Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie 9783840918551

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Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie
 9783840918551

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H A N D B U C H D E R P SYC H O LO G I E

Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie Hannelore Weber Thomas Rammsayer (Hrsg.)

Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie

Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

Handbuch der P sychologie hrsg. von J. Bengel, H.-W. Bierhoff, V. Brandstätter-Morawietz, M. Eid, D. Frey, P. A. Frensch, J. Funke, S. Gauggel, M. Hasselhorn, M. Herrmann, H. Holling, M. Jerusalem, J. H. Otto, F. Petermann, T. Rammsayer, H. Reinecker, B. Schmitz, W. Schneider, H. Schuler, Kh. Sonntag, M. Steller, R. Volbert und H. Weber.

Band 2 Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie hrsg. von Hannelore Weber und Thomas Rammsayer

weitere Bände: Handbuch der Allgemeinen Psychologie: Kognition hrsg. von Joachim Funke und Peter A. Frensch

Handbuch der Allgemeinen Psychologie: Motivation und Emotion hrsg. von Veronika Brandstätter-Morawietz und Jürgen H. Otto

Handbuch der Entwicklungspsychologie hrsg. von Marcus Hasselhorn und Wolfgang Schneider

Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie hrsg. von Hans-Werner Bierhoff und Dieter Frey

Handbuch der Neuro- und Biopsychologie hrsg. von Siegfried Gauggel und Manfred Herrmann

Handbuch der Psychologischen Methoden und Evaluation hrsg. von Heinz Holling und Bernhard Schmitz

Handbuch der Psychologischen Diagnostik hrsg. von Franz Petermann und Michael Eid

Handbuch der Klinischen Psychologie und Psychotherapie hrsg. von Franz Petermann und Hans Reinecker

Handbuch der Arbeits- und Organisationspsychologie hrsg. von Heinz Schuler und Karlheinz Sonntag

Handbuch der Pädagogischen Psychologie hrsg. von Wolfgang Schneider und Marcus Hasselhorn

Handbuch der Gesundheitspsychologie und Medizinischen Psychologie hrsg. von Jürgen Bengel und Matthias Jerusalem

Handbuch der Rechtspsychologie hrsg. von Max Steller und Renate Volbert Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

H a n d b u c h d e r P syc h o lo g i e

Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie herausgegeben von Hannelore Weber und Thomas Rammsayer

Göttingen · Bern · wien Toronto · Seattle · Oxford · Prag

Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

Prof. Dr. Hannelore Weber, geb. 1955. 1975-1981 Studium der Psychologie und Publizistik in Mainz. 1987 Promotion. 1992 Habilitation. Seit 1994 Inhaberin des Lehrstuhls für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie/Psychologische Diagnostik an der Universität Greifswald. Prof. Dr. Thomas Rammsayer, geb. 1953. 1977-1982 Studium der Psychologie in Tübingen. 1987 Promotion. 1992 Habilitation. Seit 1997 Leiter der Abteilung Differentielle und Diagnostische Psychologie an der Universität Göttingen.

© 2005 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG Göttingen • Bern • Wien • Toronto • Seattle • Oxford • Prag Rohnsweg 25, 37085 Göttingen

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Inhalt Einführung Thomas Rammsayer & Hannelore Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

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Grundlagen

Persönlichkeit: Stabilität und Veränderung Jens B. Asendorpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Persönlichkeitsentwicklung: Biologische Einflussfaktoren Peter Borkenau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Persönlichkeitsentwicklung: Einflüsse von Umweltfaktoren Klaus A. Schneewind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

II

Theoretische Perspektiven

Psychoanalytische Persönlichkeitstheorien Thomas Rammsayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Humanistische Persönlichkeitstheorien Thomas Rammsayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Biologische Persönlichkeitstheorien Petra Netter & Jürgen Hennig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Lerntheoretische Ansätze Hans Westmeyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Eigenschaftstheoretische Ansätze Alois Angleitner & Rainer Riemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Interaktionistische Ansätze Manfred Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Konstruktivistische Ansätze Hannelore Weber & Hans Westmeyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

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Methodische Zugänge

Idiographische und nomothetische Ansätze Hannelore Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Selbstberichte Hans D. Mummendey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Verhaltensbeobachtung Karl-Heinz Renner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Objektive psychologisch-diagnostische Verfahren Klaus D. Kubinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Experimentelle Methoden Heinz-Martin Süß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Biologische Ansätze Gerhard Stemmler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Verhaltensgenetik Frank M. Spinath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Zwillings- und Adoptionsstudien Rainer Riemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Längsschnittstudien Ernst Hany . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Kulturvergleichende Ansätze Gisela Trommsdorff & Boris Mayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

IV

Grundlegende Dimensionen interindividueller Unterschiede

Eigenschaften Petra Netter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Temperament Alois Angleitner & Frank M. Spinath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Neurotizismus Jürgen Hennig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

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Extraversion Thomas Rammsayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Selbst und Selbstkonzept Sigrun-Heide Filipp & Anne-Kathrin Mayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Ziele Anja Dargel & Joachim C. Brunstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Motive Clemens H. Schmitt & Joachim C. Brunstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Werte und Werthaltungen Wolfgang Bilsky . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Geschlechterunterschiede Dorothee Alfermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

V

Persönlichkeitsunterschiede im Bereich der Fähigkeiten und Kompetenzen

Intelligenz Aljoscha C. Neubauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Kreativität Christiane Spiel & Hans Westmeyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Weisheit, Lebens- und Selbsteinsicht Ursula M. Staudinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Soziale Kompetenzen Heinz-Martin Süß, Susanne Weis & Kristin Seidel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Selbstregulation und Selbstkontrolle Nicola Baumann & Julius Kuhl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Stressbewältigung Carl-Walter Kohlmann & Michael Hock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374

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Persönlichkeitsunterschiede im emotional-kognitiven Bereich

Ängstlichkeit Heinz Walter Krohne, Boris Egloff & Stefan C. Schmukle . . . . . . . . . . . . . . . 385 Ärgerneigung Volker Hodapp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Stress Christel Salewski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Wohlbefinden Tanja Lischetzke & Michael Eid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Selbstwertschätzung Astrid Schütz & Michela Schröder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Kontrollüberzeugungen Christel Salewski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 Selbstwirksamkeit Matthias Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 Optimismus Britta Renner & Hannelore Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446

VII

Persönlichkeitsunterschiede im Bereich des sozialen Verhaltens

Prosoziales Verhalten Hans-Werner Bierhoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Empathie Gisela Steins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 Aggressivität Barbara Krahé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476

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Selbstdarstellung Lothar Laux & Karl-Heinz Renner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 Soziale Unterstützung Thomas Klauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 Partnerwahl und Partnerschaft Rainer Banse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501

VIII

Die Relevanz von Persönlichkeitsmerkmalen in den zentralen Anwendungsgebieten der Psychologie

Klinische Psychologie Peter Becker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Gesundheitspsychologie Hannelore Weber & Manja Vollmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 Arbeits- und Organisationspsychologie Martin Kersting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 Pädagogische Psychologie Bettina Hannover, Ursula Kessels & Karoline Schmidthals . . . . . . . . . . . . . 546 Rechtspsychologie Renate Volbert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 Gerontopsychologie: Erfolgreiches Altern Alexandra M. Freund & Michaela Riediger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 Verkehrspsychologie Volker Linneweber & Heidi Ittner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572

Die Autorinnen und Autoren des Bandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601

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Einführung Das vorliegende Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie ist der zweite Band einer auf insgesamt 13 Bände ausgelegten Reihe im Hogrefe Verlag. Der erste Band, das Handbuch der Klinischen Psychologie und Psychotherapie, ist im Juni 2005 erschienen. Die Konzeption der Handbuchreihe geht von der Zielsetzung aus, jeweils in einem Band ein Teilgebiet der Psychologie umfassend und zugleich verständlich darzustellen. Dieses Ziel stellt die Herausgeber der einzelnen Bände angesichts des enormen Wissensbestandes bereits innerhalb eines Teilgebietes der Psychologie vor erhebliche Probleme. Es zwingt zur Auswahl von Themen, die sich im Fach als zentral, überdauernd und zugleich aktuell herausgestellt haben. Doch jede Auswahl stellt natürlich auch eine persönliche Entscheidung der Herausgeber dar; für die einzelnen Themenbereiche haben wir diese Aufgabe an die Autorinnen und Autoren delegiert, die es übernommen haben, aus der Sicht der Expertin oder des Experten entsprechende Schwerpunkte zu setzen. Das vorliegende Handbuch bietet bei allen genannten Begrenzungen einen umfassenden Überblick über das weite Gebiet der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie. Diese Teildisziplin der Psychologie beschäftigt sich mit der Beschreibung und Erklärung inter- und intraindividueller Unterschiede im menschlichen Erleben und Verhalten. Traditionell sind dabei die Merkmale und Dimensionen, in denen sich interindividuelle Unterschiede manifestieren, die Domäne der Differentiellen Psychologie, während die Persönlichkeitspsychologie in stärkerem Maße die sich aus den einzelnen Dimensionen ergebende Struktur der menschlichen Persönlichkeit und ihre Einzigartigkeit zum Gegenstand hat. Diese Unterschiede in der Akzentsetzung haben sich jedoch über die Zeit hinweg verwischt, geblieben ist der Doppelname für eine Disziplin, der aber das Fach nicht teilt, sondern seine Vielfalt zum Ausdruck bringt. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in der Gliederung des Handbuches wider. Die Themenbereiche haben wir so ausgewählt, dass nach einführenden Beiträgen in die Grundlagen der Disziplin ihre wichtigsten theoretischen und methodischen Zugänge beschrieben werden. Es folgen vier Abschnitte, in denen jene Konzepte und Dimensionen aufgeführt werden, die zur Beschreibung und Erklärung von Persönlichkeitsunterschieden in Theorie, Forschung und Anwendungspraxis vor allem herangezogen werden. Die einzelnen Abschnitte informieren über Persönlichkeitsmerkmale in den Bereichen der Fähigkeiten und Kompetenzen, im emotional-kognitiven Bereich sowie im Bereich des sozialen Verhaltens. Das Handbuch schließt ab mit einer Reihe von Beiträgen, in denen die Relevanz der Persönlich-

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Einführung

keitspsychologie und Differentiellen Psychologie für zentrale Anwendungsgebiete beleuchtet wird. In allen Beiträgen wird, sofern relevant, auch auf die jeweilige Geschichte des behandelten Themengebietes eingegangen. Die einzelnen Beiträge sind durch eine klare Strukturierung und durch den Einsatz von Beispielen, Übersichten, Hervorhebungen im Text sowie Tabellen und Abbildungen gut lesbar und verständlich. Verweise erleichtern die Verbindung zwischen den einzelnen Beiträgen und ermöglichen einen schnellen Zugang zu weiteren relevanten Informationen. In allen Beiträgen wird am Ende weiterführende Literatur benannt. Wir haben die Autorinnen und Autoren jedoch gebeten, die Anzahl der Literaturhinweise zu Gunsten der inhaltlichen Ausführungen auf wesentliche Quellen zu begrenzen und übernehmen jede Verantwortung für die vielen Literaturangaben, die unseren strikten Vorgaben zum Opfer gefallen sind. Schwerpunkte zu setzen, Informationen auszuwählen, sie zu verdichten und dennoch verständlich und anschaulich darzubieten, gehört zu den schwierigsten Aufgaben der wissenschaftlichen Schreibpraxis. Den Autorinnen und Autoren des Bandes ist dieses Kunststück gelungen! Wir richten uns mit diesem Handbuch an eine breite Leserschaft. Es entspricht der Zielsetzung dieser Handbuchreihe, mit den einzelnen Bänden Studierende der Psychologie und der Nachbardisziplinen, Kolleginnen und Kollegen aus der Psychologie, vor allem auch aus anderen Teildisziplinen der Psychologie, Fachvertreter aus Nachbarwissenschaften sowie Berufspraktiker aus der Psychologie und benachbarten Gebieten mit dem Stand von Theorie und Forschung in der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie vertraut zu machen. Wir danken den Autorinnen und Autoren, dass sie sich den vielen Zwängen unterworfen haben, die wir für die Realisierung dieses Buchprojektes vorzugeben gezwungen waren. Wir hoffen, dass das entstandene Gemeinschaftswerk sie für alle Härten im Einzelfall entschädigt! Zu großem Dank sind wir auch Frau Kielhorn und Frau Weidinger vom Hogrefe Verlag verpflichtet, die den Band von Anfang an betreut haben. Evelyn Reichel hat das Buchmanuskript in die letzte Form gebracht, wofür wir ihr sehr dankbar sind. Nicht zuletzt danken wir auch Franz Petermann und Hans Reinecker, dass sie die Idee zu dieser Handbuchreihe so beherzt und zügig umgesetzt haben. Göttingen und Greifswald, Januar 2005

Thomas Rammsayer Hannelore Weber

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Persönlichkeit: Stabilität und Veränderung Personality: Stability and Change Jens B. Asendorpf Die Persönlichkeit eines Menschen umfasst die Gesamtheit aller überdauernden individuellen Besonderheiten im Erleben und Verhalten (Asendorpf, 2004). „Überdauernd“ bezieht sich in dieser Definition auf Zeiträume von wenigen Wochen oder Monaten. Persönlichkeit setzt also eine zumindest kurzfristige Stabilität von Tendenzen im Erleben und Verhalten voraus, in denen sich jemand von anderen altersgleichen Personen unterscheidet. Das schließt langfristige Veränderungen der Persönlichkeit über einen Zeitraum von vielen Monaten oder Jahren nicht aus. Finden solche langfristigen Veränderungen statt, spricht man von Persönlichkeitsentwicklung.

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Individuelle, durchschnittliche und differentielle Veränderungen

Aus Sicht einer einzelnen Person enthalten zeitliche Veränderungen überdauernder Tendenzen ihres Erlebens oder Verhaltens immer zwei Komponenten: durchschnittliche Veränderungen, die alterstypisch sind und von daher keine individuellen Besonderheiten ihrer Entwicklung darstellen, und differentielle Veränderungen, die nicht alterstypisch sind und ausschließlich auf individuelle Besonderheiten ihrer Entwicklung zurückgehen. Abbildung 1 illustriert dies am Beispiel einer Person, die sich individuell betrachtet in einem Merkmal ihres Erlebens oder Verhaltens nicht ändert, sich aber trotzdem differentiell betrachtet verändert, weil das Merkmal im Durchschnitt ihrer Altersgruppe zunimmt. Wenn z. B. Fritz im Alter von 8 und 14 Jahren dieselbe Punktzahl in einem Intelligenztest erzielen würde, hätte sich seine Persönlichkeit verändert, weil die durchschnittlich erreichte Punktzahl in Intelligenztests zwischen 8 und 14 Jahren zunimmt. Sein Intelligenzquotient (IQ), der die Abweichung seiner Intelligenz vom Mittelwert IQ = 100 der jeweiligen Altersgruppe misst, wäre gesunken. Persönlichkeitsentwicklung Persönlichkeitsentwicklung setzt differentielle Entwicklung voraus. Deshalb kann die Persönlichkeit sich ändern, obwohl das Erleben und Verhalten gleich bleiben (vgl. Abb. 1). Umgekehrt kann die Persönlichkeit gleich bleiben, wenn sich das Erleben und Verhalten ändern, nämlich dann, wenn diese Veränderungen genau alterstypisch sind.

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Jens B. Asendorpf

Merkmalsausprägung

Durchschnittlicher Entwicklungsverlauf

Individueller Entwicklungsverlauf

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Differentieller Entwicklungsverlauf Abbildung 1: Individueller, durchschnittlicher und differentieller Entwicklungsverlauf

(aus Asendorpf, 2004)

Allerdings wird bisweilen auch von Persönlichkeitsentwicklung gesprochen, wenn es sich nur um durchschnittliche Veränderungen handelt. Roberts und Walton (in Druck) führten eine Metaanalyse aller vorliegenden Längsschnittstudien zu Mittelwertsveränderungen in den fünf Hauptfaktoren der Persönlichkeit (Big Five; ➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze) durch und fanden eine Abnahme von Neurotizismus und eine Zunahme von Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit im Verlauf des Erwachsenenalters. Diese Altersveränderungen spiegeln durchschnittliche Entwicklungsveränderungen wider, die für die Mehrheit der Untersuchten gelten, nicht aber Persönlichkeitsveränderungen im strengen Sinne. Durchschnittliche Veränderungen der Big Five im Erwachsenenalter Im Verlauf des Erwachsenenalters nimmt der Neurotizismus ab, während Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit zunehmen. Hierbei handelt es sich um durchschnittliche Entwicklungsveränderungen, nicht um Persönlichkeitsentwicklung im strengen Sinne. McCrae et al. (2000) versuchten, diese durchschnittlichen Entwicklungsveränderungen durch „intrinsische Reifung“ zu erklären. Sie verstanden darunter Entwicklungsveränderungen, die umweltunabhängig ablaufen, letztlich also genetisch gesteuert sein müssten. Zu denken ist hierbei aber immer auch an die alternative Erklärungsmöglichkeit einer durchschnittlichen Veränderung der Umwelt mit wachsendem Alter. Beispielsweise fanden Neyer und Asendorpf (2001) eine Abnahme

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von Neurotizismus im Verlauf des jungen Erwachsenenalters nur bei denjenigen, die eine stabile Partnerschaft eingegangen waren, bei Dauer-Singles aber nicht; umgekehrt kam es bei Trennung vom Partner nicht zu einer Neurotizismus-Erhöhung. Da die meisten Menschen im Verlauf des jungen Erwachsenenalters eine stabile Partnerschaft eingehen, kann zumindest ein Teil der durchschnittlichen Neurotizismus-Verminderung auf eine Veränderung der sozialen Umwelt zurückgeführt werden. Dieses Beispiel zeigt, dass die Interpretation durchschnittlicher Entwicklungsveränderungen als universelle Veränderungen, die für alle Mitglieder einer Geburtskohorte gelten, problematisch ist. Im strengen Sinne müssten ja universelle Veränderungen bei allen Menschen derselben Kohorte gleichzeitig und in gleicher Weise ablaufen. Das ist natürlich nie der Fall. Eine Minderheit wird diese Veränderungen möglicherweise nie zeigen (im Beispiel: Sie bleiben ewig Singles), viele werden diese Veränderungen stärker zeigen als andere (z. B. könnte die NeurotizismusSenkung von der Qualität der Partnerschaft abhängen), und auch der Zeitpunkt des Beginns der Veränderung kann variieren (z. B. könnte die erste stabile Partnerschaft mit 17 oder erst mit 40 Jahren eingegangen werden). Durchschnittliche Veränderungen sind also bei genauerer Analyse nie universelle Veränderungen, sondern haben immer auch differentiell interessante Aspekte.

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Langfristige Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen

Bleiben die Persönlichkeitsunterschiede in einer Geburtskohorte langfristig gleich, bleiben die individuellen Tendenzen im Erleben und Verhalten entweder bei allen Personen gleich (in diesem Fall wird meist von der Konstanz oder der absoluten Stabilität der individuellen Werte gesprochen) oder die individuellen Tendenzen verändern sich sozusagen im gleichen Takt, nämlich in gleicher Weise bei allen Personen. Dann bleibt die Rangreihe der Personen und der genaue Abstand zwischen ihnen für jedes Persönlichkeitsmerkmal erhalten: jedes Merkmal ist stabil über die Zeit. In diesem Fall wird von normativer Stabilität, Positionsstabilität oder auch Rangordnungs-Stabilität der Merkmale gesprochen (Lang & Heckhausen, in Druck; Roberts & DelVecchio, 2000), meist auch einfach von der Stabilität der Merkmale. Ändert sich die Persönlichkeit einiger oder aller Personen zwischen zwei Zeitpunkten in einem Merkmal, ändert sich ihr Merkmalsabstand untereinander: Das Merkmal ist nicht stabil. Messung der Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen Das Ausmaß der (normativen) Stabilität eines Persönlichkeitsmerkmals zwischen zwei Zeitpunkten wird durch die Korrelation r des Merkmals zwischen den beiden Zeitpunkten quantifiziert. Ist die Korrelation 1, liegt perfekte Sta-

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bilität vor: Die Abstände der Personen untereinander bleiben genau gleich. Je niedriger die Korrelation ist, desto stärker ändern sich die Abstände. Bei einer Korrelation von r = 0 gibt es keinen Zusammenhang mehr zwischen den beiden Merkmalsmessungen, d. h. aus der ersten Messung lässt sich nichts über die zweite Messung vorhersagen. Werden Persönlichkeitsmerkmale durch Fragebögen oder Verhaltensbeobachtung über ausreichend lange Zeiträume erfasst, liegt die kurzfristige Stabilität über wenige Wochen (die Retestreliabilität) bei etwa r = .80; bei Intelligenztests kann sie auch r = .90 erreichen. Die kurzfristige Stabilität ist etwas niedriger als 1 bedingt durch Messfehler, aktuelle Erlebnisse und die sonstige Tagesverfassung der Getesteten. Langfristig kann die Stabilität also nur unter diesen Werten liegen. Wie hoch ist sie im Verlauf des Lebens? Bleibt sie gleich oder nimmt sie zu, und wenn sie mit dem Alter zunimmt, wann erreicht die Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen ihr Maximum? Roberts und DelVecchio (2000) fassten in einer bahnbrechenden Analyse 152 Längsschnittstudien zusammen, in denen an mehr als 35.000 Personen über 3.000 Stabilitätskoeffizienten für verschiedene Altersgruppen und Persönlichkeitsmerkmale bestimmt worden waren; der mittlere Abstand zwischen zwei Persönlichkeitsmessungen betrug 6,8 Jahre. Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse getrennt nach Alter bei 1 0,9

Begrenzung durch Messfehler

0,8

Differentielle Stabilität

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0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 3

6

12

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22

22

30

40

50

60

75

Alter bei erster Messung Abbildung 2: Sieben-Jahres-Stabilität von Persönlichkeitsbeurteilungen im Verlauf des

Lebens. Angegeben sind die für bestimmte Altersgruppen (z. B. 3 bis 6 Jahre) getrennt gemittelten Stabilitäten jeweils vieler Längsschnittstudien und die Konfidenzintervalle dieser Mittelwerte (aus Asendorpf, 2002).

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der jeweils ersten Messung. Da es für jede Altersgruppe sehr viele Stabilitäten gab, konnte jeweils nicht nur der Mittelwert der Stabilitäten, sondern auch sein Konfidenzintervall bestimmt werden (der Bereich, in den die „wahre“ mittlere Stabilität mit 95 %-iger Sicherheit fällt). Abbildung 2 macht deutlich, dass die Stabilität in der frühen Kindheit ausgesprochen niedrig ist (um .35), sich diskontinuierlich bis zum Alter von 50 Jahren erhöht und dort ein sehr hohes Niveau erreicht, das nur knapp unterhalb der auf Messfehler zurückgehenden kurzfristigen Stabilität der Messungen von .78 liegt. Ein erster Stabilitätszuwachs findet sich beim Übergang zum Kindergartenalter (ab 3 Jahre), ein zweiter beim Verlassen des Elternhauses (ab 18 Jahre) und ein dritter im dem Alter, in dem typischerweise die eigenen Kinder das Elternhaus verlassen haben (ab 50 Jahre). Diese zunehmende Stabilisierung zeigte sich in praktisch allen untersuchten Persönlichkeitsmerkmalen. Diese Analyse zeigt erstmals überzeugend, dass eine wirklich hohe Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen meist erst im höheren Erwachsenenalter erreicht wird. Nicht nur im Kindes- und Jugendalter, sondern auch noch im jüngeren Erwachsenenalter können also deutliche Persönlichkeitsveränderungen stattfinden. Dies ist nicht vereinbar mit psychoanalytisch inspirierten Auffassungen, dass die Persönlichkeit vor allem in der frühen Kindheit geformt werde, aber auch nicht mit der lange Zeit von McCrae und Costa vertretenen Auffassung, dass die Persönlichkeit ab 30 Jahren bereits hoch stabil sei. Der Stabilisierungsprozess dauert offenbar erheblich länger. Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass dies nicht für alle Merkmale der Persönlichkeit gilt; beispielsweise stabilisieren sich Intelligenzunterschiede erheblich früher. Langfristige Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen Die Stabilität der meisten Persönlichkeitsmerkmale wächst bis zum Alter von 50 Jahren diskontinuierlich an und erreicht dort ein sehr hohes Niveau. Dies ist unvereinbar mit der Auffassung, die Persönlichkeit werde bereits in der frühen Kindheit oder im jungen Erwachsenenalter weit gehend geprägt. Dieses zentrale Ergebnis von Roberts und DelVecchio (2000) kann in mindestens dreierlei Hinsicht differenziert werden: 1. Die Stabilität sinkt deutlich mit dem Zeitintervall zwischen den beiden Messungen. Die Daten in Abbildung 2 beziehen sich auf den mittleren Altersabstand von knapp 7 Jahren. Wird die Stabilität in Beziehung zum Altersabstand gesetzt, ergibt sich empirisch meist eine exponentielle Beziehung (Asendorpf, 2004). Dies liegt daran, dass die Stabilität einerseits durch die Unreliabilität der Messungen und andererseits durch die kumulierte Wirkung destabilisierender Faktoren begrenzt wird, wobei diese Destabilisierungstendenz konstant über die

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Zeit ist. Letzteres gilt sicherlich nicht im Einzelfall, weil die destabilisierenden Faktoren in Transitionsphasen im Lebenslauf, z. B. beim Eintritt in den Kindergarten, die Einschulung, das Verlassen des Elternhauses, der Berentung, meist stärker sind als in ruhigeren Lebensphasen. Da unterschiedliche Menschen diese Transitionen jedoch nicht genau zum selben Zeitpunkt durchlaufen, gleichen sich diese Unterschiede in der Destabilisierung annähernd gegenseitig aus, so dass sich insgesamt eine exponentielle Abnahme der Stabilität ergibt. 2. Zumindest ein Teil der zunehmenden Stabilisierung zwischen früher und später Kindheit ist darauf zurückzuführen, dass die Reliabilität der Messinstrumente bei jungen Kindern meist geringer ist als bei älteren. Die in Abbildung 2 eingezeichnete Begrenzung durch Messfehler bezieht sich auf die mittlere Reliabilität in allen Altersgruppen; die Begrenzung ist in der frühen und mittleren Kindheit stärker als nachher. 3. Die Ergebnisse von Roberts und DelVecchio (2000) für die Stabilität ab 60 Jahren beruhen auf nur wenigen Studien. Längsschnittstudien in sehr hohem Alter (65 bis 100 Jahre) könnten ergeben, dass ab dem Rentenalter die Stabilität zunehmend sinkt, vor allem bedingt durch unterschiedlich früh und unterschiedlich schnell verlaufende biologische Alterungsprozesse (vgl. Lang & Heckhausen, in Druck).

3

Heterotype Stabilität

Die meisten Längsschnittstudien zur Persönlichkeitsentwicklung verwenden für ein und dasselbe Persönlichkeitsmerkmal dieselben Messverfahren für beide Zeitpunkte. Damit soll das Risiko vermindert werden, dass zu den beiden Zeitpunkten unterschiedliche Merkmale gemessen werden. Diese Strategie, homotype Stabilität (homotyp = gleichartige Messinstrumente) zu untersuchen, kann jedoch dann kontraproduktiv sein, wenn die Bedeutung des Gemessenen sich mit dem Alter verändert. Interessiert z. B. das Merkmal Aggressivität, so lässt sich ein aggressives Kind im Kindergartenalter gut im Spiel mit anderen Kindern daran erkennen, dass es oft anderen Spielzeug wegnimmt, ohne sie zu fragen. Aggressivität im Erwachsenenalter lässt sich an diesem Merkmal schwerlich erkennen; besser geeignet wäre z. B. die Zahl der Verkehrsdelikte. Die lassen sich aber im Kindergartenalter nicht erfassen. Bei einer Längsschnittstudie mit großem Altersabstand ist es deshalb oft angebracht, heterotype Stabilitäten zu untersuchen, indem das interessierende Merkmal in unterschiedlichem Alter durch unterschiedliche, altersadäquate Messverfahren erfasst wird. Ein Beispiel hierfür ist der deutliche Zusammenhang zwischen Aggressivität im Alter von 8 Jahren, erfasst durch Beurteilungen von Klassenkameraden, und der Zahl der Verkehrsverstöße, die diese Personen später bis zum Alter von 30 Jahren begingen (vgl. Abb. 3). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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0,8

Verkehrsverstöße 30 Jahre

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0,6

0,4

0,2

0 niedrig

mittel

hoch

Aggressivität 8 Jahre

Abbildung 3: Heterotype Stabilität zwischen beurteilter Aggressivität im Alter von 8 Jah-

ren und Zahl der Verkehrsverstöße bis zum Alter von 30 Jahren bei Männern (aus Asendorpf, 2004)

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Kontinuität von Konstrukten

Wenn die Stabilitäten selbst bei Altersabständen von wenigen Jahren nur gering ausfallen, muss neben altersunangemessenen Messungen auch daran gedacht werden, dass das interessierende Merkmal nicht zwischen den Zeitpunkten vergleichbar ist. In diesem Fall zeigt das theoretische Konstrukt, das die Messungen erfassen sollen, keine Kontinuität. Ein solcher Fall wurde längere Zeit für das Konstrukt Intelligenz im Säuglingsalter diskutiert. Ist es überhaupt sinnvoll, schon in diesem Alter von Intelligenz sprechen zu wollen? Ausgelöst wurde diese Diskussion durch die niedrigen Korrelationen (um r = .20) zwischen traditionellen pädiatrischen Verfahren, die Intelligenz im Säuglingsalter durch kognitive und motorische Kurztests erfassen sollen (Bayley-Skalen) und dem später gemessenen IQ im Vorschulalter. In diesem Fall war es nicht möglich, homotype Stabilitäten zu erfassen, weil die üblichen IQ-Tests mit verbalen Instruktionen arbeiten. Ist Intelligenz tatsächlich so instabil zwischen dem 1. und dem 4. Lebensjahr, sind die Bayley-Skalen schlecht geeignet zur Intelligenzmessung (mangelnde Validität dieser Skalen) oder gibt es keine Kontinuität von Intelligenz zurück bis ins Säuglingsalter? Erst neuere Testverfahren für frühe Intelligenz konnten diese Frage beantworten. Hierbei wird Säuglingen eine lange Diareihe gezeigt, auf denen Gesichter oder abstrakte Figuren zu sehen sind, die sich ab und zu wiederholen. Beobachtet wird,

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wie lange die Säuglinge die Dias ansehen. Es ist z. B. plausibel, dass intelligentere Säuglinge bei bekannten Bildern eine größere Reduktion der Beobachtungszeit gegenüber unbekannten Bildern zeigen als weniger intelligente. Tatsächlich korrelierten derartige Tests zur visuellen Habituation nach Kontrolle der Messfehler zu beiden Zeitpunkten zu .70 mit dem IQ im Kindergartenalter und zu .41 mit dem IQ im Alter von 11 Jahren (Asendorpf, 2004). Kontinuität der Intelligenz ab dem Säuglingsalter Im Vergleich zu klassischen pädiatrischen Testverfahren sagen visuelle Habituationstests im Säuglingsalter die Ergebnisse von Intelligenztests im Kindergartenalter und der Grundschulzeit sehr viel besser vorher. Dies zeigt, dass Intelligenz ab dem Säuglingsalter eine klare Kontinuität aufweist; die niedrige Vorhersagekraft der pädiatrischen Verfahren beruht auf deren mangelhafter Validität. Letztlich ist es problematisch, die Kontinuität von Persönlichkeitseigenschaften nur über die Stabilität der Eigenschaftsmessungen zu prüfen, denn wenn die Stabilität niedrig ist, kann das ganz verschiedene, nicht unterscheidbare Ursachen haben: Instabilität der Persönlichkeit, Invalidität der Messungen, Diskontinuität des Konstrukts. Eine Alternative besteht in der Prüfung, ob die gleiche Eigenschaft in unterschiedlichem Alter dieselben Außenbeziehungen zu konstruktnahen Kriterien hat. Zum Beispiel fanden Asendorpf und van Aken (2003) für die fünf Hauptfaktoren der Persönlichkeit (Big Five, ➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze), dass im gesamten Altersbereich zwischen 4 und 12 Jahren Neurotizismus und Introversion mit sozialer Gehemmtheit, niedrige Verträglichkeit und niedrige Gewissenhaftigkeit mit Aggressivität und Gewissenhaftigkeit und Offenheit mit Intelligenz und Schulleistung positiv korrelierten. Die Konstanz dieser Außenbeziehungen war deshalb besonders überzeugend, weil sie für dieselben Kinder in unterschiedlichem Alter gezeigt werden konnte (Längsschnittstudie) und die Big Five in unterschiedlichem Alter durch unterschiedliche Messinstrumente und unterschiedliche Beurteiler erfasst wurden (Erzieherinnen, Eltern und Freunde der Kinder).

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Stabilisierungs- und Destabilisierungsprozesse

Welche Prozesse und Mechanismen liegen der langfristig zunehmenden Stabilisierung der Persönlichkeit zu Grunde? Ein erster stabilisierender Faktor ist die Konstanz des Genoms. Bis auf wenige Mutationen in einzelnen Zellen ist die genetische Individualität das ganze Leben hindurch konstant. Genetische Unterschiede zwischen Menschen bleiben damit auch konstant und tragen zu Persönlichkeitsunterschieden bei, sofern diese geneDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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tisch beeinflusst sind. Da Unterschiede in grundlegenden Persönlichkeitsmerkmalen etwa zur Hälfte durch genetische Unterschiede bedingt sind (vgl. Asendorpf, 2004), wirken genetische Unterschiede auf diesem Wege stabilisierend. Bei dieser Argumentation wird allerdings übersehen, dass nicht die Gene selbst, sondern nur aktivierte Gene überhaupt Einflüsse auf den Stoffwechsel und damit auf Entwicklungsprozesse und Persönlichkeitsmerkmale haben können und dass viele Gene erst relativ spät im Verlauf des Lebens aktiviert werden (Beispiele sind das Huntington-Gen, das erst im mittleren Erwachsenenalter aktiv wird, und AlzheimerGene, die noch später wirksam werden). Von daher steht die Argumentation mit der Konstanz des Genoms auf tönernen Füßen, da über die Dynamik der Genaktivität im Verlauf des Lebens noch nicht viel bekannt ist (➝ Verhaltensgenetik). Ein zweiter stabilisierender Faktor ist die Stabilität der Umweltunterschiede (➝ Persönlichkeitsentwicklung: Einflüsse von Umweltfaktoren). Sofern die Umweltunterschiede zwischen verschiedenen Personen stabil sind, wirken sie konstant unterschiedlich auf die Persönlichkeitsentwicklung und stabilisieren damit Persönlichkeitsunterschiede. Die Stabilität persönlichkeitswirksamer Umweltunterschiede ist oft sehr hoch; zum Beispiel sind Risikofaktoren für die Intelligenzentwicklung im Verlauf der Kindheit mindestens so stabil wie die Intelligenzunterschiede (Sameroff, Seifer, Baldwin & Baldwin, 1993). Ein dritter stabilisierender Faktor ist die Kristallisierung von genetischen und Umwelteffekten. Vergangene Effekte verpuffen nicht einfach, sondern kristallisieren sich in Form individualtypischer Tendenzen des Erlebens und Verhaltens, die erhalten bleiben können, auch wenn die hierfür verantwortlichen genetischen und Umweltbedingungen gar nicht mehr wirksam sind. Etwas dramatisch, aber dennoch instruktiv, erscheint hier das Bild einer Lawine, die sich allmählich aus einzelnen, noch unzusammenhängenden und in ihrer individuellen Bahn wenig vorhersehbaren Schneeklumpen bildet, mit wachsender Größe aber an Dichte und Berechenbarkeit gewinnt, bis ihre Eigendynamik so groß geworden ist, dass nichts sie mehr ablenken kann und sie auf kürzestem Wege ins Tal stürzt (Asendorpf, 2002). Ein vierter stabilisierender Faktor sind innere Stabilisierungstendenzen. Menschen reagieren nicht nur passiv auf externe Einflüsse, sondern können diese Einflüsse schon im Prozess der Wahrnehmung akzentuieren oder abpuffern, selektiv filtern oder gänzlich ausblenden. Besonders gut untersucht wurde diese Selbststabilisierung in der Persönlichkeitspsychologie am Beispiel der Dynamik des Selbstkonzepts und Selbstwertgefühls (vgl. Asendorpf, 2004, Kap. 4.7.3). Wie z. B. Kritik anderer an der eigenen Person wahrgenommen, erinnert und in Änderungen des Selbstkonzepts und Verhaltens umgesetzt wird, hängt im Erwachsenenalter stark vom Selbstkonzept und Selbstwertgefühl der kritisierten Person ab. Es ist plausibel anzunehmen, dass diese Prozesse der Selbststabilisierung sich erst langsam Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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entwickeln und erst im mittleren Erwachsenenalter jene Perfektion erreichen, die anderen dann als gefestigte Persönlichkeit, aber auch als Unzugänglichkeit, Unflexibilität oder gar Starrsinn imponiert. Neben diesen inneren Stabilisierungstendenzen trägt fünftens auch die aktive Auswahl und Gestaltung der Umwelt zur Stabilisierung der Persönlichkeit bei (➝ Persönlichkeitsentwicklung: Einflüsse von Umweltfaktoren). Caspi (1998) nahm an, dass die Persönlichkeitsentwicklung einem Prinzip der kumulativen Stabilisierung folge. Danach nimmt mit wachsendem Alter die Möglichkeit zu, die eigene Umwelt so zu verändern, dass sie zur eigenen Persönlichkeit passt. Ein intelligentes Kind beispielsweise ist zunehmend in der Lage, sich unabhängig von Elternhaus und Schulunterricht eine intelligenzstimulierende Umwelt selbst herzustellen, indem es den Kontakt mit intelligenten Freunden und Verwandten sucht, in Bibliotheken stöbert oder im Internet surft. Diese selbst hergestellte Umwelt entspricht dann zunehmend seiner Intelligenz, und hierdurch wird die Umweltstabilität an die Persönlichkeitsstabilität gekoppelt. Ein Beispiel aus dem sozialen Bereich ist die Stabilisierung und Verstärkung politischer Einstellungen und Werte durch Wahl gleichgesinnter Freunde und Lebenspartner. Mechanismen der Persönlichkeit-Umwelt-Passung werden in Kontrolltheorien der Entwicklung thematisiert (vgl. Lang & Heckhausen, in Druck). Zum Beispiel unterscheiden Heckhausen und Schulz (1995) Strategien der primären Kontrolle, mit denen Personen ihre Umwelt auswählen und gestalten, von Strategien der sekundären Kontrolle, mit denen Personen ihre Ziele und Einstellungen so anpassen, dass sich daraus neue Möglichkeiten der primären Kontrolle ergeben. Bis zum frühen Erwachsenenalter steigt das primäre Kontrollpotenzial an, um dann ein Plateau zu erreichen und schließlich gegen Ende des Lebens, bedingt durch biologische Abbauerscheinungen und Funktionsverluste, wieder deutlich abzufallen. Diese Verluste im hohen Alter werden vor allem durch Anpassung der Ziele und Einstellungen, also durch sekundäre Kontrolle, zu bewältigen versucht (➝ Optimismus). Solange dieses Zusammenspiel von primärer und sekundärer Kotrolle bei den meisten Menschen gelingt, bleiben die Persönlichkeitsunterschiede zwischen ihnen stabil; erst wenn es bei vielen versagt, destabilisieren sich die Persönlichkeitsunterschiede. Lang und Heckhausen (in Druck) illustrieren dies an zahlreichen empirischen Befunden für das Kindesalter, das Jugendalter und das frühe, mittlere und hohe Erwachsenenalter. Mechanismen der Persönlichkeitsstabilisierung Die zunehmende Stabilität der Persönlichkeit bis zum mittleren Erwachsenenalter beruht auf dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren: Konstanz des Genoms, Stabilität der Umweltunterschiede, Kristallisierung genetischer und Umweltwirkungen, Selbststabilisierung und zunehmende Persönlichkeit-Umwelt-Passung, bedingt durch primäre und sekundäre Kontrollstrategien.

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Fazit

Die zahlreichen längsschnittlichen Befunde zur Stabilität der Persönlichkeit ergeben inzwischen ein recht genaues Bild von der zunehmenden Stabilität der Persönlichkeitsunterschiede von der Geburt bis ins hohe Erwachsenenalter hinein. Damit verschiebt sich das Forschungsinteresse weg von der reinen Beschreibung der Stabilität und Vorhersagbarkeit zu den Prozessen und Mechanismen der Stabilisierung und Destabilisierung.

Weiterführende Literatur Asendorpf, J. B. (2002). Die Persönlichkeit als Lawine: Wann und warum sich Persönlichkeitsunterschiede stabilisieren. In G. Jüttemann & H. Thomae (Hrsg.), Persönlichkeit und Entwicklung (S. 46–72). Weinheim: Beltz. Lang, F. R. & Heckhausen, J. (in Druck). Stabilisierung und Kontinuität der Persönlichkeit im Lebensverlauf. In J. B. Asendorpf (Hrsg.), Soziale, emotionale und Persönlichkeitsentwicklung. Göttingen: Hogrefe.

Literatur Asendorpf, J. B. (2002). Die Persönlichkeit als Lawine: Wann und warum sich Persönlichkeitsunterschiede stabilisieren. In G. Jüttemann & H. Thomae (Hrsg.), Persönlichkeit und Entwicklung (S. 46–72). Weinheim: Beltz. Asendorpf, J. B. (2004). Psychologie der Persönlichkeit (3. Aufl.). Berlin: Springer. Asendorpf, J. B. & van Aken, M. A. G. (2003). Validity of Big Five personality judgments in childhood. European Journal of Personality, 17, 1–17. Caspi, A. (1998). Personality development across the life course. In W. Damon (Ed.), Handbook of child psychology, 5th ed. N. Eisenberg (Vol. Ed.), Social, emotional, and personality development (Vol. 3, pp. 311–388). New York: Wiley. Heckhausen, J. & Schulz, R. (1995). A life span theory of control. Psychological Review, 102, 284–302. Lang, F. R. & Heckhausen, J. (in Druck). Stabilisierung und Kontinuität der Persönlichkeit im Lebensverlauf. In J. B. Asendorpf (Hrsg.), Soziale, emotionale und Persönlichkeitsentwicklung. Göttingen: Hogrefe. McCrae, R. R., Costa, P. T., Jr., Ostendorf, F. & Angleitner, A. et al. (2000). Nature over nurture: Temperament, personality, and life-span development. Journal of Personality and Social Psychology, 78, 173–186. Neyer, F. J. & Asendorpf, J. B. (2001). Personality-relationship transaction in young adulthood. Journal of Personality and Social Psychology, 81, 1190–1204. Roberts, B. W. & DelVecchio, W. F. (2000). The rank-order consistency of personality traits from childhood to old age: A quantitative review of longitudinal studies. Psychological Bulletin, 126, 3–25.

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Roberts, B. W. & Walton, K. E. (in press). Patterns of mean-level change in personality traits across the life-course: A meta-analysis of longitudinal studies. Psychological Bulletin. Sameroff, A. J., Seifer, R., Baldwin, A. & Baldwin, C. (1993). Stability of intelligence from preschool to adolescence: The influence of social and family risk factors. Child Development, 64, 80–97.

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Persönlichkeitsentwicklung: Biologische Einflussfaktoren Personality Development: Biological Influences Peter Borkenau Vor mehreren Jahrzehnten erschienen im British Journal of Psychiatry zwei Forschungsberichte folgenden Inhalts: Neunzig schwangeren Frauen war zwecks Linderung von Schwangerschaftsbeschwerden ab dem zweiten Trimester das Geschlechtshormon Progesteron verabreicht worden. Untersuchungen Jahre später zeigten, dass ihre Kinder bezüglich allgemeiner Entwicklung und Intelligenz solchen Kindern überlegen waren, deren Mütter während der Schwangerschaft kein Progesteron erhalten hatten. In einer Nachuntersuchung wurde die Entwicklung dieser Kinder bis zum 20. Lebensjahr verfolgt und mit der Entwicklung zweier Kontrollgruppen verglichen. Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft Progesteron erhalten hatten, gingen länger zur Schule, hatten bessere Noten und erhielten häufiger einen Studienplatz. Die besten akademischen Leistungen zeigten diejenigen Kinder, deren Mütter höhere Progesterondosen erhalten hatten, bei denen die Hormonbehandlung vor der 16. Schwangerschaftswoche eingesetzt, und bei denen sie länger als acht Wochen angedauert hatte (Dalton, 1976). Diese Berichte stießen auf erhebliche Resonanz, deutete sich hier doch die Möglichkeit an, durch eine früh einsetzende, lang andauernde und nicht zu gering dosierte Behandlung von Schwangeren mit Progesteron die Intelligenz ihrer Kinder nachhaltig zu steigern. Bemühungen um eine Replikation dieser Befunde in besser kontrollierten Studien erwiesen sich jedoch als erfolglos, und zwei Jahrzehnte später resümierten Collaer und Hines (1995), der ursprüngliche Befund gehe vermutlich auf eine im Hinblick auf sozioökonomischen Status und Intelligenz unrepräsentative Stichprobe zurück: Intelligentere Eltern, welche in der Regel auch intelligentere Kinder haben, fragen Ärzte vermutlich häufiger nach speziellen Behandlungen, und sie willigen bereitwilliger in die Teilnahme an Forschungsprojekten ein. Die höhere Intelligenz der Kinder progesteronbehandelter Mütter wäre dann kein Effekt der Progesteronbehandlung, sondern ginge auf andere von den Eltern ausgehende Faktoren (z. B. genetische Veranlagung) zurück, welche mit der Wahrscheinlichkeit einer Progesteronbehandlung sowie der Teilnahme an wissenschaftlichen Studien assoziiert sind.

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Forschungsmethodische Aspekte

Dieses Beispiel illustriert ein Problem vieler Untersuchungen zu biologischen Einflüssen auf Persönlichkeitsmerkmale: Findet man zwischen beiden statistische Zusammenhänge, so müssen diese keineswegs darauf beruhen, dass die biologische Variable das Persönlichkeitsmerkmal beeinflusst. Neben der Hypothese eines Effektes der biologischen auf die Persönlichkeitsvariable ist nämlich häufig auch eine Erklärung durch soziale Selektion plausibel. Die Selektionshypothese beinhaltet, dass soziale Variablen (soziale Schicht, Intelligenz, elterliches oder eigenes Verhalten) statistische Beziehungen zu der Häufigkeit aufweisen, mit der biologische Einflüsse (z. B. Alkoholexposition, Fehlernährung, medizinische Vorsorge) auftreten oder untersucht werden.

Biologische Variablen

a Verhaltensmerkmale

c

Soziale Variablen

b

Abbildung 1: Einige mögliche Beziehungen zwischen biologischen Variablen und Verhalten

Abbildung 1 illustriert dies: Finden sich statistische Beziehungen zwischen biologischen Variablen und Verhaltensmerkmalen, so müssen diese keineswegs durch Pfad a vermittelt sein. Möglich ist vielmehr auch eine Vermittlung durch die Pfade b und c. Hinzu kommt, dass die Effekte keineswegs nur in der in Abbildung 1 angedeuteten Richtung verlaufen können. Vielmehr können sich die Variablen gegenseitig beeinflussen. Einer Klärung durch Interventionsstudien sind bei Fragestellungen dieser Art enge Grenzen gesetzt. Erstens scheiden aus ethischen Gründen solche gezielten Interventionen aus, welche für die Probanden mit gravierenden Schädigungen verbunden sein könnten (z. B. Fehlernährung oder Alkoholexposition über längere Zeiträume). Zweitens interessieren als abhängige Variablen in der Regel langfristige Intelligenz- und Persönlichkeitsveränderungen, welche durch kurzfristige Interventionen kaum in nachweisbarem Ausmaß beeinflussbar sein dürften. Und drittens Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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muss bei langfristigen Interventionen mit selektivem Stichprobenschwund gerechnet werden. Angesichts dieser Probleme, den Einfluss biologischer Faktoren direkt nachzuweisen, kommt verhaltensgenetischen Ansätzen eine erhöhte Bedeutung zu.

Zwillingsstudien zu Substanzgebrauch und Sozialer Devianz In einer Studie von Krueger et al. (2002) korrelierten bei jugendlichen Zwillingen antisoziales Verhalten, Verhaltensstörungen und geringe Selbstkontrolle mit Alkohol- und Drogenabhängigkeit, und zwar sowohl innerhalb der jeweiligen Individuen als auch zwischen den Zwillingsgeschwistern (so genannte KreuzKorrelationen). Die gefundenen Korrelationen innerhalb der Individuen zwischen dissozialem Verhalten und Substanzexposition könnten darauf zurückgehen, dass: (a) Persönlichkeitsmerkmale wie Impulsivität den Substanzkonsum, (b) der Substanzkonsum das Verhalten, und (c) genetische Faktoren beide Variablenkomplexe beeinflussen. Aufschlüsse bezüglich der kausalen Beziehungen vermitteln die Kreuzkorrelationen, welche bei monozygoten höher als bei dizygoten Zwillingen ausfielen. Dies weist auf korrelierte genetische Einflüsse hin. Allerdings könnten diese genetischen Einflüsse auf das dissoziale Verhalten durch die Variable Substanzkonsum vermittelt sein und umgekehrt: Denn wäre zum Beispiel Substanzkonsum genetisch beeinflusst und begünstigte seinerseits dissoziales Verhalten, so fänden sich – allerdings geringere – genetische Einflüsse auch auf das dissoziale Verhalten (siehe Abb. 2).

Gene

a1

a2

b Dissoziales Verhalten

Substanzkonsum c

Abbildung 2: Genetische Einflüsse auf Substanzkonsum können durch Pfad a1 und die

Pfade a2 und c, genetische Einflüsse auf dissoziales Verhalten durch Pfad a2 und die Pfade a1 und b vermittelt sein.

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Nachfolgend werden einige Zusammenhänge zwischen Verhaltensmerkmalen und Hormonexposition, zentralnervöser Aktivierung, perinatalen Einflüssen sowie Ernährung dargestellt und diskutiert. Die Auswahl dieser biologischen Variablen erfolgte vor allem unter dem Gesichtspunkt der Nachweisbarkeit kausaler Beziehungen. Dennoch bleibt die Aussagekraft der Befunde angesichts der erwähnten Probleme häufig unbefriedigend.

2

Hormone und geschlechtstypisches Verhalten

Findet man bezüglich eines Persönlichkeitsmerkmals Geschlechtsunterschiede, liegt die Hypothese einer Beeinflussung durch hormonelle Faktoren nahe. Das biologische Geschlecht eines Menschen wird zwar letztlich durch seine Geschlechtschromosomen (XX bei Frauen, XY bei Männern) bestimmt, aber deren Wirkungen sind überwiegend hormonell vermittelt. Das Sry-Gen auf dem Y-Chromosom führt zur Ausbildung von Hoden, während es bei Fehlen des Y-Chromosoms zur Ausbildung von Ovarien kommt. Diese männlichen bzw. weiblichen Keimdrüsen schütten in unterschiedlichen Proportionen Geschlechtshormone (insbesondere Testosteron oder Östrogene und Progesteron) aus, welche mit der Ausbildung der bekannten primären und sekundären Geschlechtsmerkmale, aber auch mit neurologischen Unterschieden (Pritzel & Markowitsch, 1997) sowie mit Geschlechtsunterschieden in einigen kognitiven Fähigkeiten (Halpern, 2002) und im Sozialverhalten (z. B. Buss & Schmitt, 1993) verknüpft sind. Dies gibt Anlass zu der Vermutung, unterschiedliche Konzentrationen männlicher und weiblicher Geschlechtshormone führten zu eher männlichen bzw. eher weiblichen Verhaltensweisen. Diese Hypothese ließ sich in mehreren Studien belegen. So sind Mädchen mit einer angeborenen Vergrößerung der Nebenniere (adrenalen Hyperplasie) geschlechtsuntypisch hohen Konzentrationen von Androgenen ausgesetzt, welche von ihren Nebennieren ausgeschüttet werden. Diese Veränderungen im Hormonspiegel gehen mit Verhaltenstendenzen einher, welche bei anderen Frauen weniger ausgeprägt sind: Sie zeigen stärkere homosexuelle und bisexuelle Interessen, und sie neigen in ihrer Kindheit und Jugend zu Spielen, welche eher von Jungen bevorzugt werden. Weiterhin zeigen sie in Persönlichkeitsskalen zur sozialen Absonderung und zur indirekten Aggression Antwortmuster, welche man häufiger bei Männern als bei Frauen findet (Helleday, Edman, Ritzén & Siwers, 1993). Schließlich zeichnen sie sich durch bessere visuell-räumliche Leistungen aus (Resnick, Berenbaum, Gottesman & Bouchard, 1986), was ebenfalls eher für Männer als für Frauen typisch ist. Einen weiteren Ansatzpunkt bieten Studien, in denen Geschlechtshormone von außen zugeführt werden. In der Vergangenheit wurde der Östrogen-Antagonist Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Progesteron mitunter zur Wehenhemmung eingesetzt. Spätere Untersuchungen an Kindern aus solchen Schwangerschaften zeigten, dass eine erhöhte ProgesteronExposition weiblicher Föten mit eher jungentypischem „wilden“ Spielverhalten in der Kindheit, einer Präferenz für jungentypisches Spielzeug und männliche Spielkameraden sowie mit einer erhöhten Tendenz zu physischer Aggression einherging (Money & Ehrhardt, 1972). In Persönlichkeitsskalen zeigten Kinder, welche hohen Progesteron- relativ zu Östrogenkonzentrationen ausgesetzt waren, erhöhte Werte in Unabhängigkeit, Selbstsicherheit und Selbstgenügsamkeit sowie erhöhten Individualismus (Reinisch, 1981). Derartige Antwortmuster finden sich sonst eher bei Männern als bei Frauen.

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Neurologische Korrelate der Affektivität

Im Jahre 1848 stand Phineas Gage, ein Aufseher beim Eisenbahnbau, zum falschen Zeitpunkt am falschen Platz. Infolge einer Explosion in seiner Nähe durchschlug eine Eisenstange seine linke Wange und durchbohrte den linksseitigen Frontallappen seines Großhirns. Gage überlebte diesen Unfall um 15 Jahre, aber sein Arzt bemerkte nachhaltige Veränderungen seiner Persönlichkeit: Den Aufzeichnungen seines Arztes zufolge wurde Gages Verhalten launisch und distanzlos, er tendierte (abweichend von seinen früheren Gewohnheiten) zu wilden Flüchen, zeigte wenig Respekt gegenüber seinen Kollegen, duldete weder Einschränkungen noch Ratschläge, und wurde mitunter sehr halsstarrig und zugleich unberechenbar. Diese Beobachtungen sowie solche an weiteren klinischen Fällen führten zu der Hypothese, Schädigungen des linksseitigen präfrontalen Kortex führten zu erhöhtem negativen Affekt, weil dieses Gehirnareal an der Fähigkeit zum Erleben positiven Affekts beteiligt sei. Später wurde diese Annahme an gesunden Probanden überprüft. Davidson, Ekman, Saron, Senulis und Friesen (1990) induzierten mittels Filmen negativen oder positiven Affekt und fanden, dass nach Induktion negativen Affektes eine relativ stärkere rechts- als linksseitige präfrontale und anterior temporale Aktivierung im Elektroenzephalogramm (EEG) zu verzeichnen war, während sich nach Induktion positiven Affektes das entgegengesetzte Muster asymmetrischer Aktivierung einstellte. Weitere Studien zeigten eine beachtliche Stabilität individueller Unterschiede in der natürlich auftretenden präfrontalen Asymmetrie, welche systematische Beziehungen zum natürlich auftretenden langfristigen Affekt aufwies (Tomarken, Davidson, Wheeler & Kinney, 1992): Rechtsseitig stärker Aktivierte berichteten im Vergleich zu linksseitig stärker Aktivierten einen habituell höheren negativen und geringeren positiven Affekt. Harmon-Jones und Sigelman (2001) zeigten jedoch, dass es eher Annäherungsmotivation als positiver Affekt sein dürfte, welcher mit primär linksseitiger präfrontaler Aktivierung einhergeht: Sie untersuchten die zentralnervösen Begleitumstände von Ärger, einer Emotion, welche Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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einerseits durch negativen Affekt und andererseits durch Annäherungstendenzen (Aggression) gekennzeichnet ist. Habitueller und aktueller Ärger gingen mit einer primär linksseitigen Aktivierung einher.

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Perinatale Einflüsse

4.1

Frühkindliche Hirnschädigungen

Zu den frühkindlichen Hirnschädigungen werden organische Schädigungen des Zentralnervensystems gezählt, welche zwischen dem 6. Schwangerschaftsmonat und dem 3. bis 6. Lebensjahr auftreten. Am häufigsten sind derartige Schädigungen vor und während der Geburt, und ihre häufigste Ursache ist Sauerstoffmangel (Asphyxie). Als Symptome werden unter anderem Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörungen, Verhaltensstörungen, psychomotorische Retardierungen und Intelligenzdefizite beschrieben. In einer Studie zu langfristigen Folgen perinataler Asphyxie (PA) verglichen Maneru, Junque, Botet, Tallada und Guardia (2001) acht Jugendliche mit milder PA und 20 Jugendliche mit mittlerer PA mit einer Kontrollgruppe 28 nicht geschädigter Jugendlicher. Während zwischen Probanden mit milder PA und nicht geschädigten Personen keine Unterschiede gesichert werden konnten, fanden sich bei den Probanden mit mittlerer PA verminderte Gedächtnisleistungen, Reaktionsgeschwindigkeiten und Aufmerksamkeitswerte. Bei der Interpretation derartiger Befunde ist jedoch zu beachten, dass die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft mit Merkmalen des Elternverhaltens korreliert, so dass gefundene Zusammenhänge nicht notwendig durch Pfad a der Abbildung 1 vermittelt sein müssen. 4.2

Geburtsgewicht

Sind Frühgeborene mit geringem Geburtsgewicht bezüglich Intelligenz und Persönlichkeitsmerkmalen nachhaltig beeinträchtigt? Die übliche Definition von Frühgeborenen schließt alle Geburten nach einer Schwangerschaftsdauer (nach der letzten Menstruation) von weniger als 37 Wochen ein (die mittlere Dauer aller Schwangerschaften beträgt 40 Wochen). Folglich handelt es sich bei Frühgeborenen um eine heterogene Gruppe, und es werden weitere Unterscheidungen zwischen eutrophen Frühgeborenen (Geburtsgewicht oberhalb des 10. Perzentils) und hypotrophen Frühgeborenen (Geburtsgewicht unterhalb des 10. Perzentils) vorgenommen. Die Interpretation von Forschungsergebnissen zu den Folgen von Frühgeburten wird zudem durch den Umstand erschwert, dass infolge von Fortschritten in der Medizin zunehmend jüngere und damit leichtere Frühgeborene überleben, die Befunde älterer und neuerer Studien also nur eingeschränkt vergleichbar sind.

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Zu den Effekten prä- und perinataler Einflüsse liegen aufschlussreiche Befunde aus der längsschnittlichen Louisville Zwillingsstudie vor (Wilson, 1978, 1983). Dieser zufolge korreliert der mentale Entwicklungsstand sowohl mono- als auch dizygoter Zwillinge während des ersten Lebensjahres um .70, aber bis zum Alter von 15 Jahren nimmt die Korrelation zwischen monozygoten Zwillingen auf etwa .85 zu, während die zwischen dizygoten Zwillingen auf etwa .60 fällt. Außerdem wurde die Ähnlichkeit der mentalen Entwicklung der Zwillinge zu der weiterer Kinder in der Familie ermittelt. Diese ist während des ersten Lebensjahres gering, steigt jedoch während der Kindheit kontinuierlich an und erreicht im Schulalter das Niveau der Ähnlichkeit dizygoter Zwillinge untereinander. Die beste Erklärung für dieses Befundmuster ist, dass während der Kindheit: • die Bedeutung genetischer Faktoren für individuelle Unterschiede in der Intelligenz zunimmt, • die Bedeutung solcher Umwelteinflüsse abnimmt, welche zur Ähnlichkeit von Zwillingen, nicht aber „normaler“ Geschwister beitragen, und • der kognitive Entwicklungsstand von Säuglingen vor allem eine Funktion präund perinataler Faktoren, insbesondere der Dauer der Schwangerschaft ist. Konsistent mit dieser Interpretation berichtet Wilson (1978), dass die Korrelation zwischen der Dauer der Schwangerschaft (dem Geburtsgewicht) und der mentalen Entwicklung mit dem Lebensalter kontinuierlich abnimmt, und zwar von .48 (.50) im Alter von drei Monaten auf .11 (.18) im Alter von sechs Jahren. Die Schwangerschaftsdauer und damit das Geburtsgewicht haben also offenbar gravierenden Einfluss auf die mentale Entwicklung im ersten Lebensjahr, aber kaum auf die Intelligenz im Schulalter. Auch bei Studien zu Korrelationen des Geburtsgewichts mit Verhaltensmerkmalen sind vielfältige vermittelnde Mechanismen denkbar. So berichten Lobel, DeVincent, Kaminer und Meyer (2000), dass die Kinder optimistischerer Mütter bei der Geburt schwerer waren. Sie erklären dies damit, dass optimistischere Mütter sich während der Schwangerschaft mehr bewegen, und dass dies Frühgeburten vorbeugt. Soweit es bezüglich Optimismus Familienähnlichkeiten gibt, könnte dieser Mechanismus zu Korrelationen zwischen Geburtsgewicht und Optimismus der Kinder beitragen.

5

Ernährung

Ernährung ist eine Funktion verfügbarer materieller Ressourcen sowie kultureller Einflüsse. Sie variiert zwischen Ländern, zwischen sozialen Schichten sowie über Perioden unterschiedlichen Wohlstands. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Interpretation von Korrelationen zwischen Ernährung, Intelligenz und Persönlichkeitsmerkmalen. Die Wirkung von Merkmalen der Ernährung kann jedoch auch

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experimentell erforscht werden. Zwar scheidet eine gezielte Nahrungsdeprivation zu Forschungszwecken aus, nicht jedoch eine kontrollierte Verbesserung der Ernährung nach zufälliger Zuweisung von Personen zu Versuchs- oder Kontrollgruppen.

Die niederländische Hungerstudie Aufschlüsse über die langfristigen Effekte prä- und perinataler Unterernährung vermitteln kriegsbedingte niederländische Daten. Am 17. September 1944 landeten britische Fallschirmspringer in Arnheim, um einen Brückenkopf nördlich des Rheins zu errichten. Der Versuch misslang. Gleichzeitig traten die niederländischen Eisenbahner in einen Streik. Zur Vergeltung schnitt die deutsche Wehrmacht die Transportwege nach Westholland ab, und die Nahrungssituation in den westholländischen Städten verschlechterte sich für sieben Monate dramatisch: Die offiziellen Nahrungsrationen sanken bis auf ein Viertel des Mindestbedarfs ab, während außerhalb der Hungergebiete etwa die dreifache Nahrungsmenge zur Verfügung stand. Die gegen Kriegsende geborenen Jungen wurden – soweit sie nicht gestorben oder emigriert waren – 19 Jahre später vom niederländischen Militär gemustert, wobei eine adaptierte Version des Raven Progressive Matrices-Tests zur Anwendung kam. Die Daten von insgesamt 125.000 niederländischen Männern der Jahrgänge 1944 bis 1946 wurden von Stein, Susser, Saenger und Marolla (1972) analysiert, wobei sowohl zwischen Städten inner- und außerhalb des Hungergebietes als auch zwischen Geburtsquartalen unterschieden wurde. Weiterhin wurden diese Daten durch Krankenhausakten ergänzt, aus denen das mittlere Geburtsgewicht der unterschiedenen Gruppen hervorging. Das Geburtsgewicht sank in den Hungergebieten um etwa 10 % ab und erreichte sein Minimum im April 1945. Jedoch ließen sich trotz des großen Stichprobenumfangs keine Effekte des Hungers auf die 19 Jahre später ermittelte Intelligenz feststellen: Weder zeigten sich systematische Unterschiede zwischen den Geburtsquartalen noch zwischen den innerhalb und außerhalb der Hungergebiete geborenen Personen. Allerdings deuten die Aufzeichnungen der Musterungsbehörden auf eine erhöhte Rate schizoider und antisozialer Persönlichkeitsstörungen bei den prä- und/oder perinatal vom Hunger betroffenen Personen hin (Neugebauer, Hoeck & Susser, 1999).

5.1

Korrelationsstudien zu Ernährung und Verhaltensmerkmalen

Die Folgen von Hunger und Mangelernährung sind ein möglicher Forschungsgegenstand, ein anderer sind Folgen der Zusammensetzung der Nahrung, insbesondere von Protein-, Vitamin- und Mineralienmangel. In zwei Studien untersuchten Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Wachs et al. (1993, 1996) in Kalama, einem Dorf mit etwa 8.000 Einwohnern nahe Kairo (Ägypten), Beziehungen der Menge und Zusammensetzung der Nahrung zur kognitiven und Verhaltensentwicklung. Versuchsteilnehmer der ersten Studie waren 153 Kleinkinder im Alter von 18 bis 30 Monaten. Die Zusammensetzung ihrer Nahrung wurde ein Jahr lang analysiert, und ihre mentale Entwicklung und ihr Temperament wurden in der Mitte und am Ende des Untersuchungszeitraums erfasst. Bei den Kleinkindern, welche mehr Kalorien, insbesondere aber eine protein- und fettreichere Nahrung erhielten, zeigte sich ein höherer mentaler Entwicklungsstand und eine höhere Reaktivität. Allerdings waren alle Variablen mit dem sozioökonomischen Status des Elternhauses korreliert. In der zweiten Studie (Wachs et al., 1996) wurden erwachsene Personen des gleichen Dorfes, 54 Männer und 101 Frauen im Alter von 23 bis 63 Jahren, untersucht. Ihre Nahrungsmenge und -zusammensetzung wurde ebenfalls ein Jahr lang analysiert. Auch hier zeigten sich positive Korrelationen zwischen der Intelligenz und der Menge der konsumierten Inhaltsstoffe tierischer Herkunft, und zwar insbesondere bei den männlichen Teilnehmern. 5.2

Interventionsstudien zu Ernährung und Verhaltensmerkmalen

Neben Korrelationsstudien liegen auch Interventionsstudien zu Effekten von Ernährung auf Verhalten vor. Schoenthaler, Amos, Doraz, Kelly und Wakefield (1991) gaben einer Versuchsgruppe von 15 Jugendlichen über einen Zeitraum von 13 Wochen zusätzlich zur üblichen Nahrung Kapseln mit Vitaminen und Mineralien; eine Kontrollgruppe von 11 Jugendlichen erhielt während dieses Zeitraums Placebos. Über die Zuweisung zur Versuchs- oder Kontrollgruppe wurde per Münzwurf entschieden, und die Intelligenz wurde zu Beginn und zu Ende des Untersuchungszeitraums mit dem Wechsler-Intelligenztest für Kinder erfasst. Während der mittlere IQ in der Kontrollgruppe geringfügig sank, stieg er in der Versuchsgruppe um 6 Punkte an. Zudem zeigte sich bei der Versuchsgruppe eine Reduktion antisozialer Verhaltensweisen. Beim Verbal-IQ fanden sich jedoch keine Unterschiede zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe. In einer weiteren Studie (Schoenthaler, Amos, Eysenck, Peritz & Yudkin, 1991) wurden 615 kalifornische Schülerinnen und Schüler per Zufall einer von vier Gruppen zugewiesen. Für einen Zeitraum von 12 Wochen erhielt eine Gruppe zusätzlich zur üblichen Nahrung Placebos, die anderen drei Gruppen Vitamine und Mineralien in unterschiedlicher Dosis. Die Kapseln wurden im Doppelblindversuch verabreicht, und die Intelligenz mit mehreren Tests zu Beginn und zu Ende des Untersuchungszeitraums erfasst. Wiederum zeigten sich Leistungssteigerungen in den nicht verbalen Intelligenztests bei den Jugendlichen, welche die NahDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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rungsergänzung erhalten hatten, und zwar am stärksten bei mittlerer Dosis. In den verbalen Tests zeigten sich hingegen keine Veränderungen. Gesch, Hammond, Hampson, Eves und Crowder (2002) berichten die Ergebnisse einer Doppelblind-Interventionsstudie an 112 erwachsenen britischen Häftlingen. Die Zuweisung zur Versuchs- oder Placebogruppe erfolgte per Zufall, und die Dauer der Intervention betrug durchschnittlich 20 Wochen. Die Mitglieder der Versuchsgruppe erhielten Kapseln mit einer Nahrungsergänzung, welche aus Fettsäuren, Vitaminen und Mineralien bestand. Die Gruppe, welche die aktiven Kapseln erhielt, beging während des Interventionszeitraums 26,3 % weniger Verstöße gegen die Anstaltsordnung als die Placebogruppe, wobei sich insbesondere die schweren Verstöße reduzierten. Ein gemeinsames Merkmal der hier berichteten korrelativen und Interventionsstudien ist, dass Nahrungszusammensetzung und Verhalten im gleichen Zeitraum erhoben wurden. Dies unterscheidet diese Studien fundamental von der holländischen Hungerstudie (siehe Kasten), deren Gegenstand langfristige Effekte sind. Es zeichnet sich somit ab, dass Ernährung die Intelligenz sehr viel stärker kurz- als langfristig beeinflusst, während ihre Effekte auf Verhaltensauffälligkeiten offenbar sowohl kurz- als auch langfristiger Art sind. Allerdings besteht noch erheblicher Forschungsbedarf, insbesondere zur Bedeutsamkeit verschiedener Nahrungsbestandteile, zur optimalen Dosis, sowie zu den vermittelnden Mechanismen. Dass Affekterleben und Sozialverhalten durch Ernährung beeinflusst werden, erscheint plausibel angesichts der bekannten Bedeutung von Neurotransmittern für das Affekterleben. So muss zum Beispiel Tryptophan, ein Vorläufer des Neurotransmitters Serotonin, dem Körper mit der Nahrung zugeführt werden, und Tryptophanentzug geht bei entsprechender genetischer Veranlagung mit erhöhter Depressivität einher (Neumeister et al., 2002).

6

Schlussfolgerungen

Zahlreiche Beziehungen zwischen biologischen Variablen und Verhaltensmerkmalen wurden untersucht, und es wurden replizierbare Beziehungen zu Hormonkonzentrationen, zu Asymmetrien in der zentralnervösen Aktivierung, zu perinatalen Einflüssen und zur Zusammensetzung der Nahrung berichtet. Die häufige Konfundierung biologischer mit sozialen Variablen erschwert jedoch den Nachweis von Kausalbeziehungen erheblich. Zudem sinkt die Bedeutung perinataler Faktoren mit zunehmendem Alter der Personen. Interventionsstudien zu den Effekten von Ernährung auf Intelligenz und Verhaltensauffälligkeiten erlauben demgegenüber eine kausale Interpretation, jedoch ist die Generalisierbarkeit von kurzauf langfristige Effekte keineswegs gesichert.

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Weiterführende Literatur Bischof-Köhler, D. (2002). Von Natur aus anders: Die Psychologie der Geschlechtsunterschiede. Stuttgart: Kohlhammer. Schmidt-Rathjens, C. (2000). Ernährung. In M. Amelang (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie: Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung. Band 4: Determinanten individueller Unterschiede (S. 205–247). Göttingen: Hogrefe.

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Neumeister, A., Konstantinides, A., Stastny, J., Schwarz, M. J., Vitouch, O., Willeit, M. et al. (2002). Association between serotonin transporter gene promotor polymorphism (5HTTLPR) and behavioral responses to tryptophan depletion in healthy women with and without family history of depression. Archives of General Psychiatry, 59, 613–620. Pritzel, M. & Markowitsch, H. J. (1997). Sexueller Dimorphismus: Inwieweit bedingen Unterschiede im Aufbau des Gehirns zwischen Mann und Frau auch Unterschiede im Verhalten? Psychologische Rundschau, 48, 16–31. Reinisch, J. M. (1981). Prenatal exposure to synthetic progestins increases potential for aggression in humans. Science, 211, 1171–1173. Resnick, S. M., Berenbaum, S. A., Gottesman, I. I. & Bouchard, T. J. (1986). Early hormonal influences on cognitive functioning in congenital adrenal hyperplasia. Developmental Psychology, 22, 191–198. Schoenthaler, S. J., Amos, S. P., Doraz, W. E., Kelly, M. A. & Wakefield, J. (1991). Controlled trial of vitamin-mineral supplementation on intelligence and brain function. Personality and Individual Differences, 12, 343–350. Schoenthaler, S. J., Amos, S. P., Eysenck, H. J., Peritz, E. & Yudkin, J. (1991). Controlled trial of vitamin-mineral supplementation: Effects on intelligence and performance. Personality and Individual Differences, 12, 351–362. Stein, Z., Susser, M., Saenger, G. & Marolla, F. (1972). Nutrition and mental performance. Science, 178, 708–713. Tomarken, A. J., Davidson, R. J., Wheeler, R. W. & Kinney, L. (1992). Individual differences in anterior brain asymmetry and fundamental dimensions of emotion. Journal of Personality and Social Psychology, 62, 676–687. Wachs, T. D., McCabe, G., Moussa, W., Yunis, F., Kirksey, A., Galal, O. et al. (1996). Cognitive performance of Egyptian adults as a function of nutritional intake and sociodemographic factors. Intelligence, 22, 129–154. Wachs, T. D., Moussa, W., Bishry, Z., Yunis, F., Sobhy, A., McCabe, G. et al. (1993). Relations between nutrition and cognitive performance in Egyptian toddlers. Intelligence, 17, 151–172. Wilson, R. S. (1978). Synchronies in mental development: An epigenetic perspective. Science, 202, 939–948. Wilson, R. S. (1983). The Louisville Twin Study: Developmental synchronies in behavior. Child Development, 54, 298–316.

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Persönlichkeitsentwicklung: Einflüsse von Umweltfaktoren Personality Development: Environmental Influences Klaus A. Schneewind Zum Verständnis der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Entwicklung existiert eine Fülle von Theorien und methodischen Zugangsweisen, denen ihrerseits unterschiedliche wissenschaftstheoretische Positionen und Menschenbildannahmen zu Grunde liegen. Dabei lassen sich in Anlehnung an Asendorpf (2003) vier Modelle der Persönlichkeitsentwicklung unterscheiden. Vier Modelle der Persönlichkeitsentwicklung 1. Modell der Umweltdetermination, d. h. Persönlichkeitsentwicklung ist – wie im radikalen Behaviorismus postuliert – ausschließlich das Resultat umweltabhängiger Lerneinflüsse; 2. Modell der Entfaltung, d. h. Persönlichkeitsentwicklung vollzieht sich – wie in organismischen Ansätzen der humanistischen Psychologie unterstellt – nach einem im Individuum vorgegebenen Entwicklungsplan, wobei bestimmte Umwelteinflüsse sich je nach Entwicklungsstufe förderlich oder hinderlich auf den weiteren Entwicklungsgang auswirken können; 3. Modell der Kodetermination, d. h. voneinander unabhängige Person- und Umwelteinflüsse bestimmen – wie in der sog. Interaktionismusdebatte der Persönlichkeitspsychologie diskutiert (➝ Interaktionistische Ansätze) – gemeinsam im Sinne einer statistischen Person-Umwelt-Interaktion den Prozess der Persönlichkeitsentwicklung; 4. Modell der dynamischen Interaktion (auch als transaktionales Modell bezeichnet), d. h. Person- und Umweltgegebenheiten entwickeln sich – wie insbesondere in den sog. biopsychosozialen Entwicklungsmodellen angenommen wird – über die Zeit hinweg im Sinne eines wechselseitigen Beeinflussungsprozesses.

Das transaktionale Modell erweist sich dabei als das umfassendste, da es je nach theoretischer Position und methodischer Vorgehensweise die anderen drei Modelle als Spezialfälle der Persönlichkeitsentwicklung impliziert. Dabei bedarf die Frage, ob und in welchem Ausmaß sich transaktionale Entwicklungseffekte ergeben, einer Lösung auf empirischem Wege.

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Zentrale Merkmale des Persönlichkeitssystems

Vor dem Hintergrund eines transaktionalen Konzepts des Person-Umwelt-Bezugs lassen sich menschliche Individuen als evolutionär entwickelte psychophysische Lebewesen begreifen, die sich aktiv mit den jeweils aktuell wirkenden natürlichen und sozio-kulturellen Lebensbedingungen auseinander setzen und auf diese Weise die konkrete Ausformung ihrer Persönlichkeit und deren Entwicklung selbst gestalten. Die individuelle Persönlichkeit eines einzelnen Menschen kann dabei aus einer strukturellen und prozessualen Perspektive betrachtet werden. Darüber hinaus spielt eine Rolle, in welchem Ausmaß Persönlichkeitsmerkmale dem reflexiven Bewusstsein zugänglich sind.

Strukturelle und prozessuale Perspektive der individuellen Persönlichkeit Die Struktur der individuellen Persönlichkeit ist das zu jedem Entwicklungszeitpunkt eines bestimmten menschlichen Individuums einzigartige und relativ stabile Gesamtsystem an psychologisch relevanten Dispositionen. Die individuelle Persönlichkeit als Prozess bezieht sich auf die Entwicklung, d. h. Stabilisierung, Differenzierung und Integration des Gesamtsystems der Persönlichkeit eines bestimmten menschlichen Individuums im Kontext seiner Umwelt, wobei sich diese Entwicklung über die gesamte Lebensspanne erstreckt.

1.1

Struktur der individuellen Persönlichkeit

Persönlichkeitsdispositionen können den folgenden drei Systemebenen zugeordnet werden: 1. Grundlegende Merkmale und Dispositionen. Hierzu gehören neben der genetischen Ausstattung der Person ihre physischen Merkmale, allgemeine kognitive Fähigkeiten, Motiv- und Interessendispositionen sowie Persönlichkeitseigenschaften (z. B. die als „Big Five“ propagierten Persönlichkeitskonstrukte Neurotizismus, Extraversion, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Erfahrungsoffenheit; ➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze). 2. Charakteristische Anpassungsdispositionen. Diese umfassen u. a. „persönliche Handlungskonstrukte“ im Sinne individuell verfolgter Ziele; grundlegende Überzeugungen und Wertvorstellungen; spezifische Kompetenzen im Umgang mit Anforderungen in unterschiedlichen Lebensbereichen; Bewältigungsstile in der Auseinandersetzung mit herausfordernden bzw. belastenden Situationen; Attributionsgewohnheiten und zukunftsbezogene Kontrollüberzeugungen. 3. Dispositionen des Selbst- und Welterlebens. Die dispositionellen Aspekte des Selbsterlebens beziehen sich u. a. auf das Selbstwertgefühl und das Selbstkon-

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zepts eigener Fähigkeiten. Des Weiteren gehören hierzu personale Kontrollüberzeugungen, relativ stabile zukunftsbezogene Selbstentwürfe sowie zur Lebensgeschichte geronnene Formen der Selbst- und Identiätskonstruktion wie sie sich u. a. in „persönlichen Mythen“ (z. B. dem Mythos vom erfolgreichen Aufsteiger) zu erkennen geben. Dispositionelle Aspekte des Welterlebens umfassen u. a. subjektive Sichtweisen und Bedeutungszuschreibungen von Situationen und Umwelten, wie sie etwa als interne Repräsentationen von leistungs- oder beziehungsthematischen Situationen, in der mehr oder minder stabilen Wahrnehmung sozialer Klimata im Kontext von Familie, Beruf und Freizeit oder in der subjektiven Sicht unterschiedlicher Strukturen gesellschaftlicher Opportunitäten und deren Gleichheits- bzw. Gerechtigkeitsnormen zum Ausdruck kommen. 1.2

Individuelle Persönlichkeit als Prozess

Entsprechend einem systemischen Verständnis von Persönlichkeitsentwicklung werden je nach den vorherrschenden Umweltbedingungen bestimmte Dispositionen auf den verschiedenen Ebenen des Persönlichkeitssystems aktiviert, was – vermittelt über personintern ablaufende Prozesse – zur Initiierung konkreter Verhaltensweisen bzw. Handlungen führt. Letztere sind die eigentlichen Vehikel einer dynamischen Person-Umwelt-Interaktion. Mit anderen Worten: Die Dynamik der Persönlichkeitsentwicklung bedarf einer Berücksichtigung der Prozesse, die mit den strukturell-dispositionellen Aspekten des Persönlichkeitssystems verknüpft sind. Bezogen auf die Systemebene grundlegender Dispositionen sind dies vor allem Zustände (z. B. dispositionelle Angst manifestiert sich in konkreten Situationen als aktueller Zustand von Ängstlichkeit). Charakteristische Anpassungsdispositionen äußern sich situationsspezifisch als bestimmte Selbstregulationsprozesse (z. B. in Form von Vermeidungsverhalten oder Selbstberuhigung in einem Zustand von Ängstlichkeit). Dispositionen des Selbst- und Welterlebens konkretisieren sich in bestimmten Situationen als spezifische selbst- und umweltbezogene Kognitionen (z. B. im Falle von Zustandsängstlichkeit als selbstabwertende Gedanken oder als Einschätzung einer Situation als unkontrollierbar). Aus der Dynamik des Zusammenwirkens des für ein Individuum charakteristischen Persönlichkeitssystems und der jeweiligen personexternen Gegebenheiten ergibt sich der unverwechselbare Verlauf seiner individuellen Persönlichkeitsentwicklung. Dieses Konzept von Persönlichkeitsentwicklung steht in Übereinstimmung mit einer allgemeinen Systemtheorie der Entwicklung menschlicher Individuen, in der von der Plastizität und Selbstorganisation der Person und ihrer Entwicklung als einem emergenten, d. h. neue Anpassungsformen ermöglichenden Prozess ausDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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gegangen wird. Darüber hinaus unterstellt eine systemtheoretische Konzeption von Persönlichkeitsentwicklung auch die Untrennbarkeit von Person und Kontext. So gesehen ist Persönlichkeitsentwicklung stets der sich über die gesamte Lebensspanne erstreckende Prozess einer Entwicklung von „Person-im-Kontext“. 1.3

Explizite und implizite Merkmale des Persönlichkeitssystems

Explizite und implizite Persönlichkeitsmerkmale Explizite Persönlichkeitsmerkmale sind grundsätzlich dem reflexiven Bewusstsein zugänglich und unterscheiden sich deutlich von konzeptionell vergleichbaren impliziten Persönlichkeitsmerkmalen, die in der Regel dem Zugriff des Bewusstseins entzogen sind. Während explizite Persönlichkeitsmerkmale wie das Selbstwertgefühl mit Hilfe von Fragebogen gemessen werden, lässt sich das implizite Selbstwertgefühl u. a. über die in Reaktionszeiten ausgedrückte Assoziationsstärke von Objekt-Attributpaaren (z. B. „ich – schlecht“ vs. „andere – gut“) erfassen (Greenwald, McGhee & Schwartz, 1998).

Der größte Teil des psychologischen Wissens zum Thema Persönlichkeit bezieht sich auf explizite Persönlichkeitskonzepte. Dies gilt u. a. auch für die vornehmlich auf Selbstberichten beruhenden Persönlichkeitseigenschaften der bereits erwähnten Big Five. Bezüglich impliziter Persönlichkeitsmerkmale wird angenommen, dass der Mangel an Bewusstseinsfähigkeit nicht auf unbewusste Vorgänge im Sinne psychoanalytischer Theorien zurückzuführen ist. Vielmehr handelt es sich um personinterne Repräsentationen und Prozesse, die auch bei größter introspektiver Anstrengung dem bewussten Erleben verschlossen bleiben, dennoch aber einen hohen Anpassungswert haben können. Häufig sind explizite und implizite Indikatoren eines bestimmten Persönlichkeitskonzepts nicht oder nur mäßig miteinander korreliert, was als Beleg für die sog. Dissoziationshypothese gewertet wird (Wilson & Dunn, 2004).

Dissoziation bzw. Kongruenz expliziter und impliziter Persönlichkeitsmerkmale Robinson, Vargas und Crawford (2003) untersuchten implizite und explizite Aspekte des Selbstwertgefühls und fanden, dass nicht nur Personen mit einem übereinstimmend hohen expliziten und impliziten Selbstwertgefühl vermehrt von positiven Emotionen berichteten. Auch Personen, die sich explizit ein niedriges Selbstwertgefühl zuschreiben und zugleich einen niedrigen impliziten Selbstwert aufweisen, erleben sich als glücklicher im Vergleich zu Personen,

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die bei niedrigem expliziten Selbstwert über eine hohe implizite Selbstwertausprägung verfügen. Angesichts der Bedeutung des Selbstwertkonzepts in vielen Lebensbereichen (z. B. im privaten und beruflichen Kontext) lässt dieses Ergebnis erahnen, wie wichtig die Kongruenz von expliziten und impliziten Persönlichkeitsmerkmalen zu sein scheint. Wegen der bislang noch spärlichen Forschungsbefunde bleibt abzuwarten, ob und in welchem Ausmaß die Dissoziation bzw. Kongruenz von expliziten und impliziten Manifestationen des Persönlichkeitssystems allgemein zu unterschiedlichen Effekten der Persönlichkeitsentwicklung beiträgt.

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Persönlichkeitsentwicklung im Kontext

Bronfenbrenner schlägt im Rahmen seiner bioökologischen Entwicklungstheorie ein Prozess-Person-Kontext-Zeit-Modell vor, mit dessen Hilfe spezifische Entwicklungseffekte wie z. B. physische Gesundheit oder psychisches Wohlergehen untersucht werden können (Bronfenbrenner & Morris, 2000). Dabei lassen sich in grober Annäherung wenigstens folgende vier Kontextsysteme unterscheiden: 1. Tagtäglich wiederkehrende Lebenskontexte. Gemeint sind damit alltägliche Lebenssituationen z. B. im Rahmen von Familie, Schule, Arbeitsplatz oder Altersheim, die eine bestimmte physikalische und Beziehungsstruktur aufweisen. In der Sprache von Bronfenbrenner (1981) stellen die einzelnen Lebenskontexte das jeweilige Mikrosystem und im Verbund das Mesosystem der individuellen Lebensgestaltung dar. Zudem können andere Personen mit ihren Erfahrungen in spezifischen Mikro- oder Mesosystemen einen Entwicklungseinfluss haben, auch ohne dass eine bestimmte Zielperson direkt in deren alltäglichen Lebenssituationen involviert ist. Bronfenbrenner (1981) bezeichnet den Lebenskontext, der durch eine derartige Konstellation erzeugt wird, als Exosystem. Prototypisch für die Wirkung eines Exosystems ist z. B., wenn das Interaktionsverhalten eines Vaters mit seinem Kind durch die Arbeitsplatzerfahrungen des Vaters beeinflusst wird. 2. Lebensspannenumfassender Zeitkontext. Hierbei steht die Verortung der einzelnen Person in ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Lebensabschnitten wie Kindheit, Jugend, frühes, mittleres und spätes Erwachsenenalter im Vordergrund. Genauer lassen sich diese Lebensabschnitte als Entwicklungsphasen mit entsprechenden Entwicklungsaufgaben beschreiben (Havighurst, 1953). Auf der individuellen Ebene manifestieren sich Entwicklungsaufgaben im Zusammenspiel des jeweiligen psychophysischen Reifungszustands des Persönlichkeitssystems und altersgradierten gesellschaftlichen Erwartungen. 3. Soziohistorischer Kontext. Dabei handelt es sich zum einen um kulturelle Kontexte wie sie z. B. im Rahmen mehr oder minder komplex, normenkonform,

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individualistisch oder kollektivistisch organisierter Gesellschaften anzutreffen sind. In der Terminologie Bronfenbrenners (1981) sind Merkmale, die für eine bestimmte Gesellschaft charakteristisch sind (z. B. Staatsform, Ökonomie, Bildungswesen, gesetzliche Regelungen etc.) dem Makrosystem zuzurechnen. In einer interkulturellen Perspektive spielt die Berücksichtigung kulturgebundener Entwicklungskontexte eine zentrale Rolle bezüglich der Frage, ob Persönlichkeitsmerkmale eine universelle, d. h. kulturübergreifende Bedeutung haben (sog. etische Konzepte) oder ob sie kulturspezifisch zu interpretieren sind (sog. emische Konzepte, ➝ Kulturvergleichende Ansätze). Zum anderen findet Persönlichkeitsentwicklung in einem jeweils historischen Kontext statt, der – sei es kulturspezifisch oder kulturübergreifend – unterschiedliche Entwicklungsgelegenheiten für Personen aus unterschiedlichen Geburtskohorten mit sich bringt. Ein Beispiel hierfür ist der gesellschaftliche Liberalisierungs- und Entstandardisierungstrend in den westlichen Industrieländern. 4. Kritische Lebensereignisse als Erfahrungskontext. Kritische Lebensereignisse beziehen sich auf normative und nicht normative Geschehnisse, die punktuell das Leben einer Person mehr oder minder stark tangieren und insofern eine Herausforderung für die individuelle Persönlichkeitsentwicklung darstellen können. Normative kritische Lebensereignisse sind vor allem mit Phasenübergängen im Lebenszyklus verbunden (z. B. Übergang in den Kindergarten, in die Elternschaft, in den Ruhestand). Hingegen umfassen nicht normative kritische Lebensereignisse Vorkommnisse, die gewöhnlich als unerwartet oder zufällig eingeschätzt werden (z. B. früher Tod eines Angehörigen, Einsetzen einer chronischen Krankheit). Bei kritischen Lebensereignissen kann es sich nicht nur um unbeeinflussbare Widerfahrnisse sondern auch um selbst erzeugte Effekte handeln. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und die damit verbundenen Verhaltensweisen die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines negativen kritischen Lebensereignisses erhöhen (z. B. wenn jemand mit einer Vorliebe für Risikosportarten ein höheres Risiko für chronische gesundheitliche Schäden eingeht und letztlich mit einer Querschnittslähmung an den Rollstuhl gebunden ist).

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Mechanismen der Persönlichkeitsentwicklung

Vor dem Hintergrund eines systemtheoretischen Verständnisses der Persönlichkeitsorganisation erfolgt die Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen auf dem Wege aktiver Aneignungsprozesse in unterschiedlichen Lebenskontexten, die sowohl zur Kontinuität als auch zum Wandel des Persönlichkeitssystems beitragen können. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Frage, wie diese Aneignungsprozesse im Einzelnen ablaufen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Erneut kommen hier auf der Seite der Person die bereits angesprochenen Systemebenen der Persönlichkeit mit ihren dispositionellen, prozessualen und expliziten bzw. impliziten Komponenten ins Spiel, soweit sie sich in der bisherigen individuellen Lebens- und Erfahrungsgeschichte entwickelt haben. Eine herausgehobene Stellung nehmen dabei charakteristische Anpassungsdispositionen und -prozesse ein. Diese wiederum tragen entscheidend zur Gestaltung proximaler Prozesse bei. Proximale Prozesse sind als reziproke Interaktionen einer Person mit konkreten Personen, Objekten und Symbolen ihrer unmittelbaren Umwelt zu verstehen. Damit proximale Interaktionsprozesse mehr oder minder nachhaltige Entwicklungseffekte hervorbringen, müssen sie im Allgemeinen mit einer gewissen Regelhaftigkeit, Dauerhaftigkeit und zunehmenden Komplexität erfolgen (Bronfenbrenner & Morris, 2000). Proximale Prozesse ereignen sich in proximalen Settings (z. B. Familie, Schule, Gleichaltrigengruppe, Arbeitsplatz), die ihrerseits Bestandteil übergeordneter distaler Umweltkontexte (z. B. soziale Schicht, ökonomisches, sozio-kulturelles und religiöses Gesellschaftssystem) sind. Eine genauere Analyse proximaler Prozesse zeigt, dass drei Varianten von Person-Umwelt-Transaktionen unterschieden werden können (Caspi, 1998). Drei Varianten von Person-Umwelt-Transaktionen 1. Reaktive Person-Umwelt-Transaktionen. Hierbei handelt es sich um das Phänomen, dass unterschiedliche Personen, wenn sie mit derselben Umwelt konfrontiert werden, diese in unterschiedlicher Weise wahrnehmen, interpretieren und entsprechend reagieren. Beispiel hierfür sind die Befunde der sozialen Informationsverarbeitungstheorie, wonach aggressive im Gegensatz zu nicht aggressiven Kindern und Jugendlichen uneindeutige soziale Situationen tendenziell als Ausdruck einer aggressiven Haltung ihres Gegenübers interpretieren und sich daraufhin selbst häufiger aggressiv verhalten (➝ Aggressivität). 2. Evokative Person-Umwelt-Transaktionen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass die mit spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen einer Person einhergehenden Verhaltensweisen bei anderen Personen bestimmte Reaktionen evozieren. Dies gilt etwa für Kinder mit einem schwierigen Temperament, deren Verhalten von ihren Eltern oder von anderen Bezugspersonen als aversiv erlebt wird, was negative Emotionen auslöst und vermehrt kontrollierende Reaktionen hervorruft. 3. Proaktive Person-Umwelt-Transaktionen. Diese treten dann auf, wenn Personen ihre Umwelten selbst auswählen bzw. selbst beeinflussen oder gar schaffen. Beispiele für die Selektion von Umwelten sind Freundschaftswahlen, Berufswahl, die Wahl von Freizeitaktivitäten oder auch die Wahl von Partnern (➝ Partnerwahl und Partnerschaft).

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Umwelteinflüsse auf die Persönlichkeitsentwicklung unter genetischem Vorbehalt

Die verhaltens- und entwicklungsgenetische Forschung (➝ Verhaltensgenetik) hat darauf aufmerksam gemacht, dass nicht nur die Unterschiedlichkeit grundlegender kognitiver und sozio-emotionaler Persönlichkeitsmerkmale mit Werten zwischen 40 und 50 % eine erhebliche genetische Varianz aufweist. Darüber hinaus sind auch die Umwelten, in denen sich Personen entwickeln, genetisch „imprägniert“. Dies trifft z. B. für die Umwelteinflüsse zu, denen Kinder im Zusammenleben mit ihren biologischen Eltern ausgesetzt sind. Da Kinder je zur Hälfte den Genotyp ihres Vaters und ihrer Mutter teilen, zugleich aber der Genotyp beider Eltern mit der Familienumwelt ihrer Kinder korreliert, wird der Phänotyp der Kinder (z. B. ihre Intelligenz oder Aggressivität) gleichermaßen durch den von ihren Eltern erworbenen Genotyp und durch die zumindest teilweise genetisch determinierten Verhaltensmuster ihrer Eltern beeinflusst. Im Erwachsenenalter nimmt die differentielle Stabilität expliziter Persönlichkeitseigenschaften (z. B. die Big Five) kontinuierlich zu, wobei die zunehmende Stabilisierung von Persönlichkeitsmerkmalen in hohem Maße genetisch bestimmt zu sein scheint. Trotz der erheblichen direkt und indirekt vermittelten genetischen Einflüsse auf die Unterschiedlichkeit von Persönlichkeitsmerkmalen verbleibt ein beträchtlicher Spielraum für Umwelteinflüsse. Erblichkeitsschätzungen auf der Basis von ➝ Zwillingsund Adoptionsstudien zeigen, dass z. B. für die verbale Intelligenz von Kindern die Größe der Erblichkeitskoeffizienten abnimmt und die Bedeutung von Umwelteinflüssen zunimmt, je höher der Bildungsstand der Eltern ist (Rowe, Jacobson & van den Oord, 1999). Dies spricht für eine Genotyp-Umwelt-Interaktion, die u. a. auch für das Zusammenwirken von biologischen und familialen Umweltrisiken bezüglich der Delinquenz von adoptierten Kindern nachgewiesen wurde. Außer Genotyp-Umwelt-Interaktionen lassen sich in Anlehnung an die oben dargestellten Person-Umwelt-Transaktionen auch unterschiedliche Genotyp-Umwelt-Korrelationen nachweisen. Ein Beispiel hierfür ist eine Adoptionsstudie von O’Connor, Deater-Deckard, Fulker, Rutter und Plomin (1998), in der untersucht wurde, welche Qualität das Erziehungsverhalten der Adoptiveltern auf Kinder mit einem hohen und einem niedrigen biologischen Risiko für antisoziales Verhalten hat. Es zeigte sich, dass Kinder mit einem hohen biologischen Risiko von ihren Adoptiveltern durchgängig negativer behandelt wurden als Kinder mit einem geringen biologischen Risiko. Dieses Ergebnis lässt sich im Sinne einer evokativen Genotyp-Umwelt-Korrelation interpretieren. Unabhängig von dem Einfluss des genetischen Risikofaktors der Kinder ließ sich darüber hinaus nachweisen, dass die Qualität des Elternverhaltens auch auf die Eltern selbst zurückzuführen ist, was auf Seiten der Eltern für eine spezifische reaktive Person-(oder auch Genotyp)Umwelt-Korrelation spricht. Mit anderen Worten: Elternperson und Kind tragen im Sinne eines wechselseitigen Interaktionsprozesses gemeinsam zur Gestaltung

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ihrer Beziehung und der daraus resultierenden Effekte bei. Dabei scheinen die moderaten Zusammenhänge zwischen Elternpersönlichkeit und elterlichem Erziehungsstil nicht genetisch sondern durch Umwelteinflüsse vermittelt zu sein (Spinath & O’Connor, 2003). Dies lässt die Frage aufkommen, ob angesichts der genetisch nur partiell eingeschränkten Veränderungsspielräume kindlicher Persönlichkeitsmerkmale einerseits und der prinzipiellen Beeinflussbarkeit des Elternverhaltens durch Umwelteinflüsse andererseits gezielte Interventionsmaßnahmen das von Eltern und Kindern gemeinsam gestaltete Beziehungssystem und damit auch die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern verändern können. Dass dies – entgegen den Behauptungen einiger Verhaltensgenetiker – möglich ist, zeigen kontrollierte Interventionsstudien für unterschiedliche Altersgruppen von Kindern und Jugendlichen. Zwei Beispiele für effektive Intervention im Beziehungssystem sollen dies verdeutlichen. Beispiel 1: Van den Boom (1994) konnte auf der Basis eines bindungstheoretisch inspirierten Interventionsansatzes nachweisen, dass im frühen Kindesalter die Beziehung von Müttern zu ihren temperamentsmäßig schwierigen Kindern effektiv und nachhaltig in Richtung einer sicheren Bindung verändert werden kann. Da sicher gebundene Kinder – wie uns die einschlägige bindungstheoretische Forschung lehrt – sich in kognitiver und sozialer Hinsicht kompetenter entwickeln als unsicher gebundene Kinder, eröffnen derartige Interventionsmaßnahmen wichtige Pfade für eine positive Weiterentwicklung dieser Kinder. Beispiel 2: Für geschiedene Mütter mit verhaltensschwierigen Söhnen führten Martinez und Forgatch (2001) mit Hilfe eines Elterntrainings den Nachweis, dass die Reduktion von zwanghaften Disziplinierungszyklen und die Erhöhung von Positivität in der Mutter-Sohn-Beziehung sich förderlich auf die Kooperationsbereitschaft und Regelakzeptanz der Jungen auswirkte. Es sind dies soziale Ressourcen, die auch in anderen Beziehungskontexten (z. B. in der Gleichaltrigengruppe) nützlich sind und positive Entwicklungsverläufe unterstützen.

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Persönlichkeitsentwicklung als Projekt der Selbstgestaltung

Die beiden Interventionsstudien lassen exemplarisch die Bedeutung proximaler Interaktionsprozesse für die Veränderung von Persönlichkeitsmerkmalen erkennen, auch wenn diese Veränderungen sich vermutlich weniger auf der Ebene von Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften, sondern auf der Ebene von Anpassungsdispositionen bzw. Dispositionen des Selbst- und Welterlebens sowie den zugehörigen verhaltensrelevanten Prozessen auswirken. Darüber hinaus bedarf es zur breiteren Konsolidierung und Weiterentwicklung neu erworbener Persönlichkeitsmerkmale entsprechender proximaler und distaler Kontexte (z. B. im privaten, schulischen, beruflichen oder gesellschaftlichen Bereich). Die Struktur und Kohärenz dieser Kontexte steckt in entscheidender Weise den Rahmen für die Ermöglichung – aber auch Beschränkungen – einer mit zunehmendem Alter vermehrt reflexiv ablaufenden Persönlichkeitsentwicklung ab. Persönlichkeitsentwicklung wird damit zum Projekt der Selbstgestaltung (Schneewind, 2004). Dies setzt u. a. eine Reflexion über individuelle Ziele der Persönlichkeitsentwicklung und deren Realisierungskontexte voraus. An dieser Stelle kommt ein wertendes Moment ins Spiel, das zu einem Klärungsbedarf führt, welche Entwicklungsziele erstrebenswert sind und welche nicht. Die Entscheidung hierüber kann niemandem abgenommen werden. Wohl aber kann die Psychologie im Allgemeinen und die Persönlichkeitspsychologie im Besonderen Entscheidungshilfen für diejenigen bereitstellen, die sich um eine Klärung ihrer Entwicklungsziele und -potenziale bemühen. Darüber hinaus verfügt die Persönlichkeitspsychologie über ein breites und sich stetig erweiterndes Wissen, um Vorschläge für die Gestaltung von Umweltkontexten zu machen, in denen sich die individuelle Vielfalt der Persönlichkeitsentwicklung entsprechend einer proaktiven Person-Umwelt-Transaktion verwirklichen kann. Somit kann die Persönlichkeitspsychologie viel dazu beitragen, dass die selbst gestaltete Persönlichkeitsentwicklung jedes Einzelnen im Sinne eines „bejahenswerten Lebens“ (Schmid, 1998) verläuft.

Weiterführende Literatur Asendorpf, J. B. (2003). Psychologie der Persönlichkeit (3. Aufl.). Berlin: Springer. Mischel, W., Shoda, Y. & Smith, R. E. (2004). Introduction to personality. Toward an integration (7th ed.). New York: Wiley.

Literatur Asendorpf, J. B. (2003). Psychologie der Persönlichkeit (3. Aufl.). Berlin: Springer. Bronfenbrenner, U. (1981). Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Stuttgart: KlettCotta. Bronfenbrenner, U. & Morris, P. A. (2000). Die Ökologie des Entwicklungsprozesses. In A. Lange & W. Lauterbach (Hrsg.), Kinder in Familie und Gesellschaft (S. 29–58). Stuttgart: Lucius & Lucius. Caspi, A. (1998). Personality development across the life course. In W. Damon (Ed.), Handbook of child psychology (5th ed.), Social, emotional and personality development (Vol. 3, pp. 311–388). New York: Wiley.

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Greenwald, A. G., McGhee, D. E. & Schwartz, J. L. K. (1998). Measuring individual differences in implicit cognition: The Implicit Association Test. Journal of Personality and Social Psychology, 74, 1464–1480. Havighurst, R. (1953). Developmental tasks and education. New York: McKay. Martinez, C. R. J. & Forgatch, M. S. (2001). Preventing problems with boys’ noncompliance: Effects of parent training interventions for divorcing mothers. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 69, 416–428. O’Connor, T. G., Deater-Deckard, K., Fulker, D., Rutter, M. & Plomin, R. (1998). Genotype-environment correlations in late childhood and early adolescence: Antisocial behavioral problems and coercive parenting. Developmental Psychology, 34, 970–981. Robinson, M. D., Vargas, P. T. & Crowford, E. G. (2003). Putting process into personality, appraisal and emotion: Evaluative processing as a missing link. In E. Musch & K. C. Klauer (Eds.), The psychology of evaluation: Affective processes in cognition and emotion (pp. 275–306). Mawah, NJ: Erlbaum. Rowe, D. C., Jacobson, K. C. & van den Oord, E. J. C. E. (1999). Genetic and environmental influences on vocabulary IQ: Parental education level as moderator. Child Development, 70, 1151–1162. Schmid, W. (1998). Philosophie der Lebenskunst. Frankfurt: Suhrkamp. Schneewind, K. A. (2004). Sechs Thesen zur Sozialisationstheorie aus Sicht der Persönlichkeitspsychologie oder – frei nach Heinrich von Kleist – über die allmähliche Verfertigung der Persönlichkeit beim Leben. In D. Geulen & H. Veith (Hrsg.), Sozialisationstheorie interdisziplinär: Aktuelle Perspektiven (S. 117–130). Stuttgart: Lucius & Lucius. Spinath, F. M. & O’Connor, T. E. (2003). A behavioral genetic study of the overlap between personality and parenting. Journal of Personality, 71, 787–808. Van den Boom, D. C. (1994). The influences of temperament and mothering on attachment and exploration: An experimental manipulation of sensitive responsiveness among lowerclass mothers with irritable infants. Child Development, 66, 1798–1816. Wilson, T. D. & Dunn, E. W. (2004). Self-knowledge: Its limits, value, and potential for improvement. Annual Review of Psychology, 55, 493–518.

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Psychoanalytische Persönlichkeitstheorien Psychodynamic Personality Theories Thomas Rammsayer Der von Freud entwickelte psychoanalytische Ansatz kann als erste umfassende psychologische Persönlichkeitstheorie betrachtet werden. Von Darwins biologischer Evolutionstheorie und zeitgenössischen Konzepten der physikalischen Energie beeinflusst, entwarf Freud eine Theorie des menschlichen Verhaltens und Erlebens, die in erster Linie dazu beitragen sollte, psychopathologische Störungen erfolgreich zu behandeln. Im Folgenden sollen für die Persönlichkeitsforschung relevante Aspekte aus Freuds Theorie sowie Weiterentwicklungen seiner ursprünglichen Ideen durch Jung, Adler und Erikson kurz skizziert werden.

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Sigmund Freud (1856–1939)

Freud entwickelte die Psychoanalyse aus seiner psychotherapeutischen Arbeit mit Patienten. Psychoanalyse bezeichnet nach Freud nicht nur die Wissenschaft vom Unbewussten, sondern stellt gleichzeitig eine Methode zur Erforschung der tieferen Schichten der Seele und eine medizinische Behandlungsmethode zur Heilung nervöser Erkrankungen dar. Freud betrachtet den Menschen als ein energetisches System, das aus dem Sexualtrieb und dem Aggressionstrieb gespeist wird. Die Triebenergie des Sexualtriebs wird als Libido bezeichnet, die des Aggressionstriebs als Destrudo oder Thanatos. Als die beiden wichtigsten zusammenhängenden theoretischen Werke Freuds können die „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ und die „Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ betrachtet werden, die in den Jahren 1916/1917 und 1933 erstmalig erschienen sind (Neuauflage: Freud, 2003). Zwei grundlegende Hypothesen der Psychoanalyse sind • das Prinzip der psychischen Determiniertheit, das besagt, dass menschliches Verhalten und Erleben nie zufällig entsteht, sondern immer eine psychische Ursache hat; • die Annahme, dass psychische Prozesse, die das menschliche Verhalten bestimmen, meist unbewusst sind, was zur Folge hat, dass uns die eigentlichen Ursachen unseres Verhaltens meist verborgen bleiben.

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Weiterhin unterscheidet Freud zwei Gruppen unbewusster psychischer Phänomene • Vorbewusst sind psychische Inhalte, die einem momentan nicht bewusst sind, die aber beispielsweise durch Nachdenken oder verstärkte Aufmerksamkeit bewusst gemacht werden können. • Unbewusst sind psychische Inhalte, die der Person selbst nicht zugänglich sind, aber durch den Einsatz psychoanalytischer Methoden bewusst gemacht werden können.

Der psychische Apparat, der die Struktur der Persönlichkeit bildet, besteht aus drei Instanzen: dem Es, dem Ich und dem Über-Ich. Im Es liegt der Ursprung der Triebe, es folgt dem Lustprinzip, strebt sofortige Triebbefriedigung an, hat aber keinen Kontakt mit der objektiven Außenwelt. Das Ich wird auch als Vollstrecker der Triebe bezeichnet, da es zwischen den Triebbedürfnissen aus dem Es und der Außenwelt vermitteln muss. Dabei folgt das Ich dem Realitätsprinzip und setzt so genannte Ich-Funktionen, wie beispielsweise Willkürmotorik, Wahrnehmung, Denken und Gedächtis, ein. Das Über-Ich repräsentiert die traditionellen Werte und Ideale der Gesellschaft und versucht nicht nur inakzeptable Impulse aus dem Es zu hemmen, sondern auch das Ich zu „überreden“, realistische durch ethische Ziele zu ersetzen. Intrapsychische Konflikte, die zu Angst führen können, entstehen, wenn sich das Ich mit ungestümen Triebimpulsen aus dem Es oder mit perfektionistischen Forderungen aus dem Über-Ich konfrontiert sieht und diese mit den Erfordernissen der Außenwelt in Einklang bringen muss. Angst ist für das Ich eine sehr traumatische Erfahrung, die es dazu zwingen kann, so genannte Abwehrmechanismen anzuwenden, um sich auf diese Weise Erleichterung zu verschaffen. Abwehrmechanismen leugnen oder verfälschen die Realität und laufen unbewusst ab, so dass die betroffene Person sich dessen nicht bewusst ist.

Freud unterscheidet drei Arten von Angst • Realangst entsteht, wenn sich das Individuum einer objektiven Gefahrensituation gegenüber sieht. • Neurotische Angst tritt auf, wenn ein Triebimpuls aus dem Es außer Kontrolle zu geraten droht und vom Ich nicht mehr beherrscht werden kann (Konflikt zwischen Es und Ich). • Moralische Angst äußert sich in Schuldgefühlen, die entstehen, wenn man etwas tut, was gegen moralische Normen verstößt (Konflikt zwischen ÜberIch und Ich).

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Einige ausgewählte Abwehrmechanismen • Verdrängung: Unerwünschten Triebimpulsen wird der Zugang zum Bewusstsein versperrt. • Projektion: Verlegung eines Triebimpulses, der das Ich bedroht und an der eigenen Person nicht wahrgenommen wird, auf eine andere Person. • Reaktionsbildung: Das Individuum handelt genau entgegengesetzt zu seinen unbewussten Impulsen. • Verschiebung: Entladung von aufgestauten Triebimpulsen an Personen oder Objekten, die weniger gefährlich sind als diejenigen, die diese Impulse ursprünglich ausgelöst haben. • Verleugnung: Unangenehme Tatsachen werden nicht wahrgenommen und durch wunscherfüllende Phantasien ersetzt. • Fixierung: Das Individuum bleibt auf einer frühen Stufe der psychosexuellen Entwicklung stehen. • Regression: Um traumatischen Erfahrungen zu entgehen, zieht sich das Individuum auf eine frühere Stufe der psychosexuellen Entwicklung zurück.

Freud ging davon aus, dass der Mensch auf seinem Weg zu einer Erwachsenenpersönlichkeit verschiedene psychosexuelle Entwicklungsphasen durchläuft. Diese Phasen sind gekennzeichnet durch bestimmte erogene Zonen, die während einer bestimmten Phase als maßgebliche Quelle der sexuellen Lust erlebt werden. Die orale Phase (von der Geburt bis zum Alter von ca. 1,5 Jahren) kann unterteilt werden in eine frühe oral-einnehmende Phase (bis ca. 8 Monate), während der Saugen und Schlucken als lustvoll erlebt werden, und die nachfolgende oral-aggressive Phase, bei der Beißen und Kauen im Vordergrund stehen. Die anale Phase umfasst das Alter von 1,5 bis 3 Jahren, in dem das Kind lernt die Ausscheidung von Kot zu kontrollieren. Hier kann zwischen der anal-expulsiven Phase (Lustgewinn durch das Ausscheiden von Kot) und der anal-retentiven Phase (Lustgewinn durch das Zurückhalten von Kot) unterschieden werden. Vom 3. bis zum 5. Lebensjahr schließt sich die phallische Phase an mit den Genitalien als primäre erogene Zone. Vom 6. Lebensjahr bis zur Pubertät geht Freud von einer so genannten Latenzphase aus, während der keine nennenswerte psychosexuelle Entwicklung stattfindet. Nach der Latenzphase beginnt die genitale Phase und damit das Stadium des Erwachsenseins. In dieser Phase werden die libidinösen Triebmanifestationen der vorangegangenen Stadien, die durch Befriedigung aus der Stimulation des eigenen Körpers charakterisiert waren, abgelöst durch heterosexuelle Beziehungen, Heirat und die Gründung einer eigenen Familie. Um diese höchste Stufe der Persönlichkeitsentwicklung zu erreichen, müssen alle vorangegangenen Phasen erfolgreich durchlaufen werden. Allerdings kann es vorkommen, dass ein Individuum durch Fixierung oder Regression auf einer früheren Entwicklungsstufe verharrt, was nach Freud zu jeweils typischen Charaktertypen führt.

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Tabelle 1: Ausgewählte Persönlichkeitsmerkmale verschiedener Charaktertypen nach

Freud Charaktertyp

Persönlichkeitsmerkmale

oral-einnehmend

wissbegierig, leichtgläubig, übermäßiger Nahrungsgenuss

oral-aggressiv

sarkastisch, streitlustig

anal-expulsiv

kreativ, produktiv, unordentlich, grausam destruktiv, unkontrolliert, unzuverlässig

anal-rententiv

ordentlich, pedantisch, geizig, eigensinnig

phallisch

Frauen: naiv, kokett, verführerisch, exhibitionistisch Männer: übertriebene Männlichkeitsbedürfnisse, übertriebenes Erfolgsstreben, impotent, erfolglos

Obwohl Freuds psychoanalytische Theorie einen nachhaltigen Einfluss auf die Persönlichkeitspsychologie hatte, wurde schon sehr früh Kritik an seiner Lehre laut (z. B. Webster, 1995; Westen, 1998). Einerseits vertritt die traditionelle Psychoanalyse ein sehr pessimistisches Menschenbild, in dem das Individuum als von sexuellen und aggressiven Impulsen getriebenes Wesen betrachtet wird. Andererseits wurde die Subjektivität der Herleitung von grundlegenden psychoanalytischen Konzepten aus Freuds Arbeit mit Patienten ebenso kritisiert wie seine rigorose Ablehnung einer empirischen Überprüfung seiner Theorie. Zusätzlich erwiesen sich zahlreiche psychoanalytische Konzepte als empirisch nicht haltbar, wie z. B. die Phasenlehre und die damit verbundene Annahme, dass die psychosexuelle Entwicklung während der ersten Kindheitsjahre für die spätere Persönlichkeitsentwicklung entscheidend ist. Trotz aller Einwände sollte aber der ungeheure heuristische Wert der Psychoanalyse für die Persönlichkeitsforschung und die gesamte Psychologie nicht übersehen werden.

2

Alfred Adler (1870–1937)

Mit seiner so genannten Individualpsychologie präsentierte Adler einen der ersten psychoanalytischen Ansätze, der Freuds grundsätzliche Annahme, dass das Lustprinzip und der Sexualtrieb die hauptsächlichen Motivationsquellen menschlichen Verhaltens darstellen, offen in Frage stellte. Nach Adlers Ansicht ist das stärkste Motiv des Menschen kein biologischer Trieb, sondern ein von außen stammendes, erworbenes Motiv: das Streben nach Überlegenheit. Die Individualpsychologie Adlers (z. B. 1992) betrachtet das Individuum nicht nur ganzheitlich, sondern schließt auch die soziale Interaktion mit anderen Menschen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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ein. Menschliches Handeln wird als dynamisch und zielgerichtet betrachtet. Jedes Individuum beginnt sein Leben in einem Zustand der Hilflosigkeit und biologischen Minderwertigkeit, weil es als Säugling vollkommen von anderen abhängig ist. Dieses Gefühl der Minderwertigkeit kann durch soziale, insbesondere familiäre Erfahrungen verringert, aber auch verstärkt werden. Gleichzeitig erwächst aus der Erfahrung von Minderwertigkeit das Streben nach Überlegenheit bzw. das Streben nach Überwindung von Mangellagen als ein lebenslanges Leitmotiv. Die Art und Weise, mit der ein Individuum versucht, dieses Motiv zu befriedigen, wird als Lebensstil bezeichnet. Der Lebensstil umfasst die Gefühle, Einstellungen, Gewohnheiten und Erwartungen einer Person und zwar sowohl in Bezug auf sich selbst als auch gegenüber der Welt. Im Vergleich zu Freud oder Jung lässt sich feststellen, dass Adlers Menschenbild sehr viel weniger Einfluss auf die Persönlichkeitsforschung hatte.

3

Carl Gustav Jung (1875–1961)

Im Vergleich zu Freud entwickelte Jung im Rahmen seiner Analytischen Psychologie (z. B. Jung, 1985) ein optimistischeres Menschenbild, das auch einen starken Einfluss auf die humanistische und existenzialistische Persönlichkeitstheorie hatte (➝ Humanistische Persönlichkeitstheorien). Im Gegensatz zu Freud spielen für Jung sexuelle Impulse eine eher untergeordnete Rolle. Dies wird besonders daran deutlich, dass bei Jung der Begriff Libido generell psychische Energie bezeichnet und sich nicht wie bei Freud ausschließlich auf den Sexualtrieb bezieht. Darüber hinaus betont Jung die Bedeutung der Menschheitsgeschichte für das Individuum und bezieht sowohl spirituelle als auch übernatürliche Phänomene in seine Theorie mit ein. Nach Jungs Ansicht lässt sich die Psyche in drei Bereiche einteilen: das bewusste Ich, das persönliche Unbewusste und das kollektive Unbewusste. Das bewusste Ich weist eine starke Ähnlichkeit zu Freuds Ich auf, indem es die bewussten Anteile der Persönlichkeit, also die Identität eines Individuums, repräsentiert, die sich nach Jung im Alter von etwa vier Jahren zu entwickeln beginnt. Als persönliches Unbewusstes wird der Teil der Psyche bezeichnet, der Gedanken und Gefühle enthält, die der Person gegenwärtig nicht bewusst sind. Dabei kann es sich neben vorbewussten Inhalten im Sinne von Freud auch um Inhalte handeln, die eine IchBedrohung darstellen und deshalb verdrängt worden sind. Das kollektive Unbewusste besteht aus so genannten Archetypen, bedeutsamen emotionalen Symbolen, die sich im Laufe der menschlichen Entwicklungsgeschichte herausgebildet haben und damit für alle Menschen Gültigkeit besitzen sollen. Zu den wichtigsten Archetypen gehören Animus und Anima sowie Persona und Schatten. Mit Animus werden männliche psychische Aspekte der Frau, mit Anima weibliche psychische Aspekte beim Mann bezeichnet. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass Frauen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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und Männer (psychische) Anteile des jeweils anderen Geschlechts verinnerlicht haben. Persona steht für die Art und Weise, wie sich ein Individuum nach außen hin darstellt und sozialen Erwartungen gerecht wird, wohingegen der Schatten für sozial inakzeptable Wünsche und Bedürfnisse steht, die zwar auch Bestandteil unserer Persönlichkeit sind, die wir aber vor anderen eher verbergen. Jung geht von zwei Grundeinstellungen der Person aus, die er als Intro- und Extraversion bezeichnete. Beide Einstellungen sind in jedem Individuum vorhanden, wobei in der Regel eine dieser beiden Einstellungen stärker ausgeprägt und damit dominant ist. Während Introvertierte ihre psychische Energie stärker auf die subjektive Innenwelt fokussieren, sind Extravertierte stärker auf die externe, objektive (Um-)Welt orientiert. Individuation, d. h. das Herausbilden einer bestimmten Persönlichkeit, basiert nach Jung auf der Kombination dieser beiden Grundeinstellungen mit vier geistigen Funktionen, nämlich dem Empfinden, Denken, Fühlen und der Intuition.

4

Erik H. Erikson (1902–1994)

Erikson gilt als bedeutendster Vertreter der so genannten Ich-Psychologie, bei der die Ich-Identität im Mittelpunkt steht. Ich-Identität bezeichnet das bewusst erlebte Selbst, das aus den wechselseitigen Beziehungen eines Individuums mit seiner sozialen Umwelt entsteht. Die Ausbildung und Aufrechterhaltung einer starken Ich-Identität ist nach Erikson die wichtigste Voraussetzung für psychische Gesundheit. Obwohl Erikson dem Ich eine sehr viel größere Bedeutung beimisst, geht er wie Freud von Es, Ich und Über-Ich als den drei Instanzen der Persönlichkeit aus und nimmt ebenfalls eine festgelegte Abfolge von Stadien der Persönlichkeitsentwicklung an. Während Freud die psychosexuelle Entwicklung während der ersten Lebensjahre betont, handelt es sich bei Erikson (1973) um eine psychosoziale Entwicklungstheorie, die sich über die gesamte Lebensspanne erstreckt und acht Stadien umfasst. Hierbei betont Erikson die psychologische Bedeutung bestimmter sozialer Phänomene, mit denen sich das Individuum im Laufe seines Lebens auseinander setzen muss. Jedes Stadium ist durch eine psychosoziale Krise gekennzeichnet, die in dem Bemühen besteht, eine adaptive psychologische Qualität zu erreichen, die für die Ausbildung der Ich-Stärke, und damit für die weitere Persönlichkeitsentwicklung, förderlich ist. In jeder dieser Krisen stehen sich zwei psychologische Qualitäten gegenüber, von denen eine adaptiver zu sein scheint als die andere. Es ist trotzdem wichtig, dass das Ich beide Qualitäten in einem bestimmten Maß inkorporiert. Wenn beispielsweise ein Individuum nur Urvertrauen und überhaupt kein Urmisstrauen hat, läuft es in einer Welt, die manchmal wenig vertrauenswürdig sein kann, Gefahr zu scheitern. Erikson hat es zwar stets vermieden, genaue Altersangaben für die einzelnen Stadien zu machen, geht aber davon aus, dass alle Menschen diese Stadien in derselben Abfolge durchlaufen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Tabelle 2: Acht Stadien der psychosozialen Entwicklung nach Erikson Stadium

Psychosoziale Krise

Ich-Qualität bei erfolgreicher Bewältigung

Frühe Kindheit

Urvertrauen vs. Urmisstrauen

Hoffnung

Kindheit

Autonomie vs. Scham, Zweifel

Wille

Vorschulalter

Initiative vs. Schuldgefühl

Entschlossenheit

Schulalter

Fleiß vs. Minderwertigkeit

Kompetenz

Adoleszenz

Identität vs. Rollendiffusion

Treue

Junges Erwachsenenalter

Intimität vs. Isolation

Liebe

Erwachsenenalter

Generativität vs. Stagnation

Fürsorge

Hohes Erwachsenenalter

Ich-Integrität vs. Verzweiflung

Weisheit

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Schlussfolgerungen

Seit über 100 Jahren haben psychoanalytische Ansätze sowohl die Persönlichkeitstheorie als auch die Persönlichkeitsforschung nachhaltig beeinflusst. Hierzu trug mit Sicherheit bei, dass psychoanalytische Ansätze nicht nur zahlreiche psychische Phänomene erstmals explizit identifizierten, sondern auch eine Einbettung dieser Phänomene in einen umfassenden theoretischen Kontext ermöglichten. Schon relativ früh wurde aber auch die Schwierigkeit offensichtlich, die teilweise sehr unscharf definierten psychoanalytischen Konzepte einer empirischen Prüfung zu unterziehen. Dies wurde insbesondere durch Freuds ablehnende Haltung gegenüber jeder Art von empirischer Überprüfung seiner psychoanalytischen Konzepte zusätzlich erschwert. Auch die Sichtweise des Individuums als ein energetisches System, das durch Triebenergie am Laufen gehalten wird, ist mit aktuellen persönlichkeitspsychologischen Konzepten nicht vereinbar.

Weiterführende Literatur Brenner, C. (1997). Grundzüge der Psychoanalyse. Frankfurt a. M.: Fischer. Kirsch, T. B. (2000). The Jungians: A comparative and historical perspective. Philadelphia: Routledge.

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Roazen, P. (1976). Erik H. Erikson: The power and limits of a vision. New York: Free Press. Schmidt, R. (1987). Die Individualpsychologie Alfred Adlers: Ein Lehrbuch. Frankfurt a. M.: Fischer.

Literatur Adler, A. (1992). Über den nervösen Charakter. Frankfurt a. M.: Fischer. Erikson, E. H. (1973). Identität und Lebenszyklus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Freud, S. (2003). Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse und Neue Folge. Frankfurt a. M.: Fischer. Jung, C. G. (1985). Über die Grundlagen der Analytischen Psychologie. Die Tavistock Lectures. Düsseldorf: Walter. Webster, R. (1995). Why Freud was wrong. Sin, science and psychoanalysis. London: Harper Collins Publisher. Westen, D. (1998). The scientific legacy of Sigmund Freud: Toward a psychodynamically informed psychological science. Psychological Bulletin, 124, 333–371.

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Humanistische Persönlichkeitstheorien Humanistic Personality Theories Thomas Rammsayer Die humanistischen Persönlichkeitstheorien entstanden als Reaktion auf die Mitte des 20. Jahrhunderts vorherrschenden psychoanalytischen und lerntheoretischen Theorien der Persönlichkeit. Die Vertreter der humanistischen Psychologie wenden sich einerseits gegen das pessimistische Menschenbild von Freud, demzufolge der Mensch seinen irrationalen und unsozialen Trieben hilflos ausgeliefert ist. Anderseits grenzen sie sich auch von der traditionellen lerntheoretischen Auffassung ab, die den Menschen als reines Produkt seiner Umwelt betrachtet. Beide Sichtweisen lehnt die humanistische Psychologie als zu stark begrenzte Konzepte der menschlichen Persönlichkeit ab. Als so genannte „dritte Kraft“ nimmt die humanistische Psychologie ein sehr viel optimistischeres Menschenbild an, indem sie davon ausgeht, dass jedes Individuum über ein Potenzial für positives Wachstum und psychische wie auch physische Gesundheit verfügt. Gelingt es einem Individuum nicht, dieses Wachstumspotenzial auszuschöpfen, rührt dies in erster Linie von einschränkenden sozialen Einflüssen (z. B. dem elterlichen Erziehungsverhalten, gesellschaftlichen Normen) her. Zu den prominentesten Vertretern einer humanistischen Persönlichkeitstheorie gehören Carl Rogers und Abraham Maslow. Beide verfolgen dabei einen phänomenologisch orientierten Ansatz. Phänomenologischer Ansatz Beim phänomenologischen Ansatz steht die bewusste, unmittelbare Erfahrung, wie sie von einem Individuum erlebt wird, im Mittelpunkt. Eine phänomenologische Sichtweise findet sich nicht nur in der Gestaltpsychologie (z. B. Köhler, 1947), die sich in erster Linie mit kognitiven Prozessen wie Wahrnehmung und Denken befasst, sondern auch in den humanistischen und existenzialistischen Persönlichkeitstheorien. Ausgangspunkt einer phänomenologischen Sicht der Persönlichkeit ist die Annahme, dass jeder Mensch einzigartig ist, weil jedes Individuum die Realität auf seine ganz persönliche Art und Weise, und damit anders als seine Mitmenschen, wahrnimmt und interpretiert. Es ist diese subjektive Wahrnehmung und Interpretation der Realität, die das Denken und Handeln des Individuums beeinflusst. Daraus ergibt sich, dass man das Erleben und Verhalten einer anderen Person nur dann wirklich verstehen kann, wenn man die Welt durch deren „Brille“ sieht. Gleichzeitig impliziert eine solche Sichtweise, dass jeglicher Zugang zur Realität nur über subjektive Wahrnehmungen erfolgen kann.

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Die humanistische Orientierung hat insbesondere in den USA die Persönlichkeitspsychologie nachhaltig beeinflusst. Im Jahr 1962 wurde die American Association of Humanistic Psychology gegründet, zu deren Gründungsmitgliedern neben Carl Rogers und Abraham Maslow auch die Persönlichkeitstheoretiker Gordon Allport, George Kelly und Rollo May zählten.

1

Carl Rogers (1902–1987)

Die Persönlichkeitstheorie von Carl Rogers, dem Begründer der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie, entstand aus seinen Erfahrungen als Psychotherapeut im Umgang mit Patienten. Er entwickelte einen phänomenologischen Ansatz um zu verstehen, wie Individuen sich und ihre Umwelt wahrnehmen. Die Art und Weise, wie ein Individuum seine Umwelt wahrnimmt und erlebt, bezeichnet Rogers als das phänomenologische Feld einer Person. Zentrales Postulat von Rogers’ Persönlichkeitstheorie ist die Annahme einer angeborenen Aktualisierungstendenz, eines dynamischen Prinzips, das dem Menschen nicht nur dazu dient, Bedürfnisse zu befriedigen, sondern auch neue Erfahrungen zu machen und sein Wachstumspotenzial zu realisieren. Hierbei hilft ein so genannter organismischer Bewertungsprozess, anhand dessen alle Erfahrungen hinsichtlich ihrer positiven oder negativen Auswirkungen auf den Organismus bewertet werden. Diese organismische Bewertung gibt somit dem Individuum darüber Auskunft, inwieweit eine von ihm gemachte Erfahrung für die Aktualisierungstendenz und damit für das persönliche Wachstum förderlich ist. Bezieht sich die Aktualisierungstendenz auf Erfahrungen im Zusammenhang mit dem eigenen Selbstkonzept, spricht Rogers von Selbstaktualisierungstendenz. Auch diese unterliegt einer organismischen Bewertung, die dazu führt, dass positive Selbsterfahrungen angestrebt, negative dagegen vermieden werden. Mit zunehmender Entwicklung des Selbstkonzepts entsteht auch das Bedürfnis nach positiver Wertschätzung. Positive Wertschätzung bezieht sich auf die Erfahrung, von anderen Menschen, die einem sehr wichtig sind oder nahe stehen, gelobt und liebevoll angenommen zu werden. Hierbei unterscheidet Rogers zwischen bedingter und unbedingter positiver Wertschätzung. Im ersten Fall erfährt beispielsweise ein Kind, dass es nur dann von seinen Eltern akzeptiert und geliebt wird, wenn es das von ihnen gewünschte oder geforderte Verhalten zeigt. Dies führt dazu, dass die eigene (organismische) Bewertung verleugnet und durch die Bewertung einer anderen Person ersetzt wird. Die Folge ist eine Inkongruenz zwischen Selbst und Erfahrung, die eine Ursache für eine gestörte Persönlichkeitsentwicklung darstellen kann. Dagegen erfährt das Kind im Fall der unbedingten positiven Wertschätzung, dass es auch dann von den Eltern akzeptiert und geliebt wird, wenn diese mit bestimmten Verhaltensweisen des Kindes nicht einverstanDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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den sind. Mit anderen Worten: Unbedingte positive Wertschätzung ermöglicht eine psychische Entwicklung, bei der (Selbst-)Erfahrungen weder verleugnet noch verzerrt werden müssen, sondern in Einklang mit der organismischen Bewertung sind. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die weitere positive psychische Entwicklung hin zu einer voll funktionierenden Person. In einem dritten Entwicklungsschritt entsteht schließlich das Bedürfnis nach Selbstachtung, indem das Kind lernt, seine eigenen Verhaltensweisen als negativ oder positiv einzuschätzen. Diese Einschätzung geschieht auf der Grundlage internalisierter Bewertungsmaßstäbe, die es von anderen Personen, die ihm etwas bedeuten, übernommen hat. Auf diese Weise erreicht das Individuum eine gewisse Unabhängigkeit von den Bewertungen anderer, da es sein Verhalten nunmehr selbst beurteilen kann. Als voll funktionierende Person wird ein Individuum dann bezeichnet, wenn eine weit gehende Übereinstimmung zwischen der angeborenen organismischen Bewertung und den im Rahmen des Bedürfnisses nach positiver Wertschätzung durch andere sowie des Bedürfnisses nach Selbstachtung erworbenen Bewertungsmaßstäben vorliegt. Eine voll funktionierende Person kann ihr Wachstumspotenzial umfassend ausschöpfen und ihre Selbsterfahrungen angemessen symbolisieren. Dies ist nicht der Fall bei einer fehlangepassten Person. Hier kommt es zu einer Diskrepanz zwischen der organismischen Bewertung und dem von außen übernommenen Wertesystem des Individuums. Hieraus resultiert eine Inkongruenz von Selbst und Erfahrung, die zu psychischer Fehlanpassung und einer erhöhten Anfälligkeit für Angst und Bedrohung führen kann. Fehlangepasste Personen sind darüber hinaus durch eine Diskrepanz zwischen Real-Selbst und Ideal-Selbst gekennzeichnet. Als Real-Selbst wird das tatsächliche Selbstkonzept bezeichnet, wie es von der betreffenden Person erlebt wird, wohingegen unter Ideal-Selbst das Selbstkonzept verstanden wird, das die Person am liebsten besitzen würde. Die individuelle Kongruenz von Real- und Ideal-Selbst kann mit Hilfe der Q-Sort-Technik (Stephenson, 1953) erfasst werden. Q-Sort-Technik Die Q-Sort-Technik bietet die Möglichkeit, auf systematische Weise Selbstbeschreibungen von Individuen zu erheben. Zu diesem Zweck erhält die Person einen Stapel Karten, die jeweils eine Aussage über ein Persönlichkeitsmerkmal enthalten (z. B. „Ich bin intelligent“, „Ich verachte mich“, „Ich stehe gewöhnlich zu meinen Entscheidungen“). Dann wird die Person gebeten, die Karten im Hinblick auf das Zutreffen der Aussagen auf die eigene Person zu sortieren. Um die statistische Analyse beim Q-Sort zu erleichtern, müssen die Karten so sortiert werden, dass die Gesamtverteilung annähernd einer Normalverteilung entspricht. Werden beispielsweise 100 Karten vorgegeben, kann die Person ge-

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beten werden, neun verschiedene Stapel zu bilden (von Stapel 1: „Trifft am allerwenigsten auf mich zu“ bis Stapel 9: „Trifft am allermeisten auf mich zu“). Die Anzahl der Karten, die den Stapeln 1 bis 9 zugeordnet werden, ist folgendermaßen festgelegt: 1–4–11–21–26–21–11–4–1, d. h. Stapel 1 und 9, also den Extremkategorien, kann jeweils nur eine Karte zugeordnet werden, Stapel 5, der die mittlere Kategorie bildet, jedoch 26 Karten. Auf diese Weise wird die angestrebte Normalverteilung erreicht. Von Rogers wurde die Q-Sort-Technik eingesetzt, um die individuelle Kongruenz von Real- und Ideal-Selbst zu erfassen. Zur Erfassung des Real-Selbst wird die Person gebeten, die Aussagen auf den Karten so zu sortieren, dass sie bestmöglich beschreiben, wie sie sich momentan sieht. Eine Beschreibung des Ideal-Selbst einer Person basiert dagegen auf einer Sortierung der Aussagen in Hinblick darauf, wie die Person am liebsten wäre, um sich rundum wohl zu fühlen. Die Kongruenz zwischen Real- und Ideal-Selbst kann anhand von Korrelationskoeffizienten überprüft werden. Eine hohe positive Korrelation weist darauf hin, dass das Selbstkonzept einer Person weit gehend mit ihrem IdealSelbst übereinstimmt. In ihrer bekannten Untersuchung stellten Butler und Haigh (1954) fest, dass bei Personen, die sich wegen persönlicher Probleme in psychotherapeutische Behandlung begeben, eine sehr viel stärkere Inkongruenz zwischen Real- und Ideal-Selbst besteht (durchschnittlicher Korrelationskoeffizient von .0) als bei einer entsprechenden Kontrollgruppe ohne Therapiebedürfnis, die einen Korrelationskoeffizienten von .58 aufwies. Nach Abschluss der Psychotherapie konnte jedoch ein signifikanter Zuwachs an Kongruenz zwischen Real- und IdealSelbst festgestellt werden (durchschnittlicher Korrelationskoeffizient .34), was darauf hinweist, dass die klientenzentrierte Psychotherapie den Betroffenen geholfen hat, aus ihrer Sicht mehr so zu sein, wie sie gerne sein wollten.

Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie Rogers bezeichnet den von ihm entwickelten Therapieansatz als „klientenzentriert“. Dieser direkte Bezug auf die zu behandelnde Person spiegelt Rogers phänomenologische Grundeinstellung wider, indem er darauf hinweist, dass es in erster Linie um die subjektive Welt- und Problemsicht des Klienten geht. Dies beinhaltet auch die Annahme, dass nicht der Therapeut, sondern der Klient am besten weiß, was die entscheidenden Probleme sind und welche Veränderungen die Therapie bewirken soll. Der Therapeut unterstützt den Klienten, begegnet ihm mit unbedingter positiver Wertschätzung und bemüht sich um ein empathisches Verstehen des inneren Bezugssystems des Klienten. Dadurch wird der Therapeut in die Lage versetzt, die Spannungen und inkongruenten Gefühle des Klienten zu fühlen und ihm zurückzuspiegeln.

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Dieses Therapeutenverhalten ermöglicht es dem Klienten, seine Gefühle freier auszudrücken, bestehende Inkongruenzen zwischen Selbstkonzept und Erfahrung zu erkennen, Selbsterfahrungen genauer zu symbolisieren und schließlich sein Selbstkonzept neu zu organisieren, was ihn in die Lage versetzt, Erfahrungen in Übereinstimmung mit der angeborenen organismischen Bewertung zuzulassen und eine voll funktionierende Persönlichkeit zu entwickeln. Später erweitert Rogers (1980) den klientenzentrierten Ansatz über die Therapiesituation hinaus zu einer allumfassenden personenzentrierten Sichtweise. Dabei handelt es sich um eine generelle Lebensweise bzw. Philosophie, die sich auf alle Alltagsbereiche anwenden lässt, in denen Wachstum als Entwicklungsziel eines Individuums, einer Gruppe oder einer größeren Gemeinschaft im Vordergrund steht.

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Abraham Maslow (1908–1970)

Ausgehend von einem positiven Menschenbild verfügt nach Maslow jedes Individuum über ein positives Wachstumspotenzial. Psychische Störungen und Fehlentwicklungen der Persönlichkeit, die dazu führen, dass dieses Wachstumspotenzial nicht realisiert werden kann, haben nach seiner Auffassung ihre Ursache in Enttäuschungen und Einschränkungen, die häufig von einer menschenfeindlichen Gesellschaft vermittelt werden. Im Rahmen seiner Persönlichkeitspsychologie sind für Maslow zwei Aspekte von hervorragender Bedeutung: die Struktur der menschlichen Motivation und das sich selbstverwirklichende Individuum. Maslows Motivationstheorie der Persönlichkeit Maslow unterscheidet grundsätzlich zwischen physiologischen und psychologischen Bedürfnissen des Individuums. Die Befriedigung biologischer Grundbedürfnisse (z. B. Nahrung, Schlaf, Sexualität) ist notwendig, um das Überleben des Organismus sicherzustellen. Darüber hinaus existieren auch noch zusätzliche psychologische Bedürfnisse, deren Befriedigung das Individuum in die Lage versetzt, sein Wachstumspotenzial zu realisieren und eine zunehmende Selbstverwirklichung zu erreichen. Hierzu zählen das Bedürfnis nach Sicherheit, nach Zugehörigkeit und Liebe, nach Achtung sowie nach Selbstverwirklichung. Die physiologischen und psychologischen Bedürfnisse fasst er in einer Bedürfnishierarchie (siehe Abbildung 1) zusammen. Weitere Annahmen besagen, dass: 1. alle Bedürfnisse innerhalb dieser Hierarchie angeboren sind, 2. ein Bedürfnis auf einer höheren Stufe sich erst dann entwickeln kann, wenn die Bedürfnisse auf darunter liegenden Stufen bereits befriedigt wurden, 3. höhere Bedürfnisse erst im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung wirksam werden.

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Letztere Annahme bedeutet, dass beispielsweise das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung nur dann auftreten kann, wenn das Individuum die Bedürfnisse der vier vorangegangenen Stufen erfolgreich befriedigen konnte. Innerhalb seiner Bedürfnishierarchie grenzt Maslow Mangelbedürfnisse von so genannten Wachstumsbedürfnissen ab. Mangelbedürfnisse folgen dem Prinzip der Homöostase und zielen darauf ab, einen Mangelzustand zu beseitigen. Höhere Bedürfnisse, hier insbesondere das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, werden als Wachstumsbedürfnisse bezeichnet, die dem Prinzip der Heterostase folgen. Hierbei handelt es sich um ein dynamisches Prinzip der so genannten gleitenden Sollwertveränderung. Dies bedeutet, dass im Falle von Wachstumsbedürfnissen die Motivation nicht nur solange aufrecht erhalten bleibt, bis ein bestehendes Defizit ausgeglichen bzw. ein akutes Bedürfnis befriedigt wurde. Vielmehr versucht das Individuum, wenn beispielsweise ein bestimmtes Ausmaß an Selbstverwirklichung erreicht wurde, seine Selbstverwirklichung in einem nächsten Schritt noch weiter zu vervollkommnen. Auf diese Weise wird eine permanente Weiterentwicklung der Persönlichkeit bzw. Realisierung des individuellen Wachstumspotenzials mit dem Ziel der Selbstvervollkommnung ermöglicht. Gleichzeitig folgt daraus, dass eine absolute Selbstverwirklichung nie erreicht wird, weshalb Maslow von „sich selbstverwirklichenden“, nicht aber von „selbstverwirklichten“ Individuen spricht.

Selbstverwirklichung Achtung Zugehörigkeit und Liebe Sicherheit Physiologische Bedürfnisse

Abbildung 1: Bedürfnishierarchie nach Maslow

Das Erreichen der Stufe der Selbstverwirklichung stellt nach Maslow das Ziel einer optimalen Persönlichkeitsentwicklung dar. Anhand einer Untersuchung von 60 eminenten Personen (z. B. Johann Wolfgang von Goethe, Albert Einstein, Albert Schweitzer), die nach seiner Meinung diese Stufe erreicht hatten, entwiDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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ckelte er 15 charakteristische Merkmale für sich selbstverwirklichende Individuen. Nach Maslow (1987) umfassen diese Merkmale: 1. genaue und umfassende Wahrnehmung der Realität, 2. hohe Akzeptanz der eigenen Person, anderer Menschen und der Natur im Allgemeinen, 3. Natürlichkeit, Spontaneität und Einfachheit, 4. problemorientierte anstatt ichzentrierte Einstellung, 5. Fähigkeit, sich von anderen zu lösen und ein Bedürfnis nach Privatheit, 6. Unabhängigkeit von der jeweiligen sozialen Umwelt, 7. unverbrauchte Wertschätzung, 8. mystische oder Grenzerfahrungen, 9. Gemeinschaftsgefühl, 10. enge, tiefe persönliche Beziehungen zu wenigen ausgewählten Menschen, 11. Akzeptanz demokratischer Werte, 12. starkes ethisches Bewusstsein, 13. philosophischen Humor, 14. Kreativität, 15. Resistenz gegenüber kulturellem Konformitätsdruck. Sehr umstritten an Maslows Persönlichkeitstheorie ist seine Annahme, dass eine höhere Stufe der Bedürfnishierarchie erst erreicht werden kann, nachdem die grundlegenden biologischen Bedürfnisse befriedigt sind, sowie sein „unwissenschaftlicher“ Ansatz zur Evaluierung der sich selbstverwirklichenden Persönlichkeit. Im Rahmen seiner Studien zur Erforschung der sich selbstverwirklichenden Persönlichkeit wurde Maslow zunehmend wegen seiner schlecht kontrollierten und unreliablen Untersuchungsmethoden kritisiert. Insbesondere wurde ihm die Verwendung sehr kleiner Untersuchungsstichproben, blindes Vertrauen in die Selbstberichte seiner Versuchspersonen sowie die Verwendung von eigenen, sehr intuitiven Kriterien für Selbstverwirklichung vorgeworfen.

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Neuere Entwicklungen

Eine Fortführung der Idee eines menschlichen Wachstumspotenzials, wie sie von Rogers und Maslow vertreten wurde, stellt Csikszentmihalyis Konzept des FlowErlebens dar (z. B. Csikszentmihalyi & Csikszentmihalyi, 1997). Das Flow-Konzept betont positive Bewusstseinszustände, die in Situationen erlebt werden, die ein Individuum völlig absorbieren. Man ist so stark in eine Aktivität versunken und geht in ihr auf, dass das Gefühl für Zeit verloren geht, keine ablenkenden Gedanken auftreten und eine perfekte Übereinstimmung zwischen den eigenen Fähigkeiten und den Anforderungen der Umwelt wahrgenommen wird. Eine solche Flow-Erfahrung ist an keine bestimmte Situation gebunden, sondern sie kann in allen Lebens- bzw. Alltagsbereichen erlebt werden. Letztlich soll das WachsDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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tumspotenzial des Individuums dazu dienen, individuelle Flow-Erfahrungen zu maximieren. Mit seinem Flow-Konzept, das in hohem Maße die der Persönlichkeit inhärente Stärke und Kraft betont, entwickelte Csikszentmihalyi eine Persönlichkeitstheorie, die im Rahmen der so genannten „positiven Psychologie“ (vgl. Seligman & Csikszentmihalyi, 2000) zunehmend an Bedeutung gewinnt. Positive Psychologie Der Begriff „Positive Psychologie“ wurde erstmals von Abraham Maslow (1954) in seinem Buch „Motivation and personality“ verwendet. Ziel der Positiven Psychologie ist eine Erweiterung der traditionellen Psychologie, die sich allzu sehr mit dem Erforschen und Behandeln von psychischen Schwächen und Defiziten befasst, um Aspekte des gegenseitigen Verstehens und des Aufbaus menschlicher Stärken. Deshalb stehen im Mittelpunkt der Positiven Psychologie vor allem Phänomene wie positive subjektive Erfahrungen (z. B. Glücklichsein, Optimismus, Vertrauen), positive Persönlichkeitsmerkmale (z. B. die Fähigkeit zu Lieben oder zu Vergeben, Originalität, Zukunftsorientierung, Weisheit) sowie soziale Fähigkeiten im Umgang mit anderen Menschen (z. B. Altruismus, Verantwortungsbewusstsein, Toleranz, Arbeitsethik). Seit Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist ein zunehmender Einfluss dieser positiven Sichtweise im Rahmen der Persönlichkeitsforschung und Persönlichkeitstheorie zu verzeichnen.

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Existenzialistische Persönlichkeitstheorie

Obwohl der Existenzialismus eine Sichtweise darstellt, die – in unterschiedlichem Maße – die Persönlichkeitstheorien von Allport, Maslow oder Rogers beeinflusst hat, ist seine Bedeutung im Rahmen der Persönlichkeitspsychologie vergleichsweise gering geblieben. Als Vorläufer des Existenzialismus im 19. Jahrhundert gelten Philosophen und Literaten wie beispielsweise Friedrich Nietzsche und Søren Kierkegaard. Eine bedeutende Rolle bei der Entstehung der existenzialistischen Philosophie des 20. Jahrhunderts kommt dem deutschen Philosophen Martin Heidegger (1889–1976) zu, der auch sehr viel dazu beitrug, dass die existenzialistische Sichtweise Einzug in die Psychologie und Psychiatrie halten konnte. Als eine einflussreiche philosophische Strömung wurde der Existenzialismus kurz nach dem zweiten Weltkrieg insbesondere durch die Schriften von Jean Paul Satre und Albert Camus populär. Vor allem in den USA bildeten in dieser Zeit die Ideen der existenzialistischen Psychologie einen Gegenpol zum damals vorherrschenden traditionellen Behaviorismus mit seinem mechanistischen Menschenbild. Die existenzialistische Perspektive stellte wieder stärker den Menschen als Person sowie menschliche Werte in den Mittelpunkt und bot auf diese Weise die Grundlage für eine humanistisch orientierte Psychologie. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Das Leitmotiv der existenzialistischen Sichtweise stellen grundlegende Fragen des menschlichen Daseins und die Bedeutung des Individuums dar. Am deutlichsten tritt diese Sichtweise in der Persönlichkeitstheorie von Rollo May (1909– 1994) zu Tage. Teilweise von Sigmund Freud und dem dänischen Schriftsteller und Philosophen Søren Kierkegaard beeinflusst, bilden die Begriffe Dasein, Umwelt, Mitwelt und Eigenwelt zentrale Aspekte in Mays Persönlichkeitstheorie. Dasein bezeichnet die Art und Weise, wie eine Person an einem bestimmten Ort und zu einer gegebenen Zeit die Welt erlebt und interpretiert. Der Begriff Umwelt bezieht sich auf die physikalische, objektive Welt, wie sie mit naturwissenschaftlichen Methoden erforscht wird, wohingegen Mitwelt die Interaktionen mit anderen Menschen beschreibt. Schließlich existiert noch eine Eigenwelt; dabei handelt es sich um die intrapersonale Welt bzw. die Bewusstheit hinsichtlich der eigenen Person. Nach May besteht das Dilemma der menschlichen Existenz darin, dass ein Individuum sowohl Objekt ist, dem Dinge widerfahren, als auch Subjekt, das aktiv Erfahrungen macht und sie interpretiert. Beide Aspekte sind wichtig, um Menschen richtig verstehen zu können. Während das traditionelle lerntheoretische Menschenbild nach Mays Ansicht die objektive Seite zu stark betont, wirft er Rogers vor, die subjektive Seite überzubetonen, indem er negative Impulse des Menschen zu stark vernachlässigt.

5

Bewertung der humanistischen Persönlichkeitstheorien

Die Entwicklung einer humanistischen Orientierung innerhalb der Persönlichkeitspsychologie stellte zweifelsohne eine wichtige und notwendige Alternative zum Menschenbild der Freud’schen Psychoanalyse und des traditionellen Behaviorismus dar, indem sie explizit positive Aspekte der menschlichen Natur und das Wachstumspotenzial des Menschen zu einem zentralen Gegenstand der Persönlichkeitspsychologie machte. Als Hauptkritikpunkt an den humanistisch orientierten Persönlichkeitstheorien wird immer wieder auf die zu optimistische Sichtweise der menschlichen Natur hingewiesen, die destruktive Tendenzen des Menschen zu stark vernachlässigt.

Weiterführende Literatur Aspinwall, L. G. & Staudinger, U. M. (2003). A psychology of human strength: Fundamental questions and future directions for a positive psychology. Washington, D. C.: American Psychological Association. Heidegger, M. (1977). Sein und Zeit. Tübingen: Niemeyer. Snyder, C. R. & Lopez, S. J. (Eds.). (2002). Handbook of positive psychology. Oxford: Oxford University Press.

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Literatur Butler, J. M. & Haigh, G. V. (1954). Changes in the relation between self-concepts and ideal concepts consequent upon client-centered counseling. In C. R. Rogers & R. F. Dymond (Eds.), Psychotherapy and personality change: Co-ordinated studies in the client-centered approach (pp. 55–76). Chicago: University of Chicago Press. Csikszentmihalyi, M. & Csikszentmihalyi, I. S. (1997). Optimal experience: Psychological studies of flow in consciousness. New York: Cambridge University Press. Köhler, W. (1947). Gestalt psychology: An introduction to new concepts in modern psychology. New York: Liveright. Maslow, A. H. (1968). Toward a psychology of being. Princeton, NJ: Van Nostrand. Maslow, A. H. (1987). Motivation and personality. New York: Harper & Row. May, R. (1967). Psychology and the human dilemma. New York: Van Nostrand. Rogers, C. R. (1969). On becoming a person. Boston: Houghton Mifflin. Rogers, C. R. (1980). A way of being. Boston: Houghton Mifflin. Seligman, M. E. & Csikszentmihalyi, M. (2000). Positive psychology. American Psychologist, 55, 5–14. Stephenson, W. (1953). The study of behavior: Q-technique and its methodology. Chicago: University of Chicago Press.

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Eine Reihe von Theorien hat zur Erklärung interindividueller Differenzen durch die Einbeziehung hirnanatomischer, hirnphysiologischer und neurochemischer Parameter die deskriptive Ebene verlassen. Vor allem geben einige Theorien Hinweise auf die Kontinuität zwischen psychopathologischen, d. h. abweichenden Aspekten der Persönlichkeit, und dem klinisch unauffälligen Normalbereich. Die wichtigsten Vertreter dieser Richtung sind: Hans-Jürgen Eysenck, sein Schüler Jeffrey A. Gray, Marvin Zuckerman, der Psychiater C. Robert Cloninger sowie Richard A. Depue. Die jeweiligen Konzepte werden im Folgenden kurz vorgestellt.

1

Hans-Jürgen Eysenck

Eysencks Theorie stützt sich auf zwei wesentliche biologische Wurzeln: 1. Die von Kretschmer etablierte Konstitutionsforschung. Diese diente zur Extrapolation von pathologischen Zuständen in den Normalbereich (z. B. schizophren, schizoid, schizothym), indem sie – anstatt von einem qualitativen Unterschied – von einem kontinuierlichen Übergang zwischen Normalität und Psychopathologie ausging. 2. Die Pawlow’sche Psychophysiologie der Temperamente, welche die physiologische Basis für Erregungs- und Hemmungsprozesse im Gehirn als Erklärungsmodell für Persönlichkeitseigenschaften, wie Extraversion und Introversion, lieferte. Aus der neurotischen Persönlichkeitsstörung extrapolierte Eysenck das Merkmal ➝ Neurotizismus (Eysenck, 1947), das in entsprechenden Fragebogen gekennzeichnet ist durch Ängstlichkeit, Depressivität und Ärgerneigung. Eysencks These, dass diesem Merkmal eine erhöhte Erregbarkeit des autonomen Nervensystems zu Grunde liegt, schien sich jedoch nicht zu bestätigen, da vielfach auch eine verminderte autonome Erregung bei Stressreaktionen der Personen mit hohem Neurotizismus (N) zu beobachten war (vgl. Hennig & Netter, 2005). Daher postulierte Eysenck (1967) als biologisches Korrelat des Neurotizismus eine herabgesetzte Erregungsschwelle des limbischen Systems, einer Hirnregion, die insbesondere der emotionalen und motivationalen Verhaltenssteuerungen dient. Die Dimension Extra- und Introversion (➝ Extraversion) basiert auf dem Konzept des starken und schwachen Nervensystems von Pawlow, welches die exzitatori-

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sche und inhibitorische Erregung einführte. Viele Wahrnehmungs-, Lern- und Gedächtnisversuche untermauerten Eysencks Konzept, dass Extravertierte durch eine erhöhte Erregungsschwelle des aufsteigenden retikulären Aktivierungssystems (ARAS) gekennzeichnet seien, d. h. durch verminderte Erregungsprozesse, verbunden mit erhöhten Hemmprozessen, während für Introvertierte das Umgekehrte postuliert wurde. Experimente zur Lidschlag-Konditionierung zeigten, dass Extravertierte schlechter konditionierbar waren als Introvertierte. Spätere Versuche, im Elektroenzephalogramm (EEG) Unterschiede der Hirnaktivität für Intround Extravertierte zu bestätigen, zeigten, dass nur bei mittlerer Aufgabenschwierigkeit oder Stimulusintensität Unterschiede zwischen Intro- und Extravertierten auftraten (Gale et al., 1969). Andererseits wurde die von Eysenck formulierte Arousaltheorie durch pharmakologische Experimente untermauert, da durch sedierende Substanzen eine Verschiebung des Verhaltens in Richtung Extraversion und durch stimulierende in Richtung Introversion zu erzeugen war (vgl. Eysenck, 1967). Das heißt, Extravertierte und Hysteriker (Neurotiker mit hoher Extraversionskomponente) benötigten weniger von einer sedierenden Substanz, um die so genannte Sedationsschwelle zu erreichen als Introvertierte und Personen mit dysthymen und Angststörungen. Dieser Ansatz fand erst in späteren Untersuchungen eine Fortsetzung durch die Erforschung spezifischer Neurotransmitteransprechbarkeiten (vgl. Rammsayer, 1998; Hennig & Netter, 2005). Eysencks später hinzugefügte Dimension des Psychotizismus, gekennzeichnet durch Aggressivität, Kälte, Mangel an Schuldgefühlen, Rücksichtslosigkeit, aber auch Kreativität, wurde von Eysenck selbst weniger mit einem biologischen Substrat in Verbindung gebracht, erwies sich aber in späteren Untersuchungen als Korrelat eines niedrigen Serotoninspiegels im Gehirn. Wenn auch die Arousaltheorie und die Idee der Konditionierungsunterschiede inzwischen weit reichende Modifikationen und Ergänzungen erfahren haben und zum Teil sogar widerlegt sind, hat die Theorie von H. J. Eysenck maßgebliche Anstöße für die biologische Persönlichkeitsforschung erbracht.

2

Jeffrey A. Gray

Von grundlegender Bedeutung in der Theorie von Gray ist die Entstehung und Aufrechterhaltung von Emotionen, die maßgeblich von drei fundamentalen Systemen gesteuert werden. Es werden folgende Prämissen aufgestellt: 1. Emotionen sind assoziiert mit Reaktionen auf Verstärker, d. h. auf Belohnung oder Nichtbestrafung sowie Bestrafung oder Nichtbelohnung, aber auch auf Neuigkeit. 2. Es gibt (wenige) spezifische Emotionssysteme und daher auch (wenige) spezifische Emotionen (Gray, 1975). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Auf Grund von Tierstudien geht Gray davon aus, dass spezifische neuronale Substrate auf die oben genannten Reizklassen ansprechen: Das Behavioral Approach System (BAS), das Behavioral Inhibition System (BIS) und das Fight-Flight-System (FFS). Konditionierte Signale von Belohnung sprechen das BAS, konditionierte Signale von Bestrafung, Nichtbelohnung und Neuigkeit hingegen das BIS an. Das FFS reagiert auf unkonditionierte Reize für Bestrafung (Nichtbelohnung); es ist nach Gray jedoch nicht direkt emotionsrelevant. Die unterschiedliche Ansprechbarkeit der Systeme bei Tieren und Menschen bildet die Grundlage interindividueller Differenzen. Die wesentlichsten Merkmale der Theorie sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Tabelle 1: Zusammenstellung der wichtigsten Merkmale des Behavioral Activation Sys-

tem (BAS) und des Behavioral Inhibition System (BIS) in der Theorie von Gray BIS

BAS

Auslöser

Konditionierte Signale von Bestrafung, Nichtbelohnung, Neuigkeit

Konditionierte Signale von Belohnung, Nichtbestrafung

Verhaltenskonsequenz

Hemmung des aktuellen Verhaltens, Orientierungsreaktion, verstärkte Aufmerksamkeit

Annäherungsverhalten

Vorrangige Emotion

Angst

Positive Emotionalität

Persönlichkeitsdimension (bei hoher Ansprechbarkeit)

Ängstlichkeit

Impulsivität

Neuronales Substrat

Septo-Hippocampales System (Septum, Hippocampus, Papez-Kreis, temporale und frontale Areale des Neocortex)

Insb. dopaminerge Fasern in der Substantia nigra, dem ventralen Tegmentum; mesolimbisches und mesocorticales Dopaminsystem

Gray ist im Gegensatz zu Eysenck der Auffassung, dass die Hauptachsen der Persönlichkeit durch Ängstlichkeit und Impulsivität repräsentiert sind. Sie ergeben sich nach Gray als Kombinationen aus den Eysenck’schen Faktoren Extraversion und Neurotizismus, wobei Ängstlichkeit aus hohem Neurotizismus und niedriger Extraversion (also Introversion) besteht, Impulsivität hingegen aus der Kombination von hohem Neurotizismus und hoher Extraversion (Gray, 1981). Extravertierte sind nach Gray belohnungsempfänglicher, Introvertierte bestrafungsempfänglicher, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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wobei das Ausmaß des Neurotizismus die gesamte Intensität der Ansprechbarkeit modifiziert. Ein oft weniger beachteter Aspekt der Theorie von Gray ist die Tatsache, dass BIS und BAS nicht unabhängig voneinander agieren. Nach der Aktivierung des einen Systems wird das andere gehemmt. Damit liegt eine grundsätzlich homöostatische Vorstellung vom Zusammenspiel des BIS und BAS vor, so dass sich die oben genannten Dispositionen zu Ängstlichkeit bzw. Impulsivität durch eine habituelle Dysbalance dieser Systeme auszeichnen. Die Theorie von Gray hat eine sehr wichtige Brücke zwischen Tier- und Humanforschung geschlagen und lässt sich auch auf psychopathologische Phänomene übertragen. So zeigt sich, dass das bei Kindern beobachtbare Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom mit einer Überaktivierung des BAS verbunden ist (Quay, 1988). Eine chronische Überaktivierung des BIS könnte als Erklärung für Angst- oder Zwangsstörungen herangezogen werden.

3

Marvin Zuckerman

Zuckerman fand im Rahmen der Forschung zur Wahrnehmungsdeprivation, dass Personen sehr unterschiedlich die Einschränkung sensorischer Stimulation ertragen konnten. Dies führte ihn zur Konstruktion der Sensation-Seeking-Skala (SSS, Sensation-Seeking = Abwechslungssuche) (Zuckerman et al., 1978), die inzwischen weltweit Anwendung findet. Sie hat die vier faktorenanalytisch gewonnenen Unterskalen Thrill and Adventure Seeking (TAS), Experience Seeking (ES), Disinhibition (DIS) und Boredom Susceptibility (BS). Diese wurden in Faktorenanalysen mit den gängigen Konstrukten Extraversion, Neurotizismus und Psychotizismus in Beziehung gesetzt (Zuckerman, 1983), wobei die Skala TAS eher auf einer Diagonalen im Faktorenraum zwischen Extraversion und Psychotizismus angesiedelt ist, während die übrigen Skalen eher nahe an einem Psychotizismus-Faktor liegen. Die in vielen Folgeuntersuchungen herausgearbeiteten biologischen Korrelate hoher SS-Werte (SS+) ( Zuckerman 1991, 1994) betrafen • psychophysiologische Besonderheiten, wie 1. das so genannte Augmenting, d. h. die Neigung, im evozierten EEG-Potenzial (ERP) bei steigender Reizstärke mit steigender Amplitude zu reagieren, während bei Personen mit niedrigen SS-Werten eher eine Hemmung auftritt, die bei steigender Reizintensität zu einem „Reducing“ (= Abnahme der ERP-Amplitude) führt; 2. eine Herzratendezeleration auf akustische Reize bei SS+, speziell bei Personen mit hohen DIS-Werten; 3. eine erhöhte Orientierungsreaktion bei SS+; Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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• biochemische Besonderheiten, wie 1. eine verminderte Monoaminoxidaseaktivität (MAO) im Blut, die im Gehirn dem Abbau der Katecholamine, u. a. von Noradrenalin, dient. Dies ist ein mehrfach replizierter Befund, den Personen mit hohen SS-Werten als biologischen Marker mit aggressiven und impulsiven Personen gemeinsam haben; 2. ein verminderter Noradrenalinspiegel und seiner Abbauprodukte in der Zerebrospinalflüssigkeit; 3. eine erhöhte Testosteronproduktion, die sich jedoch in Folgeuntersuchungen zum Teil nicht replizieren ließ, zum Teil nur in Kombination mit Aggression auftrat, und sich zum Teil als durch das Alter bedingte Scheinkorrelation erwies (beide Parameter, SS und Testosteron, nehmen mit dem Alter ab); 4. eine verminderte Produktion von Beta-Endorphin im Blut, dessen Bedeutung für die zerebrale Endorphinproduktion jedoch nicht gesichert ist; 5. eine theoretisch postulierte Beziehung zu hoher zerebraler Dopaminaktivität und geringer Serotoninproduktion, wobei sich Letztere durch pharmakologische Provokationstests jedoch nicht klar nachweisen ließ (Hennig & Netter, 2005). Mit dem Konzept des Sensation Seeking hat Zuckerman einen starken Anstoß für die Impulsivitätsforschung gegeben und auch dazu beigetragen, dass psychopathologische Syndrome von Impulskontrollstörungen in den Normalbereich extrapoliert werden konnten.

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C. Robert Cloninger

In der Theorie von C. R. Cloninger, der im Gegensatz zu den anderen, in diesem Beitrag beschriebenen Forschern als Psychiater arbeitet, werden Temperament und Charakter unterschieden. Nach Cloninger ist das Temperament weitgehend genetisch determiniert, während der Charakter mehr durch die sozio-kulturelle Lernerfahrung eines Individuums geprägt wird (Cloninger, Svrakvic & Przybeck, 1993). Die jeweiligen Komponenten des Temperaments sowie des Charakters sind in Tabelle 2 wiedergegeben. Zur Erfassung dieser Dimensionen steht ein umfangreiches Selbstbeschreibungsinventar zur Verfügung (Temperament and Character Inventory TCI; Cloninger et al., 1993). Im Gegensatz zu Gray (s. o.) bezieht Cloninger die Ansprechbarkeit der relevanten Temperamentsdimensionen nicht nur auf konditionierte Signale und charakterisiert die beteiligten Hirnsysteme nicht neuroanatomisch, sondern neurochemisch durch Neurotransmittersysteme. Die wesentlichen Bestandteile dieser Auffassung sind für die ursprünglich nur drei Temperamentsdimensionen in Tabelle 3 zusammengefasst. Nach der Vorstellung von Cloninger wären Personen mit hoher Ausprägung auf der Dimension Novelty Seeking durch erhöhte Impulsivität, Erregbarkeit, UnbestänDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Tabelle 2: Temperaments- und Charakterdimensionen nach Cloninger sowie die dazuge-

hörigen Unterfaktoren Temperament Novelty seeking – Exploratory excitability vs. Rigidity – Impulsiveness vs. Reflection – Extravagance vs. Reserve – Disorderliness vs. Regimentation Harm Avoidance – Anticipatory worry vs. Optimism – Fear of uncertainty vs. Confidenc – Shyness vs. Gregariousness – Fatigability and asthenia vs. Vigor Reward Dependence – Sentimentality vs. Insensitivity – Attachment vs. Detachment – Dependence vs. Independence Persistence – Persistence vs. Irresoluteness

Charakter Self-Directedness – Responsibility vs. Blaming – Purposeful vs. Goal-undirected – Resourcefulness vs. Apathy – Self-acceptance vs. self striving – Congruent second nature Cooperativeness – Social acceptance vs. Intolerance – Empathy vs. Social desinterest – Helpfulness vs. Unhelpfulness – Compassion vs. Revengefulness – Pure-hearted vs Self serving Self-Transcendence – Self-forgetful vs. Self-conscious – Transpersonal identification – Spiritual acceptance vs. Materialism

Tabelle 3: Zusammenstellung der wichtigsten Merkmale der drei Temperamentsdimen-

sionen Novelty Seeking, Harm Avoidance und Reward Dependence in der Theorie von Cloninger Verhaltensfunktion (Persönlichkeitsdimension) Verhaltensaktivierung (novelty seeking) [NS] Verhaltenshemmung (harm avoidance) [HA] Verhaltensaufrechterhaltung (reward dependence) [RD]

Grundsätzlich beteiligtes Neurotransmittersystem

Relevante Stimuli

Dopamin

Neuigkeit, Belohnung, Abbruch bzw. Ausbleiben von Monotonie und Bestrafung

Exploration, Annährungsverhalten, Aktives Vermeiden und Flucht

Serotonin

Konditionierte Reize für Bestrafung, Neuigkeit oder (frustrierende) Nichtbelohnung

Passive Vermeidung, Löschung

Noradrenalin

Konditionierte Signale für Belohnung oder Ausbleiben von Bestrafung

Resistenz gegenüber Löschung

Verhalten

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digkeit, aber auch Extravaganz und Unordnung gekennzeichnet. Beobachtbares Verhalten resultiert aber grundsätzlich aus dem Zusammenwirken aller Temperamentssysteme und findet sich bei mittlerer Ausprägung in einem Balancezustand (Cloninger, 1987). Zu den Gemeinsamkeiten mit Gray gehört die Annahme, dass Novelty Seeking in starkem Maße vom dopaminergen Neurotransmittersystem abhängig ist. Zahlreiche Befunde aus Tier- und Humanstudien belegen die fundamentale Rolle des nigrostriatalen und mesolimbischen Dopaminsystems bei Aktivierung, Annäherung, Selbststimulation und Anreizmotivation (Spanagel & Weiss, 1999). Cloninger nimmt explizit Bezug auf Gray bei der Charakterisierung der Dimension Harm Avoidance, die bei hoher Ausprägungen durch Ängstlichkeit, Vorsicht, Hemmung, Scheu, schnelle Ermüdbarkeit, Pessimismus und wenig Selbstbewusstsein gekennzeichnet ist, wobei er Variationen im Brain punishment oder Behavioral Inhibition System (Cloninger, 1987) als neurologische Basis anführt. Hohe Werte auf dieser Dimension gehen nach Cloninger auf eine starke Aktivität des Neurotransmitters Serotonin zurück, der die dopaminerge Aktivität herunterreguliert und Explorationsverhalten reduziert bzw. unterbindet. Hohe Reward Dependence würde in Sentimentalität, sozialer Anhänglichkeit und vor allem einer starken Abhängigkeit von sozialen Verstärkern bestehen. Diese „Belohnungsabhängigkeit“ wird besonders in dem persistierenden Bestreben nach Anerkennung deutlich, selbst wenn das dazu erforderliche Verhalten de facto keine Verstärkung erfährt: eine Art „Löschungsresistenz“, die nach Cloninger maßgeblich auf den Neurotransmitter Noradrenalin zurückgeht. Aus dieser Persönlichkeitsdimension hat Cloninger später Persistence herausgelöst und als eigenes Behavior Persistence System dem Behavioral Activation System, dem Behavioral Inhibition System und dem Behavioral Dependence System an die Seite gestellt. Die mit dieser Dimension verbundenen Eigenschaften sind Ehrgeiz, Eifer und starke Leistungsorientierung. Die drei Charakterdimensionen (siehe Tab. 2) sind nach Cloninger nicht biologisch verankert. Sie sind auch in der Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen (➝ Klinische Psychologie) bedeutsam, da eine niedrige Ausprägung z. B. von SelfDirectedness bei fast allen Patienten mit Persönlichkeitsstörungen auftritt (Pickering & Gray, 1999). Cooperativeness könnte auch verglichen werden mit Agreeableness oder Verträglichkeit aus dem Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze) oder einem niedrigen Wert in Psychotizismus (nach der Eysenck’schen Nomenklatur, siehe Abschnitt 1). Gerade diese inhaltliche Nähe zu Psychotizismus lässt Zweifel aufkommen, ob diese Charakterdimension tatsächlich unabhängig von biologischen Faktoren ist. Eine letzte wichtige Charakterdimension ist laut Cloninger in Self-Transcendence zu sehen, die ebenfalls klinisch relevant ist, da psychiatrische Patienten meist geringe Werte aufweisen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Cloninger versucht, Psychopathologie als Konfiguration der drei genannten Temperamentsdimensionen darzustellen. Ein derartiges Vorgehen würde z. B. einen Patienten mit passiv-aggressiver Persönlichkeitsstörung über hohe Ausprägungen in Novelty Seeking und Harm Avoidance, aber niedrige in Reward Dependence definieren (Cloninger, 1987). Wichtig für die Differentielle Psychologie ist die daraus abzuleitende Erkenntnis, dass auch die Komplexität der Persönlichkeit eher über das Zusammenspiel unterschiedlicher (Neurotransmitter-)Systeme zu charakterisieren ist als durch einzelne Systeme.

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Richard A. Depue

Ein von der europäischen Persönlichkeitsforschung weitgehend ignorierter biologisch orientierter Persönlichkeitsforscher ist Richard A. Depue, der aus klinischen und tierphysiologischen Befunden ein neurochemisch definiertes Konzept der Extraversion entwickelte (Depue & Collins, 1999). Er postulierte, dass die Anreizmotivation, die ein wesentliches Merkmal der Positiven Emotionalität und damit der Extraversion darstellt, durch mesolimbische Dopaminaktivität in Form des so genannten Behavioral Facilitation Systems vermittelt wird. Dies spricht sowohl auf unkonditionierte Reize (Nahrungs-, Sexualstimuli) als auch auf konditionierte Belohnungsreize an, aber auch, anders als das BAS bei Gray (siehe Abschnitt 2), auf bedrohliche Reize. Nach seinem Modell ist die für die Aktivierung des Systems erforderliche Reizstärke umgekehrt proportional zur Dopaminaktivität. Diese wird durch Serotonin, das als erregungshemmender Transmitter im Gehirn verstanden wird, moduliert (vgl. Abb. 1).

stark

Stärke des pos. Reizes

II

A

B

5-HT Sch well e de r Ha ndlu ngsa uslö sung schwach

aktuelle und habituelle DA-Rezeptoraktivierung

Abbildung 1: Depue’s Modell der dopaminerg (DA-)determinierten und serotonerg (5-HT-)

modifizierten Handlungsschwelle in Abhängigkeit von der erforderlichen Anreizstärke; A bei schwacher, B bei starker DA-Aktivierung. Die DA-Rezeptoraktivierung gilt als proportional zum Behavioral Facilitation System und damit zur Positiven Emotionalität resp. Extraversion.

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Depue hat auch die anderen Persönlichkeitsdimensionen systematisch Transmittersystemen zugeordnet und dies zum Teil durch pharmakologische Experimente mit Transmitter-Challenge-Tests untermauert (Depue, Luciana, Arbisi, Collins & Leon, 1994; Depue, 1995). In diesen wird eine transmitterwirksame Substanz verabreicht und z. B. eine Hormonreaktion als Indikator für die Ansprechbarkeit des Neurotransmittersystems gemessen. Er fasst das serotonerge System generell als affektneutralen Mechanismus der Hemmung und Kontrolle auf. Als Fortführung dieses Gedankens bringt er das serotonerge System auch mit dem noradrenergen System in Beziehung. Dies dient ihm zur Erklärung von Furcht (konzeptualisiert auf Fragebogenebene durch den Begriff des „Harm Avoidance“ nach Tellegen), die er deutlich von Angst im Sinne des Neurotizismus und Negativer Emotionalität trennt (Depue & Lenzenweger, 2001). Die Kombination der noradrenergen Aktivität mit einer geringen Schwelle des serotonergen Systems macht eine Person mehr stressreagibel, bei hoher serotonerger Schwelle chronisch ängstlich und negativ gestimmt. Auch Depue versucht, die durch Cloninger definierten psychopathologischen Syndrome durch Transmitterkonstellationen zu erklären und hat nicht zuletzt durch die stringente Verknüpfung von Befunden aus unterschiedlichen Disziplinen maßgeblich die Theorienbildung einer biologisch orientierten Differentiellen Psychologie stimuliert.

Weiterführende Literatur Eysenck, H. J. (1967). The biological basis of personality. Springfield: Thomas. Hennig, J. & Netter, P. (2005). Biologische Grundlagen der Persönlichkeit. Heidelberg: Elsevier Spektrum. Pickering, A. D. & Gray, J. A. (1999). The neuroscience of personality. In L. A. Pervin & O. P. John (Eds.), Handbook of personality (pp. 277–299). New York: The Guilford Press.

Literatur Cloninger, C. R. (1987). A systematic method for clinical description and classification of personality variants. Archives of General Psychiatry, 44, 573–588. Cloninger, C. R., Svrakic, D. M. & Przybeck, T. R. (1993). A psychobiological model of temperament and character. Archives of General Psychiatry, 50, 975–990. Depue, R. A. (1995). Neurobiological factors in personality and depression. European Journal of Personality, 9, 413–439. Depue, R. A. & Lenzenweger, M. F. (2001). A neurobehavioral dimensional model of personality disorders. In W. J. Livesley (Ed.), Handbook of personality disorders (pp. 136– 176). New York: Guilford Press. Depue, R. A., Luciana, M., Arbisi, P., Collins, P. & Leon, A. (1994). Dopamine and the structure of personality: Relation of agonist induced dopamine activity to positive emotionality. Journal of Personality and Social Psychology, 67, 485–498.

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Petra Netter & Jürgen Hennig

Eysenck, H. J. (1947). Dimensions of personality. London: Routlegde & Kegan Paul. Gale, A., Coles, M. & Blaydon, J. (1969). Extraversion, introversion, and the EEG. British Journal of Psychology, 60, 209–223. Gray, J. A. (1975). Elements of a two-process theory of learning. London: Academic Press. Gray, J. A. (1981). A critique of Eysenck’s theory of personality. In H. J. Eysenck (Ed.), A model of personality (pp. 246–276). New York: Springer. Quay, H. C. (1988). The behavioral reward and inhibition system in childhood behavior disorders. In L. M. Bloomingdale (Ed.), Attention deficit disorder (pp. 176–186). New York: Pergamon. Rammsayer, T. (1998). Extraversion and dopamine. Individual differences in responsiveness to changes in dopaminergic activity as a possible biological basis of extraversion. European Psychologist, 3, 37–50. Spanagel, R. & Weiss, F. (1999). The dopamine hypothesis of reward: past and current status. Trends in Neuroscience, 22, 521–527. Zuckerman, M. (1991). Psychobiology of personality. Cambridge: Cambridge University Press. Zuckerman, M., Eysenck, S. B. G. & Eysenck, H. J. (1978). Sensation seeking in England and America: Cross-cultural, age, and sex comparisons. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 46, 139–149.

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Lerntheoretische Ansätze Learning Theory Approaches Hans Westmeyer Der Zusatz „lerntheoretisch“ kennzeichnet keine fest umrissene Klasse von Ansätzen in der Persönlichkeitspsychologie. Dass aber die Theorien von Skinner, Rotter, Bandura und Mischel zu dieser Klasse gehören, ist weit gehend unbestritten. Nicht selten werden weitere Differenzierungen vorgenommen, indem Skinner einem behavioralen und Rotter, Bandura und Mischel einem sozial-kognitiven Ansatz zugeordnet werden. Alle vier Theoretiker betonen aber die Bedeutung des Lernens für ein adäquates Verständnis von Persönlichkeit: Persönlichkeit wird konstruiert als etwas, das sich unter wesentlicher Beteiligung von Lernprozessen formt bzw. bildet, das gemäß den Prinzipien des Lernens aufrechterhalten wird und sich unter gezielter Nutzung dieser Prinzipien verändern lässt. Unterschiede zwischen den Theoretikern betreffen vor allem ihre Auffassungen darüber, welche Lernprozesse anzunehmen sind, wie sich diese Lernprozesse im Einzelnen vollziehen und mit welchen Begrifflichkeiten Persönlichkeit angemessen zu beschreiben ist. Hinsichtlich dieses letzten Aspekts findet sich bei allen Theoretikern eine sehr distanzierte, z. T. ausgesprochen kritische Sicht der eigenschaftsorientierten Ansätze in der Persönlichkeitspsychologie (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze). Nachfolgend werden die Ansätze von Skinner, Rotter, Bandura und Mischel skizziert und ihre intendierten Anwendungen, d. h. ihr Geltungsanspruch und ihre grundlegenden Annahmen beschrieben, gefolgt von einer Einschätzung ihres Stellenwertes.

1

Der Ansatz von Burrhus F. Skinner

Skinner ist sicher kein Differentieller Psychologe und hat sich auch nie als Persönlichkeitsforscher verstanden, auch wenn sein Ansatz in der Persönlichkeitspsychologie bis heute einflussreich geblieben ist (vgl. Mischel, Shoda & Smith, 2004). Der Ausdruck „Persönlichkeit“ kommt in seinen Arbeiten nur am Rande vor und wird mit „Selbst“ gleichgesetzt. Ein Selbst bzw. eine Persönlichkeit wird als ein organisiertes System von Verhaltensweisen aufgefasst (z. B. Skinner, 1953, S. 285 f.) und als solches unter die allgemeinen Annahmen und Prinzipien der Skinner’schen Theorie subsumiert.

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Hans Westmeyer

Intendierte Anwendungen

Die Theorie von Skinner versteht sich als eine Theorie mit universellem Geltungsanspruch. Sie zielt ab auf die Erklärung, Vorhersage und Kontrolle von Verhalten ganz allgemein, unabhängig davon, ob es sich um einen menschlichen oder tierischen Organismus handelt oder ob das Verhalten innerhalb oder außerhalb des Labors auftritt. Im Humanbereich wird verbales und nonverbales, offenes und verdecktes Verhalten zu den intendierten Anwendungen gezählt. Betrachtete Kontexte können einfachste Versuchsanordnungen, komplexe programmierte Umgebungen oder beliebige Alltagssituationen unter Einschluss solcher Bereiche wie Politik, Recht, Wirtschaft, Religion und Erziehung sein (Skinner, 1953, 1974). 1.2

Grundlegende Annahmen

Die Kernannahme dieser Theorie kann in allgemeinster Form so ausgedrückt werden: Das Verhalten einer Person ist eine Funktion vorangehender und/oder nachfolgender Ereignisse (vgl. Westmeyer, 1984). Das bedeutet weder, dass nur vorangehende und/oder nachfolgende Ereignisse das Verhalten bedingen, noch dass eine deterministische Bedingungsvorstellung zu Grunde gelegt werden muss. Es heißt aber, dass eine Variation bzw. Manipulation der genannten Ereignisse einen Einfluss auf das betreffende Verhalten hat. Bei der funktionalen Analyse eines Verhaltens einer Person kommen als vorangehende und/oder nachfolgende Ereignisse Umweltereignisse oder anderes Verhalten dieser Person in Frage. Bei den Umweltereignissen kann es sich natürlich auch um Verhalten handeln, aber um Verhalten anderer Personen. Wenn anderes Verhalten derselben Person dem zu analysierenden Verhalten vorangeht und/oder nachfolgt – wie etwa bei einer Verhaltenssequenz, die mit einer Reihe verdeckter Verhaltensweisen beginnt und letztlich in offenem Verhalten mündet –, wird die funktionale Analyse der beteiligten Verhaltensweisen so weit vorangetrieben, bis vorangehende und/oder nachfolgende Umweltereignisse zumindest für die Anfangs- und Endglieder einer solchen Verhaltenskette identifiziert sind (vgl. Delprato & Midgley, 1992). Die wichtigsten nachfolgenden Ereignisse im Ansatz Skinners sind die auf ein aufgetretenes Verhalten folgende Darbietung bzw. Entfernung eines so genannten positiven oder negativen Verstärkers. Die Darbietung eines positiven Verstärkers wird als positive Verstärkung, die Entfernung eines negativen Verstärkers als negative Verstärkung bezeichnet. In beiden Fällen kommt es zu einer Erhöhung der Auftrittswahrscheinlichkeit der so verstärkten Verhaltensweise und man spricht deshalb auch von einer Belohnung. Demgegenüber gelten die Darbietung eines negativen Verstärkers bzw. die Entfernung eines positiven Verstärkers auch als

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Varianten einer Bestrafung. Lernen auf der Grundlage von positiver und/oder negativer Verstärkung wird als operante Konditionierung bezeichnet. Sie stand und steht im Mittelpunkt der Forschungsbemühungen im Skinner’schen Ansatz – ganz im Unterschied zur respondenten (klassischen) Konditionierung, die sich vor allem mit den Namen I. Pawlow und J. B. Watson verbindet. Durch operante Konditionierung ausgebildete funktionale Beziehungen, die auch als situationsbezogene Dispositionen zu bestimmtem Verhalten bezeichnet werden können, werden ihrerseits in ihrem Entstehen zu erklären versucht, indem auf die Geschichte der Interaktion zwischen Umwelt und Person (neben phylogenetischen Kontingenzen) verwiesen wird. Unterschiede zwischen Personen, und das heißt in diesem Kontext immer, im Verhalten von Personen, werden dementsprechend zurückgeführt auf Unterschiede in der genetischen Ausstattung, in der Verhaltensgeschichte und in den aktuell wirksamen situativen Bedingungen. 1.3

Einschätzung

Der Skinner’sche Ansatz in der Persönlichkeitsforschung ist mehr durch Interpretationen als durch konkrete empirische Untersuchungen geprägt, eine Einschätzung, der Skinner (1969, S. VIII oder S. 100) wahrscheinlich selbst zugestimmt hätte. Seine Interpretationen enthalten Anleitungen zu einer theoriegemäßen Beschreibung der betreffenden Sachverhalte, erste Hinweise, in welcher Richtung man sich eine Formulierung geeigneter Annahmen vorstellen könnte, und Vorschläge, welche neuen Begrifflichkeiten u. U. von Nutzen sind. Bei diesen Anwendungen ist es aber weit gehend geblieben, eine konsequente Umsetzung ist nicht erfolgt. Mittlerweile werden selbst von Proponenten des Ansatzes Zweifel geäußert, ob sich komplexes menschliches Verhalten überhaupt innerhalb des begrifflichen und methodischen Rahmens dieses Ansatzes angemessen beschreiben und erklären lässt (z. B. Ribes, 1985). Der enorme heuristische Wert des Ansatzes bei der Entwicklung einer Technologie der Verhaltensänderung ist allerdings unbestreitbar.

2

Der Ansatz von Julian B. Rotter

Rotter hat sich im Unterschied zu Skinner von Anfang an als lerntheoretischer Persönlichkeitsforscher verstanden (s. Rotter, 1954) und mit der Einführung generalisierter Erwartungen auch für eine differentiell-psychologische Betrachtung fruchtbare Anregungen gegeben. Im Übrigen ist seine Auffassung von Persönlichkeit als einem „Gefüge von Möglichkeiten zur Reaktion in bestimmten sozialen Situationen“ (Rotter & Hochreich, 1979, S. 105) der Skinner’schen Sichtweise sehr verwandt.

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Intendierte Anwendungen

Die Theorie von Rotter hat gegenüber der Theorie von Skinner einen deutlich eingeschränkteren Geltungsanspruch. Es geht Rotter um die Erklärung, Vorhersage und Veränderung von menschlichem Verhalten unter dem Performanzaspekt. Die Frage „Wie wählt das Individuum zwischen verschiedenen in Frage kommenden Verhaltensweisen, die sich in seinem Verhaltensrepertoire befinden, in der jeweiligen Situation aus?“ steht im Zentrum des Interesses, nicht die Frage „Wie hat das Individuum diese Verhaltensweisen erworben?“ (Rotter, 1954). Die Kernfrage wird dann aber für verschiedenste Kontexte gestellt, mit denen sich u. a. Persönlichkeits- und Sozialpsychologie, Klinische Psychologie und Psychopathologie befassen (vgl. Rotter, 1982). 2.2

Grundlegende Annahmen

Rotter (1954) hat sieben Postulate und eine Reihe von Korollarien formuliert, die die Postulate jeweils ergänzen bzw. erläutern sollen. Diese Annahmen, die sich unverändert auch in neueren Veröffentlichungen finden, stellen allgemeine Prinzipien für die Konstruktion einer sozialen Lerntheorie der Persönlichkeit dar. Einige Postulate und Korollarien der Theorie von Rotter (1954; Übersetzung durch den Verfasser) 1. Die Untersuchungseinheit in der Persönlichkeitsforschung ist die Interaktion zwischen dem Individuum und seiner bedeutungshaltigen Umwelt. (S. 85) 2. Das Studium der Persönlichkeit besteht in der Untersuchung gelernten Verhaltens. Gelerntes Verhalten ist Verhalten, das modifizierbar ist, das sich durch Erfahrung ändert. (S. 86) 3. Die Untersuchung der Persönlichkeit erfordert das Studium von Erfahrungen oder Ereignisfolgen. Ihre Methode ist historischer Natur, da eine Analyse jedes Verhaltens die Untersuchung der Bedingungen einschließt, die seinem Auftreten vorangehen. (S. 87) 4. Die Erfahrungen einer Person (oder ihre Interaktionen mit ihrer bedeutungshaltigen Umwelt) beeinflussen sich wechselseitig. Anders formuliert: Persönlichkeit bildet eine Einheit. Neue Erfahrungen sind eine partielle Funktion erworbener Bedeutungen, und alte erworbene Bedeutungen oder Lerninhalte werden durch neue Erfahrungen geändert. (S. 94) 5. Eine perfekte Vorhersage erworbenen Verhaltens würde im Idealfall nur auf der Grundlage einer vollständigen Kenntnis vorheriger Erfahrungen möglich sein. (S. 94) 6. Verhalten, wie es mit Persönlichkeitskonstrukten beschrieben wird, weist einen Richtungsaspekt auf. Es kann als zielgerichtet bezeichnet werden. Der Richtungsaspekt von Verhalten wird erschlossen aus der Wirkung von Verstärkungsbedingungen. (S. 97)

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7. Die Bedürfnisse einer Person, wie sie mit Persönlichkeitskonstrukten beschrieben werden, sind gelernt oder erworben. (S. 100) 8. Früh erworbene Ziele beim Menschen (die eine große Rolle bei der Festlegung späterer Ziele spielen) treten auf als Resultat von Befriedigungen und Frustrationen, die in den meisten Fällen gänzlich durch andere Personen kontrolliert werden. (S. 100 f.) 9. Ob ein bestimmtes Verhalten bei einer Person auftritt, hängt nicht nur von der Art und Bedeutung der Ziele oder Verstärkungen ab, sondern auch von der Antizipation oder Erwartung der Person, dass diese Ziele eintreten werden. Derartige Erwartungen werden durch frühere Erfahrungen bestimmt und können quantifiziert werden. (S. 102)

Ausgehend von seinen Postulaten und Korollarien entwickelt Rotter zunächst eine Grundformel, die sich auf die Vorhersage einzelner zielgerichteter Verhaltensweisen in einer bestimmten Situation unter einer bestimmten Verstärkungsbedingung bezieht. Jedes in der Situation in Frage kommende Verhalten besitzt ein bestimmtes Verhaltenspotenzial. Das Verhalten mit dem größten Verhaltenspotenzial ist zugleich dasjenige, das aller Voraussicht nach in der Situation auftreten wird. Das Verhaltenspotenzial ergibt sich aus der Kombination der im siebten Postulat angesprochenen Variablen Erwartung und Verstärkungswert. Die Situation selbst wird als ein komplexes Muster von Hinweisreizen konstruiert und als psychologische Situation bezeichnet. Der in dieser Grundformel enthaltene spezifische Erwartungsbegriff wird dann von Rotter zum Begriff der generalisierten Erwartung, der sich auf funktional zusammengehörige Klassen von Verhaltensweisen, Situationen und Verstärkungsbedingungen bezieht, erweitert (s. Rotter, 1954; vgl. Rotter & Hochreich, 1979). Zwei generalisierte Erwartungen, mit denen sich Rotter in seinen empirischen Arbeiten intensiv auseinander gesetzt hat, sind die internale versus externale Kontrolle der Verstärkung und das zwischenmenschliche Vertrauen (Rotter, 1982). 2.3

Einschätzung

Rotter (1954) hat in die Formulierung der grundlegenden Prinzipien seiner sozialen Lerntheorie Elemente damals vorherrschender Theorien einbezogen. Es finden sich Anleihen bei Hull (der Begriff des Verhaltenspotenzials), Tolman (der Begriff der Erwartung), Skinner (die Verstärkungskonzeption) und Lewin (der Begriff der psychologischen Situation). Damit ist er zu einem Vorbild für seinen Schüler Mischel geworden, der in seiner begrifflichen Neufassung der Persönlichkeit ganz ähnlich vorgegangen ist (siehe Abschnitt 4). Eigenständige Vorstellungen zum Lernen hat Rotter nicht entwickelt. Es bleibt bei den Prinzipen der respondenten und operanten Konditionierung. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Seiner Zeit voraus war Rotter mit seinem ersten Postulat „Die Untersuchungseinheit in der Persönlichkeitsforschung ist die Interaktion zwischen dem Individuum und seiner bedeutungshaltigen Umwelt“ (Rotter, 1954, S. 85; Übersetzung durch den Verfasser). Bedenken wir, dass dieses Postulat bereits im Jahre 1954 formuliert wurde, erscheint die fast 20 Jahre später geführte Interaktionismusdebatte (➝ Interaktionistische Ansätze) als hoffnungslos anachronistisch. Der von ihm eingeführte Begriff der internalen versus externalen Kontrolle der Verstärkung ist später innerhalb eines ganz anderen Kontextes, nämlich der Attributionstheorie, aufgegriffen und zum Ausgangspunkt umfangreicher Forschungen gemacht worden (➝ Kontrollüberzeugungen).

