Psychokardiologie: Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen [3. Aufl. 2020] 978-3-662-58898-7, 978-3-662-58899-4

Die psychosomatische Diagnostik und Therapie hat eine zunehmend wichtige Bedeutung bei der Akutbehandlung, Prävention un

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Psychokardiologie: Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen [3. Aufl. 2020]
 978-3-662-58898-7, 978-3-662-58899-4

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIII
Grundzüge kardialer Erkrankungen (Christian Albus, Markus Haass)....Pages 1-37
Grundkonzepte der psychosomatischen Medizin (Christian Albus)....Pages 39-46
Ethische Fragestellungen in der Psychokardiologie (Peter Kampits)....Pages 47-53
Psychokardiologie entlang der Lebensspanne (Christoph Herrmann-Lingen)....Pages 55-58
Psychosomatische Problemfelder und Komorbiditäten am Beispiel der koronaren Herzkrankheit (Christian Albus, Christoph Herrmann-Lingen, Volker Köllner, Roland von Känel, Georg Titscher)....Pages 59-117
Weitere wichtige Krankheitsbilder und Interventionen in der Kardiologie (Christian Albus, Christoph Herrmann-Lingen, Volker Köllner, Georg Titscher)....Pages 119-182
Diagnostik (Christian Albus, Christoph Herrmann-Lingen)....Pages 183-198
Behandlung (Georg Titscher, Christian Albus, Annegret Boll-Klatt, Volker Köllner, Mary Princip, Roland von Känel et al.)....Pages 199-303
Psychokardiologische Fort- und Weiterbildungscurricula (Georg Titscher, Christoph Herrmann-Lingen)....Pages 305-311
Back Matter ....Pages 313-321

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Christoph Herrmann-Lingen Christian Albus · Georg Titscher Hrsg.

Psychokardiologie Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen 3. Auflage

Psychokardiologie

Christoph Herrmann-Lingen Christian Albus Georg Titscher (Hrsg.)

Psychokardiologie Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen 3. Auflage

Hrsg. Christoph Herrmann-Lingen Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland

Christian Albus Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinik Köln Köln, Deutschland

Georg Titscher Wien, Österreich

ISBN 978-3-662-58898-7 ISBN 978-3-662-58899-4  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-58899-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Ursprünglich erschienen 2014, 2008 in Deutscher Ärzte-Verlag GmbH, Köln © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Umschlaggestaltung: deblik Berlin Fotonachweis Umschlag: © freshidea/stock.adobe.com Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

V

Vorwort z Psychokardiologie: Psychosomatik im Herzen der Medizin

Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen die häufigste Todesursache in Deutschland und weltweit dar. Zugleich sind sie die weltweit häufigste Ursache krankheitsbedingter Beeinträchtigungen. Depression und Angststörungen folgen in den Industriestaaten bei gemeinsamer Zählung auf Platz zwei (7 https://www.who.int/healthinfo/global_burden_disease/estimates/en/index1.html). Hinsichtlich Arbeitsunfähigkeiten (Platz  2), Rehabilitationsbehandlungen (Platz  2) und Erwerbsunfähigkeitsrenten (Platz 1) liegen psychische Störungen in Deutschland und Österreich sogar weit vor den Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Komorbidität kardiovaskulärer und psychischer Erkrankungen stellt damit schon angesichts ihrer quantitativen Bedeutung eine enorme Herausforderung für die Medizin dar. Mehr noch als ihr zufälliges Zusammentreffen interessieren aber für die alltägliche Versorgung der Patienten1 wie auch für primär- und sekundärpräventive Ansätze die mittlerweile umfangreich erforschten wechselseitigen Zusammenhänge zwischen Herzerkrankung, Psyche und sozialer Umwelt. Aus diesem verbesserten Verständnis ergibt sich ein differenzierter, ganzheitlicher Zugang zum Patienten. In den Blickpunkt des Interesses geraten neben biomedizinischen Aspekten der Krankheit zunehmend die psychische und soziale Dimension des Krankseins und deren Bedeutung für die Gesundung bzw. das Leben mit der Erkrankung sowie für so wichtige Bereiche wie Gesundheitsverhalten, Behandlungsadhärenz und Lebensqualität. Seit vorchristlicher Zeit beschäftigt die Menschen der für die Meisten unmittelbar spürbare Zusammenhang zwischen Herz und Seele. Schon die Ägypter unterschieden, etwa im Ebers-Papyrus (16. vorchristliches Jh.), nicht eindeutig zwischen Herz und Psyche. Im babylonischen Gilgamesch-Epos füllt sich in einer erotischen Begegnung das Herz eines Mannes mit Freude. Zahllose Bilder begleiten das Herz seither als Spiegel der Psyche durch die Jahrtausende und Kulturen und haben es zum „Joker der deutschen Dichtung“ (Reich-Ranicki 1988) gemacht. Auch Entstehung und Verlauf von Herzerkrankungen sind seit jeher u. a. auf psychosoziale Einflüsse zurückgeführt worden. Im 3. vorchristlichen Jh. erkrankte der syrische Kronprinz Antiochus wegen der unglücklichen Liebe zu seiner angehenden Stiefmutter Stratonike am Herzen. „Aber in der Regel sind es nicht die Kardiologen, die den Helden der Literatur helfen können“ (Reich-Ranicki 1988). Der Kronprinz genas, als sein Vater ihm seine jugendliche Braut überließ. Anders in der biblischen Geschichte von Ananias und Saphira. Diesem Paar, Angehörige der als „ein Herz und eine Seele“ beschriebenen frühchristlichen Gemeinde, wurde eine Unterschlagung zum Verhängnis. Als Petrus Ananias zur Rede stellt und bemerkt, der Satan habe Ananias’ Herz erfüllt, stellt dieses seine Tätigkeit ein

1

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch für Personen aller Geschlechter in der Regel die männliche Form verwandt. Hiermit sind jeweils auch weibliche Personen und solche mit diverser Geschlechtszugehörigkeit gemeint, sofern nicht ausdrücklich auf ein bestimmtes Geschlecht verwiesen wird.

