑποτεταγμένων ἐπιεικῶς καὶ ἐνδόξως ἄρχειν· ὧν οὐδὲν κάλλιόν ἐστιν πρὸς ἡγεμονίας διαμονήν τε καὶ αὔξησιν. Diese Mahnung des Scipio Nasica findet sich auch anderswo in der antiken Literatur, insbesondere in Plut., Cato 27,3. Der Gedanke wurde später, bis zum Ende der Antike, breit rezipiert. Siehe dazu Matthias Gelzer, Nasicas Widerspruch gegen die Zerstörung Karthagos, Philologus 86 (1931), 261–299, bes. 270–276 sowie Paula Botteri, Les fragments de l'histoire des Gracques dans la Bibliothèque de Diodore de Sicile, Genf 1992, 69f. mit weiterer Literatur. 280 Diod. 34/35,33,5 Walton = 35,26,5 Goukowsky: ἐν μὲν τοῖς πολίταις ἐμφύλιος πόλεμος.

KAPITEL VIER: PSYCHOLOGIE DER KRIEGSFÜHRUNG Die vorausgehenden beiden Kapitel hatten argumentiert, dass sowohl Polybios als auch Diodor die Seele und die seelischen Eigenschaften von Politikern und Monarchen als wichtigen Faktor sahen, um den Aufstieg und Niedergang einzelner Städte, Staaten und Reiche zu erklären. Sowohl implizit an Charakterbildern als auch explizit an geschichtstheologischen Ausführungen wird deutlich, dass sich die seelischen Eigenschaften des Einzelnen auf die Allgemeinheit übertragen. Ein Herrscher, welcher „Seelengröße“ und Gerechtigkeit vertritt, ist ein Garant für ein funktionierendes Gemeinwesen, dem sich auch Unterworfene, Bundesgenossen und weitere Abhängige zugehörig fühlen. Diese idealen seelischen Eigenschaften finden sich besonders im Römischen Reich verwirklicht, auf das diese Geschichtswerke hin zugeschnitten sind, und zwar insbesondere durch die Scipionen. Dieses Kapitel wird zeigen, dass sowohl Polybios als auch Diodor psychologische Charakterbilder von militärischen Führungspersönlichkeiten zeichnen. Ähnlich wie die Harmonie im Staat durch die seelischen Qualitäten von Königen und führenden Politikern determiniert wird, beeinflussen die jeweiligen Kommandeure z.B. die Kampfmoral durch ihre eigenen seelischen Qualitäten und repräsentieren so die zuvor erwähnte militärische Expansion eines Gemeinwesens als Folge der allgemeinen Harmonie. Beide Autoren beschreiben insbesondere Söldnerheere im Gegensatz zum römischen Bürgerheer als unzivilisiert und verroht, trotzdem gelingt es einzelnen Kommandeuren, durch ihre seelischen Qualitäten überschießende Emotionen erfolgreich zu kanalisieren. Ein Beispiel ist Hannibal, der durch „seelische Fürsorge“ (epimeleia) erfolgreich auf sein Heer einwirkt. Bei den Scipionen äußert sich die „Seelengröße“ in der Einsicht, dass das eigene Scheitern möglich ist und dass daher Unterworfene zu schonen seien. Polybios portraitiert insbesondere Scipio den Älteren als Arzt, der mit geeigneten Heilmitteln sein Heer von Zerfallserscheinungen wie von einem Krebsgeschwür befreit. Eine seelische Heilung (oder Erkrankung) in der Beziehung zwischen Kommandeur und Soldaten wird bei Polybios insgesamt verschiedentlich beschrieben, einer Reihe von Beschreibungen liegen Ansätze der stoischen Philosophie zugrunde. Als „Wahnsinn“ gilt Polybios eine Politik (vor allem im hellenistischen Osten), die sich von überschießenden Emotionen, von Rache oder besonderen Verstößen gegenüber Göttern und Menschen leiten lässt und insgesamt seinen Theorien zu degenerierten Gemeinwesen folgt. Diodor führt die römische Selbstdarstellung der moderatio und clementia indirekt und direkt (etwa durch den „Pythagoreer“ Epameinondas) auf griechische philosophische Lehren, insbesondere auf die Pythagoreer und deren Einfluss von Sizilien und Unteritalien aus auf Rom zurück. Die letztlich zum Erfolg führende Humanität und Rücksichtnahme auf unterworfene Gegner in militärischen Kontexten geht auf die paideia der griechischen Poliswelt zurück, im Unterschied zu ihr

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4 Psychologie der Kriegsführung

bezeichnet Diodor das makedonische Heer wiederholt als „wahnsinnig“. Ähnlich wie Polybios beschreibt zudem auch Diodor mehrfach den Kommandeur als die Seele bzw. den Verstand des ihm unterstellten Heeres. Er zeigt dabei eine deutliche Parteinahme für Personen der griechischen, insbesondere der westgriechischen Welt. Einzelne relevante Schlachtenbeschreibungen sollten im Sinne der „tragischen“ Geschichtsschreibung eine Erkenntnis und Reinigung der Seele bewirken. 4.1 DAS IDEALBILD DES KOMMANDEURS UND SEINE ENTARTUNG BEI POLYBIOS Polybios sah in seinem sechsten Buch der Historien, das die römische Verfassung im Vergleich mit anderen antiken Gemeinwesen behandelt, die militärische Überlegenheit der Römer als einen der Gründe für den Aufstieg Roms zur Weltmacht an. Polybios hebt die Disziplin, Hierarchie, gerechtes und nachvollziehbares Strafwesen und die überlegene Militärtechnik hervor.1 Er betont dabei, dass die einzelnen Offiziersstellen „nach Verdienst“ ausgewählt werden.2 Dabei werden die seelischen Qualitäten der Kandidaten bewertet: „Es ist ihr Wunsch, dass die Zenturionen nicht so sehr verwegen und risikofreudig sind als vielmehr in ihrer Seele führungsstark, standhaft und tiefgründig“.3 Polybios spielt also durch die geforderte „standhafte“ oder in sich ruhende Gemütsverfassung (stasimos) auf die stoische apatheia an.4 Da Polybios insgesamt die Streitmacht Roms denen der anderen Mittelmeermächte als überlegen darstellt, sind dies die idealen seelischen Eigenschaften für militärische Leitungsfunktionen. Diese Eigenschaften setzen Besonnenheit und Vorrang des Verstandes vor impulsivem Verhalten voraus. Gegenteilige Eigenschaften führen also zu Misserfolg und sollen begründen, warum andere Staaten gegenüber dem Römischen Reich unterlegen gewesen sind. Eine deutliche Negativdarstellung des karthagischen Militärs und Erklärung für dessen Niederlagen gegen Rom findet sich im Kontext des gerade beendeten ersten Punischen Krieges (264–241) und beginnenden Söldnerkrieges (241–237). Wie im vorausgehenden Kapitel dargestellt, hat auch Diodor den Söldnerkrieg als herausragendes Beispiel für den moralischen Verfall Karthagos gesehen, da Karthago sich geweigert hatte, den Söldnern, die auf Sizilien gekämpft hatten, den versprochenen Lohn auszuzahlen. Diodor hat bezeichnenderweise Epikur als Autorität dafür 1

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Der gesamte Abschnitt zum römischen Militärwesen umfasst Pol. 6,19–42. Darin bezieht sich 6,19–26 auf die Organisation, 27–42 auf die Technik, insbesondere auf römische Feldlager. Zu den Schwerpunkten des Polybios in der Darstellung des Kommandeurs sowie der Militärs siehe auch Eckstein (1995), 161–174, dem darin Recht zu geben ist, dass dieser Aspekt selten behandelt wurde, und der insgesamt eine ähnliche Verantwortung des Kommandeurs gegenüber dem seinen Emotionen ergebenen Militär sieht. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich daher speziell auf zugrundeliegende psychologische Theorien. Pol. 6,24,1: ἀριστίνδην. Pol. 6,24,9: βούλονται δ’ εἶναι τοὺς ταξιάρχους οὐχ οὕτως θρασεῖς καὶ φιλοκινδύνους ὡς ἡγεμονικοὺς καὶ στασίμους καὶ βαθεῖς μᾶλλον ταῖς ψυχαῖς... Zur apatheia siehe oben, S. 15 und 38.

4.1 Das Idealbild des Kommandeurs und seine Entartung bei Polybios

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zitiert, dass diese von den Karthagern begangene Ungerechtigkeit das Gegenteil der epikureischen ataraxia („Ungestörtheit“ der Seele) ist, die wiederum mit der stoischen apatheia verwandt ist. Beide Autoren sehen den Söldnerkrieg also als Exempel dafür, dass die im Staat und seinen führenden Politikern grassierende Ungerechtigkeit die Ursache für seinen historischen Niedergang ist.5 Diodor, dessen Buch hier nur in Exzerpten überliefert ist, hat wahrscheinlich Polybios als Hauptquelle herangezogen, daneben möglicherweise auch weitere Autoren.6 Die Anmerkung zu Epikur findet sich bei Polybios allerdings nicht. Da sie dem Prooemium zugeordnet ist, stammt sie wahrscheinlich von Diodor selbst, der hier dem behandelten historischen Stoff einen Rahmen verleiht. Zwar enthalten diese Exzerpte aus Diodor einen Hinweis auf die ethnische Herkunft der Söldner, jedoch ohne Werturteil.7 Polybios dagegen sieht in der ethnischen Vielfalt des karthagischen Söldnerheeres den deutlichsten Gegensatz zum römischen Bürgerheer und hebt dabei besonders die unterschiedliche Bildung hervor:8 [...] insbesondere kann man aufgrund der damaligen Ereignisse erkennen, was Menschen, die Söldnertruppen einsetzen, vorhersehen und vor was sie sich lange im Voraus in Acht nehmen müssen, und man kann aufgrund der damaligen Unglücksfälle in der Zusammenschau besonders klar sehen, inwiefern sich darüber hinaus die Charaktereigenschaften von Personen, die bis zu einem gewissen Grad ethnisch gemischt und barbarisch sind, von denen unterschieden, die unter Kenntnis von Bildung, Gesetzen und politischen Gebräuchen aufgewachsen sind.

Polybios sieht also Bildung und Gesetzestreue als zentrale Charaktereigenschaften auch von Soldaten an und betont somit die Wichtigkeit griechischer paideia für das römische Reich und dessen Aufstieg zur bestimmenden Mittelmeermacht. Barbara Scardigli hält diese Charakterisierung der Streitkräfte Karthagos zu Recht für eine bewusste Überzeichnung, die dazu dienen soll, die Überlegenheit Roms mit seinem Bürgerheer zu erklären.9 Die Söldnerkriege sind dafür besonders geeignet, die Kritik ist jedoch generalisierend, da die gleichen Truppen im ersten Punischen Krieg gekämpft haben und dieser Krieg der unmittelbar vorausgehende Kontext ist. Im unmittelbaren Anschluss legt Polybios dar, dass er in diesem Gegensatz sogar den Grund für den Ausbruch des zweiten Punischen Krieges sieht, denn der Söldnerkrieg führte wohl im Jahre 237 zu einem weiteren Eingreifen Roms auf Sardinien, das in der Folge aus dem karthagischen Einflussbereich trat, wie Polybios selbst am

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Diod. 25,1f. Siehe oben, S. 136. Goukowsky, Diodore de Sicile, Fragments, Bd. 2, Paris 2006, 141–148. Diod. 25,2,2. Pol. 1,65,6f.: μάλιστ’ ἄν τις ἐκ τῶν τότε γεγονότων ἐπιγνοίη, τούς τε χρωμένους μισθοφορικαῖς δυνάμεσι τίνα δεῖ προορᾶσθαι καὶ φυλάττεσθαι μακρόθεν, ἐναργέστατ’ ἂν ἐκ τῆς τότε περιστάσεως συνθεωρήσειεν, πρὸς δὲ τούτοις τί διαφέρει καὶ κατὰ πόσον ἤθη σύμμικτα καὶ βάρβαρα τῶν ἐν παιδείαις καὶ νόμοις καὶ πολιτικοῖς ἔθεσιν ἐκτεθραμμένων. Barbara Scardigli, I trattati romano-cartaginesi. Introduzione, edizione critica, traduzione, commento e indici, Pisa 1991, 223–225. Zu dem karthagischen Söldnerheer, insbesondere der ethnischen Zusammensetzung, siehe Walter Ameling, Karthago. Studien zu Militär, Staat und Gesellschaft, München 1993, 212–222.

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Ende von Buch eins ausführt.10 Karthago hat aus diesem Grund seine Expansionsbestrebungen im Mittelmeerraum aufgegeben und diese stattdessen auf die iberische Halbinsel konzentriert, von wo aus der spätere Konflikt mit Hannibal seinen Ausgang nahm. Polybios sieht in dieser ethnischen Mischung der karthagischen Streitkräfte sogar einen Keim von Wahnsinn:11 Denn die Folge ist, dass derartige Streitkräfte nicht nur menschliche Schlechtigkeit an den Tag legen, wenn sie sich einmal in Zorn und Verleumdung gegenüber anderen verstiegen haben, sondern sie werden letztlich zu Wildtieren und geraten in einen Zustand der Wut und genau das widerfuhr damals diesen Streitkräften.

Polybios verwendet also wiederum eine Tiermetaphorik, um diesmal die karthagischen Söldner zu beschreiben, da diese vor Zorn rasend geworden sind. 12 Da er im Anschluss die einzelnen Ethnien aus dem Mittelmeerraum aufzählt, macht er ethnische Gegensätze als Ursache für die Konflikte aus, erläutert im Weiteren aber auch, dass die Vielfalt der Sprachen zu praktischen Verständnisschwierigkeiten geführt hat.13 Eine weitere Ursache war das persönliche Misstrauen der Söldner sowohl gegenüber den eigenen Offizieren, welche die Verhandlungen um den Lohn führten, vor allem aber gegenüber ihrem damaligen karthagischen Kommandeur Hanno dem Großen.14 Auch in diesem Fall übertragen sich seelische Eigenschaften der verantwortlichen Person (also die Ungerechtigkeit bzw. der Vertragsbruch) über die weiteren Vorgesetzten auf die gesamte Gemeinschaft. Sie werden also ähnlich beschrieben wie Polybios und Diodor wiederholt politisch Verantwortliche und ihren Einfluss auf die Gemeinschaft beschreiben. Das Verb apotherioo (ἀποθηριόω), mit dem Polybios die Verwandlung der karthagischen Söldner zu Wildtieren beschreibt, ist hier erstmalig belegt und wird im Weiteren mehrfach verwendet. Zusammenfassend meint Polybios damit fast immer den Zustand einer führungslosen Gruppe. Besonders deutlich ist diese Verwendung in der Darstellung des Kreislaufs der Verfassungen in Buch sechs. Dort meint apotherioo den Zustand der Anarchie, den ein Staat erreicht, nachdem das Volk Könige und Aristokraten vertrieben hat und die Demokratie schließlich selbst zu einer Gewaltherrschaft entartet ist, die davor steht, sich einen neuen König zu suchen und den Kreislauf von Neuem beginnen zu lassen.15 In Buch eins nimmt dieses Verb in 10 Pol. 1,65,8–9 mit 1,88,8–12. Zum Datum und zur gegenseitigen Abhängigkeit dieser beiden Textstellen siehe Walbank, Commentary, Bd. 1 (1957), 131f. und 149f. 11 Pol. 1,67,6: οὐ γὰρ οἷον ἀνθρωπίνῃ χρῆσθαι κακίᾳ συμβαίνει τὰς τοιαύτας δυνάμεις, ὅταν ἅπαξ εἰς ὀργὴν καὶ διαβολὴν ἐμπέσωσι πρός τινας, ἀλλ’ ἀποθηριοῦσθαι τὸ τελευταῖον καὶ παραστατικὴν λαμβάνειν διάθεσιν. ὃ καὶ τότε συνέβη γενέσθαι περὶ αὐτούς. 12 Das Bild muss vermutlich recht drastisch gemeint gewesen sein, da Megasthenes (ein historischer Autor des frühen Hellenismus) Musthbullen in ähnlicher Weise beschreibt, dass sie nämlich „von Wahnsinn und Zorn besessen sind“ (οἴστρῳ κατέχηται καὶ ἀγριαίνῃ): BNJ 715 F 20b = Strab. 15,1,42f., hier 15,1,43. Siehe auch Eckstein (1995), 126–128 und 247f. zu dieser Tiermetaphorik in Bezug auf Söldner. 13 Pol. 1,67,7–11. Siehe auch Eckstein (1995), 118–129 zu den Einstellungen des Polybios gegenüber „Barbaren“ und Söldnern, insbes. S. 126 zu dem hier besprochenen Söldnerkrieg. 14 Pol. 1,67,1f. und 13. 15 Pol. 6,9,9.

4.1 Das Idealbild des Kommandeurs und seine Entartung bei Polybios

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jeder Bezeugung Bezug auf die aufständischen karthagischen Söldner und beschreibt stets einen Zustand der Insubordination gegenüber den karthagischen Kommandeuren oder des Konflikts mit den eigenen Offizieren.16 In diesem Kontext findet sich auch der ausführlichste Vergleich des Seelenlebens des Söldnerheeres mit einem im Körper wuchernden Geschwür, das in Kapitel eins in größerer Ausführlichkeit besprochen wurde.17 Der Söldnerkrieg ist also für Polybios das Paradebeispiel seiner Theorie der epidemischen Ausbreitung negativer seelischer Eigenschaften, steht aber auch paradigmatisch für den Niedergang Karthagos in dem von ihm behandelten Zeitraum. Diese Charakterisierung von Soldaten als entmenschlicht und als Wildtiere steht als gemeinsamer Nenner im Gegensatz zu der römischen Disziplin. Der nächste Beleg von apotherioo aus den weiteren Büchern steht nämlich im Kontext des karthagischen Heeres im zweiten Punischen Krieg.18 Danach folgen einige weitere Beispiele der drohenden Insubordination diesmal griechischer Stadtstaaten gegenüber fremden oder eigenen Herrschern oder Amtsträgern. Zunächst beschreibt das Verb die Gefühle der Bevölkerung von Rhodos gegenüber Philipp V. von Makedonien, der 202 v. Chr. in der Ägäis expandieren wollte und in Konflikt mit Rhodos geriet, das in der Folge Rom um Hilfe bat.19 Polybios benutzt also diese Tiermetaphorik, um damit das Gegenteil der römischen clementia gegenüber Bündnispartnern und Abhängigen zu verdeutlichen bzw. um den relativen Misserfolg von Mittelmeerstaaten gegenüber dem Römischen Reich zu veranschaulichen, so auch, wenn Polybios an anderer Stelle (wahrscheinlich im Kontext der im Weiteren kritisierten Eroberungspolitik des Achaiischen Bundes in Messene) vor den Folgen einer Kriegspolitik der verbrannten Erde warnt.20 Schließlich exemplifiziert ein Fragment aus Buch 30 die Verfassungstheorie des anarchischen Zustandes einer degenerierten Demokratie, da dort die Bewohner Aitoliens unter römischer Verwaltung ihre Aggression nach innen richten, wobei „sie seelisch zu wilden Tieren wurden, so dass sie ihren öffentlichen Amtsträgern noch nicht einmal erlaubten, eine Ratssitzung abzuhalten“. 21 Eine scheinbare Ausnahme ist die Beschreibung eines Mannes namens Isokrates mit diesem Verb, der als Folge seiner Gefangenschaft, aber eben auch der Separierung von menschlicher Gesellschaft, verwildert war.22 Vor allem aber wurde er in Begleitung einer Gesandtschaft des Seleukidenherrschers Demetrios I. Soter als Gefangener nach Rom überführt, da man ihm vorwarf, an der Ermordung eines römischen Gesandten in Syrien beteiligt gewesen zu sein.23 Auch in diesem Fall steht das Verb also im Gegensatz zu den politischen Tugenden 16 17 18 19 20 21 22 23

Pol. 1,70,1; 1,79,8; 1,81,5 und 9. Siehe oben, S. 33. Pol. 3,60,6. Pol. 15,22,5. Pol. 23,15,3. Pol. 30,11,5: ἀποτεθηριωμένοι τὰς ψυχάς, ὥστε μηδὲ βουλὴν διδόναι τοῖς προεστῶσι. Pol. 32,3,8. Zu dieser Gesandtschaft und ihren Hintergründen: Pol. 32,2f. und Diod. 31,29f. Walton = 31,43f. Goukowsky; Zon. 9,25 (Dindorf, Bd. 3, 323); App., Syr. 241. Siehe Walbank, Commentary, Bd. 3 (1979), 519.

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der Römer. Die Beschreibung des Isokrates in der Gefangenschaft zeigt zudem, was wahnsinnige Menschen und Wildtiere in dieser Metaphorik gemeinsam haben:24 [...] Hinsichtlich von Körper und Seele gibt es nichts Furchtbareres als einen Menschen, der sich endgültig in ein wildes Tier verwandelt hat. Denn einerseits war sein Aussehen außergewöhnlich schrecklich und bestialisch, da er seit über einem Jahr nicht mehr irgendeinen Schmutz entfernt oder sich Nägel und Haare geschnitten hatte. Andererseits gab die durch Augenausdruck und -bewegung offenbar werdende Störung seines Verstandes ein solches Bild ab, dass jede Person, die ihn sah, sich lieber jedem anderen Lebewesen genähert hätte als diesem.

Bereits zuvor wurde im Text explizit erwähnt, dass Isokrates „komplett seinen Verstand verlor“.25 Durch den Verlust der höheren geistigen Kräfte als Folge des Wahnsinns wird der Mensch gleichsam zum Wildtier. Dieser Zustand kann ein Individuum betreffen, aber auch einen Staat, der in Anarchie versinkt, oder ein Heer, das sich führungslos seinen Emotionen hingibt. Den Kommandeuren kommt also die Funktion zu, diesen Zustand ihrer Streitkräfte entweder zu verschulden oder abzumildern. Die letztere Eigenschaft macht den erfolgreichen Feldherrn aus, so im Falle von Hannibal, den Polybios als Feind der Scipionen und Angstgegner Roms entsprechende Fähigkeiten bescheinigt. In Buch drei, und zwar bei der ersten Erwähnung des oben besprochenen Verbes apotherioo („zu wilden Tieren werden“) nach dem Söldnerkrieg, tritt Hannibal als Heiler auf, der sein iberisches Heer von diesem Seelenzustand befreit:26 Nichtsdestotrotz waren die überlebenden Soldaten sowohl ihrem Aussehen als auch ihrer übrigen Verfassung nach, da die zuvor genannten Nöte ihnen fortwährend zusetzten, in ihrer Gesamtheit geradezu in wilde Tiere verwandelt. Hannibal legte daher ein hohes Maß an Voraussicht an den Tag, indem er ihnen seine Fürsorge zuteilwerden ließ, und er heilte die Seelen der Männer zusammen mit ihren Körpern, und bewirkte sogar das gleiche bei den Pferden.

Der historische Kontext ist der verlustreiche Zug Hannibals über die Alpen im Herbst des Jahres 218 v. Chr. Der Feldzug Hannibals in Italien kulminierte in der Schlacht bei Cannae, in der Rom entscheidend geschlagen wurde. Daher wurden ihm ähnlich wie Alexander dem Großen geniale militärische Fähigkeiten zugeschrieben.27 Diese Fähigkeiten stehen hier im Kontrast zu der Verrohung des 24 Pol. 32,3,7–9: ...καὶ κατὰ σῶμα καὶ κατὰ ψυχὴν οὐδέν ἐστιν ἀνθρώπου φοβερώτερον, ὅταν ἅπαξ ἀποθηριωθῇ. ἥ τε γὰρ ὄψις ἐκτόπως ἦν αὐτοῦ φοβερὰ καὶ θηριώδης, ὡς ἂν πλεῖον ἐνιαυτοῦ μὴ τὸν ῥύπον, μὴ τοὺς ὄνυχας, μὴ τὰς τρίχας ἀφῃρημένου, τά τε κατὰ τὴν διάνοιαν ἐκ (τῆς) τῶν ὀμμάτων ἐμφάσεως καὶ κινήσεως τοιαύτην ἐποιεῖτο τὴν φαντασίαν ὥστε τὸν θεασάμενον πρὸς πᾶν ζῷον ἑτοιμότερον ἂν προσελθεῖν ἢ πρὸς ἐκεῖνον. 25 Pol. 32,3,6: ὁλοσχερῶς παρεξέστη τῇ διανοίᾳ. 26 Pol. 3,60,6f.: οἵ γε μὴν σωθέντες καὶ ταῖς ἐπιφανείαις καὶ τῇ λοιπῇ διαθέσει διὰ τὴν συνέχειαν τῶν προειρημένων πόνων οἷον ἀποτεθηριωμένοι πάντες ἦσαν. πολλὴν οὖν ποιούμενος πρόνοιαν Ἀννίβας τῆς ἐπιμελείας αὐτῶν ἀνεκτᾶτο καὶ τὰς ψυχὰς ἅμα καὶ τὰ σώματα τῶν ἀνδρῶν, ὁμοίως δὲ καὶ τῶν ἵππων. 27 Zur Rezeption Hannibals in griechisch-römischer Literatur Barceló (2012), 246–249; Laura Muth, Hannibal, DNP Suppl. 8, 479–490, hier 480–482. Zu antiken Beurteilungen der Person Hannibals siehe Jakob Seibert, Hannibal, Darmstadt 1993, 530–544. Zum Bild des Hannibal bei Polybios siehe Kapitel zwei, S. 89–93 oben sowie Brian C. McGing, Polybius' Histories, Oxford 2010, 35–38.

4.1 Das Idealbild des Kommandeurs und seine Entartung bei Polybios

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karthagischen Heeres. Da die gleichen Methoden des Hannibal auch auf die Pferde wirken, beschreibt Polybios das karthagische Heer erneut pejorativ. Diese Methode, die Hannibal verwendet, bezeichnet Polybios in dem zitierten Abschnitt als epimeleia („Fürsorge“). Bei Platon ist die epimeleia das Heilmittel für die wandernde Seele.28 Platon versteht darunter eine Seele, die von äußeren Einflüssen und Begierden, und zwar besonders von der Habgier, hin- und hergerissen wird und sich von ihrem Zentrum fortbewegt.29 Wie eine Meditation dient die Fürsorge um die Seele also dazu, von störenden Gedanken und Einflüssen loszulassen. 30 Sie ist die Geisteshaltung eines Philosophen. 31 Platon spricht (ähnlich wie Polybios) davon auch im Zusammenhang mit dem Kreislauf der Verfassungen, insbesondere des Wandels von der Aristokratie zu ihrer Entartungsform, wenn spätere Generationen der herrschenden Aristokraten durch Habgier und Verlangen nach äußeren Werten, wie Ehre und Einfluss, von der Gerechtigkeit abgebracht werden.32 Bei Polybios richtet sich die Fürsorge um die Seele, die Hannibal als Methode einsetzt, um die Moral seines Heeres zu stärken, nach außen, sie bringt die Soldaten dazu, die erlebten Entbehrungen zu vergessen und sich wieder auf ihre Aufgabe zu fokussieren. Bei Polybios ist das Substantiv epimeleia häufig belegt und bezeichnet allgemein die Sorge, Aufmerksamkeit oder Fürsorge, beispielsweise die Fürsorge der Eltern für ihre Kinder.33 Bezeichnenderweise ist der oben zitierte Abschnitt, in dem Hannibal sein Heer nach den Strapazen der Alpenüberquerung wieder aufrichtet, die einzige Bezeugung, bei der sich epimeleia ausdrücklich auf die Seele (psyche) bezieht und der Vorgang somit mit der von Platon gemeinten philosophischen Pflege der Seele deutlich zusammenfällt. Diese Einmaligkeit zeigt also den 28 James M. Ambury, Dialectical Epimeleia: Platonic Care of the Soul and Philosophical Cognition. Plato Journal 17 (2018), 85–99 (online abgerufen am 27. September 2021) . Bettina Full, Epimeleia tês psychês (Sorge um die Seele), in: Christoph Horn, Christoph Rapp (Hrsg.), Wörterbuch der antiken Philosophie, München 2002, 145f. Ambury, a.a.O., zitiert das Verb πλανάω („umherwandern, in die Irre geleitet werden“, davon abgeleitet das Wort Planet) für diesen Vorgang der Wanderung der Seele. 29 Plat., apol. 29d–29e. 30 Vgl. Plat., Tim. 47c, wo ein Stillstand der Wanderungen im Selbst die Imitation des Göttlichen ist, sowie ausführlich zu dieser Technik: Ambury, a.a.O., 88f., wonach die Seele durch die Vereinigung mit dem Intellekt von ihren Wanderungen geheilt wird. 31 Plat., rep. 9, 581b. 32 Plat., rep. 8, 547b–c, 550a–b, 553d–e. 33 Das Substantiv epimeleia ist an 37 Stellen belegt: Pol. 1,27,6; 1,29,1; 1,59,12; 3,60,7; 4,74,2; 5,9,2; 5,46,10; 5,48,16; 5,66,5; 5,71,6 (zweimal); 5,79,3; 5,88,3; 6,6,3; 6,31,4; 6,33,3; 6,34,2 und 3; 6,35,12; 6,36,5; 6,39,11; 10,18,2 sowie 9, 10 und 15; 10,24,6 und 7; 10,45,6; 11,9,2; 11,26,1; 12,10,4; 20,11,6; 29,3,6; 31,18,7; 33,9,7 sowie Fr. 73 und 179 Büttner-Wobst. Die hier diskutierte Bedeutung ist zu unterscheiden vom hellenistischen Amt des Epimeletes, das vor allem bei Diodor häufig belegt ist und sich ebenfalls von epimeleia, jedoch in einer deutlich unterschiedenen Bedeutung (etwa „übertragene Aufgabe“), herleitet. Siehe zu dieser Variante von epimeleia ausführlich Gaetano Sinatti, Epimeletes ed epimeleia in Diodoro Siculo XVIII–XX, in: B. Virgilio (Hrsg.), Studi Ellenistici VIII. Bibliotheca di Studi Antichi 78, Pisa 1996, 97–122.

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Respekt, den Polybios vor den militärischen Führungsqualitäten Hannibals hat. Trotzdem ist diese philosophische Auffassung der Seelenpflege für Polybios nicht unwichtig, sondern im Gegenteil stellt er die Eigenschaften der „Sorgfalt und Klugheit“ (epimeleia und phronesis) als Gegensatzpaar chiastisch vertauscht neben „Ignoranz und Trägheit“ (agnoia und rhathymia), und zwar in einer Sentenz zum Schicksal von Privatpersonen und von Staaten, die also je nach ihrer Neigung zum einen oder anderen erfolgreich werden oder in das Verderben gerissen werden. Diese Sentenz ist in Kapitel eins ausführlich dargestellt. 34 Die Eigenschaft der epimeleia zeichnet aber laut Polybios vor allem einen erfolgreichen Kommandeur aus, denn die Bezeugung des Wortes in diesem Kontext, also zur Beschreibung der Fürsorge und Aufmerksamkeit, die ein Kommandeur den ihm unterstellten Soldaten zuteilwerden lässt, ist häufig.35 Unter diesen Belegen sind wiederum solche besonders häufig, die zeigen, dass die militärische Organisation der Römer in der antiken Welt vorbildlich ist. Sie finden sich vor allem in Buch sechs, welches die römische Verfassung im Vergleich diskutiert, aber auch die Expansion Roms aus seiner militärischen Überlegenheit begründet.36 Für Polybios ist also epimeleia, vor allem als Führungsqualität von öffentlichen Personen verstanden, ein Garant und eine Begründung für den Erfolg eines Staates auf militärischer und politischer Ebene, während bei Platon die Sorge um sich selbst den Erfolg in der philosophischen Lebensführung ausmacht. In der entscheidenden Schlacht von Zama, die den zweiten Punischen Krieg zugunsten Roms beendete, erscheinen sowohl Hannibal als auch der mit Polybios befreundete ältere Scipio als fähige Kommandeure, die zudem das Prinzip des parcere subiectis („die Unterworfenen schonen“) vereint. Es ist das gleiche Prinzip, von dem sowohl Polybios als auch Diodor für den Sieger in der Schlacht von Pydna gegen Makedonien, Aemilius Paullus Macedonicus, berichten, wobei vor allem Diodor noch auf den römischen Triumphzug anspielt, wie oben dargestellt.37 Da der Vater des Macedonicus, der ebenfalls Aemilius Paullus hieß, zuvor die Schlacht bei Cannae gegen Hannibal verloren hatte, hatten die Aemilianer und indirekt die mit ihnen politisch befreundeten Scipionen die eigene Unterlegenheit selbst erfahren. Für den Vorabend der Schlacht von Zama berichtet Polybios über Hannibal, dass

34 Siehe oben, S. 36. 35 In diesem Zusammenhang verwendet Polybios den Begriff neben 3,60,7 auch in 1,59,12; 5,48,16; 5,66,5; 5,79,3; 6,33,3; 6,34,2 und 3; 6,35,12; 6,36,5; 6,39,5; 10,24,6 und 7, also insgesamt 13-mal. 36 Pol. 1,59,12; 6,33,3; 6,34,2 und 3; 6,35,12; 6,36,5; 6,39,5. 37 Siehe oben, S. 146f., sowie für Scipio gegenüber dem besiegten Hasdrubal Pol. 38,20f. Bezeichnenderweise ließen die Makedonen selbst nach dem Urteil des Polybios (38,3) in ihren Stunden des Sieges diesen Respekt für ihre Gegner vermissen und wurden dafür gerechterweise mit dem Verlust ihres Reiches bestraft. Bereits Karl-Heinz Ziegler, Vae victis – Sieger und Besiegte im Lichte des römischen Reiches, in: Otto Kraus (Hrsg.), „Vae victis“ – Über den Umgang mit Besiegten, Göttingen 1998, 45–66, hier 64 sieht ebenfalls den Zusammenhang mit dem Vergilvers parcere subiectis... (Verg., Aen. 6,853).

4.1 Das Idealbild des Kommandeurs und seine Entartung bei Polybios

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dieser aus Gründen der inneren Demut einen Ausgleich mit Scipio angestrebt hatte:38 Dies ist die Eigenschaft eines Menschen, der seinen Erfolg voraussieht, dabei aber dem Schicksal misstraut und für die bei Kämpfen eintretenden unerwarteten Elemente Vorsorge trifft.

Den fähigen Kommandeur zeichnet es also aus, dass er sich auch im Triumph bewusst ist, dass sein Schicksal mit dem seines Gegners austauschbar ist. Wie der fähige Staatsmann, ist er selbst damit frei von Affekten, die seine Urteilskraft beeinflussen. Die oben zitierte Aussage trifft Polybios im Rahmen eines längeren Kataloges des militärischen und taktischen Geschicks Hannibals, diese stoische Einstellung zum eigenen Schicksal ist also gleichwertig etwa mit der taktischen Aufstellung des Heeres.39 Hannibal ist auch in dieser Tugend dem älteren Scipio ebenbürtig, denn dieser entschließt sich nach seinem Sieg dazu, gegenüber Karthago Milde walten zu lassen:40 Er sagte, dass er in ihrem eigenen Interesse und mit Rücksicht auf das Schicksal und die allgemeine Lage der Menschen zu dem Entschluss gekommen ist, milde und großmütig vorzugehen.