3

Der Ansatz von Albert Bandura

Wie Skinner versteht sich auch Bandura nicht primär als Persönlichkeitsforscher. Während der Ausdruck „Persönlichkeit“ in frühen Arbeiten (z. B. Bandura & Walters, 1963) noch im Titel auftaucht, findet er sich in späteren Buchveröffentlichungen (z. B. Bandura, 1977, 1986, 1999) nicht einmal mehr im Sachwortverzeichnis. Das hat allerdings der Beliebtheit des Ansatzes innerhalb der Persönlichkeitsforschung keinen Abbruch getan. 3.1

Intendierte Anwendungen

Die Theorie von Bandura tritt mit einem ähnlich breiten Geltungsanspruch auf wie die Skinner’sche Konzeption. Auch ihr geht es um die Erklärung, Vorhersage und Kontrolle von Verhalten ganz allgemein. Im Unterschied zu Skinner konzentriert sich Bandura aber auf menschliches Verhalten, betont die Bedeutung sozialer Zusammenhänge und bezieht kognitive Variablen, Faktoren und Prozesse mit ein. Er bezeichnet seine Theorie in ihren neueren Darstellungen deshalb auch nicht mehr als soziale Lerntheorie (wie noch 1977), sondern als sozial-kognitive Theorie. 3.2

Grundlegende Annahmen

Eine Kernannahme dieser Theorie könnte so formuliert werden: Menschliches Verhalten (B), kognitive und andere Person-Faktoren (P) und Umwelteinflüsse (E) bedingen sich wechselseitig im Rahmen einer kontinuierlichen triadischen reziproken Interaktion. Dabei geht Bandura davon aus, dass der relative Einfluss, den die miteinander interagierenden Faktorenklassen B, P und E aufeinander ausüben, jeweils abhängt von dem betrachteten Verhalten, der untersuchten Person und den gegebenen situativen Bedingungen. In diesem Aspekt der Personspezifität ist ein Ansatzpunkt für differentiell-psychologische Fragestellungen zu sehen. Die Beeinflussung erfolgt darüber hinaus mit für die einzelnen Faktoren u. U. unterschiedlicher zeitlicher Verzögerung (Bandura, 1986). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Im Gegensatz zu Skinner, dessen Menschenbild sich weit von den im Alltag verbreiteten Vorstellungen entfernt, lehnt sich Banduras Menschenbild eng an die Alltagsvorstellungen vom Menschen an. Für ihn sind fünf „Vermögen“ (capabilities) für den Menschen kennzeichnend, also Verhaltensweisen bzw. Handlungen, zu denen wir als Menschen in der Lage sind (Bandura, 1986, 1999): 1. das Vermögen zu symbolisieren (z. B. etwas in Sprache zu fassen und auszudrücken), 2. das Vermögen vorauszudenken (z. B. Ereignisse zu antizipieren, etwas zu erwarten), 3. das Vermögen stellvertretende Erfahrungen zu machen (z. B. aus der Beobachtung des Verhaltens einer anderen Person zu lernen), 4. das Vermögen sich selbst zu regulieren (z. B. das eigene Verhalten zu kontrollieren und zu verstärken), 5. das Vermögen über sich selbst nachzudenken. Bandura hat in seiner sozialen Lerntheorie einen über das respondente und operante Konditionieren hinaus gehenden Lernprozess postuliert: das Beobachtungslernen, auch als „Lernen am Modell“ bezeichnet. Dabei geht er von folgenden Annahmen aus (nach Madsen, 1988, S. 482 f.; Übersetzung durch den Verfasser):

Annahmen der sozialen Lerntheorie von A. Bandura 1. Menschliches Verhalten ist zu einem großen Teil kognitiver Natur. 2. Eine zentrale Ursache für menschliches Lernen ist in den Konsequenzen, die Verhalten hat, zu sehen. Drei Arten von Konsequenzen werden unterschieden: a) Information, b) Motivation und c) Verstärkung. 3. Eine weitere zentrale Ursache für Lernen ist die Beobachtung. Beim Beobachtungslernen lassen sich vier verschiedene Prozesse unterscheiden. 4. Der Aufmerksamkeitsprozess wird durch das Modell, den Beobachter und die Anreizbedingungen beeinflusst. 5. Der Behaltensprozess wird durch Kodierung und Nachbildung (Erprobung) unterstützt. 6. Der motorische Reproduktionsprozess schließt Vorstellungen und Gedanken, die offenes Verhalten leiten, ein. 7. Der Motivationsprozess wird durch a) äußere Verstärkung, b) stellvertretende Verstärkung und/oder c) Selbstverstärkung beeinflusst. 8. Verhaltensbezogene Information beim Beobachtungslernen wird durch physische Demonstration, Worte oder Bilder vermittelt. 9. Beobachtung eines Modells kann verschiedene Auswirkungen haben, u. a.: • Auftreten einer neuen Reaktion, u. U. in Verbindung mit bereits vorher gelernten Komponenten.

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• Hemmung oder Enthemmung bereits gelernter Verhaltensweisen. Diese entgegengesetzten Auswirkungen sind insbesondere bei Bestrafung bzw. Belohnung des Modells festzustellen. • Soziale Erleichterung im Sinne einer Zunahme der Auftrittswahrscheinlichkeit einer bereits gelernten, im Repertoire befindlichen Verhaltensweise, ohne dass, im Unterschied zur Enthemmung, irgendwelche Befürchtungen beim Beobachter zu zerstreuen sind. 10. Beobachtungslernen ist eine zentrale Ursache für den Erwerb von Regeln oder Prinzipien. 11. Beobachtungslernen ist eine zentrale Ursache für kreatives Verhalten. Die Hypothesen 10 und 11 bilden für Bandura die Grundlage für die Erklärung von Kreativität in Kunst, Literatur und anderen Bereichen unserer Kultur. 1977 hat Bandura einen weiteren Begriff in die Psychologie eingeführt, der sich bis in die jüngste Gegenwart als außerordentlich anregend und fruchtbar erwiesen hat (vgl. Bandura, 1997). Während Rotter nur Ergebniserwartungen, d. h. Erwartungen, dass ein bestimmtes Verhalten zu einem bestimmten Ergebnis (z. B. der Darbietung eines positiven Verstärkers) führt, in seiner Theorie behandelte, wies Bandura darauf hin, dass es noch eine ganz andere Art von Erwartungen gibt, die von ihm so genannten Selbstwirksamkeitserwartungen. Das sind die Erwartungen einer Person, dass sie das in einer Situation angemessene (erfolgversprechende) Verhalten auch zeigen kann. Ergebnis- und Selbstwirksamkeitserwartungen sind logisch unabhängig voneinander und haben die in Abbildung 1 dargestellten verhaltensbezogenen und emotionalen Konsequenzen.

Ergebniserwartung

Selbstwirksamkeit

II



+

+

Sozialer Aktionismus Protest Verdruss Milieuwechsel

Produktives Engagement Persönliche Zufriedenheit



Resignation Apathie

Selbstabwertung Verzweiflung

Abbildung 1: Behaviorale und emotionale Konsequenzen der Kombination von Selbst-

wirksamkeits- und Ergebniserwartungen (vgl. Bandura, 1997, S. 20)

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Lerntheoretische Ansätze

3.3

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Einschätzung

Natürlich ist bei einer Theorie mit so weit gestecktem Geltungsanspruch die Menge der erfolgreichen Anwendungen nur eine kleine Teilmenge der Menge der intendierten Anwendungen. Aber Bandura kann auf ein stetig expandierendes Forschungsprogramm verweisen, das immer weitere Bereiche abdeckt. Seine Ergebnisse sind für so gut wie alle Anwendungsbereiche der Psychologie von Bedeutung und werden in einer zunehmenden Zahl von Praxisfeldern, z. B. in der Pädagogischen, der Klinischen und der Gesundheitspsychologie, genutzt (s. Bandura, 1986, 1997). In der Persönlichkeitspsychologie ist Bandura neben Mischel der zentrale Repräsentant des kognitiv-sozialen Ansatzes.

4

Der Ansatz von Walter Mischel

Im Unterschied zu Bandura versteht sich Mischel selbst vorrangig als Persönlichkeitsforscher mit ausgeprägt differentiell-psychologischem Interesse. Sieht man einmal von dem schmalen Bändchen von Rotter und Hochreich (1979) ab, hat Mischel als einziger von allen hier behandelten Personen eine umfangreiche Einführung in die Persönlichkeitspsychologie in Lehrbuchqualität vorgelegt (Mischel, Shoda & Smith, 2004). 4.1

Intendierte Anwendungen

In diesem Punkt bestehen keine Unterschiede zum Ansatz von Bandura. 4.2

Grundlegende Annahmen

Auch in diesem Punkt gibt es weit gehende Übereinstimmung zwischen Bandura und Mischel, trotz gewisser Unterschiede im Detail. Charakteristisch für Mischel ist sein Interesse am Dispositions-, Trait- bzw. Eigenschaftsbegriff. Seine zunächst sehr kritische Haltung diesem Konzept gegenüber (vor allem Mischel, 1968) hat sich in den 1980er Jahren zunehmend in eine konstruktive verwandelt (z. B. Mischel, 1990). Dabei ist aber der Situationsbezug bei Dispositionen nie aus dem Auge verloren worden. Eine methodologische Kernannahme Mischels ist, dass die Zuschreibung von als kontextfrei und situationsunspezifisch konzipierter Dispositionen wenig hilfreich ist, wenn es um die Erklärung von Persönlichkeitsphänomenen und um die Vorhersage individuellen Verhaltens in bestimmten Situationen geht (Mischel, 1990). Als Alternative hat Mischel (1973) fünf Klassen von Personvariablen eingeführt, die er nicht als Persönlichkeitsdispositionen im Sinne von Persönlichkeitseigenschaften (Traits) verstanden wissen will. Seine Personvariablen beziehen sich in

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ihrem funktionalen Aspekt gerade auf die Prozesse, die die Beeinflussung des Verhaltens, durch das sich eine Disposition manifestiert, durch die Umgebungsbedingungen, in denen sich die Disposition manifestiert, vermitteln. Darüber hinaus haben diese Variablen als Produkte der sozial-kognitiven Entwicklung der Person auch einen strukturellen Aspekt, der sie für eine differentielle Psychologie interessant macht (vgl. Mischel & Shoda, 1995). Fünf Typen von Personvariablen (Mischel & Shoda, 1995; Übersetzung durch den Verfasser) 1. Enkodierungen (Konstruktionen): Kategorien (Konstrukte) für das Selbst, andere Personen, Ereignisse und Situationen. 2. Erwartungen und Überzeugungen: im Hinblick auf die soziale Welt, auf Ergebnisse von Verhalten in bestimmten Situationen, auf Selbstwirksamkeit und auf das Selbst. 3. Affekte: Emotionen und affektive Reaktionen einschließlich physiologischer Reaktionen. 4. Ziele und Werte: erwünschte Ergebnisse und affektive Zustände; aversive Ergebnisse und affektive Zustände; Ziele, Werte und Lebensprojekte. 5. Kompetenzen und selbstregulatorische Pläne: potenzielle Verhaltensweisen und Skripte darüber, wozu man in der Lage ist; Pläne und Strategien für die Handlungsorganisation und die Beeinflussung von Ergebnissen, eigenem Verhalten und internen Zuständen.

Die komplexe Interaktion dieser Variablen bei einer Person vollzieht sich innerhalb des so genannten kognitiv-affektiven Persönlichkeitssystems, das in Abbildung 2 durch den großen Kreis veranschaulicht wird. Die kleinen Kreise stehen für die Personvariablen, die als Mediatoren zwischen den Situationsmerkmalen auf der linken Seite und den Verhaltensweisen auf der rechten Seite vermitteln. Warum eine Person in einer bestimmten Situation ein bestimmtes Verhalten zeigt, wird durch die Art der Enkodierung der Situationsmerkmale und der Interaktionen zwischen den Personvariablen, die schließlich zum Auftreten bestimmter Verhaltensweisen führen, erklärt. 4.3

Einschätzung

Mischel hat trotz gegenteiliger Beteuerungen bisher noch keine ausformulierte Theorie vorgelegt. Er hat zentrale Fragen formuliert, auf die eine Theorie der Persönlichkeit Antworten geben sollte, und wichtige Bausteine vorgeschlagen, die bei der Konstruktion einer solchen Theorie von Nutzen sein könnten. Folgerichtig hat er seine Ausführungen auch zunächst nur als begriffliche Neufassung der Persönlichkeit bezeichnet (Mischel, 1973). Inzwischen ist er mutiger geworden und Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Lerntheoretische Ansätze

Situationsmerkmale

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Kognitiv-Affektives Persönlichkeits-System (CAPS)

a b c d

Verhalten

e f g h i j …

Enkodierungsprozess

Verhaltensgenerierungsprozess Interaktionen zwischen Mediatoren

Abbildung 2: Veranschaulichung des kognitiv-affektiven Persönlichkeits-Systems (nach

Mischel & Shoda, 1995, S. 254)

spricht von einer Systemtheorie der Persönlichkeit (Mischel & Shoda, 1995; siehe auch Mischel, Shoda & Smith, 2004). Allerdings ist Mischel über seine begriffliche Neufassung nicht wesentlich hinaus gelangt. Weder sind die prozessualen und strukturellen Aspekte der einzelnen Personvariablen weiter differenziert, noch die Zusammenhänge zwischen den Variablen systematisch expliziert worden. Das ändert nichts an dem Umstand, dass sein Ansatz heute zu den einflussreichsten Richtungen im Bereich der Persönlichkeitspsychologie zählt und als der Gegenpol zum eigenschaftstheoretischen Big Five-Ansatz gesehen wird (vgl. Mischel, 2004).

Weiterführende Literatur Mischel, W., Shoda, Y. & Smith, R. E. (2004). Introduction to personality: Toward an integration (7th ed.). New York: Wiley. Westmeyer, H. (1996). Lerntheoretische Persönlichkeitsforschung. In K. Pawlik (Hrsg.), Grundlagen und Methoden der Differentiellen Psychologie (S. 205–239). Göttingen: Hogrefe.

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Literatur Bandura, A. (1977). Social learning theory. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall. Bandura, A. (1986). Social foundations of thought and action: A social cognitive theory. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall. Bandura, A. (1997). Self-efficacy: The exercise of control. New York: Freeman. Bandura, A. (1999). Social cognitive theory of personality. In D. Cervone & Y. Shoda (Eds.), The coherence of personality: Social-cognitive bases of consistency, variability, and organization (pp. 185–241). New York: Guilford Press. Bandura, A. & Walters, R. H. (1963). Social learning and personality development. New York: Holt, Rinehart & Winston. Delprato, D. J. & Midgley, B. D. (1992). Some fundamentals of B. F. Skinner’s behaviorism. American Psychologist, 47, 1507–1520. Madsen, K. B. (1988). A history of psychology in metascientific perspective. Amsterdam: North-Holland. Mischel, W. (1968). Personality and assessment. New York: John Wiley & Sons. Mischel, W. (1973). Toward a cognitive social learning reconceptualization of personality. Psychological Review, 80, 252–283. Mischel, W. (1990). Personality dispositions revisited and revised: A view after three decades. In L. A. Pervin (Ed.), Handbook of personality (pp. 111–134). New York: Guilford Press. Mischel, W. (2004). Toward an integrative science of the person. Annual Review of Psychology, 55, 1–22. Mischel, W. & Shoda, Y. (1995). A cognitive-affective system theory of personality: Reconceptualizing situations, dispositions, dynamics, and invariance in personality structure. Psychological Review, 102, 246–268. Mischel, W., Shoda, Y. & Smith, R. E. (2004). Introduction to personality: Toward an integration (7th ed.). New York: Wiley. Ribes, E. (1985). Human behaviour as operant behaviour: An empirical or conceptual issue? In C. F. Lowe, M. Richelle, D. E. Blackman & C. M. Bradshaw (Eds.), Behaviour analysis and contemporary psychology (pp. 117–133). London: Lawrence Erlbaum Associates. Rotter, J. B. (1954). Social learning and clinical psychology. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall. Rotter, J. B. (1982). The development and application of social learning theory. New York: Praeger. Rotter, J. B. & Hochreich, D. J. (1979). Persönlichkeit. Theorien – Messung – Forschung. Berlin: Springer. Skinner, B. F. (1953). Science and human behavior. New York: Free Press. Skinner, B. F. (1969). Contingencies of reinforcement. New York: Appleton-Century-Crofts. Skinner, B. F. (1974). About behaviorism. London: Jonathan Cape. Westmeyer, H. (1984). Von den Schwierigkeiten, ein Behaviorist zu sein oder Auf der Suche nach einer behavioristischen Identität. In H. Lenk (Hrsg.), Handlungstheorien interdisziplinär III. Zweiter Halbband (S. 574–606). München: Wilhelm Fink.

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Eigenschaftstheoretische Ansätze Trait Theory Approaches Alois Angleitner & Rainer Riemann Im Gespräch über andere Personen gebrauchen wir gerne Eigenschaftsbegriffe (Adjektive) wie „sensibel“, „ehrgeizig“ oder „unordentlich“, um eine Person zu charakterisieren. Wenn wir solche Begriffe auf andere Personen anwenden, unterstellen wir, dass im Verhalten und Erleben dieser Person eine Konsistenz über verschiedene Situationen festgestellt werden kann. Wenn ich jemanden als hilfsbereit bezeichne, erwarte ich beispielsweise, dass er mir ein Buch ausleiht oder bei einer Sammlung für einen guten Zweck Geld spendet. Die Eigenschaft „hilfsbereit“ ist selbst nicht beobachtbar, sie wird aus dem Verhalten erschlossen. Eigenschaften sind als relativ breite und zeitlich stabile Dispositionen definiert, bestimmtes Verhalten konsistent in verschiedenen Situationen zu zeigen. In der Persönlichkeitsforschung erfüllen Eigenschaftsbegriffe (Traits) drei Funktionen. Sie dienen • der Zusammenfassung von Verhaltens- und Erlebenstrends über verschiedene Situationen, • der Vorhersage künftigen Verhaltens und Erlebens, • der Erklärung interindividueller Verhaltens- und Erlebenstrends. Im vorwissenschaftlichen Sprachgebrauch werden Eigenschaften auch zur Erklärung von Verhalten herangezogen. Jemand verhält sich so, weil er eine Eigenschaft besitzt. Im wissenschaftlichen Zugang werden Eigenschaften auf interindividuelle Unterschiede in biologischen Strukturen und Prozessen (genetische Veranlagung, Aktivität von Gehirnregionen, hormonelle Einflüsse, Neurotransmitterkonzentration etc.) oder auf Umwelteinwirkungen (z. B. Erziehungsstil, Geburtenfolge, frühkindliches Trauma) zurückgeführt. Im Folgenden wird ein Überblick über grundlegende eigenschaftstheoretische Ansätze von Gordon W. Allport (1970), Hans J. Eysenck (Eysenck & Eysenck, 1987), Raymond B. Cattell (1973a) sowie über das lexikografische Big-Five-Modell (Goldberg, 1990) und das eng verwandte Fünf-Faktorenmodell nach McCrae und Costa (1996) gegeben.

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Der eigenschaftstheoretische Ansatz von G. W. Allport

Allport gilt als Eigenschaftstheoretiker par excellence. Er definiert Eigenschaften als neuropsychische Strukturen, welche die Fähigkeit besitzen, von der Person wahrgenommene Reize funktional äquivalent zu machen und äquivalente (sinnvoll konsistente) Formen des Leistungs- und Ausdrucksverhaltens in Gang zu setzen und zu leiten (Allport, 1970).

Gespräch beginnen Party Mit Freunden verabreden Im Wartezimmer Andere am Gespräch beteiligen

Fremder fragt nach Weg Samstag Abend Urlaubsplanung

Geselligkeit

Auf andere zugehen Nähe zu Menschen suchen

Teamarbeit Bahnfahrt

Freude an sozialen Aktivitäten Andere einladen

Abbildung 1: Beispiel für eine Eigenschaft „Geselligkeit“, die bewirkt, dass viele Reize

äquivalent sind und durch die Eigenschaft äquivalente Reaktionen ausgelöst werden (Allport, 1970, S. 314)

In Abbildung 1 wird dies am Beispiel der Geselligkeit erläutert. Eine Person kann unterschiedliche soziale Situationen als Gelegenheiten ansehen, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Die Eigenschaft Geselligkeit beeinflusst diese Wahrnehmung und löst entsprechende Reaktionen aus. Viele Reizsituationen aktivieren auf Grund wahrgenommener Äquivalenz eine bestimmte Eigenschaft, die dann eine Vielzahl von Verhaltensweisen initiiert, die in unterschiedlichen Situationen eine gleiche Funktion haben (äquivalent sind). Eine Eigenschaft ist ein Integrationsmittel, sie ist meist relativ generalisiert und überdauernd und durch die Konsistenz im Verhalten in unterschiedlichen Situationen erkennbar. Eigenschaften motivieren Personen zudem, solche Reizsituationen aufzusuchen, die den Ausdruck

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der Eigenschaft fördern. In seinem Beitrag „Traits revisited“ hat Allport (1966) acht charakteristische Merkmale einer Eigenschaft angeführt. Wichtig ist Allports Unterscheidung zwischen common traits (gemeinsame, nomothetisch gemessene Eigenschaften) und individual traits (individuelle, idiographische Eigenschaften, auch persönliche Dispositionen genannt, ➝ Idiographische und nomothetische Ansätze). Gemeinsame Eigenschaften sind generalisierte Dispositionen, hinsichtlich derer die meisten Personen einer Kultur verglichen werden können. Allport betont allerdings, dass Eigenschaften niemals in derselben Form bei zwei Personen zu finden sind. Er ist besonders an der Erfassung persönlicher Dispositionen von Individuen interessiert, die er durch das Studium persönlicher Dokumente (Tagebücher, Briefe) erfassen will.

2

Der eigenschaftstheoretische Ansatz bei R. B. Cattell

Cattell (1973a) unterscheidet ähnlich wie Allport allgemeine (common) und einzigartige (unique) Eigenschaften. Er hält diese Eigenschaften für messbar, weist aber darauf hin, dass die Schwierigkeit bei der Messung darin bestehe, dass sie in großer Zahl vorkommen. Er unterscheidet Fähigkeitseigenschaften (ability, traits), Temperamentseigenschaften und dynamische Eigenschaften (ergs, sentiments, attitudes). Schließlich grenzt Cattell noch Oberflächeneigenschaften (surface traits) von den Grundeigenschaften (source traits) ab. Oberflächeneigenschaften erscheinen uns als miteinander in einem Zusammenhang stehend (d. h. sie korrelieren), durch den Einsatz der Faktorenanalyse können source traits, aufgefasst als Wirkfaktoren, ermittelt werden. Für Cattell bilden diese source traits die Bausteine seiner Persönlichkeitskonzeption. Persönlichkeit definiert Cattell als die Gesamtheit der in den Personen gelegenen Verhaltensbedingungen. Diese nicht situativen Verhaltensbedingungen sieht er in einer begrenzten Zahl von Eigenschaften oder Zuständen und betont, dass menschliches Erleben und Verhalten stets durch mehrere Eigenschaften bestimmt ist (multiple Determination). Cattell ging es darum, die wichtigsten und grundlegenden Dimensionen im Bereich des Temperaments, der Fähigkeiten und der Motivation zu eruieren. Ausgangspunkt hierfür ist die Persönlichkeitssphäre – die Gesamtheit aller Verhaltens- und Erlebnisweisen, die an einer Person erfassbar sind. Für die Messung unterscheidet er drei Datenquellen: • L-Daten (Lebensprotokolle) oder Fremdauskünfte, „die sich auf Verhalten in echten Lebenssituationen des Alltags beziehen“ (Cattell, 1973a, S. 61) sowie Bekannteneinschätzungen. • Q-Daten. Dies sind Selbstauskünfte der Person z. B. mittels Fragebogenverfahren, Selbsteinschätzungen auf Adjektivlisten.

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• T-Daten. Hier wird ein Proband „mit einer standardisierten Situation konfrontiert, in der sein Verhalten objektiv beobachtet und quantifiziert wird“ (Cattell, 1973a, S. 62). Es sind dies die objektiven Testdaten (Lösungszeit für eine Labyrinthaufgabe, Anzahl der Extremantworten in einem Fragebogen mit abgestuftem Antwortformat etc.). Nach Cattell ist zwar jede der drei Datenerfassungsarten mit je spezifischen Störeinflüssen behaftet („trait perturbation“), dennoch sollten sich die grundlegenden Persönlichkeitszüge in allen drei Datenmedien replizieren lassen. 2.1

Source traits im Temperamentsbereich

Für das Auffinden der source traits im Temperamentsbereich ging Cattell von der Sprache aus, indem er annahm, dass alle für das menschliche Miteinander wichtigen Verhaltens- und Erlebnisweisen (Persönlichkeitssphäre) in sprachlichen Ausdrücken ihren Niederschlag gefunden haben (Sedimentationshypothese). Er konnte dabei auf die Pionierleistung von Allport und Odbert zurückgreifen, die bereits eine Liste von Eigenschaftsbegriffen erstellt hatten. Ausgehend von diesen Wortlisten reduzierte und verdichtete Cattell diese Begriffe mittels semantischer und empirisch-statistischer Reduktionsschritte auf eine Liste von 35 meist bipolar konzipierten Variablenclustern (für Details siehe John, Angleitner & Ostendorf, 1988). Diese 35-Variablen-Clusterliste hat er in Bekanntenbeurteilungsstudien eingesetzt und mittels Faktorenanalyse 12 oblique rotierte L-Faktoren gefunden, die er mit Buchstaben des Alphabets benannte (A bis L). In Replikationsstudien tauchten zum Teil neue Faktoren auf, andere konnten nicht repliziert werden. Dennoch geht Cattell von 12 source traits im L-Datenbereich aus (zusammenfassend John, Angleitner & Ostendorf, 1988). Die im L-Datenbereich gefundenen Temperamentseigenschaften bildeten für Cattell den Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Fragebogens im Q-Datenbereich. Während die ersten 12 Q-Faktoren als deckungsgleich mit den L-Faktoren interpretiert werden, wurden vier zusätzliche Faktoren gefunden, die spezifisch für den Q-Datenbereich sind (Q1 bis Q4) (Cattell, 1973b). Dieser Fragebogen wurde von Cattell 16 Persönlichkeitsfaktorentest (16 PF) genannt. Im Laufe der Revisionen des 16 PF sind die Faktorennamen häufig geändert worden, was allerdings geblieben ist, sind die Buchstabenetikettierungen und die auf den L-Datenanalysen beruhenden Adjektivumschreibungen der Faktoren. Faktorisiert man die Skaleninterkorrelationen der 16 PF-Skalen, so ergeben sich meist fünf breite Dimensionen, die z. B. bei Schneewind und Graf (1998, S. 7) als Extraversion, Ängstlichkeit, Unabhängigkeit, Unnachgiebigkeit und Selbstkontrolle bezeichnet werden.

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Der Versuch, die source traits im Temperamentsbereich auch im T-Datenmedium zu replizieren, muss aber aus heutiger Sicht als gescheitert beurteilt werden und dies trotz viel versprechender Bemühungen in der Entwicklung objektiv-analytischer Testbatterien (Häcker, Schmidt, Schwenkmezger & Utz, 1975). 2.2

Source traits im Bereich der Motivation

Cattells Bemühungen zur Erfassung der Motivationsfaktoren haben nur wenig Beachtung gefunden. Cattell wollte einerseits Komponenten der Motivationsstärke finden und andererseits die inhaltliche Vielfalt von Motiven klassifizieren, um ein Kategorienschema aller bedeutsamen Bedürfnisse aufstellen zu können. Die besten Indikatoren für Motivationsstärke sind der Aufwand an Zeit und Geld, den man für ein Bedürfnis investiert. Cattell und Child (1975) postulieren fünf Faktoren der Motivationsstärke. Bei der Klassifikation der verschiedenen Inhaltsbereiche von Motiven sind in der Regel ca. 15 Faktoren gefunden worden, die sich grob in zwei Gruppen, nämlich die Ergs und die Sentiments (Motivziele) einteilen lassen. 2.3

Source traits im Bereich der Fähigkeiten und Fertigkeiten

Cattell (1971) hat auch wesentliche Beiträge zur Konzeptualisierung von Intelligenz geleistet. Cattell etablierte zwei breite, mäßig korrelierte Intelligenzfaktoren: fluide Intelligenz (g f) und kristalline Intelligenz (g c). Flüssige Intelligenz bezeichnet die Fähigkeit neuartige Probleme zu lösen, während kristalline Intelligenz besonders auf (kulturabhängig) erworbenes Wissen zurückgreift (➝ Intelligenz).

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Der eigenschaftstheoretische Ansatz von H. J. Eysenck

Eysenck definiert Persönlichkeit als die mehr oder weniger feste und überdauernde Organisation des Charakters, des Temperaments, des Intellekts und der Physis eines Menschen, die seine einzigartige Anpassung an die Umwelt determiniert (Eysenck, 1953). An anderer Stelle hebt Eysenck hervor, „daß sich Persönlichkeit am besten als eine große Menge von Eigenschaften (Soziabilität, Impulsivität, Aktivität, Launenhaftigkeit usw.) beschreiben läßt, und daß diese Eigenschaften in gewissen Bündeln (Cluster) miteinander zusammenhängen; diese Cluster sind die empirische Basis für Konzepte höherer Ordnung, die man als ‚Typen‘ oder, wie ich es vorziehen würde, als Dimensionen der Persönlichkeit bezeichnen kann“ (Eysenck, 1980a, S. 21). Eysenck interessieren vor allem diese breiten Dimensionen. Es sind dies Extraversion (E) versus Introversion, Neurotizismus (N) versus Emotionale Stabilität und Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Psychotizismus (P) versus Impulskontrolle. Sein Persönlichkeitsmodell ist durch vier Stufen charakterisiert. In Abbildung 2 (aus Eysenck, 1980b, S. 104) ist dieses hierarchische Modell am Beispiel der Extraversion veranschaulicht.

Ebene des Typus

Extraversion

Aktivität

Lebhaftigkeit

Reizbarkeit

H.R.n

H.R.4

H.R.3

H.R.2

Impulsivität

S.R.n–1 S.R.n

Ebene der spezifischen Reaktion

H.R.1

Ebene der habituellen Reaktion

Soziabilität

H.R.n–1

Ebene der Eigenschaften

S.R.1 S.R.2 S.R.3 S.R.4

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Abbildung 2: Hierarchisches Modell der Extraversion nach Eysenck (1980b, S. 104)

Spezifische Reaktionen repräsentieren das niedrigste Niveau und beziehen sich auf isolierte Handlungen. Habituelle Reaktionen oder Gewohnheiten erfüllen die Forderung nach Stabilität, d. h. sie ereignen sich wiederholt. Mehrere habituelle Reaktionen, die einen Zusammenhang zeigen, bilden dann die Eigenschaften, die auch primäre Persönlichkeitszüge genannt werden. Auch diese Persönlichkeitszüge können Zusammenhänge zeigen, die dann durch die Faktorenanalyse als Typenfaktoren oder Dimensionen ermittelt werden können. Eysenck und Eysenck (1987) charakterisieren die Dimensionen des PEN-Modells jeweils durch folgende neun Eigenschaften: • Extraversion (E):

gesellig, lebhaft, aktiv, sich behauptend, sensationshungrig, sorglos, dominierend, aufgeschlossen, abenteuerlustig. • Neurotizismus (N): ängstlich, bedrückt, Schuldgefühle, geringe Selbstachtung, gespannt, irrational, schüchtern, launisch, gefühlvoll. • Psychotizismus (P): aggressiv, kalt, egozentrisch, unpersönlich, impulsiv, antisozial, uneinfühlsam, kreativ, hart(-herzig).

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Die Zuordnung dieser Eigenschaften zu den Dimensionen ist bei Eysenck eine theoretische Setzung und nur teilweise empirisch abgesichert. Auch ist Eysenck selbst nicht konsistent hinsichtlich der Zuordnungen, was sich z. B. für Impulsivität zeigen lässt, die früher der Extraversion, später aber dem Psychotizismus zugeordnet wurde. Eysenck hat zur Erfassung seiner Dimensionen eine Reihe von Fragebogenverfahren konstruiert, von denen hier nur der revidierte Eysenck Personality Questionnaire (EPQ-R) genannt werden soll (Ruch, 1999). Wie kaum ein anderer Persönlichkeitsforscher hat Eysenck Wert auf experimentelles Vorgehen gelegt. Er hat theoretische Aussagen formuliert und daraus Hypothesen abgeleitet, die dann in Experimenten geprüft wurden (hypothetisch deduktives Vorgehen). Eysenck hat zu den drei zentralen Dimensionen theoretische Modelle entwickelt, die interindividuelle Unterschiede in diesen Dimensionen erklären sollen. Dabei wurde auf quasi-neurophysiologische (Hemmungstheorie) und neuroanatomische Konstrukte (Arousaltheorie) zurückgegriffen. Die Arousaltheorie der Extraversion (Eysenck, 1967) besagt, dass Extraversion einhergeht mit unterschiedlich hohen kortikalen Erregungszuständen (Arousal). Introvertierte sind der Theorie zufolge kortikal erregter als Extravertierte. Unterschiede in der Neurotizismusausprägung beziehen sich dagegen auf unterschiedliche emotionale Erregbarkeit und Empfindlichkeit, wobei Personen mit hohen Neurotizismuswerten (emotional labile Personen) eine stärkere Aktivierung im Sinne emotionaler Reaktionen im limbischen System zeigen. Psychotizismus wird mit dem Hormonhaushalt und der Androgen-Östrogen-Balance sowie dem Angriffs- und Fluchtzentrum in der Amygdala des Hypothalamus in Zusammenhang gebracht. Modifikationen an Eysencks theoretischen Konzepten zu Extraversion und Neurotizismus wurden von Gray (1991) vorgenommen, der seine Theorie „Reinforcement Sensitivity Theory“ (RST) nennt.

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Das Big Five-Modell und das Fünf-Faktoren-Modell (FFM)

In den letzten 20 Jahren ist in der Persönlichkeitspsychologie zunehmend ein Konsens festzustellen, dass die wichtigsten Persönlichkeitseigenschaften ziemlich vollständig und mit hinreichender Genauigkeit durch ein Modell mit fünf breiten orthogonalen Faktoren beschrieben werden können. Diese fünf Faktoren sind von Goldberg (1981) Big Five genannt worden. Zugleich ist aus theoretischen Überlegungen und empirischen Analysen von Fragebögen (Clusteranalysen der 16 PFSkalen, die zu den Faktoren Neurotizismus, Extraversion und Offenheit für Erfahrung führten) durch Costa und McCrae (1992) das Fünf-Faktoren-Modell als NEO-Modell eingeführt worden. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Diese fünf breiten Dimensionen werden in den beiden Modellen wie in Tabelle 1 aufgelistet benannt.

Tabelle 1: Die fünf Dimensionen des Big Five- und des NEO-Modells Big Five-Modell

NEO-Modell

I

Surgency/Extraversion (E)

Extraversion (E)

II

Agreeableness/Verträglichkeit (A)

Agreeableness/Verträglichkeit (A)

III

Conscientiousness/Gewissenhaftigkeit (C)

Conscientiousness/Gewissenhaftigkeit (C)

IV

Emotional Stability/Emotionale Stabilität (ES)

Neuroticism/Neurotizismus (N)

V

Culture/Intellect/Kultiviertheit (I)

Openess to Experience/Offenheit für Erfahrungen (O)

Bis auf den fünften Faktor sind die Faktoren in beiden Modellen weitgehend deckungsgleich. Um die Universalität der Big Five-Struktur zu prüfen, wurden in einer Reihe von Ländern Studien durchgeführt, die von der Gesamtheit der persönlichkeitsbeschreibenden Begriffe der jeweiligen Sprache ausgingen. Im amerikanischen Englisch, im Holländischen, im Deutschen sowie in den tschechischen und polnischen Taxonomien wurde eine klare Bestätigung der Big Five-Struktur gefunden, während die methodisch etwas anders vorgehenden Taxonomien in Italien und Ungarn leicht abweichende Strukturen ergaben (De Raad, 2000; John & Srivastava, 1999). Neben der Bedeutung für die Beschreibung von Persönlichkeitsmerkmalen haben die Big Five auch heuristischen Wert für die Integration eigenschaftsorientierter Forschung etwa im Bereich der Eignungsdiagnostik oder auch bei der Analyse von Persönlichkeitsstörungen. Als Messinstrumente für die lexikalischen Big Five sind beispielsweise unipolare und/oder bipolare Adjektivlisten (Ostendorf, 1990) zu nennen. Im Bereich der Q-Daten wurde das Fünf-Faktoren-Modell in umfangreichen faktorenanalytischen Studien vielfältig bestätigt (Angleitner & Ostendorf, 1994; Ostendorf & Angleitner, 1992). Mit dem NEO-Personality Inventory-Revised (NEOPI-R) haben Costa und McCrae (1992) einen Fragebogen vorgelegt, der für jeden Faktor des FFM sechs Facetten (Subskalen) enthält (Ostendorf & Angleitner, 2004). Die Postulierung von jeweils sechs Facetten pro Persönlichkeitsdimension ist eine

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rationale Entscheidung. Die bislang vorliegende Forschung belegt, dass die NEOPI-R-Facettenstruktur sich klar in die fünf Persönlichkeitsbereiche gliedert und dass für diese Persönlichkeitsbereiche auch hohe Korrespondenzen zu Eysencks Extraversions- und Neurotizismusbereich, wie auch Cattells aus dem 16 PF-R gebildeten Sekundärfaktoren (Globalskalen) vorzufinden sind (Ostendorf & Angleitner, 2004). Auch gibt es eine gute Übereinstimmung zwischen Big Five-Messinstrumenten und dem NEO-PI-R (John & Srivastava, 1999). McCrae und Costa (1996, 1999) haben ein komplexes theoretisches Modell vorgeschlagen, in dem die fünf Persönlichkeitsbereiche als stabile, universelle genotypisch fundierte Basistendenzen (Dispositionen) verstanden werden, für die eine biologische Grundlage postuliert wird. Die Basistendenzen bewirken charakteristische Anpassungsformen (persönliche Vorlieben und Routinen, Pläne, Einstellungen, Werte, Interessen, Beziehungen, Gewohnheiten, Fertigkeiten, Selbstkonzept), die sich über die Lebensspanne entwickeln. Verhaltensgenetische Befunde (Jang, McCrae, Angleitner, Riemann & Livesley, 1998) stützen die Auffassung, dass mit dem NEO-PI-R Basistendenzen erfasst werden, für die sich auch über verschiedene Kulturen vergleichbare Alters- und Geschlechtsunterschiede aufweisen lassen. Die Basistendenzen unterliegen über die Lebensspanne einem intrinsischen Reifungsprozess. Die charakteristischen Anpassungsformen determinieren im Zusammenspiel mit Umwelteinflüssen (z. B. Berufsmöglichkeiten, Normen, Deprivationen, Lebensereignisse) und in Übereinstimmung mit den Persönlichkeitseigenschaften die Lebensentscheidungen, die eine Person trifft. Diese schlagen sich in der objektiven Biografie einer Person nieder. Deutlich wird, dass Eigenschaften als Dispositionen im Sinne Allports (1966) verstanden werden. Aufgabe künftiger Forschung wird es sein, die biologischen Grundlagen dieser Eigenschaften (präziser) erfassen und messen zu können.

Weiterführende Literatur Amelang, M. & Bartussek, D. (2001). Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung (Kap. 6, 9 und 15) (5. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

Literatur Allport, G. W. (1966). Traits revisited. American Psychologist, 21, 1–10. Allport, G. W. (1970). Gestalt und Wachstum in der Persönlichkeit. Meisenheim am Glau: Verlag Anton Hain. Angleitner, A. & Ostendorf, F. (1994). Temperament and the Big Five factors of personality. In C. F. Halverson, G. A. Kohnstamm & R. P. Martin (Eds.), The developing structure of temperament and personality from infancy to adulthood (pp. 69–90). Hillsdale: Erlbaum.

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Alois Angleitner & Rainer Riemann

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Eigenschaftstheoretische Ansätze

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Interaktionistische Ansätze Interactionist Approaches Manfred Schmitt

Der Interaktionsbegriff hat in der Psychologie mehrere Bedeutungen. In der Sozialpsychologie ist meistens der kommunikative Austausch und die Verschränkung von Handlungssequenzen mehrerer Personen gemeint. In der Pädagogischen, der Klinischen und der Entwicklungspsychologie bezeichnet man Prozesse der interaktiven Verhaltenssteuerung auch als Transaktion. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass Interaktionspartner mit ihren Handlungen die soziale Beziehung transformieren und sich dadurch selbst verändern. Solche Interaktionsprozesse zwischen Personen sind auch für die Differentielle Psychologie von Bedeutung, da sie zur Entwicklung der Persönlichkeit beitragen. Meistens wird der Interaktionsbegriff im persönlichkeitspsychologischen Kontext jedoch verwendet, um Wechselwirkungen zwischen Personen und Situationen zu beschreiben. Dass Person und Situation Verhalten gemeinsam bedingen, wird nicht bestritten. Unterschiedliche Auffassungen bestehen in der Psychologie jedoch hinsichtlich (a) der Stärke des Einflusses von Persönlichkeits- und Situationsfaktoren auf Verhalten und Erleben, (b) der Notwendigkeit ihrer simultanen Analyse und (c) der Art ihres Zusammenspiels. Diese drei Fragen verdienen eine eingehende Erörterung, da sie zum Kern interaktionistischen Denkens führen, für Strömungen in der Wissenschaftsgeschichte der Persönlichkeitspsychologie stehen und den Anstoß für theoretische und methodische Entwicklungen in der Differentiellen Psychologie gegeben haben.

1

Verhaltenswirksamkeit von Persönlichkeitsund Situationsfaktoren

1.1

Transsituative und transpersonale Verhaltenskonsistenz

Beginnend mit dem Forschungsprogramm von Hartshorne und May (1928) beschäftigt sich die Persönlichkeitspsychologie seit mehr als 75 Jahren mit der Frage, wie sehr Verhalten von Persönlichkeits- und Situationsfaktoren abhängt. Hartshorne und May (1928) wollten herausfinden, in welchem Maße ehrliches Verhalten den Charakter einer Person widerspiegelt oder mit den konkreten Umständen erklärt werden kann, beispielsweise die Wahrscheinlichkeit, dass eine Lüge oder Täuschung entdeckt wird. Wenn Ehrlichkeit eine Persönlichkeitseigenschaft ist, sollten sich Verhaltensunterschiede zwischen Personen in vielen verschiedenen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Tabelle 1: Einfaches Zahlenbeispiel zur Illustration transsituativer Verhaltenskonsistenz Situation 1

2

3

4

5

Verhaltensdatenmatrix Person 1

1

2

3

4

2

Person 2

2

3

4

6

5

Person 3

3

4

1

2

4

Person 4

4

5

2

4

6

Person 5

4

5

5

8

5

Konsistenz von Unterschieden zwischen Personen über Situationen (Korrelation der Spalten) Situation 1

1

Situation 2

1

1

Situation 3

0

0

1

Situation 4

.24

.24

.97

1

Situation 5

.81

.81

.10

.32

1

9

S1

8

S2

7

S3

6

S4

5

S5

4 3 2 1 0 P1

P2

P3

P4

P5

Abbildung 1: Messwertprofile laut Tabelle 1

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Situationen zeigen, die Anreize für unehrliches Verhalten bieten. Sinngemäß gilt diese Überlegung für alle Verhaltensbereiche. Je ähnlicher interindividuelle Verhaltensdifferenzen in unterschiedlichen Situationen sind, desto plausibler ist es, eben diese Verhaltensunterschiede auf Persönlichkeitsunterschiede zurückführen. Die Ähnlichkeit interindividueller Verhaltensunterschiede über verschiedene Situationen nennt man transsituative Konsistenz. Sofern die Verhaltensvariablen intervallskaliert sind, eignet sich die Produkt-Moment-Korrelation als Konsistenzmaß. Maximale Konsistenz liegt vor, wenn von Verhaltensunterschieden in einer Situation restlos auf Verhaltensunterschiede in einer anderen Situation geschlossen werden kann. Bei minimaler Konsistenz ist keine Generalisierung von Verhaltensunterschieden über Situationen möglich (siehe Tab. 1). Tabelle 1 enthält im oberen Teil fiktive Verhaltenswerte von fünf Personen in fünf Situationen, darunter die Konsistenzkoeffizienten. Die Verhaltensunterschiede zwischen den Personen sind in den Situationen 1 und 2 exakt gleich. Es liegt also maximale Verhaltenskonsistenz vor. Das andere Extrem ergibt der Vergleich der Situationen 1 und 2 mit 3.Abbildung 1 veranschaulicht die Bedeutung der Konsistenzwerte grafisch. Die vollkommene Verhaltenskonsistenz über die Situationen 1 und 2 zeigt sich im parallelen Verlauf der Verhaltensprofile. Obwohl es in der Persönlichkeitspsychologie unüblich ist, kann man nach dem gleichen Prinzip die Konsistenz von Verhaltensunterschieden zwischen Situationen über Personen bestimmen. Dazu werden die Zeilen einer P x S-Matrix korreliert. Man erhält Korrelationen zwischen Personen oder transpersonale Konsistenzkoeffizienten. Eine Analyse der Daten in Tabelle 1 ergibt hohe Korrelationen zwischen den Personen 1, 2 und 5. Man kann sie zu einem Typ zusammenfassen, dessen Antityp durch die Personen 3 und 4 repräsentiert wird. 1.2

Der Datenwürfel als allgemeiner interaktionistischer Versuchsplan

Ergänzt man eine P x S-Matrix um die Zeitdimension, resultiert ein dreidimensionaler Datenwürfel, der weitere Konsistenzanalysen ermöglicht. Von besonderer Bedeutung für die Persönlichkeitspsychologie ist die Konsistenz interindividueller Verhaltensunterschiede über die Zeit. Man nennt sie relative Stabilität. Da der Begriff der Persönlichkeitseigenschaft Dauerhaftigkeit impliziert, ist neben der transsituativen Verhaltenskonsistenz auch die relative Verhaltensstabilität ein wichtiges Gültigkeitskriterium des Eigenschaftsmodells. Erweiterungen des Datenwürfels um zusätzliche Dimensionen können sinnvoll sein. Will man z. B. wissen, ob sich ein Persönlichkeitsmerkmal in unterschiedlichen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Verhaltensmodalitäten ähnlich ausdrückt, muss eine Modalitätenfacette eingeführt werden. Soll eruiert werden, ob verschiedene Messmethoden zu ähnlichen Ergebnissen führen, muss der Messplan eine Methodenfacette enthalten. 1.3

Interaktionistische Persönlichkeitsmodelle als Folge der Konsistenzkrise

Hartshorne und May (1928) ermittelten eine durchschnittliche Korrelation von lediglich r = .19 zwischen spezifischen Formen ehrlichen Verhaltens. Ähnlich niedrige Werte wurden auch für andere Verhaltensbereiche gefunden und stellten die Gültigkeit des Eigenschaftsmodells grundsätzlich in Frage. Eine regelrechte Krise löste Mischel (1968) mit seiner Feststellung aus, die prädiktive Validität von Persönlichkeitsmaßen überschreite selten den Wert von r = .30. Der Kritik von Mischel folgte in den 1970er und 1980er Jahren eine lebhafte Kontroverse um den Stellenwert von Eigenschaften in der Persönlichkeitspsychologie. Im historischen Rückblick hat diese Konsistenzkontroverse der Persönlichkeitspsychologie mehr genutzt als geschadet. Relevant im Kontext dieses Beitrags ist vor allem die Einsicht, dass die Leistungsfähigkeit des Eigenschaftsmodells gesteigert werden kann, wenn es mit interaktionistischem Gedankengut angereichert und die Verhaltenswirksamkeit von Situationsmerkmalen einbezogen wird.

2

Gründe für eine simultane Betrachtung von Person und Situation

Obwohl unstrittig ist, dass Erleben und Verhalten von der Persönlichkeit des Akteurs und dem situativen Kontext abhängen, werden beide Einflussquellen zu selten theoretisch integriert und zu selten gleichzeitig empirisch untersucht. Vielmehr werden allgemeinpsychologische Forschungsprogramme zur Verhaltenswirksamkeit von Kontextfaktoren und differentiellpsychologische Forschungsprogramme zur Verhaltenswirksamkeit von Persönlichkeitsfaktoren meistens betrieben, ohne miteinander verknüpft zu werden. Individuelle Verhaltensunterschiede haben in der Allgemeinen Psychologie häufig keinen Erkenntniswert, sondern den Status von Fehlervarianz. Gleiches gilt für intersituative Verhaltensvarianz in der Differentiellen Psychologie. Drei Gründe sprechen für die simultane Analyse von Persönlichkeits- und Situationsfaktoren (Cronbach, 1975). Erstens kann die relative Wirksamkeit beider Einflussquellen erst im direkten Vergleich beurteilt werden. Zweitens setzen die meisten theoretischen Modelle der Allgemeinen Psychologie und der Differentiellen Psychologie eine additive Wirkung von Persönlichkeits- und Situationsfaktoren voraus. Wenn diese Annahme verletzt ist, sind die geschätzten Situationseffekte und Persönlichkeitseffekte zumindest ungenau und damit auch die theoretischen

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Modelle, die sie erklären. Die gezielte Prüfung der Additivitätsannahme erfordert ein P x S-Design. Drittens können nur mit Hilfe gemischter Designs systematische Wechselwirkungen zwischen Persönlichkeitsfaktoren und Situationsfaktoren identifiziert werden, also persönlichkeitsbedingte Situationseffekte und situationsbedingte Persönlichkeitseffekte. In den 1970er und 1980er Jahren wurden zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, um die relative Wirksamkeit von Situationsmerkmalen und Persönlichkeitsmerkmalen im direkten Vergleich zu beurteilen. Die Ergebnisse dieser Studien gaben Anlass zum Vorschlag eines Paradigma, das von seinen Vertretern als Moderner Interaktionismus bezeichnet wurde (Endler & Magnusson, 1976). Eine typische Studie stammt von Endler und Hunt (1966). Dort wurden einer Stichprobe von Personen bedrohliche Situationen und mögliche Reaktionen darauf beschrieben. Die Probanden sollten einschätzen, wie stark bei ihnen die vorgegebenen Reaktionen in den vorgegebenen Situationen ausfallen würden. In der varianzanalytischen Auswertung der Daten waren die Interaktionseffekte deutlich stärker als die Haupteffekte. Dieses Ergebnismuster wurde mehrfach repliziert. Der varianzanalytische Ansatz des Modernen Interaktionismus blieb nicht unwidersprochen. Drei Einwände sind erheblich. Erstens kann die varianzanalytische Schätzung von Effektgrößen aus handlungstheoretischer Sicht wenig zum psychologischen Verständnis von P x S-Interaktionsprozessen beitragen. Zweitens wird durch die vollständige Kreuzung der Personfacette mit der Situationsfacette eine unrealistische Orthogonalität beider Faktoren erzeugt. Im täglichen Leben suchen Menschen Situationen persönlichkeitskongruent auf. Drittens kann nahezu jedes Effektmuster durch eine gezielte Kombination von Person- und Situationsstichproben provoziert werden. Würde beispielsweise die Heiterkeit von Personen während eines Begräbnisses mit jener während der Vorstellung eines Zirkusclowns verglichen, dürfte der Situationsfaktor den Löwenanteil der Varianz erklären. Umgekehrt wird der Persönlichkeitseffekt überschätzt, wenn heterogene Personen in homogenen Situationen beobachtet werden. Zusammengefasst sprechen diese Einwände dafür, die interaktionistische Analyse nicht auf die Schätzung von Effektstärken zu beschränken, sondern Formen der P x S-Interaktion und daran beteiligte psychologische Prozesse zu untersuchen.

3

Modelle der Interaktion zwischen Person und Situation (P x S)

In der Literatur finden sich zahlreiche Überlegungen dazu, wie Interaktionen zwischen Person und Situation ablaufen und welche kognitiven und motivationalen Prozesse daran beteiligt sind. Eine vollständige Wiedergabe dieses Gedankenguts ist hier nicht möglich. Stattdessen werden vier allgemeine Modelle Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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skizziert, die sich in der relativen Dominanz von Person und Situation, der Richtung von Interaktionseffekten und im zu Grunde liegenden Menschenbild unterscheiden. 3.1

Macht der Person über die Situation

Handlungstheorien schreiben der Person eine aktive Rolle in der Person x UmweltInteraktion zu. Situationen haben den Stellenwert von Randbedingungen, die in die Planung und Ausführung von Handlungen einbezogen werden. Situationen werden persönlichkeitskongruent interpretiert, gewählt und gestaltet. Die aktive Modifikation des Lebensraums ist Ziel und Mittel der Persönlichkeitsentwicklung zugleich. Besonders treffend kommt diese transaktionale Vorstellung im Konzept der Kultivation zum Ausdruck. Menschen kultivieren den eigenen Lebensraum gemäß ihrer Bedürfnisse, Interessen und Wertvorstellungen. Die gestaltete Umwelt wirkt identitäts- und sinnstiftend zurück, informiert Mitmenschen über das Selbstverständnis des Akteurs und vermittelt dadurch soziale Einflüsse auf dessen Persönlichkeitsentwicklung. 3.2

Macht der Situation über die Person

Dass menschliches Verhalten der ausschließlichen Kontrolle des situativen Kontextes unterliegt, war eine wesentliche Prämisse des Behaviorismus. Obwohl sich der orthodoxe Situationismus als unhaltbar erwiesen hat, spielt der Kontext auch in zeitgenössischen Verhaltenstheorien eine Schlüsselrolle. Sogar Handlungstheoretiker gestehen die Notwendigkeit der Kontextualisierung ein (Eckensberger & Römhild, 2000). Schließlich besagt das im Zuge der Konsistenzkrise in die Persönlichkeitsliteratur eingeführte Konzept der mächtigen Situation, dass Verhaltensweisen mehr oder weniger durch Situationsfaktoren bedingt sein können. Mächtige Situationen uniformieren Verhalten durch ihren starken Aufforderungscharakter oder den Hinweis auf massive Verhaltenskonsequenzen (Price & Bouffard, 1974). Diese können erwünscht oder unerwünscht, sozial oder materiell sein. Beispielsweise kennt jede Kultur Vorschriften, deren Missachtung streng bestraft wird. Entsprechend selten kommt es zu Verstößen. Da Persönlichkeitsunterschiede invariantes Verhalten nicht erklären können, verlieren sie in mächtigen Situationen an Erklärungswert. Schwache Situationen sind mehrdeutig, schränken den Verhaltensspielraum wenig ein und lassen dadurch Persönlichkeitsunterschiede zu Tage treten. Situationsmacht lässt sich in psychometrische Konzepte übersetzen. Situationen sind umso mächtiger, je leichter oder je schwerer sie im psychometrischen Sinne sind. Schwache Situationen entsprechen mittelschweren Items. Situationsmacht und Trennschärfe variieren gegenläufig. Abbildung 2 illustriert die Zusammenhänge grafisch. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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stark

Situation schwach

stark

stark

hoch

Persönlichkeitseinfluss

Trennschärfe

schwach

niedrig

leicht

Item mittelschwer

schwer

Abbildung 2: Zusammenhang zwischen Situationsmacht, Itemschwierigkeit und Persön-

lichkeitseinfluss

3.3

Synergetische Interaktion von Persönlichkeitsund Situationsfaktoren

Im Modell der synergetischen P x S-Interaktion verstärken sich funktional äquivalente Person- und Situationsfaktoren wechselseitig. Funktional äquivalent sind Person- und Situationsfaktoren, wenn sie auf Grund des gleichen psychologischen Prinzips die gleiche Wirkung erzeugen. Das Leistungsmotiv beispielsweise variiert interindividuell, kann aber auch durch den Kontext angeregt werden, etwa indem eine Leistungssituation als Wettbewerbssituation definiert wird. Synergetische Interaktionen werden in mehreren Theorien angenommen, so z. B. der Angsttheorie von Endler (1997), und konnten in zahlreichen Verhaltensbereichen nachgewiesen werden (Schmitt, Eid & Maes, 2003). Angsttheorie von Endler (1997) Sie ist ein Beispiel für synergetische Interaktionen und besagt, dass die Zustandsangst mit der Bedrohlichkeit einer Situation zunimmt – aber nicht gleichmäßig für alle Personen, sondern stärker für ängstliche als für unängstliche. Entsprechend wirken sich individuelle Unterschiede in der Ängstlichkeit (Trait-Angst) in bedrohlichen Situationen stärker auf den emotionalen Zustand (State-Angst) aus als in unbedrohlichen Situationen. Ängstlichkeit (Persönlichkeitsfaktor) und Bedrohlichkeit (Situationsfaktor) verstärken sich gegenseitig. Abbildung 3 illustriert diesen Effekt, der in mehreren Untersuchungen repliziert werden konnte.

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stark

Ängstliche

Zustandsangst Unängstliche

schwach Bedrohlichkeit der Situation gering

stark

Abbildung 3: Synergetische Interaktion funktional äquivalenter Person- und Situations-

faktoren am Beispiel Angst

Auch aggressives Verhalten unterliegt synergetischen Wechselwirkungen funktional äquivalenter Person- und Situationsfaktoren. Bushman (1995) zeigte seinen Probanden einen brutalen Karatefilm. Bei aggressiven Probanden stieg daraufhin die Aggressionsbereitschaft steiler an als bei unaggressiven. In einer Studie von Deffenbacher (2003) nahm aggressives Autofahren synergetisch-interaktiv mit der Ärgerneigung der Person und dem Frustrationsgrad einer Verkehrssituation zu. 3.4

Persönlichkeitsfaktoren als Puffer gegen Situationseffekte

Persönlichkeitseigenschaften können den Effekt von Situationsfaktoren nicht nur verstärken, sondern auch dämpfen. Formal betrachtet ist ein solcher Puffereffekt nichts anderes als eine synergetische Interaktion nach Umpolung der beteiligten Persönlichkeitseigenschaft. Statt zu sagen, dass die emotionale Wirksamkeit einer Frustration mit zunehmender Ärgerneigung steigt, kann man auch sagen, dass sie mit abnehmender Ärgerneigung sinkt. Trotz seiner Verwandtschaft mit dem Synergieeffekt ist der Puffereffekt zu einem eigenständigen Thema der Klinischen Psychologie, der Entwicklungspsychologie und der Bewältigungsforschung geworden (➝ Gesundheitspsychologie). Aktuelle Untersuchungen zu den Folgen von Mobbing zeigen beispielsweise, dass emotionale Stabilität und Verträglichkeit den Effekt von Unfairness auf Fehlzeiten und Racheakte am Arbeitsplatz puffern, während ihn negative Affektivität und Ungerechtigkeitssensibilität verstärken (Elovainio et al., 2003).

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Interaktionen zwischen Persönlichkeitsfaktoren (P x P)

Auch zwischen Persönlichkeitsfaktoren können Wechselwirkungen auftreten. In der Pädagogischen Psychologie wurden P x P-Interaktionen schon früh thematisiert. Beispielsweise wurde angenommen, dass sich schulische Leistungen bei emotional stabilen Kindern besser als bei emotional labilen Kindern aus Begabungstests vorhersagen lassen. Der zur Bezeichnung solcher Wechselwirkungen häufig verwendete Begriff der differentiellen Vorhersagbarkeit besagt, dass die Verhaltenswirksamkeit eines Persönlichkeitsmerkmals von Dritt- oder Moderatorvariablen abhängt. Während der Konsistenzkontroverse wurden zahlreiche Konsistenzmoderatoren vorgeschlagen. Selbstüberwachung ist ein typisches Beispiel (Snyder, 1987). Selbstüberwacher bemühen sich um situationsadäquates Verhalten, während Personen mit geringer Selbstüberwachung sich von ihren Bedürfnissen, Werten und Neigungen leiten lassen und über situationsspezifische Verhaltenserwartungen hinwegsehen. Mit zunehmender Selbstüberwachung sinkt deshalb die transsituative Verhaltenskonsistenz und die Vorhersagbarkeit von Verhalten aus Persönlichkeitsmaßen. Außer solchen Konsistenzmoderatoren begegnet man in der Literatur Wechselwirkungen zwischen Persönlichkeitsfaktoren, die theoretische Differenzierungen der beteiligten Eigenschaftskonstrukte nahe legen. Beispielsweise nehmen Bruunk, Nauta und Mollemann (2005) an, das Wohlbefinden eines Gruppenmitglieds unterliege einem interaktiven Einfluss des Anschlussmotivs und der Neigung zu sozialen Vergleichen. Bei Personen mit einer geringen Vergleichsneigung wird ein positiver Effekt des Anschlussmotivs auf das Wohlbefinden erwartet, bei Personen mit einer starken Vergleichsneigung hingegen ein negativer. Die Bestätigung der Hypothese zeigt, dass eine Missachtung dieser disordinalen Wechselwirkung zu dem Fehlschluss geführt hätte, die Zufriedenheit eines Gruppenmitglieds sei unabhängig von seinem Anschlussmotiv.

5

Interaktionen zwischen Person und Zeit (P x T)

Schon Cicero war überzeugt, dass die umfassende Beschreibung der Persönlichkeit stabile Eigenschaften und instabile Zustände einschließen müsse. Dass auch die Alltagssprache zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Persönlichkeitszuständen unterscheidet, spricht aus der Sicht des lexikalischen Ansatzes für ihre gleichzeitige Existenz und für die Überlegenheit impliziter Theorien, die bei der Prognose von Verhalten auf beide Arten von Persönlichkeitsmerkmalen rekurrieren (Chaplin, John & Goldberg, 1988).

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Latent State-Trait-Theorie Formal betrachtet entsprechen instabile Persönlichkeitszustände einer Interaktion der Personfacette und der Zeitfacette des Datenwürfels: Individuelle Unterschiede in Persönlichkeitsindikatoren (Verhalten, Selbstbeschreibungen, biologische Indikatoren) variieren systematisch zwischen Messgelegenheiten. Eigenschaften und Zustände können im Rahmen der Latent State-Trait-Theorie eindeutig definiert werden (Steyer, Schmitt & Eid, 1999). Außerdem kann mit Längsschnittdaten geschätzt werden, welcher Anteil der zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebenen interindividuellen Verhaltensvarianz durch Eigenschaftsunterschiede erklärt werden kann und welcher Anteil durch Faktoren determiniert wird, die nur zu einem bestimmten Messzeitpunkt wirken und somit die Personen nicht dauerhaft charakterisieren.

Beispielsweise werden interindividuelle Unterschiede in kognitiven Leistungen überwiegend durch stabile Intelligenzunterschiede zwischen den Personen determiniert, während Stimmungen überwiegend von vergänglichen Einflüssen abhängen. Dennoch lässt sich ein Teil der Leistungsvarianz mit vergänglichen Einflüssen (wie schwankender Leistungsmotivation) und ein Teil der Stimmungsvarianz mit überdauernden Persönlichkeitsunterschieden (der chronischen Neigung zu dieser Stimmung) erklären.

6

Multiple Interaktionen

Der Datenwürfel als allgemeine interaktionistische Heuristik eröffnet eine große Zahl potenzieller Wechselwirkungen zwischen Varianzquellen des Verhaltens und Erlebens. Dies gilt insbesondere, wenn außer einfachen auch komplexe Interaktionen in Betracht gezogen werden. Anders als in der Allgemeinen Psychologie geschieht dies in der Differentiellen Psychologie sehr selten. Die Differentielle Psychologie baut nach wie vor überwiegend auf das robuste lineare additive Modell, obwohl dieses der Komplexität menschlichen Handelns theoretisch nicht gerecht wird. Beispielsweise zeigt die aktuelle Forschung zur Dissoziation impliziter und expliziter Indikatoren von Vorurteilen, dass deren Konsistenz von mehreren Moderatoren abhängt, insbesondere der introspektiven Zugänglichkeit von Vorurteilen und dem Bemühen, Vorurteile aktiv zu unterdrücken. Diese beiden Moderatoren wirken höchstwahrscheinlich aber nicht additiv, sondern interaktiv. Denn die Unterdrückung von Vorurteilen setzt voraus, dass man sich ihrer bewusst ist, sie also zugänglich sind. Hinzu kommt, dass die Zugänglichkeit und das Bestreben, keine Vorurteile zu äußeren, nicht nur interindividuell variieren, sondern auch zwischen verschiedenen Situationen. Beide Moderatorwirkungen, die personale und die situative, mögen

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sich synergetisch verstärken oder gegenseitig hemmen bzw. kompensieren. Offensichtlich kann nur ein komplexes Wechselwirkungsmodell diesen theoretischen Möglichkeiten gerecht werden, nicht aber das beliebte weil robuste lineare additive Modell.

Weiterführende Literatur Krahé, B. (1992). Personality and social psychology. Towards a synthesis. London: Sage. Magnusson, D. (Ed.). (1984). Toward a psychology of situations: An interactional perspective. Hillsdale, NJ: Erlbaum. Schmitt, M. (1990). Konsistenz als Persönlichkeitseigenschaft? Moderatorvariablen in der Persönlichkeits- und Einstellungsforschung. Berlin: Springer.

Literatur Bushman, B. J. (1995). Moderating role of trait aggressiveness in the effects of violent media on aggression. Journal of Personality and Social Psychology, 69, 950–960. Buunk, B. P., Nauta, A. & Mollemann, E. (2005). In search of the true group animal: The effects of affiliation orientation and social comparison orientation upon group satisfaction. European Journal of Personality, 19, 69–81. Chaplin, W. F., John, O. P. & Goldberg, L. R. (1988). Conceptions of states and traits: Dimensional attributes with ideals as prototypes. Journal of Personality and Social Psychology, 54, 541–557. Cronbach, L. J. (1975). Beyond the two disciplines of scientific psychology. American Psychologist, 30, 116–127. Deffenbacher, J. L. (2003). Angry college student drivers: Characteristics and a test of statetrait theory. Psicologia Conductual, 11, 163–176. Eckensberger, L. H. & Römhild, R. (2000). Kulturelle Einflüsse. In M. Amelang (Hrsg.), Determinanten individueller Unterschiede (S. 667–731). Göttingen: Hogrefe. Elovainio, M., Kivimäki, M., Vahtera, J., Virtanen, M. & Keltikangas-Järvinen, L. (2003). Personality as a moderator in the relations between perceptions of organizational justice and sickness absence. Journal of Vocational Behavior, 63, 379–395. Endler, N. S. (1997). Stress, anxiety, and coping: the multidimensional interaction model. Canadian Psychology, 38, 136–153. Endler, N. S. & Hunt, J. M. (1966). Sources of behavioral variance as measured by the S-R Inventory of Anxiousness. Psychological Bulletin, 65, 336–346. Endler, N. S. & Magnusson, D. (1976). Toward an interactional psychology of personality. Psychological Bulletin, 83, 956–974. Hartshorne, H. & May, M. A. (1928). Studies in the nature of character, Vol. 1: Studies in deceit. New York: Macmillan. Mischel, W. (1968). Personality and assessment. New York: Wiley.

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Interaktionistische Ansätze

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Konstruktivistische Ansätze Constructivist Approaches Hannelore Weber & Hans Westmeyer

Konstruktivistische Positionen haben in der Psychologie in den letzten beiden Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen (vgl. Westmeyer, 1999). Aus der Sozialpsychologie ging Mitte der 1980er Jahre der soziale Konstruktionismus hervor, der Tendenzen in anderen Sozialwissenschaften aufgriff und zu einem eigenen Ansatz verdichtete, der inzwischen zu den einflussreichsten psychologischen Richtungen außerhalb des Mainstreams gehört. Hier ist vor allem Kenneth Gergen zu nennen, der 1985 mit einem Artikel im American Psychologist diesen Ansatz begründete und nach wie vor als sein führender Proponent gilt (siehe z. B. Gergen, 1994, 2002). Von diesen Entwicklungen hat auch der individuumbezogene Konstruktivismus von George A. Kelly profitieren können, der als älteste Variante des Konstruktivismus bereits in den 1950er Jahren entstand (vgl. Kelly, 1955) und als Theorie der persönlichen Konstrukte zum Kernbestand persönlichkeitspsychologischer Ansätze gehört. Mit dem Aufkommen der systemischen Therapie zu Beginn der 1980er Jahre wuchs auch das Interesse an ihrem erkenntnistheoretischen Hintergrund, dem radikalen Konstruktivismus z. B. im Sinne von Ernst von Glasersfeld (1998; siehe auch Schiepek, 1999). Hier wird nur auf die Ansätze von Kelly und Gergen eingegangen. Erfolgreiche Anwendungen des radikal-konstruktivistischen Ansatzes finden sich bisher vor allem in der Allgemeinen Psychologie und der Klinischen Psychologie.

1

Der Mensch als konstruierendes Wesen

In der Wissenschaft wird ganz selbstverständlich unterstellt, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konstruierende Wesen sind. Sie sind darum bemüht, die Ereignisse im jeweiligen Gegenstandsbereich zu beschreiben, zu erklären und – nach Möglichkeit – auch vorherzusagen. Dazu konstruieren sie Theorien, leiten aus diesen Theorien Schlussfolgerungen ab und überprüfen diese in empirischen Untersuchungen. Sie sehen sich dabei als Subjekte der Forschung und betrachten in der Regel ihre Versuchspersonen als Forschungsobjekte, deren Konstruktionen für den Ausgang der empirischen Untersuchungen keine Bedeutung haben. In konstruktivistischen Ansätzen wird jeder Mensch explizit als ein konstruierendes Wesen aufgefasst, das sich und seine Welt in bestimmter Weise konstruiert und dessen Konstrukte deshalb zum Gegenstand der Betrachtung gemacht werden müs-

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sen. Die Subjekt-Objekt-Trennung wird zu Gunsten einer Subjekt-Subjekt-Betrachtungsweise aufgehoben. Psychologische Forschung wird als eine Begegnung von Subjekten begriffen. Konstruktivistische Ansätze sind deshalb subjektwissenschaftliche Ansätze. Wie die Bezeichnungen der Ansätze schon zum Ausdruck bringen, stehen im individuumbezogenen Konstruktivismus von Kelly die Konstruktionen einzelner Personen im Mittelpunkt der Betrachtung, im sozialen Konstruktionismus dagegen die Konstruktionen von Personengruppen bzw. ganzer Gesellschaften.

2

Der Ansatz von George A. Kelly

2.1

Intendierte Anwendungen

Viele Ansätze in der Psychologie versuchen durch einen sehr weit gefassten Bereich intendierter Anwendungen für sich einzunehmen, auch wenn die Menge bereits vorliegender erfolgreicher Anwendungen weit hinter den eigenen Ansprüchen zurück bleibt. Kelly (1955) zeigt in dieser Hinsicht ungewöhnliche Bescheidenheit. Er führt die Begriffe des Bereichs und des Schwerpunkts der Angemessenheit bzw. Brauchbarkeit (range und focus of convenience) einer Konstruktion ein. Keine Konstruktion sei universell anwendbar. Sie habe nur einen begrenzten Angemessenheitsbereich, in dem sie passt und zur Anwendung kommen kann, und einen noch enger gefassten Angemessenheitsschwerpunkt, der die besonders gut passenden Anwendungen enthält. Das sind oft jene, die den Anstoß für die Entwicklung der Konstruktion gegeben haben. Kelly (1955, S. 11 f.) engt den Angemessenheitsbereich auf die „menschliche Persönlichkeit und insbesondere auf Probleme interpersonaler Beziehungen“ ein und sieht den Angemessenheitsschwerpunkt „im Bereich der menschlichen Wiederanpassung an Stress“ (Übersetzung durch die Autoren). Zentrale Anwendungen liegen für ihn damit im Bereich der Psychotherapie. 2.2

Grundlegende Annahmen

Kelly sieht den Menschen als Wissenschaftler und den Wissenschaftler als Menschen. Man As Scientist, wie es Kelly formuliert, oder Inquiring Man, wie es bei Bannister und Fransella (1981) heißt. Damit werden die Ziele wissenschaftlichen Handelns zu Zielen menschlichen Handelns ganz allgemein. Als zentrale Ziele wissenschaftlichen Handelns gelten Erklärung, Vorhersage und Kontrolle. Bei Kelly stehen Vorhersage und Kontrolle im Zentrum der Betrachtung. Jede Person, so Kelly, antizipiert Ereignisse und gewinnt so ein gewisses Ausmaß an Kontrolle über sich und ihre Umgebung. Antizipationen spielen bei Kelly eine Schlüsselrolle. Alle Prozesse eines Menschen werden durch die Art und Weise, wie er Ereignisse antizipiert, psychologisch vermittelt und geprägt. Das ist das Grundpostulat seiner

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Theorie der persönlichen Konstrukte. Aus den elf Korollarien, die er seinem Grundpostulat an die Seite gestellt hat, geht hervor, wie dieses Grundpostulat genauer zu verstehen ist. Formaler Inhalt der Theorie der persönlichen Konstrukte (Kelly, 1955, S. 46–104, Übersetzung durch die Autoren) • Grundpostulat. Die Prozesse einer Person werden durch die Formen ihrer Antizipation von Ereignissen psychologisch vermittelt und geprägt. • Konstruktions-Korollarium. Eine Person antizipiert Ereignisse, indem sie ihre Replikationen konstruiert. • Individualitäts-Korollarium. Personen unterscheiden sich voneinander in ihrer Konstruktion von Ereignissen. • Organisations-Korollarium. Zum Zwecke der Antizipation von Ereignissen entwickelt jede Person in für sie charakteristischer Weise ein Konstruktionssystem, das Ordnungsbeziehungen zwischen Konstrukten umfasst. • Dichotomie-Korollarium. Das Konstruktionssystem einer Person setzt sich zusammen aus einer begrenzten Anzahl dichotomer Konstrukte. • Wahl-Korollarium. Eine Person wählt für sich selbst diejenige Alternative innerhalb eines dichotomen Konstrukts, bei der sie größere Möglichkeiten für eine Ausdehnung und/oder genauere Bestimmung des Konstrukts antizipiert. • Bereichs-Korollarium. Ein Konstrukt ist nur für die Vorhersage eines begrenzten Bereichs von Ereignissen geeignet. • Erfahrungs-Korollarium. Das Konstruktionssystem einer Person variiert, während sie nach und nach die Replikationen von Ereignissen konstruiert. • Modulations-Korollarium. Die Variation im Konstruktsystem einer Person wird begrenzt durch die Durchlässigkeit der Konstrukte, innerhalb deren Angemessenheitsbereich die Varianten liegen. • Fragmentations-Korollarium. Eine Person kann nacheinander eine Vielzahl von Subsystemen ihres Konstruktionssystems verwenden, die im Hinblick auf die sich aus ihnen ergebenden Schlussfolgerungen unvereinbar miteinander sind. • Ähnlichkeits-Korollarium. In dem Ausmaß, in dem eine Person eine Konstruktion von Erfahrungen verwendet, die der ähnlich ist, die eine andere Person verwendet, werden ihre psychologischen Prozesse denen der anderen Person ähnlich sein. • Sozialitäts-Korollarium. In dem Ausmaß, in dem eine Person die Konstruktionsprozesse einer anderen Person konstruiert, kann sie eine Rolle in einem sozialen Prozess spielen, der die andere Person mit einbezieht.

Das Konstruktions-Korollarium z. B. macht deutlich, dass Antizipation eine Form der Konstruktion darstellt, das Individualitäts-Korollarium, dass Konstruktionen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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in interindividuell unterschiedlicher Weise erfolgen, und das Erfahrungs-Korollarium, dass auch intraindividuell mit Veränderungen zu rechnen ist. Grundlage der Antizipationen, die eine Person vornimmt, ist, so wird es im OrganisationsKorollarium behauptet, ein für sie charakteristisches Konstruktsystem, eben ihr System persönlicher Konstrukte. Veränderungen innerhalb eines Konstruktsystems werden dem Modulations-Korollarium zufolge durch die Permeabilität oder Durchlässigkeit der Konstrukte begrenzt, die bei hoher Permeabilität die Aufnahme neuer Elemente in ihren Brauchbarkeitsbereich erlauben, bei geringer Permeabilität aber einer derartigen Erweiterung im Wege stehen. Von besonderer Bedeutung sind die beiden letzten Korollarien, die die Brücke zwischen den einzelnen Personen schlagen. Je ähnlicher die Konstruktsysteme zweier Personen sind, so Kelly, desto ähnlicher werden auch ihre Prozesse sein. Gelingende Kommunikation zwischen zwei Personen setzt voraus, dass beide Personen die Konstruktionen ihres Gegenübers zu rekonstruieren versuchen (und dabei Erfolg haben). Auf dem Hintergrund dieser Annahmen setzt Kelly die Persönlichkeit einer Person mit ihrem Konstruktsystem gleich. Ausführlichere Erläuterungen des Grundpostulats und der Korollarien einschließlich der darin auftretenden Begriffe finden sich bei Kelly (1955) selbst und z. B. bei Bannister und Fransella (1981) oder Westmeyer und Weber (2004). 2.3

Vorherrschende Forschungsstrategien und Datenerhebungsmethoden

Die grundlegenden Annahmen der Theorie der persönlichen Konstrukte lassen erwarten, dass jede Person sich und ihre Welt in je spezifischer Weise konstruiert. Jeder Forschungsansatz, der das nicht berücksichtigt, muss scheitern. Gefordert ist deshalb ein strikt idiographisches Vorgehen (➝ Idiographische und nomothetische Ansätze): Jeder Einzelfall ist für sich zu untersuchen. Bei der strikt idiographischen Untersuchung mehrerer Einzelfälle können sich Gemeinsamkeiten ergeben, die den Ausgangspunkt eines aggregierend-nomothetischen Vorgehens (Jaccard & Dittus, 1990) bilden können. Idiographisch ist auch bei der Erhebung von Informationen vorzugehen. Im Kontext der Theorie angemessene informationserhebende Verfahren müssen sich auf das persönliche Konstruktionssystem der untersuchten Person richten und – vor dem Hintergrund des Sozialitäts-Korollariums – zur Rekonstruktion dieses Systems durch die untersuchende Person beitragen. Fragebögen, wie sie in der traditionellen Persönlichkeitsdiagnostik vorherrschen, sind für diesen Zweck ungeeignet, da sie für alle untersuchten Personen denselben Beschreibungsrahmen (in der Regel das Konstruktsystem der Personen, die den Fragebogen entwickelt haben) vorgeben. Kelly und andere haben zahlreiche Verfahren vorgeschlagen, die besser zur Theorie passen: u. a. Selbstcharakterisierungen (siehe Kasten), den Role Construct Repertory Test (➝ Idiographische und nomothetische Ansätze) mit Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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seinen mittlerweile kaum noch zu überblickenden Varianten und inhaltsanalytische Verfahren für verbale Kommunikationen (vgl. G. J. Neimeyer, 1993). Viele dieser Verfahren verbinden qualitative (z. B. hermeneutische) und quantitative Vorgehensweisen. Die Selbstcharakterisierung Der untersuchten Person wird folgende Instruktion gegeben (Kelly, 1955, S. 323; Übersetzung in Bannister & Fransella, 1981, S. 69 f.): Ich möchte Sie bitten, eine kurze Charakterstudie von Harry Brown (Name der untersuchten Person) zu schreiben, und zwar gerade so, als wenn er die Hauptfigur in einem Theaterstück wäre. Schreiben Sie sie so, als wäre sie von einem Freund geschrieben, der ihn sehr intim und auf sehr mitfühlende Weise kennt, ja, der ihn vielleicht besser kennt, als ihn jemand wirklich jemals kennen könnte. Schreiben Sie sie in der dritten Person! Fangen Sie z. B. so an: „Harry Brown ist …“.

2.4

Einschätzung

Kellys Psychologie der persönlichen Konstrukte ist keine Theorie, die unmittelbar einer empirischen Überprüfung zugänglich ist. Es handelt sich vielmehr um eine Rahmenkonzeption, innerhalb derer auf den jeweiligen Einzelfall bezogen prüfbare Theorien zu konstruieren sind. Das ist bei der Bewertung bisheriger Versuche, Kellys Theorie empirisch zu überprüfen, angemessen zu berücksichtigen. Kellys Ansatz eignet sich hervorragend für die Interpretation bzw. Rekonstruktion menschlichen Handelns. Dabei werden die in Frage stehenden Ereignisse lediglich in die Begrifflichkeiten der Theorie eingebettet, ohne dass eine explizite empirische Überprüfung vorgenommen wird. Es ist eindeutig das Konstruieren, das in diesem Ansatz im Vordergrund steht, das Validieren der Konstruktionen wird demgegenüber ungebührlich vernachlässigt. Empirische Untersuchungen finden sich vor allem zu den diagnostischen Instrumenten und zur konstruktivistischen Therapie (siehe z. B. Fromm, 1999; R. Neimeyer & Mahoney, 1995; Viney, 1996; Winter, 1992). Dass Kellys Konstruktionen auch außerhalb seines eigenen Ansatzes nicht in Vergessenheit geraten sind, verdankt er vor allem Walter Mischel, der sich als KellySchüler bezeichnet und zentrale Vorstellungen Kellys in seinen eigenen sozialkognitiven Ansatz integriert hat. In der begrifflichen Neufassung von Persönlichkeit, die Mischel 1973 vorgelegt hat, finden sich die persönlichen Konstrukte Kellys zusammen mit den Kodierungsstrategien als eigener Typus von Personvariablen (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze).

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Konstruktivistische Ansätze

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Der Ansatz von Kenneth J. Gergen

3.1

Intendierte Anwendungen

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Gergen legt mit seinem Ansatz keine auf einen bestimmten Anwendungsbereich (z. B. Persönlichkeitspsychologie) bezogene psychologische Theorie vor, sondern eine metatheoretische Rahmenkonzeption, die für alle Teilbereiche der Psychologie von Bedeutung ist. Auf konkrete Teilbereiche bezogene Theorien können dann innerhalb dieses Rahmens formuliert werden. Ansätze dazu finden sich bei Gergen (z. B. 1994, 2002). 3.2

Grundlegende Annahmen

Aus Gergens (1985) metatheoretischer Rahmenkonzeption ergibt sich für die Persönlichkeitspsychologie eine ganze Reihe interessanter Konsequenzen (siehe dazu Westmeyer, 1995): 1. Persönlichkeit ist nicht etwas, das entdeckt werden könnte, sondern etwas, das konstruiert werden muss. Da es viele verschiedene Weisen gibt, Persönlichkeit zu konstruieren, macht es keinen Sinn, vom Wesen oder von der Natur der Persönlichkeit zu sprechen. Derartige Ausdrücke haben bestenfalls eine rhetorische Funktion und sollen den eigenen Konstruktionen von Persönlichkeit gegenüber anderen größere Überzeugungskraft verleihen. 2. Unser jeweiliges Verständnis von Persönlichkeit ist ein Produkt sozialer Konstruktionsprozesse. Ein bestimmtes Verständnis ist auf eine Gruppe aktiver, miteinander kooperierender Personen (eine Gemeinschaft von Persönlichkeitsforscherinnen und -forschern) angewiesen, die festlegen, was sie unter „Persönlichkeit“ verstehen wollen. Das Verständnis von Persönlichkeit kann sich zu verschiedenen Zeitpunkten und innerhalb und zwischen verschiedenen Kulturen unterscheiden (➝ Kulturvergleichende Ansätze). 3. Die zu beobachtende Vielfalt unterschiedlichster Ansätze in der Persönlichkeitspsychologie stellt deshalb kein Problem dar, das überwunden werden müsste. Die Möglichkeit, Persönlichkeit und die angemessene Art und Weise ihrer Erfassung unterschiedlich zu konstruieren, ist immer gegeben und wird auch weiterhin genutzt werden. Eine Reduktion dieser Vielfalt durch Übereinkünfte innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft ist möglich, aber in einer demokratisch verfassten Gesellschaft, die die Wissenschaftsfreiheit ausdrücklich garantiert, eher unwahrscheinlich. 4. Formen des Verstehens von Persönlichkeit stehen mit vielen Arten sozialer Handlungen in Beziehung. Konzeptualisierungen und Erklärungen von Persönlichkeit wirken sich auf die Art und Weise aus, wie Bereiche der Gesellschaft strukturiert sind und wie Menschen miteinander umgehen. Das wird am Beispiel der sozialen Konstruktion psychischer Störungen besonders deutlich: Welche Vorkommnisse bei Personen als Symptome aufgefasst, welche Symp-

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tome zu welchen Syndromen zusammengefasst und welche Syndrome als welche psychischen Störungen bezeichnet werden, ist das Resultat sozialer Konventionen (Konstruktionen). Weitere Konventionen innerhalb einer Gesellschaft legen fest, wie mit psychisch gestörten Personen umzugehen ist. Gergen (1994, 2002) selbst konstruiert den Gegenstand der Psychologie aus einer relationalen Perspektive: Ausdrücke, die sich aus traditioneller Sicht auf Eigenschaften von Personen oder auf Ereignisse bzw. Prozesse innerhalb von Personen beziehen, werden konsequent relational interpretiert. Aus Eigenschaften von Personen werden Relationen, die andere Personen oder Personengruppen als Komponenten einbeziehen. Zum Beispiel wird Kreativität traditionell als Eigenschaft z. B. von Personen betrachtet; in der neueren Forschung gewinnen Konstruktionen an Boden, die Kreativität als Relation zwischen Individuum, Domäne und Feld begreifen (➝ Kreativität). Ebenso werden bei Gergen aus Ereignissen bzw. Prozessen innerhalb von Personen Ereignisse bzw. Prozesse zwischen Personen. So ist das Selbst für ihn immer ein in (soziale) Beziehungen eingebundenes Selbst. Wenn Personen über sich Auskunft geben, müssen sie als Bausteine auf die Konstruktionen zurückgreifen, die ihnen ihre Kultur, die Gesellschaft, deren Teil sie sind, und die Gemeinschaft, in der sie leben, vorgeben. Emotionen werden nicht als sich in einer Person abspielende Prozesse konstruiert, sondern als Interaktionsprozesse zwischen Personen, als emotionale Szenarios, in denen Emotionen nach einem Drehbuch „aufgeführt“ werden, das wiederum primär sozialen Ursprungs ist (Gergen, 1994, S. 210 f.). Ein Beispiel findet sich in Abbildung 1. x Sympathie

Schuld

x x

Eifersucht

Ärger

Ärger x

Schuld

x x

Sorge

x Behagen

x x

x Glück

Nachfrage

Erklärung

Einfühlung

Glück

x x x

Bestätigung

Glück

x x

A

B

Interaktion I

A

B Interaktion II

A

B Interaktion III

Abbildung 1: Emotionales Szenario für Glück (nach Gergen, 1994, S. 233)

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Konstruktivistische Ansätze

3.3

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Vorherrschende Forschungsstrategien und Datenerhebungsmethoden

Wie bei Kelly dominieren auch in Gergens Ansatz idiographische und aggregierendnomothetische Forschungsstrategien. Im Unterschied zu Kelly können diese Strategien aber auch auf typische Konstruktionen einer bestimmten Kultur oder Gesellschaft zur Anwendung kommen. Ein Individuum für sich zu betrachten macht aus Sicht des sozialen Konstruktionismus wenig Sinn. Die Einbettung des Individuums in einen sozialen Kontext darf nie aus dem Auge verloren werden. Bei den Datenerhebungsmethoden überwiegen qualitative Verfahren (➝ Idiographische und nomothetische Ansätze). Von zentraler Bedeutung sind Methoden der Diskursanalyse, in der es zu Bedeutungszuschreibungen zu im Rahmen verbaler Interaktion aufgetretener Äußerungen durch eine oder mehrere auswertende Personen kommt. Aber auch innerhalb des Ansatzes von Kelly entwickelte Methoden können zum Einsatz kommen. 3.4

Einschätzung

Die metatheoretischen Konsequenzen dieses Ansatzes sind sicher interessant und bedenkenswert, die konkreten Anwendungen im Bereich der Persönlichkeitspsychologie lassen dagegen noch zu wünschen übrig. Vieles bleibt allzu programmatisch. Den Umsetzungen in empirischen Untersuchungen, soweit sie überhaupt erfolgen, fehlt es oft an Überzeugungskraft für diejenigen, die sich nicht auf eine narrative Psychologie beschränkt sehen wollen, die vor allem Erzählungen und Diskurse untersucht. Das Haupthindernis für eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes stellt allerdings unsere Sprache dar, die seit Jahrtausenden von einer individuumbezogenen Sichtweise geprägt wird und deshalb für eine relationale Sichtweise noch keine angemessenen Ausdrucksmittel bereithält. Daran etwas zu ändern, ist folglich ein vorrangiges Ziel innerhalb dieses Ansatzes (vgl. Gergen, 2002).

Weiterführende Literatur Gergen, K. J. (2002). Konstruierte Wirklichkeiten: Eine Hinführung zum Sozialen Konstruktionismus. Stuttgart: Kohlhammer. Westmeyer, H. & Weber, H. (2004). Die Theorie der personalen Konstrukte. In K. Pawlik (Hrsg.), Theorien und Anwendungsfelder der Differentiellen Psychologie (S. 59–113). Göttingen: Hogrefe.

Literatur Bannister, D. & Fransella, F. (1981). Der Mensch als Forscher (Inquiring Man): Die Psychologie der persönlichen Konstrukte. Münster: Aschendorff.

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Hannelore Weber & Hans Westmeyer

Fromm, M. (Hrsg.). (1999). Beiträge zur Psychologie der persönlichen Konstrukte. Münster: Waxmann. Gergen, K. J. (1985). The social constructionist movement in modern psychology. American Psychologist, 40, 266–275. Gergen, K. J. (1994). Realities and relationships: Soundings in social construction. Cambridge, MA: Harvard University Press. Gergen, K. J. (2002). Konstruierte Wirklichkeiten: Eine Hinführung zum Sozialen Konstruktionismus. Stuttgart: Kohlhammer. Glasersfeld, E. von (1998). Radikaler Konstruktivismus (2. Aufl.). Frankfurt a. M.: Fischer. Jaccard, J. & Dittus, P. (1990). Idographic and nomothetic perspectives on research methods and data analysis. In C. Hendrick & M. S. Clark (Eds.), Research methods in personality and social psychology (pp. 312–351). London: Sage. Kelly, G. A. (1955). The psychology of personal constructs (Vols. 1 and 2). New York: Norton. Mischel, W. (1973). Toward a cognitive social learning reconceptualization of personality. Psychological Review, 80, 252–283. Neimeyer, G. J. (Ed.). (1993). Constructivist assessment: A casebook. London: Sage. Neimeyer, R. A. & Mahoney, J. J. (Eds.). (1995). Constructivism in psychotherapy. Washington: American Psychological Association. Schiepek, G. (Hrsg.). (1999). Die Grundlagen der Systemischen Therapie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Viney, L. L. (Ed.). (1996). Personal construct therapy: A handbook. Norwood, JJ: Ablex. Westmeyer, H. (1995). Persönlichkeitspsychologie zwischen Realismus und Konstruktivismus. In K. Pawlik (Hrsg.), Bericht über den 39. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie 1994 in Hamburg (S. 748–753). Göttingen: Hogrefe. Westmeyer, H. (1999). Konstruktivismus und Psychologie. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 2, 507–525. Westmeyer, H. & Weber, H. (2004). Die Theorie der personalen Konstrukte. In K. Pawlik (Hrsg.), Theorien und Anwendungsfelder der Differentiellen Psychologie (S. 59–113). Göttingen: Hogrefe. Winter, D. A. (Ed.). (1992). Personal construct psychology in clinical practice: Theory, research and applications. London: Routledge.

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III Methodische Zugänge

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Idiographische und nomothetische Ansätze Idiographic and Nomothetic Approaches Hannelore Weber

1894 legte der Philosophieprofessor Wilhelm Windelband in einer Rede anlässlich eines Stiftungsfestes der Universität Straßburg dar, dass es in den „Erfahrungswissenschaften“, deren Aufgabe es sei, „eine irgendwie gegebene und der Wahrnehmung zugängliche Wirklichkeit zu erkennen“ (S. 22), zwei Wege zu dieser Erkenntnis gebe. Windelband nannte den einen dieser beiden Wege, der die Suche nach allgemeinen Gesetzen, nach dem „generellen, apodiktischen Urteil“ und der Abstraktion vom Einzelfall beschreitet, nomothetisch. Den anderen Weg, der die Untersuchung des spezifischen, historischen Ereignisses, des „einmaligen, in sich bestimmten Inhalt[s] des wirklichen Geschehens“ (S. 25 f.) umfasst, bezeichnete er als idiographisch. Die wissenschaftstheoretischen Implikationen der Unterscheidung zwischen nomothetischer und idiographischer Forschung, die Windelband in seiner Rede ausführte, sind bis heute aktuell geblieben. Aktuell geblieben ist auch die Frage nach dem Stellenwert der beiden Zugangswege, ihrem Nutzen und ihrem Verhältnis zueinander. Unbestritten ist die nomothetische Forschung in der Persönlichkeitspsychologie – wie in der Psychologie generell – der methodologische Standard; es gibt jedoch überzeugende Argumente für eine den nomothetischen Standard ergänzende idiographische Forschung. In dem nachfolgenden Beitrag werden zunächst Konzepte idiographischer Persönlichkeitsforschung vorgestellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Begriffe idiographisch und nomothetisch nicht in allen Ansätzen die gleiche Bedeutung haben. Es folgen zwei Beispiele für die Berücksichtigung idiographischer Methoden in der aktuellen Persönlichkeitsforschung.

1

Konzepte idiographischer Persönlichkeitsforschung

1.1

William Stern: Psychographie und Komparationsforschung

Windelband hatte den Begriff „idiographisch“ an das methodische Vorgehen der historischen Wissenschaften angebunden und gleichgesetzt mit der beschreibenden und erklärenden Analyse historisch einmaligen Geschehens: „Immer aber ist der Erkenntniszweck der, dass ein Gebilde des Menschenlebens, welches in einmaliger Wirklichkeit sich dargestellt hat, in dieser seiner Tatsächlichkeit reproduziert und verstanden werde“ (S. 25). William Stern übertrug das Begriffspaar auf die psychologische Forschung. Er übernahm die Windelband’sche Unterscheidung Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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zwischen Gesetze suchender (nomothetischer) Forschung und der (idiographischen) Erforschung des einmaligen Geschehens – nunmehr in der Bedeutung von Erforschung des einzelnen Individuums, als er die „Differentielle Psychologie“ als eigenständige psychologische Disziplin konzipierte. Ziel der Differentiellen Psychologie sollte es dabei nach Stern (1911) sein, die formalen und inhaltlichen Gesetzmäßigkeiten zu erforschen, die „in der allgemeinen Tatsache des seelischen Variierens selber stecken“ (S. 3), also der interindividuellen Variation. Stern unterschied vier Teilgebiete der Differentiellen Psychologie, darunter zwei, die er der nomothetischen, und zwei, die er der idiographischen Forschung zuordnete. Nomothetisch sind die beiden Teilgebiete, die bei der Suche nach allgemeinen Aussagen von Gruppen ausgehen und zum einen die Verteilung eines Merkmals in einer Gruppe (Variationsforschung) und zum anderen den Zusammenhang zwischen Merkmalen untersuchen (Kovariationsforschung). Die nomothetische Forschung ist nach Stern (1911, S. 3 f.) jedoch desto weniger geeignet, „je enger der Umkreis der Gruppe, je spezieller die Typik ist, deren Wesen bestimmt werden soll … wo die einzelne Individualität selber zum Problem wird.“ Individualität als die „Asymptote der Gesetze suchenden Wissenschaft“ ist nämlich, so Stern, aus allgemeinen Gesetzmäßigkeiten nicht ableitbar. Daraus folge für die Differentielle Psychologie, dass sie um idiographische Methoden erweitert werden müsse, die das einzelne Individuum oder die Individualität zum Forschungsgegenstand haben. Eine solche idiographische Forschung verwirklicht sich nach Stern in den beiden Teildisziplinen der Psychographie und der Komparationsforschung. Die Psychographie hat die Aufgabe, die an einer einzelnen Person feststellbare Merkmalsfülle umfassend zu beschreiben und nach strukturellen, übergeordneten Prinzipien zu suchen, welche die Vielfalt wieder zur Einheit bringen. Die Komparationsforschung beinhaltet den systematischen Vergleich zwischen mehreren Psychogrammen. Im Unterschied zu der Variations- und der Komparationsforschung, die die Untersuchung von Merkmalen zum Gegenstand haben, sind Personen Gegenstand der beiden idiographischen Teildisziplinen. In den Begrifflichkeiten von Jaccard und Dittus (1990) wäre die Psychographie strikt idiographisch, die Komparationsforschung aggregierend-idiographisch und die beiden auf Merkmale gerichteten Teildisziplinen normativ-nomothetisch. Stern forderte auch für die beiden idiographischen Teildisziplinen eine streng empirische Vorgehensweise und minuziöse Dokumentation. So löste er den Begriff von einer Gleichsetzung mit „verstehend-hermeneutisch“. Ein solches Verständnis hatte Windelbands Einführung der Begriffe noch nahe gelegt, und auch in der späteren Diskussion wurde der Begriff idiographisch immer wieder mit „verstehend-hermeneutisch“ gleichgesetzt und in diesem Verständnis als für die Psychologie irrelevant abgetan, so etwa von Eysenck (1954). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Quantitativ – Qualitativ Die Begriffe „qualitativ“ und „quantitativ“ werden häufig mit „idiographisch“ und „nomothetisch“ verknüpft. Dies ist jedoch nicht korrekt, da es sich um prinzipiell unabhängige Aspekte handelt. Beide, idiographische und nomothetische Ansätze, können sowohl qualitativer als auch quantitativer Natur sein. Zu der Begriffsverwirrung trägt bei, dass die Begriffe qualitativ und quantitativ in unterschiedlicher Bedeutung verwendet werden. Innerhalb des psychometrischen Ansatzes bezeichnet „qualitativ“ ein Vorgehen, bei dem die zu erfassenden bzw. zu messenden Untersuchungseinheiten Klassen oder Kategorien zugeordnet werden (z. B. weiblich – männlich) und damit kategoriale oder nominale Daten gewonnen werden. Bei dem als „quantitativ“ bezeichneten Vorgehen werden den zu messenden Untersuchungseinheiten unterschiedliche Grade der Ausprägung auf einer Ordinalskala (z. B. Schulnoten), Intervallskala (z. B. Intelligenz) oder Verhältnisskala (z. B. Körpergewicht) zugeordnet. Innerhalb der Literatur zur qualitativen Methodik oder qualitativen Forschung bezeichnet „qualitativ“ hingegen ein Vorgehen, das (zunächst) überhaupt nicht auf die Messung von Merkmalen gerichtet ist und sich in diesem Sinne von der quantitiven Forschung abgrenzen will. Die Zielsetzung qualitativer Forschung ist die verstehende und interpretierende Analyse von Texten, die von Personen beispielsweise in einem Gespräch ohne inhaltliche Vorgaben produziert wurden. Aus den Texten werden als bedeutsam erachtete Aussagen und Themen sowie inhaltliche Zusammenhänge extrahiert, die entweder als nur für die einzelne Person gültig oder aber als für definierte Gruppen repräsentativ interpretiert werden. 1.2

Gordon W. Allport: Persönliche Dispositionen

Allport (1937) führte das Begriffspaar „idiographisch-nomothetisch“ in den angloamerikanischen Sprachraum ein und verband es dabei mit seiner Eigenschaftstheorie. Als ein leidenschaftlicher Verfechter des idiographischen Ansatzes forderte er von der Persönlichkeitspsychologie, dass sie sich vor allem mit der Einzigartigkeit einer Person und ihrer individuumsspezifischen Struktur und Dynamik zu beschäftigen habe. Er schlug vor, dass die bestmögliche Analyseeinheit einer solchen idiographischen Persönlichkeitsforschung die „persönliche Disposition“ sei. Persönliche Dispositionen sind nach Allport Eigenschaften, die allein für ein spezifisches Individuum zutreffen und damit seine Einzigartigkeit charakterisieren. Die Idee der persönlichen Dispositionen illustrierte Allport durch literarische oder historische Persönlichkeiten, wie Marquis de Sade, deren herausragende Dispositionen sogar entsprechende Eigenschaftsnamen (Sadismus) geprägt haben. Persönliche Dispositionen unterschied Allport von den in der Persönlichkeitsforschung Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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gebräuchlichen „allgemeinen Eigenschaften“, hinsichtlich derer die meisten Menschen einer Kultur verglichen werden können, so zumindest die Annahme. Eine weitere Unterscheidung trifft Allport zwischen „Kardinaleigenschaften“, die sich dadurch auszeichnen, dass sie in hohem Maße das gesamte Verhalten eines Menschen bestimmen, und „zentralen Eigenschaften“, die weniger durchdringend sind, aber immer noch eine stark generalisierte Wirkung haben. Die Idee der persönlichen Disposition wurde in der Folgezeit nicht mehr ernsthaft verfolgt, zumal Allport selbst keine tragfähigen methodischen Ansätze vorgeschlagen hat. Zudem stellt sich die grundsätzliche Frage, wie eine explizit individuumsspezifische Beschreibung überhaupt realisiert werden könnte. Entweder bedürfte es dazu neuer Beschreibungsdimensionen, also Neologismen (etwa „Sadismus“), die aber wiederum unter Rückgriff auf bereits bekannte Begriffe und damit allgemeine Eigenschaften expliziert werden müssen, um überhaupt verstanden zu werden. Oder aber man muss sich von vornherein vorhandener Begriffe bedienen, die aber, sonst gäbe es sie nicht, auch auf andere zutreffen können und damit den Charakter einer allgemeinen Eigenschaft haben (Holt, 1962). Auf die prinzipielle Abhängigkeit idiographischer Forschung von nomothetischen Beschreibungsdimensionen hatte bereits Windelband (1894) verwiesen. 1.3

Hans Thomae: Das Individuum und seine Welt

In Deutschland prägte Thomae (1968) mit seinem Buch „Das Individuum und seine Welt“ ein Verständnis des Begriffes „idiographisch“, das von Allport und der Anbindung an das Eigenschaftskonzept wegführte. Idiographische Persönlichkeitsforschung beinhaltet nach Thomae eine „Verbindung von höchstmöglicher Konkretheit und Totalität in der Erfassung des Individuums“ (Thomae, 1968, S. 13). Sie geht aus von der „Anschauung des Individuums in seiner Welt“ und hat die maximal realisierbare, umfassende und detaillierte Erfassung konkreten menschlichen Erlebens und Verhaltens zum Ziel. Als angemessene Methode hat Thomae die Exploration verwendet, ein weitgehend offenes Gespräch, in dem der Einzelne seine Erfahrungen berichtet, ohne auf vorgegebene theoretische oder methodische Konzepte eingeschränkt zu werden. Der idiographischen Erfassung von Erfahrungen hat Thomae in seiner Forschung eine nomothetische Phase der Abstraktion folgen lassen, indem die individuellen Aussagen übergeordneten Kategorien zugeordnet wurden, die einen Vergleich zwischen Personen und weiterführende nomothetische Analysen erlauben. Der Wechsel zur nomothetischen Datenreduktion ist nach Thomae (1968, S. 18) notwendig, da die Persönlichkeitsforschung „als Wissenschaft in irgendeinem Maße zur Generalisierung gezwungen“ ist. Die Kombination aus idiographischer und nomothetischer Foschung stellt einen Ansatz dar, der die Vorteile beider Zugänge verbindet und sich für eine Reihe von Fragestellungen als angemessenes VorgeDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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hen anbietet (siehe Abschnitt 2). Mit dem Übergang von individuumsbezogenen Aussagen zu personübergreifenden Kategorien geraten jedoch im Sinne von Stern statt der Personen Merkmale in den Mittelpunkt der Forschung; so überwiegt letztlich der nomothetische Charakter. 1.4

George Kelly: Persönliche Konstrukte

Nach Kelly (1955) ist die Persönlichkeit (und Einzigartigkeit) eines Menschen durch die Art und Weise gekennzeichnet, wie er sich selbst, seine Umwelt und seine Erfahrungen wahrnimmt, interpretiert und strukturiert (➝ Konstruktivistische Ansätze). Die nach Auffassung von Kelly individuumsspezifische Interpretation und Organisation von Wahrnehmungen und Erfahrungen erfolgt in Form „Persönlicher Konstrukte“, die in ihrer Gesamtheit die Persönlichkeit eines Menschen konstituieren. Auch wenn die Theorie von Kelly hohe Relevanz für eine Theorie der Persönlichkeit generell hat, sieht Kelly die praktische Relevanz und den Anwendungsschwerpunkt seiner Theorie im Bereich der Klinischen Psychologie. Kelly geht davon aus, dass Ursachen für psychische Störungen und fehlendes Wohlbefinden vor allem in der Art und Weise zu sehen sind, wie Menschen ihre eigene Person, andere Personen, Situationen und ihre Erfahrungen interpretieren, also in ihren persönlichen Konstrukten. Die Veränderung von persönlichen Konstrukten im Rahmen der Therapie führt dazu, dass Klienten neue Erfahrungen machen, die das neue Konstruktsystem, wenn es sich in seinen Konsequenzen als positiv erweist, stabilisieren. Wenn beispielsweise eine Person lernt, andere Personen nicht als feindselig wahrzunehmen, sondern als zurückhaltend, wird sie sich ihnen gegenüber offener und freundlicher verhalten, was wiederum dazu führt, dass andere Personen ihr gegenüber nicht mehr abweisend reagieren. Neben dem freien Gespräch, aus dem die Konstrukte einer Person direkt oder indirekt durch die Art und Weise hervorgehen, wie sie ihre Erfahrungen schildert, können die persönlichen Konstrukte systematisch mit dem „Role Construct Repertory Grid“-Test (kurz REP-Test genannt) erfasst werden (➝ Konstruktivistische Ansätze). Der REP-Test kann in der Diagnostik als idiographische Methode eingesetzt werden, um das spezifische Konstruktsystem einer einzelnen Person zu erfassen. Er kann aber auch als Forschungsmethode im Rahmen nomothetischer Forschung verwendet werden, um Personen beispielsweise im Hinblick auf die Inhalte und Komplexität ihres Konstruktsystems zu vergleichen. 1.5

Das Kohärenzprinzip und die „Verhaltenssignatur“

In den 1970er Jahren wurde die Diskussion um den Stellenwert idiographischen Vorgehens im Rahmen der sog. Konsistenzdebatte neu belebt (➝ Interaktionistische Ansätze). Ausgelöst wurde diese Debatte durch Mischel (1968), der empirische Befunde zusammenstellte, denen zufolge das Verhalten in einer konkreten SituaDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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tion nur in einem geringen Ausmaß durch Eigenschaften vorhergesagt werden kann, Personen sich folglich über unterschiedliche Situationen hinweg wenig konsistent verhalten. Dem folgte eine lebhafte Diskussion über den Stellenwert des Eigenschaftskonzeptes und über Möglichkeiten, die Verhaltensvorhersage auf der Basis von Eigenschaften zu verbessern, darunter auch unter Zuhilfenahme idiographischer Elemente. Bem und Allen (1976) schlugen beispielsweise vor, Personen die Konsistenz ihres Verhaltens im Hinblick auf (allgemeine) Eigenschaften, z. B. ihre Freundlichkeit, selbst einschätzen zu lassen. Auf diese Weise kann entschieden werden, ob eine Person sich als merkmalskonsistent erachtet und damit durch eine allgemeine Eigenschaft überhaupt angemessen beschrieben werden kann, während dies für merkmalsinkonsistente Personen nicht zutrifft. Dieser durchaus überzeugende Ansatz wird jedoch in der aktuellen Forschung kaum mehr verfolgt. Weiterhin aktuell ist hingegen ein Ansatz, der von Magnusson und Endler (1977) im Kontext der Konsistenzdebatte als „Kohärenzprinzip“ vorgeschlagen wurde. Dieses Prinzip besagt, dass sich das Verhalten einer Person in einer gesetzmäßigen und damit vorhersagbaren Weise von Situation zu Situation verändert. Das Verhalten einer Person lässt sich somit als ein Muster von individuumspezifischen Reaktionen beschreiben. Beispielsweise kann Person 1 in Situationen vom Typ A mit einem Angstanstieg reagieren, nicht jedoch in Situation B. Person 2 zeigt das umgekehrte Muster, während Person 3 in beiden Situationen mit erhöhter Angst reagiert, Person 4 bleibt in beiden Situationstypen unberührt. Das Kohärenzprinzip entspricht dem Gedanken Allports (1937), dass Personen konsistent sein können, jedoch nicht unbedingt in gleicher Weise. Im Unterschied zu Allports Überlegungen basiert das Kohärenzprinzip auf allgemeinen Eigenschaften. In der aktuellen Persönlichkeitspsychologie hat vor allem Walter Mischel die Idee einer personspezifischen Stabilität und Konsistenz von Verhalten in Form von beständigen „Wenn Situation X – dann Verhalten Y“-Beziehungen ausgearbeitet (z. B. Mischel, 2004; Mischel & Shoda, 1995). Wie eine Unterschrift eine Person kennzeichnet, so erweist sich diesem Ansatz zufolge auch ihr Verhaltensmuster über unterschiedliche Situationen hinweg als eine personspezifische „Verhaltenssignatur“. Einzigartigkeit und Einzelfall In der Diskussion um die Konzeption und den Stellenwert idiographischer Forschung spielen zwei Themen eine wichtige Rolle: die Einzigartigkeit einer Person und die sich daraus ergebende Notwendigkeit der Erforschung des Einzelfalls. Dabei ist es jedoch wichtig, zwischen theoretischen Positionen und dem methodischen Vorgehen zu unterscheiden (vgl. Marceil, 1977; siehe auch Revelle, 1995): Im Hinblick auf eine Theorie kann man die Position vertreten,

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dass Personen entweder eher einzigartig oder aber sich eher ähnlich sind. Im Hinblick auf das methodische Vorgehen kann man sich für die Untersuchung von vielen Personen entscheiden oder eher für die intensive Erforschung einzelner (weniger) Personen. Die beiden theoretischen Grundpositionen und die beiden methodischen Vorgehensweisen sind voneinander unabhängig und lassen sich daher zu vier Ansätzen kombinieren, die in der Persönlichkeitspsychologie auch Anwendung finden: 1. Die Untersuchung vieler Personen unter der Annahme, dass sich Personen eher ähneln. Dies ist der Ansatz, der vor allem in faktorenanalytischen Ansätzen realisiert wird, indem viele Personen im Hinblick auf die Ausprägung von allgemeinen Eigenschaften untersucht werden (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze). 2. Die Untersuchung vieler Personen unter der Annahme, dass Personen eher einzigartig sind. Dieses Vorgehen wird beispielsweise von Ansätzen gewählt, welche die individuumsspezifische, freie Erfassung von Merkmalen mit der Auswertung nach allgemeinen Dimensionen verbinden (für Beispiele siehe Abschnitt 2). 3. Die Untersuchung einzelner (weniger) Personen unter der Annahme, dass Menschen sich eher ähnlich sind. In diesem Fall wird angenommen, dass sich das an einzelnen Personen untersuchte Verhalten auf (alle) anderen Personen generalisieren lässt. Ein Beispiel für diese Kombination ist Freud (➝ Psychoanalytische Persönlichkeitstheorien), der die in Fallstudien untersuchten psychodynamischen Phänomene als für (alle) anderen Menschen zutreffend postulierte. 4. Die Untersuchung einzelner (weniger) Personen unter der Annahme, dass Menschen eher einzigartig sind. Dieser Forschungsansatz wird in der aktuellen Persönlichkeitsforschung nur selten realisiert. Ein Beispiel ist die Erfassung des persönlichen Konstruktsystems von Personen mit dem REPTest innerhalb der Theorie von Kelly. Die unterschiedlichen theoretischen Positionen im Hinblick auf die Ähnlichkeit von Personen können auch verbunden werden, indem für jede einzelne Person sowohl Einzigartigkeit als auch Ähnlichkeit postuliert wird. Nach Kluckhohn und Murray (1953, S. 53) ist jede Person „in certain respects a) like all other man, b) like some other man, c) like no other man“.

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Idiographische Forschungsansätze

Bei aller noch so einleuchtenden Argumentation für eine Aufnahme idiographischer Elemente in die Persönlichkeitsforschung stellt sich die Frage, wie eine solche Idee methodisch überzeugend umgesetzt werden kann. Nach Pervin (1984) Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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können idiographische Methoden nach zwei Gesichtspunkten unterschieden werden: Das Ausmaß an Strukturiertheit, das von der freien Antwortformulierung bis hin zur Vorgabe von Kategorien reichen kann, und die Art der Auswertung, die zwischen einer subjektiven Interpretation durch die Forschenden bis hin zu den klassischen Methoden wie z. B. der Faktorenanalyse variieren kann. Im Hinblick auf das Ausmaß an Strukturiertheit besteht Konsens, dass hier die ganze Spielbreite genutzt werden kann. Hinsichtlich der Auswertung jedoch besteht ebenfalls Konsens, dass die subjektive Interpretation durch die Forschenden den Standards empirischer Forschung nicht genügt und daher für die Persönlichkeitsforschung kein akzeptables Vorgehen darstellt. Allgemeine Akzeptanz finden vor allem solche Ansätze, die beide Zugänge kombinieren, indem einer idiographischen (im Sinne von durch keine oder nur wenige Vorgaben eingeschränkten) Erfassung von relevanten Merkmalen die nomothetische (gruppenbezogene) Analyse der Daten folgt. Dieses Vorgehen hatte bereits Thomae (1968) realisiert und es bietet sich nach wie vor für Fragestellungen an, bei denen von einer großen inhaltlichen Varianz der individuellen Erfahrungen auszugehen ist, die mit strukturierten Verfahren nicht angemessen abgebildet werden kann. Die nachfolgenden zwei Beispiele aus der aktuellen Persönlichkeitsforschung zur Erfassung persönlicher Ziele und der Konstruktion von Identität beziehen sich auf solche Fragestellungen. 2.1

Die Erfassung persönlicher Ziele

Seit den 1980er Jahren gewinnen persönliche Ziele („Current Concerns“, „Personal Projects“, oder „Personal Strivings“), die Personen zu einem gegebenen Zeitpunkt in ihrem Leben verfolgen, zunehmend an Aufmerksamkeit in der Persönlichkeitspsychologie. Im Unterschied zu anderen Zieltheorien, die sich auf vorgegebene Ziele konzentrieren, stehen im Mittelpunkt dieser Ansätze diejenigen Ziele, die eine Person für sich selbst als relevant formuliert, ohne inhaltlichen Vorgaben zu folgen (Überblick Brunstein & Mayer, 1996). Diese Ansätze sind daher vom ihrem Grundsatz her idiographisch. Realisiert wird dies, indem die an den Studien teilnehmenden Personen gebeten werden, ihre gegenwärtigen Ziele selbst zu benennen. Die Ansätze verfolgen jedoch weniger das Ziel, die persönlichen Ziele von Personen als solche zu beschreiben und zu analysieren, sondern zu untersuchen, welche Bedeutung die Verfolgung und Erreichung von Zielen für das Wohlbefinden von Personen haben. Daher belassen es die Ansätze nicht bei der idiographischen Erfassung von Zielen, sondern bitten die teilnehmenden Personen, die von ihnen generierten Ziele nach allgemeinen Merkmalen einzuschätzen, etwa der Wichtigkeit des Zieles oder der Schwierigkeit der Umsetzung. Auf diese Weise werden die individuellen Ziele interindividuell vergleichbar und damit Gegenstand weiterführender nomothetischer Analysen (➝ Ziele). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Die Untersuchung von „Life stories“

Die Analyse der Biografie einer Person ist der Prototyp idiographischer Forschung, da sich in der Lebensgeschichte die postulierte Einzigartigkeit einer Person in besonderer Weise manifestiert. Die Biografie oder einzelne biografische Episoden können jedoch nicht nur Gegenstand der Forschung sein, sie können auch als Methode genutzt werden, um übergeordnete Fragestellungen zu beantworten. Ein Beispiel für dieses letztere Vorgehen stellt der Ansatz von McAdams (1993) dar. McAdams geht davon aus, das Personen sich ab der späten Adoleszenz um die Konstruktion einer mehr oder weniger integrativen Erzählung ihrer Person bemühen, die ihrem Leben Einheit und Sinn verleiht. Diese Lebensgeschichte kann auch als ein Versuch betrachtet werden, die eigene Identität in Form einer Erzählung zu konstruieren. Lebensgeschichten stellen nach McAdams psychosoziale Konstruktionen dar, da sie als ein gemeinsames Produkt der subjektiven Konstruktion einer Person und der Kultur, in der und für die sie erzählt werden, erachtet werden können. Lebensgeschichten können nach McAdams als Charakteristikum einer Person verstanden und hinsichtlich bestimmter ihrer Merkmale auch gemessen werden. Die Nutzung der Lebensgeschichte als Datum wird vor allem dann möglich, wenn Personen gebeten werden, ihre Lebensgeschichte in einer ganz bestimmten Form zu erzählen. In dem Forschungsansatz von McAdams werden Lebensgeschichten durch ein halbstrukturiertes, zwei- bis dreistündiges Interview erfasst, in dem eine Serie von Fragen gestellt wird, mit denen wesentliche Aspekte der „self-defining life story“ angeregt werden (z. B. McAdams, Diamond, Aubin & Manfield, 1997). Die teilnehmenden Personen werden gebeten, sich ihr Leben als ein Buch vorzustellen und dieses Buch in einzelne Kapitel mit Titel und Kurzfassung einzuteilen. Für jedes „Lebenskapitel“ schildern die Teilnehmer in bestimmten Details acht Schlüsselszenen, beispielsweise den Höhe- oder Tiefpunkt. Es folgt die Beschreibung der vier für ihr Leben einflussreichsten Personen, zukünftige „Lebenskapitel“ (Pläne, Hoffnungen, Träume), zwei gegenwärtig erlebte Konfliktbereiche sowie Schilderungen ihres Wertesystems. Die derart strukturierten Lebensgeschichten, die auf einer idiographischen Erfassung beruhen, können nach übergreifenden inhaltlichen Aspekten ausgewertet werden und als Personmerkmale in nomothetische Forschung einfließen. Beispielsweise wurde in der Studie von McAdams et al. (1997) untersucht, inwieweit sich die Lebensgeschichten von Personen, die sich durch eine hohe Generativität im Sinne von Erikson, d. h. Sorge für die nachkommende Generation auszeichnen, von einer Kontrollgruppe im Hinblick auf bestimmte Erfahrungen unterscheiden.

Weiterführende Literatur Mischel, W. (2004). Toward an integrative science of the person. Annual Review of Psychology, 55, 1–22. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Literatur Allport, G. W. (1937). Personality: A psychological interpretation. New York: Holt. Bem, D. J. & Allen, A. (1974). On predicting some of the people some of the time: The search for cross-situational consistencies in behavior. Psychological Review, 81, 506– 520. Brunstein, J. C. & Mayer, G. W. (1996). Persönliche Ziele: Ein Überblick zum Stand der Forschung. Psychologische Rundschau, 47, 146–160. Eysenck, H. J. (1954). The science of personality: Nomothetic! Psychological Review, 61, 339–342. Holt, R. R. (1962). Individuality and generalization in the psychology of personality. Journal of Personality, 30, 377–404. Jaccard, J. & Dittus, P. (1990). Idiographic and nomothetc perspectives on research methods and data analysis. In C. Hendrick & M. S. Clark (Eds.), Research methods in personality and social psychology (pp. 312–351). London: Sage. Kelly, G. (1955). The psychology of personal constructs. New York: Norton. Kluckhohn, C. & Murray, H. A. (1953). Personality formation: The determinants. In C. Kluckhohn, H. A. Murray & D. Schneider (Eds.), Personality in nature, society and culture (pp. 53–67). New York: Knopf. Magnusson, D. & Endler, N. S. (1977). Interactional psychology: Present status and future prospects. In D. Magnusson & N. S. Endler (Eds.), Personality at the crossroads: Current issues in interactional psychology. Hillsdale, NJ: Erlbaum. Marceil, J. C. (1977). Implicit dimensions of idiography and nomothesis: A reformulation. American Psychologist, 32, 1046–1055. McAdams, D. P. (1993). The stories we live by: Personal myths and the making of the self. New York: Morrow. McAdams, D. P., Diamond, A., de St. Aubin, E. & Mansfield, E. (1997). Stories of commitment: The psychosocial construction of generative lives. Journal of Personality and Social Psychology, 72, 678–694. Mischel, W. (1968). Personality and assessment. New York: Wiley. Mischel, W. (2004). Toward an integrative science of the person. Annual Review of Psychology, 55, 1–22. Mischel, W. & Shoda, Y. (1995). A cognitive-affective system theory of personality: Reconceptualizing situations, dynamics, and invariance in personality structure. Psychological Review, 102, 246–283. Pervin, L. A. (1984). Idiographic approaches to personality. In J. M. Hunt & N. S. Endler (Eds.), Personality and the behavior disorders (Vol. 1, 2nd ed.). New York: Wiley. Revelle, W. (1995). Personality processes. Annual Review of Psychology, 46, 295–328. Stern, W. (1911). Die differentielle Psychologie in ihren methodischen Grundlagen. Leipzig: Barth. Thomae, H. (1968). Das Individuum und seine Welt. Göttingen: Hogrefe. Windelband, W. (1894). Geschichte und Naturwissenschaft (3. Aufl. 1904). Straßburg: Beitz.

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Selbstberichte Self-Report Measures Hans D. Mummendey Selbstberichtsverfahren sind für die Psychologie von zentraler Bedeutung. Da sich diese Wissenschaft a) mit dem äußerlich beobachtbaren Verhalten und b) mit dem innerlich erfahrbaren Erleben von Individuen beschäftigt, bedarf es zur Erfassung ihrer Gegenstände teilweise unterschiedlicher Methoden. Während sich z. B. (a) das Interaktionsverhalten von Gruppenmitgliedern durch Verhaltensbeobachtung erfassen und registrieren lässt, muss (b) durch die Anwendung von Befragung oder Selbsteinschätzungsverfahren ermittelt werden, wie die Gruppenmitglieder einander beurteilen. In der Klinischen Psychologie könnte man (a) beobachtbare Symptome eines Klienten protokollieren oder (b) diesen bitten, über die an sich selbst beobachteten Symptome zu berichten. Selbstberichte beziehen sich auf den Fall (b), also Erkenntnisgewinnung oder Datenerhebung, bei der eine Person über sich selbst Auskunft gibt. „Selbstberichte“ ist daher der Oberbegriff für Erfassungsmethoden, die auf subjektiven, gewöhnlich verbal übermittelten Äußerungen beruhen. Es wäre gewiss auch möglich, offen beobachtbares Verhalten durch Selbstberichte des sich verhaltenden Individuums zu erfassen, und sicherlich könnte man auch Selbstberichte wiederum als eine Form des (verbalen) Verhaltens auffassen und ähnlich wie andere Verhaltensweisen behandeln. Für die psychologische Forschung ist am ehesten einer Definition zuzustimmen, die Angleitner und Riemann (1996, S. 427) für den Selbstbericht geben: Definition: „Selbstberichtsverfahren erfassen Äußerungen über eigenes Erleben und Verhalten einer Testperson, die sie aufgrund einer Instruktion, wahrheitsgemäß zu antworten, produziert.“

In der Fachliteratur sind verschiedene Formen von Selbstberichtsverfahren beschrieben worden, und in der Praxis der Forschung werden mannigfache Arten von Selbstberichtsdaten erhoben, vor allem mittels der Fragebogen-Methode (vgl. Mummendey, 2003). Mehrere Publikationen diskutieren die Besonderheiten und Probleme des Selbstberichts (vgl. Stone et al., 2000). Bei der Datenerfassung insbesondere in der Differentiellen Psychologie dominiert der am psychologischen Test orientierte Fragebogen (➝ Objektive psychologisch-diagnostische Verfahren). Selbstberichte werden aber auch in Form von Selbsteinschätzungen auf Adjektivlisten und Ratingskalen und mittels Interviews erhoben.

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Zu den Selbstberichtsdaten zählen prinzipiell auch schriftliche Dokumente wie autobiografische Schriften, Tagebuchaufzeichnungen und andere Arten freier Selbstbeschreibung. Einen Grenzfall stellen unter Umständen Verfahren dar, in denen Individuen nur ganz indirekt Aussagen über sich selbst machen, indem sie z. B. Bilder deuten, auf vorgegebene Geschichten reagieren (Vignetten-Technik) etc., so dass angenommen werden könnte, dass die Personen damit etwas über sich selbst aussagen. Die Aufnahme solcher indirekter Selbstberichtsverfahren würde allerdings die Kategorie „Selbstbericht“ in unhandlicher Weise ausweiten. Der vorliegende Beitrag beschränkt sich auf die folgenden Methodengruppen: • Fragebogenmethode, • Selbsteinschätzungen auf Adjektivlisten und Ratingskalen, • Interviewverfahren. In gesonderten Abschnitten wird auf typische Fehler der Fragebogen-Methode und ihre Kontrolle sowie auf Vorzüge und Nachteile von Selbstberichtsverfahren allgemein eingegangen.

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Fragebogenmethode

Mit Fragebogen (Inventory, Questionnaire) lassen sich sowohl relativ überdauernde Persönlichkeitseigenschaften (Traits), z. B. Extraversion, Einstellungen gegenüber Gruppen, als auch situativ variierende subjektive Zustände (States), z. B. Stimmungen, Zufriedenheit, kurzfristige Präferenzen für Objekte, erfassen. Bei der Beantwortung von Persönlichkeits- und Einstellungsfragebogen gibt es subjektiv als zutreffend empfundene Antworten, nicht aber im strengen Sinne „richtige“ oder „falsche“. Fragebogen sind wichtige Instrumente zur Erforschung von Persönlichkeitsmerkmalen und Einstellungen von Personengruppen; sie als diagnostische Verfahren für den Einzelfall einzusetzen, bringt eine Reihe von Problemen mit sich (vgl. Mummendey, 2003). Besprochen wird im Folgenden ausschließlich die Konstruktion eindimensionaler Fragebogen, die zur Bestimmung eines Messwertes (Score) auf einem einzelnen psychologischen Kontinuum führt. Die Fragebogenkonstruktion, sei es zur Messung von Persönlichkeitseigenschaften oder zur Erfassung von Einstellungen (Beispiele siehe Kasten), vollzieht sich in mehreren Schritten: 1. Das zu erfassende Konstrukt (z. B. Extraversion) wird aus einer Theorie oder aus empirischen Befunden abgeleitet. 2. Die Form der Items (Fragen wie „Besuchen Sie gerne eine Party?“ oder Feststellungen wie „Ich besuche gerne eine Party“) und die Antwortform (z. B. „ja/nein“, „stimmt/stimmt nicht“, „immer/häufig/manchmal/nie“) werden festgelegt.

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3. Es wird eine Itemsammlung erstellt: Dutzende Fragen oder Feststellungen werden auf Grund von Literaturstudium, Expertenbefragungen etc. formuliert; sie müssen bestimmten sprachlichen Erfordernissen wie Verständlichkeit, Kürze, Eindeutigkeit genügen. 4. Der Fragebogen wird mit einer Instruktion versehen, die die Probanden auffordert, zügig, zutreffend und vollständig zu antworten, gegebenenfalls wird Anonymität zugesichert. 5. Instruktion und Items werden einer großen Zahl von Probanden zur Beantwortung vorgelegt, und die erhobenen Daten werden einer Itemanalyse zugeführt; sie besteht aus der Ermittlung des Schwierigkeitsgrades (der relativen Anzahl bejahter und verneinter Items) und der Trennschärfe (der Korrelation eines einzelnen Items mit dem aus der Summe der Itemantworten gebildeten GesamtScore) für jedes einzelne Item. Items mit zu niedriger oder zu hoher Schwierigkeit sowie Items mit zu geringer Trennschärfe werden aussortiert. 6. Der endgültige Fragebogen wird aus den positiv ausgelesenen Items gebildet und in weiteren Untersuchungen auf Zuverlässigkeit und Gültigkeit geprüft. 7. Die Zuverlässigkeit (Reliabilität) des Fragebogenscores wird gemäß den nach der klassischen Testtheorie üblichen Verfahren bestimmt: Retest-Reliabilität, Split-half-Reliabilität, Berechnung der internen Konsistenz etc. 8. Die Gültigkeit (Validität) wird durch Korrelation mit gegebenenfalls vorhandenen Außenkriterien oder in Form einer internen Validierung (z. B. durch Faktorenanalyse der Items) oder als Konstruktvalidierung zu ermitteln gesucht (Überprüfung der Zusammenhänge des Fragebogenscores mit einer Vielzahl von Variablen, die mit dem durch den Fragebogen zu messenden psychologischen Konstrukt in Beziehung stehen sollen). Möglich ist auch die Erstellung einer Multitrait-Multimethod-Matrix, möglichst unter Einschluss von Nichtfragebogenmaßen: Misst man eine Mehrzahl von Eigenschaften mit einer Mehrzahl von Messverfahren und ermittelt alle Interkorrelationen, so müssen unterschiedliche Maße derselben Eigenschaft höher miteinander korrelieren als die mit derselben Messmethode erfassten unterschiedlichen Eigenschaften. Beispiel: Persönlichkeitsfragebogen Mit einem Persönlichkeitsfragebogen soll das Merkmal „Selbstwertgefühl“ (SW) als Aspekt „seelischer Gesundheit“ gemessen werden (Becker, 1989). Hohe Skalenwerte zeigen an, dass sich eine Person sympathisch und liebenswert findet, Selbstvertrauen besitzt, oft unbeschwert, mit sich und seinem Leben zufrieden, ruhig und ausgeglichen ist. Die 12 Items der SW-Skala weisen Trennschärfeindices von .55 bis .27 auf; der Fragebogen erreicht eine interne Konsistenz von Cronbach’s alpha = .80. Die drei trennschärfsten Items lauten (Trennschärfe in Klammern):

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1. Ich bin … unbeschwert und gut aufgelegt. (.55) 2. Ich habe … das Gefühl, dass die meisten Menschen mich gerne mögen. (.54) 3. Ich bin … davon überzeugt, dass man mich sehr mögen kann. (.51) (An Stelle der drei Punkte denkt sich die antwortende Person die vier Antwortkategorien „immer“, „oft“, „manchmal“, „nie“; die als zutreffend beurteilte Kategorie ist anzukreuzen.) Der SW-Fragebogen korreliert hoch positiv mit Selbsteinschätzungen der seelischen (.40) und körperlichen Gesundheit (.36), er zeigt positive Zusammenhänge mit den Subskalen „Sinnerfüllung“ (.41), „Expansivität“ (.39), „Liebesfähigkeit“ (.32) und „Selbstvergessenheit“ (.30).

Beispiel: Einstellungsfragebogen Mit einem Einstellungsfragebogen soll das Konstrukt „Nationalstolz“, das positive Bewertungen der eigenen Nation und Ihrer Symbole umschreibt, gemessen werden (Mummendey, 1992). Die 22 Items des Einstellungsinventars erreichen Trennschärfeindices zwischen .70 und .30, die interne Konsistenz beträgt Cronbach’s alpha = .88, die Split-half-Reliabilität .92. Die drei trennschärfsten Items lauten: 1. Auf eine eigene Nationalhymne können wir gut verzichten. (–) (.70) 2. Ein gesundes Nationalgefühl, das nichts mit Nationalismus zu tun hat, kann man nur als positiv empfinden. (.66) 3. Ein vernünftiges Nationalgefühl hat nichts mit Überheblichkeit zu tun. (.62) Der „Nationalstolz“-Fragebogen lässt sich konstruktvalidieren, indem Zusammenhänge mit weiteren Einstellungsskalen wie Konservatismus, Nonkonformismus etc. sowie mit Lebensalter, Bildungsgrad, Einkommen und Arbeitszufriedenheit postuliert und überprüft werden.

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Typische Fehler der Fragebogen-Methode und ihre Kontrolle

Als reaktives Verfahren leidet die Fragebogen-Methode wie alle Selbstberichte an einer Reihe von Mängeln (vgl. hierzu auch Abschnitt 5), die jedoch z. T. mit empirischen und experimentellen Mitteln zu kontrollieren sind. Sie reichen vom bloß zufälligen Antworten bis zum systematischen Verfälschen. Am häufigsten erforscht

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wurden validitätsmindernde Reaktionstendenzen, also Verzerrungen dadurch, dass der antwortenden Person bewusst ist, um was es bei der Untersuchung (scheinbar) geht und dass sie Erwartungen in Bezug auf den vermeintlichen Untersuchungsgegenstand und die vermeintlich angemessenen, den sozialen Normen oder den vermuteten Wünschen des Untersuchers entsprechenden Antworten bildet. Antworten auf Fragebogen können von der sprachlichen Form der Items abhängen, z. B. von ihrer Formulierungsrichtung (ob eine Feststellung positiv oder negativ formuliert wird), von Häufigkeitsformen (ob Begriffe wie „selten“, „manchmal“, „oft“ oder gar keine Häufigkeitsangabe verwendet werden), von der Verwendung von raum- und zeitabhängigen Formulierungen, von Position, Reihenfolge und überhaupt vom Kontext der Items (vgl. Sudman et al., 1996). Art, Zahl und Anordnung der Antwortkategorien (z. B. das Vorgeben und die wahrgenommene Bedeutung eines Antwortskalen-Mittelpunktes bei Mehrfachwahlantworten) können eine Rolle spielen. Fragen und Feststellungen sind sprachlich sehr empfindliche Gebilde: Die Verneinung des Items „Ich neige dazu, die Dinge leicht zu nehmen“, ist nicht gleich der Bejahung des Items „Ich neige nicht dazu, die Dinge leicht zu nehmen“ oder „Ich neige dazu, die Dinge schwer zu nehmen“ – sprachliche Item-Reversibilität gibt es selten. Als einen Antwortstil, den manche Befragte bevorzugen und der Fragebogendaten verfälschen kann, hat man die Ja-Sage-Tendenz (Acquiescence), also das gehäufte Zustimmen beschrieben; man hat auch versucht, in typologisierender Absicht „JaSager“ von „Nein-Sagern“ zu unterscheiden – evtl. kann gesteigertes Ja-Sagen Ausdruck sozialer Konformität sein. Als Messfehler lässt sich die Ja-Sage-Tendenz entweder mit speziell konstruierten Akquieszenz-Fragebogen oder dadurch kontrollieren, dass man die relative Anzahl der Bejahungen in einer Fragebogenbatterie ermittelt. Am ehesten vermeiden lässt sich der Einfluss der Ja-Sage-Tendenz, wenn man ja- und nein-verschlüsselte Items in annähernd gleicher Zahl verwendet. Probanden sind offenbar auch unterschiedlich gut in der Lage, abgestufte Antworten zu geben und extreme Antwortkategorien zu vermeiden; will man etwa Ja-Sage-Tendenzen dadurch abschwächen, dass man abgestufte Antwortformen vorgibt, so stößt man möglicherweise auf das Problem der unterschiedlichen Antwortnuanciertheit bei befragten Personen. In jedem Falle empfiehlt es sich, experimentell zu ermitteln, welche Item- und Antwortformen am resistentesten gegen formale Reaktionstendenzen sind. Als bedeutsamster Fehler beim Selbstbericht via Fragebogen gilt die Reaktionstendenz der Sozialen Erwünschtheit (Social Desirability). Sie bezieht sich auf den wahrgenommenen Item-Inhalt und die vom Antwortenden erwartete angemessene, sozial erwünschte Reaktion. Antwortbeschönigungen gehen oft mit verlängerter Reaktionszeit einher. Sie haben wenig mit „Lügen“ zu tun, eher mit Selbstdarstel-

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lung oder Impression-Management (➝ Selbstdarstellung). So stellen sich Probanden in Fragebogen gern als geselliger und psychisch stabiler dar, als sie es vielleicht sind. Mummendey (1995) fand, dass sich Männer als sensibler und kontaktfähiger beurteilen, wenn sie glauben, Untersucherinnen führten eine Untersuchung zu Geschlechtsunterschieden durch; Sportler beschönigen Leistungen und Eigenschaften, wenn sie als Sportler angesprochen werden und Gelegenheit zur Selbstdarstellung haben. Zur Kontrolle von Effekten der Sozialen Erwünschtheit sind viele Methoden vorgeschlagen worden. Beginnen kann man mit einer sorgfältigen Itemkonstruktion und -selektion, z. B. um die Durchschaubarkeit oder Transparenz eines Fragebogens zu verringern. Man kann bei der Messung verschiedener Persönlichkeitseigenschaften die Probanden jeweils zwischen der Zustimmung zu zwei verschiedenen Items wählen lassen – beide Items sind für unterschiedliche Eigenschaften valide, weisen aber auf Grund von Voruntersuchungen den gleichen Grad an Sozialer Erwünschtheit auf (Forced-choice-Technik). Es lässt sich auch in Fragebogen, die zu sozial erwünschtem Antwortverhalten animieren, faktorenanalytisch ein Faktor der Sozialen Erwünschtheit bestimmen und die Zahl der ihn ladenden Items eliminieren. In Experimenten zur Kontrolle von Beschönigungseffekten können Personengruppen Untersuchungsbedingungen mit unterschiedlichem Anreiz, sozial erwünscht zu antworten, ausgesetzt und miteinander verglichen werden. Man vergleicht z. B. das Antwortverhalten bei zugesicherter Anonymität oder bei angeblicher Veröffentlichung der Fragebogenergebnisse, bei Aufforderung zur Ehrlichkeit oder bei Aufforderung zur bewussten Beschönigung oder Herabsetzung, bei angeblicher Wahrheitsüberprüfung usw. und erhält so Informationen über die differentielle Verfälschbarkeit einzelner Items oder ganzer Fragebogen. Im Experiment ist es auch möglich, Versuchspersonen mittels scheinbarer Messung physiologischer Parameter davon zu überzeugen, dass ein Registriergerät die unverfälschten Werte zu messen in der Lage sei (Bogus-Pipeline-Paradigma), um relativ beschönigungsfreie Fragebogenantworten zu erhalten. Im weitesten Sinne gilt die Fragebogen-Instruktion als Schlüssel zur Kontrolle Sozialer Erwünschtheit. Durch eine bewusst gestaltete Instruktion der antwortenden Personen kann erheblicher Einfluss auf Antwortbeschönigungen ausgeübt werden – „Instruktionen können Berge versetzen“, weil sie die Kognitionen der Antwortenden angesichts sonst fehlender Hinweise in eine bestimmte Richtung lenken. Am häufigsten wurde versucht, die Antworttendenz der Sozialen Erwünschtheit durch die Konstruktion und Anwendung von Kontrollskalen, also von Fragebogen zur direkten Messung Sozialer Erwünschtheit (SD-Skalen) zu kontrollieren. Dies sind Fragebogen, die ausschließlich aus SD-anfälligen Items bestehen. Um Items Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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für SD-Skalen zu gewinnen, kann man Probanden experimentell zur bewussten Beschönigung auffordern, also ihr Idealbild zu produzieren, etwa wie in einer Bewerbungssituation. Der SD-Score kann dann zur Auslese besonders SD-anfälliger Probanden oder Fragebogen dienen, oder es können aus den Korrelationen verschiedener Fragebogen durch partielle Korrelation die Varianzanteile Sozialer Erwünschtheit quasi herausgerechnet werden. Dabei fällt auf, dass SD-Kontrollskalen gehäuft Items enthalten, die zur Erfassung der fundamentalen Persönlichkeitsmerkmale ➝ Extraversion und ➝ Neurotizismus dienen.

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Selbsteinschätzungen auf Adjektivlisten und Ratingskalen

Besonders in der Persönlichkeits- und Selbstkonzeptforschung werden oft Selbstberichtsverfahren in Form von adjektivischen Selbstbeschreibungen und Selbstratings angewendet, vor allem wegen der Ökonomie dieser Methoden. 3.1

Adjektivlisten

Adjektivlisten können entweder vorgegeben oder von der untersuchten Person selbst produziert werden. Gibt man Adjektivlisten zum Ankreuzen (Adjective Check Lists), so reagieren Probanden ähnlich wie auf Fragebogenitems, die in Form selbstbeschreibender Eigenschaftswörter konzentriert sind; statt „Haben Sie oft Lust, etwas Abenteuerliches zu erleben?“ und „Machen Sie sich selten Sorgen?“ wären dann einfach die Adjektive „abenteuerlustig“ und „sorgenfrei“ als mehr oder weniger zutreffend zu beantworten. Die Konstruktion von Adjektivlisten unterscheidet sich kaum von der Fragebogenkonstruktion. Wegen der fehlenden Syntax der Items entfallen einerseits einige Probleme, andererseits stellen Items, die aus einem einzigen selbstbeschreibenden Eigenschaftswort bestehen, recht undifferenzierte, unnuancierte Stimuli dar. Es dürfte also zur Messung von Persönlichkeitsmerkmalen erforderlich sein, mit einer größeren Itemzahl zu arbeiten als beim konventionellen Fragebogen. Ebenso wie beim Persönlichkeitsinventar kann man sich auch um differenziertere und nuanciertere Reaktionen durch Variation des Antwortmodus bemühen, z. B. indem man Mehrfachwahlantworten zulässt, praktisch also ein selbstbeschreibendes Schätzverfahren (Rating) anwendet. Adjektivlisten werden in der Selbstkonzeptforschung gern eingesetzt, wenn Selbstbeschreibungen unter verschiedenen Bedingungen, z. B. wiederholt mit unterschiedlichen Instruktionen gefordert werden. Beispielsweise könnte ermittelt werden, wie sich jemand unter den Bedingungen a) „tatsächliches Selbstbild“ („wie ich glaube, wirklich zu sein“, real self), b) „persönlich erwünschtes Selbstbild“ („wie Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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ich sein möchte“, ideal self) und c) „normatives Selbstbild“ („wie ich glaube, dass ich nach Auffassung wichtiger anderer Personen sein sollte“, ought self) einschätzt. Die Selbstbericht-Differenzen unter diesen drei Bedingungen ließen sich dann, nach Kontrolle von Differenzwert- bzw. Wiederholungsmesseffekten, psychologisch interpretieren. Ein solches Vorgehen ist mit Adjektivlisten leichter zu bewerkstelligen als mit Persönlichkeitsfragebogen. Adjektivische Selbstbeschreibungen können auch erfasst werden, wenn die Probanden die sie beschreibenden Eigenschaftsbegriffe selbst produziert haben. Man kann sie z. B. auffordern, eine Anzahl sie selbst beschreibender Adjektive frei zu nennen vor (Adjective Generation Technique): Die Probanden sollen am Ende eines Tages diejenigen fünf Eigenschaftswörter niederschreiben, mit denen sich nach ihrer Auffassung ihre Person gegenwärtig am besten charakterisieren lässt. Dies wäre einerseits ein freies, qualitatives Selbstberichtsverfahren, andererseits können die solcherart generierten Adjektive entweder von den Selbstbeurteilern oder von unabhängigen Beurteilern auf Urteilsskalen eingeschätzt werden, z. B. hinsichtlich ihrer Positivität. 3.2

Selbstratingverfahren

Selbstratingverfahren erfordern vom Selbstbeurteiler Ordinalurteile auf vorgegebenen Schätzskalen. Die Skalen, auf denen ein Punkt als Repräsentant des Mehr-oderweniger-Zutreffens angekreuzt werden soll, können kategorialer oder kontinuierlicher, numerischer oder grafischer Art sein, und einzelne Punkte der Ratingskala oder ihre Endpunkte können verbal beschriftet (verankert) sein, wie in den folgenden Beispielen: Verschiedene Arten von Antwortformaten bei Ratingskalen Ich bin meist gut gelaunt:

1

2

3

4

5

6

7

Mein Studium ist anstrengend:

–2

–1

0

+1

+2

Meine Eltern mögen mich:

stimmt nicht ————— ———— stimmt

Im Unterschied zu Testverfahren, Fragebogen und Adjektivlisten sind Ratings häufig „Ein-Item-Skalen“, d. h., es werden nicht zwangsläufig Urteile summiert oder auf sonstige Weise kombiniert, sondern durchaus einzeln interpretiert. Gelegentlich werden Ratings auch summiert wie z. B. beim sog. Semantischen Differential. Die Reliabilität von Ratings wird gern aus der Interrater-Reliabilität abgeleitet – bei Selbstratings wäre sie allenfalls aus der Übereinstimmung von Selbstbeurteilungen bei verschiedenen Gelegenheiten erschließbar. Wenn der Beurteiler und

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der Beurteilte ein und dieselbe Person sind, scheiden bestimmte statistische Kontrollmethoden aus. Ein pragmatischer Weg, das relative Ausmaß der Fehlerfreiheit von Selbstratings abzuschätzen, bestünde darin, die in der Literatur beschriebenen typischen Rating-Fehler experimentell bei unterschiedlichen Arten von Selbsturteilen, Personengruppen oder Gelegenheiten vergleichend zu betrachten und nur möglichst „bereinigte“ Selbstratingverfahren anzuwenden. Fehler, denen Rater und somit vermutlich auch Selbstrater häufig unterliegen, sind die Bevorzugung extremer Urteile (Milde- bzw. Strenge-Effekt) oder mittlerer Skalenpositionen (Fehler der Zentralen Tendenz). Unecht hohe Zusammenhänge zwischen Selbstratings können auch durch die räumliche Anordnung der Ratingskalen zu Stande kommen (Fehler der Nähe), durch bestimmte Vorannahmen des Selbstbeurteilers (Logischer Fehler) oder dadurch, dass dominante Merkmale des Urteilsgegenstandes (z. B. Geschlecht, Attraktivität, Beruf) auf die anderen zu beurteilenden Merkmale abstrahlen (Halo-Effekt), so dass es zu einer künstlich überhöhten Interkorrelation der im Rating zu beurteilenden Merkmale kommt: Wer sich z. B. als reich einschätzt, wird sich gemäß dem Halo-Effekt auch als intelligenter, attraktiver etc. beurteilen. Zur Kontrolle von Selbstrating-Fehlern kommen vorsorgliche und nachträgliche Korrekturverfahren in Betracht. Letztere können z. B. in Skalentransformationen zur Veränderung der Urteilsvarianz bestehen. Als Prophylaxe wird zumeist eine sorgfältige Rater-Schulung empfohlen. Es ist möglich, logische Fehler und HaloEffekte zu verringern, wenn den Selbstbeurteilern die Fehlertypen zuvor erläutert und sie zur Vermeidung angehalten werden; ebenso erscheinen zur Fehlerreduktion Rating-Hefte (Booklets), die zu getrennten Urteilen animieren, statt RatingListen, die einen Überblick ermöglichen, von Vorteil.

4

Interviewverfahren

Interview oder Befragung (nicht zu verwechseln mit der Fragebogenmethode im engeren Sinne) finden häufiger in den empirischen Sozialwissenschaften als in der Psychologie Verwendung. Ein Interviewer stellt (freie oder standardisiert vorgegebene) Fragen, und die untersuchte Person antwortet (frei oder nach einem Antwortschema). Man unterscheidet strukturierte Interviews (Art und Abfolge der Fragen sind festgelegt) und unstrukturierte (offene), ferner mündliche (face-to-face, Telefoninterview) und schriftliche Interviews (ggf. postalisch, über Internet etc.). Der wichtigste Unterschied zur Fragebogen-Methode besteht darin, dass nicht Antworten auf Items summiert oder auf sonstige Weise zu einem Messwert (Score) verrechnet werden, sondern dass die Antworten einzeln ausgewertet und interpretiert werden. Stärker als bei anderen Selbstberichtsverfahren haben wir es, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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zumindest bei mündlicher Befragung, mit einer sozialen Situation zu tun – mit allen Vorteilen (z. B. Vertrauensgewinnung bei schwierigen Themen) und Nachteilen für die Datenerhebung (z. B. Einfluss des Interviewers auf die Selbstberichte). In der Psychologie sieht man den besonderen Wert der Interviewbefragung häufig darin, dass „qualitative“ Informationen gesammelt werden, die dann zur Konstruktion von Tests, Persönlichkeitsinventaren etc. führen. Die befragende Person hat häufig zwar einen Interviewleitfaden, ansonsten aber freie Hand. Als Vorteile mündlicher Befragung nennt Schwarzer (1983) Flexibilität, Spontaneität, nicht verbales Reagieren, Identifikation, Kontrolle der Erhebungssituation, Reihenfolge, Komplexität, Dauer, Vollständigkeit und geringe Zahl von Verweigerern. Als Nachteile zählen: Kosten- und Zeitaufwand, geringe Anonymität, Belästigung, Interviewereinfluss, geringe Standardisierung. Schriftliche Befragungen bringen dagegen für die Forschenden den Vorteil größerer Kosten- und Zeitersparnis und, falls erwünscht, größerer Standardisierung, für die Befragten mehr Bequemlichkeit und Anonymität. Als Nachteile gelten die oft geringe Rücklaufquote, unvollständige Beantwortung, Unkontrollierbarkeit der Erhebungssituation und mangelnde Flexibilität der Untersuchung. Die meisten in den Abschnitten 2 und 5 besprochenen typischen SelbstberichtFehlerquellen gelten auch für Interviewbefragungen. Gütekriterien können in ähnlicher Weise wie für Fragebogen und Testverfahren ermittelt werden. Als ein Weg zur verbesserten Anwendung von Interviewbefragungen und zur Reduktion bekannter Fehler wird auch hier eine sorgfältige Interviewer-Schulung empfohlen.

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Vorzüge und Nachteile von Selbstberichtsverfahren

Es gibt Forschungsfragen, zu deren Lösung es keinen anderen Weg gibt als den Selbstbericht (z. B. Fragen nach dem subjektiven Befinden). Es gibt Fälle, in denen auch andere Quellen herangezogen werden können (z. B. Fragen nach Wohnsitz, Alter, Schulbildung). Aber selbst dort, wo objektivere Erhebungs- und Messmethoden verfügbar wären, wird man oft Selbstberichte bevorzugen, u. a. weil sie ökonomischer und für die Probanden angenehmer sind. So wird man sich bei der Frage nach dem Geburtsdatum auf den Selbstbericht verlassen, obgleich man sich auch einen Ausweis zeigen lassen könnte. Während Selbstberichtsmethoden bestimmte Mängel aufweisen (vgl. Abschnitt 2), sind Berichte über Urteilsobjekte außerhalb der eigenen Person ebenfalls fehlerbehaftet. Selbstberichte erfordern auf Seiten des Individuums kognitive Prozesse wie Wahrnehmen, Erinnern und Urteilen, ganz ähnlich wie etwa Berichte über andere Personen – so hat sich z. B. gezeigt, dass in beiden Fällen Emotionen Gedächtnisleistungen beeinflussen können. Am Beispiel des Selbstberichts über Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Sexpartner, Abtreibungen und Drogengebrauch ließ sich feststellen, dass jeder Selbstbericht fehlerbehaftet ist; aber es können z. B. auch Beobachter, die andere Menschen beurteilen, Fehler machen, die auf zu geringer Kenntnis dieser Personen beruhen. Unbestritten ist, dass Selbstberichtsverfahren fast ubiquitär anwendbar, kostengünstig, schnell und leicht auszuführen sind. Auch sind sie meist ethisch unbedenklicher als objektivere Verfahren, da die Probanden direkt oder indirekt ihre Einwilligung geben, während dies z. B. bei Beobachtungsverfahren nicht immer der Fall und oft gar nicht möglich ist (➝ Verhaltensbeobachtung). Andererseits müssen die Probanden wegen der möglichen Verfälschbarkeit von Selbstberichtsdaten oft über die Art der Fragen und der Untersuchung getäuscht werden. Ein weiteres ethisches Problem ergibt sich dadurch, dass Selbstberichtsmethoden oft von wenig ausgebildeten Personen angewendet werden. Um Fragebogen auszuteilen und wieder einzusammeln, wird häufig wenig geschultes Personal eingesetzt. Es stellt evtl. auch ein ethisches Problem dar, dass mit Selbstberichtsmethoden Daten über Dritte gesammelt werden, die dazu nicht ihre Zustimmung gegeben haben oder dies gar nicht konnten (z. B. berichtet jemand im Interview über Familienmitglieder ohne deren Einwilligung). Selbstberichtsverfahren gelten zwar als relativ „probandenfreundlich“, bei verlangten Selbstberichten in sensiblen Bereichen wie Kriminalität, Drogengebrauch, Sexualverhalten, Krankheit oder bei bestimmten Personengruppen treten aber Selbstberichtsmängel auf, z. B. weil Fragen unangenehm sind. Daher können in solchen Fällen evtl. Hilfsmittel wie Audio-PC-, E-Mail- und Telefon-Audio-PCBefragungen eingesetzt werden, die einige Probleme der üblichen Papier-BleistiftSelbstberichtsverfahren verringern helfen.

Weiterführende Literatur Mummendey, H. D. (2003). Die Fragebogenmethode (4. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Sudman, S., Bradburn, N. M. & Schwarz, N. (1996). Thinking about answers: The application of cognitive processes to survey methodology. San Francisco: Jossey-Bass.

Literatur Angleitner, A. & Riemann, R. (1996). Selbstberichtdaten: Fragebogen, Erlebnisanalyse. In K. Pawlik (Hrsg.), Grundlagen und Methoden der Differentiellen Psychologie (S. 427– 462). Göttingen. Hogrefe. Becker, P. (1989). Der Trierer Persönlichkeitsfragebogen, TPF (Handanweisung). Göttingen: Hogrefe.

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Mummendey, H. D. (1992). Eine Skala zum deutschen Nationalstolz (Bielefelder Arbeiten zur Sozialpsychologie Nr. 163). Bielefeld: Universität Bielefeld. Mummendey, H. D. (1995). Psychologie der Selbstdarstellung (2. Aufl.) Göttingen: Hogrefe. Mummendey, H. D. (2003). Die Fragebogenmethode (4. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Schwarzer, R. (1983). Befragung. In H. Feger & J. Bredenkamp (Hrsg.), Datenerhebung (S. 302–320). Göttingen: Hogrefe. Stone, A. A., Turkhan, J. S., Bachrach, C. A., Jobe, J. B., Kurtzman, H. S. & Cain, V. S. (Eds.). (2000). The science of self-report. Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum. Sudman, S., Bradburn, N. M. & Schwarz, N. (1996). Thinking about answers: The application of cognitive processes to survey methodology. San Francisco: Jossey-Bass.

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Wissenschaftliche Verhaltensbeobachtung ist im Gegensatz zur Alltagsbeobachtung methodisch kontrolliert und systematisiert, muss sich an bestimmten Gütekriterien messen lassen und ist zumeist mit einer weiterführenden quantitativstatistischen Analyse der protokollierten Verhaltensdaten verbunden. Das zu beobachtende Verhalten umfasst alle visuell und akustisch wahrnehmbaren Aktivitäten und Veränderungen des Zustands einer Person, z. B. Körperbewegungen, Laut- und Sprachäußerungen, aber auch physiologische Reaktionen, z. B. Erröten oder Schwitzen.

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Verhaltensbeobachtung in der Persönlichkeitsforschung

Verhaltensbeobachtung ist für die Persönlichkeitspsychologie in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Für viele Persönlichkeitstheorien, insbesondere die lerntheoretischen Ansätze, ist die systematische Beobachtung des Verhaltens die grundlegende Methode der Datenerhebung. Ein zentrales Ziel der Persönlichkeitsforschung ist es, Verhalten vorherzusagen. Wissen wir z. B. von einer Person, dass sie hohe Ausprägungen auf der Dimension Extraversion aufweist, dann erwarten wir auf Grund der mit diesem Persönlichkeitsmerkmal verbundenen theoretischen Annahmen, dass sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gerne in Kontakt mit anderen Menschen ist, dabei viel spricht, lacht und selbstsicher auftritt. Um solche Vorhersagen prüfen zu können, muss das Verhalten beobachtet werden. Auch andere Zielsetzungen, etwa die Frage nach der Stabilität und Veränderung von Verhalten, lassen sich methodisch u. a. mit Verhaltensbeobachtungen untersuchen (vgl. Beispiel 1 und 2).

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Arten der Verhaltensbeobachtung

Es lassen sich verschiedene Arten der Verhaltensbeobachtung unterscheiden, die Rahmenbedingungen des eigentlichen Beobachtungsvorgangs markieren (z. B. Greve & Wentura, 1997; Mees, 1977): • Unsystematische versus systematische Beobachtung: Will man ein noch unbekanntes Forschungsfeld erkunden, dann ist der erste Schritt, in diesem Feld unsystematisch und frei zu beobachten, „was hier eigentlich los ist“. Systematische Beobachtung wird dagegen durch ein Beobachtungssystem strukturiert

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(vgl. Abschnitt 3) und dient zumeist der Überprüfung von Hypothesen, die aus Theorien abgeleitet wurden. Labor- versus Feldbeobachtung: Situative Bedingungen können bei Beobachtungen im Labor besser kontrolliert werden als im Feld, in dem eine Einflussnahme von Seiten des Forschers oft völlig ausbleibt. Allerdings sind die Ergebnisse aus Laborbeobachtungen nicht unbedingt auf Verhalten außerhalb des Labors übertragbar. Teilnehmende versus nicht teilnehmende Beobachtung: In der Psychologie eher selten ist die aktiv-teilnehmende Beobachtung, bei der ein Forscher direkt an einer Beobachtungssituation, z. B. einer Gruppendiskussion, teilnimmt (Mees, 1977). Eine passiv-teilnehmende Beobachterin dagegen ist zwar für die beobachteten Personen sichtbar, interagiert aber möglichst nicht mit ihnen (z. B. bei Verhaltensbeobachtungen in Kindergärten). Bei der nicht teilnehmenden Beobachtung sitzt der Forscher z. B. hinter einem Einwegspiegel oder vor einer Videoaufzeichnung des interessierenden Verhaltens. Offene versus verdeckte Beobachtung: Aus forschungsethischen Gründen sind Personen in Laborstudien darüber zu informieren, dass ihr Verhalten beobachtet (werden) wird (offene Beobachtung). Das Wissen, beobachtet zu werden, kann das zu beobachtende Verhalten mehr oder weniger stark verändern (Reaktivität). Verdeckte Beobachtung, über welche die beobachteten Personen nicht aufgeklärt werden, ist nur bei öffentlichem Verhalten im Feld möglich. Vermittelte versus unvermittelte Beobachtung: Wird das interessierende Verhalten aufgezeichnet und z. B. auf der Basis einer Videoaufnahme beobachtet, spricht man von (technisch) vermittelter Beobachtung. Unvermittelte Beobachtung erfolgt dagegen direkt und zeitgleich zur Verhaltensausführung. Vermittelte Beobachtung hat mehrere Vorteile: So kann das interessierende Verhalten z. B. mehrmals und wenn nötig in Zeitlupe beobachtet werden (potenzielle Nachteile diskutieren z. B. Greve & Wentura, 1997). Selbst- versus Fremdbeobachtung: Bei allen bisher skizzierten Beobachtungsarten war impliziert, dass ein „Fremder“ eine andere Person beobachtet. Personen können ihr Verhalten aber auch selbst beobachten (vgl. Beispiel 1). Beispiel 1: Selbstbeobachtung im Feld In einer Feldstudie von Buse und Pawlik (1994) protokollierten Schüler u. a. ihr Verhalten im Alltag mit Hilfe eines tragbaren Taschencomputers. Zu vorprogrammierten, unregelmäßigen Zeitpunkten (durchschnittlich einmal pro Stunde) wurden die Schüler durch ein Piepsen des Computers dazu aufgefordert, ihr in den vorausgegangenen fünf Minuten aufgetretenes Verhalten auf einer vorgegebenen Verhaltensliste zu registrieren. Dabei wurden verhaltensbezogene Items auf dem Computer-Display dargeboten, die mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten waren (z. B. „für die Schule geübt“; „jemandem ein Kompliment gemacht“). Die in

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den Items beschriebenen Verhaltensakte gelten als prototypisch für bestimmte Eigenschaften (z. B. Gewissenhaftigkeit, Freundlichkeit). Die Analyse der so gewonnenen Verhaltensdaten zielte auf eine zentrale persönlichkeitspsychologische Fragestellung ab: die Bestimmung der Stabilität bzw. Konsistenz der Verhaltensakte über verschiedene Zeitpunkte bzw. Situationen.

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Methoden zur systematischen Beobachtung und Registrierung von Verhalten

Welches Verhalten wie und wann protokolliert wird, ist im Falle wissenschaftlicher Beobachtung systematisiert und explizit geregelt. Dabei lassen sich drei methodische Zugänge unterscheiden (Mees, 1977): die isomorphe Deskription, die reduktive Deskription und die reduktive Einschätzung. 3.1

Isomorphe Deskription

Die isomorphe Deskription ist der Versuch, Verhalten möglichst vollständig und genau zu beschreiben. Ein Beispiel für eine technisch vermittelte isomorphe Deskription (oder eher „Abbildung“) ist die utopische Idee eines „Lebensfilms“ von der Geburt bis zum Tod als Grundlage für die Analyse der menschlichen Persönlichkeit (Thomae, 1968). Das berühmteste reale Beispiel für eine ausführliche Beschreibung mit Hilfe der Alltagssprache sind die Arbeiten von Barker und Wright (1961), die z. B. für „One boy’s day“ ein ganzes Buch benötigen. Bleibt es bei der isomorphen Deskription bzw. Abbildung, dann ist wissenschaftlich noch nicht viel gewonnen; entscheidend ist die theoretische und empirische Weiterverarbeitung des isomorphen Ausgangsmaterials (vgl. Beispiel 2). Beispiel 2: „The Sounds of Social Life“ Ein gelungenes Beispiel für eine partiell-isomorphe Deskription ist eine Feldstudie von Mehl und Pennebaker (2003): Aufgezeichnet wurden die „Sounds of Social Life“, akustische Informationen (z. B. Gespräche) aus dem Alltag von 52 Studierenden, die im Abstand von vier Wochen je zwei Tage lang einen Audiorekorder bei sich trugen, der sich alle 12 Minuten für die Dauer von 30 Sekunden einschaltete. Die aufwändige Analyse der 30-Sekunden-Intervalle umfasste im ersten Schritt die Registrierung des Orts, der Aktivität und der Art der Interaktion sowie eine computergestützte Kategorisierung des Sprachgebrauchs der Probanden. Die anschließende Bestimmung der Stabilität und Konsistenz der so aufbereiteten Daten, basiert, anders als bei der Selbstbeobachtung des eigenen Verhaltens im Beispiel 1, auf der Perspektive eines außenstehenden „Zuhörers“.

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Reduktive Deskription

Bei der reduktiven Deskription ist die Verhaltensbeschreibung und -registrierung auf bestimmte Beobachtungseinheiten (Kategorien, Verhaltensklassen) beschränkt, die von konkreten Mikroaspekten des Verhaltens mehr oder weniger stark abstrahieren. Mehrere solcher Beobachtungseinheiten oder Kategorien bilden ein so genanntes Zeichensystem, wenn nur bestimmte, aber nicht alle Verhaltensweisen interessieren und beobachtet werden. Ein Kategoriensystem zielt dagegen darauf ab, jede Verhaltensweise innerhalb einer gegebenen Verhaltensstichprobe zu erfassen und einer entsprechenden Kategorie zuzuordnen. Beobachtung im Sinne reduktiver Deskription bedeutet dann, durch das Zeichen- oder Kategoriensystem definierte Verhaltensweisen zu identifizieren und den unterschiedlichen Kategorien des Beobachtungssystems zuzuordnen. Dabei muss genau und eindeutig definiert sein, welche Verhaltensweisen zu welcher Beobachtungskategorie gehören. In einem vom Autor entwickelten Beobachtungssystem zur Registrierung von Verhaltensindikatoren für Redeangst ist z. B. die Kategorie „Verlegenheitsgesten“ folgendermaßen definiert: „Die Probandin fasst sich an die Nase, ins Haar, ans Ohr, die Brille oder kratzt sich.“ Die Kategorien eines Beobachtungssystems definieren, auf welche Verhaltensaspekte Beobachter ihre Aufmerksamkeit richten müssen und wie diese inhaltlich zu klassifizieren sind. Zusätzlich ist noch zu entscheiden, welche Auftretensform des Verhaltens bzw. der Verhaltensaspekte registriert werden soll. Zu den am häufigsten registrierten Auftretensformen zählen die Häufigkeit (z. B. von Versprechern in einer Rede), die Dauer (z. B. des Blickkontakts) und die Intensität (z. B. des Zitterns der Hände). Wird das Verhalten innerhalb eines gegebenen Beobachtungszeitraums immer dann beobachtet und protokolliert, wenn es auftritt, spricht man von einem Ereignisstichprobenplan. Diese Beobachtungsvariante ist v. a. geeignet, um selten auftretende Verhaltensweisen möglichst vollständig zu erfassen. In einem Zeitstichprobenplan erfolgt die Beobachtung dagegen zu bestimmten Zeitpunkten und ist auf kürzere Zeitintervalle bezogen. Dieses Vorgehen wurde in den Studien in Beispiel 1 und 2 realisiert und eignet sich, um möglichst repräsentative Verhaltensstichproben zu gewinnen. 3.3

Reduktive Einschätzung

Ist die Intensität einer Verhaltensweise von Interesse, dann wird zumeist eine reduktive Einschätzung oder Beurteilung z. B. auf einer mehrfach abgestuften numerisch und verbal verankerten Ratingskala vorgenommen (z. B. 0 = gar nicht, 1 = wenig, 2 = etwas, 3 = deutlich, 4 = stark). Reduktive Einschätzungen können sich aber auch auf die Häufigkeit (z. B. nie – selten – manchmal – häufig – immer) und die Dauer (z. B. gar nicht – kurzdauernd – längerdauernd – andauernd) von

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Verhaltensweisen beziehen. Reduktive Einschätzungen sind Verhaltensbeurteilungen, die sich von Verhaltensbeobachtungen abgrenzen lassen, je mehr subjektive Wertungen und Interpretationen in die Verhaltensbeurteilung eingehen (vgl. Ellgring, 1996). Letzteres ist immer dann der Fall, wenn die Abstufungen der Ratingskala nicht eindeutig genug definiert sind (wie häufig ist „häufig“ oder „manchmal“, wie lange ist „kurzdauernd“?) und wenn wenig verhaltensnahe Beurteilungseinheiten zu Grunde liegen: So kann das Verhalten bei einer öffentlichen Rede z. B. auch im Hinblick auf „Unsicherheit“ oder „Souveränität“ eingeschätzt werden. Verhaltensbeurteilungen basieren häufig auf solchen abstrakten und auch komplexeren Merkmalen. Die notwendigen subjektiven Interpretationen bei der Einschätzung komplexer Merkmale nutzen – positiv gewendet – die menschliche Fähigkeit, Verhaltensindikatoren zu „verschmelzen“ und integrierend zu interpretieren (vgl. Langer & Schulz v. Thun, 1974).

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Eigenschaftseinschätzungen, Verhalten und Verhaltensspuren

Verhaltensbeobachtung und -beurteilung lassen sich von einer weiteren Form der Einschätzung abgrenzen, die in der Persönlichkeitsforschung häufig eingesetzt wird: der Fremdeinschätzung von Eigenschaften. Dabei beurteilen Personen die Ausprägungen von Eigenschaften, z. B. das Ausmaß an Extraversion, Gewissenhaftigkeit etc., einer anderen „Zielperson“. Es geht also nicht mehr um die direkte Einschätzung des konkreten Verhaltens, sondern um eine schlussfolgernde Einschätzung des Persönlichkeitsmerkmals, die mit bestimmten Verhaltensweisen zusammenhängen kann. Ob und welche konkreten Verhaltensweisen mit Eigenschaftseinschätzungen kovariieren, zeigen Studien, die auch die Selbsteinschätzungen der Zielpersonen berücksichtigen (vgl. Beispiel 3). Beispiel 3: Beziehungen zwischen Eigenschaftseinschätzungen und Verhalten Borkenau und Liebler (1995) konnten zeigen, dass bereits eine ca. 90 Sekunden lange, videografierte Verhaltensstichprobe (Zielperson betritt einen Raum, setzt sich, liest einen kurzen Text und verlässt den Raum wieder) für eine nicht zufällige Übereinstimmung der selbsteingeschätzten Extraversion der Zielpersonen mit der fremdeingeschätzten Extraversion durch Beurteiler, die die Zielpersonen nicht kannten, ausreicht. Zusätzlich wurden Verhaltensindikatoren von einem weiteren Beobachtungsteam registriert – also nicht von den Beurteilern, die die globalen Extraversionseinschätzungen vorgenommen hatten. Es resultierten signifikante Korrelationen zwischen der selbst- und fremdeingeschätzten Extraversion und einigen fremdbeobachteten Verhaltensindikatoren (z. B. Ausmaß des Lächelns und der Armbewegungen, laute, feste und angenehme Stimme).

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Eine Variante des in Beispiel 3 beschriebenen Versuchsaufbaus besteht darin, nicht das Verhalten selbst zu beobachten und entsprechende Eigenschaftseinschätzungen vornehmen zu lassen, sondern so genannte Verhaltensspuren. Damit sind beobachtbare Nachwirkungen oder Produkte menschlichen Verhaltens gemeint (Pawlik & Buse, 1996), die mit Persönlichkeitsmerkmalen assoziiert sein können: Das Verhalten einer hoch gewissenhaften Person wird Spuren in ihrem Arbeitsbereich hinterlassen, z. B. einen aufgeräumten und ordentlichen Schreibtisch. Ein solcher Schreibtisch kann für andere Personen wiederum als Hinweis für die Gewissenhaftigkeit des Besitzers dienen. Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen zeigten Gosling, Ko, Mannarelli und Morris (2002) einer Gruppe von Fremdbeurteilern die Büroräume von unbekannten und nicht anwesenden Zielpersonen. Nach dem Besuch der Büros schätzten die Fremdbeurteiler die Persönlichkeit der Besitzer (Zielpersonen) ein. Es resultierten substanzielle Übereinstimmungen zwischen der selbst- und fremdeingeschätzten Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Extraversion. Die Selbst- und die Fremdeinschätzungen dieser Eigenschaften waren, wie erwartet, mit bestimmten Merkmalen bzw. Verhaltensspuren in den Büroräumen korreliert, die ein anderes Team von Beobachtern registriert hatte, z. B. mit der Farbigkeit (Offenheit, Extraversion) und der Ordentlichkeit (Gewissenhaftigkeit).

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Gütekriterien von Beobachtungsverfahren

Auch Beobachtungsverfahren müssen den Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität genügen, die als entscheidende Prüfsteine für die wissenschaftliche Qualität der Beobachtungsdaten gelten. Die Objektivität kennzeichnet das Ausmaß, in dem mindestens zwei Beobachter dasselbe Verhalten auf dieselbe Weise registrieren, d. h. denselben Kategorien des Beobachtungssystems zuordnen oder, bei Verwendung einer Ratingskala, identisch einschätzen. Um Objektivität im Sinne dieser intersubjektiven Beobachterübereinstimmung berechnen zu können, wurden verschiedene Maße entwickelt (vgl. z. B. Wirtz & Caspar, 2002). Mit Reliabilität ist die Genauigkeit der Messung gemeint, und zwar unabhängig davon, ob mit einem Test tatsächlich das gemessen wird, was gemessen werden soll. Die Reliabilität ist bei Verhaltensbeobachtungen eng mit der Objektivität verknüpft, da der Beobachter neben dem Beobachtungssystem ein Teil des Messinstruments ist. Die Genauigkeit der Verhaltensbeobachtung ist deshalb nicht nur von den Kategorien eines Beobachtungssystems abhängig, sondern ganz wesentlich auch davon, wie ein Beobachter diese Kategorien anwendet. Die intersubjektive Übereinstimmung kann bei Verhaltensbeobachtungen deshalb auch als eine Form der Reliabilität (Inter-Observer-Reliabilität) interpretiert werden, als Grad Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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der Genauigkeit der Anwendung eines Beobachtungssystems bei der Verhaltensmessung. Weitere Formen der Reliabilität von Verhaltensbeobachtungen diskutieren Pawlik und Buse (1996) sowie Suen und Ary (1989). Die Validität oder Gültigkeit eines Tests betrifft die Frage, ob ein Test das misst, was er zu messen beansprucht. Im Kontext der Persönlichkeitsforschung sind zwei Aspekte der Validität von Verhaltensbeobachtungen besonders kritisch (vgl. Ellgring, 1996): (1) Bestimmte Verhaltensweisen werden als Indikatoren für bestimmte Persönlichkeitsmerkmale (Traits, z. B. Extraversion) oder Zustände (States, z. B. Angst) interpretiert. Dem Verhalten als beobachtbarem Zeichen wird also eine bestimmte Bedeutung zugeordnet. Diese Zuordnung ist aber nicht eindeutig, sondern nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit möglich, da ein- und dasselbe Verhalten in Abhängigkeit vom jeweiligen (kulturellen) Kontext unterschiedliche psychische Merkmale und Prozesse indizieren kann. (2) Unterschiedliche Verhaltensaspekte, die mit bestimmten Traits oder States einhergehen sollen, variieren in ihrer indikativen Bedeutung von Person zu Person. So sind z. B. Verhaltensindikatoren für soziale Ängstlichkeit nicht bei allen sozial Ängstlichen gleich ausgeprägt. Vielmehr können spezifische Reaktionsprofile bzw. -typen beobachtet werden (Asendorpf, 1988): Bei einigen Hochängstlichen ist die Vermeidung von Blickkontakt besonders deutlich, bei anderen die reduzierte Gestik, wieder andere reden sehr wenig. Besonders beachtenswert ist die personspezifische Bedeutung von Verhaltensindikatoren bei der Veränderung solcher Reaktionsprofile z. B. infolge von Interventionen: Ellgring (1989) hat verschiedene Veränderungsmuster in den Verhaltensprofilen von Depressiven identifiziert, die mit einer Zunahme des subjektiven Wohlbefindens im Rahmen von Therapie verbunden waren. Zwar konnten einige eher generelle Verhaltensfacetten identifiziert werden, die bei den meisten Patienten mit Stimmungsverbesserungen zunahmen (nämlich „Lächeln“ und „Blickkontakt“), aber auch einige spezifische Verhaltensweisen (mehr Sprechaktivität und Gestik), die nur bei wenigen Personen Stimmungsänderungen valide indizierten. Bei einigen Patienten waren Stimmungsverbesserungen jedoch vollkommen erwartungswidrig mit einer Verringerung bestimmter Verhaltensindikatoren (z. B. weniger Lächeln) verbunden. Methodische Konsequenz dieser Befunde ist die Notwendigkeit der wiederholten Beobachtung und Analyse von Einzelfällen, um solche personspezifischen Bedeutungen bestimmter Verhaltensmuster verstehen zu können.

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Beobachtungsfehler und Beobachtertraining

Die Güte von Verhaltensdaten kann durch eine Reihe von Beobachtungsfehlern beeinträchtigt werden (Greve & Wentura, 1997). Menschliche Beobachter können Fehler verursachen, weil ihre Informationsverarbeitungskapazität begrenzt ist (z. B. Ermüdung, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme), weil ihre Motivation schwankt (z. B. Langeweile) oder weil sie mit der Anwendung des BeobachtungsDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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systems nicht vertraut genug sind. Zudem sind in der sozialpsychologischen Forschung zur Personenwahrnehmung zahlreiche Fehlertendenzen identifiziert worden, die insbesondere beim Einsatz von Ratingskalen auftreten können. Am häufigsten zitiert wird der so genannte „Halo-Effekt“: Ein Merkmal (z. B. eine sichere, flüssige Sprechweise) oder der Gesamteindruck „überstrahlt“ die tatsächlichen Ausprägungen anderer Merkmale (z. B. Verlegenheitsgesten, Blickkontakt), die dann nicht mehr differenziert, sondern in Übereinstimmung mit dem hervorstechenden Merkmal eingeschätzt werden. Weitere Fehlerquellen betreffen das Beobachtungssystem (z. B. nicht eindeutig definierte Kategorien) und Bedingungen der Beobachtungssituation (z. B. schlechte Beleuchtung, unscharfe Videoaufnahmen, zu lange Beobachtungszeiten). Um mögliche Fehler zu Lasten des Beobachters zu minimieren, empfiehlt es sich, ein Beobachtertraining durchzuführen, in dem u. a. die Anwendung des Beobachtungssystems an Beispielen eingeübt wird. Eine in diesem Zusammenhang noch ungeklärte, aber persönlichkeitspsychologisch interessante Frage betrifft die „differentielle Psychologie des guten Beobachters“: Gibt es Persönlichkeitsmerkmale (z. B. Konzentrationsfähigkeit, Gewissenhaftigkeit), die in Interaktion mit dem Beobachtertraining einen guten Beobachter oder eine gute Beobachterin kennzeichnen?

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Ausblick: Mehr Verhaltensbeobachtung in der Persönlichkeitsforschung!

Nicht Verhaltensbeobachtung, sondern der ökonomischere Selbstbericht im Fragebogen ist die dominierende Methode in der Differentiellen und Persönlichkeitspsychologie (➝ Selbstberichte). Ein Fragebogen ist sicherlich angemessen, wenn es um nicht beobachtbare, interne Merkmale und Prozesse geht (z. B. Motive, Selbstwertgefühl), die nur über Selbstberichte erfassbar sind. Man wird aber um aufwändige Beobachtungsstudien nicht herumkommen, wenn die Analyse der Stabilität und Konsistenz von Verhalten sowie die Verhaltensvorhersage zentrale Ziele der Persönlichkeitsforschung sein sollen. Das derzeitige Wissen über Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit und Verhalten in verschiedenen Alltagssituationen ist aber leider noch ziemlich „dünn“ (Funder, 2001, S. 212). Umso notwendiger sind persönlichkeitspsychologische Studien, in denen Verhalten im Alltag beobachtet wird.

Weiterführende Literatur Funder, D. C. (2001). Personality. Annual Review of Psychology, 52, 197–221. Gosling, S. D., Ko, S. J., Mannarelli, T. & Morris, M. E. (2002). A room with a cue: Personality judgements based on offices and bedrooms. Journal of Personality and Social Psychology, 82, 379–398.

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Suen, H. K. & Ary, D. (1989). Analyzing quantitative behavioral observation data. Hillsdale: Erlbaum.

Literatur Asendorpf, J. B. (1988). Individual response profiles in the behavioral assessment of personality. European Journal of Personality, 2, 155–167. Barker, R. G. & Wright, H. F. (1961). One boy’s day. New York: Harper. Borkenau, P. & Liebler, A. (1995). Observable attributes as manifestations and cues of personality and intelligence. Journal of Personality, 63, 1–25. Buse, L. & Pawlik, K. (1994). Differenzierung zwischen Tages-, Setting- und Situationskonsistenz ausgewählter Verhaltensmerkmale, Maßen der Aktivierung, des Befindens und der Stimmung in Alltagssituationen. Diagnostica, 40, 2–26. Ellgring, H. (1989). Nonverbal communication in depression. Cambridge: University Press. Ellgring, H. (1996). Verhaltensbeurteilung als Methode der Differentiellen Psychologie. In K. Pawlik (Hrsg.), Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung (S. 395– 425). Göttingen: Hogrefe. Greve, W. & Wentura, D. (1997). Wissenschaftliche Beobachtung. Eine Einführung. Weinheim: Beltz. Langer, I. & Schulz v. Thun, F. (1974). Messung komplexer Merkmale in Psychologie und Pädagogik. München: Reinhardt. Mees, U. (1977). Einführung in die systematische Verhaltensbeobachtung. In U. Mees & H. Selg (Hrsg.), Verhaltensbeobachtung und Verhaltensmodifikation (S. 14–32). Stuttgart: Klett. Mehl, M. R. & Pennebaker, J. W. (2003). The sounds of social life: A psychometric analysis of students’ daily social environments and natural conversations. Journal of Personality and Social Psychology, 84, 857–870. Pawlik, K. & Buse, L. (1996). Verhaltensbeobachtung in Labor und Feld. In K. Pawlik (Hrsg.), Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung (S. 359–394). Göttingen: Hogrefe. Thomae, H. (1968). Das Individuum und seine Welt. Göttingen: Hogrefe. Wirtz, M. & Caspar, F. (2002). Beurteilerübereinstimmung und Beurteilerreliabilität. Göttingen: Hogrefe.

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Objektive psychologisch-diagnostische Verfahren Objective Psychological Assessment Klaus D. Kubinger Laienhaft pauschal als „psychologische Tests“ bezeichnet, werden psychologischdiagnostische Verfahren primär dafür entwickelt, eine psychologische Fragestellung in der praktischen Fallbehandlung beantworten zu können. Ihr Einsatz im diagnostischen Prozess ist grundsätzlich immer notwendig. Sieht man von Anamneseerhebung (inklusive Biographisches Inventar), Exploration, Verhaltensbeobachtung (inklusive Assessment Center und Arbeitsprobe), Arbeitsplatzanalyse und Projektiven Verfahren ab (zu diesen Verfahren siehe Kubinger & Jäger, 2003), so sind die folgenden vier psychologisch-diagnostischen Verfahren in verschiedener Hinsicht jeweils als „objektiv“ zu bezeichnen: • Leistungstests: Zu den Leistungstests zählen insbesondere Intelligenztests, aber auch spezifische Tests zur Erfassung von verbalem Verständnis, Raumvorstellung, Gedächtnis, Wahrnehmungs- und Verarbeitungsgeschwindigkeit, schlussfolgerndem Denken, (intellektueller) Lernfähigkeit, Aufmerksamkeit und Konzentration sowie technischem Verständnis; weiterhin auch Entwicklungstests. Weit über die Psychologie hinaus international bekannt sind beispielsweise die verschiedenen Intelligenz-Testbatterien von Wechsler sowie die Matrizentests von Raven (siehe dazu Lehrbücher zur Psychologischen Diagnostik, z. B. Amelang & Zielinski, 2002; ➝ Experimentelle Methoden; ➝ Intelligenz). • Persönlichkeitsfragebogen: Unter den Persönlichkeitsfragebogen gibt es breit angelegte Fragenbatterien, die die Persönlichkeit eines Menschen umfassend zu beschreiben versuchen (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze), sowie solche, die spezifische Persönlichkeitsmerkmale erfassen, wie z. B. Ängstlichkeit, Aggression, Leistungsmotivation, Belastbarkeit und Kausalattribuierung; ferner gibt es Interessenfragebogen. • „Objektive Persönlichkeitstests“: Objektive Persönlichkeitstests versuchen, persönliche Stilmerkmale aus dem beobachtbaren Verhalten bei bestimmten (Leistungs-)Anforderungen zu erschließen, wobei die Registrierung der Art und Weise der Problembearbeitung (etwa Bearbeitungsschnelligkeit und -verlauf, Korrekturen, stereotype Reaktionen und Aktionen) der Computer übernimmt (siehe Kasten für ein Beispiel). • Psychophysiologische Messungen: Psychophysiologische Messungen beziehen sich häufig auf folgende Funktionen: Spontane Gehirnaktivität, evozierte

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Gehirnaktivität, Hautleitkennwerte, Hautfeuchte, Hauttemperatur, Hautdurchblutung, Blickbewegungen, Lidschlag, Pupillenbewegungen, Atemtätigkeit, Atemvolumenleistung, Atemgasstoffwechsel, Herzreaktionspotenziale, Herzfrequenz, Herzschlagvolumen, Blutdruck, periphere Pulswellen, Muskelaktionspotenziale und Magenmotilität. Beispiel: Objektive Persönlichkeitstests In einem Untertest von BAcO (Belastbarkeits-Assessment: computerisierte Objekte Persönlichkeits-Testbatterie, in Vorbereitung; siehe vorläufig Kubinger, Schrott, Ortner, Ziegler, Litzenberger & Radinger, 2002) hat die Testperson die Aufgabe, möglichst rasch in einem auf dem Bildschirm gebotenen Labyrinth ein Objekt mit Hilfe von Navigations-Buttons (hinauf-hinunter-links-rechts) vom Start zum Ziel zu bewegen. Dabei wird allerdings der jeweils am kürzesten erscheinende Weg, sobald ihn die Testperson einschlägt, computergesteuert verbarrikadiert. So muss sie immer wieder einen neuen Weg suchen, bis sie nach einer bestimmter Anzahl solcher Behinderungen zum Ziel gelangt – oder sie gibt auf. Mit folgenden Testkennwerten soll die „Belastbarkeit bei Verhinderung des planmäßigen Vorgehens“ erfasst werden: Bearbeitungsdauer bis zum Erfolg, Anzahl von Inaktivitäten länger als 10 Sekunden und Anzahl wiederholter nicht zielführender Wegversuche.

Diese vier psychologisch-diagnostischen Verfahren können wir als wissenschaftliche Routineverfahren zur Untersuchung bestimmter Eigenschaften (Traits) definieren, die das Ziel haben, eine quantitative Aussage über den relativen Grad der individuellen Eigenschaftsausprägung zu gewinnen. „Mit Eigenschaften können Temperaments- und Persönlichkeitseigenschaften im engeren Sinne gemeint sein (z. B. Extraversion …), Begabungen und Leistungseigenschaften (z. B. Intelligenz …), Stile der Informationsverarbeitung (z. B. Lern- und Denkstile), Motiveigenschaften (z. B. Leistungsmotiv), Interessen, Gefühlseigenschaften (z. B. Ärgerneigung), Eigenschaften des Wohlbefindens (z. B. Depressivität, Optimismus), Eigenschaften des Selbstkonzepts (z. B. der eigenen Begabung) sowie Einstellungen, Werthaltungen, Normorientierung und Überzeugungen (z. B. Kontrollüberzeugungen)“ (Schmitt, 2003, S. 424).

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Objektivität im Sinn des Gütekriteriums der Psychologischen Diagnostik

Kurzgefasst meinen wir beim Gütekriterium Objektivität, dass ein psychologischdiagnostisches Verfahren zu Ergebnissen führt, die unabhängig vom Untersucher sind. Vom Idealfall ausgehend kann ein solches Verfahren mehr oder weniger obDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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jektiv sein, so dass jeweils der Grad der Objektivität eines Verfahrens interessiert. Geht es beim psychologischen Diagnostizieren im Zuge einer Fallbehandlung dabei auch um die Interpretationseindeutigkeit eines Verfahrens (vgl. Kubinger, 2003), so ist für Forschungszwecke die Testleiterunabhängigkeit und die Verrechnungssicherheit – wenn erfüllt – ausreichend. Testleiterunabhängigkeit ist gegeben, wenn das Testverhalten der Testperson und damit der für sie resultierende Testwert unabhängig von zufälligen oder systematischen Verhaltensvariationen ist, die durch die Person des Testleiters bedingt sind (Kubinger, 2003). Schließt man eine fehlerhafte Testdurchführung aus, so bleibt das „menschliche“ Risiko, dass der Testleiter bestimmte Erwartungshaltungen an die Testperson ausprägt, auf Grund derer er unwissentlich das Testverhalten der Testperson beeinflusst. Verrechnungssicherheit ist dann gegeben, wenn die Reglementierung, wie die einzelnen Testleistungen bzw. -reaktionen auf jedes Item zu numerischen (oder kategorialen) Testwerten zu verrechnen sind, derart exakt festgelegt ist, dass jeder Auswerter zu denselben Ergebnissen kommt (Kubinger, 2003). So gesehen, ist für kein psychologisch-diagnostisches Verfahren hundertprozentige Objektivität zu erwarten. Selbst die Vorgabe am Computer birgt die Gefahr der systematischen Beeinflussung der Testperson durch die beaufsichtigende Person. Trotzdem ist der Grad der Testleiterunabhängigkeit bei computerunterstützter Vorgabe grundsätzlich höher zu erwarten als bei der Vorgabe mit „Papier und Bleistift“ in der Gruppe; erst recht höher als bei Individualvorgabe, also der Untersuchung nur einer einzigen Person. Außerdem garantiert die computerunterstützte Vorgabe Verrechnungssicherheit. Leistungstests, Persönlichkeitsfragebogen, Objektive Persönlichkeitstests und psychophysiologische Messungen erfüllen dessen ungeachtet das Gütekriterium der Objektivität grundsätzlich eher als die übrigen, oben genannten psychologisch-diagnostischen Verfahren. Zum Beispiel ist die Anamneseerhebung fast definitionsgemäß der Subjektivität des Untersuchungsleiters ausgesetzt; und Projektive Verfahren haben, wenn überhaupt welche, deutlich negative Objektivitätsbefunde, so dass sie als Beweismittel in Strafprozessen grundsätzlich gar nicht zugelassen sind. Demgegenüber weisen vor allem Intelligenztests (sogar bei Individualvorgabe) einen Grad an Testleiterunabhängigkeit auf, der zwar nicht voll befriedigt, aber für die Fallbehandlung akzeptabel scheint: Im Manual zum AID 2 (Adaptives Intelligenz Diagnostikum – Version 2.1, Kubinger & Wurst, 2000) finden sich beispielsweise Abweichungen zwischen verschiedenen Testleitern von höchstens 4 T-Werten.