VI

Vorwort

und Ananias verstirbt plötzlich – ebenso wie einige Stunden später seine Frau Saphira, als sie vom Ableben ihres Mannes erfährt. Inwieweit solchen „folkloristischen“ Beschreibungen schon immer auch eine Volksweisheit zugrunde liege, fragte George Engel (1971) in einer Übersichtsarbeit zum psychogenen plötzlichen Herztod. Belastbare wissenschaftliche Evidenz zu den HerzSeele-Wechselwirkungen war bis zu diesem Zeitpunkt aber nur spärlich vorhanden. Erst Forschungen der letzten 30–40 Jahre haben dieses Bild mittlerweile grundlegend verändert. Und insbesondere in den letzten 20 Jahren hat sich die ehemalige Randposition der Psychosomatik in der Kardiologie deutlich gewandelt. Befassten sich noch 1998 nur gerade einmal drei von rund tausend Präsentationen auf der Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie mit im weiteren Sinne psychosomatischen Themen, gehören psychosoziale Fragestellungen heute als akzeptierter Bestandteil zum Spektrum kardiologischer Publikationen, Fachkongresse und Fortbildungsveranstaltungen. Und umgekehrt hat auch in der deutschsprachigen Psychosomatik die Psychokardiologie seit den späten 1990er-Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung erlebt. Die Gründung der Arbeitsgruppen Psychosomatik in der Kardiologie im Deutschen Kollegium für Psychosomatische Medizin sowie Kardiologische Psychosomatik in der Österreichischen Gesellschaft für Kardiologie im Jahr 1997, die Statuskonferenz Psychokardiologie (1998–2002) sowie die Gründung der Arbeitsgruppe Psychosoziale Kardiologie in der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie im Jahr 2001 markieren Meilensteine in der Wahrnehmung und Organisation der Psychokardiologie als relevantes interdisziplinäres Forschungs- und Versorgungsgebiet. Psychosomatische Fragestellungen werden seither zunehmend als Bereicherung kardiologischer Fachgesellschaften und Forschungsverbünde anerkannt; und in der Krankenversorgung mangelt es zumindest nicht an verbalen Bekenntnissen zur Bedeutung psychosozialer Faktoren. Psychosomatische Inhalte finden sich heute in zahlreichen kardiologischen Leitlinien und Positionspapieren und das eigenständige Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie zu psychosozialen Faktoren in der Kardiologie konnte im Jahr 2018 bereits in der dritten Auflage (Albus et al. 2018) veröffentlicht werden. Auch wenn diese Bekenntnisse noch bei Weitem nicht zu einer flächendeckenden psychokardiologischen Versorgung geführt haben, ist doch die Psychosomatik längst zum – trotz historischer Vorbehalte grundsätzlich anerkannten – Partner der Kardiologie herangewachsen. Der Weiterentwicklung dieser Partnerschaft ist auch dieses Buch gewidmet, das jetzt bereits in der dritten, sorgfältig aktualisierten und erweiterten Auflage vorliegt. Alle drei Herausgeber kennen als Internisten bzw. Kardiologen und Psychosomatiker/ Psychotherapeuten sowohl den Alltag der somatischen Kardiologie als auch die Besonderheiten der psychotherapeutischen Arbeit mit Herzpatienten. Wir möchten unsere kardiologischen und internistischen Kollegen einladen, sich noch intensiver auf die Begegnung mit ihren Patienten einzulassen und die ganzheitliche Sichtweise und Beziehungsaufnahme als professionelle wie persönliche Bereicherung zu erleben. Hierfür stellen wir in möglichst praxistauglicher Weise die wesentlichen Erkenntnisse der psychokardiologischen Forschung und unserer langjährigen Tätigkeit an der Schnittstelle zwischen Psychosomatik und Kardiologie zur Verfügung. Beiträge weiterer namhafter Autorinnen und Autoren runden das Themenspektrum ab.