Scipio entscheidet sich also trotz der moralischen Rechtfertigung, die Polybios im unmittelbar Vorausgehenden nennt, gegen eine Zerstörung Karthagos, stellt aber harte Bedingungen für einen Friedensvertrag.41 Scipio tritt dabei „großmütig“ bzw. „mit Seelengröße“ (megalopsychos bzw. megalopsychia) auf, also mit einer seelischen Qualität, die bei Polybios häufig als Eigenschaft belegt ist, die einen Staatsmann oder Kommandeur auszeichnet.42 So spricht Polybios davon, dass sowohl die Karthager in ihrer Gesamtheit, insbesondere ihre einzelnen Kommandeure, als auch vor allem Hannibal selbst in dieser megalopsychia den Römern bzw. dem älteren Scipio in keiner Weise nachstanden.43 Diodor benutzt diesen Begriff ebenfalls, so etwa mit Bezug auf einen der Sieben Weisen und dessen Eigenschaft als ursprünglicher Gesetzgeber seiner Polis.44 Überhaupt ist es nach Polybios nur einem daimon, also der göttlichen Fügung zuzuschreiben, dass Scipio Hannibal in der Schlacht von Zama in Nordafrika besiegen konnte, denn insbesondere „an Geist und Tapferkeit“ waren sich beide Seiten gleich (da auch die Heerführer die gleichen Tugenden

38 Pol. 15,15,5: τοῦτο δ’ ἐστὶ τοῦ προειδότος τὰ κατορθώματα, ἀλλ’ ἀπιστοῦντος τῇ τύχῃ καὶ προορωμένου τὰ περὶ τὰς μάχας ἐκβαίνοντα παράλογα. 39 Pol. 15,15f. ist dieser Katalog, bes. 15,16. Die taktischen Vorbereitungen Hannibals nehmen dabei den Großteil ein (15,15,6–16,4). 40 Pol. 15,17,4: αὑτῶν δὲ χάριν ἔφησε καὶ τῆς τύχης καὶ τῶν ἀνθρωπίνων κεκρίσθαι σφίσι πρᾴως χρῆσθαι καὶ μεγαλοψύχως τοῖς πράγμασι. 41 Diese Bedingungen sind in Pol. 15,18 aufgeführt. 42 Pol. 1,8,4; 1,20,11; 1,64,5; 2,61,4; 2,70,1; 3,13,8; 3,98,9; 3,99,7; 4,14,8; 4,27,10; 4,48,9; 5,10,5 und 9; 5,11,9; 5,12,1; 6,2,6; 6,7,9; 6,11a,7; 6,58,13; 8,10,10; 8,23,5; 9,10,13; 9,28,4; 10,3,1; 10,40,6, 7 und 9; 15,5,8; 15,17,4; 15,23,2; 16,23,7; 16,28,3; 18,14,14; 18,41,5; 22,16,2 und 8; 22,21,3; 23,17,1; 29,24,13; 30,17,4; 30,31,15; 31,25,9; 31,26,8; 31,27,16; 31,28,9; 33,18,5; 38,8,10. 43 Pol. 1,64,5 und 15,5,8. 44 Siehe Kapitel drei, S. 107f. oben.

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4 Psychologie der Kriegsführung

haben).45 Polybios würdigt damit die Leistung Scipios, nimmt aber auch den Aemilius Paullus von dem Vorwurf aus, dass die Niederlage gegen Hannibal bei Cannae dessen eigene Schuld war, denn niemand kann Hannibal ohne das Zutun der göttlichen Providenz besiegen, die zwar grundsätzlich auf der Seite Roms steht, aber eben nicht in dieser Schlacht. Ähnlich wie mit Bezug auf das karthagische Heer des Hannibal erwähnt Polybios auch in anderen Kontexten seines Werkes die militärische Kampfmoral, also die seelische Verfassung der Soldaten, und wie diese von den Kommandeuren beeinflusst wird. Den Begriff psyche für die Seele verwendet Polybios zumindest einmal in einem solchen militärischen Kontext, und zwar in Reaktion des Aitolischen Bundes auf die Niederlage des mit ihnen verbündeten Seleukidenkönigs Antiochos III. gegen Rom in der Schlacht bei Magnesia 190/89 v. Chr. (in dem Sinne, dass die Aitolier „seelisch zerstört“ waren).46 Außerdem gelang es Hannibal im zweiten Punischen Krieg bereits während der Alpenüberquerung, „die Menschen zuversichtlich zu machen“, und zwar indem er auf die gallischen Siedlungen in der bereits sichtbaren oberitalischen Po-Ebene verwies, die von Rom erst vor wenigen Jahren unterworfen worden waren und Hannibal daher unterstützten, sowie auf die Zustände in Rom selbst.47 Diese Methode der seelischen Erhebung besteht also darin, Hoffnung zu geben, auf menschliche Bindungen und die eigene moralische Rechtfertigung zu verweisen, wobei die Schönheit der Natur, in welche der Zug führt, ebenfalls zur Erbauung beiträgt. Das Heer des römischen Kommandeurs Fabius Maximus, der Hannibal stoppen sollte und dabei eine sehr defensive Strategie wählte, die ihm den Beinamen Cunctator („der Zauderer“) einbrachte, ist dagegen dadurch charakterisiert, dass ein Teil seiner Offiziere risikofreudiger ist als er selbst.48 Fabius Maximus gelingt es daher anscheinend nicht, sein Heer als Einheit zu führen. Polybios hält diese defensive Taktik für nicht erfolgreich, denn das römische Heer, das in Spanien unter der Leitung des Gnaeus Cornelius Scipio Calvus, also eines Scipionen, gegen Hasdrubal operierte, wird gerade durch den Sieg in der Seeschlacht an der Ebromündung von 217 v. Chr. in seiner Kampfmoral gestärkt.49 Hier führt also gerade das offensive Verhalten zum Erfolg. Polybios weist somit sowohl den römischen als auch den karthagischen Feldherrn je nach ihrem Erfolg in unterschiedlichem Maße die Fähigkeit zu, durch die eigenen seelischen Qualitäten ihr Heer erfolgreich zu führen, wobei die Scipionen und Hannibal das Ideal repräsentieren. Die Scipionen, insbesondere der ältere Scipio, sind also das Idealbild des erfolgreichen Kommandeurs, der Aufstieg Roms zur Weltmacht ist ihnen zu verdanken. Es lohnt sich daher, die einschlägige Charakterisierung der militärischen Tugenden des älteren Scipio ausführlich zu zitieren, da anhand ihrer das Muster

45 46 47 48 49

Pol. 15,14,7: δαιμονίως und 15,14,6: καὶ τοῖς φρονήμασι καὶ ταῖς ἀρεταῖς. Pol. 21,25,8: ἀνετράπησαν ταῖς ψυχαῖς. Pol. 3,54,3: εὐθαρσεῖς ἐποίησε τοὺς ἀνθρώπους. Pol. 3,92,5. Pol. 3,96,6.

4.1 Das Idealbild des Kommandeurs und seine Entartung bei Polybios

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erkennbar wird, das Polybios an diese Bewertungen von militärischem Erfolg anlegt:50 Denn wir können unsere Körper vor äußeren Ursachen für Schmerzen schützen – sagen wir vor so etwas wie Kälte, Hitze, Müdigkeit und Wunden –, und zwar noch bevor sie eingetreten sind, und auch wenn sie bereits eingetreten sind, ist es immer noch leicht, Abhilfe zu schaffen. Doch die in unseren Körpern selbst entstehenden Tumore und Krankheiten sind schwer vorherzusehen und, wenn sie einmal entstanden sind, ist ihnen auch schwer abzuhelfen. Auf dieselbe Weise muss man sowohl die staatlichen als auch die militärischen Angelegenheiten behandeln. Denn es liegt auf der Hand, wie man sich für Komplotte und Kriege, die von außen kommen, vorbereiten und ein Heilmittel finden kann, wenn man auf der Hut ist, doch gegen die in ihnen entstehende politische Opposition, den Bürgerzwist und gegen Unruhen ist es schwer, ein Heilmittel anzuwenden, und man muss dabei sehr geschickt und besonders klug sein. Die einzige Ausnahme ist eine Vorschrift, die für alle Bereiche geeignet sein wird, also sowohl für Legionen, Stadtstaaten und Körper, wie mir scheint. Diese besteht darin, keinem der vorgenannten jemals zu erlauben, eine lange Zeit untätig und beschäftigungslos zu sein, und zwar ganz besonders, wenn der Gang der Ereignisse günstig ist und Annehmlichkeiten im Überfluss vorhanden sind.

Der historische Kontext dieses Vergleichs zwischen körperlichen Erkrankungen und Störungen in der politischen oder militärischen Gemeinschaft ist eine Meuterei im römischen Heer bei Sucro (nahe Valencia) im Jahre 206 v. Chr. Der ältere Scipio hatte seit 211 v. Chr. das militärische Kommando in Spanien gegen Karthago, das den Landesteil südlich des Ebro kontrollierte. Scipio war es dabei gelungen, das wichtige Carthago Nova einzunehmen und die Karthager schließlich in der Schlacht von Ilipa im Frühjahr 206 v. Chr. aus Spanien entscheidend zurückzudrängen. Scipio suchte anschließend Numidien auf, dessen Prinz Massinissa die Seiten gewechselt hatte und nun Rom unterstützte.51 Massinissa wurde in der Folge zum König Numidiens und empfing viel später, im Jahre 149, den jüngeren Scipio, dem dort nach der fiktiven Erzählung Ciceros in De re publica im Traum der ältere Scipio erschien, der ihm sein weiteres Schicksal voraussagte.52 Das Jahr 206 war also ein zentrales Jahr in der Biographie des älteren Scipio, auf das seine militärische und diplomatische Reputation wesentlich zurückging. Zudem weist die Episode Ähnlichkeiten zu den oben besprochenen karthagischen Söldnerkriegen der Jahre 241 bis 237 auf. Während sich damals also die Schwächen der karthagischen Strukturen 50 Pol. 11,25,2–7: καθάπερ (γὰρ) ἐπὶ τῶν σωμάτων τὰς μὲν ἐκτὸς αἰτίας τοῦ βλάπτειν, λέγω δ’ οἷον ψύχους, καύματος, κόπου, τραυμάτων, καὶ πρὶν γίνεσθαι φυλάξασθαι δυνατὸν καὶ γενομέναις εὐμαρὲς βοηθῆσαι, τὰ δ’ ἐξ αὐτῶν τῶν σωμάτων γινόμενα φύματα καὶ νόσους δυσχερὲς μὲν προϊδέσθαι, δυσχερὲς δὲ γενομένοις βοηθεῖν, τὸν αὐτὸν δὴ τρόπον καὶ περὶ πολιτείας καὶ περὶ στρατοπέδων διαληπτέον. πρὸς μὲν γὰρ τὰς ἔξωθεν ἐπιβουλὰς καὶ πολέμους πρόχειρος ὁ τρόπος τῆς παρασκευῆς καὶ βοηθείας τοῖς ἐφιστάνουσι, πρὸς δὲ τὰς ἐν αὐτοῖς γενομένας ἀντιπολιτείας καὶ στάσεις καὶ ταραχὰς δύσχρηστος ἡ βοήθεια καὶ μεγάλης ἐπιδεξιότητος καὶ διαφερούσης ἀγχινοίας δεομένη· πλὴν ἑνὸς παραγγέλματος, ὃ πᾶσιν ἁρμόσει, (δεῖ) καὶ στρατοπέδοις καὶ πόλεσι καὶ σώμασιν, ὡς ἐμὴ δόξα. τοῦτο δ’ ἐστὶ τὸ μηδέποτ’ ἐᾶν ἐπὶ πολὺ ῥᾳθυμεῖν καὶ σχολάζειν περὶ μηδὲν τῶν προειρημένων, ἥκιστα δ’ ἐν ταῖς εὐροίαις τῶν πραγμάτων καὶ ἐν ταῖς δαψιλείαις τῶν ἐπιτηδείων. 51 Die Quellen für den Besuch Scipios in Numidien sind Liv. 28,17,11–18,12. App., Ib. 30. 52 Nach Cic., rep. 6,9,9 war der jüngere Scipio in diesem Jahr Militärtribun und Manius Manilius Konsul, daraus ergibt sich das Jahr 149.

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paradigmatisch offenbarten, zeigt sich in dieser parallelen Reaktion des Scipio die moralische Überlegenheit Roms. Die Vorgeschichte, die zu dieser Meuterei im römischen Heer führte, ist bei Polybios nicht mehr erhalten, da der Text hier fragmentarisch ist, der Sachverhalt ist aber aus Parallelquellen bekannt.53 Schon aus Polybios geht indirekt hervor, dass hier ebenfalls enttäuschte Soldzahlungen zu der Meuterei führten.54 Laut Livius war Scipio zudem ernsthaft erkrankt.55 Die Meuterei bezeichnet Livius sogar als „Raserei unter den Bürgern“, erkennt also einen unnatürlichen Geisteszustand. 56 Polybios sieht das offenbar sehr ähnlich, denn er beschreibt in dem Zitat oben die anschließende Reaktion des Scipio als Medizin, die von einem Arzt angewendet wird. Die Analogie zum Arzt, der in dem oben zitierten Vergleich körperliche Beschwerden behandelt, besteht zunächst einmal in der dem Patienten, in Ruhezeiten und noch bevor es zu dem Leiden kommt, auferlegten Aktivität. Dieser Grundzustand war bereits durch die Feldzüge in Spanien sichergestellt. Auch die erfolgreiche Reaktion des Scipio auf die Meuterei zeichnet sich durch Rührigkeit aus. Zunächst verspricht Scipio unmittelbare Abhilfen der fehlenden Soldzahlungen.57 Er hält dann aber auch eine ausführlich wiedergegebene Rede, die im Kern auf den Unterschied zwischen einem Söldnerheer und einer Bürgerarmee sowie deren Patriotismus abhebt.58 Damit ist der Unterschied zu Karthago auf den Punkt gebracht. Vor allem aber greift Scipio mit selektiver und harter Bestrafung der Rädelsführer energisch durch, während er den Mitläufern Amnestie verspricht.59 Diese energische Bestrafung ist auch bei Livius der hauptsächliche Grund, warum es Scipio gelingt, die Meuterei abzuwehren.60 Scipio vergleicht in der von Livius entworfenen Version seiner Rede die Aufrührer außerdem als Menschen, die seelisch genauso schwer erkrankt sind, wie er selbst körperlich erkrankt war.61 Scipio tritt also bei beiden Autoren, die sich ausführlich zu der Episode äußern, wiederum als stoischer Weiser auf, der emotionslos, ohne persönliche Motive und rein auf die ihm zugetragene Aufgabe hin berechnet handelt. Da Polybios im Kontext der karthagischen Söldnerkriege einen sehr ähnlichen Vergleich zwischen dem kollektiven Geisteszustand des Heeres und körperlichen Geschwüren anführt (s.o.), ist es naheliegend, dass Polybios bewusst diese beiden Ereignisse kontrastieren will.62 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62

Liv. 28,24–29; App., Ib. 34–36. Cass. Dio 16,57,42; Zon. 9,10 (Dindorf, Bd. 3, 277–280). Pol. 11,25,9. Liv. 28,24,1. Eine Krankheit erwähnt auch App., Ib. 34,137. Liv. 28,24,5: ciuilis alius furor in castris ad Sucronem ortus („eine weitere Form der Raserei unter den Bürgern entstand im Heereslager bei Sucro“) und 6: motae autem eorum mentes sunt („ihre Gemüter wurden in Unruhe versetzt“). Pol. 11,25,8–26,7. Pol. 11,28f. geben die Rede angeblich wörtlich wieder, wobei insbesondere 11,28,7 den Unterschied zwischen Söldner- und Bürgerheer betont. Pol. 11,27,3f. und 30,1–5. Liv. 28,29,8–12. Liv. 28,29,3: insanistis profecto, milites, nec maior in corpus meum uis morbi quam in uestras mentes inuasit („Ihr seid wahrlich wahnsinnig geworden, Soldaten, und die Schwere der Krankheit ist nicht tiefer in meinem Körper als in eure Seelen eingedrungen“) sowie ähnlich 28,29,8. Pol. 1,81,5–11. Dazu ausführlich oben, S. 32.

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Den seelischen Zustand des römischen Heeres und die Fähigkeit des Kommandeurs, diesen durch eine Ansprache erfolgreich zu lenken, führt Polybios wiederum am deutlichsten am Beispiel des älteren Scipio aus:63 Aus diesem Grund ist es recht, dass Ihr mit zwei Beweggründen vor Augen, das heißt entweder zu siegen oder zu sterben, gegen die Feinde zu Felde zieht. Denn Menschen, die solche Ansichten haben, sind immer notwendigerweise denen überlegen, die sich ihnen entgegenstellen, wenn sie aus Verzweiflung am Leben in den Kampf ziehen.

Der unmittelbare Kontext ist die berühmte Schlacht von Zama 202 v. Chr., bei der Scipio Hannibal letztendlich besiegte und welche den zweiten Punischen Krieg somit beendete. Das gesamte Argument der Rede, der Polybios einen eigenen Abschnitt widmet, ist die relative Bedeutungslosigkeit des eigenen Lebens angesichts der Größe der Sache, der drohenden Kriegsgefangenschaft und der Ehrlosigkeit, die sich aus der Niederlage ergibt.64 Ein heroischer Tod ist also einem Leben in Schimpf und Schande vorzuziehen. Dieser Ansicht liegt also wiederum das Ideal des stoischen Weisen zugrunde, der sich von persönlichen Affekten frei macht, ausschließlich an das Allgemeinwohl denkt und dabei sogar den eigenen Tod als untergeordnetes Gut ansieht. Arthur M. Eckstein ist also sicherlich darin recht zu geben, dass Polybios das mutige Auftreten eines Kommandeurs in der Schlacht als aristokratisches Ideal ansieht.65 Die Rede enthält eine Reihe von Gemeinplätzen und ist auch deshalb kaum authentisch, also weder in der konkreten Ausgestaltung noch wahrscheinlich auch in der groben Richtung.66 Die in der Rede verwendete Wendung, „Herrschaft und Macht über den Rest der bewohnten Welt“ hat ihre direkte Parallele im vorausgehenden Abschnitt, in welcher Polybios auktorial die Schlacht von Zama als Entscheidungskampf (aus Sicht der Römer) „um die Vorherrschaft und Macht der ganzen Welt“ beschreibt. 67 Die Rede ist daher erkennbar aus der Rückschau konstruiert. Sehr ähnliche Worte verwenden im weiteren Verlauf des Geschichtswerkes die Gesandten des Seleukidenkönigs Antiochos III. nach der von diesem verlorenen Schlacht bei Magnesia 190/189 v. Chr. (unter der Leitung des älteren Scipio und seines Bruders L. Cornelius Scipio Asiaticus) sowie direkt im Anschluss eine Gesandtschaft aus Rhodos, das mit Rom gegen die Seleukiden verbündet war.68 Diese Worte, die wahrscheinlich ebenfalls unter die freie Gestaltungsmöglichkeit eines antiken Historikers fallen, zeigen die diplomatische Anerkennung Roms als Weltmacht in der östlichen Mittelmeerwelt des 63 Pol. 15,10,6f.: διόπερ ἠξίου δύο προθεμένους, ταῦτα δ’ ἐστὶν ἢ νικᾶν ἢ θνήσκειν, ὁμόσε χωρεῖν εἰς τοὺς πολεμίους. τοὺς γὰρ τοιαύτας ἔχοντας διαλήψεις κατ’ ἀνάγκην ἀεὶ κρατεῖν τῶν ἀντιταττομένων, ἐπειδὰν ἀπελπίσαντες τοῦ ζῆν ἴωσιν εἰς τὴν μάχην. 64 Pol. 15,10. 65 Eckstein (1995), 28–40 mit Diskussion relevanter Fälle und weiterer Diskussion sowie 44–55 zu der Rede des Scipio bei Zama und weiteren Fällen des heroic suicide. 66 Siehe dazu Walbank, Commentary, Bd. 2 (1967), 456. 67 Pol. 15,10,2: τῆς ἄλλης οἰκουμένης τὴν ἡγεμονίαν καὶ δυναστείαν und 15,9,2: περὶ τῆς τῶν ὅλων ἀρχῆς καὶ δυναστείας. 68 Pol. 21,16,8: „Vorherrschaft und Macht über die bewohnte Welt“ (τὴν τῆς οἰκουμένης ἀρχὴν καὶ δυναστείαν) und 21,23,4: die Götter haben „die ganze bewohnte Welt unter eure Kontrolle gestellt“ (πάντα τὰ κατὰ τὴν οἰκουμένην τεθεικότες [μὲν] ὑπὸ τὴν ὑμετέραν ἐξουσίαν).

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Hellenismus. Die Rede Scipios, aus der das obigen Zitat stammt, steht also genau im Mittelpunkt des Geschichtswerkes, das die Intention hat, eben zu zeigen, dass Rom zur Weltmacht aufstieg, sowie die Gründe, die dazu führten. Einer der Gründe war also die Überzeugungskraft Scipios. Genau das gleiche Argument, dass nämlich das Schicksal den Soldaten nur die Alternative lässt, heldenhaft zu siegen oder zu sterben, da eine Rückkehr aussichtslos ist und Kriegsgefangenschaft droht, schreibt Polybios auch einer ausführlich wiedergegebenen Rede des Hannibal zu.69 Hannibal sprach diese Worte demnach am Vorabend eines Gefechts am Ticinus in der Po-Ebene, nachdem er mit seinem Heer die Alpen überquert hatte. Scipio selbst, der eigens aus Spanien zurückgekehrt war, um Hannibal abzufangen, wurde bei diesem Gefecht schwer verwundet.70 Hannibal war auch in der sich anschließenden Schlacht an der Trebia gegen Tiberius Sempronius Longus erfolgreich und konnte somit weiter auf Rom zumarschieren. Polybios führt damit also aus, wie er sich die Fähigkeiten Hannibals als Kommandeur nach der erfolgten Überquerung der Alpen (s.o.) etwa vorstellte, also die dort erwähnte Fürsorge, die zur seelischen Heilung führt. Scipio und Hannibal erscheinen als weitgehend gleich befähigt. Das vorgebrachte Argument steht topisch für den militärischen Sieg, ein Vorteil besteht, wenn Flucht und individuelle Rückkehr aussichtslos sind. Wie bereits erwähnt, war ein solch heroischer und tapferer Tod überhaupt der Ausweis eines guten Lebens, insbesondere für führende politische Amtsträger und Herrscher.71 Hier spiegeln sich also wiederum Stereotypen in der Charakterzeichnung, die das gesamte Buch gedanklich durchziehen und sich auf Ansichten der stoischen Philosophie zurückführen lassen. In einem ganz anderen Kontext, einer römischen Intervention unter dem Consul Quintus Opimius 154 v. Chr. für die verbündete griechische Kolonie Massilia (Marseille) gegen lokale ligurische Stämme, beschreibt Polybios ebenfalls einen außerordentlichen Kampfeswillen der Ligurer, da diese zuvor die römischen Gesandten misshandelt hatten und sich somit in einem gegenseitigen Vernichtungskrieg wähnten. 72 Allerdings „wiesen sie einen geradezu irrationalen Kampfgeist auf und ein rasender Drang erfüllte sie“.73 Der verwendete Begriff horme (etwa: Drang, Vorwärtsbewegung, seelischer Anstoß) spielt im Diskurs der stoischen Affektenlehre eine Rolle.74 Da es sich also um nichtgriechische und nichtrömische Stämme handelt, die zudem keine Gefahr für das römische Reich darstellten, sind es hier gerade die überschießenden Emotionen, die sie zwar gefährlich machen, aber auch in ihrem Widerstandsgeist irrational handeln lassen. Die makedonische Kriegsführung, vor allem unter Philipp V., dessen Politik am Rande des Abgrundes den Konflikt mit Rom verschärfte, stellt Polybios 69 Pol. 3,63,3–14. 70 Pol. 3,66,2. 71 Siehe etwa oben, S. 164, sowie besonders Pol. 32,4,3 zum Tod des Lykiskos von Stratos, dessen politische Ermordung ausdrücklich im Gegensatz zu der sonst negativen Bewertung seines Lebens steht. 72 Pol. 33,10,5f. und 10 mit dem weiteren Kontext von Pol. 33,8–10. 73 Pol. 33,10,5: παραλόγῳ τινὶ χρησάμενοι θυμῷ καὶ λαβόντες ὁρμὴν παραστατικήν. 74 Chrysippos, Stoicorum veterum fragmenta, Bd. 3, Nr. 169–177, S. 40–42.

4.1 Das Idealbild des Kommandeurs und seine Entartung bei Polybios

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dagegen ganz anders dar, bezeichnet sie an einer Stelle sogar als „Wahnsinn“. Der Hintergrund ist, dass Philipp sich vor den einmarschierenden römischen Truppen des Titus Quinctius Flamininus nach Thessalien zurückzog und dabei eine Politik der verbrannten Erde verfolgte. In der Folge gelang es Flamininus, immer mehr griechische Städte auf seine Seite zu ziehen, wie besonders an der Konferenz von Lokris des Jahres 198 deutlich wird, über die Polybios zu Beginn von Buch 18 berichtet. Einer der Konferenzteilnehmer, ein sonst unbekannter Alexandros von Isos, den Polybios in indirekter Rede zitiert, sieht die Absichten Philipps besonders kritisch:75 Doch einerseits die Ziele zu zerstören, um derentwillen man doch eigentlich den Krieg unternommen hatte, und andererseits den Krieg selbst aufzugeben sei das Werk des Wahnsinns, und zwar eines gewaltigen Wahnsinns, und doch sei es dies, was Philipp gerade praktiziere.

Alexandros vertritt dabei den mit Rom verbündeten Aitolischen Bund.76 Natürlich stellte sich ihm das Vorgehen Philipps, bei seinem Rückzug vor den Römern die bereits eroberten Städte vor der Aufgabe in Brand zu stecken, als historisch besonders verurteilungswürdig dar. Sein Vergleich mit den früheren makedonischen Königen, die sich allesamt dieser Praxis enthalten haben, vor allem mit Alexander dem Großen, dient aber auch dazu, die militärische und politische Ungeschicklichkeit Philipps V. anzuprangern. Dieser hat nicht nur unmoralisch gehandelt, sondern auch seine Verbündeten verprellt und somit die Verantwortung für die anschließende entscheidende makedonische Niederlage in der Schlacht von Kynoskephalai 197 v. Chr. in Thessalien zu tragen. Ähnlich wie die Schlacht von Zama stellt auch diese Schlacht einen Wendepunkt dar, der den zunehmenden Verlust der Unabhängigkeit der griechischen Staatenwelt markiert. Die bei Livius überlieferte römische Position gegenüber dem Sachverhalt stellt sich dagegen für Philipp vorteilhafter dar. Zwar schien Philipp dies ein „scharfes Vorgehen“ zu sein, doch habe er so gehandelt, weil er die Menschen in dieser Gegend, die mit ihm verbündet waren, dazu bringen wollte, sich ihm anzuschließen, nachdem ihre Heimat in Schutt und Asche war.77 Livius präsentiert dieses Vorgehen also als rationalen Entschluss, also gerade nicht als „Wahnsinn“, wie Polybios schreibt. Plutarch bewertet den Sachverhalt zwar anders, nämlich so, dass Philipp die Menschen in dieser Gegend in die Berge vertreiben wollte (wohl damit sie sich nicht den Römern anschließen konnten) und die Beute lieber den eigenen Truppen als den Römern überlassen wollte, aber eben doch auch als rationale Handlung.78 Die Rede des Alexandros bei der Konferenz von Lokris ist politisch zugespitzte Selbstdarstellung gegen Philipp V., zeigt aber auch die Innensicht der mit Rom verbündeten Griechen. Da die Bemerkung wiederum am Vorabend einer Entscheidungsschlacht für eine Region des Mittelmeerraumes fällt, spiegelt sie die von Polybios allgemein verwendete Ideologie

75 Pol. 18,3,8: τὸ δ’ ἀναιροῦντα περὶ ὧν ὁ πόλεμός ἐστι τὸν πόλεμον αὐτὸν καταλιπεῖν μανίας ἔργον εἶναι, καὶ ταύτης ἐρρωμένης, ὃ νῦν ποιεῖν τὸν Φίλιππον. 76 Pol. 18,4,1. 77 Liv. 32,13,8: acerba mit 32,13,5. 78 Plut., Flamininus 5,3.

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4 Psychologie der Kriegsführung

des „seelisch gesunden“ Staatswesens bzw. des Gegenbeispiels, das hier Makedonien unter Philipp V. vertritt. Explizite Charakterzeichnungen, die auf militärische Fähigkeiten eingehen, sind darüber hinaus bei Polybios selten. Es ist wenig überraschend, dass die in dieser Hinsicht fähigen Personen in einer Bündnisbeziehung zu Rom stehen. So schreibt er über ein Mitglied des Achaiischen Bundes, der zu dieser Zeit auf Seiten Roms stand:79 „Deinokrates von Messene war nicht nur in Hinblick auf seine praktische Erfahrung, sondern auch aufgrund natürlicher Anlage ein Mann, der für den Hof und als Soldat befähigt war“.80 Wie im Weiteren ausgeführt, war er sowohl im Einzelkampf als auch im gesellschaftlichen Umgang am Hof begabt, als Politiker aber, auch als Redner, unbegabt.81 Ähnlich wie Scipio vereinte er also mehrere Fähigkeiten auf sich. In seiner politischen Voraussicht glich er dennoch einem Tyrannen, da er statt an die weiteren Folgen seiner Handlungen zu denken, sich für Trinkexzesse, Affären und Theater interessierte.82 Entsprechend war Deinokrates mit Titus Quinctius Flamininus befreundet, letzterer wies aber die Bestrebungen des Deinokrates nach einer Unabhängigkeit von Messene zurück, und zwar weil er laut Polybios einen zu leichtfertigen Lebenswandel hatte.83 Die Charakterzeichnung dient also der politischen Begründung von Bündnisentscheidungen. Sehr ähnlich, nämlich als „Soldaten von Natur aus“ und noch dazu als „jemanden, der Gemeinsinn hat, was selten vorkommt“ charakterisiert Polybios den Aristonikos, einen Hofeunuchen des Ptolemaios V. Epiphanes.84 Der Text ist nur fragmentarisch in der Suda überliefert, der Kontext daher unklar, spielt aber ungefähr auf das Jahr 190 v. Chr. an.85 Generell stand Rom im zweiten Makedonisch-Römischen Krieg (200–197) auf Seiten des Ptolemäerreiches, welches durch Makedonien bedroht war. Die diplomatischen Beziehungen zu Rom waren jedoch in den späten 190er Jahren schwierig, da Ptolemaios im fünften Syrischen Krieg mit dem Seleukidenkönig Antiochos III. zu einem separaten Friedensvertrag ohne römische Beteiligung gekommen war.86 Die Bemerkung spielt also wohl auf die relative Unabhängigkeit an, die sich das Ptolemäerreich längere Zeit bewahren konnte, als der überwiegende Teil der hellenistischen Staatenwelt nach der Schlacht von Kynoskephalai zunehmend unter römischen Einfluss geriet. Das Charakterbild zeigt jedenfalls, dass das Zusammentreffen dieser beiden Eigenschaften, militärisches Geschick und Gespür für die Belange des Gemeinwesens, also von Eigenschaften, die für die Scipionen charakteristisch sind, laut Polybios sonst selten anzutreffen ist. 79 Pol. 23,5,1–3 schildert die Beziehungen zu Rom. Zur Person siehe Linda-Marie Günther, Deinokrates [2], DNP 3 (1997), 370. 80 Pol. 23,5,4: Ὅτι Δεινοκράτης ὁ Μεσσήνιος ἦν οὐ μόνον κατὰ τὴν τριβήν, ἀλλὰ καὶ κατὰ τὴν φύσιν αὐλικὸς καὶ στρατιωτικὸς ἄνθρωπος. 81 Pol. 23,5,5–8. 82 Pol. 23,5,9; ähnlicher Topos in 5,34,10. 83 Pol. 23,5,10–18. Ähnlich: Plut., Flamininus 17,6. 84 Pol. 22,22,3 und 4 = Suda, alpha 3925 Adler: φύσει στρατιωτικὸς ... τὸν κοινὸν νοῦν εἶχεν, ὃ σπάνιόν ἐστι. 85 Zur Person siehe Johannes Kirchner, Aristonikos 8, RE 2.1 (1895), 961. 86 Siehe Schmitt (1964), 261.

4.2 Körper-Seele-Metaphorik bei Diodor

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Zusammenfassend zeigt sich, dass sich Polybios in vielschichtiger Weise für die Psychologie der Kriegsführung interessierte und dabei insbesondere Elemente der stoischen Affektenlehre für seine Darstellung heranzog. Im Rahmen dieser Kategorisierung von „Seelengröße“ und von „Wahnsinn“ mit ihren jeweiligen Auswirkungen auf die weitere Gemeinschaft äußert sich Polybios öfters kritisch gegenüber der hellenistischen Welt des Ostens, sofern sich diese von Rom distanzierte bzw. sich mit Rom verfeindete. Die kommende Sektion wird zeigen, dass auch Diodor in Schlachtenbeschreibungen und Charakterbildern von militärischen Kommandeuren deutlich Partei nimmt, und zwar zugunsten der griechischen, insbesondere der westgriechischen Poliswelt. 4.2 KÖRPER-SEELE-METAPHORIK BEI DIODOR Zumindest in zwei Sätzen seines Geschichtswerkes beschreibt Diodor explizit, wie sich die Seele bzw. der Verstand eines militärischen Kommandeurs zu der Schlagkraft des Heeres verhält und kommt dabei zu einer ähnlichen Einschätzung wie Polybios. Diese Sätze sind verschiedenen Büchern entnommen, haben aber eine sehr ähnliche Aussage, die als Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen zu militärischen Bildern von Körper und Seele bei Diodor dienen soll:87 Denn es ist nicht verwunderlich, wenn die Auffassungsgabe eines Kommandeurs und seine Erfahrung in praktischen Angelegenheiten Schwierigkeiten überwand, die unmöglich schienen. Denn durch die Auffassungsgabe wird alles möglich und durchführbar, denn Kunstfertigkeit übertrumpft überall rohe Gewalt. Denn wie der Körper der Sklave der Seele ist, so unterwerfen sich große Streitkräfte der Urteilskraft ihrer Anführer. [...] und er zeigte allen Menschen, dass der Geist dem Körper in gleicher Weise den Erfolg bringt, wie die Person, welche den Oberbefahl hat, der Armee.