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Objektivität im Sinn von Fairness

Zu den Gütekriterien psychologisch-diagnostischer Verfahren zählt auch die Fairness, wonach Testpersonen infolge ihres soziokulturellen Hintergrunds nicht systematisch diskriminiert werden dürfen. Hier meint objektiv: in Bezug auf die Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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gemessene Eigenschaft sachlich und „unparteiisch“. Dieser Anspruch an psychologisch-diagnostische Verfahren leugnet nicht Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen sowie insbesondere nicht zwischen den beiden Geschlechtern – sie zu entdecken, ist im Gegenteil ein traditionelles Forschungsthema der Differentiellen Psychologie –, sondern impliziert bloß, dass systematische geschlechtsoder milieuspezifische Unterschiede in den Testwerten eines Verfahrens durch die Verfügbarkeit (auch) spezifischer Normtabellen deklariert werden. Ein darüber hinaus gehender Aspekt von Fairness eines psychologisch-diagnostischen Verfahrens ist die „Erfahrungsunabhängigkeit“. Testpersonen mit viel Testerfahrung mögen einen enormen Vorteil bei einer neuerlichen Testung, selbst mit einem nicht identischen Verfahren haben: Sie sind nicht mehr über etliche Aufgabestellungen überrascht, sie begreifen die Instruktion schneller und sie haben vielleicht noch bewährte Lösungsstrategien in Erinnerung – im schlimmsten Fall erinnern sie sich sogar noch an einzelne richtige Antworten. So gereicht es oft schon zum Vorteil, wenn eine Testperson die am freien Markt erhältlichen „Testknacker“ ausführlich studiert, also Bücher mit strategischen Empfehlungen zum Antwortverhalten bzw. mit Lösungsschlüsseln zu weithin eingesetzten Verfahren. Manche Verfahren sind jedoch gegenüber Erfahrungen weitestgehend resistent. Und zwar solche, die in ihrer Instruktion so ausführlich informieren und das Instruktionsverständnis der Testperson gezielt abprüfen, so dass Personen ohne Testerfahrung kein Handicap haben. Wenn solche flankierenden Maßnahmen getroffen werden, sind Leistungstests, Persönlichkeitsfragebogen, Objektive Persönlichkeitstests und psychophysiologische Messungen als objektiv im Sinn von erfahrungsunabhängig zu qualifizieren. Ein weiterer Aspekt von Fairness beinhaltet die sog. „Verrechnungsfairness“. Bei Verrechnungsfairness geht es um das Gütekriterium Skalierung; dieses stellt den Anspruch, dass ein psychologisch-diagnostisches Verfahren empirisch feststellbare Verhaltensrelationen innerhalb ein und derselben Person sowie zwischen verschiedenen Personen in dementsprechende Zahlenrelationen transformiert. Das heißt, die Vorschriften, wie alle möglichen Verhaltensweisen in Testwerte zu verrechnen sind, müssen die fraglichen empirischen Verhaltensrelationen exakt wiedergeben (Kubinger, 2003). Beispiel: Die einfachste Verrechnungsvorschrift sieht als Testwert die Anzahl gelöster Aufgaben vor. Ungeachtet dessen, welche Aufgaben von einer Testperson gelöst und welche nicht gelöst wurden, zählen nur die Lösungen. Laut Beweisführung der Probabilistischen Testtheorie muss das Testverhalten aller Personen notwendigerweise (!) einem ganz bestimmten mathematisch-statistischen Modell folgen – dem sog. Rasch-Modell –, damit dieser Verrechnungsmodus fair ist. Diese Voraussetzung ist grundsätzlich für jedes psychologisch-diagnos-

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tische Verfahren empirisch prüfbar. Hält ein Verfahren dieser Prüfung nicht stand, heißt das, dass nicht alle Testpersonen mit derselben Anzahl gelöster Aufgaben auch tatsächlich gleich leistungsstark sind, sondern zur fairen Beurteilung der Leistungsfähigkeit hängt es noch davon ab, welche (!) Aufgaben jede Person gelöst und welche sie nicht gelöst hat – wenn nicht überhaupt einzelne Aufgaben jeweils etwas anderes messen.

Für manche Leistungstests ist dieses Gütekriterium erfüllt, bei weitem nicht für alle. Persönlichkeitsfragebogen müssen diesbezüglich theoretisch immer scheitern, fließt doch regelmäßig nicht nur die zu messen gewünschte Eigenschaft in das Antwortverhalten ein, sondern auch die Bereitschaft einer Testperson, „wahr“ zu antworten. Trotzdem gibt es vereinzelte Belege, die für die Verrechnungsfairness eines Persönlichkeitsfragebogens sprechen. Psychophysiologische Messungen als im Wesentlichen physikalische Messungen (Geschwindigkeit, Frequenz, Amplitude) sind im Gegensatz zu psychologischen Messungen definitionsgemäß verrechnungsfair; und Objektive Persönlichkeitstests insofern ebenfalls, als sie auf analogen (physikalischen) Messungen aufbauen.

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Objektivität im Sinn von Unverfälschbarkeit

Zu den Gütekriterien psychologisch-diagnostischer Verfahren zählt auch die Unverfälschbarkeit, wonach verhindert werden muss, dass eine Testperson durch gezieltes Verhalten die konkrete Ausprägung ihres Testwerts steuern kann. Zum einen sind damit Antworten einer Testperson im Sinn sozialer Erwünschtheit angesprochen, zum anderen Antworten bzw. Testleistungen zur Maximierung des individuellen Nutzens – Voraussetzung für ein solches Verhalten der Testperson ist die Durchschaubarkeit des Messprinzips. Objektiv meint hier: die Unmöglichkeit für die Testperson, das Untersuchungsergebnis zu manipulieren. Ein Verfälschen in Richtung höheres Leistungsniveau ist bei Leistungstests offensichtlich nicht möglich, allerdings ein absichtlich schlechteres Abschneiden zum eigenen Vorteil, also ein Verfälschen in Richtung niedrigeres Leistungsniveau. Dementsprechend findet man innerhalb der Psychologischen Diagnostik neuerdings intensive Bemühungen um eine Simulantendiagnostik. Objektiv im Sinn von unverfälschbar sind also Leistungstests nur in dem Fall, dass die getestete Person mit Sicherheit gut abschneiden will. Persönlichkeitsfragebogen müssen dagegen besonders kritisch hinsichtlich ihrer Verfälschbarkeit bewertet werden (vgl. die entsprechende Grundlagenforschung in der Psychologischen Diagnostik, z. B. Kubinger, 2002; ➝ Selbstberichte). Evident ist, dass Personen grundsätzlich, wenn auch individuell verschieden stark, Persönlichkeitsfragebogen zu ihrem eigenen Vorteil verfälschen; und zwar nicht nur

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im Sinn sozialer Erwünschtheit, sondern gegebenenfalls auch symptomsimulierend (vgl. zu Letzterem Franke, 2002). Man bemüht sich zwar um besondere methodische Ansätze, diejenigen Personen zu identifizieren, welche ein bestimmtes strategisches Antwortverhalten zeigen – etwa unter Berücksichtigung der Zeit, bis jeweils ein Item beantwortet wird. Entsprechende Ergebnisse von Wagner-Menghin (2002) sind durchaus ermutigend. Persönlichkeitsfragebogen können aber gegenwärtig keinesfalls als objektiv im Sinn von unverfälschbar qualifiziert werden! Deswegen erfahren die sog. „Objektiven Persönlichkeitstests “ in der Tradition von Cattell (vgl. z. B. Cattell & Warburton, 1967) bzw. die „performance-tests of personality“, wie sie Cronbach (1970) nennt, eine gewisse Renaissance. Im Bestreben, persönliche Stilmerkmale aus dem beobachtbaren Verhalten bei bestimmten (Leistungs-)Anforderungen zu erschließen, kann die getestete Person – selbst wenn sie das Messprinzip durchschaut – nur schwerlich das Testergebnis in Richtung „besser“ verfälschen. Weil die neueren Ansätze versuchen, die Testperson einer systematischen Bedingungsvariation zu unterziehen, hat Kubinger (1997) dafür die Bezeichnung „experimentalpsychologische Verhaltensdiagnostik“ geprägt. Der Beweis, dass diese psychologisch-diagnostischen Verfahren nicht bzw. im Vergleich zu herkömmlichen Persönlichkeitsfragebogen weit weniger verfälschbar sind, ist oftmals gelungen. Im Sinn von unverfälschbar sind Objektive Persönlichkeitstests also weitgehend objektiv. Hofmann und Kubinger (2001) zeigten beispielsweise: Während die Messintention im Fall des untersuchten Objektiven Persönlichkeitstests maximal von 41 %, in der Regel nur von ca. 25 % der Testpersonen identifiziert werden konnte, erreichte der verwendete Persönlichkeitsfragenbogen entsprechende Prozentsätze bis nahezu 90 %, jedenfalls nicht unter 67 %! Psychophysiologische Messungen liefern keine eindeutigen Aussagen in Bezug auf bestimmte emotionale Zustände oder kognitive Qualitäten. Deswegen finden sie in der Fallbehandlung auch nicht routinemäßige Anwendung und z. B. wird die psychophysiologische Aussagebeurteilung als objektives Beweismittel vor Gericht nicht akzeptiert (vgl. z. B. Ortner, 2003). Unter dem Gesichtspunkt, dass ein Verfälschen für die meisten Menschen aber kaum möglich ist, gelten psychophysiologische Messungen auch insofern als objektiv.

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Reduzierte Ansprüche an psychologisch-diagnostische Verfahren beim Einsatz in der Forschung

Wenn psychologisch-diagnostische Verfahren im Rahmen der Forschung zur Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie eingesetzt werden, können keine Abstriche gemacht werden, was Testleiterunabhängigkeit und VerrechnungsDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Klaus D. Kubinger

fairness betrifft. Beides muss für psychologisch-diagnostische Verfahren genauso gegeben sein, wie in der praktischen Fallbehandlung. Mängel an Verrechnungssicherheit sind dagegen bei einem zentral abgewickelten Forschungsprojekt eigentlich unerheblich. Mangelnde Erfahrungsunabhängigkeit eines Verfahrens wird aber auch für die Forschung problematisch, weil oft genug „bewährte“ Stichproben für verschiedene Forschungsprojekte mehrmals herangezogen werden. Die häufig eingesetzten Studierenden der Psychologie haben definitionsgemäß Erfahrung in der Bearbeitung psychologisch-diagnostischer Verfahren, so dass die Ergebnisse, die selbst mit erfahrungsunabhängigen Verfahren gewonnen werden, oftmals kritisch zu interpretieren sind. Zudem ergibt sich in der Forschung das besondere Problem der Freiwilligkeit der Testpersonen. Spätestens seit Karner (2002) weiß man, dass psychologische Untersuchungen zu grundsätzlich anderen Ergebnissen führen, je nachdem, ob oder ob nicht damit für die Testperson bestimmte Konsequenzen verbunden sind. Insbesondere deshalb ist es befremdlich, dass für Forschungsaufgaben nach wie vor oft die grundsätzlich leicht verfälschbaren Persönlichkeitsfragebogen eingesetzt werden. Gerade wenn argumentiert wird, die Testpersonen hätten dabei gar keinen Grund zu verfälschen, muss man schließen, dass die gewonnenen Erkenntnisse nicht verallgemeinerbar sind!

Weiterführende Literatur Amelang, M. & Zielinski, W. (2002). Psychologische Diagnostik und Intervention (3. Aufl.). Berlin: Springer. Kubinger, K. D. & Jäger, R. S. (Hrsg.). (2003). Schlüsselbegriffe der Psychologischen Diagnostik. Weinheim: PVU.

Literatur Amelang, M. & Zielinski, W. (2002). Psychologische Diagnostik und Intervention (3. Aufl.). Berlin: Springer. Cattell, R. B. & Warburton, F. W. (1967). Objective personality and motivation tests. A theoretical introduction and practical compendium. Urbana: University of Illinois Press. Cronbach, L. J. (1970). Essentials of psychological testing. New York: Harper & Row. Franke, G. H. (2002). Faking bad in personality inventories: Consequences for the clinical practice. Psychologische Beiträge, 44, 50–61. Hofmann, K. & Kubinger, K. D. (2001). Herkömmliche Persönlichkeitsfragebogen und Objektive Persönlichkeitstests im „Wettstreit“ um Unverfälschbarkeit. Report Psychologie, 26, 298–304. Karner, T. (2002). The volunteer effect of answering personality questionnaires. Psychologische Beiträge, 44, 42–49. Kubinger, K. D. (1997). Zur Renaissance der objektiven Persönlichkeitstests sensu R. B. Cattell. In H. Mandl (Hrsg.), Bericht über den 40. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in München 1996 (S. 755–761). Göttingen: Hogrefe.

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Kubinger, K. D. (Ed.). (2002). Personality questionnaires: Some critical points of view. Psychologische Beiträge, 44/1. Kubinger, K. D. (2003). Gütekriterien. In K. D. Kubinger & R. S. Jäger (Hrsg.), Schlüsselbegriffe der Psychologischen Diagnostik (S. 195–204). Weinheim: Beltz/PVU. Kubinger, K. D. & Jäger, R. S. (Hrsg.). (2003). Schlüsselbegriffe der Psychologischen Diagnostik. Weinheim: PVU. Kubinger, K. D., Schrott, A., Ortner, T., Ziegler A., Litzenberger, M. & Radinger, R. (2002). Entwicklung Objektiver Persönlichkeitstests zu den Eignungsmerkmalen „Belastbarkeit“ und „Entscheidungsverhalten“. Untersuchungen des Psychologischen Dienst der Bundeswehr 2001/2002. Bonn: Bundesministerium der Verteidigung – PSZ III 6. Kubinger, K. D. & Wurst, E. (2000). Adaptives Intelligenz Diagnostikum – Version 2.1 (AID 2). Göttingen: Beltz Test. Ortner, T. M. (2003). Psychophysiologische Messungen. In K. D. Kubinger & R. S. Jäger (Hrsg.), Schlüsselbegriffe der Psychologischen Diagnostik (S. 354–361). Weinheim: PVU. Schmitt, M. (2003). Trait. In K. D. Kubinger & R. S. Jäger (Hrsg.), Schlüsselbegriffe der Psychologischen Diagnostik (S. 424–426). Weinheim: PVU. Wagner-Menghin, M. M. (2002). Toward the identification of non-scaleable personality questionnaire respondents: Taking response time into account. Psychologische Beiträge, 44, 62–77.

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Nach Wundt (1913) ist ein Experiment durch Willkürlichkeit, Variierbarkeit und Wiederholbarkeit gekennzeichnet. Willkürlichkeit ist gegeben, wenn der Beobachter die Entstehung und den Verlauf der zu beobachtenden Erscheinungen selbst herstellt. Ist Willkürlichkeit gegeben, sollten auch die Kriterien der Variierbarkeit und der Wiederholbarkeit erfüllt sein. Bei dieser Definition stellt sich die Frage, ob nicht bereits die Applikation eines Tests einen Sonderfall des Experiments darstellt, da es sich um ein absichtliches, planmäßiges Herbeiführen eines Geschehens zum Zweck seiner Beobachtung handelt (Michel, 1964). Ein noch weiter gefasster Begriff findet sich bei Cattell (1980). Er sieht in einem Experiment „eine quantitative oder qualitative Aufzeichnung von Beobachtungen, die mit Hilfe definierter und protokollierter Operationen und unter definierten Bedingungen erfolgt“ (Cattell, 1980, S. 29). Diese Definition schließt Beobachtungen und Messungen eines natürlichen Ereignisses (z. B. Sonnenfinsternis) ebenso ein wie ein Ereignis, das aus seiner natürlichen Umgebung abstrahiert und im Labor manipulativ wiederholt wird. Notwendige Voraussetzung ist lediglich, dass das Kriterium der wissenschaftlichen Strenge erfüllt ist, welches nach Cattell die experimentelle Methode von der klinischen unterscheidet, da Letztere auch auf die Intuition vertraut. Ganz andere Auffassungen finden sich in der experimentellen Literatur, wo nicht inhaltliche Überlegungen, wie bei Cattell, sondern die methodische Stringenz in das Zentrum der Argumentation rückt. So schlägt Bredenkamp (1969) vor, nur dann von einem Experiment zu sprechen, wenn mindestens eine unabhängige Variable (UV) durch den Untersuchungsleiter hergestellt (z. B. die Applikation eines Treatments) oder manipuliert (z. B. die Dosis eines Medikaments) wird und wenn die Untersuchungspersonen per Zufall auf die verschiedenen Stufen der UV bzw. die verschiedenen Bedingungen zugewiesen werden (Randomisierung). Randomisierung ist eine notwendige Bedingung zur Sicherung der internen Validität, d.h. notwendige Voraussetzung, um die Variation der abhängigen Variablen (AV) als Folge der Variation der UV interpretieren zu können. Untersuchungsanordnungen ohne Randomisierung (z. B. Quasi-Experiment und Ex-post-facto-Experiment, s. unten) bezeichnet Bredenkamp als Korrelationsstudien, da die Variation der AV nicht als Folge der Variation der UV interpretierbar ist, sondern im günstigsten Fall als regelhaftes Zusammenauftreten. Diese Auffassung zementiert die vielfach beklagte Teilung der Psychologie in experimentelle und korrelative Methoden, zu deren Überwindung Cronbach wiederholt aufgerufen hat (Cronbach, 1975).

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Grundbegriffe der experimentellen Methoden

Die folgende Darstellung orientiert sich an Shadish, Cook und Campbell (2002). Von experimentellen Methoden wird dann gesprochen, wenn die Einflussrichtung zwischen empirischen Variablen von Bedeutung ist (Dependenzanalysen), von nicht experimentellen, wenn sie ohne Bedeutung ist (Interdependenzanalysen oder Korrelationsstudien). Definitionen (nach Shadish, Cook und Campbell, 2002):

Experiment: Untersuchung, bei welcher der Untersuchungsleiter aktiv und gezielt eine Intervention durchführt, um die Effekte der Intervention zu beobachten.

Randomisiertes Experiment (echtes Experiment): Experiment, bei dem die Untersuchungseinheiten (Personen, Aggregate von Personen wie etwa Schulklassen, Tiere u. a. m.) zufällig verschiedenen Bedingungen (Treatment, alternatives Treatment oder Kontrollbedingung) zugewiesen werden. Quasi-Experiment: Experiment, bei dem die Zuweisung der Untersuchungseinheiten zu den Treatmentbedingungen nicht zufällig erfolgt. Natürliches Experiment: Untersuchung, bei der ein natürliches Geschehen (z. B. Erdbeben) mit einer Vergleichsbedingung kontrastiert wird. Es handelt sich um kein echtes Experiment, da die Ursachen nicht variiert (manipuliert) werden können.

Korrelationsstudie (synonym mit nicht-experimenteller Untersuchung und Beobachtungsstudie): Untersuchung, in welcher die Größe und Richtung von Beziehungen zwischen Variablen beobachtet wird.

1.1

Experiment

Ein Experiment ist durch die aktive Applikation einer Intervention (Treatment) gekennzeichnet. Dies setzt voraus, dass die Variablen in UV und AV eingeteilt werden können. Ein Experiment zielt darauf ab, die Wirkung von Veränderungen einer oder mehrerer UVs (den Treatments) auf eine oder mehrere AVs zu bestimmen. Experiment wird als Oberbegriff für Untersuchungsdesigns verwendet, mit denen Ursache-Wirkungszusammenhänge untersucht werden. Experimentelle Anordnungen können danach unterschieden werden, wie stringent und zuverlässig Kausalzusammenhänge geprüft und Alternativerklärungen ausgeschlossen werden können. Die Stringenz hängt wesentlich davon ab, ob potenzielle Störvariablen kontrolliert werden können. Systematische Fehler liegen dann vor, wenn nicht kontrollierte Variablen, die mit der AV korrelieren, auch mit der UV korrelieren.

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Angenommen, es soll die Wirksamkeit eines Gedächtnistrainings bei Erwachsenen durch den Vergleich einer Gruppe mit (Treatmentgruppe) und ohne Training (Kontrollgruppe) untersucht werden, und das Alter der Teilnehmer wird nicht kontrolliert. Ist die Treatmentgruppe im Durchschnitt jünger als die Kontrollgruppe, könnte ein Trainingseffekt angenommen werden, obwohl der Effekt nur durch den Altersunterschied bedingt ist. Umgekehrt könnte der Effekt des Treatments unterschätzt werden, wenn die Kontrollgruppe jünger ist als die Treatmentgruppe. In beiden Fällen ist die UV mit der Störvariablen (Alter) konfundiert. Bekannte Störvariablen können gegebenenfalls erfasst und statistisch kontrolliert werden. Das eigentliche Problem resultiert aus den unbekannten Störvariablen, die nur mit randomisierten Untersuchungsplänen wirksam kontrolliert werden können. Eine Unschärfe ergibt sich indes bereits bei der Frage, was ein Treatment ausmacht. Zwar gibt es eine relativ große Übereinstimmung darüber, die Applikation eines Fragebogens nicht als solches zu bezeichnen. Schon bei komplexeren Erhebungsmethoden, etwa Wahlreaktionsaufgaben, die gegebenenfalls noch mit systematischen Variationen versehen sind, ist die Antwort weniger klar, wie das folgende Beispiel aus der Vigilanzforschung zeigt.

Beispiel: Der Zusammenhang von Vigilanz und Extraversion/ Introversion Schmidt, Beauducel, Brocke und Strobel (2004) untersuchten mit einem für derartige Fragestellungen typischen Design den Zusammenhang von Vigilanz und Extraversion/Introversion. Dazu gaben sie je einer Extremgruppe extravertierter und introvertierter Personen für 40 Minuten eine auditive Vigilanzaufgabe vor. Die Probanden mussten so schnell wie möglich reagieren, wenn der kürzere von zwei 1-kHz-Tönen zu hören war. Reaktionszeiten, Trefferzahl und falsche Reaktionen wurden protokolliert. Die Daten von jeweils 10 Minuten wurden zusammengefasst und die Ergebnisse der beiden Gruppen verglichen. Die Autoren fanden keinen Mittelwertsunterschied zwischen den Gruppen, wohl aber einen Interaktionseffekt: Extravertierte antworteten zu Beginn schneller. Mit zunehmender Dauer wurden ihre Reaktionszeiten aber langsamer als die der introvertierten Probanden.

Die Studie von Schmidt et al. (2004) verdeutlicht exemplarisch die Problematik. Die Vigilanzmessung kann hier als Intervention interpretiert werden, da ein Ermüdungseffekt erwartet wurde und auch eintraf. Letztlich ist es aber nur die Zahl der Messwiederholungen in einer monotonen Aufgabe, die dieser Anordnung einen Interventionscharakter verleiht und so die Studie zum Experiment macht.

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Experimentelle Methoden

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Randomisiertes Experiment

Das stärkste Design, um Ursache-Wirkungszusammenhänge zu prüfen, ist das randomisierte Experiment, das durch Zufallszuweisung der Personen zu den Untersuchungsbedingungen gekennzeichnet ist. Durch die Zufallszuweisung soll erreicht werden, dass sich die Gruppen vor der Intervention nicht bedeutsam unterscheiden. Bekannte und unbekannte Störvariablen sollen dadurch ausgeschaltet und dadurch die interne Validität maximiert werden. Variablen, die manipuliert werden können, werden als aktive Variablen bezeichnet. Viele interessierende Variablen in der Persönlichkeitspsychologie sind jedoch organismische Variablen, qualitative wie Geschlecht, soziale Schicht und Schulbildung, oder quantitative wie Alter, Körpergröße und Intelligenz, die fest mit den Personen verbunden sind. Im obigen Vigilanzexperiment von Schmidt et al. (2004) beispielsweise könnte das Merkmal Extraversion/Introversion mit weiteren Merkmalen (z. B. Geschlecht oder Neurotizismus) korreliert sein. Derartige systematische Unterschiede und Gemeinsamkeiten sind aus differentiell-psychologischer Perspektive von Interesse und durch Randomisierung nicht zu eliminieren, sondern bestenfalls statistisch zu kontrollieren. Die Anwendbarkeit des echten Experiments als Forschungsmethode ist daher in der Persönlichkeitspsychologie sehr begrenzt. Zu beachten ist zudem, dass Gruppenäquivalenz durch Randomisierung nur dann erwartet werden kann, wenn es sich um unausgelesene und sehr große Zufallsstichproben handelt, denn die Wirkung des Zufallsprinzips hängt von der Stichprobengröße ab (Gesetz der großen Zahl). 1.3

Quasi-Experiment

Quasi-experimentelle Designs sind dadurch gekennzeichnet, dass die Zuweisung der Probanden zu den Treatmentbedingungen (Stufen der UV) nicht zufällig erfolgt. Dies hat zur Folge, dass die UV mit Störvariablen konfundiert ist, so dass es Alternativerklärungen hinsichtlich der Wirkung des applizierten Treatments gibt. Von einem Quasi-Experiment sollte nur dann gesprochen werden, wenn die UV vom Untersuchungsleiter aktiv manipuliert wird, in den übrigen Fällen handelt es sich um ein korrelatives bzw. nicht-experimentelles Design. Quasi-experimentelle Designs sind typisch für die Persönlichkeitspsychologie, da sich diese für persongebundene Merkmale (organismische Variablen) und deren Interaktion mit situativen Bedingungen und Treatments interessiert. Da eine Übersicht über die zahlreichen in der Persönlichkeitspsychologie verwendeten quasi-experimentellen Untersuchungspläne an dieser Stelle nicht möglich ist, beschränkt sich die Darstellung auf zwei Gruppen von Designs. Eine ausgezeichnete Übersicht über Forschungsdesigns findet sich bei Shadish et al. (2002).

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1.3.1 Untersuchungspläne mit nicht äquivalenter Kontrollgruppe Hierzu werden sowohl Untersuchungspläne ohne Kontrollgruppe (Ein-GruppenExperiment) als auch Pläne mit mehreren Gruppen ohne Zufallszuweisung gezählt. Innerhalb der Ein-Gruppen-Pläne ist zwischen Plänen mit und ohne Vortest zu unterscheiden. Pläne ohne Vortest werden von vielen Autoren als vor-experimentell bezeichnet, da praktisch alle Störvariablen wirksam werden können. Shadish et al., die diese Anordnung trotzdem als quasi-experimentell bezeichnen, halten sie in wenigen Ausnahmefällen für brauchbar, wenn sehr viel spezifisches Hintergrundwissen über die AVs vorhanden ist. Eine Verbesserung stellen Vorher-Nachher-Messungen dar, wenngleich diese Pläne, bezogen auf die interne Validität und damit hinsichtlich der Stringenz der kausalen Wirkung der Intervention, ebenfalls nur eine schwache Evidenz haben. Zwischenzeitliches Geschehen, Reifung, Motivationsund Erwartungseffekte, aber auch Wirkungen des Testens sind als potenzielle Störvariablen zu nennen. Mehr-Gruppenpläne sind dann besonders problematisch, wenn sich die Personen den Gruppen selbst zuordnen, etwa Teilnehmer einer spezifischen Lernbedingung. In diesem Fall kann fast immer davon ausgegangen werden, dass Störvariablen (z. B. Leistungsmotivation, Fähigkeiten) mit der Gruppenzugehörigkeit konfundiert sind. Um äquivalente Gruppen zu erhalten, können Gruppen nach bekannten Störvariablen parallelisiert werden. Dieses Vorgehen sichert aber nur dann die Äquivalenz der Gruppen, wenn hierbei alle relevanten Störvariablen berücksichtigt werden, wozu diese bekannt sein müssten. Typisch für die Persönlichkeitspsychologie sind quasi-experimentelle Designs, bei denen Gruppen von Personen mit unterschiedlichen Merkmalsausprägungen gebildet werden. Diese Gruppen werden dann unter einer oder mehreren Treatmentbedingungen beobachtet. In vielen Untersuchungen zur Extraversion/Introversion beispielsweise wurden auf der Basis von Vorabmessungen Gruppen von extrem extra- bzw. introvertierten Personen gebildet und diese Gruppen unter verschiedenen experimentell manipulierten Bedingungen miteinander verglichen (vgl. das Beispiel von Schmidt et al., 2004). Von einer quasi-experimentellen Untersuchung kann nach den obigen Kriterien aber nur dann gesprochen werden, wenn eine Intervention durchgeführt wurde, d. h. wenn die UV vom Untersuchungsleiter systematisch variiert wurde. Gruppenbildung und Gruppenvergleich allein sind keine Kennzeichen eines Experiments. Zu beachten ist auch, dass eine Extremgruppenbildung nicht unproblematisch ist, da der Zusammenhang dadurch verstärkt wird bzw. offen bleibt, ob der festgestellte Zusammenhang über das gesamte Merkmalskontinuum generalisiert werden kann.

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1.3.2 Zeitreihenpläne Von Zeitreihen wird dann gesprochen, wenn mehr als zwei Messungen der AV vorliegen. Bei den einfachsten Plänen werden mehrere Messungen vor und mehrere nach dem Treatment durchgeführt. Häufig werden aber auch mehrere Treatmentstufen appliziert, unterbrochen durch mehrere Messungen der AV. Systematische Fehler bei Messwiederholungsdesigns sind Reihenfolgeeffekte, Übungseffekte, Ermüdungseffekte, Erinnerungseffekte, Tageszeiteffekte, Sensibilisierungseffekte und auch externes, zwischenzeitliches Geschehen. Alle diese Effekte können die interne Validität von Zeitreihenstudien tangieren. Werden aber vor und nach einer Intervention mehrere Messungen durchgeführt, dann kann für beide Phasen ein Trend bestimmt werden. Wird dieser Trend an der Stelle der Intervention unterbrochen, stützt dies die Annahme eines Kausaleffekts trotz der genannten systematischen Fehler (regression discontinuity design, vgl. Abb. 1). Zur statistischen Prüfung werden getrennte Regressionsgleichungen für die Zeit vor und nach der Intervention berechnet. Unterscheiden sich die Parameter der Regressionsgleichungen signifikant, stützt dies die Annahme eines Treatmenteffekts.

UV 60 50 40 AV

30 20 10 0 Y1

Y2

Y3

Y4

Y5

Y6

Y7

Y8

Y9

Abbildung 1: Hypothetischer Mittelwertsverlauf einer AV in einem Regression-Disconti-

nuity-Design.

1.4

Natürliche Experimente

Natürliche Experimente sind keine echten Experimente, da die UVs nicht aktiv manipuliert werden. Trotzdem haben diese Verfahren in der Persönlichkeitspsychologie Bedeutung erlangt, etwa in der Anlage-Umwelt-Kontroverse. Um den Einfluss der Umwelt auf die Intelligenz zu bestimmen, wurden Stichproben nicht

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verwandter Pflegekinder gebildet, die gemeinsam in Heimen aufwuchsen. Die Annahme war, dass diese Kinder auf Grund der gleichen Umgebung ähnlichere Erfahrungen machten als zufällig ausgewählte Kinder. Berichtet werden Intraklassenkorrelationen von r = .50, als Schätzung für Umwelteinflüsse. Dieser Schluss ist u. a. nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die Pflegekinder in genetischer Hinsicht eine Zufallsstichprobe darstellen, was durchaus in Frage gestellt werden kann. Um den Einfluss der Anlage zu bestimmen, wurden Stichproben von eineiigen Zwillingen gebildet, die in verschiedenen Umgebungen aufwuchsen. Berichtet werden Korrelationen von r = .70 mit Maßen der allgemeinen Intelligenz. Hierbei stellt sich ebenfalls zuallererst die Frage nach der Repräsentativität einer Stichprobe von Kindern, die aus welchen Gründen auch immer, kurz nach der Geburt getrennt wurden und in unterschiedlichen Umgebungen aufwuchsen (➝ Zwillings- und Adoptionsstudien). Natürliche Experimente sind zwar ein wichtiges Werkzeug der Persönlichkeitspsychologie, aber für die Validität der untersuchten Kausalzusammenhänge liefern sie nur wenig Evidenz. 1.5

Weitere Einteilungsgesichtpunkte für Experimente

In der Forschungsliteratur finden sich eine ganze Reihe weiterer Einteilungsgesichtpunkte für verschiedene Arten von Experimenten. Einige der gebräuchlichsten sind: 1. Labor- versus Feldexperiment: Diese Unterscheidung betrifft den Ort der Durchführung. Mit Labor ist üblicherweise ein spezieller Untersuchungsraum gemeint, mit Feld die natürliche Umwelt der Untersuchungsperson, also z. B. Wohnung, Schule oder Betrieb. Eine nicht experimentelle Untersuchung im Feld wird auch als Feldstudie bezeichnet. Der Vorteil des Labors besteht darin, dass der Untersuchungsleiter Störvariablen besser kontrollieren kann, z. B. Geräusche oder Licht. Diesem Vorteil stehen Einbußen hinsichtlich der Generalisierbarkeit (externe Validität) entgegen, die aus der Künstlichkeit der Untersuchungssituation resultieren. Im Feldexperiment andererseits ist die Kontrolle der Untersuchungssituation schwieriger, so dass die Äquivalenz der Untersuchungsbedingungen vielfach nicht gesichert werden kann. Dies geht zu Lasten der internen Validität und schränkt die Stringenz ein, mit der kausale Schlussfolgerungen gezogen werden können. 2. Einteilung nach der Anzahl der unabhängigen Variablen: Untersuchungen werden danach unterschieden, ob nur eine (einfaktorielle) oder mehrere (mehrfaktorielle) unabhängige Variablen untersucht werden. 3. Einteilung nach der Anzahl der abhängigen Variablen: Entsprechend können Untersuchungen auch danach unterschieden werden, ob nur eine (univariate) oder mehrere (multivariate) abhängige Variablen untersucht werden. Im Folgenden werden Beispiele aus der Persönlichkeitsforschung dargestellt und diskutiert, in denen experimentelle Methoden verwendet wurden. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Experimentelle Anordnungen in der Persönlichkeitspsychologie

2.1

Das Lerntest-Paradigma (dynamisches Testen)

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Mit Lerntests soll die Lernfähigkeit einer Person erfasst werden (Lernpotenzialdiagnostik). Nicht die gegenwärtige Leistungsfähigkeit (Status), sondern das Potenzial soll erfasst werden. Ziel ist es, den Leistungszugewinn in einer standardisierten Lernsituation zu erfassen. Dynamisches Testen ist ein experimentelles diagnostisches Paradigma und nicht auf die Intelligenzdiagnostik beschränkt. Mit anderen Inhalten kann dieser Ansatz auch zur Persönlichkeitsdiagnostik verwendet werden. Guthke und Wiedl (1996) berichten über experimentelle Spielsituationen, die als Treatment in eine Lerntestanordnung eingebettet waren, um u. a. kooperatives Verhalten, partnerbezogenes Vertrauen bzw. Misstrauen, Kompromissbereitschaft und Konflikttoleranz zu erfassen. Dynamisches Testen „Dynamische Testdiagnostik ist ein Sammelbegriff für testdiagnostische Ansätze, die über die gezielte Evozierung und Erfassung der intraindividuellen Variabilität im Testprozess entweder auf eine validere Erfassung des aktuellen Standes eines psychischen Merkmals und/oder seiner Veränderbarkeit abzielen“ (Guthke et al., 2003, S. 225). Eine Lerntestanordnung umfasst Vortest, Intervention und Nachtest. Die Intervention kann aus einem standardisierten Feedback, Denkhilfen, einer Trainingsphase, Instruktionsveränderungen oder Motivationsanreizen bestehen. Üblich ist, zum Üben typgleiche Aufgaben wie im Vortest zu verwenden. In vielen Untersuchungen wurden Items aus Intelligenztests eingesetzt, u. a. Zahlenreihen, Figurenfolgen oder verbale Analogien. Die Lernfähigkeit wird durch die Differenz aus Vor- und Nachtest bestimmt (intraindividuelle Variabilität). Als Belege für die Validität wird angeführt, dass Nachtestwerte höher mit Außenkriterien korreliert sind als die Vortestwerte. Besonders leistungsschwache Probanden profitieren durch verbesserte Leistungen von der experimentellen Testprozedur.

Als Problem von Lerntests hat sich die geringe Reliabilität der Messwertdifferenzen erwiesen. Nach der Axiomatik der klassischen Testtheorie, die vielen Lerntests zu Grunde liegt, ist die Reliabilität der Differenzwerte abhängig von der Reliabilität der Ausgangs- und der Nachtestwerte. Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn das Lerntestparadigma aus der Perspektive des zu Grunde gelegten Untersuchungsplans betrachtet wird (Ein-Gruppen-Design mit Vor- und Nachtest). Zu fragen ist dann nach der Wirksamkeit des dargebote-

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nen Treatments und der internen Validität der experimentellen Anordnung. Feedback und Denkhilfen können mehr oder weniger wirksam und/oder mehr oder weniger geeignet sein für die jeweilige Zielgruppe. Wenn also „nur“ Personen mit einer „irregulären“ Lerngeschichte von den dargebotenen Lerngelegenheiten profitieren, so könnte dies daran liegen, dass nur Hilfen (Lerngelegenheiten) dargeboten wurden, die andere Probanden nicht brauchen. Mit einer Intervention, die auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten dieser Probanden zugeschnitten ist, könnten diese möglicherweise ihre Leistungen ebenfalls verbessern, vielleicht sogar in noch stärkerem Umfang („Matthäuseffekt“). Ist dies der Fall, sagen die Differenzwerte über die Lernfähigkeit der Personen nichts aus. Diagnose und Treatment sind dann in unzulässiger Weise vermischt. Um die Grenzen der Lernfähigkeit einer Person zu bestimmen, müsste der Testing-the-Limits-Ansatz gewählt werden, eine Variante der Lerntestidee, die beispielsweise von Kliegl und Baltes (1991) zur Bestimmung der Plastizität kognitiver Fähigkeiten verwendet wurde. Hierbei üben die Probanden so lange, bis keine Leistungsgewinne mehr zu verzeichnen sind. 2.2

Der chronometrische Ansatz in der Intelligenzforschung

Reaktionszeitmaße gehören zu den ältesten Parametern bei der Untersuchung kognitiver Prozesse (vgl. Deary, 2000). Bereits Donders (1868) hat erste Überlegungen zum Zustandekommen von Reaktionszeiten entwickelt. Galton (1883) nahm an, dass Unterschiede in der menschlichen Intelligenz auf Unterschiede in der neuronalen Effizienz des zentralen Nervensystems beruhen. In seinem Labor erhob er Leistungsmaße bei einfachen sensorischen (z. B. visuelle Schärfe, Tonhöhendiskrimination, höchster hörbarer Ton) und sensomotorischen Aufgaben (z. B. Erkennen von geringen Gewichtsunterschieden bei zwei visuell ähnlichen Objekten) und einfachen Reaktionszeitaufgaben (z. B. Benennung von Farben) und überprüfte deren Zusammenhang mit anderen Indikatoren von Begabung. Zwar waren die Ergebnisse enttäuschend, doch wurde dieser Ansatz später von vielen aufgegriffen. Im Rahmen des chronometrischen Ansatzes (Mental-Speed-Paradigma) haben die Ideen Galton’s eine beachtliche Renaissance erfahren (Neubauer, 1995). Nach dieser Theorie gilt die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit als leistungslimitierender Faktor der Intelligenz. Die Intelligenz wird in diesem Paradigma auf einen einzigen Faktor „g“ reduziert, psychometrisch gesprochen, auf den IQ. Die Annahme ist, dass die schnellere Person pro Zeiteinheit mehr Information aufnehmen und verarbeiten kann. Summiert über einen langen Zeitraum, so die Erwartung, resultieren daraus große Fähigkeits- und Wissensunterschiede. Ziel ist es, eine biologische Fundierung der Intelligenz zu erreichen und kulturfreies Testen zu ermöglichen. Als Indikatoren der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit werden Reaktionszeitmaße bei so genannten Elementary Cognitive Tasks (ECT) verwendet. Hierbei handelt es sich um experimentelle Anordnungen, wie generelle Maße Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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für die mentale Geschwindigkeit basierend auf einfachen Wahlreaktionszeitaufgaben, Indikatoren für die Verlangsamung der Informationsverarbeitung bei zunehmender Komplexität der Aufgaben (Hick-Paradigma) und Indikatoren für den Zugriff auf das Kurz- (short-term memory scanning) und das Langzeitgedächtnis (letter matching task). Die Reaktionszeiten werden in der Regel durch die zeitliche Differenz zwischen einem die mentalen Prozesse auslösenden Stimulus und der dadurch vermittelten Reaktion bestimmt. Experimentelle Ansätze zur Erfassung der mentalen Geschwindigkeit Inspection time. Mit dieser Diskriminationsaufgabe soll die Basisgeschwindigkeit der visuellen bzw. auditiven Wahrnehmung gemessen werden (Deary, 2000). Bei der visuellen Aufgabe soll der Proband entscheiden, welche von zwei tachistoskopisch präsentierten horizontalen oder vertikalen Linien kürzer ist. Der Stimulus wird nach der Darbietung maskiert. Durch experimentelle Variation wird die Stimulusdauer bestimmt, bei der eine Trefferwahrscheinlichkeit von 50 % erreicht wird und diejenige, bei der fehlerfrei geantwortet werden kann. Die Quote richtiger Antworten wird dann in Abhängigkeit von der Stimulusdauer in einer kumulativen Ogive geplottet. Für Zusammenhangsanalysen mit anderen Konstrukten wird meist der Wert genommen, bei dem der Proband eine Trefferrate von 85 % erreicht. Berücksichtigt werden nur richtige Antworten. Die Schwierigkeit wird so gewählt, dass alle Aufgaben korrekt beantwortet werden können, wenn die Darbietungsdauer nicht beschränkt ist. Da die Antwortzeit nicht begrenzt ist, kann kein Geschwindigkeitseffekt auftreten. Berichtet werden Korrelationen mit IQ-Maßen bei Erwachsenen von bis zu .50, mit verbaler Intelligenz von .20. Short-term memory scanning. Mit dieser Aufgabe soll die Zugriffszeit auf das Kurzzeitgedächtnis erfasst werden (Sternberg, 1966). Dem Probanden werden in einer Zufallsfolge zwischen einer und sechs Ziffern am Bildschirm dargeboten. Jede Ziffer wird ein bis zwei Sekunden präsentiert. Nach einer kurzen Pause von weiteren ein bis zwei Sekunden wird eine einzelne Ziffer präsentiert. Der Proband muss entscheiden, ob diese Ziffer in der Zufallsfolge enthalten war. Die Reaktionszeit variiert in Abhängigkeit von der Zahl der präsentierten Ziffern und ist durch einen linearen Zusammenhang beschreibbar. Neubauer (1995) errechnete in einer Metaanalyse für die mittlere Reaktionszeit einen Zusammenhang von –.29 und für die Streuung von –.36 mit „g“-Maßen der Intelligenz. 2.3

Arbeitsgedächtnis und Intelligenz

In kognitionspsychologischen Theorien wird dem Arbeitsgedächtnis eine zentrale Rolle für die Informationsverarbeitung zugeschrieben, beispielsweise für das Leseund Sprachverständnis, für Entscheidungsprozesse und Handlungsplanung. Zu

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den Funktionen, die dem Arbeitsgedächtnis zugeordnet werden, gehören das sequenzielle und simultane Speichern und Verarbeiten sowie die Koordination von Informationen (binding), die Überwachung laufender Prozesse sowie die selektive Aktivierung relevanter und die Unterdrückung irrelevanter Prozesse. In differentialpsychologischen Untersuchungen wurde die Bedeutung der Arbeitsgedächtniskapazität zur Erklärung von allgemeiner und fluider Intelligenz (reasoning) hervorgehoben. In einer viel beachteten Untersuchung fanden Kyllonen und Christal (1990) einen sehr engen Zusammenhang zwischen der Arbeitsgedächtniskapazität und dem Intelligenzfaktor Reasoning. Dieser Befund konnte inzwischen in mehreren Untersuchungen mit verbesserten Methoden repliziert werden (Süß, Oberauer, Wittmann, Wilhelm & Schulze, 2002). Die Vielzahl der postulierten Arbeitsgedächtnisfunktionen führte zur Entwicklung zahlreicher experimenteller Aufgaben (Conway, Jarrold, Kane, Miyake & Towse, in Druck). Allen Aufgaben ist gemeinsam, dass Aufgabenparameter systematisch variiert werden können, um die Belastung des Arbeitsgedächtnisses sukzessive und bis zur Kapazitätsgrenze zu erhöhen. Diagnostik von Arbeitsgedächtnisfunktionen Reading span. Diese Aufgabe gehört zu den am häufigsten verwendeten Maßen für die Arbeitsgedächtniskapazität. Eine Liste von Sätzen wird sequenziell am Bildschirm präsentiert. Für jeden Satz ist zu entscheiden, ob er richtig oder falsch ist. Gleichzeitig ist das letzte Wort zu merken. Am Ende ist die Liste der gemerkten Worte in der richtigen Reihenfolge wiederzugeben. Die Belastung des Arbeitsgedächtnisses (memory load) wird sukzessive erhöht, indem die Zahl der präsentierten Sätze erhöht wird. Directed forgetting. Mit dieser Aufgabe soll die Fähigkeit gemessen werden, einen irrelevanten Stimulus zu unterdrücken (Inhibitionsfähigkeit). Am Bildschirm werden zunächst simultan zwei Listen von Wörtern präsentiert, die einzuprägen sind. Die beiden Listen sind durch einen grünen bzw. roten Punkt markiert. Nach der Einprägephase erscheint per Zufall ein grüner oder ein roter Punkt. Dieser zeigt an, welche der beiden Listen vergessen werden soll. Danach werden sequenziell Wörter präsentiert. Der Proband soll möglichst schnell entscheiden, ob das Wort in der zu behaltenden Liste enthalten war. Neben Wörtern aus der zu behaltenden Liste werden neutrale Wörter präsentiert, die noch nicht zu sehen waren, aber auch solche, die zu vergessen waren. Stammen die Wörter aus der Liste, die vergessen werden sollte, ist die Reaktionszeit gegenüber neutralen Worten verlangsamt. Die Differenz der Reaktionszeit zwischen den neutralen Wörtern und denen, die vergessen werden sollten, gilt als Maß für die Inhibitionsfähigkeit. Switching-Kosten. Switching-Kosten gelten als prototypische Indikatoren für die Effizienz exekutiver Funktionen. Gemessen werden soll die Fähigkeit, zwi-

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schen zwei einfachen Aufgaben zu wechseln. Hierzu muss eine Aufgabe inhibiert und die andere aktiviert werden. Es werden zwei Wahlreaktionsaufgaben vorgegeben, das Stimulusmaterial ist aber bei beiden Aufgaben gleich. In der ersten Aufgabe ist beispielsweise zu entscheiden, ob ein Pfeil nach oben oder unten zeigt, in der zweiten Aufgabe, ob der Pfeil in der oberen oder unteren Bildschirmhälfte zu sehen ist. Wann zwischen beiden Aufgaben gewechselt werden muss, wird durch einen roten Pfeil angezeigt. In manchen Untersuchungen ist dieser Zeitpunkt vorhersehbar, in anderen nicht. Die Switching-Kosten werden durch die Differenz der Reaktionszeit von Darbietungen bestimmt, bei denen gewechselt werden muss und solchen, bei denen nicht gewechselt werden muss.

2.4

Der Implizite Assoziationstest

Der Implizite Assoziationstest (IAT) ist ein experimentelles Verfahren zur impliziten Erfassung von Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmalen (Greenwald, McGhee & Schwartz, 1998). Gemessen werden soll die Stärke von Assoziationen zwischen Konzepten. Ein IAT besteht aus zwei Kategorisierungsaufgaben, die möglichst schnell und genau ausgeführt werden sollen. Der Race -IAT von Greenwald, McGhee und Schwartz (1998) Im Race-IAT sind Wörter nach ihrer affektiven Konnotation zu klassifizieren (Attributaufgabe). In dieser Aufgabe soll entschieden werden, ob die in zufälliger Reihenfolge dargebotenen Wörter eine positive oder negative Bedeutung haben, z. B. die Worte „gut“, „schlecht“, „Liebe“, „Hass“. Die zweite Aufgabe besteht darin, Gesichter nach ihrer ethnischen Herkunft in angloamerikanisch versus afroamerikanisch zu klassifizieren (Konzeptaufgabe). Weiße Teilnehmer konnten in den Untersuchungen von Greenwald et al. schneller antworten, wenn angloamerikanische Gesichter und positive Attribute mit der gleichen Taste belegt waren. Die Basisannahme lautet: Sind zwei Konzepte stark assoziiert, können Kategorisierungsaufgaben schneller und genauer ausgeführt werden, wenn die assoziierten Konzepte derselben Taste zugeordnet sind. Greenwald et al. interpretieren den Geschwindigkeitsvorteil in der kompatiblen Bedingung daher als Indikator für impliziten Rassismus.

IAT-Effekte erwiesen sich als sehr robust (Plessner & Banse, 2001). Berichtet werden interne Konsistenzen von .80, Retestreliabilitäten (eine Woche) von .60 und Stabilitätskoeffizienten über ein Jahr von .47. IATs, so die Annahme, sind im Gegensatz zu Selbstberichtsfragebogen nicht (bzw. weniger) verfälschbar und daher robuster gegenüber Effekten der sozialen Erwünschtheit. Als Validitätsbelege werden so genannte doppelte Dissoziationen angeführt. IATs von Einstellungen, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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die soziale Erwünschtheitseffekte erwarten lassen, wie der Race-IAT, korrelierten mit anderen impliziten Maßen hoch (konvergente Validität), aber niedrig mit Selbstberichten (divergente Validität), die wiederum untereinander hoch korreliert waren. IAT-Effekte konnten für eine ganze Reihe von Persönlichkeitsmerkmalen aufgezeigt werden, z. B. Ängstlichkeit, Schüchternheit und Extra-/Introversion (Fazio & Olson, 2003). Der IAT ist ein Experiment mit intraindividueller Variation. Um die interne Validität zu sichern ist zu prüfen, ob die Effekte robust sind gegenüber Variationen der experimentellen Prozedur. Dies ist nicht der Fall, da Reihenfolgeeffekte nachgewiesen werden konnten. Auch konnte gezeigt werden, dass ein Teil des IAT-Effekts durch die Fähigkeit zum Aufgabenwechsel (Switching-Kosten) erklärt werden kann. Zudem hielt die Annahme, dass IATs nicht absichtlich verfälscht werden können, kritischen Prüfungen nur teilweise stand. Möglich ist es, die Eingaben in der kompatiblen Bedingung absichtlich zu verlangsamen. Auch Übungseffekte konnten nachgewiesen werden. Obwohl die Mechanismen, die den IAT-Effekten zu Grunde liegen, nach wie vor nicht geklärt sind, werden IATs und Varianten davon von den Proponenten als methodischer Durchbruch der Persönlichkeitsdiagnostik bezeichnet. Die künftige Forschung wird zeigen, ob diese Hoffnungen berechtigt sind.

3

Ausblick

Experimentelle Methoden haben in der Persönlichkeitsforschung bereits eine lange Tradition und ihre Verwendung reicht bis in die Anfangszeit der wissenschaftlichen Psychologie zurück. Besonders die experimentelle Bestimmung von Reaktionszeiten und die Erforschung der Bedeutung der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung sind hier zu nennen. Die Persönlichkeitspsychologie ist also nicht auf die Verwendung korrelativer Methoden begrenzt, wenngleich korrelative Fragestellungen eine sehr große Bedeutung haben und auch in Zukunft haben werden. Dies liegt daran, dass organismische Variablen nicht manipuliert werden können, aber für die Persönlichkeitspsychologie von herausragendem Interesse sind. Experimentelle Methoden haben an Bedeutung gewonnen, seitdem versucht wird, interessierende Größen nicht mehr nur auf direktem Weg, sondern experimentell, durch systematische Variation von Aufgabenparametern zu erfassen. Die Befunde der experimentellen Methoden sind viel versprechend. Daher ist zu erwarten, dass ihre Bedeutung noch zunehmen wird. Der eigentliche Gewinn liegt aber darin, experimentelle und korrelative Methoden zu kombinieren. Vor allem dann ist zu erwarten, dass Theorien entwickelt und empirisch geprüft werden können, die der Komplexität des Gegenstandsbereichs gerecht werden.

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Weiterführende Literatur Conway, A., Jarrold, C., Kane, M., Miyake, A. & Towse, J. (in Druck). Variation in working memory. New York: Oxford University Press. Plessner, H. & Banse, R. (2001). Einstellungsmessung mit Hilfe des Implicit Association Test (IAT)-Themenheft. Zeitschrift für Experimentelle Psychologie, 48. Shadish, W. R., Cook, T. D. & Campbell, D. T. (2002). Experimental and quasi-experimental designs for generalized causal inference. Boston: Houghton-Mifflin.

Literatur Bredenkamp, J. (1969). Experiment und Feldexperiment. In C. F. Graumann (Hrsg.), Handbuch der Psychologie (Bd. 7: Sozialpsychologie, 1. Halbband: Theorien und Methoden, S. 332–374). Göttingen: Hogrefe. Cattell, R. B. (1980). Handbuch der multivariaten experimentellen Psychologie. Frankfurt: Fachbuchhandlung für Psychologie. Conway, A., Jarrold, C., Kane, M., Miyake, A. & Towse, J. (in press). Variation in working memory. New York: Oxford University Press. Cronbach, L. J. (1975). Beyond the two disciplines of scientific psychology. American Psychologist, 30, 116–127. Deary, I. J. (2000). Looking down on human intelligence. From psychometrics to the brain. Oxford: Oxford University Press. Fazio, R. H. & Olson, M. A. (2003). Implicit measures in social cognition research: Their meaning and use. Annual Review of Psychology, 54, 297–327. Greenwald, A. G., McGhee, D. E. & Schwartz, J. L. K. (1998). Measuring individual differences in implicit cognition: The Implicit Association Test. Journal of Personality and Social Psychology, 74, 1464–1480. Guthke, J., Beckmann, J. F. & Wiedl, K. H. (2003). Dynamik im dynamischen Testen. Psychologische Rundschau, 54, 225–232. Kliegl, R. & Baltes, P. B. (1991). Testing-the-Limits kognitiver Entwicklungskapazität in einer Gedächtnisleistung. Zeitschrift für Psychologie (Suppl.), 11, 84–92. Kyllonen, P. C. & Christal, R. E. (1990). Reasoning ability is (little more than) workingmemory capacity?! Intelligence, 14, 389–433. Michel, L. (1964). Allgemeine Grundlagen psychometrischer Tests. In Handbuch der Psychologie (Bd. 6). Göttingen: Hogrefe. Neubauer, A. C. (1995). Intelligenz und Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. New York: Springer. Plessner, H. & Banse, R. (2001). Einstellungsmessung mit Hilfe des Implicit Association Test (IAT)-Themenheft. Zeitschrift für Experimentelle Psychologie, 48. Schmidt, A., Beauducel, A., Brocke, B. & Strobel, A. (2004). Vigilance performance and extraversion reconsidered: some performance differences can indeed be induced. Personality and Individual Differences, 36, 1343–1351. Shadish, W. R., Cook, T. D. & Campbell, D. T. (2002). Experimental and quasi-experimental designs for generalized causal inference. Boston: Houghton-Mifflin.

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Sternberg, S. (1966). High speed scanning in human memory. Science, 153, 652–654. Süß, H.-M., Oberauer, K., Schulze, R., Wilhelm, O. & Wittmann, W. W. (2002). Workingmemory capacity explains reasoning ability – and a little bit more. Intelligence, 30, 261–288. Wundt, W. (1913). Grundriß der Psychologie (11. Aufl.). Leipzig: Kröner.

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Biologische Ansätze Biological Approaches Gerhard Stemmler „Die Persönlichkeitspsychologie ist die empirische Wissenschaft von den relativ überdauernden individuellen Besonderheiten im Erleben und Verhalten des Menschen und den ihnen zu Grunde liegenden Strukturen und Prozessen … Die Persönlichkeitserklärung schließt individuelle Bedingungen im Genom, in der Anatomie und Physiologie vor allem des Nervensystems und in der Umwelt ein“ (Rahmenordnung für die Diplomprüfung im Studiengang Psychologie, 2002, Fachbeschreibung Persönlichkeitspsychologie). In dieser Gegenstandsbestimmung kommt die Auffassung zum Ausdruck, dass interindividuelle Unterschiede im Erleben und Verhalten auch biologische Grundlagen haben. Zum einen werden direkte biologische Ursachen angenommen, etwa das Erbgut oder die individuelle Struktur und Funktionsweise des Körpers, insbesondere des Gehirns. In Anlehnung an den Erblichkeitsbegriff in der Verhaltensgenetik kann

Varianzquellen Kultur, Soziale Umwelt, Situationen

Repräsentationen Konstruktsysteme Genom

Umwelt und Umweltrepräsentation Genotypisch

Kognition, Emotion, Motivation, Homöostase Biobehaviorale Systeme

Biotypisch

Anatomie, Physiologie

Erleben und Verhalten

Phänotypisch

Abbildung 1: Quellen interindividueller Varianz von Verhalten und Erleben und ihre

Herkunft.

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dann davon gesprochen werden, dass ein gewisser Anteil der „biotypischen“ Varianz zwischen Personen die phänotypische Varianz zwischen Personen im Verhalten und Erleben hervorbringt. Zum anderen werden Ursachen in der Umwelt angenommen, von situativen bis zu soziokulturellen Einflüssen. Umwelteinflüsse, insbesondere solche kommunikativer und informationeller Natur, werden allerdings stets individuell repräsentiert und mit subjektiv-personaler Bedeutung versehen. Daran sind aber wiederum biologische Prozesse, etwa der Wahrnehmungssysteme, des Arbeits- und Langzeitgedächtnisses oder der motivationalen Wertzuschreibung beteiligt. Umwelteinflüsse wirken also durch die Vermittlung biologischer Funktionen. Mit anderen Worten: „Umweltvarianz“ enthält biotypische Varianz (s. Abb. 1)! Im Folgenden werden methodologische Grundzüge der biologischen Persönlichkeitsforschung behandelt. Für die Darstellung einzelner biologischer Systeme, physiologischer Variablen oder spezieller Methodiken wird auf die „Weiterführende Literatur“ verwiesen.

1

Biologische Individualität und Persönlichkeitseigenschaften

Jenseits kleinerer Unterschiede zwischen ethnischen Populationen und abgesehen von seltenen Aberrationen weisen Menschen denselben biologischen Bauplan auf. Betrachtet man allerdings einzelne biologische Merkmale, imponiert ein großer Formenreichtum zwischen Individuen, der in den Lehrbüchern der Anatomie und Physiologie nur selten dokumentiert wird. Fahrenberg (1995) unterscheidet zwischen morphologischen und physiologisch-biochemischen Merkmalen mit erheblichen biologischen interindividuellen Unterschieden. Sofern solche Merkmale eine relative Invarianz über längere Entwicklungsphasen aufweisen, spricht man auch von der Konstitution. Als wesentliche Aspekte gelten die psychophysische Individualität oder Grundbeschaffenheit des Menschen, die individuellen Unterschiede in der Sensitivität, Reagibilität und Adaptivität des gesamten Organismus und der einzelnen Systeme bei Stimulation, Belastung und selbstgewählter Aktivität.

Differentielle Anatomie und Physiologie Die differentielle Anatomie umfasst Unterschiede im Körperbau mit Konfiguration und Proportionen von Gewebekomponenten (Knochen, Muskeln, Fettgewebe); die Konfiguration und relative Entwicklung von äußeren und inneren Organen (etwa Hemisphärenunterschiede, Sulki und Ventrikel des Gehirns);

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die Feinstruktur des Körpergewebes, der Neuronen und von Zellkörpern; die Chromosomen mit ihren Bänderpolymorphismen, variablen Wiederholungen von Basensequenzen sowie Genmutationen. Die differentielle Physiologie und Biochemie umfasst die Aktivität im zentralen Nervensystem und dessen integrative Funktionen; die Aktivität vegetativer Systeme zur efferenten Kontrolle der glatten Muskulatur, der Drüsen und des Herzens, sowie der afferenten Informationsrückleitung; die Aktivität des Immunsystems zur Abwehr körperfremder Substanzen und zur Überwachung der eigenen Körperzellen; die Aktivität sensorischer und sensibler Systeme; die Aktivität der Skelettmuskulatur mit motorischen Reflexen, statischer und dynamischer Bewegungskoordination und Willkürbewegung.

Warum könnten diese interindividuellen Unterschiede in der Konstitution psychologisch interessant sein? Zum einen bestimmen sie die Individualität und Einmaligkeit eines Menschen. Zum anderen haben individuelle Unterschiede von Körperbau, körperlicher Leistungsfähigkeit, Bewegungskoordination, Sensorik und kognitiver Kapazität direkte Folgen z. B. für die Entwicklung von Interessen, Berufswahl, Berufseignung und für den Berufserfolg. Dazu kommen indirekte Folgen auf die interpersonale Attraktivität, die Entwicklung von Selbstbild und Identität sowie auf interpersonales Verhalten. Wenn alle psychischen Phänomene in der Struktur und Funktion des zentralen Nervensystems eine biologische Basis haben, kann Persönlichkeit als das Muster derjenigen Eigenschaften neurobiologischer Systeme verstanden werden, die stabile und konsistente Erlebens- und Verhaltensweisen hervorbringen. Unter der Perspektive von Persönlichkeit als Muster von Eigenschaften neurobiologischer Systeme stellt sich die Frage, wie diese Eigenschaften aktuelles Erleben und Verhalten beeinflussen. Dazu muss eine Unterscheidung von unkonditionalen und konditionalen Eigenschaften sowie Eigenschaften und Zuständen getroffen werden. Eigenschaften sind Dispositionen für bestimmte Verhaltens- und Erlebensweisen. Unkonditionale Eigenschaften sind weit gehend unbeeinflusst von äußeren Bedingungen. Konditionale Eigenschaften sind hingegen nur unter bestimmten Bedingungen in Erleben und Verhalten erkennbar (Mischel & Shoda, 1995). Zustände sind momentane psychobiologische Aktivierungen, welche die Wahl oder die Vorbereitung von Verhaltens- und Erlebensweisen mediieren (vermitteln). Dispositionen sind hingegen Moderatoren von Zusammenhängen zwischen Situationen und Zuständen. Interindividuelle Unterschiede in Dispositionen sollten – bei identischen Situationen – demnach verschiedene Zustände und folglich verschiedene Erlebens- und Verhaltensweisen wahrscheinlich machen.

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Methodologische Aspekte

2.1

Persönlichkeitsmodelle

Das eigenschaftstheoretische Dogma der klassischen Persönlichkeitspsychologie lautet • innerhalb derselben objektiven Situation gibt es große interindividuelle Unterschiede im Erleben und Verhalten, • Personen sind durch Verhaltensdispositionen gekennzeichnet, die in gleichen Situationen ähnlich wirken (Stabilität) und • die in verschiedenartigen Situationen Konsistenzen im Erleben und Verhalten bewirken (transsituationale Konsistenz). Stabilität und transsituationale Konsistenz des Erlebens und Verhaltens sind also Prüfsteine für die Annahme von Persönlichkeitseigenschaften. Im Modell des „Personismus“ wird Konsistenz verstanden als Beibehaltung des Rangplatzes einer Person relativ zu einer Vergleichsgruppe in der Stärke eines eigenschaftsbezogenen Verhaltensmerkmals. Im Modell des „Interaktionismus“ wird Konsistenz hingegen als Stabilität des Profils eines eigenschaftsbezogenen Verhaltensmerkmals bei Wiederholung einer Anzahl verschiedener Situationen verstanden (➝ Interaktionistische Ansätze). Während der Personismus die Verhaltensweisen von Personen als relativ stabil annimmt und damit den Statusaspekt betont, lässt die Position des Interaktionismus eine, allerdings individualspezifische, Fluktuation von Verhaltensweisen in verschiedenen Situationen zu; sie betont daher den Prozessaspekt von Verhalten und Erleben. Eine ähnliche Unterscheidung kann im Bereich der Aktivierung biologischer Systeme getroffen werden. Bei der Betonung des Statusaspekts interessiert das typische Aktivierungsniveau einer Person, etwa in entspannter Ruhe. Bei Betonung des Prozessaspekts werden hingegen Aktivierungsprozesse über die Zeit oder in verschiedenen Situationen beachtet. Die biologische Persönlichkeitsforschung ist nun darauf ausgerichtet, die Ursachen für konsistente interindividuelle Unterschiede im Erleben und Verhalten auf biologische Ursachen zurückzuführen. Konsistente Unterschiede werden meist durch Skalen in Persönlichkeitsfragebögen erfasst (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze). Die biologische Aktivierung in einer oder mehreren Situationen wird als Ergebnis der Aktivität eines bestimmten persönlichkeitsbezogenen biobehavioralen Systems verstanden. Hier schließen sich zwei Fragenkomplexe an: 1. Welche biologischen Merkmale indizieren das in Frage stehende biobehaviorale Persönlichkeitssystem? 2. Mit welchem Untersuchungsansatz soll der Zusammenhang zwischen biologischer Aktivierung und Persönlichkeitsmerkmal bestimmt werden?

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Biologische Ansätze

2.2

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Biologische Indikatoren

Bei der Untersuchung der ersten Frage, welche biologischen Merkmale ein bestimmtes biobehaviorales System indizieren, wurde häufig die Korrelation zwischen verschiedenen biologischen Merkmalen bestimmt. Ziel war es dabei, Cluster von physiologischen Variablen als potenzielle Indikatoren zu identifizieren. Wenn der Statusaspekt physiologischer Aktivierung untersucht wurde, ergaben sich häufig nur niedrige Korrelationen („Richtungsfraktionierung physiologischer Reaktionen“). Dieses Ergebnis entmutigte biologische Persönlichkeitsforscher bei der Suche nach biobehavioralen persönlichkeitsbezogenen Systemen erheblich. Wenn hingegen der Prozessaspekt der temporalen Ähnlichkeit von physiologischen Reaktionen herangezogen wurde, zeigten sich deutlich höhere Zusammenhänge (s. Tab. 1), was auf die Koordination von Aktivierungsprozessen durch übergeordnete biobehaviorale Systeme hinweist. Tabelle 1: Korrelation physiologischer Variablen nach Status- und Prozessaspekt HR HR SBD

0,70#

DBD

0,89#

SBD

DBD

SV

HI

RSA

#SCR

0,15

0,04

–0,50*

0,17

–0,52*

0,38*

0,01

0,17

0,02

–0,22

–0,33*

–0,11

0,86#

SV

–0,28

0,05

–0,26

HI

0,03

0,37

0,09

0,84#

–0,77#

RSA #SCR EMG PVA

–0,90# –0,55 0,80# 0,94# –0,40

0,79# 0,72# –0,21

0,30*

EMG

PVA

0,01

0,07

0,08

0,19

–0,03

0,07

–0,03

–0,02

–0,23

0,42*

0,10

–0,14

–0,02

0,02

–0,04

0,14

0,19

0,04

–0,17

0,08

0,10

0,00

0,19

–0,02

0,88# –0,16

0,18

–0,70#

0,86# –0,18

0,10

–0,91#

0,36

0,16

–0,31

0,55

0,79# –0,47

–0,10 –0,22

Anmerkung: Obere Diagonalmatrix: Zwischen-Personen Korrelationen (Statusaspekt; N = 48 Probanden). Untere Diagonalmatrix: Zwischen-Situationen Korrelationen (Prozessaspekt; J = 22 Situationen). HR = Herzrate. SBD = Systolischer Blutdruck. DBD = Diastolischer Blutdruck. SV = Schlagvolumen. HI = Linksventrikuläre Kontraktilität (Heather Index). RSA = Respiratorische Sinusarrhythmie, adjustiert für Atemperiode. #SCR = Anzahl Hautleitfähigkeitsfluktuationen. EMG = Elektromyogramm m. extensor. PVA = Pulsvolumenamplitude Finger. Daten aus Stemmler (1992). * t-Test mit df = 46, p < 0,05. # t-Test mit df = 7 (nach Greenhouse-Geisser Korrektur mit est(ε) = 0,35), p < 0,05.

2.3

Assessmentmodelle

Mit welchen Untersuchungsansätzen soll der Zusammenhang zwischen biologischen Merkmalen und Persönlichkeit untersucht werden? Die Beantwortung dieser zweiten Frage ist abhängig von dem der Forschungsfrage zu Grunde gelegten Persönlichkeitsmodell. Daraus lässt sich systematisch das Assessment, also die

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Gerhard Stemmler

Übertragung von inhaltlichen Fragestellungen auf die Planung der Datenerhebung und der Datenanalyse, ableiten (Stemmler, 2001). Da der Personismus den Statusaspekt betont, sollte eine Persönlichkeitseigenschaft über Unterschiede zwischen Personen identifiziert werden. Die Persönlichkeitseigenschaft „beeinflusst“ in diesem Assessmentmodell solche biologische Variablen, die das angenommene persönlichkeitsbezogene biobehaviorale System indizieren. Die Forschungsfrage betrifft die Identifikation derjenigen Variablen, die als Indikatoren für dieses System dienen können. Der Anwendungsbereich von Befunden, die nach diesem Modell beobachtet wurden, ist auf eine bestimmte, in der Untersuchung realisierte Erhebungssituation beschränkt. Untersucht wird die Zwischen-Personen Varianz der erhobenen Messwerte. Das Assessment im Rahmen des interaktionistischen Persönlichkeitsmodells geht davon aus, dass nur die Wechselwirkung zwischen Personen und Situationen für unterschiedliche Funktionsniveaus des einer Persönlichkeitseigenschaft zu Grunde liegenden biobehavioralen Systems verantwortlich sein kann. Die Forschungsfrage betrifft wiederum die Identifikation derjenigen Variablen, die von diesem System beeinflusst werden. Der Anwendungsbereich des Assessments ist ausschließlich die untersuchte Person x Situation-Population, aus der eine Stichprobe gezogen wurde. Generalisierungen über diese Population hinaus auf andere Person x Situation-Kombinationen wären nicht zulässig.

3

Psychophysiologische Korrelationen

3.1

Personistisches Persönlichkeitsmodell

Die umfangreichste Literaturübersicht über Ergebnisse der biologischen Persönlichkeitsforschung ist der Metaanalyse von Myrtek (1998) zu entnehmen. Dabei wurden nach dem Assessmentmodell des Personismus die Korrelationen zwischen einzelnen Persönlichkeitseigenschaften und bis zu 34 physiologischen Variablen unter Ruhe und als Reaktivität unter verschiedenen Belastungsbedingungen metaanalytisch über die analysierten Studien zusammengefasst. In Tabelle 2 werden auszugsweise die gewichteten mittleren Korrelationen mit Extraversion und Neurotizismus dargestellt. Generell gilt, dass die Korrelationen niedrig sind und im Falle ihrer Signifikanz einer „kleinen“ (r = ± 0,10) bis höchstens „mittleren“ (r = ± 0,30) Effektstärke entsprechen. Allgemein kann festgestellt werden, dass Extravertierte im Vergleich zu Introvertierten eine geringere Aktiviertheit in Ruhe und zum Teil auch eine geringere Aktivierung unter Belastung zeigen. Dieser Befund gilt über verschiedene Reaktionssysteme hinweg (kardiovaskuläres System, zentralnervöses System, biochemische Parameter).

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Tabelle 2: Korrelation von physiologischen Variablen mit Extraversion und Neurotizis-

mus: Auszug aus der Metaanalyse von Myrtek (1998) Extraversion Physiologische Variable

Herzfrequenz

Systolischer Blutdruck

Schlagvolumen Linksventrikuläre Kontraktilität (Heather-Index) Atemfrequenz Anzahl Hautleitfähigkeitsfluktuationen Amplitude Elektrokortikale Potentiale

Neurotizismus

Bedingung

N

K

GMK

Ruhe

1.774

26

Belastung

1.242

15

Ruhe

1.475

19

Belastung

859

9

0,00

859

9

0,00

Ruhe

425

5

–0,01

425

5

0,02

Belastung

859

9

859

9 –0,06*

Ruhe

425

5

–0,10*

425

5

0,10*

Belastung

859

9

–0,09*

859

9

0,03

Ruhe

857

13

–0,11**

904

14

0,03

Belastung

909

10

0,05

909

10 –0,01

83

3

–0,12

948

24

0,12**

Belastung

140

3

–0,24**

763

19

0,03

Gesamt

391

11

0,01

191

5 –0,11

1.375

49

–0,11**

281

6

0,13*

358

7 –0,16**

Ruhe

EEG-Arousal

N

K

GMK

–0,02

1.959

26

0,01

0,04

1.104

14

0,00

–0,09** 1.634

0,14**

Dopamin-BetaHydroxylase

Gesamt

191

6

Cortisol

Gesamt

4.727

7

–0,06** 4.968

Speichelvolumen

ohne Stimulation

160

4

–0,32**

23 –0,03

13

0,21**

0,04**

Anmerkung: N = Anzahl Probanden. K = Anzahl unabhängiger Studien. GMK = Gewichtete mittlere Korrelation. * p < 0,05. ** p < 0,01.

Für Neurotizismus gilt, bei insgesamt niedrigem Niveau der Korrelationen, ein der Extraversion entgegengesetztes bzw. mit der Introversion konkordantes Ergebnismuster. Neurotizismus ist demnach in einigen Aspekten der physiologischen Regulation durch eine erhöhte Aktiviertheit in Ruhe und eine stärkere Aktivierung unter Belastung gekennzeichnet.

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Gerhard Stemmler

Kovariationsproblem

Die typischerweise niedrigen Korrelationen zwischen Persönlichkeitseigenschaften und biologischen Variablen bedürfen einer näheren Erläuterung, bevor die biologische Perspektive der Persönlichkeitsforschung etwa als wenig ertragreich bewertet werden sollte. Verschiedene Aspekte müssen bei der Bewertung berücksichtigt werden: • Reliabilität physiologischer Variablen. Bei physiologischen Variablen sind verschiedene Quellen von Messfehlern und anderer irrelevanter Varianz zu berücksichtigen (Stemmler, 2001). Die Stabilität vieler physiologischer Messwerte im Tagesabstand liegt im Bereich von r = .40 bis r = .80. Eine Minderungskorrektur, wie sie etwa bei Untersuchungen über die Korrelate von Intelligenz üblich ist, würde zu einem substanziellen Anstieg der Korrelationen zwischen Persönlichkeit und physiologischen Variablen führen. • Validität der Persönlichkeitsfragebögen. Wie Myrtek (1998) ausführt, stellen Persönlichkeitsfragebögen, d. h. Selbstberichte über typisches Verhalten, häufig ein nur ungenaues Maß sowohl für tatsächlich beobachtetes Verhalten (Mischel, 1968) als auch für das einer Persönlichkeitseigenschaft potenziell zu Grunde liegende biobehaviorale System dar. Ihre Validität in Bezug auf Verhalten und biobehaviorale Systeme ist demnach vermutlich nur niedrig bis moderat. • Indikatorprobleme. Viele der typischerweise gemessenen physiologischen Variablen sind in gesamtorganismische Regulationen eingebunden. Dies bedeutet, dass sie oft nicht als Indikator für die Aktivität eines einzelnen biobehavioralen Systems verstanden werden können. Zudem wirken in jeder einzelnen Situation verschiedene Quellen von Aktivierung auf den Organismus eines Probanden ein. • Individualspezifität physiologischer Reaktionen. Unter Individualspezifität physiologischer Reaktionen werden interindividuelle Unterschiede in den konsistenten physiologischen Reaktionsmustern auf verschiedene Situationen verstanden. Individualspezifische Reaktionen sind für einen erheblichen Anteil der Gesamtvarianz in psychophysiologischen Untersuchungen verantwortlich (33 % nach Marwitz & Stemmler, 1998). Individualspezifität erhöht die unsystematische interindividuelle Varianz und erniedrigt in der Folge Zwischen-Personen Korrelationen mit Persönlichkeitsvariablen. • Personismus als Persönlichkeitsmodell. Das personistische Persönlichkeitsmodell geht davon aus, dass Personen relativ zur Vergleichsstichprobe konsistente Aktivierungen unabhängig von der untersuchten Situation aufweisen. Diese Annahme liegt auch der in Myrtek (1998) berichteten Metanalyse über den Zusammenhang von Persönlichkeitseigenschaften und physiologischen Reaktionen zu Grunde. Einschränkungen in der Validität dieses Modells würden sich unmittelbar in einem Absenken der gefundenen Korrelationen niederschlagen.

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Biologische Ansätze

3.3

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Interaktionistisches Persönlichkeitsmodell

Im Vergleich zu dem personistischen Persönlichkeitsmodell ist das Modell des Interaktionismus in der biologischen Persönlichkeitsforschung nur selten angewendet worden. Wie könnte ein Untersuchungsansatz im Rahmen des interaktionistischen Persönlichkeitsmodells beschaffen sein? Für die Beantwortung dieser Frage ist eine weitere Erläuterung erforderlich. Wie oben ausgeführt, behauptet das interaktionistische Persönlichkeitsmodell, dass die Aktivität eines persönlichkeitsbezogenen biobehavioralen Systems in konsistenten Wechselwirkungen zwischen Personen und Situationen erkennbar wird. Wo „liegt“ aber diese Wechselwirkung in der einzelnen Person? Sie kann nur durch individuelle psychologische Faktoren erklärt werden: Die Wahrnehmung und Bewertung der gegebenen Situation, die einerseits von Zuständen, wie aktuellen Bedürfnissen, Absichten, Stimmungslagen und Verhaltenszielen, wie andererseits auch von stabilen emotionalen Ansprechbarkeiten, motivationalen Bedeutungszuschreibungen oder kognitiven Schemata beeinflusst sind (Stemmler, 1997). Dann liegt es nahe, mindestens eine dieser den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und physiologischer Aktivierung moderierenden Zustandsvariablen, etwa aus dem Bereich Emotion, Motivation oder Kognition, zusätzlich zu den physiologischen Variablen zu erheben. Ein Beispiel soll diesen Untersuchungsansatz verdeutlichen. N = 48 Probanden bearbeiteten sieben Laboraufgaben, von denen hier die Handgriff- und die LautesGeräusch-Aufgabe zur Illustration verwendet werden. In der Handgriffaufgabe drückten die Probanden ein Handdynamometer mit 45 % ihrer maximalen freiwilligen Kraft für zwei Minuten. In der Lautes-Geräusch-Aufgabe wurde den Probanden gesagt, dass sie bald ein sehr lautes Geräusch über die Kopfhörer eingespielt bekämen. Nach 15 Sekunden wurde ein zwei Sekunden langes weißes Rauschen mit 97 dB dargeboten. In einer multiplen Regressionsgleichung wurde physiologische Aktivierung, die Befindlichkeit Ärger sowie deren Produkt zur Vorhersage von Emotionalität (Skala FPI-N, Fahrenberg, Hampel, & Selg, 1984) eingegeben. Als Maß für die physiologische Aktivierung wurde eine „Aktivierungskomponente“ zur Schätzung der cholinergen Aktivierung herangezogen, die durch Effekte des Parasympathikus charakterisiert ist (Absenkung der Herzfrequenz, der P-Wellen-Amplitude und des mittleren Blutdrucks sowie eine deutliche Zunahme der respiratorischen Sinusarrhythmie, einem gut validierten Index für den vagalen Tonus des Herzens, s. Stemmler, 1992). Abbildung 2 zeigt die Regressionsgleichungen von Emotionalität (E) auf die geschätzte parasympathische Aktivität (p) unter Moderation der Befindlichkeit Ärger (ä) in den beiden ausgewählten Situationen. Die multiple Korrelation zwischen Emotionalität und den Prädiktoren betrug in der Handgriffaufgabe 0,45 (p < 0,05) und in der Lautes-Geräusch-Aufgabe 0,42 (p < 0,05). Die Regressionsgleichungen lauteten: Handgriffaufgabe: E = 4,38 – 0,33 p + 1,37* ä + 0,53* pä, Lautes Geräusch: E = 5,43 – 0,47 p + 0,26 ä – 0,56* pä,

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Gerhard Stemmler Handgriffaufgabe 14 6

12

Emotionalität

10

6 6

8 6 4

0 1 2 4 6

6 4 2 0 1

6 4 2 1 0

4 2 1 0

4

4

4 4

4 2 1 0

4 4

6

2

2

2

2

2

2

2

1

1

1

1

1

1

1

1

0

0

0

0

0

0

0

0

2

2 0 –3

–2

–1

0

1

2

3

Cholinerge Aktivierungskomponente

Lautes-Geräusch-Aufgabe 14 4

12 10 Emotionalität

III

4 2 1

8 0

6 4 2

2 1 0

6 4

2 1 0

2 1 0

6 4

6

2 1 0

4 2 1 0

6 4 2 1 0

0 1 2 4 6

0 1 2 4 6

0 1 2 4 6

0 1 2

0 1 2

0 1

4

2

–2 –1 0 1 2 Cholinerge Aktivierungskomponente

3

0 –3

Abbildung 2: Regression von FPI-N (Emotionalität) auf standardisierte, cholinerge Akti-

vierungskomponente (u. a. parasympathische Aktivierung) unter Moderation der Befindlichkeit Ärger. Dargestellt sind separate Regressionslinien für die Befindlichkeitswerte 0 (kein Ärger) über 1, 2, 4 bis 6 (maximaler Ärger).

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wobei pä die Wechselwirkung zwischen parasympathischer Aktivität und Befindlichkeit Ärger und damit den Moderatoreffekt angibt. Bemerkenswert ist, dass in keiner der beiden Regressionsgleichungen der Haupteffekt der physiologischen Aktivität signifikant (*) war, was für den Ärgereffekt nur in der Handgriffaufgabe galt. In beiden Regressionsgleichungen war der Interaktionseffekt, aber mit unterschiedlichem Vorzeichen, signifikant. Unter steigender emotionaler Erregung (Ärger) sagte in der Handgriffaufgabe eine steigende parasympathische Aktivierung hohe Emotionalitätswerte (FPI-N) vorher, während die umgekehrte Beziehung in der Lautes-Geräusch-Aufgabe zu registrieren war. Festzuhalten ist auch, dass erst bei einer höheren emotionalen Erregung eine Vorhersage von Emotionalität durch parasympathische Aktivität gegeben war. Das Ergebnismuster in Abbildung 2 lässt sich nicht mit dem personistischen, wohl aber mit dem interaktionistischen Persönlichkeitsmodell erklären.

4

Schlussbemerkung

Persönlichkeit hat eine biologische Grundlage, weil Verhalten und Erleben durch neurobiologische Systeme sowohl verursacht als auch vermittelt werden. Die neurowissenschaftliche Forschung hat in den vergangenen 20 Jahren eine Vielzahl von Befunden vorgelegt, die diese Vermittlung in Hinblick auf Kognition, Motivation, Emotion und Lernen bis hin zur Psychopathologie belegen (Birbaumer & Schmidt, 2002; Schandry, 2003). Die biologische Perspektive hat mittlerweile insbesondere in der Allgemeinen Psychologie zu einem Netzwerk von Erklärungen für zuvor rein verhaltenswissenschaftlich beforschte Phänomene geführt und damit die Ebene der Verhaltensgesetze und deren Reichweite ergänzt um die Angabe von Mechanismen, die den Phänomenen zu Grunde liegen. Biologische Ansätze in der Persönlichkeitspsychologie folgen demselben strategischen Ziel: individuelle Unterschiede im Verhalten und Erleben und deren gesetzmäßige Zusammenhänge zu ergänzen um individuelle Unterschiede in den biologischen Mechanismen, die Verhalten und Erleben hervorbringen. Die wechselseitige Ergänzung verschiedener Datenquellen aus • biologischen Systemen, • Selbstberichten über gegenwärtiges Erleben und frühere Erfahrungen, • Selbst- und Identitätskonstruktionen, • der Lerngeschichte, • aktuellen Situationseinflüssen und • langanhaltenden soziokulturellen Bedingungen ist für die Persönlichkeitserklärung aus verschiedenen Gründen wünschenswert. Zum einen kann ein größerer phänotypischer Varianzanteil erklärt werden. Zum anDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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deren können verschiedene Datenquellen in Bezug auf ein Persönlichkeitskonstrukt konvergieren und es damit bestätigen, oder divergieren und damit eine Konstruktdifferenzierung nahe legen. Ein solches Programm der Persönlichkeitsforschung legt einen Methodenpluralismus nahe, der auf neurowissenschaftliche ebenso wie auf sozialwissenschaftliche und psychometrische Methoden zurückgreift.

Weiterführende Literatur Cacioppo, J. T., Tassinary, L. G. & Berntson, G. G. (2002). Handbook of psychophysiology (2nd ed.). New York: Cambridge University Press. Davidson, R. J., Goldsmith, H. H. & Scherer, K. R. (Eds.). (2002). Handbook of affective science. New York: Oxford. Rösler, F. (Hrsg.). (2001). Grundlagen und Methoden der Psychophysiologie. Göttingen: Hogrefe.

Literatur Birbaumer, N. & Schmidt, R. F. (2002). Biologische Psychologie (5. Aufl.). Berlin: Springer. Fahrenberg, J. (1995). Biopsychologische Unterschiede. In M. Amelang (Hrsg.), Verhaltens- und Leistungsunterschiede (S. 139–193). Göttingen: Hogrefe. Fahrenberg, J., Hampel, R. & Selg, H. (1984). Das Freiburger Persönlichkeitsinventar FPI (4. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Marwitz, M. & Stemmler, G. (1998). On the status of individual response specificity. Psychophysiology, 35 (1), 1–15. Mischel, W. (1968). Personality and assessment. New York: Wiley. Mischel, W. & Shoda, Y. (1995). A cognitive-affective system theory of personality: Reconceptualizing situations, dispositions, dynamics, and invariance in personality structure. Psychological Review, 102 (2), 246–268. Myrtek, M. (1998). Metaanalysen zur psychophysiologischen Persönlichkeitsforschung. In F. Rösler (Hrsg.), Ergebnisse und Anwendungen der Psychophysiologie (S. 285–344). Göttingen: Hogrefe. Rahmenordnung für die Diplomprüfung im Studiengang Psychologie, Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2002). Schandry, R. (2003). Biologische Psychologie. Weinheim: Beltz. Stemmler, G. (1992). Differential psychophysiology: Persons in situations. New York: Springer. Stemmler, G. (1997). Selective activation of traits: Boundary conditions for the activation of anger. Personality and Individual Differences, 22, 213–233. Stemmler, G. (2001). Grundlagen psychophysiologischer Methodik. In F. Rösler (Hrsg.), Grundlagen und Methoden der Psychophysiologie (S. 1–84). Göttingen: Hogrefe.

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Verhaltensgenetik Behavioral Genetics Frank M. Spinath

Kaum ein psychologisches Gebiet hat in den letzten Jahren eine derartig atemberaubende Entwicklung erlebt wie die Verhaltensgenetik, also diejenige Disziplin, die Methoden und Ergebnisse der Genetik auf die Erforschung von Verhalten anwendet (Brocke, Spinath & Strobel, 2004). Typischerweise wird innerhalb der modernen Verhaltensgenetik zwischen quantitativer und molekularer Verhaltensgenetik unterschieden. Die quantitative Verhaltensgenetik führt individuelle Differenzen in Verhaltensmerkmalen (d. h. die phänotypische Varianz) auf genetische und Umwelteinflüsse zurück und schätzt deren relative Bedeutung am Zustandekommen der beobachteten Unterschiede. Die molekulare Verhaltensgenetik versucht, spezifische Gene zu identifizieren, die den genetischen Einflüssen zu Grunde liegen. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, einen Überblick über die Grundlagen der quantitativen und molekularen Verhaltensgenetik zu geben. Anhand ausgewählter Beispiele werden dabei auch Befunde aus Forschungsarbeiten vorgestellt. Eine ausführliche Darstellung der Zwillingsmethode erfolgt im Kapitel ➝ Zwillings- und Adoptionsstudien, ein weiterführender Überblick wird von Amelang (2000) gegeben. Ausgeklammert werden Ansätze aus tierexperimentellen Studien (siehe dazu Plomin, DeFries, McClearn & Rutter, 1999).

1

Quantitative Verhaltensgenetik

In der quantitativen Verhaltensgenetik wird der relative Anteil von genetischen und Umwelteinflüssen an der beobachtbaren, phänotypischen Variation von Merkmalen zwischen Individuen untersucht. Dabei werden drei Arten genetischer Varianz unterschieden: a) additive genetische Varianz (a2), welche auf die Summe der Wirkungen einzelner Allele zurückgeht, b) Gendominanz (d2), welche auf die Interaktion der beiden Allele (von denen eines von der Mutter und eines vom Vater stammt) am gleichen Genlocus zurückgeht und c) Epistase (i2), welche auf interaktive Effekte zwischen Allelen an mehreren Genloci zurückgeht. Eine weitere Einflussgröße stellt die selektive Partnerwahl (m) dar, d. h. Korrelationen zwischen den Merkmalsausprägungen von Eltern. Diese Einflussfaktoren werden von Personen je nach Verwandtschaftsgrad in unterschiedlichem Ausmaß

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geteilt. Aus den beobachteten, phänotypischen Verwandtschaftsbeziehungen kann daher auf die relative Bedeutung dieser Einflussfaktoren geschlossen werden (vgl. Borkenau & Spinath, 2004). In der quantitativen Verhaltensgenetik werden jedoch nicht nur genetische sondern auch Umwelteinflüsse berücksichtigt, wobei zwischen gemeinsamer (oder geteilter) und spezifischer (oder nicht geteilter) Umwelt unterschieden wird. Beide tragen zur Merkmalsvariation bei, aber nur die gemeinsame Umwelt erhöht die Ähnlichkeit zwischen gemeinsam aufwachsenden Individuen. Eine direkte Schätzung des Einflusses der spezifischen Umwelt liefern die von Messfehlern bereinigten Unterschiede zwischen gemeinsam aufgewachsenen eineiigen Zwillingen (EZ), eine direkte Schätzung des Einflusses der gemeinsamen Umwelt die Ähnlichkeiten zwischen Adoptivgeschwistern im Rahmen von Adoptionsstudien.

Tabelle 1: Schätzung von Anlage und Umwelteinflüssen aus der Ähnlichkeit von Per-

sonen unterschiedlicher Verwandtschaftsbeziehung Verwandtschaftsbeziehung

Zur Ähnlichkeit beitragende Einflüsse

EZ, gemeinsam aufgewachsen

a2 + d 2 + i 2+ c 2

EZ, getrennt aufgewachsen

a2 + d 2 + i 2

ZZ, gemeinsam aufgewachsen

.5a2 (1 + a2 m) + .25d 2 + c 2

ZZ, getrennt aufgewachsen

.5a2 (1 + a2 m) + .25d 2

Geschwister, gemeinsam aufgewachsen

.5a2 (1 + a2 m) + .25d 2 + c 2

Elternteil-Kind, natürliche Familie

.5a2 (1 + m)+ c 2

Leibliche Mutter – adoptiertes Kind

.5a2 (1 + m)

Adoptivgeschwister

c2

Anmerkung:EZ = eineiige Zwillinge, ZZ = zweieiige Zwillinge, a2 = additive genetische Varianz, d 2 = Gendominanz, i 2 = Epistase, c 2 = gemeinsame Umwelt, m = Partnerkorrelation.

Liegen ausreichende Daten von Personen unterschiedlicher Verwandtschaftsbeziehung vor, so können die Werte für a2, d 2, i2, c2, m und e2 (Bedeutung der spezifischen Umwelt) so aus den Daten geschätzt werden, dass: a) empirische und die durch das Modell vorhergesagten Ähnlichkeitswerte möglichst wenig voneinander abweichen und b) das Modell mit möglichst wenigen Varianzkomponenten auskommt. Derartige Analysen erfolgen typischerweise mittels Strukturgleichungsmodellen (Neale & Maes, 1999), in deren Rahmen auch die Anpassungsgüte von Modellen statistisch geprüft wird oder unterschiedlich komplexe Modelle miteinander verglichen werden.

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Verhaltensgenetik

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Neben Haupteffekten von Anlage- und Umwelteinflüssen sind außerdem AnlageUmwelt-Interaktion und Anlage-Umwelt-Kovariation zu berücksichtigen. AnlageUmwelt-Interaktion beinhaltet, dass Umwelteinflüsse je nach Genotyp unterschiedliche Wirkungen entfalten. In einer jüngst veröffentlichten Studie fanden Caspi et al. (2002) eine Anlage-Umwelt-Interaktion dahingehend, dass der Zusammenhang von Misshandlungen im Kindesalter und später auftretendem antisozialem Verhalten je nach Genotyp variierte. Untersucht wurde dabei für zwei Genotypen männlicher Probanden das Auftreten antisozialen Verhaltens in Abhängigkeit davon, ob die Personen im Alter zwischen 3 und 11 Jahren überhaupt nicht, wahrscheinlich oder schwer misshandelt wurden. Für die Genotypisierung wurde ein Gen herangezogen, von dem bekannt ist, dass es für die Expression des Enzyms Monoaminooxidase A (MAOA) verantwortlich ist. In der Stichprobe waren fünf Varianten des Gens vertreten, die eindeutig mit hoher oder niedriger MAOA-Expression assoziiert sind. Es zeigte sich, dass von den in der Kindheit misshandelten Probanden diejenigen mit niedriger MAOA-Aktivität stärker durch antisoziales Verhalten auffielen als Personen mit hoher MAOA-Aktivität. Dieser Unterschied ist für die nicht oder nur wahrscheinlich misshandelten Probanden nicht zu finden. Aus diesen Befunden schließen die Autoren, dass Probanden mit einer genetischen Disposition zu niedriger MAOA-Aktivität „sensibler“ auf schwere Misshandlung in der Kindheit reagierten. Anlage-Umwelt-Kovariation beinhaltet, dass Genotypen nicht zufällig auf Umwelten verteilt sind, weil Personen entweder • neben bestimmten genetischen Veranlagungen systematisch auch bestimmten Umweltbedingungen ausgesetzt sind (passive Anlage-Umwelt-Kovariation), oder weil • genetisch bedingte Verhaltensunterschiede unterschiedliche Reaktionen durch die Umwelt hervorrufen (reaktive bzw. evozierte Anlage-Umwelt-Kovariation), oder weil • Personen mit unterschiedlicher genetischer Veranlagung unterschiedliche Umwelten aufsuchen (aktive Anlage-Umwelt-Kovariation). Ein Ziel der quantitativen Genetik ist die Schätzung von Erblichkeiten sowie die Ermittlung der relativen Bedeutung von gemeinsamer und spezifischer Umwelt. Dazu werden üblicherweise ➝ Zwillings- und Adoptionsstudien herangezogen. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte haben solche Studien dazu beigetragen, unser Verständnis von Störungen wie Autismus oder Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung im Kindesalter dahingehend zu verändern, dass genetische Einflüsse nunmehr als gesichert und bedeutsam angenommen werden können (Vink & Boomsma, 2002). In ähnlicher Weise zeigen Übersichtsarbeiten im Bereich der kognitiven Fähigkeiten, dass genetische Faktoren einen substanziellen Einfluss auf individuelle Differenzen in der Intelligenz leisten (z. B. Plomin & Spinath, 2004). Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass die gemeinsame (familiäre) Umwelt in der frühen Kindheit eine ebenso große, wenn nicht sogar bedeutendere Rolle spielt als genetische Einflüsse. Der Nachweis differentieller Bedeutung von Anlage und Umwelteinflüssen über Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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die Lebensspanne kann als Beleg dafür gewertet werden, dass verhaltensgenetische Studien keineswegs eine größere Bedeutung von genetischen Einflüssen präjudizieren, wie dies von Kritikern der Verhaltensgenetik mitunter behauptet wird. Einen weiterführenden Überblick über aktuelle Ergebnisse der quantitativen Verhaltensgenetik geben Riemann und Spinath (2005).

2

Molekulare Verhaltensgenetik

Gene tragen zur Merkmalsstreuung sowohl im Bereich normalen Verhaltens als auch im Bereich von Verhaltensstörungen bei. Für viele Krankheiten, deren Risiko von einzelnen effektstarken Genloci abhängt, konnten die verantwortlichen Gene bereits identifiziert werden. Diese sind in der Datenbank „Mendelian Inheritance in Man“ (McKusick, 1998) aufgelistet, die frei online zugänglich ist und täglich aktualisiert wird (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/omim/). Aber auch Genloci, welche an polygenetischen Erbgängen, d. h. Erbgängen, die eine größere Zahl an Genen involvieren, beteiligt sind, können prinzipiell lokalisiert werden. Man spricht in diesem Fall von quantitative trait loci (QTL), was bereits impliziert, dass ein einzelnes Gen sich im Verbund mit (vielen) weiteren Genen auf das untersuchte Merkmal auswirkt. Bei komplexen Verhaltensmerkmalen wird üblicherweise davon ausgegangen, dass die Effektstärke solcher QTLs gering ist (d. h. 1 % oder weniger betragen kann), was die Identifikation erheblich erschwert. Auch ist davon auszugehen, dass QTLs – anders als im Falle monogenetischer Ätiologien – weder hinreichende noch notwendige Bedingungen für das Auftreten bestimmter Merkmale sind. Als Beispiel mag das Gen Apolipoprotein E (APOE) dienen. Für dieses Gen wurde ein Zusammenhang mit spät auftretender Alzheimer Erkrankung gefunden. Es zeigte sich, dass ein bestimmtes Allel (APOE-4) bei 40 % der von dieser Erkrankung Betroffenen auftrat, während die Häufigkeit dieses Allels in einer Kontrollgruppe nur etwa 15 % betrug (Corder et al., 1993). Somit handelt es sich bei APOE-4 zwar um einen Risikofaktor für die spät auftretende Alzheimer Erkrankung, jedoch stellte APOE-4 weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für die Ausbildung der Krankheit dar, denn die Mehrzahl der Personen mit APOE-4 waren zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht erkrankt (60 %), während andererseits die spät auftretende Alzheimer Erkrankung auch bei solchen Personen vorkam, die APOE-4 nicht aufwiesen. Gleichwohl stellt APOE-4 offensichtlich einen eindeutigen Risikofaktor dar. Es werden prinzipiell zwei Methoden der Lokalisation von Genloci unterschieden: die Linkage-Methode und die Allel-Assoziations-Methode. Diese sollen im Folgenden beschrieben werden. 2.1

Linkage-Methode

Linkage-Studien basieren auf der Untersuchung verwandter Individuen und prüfen, ob das untersuchte Merkmal und ein spezifischer DNA-Marker in Familien überzufällig häufig gemeinsam auftreten. Weil Verwandte relativ lange gemeinDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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same Chromosomenabschnitte aufweisen, erlauben Linkage-Studien die Lokalisation auch solcher Gene, welche zwar auf dem gleichen Chromosom wie ein bekannter DNA-Marker aber von diesem doch relativ weit entfernt liegen. Als DNA-Marker werden Chromosomenabschnitte bezeichnet, die zwischen Individuen variieren können (Polymorphismen). Wichtige Arten genetischer Polymorphismen sind Restriktions-Fragment-Längen-Polymorphismen (RFLP) und Variable-Number-of-Tandem-Repeats (VNTR). RFLP entstehen durch Veränderungen in der Nukleotid-Sequenz, die mittels geeigneter Restriktionsenzyme nachgewiesen werden können. VNTR stellen eine sich mehrfach wiederholende Sequenz von Basenpaaren dar. Wird nun ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen einem DNA-Marker und der untersuchten Erkrankung entdeckt, bedeutet dies entweder, dass der Marker selbst das gesuchte Gen oder ein Teil desselben ist, zumindest jedoch in seiner Nähe liegt. Eine Voraussetzung für den Erfolg dieses Verfahrens ist allerdings, dass das betreffende Gen einen starken Einfluss auf das Verhaltensmerkmal ausübt, denn auf Grund der Tatsache, dass die traditionelle Linkage-Analyse verwandte Individuen untersucht, sind die verfügbaren Stichproben häufig nicht groß genug, um Gene zu identifizieren, die nur einen kleinen Effekt aufweisen (Problem der Teststärke oder Power). Besonders geeignet ist die Linkage-Analyse daher zur Aufdeckung der Ursachen monogenetischer Störungen. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Linkage-Analyse stellt das Auffinden des Zusammenhangs zwischen der Huntington-Erkrankung und einem DNA-Marker auf Chromosom 4 dar (vgl. Plomin et al., 1999). Die Stärke der Linkage-Analyse liegt insbesondere darin, dass sie mit einer vergleichsweise geringen Zahl von nur wenigen hundert DNA-Markern ein systematisches Screening des menschlichen Genoms erlaubt. Die Stärke des Linkage wird üblicherweise mittels des LOD-Wertes (LOD = logarithmic odds ratio) angegeben (Morton, 1955). Diejenige Region des Chromosoms, die einen Marker mit einem signifikanten LOD-Wert enthält, kann im Anschluss mittels eines feineren Netzes von Markern eingehender untersucht werden, um die genaue Lokalisation des Genes weiter einzugrenzen. Ist der Abschnitt des Chromosoms, der das fragliche Gen mit hoher Wahrscheinlichkeit enthält, ausreichend eingegrenzt, kann die DNA in dieser gesamten Region einer vollständigen Sequenzierung zur Aufdeckung vorliegender Polymorphismen unterzogen werden. Ein nächster möglicher Schritt wäre eine Assoziations-Studie (siehe unten). Ein Nachteil von Linkage-Analysen liegt zum einen in der geringen Teststärke und zum anderen darin, dass ein erfolgreiches Linkage lediglich den ungefähren Ort angibt, an dem sich das ursächliche Gen auf dem Chromosom befindet. Die Eingrenzung des genauen Ortes, an dem sich das betreffenden Gen befindet, erfolgt in der Regel schrittweise (positional cloning) und kann sich mitunter als schwierig herausstellen. Im Falle der Huntington-Krankheit vergingen von der Entdeckung des Linkage (Gusella et al., 1983) bis zur Identifikation des ursächlichen Gens im Jahre 1993 beispielsweise 10 Jahre. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Allel-Assoziations-Methode

Im Gegensatz zu Linkage-Analysen sind Assoziations-Analysen typischerweise nicht auf das Vorliegen von Daten verwandter Personen angewiesen. Das Grundprinzip von Assoziations-Analysen sieht vielmehr vor, dass eine Korrelation zwischen einem bestimmten Allel und einer Merkmalsausprägung in einer Populationsstichprobe berechnet wird, wobei neben Merkmalsträgern auch eine Stichprobe von Kontrollpersonen erhoben wird (case-control design). Beispielsweise wurde auf diese Weise der bereits erwähnte Zusammenhang zwischen APOE-4 und spät auftretender Alzheimer Erkrankung gefunden. Für Assoziations-Analysen ist es notwendig, konkrete Hypothesen hinsichtlich des spezifischen Gens (Kandidaten-Gen) bzw. eines umgrenzten Chromosomenabschnittes zu formulieren, für das eine Assoziation mit einem Verhaltensmerkmal angenommen wird. Bei der Suche nach geeigneten Kandidatengenen können verschiedene Strategien angewendet werden. So kommt beispielsweise Genen, die Teil eines physiologischen Systems sind, von dem bekannt ist, dass es das Merkmal beeinflusst, eine besondere Rolle zu. Des Weiteren können auch solche Gene als Kandidatengene in Frage kommen, die sich in Tierstudien als bedeutsam für das betreffende Merkmal erwiesen haben. Eine Schwierigkeit liegt jedoch häufig darin, dass die Anzahl potenzieller Kandidatengene bei komplexen psychologischen Merkmalen üblicherweise sehr groß ist. Mit anderen Worten, Assoziations-Analysen weisen zwar eine höhere Power auf als Linkage-Analysen und es ist in der Regel leichter, die Stichprobengröße in Assoziations-Analysen zu erhöhen, jedoch eignet sich diese Technik nicht unmittelbar für Screeningzwecke, also dafür, das gesamte Genom nach einer Assoziation zu durchsuchen. Findet sich jedoch in Assoziations-Analysen ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen der Allelausprägung am untersuchten Genlocus und dem Merkmal, so bedeutet dies, dass der Locus selbst eine direkte Auswirkung auf das Merkmal hat oder aber sich in unmittelbarer Nähe des entsprechenden Gens befindet (Vink & Boomsma, 2002). Assoziationsstudien sind mit verschiedenartigen methodischen Schwierigkeiten behaftet (Owen, Holmans & McGuffin, 1997). Zu den bedeutendsten Gefährdungen der Aussagekraft von Assoziationsstudien gehört ein Phänomen, das als ethnische Schichtung (population stratification) bezeichnet wird. Dieses Problem tritt dann auf, wenn sich die untersuchte Population aus zwei oder mehreren ethnischen Gruppen mit unterschiedlichen Allelhäufigkeiten zusammensetzt und es zwischen diesen Gruppen zudem Differenzen in der Ausprägung des untersuchten Merkmals gibt, die entweder zufällig sind oder zumindest keine biologischen Ursachen haben. Es gibt jedoch verschiedene Möglichkeiten, falsch positiven Befunden auf Grund ethnischer Schichtung entgegenzuwirken. Eine Möglichkeit besteht in der Rückkehr zur Untersuchung von Mitgliedern aus Kernfamilien. Wenn nämlich ein Merkmal mit einem bestimmten Allel eines Kandidatengens innerhalb der Nachkommen einer Kernfamilie assoziiert ist, kann ethnische Schichtung als VerursaDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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chung ausgeschlossen werden; schließlich stammen natürliche Geschwister von den gleichen Vorfahren (und somit auch von der gleichen ethnischen Gruppe) ab. Der Transmission Disequilibrium Test (TDT; Spielman, McGinnis & Ewens, 1993) ist ein solches Verfahren, bei dem Familien-Trios (heterozygote Eltern und ein Kind) untersucht werden. Soll beispielsweise eine genetische Assoziation mit einem qualitativen Merkmal (z. B. einer Erkrankung) untersucht werden, erfasst der TDTTest die Häufigkeit, mit der ein fragliches Allel von einem heterozygoten Elternteil zum betroffenen Kind übertragen wird. Weicht diese Häufigkeit signifikant von der erwarteten 50 %-Grundwahrscheinlichkeit ab, gilt dies als Hinweis sowohl auf Assoziation als auch auf Linkage. Mittels TDT-Test ist auch die Untersuchung quantitativer Merkmale (z. B. Persönlichkeit) möglich. Die Rückkehr zu Familiendesigns zur Begegnung etwaiger Einflüsse durch ethnische Schichtung hat ihren Preis: Die Stichprobenrekrutierung ist üblicherweise aufwändiger, da die benötigten Familienkonstellationen vollständig sein müssen und nur solche Trios analysiert werden können, bei denen das Merkmal oder das betreffende Allel variiert. Ohnehin hängt jedoch die Power und die Effizienz der vorgestellten Verfahren von einer Vielzahl weiterer Einflussfaktoren ab.

3

Ausgewählte molekulargenetische Befunde

Während für eine erhebliche Anzahl somatischer Krankheiten wichtige Gene bereits lokalisert wurden, gibt es bezüglich komplexer psychologischer Merkmale bislang nur wenige gesicherte Befunde. Dies mag erstaunen, wurden doch die ersten Berichte über Assoziationen eines spezifischen Gens mit dem Persönlichkeitsmerkmal Novelty Seeking bereits 1996 veröffentlicht (Benjamin et al., 1996; Ebstein et al., 1996). Novelty Seeking wird definiert als Tendenz zur Verhaltensaktivierung als Antwort auf neue Stimuli oder Hinweisreize für potenzielle Belohnung bzw. potenzielle Beendigung von Monotonie oder Bestrafung (Cloninger, 1987, ➝ Biologische Persönlichkeitstheorien). Bei dem im Zusammenhang mit Novelty Seeking untersuchten Polymorphismus handelt es sich um einen VNTR im Dopamin-D4-Rezeptor-Gen. D4-Rezeptoren werden als postsynaptische Rezeptoren mit hoher Dichte im frontalen Neokortex sowie im limbischen System exprimiert. Exprimieren im genetischen Sinne bedeutet dabei, dass eine genetische Information sich ausdrückt, indem von ihr codierte Proteine produziert werden. Die Varianten des DRD4-Markers unterscheiden sich darin, wie oft eine 48 Basenpaare umfassende Sequenz wiederholt wird. Die Wiederholungshäufigkeit variiert zwischen zwei- und zehnfach, wobei die häufigsten dieser Repeat-Varianten, der 4-Repeat mit etwa 60 % Allelhäufigkeit und der 7-Repeat mit etwa 20 % Allelhäufigkeit sind. Funktionelle Analysen des DRD4-Exon III-Polymorphismus legen nahe, dass die kürzeren Formen der Allele (2 bis 5 Wiederholungen) mit einem höheren Bindungspotenzial des D4-Rezeptors und einer effizienteren Hemmung des Second-Messenger-Systems einhergehen als die längeren Formen, was bewirkt, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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dass diese Personen weniger externe Stimulation benötigen, um ein vergleichbares Niveau dopaminerger Aktivierung zu erzielen bzw. zu erhalten. Auf Grund der weit reichenden Einflüsse des dopaminergen Systems wurde der DRD4-Exon III-Polymorphismus neben Persönlichkeit mit einer Vielzahl weiterer Verhaltensmerkmale in Beziehung gesetzt, darunter unter anderem Substanzmissbrauch und Abhängigkeit, Schizophrenie und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Im Bezug auf Persönlichkeit berichtete die Forschergruppe um Ebstein, dass Personen mit mindestens einer Kopie der DRD4-Exon III-7-Repeat-Variante signifikant höhere Werte in Novelty Seeking zeigten als Personen ohne das 7-Repeat-Allel (Ebstein et al., 1996). Parallel zu dieser Arbeit fanden Benjamin et al. (1996) signifikant erhöhte Extraversions-Werte und signifikant niedrigere Gewissenhaftigkeits-Werte bei Personen mit einer oder zwei Kopien des DRD4-Exon III-7-Repeat-Allels. Auch aus den erhobenen Maßen geschätzte Novelty-Seeking-Werte waren in der erwarteten Richtung assoziiert mit dem DRD4-Exon III-Polymorphismus. Nachfolgende Studien erbrachten jedoch zum Teil inkonsistente Resultate. Eine abschließende Bewertung steht bislang aus. Vielmehr bedarf es weiterer Forschung, da bisherige Arbeiten zum Teil deutliche methodische Mängel aufwiesen (für eine weiterführende Darstellung siehe Brocke et al., 2004). Erste systematische Versuche zur Identifizierung von QTLs für Intelligenz begannen Mitte der 90er Jahre, als im Rahmen des IQ-QTL Projects (Plomin et al., 2001) mittels Extremgruppenanalysen zunächst ausgewählte DNA-Marker, später vollständige Chromosomen und schließlich genomweite Tests auf Assoziationen durchgeführt wurden. Dabei kam eine neue Screening-Methode zum Einsatz, das DNAPooling (Daniels et al., 1998). Bei diesem Verfahren wird die DNA von mindestens zwei verschiedenen Gruppen (z. B. zwei Extremgruppen, bei denen ein bestimmtes Merkmal hoch oder niedrig ausgeprägt ist) zunächst gemeinsam analysiert. So reduziert sich die Anzahl notwendiger Genotypisierungen auf einen Bruchteil der im Rahmen individueller Analysen notwendigen Zahl. DNA-Pooling-Ergebnisse werden üblicherweise grafisch in Form von AIPs (allel image patterns) dargestellt.

AIP (allele image patterns) für DNA-Pooling-Ergebnisse aus dem IQ-QTL Project Abbildung 1 zeigt die Häufigkeit verschiedener Allele eines DNA-Markers auf Chromosom 2 (D2S427). Die Daten stammen aus der Originalstichprobe von Plomin et al. (2001) und zeigen AIPs für überdurchschnittlich intelligente Probanden (Mitte), für eine Kontrollgruppe (oben) sowie die übereinander gelegten AIPs der beiden Gruppen (unten). Die Zahlen oberhalb der AIPs stehen für die Länge der Allele im untersuchten Marker (Anzahl der DNA Basenpaare),

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die sich jeweils um 4 Basenpaare (bp) unterscheiden. Die relative Häufigkeit der einzelnen Allele wird durch die Höhe der Graphen angezeigt, genaue Zahlen sind darunter angegeben. Fünf der dargestellten Allele für den D2S427-Marker treten in beiden Pools auf. Ein sechstes Allel (262bp lang) hat eine sehr geringe Häufigkeit und tritt nur in der Gruppe überdurchschnittlich intelligenter Personen auf. Die Unterschiede in den AIPS (∆AIP) sind ebenso signifikant wie ein allel-spezifischer Test für das mit einem Pfeil gekennzeichnete Allel 2 (246bp).

238

240

242

244

246

248

250

252

254

256

258

260

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durchschnittlicher IQ

739

1953

3424

2363

264

266 – 3000 – 2000 – 1000 –

477

überdurchschnittlicher IQ

572

1102

3169

3084

762

211

– 3000 – 2000 – 1000 –

überlappende AIPs

Abbildung 1: Häufigkeit verschiedener Allele eines DNA-Markers auf Chromosom 2

(D2S427)

Trotz dieser Fortschritte bezüglich Effizienz und Genauigkeit molekulargenetischer Methoden, haben derartige Forschungsbemühungen bislang nicht zur Identifikation einzelner Gene geführt, die eine stabile Beziehung zu kognitiven Fähigkeiten aufwiesen (Plomin & Spinath, 2004). Relativ gut repliziert ist hingegen der Befund, dass ein an Leseschwäche beteiligtes Gen in der Region 21.3 auf dem kurzen Arm von Chromosom 6 lokalisiert ist (Fisher et al., 1999).

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Ausblick

Ziel des vorliegenden Beitrags war es, grundlegende Methoden der quantitativen und der molekularen Verhaltensgenetik vorzustellen. Beispielhaft wurde ausgeführt, welche Ergebnisse diese beiden Forschungszweige in den vergangenen Jah-

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ren hervorgebracht haben. Zu ergänzen ist, dass beide Felder innerhalb der Verhaltensgenetik in den vergangenen Jahren eine kontinuierliche Weiterentwicklung erfahren haben. Ist diese Aussage für den Bereich der Molekulargenetik, für die in schneller Abfolge immer effizientere technische sowie analytische Verfahren und Methoden vorgestellt werden (siehe Plomin & Spinath, 2004), wenig verwunderlich, so ist gerade im Bereich der quantitativen Verhaltensgenetik ebenfalls eine Reihe viel versprechender Fortschritte zu verzeichnen. Längst liegt das zentrale Interesse der quantitativen Verhaltensgenetik nicht mehr allein in der Bestimmung relativer Einflüsse von Anlage und Umwelt auf einzelne Merkmale. Vielmehr zählen die Erforschung von Anlage- und Umwelt-Interaktionen (Caspi et al., 2002), die Verwendung erweiterter Zwillings- und Familiendesigns (Boomsma, Busjahn & Peltonen, 2002), die längsschnittliche Untersuchung großer Populationsstichproben von Zwillingen von frühester Kindheit an (Trouton, Spinath & Plomin, 2002), sowie Versuche, spezifische Umwelteinflüsse (Reiss, Neiderhiser, Hetherington & Plomin, 2000) oder Umweltrisiken (Caspi, Taylor, Moffitt & Plomin, 2000) im Rahmen genetisch informativer Designs zu untersuchen, zu den gegenwärtigen Forschungsinteressen. Die Verhaltensgenetik entwickelt sich damit zu einem interdisziplinären und multimethodalen Forschungsansatz, in dem soziale, genetische, entwicklungsbezogene und klinische Fragestellungen untersucht werden.

Weiterführende Literatur Plomin, R., DeFries, J. C., Craig, I. W. & McGuffin, P. (2003). Behavioral genetics in the postgenomic era. Washington, D. C.: APA Books. Plomin, R., DeFries, J. C., McClearn, G. E. & Rutter, M. (1999). Gene, Umwelt und Verhalten. Bern: Hans Huber.

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Zwillings- und Adoptionsstudien Twin and Adoption Studies Rainer Riemann Die einfache Frage, warum Menschen sich in ihren Fähigkeiten, Temperamentsund Persönlichkeitseigenschaften unterscheiden, beschäftigt die Menschheit nachweislich seit der Antike. Sir Francis Galton, ein Cousin Darwins, führte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts erste systematische Familienstudien durch, um zu klären, welche Rolle der (genetischen) Abstammung für die Ausprägung von Fähigkeiten zukommt (Borkenau, 1993). Zwillings- und Adoptionsstudien sind das grundlegende Handwerkszeug der quantitativen Verhaltensgenetik, deren zentrales Anliegen es ist, den Beitrag von Anlagen und Umwelteinflüssen an individuellen Unterschieden in Verhaltensmerkmalen zu bestimmen (➝ Verhaltensgenetik). Im Folgenden werden zunächst die Grundlagen von Zwillings- und Adoptionsstudien skizziert und dann exemplarisch Befunde für den Bereich der Intelligenz und für andere Persönlichkeitsmerkmale berichtet.

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Grundlagen der quantitativen Verhaltensgenetik

Das Ziel verhaltensgenetischer Untersuchungen ist es zu erklären, in welchem Umfang beobachtete Unterschiede zwischen Menschen auf genetische und Umwelteinflüsse zurückgeführt werden können. Der Anteil der beobachteten Varianz eines Merkmals, der auf genetische Variation zurückgeführt werden kann, wird als Erblichkeit oder Heritabilität (h2) bezeichnet. Dabei werden unterschiedliche Quellen der genetischen Variation berücksichtigt (➝ Verhaltensgenetik). Fünf Konsequenzen dieser Definition seien hier herausgestellt: 1. Erblichkeit ist eine Populationsstatistik. Sie hat keine unmittelbare Bedeutung für den Einzelfall. 2. Erblichkeitskoeffizienten sind keine Naturkonstanten. Die Erblichkeit kann dann in verschiedenen Kulturen unterschiedlich sein, wenn die Variation der Umweltbedingungen unterschiedlich ist oder Unterschiede in der genetischen Variation bestehen. 3. Selbst dann, wenn für ein Merkmal eine hohe Erblichkeit gefunden wurde, kann ohne gesonderte Prüfung daraus nicht geschlossen werden, dass auch

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Unterschiede zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen oder ethnischen Gruppen auf genetische Faktoren zurückzuführen sind. 4. Die Erblichkeit eines Merkmals sagt nichts über dessen Stabilität über die Lebensspanne aus. 5. Letztlich können allein aus Untersuchungen zur Erblichkeit keine Aussagen darüber abgeleitet werden, ob ein Merkmal (z. B. durch psychologische Interventionsmaßnahmen) leicht oder schwer zu verändern ist (Riemann & Spinath, 2005). Von besonderer Bedeutung ist es, dass mit Hilfe der quantitativen Verhaltensgenetik auch Aussagen über Umwelteinflüsse gemacht werden können. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Einflüssen der spezifischen Umwelt, die nicht zur Ähnlichkeit von Personen beiträgt. Geteilte Umwelteinflüsse sind definiert als solche, die zur Ähnlichkeit (Korrelation) von Familienmitgliedern (z. B. Geschwistern) beitragen.

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Grundlagen von Zwillings- und Adoptionsstudien

Bereits aus der Beobachtung von eineiigen Zwillingen werden im Alltag häufig Schlüsse auf die genetischen Einflüsse gezogen. Wenn diese Zwillinge gemeinsam in einer Familie aufgewachsen sind, ist dies natürlich nicht möglich, da Ähnlichkeiten in einem Merkmal in diesem Fall ebenso auf die geteilte Umwelt zurückgeführt werden können. Zwillings- und Adoptionsstudien nutzen unter natürlichen Bedingungen auftretende systematische Variationen der Ähnlichkeit von Umwelteinflüssen und der Ähnlichkeit der genetischen Ausstattung von Menschen. Drei Forschungsdesigns können unterschieden werden: 1. Studien an getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen erlauben Rückschlüsse auf die genetische Beeinflussung und auf Wirkungen der spezifischen Umwelt, da hier Paare genetisch identischer Personen in unterschiedlichen Umwelten aufwachsen. 2. Umgekehrt werden in Adoptionsstudien genetisch nicht verwandte Personen untersucht, die in derselben Familienumwelt aufwachsen. Dies erlaubt Rückschlüsse auf die Wirkung der geteilten Umwelt. 3. In Studien an ein- und zweieiigen Zwillingen, die gemeinsam aufgewachsen sind, wird auf eine genetische Beeinflussung eines Merkmals dann geschlossen, wenn die eineiigen Zwillinge einander ähnlicher sind als die zweieiigen. Rückschlüsse auf die Wirkung der geteilten Umwelt sind ebenfalls möglich. Generell basieren die Forschungsdesigns der quantitativen verhaltensgenetischen Analyse auf der Bestimmung von Korrelationen, beispielsweise zwischen Zwillingen oder Müttern und ihren Kindern.

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Adoptionsstudien

Idealerweise liegen in einer Adoptionsstudie Messungen eines Merkmals (z. B. Intelligenz) für folgende Gruppen vor: a) für die in eine Familie adoptierten Kinder (Adoptivkinder), b) für die leiblichen Eltern, c) für die Adoptiveltern und d) für in derselben Familie lebende, mit dem Adoptivkind aber nicht verwandte Kinder (Adoptivgeschwister). Korrelationen zwischen den leiblichen Eltern (meist stehen nur Daten der leiblichen Mütter zur Verfügung) informieren über die genetische Beeinflussung des interessierenden Merkmals, wenn die Kinder sehr früh von ihren leiblichen Müttern getrennt wurden. Für die Bestimmung der Erblichkeit müssen diese Korrelationen verdoppelt werden, da einzelne Eltern und ihre Kinder bekanntermaßen 50 % der Gene teilen. Korrelationen der Adoptiveltern mit den Adoptivkindern – besser aber noch die Korrelationen zwischen den Adoptivgeschwistern – geben Aufschluss über die Effekte der geteilten Umwelt. Diese Korrelationen sind direkte Maße des Effektes der geteilten Umwelt. Voraussetzung für diese einfache Interpretation der Korrelationen ist jedoch, dass keine selektive Platzierung der Adoptivkinder vorgenommen wurde, also die Kinder nicht „passend“ zu Merkmalen ihrer Mütter vermittelt wurden (etwa Kinder intelligenterer Mütter zu intelligenteren Adoptiveltern). Die selektive Platzierung kann in Strukturgleichungsmodellen berücksichtigt werden. Einige weitere Einschränkungen gilt es zu beachten. Da in Adoptionsstudien häufig Kinder in einem Alter getestet werden, das deutlich unter dem Alter der Mütter zum Zeitpunkt ihrer Testung liegt, führt eine nicht perfekte genetische Kontinuität des Merkmals (siehe Borkenau, 1993) zu einer Unterschätzung der Erblichkeit auf der Basis von Mutter-Kind-Korrelationen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Kinder erst nach der Geburt von ihren Müttern getrennt werden. Somit verbringen die Kinder zumindest die Zeit der pränatalen Entwicklung gemeinsam mit ihren Müttern. Letztlich teilen Eltern und ihre Kinder ausschließlich additive Genwirkungen (die Summe der Wirkungen einzelner Allele; ➝ Verhaltensgenetik). Aus den Korrelationen zwischen Adoptivkindern und ihren leiblichen Eltern kann folglich nur auf additive genetische Effekte geschlossen werden. Derartige Erblichkeitsbestimmungen werden auch als Erblichkeit im engeren Sinne bezeichnet. 2.2

Studien an getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen

Eineiige Zwillinge, die durch Teilung aus einer befruchteten Eizelle hervorgehen, teilen 100 % der Gene. Es ist ein wissenschaftlich faszinierendes natürliches „Experiment“, wenn diese genetisch identischen Personen in getrennten, unkorrelierten Umwelten aufwachsen. Die Korrelationen zwischen solchen Zwillingen können (vernachlässigt man die Wirkung der prä- und perinatalen Umwelt) nur auf ihre genetische Ähnlichkeit zurückgeführt werden. Folglich sind sie auch direkte Schätzungen der Erblichkeit. Da eineiige Zwillinge alle genetischen Effekte teilen, handelt es sich hier um Erblichkeitsschätzungen im weiteren Sinne, die auch nicht

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additive Genwirkungen einschließen. Die Nutzung dieses Designs wird erheblich dadurch erschwert, dass nur sehr wenige Zwillinge getrennt voneinander aufwachsen. Dennoch gibt es zumindest zwei größere, gut kontrollierte Studien an getrennt aufgewachsenen Zwillingen (aus Minnesota, USA: Bouchard et al., 1990, und aus Schweden: McClearn et al., 1997). 2.3

Studien an gemeinsam aufgewachsenen eineiigen und zweieiigen Zwillingen

Der Vergleich der Korrelationen eineiiger mit den Korrelationen zweieiiger Zwillinge ist die am häufigsten angewandte Methode der quantitativen Verhaltensgenetik. Dies ist nicht darauf zurückzuführen, dass dieses Design besondere Stärken hätte, sondern vor allem darauf, dass gemeinsam aufgewachsene Zwillinge recht häufig zu finden sind (auf etwa 85 Geburten gibt es eine Zwillingsgeburt). Zweieiige Zwillinge sind einander ebenso ähnlich wie Geschwister, das heißt, sie teilen 50 % der additiven Genwirkungen und 25 % der Dominanzabweichung. Grobe Abschätzungen der Erblichkeit eines Merkmals sind nach der Falconer Formel möglich: Die Erblichkeit ergibt sich in dieser Formel durch Verdoppelung der Differenz der Korrelationen der ein- und zweieiigen Zwillinge. Auswertungen von Zwillingsstudien werden heute mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen vorgenommen. Diese erlauben beispielsweise eine Berücksichtigung gezielter Partnerwahl. Derartige Analysen setzten in der Regel voraus, dass es nur zwei Arten von Zwillingen gibt (ein- und zweieiige) und die Effekte der geteilten Umwelt auf ein Merkmal für ein- und zweieiige Zwillinge gleich sind. Diese Annahme wurde vielfach geprüft und kann als gut bestätigt angesehen werden (Borkenau, Riemann, Angleitner & Spinath, 2002). Weiter muss jedoch in der Regel ohne Prüfung angenommen werden, dass die Effekte von Anlage-Umwelt-Korrelationen und Interaktionen vernachlässigt werden können. Letztlich ist die Aussagekraft von Zwillingsstudien insofern beschränkt, als sie keine gleichzeitige Schätzung von Effekten der geteilten Umwelt und von Effekten nicht additiver Genwirkungen erlauben. Zwei Phänomene haben sich bisher als wenig einflussreich auf psychologische Merkmale erwiesen (siehe Riemann & Spinath, 2005). Bei weiblichen Individuen wird in den ersten Tagen nach der Befruchtung in jeder Zelle eines der beiden X-Chromosomen „abgeschaltet“. Besonders bei später Teilung der Eizelle kann es sein, dass das Muster aktiver und inaktiver X-Chromosomen bei weiblichen eineiigen Zwillingen nicht völlig identisch ist. Auch bezüglich der vorgeburtlichen Umwelt können Unterschiede zwischen eineiigen Zwillingen auftreten. Je nach Zeitpunkt der Trennung teilen sie sich ein Chorion oder reifen in zwei Chorien heran. Insgesamt erlaubt die Untersuchung gemeinsam aufgewachsener ein- und zweieiiger Zwillinge nur indirekte Bestimmungen umweltbedingter und genetischer Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Einflüsse auf Verhaltensmerkmale, die zudem von den genannten Bedingungen abhängig sind. Zusätzliche genetische Information und Informationen über die Chorionizität von Zwillingen ermöglichen es jedoch prinzipiell, feinere Gruppierungen von Zwillingen vorzunehmen und in verhaltensgenetischen Analysen zu nutzen. 2.4

Analysemethoden

Fundierte verhaltensgenetische Analysen mittels Strukturgleichungsmodellen basieren auf einer Kombination von Daten, die mit den hier beschriebenen Forschungsdesigns gewonnen wurden. Solche Analysen beziehen auch Erhebungen an anderen Gruppen (z. B. gemeinsam aufgewachsenen Geschwistern) ein, die als alleinige Datenquellen keine Trennung von Anlage- und Umwelteffekten erlauben. Von Kritikern der verhaltensgenetischen Forschung wird häufig eingewandt, dass die in Zwillings- und Adoptionsstudien untersuchten Stichproben nicht repräsentativ bezüglich der Variation von Umweltbedingungen seien. Dieser Einwand richtet sich besonders gegen Adoptionsstudien, da sich die Stellen, die Adoptionen vermitteln, bemühen, gute Familienumwelten zu finden. In sehr groß angelegten, auf Adoptionsregistern basierenden Untersuchungen lässt sich jedoch prüfen, ob das Aufwachsen unter ungünstigeren Bedingungen (z. B. bei einem straffällig gewordenen Elternteil) negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Adoptivkindes hat.

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Ergebnisse von Zwillings- und Adoptionsstudien

Die seit Beginn des 20. Jahrhunderts durchgeführten Zwillings- und Adoptionsstudien zur Intelligenz haben zusammengenommen zu einem eindeutigen Ergebnis geführt. In einer heute als klassisch zu bezeichnenden Metaanalyse der Studien zur allgemeinen Intelligenz, fassten Bouchard und McGue (1981) Daten aus mehr als 100 Studien zusammen. Diese berichteten mehr als 500 Korrelationen zwischen biologischen Verwandten und zwischen Mitgliedern von Adoptivfamilien, die an über 100.000 Paaren von Verwandten (einschließlich „Umweltverwandten“) bestimmt worden waren. Eine detaillierte Gruppierung dieser und einiger neuerer Studien nach dem Alter der Probanden zeigte eine deutliche Veränderung des Einflusses der Gene und der geteilten Umwelt über die Lebensspanne. Während der Anteil geteilter Umwelteinflüsse von 25 % in der Kindheit (Spinath et al., 2003, fanden 70 % für Zwei- bis Vierjährige) bis zum frühen Erwachsenenalter (0 %) abnimmt, steigt gegenläufig der genetische Einfluss von 40 % auf mehr als 60 % an (vgl. Abb. 1). Die verhaltensgenetische Untersuchung von anderen Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Extraversion oder Verträglichkeit) wird dadurch erschwert, dass unterschiedDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Messfehler spezifische Umwelt

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geteilte Umwelt genetisch

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Erwachsenenalter

Abbildung 1: Genetische und umweltbedingte Effekte auf die allgemeine Intelligenz in

Kindheit und Erwachsenenalter (nach Plomin et al., 1999)

liche Methoden zu ihrer Erfassung (Fragebogen, Bekanntenbeurteilungen oder Verhaltensbeobachtungen) herangezogen werden müssen, um zu Aussagen über ihre Beeinflussung zu gelangen, die unabhängig von der jeweiligen Methode sind. Aus Gründen der Durchführungsökonomie wurden in verhaltensgenetischen Studien zur Persönlichkeit jedoch überwiegend Selbstberichtfragebogen eingesetzt. Zudem finden wir hier vergleichsweise wenige Adoptionsstudien und viele Studien an gemeinsam aufgewachsenen Zwillingen. Dennoch lässt sich auch für diesen Bereich ein konsistentes Befundmuster feststellen. Nahezu alle untersuchten Persönlichkeitsmerkmale weisen eine mittlere Erblichkeit von 50 % auf. Erblichkeitskoeffizienten für unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale unterscheiden sich nur geringfügig. Mit Ausnahme von einigen wenigen Studien, die auf Verhaltensbeobachtungen oder -einschätzungen zurückgreifen, ergeben sich keine Hinweise auf einen bedeutsamen Einfluss der geteilten Umwelt auf die Ausprägung von Persönlichkeitsmerkmalen. Diese Befunde auf der Basis von Selbstberichtfragebogen werden durch Analysen von Bekanntenbeurteilungen weit gehend bestätigt.

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Weiter gehende Analysen von Zwillingsund Adoptionsstudien

Insbesondere Studien an gemeinsam aufgewachsenen Zwillingen werden in der verhaltensgenetischen Forschung auch zur Klärung weiter gehender Fragen herangezogen. Solche Fragegestellungen betreffen grundlegende Fragen der Differentiellen Psychologie und der Entwicklungspsychologie. Die Differentielle Psychologie untersucht beispielsweise die Struktur von Eigenschaftskonstrukten (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze). Dabei ist es von Interesse herauszufinden, welchen Beitrag Gene und welchen Beitrag Umweltbedingungen zur Korrelation von Merkmalen leisten (Jang et al., 2002). In ähnlicher Weise können verhaltensgenetische Analysen die Beiträge von Anlagen und Umwelteinflüssen auf die Stabilität und Veränderung von Merkmalen spezifizieren. Neuere Forschungsansätze sind zudem darauf gerichtet, geteilte oder spezifische Umwelteinflüsse zu identifizieren, die ein Merkmal beeinflussen. Auch Anlage-Umwelt-Korrelationen und -Interaktionen können beispielsweise in Zwillingsstudien identifiziert werden, wenn Maße für diese Umwelteinflüsse erhoben werden (Purcell, 2002). Gerade diese weiterführenden (multivariaten) Analysen und Fragestellungen tragen dazu bei, dass die quantitative Verhaltensgenetik mit ihren Zwillings- und Adoptionsstudien ein unverzichtbarer methodischer Zugang zu den bedeutenden Fragestellungen der Differentiellen Psychologie bleibt.

Weiterführende Literatur Borkenau, P. (1993). Anlage und Umwelt: Eine Einführung in die Verhaltensgenetik. Göttingen: Hogrefe. Plomin, R., DeFries, J. C., McClearn, G. E. & Rutter, M. (1999). Gene, Umwelt und Verhalten: Einführung in die Verhaltensgenetik. Bern: Huber.

Literatur Borkenau, P. (1993). Anlage und Umwelt: Eine Einführung in die Verhaltensgenetik. Göttingen: Hogrefe. Borkenau, P., Riemann, R., Angleitner, A. & Spinath, F. M. (2002). Similarity of childhood experiences and personality resemblance in monozygotic and dizygotic twins: A test of the equal environments assumption. Personality and Individual Differences, 33, 261–269. Bouchard, T. J. & McGue, M. (1981). Familial studies of intelligence: A review. Science, 212, 1055–1059.

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Bouchard, T. J., Jr., Lykken, D. T., McGue, M., Segal, N. L. & Tellegen, A. (1990). Sources of human psychological differences: The Minnesota Study of Twins Reared Apart. Science, 250, 223–228. Jang, K. L, Livesley, W. J., Angleitner, A., Riemann, R. & Vernon, P. (2002). Genetic and environmental influences on the covariance of facets defining the domains of the fivefactor model of personality. Personality and Individual Differences, 33, 83–101. McClearn, G. E., Johansson B., Berg S., Pedersen, N. L., Ahern, F., Petrill, S. A. & Plomin, R. (1997). Substantial genetic influence on cognitive abilities in twins 80 or more years old. Science, 276, 1560–1563. Plomin, R., DeFries, J. C., McClearn, G. E. & Rutter, M. (1999). Gene, Umwelt und Verhalten: Einführung in die Verhaltensgenetik. Bern: Huber. Purcell, S. (2002). Variance components models for gene-environment interaction in twin analysis. Twin Research, 5, 554–571. Riemann, R. & Spinath, F. M. (2005). Genetik und Persönlichkeit. In J. Hennig & P. Netter (Hrsg.), Biopsychologische Grundlagen der Persönlichkeit. München: Elsevier. Segal, N. L. (1999). Entwined lives: Twins and what they tell us about human behavior. New York: Dutton Press. Spinath, F. M., Ronald, A., Harlaar, N., Price, T. & Plomin, R. (2003). Phenotypic ,g‘ early in life: On the etiology of general cognitive ability in a large population sample of twin children aged 2 to 4 years. Intelligence, 31, 195–210.

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Längsschnittstudien Longitudinal Studies Ernst Hany

Eine Längsschnittstudie ist dann gegeben, wenn dieselben Individuen zu verschiedenen Messzeitpunkten mit demselben oder einem vergleichbaren Messinstrument untersucht und die erhobenen Daten zueinander in Beziehung gesetzt werden. Ziel jeder Längsschnittstudie ist – nach Baltes und Nesselroade (1979) – die Identifikation von Prozessen und Ursachen intraindividueller Veränderungen und die interindividuelle Erfassung von Mustern solcher intraindividueller Veränderungen. Nicht zum Ansatz der Längsschnittstudie zu zählen sind hingegen retrospektiv erhobene Daten, wie sie in der Lebenslaufforschung immer wieder verwendet werden. In Abgrenzung zur Einzelfallstudie wird eine Längsschnittstudie in der Regel an einer (größeren) Stichprobe durchgeführt, so dass Rückschlüsse auf eine Population möglich sind. Ferner beträgt der Zeitabstand der Messungen – im Unterschied zur Wiederholungsmessung – meist Monate oder Jahre. Während die Wiederholungsmessung dazu dient, die Zuverlässigkeit eines Messverfahrens zu überprüfen, muss diese Zuverlässigkeit bei der Längsschnittstudie vorausgesetzt oder durch besondere Maßnahmen gesichert werden. Läuft die Studie über verschiedene Altersphasen hinweg (beispielsweise von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter), müssen die Messinstrumente in der Regel gewechselt werden. Dabei muss gewährleistet sein, dass die verschiedenen Instrumente dasselbe Konzept erfassen, ihre Validität in dieser Hinsicht erwiesen ist (➝ Persönlichkeit: Stabilität und Veränderung).

1

Mehrfachmessung eines einzelnen Merkmals

Eine Längsschnittstudie in reiner Form ist gegeben, wenn zu zwei oder mehreren Messzeitpunkten dasselbe theoretische Konstrukt erfasst wird, beispielsweise Intelligenz oder Neurotizismus. Die Längsschnittmethode erlaubt dann die Analyse dreier Stichprobenmerkmale in Abhängigkeit von den Altersstufen und dem Abstand zwischen den Messungen: 1. die Veränderung des Niveaus, beispielsweise die allgemeine Zunahme von Rigidität im Alter; 2. die Stabilität der interindividuellen Unterschiede, d. h. das Ausmaß, zu dem die interindividuellen Unterschiede über die Zeit stabil bleiben, oder ob sich die individuellen Positionen in der Stichprobe ändern;

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3. bei mehrdimensionalen Messungen die Stabilität der intraindividuellen Unterschiede, beispielsweise die Veränderungen der individuellen Intelligenzprofile über den Zeitverlauf. Diese drei Merkmale sind voneinander unabhängig. Ein Merkmal kann sich im Niveau deutlich ändern, ohne dass sich die individuellen Unterschiede bedeutsam verändern. Dies gilt beispielsweise für die Veränderung der fluiden Intelligenz im späteren Erwachsenenalter (➝ Intelligenz). Wenngleich Menschen mit zunehmendem Lebensalter generell Einbußen in ihrer fluiden Intelligenz (besonders die Wahrnehmungsgeschwindigkeit) erfahren, bleiben die Intelligenzunterschiede erhalten: Die besten 50-Jährigen sind auch mit 70 Jahren noch oben auf. Es gibt aber auch umgekehrte Beispiele: Während Selbstbehauptung und Verträglichkeit im Erwachsenenalter nur geringen Niveauveränderungen unterworfen sind, verändern sich die individuellen Unterschiede noch substanziell. Von diesen beiden Veränderungsdimensionen ist die dritte, die Profilstabilität, wiederum unabhängig.Als Beispiel diene die politische Partizipation, d. h. die Teilnahme an Bundestags- und Landtagswahlen: Eine Person, die seit Jahren nicht zur Wahl geht, zeigt ein (im interindividuellen Vergleich mit den Wählern) stabiles Wahlverhalten, auch wenn sich ihre Parteipräferenzen (die intraindividuellen Unterschiede) im Lauf der Zeit verändern können. Während eine Längsschnittstudie im einfachsten Fall aus nur zwei Messzeitpunkten besteht, sind Studien auch mit mehr als zwei Messzeitpunkten möglich. So wurden beispielsweise in der neuseeländischen Dunedin-Studie über 1.000 Kinder bei der Geburt und dann im Alter von 3, 5, 7, 9, 11, 13, 15, 18, 21 und schließlich 26 Jahren untersucht (Roberts, Caspi & Moffitt, 2001). Liegen mehr als zwei Messungen vor, können die Niveauverläufe mit mathematisch anspruchsvollen Methoden modelliert werden. Ferner besteht die Möglichkeit, mögliche Diskontinuitäten in den Entwicklungsverläufen zu erkennen und zu analysieren.

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Mehrfachmessungen mehrerer Merkmale

Eine Längsschnittstudie kann über die Betrachtung eines einzelnen Personmerkmals hinausgehen und den Zusammenhang mehrerer Merkmale über einen Zeitraum hinweg untersuchen (vgl. Wohlwill, 1973). Damit ergeben sich neue Analysemöglichkeiten • zur Stabilität der Niveauunterschiede (beispielsweise wenn die kristalline Intelligenz im Niveau unverändert bleibt, die fluide Intelligenz hingegen absinkt), • zu den Zusammenhängen zwischen den Merkmalen (wenn Intelligenzunterschiede mit späteren Bildungsunterschieden korrelieren, kann man einen kausalen Zusammenhang vermuten), • zur Stabilität der intraindividuellen Unterschiede (entsprechend der Profilstabilität bei Messungen von Teilaspekten eines Merkmals). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Mehrfachmessungen unter Einbezug weiterer Merkmale

Eine dritte Variante der Längsschnittmethode verfolgt vor allem das Ziel, Ursachen für Veränderungen aufzudecken. So können Person- und Umweltmerkmale ergänzend zu den längsschnittlichen Veränderungen mit dem Ziel erhoben werden, Ursachen für die beobachteten intraindividuellen Veränderungen in einem Merkmal oder einem Merkmalsprofil oder für die interindividuellen Unterschiede in den Veränderungen zu ermitteln. In der bereits zitierten Dunedin-Studie konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass Individuen mit starker Stressreagibilität, hoher Aggressivität und Entfremdung sowie geringer Kontrolle stärkere Persönlichkeitsveränderungen im Alter zwischen 18 und 26 aufwiesen als Personen mit entgegengesetztem Persönlichkeitsprofil (Roberts et al., 2001). Hier könnte man also vermuten, dass Empfindlichkeit gegenüber Stress bzw. die anderen Merkmale die Ursachen dafür sind, dass sich die Persönlichkeit im frühen Erwachsenenalter stark ändert.

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Zeitversetzte Messung verschiedener Merkmale

Eine vierte Variante der Längsschnittmethode erfasst zu jedem Messzeitpunkt unterschiedliche Merkmale (vgl. Wohlwill, 1973, S. 144). Die untersuchten Personen bleiben allerdings dieselben, so dass die Messungen wieder in Beziehung gesetzt werden können. Beispiele für solche Studien sind Messungen von berufsrelevanten Merkmalen zum ersten Messzeitpunkt (z. B. Fähigkeiten, Wissen, Leistungsmotivation, Berufsziele) und Indikatoren des Berufserfolgs oder der Berufszufriedenheit zum zweiten Messzeitpunkt. Ein solches Untersuchungsdesign gestattet, • die unterschiedliche Bedeutung individueller Unterschiede in berufsrelevanten Merkmalen für die untersuchten Kriterien zu erfassen, • die Frage zu beantworten, wie stark sich die untersuchten individuellen Unterschiede in den Kriterien durch die berücksichtigten Prädiktoren aufklären lassen, • zu untersuchen, ob die ermittelten Zusammenhänge für unterschiedliche Personengruppen (z. B. bei Frauen gegenüber Männern oder bei Arbeitern im Vergleich zu Angestellten) Gültigkeit besitzen. Ein solcher Prädiktor-Kriteriums-Ansatz wurde beispielsweise von Elder und Crosnoe (2002) gewählt, um die Lebenszufriedenheit hochintelligenter Männer im Alter von ca. 65 Jahren zu erklären. Aus den Daten der Längsschnittstudie von Terman (Holahan & Sears, 1995) konstruierten sie Daten zur psychosozialen Anpassung, die dreißig Jahre zuvor erhoben worden waren. So fanden sie unter anderem, dass diejenigen Probanden, die im frühen Erwachsenenalter gut angepasst und mit sich zufrieden waren, auch viele Jahre später zufrieden auf ihr Leben zurückblickten, obgleich sie insgesamt weniger berufliche Erfolgserlebnisse verbuchen konnten als die zunächst weniger gut angepassten und mit sich eher unDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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zufriedenen Personen. Individuelle Unterschiede der Lebenszufriedenheit lassen sich also besser durch die Anpassung im frühen Erwachsenenalter als durch den Berufserfolg vorhersagen.

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Probleme von Längsschnittstudien

Offensichtlich sind Längsschnittstudien geeignet, wichtige Fragen der Stabilität und Veränderung von Persönlichkeitsmerkmalen und die Rolle interner und externer Einflüsse zu beantworten. Dennoch sind Längsschnittstudien nicht in jedem Fall die optimale Methode für den Nachweis zeitabhängiger Vorgänge. Ihre Aussagekraft kann durch verschiedene Faktoren beeinträchtigt werden (vgl. Trautner, 1992; Wohlwill, 1973): • Bei der wiederholten Durchführung von Tests und anderen Messverfahren können Lern-, Sensibilisierungs- oder Sättigungseffekte auftreten und die Messungen beeinflussen. Solche Effekte können fälschlich als Entwicklungsveränderungen interpretiert werden. • Wie man aus der Diskussion in der Entwicklungspsychologie weiß, können längsschnittliche Messungen von historischen Ereignissen beeinflusst werden (z. B. durch Einzelereignisse wie den Anschlag auf das World Trade Center, der viele Menschen vorübergehend ängstlicher und unsicherer gemacht hat, oder bestimmte Perioden, wie z. B. von Wirtschaftswachstum oder verbreiteter Arbeitslosigkeit). Die ermittelten Veränderungen über die Zeit sind demnach nicht ohne weiteres auf andere Zeiträume übertragbar, in denen anderen Ereignisse oder Vorgänge auftreten. • Häufig wird in eine Längsschnittstudie nur ein bestimmter Geburtsjahrgang oder eine begrenzte Zahl solcher Jahrgänge einbezogen. Auf diesen Geburtsjahrgang wirken aber zahlreiche historische Vorgänge (z. B. in Kindheit und Jugend die Qualität des Bildungssystems, auf den Berufseinsteig die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes usw.), die relativ einmalig sind. Erneut stellt sich die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit der gefundenen Erkenntnisse auf andere Geburtsjahrgänge („Kohorten“). Erweiterungen der klassischen Längsschnittstudie erlauben die Abschätzung solcher Einflüsse und somit die Ermittlung „reiner“ Veränderungen (vgl. Trautner, 1992, und Kasten Kohorten-Sequenz-Design). • Nicht alle Menschen sind bereit, an einer längeren wissenschaftlichen Studie teilzunehmen. Die Teilnahmebereitschaft korreliert vielmehr mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen, so dass bei den Wiederholungsmessungen immer mehr Probanden mit bestimmten Merkmalen die Teilnahme verweigern (oder nicht mehr erreichbar sind). Die verbleibende Gruppe, die noch Längsschnittdaten liefert, ist nicht unbedingt repräsentativ für die Ausgangsstichprobe oder für die Population, auf die die Ergebnisse verallgemeinert werden sollen. • Die Aussagekraft von Längsschnittstudien hängt von der Größe der letztlich verbleibenden Stichprobe ab, von der Daten zu jedem Messzeitpunkt vorliegen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Da immer mit einem gewissen Probandenschwund zu rechnen ist, der umso größer wird, je länger die Zeiträume sind, die es zu überbrücken gilt, muss bereits zu Beginn eine entsprechend große Stichprobe gewonnen werden. Dies ist nicht immer möglich, zumal bei der ersten Erhebung oft noch gar nicht daran gedacht wird, die Studie durch einen Längsschnitt zu erweitern. • Erstreckt sich die Durchführung einer Längsschnittstudie über mehrere Jahrzehnte, entstehen oft Probleme bei der Datenverwaltung. Hardware und Software für die Datenarchivierung ändern sich, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Detailwissen über die Bedeutung von Datensätzen verlassen die Forschergruppe. Eine genaue Dokumentation aller Datenkodierungen ist unerlässlich. Das Kohorten-Sequenz-Design Bahnbrechend für die Entwicklung komplexer Untersuchungsdesigns, in denen die Vorteile von Quer- und Längsschnittstudien kombiniert werden, war die Seattle-Längsschnittstudie von K. Warner Schaie zu den Niveauverläufen der Intelligenz im Erwachsenenalter. Schaie wollte in seiner Untersuchung die „reinen“ Altersveränderungen erfassen, ohne Einfluss des speziellen Geburtsjahrganges oder historischer Umstände. Dazu entwickelte er das so genannte Kohorten-Sequenz-Design, das in seinen Augen das effizienteste Design für die Entwicklungsforschung darstellt (Schaie, 1996): Zum ersten Messzeitpunkt werden querschnittlich Daten über einen breiten Altersbereich erhoben. Die Probanden werden in Altersgruppen zusammengefasst, so dass etwa sieben Jahre Abstand zwischen den Altersmittelwerten der Gruppen bestehen. Dies stellt zunächst eine klassische Querschnittstudie dar. Nach sieben Jahren wird dieselbe Probandengruppe ein zweites Mal getestet. Damit werden – für alle Altersgruppen – längsschnittliche Daten über eine Spanne von sieben Jahren gesammelt, und mit Hilfe dieser kurzen Längsschnitte für jede der Altersgruppen kann der gesamte Entwicklungsverlauf modelliert werden, sofern man Unterschiede zwischen Geburtsjahrgängen („Kohorten“) und Messzeitpunkteffekte für unwesentlich ansieht. Zum Zeitpunkt der Zweitmessung wird jedoch noch eine neue Stichprobe rekrutiert. Diese umfasst dieselben Altersgruppen, die die Anfangsstichprobe zum Zeitpunkt der Erstmessung enthielt, plus einer Probandengruppe in demjenigen Alter, das die älteste Kohorte der Erststichprobe inzwischen (also nach sieben Jahren) erreicht hat. Somit erfolgt über die zweite Stichprobe eine Wiederholungsmessung bezüglich der Erststichprobe, und der Vergleich der Erstmessung der ersten Stichprobe – sieben Jahre früher – mit der Messung der neu rekrutierten Stichprobe erlaubt die Abschätzung von Messzeitpunkteffekten bzw. historischen Effekten. Ferner erlaubt der Vergleich der Zweitmessung der ersten Stichprobe mit

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der – gleichzeitig erfolgenden – Erstmessung der zweiten Stichprobe die Abschätzung von Jahrgangseffekten, da dieser Vergleich Gruppen von Probanden einschließt, die zwar im selben Alter untersucht werden, aber in unterschiedlichen Geburtsjahrgängen geboren wurden. In seiner Studie beließ es Schaie nicht bei zwei Messungen; sieben Messungen mit den zuvor getesteten und neu rekrutierten Probanden sind inzwischen abgeschlossen. Bereits vor einigen Jahren lagen in der Seattle-Studie von insgesamt neun Geburtskohorten querschnittliche Daten im Alter zwischen 25 und 81 Jahren und längsschnittliche Daten mit Messintervallen bis zu 35 Jahren vor (Schaie, 1996, Kap. 3). In den Teilstichproben befinden sich insgesamt 4.133 Probanden. Damit war es Schaie möglich, Intelligenzverläufe für das gesamte Erwachsenenalter zu ermitteln, und er konnte gleichzeitig zeigen, wie stark sich verschiedene Geburtsjahrgänge voneinander unterscheiden und welchen Einfluss historische Ereignisse auf die Intelligenzentwicklung hatten. Die genannten Probleme bei der Gestaltung und Durchführung von Längsschnittstudien sind nicht die einzigen, die man Längsschnittstudien vorhält. So beklagt Block (1993), dass Forscherinnen und Forscher durch ihren engen Umgang mit den Teilnehmern ihrer Studie oft persönlich so aufregende Einblicke gewinnen, dass sie diese – ohne theoretische und methodische Absicherung – gerne als profunde Wahrheit verkünden. Dennoch kann es mit breit angelegten Längsschnittstudien wesentlich besser als mit eng definierten Experimenten gelingen, komplexe und langwierige Entwicklungs- und Veränderungsprozesse zu erfassen. Es gebe eigentlich keinen Grund anzunehmen, meint Block, dass eine positive Korrelation zwischen der Bedeutsamkeit einer psychologischen Fragestellung und der Leichtigkeit, mit der man sie beantworten könne, bestehe. Im Gegenteil: Wer immer nur die leichten Methoden anwende (womit Block die experimentelle Forschung meint), laufe Gefahr, die wichtigen Fragen der Psychologie zu übersehen. Das sei wie beim Fischen: Wer seine Angel nur in seichte Gewässer wirft, kann keinen großen Fisch fangen. Psychologen sollten aber die großen Fische fangen wollen.

Weiterführende Literatur Alder, A. G. & Scher, S. J. (1994). Using growth curve analyses to assess personality change and stability in adulthood. In T. F. Hetherton & J. L. Weinberger (Eds.), Can personality change? (pp. 149–174). Washington, DC: APA. Baltes, P. B. & Nesselroade, J. R. (1979). History and rationale of longitudinal research. In J. R. Nesselroade & P. B. Baltes (Eds.), Longitudinal research in the study of behavior and development (pp. 1–40). New York: Academic Press.

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Längsschnittstudien

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Biesanz, J. C., West, S. G. & Kwok, O.-M. (2003). Personality over time: Methodological approaches to the study of short-term and long-term development and change. Journal of Personality, 71, 905–941. McCrae, R. R., Costa, P. T. Jr., Terracciano, A., Parker, W. D., Mills, C. J., De Fruyt, F. & Mervielde, I. (2002). Personality trait development from age 12 to age 18: Longitudinal, cross-sectional, and cross-cultural analyses. Journal of Personality and Social Psychology, 83, 1456–1468. Nesselroade, J. R. & Boker, S. M. (1994). Assessing constancy and change. In T. F. Hetherton & J. L. Weinberger (Eds.), Can personality change? (pp. 121–148). Washington, DC: APA.

Literatur Baltes, P. B. & Nesselroade, J. R. (1979). History and rationale of longitudinal research. In J. R. Nesselroade & P. B. Baltes (Eds.), Longitudinal research in the study of behavior and development (pp. 1–40). New York: Academic Press. Block, J. (1993). Studying personality the long way. In D. C. Funder, R. D. Parke, C. Tomlinson-Keasey & K. Widaman (Eds.), Studying lives through time. Personality and development (pp. 9–41). Washington, DC: APA. Elder, G. H., Jr. & Crosnoe, R. (2002). The influence of early behavior patterns on later life. In L. Pulkkinen & A. Caspi (Eds.), Paths to successful development. Personality in the life course (pp. 157–176). Cambridge: Cambridge University Press. Holahan, C. K. & Sears, L. J. (1995). The gifted group in later maturity. Stanford, CA: Stanford University Press. Roberts, B. W., Caspi, A. & Moffitt, T. E. (2001). The kids are alright: Growth and stability in personality development from adolescence to adulthood. Journal of Personality and Social Psychology, 81, 670–683. Schaie, K. W. (1996). Intellectual development in adulthood. The Seattle Longitudinal Study. Cambridge: Cambridge University Press. Trautner, H. M. (1992). Lehrbuch der Entwicklungspsychologie. Band 1: Grundlagen und Methoden (2., überarb. u. erg. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Wohlwill, J. F. (1973). The study of behavioral development. New York: Academic Press.

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Kulturvergleichende Ansätze Cross-Cultural Approaches Gisela Trommsdorff & Boris Mayer

Ausgangspunkt für eine kulturinformierte Differentielle und Persönlichkeitspsychologie ist die Frage, ob und wie individuelle Differenzen in Persönlichkeitsmerkmalen mit Kulturbesonderheiten zusammenhängen und durch diese aufgeklärt werden können. Eine weiter gehende Frage ist, ob individuelle Differenzen durch kulturelle Faktoren überlagert werden, so dass die Unterschiede zwischen den Kulturen stärker als die zwischen den Personen innerhalb einer Kultur sind. Der Begründer der experimentellen Psychologie, Wilhelm Wundt, hat in seiner mehrbändigen Völkerpsychologie (1900 bis 1920) bereits dargelegt, dass psychologische Phänomene nicht ohne Berücksichtigung ihres kulturellen Kontextes angemessen erklärt werden können. Nachdem dies jedoch lange kaum zur Kenntnis genommen wurde, haben inzwischen verschiedene psychologische Teildisziplinen die Bedeutung kulturvergleichender Ansätze erkannt (vgl. Handbücher von Berry et al., 1997; Trommsdorff & Kornadt, in Druck; kulturpsychologische Fachzeitschriften sowie zahlreiche Einzeleditionen und Monografien). Anthropologische deskriptive Studien zu nicht westlichen Kulturen (u. a. von Margaret Mead und Ruth Benedict) haben schon früh den Einfluss von Kultur auf die menschliche Entwicklung und damit auf Kulturunterschiede von Persönlichkeitsmerkmalen zu belegen versucht. Damit waren Grundlagen für die Anlage-Umwelt-Debatte und die psychoanalytisch geprägte „Culture and Personality“-Schule gelegt. Einfache Kausalbeziehungen zwischen Umwelt (Kultur) und Persönlichkeit sind heute allerdings aus theoretischen und methodischen Gründen nicht mehr anzunehmen, u. a. weil weder Kultur noch Persönlichkeit als homogene Einheiten gesehen werden können.

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Kultur und Persönlichkeit

Kultur lässt sich als ein von den Kulturangehörigen geteiltes, emotional verankertes und mehr oder weniger heterogenes Deutungssystem verstehen. Kulturelle Faktoren wie Sprache, Werte und Sozialisation beeinflussen die Persönlichkeit und ihre Entwicklung. Unter Persönlichkeit verstehen wir ein kohärentes Muster von Erleben und Verhalten, das situationsspezifisch variieren kann und bestimmte Menschen von anderen unterscheidet.

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In manchen Studien werden Kultur und Persönlichkeit gleichgesetzt, z. B. werden Kulturen durch „modale“ Persönlichkeitsmerkmale (im Sinne einer Stereotypisierung, z. B. der deutschen, der südländischen oder der asiatischen Persönlichkeit) charakterisiert. Wir gehen jedoch davon aus, dass sich Kultur und Persönlichkeit auf unterschiedliche Analyseebenen beziehen und Kultur- und Persönlichkeitsprofile daher nicht ohne weiteres gleichzusetzen sind. Auch kann eine Kulturpsychologie nicht durch eine Persönlichkeitspsychologie ersetzt werden oder umgekehrt. Zur Analyse der Beziehungen zwischen Kultur und Persönlichkeit sind zwei methodologische Ansätze zu unterscheiden: Der kulturpsychologische Ansatz zielt analog zu einem idiographischen Vorgehen in der Persönlichkeitspsychologie (➝ Idiographische und nomothetische Ansätze) auf die Analyse kulturspezifischer Besonderheiten ab („emischer Ansatz“), während der kulturvergleichende Ansatz ähnlich zum nomothetischen Vorgehen Generalisierungen über Kulturen hinweg betont und Universalien testet („etischer Ansatz“). Unter der ersten Perspektive beschränkt man sich häufig auf die Darstellung der Merkmale nur einer Kultur, z. B. auf die Beschreibung von Besonderheiten der Entwicklung des Kindes in Japan (Stevenson, Azuma & Hakuta, 1986). Unter der zweiten Perspektive ist der Kulturvergleich als quasi-experimentelle Methode angelegt, mit Kultur als unabhängiger Variable, die Unterschiede in der abhängigen Variablen (Persönlichkeit) bedingt. Kulturvergleichende Ansätze haben u. a. das Ziel, durch geeignete Methoden ethnozentrische Voreingenommenheiten aufzudecken und häufig nur im Westen geprüfte Theorien zu validieren bzw. zu modifizieren. Dies erfolgt u. a. durch die Entkonfundierung ansonsten vermischter Variablen und die Vergrößerung der Varianz auf Grund der theoretisch fundierten Einbeziehung mehrerer Kulturen. Zum Beispiel sind in vielen Kulturen die Variablen „Alter“ und „Dauer des Schulbesuchs“ konfundiert. Bei Untersuchungen zur kognitiven Entwicklung können die Einflüsse dieser beiden Variablen daher oft nicht getrennt werden. Durch Einbeziehung von Kulturen, in denen Alter und Schulbesuch nicht konfundiert sind (z. B. weil nicht alle Kinder die Schule besuchen), kann festgestellt werden, ob bestimmte Fähigkeiten auf den Schulbesuch zurückzuführen sind oder sich auch ohne formale Bildung entwickeln. Da die Art des „Einflusses“ von Kultur auf ein bestimmtes Merkmal wegen der Komplexität des Kulturkonstruktes nicht genau erfasst werden kann, wird häufig versucht, diejenigen kulturellen Aspekte (Kontextbedingungen) zu bestimmen, auf die die beobachteten Kulturunterschiede zurückgehen. Beispielsweise kann das bessere Abschneiden ostasiatischer im Vergleich zu westlichen Probanden in Mathematiktests mit der Bedeutung von Lernen und Übung im konfuzianisch geprägten Kulturkreis erklärt werden. Das Thema Kultur und Persönlichkeit hat die großen Debatten in der Psychologie geprägt, vor allem die Anlage-Umwelt-Kontroverse, die heute weit gehend durch Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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die verhaltensgenetische Forschung an normativer Einseitigkeit verloren hat (➝ Verhaltensgenetik). Daraus entstanden weitere Kontroversen zwischen nomothetischen und idiographischen (bzw. kulturvergleichenden und kulturpsychologischen) Ansätzen. Aus einer extrem kulturrelativistischen Sicht ist alles Verhalten situationsspezifisch und nicht über Kulturkontexte generalisierbar. Es lassen sich dann weder globale, kontextübergreifende, noch spezifische Vorhersagen für Persönlichkeitsmerkmale auf Grund bestimmter früher Erfahrungen annehmen. Generalisierende Aussagen sind demnach unmöglich. Demgegenüber gehen einige Persönlichkeitsforscher von allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen aus, die unabhängig von situativen Kontexten existieren. So nimmt McCrae (2001) an, dass fünf Kernelemente die Persönlichkeit beschreiben (die „Big Five“, ➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze), dass diese als primär biologisch fundiert wichtige Überlebensqualitäten besitzen sowie relativ unveränderbar über die Lebensspanne sind. Kritik an diesem Trait-Ansatz des Fünf-Faktoren-Modells beruht auf der Annahme, dass Menschen ihre Entwicklung aktiv gestalten und damit Konsistenz und Wandel im Verhalten je nach situativen Anforderungen erfolgt. Dies entspricht auch der neueren entwicklungspsychologischen Sicht, nach der Interaktionen von biologischen Faktoren (Genen) und Umwelt die Entwicklung und relative Veränderbarkeit von Persönlichkeitsmerkmalen über die Lebensspanne unter aktiver Mitwirkung der Person beeinflussen, ohne dass auf generalisierbare Aussagen verzichtet werden muss.

Schlüsselbegriffe zu Kulturvergleichenden Ansätzen Kulturpsychologie. Psychologische Teildisziplin zu kulturspezifischen Besonderheiten und der gegenseitigen Bedingtheit von Kultur und psychologischen Funktionen. Kulturvergleichende Psychologie. Psychologische Teildisziplin zur Prüfung der universellen Gültigkeit von (meist im westlichen Kulturkreis hervorgebrachten) Theorien durch interkulturelle Vergleiche. Emischer/etischer Ansatz. Unterscheidung geht auf die Begriffe Phonemik und Phonetik zurück. Zum einen werden kulturspezifische Phänomene (emisch) und zum anderen überkulturelle Gemeinsamkeiten untersucht (etisch). Eng verwandt mit der Unterscheidung zwischen Kulturpsychologie und Kulturvergleichender Psychologie. Kulturspezifika. Psychologische Eigenschaften oder Funktionen in einem bestimmten kulturellen Kontext. Universalien. Psychologische Eigenschaften oder Funktionen, die unabhängig vom kulturellen Kontext auftreten.

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Individualismus/Kollektivismus. Wertedimensionen, die auf der Kulturebene unterschieden werden: zum einen steht das Wohl des einzelnen im Vordergrund (Individualismus), zum anderen das Wohl der Gruppe (Kollektivismus). Idiozentrismus/Allozentrismus. Werthaltungen, die auf der Individualebene als unabhängige Dimensionen unterschieden werden. Idiozentrische Personen werden als eher selbstorientiert und allozentrische Personen als eher sozialorientiert bezeichnet. Level- versus struktur-orientierte Studien. Kulturvergleichende Studien können auf den Vergleich von Ausprägungen bestimmter Variablen (level-orientiert) oder/und auf den Vergleich von Zusammenhängen zwischen psychologischen Konstrukten (struktur-orientiert) ausgerichtet sein. Kulturübergreifende Äquivalenz. Wichtige Voraussetzung für den (quantitativen) Kulturvergleich. Je nach Fragestellung (z. B. struktur- oder level-orientiert) sind unterschiedliche Stufen der Äquivalenz erforderlich. Bias (Verzerrung). Alle systematischen Fehlerquellen, die dazu führen, dass Unterschiede zwischen Kulturen nicht eindeutig auf den Faktor „Kultur“ zurückzuführen sind. Vorhandensein von Bias führt zu Nichtäquivalenz.

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Universalien und Kulturspezifika

Generell werden hinsichtlich biologisch verankerter Merkmale geringere und hinsichtlich sozialer Merkmale stärkere Kulturunterschiede beobachtet. Die Annahme, dass die Big Five auf Grund ihrer vermuteten biologischen Grundlage universell auftreten, wird durch Ergebnisse kulturvergleichender Studien in Frage gestellt (Übersicht von Triandis & Suh, 2002). So konnte z. B. der Faktor Offenheit (für Erfahrungen) vor allem in kollektivistischen Kulturen (z. B. China) nicht immer nachgewiesen werden. Inkonsistente Befunde und methodische Probleme (z. B. vorrangige Verwendung von Studentenstichproben) erlauben bisher keine abschließende Aussage darüber, ob die Struktur von Persönlichkeitsmerkmalen universell dem Muster der Big Five entspricht, und ob ihr Auftreten, ihre Genese und ihre Funktion universell gleich sind. Kulturinformierte Studien zeigen vielmehr, dass je nach Kultur bestimmte Persönlichkeitsmerkmale besonders hoch geschätzt werden und andere weniger. Auch konnte z. B. für chinesische Kulturangehörige ein zusätzlicher Faktor „interpersonale Bezogenheit“ nachgewiesen werden, der primär bei Angehörigen kollektivistischer Kulturen auftritt. Auch die Bindungstheorie (Bowlby, 1969) geht von einem universellen, biologisch verankerten Prinzip der Persönlichkeitsunterschiede, ihrer Entwicklung und Funktion aus. Bindung wird als emotionales Band zwischen einem Kind und Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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seinen primären Bezugspersonen verstanden, das hinsichtlich seiner qualitativen Ausprägung (sichere oder unsichere Bindung) umweltabhängig ist, und insbesondere von der Feinfühligkeit der Bezugspersonen beeinflusst wird. Die so gelernte individuelle Bindung bewirkt innere Vorstellungsmodelle („inner working model“) über die Bezugspersonen, die Umwelt und das Selbst. Auf Grund früher Bindungserfahrungen werden spätere Erfahrungen organisiert und beeinflussen die Persönlichkeitsentwicklung. So entwickeln sicher gebundene Kinder u. a. ein positiveres Selbstwertgefühl. Empirische Studien haben das Auftreten von (mindestens) drei Bindungstypen in verschiedenen Kulturen nachgewiesen, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung (bzw. unterschiedlichem Verhältnis) und unter unterschiedlichen Entwicklungsbedingungen. Zum Beispiel können sich die Verhaltensindikatoren für Sensitivität der Mutter kulturspezifisch unterscheiden, aber die gleiche Funktion für die Entwicklung von Bindungssicherheit des Kindes haben (Rothbaum, Weisz, Pott, Miyake & Morelli, 2000). Auch das kindliche Explorationsbedürfnis ist kulturspezifisch unterschiedlich, eher objektbezogen im westlichen und eher personenbezogen im asiatischen Kontext. Ungeklärt ist, ob Bindungssicherheit (vermittelt über das „inner working model“) universell als ein Persönlichkeitsmerkmal im Sinne einer überdauernden oder einer eher beziehungsspezifischen Ausprägung (Trait oder State) verstanden werden kann, und wie dessen Entwicklung über die Lebensspanne verläuft. Hierzu fehlen kulturvergleichende Studien mit einer kulturangemessenen Erfassung von Bindungsqualität. Zur Beschreibung von Unterschieden auf der Kulturebene hat sich vor allem das Konzept Individualismus/Kollektivismus (das allerdings empirisch nur in modernen, nicht in traditionalen Gesellschaften untersucht wurde) bewährt (Hofstede, 2001; Triandis, 1995). Ihm entspricht auf der Individualebene die Unterscheidung zwischen allozentrischen (sozialorientierten) und idiozentrischen (selbstorientierten) Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Werthaltungen). Auch wenn diese Merkmale gegensätzlich erscheinen, können sie durchaus gleichzeitig in einer Person ausgebildet und z. B. situationsspezifisch wirksam sein. In allen Kulturen leben sowohl idiozentrische als auch allozentrische Personen, in individualistischen und kollektivistischen Kulturen allerdings jeweils in unterschiedlicher Relation. In kollektivistischen im Vergleich zu individualistischen Kulturen sind Traits weniger verhaltenswirksam und werden dort auch als weniger stabil angesehen, da situative Anforderungen dort eine höhere subjektive Bedeutung und einen stärkeren Einfluss haben (Church, 2000). Dies jedoch als Ausdruck eines geringeren Bedürfnisses nach kognitiver Konsistenz zwischen Einstellungen und Verhalten zu deuten, wäre ein ethnozentrisch geprägter Fehlschluss, der die Priorität von sozialorientierten Werten für Verhalten in kollektivistischen Kulturen übersieht. Diese Befunde stellen die universelle Gültigkeit des traditionellen Persönlichkeitskonzeptes an sich in Frage. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Kulturspezifika und individuelle Entwicklung In Ostasien wurde ein eher holistisches und Widersprüche vereinbarendes Denken im Gegensatz zu einem eher nach abstrakten Prinzipien organisierten westlichen Denken nachgewiesen (Nisbett, 2003). Angehörige kollektivistischer Kulturen attribuieren eher auf externe situative Bedingungen, sie zeigen im Sozialverhalten (das bevorzugt auf wenige enge Beziehungen der Eigengruppe beschränkt ist) mehr Konformität und Kooperation und weniger Konflikt und Aggressivität, sie bringen eher beziehungs- als selbstorientierte Emotionen zum Ausdruck, und ihre Leistungs- und Hilfemotivation ist eher pflichtorientiert und weniger auf das Selbst als auf die Eigengruppe bezogen. Diese verschiedenen kognitiven, sozialen, emotionalen und motivationalen Präferenzen und Fähigkeiten haben vermutlich jeweils unterschiedliche Anpassungsfunktionen in den verschiedenen Kulturkontexten. Kulturspezifische Entwicklungsaufgaben und -bedingungen (u. a. Eltern-Kind-Beziehung) vermitteln die jeweils „optimalen“ Fähigkeiten über entsprechende Entwicklungspfade (vgl. Greenfield, Keller, Fuligni & Maynard, 2003) und deren Transmission über Generationen. Diese entwicklungspsychologisch fundierte Sichtweise erweitert den statischen um einen dynamischen Ansatz, der allerdings kulturvergleichende Längsschnittstudien erfordert.

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Methodische Probleme des Kulturvergleichs

Kulturvergleichende Studien sind oft entweder auf Vergleiche der Ausprägung bestimmter Variablen (level-orientierte Studien) oder auf Vergleiche von Zusammenhängen zwischen Variablen (struktur-orientierte Studien) ausgerichtet (vgl. Van de Vijver, in Druck). Ein Beispiel für den ersteren Fall sind Kulturvergleiche zur unterschiedlichen Ausprägung der Big Five. Beispiele für struktur-orientierte Studien sind Kulturvergleiche zum Zusammenhang zwischen mütterlicher Sensitivität und Bindungssicherheit des Kindes. Ob Kulturvergleiche auf Ausprägung und/oder Struktur fokussieren, ist mit der Frage der kulturübergreifenden Äquivalenz und damit der interkulturellen Vergleichbarkeit von Konstrukten und Instrumenten verbunden. Drei Stufen der Äquivalenz sind zu unterscheiden: Konstruktäquivalenz liegt vor, wenn das gemessene Konstrukt in verschiedenen Kulturen dasselbe bedeutet. Wenn zusätzlich bei einem Instrument die Skalenabstände zwischen Kulturen vergleichbar sind, liegt Messeinheitsäquivalenz vor. Die höchste Form der Äquivalenz ist die vollständige Skalenäquivalenz, bei der auch der Skalennullpunkt über die Kulturen identisch ist. Während für eine struktur-orientierte Studie das Vorliegen von Konstruktäquivalenz ausreicht, ist für Vergleiche der Ausprägungen von Variablen streng genommen

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vollständige Skalenäquivalenz erforderlich. Diese höchste Stufe der Äquivalenz ist allerdings schwer erreichbar, da Kulturvergleiche anfällig für systematische Fehlerquellen (Bias) sind.

Bias Bias kann auf verschiedenen Ebenen auftreten. Konstruktbias besteht, wenn das gemessene Konstrukt in den untersuchten Kulturen nicht identisch ist und andere Merkmale umfasst. So sind z. B. Intelligenz, soziale Kompetenz, Selbstkontrolle oder „filiale Pietät“ in verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen Verhaltensweisen verbunden. Drei Arten von Methodenbias werden unterschieden: 1. Stichprobenbias bezieht sich auf die Nichtvergleichbarkeit von in verschiedenen Kulturen erhobenen Stichproben (z. B. unterschiedlicher Bildungsstand); 2. Instrumentenbias bedeutet einen kulturspezifisch unterschiedlichen Umgang mit Instrumenten durch die Probanden, was zu systematischen Effekten führt (z. B. differentielle Bevorzugung von Extremwerten einer Skala in verschiedenen Kulturen); 3. Durchführungsbias kann z. B. durch Kommunikationsprobleme zwischen Interviewern und Interviewten auf Grund unterschiedlicher Muttersprachen entstehen. Eine weitere Biasform, Itembias, liegt vor, wenn Personen unterschiedlicher kultureller Herkunft, die z. B. denselben Mittelwert im Gesamtscore eines Intelligenztests aufweisen, auf einem Item dieses Tests einen unterschiedlichen Mittelwert zeigen (differentielle Itemfunktion).

Die Prüfung der Konstruktäquivalenz in verschiedenen Kulturen ist zum Beispiel durch konfirmatorische Faktorenanalysen mit Äquivalenztests der Faktorladungen möglich. Oft ist es aber auch notwendig, z. B. über exploratorische Faktorenanalysen bestimmte „Core-Items“ zu bestimmen, die den transkulturellen Kern eines Konstruktes ausmachen. Die Gefahr dieses Vorgehens besteht darin, dass Operationalisierungen so weit vereinfacht werden, dass sie das Konstrukt nicht mehr vollständig repräsentieren sowie Kulturspezifika außer Acht lassen. Kulturvergleichende Analysen können sowohl auf der Kulturebene (mit Kulturen als Untersuchungseinheiten) als auch auf der Individualebene (mit Individuen als Untersuchungseinheiten) durchgeführt werden. Eine Möglichkeit zur Verknüpfung dieser beiden Analyseebenen ist die Mehrebenenanalyse (vgl. Meulemann, 2002). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Beispiel einer Mehrebenenanalyse: Werden Personen aus mehreren Kulturen bezüglich eines Zusammenhanges von Variablen verglichen, ist eine Schätzung des Effekts der unabhängigen Variablen sowohl auf der Individualebene als auch auf der Kulturebene möglich. Um z. B. den Einfluss idiozentrischer Werthaltungen auf die Leistungsmotivation zu ermitteln, wird neben dem Idiozentrismus auf der Individualebene auch der Mittelwert für jede Kultur als Prädiktor in eine Regressionsanalyse aufgenommen. Der individuelle oder „Within“-Effekt ergibt dann den über alle Kulturen gemittelten individuellen Effekt von Idiozentrismus auf die Leistungsmotivation. Der Kultur- oder „Between“-Effekt zeigt an, ob zusätzlich zum individuellen Effekt auch der durchschnittliche Idiozentrismus in den verschiedenen Kulturen einen Einfluss auf die abhängige Variable hat. Beispielsweise könnte in allen Kulturen (auf der Individualebene) hoher Idiozentrismus mit hoher Leistungsmotivation einhergehen, aber gleichzeitig in Kulturen mit durchschnittlich höherem Idiozentrismus eine eher geringere durchschnittliche Leistungsmotivation (in individualistischen westlichen im Vergleich zu kollektivistischen ostasiatischen Kulturen) bestehen. Hier wäre dann ein positiver Effekt auf der Individualebene mit einem negativen Effekt auf der Kulturebene verbunden. Dieses Vorgehen ist vergleichbar mit dem Hierarchisch Linearen Modell (HLM), das auf der Kulturebene zufällige Effekte feststellt.

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Ausblick

Durch Kulturvergleiche kann die Funktion von Umweltbedingungen (Kultur, spezifische Situation) für die Entwicklung von Persönlichkeitsdifferenzen u. a. in „quasi-natürlichen Experimenten“ bei teilweiser Kontrolle der theoretisch einflussreichen Faktoren geprüft werden. Zum Beispiel konnte so die grundlegende Annahme des bislang in westlichen Kulturen geprüften traditionellen Trait-psychologischen Ansatzes in Frage gestellt und gezeigt werden, dass situative Varianz in asiatischen Kulturen häufiger auftritt und dort als angemessen geschätzt wird. Durch eine Integration emischer und etischer Ansätze können Kulturvergleiche einen wichtigen Beitrag zu einer kulturinformierten Theorie der Persönlichkeit leisten. Dabei müssen kulturspezifische wie universelle Aspekte der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Entwicklung gleichermaßen berücksichtigt werden.

Weiterführende Literatur Berry, J. W., Poortinga, Y. H., Segall, M. H. & Dasen, P. R. (2002). Cross-cultural psychology: Research and applications (2nd ed.). New York: Cambridge University Press.

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Helfrich, H. (2004). Individualität und Persönlichkeit im Kulturvergleich. In K. Pawlik (Hrsg.), Theorien und Anwendungsfelder der Differentiellen Psychologie (S. 1019– 1087). Göttingen: Hogrefe. Markus, H. R. & Kitayama, S. (1991). Culture and the self: Implications for cognition, emotion, and motivation. Psychological Review, 98, 224–253. Matsumoto, D. (2001). The handbook of culture and psychology. New York: Oxford University Press. Thomas, A. (Hrsg.). (2003) Kulturvergleichende Psychologie: Eine Einführung (2., überarb. u. erw. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Van de Vijver, F. J. R. & Leung, K. (1997). Methods and data analysis for cross-cultural research. London: Sage.

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IV Grundlegende Dimensionen interindividueller Unterschiede

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Eigenschaften Traits Petra Netter

Ehe in nachfolgenden Kapiteln einige spezifische Eigenschaften abgehandelt werden, wie Neurotizismus oder Extraversion, ist es zweckmäßig, den Eigenschaftsbegriff in seinen Definitionen und Abgrenzungen sowie nach seinen inhaltlichen und formalen Klassifikationen vorzustellen.

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Zur Verwendung des Eigenschaftsbegriffes

Das Wort Eigenschaft ist in der Psychologie mit einem Hauch von Vergangenheit assoziiert, da es primär in der alten Charakterologie verwendet wurde. Heute findet man eher die Bezeichnung Konstrukte, Dimensionen, gelegentlich auch einfach Merkmale, Variablen oder im Neuzeitalter der Anglizismen das Wort „Traits“. Nicht alle sind komplett synonym. Dies hat mit dem Verständniswandel des Begriffes in der Psychologie zu tun. Frühe Nennungen von Eigenschaften finden sich in der Phrenologie von Franz Joseph Gall (Gall & Spurzheim, 1876, zit. nach Stern, 1921), bei welcher verschiedenen Schädelregionen verschiedene Eigenschaften zugeschrieben wurden. Die im 19. Jahrhundert aufkommende Charakterologie und Grafologie sprach von affinen und diffusen Eigenschaften, um Nähe und Verwandtschaft von Merkmalen zu charakterisieren. Die Konstitutionstypologie des beginnenden 20. Jahrhunderts fasste körperliche und psychische Merkmale als Entitäten auf. Dagegen drückt der in der moderneren Psychologie verwendete Begriff „Konstrukt“ aus, dass beobachtbares Verhalten der Ausdruck eines dahinterliegenden, aber niemals selbst in Erscheinung tretenden Phänomens ist, welches aus sichtbaren Elementen erschlossen wird. Der Begriff „Persönlichkeitsdimension“ entstand mit der Entwicklung der Psychometrie und Statistik, um zu unterstreichen, dass Eigenschaften nicht qualitative Einheiten sind, sondern dass ihnen eine quantitative Ausdehnung zugeschrieben wird. Vielfach wird auch in allgemeinerer Form mit dem Begriff „Merkmal“ oder „Variable“ operiert, um einen Überbegriff zu signalisieren zwischen aktuellen bzw. flüchtigen Merkmalen und überdauernden. Im Zuge der heutigen Anglizismen findet man auch mehr und mehr in deutschsprachigen Texten den Ausdruck „Trait“ für den Begriff „Eigenschaft“. Theo Herrmann (1991) weist auf die unterschiedliche sprachliche Verwendung des Begriffes hin: in adverbialer Verwendung würde etwa die Eigenschaft „dumm“ besagen, „jemand benimmt sich dumm“, in adjektivischer Verwendung würde es heißen, „Person A ist dumm“, in substantivierter Form würde die Formulierung

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lauten „Die Dummheit von Person A ist besonders ausgeprägt“. Dies hat eine enge Beziehung zu dem später zu referierenden Unterschied zwischen Zuständen (States) und überdauernden Eigenschaften (Traits).

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Merkmale einer Eigenschaft

Merkmale einer Eigenschaft Bei fast allen Eigenschaftsdefinitionen in Lexika oder persönlichkeitspsychologischen Lehrbüchern wird bei der Definition des Begriffes Eigenschaft einhellig festgehalten, dass folgende Merkmale dazu gehören: 1. Konstanz (über die Zeit oder verschiedene gleichartige Situationen wiederholt beobachtbar), 2. Generalität (durch verschiedene ähnliche Verhaltensweisen gekennzeichnet), 3. Universalität (bei allen Individuen beobachtbar). Die Konstanz beinhaltet die Begriffe stabil, überdauernd, und meint in verschiedenen Situationen und Zeitpunkten in gleicher Weise wiederkehrendes Verhalten, wobei Cattell (1966) die Unterscheidung trifft zwischen der Konstanz über Zeitpunkte in identischen Situationen (= Stabilität) und Konstanz über Situationen (= transsituative Konsistenz, Beispiel: Gute Leitung in verschiedenen Leistungssituationen). Die Generalität bezieht sich darauf, dass breitere Verhaltensmerkmale aus einzelnen Beobachtungen erschlossen werden können, d. h. der Begriff „dumm“ würde sich, um der Definition von „Eigenschaft“ gerecht werden zu können, nicht nur in einem Schulfach, einer Testsituation oder einer praktischen Aufgabe manifestieren, sondern in verschiedenen verwandten Situationen und Anforderungen. Die Universalität bezieht sich darauf, dass diese Eigenschaft in allen Menschen, Zeiten, Kulturen beobachtbar sein soll. Dieser Aspekt ist, wie man unten sehen wird, methodisch problematisch.

3

Zustands- und Dispositionseigenschaften

In den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts entwickelte sich zunehmend eine Kritik an der Vorstellung von festen charakterlichen Gefügen, und es entbrannte in der psychologischen Wissenschaft eine heftige Kontroverse zwischen den Verfechtern der Vorstellung rein situativ bedingten Verhaltens gegenüber den Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Verfechtern der Eigenschaftstheorie (States vs. Traits, vgl. Pervin, 1994). Das berühmt gewordene Experiment von Hartshorne und May (1928) wurde als Hauptargumentation für die situationistische Position herangezogen. Die Autoren hatten mehreren hundert Kindern der 5. bis 8. Volksschulklasse in einem Experiment die Gelegenheit gegeben, zu lügen, zu betrügen und zu stehlen. Es sollte hiermit die Generalität der Eigenschaft Ehrlichkeit untersucht werden. Da diese Verhaltensweisen alle im Durchschnitt nur zu r = .13 korrelierten, folgerten die Autoren, dass es kein übergreifendes Konstrukt der Ehrlichkeit gab, sondern dass sich das Verhalten der Kinder aus sehr verschiedenen Motiven herleiten ließ (vgl. Abb. 1).

A

Fur cht sam keit Stehlen

Vermeintliche Eigenschaft der Unehrlichkeit (r = + .132)



Lügen

Lob



Hunge r nach

Me ch Int anis er es che se s

C

D

Aggressivität

B

Mi ke nde its rw -K er om tig ple x

IV

An h an äng de lich n L ke eh it rer

E

F

Abbildung 1: Mögliche Motivationsquellen für das Verhalten von Stehlen und Lügen im

Experiment von Hartshorne und May nach Allport (1949, S. 251) (Gestrichelte Linie = durch Untersuchung erfasste Eigenschaft, Ausgezogene Ellipsen = tatsächliche persönliche Disposition)

Eine Reihe von Gegenargumenten wird inzwischen im Kontext mit dieser Debatte genannt (➝ Interaktionistische Ansätze). Die wichtigsten stammen von Allport (1949). Allports Argumente gegen Zweifel an Traits auf Grund des Experiments von Hartshorne und May (1928) 1. Bei Kindern ist das Verhalten noch nicht so konsistent wie bei Erwachsenen. 2. Die Generalität von Eigenschaften kann nicht über moralische Eigenschaften getestet werden, da diese kulturabhängig sind und zudem sich bei Kindern erst später zu Einheiten verfestigen.

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3. Die ausgewählten Verhaltensstichproben haben eine sehr geringe Reliabilität (Einzelitems sind immer geringer reliabel als Skalen), und damit haben sie auch eine geringe Interkorrelation. 4. Einzelitems, die im Durchschnitt überhaupt positiv korrelieren, sind kein Gegenargument gegen die Existenz von Traits, da auch Einzelitems, die zu einem Test zusammengeführt werden, häufig geringe Interitemkorrelationen haben. 5. Vor allem kann eine intraindividuelle Konsistenz, d. h. eine Konstanz pro Person, durchaus gegeben sein, auch wenn interindividuell diese Verhaltensweisen gering korreliert sind.

Die Situationsabhängigkeit und die damit einhergehende intraindividuelle Variabilität von Verhalten (Fiske & Rice, 1955) wird zum Teil auch heute noch von einigen Vertretern verteidigt (z. B. Mischel, 2004) und bildet auch die Basis der meisten verhaltenstherapeutischen Theorien und Behandlungsstrategien. Eine Kompromisslösung wurde aber dann im so genannten Interaktionismus gefunden (➝ Interaktionistische Ansätze), welche gestattet, das Verhalten eines Individuums in einer bestimmten Situation reliabel vorauszusagen (vgl. Bem & Allen, 1974). Dies würde in der statistisch definierten Form besagen, dass es eine Interaktion zwischen Situation und Person gibt, d. h. dass der Unterschied der Reaktion auf Situation A und B bei einigen Personen anders ausfällt als bei anderen. Beispielsweise könnten ängstliche Personen beim Zahnarzt weniger Angst haben als beim Examen, nicht ängstliche aber gleich hohe Angst in beiden Situationen. Für spezifische Situationen ist aber das Verhalten dann intraindividuell vorhersagbar.