VII Vorwort



Das Buch soll dem Internisten und Kardiologen, aber auch dem Hausarzt, einen informierten und differenzierten Zugang zu den psychischen und sozialen Krankheitsaspekten ihrer Patienten erleichtern und ihn mit zentralen psychischen Krankheitsbildern und ihren Behandlungsoptionen vertraut machen. Unsere psychotherapeutischen Kollegen wollen wir zugleich mit den somatischen Grundlagen der Herz-Kreislauf-Erkrankungen, den faszinierenden Herz-Seele-Interaktionen und den beeindruckenden therapeutischen Möglichkeiten der Kardiologie und Kardiochirurgie vertraut machen. Über einzelne therapeutische Schulen hinaus möchten wir damit die Besonderheiten in der beratenden und psychotherapeutischen Arbeit mit herzkranken Menschen verständlich machen, die sehr häufig neben einem Grundverständnis der Herzkrankheiten und ihrer Behandlung eine Adaptation psychotherapeutischer Techniken erfordern, die ja in der Regel an körperlich Gesunden entwickelt und evaluiert wurden. Die frühere kardiologische Haltung, der psychosomatische Zugang sei nichts als ein überflüssiger Luxus, können wir heute getrost als überholt ansehen. Aber auch der in der Vergangenheit oft geäußerte Vorbehalt von Psychotherapeuten, mit den häufig älteren und aus niedrigen sozialen Schichten stammenden Herzpatienten lasse sich wegen ihrer Leugnungsneigung und geringen „psychological mindedness“ nicht erfolgreich arbeiten, hat sich als zu kurzsichtig erwiesen. Das Wie eines psychosomatischen Zugangs zum Herzkranken wird bislang aber – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in internistisch-kardiologischen Curricula kaum und auch in der psychotherapeutischen Aus- oder Weiterbildung noch nicht flächendeckend unterrichtet. Es kann selbstverständlich auch nicht allein aus einem Lehrbuch erlernt werden. Das vorliegende Buch kann daher keine psychokardiologische Ausbildung ersetzen; es soll aber einen Bezugsrahmen aufspannen, vor dem sowohl der primär somatisch als auch der primär psychotherapeutisch Tätige eigene Erfahrungen sammeln, einordnen und in vertiefenden Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen, Supervisionen oder Balintgruppen reflektieren kann. Die in 7 Kap. 9 beschriebenen psychokardiologischen Curricula ermöglichen es Interessierten, das Gelesene in interprofessionellen Gruppen zu vertiefen und praktisch zu erproben. Diese Curricula dienen besonders auch dem Gespräch der Professionen untereinander und dem Lernen voneinander. Der interdisziplinäre und interprofessionelle Dialog und die Integration von Psychosomatikern/Psychotherapeuten in kardiologische Behandlungsteams sollte – ähnlich wie in der Onkologie – nicht nur den (zahlenmäßig zudem unzureichend mit Psychologen ausgestatteten) Rehabilitationseinrichtungen vorbehalten bleiben. In vielen Fällen ist sowohl in der Akutklinik als auch in der langfristigen ambulanten Betreuung der Patienten eine Zusammenarbeit von Somatikern und Psychotherapeuten sinnvoll oder sogar notwendig. Nicht in allen Fällen kann die Integration psychosozialer und somatischer Krankheitsaspekte allein durch den Hausarzt geleistet werden sondern sie erfordert vielfach eine Teamarbeit unterschiedlicher Experten. In den letzten 10 Jahren haben bereits zahlreiche Kardiologen psychokardiologische Zusatzkompetenzen erworben und zunehmend etablieren sich an Herzzentren psychokardiologische bzw. psychokardiochirurgische Konsiliar- und Liaisondienste. Idealerweise sollte diese Zusammenarbeit von gegenseitigem Respekt, wechselseitiger Lernbereitschaft und dem Interesse an der Integration der in den verschiedenartig gestalteten Teilbeziehungen gewonnenen Erkenntnisse zu einem vertieften Gesamtverständnis des Patienten mit seinen körperlichen und psychischen Anteilen sowie seinem sozialen Lebensumfeld

VIII

Vorwort

getragen sein. Als Dritter in diesem Bunde kann der Patient sich kompetent somatisch behandelt, zugleich aber ebenfalls verstanden und wertgeschätzt fühlen, was ihm die notwendige verantwortliche Mitarbeit nicht nur bei der Überwindung der akuten Krankheit, sondern auch bei der Wiedergewinnung von Gesundheit und Lebensqualität wesentlich erleichtert und als entscheidende Voraussetzung auch die Wirksamkeit der somatischen Behandlung und (Sekundär-)Prävention sichert. Krankheitswertige psychische Komorbidität kann im interdisziplinären Zugang zudem wesentlich besser als bisher erkannt und innerhalb eines Gesamt-Behandlungsplans kompetent therapiert werden. Dieses Buch ist im Jahr 2007 gestartet als ein Experiment, das zeigen sollte, ob es gelingt, das durch persönliche Beziehungs- und Schnittstellenarbeit Erreichte auch in Form eines Lehrbuchs lebendig werden zu lassen. Mit seinem Anspruch der Interdisziplinarität und Praxistauglichkeit sollte es kein Fachlehrbuch der Kardiologie oder der psychosomatischen Medizin ersetzen. Mit seiner Zwischenstellung verweist es den Leser für manche spezielle Fragestellung bewusst auf weiterführende Literatur. Zugleich versucht es Lücken zu schließen, die bislang zwischen den Spezialgebieten klafften. Die große Resonanz auf die ersten beiden Auflagen sowie außerordentlich positive Erfahrungen mit dem wechselseitigen Lernprozess von Kardiologen und Psychotherapeuten in mittlerweile über 15 Psychokardiologie-Kursen waren uns Ansporn, mit der vorliegenden Neuauflage dem eingegangenen Feedback und der Weiterentwicklung des Gebiets Rechnung zu tragen. Stärker als in den Vorauflagen verweisen wir auf wichtige aktuelle Literaturbefunde und Leitlinien, ohne dabei aber den im Mittelpunkt stehenden Praxisbezug aufzugeben. Wir danken dem Springer-Verlag für die Möglichkeit, das bislang erfolgreiche Projekt nach Rückzug des bisherigen Verlegers mit neuem Gesicht fortführen zu können und wünschen allen Leserinnen und Lesern eine anregende Lektüre und vor allem viele bereichernde Erfahrungen in der psychokardiologischen Arbeit. Christoph Herrmann-Lingen Christian Albus Georg Titscher

Göttingen, Köln und Wien im April 2019

IX

Inhaltsverzeichnis 1

Grundzüge kardialer Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Christian Albus und Markus Haass

2

Grundkonzepte der psychosomatischen Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Christian Albus

3

Ethische Fragestellungen in der Psychokardiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Peter Kampits

4

Psychokardiologie entlang der Lebensspanne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Christoph Herrmann-Lingen

5

Psychosomatische Problemfelder und Komorbiditäten am Beispiel der koronaren Herzkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Christian Albus, Christoph Herrmann-Lingen, Volker Köllner, Roland von Känel und Georg Titscher

6

Weitere wichtige Krankheitsbilder und Interventionen in der Kardiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Christian Albus, Christoph Herrmann-Lingen, Volker Köllner und Georg Titscher