Der Kommandeur ist also gleichsam der beseelte und verständige Teil des Körpers der von ihm befehligten Armee, und jede militärische Herausforderung ist durch seine Intelligenz lösbar. Der erste zitierte Abschnitt wird in der neueren Edition von Paul Goukowsky geringfügig anders angeordnet als in der Loeb-Ausgabe von Francis R. Walton, da die byzantinischen Exzerptsammlungen dieses Fragment teilweise ohne Kontext überliefern. Die Eclogae Hoeschelianae von 1603, die nach eigenen Angaben auf einer heute verlorenen Handschrift beruhen, und die beiden genannten modernen Herausgeber ordnen es allerdings übereinstimmend in den Kontext der erfolglosen römischen Invasion Nordafrikas 256–255 v. Chr. unter

87 Diod. 23,15,10–11 Walton = 23,16bis,3 Goukowsky: Οὐδὲν γὰρ θαυμαστὸν εἰ στρατηγοῦ σύνεσις καὶ πραγμάτων ἐμπειρία τῶν ἀδυνάτων δοκούντων περιεγένοντο. πάντα γὰρ τῇ συνέσει βάσιμα καὶ δυνατὰ γίνεται τῆς τέχνης ἐν πᾶσι χειρουμένης τὴν βίαν. Καθάπερ γὰρ τὸ σῶμα τῆς ψυχῆς ἐστι δοῦλον, οὕτως αἱ μεγάλαι δυνάμεις τῇ τῶν ἡγεμόνων ὑπείκουσι φρονήσει. Ähnlich Diod. 23,16ter a–b Goukowsky. Diod. 29,19,1 Walton = 29,22 Goukowsky: καὶ πᾶσιν ἔδειξεν ὅτι καθάπερ ἐπὶ τοῦ σώματος ὁ νοῦς, οὕτως ἐπὶ στρατεύματος ὁ τὴν ἡγεμονίαν ἔχων ποιεῖ τὰ κατορθώματα.

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4 Psychologie der Kriegsführung

Marcus Atilius Regulus während des zweiten Punischen Krieges ein. 88 Die so gewürdigte strategische Leistung fällt somit nicht auf Atilius, sondern vielmehr auf seinen Widersacher auf Seiten Karthagos zurück, nämlich auf Xanthippos, der selbst aus Sparta stammte und von den Karthagern gegen Sold zum Befehlshaber der Söldnertruppen eingesetzt wurde.89 Laut Diodor verdankte Xanthippos dies „der ihm eigenen Exzellenz“, die im Gegensatz steht zu „der Torheit und der Arroganz des Atilius“.90 Da Diodor außerdem hervorhebt, dass Xanthippos selbst ein Söldner war, steht diese Darstellung im Gegensatz zu Polybios, der – wie oben gezeigt – grundsätzlich im Söldnerwesen die Schwäche Karthagos sieht, im Bürgerheer dagegen die Stärke Roms.91 Die militärische Leistung des Xanthippos erkennt Polybios gleichwohl an, und zwar in einer Sentenz, die mit dem oben zitierten Abschnitt von Diodor vergleichbar ist. Diodor und Polybios beruhen wahrscheinlich beide auf dem früheren Geschichtswerk des Philinos von Agrigent, dennoch ist Polybios distanzierter, denn er greift lediglich ein Zitat aus Euripides auf:92 Und zwar erhielt das Wort, das, wie mir scheint, von Euripides vor langer Zeit schön gesprochen wurde, dass nämlich ein weiser Ratschluss viele Hände übertrifft, durch die Taten selbst seinen Beweis. Denn ein einziger Mensch und ein einziger menschlicher Geist zerstörte die große Masse, obschon sie unbesiegbar und fähig zu sein schien, und führte das Gemeinwesen, das offenkundig völlig abgestürzt war, sowie die abgestumpften Seelen seiner Streitkräfte auf den Weg der Besserung.

Die Einzelleistung des Xanthippos streicht Polybios also ebenso heraus, sieht darin im Unterschied zu Diodor aber keinen allgemeinen Grundsatz, dass Streitkräfte immer nur so gut sind, wie der Wille des Einzelnen, der sie befehligt. Das karthagische Söldnerheer bleibt bei Polybios grundsätzlich unterlegen. Diodor bezieht dagegen auch den zweiten oben zitierten Abschnitt auf Karthago, genauer gesagt auf Hannibal. Im Kontext weist Diodor ebenfalls darauf hin, dass Hannibal lediglich ein Söldnerheer befehligt und dass es ihm dennoch gelang, diese Söldner als harmonisches Ganzes zu ordnen, das sich außerdem gegenüber Hannibal genauso loyal verhielt, 88 Zu den Eclogae Hoeschelianae siehe Chamoux, Bertrac, Vernière, Diodore, Bd. 1, S. cxxxvii–cxxxviii. Zur Anordnung innerhalb der modernen Editionen oben, ad locum. 89 Linda-Marie Günther, Xanthippos [4], DNP 12.2 (2002), 603; Alfred S. Bradford, A Prosopography of Lacedaemonians from the Death of Alexander the Great, 323 B.C. to the Sack of Sparta by Alaric, A.D. 396, München 1977, 314. Quellen sind Pol. 1,32–36; Diod. 23,14–16. 90 Diod. 23,15,5 Walton = 23,16,5 Goukowsky: τῇ καθ’ ἑαυτὸν ἀρετῇ und 23,15,1 Walton = 23,16,1 Goukowsky: τὴν ἀφροσύνην καὶ τὴν ὑπερηφανίαν τὴν Ἀτιλίου. 91 Diod. 23,15,7 Walton = 23,16bis,2 Goukowsky: „Xanthippos, ein Kommandeur und Söldner aus Sparta“ (Ξανθίππου Σπαρτιάτου στρατηγοῦ μισθοφόρου) und siehe oben, S. 153–156. 92 Pol. 1,35,4f.: καὶ μὴν τὸ παρ’ Εὐριπίδῃ πάλαι καλῶς εἰρῆσθαι δοκοῦν ὡς ἓν σοφὸν βούλευμα τὰς πολλὰς χεῖρας νικᾷ τότε δι’ αὐτῶν τῶν ἔργων ἔλαβε τὴν πίστιν. εἷς γὰρ ἄνθρωπος καὶ μία γνώμη τὰ μὲν ἀήττητα πλήθη καὶ πραγματικὰ δοκοῦντ’ εἶναι καθεῖλεν, τὸ δὲ προφανῶς πεπτωκὸς ἄρδην πολίτευμα καὶ τὰς ἀπηλγηκυίας ψυχὰς τῶν δυνάμεων ἐπὶ τὸ κρεῖττον ἤγαγεν. Das Euripides-Zitat entstammt der verschollenen Antiope: frg. 220 Nauck, TGF, S. 425 = Kannicht, TGF, Bd. 5.1, S. 303. Zur gemeinsamen Quelle, Philinos von Agrigent (BNJ 174), siehe Goukowsky, Diodore de Sicile, Fragments, Bd. 2, 2006, 82–84 mit weiterer Literatur und Quellenangaben in den Anmerkungen.

4.2 Körper-Seele-Metaphorik bei Diodor

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wie ein Bürgerheer, und nicht die Eigenschaft von Söldnern teilte, beim geringsten Anlass zu desertieren.93 Indirekt sieht Diodor also ebenfalls die Nachteile des karthagischen Militärs, die allerdings angesichts der Genialität Hannibals keine Rolle spielen. Im Weiteren tritt daher auch die Kongenialität des älteren Scipio, dem es trotz allem gelang, Hannibal zu besiegen, umso deutlicher hervor.94 Ähnliche sentenzenhafte Bemerkungen zur Bedeutung des Kommandeurs als Verstand und Seele des Körpers der von ihm befehligten Armee finden sich bei Diodor allerdings nicht mit Blick auf das römische Heer. Sie zeigen also nicht nur, dass Diodor einen eindeutigen Primat der Seele vor dem Körper sieht, sondern auch, dass er den Gegensatz zwischen Bürger- und Söldnerheer offenbar geringer gewichtete als Polybios, denn am Ende kommt es bei ihm nur auf das Geschick des Befehlshabers an. 95 Daher finden sich bei Diodor darüber hinaus nur wenige Textstellen, die den militärischen Befehlshaber schematisch für den Erfolg seiner Truppen verantwortlich machen, insbesondere wenn man Rom und Karthago vergleichend betrachtet. So gelang es Marcus Furius Camillus während seiner ersten Diktatur im Jahre 396 v. Chr. gemeinsam mit dem magister equitum Publius Cornelius, im Krieg gegen die etruskische Stadt Veii (nahe Rom) die römischen Truppen „wiederherzustellen“.96 Furius Camillus war in der späteren Tradition eine dominierende Figur des frühen 4. Jahrhunderts, unter anderem wurde ihm sein erster Triumph im Anschluss an die Eroberung gewährt und er galt Livius als zweiter Gründer Roms.97 Allein daran wird deutlich, dass Diodor diese Eigenschaft sparsam verwendet. Der einzige weitere relevante Beleg aus dem römischen Kontext sind bereits einige Fragmente aus Buch 33. Diese Fragmente sprechen zudem das Verhältnis von Körper und Seele in diesem militärischen Kontext an, sind es daher wert, in voller Länge zitiert zu werden:98 Er kam zu dem Urteil, dass es für sie besser wäre, während des Kampfes und vor aller Augen zu sterben, als ihre Körper waffenlos in schändlichste Sklaverei zu übergeben.

93 Diod. 29,19,1 Walton = 29,22 Goukowsky. 94 Diod. 29,20f. Walton = 29,23f. Goukowsky. 95 So ist wohl auch Diod. 13,52,5f. zu deuten, wo der Spartaner Endios während des Peloponnesischen Krieges nach der Niederlage von Kyzikos 410 v. Chr. den Athenern gegenüber gerade deren Bürgerheer als unterlegen im Krieg gegen das spartanische Heer beschreibt, welches demnach durch Soldzahlungen im Vergleich motivierter ist. Die spartanischen und athenischen Heere waren grundsätzlich Bürgerheere, während des Peloponnesischen Krieges hatten jedoch beiden Seiten damit begonnen, auch Söldner anzuwerben, siehe dazu Peter Connolly, Greece and Rome at War, London 1998, 48. 96 Diod. 14,93,2: ἀναλαβόντες. Walter Eder, Furius [I 13], DNP 4 (1998), 715f. 97 Diod. 14,93,3; Liv. 7,1,10. 98 Diod. 33,25f. Walton = 33,33–35 Goukowsky: Ἔκρινε κρεῖττον εἶναι μαχομένους ἀποθανεῖν ἐπιφανῶς ἢ γυμνὰ τὰ σώματα τῶν ὅπλων εἰς τὴν αἰσχίστην παραδοῦναι δουλείαν. Ὁ δὲ Ἰούνιος παρακαλέσας τοὺς στρατιώτας, εἰ καί ποτε, νῦν ἀνδραγαθῆσαι καὶ τῶν προγεγονότων κατορθωμάτων ἀξίους φανῆναι. ὅμως οὐκ ἔκαμνον ταῖς ψυχαῖς, κατισχύοντος τοῦ λογισμοῦ τὴν τῶν σωμάτων ἀσθένειαν. Ὅτι διεδόθη ἡ τῶν Ῥωμαίων πρὸς μὲν τοὺς ἀντιπραττομένους ἀπαραίτητος τιμωρία, πρὸς δὲ τοὺς πειθαρχοῦντας ἡ τῆς ἐπιεικείας ὑπερβολή.

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4 Psychologie der Kriegsführung Iunius forderte die Soldaten dazu auf, jetzt stark zu sein, und zwar mehr als jemals zuvor, und sich den Erfolgen früherer Generationen als würdig zu erweisen. [...] Trotz alledem waren sie seelisch unbelastet, denn ihr Verstand behielt die Oberhand über die schwache Natur ihrer Körper.

Die Auslassungszeichen deuten auf einen Textausfall in dem byzantinischen Exzerpt hin, welches die Fragmente als einziges überliefert.99 Die drei durch Absatzmarken getrennten Fragmente sind jedenfalls im Zusammenhang überliefert und beziehen sich alle auf den dort erwähnten Iunius. Sicher gemeint ist Decimus Iunius Brutus Callaicus.100 Denn alle Fragmente von Buch 33 stehen in Zusammenhang mit dem römischen Kampf gegen den lusitanischen Widerstandskämpfer Viriatus in Spanien etwa ab dem Jahre 140 v. Chr.101 Iunius Brutus Callaicus war als Consul des Jahres 138 v. Chr. in den Krieg gegen Viriatus involviert und blieb bis 136 v. Chr. in Spanien. Für die Feldzüge des Iunius ist Appian die wichtigste Parallelquelle, allerdings erlaubt auch diese es nicht, den Kontext genauer zuzuordnen.102 Das erhaltene Material erlaubt nur den Schluss, dass Iunius seine Soldaten während einer aufreibenden Schlacht im Spanischen Krieg dazu ermahnte, sich an die vorausgegangenen Erfolge insbesondere in den Punischen Kriegen zu erinnern. Wir hatten bereits gesehen, dass der ältere Scipio im Kampf gegen Hannibal in Nordafrika nach der Darstellung des Polybios sich ähnlicher rhetorischer Strategien bediente, nämlich darauf hinzuweisen, dass fern von Rom eine Flucht nicht aussichtsreich sei und dass außerdem die öffentliche Meinung auf dem Spiel stehe.103 Der ehrenhafte Tod „vor aller Augen“ sei daher die bessere Alternative zur Flucht. Der letzte Satz des Zitats oben könnte sich dabei in direkter Rede auf die Leistungen des römischen Heeres etwa im zweiten Punischen Krieg beziehen, denn die Aussage spielt auf eine besonders verzweifelte Situation an, die wahrscheinlich nicht zum Spanischen Krieg selbst passt, sondern als Leitbild in der gegenwärtigen Situation dienen soll, dass also der Verstand sich von körperlichen Zwängen befreien soll. Auf karthagischer Seite lassen sich sogar überhaupt keine weiteren Belege dafür finden, dass Diodor den Erfolg des Heeres schematisch der Fähigkeit seines Feldherrn zuschreibt. Die Würdigung des Spartaners Xanthippos, der im Alleingang das karthagische Söldnerheer zum Sieg führte, fällt somit umso deutlicher aus. Die Fähigkeiten einzelner karthagischer Kommandeure werden dennoch gewürdigt. So besaß Hamilkar Barkas laut Diodor die bereits mehrfach angesprochene 99 Dies ist bereits im kritischen Apparat von Excerpta de sententiis 394 (Boissevain, 383) vermerkt. So auch Goukowsky, Diodore de Sicile, Fragments, Bd. 4, Paris 2014, 40, ad locum. 100 Karl-Ludwig Elvers, Iunius [I 14] Brutus Callaicus, D., DNP 6 (1999), 62. 101 Zur Person: Dirk Rohmann, Viriatus, DNP 12.2 (2002), 244 (mit weiterer Literatur). Zum Inhalt von Buch 33: Goukowsky, Diodore de Sicile, Fragments, Bd. 4, Paris 2014, 3–7. 102 App., Ib. 71–73. Goukowsky, Diodore de Sicile, Fragments, Bd. 4, Paris 2014, 40, Anm. 130 denkt bei dem folgenden Fragment 35 an die in App., Ib. 73 geschilderte Unterwerfung der wiederholt aufständischen Stadt Talabriga wohl im Jahre 136 v. Chr. Das zitierte Fragment spielt aber kam darauf an, da Appian keine Schwierigkeiten auf Seiten des römischen Heeres beschreibt, welche die Rede des Iunius rechtfertigten. 103 Siehe oben, S. 164.

4.2 Körper-Seele-Metaphorik bei Diodor

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„Größe der Seele“ sowie eine herausragende Intelligenz und war als Regent und als Krieger gleichermaßen befähigt.104 Dabei verwendet Diodor bezeichnenderweise einen Vers aus Homers Ilias über Agamemnon, er vergleicht also Hamilkar mit dem Anführer der Griechen gegen Troja.105 Diodor mag es ein Anliegen gewesen sein, griechische Tugenden als Vorbild für einen der größten karthagischen Anführer zu präsentieren. Dieses Charakterbild ist wiederum nur fragmentarisch erhalten, der weitere Kontext ist aber das Jahr 247 oder 246, als Hamilkar zum Ende des ersten Punischen Krieges an der sizilischen Nordküste das Bergmassiv Heirkte (wahrscheinlich Monte Pellegrino) bei Panormos besetzte und die Stadt Eryx einnahm.106 Dadurch fügte er den Römern auf Sizilien einige Niederlagen zu. Diodor setzt das Charakterbild also anscheinend ein, um einen Sachverhalt aufzuhellen, der ihn als Westgriechen besonders betraf. In diesen weiteren Fragmenten ist vor allem davon die Rede, dass Hamilkar erfolgreich war, indem er Taktiken einsetzte, die er niemandem verriet, um somit Spionage durch Deserteure zu verhindern.107 Insgesamt ist es also sehr selten, dass Diodor auf die charismatischen Eigenschaften eines Feldherrn oder auf den seelischen Zustand von Soldaten eingeht, wenn er über Rom oder Karthago berichtet, auffallend häufig sind solche Beschreibungen jedoch für die griechische Welt. Wie bereits in Kapitel drei ausführlich dargestellt, nimmt Diodor eine westgriechische Perspektive ein, indem er die Fähigkeiten des aus seiner Sicht letzten großen Feldherrn der freien griechischen Welt, Epameinondas, dessen Ausbildung in der pythagoreischen Philosophie zuschreibt.108 In diesem Kontext nennt Diodor aber auch die ebenfalls sehr erfolgreichen thebanischen Kommandeure Pelopidas und Gorgidas.109 Diodor zählt diese zu den „guten Herrschern und Kommandeuren“ der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts v. Chr. und macht sie für den „geistigen Höhenflug“ der Thebaner verantwortlich.110 Grundsätzlich führt Diodor diese positive Wirkung auf rhetorische Begabung zurück. So gelingt es in anderen Kontexten sowohl einem sonst unbekannten Theodoros um 396 v. Chr. als auch Timoleon (ursprünglich aus der Mutterstadt Korinth) im Jahr 340/39 jeweils in Syrakus, die Bewohner und Bundesgenossen durch ihre rhetorische Begabung erfolgreich auf den Krieg gegen Karthago vorzubereiten. Im Fall des Theodoros spricht Diodor außerdem davon, dass „die Syrakusaner seelisch aufgebaut wurden“.111 Die sizilische Heimat steht wieder im 104 Diod. 24,5,1 Walton = 24,6 Goukowsky: τὴν λαμπρότητα τῆς ψυχῆς mit 24,5,2 Walton = 24,7 Goukowsky. Ähnlich positiv ist das hier wohl zumindest teilweise zugrunde liegende Bild des Hamilkar bei Polybios (1,56–87), siehe dazu Eckstein (1995), 174–177. 105 Hom., Il. 3,179. 106 Pol. 1,56–58. Zur Einordnung der weiteren Fragmente Diodors 24,7,1–9,1 Walton = 24,8b–d und 9 Goukowsky siehe Goukowsky, Diodore de Sicile, Fragments, Bd. 4, Paris 2006, 260, Anm. 93 sowie zu den zugrundeliegenden Quellen 82–93 und 119f. 107 So besonders in Diod. 24,7,1f. Walton = 24,8b Goukowsky. 108 Diod. 15,39,2; Siehe Kapitel drei, S. 123f. oben. 109 Mischa Meier, Gorgidas, DNP 4 (1998), 1153; Hans Beck, Pelopidas, DNP 9 (2000), 499f. 110 Diod. 15,39,1: μετέωροι τοῖς φρονήμασιν ... ἀγαθοὺς ἡγεμόνας καὶ στρατηγοὺς. 111 Diod. 14,70,1: Συρακόσιοι μετέωροι ταῖς ψυχαῖς ἐγένοντο; 16,78,1. Robert Develin, Athenian Officials 684–321 BC, Cambridge 1989 u.ö., 338 datiert das Jahr des Archonten Theophrastos in Diod. 16,77,1 auf 340/39. Der in Diod. 14,63,3 und 14,70,2 genannte Pharakidas ist

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4 Psychologie der Kriegsführung

Mittelpunkt. Im Kontext des entscheidenden Sieges von Philipp II. über die Athener und Thebaner in der Schlacht von Chaironeia im Jahr 338 v. Chr. schreibt Diodor den militärischen Erfolg der Erfahrung Philipps bzw. die Niederlage dem vorausgehenden Tod der fähigen Generäle auf Seiten Athens zu. 112 Er sieht also hier wie anderswo eine grundsätzliche Überlegenheit Athens und der Bundesgenossen bzw. der demokratischen Ordnung und lediglich ungünstige Umstände am Werk.113 In eine ganz ähnliche Richtung weist eine Schlachtenbeschreibung von Halikarnassos im Jahre 334 v. Chr., als Memnon von Rhodos, den die Perser als Söldner angeheuert hatten, sich am Ende erfolglos gegen die Armee Alexanders des Großen verteidigte.114 Die Verteidiger „wurden durch die Appelle ihrer Befehlshaber wieder in ihren Seelen ermutigt und erfrischt“.115 Es ist unklar, wer mit den hegemonoi („Befehlshabern“) gemeint ist, der Grieche Memnon von Rhodos ist aber zumindest mitgemeint. In diesen Abschnitten scheint also wortwörtlich der freiheitliche Geist der Stadtstaaten auf. Zuvor erwähnt Diodor außerdem die megalopsychia („Seelengröße“) der persischen hegemonoi (Satrapen), die sich deswegen weigern, die von Memnon vorgeschlagene Strategie der verbrannten Erde gegen die Makedonen zu übernehmen.116 Insgesamt sind die Beschreibungen der Kampfmoral verschiedener historischer Armeen bei Diodor zahlreich, ohne dass sich jedoch ein Verweis auf die Verantwortung der Befehlshaber findet.117 Diodor setzt also die diskutierte psychologische Koppelung der Befehlshaber an die „Seele“ der Armee spärlich ein, und zwar meistens aus einer westgriechischen Perspektive heraus, um griechische, insbesondere westgriechische Erfolge hervorzuheben. Eine spezifische Parteinahme Diodors zeigt sich auch in seinen Beurteilungen bestimmter Kriegssituationen als Wahnsinn. Eine didaktische Funktion wird etwa im Kontext der Eroberung von Selinunt im Jahre 409 v. Chr. deutlich. Die sizilische Stadt Selinunt hatte zuvor in anhaltenden Konflikten mit ihrer Nachbarstadt Segesta diese erobert und Segesta sich anschließend mit Karthago verbündet. Für Diodor

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wahrscheinlich identisch mit dem andernorts belegten spartanischen Nauarchen Pharax. Winfried Schmitz, Pharax [1], DNP 9 (2000), 739, gibt als Datum für diese Episode 396/5 an. Diod. 16,85,7. Ebenso verändert sich in Diod. 14,104,4 die Kampfmoral der italischen Griechen nach dem Tod ihres strategos gegen die sizilischen Griechen. Umgekehrt wird die Gegenseite gestärkt, sobald die Nachricht des Todes des Befehlshabers eintritt, so die Westgriechen nach dem Tod des Hamilkar (Sohn des Hanno) in der Schlacht von Himera 480 v. Chr. (Diod. 11,22,3) und im Anschluss sehr ähnlich die Griechen nach dem Tod des persischen Feldherrn Mardonios in der bedeutenden Schlacht von Plataiai 479 v. Chr. (Diod. 11,31,1–3 wieder mit direkter Referenz zu den Seelen: 11,31,2: εὐψύχως, ταῖς ψυχαῖς). Diodor stellt also den Erfolg der Westgriechen auf eine Stufe mit dem Abwehrkampf der Griechen in den Perserkriegen. Ernst Badian, Memnon [3], DNP 7 (1999), 1204f. Diod. 17,25,4: διὰ τῆς ὑπὸ τῶν ἡγεμόνων παρακλήσεως πάλιν θαρροῦντας καὶ νεαροὺς ταῖς ψυχαῖς γινομένους. Diod. 17,18,3. Namentlich erwähnt sind diese hegemonoi in Diod. 17,19,4; Curt. 3,11,10 und Arr., an. 2,11,8. So in Diod. 11,13; 11,32,1; 13,24,1; 13,40,3; 13,50,2; 13,51,3; 13,89,1; 14,30,1; 14,52,1; 14,64,3 14,74,1; 14,101,3; 14,114,1; 15,16,3; 15,63,2; 17,9,5; 17,19,6; 17,20,1; 17,21,1; 17,26,5; 17,62,5; 18,20,6; 18,21,3; 19,38,1. Die Kampfmoral des Dareios gegen Alexander wird in 17,39,1 erwähnt.

4.2 Körper-Seele-Metaphorik bei Diodor

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kommt dieses Bündnis offenbar einem Teufelspakt gleich. Selinunt war zuvor mit Karthago verbündet, wie Diodor ausdrücklich anmerkt.118 In Folge der Eroberung waren die griechischen Bundesgenossen schockiert und empfanden Mitleid mit dem Schicksal der Frauen von Selinunt, die sich zunächst in einen Tempel geflüchtet hatten, dessen Unverletzlichkeit die Karthager aber nicht anerkannten, und anschließend aufgrund der Kriegsverbrechen und „bestialischen Lebensweise“ der Karthager in seelische Raserei verfielen:119 [...] und da sie jeden einzelnen der gegen sie verübten Übergriffe wie Stiche in ihrer Seele empfingen, verfielen sie in rasende Leidenschaft und beklagten ihr Schicksal sehr.

Diodor nimmt also eindeutig Partei gegen historische Allianzen einzelner westgriechischer Poleis auf Sizilien mit Karthago. Das frühere Bündnis mit Karthago rächt sich jetzt, die karthagische „Bestialität“ zeigt sich an dem an Göttern und Menschen begangenen Frevel, denn die misshandelten Frauen hatten sich zunächst in einen Tempel geflüchtet, den die Karthager zu plündern beabsichtigten. 120 Für die sizilischen Exkurse in Buch 13 beruht Diodor auf Ephoros (BNJ 70) und Timaios (BNJ 566), beide Historiker werden im Kontext unserer Passage erwähnt. 121 Es ist möglich, dass Diodor hier konkret auf Timaios beruht. Denn Timaios ist heute hauptsächlich durch die Polemik des Polybios bekannt, der diesen als Anhänger der von ihm wenig geschätzten historiographischen Richtungen, insbesondere der „tragischen Geschichtsschreibung“, abzukanzeln versucht.122 Insbesondere kritisiert Polybios an der „tragischen Geschichtsschreibung“ und ihrem Hauptvertreter Phylarchos, dass es diese als ihre Aufgabe ansehen, „durch überzeugende Worte die Hörer für den Augenblick in Erstaunen zu versetzen und seelisch zu betören“.123 Wie bereits erwähnt, bewirkt die Tragödie laut Aristoteles somit eine kathartische Reinigung der Seele und diese Definition legt auch Polybios an. 124 Diese allgemeine Stoßrichtung, im Sinne einer Polemik gegen westgriechische Bündnisse mit Karthago, greift Diodor deutlich vor allem durch das oben verwendete Adjektiv peripatheis (etwa „rasende Leidenschaft“) auf, welches klar auf die seelischen Emotionen (pathe) anspielt. Eine sehr ähnliche Schilderung von rasender Wut und Emotionen findet sich im Kontext eines Staatsstreichs des Agathokles, des Tyrannen von Syrakus, mit anschließendem Massaker und Vertreibungen unter der Führungsschicht des Jahres 316/315.125 Die Ausführungen dieses Kapitels (einschließlich der Missachtung des 118 Diod. 13,55,1. 119 Diod. 13,58,2: θηριώδη δὲ τὸν τρόπον ... καὶ καθ’ ἕκαστον τῶν εἰς ταῦτα παρανομημάτων οἱονεὶ νυγμοὺς εἰς τὴν ψυχὴν λαμβάνουσαι περιπαθεῖς ἐγίνοντο καὶ πολλὰ τὴν ἑαυτῶν τύχην κατωδύροντο. Zu dem Hintergrund Diod. 13,57,3–58,1. 120 Diod. 13,57,3–5. 121 Und zwar beide in Diod. 13,54,5 (= BNJ 70 F 201; BNJ 566 F 103) und 13,60,5 (= BNJ 70 F 202; BNJ 566 F 104). 122 Pol. 12,25. Zu Literatur s. oben. 123 Pol. 2,56,11: διὰ τῶν πιθανωτάτων λόγων ἐκπλῆξαι καὶ ψυχαγωγῆσαι κατὰ τὸ παρὸν τοὺς ἀκούοντας. Eine hier relevante Diskussion der Anwendung ist Pol. 2,59. 124 Siehe oben, S. 30f. 125 Diod. 19,7.

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4 Psychologie der Kriegsführung

Asylrechts im Tempel, die auch im Zusammenhang der Einnahme Selinunts durch die Karthager oben zentral ist) enden sogar mit einem expliziten Appell an das Mitleid aller Menschen, also der Zuhörer und Leser, und somit mit eben jenem Kunstgriff, den Polybios als unzulässige Methode der „pragmatischen Geschichtsschreibung“ ablehnte:126 Und sie wagten es, im Frieden und in ihrer Heimat, als Griechen gegen Griechen, als Haushaltsangehörige gegen Blutsverwandte, ohne Respekt vor der Natur, heiligen Verträgen oder den Göttern diese Verbrechen zu begehen, angesichts derer es niemanden gab, nicht nur keinen Freund, sondern auch keinen absoluten Feind, der in seiner Seele zumindest etwas maßvoll war, der das Schicksal der Leidtragenden nicht bemitleidet hätte.

Auch für diese Erzählung bzw. für die sizilische Lokalgeschichte von Buch 19 kommt Timaios von Tauromenion als Vorlage in Frage. Eine weitere mögliche Quelle ist der ebenfalls als „tragischer Geschichtsschreiber“ kategorisierbare Duris von Samos, und zwar vor allem wegen der ihm nachgesagten Effekthascherei, die sich gerade in den Ausführungen zum Staatsstreich des Agathokles niederschlägt, über den Duris von Samos eine Monographie verfasste. 127 So übt Diodor selbst an der Effekthascherei seiner ungenannten Vorlage Kritik, indem er schreibt, dass „wir in unserer Darstellung dieser Ereignisse Abstand nehmen müssen von der aufgesetzten und bei Geschichtsschreibern üblichen tragischen Erzählweise“ – freilich nicht ohne selbst von dieser Art der Darstellung Gebrauch zu machen, wie allein schon aus dem oben zitierten Satz hervorgeht.128 Die allgemeine Stoßrichtung ist also die kathartische Wirkung, wie oben gegen die verfehlte Bündnispolitik einzelner sizilischer Städte oder eben hier gegen das Massaker und die Vertreibungen der Oberschicht von Syrakus, und der damit verbundene plötzliche Umschlag des Schicksals (peripetie), der eine Erkenntnis im Leser auslösen soll. Diese Darstellungsweise wirkt bildend auf die Seele des Lesers und soll zukünftige politische Handlungen gestalten helfen. Wie Michael Rathmann zuletzt überzeugend argumentiert hat, suchte sich Diodor vorrangig diejenigen Quellen heraus, die seine lokale Perspektive aus Agyrion, also dem sikelischen Teil Siziliens, bestätigten; der 126 Diod. 19,7,4: καὶ ταῦτ’ ἐτόλμων ἐν εἰρήνῃ καὶ πατρίδι παρανομεῖν Ἕλληνες καθ’ Ἑλλήνων, οἰκεῖοι κατὰ συγγενῶν, οὐ φύσιν, οὐ σπονδάς, οὐ θεοὺς ἐντρεπόμενοι, ἐφ’ οἷς οὐχ ὅτι φίλος, ἀλλὰ καὶ παντελῶς ἐχθρός, μέτριός γε τὴν ψυχήν, οὐκ ἔστιν ὅστις οὐκ ἂν τὴν τῶν πασχόντων τύχην ἐλεήσειεν. 127 Zu den Quellen der sizilischen Lokalgeschichte von Buch 19 Françoise Bizière (Hrsg.), Diodore de Sicile: Bibliothèque Historique, Bd. 14: livre XIX, Paris 2002, XVII–XVIII. Kallias von Syrakus ist grundsätzlich ebenfalls eine mögliche Quelle, kommt allerdings wegen seiner positiven Tendenz für Agathokles hier nicht als Gewährsmann in Frage. Zu den Personen siehe Klaus Meister, Duris [3] von Samos, DNP 12.2 (2002), 947 und Ders. Kallias [10], DNP 6 (1999), 180. Aus dem gleichen Grund ist auch Antandros von Syrakus (BNJ 565) als Vorlage unwahrscheinlich, vgl. dazu Rathmann (2016), 179–181. Duris von Samos selbst beschreibt im Prooemium seines Hauptwerkes zur makedonischen Geschichte seinen eigenen Stil als mimetisch (μιμήσεως: BNJ 76 F1 = Phot., bibliotheca 176, p. 121b Bekker). Meister (1990), 96–101, zieht daher diese Selbstbezeichnung gegenüber den sonst verwendeten, wie „tragische“ oder „peripatetische Geschichtsschreibung“, vor. 128 Diod. 19,8,4: ἀφ’ ὧν ἡμῖν περιαιρετέον ἐστὶ τὴν ἐπίθετον καὶ συνήθη τοῖς συγγραφεῦσι τραγῳδίαν, ...

4.2 Körper-Seele-Metaphorik bei Diodor

175

Tyrann Agathokles, selbst aus dem sikelischen Syrakus, war dort ebenso wie in Tauromenion (im nördlichen Sikelerland) verhasst.129 Bei der konkreten Beschreibung von Gewalt könnte Diodor dennoch Duris von Samos bevorzugt haben, also insbesondere könnte er sich in dem Zitat oben auf die „mimetische“ Erzählweise des Duris von Samos bezogen haben. Das rücksichtslose Vorgehen des Agathokles sowie die beschriebene Reaktion auf das von ihm angezettelte Massaker kontrastiert mit sonstigen syrakusanischen Tugenden, wie sie an anderer Stelle anlässlich einer Volksversammlung in Syrakus 413 v. Chr. im Anschluss an die gescheiterte Sizilienexpedition Athens im Peloponnesischen Krieg vorgestellt werden. In einem Redepaar zwischen einem sonst unbekannten Syrakusaner namens Nikolaos und dem Spartaner Gylippos ging es dabei um das Schicksal der athenischen Kriegsgefangenen, wobei Nikoloas sich erfolglos für die Freilassung dieser Kriegsgefangenen stark machte.130 Die Reden selbst sind nur bei Diodor, nicht jedoch in den erhaltenen Parallelquellen zur athenischen Kapitulation auf Sizilien, Thukydides und die Nikias-Vita des Plutarch, überliefert, was bereits darauf hindeutet, dass Diodor hier erneut seine eigenen lokalhistorischen Interessen in den Mittelpunkt stellte.131 Der für eine humanitäre Behandlung der Kriegsgefangenen werbende Nikolaos stellte insbesondere heraus, dass „alle Menschen [...] Mitleid haben mit dem widrigen Schicksal“ des Feindes nach seiner Kapitulation.132 Voraussetzung für dieses seelische Empfinden ist demnach jedoch der Grad an Zivilisiertheit (im Unterschied zum „barbarischen“ oder „bestialischen“ Verhalten):133 Die Seelen von zivilisierten Menschen werden, so glaube ich, am meisten ergriffen durch das Mitleid, und zwar aufgrund der von Natur gegebenen allgemeinen Zuneigung.