4

Arten von Eigenschaften

4.1

Formale Kategorisierung (Skalenniveau)

Eigenschaften lassen sich formal nach ihrem Skalenniveau untergliedern. Man spricht von qualitativen Eigenschaften, die dem Nominalskalenniveau entsprechen und quantitativen Eigenschaften, die auf Ordinal-, Intervall- oder Verhältnisskalenniveau gemessen werden können. Echte qualitative Eigenschaften gibt es praktisch kaum. Eines der wenigen Beispiele ist das Geschlecht (männlich/weiblich), das dem Nominalskalenniveau entspricht. Fast alle übrigen Merkmale, auch solche, die in der Typologie und in der Charakterologie verwendet werden, wie dick/dünn, repräsentieren letztlich keine Alternativmerkmale, sondern lassen sich auf Ordinalskalenniveau in eine Rangreihe bringen. Bei so genannten halbquantitativen Eigenschaften ist dies explizit so konzipiert worden, wie z. B. in der Typologie von Sheldon die Abstufung der Endomorphie (Ausprägung des Körperfettgewebes) auf einer Rangskala von 1 bis 7. Schließlich gibt es die rein quantitativen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Merkmale, die zum Teil aber auch, wie die meisten Eigenschaften aus Fragebogenskalen, nur Ordinalskalenniveau haben. Andere Eigenschaften sind bereits auf einer Intervallskala skalierbar, d. h. einer solchen, bei der die Abstände gleich sind, wie etwa Intelligenztestwerte oder Stanine-Werte im Freiburger Persönlichkeitsinventar. Manche Eigenschaften sind sogar auf einer Verhältnisskala erfassbar, d. h. einer solchen, die von einem absoluten Nullpunkt ausgeht, und bei der Vielfache berechnet werden können, wie etwa bei Reaktionszeiten oder Atemfrequenz. Bei der Kategorie der so genannten qualitativen Merkmale ist anzumerken, dass sie letztlich auch quantitative Merkmale mit einer 0/1-Skalierung darstellen und damit einer korrelativen Auswertungstechnik zugänglich sind. Dies berührt das bereits definierte Eigenschaftscharakteristikum der Universalität, da die Angabe vorhanden/nicht vorhanden auch eine universell erhebbare Eigenschaft ist (z. B. Wahnvorstellungen bei Schizophrenen als nicht vorhanden klassifiziert in gesunden Populationen). Unter dieser dichotomen Vorstellung ist auch praktisch durch die Ausprägung „nicht vorhanden“ jedes Merkmal von einer gewissen Universalität. 4.2

Inhaltliche Kategorisierung

Zunächst lassen sich Eigenschaften danach einteilen, welchem Element der Kette Reiz-Organismus-Reaktion sie zugeordnet werden können, denn selbstverständlich lassen sich auch Reize, die einer bestimmten Situation entsprechen, Eigenschaften zuordnen (z. B. Bedrohlichkeit einer Situation). Die unter der Eigenschaftstheorie gängig verstandenen Variablen beziehen sich auf den Organismus selbst, aber auch Reaktionsvariablen (z. B. Tempo einer Reaktion) und so genannte Außenvariablen (z. B. Größe des Wohnorts einer Person) können Eigenschaftscharakter annehmen (vgl. 1991). Herrmann nimmt weiterhin eine Untergliederung nach Außenvariablen, solchen der Vergangenheit und aktuellen Variablen vor und unterteilt diese ferner in solche, die nur subjektiv oder auch objektiv ermittelbar sind (vgl. Tab. 1). Dem Leser wird ersichtlich, dass viele dieser aufgelisteten Merkmale nicht die Qualität einer Eigenschaft haben, da ihnen das Merkmal der Konstanz fehlt, aber situative Eigenschaften werden in vielen Theorien auch als persönlichkeitspsychologisch bedeutsame Merkmale aufgefasst. So hat Cattell (Cattell & Dreger, 1977) zusätzlich zu seinen so genannten „source traits“ (= Grundeigenschaften) auch solche der situativen Zustände und der Rolle definiert und damit impliziert, dass z. B. die Eigenschaft „gütig“ in der Rolle des Vaters eine andere Bedeutung als in der Rolle des Vorgesetzten haben kann, und dass verschiedene Rolleneigenschaften eine intraindividuelle Konsistenz innerhalb der Person aufweisen können (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze). Eine erste grobe Untergliederung von verschiedenen Eigenschaftsbereichen gibt Guilford (1964) in seinem inzwischen vielfach zitierten „Stern“, der die Bereiche Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Tabelle 1: Arten von Merkmalen, die zu Eigenschaftsangaben herangezogen werden nach

Hermann (1969)

Bezug

Situation

Beispiel und Erfassungsmodus nach Cattell und Dreger (1977)

Art der Variablen (nach Herrmann, 1969) a

Lichtreiz

(T)

v

Frage nach Einstellung zum Lehrer (Q)

S Reizvariable

Oa O Organismische Variable

Pulsfrequenz

(T)

Ov

Frühere Krankheit

(L)

Ra

Druck auf Taste

(T)

Rv

Antwort auf Frage nach Kindheitserlebnis (Q)

Ao

Geschwisterzahl

(L)

As

Beurteilung durch Lehrherrn

(L)

R Reaktionsvariable Individuum

A Außenvariable

Anmerkungen: a = aktuell v = vergangen s = subjektiv T-Daten = Objektive Tests, experimentelle Beobachtung Q-Daten = Fragebogen, Interview (Selbstbeurteilung) L-Daten = Biographische Angaben und Fremdbeurteilung

der Eigenschaften über den Persönlichkeits- und Fähigkeitsbereich hinaus in den Bereich von Motiven, Interessen und Einstellungen ausdehnt und auch morphologische und physiologische Eigenschaften hinzufügt (vgl. Abb. 2). Cattell nimmt ebenfalls eine Unterteilung von Eigenschaftsdimensionen vor in dynamische und solche, die kulturabhängig sind, wie Einstellungen, Interessen und so genannte „sentiments“ (Werthaltungen), die sich aber alle aus dynamischen Grundeigenschaften („ergs“) speisen. Auf der eher beschreibenden Ebene werden die Temperamente und Fähigkeiten aufgelistet. Guilford und Cattell ist gemeinsam, dass sie unter Temperament-Traits all die Eigenschaften zusammenfassen, die wir heute als Persönlichkeitsdimensionen im engeren Sinne auffassen, wie ExtraDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Einstellungen

Eigenschaften

Int er es se n

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t en m a r pe m Te

Persönlichkeit Fähig keite n

e rfniss Bedü

gie olo rph Mo

Ph ysi olo gie

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Abbildung 2: Gruppierung der Wesenszüge in sieben Persönlichkeitsbereiche (nach Guil-

ford, 1964, S. 9)

version, Neurotizismus, Ängstlichkeit, Aggressivität usw. Dies unterscheidet den hier verwendeten Temperamentsbegriff von der gängigen Temperamentsdefinition (➝ Temperament). 4.3

Deskriptive versus explikative Eigenschaften

Die Tatsache, dass bestimmte Eigenschaften als dynamische und andere als mehr statische angesehen werden, berührt die Einteilung von Konstrukten in deskriptive und explikative. Zu den deskriptiven Konstrukten gehören solche, die auf faktorenanalytischen Persönlichkeitstheorien, Typologien und Schichtentheorien basieren. Die explikativen entstammen eher den psychodynamischen Theorien, wie Jung, Adler, Freud und Murray, oder den lerntheoretischen oder kybernetischen Ansätzen, aber, wie oben beschrieben, auch aus der Theorie des Faktorenanalytikers Cattell. Bei deskriptiven Konstrukten wird darauf verzichtet, zu ergründen, warum bestimmte Eigenschaften zusammen auftreten, bei explikativen werden sie als Erklärungsversuche für andere Eigenschaften und bestimmte Verhaltensweisen herangezogen. In die Gruppe der deskriptiven Eigenschaften gehören z. B. Beschreibungen von Merkmalen der Körperkonstitution, die für bestimmte Charaktereigenschaften stehen. Hier wird nicht erklärt, warum sie zusammengehören. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Die explikativen Modelle würden eher unterstellen, dass jede Tendenz, eine bestimmte Verhaltensweise zu zeigen, erklärbar ist, z. B. durch Lernerfahrung, wie etwa die generalisierten Erwartungen „externale versus internale Attributionstendenz“ im Sinne Rotters (1966) (➝ Lerntheoretische Ansätze), durch einen genetischen Polymorphismus im Genom, der die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung eines bestimmten Verhaltens erhöht (z. B. höhere Neurotizismuswerte bei der Ausprägung eines spezifischen Polymorphismus des Serotonintransporters; ➝ Neurotizismus) oder extravertiertes Abwechslungsbedürfnis, bedingt durch mangelnde kortikale Erregbarkeit; ➝ Biologische Persönlichkeitstheorien; ➝ Extraversion). Es ist allerdings noch unklar, wie die Kausalkette zwischen biologischen Spezifika und dem späteren Verhalten wirklich vorzustellen ist.

5

Die Hierarchie von Eigenschaften

Es wurde bereits an vielen Stellen klar, dass das einzelne Verhalten in einer spezifischen Situation nicht dem oben genannten Eigenschaftskriterium der Konstanz entspricht und dennoch häufig als Eigenschaft bezeichnet wird, zumindest als Merkmal oder Variable. Im Experiment von Hartshorne und May (1928) wurde z. B. isoliertes Verhalten in einer Beobachtungssituation als Indikator für eine Eigenschaft gewertet. Daher haben die meisten Autoren die Vorstellung, dass sich diese spezifischen Verhaltensweisen zu einer übergeordneten Gewohnheit addieren müssen, um zumindest die unterste Stufe einer gewissen Konstanz zu erreichen. Viele Gewohnheiten aber addieren sich zu einer Eigenschaft und diese wiederum zu übergeordneten so genannten Typeneigenschaften (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze). Ein spezifisches Problem ist bei dieser hierarchischen Vorstellung jedoch, dass nicht, wie beispielsweise von Eysenck konzipiert, spezifische Verhaltensweisen zu ganz bestimmten Gewohnheiten zusammenfließen und diese wiederum eindeutig auf bestimmte Eigenschaften auf dem Trait-Niveau hinweisen, die sich wiederum mit anderen solchen zum Typus-Niveau verbinden. Vielmehr entspricht die Hierarchie eher einer solchen wie in Abbildung 3 dargestellt. Das spezifische Verhalten mag darin bestehen, dass jemand ins Wasser springt, wenn ein Kind in den Fluss gefallen ist. Dies könnte auf verschiedene Gewohnheiten schließen lassen, entweder schnell zu handeln oder spontan Hilfeleistung anzubieten, dies wiederum kann auf verschiedene Eigenschaften auf dem Trait-Niveau hindeuten (Mut, Altruismus, schnelles aktionsbezogenes Temperament, vielleicht auch Selbstdarstellungsbedürfnis), und diese Traits können sich entweder zu dem übergeordneten Typusbegriff der Extraversion (Mut, Führungseigenschaft, Aktiviertheit) oder zu der Typuseigenschaft der psychischen Stabilität (Freiheit von Grübelei und Ängstlichkeit) zusammenfügen. Das heißt also, dass spezifische Verhaltensweisen per se noch keine Rückschlüsse über die zu Grunde liegenden Eigenschaften oder Konstrukte liefern und somit immer der Absicherung durch weitere Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Typus

I

Eigenschaften

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A

Gewohnheiten

Spezifische Reaktionen

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B

1

a

2

b

c

3

d

e

f

C

D

4

g

h

5

i

6

j

k

Abbildung 3: Hierarchie und Verknüpfungsmöglichkeiten psychischer Merkmale

spezifische Verhaltensbeobachtungen oder subjektive Angaben bedürfen. Das ist der Grund dafür, dass viele Fragen zu Persönlichkeitsskalen zusammengefügt und auf ihre Interkorrelation getestet werden, und dass Skalensummenwerte reliabler und valider eine Eigenschaft erfassen als eine Einzelfrage.

6

Die Gewinnung von Eigenschaften

Es wurde bisher davon ausgegangen, dass Eigenschaften phänomenologische Einheiten sind, aber bereits in dem Experiment von Hartshorne und May (1928) war evident geworden, dass die Korrelation zwischen Verhaltensweisen etwas über ihre Zusammengehörigkeit in einer übergeordneten Eigenschaft aussagt. In der noch weitgehend vorstatistischen Ära bediente sich die Charakterologie und die Typologie der Beschreibung so genannter affiner und diffuser Eigenschaften, in der solche, die nach der Alltagslogik als zusammengehörig empfunden wurden, als wechselseitige Prädiktoren verstanden wurden. Eine statistische Fortentwicklung davon waren taxonomische Ansätze, d. h. solche, die auf Grund von korrelativ ermittelten Ähnlichkeiten oder später durch Cluster-Analysen die Zusammengehörigkeit von Eigenschaften durch eine Art von Stammbäumen definierten, in welchen, ähnlich wie bei der bereits vorgestellten Hierarchie, jeweils Eigenschaften zu höheren Einheiten und diese wieder zu noch darüber gelegenen zusammengefasst wurden. Auf dieser taxonomischen Basis geht auch der so

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genannte lexikalische Ansatz vor, bei dem Begriffe zur Beschreibung von Menschen aus dem Lexikon zusammengetragen und Synonyme als redundant eliminiert werden (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze). Mit der Nutzung der Korrelationstechniken für die Persönlichkeitspsychologie hat Cattell (1966) mit Hilfe seiner „covariation chart“ aufgezeigt, dass Eigenschaften nicht nur durch Korrelationen in einer Stichprobe von Personen gewonnen werden können (so genannte R-Technik), sondern auch beim Vergleich von Personen über mehrere Merkmale (Q-Technik) oder bei der Korrelation zweier Merkmale über eine Serie von Zeitpunkten innerhalb einer Person (P-Technik) oder als Maß für die Stabilität durch Korrelation verschiedener Zeitpunkte innerhalb einer Personenstichprobe (T-Technik). Diese methodischen Zugangswege erweiterten das von William Stern (1921) bereits für die Betrachtungsrichtungen der Differentiellen Psychologie erarbeitete Schema der Korrelationsforschung (Merkmale über Personen korreliert) und Komparationsforschung (Personen über Merkmale korreliert). Cattell hat damit aufgezeigt, dass der Begriff Eigenschaft sich auch auf Stabilität oder die gemeinsame Variation eines Merkmals über die Zeit beziehen kann, oder bei der Korrelation zwischen Personen über eine Serie von Merkmalen zu so genannten Typen führen kann, d. h. zu Gruppen von Personen, die durch Ähnlichkeiten in einer Reihe von Merkmalen definiert sind. Diese verschiedenen Korrelationstechniken waren dann wiederum häufig auch die Basis für weiterführende Faktorenanalysen, so dass der Begriff Eigenschaft sich auch auf die Qualitäten einer Eigenschaft, nämlich ihre Stabilität oder Kovariation mit anderen Merkmalen, bezog. Die meisten neueren fragebogenbasierten Eigenschaften wurden durch Faktorenanalysen auf der Basis der R-Technik gewonnen, wobei die Art der Faktorenrotation darüber entscheidet, ob die Faktoren als weit gehend unabhängig konzipiert werden können (orthogonale Rotation) oder als durchaus noch voneinander abhängig (schiefwinklige Rotation). Oft stellt sich heraus, dass die als unabhängig konzipierten Faktoren und Eigenschaften, wie etwa Extraversion und Neurotizismus, in weiterführenden Analysen doch wieder bis zu einem gewissen Grad korreliert sind (neurotische Personen sind häufiger introvertiert als extravertiert).

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Die Organisation von Eigenschaften in Persönlichkeitstheorien

Das Bedürfnis der Persönlichkeitspsychologie, dem Begriff der Struktur innerhalb der Persönlichkeit gerecht zu werden, hat dazu geführt, dass in vielen Modellen die Eigenschaften auch als einer gewissen Ordnung unterworfen verstanden werden. In verschiedenen Theorien herrscht die z. T. aus der Philosophie (z. B. Aristoteles) übernommene Vorstellung vor, dass Eigenschaften aus dem physischen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Bereich den Gefühlseigenschaften untergeordnet sind und diese wiederum von den kognitiven Eigenschaften regiert werden (z. B. Lersch, 1951). Eine ähnlich Idee liegt dem Instanzenmodell von Freud (➝ Psychoanalytische Persönlichkeitstheorien) zu Grunde. Die Frage der Einzigartigkeit, welche in verschiedenen Persönlichkeitsdefinitionen angesprochen wird (vgl. Allport, 1949), kommt dann durch die unterschiedliche Ausprägung von Merkmalen innerhalb jeder Person zu Stande. So hat man z. B. in der psychophysiologischen Persönlichkeitsforschung den Begriff der Individualspezifität für den Umstand geprägt, dass verschiedene physiologische Systeme (z. B. Kreislauf, Endokrinium) je nach Individuum in unterschiedlicher Stärke bei einer bestimmten Beanspruchung ansprechen. Dies wiederum kann pro StressSituation innerhalb eines Individuums variieren, was dann die „situationsspezifische Individualspezifität“ definiert und erklärt, dass auch bei einer endlichen Zahl von Merkmalen eine unendliche Vielzahl von unterschiedlichen individuellen Merkmalsmustern resultieren kann.

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Fazit

Wenn man das hier Dargelegte an den Kriterien misst, die Allport (1966) schon in seiner Abhandlung über Eigenschaften auflistete, so kann man die von ihm genannten acht Feststellungen auch heute noch als gültig ansehen:

Allports Feststellungen zu Eigenschaften 1. Eigenschaften haben immer eine dimensionale Ausdehnung, sind also nicht einfach auf Nominalskalenniveau zu verstehen. 2. Sie haben einen hierarchischen Aufbau, sind also breiter als Gewohnheiten. 3. Sie sind zu Grunde liegende Dispositionen, die das Verhalten determinieren und haben damit fast alle einen dynamischen Charakter (hier muss allerdings einschränkend gesagt werden, dass es auch rein deskriptive Eigenschaften gibt, die nicht aus Verhaltensweisen erschlossen werden müssen; z. B. Größe, Schönheit) 4. Die Existenz von Eigenschaften ist empirisch überprüfbar (dies wäre durch die Faktorenanalysen und durch Verhaltensexperimente belegt). 5. Eigenschaften sind nur relativ unabhängig von anderen. Viele haben gemeinsame Varianzanteile und können trotzdem als getrennte Merkmale betrachtet werden. 6. Sie sind keine Produkte sozialer oder moralischer Bewertung (dies würde der Abgrenzung der Grundeigenschaften von Oberflächeneigenschaften im Sinne von Cattell entsprechen).

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7. Sie können idiographisch oder nomothetisch betrachtet werden (d. h. sowohl für intraindividuelle Vergleiche und Beschreibungen von Individuen als auch für Personenvergleiche dienen) und erfüllen damit den Anspruch der Universalität. 8. Auch wenn Handlungen oder Gewohnheiten inkonsistent sind (vgl. Hartshorne & May, 1928), sind sie kein Beweis gegen die Existenz von Eigenschaften.

Zu Allports Kriterien ließe sich im Sinne von Herrmann (1991) hinzufügen: Im weitesten Sinne können Eigenschaften als Merkmale oder Variablen aufgefasst werden, in die dann neben Organismusvariablen auch Eigenschaften der Reizqualitäten und Reaktionen einbezogen werden können.

Weiterführende Literatur Brody, N. (1994) Traits. In V. S. Ramachandran (Ed.), Encyclopedia of human behaviour (pp. 419–425). New York: Academic Press. Buss, A. H. (1989). Personality as traits. American Psychologist, 44, 1378–1388.

Literatur Allport, G. W. (1949). Persönlichkeit. Struktur, Entwicklung und Erfassung der menschlichen Eigenart. Meisenheim a. Gl.: Anton Hain. Allport, G. W. (1966). Traits revisited. American Psychologist, 21, 1–10. Bem, D. J. & Allen, A. (1974). On predicting some of the people some of the time: the search for cross-situational consistencies in behavior. Psychological Review, 81, 506–520. Cattell, R. B. (1957). Personality and motivation: Structure and measurement. New York: World Book. Cattell, R. B. (1966). Handbook of multivariate experimental psychology. Chicago: Rand McNally. Cattell, R. B. & Dreger, M. (Eds.). (1977). Handbook of modern personality theory. New York: Wiley. Eysenck, H. J. & Eysenck, M. W. (1985). Personality and individual differences: a natural science approach. New York: Plenum Press. Fiske, D. W. & Rice, L. (1955). Intra-individual response variability. Psychological Bulletin, 52, 217–250. Graumann, C. F. (1960). Eigenschaften als Problem der Persönlichkeits-Forschung. In Ph. Lersch & H. Thomae (Hrsg.), Handbuch der Psychologie, Band 4: Persönlichkeitsforschung und Persönlichkeitstheorie (S. 87–154). Göttingen: Hogrefe. Guilford, J. P. (1964). Persönlichkeit. Weinheim: Beltz. Hartshorne, H. & May, M. A. (1928). Studies in the nature of character. Volume I. Studies in deceit. New York: McMillan.

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Herrmann, T. (1991). Lehrbuch der empirischen Persönlichkeitsforschung. Göttingen: Hogrefe. Lersch, Ph. (1951). Aufbau der Person. München: Barth. Mischel, W. (2004). Toward an integrative science of the person. Annual Review of Psychology, 55, 1–22. Pervin, L. A. (1994). A critical analysis of current trait theory. Psychological Inquiry, 5, 103–113. Rotter, J. B. (1966). Generalized expectancies for internal versus external control of reinforcement. Psychological Monographs, 80 (1), No. 609. Stern, W. (1921). Die differentielle Psychologie in ihren methodischen Grundlagen. Leipzig: Barth.

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Temperament Temperament Alois Angleitner & Frank M. Spinath

Der Begriff Temperament leitet sich aus dem Lateinischen temperare ab, was übersetzt „mischen“ oder „abstimmen“ bedeutet. Bei Hippokrates und dem römischen Arzt Galenus ging es dabei um das Mischungsverhältnis verschiedener Substanzen bzw. Körpersäfte. Je nach Vorherrschen bestimmter Körpersäfte (Blut, schwarze und gelbe Galle, Phlegma) sollen sich in dieser antiken Sichtweise unterschiedliche Temperamente (Sanguiniker, Melancholiker, Choleriker und Phlegmatiker) ergeben. Im alltäglichen Sprachgebrauch aber auch in wissenschaftlichen Beiträgen, etwa bei Hans J. Eysenck, werden Begriffe wie Persönlichkeit, Temperament oder Charakter mitunter synonym gebraucht. Laut Allport (1949) zählt Temperament ähnlich wie Intelligenz und Körperbau zum „Rohmaterial, aus dem die Persönlichkeit geformt wird“ (S. 55). Andere Forscher streben hingegen eine stärkere Abgrenzung von Temperament und Persönlichkeit an. So hat Strelau (1987) fünf Merkmale vorgeschlagen, anhand derer sich Temperament und Persönlichkeit unterscheiden lassen, z. B. beziehen sich Temperamentsmerkmale stärker auf formal-stilistische Verhaltensaspekte (wie etwa Aktivität), während stärker inhaltlich gesättigte Verhaltensaspekte (wie etwa Aggression) der Persönlichkeit zugeordnet werden. Eine weithin akzeptierte Definition von Temperament wird von Rothbart und Bates (1998) vertreten, die Temperamentsmerkmale als relativ stabile, früh in der Entwicklung auftretende und biologisch fundierte Eigenschaften betrachten. Der Temperamentsbegriff hat in den vergangenen Jahren geradezu eine Renaissance erfahren. Dies geht mit verschiedenen Entwicklungen einher, darunter eine Abkehr vom strengen Behaviorismus, der interindividuelle Unterschiede auf unterschiedliche Lernerfahrungen reduzierte. Zudem wurde die psychoanalytische Sichtweise, Persönlichkeitsunterschiede als Resultat frühkindlicher traumatischer Erfahrungen anzusehen, zunehmend in Frage gestellt. Mehr und mehr wurde deutlich, dass es bereits im Verhalten von Säuglingen und Kleinkindern große interindividuelle Unterschiede gibt. Solche frühkindlichen Verhaltensunterschiede betreffen meist stilistische oder emotionale Verhaltensbereiche, etwa die Empfänglichkeit gegenüber Reizen, die Stärke und Schnelligkeit von Reaktionen sowie dominierende Stimmungslagen. Schließlich mag auch die aktuelle Diskussion um die Zunahme auffälliger Verhaltensmuster von Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) eine gewisse Rolle spielen, da Aktivität ein Konstrukt ist, das traditionell den Temperamentsmerkmalen zugerechnet wird.

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Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, vier der einschlägigsten Konzeptionen führender Temperamentsforscher (Buss & Plomin; Thomas & Chess; Kagan; Strelau) vorzustellen. Neben den zentralen Temperamentsdimensionen sollen dabei auch typische Methoden zu ihrer Erfassung angesprochen werden.

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Die EAS-Temperamentskonzeption von Buss und Plomin

Inhaltlich eng an die Definition des Temperaments von Rothbart und Bates (1998) angelehnt, postulierten Buss und Plomin (1975) vier Temperamentsmerkmale: Emotionalität (E), Aktivität (A), Soziabilität (S) und Impulsivität (I). Aktivität ist als Verbrauch von physikalischer Energie bzw. als motorische Betätigung (aktiv vs. lethargisch) konzipiert und teilt sich auf in Tempo (Geschwindigkeit der Reaktionen) und Vigor (Intensität der Verhaltensäußerung). Eine aktive Person bewegt sich viel, spricht viel, ist laut, gestikuliert, etc. Emotionalität (emotional vs. unempfindlich) beschreibt die Erregbarkeit der primären Emotionen Furcht und Ärger, was von Buss und Plomin (1984) mit Gespanntheit gleichgesetzt wird. Soziabilität (gesellig vs. abgesondert, distanziert) umschreibt die Bedürfnisse nach sozialer Bestätigung, Anerkennung und Nähe zu anderen Menschen. Während Buss und Plomin zunächst Impulsivität noch zu den Temperamentsmerkmalen zählten, fand diese Dimension in späteren Revisionen keine Berücksichtigung mehr. Die Temperamentsmerkmale nach Buss und Plomin werden typischerweise mittels Fragebogenverfahren erfasst. Es existieren EAS-Eltern- und Lehrereinschätzungsformen (Buss & Plomin, 1984; Spinath, 2000) sowie eine Selbsteinschätzungsform für Erwachsene. Itembeispiele aus der EAS-Elternform sind: „Das Kind fängt leicht an zu weinen“ (Emotionalität) bzw. „Das Kind spielt lieber mit anderen als alleine“ (Soziabilität). Verhaltensgenetische Studien ergaben durchweg höhere Ähnlichkeiten von eineiigen gegenüber zweieiigen Zwillingen, was als Indiz dafür gewertet werden kann, dass genetische Faktoren einen bedeutsamen Einfluss auf diese Merkmale ausüben (vgl. Goldsmith, Buss & Lemery, 1997). Die EAS-Temperamentsmerkmale lassen sich auch bei Erwachsenen zuverlässig erfassen und sind hinreichend stabil. Es wird außerdem angenommen, dass Emotionalität ein Kernbestandteil des Neurotizismus und Soziabilität ein wichtiger Teilbereich der Extraversion ist.

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Die Temperamentskonzeption von Thomas und Chess

Thomas und Chess (1980) gehören als Kinderpsychiater zu den Begründern der neueren Temperamentsforschung. Die von ihnen angenommenen Temperamentsmerkmale beschreiben überwiegend formale, stilistische Verhaltensunterschiede, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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die sie basierend auf sehr ausführlichen Elterninterviews im Rahmen einer in New York und Vororten 1956 begonnenen Längsschnittuntersuchung (NYLS) an zwei bis drei Monate alten Säuglingen inhaltsanalytisch ermittelten. Insgesamt neun Temperamentsdimensionen wurden herausgefiltert, aus denen sich das Verhalten ab dem 2. Monat bis zum Alter von fünf Jahren einschätzen lässt. Diese lauten: Aktivität, Tagesrhythmus, Ablenkbarkeit, Annäherung-Rückzug, Anpassungsfähigkeit, Aufmerksamkeitsdauer, Reaktionsintensität, Sensorische Reizschwelle und Stimmungslage. Die Autoren geben für jede dieser Dimensionen Verhaltensbeispiele für verschiedene Altersstufen an, die hohe Werte auf der jeweiligen Dimension charakterisieren (vgl. Asendorpf, 1988, S. 122). Beispiele für Aktivität lauten etwa: „Bewegt sich oft im Schlaf“ (2 Monate), „Läuft schnell, isst schnell“ (1 Jahr), „Verlässt schnell den Tisch nach dem Essen“ (5 Jahre). Neben der Betrachtung von Temperament auf der Ebene der einzelnen Dimensionen, haben Thomas und Chess (1980) die Zusammenfassung bestimmter Merkmale zu Typen vorgeschlagen.

Temperamentstypen nach Thomas und Chess (1980) 1. Einfaches Temperament (ca. 40 % der NYLS-Stichprobe): Regelmäßigkeit des Verhaltens, positives Zugehen auf neue Reize, hohes Anpassungsvermögen, heiter-positive Stimmungslage. 2. Schwieriges Temperament (ca. 10 % der NYLS-Stichprobe): stellt den Gegenpol zum einfachen Temperament dar, hinzu kommt noch erhöhte Reaktionsintensität. 3. Langsam auftauendes Temperament (ca. 15 % der NYLS-Stichprobe): beschreibt Kinder, die zunächst Schwierigkeiten in den Bereichen Annäherung-Rückzug und Anpassungsfähigkeit zeigen, durch wiederholt gemachte Erfahrungen lassen diese Schwierigkeiten allerdings nach. Ca. 35 % der NYLS-Stichprobe konnten nicht klassifiziert werden.

Langfristige Vorhersagen auf Persönlichkeitsunterschiede im Jugend- und Erwachsenenalter mittels der Klassifikation des einfachen versus schwierigen Temperaments ergaben erst ab etwa dem dritten Lebensjahr bedeutsame Zusammenhänge in dem Sinne, dass gute versus schlechte Anpassung und psychiatrische Diagnosen im Alter von 18 bis 22 Jahren mit schwierigem kindlichen Temperament assoziiert waren (Thomas et al., 1982). Zur Erfassung der Temperamentsmerkmale in der Theorie von Thomas und Chess werden neben Interviewverfahren vor allem Elternfragebogen benutzt, wobei der Revised Dimensions of Temperament Survey (DOTS-R) von Windle und Lerner (1986) zu den am häufigsten verwendeten Instrumenten zählt. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Die Temperamentskonzeption von Kagan

Kagan (1994) hält den Zugang zur Erfassung von Temperament mittels Fragebogenverfahren für wenig geeignet. Stattdessen verwendet Kagan Verhaltensbeobachtungen und physiologische Messungen. Insgesamt 300 Kleinkinder im Alter von 24 Monaten wurden im Labor mit einer Reihe ihnen nicht bekannter Gegenstände und Personen konfrontiert und bezüglich ihrer Reaktionen beobachtet. Diejenigen Kinder, die besonders ängstlich und scheu reagierten, wurden mit den am furchtlosesten und am stärksten mit Explorationsverhalten reagierenden Kindern verglichen und erneut getestet, als sie fünfeinhalb und siebeneinhalb Jahre alt waren. Es zeigte sich, dass 75 % der gehemmten Kleinkinder auch mit siebeneinhalb Jahren Zeichen von Gehemmtheit erkennen ließen. Durch Einbeziehung stabiler physiologischer Messungen kam Kagan (1994) zur Postulierung von zehn charakteristischen Eigenschaften des gehemmten und des nicht gehemmten Temperaments. Zu diesen Eigenschaften zählen auf Seiten der gehemmten Kinder beispielsweise „Schweigsamkeit in Anwesenheit fremder Kinder oder Erwachsener“ sowie herabgesetzte Risikobereitschaft und Entscheidungsfreudigkeit. Auf Seiten der physiologischen Indikatoren fand sich für die gehemmten Kinder eine starke Beschleunigung der Herzfrequenz unter mittelhohen Stressbedingungen und generelle Muskelanspannung. Nach Kagan (1994) sind für die individuellen Unterschiede in Gehemmtheit unterschiedliche Reaktivitätsschwellen im limbischen System verantwortlich. Gehemmten Kindern werden niedrigere Erregungsschwellen zugesprochen. Dies äußert sich im Anstieg der Muskelspannung, durch Erhöhung der Herzfrequenz, durch Pupillenerweiterung oder durch zunehmende Cortisolausschüttung bei Konfrontation der Kinder mit unvertrauten Objekten oder Ereignissen. Gemäß einer Längsschnittstudie mit 12 bis 30 Monate alten Zwillingen (Matheny, 1989) zeigten sich für eineiige Zwillinge deutlich höhere Korrelationen als für zweieiige Zwillinge, was auf eine genetische Basis hindeutet.

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Die Temperamentskonzeption von Strelau (Regulative Theorie des Temperaments)

Die von Strelau (1983) entwickelte Regulative Theorie des Temperaments (RTT) hat im Laufe der letzten 20 Jahre verschiedene Veränderungen erfahren. Die prägnanteste Darstellung der gegenwärtigen Fassung findet sich in Strelau (1996, 1998). Die Theorie stellt eine Integration der an Pawlow anschließenden russischen Forschung und westlicher Ansätze dar. Zum Temperament zählt Strelau (1993) „grundlegende, relativ stabile Persönlichkeitsmerkmale, die sich überwiegend auf die formalen Aspekte von Reaktionen und Verhalten beziehen“ (S. 117, Übersetzung durch die Autoren). Die Hauptannahmen der RTT hat Strelau (1996) in neun PosDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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tulaten zusammengefasst. Von besonderer Bedeutung ist dabei vor allem die Aussage, dass sich formale Verhaltenscharakteristika in Begriffen energetischer und zeitlicher Kategorien beschreiben lassen. Eine weitere interessante Annahme sieht vor, dass die Rolle des Temperaments in der Regulation der Beziehung zwischen Menschen und ihrer äußeren Umwelt vor allem in schwierigen Situationen und bei extremen Verhaltensanforderungen evident werden soll. Bis in die 1990er Jahre haben Strelau und seine Mitarbeiter lediglich Teilbereiche der postulierten formalen Verhaltenscharakteristiken mit den bis dahin entwickelten Messverfahren erfassen können. Inzwischen liegt jedoch ein Fragebogen (Formal Characteristics of Behavior-Temperament Inventory, FCB-TI) vor, welcher als Ergebnis der Sichtung aller möglichen energetischen und zeitlichen Temperamentseigenschaften angesehen werden kann (Strelau & Zawadzki, 1993). Dieses Verfahren erfasst sechs Temperamentsmerkmale. Beschreibung der Temperamentsmerkmale aus dem FCB-TI (Strelau, 1996) 1. Lebhaftigkeit (Briskness): Tendenz zu schnellen Reaktionen, Beibehaltung eines hohen Tempos bei der Ausübung von Aktivitäten, leichtes Wechseln von einer Verhaltensweise (Reaktion) zu einer anderen als Antwort auf Veränderungen in der Umgebung. 2. Beharrlichkeit (Perseverance): Tendenz zur Verhaltensfortsetzung oder Wiederholung des Verhaltens nach Aussetzen der Reize (Situation), die dieses Verhalten hervorgerufen haben. 3. Sinnesempfindlichkeit (Sensory Sensitivity): Fähigkeit, auch auf schwache sensorische Reize zu reagieren. 4. Emotionale Reaktivität (Emotional Reactivity): Tendenz, intensiv auf emotionsauslösende Reize zu reagieren, hohe emotionale Empfindlichkeit und geringe emotionale Belastbarkeit. 5. Ausdauer (Endurance): Fähigkeit zu adäquaten Reaktionen sowohl in Situationen, die lang andauernde oder hoch stimulierende Aktivitäten verlangen als auch bei intensiver externaler Stimulierung. 6. Aktivität (Activity): Tendenz, Verhaltensweisen mit hohem stimulierenden Wert auszuführen oder sich starke Stimulierung aus der Umgebung zu suchen. In Strelaus Theorie, die sich im Gegensatz zu den zuvor dargestellten Ansätzen ausdrücklich auch auf individuelle Unterschiede des Temperaments im Erwachsenenalter erstreckt, werden Temperamentsmerkmalen in neuerer Zeit auch verstärkt eine Rolle bei der Verarbeitung von Stress zugeschrieben (vgl. Strelau, 1998).

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Eine in Polen und Deutschland durchgeführte Zwillingsstudie zeigte, dass die RTT-Eigenschaften eine Erblichkeit um ca. 40 % bis 50 % in beiden Kulturen aufweisen (Zawadzki, Strelau, Oniszczenko, Riemann & Angleitner, 2001).

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Ausblick

Die hier nur grob skizzierten Temperamentsansätze verdeutlichen unterschiedliche Zugänge, die Forscher gewählt haben. Die Ansätze von Buss und Plomin, Thomas und Chess sowie von Kagan sind überwiegend an der Forschung mit Kindern ausgerichtet, während Strelaus Theorie sich vorwiegend an Erwachsenen orientiert. In nahezu allen Ansätzen spielen Emotionen und auch der Bereich der Aktivität eine mehr oder weniger dominierende Rolle. In der Erfassung der Temperamentsmerkmale sind, mit Ausnahme von Kagan, Fragebogen die am häufigsten eingesetzten Instrumente. Wegen der hier gebotenen Kürze kann an dieser Stelle auf weitere Ansätze nicht eingegangen werden. Eine Besprechung weiterer Ansätze findet sich bei Strelau (1998). Gegenwärtig ist in der Temperamentsforschung eine zunehmende Hinwendung zur Betrachtung von Temperament im psychosozialen Kontext zu verzeichnen (Wachs & Kohnstamm, 2001).

Weiterführende Literatur Strelau, J. (1998). Temperament. A psychological perspective. New York: Plenum Press. Zentner, M. R. (1998). Die Wiederentdeckung des Temperaments. Eine Einführung in die Kinder-Temperamentsforschung. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag.

Literatur Allport, G. W. (1949). Persönlichkeit. Struktur, Entwicklung und Erfassung der menschlichen Eigenart. Stuttgart: Ernst Klett. Asendorpf, J. (1988). Keiner wie der andere: Wie Persönlichkeitsunterschiede entstehen. München: Piper. Buss, A. H. & Plomin, R. (1975). A temperament theory of personal development. New York: Wiley-Interscience. Buss, A. H. & Plomin, R. (1984). Temperament: Early developing personality traits. Hillsdale, NJ: Erlbaum. Goldsmith, H. H., Buss, K. A. & Lemery, K. (1997). Toddler and childhood temperament: Expanded content, stronger genetic evidence, new evidence for importance of environment. Developmental Psychology, 33, 891–905.

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Kagan, J. (1994). Galen’s prophecy: Temperament in human nature. New York: Basic Books. Matheny, A. P. (1989). Children’s behavioral inhibition over age and across situations: Genetic similarity for a trait during change. Journal of Personality, 57, 215–235. Rothbart, M. K. & Bates, J. E. (1998). Temperament. In W. Damon (Ed.-in-Chief) & N. Eisenberg (Vol. Ed.), Handbook of Child Psychology (5th ed.). Vol. 3: Social, emotional and personality development. New York: Wiley. Spinath, F. M. (2000). Temperamentsmerkmale bei Kindern: Psychometrische Güte und verhaltensgenetische Befunde zum deutschen Emotionalitäts-Aktivitäts-SoziabilitätsTemperamentinventar (EAS) nach Buss & Plomin (1984). Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 21, 65–75. Strelau, J. (1983). Temperament, personality, activity. London: Academic Press. Strelau, J. (1987). The concept of temperament in personality research. European Journal of Personality, 1, 107–117. Strelau, J. (1996). The regulative theory of temperament: current status. Personality and individual differences, 20, 131–142. Strelau, J. (1998). Temperament. A psychological perspective. New York: Plenum Press. Strelau, J. & Zawadzki, B. (1993). The Formal Characteristics of Behavior – Temperament Inventory (FCB-TI): Theoretical assumptions and scale construction. European Journal of Personality, 7, 313–336. Thomas, A. & Chess, S. (1980). Temperament und Entwicklung. Stuttgart: Enke. Thomas, A., Mittelmann, M., Chess, S., Korn, S. J. & Cohen, J. (1982). A temperament questionnaire for early adult. Educational and Psychological Measurement, 42, 593–600. Wachs, T. D. & Kohnstamm, G. A. (2001). Temperament in context. Mahwah, NJ: Erlbaum. Windle, M. & Lerner, R. M. (1986). Reassessing the dimensions of temperamental individuality across the life-span: The Revised Dimensions of Temperament Survey (DOTS-R). Journal of Adolescent Research, 1, 213–230. Zawadzki, B., Strelau, J., Oniszczenko, W., Riemann, R. & Angleitner, A. (2001). Genetic and environmental influences on temperament. European Psychologist, 6, 272–286.

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Neurotizismus Neuroticism Jürgen Hennig Wenn man unter Zuhilfenahme entsprechender Online-Recherchesysteme (z. B. Web of Science) als Suchbegriff „Neurotizismus“ eingibt, fällt auf, dass das Suchergebnis quantitativ dasjenige für andere zentrale Konstrukte der Persönlichkeit (z. B. Extraversion oder Psychotizismus) bei weitem übersteigt. Allein vor diesem Hintergrund muss auffallen, dass Neurotizismus offensichtlich eines der zentralsten Konstrukte der Persönlichkeitspsychologie ist.

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Das Konstrukt „Neurotizismus“

Der Begriff „Neurotizismus“ geht auf den Psychologen Hans J. Eysenck (1944) zurück und ist sicherlich erklärbar über den Umstand, dass der jeweiligen Untersuchung ein Kollektiv von Soldaten mit klinisch diagnostizierter Neurose zu Grunde lag. Dieser Ansatz ist nicht untypisch für Eysenck, da er explizit der Annahme ist, dass Persönlichkeit und Psychopathologie auf einem Kontinuum angesiedelt sind, sich demnach also nicht die Wesenszüge, sondern lediglich das Ausmaß der jeweiligen Ausprägungen zwischen Kranken und Gesunden unterscheidet. Die Datenbasis dieses klinischen Kollektivs ergab nach Durchführung einer Faktorenanalyse neben anderen Faktoren einen, den Eysenck „Lack of personality integration“ (Neurotizismus) nannte. Grundsätzlich geht Eysenck davon aus, dass Persönlichkeit einer hierarchischen Struktur folgt (Eysenck, 1947), welche die vier folgenden Stufen enthält (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze): 1. 2. 3. 4.

Spezifische Handlungen, Habituelle Reaktionsmuster, Eigenschaften (Traits), Typen (Dimensionen der Persönlichkeit).

Nach Eysenck handelt es sich beim Neurotizismus um einen so genannten Typenfaktor (Faktor 2. Ordnung oder Superfaktor), dem die folgenden primären Eigenschaften zu Grunde liegen:

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Primäre Eigenschaften des Typenfaktors „Neurotizismus“ • • • • • • • •

Ängstlich Depressiv Schuldgefühle Gespannt Reizbar Scheu Launisch Emotional

Neben diesen Merkmalen verbinden sich mit Neurotizismus vegetative Beschwerden sowie eine gesteigerte Stress- und Krankheitsanfälligkeit, wobei besonders deutlich hervorgehoben wird, dass alle diese Merkmale per se nicht pathologisch seien, sondern im Bereich der gesunden Persönlichkeit angesiedelt sind (Eysenck & Eysenck, 1968). Dies muss nicht im Widerspruch zu den Befunden stehen, dass Patienten aus nahezu allen Bereichen der (Psycho-)Pathologie erhöhte Neurotizismuswerte aufweisen (Schmerz, psychosomatische Beschwerden, prämenstruelle Beschwerden, Essstörungen, Depression, Suizidalität, Substanzmissbrauch, Angstund Zwangsstörungen, Persönlichkeitsstörungen, akute Schizophrenie aber auch allgemeine Erkrankungen wie Erkältungen). Neurotizismus findet sich – wenn auch nicht immer mit der gleichen Bezeichnung – in annähernd allen Theorien und Instrumenten zur Erfassung der Persönlichkeit, welche üblicherweise über Selbstbeschreibung/Fragebogen gewährleistet wird, wieder. Eysenck selbst hat darauf verwiesen, dass diverse Theorien der Persönlichkeit die von ihm vorgeschlagene Faktorstruktur aufweisen und somit eine gewisse Universalität gegeben ist; eine Ansicht, die auch andere nach extensiver Auswertung der vorhandenen Literatur teilen (Royce & Powell, 1983). Aber auch in anderer Hinsicht ist nach Eysenck die Universalität von Neurotizismus gegeben: Diverse Studien zeigten, dass auch im interkulturellen Vergleich zwischen immerhin weit mehr als 20 verschiedenen Ländern diese Dimension immer wieder zum Tragen kommt und somit sozioökonomische, ethnische oder kulturelle Einflussgrößen kaum eine Rolle spielen (Barrett & Eysenck, 1984). Die Universalität des Faktors „Neurotizismus“ ist nach Eysenck ein guter Beleg für die biologische Manifestation des Traits.

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Die biologischen Grundlagen des Neurotizismus

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Hintergrund

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Betrachtet man die oben aufgeführten Merkmale einer Person mit hohem Neurotizismuswert, dann ist es nahe liegend anzunehmen, dass diejenigen Hirnstrukturen, die an der Verarbeitung emotionaler Inhalte beteiligt sind, als biologisches Substrat von Neurotizismus in Frage kommen. Auch Eysenck ging von derartigen Überlegungen aus, als er postulierte, dass sich Neurotizismus mit einer geringen Schwelle limbischer Erregung verbinde. Das limbische System ist eine Struktur im Mittelhirn, die nachweislich neben anderen Funktionen von entscheidender Bedeutung für die Emotionsverarbeitung ist. Zur dieser Struktur zählen die Amygdala, das Cingulum, Septum und der Hippocampus. Die erhöhte Emotionalität von Personen mit hoher Ausprägung in Neurotizismus könnte nach Eysenck durchaus mit der Aktivität bzw. Aktivierbarkeit dieses Systems in Verbindung stehen. Mit anderen Worten würden Personen mit einem hohen Neurotizismuswert selbst auf weniger starke (emotionale) Reize bereits mit einer Aktivierung des limbischen Systems reagieren. Ein klarer Vorteil dieser Theorie ist die Möglichkeit einer experimentellen Prüfung, die in diversen Studien aber mit eher enttäuschendem Ergebnis durchgeführt wurde (für eine umfassende Zusammenstellung der Befunde siehe auch Hennig & Netter, 2005). Nach Eysenck sollte bei Personen mit hohen Ausprägungen im Merkmal Neurotizismus sowohl eine höhere Reaktivität in vegetativen Funktionen als auch eine größere Variabilität der Reaktionen und eine langsamere Rückkehr auf das physiologische Ausgangsniveau im Vergleich zu emotional stabilen Personen zu beobachten sein. 2.2

Psychophysiologische Reaktionen

Hinsichtlich der kardiovaskulären Reaktion ist seit Mitte der 1980er Jahre bekannt, dass sich Neurotizismus nicht mit einer erhöhten Reagibilität verbindet. So wurde z. B. in einer sehr umfangreichen Studie unter Verwendung verschiedener Stimuli zur Anregung psychophysiologischer Reaktionen (z. B. Stress) sowie deren mögliche Stabilität (nach Monaten) kein Hinweis auf eine differentielle Reaktivität bei Personen mit hohem versus niedrigem Neurotizismus berichtet (Fahrenberg, 1987), obgleich die subjektiven Angaben zur Belastung bei Personen mit hohem Neurotizismus hoch ausfallen. Ein ebenfalls häufig herangezogenes Maß vegetativer Reagibilität ist die elektrodermale Aktivierung, für die aber ebenfalls keine einheitliche Befundlage vorliegt, so dass Stelmack bereits 1981 zu dem Schluss kam, dass sich mittels dieses Markers vegetativer Reagibilität

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die Eysenck’sche Theorie zur erhöhten vegetativen Reaktionsneigung bei hohem Neurotizismus ebenfalls nicht belegen ließe. In einer neueren Arbeit kommen Claridge und Davis (2001) zu der Zusammenfassung: „The more modern literature on the biology of N offers little to enlighten us. Indeed there is a surprising dearth of studies – as though psychologists have lately given up on the topic“ (S. 386). Sicherlich kann man in Frage stellen, ob die bislang skizzierten Maße der physiologischen Reagibilität als Indikator einer (zentralnervös) vermittelten Hyperreagibilität hinreichend sind. Wahrscheinlich ist die Hypothese der reduzierten Schwelle limbischer Erregung mittels funktioneller Kernspintomographie (fMRI) oder Positronen-Emissions-Tomographie (PET) besser zu beantworten. Diese bildgebenden Verfahren erlauben die Aktivierung distinkter Hirnregionen auf entsprechende Stimulation abzubilden. In einer Studie von Fischer und Mitarbeitern (1997) wurde der bereits früher publizierte Befund von Haier, Sokolski, Katz und Buchsbaum (1987) repliziert, nachdem mittels PET keine Zusammenhänge zwischen der Aktivierung limbischer Strukturen und Neurotizismus gefunden werden konnten. 2.3

Ergebnisse aus der Genetik und Neurochemie

Eine andere Heransgehensweise an die biologische Manifestation des Neurotizismus ist die Frage nach dessen Erblichkeit. Für das Merkmal Neurotizismus weisen die meisten Zwillingsstudien höhere Korrelationen zwischen eineiigen als zwischen zweieiigen Zwillingen auf, was klar für eine gewisse Erblichkeit des Merkmals spricht. Auch aus Adoptionsstudien liegen diverse Hinweise positiver Korrelationen zwischen Adoptivkindern und ihren leiblichen Eltern vor, die aber eher heterogen ausfallen und z. T. zwischen den einzelnen Studien (Ländern) statistisch signifikant unterschiedlich sind (Loehlin, 1991). Dennoch, Ergebnisse aus Metaanalysen und auch solchen, die nicht nur auf der Selbsteinschätzung von Probanden beruhen, sondern entweder Verhaltensbeobachtungen einbeziehen oder Fremdeinschätzungen heranziehen, belegen klar eine genetische Komponente am Gesamtkonstrukt (siehe auch Riemann & Spinath, 2005). In den letzten Jahren begann man zunehmend auch molekulargenetische Befunde in den Bereich der Persönlichkeitsforschung zu integrieren. Hinsichtlich des Neurotizismus konzentrierte sich dabei die Forschung auf so genannte Gen-Polymorphismen, die mit der Aktivität der monoaminergen Neurotransmittersysteme in Verbindung stehen. Auf Grund der klinischen Beobachtung, dass diverse psychiatrische Erkrankungen (z. B. Depression) mit einer verminderten Aktivität des Serotoninsystems verbunden sind und serotonerge Pharmaka durchaus therapeutisch hilfreich sind, liegt es nahe, die relevanten Aspekte dieser die Neurotransmitteraktivität steuernden Gene zu betrachten. Innerhalb der pharmakologischen

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Intervention haben sich die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer klinisch weit verbreitet. Ihr Wirkmechanismus setzt am Serotonintransporter an, dessen regulierendes Gen diverse Polymorphismen aufweist, wobei eine lange und eine kurze Region (bestehend aus unterschiedlich vielen Basenpaaren) unterschieden werden. In der Arbeitsgruppe von Lesch et al. (1996) konnte erstmals gezeigt werden, dass insbesondere die kurze Form des 5-HTTLPR (5-Hydroxytryptaminetransporter gene-linked polymorphic region) mit erhöhten Werten im Merkmal Neurotizismus verbunden ist. Eine kürzlich erschienene Metaanalyse kommt zu dem Schluss, dass der Gesamtzusammenhang (also derjenige über verschiedene Studien) zwischen 5-HTTLPR und denjenigen Dispositionen, die mit Vermeidungsverhalten assoziert sind („avoidance traits“) als einziger in der molekulargenetisch orientierten Persönlichkeitspsychologie signifikant ist. Offensichtlich kommt es aber bei Assoziationsstudien dieser Art auch auf die Stichprobenzusammensetzung an, wobei dem Geschlecht der Versuchsteilnehmer eine besondere Rolle zukommt. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass es konsistente Geschlechtsunterschiede im Merkmal Neurotizismus gibt, wobei Frauen üblicherweise erhöhte Werte aufweisen.

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Ausblick

Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass Neurotizismus eine zentrale Persönlichkeitsdimension ist, die jedoch im Vergleich zu z. B. ➝ Extraversion eine weitaus breitere Auffächerung in z. T. sehr verschiedene Primärfaktoren aufweist. Die insbesondere hinsichtlich der biologischen Grundlagen uneinheitliche Befundlage ist vielleicht auch darüber erklärbar, dass das Gesamtkonstrukt sehr heterogen ist. Betrachtet man das Modell von Gray (➝ Biologische Persönlichkeitstheorien), kommt dem Neurotizismus viel eher die Rolle eines Moderators (z. B. hinsichtlich des Ausmaßes der Ansprechbarkeit auf Bestrafung bzw. Belohnung) zu. Neurotizismus könnte demnach ein wichtiges und relativ unspezifisches Stellglied für das Ausmaß der Ansprechbarkeit auf (emotionale) Stimuli sein. Damit würde die Idee kompatibel sein, dass ein hohes Maß an Neurotizismus mit einer generellen Einbuße an Anpassungsfähigkeit verbunden ist. Die molekulargenetischen Befunde zum serotonergen System weisen in diese Richtung, da dem Serotoninsystem auch aus dem Bereich der Tierforschung maßgeblich die Steuerung von Anpassungsreaktionen zugesprochen wird (Baumgarten & Grozdanovic, 1995). Auch aus verschiedenen Verhaltensexperimenten (Hennig, Poessel & Netter, 1996) oder alltäglichen Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit (z. B. Schichtdienst) ist bekannt, dass ein hohes Ausmaß an Neurotizismus mit einer verlangsamten psychischen und physischen Anpassung (z. B. Veränderung circadianer Rhythmen von Hormonverläufen) an die veränderten Anforderungen verbunden ist (Hennig, Kieferdorf, Moritz, Huwe & Netter, 1998).

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Zum Extraversionskonzept in der Persönlichkeitspsychologie

Schon William James (1907) und Carl Gustav Jung (1921) haben eine intro- bzw. extravertierte Orientierung der Persönlichkeit unterschieden. Jung (1921) geht von zwei Grundeinstellungen der Person aus, die er als Extraversion und Introversion bezeichnete. Beide Einstellungen sind nach seiner Auffassung in jedem Menschen vorhanden, aber in der Regel ist eine dieser beiden Einstellungen stärker ausgeprägt und damit dominant. Während extravertierte Personen ihre psychische Energie stärker auf die externe, objektive (Um-)Welt fokussieren, sind Introvertierte sehr viel stärker auf ihre innere, subjektive (Innen-)Welt orientiert. Heutzutage bezeichnet Extraversion eine grundlegende Persönlichkeitsdimension, die als ein zentrales Persönlichkeitsmerkmal in fast allen eigenschaftstheoretischen bzw. faktorenanalytischen und biologischen Persönlichkeitsmodellen zu finden ist. Im Gegensatz zu Jungs ursprünglicher Konzeption, wird Extraversion im Rahmen dieser persönlichkeitspsychologischen Modelle meist als eine bipolare Dimension mit den Extrempolen „Introversion“ und „Extraversion“ verstanden. Während extravertierte Personen in ihrem Verhalten als gesellig, lebhaft, aktiv, unternehmungslustig, selbstsicher, sorglos, optimistisch und eher aufbrausend beschrieben werden können, sind introvertierte eher zurückhaltend, schweigsam, verschlossen, introspektiv, zurückgezogen und neigen dazu, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten sowie vorauszuplanen. Wie diese kurze Charakterisierung von Intro- und Extravertierten verdeutlicht, handelt es sich bei der Persönlichkeitsdimension Extraversion um ein inhaltlich sehr „breites“ Konstrukt bzw. im faktorenanalytischen Sinn um einen Faktor höherer Ordnung, also einen so genannten Sekundär- oder Typenfaktor (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze; ➝ Eigenschaften), dem spezifischere Primärfaktoren zu Grunde liegen. Gibt es ein zentrales Verhaltensmerkmal der Persönlichkeitsdimension Extraversion? Obwohl Extraversion bereits seit dem Beginn des letzten Jahrhunderts als eine zentrale Persönlichkeitsdimension betrachtet wird und zahlreiche Verhaltensweisen beschrieben worden sind, in denen sich Intro- und Extravertierte unterscheiden, ist bis heute umstritten, worin das zentrale, prototypische Verhal-

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tensmerkmal dieser facettenreichen Persönlichkeitsdimension besteht. Die Beobachtung, dass Extravertierte stärker als Introvertierte dazu neigen, in verschiedensten potenziellen Belohnungssituationen positive Gefühle zu erleben, führte zu der Annahme, dass die Sensitivität für Belohnung („reward sensitivity“) das entscheidende Verhaltensmerkmal der Persönlichkeitsdimension Extraversion sei (z. B. Lucas & Diener, 2001). Für andere Persönlichkeitsforscher, die Extraversion als eine Persönlichkeitsdimension ansehen, bei der aktives Engagement im Rahmen von sozialen Interaktionen im Vordergrund steht (z. B. Ashton, Lee & Paunonen, 2002), besteht das zentrale Verhaltensmerkmal der Extraversion darin, sich so zu verhalten, dass man soziale Aufmerksamkeit von anderen erhält und solche Situationen dann auch genießen zu können. Für Brebner (1985) wiederum ist das deutlich stärker ausgeprägte expressive motorische Verhalten von Extravertierten im Vergleich zu Introvertierten das entscheidende prototypische Verhaltensmerkmal.

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Theorien der Extraversion

Generelle Theorien zur Erklärung der Persönlichkeitsdimension Extraversion in ihrer gesamten facettenreichen Vielfalt an spezifischen, extraversionstypischen Verhaltensweisen zeichnen sich durch eine starke biologische Orientierung aus. Unter „biologisch“ ist in diesem Zusammenhang die starke Bezugnahme auf zentralnervöse Prozesse zu verstehen, die zur Erklärung extraversionsbedingter Verhaltensunterschiede herangezogen werden. Den größten Einfluss auf die Extraversionsforschung der vergangenen vier Jahrzehnte dürften ohne Zweifel die Hemmungstheorie und die Arousal-Theorie der Extraversion von Hans Jürgen Eysenck ausgeübt haben. Beide Theorien sowie die motorische Theorie der Extraversion von John Brebner sollen nachfolgend kurz vorgestellt werden. 2.1

Die Hemmungstheorie der Extraversion (Eysenck, 1957)

Diese erste biologische Theorie der Extraversion basiert auf Pawlows (1927) Konzept von Erregung und Hemmung sowie dessen Weiterentwicklung durch Hull (1943). Nach Eysencks grundsätzlicher Annahme sollten Extravertierte zur Ausbildung nur schwacher exzitatorischer, aber schnell aufgebauter, intensiver und nur langsam abklingender inhibitorischer Potenziale neigen. Demgegenüber zeichnen sich Introvertierte durch die Ausbildung starker, lang anhaltender exzitatorischer, aber nur langsam einsetzender, schwacher inhibitorischer Potenziale aus. Als empirischer Beleg für die Gültigkeit der Hemmungstheorie wurden insbesondere Untersuchungen zum so genannten Reminiszenz- oder Konsolidierungseffekt angeführt. Dieser Effekt bezeichnet eine Leistungssteigerung bei psychomotori-

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schen oder kognitiven Aufgaben, die nach einer kurzen Pause auftritt. Bei Extravertierten fällt dieser Leistungszuwachs deutlich höher aus als bei Introvertierten. Dies wird damit erklärt, dass sich leistungshemmende inhibitorische Potenziale bei Extravertierten sehr viel schneller aufbauen als bei Introvertierten. Der Abbau dieser inhibitorischen Potenziale während der Pause bedingt, dass der Leistungszuwachs bei Wiederaufnahme der Testbearbeitung im Vergleich zur Testleistung vor der Pause bei Extravertierten höher ausfällt als bei Introvertierten, bei denen sich nach Eysenck (1957) inhibitorische Potenziale nur sehr viel langsamer und schwächer aufbauen. Diese Theorie erwies sich in verschiedener Hinsicht als unzulänglich. Zwar bezieht sie sich auf Erregung und Hemmung als zwei unabhängige Erklärungskonstrukte, doch wurde das Erregungs-Hemmungsgleichgewicht meist als ein eindimensionales Konstrukt behandelt. Zudem handelte es sich um ein sehr unklares Hemmungskonzept und es wurden keine Annahmen über ein zentralnervöses System getroffen, das Unterschieden im individuellen Extraversionsniveau zu Grunde liegen könnte. 2.2

Die Arousal-Theorie der Extraversion (Eysenck, 1967)

Diese Unzulänglichkeiten der Hemmungstheorie veranlassten Eysenck (1967) ein modifiziertes biologisches Extraversionsmodell zu entwickeln, das er als ArousalTheorie der Extraversion bezeichnete. Dieses Modell kam nicht nur mit weniger Zusatzannahmen als die ursprüngliche Hemmungstheorie aus, sondern konnte auch mehr experimentelle Befunde zu Verhaltensunterschieden zwischen Intro- und Extravertierten erklären. Als neuroanatomisches Substrat der Extraversion postuliert die Arousal-Theorie das so genannte aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem (ARAS), ein komplexes neuronales Netzwerk, das im Hirnstamm lokalisiert ist. Nach Eysencks Vorstellung sollte afferenter sensorischer Input im ARAS neuronale Aktivität auslösen, die ihrerseits zu einer Erregungszunahme in verschiedensten kortikalen Hirnregionen führt. Er ging davon aus, dass Extravertierte und Introvertierte sich in ihrem generellen Aktivierungsniveau („Arousal“) dieser kortikoretikulären Schleife unterscheiden, wobei Introvertierte habituell stärker erregt sein sollten als Extravertierte. Darüber hinaus nimmt Eysenck an, dass Introvertierte eine niedrigere retikuläre Erregungsschwelle besitzen im Vergleich zu Extravertierten. Dies hat eine stärkere Responsivität gegenüber sensorischer Stimulation bei Introvertierten zur Folge, da schon relativ schwache Reize in der Lage sind das ARAS überschwellig zu erregen. Interindividuelle Unterschiede in der sensorischen Responsivität zwischen Intround Extravertierten, wie sie von der Arousal-Theorie vorhergesagt werden, konnten mit verschiedenen psychophysischen und psychophysiologischen Verfahren nachgewiesen werden. So sprechen beispielsweise die Befunde von niedrigeren Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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akustischen Wahrnehmungsschwellen, niedrigeren Lärmschwellen sowie niedrigeren Schmerzschwellen bei Introvertierten im Vergleich zu Extravertierten für eine stärkere Responsivität der Introvertierten gegenüber sensorischer Stimulation. Diese Ergebnisse werden gestützt durch psychophysiologische Untersuchungen mit akustisch evozierten Potenzialen (z. B. Doucet & Stelmack, 2000; Rammsayer & Stahl, 2004). Trotz zahlreicher empirischer Belege für die Gültigkeit der Arousal-Theorie, sah sich Eysenck schon früh mit einer Reihe von empirischen und konzeptuellen Inkonsistenzen konfrontiert (Brody, 1988). Ein grundsätzlicher Einwand gegen diese Theorie besteht darin, dass sie sehr stark von neurophysiologischen und psychologischen Arousal-Konzepten der Fünfziger- und Sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts geprägt sei. Neuere neurowissenschaftliche Ergebnisse belegen klar, dass das ARAS sowohl morphologisch als auch funktional sehr viel differenzierter ist als von Eysenck angenommen. Deshalb schlagen Lieberman und Rosenthal (2001) vor, selektiv (Teil-)Theorien in Hinblick auf bestimmte neurokognitive Systeme zu entwickeln, um auf diese Weise jeweils spezifische extraversionsabhängige Verhaltensunterschiede zu erklären, anstatt an der Vorstellung einer generellen biologischen Theorie der Extraversion festzuhalten. 2.3

Brebners motorische Theorie der Extraversion

Die motorische Theorie der Extraversion von Brebner (1985) stellt eine Kombination aus Eysencks Hemmungs- und Arousal-Theorie der Extraversion dar. Brebner geht von zwei zentralnervösen Prozessen aus, die dem Ausführen einer Reaktion vorangehen: der Stimulusanalyse und der Reaktionsvorbereitung. Allgemein ausgedrückt sagt Brebners Modell vorher, dass bei Extravertierten die Reaktionsvorbereitung zu Erregung, die Stimulusanalyse dagegen zu Hemmung führt. Umgekehrt verhält es sich bei Introvertierten, bei denen die Analyse sensorischer Information kortikale Erregung hervorruft, wohingegen die Reaktionsvorbereitung mit Hemmung verbunden ist. Aus diesem Grund sollten Extravertierte schnellere und häufigere motorische Reaktionen zeigen als Introvertierte, was sich im Alltagsverhalten darin manifestiert, dass Extravertierte gesprächiger und unternehmungslustiger sind, mehr aus sich herausgehen sowie ein expressiveres motorisches Verhalten an den Tag legen. In verschiedenen Experimenten konnte Brebner belegen, dass Extravertierte, unter bestimmten experimentellen Bedingungen, im Vergleich zu Introvertierten weniger Zeit für die Stimulusanalyse aufwenden und eine stärkere Tendenz zu reagieren haben, selbst wenn bei einer Aufgabe eine Reaktion nicht erforderlich war. In zahlreichen Reaktionszeituntersuchungen konnten allerdings keine Unterschiede zwischen Extra- und Introvertierten bestätigt werden (vgl. Rammsayer, 1998). Nach

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Brebners (1985) Ansicht kann dies damit zusammenhängen, dass die individuelle Reaktionsbereitschaft, die durch das Verhältnis von exzitatorischen und inhibitorischen Potenzialen bestimmt wird, bei Extra- und Introvertierten gleich ausfällt. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn Introvertierte dasselbe Ausmaß an exzitatorischem Potenzial aus der Stimulusanalyse erzielen, wie Extravertierte aus der Reaktionsvorbereitung. Neuere elektrophysiologische Befunde, bei denen die Geschwindigkeit der zentralnervösen Reaktionsvorbereitung bei Intro- und Extravertierten verglichen wurde (Rammsayer & Stahl, 2004), bestätigen Brebners Annahme einer schnelleren zentralnervösen Reaktionsvorbereitung bei Extravertierten.

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Hinweise auf einen funktionalen Zusammenhang zwischen dem Neurotransmitter Dopamin und Extraversion

In den letzten Jahren wird zunehmend das dopaminerge Neurotransmittersystem als ein mögliches biologisches Substrat der Persönlichkeitsdimension Extraversion diskutiert. Sowohl theoretische Überlegungen als auch in verstärktem Maße Verhaltensdaten werden zur Untermauerung dieser Hypothese angeführt. Dopamin(DA)-Neuronen stellen nicht nur die wichtigsten Bestandteile des ARAS dar, im Gegensatz zu anderen Neurotransmittern sind sie auch sehr viel weniger durch spezifische Funktionen gekennzeichnet und dienen eher als eine Art generelles Regulationssystem für verschiedene Aspekte der Aktivierung. Diese Eigenschaft kommt aus funktionaler Sicht ganz offensichtlich dem ursprünglichen ArousalKonzept von Eysenck (1967) sehr nahe. Dopaminerge Erregungsübertragung im Gehirn Neuronen (Nervenzellen) sind durch den so genannten synaptischen Spalt voneinander getrennt. Die Erregungsübertragung vom präsynaptischen Neuron (diesseits des synaptischen Spalts) zum postsynaptischen Neuron (jenseits des synaptischen Spalts) wird auf neurochemischem Weg erreicht, indem das präsynaptische Neuron den Botenstoff DA freisetzt, der den synaptischen Spalt überquert, sich an speziellen Rezeptoren (Bindungsstellen) des postsynaptischen Neurons festsetzt und dort eine elektrische Spannungsänderung bewirkt. Zur Aufrechterhaltung eines optimalen Niveaus an DA-Aktivität stehen verschiedene Mechanismen zur Verfügung. Im Fall einer zu geringen Erregungsübertragung, z. B. wenn im präsynaptischen Neuron zuwenig DA für die Ausschüttung zur Verfügung steht, kann entsprechend die Empfindlichkeit bzw. die Anzahl der postsynaptischen DA-Rezeptoren erhöht und damit das Defizit ausgeglichen werden.

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Ergebnisse der biologischen Persönlichkeitsforschung stützen die Annahme eines funktionalen Zusammenhangs zwischen dopaminergen Mechanismen und Extraversion. In einer Reihe von pharmakopsychologischen Studien konnte belegt werden, dass Introvertierte sehr viel empfindlicher auf Abweichungen vom physiologischen Niveau der zentralnervösen DA-Aktivität reagieren als Extravertierte (Rammsayer, 2000, 2003). Dies kann daran verdeutlicht werden, dass bei psychomotorischen Aufgaben Introvertierte sowohl auf Medikamente, die die Bildung von DA im präsynaptischen Neuron hemmen und damit zu einer verringerten DA-Ausschüttung führen, als auch auf Medikamente, die postsynaptische DA-Rezeptoren blockieren, eine sehr starke Reaktionszeitverlangsamung zeigen, wohingegen bei Extravertierten keine Leistungsbeeinträchtigung zu beobachten ist. Offensichtlich ist das DA-System von Extravertierten gegenüber einer solchen pharmakologisch induzierten Reduzierung der zentralnervösen DA-Aktivität sehr viel toleranter.

In ihrem neurobiologischen Modell der Persönlichkeitsstruktur postulieren auch Depue und Collins (1999) einen funktionalen Zusammenhang zwischen dopaminergen Mechanismen und Extraversion, wobei sie davon ausgehen, dass ein dopaminerg moduliertes motivationales Anreizsystem für extraversionsabhängige interindividuelle Verhaltensunterschiede verantwortlich ist. Allerdings muss trotz all dieser Betrachtungen, die für einen Zusammenhang zwischen dopaminergen Mechanismen und Extraversion sprechen, berücksichtigt werden, dass der Neurotransmitter DA darüber hinaus sowohl andere, extraversionsunabhängige Verhaltensfunktionen wirksam moduliert als auch mit der Persönlichkeitsdimension Psychotizismus (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze) eng verflochten zu sein scheint (vgl. Pickering & Gray, 2001).

Zur psychometrischen Erfassung von Extraversion Da Extraversion in einer Vielzahl von Persönlichkeitsmodellen als eine grundlegende Dimension der Persönlichkeit beschrieben wird, überrascht es nicht, dass die meisten Fragebogen zur Erfassung der Persönlichkeit eine Extraversionsskala beinhalten. Obwohl Extraversion sehr häufig als Typenfaktor bezeichnet wird, dem verschiedene Primärfaktoren zu Grunde liegen, lässt sich mit vielen Persönlichkeitsfragebogen nur ein globaler Extraversionswert bestimmen. Demgegenüber bietet beispielsweise die revidierte Version des NEO-Persönlichkeitsinventars nach Costa und McCrae (NEO-PI-R; Ostendorf & Angleitner, 2003) die Möglichkeit unterschiedliche Aspekte der Extraversion (Herzlichkeit, Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Aktivität, Erlebnishunger und Frohsinn) getrennt zu erfassen.

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Extraversion und Genetik

Extraversion stellt nicht nur eine universelle Persönlichkeitsdimension dar, die unabhängig von Geschlecht, Lebensalter oder Kulturkreis eines Individuums beobachtet werden kann. Auch bei anderen Spezies wie beispielsweise Rhesusaffen oder Ratten, die in sozialen Verbänden leben, konnten extraversionsäquivalente Verhaltensmuster nachgewiesen werden. Ein solch hohes Ausmaß an Generalität und Universalität von Extraversion legt die Frage nahe, inwieweit es sich hierbei um eine genetisch bedingte generelle Verhaltensdisposition handelt. Zahlreiche verhaltensgenetische Zwillings-, Adoptions- und Familienstudien liefern Hinweise für einen substanziellen Beitrag genetischer Einflussfaktoren auf die individuelle Ausprägung der Persönlichkeitsdimension Extraversion (z. B. Riemann, Angleitner & Strelau, 1997). Auf Grundlage der vorliegenden Ergebnisse zur Erblichkeit der Extraversion kann von einem Anteil an genetischer Varianz zwischen 0.4 und 0.6 ausgegangen werden. Dieser Erblichkeitsanteil lässt sich sehr wahrscheinlich auf multiple Geneffekte, so genannte Quantitative Trait Loci (QTL) zurückführen (➝ Verhaltensgenetik). Neuere molekulargenetische Techniken ermöglichten die Überprüfung des Zusammenhangs spezifischer genetischer Polymorphismen und der Persönlichkeitsdimension Extraversion bzw. extraversionsnaher Persönlichkeitskonstrukte wie beispielsweise „Novelty Seeking“. Erste Berichte über einen Zusammenhang zwischen dem so genannten „Dopamin-D4-Rezeptor-Gen (DRD4)-Exon-3-Polymorphismus“ (➝ Verhaltensgenetik) und individuellen Extraversions- bzw. „Novelty Seeking“-Werten wurden Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts publiziert. Obwohl in verschiedenen nachfolgenden Untersuchungen diese Befunde repliziert werden konnten, gibt es auch eine große Anzahl von Studien, in denen dies nicht gelang. Dies scheint eher gegen die Allgemeingültigkeit der berichteten positiven Ergebnisse zu sprechen (Burt, McGue, Iacono, Comings & MacMurray, 2002).

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Schlussfolgerungen

Extraversion stellt eine grundlegende und universelle Persönlichkeitsdimension dar, die sich in zahlreichen Persönlichkeitsmodellen wiederfindet und Merkmale wie Herzlichkeit, Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Aktivität, Erlebnishunger und Frohsinn umfasst. Neuere Ergebnisse legen die Annahme eines funktionalen Zusammenhangs zwischen Extraversion und dem Neurotransmitter Dopamin als biologische Basis der Extraversion nahe.

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Selbst und Selbstkonzept Self and Self-Concept Sigrun-Heide Filipp & Anne-Kathrin Mayer

Das Selbst gehört seit jeher zu den wohl faszinierendsten Gegenständen der psychologischen Forschung. Faszinierend daran ist schon allein der sich seiner selbst bewusste Geist, d. h. die bereits von William James (1890) betonte duale Natur des Selbst als erkennendes Subjekt („I“ resp. „Ich“) und Objekt der Erkenntnis („Me“ resp. „Mich“). Das Selbst als Objekt der Erkenntnis wird in der modernen Forschung begrifflich zumeist als „Selbstkonzept“ gefasst; gemeint ist hiermit das Gesamt des (relativ zeitstabilen) selbstbezogenen Wissens oder auch das „selbstbezogene Wissenssystem“ der Person. Allerdings können Erkenntnisse über das Selbst als Objekt, das in diesem Sinne als ein Produkt selbstbezogener Informationsverarbeitung begriffen wird, selbstredend nicht unabhängig von dem Selbst als dem Subjekt gewonnen werden, das diese Verarbeitungsprozesse (mehr oder weniger bewusst) vollzieht. Umgekehrt scheinen Menschen von ihren ersten Lebensmomenten an über ein – zumindest rudimentäres – Gewahrsein ihrer selbst zu verfügen. Das, was wir über „das Selbst“ erfahren können, stellt somit stets das Produkt einer Interaktion zwischen dem Selbst als Subjekt und dem Selbst als Objekt dar.

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Das Selbst als Wissenssystem

Wie jedes andere umfasst auch das selbstbezogene Wissenssystem eine Vielzahl von Elementen aus unterschiedlichen Quellen, die einen bestimmten Inhalt und ein bestimmtes mentales Repräsentationsformat aufweisen, untereinander in spezifischer Weise verknüpft sind und in spezifischer Weise verarbeitet und abgerufen werden. Nicht alle Selbstaspekte sind der Person bewusst; vielmehr lassen sich manche Verhaltensweisen sogar besser erklären aus Selbstrepräsentationen, die der Introspektion und dem Bewusstsein nicht zugänglich sind. Zudem dominiert mittlerweile die Annahme eines dynamischen Selbst, dessen zentraler Bestandteil das „Arbeits-Selbstkonzept“ („working self concept“; Markus & Wurf, 1987) ist. Dieser Begriff beschreibt den Sachverhalt, dass sich in Abhängigkeit von dem je spezifischen Situationskontext derjenige Ausschnitt des selbstbezogenen Wissenssystems ändert, der aktiviert ist und determiniert, welche Aspekte der eigenen Person dem Bewusstsein zugänglich werden (vgl. Abbildung 1). Neben der kognitiven Komponente umfasst das Selbst immer auch eine bewertende Komponente, und es ist insofern als eine kognitiv-affektive Struktur zu um-

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Selbst-Repräsentationen/ Selbstschemata

Person

Affektiv-kognitives System

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Intrapersonale Prozesse – Verarbeitung selbstbezogener Informationen – Affektregulation – Motivation (z. B. Selbstaufwertung, Selbstbestätigung, Selbstkenntnis, Einzigartigkeit)

Soziale Umwelt Interpersonale Prozesse – Soziale Wahrnehmungen – Soziale Vergleiche – Wahl von Interaktionspartnern – Gestaltung von Interaktionen

working self concept

Abbildung 1: Das dynamische Selbst (nach Markus & Wurf, 1987)

schreiben. So war und ist gerade die differentiell-psychologische Selbstkonzept-Forschung in weiten Teilen dominiert von dem Konstrukt Selbstwertgefühl (➝ Selbstwertschätzung). Diesem Aspekt wurde nicht zuletzt deshalb so viel Aufmerksamkeit geschenkt, weil es als fundamentales Bedürfnis angesehen wird, ein im Wesentlichen positives Bild von der eigenen Person zu haben (vgl. Abschnitt 5.2).

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Quellen selbstbezogenen Wissens

Eine Möglichkeit, die ungeheuere Informationsflut, aus der sich das Wissen über die eigene Person potenziell speist, zu systematisieren, liegt in der Differenzierung einzelner Quellen selbstbezogenen Wissens. Mit Filipp (1979) lassen sich diese Quellen als direkte, indirekte, komparative, reflexive und ideationale Prädikatenzuweisungen unterscheiden. Zunächst ist es die soziale Nahumwelt, die von Beginn des Lebens an den Spiegel vorhält, in dem Menschen sich sehen und „erkennen“ können. Dies geschieht in Form direkter sprachlicher Merkmalszuschreibungen („Du bist aber brav“) ebenso wie in Form indirekter Merkmalszuschreibungen, indem Menschen daraus, wie sich andere ihnen gegenüber verhalten, „erschließen“ können, was diese anderen wohl über sie denken. Die soziale Umwelt stellt ferner den Bezugsrahmen bereit, innerhalb dessen Menschen jeden Alters ihre Fähigkeiten, Meinungen, Eigenschaften usw. bewerten, indem sie diese mit den entsprechenden Merkmalen anderer Personen vergleichen (vergleichende Selbstzuweisung von Merkmalen). Darüber hinaus sind vom ersten Tag des Lebens an das eigene Tun

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und seine Folgen eine nie versiegende Informationsquelle. Diese wird im Entwicklungsverlauf ergänzt um ein reflexives Bewusstsein, indem Menschen aus der Selbstbeobachtung ihres Tuns, aber auch aus ihrer Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen erschließen, „wer sie sind“ und so einen Strom (selbst-)reflexiver Merkmalszuschreibungen generieren. Mit zunehmendem Alter können Individuen sich zudem entscheiden, „was für ein Mensch“ sie sein wollen, sein sollten oder werden wollen. Im Zuge solcher Reflexionsprozesse werden ideationale Merkmalszuweisungen in das selbstbezogene Wissenssystem integriert. Indem mit zunehmendem Alter Erfahrungsspielräume stärker (mit-)gestaltet, Interaktionspartner selbst gewählt und damit selbstbezogene Informationen gezielt aufgesucht und/oder evoziert werden können, werden Individuen nun zu Produzenten dieser Informationen und zu immer selbstständigeren Architekten ihres Selbstkonzepts und ihrer Identität (➝ Persönlichkeitsentwicklung: Einfluss von Umweltfaktoren).

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Inhalte des selbstbezogenen Wissenssystems

Inhalte des Selbstwissens einer Person werden zumeist aus ihren verbalen Äußerungen in offenen Erhebungsverfahren (Interviews oder Satzergänzungen) erschlossen oder mit Hilfe der Q-Sort-Technik (➝ Humanistische Persönlichkeitstheorien) gewonnen. Die derart ermittelten Selbstbeschreibungen beziehen sich auf physische Merkmale (z. B. Alter, Körpergröße, Augenfarbe), Aspekte der sozialen Identität (z. B. Name, Nationalität, Beruf) und auf Dispositionen im weitesten Sinne (z. B. Persönlichkeitseigenschaften, Fähigkeiten, Einstellungen, Wertorientierungen, Ziele, Präferenzen, Befindlichkeiten). Individuen haben also mit Blick auf eine Vielzahl von Domänen Wissen über sich selbst aufgebaut, sodass es ohne die Annahme eines facettenreichen Selbst („multifacetted self“) undenkbar erscheint, die Heterogenität des Selbstwissens angemessen abzubilden. In einem ersten Versuch, diese Facetten zu systematisieren, unterschied bereits James (1890) zwischen materiellen, sozialen und spirituellen Komponenten des Selbst. Auch in der modernen Forschungsliteratur ist nicht selten im Plural die Rede von bereichsspezifischen Selbstkonzepten einer Person, z. B. dem Selbstkonzept der Begabung oder der äußeren Erscheinung. Zur Messung bereichsspezifischer Selbstkonzepte existiert mittlerweile eine Vielzahl von Fragebogenverfahren (z. B. Frankfurter Selbstkonzeptskalen, Deusinger, 1986). Zugleich sind die einzelnen Wissenselemente von unterschiedlicher Salienz und (persönlicher) Bedeutsamkeit, sodass sich periphere und zentrale Wissenselemente unterscheiden und Letztere sich als der stabile und unveräußerliche Kern des Selbst auffassen lassen. Die Selbstdefinition einer Person stellt dabei jenes Subsystem zentraler Wissenselemente dar, die sie als einzigartiges Individuum, d. h. als abgehoben von anderen charakterisieren und die konstitutiv sind für ihre Identität und das Erleben personaler Kontinuität über die Zeit. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Selbstbezogenes Wissen ist ferner stets auf einer zeitlichen Dimension zu lokalisieren: Das Selbst ist eingebettet in die persönliche Erfahrungsgeschichte, und im Zuge autobiografischen Erinnerns lässt sich eine Fülle von früheren Selbsten („past selves“) generieren, zu denen das aktuelle Selbst in Beziehung gesetzt wird. Im Einzelnen trägt autobiografisches Erinnern entscheidend zu der selbstreflexiven (ideationalen) Generierung selbstbezogener Informationen, der Reduktion von Real-Ideal-Diskrepanzen im Selbstwissen sowie der Konstruktion und Aufrechterhaltung eines zeitlich kohärenten Selbst bei. Dieser Gedanke wird besonders prägnant in „holistischen“ Ansätzen, die in den letzten Jahren zunehmendes Interesse auf sich gezogen haben und in denen das Selbst als eine ständig in Revision begriffene und dabei mehr oder minder kohärente „Selbst-Erzählung“ („self story“, „self narrative“) betrachtet wird. Das Selbst als Erzählung „Selbst-Erzählungen“ stellen das Produkt von Integrations- und Rekonstruktionsprozessen (➝ Konstruktivistische Ansätze) dar, in denen das Individuum im „inneren Dialog“ oder im Dialog mit anderen Menschen seine entlang der Zeitlinie organisierten autobiografischen Erinnerungen untereinander sowie zum aktuellen Erleben in Beziehung setzt (z. B. McAdams, 1993). „Self narratives“ lassen sich damit – jenseits ihrer „Urformen“ in der frühen Kindheit – als Versuche individueller Sinndeutung und Bedeutungsgebung auffassen, die den Individuen subjektive Erklärungen dafür liefern, wie sie zu denjenigen Menschen wurden, die sie zum aktuellen Zeitpunkt sind, und die ihnen Identitätserleben und Orientierung in Zeit und Umwelt vermitteln.

Die zeitliche Extension des Selbst zeigt sich auch in dem Sinne, dass Menschen über ihr (aktuelles) „Real-Selbst“ hinaus mehr oder weniger genaue Vorstellungen davon haben, wer oder was sie am liebsten sein möchten („Ideal-Selbst“), wohin sie sich künftig entwickeln werden oder wollen („mögliche Selbste“; Markus & Nurius, 1986), wie zu werden sie sich erhoffen („hoped-for selves“) oder befürchten („feared selves“) und wie sie aus Sicht wichtiger Bezugspersonen sein sollten („normatives Selbst“ resp. „ought self“; Higgins, 1987). Auch aus solchen idealen, möglichen und normativen Selbsten ergeben sich Zielsetzungen, an denen das Individuum sein Handeln über das aktuelle Selbst hinaus ausrichtet und so seine eigene Entwicklung (mit-)gestaltet. Das Selbst stellt schließlich stets eine soziale Konstruktion dar, indem andere Menschen nicht nur als zentrale Quelle selbstbezogener Information fungieren, sondern auch „Teil des Selbst“ werden können (➝ Konstruktivistische Ansätze). So wurden interindividuelle Unterschiede in dem Ausmaß nachgewiesen, in dem Personen zu einer „independenten“ (resp. „individuellen“) versus „interdependenten“ Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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(resp. „kollektiven“) Konstruktion ihres Selbstkonzepts neigen (z. B. Singelis, 1994). Während independente Selbstkonzepte die Einzigartigkeit und die personale Identität des Individuums betonen, schließen interdependente Selbstkonzepte die Verbundenheit mit anderen Personen, z. B. die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen (etwa „Geschlecht“ oder „Nationalität“) ein (➝ Kulturvergleichende Ansätze).

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Die mentale Repräsentation des Selbst

Geht es um die Vielschichtigkeit und den Facettenreichtum des Selbstwissens, so rücken neben der Frage nach seinen Inhalten auch Überlegungen zu seiner mentalen Repräsentation und deren Struktur in den Fokus (zum Überblick vgl. Linville & Carlston, 1994). Diese Strukturmerkmale verdienen besondere Beachtung, weil sie festlegen, wie selbstbezogene Informationen verarbeitet werden. Einigkeit besteht dahingehend, dass sich die mentale Repräsentation des Selbst – ungeachtet der höheren Differenziertheit und „Affektgeladenheit“ des Selbstwissens – nicht prinzipiell von der des Wissens über andere Personen und Objekte unterscheidet. Das Selbstkonzept lässt sich folglich als ein dynamisches Gedächtnissystem beschreiben, das sowohl propositionale (sprachgebundene) als auch nonpropositionale (wahrnehmungsgebundene) Repräsentationsformen einschließt. Letztere lassen sich etwa an bildhaften Vorstellungen von der eigenen äußeren Erscheinung illustrieren. Neben episodisch-konkreten Wissenselementen, die sich auf spezifische Verhaltensweisen und Erlebnisse in der Vergangenheit beziehen („An meinem Geburtstag habe ich viele Anrufe erhalten“), enthält das Selbstkonzept semantisch-abstrakte Wissenselemente, d. h. generalisierende Selbstaussagen über Eigenschaften („Ich bin beliebt“). So hat Markus (1977) das Selbstkonzept als eine Sammlung miteinander verbundener generalisierender Selbstaussagen („Selbstschemata“) definiert. Solche Selbstschemata bilden sich über diejenigen Bereiche heraus, in denen eine Person mannigfache Erfahrungen gesammelt hat und auf deren Grundlage sie „Invarianten“ hat konstruieren können. Beispielsweise sollten vielzählige Erfahrungen der Art, dass andere Menschen ihr gerne zuhören, sie häufig einladen, ihre Nähe suchen etc. sich bei einer Person zu einem Selbstschema ihrer „Beliebtheit“ verdichten. Zentrale Begriffe Selbstkonzept: Wissenssystem, welches das Gesamt des Wissens über die eigene Person einschließt. Selbstschemata: Generalisierte und abstrahierte Elemente des Selbstwissens, welche die Verarbeitung selbstbezogener Informationen beeinflussen. Selbstdefinition: Subsystem zentraler Elemente des Selbstwissens, die für das Erleben von Individualität und Identität bedeutsam sind.

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Selbstdiskrepanzen: Abweichungen zwischen verschiedenen Subsystemen des Selbstkonzepts, z. B. Real- und Ideal-Selbst. Selbstkonzeptklarheit: Ausmaß, in dem das Wissen über die eigene Person subjektiv als sicher, konsistent und widerspruchsfrei erlebt wird. Selbstkomplexität: Anzahl unterschiedlicher und (relativ) unabhängiger Selbstaspekte; Strukturmerkmal des Selbstkonzepts. (Objektive) Selbstaufmerksamkeit: Zustand, in dem die Aufmerksamkeit auf Aspekte der eigenen Person gerichtet ist. Interessant aus Sicht der Differentiellen Psychologie scheint insbesondere die interindividuell unterschiedliche Differenziertheit resp. Integration des Selbstwissens. Zur Abbildung dieses Strukturmerkmals des Selbstkonzepts wurden vielfältige, teils sehr ähnliche Maße entwickelt (zum Überblick vgl. Campbell, Assanand & Di Paula, 2000). Beispielsweise wird die Diskrepanz zwischen verschiedenen Subsystemen des Selbst (Real-, Ideal- und normatives Selbst; Higgins, 1987) als Maß der Selbstkonzept-Integration herangezogen. Mit dem Konstrukt „self-concept clarity“ werden die subjektive Sicherheit hinsichtlich des Selbstwissens und das Ausmaß beschrieben, in dem dieses Wissen intern konsistent und zeitstabil ist. Große Aufmerksamkeit hat ferner seit langem das Merkmal „Selbstkomplexität“ (Linville, 1987) gefunden. Selbstkomplexität Das Merkmal „Selbstkomplexität“ wird über Sortieraufgaben erfasst, in denen die Probanden positive und negative Persönlichkeitsattribute (z. B. „humorvoll“, „unordentlich“) einer beliebigen Anzahl von Gruppen zuordnen sollen, wobei jede dieser Gruppen einen Selbstaspekt (z. B. eine soziale Rolle) repräsentieren soll. Hohe Selbstkomplexität sollte daran ablesbar sein, dass eine Person über eine große Zahl unterschiedlicher Selbstaspekte verfügt, die zugleich untereinander nur geringe Überlappungen resp. schwache Verknüpfungen – erkennbar an einer geringen Zahl gemeinsamer Attribute – aufweisen. Dieses Konstrukt scheint insofern bedeutsam, als in Abhängigkeit von der Komplexität des Selbstkonzepts z. B. die Bedrohung eines salienten Selbstaspekts mehr oder minder auf andere Selbstaspekte generalisieren sollte, da Menschen in der Folge selbstwertrelevanter Erfahrungen automatisch wie auch willentlich dazu tendieren sollen, Selbstbewertungen auch mit Blick auf andere aktuell verfügbare Selbstaspekte vorzunehmen. Linville (1987) zufolge steht die Höhe der Selbstkomplexität in einer inversen Beziehung zur Intensität affektiver Reaktionen auf positive wie negative Erfahrungen: Personen mit einem wenig komplexen Selbstkonzept sollten mit heftigeren Emotionen auf das Auf und Ab im Leben reagieren. Im Falle eines Misserfolgs sollte dieser beispielsweise auf die Bewertung aller anderen Merkmale der Person ausstrahlen, was bei Personen mit einem komplexen Selbstkonzept weniger der Fall sein sollte.

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Prozessuale Aspekte des Selbst

Ist vom Selbst als dem erkennenden Subjekt die Rede, so geht es in der empirischen Forschung zunächst um das Gewahrsein der eigenen Person im Sinne „objektiver“ Selbstaufmerksamkeit resp. -bewusstheit. Die Fähigkeit, Merkmale und Eigenschaften der eigenen Person zum Objekt der Wahrnehmung zu machen und ihre Ausprägung – gegebenenfalls auch aus der Perspektive anderer – zu beurteilen, stellt die Voraussetzung für viele intra- und interpersonale Prozesse dar, z. B. für die ➝ Selbstregulation und Selbstkontrolle des Individuums, sein Erleben von ➝ Selbstwirksamkeit oder seine ➝ Selbstdarstellung gegenüber anderen Menschen. Darüber hinaus offenbart sich das Selbst als Subjekt in Prozessen der Verarbeitung selbstbezogener Information, die durch kognitive und motivationale Prinzipien gesteuert werden. 5.1

Selbstaufmerksamkeit

Gemäß der Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit von Duval und Wicklund (1972) ist die Aufmerksamkeit einer Person zu jedem gegebenen Zeitpunkt entweder auf die eigene Person oder auf ihre Umwelt gerichtet. Objektive Selbstaufmerksamkeit wird als derjenige Zustand begriffen, in dem Aspekte des Selbst den Aufmerksamkeitsfokus bilden („self awareness“). Selbstaufmerksamkeit wird jedoch auch als Persönlichkeitseigenschaft betrachtet. Personen unterscheiden sich demnach in ihrer relativ zeit- und situationsstabilen Tendenz, in den Zustand der Selbstaufmerksamkeit zu geraten („self consciousness“). Jeweils zwei Varianten der Aufmerksamkeitszentrierung werden unterschieden, nämlich private und öffentliche Zustands- und Eigenschafts-Selbstaufmerksamkeit: „Private Selbstaufmerksamkeit“ richtet sich auf Aspekte des Selbst, die nicht direkt beobachtbar sind, z. B. Gefühle, Meinungen oder Körperempfindungen. „Öffentliche Selbstaufmerksamkeit“ fokussiert hingegen Merkmale, die prinzipiell auch von Außenstehenden wahrgenommen werden können, z. B. Aussehen oder Verhalten. Im Vordergrund stehen hier Vermutungen darüber, wie diese Selbstaspekte durch die soziale Umwelt bewertet werden. Zur Messung beider Facetten dispositionaler Selbstaufmerksamkeit existieren Fragebogenverfahren, die sich in empirischen Studien als zuverlässig und gültig erwiesen haben (z. B. der SAM-Fragebogen, Filipp & Freudenberg, 1989). Personen mit hoher privater Selbstaufmerksamkeit sind diesem Verfahren zufolge v. a. durch die Tendenz zu beschreiben, häufig über sich selbst nachzudenken, während Personen mit hoher öffentlicher Selbstaufmerksamkeit sich insbesondere um ihre Wirkung auf andere besorgt zeigen. 5.2

Verarbeitung selbstbezogener Informationen

Das Selbst ist nicht nur Produkt von Prozessen der Informationsverarbeitung, sondern bestimmt seinerseits die Verarbeitung selbstbezogener Informationen mit. Bisherige Studien zu dieser Thematik wurden aus zwei unterschiedlichen theoretischen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Perspektiven realisiert: der kognitions- und der motivationstheoretischen Perspektive. Kognitionstheoretisch fundierte, zumeist experimentell angelegte Arbeiten, untersuchten den Einfluss mehr oder weniger elaborierter Selbstschemata auf die Informationsverarbeitung. Hier wurde nachgewiesen, dass selbstbezogene Informationen bevorzugt wahrgenommen und mit Aufmerksamkeit belegt, effizienter (d. h. schneller, leichter und sicherer) verarbeitet und besser erinnert werden (sog. „Selbstreferenz-Effekt“). Hinzu kommen Effekte des Selbstkonzepts auf Prozesse der sozialen Wahrnehmung: Personen, die in einem bestimmten Merkmalsbereich ein Selbstschema ausgebildet haben, formulieren in diesem Bereich nicht nur besonders sichere selbstbezogene Attributionen und Verhaltensvorhersagen. Sie nehmen diese Merkmale vielmehr auch bei anderen Personen häufiger wahr und verarbeiten Informationen, die sich auf diese Merkmale beziehen, bei der Wahrnehmung anderer Personen elaborierter und subjektiv sicherer als Informationen, die sich auf Merkmale beziehen, für die kein Selbstschema existiert. Aus einer motivationstheoretischen Perspektive wird demgegenüber analysiert, wie die Informationsverarbeitung durch affektive und motivationale Prozesse gesteuert wird (siehe Kasten „Selbstbezogene Motive“). Das „Kreuzfeuer“ dieser teils höchst widersprüchlichen selbstbezogenen Motive wurde bislang vorwiegend allgemeinpsychologisch unter dem Aspekt der situativen Anregungsbedingungen solcher Motivkonflikte, weniger hingegen mit Blick auf interindividuelle Unterschiede untersucht. Selbstbezogene Motive In unzähligen Studien hat sich etwa gezeigt, dass Menschen zu einer selbstwertdienlichen Informationsverarbeitung im Sinne einer Selbstaufwertung resp. Selbstwerterhöhung („self-enhancement“) neigen (Brown, 1991). Dies drückt sich u. a. darin aus, dass sie in der Regel positiven (im Vergleich zu negativen) Informationen über die eigene Person mehr Aufmerksamkeit schenken, solche Informationen als „zutreffender“ einschätzen, sie besser erinnern oder mehrdeutige Information positiv interpretieren. Zudem gilt das Selbstkonzept als der eigentliche Garant der Gewissheit des eigenen Seins, weshalb die Validierung oder Verteidigung selbstbezogenen Wissens und damit die Selbstbestätigung („self verification“ resp. „self consistency“) einen Wert an sich darstellen soll (Swann, Griffin, Predmore & Gaines, 1987). Demgemäß sollten selbstbezogene Informationen „konsistenzmaximierend“ verarbeitet werden, und zwar insbesondere mit Blick auf Selbstaspekte, für die Individuen ein klar artikuliertes und reichhaltig exemplargestütztes Wissen über die eigene Person aufgebaut haben, dessen sie sich sehr sicher

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sind. Dies erfolgt zuweilen selbst in den Fällen, in denen es sich um negativ getönte Selbstaspekte handelt (z. B. ein chronisch niedriges Selbstkonzept der Begabung) und in denen eine konsistenzförderliche Verarbeitung selbstbezogener Informationen sogar um den Preis der Stabilisierung eines niedrigen Selbstwertgefühls erkauft wird. Häufig wird zudem auf ein Bedürfnis nach Einzigartigkeit (Brewer, 1991) als Grundlage der selektiven Verarbeitung selbstbezogener Informationen verwiesen. Dieses Bedürfnis soll besonders zum Tragen kommen, wenn es sich um positiv bewertete Selbstaspekte handelt, während für negativ bewertete Selbstaspekte wohl eher „falscher Konsensus“ generiert wird, indem diese Merkmale als charakteristisch auch für viele andere Menschen angesehen werden. Schließlich wurden Grenzen einer einseitig „selbstwertdienlichen“, „konsistenzmaximierenden“ oder auf Wahrnehmung der „Einzigartigkeit“ abzielenden Informationsverarbeitung aufgezeigt: Damit das Selbstwissen der Zielsetzung, Planung und Ausführung eigener Handlungen dienen und einen hohen Vorhersagewert für deren Folgen aufweisen kann, muss es im Einklang mit der objektiven Datenbasis stehen. Postuliert wurde daher auch ein Bedürfnis nach möglichst exakter Selbstkenntnis („self assessment“; Trope, 1975). So suchen schon Vorschulkinder Situationen auf, in denen sie erproben können, was sie können und was sie (noch) nicht können, um Aufschluss über die Ausprägung ihrer Fähigkeiten zu gewinnen.

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Fazit und Ausblick

Aus Sicht der Differentiellen Psychologie liegt eine große Schwierigkeit darin, dass angesichts des Facettenreichtums selbstbezogenen Wissens und der Einzigartigkeit dessen, was Individuen im Verlauf ihres Lebens über sich erfahren, nomothetische Forschungsstrategien (➝ Idiographische und nomothetische Ansätze) zwangsläufig an ihre Grenzen stoßen. Die Erfassung interindividueller Unterschiede in bereichsspezifischen Selbstkonzeptfacetten – analog zu einzelnen Dimensionen oder Merkmalen der Persönlichkeit – mag zwar hier einen Ausweg bieten. Sie birgt jedoch die Gefahr, eine inflationäre Zahl von „Selbsten“ zu postulieren und dabei die Kohärenz, Konsistenz und Stabilität aus dem Blick zu verlieren, die für das Selbst als Einheit und damit für die unverwechselbare Identität des Individuums kennzeichnend sein sollen. Weitere Ansätze versuchen interindividuelle Differenzen in der Struktur des Selbstwissens auf einer „Meta-Ebene“ abzubilden, indem sie z. B. die Klarheit, Differenziertheit oder Komplexität dieses Wissens analysieren und die Auswirkungen dieser Strukturmerkmale auf das Erleben und Verhalten analysieren. Neueste Arbeiten widmen sich schließlich zunehmend der Unterscheidung impliziter („unbewusster“) und expliziter Aspekte

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des Selbstkonzepts resp. des Selbstwertgefühls und der Frage, in welcher Beziehung diese Aspekte zueinander stehen (z. B. Bosson, Brown, Zeigler-Hill & Swann, 2003).

Weiterführende Literatur Greve, W. (Hrsg.). (2000). Psychologie des Selbst. Weinheim: Psychologie Verlags Union. Leary, M. R. & Tangney, J. P. (Eds.). (2003). Handbook of self and identity. New York: Guilford Press.

Literatur Bosson, J. K., Brown, R. P., Zeigler-Hill, V. & Swann, W. B., Jr. (2003). Self-enhancement tendencies among people with high explicit self-esteem: The moderating role of implicit self-esteem. Self and Identity, 2, 169–187. Brewer, M. B. (1991). The social self: On being the same and different at the same time. Personality and Social Psychology Bulletin, 17, 475–482. Brown, J. D. (1991). Accuracy and bias in self-knowledge. In C. R. Snyder & D. R. Forsyth (Eds.), Handbook of social and clinical psychology (pp. 158–178). New York: Pergamon. Campbell, J. D., Assanand, S. & Di Paula, A. (2000). Structural features of the self-concept and adjustment. In A. Tesser, R. B. Felson & J. M. Suls (Eds.), Psychological perspectives on self and identity (pp. 67–87). Washington, DC: APA. Deusinger, I. M. (1986). Frankfurter Selbstkonzeptskalen. Göttingen: Hogrefe. Duval, S. & Wicklund, R. (1972). A theory of objective self awareness. New York: Academic Press. Filipp, S.-H. (1990). Entwurf eines heuristischen Bezugsrahmens für die SelbstkonzeptForschung: Menschliche Informationsverarbeitung und naive Handlungstheorie. In S.-H. Filipp (Hrsg.), Selbstkonzept-Forschung: Probleme, Befunde, Perspektiven (3. Aufl., S. 129–152). Stuttgart: Klett-Cotta. Filipp, S.-H. & Freudenberg, E. (1989). Der Fragebogen zur Erfassung dispositioneller Selbstaufmerksamkeit (SAM-Fragebogen). Göttingen: Hogrefe. Higgins, E. T. (1987). Self-discrepancy: A theory relating self and affect. Psychological Review, 94, 319–340. James, W. (1890). Principles of psychology. New York. NY: Holt. Linville, P. W. (1987). Self-complexity as a cognitive buffer against stress-related illness and depression. Journal of Personality and Social Psychology, 52, 663–676. Linville, P. W. & Carlston, D. E. (1994). Social cognition of the self. In P. G. Devine, D. L. Hamilton & T. M. Ostrom (Eds.), Social cognition: Impact on social psychology (pp. 144–195). San Diego, CA: Academic Press. Markus, H. (1977). Self-schemata and processing information about the self. Journal of Personality and Social Psychology, 35, 63–78. Markus, H. & Nurius, P. (1986). Possible selves. American Psychologist, 41, 954– 969.

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Ziele Goals Anja Dargel & Joachim C. Brunstein Die Fähigkeit, sich eigene Ziele zu setzen, ermöglicht es Menschen, ihr Verhalten an Zuständen und Ereignissen auszurichten, die in der Zukunft liegen, aber durch eigenes Handeln herbeigeführt werden können. Jedes Ziel weist drei psychologische Aspekte auf: 1. Ein Ziel beinhaltet einen antizipierten Zustand, der kognitiv repräsentiert ist (z. B. in Form der Absicht, eine Prüfung bestehen zu wollen). 2. Zielzustände sind mit Anreizen verknüpft (z. B. dem erwarteten Stolz über die gelungene Prüfung), die motivierend auf das Handeln wirken (z. B. auf Prüfungsvorbereitungen). 3. Ziele sind emotional besetzt, sodass die Annäherung an den jeweils angestrebten Zustand als befriedigend, Rückschläge auf dem Weg zum Ziel hingegen als enttäuschend und frustrierend erlebt werden. In den letzten Jahrzehnten wurde eine Vielzahl psychologischer Theorien entwickelt, die sich mit der Fähigkeit des Menschen beschäftigen, das eigene Handeln durch selbst gewählte Ziele, Vorhaben und Pläne zu bestimmen. Im Mittelpunkt solcher Theorien stehen Fragen wie die folgenden: Wonach strebt eine Person in einer bestimmten Lebenssituation? Was versucht sie mit ihrem Handeln zu erreichen? Wovon hängt es ab, welche Ziele sich eine Person setzt und wie erfolgreich sie bei deren Verwirklichung ist? Welche Konsequenzen ziehen Erfolge, aber auch Misserfolge beim Verfolgen bedeutsamer Ziele nach sich? In diesem Kapitel werden wir Theorien und Befunde erörtern, in denen Antworten auf solche Fragen gesucht und gegeben werden.

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Zieltheorien

Gollwitzer (1995) unterscheidet vier Arten von Zieltheorien: • • • •

Inhaltstheorien, motivationale und volitionale Theorien, kognitive Theorien und persönlichkeitspsychologische Theorien.

Inhaltstheorien erklären Unterschiede im zielführenden Handeln mit unterschiedlichen Zielinhalten. Locke und Latham (1990) vertreten die gut belegte These, dass Ziele nur dann zu effektivem Handeln führen, wenn sie hinreichend herausfordernd

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und konkret formuliert werden. Im Unterschied zu vagen und einfachen Zielen („Ich will mein Bestes geben“) sind konkrete und schwierige Ziele („Ich will meinen Rekord im 1.000-Meter Lauf in den nächsten vier Wochen um 2 Sekunden verbessern“) mit höherer Anstrengungsbereitschaft verknüpft. Nur wenn das Ziel selbst klar und eindeutig formuliert ist, bietet es Anhaltspunkte für die Bildung von Plänen, wie es zu verwirklichen ist (z. B. einen genauen Trainingsplan). Motivationale und volitionale Zieltheorien betrachten absichtsvolles Handeln als eine Abfolge von Aufgaben und Phasen, die sich von der Zielbildung über die Ausführung instrumenteller Aktivitäten bis hin zur Bewertung des jeweils Erreichten erstreckt. Ein Beispiel für eine solche Theorie ist das von Heckhausen (1989) und Gollwitzer (1991) entwickelte Rubikonmodell. Wie sehr eine Person motiviert ist, ein bestimmtes Ziel zu verfolgen, hängt zunächst davon ab, ob sie das Ziel als hinreichend attraktiv und erreichbar einschätzt. Solange sich eine Person noch nicht entschieden hat, werden unterschiedliche Wünsche nach diesen beiden Gesichtspunkten kritisch überprüft. Sobald eine Person ein bestimmtes Ziel gewählt hat (und damit den „Rubikon“ zur Zielbindung überschritten hat), wird das betreffende Ziel kaum mehr in Frage gestellt. Das eigene Denken und Handeln richten sich jetzt ausschließlich an der Realisierung des ausgewählten Ziels aus. Kognitive Theorien betrachten Ziele als Sollwerte oder Standards, die es zu erfüllen gilt. Ein Beispiel dafür ist Banduras (1989) Theorie selbst regulierten Handelns. Bei der Zielsetzung werden zunächst Diskrepanzen produziert („Ich will jede Woche 20 neue Englischvokabeln lernen“), die danach durch geeignete Maßnahmen reduziert werden sollen (z. B. Vokabeln mit einem PC-Programm erlernen). Um Fortschritte auf dem Weg zum Ziel bemessen zu können, werden Rückmeldungen eingeholt (z. B. Vokabeltests). Dies kann in der Form von Selbst-, aber auch von Fremdbewertungen erfolgen. Solange das Ziel nicht erreicht ist, werden immer wieder neue Pläne geschmiedet (z. B. eine Gedächtnisstrategie erlernen) und die eigene Anstrengung erhöht (z. B. die Lernzeit). Wichtig ist, dass eine Person davon überzeugt ist, diejenigen Handlungen ausführen zu können, die sie ihrem Ziel näher bringen (z. B. die Überzeugung, über eine gute Merkfähigkeit zu verfügen). Fehlt einer Person diese von Bandura als Selbstwirksamkeit bezeichnete Überzeugung, so verliert sie schnell den Mut und gibt auf, sobald Schwierigkeiten auftreten. Persönlichkeitspsychologische Ansätze stellen eine vierte Gruppe von Zieltheorien dar. Menschen lassen sich nicht nur durch das charakterisieren, was sie immer wieder bzw. typischerweise tun. Ebenso kennzeichnend ist für eine Person, was sie mit dem, was sie tut (z. B. viel zu arbeiten), zu erreichen oder auch zu vermeiden versucht (z. B. eine herausragende Leistung zu erbringen). Besondere Aufmerksamkeit hat diese Forschungsrichtung dadurch gefunden, dass individuelle Unterschiede im subjektiven Wohlbefinden (➝ Wohlbefinden) und in der LebensDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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anpassung mit Merkmalen assoziiert sind, welche die persönlichen Ziele von Menschen auszeichnen. Im folgenden Abschnitt gehen wir auf dieses Zielkonzept daher genauer ein.

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Persönliche Ziele

Persönliche Ziele sind Anliegen, Projekte und Bestrebungen, die eine Person in ihrem Alltag verfolgt und in unterschiedlichen Lebensbereichen erreichen oder auch vermeiden möchte (Brunstein & Maier, 1996). Persönliche Ziele geben Aufschluss darüber, wie eine Person ihre Lebenssituation gestalten möchte, welche Veränderungen sie in bestimmten Lebensbereichen anstrebt, welche Anforderungen sie meistern will und welche Fähigkeiten sie erwerben möchte. Es handelt sich um Ziele, die sich eine Person selbst zuschreibt, die sie längerfristig verfolgt, die aufs Engste mit der Gestaltung der eigenen Lebenssituation verbunden sind und denen ein hohes Maß an Bedeutsamkeit zugeschrieben wird. In der gegenwärtigen Forschung über persönliche Ziele dominieren vier Konzepte: Current Concerns, Personal Projects, Personal Strivings und Life Tasks (siehe Kasten). Gemeinsam ist diesen Konzepten die Annahme, dass Menschen zukunftsorientierte und sich selbst motivierende Wesen sind, die danach streben, ihr Leben nach eigenen Absichten zu gestalten und ihre alltäglichen Aktivitäten mit persönlicher Bedeutung zu erfüllen. Menschen, deren Alltag vom Streben nach persönlichen Zielen ausgefüllt ist, nehmen ihr Leben als sinnvoll, bedeutungsvoll und selbstbestimmt war, während Menschen, denen es an eigenen Zielen mangelt, ihr Leben als unausgefüllt, inhaltslos und fremdgeleitet empfinden. Zielkonzepte Als Current Concerns (persönliche Anliegen) bezeichnet Klinger (1977) Zustände der Zielorientierung, die aus der Bindung einer Person an für sie bedeutsame Anreize resultieren. Sobald sich eine Person entschlossen hat, ein Ziel zu verfolgen, werden ihre Gedanken, Gefühle und Handlungen auf die Zielverwirklichung ausgerichtet. Eine Zielbindung wird in der Regel erst wieder aufgelöst, wenn das betreffende Ziel erreicht ist. Die vorzeitige Aufgabe eines persönlichen Anliegens (etwa bei Schwierigkeiten, den Zielzustand zu erreichen) wird dadurch erschwert, dass Zielbindungen affektiv besetzt sind. Nach Klinger können sie nur um den Preis depressiver Stimmungen aufgelöst werden. Eng verwandt mit dem Konzept der persönlichen Anliegen sind Littles (1983) Arbeiten über Personal Projects (persönliche Projekte). Damit sind zeitlich ausgedehnte Handlungspläne gemeint, die schrittweise ausgeführt werden, um per-

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sönlich relevante Zielzustände zu erreichen. Persönliche Projekte durchlaufen eine Abfolge von Phasen, die sich von der Projektbildung, über die Planung und Realisierung des Projekts bis zur abschließenden Bewertung des Projekterfolgs erstreckt. Persönliche Projekte umfassen ein breites Spektrum von Zielen, das von alltagsbezogenen Anliegen bis hin zu Lebensträumen reichen kann. Emmons (1989) fasst persönliche Ziele als Personal Strivings (persönliche Bestrebungen) auf, d. h. als Bestrebungen, die langfristig angelegt sind und wiederkehrende Anliegen umschreiben. Persönliche Bestrebungen bringen zum Ausdruck, was eine Person in ihrem Leben typischerweise erreichen will. Emmons betrachtet persönliche Bestrebungen als dynamische und zukunftsorientierte Merkmale der Persönlichkeit, die auf einer übergeordneten Zielebene angesiedelt sind. Jede Bestrebung umfasst eine Vielfalt konkreterer Vorhaben und Pläne, durch die sie mit dem Handeln im Alltag verbunden ist. Cantor und Kihlstrom (1987) gehen davon aus, dass persönliche Ziele um Anforderungen kreisen, die eine Person in einer bestimmten Lebensphase bewältigen muss, um die ihr wichtigen Lebensaufgaben zu meistern. Die individuelle Interpretation und Bearbeitung der jeweiligen Anforderung (z. B. einen Beruf finden) wird von Cantor und Kihlstrom als Life Task (Lebensaufgabe) bezeichnet. Jede Lebensaufgabe umfasst sowohl einen angestrebten Zielzustand als auch Strategien, die zur Bewältigung der Aufgabe eingesetzt werden.

Menschen verfolgen in der Regel eine Vielfalt von Zielen, die mehr oder weniger engmaschig miteinander vernetzt sind (siehe Kasten „Differenzierung und Integration von Zielsystemen“). Prinzipiell ist davon auszugehen, dass Ziele hierarchisch organisiert sind, wobei eine höhere Zielebene einem höheren Allgemeinheitsgrad entspricht. In Zielhierarchien fungieren vielfältige konkrete und handlungsnahe Vorhaben sowie Anliegen und Projekte als Unterziele, welche dazu dienen, einige wenige übergeordnete Bestrebungen auszuführen. Die Erhebung persönlicher Ziele erfolgt in zwei Schritten (Brunstein & Maier, 1996; ➝ Idiographische und nomothetische Ansätze): Zunächst werden Personen dazu aufgefordert, Ziele, die sie in ihrer gegenwärtigen Lebenssituation verfolgen, mit eigenen Worten zu beschreiben. Anschließend werden die Personen darum gebeten, die genannten Ziele nach formalen Merkmalen (z. B. der Wichtigkeit oder Schwierigkeit eines Ziels) einzuschätzen. Zudem können die aufgeführten Ziele nach inhaltlichen Aspekten kategorisiert werden (z. B. nach Lebensbereichen oder nach motivationalen Themen). Diese Beurteilungen dienen dem Zweck, individuelle Unterschiede in relevanten Zielmerkmalen festzustellen, um diese sodann zu anderen Variablen (z. B. der Lebenszufriedenheit) in Beziehung setzen zu können.

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Differenzierung und Integration von Zielsystemen Personen unterscheiden sich darin, wie viele konkrete Einzelziele sie aus übergeordneten Bestrebungen ableiten und in welchem Ausmaß diese Einzelziele miteinander verbunden sind. Je mehr konkrete und spezifische Einzelziele verfolgt werden, desto differenzierter ist das Zielsystem einer Person. Je mehr diese Anliegen und Pläne untereinander, aber auch mit übergeordneten Bestrebungen verknüpft sind, desto integrierter ist das betreffende System. Ein Zielsystem, das beide Merkmale erfüllt, besteht aus übergeordneten Zielen, die in vielfältige Einzelvorhaben zergliedert sind. Die Einzelvorhaben unterstützen sich wechselseitig und bieten unterschiedliche Möglichkeiten, das letztlich angestrebte Oberziel zu erreichen. Ein solches Zielsystem ist höchst flexibel (viele Wege führen zum Ziel) und ermöglicht es, das eigene Handeln mit übergeordneten Bedeutungen zu verknüpfen. Das Gegenteil davon wäre ein Zielsystem, das nur aus hoch abstrakten Bestrebungen besteht, die nicht in alltagsnahe Vorhaben umgesetzt werden. Ähnlich problematisch sind Zielsysteme, die aus zusammenhanglosen oder gar miteinander konkurrierenden Einzelprojekten bestehen.

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Persönliche Ziele und subjektives Wohlbefinden

Das erfolgreiche Streben nach persönlich erfüllenden Zielen stellt eine wichtige Bedingung für die Entwicklung subjektiven Wohlbefindens dar (Brunstein, Schultheiss & Maier, 1999; ➝ Wohlbefinden). Die Befunde dazu zeigen, dass dies aber nur dann gilt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: • Strukturelle Merkmale von Zielen. Personen, die über ein differenziertes und integriertes Zielsystem verfügen, registrieren größere Fortschritte bei der Verwirklichung ihrer Ziele und fühlen sich entsprechend zufriedener als Personen, deren Ziele aus abstrakten Bestrebungen bestehen (Emmons, 1992). Als besonders belastend erweisen sich Ziele, die miteinander im Konflikt stehen, weil sie sich widersprechen oder weil sie um begrenzte Ressourcen (z. B. die verfügbare Zeit) konkurrieren. Emmons (1989) berichtete, dass Personen mit hohen Zielkonflikten mehr Krankheitssymptome aufwiesen, häufiger zum Arzt gingen und sich stärker ängstlich und deprimiert fühlten als Personen, deren Ziele harmonisch aufeinander abgestimmt waren. • Inhaltliche Merkmale von Zielen. Hier sind zwei Aspekte hervorzuheben. Zum einen wurde häufiger gefunden, dass Menschen, die überwiegend materielle und machtbezogene Ziele verfolgen (z. B. Reichtum und soziales Prestige), mit ihrem Leben weniger zufrieden sind als Personen, die nach sozialer Nähe, geistiger Kompetenz und Aktivitäten streben, die in sich selbst beglückend sind (z. B. Bergsteigen oder andere interessengeleitete Aktivitäten). Zum anderen hängt

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subjektives Wohlbefinden ganz entscheidend davon ab, ob Ziele mit positiven (Annäherungsziele) oder mit negativen Anreizen (Vermeidungsziele) verbunden sind. Vermeidungsziele („Ich will nicht einsam sein“) werden als belastend erlebt, sind mit Angstgefühlen besetzt und bringen bestenfalls Gefühle der Erleichterung, nicht aber des Lebensglücks, mit sich. Da sie keine konkreten Vorstellungen über erstrebenswerte Zustände beinhalten, verleiten Vermeidungsziele zu grüblerischem Denken und bieten keine konkreten Ansatzpunkte für zielgerichtetes Handeln. Entsprechend fühlen sich Personen, die Vermeidungsziele verfolgen, oft weniger erfolgreich als Personen, die ihre Ziele mit positiven Anreizen verbinden („Ich will mehr mit meinen Freunden unternehmen“), selbst wenn sie äußerlich vergleichbare Ergebnisse erzielen. • Selbstbestimmtheit von Zielen. Persönliche Ziele können mehr oder weniger gut auf eigene Interessen, Werte und Überzeugungen abgestimmt sein (➝ Werte und Werthaltungen). Ziele lassen sich danach unterscheiden, ob sie von einer Person selbst bestimmt werden oder ob sie aus der Übernahme fremdbestimmter Erwartungen resultieren. Sheldon und Kasser (1998) fanden, dass selbstbestimmte Ziele zu hoher Lebenszufriedenheit führen, während fremdbestimmte Ziele das eigene Wohlbefinden untergraben. Im letztgenannten Fall sind Ziele, die sich eine Person zu Eigen macht, von den eigenen inneren Bedürfnissen abgekoppelt. Zudem wird die Realisierung fremdbestimmter Ziele durch andere Personen kontrolliert, was wiederum das menschliche Bedürfnis nach Autonomie untergräbt. • Entschlossenheit, Realisierbarkeit und Bedürfniskongruenz. Brunstein et al. (1999) erklären subjektives Wohlbefinden aus dem Zusammenspiel dreier Faktoren (vgl. Kasten): 1. der Stärke der Bindung (Entschlossenheit), die eine Person für eigene Ziele entwickelt; 2. der Eignung der bestehenden Lebenssituation (Realisierbarkeit) für die Verwirklichung der jeweils verfolgten Ziele; 3. der Stimmigkeit der ausgewählten Ziele mit den eigenen inneren Bedürfnissen (Bedürfniskongruenz). Abbildung 1 illustriert die Annahmen des Modells, das in Untersuchungen mit Studierenden, Berufstätigen, Ehepaaren, älteren Menschen und klinischen Stichproben überprüft worden ist (vgl. Brunstein et al., 1999; Brunstein & Maier, 1996, 2002). Die Befunde zeigen übereinstimmend, dass die Höhe der Entschlossenheit dafür ausschlaggebend ist, wie stark das eigene Wohlbefinden vom Streben nach persönlichen Zielen abhängig gemacht wird. Hohe Entschlossenheit allein führt aber noch nicht zu hohem Wohlbefinden. Dafür benötigt eine Person zusätzlich auch günstige Lebensbedingungen, die sie für die Verwirklichung ihrer Ziele nutzen kann. Ist beides der Fall (hohe Entschlossenheit und günstige Lebensbedingungen), so fördert dies Fortschritte bei der Verwirklichung von Zielen. Hohes Wohlbefinden ist die Folge davon. Allerdings können Erfolgserlebnisse mehr oder weniger befriedigend wirken. Nur wenn Ziele eigenen übergeordneten Bedürfnissen entspringen, führen Fortschritte zu hohem Wohlbefinden (Schmuck & Sheldon, 2001). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Entschlossenheit, Realisierbarkeit und Bedürfniskongruenz Entschlossenheit bezeichnet das Ausmaß, in dem sich Menschen mit ihren Zielen identifizieren, sich für ihre Realisierung verantwortlich fühlen und bereit sind, dafür auch Anstrengung und Ausdauer einzusetzen. Die Realisierbarkeit eines Ziels gibt demgegenüber Aufschluss darüber, wie günstig (oder ungünstig) eine Person ihre Lebenssituation für die Verwirklichung ihrer Ziele einschätzt. Hohe Realisierbarkeit ist gegeben, wenn eine Person ausreichend Zeit und Gelegenheit hat, um etwas für ihre Ziele zu tun; wenn sie die Verwirklichung ihrer Ziele selbst beeinflussen kann; und wenn sie bei ihren Bemühungen mit der Unterstützung ihrer sozialen Umwelt rechnen kann. Bedürfniskongruenz bedeutet hingegen, dass ein Ziel für die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse geeignet ist (z. B. dem Bedürfnis nach sozialer Nähe, nach Autonomie oder nach Kompetenz). Da sich Menschen über die Beschaffenheit ihrer Bedürfnisse nicht immer im Klaren sind, übernehmen sie gelegentlich auch Ziele, die ihren inneren Motiven entgegenstehen.

Bedürfniskongruenz der Ziele

Entschlossenheit, persönliche Ziele zu verfolgen

Fortschritte bei der Zielverwirklichung

Subjektives Wohlbefinden

Realisierbarkeit von persönlichen Zielen

Abbildung 1: Zielmodell des subjektiven Wohlbefindens (nach Brunstein et al., 1999, S. 174)

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Persönliche Ziele und soziale Unterstützung

Häufig sind Menschen darauf angewiesen, Unterstützung von relevanten Bezugspersonen zu erhalten, um ihre Vorhaben und Pläne verwirklichen zu können (➝ Soziale Unterstützung). Demgegenüber ist es sehr belastend, wenn Ziele mit sozialen Konflikten verbunden sind (weil sie z. B. im Widerspruch zu den Zielen nahe stehender Personen stehen). Brunstein, Dangelmayer und Schultheiss (1996) unter-

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suchten den Zusammenhang zwischen Zielverwirklichung und sozialer Unterstützung in Partnerschaften. In einer Studie wurden persönliche Ziele von Personen erfasst, die sich erst seit kurzer Zeit in einer Partnerschaft befanden. Die Ergebnisse bestätigten die Vermutung, dass Personen, die von ihrem Partner bei der Verwirklichung ihrer Ziele unterstützt wurden (z. B. emotional, aber auch handlungsbezogen), sehr viel erfolgreicher waren und sich in ihrer Partnerschaft glücklicher fühlten als Personen, die weniger Unterstützung durch ihre Partner erhielten. In einer zweiten Untersuchung, an der langjährig verheiratete Paare teilnahmen, zeigte sich zudem, dass partnerschaftliche Unterstützung nur in dem Maße förderlich wirkt, wie die Ziele des einen Ehepartners auch dem jeweils anderen Partner bekannt sind. Ähnliche Ergebnisse berichteten Maier und Brunstein (2001) in einer Studie bei Berufsanfängern. Junge Beschäftigte, die in ihren beruflichen Zielen durch Vorgesetzte und Kollegen unterstützt wurden, verzeichneten im ersten Jahr ihrer Berufstätigkeit einen Anstieg in ihrer Arbeitszufriedenheit und entwickelten ein hohes Maß an Identifikation mit ihrem Unternehmen.

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Veränderungen von Zielen im Lebensverlauf

Welche Art von Zielen Menschen verfolgen, hängt wesentlich von den sozial definierten Aufgaben ab, die mit bestimmten Entwicklungsphasen des Lebenslaufs verbunden sind. Nurmi (1992) fand, dass sich die Ziele jüngerer Erwachsener primär um Fragen der Ausbildung, der Partnerschaft und Familiengründung drehen. Im mittleren Erwachsenenalter kreisen Ziele zumeist um Themen wie die berufliche Entwicklung und die Erziehung der Kinder. Im höheren Lebensalter treten Ziele in den Vordergrund, die sich um Fragen der Gesundheit, der Freizeitgestaltung und der Entwicklung von Weisheit und Sinngebung drehen. Ein weiterer, vom Lebensalter abhängiger Unterschied im Streben nach Zielen betrifft deren Kontrollierbarkeit. Ältere Erwachsenen schreiben sich geringeren Einfluss auf die Verwirklichung ihrer Ziele zu als dies jüngere Erwachsene tun. Brandtstädter und Renner (1990) fanden, dass mit zunehmendem Alter allerdings auch die Fähigkeit zunimmt, sich von aussichtslosen und stressvollen Zielen abzulösen (➝ Gerontopsychologie: Erfolgreiches Altern). Jüngere Erwachsene sind weit seltener in der Lage, unrealistische Ziele aufzugeben, sodass sie sich gelegentlich in aussichtslose Vorhaben verrennen.

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Anwendungsfelder

Zunehmend wird dem Konzept der persönlichen Ziele auch in Anwendungsfeldern der Psychologie Beachtung geschenkt. Im Bereich der klinischen Psychologie geht es z. B. darum zu klären, in welcher Beziehung persönliche Ziele Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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zu emotionalen Auffälligkeiten stehen (Lecci, Karoly, Briggs & Kuhn, 1994). Die Befunde zeigen, dass sich Personen mit hoher Depressivität und Ängstlichkeit, psychosomatischen Beschwerden oder Nikotin- und Alkoholmissbrauch häufig an Ziele binden, die unrealistisch sind und die im Konflikt miteinander stehen. Persönliche Ziele werden auch in therapeutische Prozesse mit einbezogen. In der Selbstmanagement-Therapie von Kanfer, Reinecker und Schmelzer (1991) werden sie für die Diagnostik von Anpassungsprozessen, für den Aufbau der Therapiemotivation und für die Planung der Verhaltensmodifikation genutzt. Auch in der Organisationspsychologie findet das Konzept der persönlichen Ziele verstärkt Anwendung (Maier & Brunstein, 2001). Einerseits ist es wichtig, dass die Ziele von Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz angemessen berücksichtigt werden. Andererseits kommt es aber auch darauf an, individuelle Ziele auf die Ziele des Unternehmens (bzw. der Abteilung oder Arbeitsgruppe) abzustimmen (z. B. in Zielvereinbarungsgesprächen). Bei Berufseinsteigern wird dieser Abstimmungsprozess in Trainee-Programmen eingeübt. Gemäß des Leitbilds der proaktiven Sozialisation werden Berufsanfänger als mitgestaltende Akteure ihrer beruflichen Entwicklung betrachtet. Dieser Prozess umfasst auch die Entwicklung von Strategien (z. B. Suche nach Informationen, Einholen von Feedback, Bildung sozialer Netzwerke), welche für die Verwirklichung eigener Berufsziele benötigt werden und die Eingliederung in das Unternehmen erleichtern sollen.

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Fazit

Ziele bieten wichtige Orientierungspunkte, um das eigene Leben selbstbestimmt planen und aktiv ausgestalten zu können. Die Bildung und Verwirklichung von persönlich bedeutsamen Zielen ermöglicht es Menschen, die Architektur ihres eigenen Lebens zu entwerfen. Dabei sind allerdings auch Einschränkungen zu berücksichtigen, die sowohl in eigenen Fähigkeiten wie auch in den existierenden Lebensumständen liegen können. Persönliche Ziele können zu einer Quelle subjektiven Wohlbefindens werden; sie können aber auch als belastend und stressvoll erlebt werden. Neben der Fähigkeit, sich an Ziele zu binden, gehört zu einer effektiven Lebensgestaltung daher auch die Fähigkeit, sich von aussichtslosen Unternehmungen wieder lösen zu können. Die Quintessenz der hier berichteten Befunde lautet, dass Ziele nur in dem Maße für die Entwicklung und das Wohlbefinden von Menschen förderlich sind, wie sie sowohl mit inneren Bedürfnissen als auch mit äußeren Erfordernissen im Einklang stehen. In der Ermittlung derjenigen Kompetenzen, welche diese konstruktive Tätigkeit begünstigen, wird eine wichtige Aufgabe für die zukünftige Forschung liegen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Weiterführende Literatur Brunstein, J. C. & Maier, G. W. (2002). Das Streben nach persönlichen Zielen: Emotionales Wohlbefinden und proaktive Entwicklung über die Lebensspanne. In G. Jüttemann & H. Thomae (Hrsg.), Persönlichkeit und Entwicklung (S. 157–190). Weinheim: Beltz. Schmuck, P. & Sheldon, K. M. (Eds.). (2001). Life goals and well-being: Towards a positive psychology of human striving. Seattle: Hogrefe & Huber Publishers.

Literatur Bandura, A. (1989). Self-regulation of motivation and action through internal standards and goal systems. In L. A. Pervin (Ed.), Goal concepts in personality and social psychology (pp. 19–85). Hillsdale, NJ: Erlbaum. Brandtstädter, J. & Renner, G. (1990). Tenacious goal pursuit and flexible goal adjustment: Explication and age-related analysis of assimilative and accommodative strategies of coping. Psychology and Aging, 5, 58–67. Brunstein, J. C., Dangelmayer, G. & Schultheiss, O. C. (1996). Personal goals and social support in close relationships: Effects on relationship mood and marital satisfaction. Journal of Personality and Social Psychology, 71, 1006–1019. Brunstein, J. C. & Maier, G. W. (1996). Persönliche Ziele: Ein Überblick zum Stand der Forschung. Psychologische Rundschau, 47, 146–160. Brunstein, J. C. & Maier, G. W. (2002). Das Streben nach persönlichen Zielen: Emotionales Wohlbefinden und proaktive Entwicklung über die Lebensspanne. In G. Jüttemann & H. Thomae (Hrsg.), Persönlichkeit und Entwicklung (S. 157–190). Weinheim: Beltz. Brunstein, J. C., Schultheiss, O. C. & Maier, G. W. (1999). The pursuit of personal goals: A motivational approach to well-being and life adjustment. In J. Brandtstädter & R. M. Lerner (Eds.), Action and self-development: Theory and research through the life span (pp. 169–196). Thousand Oaks: Sage. Cantor, N. & Kihlstrom, J. F. (1987). Personality and social intelligence. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall. Emmons, R. A. (1989). The personal striving approach to personality. In L. A. Pervin (Ed.), Goal concepts in personality an social psychology (pp. 87–126). Hillsdale, NJ: Erlbaum. Emmons, R. A. (1992). Abstract versus concrete goals: Personal striving level, physical illness and psychological well-being. Journal of Personality and Social Psychology, 62, 292–300. Gollwitzer, P. M. (1991). Abwägen und Planen: Bewusstseinslagen in verschiedenen Handlungsphasen. Göttingen: Hogrefe. Gollwitzer, P. M. (1995). Zielbegriffe und -theorien in der heutigen Psychologie. In K. Pawlik (Hrsg.), Bericht über den 39. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Hamburg, 1994 (S. 295–300). Göttingen: Hogrefe. Heckhausen, H. (1989). Motivation und Handeln (2. Aufl.). Berlin: Springer. Kanfer, F. H., Reinecker, H. & Schmelzer, D. (1991). Selbstmanagement-Therapie. Berlin: Springer. Klinger, E. (1977). Meaning and void: Inner experience and the incentives in people’s lives. Minneapolis: University of Minnesota Press.

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Lecci, L., Karoly, P., Briggs, C. & Kuhn, K. (1994). Specificity and generality of motivational components in depression: A personal projects analysis. Journal of Abnormal Psychology, 103, 404–408. Little, B. R. (1983). Personal projects. A rationale and method for investigation. Environment and Behavior, 15, 273–309. Locke, E. A. & Latham, G. P. (1990). A theory of goal setting and task performance. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall. Maier, G. W. & Brunstein, J. C. (2001). The role of personal work goals in newcomers’ job satisfaction and organizational commitment: A longitudinal analysis. Journal of Applied Psychology, 80 (5), 1034–1042. Nurmi, J.-E. (1992). Age differences in adult life goals, concerns, and their temporal extension: A life course approach to future-oriented motivation. International Journal of Behavioral Development, 15, 487–508. Schmuck, P. & Sheldon, K. M. (Eds.). (2001). Life goals and well-being: Towards a positive psychology of human striving. Seattle: Hogrefe & Huber Publishers. Sheldon, K. M. & Kasser, T. (1998). Pursuing personal goals: Skills enable progress but not all progress is beneficial. Personality and Social Psychology Bulletin, 24, 1319–1331.

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Motive Motives Clemens H. Schmitt & Joachim C. Brunstein

Was spornt manche Menschen dazu an, anspruchsvolle Aufgaben zu meistern, während andere Menschen Herausforderungen lieber aus dem Weg gehen? Wieso streben einige Menschen nach sozialem Einfluss und Prestige, während andere im geselligen Zusammensein Erfüllung finden? Dem Streben nach Effizienz (Leistung), Dominanz (Macht) und geselligem Zusammensein (Affiliation) liegen Motive zu Grunde, die als Antriebskräfte menschlichen Handelns wirken. Motiviertes Verhalten zeichnet sich durch Zielgerichtetheit (im Hinblick auf einen angestrebten Zustand) und Intensität (Anstrengung) aus. Es erfordert sowohl Neigungen und Präferenzen auf der Seite der Person (z. B. ein hohes Leistungsmotiv) als auch dazu passende Anreize in der gegebenen Situation (z. B. eine knifflige Aufgabe). Menschen, die motiviert sind, führen bestimmte Verhaltensweisen (z. B. etwas Neues zu lernen oder Kontakt mit anderen Menschen aufzunehmen) häufiger und ausdauernder aus als Menschen, die keine vergleichbare Motivation besitzen. Neben Fertigkeiten werden Motive daher als bedeutsame Einflussgrößen des Verhaltens angesehen. Ein hoch motivierter Schüler, der häufig und gründlich lernt, wird seine Talente besser ausschöpfen können als ein gleichfalls begabter, aber weniger motivierter Schüler. Instinkte, Triebe und Motive Der Begriff des Motivs weist in der Psychologie eine lange Vorgeschichte auf. McDougall (1908) erklärte zielgerichtetes Verhalten durch Instinkte, welche die Wahrnehmung für bedürfnisrelevante Objekte sensibilisieren (z. B. essbare Objekte bei Hunger) und von denen Handlungsimpulse im Hinblick auf solche Objekte ausgehen (z. B. Nahrungssuche bei Hunger). Den Kern jedes Instinkts bildet eine spezifische Emotion (z. B. Freude, Furcht, Ärger), die das Verhalten auf die Annäherung an (z. B. Erkundung bei Neugier) oder die Abwendung von (z. B. Flucht bei Furcht) Objekten der Umwelt ausrichtet. Während die betreffenden Emotionen als angeboren galten, betrachtete McDougall ihre Verknüpfung mit Umweltgegebenheiten und instrumentellem Verhalten als Resultat der Lernerfahrung. Ähnlich betrachtete Freud (1952/1915) angeborene und unbewusst wirkende Triebe als die energetische Grundlage menschlichen Verhaltens und Erlebens (➝ Psychoanalytische Persönlichkeitstheorien). Triebe wirken wie innere Reize, die auf Befriedigung durch „Triebabfuhr“ und Reizreduktion drängen. Triebe

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sind im ES lokalisiert, gegenüber der Umwelt blind und finden erst durch die realitätsbezogene Instanz des ICH Kontakt zur Außenwelt. Zudem können Triebimpulse durch das ÜBER-ICH zensiert und gegebenenfalls ins Unbewusste verdrängt werden, sofern sie mit elterlichen und sozialen Normen unvereinbar sind. Aus dem Wechselspiel einander entgegengesetzter Triebe (z. B. Selbsterhaltung und Destruktion) und miteinander konkurrierender Instanzen des Seelenlebens ergibt sich die Vielfalt psychischer Phänomene, einschließlich klinischer Auffälligkeiten. Murray (1938) teilte mit Freud die Auffassung, dass viele Motive unbewusst sind. Anders als Freud ging Murray aber davon aus, dass Motive (needs) ganz unmittelbar mit bedürfnisanregenden Gegebenheiten der Umwelt (press) verschränkt sind. Murray unterteilte Motive in primäre und sekundäre Motive. Erstere (z. B. Hunger oder Durst) werden durch physiologische Prozesse reguliert, während Letztere (z. B. Leistung, Autonomie, Dominanz und Affiliation) durch individuelle Erfahrung erworben werden. Maslow (1954) bezeichnete „höhere“ Motive (z. B. Leistung, Geltung und Anerkennung) auch als wachstumsorientierte Bedürfnisse, weil von ihnen wichtige Impulse für die Entwicklung der Persönlichkeit ausgehen, und grenzte sie von Mangelbedürfnissen, wie dem Streben nach Sicherheit und der Befriedigung physiologischer Bedürfnisse, ab. Vorrangig ist stets die Befriedigung der „niederen“ Bedürfnisse, da sie für das Überleben des Menschen relevant sind (➝ Humanistische Persönlichkeitstheorien). McClelland (1987) übernahm die Vorstellung, dass Emotionen die Grundlage menschlicher Motive bilden und dass Menschen sich der Motive ihres eigenen Handelns häufig nicht bewusst sind. Dies ist aber weniger auf Akte der Verdrängung oder auf seelische Konflikte zurückzuführen, als darauf, dass Motive in der frühen Kindheit erworben werden und daher der Selbsteinsicht schwer zugänglich sind. Auch das Prinzip der Triebreduktion wurde später aufgegeben. Motive können ganz im Gegenteil mit dem Herstellen anregungsreicher Situationen verbunden sein und darin Befriedigung finden (z. B. bei Neugier gegenüber fremdartigen Umgebungen und Objekten).

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Definition und Funktionsweise von Motiven

McClelland (1987) definiert ein Motiv als wiederkehrendes Anliegen, sich mit Anreizen in der Umwelt auseinander zu setzen, die Erfahrungen der emotionalen Befriedigung vermitteln. Ein Motiv, wie z. B. das Leistungsmotiv, beeinflusst das Verhalten auf dreierlei Weise: Es richtet die Aufmerksamkeit auf Umweltreize aus, die auf die Möglichkeit hindeuten, motivrelevante Anreize auskosten zu können (z. B. stolz darauf sein zu können, eine schwierige Aufgabe zu meistern); sie Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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fördern den Erwerb von Fertigkeiten, die für die Befriedigung des betreffenden Motivs relevant sind (z. B. das Erlernen einer neuen Sprache); und sie verleihen dem Verhalten die nötige Energie, damit angestrebte Zustände durch eigenes Handeln herbeigeführt werden können (z. B. sich auf eine Prüfung vorzubereiten). Messung von Motiven Viele Motivforscher gehen von der Vorstellung aus, dass Motive am unmittelbarsten in der Phantasie zum Ausdruck kommen. Murray (1943) entwickelte den Thematischen Apperzeptionstest (TAT), um Motive aus dem Inhalt von Geschichten zu erschließen, die eine Person bei der Betrachtung motivanregender Bilder generiert. Später übernahm McClelland dieses Verfahren, um Rückschlüsse auf die Stärke des Leistungsmotivs sowie des Macht- und Affiliationsmotivs zu ziehen. Neben positiven Phantasien (z. B. Erfolgszuversicht) können auch negative Phantasien (z. B. Misserfolgsangst) mit Hilfe des TAT erfasst werden (Heckhausen, 1989). Den Testpersonen werden vier bis sechs Bildtafeln vorgelegt, auf denen z. B. ein Mann, der an einem Schreibtisch sitzt, oder ein Mann und eine Frau, die in ein Restaurant besuchen, dargestellt sind. Jedes Bild soll von der Testperson aufgefasst und in eine anschauliche Geschichte umgesetzt werden. Sie soll darlegen, wer die beteiligten Personen sind, was in ihnen vorgeht, wie es zu der Situation gekommen ist und wie die Geschichte ausgehen wird. Die Testperson wird aufgefordert, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen. Zur Auswertung liegen standardisierte Inhaltsschlüssel vor. Das Ziel dieses Vorgehens besteht darin, Motive möglichst frei von Tendenzen zur Selbstdarstellung, von tatsächlichen Fertigkeiten und von situativen Einflüssen erfassen zu können. Obgleich der TAT weit verbreitet ist, wurde seine Messgenauigkeit immer wieder in Frage gestellt. Phantasiegeschichten sind für momentane Einflüsse, wie die Stimmung einer Person, anfällig und können daher bei wiederholter Messung deutlich variieren. Daher ist darauf zu achten, dass der TAT unter standardisierten Bedingungen abgenommen wird. Alternativ dazu werden Motive mit Fragebögen erfasst. Hierbei werden Aussagen vorgegeben, die für ein bestimmtes Motiv als charakteristisch gelten. Ein Beispiel dafür ist die von Jackson (1984) entwickelte „Personality Research Form“, in der z. B. folgende Aussagen nach dem Grad der Zustimmung beurteilt werden: Leistung: „Ich hasse es, eine Arbeit gleichgültig zu verrichten.“ Dominanz: „Führungsqualitäten sind sehr wichtig für mich.“ Affiliation: „Ich verbringe viel Zeit damit, Freunde zu besuchen.“ McClelland (1987) kann als Pionier der Motivforschung angesehen werden. Er ging von der Vorstellung aus, dass Motive in der frühen Kindheit erworben werden und dass sie auf Verhalten einwirken, ohne dass dies von einer Person bewusst

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gesteuert und reflektiert wird. Daher werden neben Fragebögen auch indirekte Verfahren eingesetzt (z. B. die Erfassung von Motiven in der Fantasietätigkeit), um die Stärke von Motiven zu erfassen (siehe Kasten). Die Motive Leistung, Macht und Affiliation werden als drei Bestrebungen angesehen, die unabhängig voneinander existieren und in jeder erdenklichen Kombination bei einer Person auftreten können. Wie stark ein überdauerndes Motiv ausgeprägt ist, hängt von Erziehungseinflüssen und Sozialisationserfahrungen ab (siehe Kasten). Die wiederholte Erfahrung, dass bestimmte Verhaltensweisen mit positiven Konsequenzen verbunden sind, führt zum Aufbau eines Motivs, das anschließend langfristig verhaltenswirksam wird. Salopp ausgedrückt stellen Motive „Wiederholungstäter“ dar. Sie zielen darauf ab, Erfahrungen, die als befriedigend erlebt werden, erneut herbeizuführen. Da sich Menschen darin unterscheiden, wie sehr sie bestimmte Verhaltensweisen als emotional befriedigend erlebt haben, sind auch ihre Motive unterschiedlich stark ausgeprägt. Bevor ein Motiv verhaltenswirksam wird, muss es angeregt werden. Dies geschieht in Situationen, die auf Grund früherer Erfahrungen mit der Möglichkeit assoziiert werden, angenehme Emotionszustände wiederherzustellen. Gefühle der Geborgenheit werden z. B. eher in der Anwesenheit vertrauter Menschen erlebt als in Situationen, in denen es um die Lösung einer Aufgabe geht. Neben dem Motiv selbst kommt es daher immer darauf an, dass eine Situation Anreize enthält, die für die Befriedigung eines Motivs geeignet sind.

Erziehungseinflüsse auf die Motiventwicklung McClelland und Pilon (1983) untersuchten, welche Erziehungsmerkmale im Kindesalter mit der Ausprägung von Motiven im Erwachsenenalter in Verbindung stehen. Hoch leistungsmotivierte Erwachsene wurden in ihrer Kindheit früh zur Sauberkeit erzogen und an feste Zeiten für die Einnahme von Mahlzeiten gewöhnt. Zudem wurden an sie hohe Selbstständigkeitsanforderungen gestellt. Die Bewältigung schwieriger Aufgaben wurde durch körperliche Zuneigung belohnt. Bei Erwachsenen mit hohem Machtmotiv wurden aggressive Handlungen und die Exploration der eigenen kindlichen Sexualität toleriert. Solche Verhaltensweisen vermitteln lustvolle Erfahrungen der sozialen und selbstbezogenen Wirksamkeit, sofern sie nicht von den Eltern sanktioniert werden. Erwachsene mit hohem Affiliationsmotiv hatten in ihrer Kindheit wenig Zuwendung erlebt. Dies lässt vermuten, dass bei diesem Motiv die Vermeidung von Erfahrungen des Verlassenseins eine wichtige Rolle spielt. Auffällig ist zudem, dass die vorgenannten Erziehungsmerkmale keiner besonderen sprachlichen Vermittlung bedürfen. McClelland und Pilon schlussfolgerten hieraus, dass die Wurzeln der Entwicklung von Motiven in der frühen Kindheit liegen.

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Motive und Verhaltensmerkmale

Am intensivsten wurden die drei Motive Leistung, Macht und Affiliation untersucht (McClelland, 1987). Leistungsmotivierten Personen geht es darum, etwas besser und effektiver zu machen, eigene Standards zu übertreffen und als Folge davon Gefühle des Stolzes zu erleben. Personen, die über ein starkes Leistungsmotiv verfügen, suchen Situationen auf, in denen sie für die Ergebnisse ihres Handelns selbst verantwortlich sind, denn nur so können sie Rückschlüsse über ihre persönlichen Fähigkeiten ziehen. Sie bevorzugen Aufgaben mittlerer Schwierigkeit, denn bei solchen Aufgaben hängt der Erfolg von der eigenen Anstrengung ab. Ein hohes Leistungsmotiv ist mit Innovation und Kreativität im Erwachsenenalter verknüpft. Autonomie, Neuheit und Originalität bilden Anziehungspunkte für dieses Motiv. Das Leistungsmotiv sagt auch den Erfolg in einer Berufslaufbahn vorher, zumindest solange die betreffende Laufbahn vom persönlichen Können abhängig ist (nicht aber dann, wenn es darum geht, andere Personen zu hohen Leistungen anzuspornen). All dies gilt streng genommen nur, wenn das Leistungsmotiv von der Aussicht auf Erfolg bestimmt wird. Misserfolgsängstliche Menschen messen Leistungen gleichfalls hohe Bedeutung zu, versuchen jedoch ihre Versagensangst zu reduzieren, indem sie anspruchsvollen Aufgaben aus dem Weg gehen (Heckhausen, 1989). Das Machtmotiv speist sich aus Gefühlen der Stärke und der Überlegenheit gegenüber anderen Personen. Solche Gefühle stellen sich ein, wenn die Erfahrung gemacht wird, dass das eigene Verhalten sozial wirksam ist. Dies setzt wiederum voraus, dass eine Person willens und in der Lage ist, andere Menschen zu beeinflussen und von sich selbst zu beeindrucken. Die Mittel, die dafür eingesetzt werden, sind vielfältig. Das Vorzeigen von Statusobjekten gehört ebenso dazu wie der Versuch, andere Menschen in einer kontroversen Diskussion von der eigenen Meinung zu überzeugen. Machtmotivierte Menschen sind konkurrenzorientiert, genießen den Wettstreit mit anderen Personen und neigen dazu, sich mit Ämtern zu überhäufen. Je nach Fähigkeit und Werthaltung kann sich ein starkes Machtmotiv das eine Mal in sozialer Verantwortung (z. B. durch Übernahme einer Führungsposition), das andere Mal aber in sozial abträglichem Verhalten äußern (z. B. aggressiven Handlungen). Studien legen zudem Zusammenhänge mit hormonellen Prozessen nahe (McClelland, 1989). Die Anregung des Machtmotivs (z. B. in einer Konfliktsituation) geht z. B. mit der verstärkten Ausschüttung von Noradrenalin und Adrenalin einher, zwei Stoffwechselhormonen, die der Vorbereitung und Ausführung von Angriffs- und Verteidigungsverhalten dienen. Schultheiss und Rohde (2001) fanden, dass in einem Leistungswettbewerb, in dem zwei Spieler von Angesicht zu Angesicht miteinander konkurrierten, machtmotivierte Gewinner den höchsten Anstieg an Testosteron in Speichelproben zeigten, die nach dem Wettstreit erhoben wurden. Zu den Schattenseiten des Machtmotivs gehört, dass

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es mit erhöhten Krankheitsrisiken verbunden ist (McClelland, 1989). Dies wird zum einen damit erklärt, dass die Anregung von Machttendenzen die Funktionstüchtigkeit des Immunsystems reduziert. Zum anderen ist ein starkes Machtmotiv mit ungesunden und risikoreichen Verhaltensweisen verknüpft (z. B. Alkoholkonsum unter Stress). In Verbindung mit sozialen und berufsbedingten Belastungen zeigen Machtmotivierte ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen. Beim Affiliationsmotiv handelt es sich um Gefühle der Sympathie und Nähe. Solche Gefühle stellen sich in der Regel ein, wenn Aktivitäten gemeinsam mit anderen Menschen ausgeführt werden. Der Aufbau freundschaftlicher und warmherziger Beziehungen ist für affiliationsmotivierte Menschen ein besonders wichtiges Anliegen. Sie sind zumeist kommunikationsfreudig, bevorzugen ungezwungene Kontakte, schreiben häufiger Briefe und telefonieren öfter als weniger anschlussfreudige Menschen. In Arbeitssituationen verhalten sie sich eher kooperativ. Gelegentlich neigen sie zu Konformität, weil hierdurch ihr Gemeinschaftsgefühl bestätigt wird. Im beruflichen Bereich kann diese Neigung ihre Durchsetzungsfähigkeit beeinträchtigen und innere Konflikte erzeugen, sofern Entscheidungen zu fällen sind, die dem Bedürfnis nach Harmonie entgegenstehen. Affiliationsmotivierte Menschen verfügen meist über ein ausgedehntes Netzwerk sozialer Beziehungen, das sie zur Abfederung stressvoller Ereignisse nutzen können.

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Motive und gesellschaftliche Entwicklung

Motive sind nicht nur für die individuelle, sondern auch für die gesellschaftliche Entwicklung bedeutsam. Um die kollektive motivationale Orientierung einer Gesellschaft zu bestimmen, wertete McClelland (1961) Schul- und Gesangsbücher aus und bestimmte inhaltsanalytisch die darin vorherrschenden Themen. Dabei zeigte sich, dass ein hohes (kollektives) Leistungsmotiv mit ökonomisch relevanten Indikatoren, wie dem Patentindex, Produktions- und Exportraten sowie mit der Anzahl von Unternehmensgründungen in Verbindung steht. In Gesellschaften, die durch ein hohes Affiliationsmotiv gekennzeichnet sind, wohnen die Kinder näher bei den Eltern; Gewalttätigkeiten in Familien kommen dort seltener vor und die Hilfsbereitschaft ist generell stärker ausgeprägt als in Gesellschaften, die weniger anschlussmotiviert sind. Hohe Machtmotivation geht auf der gesellschaftlichen Ebene mit einer erhöhten Konfliktbereitschaft einher und mit der Neigung, bestehende Konflikte mit Mitteln der Gewalt zu lösen. Besonders bekannt wurden Untersuchungen, in denen David Winter die Motive von US-Präsidenten analysierte und sie zu deren historischer Bedeutung in Beziehung setzte.

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Motive von US-Präsidenten Winter (1987) entwickelte ein Verfahren der Inhaltsanalyse, mit dessen Hilfe Motive aus programmatischen Reden (z. B. beim Amtsantritt) von US-Präsidenten erschlossen werden können. Die Bedeutung einzelner Präsidenten ließ Winter durch Historiker beurteilen. Hieraus ergaben sich folgende Befunde: Das Leistungsmotiv scheint für die präsidiale Effizienz keine nennenswerte Rolle zu spielen, ganz im Gegensatz zum Machtmotiv, das mit der historischen Bedeutung von Präsidenten in enger Verbindung steht. Dieser Einfluss nimmt noch zu, wenn das Affiliationsmotiv schwach ausgeprägt ist. Genau diese Motivkonstellation (hohes Machtmotiv bei gleichzeitig geringem Affiliationsmotiv) zeichnete Personen wie Kennedy, Truman und beide Roosevelts aus, Präsidenten die von Historikern als besonders bedeutsam eingestuft wurden. Bei weniger bedeutsamen Präsidenten, wie Harding, Hoover, Ford und Carter, war das Machtmotiv vergleichsweise schwach ausgeprägt. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte McClelland (1987) bei der Analyse von Top-Managern in Großunternehmen. Position und Führungsqualität waren auch hier mit einem hohen Machtund einem geringen Affiliationsmotiv assoziiert.

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Implizite und explizite Motive

Zu den derzeit meistdiskutierten Befunden der Motivpsychologie gehört der Sachverhalt, dass die mit Hilfe des TAT erfassten Motive nur in lockerem Zusammenhang zu den von Menschen selbstberichteten Motiven stehen (siehe Kasten „Messung von Motiven“). Wer im TAT zahlreiche Machtvorstellungen thematisiert, muss sich nicht gleichzeitig auch in einem Fragebogen als sozial dominant beschreiben. McClelland, Koestner und Weinberger (1989) erklärten dies damit, dass die mit Hilfe des TAT erfassten Motive insofern implizit sind, als dass sich eine Person ihrer eigenen Motive nur selten bewusst ist. Im Selbstbericht werden hingegen explizite Motive erfasst, die das „motivationale Selbstbild“ (Rheinberg, 2000) einer Person widerspiegeln, also das Bild, das sich eine Person von ihren eigenen Motiven macht. Implizite Motive und motivationale Selbstbilder können, müssen aber nicht miteinander übereinstimmen. Tatsächlich beeinflussen beide Arten von Motiven ganz unterschiedliche Verhaltensweisen. Bewusst reflektierte Entscheidungen (z. B. die Auswahl einer Aufgabe) und Bewertungen (z. B. die Art und Weise wie ein Erfolg oder ein Misserfolg erklärt wird) werden weit besser durch explizite als durch implizite Motive vorhergesagt. Implizite Motive kommen primär in Verhaltensweisen zum Ausdruck, die spontan, d. h. ohne größere Überlegung ausgeführt werden (man denke hier an die reflexartige Steigerung des Anstrengungseinsatzes bei plötzlich eintretenden Schwierigkeiten).

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Ein weiterer Unterschied zwischen impliziten und expliziten Motiven besteht darin, dass sie für unterschiedliche Anreize sensibel sind. Implizite Motive reagieren primär auf Anreize, die in der Ausführung einer Tätigkeit selbst begründet sind. Beim impliziten Leistungsmotiv sind dies Tätigkeiten, die schwierig, neu und abwechslungsreich sind. Explizite Motive sind demgegenüber für Anreize empfänglich, die von der sozialen Umwelt vorgegeben werden. Beim expliziten Leistungsmotiv wäre dies z. B. die Anerkennung, die sich eine Person verspricht, wenn sie eine sozial geachtete Leistung erbringt. Auch wenn implizite und explizite Motive häufig unabhängig voneinander sind, bildet ihr harmonisches Zusammenspiel eine wichtige Voraussetzung dafür, dass eine Person wohl organisiert und mit innerer Befriedigung nach den ihr wichtigen Zielen streben kann (Brunstein, 2003). Personen, deren Selbstbilder von ihren impliziten Motiven abweichen, sind bei der Verwirklichung ihrer Ziele weniger effektiv und fühlen sich weniger zufrieden als Personen, bei denen beide Arten von Motiven miteinander übereinstimmen. Die Ursache dafür liegt in Konflikten, die zwischen widerstreitenden Verhaltenstendenzen bestehen, wenn implizite Motive kein angemessenes Pendant im Selbstbild einer Person finden.

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Motivförderung

Auch wenn Motive früh erworben werden, können sie durch spätere Erfahrungen verändert und verstärkt werden. Ein Beispiel dafür sind Trainingsprogramme, die auf die Stärkung leistungsmotivierten Verhaltens abzielen. McClelland (1987) hat dargelegt, dass ein Training leistungsmotivierten Verhaltens stets drei Komponenten enthalten sollte: Stärkung des Leistungsmotivs, Aufbau leistungsorientierter Werthaltungen und Förderung leistungsrelevanter Fertigkeiten. Hohe Effizienz setzt demzufolge voraus, dass eine Person das Streben nach Leistungen als emotional befriedigend erlebt; dass sie Leistungen hohe Priorität in ihrem Leben einräumt; und dass sie über die erforderlichen Fertigkeiten verfügt, um gute Leistungen erbringen zu können. Erste Erfolge wurden mit einem solchen Trainingsprogramm bei Kleinunternehmern in Indien erzielt. Später entwickelte DeCharms (1976) ein Programm, um die Lernmotivation von Schülern aus bildungsfernen Schichten zu erhöhen. Die Schüler lernten, ihre Motive zu reflektieren, schulische Aufgaben mit freudvollen Tätigkeiten zu kombinieren und sich selbst anspruchsvolle Ziele zu setzen. Zudem wurden ihre schulischen Fertigkeiten trainiert und ihre Bereitschaft erhöht, Selbstverantwortung zu übernehmen. Selbst Schüler, die ursprünglich keinerlei Interesse am Unterricht gezeigt hatten, konnten ihre schulischen Leistungen steigern und erreichten später auch höhere Schulabschlüsse. Rheinberg und Krug (1999) entwickelten ein Programm zur Motivationsförderung im Schulalltag, das auf zwei Pfeilern ruht: Anspruchsniveau und Attribution (d. h. Ursachenerklärungen für Erfolge und Misserfolge; ➝ Pädagogische Psychologie). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Anhand teils spielerischer und teils unterrichtsnaher Aufgaben erlernen Schüler, sich hohe, aber noch realistische Ziele zu setzen. Die Rückmeldungen von Trainern und Lehrern orientieren sich stets am augenblicklichen (und früheren) Leistungsvermögen des einzelnen Schülers. Zusätzlich werden Attributionen für Erfolge und Misserfolge so modifiziert, dass die Bedeutung der Anstrengung für den Handlungserfolg betont wird. Im Unterschied zu Begabung und Glück hängt der Einsatz von Anstrengung vom eigenen Tun und Lassen ab. Das Trainingsprogramm steigert die Erfolgszuversicht von Schülern und baut Leistungsängste ab, die sich ansonsten beeinträchtigend auf die schulische Laufbahn auswirken würden.

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Fazit

Die Erforschung menschlicher Motive hat eine Fülle von Befunden erbracht, die eindrucksvoll dokumentieren, dass Motive eine wichtige Funktion als Einflussgrößen menschlichen Verhaltens erfüllen. Ein wesentlicher Teil dieser Befunde wurde in realistischen Lebenssituationen ermittelt, sodass davon auszugehen ist, dass Motive auch in der Ausgestaltung von Lebensläufen eine bedeutsame Rolle spielen (McAdams, 1988). Um Verhalten zu verstehen, ist es wichtig, neben den Motiven von Menschen auch ihre Fertigkeiten und Werthaltungen zu berücksichtigen und die Ressourcen und Einschränkungen zu beachten, die in der Umwelt bestehen. Für Frauen war es beispielsweise auf Grund gesellschaftlicher Beschränkungen über lange Zeit kaum möglich, ein hohes Leistungsmotiv in eine erfolgreiche Berufslaufbahn umzusetzen. Bezüglich der Art und Weise, wie Motive Verhalten beeinflussen, gibt es noch viele ungeklärte Fragestellungen. Die oben angesprochene Unterscheidung zwischen impliziten und expliziten Motiven ist ein Beispiel dafür. Warum motivationale Selbstbilder und handlungsleitende Motive häufig nicht miteinander übereinstimmen und welche Konsequenzen solche Unstimmigkeiten nach sich ziehen, sind Fragen, mit denen sich die Motivationspsychologie seit langer Zeit beschäftigt, ohne sie bereits zufrieden stellend beantworten zu können. Dies sollte ein Anreiz sein, die Forschung auf diesem Gebiet zu intensiveren.

Weiterführende Literatur Heckhausen, H. (1989). Motivation und Handeln (2. Aufl.). Berlin: Springer. McClelland, D. C. (1987). Human motivation. Cambridge, MA: Cambridge University Press. Rheinberg, F. (2000). Motivation (3. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

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Literatur Brunstein, J. C. (2003). Implizite Motive und motivationale Selbstbilder: Zwei Prädiktoren mit unterschiedlichen Gültigkeitsbereichen. In J. Stiensmeier-Pelster & F. Rheinberg (Hrsg.), Diagnostik von Motivation und Selbstkonzept (S. 59–88). Göttingen: Hogrefe. DeCharms, R. (1976). Enhancing motivation. New York: Irvington. Freud, S. (1952). Triebe und Triebschicksale (Gesammelte Werke, Bd. X; Originalausgabe 1915). Frankfurt a. M.: Fischer. Heckhausen, H. (1989). Motivation und Handeln (2. Aufl.). Berlin: Springer Jackson, D. N. (1984). Personality Research Form (3rd ed.). Port Huron, MI: Sigma. Maslow, A. H. (1954). Motivation and personality. New York: Harper. McAdams, D. P. (1988). Power, intimacy, and the life story: Personological inquiries into identity. New York: Guilford. McClelland, D. C. (1961). The achieving society. Princeton, NJ: Van Nostrand. McClelland, D. C. (1987). Human motivation. Cambridge, MA: Cambridge University Press. McClelland, D. C. (1989). Motivational factors in health and disease. American Psychologist, 44, 675–683. McClelland, D. C., Koestner, R. & Weinberger, J. (1989). How do self-attributed and implicit motives differ? Psychological Review, 96, 690–702. McClelland, D. C. & Pilon, D. A. (1983). Sources of adult motives in patterns of parent behavior in early childhood. Journal of Personality and Social Psychology, 44, 564–574. McDougall, W. (1908). An introduction to social psychology. London: Methuen. Murray, H. A. (1938). Explorations into personality. New York: Oxford University Press. Murray, H. A. (1943). Thematic Apperception Test Manual. Cambridge: Harvard University Press. Rheinberg, F. (2000). Motivation (3. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Rheinberg, F. & Krug, S. (1999). Motivationsförderung im Schulalltag (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Schultheiss, O. C. & Rohde, W. (2001). Implicit power motivation predicts men’s testosterone changes and implicit learning in a contest situation. Hormones and Behavior, 77, 71–86. Winter, D. G. (1987). Leader appeal, leader performance, and the motive profiles of leaders and followers: A study of American presidents and elections. Journal of Personality and Social Psychology, 52, 196–202.

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Werte und Werthaltungen Values and Value Orientations Wolfgang Bilsky

Werte spielen in zahlreichen Wissenschaften eine wichtige, bisweilen auch zentrale Rolle. Zu nennen sind neben der Psychologie insbesondere die Anthropologie, Philosophie und Soziologie sowie die Politik- und Wirtschaftswissenschaften. Aus der einschlägigen Literatur ergibt sich allerdings sehr schnell, dass der Wertbegriff keineswegs einheitlich verwendet wird. Folgt man Scholl-Schaaf, so lassen sich allein drei sehr allgemeine Bedeutungsbereiche unterscheiden: Wert als Gut, als Maßstab und als Ziel. Versuche einer Nominaldefinition des Wertebegriffs sind wiederholt gescheitert, da es nicht gelang, definitorische Zirkel zu vermeiden (Scholl-Schaaf, 1975). Nachfolgend wird daher versucht, unter Verzicht auf eine Definition die Verwendung des Wertbegriffes in der psychologischen Forschung zu skizzieren, um so seine Stellung innerhalb der (Persönlichkeits-)Psychologie zu charakterisieren und ihn gleichzeitig gegenüber ähnlichen Konstrukten abzugrenzen.

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Stationen der psychologischen Wertforschung

Innerhalb der Psychologie sind Werte schon sehr früh Gegenstand der akademischen Diskussion gewesen. Diese wurde zunächst vor allem vor einem philosophischen Hintergrund geführt (Urban, 1907; Münsterberg, 1908). Die Hinwendung zu einer stärker empirisch orientierten Wertforschung erfolgte Anfang der dreißiger Jahre durch die Arbeiten von Allport und Vernon. Diese Autoren entwickelten unter Bezugnahme auf Sprangers „Lebensformen“ ein Instrument, durch das Präferenzurteile für die sechs Wertebereiche des Theoretischen, Ökonomischen, Ästhetischen, Sozialen, Politischen und Religiösen erfasst werden. Unter der Bezeichnung „Study of Values“ fand das 1951 inhaltlich und 1960 formal überarbeitete Verfahren starke internationale Verbreitung. Kritisiert wurde es vor allem wegen seiner „konservativ-bildungsbürgerlich“ anmutenden Items sowie der Konfundierung von Werten und Interessen (Graumann & Willig, 1983). Einen anderen, ebenfalls viel beachteten Forschungsansatz entwickelte Morris in den vierziger und fünfziger Jahren. Ausgehend von der Kombination dreier, für die menschliche Persönlichkeit als grundlegend erachteter Komponenten (einer dionysischen, prometheischen und buddhistischen) konzipierte er zunächst sieben „Lebenswege“. Diese wurden jeweils mittels einer etwa 100 Worte umfassenden

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Werte und Werthaltungen

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Kurzbeschreibung operationalisiert. Da sich sein ursprünglich theoretisch geschlossener Ansatz im Rahmen empirischer Studien als zu eng erwies, wurde er von Morris später auf insgesamt 13 Lebenswege erweitert, die von den Probanden in einem kombinierten Rating- und Ranking-Verfahren im Hinblick auf ihre Attraktivität („liking“) einzuschätzen waren (Braithwaite & Scott, 1991). Obwohl die genannten Arbeiten durchaus Beachtung fanden und die Wertethematik auch von anderen Wissenschaftlern aufgegriffen wurde, spielte die empirische Wertforschung in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts eine eher untergeordnete Rolle in der Psychologie. Dies änderte sich erst gegen Ende der sechziger Jahre. Ob diese Veränderung tatsächlich auf den Einfluss Milton Rokeachs zurückzuführen ist (Braithwaite & Scott, 1991), oder doch eher den wissenschaftlichen Zeitgeist widerspiegelt, mag dahingestellt bleiben. Tatsache ist, dass zeitgleich auch in anderen Disziplinen ein zunehmendes Interesse an einer empirisch ausgerichteten Wertforschung zu verzeichnen war (Klages & Kmieciak, 1979). Ebenso unstrittig ist allerdings, dass die Arbeiten von Rokeach innerhalb der Psychologie auf breite Resonanz stießen. Hierzu trug sicherlich bei, dass mit dem „Rokeach Value Survey“ (RVS) nun ein ökonomisches, vielseitig einsetzbares Instrument zur Verfügung stand. Dieses fußte allerdings nicht auf einer kohärenten und in sich geschlossenen Wertetheorie, sondern auf einer Anzahl unverbundener, überwiegend plausibler Grundannahmen (vgl. Rokeach, 1973). Die unzureichende theoretische Begründung des Forschungsansatzes von Rokeach führte daher in der Folgezeit wiederholt zu Versuchen, die dem RVS zu Grunde liegende Struktur zu eruieren. Insgesamt spielten strukturanalytische Arbeiten gegen Ende des letzten Jahrhunderts eine immer größere Rolle. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang vor allem auf die von Shalom H. Schwartz durchgeführten Untersuchungen, die seit Mitte der achtziger Jahre zunehmend an Einfluss auf die psychologische Wertforschung gewannen. Schwartz war von Anfang an daran interessiert, eine theoretisch begründete Strukturtheorie menschlicher Werte zu entwickeln, die kulturspezifische und kulturübergreifende Aspekte gleichermaßen zu berücksichtigen gestattet. Dabei betonte er die Notwendigkeit, die Vielzahl unverbundener Einzelwerte zu Wertetypen zusammenzufassen, die sich hinsichtlich ihres motivationalen Inhalts unterscheiden. Aus den (In-)Kompatibilitäten zwischen diesen motivationalen Inhalten leitete er ein Strukturmodell ab, das differenzierte Aussagen über die Beziehungen zwischen den insgesamt zehn von ihm unterschiedenen Wertetypen ermöglicht (Schwartz, 1992). Zur Überprüfung seiner theoretischen Annahmen verwendete Schwartz zunächst den „Schwartz Value Survey“ (SVS) und in neuerer Zeit den auch für die Untersuchung von älteren Kindern und Jugendlichen geeigneten „Portrait Values Questionnaire“ (PVQ). Sein Ansatz ist in einer Vielzahl internationaler Studien überprüft und im Hinblick auf seine Grundannahmen weit gehend bestätigt worden. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Neben den zuvor genannten haben zahlreiche weitere Autoren die psychologische Wertforschung vorangetrieben und teilweise nachhaltig beeinflusst. Wichtige Impulse sind unter anderem auch von Geert Hofstede und Ronald Inglehart ausgegangen. Auf ihre Arbeiten sowie auf die zahlreicher anderer Wissenschaftler kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden (Braithwaite & Scott, 1991; Seligman, Olson & Zanna, 1996; Smith & Schwartz, 1997). Der Wertbegriff bei Milton Rokeach Rokeach definiert Wert als eine dauerhafte Überzeugung, dass eine spezifische Form des Verhaltens (mode of conduct) oder ein spezifischer Zielzustand (endstate of existence) anderen vorzuziehen sei. Dementsprechend unterscheidet er zwischen instrumentellen und terminalen Werten. Ferner nimmt er an, dass die Zahl der Werte, die eine Person besitzt, relativ klein ist, alle Menschen über die gleichen Werte in unterschiedlichem Ausmaß verfügen, und Werte in Wertsystemen organisiert sind. Zu ihrer Erfassung verwendet er zwei Listen mit jeweils 18 instrumentellen bzw. terminalen Wertbegriffen; er gesteht jedoch zu, dass auf Grund der weit gehend intuitiven Itemauswahl andere Forscher durchaus zu abweichenden Listen kommen können (Rokeach, 1973). Der Wertbegriff bei Shalom H. Schwartz Schwartz geht davon aus, dass sich Werte in insgesamt zehn motivationale Wertetypen unterteilen lassen: Selbstbestimmung (self-direction), Universalismus, Wohlwollen, Konformität, Tradition, Sicherheit, Macht, Leistung, Hedonismus und Stimulation. Aus den zwischen diesen Wertetypen bestehenden (In-)Kompatibilitäten ergibt sich eine (kreisförmige) Struktur, der zwei orthogonale Wertedimensionen zu Grunde liegen. Diese Dimensionen werden von Schwartz als „self-transcendence vs. self-enhancement“ und „openness to change versus conservation“ bezeichnet. Die Grundannahmen des Ansatzes von Schwartz konnten in einer Vielzahl kulturübergreifender Studien im Wesentlichen bestätigt werden (Schwartz, 1992).

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Der psychologische Wertbegriff

In den meisten der in der Vergangenheit unternommenen Definitionsversuche von Werten lassen sich, ungeachtet der eingangs erwähnten Probleme, eine Reihe von Gemeinsamkeiten erkennen. Danach handelt es sich bei Werten um eine relativ begrenzte Anzahl von Konzepten oder Überzeugungen, die sich auf wünschenswerte Verhaltensweisen oder Ziele (bzw. Zustände) beziehen. Sie gelten situationsübergreifend und steuern die Auswahl und Bewertung von Verhalten und Ereignis-

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sen. Werte sind in Wertsystemen organisiert und unterscheiden sich im Hinblick auf ihre relative Bedeutung, die sie für den Einzelnen bzw. für die Gesellschaft besitzen. Mit der Verwendung des Wertbegriffs sind stets sowohl individuumsbezogene als auch soziale und gesellschaftliche Aspekte angesprochen. Je nachdem welcher dieser Aspekte im Vordergrund steht, lässt sich die Wertforschung eher der Persönlichkeitspsychologie oder der Sozialpsychologie zuordnen; entsprechend wird vielfach auch zwischen individuellen (persönlichen) und sozialen Werten unterschieden. Berücksichtigt man die Publikationen der letzten Jahrzehnte, so hat sich das insgesamt steigende Interesse an einer psychologischen Wertforschung allerdings vor allem in einer Zunahme sozialpsychologisch orientierter Forschungsarbeiten niedergeschlagen. Innerhalb der Persönlichkeitspsychologie sind Probleme und Befunde der Wertforschung dagegen auf deutlich weniger Resonanz gestoßen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der empirische Zugang in diesem Forschungsbereich ganz überwiegend mit Hilfe von Daten erfolgt, die auf individueller Ebene gewonnen wurden. Definition: Werte sind kognitive Repräsentationen zentraler menschlicher Ziele und Motive, über die sich Personen im Hinblick auf ihre Verwirklichung verständigen müssen. Sie sind Ausdruck individueller (biologischer) Bedürfnisse, interaktiver Erfordernisse für die Abstimmung interpersonalen Verhaltens und gesellschaftlicher Erfordernisse für die Sicherung sozialen Wohlergehens und Überlebens.

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Werte und Persönlichkeit: Werthaltungen

Betrachtet man Werte aus persönlichkeitspsychologischer Sicht, so bietet sich eine terminologische Differenzierung zwischen Wert, Wertung und Werthaltung an, wie sie auch von Scholl-Schaaf (1975) vorgenommen wird. Danach sind Werte als Abstraktionen von Wertungen zu verstehen. Diese sind, als räumliche und zeitliche Konkretisierungen von Werten, stets unmittelbar an ein Subjekt gebunden. Im Sinne dieser Unterscheidung lassen sich Werthaltungen dann als erworbene und zentrale Dispositionen zu Wertungen kennzeichnen. Statt Werthaltungen wird in der Literatur vielfach auch von Wertorientierungen oder – verkürzt – von persönlichen Werten gesprochen. Der dispositionelle Charakter von Werthaltungen macht es erforderlich, diese gegenüber anderen in der Psychologie etablierten Variablen, wie Einstellungen, Motiven, Normen und Interessen, abzugrenzen.

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Persönlichkeitseigenschaften und Werthaltungen Mit ihrer Kennzeichnung als Disposition werden Werthaltungen zentrale Merkmale von Persönlichkeitseigenschaften zugesprochen, insbesondere zeitliche Stabilität und situationsübergreifende Konsistenz. Werthaltungen können insofern in gleicher Weise wie andere Persönlichkeitsmerkmale zur Charakterisierung und zum Vergleich von Personen verwendet werden. Dennoch lassen sie sich von anderen Persönlichkeitseigenschaften in einigen Punkten unterscheiden. So handelt es sich bei Werthaltungen um bewusste Zielorientierungen für das eigene Leben, die im Hinblick auf ihre Bedeutung bewertet und als Anforderungen an die eigene Person erlebt werden. Bei Persönlichkeitseigenschaften handelt es sich dagegen in der Regel um externe Zuschreibungen von Merkmalen, die es gestatten, zwischen Individuen zu differenzieren, ohne dass sie jedoch im Hinblick auf die eigene Identität als verpflichtend oder gefordert erlebt werden (vgl. Graumann & Willig, 1983). Folgt man Rokeach, so lassen sich Werte (besser: Werthaltungen) von Einstellungen dadurch unterscheiden, dass Letztere stets auf spezifische Objekte und Situationen bezogen sind. Werte haben demgegenüber einen allgemeineren Charakter und nehmen darüber hinaus innerhalb des Systems individueller Überzeugungen einen relativ zentralen Platz ein. Die Merkmale der Allgemeinheit und Zentralität spielen auch bei der Abgrenzung gegenüber Motiven eine wichtige Rolle (SchollSchaaf, 1975; ➝ Motive). Hinzu kommt in diesem Fall zudem die starke Betonung der kognitiven Komponente von Werten. Dies hat auch Konsequenzen für die Form ihrer Erfassung, bei der vielfach zwischen impliziten (Motiven) und expliziten (Werten) Messungen unterschieden wird. Bei der Differenzierung zwischen Werthaltungen und Normen ist vor allem von Bedeutung, ob sich diese auf persönliche oder soziale Normen bezieht. Persönliche Normen implizieren, ebenso wie Werthaltungen, Verhaltenserwartungen, die im Hinblick auf die eigene Person als relativ verbindlich angesehen werden. Sie fokussieren allerdings in stärkerem Maße als Werthaltungen die Folgen ihrer möglichen Nichterfüllung, die sich beispielsweise in Form von Schuldgefühlen zeigen können. Soziale Normen sind demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass sie als „gesellschaftliche Zumutung“ an den Einzelnen herangetragen werden, ohne damit von diesem jedoch in jedem Fall als verbindlich akzeptiert zu werden. Unabhängig von ihrer Akzeptanz muss allerdings bei Nichtbeachtung mit einer Sanktionierung des normabweichenden Verhaltens gerechnet werden. Das Kriterium der Verbindlichkeit ist schließlich auch zentral für die Differenzierung zwischen Werthaltungen und Interessen. Zusätzlich wird Werten in der Regel ein höheres Maß an zeitlicher Stabilität zugeschrieben.

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Aufgaben und Perspektiven

Auf Grund der eher rudimentären Verankerung der Wertforschung in der Persönlichkeitspsychologie haben sich zentrale Konstrukte weit gehend unabhängig von einander entwickelt. Dies zeigt auch die Durchsicht persönlichkeitspsychologischer Lehrbücher, in denen Fragestellungen und Ergebnisse der Wertforschung nur in Ausnahmefällen (z. B. bei Asendorpf, 2004) berücksichtigt werden. Es fehlt an Arbeiten, die eine theoretisch begründete Integration vorliegender Forschungsbefunde anstreben. Dies gilt beispielsweise für die Bereiche der Motivations- und Wertforschung, die trotz ähnlicher Problemstellungen, z. B. im taxonomischen Bereich, nur vergleichsweise wenige Beziehungen zueinander aufweisen. Auch konzeptuelle Gemeinsamkeiten von zentralen Persönlichkeitsvariablen, wie den Big Five (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze), und Werthaltungen sind bisher wenig untersucht worden. Hier besteht für die Zukunft ein nicht unerheblicher Forschungs- und Koordinationsbedarf (Bilsky & Schwartz, 1994; Roccas, Sagiv, Schwartz, & Knafo, 2002). Allerdings hat auch die Wertforschung einen wichtigen Bereich der Persönlichkeitspsychologie bisher kaum beachtet, den der Persönlichkeitsentwicklung. Zwar finden sich in der Literatur durchgängig Hinweise darauf, dass Werthaltungen Dispositionen sind, deren Ausprägung in starkem Maße durch sozialisatorische Faktoren beeinflusst wird. Fragen nach der Entwicklung und Ausdifferenzierung von Werthaltungen bei Kindern und Jugendlichen werden bisher jedoch überwiegend von Seiten der Entwicklungspsychologie gestellt (Grusec & Kuczynski, 1997). Dies dürfte zumindest teilweise darauf zurückzuführen sein, dass die in der Wertforschung bisher eingesetzten Erhebungsinstrumente intellektuelle Kompetenzen voraussetzen, die bei Kindern unter zehn bis zwölf Jahren nur in Ausnahmefällen gegeben sind. Die Tatsache, dass Werte und Werthaltungen persönlichkeitspsychologisch relevante Konstrukte sind, zeigt die angewandte Forschung: Unter Stichworten wie „person-organisation fit“ und „organizational culture“ untersucht die Organisationspsychologie beispielsweise seit Jahren, wie sich die Passung von individuellen und institutionellen Wertorientierungen auf so zentrale Variablen wie Stress und subjektives Wohlbefinden auswirkt (Van Vianen, 2001). Es wäre vorteilhaft, wenn bei dieser und anderen Fragestellungen zukünftig auf eine persönlichkeitspsychologische Grundlagenforschung Bezug genommen werden könnte, die Werten und Werthaltungen stärker als bisher Aufmerksamkeit schenkt.

Weiterführende Literatur Bilsky, W. & Schwartz, S. H. (1994). Values and personality. European Journal of Personality, 8, 163–181.

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Grusec, J. E. & Kuczynski, L. (Eds.). (1997). Parenting and children’s internalization of values. New York: Wiley. Roccas, S., Sagiv, L., Schwartz, S. H. & Knafo, A. (2002). The big five personality factors and personal values. Personality and Social Psychology Bulletin, 28, 789–801. Van Vianen, A. E. M. (Ed.). (2001). Person-organisation fit [Special issue]. Applied Psychology, 50 (1).

Literatur Asendorpf, J. (2004). Psychologie der Persönlichkeit. Berlin: Springer. Braithwaite, V. A. & Scott, W. A. (1991). Values. In J. P. Robinson, P. R. Shaver & L. S. Wrightsman (Eds.), Measures of personality and social psychological attitudes (pp. 661–753). San Diego: Academic Press. Graumann, C. F. & Willig, R. (1983). Wert, Wertung, Werthaltung. In H. Thomae (Hrsg.), Theorien und Formen der Motivation (S. 312–396). Göttingen: Hogrefe. Klages, H. & Kmieciak, P. (Hrsg.). (1979). Wertwandel und gesellschaftlicher Wandel. Frankfurt: Campus. Münsterberg, H. (1908). Philosophie der Werte. Johann Ambrosius Barth: Leipzig. Rokeach, M. (1973). The nature of human values. New York: The Free Press. Scholl-Schaaf, M. (1975). Werthaltung und Wertsystem. Bonn: Bouvier. Schwartz, S. H. (1992). Universals in the content and structure of values: Theoretical advances and empirical tests in 20 countries. In M. Zanna (Ed.), Advances in Experimental Social Psychology, Vol. 25 (pp. 1–65). New York: Academic Press. Seligman, C., Olson, J. M. & Zanna, M. P. (Eds.). (1996). The psychology of values: The Ontario Symposium, Vol. 8. Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum. Smith, P. B. & Schwartz, S. H. (1997). Values. In J. W. Berry, M. H. Segall & C. Kagitcibasi (Eds.), Handbook of cross-cultural psychology, Vol. 3 (pp. 77–118). Boston: Allyn & Bacon. Urban, W. M. (1907). Recent tendencies in the psychological theory of values. Psychological Bulletin, 4 (3), 65–72.

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Geschlechterunterschiede Gender Differences Dorothee Alfermann

Das Geschlecht eines Menschen wird im Normalfall bereits bei der Zeugung festgelegt, indem das 23. Chromosomenpaar über die weitere Entwicklung als biologisch weiblich (XX-Chromosom) oder männlich (XY-Chromosom) entscheidet. In Ausnahmefällen kann es zu Chromosomenanomalien kommen (wie z. B. beim X0-Chromosom), oder zu einer aus anderen Gründen unklaren Entwicklung des biologischen Geschlechts. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle lässt sich aber bei der Geburt ein eindeutiges biologisches Geschlecht festlegen, das sowohl genetisch wie auch phänotypisch männlich oder weiblich ist. Diese duale Geschlechtscharakterisierung als männlich oder weiblich hat entscheidende Bedeutung nicht nur für die menschliche, zweigeschlechtliche Fortpflanzung, sondern sie beeinflusst die gesamte menschliche Entwicklung, sie durchdringt unseren Alltag, unser gesellschaftliches Zusammenleben, und nicht zuletzt wissenschaftliches Denken. Eine Psychologie der Geschlechterunterschiede müsste dementsprechend danach fragen, in welchen psychologischen Merkmalen sich männliche und weibliche Personen unterscheiden und wie sich das erklären lässt – Anlage oder Umwelt. So weit – so klar? Die aktuelle Diskussion innerhalb der Psychologie und in ihren Nachbargebieten geht von anderen Voraussetzungen aus. Besonders heftig diskutiert werden zwei Fragen: 1. Ist die Annahme der Zweigeschlechtlichkeit lediglich ein Produkt westlicher und insbesondere patriarchalischer Denkmuster und sind damit die bekannten beiden Geschlechterkategorien von männlich und weiblich nicht natürlich, sondern disponibel, veränderlich, verhandelbar und vor allem auflösbar? Diese Frage wird insbesondere in kultur- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen diskutiert (vgl. dazu den kritischen Überblick von Schröter, 2002). In der Psychologie hingegen sind biologische Kriterien der Geschlechtszugehörigkeit von Individuen und die damit verbundene Einteilung in zwei dichotome und im Allgemeinen über den Lebenslauf konstante Kategorien des biologischen Geschlechts mehr oder weniger anerkannte Grundlage von differential-, entwicklungs- und sozialpsychologischen Ansätzen der Geschlechterforschung. Biologische Zweigeschlechtlichkeit und ihre Konsequenzen für menschliches Handeln und Erleben sind somit die zentralen Fragen einer Psychologie der Geschlechterunterschiede. 2. Vorausgesetzt man akzeptiert die Existenz von zwei Geschlechterkategorien, in welcher Beziehung stehen dann biologisches Geschlecht und psychologi-

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sche Merkmale, beispielsweise bei der Unterscheidung von biologischer Geschlechtsidentität und psychologischer Geschlechtsrollenidentität? Unterscheiden sich männliche und weibliche Personen im Selbstkonzept, in Interessen, im Lebenslauf und in Persönlichkeitsmerkmalen? Wie kommt es zu diesen Unterschieden, welchen Beitrag leistet womöglich die Wissenschaft selbst und welche Bedeutung haben soziale Konstruktionsprozesse? Und schließlich: Macht es Sinn, auf die (oft geringen) Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu achten und sollte man Geschlecht nicht eher dethematisieren statt Differenzen hervorzuheben?

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Psychologie der Geschlechterunterschiede – Pro und Contra

Die Frage nach dem Sinn und Unsinn der Geschlechterunterschiedsforschung in der Psychologie ist immer wieder kritisch gestellt worden und so alt wie die Forschung selbst. Dabei hängt die Argumentation auch mit der jeweiligen theoretischen Ausgangsbasis zusammen. Wenn das biologische Geschlecht als ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal für die menschliche Entwicklung angesehen wird, dann werden Geschlechterunterschiede als bedeutsame Beweisstücke gesucht. Dies ist etwa in evolutionsbiologischen Ansätzen der Fall (Geary, 1998). Werden hingegen konstruktivistische Theorien zu Grunde gelegt, dann wird die Untersuchung von Geschlechterunterschieden allenfalls zum Nebenschauplatz. Geschlecht als soziale Konstruktion Konstruktivistische Ansätze betonen, dass Geschlecht das Ergebnis sozialer Konstruktionsprozesse ist, etwa indem Geschlecht über soziale Definitionen mit bestimmten Bedeutungen versehen werde (beispielsweise stereotype Eigenschaften; Körpermerkmale; Machtdifferenzen), oder sich überhaupt erst über soziale Interaktionsprozesse definiere. Dabei gehen einige Ansätze soweit zu postulieren, dass auch das biologische Geschlecht über Konstruktionsprozesse entsteht und ausgehandelt wird, während andere Autoren und Autorinnen den bestehenden biologischen Geschlechterdualismus (sex) als gegeben voraussetzen. Erst darauf aufbauend sollen dann die sozialen Konstruktions- und Zuschreibungsmuster (gender) entwickelt werden. Gemeinsam ist konstruktivistischen Ansätzen, dass sie quantitativen empirischen Methoden skeptisch gegenüberstehen und die Erforschung psychologischer Geschlechterunterschiede ablehnen, weil dabei Individuen mit geschlechtstypischen Eigenschaften versehen werden, die ihnen als scheinbar unveränderliche Merkmale „angeheftet“ werden (Marecek, Crawford & Popp, 2004).