7

Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Christian Albus und Christoph Herrmann-Lingen

8

Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Georg Titscher, Christian Albus, Annegret Boll-Klatt, Volker Köllner, Mary Princip, Roland von Känel und Christoph Herrmann-Lingen

9

Psychokardiologische Fort- und Weiterbildungscurricula . . . . . . . . . . . . . . . 305 Georg Titscher und Christoph Herrmann-Lingen

Serviceteil Adressenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

Herausgeber‐ und Autorenverzeichnis Über die Herausgeber Univ.-Prof. Dr. med. Christoph Herrmann-Lingen Facharzt für Innere Medizin sowie Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen. Forschungsschwerpunkte: Psychokardiologie, Psychodiagnostik bei körperlich Kranken. Präsident des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM), Past President der American Psychosomatic Society, Präsidiumsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften. Mitarbeit an nationalen und internationalen Leitlinien und Positionspapieren. 2017 Erhalt des Hans Roemer Preises für Psychosomatische Forschung des DKPM.

Prof. Dr. med. Christian Albus, FESC Facharzt für Innere Medizin sowie Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Leiter der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Universität zu Köln. Forschungsschwerpunkte sind psychosoziale Aspekte und psychische Komorbidität bei körperlichen Erkrankungen, v.a. Koronare Herzkrankheit und Diabetes mellitus. Mitarbeit in zahlreichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften und nationalen und internationalen Leitlinien. In 2005 und 2017 Erhalt des Hans Roemer Preises für Psychosomatische Forschung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin, in 2016 des International Collaboration Awards der International Society of Behavioral Medicine. Seit 2011 Fellow of the European Society of Cardiology (FESC).

Ass.-Prof. Dr. med. Georg Titscher Facharzt f. Innere Medizin - Kardiologie, Psychotherapeut (Individual­ psychologie), Ass.-Prof. für Psychokardiologie d. Sigmund FreudUniversität Wien, Lehrtherapeut der Österr. Ärztekammer, ehem. Leiter des Psychokardiologie-Schwerpunktes des Hanusch-Krankenhauses Wien, Gründer der Arbeitsgruppe „Kardiologische Psychosomatik“ der Österr. Ges. f. Kardiologie. Arbeitsschwerpunkte und Publikationen zu den Themen: Psychokardiologie, Integration der Psychokardiologie, Partnerproblematik bei KHK, psy­cho­ analytische Interpretationen von Opern.

XI Herausgeber‐ und Autorenverzeichnis



Autorenverzeichnis Christian Albus Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie Universitätsklinik Köln Köln, Deutschland [email protected] Annegret Boll-Klatt Institut für Psychotherapie Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Hamburg, Deutschland [email protected] Markus Haass Innere Medizin II, Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin Theresienkrankenhaus Mannheim, Deutschland [email protected] Christoph Herrmann-Lingen Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universitätsmedizin Göttingen Georg-August-Universität Göttingen, Deutschland [email protected]

Peter Kampits Wien, Österreich [email protected] Volker Köllner Reha-Zentrum Seehof Teltow, Deutschland [email protected] Mary Princip UniversitätsSpital Zürich Zürich, Schweiz [email protected] Georg Titscher Wien, Österreich [email protected] Roland von Känel Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik UniversitätsSpital Zürich Zürich, Schweiz [email protected]

Abkürzungsverzeichnis ACE-Hemmer ADS AED ANP AP APPM APS ASS ATl-Blocker ATP AU AV-Block AV-Knoten AVNRT AWMF

BDI BfA BMI BNP C/L-Dienst CBASP CCU CIDI CPU CRH CRP CRT CT DEC-Syndrom DEGAM

A ngiotensinkonversionsen­ zym-Hemmer Allgemeine Depressionsskala Automatischer elektrischer Defibrillator Atrial natriuretic peptide Angina pectoris Akademie für Psychosomati­ sche und Psychosoziale Medizin American Psychosomatic Society Azetylsalizylsäure Angiotensin-l-Rezeptor-­ Antagomsten Antitachykardes Pacing Arbeitsunfähigkeit Atrioventrikularer Block Atrioventrikularknoten AV-nodale Reentry-Tachykardie Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften Beck-Depressions-Inventar Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Body-Mass-Index Bram natriuretic peptide Konsiliar-Liaison-Dienst Cogmtive Behavioral Analysis System of Psychotherapy Coronary care unit, Intensivstation Composite International ­Diagnostic Interview Chest Pam Unit(s) Corticotropin-releasing ­hormone C-reaktives Protein Kardiale Resynchronisationstherapie Computertomografie Depression, erektile Dysfunktion, koronare Herzkrankheit Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

DGE DGK DGPR

DIA-X-Interview DIPS DKPM DSM-IV

EACLPP EAPM EBM ECPR ED EKG EMAH EMDR EPU ESC

 eutsche Gesellschaft für D Ernährung Deutsche Gesellschaft für Kardiologie Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen Diagnostisches Expertensystem für Psychische Störungen Diagnostische Interviews bei psychischen Störungen Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 4. Revision E uropean Association for ­Consultation-Liaison Psychiatry and Psychosomatics European Association of ­Psychosomatic Mediane 1. Evidenzbasierte Medizin, 2. Einheitlicher Bewertungsmaßstab European Conferences of Psychosomatic Research Erektile Dysfunktion Elektrokardiogramm Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern Eye Movement Desensitization and Reprocessing Elektrophysiologische Untersuchung European Society of ­Cardiology

FFR FSD F-SozU

Fractional Flow Reserve Female sexual dysfunction Fragebogen zur sozialen Unterstützung

GAS G-I-N

Generalisierte Angststörung Guidelines International Network

HADS

 ospital Anxiety and H Depression Scale Herzangstfragebogen

HAF

XIII Abkürzungsverzeichnis

HbA1c HCT HDL HFpEF

Hämoglobin A1c Hydrochlorothiazid High-density lipoprotein Heart Failure with Preserved Ejection Fraction Humanes-Immundefizienzvirus Herzrhythmusstörungen

ÖKG

PTBS

i. v.