Etwas weiter im Text betont Diodor in ähnlicher Weise den Nutzen griechischer Bildung, indem er an die Syrakusaner appelliert, welche in Athen „Rhetorik und allgemeine Bildung“ gelernt sowie an den Mysterien (gemeint sind die berühmten Eleusinischen Mysterien) teilgenommen hatten.134 Neben der gemeinsamen griechischen Herkunft spielt die Rede also auf die spezifisch griechische paideia („Bildung“) an, der oben verwendete Begriff der „zivilisierten Menschen“ wird also erläutert. In ähnlicher Weise diskutiert Aristoteles die seelische Regung des Mitleids (eleos), indem Menschen „Mitleid haben mit Personen, die einem ähnlich sind hinsichtlich des Alters, des Charakters, der Einstellungen, der Position und der 129 Rathmann (2016), 182–186. 130 Diod. 13,19,4–33,1. Zur Person Karl-Wilhelm Welwei, Gylippos, DNP 5 (1998), 18. Diodor beruht in Bezug auf diese Sizilienexpedition auf Ephoros, in einigen Teilen, insbesondere der hier diskutierten Rede, auf Timaios von Tauromenion, der sich von der übrigen Überlieferung unterscheidet. Siehe dazu Klaus Meister, Die sizilische Expedition der Athener bei Timaios, Gymnasium 77 (1970), 508–517, hier 508 und 514–516. 131 Thuk. 7,85–87. Plut., Nikias 27f. 132 Diod. 13,24,1: πάντες ... τὴν ἀτυχίαν οἰκτείροντες. 133 Diod. 13,24,2: ἁλίσκονται δ’, οἶμαι, τῶν ἡμέρων ἀνδρῶν αἱ ψυχαὶ μάλιστά πως ἐλέῳ διὰ τὴν κοινὴν τῆς φύσεως ὁμοπάθειαν. 134 Diod. 13,27,1: λόγου καὶ παιδείας.

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4 Psychologie der Kriegsführung

Abstammung“.135 Das Argument in der Rede des Nikolaos, der offenbar ein Sprachrohr Diodors ist, da er westgriechische Tugenden vertritt, ist also, dass Griechen, noch dazu gebildete, eine andere Behandlung verdient hätten, als Nichtgriechen. Ein weiteres wichtiges Argument ist, dass man nicht an Unterworfenen Rache nehmen sollte, denn das Schicksal könnte sich jederzeit gegen einen selbst wenden.136 Hier spielt Diodor also wohl auf das römische Prinzip des parcere subiectis an bzw. nimmt dieses Erfolgskonzept für seine Heimat im westgriechischen Sizilien zur Zeit des Peloponnesischen Krieges ein.137 Dieses Gegensatzpaar der vornehmen seelischen Bildung in der freien griechischen Polis und des autokratischen Wahnsinns zeigt sich im Konflikt Alexanders des Großen mit Theben, das sich 335 v. Chr. von der makedonischen Vorherrschaft befreien wollte und mit fast vollständiger Vernichtung bestraft wurde. Theben hatte dabei unter der Initiative des großen attischen Redners Demosthenes zeitweise gehofft, als Vorreiter den Städten Griechenlands die Freiheit wiederzugeben, und zunächst einige Erfolge darin, diese als Bündnispartner zu gewinnen.138 Trotz des negativen Ausgangs zeichnete sich das thebanische Heer durch seine Zivilisiertheit aus:139 Doch die Thebaner waren in Vorteil aufgrund ihrer körperlichen Stärke und der ständigen Übungen in den Gymnasien, vor allem aber waren sie im Hinblick auf die Erhöhung der Seele in Vorteil und trotzten den Gefahren.

Diodor führt also die eigentlich vorhandene militärische Überlegenheit der Thebaner ursächlich auf deren seelische und körperliche Bildung in den griechischen Gymnasien zurück. Diese an anderer Stelle auch als „Ehrliebe“ (philotimia) bezeichnete seelische Einstellung hätten Alexander und sein General Perdikkas letztlich nur durch eine List und unter Ausnutzung eines verlassenen Ausfallstores in Theben, nicht aber durch eine offene Schlacht überwinden können.140 Der Umstand, dass „die Thebaner sich nicht in ihren Seelen erweichen ließen“ sowie ihre „Erhöhung“ – so Diodor zu Beginn der Ausführungen – habe jedoch schließlich auch zu ihrer Zerstörung geführt.141 Noch als ihre Stadt zerstört und sie selbst in den Tod 135 Aristot., rhet. 2,8,13, 1386a 25f.: καὶ τοὺς ὁμοίους ἐλεοῦσιν κατὰ ἡλικίαν, κατὰ ἤθη, κατὰ ἕξεις, κατὰ ἀξιώματα, κατὰ γένη. 136 Diod. 13,24,4–6 mit Verweis auf das γνῶθι σαυτόν des Orakels von Delphi und weitere griechische Weisheitssprüche in 13,24,5. 137 Zu diesem Prinzip des parcere subiectis siehe S. 147 (Diodor) bzw. 159 (Polybios). Diod. 18,41,6 spricht einen ähnlichen Themenkreis an, insofern Eumenes als besiegter Satrap in den Diadochenkriegen mit dem Argument, dass sich das Schicksal schnell wendet, für ihn günstige Friedensbedingungen aushandeln will. Zur Person Andreas Mehl, Eumenes [1], DNP 4 (1998), 250f. 138 Siehe Hans-Joachim Gehrke, Geschichte des Hellenismus, München 1995, 10 und Diod. 17,9,5; Plut., Demosthenes 23,1; Aischin., Ctes. 239. 139 Diod. 17,11,4: οἱ δὲ Θηβαῖοι ταῖς τῶν σωμάτων ῥώμαις ὑπερέχοντες καὶ τοῖς ἐν τοῖς γυμνασίοις συνεχέσιν ἀθλήμασιν, ἔτι δὲ τῷ παραστήματι τῆς ψυχῆς πλεονεκτοῦντες ἐνεκαρτέρουν τοῖς δεινοῖς. 140 Diod. 17,11,4. 141 Diod. 17,10,4: οὐ μὴν οἱ Θηβαῖοί γε ταῖς ψυχαῖς ἐμαλακύνοντο ... τοῖς παραστήμασιν.

4.2 Körper-Seele-Metaphorik bei Diodor

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oder in die Sklaverei geführt wurden, sollen sich die Thebaner unbeeindruckt gezeigt und an ihrer seelischen Einstellung festgehalten haben.142 Freiheitsliebe und seelische Bildung werden hier also einerseits als vorbildliche, andererseits als tragische Eigenschaften dargestellt. Im Gegensatz zu diesen sehr positiven Konnotationen ist das makedonische Heer im Eroberungskrieg weiter Teile Asiens wiederholt durch seelische Erkrankung charakterisiert. So beschreibt Diodor das Heer Alexanders des Großen bei der Plünderung der Hauptstadt des persischen Reiches als von „unstillbarer Begierde nach mehr“ geleitet, dabei selbst über die eigenen Kameraden herfallend und insgesamt „von ihren Gefühlen mitgerissen“.143 Der Text macht also die Emotionen der Soldaten für die exzessive Plünderung von Persepolis verantwortlich und lenkt somit die Verantwortung dafür von Alexander ab. Laut Arrian soll Alexander dagegen aus Rache für die Plünderung von Tempeln in Griechenland die Plünderung und den Brand im Königspalast angeordnet haben, während die übrige Tradition, Plutarch und Curtius Rufus, diese Taten als Affekthandlungen auf einem Trinkgelage beschreiben.144 Als Alexander die Meerenge nach Tyros, das auf einer Insel gelegen war, mit einem eigens dafür aufgeschütteten Damm überbrückt hatte, wird das Heer Alexanders laut der Darstellung Diodors zudem von einer neuartigen Waffentechnik bedrängt, welche die makedonischen Soldaten in den Wahnsinn trieb:145 Deshalb schrien sie gleich Menschen, die gefoltert werden, ganz flehentlich und hatten niemanden, der ihnen zur Hilfe kam. Aufgrund ihres qualvollen Zustands stürzten sie in einen wahnsinnigen Gemütszustand und starben, indem sie einem elenden und unaufhaltbaren Leiden verfielen.

Diese Waffentechnik bestand, wie man im Kontext erfährt, darin, dass die Tyrer glühenden Sand über das feindliche Heer niederrieseln ließen. Die Folter stellte auch für Diodor den Moment der Wahrheit dar.146 In einem militärischen Kontext einschlägig ist bei Diodor die Darstellung der Folterung des Phyton, Stratege von Rhegion, nach der Belagerung der Stadt durch Dionysios I. von Syrakus im Jahre 142 Diod. 17,13,1–3. Sehr ähnlich wird in Diod. 11,11 der Opfertod des Hellenenbundes gegen Xerxes I. in der Schlacht bei den Thermopylen 480 v. Chr. beschrieben. Diese griechische Niederlage während der Perserkriege hatte den Gegner doch entscheidend geschwächt. Diod. 11,11,2 hebt hervor, dass die dort gefallenen Griechen „zwar körperlich geschlagen waren, aber seelisch nicht aufgegeben hatten“ (τοῖς μὲν σώμασι κατεπονήθησαν, ταῖς δὲ ψυχαῖς οὐχ ἡττήθησαν). Im Gegensatz dazu steht eine Sentenz bei Diod. 27,18,3 Walton = 27,30 Goukowsky, welche die Flucht als einzigen sicheren Ausweg aus der Niederlage beschreibt. Diese Sentenz steht im Kontext der Niederlagen Karthagos gegen Scipio im zweiten Punischen Krieg, war also wohl auf das karthagische Heer gemünzt, möglicherweise als Teil einer direkten Rede, und steht somit nicht unbedingt in einem logischen Widerspruch zu den vorgenannten Aussagen. 143 Diod. 17,70,4: τὴν ἄπληστον τοῦ πλείονος ἐπιθυμίαν und 5: συνεκφερόμενοι τοῖς θυμοῖς. 144 Arr., an. 3,18,11f.; Plut., Alexander 38; Curt. 5,7,3–11. Siehe Jakob Seibert, Alexander der Große, Darmstadt 1972, 132–134 sowie Kapitel fünf, S. 197, Anm. 90 unten. 145 Diod. 17,44,3: διὸ καὶ παραπλησίως τοῖς βασανιζομένοις πᾶσαν δεητικὴν φωνὴν προϊέμενοι τοὺς μὲν ἐπικουρήσοντας οὐκ εἶχον, αὐτοὶ δὲ διὰ τὴν δεινότητα τοῦ πάθους εἰς μανιώδεις διαθέσεις ἐμπίπτοντες ἐτελεύτων, ἐλεεινῷ καὶ ἀμηχάνῳ πάθει περιπίπτοντες. 146 Siehe dazu oben, S. 42 und 110f.

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4 Psychologie der Kriegsführung

386. Phyton, der sich als Kommandeur bei der Belagerung ausgezeichnet hatte, „ertrug die Bestrafung mit einer Einstellung, die gar nicht einer niederen Geburt entsprach, und bewahrte bis zum Tod seine seelische Unerschrockenheit“, so Diodor weiter.147 Diese Haltung steht also im Gegensatz zu den Makedoniern, die, wie oben erwähnt, flehentlich gleichsam unter der Folter sterben. Auch nach dem Tod Alexanders des Großen ist das makedonische Heer insofern als wahnsinnig charakterisiert, als ein Teil desselben, die „Phalanx der Infanterie“, den Sohn Philipps II., Arridaios, als Nachfolger Alexanders unterstützte, und zwar laut Diodor „obwohl dieser mit unheilbaren seelischen Leiden belastet war“.148 Diese makedonische Phalanx, zu der auch Söldner zählten, war für die militärischen Erfolge Philipps und Alexanders von entscheidender Bedeutung.149 In der Wahl des Nachfolgers zeigt sich also die Neigung von Söldnerheeren zur dynastischen Nachfolge (welche die Entlohnung aus dem ererbten Vermögen gewährleisten sollte), aber zusammen mit den weiteren Ausführungen eben auch eine Assoziierung des Wahnsinns mit Makedonien, die im Gegensatz etwa zu den freiheitsliebenden Thebanern steht. Wie das folgende Kapitel zeigen wird, ist für Diodor insbesondere der Kampf gegen die Götter und die Vernichtung ihrer Heiligtümer die äußerste Form des Wahnsinns.

147 Diod. 14,112,3: ...οὐκ ἀγεννῶς ὑπέμενε τὴν ἐπὶ τῆς τελευτῆς τιμωρίαν, ἀλλ’ ἀκατάπληκτον τὴν ψυχὴν φυλάξας... 148 Diod. 18,2,2: τῶν πεζῶν φάλαγξ ... ψυχικοῖς δὲ πάθεσι συνεχόμενον ἀνιάτοις. Zur Person Ernst Badian, Arridaios [4], DNP 4 (1997), 30. 149 Zu dieser makedonischen Phalanx, siehe Nicholas V. Sekunda, The Macedonian Army, in: Joseph Roisman, Ian Worthington (Hrsg.), A Companion to Ancient Macedonia, Oxford 2010, 446–471, insbes. 448–452 zur Rekrutierung.

KAPITEL FÜNF: INTERAKTION DER SEELE MIT DEM GÖTTLICHEN Dieses abschließende Kapitel soll eine Reihe bisheriger Ergebnisse zusammenführen. Wenn in den vorausgehenden Kapiteln häufiger beobachtet wurde, dass sich seelische Erkrankung einerseits sowie seelische Gesundheit und Exzellenz andererseits auf die weitere Gemeinschaft übertragen und insofern „ansteckend“ wirken, so kann man in solchen Worten natürlich zunächst zumindest teilweise eine metaphorische Sprache sehen, die einzelne Handlungen oder Akteure zwar als „wahnsinnig“ beschreibt, aber lediglich auf polemische Weise, nicht in dem medizinischen oder psychologischen Sinn einer Geisteskrankheit. Zudem beschreiben die meisten diskutierten Fundstellen Vergehen gegen Menschen, das folgende Kapitel wird dagegen schwerpunktmäßig Vergehen gegen die Götter behandeln. Wie gesehen, war die Vorstellung, trotz individueller Distanzierung und Hinterfragung, offenbar verbreitet, dass die Welt von Dämonen und den Seelen Verstorbener bevölkert war, welche wiederum für Krankheiten, auch geistiger Art, und die vielfach beobachtete Degenerierung von Staaten verantwortlich waren. Die Erkenntnis, dass sich Seuchen durch ansteckende Kontakte verbreiten, war natürlich in der Antike bekannt, und es ist daher gar nicht so sehr überraschend, dass die Menschen der Antike einen ähnlichen epidemischen Mechanismus in der Verbreitung staatszersetzender Ideen vermuteten. Dieses Kapitel soll daher ausführen, dass gerade mit Blick auf den von Menschen begangenen Religionsfrevel die Götter mit Seuchen reagieren, die körperliche, aber noch häufiger seelische Symptome verursachten und einzelne Staaten an den Rand des Abgrunds führten. Die hellenistischen Autoren erklärten mit diesem Ansatz zumindest teilweise und mit unterschiedlicher individueller Gewichtung die Machtverschiebungen, welche ihre Epoche charakterisierten. So sieht Polybios insbesondere in der Zerstörung von Heiligtümern durch Philipp V. von Makedonien den Grund für eine epidemische Ausbreitung von Wahnsinn und beschreibt ähnliche Tendenzen auch für weitere hellenistische Reiche. Dieser Wahnsinn führt in der Folge zu wichtigen Konflikten mit dem Römischen Reich. Polybios deutet diesen Wahnsinn als göttliche Strafe, die sich über mehrere Herrschergenerationen hin fortsetzt. Die Ausbreitung dieses Wahnsinns vollzieht sich teilweise als Infektionskrankheit, teilweise durch das Wirken der Dämonen. Auf ähnliche Weise versetzt Diodor in seiner Universalgeschichte die Genese des gottgesandten Wahnsinns in die mythologische Zeit Griechenlands, und zwar als Folge von dynastischen Erbschaftskonflikten in monarchischen Gemeinwesen, die Diodor hier anscheinend desavouieren will. Ein sonst wenig bekannter hellenistischer Autor sieht sogar (in einem durch Dionysios von Halikarnassos überlieferten Fragment) gottgesandten Wahnsinn als Ursache der ursprünglichen Besiedelung Griechenlands und somit möglicherweise einen allgemeinen Hang zu Wahnsinnstaten unter den Griechen seiner Zeit. Die Götter können

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5 Interaktion der Seele mit dem Göttlichen

der Gemeinschaft aber auch zu geistiger Gesundheit und Wohlstand verhelfen und sind deshalb zu ehren. In hellenistischer Zeit haben die Menschen laut Diodor aus Wahnsinn heraus die alte Philosophie nicht mehr gewürdigt und stattdessen Heiligtümer geplündert, im schlimmsten Fall aus Selbstzweck oder aus der negativen Emotion der Habgier heraus. Diodor sieht darin ebenfalls die Ursache für die Machtverschiebung von der hellenistischen zur römischen Welt und erkennt, ähnlich wie Polybios und ohne erkennbare persönliche Distanzierung, eine epidemische Ausbreitung dieses staatszersetzenden Wahnsinns, während er in anderen historischen Kontexten der Genese von Seuchen durch göttliches Strafgericht skeptisch gegenübersteht. 5.1 WAHNSINN ALS GÖTTLICHE STRAFE BEI POLYBIOS Die vorausgehenden Kapitel haben gezeigt, dass die seelischen und charakterlichen Eigenschaften der Menschen durch die Interaktion mit weiteren Personen gebildet und verändert werden. So werden insbesondere in den historischen Deutungen des Polybios Könige und Politiker häufig von ihren Beratern beeinflusst, und zwar nicht nur bei einzelnen Entscheidungen, sondern insgesamt in ihrem Charakter, sowohl durch Erziehung in der Jugend als auch durch politische Beratung im späteren Leben. Diese Veränderungen in der Seele des Herrschers haben wiederum Auswirkungen auf die Seele des Staates, durch Degeneration der führenden Personen können sogar historisch erfolgreiche Gemeinwesen zugrunde gehen, so die Interpretation des Polybios. Philipp V. ist wahrscheinlich das bekannteste Beispiel für einen hellenistischen König, dessen Seele durch Zerrissenheit und Wandel zum Schlechten, trotz günstiger Anlagen, das ihr anvertraute Gemeinwesen an den Abgrund führt. Wie bereits angedeutet, macht sich die negative Seite seines Charakters besonders an seinen Vergehen im sakralen Bereich fest.1 Philipp V. ist zusammen mit Prusias II. darüber hinaus auch die Persönlichkeit, deren Religionsfrevel Polybios explizit mit Wahnsinn verbindet:2 Ich habe solche Charakteranlagen auch schon an früherer Stelle, und zwar als ich über Philipp berichtete, als wahnsinnig bezeichnet. Denn dem Göttlichen Opfer darzubringen und es durch diese günstig zu stimmen, indem man dabei auf spezielle Weise vor den Tischen und Altären niederfällt und diese anfleht, wie es die Angewohnheit des Prusias gewesen war, wenn er niederkniete wie eine Frau, und dabei gleichzeitig diese Geräte zu zerstören und aufgrund ihrer Zerstörung gegen das Göttliche eine Freveltat zu begehen, dieses Verhalten muss man unbedingt bezeichnen als das Werk einer rasenden Leidenschaft sowie einer Seele, die ihren Verstand aufgegeben hat. Genau diese Bezeichnung traf damals auf Prusias zu.

1 2

Siehe Kapitel zwei, S. 59f. oben. Pol. 32,15,6–9: ἐγὼ δὲ τὰς τοιαύτας διαθέσεις καὶ πρότερον εἴρηκά που, περὶ Φιλίππου ποιούμενος τὸν λόγον, μανικάς. τὸ γὰρ ἅμα μὲν θύειν καὶ διὰ τούτων ἐξιλάσκεσθαι τὸ θεῖον, προσκυνοῦντα καὶ λιπαροῦντα τὰς τραπέζας καὶ τοὺς βωμοὺς ἐξάλλως, ὅπερ ὁ Προυσίας εἴθιστο ποιεῖν γονυπετῶν καὶ γυναικιζόμενος, ἅμα δὲ ταῦτα καὶ λυμαίνεσθαι καὶ διὰ τῆς τούτων καταφθορᾶς τὴν εἰς τὸ θεῖον ὕβριν διατίθεσθαι, πῶς οὐκ ἂν εἴποι τις εἶναι θυμοῦ λυττῶντος ἔργα καὶ ψυχῆς ἐξεστηκυίας τῶν λογισμῶν; ὃ καὶ τότε συνέβαινε γίνεσθαι περὶ τὸν Προυσίαν.

5.1 Wahnsinn als göttliche Strafe bei Polybios

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Der hier neben Philipp angesprochene Prusias II. war von 182 bis zu seinem Tod im Jahre 149 König von Bithynien.3 Polybios bewertet die Taten des Prusias nach dessen Interaktionen mit Rom einerseits und Auftreten in der griechischen Welt andererseits, welches wiederum Reaktionen seitens des Römischen Reiches nach sich zog. Der unmittelbare Kontext des Zitats ist nämlich der Krieg, den Prusias von 156 bis 154 mit Attalos II., König von Pergamon, führte. Prusias gelang es dabei nicht, Pergamon einzunehmen, stattdessen zerstörte er lediglich auf seinem Marsch dorthin die Tempel und Heiligtümer, einschließlich einer einzigartigen Statue des Asklepios, den er tags zuvor noch mit Gebeten und Opfern verehrt hatte. Polybios sieht laut dem Zitat oben vor allem diese Zerstörung als Manifestation des Wahnsinns. Er bemerkt dazu, dass Prusias „nicht nur gegen die Menschen, sondern auch gegen die Götter einen Krieg führte“, der Wahnsinn besteht also in der eigenen Erhöhung, um so den Kampf gegen die Götter aufzunehmen.4 Auf Druck Roms war Prusias schließlich gezwungen, hohe Reparationen an Pergamon zu zahlen, und zwar trotz seines zuvor unterwürfigen Auftretens gegenüber dem römischen Senat 167 v. Chr. im Anschluss an den dritten Makedonischen Krieg.5 Laut Polybios schienen die Verluste im Heer des Prusias aufgrund von Hunger und einer Dysenterie-Epidemie (auch bekannt als Ruhr) der göttlichen Rache für die Zerstörungen zuzuschreiben zu sein.6 Diese Schlussfolgerung des Polybios ist ein weiterer Beleg dafür, dass der Wahnsinn von Herrschern sich – hier vermöge der göttlichen Intervention – auf die Soldaten und das Gemeinwesen als Krankheit weiter überträgt. Prusias wurde schließlich ausgerechnet im Tempel des Zeus, bei dem er Zuflucht suchte, auf Geheiß seines eigenen Sohnes Nikomedes II. getötet, den er zuvor selbst aus dynastischen Gründen zugunsten seiner Kinder aus zweiter Ehe beseitigen wollte, wie andere antike Autoren berichten.7 Das Ende des Prusias zeigt also erneut die Verbindung von Raserei und familiärem Konflikt. In der Periegesis des Pseudo-Skymnos, einem Lehrgedicht, das dem Nachfolger 3 4 5 6

7

Martin Schottky, Prusias [2] II., „der Jäger“, DNP 10 (2001), 491f. Pol. 32,15,13: οὐ μόνον τοῖς ἀνθρώποις ἀλλὰ καὶ τοῖς θεοῖς πεπολεμηκώς . Der gesamte Kontext ist Pol. 32,15, die Statue des Apollo ist in Pol. 32,15,4 erwähnt. Pol. 33,13 mit Pol. 30,18 und Liv. 45,44,4–21. Pol. 32,15,14. Sehr ähnlich ist Diod. 31,35 Walton = 31,51 Goukowsky, wo Diodor ebenfalls die göttliche Rache an den Zerstörungen des Prusias als Ursache für den Ausbruch der Dysenterie in der Infanterie erwähnt, daneben auch eine Sturmflut, welche die Flotte teilweise vernichtet: „Und von dieser Art waren die ersten Entlohnungen, die er für seinen Frevel gegen die Götter erhielt.“ (καὶ τὰς πρώτας ἀμοιβὰς τῆς εἰς τὸ θεῖον ἀσεβείας τοιαύτας ἐκομίσατο). Polybios ist im Vergleich distanzierter: „Aufgrund dieser Schuld schien ihn göttlicher Zorn zu ereilen” (Pol. 32,15,14: παρὰ πόδας ἐκ θεοπέμπτου δοκεῖν ἀπηντῆσθαι μῆνιν αὐτῷ διὰ ταύτας τὰς αἰτίας). Siehe dazu auch Ángel Alvarez de Miranda, „La irreligiosidad de Polibio“, Emerita 24 (1956), 27–65, hier 58–60, der Pol. 32,15 mit 18,54,10f. vergleicht (oben zitiert, S. 88f.) und dabei auf eine uneinheitliche Auffassung des Polybios in der Bedeutung göttlicher Strafe hinweist. Man sollte diese Uneinheitlichkeit aber vielleicht besser mit der eigenen distanzierten Sichtweise des Polybios erklären, der hier auf verbreitete Ansichten seiner Zeit anspielt. App., Mithr. 4–7; Iust. 34,4,1; Diod. 32,21 Walton = 32,22 Goukowsky. Siehe zu diesem Aspekt der göttlichen Rache gegen Prusias auch Christian Habicht, Über die Kriege zwischen Pergamon und Bithynien, Hermes 84 (1956), 90–110, hier 104, Anm. 1. Zu der Providenz bei Polybios siehe Kapitel zwei, S. 83–88 oben.

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5 Interaktion der Seele mit dem Göttlichen

Nikomedes III. von Bithynien gewidmet ist, findet sich außerdem der Hinweis darauf, dass das Orakel des didymäischen Apollon Nikomedes II. unterstützte.8 Die Götter waren also nicht über die Ermordung im Tempel erzürnt, sondern unterstützten den Urheber, da die ursprüngliche Gewalt gegen die Götter von dem dort Ermordeten ausging. Auch diese Unterstützung zeigt, dass sich göttliche Rache an den Religionsfrevlern über weitere Generationen fortsetzt. Über den Wahnsinn des Philipp als Folge seiner Zerstörung von Heiligtümern berichtet Polybios an verschiedenen Orten. Wie bereits in Kapitel zwei gezeigt, ließ sich Philipp von seinen moralisch schlechten Beratern, insbesondere von Demetrios von Pharos, nicht nur zum Krieg mit Rom hinreißen, sondern auch zur Zerstörung aitolischer Heiligtümer, nachdem die Aitoler selbst zuvor die Tempel von Dion und Dodona zerstört hatten.9 Philipp und seine Berater handelten dabei in der Überzeugung, von der sich Polybios jedoch ausdrücklich distanziert, dass sie selbst Vollstrecker der göttlichen Rache für das begangene Unrecht der Aitoler seien. 10 Vergleichspunkte sind die berühmten Vorgänger Philipps V., Philipp II. und sein Sohn Alexander. Ersterer habe es demnach seiner „rasenden Leidenschaft“ nicht gestattet, transgressive Vergeltung gegen seine Gegner zu verüben, und stattdessen aufgrund seiner „Seelengröße“ Sympathien gewonnen.11 Letzterer habe selbst bei vorsätzlichen Vergeltungszügen in Griechenland und Persien streng auf die Unverletzlichkeit der Heiligtümer geachtet.12 Polybios sieht im Gegensatz zu diesen Herrschern bei Philipp V. den bereits oben beschriebenen Wahnsinn des Religionsfrevels am Werk:13 Denn da er aufgrund seiner rasenden Leidenschaft den Freveltaten der Aitoler ebenbürtig handelte und er Schlechtes mit Schlechtem heilen wollte, glaubte er nichts Übles zu tun. [...] Doch ohne die Aussicht auf Hilfe in eigener Sache oder ohne sogar irgendeinen Schaden den Feinden zuzufügen im Rahmen des gegenwärtigen Krieges, sondern einfach so die Tempel sowie zusammen mit diesen auch die Statuen und überhaupt jedes Kunstwerk zu zerstören, dieses Vorgehen muss man unbedingt als das Werk eines vor Zorn rasenden Gemütes bezeichnen.

Polybios charakterisiert im Folgenden diese Wahnsinnstat als das Werk eines Tyrannen, der eine Zwangsherrschaft ausübt, welche der „Güte und Menschenliebe“ eines gerechten und beliebten Herrschers widerspricht.14 Der Vergleich mit Prusias wird dadurch komplettiert, dass Philipp ebenfalls im weiteren Kontext des 8 9 10 11 12 13

14

Pseudo-Skymnos, periegesis, Zeile 55–60 (Müller, Geographi Graeci Minores 1, 197); neue Edition: Didier Marcotte (Hrsg.), Les Géographes grecs, Bd. 1: Introduction générale. PseudoScymnos: Circuit de la terre, Paris 2000, 103–133, hier 106. Pol. 5,9,2–10 und Pol. 5,12,5–8. Siehe oben, S. 59f. Die Zerstörung der Heiligtümer von Dion und Dodona erwähnt Pol. 4,67,1–4. Pol. 5,9,4–7. Pol. 5,10,3: τῷ θυμῷ bis 5,10,5: τῇ μεγαλοψυχίᾳ. Pol. 5,10,6–8. Pol. 5,11,1: τοῖς γὰρ Αἰτωλῶν ἀσεβήμασι συνεξαμαρτάνων διὰ τὸν θυμὸν καὶ κακῷ κακὸν ἰώμενος οὐδὲν ᾤετο ποιεῖν ἄτοπον. 5,11,4: τὸ δὲ μήτε τοῖς ἰδίοις πράγμασιν ἐπικουρίαν μέλλοντα μηδ’ ἡντινοῦν παρασκευάζειν μήτε τοῖς ἐχθροῖς ἐλάττωσιν πρός γε τὸν ἐνεστῶτα πόλεμον ἐκ περιττοῦ καὶ ναούς, ἅμα δὲ τούτοις ἀνδριάντας καὶ πᾶσαν δὴ τὴν τοιαύτην κατασκευὴν λυμαίνεσθαι, πῶς οὐκ ἂν εἴποι τις εἶναι τρόπου καὶ θυμοῦ λυττῶντος ἔργον; Pol. 5,11,6: τὴν εὐεργεσίαν καὶ φιλανθρωπίαν.

5.1 Wahnsinn als göttliche Strafe bei Polybios

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Bundesgenossenkrieges (220–217 v. Chr.) im mit Aitolien verbündeten Sparta das Lager in der Nähe des Apollon-Tempels aufschlägt, des berühmtesten Tempels in Sparta.15 Ebenfalls noch in Sparta opferte Philipp den Göttern und erhielt im Anschluss ein für ihn günstiges Friedensangebot.16 Auch Philipp macht sich also besonders dadurch schuldig, dass er die Götter um Beistand bittet und gleichzeitig ihre Heiligtümer zerstört. Dieser Religionsfrevel Philipps ist wiederholt und vor allem im Kontext des sich anbahnenden zweiten Makedonisch-Römischen Krieges (200–197 v. Chr.) mit Wahnsinn gleichgesetzt. So wird Philipp im Anschluss an die Zerstörung von Kios und die Versklavung der Einwohner von Thasos als „irrational und wahnsinnig“ charakterisiert.17 Der Text ist fragmentarisch in den Excerpta antiqua enthalten, der genaue Bezug also unklar.18 Offenbar wird das brutale Vorgehen Philipps als Wahnsinnstat bezeichnet. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass Philipp erneut Heiligtümer abreißen ließ, da er die Stadt Kios insgesamt zerstören ließ.19 Laut Livius wurde Philipp dabei von Prusias unterstützt, der nach dem Zitat aus Polybios oben ebenfalls wahnsinnig war und Heiligtümer zerstörte.20 Polybios sagt Philipp in diesem Kontext außerdem nach, dass seine Verbrechen ihm „in ganz Griechenland den Ruf des Religionsfrevels“ einbrachten, und legt somit nahe, dass Gewalt gegen Heiligtümer zumindest einen Teil dieses Religionsfrevels darstellte. 21 Bereits zuvor nannte Polybios den Anlass des Krieges gegen das ptolemäische Ägypten, der dann zu den weiteren Entwicklungen führte, einen „Frevel gegen die Götter und Grausamkeit gegen die Menschen“, für den Philipp V. und sein Verbündeter Antiochos III. durch die Schicksalsgöttin bestraft wurden.22 Philipp handelt hier also bereits so, wie es einer Person gebührt, die das Ende der freien griechischen Welt verschuldet. In dem darauffolgenden Krieg mit und der Zerstörung von Pergamon, welcher unmittelbar zu dem Eingreifen Roms führte, tritt Philipp erneut als Wahnsinniger auf. Denn als Teil seiner Kriegführung ließ Philipp Statuen und Tempel in Pergamon von Grund auf zerstören. Polybios begründet dieses Verhalten mit dem Wahnsinn, der Philipp ergriffen hatte: „Denn weil er sich seiner Wut hingab, die dem Wahnsinn gleichkam, richtete er den Großteil seines Zorns nicht auf die Menschen,

15 Pol. 5,19,1–3. 16 Pol. 5,24,8–11. 17 Pol. 15,24,6: ἀλόγιστον εἶναι καὶ μανικόν. Der weitere Kontext ist Pol. 15,21–24, für eine historische Einordnung siehe Walbank (1940), 114–116. Die Menschen in Kios seien laut Pol. 15,21,3–6 an ihrem Schicksal teilweise mitschuldig, da sie sich wie „verstandlose Tiere“ (15,21,6: τῶν ἀλόγων ζῴων) verhielten, indem sie moralisch schlechte und habgierige Menschen in politische Führungspositionen beförderten. Siehe auch Kapitel zwei, S. 60 oben. 18 Theodor Büttner-Wobst (Hrsg.), Polybii historiae, Bd. 3, Leipzig 1893, 295 nennt keinen anderen Textzeugen. 19 Vgl. Liv. 32,33,16. 20 Liv. 32,34,6. 21 Pol. 15,22,3: παρὰ πᾶσι τοῖς Ἕλλησι τὴν ἐπ’ ἀσεβείᾳ δόξαν. 22 Pol. 15,20,4. Siehe Kapitel zwei, S. 84f. oben zu dem Zitat und weiteren Kontext.

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sondern auf die Götter“.23 Ebenfalls für das Jahr 201 v. Chr. spricht Polybios davon, dass „man daran besonders gut sehen kann, dass Philipp so vorging, weil er ein Wahnsinniger geworden war“.24 Diese Aussage könnte sich direkt auf die Zerstörung von Heiligtümern in Pergamon oder anderswo beziehen oder auch nur allgemein auf den im Kontext genannten Entschluss, nicht nach Alexandria weiterzuziehen.25 Auch in diesem Fall wollte Polybios möglicherweise herausstreichen, dass Philipp den Krieg, den er doch eigentlich gegen Ägypten begonnen hatte, im Weiteren ohne eigentliches Ziel weiterführte, sondern nur aus der Motivation heraus, zu zerstören und insbesondere Gewalt gegen Heiligtümer auszuüben. Die entscheidende Niederlage Makedoniens gegen Rom in Kynoskephalai im Jahre 197 v. Chr. ist also moralisch gesehen eine Folge des Wahnsinns, der Philipp V. befallen hatte. In dem bereits zitierten programmatischen Abschnitt hat daher die Schicksalsgöttin Philipp V. und Antiochos III. durch die Niederlage gegen Rom für den vorausgegangenen Religionsfrevel bestraft.26 Gegen Ende seines Lebens wird Philipp V. erneut durch das Schicksal bestraft und verfällt dem Wahnsinn: 27 [...] Die Gedanken daran suchten ihn Tag und Nacht heim. Wie kann man bei solchen Unglücksfällen und Störungen der Seele vernünftigerweise nicht der Meinung sein, dass der Zorn mancher Götter ihn im hohen Alter heimgesucht hatte, und zwar aufgrund der Untaten in seinem früheren Leben? [...] Und aus diesem Grund war seine Seele gleich der eines Wahnsinngen, gleichzeitig mit den vorgenannten Ereignissen entbrannte auch der Streit unter seinen Söhnen, und die Schicksalsgöttin brachte gleichsam aus Vorsatz ihre Katastrophen zu ein und derselben Zeit auf die Bühne.