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Drei wesentliche Kritikpunkte an der Geschlechterunterschiedsforschung lassen sich hervorheben: 1. Die häufig atheoretische Forschungsstrategie, indem lediglich männliche und weibliche Personen miteinander verglichen und Unterschiede in einer (post hoc-)Erklärung auf Anlage oder Umwelt zurückgeführt werden. 2. Insbesondere von feministischen Forschungsrichtungen wird kritisiert, dass die Geschlechterunterschiedsforschung der Zementierung bestehender sozialer Ungleichheit der Geschlechter Vorschub leiste, indem die empirischen Befunde die scheinbar „natürliche“ hierarchische Geschlechterordnung unterstützten und Differenz sagten, aber Defizit (von Frauen) meinten (zusammenfassend Deaux & LaFrance, 1998). 3. Als dritter Kritikpunkt wird auf die Forschungspraxis verwiesen, zwar einerseits Geschlechterunterschiede hervorzuheben, aber andererseits die hohen Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern zu minimalisieren oder gar zu ignorieren. Unbestreitbar ist, dass die Publikationspraxis generell eher signifikante denn nicht signifikante Unterschiede bevorzugt. Trotzdem kann man feststellen, dass sich empirisch ein Trend zu einer Verringerung von Geschlechterunterschieden zeigt und dass psychologische Geschlechterunterschiede häufig gering ausfallen (Alfermann, 1996). Während in der Psychologie insgesamt signifikante Effektgrößen von Treatmentvariablen in 25 % der Fälle auftreten, sind es für den Bereich der Geschlechterunterschiede nur 6 %. Und in diesen 6 % der Fälle sind die durch Geschlecht erklärten Varianzen meist nur 5 bis 10 %, selten einmal 15 % (Hyde & Plant, 1995). Trotz dieser kritischen Argumente wird dennoch weiter nach Geschlechterunterschieden gesucht. Das Thema ist populärer denn je. Metaanalysen haben dazu ganz erheblich beigetragen. Metaanalysen dienen dazu, die Größe der Unterschiede abzuschätzen, sie können die Konsistenz der Befunde quantifizieren, und sie weisen auf modifizierende Einflüsse hin. Damit können situative Einflussfaktoren aufgezeigt, epochale Veränderungen beschrieben, oder andere Variablen als Geschlecht (z. B. soziale Schicht, Selbstkonzept) für die Erklärung von Geschlechterunterschieden mit herangezogen werden. Geschlechterunterschiede zu untersuchen heißt dann gerade nicht, dass sie als etwas Unveränderliches, den Individuen Anzuheftendes betrachtet werden. Wenn beispielsweise Alan Feingold bereits 1988 feststellt, dass Geschlechterunterschiede in kognitiven Fähigkeiten im Verschwinden begriffen seien, so ist dieser auf Metaanalysen von Studien aus mehreren Jahrzehnten basierende Befund geeignet, frühere Spekulationen über biologische Ursachen von Intelligenzunterschieden der Geschlechter zu relativieren oder gar ad acta zu legen. Gerade weil Metaanalysen die Akkumulation von Forschungsergebnissen, die Quantifizierung von Effekten und die Relativierung von Geschlecht im Vergleich zu anderen „unabhängigen“ Variablen ermöglichen, ist damit nicht nur eine verbesserte Beschreibung von Geschlechterunterschieden möglich, sondern auch eine zuverlässigere Erklärung. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Geschlechterunterschiede: Erklärungsansätze

Welche Erklärungsansätze finden Verwendung? Nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlich-empirischen Forschung werden vier Erklärungsansätze diskutiert. 2.1

Kognitive Theorien

Kognitive Theorien der Geschlechtsrollenentwicklung betrachten die Kategorisierung in zwei Geschlechter und die konstante Selbstklassifikation in männlich oder weiblich als unumgängliche Voraussetzung für die Geschlechtsrollenentwicklung. Kognitive Theorien betonen die hohe Bedeutung von Konstruktionsprozessen des eigenen Selbst. Das biologische Geschlecht spielt dabei eine untergeordnete Rolle, wesentlich ist vielmehr, in welchem Ausmaß Personen ein Selbstkonzept entwickeln, das in einer gegebenen Kultur typisch männliche und/oder typisch weibliche Eigenschaften, Interessen oder Verhaltenspräferenzen aufweist. Dieses Geschlechtsrollenselbstkonzept wird als relativ stabil, aber dennoch dynamisch angesehen, das einerseits das Denken, Fühlen und Handeln von Individuen beeinflusst und andererseits dadurch beeinflusst wird. Dabei können Geschlechterunterschiede im Selbstkonzept auftreten, oder aber verschiedene Dimensionen des Selbstkonzepts eine unterschiedliche Bedeutsamkeit für die Geschlechter aufweisen. Das Selbstkonzept wird als zentrale Erklärungsvariable für psychologische Geschlechterunterschiede herangezogen (Bierhoff-Alfermann, 1989; Cross & Madsen, 1997). 2.2

Sozialisationstheorien

Sozialisationstheorien gehen davon aus, dass Kinder schon im Vorschulalter nicht nur die Selbstkategorisierung als biologisch männlich oder weiblich erwerben, sondern auch dazugehörige Wissensbestände über typisch männliche und weibliche Charakteristika, über Geschlechtsrollenerwartungen, und über zu erwartende Konsequenzen geschlechtstypischen bzw. -untypischen Verhaltens. Geschlecht hat auch eine hohe emotionale Bedeutung, was sich etwa in der Bevorzugung des eigenen Geschlechts äußert, oder in hoher emotionaler Beteiligung, wenn eine Diskriminierung des eigenen Geschlechts wahrgenommen wird. Geschlechterunterschiede entstehen nach Sozialisationstheorien dadurch, dass Jungen und Mädchen eher geschlechtstypisches Verhalten nachahmen, für geschlechtstypisches Verhalten belohnt werden, und dass Eltern, Gleichaltrige, Schule und Medien dabei als Einflussgrößen wirken (Fagot, Rodgers & Leinbach, 2000). 2.3

Sozialpsychologische Theorien

Sozialpsychologische Theorien erklären Geschlechterunterschiede und -ähnlichkeiten auf der Basis sozial vermittelter Stereotype und Rollenerwartungen (Eagly, Wood & Diekman, 2000). Zusammen mit Geschlechtsrolleneinstellungen und Geschlechts-

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rollenidentität bilden sie ein System von geschlechtsbezogenen Überzeugungen (gender belief system), die in einer gegebenen Situation in Form von Erwartungen aktiviert werden können. Dabei wird davon ausgegangen, dass Kontexteinflüsse darüber bestimmen, ob diese Erwartungen salient werden (Deaux & LaFrance, 1998). Geschlechtsbezogene Überzeugungen werden danach beispielsweise eher in gemischt- denn gleichgeschlechtlichen Gruppen aktiviert, oder in Situationen erwartungskonträren Verhaltens, beispielsweise beim Hausmann zum einen oder bei einer weiblichen Kandidatin für das Bundespräsidentenamt zum anderen. Geschlechtsbezogene Überzeugungen beinhalten neben einem Wissen über typisch männliche und weibliche Attribute und Verhaltensweisen auch Annahmen über normative Erwartungen an die Geschlechterrolle, die sich auf die Entwicklung der Geschlechtsrollenidentität und des Handelns einer Person auswirken. Die Erwartungen an die männliche Rolle und die Stereotype entsprechen einander (vgl. dazu Alfermann, 1996). Männer sollen kompetent, durchsetzungsfähig, dominant, zu Unabhängigkeit fähig sein und eine Familie versorgen können. Frauen sollen hilfsbereit und sozial einfühlsam sein und sich in eine Gemeinschaft einfügen können. Gleichzeitig sind mit den Geschlechterrollen auch soziale Statuspositionen verknüpft, indem die männliche Rolle in unserer Kultur den höheren Status hat (was erklären hilft, warum sich in den vergangenen Jahrzehnten ein stärkerer Wandel der weiblichen denn der männlichen Rolle beobachten lässt). Wood und Eagly (2002) halten die geschlechtstypische Arbeitsteilung für die Grundlage der bis heute bestehenden Geschlechterrollen. Diese Arbeitsteilung basiere auf den unterschiedlichen biologischen Voraussetzungen der Geschlechter, insbesondere den Fortpflanzungsfunktionen und den Unterschieden in Körpergröße und Muskulatur. Durch die Veränderungen in unserer Arbeitswelt und durch die Reduktion der Bedeutsamkeit der Fortpflanzung in unserer Kultur werden die biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern marginalisiert und es ergeben sich auch Veränderungen in den Geschlechtsrollenerwartungen und daher auch eine größere Geschlechterähnlichkeit. 2.4

Evolutionsbiologische Ansätze

Evolutionsbiologische Theorien basieren auf der Annahme, dass Geschlechterunterschiede durch den für beide Geschlechter unterschiedlichen Selektionsdruck in der menschlichen Stammesgeschichte entstanden sind. Dieser Selektionsdruck kommt auf Grund der unterschiedlichen Funktionen der Geschlechter bei der Reproduktion zu Stande (Geary, 1998). Mit der Reproduktionsfunktion und den damit verbundenen unterschiedlichen Aufgaben der Geschlechter werden eine Vielzahl von Verhaltensweisen und Fähigkeiten postuliert, in denen sich die Geschlechter unterscheiden sollen. Partnerwahl (➝ Partnerwahl und Partnerschaft) und der Wettbewerb um geeignete Partner spielen in evolutionsbiologischen Theorien eine wichDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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tige Rolle. Evolutionsbiologische Theorien versuchen so die unterschiedlichen Präferenzen bei der Partnerwahl, die größere Aggression und Dominanz von Männern, ihre größere Neigung zu Promiskuität und Gelegenheitssex, die höhere Fürsorglichkeit und Einfühlsamkeit von Frauen, die unterschiedlichen familialen Rollen von Männern und Frauen (Kindererziehung bzw. Verdiener) und die höheren Fähigkeiten von Männern im räumlichen Denken zu erklären. Evolutionsbiologische Ansätze werden von den übrigen genannten Erklärungsansätzen wegen ihrer Einseitigkeit und Überbetonung der Reproduktionsfunktion kritisiert. Die Bedeutung von kulturellen Standards und Strukturen wird ebenso vernachlässigt wie Prozesse sozialen Wandels, etwa im Hinblick auf Geburtenkontrolle, Geschlechterrollen oder Veränderungen der Arbeitswelt.

3

Geschlechterunterschiede: Ergebnisse

In welchen Merkmalen finden wir Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Personen, wie entwickeln sich diese Differenzen über die Lebensspanne und über die jüngere Vergangenheit? Bei einer Zusammenstellung der vorliegenden Untersuchungen und Metaanalysen fällt auf, dass in Übereinstimmung mit Hyde und Plant (1995) erheblich mehr Befunde vorliegen, die keine oder geringe Geschlechterunterschiede aufweisen als mittlere und hohe (vgl. Tab. 1). Auch zeigt sich in manchen Bereichen epochal über die vergangenen Jahrzehnte eine Verringerung der Geschlechterunterschiede, etwa in Intelligenz, Sexualität, (Non-) Konformität und beruflichen Werten, so dass Frauen und Männer in diesen Merkmalen einander ähnlicher geworden sind. Dies spricht für die Annahmen der sozialen Rollentheorie, aber auch von kognitiven Theorien, die dem Selbstbild einen hohen Einfluss zuschreiben (vgl. Abschnitt 2). In Aggressivität und Risikoverhalten lässt sich eine Verringerung der Geschlechterunterschiede über die Lebensspanne beobachten. Dies beruht darauf, dass nach der Pubertät die Aggressivität und das Risikoverhalten von Männern im Durchschnitt nachlässt, was insbesondere auf die Effekte der Sozialisation zurückgeführt wird. Bemerkenswert – weil konträr zu allen anderen Befunden zur Aggressivität – ist die Schlussfolgerung von Archer (2000), wonach in heterosexuellen Partnerschaften Frauen mindestens gleichermaßen, wenn nicht gar aggressiver gegenüber ihrem Partner sind als Männer gegenüber der Partnerin, wobei allerdings physische Verletzungen häufiger durch Männer erfolgen als durch Frauen. Die Befunde von Archer stellen biologische Theorien der Aggressivität deutlich in Frage und sind eher geeignet, sozialpsychologische Theorien zu stützen, die auf die Kontextabhängigkeit von Verhalten hinweisen (Deaux & LaFrance, 1998). In welchen Merkmalen finden sich mittlere bis hohe Geschlechterunterschiede und wie lassen sie sich erklären? Die in Tabelle 1 aufgeführten Befunde zeigen für Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Tabelle 1: Zusammenstellung von Ergebnissen zu Geschlechterunterschieden und -ähn-

lichkeiten Variable

Richtung der Geschlechterunterschiede

Differenz1)

Leistungsmotivation

Frauen mehr intrinsisch

null/niedrig

Leistungsbewertung

in maskulinen Aufgaben Frauen niedriger bewertet als Männer

niedrig

Frauen mehr Anstrengung, Männer mehr Fähigkeit

null null/niedrig

Kausalattribution – Selbstzuschreibung – Fremdzuschreibung Verbale Intelligenz Mathematische Intelligenz Räumliche Intelligenz – Figuren erkennen – Zweidimensionale Figuren drehen – Mentales Rotieren Motorische Fähigkeiten – Gleichgewicht – Handgeschicklichkeit – Reaktionsfähigkeit – Beweglichkeit – Antizipationsfähigkeit – Auge-HandKoordination – Flexibilität – Kraft ab Pubertät – Schnelligkeit ab Pubertät – Ausdauer ab Pubertät – Werfen ab Kindesalter – Aktivitätsniveau bis 7. Lebensjahr

Persönlichkeitsmerkmale – Trait-Angst – Geselligkeitsstreben – Vertrauen – Fürsorglichkeit – Durchsetzungsfähigkeit – Selbstwertgefühl

null Männer > Frauen

null/niedrig

null null Männer > Frauen

hoch

Männer > Frauen Männer > Frauen Frauen > Männer

null null null niedrig niedrig niedrig

Frauen > Männer Männer > Frauen Männer > Frauen

niedrig hoch hoch

Männer > Frauen

hoch

Männer > Frauen

hoch

Jungen > Mädchen

mittel

Frauen > Männer Frauen > Männer Frauen > Männer Frauen > Männer Männer > Frauen

niedrig niedrig niedrig hoch hoch

Männer > Frauen

niedrig

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Tabelle 1: Zusammenstellung von Ergebnissen zu Geschlechterunterschieden und -ähn-

lichkeiten (Fortsetzung) Variable

Aggression – Kinder/Jugendliche – Aggression insgesamt – physische Aggression – Gewaltkriminalität – Aggression in Partnerschaft – physische Verletzungen gegenüber Partner/in

Richtung der Geschlechterunterschiede

Differenz1)

Jungen > Mädchen

mittel

Männer > Frauen

niedrig

Männer > Frauen

mittel

Männer > Frauen Frauen > Männer

hoch null/niedrig

Männer > Frauen

niedrig

Risikoverhalten

Männer > Frauen

null/niedrig

Selbstmord

Männer > Frauen

hoch

Männer > Frauen Männer > Frauen Männer > Frauen Männer > Frauen

niedrig null/niedrig mittel hoch

Frauen > Männer

mittel

Frauen > Männer Frauen > Männer

mittel mittel

Frauen > Männer Frauen > Männer in FürsorgeOrientierung Männer > Frauen im Gleichheitsgrundsatz

mittel null/niedrig

Frauen > Männer

null/niedrig

Frauen > Männer

mittel/hoch

Männer > Frauen Männer > Frauen

mittel/hoch hoch

Helfen – insgesamt – im Campus – außerhalb Campus – Rettung anderer (Tapferkeitsmedaille) – Hilfe für Juden (Nazizeit) – Friedenscorps – Ärzte ohne Grenzen – Nierenspende – Moralische Orientierung

Nonverbales Verhalten – Berührungen gleichgeschlechtlich – Lächeln, Ansehen, Ausdrucksintensität – Distanz – Raumgebrauch, motorische Unruhe, Sprechpausen, Füllsel

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Tabelle 1: Zusammenstellung von Ergebnissen zu Geschlechterunterschieden und -ähn-

lichkeiten (Fortsetzung) Variable

Richtung der Geschlechterunterschiede

Differenz1)

Geschlechterunterschiede abhängig von Aufgabe

null/niedrig

Frauen > Männer

hoch

Männer > Frauen

hoch

Männer: Einkommen, Status Frauen: soziale Beziehungen

null/niedrig

Männer > Frauen

niedrig

Frauen negativer bewertet in Männerberufen Männer > Frauen

null/niedrig

Frauen > Männer

niedrig

Höhere Bedeutung für Männer

null/niedrig

Männer > Frauen Männer > Frauen

mittel/hoch hoch

betonen Männer > Frauen betonen Frauen > Männer

null niedrig mittel/hoch

Positives Befinden

Männer > Frauen

null/niedrig

Zufriedenheit mit Körper

Männer > Frauen

mittel

Essstörungen

Frauen > Männer

hoch

Konformität Interessen/Berufswahlen – Umgang mit Menschen – Umgang mit Material – Berufliche Werte Führungsverhalten – Übernahme Führungsfunktion – Bewertung der Führung – Führungsstil autokratisch – Führungsstil demokratisch Sexualität – Einstellungen allgemein – Promiskuität – Masturbation Partnerwahlkriterien – Charakter – Aussehen – Sozialprestige/ Beruf

niedrig

Anmerkungen: 1) Entsprechend metaanalytischen Befunden entsprechen niedrige Unterschiede einem d-Wert von ca. 0.2, mittlere einem d-Wert von ca. 0.5 und hohe einem d-Wert von ca. ≥ 0.80. Mittlere und hohe Geschlechterunterschiede sind fett gedruckt. Quellen:

Alfermann (1996); Archer (2000); Becker & Eagly (2004); Byrnes, Miller & Schafer (1999); Eagly, Wood & Johannesen-Schmidt (2004); Jaffee & Hyde (2000); Kling, Hyde, Showers & Buswell (1999); Konrad, Ritchie, Lieb & Corrigall (2000).

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leistungsbezogene Merkmale (Führung, Leistungsstreben, Intelligenz und eine Reihe von eher trainingsabhängigen motorischen Fähigkeiten) keine Geschlechterunterschiede. Lediglich ein Aspekt des räumlichen Denkens, nämlich das mentale Rotieren, weist hohe Unterschiede zu Gunsten der Männer auf. Deutlich bessere Leistungen der Männer finden sich in motorischen Fähigkeiten, die auf Körpergröße und Muskelmasse basieren. Hier sind biologische Ursachen als Erklärung heranzuziehen, während beim räumlichen Denken sowohl evolutionsbiologische, kortikale wie auch Sozialisationsunterschiede eine Rolle spielen können. Bezieht man das Geschlechtsrollenselbstbild als Moderatorvariable mit ein, so lässt sich eine positive Korrelation von maskulinem Selbstbild und räumlichem Denken feststellen, die für beide Geschlechter gilt und die Thesen kognitiver Theorien und speziell des Androgyniekonzepts unterstützt (Bierhoff-Alfermann, 1989). Persönlichkeitsunterschiede finden sich in Fürsorglichkeit zum einen und Dominanzstreben zum anderen. Dazu passt das nonverbale Verhalten, indem Männer Distanz und damit Macht betonen, Frauen eher Nähe und soziale Bindung. Auch die Präferenz von Frauen für Dienstleistungsberufe und soziale Berufe, die Vorliebe von Männern hingegen für Berufe, die den Umgang mit Material und Maschinen beinhalten, weist auf die offenbar hohe Bedeutung hin, die Frauen sozialen Beziehungen und gegenseitiger Abhängigkeit beimessen. Cross und Madson (1997) sehen als Ursache der Geschlechterunterschiede das eher independente Selbstbild der Männer und das interdependente Selbstbild der Frauen an. Männer betonen Unabhängigkeit, Frauen eher wechselseitige Abhängigkeit und Unterstützung. Diese Befunde können evolutionsbiologisch ebenso erklärt werden wie auf der Basis sozialer Rollenerwartungen. Wie sehen die Befunde zum sozialen Handeln aus? Die Heterogenität der Befunde zur Aggression verweist auf vielfältige Einflussvariablen, die bereits weiter oben diskutiert wurden. Auch im hilfreichen Verhalten findet sich ein sehr unterschiedliches Ergebnisbild. Werden Fürsorglichkeit, Einfühlungsvermögen und Mitmenschlichkeit angesprochen, also stereotyp weibliche Attribute, dann sind Frauen häufiger zur Hilfeleistung bereit als Männer. Werden hingegen Tapferkeit, Mut und Risiko verlangt, dann finden sich häufiger Männer unter den Hilfeleistenden. Dies spricht insbesondere für den Einfluss von sozialen Rollenerwartungen, die an Männer und Frauen unterschiedliche Verhaltensforderungen stellen und sich im Übrigen auch in den Geschlechterstereotypen widerspiegeln. Die Annäherung der Geschlechter im sexuellen Verhalten und Erleben kann angesichts der gesellschaftlichen Gleichstellung der Geschlechter nicht überraschen. Für die verbleibenden Unterschiede (Promiskuität, Masturbation) werden insbesondere (evolutions-)biologische Einflüsse diskutiert. Die letzten Zeilen in Ta-

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belle 1 weisen auf eine unterschiedliche Bedeutsamkeit physischer Attraktivität für Männer und Frauen hin. Frauen sind unzufriedener mit ihrem Körper, führen häufiger Diäten durch und entwickeln häufiger Essstörungen als Männer. Eine Erklärung dafür ist, dass physische Attraktivität bei Frauen ein wichtiges Kriterium für ihren Lebenserfolg ist, und zwar sowohl auf dem Heiratsmarkt wie in der Arbeitswelt. Demgegenüber spielt bei Männern der berufliche Erfolg bzw. der soziale Status eine große Rolle, sowohl für ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt, wie auch für ihr Selbstwertgefühl und ihre Lebenszufriedenheit. Aus evolutionsbiologischer Sicht wird dies mit der sexuellen Selektion und den unterschiedlichen Aufgaben der Geschlechter für die Fortpflanzung erklärt. Aus dem Blickwinkel der (bio-)sozialen Rollentheorie, die neben physischen Unterschieden insbesondere Rollenerwartungen herausstellt, müssten sich angesichts der Veränderungen der Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft die berichteten Unterschiede verringern. Dafür spricht beispielsweise, dass physische Attraktivität auch bei Männern eine immer wichtigere Rolle für den Lebenserfolg spielt und gerade in Mittel- und Oberschichtberufen Schlankheit und eine sportlich-gesunde Lebensweise propagiert wird. Nicht behandelt wurden im vorliegenden Beitrag die Geschlechterunterschiede auf dem Arbeitsmarkt, also in Berufswahl und Berufserfolg. Diese lassen sich weniger mit psychologischen Variablen (wie Fähigkeiten und Motivation) erklären, sondern sind vorrangig ein Ergebnis des gesellschaftlichen Kontextes und der Geschlechterunterschiede in der Übernahme von Familienpflichten. Längsschnittuntersuchungen wie auch retrospektive Studien weisen auf das komplizierte Geflecht von psychologischen, strukturellen und gesellschaftlichen Einflussgrößen hin (Abele, Hoff & Hohner, 2003). Abschließend lässt sich feststellen, dass Geschlechterunterschiede ein auch für die Zukunft spannendes Thema darstellen, gerade angesichts des fortschreitenden gesellschaftlichen Wandels und der verbesserten methodischen Untersuchungsund Auswertungsansätze, die eine zuverlässigere Beschreibung und Erklärung von Geschlechterunterschieden und -ähnlichkeiten ermöglichen. Die Erklärungsansätze müssen je nach Verhaltensbereich biologische, lern- und sozialpsychologische, wie auch eine Interaktion beider einbeziehen.

Weiterführende Literatur Alfermann, D. (1996). Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten. Stuttgart: Kohlhammer. Eagly, A. H., Beall, A. E. & Sternberg, R. J. (Eds.). (2004). The psychology of gender (2nd ed.). New York: Guilford Press.

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Literatur Abele, A. E., Hoff, E.-H. & Hohner, H.-U. (Hrsg.). (2003). Frauen und Männer in akademischen Professionen. Berufsverläufe und Berufserfolg. Heidelberg, Kröning: Asanger. Alfermann, D. (1996). Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten. Stuttgart: Kohlhammer. Archer, J. (2000). Sex differences in aggression between heterosexual partners: A metaanalytic review. Psychological Bulletin, 126, 651–680. Becker, S. W. & Eagly, A. H. (2004). The heroism of women and men. American Psychologist, 59, 163–178. Bierhoff-Alfermann, D. (1989). Androgynie. Möglichkeiten und Grenzen der Geschlechterrollen. Opladen: Westdeutscher Verlag. Byrnes, J. P., Miller, D. C. & Schafer, W. D. (1999). Gender differences in risk taking: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 125, 367–383. Cross, S. E. & Madson, L. (1997). Models of the self: Self-construals and gender. Psychological Bulletin, 122, 5–37. Deaux, K. & LaFrance, M. (1998). Gender. In D. Gilbert, S. Fiske & G. Lindzey (Eds.), Handbook of social psychology (4th ed., pp. 788–827). New York: McGraw-Hill. Eagly, A. H., Wood, W. & Diekman, A. B. (2000). Social-role theory of sex differences and similarities: A current appraisal. In T. Eckes & H. M. Trautner (Eds.), The developmental social psychology of gender (pp. 123–174). Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum. Eagly, A. H., Wood, W. & Johannesen-Schmidt, M. C. (2004). Social role theory of sex differences and similarities: Implications for the partner preferences of women and men. In A. H. Eagly, A. E. Beall & R. J. Sternberg (Eds.), The psychology of gender (2nd ed., pp. 269–295). New York-London: Guilford Press. Fagot, B. I., Rodgers, C. S. & Leinbach, M. D. (2000). Theories of gender socialization. In T. Eckes & H. M. Trautner (Eds.), The developmental social psychology of gender (pp. 65–89). Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum. Feingold, A. (1988). Cognitive gender differences are disappearing. American Psychologist, 43, 95–103. Geary, D. C. (1998). Male, female. The evolution of human sex differences. Washington, DC: American Psychological Association. Hyde, J. S. & Plant, E. A. (1995). Magnitude of psychological gender differences. Another side to the story. American Psychologist, 50, 159–161. Jaffee, S. & Hyde, J. S. (2000). Gender differences in moral orientation: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 126, 703–726. Kling, K. C., Hyde, J. S., Showers, C. J. & Buswell, B. N. (1999). Gender differences in self-esteem: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 125, 470–500. Konrad, A. M., Ritchie, J. E., Jr., Lieb, P. & Corrigall, E. (2000). Sex differences and similarities in job attribute preferences: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 126, 593–641. Marecek, J., Crawford, M. & Popp, D. (2004). On the construction of gender, sex, and sexualities. In A. H. Eagly, A. E. Beall & R. J. Sternberg (Eds.), The psychology of gender (2nd ed., pp. 192–216). New York-London: Guilford Press.

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Schröter, S. (2002). FeMale. Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch. Wood, W. & Eagly, A. H. (2002). A cross-cultural analysis of the behavior of women and men: Implications for the origins of sex differences. Psychological Bulletin, 128, 699–727.

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V Persönlichkeitsunterschiede im Bereich der Fähigkeiten und Kompetenzen

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Intelligenz Intelligence Aljoscha C. Neubauer

Die Untersuchung der menschlichen Intelligenz gehört zu den traditionsreichsten Themenfeldern der modernen empirischen Psychologie. Obgleich eine Auseinandersetzung mit interindividuellen Fähigkeiten und Begabungen von Menschen bereits in der Antike (Plato, Staat II) beobachtet werden kann, wird der Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Konstrukt zumeist bei Sir Francis Galton (1822–1911) angesetzt. Er bot in seinem Londoner „Anthropometrischen Laboratorium“ gegen Bezahlung eine Messung „in various ways of human form and faculty“ zu folgenden Zwecken an: „… either to obtain timely warning of remediable faults, or to learn their powers“ (vgl. Amelang & Bartussek, 2001, Abb. S. 21). Hierzu entwickelte er eine Serie von Tests für die Messung von Reaktionszeiten, sensorischen Diskriminationsleistungen, aber auch der physischen Energie, die etwas über die neurologische Effizienz and damit über die natürliche Intelligenz der Personen aussagen sollten (vgl. Fancher, 1985). Empirisch erfüllte sich Galtons Hoffnung jedoch nicht. Seine Tests wiesen keinerlei bedeutsame Zusammenhänge mit unabhängigen Indikatoren von Begabung oder Bildung (wie z. B. Berufsstand) auf. Nach einem weiteren erfolglosen Versuch, Leistungen in derart elementaren „Sinnesprüfungen“ mit Begabungsindikatoren in Beziehung zu setzen, durch James McKeen Cattell (vgl. Fancher, 1985), sollte dieser „elementar-kognitive Zugang“ zur Intelligenz für lange Zeit von der Bildfläche der wissenschaftlichen Psychologie verschwinden. Erst in jüngerer Zeit ist dieser Zugang wieder aufgelebt – nun mit durchaus sinnhaften Resultaten (vgl. Neubauer, 2001). Zunächst nahm aber die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der menschlichen Intelligenz einen anderen Weg: Beauftragt vom Pariser Bildungsministerium entwickelten Alfred Binet und Theophile Simon im Jahre 1905 Aufgabenserien für 3- bis 15-jährige Kinder, um eine objektive Prüfung für die Einweisung in die Sonderschule zu erlauben. Diese Aufgaben (siehe Kasten) sollten jeweils von 50 bis 75 % der Kinder des betreffenden Lebensalters gelöst werden können, so dass sich Abweichungen nach oben oder unten über den Vergleich des Intelligenzalters mit dem Lebensalter abbilden lassen. Aus der einfachen Differenzbildung zwischen Intelligenzalter und Lebensalter resultierte aber das Problem, dass numerisch gleichen Abweichungen (z. B. zwei Jahre nach unten) je nach Altersbereich ein ganz unterschiedliches Gewicht zukommt: Ein Entwicklungsrückstand im Intelligenzalter von zwei Jahren ist bei 6-Jährigen sicher gravierender als bei 10-Jährigen. Diese Problematik führte schließlich zum Vorschlag die Abweichung anstatt als Differenzmaß besser in Form eines Quotienten (eben des IQ) auszudrücken.

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IQ – Der Intelligenzquotient Binet und Simon, zwei Pioniere der Intelligenzforschung, entwickelten Aufgaben, um die Intelligenz von Kindern im Altersbereich von 3 bis 15 Jahren zu prüfen. Für jede Altersstufe gab es fünf Aufgaben z. B.: • Altersstufe 6: Wiederholt einen Satz von 16 Silben. • Altersstufe 8: Benennt vier Farben – rot, gelb, blau, grün. • Altersstufe 10: Konstruiert einen Satz nach 3 vorgegebenen Wörtern (Paris, Glück, Rinnstein). Anhand der gelösten Aufgaben wird das Intelligenzalter bestimmt (z. B. alle Aufgaben bis einschließlich Altersstufe 11 gelöst plus 3 von 5 Aufgaben für Altersstufe 12 macht ein Intelligenzalter von 11,6). Der eigentliche Intelligenzquotient wurde von William Stern vorgeschlagen, indem das Intelligenzalter durch das Lebensalter dividiert und noch mit 100 multipliziert wird: IQ = Intelligenzalter/Lebensalter x 100 Ein 9-jähriges Kind mit Intelligenzalter 9 ist folglich mit einem IQ von 100 genau durchschnittlich intelligent; ein 10-jähriges Kind mit Intelligenzalter von 12 Jahren würde mit einem IQ von 120 als überdurchschnittlich eingestuft. Da es ab dem Alter von ca. 15 Jahren keine Aufgaben mehr gibt, die nach dem Alter differenzieren, wird der IQ bei Erwachsenen anders berechnet (und ist streng genommen auch kein Quotient mehr): Die individuelle Leistung wird zum Ergebnis einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe in Beziehung gesetzt, wobei verschiedene Bereiche beispielsweise wie folgt definiert werden (Terman, 1916): • IQ unter 70: ausgesprochen schwachsinnig, • 70 bis 80: Grenzfälle des Schwachsinns, • 80 bis 90: schwache oder niedrige Intelligenz, • 90 bis 110: durchschnittliche Intelligenz, • 110 bis 120: hohe Intelligenz, • 120 bis 140: sehr hohe Intelligenz, • IQ über 140: genial. Unabhängig von der Frage der Berechnung stellt sich aber die Frage, was ist Intelligenz bzw. ist Intelligenz überhaupt ein derart homogenes Konstrukt, dass man die Position/Lokalisation eines Menschen darin in Form eines einzigen Globalmaßes ausdrücken darf?

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Die Definition von „Intelligenz“

Im Laufe der mehr als 100-jährigen Geschichte der Intelligenzforschung gab es vielfältige Versuche, dieses Konstrukt zu definieren, wobei durchaus unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund gestellt wurden. Den meisten Definitionen gemeinsam sind aber zwei Aspekte: Bei Intelligenz handelt es sich um die Fähigkeit 1. sich in neuen Situationen auf Grund von Einsichten zurechtzufinden, 2. Aufgaben mit Hilfe des Denkens zu lösen, ohne dass hierfür die Erfahrung, sondern vielmehr die Erfassung von Beziehungen, das Wesentliche ist. Diese Sichtweise der Intelligenz kommt sehr gut z. B. in so genannten Matrizenaufgaben zum Ausdruck, bei denen die Personen in einer 3 x 3- oder auch einer 5 x 3-Matrix figuraler Symbole sowohl zeilen- als auch spaltenweise Gesetzmäßigkeiten entdecken und darauf basierend die richtige Lösung finden müssen (wie z. B. im Bochumer Matrizentest von Hossiep, Turck & Hasella, 2001, siehe Abb. 1). Nichtsdestoweniger ist festzuhalten, dass viele gängige Intelligenztests nicht den o. a. Aspekten der Intelligenz (Rekurs auf neue Situationen, geringe Erfahrungsabhängigkeit) entsprechen; vielmehr wird oft auch „Wissen“ überprüft (u. a. indem Begriffe erklärt werden müssen: z. B. „Was ist eine Statue?“).

Abbildung 1: Beispielaufgabe aus dem Bochumer Matritzentest (Hossiep, Turck & Ha-

sella, 2001)

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Die Struktur der Intelligenz: Intelligenz als „allgemeine geistige Leistungsfähigkeit“ oder „multiple Intelligenzen“?

Die Unterscheidung zwischen der eigentlichen Denkfähigkeit und dem (wohl auch wesentlich mittels dieser Denkfähigkeit) erworbenen Wissens ist in der Tat eine der zentralen Unterteilungen, die in der Erforschung der Struktur der Intelligenz getroffen wurden. Sie geht zurück auf Raymond B. Cattell (1963), der die Denkfähigkeit als Beweglichkeit und Umstellfähigkeit im Denken definierte und folgerichtig als fluide (flüssige) Intelligenz bezeichnete. Diese fluide Intelligenz werde von Menschen eingesetzt, um Wissen zu erwerben. Das daraus resultierende Wissen ergäbe das Ausmaß der kristallisierten Intelligenz, in welcher sich die früheren Lernerfahrungen gleichsam „verfestigt“ hätten. Die Unterscheidung in fluide versus kristallisierte Intelligenz ist nur einer von vielen Versuchen der vergangenen 100 Jahre, die Frage nach der Gliederung oder Struktur der Intelligenz zu beantworten. Die Frage, ob Intelligenz als eine in sich geschlossene, einheitliche Fähigkeit zu verstehen ist oder ob unter dem Begriff Intelligenz nicht einfach eine Reihe unverbundener bzw. unkorrelierter Spezialfähigkeiten subsumiert werden sollte, war über weite Strecken des vergangenen Jahrhunderts der zentrale Untersuchungsgegenstand der empirischen Intelligenzforschung. Hierbei ließen sich zunächst zwei Extrempositionen identifizieren. Die Gruppe der Vertreter des so genannten g-Ansatzes (g = general intelligence; zurückgehend auf Charles Spearman, 1904) haben auf das empirische Faktum hingewiesen, dass zwischen verschiedenen intellektuellen Teilfähigkeiten statistisch gesehen immer moderate positive Zusammenhänge bestehen, d. h. wer in einem Bereich sehr gut ist (z. B. hoch sprachbegabt), ist meistens auch in anderen Bereichen (z. B. Mathematik) nicht ganz schlecht. Auf der anderen Seite stehen die Vertreter von Ansätzen multipler, unabhängiger Teilfähigkeiten. Hierzu gehören Thurstone (Thurstone & Thurstone, 1941), der sieben Primärfähigkeiten vorschlug (Wortflüssigkeit, Sprachverstehen, Rechenfähigkeit, räumliche Wahnehmung, Verarbeitungsgeschwindigkeit, Gedächtnis, schlussfolgerndes Denken), und Guilford (1967), der in dem komplexesten aller Intelligenzmodelle insgesamt 120 (unabhängige) Teilfähigkeiten postulierte, die sich aus der faktoriellen Kombination von vier Inhalten, fünf Operationsvorgängen und sechs Produkten ergeben sollten. Während das Modell von Thurstone durchaus seinen Niederschlag in so manchen, auch heute noch im Einsatz befindlichen Intelligenztests gefunden hat, gelang es Guilford zeitlebens nicht, auch nur annähernd die 120 Zellen seines Modells mit konkreten Tests bzw. Testaufgaben zu realisieren. Nichtsdestoweniger wird Guilfords Leistung wegen seines Versuchs der Erstellung einer Art „Elemententafel“ der kognitiven Fähigkeiten auch heute noch geschätzt, obgleich ein derart komplexes Modell für die praktisch-angeDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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wandte Diagnostik nicht sonderlich praktikabel erscheint. Schließlich ließe sich noch Howard Gardner (1993) mit seiner Theorie der „multiplen Intelligenzen“ unter den Vertretern „modularer“ Intelligenzstrukturansätze nennen, deren Status innerhalb der wissenschaftlichen Intelligenforschung aber auf Grund einer seit 20 Jahren fast unverändert schwachen empirischen Befundlage eher umstritten ist (vgl. Brody, 1992). Die Annahme unkorrelierter Teilfähigkeiten bei Thurstone und Guilford hat sich letztlich als durch methodische Unzulänglichkeiten bedingt herausgestellt, wie z. B. die Untersuchung von nicht repräsentativen (eher homogenen) Stichproben. Nichtsdestoweniger sind die Interkorrelationen zwischen verschiedenen Teilfähigkeiten auch wieder nicht so hoch, dass die Annahme nur einer generellen intellektuellen Kapazität gerechtfertigt erscheint. So wird gegenwärtig die Frage nach der Intelligenzstruktur nicht mehr im Sinne eines entweder … oder sondern eines sowohl … als auch beantwortet. Intelligenz wird dabei zumeist als eine pyramidenförmige Hierarchie betrachtet, mit g oder allgemeiner Intelligenz an der Spitze und einer Reihe von allgemeineren Spezialfähigkeiten auf der 2. Ebene darunter und gegebenenfalls noch spezifischeren Begabungen auf einer 3. (untersten) Ebene. Auch wenn noch keine vollständige Einigkeit über die Anzahl und Art der Fähigkeiten auf der zweiten und dritten Ebene besteht, so lässt sich doch aus der – immer wieder als Jahrhundertwerk der Intelligenzforschung bezeichneten – Studie von John B. Carroll (1993) eine gewisse Konvergenz ersehen. Carroll hat die unvorstellbare Aufgabe unternommen, 460 Datensätze aus der Intelligenzforschung zwischen 1927 und 1987 soweit möglich gemeinsam zu reanalysieren, womit seine Daten auf der in der Intelligenzforschung einmaligen Zahl von 130.000 Personen beruhen. Abbildung 2 zeigt Carrolls wesentliche Ergebnisse. Unter einem g-Faktor an der Spitze liegen auf der 2. Ebene die schon erwähnte fluide und kristalline Intelligenz, Lernen/Gedächtnis, visuelle Wahrnehmung, akustische Wahrnehmung, Einfallsreichtum und Verarbeitungsgeschwindigkeit. Auf der untersten Ebene, die in der Abbildung nur angedeutet ist, finden sich dann sehr spezifische Teilfähigkeiten wie z. B. die Geschwindigkeit, mit der Personen buchstabieren können. Modelle über die Struktur der Intelligenz müssen jedoch nicht zwangsläufig diesen pyramidenhaften Charakter haben. Abbildung 3 zeigt das rautenförmige Modell von Adolf Otto Jäger (1984), dem wohl bedeutsamsten Beitrag der deutschsprachigen Psychologie zur Intelligenzstrukturforschung: das so genannte Berliner Intelligenz-Strukturmodell (BIS). Hier wird angenommen, dass intellektuelle Teilleistungen sich immer aus der Kombination einer inhaltlichen Fähigkeit (verbales vs. numerisch-rechnerisches vs. figural-bildhaftes Denken) mit einer operativen Fähigkeit (Bearbeitungsgeschwindigkeit, Gedächtnis, Einfallsreichtum und Verarbeitungskapazität bzw. schlussfolgerndes Denken) ergeben. Für jede der sich aus den zwölf Kombinationen ergebenden Teilfähigkeiten wurden spezielle Aufgaben Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Abbildung 2: Die Struktur der Intelligenz nach J. B. Carroll (1993)

entwickelt (vgl. den BIS-4-Test von Jäger, Süß & Beauducel, 1997). Wie Abbildung 3 zeigt, steht aber auch in diesem Modell ein Generalfaktor der Allgemeinen Intelligenz über diesen Teilfähigkeiten.

„g“ Allgemeine

Intelligenz

F

G

V

TE AL INH

B OP ER AT ION EN

V

N

E

K Leistungen B

Figuralbildhaft

G

F

Verbal

E

V

Numerisch

N

Bearbeitungsgeschwindigkeit

Gedächtnis

Einfallsreichtum

K Verarbeitungskapazität

Abbildung 3: Das Berliner Intelligenz-Struktur-Modell nach A. O. Jäger (1984)

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Hinsichtlich der Annahme einer allgemeinen geistigen Leistungsfähigkeit auf Basis der positiven Beziehungen der intellektuellen Teilfähigkeiten untereinander muss jedoch eine wichtige Einschränkung vorgenommen werden. Diese Annahme basiert nämlich im Wesentlichen auf der psychometrischen (auf klassischen Intelligenztests basierenden) Intelligenzforschung. In den vergangenen 20 Jahren lässt sich in Teilbereichen eine Abkehr von dieser Tradition beobachten: Zum einen werden alternative Sichtweisen der Definition und der Messung der kognitiven Intelligenz beschritten wie z. B. das komplexe Problemlösen (Dörner et al., 1983; Funke, 1983) oder das Lernfähigkeitskonzept (Guthke & Beckmann, 2003; ➝ Experimentelle Methoden). Zum anderen wird der Intelligenzbegriff zunehmend auf Fähigkeitsbereiche erweitert, die mit Kognition (Denken, Problemlösen, Wissen) nicht mehr viel zu tun haben. Darunter sind hier die gerade in jüngster Zeit sehr populären Erweiterungen in Richtung von Salovey und Mayers (1990) „Emotionaler Intelligenz“ oder auch (als ein schon etwas älterer Begriff) der „Sozialen Intelligenz“ zu nennen. In diesen Konzeptionen wird auch die Fähigkeit, sich und seine eigenen Emotionen, Bedürfnisse und Motive als auch die anderer Menschen zu erkennen, als intelligente Leistung betrachtet. Häufig wird allerdings die berechtigte Frage gestellt, ob es sich bei diesen sozialen und emotionalen Fähigkeiten wirklich um eine „Intelligenz“ oder nicht um (intelligenzunabhängige) Fähigkeiten handelt? Und sind soziale und emotionale Fähigkeiten nicht vielmehr Fertigkeiten bzw. Kompetenzen, also wesentlich stärker erlern- bzw. trainierbar als kognitive Fähigkeiten? Derzeit können diese Fragen in Ermangelung reliabler und valider Testverfahren für emotionale oder soziale Fähigkeiten noch nicht schlüssig beantwortet werden (➝ Soziale Kompetenzen). Komplexes Problemlösen und kognitive Intelligenzforschung An herkömmlichen Intelligenztests wurde oft kritisiert, dass die mit ihnen erfassten Fähigkeiten nur wenig mit dem Lösen realer (Alltags-)Probleme zu tun hätten. Derartige Probleme seien viel stärker als Intelligenztestaufgaben dadurch gekennzeichnet, dass Personen nicht eine korrekte Lösung auf ein klar definiertes Problem mit einem eindeutigen Ziel finden müssen, sondern dass sie mit einem System komplex und nicht linear verknüpfter Variablen konfrontiert werden und dieses System in Richtung eines bestimmten Ziels steuern müssen. So besteht im klassischen Lohhausen-Versuch von Dörner und Mitarbeitern die Aufgabe darin, im Rahmen einer Computersimulation in der Rolle eines Bürgermeisters eine Stadt (eben Lohhausen) zu regieren. Eingriffe in einzelne Systemvariablen (z. B. die Industrie auf Kosten des Fremdenverkehrs oder eher die Umweltqualität zu fördern) haben (oft vielfältige und auch nicht lineare) Auswirkungen auf eine größere Zahl anderer Systemvariablen und müssen so gesteuert werden, dass auch über einen Zeitraum von 10 Jahren das „System Stadt“ funktionsfähig gehalten wird und gleichzeitig die Zufriedenheit der Bürger erhalten wird. Nach anfänglichen Problemen dieses Forschungsansatzes,

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sinnvolle Indikatoren für die Fähigkeit zum komplexen Problemlösen bzw. zum vernetzten Denken zu finden, zeigen neuere komplexe Problemlöseszenarien (wie beispielsweise die „Schneiderwerkstatt“ von Joachim Funke) Ergebnisse, die eine Bereicherung der klassischen Intelligenzforschung in Aussicht stellen.

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Die Nützlichkeit von Intelligenztests

„Der IQ erklärt (nur) 20 % des Erfolgs eines Menschen“, so wird sinngemäß immer wieder Daniel Goleman (1995), der „Promoter“ der Emotionalen Intelligenz zitiert. In diesem Zitat wird das wichtigste Gütemerkmal von psychologischen Tests angesprochen, ihre Validität oder Gültigkeit. Eine große Zahl von Untersuchungen der Kriteriumsvalidität, d. h. der Korrelation des psychometrisch erfassten Merkmals wie z. B. Intelligenz, mit gleichzeitig oder später erhobenen Kriterien des Realverhaltens (z. B. Erfolg in Schule, Ausbildung oder Beruf) belegen, dass Intelligenztests zu den validesten psychologischen Untersuchungsmethoden überhaupt gehören. Frank Schmidt und John Hunter haben derartige Untersuchungen zusammengetragen und konnten auf Basis einer im Jahr 1998 publizierten Metaanalyse zeigen, dass Intelligenz und berufliche Leistungen im Mittel zu 0.51 korrelieren. Eine solche Vorhersagekraft wird von keinem anderen psychologischen Einzelverfahren erreicht (bei der Vorhersage von Ausbildungserfolg findet man sogar noch etwas höhere Zusammenhänge bis 0.6). Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass man nicht auch andere Informationsquellen zur Vorhersage des Ausbildungs- oder Berufserfolgs heranziehen sollte. Eine bedeutsame Verbesserung der Vorhersage gelingt beispielsweise, wenn man Intelligenztests kombiniert mit Arbeitsproben, mit strukturierten Interviews oder mit Fragebögen zur Integrität von Mitarbeitern (einer Kombination aus Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und emotionaler Stabilität); hier lässt sich die Vorhersagegenauigkeit auf über 40 % steigern, was im Vergleich mit anderen Wissenschaften durchaus nicht gering ist. Geschlechtsunterschiede in der Intelligenz Hinsichtlich des Intelligenzquotienten (IQ) als Globalmaß der intellektuellen Leistungsfähigkeit einer Person zeigen die meisten Untersuchungen keine bedeutsamen Geschlechtsunterschiede. Hieraus wird häufig auf eine gleich hohe mittlere Intelligenz von Männern und Frauen geschlossen. Ein Fehlschluss, da Intelligenztests und ihre Aufgaben so konstruiert wurden, dass im Mittel keine Geschlechtsunterschiede auftreten. Nichtsdestoweniger lassen sich in Teilbereichen der Intelligenz durchaus Geschlechtsunterschiede im Mittel beobachten, die allerdings zumeist eher gering sind:

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• Männer sind etwas besser im räumlichen Vorstellungsvermögen, insbesondere in der Fähigkeit Figuren mental zu rotieren. • Frauen sind Männern in manchen verbalen Fähigkeiten (vor allem im sprachlichen Ausdruck) leicht überlegen. • In mathematischen Fähigkeiten gibt es Unterschiede vor allem hinsichtlich Anzahl der Hochbegabten, bei welchen Jungen häufiger vertreten sind als Mädchen. Ob dies auf die – vor allem in der Geometrie bedeutsame – Fähigkeit, mental zu rotieren zurückgeht, oder auf die Demotivierung von Mädchen durch das Geschlechtsstereotyp, ist derzeit Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und Diskussionen.

Altersentwicklung in der Intelligenz Lange Zeit hat man auf Basis von Querschnittsuntersuchungen die Annahme vertreten, dass sich die allgemeine Intelligenz bis ca. zum 20. Lebensjahr entwickelt und es schon wenige Jahre später (ab 25 oder 30) bereits wieder „bergab“ geht mit der geistigen Leistungsfähigkeit. Diese Befunde werden auf Grund der möglichen „Kohorteneffekte“ im Querschnittsdesign heute hinterfragt (die getesteten älteren Personen waren solche, die unter ungünstigeren Anregungsbedingungen, vor allem zwischen und nach den Weltkriegen, aufgewachsen waren und dadurch vermutlich auch Nachteile im Hinblick auf ihre Intelligenzentwicklung hatten). Diese Vermutung wird durch Befunde aus Längsschnittuntersuchungen erhärtet, die zwar die Zunahme der Intelligenz bis etwa 20 Jahre bestätigen, eine Abnahme der Intelligenz jedoch erst deutlich später ansetzen (im fortgeschrittenen Alter ab 65 bis 70 Jahren). Zudem zeigen Studien, die zwischen der eher wissensabhängigen kristallisierten Intelligenz und der fluiden Intelligenz differenzieren, dass Erstere sogar bis zum Alter von etwa 65 Jahren zunehmen kann, was die früher (ab 30) einsetzenden Abnahmen der fluiden Intelligenz weitestgehend kompensieren dürfte.

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Ursachen interindividueller Intelligenzunterschiede

Das 20. Jahrhundert hat beträchtliche Fortschritte in der Definition und Messung der Intelligenz, der Abklärung ihrer Struktur und hinsichtlich des Nachweises ihrer Bedeutung für den (Lebens-)Erfolg eines Menschen gebracht. Im Vergleich dazu eher bescheiden ist bislang das Wissen über die Ursachen interindividueller Intelligenzunterschiede. Dies betrifft einerseits die Frage nach dem Einfluss von Genen und Umwelt auf die Intelligenzentwicklung, andererseits die physiologischen oder neuroanatomischen Grundlagen der Intelligenz. Zur ersten Frage lässt Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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sich inzwischen aus Zwillings- und Adoptionsstudien eine wissenschaftlich recht gut abgesicherte Antwort geben. Intelligenz ist zu etwa 50 % genetisch und zu circa 40 % durch Umwelteinflüsse determiniert (bei Annahme von 10 % nicht erklärbarem Messfehler; vgl. Plomin, DeFries, McClearn & Rutter, 1999; ➝ Zwillings- und Adoptionsstudien). Die Frage nach den biopsychologischen Grundlagen der Intelligenz ist erst seit rund 15 Jahren Gegenstand intensiverer Forschungsbemühungen. In diesem Feld hat man zumeist mittels psychophysiologischer Messverfahren wie EEG, in jüngerer Zeit auch PET (Positronen Emissions Tomography) und fMRI (functional Magnetic Resonance Imaging) die Gehirnaktivität von unterschiedlich intelligenten Personen bei kognitiver Tätigkeit (z. B. Problemlösen) analysiert. Dabei zeigt sich zumeist das Phänomen der so genannten „neuralen Effizienz“, d. h. Intelligentere aktivieren beim Problemlösen kleinere kortikale Areale als weniger intelligente und damit brauchen deren Gehirne auch insgesamt weniger Energie beim Problemlösen (vgl. Neubauer, 2001). Dieser mehrfach replizierte und somit empirisch gut abgesicherte Befund könnte erklären, warum Intelligentere in Intelligenztests mehr Aufgaben lösen. Wenn sie für die Bearbeitung der leichten und mittelschweren Aufgaben weniger Ressourcen einsetzen müssen, dann haben sie möglicherweise mehr Reservekapazität zur Verfügung, wenn es um die Bearbeitung wirklich schwieriger Aufgaben geht. Der Befund einer höheren neuralen Effizienz intelligenterer Personen hat sich zwar empirisch als replizierbar erwiesen, ist aber nur ein deskriptiv-korrelativer, nicht ein explanativer Befund. Zeigen Intelligentere deshalb bessere kognitive Leistungen, weil ihre Gehirne neural effizienter arbeiten? Oder müssen sich Intelligentere bei Bearbeitung derselben Aufgaben einfach weniger „anstrengen“ und zeigen deshalb weniger Gehirnaktivierung? Am plausibelsten ist es wohl, den Zusammenhang als Ausdruck einer dritten, dahinter liegenden Variable zu sehen, die (vermutlich) neuroanatomischer oder neurostruktureller Natur ist. Mögliche Erklärungen reichen hier von unterschiedlichen Myelinisierungsgraden der Axone über die Annahme von mehr oder weniger effizient von überflüssigen Synapsen „bereinigten“ Gehirnen bis hin zur Annahme unterschiedlicher Grade dendritischer Verzweigtheit im Gehirn (Überblick bei Neubauer & Fink, 2005). Während diese Ansätze eher individuelle Unterschiede in generellen Gehirneigenschaften annehmen, betont ein anderer Ansatz die Bedeutung eines topografisch umschriebenen Areals, nämlich des präfrontalen Kortex (lokalisiert im Stirnhirn). Der präfrontale Kortex wird vor allem mit Prozessen des Arbeitsgedächtnisses und hier speziell mit der zentralen Exekutive in Verbindung gebracht. Individuelle Differenzen in der Arbeitsgedächtniskapazität dürften neueren Erkenntnissen zufolge eine wesentliche elementar-kognitive Ursache von Intelligenzunterschieden sein. Personen mit höherer Kapazität schneiden auch in Intelligenztests besser ab (➝ Experimentelle Methoden). So gesehen dürfte auch die Effizienz des präfron-

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talen Kortex eine wichtige Rolle für die Intelligenz spielen. Das „Zusammenwirken“ von präfrontalem Kortex und den nicht lokalen neurostrukturellen Aspekten ist noch ungeklärt und stellt eine der spannenden Zukunftsfragen der Differentiellen Psychologie dar.

Weiterführende Literatur Brody, N. (1992). Intelligence. New York: Academic Press. Deary, I. J. (2001). Intelligence: A very short introduction. New York: Oxford University Press. Guthke, J. & Stern, E. (Hrsg.). (2001). Perspektiven der Intelligenzforschung. Lengerich: Pabst Science Publishers.

Literatur Amelang, M. & Bartussek, D. (2001). Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung. Stuttgart: Kohlhammer. Brody, N. (1992). Intelligence. New York: Academic Press. Carroll, J. B. (1993). Human cognitive abilities: A survey of factor analytic studies. Oakley: Cambridge University Press. Cattell, R. B. (1963). Theory of fluid and crystallized intelligence: A critical experiment. Journal of Educational Psychology, 54, 1–22. Dörner, D., Kreuzig, H. W., Reither, F. & Stäudel, T. (1983). Lohhausen: Vom Umgang mit Unbestimmtheit und Komplexität. Bern: Huber. Fancher, R. E. (1985). The intelligence men: Makers of the IQ controversy. New York: W. W. Norton & Company, Inc. Funke, J. (1983). Einige Bemerkungen zu Problemen der Problemlöseforschung oder: Ist Testintelligenz doch ein Prädiktor? Diagnostica, 29, 283–302. Gardner, H. (1993). Multiple intelligences: The theory in practice. New York: BasicBooks. Goleman, D. (1995). Emotional intelligence: Why it can matter more than IQ. New York: Bantam Books. Guilford, J. P. (1967). The nature of human intelligence. New York: MacGraw Hill. Guthke, J. & Beckmann, J. F. (2003). Dynamic assessment with Diagnostic Programs. In R. J. Sternberg, J. Lautrey, & T. I. Lubart (Eds.), Models of intelligence. International perspectives (pp. 227–242). Washington, DC: American Psychological Association. Hossiep, R., Turck, D. & Hasella, M. (2001). Bochumer Matrizentest (BOMAT – advanced – short version). Göttingen: Hogrefe. Jäger, A. O. (1984). Intelligenzstrukturforschung: Konkurrierende Modelle, neue Entwicklungen, Perspektiven. Psychologische Rundschau, 35, 21–35. Jäger, A. O., Süß, H.-M. & Beauducel, A. (1997). Berliner Intelligenzstruktur-Test. Göttingen: Hogrefe. Neubauer, A. C. (2001). Elementar-kognitive und physiologische Korrelate der Intelligenz. In E. Stern & J. Guthke (Hrsg.), Perspektiven der Intelligenzforschung. Lengerich: Pabst.

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Kreativität Creativity Christiane Spiel & Hans Westmeyer In einer Gesellschaft, die davon ausgeht, dass viele ihrer zentralen Probleme ungelöst sind, hat das Thema „Kreativität“ Konjunktur. „Kreativität als Kapital“, „Wettbewerbsfaktor Kreativität“, „Kreativität als Erfolgsfaktor für Unternehmen“, „Kreativität als Leitbild für das Unternehmen der Zukunft“ – so und ähnlich lauten die Schlagzeilen von Zeitschriften und Magazinen sowie die Titel von Büchern, die der Kreativitätsthematik gewidmet sind und hohe Auflagen erreichen. Das zugehörige Adjektiv „kreativ“ wird mit zahllosen Substantiven in Verbindung gebracht. Besonders eng ist die Verbindung mit den Substantiven „Intelligenz“ und „Hochbegabung“. Es sind gerade die besonders intelligenten, hochbegabten Personen, von denen die Gesellschaft Erfindergeist und Innovationsfreude bei der Lösung von Problemen und der Entwicklung von Produkten erwartet. Ob zu Recht, ist eine offene Frage. In jedem Fall fehlt es nicht an Versuchen, Kreativität zu identifizieren und zu fördern. Eine Internetrecherche mit dem Stichwort „Kreativität“ weist mehr als 400.000 Fundstellen nach, beim Stichwort „Kreativitätsförderung“ sind es immer noch mehr als 4.000. Und täglich kommen neue Eintragungen hinzu. An den eher bescheidenen Erfolgen bei der Identifikation und Förderung kreativer Personen hat dies bisher wenig geändert. Auch die psychologische Kreativitätsforschung ist lange Zeit nicht wesentlich über die vier von Mooney (1963) formulierten Eigenschaftsaspekte der Kreativität – die kreative Person, der kreative Prozess, die kreative Umgebung und das kreative Produkt – hinausgekommen.

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Kreativität als psychologisches Konstrukt

Was ist Kreativität? Wer auf diese Frage eine einheitliche Antwort sucht, wird sie nicht finden. Einig ist man sich in der psychologischen Kreativitätsforschung nur darin, dass der Kreativitätsbegriff ein Konstruktbegriff ist. Psychologische Konstrukte und damit auch der Begriff der Kreativität werden eingeführt, um beobachtbare Zustände und Ereignisse (z. B., dass bestimmte Personen in bestimmten Bereichen wie Kunst, Musik oder Wissenschaft ganz und gar Außergewöhnliches leisten) vor dem Hintergrund einer wissenschaftlichen Theorie, die Konstruktbegriffe als wesentliche Bestandteile enthält, verständlicher zu machen, sie zu erklären und unter Umständen auch vorherzusagen. Konstrukte sind, das folgt schon aus der Bedeutung des Wortes Konstrukt, das Resultat von Konstruktions-

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prozessen. Und es sind immer Personen bzw. Gruppen von Personen, die konstruieren. Wenn auch die Konstrukte keineswegs beliebig sind, so sind doch disziplinweit einheitliche Konstruktionen wissenschaftlicher Begriffe keineswegs zwangsläufig zu erwarten. Dies gilt auch für den Kreativitätsbegriff. Auch für diesen Konstruktbegriff gibt es eine Vielfalt unterschiedlicher Begriffsexplikationen (Konstruktionen) und Ansätze. In diesem Beitrag werden drei Ansätze, die in der gegenwärtigen Kreativitätsforschung eine zentrale Rolle spielen, dargestellt. Über weitere Ansätze informieren z. B. die Aufsätze in Sternberg (1999) sowie Spiel und Westmeyer (2004).

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Der psychometrische Ansatz: Kreativität als Eigenschaft

Ein zentraler Vertreter dieses Ansatzes ist Guilford, der in einer viel beachteten Rede vor der American Psychological Association (Guilford, 1950) eine Eigenschaftstheorie der Kreativität propagierte und damit der Kreativitätsforschung wichtige Impulse gab. Er ging davon aus, dass es sich bei Kreativität um eine Menge von Persönlichkeitseigenschaften handelt, die in der Bevölkerung kontinuierlich verteilt (alle Personen sind kreativ, aber in unterschiedlichem Ausmaß) und über die Zeit hinweg stabil sind. Zu diesen Fähigkeiten bzw. Persönlichkeitseigenschaften, die Guilford als Komponenten der Kreativität betrachtete, gehören Sensitivität für Probleme (die Fähigkeit, überhaupt Probleme als solche zu entdecken bzw. zu identifizieren), Flüssigkeit (Vielzahl der auf eine Problemlösung gerichteten Ideen), Flexibilität (Vielfalt derartiger Ideen), Fähigkeiten zur Analyse, zur Synthese und zur Bewertung (solcher Ideen) (vgl. Guilford, 1959). Dass es sich bei Kreativität um eine Fähigkeit, also eine Persönlichkeitseigenschaft – oder ein Bündel von diesen – handelt, ist eine Vorstellung, die sich bis heute in weiten Teilen der Kreativitätsforschung gehalten hat. So heißt es im ersten Kapitel des Handbook of Creativity: „Kreativität ist die Fähigkeit Werke zu schaffen, die sowohl neuartig (im Sinne von originell, unerwartet), als auch angemessen (im Sinne von nützlich, brauchbar im Hinblick auf die Anforderungen der Aufgabe) sind“ (Sternberg & Lubart, 1999, S. 3; Übersetzung durch die Autoren). Kreativ als Adjektiv bezeichnet somit eine Person, die über diese Fähigkeit verfügt. Die Feststellung, ob eine Person über diese Fähigkeit verfügt, erfolgt im psychometrischen Ansatz mittels so genannter Kreativitätstests. Diese fokussieren entweder auf divergentes Denken, das von Guilford als zentrales Merkmal der Kreativität im Vergleich zur analytischen Intelligenz gesehen wurde, oder auf Problemlösefähigkeit. In ersteren Tests soll durch die Vorgabe von Aufgaben die rasche Produktion, das Verlassen gewohnter Denkschemata, die ungewöhnliche Kombination von Ideen etc. provoziert werden. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Beispielaufgaben aus dem Verbalen Kreativitäts-Test von Schoppe (1975): • Zu einem vorgegebenen Wortanfang bzw. Wortende so viele Wörter wie möglich bilden; • Zu einer vorgegebenen Eigenschaft so viele Dinge wie möglich finden, die diese Eigenschaft üblicherweise besitzen; • Zu einem alltäglichen Gegenstand möglichst viele ungewöhnliche Verwendungsarten finden; • Für ein vorgegebenes Ding möglichst mehrere originelle Spitznamen finden. Für alle Untertests gibt es feste zeitliche Vorgaben.

Im psychometrischen Ansatz wird durch den Einsatz dieser Kreativitätstests jeder Person ein bestimmtes Ausmaß an Kreativität zuwiesen. Das entspricht der Annahme von Guilford, dass Kreativität in der Bevölkerung kontinuierlich verteilt ist. Dieser quantitative Kreativitätsbegriff steht allerdings in einem Spannungsverhältnis zu der Tatsache, dass nur einige wenige Personen kreative Leistungen erbringen, die den Kriterien der Neuartigkeit und Angemessenheit genügen. Durch diese „Kreativitätstests“ wird somit eine Reihe von Personen als hoch kreativ identifiziert, die nie in ihrem Leben irgendein kreatives Produkt geschaffen haben oder schaffen werden. Gleichzeitig ist es keineswegs gesichert, dass Personen, die kreative Leistungen erbracht haben, durch einen derartigen Kreativitätstest auch als kreativ identifiziert werden.

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Ein integrativer Ansatz: die Investmenttheorie der Kreativität

Guilford hatte bereits darauf hingewiesen, dass es über die Kreativität als Menge von Persönlichkeitseigenschaften hinaus weiterer Faktoren bedarf, damit es zur Entstehung kreativer Produkte kommt. Dementsprechend hat sich die Kreativitätsforschung auch mit der Identifikation dieser weiteren Faktoren und der Bestimmung ihrer Funktion für das Zustandekommen kreativer Produkte beschäftigt. Außerdem hatte sich Guilford in seinem Kreativitätsansatz nur mit Persönlichkeitseigenschaften auseinander gesetzt, die kognitiver Natur sind und vor allem im Kontext des Intelligenzkonstrukts angesiedelt und diskutiert werden. Von den weiteren Faktoren oder, wie wir treffender sagen wollen, Ressourcen, sind einige ebenfalls dem kognitiven Bereich zuzurechnen, andere dem affektiv-konativen Bereich. Kognitive Ressourcen sind das Wissen und die Denkstile (intellektuelle Stile). Wenn es eine gesicherte Erkenntnis der Kreativitätsforschung gibt, dann ist es die, dass ohne eine intensive Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Wissen im betreffenden Bereich, der so genannten Domäne (z. B. Kunst, Musik, Wissenschaft), kreative Leistungen nicht zu erwarten sind (vgl. Weisberg, 1999). Denkstile bezeichnen die Art und Weise, wie eine Person denkt, wie sie mit Wissen umgeht und ihre intellektuellen Kapazitäten nutzt. Nach Auffassung von Sternberg und Lubart (1995) ist die Wahrscheinlichkeit, dass Personen mit einem legislativen Denkstil kreative Leistungen erbringen deutlich höher als für Personen mit einem exekutiven oder judikativen Denkstil. Auch ein progressiver Denkstil ist einem konservativen hier überlegen. Einige Denkstile (vgl. Sternberg, 1997) • Personen mit einem primär exekutiven Denkstil setzen gern die Ideen anderer um. • Personen mit einem primär judikativen Denkstil bewerten gern Ideen. • Personen mit einem primär legislativen Denkstil entwickeln gern eigene Ideen. • Personen mit einem primär konservativen Denkstile halten gern an Traditionen und Konventionen fest. • Personen mit einem primär progressiven Denkstil lieben Innovationen. Zu den affektiv-konativen Ressourcen für kreative Leistungen gehören nicht kognitive Persönlichkeitseigenschaften wie z. B. ein hohes Ausmaß an Selbstvertrauen, Ehrgeiz und Impulsivität, ein gewisser Mangel an Gewissenhaftigkeit sowie ein hohes Ausmaß an Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen (vgl. Feist, 1999, S. 290). Des Weiteren ist die Motivation dazuzuzählen, auf deren Bedeutung für die Entstehung kreativer Leistungen vor allem Amabile (1996; siehe auch Collins & Amabile, 1999) hingewiesen hat. Ihr zufolge ist die intrinsische Motivation (das Interesse an der Sache unabhängig von irgendwelchen äußeren Anreizen) in diesem Kontext von zentraler Bedeutung und für das Entstehen kreativer Leistung uneingeschränkt förderlich, während extrinsische Motivation, die auf äußere Anreize setzt, nur unter bestimmten Bedingungen positive Wirkungen hat. Nur äußere Anreize und Verstärker, welche die Verfolgung eigener auf die Erzeugung kreativer Produkte gerichteter Interessen begünstigen oder gar erst ermöglichen (vor allem Stipendien und Forschungsmittel, aber auch Preise und andere Ehrungen), sind positiv zu sehen. Ansonsten ist extrinsische Motivation für das Entstehen kreativer Leistungen eher hinderlich. Schließlich darf auch die Umgebung als wichtige Ressource für die Entstehung kreativer Leistung nicht vergessen werden. Eine Umgebung, die Neuem gegenüber aufgeschlossen ist, flache Hierarchien aufweist und z. B. Forschungsmittel strikt nach Leistung der Antragsteller und Fundiertheit der Anträge vergibt und nicht nach der Zugehörigkeit zu einer mächtigen Interessengruppe, wird ein für die Entstehung kreativer Leistungen günstiges Umfeld bieten. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Diese sechs Klassen von Ressourcen – Intelligenz, Wissen, Denkstile, Persönlichkeit, Motivation und Umgebung – mit denen sich die bisherige Kreativitätsforschung mehr oder weniger intensiv auseinander gesetzt hat, sind in der so genannten Investmenttheorie der Kreativität von Sternberg und Lubart (1991, 1995) zu einem integrativen Ansatz zusammengefasst worden (s. Abb. 1).

Kognitive Ressourcen

Intelligenz Zusammenfließende interagierende Ressourcen

Wissen

Intellektueller Stil

R2

R3

R1

Domänenrelevante kreative Fähigkeiten

Portfolio kreativer Projekte

Bewertung der kreativen Produkte

F1

P1a

B1ai

Affektiv-konative Ressourcen

F2

P2b

B1aii

Persönlichkeit

UmgebungsRessourcen

Motivation

R4

R5

F3

P3a

Umgebung

F4

P4a

B4ai

P4b

R6

Fn

P4c

B4ci

B4cii

Abbildung 1: Veranschaulichung der Investmenttheorie der Kreativität von Sternberg und

Lubart (1991, S. 5)

Die Ressourcen, über die eine Person in jeweils bestimmtem Ausmaß verfügt, stehen miteinander in Wechselwirkung und bilden domänenrelevante kreative Fähigkeiten, die sich in kreativen Projekten manifestieren können. Erfolgreiche Projekte führen zu kreativen Produkten, die diese Bezeichnung allerdings erst auf Grund einer externen Bewertung erhalten, die am Ende des gesamten Prozesses steht.

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Der systemische Ansatz: Kreativität als Relation

Die Systemperspektive der Kreativität geht auf Csikszentmihalyi (1997, 1999) zurück. Sie hat mit anderen parallel entwickelten Ansätzen die integrative Perspektive unter Berücksichtigung des kulturellen und zeitlichen Kontextes gemeinsam. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Sie unterscheidet sich von diesen Ansätzen jedoch durch die Konsequenz ihrer Loslösung vom Eigenschaftskonzept der Kreativität. Nach Csikszentmihalyi kann der Ausgangspunkt für die Feststellung von Kreativität nicht die Person sein, sondern nur das kreative Produkt. Die Feststellung, ob ein Produkt kreativ ist, geschieht durch Bewertung. Gemäß der Systemperspektive resultiert Kreativität aus der Interaktion der drei Instanzen Individuum, Feld und Domäne (siehe Abb. 2).

Kultur

Domäne

übermittelt Informationen

wählt Neues aus

regt Neues an Individuum

Feld produziert Neues Gesellschaft

Persönlicher Hintergrund

Abbildung 2: Veranschaulichung der System-Perspektive der Kreativität von Csikszent-

mihalyi (1999, S. 315)

In jeder Domäne (z. B. einer Wissenschaftsdisziplin), die Teil unserer Kultur ist, gibt es bestimmte Regeln und Praktiken, die Personen, die einen Beitrag zur Domäne leisten wollen, kennen und berücksichtigen müssen. Der Zugang zur Domäne wird vom Feld kontrolliert, das im Hinblick auf die Domäne von der Gesellschaft mit Definitionsmacht ausgestattet ist. Zum Feld gehören im Falle der Kunst u. a. Leiter/innen von Kunstmuseen, -messen, -galerien und -auktionshäusern, Lehrende an Kunsthochschulen, Kunstkritiker/innen, etablierte Künstler/innen. Das Individuum, das neue Produkte bzw. Ideen produziert, bedarf der Anerkennung des Feldes, um den Zutritt in die Domäne zu erlangen. Somit ist Kreativität nicht über Eigenschaften von Personen, Prozessen oder Produkten zu explizieren, sondern nur über die Beziehungen zwischen den oben beschriebenen Instanzen. Kreativität ist deshalb als Relation zu konstruieren. Eine präzise Explikation eines solchen relationalen Kreativitätsbegriffs – zunächst für Produkte – auf begriffslogischer Basis hat Westmeyer (1998, 2001) vorgeschlagen: Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Definition:

Explikation 1: Das Produkt x der Person p gilt als kreativ zur Zeit t genau dann, wenn es D, F und R gibt derart, dass: (1) D eine Domäne, (2) F das zur Domäne D gehörende Feld und (3) R eine substantielle Teilmenge von F ist; (4) für alle zu dieser substantiellen Teilmenge R gehörenden Personen gilt, dass sie das Produkt x der Person p zur Zeit t als kreativ im Hinblick auf die Domäne D einschätzen. Diese Begriffsexplikation für Produkte lässt sich sehr einfach auf Personen und Prozesse übertragen: Explikation 2: Die Person p gilt als kreativ zur Zeit t genau dann, wenn es (wenigstens) ein Produkt x der Person p gibt, das zur Zeit t als kreativ gilt. Explikation 3: Der Prozess pr bei der Person p gilt als kreativ zur Zeit t, wenn der Prozess pr bei der Person p ein Produkt x hervorgebracht hat, das zur Zeit t als kreativ gilt. (Westmeyer, 2001, S. 238 f.)

Westmeyer weist darauf hin, dass in Explikation 2 auch andere Festlegungen, z. B. mehr als ein kreatives Produkt, gemacht werden können. Die Zeitangabe t in seiner Explikation bezieht sich auf den Zeitbereich, in dem das Produkt als kreativ gilt, und nicht auf den, in dem es geschaffen wurde – eine Differenzierung, die u. a. bei künstlerischen, aber auch wissenschaftlichen Produkten durchaus relevant ist. Nicht selten sind Produkte in diesen Domänen zum Zeitpunkt ihres Entstehens unbeachtet geblieben oder auf Ablehnung gestoßen und haben sich erst in späteren Jahren durchsetzen können.

5

Konsequenzen dieser Sichtweise für die Kreativitätsforschung

Kreativität ist keine quantitative, normal verteilte Eigenschaft, die alle Personen in unterschiedlichem Ausmaß aufweisen und die innerhalb der Psychologie definiert und gemessen wird. Kreativitätsforschung muss daher über die Psychologie hinausgehen, sonst greift sie zu kurz. Kreativität kann nicht ohne Berücksichtigung des sozialen und kulturellen Kontextes sinnvoll studiert werden. Wer sich um Feld und Domäne nicht kümmert, vernachlässigt die wesentlichen Instanzen, die an der Konstitution von Kreativität beteiligt sind. Kreativitätsforschung auf der Grundlage der relationalen bzw. systemischen Sichtweise von Kreativität erfordert ein sorgfältiges Studium der jeweiligen Domäne und der für sie charakDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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teristischen Regeln und Prinzipien und ist auf eine enge Kooperation mit Repräsentantinnen und Repräsentanten des Feldes, das der Domäne zugeordnet ist, angewiesen. Die Psychologie kann dabei durch die Identifikation und Untersuchung der Ressourcen, welche die Wahrscheinlichkeit kreativer Leistungen erhöhen, sowie durch die Analyse des Bewertungsprozesses kreativer Leistungen einen wesentlichen Beitrag leisten. Nur durch einen solchen interdisziplinären Zugang ist zu erwarten, dass die Kreativitätsforschung fundierte Befunde liefert, die in den betreffenden Feldern und Domänen zur Kenntnis genommen werden und Berücksichtigung finden.

Weiterführende Literatur Runco, M. A. (2004). Creativity. Annual Review of Psychology, 55, 657–687. Sternberg, R. J. (Ed.). (1999). Handbook of creativity. Cambridge: Cambridge University Press.

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Kreativität

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Weisheit, Lebens- und Selbsteinsicht Wisdom, Life-Insight and Self-Insight Ursula M. Staudinger Die Begriffe Lebens- und Selbsteinsicht sowie besonders Weisheit haben einen reichen Bedeutungshof und eine lange ideengeschichtliche Vergangenheit (z. B. Baltes & Staudinger, 2000). Im Folgenden sollen Begriffsklärungen versucht und theoretische sowie empirische Evidenz zu diesen drei Konzepten zusammengetragen und systematisiert werden.

1

Kulturhistorischer Hintergrund und Begriffsklärungen

Weisheit wird seit den Anfängen menschlicher Schriftkultur als der ideale Endpunkt menschlicher Entwicklung gesehen (z. B. Baltes & Staudinger, 2000). Die psychologische Erforschung von Weisheit steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Historisch verbindet man Weisheit beispielsweise mit höchster Einsicht und Urteilsfähigkeit wie beispielsweise bei König Salomon und seinen richterlichen Urteilen oder man denkt an Weisheitssprüche und andere Weisheitsliteratur. Der in der Psychologie vorherrschende Zugang, Weisheit mit einer Person zu identifizieren, ist historisch gesehen eher die Ausnahme. Vielmehr wurde Weisheit von jeher als ein Ideal angesehen, das nur schwerlich umfassend in einem einzelnen Individuum verwirklicht sein kann. In der historischen Entwicklung spielen sowohl die Unterscheidung zwischen philosophischer und praktischer Weisheit als auch die zwischen göttlicher und weltlicher eine wichtige Rolle (Dittmann-Kohli, 1984). In der Phase der Aufklärung fanden diese Debatten ihren vorläufigen Abschluss. Erst jüngst wurde die Weisheitsdiskussion durch die wachsende Orientierungslosigkeit der postmodernen Gesellschaften wiederbelebt (Staudinger, 2005). Das psychologische Interesse an der Untersuchung von Weisheit hatte seinen Ursprung in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren als man sich zunehmend für die Potenziale des Alters zu interessieren begann. In einer ersten Annäherung an den Begriff ging man von Wörterbuchdefinitionen aus. So wird Weisheit im Grimm’schen Wörterbuch definiert als Einsicht und Wissen über sich selbst und die Welt und als abgewogenes Urteil bei schwierigen Lebensproblemen. G. Stanley Hall hat sich in den 1920er Jahren als einer der ersten Psychologen theoretisch mit dem Thema Weisheit auseinander gesetzt und Weisheit mit der im Alter wachsenden philosophischen Ruhe, Unparteilichkeit und dem Wunsch nach dem Ableiten moralischer Maxime in Beziehung gebracht.

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Andere Psychologen haben darauf hingewiesen, dass es bei Weisheit um die Suche nach dem goldenen Mittelweg ginge, um die Dynamik zwischen Wissen und Zweifel sowie um die Integration von Denken, Fühlen und Wollen (zum Überblick siehe z. B. Sternberg & Jordan, in Druck).

2

Implizite und explizite Theorien der Weisheit

Ein Strang der psychologischen Weisheitsforschung beschäftigt sich mit den Laientheorien oder auch impliziten Theorien von Weisheit. Solche Untersuchungen fragen Studienteilnehmer nach ihrer Definition von Weisheit oder einer weisen Person; oder auch danach wie sich Weisheit von Intelligenz und Kreativität unterscheidet. Die Ergebnisse der Studien zu impliziten Theorien von Weisheit lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Staudinger, 2005). Sie weisen alle daraufhin, dass es klare Vorstellungen von Weisheit gibt, dass Weisheit in unseren Köpfen eng mit weisen Personen und ihren Handlungen verknüpft ist, dass weise Personen außergewöhnlichen Intellekt und Charakter miteinander verbinden und in der Lage sind, verschiedene Interessen und Wahlmöglichkeiten abzuwägen, dass Weisheit starke interpersonelle und soziale Anteile hat und zwar sowohl im Hinblick auf die Anwendung (Ratgeben) als auch im Hinblick auf die Identifizierung von Weisheit (was weise ist, wird durch Konsens zwischen Personen bestimmt) und schließlich, dass Weisheit Überlappungen mit Konzepten wie Intelligenz aufweist, aber gleichzeitig durch Eigenschaften wie Klugheit und die Integration von Denken, Fühlen und Wollen hohe Eigenvarianz besitzt. Ein anderer Strang der Weisheitsforschung beschäftigt sich mit expliziten, also von Wissenschaftlern entwickelten Theorien der Weisheit, die dann operationalisiert und getestet werden. Hier wiederum kann man unterscheiden zwischen Theorien, die sich für selbstbezogene Weisheit interessieren (z. B. Staudinger, Dörner & Mickler, in Druck; Wink & Helson, 1997), und solchen, für die die allgemeine Weisheit im Vordergrund steht (z. B. Baltes, Smith & Staudinger, 1992; Sternberg, 1998; s. Tab. 1). Selbstbezogene Weisheit bezieht sich auf höchste Einsicht und Urteilsfähigkeit in schwierigen und unsicheren Fragen des eigenen Lebens, wie etwa solche der Lebensführung und der Lebensdeutung. Eine Person, die Weisheit im Hinblick auf das eigene Leben und die eigene Person erlangt hat, hat unliebsame selbstbezogene Informationen aufgenommen und nicht verdrängt, sie hat Widersprüche integriert und persönliche Zielsetzungen im Hinblick auf kollektive Werte transzendiert. Bei allgemeiner Weisheit beziehen sich die Einsichten und Urteile auf schwierige Fragen des Lebens im Allgemeinen wie sie beispielsweise durch einen Ratsuchenden an uns herangetragen werden. Es fehlt hier also die direkte Betroffenheit, die bei der selbstbezogenen Weisheit gegeben ist. In der Dynamik zwischen den Entwicklungsverläufen dieser beiden Typen von Einsicht könnte ein Schlüssel für das Erlangen von Weisheit liegen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Tabelle 1: Ein Modell theoretischer Bezüge zwischen Lebenseinsicht, Selbsteinsicht und

Weisheit Lebenserfahrung Qualität selbstbezogen

allgemein

Normale Ausprägung

Selbsteinsicht

Lebenseinsicht

Höchste Ausprägung

selbstbezogene Weisheit

allgemeine Weisheit

Weisheit

3

Operationalisierung von Lebens- und Selbsteinsicht als Leistungsmaße

In der ohnehin nicht sehr umfangreichen Weisheitsliteratur lässt sich zwischen Selbstbericht- und Leistungsmaßen unterscheiden. Wobei sich die Selbstberichtsmaße bisher vornehmlich auf die selbstbezogene und die Leistungsmaße auf die allgemeine Weisheit gerichtet haben. Erst in jüngster Zeit wurde auch für die selbstbezogene Weisheit ein Leistungsmaß vorgelegt. Im Folgenden werden nun Operationalisierungen und Befunde zu selbstbezogener und allgemeiner Weisheit vorgestellt. Die Teilnehmer kommen zur Erhebung von Lebens- und auch von Selbsteinsicht ins Labor und werden dort gebeten, über schwierige Lebensprobleme fiktiver Personen (Lebenseinsicht) bzw. über Aspekte des eigenen Lebens (Selbsteinsicht) laut nachzudenken (s. Tab. 2). Bei der Selbsteinsicht hat man das Problem der Selbstöffnung und auch der Grenzziehung zu einer therapeutischen Situation und muss deshalb auf weniger dilemmaartige, aber immer noch existenzielle AufgabenstelTabelle 2: Beispiele für Aufgaben zur Erhebung selbstbezogener und allgemeiner Einsicht

und Weisheit (nach Baltes et al., 1992; Staudinger et al., in Druck) Allgemeine Einsicht und Weisheit Jemand bekommt einen Anruf von einem guten Freund, der/die sagt er/sie habe es sich gut überlegt, er/sie könnte nicht mehr weiter, er/sie würde sich das Leben nehmen.

Selbstbezogene Einsicht und Weisheit Wie sind Sie als Freund/in? Welche Situationen, welche Verhaltensweisen, welche Eigenschaften fallen Ihnen dazu ein?

Was könnte man, was könnte die Person in einer solchen Situation bedenken und tun?

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lungen ausweichen. Die Teilnehmer erhalten dazu zunächst Anleitung und Übung im lauten Denken nach Ericsson und Simon. Die so gewonnenen Denkprotokolle werden transkribiert und dann von einem trainierten Raterpanel anhand der in Tabelle 3 aufgelisteten Kriterien bewertet (Rating-Manuale sind über die Autorin zu beziehen). Jedes Kriterium wird von zwei Ratern bewertet, so dass Reliabilitäten bestimmt werden können, die über Kriterien und Aufgaben hinweg recht zufrieden stellend ausfallen (Cronbachs alpha .72 bis .98). Hinweise auf die externe Validität des Paradigmas liegen bisher nur für die allgemeine Weisheit vor. Dazu hat man Personen, die von einer Gruppe von Nominatoren, unabhängig von der Berliner Weisheitsdefinition (s. Tab. 3) als weise nominiert worden waren, auf ihre Weisheit hin untersucht. In dieser Studie zeigte sich, dass diese Nominierten höhere Werte erzielten als eine Kontrollgruppe, die in Alter und Ausbildungsstand vergleichbar war (Baltes & Staudinger, 2000). Tabelle 3: Kriterien zur Bewertung allgemeiner und selbstbezogener Weisheit (nach Bal-

tes et al., 1992; Staudinger et al., in Druck) Allgemeine Weisheit

Selbstbezogene Weisheit

Reiches Faktenwissen über das Leben

Reiches Wissen über sich Selbst

Reiches Strategiewissen über den Umgang mit Lebensproblemen

Strategien des Wachstums und der Selbstregulation

Lebensspannen-Kontextualismus

Gründe und Bezogenheit eigenen Verhaltens und eigener Entwicklung

Wert-Relativismus

Selbst-Relativismus

Erkennen und Umgehen mit der Ungewissheit des Lebens

Erkennen und Toleranz gegenüber der Ungewissheit des eigenen Lebens

4

Empirische Befunde zu Lebenseinsicht und allgemeiner Weisheit

4.1

Personenmerkmale und Erfahrung

Es müssen eine Reihe von Bedingungen in einer Person zusammenkommen, damit sich Lebenseinsichten und vielleicht letztlich Weisheit entwickeln können (Baltes et al., 1992). Da sind zunächst Persönlichkeitseigenschaften, wie fluide Intelligenz, Offenheit für neue Erfahrungen, Kreativität und persönliche Reife (➝ Intelligenz; ➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze; ➝ Kreativität). Dann sind die Erfahrungskontexte einer Person zentral. Hat sie viel Kontakt und Übung mit Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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schwierigen Lebensproblemen? Erhält sie vielleicht auch noch Anleitung im Umgang mit diesen Problemen? Und besitzt sie ein starkes Interesse, mehr über das Leben herauszufinden? Es spielen auch makrostrukturelle Variablen wie die historische Epoche und das Alter eine Rolle dabei, welche Erfahrungen man machen kann. Schließlich ist es notwendig, dass alle Erlebnisse weiter verarbeitet, reorganisiert und immer wieder auf den neuesten Stand gebracht und auch korrigiert werden (vgl. auch Staudinger, 2001). Eine Reihe von empirischen Untersuchungen hat diese ontogenetischen Annahmen unterstützt. Im Gegensatz zu Untersuchungen beispielsweise im Bereich der fluiden Intelligenz konnte man zeigen, dass ältere Personen genauso gute Leistungen aufweisen wie jüngere. Zwischen etwa 14 und 25 Jahren bildet sich die Grundlage dieses Einsichts- und Urteilssystem heraus, nach dem 25. Lebensjahr allerdings scheint es nicht mehr auszureichen, älter zu werden, um „lebenseinsichtiger“ oder gar „weiser“ zu werden. Es müssen dann, wie erwartet, bestimmte Erfahrungskontexte (z. B. Beruf, Unterstützung durch Mentor) und Persönlichkeitseigenschaften, wie Offenheit für neue Erfahrung, ein verstehender anstatt eines bewertenden kognitiven Stils und Kreativität dazukommen (z. B. Staudinger, 1999). Dies entspricht durchaus der historischen Weisheitsliteratur, die Weisheit als die ideale Kombination von Tugend und Verstand beschreibt. Zur Weisheitsliteratur passt auch der Befund, dass sowohl Personen mit höherer Lebens- aber auch Selbsteinsicht gleichzeitig stärker ausgeprägte eudaimonische (z. B. Generativität) als hedonistische Werte (z. B. Wohlleben) berichten (Kunzmann & Baltes, 2003; Staudinger et al., in Druck). 4.2

Veränderbarkeit

Es konnte gezeigt werden, dass Lebenseinsicht förderbar ist. Das Ausmaß von Lebenseinsicht war um eine Standardabweichung höher, wenn die Teilnehmer die Möglichkeit hatten, sich mit einer vertrauten Person kurz zu beraten, bevor sie dann nach weiterer eigener Überlegung eine Antwort abgaben (Staudinger & Baltes, 1996). In einer anderen Interventionsstudie konnte demonstriert werden, dass die Vermittlung einer Perspektiven aktivierenden Denkstrategie zur Erhöhung der Toleranz und des Wert-Relativismus führt (Staudinger, 2005).

5

Empirische Befunde zu Selbsteinsicht und selbstbezogener Weisheit

5.1

Selbstbezogene Weisheit als Leistungsmaß

Die Untersuchung selbstbezogener Weisheit als Leistungsmaß nach dem oben beschriebenen Vorgehen steckt im Vergleich zur allgemeinen Weisheit noch in den Kinderschuhen (s. Staudinger et al., in Druck). Die prädiktive Validierung zeigte Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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erwartungsgemäße substanzielle Zusammenhänge mit anderen Maßen des Persönlichkeitswachstums (z. B. Loevinger’s Ego Level; Staudinger et al., in Druck). Erste Befunde zeigen für selbstbezogene Weisheit nicht nur keine Überlegenheit mit höherem Alter, sondern es gibt sogar Hinweise auf Leistungseinbußen (Staudinger et al., in Druck). Dies ist erste Evidenz für die theoretisch begründete Vermutung, dass der Erwerb von selbstbezogener Weisheit eine noch größere Herausforderung als die von allgemeiner Weisheit darstellt. 5.2

Selbstbezogene Weisheit im Selbstbericht

Selbstbezogene Weisheit als letzte und höchste Stufe der Persönlichkeitsentwicklung (z. B. Erikson, 1959) wird nicht nur als Leistungsmaß erhoben, sondern auch als Persönlichkeitseigenschaft konzeptualisiert. Verschiedene Autoren haben in der Tradition der Persönlichkeitsforschung Fragebögen zur Erhebung von Weisheit entwickelt (z. B. Ryff & Keyes, 1995; Whitbourne, Zuschlag, Elliot & Waterman, 1992; Wink & Helson, 1997). Ryff fand beispielsweise wiederholt negative Altersunterschiede zwischen Erwachsenen mittleren und höheren Alters auf den Dimensionen „purpose in life“ und „personal growth“. Ebenso zeigte sich in einer Kohortensequenzstudie von Whitbourne und anderen, dass im mittleren Erwachsenenalter niedrigere Integritätswerte erzielt wurden als im jungen Erwachsenenalter. Diese Studie schloss keine älteren Erwachsenen ein. Kohortenanalysen wiesen allerdings darauf hin, dass dieser negative Altersunterschied als historischer Trend zu interpretieren ist. In einer neueren Arbeit von Helson und Srivastrava (2001) wurde deutlich, dass die theoretisch als höchste Stufe der Persönlichkeitsentwicklung postulierte Kombination aus persönlicher (personal growth) und sozialer (environmental mastery) Reife sich nicht an anderen Maßen des Persönlichkeitswachstums validieren ließ. Vielmehr gelang dies nur für Personen mit hoher Ausprägung ausschließlich auf der Dimension „personal growth“. Hohe Ausprägungen auf der Dimension „environmental mastery“ scheinen zur Folge zu haben, dass durch starkes Alltagsinvolvement weniger Zeit für Reflexion bleibt. In einer Untersuchung, die Skalen des California Q-sort zur Operationalisierung benutzte, wurde ein positiver Zusammenhang zwischen selbstbezogener Weisheit und Lebenszufriedenheit im Alter identifiziert (Ardelt, 1997), der sich bei Verwendung von Leistungsmaßen allgemeiner und selbstbezogener Weisheit allerdings nicht bestätigen lässt (Kunzmann & Baltes, 2003; Staudinger et al., in Druck). Vor dem Hintergrund neopiagetscher, psychoanalytischer und bindungstheoretischer Überlegungen hat Labouvie-Vief vorgeschlagen, selbstbezogene Weisheit als die Dialektik zwischen Affektkomplexität (d. h. Suche nach Differenzierung und Objektivität) und Affektoptimierung (d. h. Konzentration auf das Erleben positiver Emotionen) zu konzipieren (Labouvie-Vief & Medler, 2002). Die Autoren konnten belegen, dass Personen, die auf beiden Dimensionen sehr hohe AuspräDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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gungen zeigten, das heißt „integriert“ waren, gleichzeitig hohe Werte im Bereiche der Ego-Entwicklung sensu Loevinger und der reifen Bewältigungsformen aufwiesen.

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Ausblick

Zunächst ist festzuhalten, dass die vorliegende Forschung gezeigt hat, dass es möglich ist, Konzepte wie Einsicht und Weisheit reliabel und mit einiger prädiktiver Validität zu erforschen. In der Zukunft wäre es notwendig, die Beziehung zwischen selbstbezogener und allgemeiner Weisheit auch in ihrer ontogenetischen Dynamik genauer zu untersuchen. Ein weiteres bisher noch eher vernachlässigtes Thema ist die Unterscheidung zwischen weisheitsbezogenem Urteilsvermögen und Handeln (vgl. z. B. Bluck & Glück, in Druck). Des Weiteren fehlt es an Längsschnittstudien, die es erlauben würden, die ontogenetischen Einflussgrößen auf die Entwicklung dieser Konstrukte zu untersuchen. Schließlich sollten sich prozessorientierte mikrogenetische Untersuchungen aus dem Bereich der Emotions- und Motivationsforschung auf die Untersuchung der Integration von Denken, Fühlen und Wollen richten.

Weiterführende Literatur Baltes, P. B., Glück, J. & Kunzmann, U. (2002). Wisdom: Its structure and function in regulating successful lifespan development. In C. R. Snyder & S. J. Lopez (Eds.), Handbook of positive psychology (pp. 350–372). New York: Oxford University Press. Staudinger, U. M. (2005). Lebenserfahrung, Lebenssinn und Weisheit. In S.-H. Filipp & U. M. Staudinger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie des mittleren und höheren Erwachsenenalters (Enzyklopädie der Psychologie). Göttingen: Hogrefe. Sternberg, R. & Jordan, J. (Eds.). (in press). Handbook of wisdom. New York: Cambridge University Press.

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Dittmann-Kohli, F. (1984). Weisheit als mögliches Ergebnis der Intelligenzentwicklung im Erwachsenenalter. Sprache and Kognition, 2, 112–132. Erikson, E. H. (1959). Identity and the life cycle. New York: International University Press. Helson, R. & Srivastava, S. (2001). Creative and wise people: Similarities, differences and how they develop. Personality and Social Psychology Bulletin, 28, 1430–1440. Kunzmann, U. & Baltes, P. B. (2003). Wisdom-related knowledge: Affective, motivational, and interpersonal correlates. Personality and Social Psychology Bulletin, 29, 1104– 1119. Labouvie-Vief, G. & Medler, M. (2002). Affect optimization and affect complexity as adaptive strategies. Psychology and Aging, 17, 571–587. Ryff, C. D. & Keyes, C. L. M. (1995). The structure of psychological well-being revisited. Journal of Personality and Social Psychology, 69, 719–727. Staudinger, U. M. (1999). Older and wiser? Integrating results on the relationship between age and wisdom-related performance. International Journal of Behavioral Development, 23, 641–664. Staudinger, U. M. (2001). Life reflection: a social-cognitive analysis of life review. Review of General Psychology, 5, 148–160. Staudinger, U. M. (2005). Lebenserfahrung, Lebenssinn und Weisheit. In S.-H. Filipp & U. M. Staudinger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie des mittleren und höheren Erwachsenenalters (Enzyklopädie der Psychologie). Göttingen: Hogrefe. Staudinger, U. M. & Baltes, P. B. (1996). Interactive minds: A facilitative setting for wisdom-related performance? Journal of Personality and Social Psychology, 71, 746–762. Staudinger, U. M., Dörner, J. & Mickler, C. (in press). Wisdom and personality. In R. Sternberg & J. Jordan (Eds.), Handbook of wisdom. New York: Cambridge University Press. Sternberg, R. J. (1998). A balance theory of wisdom. Review of General Psychology, 2, 347–365. Sternberg, R. & Jordan, J. (Eds.). (in press). Handbook of wisdom. New York: Cambridge University Press. Whitbourne, S. K., Zuschlag, M. K., Elliot, L. B. & Waterman, A. S. (1992). Psychosocial development in adulthood: A 22-year sequential study. Journal of Personality and Social Psychology, 63, 260–271. Wink, P. & Helson, R. (1997). Practical and transcendent wisdom: Their nature and some longitudinal findings. Journal of Adult Development, 4, 1–15.

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Soziale Kompetenzen Social Competences Heinz-Martin Süß, Susanne Weis & Kristin Seidel

Menschliche Fähigkeiten werden zunehmend nicht mehr nur durch Modelle aus dem Bereich der akademischen Intelligenz beschrieben. Stattdessen ist ein deutliches Interesse erkennbar, menschliche Ressourcen in voller Breite abzubilden. Dies gilt in besonderer Weise für soziale wie emotionale Fähigkeiten und Kompetenzen, die nicht nur als Einzelkonstrukte, sondern auch im Kontext der akademischen Intelligenz untersucht werden. Ziel dieses Beitrags ist es, Fähigkeitskonzepte, die inhaltlich dem Sammelbegriff „Soziale Kompetenzen“ zuzuordnen sind, einander gegenüber zu stellen und in das nomologische Netzwerk etablierter Konstrukte einzuordnen. Den sozialen Kompetenzen zugeordnet werden die soziale und die emotionale Intelligenz, Teile der praktischen Intelligenz sowie das sehr breite und nur vage beschriebene, gleichnamige Konzept der sozialen Kompetenz selbst. Weitere verwandte Konstrukte sind Weisheit (➝ Weisheit, Lebens- und Selbsteinsicht) sowie Selbstregulations- und Selbstkontrollfähigkeiten (➝ Selbstregulation und Selbstkontrolle), die wie die akademische ➝ Intelligenz in gesonderten Kapiteln behandelt werden. Dieser Beitrag fokussiert auf eine grundlagenorientierte Darstellung und Diskussion der Konzepte. Exemplarisch werden Verfahren zu ihrer diagnostischen Erfassung dargestellt.

1

Begriffliche Einordnung und Abgrenzung

1.1

Kompetenz und Intelligenz

Die Begriffe Kompetenz und Intelligenz werden vielfach synonym verwendet. Wir sehen jedoch bedeutsame Unterscheidungspunkte. Kompetenz bezeichnet das Potenzial, erforderliches Verhalten in einer gegebenen Situation zeigen zu können. Entsprechend umfasst soziale Kompetenz die personseitigen Voraussetzungen für effektives soziales Verhalten. Kompetenz ist bereichs- und situationsspezifisch und durch Lernprozesse modifizierbar. Der Begriff soziale Kompetenz wird für ein unterschiedlich breites Spektrum an Merkmalen verwendet. Die Bandbreite variiert von nur einer Variablen (z. B. Konfliktmanagement) bis zu einem komplexen Zusammenspiel verschiedenster Variablen in spezifischen sozialen Interaktionssituationen. Unter das Konstrukt Intelligenz werden hingegen kognitive Fähigkeiten subsumiert, die zur Bewältigung von sehr unterschiedlichen Aufgaben, Problemen und Problemsituationen eingesetzt werden können (Carroll, 1993). Intelligenz ist vielfach ein notwendiger Bestandteil von Kompe-

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Soziale Kompetenzen

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tenzkonstrukten oder auch Voraussetzung für den Erwerb von Kompetenzen. Intelligenz ist vergleichsweise stabil und in stärkerem Ausmaß genetisch vorbestimmt. 1.2

Fähigkeiten und Fertigkeiten

Dem Kompetenzbegriff wird ein ganzer Katalog von Fähigkeiten und Fertigkeiten zugeordnet. Die Begriffe Fähigkeit und Fertigkeit werden ebenfalls nicht systematisch verwendet und verschiedentlich sogar synonym für Kompetenz eingesetzt. Im Gegensatz zum Fähigkeitsbegriff, beziehen sich Fertigkeiten vorwiegend auf die konkrete Ausübung von komplexen Handlungsabfolgen und die Anwendung kognitiver Operationen auf konkrete Problemstellungen. Kognitive und behaviorale Fertigkeiten sind an Situationen gebunden und laufen weitestgehend automatisiert ab. Fertigkeiten werden in einem mehrstufigen Prozess erworben, der durch eine sukzessive Prozeduralisierung und Automatisierung von bereichsspezifischem Wissen gekennzeichnet ist (Ackerman, 1987). 1.3

Kompetenz und Performanz

Die Kompetenz/Performanz-Unterscheidung kontrastiert Potenzial (was jemand kann) und Verhalten (was aktuell gezeigt wird). Kompetenz umfasst die Voraussetzungen, die eine Person dazu befähigen, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen. Ob eine Person effektives Verhalten in einer konkreten Situation zeigt bzw. zeigen kann, hängt nicht nur von ihrem Potenzial ab, sondern auch von ihren Persönlichkeitseigenschaften (z. B. Impulsivität, Schüchternheit), vom aktuellen Zustand (z. B. Ermüdung, Ängstlichkeit), von Motiven und vom Kontext. Diese Unterscheidung hat vielfältige theoretische und praktische Implikationen. Beispielsweise werden Testresultate als Indikatoren für das Potenzial einer Person interpretiert. Da es sich aber nur um gezeigtes Verhalten handelt, ist dieser Rückschluss nicht zwingend. Forschungsansätze können danach unterschieden werden, ob sie sich auf das Potenzial (merkmalsorientiert) oder die Performanz (handlungsorientiert) beziehen. Erstere beschreiben soziale Kompetenz durch einen (oftmals unbestimmten) Katalog von Wissenskomponenten, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die die Grundvoraussetzungen darstellen, ein bestimmtes Verhalten zeigen zu können (Kanning, 2002). Performanzbezogene Ansätze begreifen soziale Kompetenz als effektives Verhalten, d. h. das Erreichen eines anvisierten Ziels dient als Indikator für Kompetenz. Merkmals- und handlungsorientierte Forschungsansätze unterscheiden sich auch bezüglich der Kontextabhängigkeit. Handlungsorientierte Modelle sind kontextabhängig, d. h. Verhalten, das in einer Situation als sozial kompetent gilt, kann in einer anderen als inkompetent gelten. Potenzialbasierte Ansätze sind kontextunabhängig: Es wird angenommen, dass die Merkmale, die kompetentes Verhalten ermöglichen, unabhängig von der jeweiligen Situation vorhanden sind. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Bewertungsmaßstab

Wann eine kognitive Leistung oder ein Verhalten als sozial kompetent bewertet wird, hängt vom angelegten Bewertungsmaßstab ab. Hierbei ist zwischen der Effektivität des Verhaltens und der sozialen Akzeptanz zu unterscheiden. Effektiv ist Verhalten, wenn das vorgegebene Ziel erreicht wurde. Bezogen auf den Maßstab der sozialen Akzeptanz ist Verhalten nur dann sozial kompetent, wenn sowohl die eingesetzten Mittel als auch das erzielte Ergebnis den gruppenspezifischen Normen und Werten entsprechen. Der Bewertungsmaßstab ist somit kulturabhängig bzw. kulturgebunden. Die Kulturabhängigkeit betrifft nicht nur sozialisationsbedingte Unterschiede im Bewertungsmaßstab, sondern auch kulturelle Einflüsse auf die Ausbildung und Formung sozialer Kompetenzen. Ob, und wenn ja in welcher Weise die Entwicklung sozialer und emotionaler Fähigkeiten durch kulturelle Unterschiede beeinflusst wird, ist nicht immer eindeutig zu beantworten. Denkbar ist beispielsweise, dass in einer individualistischen Gesellschaft schon in der Sozialisation weniger Wert auf Einfühlungsvermögen in andere gelegt wird (quantitative Unterschiede), oder dieses nur dann gefördert wird, wenn es eigenen Zielen und Zwecken dient (qualitative Unterschiede).

2

Soziale Kompetenzen im Überblick

2.1

Soziale Intelligenz

Soziale Intelligenz ist ein multidimensionales Fähigkeitskonstrukt und wurde durch Thorndike (1920) in die psychologische Literatur eingeführt. Obwohl ein allgemeingültiges Modell nicht in Sicht ist, legen theoretische und operationale Definitionen vier bis fünf Fähigkeitsdimensionen nahe: soziales Verständnis, soziale Wahrnehmung, soziales Gedächtnis und soziale Flexibilität (Weis & Süß, in Druck). Soziales Verständnis stellt die zentrale Dimension dar. Es handelt sich um die Fähigkeit, mehr oder weniger komplexe soziale Informationen in einer gegebenen Situation zu identifizieren, „korrekt“ zu interpretieren und zu verstehen, sowie deren Implikationen einzuschätzen und zu bewerten. Soziale Wahrnehmung ist die Fähigkeit zur (schnellen) Wahrnehmung sozialer Informationen. Soziales Gedächtnis ist die Fähigkeit, soziale Informationen zu speichern und abzurufen. Soziale Flexibilität oder Kreativität bezeichnet die Fähigkeit zur flexiblen Produktion von Ideen bei der Interpretation, Lösung oder Bewältigung sozialer Situationen. Eine gesonderte Stellung nimmt soziales Wissen ein, das nur in Abhängigkeit von den kulturellen Rahmenbedingungen und Einflüssen beschrieben und erfasst werden kann (Weber & Westmeyer, 2001). Eine erschöpfende Klassifikation sozialer Situationen und auch kulturabhängiger Werte und Normen müsste in das Konstrukt mit einfließen, was dem kognitiven Charakter der übrigen Dimensionen widerspricht. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Bislang ist es nicht gelungen, das Konstrukt der sozialen Intelligenz methodenkritisch zu fundieren und seine Dimensionalität zu klären. Gezeigt werden müsste, dass die postulierten Fähigkeitsdimensionen nicht nur bei Verwendung verschiedener Erhebungsmethoden (z. B. verbale vs. bildhafte Tests) unterschieden werden können. Stattdessen ist in so genannten Multitrait-Multimethod-Analysen zu zeigen, dass die jeweiligen Leistungsindikatoren der postulierten Fähigkeitsdimensionen auch bei Verwendung unterschiedlicher Erhebungsmethoden untereinander höher korreliert sind als mit methodengleichen Indikatoren verschiedener Dimensionen und damit konvergente Validität aufweisen. Darüber hinaus ist die (zumindest partielle) Eigenständigkeit gegenüber der akademischen Intelligenz zu belegen (diskriminante Validität). Zu einer umfassenden Validierungsstrategie gehört auch der Nachweis prädiktiver Validität. Zu zeigen ist, dass die soziale Intelligenz einen zusätzlichen (inkrementellen) Anteil der Varianz relevanter Außenkriterien über die akademische Intelligenz und etablierte Persönlichkeitskonstrukte hinaus erklären kann, z. B. erfolgreiches Sozialverhalten in einem spezifischen Berufskontext. 2.2

Emotionale Intelligenz

Während soziale Intelligenz eine vergleichsweise lange Forschungsgeschichte aufweist, zählt die emotionale Intelligenz zu den neuen Fähigkeitskonzepten, deren Einführung in der psychologischen Forschungsliteratur erst ein gutes Jahrzehnt zurückliegt. Einen kritischen Überblick über die schnelle Entwicklung dieses populären, in der Differentiellen Psychologie aber noch nicht etablierten Konstruktes geben Weber und Westmeyer (1999). Vor diesem Hintergrund ist umso erstaunlicher, dass in aktuellen Forschungsarbeiten kaum Bezüge zur sozialen Intelligenz hergestellt werden. Dort wo Bezüge hergestellt werden, wird emotionale Intelligenz als Teilbereich der sozialen Intelligenz angesehen, ohne dass der Überlappungsbereich näher expliziert wird. Das einflussreichste Modell ist das „Four-Branch-Ability-Model“ von Mayer und Salovey (1997), das vier Fähigkeitsbereiche unterscheidet und substantielle Überlappungen mit dem Konstrukt der sozialen Intelligenz aufweist: Emotionswahrnehmung (Emotion Perception; Branch 1) beschreibt die Fähigkeit, Emotionen bei sich selbst und anderen zu identifizieren. Emotionsverständnis (Emotional Understanding; Branch 3) ist die Fähigkeit, Emotionen (auch komplexe, simultan auftauchende Emotionen) zu benennen und Einsicht in das Entstehen und die Veränderung von Emotionen nehmen zu können. Beide Fähigkeiten lassen sich problemlos Teilbereichen der sozialen Intelligenz (z. B. soziales Verständnis) zuordnen. Das Teilkonstrukt Nutzung von Emotionen für mentale Prozesse (Emotion Facilitation of Thought; Branch 2) hat keinen direkten sozialen Bezug und kann daher von der sozialen Intelligenz abgegrenzt werden. Mit Emotionsmanagement (Emotion Management; Branch 4) wird die Fähigkeit bezeichnet, mit den eigenen und den Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Emotionen anderer umgehen zu können. Diese Komponente lässt eine zumindest partielle Überlappung mit der sozialen Intelligenz vermuten. Allerdings mangelt es auch hier an Validierungsstudien, die die Überlappung der beiden Konstrukte und ihre jeweilige Eigenständigkeit gegenüber der akademischen Intelligenz belegen sowie an Belegen für inkrementelle prädiktive Validität über akademische und soziale Intelligenz und etablierte Persönlichkeitskonstrukte hinaus. 2.3

Praktische Intelligenz

Unter den Begriff der praktischen Intelligenz werden traditionell praktisch-technische und technisch-konstruktive Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie psychomotorische Koordination gefasst (Fleischman, 1967) – durchweg Fähigkeiten, die nicht zum Bereich der sozialen Kompetenzen gehören. Sternberg und Wagner (1987) haben indes den traditionellen Begriff modifiziert. In expliziter Abgrenzung zur akademischen Intelligenz verstehen sie darunter intelligentes Verhalten bei der Bewältigung von Alltagssituationen. Dieser neue Begriff lässt eine deutliche Überlappung mit den sozialen Kompetenzen erwarten. Alltagsprobleme zeichnen sich nach Sternberg und Wagner dadurch aus, dass sie schlecht definiert sind und zunächst ausformuliert werden müssen, dass nicht alle zur Bewältigung notwendigen Informationen zur Verfügung stehen, sondern zuerst beschafft werden müssen, dass es mehrere und unter Umständen gar keine richtige Lösung gibt und dass mehrere Wege zu einer akzeptablen Lösung führen können. Diese Definition stimmt mit den Elementen überein, die Dörner (1987) als charakteristisch für komplexes Problemlösen benannt hat. Praktische Intelligenz wird definiert und operationalisiert als praktisches „Know-how“, als die Fähigkeit, so genanntes „Tacit Knowledge“ (TK, stummes Wissen) zu erwerben. TK umfasst Wissen über Erfolg versprechendes Verhalten, das nicht explizit vermittelt wird und u. U. nur schwer verbalisierbar ist. Es wird gelernt durch Erfahrung oder Nachahmung. Unterschiede im bereichsspezifischen Wissen von Personen mit langer Berufserfahrung und Berufseinsteigern werden als TK erfasst (Experten-Novizen-Paradigma). Im „Tacit Knowledge Inventory for Managers“ (TKIM; Wagner & Sternberg, 1991) beispielsweise werden auf der Inhaltsdimension drei Aufgabenbereiche postuliert: „Managing Others“ umfasst Wissen über den Umgang mit Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern. Diese Dimension lässt durch den interaktiven Charakter eine deutliche Überlappung mit der sozialen Intelligenz erkennen. „Managing Self“ bezieht sich auf praktisches Wissen über selbstmotivationale und -organisatorische Aspekte des eigenen Verhaltens. „Managing Tasks“ beschreibt Wissen darüber, wie arbeitsbezogene Aufgaben erfolgreich ausgeübt werden können. 2.4

Soziale Kompetenz

Soziale Kompetenz ist der breiteste und zugleich unschärfste Begriff, ein Konglomerat aus Merkmalskomplexen der sozialen, emotionalen und teilweise auch der praktischen Intelligenz. Neben diesen reinen Fähigkeitskonzepten beinhaltet ein Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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weiterer Merkmalskomplex leistungsmoderierende Merkmale (Moderatorvariablen) wie z. B. interpersonal relevante Persönlichkeitsvariablen (z. B. Altruismus, Self-monitoring, Verträglichkeit) und Variablen aus dem Bereich der Interessen und Einstellungen (z. B. soziales Engagement). Wir gehen davon aus, dass diese Moderatorvariablen sowohl direkt als auch in Abhängigkeit vom sozialen Kontext die Ausübung von sozial intelligentem bzw. sozial kompetentem Verhalten beeinflussen. Diese Wechselwirkung postulieren wir nicht im Bereich der Fähigkeiten, da diese den Umgang mit unterschiedlichen Kontexten inhaltlich implizieren. Die der Person zu Grunde liegenden sozialen und emotionalen (kognitiven) Fähigkeiten (als Bestandteile der Konzepte der sozialen und emotionalen Intelligenz) beeinflussen demnach direkt die Ausübung dieses Verhaltens. Dagegen ist es denkbar, dass z. B. die Eigenschaft Altruismus verstärkt von bestimmten Kontexten aktiviert wird und sich auf Verhalten auswirkt. Soziale Kompetenz wird teilweise potenzialbasiert, teilweise ergebnisorientiert und auch als Mischmodell beschrieben. Tabelle 1 veranschaulicht die Unterschiede anhand von drei ausgewählten Modellen und stellt deren Basisannahmen einander gegenüber. Greif (1987) beschreibt in einem handlungsorientierten Regelkreismodell soziale Kompetenz als erfolgreiches Realisieren von Zielen und Plänen in sozialen Interaktionen. Danach hat die handelnde Person zunächst ein bestimmtes Ziel und nimmt auf dieser Grundlage die relevanten Situationsparameter wahr. Die Interpretation der Parameter löst ein bestimmtes Verhalten aus, was zu einer Modifikation der Umwelt führt. Das Ergebnis wird mit dem ursprünglichen Ziel abgeglichen und der gesamte Prozess so lange wiederholt, bis das Ergebnis dem Ziel entspricht. Kanning (2002) formuliert ein Modell sozialer Kompetenz, das als Mischmodell bezeichnet werden kann. Soziale Wahrnehmung, Verhaltenskontrolle, Durchsetzungsfähigkeit, soziale Orientierung und Kommunikationsfähigkeit sind die Merkmalsdimensionen. Daneben werden zwei Prozessmodelle postuliert, das Modell der elaborierten und der automatischen Genese sozial kompetenten Verhaltens. Beide Modelle ähneln dem Regelkreismodell von Greif und unterscheiden sich hauptsächlich darin, wie die relevanten Situationsparameter verarbeitet werden. Im Modell der elaborierten Genese werden die Umweltreize bewusst analysiert, während dem Modell der automatischen Genese eine heuristische Informationsverarbeitung zu Grunde liegt. Schneider, Ackerman und Kanfer (1996) postulieren ein merkmalsorientiertes Modell, Fähigkeits- und Persönlichkeitsmerkmale bestimmen das Potenzial einer Person. Abbildung 1 veranschaulicht die Überlappungsbereiche der vier Konzepte, aber auch die jeweils eigenständigen Anteile, Abbildung 2 integriert die sozialen Kompetenzen entlang der oben dargestellten Ordnungsgesichtspunkte in ein Bedingungsmodell sozial kompetenten Verhaltens. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Tabelle 1: Modelle sozialer Kompetenz Schneider et al. (1996)

Greif (1987)

Kanning (2002)

Definition von sozialer Kompetenz

Erfolgreiches Realisieren von Zielen und Plänen in sozialen Interaktionssituationen. Soziale Kompetenz ist gleich sozial kompetentem Verhalten.

Gesamtheit des Wissens, der Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Person, welche sozial kompetentes Verhalten (≈ kontextspezifisches Verhalten zur Zielerreichung unter Wahrung der sozialen Akzeptanz) fördern.

Sozial effektives Verhalten (auf soziale Ziele ausgerichtetes, instrumentelles Verhalten) und seine kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Voraussetzungen.

Merkmalsdimensionen

Soziale Wahrnehmung. Interpretieren sozialer Indikatoren.

– Soziale Wahrnehmung – Verhaltenskontrolle – Durchsetzungsfähigkeit – Soziale Orientierung – Kommunikationsfähigkeit

– Soziale Intelligenz – Soziale Fertigkeiten – Interpersonale Persönlichkeitsvariablen – Soziale Selbstregulation

Schwerpunkt auf Potenzial vs. Ergebnis

ergebnisorientiert

Mischmodell

potenzialorientiert

Kontextabhängigkeit

ja

ja

nein

Bewertungsmaßstab

Effizienz

Effizienz und soziale Akzeptanz

Effizienz

Soziale und emotionale Intelligenz sowie Teile der praktischen Intelligenz sensu Sternberg und Wagner (1987) werden als personseitige Voraussetzungen (Potenzial) für sozial intelligentes Verhalten (Performanz) angenommen. Zusammen mit interpersonal relevanten Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Altruismus, Verträglichkeit), Interessen und Einstellungen (z. B. soziales Engagement) machen sie die soziale Kompetenz einer Person aus. Wir gehen davon aus, dass diese Moderatorvariablen sowohl direkt als auch in Abhängigkeit vom sozialen Kontext die Ausübung von sozial intelligentem und kompetentem Verhalten beeinflussen. Soziales Verhalten ist stets auf ein konkretes Ziel gerichtet. Dieses Ziel muss weder

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Praktische Intelligenz Emotionale Intelligenz

Soziale Intelligenz

Soziale Kompetenz

Abbildung 1: Überlappungsbereiche der sozialen Kompetenzen

expliziert werden, noch bewusst sein. Die Effektivität sozial intelligenten Verhaltens wird durch den Grad der Zielerreichung bestimmt. Für die Bewertung ist dieses Kriterium aber nicht ausreichend, zusätzlich ist die soziale Akzeptanz zu berücksichtigen.

Abbildung 2: Integratives Rahmenmodell sozial kompetenten Verhaltens

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Diagnostik sozialer Kompetenzen – Verfahrensklassen im Überblick

Tabelle 2 gibt einen Überblick über Methoden zur Erfassung sozialer Kompetenzen. Die Tabelle ordnet die Verfahren in verschiedene Klassen, stellt relevante Unterscheidungspunkte dar und nennt Beispiele für Testverfahren. Tabelle 2: Verfahrensklassen der Diagnostik sozialer Kompetenzen Kognitiver Leistungstest

Wissenstest

Selbstbericht/ Fremdbericht

Verhaltensbeobachtung

Erfassung von

Kognitive Fähigkeiten

Wissen

Persönlichkeit

Fertigkeiten (Fähigkeiten)

Scoring (Auswertung)

Bewertung als richtig/falsch

Bewertung als richtig/ falsch auf Grund von Expertenübereinstimmung

Deskriptive Zuordnung eines Skalenwertes

Beobachterrating

Kontextabhängigkeit

nein

nein

nein

ja

Objektivität/ Standardisierung

+/+

0/+

+/+

–/0

Bemerkungen/Probleme

Problem der Kriteriumsvalidität/Inhaltsvalidität

Problem der Spezifität des Wissens (in Abhängigkeit von inhaltlichem Rahmen)

Probleme der Verfälschbarkeit und Subjektivität bei Selbstberichten

Problem der Konstruktvalidität, Problem der Interrater-Reliabilität

Beispiele

Mayer-SaloveyCaruso-Emotional-IntelligenceTest (MSCEIT; Mayer et al., 2002) Test zur emotionalen Intelligenz mit vier Subskalen (Perception of Emotion, Emotion Facilitation of Thought, Understanding Emotion, Managing Emotion). Beispiel Subskala Perception of Emotion: Verschiedene Emotionen sollen in Gesichtern erkannt werden.

Tacit Knowledge Inventory for Managers (TKIM; Wagner & Sternberg, 1991) Test zum impliziten Wissen in spezifischen Situationen. Beispiel: Ihr Vorgesetzter fragt Sie nach Ihrer Meinung zu einem Angebot für einen Kunden, welches Sie für unangemessen halten. Sie wissen jedoch, dass Ihr Vorgesetzter keine Kritik verträgt. Mögliche Vorgehensweisen (z. B.: Sie sagen, dass Ihnen das Angebot gefällt, Sie sich aber nicht sicher sind, ob es das richtige für den Kunden ist) sollen auf ihre Effektivität hin beurteilt werden.

Amelang, Schwarz & Wegemund (1989) Skala zur Fremdeinschätzung von sozial intelligentem Verhalten. Beispiel: „Er half ihr über die schwierige Situation hinweg, indem er ihr klar machte, daß sie fähig war, die Schwierigkeiten zu meistern.“

Verhaltensbeobachtung bei Gruppendiskussion (Assessment Center Übung; Höft & Funke, 2001) Das Verhalten einer Person wird anhand von vorgegebenen Beurteilungsdimensionen von Beobachtern geratet (z. B. Durchsetzungs- und Delegationsverhalten, andere aussprechen lassen und den Überblick behalten).

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Für die Diagnostik der kognitiven Facetten von Kompetenzen, sind Leistungstests unverzichtbar. Notwendig ist, dass Antworten eindeutig als richtig oder falsch bewertet werden können. Die Konstruktion derartiger Aufgaben ist schwierig und die Konstruktvalidität vieler Aufgaben unklar. Viele Autoren verzichten deshalb darauf und verwenden Konsens-Scores oder Fragebogen zur Selbst- und Fremdeinschätzung. Beim Konsens-Scoring entscheidet die Mehrheit der Befragten, welche Antwort oder welches Verhalten intelligent oder kompetent ist. Bei der Verwendung dieses Kriteriums entsteht oft der Eindruck, dass weniger das Konstrukt selbst, sondern der relativ geringe Erfassungsaufwand ausschlaggebend für die Wahl war. Bei Wissenstests wird auf die Bewertung durch Experten vertraut, was sich auf die psychometrische Qualität der Aufgaben ebenfalls negativ auswirken kann. Beim TKIM (siehe Tab. 2) werden beispielsweise Experten aus unterschiedlichen Bereichen befragt, wodurch weitere Varianzquellen entstehen. Letztlich kann nicht verwundern, dass die vorliegenden Kriteriumsvaliditätskoeffizienten für viele Verfahren nicht zufrieden stellend sind. Selbstberichte wiederum sind u. E. ungeeignet für die Erfassung kognitiver Leistungen. Für die praktische Diagnostik sind sie wenig geeignet, weil die Testintention aus den Fragen erschlossen werden kann und die Antworten somit im Sinne sozialer Erwünschtheit verfälschbar sind. Verhaltensbeobachtungen sind im Gegensatz zu den ersten drei Verfahrensklassen stärker kontextabhängig, was Probleme der Generalisierbarkeit aufwirft. So konnte bei Assessment Centern vielfach nur eine geringe Konstruktvalidität aufgezeigt werden. Auch die Interrater-Reliabilität von Verhaltensbeobachtungen ist oft gering und nur mit großem Aufwand zu sichern.

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Diskussion und Ausblick

Die Bedeutung sozialer Kompetenzen ist für viele Bereiche der Gesellschaft unstrittig, für zahlreiche Berufe sind soziale Kompetenzen unverzichtbar. Trotz eines enormen Aufschwungs an Forschungsaktivitäten in den vergangenen Jahren, sind zahlreiche konzeptuelle Fragen und auch Probleme der Diagnostik nach wie vor ungelöst. Unklar ist, wie viele Konstrukte zu unterscheiden sind und wie diese sich überlappen. Was fehlt ist ein empirisch fundiertes Rahmenmodell, das die Integration der Teilkonstrukte erlaubt. Ein Problem ist ferner, dass die Eigenständigkeit der Konstrukte und Teilkonstrukte nicht belegt ist. Konvergente Validitätsbelege sind aber dann unverzichtbar, wenn niedrige oder gar fehlende Zusammenhänge mit anderen Konstrukten zur Unterstützung des eigenen Ansatzes herangezogen werden. Prinzipielle Schwierigkeiten ergeben sich durch die Kontextabhängigkeit sozialen Verhaltens. Für die Messung sozial intelligenten Verhaltens sollten Aufgaben so systematisiert werden, dass durch eine repräsentative Itemauswahl die Kontextabhängigkeit der Einzelaufgaben unbedeutend wird. Für die Diagnostik sozial kompetenten Verhaltens hingegen ist der Kontext Bestandteil des Konstrukts. Vergleichbares gilt für die Kriterien. Der Grad der Zielerreichung Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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ist für sozial intelligentes Verhalten ausreichend, für sozial kompetentes Verhalten ist zusätzlich die soziale Akzeptanz zu berücksichtigen. Trotz der zahlreichen Probleme ist zu hoffen, dass die sozialen Kompetenzen künftig reliabler und valider erfasst werden können. Hierbei können u. a. die neuen Medien hilfreich sein, die die Aufnahme, Verarbeitung und Darbietung möglichst realistischer Iteminhalte ermöglichen.

Weiterführende Literatur Kanning, U. P. (2003). Diagnostik sozialer Kompetenzen. Göttingen: Hogrefe. Matthews, G., Zeidner, M. & Roberts, R. D. (2002). Emotional intelligence: Science or myth. Cambridge, MA: MIT Press. Sternberg, R. J. & Wagner, R. K. (1987). Practical intelligence: Nature and origins of competence in the everyday world. New York: Cambridge University Press. Weis, S. & Süß, H.-M. (in press). Facets of social intelligence. In R. Schulze & R. D. Roberts (Eds.), International handbook of emotional intelligence. Göttingen: Hogrefe.

Literatur Ackerman, P. L. (1987). Individual differences in skill learning: An integration of psychometric and information processing perspectives. Psychological Bulletin, 102, 3– 27. Amelang, M., Schwarz, G. & Wegemund, A. (1989). Soziale Intelligenz als Trait-Konstrukt und Test-Konzept bei der Analyse von Verhaltenshäufigkeiten. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 10, 37–57. Carroll, J. B. (1993). Human cognitive abilities. A survey of factor-analytic studies. New York: Cambridge University Press. Dörner, D. (1987). Problemlösen als Informationsverarbeitung. Stuttgart: Kohlhammer. Fleishman, E. A. (1967). Individual differences in motor learning. In R. M. Gagné (Ed.), Learning and individual differences. Columbus, OH: Merrill. Greif, S. (1987). Soziale Kompetenzen. In D. Frey & S. Greif (Hrsg.), Sozialpsychologie – Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen (S. 312–320). München: Psychologie Verlags Union. Kanning, U. P. (2002). Soziale Kompetenz – Definition, Strukturen und Prozesse. Zeitschrift für Psychologie, 210, 154–163. Höft, S. & Funke, U. (2001). Simulationsorientierte Verfahren der Personalauswahl. In H. Schuler (Hrsg.), Lehrbuch der Personalpsychologie (S. 135–173). Göttingen: Hogrefe. Mayer, J. D. & Salovey, P. (1997). What is emotional intelligence. In P. Salovey & D. Sluyter (Eds.), Emotional development and emotional intelligence: Implications for educators (pp. 3–31). New York: Basic Books. Mayer, J. D., Salovey, P., Caruso, D. R. & Sitarenios, G. (2002). The Mayer, Salovey, and Caruso Emotional Intelligence Test: Technical manual. Toronto, ON: Multi-Health Systems.

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Schneider, R. J., Ackerman, P. L. & Kanfer, R. (1996). To „act wisely in human relations“: exploring the dimensions of social competence. Personality and Individual Differences, 4, 469–481. Schuler, H. (2002). Emotionale Intelligenz – Ein irreführender und unnötiger Begriff. Zeitschrift für Personalpsychologie, 3, 138–140. Thorndike, E. L. (1920). Intelligence and its use. Harper’s Magazine, 140, 227–235. Wagner, R. K. & Sternberg, R. J. (1991). Tacit Knowledge Inventory for Managers. San Antonio: The Psychological Corporation Harcourt Brace & Company. Weber, H. & Westmeyer, H. (1999). Emotionale Intelligenz: Kritische Analyse eines populären Konstrukts. Verfügbar unter: www.literaturkritik.de, Nr. 2/99. Weber, H. & Westmeyer, H. (2001). Die Inflation der Intelligenzen. In E. Stern & J. Guthke (Hrsg.), Perspektiven der Intelligenzforschung (S. 251–266). Lengerich: Pabst Science Publisher.

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Selbstregulation und Selbstkontrolle Self-Regulation and Self-Control Nicola Baumann & Julius Kuhl Selbstregulation und Selbstkontrolle sind zwei unterschiedliche Formen willentlicher Steuerung. Die experimentelle Willensforschung begann Anfang des 20. Jahrhunderts mit Ach (1910), der unter Wille vornehmlich die Fähigkeit verstand, Absichten gegen innere und äußere Widerstände durchzusetzen. Diese Form der Zielverfolgung wird heute lediglich als eine Komponente willentlicher Steuerung aufgefasst, die wir mit dem Begriff Selbstkontrolle bezeichnen. Im Zuge des Behaviorismus (➝ Lerntheoretische Ansätze) verschwand das Willenskonzept fast vollständig aus der wissenschaftlichen Betrachtung, weil es als nicht messbar galt. Erst nach der kognitiven Wende in den 1960er Jahren wurden volitionale (willentliche) Prozesse wieder zur Grundlage umfassender Forschungsprogramme. Ein wesentlicher Kritikpunkt an Willenskonzepten betrifft die Frage: Wenn der Wille uns steuert, wer steuert dann den Willen? Da die Annahme eines kleinen Steuermanns

Selbststeuerung

} }

Zielverfolgung und Selbstkontrolle (SK)

– – – – – – – –

Planungsfähigkeit Vergesslichkeitsvorbeugung kognitive SK Zielvergegenwärtigung Misserfolgsbewältigung Selbstdisziplin affektive SK Ängstliche Selbstmotivierung Impulskontrolle Bewusste zielbezogene Aufmerksamkeit

Selbstbestimmung und Selbstregulation (SR)

– – – – – –

Selbstbestimmung Selbst- und Körperwahrnehmung Entscheidungsfähigkeit Automatische zielbezogene Aufmerksamkeit Positive Selbstmotivierung Selbstberuhigung

Kompetenz

Effizienz Willenshemmung (Verlust der SK unter Belastung)

Prospektive Lageorientierung: – Lustlosigkeit – geringe Initiative – Nichtumsetzen von Absichten – Konzentrationsschwäche und Intrusionen – Fremdbestimmtheit

Selbsthemmung (Verlust der SR unter Bedrohung)

Misserfolgsbezogene Lageorientierung: – Grübeln – Introjektion und Konformität – Entfremdung – Perzeptive Rigidität – Zwanghafte Perseveration – Fragmentierung

Abbildung 1: Komponenten der Selbststeuerung

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(„Homunculus“) im menschlichen Gehirn keinerlei Erklärungswert besitzt, glaubte man das Konzept des Willens ad absurdum geführt zu haben. Die „HomunculusDebatte“ löst sich jedoch auf, wenn man den Homunculus auflöst, d. h. wenn Wille nicht mehr als eine globale Instanz aufgefasst wird, sondern als ein in seinen Funktionskomponenten analysierbares, übergeordnetes Koordinationssystem, welches das Zusammenspiel verschiedener Prozesse steuert (Kuhl, 2001). Im Folgenden werden Selbststeuerungskompetenzen zunächst unterteilt in Zielverfolgung und Selbstkontrolle einerseits sowie Selbstbestimmung und Selbstregulation andererseits (vgl. Abb. 1). Diese Kompetenzen sind notwendig für eine optimale Selbststeuerung. Sie sind aber nur hinreichend, wenn sie auch unter Stress effizient eingesetzt werden können. Anschließend werden daher die Auswirkungen einer stressbedingten Minderung im Einsatz von Selbstkontrolle (Willenshemmung) und Selbstregulation (Selbsthemmung) behandelt (vgl. Abb. 1). Für viele der in dem Beitrag erwähnten theoretischen Zusammenhänge gibt es empirische Bestätigungen. Auf Grund des begrenztem Umfangs beschränken wir uns auf einige wenige Verweise (für umfassende Darstellungen siehe Kuhl, 2000, 2001).

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Zielverfolgung und Selbstkontrolle

Zielverfolgung und Selbstkontrolle Zielverfolgung ist die Fähigkeit, Ziele auch dann aufrechtzuerhalten und gegen äußere und innere Hemmnisse durchzusetzen, wenn Schwierigkeiten und Ablenkungen auftauchen. Sie wird häufig unterstützt durch die Steuerungsform der Selbstkontrolle, bei der eine Absicht (kognitive Präferenz) gegen konkurrierende Impulse, Bedürfnisse und Wünsche aus dem Selbst (emotionale Präferenzen) abgeschirmt wird. Selbstkontrolle gleicht einer „inneren Diktatur“: Alle Stimmen, die nicht unmittelbar hilfreich für das Erreichen des aktuellen Ziels sind, werden unterdrückt. Das Selbst (d. h. das System impliziter Repräsentationen eigener Wünsche und Bedürfnisse) ist nicht mehr aktiv an der Handlungssteuerung beteiligt, sondern wird vorübergehend unterdrückt, um Ablenkungen bei der Zielumsetzung zu vermeiden. Selbstkontrolle beruht in dieser Konzeption auf bewussten, sprachnahen und sequenziell-analytischen Verarbeitungsprozessen. Selbststeuerung wird oft auf die regulative Wirkung von Zielen zurückgeführt (➝ Ziele). Um allgemeine Lebensziele in konkretes Verhalten umsetzen zu können, bedarf es einer guten Planungsfähigkeit: Wann und wo kann ich ein Ziel wie in Angriff nehmen? Die Bildung möglichst konkreter Vornahmen („Sobald x eintritt, leite ich das zielgerichtete Verhalten y ein“) erleichtert dabei die Zielumsetzung (Gollwitzer, 1999). Derartige Implementierungsabsichten delegieren die KonDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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trolle über zielgerichtete Reaktionen an die Merkmale der Situation, welche das Verhalten dann automatisch steuern. Konkrete Vornahmen können somit die Anforderung an die Selbstkontrolle entlasten. Viele Merkmale der Situation üben auch ohne bewusstes Wollen ganz automatisch einen Einfluss auf zielgerichtetes Verhalten aus. Ein Beispiel für bewusste Selbststeuerung sind Maßnahmen zur Vergesslichkeitsvorbeugung: Menschen nutzen Erinnerungshilfen wie Notizzettel und Terminkalender, um Beabsichtigtes nicht zu vergessen. Ein weiteres Beispiel ist die Zielvergegenwärtigung: Noch nicht erledigte Aktivitäten macht man sich immer wieder bewusst, wenn man fürchtet, sie sonst zu vergessen. Viele Ziele müssen nicht nur erledigt werden, sondern beinhalten zudem einen Gütemaßstab: Etwas besonders gut machen (Locke & Latham, 1990). Misserfolgsbewältigung betrifft die Fähigkeit, sich von Fehlern nicht lähmen zu lassen, sondern das Ziel im Auge zu behalten und es erneut bzw. auf einem anderen Wege zu versuchen. Während die oben aufgeführten Fähigkeiten eher kognitive Komponenten der Selbstkontrolle betreffen, stellt die Misserfolgsbewältigung eine affektive Komponente dar (vgl. Abb. 1). Zwischen verschiedenen Zielen oder Zielebenen können Konflikte entstehen. Der Steuerungsmodus der Selbstkontrolle stellt einen wenig kreativen Umgang mit Zielkonflikten dar, da ein gegebenes Ziel unter allen Umständen durchgesetzt wird. Wenn die Zielverfolgung durch konkurrierende Ziele oder andere Bedürfnisse gefährdet erscheint, kommt es zum Einsatz von Selbstdisziplin: Sich selbst unter Druck setzen, sich zusammenreißen und zwingen, bei der Sache zu bleiben. Selbstdisziplin stellt damit eine starke Ressource zur konsequenten Zielverfolgung dar. Ihr chronischer Einsatz kann jedoch dazu führen, dass andere wichtige Ziele und Bedürfnisse zu kurz kommen. Eine weitere Komponente affektiver Selbstkontrolle ist die Ängstliche Selbstmotivierung: Man motiviert sich, indem man sich die negativen Konsequenzen der Handlungsunterlassung vorstellt. Eine ängstliche und disziplinierte Form willentlicher Steuerung ist anstrengend und geht mit Ermüdungserscheinungen einher, die Baumeister, Bratslavsky, Muraven und Tice (1998) als Ich-Erschöpfung („ego-depletion“) bezeichnen. Sie gehen davon aus, dass alle volitionalen Funktionen auf eine gemeinsame innere Ressource zugreifen, die begrenzt ist. Wer z. B. erfolgreich einer Schokolade widersteht ist anschließend weniger ausdauernd bei einer unlösbaren Puzzleaufgabe, weil schon „volitionale Kapazität“ verbraucht ist. Diese Annahme trifft jedoch im Rahmen der hier dargestellten allgemeinen Willenstheorie nur auf die Steuerungsform der Selbstkontrolle zu. Der Einsatz von Selbstregulation ist demgegenüber durch eine Stärkung des Selbst („self-empowerment“) gekennzeichnet, die bei Gebrauch eher zunimmt als ermüdet. Hohe Selbstdisziplin garantiert noch nicht, dass es auch tatsächlich gelingt, ablenkenden Impulsen zu widerstehen. Impulskontrolle kann als eine separate FähigDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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keit angesehen werden, die unabhängig davon ist, wie stark sich jemand unter Druck setzt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, kognitive Ablenkungsresistenz von einer motivationalen Versuchungsresistenz zu unterscheiden. Kognitive Ablenkung tritt z. B. auf, wenn Reize neuartig sind oder unerwartet auftauchen, so dass eine automatische Orientierungsreaktion erfolgt, die volitional schwer zu steuern ist. Die Fähigkeit zur Unterdrückung motivationaler Impulse wurde demgegenüber im Zusammenhang mit Belohnungsaufschub („delay of gratification“) untersucht. Beide Komponenten können mit einem objektiven und standardisierten Test unterschieden und quantifiziert werden (Kuhl & Kraska, 1992), der hohe Korrelationen mit relevanten Skalen eines Fragebogens zur Messung aller in diesem Kapitel erläuterten Funktionskomponenten der Selbststeuerung aufweist (Kuhl & Fuhrmann, 1998). Während die Impulskontrolle die Unterdrückung „unerwünschter“ Informationen betrifft, geht es bei der Aufmerksamkeitskontrolle um die selektive Beachtung „erwünschter“ Informationen. Nach Posner und Rothbart (1992) müssen dabei zwei Aufmerksamkeitsleistungen unterschieden werden. Die bewusste Beachtung kritischer Reizmerkmale oder Objekte („target detection“) kann als eine Funktionskomponente der Selbstkontrolle angesehen werden, da sie die willentliche Fokussierung auf ein Ziel oder ein absichtsrelevantes Detail unterstützt (bewusste zielbezogene Aufmerksamkeit). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Steuerungsform der Selbstkontrolle gut mit dem übereinstimmt, was in der zeitgenössischen Psychologie als Ich-Kontrolle bezeichnet wird (Baumeister et al., 1998; Block & Block, 1980). Ein geringes Maß an Ich-Kontrolle (Unterkontrolle) kennzeichnet Menschen, die Belohnungen nicht aufschieben können, allen Impulsen nachgehen und ihre Wünsche und Gefühle spontan ausdrücken. Demgegenüber kennzeichnet ein hohes Maß an Ich-Kontrolle (bis hin zur Überkontrolle) Menschen, die ihre Impulse, Wünsche und Bedürfnisse stark unterdrücken, um einmal gefasste Pläne zielgerichtet und konzentriert umzusetzen.

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Selbstbestimmung und Selbstregulation

In der von Block und Block (1980) konzipierten Theorie der Selbststeuerung ist neben der Ich-Kontrolle eine weitere wichtige Funktion die Ich-Flexibilität („egoresiliency“): Die Fähigkeit, das typische Ausmaß an Ich-Kontrolle in die eine oder andere Richtung zu modifizieren, um sich den Anforderungen einer gegebenen Situation anzupassen. Die Steuerungsform der Selbstregulation ist ebenfalls durch hohe Flexibilität gekennzeichnet. Im Unterschied zur resilienten Ich-Flexibilität beinhaltet sie jedoch nicht nur den flexiblen Einsatz von Selbstkontrolle, sondern eine ganz eigene Form der Regulation, die eng an die Funktion des Selbst (d. h. des Systems impliziter Repräsentationen eigener Wünsche und Bedürfnisse; ➝ Selbst und Selbstkonzept) geknüpft ist.

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Selbstbestimmung und Selbstregulation Selbstbestimmung ist die Fähigkeit, in Übereinstimmung mit eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Überzeugungen zu handeln. Sie wird unterstützt durch die Steuerungsform der Selbstregulation, bei der es darum geht, selbstkongruente Ziele zu bilden und umsichtig umzusetzen. Selbstregulation gleicht einer „inneren Demokratie“ bei der viele Stimmen zu eigenen und fremden Bedürfnissen, Gefühlen und Werten bei Entscheidungen gleichzeitig berücksichtigt und integriert werden. Ziele werden flexibel und kreativ umgesetzt, indem z. B. widerstrebende Stimmen aus dem Selbst „überzeugt“ statt unterdrückt werden. Selbstregulation beruht auf weit gehend unbewussten, parallelen und intuitivholistischen Verarbeitungsprozessen.

Während das Selbst im Selbstkontrollmodus vorübergehend unterdrückt wird, ist es im Volitionsmodus der Selbstregulation aktiv an der Handlungsregulation beteiligt. Für diese Steuerungsform sind Fragen der Zielbildung und Bedürfniskongruenz bedeutsam, die teilweise in die Motivationspsychologie hinein reichen. In ihrer Theorie der Selbstbestimmung („self-determination“) gehen Deci und Ryan (2000) davon aus, dass selbstbestimmtes Handeln sowohl vom Inhalt der Ziele („Was will ich?“) als auch der Art der Motivation („Warum will ich es?“) abhängt. Intrinsische Ziele (z. B. nach Selbstakzeptanz, Gemeinschaft und Gesundheit) befriedigen im Gegensatz zu extrinsischen Zielen (z. B. nach Reichtum, Ruhm und äußerer Schönheit) grundlegende organismische Bedürfnisse und fördern psychologisches Wachstum und Wohlbefinden. Ebenso bedeutsam ist das „Warum“ der Zielverfolgung. Menschen handeln nach Deci und Ryan (2000) selbstbestimmt und autonom, wenn sie aus Interesse (intrinsische Gründe) oder dem Gefühl für die Wichtigkeit einer Tätigkeit handeln (integrierte oder identifizierte Gründe). Das Handeln ist eher fremdbestimmt und kontrolliert, wenn Menschen Ziele verfolgen, weil sie sich schuldig oder verpflichtet fühlen (introjizierte Gründe) bzw. von anderen dafür belohnt oder dazu angehalten werden (extrinsische Gründe). Der Ansatz von Deci und Ryan ist phänomenologisch orientiert und zeigt, dass die vorherrschende volitionale Steuerungsform zum Teil über das Selbsterleben erfasst werden kann. Um selbstkongruente Ziele bilden zu können, bedarf es einer guten Selbstwahrnehmung und Körperwahrnehmung. Techniken wie Autogenes Training oder Focusing können die Selbst- und Körperwahrnehmung erhöhen. Auch die Konfrontation mit einem Spiegel kann die Selbstaufmerksamkeit steigern und zu einer stärkeren Übereinstimmung des Verhaltens mit persönlichen Standards führen. Doch ist die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung hinreichend für selbstbestimmtes Handeln? Jemand kann einen guten Zugang zum Selbst haben, sich auf Grund einer Flut von eigenen Wünschen und Bedürfnissen aber möglicherweise nicht entscheiden, was als Erstes ansteht. Eine weitere selbstregulatorische Kompetenz ist daher

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die Entscheidungsfähigkeit: Entscheidungen zügig fällen, mit dem Gefühl, das Richtige zu tun. Eine gute Körperwahrnehmung fördert die Entscheidungskompetenz und spielt auch für Rückmeldungen über das Ergebnis selbstgewollter Handlungen eine wichtige Rolle. Obwohl Rückmeldeprozesse als Teil einer planvollen Handlungssteuerung angesehen werden können (Carver & Scheier, 1998), erfolgen die meisten Rückmeldungen unbewusst und können erst dann handlungssteuernd verwertet werden, wenn sie auch körperlich „erfühlt“ werden. Im Alltag können wir den Verlust der Körperwahrnehmung z. B. als Unsicherheit erleben, ob wir die Kaffeemaschine tatsächlich ausgestellt haben. Zielbildung ist ein komplexer Vorgang, wenn es darum geht, Ziele zu bilden, die motivational unterstützt werden, eigene Wünsche und Bedürfnisse befriedigen, Bedürfnisse anderer berücksichtigen, sozialen und kulturellen Werten entsprechen und eigene Handlungsmöglichkeiten einbeziehen. Um diese vielen verschiedenen Randbedingungen gleichzeitig berücksichtigen zu können („multiple constraint satisfaction“), bedarf es einer Form von Aufmerksamkeit, die eine breite Orientierung ermöglicht. Posner und Rothbart (1992) bezeichnen diese breite Aufmerksamkeitsorientierung als Vigilanz. Sie stellt eine automatische zielbezogene Aufmerksamkeit dar, die eher im Hintergrund des Bewusstseins abläuft. Wenn es bei der Zielbildung gelingt, viele Randbedingungen gleichzeitig zu berücksichtigen, können Ziele stärker in das Selbst integriert werden. Eine hohe Zielkongruenz schließt jedoch nicht aus, dass auch einmal unangenehme Aufgaben erledigt werden müssen. In diesem Fall ist positive Selbstmotivierung gefragt: Die Fähigkeit, auch unangenehmen Dingen etwas Positives abzugewinnen, sich bei Laune zu halten und sich selbst zu motivieren. Im Gegensatz zur ängstlichen Form der Selbstmotivierung ist diese positive Variante nicht anstrengend („self-depleting“), sondern energetisierend. Auch bei hoher Motivation kann jemand jedoch Schwierigkeiten haben, ungünstige Auswirkungen von Ängstlichkeit zu überwinden. Eine weitere Komponente der Selbstregulation ist daher die Selbstberuhigung: Die Fähigkeit, innere Anspannungen und Nervosität gezielt abzubauen. Alle Prozesse, die wir als Selbstregulation oder umsichtige Zielbildung diskutieren, werden durch einen neuroanatomischen Bereich unterstützt (rechter präfrontaler Cortex), der besonders stark mit vielen Regionen des Gehirns vernetzt ist und durch eine parallele Verarbeitungsform die hohe Integrationsleistung dieses Steuerungsmodus ermöglicht. Die starke Vernetzung und parallele Verarbeitungsleistung dieses zentral-exekutiven Systems wird auch als Grund dafür betrachtet, dass die meisten selbstregulatorischen Prozesse dem Bewusstsein nicht vollständig zugänglich sind. Gefühle von Selbstbestimmung (Deci & Ryan, 2000), positivem Selbstwert und Selbstwirksamkeit können jedoch als erfahrbare Begleiterscheinungen hoher selbstregulatorischer Kompetenz angesehen werden (➝ Selbstwertschätzung; ➝ Selbstwirksamkeit).

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Willensbahnung und Willenshemmung

Volitionale Kompetenzen sind eine wichtige Voraussetzung für optimales Funktionieren und können aus vielfältigen Gründen eingesetzt werden (➝ Selbstdarstellung). Das Vorhandensein hoher Kompetenzen garantiert jedoch nicht, dass diese auch unter Belastung effizient eingesetzt werden können. Willenshemmung und Willensbahnung Willenshemmung beschreibt den Verlust der Selbstkontrolle unter Belastung, so dass selbstgesetzte Ziele schlecht umgesetzt werden können. Lustlosigkeit und Zögerlichkeit können nicht mehr selbstgesteuert überwunden werden, so dass Verhalten nur noch fremdgesteuert energetisiert werden kann. Positiver Affekt kann demgegenüber die Umsetzung bewusster Absichten erleichtern (Willensbahnung). Kuhl und Kazén (1999) konnten zeigen, dass die Umsetzung einer schwierigen Absicht (z. B. bei der „Stroop-Aufgabe“ das Benennen der roten Schriftfarbe des Wortes „BLAU“) durch positiven Affekt erleichtert wird (Willensbahnung). Ein Mangel an positivem Affekt kann demgegenüber zu einer Willenshemmung führen. Lebensereignisse und Situationen, die positiven Affekt reduzieren, fassen wir unter dem Begriff Belastung zusammen (z. B. unrealistische Ziele, unlösbare Aufgaben, Frustration, persönliche Verluste). Belastung kann dazu führen, dass Personen ihre Ziele nicht mehr effizient verfolgen können. Phänomene wie Lustlosigkeit, geringe Initiative und das Nichtumsetzen von Absichten sind indikativ für eine derartige Hemmung des Willens. Weitere Anzeichen sind Konzentrationsschwäche und Intrusionen: An Dinge denken müssen, die nichts mit der aktuellen Tätigkeit zu tun haben. Je mehr der „Wille“ seinen Einfluss auf die Steuerung des Denkens und Handelns einbüßt, desto stärker können „ungewollte“ Gedanken und Verhaltensweisen das Geschehen bestimmen (z. B. automatisierte Gewohnheiten und Impulse oder Fremdkontrolle). Als Persönlichkeitsdisposition wurde Willenshemmung intensiv mit dem Konstrukt der prospektiven Lageorientierung untersucht (Kuhl & Beckmann, 1994): Lageorientierte sind in Belastungssituationen schlecht dazu fähig, positiven Affekt wiederherzustellen und verharren daher in ihrer gegenwärtigen Lage. Obwohl sie explizit stark über eigene Ziele und Absichten nachdenken, setzen sie wenig davon tatsächlich um. Personen mit einer Neigung zur prospektiven Handlungsorientierung können demgegenüber auch in Belastungssituationen positiven Affekt bereitstellen und zeigen deshalb hohe Initiative und Tatkraft. Der belastungsabhängige Verlust an Eigeninitiative und Tatkraft bedeutet nicht, dass eine generelle Verhaltenshemmung vorliegt. Wenn die Selbstkontrolle versagt, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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kann Verhalten weiterhin durch automatisierte Routinen oder durch Fremdkontrolle gesteuert werden: Fremdbestimmtheit bedeutet, dass Dinge erst dann ausgeführt werden, wenn andere einen dazu auffordern oder wenn ein Termindruck vorliegt. Trotz der negativen Konnotation der aufgelisteten Phänomene hat Willenshemmung auch adaptive Seiten (Koole, Kuhl, Jostmann & Vohs, im Druck). Sie schützt Individuen davor, voreilig zu handeln und die Umwelt ausschließlich in Bezug auf die eigene Zielverwirklichung zu betrachten, wodurch Teamfähigkeit und prosoziales Verhalten gefördert werden können. Das Verhalten wird weniger durch übergeordnete Prozesse wie eigene Ziele („top-down“) und mehr durch untergeordnete Prozesse wie Gewohnheiten oder sichere Routinen gesteuert („bottomup“). Das kann adaptiv sein, wenn die Umwelt schwer zu kontrollieren ist und unbekannte Gefahren birgt. In diesem Fall ist zögerliches Abwarten möglicherweise sicherer als vorschnelles Handeln und eine hartnäckige Verfolgung eigener Ziele. Willenshemmung kann ferner zu einer „objektiveren“ Informationsverarbeitung führen, da auch Informationen beachtet werden, die nicht zu aktuellen Zielen und einmal getroffenen Entscheidungen passen. Eine geringe Entscheidungssicherheit kann daher auch als Bereitschaft angesehen werden, sich eine große Offenheit für Unerwartetes oder Unerwünschtes zu bewahren, was langfristig den Umgang mit neuen Herausforderungen fördern kann.

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Selbstkomplexität und Selbsthemmung

Die Effizienz im Einsatz von Selbstregulation wird besonders durch Stressfaktoren reduziert, die mit negativen Gefühlszuständen einhergehen (z. B. schmerzhafte Erlebnisse, Zeitdruck, hohe Ich-Beteiligung, Unvorhersagbarkeit). In Abgrenzung zu Belastungen, die eher mit reduziertem positivem Affekt einhergehen, fassen wir Lebensereignisse und Situationen, die in erster Linie mit erhöhtem negativem Affekt einhergehen, unter dem Begriff Bedrohung zusammen. Selbsthemmung und Selbstkomplexität Selbsthemmung beschreibt den Verlust der Selbstregulation unter Bedrohung. Eigene Wünsche und Bedürfnisse sind schlecht zugänglich und fließen wenig in die Zielbildung und Handlungssteuerung ein. Das Verhalten wird unflexibel und stimmt nicht mehr mit dem überein, was man wirklich will. Ein hoch entwickeltes Selbst (Selbstkomplexität; ➝ Selbst und Selbstkonzept) kann der stressbedingten Selbsthemmung entgegenwirken. Den stressbedingten Verlust an Selbstzugang und Selbstregulation unter Bedrohung bezeichnen wir als Selbsthemmung. Als Persönlichkeitsdisposition wurde SelbstDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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hemmung intensiv mit dem Konstrukt der misserfolgsbezogenen Lageorientierung untersucht (Kuhl & Beckmann, 1994): Lageorientierte sind in Bedrohungssituationen schlecht dazu fähig, negativen Affekt herabzuregulieren und verharren in Grübeleien über vergangene oder antizipierte Misserfolge und andere negative Erlebnisse. Personen mit einer Neigung zur misserfolgsbezogenen Handlungsorientierung können demgegenüber negativen Affekt herabregulieren, sich von Misserfolgserlebnissen ablösen und flexibel handeln. Sie können ihre Selbstregulationsfähigkeiten auch unter Bedrohung effizient einsetzen. Selbsthemmung kann sich in ganz unterschiedlichen Phänomenen manifestieren. Grübeln lässt sich z. B. dadurch erklären, dass ungewollte Gedanken und Gefühle nicht abgestellt werden können, wenn der Selbstzugang gehemmt ist, so dass das Gewollte nicht identifiziert werden kann (das Selbstsystem wird ja als das System definiert, das die Repräsentation des „Gewollten“ leistet). Introjektion und Konformität sind ebenfalls ein Ausdruck von Selbsthemmung, da fremde Ziele und Überzeugungen leicht übernommen und über eigene Ziele und Werte gestellt werden, wenn das Selbst gegen Wünsche oder Forderungen von außen, die mit dem Selbst nicht vereinbar sind, keinen Einspruch mehr erheben kann. Wenn eigene Wünsche und Bedürfnisse nicht zugänglich sind, können fremde Ziele nicht nur handlungsleitend werden, sondern sogar fälschlicherweise für selbst gewählt gehalten werden („fehlinformierte Introjektion“). Personen mit einer Disposition zur misserfolgsbezogenen Lageorientierung neigen erwartungsgemäß in einer negativen Stimmung zu dieser Form von Entfremdung (Baumann & Kuhl, 2003). Das Selbst baut auf einem breiten assoziativen Netzwerk autobiografischer Erfahrungen auf. Es beinhaltet nicht nur implizite Repräsentationen von eigenen Wünschen und Bedürfnissen, sondern schafft auch die Grundlage für Flexibilität in der Wahrnehmung und im Handeln: Der Zugang zu einem solchen ausgedehnten assoziativen Netzwerk erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass einem auch in verfahrenen Situationen immer noch eine Handlungs- oder Deutungsmöglichkeit einfällt. Wenn der Zugang zum Selbst gehemmt ist, kann es demgegenüber zu perzeptiver Rigidität und zwanghafter Perseveration kommen, d. h. zu Schwierigkeiten, Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten und vielfältige Handlungsoptionen zu berücksichtigen, die in verschiedenen Situationen zielführend sein können. Die Schwierigkeit, mehrere Randbedingungen gleichzeitig zu berücksichtigen und Widersprüchliches zu integrieren, kann ferner zu einer Fragmentierung des Selbst führen: Die Vielfalt der eigenen und fremden Ziele, Wünsche und Überzeugungen scheint unvereinbar zu sein. Trotz der negativen Konnotation der aufgelisteten Phänomene hat Selbsthemmung auch positive Seiten (Koole et al., im Druck). Die Beschäftigung mit negativen Grübeleien mag Lageorientierte z. B. für potenzielle Gefahren sensibilisieren. Gerade in wenig vorhersagbaren Situationen ist es nicht adaptiv, das Erleben durch übergeordnete Prozesse (z. B. Erfahrungswissen) zu steuern, sondern vorteilhafter, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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untergeordnete Prozesse einzuschalten, die hoch sensibel für alles Neue und Unerwartete aus der aktuellen Situation sind. Die Selbsthemmung ist auch wichtig, weil das Selbst viele Versuchungsquellen und Impulse beinhaltet, deren Befolgung nicht immer adaptiv für das Individuum ist. Ferner kann Selbsthemmung die Gruppenfähigkeit fördern, da eigene Bedürfnisse zu Gunsten von fremden Zielen (z. B. Gruppeninteressen) zurückgestellt werden. Introjektion und Konformität können wichtige Eigenschaften im sozialen Kontext sein, da sie Gruppenkonsens ermöglichen und die Verrichtung monotoner, intrinsisch wenig attraktiver Tätigkeiten unterstützen. Darüber hinaus sind sie auch eine Grundlage für die Selbstentwicklung: Selbstwachstum wird durch die ständige Auseinandersetzung mit selbstfremden Introjekten unterstützt.

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Ausblick

In der Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen (PSI) von Kuhl (2001) lassen sich alle Komponenten der Selbststeuerung in einem gemeinsamen Rahmenmodell integrieren. Unterschiedliche Formen willentlicher Steuerung werden erklärt durch das typische Wechselspiel von vier kognitiven Systemen: 1. Das Intentionsgedächtnis zur Aufrechterhaltung von Absichten und zur Selbstkontrolle wird unterstützt durch Planen und analytisches Denken. 2. Das Extensionsgedächtnis bezeichnet ein ausgedehntes assoziatives Netzwerk, das die Selbstwahrnehmung und Selbstregulation unterstützt. 3. Die intuitive Verhaltenssteuerung ist an der Umsetzung bewusster Absichten durch weit gehend unbewusst gesteuerte Routinen beteiligt. 4. Das Objekterkennungssystem ist besonders sensibel für Abweichungen von Erwartungen, Standards oder Zielvorgaben. Positiver und negativer Affekt haben eine modulierende Wirkung auf die Aktivierungsdynamik der vier kognitiven Systeme. Im Unterschied zu früheren Strukturmodellen wie Freuds topografischem Modell von einem Ich, Über-Ich und Es (➝ Psychoanalytische Persönlichkeitstheorien), werden in der PSI-Theorie Systeme postuliert, deren Funktionsprofile vor dem Hintergrund experimenteller Ergebnisse sehr differenziert beschrieben werden. In der PSI-Theorie werden zwei zentrale Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung (Zielumsetzung und Selbstentwicklung) durch die affektmodulierte Interaktion zwischen kognitiven Systemen erklärt. Das Nichtausführen von Absichten kann erst in Zielumsetzung überführt werden, wenn die Hemmung positiven Affekts A(+) durch Selbstmotivierung oder ein externes Ereignis in positiven Affekt A+ überführt wird. Das IG transferiert dann die aktuelle Absicht an das IVS in dem kleinen Zeitfenster, in dem auf Grund des Affektwechsels diese beiden Systeme (IG und IVS) etwa gleich stark aktiviert sind. Analog können fragmentierte (oft Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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schmerzhafte) Einzelerfahrungen aus dem OES erst dann in das Erfahrungswissen des EG integriert werden und Selbstwachstum anregen, wenn negativer Affekt A– durch Selbstberuhigung oder Trost von außen in eine gelassene Stimmung A(–) überführt wird, so dass ein Zeitfenster entsteht, in dem auf Grund des Affektwechsels OES und EG etwa gleich stark aktiviert sind.

Belastung

Selbstkontrolle

Selbstregulation

Frustration A(+)

Schmerzbewältigung A(–)

Intentionsgedächtnis: Schwieriges (IG)

Bedrohung

Angst/Schmerz A–

g g un n tz zu se et m s tu lum ch ie Ni s. Z v

Objekterkennung: Einzelheiten (OES)

F vs rag . en S me tw elb nti ick st er lu - ung ng

V

Extensionsgedächtnis: Überblick (EG)

Intuitive Verhaltenssteuerung (IVS)

Freude A+

Abbildung 2: Zentrale Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung in der PSI-Theorie

Neben der zunehmenden Zahl nicht reaktiver Methoden zur Erfassung einzelner Funktionskomponenten der willentlicher Handlungssteuerung (Goschke, 1996; Kuhl & Kraska, 1992), können die in diesem Kapitel aufgeführten volitionalen Komponenten auch per Fragebogen erfasst werden (Kuhl & Fuhrmann, 1998). Die genaue Aufschlüsselung der volitionalen Kompetenz und Effizienz von Personen kann einen wertvollen Beitrag zur Erklärung und Vorhersage individueller Unterschiede im Erleben und Verhalten leisten.

Weiterführende Literatur Kuhl, J. (2000). The volitional basis of personality systems interaction theory: Applications in learning and treatment contexts. International Journal of Educational Research, 33, 665–703.

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Literatur Ach, N. (1910). Über den Willensakt und das Temperament. Leipzig: Quelle & Meyer. Baumann, N. & Kuhl, J. (2003). Self-infiltration: Confusing assigned tasks as self-selected in memory. Personality and Social Psychology Bulletin, 29, 487–497. Baumeister, R. F., Bratslavsky, E., Muraven, M. & Tice, D. M. (1998). Ego depletion: Is the active self a limited resource? Journal of Personality and Social Psychology, 74, 1252–1265. Block, J. H. & Block, J. (1980). The role of ego-control and ego-resiliency in the organization of behavior. In W. A. Collins (Ed.), Development of cognition, affect and social relations (Minnesota symposia on child psychology, Vol. 13, pp. 39–101). Hillsdale, NJ: Erlbaum. Carver, C. S. & Scheier, M. F. (1998). On the self-regulation of behavior. New York: Cambridge University Press. Deci, E. L. & Ryan, R. M. (2000). The „what“ and „why“ of goal pursuits: Human needs and the self-determination perspective. Psychological Inquiry, 11, 227–268. Gollwitzer, P. M. (1999). Implementation intentions: Strong effect of simple plans. American Psychologist, 54, 493–503. Goschke, T. (1996). Wille und Kognition: Zur funktionalen Architektur der intentionalen Handlungssteuerung. In J. Kuhl & H. Heckhausen (Hrsg.), Motivation, Volition und Handlung (S. 583–663). Göttingen: Hogrefe. Koole, S. L., Kuhl, J., Jostmann, N. & Vohs, K. D. (in press). On the hidden benefits of state orientation: Can people prosper without efficient affect regulation skills? In A. Tesser, J. Woods & D. A. Stapel (Eds.), Psychological perspectives on the self. Kuhl, J. (2000). The volitional basis of personality systems interaction theory: Applications in learning and treatment contexts. International Journal of Educational Research, 33, 665–703. Kuhl, J. (2001). Motivation und Persönlichkeit. Göttingen: Hogrefe. Kuhl, J. & Beckmann, J. (1994). Volition and personality: Action versus state orientation. Seattle: Hogrefe & Huber Publishers. Kuhl, J. & Fuhrmann, A. (1998). Decomposing self-regulation and self-control: The volitional components checklist. In J. Heckhausen & C. S. Dweck (Eds.), Life span perspectives on motivation and control (pp. 15–49). Mahwah, NJ: Erlbaum. Kuhl, J. & Kazén, M. (1999). Volitional facilitation of difficult intentions: Joint activation of intention memory and positive affect removes stroop interference. Journal of Experimental Psychology: General, 128, 382–399. Kuhl, J. & Kraska, K. (1992). Selbstregulations- und Konzentrationstest für Kinder (SRKT-K). Göttingen: Hogrefe. Locke, E. A. & Latham, G. P. (1990). A theory of goal setting and task performance. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall. Posner, M. I. & Rothbart, M. K. (1992). Attentional mechanisms and conscious experience. In A. D. Milner & M. D. Rugg (Eds.), The neuropsychology of consciousness (pp. 91– 111). New York: Academic Press.

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Stressbewältigung Coping with Stress Carl-Walter Kohlmann & Michael Hock In umfassenden Definitionen wird Stress als ein Muster spezifischer und unspezifischer psychischer und körperlicher Reaktionen eines Individuums auf interne oder externe Reize angesehen, die das Gleichgewicht stören, die Fähigkeiten zur Bewältigung beanspruchen oder überschreiten und Anpassungsleistungen verlangen. In dieser Bestimmung lassen sich drei unterschiedliche Stresskonzeptionen identifizieren: Reaktionsbezogene Konzeptionen konzentrieren sich primär auf die Analyse stressbezogener Verhaltensweisen. Situationsbezogene Konzeptionen analysieren in erster Linie die Rolle von Umweltbedingungen als Stressoren. Relationale Konzeptionen thematisieren die Person-Umwelt-Beziehung in belastenden Auseinandersetzungen (➝ Stress). Ausgangspunkt der neueren Forschung zur Stressbewältigung ist die relationale Konzeption, die vor allem von Lazarus und seiner Arbeitsgruppe ausgearbeitet wurde (Lazarus & Folkman, 1984).

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Der Begriff der Stressbewältigung

Für die relationale Sichtweise von Stress und Stressbewältigung ist das Konzept der Bewertung zentral. Psychologischer Stress bezeichnet danach eine Beziehung mit der Umwelt, die vom Individuum im Hinblick auf sein Wohlergehen als bedeutsam bewertet wird, aber zugleich Anforderungen an das Individuum stellt, die dessen Bewältigungsmöglichkeiten beanspruchen oder überfordern. Als entscheidende Vermittler innerhalb der stressbezogenen Beziehung zwischen Person und Umwelt wie auch im Hinblick auf die resultierenden Konsequenzen stehen die kognitive Bewertung („appraisal“) und die Stressbewältigung („coping“). Der Bewertungsvorgang ist als Sequenz gefasst (vgl. Abb. 1), wobei sich die Komponenten der sog. primären Bewertung und sekundären Bewertung jedoch gegenseitig beeinflussen. Primäre Bewertungen bezeichnen Einschätzungen einer Person-Umwelt-Konstellation im Hinblick auf das eigene Wohlergehen (z. B. Bedrohung oder Verlust). Sekundäre Bewertungen beziehen sich auf die Einschätzung der individuellen und sozialen Bewältigungsressourcen. Ob Stress entsteht, hängt auch vom Ausgang sekundärer Bewertungen ab. Bewältigungsmöglichkeiten bestimmen nach Lazarus maßgeblich mit, ob sich jemand in einer stressbezogenen Situation (z. B. bei einer bevorstehenden Prüfung) bedroht oder herausgefordert fühlt (Rückwir-

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Situationsmerkmale

Primäre Bewertung „Worin liegt das Problem?“

irrelevant, günstig oder stressbezogen Herausforderung Bedrohung Schaden/Verlust

Sekundäre Bewertung „Was kann ich dagegen tun?“

Stressbewältigung problemorientiert emotionsorientiert

Neubewertung

Personmerkmale

Abbildung 1: Stressbewältigungsprozess nach Lazarus (Darstellung modifiziert nach La-

zarus & Folkman, 1984, und Krohne, 1996)

kung auf die primäre Bewertung). Im Verlauf der Auseinandersetzung mit der Situation kommt es somit zu einer Neubewertung der Person-Umwelt-Beziehung, d. h. zum Einstieg in eine erneute primäre Bewertung. Das Ziel der Stressbewältigung liegt darin, die Bedrohungsquelle zu kontrollieren und den ausgelösten emotionalen Zustand zu regulieren. Definition: „Stressbewältigung umfasst kognitive und verhaltensbezogene Anstrengungen zur Handhabung externer und interner Anforderungen, die von der Person als die eigenen Ressourcen beanspruchend oder überfordernd angesehen werden.“ (Lazarus & Folkman, 1984, S. 141)

Zur Stressbewältigung können problemzentrierte oder emotionszentrierte Strategien eingesetzt werden, die sich im Hinblick auf ihre Funktion unterscheiden lassen. Problemzentrierte Strategien setzen an den auslösenden situativen Bedingungen an. Das Individuum bemüht sich, auf diese Bedingungen so einzuwirken, dass die Belastung ausgeschaltet oder doch reduziert wird, z. B. durch planvolles Eingreifen in die Situation. Emotionszentrierte Strategien zielen dagegen auf die Veränderung stressbezogener Emotionen und deren Manifestation im Verhalten. Die Person versucht hier, die subjektiven und somatischen Komponenten der Stressreaktion zu regulieren, z. B. durch Entspannung.

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Persönlichkeit und Stressbewältigung

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Betrachtungsweisen der Persönlichkeit im Rahmen der Stressbewältigung

Zum Verständnis interindividueller Differenzen in der Stressbewältigung lassen sich Persönlichkeitsvariablen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. In situations- und reaktionsbezogenen Stressauffassungen spielen Persönlichkeitsvariablen eine Rolle als Moderatoren des Zusammenhangs zwischen dem Ausmaß der Stressbelastung (Situation) und der Stärke der subjektiven und objektiven Belastungsreaktion. Im Zentrum der Betrachtung stehen jedoch Dispositionen der Stressbewältigung. Hierbei handelt es sich um Persönlichkeitsvariablen, die speziell zur Beschreibung und Erklärung interindividueller Unterschiede der Stressbewältigung eingeführt wurden. Im Bereich der Informationsverarbeitung lässt sich die Funktion von Bewältigungsdispositionen in unterschiedlichen Verarbeitungsphasen präzisieren. Diese Perspektiven werden im Folgenden skizziert. 2.2

Persönlichkeit als Moderator der Beziehung zwischen Stresssituation und Stressreaktion

Analysen zum Einfluss kritischer Lebensereignisse auf Belastungsreaktionen verwiesen auf erhebliche interindividuelle Unterschiede in der Stressanfälligkeit (zum direkten Einfluss der Persönlichkeit auf Stresssituation und Stressreaktion vgl. ➝ Stress). Dies führte zur Berücksichtigung von Persönlichkeitsvariablen als möglichen Moderatoren der Beziehung zwischen situativem Stressgehalt und Stressreaktion. Eine Vielzahl von Persönlichkeitsvariablen (z. B. Hardiness, Sensation Seeking, Neurotizismus, Intelligenz) wurde dabei betrachtet (vgl. Kohlmann, 1997). Insbesondere ➝ Kontrollüberzeugungen als Maß des individuellen Kontrollierbarkeitserlebens der Umwelt mit (zumindest) den Polen Internalität und Externalität wird ein entsprechender Moderatoreffekt mit stresspuffernder Wirkung zugeschrieben. Für Personen mit internaler Kontrollüberzeugung sollen situativer Stress (z. B. Ausmaß kritischer Lebensereignisse) und Stressreaktion (z. B. Befinden, Gesundheitszustand) nur einen vergleichsweise schwachen positiven Zusammenhang aufweisen. Demgegenüber wird für Personen mit externaler Kontrollüberzeugung ein enger Zusammenhang erwartet. Persönlichkeit als Moderator Krause und Stryker (1984) untersuchten bei ca. 2.000 Männern den Einfluss der generalisierten internalen versus externalen Kontrollüberzeugung auf den Zusammenhang zwischen kritischen Ereignissen am Arbeitsplatz (Verschlechterung der finanziellen Situation, Arbeitslosigkeit, vorzeitiger Ruhestand, Alter als Ursache für Diskriminierung, Zunahme der Arbeitsanforderungen) und

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Symptomstatus (Schmerzen, Ermüden, Energielosigkeit, Schwindelgefühle, Atemnot, Krankheiten). In Übereinstimmung mit den theoretischen Erwartungen berichteten Externale generell stärkere gesundheitliche Beeinträchtigungen bei hoher Belastung durch kritische Lebensereignisse als Internale. Der angenommene stresspuffernde Effekt der Internalität zeigte sich jedoch nur für moderat internale Personen, nicht für Personen mit extrem hoher Internalitätsausprägung. Tatsächlich wiesen extrem Internale einen Stress-SymptomZusammenhang auf, der demjenigen der Externalen entsprach.

Es kann angenommen werden, dass extreme Internale sich für das Auftreten negativer Lebensereignisse mitverantwortlich fühlen, mit Schuldgefühlen reagieren und deshalb keine effiziente Stressbewältigung erreichen. Voraussetzung für weiterführende Analysen wird somit allerdings eine explizite Betrachtung des Stressbewältigungsprozesses. 2.3

Bewältigungsbezogene Persönlichkeitsmerkmale

Persönlichkeitsmerkmale können sowohl Bewertungs- als auch Bewältigungsprozesse beeinflussen. Bedeutsam ist dabei eine Klasse von Dispositionen der Stressbewältigung, die die Grunddimensionen Bedrohungsannäherung („approach“) und Bedrohungsvermeidung („avoidance“) repräsentieren (Roth & Cohen, 1986). Persönlichkeitsmerkmale der Stressbewältigung Die Konstrukte Repression-Sensitization (Byrne, 1964), Defensivität (Weinberger, 1990), Monitoring und Blunting (Miller, 1987) sowie Vigilanz und kognitive Vermeidung (Krohne, 1996) stehen in der dispositionellen Bewältigungsforschung im Vordergrund. Sensitization, Monitoring und Vigilanz thematisieren, wenn auch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung auf Kognitionen bzw. Verhalten, die dispositionellen Tendenzen zu erhöhter Bedrohungsbewertung (in der primären Bewertung) und Bedrohungszuwendung (in der sekundären Bewertung und Stressbewältigung). Demgegenüber stehen Repression, Blunting, Defensivität und kognitive Vermeidung für Tendenzen zur verminderten Bedrohungsbewertung (primäre Bewertung) und zur Abwendung von der Bedrohung, Bagatellisierung und Selbstaufwertung (sekundäre Bewertung und Stressbewältigung). Bedrohungszuwendung bzw. -vermeidung sollten sich nach dieser Auffassung über die gesamte Phase des Stressbewältigungsprozesses gleichförmig manifestieren. Funktional kann die Bedrohungszuwendung der Unsicherheitsreduktion, die Bedrohungsabwendung der Erregungsregulation zugeordnet werden.

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Ein deutlicher Fortschritt ist in der Fragebogendiagnostik von Bewältigungsdispositionen im Bereich Annäherung und Vermeidung zu verzeichnen. Während in den ersten Ansätzen noch über die extrem seltene Zustimmung zu dem Vorhandensein körperlicher und psychischer Symptome auf Repression geschlossen wurde (als Indikator für die Leugnung von Belastung, Byrne, 1964), lassen sich mittlerweile über Stimulus-Response-Inventare mit vorzustellenden Belastungssituationen und Bewältigungsreaktionen die Bewältigungsdispositionen zufriedenstellender operationalisieren. In dem Angstbewältigungs-Inventar (ABI, Krohne & Egloff, 1999) werden selbstwertbedrohliche Situationen (z. B. in zehn Minuten einen Bericht vor einer Gruppe von Personen halten) oder Situationen physischer Gefährdung (z. B. beim Zahnarzt im Wartezimmer) vorgegeben. Erfasst werden hierzu die Bewältigungsreaktionen aus den Bereichen kognitive Vermeidung (z. B. Bagatellisierung: „Ich bin schon mit ganz anderem fertig geworden“) und Vigilanz (z. B. Zukunftsplanung: „Ich denke darüber nach, was ich tun kann, falls etwas schief geht“). Insbesondere in unsicheren und mehrdeutigen Situationen, die sich durch einen gewissen Bewertungsspielraum auszeichnen (z. B. der Zeitraum zwischen einer medizinischen Untersuchung und der Bekanntgabe der Diagnose), soll der Stressbewältigungsprozess in Abhängigkeit von der Bewältigungsdisposition unterschiedlich ausfallen. Frauen mit hohen gegenüber solchen mit niedrigen Ausprägungen in Monitoring zeigten nach einem Gentest zur Ermittlung des Krebsrisikos in der Zeit bis zur Ergebnismitteilung erhöhte Angst; nach der Bekanntgabe der Diagnose variierte die Angst nur noch in Abhängigkeit von der Diagnose, die Bewältigungsdisposition wirkte sich nicht mehr aus (Tercyak et al., 2001). Ob die Bewältigungsdisposition über den Pfad der Situationsbewertung mitbestimmt, welche Formen der Stressbewältigung eingesetzt werden, konnte an einer Studie mit Herzpatienten untersucht werden (Kohlmann, Ring, Carroll, Mohiyeddini & Bennett, 2001). Die Intensitätseinschätzung der physiologischen Reaktion (Schmerzen bei Herzinfarkt oder Angina pectoris) wirkte sich über die Bedrohlichkeitsbewertung auf die Zeit bis zum Aufsuchen medizinischer Hilfe aus. Je bedeutsamer die Symptome bewertet wurden („Das ist etwas Ernstes“), desto eher erfolgte das problemorientierte Bewältigungsverhalten. Das Persönlichkeitsmerkmal Vigilanz hatte keinen Effekt auf die Einschätzung der Schmerzintensität. Hochvigilante schätzten allerdings im Vergleich zu Niedrigvigilanten die Schmerzen als bedrohlicher ein und suchten eher den Arzt auf. Mittels Pfadanalysen konnte gezeigt werden, dass ein günstiger Effekt der Vigilanz auf das Bewältigungsverhalten über die Bedrohlichkeitsbewertung vermittelt wurde. 2.4

Vermeidende und vigilante Informationsverarbeitung

Die Analyse von Informationsverarbeitungsprozessen besitzt im Rahmen der persönlichkeitsorientierten Forschung zur Bewältigung von Bedrohung und Angst eine lange Tradition. Im Rahmen dieser Perspektive wird versucht, die für PersönlichDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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keitsunterschiede im Bewältigungsverhalten charakteristischen und ihnen evtl. zu Grunde liegenden kognitiven Strukturen und Prozesse zu bestimmen. Theoretischer Ausgangspunkt war das besonders von Byrne (1964) und Eriksen (1966) ausgearbeitete Repression-Sensitization-(R-S-)Konstrukt. Auf der Grundlage psychodynamischer Hypothesen über Angstabwehrmechanismen (➝ Psychoanalytische Persönlichkeitstheorien) und experimenteller Befunde zur Wahrnehmungsabwehr wurde hier postuliert, dass sich Personen hinsichtlich der von ihnen bevorzugt eingesetzten Strategien der Bedrohungs- und Angstkontrolle auf einem Vermeidungs-Vigilanzkontinuum anordnen lassen. Leitende Hypothese der frühen Forschung zum R-S-Konstrukt war, dass sich Personen bereits auf der Grundlage sehr basaler perzeptueller Prozesse hinsichtlich ihres Umgangs mit Bedrohung und Angst unterscheiden: Represser sollten bei bedrohungsassoziierten Reizen Wahrnehmungsabwehr bzw. -vermeidung, Sensitizer dagegen Wahrnehmungsvigilanz (erhöhte Sensitivität und verstärkte Zuwendung) manifestieren. Empirisch erfasst wurden beide Prozesse durch die Bestimmung von Erkennungsschwellen für verschiedene Reizklassen. Repression-Sensitization und Wahrnehmungsabwehr Tempone (1964) bestimmte die Erkennungsschwellen für erfolgs- und misserfolgsbesetzte Wörter bei Repressern und Sensitizern. In der ersten Versuchsphase bearbeiteten die Teilnehmer eine Reihe von Anagrammen, die als Aufgaben aus einem Intelligenztest eingeführt worden waren. Dabei wurde über die experimentelle Manipulation der Lösungshäufigkeit entweder Erfolg oder Misserfolg induziert. Die korrekten Lösungen wurden den Versuchsteilnehmern jeweils gezeigt. In der zweiten Versuchsphase wurden die Erkennungsschwellen (die tachistoskopischen Darbietungszeiten bis zur korrekten Identifikation) der Wörter bestimmt. Erwartungskonform erkannten Represser die Wörter in der Erfolgsbedingung gut, in der Misserfolgsbedingung dagegen schlecht. Bei Sensitizern war dies umgekehrt: Sie erkannten misserfolgsbezogene Wörter leichter als erfolgsbezogene. Die frühe Forschung zum R-S-Konstrukt wurde in vielfacher Hinsicht kritisiert. Tatsächlich ließen Limitationen im Design vieler Studien alternative Interpretationen der Ergebnisse zu. So wurde es in Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Repression-Sensitization und Variablen der Informationsaufnahme und -verarbeitung häufig versäumt, mögliche Effekte von Antwort- bzw. Entscheidungskriterien auf die experimentellen abhängigen Variablen auszuschließen oder in überzeugender Weise zu kontrollieren: Represser könnten bedrohungsbezogene Reize mit der gleichen Leichtigkeit erkennen wie Sensitizer, für deren verbale Identifizierung jedoch striktere Kriterien verwenden, also ihre Antworten so lange zurückhalten, bis sie sich über die Identität des Reizes sehr sicher sind. In diesem

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Fall wären die Unterschiede zwischen beiden Gruppen nicht als Wahrnehmungs-, sondern vielmehr als Antwort- oder Entscheidungsphänomen zu werten. Während der letzten beiden Jahrzehnte sind jedoch gerade hinsichtlich der Forschungsmethodik erhebliche Fortschritte zu verzeichnen, wofür vor allem die Adaptation von Versuchsanordnungen aus der kognitiv-experimentellen Psychologie für persönlichkeitspsychologische Fragen verantwortlich ist. Diese Entwicklung war begleitet von elaborierteren und differenzierteren theoretischen Vorstellungen über die bei der Verarbeitung bedrohlicher Reize beteiligten Strukturen und Prozesse. Im Rahmen von Mehrphasen- bzw. Mehrebenenmodellen wurden etwa perzeptuelle und reflexive, automatische und strategische, präattentive und bewusst kontrollierte oder implizite und explizite Prozesse kontrastiert, die in der Registrierung, Enkodierung, Speicherung und Erinnerung bedrohlicher Reize involviert sind (für Übersichten siehe Eysenck, 1997; Williams, Watts, MacLeod & Mathews, 1997). Ein zentrales Thema der neueren Forschung zum R-S-Konstrukt sind Persönlichkeitsunterschiede in Speicherungs- und Abrufprozessen affektiver Information. Viele Studien fanden Belege dafür, dass Represser Schwierigkeiten beim Erinnern emotionsauslösender Episoden aufweisen (Übersicht in Hock & Krohne, 2004). Abrufdefizite wurden dabei vor allem für Ereignisse beobachtet, die mit einer Bedrohung oder Beeinträchtigung des Selbstwerts einhergehen. Theoretische Modelle zur Erklärung dieser Defizite gingen bislang von einer „Kontinuitätsannahme“ aus, der zufolge sich dispositionelle Bewältigung im Funktionieren präattentiver Prozesse, in der Art der Aufmerksamkeitsorientierung, in der Kodierung, Speicherung und Erinnerung von Information in jeweils gleichartiger Weise niederschlagen. Im Sinne dieser Annahme wurden die Schwierigkeiten von Repressern beim Abrufen affektiver Erinnerungen auf Eigenschaften von Bewertungs-, Kodierungs- und Elaborationsprozessen zurückgeführt, die bei der Informationsaufnahme wirksam sind. Die Erinnerungsprobleme von Repressern wurden also etwa dadurch erklärt, dass sie ihre Aufmerksamkeit von bedrohlichen Situationsaspekten abwenden, die Situation als neutral bewerten oder die mentale Auseinandersetzung mit potenziell aversiven Situationsfolgen meiden. Als Ausgangspunkt für empirische Untersuchungen ist die Kontinuitätsannahme außerordentlich nahe liegend. Dennoch ergaben sich Zweifel an dieser Hypothese, da Untersuchungen zur Enkodierung bedrohlicher Reize für Represser ein inkonsistentes Bild lieferten (Hock, Krohne & Kaiser, 1996). Einige Untersuchungen fanden bei Repressern in frühen Phasen der Reizaufnahme Hinweise auf eine erhöhte Sensitivität für die Registrierung und Verarbeitung bedrohungsassozierter Reize (z. B. Calvo & Eysenck, 2000). Die Anwendung von Modellen und Paradigmen aus der kognitiv-experimentellen Psychologie für die Beantwortung differentieller Fragestellungen ist auch in anderen Bereichen der persönlichkeitsorientierten Bewältigungsforschung viel Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Verarbeitung und Erinnerung bedrohlicher Reize Hock und Krohne (2004) untersuchten die Verarbeitung und Erinnerung bedrohungsrelevanter und neutraler Reize. Dabei handelte es sich um verbale Beschreibungen mehr oder weniger aversiver Alltagsszenarien, die in der ersten Phase der Untersuchung zunächst hinsichtlich ihrer affektiven Valenz zu beurteilen waren. Die Stärke der Gedächtnisrepräsentation der Reize wurde anschließend mittels eines Wiedererkennungsverfahrens einmal in zeitlicher Nähe zur Enkodierung, ein zweites Mal drei Tage nach der Enkodierung bestimmt. Represser erinnerten bedrohungsrelevante Reize zunächst besser als Sensitizer, zeigten jedoch einen starken Abfall der Erinnerung zur zweiten Sitzung hin, in der sie diese Reize schlechter wiedererkannten als Sensitizer. Represser manifestierten also Diskontinuität zwischen unmittelbarer und zeitlich verzögerter Erinnerung. Erst nach längeren Zeitintervallen scheint sich bei Repressern ein Abrufdefizit für aversive Reize einzustellen. Die einfache, wenn auch ökonomische, Kontinuitätsannahme, die davon ausgeht, dass sich Personmerkmale über ein weites Spektrum unterschiedlicher Phasen und Formen der Verarbeitung bedrohlicher Information in der jeweils gleichen Weise niederschlagen, wird den empirischen Daten nicht gerecht. versprechend, da sie eine differenzierte und präzise Beschreibung interindividueller Unterschiede in Begriffen informationsverarbeitender Strukturen und Prozesse erlaubt. Eine solche Präzisierung stellt nicht nur eine Bereicherung der Persönlichkeitsdiagnostik dar, sie bringt uns auch dem Ziel der Persönlichkeitserklärung ein Stück näher.

Weiterführende Literatur Kohlmann, C.-W. (1997). Persönlichkeit und Emotionsregulation: Defensive Bewältigung von Angst und Streß. Bern: Huber. Krohne, H. W. (1996). Angst und Angstbewältigung. Stuttgart: Kohlhammer.

Literatur Byrne, D. (1964). Repression-sensitization as a dimension of personality. In B. A. Maher (Ed.), Progress in experimental personality research (Vol. 1, pp. 169–220). New York: Academic Press. Calvo, M. G. & Eysenck, M. W. (2000). Early vigilance and late avoidance of threat processing: Repressive coping versus low/high anxiety. Cognition and Emotion, 14, 763– 787. Eriksen, C. W. (1966). Cognitive responses to internally cued anxiety. In C. D. Spielberger (Ed.), Anxiety and behavior (pp. 327–360). New York: Academic Press.

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Eysenck, M. W. (1997). Anxiety and cognition: A unified theory. Hove, UK: Psychology Press. Hock, M. & Krohne, H. W. (2004). Coping with threat and memory for ambiguous information: Testing the repressive discontinuity hypothesis. Emotion, 4, 65–86. Hock, M., Krohne, H. W. & Kaiser, J. (1996). Coping dispositions and the processing of ambiguous stimuli. Journal of Personality and Social Psychology, 70, 1052–1066. Kohlmann, C.-W. (1997). Streßbewältigung, Ressourcen und Persönlichkeit. In C. TeschRömer, C. Salewski & G. Schwarz (Hrsg.), Psychologie der Bewältigung (S. 209–220). Weinheim: PVU. Kohlmann, C.-W., Ring, C., Carroll, D., Mohiyeddini, C. & Bennett, P. (2001). Cardiac coping style, heartbeat detection, and the interpretation of cardiac events. British Journal of Health Psychology, 6, 285–301. Krause, N. & Stryker, S. (1984). Stress and well-being: The buffering role of locus of control beliefs. Social Science and Medicine, 18, 783–790. Krohne, H. W. (1996). Angst und Angstbewältigung. Stuttgart: Kohlhammer. Krohne, H. W. & Egloff, B. (1999). Das Angstbewältigungs-Inventar (ABI). Manual. Frankfurt a. M.: Swets Test Services. Lazarus, R. S. & Folkman, S. (1984). Stress, appraisal, and coping. New York: Springer. Miller, S. M. (1987). Monitoring and blunting: Validation of a questionnaire to assess styles of information seeking under threat. Journal of Personality and Social Psychology, 52, 345–353. Roth, S. & Cohen, L. (1986). Approach, avoidance, and coping with stress. American Psychologist, 41, 813–819. Tempone, V. J. (1964). Extension of the repression-sensitization hypothesis to success and failure experience. Psychological Reports, 15, 39–45. Tercyak, K. P., Lerman, C., Peshkin, B. N., Hughes, C., Main, D., Isaacs, C. & Schwartz, M. C. (2001). Effects of coping style and BRCA1 and BRCA2 test results on anxiety among women participating in genetic counseling and testing for breast and ovarian cancer risk. Health Psychology, 20, 217–222. Weinberger, D. A. (1990). The construct validity of the repressive coping style. In J. L. Singer (Ed.), Repression and dissociation: Implications for personality theory, psychopathology, and health (pp. 337–386). Chicago: University of Chicago Press. Williams, J. M. G., Watts, F. N., MacLeod, C. & Mathews, A. (1997). Cognitive psychology and emotional disorders (2nd ed.). Chichester, UK: Wiley.