Implantierbarer Cardioverter/ Defibrillator International Classification of Diseases, 10 Revision Internationale Diagnose Checklisten Interleukin International normalized ratio Intravenös

KHK KVT

Koronare Herzkrankheit Kognitive Verhaltenstherapie

LAD

L eft anterior descending [artery], linke vordere Koronararterie Left coronary artery, linke Koronararterie Low-density lipoprotein

HIV HRST ICD ICD-10 IDCL IL INR

LCA LDL MBSR MBT MINI-DIPS mmHg MRT NSTEMI NYHA

Mindfulness-based stress reduction Mentalisierungsbasierte ­Therapie Diagnostisches Kurzinterview bei psychischen Störungen Millimeter Quecksilbersäule Magnetresonanztomografie N icht-ST-StreckenhebungsInfarkt New York Heart Association

OPD PCI PHQ-9

PTCA RCA RCX RR SA-Block SCL SDM SES SKID SPIRR-CAD SSRI STAI STEMI TABP TAVI TNF VOR WHO



Österreichische kardiologische Gesellschaft Operationalisierte psychodynamische Diagnostik Perkutane Koronarintervention Patient Health Questionnaire-9 Posttraumatische Belastungsstörung Perkutane transluminale Koronarangioplastie  ight coronary artery, rechte R Koronararterie Ramus circumflexus, linke hintere Koronararterie Riva-Rocci, Blutdruck Sinuatrialer Block Symptom-Checkliste Shared decision making Socio-economic Status Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV A Stepwise Psychotherapy Intervention to Reduce Risk in Coronary Artery Disease Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer State Trait Anxiety Inventory ST-Streckenhebungs-Infarkt Type A behavior pattern Kathetergestützte Aortenklappenimplantation Tumor-Nekrose-Faktor Verhaltensmedizinisch orientierte Rehabilitation World Health Organization

1

Grundzüge kardialer Erkrankungen Christian Albus und Markus Haass

1.1 Einführung in die normale Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislaufsystems – 2 1.2 Arterielle Hypertonie – 6 1.3 Koronare Herzerkrankung – 11 1.4 Herzinsuffizienz – 19 1.5 Herzrhythmusstörungen – 25 1.6 Herzfehler – 31

Literatur – 37

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Herrmann-Lingen, C. Albus, G. Titscher (Hrsg.), Psychokardiologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58899-4_1

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2

1

C. Albus und M. Haass

Ein intaktes Herz-Kreislaufsystem ist von grundlegender Bedeutung für die Lebensfähigkeit eines Menschen. Zum Beispiel kann eine akute Unterbrechung der Blutzirkulation – wie beim „Herzstillstand“ – binnen weniger Sekunden zur Bewusstlosigkeit und nach weiteren drei bis acht Minuten zu irreversiblen Schädigungen des zentralen Nervensystems mit Todesfolge führen. Aber auch subakute oder chronische Störungen des Herz-Kreislaufsystems wie bei Koronarer Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen oder Herzfehlern

können zu wesentlichen Beeinträchtigungen der Blutzirkulation mit erheblichem subjektiven und objektiven Krankheitswert führen. Für ein fundiertes Verständnis psychokardiologischer Zusammenhänge ist eine Einführung in die Grundzüge der wichtigsten kardiologischen Erkrankungen und Therapieansätze unverzichtbar. Hierbei erleichtern Basis-Kenntnisse der normalen Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislaufsystems wesentlich das Verständnis der entsprechenden Krankheiten, weshalb diese der eigentlichen Krankheitslehre vorangestellt werden.

1.1  Einführung in die normale

Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislaufsystems

Das Herz-Kreislaufsystem hat die Funktion, die Durchblutung des gesamten Körpers sicherzustellen. Ohne eine kontinuierliche Durchblutung kommt die lebensnotwendige Versorgung des Organismus mit Sauerstoff und Stoffwechsel­ substraten (e.g. Zucker, Fette, Eiweiße), Mineralien und Hormonen sowie ­Gerinnungs- und Immunfunktionen zum Erliegen. Das Herz-Kreislaufsystem ist aufgebaut als geschlossenes System mit zwei miteinander verschränkten Subsystemen: dem Körper- und dem Lungenkreislauf. Während der Lungenkreislauf die Durchblutung der Lunge (und damit die Sauerstoffanreicherung des Blutes) sicherstellt, dient der Körperkreislauf der Versorgung der anderen inneren Organe (e.g. Gehirn, Leber, Magen-Darm-Trakt), der Haut und des muskulo-skelettalen Systems. Blutgefäße, die vom