Hintergrund des nur fragmentarisch überlieferten Textes ist es, dass Perseus, der Sohn Philipps aus zweiter Ehe seinen Halbbruder Demetrios, der romfreundlich war und sich als Geisel in Rom aufgehalten hatte, im Rahmen eines 23 Pol. 16,1,2: χαριζόμενος γὰρ οἷον εἰ λυττῶντι τῷ θυμῷ, τὸ πλεῖον τῆς ὀργῆς οὐκ εἰς τοὺς ἀνθρώπους, ἀλλ’ εἰς τοὺς θεοὺς διετίθετο. Der Kontext, in dem die Tempelzerstörungen geschildert werden, ist Pol. 16,1,1–6. 24 Pol. 16,10,1: ἐξ οὗ δὴ καὶ μάλιστ’ ἄν τις καταμάθοι τὸ μανιώδη γενόμενον Φίλιππον τοῦτο πρᾶξαι. 25 Walbank, Commentary, Bd. 3 (1979), 499 sieht hier eine chronologische Unstimmigkeit, dass die Zerstörung der Heiligtümer in Pergamon erst etwas später erfolgte, im Gegensatz zu Maurice Holleaux, Études d'épigraphie et d'histoire grecques, Bd. 4: Rome, la Macédoine et l'Orient grec. Première partie, Paris 1952, 211–335 (mit weiterer Literatur, vgl. insbes. 217f., 269 zu dieser Textstelle sowie 283–298 zu der Chronologie), der zwei Kriegszüge gegen Pergamon annimmt, es aber ebenso für möglich hält, dass sich der erwähnte Wahnsinn auf die Zerstörung von Heiligtümern entweder in Pergamon oder anderswo bezieht. 26 Pol. 15,20,5–8. Siehe dazu oben, S. 184, sowie Kapitel zwei, S. 84f. Für eine knappe Diskussion von Belegstellen von tyche als Rächerin für menschliche Vergehen siehe Walbank, Commentary, Bd. 1 (1957), 20f., der neben den hier diskutierten Abschnitten auch noch Pol. 4,81,5 (Sparta) anführt, wo die Strafe jedoch in der Ermordung, also nicht im Wahnsinn besteht. 27 Pol. 23,10,13f. und 16: ...ἐστροβεῖτο νύκτωρ καὶ μεθ’ ἡμέραν περὶ τούτων διανοούμενος. ἐν τοιαύταις δ’ οὔσης ἀτυχίαις καὶ ταραχαῖς τῆς αὐτοῦ ψυχῆς, τίς οὐκ ἂν εἰκότως ὑπολάβοι θεῶν τινων αὐτῷ μῆνιν εἰς τὸ γῆρας κατασκῆψαι διὰ τὰς ἐν τῷ προγεγονότι βίῳ παρανομίας; ... καὶ διὰ ταῦτα τῆς ψυχῆς οἱονεὶ λυττώσης αὐτοῦ, καὶ τὸ κατὰ τοὺς υἱοὺς νεῖκος ἅμα τοῖς προειρημένοις ἐξεκαύθη, τῆς τύχης ὥσπερ ἐπίτηδες ἀναβιβαζούσης ἐπὶ σκηνὴν ἐν ἑνὶ καιρῷ τὰς τούτων συμφοράς.

5.1 Wahnsinn als göttliche Strafe bei Polybios

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Hochverratsprozesses beseitigen ließ. Laut Polybios musste sich Philipp für die Ermordung von einem seiner Söhne entscheiden.28 Diese prorömische Tendenz zeigt erneut, dass der vom Himmel entsendete Wahnsinn ursächlich für den Niedergang Makedoniens ist und dieser Zusammenhang sich in der Interpretation und Darstellung des Polybios an Schlüsselereignissen der makedonischen Geschichte herauslesen lässt. Denn Perseus (reg. 179–168 v. Chr.) blieb der letzte der Makedonenkönige. Die rhetorische Frage deutet darauf hin, dass Polybios die Vorstellung des Wahnsinns, verursacht durch göttliche Heimsuchung, grundsätzlich anerkannte, während er hingegen am Ende des Zitats oben auf die Rolle des Schicksals bzw. der Schicksalsgöttin mit der ihm eigenen Distanzierung anspielt. 29 Walbank sieht in dem gesamten Abschnitt einen Verstoß des Polybios gegen dessen eigenen Anspruch, Elemente der tragischen Geschichtsschreibung aus seinem eigenen Werk herauszuhalten. Er weist außerdem zu Recht darauf hin, dass weder die byzantinischen Exzerptoren die Ereignisse in dramatischer Art und Weise umgestaltet haben noch anzunehmen ist, dass Polybios selbst eine Tragödie oder einen historischen Roman als Vorlage für die Ereignisse wählte.30 Allerdings stimmt diese Schilderung des Lebensendes von Philipp V. wiederum mit seinen Taten zu Lebzeiten überein. Die Gewalt gegen die Götter, der damit verbundene Wahnsinn und das düstere Lebensende passen zu der polybianischen Tendenz, die Herrschaft Roms über Griechenland als gerechtfertigt darzustellen. Diese Tendenz, den Verlust der Freiheit der griechischen Welt mit der Verwünschung der letzten Vertreter der Dynastie der Antigoniden in Makedonien zu begründen, wird schließlich auch in der weiteren Vita des Antigoniden Perseus deutlich, sofern diese in den letzten, sehr fragmentarischen Büchern des Polybios überliefert ist. So heißt es in einem erhaltenen byzantinischen Exzerpt von Buch 29, dass „die Schicksalsgöttin gleichsam aus Vorsatz den Wahnsinn der Rhodier auf die Bühne brachte, wenn man überhaupt von dem Wahnsinn der Rhodier sprechen sollte und nicht vielmehr über den Wahnsinn der Menschen, die damals in Rhodos an die Spitze kamen“.31 Die Formulierung ist also teilweise identisch mit dem Zitat oben. Da auch der Wahnsinn der Rhodier sonst nicht anders begründet wird, liegt die göttliche Rache weiterhin im Religionsfrevel der Antigoniden begründet. Die Folge dieses Wahnsinns der Rhodier war es, dass sie als Unterhändler mit dem römischen Senat 169/8 kein Friedensangebot im dritten Makedonischen Krieg zustande brachten, vielmehr die Römer den Krieg mit Makedonien weiterverfolgten,

28 Pol. 23,7; 10f., insbes. Pol. 23,10,13 zum Konflikt des Vaters; Liv. 40,5,2–16,3; 23f. Zu den Personen Linda-Marie Günther, Perseus [2], DNP 9 (2000), 614f.; Dies., Demetrios [5], DNP 3 (1997), 431; Walbank (1940), 251f.; Nicholas G.L. Hammond, Frank W. Walbank, A History of Macedonia, Bd. 3, 336–167 BC, Oxford 1988, 490. 29 Ziegler (1952), 1538–1540. So auch Walbank, Commentary, Bd. 1 (1957), 25, Anm. 3. 30 Frank W. Walbank, ΦΙΛΙΠΠΟΣ ΤΡΑΓΩΙΔΟΥΜΕΝΟΣ, JHS 58 (1938), 55–68; ähnlich: Walbank, Commentary, Bd. 3 (1979), S. 229, jeweils mit früherer Literatur. 31 Pol. 29,19,2: τῆς τύχης ὥσπερ ἐπίτηδες ἀναβιβαζούσης ἐπὶ σκηνὴν τὴν τῶν Ῥοδίων ἄγνοιαν, εἰ χρὴ Ῥοδίων λέγειν, ἀλλὰ μὴ τῶν ἐπιπολασάντων ἀνθρώπων τότε κατὰ τὴν Ῥόδον.

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wie man im weiteren Verlauf dieses Abschnitts erfährt.32 Der Krieg endete mit der entscheidenden Niederlage des Perseus bei Pydna 168 v. Chr. Die Rhodier blieben auch in den Folgejahren von diesem kollektiven Wahnsinn betroffen. Im Kontext der Auseinandersetzungen mit Kreta des Jahres 154/3 heißt es in den Exzerpten des Polybios, dass die Rhodier „widersinnigen Begierden und Praktiken verfielen und in einen Zustand gerieten, der Personen ähnelte, welche an ihren chronischen Krankheiten verzweifelten“.33 Solche Menschen lehnten den Rat von Ärzten ab, wenn die erhoffte Besserung ausbliebe, „und einige klammern sich an Opferschauer und Wahrsager, probieren jede Art von Zaubersprüchen und Amuletten aus“.34 Dieser widersinnige Zustand habe sich vor allem an der Wahl ungeeigneter Amtsträger gezeigt.35 Polybios vergleicht also den Niedergang der griechischen Staatenwelt mit einer um sich greifenden Krankheit, die sich besonders in einer unnatürlichen Beziehung zu der göttlichen Sphäre und in magischen Praktiken äußert. Im Kontext der Auseinandersetzungen zwischen Rom und Andriskos Pseudophilippos, der sich von 149 bis 148 v. Chr. als (inoffizieller) König von Makedonien ausgab, äußert sich Polybios außerdem dahingehend, dass die Makedonen insgesamt von göttlicher Rache heimgesucht wurden: „Daher könnte man in Bezug auf diese Zustände sagen, dass, was ihnen widerfuhr, eine spirituelle Heimsuchung war und dass der Zorn der Götter alle Makedonier traf“.36 Im Kontext grenzt sich Polybios ab von „denen, welche das Schicksal und die Bestimmung als Urheber der öffentlichen Politik und der ihr eigenen Wendungen ansehen“, indem er Unwetter, das die Ernte bedroht, und Epidemien in der öffentlichen Meinung als nicht ursächlich erklärbar und daher wahrscheinlich göttlich verursacht gelten lässt, im Gegensatz zu erklärbaren Ereignissen, wie einem durch menschliches Verhalten verursachten Bevölkerungsrückgang. Das Verhalten Makedoniens gegenüber Rom zähle dabei zu der ersten Gruppe von Ereignissen, da sie der ursächlichen Erklärung entbehrten.37 Als Folge der Auseinandersetzungen des Jahres 149/8 wurde 32 Pol. 29,19,1–11. Das Datum nach Walbank, Commentary, Bd. 3 (1979), 391. Weitere Quellen zur Gesandtschaft sind Diod. 30,24 Walton = 30,27 Goukowsky und Liv. 45,3,3–8. Dort sagt der auch bei Polybios erwähnte rhodische Gesandte Agepolis (der hauptsächlich von dem „Wahnsinn“ betroffen ist) in seiner Rede an den Senat, dass „das Schicksal dem römischen Volk gewogen war“ (Liv. 45,3,6: fortunam populi Romani bene fecisse), er sieht also Rom als verdienten Sieger, nicht Makedonien als verdienten Verlierer. 33 Pol. 33,17,1: εἰς παραλόγους τινὰς ἐνέπεσαν ὁρμὰς καὶ παρασκευὰς πρὸς παραπλησίαν διάθεσιν ἦλθον τοῖς ἐν ταῖς πολυχρονίοις ἀρρωστίαις δυσποτμοῦσι. 34 Pol. 33,17,2: καὶ τινὲς μὲν θύταις καὶ μάντεσι προσέχειν, ἔνιοι δὲ πάσης ἐπῳδῆς καὶ παντὸς περιάμματος πεῖραν λαμβάνειν. 35 Pol. 33,17,5. 36 Pol. 36,17,16: διόπερ ἄν τις ἐπὶ τῶν τοιούτων διαθέσεων δαιμονοβλάβειαν εἴπειε τὸ γεγονὸς καὶ μῆνιν ἐκ θεῶν ἅπασι Μακεδόσιν ἀπηντῆσθαι. Zur Datierung siehe Walbank, Commentary, Bd. 3 (1979), 678. Zur Person Linda-Marie Günther, Andriskos [1], DNP 1 (1996), 688. 37 Pol. 36,17,1–13 mit Zitat in 36,17,1: τοῖς τὴν τύχην καὶ τὴν εἱμαρμένην ἐπιγράφουσιν ἐπί τε τὰς κοινὰς πράξεις καὶ τὰς κατ’ ἰδίαν περιπετείας. Weitere Textstellen, in denen Polybios – neben den besprochenen – dem Schicksal (tyche) bzw. der Schicksalsgöttin die Eigenschaft eines Strafgerichts nachsagt, sind Pol. 4,81,5; 11,5,8; 20,7,2. Programmatisch zum Wirken des

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Makedonien zur römischen Provinz. Der graduelle Verlust der Freiheit Makedoniens ist also durchgehend als göttliche Rache charakterisiert, die von dem Wahnsinn der sinnfreien Zerstörung von Heiligtümern ihren Ausgangspunkt nahm. Auch bei weiteren Herrschern und hellenistischen Gemeinwesen ist der Zusammenhang zwischen dem Niedergang der griechischen Staatenwelt, der Gewalt gegen Heiligtümer und des von Göttern verursachten Wahnsinns deutlich. Wie Antiochos III., so wurde demnach auch sein Nachfolger Antiochos IV. Epiphanes (175–164) von Wahnsinn heimgesucht, nachdem er versucht hatte, einen Tempel zu zerstören:38 König Antiochos wollte sich in Syrien finanziell bereichern und nahm sich also vor, gegen das Heiligtum der Artemis in Elymais zu Felde zu ziehen. Als er aber an dem Ort ankam, wurde er in seiner Hoffnung enttäuscht, weil die Barbaren, welche in der Nähe des Ortes wohnten, diese Untat nicht durchgehen ließen. Nach seiner Rückkehr verstarb er in Tabai in Persien, von einem daimon besessen, wie manche sagen, und zwar aufgrund gewisser Symptome, die der daimon bei der geplanten Untat gegen das oben erwähnte Heiligtum verursachte.

Antiochos IV. wird von dem Göttlichen heimgesucht bzw. von einem daimon besessen, also mit Wahnsinn bestraft.39 Die Gewalt gegen Heiligtümer zieht diesen göttlichen Zorn auf sich, die Gewalt selbst ist aber bereits eine Wahnsinnstat. Die göttliche Bestrafung der Seleukiden zieht sich also über zwei Generationen fort. Dabei hatte Antiochos IV. auch laut anderen Quellen, insbesondere den Büchern der Makkabäer, die Reputation, ein Tempelräuber zu sein, der sich an Tempelschätzen bereichern wollte. Demnach ließ er neben dem Tempel in der Elymais auch einen Tempel in Hierapolis, in Persepolis, Tempel in Ägypten sowie den jüdischen Tempel in Jerusalem plündern oder hatte zumindest diese Absicht.40 Bald nach dem

Schicksals in der Einleitung zum Werk ist Pol. 1,4,5. Zu dem verwandten Konzept der Providenz (pronoia), siehe Kapitel zwei, S. 83–88, insbes. Anm. 114 oben. Eine Diskussion darüber, inwiefern Polybios ein Wirken des Schicksals oder eine rationale, kausative Sicht auf die Geschichte annahm, findet sich bei Walbank, Commentary, Bd. 1 (1957), 20–23 (mit früherer Literatur) sowie in Ders., Polybius, 1972, 58–65. In dem Epilog zu seinem Werk spricht Polybios (39,8,2) ein Gebet an die Götter aus und erwähnt die Schicksalsgöttin, also muss er einen göttlichen Einfluss auf die Geschichte der Menschen anerkannt haben. 38 Pol. 31,9,1–4: Ὅτι κατὰ τὴν Συρίαν Ἀντίοχος ὁ βασιλεὺς βουλόμενος εὐπορῆσαι χρημάτων προέθετο στρατεύειν ἐπὶ τὸ τῆς Ἀρτέμιδος ἱερὸν εἰς τὴν Ἐλυμαΐδα. παραγενόμενος δ’ ἐπὶ τοὺς τόπους καὶ διαψευσθεὶς τῆς ἐλπίδος διὰ τὸ μὴ συγχωρεῖν τῇ παρανομίᾳ τοὺς βαρβάρους (τοὺς) οἰκοῦντας περὶ τὸν τόπον, ἀναχωρῶν ἐν Τάβαις τῆς Περσίδος ἐξέλιπε τὸν βίον, δαιμονήσας, ὡς ἔνιοί φασι, διὰ τὸ γενέσθαι τινὰς ἐπισημασίας τοῦ δαιμονίου κατὰ τὴν περὶ τὸ προειρημένον ἱερὸν παρανομίαν. 39 In Pol. 1,84,10 ist es ebenfalls ein daimon (τοῦ δαιμονίου), der die Karthager aufgrund ihres Religionsfrevels (ἀσεβείᾳ) dadurch bestraft, dass diese aus Hunger zum gegenseitigen Kannibalismus gezwungen werden. Vgl. Pol. 36,9,14–16, wo erneut die Karthager im Gegensatz zu den Römern als diejenigen dargestellt werden, die asebema begehen, wozu Polybios hier besonders die Sünden gegen die Götter zählt (39,6,15). Siehe zu dem Begriff auch Walbank, Commentary, Bd. 3 (1979), 667, ad locum, wonach in anderen Kontexten bei Polybios darunter hauptsächlich die Ermordung von Bürgern zu verstehen ist. 40 1 Makk 6,1–4; 2 Makk 5,15–21; 2 Makk 9,2; Granius Licinianus 28,6; Pol. 30,26,9. Siehe auch Michael J. Taylor, Sacred Plunder and the Seleucid Near East, G&R 61 (2014), 222–241, hier

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Aufenthalt in der Landschaft Elymais kam Antiochus in der Version des zweiten Buches der Makkabäer auf seinem weiteren Feldzug selbst im Tempel der Nanaia in Persien zu Tode.41 Dieses Ende teilte er also mit Prusias, der ebenfalls in einem Tempel starb (s.o.). Keine dieser Quellen spricht allerdings den Wahnsinn des Antiochos an. Laut Αppian, der auch über diesen Feldzug des Antiochos schreibt, „plünderte er den Tempel der Aphrodite in Elymais, siechte dahin und starb“.42 Appian bringt also ebenfalls Krankheit und Tod des Antiochos mit dem Tempelraub in Verbindung. Im zweiten Buch der Makkabäer ist es der jüdische Gott, der Antiochos wegen seiner Pläne gegen die Juden zuerst mit einem Darmleiden, dann noch mit einem Wutanfall und Sturz vom Wagen tödlich bestraft, im unmittelbaren Kontext erwähnt das Buch aber auch noch den finalen Tempelraub des Antiochos in Persepolis.43 Auch bei Flavius Josephus, der sich ausdrücklich auf Polybios bezieht, wurde Antiochos „krank, da er den Mut verlor“, wobei der verwendete Begriff (nosos) auf eine körperliche Krankheit hindeutet.44 Die Idee einer göttlichen Bestrafung als Folge eines Religionsfrevels des Antiochos war also in der hellenistischen Welt verbreitet, der Fokus ist bei Polybios dennoch stark auf den Wahnsinn gerichtet. Polybios legt Antiochos IV. Epiphanes sogar karikierend den Beinamen Epimanes („der Wahnsinnige“) zu.45 Auch bei Diodor wird Antiochos nach dem Zeugnis des Hieronymus, der die Nähe des heute verlorenen Textes zu Polybios betont, aufgrund des Tempelraubes als „wahnsinnig geworden“ bezeichnet. 46 Das Motiv das Wahnsinns, aufgrund von Habgier und der daraus resultierenden Gewalt gegen Heiligtümer, geht also auf Polybios zurück und wurde von Diodor übernommen, wobei die weiteren Autoren diese geistige Erkrankung allem Anschein nach zu einer körperlichen Erkrankung modifizierten, welche den Tod verursachte, möglicherweise deshalb, weil der durch Wahnsinn verursachte Tod zu konstruiert schien. Die folgende Sektion wird zeigen, dass Diodor eine ähnliche Vorstellung des

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236f. sowie Peter F. Mittag, Antiochos IV. Epiphanes. Eine politische Biographie, Berlin 2006, 144f. und 149–151. 2 Makk 1,13–16. App., Syr. 352: τὸ τῆς Ἐλυμαίας Ἀφροδίτης ἱερὸν ἐσύλησε καὶ φθίνων ἐτελεύτησε. 2 Makk 9,2–29. Doron Mendels, A Note on the Tradition of Antiochus IV’s Death, IEJ 31 (1981), 53–56 führt diese Darstellung auf eine babylonische Tradition zurück. 1 Makk 6,8–16 nimmt dagegen als Ursache des Todes von Antiochos IV. eine Depression an, herabgesandt aufgrund der Plünderung des Tempels in Jerusalem, jedoch auch in Zusammenhang mit der Plünderung des Tempels in Elymais. Zu dieser Deutung der verwendeten Begrifflichkeit als Depression, die durch Porphyrios von Tyros, BNJ 260 F 53 und F 56 = Hier., comment. in Dan. 11,36 und 11,44f. (PL 25,570 und 573) gestützt wird, siehe Geert W. Lorein, Some Aspects of the Life and Death of Antiochus IV Epiphanes. A New Presentation of Old Viewpoints, AncSoc 31 (2001), 157–171 hier 170 sowie 169–171 zu den verschiedenen Traditionen zum Tod des Antiochos. Diese Tradition im ersten Buch der Makkabäer geht wohl auf Polybios zurück. Siehe Mendels, a.a.O. 54. Ios., ant. Iud. 12,357: ὑπὸ ἀθυμίας εἰς νόσον κατέπεσεν. Der weitere Kontext ist Ios., ant. Iud. 12,354–359. Pol. 26,1a. Siehe dazu Kapitel zwei, S. 148f. oben. Diod. 31,18a Walton = 31,29 Goukwosky = Hier., comment. in Dan. 11,36 (PL 25,570): versum in amentiam.

5.2 Wahnsinn und Seuchen bei Diodor

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staatszersetzenden Wahnsinns als wichtige Tendenz seiner Universalgeschichte ansieht, um insbesondere die Machtverschiebung in hellenistischer Zeit zu erklären. Nach seinen methodischen Ausführungen in der Einleitung, die in Kapitel eins besprochen wurden, sieht er somit das moralisch-didaktische Ziel, die Menschen von einem Verhalten abzubringen, das diese providentielle Bestrafung bereits im Diesseits verursacht. 5.2 WAHNSINN UND SEUCHEN BEI DIODOR Bereits in den Büchern zur mythologischen Zeit Griechenlands sieht Diodor vielfältige Interaktionen zwischen den Göttern, der Seele des Menschen und ihrer Erkrankung. Diese Interaktionen finden sich erstmalig in Buch vier. Die vorausgehenden Bücher, welche nordafrikanische und orientalische Mythologien behandeln, beinhalten dagegen nichts Vergleichbares. Die griechischen Gottheiten sind also aus der westgriechischen Perspektive Diodors für den seelischen Zustand der Menschen maßgeblich. Insbesondere der Weingott Dionysos ist die erste Gottheit, zu deren Aufgaben es gehört, gottlose Menschen zu bestrafen, wobei Diodor als Beispiele die Könige von Theben und Thrakien, Pentheus und Lykurgos, nennt.47 Die genauen Umstände der Bestrafung erwähnt Diodor nicht, die dionysische Erfindung des Weins bringt aber den Wahnsinn zu den Menschen:48 Denn der Konsum von ungemischtem Wein führt zu einem Zustand des Wahnsinns, wenn der Wein aber vermischt ist mit Regen, den Zeus entsendet, dann bleiben Genuss und Freude ihm erhalten, doch die schädlichen Effekte des Wahnsinns und der Lähmung werden aufgewogen.

Der durch Wein verursachte Wahnsinn ist also eine Wirkung des Weingottes Dionysos, das Antidot des Regenwassers geht auf Zeus, den Vater des Dionysos, also den im Vergleich Mächtigeren, zurück. Der christliche Autor Clemens von Alexandria, der im Kontext Apollodoros von Athen (ca. 180–110 v. Chr.) zitiert, leitet das Wort „Orgien“ vom Zorn (orge) der Demeter gegenüber Zeus sowie das Wort „Mysterien“ von der durch Dionysos verursachten Verunreinigung (mysos) ab.49 Allein schon wegen der polemischen Tendenz der Aussage hat Clemens diese Etymologie kaum direkt von Apollodoros übernommen, trotzdem könnte das Gegensatzpaar Zeus – Dionysos in Verbindung mit den religiösen Feiern auf eine ältere nichtchristliche Tradition zurückgehen. Später in der Erzählung des Diodor bestraft Dionysos Butes, den Stiefbruder des Lykurgos aus Thrakien, mit Wahnsinn, nachdem dieser sich an einer Priesterin des Dionysos in Thessalien während der Feier orgiastischer Riten „gewaltsam und frevelhaft“, also mit der besonderen niederen Absicht der hybris, vergangen hatte:50 „Er schlug Butes mit Wahnsinn, und deshalb 47 Diod. 4,2,6 und 4,3,4. 48 Diod. 4,3,4: τὸν γὰρ οἶνον ἄκρατον μὲν πινόμενον μανιώδεις διαθέσεις ἀποτελεῖν, τοῦ δ’ ἀπὸ Διὸς ὄμβρου μιγέντος τὴν μὲν τέρψιν καὶ τὴν ἡδονὴν μένειν, τὸ δὲ τῆς μανίας καὶ παραλύσεως βλάπτον διορθοῦσθαι. 49 BNJ 244 F 142 = Clem. Alex., protrepticus 2,13,1. 50 Diod. 5,50,5: τῇ ἁρπαγῇ καὶ τῇ ὕβρει. Zur hybris siehe Kapitel eins, S. 33f. oben.

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wurde Butes geistesgestört, stürzte sich in einen Brunnen und starb“.51 Butes wird also des Frevels sowohl an der Priesterin als auch an der religiösen Feier schuldig. Dieser Frevel wiederum war in der Erzählung eine direkte Folge des zuvor geschmiedeten Komplotts gegen den König Lykurgos, da dieser seinen Rivalen Butes verbannt hatte und Butes daraufhin von den Kykladen aus einen Raubzug nach Thessalien unternahm.52 Der Wahnsinn ist hier also eine göttliche Bestrafung für Vergewaltigung und Religionsfrevel sowie letztlich für die patchworkartige Familienkonstellation, welche Diodor bzw. die von ihm stilisierten historischen Personen, wie Charondas (s.o.), als das Grundübel von Personen des öffentlichen Lebens ansehen, da Lykurgos und Butes Söhne des Windgottes Boreas sind, die er gemeinsam mit jeweils verschiedenen Frauen hatte.53 Diodor berichtet in späteren Büchern auch von „Wahnsinn“ in Bezug auf ein Massaker in Arkadien während der Dionysia, also religiöser Feste für den Gott des Weines, und zwar im Kontext des Boiotischen Krieges (379/8 bis 371 v. Chr.).54 In ähnlicher Weise verfiel Eumenes, der Kanzler Alexanders des Großen und nach dessen Tod Satrap in Kleinasien, vor seinem Tod im Winter 316/5 einer Krankheit, die er sich durch Alkoholkonsum auf einem Opferfest zugezogen und die unmittelbare Auswirkungen auf die Kampfmoral der von ihm geführten Armee hatte.55 Die vorgenannte mythologische Aitiologie erklärt also diese beiden späteren Ereignisse, deren Gemeinsamkeit in der Destabilisierung von Teilen der griechischen Welt liegt. Außerdem sind dämonische Kräfte die Folgen eines Liebeswahnsinns, wie Diodor kurz darauf mit Bezug auf die Söhne des Meeresgottes Poseidon auf Rhodos anführt:56 Als Aphrodite, so heißt es weiter, von Kythera aus zurück nach Zypern fuhr und vor der Insel vor Anker gehen wollte, wurde sie daran gehindert von den Söhnen des Poseidon, die arrogant und liederlich waren. Als aber die Göttin deshalb zornig wurde und diese mit Wahnsinn schlug, vergewaltigten sie ihre Mutter und taten auch den Einheimischen viel Schlimmes an.

Der Wahnsinn, verhängt durch die Liebesgöttin Aphrodite, führt also zu Inzest und Vergewaltigung. Die Mutter, Halia, begeht daraufhin Selbstmord, Diodor erklärt mit diesem Selbstmord den Kult der Halia, die daraufhin Leukothea genannt wurde, auf Rhodos. Poseidon ließ zudem diese Söhne, die er gemeinsam mit Halia hatte, vergraben, die Söhne wurden daraufhin „östliche Dämonen“ genannt.57 Die Söhne des Poseidon werden also selbst zu Dämonen, welche menschlichen Wahnsinn 51 Ebd.: τὸν δὲ μανίαν ἐμβαλεῖν τῷ Βούτῃ, καὶ διὰ τοῦτο παρακόψαντα ῥῖψαι ἑαυτὸν εἴς τι φρέαρ καὶ τελευτῆσαι. Zur mythologischen Figur Konrad Wernicke, Butes 5, RE 3.1 (1897), 1082. 52 Diod. 5,50,2. 53 Die Mütter sind unbekannt. Zu den Beziehungen des Boreas vgl. Diod. 4,43,3; 4,44,2–4; siehe ausführlich mit weiteren Testimonien Konrad Wernicke, Boreas 2, RE 3.1 (1897), 721–730. Zu Charondas siehe Kapitel drei, S. 114 oben. 54 Diod. 15,40,2: συναπονοήσασθαι. 55 Diod. 19,24. 56 Diod. 5,55,6: ... φασὶν Ἀφροδίτην ἐκ Κυθήρων κομιζομένην εἰς Κύπρον καὶ προσορμιζομένην τῇ νήσῳ κωλυθῆναι ὑπὸ τῶν Ποσειδῶνος υἱῶν, ὄντων ὑπερηφάνων καὶ ὑβριστῶν· τῆς δὲ θεοῦ διὰ τὴν ὀργὴν ἐμβαλούσης αὐτοῖς μανίαν, μιγῆναι αὐτοὺς βίᾳ τῇ μητρὶ καὶ πολλὰ κακὰ δρᾶν τοὺς ἐγχωρίους. 57 Diod. 5,55,7: προσηῴους δαίμονας.

5.2 Wahnsinn und Seuchen bei Diodor

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verursachen, die Ursache für diese Kräfte ist Aphrodite, welche die sexuelle Begierde personifiziert. Ebenfalls für die destruktive Seite der Sexualität steht der Wahnsinn des Archias aus Korinth, der infolge dessen Korinth verlassen musste und Syrakus gründete, also eine besondere Beziehung zu Diodors Herkunftsregion hatte.58 Archias begehrte den Aktaion, „wurde schließlich betrunken in Gesellschaft der Menschen, welche er um sich versammelt hatte, und aufgrund seiner Leidenschaft verfiel er einem großen Wahnsinn“.59 Der Versuch, den jungen Aktaion zu entführen, endete mit dessen Tod und der Auswanderung des Archias. Hier ist also der Wahnsinn sowohl der sexuellen Begierde als auch dem Rauschzustand durch die Gabe des Dionysos geschuldet. Neben dem Wein und dem Weingott Dionysos haben die Musen, ebenfalls Kinder des Zeus, also die verschiedenen Künste, einen direkten Einfluss auf die Seelen der Menschen.60 Etymologisch erklärt Diodor die Namen der Musen aus den Eigenschaften, die sie personifizieren, so leitet sich „Melpomene her von den Melodien, durch die sie die Seelen der Zuhörenden anlockt“.61 Melpomene steht dabei für die lyrischen Chorpartien der Tragödie und gilt als Patronin der Tragödie.62 Ihre seelische Wirkung leitet sich also von der kathartischen, d.h. die Seelen reinigenden Wirkung der Tragödie ab.63 Auch der Name der Urania, der Muse der Astronomie und Astrologie, stammt von ihrer Wirkung auf die Seelen der Menschen ab: 64 Urania deshalb, weil sie die von ihr Unterwiesenen zum Himmel [Uranos] erhebt; denn durch Urteilskraft und gedankliche Auseinandersetzung werden die Seelen zu himmlischen Höhen getragen.

Sowohl die tragische Kunst als auch die angesprochene Bildung bzw. Unterweisung, insbesondere in der Sternenkunde, dienen daher der seelischen Erbauung oder Stärkung. Die Götter können also nicht nur die Menschen mit seelischer Krankheit bestrafen, sondern auch aufgrund von Aktivitäten, welche der göttlichen Sphäre zugehören, also insbesondere durch das Studium der Sterne und deren Einfluss auf das Schicksal der Menschen, die Menschen positiv seelisch erbauen. Aus diesen mythologischen Grundlagen, die erklären sollen, wie sich die Interaktion des Göttlichen auf die Seele des Menschen ursprünglich begründete, leitet sich die moralisierende Tendenz der Bibliotheke des Diodor ab, die Götter zu ehren und zu achten. Wie bereits gezeigt, sieht Diodor die Achtung vor den Göttern als 58 Benedikt Niese, Archias 2, RE 2.1 (1895), 461 mit weiteren Quellen, insbesondere Thuk. 6,3,2 und Plut., amat. narr. 2 (= mor. 772c–773b). 59 Diod. 8,10,2: τέλος δὲ μεθυσθεὶς μετὰ τῶν συμπαρακληθέντων ἐπὶ τοσοῦτον ἀνοίας προέπεσεν ὑπὸ τοῦ πάθους. 60 Laut Diod. 4,7,1 waren die Musen nach Meinung der Mehrzahl der mythologischen Autoren Töchter des Zeus und der Mnemosyne. 61 Diod. 4,7,4: Μελπομένην δ’ ἀπὸ τῆς μελῳδίας, δι’ ἧς τοὺς ἀκούοντας ψυχαγωγεῖσθαι. 62 Christine Walde, Melpomene, DNP 7 (1999), 1197f. 63 Zu der Theorie des Aristoteles über die von der Tragödie verursachten katharsis siehe Kapitel eins, S. 30f. oben. 64 Diod. 4,7,4: Οὐρανίαν δ’ ἀπὸ τοῦ τοὺς παιδευθέντας ὑπ’ αὐτῆς ἐξαίρεσθαι πρὸς οὐρανόν· τῇ γὰρ δόξῃ καὶ τοῖς φρονήμασι μετεωρίζεσθαι τὰς ψυχὰς εἰς ὕψος οὐράνιον. Zur Person: Christine Walde, Urania [1], DNP 12.1 (2002), 1023f.