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VI Persönlichkeitsunterschiede im emotional-kognitiven Bereich

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Ängstlichkeit Anxiety Heinz Walter Krohne, Boris Egloff & Stefan C. Schmukle Das Thema Angst spielt in der Emotionspsychologie wie auch in der Forschung zu Persönlichkeitsunterschieden eine zentrale Rolle. Diese Verankerung einerseits in einem allgemeinpsychologischen, andererseits in einem differentiellen Feld verweist zugleich auf die Doppelnatur des Konstrukts Angst. Es bezieht sich zum einen auf einen aktuellen emotionalen Zustand, zum anderen auf ein vergleichsweise zeitüberdauerndes Persönlichkeitsmerkmal. Die aktuelle Angstemotion wird dabei als intraindividuell variierender affektiver Zustand des Organismus verstanden, der durch spezifische Ausprägungen auf physiologischen, verhaltensmäßig-expressiven und subjektiven Parametern gekennzeichnet ist. Für das zeitüberdauernde Persönlichkeitsmerkmal wird meist der Begriff Ängstlichkeit verwendet. Ängstlichkeit „Ängstlichkeit“ bezeichnet die intraindividuell relativ stabile, aber interindividuell variierende Tendenz, Situationen als bedrohlich wahrzunehmen und hierauf mit einem erhöhten Angstzustand zu reagieren. Neben dieser deskriptiven Orientierung bezieht sich das Konstrukt Ängstlichkeit aber auch auf die Bedingungen, über die interindividuelle Unterschiede in der aktuellen Angstreaktion bei objektiv gleichen situativen Bedingungen (z. B. einer Zahnbehandlung) erklärt werden sollen. Eine derartige Bedingung könnte etwa bei einer Zahnbehandlung in der Erwartung der betroffenen Person liegen, bei der Behandlung Schmerzen zu erleiden und diese nicht ertragen zu können. Wie einzelne Bedingungen inhaltlich genauer zu bestimmen sind und bei der Auslösung des Angstzustands zusammenwirken, lässt sich nur auf dem Hintergrund einer jeweiligen Angsttheorie festlegen (vgl. Krohne, 1996). Menschen lassen sich danach unterscheiden, welche speziellen Situationstypen bzw. Umweltbereiche (z. B. Prüfungssituationen, Zahnarztbesuche, soziale Konflikte oder Naturereignisse) sie – wenn überhaupt – als stärker bedrohlich erleben und mit einer Angstreaktion beantworten. Eine relativ grobe Unterscheidung ist die nach selbstwertbedrohlichen und physisch bedrohlichen Situationen und den entsprechenden Angstneigungen (Bewertungsängstlichkeit vs. Angst vor physischer Verletzung). Einen weiteren wichtigen Bereich stellen Situationen der sozialen Interaktion mit dem entsprechenden Persönlichkeitsmerkmal der sozialen Ängstlichkeit dar. Weitere im Zusammenhang mit dieser Ängstlichkeit wichtige KonDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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zepte sind soziale Gehemmtheit sowie Publikums- bzw. Sprechangst. In neueren Untersuchungen werden darüber hinaus inhaltlich eingeschränktere Merkmale wie Sportwettkampfängstlichkeit oder Mathematikängstlichkeit analysiert. Die Identifizierung derart eng umschriebener Angstneigungen leitet sich dabei besonders aus dem Wunsch her, Tests mit einer immer besseren Vorhersageleistung für emotionale Reaktionen und darauf bezogenes Verhalten in spezifischen („eigenschaftskongruenten“) Situationen zu konstruieren. Bewertungsängstlichkeit bezeichnet die Tendenz, in Situationen, in denen die Möglichkeit des Versagens und des Selbstwertverlusts besteht, mit Angst zu reagieren. Im Zentrum derartiger Situationen steht die Prüfung, weshalb für entsprechende Angstneigungen hier auch Begriffe wie Prüfungsangst, Leistungsangst oder Testangst verwendet werden. Die Angst vor physischer Verletzung bezieht sich auf individuelle Unterschiede hinsichtlich der Tendenz, in Situationen, in denen eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit besteht, mit Angst zu reagieren. Unter der Vielzahl der in diesem Bereich unterscheidbaren möglichen Bedrohungen sind besonders medizinische Eingriffe intensiv untersucht worden.

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Theorien zur Ängstlichkeit

Theorien zur Ängstlichkeit lassen sich danach unterscheiden, welche Faktoren sie für die Auslösung der Emotion Angst wie auch für die Konsequenzen dieses Zustands im Erleben und Verhalten verantwortlich machen und wie sie die Art der Bedingungen spezifizieren, die zu interindividuell unterschiedlich starken angstbezogenen Verhaltenstendenzen führen. Wichtige Anregungen für die Theoriebildung und empirische Forschung gingen von der Psychoanalyse Sigmund Freuds aus (➝ Psychoanalytische Persönlichkeitstheorien). Diese Anregungen wurden innerhalb behavioristischer und kognitionspsychologischer Ansätze präzisiert und weiterentwickelt. 1.1

Behavioristische Theorien

Grundlage der behavioristisch orientierten Angstforschung ist die Vorstellung Watsons, dass Angst- bzw. Furchtreaktionen klassisch konditioniert werden. Danach verfügen höhere Organismen über eine Reihe basaler Emotionen, darunter Furcht, die durch bestimmte angeborene Auslöserreize wie laute Geräusche oder Verlust an Halt ausgelöst werden können. Alle übrigen Auslöser von Furcht haben diese Funktion über den Vorgang des klassischen Konditionierens erworben. Mowrer (1939) erweiterte diesen Ansatz mit dem Ziel, furchtbezogenes Vermeidensverhalten über operantes Konditionieren zu erklären. Seine Theorie lässt sich in drei Kernaussagen formulieren: Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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1. Furcht ist eine gelernte Reaktion, die auf Signalreize hin auftritt, denen in der Vergangenheit angeborene Auslöserreize von Furcht im Sinne Watsons gefolgt sind. 2. Die durch einen Reiz ausgelöste Furcht hat Triebcharakter. 3. Furcht motiviert Vermeidensverhalten: Wenn eine Reaktion ausgeführt wird, die die furchtauslösenden Reize vermeidet bzw. beseitigt, so führt dies dazu, dass diese Reaktion verstärkt wird. Nach Auffassung dieser Theorie lässt sich Ängstlichkeit bestimmen als die Tendenz des Organismus, auf Reize mit Furcht zu reagieren, die für viele Organismen nicht aversiv sind. Diese Tendenz ist das Resultat der individuellen Lerngeschichte. Darüber hinaus beschreibt Ängstlichkeit das Motiv, gefahrbezogene Hinweisreize zu meiden. Während Watson und Mowrer die Entstehung von Ängstlichkeit betrachten, konzentriert sich der Ansatz von Spence (1958) auf die Konsequenzen dieses Merkmals. Ängstlichkeit ist hiernach eine emotionale Reaktionsbereitschaft des Organismus, die durch aversive Reize aktiviert wird. Diese aktivierte Bereitschaft determiniert direkt das Triebniveau eines Organismus. Über Annahmen, die u. a. in Krohne (1996) detailliert abgeleitet werden, wird postuliert, dass ängstliche Personen (hohes Triebniveau) einfache Aufgaben besser und komplexe Aufgaben schlechter lösen als Nichtängstliche. 1.2

Kognitionspsychologische Theorien

Im Zentrum kognitionspsychologischer Ansätze stehen kognitive Strukturen und Aktivitäten, die als Vermittler zwischen Umweltveränderungen und Verhalten fungieren. So postulieren Mischel und Shoda (1995) fünf Klassen derartiger Strukturen: 1. Encodierung, d. h. die Kategorisierung von Informationen, 2. Erwartungen und Überzeugungen über die soziale Umwelt, Ereignisse, Verhaltenskonsequenzen sowie die Selbstwirksamkeit, 3. Affekte, 4. Ziele und Werte, d. h. wünschenswerte Verhaltensergebnisse, Emotionen und allgemeine Lebensziele sowie 5. Kompetenzen und selbststeuernde Systeme, die das Repertoire potenzieller Verhaltensweisen sowie Strategien zur Verhaltensorganisation umfassen (➝ Lerntheoretische Ansätze). Individuelle Differenzen zeigen sich zum einen in der Zugänglichkeit bzw. dem allgemeinen Aktivationsniveau dieser Strukturen, zum anderen in der Organisation der Beziehungen zwischen Kognitionen und Affekten. So ist die Auftretenswahrscheinlichkeit von häufigen und intensiven Angstzuständen z. B. dann erhöht, wenn bevorzugt bedrohungsbezogene Aspekte der Situation fokussiert werden, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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viele Situationen für unkontrollierbar gehalten werden, geringe allgemeine und spezifische Selbstwirksamkeitserwartungen bestehen, schnell negative Ergebniserwartungen, defensive Pläne und Skripte aktiviert werden sowie das Verhaltensrepertoire in angstbezogenen Situationen eingeschränkt ist. Nach der Kontrollprozesstheorie von Carver und Scheier (1990) weist jedes intentionale Verhalten die Merkmale eines Kontrollsystems mit Rückmeldungsschleifen auf. Entdeckt eine Person bei Vergleichsprozessen (die durch erhöhte Selbstaufmerksamkeit stimuliert werden) eine Diskrepanz zwischen Bezugswert (z. B. Zielen, Standards, Intentionen) und aktuellem Verhalten, so versucht sie, diese zu reduzieren. Schwierigkeiten dabei können durch geringe Fähigkeiten, niedrige Kompetenzerwartung, situative Hindernisse oder die simultane Beachtung mehrerer Bezugswerte entstehen. Angst fungiert in diesem Prozess als Warnsignal, das, indem es die Handlung unterbricht, dazu führen soll, die Prioritäten des Verhaltens zu adjustieren. Schwierigkeiten in der Diskrepanzreduktion führen zu einer zweiten Art von Kontrollprozess, der nicht momentane, sondern zukünftige Handlungsabläufe mit Bezugswerten vergleicht, indem Ergebniserwartungen formuliert und bewertet werden. Begleiter dieses Prozesses sind Emotionen wie Hoffnung, wenn der Vergleich positiv ausgefallen ist, bzw. Besorgnis und Zweifel bei negativem Ausgang. Hoffnung führt zu erneuter Anstrengung (mit dem Ziel der Diskrepanzreduktion), während Besorgnis zu mentalem oder verhaltensmäßigem Rückzug aus der Situation führt.

2

Die Messung von Ängstlichkeit

Der bekannteste Test zur Messung allgemeiner Ängstlichkeit ist die Trait-Skala des State-Trait-Angstinventars (STAI; Laux, Glanzmann, Schaffner & Spielberger, 1981). In insgesamt 20 Items geben die Probanden an, „wie Sie sich im allgemeinen fühlen“. Bereits aus der Itemauswahl (z. B. „ich bin vergnügt“, „ich werde schnell müde“, „mir ist zum Weinen zumute“) wird jedoch ersichtlich, dass der STAI-Trait kein reines Ängstlichkeitsmaß ist, sondern ein Amalgam aus Angst, negativer Affektivität und Depression erfasst. In der Trait-Form der Endler Multidimensional Anxiety Scales (EMAS; Endler, Edwards & Vitelli, 1991) wird im Gegensatz zum STAI keine Messung der allgemeinen Ängstlichkeit angestrebt; vielmehr werden vier verschiedene Ängstlichkeitsmaße für unterschiedliche Situationstypen erfasst („selbstwertbedrohliche Situationen“, „Situationen mit physischer Gefahr“, „neue oder fremdartige Situationen“, „tägliche Routinetätigkeiten“). Die der Konstruktion zu Grunde liegende Annahme, dass die spezifischen Ängstlichkeitsskalen besonders gut Angstreaktionen gegenüber Stressoren des entsprechenden Situationstyps vorhersagen können, ließ sich jedoch nur für den selbstwertbedrohlichen Situationstypus bestätigen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Neben Verfahren, die den Gesamtbereich der Ängstlichkeit erfassen, gibt es eine Reihe von Tests, in denen ausschließlich spezifische Ängste gemessen werden. Das Prüfungsängstlichkeitsinventar (Hodapp, 1991) – ein Beispiel aus dem Bereich der Bewertungsängstlichkeit – erfasst die vier bereichsspezifischen Ängstlichkeitskomponenten Mangel an Zuversicht, Aufgeregtheit, Besorgtheit und Interferenz. Die Trait-Skala des Inventars State-Trait-Operations-Angst (STOA; Krohne, Schmukle & de Bruin, 2005) misst Ängste und Befürchtungen im Hinblick auf die Narkose und auf ungünstige Folgen der Operation wie Schmerzen und schlechtes postoperatives Befinden. Sie ist ein Beispiel für die Erfassung von Angst vor physischer Verletzung.

Kategorien

Alle bisher vorgestellten Ängstlichkeitstests beruhen auf Selbstberichten. Der Implizite Assoziationstest zur Erfassung von Ängstlichkeit (IAT-Ängstlichkeit; Egloff & Schmukle, 2002) ermöglicht hingegen eine indirekte Messung, die in der Tradition der objektiven Testverfahren steht (➝ Objektive psychologisch-diagnostische Verfahren). Hierbei werden nacheinander in verschiedenen Blöcken Stimuli der Kategorien Angst, Gelassenheit, Ich und Andere am Computer dargeboten. In einem ersten kritischen Aufgabenblock muss mit der linken Reaktionstaste reagiert werden, wenn der dargebotene Stimulus zu den Kategorien Ich oder Angst gehört, und mit der rechten Taste, falls er zu den Kategorien Andere oder Gelassenheit gehört. In einem zweiten kritischen Block sind Ich und Gelassenheit der linken Taste, Andere und Ängstlichkeit der rechten Taste zugeordnet (vgl. Abb. 1).

Beispieltrials

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Erster kritischer Block

Zweiter kritischer Block

Ich

Andere

Ich

Angst

Gelassenheit

Andere

Gelassenheit

Angst

selbst

selbst

nervös

nervös

ihr

ihr

entspannt

entspannt

Abbildung 1: Darstellung der kritischen Blöcke im IAT-Ängstlichkeit. Die schwarzen

Kreise zeigen dabei die geforderte Reaktion an (linke Taste bzw. rechte Taste). Der IAT-Effekt berechnet sich aus der Differenz der durchschnittlichen Reaktionszeiten in den beiden kritischen Blöcken: IAT-Effekt = M (RT2) – M (RT1).

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Grundlegende Annahme des IAT ist, dass – falls zwei Konzepte stark assoziiert sind – die Kategorisierungsaufgabe dann schneller auszuführen ist, wenn die assoziierten Konzepte derselben Taste zugeordnet sind. Davon ausgehend, dass bei ängstlichen Personen die Konzepte Ich und Angst vergleichsweise stark assoziiert sind, wird die Stärke des impliziten Selbstkonzepts von Ängstlichkeit berechnet, indem die durchschnittliche Reaktionszeit im ersten kritischen Aufgabenblock von der im zweiten kritischen Block abgezogen wird. Mehrere Studien belegten die Validität des Verfahrens: So prädizierte der IAT-Ängstlichkeit – selbst nach Kontrolle von selbstberichteter Ängstlichkeit und sozialer Erwünschtheit – spontane angstbezogene Verhaltensindikatoren während einer freien Rede.

3

Empirische Befunde

Die Vielzahl empirischer Befunde zur Ängstlichkeit lassen sich u. a. danach klassifizieren, ob sie sich eher auf die Bedingungen oder die Konsequenzen dieses Merkmals beziehen (Übersicht bei Krohne, 1996). 3.1

Bedingungen

Die Bedingungen dafür, dass eine Person in bestimmten, potenziell bedrohlichen, Situationen vergleichsweise häufig mit Angst reagiert, können zum einen in der Lerngeschichte dieser Person, zum anderen in biologischen Faktoren liegen. Bei den biologischen Faktoren konnte u. a. Kagan (1994) in Längsschnittstudien, die sich von der Geburt bis zum 7. Lebensjahr erstreckten, nachweisen, dass Kinder, die eine verstärkte Aktivität des sympathischen Nervensystems bei kognitiven Anforderungen und neuartigen Situationen aufwiesen, durchgängig scheu, gehemmt und sozial ängstlich waren. Kagan bezieht diese Differenz in der emotionalen Erregung auf den unterschiedlichen Umgang mit neuartigen und mehrdeutigen Ereignissen und sieht hierin eine Bedingung späterer Ängstlichkeit. Weitere Arbeiten dokumentieren den Einfluss pränataler und geburtlicher Belastungen (z. B. ein erhöhtes Stressniveau der Mutter während der Schwangerschaft). Bei Angstbedingungen, die in der Lerngeschichte begründet sind, lassen sich noch einmal demografische Merkmale wie Geschlecht, Geschwisterkonstellation sowie sozioökonomischer und ethnischer Status von Sozialisationsfaktoren (Eltern-KindBeziehung, Erziehungsstil, Schulerfahrungen) unterscheiden. Hinsichtlich des Geschlechts zeigen Frauen durchgängig höhere Ängstlichkeitswerte in Selbstberichten als Männer. Dieser Unterschied kann zum einen durch geschlechtstypische Rollenerwartungen erklärt werden. So wird generell bei Männern das Zeigen von Angst und Besorgnis in problematischen Situationen weniger toleriert als bei Frauen. Daneben könnten Frauen aber auch häufiger mit schlecht kontrollierbaren Stressoren konfrontiert werden als Männer. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Für die Geschwisterkonstellation fand sich u. a, dass Erstgeborene verglichen mit Spätergeborenen bei der Bewertungsängstlichkeit niedrigere und bei der Angst vor physischer Verletzung höhere Werte zeigten. Für Personen, die einer Minderheit angehören oder einen niedrigen sozioökonomischen Status aufweisen, zeigten sich durchgängig höhere Angstwerte (besonders bei der Bewertungsängstlichkeit) als bei Mittelschichts- oder Majoritätsangehörigen. Diese höheren Werte können zum einen auf eine stärkere Stressorexponiertheit, zum anderen auf den Einsatz weniger effizienter Bewältigungsstrategien zurückgeführt werden (Krohne, 1996). Innerhalb der Eltern-Kind-Beziehungen hat sich das unsicher-ambivalente Muster der Mutter-Kind-Bindung als Bedingung der Ängstlichkeitsentwicklung erwiesen. Für die elterlichen Erziehungsstile zeigte sich, dass mit tadelnder, einschränkender und inkonsistenter Erziehung die Ängstlichkeit des Kindes zunimmt (Krohne & Hock, 1994). Bei den frühen Schulerfahrungen ist das gehäufte Erleben schulischen Misserfolgs, z. B. im Erstleseunterricht, mit erhöhter Bewertungsängstlichkeit in späteren Schuljahren verbunden. 3.2

Konsequenzen

Für die Konsequenzen konnten deutliche Effekte der Ängstlichkeit auf die Leistung registriert werden. Im Sinne der Theorie von Spence zeigten Ängstliche bessere Leistungen beim Erlernen einfacher Paar-Assoziationen (z. B. „Tisch – Stuhl“) und schlechtere Leistungen bei komplexen Paar-Assoziationen („Haus – Buch“; Spence, 1958). Neben dem Triebniveau spielen kognitive Faktoren wie Besorgnis bei der Beziehung zwischen Ängstlichkeit und Leistung eine zentrale Rolle. So führte in einem klassischen Experiment von Sarason (1961) erst die Erwartung einer Beurteilung zu einem leistungsmindernden Einfluss von Ängstlichkeit. Dabei wird angenommen, dass die Besorgniskognitionen deshalb zu einer Leistungssenkung führen, weil sie mit der eigentlichen Aufgabe interferieren und Aufmerksamkeit von dieser abziehen. Allerdings ließen sich Effekte der Ängstlichkeit auf die Leistung empirisch häufig trotz ausgelöster Besorgnis nicht nachweisen (Zeidner, 1998). Eine Erklärung hierfür bietet die Annahme, dass nicht primär die Leistung, sondern die Verarbeitungseffizienz bei Hochängstlichen infolge einer stärkeren Auslastung des Arbeitsgedächtnisses durch Besorgtheitsgedanken erniedrigt ist (Eysenck & Calvo, 1992). Da sich Hochängstliche aber auf der anderen Seite häufig für die zu erbringende Leistung mehr anstrengen, findet sich empirisch für die effektive Leistung, die als Produkt aus Verarbeitungseffizienz und Anstrengung angesehen werden kann, oftmals kein bedeutsamer Unterschied. Ferner unterscheiden sich Hoch- und Niedrigängstliche in ihrer Informationsverarbeitung. So konnte mittels verschiedener kognitionspsychologischer Paradigmen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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gezeigt werden, dass Hochängstliche verglichen mit Niedrigängstlichen dazu tendieren, ihre Aufmerksamkeit auf bedrohliche Reize zu lenken und mehrdeutige Situationen als bedrohlich zu interpretieren. Diese vermehrte Beachtung scheint aber nicht notwendigerweise mit einer besseren Erinnerung bedrohlicher verglichen mit neutraler Information bei Hochängstlichen einherzugehen (vgl. u. a. Eysenck, 1992; Williams, Watts, MacLeod & Mathews, 1997). Neben Effekten auf die Informationsverarbeitung und die kognitive Leistung konnten bedeutsame Zusammenhänge auch zu motorischen Leistungen (z. B. im Sport), zum Sozialverhalten, zu Bewältigungsmechanismen, zu verhaltensabhängigen Störungen (z. B. Alkoholprobleme und Essstörungen) und zum Gesundheits- und Anpassungsstatus (z. B. von chirurgischen Patienten) nachgewiesen werden (vgl. Krohne, 1996).

Weiterführende Literatur Eysenck, M. W. (1992). Anxiety: The cognitive perspective. Hove, UK: Erlbaum. Krohne, H. W. (1996). Angst und Angstbewältigung. Stuttgart: Kohlhammer. Zeidner, M. (1998). Test anxiety. The state of the art. New York: Plenum.

Literatur Carver, C. S. & Scheier, M. F. (1990). Origins and functions of positive and negative affect: A control process view. Psychological Review, 97, 19–35. Egloff, B. & Schmukle, S. C. (2002). Predictive validity of an Implicit Association Test for assessing anxiety. Journal of Personality and Social Psychology, 83, 1441–1455. Endler, N. S., Edwards, J. M. & Vitelli, R. (1991). Endler Multidimensional Anxiety Scales (EMAS): Manual. Los Angeles, CA: Western Psychological Services. Eysenck, M. W. (1992). Anxiety: The cognitive perspective. Hove, UK: Erlbaum. Eysenck, M. W. & Calvo, M. G. (1992). Anxiety and performance: The processing efficiency theory. Cognition and Emotion, 6, 409–434. Hodapp, V. (1991). Das Prüfungsängstlichkeitsinventar TAI-G: Eine erweiterte und modifizierte Version mit vier Komponenten. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 5, 121–130. Kagan, J. (1994). Galen’s prophecy. Temperament in human nature. New York: Basic Books. Krohne, H. W. (1996). Angst und Angstbewältigung. Stuttgart: Kohlhammer. Krohne, H. W. & Hock, M. (1994). Elterliche Erziehung und Angstentwicklung des Kindes. Bern: Huber. Krohne, H. W., Schmukle, S. C. & de Bruin, J. (2005). Das Inventar „State-Trait-Operations-Angst“ (STOA): Konstruktion und empirische Befunde. Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, 55, 209–220.

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Laux, L., Glanzmann, P., Schaffner, P. & Spielberger, C. D. (1981). Das State-Trait-Angstinventar (STAI). Weinheim: Beltz. Mischel, W. & Shoda, Y. (1995). A cognitive-affective system theory of personality: Reconceptualizing situations, dispositions, dynamics, and invariance in personality structure. Psychological Review, 102, 246–268. Mowrer, O. H. (1939). A stimulus-response analysis of anxiety and its role as a reinforcing agent. Psychological Review, 46, 553–565. Sarason, I. G. (1961). The effects of anxiety and threat on the solution of a difficult task. Journal of Abnormal and Social Psychology, 62, 165–168. Spence, K. W. (1958). A theory of emotionally based drive (D) and its relation to performance in simple learning situations. American Psychologist, 13, 131–141. Williams, J. M. G., Watts, N. F., MacLeod, C. & Mathews, A. (1997). Cognitive psychology and emotional disorders (2nd ed.). Chichester, England: Wiley. Zeidner, M. (1998). Test anxiety. The state of the art. New York: Plenum.

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Ärgerneigung Anger Disposition Volker Hodapp Ärger ist eine alltägliche Emotion, deren Bedeutung für uns alle offensichtlich ist: Ärger kann als potenzieller Auslösefaktor für Aggression und Gewalt dienen, Ärger kann aber auch, wie vielfach vermutet und untersucht wurde, an der Entstehung von Krankheiten, vor allem Herz-/Kreislauferkrankungen beteiligt sein. Wir erleben Ärger in unserem Alltag häufig als störend und destruktiv. Dennoch kann der Ärger über das Verhalten einer anderen Person auch in konstruktive Kritik münden oder zur Lösung eines Problems beitragen. Der folgende Überblick soll die wichtigsten Facetten und unterschiedlichen Bedeutungen von Ärger für das Verhalten und Erleben beleuchten.

1

Was ist Ärger?

Ärger ist zunächst eine grundlegende Emotion, die mehrere Reaktionskomponenten umfasst, welche die biologische und soziale Funktion dieser Emotion erkennen lassen (Hodapp & Schwenkmezger, 1993; Weber, 1994). Ärger ist mit starken physiologischen Veränderungen verknüpft, wobei Reaktionen des Herz-/Kreislaufsystems (systolischer und diastolischer Blutdruck, Pulsfrequenz) und eine erhöhte Ausschüttung von Hormonen wie Noradrenalin überwiegen. Es handelt sich dabei um eine „Notfallreaktion“ des sympathischen Nervensystems, um den Organismus auf eine Gegenmaßnahme wie Angriff oder Kampf vorzubereiten. Erkennbar wird Ärger an der Mimik und weiteren expressiven Merkmalen. Typisch für die Ärgermimik ist beispielsweise die „Zornesfalte“, eine vertikale Linie zwischen den Brauen (s. Abb. 1). Der Ausdrucksforscher Ekman (1988) hat versucht, den Nachweis zu erbringen, dass der Gesichtsausdruck für grundlegende Emotionen wie Ärger über Kulturen hinweg invariant ist und auf angeborenen Mustern beruht. Zu einer Emotion gehört nach der Überzeugung vieler Emotionstheorien eine spezifische Einschätzung oder Bewertung einer Situation. Auslösende Situationen für Ärger sind Frustrationen im Sinne einer Handlungs- bzw. Zielblockade, physische oder verbale Angriffe, Provokationen, Kritik, Beleidigungen oder Herabwürdigungen. Allerdings genügt ein solches schädigendes Ereignis allein nicht, um Ärger auszulösen. Kognitiven Emotionstheorien zufolge müssen solche Ereignisse vom Betroffenen auch als willkürlich und absichtlich herbeigeführt, inakzeptabel oder unvermeidbar erlebt werden, um tatsächlich zu Ärger zu führen.

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Abbildung 1: Ärgermimik (aus Ekman, Friesen & Hager, 2002. Der Abdruck erfolgt mit

freundlicher Genehmigung der Autoren)

Empirische Studien, in denen ärgerauslösende Situationen erfragt wurden, zeigten, dass auch Verletzungen des Selbst oder der Persönlichkeitssphäre, Regelverletzungen und sogar Objekte Ärger auslösen können (Weber, 1994). Während die physiologischen Reaktionen unwillkürlich erfolgen und auf die biologische Herkunft des Ärgers verweisen, zeigen Ausdrucks- und Gefühlsregeln sowie die Modifikation des Ärgers durch Bewertungsprozesse, dass Ärger vor allem auch eine soziale Emotion ist. Averill (1982) begreift Emotionen als sozial konstruierte Syndrome, d. h. als Verhaltensmuster, die durch soziale Rollen geprägt sind und deren Funktion darin besteht, interpersonale Beziehungen zu regulieren. Ausdrucks- und Gefühlsregeln Ausdrucksregeln sind soziale, kulturspezifische Regeln, die festlegen, welches Gefühl in einer bestimmten Situation gezeigt werden darf. Solche Ausdrucksregeln („display rules“, s. Ekman, 1988) sollen die kulturell geprägten Besonderheiten im Emotionsausdruck erklären. Ausdrucksregeln entspringen allgemein verbindlichen Regeln und persönlichen Normen und modifizieren die mimische Darstellung einer Emotion.

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Eine weitere, von Hochschild (1979) eingeführte Regel (sog. „feeling rules“) besagt, dass es auch festgeschrieben ist, welche Emotion überhaupt in einer bestimmten Situation zu empfinden ist. Werden wir durch eine erwachsene Person beleidigt, „sollen“ wir uns ärgern. Bei einem kleinen Kind mag dies anders aussehen. Insbesondere Gefühlsregeln stellen die Annahme angeborener emotionaler Reaktionen in Frage.

2

Ärgerneigung als Disposition

Es ist bisher außer Acht gelassen worden, dass Ärger neben den beschriebenen Komponenten auch einen Gefühlszustand darstellt. Wir verwenden häufig Bilder wie z. B. „vor Wut kochen“ oder „vor Zorn platzen“, um die Anspannung, innere Erregtheit und das Gefühl von Kontrollverlust, das mit Ärger einhergeht, zu veranschaulichen. Im Rahmen der Trait-State-Theorie des Ärgers wird zwischen Ärger als Zustand (State) und Ärger als Disposition (Trait) unterschieden. Die Ärgerdisposition bezieht sich auf die Extensität und Intensität von Ärgerreaktionen. Personen mit ausgeprägter Ärgerneigung werden im Vergleich mit Personen mit niedriger Ärgerneigung ein breiteres Spektrum von Situationen als störend oder provozierend einschätzen und darauf mit höherer Ärgerintensität reagieren.

Das State-Trait-Ärgerausdrucks-Inventar (STAXI) Das State-Trait-Ärgerausdrucks-Inventar von Schwenkmezger, Hodapp und Spielberger (1992) ist ein Fragebogenverfahren, das Ärger und Ärgerausdruck mit Hilfe von fünf Skalen erfassen soll. Die Ärger-Zustandsskala (State-Anger) erfasst die Intensität des subjektiven Ärgerzustands zu einem Zeitpunkt bzw. in einer definierten Situation. Bei den Zustandsitems sollen die Personen auf einer Vier-Punkte-Skala mit den Kategorien „überhaupt nicht“, „ein wenig“, „ziemlich“, „sehr“ die Intensität ihrer ärgerlichen Gefühle einschätzen. Sie werden darum gebeten, ihren augenblicklichen Gefühlszustand zu beschreiben. Die Ärger-Dispositionsskala (Trait-Anger) erfasst interindividuelle Unterschiede in der Bereitschaft, in einer ärgerprovozierenden Situation mit einer Erhöhung des Zustandsärgers zu reagieren. Die Dispositionsitems werden anhand der Kategorien „fast nie“, „manchmal“, „oft“, „fast immer“ beurteilt, wobei in der Instruktion dazu aufgefordert wird, den allgemeinen Gefühlszustand zu beschreiben.

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Die Skala zur Erfassung von nach innen gerichtetem Ärger (Anger-in) misst die Häufigkeit, mit der ärgerliche Gefühle unterdrückt bzw. nicht nach außen abreagiert werden. Die Skala zur Erfassung von nach außen gerichtetem Ärger (Anger-out) erfasst die Häufigkeit, mit der ein Individuum Ärger gegen andere Personen oder Objekte in der Umgebung richtet. Schließlich bildet die ÄrgerKontroll-Skala (Anger Control) einen Indikator für die Häufigkeit von Versuchen, Ärger zu kontrollieren bzw. nicht aufkommen zu lassen. Experimentelle Studien konnten zeigen, dass Zustandsärger als Funktion von Situation und Disposition variiert. So ließen z. B. Bodenmann, Bodenmann und Perrez (1993) Paare in einer Untersuchung zur „Paarintelligenz“ Aufgaben bearbeiten. Durch absichtliche Störungen während der Aufgabenbearbeitung und einen künstlich herbeigeführten Abbruch wurde ein Scheitern im Test simuliert, was Ärger induzieren sollte. Wie erwartet berichteten hoch ärgerdisponierte Personen die stärksten Ärgerreaktionen während der Ärgerinduktion und „konservierten“ ihren Ärger auch in der postexperimentellen Phase.

3

Ausdruck und Bewältigung von Ärger

Eine wichtige Unterscheidung betrifft die Differenzierung zwischen dem Ausdruck von Ärger, der Ärgerreaktion und der Bewältigung von Ärger. In Forschungsansätzen zum Ärgerausdruck wird üblicherweise zwischen nach innen und nach außen gerichtetem Ärger unterschieden. Die Richtung des Ärgerausdrucks ist jedoch unabhängig von dem Bemühen um Kontrolle der Emotion zu sehen. Die mit der ärgerauslösenden Situation verbundenen Gedanken und Gefühle können im weiteren Verlauf des emotionalen Geschehens bestehen bleiben, abgeschwächt oder sogar intensiviert werden. Ärgerunterdrückung würde beispielsweise bedeuten, dass eine Person versucht, ihren intensiv empfundenen Ärger abzuschwächen, indem sie vermeidet, über das ärgerauslösende Ereignis weiter nachzudenken. Die physiologische Erregung kann aber durchaus bestehen bleiben. Weber (1994) beschreibt unterschiedliche Formen von Ärgerreaktionen, indem sie nach Antagonismus und Formen des Engagements differenziert. Antagonismus bedeutet, dass die Reaktion gegen etwas gerichtet ist, wobei der Gegenpol durch friedfertige Verhaltensweisen gebildet wird. Formen des Engagements sind offene und direkte Auseinandersetzung, indirekte oder verschobene Auseinandersetzung, internalisierte Auseinandersetzung und Vermeidung von Auseinandersetzung. In einer neueren Arbeit unterscheiden Weber und Titzmann (2003) effektive und ineffektive Ärgerreaktionen. Effektive Reaktionen sind Feedback, Distanzierung und Humor, während ineffektive Ärgerreaktionen Formen des Ausbruchs, Brüten und Unterwerfung darstellen. Die ärgerbezogenen Reaktionen können zur ErreiDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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chung unterschiedlicher Ziele eingesetzt werden, wobei zwischen assertiven, defensiven und selbstbezogenen Zielen unterschieden wird. Assertive Ziele beziehen sich auf die Beseitigung ärgerauslösender Umstände, defensive Ziele wirken einem aktiven Eingreifen entgegen. Die Vermeidung eines Konflikts wäre beispielsweise eine defensive Zielvorstellung. Schließlich beziehen sich selbstbezogene Ziele auf Aspekte des subjektiven Erlebens einer Person. Wenn durch die Ärgerreaktion das Befinden verbessert werden soll, entspricht dies einem Aspekt der Affektregulation. Sowohl die ärgerbezogenen Reaktionen als auch die Zielsetzungen scheinen konsistente Merkmale von Personen darzustellen, wobei die Reaktionen mit spezifischen Zielmustern assoziiert sind.

4

Forschungsschwerpunkte

4.1

Destruktiver und konstruktiver Ärger

In der Forschung überwog die Beschäftigung mit der dunklen Seite des Ärgers – mit Aggression (➝ Aggressivität). So werden die Begriffe Ärger, Aggression und Feindseligkeit sehr lose gebraucht, bisweilen sogar austauschbar. Aggressives Verhalten ist jedoch bei weitem nicht die häufigste Reaktion auf Ärger. Außerdem ist Aggression oft ohne dazugehörigen Ärger zu beobachten. Es erscheint sinnvoll, die Emotion Ärger unabhängig von aggressivem Verhalten zu konzipieren. Dass Ärger in sozialen Beziehungen sowohl positive als auch negative Auswirkungen aufweisen kann, zeigte Averill (1982). In mehreren Studien ließ er Alltagsepisoden, in denen Ärger vorkam, berichten. Direkte physische Aggression kam selten vor. Stattdessen waren nicht aggressive „konstruktive“ Reaktionen wie z. B. rationale Diskussion des Problems mit der Person, die den Ärger verursachte, genauso häufig wie verbale oder indirekte Aggressionen. Als vielleicht noch bedeutsamer stellte sich heraus, dass der Ärger, obwohl er als unangenehm erlebt wurde, dazu verhalf, Beziehungen zu stärken und eigene Fehler besser zu erkennen. In einer weiteren Studie von Tafrate, Kassinove und Dundin (2002) wurden Ärgerepisoden von hoch und niedrig ärgerdisponierten Personen analysiert. Die Befragten sollten eine kürzlich erlebte Ärgerepisode beschreiben und auslösende Faktoren sowie die mit der Situation verknüpften Gedanken und Gefühle nennen. Ferner sollten sie berichten, wie die Gefühle ausgedrückt wurden und welche kurz- und langfristigen Konsequenzen sich aus diesen Episoden ergaben. Hoch ärgerdisponierte Personen wiesen im Gegensatz zu niedrig ärgerdisponierten Personen zahlreichere, intensivere und länger andauernde Ärgerreaktionen auf. Erstaunlich war, dass 40 % der befragten Personen die langfristigen Konsequenzen der Ärgerepisoden als positiv beurteilten. Neben der Tatsache, dass bei den langfristigen Konsequenzen positive Ergebnisse insgesamt überwogen, ist bemerkensDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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wert, dass die Ärgerdisposition einen Einfluss auf den Verlauf einer Ärgerepisode ausübte. Während bei den hoch ärgerdisponierten Personen langfristige positive Konsequenzen nur von etwa der Hälfte der Stichprobe berichtet wurden, überwogen bei dieser Personengruppe negative Ergebnisse deutlich. Die niedrig ärgerdisponierten Personen zeigten dagegen das entgegengesetzte Muster. Hoch ärgerdisponierte Personen scheinen gehäuft dysfunktionale Ärgerreaktionen aufzuweisen, die sich negativ auf soziale Beziehungen auswirken. 4.2

Ärger und kardiovaskuläre Krankheiten

Ärger, Ärgerausdruck und Feindseligkeit sind häufig in Verbindung mit der Entstehung bzw. dem Verlauf von Krankheiten diskutiert worden. Hierbei standen besonders kardiovaskuläre Krankheiten im Mittelpunkt des Interesses, da Ärger eine Emotion ist, die besonders eng mit Reaktionen des Herz-/Kreislaufsystems assoziiert ist. Während bei Hypertonie Ärgerunterdrückung eine besondere Rolle spielen soll, sind bei koronarer Herzkrankheit der offene Ausdruck von Ärger und Feindseligkeit als wesentliche Faktoren betrachtet worden. Damit scheint nicht so sehr das Ausmaß, in dem eine Person zu Ärger neigt, im Hinblick auf die Gesundheit eine wichtige Rolle zu spielen, sondern die Art der Reaktion. Sowohl nach innen gerichteter, unterdrückter Ärger als auch der offene, nach außen gerichtete Ärger bergen Gesundheitsrisiken (Müller, Bongard, Heiligtag & Hodapp, 2001). Obwohl Ärger und Feindseligkeit nach den Ergebnissen vieler Studien mit höheren Risiken für Herz-/Kreislaufkrankheiten verbunden sind, werden mehr Informationen über die Mechanismen, die diese Merkmale so schädlich machen, benötigt. Hier scheint die soziale Situation ein wesentlicher Faktor zu sein. Feindselige und ärgerliche Personen sind stärker isoliert, erhalten geringere Unterstützung und sind heftigeren sozialen Konflikten ausgesetzt. Dies kann die kardiovaskuläre Gesundheit beeinträchtigen, besonders wenn weitere Risikofaktoren wie familiäre Vorgeschichte, Hypertonie, hohe Cholesterinwerte, Diabetes und problematisches Gesundheitsverhalten wie Rauchen, ungünstige Ernährung und Mangel an körperlicher Aktivität hinzukommen. Darüber hinaus tragen unzureichende Bewältigungsmöglichkeiten von Ärger zu Gesundheitsrisiken bei. Das Problem ist nicht so sehr, ärgerlich zu werden, sondern ärgerlich zu bleiben. Günstig ist hingegen der situationsangepasste, flexible Ausdruck von Ärger, da der soziale Kontext bestimmt, ob und wie Ärger ausgedrückt werden soll. 4.3

Ärger und Geschlecht

Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Erleben und im Äußern von Ärger? Folgt man gängigen Rollenstereotypen, erscheint Ärger, vor allem der offen zum Ausdruck gebrachte Ärger, als eine „männliche“ Emotion, während Frauen dazu neigen sollen, Ärger weniger zu empfinden und ihn zu unterdrücken. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Die Existenz dieses Stereotyps kann mit Hilfe biologischer und rollentheoretischer Ansätze erklärt werden. Die empirischen Ergebnisse können das in den Geschlechtsstereotypen gezeichnete Bild der harmonieorientierten, ärgerkontrollierten Frau nicht stützen. Weder in den auslösenden Faktoren noch in den Ärgerreaktionen und den Motiven bzw. Zielen des Ärgers konnten systematische, über verschiedene Situationen konstant auftretende Unterschiede nachgewiesen werden. Averill (1982) fand keine Geschlechtsdifferenzen in den ärgerauslösenden situativen Konstellationen. Wenn überhaupt Unterschiede auftraten, zeigten sie sich im Kontext enger sozialer Beziehungen (Kring, 2000). Die Skalen des State-Trait-Ärgerausdrucks-Inventars STAXI zeigen weder in der Ärgerdisposition noch in den Ärgerausdrucksskalen und der Kontrollskala konsistente Unterschiede. Wird das Repertoire des Umgangs mit Ärger erweitert, äußern Frauen lediglich ein stärkeres Bedürfnis mit anderen reden zu wollen und Unterstützung zu suchen. Einen interessanten Befund liefern Weber und Piontek (1995). Sie induzierten Ärger über Provokationen mit Hilfe von Videofilmen. Wie in anderen Studien auch traten keine Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Probanden im ausgelösten Ärger, in den selbstberichteten Reaktionen und im offenen Verhalten auf. Es zeigten sich jedoch Unterschiede in der Selbstwahrnehmung des Verhaltens. Männer schätzten im Vergleich mit Frauen ihr Verhalten als nachdrücklicher und mit größerer Durchschlagskraft versehen ein. Ärgerliches Verhalten von Männern und Frauen scheint sich mehr in den Folgen als im Verhalten selbst zu unterscheiden. Wenngleich Stereotype im Verhalten nicht ihren Ausdruck finden, können sie sich dennoch auf die Wahrnehmung des Ärgers bei Männern und Frauen auswirken.

Weiterführende Literatur Hochschild, A. R. (1990). Das gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung der Gefühle. Frankfurt/M.: Campus (Original: The managed heart. Commercialization of human feeling. Berkeley: University of California Press, 1983). Schwenkmezger, P., Steffgen, G. & Dusi, D. (1999). Umgang mit Ärger. Ärger- und Konfliktbewältigungstraining auf kognitiv-verhaltenstherapeutischer Grundlage. Göttingen: Hogrefe. Tavris, C. (1992). Wut. Das missverstandene Gefühl. Hamburg: Hoffmann & Campe (Original: Anger: the misunderstood emotion. New York: Simon & Schuster, 1982).

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tionen nach einem Ärgerexperiment. Zeitschrift für experimentelle und angewandte Psychologie, 40, 349–367. Ekman, P. (1988). Gesichtsausdruck und Gefühl. 20 Jahre Forschung von Paul Ekman. Paderborn: Jungfermann. Ekman, P., Friesen, W. V. & Hager, J. C. (2002). Facial Action Coding Systems (FACS) [CD-ROM]. Research by Nexus, Div., Network Information Research Corp.; Lic.-No.: 01–009. Hochschild, A. R. (1979). Emotion, work, feeling rules, and social structure. American Journal of Sociology, 85, 551–575. Hodapp, V. & Schwenkmezger, P. (Hrsg.). (1993). Ärger und Ärgerausdruck. Bern: Huber. Kring, A. M. (2000). Gender and anger. In A. H. Fischer (Ed.), Gender and emotion. Social psychological perspectives (pp. 211–231). Cambridge: Cambridge University Press. Müller, C., Bongard, S., Heiligtag, U. & Hodapp, V. (2001). Das State-Trait-Ärgerausdrucks-Inventar (STAXI) in der klinischen Anwendung: Reliabilität und faktorielle Validität. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 30, 172–181. Schwenkmezger, P., Hodapp, V. & Spielberger, C. D. (1992). Das State-Trait-Ärgerausdrucks-Inventar (STAXI). Bern: Huber. Tafrate, R. C., Kassinove, H. & Dundin, L. (2002). Anger episodes in high- and low traitanger community adults. Journal of Clinical Psychology, 58, 1573–1590. Weber, H. (1994). Ärger. Psychologie einer alltäglichen Emotion. Weinheim: Juventa. Weber, H. & Piontek, R. (1995). Geschlechtsunterschiede in der Bewältigung von Ärger – ein Mythos? Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 3, 59–83. Weber, H. & Titzmann, P. (2003). Ärgerbezogene Reaktionen und Ziele: Entwicklung eines neuen Fragebogens. Diagnostica, 49, 97–109.

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Stress Stress Christel Salewski Persönlichkeit und Stress sind in mindestens zweierlei Weise miteinander verknüpft: Zum einen wirken Personenmerkmale (wie Geschlecht oder auch sozioökonomischer Status) und Persönlichkeitseigenschaften im engeren Sinne (wie Neurotizismus) auf die Wahrnehmung und Bewertung von Stress. Zum Zweiten unterscheiden sich Menschen in ihrer Art, wie sie mit Stress umgehen, d. h. in ihren Stressbewältigungsstrategien. In diesem Kapitel soll nach einer Darstellung des transaktionalen Stressverständnisses vor allem die Beziehung von Persönlichkeit und Stress untersucht werden, indem zentrale Merkmale und Eigenschaften von Personen dargestellt werden, die sich auf den Stressprozess auswirken können (zu Persönlichkeitsunterschieden bei der Stressbewältigung vgl. ➝ Stressbewältigung).

1

Stress als transaktionales Geschehen

Stress ist in der Alltagssprache ein unscharfer Begriff, mit dem fast beliebig umgegangen wird. Auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Phänomen gibt es sehr unterschiedliche Zugänge: 1. Stress ist ein schädigender Umweltreiz, 2. Stress ist eine Belastungsreaktion des Organismus und 3. Stress ist ein transaktionales Geschehen. 1) Ein schädigender Umweltreiz kann ein tätlicher Angriff, eine Infektion, eine Hitzewelle, ein Verkehrsstau, eine Ehescheidung oder das Versagen in einer Prüfung sein. Mehr oder weniger komplexe Ereignisse oder Situationen werden somit als Stressereignisse oder Stressoren aufgefasst. Grundgedanke bei dieser Auffassung von Stress ist, dass es äußere Anforderungen und Situationsmerkmale sind, die belastend, einschränkend oder schädigend wirken: Stress wird hierbei als Input verstanden. 2) Ein entgegengesetztes Verständnis findet sich in den Reaktionsansätzen, in denen Stress als Output verstanden wird. Stress ist in diesem Fall eine physiologische Reaktion des Organismus auf eine belastende Umweltanforderung. 3) Die Stressforschung ist über die isolierte Betrachtung von Stress entweder als Input oder als Output hinausgegangen. In den aktuellen Stresstheorien wird Stress fast ausschließlich als Wechselwirkung zwischen einer Person und

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ihrer Umwelt verstanden. Diese transaktionale Position wird seit mehreren Jahrzehnten insbesondere von Lazarus und seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen vertreten (z. B. Lazarus & Folkman, 1984; Folkman, Lazarus, Dunkel-Schetter, DeLongis & Gruen, 2000). Stress spiegelt in der transaktionalen Sichtweise die Verbindung zwischen einer sich verändernden Umwelt oder Situation und einer Person wider: „Psychological stress is a particular relationship between the person and the environment that is appraised by the person as taxing or exceeding his or her resources and endangering his or her well-being“ (Lazarus & Folkman, 1984, S. 19). Psychologischer Stress beruht nach dieser Theorie vor allem auf der Einschätzung der betroffenen Person, dass die jeweilige Person-Umwelt-Beziehung entweder herausfordernd, bedrohlich oder schädigend ist. Die kognitive Einschätzung wird somit zum zentralen Bestimmungsstück von Stress – erst von diesem Moment an, von dem eine bestimmte Umweltkonstellation von einer Person als eine potenzielle Bedrohung für ihr eigenes Wohlbefinden oder das wichtiger Anderer eingeschätzt wird, ist ein Stresszustand beziehungsweise eine Einschätzung der Situation als stressrelevant gegeben. In dem transaktionalen Modell werden mehrere Einschätzungs- und Bewertungsprozesse unterschieden. Das Ergebnis der primären Einschätzung ist eine Klassifizierung der Situation als irrelevant, positiv oder stressrelevant. Irrelevant eingeschätzte Situationen erfordern keine weitere Auseinandersetzung, positive Situationen beinhalten kein unmittelbares Belastungspotenzial, wohingegen stressrelevante Situationen zu weiteren kognitiven Einschätzungsprozessen führen. Die sekundäre Einschätzung bezieht sich auf die Kompetenzen, Wertvorstellungen, Ziele, Überzeugungen der eigenen Person, aber auch auf Umweltmerkmale wie etwa die Verfügbarkeit eines hilfreichen sozialen Netzes oder anderer Ressourcen wie Geld, die im Umgang mit der Stresssituation eingesetzt werden können. Die sekundäre Einschätzung kann entweder mit dem Ergebnis enden, dass die Bewältigungsmöglichkeiten ausreichen, dass sie – als negatives Resultat – nicht ausreichen, oder dass es unsicher ist, ob sie ausreichen werden oder nicht. Aus der primären und sekundären Einschätzung resultiert eine Neueinschätzung der gegebenen Situation und ihre Einschätzung entweder als Herausforderung, Schaden/Verlust oder Bedrohung (bei der ein möglicher Schaden oder Verlust noch nicht eingetreten ist, aber antizipiert wird).

2

Persönlichkeit im Stressprozess

Im transaktionalen Stressverständnis ist Stress das Resultat von Bewertungsprozessen. Dass diese Bewertungen in Abhängigkeit von Merkmalen und Eigenschaften der Person geschehen, wurde bereits früh diskutiert (Folkman, Lazarus, Gruen & Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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DeLongis, 1986). Kognitive Persönlichkeitseigenschaften, wie etwa ➝ Kontrollüberzeugungen oder interpersonales Vertrauen, wurden als vermittelnde, differentiell wirkende Faktoren beschrieben, die sowohl auf die primären als auch die sekundären Bewertungen einwirken können und durch erklären helfen, warum verschiedene Menschen in ähnlichen Situationen ein unterschiedliches Stresserleben haben. Personenmerkmale und Persönlichkeitseigenschaften wirken im Stressprozess aber nicht nur reaktiv, d. h. auf die Einschätzung einer bereits gegebenen Situation. Sie können bereits einen entscheidenden Anteil daran haben, wie viele belastende Situationen eine Person erlebt. Bolger und Zuckerman (1995) erweiterten die Annahmen des transaktionalen Stressmodells dahingehend, dass sie den Stressprozess in zwei Bereiche untergliederten. In beiden Bereichen haben die Persönlichkeitseigenschaften eines Menschen einen je eigenen Anteil am Stressgeschehen. Der erste Bereich beschreibt das Ausmaß, in dem eine Person überhaupt stressrelevante Ereignisse erlebt („stressor exposure“) und der zweite Bereich bezieht sich auf das Ausmaß, in dem eine Person in einer stressrelevanten Situation emotionale oder physische Reaktionen zeigt („stressor reactivity“). Im Rahmen von Untersuchungen zur Wirkung von Persönlichkeitseigenschaften auf die körperliche Gesundheit und psychologische Anpassung erwies sich dieses „Exposure-reactivity“-Modell als sehr erklärungsstark. Höhere Werte in ➝ Neurotizismus beispielsweise führten sowohl zum Erleben von mehr stressrelevanten Alltagsereignissen als auch zu einer höheren negativen Reaktivität im Verlauf dieser Ereignisse, und beide Prozesse zusammen konnten sehr umfassend den Zusammenhang zwischen Neurotizimus und erhöhtem Stress im Alltag erklären (Bolger & Schilling, 1991; Smith & Zautra, 2002).

3

Stressrelevante Persönlichkeitsmerkmale und -eigenschaften

Versucht man die stressrelevanten Persönlichkeitsmerkmale zu klassifizieren, dann lassen sich zum einen soziodemografische Personenmerkmale wie Geschlecht und sozioökonomischer Status in ihrer Wirkung auf das Stressgeschehen analysieren und zum anderen Persönlichkeitsdispositionen im engeren Sinne davon unterscheiden, die entweder stressverstärkend wirken oder negative Auswirkungen von Stress „abpuffern“ (➝ Gesundheitspsychologie). 3.1

Stress und soziodemografische Personenmerkmale

In verschiedenen Alltagskontexten wie etwa bei Gesundheit und Krankheit oder im Arbeitsleben konnten enge Bezüge zwischen Stress und soziodemografischen Merkmalen gefunden werden. So berichten Frauen im Vergleich zu Männern bei Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Fragebogenuntersuchungen fast durchgängig über höhere Belastungen im Arbeitsleben und mehr Krankheiten und körperliche Symptome, entweder als Folge oder als Teil einer insgesamt erhöht erlebten Alltagsbelastung. Sie geben auch stärkere negative Emotionen wie etwa Ängstlichkeit oder Depressivität als Männer an. Es werden verschiedene Erklärungsansätze für die differentielle Wirkung des Geschlechts im Stressprozess vorgeschlagen. Unter einer eher soziologischen Perspektive wird nicht das biologische Geschlecht, sondern die Geschlechtsrolle als Wirkfaktor betrachtet (➝ Geschlechterunterschiede): Mädchen werden weniger als Jungen negativ sanktioniert oder erhalten eventuell sogar verstärkt Zuwendung, wenn sie über Probleme und körperliche Beschwerden berichten. Diese Reaktionen der sozialen Umwelt führen dazu, dass sie auch im Erwachsenenalter verstärkt dazu neigen, Alltagswidrigkeiten und -probleme sowie körperliches Unwohlsein zum einen als solche wahrzunehmen und zum Zweiten sie zu berichten. Es werden aber auch biologische und evolutionspsychologische Erklärungen für einen Geschlechtsunterschied im Stressprozess vorgeschlagen. Taylor et al. (2000) weisen darauf hin, dass in den bisherigen Studien zu Stressreaktionen höchstens ein Drittel der Versuchspersonen weiblich war, dass sich also die Stressforschung bisher überwiegend auf Daten männlicher Versuchspersonen gestützt hat und dies zu einem einseitigen Verständnis des Stressprozesses geführt hat. Ein umfassendes Verständnis von Stress sollte aber nach Auffassung dieser Autoren die möglicherweise unterschiedliche motivationale Bedeutung von physiologischen Stressreaktionen bei beiden Geschlechtern berücksichtigen: Während die Stressreaktionen bei Männern Flucht oder Angriff erleichtern sollten („Fight-or-flight“), hätten Stressreaktionen von Frauen das Ziel, in Stresssituationen ihren Nachwuchs möglichst erfolgreich zu beruhigen und sozialen Anschluss zu erleichtern („Tend-and-befriend“). Entsprechend dieser These müssten Frauen und Männer in Stresssituationen unterschiedliche neuroendokrine Reaktionsmuster zeigen. Die Stichhaltigkeit dieses Ansatzes, der in der Tat ein tiefgreifenderes Verständnis der Geschlechtsunterschiede bei Stress ermöglichen könnte, wurde bislang überwiegend mit Analogien aus dem Tiermodell belegt; umfassende empirische Studien an Frauen und Männern in Stresssituationen stehen bislang noch aus. Ein weiteres wichtiges Personenmerkmal, das mit belastenden Lebensumständen in Verbindung gebracht wird, ist der sozioökonomische Status (Dohrenwend, 1973). So fanden sich substanzielle Bezüge zwischen einem niedrigen sozioökonomischen Status, vielfältigen Belastungen und dem vermehrten Auftreten von Krankheit und gesundheitlicher Gefährdung. Die Beziehung zwischen dem sozioökonomischen Status und der Gesundheit wird vermittelt über die Einschätzung von Situationen und der eigenen Handlungsmöglichkeiten sowie den daraus resultierenden emotionalen, verhaltensbezogenen und physiologischen Reaktionen. In den Begriffen der transaktionalen Stresstheorie erhöht ein niedriger sozioökonomischer Status die Wahrscheinlichkeit, Situationen als schädigend oder bedrohlich einzuDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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schätzen, und er wirkt sich gleichzeitig negativ auf die wahrgenommene und tatsächliche Existenz von Ressourcen aus. Ein vereinfachtes Modell dieser Zusammenhänge (nach Gallo & Matthews, 2003) zeigt Abbildung 1.

Niedriger sozioökonomischer Status ↓ Zugang zu Ressourcen ↓ Position in sozialer Hierarchie

↑ tatsächlicher oder drohender Schaden/ Verlust ↓ tatsächlicher oder möglicher Gewinn

↑ negative Emotionen und Kognitionen Ressourcen materiell interpersonal intrapersonal

↓ positive Emotionen und Kognitionen

Gesundheitsverhalten

Gesundheitszustand

physiologische Funktionen

bzw. manifeste Krankheit

Zeitachse

Abbildung 1: Zusammenhänge zwischen sozioökonomischem Status, Bewertungsprozes-

sen, Anpassung, Verhalten und Gesundheit (nach Gallo & Matthews, 2003)

Geschlecht und sozioökonomischer Status beeinflussen ihrerseits weitere stressrelevante Personen- und Umgebungsfaktoren wie etwa die Merkmale der Arbeitstätigkeit. So haben beispielsweise Frauen (die sehr viel häufiger als Männer einen niedrigen sozioökonomischen Status aufweisen) eher Berufe, in denen das Stresserleben durch physikalische Merkmale der Tätigkeit wie Lärm oder Schmutz einerseits und durch geringe Kontroll- und Einflussmöglichkeiten auf die Arbeitsabläufe andererseits verstärkt wird. 3.2

Stressverstärkende Persönlichkeitseigenschaften

Negative emotionale Zustände wie Ängstlichkeit oder Depressivität führen dazu, dass Menschen Ereignisse und ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten ungünstiger einschätzen, als sie das in gehobener Stimmung tun würden. Das häufige Erleben von negativen emotionalen Zuständen ist Bestandteil der Negativen Affektivität im Sinne eines habituellen Persönlichkeitsmerkmals. In verschiedenen Lebenskontexten hat sich Negative Affektivität als bedeutsame Disposition zur Erklärung von verschiedensten Belastungen, Symptomberichten, Gesundheitsverhalten und krankheitsbegünstigenden physiologischen Erregungszuständen erwiesen. So ist zum Beispiel die Anzahl von belastenden Situationen, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Negative Affektivität McCrae und John (1992) beschreiben Negative Affektivität als die überdauernde nicht pathologische Disposition, unangenehme und belastende emotionale Zustände wie Ängstlichkeit, Ärgerneigung oder Depressivität zu erleben und darüber zu berichten. Sie sehen in dieser Tendenz die Ursache für negativ getönte kognitive Gewohnheiten (z. B. „Schwarzseherei“) und damit zusammenhängende Verhaltensweisen (z. B. Klagen). Watson und Clark (1997) beschreiben, welche unangenehmen Zustände mit hoher Negativer Affektivität einhergehen können: etwa Nervosität, Anspannung oder Besorgnis. Personen mit hoher negativer Affektivität haben weiterhin als Folge dieser häufigen aversiven Stimmungen ein negatives Selbstbild. Negative Affektivität hat eine große inhaltliche Ähnlichkeit mit dem Konstrukt Neurotizismus. Entsprechend dieser Ähnlichkeit werden Negative Affektivität und Neurotizismus häufig synonym zur Beschreibung globaler negativer Gefühls- und Verhaltenstendenzen verwendet. die Personen mit hoher Negativer Affektivität berichten, höher als bei Menschen mit geringer ausgeprägter Negativer Affektivität (siehe das „exposure-reactivity“Modell in Abschnitt 2; David, Green, Martin & Suls, 1997). Weiterhin zeigen Personen mit hoher Negativer Affektivität einseitig negative primäre und sekundäre Einschätzungen, d. h. sie schätzen die gegebenen Situationen als schwerwiegender ein und halten ihre eigenen Bewältigungsmöglichkeiten häufig für gering. Infolge der negativen Einschätzungen resultieren bei ihnen schlechtere Stimmungslagen (Gunthert, Cohen & Armeli, 1999), so dass hier ein sich selbst verstärkender negativer Prozess vorliegt: Negative Einschätzungsresultate führen zu häufigem Stresserleben, das auf die Stimmung drückt, wodurch wiederum die Einschätzung neuer stressrelevanter Situationen negativ getönt wird, usw. Ein weiteres stressbegünstigendes Persönlichkeitsmerkmal, das ebenfalls häufig im Zusammenhang mit Erkrankungen untersucht wurde, ist Feindseligkeit (➝ Gesundheitspsychologie). Feindseligkeit und Typ-A-Verhalten Feindseligkeit ist die mehrdimensionale Kernvariable des so genannten Typ-AVerhaltens, eines Verhaltenssyndroms, das lange Zeit als bedeutsamster psychologischer Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen angesehen wurde (Friedman & Rosenman, 1959). Mehr als die anderen Facetten des Typ-A-Verhaltens (z. B. Zeitdruck oder Konkurrenzverhalten) wird Feindseligkeit heute als die eigentliche gesundheitsschädliche Disposition angesehen, die spezifische kognitive, emotionale und verhaltensbezogene Aspekte beinhaltet (Smith, 1994). Die emotionale Komponente umfasst Ärger, aber auch Verachtung und

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Geringschätzung. Verbale und physische Aggressionen kennzeichnen die verhaltensbezogenen Komponenten der Feindseligkeit. Die kognitive Komponente ist charakterisiert durch Zynismus, Misstrauen und die Projektion der eigenen aggressiven Handlungsimpulse in andere Menschen. Die Welt ist für hoch feindselige Menschen damit ein Ort, in dem der eigene Selbstwert ständig durch scheinbar vorsätzliche Anfeindungen böswilliger Mitmenschen gefährdet wird, und sie ist weiterhin ein Ort, in dem diese Gefährdungen durch eigenes offensiv aggressives Verhalten abgewendet werden müssen.

Menschen mit einer hoch ausgeprägten Feindseligkeit werden sehr viel schneller und häufiger zu der Bewertung einer Situation als Bedrohung oder möglichem Schaden kommen, als dies bei niedrig feindseligen Personen zu erwarten ist. Aus den Beschreibungen der Verhaltenskomponente dieser Eigenschaft (Neigung zu aggressivem Verhalten) lässt sich die Hypothese ableiten, dass hohe Feindseligkeit auf die Einschätzung der eigenen Handlungsmöglichkeiten entweder keine einschränkenden Auswirkungen hat oder sogar zu einer Überschätzung der eigenen Mittel (d. h. einer unangemessen positiven sekundären Einschätzung) führen wird. 3.3

Stressprotektive Persönlichkeitseigenschaften

Zwei Eigenschaftsdimensionen, denen eine „abpuffernde“ Wirkung gegenüber den negativen Folgen von Stress zugeschrieben werden, sind Positive Affektivität und ➝ Extraversion. Positive Affektivität Positive Affektivität wird von Watson und Clark (1997) als Zustand angenehmer Erregung, Aktivität und wahrgenommener Effektivität beschrieben. Wie bei Negativer Affektivität lässt sich auch bei Positiver Affektivität die überdauernde Tendenz zum Erleben positiver Affekte als Trait von der einzelnen Situation, in der jemand positive Affekte als Zustand erlebt (State), unterscheiden. Die Eigenschaft Positive Affektivität ist weiterhin gekennzeichnet durch Enthusiasmus, Freude, Energie, geistige Wachheit und Zuversicht. Die Welt und das eigene Agieren in ihr wird von Menschen mit einer hohen Positiven Affektivität tendenziell eher rosig gesehen, was in verschiedenen Bereichen durchaus vorteilhafte Folgen hat. Bei Personen mit experimentell induzierter Positiver Affektivität kann man einen besseren Zugang zu Gedächtnisinhalten, eine höhere kognitive Flexibilität, größere Kreativität und Innovation sowie effektivere Problemlösungen beobachten (Isen, 1993).

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Menschen mit hoher Positiver Affektivität schätzen nicht nur, in Umkehrung zu den Bewertungsprozessen bei Negativer Affektivität, ihre Ressourcen im Umgang mit schwierigen Situationen realistisch oder vielleicht etwas unrealistisch positiv ein, sondern es ist durchaus plausibel, dass sie tatsächlich auch über mehr oder effektivere kognitive Ressourcen verfügen. Eine weitere Ressource, die häufig bei hoher Positiver Affektivität, aber inbesondere bei Personen mit hoch ausgeprägter Extraversion verfügbar ist, ist soziale Unterstützung. Menschen mit hoch ausgeprägter Extraversion stellen sich als gesellig, selbstsicher, eloquent, aktiv, optimistisch und heiter dar, wodurch sich deutliche Überlappungen zum Konstrukt „Positive Affektivität“ ergeben. Auf Grund ihres hohen Interesses an anderen Menschen suchen Extravertierte mehr soziale Situationen auf, und in solchen Situationen senden sie mehr positive nonverbale Signale als introvertierte Menschen und nutzen ein differenzierteres verbales Repertoire (Argyle, Martin & Crossland, 1989). Es ist nahe liegend, dass Menschen mit einer großen sozialen Aktivität und guten sozialen Fertigkeiten über ein tragfähiges soziales Stützsystem für schwierige Lebenssituationen verfügen. Das Wissen um ein solches Stützsystem kann die in einer Situation wahrgenommene Bedrohung mildern und die Bewertung unterstützen, dass in einer stressrelevanten Situation mit der Hilfe der Anderen Bedrohung, Schaden oder Verlust abgewendet oder verringert werden können (➝ Soziale Unterstützung). Neben diesen beiden stressprotektiven Persönlichkeitsdimensionen wurden zwei weitere Persönlichkeitseigenschaften beschrieben, von denen angenommen wird, dass sie bei hoher Ausprägung gegen Stress und seine negative Folgen schützen: Kohärenzsinn und Hardiness (➝ Gesundheitspsychologie). Kohärenzsinn Kohärenzsinn wird von Antonovsky (1987) als umfassendes Gefühl des Vertrauens in die Verständlichkeit und Bedeutsamkeit des Lebens und die Machbarkeit eigener Pläne definiert. Verständlichkeit meint, dass einem Menschen mit hohem Kohärenzsinn die inneren und äußeren Umweltreize als strukturiert, vorhersagbar und erklärbar erscheinen, während sich die Bedeutsamkeit darauf bezieht, dass die Anforderungen des Lebens als Herausforderungen wahrgenommen werden, die Anstrengung und Engagement lohnen. Die dritte Facette des Kohärenzsinns, Machbarkeit, bezieht sich auf die Wahrnehmung der Existenz von Ressourcen zur Bewältigung von Belastungen. Menschen mit einem hoch ausgeprägten Kohärenzsinn interpretieren Situationen sehr viel wahrscheinlicher als Herausforderung oder als positiv bedeutsam und haben die grundsätzliche Einstellung, dass die verfügbaren Ressourcen zur

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Bewältigung von Anforderungen ausreichen. Eine positive sekundäre Einschätzung ist bei ihnen somit so tief verinnerlicht, dass sie ihre Persönlichkeit charakterisiert. Trotz einiger Probleme bei der Operationalisierung der drei Facetten des Kohärenzsinns gibt es Studien, die nicht nur auf der subjektiven Ebene, sondern auch auf der Ebene der körperlichen Reaktionen Belege für die stressabpufferende Wirkung des Kohärenzsinns erbrachten. So milderte offenbar ein hoher Kohärenzsinn bei älteren Menschen die negativen Folgen des Umzugs aus der eigenen Wohnung in Einrichtungen des betreuten Wohnens ab, denn bei ihnen waren die Immunfunktionen nach dem Umzug weniger stark herabgesetzt als bei gleich alten Personen mit geringerem Kohärenzsinn (Lutgendorf, Vialiano, Tripp-Reimer, Harvey & Lubaroff, 1999). Fast gleichzeitig mit den Veröffentlichungen zum Kohärenzsinns als stressprotektivem Persönlichkeitsmerkmal wurde mit dem Konstrukt „Hardiness“ ein sehr ähnliches Persönlichkeitsmerkmal vorgelegt, das ebenfalls gegen die negativen Auswirkungen von Stress immunisieren soll und gleichfalls drei Facetten hat: hohes Engagement in allen Lebensbereichen, die Wahrnehmung von Kontrolle über die Ereignisse und eine generelle Einstellung, dass Veränderungen und Schwierigkeiten keine erdrückenden Probleme, sondern Herausforderungen sind (Kobasa, Maddi & Kahn, 1982). So berichteten Manager mit hoch ausgeprägter Hardiness in Zeiten starken beruflichen Stresses signifikant weniger Krankheitssymptome als Manager mit geringeren Hardiness-Werten. Sowohl Kohärenzsinn als auch Hardiness sind mehrdimensionale Konstrukte, deren Teilkomponenten ebenfalls in ihrer Bedeutung als stressprotektive Eigenschaften untersucht wurden. Dies sind insbesondere internale Kontrollüberzeugungen und hohe Selbstwirksamkeitserwartungen, die jeweils positiv auf die Einschätzung von Stress wirken, da sie den Glauben an eigene Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten repräsentieren, der in Stresssituationen zu einer günstigeren Einschätzung der eigenen Ressourcen und damit zu einer weniger schwerwiegenden Gesamteinschätzung der Situation führen kann (➝ Kontrollüberzeugungen; ➝ Selbstwirksamkeit). Die in diesem Kapitel dargestellten stressrelevanten Persönlichkeitsdimensionen und -merkmale werden besonders häufig im Zusammenhang mit Stress diskutiert und untersucht. Sie stellen aber keinesfalls eine erschöpfende Liste von stressrelevanten Eigenschaften dar. So werden zum Beispiel Selbstwert (➝ Selbstwertschätzung), Resilienz oder Eigenschaften wie interpersonale Sensitivität (d. h. die übermäßige gedankliche Beschäftigung mit sozialen Beziehungen und eine starke Sensibilität für Zurückweisung und Kritik in Beziehungen) ebenfalls hinsichtlich ihrer Bedeutung für die verschiedenen Stadien des Stressprozesses untersucht, wenn auch bisher erst in geringerem Ausmaß.

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Christel Salewski

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Wohlbefinden Well-Being Tanja Lischetzke & Michael Eid Unter dem Begriff des Wohlbefindens werden Bewertungen des eigenen Lebens sowie das Verhältnis von angenehmen und unangenehmen physischen und psychischen Empfindungen zusammengefasst. Um deutlich zu machen, dass es sich um die subjektiven Empfindungen und Einschätzungen einer Person handelt, hat sich der Begriff „subjektives Wohlbefinden“ (SWB) eingebürgert. Damit soll ausgedrückt werden, dass objektive Indikatoren der Lebensqualität wie z. B. der Gesundheitszustand einer Person oder die Kriminalitätsstatistik ihres Wohnumfelds im Allgemeinen keine Auskunft darüber geben können, wie zufrieden und glücklich eine Person ist, da Lebensumstände je nach Erwartungen oder bisherigen Erfahrungen interindividuell sehr unterschiedlich bewertet werden.

1

Wohlbefinden als Persönlichkeitsmerkmal

Das momentan erlebte SWB wird vom situationsübergreifenden, habituellen SWB abgegrenzt. Das habituelle SWB (häufig auch Set Point genannt) weist eine mittlere Stabilität (r um .50) über mehrere Jahre auf und ist sehr konsistent über verschiedene Situationstypen (z. B. r = .70 für Arbeit vs. Freizeit) (Diener & Lucas, 1999). Auf Grund situations- und tageszeitspezifischer Einflüsse schwankt das momentane SWB um diesen habituellen Wert. SWB wird in eine kognitive und eine affektive Komponente unterteilt (siehe Abb. 1): Die kognitive Komponente bezieht sich auf die Einschätzung der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben bzw. mit einzelnen Lebensbereichen (z. B. Partnerschaft, Arbeit, Gesundheit). Die affektive Komponente bezieht sich auf die Stimmungen und Emotionen, die Personen in ihrem Alltag erleben, wobei hohes Wohlbefinden durch häufige positive und seltene negative Emotionen gekennzeichnet ist. Die Intensität des Erlebens von Emotionen ist weniger entscheidend für das SWB, da sehr intensive positive Zustände eher selten auftreten. Außerdem neigen Personen, die positive Emotionen typischerweise sehr stark erleben, auch dazu, negative Emotionen sehr stark zu erleben, wodurch sich die Effekte auf das habituelle SWB gegenseitig aufheben (Diener, 2000).

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Subjektives Wohlbefinden

Affektiv

Positive Emotionen und Stimmungen

Negative Emotionen und Stimmungen

(z. B. Freude, Liebe, Stolz, Entspannung, gehobene Stimmung)

(z. B. Angst, Ärger, Scham, Traurigkeit, Nervosität, gedrückte Stimmung)

Kognitiv

Allgemeine Lebenszufriedenheit

Bereichsspezifische Lebenszufriedenheit (z. B. mit Partnerschaft, Arbeit, Gesundheit, Finanzen)

Abbildung 1: Komponenten des subjektiven Wohlbefindens

Momentane körperliche Empfindungen angenehmer Art (z. B. kulinarische Genüsse) und unangenehmer Art (z. B. Schmerzen) gelten zwar auch als „subjektiv“, werden aber meist nicht als separate Komponente des SWB aufgeführt, da sie oft mit dem Erleben von affektiven Zuständen einhergehen. Im Folgenden beschränken wir uns auf die affektive und kognitive Komponente des SWB.

2

Messung von subjektivem Wohlbefinden

Da das SWB definitionsgemäß die persönliche Bewertung des Wohlbefindens umfasst, kommt dem Selbstbericht große Bedeutung zu. Ausgehend von einem StateTrait-Modell des SWB lassen sich drei Aspekte des SWB erfassen (Eid, Schneider & Schwenkmezger, 1999): 1) Momentanes SWB, 2) habituelles SWB und 3) messgelegenheitsspezifische Abweichungen des Zustands vom habituellen Niveau, die die „reinen“ situationalen und interaktionalen Einflüsse kennzeichnen. Alle drei Aspekte lassen sich via Selbstbericht erfassen. Bei der sog. direkten Methode werden Personen dazu direkt befragt, bei der sog. indirekten Methode werden die beiden letzteren Aspekte über Aggregation bestimmt (siehe Tab. 1). Um eine hohe ökologische Validität der Wohlbefindensmessung zu gewährleisten, bietet es sich an, das momentane SWB mit Hilfe von Taschencomputern im natürlichen Lebensumfeld zu erfassen. Personen geben dabei wiederholt Auskunft über ihre momentane Stimmung oder schätzen retrospektiv ihre innerhalb eines bestimmten Zeitraums erlebten Emotionen ein. Auf diesem Wege kann die Häufigkeit des Erlebens von Emotionen von der Intensität, mit der Emotionen erlebt werden, unterschieden und getrennt analysiert werden. Das Verhältnis zwischen der Häufigkeit positiver Emotionen und der Häufigkeit negativer Emotionen wird dabei als Affektbalance bezeichnet.

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Tabelle 1: Erfassung des subjektiven Wohlbefindens im Selbstbericht Messung Aspekt des SWB Direkt (Beispiel)

Indirekt

Momentanes SWB

„Wie glücklich sind Sie im Moment?“

Habituelles SWB

„Wie glücklich sind Sie im Allgemeinen?“

Aggregation wiederholt gemessener Zustandswerte

Abweichung des momentanen SWB vom habituellen SWB

„Fühlen Sie sich momentan glücklicher oder weniger glücklich als Sie sich im Allgemeinen fühlen?“

Differenz zwischen Zustandswert und aggregiertem Trait-Wert

Sowohl die direkte als auch die indirekte Erfassungsmethode weisen eine hohe Reliabilität und Validität auf (Eid et al., 1999). Direkte Selbsteinschätzungen des habituellen SWB korrelieren meist hoch mit aggregierten Zustandsmaßen (z. B. zu etwa r = .70 bei Eid et al., 1999). Allerdings ist die Beurteilung des habituellen SWB via globalem Selbstbericht tendenziell stärkeren Verzerrungen unterlegen. So können Lebenszufriedenheitsurteile beispielsweise davon abhängen, in welcher Reihenfolge allgemeine und bereichsspezifische Items präsentiert werden oder welche Vergleichsstandards aktiviert sind. In experimentellen Studien fand sich darüber hinaus ein Effekt der momentanen Stimmung auf globale Lebenszufriedenheitsurteile (Schwarz & Strack, 1999). In nicht experimentellen Längsschnittstudien konnten jedoch nur sehr geringe Zusammenhänge zwischen messgelegenheitsspezifischer Stimmung und der Einschätzung des habituellen SWB nachgewiesen werden (Eid & Diener, 2004). Darüber hinaus werden retrospektive Urteile im Allgemeinen durch die intensivsten und die zuletzt erlebten Zustände beeinflusst (Kahneman, Diener & Schwarz, 1999). Auf Trait-Maße des SWB sollte zurückgegriffen werden, wenn personale Determinanten des SWB untersucht werden, wohingegen Abweichungswerte die Erfassungsmethode der Wahl sind, wenn situationale Determinanten des SWB im Fokus stehen. Neben Selbstberichtsmaßen kann zur Validierung auch auf Fremdberichte (z. B. von Partnern oder Freunden) zurückgegriffen werden, die typischerweise in mittlerer Höhe (r um .40) mit Selbstberichten korrelieren. Um ein ganzheitliches Bild des SWB zu bekommen, empfiehlt es sich, multimethodal vorzugehen, und neben globalen Selbstberichten, wiederholte Zustandsmessungen, Fremdberichte, Beobachtungsdaten (z. B. Emotionsausdruck), Reaktionszei-

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ten (z. B. Reaktion auf affektive Stimuli), Gedächtnismaße (z. B. Zugänglichkeit von Erinnerungen an positive und negative Ereignisse) oder physiologische Maße heranzuziehen (Diener, 2000).

3

Bedingungen des subjektiven Wohlbefindens

Das mittlere habituelle SWB liegt meist im positiven Bereich, d. h. durchschnittlich sind Menschen mit ihrem Leben eher zufrieden als unzufrieden und erleben mehr positive als negative Gefühle (Diener, 2000). Dennoch gibt es beträchtliche interindividuelle Unterschiede im habituellen SWB. Im Folgenden stellen wir verschiedene personale und situationale Ansätze zur Erklärung dieser Unterschiede vor. 3.1

Soziodemografische Variablen und Ressourcen

Vor allem in den Anfängen der Wohlbefindensforschung wurden soziodemografische Variablen wie Geschlecht, Alter oder Familienstand und Ressourcen wie Einkommen oder physische Gesundheit als Bottom-up-Einflussfaktoren auf das habituelle SWB untersucht. Es zeigte sich jedoch, dass die Effekte dieser Variablen sehr klein sind. Zusammengenommen erklären sie nur etwa 15 % der Varianz des SWB (Diener, Suh, Lucas & Smith, 1999). Geschlecht. Männer und Frauen unterscheiden sich in den meisten Studien kaum in ihrem habituellen SWB. Dies erscheint auf den ersten Blick inkompatibel mit Befunden, dass Frauen mehr negative affektive Zustände berichten und die Prävalenzrate von Depressionen bei ihnen höher ist als bei Männern. Die Befunde lassen sich dennoch miteinander in Einklang bringen, da Frauen sowohl negative als auch positive affektive Zustände intensiver erleben als Männer, sich jedoch in Bezug auf die für allgemeine Wohlbefindensurteile entscheidende Affektbalance nicht von Männern unterscheiden (Diener et al., 1999). Alter. Was den Zusammenhang zwischen Alter und SWB betrifft, so scheint die allgemeine Lebenszufriedenheit mit dem Alter nicht zu sinken und die Häufigkeit negativer Emotionen nicht zuzunehmen. Dass manchen Studien zufolge die Häufigkeit positiver Emotionen im hohen Lebensalter abnimmt, mag an der Auswahl von Items liegen, welche ein hohes Erregungsniveau implizieren (z. B. „energiegeladen“) (Diener et al., 1999). Familienstand. Verheiratete Personen weisen ein höheres SWB auf als allein lebende, geschiedene oder verwitwete Personen – allerdings ist dieser Effekt sehr klein (mittleres r = .14) (Diener et al., 1999).

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Einkommen. Werden Personen mit unterschiedlichem Einkommen innerhalb eines Landes miteinander verglichen, so ergeben sich keine oder nur sehr geringe positive Zusammenhänge (r um .15) mit dem SWB. Darüber hinaus scheint ein Anstieg im Einkommen weder auf individueller noch auf nationaler Ebene mit einem Anstieg im SWB verknüpft zu sein. Vergleicht man hingegen verschiedene (arme und reiche) Länder miteinander, so finden sich starke positive Zusammenhänge (r um .50) zwischen Indikatoren des Wohlstands eines Staates (Bruttosozialprodukt, Kaufkraft) und dem SWB (Diener et al., 1999). Sind Grundbedürfnisse wie der Zugang zu sauberem Wasser oder Gesundheitsversorgung erfüllt, so scheint Geld darüber hinaus nur noch einen geringen Einfluss auf das SWB zu haben. Gesundheit. SWB weist nur dann einen Zusammenhang mit der physischen Gesundheit auf, wenn subjektive Maße der Gesundheit (Selbstberichte) erfasst werden, nicht wenn objektive Maße (z. B. Arzt-Ratings, Anzahl der Arztbesuche) herangezogen werden (Diener et al., 1999). 3.2

Personale Variablen

Persönlichkeit. Korrelative Studien haben gezeigt, dass verschiedene Persönlichkeitsmerkmale Zusammenhänge mit dem habituellen SWB aufweisen. Dies betrifft zum einen konzeptuell mit dem SWB verwandte Merkmale wie Selbstwertgefühl oder Optimismus (➝ Selbstwertschätzung; ➝ Optimismus). In Bezug auf das FünfFaktorenmodell der Persönlichkeit haben DeNeve und Cooper (1998) die Ergebnisse bisheriger Studien meta-analytisch aufgearbeitet. Demnach korreliert SWB (kognitive und affektive Komponente zusammen) im Mittel zu r = –.27 mit Neurotizismus und zu r = .17 mit Extraversion. Für positive Affektivität und Extraversion fanden Lucas und Fujita (2000) allerdings deutlich höhere (latente) Zusammenhänge von durchschnittlich r = .59. Der Zusammenhang von SWB mit Neurotizismus ist nahe liegend, da negative Affektivität ein wichtiges Element des Neurotizismuskonstrukts darstellt (➝ Neurotizismus). Beim Zusammenhang von SWB mit Extraversion muss ebenfalls bedacht werden, dass positive Affektivität häufig auf theoretischer Ebene selbst als eine Komponente der Extraversion betrachtet wird und dass Instrumente zur Erfassung von Extraversion häufig eine Subskala „positive Affektivität“ enthalten (➝ Extraversion). Weniger trivial sind die gefundenen Zusammenhänge zwischen der Geselligkeitskomponente der Extraversion und dem habituellen SWB (mittleres r = .20 bei DeNeve & Cooper, 1998), insbesondere dann, wenn Geselligkeit affektiv neutral erfasst wurde (z. B. „Ich gehe abends häufig aus“ im Gegensatz zu „In einer vergnügten Gesellschaft fühle ich mich wohl“). In der differentialpsychologischen Wohlbefindensforschung sind insbesondere die Mechanismen, mittels derer Extraversion mit dem SWB verknüpft ist, intensiv beforscht worden. Basierend auf der psychophysiologischen Theorie von Gray

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(➝ Biologische Persönlichkeitstheorien) wurde in verschiedenen Studien die differentielle Reaktivität auf affektive Stimuli untersucht. Empirische Studien konnten zeigen, dass Extravertierte (im Vergleich zu Introvertierten) eine höhere Sensitivität gegenüber positiven Stimuli aufweisen, z. B. stärker auf eine positive Stimmungsinduktion reagieren (Diener & Lucas, 1999). Dieser Annahme zufolge fühlen sich Extravertierte also deshalb im Allgemeinen wohler, da sie im Vergleich zu Introvertierten positiver auf die gleichen alltäglichen Reize und Ereignisse reagieren. Andere Erklärungsansätze gehen von indirekten Mechanismen aus. Da sowohl extravertierte als auch introvertierte Personen in sozialen Situationen mehr positive affektive Zustände erleben als in nicht sozialen Situationen, lässt sich das höhere SWB Extravertierter beispielsweise darauf zurückführen, dass sie mehr Zeit in sozialen Situationen verbringen. Einer weiteren Hypothese zufolge lässt sich das höhere SWB Extravertierter dadurch erklären, dass in unserer Gesellschaft sozialen Beziehungen ein großer Stellenwert eingeräumt wird und Extravertierte daher eine höhere Passung ihrer Persönlichkeit mit ihrer Umwelt aufweisen. Nicht erklären können diese beiden Ansätze allerdings, warum Extravertierte auch in nicht sozialen Situationen glücklicher sind als Introvertierte (Diener et al., 1999). Nicht zuletzt besteht auch die Möglichkeit, dass die Merkmale extravertierter Personen eine Folge und nicht eine Ursache von höherem habituellem SWB darstellen. Genetik. Verhaltensgenetische Studien haben gezeigt, dass interindividuelle Unterschiede im habituellen SWB z. T. genetisch determiniert sind. Die Erblichkeitsschätzungen liegen zwischen 36 und 50 % für globale Selbstberichtsmaße zu einer Messgelegenheit (Eid, Riemann, Angleitner & Borkenau, 2003; Lykken, 1999). Die genetischen Effekte zur Erklärung der Stabilität des habituellen SWB scheinen jedoch deutlich höher zu sein. So fand Lykken (1999) eine Autokorrelation von r = .55 eines globalen Wohlbefindensmaßes über neun Monate. Die kreuzversetzte Korrelation zwischen dem SWB eines Zwillings und dem SWB des zweiten Zwillings neun Jahre später betrug für eineiige Zwillinge r = .54, wohingegen sie für zweieiige Zwillinge bei r = .05 lag. Dies weist auf eine beträchtliche Heritabilität der Stabilität des SWB hin. Verhaltensgenetische Studien haben auch bedeutsame genetische Korrelationen (.36 ≤ r ≤ .62) zwischen Facetten der Extraversion und dem habituellen SWB nachgewiesen, die auf eine mögliche genetische Vermittlung beider Merkmale hinweisen (Eid et al., 2003). Die biologischen Wirkpfade, die die genetischen Effekte auf das SWB erklären können, sind hingegen noch nicht hinreichend untersucht. Psychobiologische Studien legen jedoch nahe, dass hierfür insbesondere das dopaminerge System eine bedeutende Rolle spielen könnte. Motivation. Motivationale Theorien des SWB stellen persönliche Ziele und soziale Vergleichsprozesse in den Mittelpunkt. Personen erleben positive Emotionen, wenn sie Fortschritte in Bezug auf ein persönliches Ziel wahrnehmen, und negative Emotionen, wenn sie die Wahrscheinlichkeit, ein persönliches Ziel zu erreichen, niedrig einschätzen, sowie wenn verschiedene Ziele nur schwer miteinander Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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zu vereinbaren sind (➝ Ziele). SWB ist eher mit dem Verfolgen intrinsischer Ziele (z. B. Selbstakzeptanz) verknüpft als mit dem Verfolgen extrinsischer Ziele (z. B. soziale Reputation). In Bezug auf soziale Vergleichsprozesse scheinen glückliche Menschen generell weniger stark durch die Erfolge und Misserfolge anderer beeinflusst zu werden als unglückliche Menschen. Glückliche Menschen nutzen soziale Vergleichsinformationen nur dann, wenn diese geeignet sind, ihr eigenes Wohlbefinden angesichts einer schlechten Leistungsrückmeldung zu schützen, nicht jedoch, wenn sie ein positives Selbstbild gefährden könnten – während unglückliche Menschen sowohl Abwärts- als auch Aufwärtsvergleiche anstellen (Lyubomirsky, 2001). Regulation. Personen erleben ihre Emotionen und Stimmungen nicht einfach passiv, sondern versuchen in vielen Situationen aktiv, ihren affektiven Zustand zu verändern. Insbesondere Entspannungs- und Stressbewältigungsmethoden, soziale Aktivitäten sowie körperliche Bewegung erweisen sich als positiv für das momentane SWB, da sie Anspannung und Müdigkeit verringern und das Energiegefühl steigern (Thayer, 1996). Menschen unterscheiden sich jedoch darin, wie gut sie in der Lage sind, positive Stimmungen aufrechtzuerhalten und negative Stimmungen zu verbessern, wobei höhere Kompetenzen mit höherem SWB einhergehen. Regulationskompetenzen sind auch entscheidend für die Funktionalität von emotionaler Selbstaufmerksamkeit für das SWB. Eine häufige Aufmerksamkeitslenkung auf die eigenen Gefühle erweist sich für Personen mit hoher Regulationskompetenz als dem SWB zuträglich, für Personen mit niedriger Regulationskompetenz als dem SWB abträglich (Lischetzke & Eid, 2003). 3.3

Situation, Umwelt und Kultur

Alltagssituationen und Lebensereignisse. Situationale Faktoren wie die kleineren widrigen und angenehmen Tagesereignisse leisten einen Beitrag zur Erklärung der situativen Einflüsse und der Variabilität des SWB. Diese Tageseinflüsse haben jedoch nur einen befristeten Einfluss, da Individuen relativ schnell an situationale Veränderungen adaptieren und zu ihrem Set Point zurückkehren. Suh, Diener und Fujita (1996) stellten in einer Längsschnittstudie fest, dass Lebensereignisse, die länger als drei Monate zurücklagen, keinen bedeutsamen Einfluss auf das SWB mehr hatten. Allerdings sind die Grenzen der Adaptation noch nicht zufrieden stellend geklärt, und es bestehen starke interindividuelle Unterschiede in der Fähigkeit zur Adaptation. So zeigen neuere Studien, dass nicht alle Individuen nach gravierenden Lebensereignissen wie Arbeitslosigkeit und Veränderungen im Familienstand dazu in der Lage sind, zu ihrem früheren Set Point zurückzukehren (Lucas, Clark, Georgellis & Diener, 2004). Erziehungsumwelt. Kinder wachsen in unterschiedlichen Erziehungsumwelten auf, die sich auf die sozio-emotionale Entwicklung unterschiedlich auswirken können. Auswirkungen der Erziehungsumwelt wurden bisher jedoch vor allem in Bezug Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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auf negative Emotionen untersucht. Diesbezüglich erweist sich ein elterlicher Erziehungsstil als maladaptativ, der durch elterlichen Ärger, körperliche Bestrafung, Zurückweisung des Kindes, inkonsistente Disziplin und Kritik gekennzeichnet ist. In Bezug auf das Wohlbefinden scheint geringere mütterliche Kontrolle, höhere mütterliche Zuneigung und höhere väterliche Kontrolle von Nutzen zu sein (Schwenkmezger, Eid & Hank, 2000). Kulturelle Bedingungen. Im mittleren SWB lassen sich starke interkulturelle Unterschiede feststellen. Dem World Value Survey zufolge ist die mittlere Lebenszufriedenheit (gemessen auf einer 10-Punkte-Skala) in der Schweiz mit 8.36 am höchsten und in Bulgarien mit 5.03 am geringsten (Diener, 2000). Zur Erklärung dieser Unterschiede werden verschiedene Möglichkeiten diskutiert. Internationale Unterschiede in der Lebenszufriedenheit hängen eng mit Wohlstandsunterschieden zusammen – allerdings ist dabei unklar, auf welchen Faktor das SWB zurückgeführt werden kann, da Indikatoren wie die Kaufkraft mit einer Vielzahl anderer Variablen konfundiert sind (z. B. Gesundheitsversorgung, politische Stabilität, individuelle Freiheit, etc.). Nationen unterscheiden sich auch in ihren Normen für das Erleben positiver und negativer Emotionen, wobei individualistische Nationen in homogener Weise positive Emotionen wertschätzen, während kollektivistische Nationen in Bezug auf die Bewertung einzelner positiver Emotionen wie Stolz und Zufriedenheit sehr viel heterogener und ablehnender sind (Eid & Diener, 2001). Darüber hinaus verfügen Menschen in individualistischen Kulturen über ein höheres Selbstwertgefühl und streben eher SWB als Ziel an. Außerdem basieren Lebenszufriedenheitsurteile auf unterschiedlichen Quellen. Während in individualistischen Kulturen zur Bewertung der Lebenszufriedenheit in stärkerem Umfang das innere Erleben herangezogen wird, basieren in kollektivistischen Ländern Lebenszufriedenheitsurteile stärker auf normativen Aspekten und sozialen Bewertungen. Einen umfangreichen Überblick über kulturvergleichende Aspekte des SWB geben Diener und Suh (2000).

4

Auswirkungen des subjektiven Wohlbefindens

Auch wenn die meisten Studien untersuchen, welche Personen- und Situationsmerkmale das SWB beeinflussen, so ist die umgekehrte Wirkrichtung nicht zu vernachlässigen. Es stellt sich daher die Frage, welche Auswirkungen momentanes und habituelles SWB auf das Erleben und Verhalten haben. 4.1

Auswirkungen des momentanen Wohlbefindens

Experimentelle und längsschnittliche Studien haben bislang vor allem die Auswirkungen von momentaner positiver Stimmung auf Informationsverarbeitungsprozesse, soziales Verhalten und Gesundheit untersucht. Verglichen mit Personen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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in neutraler oder negativer Stimmung zeigen positiv gestimmte Personen ein flexibleres Denken bei Aufgaben, die Kreativität erfordern. Bei analytischen Problemlöseaufgaben schneiden Personen in guter Stimmung oft schlechter ab, da sie Informationen weniger detailliert verarbeiten und eher Urteilsheuristiken verwenden. Allerdings scheint dieser Effekt zu verschwinden, wenn Hinweisreize darauf vorliegen, dass die Situation persönlich bedeutsam ist. Positiv gestimmte Personen suchen soziale Situationen eher auf und zeigen mehr Hilfsbereitschaft. Einige Studien weisen darauf hin, dass positive Stimmung zu verstärkter sportlicher Aktivität führt, und somit indirekt der Gesundheit förderlich ist. Außerdem scheint positive Stimmung kurzfristig zu einer erhöhten Immunfunktion zu führen (zusammenfassend Lyubomirsky, King & Diener, 2004). 4.2

Auswirkungen des habituellen Wohlbefindens

Die Ergebnisse von Studien, die Personen mit einem habituell hohen und niedrigen SWB miteinander verglichen, zeigen, dass sich die meisten der für momentane positive Stimmung gefundenen Effekte auch auf die habituelle Ebene übertragen lassen – glückliche Menschen sind kreativer, geselliger, ehrenamtlich stärker engagiert und weisen ein besseres Gesundheitsverhalten auf als unglückliche Menschen. Die wenigen prospektiven Studien in diesem Bereich weisen darauf hin, dass SWB über einen längeren Zeitraum hinweg bessere soziale Beziehungen (Partnerschaft, Freundeskreis), günstigere Arbeitsbedingungen (Autonomie, Einkommen) und eine niedrigere Wahrscheinlichkeit, entlassen zu werden, sowie eine längere Lebenserwartung vorhersagt (Lyubomirsky et al., 2004).

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Tanja Lischetzke & Michael Eid

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Selbstwertschätzung Self-Esteem Astrid Schütz & Michela Schröder Die Fähigkeit zu Selbstreflexion und Selbstbewertung zeichnet den Menschen gegenüber anderen Lebewesen aus. Wie Menschen sich bewerten, hat starken Einfluss auf ihr psychisches Funktionieren, insofern ist Selbstwertschätzung eine zentrale psychologische Größe. Definition: Coopersmith (1967) beschreibt Selbstwertschätzung als habituelle Selbstbewertung, als subjektives Empfinden des eigenen Wertes. Im Deutschen wird auch der Begriff Selbstwertgefühl verwendet. Wir bevorzugen mittlerweile den Begriff Selbstwertschätzung, da kein Gefühl im üblichen Sinn, sondern eher eine habituelle selbstbezogene Haltung gemeint ist – der evaluative Aspekt selbstbezogener Einstellungen.

Selbstwertschätzung und Selbstkonzept werden häufig in einzelne, hierarchisch gegliederte Facetten unterteilt, z. B. leistungsbezogene, soziale und körperbezogene Bereiche (vgl. Abb. 1). Die Leistungsfacette wird bei Schulkindern meist in einen mathematischen und einen sprachlichen Bereich untergliedert, bei Erwachsenen werden ähnliche Einteilungen vorgenommen, oder es wird von beruflichen und sonstigen Aspekten gesprochen. Die soziale Facette beinhaltet u. a., wie man Allgemeiner Selbstwert

Sportlichkeit

Körperbezogener Selbstwert Physische Attraktivität

Sicherheit im Kontakt

Sozialer Selbstwert

Umgang mit Kritik

mathematisch

Leistungsbezogener Selbstwert

sprachlich

Emotionaler Selbstwert Zufriedenheit mit sich selbst

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Abbildung 1: Selbstwerthierarchie in Anlehnung an Shavelson, Hubner und Stanton (1976)

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sich im Verhältnis zu anderen Menschen sieht, ob man sich in einen Freundeskreis eingebunden und akzeptiert fühlt. Der körperbezogene Bereich umfasst Sportlichkeit und Attraktivität. Abgesehen von diesen inhaltsbezogenen Facetten wird auch von einer emotional getönten Grundhaltung zur eigenen Person ausgegangen, im Sinne von „Ich mag mich“ versus „Ich zweifle an mir“ (emotionale Selbstwertschätzung). Die einzelnen Facetten sind stark interkorreliert. Fleming und Courtney (1984) stellten Werte zwischen .15 (körperlicher und leistungsbezogener Selbstwert) und .60 (emotionaler und sozialer Selbstwert) fest.

1

Messung per Selbstbericht

Selbstwertschätzung wird als selbstbezogene Einstellung üblicherweise durch Selbstbeschreibung erfasst. In Fragebogen werden die Antwortenden gebeten zu beurteilen, inwiefern sie bestimmten positiven oder negativen selbstbezogenen Aussagen zustimmen. International sehr häufig eingesetzt wird die „RosenbergSkala“ (Rosenberg, 1965). Diese eindimensionale Skala erfasst globale Selbstwertschätzung (z. B. „Alles in allem bin ich mit mir selbst zufrieden“). Facetten der Selbstwertschätzung werden mit multidimensionalen Verfahren erfasst (vgl. MSWS; Schütz & Sellin, in Vorb.). Dabei werden leistungsbezogene, körperbezogene und soziale Aspekte unterschieden. Die Erfassung der Zustands-Selbstwertschätzung erfolgt mit Hilfe ähnlicher Skalen, die aber auf die aktuelle Befindlichkeit Bezug nehmen. Die Selbstwertmessung per Selbstbeschreibungsfragebogen ist ökonomisch und unter bestimmten Voraussetzungen auch valide, jedoch mit Problemen verbunden. Bei den meisten herkömmlichen Selbstwertskalen in nicht klinischen Stichproben treten schiefe Verteilungen auf, d. h. die meisten Personen erlangen Werte, die für mittlere bis hohe Selbstwertschätzung sprechen. Deshalb handelt es sich in vielen Untersuchungen genau genommen nicht um einen Vergleich von Personen mit hoher versus niedriger, sondern hoher versus mittlerer Selbstwertschätzung. Weiterhin unterliegen Selbstberichtsdaten immer der Gefahr einer Verzerrung durch Selbstdarstellungsprozesse oder durch die Tendenz, sozial erwünscht zu antworten (➝ Selbstberichte). Ebenso können defensive Prozesse bzw. Selbsttäuschung sowie mangelnde Zugänglichkeit eigener Gedanken und Gefühle die Angaben in Fragebögen zur Selbstwertschätzung verfälschen.

2

Indirekte Messung

Neuere, indirekte Methoden messen automatische, nicht notwendigerweise bewusste Selbstbewertungen und helfen damit, die oben genannten Probleme teilweise zu umgehen. Die dabei erfasste implizite Selbstwertschätzung wird verDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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standen als automatisierte und nicht notwendigerweise bewusste Bewertung der eigenen Person, die spontane Reaktionen auf selbstrelevante Stimuli beeinflusst. Eine besonders bekannte Gruppe indirekter Verfahren sind die Impliziten Assoziationstests (IATs), einen Selbstwert-IAT entwickelten Greenwald und Farnham (2000). Bei der Testdurchführung verwendet die getestete Person zwei Tasten der PC-Tastatur, um selbstbezogene versus nicht selbstbezogene Zielwörter sowie evaluative (angenehme versus unangenehme) Begriffe zu kategorisieren. Auf der Basis der Reaktionszeiten bei der Kombination der Begriffe soll geprüft werden, wie eng die automatische Assoziation zwischen evaluativen und selbstbezogenen Begriffen ist. Eine enge Assoziation zwischen selbstrelevanten und positiven Begriffen wird als positive implizite Selbstwertschätzung interpretiert. Auf Grund von Kritik an den IATs (Probleme durch instruktionswidrige Umkodierung, FigurGrund-Effekte oder Relativität der erfassten Beurteilungen, z. B. Rothermund & Wentura, 2003) wurden inzwischen auch Weiterentwicklungen erarbeitet (z. B. De Houwer, 2003). Eine Alternative stellt z. B. die Letter Rating Task (Nuttin, 1987) dar, bei der als Indikator impliziter Selbstwertschätzung ausgewertet wird, wie stark selbstbezogene Attribute (z. B. die eigenen Initialen) präferiert werden.

3

Selbstwertschätzung als Persönlichkeitsvariable

Selbstwertschätzung kann als stabiles Personmerkmal verstanden werden, wenngleich situativ bedingte Schwankungen auftreten. Berichtet werden Stabilitätskoeffizienten im Bereich um .80, andererseits wirken Erfolge oder Misserfolge verändernd auf das habituelle Niveau. Neuere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Stabilität der Selbstwertschätzung selbst als Persönlichkeitsmerkmal aufgefasst werden kann: Manche Personen verfügen über verhältnismäßig stabile Selbstwertschätzung, andere werden stark durch aktuelle Ereignisse beeinflusst (Kernis, 2003). Als Selbstwertquellen werden vor allem persönliche Attribute wie Fähigkeiten, Wissen, Aussehen oder Sportlichkeit identifiziert. Das Eingebundensein in soziale Beziehungen oder Gefühle der Überlegenheit sind weitere Faktoren, auf denen Selbstwertschätzung beruhen kann. Manche Personen benötigen keine äußeren Quellen; sie beziehen Selbstwertschätzung aus einer grundsätzlich bejahenden Haltung zu sich selbst. Eine solche Selbstakzeptanz stellt eine besonders stabile Quelle dar, da sie unabhängig von Erfolgen oder positiven Rückmeldungen ist. Weniger adaptiv sind hingegen unbeständige Quellen (z. B. Attraktivität) sowie Quellen, die zu problematischem Sozialverhalten führen können, wie der Anspruch auf Überlegenheit (Schütz, 2003). Selbstwertkontingenzen, d. h. Faktoren, mit denen Selbstwertschätzung steigt oder fällt, sind familiäre Unterstützung, Anerkennung durch andere, Wettbewerb, AusDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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sehen, religiöse Orientierung, Erfolg und ethische Wertorientierung (Crocker & Wolfe, 2001). Es handelt sich also um Bereiche, in denen Erfolge oder andere positive Ereignisse sich stark selbstwerterhöhend, Misserfolge hingegen stark selbstwertbelastend auswirken. Beispielitems: „Mein Selbstwertgefühl leidet, wenn ich finde, dass ich nicht gut aussehe“, „Ich könnte mich nicht respektieren, würde mein Verhalten moralische Prinzipien verletzen.“ Art und Ausmaß der Abhängigkeit von diesen Kontingenzen sind individuell unterschiedlich. Außerdem sind einige Kontingenzen problematischer als andere. Externale Kontingenzen, die von anderen Personen abhängig sind (z. B. Anerkennung), sind beispielsweise häufiger mit negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit verbunden als internale Kontingenzen, die selbst reguliert werden können (wie z. B. Werthaltungen). Bezüglich Selbstwertschätzung lässt sich ein kleiner, aber signifikanter Geschlechterunterschied feststellen: Männer erzielen in den üblichen Fragebogenverfahren höhere Werte als Frauen, wobei die Unterschiede im späten Jugendalter besonders ausgeprägt sind (Kling, Hyde, Showers & Buswell, 1999). Darüber hinaus lassen sich kulturelle Unterschiede feststellen (➝ Kulturvergleichende Ansätze; ➝ Selbst und Selbstkonzept). In westlichen Kulturen dominieren individualistische Vorstellungen. Es ist wichtig, einzigartig, unabhängig, aktiv und erfolgreich zu sein. In asiatischen Kulturen dominieren kollektivistische Vorstellungen. Bedeutsam ist es hier, Erwartungen von Bezugspersonen zu erfüllen, sowie Harmonie und Freundschaft zu bewahren (Markus & Kitayama, 1991). Typisch für den asiatischen Kulturkreis sind so genannte interdependente Selbstkonzepte. Dabei definieren sich Menschen als Teil einer Gruppe und beurteilen sich im Hinblick darauf, wie gut sie ihre Funktion in der Gruppe erfüllen. Typisch für westliche Kulturen hingegen ist ein unabhängiges (independentes) Selbstkonzept, welches individuelle Erfolge und die Andersartigkeit der eigenen Person betont. In den üblichen Selbstwertfragebögen, nicht aber in indirekten Verfahren, erzielen Personen aus kollektivistischen Kulturen niedrigere Werte. Dieses Ergebnis zeigt, dass herkömmliche Fragebögen zur Selbstwertschätzung auf die Erfassung unabhängiger Formen des Selbstwertes ausgerichtet sind: Sie erfassen individuelle Leistungen und soziale Fähigkeiten, jedoch nicht Verbundenheit mit anderen. Auch für die oben beschriebenen Geschlechterunterschiede können derartige unterschiedliche Selbstkonstruktionen und Selbstwertquellen verantwortlich sein (Pöhlmann, Hannover, Kühnen & Birkner, 2002).

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Niedrige Selbstwertschätzung als Problem

Zahlreiche Studien zeigen, dass Menschen mit niedriger Selbstwertschätzung unter negativen Emotionen sowie Schwierigkeiten im Leistungs- und Sozialbereich leiden (Leary & MacDonald, 2003). Dabei treten oft sich selbst verstärkende Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Mechanismen auf, die als so genannte Teufelskreise negative selbstbezogene Haltungen bestärken. Wer an den eigenen Fähigkeiten zweifelt, geht oft mit Skepsis an eine Aufgabe heran und befürchtet zu versagen. Solche Befürchtungen beanspruchen aber kognitive Kapazitäten, beeinträchtigen so die Aufgabenbearbeitung und machen Misserfolge damit wahrscheinlicher. Auch im sozialen Bereich führen Selbstzweifel zu sich aufschaukelnden Problemen. Menschen mit niedriger Selbstwertschätzung fällt es schwer zu glauben, dass sie von anderen so akzeptiert oder geliebt werden, wie sie sind. Selbstzweifel führen dann zu wiederholter Suche nach Bestätigung. Für Interaktionspartner ist aber das ständige Infragestellen ihrer Zuneigung oder der Beziehung belastend und kann daher zu einer Verschlechterung dieser Beziehungen beitragen (Murray & Holmes, 2000). Hingegen ist hohe Selbstwertschätzung mit vielen positiven Aspekten verbunden. Sie gilt in vielen Kontexten als wichtiger und protektiver Faktor – sei es beim Umgang mit Belastungen oder beim Aufbau befriedigender Beziehungen – und wird daher oft als Indikator psychischer Gesundheit gewertet.

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Hohe Selbstwertschätzung als Problem

Trotz der gravierenden Probleme, die mit niedriger Selbstwertschätzung verbunden sind, sollten die Schattenseiten hoher Selbstwertschätzung nicht übersehen werden. Die für Menschen mit hoher Selbstwertschätzung typische Beharrlichkeit nach anfänglichem Misserfolg ist wichtig und führt häufig zum Erfolg. Allerdings fällt es Menschen mit hoher Selbstwertschätzung oft schwer aufzugeben, wenn dies günstig wäre, weil ein Ziel objektiv gesehen nicht mehr erreichbar ist. Auch können Fokussierung auf die eigenen Stärken und gelassener Umgang mit Kritik zu Selbstüberschätzung führen und in der Folge dazu, dass Rückmeldungen nicht ernst genommen und so Lerngelegenheiten verpasst werden (Schütz, 2003). Positive Selbstbewertung ist entgegen weit verbreiteten Meinungen nicht mit positiver Bewertung anderer verbunden. Baumeister, Smart und Boden (1996) berichten sogar von aggressivem und sozial unverträglichem Verhalten bei Personen mit hoher Selbstwertschätzung, vor allem wenn positive Selbstbilder oder Überlegenheitsansprüche durch negative Rückmeldungen bedroht werden.

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Fundierte versus defensive Selbstwertschätzung

Bei der Gegenüberstellung positiver und negativer Aspekte hoher Selbstwertschätzung deuten sich Widersprüche an. Viele Ergebnisse zeigen, dass Menschen mit hoher Selbstwertschätzung psychisch stabiler und sozial akzeptierter sind (vgl. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Leary & MacDonald, 2003). Andere Befunde verweisen aber auf sozial unverträgliches Verhalten bei hoher Selbstwertschätzung (Baumeister et al., 1996). Auch in anderen Bereichen wurden uneinheitliche Ergebnisse berichtet, etwa bzgl. der Frage, ob Menschen mit hoher Selbstwertschätzung besonders robust oder besonders sensibel auf Kritik reagieren. Grund für solche Unklarheiten könnte sein, dass bisherige diagnostische Verfahren das vielschichtige Konstrukt der Selbstwertschätzung nicht ausreichend differenziert erfasst haben. Mehrere Autoren haben argumentiert, dass es nicht genügt, die Höhe der Selbstwertschätzung zu bestimmen, sondern dass qualitativ unterschiedliche Varianten und Typen, die unterschiedlich adaptiv sind (Kernis, 2003), differenziert werden müssen. So wurde z. B. nicht nur in der psychoanalytischen Literatur spekuliert, ob es „echte“ und defensive Formen hoher Selbstwertschätzung gibt. Varianten hoher Selbstwertschätzung Bei Schütz (2003) werden auf empirischer Basis drei Varianten hoher Selbstwertschätzung unterschieden. Menschen mit stabiler Selbstakzeptanz nehmen eigene Schwächen wahr und reagieren auf Erfolge und Misserfolge, indem sie diese als Hinweise ernst nehmen, zweifeln dabei jedoch nicht grundsätzlich an sich selbst. Instabile Selbstwertschätzung ist, obwohl hoch ausgeprägt, von äußeren Ereignissen abhängig und unterliegt Schwankungen bei Erfolgen oder Misserfolgen. Personen, die durch egozentrische Selbstaufwertung gekennzeichnet sind, beschreiben sich hoch positiv. Sie geben sich unabhängig und tendieren zur Rechtfertigung eigenen Verhaltens. Hier lassen sich Ähnlichkeiten zum Konzept des Narzissmus erkennen. Dieser ist in stärkerem Maße als Selbstwertschätzung mit dysfunktionalen Korrelaten assoziiert (Selbstaufwertung bei Abwertung anderer, geringe Empathie, Selbstüberschätzung etc.) und stellt insofern eine problematische Variante hoher Selbstwertschätzung dar. Er ist gekennzeichnet durch Selbstüberschätzung, emotionale Kälte und dominant-aggressives Interaktionsverhalten (Morf & Rhodewalt, 2001). Von besonderem theoretischem Interesse können Diskrepanzen zwischen impliziter und expliziter Selbstwertschätzung sein – also zwischen der per Fragebogen und der mittels indirekter Methoden erfassten Selbstwertschätzung. Relevant scheint insbesondere das Phänomen niedriger impliziter und hoher expliziter Selbstwertschätzung, weil dabei möglicherweise Unsicherheit und Selbstzweifel hinter positiver Selbstdarstellung verborgen werden. Erste Befunde deuten darauf hin, dass diese Konstellation mit selbstaufwertendem Verhalten sowie defensiven Tendenzen verbunden ist.

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Weiterführende Literatur Baumeister, R. F., Campbell, J. D., Krueger, J. I. & Vohs, K. D. (2003). Does high selfesteem cause better performance, interpersonal success, happiness, or healthier lifestyles? Psychological Science in the Public Interest, 4, 1–44. Leary, M. R. & Tangney, J. P. (Eds.). (2003). Handbook of self and identity. New York: Guilford Press. Schütz, A. (2003). Psychologie des Selbstwertgefühls: Von Selbstakzeptanz bis Arroganz (2. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

Literatur Baumeister, R. F., Smart, L. & Boden, J. M. (1996). Relation of threatened egotism to violence and aggression: The dark side of high self-esteem. Psychological Review, 103, 5–33. Coopersmith, S. (1967). The antecedents of self-esteem. San Francisco: Freeman. Crocker, J. & Wolfe, C. T. (2001). Contingencies of self-worth. Psychological Review, 108, 593–623. De Houwer, J. (2003). The extrinsic Affective Simon Task. Experimental Psychology, 50, 77–85. Fleming, J. S. & Courtney, B. E. (1984). The dimensionality of self-esteem: II. Hierarchical facet model for revised measurement scales. Journal of Personality and Social Psychology, 46, 404–421. Greenwald, A. G. & Farnham, S. D. (2000). Using the Implicit Association Test to Measure Self-Esteem and Self-Concept. Journal of Personality and Social Psychology, 79, 1022–1038. Kernis, M. H. (2003). Toward a conceptualization of optimal self-esteem. Psychological Inquiry, 14, 1–26. Kling, K. C., Hyde, J. S., Showers, C. J. & Buswell, B. N. (1999). Gender differences in self-esteem: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 125, 470–500. Leary, M. R. & MacDonald, G. (2003). Individual differences in self-esteem: A review and theoretical integration. In J. P. Tangney & M. R. Leary (Eds.), Handbook of self and identity (pp. 401–418). New York: Guilford. Markus, H. R. & Kitayama, S. (1991). Culture and the self: Implications for cognition, emotion, and motivation. Psychological Review, 98, 224–253. Morf, C. & Rhodewalt, F. (2001). Unraveling the paradoxes of narcissism: A dynamic selfregulatory processing model. Psychological Inquiry, 12, 177–196. Murray, S. L. & Holmes, J. G. (2000). Seeing the self through a partner’s eyes: Why selfdoubts turn into relationship insecurities. In A. Tesser & R. B. Felson (Eds.), Psychological perspectives on self and identity (pp. 173–197). Washington, DC: American Psychological Association. Nuttin, J. M. (1987). Affective consequences of mere ownership: The name letter effect in twelve European languages. European Journal of Social Psychology, 17, 381–402. Pöhlmann, C., Hannover, B., Kühnen, U. & Birkner, N. (2002). Independente und interdependente Selbstkonzepte als Determinanten des Selbstwertes. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 33, 111–121.

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Rosenberg, M. J. (1965). Society and the adolescent self-image. Princeton, NJ: Princeton University Press. Rothermund, K. & Wentura, D. (2003). Underlying processes in the Implicit Association Test (IAT): Dissociating effects of salience and valence. Experimental Psychology, 133, 139–165. Schütz, A. & Sellin, I. (in Vorb.). Die multidimensionale Selbstwertskala (MSWS). Göttingen: Hogrefe. Shavelson, R. J., Hubner, J. J. & Stanton, G. C. (1976). Self-concept: Validation of construct interpretation. Review of educational research, 46, 407–441.

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Kontrollüberzeugungen Locus of Control Christel Salewski Manche Menschen glauben, dass sie durch ihr eigenes Verhalten die wichtigen Ereignisse in ihrem Leben beeinflussen können. Andere Personen sind der Überzeugung, dass die Geschicke ihres Lebens von anderen Personen oder durch Zufall bestimmt sind. Menschen unterscheiden sich also darin, ob sie den Ort der Kontrolle über ihr Leben in sich selbst, also internal, oder außerhalb der eigenen Person, das heißt external, wahrnehmen. Diese Annahmen über die Lokation der Kontrollinstanzen des eigenen Lebens werden seit Rotter (1966, 1972) „Kontrollüberzeugungen“ („locus of control of reinforcement“) genannt. Wegen der vielfältigen Verhaltens- und Erlebenskorrelate, aber auch auf Grund der Einfachheit und hohen Eingängigkeit des Konstrukts (und der frühen Verfügbarkeit eines einfach zu handhabenden Fragebogens) sind Kontrollüberzeugungen seit den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem der am häufigsten untersuchten Persönlichkeitsmerkmale geworden. Historisch gesehen waren Kontrollüberzeugungen dabei kein eigenständig entwickeltes Konstrukt, sondern sie wurden von Julian B. Rotter als Bestandteil seiner Sozialen Lerntheorie (➝ Lerntheoretische Ansätze) vorgestellt.

1

Kontrollüberzeugungen und Soziale Lerntheorie

Die Rolle der „Erwartung“ in der Sozialen Lerntheorie Ziel der Sozialen Lerntheorie ist die Rekonstruktion und Vorhersage von Verhalten und Erleben. Eine zutreffende Verhaltensvorhersage kann nach Rotter nur gelingen, wenn drei Prädiktoren der Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens (des „Verhaltenspotenzials“) bekannt sind: die Erwartung, dass ein bestimmtes erwünschtes Ergebnis (ein Verstärker) in einer bestimmten Situation auch tatsächlich eintreten wird, der Verstärkungswert eines Situationsausgangs und die Psychologische Situation, d. h. die subjektive Situationskonstruktion einer Person. Das Verhaltenspotenzial, die Erwartungen und der Verstärkungswert einer Situation wurden von Rotter als Erwartungs x Wert-Gleichung in Beziehung zueinander gesetzt: VpX1, S1, V1 = f(E S1, V1, S1 & VW1, S1). Das Potenzial, dass das Verhalten X1 in der Situation S1 mit Aussicht auf die Verstärkung V1 auftritt, ist nach dieser Formel eine Funktion der Erwartung, dass die Verstärkung V1 dem Verhalten X1 in der Situation S1 auch tatsächlich folgt und

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eine Funktion des Wertes, den die Verstärkung V1 in der Situation S1 hat. So wird sich beispielsweise ein Bewerber in einem Vorstellungsgespräch vor allem dann darum bemühen, einen freundlichen Eindruck zu machen, wenn er Freundlichkeit für ein wichtiges Auswahlkriterium hält und ihm etwas an der Stelle liegt. Erwartungen spielen somit eine zentrale Rolle bei der Verhaltenserklärung und -vorhersage. In der Sozialen Lerntheorie waren Kontrollüberzeugungen zunächst als generalisierte Erwartungen konzipiert: Kontrollüberzeugungen sind über Situationen und Lebensbereiche hinweg generalisierten Erwartungen in Hinblick darauf, ob Ereignisse im Lebensraum beeinflusst werden können oder nicht. Die besondere Bedeutung generalisierter (im Vergleich zu situationsspezifischen) Erwartungen liegt darin, dass sie in neuen und auch in mehrdeutigen Situationen zur Verhaltenssteuerung dienen, denn Menschen zeigen in solchen Situationen im Allgemeinen das Verhalten, das bisher üblicherweise in annähernd ähnlichen Situationen erfolgreich war, d. h. zu einem erwünschten Situationsausgang führte.

2

Bereichsspezifität und Dimensionalität von Kontrollüberzeugungen

Das Konstrukt „Kontrollüberzeugungen“ erfuhr relativ schnell nach seiner ursprünglichen Formulierung eine Reihe von Differenzierungen, die jeweils auch mit der Entwicklung oder Weiterentwicklung von Messinstrumenten zusammenhingen. Die Differenzierungen bezogen sich einmal auf die Breite des Lebensbereiches, in dem Kontrollüberzeugungen wirksam werden, und zum anderen auf die Binnenstruktur oder Dimensionalität von Kontrollüberzeugungen. Einer der Gründe für die umfangreiche Forschungstätigkeit zu Kontrollüberzeugungen war die Entwicklung des ROT-IE-Fragebogens (Rotter, 1966), der generalisierte Kontrollüberzeugungen in verschiedenen Lebensbereichen erfasst. Bei den zahlreichen Untersuchungen mit dem ROT-IE zeigte sich jedoch, dass generalisierte Kontrollüberzeugungen wenig Varianz bei Fragestellungen zu spezifischen Lebensbereichen aufklärten. Konsequenterweise wurden in der Folgezeit bereichsspezifische Instrumente entwickelt, um erfassen zu können, in welchem Lebensbereich eine Person welche Art von Kontrolle wahrnimmt. Die zum Teil deutlichen Unterschiede zwischen generalisierten und bereichsspezifischen Kontrollüberzeugungen bei einer Person ließen sich empirisch gut nachweisen. Eine weitere entscheidende Weiterentwicklung bestand in der mehrdimensionalen Konzeption von Kontrollüberzeugungen und der Entwicklung entsprechender Messinstrumente. Der ROT-IE war als ein eindimensionales Instrument mit den Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Polen Internalität und Externalität konzipiert worden. Faktorenanalytische Untersuchungen des ROT-IE ergaben jedoch, dass sich die Externalitäts-Dimension weiter ausdifferenzierte. Levenson (1981) entwickelte einen Fragebogen, mit dessen Hilfe drei Dimensionen erfasst werden: Internalität (I-Skalen), Powerful Others (P-Skalen = soziale Externalität; andere Menschen werden als wichtigste Einflussfaktoren auf das eigene Leben wahrgenommen) und Chance (C-Skalen = fatalistische Externalität; Zufalls- und Schicksalseinflüsse werden als ausschlaggebende Wirkfaktoren für die eigenen Belange wahrgenommen).

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Korrelate von Kontrollüberzeugungen im Verhalten und Erleben

Kontrollüberzeugungen wurden unter anderem im Zusammenhang mit Depression, kognitiven Leistungen, Schulleistungen, sportlichen Leistungen, politischen Einstellungen, Gesundheitsverhalten, subjektivem Wohlbefinden und Stressverarbeitung untersucht (vgl. Krampen, 1982). Dabei wird häufig diskutiert, welche Art von Kontrollüberzeugungen günstiger (effektiver, förderlicher) für die untersuchten Personen sind. 3.1

Korrelate von Internalität und Externalität

Für viele Bereiche hat sich gezeigt, dass höhere Internalitätswerte mit einer besseren Anpassung, zum Beispiel positiver Stimmung, und höherer Leistung einhergehen. Im Zusammenhang zwischen Kontrollüberzeugungen und Stressbewältigung etwa finden sich Hinweise auf eine höhere Stressbelastung bei external kontrollierten Personen, die wenig Einfluss auf die Belastungsmomente ihrer Umwelt zu haben glauben (➝ Stressbewältigung). Umgekehrt kovariieren günstige Lebensbedingungen, die zum Beispiel durch Handlungsfreiheit und soziale Akzeptanz gekennzeichnet sind, mit erhöhter Internalität. Trotzdem findet sich kein durchgängiges Muster der Überlegenheit von internalen Kontrollüberzeugungen, denn es gilt sowohl bei internalen als auch bei externalen Kontrollüberzeugungen, dass Extremausprägungen negativ sein können. Außerdem können hohe internale Kontrollüberzeugungen mit Frustrationen, schlechter Leistung und negativer Befindlichkeit einhergehen, wenn tatsächliche oder subjektiv wahrgenommene eigene Kontrollmöglichkeiten fehlen. Extreme internale Kontrollüberzeugungen können auch psychopathologisch relevante Symptome sein, zum Beispiel bei manischen Erkrankungen. In Untersuchungen mit mehrdimensionalen Messinstrumenten finden sich in einzelnen Inhaltsbereichen positive Zusammenhänge zwischen sozialer Externalität und guter Anpassung. Dies lässt sich dadurch erklären, dass eine eigene Kontrolle Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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prinzipiell auch dann besteht, wenn ein anderer Mensch die relevante Kontrollinstanz ist. Dagegen geht die Überzeugung, dass wichtige Ereignisse des eigenen Lebens überwiegend von Zufalls- oder Schicksalseinflüssen abhängen, meistens mit negativen Verhaltens- und Erlebensweisen, zum Beispiel depressiver Symptomatik oder Inaktivität, einher. 3.2

Kontrollüberzeugungen und Gesundheit/Krankheit

Ein bedeutender Anwendungsbereich des Konstrukts liegt in der Erklärung gesundheitsbezogenen Verhaltens und Erlebens (Wallston, 2001). Gesundheits- und krankheitsbezogene Kontrollüberzeugungen haben sich als Prädiktoren für eine Reihe wichtiger Verhaltensbereiche (z. B. Sport, Ernährung, Risikoverhalten) erwiesen. Auch hier korrelieren internale Kontrollüberzeugungen häufig positiv mit günstigen Verhaltensweisen, denn Menschen mit einer hoch ausgeprägten Internalität zeigen mehr selbstinitiiertes Gesundheitsverhalten, und zwar unabhängig davon, ob sie gesund oder krank sind. Sie nehmen mehr Vorsorgeuntersuchungen wahr, suchen stärker nach gesundheitsrelevanten Informationen oder zeigen mehr Bemühen um eine gesunde Ernährung. Im Krankheitsfall können internale Kontrollüberzeugungen jedoch auch zu Problemen mit dem medizinischen System führen, denn Patientinnen und Patienten mit hoher Internalität werden gelegentlich von ihren behandelnden Ärzten als wenig kooperativ eingeschätzt. Die Einhaltung der vom Arzt erteilten Verhaltensvorschriften ist demgegenüber bei Patienten mit hohen sozial-externalen Kontrollüberzeugungen wahrscheinlicher. Hohe krankheits- und gesundheitsbezogene fatalistische Externalität korreliert dagegen meist positiv mit schlechter Anpassung. Der Vorhersagewert von Kontrollüberzeugungen für das gesundheitsbezogene Verhalten und Erleben erhöht sich, wenn sie im Kontext anderer Variablen wie etwa dem Wert, den Menschen ihrer Gesundheit beimessen, der Krankheitsschwere oder Verlaufsmerkmalen betrachtet werden. Beispiel: Christensen, Turner, Smith, Holman und Gregory (1991) untersuchten bei Dialysepatienten den Zusammenhang zwischen krankheitsbezogenen Kontrollüberzeugungen und Depression. Sie fanden positive Zusammenhänge zwischen internalen und sozial-externalen Kontrollüberzeugungen und erhöhter Depression bei solchen Patienten, die nach einer fehlgeschlagenen Nierentransplantation wieder dialysepflichtig geworden waren. Die Diskrepanz zwischen der eigenen Überzeugung, dass die Krankheit durch die eigene Person oder andere Personen kontrollierbar ist, und dem offensichtlichen Scheitern der medizinischen Maßnahmen führte somit zu negativen emotionalen Reaktionen.

Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Entwicklung von Kontrollüberzeugungen

Kontrollüberzeugungen werden durch wiederholte Erfahrungen des Zusammenhangs (der „Kontingenz“) zwischen einem Verhalten und seinen Folgen gelernt. Verschiedenste Sozialisationsinstanzen vermitteln diese Erfahrungen von Kontingenz beziehungsweise Nichtkontingenz (Krampen, 1994). Bereits kleine Kinder machen entsprechende Erfahrungen in ihrer Umwelt (Diethelm, 1991), wobei die Eltern bzw. die Familie für die frühen Lernerfahrungen besonders wichtig sind. Kinder, die von ihren Eltern emotionale Wärme, Unterstützung und altersangemessene Anforderungen erfahren, zeigen höhere Internalität und geringere Externalität. Auch schulische Rahmenbedingungen ermöglichen oder verhindern Kontingenzerfahrungen. Es finden sich zum Beispiel positive Zusammenhänge zwischen Unterrichtsformen, die die Eigenständigkeit der Schülerinnen und Schüler fördern, und erhöhter Internalität. Massenmedien ermöglichen stellvertretendes Lernen, denn sie vermitteln ebenfalls Wissen über Kontrollinstanzen. Während der Medieneinfluss fast während des ganzen Lebens wirksam ist, gibt es eine Reihe von Sozialisationsinstanzen, die gerade im Erwachsenenalter Einfluss auf die Ausbildung oder Veränderung von Kontrollüberzeugungen nehmen können. Dies sind zum Beispiel der Beruf und die Merkmale des Arbeitsplatzes: Es finden sich etwa Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und dem Absinken internaler Kontrollüberzeugungen (Price, Choi & Vinokur, 2002). Bei Erwachsenen scheint auch der Familienstand wichtig für die Ausprägung von Kontrollüberzeugungen zu sein, denn Menschen in Partnerschaften weisen höhere Internalitätswerte auf als (immer schon oder wieder) allein Lebende. Ob man seinen Lebensabend mehr oder weniger selbstbestimmt verbringt, hat ebenfalls Auswirkungen auf die objektiven und subjektiv wahrgenommenen Kontrollmöglichkeiten. Vor allem alte Menschen in Institutionen, die die Handlungsmöglichkeiten ihrer Bewohner stark einschränken, weisen höhere Externalitätswerte auf. Umgekehrt führt die Wahrnehmung von Kontrolle und tatsächliche, wenn auch geringe Kontrollmöglichkeiten bei alten Menschen in Pflegeheimen zu deutlich höherem Wohlbefinden und einem besseren Funktionsstatus (Langer & Rodin, 1976).

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Kontrollüberzeugungen im Kontext anderer Kontrollkonstrukte

Kontrolle auf der einen und Hilflosigkeit auf der anderen Seite sind so zentrale und bedeutsame Konstrukte für das menschliche Verhalten und Erleben, dass eine Vielzahl kontrollbezogener Konzepte mit zum Teil großer Bedeutungsüberlappung beschrieben und untersucht wurde (Skinner, 1996). So wird etwa in vielen Arbeiten das Konzept „persönliche Kontrolle“ gleichbedeutend mit „internale Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Kontrollüberzeugungen“ verwendet. Eine Reihe weiterer Konstrukte ergänzt das Konstrukt „Kontrollüberzeugungen“, da sie andere Aspekte von Kontrolle thematisieren. Dazu gehören insbesondere Kausalattributionen, gelernte Hilflosigkeit und Selbstwirksamkeitserwartungen. Kausalattributionen Im Mittelpunkt der Attributionstheorien steht die Frage, durch welche Ursachen das Auftreten von Ereignissen erklärt werden kann (Weiner, 1985). Dabei stellt die Dimension Internalität versus Externalität eine zentrale Klassifikation der möglichen Ursachen eines Ereignisses dar. Die grundsätzliche Unterscheidung von Ursachen dahingehend, ob sie innerhalb oder außerhalb der eigenen Person liegen, wurde von Heider (1958) eingeführt. Weitere Klassifikationsdimensionen sind Stabilität versus Variabilität (ist die Ursache immer präsent oder nur gerade jetzt?), Kontrollierbarkeit versus Unkontrollierbarkeit der Ursache sowie Globalität versus Spezifität (kommt diese Ursache in allen Lebensbereichen vor oder nur in dieser spezifischen Situation?). Während Kausalattributionen sich somit auf Ursachen für ein Ereignis beziehen, das bereits stattgefunden hat, sind Kontrollüberzeugungen auf zukünftige Ereignisse gerichtet. Kontrollüberzeugungen und Kausalattributionen beeinflussen sich dabei wechselseitig, denn die Ursachenerklärungen der Vergangenheit wirken auf die Erwartungen, wer oder was den zukünftigen Lauf der Ereignisse beeinflussen wird. Gelernte Hilflosigkeit (Abramson, Seligman & Teasdale, 1978) resultiert aus fehlenden Kontrollwahrnehmungen und der Erwartung, in zukünftigen Situationen den Ereignissen ausgeliefert zu sein. Menschen mit gelernter Hilflosigkeit sind außerdem durch bestimmte Attributionsstile gekennzeichnet, da sie Misserfolge im Allgemeinen internal, global und stabil erklären, während sie Erfolge durch externale, spezifische und variable Ursachen erklären (➝ Optimismus). Bei einer Reihe von psychischen Störungen, zum Beispiel bei depressiven Erkrankungen, wird gelernte Hilflosigkeit als eine der auslösenden bzw. aufrechterhaltenden Bedingungen diskutiert. Im Rahmen von Theorien zur Handlungsregulation werden mehrere miteinander verknüpfte Erwartungen beschrieben, die die Ausführung einer Handlung in einer Situation mehr oder weniger wahrscheinlich machen. Neben den Kontrollüberzeugungen und Kausalattributionen sind dies vor allem Erwartungen einer Person darüber, ob sie in einer Situation über das für die erfolgreiche Bewältigung der Situation notwendige Verhalten tatsächlich verfügt und in der Situation auch zeigen kann. Bandura (1997) bezeichnet dies als Erwartungen von ➝ Selbstwirksamkeit.

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Weiterführende Literatur Flammer, A. (1990). Erfahrungen der eigenen Wirksamkeit. Einführung in die Psychologie der Kontrollmeinung. Bern: Huber. Skinner, E. A. (1995). Perceived control, motivation, and coping. Thousand Oaks: Sage.

Literatur Abramson, L. Y., Seligman, M. E. & Teasdale, J. D. (1978). Learned helplessness in humans. Journal of Abnormal Psychology, 87, 49–74. Bandura, A. (1997). Self-efficacy: The exercise of control. New York: Freeman. Christensen, A. J., Turner, C. W., Smith, T. W., Holman, J. M. & Gregory, M. C. (1991). Health locus of control and depression in end stage renal disease. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 53, 419–424. Diethelm, K. (1991). Mutter-Kind-Interaktion. Entwicklung von ersten Kontrollüberzeugungen. Bern: Huber. Heider, F. (1958). The psychology of interpersonal relations. Hillsdale: Erlbaum. Krampen, G. (1982). Differentialpsychologie der Kontrollüberzeugungen. Göttingen: Hogrefe. Krampen, G. (1994). Kontrollüberzeugungen in Erziehung und Sozialisation. In K. A. Schneewind (Hrsg.), Psychologie der Erziehung und Sozialisation (S. 375–402). Göttingen: Hogrefe. Langer, E. J. & Rodin, J. (1976). The effects of choice and enhanced personal responsibility for the aged: A field experiment in an institutional setting. Journal of Personality and Social Psychology, 34, 191–198. Levenson, H. (1981). Differentiating among internality, powerful others, and chance. In H. M. Lefcourt (Ed.), Research within the locus of control construct. Vol. 1 (pp. 15– 63). New York: Academic Press. Price, R. H., Choi, J. N. & Vinokur, A. D. (2002). Links in the chain of adversity following job loss: How financial strain and loss of personal control lead to depression, impaired functioning, and poor health. Journal of Occupational Health Psychology, 7, 302–312. Rotter, J. B. (1966). Generalized expectancies for internal versus external control of reinforcement. Psychological Monographs, 80 (1, No. 609). Rotter, J. B. (1972). An introduction to social learning theory. In J. B. Rotter, J. E. Chance & E. J. Phares (Eds.), Applications of a social learning theory of personality (pp. 1– 43). New York: Holt, Rinehart & Winston. Skinner, E. A. (1996). A guide to constructs of control. Journal of Personality and Social Psychology, 71, 549–570. Wallston, K. A. (2001). Conceptualization and operationalization of perceived control. In A. Baum, T. A. Revenson & J. E. Singer (Eds.), Handbook of health psychology (pp. 49–58). Mahwah: Erlbaum. Weiner, B. (1985). An attributional theory of achievement motivation and emotion. Psychological Review, 92, 548–573.

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Das Konzept der Selbstwirksamkeit beruht auf der sozial-kognitiven Theorie von Bandura (2001). Danach werden Denken, Motivation, Gefühle und Verhalten durch persönliche Überzeugungen wie Ergebnis- und Selbstwirksamkeitserwartungen gesteuert. Ergebniserwartungen beziehen sich auf für bestimmte Resultate notwendiges Verhalten. Für einen Kfz-Führerschein etwa müssen Kenntnisse erworben, Fahrstunden absolviert und Strategien zur Vorbereitung auf die Prüfung entwickelt werden, um sie zu bestehen. Ergebniserwartungen („Wenn man lernt, Fahrstunden unfallfrei absolviert und in der Prüfung einen kühlen Kopf behält, kann man die Prüfung bestehen“) sind zu unterscheiden von der Kompetenzüberzeugung bzw. Selbstwirksamkeitserwartung, dass ich es aus eigener Kraft schaffen kann, mir Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen um erfolgreich zu sein („Auch wenn es schwierig ist, traue ich mir zu zu lernen, Fahrstunden erfolgreich zu gestalten und in der Prüfung nicht nervös zu werden“). Geringe Selbstwirksamkeit liegt vor, wenn man zwar die Anforderungen kennt, sich persönlich aber – z. B. wegen Konzentrationsmangel, Zeitproblemen, Unfähigkeit etc. – nicht in der Lage sieht zu lernen, Fahrstunden zu überstehen oder in der Prüfung die Nerven zu behalten. Die persönliche Einschätzung eigener Erfolg versprechender Handlungsmöglichkeiten ist die zentrale Komponente von Selbstwirksamkeit. Selbstwirksamkeit bezeichnet also die subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungen auf Grund eigener Kompetenzen bewältigen zu können. Dazu gehört nicht nur die Zuversicht, ein Erfolg versprechendes Verhalten ausführen, sondern auch durchhalten zu können, wenn Schwierigkeiten und Hindernisse beharrliche Strategien zur Zielerreichung erforderlich machen. In vielen Verhaltensbereichen (z. B. Lern- und Leistungsverhalten, Sozialverhalten, Gesundheitsverhalten, Bewältigung von Belastungen) hat sich gezeigt, dass Selbstwirksamkeit das Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst sowie – in motivationaler Hinsicht – die Zielsetzung, Anstrengung und Ausdauer bei der Bewältigung von Problemen. Menschen mit hoher Selbstwirksamkeit gehen an Anforderungen zuversichtlicher heran, nutzen bessere Verhaltensstrategien, lassen sich durch Rückschläge weniger entmutigen, werten Fortschritte eher als Belege eigener Kompetenzen, die zu weiteren Anstrengungen motivieren, und sie erreichen günstigere Bewältigungsergebnisse und ein besseres Wohlbefinden als Menschen mit niedriger Selbstwirksamkeit. Selbstwirksamkeit ist somit auch ein Schlüssel zur kompetenten Selbstregulation (Bandura, 1997).

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Selbstwirksamkeit und Selbstregulation

Wenn wir Ziele erreichen wollen, fördert Selbstwirksamkeit die Selbstregulation bezüglich Motivation und Verhalten. In motivationaler Hinsicht verstehen hoch selbstwirksame Menschen schwierige Anforderungen als Herausforderungen, bei denen man seine Fähigkeiten zeigen und weiterentwickeln kann, während niedrig selbstwirksame Personen Anforderungen eher als bedrohlich erleben, an Bewältigungsmöglichkeiten zweifeln und sich vor Versagen fürchten. Hoch Selbstwirksame setzen sich entsprechend höhere Ziele und fühlen sich stärker zur Zielerreichung verpflichtet als niedrig Selbstwirksame. Neben anspruchsvollen Zielen und der Bereitschaft, Anstrengung und Ausdauer zu investieren, begünstigt Selbstwirksamkeit auch die Umsetzung in aufgabenbezogenes und ausdauerndes Verhalten, das erforderlich ist, um mit Widerständen zurechtzukommen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit für Erfolgserlebnisse, die Wohlbefinden und Selbstwirksamkeit weiter stärken (Jerusalem, 1990; Schunk, 1995). Regulation von Gedanken, Gefühlen und Verhalten Selbstwirksamkeit unterstützt die längerfristige zielorientierte Regulation von Gedanken, Gefühlen und Verhalten, was sich gut am Beispiel der Vorbereitung auf eine schwierige Prüfung veranschaulichen lässt. Wenn sich ein Schüler für das Abitur vorbereiten und lernen möchte, seine Freunde ihn aber zu Internet-Surfen oder Partybesuchen auffordern, benötigt er nicht nur Überzeugungen, den schwierigen Stoff erlernen zu können, sondern auch die Überzeugung eigener Widerstandskompetenzen (resistance self-efficacy), um Versuchungen nicht nachzugeben. Will er konsequent und zielführend lernen, muss er kompetente Strategien wie Zeitmanagement, Arbeitstechniken etc. entwickeln (action self-efficacy), sich gegen Rückfall abschirmen (coping self-efficacy) und, falls doch einmal ein Ausrutscher passiert (Surfen oder Party statt Lernen), muss er überzeugt sein, sich aus eigener Kraft davon wieder distanzieren zu können und zu konsequentem Lernverhalten zurückzufinden (recovery selfefficacy). Ähnliches gilt, wenn man sich das Rauchen abgewöhnen will. Neben der Überzeugung, die Kraft zu finden, das Rauchen einzustellen, bedarf es der Überzeugung, Angeboten in schwierigen Situationen (z. B. Freundeskreis, Kneipe) widerstehen zu können, Durchhaltestrategien bereitzuhalten (z. B. Selbstverstärkung) und bei einem eventuellen Rückfall möglichst schnell aus eigener Kraft in den Entwöhnungsprozess zurückzufinden.

Selbstwirksamkeitserwartungen liefern einen eigenständigen Beitrag zu Bewältigungserfahrungen und sind nicht nur Ausdruck persönlicher Fähigkeiten. Bei

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gleicher Fähigkeit etwa zeichnen sich Kinder mit höherer schulischer Selbstwirksamkeit gegenüber solchen mit niedriger Selbstwirksamkeit durch ihre größere Anstrengung und Ausdauer, ein höheres Anspruchsniveau, ein effektiveres Arbeitszeitmanagement, eine größere strategische Flexibilität bei der Suche nach Problemlösungen, bessere Leistungen, eine realistischere Einschätzung der Güte ihrer eigenen Leistungen und selbstwertförderlichere Ursachenzuschreibungen aus (Bandura, 1997; Schunk, 1995). Vergleichbare Zusammenhänge zeigen sich auch im Bereich des Gesundheitsverhaltens, der Stressbewältigung, des Sozialverhaltens und der allgemeinen Lebensbewältigung.

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Allgemeine und spezifische Selbstwirksamkeit

Selbstwirksamkeit kann unterschiedliche Grade von Spezifität oder Generalität annehmen. Situationsspezifische Selbstwirksamkeit ist die Gewissheit, eine konkrete Handlung erfolgreich ausführen zu können, auch wenn konkrete Barrieren auftreten (z. B. „Ich bin sicher, dass ich eine Zigarette ablehnen kann, wenn andere mich zum Rauchen verführen wollen“). Die allgemeine Selbstwirksamkeit umfasst breite Lebensbereiche und bringt eine optimistische Einschätzung der generellen Lebensbewältigungskompetenz zum Ausdruck. Skala zur „Allgemeinen Selbstwirksamkeit“ (Jerusalem & Schwarzer, 1999) 1. Wenn sich Widerstände auftun, finde ich Mittel und Wege, mich durchzusetzen. 2. Die Lösung schwieriger Probleme gelingt mir immer, wenn ich mich darum bemühe. 3. Es bereitet mir keine Schwierigkeiten, meine Absichten und Ziele zu verwirklichen. 4. In unerwarteten Situationen weiß ich immer, wie ich mich verhalten soll. 5. Auch bei überraschenden Ereignissen glaube ich, dass ich gut mit ihnen zurechtkommen werde. 6. Schwierigkeiten sehe ich gelassen entgegen, weil ich meinen Fähigkeiten immer vertrauen kann. 7. Was auch immer passiert, ich werde schon klarkommen. 8. Für jedes Problem kann ich eine Lösung finden. 9. Wenn eine neue Sache auf mich zukommt, weiß ich, wie ich damit umgehen kann. 10. Wenn ein Problem auftaucht, kann ich es aus eigener Kraft meistern. Die Skala misst das Ausmaß der allgemeinen Selbstwirksamkeit. Die zehn Items können vierstufig („Trifft nicht zu“ (1), „Trifft kaum zu“ (2), „Trifft eher zu“ (3),

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„Trifft genau zu“ (4)) beantwortet werden, und jedes Item beinhaltet eine Erfolgserwartung, die – im Gegensatz zum Optimismus – auf der Überzeugung persönlicher Beeinflussung durch Kompetenz beruht. Dabei soll an neue oder schwierige Situationen aus allen Lebensbereichen gedacht werden sowie an Barrieren, die zu überwinden sind. Die Skala zur „Allgemeinen Selbstwirksamkeit“ (Jerusalem & Schwarzer, 1999) hat sich in vielen Studien als zuverlässiges und gültiges Instrument zur Vorhersage von Indikatoren der konstruktiven Lebensbewältigung erwiesen. So zeigen z. B. Längsschnittstudien im Kontext gravierender gesellschaftlicher Veränderungen wie etwa dem Fall der Berliner Mauer, dass selbstwirksame Übersiedler und Flüchtlinge aus der ehemaligen DDR aktiver waren, eher Arbeit fanden, sich schneller sozial integrierten, zufriedener mit ihrem Leben und auch gesünder waren als nicht selbstwirksame (Schwarzer & Jerusalem, 1994). Ähnliche Befunde ergab eine Studie mit Obdachlosen. Hoch selbstwirksame Obdachlose waren bei der Suche nach Wohnung und Arbeit aktiver und blieben eine kürzere Zeit im Obdachlosenheim als niedrig selbstwirksame Obdachlose (Epel, Bandura & Zimbardo, 1999). Kulturvergleichende Studien weisen auf die Eindimensionalität und universelle Bedeutsamkeit dieses Persönlichkeitskonstruktes hin. Hohe allgemeine Selbstwirksamkeit ist kulturübergreifend verbunden mit besserer Selbstregulation, höherem Selbstwertgefühl, stärkerem Optimismus, weniger Depression und Ängstlichkeit, besseren Leistungen, höherer Arbeitszufriedenheit und günstigeren Stresseinschätzungen als niedrige Selbstwirksamkeit (Luszczynska, Gutiérrez-Dona & Schwarzer, in press). Zwischen situativen und allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartungen liegen bereichsspezifische Kompetenzüberzeugungen. Die schulische Selbstwirksamkeit etwa beinhaltet Kompetenzerwartungen von Schülern im Umgang mit schulischen Anforderungen wie z. B. „Ich kann auch die schwierigen Aufgaben im Unterricht lösen, wenn ich mich anstrenge“. Die Lehrer-Selbstwirksamkeit kennzeichnet Überzeugungen von Lehrern, schwierige berufliche Anforderungen auch unter widrigen Bedingungen erfolgreich zu meistern wie z. B. „Ich weiß, dass ich es schaffe, selbst den problematischsten Schülern den Stoff zu vermitteln“. Lehrer-Selbstwirksamkeit ist eine berufsspezifische Persönlichkeitsvariable. Wenig selbstwirksame Lehrer neigen zu einfachen, sicheren Unterrichtsaktivitäten, kümmern sich unzureichend um lernschwache Schüler und sind wenig motiviert, guten Unterricht zu halten, da sie sich wenig zutrauen und leicht überfordert fühlen. Lehrer mit hoher Selbstwirksamkeit gestalten einen stärker herausfordernden Unterricht, unterstützen Schüler bei der Erzielung von Lernfortschritten und haben mehr Zuwendung für lernschwache Schüler, weil sie sich selbst mehr zutrauen, stärker motiviert sind und eine hohe Verantwortung für guten Unterricht empfinden. Selbstwirksamen Lehrern gelingt es eher, erfolgreich zu unterrichten, hohe pädagagogische Ziele zu setzen und beharrlich zu verfolgen als wenig selbstwirksamen Lehrern, die sich Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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von der Last des Berufsalltags eher erdrückt fühlen. So ließ sich in einer Längsschnittstudie die Entstehung des Ausgebranntseins im Lehrerberuf (Burnout) durch Selbstwirksamkeitserwartungen gut vorhersagen. Dabei zeigte sich, dass hohe Selbstwirksamkeit vor Burnout-Symptomen schützt, während niedrige Selbstwirksamkeit die Gefühle von Ausgebranntsein eher befördert (Schmitz, 2001).

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Individuelle und kollektive Selbstwirksamkeit

Das individuelle Konstrukt Selbstwirksamkeit ist auf die Ebene kollektiver Überzeugungen erweitert worden (Zaccaro, Blair, Peterson & Zazanis, 1995). Kollektive Selbstwirksamkeit reflektiert die Überzeugung von Gruppenmitgliedern, für wie kompetent sie die Gruppe insgesamt halten, eine schwierige gemeinsame Aufgabe zu lösen. Ein Beispiel für eine kollektive Selbstwirksamkeitsüberzeugung eines Lehrerkollegiums ist: „Auch mit außergewöhnlichen Vorfällen können wir zurechtkommen, da wir uns im Kollegium gegenseitig Rückhalt bieten“. Diese Einschätzung von Gruppen-Selbstwirksamkeit ergibt sich aus der wahrgenommenen Koordination und Kombination der verschiedenen individuellen Stärken zu einem gemeinsamen Wirkungspotenzial. Eine Gruppe, deren Mitglieder Vertrauen in die Teamressourcen haben, entwickelt eine optimistische Auffassung von der Bewältigung gemeinsamer Anforderungen und Ziele sowie eine hohe Bereitschaft zu Anstrengung und Ausdauer. Eine Fußballmannschaft mit hoher kollektiver Selbstwirksamkeit etwa wird sich eher zutrauen, die Meisterschaft zu gewinnen und sich auch leichter von einzelnen Niederlagen erholen als eine Mannschaft mit niedriger kollektiver Selbstwirksamkeit. Neben der individuellen Selbstwirksamkeit hat kollektive Selbstwirksamkeit ebenfalls Einfluss auf Denk-, Motivations-, Gefühlsund Verhaltensprozesse von Gruppenmitgliedern.

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Entstehung und Beeinflussung von Selbstwirksamkeit

Wie entsteht Selbstwirksamkeit, und wie lassen sich Selbstwirksamkeitserwartungen verändern bzw. aufbauen? Die drei wesentlichsten Quellen für den Erwerb von Selbstwirksamkeit sind in der Rangfolge der Stärke ihres Einflusses: 1. Eigene Erfahrungen; 2. Stellvertretende Erfahrungen; 3. Sprachliche Überzeugung. 4.1

Eigene Erfahrungen

Auf eigene Anstrengung und Fähigkeit zurückführbare Erfolge stärken die Selbstwirksamkeit, Misserfolge schwächen sie. Mit jeder Erfahrung, dass sich Anstrengung auszahlt und die eigene Kompetenz zunimmt, steigt das Ausmaß der Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Selbstwirksamkeit, und mit steigender Selbstwirksamkeit wird der schädigende Einfluss von Misserfolgen schwächer, da diese durch weitere Bemühungen konstruktiv in zielgerichtetes Verhalten umgesetzt werden. Erfolgserlebnisse als Resultat von Anstrengung werden begünstigt durch schwierige, persönlich herausfordernde aber bewältigbare und realistische Nahziele sowie die Orientierung auf überschaubare, sukzessive Lernfortschritte. Unter- oder Überforderung und die Orientierung an Fernzielen führen eher selten zu Erfolgserlebnissen und sind für den Aufbau von Selbstwirksamkeit und Selbstregulation weniger geeignet. 4.2

Stellvertretende Erfahrungen

Fehlen eigene Erfahrungen, können stellvertretende Erfahrungen erfolgreicher Verhaltensmodelle durch Beobachtung und Nachahmung die Selbstwirksamkeit fördern. Dies funktioniert ganz gut, wenn Modelle dem Lernenden bezüglich zentraler Merkmale wie Alter, Geschlecht, Kultur etc. möglichst ähnlich sind. Eltern, Lehrer, Schauspieler, Popstars etc. können zwar auch eine Modellwirkung ausüben, aber der soziale Vergleich, der Aufschluss über eigene Fähigkeiten liefert, wird durch große Distanzen erschwert. So werden bei der schulischen Gesundheitsförderung auch etwas ältere Schüler als „peer educators“ eingesetzt, da hier alltägliche Entwicklungsprobleme thematisiert werden. Altersgenossen können diese besser nachempfinden und verstehen sowie mehr Glaubwürdigkeit und Echtheit bei der Abwägung von Problemen, Schwierigkeiten und Lösungsvorschlägen vermitteln. 4.3

Sprachliche Überzeugung

Anhand sprachlicher Überzeugung („Du kannst es“) unterstützt man eine Person, indem man Vertrauen in ihre Kompetenzen zeigt, ihr Mut zuspricht, an sich selbst zu glauben und auf ihr persönliches Potenzial zu setzen, dass sie durch Anstrengung mit den Anforderungen zurechtkommen wird. Eine wichtige Form von Überzeugungen sind Rückmeldungen zu den Ursachen von Bewältigungsergebnissen. Wenn etwa ein Lehrer äußert, der Schüler habe eine schwierige Aufgabe erfolgreich gelöst, da er kompetent sei und sich angestrengt habe, fördert er beim Schüler die Wahrnehmung von Lernfortschritten, die Motivation und die Selbstwirksamkeit. Bei Misserfolg vermitteln Hinweise auf mangelnde Anstrengung statt Unfähigkeit ein weiterhin bestehendes Vertrauen in das Leistungspotenzial, wodurch Motivation und Selbstwirksamkeit aufrechterhalten werden und zukünftige Lernfortschritte nicht ausgeschlossen erscheinen. Allerdings sollten Rückmeldungen in einem realistischen Rahmen erfolgen und sich auf Aufgaben beziehen, die für den Betroffenen zwar schwierig aber bewältigbar sind.

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Zusammenfassung

Selbstwirksamkeit als Überzeugung, schwierige Anforderungen aus eigener Kraft meistern zu können, unterstützt eine kompetente Selbstregulation und fördert Motivation, Verhalten, Bewältigungsergebnisse und Wohlbefinden. Selbstwirksamkeit lässt sich nach den Dimensionen Spezifität/Generalität und Individualität/Kollektivität differenzieren. Die wichtigsten Quellen für den Aufbau von Selbstwirksamkeit sind Erfolgserfahrungen, Verhaltensmodelle und sprachliche Überzeugungen. Selbstwirksamkeitsförderlich sind dabei schwierige, aber bewältigbare Nahziele und die Orientierung an kurzfristigen, sukzessiven Fortschritten.

Weiterführende Literatur Bandura, A. (Ed.). (1999). Self-efficacy in changing societies. New York: Cambridge University Press. Jerusalem, M. & Hopf, D. (2002). Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen. Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 44. Zimmerman, B. J. (2000). Self-efficacy: An essential motive to learn. Contemporary Educational Psychology, 25, 82–91.

Literatur Bandura, A. (1997). Self-efficacy: The exercise of control. New York: Freeman. Bandura, A. (2001). Social cognitive theory: An agentic perspective. Annual Review of Psychology, 52, 1–26. Epel, E. S., Bandura, A. & Zimbardo, P. E. (1999). Escaping homelessness: The influences of self-efficacy and time perspective on coping with homelessness. Journal of Applied Social Psychology, 29, 575–596. Jerusalem, M. (1990). Persönliche Ressourcen, Vulnerabilität und Stresserleben. Göttingen: Hogrefe. Jerusalem, M. & Schwarzer, R. (1999). Allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung. In R. Schwarzer & M. Jerusalem (Hrsg.), Skalen zur Erfassung von Lehrer- und Schülermerkmalen (S. 13–14). Berlin: FU Berlin. Luszczynska, A., Gutiérrez-Dona, B. & Schwarzer, R. (in press). General self-efficacy in various domains of human functioning: Evidence from five countries. International Journal of Psychology. Schmitz, G. S. (2001). Kann Selbstwirksamkeitserwartung Lehrer vor Burnout schützen? Eine Längsschnittstudie in 10 Bundesländern. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 48, 49–67. Schunk, D. H. (1995). Self-efficacy and education and instruction. In J. E. Maddux (Ed.), Self-efficacy, adaptation, and adjustment (pp. 281–303). New York: Plenum.

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Schwarzer, R. & Jerusalem, M. (Hrsg.). (1994). Gesellschaftlicher Umbruch als kritisches Lebensereignis. Weinheim: Juventa. Zaccaro, S. J., Blair, V., Peterson, C. & Zazanis, M. (1995). Collective efficacy. In J. E. Maddux (Ed.), Self-efficacy, adaptation, and adjustment (pp. 305–328). New York: Plenum.

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Optimismus Optimism Britta Renner & Hannelore Weber Unter Optimismus wird sowohl in der Alltagssprache als auch in der psychologischen Forschung eine positive Erwartung im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen verstanden. In der psychologischen Forschung beschäftigen sich vor allem zwei Forschungstraditionen mit Optimismus. Eine erste Forschungsrichtung zeigt am Beispiel des Optimismus typische Fehler in der menschlichen Urteilsbildung auf. Taylor und Brown (1988) kamen in einer einflussreichen Übersichtsarbeit zu dem Schluss, dass Menschen sich durch eine positiv verzerrte Sichtweise der eigenen Zukunft, des Selbst und der eigenen Kontrollmöglichkeiten auszeichnen. Die empirischen Arbeiten in dieser Forschungsrichtung konzentrieren sich vor allem auf situationsspezifische optimistische Erwartungen. Eine zweite Forschungsrichtung konzipiert Optimismus als ein Persönlichkeitsmerkmal und untersucht die Entstehung und die Folgen interindividueller Unterschiede in der Ausprägung von Optimismus. Entsprechend diesen beiden Forschungstraditionen werden sehr unterschiedliche Konzepte unter dem Begriff Optimismus subsumiert (vgl. Chang, 2001). Im Folgenden werden einflussreiche Konzepte vorgestellt und Forschungsergebnisse zu den Konsequenzen von Optimismus für das physische und psychische Wohlbefinden berichtet.

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Optimismus als situationsspezifische Erwartung

1.1

Das „Überdurchschnittlichkeits-Syndrom“

Fragt man Menschen danach, wie sie sich im Vergleich zu durchschnittlichen Gleichaltrigen einschätzen, zeigt sich, dass sie im Allgemeinen die Ausprägung der eigenen positiven Merkmale vergleichsweise höher und die Ausprägung der eigenen negativen Merkmale vergleichsweise geringer einschätzen. So belegen zahlreiche Studien, dass Menschen dazu tendieren, sich als athletischer, intelligenter, organisierter, logischer, interessanter, gerechter und als attraktiver als die durchschnittliche Person einzuschätzen (Alicke, Klotz, Breitenbecher, Yurak & Vredenburg, 1995; Krueger, 1999). Dieser Effekt wird als „above average effect“ oder „better than average effect“ bezeichnet. Das Überdurchschnittlichkeits-Syndrom wird als Hinweis auf motivational verzerrte Urteilsstrategien („motivated reasoning“) interpretiert. Demnach versuchen Menschen, durch optimistische Einschätzungen der eigenen Person ihren Selbstwert zu erhalten oder zu erhöhen. Allerdings kann unter bestimmten Umständen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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auch ein „Unterdurchschnittlichkeits-Syndrom“ auftreten. So berichtet Krueger (1999), dass in Bereichen, in denen die eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten sehr gering ausgeprägt sind, diese auch eher als unterdurchschnittlich eingeschätzt werden. Er argumentiert, dass beide Syndrome durch eine egozentristische Urteilsstrategie verursacht werden. Demzufolge fokussieren Personen bei vergleichenden Urteilen egozentrisch auf ihre eigenen Stärken und Schwächen und ignorieren Merkmale der Vergleichspersonen. Dies resultiert in einem Überdurchschnittlichkeits-Syndrom, wenn ein Merkmal zu den persönlichen Stärken gezählt wird, und in einem Unterdurchschnittlichkeits-Syndrom, wenn das Merkmal zu den persönlichen Schwächen zählt. In einer umfangreichen Längsschnittuntersuchung haben Taylor, Lerner, Sherman, Sage und McDowell (2003) positive Folgen des ÜberdurchschnittlichkeitsSyndroms aufgezeigt. Studierende, die diese Einschätzung vornahmen, wiesen nicht nur eine bessere psychische Gesundheit auf, sondern wurden auch von ihren Freunden positiver bewertet. Generell ist es Gegenstand lebhafter Diskussionen, ob solche „Positive Illusionen“ (Taylor & Brown, 1988) als Zeichen psychischen Wohlbefindens oder aber als dysfunktionale Verzerrungen zu verstehen sind (Robins & Beer, 2001; Taylor et al., 2003). 1.2

Der unrealistische Optimismus

Im Kontext der Risikoforschung zeigt sich in ähnlicher Weise, dass Personen dazu neigen, das eigene gesundheitliche Risiko geringer einzuschätzen als das anderer Menschen (vgl. Renner & Schupp, in Druck; Weinstein, 2003). Diese Tendenz wird als „optimistischer Fehlschluss“ oder „unrealistischer Optimismus“ bezeichnet (Weinstein, 2003). Die Unterschätzung der eigenen Gefährdung wird auch unter dem Begriff „defensiver Optimismus“ oder „naiver Optimismus“ zusammengefasst (Renner & Schupp, in Druck). Der unrealistische Optimismus wird anhand der „direkten“ und der „indirekten“ Methode erfasst (vgl. Klein & Weinstein, 1997; siehe Abb. 1). Der Zusammenhang zwischen beiden Methoden variiert erheblich. So fanden Hahn und Renner (1998) beispielsweise Korrelationen zwischen r = .62 (Raucherhusten) und r = .35 (HIV-Infektion). Ein zentraler Vorteil der indirekten Methode ist, dass Veränderungen der Risikowahrnehmung für die eigene Person und für die Peers, z. B. auf Grund von Interventionen, getrennt analysiert werden können. Wie das Überdurchschnittlichkeits-Syndrom wird auch der unrealistische Optimismus auf das Bedürfnis nach einer positiven Sichtweise des Selbst und der eigenen Gesundheit zurückgeführt, doch kommen kognitive Einflussfaktoren hinzu. So zeigte sich, dass insbesondere die Kenntnis spezifischer Merkmale der Vergleichsperson zu einer Reduzierung des unrealistischen Optimismus führt. Beispielsweise Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Direkte Methode Wenn ich mich mit anderen Personen meines Alters und Geschlechts vergleiche, dann ist mein Risiko, irgendwann einmal einen Herzinfarkt zu erleiden, … wesentlich unter dem Durchschnitt [–3] durchschnittlich [0] wesentlich über dem Durchschnitt [+3]

Indirekte Methode Risiko für die eigene Person: Mein Risiko, irgendwann einmal einen Herzinfarkt zu erleiden, ist … sehr gering [1] mittel [4] sehr hoch [7] Risiko für die Peers: Das Risiko, dass eine durchschnittliche Person meines Alters und Geschlechts irgendwann einmal einen Herzinfarkt erleidet, ist … sehr gering [1] mittel [4] sehr hoch [7]

Optimistischer Fehlschluss: Signifikante negative Abweichung des Mittels von Null.

Optimistischer Fehlschluss: Mittlerer Differenzwert [eigenes Risiko – Peer Risiko] ist negativ und signifikant von Null verschieden.

Abbildung 1: Methoden zur Erfassung des unrealistischen Optimismus

wird die eigene Anfälligkeit umso höher eingeschätzt, je konkreter die Vergleichsperson beschrieben wird und je größer ihre Ähnlichkeit mit der eigenen Person ist (vgl. Klein & Weinstein, 1997). Die Befürchtung, dass der „optimistische Fehlschluss“ dazu verleiten könnte, Risiken nicht realistisch wahrzunehmen und ihnen rechtzeitig entgegenzuwirken, konnte durch vorliegende Studien nicht eindeutig bestätigt werden (Weinstein, 2003).

2

Optimismus als Persönlichkeitseigenschaft

2.1

Dispositionaler Optimismus

Carver und Scheier (1998) definieren Dispositionalen Optimismus als eine generalisierte, globale und zeitlich stabile Ergebniserwartung, dass „alles gut gehen wird“. Gemessen wird der Dispositionale Optimismus mit dem Life Orientation Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Test, einem Fragebogen, der in seiner aktuellen Version sechs Items umfasst (z. B. „Ich blicke stets optimistisch in die Zukunft“). Der Dispositionale Optimismus ist Teil des Selbstregulationsmodells von Carver und Scheier (1998), das Prozesse der Identifikation und Realisierung von Zielen beschreibt. Dem Dispositionalen Optimismus wird eine entscheidende Bedeutung zugeschrieben, wenn Barrieren bei der Zielrealisierung auftreten. Es wird angenommen, dass Optimisten – im Gegensatz zu Pessimisten – in diesem Fall meist zuversichtlich in die Zukunft blicken, was ihnen erlaubt, trotz auftretender Barrieren ihren Einsatz zu verstärken und nicht vorschnell aufzugeben. Wenn die Zielerreichung jedoch unwahrscheinlich ist, können sich Optimisten im Gegensatz zu Pessimisten schneller von diesen Zielen lösen und sich neuen Zielen zuwenden. Optimisten zeigen demnach ein adaptiveres Verhaltensmuster als Pessimisten. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen, dass Optimisten wie erwartet adaptivere Bewältigungsstrategien einsetzen, sich gesünder verhalten und einen besseren Verlauf bei Erkrankungen sowie eine höhere Lebensqualität aufweisen (Scheier & Carver, 2003). Optimismus und Gesundheit Studien aus dem Arbeitskreis von Scheier zeigen bedeutsame Unterschiede zwischen Optimisten und Pessimisten im Hinblick auf ihren Genesungsverlauf und ihr Gesundheitsverhalten nach einer Bypass-Operation. In einer ersten Studie, an der 51 Männer mittleren Alters teilnahmen, zeigte sich, dass Optimisten schon vor einer Bypass-Operation Pläne schmiedeten und sich konkrete Ziele für den Genesungsverlauf setzten, während die Pessimisten stärker auf ihre augenblicklichen Gefühle achteten (Scheier et al., 1989). Ferner zeichneten sich Optimisten durch eine signifikant schnellere Erholung aus als Pessimisten, denn sie begannen früher damit, sich körperlich zu bewegen. In einer zweiten Studie, an der 309 Patientinnen und Patienten teilnahmen, zeigte sich, dass Optimisten nach der Operation weniger häufig stationär nachbehandelt werden mussten als Pessimisten (Scheier et al., 1999).

2.2

Optimistischer Attributionsstil oder Gelernter Optimismus

Bei dem Konstrukt des optimistischen Attributionsstils bzw. des „gelernten Optimismus“ von Seligman (1991) steht die habituelle Zuschreibung von Ursachen (Attribution) für bereits eingetretene Ereignisse im Mittelpunkt. Ein optimistischer Attributionsstil zeichnet sich – im Gegensatz zu einem pessimistischen Stil – im Falle eines Erfolges durch eine internale, stabile und globale Ursachenzuschreibung aus, während im Falle eines Misserfolges die Ursachen eher externalen, variablen und spezifischen Ursachen zugeschrieben werden. Gemessen wird Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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der optimistische Attributionsstil häufig mit dem Attributional Style Questionnaire. Empirisch hat sich das Konstrukt in erster Linie für negative Ereignisse bewährt (Peterson & Bossi, 2001). Der optimistische Attributionsstil geht auf die Theorie der gelernten Hilflosigkeit zurück. Diese nimmt an, dass Personen, die einem unkontrollierbaren negativen Ereignis ausgesetzt sind, „hilflos“ werden, d. h. lernen, dass keine Kontingenz zwischen ihrem Verhalten und den Ereignissen besteht. Die gelernte Hilflosigkeit ist durch Passivität und Teilnahmslosigkeit gekennzeichnet. In der reformulierten Theorie der gelernten Hilflosigkeit wurde als ein zentraler vermittelnder Mechanismus die Ursachenzuschreibung aufgenommen. Demnach besteht eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass gelernte Hilflosigkeit auf Grund negativer Ereignisse entsteht, wenn eine Person über einen optimistischen Attributionsstil verfügt. Empirische Untersuchungen bestätigen die erwarteten positiven Konsequenzen des optimistischen Attributionsstils (Peterson & Bossio, 2001). So weisen Personen mit einem optimistischen Stil im Vergleich zu Personen mit einem pessimistischen Stil günstigere Immunparameter und einen besseren allgemeinen Gesundheitszustand auf. Ferner sind sie weniger depressiv, sozial besser integriert und verhalten sich im Allgemeinen gesünder. 2.3

Hoffnung

Das Konstrukt Hoffnung wird in der Arbeitsgruppe von Snyder definiert als eine positive, zielbezogene Erwartung, die zwei Komponenten umfasst: 1. Bestimmtheit (Agency), definiert als die Selbsteinschätzung, Ziele entschlossen zu verfolgen und Ziele in der Vergangenheit erreicht zu haben, sowie 2. Handlungsmöglichkeiten (Pathways), definiert als die Überzeugung, dass es verschiedene Wege der Zielerreichung gibt. Hoffnung wird mit der „Hope Scale“ sowohl als Persönlichkeitseigenschaft als auch als ein aktueller Zustand erfasst (Synder, Sympson, Michael & Cheavens, 2001). Snyder et al. (2001) nehmen an, dass beide Komponenten – hohe Bestimmtheit und Selbstzuschreibung hoher Fähigkeiten – notwendig sind, damit die Realisierung von Zielen initiiert wird. Zum Konstrukt Hoffung liegen bisher vergleichsweise wenige Untersuchungen zu den Korrelaten und Konsequenzen vor (Synder et al., 2001). Vorliegende Studien bestätigen jedoch, dass Hoffnung adaptives Krankheitsbewältigungsverhalten fördert. So zeigen beispielsweise jugendliche Brandopfer seltener Verhaltensweisen, die die Genesung beeinträchtigen, wenn sie hohe Werte auf der Hoffnungsskala aufweisen (Barnum, Snyder, Rapoff, Mani & Thompson, 1998). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Allgemeine Selbstwirksamkeit: Funktionaler Optimismus

Positive Zukunftserwartungen stellen ein zentrales Bestimmungsstück des Konzeptes der Allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung dar (➝ Selbstwirksamkeit). Diese beinhaltet die Einschätzung der eigenen Kompetenz, generell mit Schwierigkeiten und Barrieren im (täglichen) Leben zurechtzukommen. Grundlage ist das Konzept der wahrgenommenen Selbstwirksamkeit von Bandura, das einen wesentlichen Aspekt seiner sozial-kognitiven Theorie bezeichnet (➝ Lerntheoretische Ansätze). Im Gegensatz zu Bandura, der den Gültigkeitsbereich des Konstruktes ausdrücklich auf spezifisches Verhalten einschränkt, wird in dem Konzept der Allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung die subjektiv wahrgenommene Verfügbarkeit von Handlungsressourcen als generalisiert und in diesem Sinn als Persönlichkeitsmerkmal konzeptualisiert. Das Konzept beruht auf der Annahme, dass Menschen ihre Erfolgserfahrungen sich selbst zuschreiben und diese Zuschreibung eigener Fähigkeit als Erwartung hinsichtlich zukünftiger Ereignisse generalisieren. Eine leichte und damit optimistische Überschätzung der eigenen Handlungskompetenzen bezeichnet Schwarzer als „Funktionalen Optimismus“, da dadurch adaptives Verhalten begünstigt wird (Schwarzer, 1994; ➝ Selbstwirksamkeit).

3

Ist Optimismus generell positiv?

Bei allen konzeptuellen Unterschieden ist den vorgestellten Konstrukten gemeinsam, dass die relevante Forschung Optimismus positive Konsequenzen und Pessimismus negative Folgen bescheinigt (Chang, 2001). Optimisten zeichnen sich durch günstigere Kognitionen aus (z. B. höhere Kontrollerwartung), sie berichten ein positiveres Befinden und zeigen eine höhere Ausdauer bei der Verfolgung ihrer Ziele. Ferner zeigen sie ein adaptiveres Bewältigungsverhalten, indem sie kontrollierbaren Stresssituationen aktiv und unkontrollierbaren Situation mit Akzeptanz begegnen; häufig erbringen sie eine höhere Leistung (Scheier & Carver, 2003). Auch für die körperliche Gesundheit erweist sich Optimismus als bedeutsamer protektiver Faktor, jedoch liegen dazu weniger Nachweise vor. Optimisten sind seltener krank, verfügen über eine bessere Immunabwehr, zeigen einen schnelleren Genesungsverlauf und weisen eine höhere Lebenserwartung auf (Peterson & Bossi, 2001; Scheier & Carver, 2003). Ferner scheinen Optimisten auch im sozialen Bereich gegenüber Pessimisten im Vorteil zu sein: Sie werden als attraktiver empfunden und weisen ein besseres soziales Netz auf (Scheier & Carver, 2003). Die positiven Konsequenzen von Optimismus im Vergleich zu Pessimismus sind jedoch abhängig von situativen Gegebenheiten. So kann sich eine Stärke in eine Schwäche verwandeln, wenn sie zu sehr von der Realität abweicht. Isaacowitz und Seligmann (2001) berichten beispielsweise, dass ältere Erwachsene, die mit

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einem negativen Ereignis konfrontiert wurden, später häufiger an einer Depression litten, wenn sie über einen optimistischen Attributionsstil verfügten. Sie erklären diesen überraschenden Befund damit, dass ein stark ausgeprägter Optimismus bei älteren häufiger als bei jungen Erwachsenen an der Realität scheitert. Ältere im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen berichteten mehr negative Lebensereignisse, wie der Tod eines nahe stehenden Menschen, deren Ursachen und Konsequenzen nicht beeinflussbar waren. In diesem Fall kann Optimismus nicht als motivationale Ressource für Handlungsänderungen genutzt werden, sondern verstärkt offenbar den empfundenen Schweregrad und Verlust. Wenn angesichts eines negativen Ereignisses hingegen alternative Ziele und Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, dann werden diese von Optimisten häufiger als von Pessimisten in adaptiver Weise genutzt. Gegen die Annahme, dass Optimismus generell Pessimismus überlegen ist, spricht ferner, dass Pessimismus und die damit assoziierten negativen Emotionen von hohem funktionalen Wert sind. Angesichts potenzieller Gefahren oder Verluste fokussieren sie die Aufmerksamkeit auf die Gefahrenquelle und motivieren dazu, die Situation oder das Verhalten zu ändern. Follette und Jacobson (1987) berichten, dass pessimistische Studenten, die eine schlechte Leistung erbracht haben, über bessere Bewältigungspläne verfügten als optimistische Studenten. Daher können sowohl Optimismus als auch Pessimismus der psychischen und physischen Gesundheit dienen, wenn sie situationsangemessen sind.

Weiterführende Literatur Renner, B. & Schupp, H. (in Druck). Gesundheitliche Risiken: Wahrnehmung und Verarbeitung. In R. Schwarzer (Hrsg.), Gesundheitspsychologie. Göttingen: Hogrefe.

Literatur Alicke, M. D., Klotz, M. L., Breitenbecher, D. L. & Yurak, T. J. & Vredenburg, D. S. (1995). Personal contact, individuation, and the better-than-average effect. Journal of Personality & Social Psychology, 68, 804–825. Barnum, D. D., Snyder, C. R., Rapoff, M. A., Mani, M. M. & Thompson, R. (1998). Hope and social support in the psychological adjustment of children who have survived burn injuries and their matched controls. Children’s Health Care, 27, 15–30. Carver, C. S. & Scheier, M. F. (1998). On the self-regulation of behavior. New York, NY, US: Cambridge University Press. Chang, E. C. (Ed.). (2001). Optimism and pessimism: Implications for theory, research, and practice. Washington, DC: American Psychological Association. Follette, V. M. & Jacobson, N. J. (1987). Importance of attributions as a predictor of how people cope with failure. Journal of Personality & Social Psychology, 52, 1205–1211.

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VII Persönlichkeitsunterschiede im Bereich des sozialen Verhaltens

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Prosoziales Verhalten Prosocial Behavior Hans-Werner Bierhoff Prosoziales Verhalten ist dann gegeben, wenn die Absicht besteht, einer konkreten Person eine Wohltat zu erweisen und wenn die Handlung freiwillig ist (und nicht im Rahmen der Aufgaben, die sich aus irgendwelchen Verpflichtungen ergeben). In diesem Beitrag wird anfangs an Beispielen für prosoziales Verhalten dargestellt, wie weit verbreitet es ist und welche methodischen Probleme bei seiner Erfassung entstehen können. Daran anschließend wird das Thema von Persönlichkeitsunterschieden im Bereich des prosozialen Verhaltens unter zwei Gesichtspunkten analysiert: Wie groß ist die Stabilität des prosozialen Verhaltens über die Zeit? Und: Welche Persönlichkeitsmerkmale hängen systematisch mit prosozialem Verhalten zusammen? Im Rahmen der Beantwortung der ersten Frage wird die Bedeutung von Anlage und Umwelteinflüssen diskutiert. Im Rahmen der Beantwortung der zweiten Frage wird auf Person-Situations-Interaktionen verwiesen, also auf unterschiedliche Persönlichkeitsprofile von Helfern je nach relevanten Situationsmerkmalen. Schließlich geht es um Geschlechtsunterschiede in der Hilfsbereitschaft. Beispiele für Situationen, in denen prosoziales Verhalten auftritt: Ein Verletzter, der am Bein bandagiert ist, verliert auf dem Bürgersteig vor einem Passanten einen Stapel Zeitschriften. Eine blinde Person steht am Straßenrand und benötigt fremde Hilfe, um die belebte Straße zu überqueren.

Diese Beispiele sind in mehrfacher Hinsicht instruktiv: • Wenn man wetten würde, ob in den jeweiligen Situationen geholfen wird oder nicht, ist man gut beraten, auf prosoziales Verhalten zu setzen. Denn es hat in den genannten Situationen Wahrscheinlichkeiten zwischen 50 und 70 %. Diese relativ hohen Basisraten lassen vermuten, dass prosoziales Verhalten eine biologische Grundlage hat. Moralische Sozialisation baut auf einer biologischen Grundlage auf (s. u.). • Zum Zweiten zeigen die Beispiele, dass die Forschung zum prosozialen Verhalten nicht automatisch durch Verfälschungstendenzen in ihrer Validität eingeschränkt sein muss. Sicher ist prosoziales Verhalten sozial erwünscht und steht auf der gesellschaftlichen Agenda, mit der Kinder frühzeitig bekannt werden, ganz oben (Cialdini, Kenrick & Baumann, 1982). Aber viele Formen der Prosozialität lassen sich nonreaktiv messen, so dass die Messung prakDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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tisch keinen Einfluss auf die Auftretenswahrscheinlichkeit des interessierenden Verhaltens ausübt. • Drittens weisen internationale Studien darauf hin, dass sich unterschiedliche Weltregionen deutlich darin unterschieden, wie hilfsbereit die Menschen in den jeweiligen Kulturen sind (Levine, Norenzayan & Philbrick, 2001). Da, wo das Leben härter ist (in besonders heißen oder kalten Regionen), findet sich mehr prosoziales Verhalten. Können die Zuschauer die Situation der Notlage leicht ignorieren? Ein wichtiges Situationsmerkmal besteht in der Leichtigkeit, mit der es potenziellen Helfern möglich ist, die Situation des Opfers einer Notlage zu verlassen (s. u.). Wenn eine Person eine Aufgabe in Anwesenheit des Opfers erledigen muss und deshalb die Szene nicht verlassen kann, sind Fluchtmöglichkeiten weitgehend verstellt. Hingegen sind viele Alltagssituationen dadurch gekennzeichnet, dass man sich als Beobachter relativ leicht entfernen kann, ohne einzugreifen. Durch dieses Situationsmerkmal wird die Motivation der Helfer beeinflusst, da sie bei leichter Fluchtmöglichkeit primär durch Mitgefühl zur Hilfe angeregt werden, während sie bei erschwerter Fluchtmöglichkeit sowohl durch Mitgefühl als auch durch ein egoistisches Ziel, wie das der öffentlichen Selbstdarstellung, motiviert sein können (Batson, 1991). Wenn man sich nicht „verdrücken“ kann, steigt die persönliche Betroffenheit. Hilfeleistung ist ein weit verbreitetes Phänomen. Das heißt aber nicht, dass die Häufigkeit prosozialen Verhaltens unter allen Umständen hoch ist. Mit größeren physischen und sozialen Kosten des Helfens, wie sie in akuten Notsituationen auftreten, sinkt die Wahrscheinlichkeit des Eingreifens. Menschen sind relativ sensibel dafür, wie viel sie riskieren, wenn sie eingreifen, so dass Gefahren und Schwierigkeiten, die zu bewältigen sind, zu einer Reduktion der durchschnittlichen Wahrscheinlichkeit einer Intervention beitragen. Daher sind z. B. für die Zivilcourage, die größere Opfer und die Überwindung einer größeren Unsicherheit verlangt, geringere relative Häufigkeiten des Auftretens zu erwarten. Je größer die Bedrohung ist (z. B. auf Grund einer sozialen Missbilligung oder auf Grund der Gefahr, eine Aggression auf sich zu lenken) und je weniger sich die Person sicher ist, was eine erfolgreiche Hilfe darstellt, desto eher wird sie nicht eingreifen (Bierhoff, 2004). Zwei Forschungsrichtungen, die im Folgenden dargestellt werden, deuten auf Unterschiede im prosozialen Verhalten hin: • Studien, die auf Stabilität und Konsistenz prosozialen Verhaltens über unterschiedliche Zeitpunkte und Situationen hindeuten, und • die Studien, die auf Persönlichkeitsmerkmale hindeuten, die mit dem Eingreifen bei Notsituationen anderer in Zusammenhang stehen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Stabilität und Konsistenz prosozialen Verhaltens

Die Stabilität prosozialer Tendenzen über die Zeit und ihre Konsistenz über unterschiedliche Situationen hinweg konnte wiederholt bestätigt werden (zusammenfassend Bierhoff, 2002). Ein Beispiel kann das verdeutlichen (Eisenberg et al., 1999): Das spontane Teilen, das Beobachter bei 4- bis 5-jährigen Kindern im Vorschulalter erfassten, sagte ihre prosoziale Orientierung 17 Jahre später vorher. Weitere Resultate dieser Längsschnittstudie belegen, dass die empathische Disposition, die im Jugendalter erfasst wurde, die prosoziale Bereitschaft im jungen Erwachsenenalter vermittelte. Welche Gründe sprechen für die Konsistenz und Stabilität prosozialen Verhaltens? Ein Grund besteht darin, dass eine genetische Basis für prosoziales Verhalten und Empathie angenommen wird (Matthews, Batson, Horn & Rosenman, 1981). Das manifestiert sich auch darin, dass das individuelle Temperament mit prosozialem Verhalten in Beziehung steht. Das zeigen die Studien von Eisenberg und ihren Mitarbeitern (zusammenfassend Eisenberg, 2000). Da die Temperamentsfaktoren ihrerseits eine hohe genetische Grundlage haben (➝ Verhaltensgenetik; ➝ Temperament), liegt die Schlussfolgerung nahe, dass auch prosoziales Verhalten eine entsprechende genetische Basis hat. Weiterhin gilt, dass prosoziales Verhalten Teil einer Persönlichkeitseigenschaft ist, die als Verträglichkeit bezeichnet wird (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze) und die ihrerseits eine genetische Komponente aufweist (Graziano & Eisenberg, 1997). Schon bei Zwei- bis Dreijährigen wurde der Einfluss von Empathie und Sympathie auf prosoziales Verhalten festgestellt (Zahn-Waxler, Robinson & Emde, 1992). Kinder unterscheiden sich deutlich in ihren moralischen Urteilen, und diese Unterschiede sind auf ihr prosoziales Verhalten bezogen sowie auf die Fähigkeit, sich selbst zu kontrollieren (Eisenberg, 2000). Da moralisches und prosoziales Verhalten Selbstkontrolle voraussetzen, ist es nahe liegend, dass die Fähigkeit zur Selbstregulation aufs Engste mit der Entwicklung prosozialen Verhaltens verbunden ist. Neben der genetischen Komponente spielen auch Umwelteinflüsse eine bedeutsame Rolle für das Persönlichkeitsmerkmal „Verträglichkeit“ im Allgemeinen und prosoziales Verhalten im Besonderen. In diesem Zusammenhang sei auf die Bedeutung des Elterneinflusses verwiesen. So wurden Hinweise gefunden, dass elterliche Verhaltensweisen gegenüber Fünfjährigen (mütterliche Toleranz gegenüber Abhängigkeitsverhalten, väterliche Teilnahme an der Kinderbetreuung, mütterliche Intoleranz gegen aggressives Verhalten), die in Interviews mit den Müttern erfasst wurden, 26 Jahre später Empathie vorhersagen (Koestner, Franz & Weinberger, 1990). Außerdem sprechen Ergebnisse zur Entwicklung des Gewissens dafür, dass eine sichere Bindung als Kind, die das Ergebnis mütterlicher Feinfühligkeit ist, Empathie und prosoziales Verhalten in der Vorschule vorhersagt. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Zusammenfassend kann man feststellen, dass, obwohl nicht klar ist, wie groß der Einfluss von Erbe und Umwelt auf prosoziale Tendenzen ausfällt, doch feststeht, dass die Kombination dieser Faktoren zu interindividueller Konsistenz und Stabilität von der Kindheit zum Erwachsenenalter beiträgt.

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Prosoziale Persönlichkeit

Die „prosoziale Persönlichkeit“ beruht auf einer beständigen Tendenz, über das Wohlergehen und die Rechte anderer Menschen nachzudenken, für sie Besorgnis zu empfinden/empathisch zu sein sowie in einer Art und Weise zu handeln, die sie unterstützt (Penner & Finkelstein, 1998). Ein alternativer Ausdruck ist „altruistische Persönlichkeit“. Was nun die Persönlichkeitskorrelate des prosozialen Verhaltens betrifft, so ergeben sich viel versprechende Hinweise sowohl in Laboruntersuchungen des Hilfeverhaltens als auch in Feldstudien. Die prosoziale Persönlichkeit im Experiment Die erste systematische Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Hilfeleistungen in akuten Notsituationen und prosozialer Persönlichkeit wurde von Staub (1974) durchgeführt, der einen experimentellen Ansatz wählte, um die konkrete Bereitschaft zur Hilfeleistung zu erfassen. 130 Studierende füllten einen Wertfragebogen und sechs Persönlichkeitsfragebögen (z. B. zur sozialen Verantwortung, zum Machiavellismus und den Test zum moralischen Urteil) aus. Zunächst wurden die Antworten auf den Fragebögen durch eine Faktorenanalyse auf eine zu Grunde liegende Dimension reduziert, die als prosoziale Orientierung bezeichnet wurde. Soziale Verantwortung und der Test des moralischen Urteils luden positiv auf diesem Faktor der prosozialen Orientierung, während die Machiavellismus-Skala eine negative Faktorladung aufwies. Außerdem wiesen fünf der Werte eine bedeutsame Ladung auf diesem Faktor auf: Hilfsbereitschaft und Gleichheit luden positiv, angenehmes Leben, Ehrgeiz und Sauberkeit luden negativ. Die Korrelation zwischen der prosozialen Orientierung und dem durchschnittlichen Ausmaß der Hilfe, wie sie in einer simulierten Notlage gemessen wurde, betrug r = .46 und war somit relativ hoch. Die höchste Korrelation mit einer einzelnen Persönlichkeitsvariable ergab sich für die Skala der sozialen Verantwortung (r = .34).

Retter von Juden während des Dritten Reichs Oliner und Oliner (1988) befragten in den 1980er Jahren 406 Personen, die durch einen israelischen Dienst als Helfer von durch die Nazis verfolgten Juden bestätigt worden waren. Zusätzlich zu der Beurteilung der lange zurückliegenden Ereignisse wurden auch Persönlichkeitsmerkmale der Retter erfasst. Den

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Helfern wurden 126 Nichthelfer gegenüber gestellt, die während des Naziterrors nach eigenen Angaben nichts getan hatten, um Juden zu retten. Die Befragungen fanden in verschiedenen europäischen Ländern statt, und der Fragebogen wurde entsprechend in die Sprache übersetzt, die von den Interviewten gesprochen wurde (z. B. Polnisch, Deutsch, Französisch und Niederländisch). Die Interviews wurden etwa 40 Jahre nach den dramatischen Ereignissen durchgeführt. Um sie interpretieren zu können, wird die Annahme aufgestellt, dass es eine grundlegende Kontinuität der Persönlichkeit über Jahrzehnte gibt. Tatsächlich verweisen Längsschnittuntersuchungen darauf, dass grundlegende Persönlichkeitsmerkmale eine gewisse Stabilität über lange Zeiträume aufweisen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Retter eher in Unterstützungsgruppen organisiert waren, die Juden helfen wollten, und dass sie auch in ihrer Familie für ihr Tun mehr Unterstützung fanden. Ein wichtiger Situationsfaktor bestand darin, dass Retter eher um Hilfe gebeten wurden als Nichtretter. Das wurde oft durch Dritte getan, die die potenziellen Retter ansprachen. Politisch standen Retter und Nichtretter den Nazis gleichermaßen negativ gegenüber. Die Eltern von Rettern wurden aber von den Befragten als weniger vorurteilsvoll geschildert als die Eltern von Nichtrettern. Retter unterschieden sich von Nichtrettern durch ihre Wertvorstellungen. Sie hoben stärker den Wert von Wohlwollen und Großzügigkeit hervor und die universelle Anwendbarkeit ethischer Regeln. Retter unterschieden sich auch in ihrem Bindungsverhalten von Nichtrettern, da sie ihre Mutter als näher erlebten. Sie erreichten höhere Werte auf der Skala der sozialen Verantwortung und betonten stärker empathische Gefühle. Sie glaubten auch eher als Nichtretter, Kontrolle ausüben zu können. Allerdings fanden sich keine Unterschiede gegenüber den Nichtrettern im Hinblick auf den Selbstwert. Typische Retter waren dadurch gekennzeichnet, dass sie einen hohen Zusammenhalt in der Familie aufwiesen, dass sie enge Kontakte zu Juden hatten, dass sie viele soziale Bindungen aufwiesen einschließlich eines Gefühls persönlicher Verantwortung und Eingebundenheit in die Gemeinschaft und dass sie Ähnlichkeit mit anderen im Sinne von Gleichheit betonten. Nichtretter antworteten eher defensiv und erwähnten die kollektive Schuld der Deutschen, ohne ihre persönliche Verantwortung zu erwähnen. Retter zeigten im Übrigen nach dem Krieg mehr Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement als Nichtretter. Schließlich zeigte sich, dass moralische Autonomie nicht die Hauptgrundlage der Hilfsbereitschaft war. Retter waren selten die klassischen, durch sich selbst gesteuerten Helden.