Herzen fortführen, heißen Arterien, Gefäße, die zum Herzen hinführen, Venen. Blut, das über die Arterien zu den entsprechenden Organen bzw. Geweben gelangt, durchströmt diese in kleinsten Kapillaren und wird nachfolgend in Venen gesammelt, in denen es zum Herzen zurückfließt. Das Herz-Kreislaufsystem weist vielfältige Vernetzungen mit neuronalen und hormonalen Systemen auf, wodurch im Normalfall ein hohes Maß an Adaptivität an äußere und innere Reize (z. B. Steigerung der Herzfrequenz und des Blutdrucks bei körperlicher Aktivität und psychischer Erregung) erreicht wird. Eine schematische Vorstellung der Arterien im Körperkreislauf vermittelt . Abb. 1.1. Im Zentrum des Herz-Kreislaufsystems steht das Herz, das – vereinfacht – wie eine Pumpe mit zwei Hälften aufgebaut ist. Jede Hälfte umfasst einem Vorhof (Atrium) und eine Kammer (Ventrikel), sodass sich im ganzen vier Herzhöhlen ergeben (vgl. . Abb. 1.2). Die anatomisch linke Hälfte versorgt den Körper- und die rechte Hälfte den Lungenkreislauf. Der rechte Ventrikel pumpt sauerstoffarmes Blut über die Lungenarterien durch die Lunge, wonach es – mit Sauerstoff angereichert – über die Lungenvenen zum linken Vorhof gelangt. Von da fließt es in den linken Ventrikel und wird über die Aorta und die weiteren Körperarterien in die anderen inneren Organe, die Haut und das muskulo-skelettale System gepumpt (vgl. oben). Die Venen leiten das sauerstoffarme Blut zurück zum rechten Vorhof, aus dem es in den rechten Ventrikel (s. o.) übertritt. Die Blutversorgung des Herzens selbst erfolgt durch die Koronararterien („Herzkranzgefäße“, siehe . Abb. 1.3). Die Koronararterien (Durchmesser i. d. R. 2–4 mm) entspringen aus der Aorta kurz oberhalb der Herzens in Form von zwei großen Gefäßen (linker Hauptstamm und rechte Koronararterie [RCA]). Der linke Hauptstamm verzweigt sich im weiteren Verlauf in zwei Äste (linke vordere [LAD] und linke hintere Koronararterie [RCX]). Diese drei großen Äste verzweigen sich später in zahlreiche kleinere Gefäße, auf deren Benennung an dieser Stelle verzichtet wird.

3 Grundzüge kardialer Erkrankungen

Truncus brachiocephalicus A. Carotis communis sinistra

Aorta, Pars ascendens

Arcus aortae

Pars thoracica aotrae A. mesenterica superior A. renalis A. testicularis (ovarica) Pars abdominalis aortae A. iliaca communis

A. iliaca interna A. iliaca externa A. femoralis

. Abb. 1.1  Arterien des Körperkreislaufes. (Aus: Schmidt und Unsicker 2003)

1

4

C. Albus und M. Haass

1

. Abb. 1.2  Herz im Querschnitt. (Aus: Schmidt und Unsicker 2003)

. Abb. 1.3  Herz mit Koronargefäßen. Ansicht von vorn (a) und von hinten (b). (Aus: Schmidt und Unsicker 2003)

Die Koronararterien sind von größter Bedeutung für die normale Funktion des Herzens; Verkalkungen mit Einengungen („Stenosen“) wie bei koronarer Herzkrankheit oder ein akuter Verschluss wie beim Herzinfarkt lösen u.  U. schwere Durchblutungsstörungen des Herzmuskels mit einer kritischen Abnahme der Pumpfunktion

(„Herzinsuffizienz“) und/oder Herzrhythmusstörungen aus.

Die Pumpfunktion des Herzens ergibt sich aus seinem anatomischen Aufbau: Die Vorhöfe und Ventrikel sind Hohlmuskeln, deren zirkuläre und axiale Kontraktionen zu einem (partiellen) Auswurf des Blutes durch die Herzklappen führen. Die vier Herzklappen

5 Grundzüge kardialer Erkrankungen

(jeweils eine zwischen den Vorhöfen und den Ventrikeln bzw. jeweils eine an der Ausflussbahn des linken bzw. rechten Ventrikels) funktionieren wie Rückschlagventile und geben den Durchfluss nur in eine bestimmte Richtung frei (aus den Vorhöfen in die Ventrikel bzw. von dort in die jeweiligen Arterien). Eine Einengung der Strombahn bzw. ein Rückfluss in die falsche Richtung wie bei Herzklappenfehlern können zu gravierenden Störungen der Blutzirkulation führen. Die Kontraktionen der Herzmuskulatur werden durch ein komplexes Reizleitungssystem ausgelöst, bei dem ein in Höhe des rechten Herzvorhofes gelegenes Zentrum („Sinusknoten“) einen rhythmischen, elektrischen Impuls generiert, der über verzweigte Nervenfasern zuerst in die Vorhöfe und dann über den sogenannten AV-Knoten (= Atrioventrikularknoten) in die Ventrikel fortgeleitet wird. Entsprechend kontrahieren sich zunächst die Vorhöfe, wodurch die Ventrikel zusätzlich mit Blut gefüllt werden. Ein größerer Teil der Ventrikelfüllung erfolgt bereits vor der Vorhofkontraktion passiv durch Erschlaffung der Kammermuskulatur (Verhältnis beim Gesunden etwas 70:30). Etwa 150 ms danach kontrahieren sich die Ventrikel und das Blut wird in den Körper- bzw. Lungenkreislauf ausgeworfen. Die elektrische Aktivität des herzeigenen Reizleitungssystems kann auf der Körperoberfläche mittels eines Elektrokardiogramms (EKG) abgeleitet werden und erlaubt vielfältige Aussagen über wesentliche Parameter der Herzfunktion, u. a. die Herzfrequenz und den Herzrhythmus. Die Herzfrequenz entspricht den Kontraktionen der Vorhöfe bzw. der Ventrikel und liegt in Ruhe beim Gesunden zwischen 60 und 80/min. Die Herzfrequenz unterliegt einem komplexen Regelsystem, in dem – verkürzt dargestellt – eine verstärkte Aktivierung des Sinusknotens durch das sympathische Nervensystem und das Stresshormon Adrenalin zu einer ausgeprägten Steigerung der Herzfrequenz führen kann (bei gesunden, jungen Menschen bis 200/min). Ein Abfallen des Adrenalins bzw. eine Aktivierung des