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das Kriterium an, das über Wohl und Wehe von Individuen und einzelnen Staaten entscheidet.65 Dieses Urteil steht im Kontext der Einrichtung der römischen Religion durch König Numa Pompilius, wobei Diodor diese religiöse Einrichtung implizit als Grund für den göttlichen Beistand und späteren Erfolg des römischen Reiches ausmacht und diese außerdem dem angeblichen westgriechischen Einfluss des Pythagoras zuschreibt.66 Im Kontext der Universalgeschichte Diodors haben die Erklärungen zur Genese des Wahnsinns unter Göttern und Menschen also die didaktische Funktion, den Aufstieg und Untergang von Individuen und Staaten zu erklären. Zu diesen Lehren des Pythagoras gehörte außerdem insbesondere, dass Menschen, welche den Göttern opfern, diese mit „einer gereinigten Seele“ darbringen sollen.67 In der Seele des Menschen liegt also der Schlüssel zum Erfolg von Gemeinwesen. Den größten Frevel, den Menschen gegenüber den Göttern begehen können, ist dabei auch nach Diodor die Zerstörung von Heiligtümern. Besonders schwer wiegen dabei Vergehen gegen den Tempel von Delphi, da dieser mit den Sieben Weisen assoziiert war, welche – wie wir gesehen hatten – die Grundsätze zum Schutz der Seele des Menschen und eines prosperierenden Gemeinwesens selbst aufgestellt hatten:68 Denn die Goldbarren des Kroisos und die übrigen Kunstwerke sind vernichtet worden und stellten dabei für die Menschen, die sich zum Frevel gegen das Heiligtum entschlossen hatten, einen großen Anreiz dar, doch die Sprüche wurden die ganze Zeit verschont und sind in den Seelen der Gebildeten aufbewahrt. Sie sind ein wunderschöner Schatz, den weder die Phoker noch die Galater anzurühren gedachten.

Mit diesen aufbewahrten Sprüchen gemeint sind die Weisheitssprüche des Chilon, einem der Sieben Weisen, am Tempel von Delphi: „Erkenne dich selbst, nichts im Übermaß sowie drittens: Bürgschaft – schon ist Unheil da!“.69 Mit den Plünderungszügen gemeint sind die Einfälle der Phoker 356‑346 v. Chr. sowie der Gallier im Jahre 279 v. Chr.70 Die Existenz der Inschriften am Tempel von Delphi ist für die klassische Zeit bei Platon sowie in einem Fragment des Aristoteles belegt.71 Pausanias, der in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts n. Chr., also lange nach Diodor, eine Reisebeschreibung Griechenlands verfasste und den Tempel 65 66 67 68

Diod. 8,15,1–5. Siehe dazu Kapitel eins, S. 43 oben. Diod. 8,14,1. Diod. 10,9,6: τὴν ψυχὴν ἁγνεύουσαν. Diod. 9,10,6: αἱ μὲν γὰρ χρυσαῖ Κροίσου πλίνθοι καὶ τὰ ἄλλα κατασκευάσματα ἠφανίσθη καὶ μεγάλας ἀφορμὰς παρέσχε τοῖς ἀσεβεῖν εἰς τὸ ἱερὸν ἑλομένοις, αἱ δὲ γνῶμαι τὸν ἅπαντα χρόνον σώζονται ἐν ταῖς τῶν πεπαιδευμένων ψυχαῖς τεθησαυρισμέναι καὶ κάλλιστον ἔχουσαι θησαυρόν, πρὸς ὃν ἂν οὔτε Φωκεῖς οὔτε Γαλάται προσενεγκεῖν τὰς χεῖρας σπουδάσειαν. 69 Diod. 9,10,1: Γνῶθι σεαυτόν, καὶ Μηδὲν ἄγαν, καὶ τρίτον Ἐγγύα, πάρα δ’ ἄτα. Einzelne dieser Sprüche wurden in der Antike auch Thales, Solon und anderen zugeschrieben, die Gesamtzuschreibung zu Chilon war jedoch geläufiger. Siehe dazu die folgenden Belegstellen sowie Hermann Tränkle, ΓΝΩΘΙ ΣΕΑΥΤΟΝ. Zu Ursprung und Deutungsgeschichte des delphischen Spruchs, WJA 11 (1985), 19–31, hier 20. 70 Ausführlich zur Geschichte Delphis: Friedrich Hiller von Gaertringen, Delphoi B. Geschichte, RE 4.2 (1901), 2520–2583, hier 2521 und 2563–2568. 71 Plat., Prot. 343b; Aristot., frg. 3 (Rose, 25).

5.2 Wahnsinn und Seuchen bei Diodor

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daher wohl aus eigener Anschauung kannte, erwähnt die Inschriften mit den Sprüchen im Präsens, also als weiterhin existierend.72 Cicero spielt ebenfalls im Präsens auf diese Sprüche an.73 Die übrigen Autoren, die nach den Plünderungszügen der Phoker und Galater bzw. Gallier schreiben, erwähnen zwar einzelne Sprüche, insbesondere das „Erkenne dich selbst“, jedoch ohne dabei zu bezeugen, dass diese Sprüche weiterhin als Inschrift am Apollontempel in Delphi erhalten waren, aber auch ohne auf ihre Vernichtung hinzudeuten.74 Der Apollontempel in Delphi wurde erst Ende des vierten Jahrhunderts n. Chr., also mutmaßlich im Kontext christlicher Tempelzerstörungen, durch ein Feuer vernichtet, die Inschriften sind danach nicht mehr erwähnt und wahrscheinlich ebenfalls zerstört worden.75 Dazu passt, dass es Ausonius (ca. 310-394) anscheinend nur noch der Sage nach bekannt war, dass in klassischer Zeit der bekannteste dieser Sprüche als Inschrift in Delphi existierte.76 Die ebenfalls oben erwähnten Gaben des Kroisos am Tempel von Delphi sind sonst nur bei Herodot im fünften Jahrhundert v. Chr. erwähnt, der also die späteren Plünderungszüge noch nicht kannte.77 Die oben zitierte Aussage Diodors ist daher wohl so zu verstehen, dass die Inschriften mit den delphischen Sprüchen geschont wurden, während die Gaben des Kroisos den beiden Plünderungszügen zum Opfer fielen, und dass die Sprüche darüber hinaus auch noch als geistiges Gut aufbewahrt sind. In jedem Fall stellt für Diodor die Kombination des Tempelraubs zusammen mit der Auslöschung der Weisheitssprüche einen Frevel dar, den er selbst Nichtgriechen nicht zutrauen möchte, und er erkennt in der Schonung dieser Inschriften eine allen Menschen gemeinsame Achtung vor dem Göttlichen. Diese Sprüche führt

72 Paus. 10,24,1: „In der Vorhalle des Tempels in Delphi befinden sich Sprüche, die für das Leben der Menschen von Nutzen sind und von Männern aufgeschrieben wurden, welche die Griechen als Weise bezeichnen.“ (ἐν δὲ τῷ προνάῳ τῷ ἐν Δελφοῖς γεγραμμένα ἐστὶν ὠφελήματα ἀνθρώποις ἐς βίον, ἐγράφη δὲ ὑπὸ ἀνδρῶν οὓς γενέσθαι σοφοὺς λέγουσιν Ἕλληνες). 73 Cic., fin. 5,16,44: „Der pythische Apollo befiehlt uns also, uns selbst zu erkennen“ (iubet igitur nos Pythius Apollo noscere nosmet ipsos). 74 Klearchos, frg. 69a–d Wehrli; Hermippos, frg. 47a–c Wehrli = frg. 29a–c Bollansée; Cic., leg. 1,58; Cic., Tusc. 1,22,52 und 5,25,70; Plut., de E apud Delphos 17 (mor. 392a); Iuv. 11,27; Clem. Al., strom. 1,14,60 und 2,15,70f.; Orig., in Canticum canticorum 2,56 (GCS 33: 141); Porphyrios bei Stob. 3,21,26 (Wachsmuth/Hense, Bd. 3, 579f.) erwähnen die delphischen Sprüche nach den von Diodor angesprochenen Plünderungszügen. Vgl. Tränkle (1985), 20f. Siehe auch die weiteren Belegstellen zur Deutung der delphischen Sprüche (ebd., 22–31). 75 Prud., apotheosis 438 erwähnt das Ende des Apollonorakels in Delphi. Passio Philippi 5.22, 27 (Franchi de' Cavalieri, 147) die Zerstörung des Tempels im Kontext eines Kataloges zerstörter Heiligtümer, wie des Serapeions von Alexandria: „In ähnlicher Weise wurde der Tempel des Apollon in Delphi von einem Sturm heimgesucht und danach von einem Feuer zerstört.“ (similiter Delficum Apollinis templum primum adfecit turbo nescio quis, post ignis incendit). 76 Auson., ludus septem sapientium 3,52f.: Delphis Solonem scripse fama est Atticum: | γνῶθι σεαυτόν. „Es ist überliefert, dass Solon in attischer Sprache am Tempel von Delphi die Inschrift „Erkenne dich selbst“ angebracht hat. Auson., ludus septem sapientium 5,136–139 nennt ebenfalls die Inschrift in Delphi, allerdings im Kontext der Lebzeiten des Chilon, Auson., ludus septem sapientium 7,180f. lediglich einen Weisheitsspruch. 77 Hdt. 1,50–55.

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Diodor auch an anderer Stelle als fundamentale Grundsätze für das Leben der Menschen an.78 Ein Grund dafür, dass Diodor die Plünderung und Zerstörung von Heiligtümern zu den schlimmsten menschlichen Vergehen zählt, ist die direkte Auswirkung dieser Handlung, indem die Götter für diese Provokation Rache üben. So wird das persische Heer unter Xerxes I. (reg. 486-465) durch einen Gewittersturm, der durch göttliche Intervention ausgelöst wurde, an der Plünderung des Apollontempels und Orakels von Delphi gehindert, Xerxes gelingt es daraufhin jedoch, in Athen Tempel zu zerstören.79 Dieser Gewittersturm zeigt die besondere Bedeutung Delphis für den Freiheitskampf der Griechen in ihrer Gesamtheit. Als ausgleichende Gerechtigkeit verliert Xerxes daraufhin, im Jahre 480 v. Chr., die Seeschlacht von Salamis gegen den Athener Themistokles und fährt somit die für Persien entscheidende Niederlage ein. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen ist bei Diodor zwar nicht explizit hervorgehoben, aber bereits dadurch offensichtlich, dass die Schilderung der Seeschlacht direkt auf die Plünderungszüge des Xerxes folgt, diese Plünderungszüge laufen sogar parallel zu den Vorbereitungen bei Salamis ab.80 In mehreren Fragmenten der späteren Bücher der Bibliotheke des Diodor wird diese göttliche Strafe für Tempelplünderungen erneut thematisiert, so in dem bereits oben angesprochenen polybianischen Fragment zum Frevel des Prusias II. von Bithynien, dessen Heer anschließend von einer Seuche heimgesucht wird. 81 In einem weiteren Fragment, dessen Kontext unklar ist, da der Sachverhalt sonst nirgendwo erwähnt wird, aber um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. einzuordnen ist, wird ein Übergriff der Bewohner Kretas auf die Insel Siphnos beschrieben, bei dem die Götter durch eine Flutwelle an den Tempelzerstörungen Rache nahmen, dabei aber die Menschen, die sich nicht an den Übergriffen beteiligt hatten, verschonten.82 Alexander II. Zabinas wurde außerdem von einem Dämon verfolgt, weil er zuvor als Usurpator im Seleukidenreich den Zeustempel in Antiocheia hat plündern lassen, und er wurde kurz darauf von seinem Gegner Antiochos gefangen genommen und hingerichtet, und zwar laut Diodor als Ergebnis einer göttlichen Rache.83 Göttliche Rache für die Zerstörung von Heiligtümern ist also ein wiederholtes Thema in der Bibliotheke des Diodor.84

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So Diod. 9,10,2–4; 13,24,5. Diod. 11,14,2–5. Diod. 11,13 und 15–19. Diod. 31,35 Walton = 31,51 Goukowsky. Siehe oben, S. 182, Anm. 6. Diod. 31,45 Walton = 31,62 Goukowsky (Fragments, Bd. 3, S. 184, mit Anm. 246 zum Kontext). 83 Diod. 34/35,28,1–3 Walton = 35,14–16 Goukowsky. Dagegen erwähnt Ios., ant. Iud. 13,269f. und 273, weder den Tempelraub noch die göttliche Strafe, Iust. 39,1f. zwar den Tempelraub, interpretiert diesen aber nicht als das Ergebnis göttlicher Rache. Laut Eus., chron. 1, S. 122 Karst hat sich Alexander nach seiner Niederlage selbst vergiftet, den Tempelraub erwähnt Eusebios nicht. Zur Person Alexanders Andreas Mehl, Alexandros 14, DNP 1 (1996), 476. Ulrich Wilcken, Alexandros 23, RE 1.1 (1893), 1438f. 84 Die Interaktion zwischen Göttern und Menschen zeigt sich auch in verschiedenen Omina, so in Diod. 8,32,2; 17,10; 17,41,5–8; 17,49–51, 38/39,5 Walton.

5.2 Wahnsinn und Seuchen bei Diodor

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Auch bei Diodor zeigt sich zudem, dass die Zerstörung von Heiligtümern aus exzessivem Zorn und aus Wahnsinn heraus geschieht, also der aufgenommene Kampf gegen die Götter selbst eine Strafe für die Menschen ist. Dieser Zusammenhang wird an dem weiteren Schicksal der Personen deutlich, die sich an der Plünderung der Orakelstätte in Delphi im Jahre 356 beteiligt hätten, insbesondere an der weiteren Biographie eines sonst unbekannten Söldnerführers namens Thrasios: 85 Einer der Söldner, der Thrasios hieß und der gemeinsam mit den Phokern das Heiligtum in Delphi geplündert hatte, der durch das Ausmaß seines Wahnsinns und seiner Dreistigkeit hervorstach, vollbrachte eine Tat, die seinem zuvor begangenen Frevel ebenbürtig war. Während fast alle übrigen Personen, die sich an der Untat gegen die Orakelstätte beteiligt hatten, von dem daimon ihre gerechte Strafe erhielten, wie ich kurz zuvor berichtet habe, war er allein dem göttlichen Strafgericht entkommen und unternahm es nun, die Söldner zur Revolte anzustacheln. Denn er sagte, dass Timoleon geistesgestört sei und seine Soldaten in ihre sichere Vernichtung führe.

Timoleon, der ursprünglich aus der Mutterstadt Korinth stammte, hatte dabei zuvor, im Jahre 343/2, Syrakus von der Tyrannis des Hiketas befreit und war im Begriff, im Bündnis mit den weiteren Griechenstädten auf Sizilien die mit Hiketas verbündeten Karthager zu vertreiben. In der folgenden Schlacht am Krimisos im Jahre 342 gelang es ihm, trotz der Desertion einiger Söldner unter Thrasios, Karthago entscheidend zu schlagend. 86 Zu den Deserteuren gehörten laut Diodor etwa eintausend Männer, welche Timoleon zunächst friedlich nach Syrakus ziehen ließ, von wo aus er sie bei seiner Rückkehr nach dem Sieg gegen Karthago vertrieb, mit der Folge, dass die gesamte desertierte Söldnertruppe nach Bruttium in Italien zog und dort nach der Plünderung einer Küstenstadt vernichtet wurde. Diodor deutet diese Vernichtung als Vergeltung für das frühere religiöse Unrecht. 87 In der TimoleonVita des Plutarch, der einzigen Parallelquelle zu dem Söldneraufstand, wird der Söldnerführer Thrasios selbst nicht erwähnt, wohl aber die tausend desertierten Söldner, die in Bruttium ums Leben kamen. Plutarch sieht ihr Schicksal auch ausdrücklich als ausgleichende Gerechtigkeit für den Aufstand, jedoch nicht für die Plünderung von Delphi. Auch diese Plünderung von Delphi ist dort allerdings erwähnt sowie der Umstand, dass einige der daran beteiligten Personen als griechische Söldner gegen die Karthager ihr Leben verloren, und dieses Ereignis führt Plutarch auf die göttliche Rache zurück.88 Beide Autoren, Diodor und Plutarch, beruhen wohl auf der Timoleon sehr positiv gewogenen Darstellung des Timaios.89 85 Diod. 16,78,3–5: τῶν γὰρ μισθοφόρων τις ὄνομα Θρασίος, σεσυληκὼς τὸ ἐν Δελφοῖς ἱερὸν μετὰ τῶν Φωκέων, ἀπονοίᾳ δὲ καὶ θράσει διαφέρων, ἀκόλουθον τοῖς πρότερον τετολμημένοις πρᾶξιν ἐπετελέσατο. τῶν γὰρ ἄλλων σχεδὸν ἁπάντων τῶν μετασχόντων τῆς εἰς τὸ μαντεῖον παρανομίας τετευχότων ὑπὸ τοῦ δαιμονίου τῆς προσηκούσης τιμωρίας, καθάπερ μικρῷ πρότερον ἀνεγράψαμεν, μόνος οὗτος διαλεληθὼς τὸ θεῖον ἐπεχείρησε τοὺς μισθοφόρους παρορμᾶν πρὸς ἀπόστασιν. ἔφη γὰρ τὸν Τιμολέοντα παραφρονοῦντα πρὸς ὁμολογουμένην ἀπώλειαν ἄγειν τοὺς στρατιώτας. 86 Zu den Ereignissen, Klaus Meister, Timoleon, DNP 12.1 (2002), 589f. Diod. 15,66–68 und 16,79,2–6; Plut., Timoleon 16–29; Nep., Timoleon 2,4 und 3,3. 87 Diod. 16,79,1; 16,82,1f. 88 Plut., Timoleon 30,1–10. 89 Siehe Klaus Meister, a.a.O.

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Diodor sah es wohl als unangemessen an, dass die Plünderer von Delphi ausgerechnet von Karthagern statt von den Westgriechen in Bruttium erschlagen wurden und passte seine Darstellung daraufhin an. In jedem Fall zeigt die Episode um den Söldneraufstand, dass der Wahnsinn des Religionsfrevels ansteckend auf die weitere Gemeinschaft der tausend Söldner wirkt und deren Untergang besiegelt. Auch Alexander der Große wird laut Diodor – und zwar nur laut Diodor – dazu veranlasst, „berühmte Gebäude der Perser“ (worunter neben den erwähnten Palästen wohl auch einige Tempel zu verstehen sind) als Rache für zuvor geplünderte Heiligtümer der Griechen niederzubrennen, nachdem während eines rauschenden Festes in Persepolis die Teilnehmer betrunken und vom Wahnsinn erfasst werden und eine Kurtisane ihm zu dieser Tat rät.90 In ähnlicher Weise handelt Mardonios, der persische Kommandeur der Schlacht bei Plataiai 497 v. Chr., bei der er selbst getötet wurde, „aus Wut“ bei seiner unmittelbar vorausgehenden Zerstörung griechischer Heiligtümer.91 Diodor macht hier also indirekt diese Wut gegen die Götter für die entscheidende persische Niederlage verantwortlich. Für Diodor historisch entscheidende Personen werden je nach ihrer historischen Würdigung als Befürworter oder Kritiker der Zerstörung von Heiligtümern charakterisiert, eine dahingehende Bewertung ist also stellvertretend für die historische Einordnung. So war Diodor dem Hippokrates, Herrscher im südsizilischen Gela, offenbar positiv gewogen, möglicherweise aufgrund seiner Erfolge in der Einigung der sizilischen Westgriechen untereinander, da Hippokrates es den Einwohnern von Syrakus nach seinem Sieg über die Stadt ausdrücklich verbat, die Tempel von Syrakus zu plündern, da er ein solches Vorgehen als Sünde gegen die Götter und als seinem Ideal einer gerechten Verwaltung widersprechend ablehnte. 92 Sünde gegen die Götter und Korruption im Staat sind also wieder als Einheit gedacht. Philipp V. von Makedonien, mit dessen Herrschaft der Verlust der Freiheit der griechischen Welt besonders assoziiert ist, ist zusammen mit dem bereits ausführlicher besprochenen Antiochos IV. als Tempelzerstörer beschrieben, diese Eigenschaft steht im Gegensatz zur Ehrfurcht gegenüber den Göttern in der römischen Welt:93

90 Diod. 17,72,1: „Als das Trinkgelage voranschritt, ergriff Wahnsinn für lange Zeit die Seelen der betrunkenen Teilnehmer.“ (τῆς δὲ μέθης προϊούσης κατέσχε λύσσα ἐπὶ πολὺ τὰς ψυχὰς τῶν οἰνωμένων) mit 17,72,2 (τὰ Περσῶν περιβόητα). Laut Arr., an. 3,18,11f. hat Alexander dagegen allein aus Rache gehandelt, das Trinkgelage ist nicht erwähnt. Plut., Alexander 38 und Curt. 5,7,3–11, erwähnen zwar das Trinkgelage und die Kurtisane Thais, aber nicht den Wahnsinn. Das Fragment des Kleitarchos BNJ 137 F 11 = Athen. 13,37, 576d–e erwähnt Thais, aber nicht das Trinkgelage oder den Wahnsinn. 91 Diod. 11,28,6: χαλεπῶς. 92 Diod. 10,28,1f. Zur Person und der historischen Bedeutung Barbara Patzek, Hippokrates [4], DNP 5 (1998), 586f. 93 Diod. 28,3,1: Ὅτι Φίλιππος ὁ τῶν Μακεδόνων βασιλεὺς χωρὶς τῆς πλεονεξίας οὕτως ὑπερήφανος ἦν ἐν ταῖς εὐτυχίαις ὥστε τοὺς μὲν φίλους ἀκρίτως ἀποσφάξαι, τοὺς δὲ τάφους τῶν προτετελευτηκότων καὶ πολλὰ τῶν ἱερῶν κατασκάπτειν. Ἀντίοχος δὲ τὸ κατὰ τὴν Ἐλυμαΐδα τέμενος τοῦ Διὸς συλᾶν ἐπιβαλόμενος πρέπουσαν τὴν καταστροφὴν εὗρε τοῦ βίου, μετὰ πάσης τῆς δυνάμεως ἀπολόμενος. ... τοιγαροῦν ὥσπερ ἀπὸ περιγραφῆς τῶν ἰδίων πράξεων ἐπὶ τὸ χεῖρον ἑώρων τὰς αὑτῶν βασιλείας ὑπὸ τοῦ δαιμονίου προαγομένας. οἱ δὲ

5.2 Wahnsinn und Seuchen bei Diodor

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Ohne irgendeinen Vorteil davon zu haben, verhielt sich Philipp, der König der Makedonen, während seiner erfolgreichen Phasen so arrogant, dass er seinen Freunden ohne Prozess die Kehlen durchschneiden ließ und die Gräber der Vorfahren und eine Vielzahl von Heiligtümern dem Erdboden gleichmachte. Weil Antiochos eifrig darauf bedacht gewesen war, den Tempel des Zeus bei Elymais zu plündern, fand er einen angemessenen Tod und wurde mit seiner gesamten Streitkraft vernichtet. [...] Aus diesem Grund mussten sie mitansehen, wie gleichsam durch die Projektion ihrer eigenen Taten ihre Königreiche sich durch göttliche Gewalt zum Schlechteren wandelten. Die Römer hingegen haben sowohl damals als auch später gerechte Kriege geführt und auf Eide und Verträge größtmögliche Rücksicht genommen; nicht ohne Grund haben sie somit die Götter als Bündnispartner in allen ihren Unternehmungen.

Diodor sieht also im Niedergang der hellenistischen Königreiche und dem Aufstieg des Römischen Reiches das Wirken der göttlichen Providenz, welche den Kampf gegen die Götter um seiner selbst willen größtmöglich bestraft, die Achtung der göttlichen Verträge dagegen belohnt. Das Göttliche hat bei Diodor eine richtende Funktion und der Niedergang des demokratischen Staates korrespondiert mit seiner Religion, und zwar insbesondere der Religion eines Herrschers: „Denn so wie das Gesetz für die Bürger einer Demokratie zum Richter über ihre Taten bestimmt ist, so ist Gott der Richter über Menschen in Machtpositionen“.94 Dabei ist „Gier“ (gemeint ist also die Gier nach Tempelgold und der damit verbundenen Entweihung) das Hauptlaster, das zu der ihr entsprechenden Strafe führt, daneben nennt Diodor auch den Zorn als Motivation für den Tempelraub durch Philipp von Makedonien.95 In mindestens einem Fall beschreibt Diodor Wahnsinn als sich epidemisch ausbreitende Seuche, die von den Göttern zur Vergeltung für die Zerstörung von Heiligtümern eingesetzt wird. Der Kontext ist außerdem der sizilische Abwehrkampf gegen Karthago, und zwar im Sommer 396 v. Chr. während der Herrschaft des Dionysios I. von Syrakus.96 Diodor stellt diese Episode sehr ausführlich dar, da sie den Abwehrkampf seiner Heimat Sizilien gegen Karthago betrifft. Die Krankheit, welche die Karthager befällt, ist ähnlich wie bei Polybios oben, im Kontext mit den Tempelzerstörungen Prusias II., wohl die Ruhr bzw. dysenteria:97 Als Nächstes trat eine Magen-Darm-Erkrankung auf sowie Blasen, die über die gesamte Oberfläche des Körpers verteilt waren. In den meisten Fällen verlief die Krankheit auf diese Weise,

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Ῥωμαῖοι καὶ τότε καὶ μετὰ ταῦτα δικαίους ἐνιστάμενοι πολέμους καὶ πλεῖστον ὅρκων καὶ σπονδῶν ποιούμενοι λόγον οὐκ ἀλόγως συμμάχους εἶχον τοὺς θεοὺς ἐν ἁπάσαις ταῖς ἐπιβολαῖς. Diod. 28,4: ὥσπερ γὰρ τοῖς ἐν δημοκρατίᾳ πολιτευομένοις ὁ νόμος,οὕτω τοῖς ἐν ἐξουσίαις ὁ θεὸς βραβευτὴς γίνεται τῶν πραττομένων. Darauf weist der unmittelbar anschließende Kontext bis 28,5 hin sowie 28,7, wo Philipp in Athen „aus Zorn“ (τῷ θυμῷ) insbesondere die platonische Akademie, den Hort der griechischen Bildung, angreift. Zu Datum und Literatur siehe Klaus Meister, Dionysios [1], DNP 3 (1997), 625–629, insbes. 627. Diod. 14,71,2f.: εἶτ’ ἐπεγίνοντο δυσεντερία καὶ φλύκταιναι περὶ τὴν ἐπιφάνειαν ὅλην τοῦ σώματος. τοῖς μὲν οὖν πλείστοις τοιοῦτον ἦν τὸ πάθος, τινὲς δ’ εἰς μανίαν καὶ λήθην τῶν ἁπάντων ἔπιπτον, οἳ περιπορευόμενοι τὴν παρεμβολὴν ἐξεστῶτες τοῦ φρονεῖν ἔτυπτον τοὺς ἀπαντῶντας. Zu den sehr ähnlichen Begebenheiten im Kontext der Tempelzerstörungen des Prusias II. (u.a. erwähnt bei Diod. 31,35 Walton = 31,51 Goukowsky) siehe oben, S. 182 und 195.

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5 Interaktion der Seele mit dem Göttlichen doch verfielen einige dem Wahnsinn und verloren vollständig ihr Gedächtnis. Sie irrten im Feldlager umher als geistig Verwirrte und schlugen auf jeden ein, der ihnen begegnete.

Diese Seuche, die zu Wahnsinn und Selbstvernichtung führte, nahm ihren Ausgang von der Plünderung der Tempel der Demeter und der Kore im Umkreis von Syrakus durch die Karthager. Neben dem göttlichen Einfluss sieht Diodor auch äußere Bedingungen, insbesondere die sommerliche Hitze sowie die beengten Verhältnisse innerhalb der karthagischen Armee, also die fehlende soziale Distanzierung, als Faktoren für den Ausbruch an.98 Den Bewohnern von Syrakus erschien ein von den Westgriechen gelegtes Feuer, das einen Teil der feindlichen Flotte vernichtete, ebenfalls als göttliches Zeichen und als Rache für die Zerstörung von Tempeln.99 Dionysios kam im Gegenzug anscheinend zugute, dass er selbst die Götter ehrte. Zumindest erwähnt Diodor mehrfach, dass Dionysios sich während des Abwehrkampfes mehrfach in der Nähe von Tempeln aufhielt.100 Himilkon, der Kommandeur der Karthager, der nicht nur die Tempelplünderung zu verantworten hatte, sondern darüber hinaus auch noch in der Nähe von Syrakus Gräber vernichtet und sein Hauptquartier im Tempel des Zeus aufgeschlagen hatte, war dagegen nach seiner Flucht und Rückkehr mit den wenigen Überlebenden dazu gezwungen, an den heimischen Tempeln Abbitte zu leisten und sich schließlich zu Tode zu hungern, da er den weiteren militärischen Niedergang Karthagos zu verantworten hatte.101 Die Respektlosigkeit gegenüber den Göttern kennt also keine Landesgrenzen. Dieser Abwehrkampf von Syrakus gegen Karthago zeigt, dass Wahnsinn als Ausfluss göttlicher Rache verstanden wurde, welche sich epidemisch von den persönlichen Vergehen des Kommandeurs aus auf die Soldaten, schließlich auf das gesamte Reich überträgt und für dessen Untergang verantwortlich ist. Im Anschluss an die Belagerung von Syrakus versuchten die Karthager, zusätzlich von den benachbarten Libyern attackiert, die Götter zu besänftigen und heuerten dafür sogar ansässige Griechen an, um speziell auf die beleidigten Götter Demeter und Kore einzuwirken.102 Noch nach ihrer Niederlage im ersten Punischen Krieg hatten die Karthager das Gefühl, dass sie die Götter vernachlässigt hatten und sie diese nun durch vermehrte Opfer besänftigen mussten.103 Umgekehrt wird sogar ein römischer Kommandeur im ersten Punischen Krieg, P. Claudius Pulcher, Consul des Jahres 249 v. Chr., der für die Niederlage von Drepana auf Sizilien verantwortlich war, als wahnsinnig dargestellt: „Da er von Natur aus heißblütig und geistesgestört war, kamen seine Amtshandlungen vielfach dem Wahnsinn gleich“. 104 Im unmittelbaren Kontext äußert sich dieser Wahnsinn in mangelnder Einsichtsfähigkeit und

98 99 100 101 102 103 104

Diod. 14,70,4–6. Diod. 14,73,5 und 14,74,3f. Diod. 14,72,1 und 14,74,5. Diod. 14,76 mit 14,63. Zur Person Linda-Marie Günther, Himilkon [1], DNP 5 (1998), 563f. Diod. 14,77,3–5. Diod. 23,13 sowie 13bis Goukowsky. Diod. 24,3,1 Walton = 24,4 Goukowsky (Zitat aus 4,2): ὢν δὲ φύσει παράθερμος καὶ τῇ διανοίᾳ παρακεκινηκὼς πολλὰ διῴκει μανίᾳ προσεμφερῶς.

5.2 Wahnsinn und Seuchen bei Diodor

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exzessiver Bestrafung, außerdem hat Claudius Pulcher im Vorfeld der verlorenen Schlacht Auspizien, also den Rat der Götter, missachtet.105 In der Bibliotheke des Diodor treten daher Seuchen häufiger als Manifestation der göttlichen Rache auf. Wahnsinn wird als Symptom dieser Seuchen dabei nicht explizit genannt, aber doch teils sehr deutlich beschrieben, so etwa im Kontext einer karthagischen Invasion Italiens im Jahre 379/8 v. Chr.:106 Anschließend trat eine epidemische Geisteskrankheit unter den Einwohnern Karthagos auf und diese Seuche wütete sehr heftig. Viele Karthager wurden vernichtet, und sie liefen Gefahr, ihre Vorherrschaft wegzuwerfen. [...] Ein gottgesandtes Unglück befiel zu gleicher Zeit Karthago. Denn Unruhen, Angstzustände und panische Verwirrtheit von unglaublicher Art herrschten unentwegt in der gesamten Stadt vor, und viele Menschen stürmten mit Waffen aus ihren Häusern, so als ob gerade Feinde in die Stadt einfielen. Sie kämpften dabei als Feinde gegeneinander und töteten oder verwundeten sich gegenseitig.

Nosos kann dabei sowohl eine Geisteskrankheit sein als auch eine körperliche Erkrankung, die konkreten Symptome deuten hier aber genau wie oben bei der Belagerung von Syrakus auf eine Geisteskrankheit hin. Die Symptomatik ist die gleiche wie oben bei den Karthagern während der Belagerung von Syrakus, also ein gegenseitiges Morden aus geistiger Verwirrtheit. Die genaue Genese dieser Seuche ist hier allerdings unklar. Der unmittelbare Kontext ist der Einfall der Karthager in das südliche Italien, wo sie die Stadt Hipponion (in Bruttium, in römischer Zeit Vibo Valentia) wiedererrichteten und die exilierte Bevölkerung wiederansiedelten.107 Hipponion war ein Jahrzehnt zuvor, im Jahre 389 v. Chr., von Dionysios I. zerstört, seine Bevölkerung nach Syrakus deportiert, und das Gebiet dem benachbarten Lokroi zugeschlagen worden.108 Da es den Karthagern anschließend gelang, durch Opfer die ungenannte Gottheit zu versöhnen, und sie den Ausbruch sowie ihren allgemeinen Niedergang dadurch stoppen konnten, gingen sie offenkundig selbst von einem Religionsfrevel als Ursache der Seuche aus.109 Es könnte sich bei diesem Religionsfrevel also ebenfalls um die Zerstörung von Heiligtümern während der Invasion in Süditalien gehandelt haben. Ein sicherer Beleg für den Ausbruch einer Seuche im Heer der Karthager nach der Zerstörung von Heiligtümern stammt erneut aus dem Kontext des Krieges mit Diodors Heimat Sizilien. Während der Belagerung von Akragas (Agrigent) auf Sizilien im Jahre 406 v. Chr. ordnete Hannibal Mago die Zerstörung von Gräbern und 105 Cic., nat. deor. 2,7. Der entsprechende Text Diodors ist möglicherweise nicht überliefert, da Buch 24 äußerst fragmentarisch erhalten ist. Zur Person Karl-Ludwig Elvers, Claudius [I 29] Pulcher, P., DNP 3 (1997), 11. 106 Diod. 15,24,2f.: μετὰ δὲ ταῦτα λοιμικῆς νόσου τοῖς κατοικοῦσι τὴν Καρχηδόνα γενομένης, καὶ τῆς νόσου πολλὴν ἐπίτασιν ἐχούσης, πολλοὶ τῶν Καρχηδονίων διεφθάρησαν, καὶ τὴν ἡγεμονίαν ἐκινδύνευσαν ἀποβαλεῖν· ... ἐγένετο δὲ περὶ τὸν αὐτὸν καιρὸν θεόπεμπτός τις ἀτυχία κατὰ τὴν Καρχηδόνα. ταραχαὶ γὰρ καὶ φόβοι καὶ πανικοὶ θόρυβοι συνεχεῖς ἐγίνοντο κατὰ τὴν πόλιν παράδοξοι, καὶ πολλοὶ μὲν μετὰ τῶν ὅπλων ἐξεπήδων ἐκ τῶν οἰκιῶν, ὡς πολεμίων εἰσπεπτωκότων εἰς τὴν πόλιν, καὶ πρὸς ἀλλήλους ὡς πολεμίους διαπολεμοῦντες, οὓς μὲν ἀνῄρουν, οὓς δὲ κατετραυμάτιζον. Datum nach Diod. 15,24,1. 107 Diod. 15,24,1. Zur Geschichte der Stadt: Anna Muggia, Vibo Valentia, DNP 12.2 (2002), 179. 108 Diod. 14,107,2. 109 Das Opfer und seine Auswirkungen erwähnt Diod. 15,24,3.