Obwohl die Befragung von Personen, die Juden retteten, beeindruckende und differenzierte Belege für die Relevanz einer prosozialen Persönlichkeit liefert, ist die Datenbasis doch retrospektiv und insofern nur indirekt aussagekräftig. Im Unterschied dazu wurde eine Untersuchung von Ersthelfern nach Verkehrsunfällen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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unmittelbar nach dem Ereignis durchgeführt (Bierhoff, Klein & Kramp, 1991). Der Grundgedanke bestand darin, den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Hilfsbereitschaft in einer Alltagssituation zu überprüfen, in der für die Beteiligten unerwartet eine akute Notlage aufgetreten war. Ersthelfer, die am Unfallort nach Verkehrsunfällen durch das berufliche Rettungsteam angesprochen wurden, nachdem sie verletzten Opfern Erste Hilfe geleistet hatten, entsprechen dieser Voraussetzung. 35 Männer und 8 Frauen wurden auf diese Weise als Untersuchungsteilnehmer gewonnen. Sie beantworteten Fragebögen, die Merkmale der prosozialen Persönlichkeit (soziale Verantwortung, Empathie, internale Kontrollüberzeugung, Streben nach einer gerechten Welt) erfassen sollten. Sie wurden mit einer Kontrollgruppe verglichen, die sich aus Personen zusammensetzte, die angaben, dass sie in einer vergleichbaren Situation keine Hilfe leisten würden und die den Ersthelfern nach Geschlecht, Alter und sozioökonomischem Status angeglichen wurden. Ein erster Faktor „Sorge um andere“ umfasst soziale Verantwortung und empathisches Selbstkonzept. Hingegen stellten „internale Kontrollüberzeugung“ und „Glaube an eine gerechte Welt“ zwei eigene Dimensionen dar, die von „Sorge um andere“ relativ unabhängig sind. Die Unterschiede zwischen Helfern und Nichthelfern lagen in folgenden Merkmalen: Helfer beschrieben ihr Selbstkonzept stärker als empathisch, sie legten mehr Wert auf soziale Verantwortung, sie betonten stärker internale Kontrollüberzeugungen und sie brachten einen größeren Glauben an eine gerechte Welt zum Ausdruck als Nichthelfer. Damit kann gesagt werden, dass sich Helfer auf drei Dimensionen deutlich von Nichthelfern unterscheiden: „Sorge um andere“, „Selbstvertrauen in die eigene Handlungskompetenz“ und „Gerechtigkeitskognitionen“. Die Ergebnisse der experimentellen Studie und der Feldstudien belegen zusammengenommen die Relevanz der prosozialen Persönlichkeit. Zwar lassen sich gegen jede einzelne Studie methodische Einwände vorbringen (wie Herstellung einer künstlichen Situation, retrospektive Daten, unzureichende Parallelisierung der Gruppen), aber diese sind jeweils spezifisch für eine der Untersuchungen.

3

Person-Situations-Interaktion: Die Gewinnung von zwei prosozialen Persönlichkeitsprofilen

Weiter oben wurde schon darauf hingewiesen, dass Notlagen sich dadurch unterscheiden, ob sich die Beobachter leicht entfernen können oder nicht, wenn sie nicht eingreifen. Diese Unterscheidung verweist auf motivationale Unterschiede des Helfens, die in der Empathie-Altruismus-Hypothese zum Thema gemacht werden (Batson, 1991). Danach kann Hilfeleistung sowohl altruistisch als auch egoistisch motiviert sein. Weiterhin wird angenommen, dass Hilfe bei leichter Fluchtmöglichkeit primär durch Mitgefühl (altruistisch) motiviert ist, während Hilfe bei erschwerter Fluchtmöglichkeit häufig egoistisch motiviert ist, da man sich sowohl in der Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Öffentlichkeit in sozial erwünschter Weise darstellen will als auch negative persönliche Emotionen (z. B. angespannt, genervt, irritiert) zu verarbeiten hat. Die Empathie-Altruismus-Hypothese besagt, dass Mitgefühl Hilfeleistung nicht nur bei schwerer, sondern auch bei leichter Fluchtmöglichkeit hervorruft, also unabhängig von der Situation, während egoistische Motive nur bei schwerer Fluchtmöglichkeit Hilfsbereitschaft fördern, wohingegen sie bei leichter Fluchtmöglichkeit durch ein Verlassen der Situation besser befriedigt werden können. Daher kann vermutet werden, dass die Persönlichkeitskorrelate unterschiedlich sind, je nachdem, ob eine leichte oder schwere Fluchtmöglichkeit gegeben ist. Diese Hypothese wurde in einem Experiment untersucht, in dem zwei Bedingungen einer leichten und schweren Fluchtmöglichkeit hergestellt wurden (Bierhoff & Rohmann, 2004). Studentinnen hatten die Möglichkeit, einer Frau in einer Notlage zu helfen. Sie wurden auf der Basis ihrer Selbstberichte über situationsspezifische Emotionen in zwei Gruppen unterteilt, von denen die eine hohe Werte für empathische Teilnahme und niedrige Werte für persönliche Betroffenheit aufwies, während die andere das umgekehrte Muster zeigte. Die Ergebnisse stimmten mit der Empathie-Altruismus-Hypothese von Batson (1991) überein. Mitgefühl korrelierte mit Hilfsbereitschaft bei leichter Fluchtmöglichkeit, persönliche Betroffenheit bei schwerer Fluchtmöglichkeit. Was das Thema der prosozialen Persönlichkeit angeht, fanden sich differenzierende Resultate, die darauf hindeuten, dass es gilt, zwei prosoziale Persönlichkeitsprofile zu unterscheiden, eines, das in der Bedingung „leichte Fluchtmöglichkeit“ relevant ist, und eines, das in der Bedingung „schwere Fluchtmöglichkeit“ wirksam ist. Dieses differentielle Ergebnismuster lässt sich gut am Beispiel der sozialen Verantwortung illustrieren. In Übereinstimmung mit den Resultaten von Bierhoff (2000) wurde zwischen zwei Komponenten unterschieden: Moralische Erfüllung der berechtigten Erwartungen anderer und Befolgung der sozialen Spielregeln. Die erstgenannte Komponente hing positiv mit Hilfeverhalten in der Bedingung „leichte Fluchtmöglichkeit“ zusammen, während die letztgenannte Komponente mit Hilfeverhalten in der Bedingung „schwere Fluchtmöglichkeit“ korrelierte. Diese Ergebnisse verweisen auf eine Person-Situations-Interaktion, da Variablen, die sich unter das Dach der prosozialen Persönlichkeit einordnen lassen (hier die Subskalen der sozialen Verantwortung), nur in jeweils einer der Versuchsbedingungen systematisch mit prosozialem Verhalten zusammenhingen. Diese neuen Ergebnisse lassen sich so interpretieren, dass spezifische Persönlichkeitsprofile mit Hilfsbereitschaft unter Bedingungen, bei denen es leicht oder schwer ist, die Situation zu verlassen, zusammenhängen. In Situationen, aus denen man sich leicht entfernen kann, ohne zu helfen, könnte man das Persönlichkeitsprofil der Helfer „altruistische Persönlichkeit“ nennen. Demgegenüber könnte man den Begriff der „prosozialen Persönlichkeit“ für das Persönlichkeitsprofil der Helfer in Situationen reservieren, in denen man sich der Notlage nur schwer entziehen kann. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Geschlechtsunterschiede

Das Thema von Geschlechtsunterschieden hat immer wieder das Interesse der Altruismus-Forscher hervorgerufen. Welches Geschlecht ist das hilfreichere? Auf der Grundlage von nahezu 200 Studien mit Jugendlichen und Erwachsenen, die in den USA und in Kanada durchgeführt wurden, lassen sich nur schwache Hinweise auf Geschlechtsunterschiede finden (in Situationen, in denen Helfer und Hilfeempfänger kurzzeitig und einmalig zusammentreffen; Eagly, 1987). Eine Metaanalyse zeigte, dass Männer in der Tendenz häufiger halfen als Frauen. Dieses Ergebnis ließ sich weiter aufschlüsseln. Eine größere Hilfsbereitschaft der Männer fand sich vor allem dann, wenn die Studie außerhalb von Schule und Uni stattfand, wenn andere potenzielle Helfer anwesend waren, wenn keine Bitte um Hilfe gestellt wurde und wenn die Daten aus den 1960er Jahren stammten, in denen die frühen Studien zum Hilfeverhalten durchgeführt wurden. In späteren Studien verschwanden die Geschlechtsunterschiede. Dieser Hinweis auf die Zeitabhängigkeit von Geschlechtsunterschieden wird durch eine neuere Untersuchung bestätigt, die auf Stichproben beruht, die in 23 Großstädten rund um den Globus erhoben wurden (Levine, Norenzayan & Philbrick, 2001). Drei Formen der alltäglichen Hilfeleistung wurden berücksichtigt (ähnlich denen, die weiter oben als Beispiele für Situationen, in denen prosoziales Verhalten auftritt, genannt wurden). Der Vergleich zwischen Männern und Frauen ergab keine Hinweise auf Geschlechtsunterschiede. Das lässt darauf schließen, dass Männer und Frauen sich in ihrer Hilfsbereitschaft in alltäglichen Situationen nicht oder nur geringfügig unterscheiden. Geschlechtsunterschiede treten hingegen konsistent nur dann auf, wenn eine Rettung der Opfer durch eine Tat zu Stande kommt, die mehr oder weniger „heroisch“ ist (vgl. Bierhoff, Klein & Kramp, 1991). In solchen Extremsituationen scheinen Männer im Vergleich zu Frauen eher einzugreifen.

5

Ausblick

Die Forschung zum prosozialen Verhalten wird in Zukunft stärker berücksichtigen müssen, dass Hilfeleistung das Ergebnis des Zusammenspiels von situativen Einflüssen und Persönlichkeitsmerkmalen ist. Nachdem lange die Rolle der Persönlichkeit vernachlässigt wurde, ergibt sich nun eine neue Perspektive, die durch die Entwicklung der Positiven Psychologie unterstützt wird. Nicht nur, dass die Positive Psychologie die Bedeutung prosozialen Verhaltens im alltäglichen Leben der Menschen betont, sondern sie verweist auch auf die zentrale Bedeutung von Tugenden wie Humanität, Gerechtigkeit, Mut und Selbstbeherrschung als menschliche Stärken (Seligman, 2002). Diese Stärken sind in der Persönlichkeit verankert. Empathie und soziale Verantwortung liegen der Humanität zu Grunde, der Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Glaube an die gerechte Welt thematisiert die Gerechtigkeit, die instrumentelle Handlungsorientierung den Mut und internale Kontrollüberzeugung spricht Aspekte der Selbstbeherrschung an. Daher kann man sagen, dass das Konzept der prosozialen Persönlichkeit und die Positive Psychologie in einigen Grundannahmen übereinstimmen.

Weiterführende Literatur Batson, C. D. (1991). The altruism question. Toward a social-psychological answer. Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum. Bierhoff, H. W. (2002). Prosocial behaviour. Hove, England: Psychology Press. Eisenberg, N. & Fabes, R. A. (1998). Prososocial development. In N. Eisenberg (Ed.), Handbook of Child Development (5th ed., Vol. 3, pp. 701–778). New York: Wiley.

Literatur Batson, C. D. (1991). The altruism question. Toward a social-psychological answer. Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum. Bierhoff, H. W. (2000). Skala der sozialen Verantwortung nach Berkowitz und Daniels: Entwicklung und Validierung. Diagnostica, 46, 18–28. Bierhoff, H. W. (2002). Prosocial behaviour. Hove, England: Psychology Press. Bierhoff, H. W. (2004). Handlungsmodelle für die Analyse von Zivilcourage. In G. Meyer, U. Dovermann, S. Frech & G. Gugel (Hrsg.), Zivilcourage lernen (S. 60–68). Tübingen: Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. Bierhoff, H. W., Klein, R. & Kramp, P. (1991). Evidence for the altruistic personality from data on accident research. Journal of Personality, 59, 263–280. Bierhoff, H. W. & Rohmann, E. (2004). Altruistic personality in the context of the empathy-altruism hypothesis. European Journal of Personality, 18, 351–365. Cialdini, R. B., Kenrick, D. T. & Baumann, D. J. (1982). Effects of mood on prosocial behavior in children and adults. In N. Eisenberg (Ed.), The development of prosocial behavior (pp. 339–359). New York: Academic Press. Eagly, A. H. (1987). Sex differences in social behavior: A social-role interpretation. Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum. Eisenberg, N. (2000). Emotion, regulation, and moral development. Annual Review of Psychology, 51, 665–697. Eisenberg, N., Gurthrie, I. K., Murphy, B. C., Shepard, S. A., Cumberland, A. & Carlo, G. (1999). Consistency and development of prosocial dispositions: A longitudinal study. Child Development, 70, 1360–1372. Graziano, W. G. & Eisenberg, N. (1997). Agreeableness: A dimension of personality. In R. Hogan, J. Johnson & S. Briggs (Eds.), Handbook of personality psychology (pp. 795– 824). San Diego, CA: Academic Press. Koestner, R., Franz, C. & Weinberger, J. (1990). The family origins of empathic concern: A 26-year longitudinal study. Journal of Personality and Social Psychology, 58, 709– 717.

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Levine, R. V., Norenzayan, A. & Philbrick, K. (2001). Cross-cultural differences in helping strangers. Journal of Cross-Cultural Psychology, 32, 543–560. Matthews, K. A., Batson, C. D., Horn, J. & Rosenman, R. H. (1981). Principles in his nature which interest him in the fortune of others: the heritability of empathic concern for others. Journal of Personality, 49, 237–247. Oliner, S. P. & Oliner, P. M. (1988). The altruistic personality. Rescuers of Jews in Nazi Europe. New York: Free Press. Penner, L. A. & Finkelstein, M. A. (1998). Dispositional and structural determinants of volunteerism. Journal of Personality and Social Psychology, 74, 525–537. Seligman, M. E. P. (2002). Authentic happiness. London: Brealey. Staub, E. (1974). Helping a distressed person: Social, personality, and stimulus determinants. In L. Berkowitz (Ed.), Advances in experimental social psychology (Vol. 7, pp. 293–341). New York: Academic Press. Zahn-Waxler, C., Robinson, J. L. & Emde, R. N. (1992). The development of empathy in twins. Developmental Psychology, 28, 1038–1047.

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Empathie Empathy Gisela Steins Il faut avoir l’esprit dur et le coeur tendre. Sophie Scholl Empathie wird in der Forschungsliteratur vielfältig definiert. Auffällig ist hierbei die häufige Gleichsetzung von Empathie mit Mitgefühl, prosozialem Verhalten, Perspektivenübernahme und Gefühlsansteckung (siehe Tab. 1). Aus den meisten Definitionen geht hervor, dass Empathie mindestens durch das Zusammenspiel von zwei Komponenten definiert ist. Einerseits einer emotionalen Komponente, nämlich dem Miterleben der Gefühle anderer Personen. Der Prozess der Gefühlsansteckung ist hier relevant. Andererseits einer kognitiven Komponente, die durch die Differenzierung zwischen eigener und anderer Person charakterisiert ist, also der Erkenntnis, dass es nicht die eigenen Gefühle sind, sondern die der anderen Person, die miterlebt werden.

1

Gefühlsansteckung

In vielen Situationen sind die Gefühle anderer Personen ansteckend. Ein spannender Film garantiert die Identifikation mit einer Figur; im Fußballstadion fiebern die Fans mit ihrem Favoriten mit. Dieser Prozess, der hier wirkt, wird als Gefühlsansteckung bezeichnet. Gefühlsansteckung ist der einfachste grundlegende Prozess, der an der Entstehung von Empathie beteiligt ist und wird von Hatfield, Cacioppo und Rapson (1994) als relativ automatischer, unbeabsichtigter, unkontrollierbarer Prozess beschrieben. Gefühlsansteckung ist definiert als die Tendenz automatisch den Gesichtsausdruck anderer Personen, deren Stimme, deren Haltung, deren Bewegungen nachzumachen, zu synchronisieren und emotional zu konvergieren. Da Individuen dazu neigen, sich auch in Bezug auf Mimik, Stimme, Gestik, Haltung mit der Umwelt zu synchronisieren und Gefühle erleben, die wiederum hierzu passen, ist Gefühlsansteckung einer der grundlegenden sozialen Prozesse überhaupt. 1.1

Wer steckt an?

Andere Menschen mit den eigenen Gefühlen anzustecken, ist eine Fähigkeit. Manche Individuen verfügen über diese Ausstrahlung: Wenn sie glücklich sind, dann fühlen sich die Menschen in ihrer Umgebung besser; wenn sie betrübt sind, dann Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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sinkt auch die Stimmung der Menschen in ihrer Nähe. Nicht jede Fußballmannschaft berührt, und nicht jeder Star bewegt.

Tabelle 1: Definitionen von Empathie und ihre besonderen Merkmale

Autor/in

Definition1

Besondere Merkmale der Definition

Dymond (1949)

Empathie bedeutet die vorgestellte Transformation der eigenen Person in das Denken, Fühlen und Handeln einer anderen Person, so dass die Welt so strukturiert wird, wie die andere Person dies vornimmt.

Perspektivenübernahme

Mehrabian & Epstein (1972)

Empathie als die stellvertretende Antwort auf die wahrgenommenen emotionalen Erlebnisse anderer Personen. Empathie schließt das Teilen der Gefühle ein, zumindest auf einer breiten affektiven Ebene.

Teilen der Gefühle anderer

Stotland (1978)

Ein Beobachter reagiert emotional weil er wahrnimmt, dass ein anderer etwas erlebt oder eine Emotion erlebt. Empathie als eine generelle Reaktionstendenz oder Eigenschaft im Gegensatz zu einer distinktiven Antwort auf spezifische Stimuli.

Teilen der Gefühle anderer

Veriacke (1980)

Empathie als die Integration emotionaler und kognitiver Komponenten, die zu der Entscheidung führen, im Sinne von „zum Wohl“ der anderen.

Empathie im Kontext prosozialen Handelns

Leak & Christopher (1982)

Empathie wird zuverlässig als Reaktion auf das Unglück anderer geweckt; Empathie setzt Hilfsbereitschaft in Gang und unterliegt wahrnehmungsbezogener und kognitiver Kontrolle.

Mitgefühl Empathie im Kontext prosozialen Handelns

Wispé (1987)

Empathie als der Prozess, bei dem eine Person sich in das Bewusstsein einer anderen Person hineinfühlt.

Einfühlung

Long & Andrews (1990)

Empathie besteht aus kognitiven (die akkurate Wahrnehmung der anderen) und affektiven Dimensionen (die Gefühle einer anderen Person übernehmen – Perspektivenübernahme).

Perspektivenübernahme Einfühlung

Zahn-Waxler & RadkeYarrow (1990)

Empathie als eine emotionale Reaktion die kongruent ist mit und stammt von der Wahrnehmung des emotionalen Zustands einer anderen Person.

Teilen der Gefühle

Levenson & Ruef (1992)

Empathie als die Fähigkeit akkurat die emotionale Information zu entdecken, welche durch eine andere Person gesendet wird.

Perspektivenübernahme

Anmerkung: 1 Übersetzung jeweils durch die Autorin.

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Empathie

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Die Fähigkeit, andere anzustecken, setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen: 1. Ansteckende Personen müssen sichtbar Gefühle zeigen, auch wenn diese nur dargestellt, also nicht wirklich empfunden werden. 2. Sie sind in der Lage, diese Gefühle eindeutig auszudrücken. Ihre Mimik, ihre Stimme und ihre Haltung müssen ihren emotionalen Zustand klar erkennen lassen. 3. Sie sind relativ unempfänglich gegenüber denjenigen Gefühlen anderer Personen, die mit ihren eigenen Gefühlen unvereinbar sind. Auf solche Gefühle reagieren sie nicht. 4. Menschen mit einem höheren Grad von Extraversion haben die Fähigkeit zur Gefühlsansteckung in höherem Maße ausgebildet (Friedman & Riggio, 1981; Sullins, 1991); sie sind expressiver.

1.2

Wer lässt sich anstecken?

Aber auch sich anstecken zu lassen, ist eine Fähigkeit, die variiert. Nicht jeder Mensch ist gleich empfänglich für die Gefühle anderer Menschen. Der Nachbar im Kino versteht möglicherweise die Tränen seines Nachbarn nicht, mancher Zuschauer im Fußballstadion erscheint unbeteiligt und vermutlich sogar abgestoßen von der bewegten Beteiligung anderer. Die Ansteckung von den Gefühlen anderer Menschen erfolgt wahrscheinlicher, wenn: • die Aufmerksamkeit auf andere Personen gerichtet ist, • das Selbstkonzept stärker durch Beziehungen zu anderen konstruiert ist (Interdependenz) als durch die Betonung von Unabhängigkeit und Einzigartigkeit (Independenz), • der emotionale Ausdruck anderer Menschen besser entziffert werden kann, • man sich der eigenen emotionalen Reaktionen bewusster ist, • die eigene emotionale Reaktivität höher ausgeprägt ist. Das Miterleben von Gefühlen anderer Personen kann im Falle extrem negativer Gefühle so unangenehm sein, dass besonders empfängliche Personen dazu tendieren, Situationen zu vermeiden, in denen sie sich mit den negativen Gefühlen anderer anstecken könnten, wie Stotland et al. (1978) in einer Untersuchung mit Krankenschwestern als Probandinnen berichteten. Wenn Gefühlsansteckung zu Hilfeverhalten motiviert, dann, um die eigenen unangenehmen Gefühle zu reduzieren. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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1.3

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Selbstberichte von Gefühlsansteckung

Sowohl die Fähigkeit anzustecken als auch diejenige, sich anstecken zu lassen, kann durch Selbstberichte erfasst werden. Mitunter überschneiden sich einige Selbstberichte zur Erfassung von Empathie mit diesen Selbstberichten zur emotionalen Ansteckung (siehe Tab. 2). Tabelle 2: Selbstberichte zur Erfassung von Gefühlsansteckung und Empathie Bezeichnung des Konzepts

Autor/in

Items

Mehrabian, Young & Sato (1988)

– Ich werde nervös, wenn andere um mich herum nervös zu sein scheinen. – Die Menschen um mich herum, haben einen großen Einfluss auf meine Stimmung.

Emotionale Empathie

Stotland et al. (1978)

– Oft fühle ich mich den Schwierigkeiten anderer so nahe, dass sie fast wie meine eigenen sind.

Empathie

Friedman et al. (1980)

– Ich berühre häufig Freunde während unserer Gespräche. – Ich habe üblicherweise einen neutralen Gesichtsausdruck. (–)

Die Fähigkeit, anzustecken

Kato & Markus (1992; in Hatfield et al., 1994)

– Wie ich mich verhalte, hängt von den Menschen der jeweiligen Situation ab. – Ich bin immer ich selbst. Ich verhalte mich nicht wie andere Personen. (–)

Die Fähigkeit, sich anstecken zu lassen (hier operationalisiert über Interdependenz/Independenz)

Aus dieser Schnittmenge resultiert der Eindruck, dass Empathie und emotionale Ansteckung identisch seien. Das wird jedoch von den meisten Forschern und Forscherinnen auf diesem Gebiet abgelehnt, wie es aus der „phänomenalen“ Definition von Empathie von Bischof-Köhler (1989) hervorgeht: „Phänomenal ist Empathie die Erfahrung, unmittelbar der Gefühlslage eines Anderen teilhaftig zu werden und sie dadurch zu verstehen. Trotz dieser Teilhabe bleibt das Gefühl aber anschaulich dem Anderen zugehörig. Darin unterscheidet sich Empathie von Gefühlsansteckung, bei der die Stimmung des Anderen vom Beobachter selbst Besitz ergreift und dabei ganz zu dessen eigenstem Gefühl wird“ (BischofKöhler, 1989, S. 26). Zur emotionalen Ansteckung muss ein weiterer Prozess hinzukommen, damit Empathie auftritt: Die Differenzierung zwischen der eigenen und der anderen Person.

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Empathie

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Selbst-Fremddifferenzierung

2.1

Entwicklung der Selbst-Fremddifferenzierung

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Im ersten Lebensjahr reagieren Kinder auf die Schmerzen anderer, als wären es ihre eigenen Schmerzen. Erst allmählich beginnen sie zu verstehen, dass der Schmerz von einer anderen Person gefühlt wird und nicht der eigene ist. Auch im zweiten Lebensjahr vergewissern Kinder sich, wenn sie ein anderes Kind mit einem verletzten Finger sehen, dass es wirklich nicht der eigene Finger ist, indem sie ihren eigenen Finger anfassen und anschauen. Etwa ab dem 30. Lebensmonat jedoch können sie eine klare Unterscheidung zwischen sich selbst und anderen Personen treffen und erste Selbstdefinitionen beginnen (Eisenberg & Fabes, 1998). Erst wenn diese Unterscheidung zwischen eigener und anderer Person getroffen werden kann, ist Empathie im eigentlichen Sinne möglich, nämlich definiert als Einfühlung, als der Prozess, bei dem eine Person sich in das Bewusstsein einer anderen Person hineinfühlt (Wispé, 1987), wissend, dass es die andere Person ist und nicht die eigene. Verläuft die Selbst-Fremddifferenzierung optimal, dann wird auf einer affektiven Ebene das Gefühl der anderen Person miterlebt, im Rahmen der Erkenntnis, dass es die Gefühle der anderen Person sind und nicht die eigenen Gefühle. 2.2

Einflüsse auf die Selbst-Fremddifferenzierung

Dennoch können auch bei Erwachsenen die Grenzen zwischen der eigenen Person und der anderen Person verschwimmen. Die Art der Beziehung zu der Person, welche Gefühle ausdrückt, beeinflusst hier die Gefühlsansteckung. Je näher die Beziehung zu einer Person, desto eher kann diese anstecken. Das Verschmelzen von eigener und anderer Person wird von Personen berichtet, die sich in einer intensiven, nahen Beziehung befinden, also beispielsweise von Liebespaaren oder von Eltern zu ihren Kindern (Jarymowicz, 1992). Auch die Gefühle von Personen, die Macht haben, weisen ein höheres Ansteckungspotenzial für die abhängige Person auf. So haben beispielsweise Eltern einen großen Einfluss auf das emotionale Erleben ihrer Kinder, insbesondere wenn diese noch jung sind. Möglicherweise fällt es Personen in solch bedeutsamen Beziehungen besonders schwer, sich aus der Gefühlsansteckung zu lösen und eine Differenzierung vorzunehmen, also sich empathisch zu verhalten. Auch muss in Betracht gezogen werden, dass die Motivation die Gefühle einer anderen Person wahrzunehmen, insbesondere, wenn diese Person unwichtig ist, sehr gering ausfallen kann (Ickes, 1993; Steins, 2000).

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Bedingungen von Empathie Die Fähigkeit und Bereitschaft zur Empathie variiert. Eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst die Neigung, die Gefühle anderer mitzuerleben. Zusätzlich beeinflusst die Qualität der Beziehung zur beobachteten Person die Bereitschaft zur Selbst- Fremddifferenzierung. Der häufig berichtete geschlechtsspezifische Befund, dass Frauen sich als empathischer beschreiben, verwundert daher nicht, da sie durchschnittlich mehr Interesse für zwischenmenschliche Beziehungen aufwenden, also ihre Aufmerksamkeit auch im Vergleich zu Männern stärker auf die Gefühle anderer Personen gerichtet sein dürfte.

2.3

Gefühlsansteckung und Selbst-Fremddifferenzierung

Wie hängen nun diese beiden Komponenten zeitlich – in einer aktuellen Situation – zusammen? In der Literatur finden sich Hinweise auf beide Richtungen. So kann das Miterleben der Emotion einer anderen Person zuerst erfolgen. Eine beobachtende Person fühlt beispielsweise plötzlich die Panik der beobachteten Person. Sie kann nun dieses Gefühl durch eine gelungene Selbst-Fremddifferenzierung abmildern und gewinnt so die entscheidende Distanz zu dem miterlebten Gefühl, die Empathie möglich macht und zu altruistischem Verhalten motiviert. Im Laufe der individuellen Entwicklung erfolgt jedoch immer stärker die Fähigkeit, Gefühle zu kontrollieren. Bereits im Kindergartenalter haben Kinder Regeln verinnerlicht, die sie in ihrer Gefühlsansteckung leiten: Nicht auf alle Hilferufe wird beispielsweise reagiert – relevante Hinweisreize werden von vermeintlich irrelevanten unterschieden. Aus dieser Differenzierung heraus, kann durch Perspektivenübernahme, also durch das sich Hineindenken in die andere Person, auch eine empathische Reaktion vermittelt werden, indem die beobachtende Person nicht nur die andere Person aus deren Perspektive wahrnimmt, sondern auch die Gefühle der beobachteten Person teilt, und sich ganz bewusst anstecken lässt. Gefühlsansteckung und Selbst-Fremddifferenzierung Denkbar ist ein Zusammenspiel beider Komponenten in beide Richtungen: • Das Miterleben der Emotion einer anderen Person kann abgemildert werden durch das Hinzutreten der Selbst-Fremddifferenzierung. • Auf Grund einer Differenzierung zwischen eigener und anderer Person kann durch Perspektivenübernahme, also durch das sich Hineindenken in die andere Person, auch eine empathische Reaktion vermittelt werden, indem die beobachtende Person die Gefühle der beobachteten Person teilt.

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Durch die Erkenntnis, dass es die Gefühle der anderen Person sind und nicht die eigenen Gefühle, entsteht ein anderer Zugang zu der anderen Person, der ein breiteres Verhaltensspektrum umfasst. Es entsteht die Möglichkeit zur Entscheidung für oder gegen Hilfeleistung und deren Ausführung. Batson et al. (1997) gehen hierbei davon aus und untermauern dies in einer Vielzahl von Untersuchungen, dass die Motivation zu helfen, die durch Empathie ausgelöst wird, altruistisch ist. Das Empfinden von Empathie für eine Person in einer Notlage löst bei der beobachtenden Person eine Hilfsbereitschaft aus, weil diese selbstlos helfen will, ihre Motivation ist es nicht, ihren durch Gefühlsansteckung verursachten emotionalen Stress zu reduzieren. Empathie ist also eine notwendige Voraussetzung für altruistisches Verhalten, aber ob sie hinreichend ist, kann bezweifelt werden. Eine Vielzahl von situativen Faktoren determiniert, ob die Absicht zu helfen auch wirklich umgesetzt werden kann. Ein definitorischer Aspekt: Empathie und Mitgefühl In diesem Kontext ist es wichtig, Empathie und Mitgefühl zu unterscheiden. Mitgefühl wird als eine erhöhte Empfänglichkeit für das Leiden einer anderen Person bezeichnet, das als etwas zu Linderndes empfunden wird. In diesem Sinne bezieht sich Mitgefühl auf einen bestimmten Ausschnitt der Gefühle anderer Personen und ist mit einer Motivation zu handeln verbunden. Empathie hingegen bezieht sich allgemein auf das Miterleben aller möglichen Gefühle anderer Personen.

3

Ausblick

Empathie als Forschungsgegenstand birgt den großen Nachteil, dass der Begriff uneinheitlich verwendet wird und durch eine breite Interpretationsvielfalt schwer zu fassen ist. Indem man die Komponenten analysiert, die in den Definitionen aufgeführt werden, kann diese Definitionsvielfalt fruchtbar sein, wenn Widersprüche thematisiert und aufgelöst werden. Wie in vielen Gebieten der Psychologie gibt es auch in diesem Forschungsfeld eine Reihe offener Fragen, die zu weiterer Forschung anregen. Interessant wäre beispielsweise eine Untersuchung von Empathie über die gesamte Lebensspanne. So ist es denkbar, dass Menschen in unterschiedlichen Phasen ihres Lebens systematisch variierende empathische Reaktionen zeigen. Fühlen kleine Kinder noch häufig stark die Gefühle ihrer relevanten Bezugspersonen mit, ist es denkbar, dass diese Intensität in bestimmten Lebensphasen, in denen wichtige und herausfordernde Lebensaufgaben zu bewältigen sind, nachlässt und die Wichtigkeit anderer Personen minimiert ist. Auch sind hier sicherlich kulturelle Einflüsse bedeutsam: Gesellschaften unterscheiden sich darin, inwieweit es als sozial angemessen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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gilt, Emotionen zu zeigen und diese mitzuerleben. Eine kulturelle Analyse auf diesem Gebiet könnte die Grundlage für fundierte Prognosen über unser zukünftiges zwischenmenschliches Miteinander liefern.

Weiterführende Literatur Eisenberg, N. & Strayer, J. (1987). Empathy and its development. New York: Cambridge University Press. Hatfield, E., Cacioppo, J. & Rapson, R. L. (1992). Emotional contagion. In M. S. Clark (Ed.), Review of Personality and Social Psychology: Vol. 14. Emotion and social behaviour (pp. 151–177). Newbury Park, CA: Sage. Steins, G. (1998). Diagnostik von Empathie und Perspektivenübernahme: Eine Überprüfung des Zusammenhangs beider Konstrukte und Implikationen für die Messung. Diagnostica, 44, 117–129.

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Aggressivität Trait Aggression Barbara Krahé Aggressives Verhalten, d. h. Verhalten, das mit der Absicht ausgeführt wird, eine andere Person zu schädigen, ist mit vielfältigen negativen Konsequenzen für die unmittelbar Beteiligten und für die Gesellschaft insgesamt verbunden. Das Verständnis der Bedingungen, die zu dieser Form des antisozialen Verhaltens führen, stellt daher eine vordringliche Aufgabe der Forschung dar. Aus psychologischer Sicht geht es dabei um die Frage, welche Einflussvariablen aggressives Verhalten begünstigen und – ebenso wichtig unter dem Aspekt der Intervention – es verhindern. Im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags steht die Betrachtung dispositionaler Variablen als Bedingungen und Korrelate individueller Unterschiede in der Aggressionsbereitschaft.

1

Individuelle Unterschiede in der Aggressionsbereitschaft

Die Feststellung, dass nicht alle Menschen in gleicher Weise zu aggressiven Verhaltensweisen neigen, gehört zu den Trivialitäten des psychologischen Alltagswissens. Keineswegs trivial ist dagegen die Frage, auf Grund welcher Konstrukte sich Unterschiede in der Aggressionsneigung vorhersagen lassen und welche psychologischen Prozesse diesen Unterschieden zu Grunde liegen. Aggressionsrelevante Persönlichkeitsdispositionen Trait-Aggressivität: Zeitlich und situationsübergreifend stabile Unterschiede zwischen Individuen in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens. Kernkomponenten: Physische Aggression, verbale Aggression, Ärger, Feindseligkeit Erregbarkeit: Tendenz, bereits bei minimaler Provokation oder Verärgerung impulsiv und antagonistisch zu reagieren. Grübeln (versus Zerstreuen): Intensive und nachhaltige kognitive Beschäftigung mit aggressionsbezogenen Stimuli. Feindseliger Attributionsstil: Tendenz, mehrdeutige Reizgegebenheiten im Sinne einer feindseligen Intention der handelnden Akteure zu interpretieren.

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Trait-Aggressivität

Das Konzept der Trait-Aggressivität kennzeichnet dispositionale, d. h. zeitlich und situationsübergreifend stabile Unterschiede zwischen Personen in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens. Mit Hilfe von Längsschnittstudien wurden überzeugende Belege für die hohe Stabilität von individuellen Unterschieden in der Aggressionsneigung erbracht. Auf der Grundlage von 16 Längsschnittstudien zur Aggressionsneigung von Männern ermittelte Olweus (1979) Stabilitätskoeffizienten von r = .76 über den Zeitraum eines Jahres, von .69 über fünf Jahre, und noch immer von .60 über eine Zeitspanne von 10 Jahren. Damit erweist sich die Aggressionsbereitschaft als ebenso stabiles Merkmal wie die Intelligenz, deren Stabilitätskoeffizienten in einer vergleichbaren Größenordnung liegen. Hervorzuheben ist, dass die Stabilität für diejenige Teilgruppe von Befragten am höchsten war, die bereits zu Beginn der Messungen durch eine besonders hohe bzw. besonders niedrige Aggressionsbereitschaft in Erscheinung traten. Eine Erklärung für diesen Befund kann sein, dass Personen mit stark versus gering ausgeprägtem Ausgangsniveau der Aggressionsbereitschaft sich auch aggressionsfördernden bzw. -hemmenden Umweltbedingungen in unterschiedlichem Maße aussetzen und es dadurch zu Stabilisierungsprozessen kommt (zur Wechselwirkung von dispositionalen und situativen Bedingungsfaktoren aggressiven Verhaltens s. Abschnitt 3). Trait-Aggressivität wird als mehrdimensionales Konstrukt aufgefasst, das als zentrale Komponenten physische Aggression, verbale Aggression, Ärger und Feindseligkeit umfasst. Zur Erfassung der Trait-Aggressivität werden in erster Linie Fragebogenverfahren eingesetzt, in denen Personen im Selbstbericht Aussagen über ihre Aggressionsbereitschaft machen. Das derzeit prominenteste Verfahren ist der „Aggression Questionnaire“ (Buss & Warren, 2000), der die vier Faktoren verbale und physische Aggressionsbereitschaft, Ärger und Feindseligkeit erfasst. 1.2

Erregbarkeit und Grübeln

Neben der Trait-Aggressivität wurden eine Reihe weiterer Persönlichkeitsmerkmale identifiziert, die mit individuellen Unterschieden in der Aggressionsneigung in Beziehung stehen: Erregbarkeit („irritability“) bezeichnet die Tendenz, bereits bei minimaler Provokation oder Verärgerung impulsiv und antagonistisch zu reagieren (Caprara, Perugini & Barbaranelli, 1994). Personen mit stark ausgeprägter Erregbarkeit neigen stärker zu aggressivem Verhalten, insbesondere nach vorhergehender Frustration oder in Anwesenheit aggressiver Hinweisreize. Parallele Zusammenhänge ließen sich auch für das verwandte Konstrukt der emotionalen Labilität („emotional susceptibility“) feststellen, das das habituelle Gefühl von Verletzbarkeit und Unzulänglichkeit bezeichnet.

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Auf der Ebene der kognitiven Stile ist das Konstrukt des Zerstreuens versus Grübelns („dissipation versus rumination“) mit der dispositionalen Aggressionsneigung verbunden. Zerstreuen und Grübeln werden als Endpunkte eines Kontinuums der nachhaltigen Beschäftigung mit aggressiven Kognitionen aufgefasst. Personen mit hoher Grübel-/niedriger Zerstreuungstendenz, die nach einem aggressionsrelevanten Stimulus intensiv und andauernd aggressive Kognitionen ausbilden, werden von Personen abgegrenzt, die auf einen aggressionsrelevanten Stimulus mit einer schnellen kognitiven Verarbeitung reagieren und sich bald anderen kognitiven Inhalten zuwenden. Aus dieser Konzeptualisierung folgt, dass Grübler mit zunehmendem zeitlichen Abstand von einem aggressionsauslösenden Ereignis verstärkt zu aggressiven Reaktionen neigen sollten, Zerstreuer dagegen eine Abnahme aggressiver Handlungstendenzen zeigen sollten (zusammenfassend s. Caprara et al., 1994). 1.3

Selbstwert

Nicht nur eine akute Selbstwertbedrohung, sondern auch das habituelle Selbstwertgefühl sind in ihrer Bedeutung für die Aggressionsneigung untersucht worden. Die ursprüngliche Annahme, Personen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl seien besonders anfällig für aggressives Verhalten, wird seit den neueren Arbeiten aus dem Arbeitskreis von Baumeister kritisch gesehen. Diese Arbeiten zeigen, dass weniger die niedrige Ausprägung des Selbstwertgefühls aggressives Verhalten vorhersagt, sondern eher der labile Charakter eines hohen Selbstwertgefühls, das durch negative Rückmeldungen leicht zu erschüttern ist (Baumeister & Boden, 1998). Befunde zu unterschiedlichen Erscheinungsformen aggressiven Verhaltens in experimentellen sowie natürlichen Kontexten belegen, dass aggressiv handelnde Individuen vielfach ein positives Selbstwertgefühl aufweisen, diese positive Selbstwertung jedoch überzogen ist (z. B. im Vergleich zu Bewertungen durch andere Personen) und zudem transsituativ labil ist. Personen mit einem übersteigerten und zudem labilen Selbstwertgefühl reagieren auf negatives Feedback, z. B. in Form von Provokation oder Frustration, mit negativem Affekt (Ärger), der die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens erhöht. 1.4

Feindseliger Attributionsstil und Perspektivenübernahme

Eine weitere Variable, die mit individuellen Unterschieden in der Aggressionsbereitschaft in Beziehung steht, ist der feindselige Attributionsstil. Dieses Konstrukt bezeichnet die Tendenz, mehrdeutige Reizgegebenheiten im Sinne einer feindseligen Intention der handelnden Akteure zu interpretieren. Wenn es etwa darum geht zu entscheiden, ob ein eingetretener Schaden versehentlich oder absichtlich verursacht worden ist, würden Personen mit hoch ausgeprägtem feindseligen Attributionsstil eine Attribution auf feindselige Absichten vornehmen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Bereits bei Kindern lassen sich individuelle Unterschiede in der Stärke des feindseligen Attributionsstils nachweisen, die nach Befunden einer Längsschnittstudie von Burks, Laird, Dodge, Pettit und Bates (1999) zu einer Stabilisierung aggressiver Handlungstendenzen führen. Auch im Erwachsenenalter ist die Tendenz zur Attribution feindseliger Absichten mit erhöhter Aggressionsneigung verbunden. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass sowohl Trait-Aggressivität als auch Erregbarkeit die Stärke des feindseligen Attributionsstils vorhersagen. Diese Ergebnisse weisen auf die Wechselwirkung zwischen dispositioneller Aggressionsneigung und kognitiven Stilen für die Verfestigung aggressiver Verhaltenstendenzen hin: Hohe Trait-Aggressivität begünstigt den feindseligen Attributionsstil, der wiederum zu einer Stabilisierung aggressiver Verhaltensmuster führt. Im Hinblick auf die Entstehungsfaktoren des feindseligen Attributionsstils weisen neuere Studien auf die Rolle gewalthaltiger Medieninhalte hin: Eine ausgeprägte Vorliebe für gewalthaltige Mediendarstellungen ließ sich zu einer erhöhten Ausprägung des feindseligen Attributionsstils in Beziehung setzen (Krahé & Möller, 2004). Im Unterschied zu den bisher genannten dispositionalen Variablen, die die Bereitschaft zu aggressivem Verhalten erhöhen, ist das Konstrukt der Perspektivenübernahme im Sinne eines Schutzfaktors zu sehen, der die Auftretenswahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens herabsetzt. Perspektivenübernahme ist ebenfalls als kognitive Disposition anzusehen und bezieht sich auf die Fähigkeit, sich in die Lage einer anderen Person hineinzuversetzen bzw. Sachverhalte aus ihrer Sicht einzuschätzen. Individuen mit stark ausgeprägter Perspektivenübernahme gaben im Selbstbericht weniger aggressives Verhalten an und reagierten auch weniger aggressiv auf eine Provokation als Personen mit geringer Perspektivenübernahme (Richardson, Green & Lago, 1998). 1.5

Geschlecht

Stabile individuelle Unterschiede in der Aggressionsbereitschaft sind schließlich auch als Funktion des biologischen Geschlechts nachgewiesen worden. Eine breite Forschungsliteratur ist der Hypothese gewidmet, dass aggressives Verhalten bei Männern stärker ausgeprägt ist als bei Frauen. Für die Annahme der erhöhten Aggressionsneigung von Männern sprechen kriminalstatistische Daten zu Gewaltdelikten, wie etwa die Polizeiliche Kriminalstatistik für die Bundesrepublik Deutschland, bei denen Männer in der Größenordnung von etwa 8 zu 1 überrepräsentiert sind. Metaanalysen der psychologischen Forschungsliteratur fanden ebenfalls einen signifikanten Geschlechtseffekt im Sinne einer erhöhten Aggressionstendenz von Männern, wenngleich nur in schwacher bis mittlerer Größenordnung (Eagly & Steffen, 1986) (➝ Geschlechterunterschiede). Befunde aus der kulturvergleichenden Forschung deuten darauf hin, dass es sich hierbei um einen universellen Effekt handelt. Bezogen auf die konkrete Manifestation aggressiven Verhaltens zeigen die Metaanalysen, dass der Effekt des Geschlechts bei physiDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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scher Aggression stärker ist als bei verbaler Aggression. Die generell zu konstatierende höhere Aggressionsneigung von Männern besagt jedoch nicht, dass Frauen kein aggressives Verhalten zeigen. Die Vorstellung von der nicht aggressiven Frau wurde in neuerer Zeit kritisch beleuchtet. Dabei trat zu Tage, dass Frauen andere Formen aggressiven Verhaltens zeigen als Männer, insbesondere in Gestalt relationaler Aggression (z. B. das Ausgrenzen oder Verleumden anderer). Besonders kontrovers wird derzeit die aktive Rolle von Frauen im Bereich der Partnergewalt diskutiert. Analysen kriminalstatistischer Daten belegen auch für diesen Bereich ein deutliches Übergewicht männlicher Täter. Dagegen sprechen Studien, in denen selbstberichtetes Täterhandeln mit den „Conflict Tactics Scales“ (CTS) ermittelt wurde, für eine stärkere Beteiligung von Frauen. Die Metaanalyse der CTS-Studien von Archer (2000) fand einen zwar schwachen, aber signifikanten Effekt im Sinne höherer Prävalenzen für Frauen als Täterinnen. Bezieht man jedoch die Verletzungswahrscheinlichkeit bzw. Verletzungsschwere mit ein, kehrt sich der Effekt zu Lasten der Männer um (Krahé, 2004).

2

Entwicklung und Stabilität der Aggressionsbereitschaft in Kindheit und Jugendalter

In der entwicklungspsychologischen Literatur wird betont, dass aggressives Verhalten im Kindes- und Jugendalter bis zu einem gewissen Grad altersnormativ ist, d. h. von der Mehrzahl der Population zumindest gelegentlich gezeigt wird (Loeber & Hay, 1997). Die Frage nach individuellen Unterschieden stellt sich daher vor allem bezogen auf Abweichungen von der altersnormativen Ausprägung aggressiven Verhaltens im Sinne einer erhöhten Aggressionsneigung. Die im Kasten dargestellten Fragestellungen sind hierbei forschungsleitend (Loeber & Hay, 1997). Kernfragen der Entwicklung individueller Unterschiede aggressiven Verhaltens • Wann tritt aggressives Verhalten erstmals in Erscheinung, und in welcher Form manifestiert es sich in Kindheit, Jugend und jungem Erwachsenenalter? • Folgt die Entwicklung der Aggressionsneigung einem Eskalationsmuster? • Welches sind die emotionalen und kognitiven Grundlagen aggressiven Verhaltens? • Sind individuelle Unterschiede in der Aggressionsneigung genetisch bedingt? • Welche Rolle spielen Umweltvariablen für die Ausbildung und Persistenz aggressiver Verhaltenstendenzen?

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1. Wann tritt aggressives Verhalten erstmals in Erscheinung, und in welcher Form manifestiert es sich in Kindheit, Jugend und jungem Erwachsenenalter? Bereits in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahrs zeigen Kinder Ärger und damit eine wesentliche affektive Grundlage aggressiven Verhaltens. Zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr ist dann im Zusammenhang mit der Trotzphase auch aggressives Verhalten mit dezidierter Schädigungsabsicht zu beobachten, das sich in verschiedenen Formen physischer Aggression (Schlagen, Treten etc.) manifestiert. Mit dem Schuleintritt werden Geschlechtsunterschiede deutlich, und zwar sowohl in der Intensität des aggressiven Verhaltens (ausgeprägter bei Jungen) als auch in der Qualität (mehr physische Aggression bei Jungen, mehr relationale bei Mädchen). Insgesamt ist von der frühen zur mittleren Kindheit ein Rückgang aggressiver Verhaltensweisen zu beobachten, der auf zunehmende Fähigkeiten zur affektiven Selbstregulation zurückzuführen ist. Im Jugend- und jungen Erwachsenenalter hält der altersnormative Rückgang physischer Aggression an. Bei denjenigen Personen, die diesem Alterstrend nicht folgen und in ihren aggressiven Verhaltensmustern persistieren, sind zunehmend gewalthaltigere Formen der Aggression zu konstatieren, die häufig mit der sozialen Organisation in Gruppen und Banden einhergehen (Loeber & Hay, 1997). 2. Folgt die Entwicklung der Aggressionsneigung einem Eskalationsmuster? Trotz des bereits erwähnten Rückgangs aggressiven Verhaltens mit zunehmendem Alter bleibt ein nicht geringer Teil der Kinder, die bereits früh durch eine erhöhte Aggressionsbereitschaft in Erscheinung treten, auch im weiteren Entwicklungsverlauf auffällig. Für diese Gruppe zeigt sich, dass der Entwicklungsverlauf in einem Großteil der Fälle einem Eskalationsmuster folgt: Leichte und mittelschwere Formen der Aggression gehen in zunehmend schwere Formen aggressiven Verhaltens über (Moffitt, Caspi, Dickson, Silva & Stanton, 1996). 3. Welches sind die emotionalen und kognitiven Grundlagen aggressiven Verhaltens? Hier geht es um die Frage nach personalen Risikofaktoren, die die Ausbildung und Persistenz aggressiver Verhaltensmuster begünstigen. Kinder, die Defizite in der Affektregulation und Impulskontrolle aufweisen, haben ein erhöhtes Risiko der Entwicklung aggressiver Verhaltenstendenzen. Auf kognitiver Ebene sind geringe Intelligenz und das Vorliegen einer Aufmerksamkeitsstörung als Risikofaktoren identifiziert worden (Loeber & Hay, 1997). Daneben spielt die Entwicklung aggressiver Skripts, d. h. kognitive Repräsentationen von Auslösebedingungen, Ablauf und normativer Angemessenheit aggressiver Interaktionen eine Rolle (Huesmann, 1998). Auch die Ausbildung eines feindseligen Attributionsstils (s. o.) kann Teil verhaltenssteuernder aggressiver Skripts sein.

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4. Sind individuelle Unterschiede in der Aggressionsneigung genetisch bedingt? Die Frage, in welchem Ausmaß genetische Unterschiede für phänotypische Unterschiede in der Aggressionsneigung verantwortlich sind, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Befunde aus Adoptionsstudien sowie aus der Zwillingsforschung zeigen, dass die Ähnlichkeit von Personen in Bezug auf aggressives Verhalten mit ihrer genetischen Ähnlichkeit in Zusammenhang steht. Nach einer Metaanalyse von Miles und Carey (1997) erklärt die genetische Ähnlichkeit bis zu 50 % der Variabilität des aggressiven Verhaltens. Die Stärke des Zusammenhangs variiert jedoch je nach Entwicklungsabschnitt. Bei Erwachsenen erklärt die genetische Ähnlichkeit mehr Varianz als bei Kindern. Sie ist ebenfalls unterschiedlich je nach den herangezogenen Indikatoren der Aggression. Die erklärte Varianz ist bei selbsteingeschätzter Aggressionsneigung höher als bei Rückgriff auf Verhaltensdaten. 5. Welche Rolle spielen Umweltvariablen für die Ausbildung und Persistenz aggressiver Verhaltenstendenzen? Elterliches Erziehungsverhalten spielt bei der Ausbildung aggressiver Verhaltensmuster eine wesentliche Rolle. Insbesondere inkonsistentes und durch körperliche Züchtigung geprägtes Disziplinierungsverhalten begünstigt aggressives Verhalten von Kindern, nicht zuletzt, weil über den Mechanismus des Modell-Lernens der Einsatz körperlicher Aggression als Mittel der Konfliktbewältigung in das Verhaltensrepertoire der Kinder eingeht. Neben der direkten Erfahrung von Aggression wurde auch die Beobachtung von Gewalt im familiären Kontext als Prädiktor aggressiven Verhaltens von Kindern identifiziert (Widom, 1989). Mediengewalt stellt eine weitere Quelle des Beobachtungslernens dar, die aggressives Verhalten begünstigt (Anderson & Bushman, 2001). Umweltvariablen sind nicht nur in Bezug auf die Auslösung, sondern auch für die Stabilisierung und Verstärkung aggressiver Verhaltensmuster von Bedeutung. Aggressiv auffällige Kinder werden von ihren Altersgenossen abgelehnt und marginalisiert. Dies führt dazu, dass sie sich verstärkt in soziale Beziehungen mit anderen aggressiv-auffälligen und sozial abgelehnten Gleichaltrigen begeben, so dass Bezugsgruppen entstehen, in denen aggressives Verhalten verbreitet und normativ akzeptiert ist.

3

Interaktion von personalen und situativen Bedingungsfaktoren aggressiven Verhaltens

Für das Verständnis aggressiven Verhaltens sind nicht nur die dispositionalen Voraussetzungen, sondern auch die Interaktion zwischen dispositionalen Variablen und situativen Bedingungen zu berücksichtigen. Das derzeit umfassendste und einflussreichste Erklärungsmodell aggressiven Verhaltens, das „General Aggression Model“ (GAM) von Anderson und Mitarbeitern (z. B. Lindsay & Anderson, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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2000), betrachtet das Zusammenwirken individueller und situativer Einflussgrößen als Input-Konstellation für aggressives Verhalten, die über affektive und kognitive Verarbeitungsprozesse zu einer Entscheidung für oder gegen eine aggressive Handlung führen (vgl. Abb. 1).

Situative Variablen – Kognitive Hinweisreize (z. B. Waffen) – Schmerz, Unwohlsein – Frustration – Angriff (z. B. Verletzung) – Drogen, körp. Anstrengung

Individuelle Unterschiede – Traits (Aggressivität, Feindseligkeit) – Einstellungen zu Gewalt – Gewaltbezogene Normen – Fähigkeiten und Fertigkeiten (z. B. Kampfkraft)

Verfügbare Kognitionen – Aggressive Gedanken – Aggressive Skripts

Verfügbare Affekte – Feinseligkeit – Motorischer Ausdruck

Erregung – physiologisch – wahrgenommen

Bewertungsprozesse – Interpretation der Situation (z. B. Schädigungsabsicht) – Interpretation/Erleben des Affekts (z. B. Ärger gegenüber d. Zielperson)

Verhaltensentscheidung – Aggression – andere Reaktion

Abbildung 1: Das Allgemeine Aggressions-Modell („General Aggression Model“) nach

Lindsay und Anderson (2000, S. 534)

Die Wechselwirkung zwischen individuellen und situativen Faktoren bedeutet inhaltlich, dass ein und dieselbe situative Reizbedingung in Abhängigkeit von den dispositionalen Voraussetzungen des Individuums zu unterschiedlich ausgeprägtem aggressiven Verhalten führt. Diese Hypothese wurde in mehreren Studien

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belegt. So zeigte z. B. Bushman (1995), dass hoch trait-aggressive Individuen auf Mediendarstellungen von Gewalt mit einem stärkeren Anstieg der Aggressionsbereitschaft reagierten als niedrig trait-aggressive Personen. Anderson, Anderson, Dill und Deuser (1998) fanden, dass Personen mit hoher dispositioneller Feindseligkeit, einer Komponente der Trait-Aggressivität, in Reaktion auf einen Schmerzreiz mehr aggressive Gedanken und stärkere akute Feindseligkeit zeigten als Personen mit niedriger dispositioneller Feindseligkeit. Auch in Bezug auf die Entwicklung aggressiver Verhaltenstendenzen wurde oben auf die Interaktion zwischen dispositionalen Faktoren und Umweltbedingungen verwiesen. Das in letzter Zeit verstärkt diskutierte Konzept der Resilienz, das die weit gehende Immunität von Individuen gegenüber aggressionsfördernden Sozialisationsbedingungen bezeichnet (Lösel & Bender, 1999), basiert auf der Erkenntnis, dass individuelle Voraussetzungen die Wirkung von Umweltbedingungen sowohl langfristig als auch aktualgenetisch mitbestimmen. Die genauere Analyse der personalen Variablen, die als Risiko- und Schutzfaktoren der Entstehung aggressiven Verhaltens von Bedeutung sind, stellt nicht zuletzt unter dem Aspekt der Entwicklung effektiver Interventionsmaßnahmen eine vorrangige Aufgabe der künftigen Aggressionsforschung dar.

Weiterführende Literatur Berkowitz, L. (1993). Aggression: Its causes, consequences, and control (chap. 5). Philadelphia, PA: Temple University Press. Krahé, B. (2001). The social psychology of aggression. Hove, UK: Psychology Press. Loeber, R. & Hay, D. (1997). Key issues in the development of aggression from childhood to early adulthood. Annual Review of Psychology, 48, 371–410.

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Aggressivität

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Selbstdarstellung Self-Presentation Lothar Laux & Karl-Heinz Renner „Von dem Tag an, da der Mensch anfängt, durch Ich zu sprechen, bringt er sein geliebtes Selbst, wo er nur darf, zum Vorschein …“ (Kant, 1798/1982, S. 408). Was Kant hier beschreibt, ist die von Kindheit an durchgängig erbrachte Darstellung des Selbst für andere. Immer wenn Menschen zusammentreffen, bieten sie einander Selbstbilder an.

1

Was ist Selbstdarstellung?

Definition: Selbstdarstellung umfasst alle Versuche, mit Hilfe von verbalem und nonverbalem Verhalten, Formen des Auftretens oder der äußeren Erscheinung Bilder der eigenen Person zu vermitteln. Wenn wir uns selbst darstellen, versuchen wir, den Eindruck zu kontrollieren und zu steuern, den wir auf andere Menschen machen. Damit beeinflussen wir, wie sie uns wahrnehmen und behandeln – und als mögliche Folge davon auch, wie wir uns selbst sehen. Selbstdarstellung kann in bewusst kontrollierter Form, aber auch in weit gehend automatisierter Form ablaufen.

Selbstdarstellung erfolgt nicht nur gegenüber realen Personen, sondern auch gegenüber bloß vorgestellten Interaktionspartnern, z. B. wenn sich Personen auf einer privaten Homepage im Internet darstellen (vgl. Machilek, Schütz & Marcus, 2004). Selbstdarstellung gegenüber realen Personen ist nicht nur auf öffentliche oder formelle Situationen beschränkt (z. B. Bewerbungsgespräche), sondern betrifft auch private und intime Interaktionen mit Freunden, Familienmitgliedern, Therapeuten etc. Über die übliche Auffassung hinausgehend kann sich die Darstellung sogar primär an das eigene Selbst und somit an ein inneres Publikum richten (vgl. Schlenker, 2003). 1.1

Selbstbezogene und prosoziale Motive der Selbstdarstellung

Klassische publikumsorientierte Motive sind die Bedürfnisse nach Anerkennung, Einfluss und Macht. Daneben werden aber auch individuumszentrierte Motive wie der Schutz oder die Maximierung des Selbstwerts angenommen. In Abhebung von diesen selbstbezogenen Motiven betonen neuere Ansätze die prosoziale Basis von

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Selbstdarstellung (vgl. Schlenker, 2003). Personen können sich bestimmter Darstellungsformen bedienen, damit ihre Interaktionspartner in selbstwertbedrohlichen Situationen ihr Gesicht wahren können: Wenn sich eine Frau mit einem Mann nicht treffen möchte, kann sie „Gründe“ vorgeben, die das Selbstwertgefühl des Mannes schützen. Auch jenseits solcher Ausreden setzen Personen ihre Selbstdarstellung ein, um das Selbstwertgefühl ihrer Interaktionspartner aufrechtzuerhalten und ihnen zu helfen, erstrebte Bilder ihrer Person bei anderen zu erzielen. Selbstdarstellung kann demnach primär durch Sorge für andere – besonders für Freunde, Arbeitskollegen, Familienmitglieder – motiviert sein. 1.2

Manipulative und authentische Selbstdarstellung

Das systematische Studium der Selbstdarstellung setzte mit dem Buch des Soziologen Erving Goffmann „The presentation of self in everyday life“ (1959) ein. Goffman benutzte die Metapher einer Theateraufführung: Wir verhalten uns wie Schauspieler, die vor einem Publikum eine Rolle spielen, wenn wir durch unsere Selbstdarstellung versuchen, den Eindruck, den sich andere von uns machen, zu beeinflussen. Vor dem Hintergrund dieser Metapher ist der Begriff Selbstdarstellung eher negativ besetzt. Er wird vor allem mit dem Einsatz bewusst kalkulierter, auf den eigenen Vorteil bedachter Strategien assoziiert. Tatsächlich wurden in der Selbstdarstellungsforschung solche manipulativen Strategien bisher bevorzugt untersucht. Meist wird dabei unterschieden zwischen assertiven (Erzielen vorteilhafter Eindrücke) und defensiven Strategien (Verteidigen bedrohter oder beschädigter Selbstbilder, vgl. Mummendey, 1995). Beispiele für assertive Strategien sind sich beliebt machen, sich kompetent darstellen, sich als Vorbild präsentieren. Zu den defensiven Techniken gehören z. B. Ausreden und Rechtfertigungen. In den meisten neueren Ansätzen wird aber betont, dass der psychologische Begriff der Selbstdarstellung auch authentische Formen – z. B. die „Selbstexpressivität“, also den stimmigen Ausdruck von Eigenschaften und Emotionen – umfasst (vgl. Laux & Renner, 2003; Schlenker, 2003).

2

Persönlichkeitsunterschiede in der Selbstdarstellung

Mummendey (1995) resümiert, dass Beziehungen zwischen dem Selbstdarstellungsverhalten und differentiell-psychologischen Variablen, wie Selbstaufmerksamkeit, Kontrollüberzeugungen, Machiavellismus, soziale Ängstlichkeit, Selbstwertgefühl, Extraversion, Neurotizismus, Alter, interkulturelle Unterschiede, bisher nicht sehr systematisch untersucht wurden. Eine Ausnahme bildet das Geschlecht: Zu den gut gesicherten Befunden gehört, dass Frauen nonverbal stärker involviert sind als Männer und Emotionen auch besser ausdrücken können. Frauen geben sich offener und stellen sich als weniger durchsetzungs- und leistungsfähig dar (DePaulo, 1992). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Lothar Laux & Karl-Heinz Renner

Self-Monitoring

In den meisten Arbeiten wurde das Konstrukt Self-Monitoring (Selbstüberwachung) als Persönlichkeitsmerkmal zum Selbstdarstellungsverhalten in Beziehung gesetzt (zusammenfassend Gangestad & Snyder, 2000). Von starken Selbstüberwachern (high self-monitorer, HSM) wird erwartet, dass sie ihre eigene Selbstdarstellung kontrollieren und regulieren (Handlungskompetenz) und zwar den Hinweisen entsprechend, die sie vom Ausdrucksverhalten und der Selbstdarstellung ihrer Interaktionspartner ableiten (Wahrnehmungskompetenz). Im Gegensatz dazu sollen schwache Selbstüberwacher (low self-monitorer, LSM) weniger aufmerksam gegenüber Informationen ihrer Interaktionspartner sein. Bei ihnen soll eine weit gehende Kongruenz zwischen innerer Befindlichkeit und expressivem Verhalten bestehen. Verglichen mit den HSM soll ihr Verhalten von Situation zu Situation auch weniger variieren (Konsistenzneigung). Der Konzeption von Snyder entsprechend geht ihre ausgeprägte Kongruenz- und Konsistenzneigung mit einem eher eingeschränkten Repertoire an Selbstdarstellungskompetenzen einher. Der Self-Monitoring-Ansatz wurde auch außerhalb der Selbstdarstellungsforschung sehr bekannt, weil er genau zum richtigen Zeitpunkt auf der Bühne der Persönlichkeits- und Sozialpsychologie erschien: In den 1970er Jahren erreichte die PersonSituations-Kontroverse ihren Höhepunkt. Genereller Streitpunkt war, ob personbezogene Faktoren – vor allem Eigenschaften (Traits) – oder situative Faktoren stärker das Verhalten bestimmen (➝ Interaktionistische Ansätze). Der Ansatz Snyders bot sich als ein möglicher Kompromiss an. Seine Einteilung in eher situationsbezogene Personen (HSM) und eher innenorientierte Personen (LSM) versprach eine interaktionistische Lösung, mit der „Situationisten“ und „Traitisten“ gleichermaßen leben konnten. Folgt man der Konzeption Snyders, müsste sich das Verhalten der LSM, die sich seiner Auffassung gemäß über unterschiedliche Situationen hinweg konsistent verhalten, besser mit traditionellen Eigenschaftstests vorhersagen lassen als dasjenige der HSM, deren Verhalten am ehesten über die Anforderungen der jeweiligen Situation prognostiziert werden könnte. 2.2

Neuere Ansätze

Revision des Self-Monitoring-Ansatzes: Gestützt auf eine große Zahl von Studien haben Gangestad und Snyder (2000) untersucht, ob Self-Monitoring – erfasst mit der gleichnamigen Skala von Snyder – tatsächlich mit theoretisch relevanten Kriterien korreliert. Es ergab sich, dass Self-Monitoring u. a. mit expressiver Kontrolle, der Fähigkeit zum Entschlüsseln nonverbaler Signale und einer starken Variation des Verhaltens über unterschiedliche Situationen hinweg zusammenhing. In neueren Untersuchungen wurden darüber hinaus sehr deutliche Zusammenhänge mit interpersonellen Orientierungen gefunden: HSM wählen ihre Freunde eher nach gleichen Freizeitaktivitäten aus, LSM eher nach Sympathie. Bei der Auswahl potenzieller Partner halten sich HSM mehr an die physische Attraktivität, LSM Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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mehr an „innere“ Merkmale. Schwer wiegt, dass neben solch theoriekonformen Befunden die Kernaussage des ursprünglichen Ansatzes nicht bestätigt wurde: Ironischerweise bestand gerade kein Zusammenhang zwischen Self-Monitoring und der auf das Verhalten der Interaktionspartner kontinuierlich abgestimmten „Überwachung“ der eigenen Selbstdarstellung. In ihrer Revision des Self-Monitoring-Ansatzes messen Gangestad und Snyder (2000) den Motiven von HSM und LSM einen besonderen Stellenwert bei. Sie nehmen an, dass das ausgeprägte Eindrucksmanagement der HSM in der Absicht erfolgt, ihren sozialen Status zu erhöhen. Die HSM scheinen in einer interpersonalen Welt zu leben, die besonders durch Statusungleichheit und durch die Unverbindlichkeit von sozialen Beziehungen gekennzeichnet ist. Dagegen geht es den LSM eher darum, innerhalb statusgleicher sozialer Strukturen vertrauensvolle, stabile Beziehungen zu etablieren und zu bewahren. Im deutlichen Gegensatz zu früheren Aussagen, in denen die LSM als rein innenorientiert und desinteressiert an ihrer Wirkung auf andere beschrieben wurden, vermuten die Autoren nun, dass die LSM anstreben, von ihren Interaktionspartnern als echt und aufrichtig eingeschätzt zu werden. Beide Gruppen tendieren demnach zu einer publikumszentrierten Selbstdarstellung. Nur die Ziele bzw. die Inhalte der vermittelten Selbstbilder unterscheiden sich. Das bimodale Self-Monitoring-Modell: Die Notwendigkeit, den Ansatz von Snyder auszudifferenzieren, ergab sich auch durch psychometrische Analysen der SelfMonitoring-Skala. Die von Snyder als unidimensional konzipierte Skala zerfällt zumindest in zwei Komponenten (vgl. zusammenfassend Laux & Renner, 2002). Bei der einen Komponente stehen acting bzw. soziale Fertigkeiten im Mittelpunkt (Beispielitem: „Ich wäre wahrscheinlich ein ganz guter Schauspieler“). Bei der anderen geht es um other-directedness bzw. Inkonsistenz (Beispielitem: „Ich bin nicht immer die Person, die ich vorgebe zu sein“). Aus den kritischen Ergebnissen zum unimodalen Ansatz von Snyder wurde inzwischen ein bimodales Modell der Selbstdarstellungsstile abgeleitet, das zwischen akquisitiven und protektiven Selbstüberwachern unterscheidet (Wolfe, Lennox & Cutler, 1986). Akquisitive Selbstüberwacher streben nach sozialen Gewinnen und betreten die soziale Szene mit der Annahme, belohnt zu werden, wenn sie es schaffen, die „richtige Person“ zu sein, d. h. sich so darzustellen, wie es die Umstände verlangen. Protektive Selbstüberwacher möchten dagegen Missbilligung vermeiden und betreten die soziale Szene mit Pessimismus und der Furcht, dass falsches Verhalten soziale Ablehnung nach sich ziehen könnte. Akquisitive Selbstüberwachung ist mit Extraversion und hohem Selbstwertgefühl assoziiert, protektive Selbstüberwachung geht mit Ängstlichkeit und niedrigem Selbstwertgefühl einher. Die von Snyder nicht berücksichtigte Aufteilung in die Gruppen der akquisitiven und protektiven Selbstüberwacher bedeutet aber kein grundsätzliches „Aus“ für seine Konzeption (vgl. Kasten). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Vier Typen von Selbstüberwachern Auf clusteranalytischem Weg konnten vier Gruppen bzw. Typen von Selbstüberwachern identifiziert werden (Laux & Renner, 2002). Dabei wurde neben akquisitiver und protektiver Selbstüberwachung das von Snyder für die LSM reservierte Bedürfnis nach Authentizität mit einer eigens entwickelten Skala als zusätzliches Klassifikationsmerkmal herangezogen (Beispielitems: „Ich versuche meist, mich so zu verhalten, wie ich wirklich bin“; „Im Umgang mit anderen sage ich immer geradeheraus, was ich denke“): 1. Starke Selbstüberwacher: Personen mit sowohl hohen Werten auf der akquisitiven Komponente als auch hohen Werten auf der protektiven Komponente und zudem geringer Authentizitätsneigung. 2. Schwache Selbstüberwacher: Personen mit niedrigen Werten für akquisitive und protektive Selbstüberwachung, aber hoher Authentizitätsneigung. 3. Protektive Selbstüberwacher: Personen mit niedrigen akquisitiven und zugleich hohen protektiven Ausprägungen bei geringer Authentizitätsneigung. 4. Akquisitive Selbstüberwacher: Personen mit hohen akquisitiven und zugleich niedrigen protektiven Ausprägungen, aber hoher Authentizitätsneigung. Die Personen der ersten beiden Gruppen lassen sich im Anschluss an Snyder’s Konzeption als HSM bzw. starke Selbstüberwacher und als LSM bzw. schwache Selbstüberwacher neu interpretieren. Die akquisitiven Selbstüberwacher mit hoher Authentizitätsneigung in der vierten Gruppe sind dagegen von Snyder bisher nicht berücksichtigte oder „verkannte“ Selbstdarsteller: Sie setzen nach ihren eigenen Angaben ihre hohen Darstellungskompetenzen auch ein, um anderen zu vermitteln, wer sie „wirklich“ sind. Mit der clusteranalytischen Bestimmung dieser vier Personengruppen wird somit eine Synthese des unimodalen und des bimodalen Self-Monitoring-Modells erreicht. Die vier Typen der Selbstüberwachung unterscheiden sich auch im Hinblick auf andere Merkmale, z. B. bei der Bewältigung von sozialem Stress (Renner, Laux, Schütz & Tedeschi, 2004).

3

Die Bedeutung von Selbstdarstellung für die Persönlichkeitspsychologie

Wenn Selbstdarstellung das Vermitteln von Bildern der eigenen Persönlichkeit bedeutet, dann ist es von besonderem Interesse, Selbstdarstellungen zum Ausgangspunkt persönlichkeitspsychologischer Erkenntnisgewinnung zu machen. Drei Beispiele sollen dies veranschaulichen: 1. Persönlichkeitsmerkmale als Produkte von Selbstdarstellung: Es bietet sich an, die Erfassung von Persönlichkeitseigenschaften unter der Selbstdarstellungsperspektive zu analysieren: Selbstbeschreibungen von Persönlichkeitseigenschaften mit Hilfe von Interviews und Fragebogen scheinen sich gut für die Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Vermittlung von Selbstbildern zu eignen. Tatsächlich ergab sich in experimentellen Untersuchungen, dass die Werte für Persönlichkeitseigenschaften, wie Neurotizismus, je nach Adressat bzw. situativem Kontext unterschiedlich hoch ausfielen. Persönlichkeitseigenschaften, die mit Selbstbeschreibungen erfasst wurden, können demnach zumindest teilweise als adressatenabhängige Produkte von Selbstdarstellungen begriffen werden (vgl. Mummendey, 1995). 2. Selbstkonzeptänderungen durch Selbstdarstellung: Selbstdarstellung beeinflusst nicht nur, wie Interaktionspartner eine Person wahrnehmen und behandeln, sondern auch, wie sich eine Person selbst sieht (vgl. Definition zu Beginn). Eine Veränderung der Selbstdarstellung kann zu einer Veränderung von Selbstkonzepten, den subjektiven Repräsentationen von Persönlichkeitsmerkmalen, führen (➝ Selbst und Selbstkonzept). Erklärt werden solche potenziellen Selbstkonzeptänderungen mit der Internalisierung des öffentlichen Verhaltens. Internalisierungen basieren auf selbstbezogenen Schlussfolgerungen, die Personen aus der eigenen Wahrnehmung ihres Verhaltens und sozialen Rückmeldungen ableiten, z. B.: „Ich konnte beim Halten des Referats flüssig sprechen und bin viel gelobt worden; offensichtlich bin ich weniger redeängstlich als ich dachte!“ Das Ergebnis eines Internalisierungsprozesses ist ein Carryover-Effekt von „draußen“ nach „drinnen“, von der öffentlichen Selbstdarstellung zur Veränderung von privaten selbstbezogenen Merkmalen (vgl. zusammenfassend Renner, 2002). 3. Integration von Selbstdarstellung, Emotionsbewältigung und Persönlichkeit: Stress in sozialen Situationen wird oft mit Hilfe des Emotionsausdrucks bewältigt. Neben dem offenen Ausdrücken von Emotionen, wie Ärger und Angst, kommt die ganze Bandbreite von der Unterdrückung bis zur Übertreibung des Ausdrucks in Frage. Der Emotionsausdruck eignet sich ganz besonders für die wirkungsvolle Vermittlung von Selbstbildern, da Emotionen als Garanten von Echtheit und Glaubwürdigkeit gelten. Will man hervorheben, dass die Selbstdarstellung über den Ausdruck von Emotionen erfolgt, lässt sich spezifischer von Emotionsdarstellung („presentation of emotion“) sprechen (vgl. Laux & Weber, 1991). In einem Integrationsmodell von Saarni und Weber (1999) wird der Spielraum für die Emotionsdarstellung durch soziale Regeln festgelegt, z. B.: „Unterdrücke aggressive Reaktionen, wenn dich eine Autorität unfair behandelt.“ Emotionsbewältigung und Emotionsdarstellung werden in diesem Modell nicht als Endziel betrachtet: Sie dienen v. a. bestimmten Grundintentionen eines Menschen, wie der Selbstregulation (z. B. Schutz des Selbstwerts) oder der Gestaltung sozialer Beziehungen.

Weiterführende Literatur Goffman, E. (1959). The presentation of self in everyday life. New York: Doubleday. Leary, M. R. (1996). Self-presentation. Impression management and interpersonal behavior. Madison, WI: Brown & Benchmark.

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Literatur DePaulo, B. M. (1992). Nonverbal behavior and self-presentation. Psychological Bulletin, 111, 203–243. Gangestad, S. W. & Snyder, M. (2000). Self-monitoring: Appraisal and reappraisal. Psychological Bulletin, 126, 530–555. Goffman, E. (1959). The presentation of self in everyday life. New York: Doubleday. Kant, I. (1798/1982). Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In W. Weischedel (Hrsg.), Immanuel Kant. Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 2, Werkausgabe Band XII. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Laux, L. & Renner, K.-H. (2002). Self-Monitoring und Authentizität: Die verkannten Selbstdarsteller. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 23, 129–148. Laux, L. & Renner, K.-H. (2003). Selbstdarstellung und Selbstinterpretation. In L. Laux, Persönlichkeitspsychologie (S. 229–242). Stuttgart: Kohlhammer. Laux, L. & Weber, H. (1991). Presentation of self in coping with anger and anxiety: An intentional approach. Anxiety Research, 3, 233–255. Machilek, F., Schütz, A. & Marcus, B. (2004). Selbstdarsteller oder Menschen wie Du und ich? Intentionen und Persönlichkeitsmerkmale von Homepagebesitzer/innen/n. Zeitschrift für Medienpsychologie, 16, 88–98. Mummendey, H. D. (1995). Psychologie der Selbstdarstellung (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Renner, K.-H. (2002). Selbstinterpretation und Self-Modeling bei Redeängstlichkeit. Göttingen: Hogrefe. Renner, K.-H., Laux, L., Schütz, A. & Tedeschi, J. T. (2004). The relationship between selfpresentation styles and coping with social stress. Anxiety, Stress, and Coping, 17, 1–22. Saarni, C. & Weber, H. (1999). Emotional displays and dissemblance in childhood: Implication for self-presentation. In P. Philippot, R. S. Feldman & E. J. Coats (Eds.), The social context of nonverbal behavior (pp. 71–105). New York: Cambridge University Press. Schlenker, B. R. (2003). Self-presentation. In M. R. Leary & J. P. Tangney (Eds.), Handbook of self and identity (pp. 492–518). New York: Guilford. Wolfe, R., Lennox, R. & Cutler, B. (1986). Getting along and getting ahead: Empirical support for a theory of protective and acquisitive self-presentation. Journal of Personality and Social Psychology, 50, 256–361.

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Soziale Unterstützung Social Support Thomas Klauer Wohl kaum einer anderen „Ressource“ wird eine derartige protektive Kraft im Hinblick auf die Aufrechterhaltung körperlicher und seelischer Gesundheit zugeschrieben wie sozialer Unterstützung im Umfeld psychisch belastender Situationen. Während ein intuitives Vorverständnis nahe legt, dass es sich bei sozialer Unterstützung um ein homogenes Phänomen handelt, zeigt die aktuelle Unterstützungsforschung, dass sehr vielfältige Definitionen und Operationalisierungen dieses Konzeptes vorliegen. Im Folgenden wird deshalb zunächst auf die wichtigsten begrifflichen und methodologischen Unterscheidungen eingegangen, bevor mit Intensität und Verfügbarkeit sowie Effektivität sozialer Unterstützung die wichtigsten Perspektiven differentiell-psychologischer Unterstützungsforschung dargestellt werden.

1

Konzepte und Operationalisierungen

Das Konzept des sozialen Netzwerks, unter dem Größe, Dichte und andere Merkmale der Gesamtheit persönlicher Sozialbeziehungen zusammengefasst wurden, bildete die Grundlage früher quantitativer Definitionen sozialer Unterstützung, deren Kern die schiere Menge positiver Sozialbeziehungen bildet. Erst später rückte die Frage in den Mittelpunkt, wie diese Beziehungen ihre protektive Wirkung auf Merkmale der seelischen und körperlichen Gesundheit ausüben. Die daraufhin vorgeschlagenen „qualitativen“ Definitionen (z. B. Cobb, 1976) bilden bis heute den Ausgangspunkt der Unterstützungsforschung. Während dabei zunächst soziale Unterstützung im Sinne „hilfreichen Verhaltens“, d. h. effektorientiert definiert wurde, beziehen sich aktuelle Unterstützungskonzepte zunehmend häufiger auf die Absicht, den Unterstützungsempfängern oder Rezipienten durch eigenes Handeln beizustehen (intentionsorientierte Definition). Nach Shumaker und Brownell (1984) kann von sozialer Unterstützung immer dann die Rede sein, wenn entweder Empfänger oder „Sender“ eine solche Handlungsintention wahrnehmen. Strenggenommen erlaubt erst eine intentionsorientierte Unterstützungsdefinition die empirische Untersuchung auch von unwirksamen Unterstützungsversuchen oder Unterstützungs-„Fehlschlägen“.

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Thomas Klauer

Konzepte sozialer Unterstützung Unterstützungskonzepte und entsprechende Operationalisierungen sind zum einen danach zu unterscheiden, ob soziale Unterstützung als eine für eine hypothetische Stress-Situation antizipierte Leistung oder als erfahrene Hilfe unter Belastung aufgefasst wird; zum anderen können empfänger- und geberseitige Unterstützungskonzepte differenziert werden. Bei der am häufigsten verwendeten Konzeptvariante der wahrgenommenen Unterstützung wird bei potentiellen Unterstützungsempfängern der hypothetisch erwartete Umfang von Unterstützung aus dem sozialen Umfeld erfragt. Steht die retrospektive Erhebung von Unterstützungserfahrungen der Empfänger im Vordergrund, so ist von erhaltener, bei Befragung der Unterstützungsgeber zu demselben Sachverhalt hingegen von ausgeübter oder geleisteter Unterstützung die Rede. Werden v. a. in experimentellen Studien Probanden nach ihrer Unterstützungsbereitschaft gegenüber realen oder fiktiven Protagonisten in artifiziellen Szenarien befragt, so liegt dem das Konzept der intendierten Unterstützung zu Grunde. Eine weitere Differenzierung von Unterstützungskonzepten erfolgt über die Funktion, die spezifischem Unterstützungsverhalten jeweils zugeschrieben wird. Die Unterscheidung zwischen emotionaler (z. B. Zuhören, Trösten), instrumenteller (z. B. materielle Hilfe; stellvertretendes Problemlösen) und informationaler (z. B. Ratschläge zur Problemlösung) Unterstützung hat sich mittlerweile als die gebräuchlichste einer Vielzahl vorgeschlagener Taxonomien (zum Überblick vgl. Laireiter, 1993) erwiesen. Schließlich sind noch Unterstützungskonzepte zu erwähnen, in deren Zentrum die jeweilige Quelle von Unterstützungsleistungen (z. B. Partnerunterstützung; familiale Unterstützung etc.) steht.

2

Interindividuelle Unterschiede in Verfügbarkeit und Intensität

Differentiell-psychologische Aspekte des Unterstützungsgeschehens sind zunächst mit der Frage angesprochen, wieviel Unterstützung Personen in realen oder hypothetischen Belastungssituationen zur Verfügung steht. Die Überzeugung, in einer Stressepisode auf ein bestimmtes Maß an Hilfe zurückgreifen zu können (wahrgenommene Unterstützung), scheint dabei zunächst selbst ein stabiles kognitives Personmerkmal darzustellen, das enger mit anderen Persönlichkeitsvariablen (z. B. Kontrollüberzeugungen; Ängstlichkeit) in Verbindung steht als mit erhaltener Unterstützung, d. h. der Erfahrung realer Hilfe (Sarason, Sarason & Shearin, 1986). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Diagnostische Erfassung sozialer Unterstützung Zur Erfassung sozialer Unterstützung liegt im deutschen Sprachraum eine Vielzahl standardisierter Interview- und Fragebogenverfahren vor, die vor sehr unterschiedlichem theoretischem Hintergrund zumeist ad hoc im Hinblick auf spezifische Belastungssituationen (z. B. schwere körperliche Erkrankungen) konstruiert wurden. Der „Fragebogen zur sozialen Unterstützung“ (F-SozU; Sommer & Fydrich, 1991), der sich auf wahrgenommene Unterstützung bezieht, wurde im Hinblick auf seine teststatistischen Eigenschaften sorgfältig überprüft und normiert und stellt das im deutschen Sprachraum gebräuchlichste Instrument dar. Neuere Entwicklungen diagnostischer Instrumente umfassen u. a. den Versuch, reliable Skalen zur parallelen Erfassung erhaltener und ausgeübter Unterstützung in Dyaden zu konstruieren (z. B. Winkeler & Klauer, 2003). Untersuchungsbefunde zur Größe sozialer Netzwerke bzw. zur Zahl vorhandener Unterstützungsquellen stimmen darin überein, dass sich Personen, die über umfangreiche und vielfältige Netzwerke verfügen, auf gängigen Skalen von Persönlichkeitstests extravertierter, optimistischer, weniger ängstlich und weniger abhängig darstellen als Menschen mit wenigen Unterstützungsquellen (z. B. Costa, Zonderman & McCrae, 1985). Grundsätzlich ist dabei die Beziehung zwischen Persönlichkeit und sozialem Netzwerk nicht als eine unidirektionale Kausalbeziehung, sondern als „dynamische Transaktion“ (Asendorpf & Wilpers, 1998) aufzufassen, in der prinzipiell auch Persönlichkeitsveränderungen als Folge von Veränderungen in den Sozialbeziehungen denkbar sind. Personmerkmale scheinen aber auch eine Rolle dafür zu spielen, in welcher Intensität Unterstützungsleistungen verschiedener Art in realen Belastungssituationen erbracht werden. In erster Linie ist hier zunächst das biologische Geschlecht als Einflussgröße zu erwähnen: Frauen verfügen nicht nur über umfangreichere Netzwerke, sondern werden auch von beiden Geschlechtern als unterstützende Bezugspersonen bevorzugt (Barbee et al., 1993). Vermutlich auch deshalb erreichen Frauen in Studien erhaltener Unterstützung generell höhere Werte als Männer; allerdings ist dieser Geschlechtsunterschied nur für den Teilaspekt der emotionalen Unterstützung, d. h. Trost, Aufmerksamkeit u. Ä., konsistent belegt, für andere Unterstützungsdimensionen (z. B. instrumentelle Unterstützung) jedoch weniger deutlich nachgewiesen. Die meisten Befunde zu dieser Frage wurden mit Hilfe von Fragebogeninstrumenten generiert, in denen Unterstützungsrezipienten die in einer Belastungsepisode erhaltenen Leistungen über verschiedene Unterstützungsquellen hinweg aggregiert berichten. Um die Frage nach der Bedeutung der Geschlechtsvariablen für den Unterstützungsprozess umfassend beantworten zu können, erscheinen jedoch dyadische Untersuchungsdesigns angemessener, in denen die GeschlechtsDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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variable gleichermaßen auf Rezipientenseite wie auf Seiten der Bezugspersonen berücksichtigt wird. In den Befunden derartiger Studien zeigt sich nicht selten, dass der Umfang von Unterstützungsleistungen häufig besser durch die Geschlechtszusammensetzung der Dyade vorhergesagt werden kann als durch das Geschlecht der Unterstützungsempfänger allein. Eine Analyse inhaltskodierten Textmaterials aus problemorientierten Gesprächen zwischen einander zuvor unbekannten Mitgliedern von Dyaden ergab beispielsweise, dass emotionale Unterstützung in gemischtgeschlechtlichen Dyaden häufiger als in geschlechtshomogenen ausgetauscht wurde (Mickelson, Helgeson & Weiner, 1995). In nur wenigen Studien an Dyaden wurden Persönlichkeitsmerkmale zu Maßen erhaltener und ausgeübter Unterstützung in Beziehung gesetzt. Colby und Emmons (1997) berichten positive Effekte eines emotional expressiven Interaktionsstils von Unterstützungsempfängern nicht nur auf erhaltene, sondern auch auf die bei den unterstützenden Bezugspersonen erfragte ausgeübte Unterstützung; die engsten Zusammenhänge wurden wiederum für die emotionale Unterstützungsfacette beobachtet.

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Differentielle Effekte sozialer Unterstützung

Soziale Unterstützung ist nicht in allen Situationen und für alle Personen gleichermaßen erfolgreich. Auf derartige differentielle Aspekte verweist bereits das einflussreiche Stress-Puffer-Modell (buffering model; Cohen & Wills, 1985) zur Beschreibung von Unterstützungseffekten. Diesem Modell zufolge zeigt sich in starken Stresssituationen im Vergleich zu schwächeren Belastungen ein besonders deutlicher Unterschied zwischen gering versus hoch unterstützten Personen im Hinblick auf Gesundheitsrisiken (vgl. Abb. 1). Verfügbare oder auch bereits erfolgte Unterstützung besitzt ferner nicht für alle potenziellen Rezipienten die gleiche Wirkung. Menschen unterscheiden sich offensichtlich in dem Ausmaß, in dem sie die vorhandenen sozialen Ressourcen nutzen können, nutzen wollen oder nutzen müssen. Geschlechtsunterschiede in Unterstützungseffekten wurden dabei wiederum besonders intensiv diskutiert, angeregt auch durch Befunde der Verwitwungsforschung. Diese weisen auf eine zeitweilig selektiv erhöhte Morbidität und Mortalität von Witwern gegenüber Witwen hin und wurden immer wieder als Hinweis auf eine höhere Abhängigkeit von Partnerunterstützung bei Männern interpretiert. Andererseits sprechen konsistente gesundheitspsychologische Befunde dafür, dass Zusammenhänge zwischen Verfügbarkeit bzw. Intensität insbesondere emotionaler Unterstützung und Maßen körperlicher und seelischer Gesundheit für Frauen enger ausfallen (Schwarzer & Leppin, 1989). Eine Hauptursache für die HeteroDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Zahl/Intensität von Beschwerden

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hohe Unterstützung

geringe Unterstützung

gering

hoch Stress

Abbildung 1: Das „Stress-Puffer“-Modell: Der statistische Zusammenhang zwischen

Stress und körperlichen bzw. psychischen Beschwerden ist bei geringer sozialer Unterstützung vergleichsweise enger (nach Cohen & Wills, 1985)

genität der Befunde liegt wohl in der Verschiedenartigkeit der Kriterien, die zur Beurteilung von Unterstützungseffekten herangezogen werden. Neben Befindlichkeits- und Symptomskalen, direkten Angemessenheitsurteilen der Rezipienten, epidemiologischen Kennwerten (auf Gruppenebene; z. B. prospektiv erfasste Neuerkrankungsraten) und Indikatoren der Erholungsfähigkeit werden zunehmend auch physiologische, endokrinologische und immunologische Parameter verwendet (zur Übersicht: Uchino, Cacioppo & Kiecolt-Glaser, 1996). Persönlichkeitseigenschaften, die als Bedingungen bzw. Moderatoren von Unterstützungseffekten diskutiert wurden, stellen insbesondere generalisierte Erwartungen wie z. B. internale ➝ Kontrollüberzeugungen oder generalisierte ➝ Selbstwirksamkeit dar. Die Hypothese, dass Personen mit ausgeprägtem Zutrauen in eigene Handlungs- und Einflussmöglichkeiten weniger von sozialen als von eigenen personalen Bewältigungsressourcen profitieren, konnte jedoch nicht bestätigt werden. Im Gegenteil, eine Reihe von Befunden spricht dafür, dass dieser Personenkreis soziale Unterstützung adäquat zu nutzen und Hilfe auch besonders zu schätzen weiß. Beispielsweise fand Aymanns (1992) in einer Studie an Krebspatienten, dass ganz unterschiedliche Formen familialer Unterstützung von hoch selbstwirksamen Patienten vergleichsweise positiver bewertet wurden, ohne dass sich diese von weniger selbstwirksamen in der Intensität erhaltener familialer Unterstützung unterschieden hätten. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Das Selbstwertgefühl von Unterstützungsrezipienten, aber auch die Orientierung an der Reziprozitätsnorm, die ein Gleichgewicht zwischen der von Bezugspersonen erhaltenen und der diesen gegenüber ausgeübten Unterstützung fordert, sind weitere Personmerkmale, von denen ein Einfluss auf die Wirksamkeit sozialer Unterstützung angenommen werden kann (vgl. dazu Aymanns, 1992). Diese scheint vor allem dann „genutzt“ werden zu können, wenn zugleich die Gelegenheit zur Wiedergutmachung besteht.

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Ausblick: Weitere Bereiche interindividueller Unterschiede

Unterstützungsleistungen werden in vielen Belastungssituationen nicht ohne Zutun der späteren Empfänger erbracht, sondern bedürfen einer „Aktivierung“. Entsprechende Verhaltensaktivitäten einer belasteten Person, denen die Intention zu Grunde liegt, Unterstützung aus dem sozialen Netzwerk zu evozieren, können als Mobilisierung sozialer Unterstützung bezeichnet und als ein wesentlicher Teilaspekt individueller Stressbewältigung angesehen werden. Als Persönlichkeitsvariablen, die den Mobilisierungsprozess vermutlich beeinflussen, scheinen in erster Linie Dependenz und das individuelle Selbstwertgefühl bedeutsam zu sein. So wird verschiedentlich angenommen, dass jede Episode von Unterstützung, die nicht spontan, sondern erst im Anschluss an eigene Mobilisierungsversuche erfolgte, mit Selbstwertrisiken verbunden ist (vgl. Eckenrode & Wethington, 1990). Personen mit labilem Selbstwert scheinen oftmals bereits antizipierend von direkten Aktivierungshandlungen (z. B. offenes Einfordern von Hilfe) auf indirektere (z. B. nonverbaler Ausdruck eigenen Missbefindens) auszuweichen, die die eigene Hilflosigkeit und Hilfsbedürftigkeit weniger deutlich zu Tage treten lassen. In jüngerer Zeit rücken schließlich interindividuelle Unterschiede in intendierter und insbesondere in ausgeübter Unterstützung in den Blickpunkt. Besonderes Interesse gilt dabei förderlichen Effekten geleisteter Unterstützung auf Befindlichkeits- und Gesundheitsindikatoren auf Seiten der Bezugspersonen, die jene erhaltener Unterstützung sogar übertreffen sollen (Brown, Nesse, Vinokur & Smith, 2003). Derartige Befunde besitzen Implikationen auch für die Gestaltung unterstützungsfördernder Interventionsmaßnahmen z. B. bei Paaren.

Weiterführende Literatur Cohen, S., Underwood, L. G. & Gottlieb, B. H. (Eds.). (2000). Social support measurement and intervention: A guide for health and social scientists. London: Oxford University Press.

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Pierce, G. R., Lakey, B., Sarason, I. G. & Sarason, B. R. (Eds.). (1997). Sourcebook of social support and personality. New York: Plenum Press. Röhrle, B. (1994). Soziale Netzwerke und soziale Unterstützung. Weinheim: Beltz/PVU.

Literatur Asendorpf, J. B. & Wilpers, S. (1998). Personality effects on social relationships. Journal of Personality and Social Psychology, 74, 1531–1544. Aymanns, P. (1992). Krebserkrankung und Familie: Zur Rolle familialer Unterstützung im Prozeß der Krankheitsbewältigung. Bern: Huber. Barbee, A., Cunningham, M. R., Winstead, B. A., Derlega, V. J., Gulley, M. R., Yankeelov, P. A. & Druen, P. B. (1993). Effects of gender role expectations on the social support process. Journal of Social Issues, 49 (3), 175–190. Brown, S. L., Nesse, R. M., Vinokur, A. D. & Smith, D. (2003). Providing social support may be more beneficial than receiving it: Results from a prospective study of mortality. Psychological Science, 14, 320–327. Cobb, S. (1976). Social support as a moderator of life stress. Psychosomatic Medicine, 38, 300–314. Cohen, S. & Wills, T. A. (1985). Stress, social support, and the buffering hypothesis. Psychological Bulletin, 98, 310–357. Colby, P. M. & Emmons, R. A. (1997). Openness to emotion as predictor of perceived, requested, and observer reports of social support. In G. R. Pierce, B. Lakey, I. G. Sarason & B. R. Sarason (Eds.), Sourcebook of social support and personality (pp. 445–472). New York: Plenum Press. Costa, P. T., Zonderman, A. B. & McCrae, R. R. (1985). Longitudinal course of social support among men in the Baltimore Longitudinal Study of Aging. In I. G. Sarason & B. R. Sarason (Eds.), Social support: Theory, research, and applications (pp. 137– 154). Dordrecht: Martinus Nijhoff. Eckenrode, J. & Wethington, E. (1990). The process and outcome of mobilizing social support. In S. Duck & R. C. Silver (Eds.), Personal relationships and social support (pp. 83–103). London: Sage. Laireiter, A. (1993). Begriffe und Methoden der Netzwerk- und Unterstützungsforschung. In A. Laireiter (Hrsg.), Soziales Netzwerk und soziale Unterstützung (S. 15–44). Bern: Huber. Mickelson, K. D., Helgeson, V. S. & Weiner, E. (1995). Gender effects on social support provision and receipt. Personal Relationships, 2, 211–224. Sarason, I. G., Sarason, B. R. & Shearin, E. N. (1986). Social support as an individual difference variable: Its stability, origins, and relational aspects. Journal of Personality and Social Psychology, 50, 845–855. Schwarzer, R. & Leppin, A. (1989). Sozialer Rückhalt und Gesundheit. Göttingen: Hogrefe. Shumaker, S. A. & Brownell, A. (1984). Toward a theory of social support: Closing conceptual gaps. Journal of Social Issues, 40 (4), 11–36. Sommer, G. & Fydrich, T. (1991). Entwicklung und Überprüfung eines Fragebogens zur sozialen Unterstützung (F-SozU). Diagnostica, 37, 160–178.

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Uchino, B. N., Cacioppo, J. T. & Kiecolt-Glaser, J. K. (1996). The relationship between social support and physiological processes: A review with emphasis on underlying mechanisms and implications for health. Psychological Bulletin, 119, 488–531. Winkeler, M. & Klauer, T. (2003). Inventar zur Sozialen Unterstützung in Dyaden (ISUDYA): Konstruktionshintergrund und erste Ergebnisse zu Reliabilität und Validität. Diagnostica, 49, 14–23.

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Partnerwahl und Partnerschaft Partner Choice and Romantic Relationships Rainer Banse Obwohl die überwiegende Mehrheit aller Erwachsenen den Wunsch hat, in einer stabilen Paarbeziehung zu leben, werden viele Partnerschaften dem kulturell vorgegebenen Ideal lebenslangen Glücks nicht gerecht. Etwa ein Drittel der heute in Deutschland geschlossenen Ehen endet voraussichtlich mit einer Trennung. Für die Persönlichkeitspsychologie stellt sich die Frage, ob mittelfristig stabile Eigenschaften der Partner einen Beitrag zur Erklärung differentieller Unterschiede in der Qualität und Stabilität von Partnerschaften leisten können. Um diese Frage zu beantworten, sollen zunächst Zusammenhänge zischen Persönlichkeit und Partnerwahl beleuchtet werden.

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Persönlichkeit und Partnerwahl

Die Alltagspsychologie hält es gleichermaßen für möglich, dass sich Beziehungspartner besonders ähnlich („gleich und gleich gesellt sich gern“) oder besonders unähnlich („Gegensätze ziehen sich an“) sind. Tatsächlich ähneln sich Partner in vielen Merkmalsbereichen, in anderen gibt es keine deutlichen Zusammenhänge. Für komplementäre Eigenschaften gibt es jedoch abgesehen vom biologischen Geschlecht kaum empirische Belege. Für die Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktorenmodells der Persönlichkeit (Neurotizismus, Extraversion, Liebenswürdigkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für neue Erfahrungen; ➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze) oder Gestaltmerkmale wie Größe und Gewicht findet sich nur eine schwache oder keine Ähnlichkeit zwischen Partnern. In den Merkmalsbereichen Intelligenz, Bildung, physische Attraktivität, sowie sozialen Einstellungen und Werten werden substanzielle Ähnlichkeiten zwischen Partnern berichtet (um r = .20 bis .50). Noch höhere Korrelationen (bis zu .70) finden sich für das Lebensalter sowie für komplexe, auf die Weltanschauung der Partner bezogene Persönlichkeitsmerkmale wie Autoritarismus, Religionszugehörigkeit und Religiosität. Gerade bei diesen Merkmalen scheint die Partnerähnlichkeit für das Eingehen einer verbindlichen und langfristigen Beziehung besonders kritisch zu sein, da sich Ehepartner darin deutlich ähnlicher sind als unverheiratete Partner (Botwin, Buss & Shackelford, 1997). Wie kommt es zu einer Ähnlichkeit von Beziehungspartnern? Eine gegenseitige Beeinflussung kann als Ursache ausgeschlossen werden, da die Partnerähnlichkeit bei Einstellungen und Werten nicht (z. B. Eysenck & Wakefield, 1981; Lykken &

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Tellegen, 1993) und bei kognitiven Fähigkeiten kaum mit der Beziehungsdauer zunimmt (Gruber-Baldini, Schaie & Willis, 1995). Die schwachen Effekte lassen sich eher auf die während der Beziehung geteilten Umwelteinflüsse zurückführen als auf eine gegenseitige Beeinflussung. Trotzdem muss Partnerähnlichkeit nicht ausschließlich durch eine aktive Wahl verursacht sein. Singles treffen in Ausbildung, Beruf und Freizeit besonders häufig auf potenzielle Partner, die ihnen in Merkmalen wie Alter, sozioökonomischem Status, Bildungsgrad, Interessen und Einstellungen ähnlich sind. Schon bei rein zufälliger Partnerwahl würde daher die so vorselegierte soziale Umwelt für eine überzufällige Partnerähnlichkeit sorgen. Darüber hinaus ist es jedoch wahrscheinlich, dass die Partnerähnlichkeit durch eine aktive Wahl verstärkt wird. Hierfür kommen verschiedene Mechanismen in Frage. Für eine aktive Wahl von ähnlichen Partnern spricht die Studie von Botwin et al. (1997), in der die Beschreibung der Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktorenmodells von Idealpartnern sowohl mit der eigenen als auch mit der Persönlichkeit der Beziehungspartner korrelierte. Dieser Befund ist allerdings nicht sehr überzeugend, da die Beschreibung idealer Partner möglicherweise durch die vorhandenen Partner gefärbt wurde und die tatsächliche Partnerähnlichkeit gering war. Insgesamt ist die empirische Evidenz für eine aktive Wahl von Partnern mit besonders ähnlichen Persönlichkeitseigenschaften eher schwach. Studien zur Wirkung der Einstellungsähnlichkeit deuten darauf hin, dass die Ablehnung von besonders unähnlichen Interaktionspartnern eine größere Rolle spielt als die Sympathie für besonders ähnliche (Singh & Ho, 2000). Bei gegenseitiger Wahl produziert auch die einfache Suche nach einem möglichst attraktiven Partner eine starke Partnerähnlichkeit für allgemein positiv bewertete Eigenschaften, da wesentlich attraktivere Individuen die Wahl zurückweisen und wesentlich unattraktivere ihrerseits zurückgewiesen werden. Schließlich könnte die Ähnlichkeit zwischen Partnern auch durch die Eltern vermittelt werden. Partnersuche nach dem Bild der gegengeschlechtlichen Eltern? Freuds Spekulation, dass Kinder ihre gegengeschlechtlichen Eltern sexuell begehren und diese Präferenz unbewusst im Erwachsenenalter fortbesteht, wurde von evolutionspsychologisch orientierten Autoren übernommen, aber neu interpretiert. Sie nehmen an, dass ein in der Kindheit geprägtes Schema des gegengeschlechtlichen Elternteils als Modell für die spätere Partnersuche dient. Dieser Mechanismus soll zu einer Wahl von Partnern mittlerer und damit optimaler genetischer Ähnlichkeit führen. Tatsächlich fand man in mehreren Studien für Männer und Frauen in verschiedenen Merkmalsbereichen Ähnlichkeiten zwischen den Beziehungspartnern und ihren gegengeschlechtlichen Eltern, die jeweils größer waren als die Partnerähnlichkeit oder die Ähnlichkeit mit den gleichgeschlechtlichen Eltern (z. B. Bereczkei, Gyuris, Koves & Bernath, 2002; Geher, 2000).

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Persönlichkeit und Partnerschaftserfolg

Welche Persönlichkeitsfaktoren beeinflussen die Qualität der Partnerschaft? Neurotizismus ist fraglos der am häufigsten replizierte Persönlichkeitsprädiktor für den Beziehungserfolg. Der Zusammenhang ist zwar robust aber nicht sehr stark. In Längsschnittstudien betragen die mittleren Effektstärken für die Beziehungszufriedenheit und die Beziehungsstabilität etwa r = –.20 (Karney & Bradbury, 1995). Zum Zusammenhang von Neurotizismus und der Dynamik der Beziehungsentwicklung liegen widersprüchliche Befunde vor. Während einige Studien nur einen Zusammenhang mit dem Niveau der Beziehungszufriedenheit berichten, fanden Robins, Caspi und Moffit (2002) in einer großen (N = 712) und repräsentativen Stichprobe, dass „Negative Emotionalität“ (entspricht etwa dem Neurotizismus) bei jungen Erwachsenen auch eine negative Entwicklung der Partnerbeziehung vorhersagte, die sich in einer Abnahme der Qualität und einer Zunahme von Konflikten und Aggression äußerte. Die Zusammenhänge blieben bestehen, wenn die Probanden im Untersuchungszeitraum den Partner gewechselt hatten. Dieser Befund belegt, dass der Erfolg von Paarbeziehungen nicht nur von unvorhersagbaren, emergenten Qualitäten der partnerschaftlichen Interaktion abhängen, sondern auch von individuellen, relativ stabilen Dispositionen zu beziehungsrelevantem Verhalten. Neben dem Neurotizismus wurden auch für die anderen Persönlichkeitsfaktoren des Fünf-Faktorenmodells Zusammenhänge zum Beziehungserfolg berichtet. Diese sind aber weniger konsistent und generell deutlich schwächer (Karney & Bradbury, 1995). Substanzielle Zusammenhänge mit der Beziehungszufriedenheit wurden auch für die Faktoren „Positive Emotionalität“ und „Kontrolliertheit“ des Multidimensional Personality Questionnaire (MPQ) gefunden (Robins et al., 2002). Auch hier waren die Effekte der Faktoren „Positive Emotionalität“und (niedrige) „Kontrolliertheit“ schwächer als der Effekt der „Negativen Emotionalität“ (Neurotizismus). Für den Scheidungsstatus fanden Jockin, McGue und Lykken (1996) an einer sehr großen Zwillingsstichprobe (N = 3.147) allerdings signifikante und etwa gleich große Korrelationen für alle drei Faktoren des MPQ (|r| = .07 bis .20). Die durch Dritte eingeschätzte Kontrolliertheit erwies sich auch in Längsschnittstudien als signifikanter Prädiktor des Beziehungserfolges. Bei Kelley und Conley (1987) hing die im Alter von 20 bis 30 Jahren per Bekanntenurteil erfasste Kontrolliertheit der Männer mit ihrer Ehezufriedenheit nach 40 bis 45 Ehejahren (aber nicht zu frühren Messzeitpunkten) zusammen. In der Studie von Caspi (1987) sagte die bei 8- bis 10-jährigen Kindern erfasste Kontrolliertheit (operationalisiert durch die Anzahl und Schwere von Wutausbrüchen) den Erfolg Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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späterer Ehen vorher. Bei den unterkontrollierten Kindern war der Anteil der Geschiedenen im Alter von 40 Jahren bei Jungen und Mädchen etwa doppelt so hoch wie bei den unauffälligen Kindern (r = –.25 und –.17). Obwohl die Ergebnisse dieser schon in den 1930er Jahren begonnen Längsschnittstudien auf Grund der veränderten sozialen Randbedingungen (wie z. B. der stark gestiegenen Scheidungsrate) nur mit Vorsicht auf heute geschlossene Ehen generalisiert werden können, belegen sie gleichwohl eindrucksvoll, dass spezifische Verhaltensdispositionen über lange Zeiträume hinweg den Erfolg von Paarbeziehungen beeinflussen. Ist der Partnerschaftserfolg genetisch bedingt? Das um etwa 10 % erhöhte Scheidungsrisiko von Kindern aus Scheidungsfamilien wird meist ausschließlich auf ungünstigere Sozialisationsbedingungen und Lernerfahrungen in Scheidungsfamilien zurückgeführt. Dabei wird übersehen, dass auch die von Eltern und Kindern geteilten Gene den Erfolg ihrer Ehen beeinflussen könnten. Diese Hypothese wurde von McGue und Lykken (1992) in einer Zwillingsstudie bestätigt. Wenn der Geschwisterzwilling geschieden war, stieg das Scheidungsrisiko bei zweieiigen Zwillingen (die im Durchschnitt 50 % ihrer Gene teilen) um etwa das doppelte, bei eineiigen Zwillingen (mit 100 % geteilten Genen) jedoch fast um das sechsfache. Die Aufklärung der Scheidungsvariabilität durch genotypische Variabilität (Heritabilität) betrug etwa 53 %. Überraschenderweise konnte die verbleibende Variabilität ausschließlich auf die ungeteilte Umwelt der Zwillinge (wie z. B. die jeweiligen Ehepartner) zurückgeführt werden, während sich der Einfluss ihrer geteilten Umwelt (wie z. B. die Erfahrung der Scheidung der Eltern) als unbedeutend erwies. In einer Nachfolgestudie konnten Jockin et al. (1996) etwa ein Drittel der genetisch bedingten Varianz des Scheidungsrisikos auf die drei Persönlichkeitsfaktoren „Negative Emotionalität“ (Neurotizismus), „Positive Emotionalität“ und „Kontrolliertheit“ zurückführen. Diese Ergebnisse belegen, dass genetisch bedingte Persönlichkeitsfaktoren das Scheidungsrisiko substanziell beeinflussen können. Es wäre allerdings verfehlt, aus einer hohen Heritabilität des Scheidungsrisikos zu folgern, dass Scheidungen schicksalhaft vorbestimmt seien oder dass präventive sowie therapeutische Maßnahmen zur Senkung des Scheidungsrisikos nicht erfolgreich sein könnten. Die Heritabilität partnerschaftsrelevanter Konstrukte variiert stark: Relativ hohe Heritabilitäten werden für die Wahrscheinlichkeit zu heiraten (70 %; Johnson, McGue, Krueger & Bouchard, 2004) und die Beziehungszufriedenheit (34 %; Spotts et al., 2004) berichtet. Individuelle Liebesstile (z. B. romantische Liebe, freundschaftliche Liebe, leidenschaftliche Liebe) zeigen nur eine sehr geringe (0 bis 17 %; Waller & Shaver, 1994) und die Partnerwahl (Lykken & Tellegen, 1993) keine Heritabilität.

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Partnerpassung und Partnerschaftserfolg

Da sich Partner in vielen Eigenschaften ähnlich sind, liegt die Frage nahe, ob das Ausmaß der genuinen Partnerähnlichkeit (nach Kontrolle des absoluten Niveaus) mit der Beziehungsqualität zusammenhängt. Eysenck und Wakefield (1981) fanden einen positiven Zusammenhang zwischen Beziehungsqualität und Partnerähnlichkeit für Neurotizismus, politische Radikalität und sexuelles Verlangen, nicht aber für Psychotizismus, Extraversion und linke/rechte politische Orientierung. Insgesamt scheint sich die Partnerähnlichkeit dann positiv auszuwirken, wenn eine ähnliche Ausprägungen von Eigenschaften das Konfliktpotenzial zwischen Partnern mindert. Neben Effekten der Ähnlichkeit ist auch denkbar, dass Wechselwirkungen zwischen Eigenschaften beider Partner die Beziehungsqualität beeinflussen. Das wäre der Fall, wenn Effekte von Persönlichkeitseigenschaften eines Partners von der Ausprägung von Persönlichkeitseigenschaften des anderen Partners abhingen. Solche Konfigurationseffekte wurden von Banse (2004) für Partnerbindungsstile gefunden, für Persönlichkeitseigenschaften im engeren Sinne wurden solche Interaktionseffekte aber bisher kaum untersucht.

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Beeinflusst die Partnerschaft die Persönlichkeit?

In Längsschnittstudien zu Partnerschaft und Persönlichkeit wird die Persönlichkeit gewöhnlich ausschließlich als unabhängige Variable aufgefasst und nur zum ersten Messzeitpunkt erfasst, während die Beziehungsqualität ausschließlich als abhängige Variable behandelt und über den ganzen Messzeitraum erhoben wird. Dieses Forschungsdesign ist nicht geeignet, die aus Sicht des dynamisch-interaktionistischen Paradigmas der Persönlichkeitspsychologie interessante Frage zu untersuchen, ob die Qualität von Beziehungen die Persönlichkeit beeinflusst. Neyer und Asendorpf (2001) gingen dieser Frage nach und fanden insgesamt wesentlich mehr Effekte der Persönlichkeit auf die Qualität sozialer Beziehungen als umgekehrt. Allerdings beobachteten die Autoren einen beziehungsbedingten „Reifungsschub“. Bei Singles führte der Übergang zu einer Partnerschaft zu einer Reduktion von Neurotizismus und Schüchternheit und zu einer Zunahme der Extraversion, der Gewissenhaftigkeit und des Selbstwertes. Interessanterweise stand diesem Gewinn durch eine Partnerschaft kein entsprechender Verlust bei einer Trennung gegenüber. Zum Zusammenhang von Persönlichkeit und Beziehungsqualität In der Studie von Robins et al. (2002) wurde die Persönlichkeit im Alter von 18 und 26 Jahren und die Qualität von Paarbeziehungen im Alter von 21 Jahren erfasst. Es zeigte sich, dass eine niedrige Beziehungsqualität und ein hohes Niveau von Konflikten und Aggression mit einer Zunahme der negativen Emotionalität

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(bzw. des Neurotizismus) zusammenhingen. Diese Befunde sprechen für eine schwache aber überzufällige Beeinflussung der Persönlichkeit durch die Beziehungsqualität. Allerdings ist dieser Befund nicht eindeutig, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Persönlichkeitsveränderung im Alter von 18 bis 21 die im Alter von 21 gemessene Beziehungsqualität beeinflusst hat.

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Fazit

Nach einer Phase der Unterbewertung von Persönlichkeitsfaktoren durch die mehr am Interaktionsverhalten von Paaren interessierte Partnerschaftsforschung ist in den letzten Jahren wieder ein verstärktes Forschungsinteresse an der Rolle der Persönlichkeit für die Partnerschaft erkennbar. Ein substanzieller Einfluss breiter Persönlichkeitsfaktoren auf die Partnerschaft ist inzwischen durch Längsschnittstudien gut belegt. Ein wirkliches Verständnis der Rolle der Persönlichkeit für die Partnerschaft kann allerdings nur dann erreicht werden, wenn die konkreten Verhaltensweisen identifiziert werden, die den Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften auf die Partnerschaftsqualität vermitteln. Die Paarinteraktionsforschung und eine persönlichkeitspsychologisch orientierte Partnerschaftsforschung sollten daher nicht als konkurrierende, sondern als komplementäre Forschungsansätze verstanden werden.

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Partnerwahl und Partnerschaft

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VIII Die Relevanz von Persönlichkeitsmerkmalen in den zentralen Anwendungsgebieten der Psychologie

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Klinische Psychologie Clinical Psychology Peter Becker Im Zentrum der klinischen Psychologie stehen psychische Störungen, und zwar ihre (1) Beschreibung, Klassifikation und Diagnostik, (2) Ätiologie, (3) Therapie und deren Evaluation sowie (4) Prävention. Im vorliegenden Kapitel wird im Bereich der psychischen Störungen im Erwachsenenalter exemplarisch beleuchtet, was die Persönlichkeitspsychologie zur Lösung der ersten drei Aufgaben beitragen kann.

1

Beschreibung, Klassifikation und Diagnostik psychischer Störungen

1.1

Begriffsbestimmungen

Definition einer psychischen Störung: Im Diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen (DSM-IV) wird eine psychische Störung als ein klinisch bedeutsames Syndrom des Verhaltens und Erlebens aufgefasst, das bei einer Person mit momentanem Leiden oder einer Funktionsbeeinträchtigung oder mit einem stark erhöhten Risiko einhergeht, Schmerz, Beeinträchtigung oder einen tiefgreifenden Verlust an Freiheit zu erleiden. Dieses Syndrom darf nicht nur eine verständliche Reaktion auf ein bestimmtes Ereignis (wie z. B. den Tod eines geliebten Menschen) sein. Ferner muss gegenwärtig eine Störung psychischer oder biologischer Funktionen bei der Person zu beobachten sein.

In den klinischen Klassifikationssystemen DSM-IV (American Psychiatric Association) oder ICD-10 (Weltgesundheitsorganisation) werden psychische Störungen anhand von Symptomen charakterisiert. Ein Symptom (z. B. ein Wahn) ist eine qualitative oder quantitative Abweichung von einem vorangehenden „normalen“ Zustand (Verhalten, Erleben, physischen Zustand) eines Individuums. Jedoch gelten auch bestimmte Verhaltens- und Erlebensweisen, die soziale Normen verletzen oder anderen Menschen unverständlich oder „bizarr“ erscheinen, als Symptome einer psychischen Störung. Psychische Störungen werden durch charakteristische Muster von Symptomen – so genannte Syndrome – beschrieben, wobei eine bestimmte psychische Störung auch dann diagnostiziert werden kann, wenn nicht alle, sondern nur eine Mehrzahl der Symptome (bzw. diagnostischen Kriterien) vorliegen (polythetische Prototypen-Klassifikation). Tabelle 1 gibt einen Überblick über sieben häufig anzutreffende klinische Syndrome. Die Zusammenstellung basiert auf den Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Ergebnissen einer von Franke (2002) bei 5.057 Psychotherapiepatienten durchgeführten Faktorenanalyse von 83 Items der Symptom-Checkliste SCL-90-R, einem Selbstbeschreibungsverfahren zur Erfassung akuter psychischer Beschwerden. Zusätzlich sind vergleichbare Syndrome aus faktorenanalytischen Studien von Achenbach, Howell, Quay und Conners (1991) und von Zerssen (1985) sowie klinische Syndrome bei Anpassungsstörungen (d. h. als Reaktion auf psychosoziale Belastungsfaktoren) aufgeführt. Zu beachten ist, dass diese Syndrome (z. B. in der SCL90-R) nicht unabhängig sind, sondern z. T. hoch interkorrelieren. Tabelle 1: Zuordnung von klinischen Syndromen und Persönlichkeitseigenschaften Persönlichkeitseigenschaften

Klinische Syndrome SCL-90-RFaktoren (Franke, 2002)

Achenbach et al. (1991)

IMPS-Faktoren (von Zerssen, 1985)

Depressivität/ Angst

Ängstlich/ depressiv

Ängstlichdepressiv; Funktionsbeeinträchtigung

Unsicherheit im Kontakt

Zurückgezogen

Somatische Beschwerden

Somatische Beschwerden

Psychoseähnliche Symptome

Denkstörungen

Wahrnehmungsstörung; paranoide Projektion

Konzentrationsstörungen, Verlangsamung im Denken/ Entscheiden

Aufmerksamkeitsstörungen

Desorientierung; Retardierung

Aggressives Verhalten

mit Angst und depressiver Stimmung

TIPI-Skalen (Becker, 2003) Neurotizismus; Suizidalität; Grübeln; Verlassensangst Neurotizismus; Ablehnungssensibilität; geringes Selbstvertrauen; geringe Selbstbehauptung

mit unspezifischer Symptomatik (z. B. körperliche Beschwerden)

Phobische Symptome, Paniksymptome Aggressivität

Anpassungsstörungen

Erregtheit; feindselige Aggressivität

Körperliche Beschwerden; Neurotizismus; Suizidalität Misstrauen; Grübeln; Ungerechtigkeitsgefühl

mit unspezifischer Symptomatik (z. B. Störungen im Arbeitsbereich)

Konzentrationsstörungen; Grübeln; Neurotizismus; Suizidalität

mit Angst

Verlassensangst; Ablehnungssensibilität; körperliche Beschwerden

mit Störungen des Sozialverhaltens

Gewalttätigkeit; Ungerechtigkeitsgefühl; verbale Aggressivität

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Im DSM-IV erfolgt innerhalb der psychischen Störungen eine Unterscheidung in klinische Störungen (auf der so genannten Achse I), die in der Regel eher vorübergehender Natur sind, deren Diagnostik mithin auf intraindividuellen Vergleichen basiert, und Persönlichkeitsstörungen sowie geistige Behinderung (auf der Achse II), die als überdauernd gelten und denen interindividuelle Vergleiche zu Grunde liegen. Persönlichkeitsstörung Nach DSM-IV stellt eine Persönlichkeitsstörung ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten dar, das merklich von den Erwartungen der soziokulturellen Umgebung abweicht, tief greifend und unflexibel ist, seinen Beginn in der Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter hat, im Zeitverlauf stabil ist und zu Leid oder Beeinträchtigung führt. Im DSM-IV werden zehn Persönlichkeitsstörungen unterschieden und in drei Cluster eingeteilt. Cluster A enthält die paranoide, die schizoide und die schizotypische Persönlichkeitsstörung, die als sonderbar oder exzentrisch erscheinen und eine gewisse Affinität zu psychotischen Störungen aufweisen. Zu Cluster B gehören die antisoziale, die Borderline, die histrionische und die narzisstische Persönlichkeitsstörung, die als dramatisch, emotional und launisch charakterisiert werden und eine Nähe zu affektiven Störungen zeigen. Cluster C umfasst die vermeidend-selbstunsichere, die dependente und die zwanghafte Persönlichkeitsstörung, die eine Verwandtschaft zu den Angststörungen besitzen. Daneben wird häufig die Diagnose einer nicht näher bezeichneten Persönlichkeitsstörung vergeben. Ob zusätzlich negativistische, depressive und subaffektive Persönlichkeitsstörungen berücksichtigt werden sollten, ist umstritten. 1.2

Kategoriale klinische Diagnostik und das Komorbiditäts-Problem

Nach dem DSM-IV werden psychische Störungen kategorial diagnostiziert, d. h. es wird geprüft, ob die betreffende Störung vorliegt oder nicht. Ist das Kriterium einer erforderlichen Mindestanzahl diagnostischer Kriterien (Symptome) erfüllt, wird das Vorliegen der Störung attestiert. Als problematisch erweisen sich dabei folgende Punkte: • Bei gleicher Diagnose können sich die individuellen Störungsbilder deutlich unterscheiden. • Bei den meisten Patienten liegen gleichzeitig mehrere klinische und/oder Persönlichkeitsstörungen vor (äußere und innere Komorbidität). • Viele ambulante Psychotherapiepatienten erfüllen die erforderlichen diagnostischen Kriterien nicht vollständig oder stellen „Mischtypen“ dar, für die Bastine (1998) den Begriff der „wenig konturierten Störungen“ vorgeschlagen hat. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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• Es bestehen fließende Übergänge zwischen klinischen und Persönlichkeitsstörungen sowie zwischen psychischen Störungen und „normalem“ Verhalten und Erleben. • Das Vorliegen von nur einem diagnostischen Kriterium mehr oder weniger entscheidet darüber, ob die kritische Schwelle überschritten und eine Störung diagnostiziert wird. Daraus ergeben sich bei einer kategorialen Diagnostik eine gewisse diagnostische Willkür sowie Reliabilitäts-, Stabilitäts- und Validitätsprobleme. Aus den genannten Gründen wird zunehmend dafür plädiert, die kategoriale durch eine dimensionale Diagnostik zu ersetzen oder zu ergänzen. Dabei werden Patienten auf klinisch relevanten Dimensionen des Verhaltens und Erlebens beschrieben (siehe Abschnitt 1.4). 1.3

Klinische Störungen und Persönlichkeitsstörungen

Grundsätzlich ist in zwei klinisch-diagnostischen Schritten zu prüfen, ob bei einer Person eine oder mehrere klinische Störungen auf Achse I und/oder eine oder mehrere Persönlichkeitsstörungen auf Achse II vorliegen. Als Unterscheidungsmerkmal zwischen Achse I- und Achse II-Störungen dient der vorübergehende oder stabile Charakter der Störung. Dieses Kriterium ist jedoch nur begrenzt tauglich. So berichten viele Patienten mit der Achse I-Diagnose einer „generalisierten Angststörung“, dass sie sich in ihrem ganzen Leben ängstlich und nervös gefühlt haben. Die auf Achse I angeordneten schizophrenen Störungen zeigen nicht selten einen chronischen Verlauf, und bei affektiven Störungen findet man häufig einen chronisch-intermittierenden Verlauf bzw. wiederholte Rückfälle. Auf der anderen Seite ist bei den auf Achse II diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen bekannt, dass sie unter Umständen erst unter belastenden Lebensbedingungen so weit exazerbieren, dass sie die kritische diagnostische Schwelle überschreiten, und man findet in der Literatur Hinweise darauf, dass Persönlichkeitsstörungen im höheren Lebensalter seltener werden. Aus diesen und weiteren Gründen ist davon auszugehen, dass zwischen klinischen und Persönlichkeitsstörungen fließende Übergänge bestehen. Dies macht auch verständlich, dass bei mehreren psychischen Störungen umstritten ist, ob sie besser auf Achse I oder II eingeordnet werden sollten und ob die Unterscheidung dieser Achsen überhaupt sinnvoll ist. Hier bietet sich aus persönlichkeitspsychologischer Sicht eine Rückbesinnung darauf an, dass individuelle Verhaltens- und Erlebensweisen und damit verknüpfte biologische Prozesse die Grundelemente zur Erfassung interindividueller Unterschiede darstellen. Dies gilt gleichermaßen für Personen mit und ohne psychische Störungen. Bei kurzer Dauer eines Verhaltens und Erlebens spricht man von einem Zustand (z. B. einem Zustand der Ängstlichkeit, Gereiztheit oder Niedergeschlagenheit), in dem sich das Individuum befindet. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Personen unterscheiden sich in der Häufigkeit oder Wahrscheinlichkeit, Dauer und Intensität, mit der sie bestimmte Verhaltens- und Erlebensweisen (bzw. Zustände) unter bestimmten situativen Bedingungen zeigen. Derartige interindividuelle Unterschiede werden mithilfe von Persönlichkeitseigenschaften beschrieben (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze; ➝ Eigenschaften). Empirische Studien haben gezeigt, dass es sich bei Persönlichkeitseigenschaften im Erwachsenenalter um relativ stabile Merkmale handelt, wobei der Grad der differentiellen Stabilität mit dem Lebensalter ansteigt (Roberts & DelVecchio, 2000). Mit relativer differentieller Stabilität ist gemeint, dass sich der Rangplatz eines Individuums in der betreffenden Eigenschaft unter normalen, d. h. relativ konstanten Umweltbedingungen, nur wenig und langsam verändert (➝ Persönlichkeit: Stabilität und Veränderung). Connolly (1991) nennt eine mittlere jährliche Stabilität von r = .98, woraus sich eine Stabilität von r = .45 für eine Spanne von 45 Jahren ergibt. Mithin ist davon auszugehen, dass es nach Jahrzehnten oder unter spezifischen Bedingungen (z. B. nach kritischen Lebensereignissen oder nach einer erfolgreichen Psychotherapie) durchaus zu deutlichen Veränderungen in Persönlichkeitseigenschaften kommen kann. 1.4

Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitseigenschaften

Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitseigenschaften? Aus persönlichkeitspsychologischer Sicht bietet es sich an, Persönlichkeitsstörungen als Muster von hohen bzw. niedrigen Ausprägungen in bestimmten Persönlichkeitseigenschaften oder -dimensionen (und damit verbundenen einseitigen und rigiden Verhaltensweisen) zu betrachten. Dafür sprechen u. a. die Ergebnisse faktorenanalytischer Studien von Verfahren, die speziell für die kategoriale oder dimensionale Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen entwickelt wurden. In solchen Studien wurden in der Regel zwischen drei und fünf Faktoren ermittelt. Anhänger des Fünf-Faktoren-Modells (FFM) der Persönlichkeit versuchten nachzuweisen, dass sich die Big Five (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze) bei der Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen bewähren (Costa & Widiger, 2002). Dies gilt mit Einschränkungen für vier Faktoren, nicht jedoch für den Faktor „Offenheit für Erfahrung“, der nur wenig Varianz aufklärt. Unter anderem aus diesem Grund vertritt Becker (2003) ein Vier-plus-X (abgekürzt 4PX)-Faktoren-Modell, das als eine Verallgemeinerung des FFM gelten kann. Es geht von lediglich vier Faktoren (Big Four) aus, die sowohl im Bereich der „normalen“ als auch „gestörten“ Persönlichkeit gut replizierbar sind. Sie werden als Neurotizismus/geringe seelische Gesundheit, Extraversion/Offenheit, Unverträglichkeit und Gewissenhaftigkeit/Kontrolliertheit interpretiert. Zu ihrer Messung wurde von Becker (2003) das Trierer Integrierte Persönlichkeitsinventar (TIPI) entwickelt, das mit vier Global- und 34 Primärskalen eine differenzierte dimensionale Diagnostik der „normalen“ und „gestörten“ Persönlichkeit erlaubt. Für die dimensionale KonzeptualisieDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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rung von Persönlichkeitsstörungen interessant erscheint eine von Wiggins und Pincus (2002) ermittelte fünffaktorielle Struktur, die außer vier den Big Four ähnlichen Faktoren einen „Schizotypie“-Faktor (u. a. Denkstörungen; mangelnder Realitätssinn) umfasst (zum Schizotypie-Konstrukt siehe eingehender Andresen & Maß, 2001). Vier weitere dimensionale Persönlichkeitsmodelle stellen Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitseigenschaften und -störungen her: 1. Cloninger, Przybeck, Svrakic und Wetzel (1999) haben das Temperament-undCharakter-Inventar (TCI) entwickelt. Es umfasst die vier Temperamentseigenschaften Neugierverhalten, Schadensvermeidung, Belohnungsabhängigkeit und Beharrungsvermögen sowie die drei Charaktereigenschaften Selbstlenkungsfähigkeit, Kooperativität und Selbsttranszendenz (➝ Biologische Persönlichkeitstheorien). 2. Das Circumplexmodell des interpersonalen Verhaltens basiert auf den Dimensionen Dominanz und Wärme sowie deren Kombinationen, die je nach Auflösungsgrad 8 oder 16 Persönlichkeitstypen (bzw. Muster des interpersonalen Verhaltens) liefern. 3. Von Kuhl und Kazén (1997) wurde das Persönlichkeits-Stil-und-StörungsInventar (PSSI) mit 14 Skalen entwickelt, dem die Annahme zu Grunde liegt, dass zwischen „Persönlichkeitsstilen“ und Persönlichkeitsstörungen fließende Übergänge bestehen. 4. Von Zerssen (2000) hat ein empirisch gestütztes Circumplexmodell der prämorbiden Persönlichkeit und der Persönlichkeitsstörungen entworfen. 1.5

Persönlichkeitseigenschaften und Klinische Störungen

Wie steht es um Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitseigenschaften und klinischen Störungen? Von Ausnahmen abgesehen zeichnen sich Letztere durch ihren vorübergehenden Charakter aus, d. h. es handelt sich um ein für die betreffende Person in diesem Ausprägungsgrad eher seltenes oder atypisches Muster des Verhaltens und Erlebens (z. B. ein depressives Syndrom). Interessanterweise unterscheiden sich Personen jedoch in der Häufigkeit, mit der bei ihnen solche klinischen Muster auftreten. Aus diesem Grund enthalten manche Persönlichkeitsfragebogen (z. B. der NEO-PI-R; ➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze) Skalen (z. B. eine Depressivitäts-Skala), deren Items nach der Häufigkeit eines bestimmten klinischen Musters (z. B. eines depressiven Musters) fragen. Ein hoher Wert (Score) in der Depressivitäts-Skala des NEO-PI-R drückt mithin aus, dass die betreffende Person häufig ein depressives Syndrom erlebt und mit erhöhter Wahrscheinlichkeit die klinische Störungsdiagnose „Dysthyme Störung“ erhielte. Es gibt mithin eine Reihe von Persönlichkeitsskalen, deren Items mit den diagnostischen Kriterien klinischer Störungen weitgehend übereinstimmen. Der Unterschied zwischen einer Symptomliste und einer korrespondierenden Persönlichkeitsskala besteht darin, dass im Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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ersten Fall nach dem aktuellen Vorliegen und im zweiten Fall nach der Auftretenshäufigkeit der entsprechenden Symptome in einem längeren Zeitraum (von z. B. mehreren Jahren) gefragt wird. So ermittelten Duncan-Jones, Fergusson, Ormel und Horwood (1990), dass die Persönlichkeitsdimension Neurotizismus (sensu Eysenck; ➝ Neurotizismus) das für eine Person charakteristische Niveau gewisser klinischer Symptome misst. Weitere Entsprechungen zwischen klinischen Syndromen und vom TIPI erfassten Persönlichkeitseigenschaften können der Tabelle 1 entnommen werden. Zusammenfassend lassen sich enge Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitseigenschaften und sowohl Persönlichkeitsstörungen auf der Achse II als auch klinischen Störungen auf der Achse I herstellen. Die Persönlichkeitspsychologie kann somit einen wesentlichen Beitrag zur Beschreibung, Klassifikation und Diagnostik psychischer Störungen leisten. Der „typische“ Therapiepatient weist mehrere klinische Störungen, häufig wenigstens eine Persönlichkeitsstörung sowie klinisch bedeutsame normabweichende Ausprägungen in mehreren Persönlichkeitseigenschaften auf.

2

Ätiologie und Prädiktion psychischer Störungen

2.1

Ein allgemeines ätiologisches Rahmenmodell

Der verfügbare Platz erlaubt es nicht, auf die Vielzahl der psychischen Störungen und die dazu vorliegenden ätiologischen Theorien einzugehen (siehe eingehender Bastine, 1998). Stattdessen wird in Abbildung 1 ein allgemein gehaltenes ätiologisches Rahmenmodell skizziert, das sich nicht an eine spezifische Theorie anlehnt und daher Chancen besitzt, auf breitere Zustimmung zu stoßen. Als biopsychosoziales Modell bietet es ein integratives Bezugssystem, in das sich entwicklungspsychopathologische, biologische, lerntheoretische und psychodynamische Vorstellungen sowie die weit verbreiteten Vulnerabilitäts-Stress- bzw. Diathese-Stress-Modelle einordnen lassen. Letztere gehen davon aus, dass psychische Störungen auftreten, wenn ein Individuum mit einer bestimmten (Krankheits-)Disposition (Diathese) bestimmten Belastungsfaktoren (Stress) ausgesetzt wird. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer psychischen Störung hängt vom Zusammenwirken von Risiko- und Schutzfaktoren ab, die in prädisponierende bzw. immunisierende, auslösende bzw. Puffer- und aufrechterhaltende bzw. kurative Bedingungen eingeteilt werden können. Im vorliegenden Kapitel verdienen vor allem Persönlichkeitseigenschaften Beachtung, wobei zwischen prämorbiden, morbiden und postmorbiden Eigenschaften differenziert wird. Diese Unterscheidung ist aus folgenden Gründen bedeutsam: Beim Auftreten einer klinischen Störung können sich einige prämorbide Persönlichkeitseigenschaften, die mit klinischen SyndroDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Risikofaktoren

Schutzfaktoren

(Ressourcendefizite; inadäquate Anforderungen)

(Ressourcen; adäquate Anforderungen)

Chronische psychische Störung Postmorbide Persönlichkeitseigenschaften

Aufrechterhaltende Bedingungen

Störungsstabilisierende Umweltbedingungen

Abklingen der psychischen Störung; postmorbide Persönlichkeitseigenschaften

Biopsychosoziale Prozesse

Störungsreduzierende Umweltbedingungen

Kurative Bedingungen

Psychische Störung Morbide Personmerkmale: Morbide Persönlichkeitseigenschaften Morbide biologische Merkmale

Auslösende Bedingungen

Akute oder chronische Stressoren

Biopsychosoziale Prozesse

Günstige Umweltbedingungen

Pufferbedingungen

Prämorbide Personmerkmale

Prädisponierende Bedingungen

Vulnerabilitäten: Ungünstige prämorbide Persönlichkeitseigenschaften Biologische Risikofaktoren

Immunitäten: Günstige prämorbide Persönlichkeitseigenschaften Biologische Schutzfaktoren

Ungünstige Umweltbedingungen

Biopsychosoziale Prozesse

Genetische Risikofaktoren

Anlagen

Immunisierende Bedingungen

Günstige Umweltbedingungen

Genetische Schutzfaktoren

Abbildung 1: Ein allgemeines ätiologisches Modell

men im Zusammenhang stehen (siehe Abschnitt 1.4), verändern (z. B. Anstieg des Neurotizismus). Im Anschluss an eine psychische Störung stellt sich entweder die prämorbide Persönlichkeit wieder ein, einige Persönlichkeitseigenschaften „normalisieren“ sich, oder eine postmorbide Persönlichkeitsveränderung im Sinne einer dauerhaften „Narbe“ kann (z. B. nach einer Schizophrenie) eintreten. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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2.2

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Persönlichkeitseigenschaften und Persönlichkeitstypen als Prädiktoren klinischer Störungen

Wie dem ätiologischen Rahmenmodell zu entnehmen ist, werden bestimmte prämorbide Persönlichkeitseigenschaften oder Persönlichkeitstypen als Risikofaktoren für psychische Störungen betrachtet. Das diesbezügliche Wissen ist begrenzt. Dennoch wird in Tabelle 2 der Versuch unternommen, die aus Längsschnittstudien gewonnenen Erkenntnisse zusammenzufassen. Aus Platzgründen beschränkt sich die Darstellung auf ausgewählte psychische Störungen. Tabelle 2: Prämorbide Persönlichkeitseigenschaften und Persönlichkeitstypen als Risiko-

faktoren für ausgewählte psychische Störungen Depression

– Typus melancholicus (Gewissenhaftigkeit/Kontrolliertheit; Ordnungsstreben; Arbeitsorientierung; Hypernomie; geringe Ambiguitätstoleranz) – Neurotizismus – Interpersonale Sensitivität (Verlassensangst; Unterwürfigkeit; zerbrechliches Selbst) – Abhängigkeit

Manie

– Typus manicus (Extraversion/Offenheit; geringe Normorientierung; Risikofreude; übermäßiges Geldausgeben) – Hypomane Persönlichkeit (Extraversion; gesteigerte Energie; hoher Tätigkeitsdrang; geringes Schlafbedürfnis)

Alkoholabhängigkeit und -missbrauch

– Psychopathie; antisoziales Verhalten; Impulsivität; Aggressivität – Sensation seeking; Risikobereitschaft – Zwanghaftigkeit; Gewissenhaftigkeit – Neurotizismus

Schizophrenie

– Schizotypie (Magisches Denken; Tendenz zu Wahrnehmungsverzerrungen; Misstrauen; geringer Realitätssinn) – Unrealistisch-verträumter Typ

Angststörungen

– Gehemmtheit – Neurotizismus

Man kann der Tabelle 2 entnehmen, dass es einerseits störungsspezifische und andererseits störungsübergreifende Risikofaktoren gibt. Beim erhöhten Neurotizismus handelt es sich um einen eher unspezifischen, jedoch sehr relevanten Risikofaktor für verschiedene Arten von klinischen Störungen. Dies betrifft sowohl das erstmalige Auftreten als auch einen eher ungünstigen Verlauf (bzw. eine erhöhte

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Rückfallwahrscheinlichkeit) der Störungen. Zugleich ist Neurotizismus/geringe seelische Gesundheit eine zentrale Komponente der meisten Persönlichkeitsstörungen und ein wichtiger Prädiktor einer schlechten habituellen körperlichen Gesundheit (➝ Gesundheitspsychologie). Deshalb sollten Kliniker dieser Persönlichkeitsdimension und ihren Facetten neben der individuellen Symptomatik große Aufmerksamkeit widmen.

3

Psychotherapie

3.1

Psychodiagnostik in der Psychotherapie

Aus zwei Gründen kommt der symptom- und persönlichkeitsorientierten Diagnostik in der Psychotherapie ein hoher Stellenwert zu. (1) Vor Beginn der Behandlung ermöglicht die Eingangsdiagnostik eine Orientierung über klinische und Persönlichkeitsstörungen des Patienten. Sie schafft die Voraussetzungen für das Stellen kategorialer Diagnosen. Besonders häufig werden die Symptom-Checkliste SCL90-R, das Beck Depressionsinventar (BDI) und das Inventar zur Erfassung interpersonaler Probleme (IIP) eingesetzt. Seltener gelangen Verfahren zur Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen, z. B. das „Strukturierte klinische Interview für DSM-IV Achse II: Persönlichkeitsstörungen (SKID-II)“ und Persönlichkeitsfragebogen zum Einsatz. Dies ist bedauerlich, da sich aus der Kenntnis von Persönlichkeitseigenschaften und -störungen Hinweise zur Therapieindikation, zur PatientTherapeut-Interaktion, Therapieprognose und dem erforderlichen Therapieaufwand ergeben. So ermittelten Becker und Quinten (2003) mit Hilfe des TIPI vier Typen von stationär behandelten Alkoholabhängigen mit unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen und einem unterschiedlichen Therapiebedarf (zu Prinzipien einer differentiellen Psychotherapie siehe eingehender Becker, 1999). (2) Darüber hinaus können Rückmeldungen der Ergebnisse der Eingangsdiagnostik – darunter Informationen zum Ausprägungsgrad von Persönlichkeitseigenschaften – dafür genutzt werden, den Patienten als Kooperationspartner zu gewinnen und seine Therapiemotivation zu fördern. Über ein geeignetes Vorgehen und dabei gewonnene Erfahrungen berichtet Finn (1996). 3.2

Therapeutische Beeinflussbarkeit von Persönlichkeitsstörungen, Persönlichkeitseigenschaften und Symptomen

Seit Einführung der multiaxialen Diagnostik im DSM-III und der damit verbundenen Aufmerksamkeitslenkung auf Persönlichkeitsstörungen haben sich Kliniker verstärkt der Frage zugewandt, welchen Einfluss Persönlichkeitsstörungen auf den Therapieverlauf nehmen. Die empirischen Befunde sind nicht vollständig konsistent, doch lässt sich aus Metaanalysen schließen, dass Persönlichkeitsstörungen den Therapieerfolg im Allgemeinen negativ beeinflussen:

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• Die Therapie erweist sich als schwierig bzw. aufwändig, und nach Therapieende ist das verbleibende Störungsniveau relativ hoch. • Mit der Anzahl gleichzeitig vorhandener Persönlichkeitsstörungen nehmen die Schwierigkeiten zu, und die Prognose verschlechtert sich. • Es kommt gehäuft zu Therapieabbrüchen oder Rückfällen. Die Frage erscheint berechtigt, ob überhaupt mit einer therapeutischen Beeinflussbarkeit von Persönlichkeitsstörungen bzw. Persönlichkeitseigenschaften zu rechnen ist. Hierzu liegen kontroverse Auffassungen vor. Manche Kliniker fassen beide Arten von Persönlichkeitsmerkmalen als stabil und überdauernd auf, die folglich – im Gegensatz zu symptomatischem Verhalten und Erleben – nicht zu verändern seien. Eine solche Sichtweise ist jedoch nicht haltbar (Perry, Banon & Ianni, 1999), u. a. weil empirische Befunde belegen, dass selbst ohne therapeutische Intervention derartige, wenn auch in der Regel begrenzte, Veränderungen auftreten (siehe Abschnitt 1.3). Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand sind vielmehr Differenzierungen erforderlich: • Verschiedene Arten von Persönlichkeitsstörungen sind in unterschiedlichem Ausmaß therapeutisch beeinflussbar. So werden die Störungen des Clusters C im Vergleich zu Störungen des Clusters B (vor allem antisoziale und Borderline Persönlichkeitsstörung) und des Clusters A als leichter bzw. in kürzeren Zeiträumen behandelbar eingeschätzt. • Analoge Differenzierungen gelten auch für Persönlichkeitseigenschaften. Patienten mit ausgeprägter Feindseligkeit, Externalisierung und Ungerechtigkeitsgefühlen erweisen sich als eher wenig zugänglich für Psychotherapie (Stone, 1993). Generell sind „charakterologische“ Symptome schwer zu beeinflussen und benötigen lange Therapien (Kopta, Howard, Lowry & Beutler, 1994). • Die erreichbaren Therapieeffekte hängen von der Art der Therapie, der Therapiedosis (Anzahl der Therapiesitzungen) und der Art des Erfolgskriteriums (Symptome, Persönlichkeitseigenschaften, Lebensbewältigung und Lebensqualität im Alltag) ab (Kopta et al., 1994). Wenngleich die meisten Therapeuten mehrere Erfolgskriterien im Auge behalten und sowohl die Symptombeseitigung als auch eine positive Beeinflussung von Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitseigenschaften anstreben, kann idealtypisch zwischen eher symptomorientierten und eher persönlichkeitsorientierten Therapien unterschieden werden. Bei rein symptomorientierter Therapie lassen sich zwar Symptome (insbesondere Befindlichkeitsbeeinträchtigungen) schneller reduzieren und größere Effektstärken erreichen, doch besteht eine erhöhte Rückfallgefahr. Mit vorangehenden Argumenten ist eine therapeutische Strategie vereinbar, bei gleichzeitigem Vorhandensein von Symptomen und Persönlichkeitsstörungen zunächst den Schwerpunkt auf eine Symptomreduktion und Befindlichkeitsverbesserung zu legen und danach persönlichkeitsorientiert vorzugehen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Peter Becker

Weiterführende Literatur Bastine, R. H. E. (1998). Klinische Psychologie. Band 1 (3. Aufl.) Stuttgart: Kohlhammer.

Literatur Achenbach, T. M., Howell, C. T., Quay, H. C. & Conners, C. K. (1991). National survey of problems and competencies among four- to sixteen-year olds: Parents’ reports for normative and clinical samples. Monographs of the Society for Research in Child Development, 56 (3, Serial No. 225). Andresen, B. & Maß, R. (Hrsg.). (2001). Schizotypie. Psychometrische Entwicklungen und biopsychologische Forschungsansätze. Göttingen: Hogrefe. Bastine, R. H. E. (1998). Klinische Psychologie. Band 1 (3. Aufl.) Stuttgart: Kohlhammer. Becker, P. (1999). Allgemeine und differentielle Psychotherapie auf systemischer Grundlage. In R. F. Wagner & P. Becker (Hrsg.), Allgemeine Psychotherapie. Neue Ansätze zu einer Integration psychotherapeutischer Schulen (S. 169–226). Göttingen: Hogrefe. Becker, P. (2003). Trierer Integriertes Persönlichkeitsinventar TIPI. Manual. Göttingen: Hogrefe. Becker, P. & Quinten, C. (2003). Persönlichkeitstypen und Persönlichkeitsstörungen bei stationär behandelten Alkoholabhängigen. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 32, 104–116. Cloninger, C. R., Przybeck, T. R., Svrakic, D. M. & Wetzel, R. D. (1999). Das Temperament- und Charakter-Inventar TCI. Manual. Frankfurt: Swets Test Services. Connolly, J. J. (1991). Longitudinal studies of personality, psychopathology, and social behavior. In D. G. Gilbert & J. J. Connolly (Eds.), Personality, social skills, and psychopathology (pp. 19–47). London: Plenum Press. Costa, P. T. & Widiger, T. A. (Eds.). (2002). Personality disorders and the five-factor model of personality (2nd ed.) Washington, DC: American Psychological Association. Duncan-Jones, P., Fergusson, D. M., Ormel, J. & Horwood, L. J. (1990). A model of stability and change in minor psychiatric symptoms: results from three longitudinal studies. Psychological Medicine (Monograph Supplement 18), 20, 1–28. Finn, S. E. (1996). Manual for using the MMPI-2 as a therapeutic intervention. Minneapolis: University of Minnesota Press. Franke, G. H. (2002). SCL-90-R. Die Symptom-Checkliste von Derogatis. Deutsche Version. Weinheim: Beltz. Kopta, S. M., Howard, K. I., Lowry, J. L. & Beutler, L. E. (1994). Patterns of symptomatic recovery in psychotherapy. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 62, 1009– 1016. Kuhl, J. & Kazén, M. (1997). Persönlichkeits-Stil-und-Störungs-Inventar (PSSI). Handanweisung. Göttingen: Hogrefe. Perry, J. C., Banon, E. & Ianni, F. (1999). Effectiveness of psychotherapy for personality disorders. American Journal of Psychiatry, 156, 1312–1321. Roberts, B. W. & DelVecchio, W. F. (2000). The rank-order consistency of personality traits from childhood to old age: A quantitative review of longitudinal studies. Psychological Bulletin, 126, 3–25.

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Gesundheitspsychologie Health Psychology Hannelore Weber & Manja Vollmann Der Persönlichkeit bzw. einzelnen Persönlichkeitsmerkmalen wird seit jeher ein Einfluss auf die körperliche und psychische Gesundheit zugesprochen. Ein solcher Zusammenhang liegt auch nahe, da Persönlichkeitsmerkmale relativ stabiles und konsistentes Erleben und Verhalten beschreiben, deren Beständigkeit eine Wirkung auf die Gesundheit erwarten lässt. Der Einfluss von Persönlichkeit auf die Gesundheit wird in unterschiedlichen theoretischen Kontexten untersucht. In epidemiologischen Studien zu der Entstehung von Krebs oder koronaren Herzerkrankungen werden bestimmte Eigenschaften als potenzielle Risikofaktoren untersucht. Im Unterschied dazu richtet sich in der Stressforschung seit den 1980er Jahren die Aufmerksamkeit auf gesundheitsfördernde Merkmale, die einen Schutz gegenüber negativen Stressfolgen beinhalten. Diese auch als personale Ressourcen erachteten Eigenschaften stehen im Mittelpunkt der Gesundheitspsychologie (siehe Kasten). Eine eher jüngere Entwicklung stellen Arbeiten der „epidemiologischen Persönlichkeitsforschung“ (Krueger, Caspi & Moffitt, 2000) dar, deren Zielsetzung es ist, auf der Grundlage von möglichst repräsentativen Stichproben und unter Einbeziehung der Entwicklungsperspektive den potenziellen Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen auf kritische Verhaltensweisen (darunter Alkoholkonsum, riskantes Sexualverhalten und Fahrverhalten) zu untersuchen. So wurde beispielsweise im Kontext eines solchen explorativen Ansatzes das Big Five-Merkmal Gewissenhaftigkeit als Schutzfaktor „entdeckt“ (vgl. Segerstrom, 2000). Unabhängig von ihrem theoretischen Kontext stellt sich bei allen Ansätzen die Frage, auf welche Weise Persönlichkeitsmerkmale auf die Gesundheit wirken. In dem nachfolgenden Beitrag werden zunächst mögliche Mechanismen beschrieben. Es folgt ein Überblick über gesundheitsrelevante Persönlichkeitsmerkmale und eine Diskussion methodischer Probleme. Gesundheitspsychologie Die Gesundheitspsychologie beschäftigt sich mit den personellen, sozialen und strukturellen Faktoren, welche die körperliche und seelische Gesundheit beeinflussen. Im Mittelpunkt stehen die Entwicklung und die empirische Überprüfung von Modellen zur Beschreibung und Erklärung gesundheitsrelevanter Einstellungen und Verhaltensweisen. Persönlichkeitsmerkmale spielen in diesen Modellen eine wichtige Rolle neben Umweltfaktoren und sozialen Faktoren (z. B. der Erhalt sozialer Unterstützung) sowie situationsspezifischen Erwartungen wie die Überzeugung, dass ein bestimmtes Verhalten (z. B. Sport) zu

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einem gewünschten Ergebnis (körperliche Fitness) führt. Aus den empirisch bestätigten Zusammenhängen werden Interventionsmaßnahmen abgeleitet und mit der Zielsetzung der primären, sekundären und tertiären Prävention durchgeführt und evaluiert. Beispiele für primäre Prävention sind Programme zur Stressbewältigung oder Maßnahmen zur Förderung von Lebenskompetenzen bei Jugendlichen mit dem Ziel, gesundheitsriskantes Verhalten wie Rauchen und Alkoholkonsum zu vermindern. Programme zur sekundären und tertiären Prävention beziehen sich auf eine verbesserte Bewältigung aktueller und chronischer Erkrankungen (Überblick Jerusalem & Weber, 2003).

1

Modelle des Zusammenhangs zwischen Persönlichkeit und Gesundheit

In der Literatur werden fünf mögliche Mechanismen diskutiert, über die Persönlichkeitsmerkmale eine gesundheitsfördernde oder -gefährdende Wirkung entfalten können. Daneben sind zwei weitere Zusammenhänge denkbar, bei denen die Persönlichkeit die Gesundheit zwar nicht beeinflusst, aber dennoch mit ihr verbunden ist. Die unterschiedlichen Wirkmechanismen schließen sich nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil, man kann davon ausgehen, dass je nach Person, Merkmal, Verhalten und Situation alle nachfolgend beschriebenen Mechanismen wirksam werden und sich zu einem komplexen Wirkgefüge verbinden (Weber, 2005; Wiebe & Smith, 1997; Segerstrom, 2000). Persönlichkeitsmerkmale können die Gesundheit durch physiologische Reaktionen beeinflussen: Dieser Ansatz bezieht sich vor allem auf die physiologischen Begleitreaktionen von affektiven und kognitiven Prozessen, die mit einzelnen Persönlichkeitsmerkmalen verbunden sind. So ist belegt, dass negative affektive Zustände wie Angst, Stress oder Depressivität mit ungünstigeren kardiovaskulären und neuroimmunologischen Reaktionen einhergehen (vgl. Segerstrom, 2000). Auch von kognitiven Vorgängen, beispielsweise positiven Erwartungen, wird angenommen, dass sie entsprechende Wirkungen – in diesem Falle positiver Natur – zur Folge haben (Taylor et al., 2000). Persönlichkeitsmerkmale können die Gesundheit über direkte Folgen von Verhalten beeinflussen: Dieser Mechanismus steht für Verhaltensweisen, die unmittelbar gesundheitsfördernd oder -gefährdend sind und von denen angenommen wird, dass sie mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen einhergehen. So ist beispielsweise wiederholt der Zusammenhang zwischen Feindseligkeit und erhöhtem Alkoholkonsum und Rauchen nachgewiesen worden, wobei die Befunde jedoch insgesamt inkonsistent sind. Umgekehrt verbindet sich Gewissenhaftigkeit, eines der Big Five-Merkmale (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze),

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mit einem besserem Gesundheitsverhalten, d. h. weniger Nikotin, weniger Alkohol und die Reduktion von Unfallrisiken. Persönlichkeitsmerkmale können die Gesundheit über indirekte Folgen von Verhalten beeinflussen: Im Unterschied zu den direkten Verhaltensfolgen wird bei diesem Wirkmodell angenommen, dass Persönlichkeitsmerkmale über bestimmte Verhaltensweisen indirekt gesundheitsfördernd oder -gefährdend sind. Indirekt gesundheitsgefährdend kann beispielsweise ein mit Feindseligkeit verbundenes abweisendes Verhalten sein, das andere Personen von sozialer Unterstützung abhält, was wiederum direkte oder indirekte negative Folgen für die Gesundheit haben kann. Persönlichkeitsmerkmale können die Gesundheit über die Selektion von Umwelten beeinflussen: Dieses Modell beinhaltet die Annahme, dass Personen – ihren Eigenschaften gemäß – gesundheitsfördernde oder -gefährdende Situationen aufsuchen oder schaffen, da diese ihren Bedürfnissen, Zielen oder Fähigkeiten entsprechen (➝ Persönlichkeitsentwicklung: Biologische Einflussfaktoren). Dabei muss die Gesundheitsrelevanz nicht im Vordergrund der Selektion stehen, sie kann aber eine Folge der aus anderen Gründen aufgesuchten Umwelten sein. So scheint für Personen mit einer hohen Ausprägung in Gewissenhaftigkeit plausibel, dass sie sich mit ihrem Verhalten, das sich durch Sorgfalt, Bedacht und Planung auszeichnet, eine stabile soziale und berufliche Umwelt suchen bzw. erschaffen – mit entsprechend positiven Folgen für die Gesundheit. Persönlichkeitsmerkmale können die Gesundheit über das Krankheitsverhalten beeinflussen: Krankheitsverhalten beinhaltet die Wahrnehmung von Symptomen und alle Verhaltensweisen, die Personen zeigen, die sich als krank wahrnehmen, z. B. das Aufsuchen von ärztlicher Behandlung, subjektive Symptomberichte oder Selbstmedikation. Personen unterscheiden sich in ihrem Krankheitsverhalten. Vor allem von Neurotizismus ist bekannt, dass er mit einer erhöhten Sensitivität für Symptome und mit einem entsprechenden Krankheitsverhalten verbunden ist (Myrtek, 1998; siehe auch Abschnitt 2). Persönlichkeitsmerkmale und Gesundheit haben eine gemeinsame Ursache: Im Unterschied zu den bisher vorgestellten Modellen besteht in diesem Fall zwischen Persönlichkeit und Gesundheit keine kausale Beziehung, sondern es wird angenommen, dass beide Ausdruck oder Folge einer gemeinsamen genetischen Prädisposition sind. So kann etwa eine genetisch bedingte erhöhte physiologische Stressreaktivität die Entstehung von Erkrankungen fördern und sich – unabhängig davon – in entsprechenden Erlebens- und Verhaltenstendenzen niederschlagen. Persönlichkeitsmerkmale sind nicht Ursache, sondern eine Folge von Erkrankung: Bei diesem Zusammenhang wird angenommen, dass pathogene Prozesse, beiDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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spielsweise eine Krebserkrankung, bereits vor der Entdeckung einer manifesten Erkrankung die Ausprägung von Persönlichkeitsmerkmalen bestimmen. Diese Möglichkeit muss selbst dann bedacht werden, wenn in Längsschnittstudien zwar Persönlichkeitsmerkmale vor der Diagnose erhoben werden, aber unbekannt ist, zu welchem Zeitpunkt pathogene Prozesse bereits eingesetzt haben. Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, etwa eine erhöhte Depressivität, können sich zudem reaktiv, d. h. in Folge der Kenntnis der Diagnose und der manifesten Erkrankung entwickeln.

2

Gesundheitsrelevante Persönlichkeitsmerkmale

Die als gesundheitsrelevant nachgewiesenen Eigenschaften lassen sich in zwei Gruppen einordnen. Die erste Gruppe umfasst habituelle Überzeugungen und Erwartungen, also eher kognitive Merkmale, die zweite Gruppe affektive Merkmale, die primär das Erleben und die Regulation von Emotionen beschreiben. 2.1

Überzeugungen und Erwartungen

Zu den gesundheitsrelevanten Überzeugungen und Erwartungen gehören insbesondere Optimismus, Selbstwirksamkeit und Kohärenzsinn, die nachfolgend vorgestellt werden. Zusammenhänge ergeben sich zudem zu ➝ Kontrollüberzeugungen und ➝ Selbstwertschätzungen. Optimismus/Pessimismus

Scheier und Carver (Überblick Scheier, Carver & Bridges, 2001) definieren im Kontext ihres Modells der Selbstregulation dispositionalen Optimismus als die allgemeine Ergebniserwartung, dass „schon alles gut gehen wird“, unabhängig davon, ob die positive Erwartung darauf beruht, dass sich die Dinge von allein positiv entwickeln oder dass man selbst dazu beiträgt. Gemessen wird der dispositionale Optimismus über den Life Orientation Test (Itembeispiel: „I’m always optimistic about my future“). Eine Reihe von Studien zeigt zum Teil hohe positive Zusammenhänge zwischen Optimismus und subjektivem Wohlbefinden, vor allem in der Konfrontation mit belastenden Ereignissen (Überblick Scheier et al., 2001). Dabei legen entsprechende Ergebnisse nahe, dass dieser Zusammenhang durch ein flexibles, situationsangemessenes Bewältigungsverhalten vermittelt wird. Auch für die körperliche Gesundheit bestätigt sich der erwartete positive Zusammenhang, allerdings liegen dazu deutlich weniger Studien vor. Auch sind die Zusammenhänge schwächer und die Ergebnisse inkonsistent. So stützen beispielsweise Ergebnisse zu den Immunreaktionen die Erwartung einer protektiven Wirkung von Optimismus nur zum Teil (Überblick Segerstrom, 2000; vgl. auch Taylor et al., 2000). Ähnliches Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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gilt auch für die Zusammenhänge zur Gesundheit, die sich für den optimistischen Attributionsstil ergeben, der sich durch eine externale, vor allem variable und spezifische Interpretation von negativen Ereignissen auszeichnet (➝ Optimismus). Selbstwirksamkeitserwartung

Die Erwartung von Selbstwirksamkeit ist definiert als die Überzeugung, gewünschtes Verhalten auch angesichts von Barrieren ausführen zu können (Bandura, 1997). Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung im Hinblick auf spezifische Problemsituationen, z. B. ein Diätprogramm durchzustehen oder mit dem Rauchen aufzuhören, hat sich als ein entscheidender Prädiktor für erfolgreiches Gesundheitsverhalten herausgestellt (Bandura, 1997; Schwarzer, 1994). Im Gegensatz zu Bandura, der den Gültigkeitsbereich des Konstruktes ausdrücklich auf spezifisches Verhalten einschränkt, argumentiert Schwarzer (1994), dass die subjektive Verfügbarkeit von Handlungsressourcen über unterschiedliche Situationen hinweg auch als ein generalisiertes und zeitlich stabiles Konstrukt konzeptualisiert werden kann. Die Konzeption einer generalisierten Erwartung von Bewältigungs- und Problemlösefähigkeit findet sich auch in einer Reihe anderer Konstrukte (Schwarzer, 1994), was den hohen Stellenwert unterstreicht, der dieser Erwartung zugeschrieben wird. Die allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung erweist sich vor allem im Hinblick auf Indikatoren des subjektiven Wohlbefindens, beispielsweise Ängstlichkeit und Depressivität, und der selbst eingeschätzten Gesundheit als ein wichtiger Prädiktor (➝ Selbstwirksamkeit). Kohärenzsinn

Kohärenzsinn (sense of coherence, SOC) bezeichnet nach Antonovsky (1987) die persönliche Zuversicht, dass Geschehnisse verstehbar, strukturiert und vorhersehbar sind (comprehensibility), Sinn und Bedeutung haben (meaningfulness) und in irgendeiner Form, sei es unter Rückgriff auf eigene oder soziale Ressourcen, bewältigt werden können (manageability). SOC stellt nach Antonovsky eine generelle und universelle, d. h. kulturunspezifische Widerstandsfähigkeit dar, die vor allem in Zeiten erhöhter Belastung hilft, stresshafte Erfahrungen ohne oder mit geringeren gesundheitlichen Einbußen zu überstehen. Antonovsky hat mit der Einführung dieses Konstruktes zugleich gefordert, dass sich die Forschung stärker der gelingenden Stressbewältigung zuwenden und damit statt der im medizinischen Denken vorherrschenden Pathogenese die „Salutogenese“ untersuchen sollte. In ähnlicher Weise hat Kobasa „hardiness“ als eine protektive Merkmalskombination konzipiert, die jedoch, mit bedingt durch den Mangel an methodisch überzeugenden Instrumenten, in der jüngeren Forschung kaum mehr Aufmerksamkeit findet (Wiebe & Smith, 1997). Antonovsky (1987) hat zur Erfassung von SOC einen Fragebogen mit 29 Items entwickelt. Vorliegende Ergebnisse sprechen sehr eindeutig dafür, dass es sich bei Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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SOC um ein eindimensionales Konstrukt handelt, auch wenn theoretisch drei Komponenten unterschieden werden (Schumacher, Wilz, Gunzelmann & Brähler, 2000). Eine Vielzahl an Studien weist nach, dass SOC positiv mit subjektivem und körperlichem Wohlbefinden assoziiert ist (Schumacher et al., 2000; Weber, 2005). Auch zeigen sich die erwarteten Zusammenhänge zum Bewältigungsverhalten; so geht eine höhere Ausprägung in SOC mit einer höheren Ausprägung in aktiver Bewältigung und positiver Umdeutung einher. Deutlich niedriger sind hingegen die Zusammenhänge zwischen SOC und objektiv erfasster Gesundheit. 2.2

Emotionalität und Emotionsregulation

Bestimmte habituelle Formen des Erlebens und der Regulation von Emotionen stehen seit jeher im Verdacht, Risikofaktoren für die körperliche und psychische Gesundheit zu sein. Dazu zählen insbesondere Neurotizismus, Feindseligkeit/Ärger und die Unterdrückung von Emotionen. Neurotizismus/Negative Affektivität

Neurotizismus und das ihm verwandte Konzept der Negativen Affektivität umfasst die generelle Neigung zu negativen Emotionen, darunter Ängstlichkeit, Niedergeschlagenheit, Schuldgefühle, geringes Selbstwertgefühl und erhöhte Stressreagibilität (➝ Neurotizismus). Mit dieser Umschreibung ist Neurotizimus weitgehend identisch mit der Abwesenheit von subjektivem Wohlbefinden und stellt damit kein Risikofaktor für mangelndes Wohlbefinden dar, sondern ist bereits als solches definiert. Besonders relevant für den Zusammenhang zwischen Neurotizismus und körperlicher Gesundheit sind Ergebnisse, denen zufolge sich Neurotizismus mit der Neigung verbindet, in höherem Ausmaß körperliche Symptome zu berichten, ohne dass entsprechende objektive Befunde zu verminderter Gesundheit vorliegen. Die für Neurotizimus charakteristische allgemein erhöhte Sensitivität für aversive Stimuli manifestiert sich in diesem Fall in einer erhöhten subjektiven Wahrnehmung und Sensibilität für körperliche Missempfindungen (Watson & Pennebaker, 1989; Myrtek, 1998). Da Neurotizismus (bzw. Negative Affektivität) mit Kohärenzsinn, Optimismus und Selbstwirksamkeit hoch negativ korreliert, müssen daher auch für diese Merkmale die gefundenen Zusammenhänge mit der selbst berichteten körperlichen Gesundheit entsprechend relativiert bzw. korrigiert werden (Weber, 2005). Im Hinblick auf die objektiv erfasste körperliche Gesundheit zeigen Studien übereinstimmend, dass Neurotizismus nicht mit erhöhter Morbidität und Mortalität verbunden ist (Wiebe & Smith, 1997). Eine mögliche Ausnahme ist jedoch, dass Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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erhöhte Depressivität oder eine klinisch manifeste Depression in Risikopopulationen, hier vor allem Personen mit koronaren Herzerkrankungen, das Sterberisiko erhöhen kann (Krantz & McCeney, 2002; Wiebe & Smith, 1997). Feindseligkeit/Ärger

Feindseligkeit, erhöhte Ärgerneigung und ineffektive Ärgerregulation werden seit Jahrzehnten als gesundheitliche Risikofaktoren diskutiert (➝ Ärgerneigung). Diesen Stellenwert erhielt vor allem Feindseligkeit, als sich herausstellte, dass dieses Merkmal die eigentlich gesundheitsrelevante Komponente des sog. Typ-A-Verhaltens darstellt. Das Typ-A-Verhalten, umschrieben als ein Verhaltensmuster aus hohem Arbeitseinsatz, Ehrgeiz, starker Wettbewerbsorientierung sowie Feindseligkeit, war lange Jahre verdächtig, ein Risikofaktor für koronare Herzerkrankungen zu sein. In der Folge wurde jedoch nachgewiesen, dass lediglich die Feindseligkeit gesundheitskritisch ist (Mittag, 1999). In der vorliegenden Forschung wird Feindseligkeit auf sehr unterschiedliche Art und Weise operationalisiert (Mittag, 1999). Je nach Ansatz wird die affektive Komponente von Feindseligkeit (erhöhte Ärgerneigung und offener Ärgerausdruck), die kognitive Komponente (misstrauische, feindselige Einstellungen) oder offen aggressives Verhalten betont. Die Ergebnisse zu den Zusammenhängen zwischen Feindseligkeit und koronarer Herzerkrankung sind insgesamt inkonsistent, was zum Teil der verwirrenden Vielfalt der Konstrukte und Instrumente geschuldet sein mag. Die neuere Forschung ist daher durch das Bemühen geprägt, die relative Bedeutung der unterschiedlichen Teilkomponenten von Feindseligkeit zu untersuchen (Krantz & McCeney, 2002). Emotionsregulation

Unter den unterschiedlichen Formen der Emotionsregulation werden vor allem der Neigung, negative Emotionen zu unterdrücken, negative Folgen für die Gesundheit zugeschrieben. Im Hinblick auf die gesundheitlichen Folgen von Unterdrückung muss jedoch unterschieden werden zwischen Formen der Emotionsregulation, bei denen kritische Situationen so interpretiert werden, dass negative Emotionen erst gar nicht entstehen, und der bewussten Unterdrückung von subjektiv erlebten Emotionen. Während Formen der kognitiven Umstrukturierung, beispielsweise Humor, Distanzierung oder positive Umdeutung, im Allgemeinen als positiv gelten (vgl. Weber & Titzmann, 2003), ist die bewusste Unterdrückung erlebter Stress-Emotionen mit erhöhter physiologischer Aktivierung und damit langfristig negativen Folgen für die Gesundheit verbunden (Gross, 1998). Die gesundheitlichen Implikationen einer habituellen Neigung zur Unterdrückung von Emotionen sind vor allem im Hinblick auf die Genese und den Verlauf von koronarer Herzerkrankung und Krebs untersucht worden. Dabei wechselten

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Phasen, in denen der Zusammenhang als empirisch gut begründet erschien, mit Phasen großer Skepsis, die auch gegenwärtig vorherrscht (Überblick Amelang & Schmidt-Rathjens, 2003). Ein grundsätzliches Problem dieses Forschungsansatzes liegt dabei darin, dass Unterdrückung auf unterschiedliche Weise operationalisiert wird und die Forschung unter der mangelnden Vergleichbarkeit der Ergebnisse erheblich leidet. Eine traditionelle Operationalisierung von Unterdrückung liegt mit dem Konzept Repression vor (➝ Ängstlichkeit). Repression wurde operationalisiert als die Neigung, nur geringe Ängstlichkeit zu berichten bei gleichzeitig erhöhter Neigung zu sozial erwünschtem Verhalten. Ganz ähnlich sieht die Konzeption des so genannten Typ-C-Verhaltens vor, dass Personen sich um ein freundliches, sozial angenehmes Verhalten bemühen und aus diesem Grund negative Emotionen unterdrücken. Das Typ-C-Verhalten galt lange Zeit als möglicher Risikofaktor für die Entstehung von Krebs; nach heutigem Forschungsstand lässt sich diese Annahme keinesfalls mehr empirisch stützen (Amelang & Schmidt-Rathjens, 2003). In jüngerer Zeit hat Denollet (2000) mit dem von ihm so genannten Typ D (D für „distressed“) ein neues Typenkonzept begründet. Typ D ist definiert als die Neigung zu erhöhter Negativer Affektivität bei gleichzeitiger bewusster (!) Unterdrückung des Emotionsausdrucks im sozialen Kontext, um Ablehnung zu vermeiden. Typ-D-Verhalten gilt nach Studien von Denollet (2000) als Risikofaktor für Patienten mit koronaren Herzerkrankungen und ist gegenwärtig ausschließlich auf diese Risikogruppe beschränkt.

3

Konzeptuelle und methodische Probleme

Die Forschung zum Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Gesundheit ist mit mehreren konzeptuellen und methodischen Problemen konfrontiert (vgl. auch Amelang & Schmidt-Rathjens, 2003). Das gilt vor allem für Arbeiten, in denen Indikatoren der Gesundheit über Selbstberichte erfasst werden, da hier die Gefahr einer Überlappung von Persönlichkeitsmerkmal (dem Prädiktor) und der subjektiv wahrgenommenen Gesundheit (dem Kriterium) besteht. Die gefundenen Zusammenhänge beruhen in diesem Fall auf der Ähnlichkeit der Konstrukte und sagen nichts über den Einfluss der Persönlichkeit auf die Gesundheit aus. Überzeugende Nachweise für den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Gesundheit liefern daher nur Indikatoren der objektiv erfassten physischen Gesundheit. Diese Zusammenhänge erweisen sich in der Regel als deutlich schwächer (Weber, 2005). Neben der objektiven Gesundheit bieten sich Aspekte des sozialen Wohlbefindens, das nach dem Verständnis der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ebenfalls Bestandteil der Gesundheit ist, als unabhängige Kriterien an. Ein wichtiger Aspekt Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Konstruktüberlappung und Pseudoempirie Konstruktüberlappung stellt ein grundlegendes methodisches Problem dar, wenn Persönlichkeitsmerkmale als Prädiktoren für die Vorhersage von psychischer Gesundheit oder subjektiv eingeschätzter körperlicher Gesundheit herangezogen werden. Denn subjektives Wohlbefinden (oder psychische Gesundheit) beinhaltet nach allgemeinem Verständnis das Erleben von positiven Emotionen und die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben. Damit entspricht die Konzeption von subjektivem Wohlbefinden nicht nur weitgehend der Definition von (niedrigem) Neurotizismus, sondern kommt auch der Definition von Kohärenzsinn, Optimismus und Selbstwertgefühl nahe. Wird der Zusammenhang zwischen diesen Merkmalen und psychischer Gesundheit untersucht, so überlappen sich Prädiktor und Kriterium: Beide messen in erster Linie positive Einschätzungen! Hohe Zusammenhänge reflektieren in diesem Fall die konzeptuelle Ähnlichkeit der Konstrukte. Hinzu kommt die Ähnlichkeit in der Methode, wenn beide, Prädiktor und Kriterium, über Fragebogen erfasst werden. Ein mit der Konzeptüberlappung verwandtes Problem ist das der Pseudoempirie (Smedslund, 1984). Pseudoempirie liegt vor, wenn Beziehungen zwischen zwei Merkmalen bereits durch die Explikation der beiden Konstrukte impliziert sind, diese Beziehungen aber als empirische gedeutet und untersucht werden. So ist beispielsweise der Umstand, dass optimistische Personen belastende Situationen positiv umdeuten, bereits in der Begriffsexplikation von Optimismus beinhaltet (der u. a. erfasst wird mit dem Item „I always look on the bright side of things“). Die in Studien als empirisch überprüfte Beziehung zwischen Optimismus und positiver Umdeutung als Teil einer adaptiven Bewältigung ist daher pseudoempirisch. des sozialen Wohlbefindens ist der Erhalt von sozialer Unterstützung, der jedoch offenbar an Voraussetzungen gebunden ist, beispielsweise ein angemessenes Bewältigungsverhalten, das soziale Erwartungen erfüllt (Weber, 2003). Von daher liegt es nahe zu untersuchen, in welchem Maße Personen, die hohe Ausprägungen in bestimmten Merkmalen (z. B. Feindseligkeit oder Optimismus) zeigen, auf Unterstützungsbereitschaft bei anderen Menschen stoßen. Auf diese Weise können die indirekten Folgen von Persönlichkeitsmerkmalen für die Gesundheit untersucht werden.

4

Fazit

Auch wenn die relevante Forschung durch methodische Probleme beeinträchtigt ist und zahlreiche negative Befunde vorweisen muss, liegen insgesamt nachdrückliche Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit und Gesundheit vor. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Die Befunde sind für die körperliche Gesundheit sehr viel schwächer als für die psychische Gesundheit, wobei die teils hohen Zusammenhänge zur psychischen Gesundheit jedoch angesichts potenzieller Konstruktüberlappungen relativiert werden müssen. Die Tatsache, dass die Ergebnisse vielfach inkonsistent sind, verweist auf notwendige Differenzierungen. Dazu zählt die Frage, ob Persönlichkeitsmerkmale, wie weitgehend angenommen, generell auf die Gesundheit wirken oder aber eine kontextabhängige Wirkung zeigen. So erweisen sich beispielsweise beide, Optimismus und Pessimismus, in Abhängigkeit von dem Kontext als positiv (➝ Optimismus). Auch ist es eine Aufgabe für die künftige Forschung, die als gesundheitsrelevant erachteten Merkmale nicht isoliert, sondern in ihrer je kontextspezifischen Interaktion zu sehen.

Weiterführende Literatur Weber, H. (2005). Persönlichkeit und Gesundheit. In R. Schwarzer (Hrsg.), Gesundheitspsychologie. Göttingen: Hogrefe.

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Arbeits- und Organisationspsychologie Work and Organizational Psychology Martin Kersting Die Arbeits- und Organisationspsychologie befasst sich mit dem Erleben und Verhalten des Menschen bei der Arbeit. The right person in the right place at the right time In der Arbeits- und Organisationspsychologie sind Merkmale der Person – im Sinne differentiell wirkender Einflussgrößen – von großer Bedeutung. Die richtigen Personen sollen zur richtigen Zeit auf dem richtigen Platz arbeiten. Für zahlreiche Aspekte erweist sich eine Kongruenz zwischen den Merkmalen der Person und den Anforderungen sowie Befriedigungsangeboten der Arbeit und der Organisation als erstrebenswert. In der Arbeits- und Organisationspsychologie steht in letzter Zeit – nach einer Phase der Orientierung an der Gruppe und an der Situation – das Individuum wieder im Fokus der Aufmerksamkeit. (Lehr-)Bücher zum Thema (z. B. Roberts & Hogan, 2001; Schuler, 2001) und der Boom berufsbezogener Persönlichkeitstests sind Indikatoren dafür, dass das differentiell-psychologische und persönlichkeitsorientierte Denken in der Arbeits- und Organisationspsychologie prosperiert. Dabei dominieren aktuell trait-orientierte Ansätze, insbesondere das Fünf-Faktoren-Modell (FFM, ➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze), die Forschung. Dieses Modell dient dem vorliegenden Beitrag als Orientierungsrahmen. Dynamische Aspekte der Persönlichkeit werden aus Platzgründen nicht behandelt. Von Bedeutung für die Arbeits- und Organisationspsychologie sind insbesondere individuelle Unterschiede verschiedener Motive, beispielsweise Leistungsmotivation, job-involvement oder – als Interaktion zwischen Person und Organisation – commitment. Motive sind allerdings mit den FFM-Dimensionen „Gewissenhaftigkeit“, „Neurotizismus“ und „Extraversion“ korreliert (z. B. Judge & Ilies, 2002).

1

Rahmenbedingungen für den Erfolg einer persönlichkeitsorientierten Arbeits- und Organisationspsychologie

Angesichts einer zeitweise vorherrschenden egalitären Ideologie und der dominierenden Überzeugung, dass vor allem Umwelt und Sozialisation sowie die spezifische Situation menschliches Verhalten maßgeblich determinieren, wurde der Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Persönlichkeit in der Arbeits- und Organisationspsychologie lange Zeit keine besondere Beachtung geschenkt. Der seit Beginn der 1990er Jahre zu beobachtende Trend zu einer persönlichkeitsorientierten Arbeits- und Organisationspsychologie wurde durch einen allgemeinen gesellschaftlichen Wertewandel bezüglich differentieller Unterschiede in der Persönlichkeit und Leistungsfähigkeit von Menschen sowie durch inhaltliche und methodische Fortschritte ermöglicht: 1. Lange Zeit ging man davon aus, dass das Verhalten am Arbeitsplatz überwiegend von den Situationen und weniger von stabilen Persönlichkeitsmerkmalen bestimmt wird. Infolge der Interaktionismus-Debatte werden sowohl Persönlichkeits- als auch Situationsvariablen eine Bedeutung bei der Vorhersage von Verhalten zugesprochen (Stewart & Barrick, 2004). 2. Mit der Etablierung des FFM steht ein einheitliches Beschreibungsraster zur Integration verschiedener Befunde und theoretischer Ansätze zur Verfügung. 3. Auf methodischer Seite erbrachte die Technik der Metaanalyse einen deutlichen Erkenntnisfortschritt. Bis zur Einführung der Metaanalyse ging man davon aus, dass die Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen in der Arbeitsund Organisationspsychologie entweder generell gering ist oder aber in Abhängigkeit von verschiedensten Variablen (z. B. Berufsgruppe, Erfolgskriterium) stark variiert. Mittels der Metaanalysen konnte nachgewiesen werden, dass die Validitätskoeffizienten bestimmter Persönlichkeitsmerkmale im hohen Maße generalisierbar sind. 4. Die Etablierung neuer, berufsbezogener Instrumente hat wesentlich dazu beigetragen, die Vorbehalte der Arbeits- und Organisationspsychologie gegenüber Verfahren der Persönlichkeitsdiagnostik zu überwinden. Beispiele für entsprechende deutschsprachige Verfahren sind das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP, Hossiep & Paschen, 2003) und das Leistungsmotivationsinventar (LMI, Schuler & Prochaska, 2001).

2

Zum Zusammenhang von Persönlichkeitsmerkmalen und berufsrelevanten Erfolgskriterien

Der Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und berufsrelevanten Erfolgskriterien wurde lange Zeit unterschätzt. Dies lag u. a. daran, dass bei der Aggregation der Befunde Verfahren und Konstrukte konfundiert wurden und ein inhaltlicher Ordnungsrahmen zur Integration der Befunde fehlte. Zunächst konnte sich die Intelligenz als wichtigster Prädiktor für Berufs- und Trainingserfolg etablieren (Schmidt & Hunter, 1998). Erst später wurde die Bedeutung weiterer PerDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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sönlichkeitsmerkmale, wie z. B. Gewissenhaftigkeit erkannt. In einer Reihe aktuellerer Metaanalysen wurde das FFM als Ordnungsrahmen genutzt. Die dabei vorgenommene nachträgliche Einordnung von Konstrukten in das FFM ist auf Grund des teilweise spekulativen Charakters allerdings problematisch. Die prinzipielle Nützlichkeit des FFM zur Integration von Befunden besteht aber unabhängig von dieser methodischen Kritik und auch unabhängig von der Kritik an der mangelhaften theoretischen und eingeschränkten empirischen Fundierung des FFM (z. B. Block, 1995). Im Folgenden wird der Zusammenhang zwischen den fünf Persönlichkeitsbereichen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit mit verschiedenen berufsrelevanten Kriterien referiert.1 Die berichteten Werte basieren auf unterschiedlich umfassenden Metaanalysen. Die Anzahl der jeweils berücksichtigten Studien und Personen schwankt zwischen mindestens 18 und maximal 239 Studien sowie zwischen mindestens 2.074 und maximal 48.100 Personen. 2.1

Allgemeiner beruflicher Erfolg und Trainingserfolg

Barrick, Mount und Judge (2001) rechneten eine „Second-Order-Metaanalyse“ von 15 im Zeitraum von 1990 bis 1998 publizierten Metaanalysen zum Zusammenhang von Persönlichkeitsmerkmalen mit verschiedenen Kriterien des Berufserfolgs (Vorgesetztenbeurteilung, objektive Leistungsdaten, Trainingsleistung und Teamwork). Alle analysierten Persönlichkeitsmerkmale wurden dem FFM-Schema zugeordnet. Die Autoren schlüsselten die Ergebnisse nach Berufsgruppen auf, wobei zwischen den Gruppen Verkauf, Management, Spezialisten, Polizei und (angelernten) Arbeitern unterschieden wurde. Gewissenhaftigkeit erwies sich für alle Kriterien und für alle Berufsgruppen als bedeutsam. Auf der Konstruktebene lag der für die Population geschätzte Zusammenhang von Gewissenhaftigkeit mit Berufserfolg bei r = .27. Neurotizismus erwies sich mit r = –.13 ebenfalls als ein valider (negativer) Prädiktor des Berufserfolgs, vor allem als (negativer) Prädiktor (–.22) des Kriteriums Teamwork. Hinsichtlich der Subgruppen stand insbesondere der Berufserfolg von Polizisten im Zusammenhang mit Neurotizismus (–.12). Für die anderen drei Persönlichkeitsbereiche ließen sich keine generalisierbaren, sondern nur im Hinblick auf manche Kriterien oder bestimmte Berufsgruppen spezifische Kriteriumsvaliditäten nachweisen. Extraversion war demnach mit dem Berufserfolg von Managern (.21), Polizisten (.12) und Verkäufern (.11) assoziiert und stand außerdem im Zusammenhang mit dem Kriterium „Trainingserfolg“ (.28). Gegenüber dem Kriterium „Trainingserfolg“ erwiesen sich auch Offenheit (.33) und Gewissenhaftigkeit (.27) als valide. 1 Bei allen berichteten Koeffizienten handelt es sich um doppelt (Prädiktor- und Kriterium) reliabilitätskorrigierte Werte; Barrick, Mount und Judge (2001, siehe Abschnitt 2.1) haben zusätzlich Korrekturen gegen Varianzeinschränkungen vorgenommen.

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Führung

Theorien zur Führung verfolgen sehr heterogene Ansätze (für einen Überblick siehe z. B. Yukl, 2001). Auch in diesem Bereich feiert die Differentielle und Persönlichkeitspsychologie ein Comeback. So konzentrieren sich beispielsweise die aktuellen Ansätze der transformationalen und charismatischen Führung auf die Person und untersuchen, wie es Führungskräften gelingt, durch Kommunikation Sinn zu vermitteln und durch Visionen Ziele zu setzen. Den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit im Sinne des FFM und Führung analysierten Judge, Bono, Ilies und Gerhardt (2002). Extraversion war mit .31 der beste und relativ eigenständigste Prädiktor für ein Gesamtkriterium „Führung“. Die übrigen Korrelationen betrugen .28 für Gewissenhaftigkeit, –.24 für Neurotizismus, .24 für Offenheit und .08 für Verträglichkeit. Die berichteten Validitäten der meisten FFM-Dimensionen stehen der entsprechenden Validität der Intelligenz (Judge, Colbert & Ilies, 2004) somit nominell nicht nach. 2.3

Berufliche Zufriedenheit

Den Beitrag von Persönlichkeitsmerkmalen zur beruflichen Zufriedenheit haben Judge, Heller und Mount (2002) metaanalytisch untersucht. Dabei erwiesen sich Neurotizismus und Extraversion mit einer Validität in Höhe von –.29 und .25 als die wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale für berufliche Zufriedenheit. Der Wert für Gewissenhaftigkeit ließ sich nicht über alle Studien hinweg generalisieren. Die berufsbezogenen Befunde gleichen den Ergebnissen, die für den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und allgemeiner Lebenszufriedenheit ermittelt wurden. 2.4

Berufliche Interessen

Interessen können als Dispositionen betrachtet werden, die zu Verhalten motivieren. Ihre Effekte auf die Arbeitsleistung und -zufriedenheit sind allerdings noch nicht zufrieden stellend untersucht. Im Gegensatz zur Berufsberatung werden Interessen bei der Personalauswahl leider oft nur randständig und unsystematisch berücksichtigt. Berufliche Interessen Nach Holland (1973) sind Interessen eine wesentliche Äußerungsform der Persönlichkeit und eine wichtige Voraussetzung für Lern- und Bildungsprozesse sowie für die Berufswahl und -zufriedenheit. In seinem Modell unterscheidet er sechs Interessentypen: R (Realistic): Praktisch-technische Orientierung; I (Investigative): Intellektuell-forschende Orientierung; A (Artistic): Künstlerisch-

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sprachliche Orientierung; S (Social): Soziale Orientierung; E (Enterprising): Unternehmerische Orientierung und C (Conventional): Konventionelle Orientierung. Nicht nur die Person, sondern auch die Umwelt kann nach dieser Typisierung beschrieben werden. Ein besonders günstiger Fit wird erreicht, wenn Personen Berufe wählen, die kongruent zu ihren Interessen sind. Barrick, Mount und Gupta (2003) haben den Zusammenhang zwischen den Interessentypen nach Holland und den FFM-Dimensionen metaanalytisch untersucht. Extraversion war demzufolge mit den Interessenausrichtungen E zu .41 und mit S zu .29 korreliert; beides Interessenrichtungen, die eine Kontaktorientierung voraussetzen. Für die Dimension Offenheit ergab sich eine Korrelation in Höhe von .39 mit dem Interessentyp A und zu .25 mit dem Interessentyp I. Geringere Effekte zeigten sich für den Zusammenhang zwischen Verträglichkeit und dem Interessentyp S (.15), Gewissenhaftigkeit und dem Interessentyp C (.19) sowie zwischen Neurotizismus und dem Interessentyp I (–.12). Der Interessenstyp R wies kaum eine systematische Variation mit den FFM-Dimensionen auf. 2.5

Moderatoren

Aktuell wird erforscht, welche Variablen den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsdimensionen und berufsrelevanten Kriterien möglicherweise moderieren und erklären. Als Moderatorvariablen kommen u. a. die Motivation (siehe z. B. Barrick, Stewart & Piotrowski, 2002; Judge & Ilies, 2002) und/oder die Spezifität der Arbeits- und Anreizsituation in Frage. Denkbar ist, dass sich ein Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Erfolgskriterien nur zeigt, wenn die Motivation hoch ausgeprägt ist und/oder die Arbeit so beschaffen ist, dass die Person einen Gestaltungsspielraum und einen Leistungsanreiz hat. Die Befundlage zu diesem Thema ist allerdings noch inkonsistent.