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Parasympathikus/Vagus („Gegenspieler“ des Sympathikus) führen zu einem Absinken der Herzfrequenz. Darüber hinaus nimmt die Herzfrequenzvariabilität (i.e. dem Ausmaß, in dem die Abstände zwischen den einzelnen Herzaktionen voneinander abweichen) zu, was einen potenten Schutzfaktor vor Herzrhythmusstörungen darstellt. Der Blutdruck (im Körperkreislauf) wird durch die Kontraktionen des linken Ventrikels erzeugt, wobei die Arterien des Körperkreislaufs bzw. ihre kleinen Endäste, die Arteriolen, dem ausströmenden Blut einen gewissen Widerstand entgegensetzen, sodass eine kontinuierliche Druckkurve mit einem maximalen (systolischer) und einem minimalen (diastolischer) Blutdruck entsteht. Die Höhe des Blutdrucks ist damit sowohl von der Stärke der Herzkontraktion (stark = hoher Druck) als auch von der Regulierung der Blutgefäßweite (eng =  hoher Druck) abhängig und beträgt in Ruhe beim Gesunden ca. 120/80 mmHg (Millimeter Quecksilber-Säule). Beide Stellgrößen werden u.  a. durch das vegetative Nervensystem und die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin beeinflusst, wobei ein starker Sympathikus-Einfluss bzw. hohe Adrenalin/Noradrenalin-Spiegel zu hohen Blutdruckwerten führen können. Anhaltend erhöhte Blutdruckwerte (≥140/90 mmHg) wie bei arterieller Hypertonie können zu schweren Folgeerkrankungen wie Schlaganfall oder generalisierter Arteriosklerose beitragen. Ein starker Abfall des Blutdrucks mit kritischer Minderdurchblutung wichtiger Organe (v. a. Niere, Gehirn, Darm) findet sich z. B. bei der schweren, akuten Herzinsuffizienz, hier ursächlich auf einem Pumpversagen des Herzens beruhend („kardiogener Schock“). Eine sinnliche Erfahrung der Herzfunktion ermöglichen zwei physiologische Phänomene: Puls und Herzgeräusche. Der Puls entsteht durch die Druck- bzw. Strömungswelle des Blutes während der Kontraktionsphase des linken Ventrikels und kann v. a. bei steigendem Blutdruck und erhöhter Frequenz leicht bei sich selbst in Brustkorb und Hals wahrgenommen werden. Dies gilt besonders, wenn

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der Puls durch Herzrhythmusstörungen unregelmäßig wird („Herzstolpern“). Die Herztöne („erster und zweiter Herzton“) können beim Gesunden nur mithilfe eines Stethoskops oder durch direktes Auflegen des Ohres gehört werden. Der erste Herzton entspricht der Kontraktion der Ventrikel, der zweite wird i. w. durch den Schluss der Aortenklappe (zwischen li. Ventrikel und Aorta) gebildet. Nach Implantation künstlicher Klappen können die Herztöne so laut werden, dass sie vom Betroffenen und sogar in der Umgebung gehört werden. Bei Herzklappenfehlern (s. u.) kommt es zum Auftreten von Herzgeräuschen, die von den Herztönen zu unterscheiden sind und durch Turbulenzen des Blutflusses z. B. aufgrund verengter oder undichter Herzklappen zustande kommen. 1.2  Arterielle Hypertonie z Epidemiologie und klinische Bedeutung

Die arterielle Hypertonie – vereinfacht definiert als Blutdruckwerte >140/90 mmHg – ist mit einer Prävalenz von ca. 25 % in westlichen Industrienationen eine der häufigsten chronischen Erkrankungen. Dabei besteht ein ausgeprägter Altersgradient: Bei 20-jährigen sind unter 10 % betroffen, bei über 65-­ jährigen aber mehr 50 %. und über 75-jährigen 75 %. Dieser Zusammenhang hat früher zu der Einschätzung beigetragen, dass höhere Blutdruckwerte im Alter klinisch unbedenklich seien; für einen „normalen“ systolischen Blutdruck galt die Faustformel „100 plus Alter“. Mittlerweile ist jedoch durch zahlreiche epidemiologische Studien belegt, dass die arterielle Hypertonie in jedem Lebensalter einen signifikanten Risikofaktor für die Entwicklung eines Schlaganfalles, einer koronaren Herzerkrankung, einer Herzinsuffizienz und einer Niereninsuffizienz darstellt. Darüber hinaus besteht ein Zusammenhang mit dem gehäuften Auftreten einer Demenz. Entsprechend ist die arterielle Hypertonie allein schon aufgrund der großen Verbreitung von herausragender klinischer und

sozioökonomischer Bedeutung. Aus epidemiologischer Sicht sind dabei sowohl die hohe Rate nicht-diagnostizierter Kranker („Dunkelziffer“, ca. 30 %), als auch die nicht bzw. nicht ausreichend behandelter Kranker (ca. 60 % der bereits diagnostizierten Hypertoniker) bemerkenswert. z Klinik