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5 Interaktion der Seele mit dem Göttlichen

Monumenten an, um Rampen zu der Stadtmauer aufzuschütten. Die Seuche ging dabei unmittelbar von der Zerstörung des Grabes von Theron aus, der von 488 bis 472 v. Chr. in Syrakus herrschte, die karthagischen Weissager hatten zuvor vor der Zerstörung gewarnt: „Sogleich befiel eine Seuche das Heer, und viele starben, nicht wenige aber erlitten Folter und furchtbare Qualen“.110 Hannibal Mago selbst starb laut Diodor an der Seuche, die dazu führte, dass die Karthager von weiterer Zerstörung der Gräber abließen und Opfer darbrachten.111 Diese Opferhandlung ist ein weiterer Hinweis darauf, dass auch bei der oben erwähnten Invasion Süditaliens analog Heiligtümer zerstört wurden, da jeweils Sühnopfer folgten. Die explizite Verbindung der Seuche mit der Zerstörung des Grabes zeigt die Wertschätzung Therons, der Akragas zu wirtschaftlicher und kultureller Blüte führte und zahlreiche Tempel errichten ließ, denn die Götter teilten demnach dieses Urteil und schützten sein Grab vor Zerstörung.112 Die durch diese Seuche verursachte Symptomatik, „Folter und furchtbare Qualen“, ist nicht eindeutig und kann sowohl körperliche als auch in Analogie zu dem vorausgehenden Passus seelische Schmerzen beschreiben. Da aber im Kontext zweimal von „Furcht vor den Göttern“ die Rede ist, sind exzessive Emotionen, also eine Form des Wahnsinns, wohl zumindest mitgemeint.113 Seuchen als göttliche Rache treten nicht nur bei den Karthagern auf. So wurde das Heer von Athen im Jahre 426/5 während des Peloponnesischen Krieges ebenfalls von einer Seuche befallen, die Spartaner wurden aufgrund von Erdbeben anschließend von einer Invasion Attikas abgehalten. Diodor betont hier jedoch die natürlichen Ursachen für die Seuche, der Glaube an göttliche Interaktion sei lediglich die Deutung der Athener, welche entsprechende Maßnahmen der religiösen Reinigung ergriffen.114 Es handelt sich dabei um die berühmte Attische Seuche, die auch von Thukydides beschrieben wird.115 Ebenso schreibt Diodor, der hier auf Hekataios von Abdera beruht, in seinem Exkurs zum jüdischen Exodus aus Ägypten, dass die Seuche als Ursache für den Exodus lediglich in der Meinung der Ägypter 110 Diod. 13,86,1f. mit Zitat aus 13,86,2: εὐθὺ δὲ καὶ λοιμὸς ἐνέπεσεν εἰς τὸ στρατόπεδον, καὶ πολλοὶ μὲν ἐτελεύτων, οὐκ ὀλίγοι δὲ στρέβλαις καὶ δειναῖς ταλαιπωρίαις περιέπιπτον. Zur Person Linda-Marie Günther, Hannibal [1], DNP 5 (1998), 151f. 111 Diod. 13,86,3. Zu den umstrittenen Menschenopfern siehe Cristiano Grottanelli, Ideologie del sacrificio umano: Roma e Cartagine, Archiv für Religionsgeschichte 1 (1999), 41–60, insbes. 53–59. Shelby Brown, Late Carthaginian Child Sacrifice and Sacrificial Monuments in Their Mediterranean Context, Shefffield 1991 diskutiert den archäologischen Befund speziell für Kindsopferungen und sieht (auf S. 176) keine Hinweise darauf, dass diese staatlich forciert wurden. 112 Zur Person Klaus Meister, Theron, DNP 12.1 (2002), 431f. 113 Diod. 13,86,1: δεισιδαιμονία und 3: δεισιδαιμονοῦντα. 114 Diod. 12,58f. Außerdem sieht Diod. 12,45,3 die mangelnde soziale Isolierung als Ursache für die schnelle Ausbreitung. Weitere kurze Erwähnungen der Seuche sind 12,46,3 und 12,52,2. 115 Thuk. 1,8; 2,47–54; 3,87; 3,104; 5,1 beschreibt die Attische Seuche sowie die auch von Diodor erwähnten Reinigungsriten der Athener auf Delos, Thuk. 3,87 bezieht sich dabei auf die von Diodor hier gemeinte zweite Welle. Thuk. 2,48,3 enthält sich der Spekulation über die Ursache der Epidemie und verweist auf zeitgenössische medizinische Abhandlungen. Diese sind heute zwar verloren, aber Lucr. 6,1090–1286 bietet eine dichterische Verarbeitung, in der er Mutationen von Pathogenen, ihre Übertragung vor allem durch die Luft, sowie klimatische Einflüsse und Zoonosen nach dem Stand der Zeit anspricht.

5.2 Wahnsinn und Seuchen bei Diodor

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ein göttliches Strafgericht war, welche die Juden verantwortlich machten und diese vertrieben.116 Diodor sieht also selektiv, und zwar ja nach persönlicher Wertung der zugrundeliegenden historischen Ereignisse, das göttliche Strafgericht als subjektive oder objektive Ursache von Seuchen. Auch in der weiteren Geschichtsschreibung des Hellenismus wurden Katastrophen als göttliche Rache verstanden, so in einem Fragment, das bei Dionysios von Halikarnassos überliefert ist, der göttlichen Zorn als die Ursache der Migration der Pelasger ausmacht (verstanden als die Urbevölkerung Griechenlands und wohl mit den Tyrrhenern verwechselt). Dieser göttliche Zorn manifestierte sich in Naturkatastrophen und feindlichen Invasionen und wurde von dem Orakel damit begründet, dass versprochene Menschenopfer nicht eingelöst wurden.117 Die Pelasger waren demnach damals „Menschen, die ein von Gott gesandter Wahnsinn vertrieben hatte“.118 Dionysios von Halikarnassos verknüpft also hier die ursprüngliche Besiedelung Griechenlands mit dem Motiv des Wahnsinns als göttlicher Rache. Dieses göttliche Strafgericht kam nicht nur in der kollektiven Bestrafung ganzer Armeen oder Städte, sondern auch auf der individuellen Ebene zum Zug, wenn einzelne Herrscher vom Göttlichen mit Krankheit geschlagen werden. So ereilte dieses Schicksal den Phayllos, welcher als Stratege der Phoker 353 v. Chr. im dritten Heiligen Krieg gegen Philipp II. von Makedonien erfolglos Krieg führte:119 „Er selbst verfiel einer auszehrenden Krankheit, litt unter chronischen Schmerzen, die seinem Religionsfrevel angemessen waren, und endete so sein Leben“.120 Wie man aus Diodor etwas später erfährt, hatte Phayllos sich an der bereits mehrfach angesprochenen Plünderung des Orakels von Delphi durch die Phoker beteiligt, die Weihgaben des Kroisos eingeschmolzen und diesen Reichtum verwendet, um seine Söldnerarmee zu bezahlen.121 Neben dem Religionsfrevel begründet hier also die ausgesprochene Geldgier die tödliche Krankheit des Phayllos. Das göttliche Strafgericht verfolgte ebenfalls die Ehefrauen der phokischen Kommandeure, welche Delphi geplündert hatten. Eine der Frauen, deren Namen nicht genannt werden, musste in der Folge ihr Leben als Kurtisane bestreiten, eine weitere wurde lebendig verbrannt, und zwar von ihrem eigenen Sohn, der an Wahnsinn litt. Philipp II. hingegen hatte die Unterstützung des Orakels von Delphi und es gelang ihm in Diodors

116 Diod. 40,3,1f. = BNJ 264 Hekataios von Abdera F 6. 117 BNJ 477 Myrsilos of Methymna F 8 = Dionysios von Halikarnassos, Antiquitates Romanae 1,23f. Zu der Verwechslung mit den Tyrrhenern siehe Anthony Kaldellis, Myrsilos of Methymna (477), in: BNJ (online abgerufen am 24. September 2021) . 118 Dion. Hal., ant. 1,24,3: οἴστρῳ καὶ θεοβλαβείᾳ ἀπελαυνόμεναι. 119 Zur Person Winfried Schmitz, Phayllos [1], DNP 9 (2000), 759. Historischer Hintergrund: John Buckler, Philip II and the Sacred War, Leiden 1989, 56–99. 120 Diod. 16,38,6: αὐτὸς δὲ περιπεσὼν νόσῳ φθινάδι καὶ πολὺν χρόνον ἀρρωστήσας ἐπιπόνως καὶ τῆς ἀσεβείας οἰκείως κατέστρεψε τὸν βίον. 121 Diod. 16,56,5f. Ähnliche Erklärung der Krankheit bei Paus. 10,2,6. Laut Theopompos, BNJ 115 F 248 = Athen. 13,83, 605a–b benutzte Phayllos das aus Delphi geraubte Gold, um diverse Liebschaften zu gewinnen.

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5 Interaktion der Seele mit dem Göttlichen

Deutung deshalb, Griechenland zu erobern.122 Der Religionsfrevel von Delphi und der draus resultierende Wahnsinn in seinen einzelnen Manifestationen als göttliches Strafgericht führt also direkt zu dem Verlust der Freiheit der griechischen Poliswelt.

122 Diod. 16,64. Auch 16,63 erklärt einige der Niederlagen im dritten Heiligen Krieg gegen Philipp II. von Makedonien mit der Plünderung des Orakels von Delphi.

ERGEBNISSE UND AUSBLICK Die vorliegende Studie hat insgesamt gezeigt, dass die erhaltenen hellenistischen Historiker sich für philosophische Lehren zur Seele des Menschen vielfältig interessierten. Besonders zentral für ihr Geschichtsbild war die Lehre der Seelenwanderung, als deren Hauptvertreter Pythagoras gilt. In dieser Lehre war das postmortale Schicksal der Seele abhängig davon, wie sehr sie der allgemeinen Harmonie der Lebewesen entsprach, die von den Pythagoreern als kosmisches Prinzip verstanden wurde. Diesen Zusammenhang hat man nicht nur in der Antike so gesehen, sondern er entspricht ungefähr den aktuell populären, oft zur Stressreduktion eingesetzten Praktiken von Achtsamkeit bzw. mindfulness in ihrem buddhistischen Ursprung. Die meisten antiken Philosophenschulen sahen daher eine Form der Freiheit von Leidenschaften und der Seelenruhe als Ideal an, dem jeder Mensch und insbesondere Menschen in Machtpositionen, wie Politiker und Könige, entsprechen sollten. Die Kategorien dieses Ideals sind am besten bekannt durch die Fragmente philosophischer Abhandlungen des Stoizismus, schlugen sich aber teilweise auch in aus späterer Zeit überlieferten medizinischen Lehrtexten nieder (Galen). Die meisten Philosophenschulen im Hellenismus hatten das ethische Konzept von „Seelengröße“ oder „Seelenruhe“ gemeinsam, die Kenntnis darüber ist heute nur fragmentarisch. Eine exzessive Abweichung von diesen Idealen wurde generell als Wahnsinn bzw. geistige Störung verstanden. Wie insbesondere Kapitel zwei gezeigt hat, wurden Politiker, die diesem Ideal entsprachen, wie die Scipionen, als charismatische, nicht nur politische, sondern teilweise auch spirituelle Führungspersonen dargestellt. In der späteren Rezeption etwa bei Cicero werden sie aus dem Kreislauf der Seelenwanderung befreit, da sie gleichsam erleuchtet sind und im Dienst der göttlichen Providenz die kosmische Harmonie erkannt haben. Bei Polybios ist dieser Zusammenhang zumindest insofern angedeutet, als die Scipionen in mantischen Träumen die Providenz verstehen und die Zukunft voraussagen können oder zumindest als Personen mit solchen Fähigkeiten wahrgenommen wurden. Insbesondere Kapitel drei zu Diodor hat gezeigt, dass in dieser teleologischen Deutung verschiedene historische Personen aus der griechischen und ägyptischen Welt, insbesondere die frühesten Gesetzesgeber, vergleichbare Eigenschaften und einen ähnlich positiven Einfluss auf die Weltordnung haben. Die hellenistischen Historiker haben Wahnsinn daher als exzessive Abweichung von diesen Idealen auf der individuellen, vor allem aber auf der gemeinschaftlichen Ebene verstanden. Wahnsinn wurde insbesondere durch ein Übermaß an Leidenschaften verursacht, die rationale Handlungen verhindern und die betroffenen Menschen stattdessen Handlungen vollbringen lassen, die zu ihrem eigenen Untergang, dem ihrer Dynastie und dem der ihnen anvertrauten Staaten führen. Solche Handlungen waren insbesondere Freveltaten gegen Götter und Menschen, also Taten, die in besonderer Weise das Streben der Welt nach Harmonie

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Ergebnisse und Ausblick

verhindern und zu einer göttlichen Intervention führen. Für die hellenistischen Historiker war dieser Wahnsinn ansteckend, im Verbreitungsmechanismus Infektionskrankheiten ähnlich, ging teilweise mit ihnen einher, durchzog epidemisch den jeweiligen Staat und führte zu seinem Untergang. Die verwendeten Bilder von tyrannischen Herrschaften als im Staat grassierenden Seuchen sind insofern keine rein metaphorische Sprache, sondern haben ihren Hintergrund in dieser Lehre. Die Ansicht einer Verbreitung von Krankheiten durch Dämonen war neben der Verbreitung durch unsichtbare Krankheitserreger in der Antike geläufig. Daneben deuteten die hellenistischen Historiker diese Ansteckung auch als bewusste oder unbewusste Nachahmung von Verhaltensmustern from top to bottom. Wie Kapitel zwei und drei gezeigt haben, wurde der schädliche Einfluss bestimmter Personen als Infektionsquelle gewertet und als Gegenmaßnahme die soziale Isolierung und Distanzierung empfohlen. Die Ausrottung dieser Infektionsquellen durch Tyrannenmord geschah also konsequenterweise in Einklang mit der kosmischen Harmonie. Nachdem der Inhalt dieser Studie insgesamt in der Einleitung sowie in den einzelnen Kapiteln jeweils zu deren Beginn vorgestellt wurde, soll der Schlussteil einen Ausblick geben auf die sich anschließende Kaiserzeit und Spätantike. Insbesondere die kaiserzeitlichen Historiker und Biographen benutzten den Wahnsinn ebenfalls als Kampfbegriff gegen einzelne Kaiser. Ab dem 19. Jahrhundert wurde somit der Begriff des Cäsarenwahnsinns populär, der tatsächlich ein psychologisches Urteil enthielt, von der Beobachtung ausgehend, dass eine Reihe angeblicher Handlungen von Kaisern wie Caligula aus heutiger Sicht von einer geistigen Störung versursacht worden sein könnte. In der Antike hatte man offenbar eine davon großenteils verschiedene Auffassung darüber, was den Wahnsinn eines Herrschers ausmacht. Wie bereits in der Einleitung angedeutet, war für die späteren Autoren die philosophische Abhandlung Senecas De ira maßgeblich, in der Seneca den Wahnsinn als Übermaß von Leidenschaften wie dem Zorn erklärt. Das konkrete Problem war also nicht der individuelle Gemütszustand des Kaisers, sondern die staatszersetzenden Auswirkungen auf das Miteinander der römischen ordines, da Seneca in der Tradition der hellenistischen Philosophenschulen stand und auch sein Fürstenspiegel (de clementia) bereits zu Beginn auf die durch Milde und Leidenschaftslosigkeit des Kaisers verursachte Harmonie der einzelnen Menschen abhebt (Sen., clem. 1,1). Dass diese Überlegungen in der Selbstdarstellung der julischclaudischen Kaiserdynastie eine Rolle spielten, sieht man allein daran, dass die Seele Cäsars als Komet am Himmel erschien (etwa in Suet., Iul. 88). Cäsar, der selbst als Epikureer galt und nicht an die Providenz glaubte, hatte also, wie Scipio bei Cicero, den Kreislauf der Seelenwanderung beendet und war in die Welt der Götter und Heroen eingezogen. Augustus hat dann seine Bauprojekte, beispielsweise seine Sonnenuhr mit der ara pacis, auf die kosmische Ordnung ausgerichtet. Die Divinisierung bereits zu Lebzeiten des Kaisers galt dagegen als Wahnsinn und als Frevel gegen die Götter, da der Kaiser in Wettstreit zu den Göttern trat und eine Störung in der Harmonie der Welt darstellte, die zu Vergeltung führt. In der lex de imperio Vespasiani wurde der erste Vertreter der nachfolgenden flavischen Dynastie darauf verpflichtet, seine Amtshandlungen „nach dem Nutzen des Staates und in Einklang mit der göttlichen und menschlichen öffentlichen und privaten Ordnung“

Ergebnisse und Ausblick

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auszurichten (CIL VI 930: ex usu rei publicae maiestate divinarum huma(na)rum publicarum privatarumque rerum). Den „Cäsarenwahnsinn“ auf seine moderne pathologische Einordnung zu begrenzen, erscheint daher zu kurz gegriffen, vielmehr sollte man das dichotome Verständnis der Antike selbst an den „Wahnsinn“ einzelner Kaiser bzw. an die Divinisierung nach dem Tod anlegen. In der Spätantike, als das Römische Reich sich zeitweise in einer ähnlichen Lage sah, wie die griechische Welt am Ende des Hellenismus, wurde der zugrundeliegende Konflikt erneut virulent. Die frühen Christen, die selbst die herkömmlichen Götter grundsätzlich leugneten und somit die kosmische Ordnung gefährdeten, erschienen den Kaisern und der römischen Oberschicht selbst als sich epidemisch ausbreitender Wahnsinn (bereits Plin., epist. 10,96,9 spricht von einer contagio), welcher durch Beseitigung der Rädelsführer während der Reichskrise des 3. Jahrhunderts n. Chr. eingedämmt werden sollte. Ebenso wurde der Wahnsinn im Christentum zu einem Kampfbegriff gegen eine als teuflisch wahrgenommene Gegenwelt. Als das Christentum im späten vierten Jahrhundert zur Staatsreligion wurde, gab es in der antiken Literatur konkurrierende Diskurse um die Erhaltung oder Zerstörung von Heiligtümern, wobei die christliche, zumindest asketische Richtung in der Ausrottung der mit Dämonen assoziierten Stätten und Geräten einen Beitrag zur Seelenpflege und Erlösung erkannte. Die betroffene heidnische Gegenseite prognostizierte dagegen in Übereinstimmung mit den hellenistischen Historikern zwangsläufig ein Eingreifen der Providenz und somit einen Untergang des Römischen Reiches, wie bereits Kapitel zwei angedeutet hat. Insbesondere der bereits dort erwähnte Zosimos, also der letzte heidnische Historiker der Antike, deutet gleich in seiner Einleitung die Intention des Polybios so, dass dieser in seinem Geschichtswerk den Aufstieg des römischen Reiches durch dessen „seelisches Wohlbefinden“ (Zos. 1,1,2: euphoria psychon) begründet, welche die göttliche Providenz für sich vereinahmen konnte. Höhepunkt dieser Entwicklung waren laut Zosimos die Siege gegen Makedonien, das im Gegenteil diese Qualität nicht mehr besaß und so die göttliche Providenz gegen sich aufbrachte, wie auch nun aus seiner Sicht das römische Reich sich gegen die Götter gewandt und daher sein Kerngebiet verloren hatte. Auch Kapitel fünf hat gezeigt, dass Polybios und auch Diodor tatsächlich die seelische Erkrankung eines Königs oder Staates und deren Untergang an der Zerstörung von Heiligtümern festmachen. Nach ihrem Triumph über die heidnische religiöse Kultur sahen die Christen offenbar in dem „Wahnsinn“ der Häretiker eine weitere sich epidemisch ausbreitende staatszersetzende Geisteskrankheit, welche insbesondere die religiöse Ordnung und damit den göttlichen Beistand des Kaisers und des Staates bedrohte, sowie die Gegenmaßnahmen als einen Beitrag zur Seelenpflege. Sowohl die römische Verwaltung als auch die christliche Kirche hatten ein Interesse daran durch soziale Isolierung die Ausbreitung dieser Krankheit einzudämmen, da sowohl christliche Abhandlungen als auch kaiserliches und kanonisches Recht Häresien infektiologisch beschrieben, wie besonders an den Verbannungsgesetzen im fünften Buch des Codex Theodosianus deutlich wird. Diese Verbannungen sollten also Infektionen mit dem Virus der Häresie, also der dämonischen Welt des Teufels, verhindern, um die Seelen der Menschen für das bevorstehende Jüngste Gericht zu rüsten (etwa

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Ergebnisse und Ausblick

Cod. Theod. 16,6,4pr.). Die praktische Auswirkung dieser infektiologischen Sprache in den häresiologischen Schriften der Spätantike und ihr synkretistischer Hintergrund in den philosophischen und religiösen Vorstellungen der Antike bedarf aber einer eigenen Untersuchung.

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PERSONEN- UND ORTSREGISTER Abantidas von Sikyon: 61 Achaios der Jüngere: 85 Aemilius Paullus Macedonicus: 63, 71, 146f., 158, 160 Aemilius Paullus: 63, 93, 146, 158 Agathokles: 92, 129 Anm. 165, 140–144, 173–175 Agepolis: 186 Anm. 32 Ägypten: 10, 12, 45f., 52, 90, 94–100, 107, 131, 139, 148f., 183f., 187, 200 Agyrion: 106, 175 Aischylos: 12, 98 Anm. 22, 104 Aitolien: 59, 88f., 155, 160, 182f. Akragas: 199f. Aktaion: 191 Alexander der Große: 28, 35, 43, 49, 52–55, 58, 70 Anm. 59, 76, 83 Anm. 111, 91, 106, 118 Anm. 118, 122, 125, 129–135, 139–141, 156, 165, 172, 176–178, 182, 190, 194, 196 Alexander II. Zabinas: 194 Alexander Polyhistor: 75–77 Alexandria: 29, 51, 88, 148, 184, 193 Anm. 75 Alexandros von Isos: 165 Alkaios: 107f. Alkimos: 51 Amasis: 95, 109 Amyntas III.: 126 Anaxarchos von Abdera: 134 Andriskos Pseudophilippos: 186 Andromachos von Tauromenion: 128 Antandros von Syrakus: 174 Antigonos I. Monophthalmos: 139f. Antigonos III.: 90 Antigonos von Enna: 43 Antiocheia: 194 Antiochos III.: 60, 84–86, 160, 163, 166, 183f., 187f. Antiochos IV. Epiphanes: 148f., 187f., 194–197 Antipatros: 59 Anm. 10 Apameia: 84 Apollodoros von Athen: 52, 105, 189 Apollodoros von Kassandreia: 82

Appian: 85, 135, 170, 188 Aratos von Sikyon: 56–62, 90 Arbakos: 128 Anm. 162 Archagatos: 143 Archestratos von Gela: 139 Archias: 191 Ariarathes V. Eusebes Philopator: 150 Aristeides: 91 Aristogeiton: 42, 106, 110 Aristomachos von Argos: 83–85, 128 Aristonikos: 166 Aristoteles: 9, 14f., 19 Anm. 65, 30–33, 47f., 51, 87, 89, 108, 130, 137, 173, 175, 191f. Aristoxenos: 41 Anm. 50 Arkadien: 52 Anm. 100, 105, 190 Arrian: 133, 135, 177 Arridaios: 178 Artemidoros von Daldis: 69, 77 Anm. 88 Assyrien: 100f., 128 Anm. 162 Athen: 28, 34, 42, 60 Anm. 18, 91, 99, 108, 113, 120, 122, 169–172, 175, 194, 197 Anm. 95, 200 Athenaios: 139 Atilius Regulus, M.: 168 Attalos I. von Pergamon: 62 Attalos II.: 181 Augustus: 57 Anm. 2, 123, 128, 204 Aurelius Symmachus, Q.: 67 Ausonius: 107, 193 Autaritos: 33, 35 Babylon: 48, 131–134, 139f., 188 Anm. 43 Bakenranef: 97 Bithynien: 181f., 194 Brahmanen: 53, 132 Bruttium: 195f., 199 Caligula: 21, 57 Anm. 2, 204 Cannae: 63, 89, 93, 146, 156, 158, 160 Carthago Nova: 161 Catania: 112 Cato der Ältere: 69 Anm. 50, 150 Chaironeia: 172

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Personen- und Ortsregister

Chaldäer: 48, 128 Anm. 162, 134f., 140 Chares von Athen: 91 Chares von Lindos: 36 Charondas: 112–120, 143f., 190 Chilon: 192f. Chrysippos: 15f., 20, 139 Cicero: 11, 22f., 44f., 48 Anm. 89, 56, 63–65, 68–72, 74, 77f., 81, 108 Anm. 68, 131, 136, 144 Anm. 248, 161, 193, 203f. Claudius: 21 Anm. 75 Claudius Pulcher, P.: 198f. Clemens von Alexandria: 189 Cornelius Celsus, Ausus: 17, 31 Anm. 13 Cornelius Nepos: 123 Cornelius Scipio Asiaticus, L.: 72, 163 Cornelius Scipio Calvus, Cn.: 160 Cornelius Scipio Nasica: 150 Cornelius Scipio, P.: 73 siehe auch unter Scipio Cornelius, P.: 169 Curtius Rufus: 130, 177 Dareios I.: 98f. Dareios III.: 172 Anm. 117 Deinokrates von Messene: 166 Delphi: 176 Anm. 136, 192–196, 201f. Demades von Athen: 81 Anm. 104 Demaratos: 104 Demetrios I. Poliorketes: 139f., 143 Demetrios I. Soter: 149, 155 Demetrios von Pharos: 59f., 182 Demetrios: 184f. Demokritos: 48, 52, 134 Demosthenes: 176 Diaios von Megalopolis: 86 Diogenes Laertios: 52, 76, 117 Anm. 115 Diogenes von Oinoanda: 117 Diokles von Syrakus: 116 Dion (in Makedonien): 59, 182 Dion von Syrakus: 51, 127f. Dionysios I.: 120–122, 129, 177, 197–199 Dionysios II.: 51, 121, 127–129 Dionysios von Halikarnassos: 179, 201 Dodona: 59, 182 Drepana: 198 Duris von Samos: 87, 92 Anm. 156, 174f. Eleusis: 148 Elymais: 187f., 197 Empedokles: 16

Endios: 169 Epameinondas: 122–127, 151, 171 Ephoros: 173, 175 Anm. 130 Epikur: 15f., 19, 68 Anm. 44, 77 Anm. 88, 117f., 136–139, 152f. Eryx: 171 Eudemos von Zypern: 51 Euhemeros: 47 Eumenes: 176 Anm. 137, 190 Euripides: 9, 13, 102, 105, 114 Anm. 99, 168 Fabius Maximus Cunctator: 160 Flavius Josephus: 59, Anm. 10, 188 Furius Camillus, M.: 169 Galen: 16–21, 50, 75 Anm. 85, 203 Gallia Cisalpina: 123 Gallier: 35, 41, 192, 193 Gela: 139, 196 Gelon II.: 82 Gelon von Syrakus: 36 Geskon: 33 Gorgias von Leontinoi: 12 Gorgidas: 171 Gyges: 12 Gylippos: 175 Halikarnassos: 172 Hamilkar Barkas: 137f., 170f. Hamilkar: 172 Anm. 113 Hannibal Mago: 199f. Hannibal: 18, 57, 63, 89–93, 137f., 145f., 151, 154–160, 163f., 168–170 Hanno: 154 Hasdrubal: 138, 158 Anm. 37, 160 Hekataios von Abdera: 52, 95, 97 Anm. 13, 200 Herakleides von Pontos: 51 Herculaneum: 117 Hermeias: 84f. Herodes: 59, Anm. 10 Herodot: 11f., 21 Anm. 76, 42, 45, 95, 97f., 109, 193 Herophilos: 10, 28f. Herophilos: 10, 28f. Hesiod: 105 Hierapolis: 187 Hieron II.: 36 Hieronymus von Syrakus: 81–83 Hieronymus: 149, 188 Hiketas: 195

Personen- und Ortsregister Himalaya: 131 Hipparchos: 110 Hippias: 110 Hippokrates: 18f., 75 Anm. 85 Hippokrates von Gela: 196 Hipponion: 199 Homer: 9, 13, 43, 52, 87 Anm. 132, 106, 171 Iamblichos: 51 Iason von Pherai: 126 Ilipa: 161 Illyrien: 126 Indien: 53, 130f. Ipsos: 139f. Isidor von Sevilla: 67 Anm. 43, 71 Anm. 63, Isokrates: 155f. Italien: 67 Anm. 43, 122, 125, 137, 151, 156, 195, 199f. Iulius Africanus: 97 Iulius Caesar: 41 Anm. 49, 65, 68, 128, 135 Anm. 200 Iulius Caesar, Sex.: 86 Iunius Brutus Callaicus, D.: 170 Iustinus: 126, 130, 134, 144 Jerusalem: 187 Judäa: 149, 188, 201 Kalanos: 131–135 Kallias von Syrakus: 174 Anm. 127 Kallimachos: 28f. Kallisthenes: 28, 83 Anm. 111 Kambylos: 85 Kambyses II.: 41, 106, 109 Kappadokien: 150 Kios an der Propontis: 60, 183 Kleinasien: 85, 140, 190 Kleineias: 61 Kleitarchos: 130–132, 196 Anm. 90 Kleomenes III. von Sparta: 90f. Kleon: 91 Kleopatra II.: 148 Korinth: 35, 86, 171, 191, 195 Kratippos von Pergamon: 77 Anm. 88 Kreta: 80, 147 Anm. 263, 186, 194 Kritolaos: 86 Kroisos: 108, 192f., 201 Ktesias von Knidos: 95, 101 Anm. 31 Kusch: 97 Kykladen: 190

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Kynoskephalai: 57, 85, 165f., 184 Kyrene: 141 Kythera: 190 Kyzikos: 169 Laelius: 64, 73 Anm. 77 Leptines: 121f. Leuktra: 119, 122, 125f. Libyen: 137, 141, 198 Ligurer: 164 Liparische Inseln: 142f. Livius: 82, 147, 162, 165, 169, 183 Lokris: 166 Lokroi: 116f., 199 Lucan: 67 Anm. 43 Lucretius: 16f., 75, 117, 134 Lydien: 12 Lykiskos von Stratos: 92 Anm. 153, 164 Anm. 71 Lykortas: 35 Lykurgos: 46, 72, 80f. Lysis von Tarent: 123–127 Macrobius: 56, 63–71, 74 Magna Graecia: 95, 112, 119, 124–126, 144 Magnesia: 160, 163 Mago: 93 Makedonien: 35, 57–61, 91, 125, 139, 146, 148, 152, 158, 164–166, 172–178, 184–187, 196f., 205 Makkabäer: 149, 187f. Manetho: 52, 95, 97 Manius Manilius: 161 Anm. 52 Mantineia: 119f., 124f. Mardonios: 172 Anm. 113, 196 Massilia: 164 Massinissa: 64, 161 Matris von Theben: 102 Megalopolis: 27 Megasthenes: 53, 154 Anm. 12 Memmius Achaicus, L.: 35 Memnon von Rhodos: 172 Menes: 95, 100 Mesopotamien: 48, 100–102 Messene: 60, 155, 166 Mithridates II. von Pontos: 36 Naxos: 128 Neanthes: 52 Neapolis: 125 Nearchos: 133

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Personen- und Ortsregister

Nearchos (Tyrann): 42, 110f. Nero: 21, 148 Nicomachus Flavianus: 67 Nikolaos: 175f. Nikolaos von Damaskos: 59 Anm. 10 Nikomedes II. von Bithynien: 181f. Nikomedes III.: 181f. Ninive: 100, 128 Anm. 162 Ninos: 100f. Numa Pompilius: 44, 81, 144 Anm. 248, 192 Numantia: 63f. Numidien: 64, 161 Oase Siwa: 109 Onesikritos: 53 Onnes: 101 Ophellas: 141–144 Opimius, Q.: 164 Orosius: 100 Anm. 30 Oxyrhynchos: 51 Pammenes: 126 Panaitios: 64, 69, 108 Anm. 68 Panormos: 171 Patrai: 35–38 Pausanias: 192 Peisistratiden: 42 Peisistratos: 108, 110 Pelopidas: 171 Peloponnes: 27, 35, 105 Perdikkas: 176 Pergamon: 57, 60, 85, 181–184 Perikles: 91, 122 Persepolis: 177, 187f., 196 Perseus von Makedonien: 146–148, 185f. Persien: 98, 129 Anm. 166, 182, 187f., 194 Phalaris: 82f. Pharax: 172 Anm. 111 Phayllos: 201 Philinos von Agrigent: 168 Philipp II. von Makedonien: 28, 58f., 70 Anm. 59, 106, 120, 122, 125–127, 171, 174, 182, 198 Anm. 122, 201 Philipp V. von Makedonien: 56–62, 84–90, 155, 164–166, 179–185, 196f. Philippos von Amphipolis: 51 Philistos von Syrakus: 121f. Philochoros von Athen: 77 Anm. 88 Phlegon von Tralleis: 76 Phylarchos: 30 Anm. 10, 61 Anm. 20, 83 Anm. 113, 173

Phyton: 178 Pittakos von Mytilene: 106–109 Plataiai: 172 Anm. 113, 196 Platon: 12–16, 18, 20, 46, 54, 65–68, 71, 75, 87, 99, 107, 120–122, 127–129, 157f., 192 Plotinos: 66, 69 Plutarch: 17, 50–55, 81, 104 Anm. 45, 120f., 126–135, 165, 175, 177, 195 Pompeius Trogus: 126 Porphyrios: 66, 69, 188 Anm. 43, 193 Anm. 74 Poseidonios: 39, 47, 76 Prusias II.: 180–183, 188, 194, 197 Prusias von Bithynien: 36 Pseudo-Skymnos: 181 Psophis: 105 Ptolemäer: 10, 85, 88, 94, 96, 139, 141, 148, 166, 183 Ptolemaios III. Euergetes: 36 Ptolemaios IV. Philopator: 90f. Ptolemaios V. Epiphanes: 85, 166 Ptolemaios VI. Philometor: 148f. Ptolemaios VIII.: 148 Pydna: 63, 146–148, 158, 186 Pythagoras: 13f., 22, 41–46, 49–52, 71, 112, 116, 119, 124, 132, 145, 193, 204 Quinctius Flamininus, T.: 165f. Rhegion: 125, 178 Rhodos: 36, 38, 155, 163, 185, 190 Sabakos: 97 Salamis: 194 Samothrake: 147 Sardanapal: 128 Anm. 162 Sardes: 85 Sardinien: 33, 153 Scipio der Ältere: 22, 56–57, 62–64, 69, 72–74, 80, 89, 92f., 141, 146, 151, 158–166, 169f., 177 Anm. 142, 204 Scipio der Jüngere: 27, 56, 62–64, 68–79, 81, 83, 93, 146, 161 Scipionen: 24, 56, 62–65, 70f., 77, 80f., 90, 93, 95, 141, 144, 146, 150f., 156, 158, 160, 166, 203 Segesta: 173 Seleukiden: 60, 84, 89, 148f., 155, 160, 163, 166, 187, 194 Seleukos II. Kallinikos: 36 Selinunt: 173f.