3

Besondere Anforderungen an den Einsatz von persönlichkeitsorientierten Verfahren im Kontext der Arbeits- und Organisationspsychologie

3.1

Anforderungsanalytische Fundierung

Persönlichkeitsmerkmale sind dann für die Arbeits- und Organisationspsychologie relevant, wenn sie arbeitsrelevant sind. Arbeits- und Anforderungsanalysen müssen daher die Grundlage des Einsatzes von persönlichkeitsorientierten Verfahren im Kontext der Arbeits- und Organisationspsychologie darstellen (siehe auch die entsprechende Forderung der DIN 33430). Anforderungsanalysen dienen dazu, die personrelevanten Voraussetzungen festzustellen, die notwendig und/oder förder-

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lich für eine erfolgreiche und/oder zufrieden stellende Ausführung der an einem Arbeits-/Ausbildungsplatz oder in einem Beruf auszuführenden Aufgaben/Tätigkeiten sind. 3.2

Rechtliche Rahmenbedingungen

Bei der Erhebung und Nutzung von Informationen zu Persönlichkeitsmerkmalen im Arbeitsumfeld gelten spezifische rechtliche Rahmenbedingungen (Comelli, 1995). Neben allgemeinen Gesichtspunkten wie Tauglichkeit und Transparenz des Verfahrens sowie den Bedingungen seiner Durchführung (Aufklärung und Einwilligung) ist der Bezug der erhobenen Informationen zu der arbeitsbezogenen Fragestellung entscheidend für die Rechtmäßigkeit. Dies ist letztendlich eine Frage der Arbeits- und Anforderungsanalyse sowie der Kriteriumsvalidität. Die Zulässigkeit von Verfahren kann somit nicht pauschal, sondern nur in Bezug zu einer konkreten Position beantwortet werden. Für die Entscheidung im Einzelfall sollte man rechtlichen Sachverstand hinzuziehen. Grundsätzlich wird bei Leistungs-, Fähigkeits- und Kenntnistests ein geringerer Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gesehen als bei Verfahren zur Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen. Projektive Verfahren sind – u. a. auf Grund der mangelhaften Transparenz und der zweifelhaften Validität – rechtlich problematischer als psychometrische Persönlichkeitstests. Die Rechtsprechung geht von einem geschützten Privatbereich aus, der dem Arbeitgeber grundsätzlich verschlossen bleibt. Aus diesem Prinzip wurde die Auffassung abgeleitet, dass der Einsatz von Verfahren zur umfassenden Beschreibung der Persönlichkeit(sstruktur) im Kontext der Arbeits- und Organisationspsychologie prinzipiell ausgeschlossen ist, da der Generalitätsanspruch dieser Verfahren den geschützten Privatbereich zwangsläufig inkludiert. Hier zeichnet sich ein potenzieller Konflikt zwischen Validität und Rechtmäßigkeit ab. Grundsätzlich dürften spezifische Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensbeschreibungen arbeitsplatzbezogener sein als generelle oder faktoriell komplexe Eigenschaften. Sollte sich aber herausstellen, dass generelle Eigenschaften auf Grund ihres situationsübergreifenden Charakters bessere Vorhersagevaliditäten erzielen (siehe Ones & Viswesvaran, 1996; sowie die Ausführungen zum „Bandwidth-Fidelity-Dilemma“ weiter unten), wären Validität und Rechtmäßigkeit negativ assoziiert. Bei rechtlich unzulässigen Fragen in einem Eignungsinterview oder Persönlichkeitsfragebogen kann der Bewerber sein „Recht zur Lüge“ in Anspruch nehmen. Extrem formuliert gibt es bei unzulässigen Fragen somit ein Recht auf Verfälschung der Antworten (zur Verfälschbarkeit siehe weiter unten). 3.3

Fairness und Normen

In Persönlichkeitstests zeigen sich deutlich geschlechts- und altersspezifische Ergebnisse. Frauen erzielen beispielsweise im NEO-PI-R (Ostendorf & Angleitner, 2004) im Vergleich zu Männern durchschnittlich höhere Werte in Neurotizismus. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Jüngere Testteilnehmer beschreiben sich ebenfalls als neurotischer als ältere. Auf Gruppenleistungsunterschiede wird häufig mit „Korrekturmaßnahmen“ reagiert, indem z. B. separate Normen für Frauen und Männer angeboten werden. Auf der Ebene der Normwerte können so im Gruppenmittel die geschlechtsspezifischen Ausprägungen kaschiert werden, indem einer Frau für den gleichen Rohwert ein anderer Standardwert zugeordnet wird als einem Mann. Dies ist eine für die Praxis überaus problematische Vorgehensweise. Notwendig sind stattdessen Prüfungen, ob die aus den gruppenspezifischen Testergebnissen gewonnenen Schlussfolgerungen valide und fair sind. Die Betrachtung von gruppenspezifischen Testkennwerten in Persönlichkeitsverfahren sollte deshalb um die Analyse von gruppenspezifischen Prädiktor-Kriterium-Beziehungen ergänzt werden. 3.4

Verfälschbarkeit

Im Anwendungskontext ist die Verfälschbarkeit der diagnostischen Verfahren ein häufig diskutiertes Thema. Verfahren der Persönlichkeitsdiagnostik können leichter verfälscht werden als z. B. Verfahren der Leistungsdiagnostik. Techniken zur Vermeidung von Verfälschungen oder zur Identifikation und Korrektur wie z. B. zusätzlich eingeführte Validitätsskalen führen nicht zu der gewünschten Validitätssteigerung. Grundsätzlich kann die Frage gestellt werden, ob die Verfälschbarkeit überhaupt ein Problem darstellt oder ob die Fähigkeit zum situationsangemessenen Fälschen nicht vielmehr wertvoll ist für die spätere berufliche Leistung (Marcus, 2003). Während Marcus keine negativen Auswirkungen der Verfälschbarkeit auf die Validität erkennt, weist Kersting (2004) auf die negativen Konsequenzen für die Konstruktvalidität hin und sieht Akzeptanzprobleme für den Einsatz von verfälschbaren Verfahren in der angewandten Personalpsychologie. 3.5

Kriterienproblematik

Persönlichkeitsmerkmale sind in der Arbeits- und Organisationspsychologie vor allem bedeutsam in ihrem Beitrag zur Optimierung von Zuständen und/oder Prozessen. Optimiert wird z. B. die Leistung und/oder die Zufriedenheit von Mitarbeitern oder die Effektivität der Personalauswahl und -entwicklung. Somit kommt den Kriterien, an denen der Erfolg gemessen wird, eine besondere Bedeutung bei. Der Arbeits- und Organisationspsychologie mangelt es stärker an brauchbaren Kriterien als an brauchbaren diagnostischen Verfahren; die Güte der Kriterien markiert die Grenze der Validität der Verfahren. Neben den psychometrischen Anforderungen an Kriterien stellt sich u. a. die Frage nach deren Relevanz. Wenn z. B. als Kriterium das Vorgesetztenurteil herangezogen wird, so ist u. a. zu berücksichtigen, dass dieses Urteil keine perfekte Objektivität und Reliabilität aufweist, dass es durch verschiedene Variablen moderiert wird (z. B. die Dauer der Mitarbeiterkenntnis), und dass der Vorgesetzte (z. B. insbesondere bei Außendienstmitarbeitern) nicht alle berufsrelevanten Verhaltensweisen der Mitarbeiter beobachten kann. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Darüber hinaus macht es einen Unterschied, ob die Leistung der Mitarbeiter direkt oder nur indirekt der Aufgabenerfüllung dient. Aufgaben- und umweltbezogene Leistung Inhaltlich wird neuerdings zwischen der aufgabenbezogenen und der umfeldbezogenen Leistung unterschieden. Umfeldbezogene Leistung dient nur indirekt der Aufgabenerfüllung, z. B. durch (ansteckenden) Enthusiasmus bei der Arbeit und Unterstützung anderer. Es wird vermutet, dass Persönlichkeitsmerkmale einen engeren Zusammenhang zur umfeldbezogenen Leistung als zur aufgabenbezogenen Leistung aufweisen. Zu beachten ist auch die Symmetrie zwischen Prädiktor und Kriterium. Wittmann (1988) geht davon aus, dass nur dann eine maximale Validität zu erzielen ist, wenn Prädiktor und Kriterium das gleiche Generalitätsniveau aufweisen. Die Frage nach dem angemessenen Generalitäts- bzw. Spezifitätsniveau der Messung berührt das „Bandwidth-Fidelity-Dilemma“. Bezogen auf das FFM geht es dabei um die Frage, ob sich die Arbeits- und Organisationspsychologie beispielsweise mit dem „breiten“ und heterogenen Persönlichkeitsmerkmal „Extraversion“ oder aber mit spezifischen und homogenen Facetten wie „Durchsetzungsfähigkeit“ und „Geselligkeit“ beschäftigen sollte. Einige Autoren, wie z. B. Block (1995), sprechen sich explizit für eine spezifische Beschreibungsebene von Persönlichkeitsmerkmalen aus. Sie versprechen sich davon eine größere konzeptionelle Gemeinsamkeit mit den zu prognostizierenden Kriterien als für „breite“ Persönlichkeitsmerkmale, die ihrer Ansicht nach einen „lack of relevance“ bezüglich des Verhaltens am Arbeitsplatz aufweisen. Demgegenüber favorisieren Ones und Viswesvaran (1996) die Nutzung eher globaler, abstrakter Maße. Ihre Hauptargumente sind, dass (1) auch die vorherzusagenden Kriterien wie der Berufserfolg global formuliert sind und dass (2) übergeordnete Merkmale eine situationsübergreifende Vorhersage von Verhalten erlauben. Schließlich stellt sich die Frage der erwarteten Form des Prädiktor-Kriterium-Zusammenhangs. Meistens wird von einem linearen Zusammenhang ausgegangen. Im Gegensatz zu Fähigkeiten und Kenntnissen kann für Persönlichkeitsmerkmale die Annahme „je mehr, desto besser“ aber nicht immer überzeugen. Ein gewisses Maß an Extraversion kann beispielsweise den Erfolg eines Verkäufers begünstigen, ein Übermaß aber kann abträglich sein. Allerdings ist die Annahme nicht linearer Zusammenhänge bislang nicht empirisch substantiiert. 3.6

Inkrementelle Validität

Der Anwendungskontext der Arbeits- und Organisationspsychologie ist utilitär ausgerichtet. Um die Nützlichkeit persönlichkeitsorientierter Verfahren zu beurteilen, ist ihre Validität mit der Validität bereits etablierter Instrumente zu vergleiDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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chen. Als Orientierungswert für alle anderen Verfahren gelten Intelligenztests, die eine sehr hohe Kriteriumsvalidität erzielen. Schmidt und Hunter (1998) sprechen – allerdings nur auf Grund von Sekundäranalysen – Tests zur Integrität und zur Gewissenhaftigkeit das Potenzial zu, die Validität des Gesamtverfahrens gegenüber der alleinigen Nutzung von Intelligenztests bei der Vorhersage von Berufserfolg um 27 % bzw. 18 % zu steigern. 3.7

Multidimensionalität und Entscheidungsregeln

Diagnostik und Intervention im Kontext der Arbeits- und Organisationspsychologie drängt zur Quantifizierung, Entscheidung, Vorhersage und Evaluation. Die Persönlichkeitsdiagnostik begnügt sich hingegen oft mit Beschreibungen. Viele Verfahren erlauben aktuell lediglich die Beschreibung einer Person hinsichtlich bestimmter Persönlichkeitsmerkmale, so kann man eine Person z. B. als aktiv und offen charakterisieren. Die Verfahren geben dem Anwender aber keine – oder nur sehr vage – Handlungsempfehlungen, unter welchen Umständen welche Entscheidungen aus diesen Informationen abzuleiten sind. Ein Interpretations- und Entscheidungsvakuum besteht insbesondere bei mehrdimensionalen Verfahren. Wenn die Persönlichkeit mit mehreren, hochgradig interkorrelierten Dimensionen beschrieben wird, müssen bei einer Entscheidung mehrere Informationen simultan berücksichtigt werden. In der Praxis stellt sich die Frage, wie man von der Vielzahl zu berücksichtigender korrelierender Skalenausprägungen zu einer Entscheidung gelangt. Die eigentlich angemessenen konfiguralen Datenanalysen wurden bislang wissenschaftlich nicht ausreichend auf Bewährung geprüft und finden in der Praxis so gut wie überhaupt keine Anwendung. Die zumeist empfohlene Betrachtung von Profilausprägungen ist nicht sinnvoll, wenn die Voraussetzungen von Profilinterpretationen, niedrige Interkorrelationen und hohe Reliabilitäten, nicht gegeben sind. Die in Testhandbüchern und Fachzeitschriftenartikeln im Kontext von Kriteriumsvalidierungen häufig dargestellten statistischen Optimierungen der Vorhersage, z. B. durch multiple Regressionen, sind für die Praxis weitgehend irrelevant, wenn dem Anwender nicht mitgeteilt wird, ob und wie diese Befunde für Entscheidungszwecke nachgestellt werden können. Auch fehlt zumeist die notwendige Kreuzvalidierung zum Nachweis der Stabilität der Regressionsgleichung.

4

Bewertung und Perspektiven

Persönlichkeitsmerkmale sind von Bedeutung für das Erleben und Verhalten des Menschen bei der Arbeit. Von den Persönlichkeitsbereichen des FFM erweisen sich Gewissenhaftigkeit und – mit Einschränkungen – (gering ausgeprägter) Neurotizismus (also Emotionale Stabilität) sowie Extraversion als berufsübergreifend relevant für berufsbezogene Erfolgskriterien. Ihre Berücksichtigung kann die Kriteriumsvalidität eignungsdiagnostischer Entscheidungen und die Effizienz persoDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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naler Maßnahmen möglicherweise in fast allen Berufen maximieren. Demgegenüber variiert die Bedeutsamkeit der Merkmale Verträglichkeit und Offenheit stärker in Abhängigkeit von der jeweiligen (beruflichen) Situation. Zu beachten ist, dass der überwiegende Teil der zum Thema vorliegenden Studien aus den USA stammt. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Kulturräume sollte auf Grund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen (z. B. Berufsausbildung, Berufsausübung, Arbeitslosenquote, Berufserfolgskriterien) nicht ungeprüft bleiben. Die Daten wurden außerdem zumeist mit konstruktorientierten Persönlichkeitstests erhoben, während in der personalpsychologischen Praxis verhaltens- und simulationsorientierte Verfahren wie Interview und Assessment Center dominieren. Im beruflichen Kontext werden schließlich überwiegend Bewerber diagnostiziert; dies sind zumeist Jugendliche und junge Erwachsene. Die vorhandenen berufsbezogenen Persönlichkeitstests orientieren sich aber implizit oder explizit häufig an älteren Personen, denn die Testbearbeitung setzt oft Berufserfahrung voraus. Es werden daher neue Verfahren für junge Erwachsene benötigt. Der Arbeits- und Organisationspsychologie ist zu wünschen, dass die differentiell-psychologische Perspektive sich langfristig etabliert und Persönlichkeitsmerkmale kontinuierlich im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Die Anforderungen der Praxis müssen in Zukunft stärker berücksichtigt werden. Aufgabe der Arbeits- und Organisationspsychologie ist es, die berufsbezogene Persönlichkeit nicht nur zu beschreiben, sondern den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und berufsrelevanten Aspekten zu erklären und das Wissen technologisch für eine auftragsgebundene und entscheidungsorientierte Praxis zu nutzen. Dazu ist es notwendig, die Erkenntnisse in eindeutige Vorschläge für Handlungs- und Entscheidungsregeln umzusetzen und die Effizienz dieser Regeln zu prüfen.

Weiterführende Literatur Roberts, B. W. & Hogan, R. (Eds.). (2001). Personality psychology in the workplace. Washington, D. C.: American Psychological Association. Schuler, H. (Hrsg.). (2001), Lehrbuch der Personalpsychologie. Göttingen: Hogrefe.

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Pädagogische Psychologie Educational Psychology Bettina Hannover, Ursula Kessels & Karoline Schmidthals Persönlichkeitsmerkmale, die für die Pädagogische Psychologie relevant sind, sind einerseits auf die Lernenden/zu Erziehenden und andererseits auf die Lehrenden/ Erziehenden bezogen, welche in einer pädagogisch bedeutsamen Situation aufeinander treffen. Untersucht werden solche Persönlichkeitsmerkmale, die Auswirkungen auf Wissen, Können (z. B. Schulleistungen, Fertigkeiten) und Wollen (z. B. Anstrengungsbereitschaft, persönliche Ziele, Normen) haben, das heißt auf Variablen, die im pädagogischen Kontext beeinflusst werden sollen.

1

Intelligenz

Das vermutlich prominenteste persönlichkeitstheoretische Konstrukt, das in pädagogischen Kontexten bedeutsam erscheint, ist die Intelligenz des Lernenden (➝ Intelligenz). Intelligenz Bis heute gibt es keine allgemein akzeptierte Definition von Intelligenz, so dass typischerweise auf eine operationale Definition Bezug genommen wird, nach der Intelligenz das ist, was Intelligenztests messen. Somit besteht Einigkeit darüber, mit welcher Art von Aufgaben Intelligenz zu erfassen ist. Die zahlreichen verfügbaren Intelligenztests basieren auf einer sozialen Bezugsnorm, d. h., die Intelligenz einer Person wird relativ zu den Testergebnissen vergleichbarer Personengruppen (Normgruppen) ermittelt. Dabei wird eine positive Abweichung vom Populationsmittelwert (IQ: Mittelwert = 100, Standardabweichung = 15) um mindestens zwei Standardabweichungen (IQ > 130) als Hochbegabung bezeichnet. Die Relevanz der Intelligenz des Lernenden belegen Studien, die den Zusammenhang zu akademischem und beruflichem Erfolg untersucht haben. Insgesamt zeigen empirische Befunde, dass bis zu 50 % der Varianz im akademischen Lernerfolg und bis zu 30 % der Varianz im beruflichen Erfolg über die Intelligenz des Lernenden aufgeklärt werden können. So korrelieren z. B. allgemeine Intelligenz und schulische Leistung im Mittel im Bereich von r = .50 bis r = .60. Diese Zusammenhänge werden vermutlich darüber gestiftet, dass Menschen mit steigender Intelligenz Information schneller verarbeiten können und eine höhere ArbeitsDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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gedächtniskapazität entwickeln, was sie in die Lage versetzt, stabile und flexibel abrufbare Wissensrepräsentationen aufzubauen, die wiederum auf nachfolgende Lernprozesse einen günstigen Einfluss haben (➝ Intelligenz). Die Stärke der Zusammenhänge verweist aber auch darauf, dass ein größerer – oder zumindest ein vergleichbar großer – Varianzanteil auf andere Personmerkmale und Umweltfaktoren oder auf Interaktionen dieser drei Faktoren zurückzuführen ist. So stellt beispielsweise aufgabengebundenes oder bereichsspezifisches Vorwissen einen wesentlicheren Prädiktor schulischer Leistungen dar als die allgemeine Intelligenz und kann Defizite in der Intelligenz mehr als kompensieren (Helmke & Weinert, 1997). Auch die Annahmen über die Intelligenz des Lernenden haben Auswirkungen auf dessen Leistungsentwicklung. Rosenthal und Jacobson (1971) zeigten, dass Annahmen von Lehrenden über die Intelligenz ihrer Schüler/innen im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wirken. Ebenfalls ausschlaggebend für den Lernerfolg sind Annahmen, die der Lernende selbst über seine Intelligenz hat. Dies zeigt einerseits die Forschung zum Fähigkeitsselbstkonzept (siehe Abschnitt 7) und andererseits die Forschung über Stereotypenbedrohung. Letzteres meint, dass negative Stereotype über Gruppen (z. B. Farbige, Frauen) die Leistungen von Personen, die zu diesen Gruppen gehören, beeinträchtigen können, sofern die Stereotype in einer Leistungssituation aktiviert werden (Steele, 1997).

2

Ängstlichkeit und Selbstaufmerksamkeit

Angst Angst ist ein als unangenehm erlebter Erregungs- oder Spannungszustand, der in als bedrohlich eingeschätzten Situationen auftritt. Spielberger (1966) unterscheidet zwischen Angst als Zustand (State-Anxiety) und Ängstlichkeit als einer Persönlichkeitsdisposition (Trait-Anxiety). Während bestimmte Situationen bei (im Prinzip) allen Menschen Angst auslösen, unterscheiden sich Personen in ihrer dispositionellen Tendenz, auf bedrohliche Situationen ängstlich zu reagieren. Weiterhin ist zwischen „Aufgeregtheit“ als physiologisch-emotionaler und „Besorgnis“ als kognitiver Komponente der Angst unterschieden worden. In pädagogischen Kontexten ist besonders die Leistungs- oder Prüfungsängstlichkeit bedeutsam, welche beispielsweise mit dem Test Anxiety Inventory (TAI) gemessen werden kann. Er sieht Items zur Erfassung von Aufgeregtheit (z. B. „Ich habe ein komisches Gefühl im Magen“) und von Besorgtheit (z. B. „Ich denke über die Konsequenzen eines Misserfolgs nach“) vor (➝ Ängstlichkeit).

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Während man zunächst davon ausging, dass ein mittleres Maß an Erregung leistungsförderlich sei, zeigen neuere Studien negative Zusammenhänge zwischen Leistung und Ängstlichkeit (z. B. die Metaanalyse von Seipp & Schwarzer, 1991). Dabei hat die Besorgniskomponente einen stärker leistungsvermindernden Effekt als die Aufgeregtheitskomponente, was am schlüssigsten kognitionspsychologisch erklärt werden kann: Angst ist das Ergebnis der Einschätzung einer Person, dass sie den Anforderungen einer Situation mit den ihr verfügbaren Ressourcen nicht gewachsen ist. Aus diesem Verständnis von Angst ergibt sich eine moderierende Funktion der Selbstaufmerksamkeit der Person. Selbstaufmerksamkeit meint das Ausmaß, in dem sich eine Person zum Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung macht. Personen unterscheiden sich in ihrer habituellen Tendenz, selbstaufmerksam zu sein (Fenigstein, Scheier & Buss, 1975; ➝ Selbst und Selbstkonzept). Weil sie ihre Kognitionen während der Aufgabenbearbeitung in besonderem Maße auf den jeweiligen selbstzweiflerischen Aspekt richten, können bei hoch selbstaufmerksamen Personen Effekte von Ängstlichkeit, Misserfolgsorientierung (vgl. Abschnitt 3), depressivem Attributionsstil (vgl. Abschnitt 3) oder negativem Fähigkeitsselbstkonzept (vgl. Abschnitt 7) auf Leistungen verstärkt sein, bei gering selbstaufmerksamen Personen hingegen abgeschwächt sein.

3

Leistungsmotivation, Erfolgs- versus Misserfolgsorientierung und Attributionsstil

Ein weiteres in pädagogischen Kontexten zentrales Persönlichkeitsmerkmal bezieht sich darauf, wie sehr eine Person Situationen sucht, in denen sie ihre Tüchtigkeit unter Beweis stellen kann. Leistungsmotiv McClelland, Atkinson, Clark und Lowell (1953) definierten leistungsmotiviertes Verhalten als „Auseinandersetzung mit einem Gütemaßstab“, wobei der Anreiz im Erleben eigener Tüchtigkeit und entsprechend positiven Selbstbewertungsaffekten besteht. Das leistungsmotiviertem Verhalten zu Grunde liegende Leistungsmotiv wurde zunächst mit dem Thematischen Apperzeptionstest (TAT), einem projektiven Testverfahren, gemessen. Die Testpersonen sollen dabei zu Bildern mit uneindeutigen Inhalten Geschichten erzählen. Anhand einer Inhaltsanalyse der Antworten werden die situational angesprochenen Motive der Testperson identifiziert. Je häufiger die Person dabei Themen nennt, die mit Leistungszielen verbunden sind, desto stärker ist das ihr zugeschriebene Leistungsmotiv. Das Leistungsmotiv wurde von McClelland et al. (1953) als ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal aufgefasst, d. h. Menschen können nach der Stärke ihres LeisDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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tungsmotivs unterschieden werden (➝ Motive). Die Vermutung lag nahe, dass Personen, bei denen das Leistungsmotiv sehr stark ist, auch mehr Ausdauer und bessere Leistungen zeigen würden. Empirisch fanden sich aber eher geringe Korrelationen von im Durchschnitt r = .12 zwischen der Stärke des Leistungsmotivs und verschiedenen Leistungsindikatoren (Fraser, Walberg, Welch & Hattie, 1987). Dabei ist allerdings zu beachten, dass das durch projektive Verfahren erfasste Leistungsmotiv ein sehr unspezifisches Maß darstellt und deshalb auch nur geringe Zusammenhänge mit Leistungen in ganz konkreten Bereichen zu erwarten sind. Stärkere Zusammenhänge ließen sich zwischen der Höhe des Leistungsmotivs und der Ausdauer bei der Bearbeitung von Aufgaben nachweisen (für einen Überblick siehe z. B. Heckhausen, 1980). Erfolgs- versus Misserfolgsorientierung Personen lassen nicht nur danach unterscheiden, wie stark das Leistungsmotiv bei ihnen ausgeprägt ist. Auch die Ausrichtung ihrer auf Leistung bezogenen Motivation hat sich als ein persönlichkeitspsychologisches Konzept etabliert: Nach Atkinson (1957) fokussieren Personen in Leistungssituationen entweder vorrangig auf den zu erlangenden Erfolg oder aber vorrangig auf den zu vermeidenden Misserfolg. Man unterscheidet Personen, die Anforderungssituationen überwiegend erfolgszuversichtlich angehen (Erfolgsmotivierte), von solchen, die überwiegend misserfolgvermeidend (Misserfolgsmotivierte) eingestellt sind. Im Selbstbewertungsmodell von Heckhausen wurden die Auswirkungen der Erfolgs- bzw. Misserfolgsmotivation auf verschiedene leistungsbezogene Variablen vorhergesagt: Zum einen wurde angenommen und empirisch bestätigt, dass sich Erfolgszuversichtliche und Misserfolgsvermeidende systematisch in ihrem Anspruchsniveau unterscheiden: Erfolgszuversichtliche verfolgen eine realistische Zielsetzung, d. h., bei frei wählbaren Aufgaben entscheiden sie sich für einen mittleren bis anspruchsvollen Schwierigkeitsbereich. Die überwiegend Misserfolgsmotivierten zeichnen sich dagegen durch eine unrealistische Zielsetzung aus. Verglichen mit den Erfolgsmotivierten wählen sie häufiger sehr schwierige und sehr leichte Aufgaben und zeigen einen wenig effizienten Umgang mit Anstrengung und Ausdauer (siehe Heckhausen, 1980). Die unterschiedliche Ausrichtung der Leistungsmotivation wirkt sich nach Heckhausens Selbstbewertungsmodell auch auf die präferierten Kausalattributionen und die daraus folgenden selbstbewertenden Affekte aus: Erfolgsmotivierte haben die Tendenz, ihre Erfolge auf internale, stabile Faktoren (z. B. Fähigkeit, Begabung) zurückzuführen. Ihre Misserfolge interpretieren sie als Ausdruck variabler Faktoren wie mangelnde Anstrengung oder Pech. Nach Weiner (1985) führt dieses Attributionsmuster zu einer hohen Erfolgserwartung und zu stark positiven Selbstbewertungsaffekten wie Freude und Zufriedenheit. Misserfolgsmotivierte hingeDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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gen erklären typischerweise Misserfolg häufiger mit stabilen, internalen Faktoren (z. B. mangelnde Fähigkeit). Erfolge führen sie stärker auf variable, externale Ursachen (z. B. Glück, geringe Aufgabenschwierigkeit) zurück. Ein solches Attributionsmuster hat eine geringe Erfolgserwartung für zukünftige Leistungen zur Folge. Außerdem führt es zu negativen Selbstbewertungsaffekten wie Beschämung oder Enttäuschung. Erfolgsmotivierte erleben somit Leistungssituationen habituell als Herausforderung, Misserfolgsmotivierte dagegen als Bedrohung. Im Selbstbewertungsmodell von Heckhausen wird die Ausrichtung des Leistungsmotivs auf Erfolg oder Misserfolgsvermeidung als stabiles Personmerkmal angesehen, das sich auf Attributionstendenzen auswirkt. Abramson, Seligman und Teasdale (1978) haben hingegen unterschiedliche Attributionsstile als Personmerkmale aufgefasst. Dieses Konzept wurde aus der Theorie der Gelernten Hilflosigkeit von Seligman abgeleitet: Seligman hatte nachweisen können, dass Erfahrungen der Unkontrollierbarkeit von aversiven Ereignissen Symptome produzieren, die denen der unipolaren klinischen Depression ähneln, nämlich reduzierter Antrieb (motivationales Defizit), reduzierte Fähigkeit, Kontingenzen zu lernen (kognitives Defizit) und negative Affekte (emotionales Defizit). Abramson et al. (1978) zeigten auf, dass Personen auf eine Unkontrollierbarkeitserfahrung in Abhängigkeit ihres überdauernden und situationsübergreifenden Attributionsstils unterschiedlich reagieren. Attributionsstil Manche Menschen haben die Tendenz, positive Ereignisse wie Erfolge internal, stabil und global und gleichzeitig negative Ereignisse wie Misserfolge external, instabil und spezifisch zu erklären (optimistischer Attributionsstil) (➝ Optimismus). Andere neigen hingegen dazu, Erfolge external, instabil und spezifisch und gleichzeitig Misserfolge internal, stabil und global zu attribuieren (depressiver Attributionsstil).

Der Attributionsstil kann beispielsweise durch den Attributional Style Questionnaire gemessen werden. Neuere Ansätze beschäftigen sich mit der Frage, wie Attributionsstile von Schülern so verändert werden können, dass sie Leistungssituationen als Herausforderungen statt als Bedrohungen erleben, d. h. einen optimistischen Attributionsstil ausbilden (z. B. Rheinberg & Krug, 2005). In so genannten Motivtrainingsprogrammen wird versucht, die Zusammenhänge zwischen Zielsetzung, Kausalattribution und Selbstbewertung für die Schüler unmittelbar erlebbar zu machen. Dazu trainieren die Schüler zunächst, ihre Zielsetzungen realistisch an ihrem Leistungsvermögen zu orientieren. So sollen sie z. B. vor der Ausführung verschiedener Spiele (Ringwurf, Matheaufgaben) angeben, welches Ziel sie erreichen wollen (Zielsetzung). Durch den Vergleich des Ergebnisses mit

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den selbst gesteckten Zielen werden die Konzepte Erfolg und Misserfolg vermittelt. Zusätzlich soll der Schüler jeweils dokumentieren, ob er sich über das erreichte Ergebnis gefreut oder geärgert hat (Selbstbewertung). Im Anschluss führen Trainer und Schüler ein Gespräch über die möglichen Gründe des Erfolgs bzw. Misserfolgs (Kausalattribution). Dabei unterstützt der Trainer eine optimistische Ursachenzuschreibung.

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Interesse

Während in der klassischen Motivationspsychologie die Ausprägung des Leistungsmotivs inhaltsunspezifisch konzeptionalisiert wird, kategorisieren Vertreter der Pädagogischen Interessentheorie das zielorientierte Verhalten der Person danach, auf welchen Gegenstand es gerichtet ist. Personen werden hier also z. B. danach unterschieden, ob sie sich eher für Deutsch oder für Physik interessieren. Der Selbstbestimmungstheorie der Motivation von Deci und Ryan (1991) folgend wird Handeln als interessengeleitet angesehen, wenn es selbstintendiert oder auch intrinsisch motiviert ist. Interesse Krapp (1998) definiert Interesse als einen „Person-Gegenstands-Bezug“. Er unterscheidet zwischen situationalem Interesse, das primär durch die empfundene Interessantheit der Lernumgebung hervorgerufen wird, und dispositionalem Interesse, das relativ dauerhafte Interessensstrukturen bezeichnet. In der persönlichkeitspsychologischen Perspektive sind vor allem interindividuelle Unterschiede in dauerhaften Interessen-Strukturen von Bedeutung, beispielsweise Geschlechtsunterschiede im Interesse für verschiedene Schulfächer. Die Stärke des Interesses, das Personen einem Gegenstand zollen, korreliert mit ihren dort gezeigten Leistungen: Die Metaanalyse von Schiefele, Krapp und Schreyer (1993) ergab über alle Schulstufen und Fächer hinweg eine mittlere Korrelation von r = .30. Auf welche Weise die Leistungen einer Person von ihrem Interesse beeinflusst werden, ist allerdings wenig geklärt. Sicher scheint, dass beide Variablen sich im Laufe von schulischen Lernprozessen wechselseitig beeinflussen.

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Bezugsnormorientierung (BNO)

Im Kontext des Selbstbewertungsmodells von Heckhausen entstand eine weitere qualitative Differenzierung von Merkmalen dahingehend, welche Bezugsnorm Personen bei der Leistungsbewertung anwenden. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Bezugsnormorientierung Insbesondere Lehrpersonen lassen sich danach unterscheiden, ob sie Schüler an ihren eigenen bisherigen Leistungen (individuelle Bezugsnormorientierung – IBNO) oder an der Leistung anderer (soziale Bezugsnormorientierung – SBNO) messen (z. B. Rheinberg & Krug, 2005). Lehrpersonen mit einer SBNO führen Leistungsresultate verstärkt auf stabile Ursachen (Fähigkeit) zurück. Bei einer IBNO werden dagegen hauptsächlich variable Ursachen zur Erklärung (Anstrengung) hinzugezogen. Es wurde vielfach gezeigt, dass sich eine IBNO im Vergleich zu einer SBNO bei Lehrern positiv auf die Schüler/innen auswirkt (für einen Überblick Rheinberg & Krug, 2005). Durch Unterrichtsgestaltung, in der v. a. intraindividuelle Leistungsvergleiche rückgemeldet werden, können Schüler eigene Lernzuwächse leichter erkennen, diese auf ihre eigene Anstrengung zurückführen und Misserfolge external attribuieren. Neuere Studien fanden darüber hinaus einen positiven Effekt der IBNO auf das fachspezifische Selbstkonzept der Begabung in Mathematik. Die Verwendung einer IBNO anstatt einer SBNO im Unterricht kann von Lehrpersonen in Trainings erlernt werden.

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Zielorientierung

Zielorientierung Dieses Konzept unterscheidet Personen danach, mit welcher Zielstellung sie leistungsthematische Situationen aufsuchen (bzw. meiden). Nicholls (1984) differenziert zwischen Aufgaben- und Egoorientierung, Dweck (1986) spricht – konzeptionell sehr ähnlich – von learning goal orientation versus performance goal orientation. Lernende mit Aufgabenorientierung verfolgen in Leistungssituationen vor allem das Ziel, hinzuzulernen oder ihre Kompetenz zu steigern. Lernende mit Egoorientierung sind hingegen vor allem bestrebt, ihre Fähigkeiten zu demonstrieren bzw. Unfähigkeit zu verbergen. Lernende mit Aufgabenorientierung sehen ihre Fähigkeiten als veränderbar (steigerbar) an. Als Bewertungsstandard für Leistungen ziehen sie individuelle Bezugsnormen heran. Im Unterschied dazu betrachten Lernende mit Egoorientierung Fähigkeiten als stabil, so dass Misserfolgsrückmeldungen für sie eine Bedrohung darstellen. Eigene Leistungen bewerten sie anhand einer sozialen Bezugsnorm. Zusammengefasst wirkt sich Egoorientierung ungünstiger auf Motivation und Leistung aus als Aufgabenorientierung (z. B. Mueller & Dweck, 1998). Dies gilt

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insbesondere, wenn Lernende ein geringes Fähigkeitsselbstkonzept haben. Eine soziale Bezugsnormorientierung des Lehrers führt zu Egoorientierung bei den Schülern, eine individuelle Bezugsnormorientierung hingegen zu Aufgabenorientierung.

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Das fähigkeitsbezogene Selbstkonzept

Im Kontext pädagogisch-psychologischer Theorien sind vor allem jene Aspekte des Selbstkonzepts relevant, die sich auf die Einschätzung eigener Fähigkeiten beziehen (➝ Selbst und Selbstkonzept). Selbstkonzept Das Selbstkonzept ist die Gesamtheit der kognitiven Konzepte, die eine Person im Laufe ihres Lebens über sich selbst erwirbt, d. h. die Sicht, die die Person auf ihre eigene Persönlichkeit hat (Hannover, Pöhlmann & Springer, 2004). Das akademische Selbstkonzept ist eine generalisierte fachspezifische Fähigkeitseinschätzung. Es wird in der Regel als in verschiedene Domänen aufgeteilt aufgefasst, wobei sich vor allem das verbale und das mathematische Selbstkonzept voneinander unterscheiden lassen. Obwohl die Leistungen im verbalen und mathematischen Bereich positiv korreliert sind, besteht zwischen den Selbstkonzepten in diesen beiden Bereichen ein inverser Zusammenhang: Je stärker also ein Schüler von seiner mathematischen Begabung überzeugt ist, desto schlechter schätzt er sich in sprachlichen Fächern ein und vice versa. Dies lässt sich durch das Bezugsrahmenmodell von Marsh (1986) erklären, eine Theorie der Genese akademischer Selbstkonzepte: Kinder leiten das Selbstkonzept eigener Begabung demnach (a) aus dem Vergleich ihrer eigenen Leistungen in einem Schulfach mit den Leistungen, die ihre Mitschüler dort zeigen (external frame of reference) und (b) aus dem Vergleich ihrer eigenen Leistungen in einem Schulfach mit ihren eigenen Leistungen in anderen Schulfächern (internal frame of reference) ab. Der externale Bezugsrahmen führt dazu, dass die Leistungen in einem Fach mit dem entsprechenden fachspezifischen Selbstkonzept positiv korreliert sind, der internale Bezugsrahmen ist dafür verantwortlich, dass nur die Leistungen, nicht aber die Selbstkonzepte in verschiedenen Domänen positiv korreliert sind. Die akademischen Selbstkonzepte können leistungsbezogenes Verhalten, vermittelt über motivationale Variablen, erklären und vorhersagen. Ob die Leistung kausal das Fähigkeitsselbstkonzept (Skill-development-Ansatz) oder umgekehrt das Selbstkonzept die Leistung (Self-enhancement-Ansatz) beeinflusst, wird kontro-

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vers diskutiert. Längsschnittliche Studien zeigen die reziproke Beziehung von Selbstkonzept und Leistung und damit die gleichzeitige Gültigkeit beider Erklärungsansätze (für einen Überblick vgl. Helmke & Weinert, 1997).

Weiterführende Literatur Rheinberg, F. (1997). Motivation (2. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

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Rechtspsychologie Psychology and Law Renate Volbert Die Rechtspsychologie befasst sich mit den Anwendungen psychologischer Theorien, Methoden und Ergebnisse auf Probleme des Rechts, wobei vor allem zwei Teilbereiche zu unterscheiden sind. Im Rahmen der Forensischen Psychologie steht die Anwendung psychologischer Diagnostik zur Vorbereitung von juristischen Entscheidungen im Vordergrund. Hier geht es beispielsweise um die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Aussagen, um Schuldfähigkeits- und um rechtlich relevante Reifebeurteilungen. Die Kriminalpsychologie beschäftigt sich mit psychologischen Anwendungen auf Probleme der Kriminalität, der Delinquenz und des abweichenden Verhaltens. Auch wenn in der forensisch-psychologischen Diagnostik eine Begrifflichkeit dominiert, die einen personenzentrierten Fokus nahe legt und häufig von „Täterbegutachtung“ oder „Zeugenbegutachtung“ die Rede ist, stehen keineswegs immer Personenparameter im Vordergrund (Steller, 2000). Ist beispielsweise zu prüfen, ob eine Zeugenaussage durch suggestive Einflüsse bestimmt ist, geschieht dies vorwiegend durch die Analyse der bisherigen Befragungen sowie der Erwartungshaltungen der Befragenden. In den letzten Jahren sind aber auch zunehmend Versuche unternommen worden, interindividuell unterschiedlich ausgeprägte Bereitschaften zu identifizieren, suggerierte Informationen zu übernehmen. Auch die Entwicklung von delinquentem Verhalten beruht auf sich wechselseitig verstärkenden dispositionalen und situationalen Faktoren. Wegen der hohen biographischen Kontinuität des delinquenten Verhaltens einer kleinen Gruppe von Delinquenten kommt persönlichkeitsorientierten Erklärungsmodellen wieder vermehrt Bedeutung zu (z. B. Moffitt, 1993).

1

Aussagepsychologische Fragestellungen

1.1

Glaubwürdigkeit von Zeugen – Glaubhaftigkeit von Aussagen

In Fällen, in denen Zeugen zugleich die vermeintlichen Opfer darstellen, andere Personal- und Sachbeweise fehlen oder besondere Schwierigkeiten der Aussagebewertung vorliegen, bestellen Gerichte zuweilen psychologische Sachverständige zur Klärung der Frage, ob die vorliegende Aussage auf einem realen Erlebnis basiert oder anders generiert wurde. Im Gutachtenauftrag wird dabei häufig nach der Glaubwürdigkeit des Zeugen gefragt. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Glaubwürdigkeit Eine „allgemeine Glaubwürdigkeit“ im Sinne eines eigenschaftsorientierten, situationsübergreifenden Konzepts von „Aufrichtigkeit“ wurde bereits in den 1950er Jahren verworfen (Undeutsch, 1954). Es ist trivial, dass Feststellungen über einen allgemein anerkannten positiven Leumund keine hinreichend eindeutigen Beziehungen zu der Glaubhaftigkeit von spezifischen Aussagen dieser Person zulassen, ebenso wie umgekehrt nicht aus einem schlechten Leumund auf die Unglaubhaftigkeit konkreter Aussagen zu schließen ist. Bei der Klärung der relevanten Frage nach dem Erlebnisbezug der Darstellung steht vielmehr eine Inhaltsanalyse der Aussage im Mittelpunkt. Zu Grunde liegt die Feststellung, dass Aussagen über tatsächlich erlebte Ereignisse im Vergleich zu erfundenen Darstellungen eine höhere Aussagequalität aufweisen, wobei Aussagequalität mit Hilfe so genannter Glaubwürdigkeitsmerkmale oder Realkennzeichen operationalisiert wird (Steller & Köhnken, 1989). Bei der Feststellung, ob eine Aussageeigenart quantitativ und/oder qualitativ so ausgeprägt ist, dass sie zu einem Qualitätsmerkmal wird, sind neben den Befragungsbedingungen individuelle Kompetenzen und Vorerfahrungen des Zeugen zu berücksichtigen. Relevante kognitive Voraussetzungen beziehen sich einerseits auf die Fähigkeiten zur Wahrnehmung, Speicherung und Reproduktion von Sachverhalten der infrage stehenden Art und Komplexität und andererseits auf die Fähigkeiten, eine eben solche Darstellung ohne entsprechenden Erlebnisbezug zu konstruieren und andere damit zu täuschen. Es wird angenommen, dass für die Wiedergabe tatsächlicher Erlebnisse verbale Intelligenz, Beobachtungsgenauigkeit und Leistungsfähigkeit des Gedächtnisses von Bedeutung sind, für die Konstruktion erfundener Aussagen die Fantasieproduktivität und die Fähigkeit zur kombinatorischen Logik (Greuel et al., 1998). Allerdings ist bislang nicht im Einzelnen geprüft, in welchem Verhältnis die jeweiligen Fähigkeiten tatsächlich zur Aussagequalität (im Sinne der kriterienorientierten Inhaltsanalyse) einer erlebnisbasierten bzw. erfundenen Aussage stehen. Interindividuelle Unterschiede können auch noch in anderer Hinsicht bedeutsam sein. So sind etwaige auf besonderen Persönlichkeitsakzentuierungen basierende Dramatisierungs- und Aggravationstendenzen zu berücksichtigen. Ebenfalls zu beachten sind Unterschiede in der Bereitschaft, zur Durchsetzung eigener Interessen auch in Ernstsituationen auf falsche Aussagen zurückzugreifen (vgl. Volbert & Steller, 2004). 1.2

Suggestibilität von Zeugen – Suggestivität von Befragungssituationen

Während bislang von der Unterscheidung zwischen erlebnisbasierten und erfundenen Aussagen die Rede war, stellt sich häufig auch die Frage nach der Differenzierung zwischen tatsächlich erlebten und suggerierten Aussagen. Es ist belegt, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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dass Aussagen über gar nicht stattgefundene Ereignisse induziert werden können und diese Angaben teilweise mit einer hohen subjektiven Sicherheit auf Seiten der beeinflussten Personen verbunden sind, so dass in solchen Fällen von dem Vorliegen von Pseudoerinnerungen auszugehen ist (z. B. Erdmann, 2001). Zu derartigen Aussageinduktionen kommt es vor allem dann, wenn bei Befragenden bereits spezifische Voreinstellungen bestehen, dass ein zu erfragender Sachverhalt tatsächlich passiert ist und im Rahmen von wiederholten Interviews bei den Befragten intensive mentale Bilder erzeugt werden, die auf Grund ihrer Lebhaftigkeit und leichten Abrufbarkeit nur schwer von tatsächlichen Erinnerungen zu unterscheiden sind. Auf diese Weise kann ein mentales Bild fälschlicherweise einer falschen Quelle zugeordnet werden, d. h. ein internal generiertes Bild wird fälschlicherweise als external erzeugt klassifiziert (Hyman & Kleinknecht, 1999). Der Nachweis einer überdauernden Suggestibilität im Sinne einer besonderen Empfänglichkeit für suggestive Beeinflussungen, die in unterschiedlichen suggestiven Situationen wirksam wird, ist bislang nicht geführt worden (Bruck & Melnyk, 2004). Möglicherweise liegen jedoch spezifische Anfälligkeiten für unterschiedliche suggestive Phänomene vor. Beispielsweise fand Endres (1998) bei Kindern Hinweise auf zeitlich stabile individuelle Unterschiede im Hinblick auf die Bereitschaft, auf irreführende Fragen falsche Antworten zu geben. Er stellte zudem fest, dass diese Tendenz negativ mit Intelligenztestwerten korrelierte. Ein Zusammenhang bestand dagegen nicht zwischen Intelligenz und der Tendenz, nach negativem Feedback eine Antwortänderung vorzunehmen. Weder die Bereitschaft, auf irreführende Fragen falsche Antworten zu geben noch die Tendenz, nach negativer Rückmeldung Antwortänderungen vorzunehmen, korrelierten aber mit der Anfälligkeit für induzierte Pseudoerinnerungen (vgl. Volbert, 1999). In verschiedenen Studien ist bei Erwachsenen ein positiver Zusammenhang zwischen dissoziativen Tendenzen und der Übernahme von falschen Informationen in unterschiedlichen suggestiven Situationen nachgewiesen worden. Es wird angenommen, dass Personen mit dissoziativen Tendenzen möglicherweise gelernt haben, Informationen aus externalen Quellen in autobiografische Berichte zu integrieren, und deswegen stärker geneigt sind, suggerierte Informationen zu übernehmen (vgl. Winograd, Peluso & Glover, 1998).

2

Erklärung und Vorhersage von Kriminalität

2.1

Theorien zur Kriminalitätsentstehung

Theorien zur Kriminalitätsentstehung decken stets nur Ausschnitte des Gesamtphänomens strafrechtsbedeutsamer Handlungen ab und sind daher nur selten in der Lage, das Bedingungsgefüge eines spezifischen Geschehens hinreichend aufzuklären. Kriminalität umfasst ein facettenreiches Spektrum (vom Ladendiebstahl eines Jugendlichen über den Drogenhandel im Rahmen des organisierten VerbreDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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chens bis hin zu Tötungsdelikten im Affekt), dem die Verletzung kodifizierter Normen gemeinsam ist; Faktoren, die zu dem Entstehen dieses Verhaltens beitragen, variieren jedoch erheblich. Straftaten junger Menschen Straftaten junger Menschen stellen ein sehr weit verbreitetes Phänomen dar. So muss sich etwa ein Drittel aller Jungerwachsenen bis zum Erreichen des 21. Lebensjahres schon einmal vor einem Gericht wegen einer Straftat verantworten, und mehr als die Hälfte der jungen Männer bis zum Alter von 25 Jahren treten mindestens einmal wegen des Verdachts einer Straftat kriminalpolizeilich in Erscheinung (zusammenfassend z. B. Bliesener, 2003). Für die weitaus meisten Jugendlichen bleibt es jedoch bei einmaliger oder gelegentlicher und wenig gravierender Auffälligkeit. Eine Minderheit von etwa 3 bis 7 % der jugendlichen und heranwachsenden Straftäter ist dagegen für etwa ein bis zwei Drittel der registrierten Straftaten ihrer Altersgruppe verantwortlich (Farrington, 1992; Wolfgang, Figlio & Sellin, 1972). Es wird deswegen zwischen der selteneren, langfristigen Antisozialität und der wesentlich häufigeren jugendtypischen Form differenziert (Moffitt, 1993). Jugendtypische Delinquenz hat meist experimentellen Charakter. In einer Entwicklungsphase, in der zwischen biologischer Reife und sozialem Status eine große Diskrepanz besteht, trägt abweichendes Verhalten dazu bei, sich von Eltern und anderen Autoritäten zu lösen, jugendtypische Ziele zu erreichen und Selbstwert zu bestätigen. Das delinquente Verhalten verliert nach einiger Zeit meist an Bedeutung, weil sich konforme Verstärkungsmöglichkeiten (Schulabschluss, Beruf, feste Partnerbeziehungen, regelmäßiges Einkommen) ergeben. Persönlichkeitsmerkmale wie Ängstlichkeit sowie bereits von Erwachsenen anerkannte Rollen oder ein Umfeld, das wenig Lernmöglichkeiten für Delinquenz bietet, können dazu führen, dass jugendtypische Delinquenz unterbleibt (Lösel & Bender, 2000). Bei der persistierenden und schwerwiegenderen Delinquenz spielen im Vergleich dazu sowohl Aspekte der familiären Sozialisation wie auch Persönlichkeitsvariablen bei der Erklärung eine wesentlich größere Rolle. Es ist davon auszugehen, dass solchen Entwicklungen ein Zusammentreffen von verschiedenen biologischen, psychologischen und sozialen Risiken zu Grunde liegt. Auf der biologischen Ebene sind genetische Faktoren zu nennen, die zu Unterschieden im Temperament oder in den kognitiven Funktionen beitragen, aber auch Einflüsse in der frühkindlichen Entwicklung, die eine ungünstige neuropsychologische Entwicklung des Kindes nach sich ziehen (z. B. Substanzmissbrauch der Mutter während der Schwangerschaft; Geburtskomplikationen). Relativ konsistent ist gezeigt worden, dass Hyperaktivität, Impulsivität, Aufmerksamkeitsprobleme, niedrige Intelligenz und erhöhte Risikobereitschaft Prädiktoren von Gewaltdelinquenz darstellen (Farrington, 2003) Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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(➝ Aggressivität). In der Regel liegen jedoch keine isolierten biologischen oder psychologischen Einflüsse vor. Vielmehr scheinen Kombinationen mit familiären Risiken (z. B. gravierende innerfamiliäre Konflikte; uneinfühlsames, aggressives und inkonsistentes Erziehungsverhalten) besonders bedeutsam zu sein (z. B. Raine, Brennan, Farrington & Mednick, 1997). Solche Beziehungs- und Erziehungsmerkmale sind wiederum häufig mit sozialen Problemen (z. B. sehr schlechte finanzielle Situation, Kriminalität der Eltern) assoziiert. In den letzten Jahren sind vermehrt Bemühungen unternommen worden, auch Faktoren zu identifizieren, die einen delinquenzverhindernden Einfluss ausüben und dazu führen, dass es trotz gravierender Risiken nicht zu einer delinquenten Karriere kommt oder dass eine bereits eingeschlagene delinquente Karriere vorzeitig beendet wird. Als Schutzfaktoren zu nennen sind beispielsweise eine stabile emotionale Bindung an eine Bezugsperson, soziale Unterstützung, emotional akzeptierende und normorientiert-kontrollierende Erziehung. Auf der individuellen Ebene gehören Empathie, emotionale Ausdrucksfähigkeit und die Kompetenz zur Lösung sozialer Probleme, mindestens durchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten, positive selbstwertbezogene Kognitionen und interne Kontrollüberzeugungen zu den protektiven Faktoren (Bliesener, 2003). Die Schutzfunktion solcher personaler und sozialer Ressourcen liegt vermutlich darin, dass Kettenreaktionen delinquenter Entwicklungen unterbrochen werden. Ähnlich wie bei den Risiken scheinen jedoch nicht so sehr einzelne Merkmale, sondern deren Kumulation Wirkungen zu haben. 2.2

Kriminalprognosen

Annahmen über das zukünftige Legalverhalten von Rechtsbrechern steuern im deutschen Strafrecht in erheblichem Maß den strafrechtlichen Sanktionsprozess (Entscheidungen über Auswahl und Bemessung von Strafen, Gewährung von Lockerungen oder Aussetzungen des Restes einer Freiheitsstrafe). Zur Beurteilung zukünftiger Risiken sind zunächst Informationen über Tat- und Tätermerkmale von Bedeutung, die mit Rückfälligkeit korreliert sind.

Einflussfaktoren auf die Rückfälligkeit von Straftätern Vorliegende Erkenntnisse über Einflussfaktoren auf die Rückfälligkeit von Straftätern verweisen auf vier größere Merkmalsbereiche, die von Andrews und Bonta (1998) als „the Big Four“ bezeichnet werden: • die Vorgeschichte antisozialen und delinquenten Verhaltens, • die Ausprägung von Merkmalen einer antisozialen Persönlichkeit, • das Ausmaß antisozialer Kognitionen und Einstellungen, • ein antisoziales Umfeld.

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In den letzten Jahren sind verschiedene Verfahren zur Abschätzung von Rückfallrisiken vorgelegt worden. Diese Verfahren erheben systematisch demografische Informationen, Merkmale der delinquenten Vorgeschichte und der Tatbegehung, familiäre und soziale sowie Bildungsfaktoren und verdichten sie empiriegestützt zu einem Risikoindex. Während frühere Verfahren sich auf die Erfassung von Merkmalen der Vorgeschichte (Alter bei Erstdelikt, Art und Häufigkeit von Vordelikten usw.) beschränkten, die, sofern sie einmal zutreffen, auch nicht mehr veränderbar sind, werden in neueren Instrumenten zur Prognosebeurteilung auch dynamische Faktoren berücksichtigt (Persönlichkeitsaspekte wie Empathie und Selbstwert, Verhaltensmuster, Bindungsaspekte, Einstellungsvariablen). In einigen Ansätzen werden dabei aus der möglichst exakten Beschreibung spezifischer Persönlichkeitskonfigurationen bzw. -entwicklungen prognostische Aussagen entwickelt. So fußt die in ihrer prognostischen Validität vielfach belegte Psychopathy Checklist Revised (PCL-R; Hare, 1991) auf einem spezifischen Persönlichkeitskonstrukt. „Psychopathy“ wird als stabiles Störungsbild verstanden, welches sich bereits in frühen Lebensphasen abzeichnet und u. a. mit folgenden Merkmalen verbunden ist: Oberflächlicher Charme, übersteigertes Selbstwertgefühl, Reizhunger und Tendenz zur Langeweile, manipulative Tendenzen, fehlende Schuldgefühle, flache Affekte, mangelnde Empathie und Impulsivität. Straftäter mit einer „Psychopathy“-Diagnose stellen aber nur einen vergleichsweise kleinen Anteil straffälliger Personen dar. Die PCL-R ist insofern ein Prognoseinstrument mit entsprechend begrenzter Reichweite (Dahle, in Druck). Um im Einzelfall eine Prognose zu erstellen, müssen die für ein spezifisches Geschehen relevanten Aspekte in ein Erklärungsmodell integriert werden; es geht also um die Formulierung einer individuellen Handlungstheorie der fraglichen Person. Auf dieser Basis sind spezifische kriminalitätsbedingende Risikopotenziale zu identifizieren und aktuell zu überprüfen, so dass schließlich die individuelle Handlungstheorie der Kriminalität einer Person unter Annahme wahrscheinlicher zukünftiger Rahmenbedingungen fortgeschrieben werden kann. Besondere Schwierigkeiten bereiten Prognosen, wenn weder situationale noch personale Faktoren eindeutig im Vordergrund stehen. Kriminalprognosen können sich in diesen Fällen nur auf das individuelle Risikopotenzial einer Person konzentrieren. Ob sich dieses Potenzial tatsächlich realisieren wird, hängt jedoch von der Entwicklung zukünftiger situationaler Randbedingungen ab, die nur beschränkt vorherzusagen sind. Spezifizieren lässt sich jedoch in vielen Fällen die Art der situationalen Rahmenbedingungen, die eine Realisierung der Risiken befürchten lässt (Dahle, 2000).

Weiterführende Literatur Dahle, K.-P. (in Druck). Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose. In H.-L. Kröber, D. Dölling, N. Leygraf & H. Saß (Hrsg.), Handbuch der Forensischen Psychiatrie. Darmstadt: Steinkopff.

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Gerontopsychologie: Erfolgreiches Altern Psychology of Aging Alexandra M. Freund & Michaela Riediger Die Gerontopsychologie beschäftigt sich mit psychologischen Prozessen im hohen Lebensalter. Auf der Basis der Funktionsfähigkeit im Alltag wird häufig zwischen einem „jungen“ und einem „alten“ Alter unterschieden (Baltes, 1997). Der Beginn des „jungen“ Alters wird meist zwischen dem sechsten und siebten Lebensjahrzehnt angesiedelt, der Übergang ins „alte“ Alter erfolgt etwa im achten Lebensjahrzehnt. Untersuchungen zur Wahrnehmung des höheren Alters zeigen, dass dieses Lebensalter vornehmlich als eine Zeit von Entwicklungsverlusten angesehen wird (Heckhausen, Dixon & Baltes, 1989). Trotz der Abbauprozesse (z. B. Abnahme der physischen und kognitiven Leistungsfähigkeit) haben jedoch auch alte und sehr alte Menschen durchaus Gestaltungsmöglichkeiten. Thema dieses kurzen Überblicks ist die Frage, welche individuellen Merkmale zu einem erfolgreichen Altern beitragen. Nach einer kurzen Zusammenfassung der besonderen Anforderungen des hohen Lebensalters wird ein Modell der Persönlichkeit skizziert, das als Grundlage der Diskussion des Zusammenhangs zwischen Persönlichkeit und erfolgreichem Altern dient. Darauf aufbauend wird der aktuelle Stand der Forschung am Beispiel einer prototypischen Theorie erfolgreichen Alterns, der SOKTheorie, erläutert.

1

Ressourcenabnahme als zentrale Entwicklungsherausforderung im Alter

Über die gesamte Lebensspanne hinweg sind Ressourcen – biologische, psychologische oder kulturelle Merkmale, die zur positiven Interaktion eines Individuums mit seiner Lebenswelt beitragen – gleichzeitig entwicklungsfähig und begrenzt. Diese Ressourcenbegrenzung ist im höheren Alter besonders ausgeprägt. Baltes (1997) führt dies auf drei interagierende Einflussfaktoren zurück, die zusätzlich zu körperlichen Alterungsprozessen wirksam sind: 1. Die Vorteile der evolutionären Selektion nehmen mit zunehmendem Alter ab. Bis etwa zum Beginn des 19. Jahrhunderts wurden nur wenige Menschen im heutigen Sinne „alt“. Erst im 20. Jahrhundert sorgten Fortschritte in den Bereichen Ernährung, Hygiene und Gesundheitsversorgung für einen rapiden Anstieg der Lebenserwartung. Vor 1950 war dies primär ein Resultat abnehmender Kindersterblichkeit. Seit 1950 dagegen wächst die Lebenserwar-

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tung, weil ältere Menschen länger leben (Vaupel et al., 1998). Merkmale alter Menschen können also historisch gesehen erst seit kürzester Zeit als Selektionskriterien in evolutionäre Prozesse eingehen. Das ist jedoch insofern unwahrscheinlich, als die evolutionäre Selektion im reproduktiven Alter früherer Lebensphasen ansetzt. Im Vergleich zu jüngeren Altersgruppen existieren daher im höheren Alter weniger effektive Reparaturmechanismen und Expressionen des genetischen Materials, die ein allgemein hohes Funktionsniveau gewährleisten. 2. Der Bedarf an sozio-kulturellen Ressourcen nimmt im hohen Alter zu. Auf Grund biologisch basierter Funktionsverluste sind alternde Menschen vermehrt auf kulturelle Unterstützung angewiesen. Da das hohe Lebensalter jedoch historisch noch „jung“ ist, hat sich bislang keine „Kultur des Alterns“ entwickelt. Im Gegenteil, die Gesellschaft stellt ihren Mitgliedern in der Lebensphase, in der diese am meisten darauf angewiesen sind, die wenigsten Ressourcen, Hilfsmittel und Gelegenheitsstrukturen zur Verfügung. 3. Die Effektivität sozio-kultureller Ressourcen nimmt im Lebensverlauf ab. Im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen können ältere Menschen die kulturell verfügbaren Möglichkeiten weniger effektiv nutzen. Sie verfügen über geringere Reservekapazitäten zur Erreichung eines hohen Funktionsniveaus. Zusammengenommen führen diese Faktoren dazu, dass das Verhältnis von Gewinnen zu Verlusten im höheren Alter ungünstiger wird. Dabei ist jedoch zwischen einem „jungen“ und einem „alten“ Alter zu unterscheiden. Personen im „jungen“ Alter (etwa bis 7. Lebensjahrzehnt) weisen häufig ein allgemein recht hohes Funktionsniveau auf. Im „alten“ Alter (etwa ab dem 8. Lebensjahrzehnt) dagegen werden Entwicklungsverluste immer gravierender. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Altern durch einen uniformen Abbauprozess beschreibbar ist. Altern zeichnet sich sowohl durch Multidirektionalität der Entwicklungsverläufe in verschiedenen Lebens- oder Funktionsbereichen aus, als auch durch hohe interindividuelle Variabilität im Umgang mit Einschränkungen und Verlusten. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, inwieweit interindividuelle Unterschiede in Persönlichkeitsmerkmalen zum Verständnis erfolgreichen Alterns beitragen.

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Das Mehrebenen-Modell der Persönlichkeit

Das Mehrebenen-Modell der Persönlichkeit von McAdams (1990) bietet sich als theoretischer Rahmen für die Diskussion des Zusammenhangs von Persönlichkeit und erfolgreichem Altern an. Dieses Modell unterscheidet drei Ebenen von Persönlichkeit, die sich hinsichtlich ihrer Stabilität beziehungsweise Variabilität über die Zeit unterscheiden. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Auf der ersten Ebene sind relativ kontextunabhängige Persönlichkeitsdispositionen angesiedelt, etwa die Big Five-Persönlichkeitsmerkmale Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Verlässlichkeit und Freundlichkeit (➝ Eigenschaftstheoretische Ansätze). Costa und McCrae (1997) argumentieren, dass diese Merkmale über das gesamte Erwachsenenalter hinweg stabil sind. Srivastava, John, Gosling und Potter (2003) zeigen dagegen, dass basale Persönlichkeitsdispositionen durchaus Veränderungen im Erwachsenenalter aufweisen können (➝ Persönlichkeit: Stabilität und Veränderung). Insgesamt jedoch verändern sich Persönlichkeitsmerkmale über die Zeit und im hohen Erwachsenenalter nur geringfügig. Sie bieten somit nur wenig Erklärungspotenzial für interindividuelle Unterschiede in Alterungsprozessen. Die zweite Ebene des Modells betrachtet Persönlichkeit im Kontext von Zeit, Ort und sozialen Rollen. Sie bietet sich daher für die Untersuchung der Rolle von Persönlichkeit für ein erfolgreiches Altern an. Ein prototypisches Beispiel für ein Persönlichkeitskonstrukt auf dieser Ebene sind Ziele, also Repräsentationen von Zuständen, die eine Person erreichen, vermeiden oder aufrechterhalten will. Sie können als eine mittlere Ebene zur Beschreibung von Persönlichkeit zwischen der von Allport (1937) angeregten Unterscheidung von „Sein“ und „Tun“ aufgefasst werden: Ziele werden von Dispositionen beeinflusst und regulieren das spezifische Verhalten in einer gegebenen Situation. Little (1989) bezeichnet Ziele daher als „Persönlichkeit im Kontext“. Sie charakterisieren, was eine Person anstrebt oder zu vermeiden sucht, und wie sie dies tut (➝ Ziele). Der Inhalt von Zielen verändert sich über die Lebensspanne in Abhängigkeit von Anforderungen der Gesellschaft, biologischen Veränderungen und persönlichen Erfahrungen (siehe folgenden Kasten). Kurz zusammengefasst lässt sich festhalten, dass ältere Menschen in ihren Zielen auf Gesundheit, Familie, Lebensrückblick und kognitive Leistungsfähigkeit fokussieren (zusammenfassend siehe Freund & Riediger, in Druck). Aufschlussreicher für das Verständnis erfolgreichen Alterns ist jedoch die Frage, wie ältere Personen ihre Ziele setzen, verfolgen und aufrechterhalten. Dieser Aspekt wird daher im Folgenden noch besonders diskutiert. Entwicklungsaufgaben im hohen Alter Entwicklungsaufgaben (Havighurst, 1956) sind Themen, die in einer bestimmten Lebensphase in den Vordergrund treten. Sie entstehen aus einer Interaktion von biologischen Veränderungen, gesellschaftlichen Erwartungen und individuellen Werten und Präferenzen. Empirische Untersuchungen zu persönlichen Zielen im hohen Erwachsenenalter zeigen eine hohe Übereinstimmung mit den folgenden von Havighurst postulierten Entwicklungsaufgaben für diese Lebensphase:

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Anpassung an abnehmende physische Stärke und Gesundheit, Anpassung an Pensionierung und vermindertes Einkommen, Anpassung an Tod des Partners, Aufbau einer expliziten Angliederung an die eigene Altersgruppe, Übernahme und Anpassung sozialer Rollen in flexibler Weise, Aufbau von altersgerechtem Wohnen.

Die dritte Ebene des Modells von McAdams bezieht sich auf die Identität einer Person, d. h. darauf, wie sie ihre Lebensgeschichte als eine Erzählung über ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft integriert und internalisiert (➝ Idiographische und nomothetische Ansätze). Solche Lebensgeschichten sind eingebettet in kulturelle, politische und soziale Kontexte und verändern sich mit diesen. Identität wird als eine diesen verschiedenen Aspekten übergeordnete und sie verknüpfende Geschichte angesehen. Persönlichkeitsdispositionen und Ziele können Teil dieser Geschichte sein, machen jedoch allein nicht die Identität einer Person aus. Studien zur Veränderung von „Lebensgeschichten“ im höheren Alter gibt es gegenwärtig nicht (McAdams, persönliche Mitteilung, Februar 2004).

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Persönlichkeit im Kontext: Die Bedeutung von Zielprozessen für erfolgreiches Altern

Persönliche Ziele nehmen in der entwicklungspsychologischen Betrachtung der Persönlichkeit einen besonderen Stellenwert ein, da sie Verhalten über Situationen und Zeit organisieren und somit die Richtung und das Niveau von Entwicklung mitbestimmen (Freund, 2003). In aktuellen Theorien zum erfolgreichen Altern spielen Zielprozesse eine zentrale Rolle, da sie die Auseinandersetzung des alternden Menschen mit den Veränderungen in seiner internen und externen Ressourcenlage beschreiben. Die zentrale Frage dieser Forschungsrichtung ist, wie eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit den Anforderungen der letzten Lebensphase gelingen kann. Es gibt derzeit kein allgemein anerkanntes Kriterium des „Erfolgs“ im Altern. Die meisten Ansätze fassen „erfolgreiches Altern“ als ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen des Individuums und den Anforderungen der Umwelt auf (Thomae, 1974), das zu subjektivem Wohlbefinden und Zufriedenheit (➝ Wohlbefinden) führt, die daher häufig als Indikatoren erfolgreichen Alterns herangezogen werden. Derzeitige Modelle erfolgreichen Alterns sehen interindividuelle Unterschiede in Zielprozessen als eine Quelle der interindividuellen Differenzen im subjekDieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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tiven Wohlbefinden alter Menschen an. Übereinstimmend gehen verschiedene Modelle erfolgreicher Entwicklung und erfolgreichen Alterns davon aus, dass Prozesse der Zielauswahl, -verfolgung und -aufrechterhaltung angesichts von Verlusten von zentraler Wichtigkeit sind (siehe folgenden Kasten). Nachfolgend wird das Modell der Selektion, Optimierung und Kompensation als ein prototypisches Beispiel aktueller Theorien zu erfolgreichem Altern näher erläutert. Drei Modelle erfolgreicher Entwicklungsregulation und ihre zentralen Postulate Modell der primären und sekundären Kontrolle (Heckhausen & Schulz, 1995): Zwei Kontrollmechanismen tragen zu erfolgreicher Entwicklung bei: • Primäre Kontrolle: Aktive Veränderung der Umwelt gemäß eigener Ziele. • Sekundäre Kontrolle: Reaktive Anpassung eigener Ziele an die Gegebenheiten. Auf Grund zunehmender Ressourceneinschränkungen nimmt die Bedeutung sekundärer Kontrolle im höheren Lebensalter zu. Modell des assimilativen und akkomodativen Copings (Brandtstädter & Renner, 1990): Zwei Prozesse tragen zur selbstwertdienlichen Bewältigung von Entwicklungsherausforderungen bei: • Assimilation: Festhalten an Zielen und hartnäckige Zielverfolgung. • Akkommodation: Flexible Zielanpassung an die gegebenen Umstände. Im höheren Lebensalter nimmt auf Grund der Zunahme an blockierten Zielen die Wirksamkeit assimilativer Prozesse ab, während die Bedeutsamkeit akkommodativer Prozesse zunimmt. Modell der Selektion, Optimierung und Kompensation (Freund & Baltes, 2000): Erfolgreiche Lebensgestaltung beruht auf drei fundamentalen Prozessen: • Selektion: Entwicklung und Auswahl persönlicher Ziele. • Optimierung: Erwerb und Einsatz zielrelevanter Ressourcen zur Erreichung höherer Funktionsniveaus. • Kompensation: Erwerb und Einsatz zielrelevanter Ressourcen zum Entgegenwirken von Abbau und Verlust. Da der Einsatz dieser Strategien ressourcenaufwändig ist, nimmt er im höheren Lebensalter ab. Die Adaptivität der Prozesse bleibt jedoch über die gesamte Lebensspanne hinweg erhalten.

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Das Modell der Selektion, Optimierung und Kompensation (SOK)

Das SOK-Modell postuliert, dass erfolgreiches Altern auf dem Zusammenspiel der Prozesse Selektion, Optimierung und Kompensation beruht. Es ist ein allgemeines Entwicklungsmodell, das auf unterschiedliche Funktionsbereiche und Analyseebenen angewandt werden kann. In seiner handlungstheoretischen Spezifikation wird die Rolle persönlicher Ziele in den Vordergrund gestellt. Selektion wird definiert als die Auswahl und Bindung an persönliche Ziele, die auf den jeweiligen Lebenskontext abgestimmt sind. Selektion trägt zur Fokussierung auf eine Teilmenge prinzipiell verfügbarer Entwicklungsoptionen bei und stellt somit ein notwendiges Element im Umgang mit Ressourcenlimitierungen dar. Die Konzentration auf wenige Zielbereiche ist insbesondere im hohen Alter adaptiv, da damit die noch verfügbaren Ressourcen auf die zentralen Ziele fokussiert werden. Da auch hoch selektive Personen meist mehr als nur ein Ziel gleichzeitig verfolgen, betont Riediger (in Druck) die Wichtigkeit der Auswahl einander unterstützender (konvergenter) und nicht konfligierender Ziele. Sie fand, dass ältere Menschen stärker konvergente Ziele und weniger konfligierende Ziele berichten als jüngere Erwachsene. Darüber hinaus zeigte sich, dass Zielkonvergenz ein protektiver Faktor ist, der trotz Ressourcenlimitationen zur Aufrechterhaltung eines hohen Zielengagements im Alter beiträgt, während Zielkonflikte mit beeinträchtigtem subjektivem Wohlbefinden einhergehen. Diese Befunde belegen die Wichtigkeit der Auswahl von Zielen für das erfolgreiche Altern. Optimierung bezeichnet Prozesse der Zielverfolgung, genauer der Investition von Ressourcen in die Steigerung oder Beibehaltung eines gegebenen Funktionsniveaus. Insbesondere im höheren Alter sind Personen jedoch auch immer mit Verlusten und Einschränkungen konfrontiert. Kompensation kennzeichnet den Einsatz von Mitteln, um solchen Verlusten zum Beispiel durch die Substitution von verlorenen Handlungsmitteln oder die Inanspruchnahme von sozialer Unterstützung entgegenzuwirken. Kompensation ist damit insbesondere im höheren Alter, wenn Verluste zunehmen, ein wichtiger Prozess, um die Aufrechterhaltung der Funktionstüchtigkeit zu gewährleisten. In mehreren Fragebogenuntersuchungen konnte gezeigt werden, dass die Zielsetzungs- und Zielverfolgungsprozesse, die im SOK-Modell spezifiziert werden, zu subjektiv erfolgreichem Alterns beitragen (Freund & Baltes, 1998). Auch sehr alte Erwachsene berichten, dass sie SOK-Strategien im Alltag einsetzen. Jedoch gibt es interindividuelle Unterschiede. So berichteten Personen, die sich klare Ziele und Prioritäten setzen und diese auch angesichts von Rückschlägen und Verlusten hartnäckig verfolgen, dass sie mit ihrem Leben zufriedener sind und sich wohler fühlen als Personen, die sich vom Leben treiben lassen und Verluste von vornherein Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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akzeptieren. Insgesamt legt diese Forschung den Schluss nahe, dass Unterschiede in der Lebenszufriedenheit und dem subjektiven Wohlbefinden im Alter mit interindividuellen Differenzen in der Nutzung von Selektion, Optimierung und Kompensation zusammenhängen.

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Fazit

Altern ist kein universeller Prozess, sondern durch große inter- und intraindividuelle Variabilität gekennzeichnet. Generell jedoch steigt mit zunehmendem hohen Lebensalter die Wahrscheinlichkeit von Entwicklungsverlusten an. Diese sind insbesondere im sehr hohen Lebensalter gravierend und stellen besondere Herausforderungen an die Anpassungsfähigkeit alter Menschen dar. Merkmale erfolgreichen Alterns nehmen daher einen hohen Stellenwert in der Gerontopsychologie ein. Unter den in diesem Zusammenhang beachteten Persönlichkeitskonstrukten spielen persönliche Ziele eine zentrale Rolle. Aktuelle Theorien zu erfolgreichem Altern stimmen dahingehend überein, dass Zielprozessen eine besondere Bedeutung hinsichtlich der interindividuellen Unterschiede im Umgang mit den Anforderungen des Alterns zukommen.

Weiterführende Literatur Baltes, P. B., Lindenberger, U. & Staudinger, U. M. (1998). Life-span theory in developmental psychology. In R. M. Lerner (Ed.), Handbook of child psychology. Vol. 1: Theoretical models of human development (5th ed., pp. 1029–1143). New York: Wiley. Brandtstädter, J. (1998). Action theory in developmental psychology. In R. M. Lerner (Ed.), Handbook of child psychology: Vol. 1. Theoretical models of human development (pp. 807–866). New York: Wiley. Freund, A. M. & Riediger, M. (2003). Successful aging. In R. M. Lerner, A. Easterbrooks & J. Mistry (Eds.), Comprehensive handbook of psychology: Volume 6: Developmental psychology (pp. 601–628). New York: Wiley. Heckhausen, J. (1999). Developmental regulation in adulthood: Age-normative and sociostructural constraints as adaptive challenges. New York: Cambridge University Press. Jüttemann, G. & Thomae, H. (Hrsg.). (2002). Persönlichkeit und Entwicklung. Weinheim: Beltz.

Literatur Allport, G. W. (1937). Personality. New York: Holt. Baltes, P. B. (1997). Die unvollendete Architektur der menschlichen Ontogenese: Implikationen für die Zukunft des vierten Lebensalters. Psychologische Rundschau, 48, 191–210.

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Verkehrspsychologie Traffic and Transportation Psychology Volker Linneweber & Heidi Ittner Menschliche Mobilität ist und wird auch in Zukunft unverzichtbarer Bestandteil unserer Gesellschaft sein. Dies bedeutet gleichzeitig, dass wir uns auseinander setzen müssen mit weltweit steigenden Zahlen von Verkehrsopfern ebenso wie mit den schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt. Allein vor diesem Hintergrund sind die „Verkehrswissenschaften“ – und damit auch die Verkehrspsychologie – zu den gegenwärtig und zukünftig besonders bedeutsamen Anwendungsfeldern zu rechnen. Während die Ingenieurwissenschaften einschließlich ihrer naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung (beispielsweise zu alternativen Energiequellen) die Grenzen des Machbaren kontinuierlich erweitern, sind die Sozialwissenschaften gefordert, zur Erarbeitung derjenigen Bedingungen beizutragen, welche das Akzeptierbare erklären. Dass hier differentiell-psychologische Aspekte relevant sind, leuchtet sowohl grundlagentheoretisch als auch anwendungspraktisch ein. So interessiert beispielsweise, welche sicherheitssteigernden, allerdings zugleich das Fahrverhalten beeinflussenden Technologien von welchen Personengruppen akzeptiert werden oder wie die Bereitschaft zur Nutzung weniger umweltbelastender Verkehrsmittel zielgruppenspezifisch gefördert werden kann. Wir plädieren für eine Öffnung des Blicks der „klassischen“ Verkehrspsychologie – sowohl bezüglich zu erörternder Inhalte als auch hinsichtlich disziplinimmanenter Grenzen (vgl. Linneweber, 2003). Reflektionen ihres Selbstverständnisses sind für anwendungsbezogene Wissenschaftsgebiete insbesondere dann unerlässlich, wenn der Gegenstand eine hohe Entwicklungsdynamik aufweist. Dies ist für den Forschungs- und Entwicklungsgegenstand Verkehr zweifellos der Fall: Verkehrssystem (Strukturen, Mittel) und deren Nutzung ändern sich kontinuierlich, bedingt sowohl durch technische Innovationen als auch durch Grenzen der Tragfähigkeit vorhandener Systeme. Wenn wir uns nachfolgend explizit differentiell-psychologischen Aspekten zuwenden, dann vor dem Hintergrund eines erweiterten Verständnisses von Verkehrspsychologie, also eingebettet oder zumindest mit Bezügen zur Mobilitäts- und zur Umweltpsychologie.

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Ausweitung des Betrachtungsraums

Alle drei Teildisziplinen – Mobilitäts-, Umwelt- und Verkehrspsychologie – zeichnen sich durch jeweils eigene Schwerpunkte im Forschungsbereich „Verkehr“ aus. Gleichzeitig lassen sich aber viele Überschneidungen ausmachen, so dass nur ihre Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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integrative Zusammenführung dem komplexen Gegenstand „Individuum und Verkehr“ gerecht zu werden scheint. Die Mobilitätspsychologie beschäftigt sich mit alltäglichen, individuellen Verkehrsmittelentscheidungen und den Möglichkeiten ihrer Steuerung, wobei ein besonderes Augenmerk problembedingt auf der Autonutzung liegt. Weitere Themenfelder, wie die Erklärung und Förderung der Akzeptanz verkehrspolitischer Maßnahmen oder von kommunalem verkehrspolitischem Engagement im Allgemeinen, sind dagegen eher auf gesellschaftspolitischer Ebene angesiedelt (z. B. Bamberg, 1999). Hier lässt sich größtenteils auch die Umweltpsychologie verankern – wenn man sie im Sinne einer Umweltschutzpsychologie versteht. Diese sieht den Menschen als Verursacher, Betroffenen, aber auch als Bewältiger von Umweltgefährdungen und -belastungen – und damit in einer zentralen Rolle beim Schutz von Ressourcen. Umweltnutzungspsychologie konzentriert sich dagegen auf die Gestaltung von Verkehrs- oder generell Mobilitätsräumen und die enge Wechselwirkung mit den Bedürfnissen und Eigenschaften ihrer Nutzer (z. B. Hellbrück & Fischer, 1999; Homburg & Matthies, 1998). Die klassische Verkehrspsychologie will Transport- und Verkehrssysteme sicherer, umweltverträglicher und wirtschaftlicher gestalten und beschäftigt sich mit folgenden Anwendungs- und Forschungsschwerpunkten (z. B. Haecker & Echterhoff, 2003; Schlag, 1999): • die wahrnehmungspsychologisch fundierte Gestaltung von Verkehrszeichen, -anlagen und -räumen sowie von Fahrzeugen, • das Lernen verkehrsbezogener Verhaltensweisen in unterschiedlichen Lebensphasen (Kindheit, Jugend, höheres Alter), vor allem in Bezug auf Sicherheit und den Schutz der Umwelt, • Fahreignungsdiagnostik bei auffälligen Fahrern, • Klinische Verkehrspsychologie im Sinne von Rehabilitation, Beratung, Therapie und Nachschulungen sowie die • Mobilitäts- und Planungsberatung unterschiedlicher Akteursgruppen. Persönlichkeitsmerkmale haben dabei schon immer eine wichtige Rolle gespielt. So bestand die Hauptaufgabe zu Beginn des letzten Jahrhunderts darin, geeignete Fahrer für Straßenbahnen und Lokomotiven auszuwählen oder, nach dem Zweiten Weltkrieg, verhaltensbedingte und „charakterliche“ Eignungszweifel bei auffällig gewordenen Fahrern zu überprüfen. Seitdem hat sich zwar das Themenfeld enorm ausgeweitet, die Bedeutung individueller Merkmale ist aber nach wie vor unbestritten. In diesem Beitrag wird das Feld relevanter Personenmerkmale auf drei Bereiche zugespitzt und exemplarisch beleuchtet: erstens klassische soziodemografische Variablen, zweitens Lebensstilvariablen und drittens persönliche Orientierungen an der Maximierung des eigenen Nutzens bzw. an der individuellen Verantwortung für das Gemeinwohl. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Soziodemografische Merkmale

In der sozialwissenschaftlichen Forschungstradition nehmen soziodemografische Merkmale einen konstant hohen Stellenwert ein. Und dies, obwohl von ihnen zunächst keinerlei psychologischer Erklärungswert ausgeht. Eine differenzierte Verknüpfung mit verschiedenen psychologischen Theoriegebäuden findet meist, wenn überhaupt, erst post-hoc statt. Häufig überwiegen schlichtweg pragmatische Gründe, dass Unterschiede zwischen Personen in verkehrsrelevanten Überzeugungen oder Handlungen auch an soziodemografischen Variablen festgemacht werden: Sie sind empirisch leicht zu erfassen und laufen bei Erhebungen in der Regel sowieso „mit“. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei im Laufe der letzten Jahre auf die Merkmale Alter und Geschlecht gelegt. So beschäftigen sich zahlreiche Arbeiten damit, wie Verkehrsräume und -weisungen am besten zu gestalten sind, um eine größtmögliche Sicherheit im Verkehrsgeschehen für unterschiedliche Altergruppen, vor allem für Kinder und ältere Verkehrsteilnehmer, zu gewährleisten. Denn gerade das Gefahren- und Konfliktpotenzial, das durch eine gemeinsame Nutzung des Verkehrsraumes durch diese Altersgruppen entsteht, wurde lange Zeit unterschätzt und gewinnt zudem mit dem steigenden Durchschnittsalter der Bevölkerung kontinuierlich und rasant an Bedeutung. Im Kontext von riskantem Fahrverhalten im Straßenverkehr ebenso wie beispielsweise im Zusammenhang mit der (subjektiven) Sicherheit wird dann auch die Geschlechtsvariable relevant: So messen Frauen und Männer, wenn sie sich in öffentlichen Räumen bewegen, dem subjektiven Sicherheitsempfinden nicht nur einen unterschiedlich großen Stellenwert bei, sondern ziehen zu dessen Einschätzung auch unterschiedliche Aspekte heran (z. B. Linneweber, 2003; Schlag, 1999). Das Risiko, einen Unfall zu verursachen Die Analyse von Unfalldaten bescheinigt männlichen Autofahrern einen deutlich höheren Unfallverursachungsrisikokennwert als weiblichen Autofahrern. Allerdings sinkt das Risiko bei beiden Geschlechtern, sobald sie nicht allein fahren – und besonders rapide bei Männern, die von einer Beifahrerin begleitet werden (Schupp & Schlag, 1999). Hinsichtlich des Alters zeigt sich, dass junge (< 25) und ältere (65+) Fahrer einem höheren Risiko ausgesetzt sind, wobei die Einschränkungen im Fahrverhalten jeweils unterschiedlich sind (Evans, 1991): So erfahren ältere Fahrer vor allem Einbußen in ihrer Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsfähigkeit; jüngere dagegen überschätzen ihre Fähigkeiten und unterschätzen gleichzeitig die „Aufgabe“ des verantwortungsvollen und sicheren Fahrens.

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Unter differentiell-psychologischem Aspekt können wir somit „Unfallpersönlichkeit“ skizzieren als Nichtpassung zwischen systembedingten Anforderungen und zugeschriebenen Kompetenzen einschließlich des daraus resultierenden unangepassten Verhaltens. Möglich sind dabei sowohl „noch nicht“ als auch „nicht mehr“ vorhandene Kompetenzen, was bei zielgruppenspezifischen Interventionen berücksichtigt werden sollte.

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Lebensstile als Konglomerat individueller Merkmale

Bei dem Konzept der Lebensstile, das der soziologischen Forschungstradition entstammt, werden die an sich „theorielosen“ soziodemografischen Merkmale in ein komplexes Variablengefüge eingebettet: Mit Hilfe ihrer kombinierten Betrachtung zusammen mit dem individuellen Wertekanon einer Person, der den persönlichen, evaluativ wirkenden Handlungsraum absteckt und mit dem expressiven Element bewusster Alltagsgestaltungen werden Cluster oder Typologien gebildet, die sich durch eine größtmögliche interne Homogenität und externe Heterogenität auszeichnen (z. B. Hunecke, 2000). Da der individuellen Teilnahme am Verkehrswesen in der Regel nicht nur ein einfacher Nutzengedanke, sondern auch ein elementarer expressiver Charakter für die persönliche Lebensführung zugeschrieben wird, wurde die Konzeption der Lebensstile auch für die verkehrspsychologische Forschung interessant. So wurde in einigen Arbeiten die Diskussion geführt, inwiefern Lebensstilkonzeptionen ein geeigneter Ansatz sind, um Risikoverhalten im Straßenverkehr und die damit verbundene Unfallgefährdung zu erklären und zu reduzieren. Insbesondere Personengruppen, die über verschiedene Lebensbereiche hinweg eher einem hedonistisch geprägten und aktiv reizsuchenden Lebensstil zugeordnet werden, sind damit in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Doch nicht nur hinsichtlich der Unfallprävention, sondern auch im Kontext der alltäglichen Verkehrsmittelwahl genießen Lebensstilansätze eine gewisse Prominenz. Über eine möglichst differenzierte Typenbeschreibung versucht man zielgruppenspezifische Motive für die Wahl – vor allem des eigenen Pkws – herauszufiltern. Eben diese Motive sollen dann in gezielt auf sie zugeschnittenen Interventionsmaßnahmen angesprochen und im Sinne einer umweltfreundlicheren Verkehrsmittelwahl beeinflusst werden. Ein äquivalentes Vorgehen wählen einige Arbeiten auch, um die Akzeptanz für verkehrspolitische Maßnahmen zu erhöhen, mit deren Hilfe eine dem Umweltschutz dienende Einschränkung des Straßenverkehrs erreicht werden soll.

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Lebensstile und Unfallrisiko Das Unfallrisiko junger Erwachsener steht bei Schulze (1996) im Vordergrund. Autofahrer zwischen 18 und 24 Jahren wurden in einer standardisierten Befragung anhand ihrer Freizeitaktivitäten, Musik-, Film- und Fernsehinteressen, ihres symbolischen Selbstausdrucks, ihrer Kleidung und ihrer Affinität zu Gruppierungen der Jugend- und Alternativkultur in Stilgruppen eingeteilt. Für die westdeutsche Stichprobe konnten sieben Stilgruppen (Action-, Fan-, Kontra-, Fashion-, Kritischer, Häuslicher und Sportlicher Typ) und für die ostdeutsche Stichprobe fünf Stilgruppen (Stino, Dreher, Easy Rider, kritisch-engagierter und modebewusster Typ) identifiziert werden. Hinsichtlich ihres selbstberichteten Verkehrsverhaltens erwiesen sich – auf Grund ihres Fahrverhaltens und Alkoholkonsums – in Westdeutschland der Action-, Fan- und Kontra-Typ (entspricht 30 % der Stichprobe) als besonders unfallgefährdet; in Ostdeutschland waren dies der Stino-, Dreher- und EasyRider-Typ (66 % der ostdeutschen Stichprobe). Mit Hilfe dieses differenzierten Informationsnetzes über die Freizeit- und Lebensstile ließen sich zielgruppenspezifische Maßnahmen entwickeln, um sicheres Fahrverhalten zu fördern. Der Kontra-Typ beschreibt eine „moderne Variante des Rockers“: Er mag Rock, Punk und unterstützt die Ökologie- und Friedensbewegung; „Modebewusste“ seines Alters, Fußball- oder Discofans lehnt er ab. Den Stino-Typ („Stink-Normale“) als größte östliche Stilgruppe kennzeichnet ein ausgeprägtes Desinteresse an allem, was Jugendliche „normalerweise“ beschäftigt (außerhäusliche Freizeitaktivitäten, Musik, Filme). Der Dreher-Typ („aufgedreht“, angeberisch) ist extrem aktiv (v. a. Sport) und extrovertiert; er mag Actionfilme, Fußball und Disco, während er intellektuell herausfordernde Kommunikationsinhalte meidet. Der betont männliche Easy-Rider-Typ will sich deutlich von der Erwachsenenwelt abgrenzen. Er liebt harte Musik und ist Fan der Disco- und Fußballfanszene; intellektuell anspruchsvolle Inhalte interessieren ihn nicht.

Der Ansatz der Lebensstiltypologien war und ist für die umweltbezogenen Sozialwissenschaften ein wichtiger Impulsgeber (de Haan, Lantermann, Linneweber & Reusswig, 2001) – vor allem hat er sowohl die in der Forschung als auch in der Praxis arbeitenden Verkehrspsychologen für eine zielgruppenspezifische Herangehensweise sensibilisiert. Zudem eröffnen sich durch die kombinierte Betrachtung von Einflussvariablen, die bisher nur isoliert von Interesse waren, neue Perspektiven, insbesondere für eine anwendungsbezogene Disziplin, die auf aktuelle Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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gesellschaftliche Problemfelder reagieren will. Allerdings hemmt die stets kritisierte theoretische Unschärfe des Konzeptes dessen stabile Integration in den methodischen Standardkanon der Verkehrspsychologie.

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Von Motiven zu persönlichen Orientierungen

Knüpft man an die evaluative Dimension des Lebensstilansatzes, den Wertorientierungen, an (➝ Werte und Werthaltungen), so gelangt man in ein kaum überschaubares Feld der unterschiedlichsten, „klassisch“ psychologischen Motivkonstellationen, die für individuelle Handlungen in allen Themenbereichen der Verkehrspsychologie identifiziert werden können (z. B. Homburg & Matthies, 1998). Dabei stößt man sehr schnell auf das Konstrukt des Umweltbewusstseins, was häufig dann in den Vordergrund gerückt wird, wenn die Umweltrelevanz individueller verkehrsbezogener Handlungsentscheidungen im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Allerdings leidet dieses Konstrukt, ähnlich wie der zu Grunde liegende Einstellungsbegriff in der Sozialpsychologie, an einer gewissen theoretischen Uneindeutigkeit oder zumindest an einer uneinheitlichen Verwendung und alltagssprachlichen Verwässerung. Zudem zeigt sich, wiederum entsprechend den sozialpsychologischen Befunden aus anderen Lebensbereichen, dass der kausale Zusammenhang zwischen dem Umweltbewusstsein im Sinne einer umweltbezogenen Einstellung und dem entsprechenden Handeln sowohl hinsichtlich der Stärke als auch der Konsistenz wenig zufrieden stellend ist. Nicht zuletzt deshalb rücken verstärkt Motive und Motivkonstellationen in den Mittelpunkt, die auf theoretischer und anwendungsbezogener Ebene eine Weiterentwicklung des verkehrspsychologischen Forschungsgegenstandes versprechen. Ein Beispiel hierfür, das auch aus differentiell-psychologischer Perspektive diskutiert wird, ist das Spannungsverhältnis zwischen der Orientierung an der Maximierung des eigenen, persönlichen Nutzens und der altruistisch gefärbten Orientierung am Gemeinwohl, wobei letzteres vor allem Motive wie internale Verantwortungszuschreibungen und das Streben nach Fairness einschließt. Vor allem der Einfluss eines rein rational geprägten Motivs, allein seinen eigenen Nutzen maximieren zu wollen, wurde lange Zeit in den gesamten umweltbezogenen Sozialwissenschaften überschätzt. Neuere Arbeiten zeigen jedoch, dass die unbedingte Maximierung des Eigennutzens eben nicht als dominantes Motiv menschlichen Handelns, auch nicht im Verkehrsbereich, angesehen werden kann. Vielmehr erweisen sich gerade Faktoren wie die Zuschreibung von Verantwortung an die eigene Person, einen eigenen Beitrag zum gemeinsamen Ressourcenschutz beizutragen – und das Verkehrssystem ebenso wie das Öko- und Sozialsystem sind Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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solche Ressourcen – genauso wie die Sensibilität für Ungerechtigkeiten im sozialen System als starke Bedingungsfaktoren verkehrsrelevanter Handlungsentscheidungen. Dies gilt für risikoarmes Fahrverhalten, für die alltägliche Verkehrsmittelwahl oder auch für das Engagement auf verkehrspolitischer Ebene (z. B. Ittner, Becker & Kals, 2003).

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Ausblick

Insgesamt lässt sich vom (historischen) Beginn an ein konstant hohes Gewicht von Persönlichkeitsmerkmalen innerhalb der Verkehrspsychologie festmachen, gerade wenn man den Inhaltsbereich und die disziplinären Grenzen weiter spannt und auch Bereiche der Umwelt- und Mobilitätspsychologie mit einschließt. Daraus resultieren wiederum neue – auch unter differentiell-psychologischem Aspekt interessante – Themen, auf deren Bearbeitung durch die Psychologie nahezu gewartet wird: • Wie ist die Akzeptanz sicherheitsfördernder technischer Innovationen, die aktiv in das Fahrverhalten eingreifen? • Ist innerstädtischer Individualverkehr langfristig mit dem Ziel vereinbar, die dortige Lebensqualität zu erhöhen? Steigt die Attraktivität innerstädtischen Wohnens mit dem Durchschnittsalter der Bevölkerung und hat dies Konsequenzen für die Steigerung des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs? • Sind unsere Verkehrssysteme auf den demografischen Wandel in den Industrienationen vorbereitet? Sind Generationenkonflikte vermeidbar? All diese und viele weitere Fragestellungen zeigen, dass gerade im Verkehrsbereich eine alleinige Konzentration auf Persönlichkeitsvariablen nicht zielführend sein kann. Im Umgang mit einem derart komplexen System, das sich nicht nur durch zahlreiche soziale Interdependenzen, sondern auch durch MenschMaschine- und Mensch-Umwelt-Interaktionen auszeichnet, ist es von besonderer Dringlichkeit, nicht eine Komponente losgelöst von der anderen, sondern immer in ihrem Zusammenspiel innerhalb eines Systems zu betrachten.

Weiterführende Literatur EFPPA Arbeitsgruppe Verkehrspsychologie & Risser, R. (2001). Einige Bereiche der Verkehrspsychologie zum Jahrtausendwechsel. Ein Überblick mit Schwergewicht auf Europa. Psychologie in Österreich, 21 (3), 238–253. Klebelsberg, D. (1982). Verkehrspsychologie. Berlin: Springer. Meyer-Gramcko, F. (Hrsg.). (1999). Verkehrspsychologie auf neuen Wegen: Herausforderungen von Strasse, Wasser, Luft und Schiene (Bd. 1 und 2). Bonn: Deutscher Psychologen Verlag.

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Verkehrspsychologie

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Literatur Bamberg, S. (1999). Umweltschonendes Verhalten – eine Frage der Moral oder der richtigen Anreize? Zeitschrift für Sozialpsychologie, 30 (1), 57–76. Evans, L. (1991). Traffic safety and the driver. New York: Van Nostrand Reinhold. de Haan, G., Lantermann, E.-D., Linneweber, V. & Reusswig, F. (Hrsg.). (2001). Typenbildung in der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung. Opladen: Leske+Budrich. Haecker, H. & Echterhoff, W. (2003). Verkehrs- und Mobilitätspsychologie. In A. Schorr (Hrsg.), Psychologie als Profession. Das Handbuch (S. 598–611). Bern: Huber. Hellbrück, J. & Fischer, M. (1999). Umweltpsychologie. Ein Lehrbuch. Göttingen: Hogrefe. Homburg, A. & Matthies, E. (1998). Umweltpsychologie. Umweltkrise, Gesellschaft und Individuum. Weinheim: Juventa. Hunecke, M. (2000). Ökologische Verantwortung, Lebensstile und Umweltverhalten. Heidelberg: Asanger. Ittner, H., Becker, R. & Kals, E. (2003). Willingness to support traffic policy measures: The role of justice. In J. Schade & B. Schlag (Eds.), Acceptability of transport pricing strategies (pp. 249–266). Oxford: Elsevier. Linneweber, V. (2003). Verhalten im Straßenverkehr. In M. Jerusalem & H. Weber (Hrsg.), Psychologische Gesundheitsförderung – Diagnostik und Prävention (S. 291–319). Göttingen: Hogrefe. Schlag, B. (1999). (Hrsg.). Empirische Verkehrspsychologie. Lengerich: Pabst. Schulze, H. (1996). Lebensstil und Verkehrsverhalten junger Fahrer und Fahrerinnen (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, M 56). Bremerhaven: Wirtschaftsverlag. Schupp, A. & Schlag, B. (1999). Das Risiko, einen Unfall zu verursachen – Analysen für Männer und Frauen, für Beifahrerkonstellationen und Altersgruppen. In B. Schlag (Hrsg.), Empirische Verkehrspsychologie (S. 111–132). Lengerich: Pabst.

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Die Autorinnen und Autoren des Bandes

Prof. Dr. Dorothee Alfermann Universität Leipzig Sportwissenschaftliche Fakultät Jahnallee 59 04109 Leipzig E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Alois Angleitner Universität Bielefeld Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld E-Mail: [email protected]

Dr. Nicola Baumann Universität Osnabrück Fachbereich Humanwissenschaften Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung Seminarstr. 20 49069 Osnabrück E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Peter Becker Universität Trier Fachbereich I – Psychologie Tarforst, Gebäude D 54286 Trier E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Jens B. Asendorpf Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Psychologie Rudower Chaussee 18 12489 Berlin E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Hans-Werner Bierhoff Ruhr-Universität Bochum Fakultät für Psychologie 44780 Bochum E-Mail: hans.bierhoff@ rub.de

Dr. Rainer Banse University of York Department of Psychology Heslington Yo10 5DD York, UK E-Mail: [email protected]. ac.uk

Prof. Dr. Wolfgang Bilsky Westfälische Wilhelms-Universität Münster Psychologisches Institut IV Fliednerstraße 21 48149 Münster E-Mail: [email protected]

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Die Autorinnen und Autoren des Bandes

Prof. Dr. Peter Borkenau Martin-Luther-Universität HalleWittenberg Institut für Psychologie 06099 Halle (Saale) E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Joachim C. Brunstein Justus-Liebig-Universität Gießen Fachbereich 06 – Psychologie, Sportwissenschaft Pädagogische Psychologie Otto-Behaghel-Str. 10 F 35394 Gießen E-Mail: Joachim.C.Brunstein@ psychol.uni-giessen.de Dipl.-Psych. Anja Dargel Universität Potsdam Institut für Psychologie Postfach 60 15 53 14415 Potsdam E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Boris Egloff Universität Leipzig Institut für Psychologie II Professur für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik Seeburgstr. 14–20 04103 Leipzig E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Michael Eid Université de Genève Faculté de Psychologie et des Sciences de l’Education 40, Bd du Pont d’Arve CH-1211 Genève 4 E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Sigrun-Heide Filipp Universität Trier Fachbereich I – Psychologie Tarforst, Gebäude D 54286 Trier E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Alexandra M. Freund Universität Zürich Psychologisches Institut Abt. Angewandte Psychologie Universitätsstr. 84 CH-8006 Zürich E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Bettina Hannover Freie Universität Berlin Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie Habelschwerdter Allee 45 14195 Berlin E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Ernst Hany Universität Erfurt Fachgebiet Psychologie Postfach 900221 99105 Erfurt E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Dr. Jürgen Hennig Justus-Liebig-Universität Gießen Fachbereich 06 – Psychologie, Sportwissenschaft Differentielle Psychologie und Diagnostik Otto-Behaghel-Str. 10 F 35394 Gießen E-Mail: Jü[email protected]

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Die Autorinnen und Autoren des Bandes

PD Dr. Michael Hock Johannes Gutenberg-Universität Mainz Psychologisches Institut Abteilung Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik Staudingerweg 9 55099 Mainz E-Mail: [email protected]

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Dr. Ursula Kessels Freie Universität Berlin Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie Habelschwerdter Allee 45 14195 Berlin E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Volker Hodapp Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Psychologie 60054 Frankfurt a. M. E-Mail: [email protected]

Dr. Thomas Klauer Universität Rostock Medizinische Fakultät Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin Gehlsheimer Str. 20 18147 Rostock E-Mail: [email protected]

Dr. Heidi Ittner Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Institut für Psychologie I Postfach 4120 39016 Magdeburg E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Carl-Walter Kohlmann Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd Institut für Humanwissenschaften Abt. Psychologie Oberbettringer Straße 200 73525 Schwäbisch Gmünd E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Matthias Jerusalem Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Erziehungswissenschaften Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie und Gesundheitspsychologie Geschwister-Scholl-Str. 7 10117 Berlin E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Barbara Krahé Universität Potsdam Institut für Psychologie Postfach 601553 14415 Potsdam E-Mail: [email protected]

Dr. Martin Kersting RWTH Aachen Institut für Psychologie Jägerstraße 17/19 52056 Aachen E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Heinz Walter Krohne Johannes Gutenberg-Universität Mainz Psychologisches Institut Abteilung Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik Staudingerweg 9 55099 Mainz E-Mail: [email protected]

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Die Autorinnen und Autoren des Bandes

Prof. Dr. Mag. Klaus D. Kubinger Universität Wien Fakultät für Psychologie Institut für Entwicklungspsychologie und Psychologische Diagnostik AB Psychologische Diagnostik Liebiggasse 5 A-1010 Wien E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Julius Kuhl Universität Osnabrück Fachbereich Humanwissenschaften Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung Seminarstr. 20 49069 Osnabrück E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Lothar Laux Otto-Friedrich-Universität Bamberg Lehrstuhl für Persönlichkeitspsychologie Markusplatz 3 96045 Bamberg E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Volker Linneweber Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Institut für Psychologie I Postfach 4120 39016 Magdeburg E-Mail: [email protected] Dr. Tanja Lischetzke Université de Genève Faculté de Psychologie et des Sciences de l’Education 40, Bd du Pont d’Arve CH-1211 Genève 4 E-Mail: [email protected]

Dr. Anne-Kathrin Mayer Universität Trier Fachbereich I – Psychologie Tarforst, Gebäude D 54286 Trier E-Mail: [email protected] Dipl.-Psych. Boris Mayer Universität Konstanz Fachbereich Psychologie Entwicklungspsychologie und Kulturvergleich/Fach D 14 78457 Konstanz E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Hans D. Mummendey Universität Bielefeld Fakultät für Soziologie Lehrstuhl Sozialpsychologie Postfach 100131 33501 Bielefeld E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Dr. Petra Netter Justus-Liebig-Universität Gießen Fachbereich 06 – Psychologie, Sportwissenschaft Otto-Behaghel-Str. 10 F 35394 Gießen E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Aljoscha C. Neubauer Karl-Franzens-Universität Graz Institut für Psychologie Differentielle Psychologie Universitätsplatz 2 A-8010 Graz E-Mail: [email protected]

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Die Autorinnen und Autoren des Bandes

Prof. Dr. Thomas Rammsayer Universität Göttingen Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie Differentielle und Diagnostische Psychologie Goßlerstr. 14 37073 Göttingen E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Britta Renner International University of Bremen Jacobs Center of Lifelong Learning and Institutional Development P.O. Box 750 561 28725 Bremen E-Mail: [email protected] Dr. Karl-Heinz Renner Otto-Friedrich-Universität Bamberg Lehrstuhl für Persönlichkeitspsychologie Markusplatz 3 96045 Bamberg E-Mail: [email protected] Dr. Michaela Riediger Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Lentzeallee 94 14195 Berlin E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Rainer Riemann Friedrich-Schiller-Universität Jena Institut für Psychologie Humboldtstr. 11 07743 Jena E-Mail: [email protected]

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Prof. Dr. Christel Salewski Hochschule Magdeburg/Stendal (FH) Standort: Stendal Osterburger Str. 25 39576 Stendal E-Mail: [email protected] Dipl.-Psych. Karoline Schmidthals Freie Universität Berlin Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie Habelschwerdter Allee 45 14195 Berlin E-Mail: [email protected] Dipl.-Psych. Clemens H. Schmitt Justus-Liebig-Universität Gießen Fachbereich 06 – Psychologie, Sportwissenschaft Pädagogische Psychologie Otto-Behagel-Str. 10F 35394 Gießen E-Mail: Clemens.Schmitt@ psychol.uni-giessen.de Prof. Dr. Manfred Schmitt Universität Koblenz-Landau Fachbereich 8 – Psychologie Fortstraße 7 76829 Landau E-Mail: [email protected] Dr. Stefan C. Schmukle Johannes Gutenberg-Universität Mainz Psychologisches Institut Abteilung Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik Staudingerweg 9 55099 Mainz E-Mail: [email protected]

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Die Autorinnen und Autoren des Bandes

Prof. Dr. Klaus A. Schneewind Universität München Department Psychologie Persönlichkeitspsychologie, Psychologische Diagnostik und Familienpsychologie Leopoldstr. 13 80802 München E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Dr. Christiane Spiel Universität Wien Fakultät für Psychologie Arbeitsbereich Bildungspsychologie und Evaluation Universitätsstraße 7 A-1010 Wien E-Mail: Christiane.spiel@univie. ac.at

Dipl.-Psych. Michaela Schröder Technische Universität Chemnitz Institut für Psychologie Differentielle Psychologie und Diagnostik Wilhelm-Raabe-Straße 43 09107 Chemnitz E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Frank M. Spinath Universität des Saarlandes Fachrichtung 5.3 – Psychologie Differentielle Psychologie und psychologische Diagnostik Postfach 151150 66041 Saarbrücken E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Astrid Schütz Technische Universität Chemnitz Institut für Psychologie Differentielle Psychologie und Diagnostik Wilhelm-Raabe-Straße 43 09107 Chemnitz E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Ursula M. Staudinger International University Bremen Jacobs Center for Lifelong Learning and Institutional Development PO Box 750561 28725 Bremen E-Mail: [email protected]

Dipl.-Psych. Kristin Seidel Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Institut für Psychologie I Postfach 4120 39016 Magdeburg E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Gisela Steins Universität Duisburg-Essen Campus Essen Fachbereich 2 – Bildungswissenschaften Abteilung Psychologie Universitätsstraße 12 45117 Essen E-Mail: [email protected]

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Die Autorinnen und Autoren des Bandes

Prof. Dr. Gerhard Stemmler Philipps-Universität Marburg Fachbereich Psychologie Gutenbergstr. 18 35032 Marburg E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Heinz-Martin Süß Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Institut für Psychologie I Postfach 4120 39016 Magdeburg E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Gisela Trommsdorff Universität Konstanz Fachbereich Psychologie Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie und Kulturvergleich/Fach D 14 78457 Konstanz E-Mail: [email protected]

PD Dr. Renate Volbert Charité – Universitätsmedizin Berlin Institut für Forensische Psychiatrie Campus Benjamin Franklin Limonenstr. 27 12203 Berlin E-Mail: [email protected]

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Dipl.-Psych. Manja Vollmann Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Institut für Psychologie Differentielle und Persönlichkeitspsychologie/Psychologische Diagnostik Franz-Mehring-Str. 47 17487 Greifswald E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Hannelore Weber Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Institut für Psychologie Lehrstuhl für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie/ Psychologische Diagnostik Franz-Mehring-Str. 47 17487 Greifswald E-Mail: [email protected] Dipl.-Psych. Susanne Weis Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Institut für Psychologie I Postfach 4120 39016 Magdeburg E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Hans Westmeyer Freie Universität Berlin Wissenschaftsbereich Psychologie Habelschwerdter Allee 45 14195 Berlin E-Mail: [email protected]

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Autorenregister

A Abbott, R. A. 453 Abele, A. E. 315, 316 Abramson, L. Y. 436, 437, 550, 554, Ach, N. 362, 373 Achenbach, T. M. 512, 522 Ackerman, P. L. 351, 355, 360–361 Adler, A. 53, 56, 60, 237 Ahern, F. 212 Alder, A. G. 218 Alfermann, D. 305, 307, 309, 315–316 Alicke, M. D. 446, 452 Allen, A. 132, 136, 176, 234, 242 Allport, G. W. 62, 68, 93– 96, 101, 101, 129–130, 136, 233, 241, 242, 244, 249, 298, 566, 570 Amabile, T. M. 336, 340 Amelang, M. 37, 101, 114, 158, 164, 192–193, 202, 256, 321, 331, 360, 422, 531, 533 Amos, S. P. 35, 38 Anderson, C. A. 482–484, 484–485 Anderson, H. H. 340 Anderson, K. B. 482–484, 484–485 Anderson, M. A. 203 Andresen, B. 516, 522 Andrews, D. A. 560, 562 Andrews, D. W. 468, 474 Angleitner, A. 25, 93, 96, 100–101, 102–103, 137, 147, 208, 211–212, 244, 249, 250, 262–263, 264–265, 418, 422, 540, 545

Antonovsky, A. 409, 411, 528, 533–534 Arbisi, P. 79, 79 Archer, J. 310, 316, 480, 484 Ardelt, M. 347, 348 Argyle, M. 409, 411 Armeli, S. 407, 411 Ary, D. 155, 157 Asendorpf, J. B. 15–16, 18– 19, 21–23, 25, 39, 48, 155, 157, 246, 249, 303, 304, 495, 499, 505, 506– 507 Asherson, P. 203 Ashton, M. C. 258, 264 Aspinwall, L. G. 69 Assanand, S. 271, 275 Atkinson, J. W. 548–549, 554 Aubin, de St. 136 Averill, J. R. 395, 398, 400, 400 Aymanns, P. 497–498, 499 Azuma, H. 221, 228

B Bachrach, C. A. 148 Baldwin, C. 23, 26 Ball, D. 203 Baltes, M. M. 564, 568– 569, 570 Baltes, P. B. 174, 179, 213, 218–219, 342–347, 348– 349, 570–571 Bamberg, S. 573, 579 Bandura, A. 81, 86–89, 92, 278, 286, 436, 437–438, 440–441, 444, 451, 528, 533 Bannister, D. 117, 119–120, 123

Banon, E. 521, 522 Banse, R. 177, 179, 501, 505, 506 Banyard, V. L. 562 Barbaranelli, C. 477, 485 Barbee, A. 495, 499 Barker, R. G. 151, 157 Barnum, D. D. 450, 452 Baron, L. 474 Barrett, P. 252, 256 Barrick, M. R. 536–537, 539, 544–545 Barron, F. 340 Barton, S. 485 Bartussek, D. 101, 256, 321, 331 Bastine, R. H.E. 513, 517, 522 Bates, J. E. 244–245, 250, 479, 485 Batson, C. D. 458–459, 462–463, 465–466, 473, 474 Baum, A. 437 Baumann, D. J. 457, 465 Baumann, N. 362, 370, 373 Baumeister, R. F. 364–365, 373, 427–428, 429, 478, 484 Baumgarten, H. G. 255, 256 Beall, A. E. 315–316 Beauducel, A. 168, 179, 326, 331 Becker, P. 139, 147, 511– 512, 515, 520, 522 Becker, R. 578, 579 Becker, S. W. 316 Beckmann, J. 368, 370, 373 Beckmann, J. F. 179, 327, 331 Beer, J. S. 447, 453 Belmaker, R. H. 203

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Autorenregister Bem, D. J. 132, 136, 234, 242 Benbow, C. P. 203 Bender, D. 484, 485, 559, 562 Bengel, D. 256 Benjamin, J. 199–200, 202 Bennett, E. R. 203 Bennett, P. 378, 382 Bereczkei, T. 502, 506 Berenbaum, S. A. 30, 38 Berg, S. 212 Berkowitz, L. 465–466, 475, 484 Bernath, L. 502, 506 Berntson, G. G. 192 Berry, J. W. 220, 227–228, 304 Beutler, L. E. 521, 522 Bierhoff, H. W. 457–459, 462–464, 465, 506 Bierhoff-Alfermann, D. 308, 314, 316 Biesanz, J. C. 219 Bilsky, W. 298, 303, 303 Birbaumer, N. 191, 192 Birkner, N. 426, 429 Bischof-Köhler, D. 37, 470, 474 Bishry, Z. 38 Blackman, D. E. 92 Blaine, D. 203 Blair, V. 442, 445 Blaydon, J. 80 Bliesener, T. 559–560, 562 Block, J. 218, 219, 537, 542, 545 Block, J. H. 365, 373 Bloomingdale, L. M. 80 Bluck, S. 348, 348 Blum, L. A. 474 Boden, J. M. 122, 427, 429, 478, 484 Bodenmann, G. 397, 400 Boker, S. M. 219 Bolger, N. 404, 411 Bongard, S. 399, 401 Bono, J. E. 538, 545 Bonta, J. 560, 562 Boomsma, D. I. 195, 198, 202, 202, 204

Borkenau, P. 27, 153, 157, 194, 202, 205, 207–208, 211, 418, 422 Bossio, L. M. 450, 453 Bosson, J. K. 275, 275 Botet, F. 32, 37 Botwin, M. D. 501–502, 506 Bouchard, T. J. 30, 38 Bouchard, T. J. Jr. 208–209, 211–212, 504, 507 Bouffard, D. L. 109, 115 Bower, J. E. 534 Bowlby, J. 223, 228 Bradburn, N. M. 147–148 Bradbury, T. N. 503, 507 Bradshaw, C. M. 92 Brähler, E. 529, 534 Braithwaite, V. A. 299–300, 304 Brandtstädter, J. 284, 286, 568, 570–571 Bratslavsky, E. 364, 373 Brebner, J. 258, 260, 264 Bredenkamp, J. 148, 166, 179 Breitenbecher, D. L. 446, 452 Brennan, P. A. 560, 563 Brenner, C. 59 Brewer, M. B. 274, 275 Bridges, M. W. 453, 527, 533 Briggs, C. 285, 287 Briggs, S. R. 412, 465, 571 Brocke, B. 168, 179, 193, 200, 203 Brody, N. 242, 260, 264, 325, 331 Bronfenbrenner, U. 43, 45, 48 Brown, J. D. 446–447, 453 Brown, R. P. 273, 275, 275 Brown, S. L. 498, 499 Brownell, A. 493, 499 Bruck, M. 558, 562 Brunstein, J. C. 134, 136, 277, 279–283, 285, 286– 288, 295, 297 Buchsbaum, M. S. 254, 256 Bull, R. 562

589 Burks, V. S. 479, 485 Burt, S. A. 263, 264 Buse, L. 150, 154–155, 157 Bushman, B. J. 111, 114, 482, 484–485 Busjahn, A. 202, 202 Buss, A. H. 242, 477, 485, 548, 554 Buss, D. M. 30, 37, 501, 506 Buss, K. A. 245, 249–250 Buswell, B. N. 316, 426, 429 Butler, J. M. 64, 70 Buunk, B. P. 114, 453 Byrne, D. 377–379, 381 Byrnes, J. P. 316

C Cacioppo, J. T. 192, 467, 474, 497, 500 Cain, V. S. 148 Calvo, M. G. 380, 381, 391, 392 Campbell, D. T. 167, 179 Campbell, J. D. 271, 275, 429 Cantor, N. 280, 286 Caprara, G. V. 102, 477– 478, 485 Carey, G. 482, 485 Carey, J. R. 571 Carlo, G. 465 Carlson, S. R. 37 Carlston, D. E. 270, 275 Carroll, D. 378, 382 Carroll, J. B. 325–326, 331, 350, 360 Carson, D. 562 Caruso, D. R. 360 Carver, C. S. 367, 373, 388, 392, 448–449, 451, 452– 453, 527, 533 Caspar, F. 154, 157 Caspi, A. 24, 25, 45, 48, 195, 202, 203, 214, 219, 481, 485, 503, 506–507, 524, 533 Cattell, R. B. 93, 95–97, 102, 163, 164, 166, 179, 232, 235–237, 240–241, 242, 321, 324, 331, 545

Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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590 Cederblad, M. 507 Cervone, D. 92 Chance, J. E. 437 Chang, E. C. 446, 451, 452– 453, 533 Chaplin, W. F. 112, 114 Cheavens, J. 450, 453 Chess, S. 245–246, 249– 250 Child, D. 26, 38, 49, 97, 102, 228, 250, 465, 475, 522 Choi, J. N. 435, 437 Chorney, M. J. 203 Christal, R. E. 176, 179 Christensen, A. J. 434, 437 Christensen, K. 571 Christopher, S. B. 468, 474 Church, A. T. 224, 228 Cialdini, R. B. 457, 465 Claridge, G. 254, 256 Clark, A. E. 419, 422 Clark, L. A. 407–408, 412 Clark, M. S. 124, 136, 474 Clark, R. A. 548, 554 Cloninger, C. R. 71, 75–78, 79, 199, 203, 516, 522 Coats, E. J. 492 Cobb, S. 493, 499 Cohen, J. 250 Cohen, L. 377, 382 Cohen, L. H. 407, 411 Cohen, S. 496–497, 498– 499 Colbert, A. E. 538, 545 Colby, P. M. 496, 499 Coles, M. 80 Collaer, M. L. 27, 37 Collins, M. A. 336, 340 Collins, P. 78–79, 79, 262, 264 Collins, W. A. 373 Comelli, G. 540, 545 Comings, D. 263, 264 Conley, J. J. 503, 507 Conneally, P. M. 203 Conners, C. K. 512, 522 Connolly, J. J. 515, 522 Conway, A. 176, 179 Cook, T. D. 167, 179 Cooper, C. L. 411

Autorenregister Cooper, H. 417, 421 Coopersmith, S. 423, 429 Corder, E. H. 196, 203 Corrigall, E. 316 Costa, P. T. 495, 499, 515, 522–523, 566, 571 Costa, P. T. Jr. 19, 25, 93, 99–101, 102–103, 219 Courtney, B. E. 424, 429 Craig, I. W. 202–203 Crawford, M. 42, 306, 316 Crocker, J. 426, 429 Cronbach, L. J. 107, 114, 139–140, 163, 164, 166, 179 Crosnoe, R. 215, 219 Cross, S. E. 308, 314, 316 Crossland, J. 409, 411 Crowder, M. J. 36, 37 Crowford, E. G. 49 Csikszentmihalyi, M. 67, 70, 337–338, 340 Cumberland, A. 465 Cunningham, M. R. 499 Cutler, B. 489, 492

D Dahle, K.-P. 561, 561–562 Dalton, K. 27, 37 Damon, W. 25, 48, 250, 474 Dangelmayer, G. 283, 286 Daniels, J. 200, 203, 465 Dasen, P. R. 227–228 David, J. P. 293, 407, 411 Davidson, R. J. 31, 37–38, 192 Davis, C. 254, 256 Dawson, K. 474 de Bruin, J. 389, 392 De Fruyt, F. 219 de Haan, G. 576, 579 De Houwer, J. 425, 429 De Raad, B. 100, 102 de St. Aubin, E. 136 Deary, I. J. 174–175, 179, 331 Deater-Deckard, K. 46, 49 Deaux, K. 307, 309–310, 316 DeCharms, R. 295, 297

Deci, E. L. 366–367, 373, 551, 554 Deffenbacher, J. L. 111, 114 DeFries, J. C. 193, 202– 203, 211–212, 330, 332 DeLongis, A. 403–404, 411 Delprato, D. J. 82, 92 DelVecchio, W. F. 17–20, 25, 515, 522 DeNeve, K. M. 417, 421 Denollet, J. 531, 533 DePaulo, B. M. 487, 492 Depue, R. A. 71, 78–79, 79, 262, 264 Derlega, V. J. 499 Deuser, W. E. 484, 484 Deusinger, I. M. 268, 275 DeVincent, C. J. 33, 37 Devine, P. G. 275 Di Paula, A. 271, 275 Diamond, A. 135, 136 Dickson, N. 481, 485 Diekman, A. B. 308, 316 Diener, E. 258, 264, 413, 415–421, 421–422 Dienstbier, R. 554 Diethelm, K. 435, 437 Dill, K. E. 484, 484 DiMatteo, M. R. 474 Dittmann-Kohli, F. 342, 349 Dittus, P. 119, 124, 128, 136 Dixon, R. A. 564, 571 Dodge, A. 479, 485 Dohrenwend, B. S. 405, 411 Dölling, D. 561–562 Donnerstein, E. 484–485 Doraz, W. E. 35, 38 Dörner, D. 327, 331, 354, 360 Dörner, J. 343, 349 Doucet, C. 260, 264 Dovermann, U. 465 Dreger, M. 235, 242 Druen, P. B. 499 Duck, S. 499 Duncan-Jones, P. 517, 522 Dundin, L. 398, 401 Dunkel-Schetter, C. 403, 411 Dunn, E. W. 42, 49

Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Autorenregister Dusi, D. 400 Duval, S. 272, 275 Dweck, C. S. 373, 552, 554 Dymond, R. F. 70, 468, 474

E Eagly, A. H. 308–309, 315– 317, 464, 465, 479, 485 Easterbrooks, A. 570 Ebstein, R. P. 199–200, 203 Echterhoff, W. 573, 579 Eckenrode, J. 498, 499 Eckensberger, L. H. 109, 114 Eckes, T. 316 Edman, G. 30, 37 Edwards, J. M. 388, 392 EFPPA Arbeitsgruppe Verkehrspsychologie 578 Egloff, B. 378, 382, 385, 389, 392 Ehrhardt, A. A. 31, 37 Eid, M. 110, 113, 115, 413– 415, 418–420, 422 Eisenberg, N. 25, 250, 459, 465, 471, 474–475 Ekman, P. 31, 37, 394–395, 401 Elder, G. H. Jr. 215, 219 Eley, T. 203 Eliasz, A. 264 Ellgring, H. 153, 155, 157 Elliot, L. B. 347, 349 Elovainio, M. 111, 114 Emde, R. N. 459, 466 Emmons, R. A. 280–281, 286, 496, 499, 571 Endler, N. S. 108, 110, 114, 132, 136, 388, 392 Endres, J. 558, 562 Endruweit, G. 228 Epel, E. S. 441, 444 Epstein, N. 468, 475 Erdmann, K. 558, 562 Eriksen, C. W. 379, 381 Erikson, E. H. 53, 58, 59– 60, 135, 347, 349 Evans, L. 574, 579 Eves, A. 36, 37 Ewens, W. J. 199, 204

Eysenck, H. J. 35, 38, 71– 73, 77, 79–80, 93, 97–99, 102–103, 128, 136, 258– 261, 264, 501, 505, 507 Eysenck, M. W. 102, 238, 242, 380, 381–382, 391– 392, 392 Eysenck, S. B.G. 80, 251– 254, 256

F Fabes, R. A. 465, 471, 474 Fabian, T. 562 Fagot, B. I. 308, 316 Fahrenberg, J. 182, 189, 192, 253, 256 Fancher, R. E. 321, 331 Farnham, S. D. 425, 429 Farrington, D. P. 559, 562– 563 Fazio, R. H. 178, 179 Feger, H. 148 Feingold, A. 307, 316 Feist, G. J. 336, 340 Feldman, R. S. 492 Felson, R. B. 275, 429 Fenigstein, A. 548, 554 Fergusson, D. M. 517, 522 Figlio, R. M. 559, 563 Filipp, S.-H. 266–267, 272, 275, 348–349 Fingerle, M. 485 Fink, A. 92, 330, 332 Finkelstein, M. A. 460, 466 Finn, S. E. 520, 522 Fischer, A. H. 401 Fischer, H. 254, 256 Fischer, M. 573, 579 Fisher, P. J. 201, 203 Fiske, D. W. 234, 242 Fiske, S. 316 Flammer, A. 437 Fleishman, E. A. 360 Fleming, J. S. 424, 429 Foerster, K. 562–563 Folkman, S. 374–375, 382, 403, 411 Follette, V. M. 452 Forgas, J. P. 411 Forgatch, M. S. 47, 49 Forsyth, D. R. 275

591 Frank, S. 571 Franke, G. H. 163, 164, 512, 522 Fransella, F. 117, 119–120, 123 Franz, C. 12, 231, 459, 465 Fraser, B. J. 549, 554 Frech, S. 465 Fredrikson, M. 256 Freud, S. 53–58, 60–61, 69, 133, 237, 241, 288–289, 297 Freudenberg, E. 272, 275 Freund, A. M. 120, 564, 566–569, 570–571 Frey, D. 360 Freytag, A. 485 Friedman, H. S. 469–470, 474 Friedman, M. 407, 411 Friesen, W. V. 31, 37, 395, 401 Fromm, M. 120, 124 Fuhrmann, A. 365, 372, 373 Fujita, F. 417, 419, 422 Fuligni, A. 225, 228 Fulker, D. 46, 49 Funder, D. C. 156, 219 Funke, J. 327–328, 331 Funke, U. 360 Fydrich, T. 495, 499

G Gagné, R. M. 360 Gaines, B. 273, 276 Galal, O. 38 Gale, A. 72, 80 Gallo, L. C. 406, 411 Gangestad, S. W. 488–489, 492 Gardner, H. 325, 331 Garst, E. 474 Gaskell, P. 203 Geary, D. C. 306, 309, 316 Geen, R. G. 484–485 Geher, G. 502, 507 Georgellis, Y. 419, 422 Gergen, K. J. 116, 121–123, 123–124 Gerhardt, M. W. 538, 545

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592 Gesch, C. B. 36, 37, 390– 391 Geulen, D. 49 Gibbons, F. X. 453 Gilbert, D. G. 316, 522 Glanzmann, P. 388, 393 Glasersfeld, E. von 116, 124 Glover, T. A. 558, 563 Glück, J. 123, 296, 322, 348, 348, 550 Goffman, E. 487, 491–492 Goldberg, L. R. 93, 99, 102, 112, 114 Goldsmith, H. H. 192, 245, 249 Goleman, D. 328, 331 Gollwitzer, P. M. 277–278, 286, 363, 373 Goschke, T. 372, 373 Gosling, S. D. 154, 156, 566, 571 Gottesman, I. I. 30, 38 Gottlieb, B. H. 498 Graf, J. 96, 103 Grau, I. 506 Graumann, C. F. 179, 242, 298, 302, 304 Gray, J. A. 71–75, 77–78, 79–80, 99, 102, 255, 262, 264, 417 Graziano, W. G. 459, 465 Green, L. R. 479, 485 Green, P. J. 407, 411 Greenberg, B. D. 202, 256 Greenfield, P. 225, 228 Greenwald, A. G. 42, 49, 177, 179, 425, 429 Gregory, M. C. 434, 437 Greif, S. 355, 360 Greuel, L. 557, 562 Greve, W. 149–150, 155, 157, 275 Griffin, J. J. 273, 276, 422 Grob, A. 571 Gross, J. J. 530, 533 Grozdanovic, Z. 255, 256 Gruber-Baldini, A. L. 502, 507 Gruen, R. J. 403, 411 Gruenewald, T. L. 412, 534

Autorenregister Grusec, J. E. 303, 304 Guardia, J. 32, 37 Gugel, G. 465 Guilford, J. P. 235–236, 242, 324–325, 331, 334– 335, 340 Gulley, M. R. 499 Gunthert, K. C. 407, 411 Gunzelmann, T. 529, 534 Gupta, R. 539, 544 Gurthrie, I. K. 465 Gurung, R. A.R. 412 Gusella, J. F. 197, 203 Guthke, J. 173, 179, 327, 331, 341, 361 Gutiérrez-Dona, B. 441, 444 Gyuris, P. 502, 506

H Häcker, H. 97, 102 Haecker, H. 202, 573, 579 Hager, J. C. 395, 401 Hahn, A. 447, 453 Haier, R. J. 254, 256 Haigh, G. V. 64, 70 Haines, J. L. 203 Hakuta, K. 221, 228 Halpern, D. F. 30, 37 Halverson, C. F. 101 Hamer, D. H. 202 Hamilton, D. L. 275 Hammond, S. M. 36, 37 Hampel, R. 189, 192 Hampson, S. E. 36, 37 Hank, P. 420, 422 Hannover, B. 426, 429, 546, 553, 554 Hansson, K. 507 Hansson, R. O. 475 Hare, R. D. 561, 562 Harlaar, N. 212 Harmon-Jones, E. 31, 37 Hartshorne, H. 104, 107, 114, 233, 238–239, 242, 242 Harvey, J. H. 410, 412 Hasella, M. 323, 331 Hatfield, E. 467, 470, 474 Hattie, J. 549, 554 Havighurst, R. 43, 49

Havighurst, R. J. 566, 571 Haviland, J. M. 411 Hay, D. 480–481, 484–485 Heckhausen, H. 278, 286, 290, 292, 296–297, 549– 551, 554 Heckhausen, J. 17, 20, 24, 25, 373, 564, 568, 570– 571 Heidegger, M. 68, 69 Heider, F. 436, 437 Heiligtag, U. 399, 401 Heils, A. 256 Held, M. 340 Helfrich, H. 228 Helgeson, V. S. 496, 499 Hellbrück, J. 573, 579 Helleday, J. 30, 37 Heller, D. 538, 545 Helmke, A. 547, 554, 554 Helson, R. 343, 347, 349 Hendrick, C. 124, 136 Hennig, J. 71–72, 75, 79, 204, 212, 251, 253, 255, 256 Herrmann, T. 231, 235, 242, 243 Hetherington, E. M. 202, 204 Hetherton, T. F. 218–219 Hicks, B. M. 37 Higgins, E. T. 269, 271, 275, 411 Hill, L. 203, 331 Hines, M. 27, 37 Ho, S. Y. 502, 507 Hochreich, D. J. 83, 85, 89, 92 Hochschild, A. R. 396, 400–401 Hock, M. 374, 380–381, 382, 391, 392 Hodapp, V. 389, 392, 394, 396, 399, 401 Hoek, H. W. 37 Hoff, E.-H. 315, 316, 450 Hofmann, K. 163, 164 Hofstede, G. 224, 228, 300 Höft, S. 360 Hogan, R. 412, 465, 534– 535, 544–545, 571

Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Autorenregister Hohner, H.-U. 315, 316 Holahan, C. K. 215, 219 Holland, J. L. 538–539, 544–545 Holm, N. V. 571 Holman, J. M. 434, 437 Holmans, P. 198, 203 Holmes, J. G. 427, 429 Holt, R. R. 92, 102, 130, 136, 264, 275, 437, 570 Homburg, A. 573, 577, 579 Hopf, D. 444 Horn, J. 459, 466 Horwood, L. J. 517, 522 Hossiep, R. 323, 331, 536, 545 Howard, K. I. 325, 521, 522 Howell, C. T. 512, 522 Hubner, J. J. 423, 430 Huesmann, L. R. 485 Hughes, C. 382 Hull, C. L. 85, 258, 264 Hunecke, M. 575, 579 Hunt, J. M. 108, 114, 136 Hunter, J. E. 328, 332, 536, 543, 545 Huwe, S. 255, 256 Hyde, J. S. 307, 310, 316, 426, 429 Hyman, I. E. Jr. 558, 562

Jäger, R. S. 158, 164–165 James, W. 257, 264, 266, 268, 275, 321 Jang, K. L. 101, 102, 211, 212 Jarrold, C. 176, 179 Jarymowicz, M. 471, 474 Jerusalem, M. 438–441, 444–445, 525, 533, 579 Jobe, J. B. 148 Jockin, V. 503–504, 507 Johannesen-Schmidt, M. C. 316 Johansson, B. 212 John, O. P. 37, 79, 92, 96, 100–101, 102, 112, 114, 258, 325, 328, 407, 411– 412, 566, 571 Johnson, J. 412, 465 Johnson, T. E. 571 Johnson, W. 504, 507 Jordan, J. 343, 348–349 Jostmann, N. 369, 373 Judge, T. A. 535, 537–539, 544–545 Jung, C. G. 53, 57–58, 60, 237, 257, 264 Junque, C. 32, 37 Jüttemann, G. 25, 286, 570

K I Iacono, W. G. 37, 263, 264 Ianni, F. 521, 522 Ickes, W. 471, 474 Ilies, R. 535, 538–539, 545 Innes, J. M. 411 Isaacowitz, D. M. 451, 453 Isaacs, C. 382 Isen, A. M. 408, 411 Ittner, H. 572, 578, 579

J Jaccard, J. 119, 124, 128, 136 Jackson, D. N. 290, 297 Jacobson, K. C. 46, 49 Jacobson, L. 547, 555 Jacobson, N. J. 452, 452 Jaffee, S. 316 Jäger, A. O. 325–326, 331

Kagan, J. 245, 247, 249– 250, 390, 392 Kagitcibasi, C. 228, 304 Kahn, S. 410, 411 Kahneman, D. 415, 421– 422 Kaiser, J. 380, 382 Kals, E. 578–579 Kane, M. 176, 179 Kanfer, F. H. 285, 286 Kanfer, R. 355, 361 Kang, M. 474 Kaniner, A. 37 Kanning, U. P. 351, 355, 360 Kant, I. 486, 492 Karner, T. 164, 164 Karney, B. R. 503, 507 Karoly, P. 285, 287 Kasser, T. 282, 287

593 Kassinove, H. 398, 401 Katz, M. 203, 254, 256 Kazén, M. 368, 373, 516, 522 Keller, H. 225, 228 Kelly, E. L. 507 Kelly, G. A. 116–120, 123– 124, 131, 133, 136 Kelly, M. A. 35, 38 Keltikangas-Järvinen, L. 114 Kemeny, M. E. 534 Kenrick, D. T. 457, 465 Kernis, M. H. 425, 428, 429 Kersting, M. 535, 541, 545 Keyes, C. L.M. 347, 349 Kiecolt-Glaser, J. K. 497, 500 Kieferdorf, P. 255, 256 Kihlstrom, J. F. 280, 286 King, L. A. 421, 422 King, R. A. 475 Kinney, L. 31, 38 Kirkcaldy, B. D. 264 Kirksey, A. 38 Kirsch, T. B. 59 Kitayama, S. 228, 426, 429 Kivimäki, M. 114 Klages, H. 299, 304 Klauer, K. C. 49 Klauer, T. 493, 495, 500 Klebelsberg, D. 578 Klein, L. C. 412 Klein, R. 462, 464, 465 Klein, W. M. 447–448, 453 Kleinknecht, E. E. 558, 562 Kliegl, R. 174, 179 Kling, K. C. 316, 426, 429 Klinger, E. 279, 286 Klotz, M. L. 446, 452 Kmieciak, P. 299, 304 Knafo, A. 303, 304 Knutson, J. F. 485 Ko, S. J. 120, 154, 156, 355 Kobasa, S. C. 410, 411, 528 Kochinka, A. 562 Koestner, R. 294, 297, 459, 465 Köhler, W. 61, 70 Kohlmann, C.-W. 374, 376, 378, 381–382 Köhnken, G. 557, 563

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594 Kohnstamm, G. A. 101, 249, 250 Konrad, A. M. 316 Konstantinides, A. 38 Koole, S. L. 369–370, 373 Kopta, S. M. 521, 522 Korn, S. J. 250 Kornadt, H.-J. 220, 228 Koves, P. 502, 506 Krahé, B. 114, 476, 479– 480, 484–485 Kramp, P. 462, 464, 465 Krampen, G. 433, 435, 437 Krantz, D. S. 530, 533 Krapp, A. 551, 554–555 Kraska, K. 365, 372, 373 Krause, N. 376, 382 Krebs, D. L. 474 Kreuzig, H. W. 331 Kring, A. M. 400, 401 Kröber, H.-L. 561–563 Krohn, M. D. 562 Krohne, H. W. 375, 377– 378, 380–381, 382, 385, 387, 389–392, 392 Krueger, J. 429, 446–447, 453 Krueger, R. F. 29, 37, 504, 507, 524, 533 Krug, S. 295, 297, 550, 552, 554 Kruglanski, A. W. 411 Kubinger, K. D. 158–163, 164–165 Kubon-Gilke, G. 340 Kuczynski, L. 303, 304 Kuhl, J. 362–363, 365, 368– 372, 372–373, 516, 522 Kuhn, K. 285, 287 Kühnen, U. 426, 429 Kunzmann, U. 346–347, 348–349 Küpper, B. 506 Kurtzman, H. S. 148 Kwok, O.-M. 219 Kyllonen, P. C. 176, 179

L Labouvie-Vief, G. 347, 349 LaFrance, M. 307, 309– 310, 316

Autorenregister Lago, T. 479, 485 Laird, R. D. 479, 485 Laireiter, A. 494, 499 Lakey, B. 499 Lang, F. R. 17, 20, 24, 25 Lange, A. 48 Langer, E. J. 435, 437 Langer, I. 153, 157 Lantermann, E.-D. 576, 579 Latham, G. P. 277, 287, 364, 373 Lauterbach, W. 48 Laux, L. 388, 393, 486– 487, 489–491, 492 Lazarus, R. S. 374–375, 382, 403, 411 Leak, G. K. 468, 474 Leary, M. R. 275, 426, 428, 429, 491–492 Lecci, L. 285, 287 Lee, K. 258, 264 Lefcourt, H. M. 437 Lefebvre, Sr. 453 Leinbach, M. D. 308, 316 Lemery, K. 245, 249 Lenk, H. 92 Lennox, R. 489, 492 Lenzenweger, M. F. 79, 79 Leon, A. 79, 79 Leppin, A. 496, 499 Lerman, C. 382 Lerner, J. S. 447, 453 Lerner, R. M. 246, 250, 286, 570 Lersch, Ph. 241, 242–243 Lesch, K.-P. 255, 256 Leung, K. 228 Levenson, H. 433, 437 Levenson, R. W. 468, 474 Levine, R. V. 458, 464, 466 Lewis, B. P. 412 Lewis, M. 411 Leygraf, N. 561–562 Li, L. 12, 139, 202 Lichtenstein, P. 507 Lieb, P. 316 Lieberman, M. D. 260, 264 Liebler, A. 153, 157 Lindenberger, U. 570 Lindsay, J. A. 482–483, 485 Lindzey, G. 316

Linneweber, V. 572, 574, 576, 579 Linville, P. W. 270–271, 275 Lischetzke, T. 413, 419, 422 Little, B. R. 287 Little, T. D. 566, 571 Litzenberger, M. 159, 165 Livesley, W. J. 79, 101, 102, 212 Lobel, M. 33, 37 Locke, E. A. 277, 287, 364, 373 Loeber, R. 480–481, 484– 485 Loehlin, J. C. 254, 256 Long, E. C.J. 468, 474 Lopez, S. J. 69, 348 Lösel, F. 484, 485, 559, 562 Lowe, C. F. 92 Lowell, E. L. 548, 554 Lowry, J. L. 521, 522 Lubaroff, D. M. 410, 412 Lubart, T. I. 331, 334, 336– 337, 340–341 Lubinski, D. 203 Lucas, R. E. 258, 264, 413, 416–419, 421–422 Luciana, M. 79, 79 Luszczynska, A. 441, 444 Lutgendorf, S. K. 410, 412 Lykken, D. T. 212, 418, 422, 501, 503–504, 507 Lyubomirsky, S. 419, 421, 422

M MacDonald, G. 426, 428, 429 Machilek, F. 486, 492 MacLeod, C. 380, 382, 392, 393 MacMurray, J. 263, 264 Maddi, S. R. 410, 411 Maddux, J. E. 444–445 Madsen, K. B. 87, 92, 308 Madson, L. 314, 316 Maes, H. H. 194, 203 Maes, J. 110, 115

Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Autorenregister Magnusson, D. 108, 114, 132, 136 Magovern, G. J. 453 Maher, B. A. 381 Mahoney, J. J. 120, 124 Maier, G. W. 279–282, 284–285, 286–287 Main, D. 382 Mandl, H. 164 Maneru, C. 32, 37 Mani, M. M. 450, 452 Mannarelli, T. 154, 156 Mansfield, E. 136 Marceil, J. C. 132, 136 Marcus, B. 486, 492, 541, 545 Marecek, J. 306, 316 Markowitsch, H. J. 30, 38 Markus, H. R. 266, 269– 270, 275–276, 228, 426, 429 Marolla, F. 34, 38 Marsh, H. W. 553, 554 Martin, J. 203 Martin, M. 411 Martin, R. 407, 409, 411 Martin, R. P. 101 Martinez, C. R.J. 47, 49 Marwitz, M. 188, 192 Maslow, A. H. 61–62, 65– 68, 70, 289, 297 Maß, R. 516, 522 Matheny, A. P. 247, 250 Mathews, A. 380, 382, 392–393 Mathews, K. E. 475 Matsumoto, D. 228 Matthews, G. 360 Matthews, K. A. 406, 411, 453, 459, 466 Matthies, E. 573, 577, 579 May, M. A. 104, 107, 114, 233, 238–239, 242, 242 May, R. 62, 69–70 Mayer, G. W. 134, 136 Mayer, J. D. 332, 353, 360 Maynard, A. 225, 228 McAdams, D. P. 135, 136, 269, 276, 296, 297, 565, 567, 571 McCabe, G. 38

McCeney, M. K. 530, 533 McClay, J. 203 McClearn, G. E. 193, 202– 203, 208, 211–212, 330, 332 McClelland, D. C. 289–295, 296–297, 548, 554 McCrae, R. R. 16, 19, 25, 93, 99–101, 102–103, 219, 222, 228, 262, 264, 407, 412, 495, 499, 545, 566, 571 McDougall, W. 288, 297 McDowell, N. K.U. 447, 453 McGhee, D. E. 42, 49, 177, 179 McGinnis, R. E. 199, 204 McGue, M. 37, 209, 211– 212, 263, 264, 503–504, 507 McGuffin, P. 198, 202–203 McKusick, V. A. 196, 203 Medler, M. 347, 349 Mednick, S. A. 560, 563 Mees, U. 149–151, 157 Mehl, M. R. 151, 157 Mehrabian, A. 468, 470, 475 Melnyk, L. 558, 562 Mervielde, I. 219 Meulemann, H. 226, 228 Meyer, B. A. 33, 37 Meyer, G. 465 Meyer-Gramcko, F. 578 Michael, S. T. 374, 413, 450, 453 Michel, L. 166, 179 Mickelson, K. D. 496, 499 Mickler, C. 343, 349 Midgley, B. D. 82, 92 Miles, D. R. 482, 485 Mill, J. 203 Miller, D. C. 316 Miller, S. M. 377, 382 Mills, C. J. 219 Milner, A. D. 373 Mischel, W. 48, 81, 85, 89–91, 91–92, 107, 114, 120, 124, 131–132, 136,

595 183, 188, 192, 234, 243, 387, 393 Mistry, J. 570 Mittag, O. 530, 533 Mittelmann, M. 250 Miyake, A. 176, 179 Miyake, K. 224, 228 Moffitt, T. E. 202, 203, 214, 219, 481, 485, 503, 507, 524, 533, 556, 559, 562 Mohiyeddini, C. 378, 382 Mollemann, E. 112, 114 Möller, I. 479, 485 Money, J. 31, 37 Mooney, R. L. 333, 340 Morelli, G. 224, 228 Morf, C. 428, 429 Moritz, C. 255, 256 Morris, M. E. 154, 156 Morris, P. A. 43, 45, 48 Morton, N. E. 197, 203 Mount, M. K. 537–539, 544–545 Moussa, W. 38 Mowrer, O. H. 386–387, 393 Mroczek, D. K. 571 Mueller, C. M. 552, 554 Müller, C. 399, 401 Mummendey, H. D. 137– 138, 140, 142, 147–148, 487, 491, 492 Münsterberg, H. 298, 304 Muraven, M. 364, 373 Murphy, B. C. 465 Murphy, D. L. 202 Murray, H. A. 133, 289– 290, 297 Murray, S. L. 427, 429 Musch, E. 49 Myrtek, M. 186, 188, 192, 526, 529, 533

N Nauta, A. 112, 114 Naylor, S. L. 203 Neale, M. C. 194, 203 Neiderhiser, J. M. 202, 204, 507

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596 Neimeyer, R. A. 120, 124 Nemanov, L. 203 Nesse, R. M. 498, 499 Nesselroade, J. R. 213, 218–219, 545 Netter, P. 71–72, 75, 79, 204, 212, 231, 253, 255, 256 Neubauer, A. C. 174–175, 179, 321, 330, 331–332 Neugebauer, R. 34, 37 Neumeister, A. 36, 38 Neyer, F. J. 16, 25, 505, 507 Nicholls, J. 552, 554 Nisbett, R. E. 225, 228 Nissen, G. 523 Norenzayan, A. 458, 464, 466 Novick, O. 203 Nurius, P. 269, 275 Nurmi, J.-E. 284, 287, 571 Nuttin, J. M. 425, 429

O Oberauer, K. 176, 180 Offe, S. 562 Oliner, S. P. 460, 466, 474 Olson, J. M. 300, 304 Olson, M. A. 178, 179 Olweus, D. 477, 485 Ones, D. S. 540, 542, 545 Oniszczenko, W. 249, 250 Opp, G. 485 Ormel, J. 517, 522 Ortner, T. M. 159, 163, 165 Osher, Y. 203 Ostendorf, F. 25, 96, 100– 101, 102–103, 262, 264, 540, 545 Ostrom, T. M. 275 Ottina, K. 203 Owen, M. J. 198, 203 Owens, J. F. 453

P Pandey, J. 228 Parke, R. D. 219 Parker, W. D. 219 Paschen, M. 536, 545 Patrick, C. J. 37 Patterson, C. 202

Autorenregister Paunonen, S. V. 258, 264 Pawlik, K. 91, 123–124, 147, 150, 154–155, 157, 203, 228, 286, 554 Pawlow, I. P. 258, 264 Payne, R. 411 Pedersen, N. L. 212, 507 Peltonen, L. 202, 202 Peluso, J. P. 558, 563 Pennebaker, J. W. 151, 157, 529, 534 Penner, L. A. 460, 466 Pericak-Vance, M. A. 203 Peritz, E. 35, 38 Perrez, M. 397, 400 Perrig, W. J. 571 Perry, J. C. 521, 522 Perugini, M. 477, 485 Pervin, L. A. 79, 92, 102, 133, 136, 233, 243, 286 Peshkin, B. N. 382 Peterson, C. 442, 445, 450– 451, 453 Petri, S. 256 Petrill, S. A. 212 Pettit, G. S. 479, 485 Phares, E. J. 437 Philbrick, K. 458, 464, 466 Philippot, P. 492 Philipps, S. D. 571 Pickering, A. D. 77, 79, 262, 264 Pierce, G. R. 499 Pilon, D. A. 291, 297 Pincus, A. L. 516, 523 Piontek, R. 400, 401 Piotrowski, M. 539, 545 Plant, E. A. 307, 310, 316 Plessner, H. 177, 179 Plomin, R. 46, 49, 193, 195, 197, 200–202, 202–204, 211–212, 245, 249–250, 330, 332 Poessel, P. 255, 256 Pöhlmann, C. 426, 429, 553, 554 Poortinga, Y. H. 227–228 Popp, D. 306, 316 Posner, M. I. 365, 367, 373 Potegal, M. 485

Pott, M. 224, 228 Potter, J. 566, 571 Poulton, R. 203 Powell, A. 252, 256 Predmore, S. C. 273, 276 Price, R. H. 109, 115, 435, 437 Price, T. 212 Priel, B. 203 Prince, L. M. 474 Pritzel, M. 30, 38 Prochaska, M. 536, 545 Przybeck, T. R. 75, 79, 516, 522 Pulkkinen, L. 219 Purcell, S. 203, 211, 212

Q Quay, H. C. 74, 80, 512, 522 Quinten, C. 520, 522

R Rabin, A. I. 571 Radinger, R. 159, 165 Radke-Yarrow, M. 475 Raine, A. 560, 563 Ramachandran, V. S. 242 Rammsayer, T. 12, 53, 61, 72, 80, 257, 260, 262, 264–265 Rapoff, M. A. 450, 452 Rapson, R. L. 467, 474 Raskin, D. C. 563 Reed, G. M. 534 Reinecker, H. 285, 286 Reinisch, J. M. 31, 38 Reiss, D. 202, 204, 507 Reither, F. 331 Renner, B. 446–447, 452– 453 Renner, G. 284, 286, 568, 571 Renner, K.-H. 149, 486– 487, 489–491, 492 Resnick, S. M. 30, 38 Reusswig, F. 576, 579 Revelle, W. 132, 136 Revenson, T. A. 437 Rheinberg, F. 294–295, 296–297, 550, 552, 554

Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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Autorenregister Rhodewalt, F. 428, 429 Ribes, E. 83, 92 Rice, L. 234, 242 Richardson, B. Z. 475 Richardson, D. R. 479, 485 Richelle, M. 92 Riediger, M. 564, 566, 569, 570–571 Riemann, R. 93, 101, 102, 137, 147, 196, 204–206, 208, 211–212, 249, 250, 254, 256, 263, 265, 418, 422 Riggio, R. E. 469, 474 Ring, C. 378, 382 Risser, R. 578 Ritchie, J. E. Jr. 316 Ritzén, E. M. 30, 37 Roazen, P. 60 Roberts, B. W. 16–20, 25– 26, 214–215, 219, 515, 522, 535, 544–545 Roberts, R. D. 360 Robins, R. W. 447, 453, 503, 505, 507 Robinson, J. L. 459, 466 Robinson, J. P. 304 Robinson, M. D. 42, 49 Roccas, S. 303, 304 Rodgers, C. S. 308, 316 Rodin, J. 435, 437 Rogers, C. R. 61–62, 64–65, 67–68, 69–70 Rohde, W. 292, 297 Rohmann, E. 463, 465 Röhrle, B. 499 Rokeach, M. 299–300, 302, 304 Römhild, R. 109, 114 Ronald, A. 212, 300 Rosenberg, M. J. 424, 430 Rosenman, R. H. 407, 411, 459, 466 Rosenthal, R. 260, 264, 547, 555 Roses, A. D. 203 Rösler, F. 192 Roth, S. 377, 382 Rothbart, M. K. 244–245, 250, 365, 367, 373 Rothbaum, F. 224, 228

Rothermund, K. 425, 430 Rotter, J. B. 81, 83–86, 88– 89, 92, 243, 431–432, 437 Rowe, D. C. 46, 49 Royce, J. R. 252, 256 Rubchinsky, K. 474 Ruch, W. 99, 103 Ruef, A. M. 468, 474 Rugg, M. D. 373 Runco, M. A. 340 Rutter, M. 46, 49, 193, 202–203, 211–212, 330, 332 Ryan, R. M. 366–367, 373, 551, 554 Ryff, C. D. 347, 349

S Saarni, C. 491, 492 Sabol, S. Z. 256 Saenger, G. 34, 38 Sage, R. M. 447, 453 Sager, K. 474 Sagiv, L. 303, 304 Salewski, C. 382 Salmela-Aro, K. 571 Salovey, P. 327, 332, 353, 360 Sameroff, A. J. 23, 26 Sarason, I. G. 391, 393, 494, 499 Saraswathi, T. S. 228 Sarges, W. 545 Saron, C. 31, 37 Saß, H. 561–562 Sato, S. 470, 475 Saunders, A. M. 203 Schade, J. 579 Schafer, W. D. 316 Schaffner, P. 388, 393 Schaie, K. W. 217, 218– 219, 502, 507 Schandry, R. 191, 192 Scheier, M. F. 367, 373, 388, 392, 448–449, 451, 452–453, 527, 533, 548, 554 Scher, S. J. 218 Scherer, K. R. 192 Schiefele, U. 551, 555

597 Schiepek, G. 116, 124 Schilling, E. A. 404, 411 Schlag, B. 573–574, 579 Schlenker, B. R. 486–487, 492 Schmechel, D. 203 Schmelzer, D. 285, 286 Schmid, W. 48, 49 Schmidt, A. 168–170, 179 Schmidt, F. L. 328, 332, 536, 543, 545 Schmidt, L. R. 97, 102 Schmidt, R. 60 Schmidt, R. F. 191, 192 Schmidt-Rathjens, C. 37, 531, 533 Schmitt, C. H. 288 Schmitt, D. P. 30, 37 Schmitt, M. 104, 110, 113, 114–115, 159, 165 Schmitz, G. S. 442, 444 Schmuck, P. 282, 286–287 Schmukle, S. C. 385, 389, 392 Schneewind, K. A. 39, 48, 49, 96, 103, 437 Schneider, B. 545 Schneider, C. 414, 422 Schneider, R. J. 355, 361 Schoenthaler, S. J. 35, 38 Scholl-Schaaf, M. 298, 301–302, 304 Schoppe, K. J. 335, 340 Schorr, A. 579 Schreyer, I. 551, 555 Schröter, S. 305, 317 Schrott, A. 159, 165 Schuler, H. 360–361, 535– 536, 544–545 Schultheiss, O. C. 281, 283, 286, 292, 297 Schulz v. Thun, F. 157 Schulz, R. 24, 25, 153, 157, 453, 568, 571 Schulze, H. 576, 579 Schulze, R. 176, 180, 360 Schumacher, J. 529, 534 Schunk, D. H. 439–440, 444 Schupp, A. 574, 579 Schupp, H. 447, 452–453

Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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598 Schütz, A. 423–425, 427– 428, 429–430, 486, 490, 492 Schwartz, J. L.K. 42, 49, 177, 179 Schwartz, M. C. 382 Schwartz, S. H. 299–300, 303, 303–304 Schwarz, G. 360, 382 Schwarz, M. J. 38 Schwarz, N. 147–148, 415, 421–422 Schwarzer, C. 548, 555 Schwarzer, R. 146, 148, 440–441, 444–445, 451, 452–453, 496, 499, 528, 533–534 Schwenkmezger, P. 97, 102, 394, 396, 400–401, 414, 420, 422 Scott, W. A. 299–300, 304 Sears, L. J. 215, 219 Segal, N. L. 212 Segall, M. H. 227–228, 304 Segerstrom, S. C. 524–525, 527, 534 Seifer, R. 23, 26 Seipp, B. 548, 555 Selg, H. 157, 189, 192 Seligman, C. 300, 304 Seligman, M. E. 68, 70, 436, 437, 449, 453, 464, 466, 550, 554 Sellin, I. 424, 430 Sellin, T. 559, 563 Senulis, J. 31, 37 Shackelford, T. K. 501, 506 Shadish, W. R. 167, 169– 170, 179 Sham, P. 203 Shavelson, R. J. 423, 430 Shaver, P. R. 304, 507 Shearin, E. N. 494, 499 Sheldon, K. M. 234, 282, 286–287 Shepard, S. A. 465 Sherman, D. K. 447, 453 Sherman, S. E. 475 Shoda, Y. 48, 81, 89–92,

Autorenregister 132, 136, 183, 192, 387, 393 Showers, C. J. 316, 426, 429 Shumaker, S. A. 493, 499 Siegman, A. W. 412 Sigelman, I. 31, 37 Silva, P. 481, 485 Silver, R. C. 499 Singelis, T. M. 270, 276 Singer, J. L. 382, 437 Singh, R. 502, 507 Sitarenios, G. 360 Siwers, B. 30, 37 Skinner, B. F. 81–87, 92 Skinner, E. A. 435, 437 Small, G. W. 203 Smart, L. 427, 429 Smedslund, J. 532, 534 Smith, B. W. 545 Smith, D. 498, 499 Smith, H. L. 416, 421–422 Smith, J. 343, 348 Smith, P. B. 300, 304 Smith, R. E. 48, 81, 89, 91, 91–92 Smith, T. W. 404, 407, 412, 434, 437, 525, 528–529, 534 Smolenska, M. Z. 474 Snyder, C. R. 69, 275, 348, 450, 452–453 Snyder, M. 112, 115, 488– 490, 492 Sobhy, A. 38 Sokolski, K. 254, 256 Sommer, G. 495, 499 Spanagel, R. 77, 80 Spearman, C. 324, 332 Spence, K. W. 387, 391, 393 Spiel, C. 20, 45, 48, 333– 334, 340 Spielberger, C. D. 381, 388, 393, 396, 401, 547, 555 Spielman, R. S. 199, 204 Spinath, F. M. 47, 49, 193– 195, 201–202, 202–204, 206, 208–209, 211–212, 244–245, 250, 254, 256 Spotts, E. L. 504, 507

Springer, A. 553, 554 Sr. Lefebvre, R. C. 453 Srivastava, S. 100–101, 102, 349, 566, 571 Stadler, M. 562 Stahl, J. 260–261, 265 Stanton, G. C. 423, 430 Stanton, W. 481, 485 Stapel, D. A. 373 Stapf, K. H. 202 Stastny, J. 38 Staub, E. 460, 466 Stäudel, T. 331 Staudinger, U. M. 69, 342– 347, 348–349, 570 Steele, C. M. 547, 555 Steffen, F. J. 479, 485 Steffgen, G. 400 Stein, Z. 34, 38 Steins, G. 467, 471, 474– 475 Steller, M. 556–557, 562– 563 Stelmack, R. M. 253, 256, 260, 264 Stemmler, G. 181, 185– 186, 188–189, 192 Stephenson, W. 63, 70 Stern, E. 322, 331, 341, 361 Stern, W. 127–128, 131, 136, 231, 235, 240, 243 Sternberg, R. J. 175, 180, 315–316, 331–332, 334, 336–337, 340–341, 343, 348–349, 354, 356, 360– 361 Sternberg, S. 180 Stevenson, H. W. 221, 228 Stewart, G. L. 536, 539, 545 Steyer, R. 113, 115 Stiensmeier-Pelster, J. 297 Stone, A. A. 137, 148 Stone, M. H. 521, 523 Stotland, E. 468–470, 475 Strack, F. 415, 422 Straub, J. 562 Strayer, J. 474–475 Strelau, J. 102, 244–245, 247–249, 250, 256, 263, 265

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Autorenregister Strittmatter, W. J. 203 Strobel, A. 168, 179, 193, 203 Stryker, S. 376, 382 Sturn, R. 340 Sudman, S. 141, 147–148 Suen, H. K. 155, 157 Suh, E. M. 223, 228, 416, 419–420, 421–422 Sullins, E. S. 469, 475 Suls, J. M. 275, 407, 411, 453 Süß, H.-M. 166, 176, 180, 326, 331, 350, 352, 360 Susser, E. 34, 37 Susser, M. 34, 38 Svrakic, D. M. 79, 516, 522 Swann, W. B. Jr. 273, 275, 275–276 Sympson, S. C. 450, 453

T Tafrate, R. C. 398, 401 Tallada, M. 32, 37 Tangney, J. P. 275, 429, 492 Tanzi, R. E. 203 Tassinary, L. G. 192 Taub, J. M. 264 Tavris, C. 400 Taylor, A. 202, 203 Taylor, C. W. 340 Taylor, S. E. 405, 412, 446– 447, 453, 525, 527, 534 Teasdale, J. D. 436, 437, 550, 554 Tedeschi, J. T. 490, 492 Tellegen, A. 79, 212, 502, 504, 507 Tempone, V. J. 379, 382 Tercyak, K. P. 378, 382 Terman, L. M. 215, 322, 332 Terracciano, A. 219 Tesch-Römer, C. 382 Tesser, A. 275, 373, 429 Thayer, R. E. 419, 422 Thomae, H. 25, 130, 134, 136, 151, 157, 242, 286, 304, 567, 570–571 Thomas, A. 12, 53, 61, 79,

102, 228, 245–246, 249– 250, 257, 264, 493 Thompson, L. A. 203 Thompson, R. 450, 452 Thornberry, T. P. 562 Thorndike, E. L. 352, 361 Thun, Schulz v. 153, 157 Thurstone, Th. G. 324–325, 332 Tice, D. M. 364, 373 Titzmann, P. 397, 401, 530, 534 Tomarken, A. J. 31, 38 Tomlinson-Keasey, C. 219 Towers, H. 507 Towse, J. 176, 179 Trautner, H. M. 216, 219, 316 Triandis, H. C. 223–224, 228 Tripp-Reimer, T. 410, 412 Trommsdorff, G. 220, 228 Trope, Y. 274, 276 Trouton, A. 202, 204 Turck, D. 323, 331 Turic, D. 203 Turkhan, J. S. 148 Turner, C. W. 434, 437

U Uchino, B. N. 497, 500 Umansky, R. 203 Underwood, L. G. 498 Undeutsch, U. 557, 563 Updegraff, J. A. 412 Urban, W. M. 298, 304, 562–563 Utz, H. E. 97, 102

V Vahtera, J. 114 van Aken, M. A.G. 22, 25 Van De Vijver, F. J.R. 228 Van den Boom, D. C. 47, 49 van den Oord, E. J.C. E. 46, 49 van Heck, G. 102 Van Vianen, A. E.M. 303, 304 Vargas, P. T. 42, 49 Vaupel, J. W. 565, 571

599 Veith, H. 49 Veriacke, E. W. 468, 475 Vernon, P. 212, 298 Vialiano, P. P. 410, 412 Viney, L. L. 120, 124 Vink, J. M. 195, 198, 204 Vinokur, A. D. 435, 437, 498, 499 Virtanen, M. 114 Viswesvaran, C. 540, 542, 545 Vitelli, R. 388, 392 Vitouch, O. 38 Vohs, K. D. 369, 373, 429 Volbert, R. 556–558, 562– 563 von Zerssen, D. 512, 523 Vredenburg, D. S. 446, 452

W Wachs, T. D. 35, 38, 249, 250 Wagner, R. F. 522 Wagner, R. K. 354, 356, 360–361 Wagner-Menghin, M. M. 163, 165 Wakefield, J. A. 35, 38, 501, 505, 507 Walberg, H. J. 549, 554 Waller, N. G. 504, 507 Wallston, K. A. 434, 437, 453 Walters, R. H. 86, 92 Walton, K. E. 16, 26 Warburton, F. W. 163, 164 Warren, W. L. 477, 485 Waterman, A. S. 347, 349 Watkins, P. C. 203 Watson, D. 83, 387, 407– 408, 412, 529, 534 Watts, N. F. 380, 382, 392, 393 Weber, H. 12, 116, 119, 123–124, 127, 352–353, 361, 394–395, 397, 400, 401, 446, 491, 492, 524– 525, 529–532, 533–534, 579 Webster, R. 56, 60 Wegemund, A. 360

Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus H. Weber und T. Rammsayer (Hrsg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (ISBN 9783840918551) © 2005 Hogrefe Verlag, Göttingen.

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600 Weinberger, D. A. 377, 382 Weinberger, J. L. 218–219, 294, 297, 459, 465 Weiner, B. 436, 437, 549, 555 Weiner, E. 496, 499 Weinert, F. E. 547, 554, 554 Weinstein, N. D. 447–448, 453 Weis, S. 350, 352, 360 Weisberg, R. W. 336, 341 Weischedel, W. 492 Weiss, F. 77, 80 Weisz, J. 224, 228 Welch, W. W. 549, 554 Wellek, A. 563 Wentura, D. 149–150, 155, 157, 425, 430 Werbik, H. 562 West, S. G. 219 Westen, D. 56, 60, 221 Westmeyer, H. 81–82, 91– 92, 116, 119, 121, 123– 124, 333–334, 338–339, 340–341, 352–353, 361 Wethington, E. 498, 499 Wetzel, R. D. 516, 522 Wetzels, P. 562 Wexler, N. S. 203 Wheeler, L. 102 Wheeler, R. W. 31, 38 Whitbourne, S. K. 347, 349 Wicklund, R. 272, 275 Widaman, K. 219 Widiger, T. A. 515, 522– 523 Widom, C. S. 482, 485 Wiebe, D. J. 525, 528–529, 534

Autorenregister Wiedl, K. H. 173, 179 Wiggins, J. S. 102, 516, 523 Wik, G. 256 Wilhelm, O. 92, 127, 176, 180, 220 Willeit, M. 38 Williams, J. M.G. 380, 382, 392, 393 Williams, L. M. 562 Williams, N. 203 Willig, R. 298, 302, 304 Willis, S. L. 502, 507 Wills, T. A. 496–497, 499 Wilpers, S. 495, 499 Wilson, R. S. 33, 38 Wilson, T. D. 42, 49 Wilz, G. 529, 534 Windelband, W. 127, 130, 136 Windle, M. 246, 250 Wink, P. 343, 347, 349 Winkeler, M. 495, 500 Winograd, E. 558, 563 Winstead, B. A. 499 Winter, D. A. 120, 124 Winter, D. G. 293–294, 297 Wirtz, M. 154, 157 Wispé, L. 468, 471, 475 Wittmann, W. W. 176, 180, 542, 545 Wohlwill, J. F. 214–216, 219 Wolfe, C. T. 426, 429 Wolfe, R. 489, 492 Wolfgang, M. E. 66, 298, 559, 563 Wood, W. 308–309, 316– 317

Woods, J. 373 Wright, H. F. 151, 157 Wrightsman, L. S. 304 Wundt, W. 166, 180, 220 Wurf, E. 266, 276 Wurst, E. 160, 165

Y Yankeelov, P. A. 499 Yashin, A. I. 571 Young, A. L. 470, 475 Yudkin, J. 35, 38 Yukl, G. 538, 545 Yunis, F. 38 Yurak, T. J. 446, 452

Z Zaccaro, S. J. 442, 445 Zahn-Waxler, C. 459, 466, 468, 475 Zanna, M. P. 300, 304 Zautra, A. J. 404, 412 Zawadzki, B. 248–249, 250 Zazanis, M. 442, 445 Zeidner, M. 360, 391, 392– 393 Zeigler-Hill, V. 275, 275 Zentner, M. R. 249 Ziegler, A. 159, 165 Zielinski, W. 158, 164 Zimbardo, P. E. 441, 444 Zimmerman, B. J. 444 Zonderman, A. B. 495, 499 Zucker, R. A. 571 Zuckerman, A. 404, 411 Zuckerman, M. 71, 74–75, 80 Zuschlag, M. K. 347, 349

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Sachregister

A above average effect 446 Abwehrmechanismen 54, 55 Adjektivlisten 137, 143 Adoptionsstudien 205, 206, 209 Affekt 31 Affektbalance 414 Affektkomplexität 347 Affiliationsmotiv 290, 291, 293, 294 Aggression – relationale 480, 481 Aggression Questionnaire 477 aggressive Skripts 481, 483 Aggressivität 398, 476 AID 2 160 AIPs (allel image patterns) 200 Aktivierungsprozesse 185 Aktivität 244–246, 248, 249 Aktualisierungstendenz 62 Akzeptanz 573, 575, 578 Allel-Assoziations-Methode 198 allgemeine Weisheit 343 Altersentwicklung 329 Amygdala 253 Analytische Psychologie 57 Anforderungsanalyse 539, 540 Angst 54, 547 – vor physischer Verletzung 386 Angstabwehrmechanismen 379 Ängstlichkeit 385, 547 Ängstlichkeitsentwicklung 391 Anlage-Umwelt 221 Anlage-Umwelt-Interaktion 195, 211 Anlage-Umwelt-Korrelation 195, 211 Annäherungsziele 282 Anpassungsfähigkeit 570 Anreiz 288, 289, 291, 295 antisoziale Persönlichkeit 560 Antwortstil 141 Äquivalenz 223, 225, 226 Arbeits-Selbstkonzept 266 Arbeitsgedächtnis 175 Arbeitspsychologie 535, 539

Ärger 394, 530 Ärgerausdruck 397 Ärgerneigung 394 Arousal-Theorie 260 – Extraversion 259 Assessmentmodell 185, 186 Ätiologie 517 ätiologisches Modell 518 Attribution 449 Attributionsstil 476, 550 – feindseliger 476, 478, 479, 481 Aufgabenorientierung 552 Aufmerksamkeit 365, 367 Ausdrucksregeln 395

B BAS 73, 74, 78 Bedrohung 369, 372 Bedürfnishierarchie 65–67 Bedürfnisse 363, 366 Befolgung der sozialen Spielregeln 463 Befragung 145 Behavioral Facilitation System 78 behavioraler Ansatz 81 behavioristisch 386 Belastung 368, 372 Belohnung 82, 255 Beobachtertraining 156 Beobachtungsfehler 155 Beobachtungslernen 87, 88 Berufserfolg 542–544 Besorgnis 391 Bestrafung 83, 255 better than average effect 446 Bewertung (Einschätzung) 374 – kognitive („appraisal“) 374 – primäre 403, 407 – sekundäre 403 ,407, 408 Bewertungsängstlichkeit 386 Beziehungserfolg 503 Beziehungsqualität 505, 506 Beziehungsstabilität 503 Beziehungszufriedenheit 503

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Bezugsnormorientierung 552 – individuelle 552, 553 – soziale 552 Bias 223, 226 Big Five 16, 99, 222, 515 Big Five-Modell 93, 99, 100 bimodales Self-Monitoring-Modell 489 biologische Ansätze 181 biologische Einflussfaktoren 27 biologische Indikatoren 185 biologische Individualität 182 biologische Persönlichkeitstheorien 71 BIS 73, 74

C Carryover-Effekt 491 chronometrischer Ansatz 174 Cingulum 253 Conflict Tactics Scales (CTS) 480

D Delinquenz 556, 559 Denkstil 335–337 Diathese-Stress-Modell 517 differentielle Entwicklung 15 differentielle Vorhersagbarkeit 112 display rules 395 Disposition 89, 183, 396 distale Umweltkontexte 45 divergentes Denken 334 DNA-Pooling 200 Domäne 336, 338–340 Dopamin 261 dynamisch-interaktionistisches Paradigma 505 dynamische Interaktion 39 dynamisches Testen 173

E Egoorientierung 552 Eigenschaft 183, 231, 232, 234, 235, 238 Eigenschaftsbegriffe 93, 96 Eigenschaftseinschätzungen 153 eigenschaftstheoretische Ansätze 81, 93 Einstellung 301, 302 Einstellungsfragebogen 140 Einzelfall 127, 132 Einzigartigkeit 129, 131, 132 Elementary Cognitive Tasks (ECT) 174 emotionale Labilität 99, 477 Emotionalität 245, 253

Emotionen 122, 394, 413, 419 Emotionsdarstellung 491 Emotionsregulation 529, 530 Empathie 459, 462, 467, 468, 560, 561 Empathie-Altruismus-Hypothese 462, 463 Endler Multidimensional Anxiety Scales 388 Entfremdung 370 Entwicklung 16, 220, 222, 225 – durchschnittliche Entwicklungsveränderungen 16 Entwicklungsverluste 564, 565, 570 Erblichkeit 195, 205–207, 210 Ereignisstichprobenplan 152 Erfahrungsunabhängigkeit 161, 164 Erfolg 536, 537, 539, 541, 542 Erfolgserfahrung 444 Erfolgsmotivierung 549 Ergebniserwartungen 88, 438 Erinnerung 380 – affektive 380 Ernährung 33–36 Erregbarkeit 476, 477 Erwartung 85 – generalisierte 85, 432 ethische Regeln 461 ethnische Schichtung (population stratification) 198 evolutionsbiologische Ansätze 310 evolutionsbiologische Theorien 309 evolutionsbiologische Unterschiede 314 Existenzialismus 68 Exosystem 43 Experiment 166, 167, 169, 171 experimentelle Methoden 166 explizite Motive 294–296 Externalität 433 – fatalistische 433, 434 – soziale 433 Extraversion 58, 71–74, 97–99, 238, 257, 261, 263, 408, 417, 535, 537–539, 542, 543 – psychometrische Erfassung 262 – und Genetik 263 Eysenck Personality Questionnaire (EPQ-R) 99

E Fähigkeitsselbstkonzept 547, 553 Fairness 160, 540, 577 Falconer Formel 208

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Sachregister Feindseligkeit 407, 408, 525, 526, 530 Feld 338–340 Feldexperiment 172 Fertigkeiten 351 Flow-Konzept 67, 68 Formal Characteristics of BehaviorTemperament Inventory, FCB-TI 248 Forschungsstrategien 123 – aggregierend-nomothetische 123 – idiographische 123 Fragebogen 137, 138, 141, 145 Führung 538 Fünf-Faktoren-Modell (FFM) 93, 99, 501– 503, 535–539, 543 funktionale Analyse 82 funktionale Äquivalenz 110, 111 funktionelle Kernspintomographie (fMRI) 254

G g-Faktor 325 Geburtsgewicht 32, 33 Gefühlsansteckung 467, 472 Gehemmtheit 247 gelernte Hilflosigkeit 436, 449, 450 gemeinsame (geteilte) Umwelt 194, 207, 208 Gen-Polymorphismen 254 Gene 329 General Aggression Model (GAM) 482, 483 Generalität 232 Genom 22 Genotyp-Umwelt-Interaktion 46 Genotyp-Umwelt-Korrelationen 46 Gentest 378 Geschlecht 305–308, 399, 402, 404–406, 479, 495, 496 Geschlechterrollen 309, 315 Geschlechtshormone 27, 30 Geschlechtsrollenentwicklung 308 – kognitive Theorien 308 Geschlechtsrollenerwartungen 308 Geschlechtsunterschiede 30, 255, 305–315, 328, 457, 464 Gesundheitspsychologie 524 Gewissen 459 Gewissenhaftigkeit 524–526, 535, 537, 538, 543 Glaube an eine gerechte Welt 462 Glaubhaftigkeit 556, 557 Glaubwürdigkeit 556

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Grübeln 370, 476, 477, 478 Grundeigenschaften (source traits) 95 Gütekriterien 159–162 – von Beobachtungsverfahren 154

H Handlungsorientierung 368, 370 Hardiness 409, 410 Harm Avoidance 77, 78 Hemmungstheorie der Extraversion 258 Heritabilität 205, 504 Herzpatienten 378 High Self-monitorer 488 Hippocampus 253 Hirnschädigungen 32 Hochbegabung 333 Hoffnung 450 humanistische Psychologie 61 Hunger 34 5-HTTLPR 255

I Ich-Psychologie 58 Ideal-Selbst 63, 64 idiographisch 119, 127 idiographische Ansätze 127 implizite Motive 294–296 impliziter Assoziationstest (IAT) 177, 389, 425 Impulsivität 245, 559, 561 Individualismus 223, 224 Individualpsychologie 56 individuelle Persönlichkeit als Prozess 41 individuelle Werte 301 Informationsverarbeitung 378, 391 Instinkte 288 Intelligenz 27, 33–36, 173–175, 209, 214, 217, 321, 333, 334, 337, 343, 350, 546, 557–559 – emotionale 327, 353, 358 – fluide 324, 329 – kristallisierte 324, 329 – praktische 354 – soziale 327, 352 Intelligenz im Säuglingsalter 21 Intelligenz-Testbatterien von Wechsler 158 Intelligenzquotient 328, 322 Intelligenztest 323, 327, 328 Interaktionismus 86, 184, 189 – moderner 108 Interaktionistische Ansätze 104

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Interesse 298, 301, 302, 538, 539, 551 Internalisierung 491 Internalität 433 Interpretationseindeutigkeit 160 Interventionsstudie 28, 35, 36 Interview 137, 145 Introjektion 370, 371 Investmenttheorie 335, 337 isomorphe Deskription 151 Itemanalyse 139

K kardiovaskuläre Krankheiten 399 Kategoriensystem 152 Kausalattributionen 436, 549 Kognitiv-Affektives Persönlichkeits-System (CAPS) 90, 91 kognitive Emotionstheorien 394 kognitive Theorien 310, 314 kognitiver Stil 346 Kohärenzprinzip 131 Kohärenzsinn 409, 410, 528, 529, 532 Kohorten-Sequenz-Design 217 Kollektivismus 223, 224 Komparationsforschung 127, 128 Kompensation 568, 569 Kompetenz 350, 351 Kompetenzüberzeugung 438, 441 komplexes Problemlösen 327 Konformität 370, 371 Konsistenz 184 Konstitutionstypologie 231 Konstruktbegriff 333, 334 Konstruktionismus 116 – individuumbezogener 116, 117 – radikaler 116 – sozialer 116, 117, 123 konstruktivistische Ansätze 116, 306 Kontingenz 435 Kontinuität 21 Kontrollprozesstheorie 388 Kontrollskalen 142 Kontrollstrategien 24 – primäre 24 – sekundäre 24 Kontrolltheorien der Entwicklung 24 Kontrollüberzeugung 376, 431 – bereichsspezifische 432 – externale 433, 434 – internale 433, 434, 462, 465 Korrelationsstudie 167

Korrelationstechnik 240 Kovariationsforschung 128 Kovariationsproblem 188 Kreativität 122, 333–335, 337, 338, 343 – als Eigenschaft 334 – als Relation 337 Kreativitätsforschung 333–335, 337, 339, 340 Kreativitätstest 334 Kriminalität 556, 558, 561 Kriminalprognosen 560, 561 Kultur 220, 221, 223–227 kulturelle Unterschiede 420 Kulturpsychologie 221, 222 Kulturspezifika 222, 223, 225, 226 Kulturvergleiche 221, 223, 225–227 kulturvergleichende Psychologie 222

L L-Daten 95, 96 Laborexperiment 172 Lageorientierung 368, 370 Längsschnittstudie 16, 213, 214, 216–218, 459 Latent State-Trait-Theorie 113 Lebenseinsicht 342 Lebensereignisse 419 – kritische 44 Lebensqualität 413, 578 Lebensstil 573, 575, 576 Lebenszufriedenheit 347, 414 Lehrer-Selbstwirksamkeit 441 Leistungsmotiv 288–296, 548, 549 Lernen am Modell 87 Lernfähigkeitskonzept 327 Lernfortschritte 441, 443 Lerntest 173 lerntheoretische Ansätze 81 Letter Rating Task 425 Libido 53, 57 Life stories 135 limbisches System 253 Linkage-Methode 196 Low Self-monitorer 488

M Machiavellismus 460 Machtmotiv 290–294 Makrosystem 44 Matrizentest 158 Mediengewalt 479, 482

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Sachregister Mehrebenenanalyse 226, 227 Mehrebenen-Modell der Persönlichkeit 565 Mental-Speed-Paradigma 174 Mesosystem 43 Methodenpluralismus 192 Mikrosystem 43 Mineralien 35, 36 Misserfolgsmotivierung 549 Mitgefühl 467, 473 Mobilitätspsychologie 572, 573, 578 Modell der Selektion, Optimierung und Kompensation 568, 569 Moderatorvariablen 112 molekulare Verhaltensgenetik 193, 196 Monitoring/Blunting 378 moralische Sozialisation 457 moralisches Urteil 460 – Test 460 Motivation 336, 337 Motivationsförderung 295 Motive 288–296, 301, 302 Motiventwicklung 291 motorische Theorie der Extraversion 260 MSWS 424 Myelinisierung 330

N Nahziele 443, 444 narrative Psychologie 123 Narzissmus 428 Negative Affektivität 406, 407, 409, 529 negative Verstärkung 82 NEO-Personality Inventory-Revised (NEO-PI-R) 100, 101 Neueinschätzung 403 neurale Effizienz 330 Neurotizismus 71, 73, 74, 97–99, 251, 252–254, 402, 404, 407, 417, 501, 503–506, 515, 517, 519, 520, 526, 529, 535, 537, 538, 540, 543 Neurotransmittersysteme 254 nomothetische Ansätze 127 nonreaktive Messung 457 Norm 301, 302 Novelty Seeking 75, 77, 78, 199, 200

O Oberflächeneigenschaften (surface traits) 95 objektiver Persönlichkeitstest 158–163 operante Konditionierung 83 Optimierung 568, 569

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Optimismus 446, 447, 451, 452, 527, 529, 532 – defensiver 447 – dispositionaler 448, 449 – funktionaler 451 – naiver 447 – unrealistischer 447, 448 optimistischer Attributionsstil 449, 450, 452 optimistischer Fehlschluss 447, 448 Organisationspsychologie 535 organismische Bewertung 62, 63, 65

P Paar-Assoziationen 391 Partnerähnlichkeit 501, 502, 505 Partnerpassung 505 Partnerschaft 501 partnerschaftliche Interaktion 503 Partnerschaftsforschung 506 Partnerschaftsqualität 506 Partnersuche 502 Partnerwahl 501, 502 Performanz 351 Person-Umwelt-Transaktion 45, 48 personale Ressourcen 524 Personismus 184, 186, 188 persönliche Disposition 129 persönliche Konstrukte 131 persönliche Verantwortung 461 persönliche Werte 301 persönliche Ziele 134, 279, 280, 281, 283–285 Persönlichkeit 15, 220–222, 227 Persönlichkeit-Umwelt-Passung 24 Persönlichkeitsdimension 231 Persönlichkeitseigenschaften 89, 512, 515–517, 519–521 Persönlichkeitsentwicklung 15, 39, 41, 43, 44, 46–48 16 Persönlichkeitsfaktorentest (16 PF) 96, 99 Persönlichkeitsfragebogen 139, 158 Persönlichkeitsmerkmale 209, 210 – explizite 42 – implizite 42 Persönlichkeitsmodell 184, 185 Persönlichkeitsstil und Störungs-Inventar (PSSI) 516 Persönlichkeitsstörung 513–517, 520, 521 Persönlichkeitssystem 40–42, 44 Persönlichkeitstypen 519

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Persönlichkeitszustand 112 Personvariablen 89–91 Perspektivenübernahme 467, 468, 478, 479 Pessimismus 451, 452, 527 phänomenologischer Ansatz 61, 62 Phrenologie 231 Polymorphismen 197 Positive Affektivität 408, 409 positive Illusionen 447 positive Psychologie 68, 464, 465 positive Verstärkung 82 positive Wertschätzung 62, 63, 64 Positronen-Emissions-Tomographie (PET) 254 präfrontale Asymmetrie 31 präfrontaler Kortex 330 prämorbide Persönlichkeit 517–519 Progesteron 27, 31 prosoziales Verhalten 457 prosoziale Persönlichkeit 460, 463 proximale Prozesse 45 Prüfungsängstlichkeitsinventar 389 Pseudoempirie 532 psychische Störungen 511, 514, 517, 518 Psychoanalyse 53, 56 Psychographie 127, 128 psychologisch-diagnostische Verfahren 158 psychologische Situation 85 psychophysiologische Korrelationen 186 psychosexuelle Entwicklung 55, 56, 58 Psychotherapie 520 Psychotizismus 72, 74, 77, 98

Q Q-Daten 95, 96, 100 Q-Sort-Technik 63, 64 QTL 200 qualitative Forschung 129 qualitative Verfahren 123 quantitative Trait Loci (QTL) 196 quantitative Verhaltensgenetik 193, 206 Quasiexperiment 167, 169 Querschnittstudie 217

R Rasch-Modell 161 Ratingskalen 137, 143, 144 Reaktionstendenzen 141 Real-Selbst 63, 64 reduktive Deskription 152 reduktive Einschätzung 152, 153

Regression Discontinuity Design 171 Regulationskompetenzen 419 Regulative Theorie des Temperaments (RTT) 247 relative Stabilität 106 Reliabilität 139 REP-Test 131 Repression-Sensitization 377, 379 Resilienz 484 respondente Konditionierung 83 Ressourcen 335–337, 340, 375, 564, 565, 569 Revised Dimensions of Temperament Survey (DOTS-R) 246 Reward Dependence 77, 78 Reziprozitätsnorm 498 Risiko 574–576 Risikofaktoren 524 Role Construct Repertory Test 119 Rosenberg-Skala 424

S Salutogenese 528 Scheidungsrisiko 504 Schwerpunkt der Angemessenheit 117 Selbst und Informationsverarbeitung 267, 272, 273 Selbst und Motivation 267, 269, 273, 274 Selbst-Fremddifferenzierung 471, 472 Selbstakzeptanz 428 – stabile 428 Selbstaufmerksamkeit 271, 272, 548 Selbstbeobachtung 150 Selbstbericht 137, 146 Selbstbestätigung 273 Selbstbestimmung 365–367 selbstbezogene Weisheit 343, 346 Selbstcharakterisierung 120 Selbstdarstellung 141, 486 Selbstdarstellungsstile 489 Selbstdefinition 268, 270 Selbstdiskrepanzen 271 Selbsteinsicht 342 Selbstgestaltung 47, 48 Selbstkomplexität 271, 274 Selbstkontrolle 362–365 Selbstkonzept 62–65, 266, 423, 553 – fähigkeitsbezogenes 553 Selbstkonzeptklarheit 271, 274 Selbstmotivierung 364, 367 Selbstratingverfahren 144

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Sachregister Selbstregulation 362, 365–367, 438, 439, 441, 443, 444, 459 Selbstschema 270, 267, 273 Selbststabilisierung 23 Selbstüberwachung 112, 488 – akquisitive 489 – protektive 489 – schwache 488 – starke 488 Selbstverwirklichung 65–67 Selbstwert 267, 273, 478 Selbstwertgefühl 274, 275, 423, 498 Selbstwertkontingenzen 425 Selbstwertquellen 425 Selbstwertschätzung 423 – defensive 427 – implizite 424 – instabile 428 Selbstwirksamkeit 438–444, 528, 529 – allgemeine 440, 441 – individuelle 442 – kollektive 442 – schulische 440, 441 – situationsspezifische 440 – spezifische 440 Selbstwirksamkeitserwartung 88, 438, 439, 441, 442 – allgemeine 451 Selbstwirksamkeitsüberzeugung 442 Selektion 568, 569 selektive Platzierung 207 Self Narrative 269 Self-Monitoring 488 Sensation-Seeking 74 Septum 253 Serotonintransporter 255 Sicherheit 573, 574 Sichtweise – individuumbezogen 123 – relational 123 Skalierung 161 SOK-Modell 569 Source Traits 96, 97 Soziabilität 245 sozial-kognitiver Ansatz 81 soziale Bezugsnorm 552 soziale Erwünschtheit 141, 142 soziale Intelligenz 327, 352 soziale Kompetenz 350, 354 soziale Lerntheorie 86, 87, 431, 432 soziale Rollen 310, 395

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soziale Unterstützung 283, 284, 409, 493 soziale Verantwortung 460, 462 soziale Werte 301 soziales Netzwerk 493, 495 soziales Verständnis 352 soziales Wissen 352 Sozialisation 310 Sozialisationstheorien 308 Sozialisationsunterschiede 314 sozialpsychologische Theorien 308, 310 spezifische (nicht geteilte) Umwelt 194 Stabilisierung 24 – kumulative 24 Stabilität 17, 213, 214, 216 – heterotype 20 State-Trait-Angstinventar 388 State-Trait-Operations-Angst 389 Stereotypenbedrohung 547 Stimmungen 413, 419 Streben nach einer gerechten Welt 462 Stress 253, 374, 402, 525 – und sozioökonomischer Status 402, 404–406 Stress-Puffer-Modell (buffering model) 496 Stressbewältigung („coping“) 374, 375, 402, 433, 525 Stressprozess 404, 405 Struktur der individuellen Persönlichkeit 40 subjektives Wohlbefinden (SWB) 278, 281–283, 413 – habituelles 413, 414 – momentanes 413, 414 subjektwissenschaftliche Ansätze 117 Suggestibilität 557, 558 Symptom 511, 520, 521 Syndrom 511, 512, 517 synergetische Interaktion 110, 111 synergetischer Moderatoreffekt 113, 114 Systemperspektive 337, 338 Systemtheorie 91

T T-Daten 96, 97 Tacit Knowledge 354, 358 TAT 290, 294 Temperament 244–249, 459 Temperament-und-Charakter-Inventar (TCI) 516 Temperamentsmerkmale 244–246, 248, 249 Temperamentstypen 246 Testleiterunabhängigkeit 160, 163

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Theorie der persönlichen Konstrukte 116, 118, 119 Trainingserfolg 536, 537 Trait 231, 232, 238, 396, 483 Trait-Aggressivität 476, 477, 479, 484 Transaktion 104, 109 transaktionales Modell 39 transsituative Konsistenz 106 Triebe 288, 289 Trierer Integriertes Persönlichkeitsinventar (TIPI) 512, 515, 517 Typ-A-Verhalten 407, 530 Typ-C-Verhalten 531 Typ-D-Verhalten 531 Typologie 234, 239

U Überdurchschnittlichkeits-Syndrom 446, 447 Umweltbewusstsein 577 Umweltdetermination 39 Umwelteinflüsse 206, 211 Umweltfaktor 23, 39 Umweltpsychologie 572, 573, 578 Universalien 221–223 Universalität 232 Unterdurchschnittlichkeits-Syndrom 447 Unterstützung – ausgeübte 494, 496, 498 – emotionale 494, 496 – erhaltene 494, 496 – in Dyaden 495, 496 – informationale 494 – instrumentelle 494 – intendierte 494 – wahrgenommene 494 Unverfälschbarkeit 162

V Validität 139, 537, 538, 540–543 – prädiktive 107 Variationsforschung 128 Veränderung 15, 209, 213, 214, 216 Verantwortung 573, 577 Verarbeitungseffizienz 391 Verhalten – abweichendes 556 Verhaltensbeobachtung 149 Verhaltensgenetik 193 Verhaltensmodelle 443, 444 Verhaltenspotenzial 85 Verhaltenssignatur 131, 132

Verhaltensspuren 153, 154 Verkehrsmittelwahl 575 Vermeidung – kognitive 377 Vermeidungsziele 282 Vermögen 87 Verrechnungsfairness 161–163 Verrechnungssicherheit 160 Verstärkungswert 85 Verträglichkeit 459 Vigilanz 377, 378 Vitamine 35, 36

W Wachstumspotenzial 61–63, 65–67, 69 Wahrnehmungsabwehr 379 Weisheit 342 Wertbegriff 298, 300 Wertedimensionen 300 Wertetyp 299, 300 Werthaltung 301–303 Wertorientierung 301, 303 Wertung 301 Wohlbefinden 413, 567, 570 Wohlbefindensmessung 414

Z Zeichensystem 152 Zeitreihenpläne 171 Zeitstichprobenplan 152 Zerstreuen/Grübeln 478 Zielaufrechterhaltung 568 Zielauswahl 568 Zielbindung 278, 279 Ziele 277, 282, 301, 363, 364, 366, 367, 566, 567 – fremdbestimmte 282 – persönliche 282 – selbstbestimmte 282 Zielhierarchien 280 Zielkonflikte 281, 569 Zielkonvergenz 569 Zielkonzepte 279 Zielmerkmale 280 Zielsetzung 278 Zielsystem 281 Zieltheorien 277, 278 Zielverfolgung 568, 569 Zivilcourage 458 Zufriedenheit 538, 541 Zwillingsstudien 29, 33, 205, 206

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