Die hohe Dunkelziffer in der Prävalenz der arteriellen Hypertonie wird vor allem dadurch erklärt, dass ein dauerhaft leicht- bis mittelgradig erhöhter Blutdruck subjektiv in der Regel nicht wahrgenommen wird. Entsprechend können unbemerkt über viele Jahre pathologische Blutdruckwerte vorliegen. Schlimmstenfalls führt erst das Auftreten von Folgeerkrankungen – z. B. einem Schlaganfall oder Herzinfarkt – zur Entdeckung des vorbestehenden Risikofaktors. Entsprechend wichtig ist ein möglichst frühes Screening, in dem z. B. bei jedem Arztbesuch obligatorisch der Blutdruck gemessen werden sollte. Stärkere Blutdruckschwankungen mit situativ erhöhten Werten (z. B. 160/90 mmHg) werden jedoch besser wahrgenommen. Dies gilt vor allem, wenn sie mit einer Steigerung der Herzfrequenz verknüpft sind. Dann erleben viele Patienten ein „Klopfen“ oder „Hämmern“ in der Halsregion und im Kopf, was einer verstärkten Dehnung der Carotiden (Halsschlagadern) bzw. der Gefäße an der Hirnbasis entspricht. Die erstmalige Konfrontation mit einem derartigen Symptom führt nicht selten zur Inanspruchnahme eines Arztes, wobei dann unter Umständen die Diagnose einer arteriellen Hypertonie gestellt wird (zum Vorgehen in der Diagnostik siehe unten). Menschen mit arterieller Hypertonie haben allerdings in der Regel eine erhöhte Blutdruck-Reaktivität, sodass eine ­ situative Blutdrucksteigerung auf dem Boden erhöhter Basis-Werte unter Umständen in eine hypertensive Krise mit Blutdruckwerten >230/130 mmHg einmünden kann. Die hypertensive Krise ist ein akutes, schweres Krankheitsbild, das mit starken Kopfschmerzen,

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Schwindel und Sehstörungen einhergeht. Unter Umständen kann es auch zu einem Kollaps oder zu lebensbedrohlichen Organschäden, z. B. einer Hirnblutung kommen. Auf jeden Fall handelt es sich um einen Notfall, der sofortiger medizinischer Hilfe bedarf. z Ätiologie und Pathogenese

Bei gut 90 % der Patienten lässt sich keine umschriebene Ursache für die Krankheit zu identifizieren, sodass in diesen Fällen von einer „primären“ oder auch „essenziellen“ Hypertonie gesprochen wird. Die primäre Hypertonie ist eine multifaktorielle Erkrankung, deren Auftretenswahrscheinlichkeit zu etwa 60 % durch genetische Faktoren erklärt wird. Dabei handelt es sich in den seltensten Fällen um eine monogenetische Vererbung, sondern es wird von einer polygenetisch bedingten Risikoerhöhung ausgegangen, die häufig erst in Kombination mit weiteren lebensstilbezogenen Faktoren zu einer Manifestation bzw. ausgeprägteren Schweregraden der Erkrankung führt. Von entscheidender Bedeutung ist dabei das sogenannte „metabolische Syndrom“, eine Kombination aus Adipositas, B ­ lutzuckerund Fettstoffwechselstörung, die sehr häufig auch mit einer arteriellen Hypertonie verknüpft ist. Es handelt sich dabei um eine komplexe Stoffwechselpathologie, deren Kern eine verminderte Wirksamkeit des körpereigenen Insulins darstellt („Insulinresistenz“). Die Entwicklung eines metabolischen Syndroms ist dabei eng mit dem Ausmaß der sog. „viszeralen Adipositas“ (i.e. bauchbetontes Übergewicht) verknüpft, die ihrerseits meist Folge zweier „klassischer“ verhaltensbezogener Risikofaktoren ist: Fehl- resp. Überernährung und Bewegungsmangel (vgl. auch den Abschnitt über die koronare Herzerkrankung). Weitere verhaltensbezogene Faktoren, die eine primäre Hypertonie begünstigen sind Rauchen, übermäßiger Salz-, Kaffee- und Alkoholkonsum. Diese Verhaltensweisen sind jedoch ihrerseits eingebunden in einen

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übergeordneten psychosozialen Kontext, in den neben Schicht- und Bildungsaspekten auch individuelle Faktoren (z. B. Depressivität, Angststörungen, Suchterkrankungen, sonstige Erlebens- und Verhaltensmuster) hineinspielen (vgl. 7 Abschn. 5.1 und 5.2). Unter psychosomatischer Perspektive ist ferner wichtig, dass der Blutdruck an sich eine in hohem Maß von s­ubjektiven und umgebungsbedingten Faktoren abhängige, schwankende Größe ist (Blutdruck-­Reaktivität). Zum Beispiel kann schon die Konfrontation mit der Messung des Blutdrucks durch den Arzt zu einer situativen Erhöhung der Blutdruckwerte führen („Weißkittel-Hypertonie“). Die Blutdruck-Reaktivität ist dabei umso stärker, je ausgeprägter bestimmte situative („Stress“, Lärmbelastung etc.) und persönlichkeitsbezogene Merkmale (z. B. herausfordernde Situation; Feindseligkeit) vorliegen. Näheres zu psychosomatischen Aspekten der arteriellen Hypertonie findet sich in 7 Abschn. 6.2. Die restlichen ca.  10  % der Ursachen werden unter dem Oberbegriff „sekundäre“ Hypertonie zusammengefasst. Hierunter versteht man eine inhomogene Gruppe aus organischen Erkrankungen und Nebenwirkungen von Medikamenten, die nachfolgend kurz vorgestellt werden: 5 Renale Hypertonie (ca. 3–5 %): Störungen der Nierenfunktion (z. B. Glomerulonephritis, Zystenieren etc.) oder Störungen der Nierendurchblutung bei Nierenarterienstenose. 5 Medikamente (ca. 2 %): v. a. Ovulationshemmer, Kortison, Psychopharmaka etc. 5 Endokrine Störungen (ca. 1 %): z. B. Primärer Hyperaldosteronismus (Aldosteron-produzierender Tumor = Conn-Syndrom), Hyperthyreose (Schilddrüsen-Überfunktion), Phäochromozytom (Adrenalin-/­Noradrenalinproduzierender Tumor) etc. 5 Schlafapnoesyndrom (ca. 3–5 %): Fehlender nächtlicher Blutdruckabfall („Non-Dipper“) infolge Apnoe bedingter Arousal-Reaktionen mit Sympathikus-Aktivierung; klinisch häufig Tagesmüdigkeit.

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