Personen- und Ortsregister Semiramis: 101 Sempronius Longus, Tib.: 164 Seneca: 21, 82, 102, 136, 204 Sextus Pompeius: 128 Sikeler: 175 Siphnos: 194 Sizilien: 25, 51, 92, 106f., 112, 115, 117, 120–122, 125–129, 136f., 141f., 148, 151f., 171–176, 195, 197–199 Skopas: 88 Solon: 46, 107, 122, 192f. Sophokles: 13 Sparta: 37, 61f., 72, 80f., 90f., 119–124, 168f., 183f. Strabon: 53, 108 Strato von Lampsakos: 77 Anm. 88 Sucro: 161f. Suda: 51, 93, 166 Suetonius: 21, 57 Anm. 2 Syrakus: 81f., 116, 127f., 140f., 171–175, 191, 195–200 Syrien: 84, 101 Anm. 32, 155, 187 Tabai: 187 Tacitus: 21 Anm. 76, 53 Talabriga: 170 Anm. 102 Tarent: 124–126 Tauromenion: 128, 174 Taxila: 131 Tertullian: 77 Anm. 88, 148 Thais: 196 Anm. 90 Thales von Milet: 107, 192 Anm. 69 Thasos: 183 Theben: 102–105, 119, 122, 124, 126, 176, 189

225

Themistokles: 122, 194 Theodoros: 171 Theophrastos: 172 Anm. 111 Theopompos von Chios: 42 Anm. 54, 59 Anm. 10 Thermopylen: 98 Anm. 22, 177 Anm. 142 Theron: 200 Thermos: 59 Thessalien: 165, 189f. Thettalos: 108f. Thrasios: 195 Thukydides: 12, 175, 200 Tiberius: 57 Anm. 2 Timaios von Tauromenion: 27f., 30 Anm. 9, 32, 34, 37, 52, 56, 74–77, 82, 92 Anm. 156, 121 Anm. 131, 128f., 141, 144, 173f., 195 Timoleon: 171, 195 Timonides von Leukas: 51, Anm. 99 Tyros: 177f. Veii: 169 Vergil: 71, 158 Anm. 37 Viriatus: 170 Xanthippos: 168, 170 Xerxes I.: 98 Anm. 22, 177 Anm. 142, 194 Zaleukos: 116–118, 144 Zama Regia: 89, 145, 158f., 163, 16 Zenon von Elea: 42, 110f. Zenon von Kition: 75 Zenon von Rhodos: 36 Zosimos: 76, 205 Zypern: 190

SACHREGISTER Achaiischer Bund: 27, 35, 58, 61f., 72, 86, 90, 155, 166 Affekte, Affektenlehre: 15, 20, 38, 56, 58, 81, 96, 108, 111, 118, 159, 163f., 167, 177 Aitolischer Bund: 59, 88, 160, 165 Apatheia, Ataraxia (Seelenruhe): 15f., 37, 94, 136, 152f., 203 Astrologie, Sternenkunde: 15, 39, 42, 48f., 52f., 78, 99, 134, 191 Atome, Atomistik: 9, 14–16, 49, 52, 117, 134, 136

Ewige Wiederkehr: 13, 39, 42, 45, 47 Fürstenspiegel: 21, 30, 204 Gerechtigkeit: 22, 40, 47, 80, 94f., 105f., 117, 137, 150f., 157, 194f. Geschwür: 25, 33, 151, 155, 161f. Gesetze: 12, 18, 22, 25, 34 Anm. 21, 37, 39, 46, 65, 72, 79f., 88f., 95–100, 105–108, 111–120, 142–144, 149, 153, 159, 197, 203, 205

Begierden: 14, 23, 64, 75, 80f., 157, 177, 186, 191 Berater: 24, 56–65, 70 Anm. 59, 82, 84, 87, 89–94, 98–101, 109, 120–124, 132, 137, 180, 182 Bildung: 24–26, 38, 45, 49–52, 55, 66–70, 78, 95, 100 Anm. 29, 114–119, 123, 126f., 130–134, 139, 150–153, 171, 175–177, 180, 191f., 197 Anm. 95 Brahmanen: 53, 131f.

Habgier: 15, 54 Anm. 111, 84, 87–89, 93, 138–142, 149, 157, 180, 183 Anm. 17, 188, 197 Hades: 13, 26, 40f., 45, 47, 49, 53, 144 Harmonie der Seelen, sympatheia: 22–25, 80, 94f., 118–120, 150f., 203–205 Harmonie des Kosmos: 14, 15, 22–24, 96, 98, 100, 203–205 Hedone: 16, 34 Heroen: 39, 47, 76f., 101f., 118, 204 Himilkon: 198 Hybris: 33f., 189

Cäsarenwahnsinn: 21, 204f. Christentum: 66–68, 205 clementia: 21, 25, 145, 147 Anm. 259, 151, 155, 204 Corpus Hippocraticum: 16 Anm. 51, 18

Infektion, Ansteckung: 16f., 23f., 35, 37, 58, 71, 75 Anm. 85, 86, 94, 112f., 120, 134, 179, 181, 196, 204f.

Dämonen: 24, 28 Anm. 4, 75–77, 159, 179, 187, 190, 195, 204f. Demagogie: 37, 86f., 91, 113, 137, 142 Diadochenkriege: 139, 176 Anm. 137 Dysenterie: 181, 188, 197

Körper und Seele: 9f., 14–20, 24, 32–34, 37, 41–43, 54f., 62–65, 70f., 77 Anm. 88, 88, 97 Anm. 10, 110, 115, 123, 132, 140, 146, 155f., 161f., 167–170, 176– 179, 188, 197–200 Kosmogonie: 47, 52 Krankheitserreger: 16f., 75, 204

Epidemie: 23–25, 75, 155, 179–181, 186, 197–200, 204f. Epikureismus: 9, 14–18, 49, 55, 65, 68–71, 94f., 117f., 134–136, 139, 142, 153, 204 Epilepsie: 19, 109 epimeleia: 157f. Erziehung: 22 Anm. 79, 33, 56, 59, 63, 77f., 82 Anm. 107, 87, 90, 126, 130, 180

Leidenschaften, Emotionen: 12, 15f., 19–25, 38, 54–58, 83, 87 Anm. 132, 96–99, 102–104, 112, 121, 144, 146, 151f., 156, 162, 164, 173, 177, 180, 182, 191, 200, 203f. Magie: 19, 32, 35, 43, 186 Makedonische Kriege: 27, 57, 63, 85, 146, 148, 165f., 181–185

Sachregister Massenpsychologie: 10 Anm. 6, 12 Materialismus: 14–16, 70f., 134, 136 Medizin: 28f., 31, 45, 75, 115, 162 Melancholie: 17 Metaphysik: 14, 16, 68, 86 miasma: 75 Anm. 85 moderatio: 25, 145, 151 Musik: 22f. Mythen: 26, 39f., 45–49, 71, 76, 94, 101–106, 143f., 189–191 Mythos des Er: 13, 65, 68 Neuplatonismus: 51, 56, 65–71 Peripatetiker: 14, 47f., 52, 77 Anm. 88, 130, 174 Anm. 127 Peripetie: 40, 89, 175 Pharaonen: 90, 94–100, 107, 109 Platonismus: 14, 16, 32, 51–53, 68, 71, 125–130, 197 Anm. 95 Pneuma: 13, 15 Pragmatische Geschichtsschreibung: 31, 61, 174 Providenz: 24–26, 39f., 44, 47–49, 53, 57, 64, 72, 77 Anm. 88, 83–88, 94f., 99f., 135, 142, 146, 160, 181 Anm. 7, 187 Anm. 37, 189, 197, 203–205 Punische Kriege: 22, 33, 57, 63f., 73, 89, 136–138, 145, 152–155, 158, 160, 163, 167, 170f., 177 Anm. 142, 198 Pythagoreismus: 9, 12f., 22–26, 41–45, 49–53, 71, 76–77, 94f., 112, 116–118, 123–133, 145 Anm. 248, 148–152, 172, 204 Säftelehre, Körpersäfte: 12, 16, 19, 21 Samnitenkriege: 125 Schicksal: 9, 36, 39–43, 54, 62, 70, 81–91, 96, 108, 124, 132–135, 140f., 145, 147, 149, 158–161, 164, 173–177, 183–188, 191, 195, 201, 203 Scipionenkreis: 56, 63f. Seele als Staat: 12, 14, 22–26, 34–38, 44–46, 49, 63–65, 70, 79f., 86, 88, 95f., 99f., 106, 110, 118, 123, 135, 140, 144, 151–161, 165, 179f., 186, 189, 192, 203–205 Seele, medizingeschichtlich: 10, 16–22 Seele, Nachleben: 9, 12–14, 24, 26, 40f., 44, 50, 55f., 64f., 71, 94, 124, 203

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Seelengericht: 14, 22, 24, 44–49, 64f., 83, 85, 88, 94, 180, 186 Anm. 37, 195, 201f., 205 Seelenpflege: 10, 13 Anm. 31, 24, 50, 54, 70, 94, 116–118, 157f., 205 Seelenteile: 13f., 20, 53f., 75 Seelenwanderung: 9, 12–14, 23–26, 38, 41–46, 49, 53–56, 64f., 71f., 79, 90, 127, 141, 157, 203f. Seelische Erkrankung (Störung): 11, 16–24, 31, 34–37, 53f., 57, 87f., 94 Anm. 2, 101, 103, 106, 112, 115, 118, 121, 149, 151, 156, 162, 177f., 181, 184, 188–191, 199f., 203–205 Selbsterhebung, Überheblichkeit: 21, 25, 33, 109, 119, 140, 147 Anm. 263, 151, 176f., 181, 190, 197, 204 Seuchen: 24, 71, 75f., 112, 179f., 185, 194, 197–201, 204 Sieben Weise: 106–108, 159, 192 Söldnerkrieg: 33, 136, 152–156, 161f. somnium Scipionis: 56, 64–70, 83 Spanien: 73, 137f., 141, 160–164, 170 Stoischer Weise: 15–19, 24, 36f., 58, 61f., 81, 83, 98, 162f. Stoizismus: 9, 14–21, 26, 36–39, 47–49, 52, 58, 64, 71, 75–77, 90, 94, 96f., 108, 110, 114, 136, 139, 151–153, 159, 164, 167, 203 Symmachuskreis: 66f. Teleologie: 79, 94, 119f., 137, 203 Therapie: 11, 16–19, 21, 23, 29–31, 35, 55, 88, 151, 157, 161 Tiermetaphorik: 19, 22f., 33f., 70, 146, 154–156, 160, 173, 175, 183 Anm. 17 Tragische Geschichtsschreibung: 30f., 37, 40, 82, 152, 173f., 185 Tragödie: 9, 12f., 19, 26, 30f., 40, 89, 102–105, 173, 185, 191 Traum: 24, 26, 28 Anm. 4, 43, 56, 63–77, 97, 161 Triumphzug: 147f., 158f., 169 Trunksucht: 15, 54, 59 Anm. 10, 87, 90, 133, 140, 148, 166, 177, 190f., 196 Tyche: 48, 83 Anm. 114, 86, 184 Anm. 26, 186 Anm. 37 Tyrannen: 21, 24, 44, 51, 56–62, 75, 81–84, 87–94, 106–111, 114, 120–122, 126–133, 137, 140–142, 148, 166, 173f., 182, 195, 204

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Sachregister

Überlieferung: 10f., 21, 46, 50–54, 66f., 92, 97, 117, 149, 166 Universalgeschichte: 24, 39, 45f., 94f., 106, 117, 119, 122, 125, 135f., 140, 142, 144, 179, 189, 192 Verfassung: 26f., 36–38, 41, 45, 79f., 87, 109, 116, 120, 127, 137f., 152–158 Verstand, Vernunft: 10 Anm. 6, 15, 18, 20, 25, 29, 54, 58 Anm. 8, 62, 96f., 118, 139, 147, 153, 157, 168–171, 182 Wahnsinn: 13, 16–25, 35, 38, 54–57, 74f., 86f., 94, 101–105, 109f., 118–123, 135, 143, 149, 151, 154, 156, 165, 167, 172, 176–192, 195–202 Weissagung: 40, 69–77, 99f., 104, 125, 128 Anm. 162, 131–134, 140, 186, 200, 203 Wiedergeburt: 14, 26, 42, 45, 52, 65, 71, 128, 132 Zerstörung von Heiligtümern: 25, 59f., 173f., 177–184, 187f., 193–200, 205 Zorn: 19–21, 42, 54, 58, 60, 81f., 98, 146, 154, 181–187, 189, 195, 197, 201, 204

STELLENREGISTER Ailianos varia historia 5,6: 133 Aischines in Ctesiphontem de falsa legatione 239: 176 in Timarchum 152: 114 Aischylos Choephoroi 211, 233, 1022–1024: 13 Alkaios 87: 108 Apollodoros 3,86–90: 105 Appianos bella civilia 2,153,641–646: 135 Hannibalica 3,12; 28,121f.; 31,132 und 59,248–60,251: 89 Iberica 4,16: 138 30: 161 34,137 und 34–36: 162 71–73: 170 Libyca 34,143–35,150: 145 Macedonica 4,1: 85 Mithridatius 4–7: 181 Syriaca 241: 155 352: 188 Aristoteles Athenaion politeia 18: 110 22: 114 43,5: 114

de anima 2,1, 412b: 14 ethica Nicomachea 4,3, 1123b: 108 fragmentum 3: 192 metaphysica 11, 1072a–1075b physica 6,9, 239b: 111 poetica 1449b: 30 1450a: 31 1452a: 89 politica 2, 1274a–b: 112 2, 1273a–b: 137 3, 1285a: 108 5, 1304a: 116 5, 1314b: 87 rhetorica 2,2,5f., 1378b: 34 2,8,13, 1386a: 176 Aristoxenos frg. 26: 23 Arrianos anabasis 2,11,8: 172 3,18,11f.: 177, 196 7,3: 131, 133 7,16,5–7,17,6: 135 7,25: 133 Athenaios 3,63, 104b: 139 Ausonius ludus septem sapientium 3,52f.: 193 5,136–139: 193 7,180f.: 193

230 Caesar de bello Gallico 6,14: 41

Stellenregister

Celsus de medicina 1, pr.: 31

3,34,46: 65 6,7: 68 6,8–9: 72 6,9,9: 161 6,9f. und 6,11–16: 64 6,14: 71 6,28f.: 64 Laelius de amicitia 1,28: 89 Tusculanae disputationes 1,22,52 und 5,25,70: 193

Chion epistula 14,2: 22

Clemens Alexandrinus stromateis 1,14,60 und 2,15,70f.: 193

Chrysippos Stoicorum veterum fragmenta 2, 473: 15 3, 169–177: 164 3, 264f. und 269f.: 108

Codex Theodosianus 16,6,4pr.: 206

Cassius Dio 16,57,42: 162 62,14,2: 148

Cicero de consiliis suis frg. 3: 23 de divinatione 1,19: 48 1,47: 131 2,46: 48 de finibus bonorum et malorum 5,9,24: 15 5,16,44: 193 de legibus 1,5: 12 1,58: 193 de natura deorum 2,7: 199 3,53: 71 de officiis 1,12,38: 89 1,20,67–69: 108 2,23,80 und 3,22,88: 22 de re publica 1,4,8–1,9,14: 78 1,10,15 und 1,21,34: 69 1,34,52 und 1,42,65: 65 2,2,4–2,3,5: 81 2,5,10; 2,10,17f.: 81 2,15,28f.: 69 2,15,28–2,19,34: 144 2,28f.: 44 2,40,67–2,42,69 und 3,3,4–5: 22

Curtius Rufus historiae Alexandri Magni 3,11,10: 172 5,7,3–11: 177, 196 Demosthenes oratio 21,47: 34 Diodorus Siculus 1,1: 39 1,2: 40f., 139 1,6: 47 1,10f.: 47 1,25: 46 1,44: 95 1,65: 97 1,70: 97f. 1,71: 96, 100 1,73 und 1,76: 99 1,79: 97 1,81: 48 1,83: 95 1,90: 99 1,93: 45, 100 1,94: 97, 100 1,95: 98 1,96: 46 1,98: 45f. 2,1: 100f. 2,5f.: 101 2,20–23: 101 2,24 und 2,28: 128

231

Stellenregister 2,29f.: 48 3,7: 139 3,9: 136 3,30f.: 109 3,33: 109 3,45: 101 3,47: 139 3,67: 101 4,1: 101 4,2f.: 189 4,7: 191 4,9: 103 4,10f.: 102 4,19: 139 4,43f.: 190 4,65f.: 104 4,71: 45 5,7–11: 142 5,28: 41 5,50: 189f. 5,55: 190 5,66: 105f. 5,71f.: 45 8,10: 191 8,14: 44, 192 8,15: 43f., 192 8,32: 194 9,10: 192, 194 9,11: 107 9,12: 108 9,27: 108 10,6: 42 10,7f.: 42 10,9: 192 10,10f.: 42 10,11: 42, 123 10,12: 41 10,14: 42, 109 10,17: 42, 109f. 10,18: 110 10,28: 196 11,11: 177 11,13: 172, 194 11,14: 194 11,15–19: 194 11,22: 172 11,28: 196 11,31f.: 172 11,37: 139 11,65: 136 12,1: 130 12,12: 112, 114

12,13: 115 12,14f.: 114 12,16: 114f. 12,17: 116 12,18: 114 12,19: 115 12,20: 116–118 12,21: 118 12,30: 139 12,45f. und 12,52: 200 12,55: 91 12,58f.: 200 13,19–33: 175 13,24: 172, 175f., 194 13,27: 175 13,33–35: 116 13,40 und 13,50f.: 172 13,52: 169 13,54f. und 57f.: 173 13,60: 173 13,86: 200 13,89: 172 14,30: 139, 172 14,52: 172 14,63: 171, 198 14,64: 172 14,69: 139 14,70: 171, 198 14,71: 197 14,72 und 14,73f.: 198 14,74: 172, 198 14,76f.: 198 14,78: 130 14,93: 169 14,101: 172 14,102: 122 14,104: 172 14,107: 199 14,112: 178 14,114: 172 15,1: 119 15,5: 120 15,6: 121 15,7: 120f. 15,16: 172 15,24: 199 15,30: 139 15,39: 123, 171 15,40: 190 15,53–56: 122 15,63: 172 15,66–68: 195

232

Stellenregister 15,74–16,36: 127 15,76: 130 15,85: 125 15,86: 124f. 15,87: 124f. 15,88: 122 15,90: 139 15,95: 122 16,1 und 16,2: 126 16,6: 127 16,7: 128 16,9–13: 127 16,38 und 16,56: 201 16,63f.: 202 16,77: 171 16,78: 171, 195 16,79 und 16,82: 195 16,85: 172 17,1: 130 17,9: 172, 176 17,10: 176, 194 17,11: 176 17,13: 177 17,18–21; 17,25f. und 17,39: 172 17,41: 194 17,44: 136, 177 17,49–51: 194 17,62: 172 17,69: 129 17,70: 139, 177 17,72: 196 17,107: 131–133 17,112: 131, 133f. 17,116: 131, 134 17,117: 131, 133 18,1: 43 18,2: 178 18,4: 135 18,20f.: 172 18,41: 176 18,59: 40 18,67: 146 19,3f.: 92 19,5–21,17 (21,31): 141 19,7: 173 19,7f.: 174 19,9: 92 19,14: 109 19,24: 190 19,38: 172 19,46 und 19, 48: 140 19,49: 136

19,102–110: 141 20,40–43: 142 20,63: 92 20,70: 141f. 20,92: 140 20,101: 142f. 21,1,1 (21,2): 140 21,1,3–4b (19,55,7–9 und 21,3): 140 21,1,4a (21,1): 138f. 21,16 (21,29): 141, 143f. 21,17 (21,30): 141 23,13: 198 23,14–16: 168 23,15 (23,16): 167f. 24,3 (24,4): 198 24,5 (24,6–7): 171 24,7–9 (24,8–9): 172 25,1 (25,1a): 136, 139 25,1f.: 153 25,2: 136, 153 25,8 (25,10): 137 26,14 (26,19–20): 89 27,11f. (27,14f.): 145 27,15 (27,20): 145 27,16 (27,22): 145f. 27,18,2 (27,29): 146 27,18,3 (27,30): 177 28,3: 196 28,4f.: 197 28,7: 197 29,19 (29,22): 167, 169 29,20f. (29,23f.): 169 29,32 (29,35): 148f. 30,14 (30,18): 149 30,18 (30,22b): 149 30,22f. (30,29f.): 146 30,24 (30,27): 186 31,16 (31,22f.): 148 31,18 (31,28f.): 149f. 31,18a (31,29): 149, 188 31,19 (31,31): 150 31,29f. (31,43f.): 155 31,35 (31,51): 181, 194, 197 31,45 (31,62): 194 32,21 (32,22): 181 33,25f. (33,33–35): 169f. 34/35,2 (34,2): 43 34/35,28 (35,14–16): 194 34/35,33 (35,26): 150 37,2: 136 38/39,5: 194 40,3: 201

233

Stellenregister Diogenes frg. 27: 88 Diogenes Laertios 1,75: 108 3,18f.: 120 7,88 und 7,111: 15 9,26f.: 111 10,26–28: 136 Dionysios Halicarnasseus antiquitates Romanae 1,24,3: 201 Epikuros frg. 490: 16 Euripides Alcestis 252: 13 Alcmaeon frg. 65 und 87: 105 Electra 59: 13 Erechtheus frg. 370: 13 fragmenta 220: 168 971: 13 Hercules 822ff.: 103 Supplices 1139f.: 13 Eusebios chronica 1, S. 122: 194 Fragmenta adespota 110: 114 Galenos de propriorum animi cuiuslibet affectuum dignotione et curatione 1, 3 und 4–7: 19f. Granius Licinianus 28,6: 187 Herodotos 1,8–13: 12 1,50–55: 193

1,91: 12 2,81 und 2,123: 45 3,16; 3,25 und 3,27–30: 109 3,89: 42 3,129–132: 99 4,95f.: 45 5,55: 110 6,86γ: 12 Hermippos frg. 47a–c (29a–c): 193 Hierokles ethike stoicheiosis Sp. 1, Z. 15–33: 15 Hippokrates de morbo sacro 1,10–46: 19 de natura hominis 9: 75 Homeros Ilias 3,179: 171 Horatius carmina 2,2,12–15: 88 epistulae 2,2,146–148: 88 Iamblichos de vita Pythagorica 15,65f.; 25,110–112 und 27,121: 23 30,174f. und 179: 22 33,224: 23 Iosephos antiquitates Iudaicae 12,354–359: 188 13,269f. und 273: 194 Isidorus origines 8,6,18: 71 Iustinus epitoma historiarum Philippicarum 12,13: 134 23,2: 144 34,4: 181

234

Stellenregister 39,1f.: 194 7,5: 126

Iuvenalis 11,27: 193 Klearchos frg. 69a–d: 193 Livius 7,1: 169 24,4–6 und 25f.: 82 25,2: 73 26,4: 89 28,17–18: 161 28,24–29: 162 30,25: 145 31,26: 60 32,13: 165 32,33f.: 183 40,5–16 und 23f.: 185 45,3: 186 45,4–6 und 40: 147 45,44: 181 45,7f.: 147 Lucretius 1,921–950: 118 2,216–262: 16 2,1023–1174: 117 3,231–829: 16 3,417–829: 118 6,1090–1286: 75, 200 Macrobius commentarii in Ciceronis somnium Scipionis 1,2,13–21: 68 1,3,8: 69 1,3,9f.: 70 1,3,12: 69f. 1,3,13–16: 70 1,3,17: 66 1,8,3–13: 69 1,8,5: 66 1,9,4: 70 1,9,5; 1,10,6–17; 1,11,1–12 und 1,13,1–20: 71 1,13,9 und 20: 66 1,17,11: 66 2,17,7–11: 70

Makkabäer 1. Buch 6,1–4: 187 6,8–16: 188 2. Buch 1,13–16: 188 5,15–21: 187 9,2: 187 9,2–29: 188 Nepos Dion 2: 120 Epaminondas 2,2: 123 Hamilcar 3,3: 138 Timoleon 2,4 und 3,3: 195 Origenes in Canticum canticorum 2,56: 193 Orosius 1,4: 100 Passio Philippi 5.22 und 27: 193 Pausanias 8,24,7: 105 9,13,1: 123 9,13,3–12: 122 10,2,6: 201 10,24,1: 193 Platon apologia 29d–29e: 157 de re publica (politeia) 2, 359b–360d: 12 4, 435a–445e: 14 4, 435c: 14 8, 547b–c und 550a–b: 157 8, 551a: 87 8, 553d–e: 157 9, 571c–572b: 75 9, 581b: 157 10, 608c–612a: 14 10, 614b–621d: 14 10, 614c–621b: 65

Stellenregister Phaidon 78b–84b: 14 80d–82c: 65 105c–108c: 14 108e–114c: 65 Phaidros 245c–250c: 14 Protagoras 343a: 107 343b: 192 Timaios 34b–37c und 41d: 14 47c: 157 90a–d: 14 90e–92c: 65 Plinius maior naturalis historia 3,57f.: 130 7,193: 48 29,6–8: 69 34,41: 36 Plinius minor epistulae 10,96,9: 205 Plotinos 1,2: 69 Plutarchos Aemilius Paullus 26f. und 33,8: 147 Alexander 38: 177, 196 64f.: 132 69: 131 73 und 74: 135 76: 133 Aratos 38: 90 Cato 22f.: 69 27: 150 Demosthenes 23: 176 Dion 9: 121 11–21: 128 14 und 16: 121 22: 51

235

Flamininus 5: 165 17: 166 moralia 300a–d: 52 327e und 328a: 129 327e–329a und 329f–331c: 54 331e: 129 392a: 193 408b–c: 22 440d–452d, 452f–454e, 455e–477f und 498a–502a: 54 524b: 88 536e–538e: 54 564d: 52 583b: 124 583f–584b: 126 585e: 123 609e–611f: 54 772c–773b: 191 943a–945e und 1012b–1030c: 54 Nikias 27f.: 175 Pelopidas 23: 122 26: 126 Timoleon 10: 128 16–29: 195 30: 195 Polybios 1,4: 187 1,8 und 1,20: 159 1,27 und 1,29: 157 1,32–36: 168 1,56–58: 171 1,59: 157f. 1,64: 159 1,65: 153f. 1,67: 154 1,70 und 1,79: 155 1,81: 33, 155, 162 1,84: 187 1,88: 154 2,16: 30 2,47: 90 2,56: 30, 173 2,56–63: 30 2,59: 83, 173 2,59f.: 83 2,61: 159

236

Stellenregister 2,70: 159 3,2: 85 3,7: 34 3,13: 159 3,54: 160 3,60: 155–158 3,63 und 66: 164 3,92 und 96: 160 3,98f.: 159 4,7f.: 61 4,8: 37, 62 4,14; 4,27 und 4,48: 159 4,67: 182 4,74: 157 4,77: 57 4,81: 184, 186 5,9: 157, 182 5,10: 159, 182 5,11: 58f., 159, 182 5,12: 59, 159, 182 5,16: 60 5,19 und 5,24: 183 5,29: 57 5,34: 90, 166 5,39: 91 5,41: 84 5,46: 157 5,48: 157f. 5,56: 84 5,66: 157f. 5,71: 157 5,79: 157f. 5,88: 36, 157 5,88–90: 36 5,101f.; 5,105 und 5,108: 59 6,2: 37, 159 6,3 und 6,4f.: 37 6,6: 157 6,7: 87, 159 6,8: 87 6,9: 37, 154 6,11a: 159 6,19–42: 152 6,31: 157 6,33–39: 157f. 6,45–48: 80 6,47: 79 6,48: 37, 80 6,51 und 6,56: 138 6,58: 159 7,7: 81, 83 7,11: 58

7,12–14: 60 7,13: 59 7,14: 59f. 8,9: 70 8,10: 92, 159 8,12: 58 8,17: 85 8,23: 159 9,10: 159 9,22: 89f., 93 9,22–26: 93 9,23: 90–92 9,24f.: 93 9,28: 159 10,2: 72 10,3: 159 10,4: 72–74 10,5: 73f. 10,18: 157 10,24: 157f. 10,26: 57 10,40: 159 10,45: 157 11,5: 186 11,9: 157 11,25: 161f. 11,26: 157 11,27–29: 162 12,10: 157 12,12: 32 12,12b: 28, 74 12,15: 92 12,25: 82, 173 12,25d: 28–31 12,25e: 28, 31 12,26c–d: 32 13,1; 13,1a und 13,2: 88 13,5: 84 15,1f.: 145 15,5: 159 15,9f.: 163 15,14: 160 15,15–18: 159 15,20: 84f., 183f. 15,21–24: 183 15,22: 60, 155, 183 15,23: 159 15,24: 183 15,35: 92 16,1: 60, 85, 184 16,10: 184 16,23: 159

237

Stellenregister 16,28: 62, 159 18,3f.: 165 18,14: 91, 159 18,41: 159 18,53–55: 88 18,54: 181 20,7: 186 20,11: 157 21,16 und 21,23: 163 21,25: 160 22,16 und 22,21f.: 159 22,22: 166 23,5: 166 23,7 und 23,10f.: 185 23,10: 184f. 23,13: 93 23,15: 155 23,17: 159 26,1: 149 26,1a: 149, 188 29,3: 157 29,19: 147, 185f. 29,20: 147 29,24: 159 30,1–5: 162 30,11: 155 30,17: 159 30,18: 181 30,26: 187 30,31: 159 31,3: 150 31,9: 187 31,18: 157 31,23: 77f. 31,24: 78 31,25: 159 31,25–28: 79 31,26–28: 159 31,29: 79 32,2f.: 155f. 32,4: 92, 164 32,15: 180f. 33,8–10: 164 33,9: 157 33,10: 164 33,13: 181 33,17: 186 33,18: 159 33,21: 74 36,9: 187 36,13: 115 36,17: 186

38,8: 159 38,11: 86 38,16: 35, 87 38,18: 86 39,8: 187 fr. 73 und 179: 157 Porphyrios bei Stobaios 3,21,26: 193 sententiae ad intellegibilia ducentes 32: 69 Vita Pythagorae 19: 13 30–33: 23 49f.: 22 Prudentius apotheosis 438: 193 Pseudo-Skymnos periegesis Z. 55–60: 182 Quintilianus institutio oratoria 1,10,32; 9,4,12: 23 Rhetorica ad C. Herennium 4,9: 36 Sextus Empiricus adversus mathematicos 9,79: 15 Seneca de clementia 1,1: 204 de ira 1,20f.: 21 2,5: 82 Hercules furens 939ff.: 103 Sophokles Antigone 519 und 911: 13 Electra 463: 13

238 Oedipus Coloneus 1556–1578: 13 Oedipus Rex 30 und 972: 13 Philoctetes 861: 13 Stobaios 2,7,10: 15 97,31: 88 Strabon 4,4,4: 41 13,2,3: 108 15,1,63–65: 132 15,1,68: 133 Suetonius Caligula 22, 26–32, 53: 21 divus Claudius 9, 30, 38 und 40: 21 divus Iulius 81: 135 88: 204 Tacitus annales 13,47: 148 Tertullianus apologeticum 33,4: 148

Stellenregister Thukydides 1,8: 200 1,20: 110 2,47–54: 200 2,48: 200 3,36: 91 3,37–48: 12 3,87 und 3,104: 200 5,1: 200 6,3: 191 6,54–59: 110 7,85–87: 175 Valerius Maximus 1,1,12: 144 3,3 ext. 3: 111 Vergilius Aeneis 6,853: 146, 158 Xenophon Hellenica 6,4,3–15: 122 Zenon Stoicorum veterum fragmenta 1, 234: 75 Zonaras 9,10: 162 9,25: 155 Zosimos 1,1,2: 205

Stellenregister

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Fragmente griechischer Historiker nach Jacoby 12 Asklepiades von Tragilos F 29: 103 32 Dionysios Scytobrachion F 14: 103 42 Demaratos F 4: 104 76 Duris von Samos F 15: 87 76 Duris von Samos F 22: 51 76 Duris von Samos F1: 174 79 Eudoxos von Rhodos F 5: 104 84 Neanthes F 33: 52 88 Timagenes von Alexandria F 2: 51 90 Nikolaos von Damaskos F 143: 59 90 Nikolaos von Damaskos T 6: 118 91 Strabon F 5: 77 115 Theopompos F 224: 59 115 Theopompos F 225a: 59, 70 115 Theopompos F 225b und F 225c: 59 115 Theopompos F 248: 201 115 Theopompos F 282: 59 115 Theopompos F 343: 51 115 Theopompos F 57: 42 124 Kallisthenes F 27: 77 124 Kallisthenes T 1: 83 126 Ephippos von Olynth F 3: 133 127 Nikobule F 1 und 2: 133 134 Onesikritos F 17a: 53 137 Kleitarchos F 11: 196 137 Kleitarchos von Alexandria F 39: 54 142 Hegesias von Magnesia F 23: 58 227 Demades von Athen F 25: 81 227 Demades von Athen F 62: 118 244 Apollodoros von Athen F 102c: 52

244 Apollodoros von Athen F 142: 189 257 Phlegon von Tralleis F 40: 76 260 Porphyrios von Tyros F 53 und F 56: 188 264 Hekataios von Abdera F 25: 97 264 Hekataios von Abdera T 3b: 52 265 Rhianos von Bene F 60: 147 268 Baton von Sinope F 4: 82 273 Alexander Polyhistor F 93: 51, 76 273 Alexandros Polyhistor F 93: 51 280 Philippos von Amphipolis T 1 und T 2: 51 284 Agatharchides von Samos F 3: 104 328 Philochoros von Athen T 1–2 und T 7: 77 396 Semos von Delos F 6b: 104 477 Myrsilos of Methymna F 8: 201 559 Polykritos von Mende T 2: 83 560 Alkimos F 6: 51 561 Timonides von Leukas T 1: 51 566 Timaios von Tauromenion F 16: 52 566 Timaios von Tauromenion F 68: 30 572 Nymphodoros von Syrakus F 20: 104 609 Manetho F 17: 53 609 Manetho F 2, 3c und F 28: 97 715 Megasthenes F 20b: 154 715 Megasthenes F 33: 53 737 Anonym, varia de Iudaeis F 21: 53 840 Anonym, über Rom und Italien F 23: 51

Dirk Rohmann zufolge sahen die erhaltenen hellenistischen Historiker im harmonischen Zusammenwirken der Seelen gemäß der kosmischen Ordnung eine wesentliche Ursache für den Aufstieg und Fall von Staaten. Sowohl Polybios als auch Diodor begründen den Aufstieg Roms mit der seelischen Gesundheit der römischen Gesellschaft und deren Einklang mit der Götterwelt, umgekehrt den von ihnen empfundenen Niedergang und Freiheitsverlust der griechischen Stadtstaaten mit der seelischen Erkrankung von Herrschern, Politikern und ganzen Staaten. Diese Erkrankung zeigte sich im Übermaß der

ISBN 978-3-515-13473-6

9 783515 134736

Leidenschaften, das von den hellenistischen Philosophenschulen, insbesondere dem Stoizismus, als ansteckender Wahnsinn verstanden wurde, der sich von den regierenden Personen oder Gruppen auf alle Menschen eines Staates epidemisch überträgt. Die äußerste Form des Wahnsinns äußerte sich in der Hybris der Selbstüberhebung und der Zerstörung von Heiligtümern. In dieser teleologischen Sicht konnten Seuchen die Folge sein, das Schicksal ganzer Staaten und Reiche konnte sich umkehren und über mehrere Generationen zu deren Auflösung führen.

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