Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System : Ein Praxisleitfaden für mittelständische Unternehmen [1. Aufl. 2020] 978-3-658-26955-5, 978-3-658-26956-2

Dieses Buch liefert praktisches Handwerkszeug für ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) in mittelständischen Unt

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German Pages XVI, 178 [171] Year 2020

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Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System : Ein Praxisleitfaden für mittelständische Unternehmen [1. Aufl. 2020]
 978-3-658-26955-5, 978-3-658-26956-2

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVI
Einführung (Willy Graßl, Martin Simmel)....Pages 1-3
Front Matter ....Pages 5-5
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Einführung (Willy Graßl, Martin Simmel)....Pages 7-12
Chancen entstehen (Willy Graßl, Martin Simmel)....Pages 13-19
Gesundheitsökonomische Aspekte: Kosten oder Investition (Willy Graßl, Martin Simmel)....Pages 21-29
Rollenerklärung und Rollenverständnis (Willy Graßl, Martin Simmel)....Pages 31-37
Front Matter ....Pages 39-39
Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin und Gefährdungsbeurteilung – Zukunftsorientierte Ausrichtung im Unternehmen (Kristian Knöll, Peter Lugbauer)....Pages 41-50
Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungsfaktoren (Ulrich Hößler, Ingo Striepling)....Pages 51-56
Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) (Achim Müller, Ingo Striepling)....Pages 57-65
Die Sozialversicherungsträger und ihr gesetzlicher Auftrag (Achim Müller)....Pages 67-75
Steuerrechtliche Aspekte fürs Betriebliche Gesundheitsmanagement (Werner Gitschel)....Pages 77-82
Die zentrale Rolle der Führungskräfte im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (Martin Simmel)....Pages 83-91
Betriebliche Beteiligung und Mitbestimmung (Willy Graßl)....Pages 93-99
Front Matter ....Pages 101-101
Betriebliche Gesundheitsbildung, praktische Einstiegsszenarien und Entwicklung didaktischer Konzepte (Erich Wühr, Martin Simmel)....Pages 103-107
Betriebliche Kampagnenarbeit nach innen und außen – mit Zeit, Herz und Köpfchen (Frank Betthausen)....Pages 109-114
Klassiker der betrieblichen Gesundheitsförderung (Achim Müller)....Pages 115-121
Der betriebliche Gesundheitsbericht – Kennzahlen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (Willy Graßl)....Pages 123-129
Front Matter ....Pages 131-132
Betriebliches Gesundheitsmanagement in einem Mittelstandsunternehmen im Maschinenbau (Martin Simmel, Klaus Bott)....Pages 133-135
Ergonomie als „best practice“ für Büroarbeitsplätze (Willy Graßl, Michael Burger)....Pages 137-143
Das PsyBELA Konzept bei der MMM Group als Einstieg ins Betriebliche Gesundheitsmanagement (Ulrich Hößler, Norbert Weinhold)....Pages 145-149
Klassiker der Betrieblichen Gesundheitsförderung bei der Nabaltec AG (Achim Müller)....Pages 151-153
Stressmanagementtraining mit System für Pflegekräfte (Sylvia Simmel, Rosemarie Rothe)....Pages 155-159
Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System für Berufskraftfahrer (Martin Simmel, Josef Dischner, Wolfram Dischner)....Pages 161-163
Gesundheit als zentrales Thema der Führungskräfte über alle Hierarchieebenen (Martin Simmel, Joachim Dick, Erich Vogl)....Pages 165-168
Betriebliches Gesundheitsmanagement als Baustein im Employer Branding, in der Zertifizierung und in der Qualitätssicherung (Willy Graßl)....Pages 169-171
Front Matter ....Pages 173-173
…das Korrektiv zu einem ungesunden Schneller, Höher und Weiter! (Willy Graßl, Martin Simmel)....Pages 175-176
Voneinander profitieren und das Gute weiterentwickeln – Das Gesunde Unternehmen Gruppenkonzept (Willy Graßl, Martin Simmel)....Pages 177-178

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Martin Simmel · Willy Graßl Hrsg.

Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System Ein Praxisleitfaden für mittelständische Unternehmen

Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System

Martin Simmel Willy Graßl (Hrsg.)

Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System Ein Praxisleitfaden für mittelständische Unternehmen

Hrsg. Martin Simmel iGMS Institut, Regensburg Deutschland

Willy Graßl Lebenswelten Manufaktur, Wartenberg Bayern, Deutschland

ISBN 978-3-658-26955-5 ISBN 978-3-658-26956-2  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

V

Vorwort Das vorliegende Buch ist das Ergebnis von vielen Jahrzehnten an Erfahrungen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Wir danken unseren Expertenkollegen für die Bereitschaft, ihr umfassendes Praxiswissen und Können im Zuge dieses Werks zur Verfügung zu stellen. Außerdem danken wir unseren Kunden und Partnern für das Vertrauen uns zu zeigen, wie der Alltag des Betrieblichen Gesundheitsmanagements im Unternehmen aussehen kann. Wir wünschen uns neugierige Leserinnen und Leser, die den Nutzen dieses Buches kritisch prüfen und die vielfältigen Anregungen und Perspektiven zu schätzen wissen. Martin Simmel Willy Graßl

Regensburg im Oktober 2019

VII

Inhaltsverzeichnis 1

Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Willy Graßl und Martin Simmel

I

BGM mit System – Voraussetzungen schaffen

2

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Willy Graßl und Martin Simmel

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

Die Unternehmenssituation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Die Unternehmenskultur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Die Haltung der Entscheidungsträger zum BGM. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Die Führungskultur und Vorbildfunktion von Führungskräften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Der Gesundheitsmanager. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

3

Chancen entstehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Willy Graßl und Martin Simmel

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8

Verbesserung des Unternehmenserfolges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Unterstützung der Unternehmensziele und -strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber und Bindung der Beschäftigten . . . . . 16 Erhalt und Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Stabile Prozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Optimaler Einsatz von Ressourcen und Steigerung der Produktivität. . . . . . . . . . . . . 17 Stärkung der Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Reduzierung von Konflikten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

4

Gesundheitsökonomische Aspekte: Kosten oder Investition. . . . . . . . . . . . . 21 Willy Graßl und Martin Simmel

4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8

Kostenbetrachtung von Krankheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Präsentismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Nutzenbetrachtung von Gesundheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Emotionale Bindung steigert den Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Haltung zur Arbeit, zum Unternehmen und wirtschaftlicher Erfolg. . . . . . . . . . . . . . . 25 Kostenvergleichsrechnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Ausgleichsübungen bei einseitigen Belastungen:. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Elektrisch höhenverstellbare Schreibtische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

5

Rollenerklärung und Rollenverständnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Willy Graßl und Martin Simmel

5.1 5.2

Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Rollen im betrieblichen Kontext. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

VIII

Inhaltsverzeichnis

5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9

5.11

Rollenklarheit und Rollenverständnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Entscheider. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Gesundheitsmanager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Mitarbeiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Arbeitnehmervertreter – Betriebsrat und Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen (Schwerbehindertenvertretung). . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Inklusionsbeauftragter des Arbeitgebers nach § 181 SGB IX zur Erfüllung der Pflichten des Arbeitgebers zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (SGB IX Teil 3; Kap. 5). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Sozialversicherungsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

II

BGM mit System – Das Fundament

6

Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin und Gefährdungsbeurteilung – Zukunftsorientierte Ausrichtung im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

5.10

Kristian Knöll und Peter Lugbauer Historische Entwicklung im Arbeitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Gesellschaftliche Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsarzt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Gefährdungsbeurteilung und arbeitsmedizinische Vorsorge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Arbeit und Gesundheit im Wandel – Herausforderungen für den Arbeitsschutz. . . . 45 Arbeitsschutz im Wandel – neue Perspektiven für Unternehmen, Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6

7

Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungsfaktoren . . . . . . . . . . 51 Ulrich Hößler und Ingo Striepling

7.4 7.5

Die gesetzliche Ausgangslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Besonderheit psychischer Belastung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Zusammenspiel von Belastungsfaktoren, Ressourcen, Belastungsreaktion und Ursachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Angemessene Einbindung aller Beteiligten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Ableitung geeigneter Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

8

Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

7.1 7.2 7.3

Achim Müller und Ingo Striepling 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5

BEM – ein wichtiger Bestandteil eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements. . . . 58 Warum BEM durch Arbeitgeber?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Was ist, wenn ein Arbeitgeber das BEM nicht durchführt?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Welche Rolle spielt die Interessenvertretung (Betriebs-/oder Personalrat, Schwerbehindertenvertretung)?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Welche Rolle hat der betroffene Mitarbeiter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

IX Inhaltsverzeichnis



8.6 8.7 8.7.1 8.7.2 8.8 8.9 8.10 8.11 8.12

Wie sieht eine typische Vorgehensweise im BEM aus?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Wie sieht es mit dem Thema „Datenschutz“ aus?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Bezogen auf die BEM-Beauftragten/BEM-Verantwortlichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Bezogen auf die Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Thema „Information“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Thema „Interessenvertretung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Thema „Schriftform“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Persönlicher Anruf vor Zusendung des Anschreibens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Während des Gesprächs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Weiterführende Quellen und Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

9

Die Sozialversicherungsträger und ihr gesetzlicher Auftrag . . . . . . . . . . . . . 67 Achim Müller

9.1 Sozialversicherungsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 9.1.1 Gesetzliche Rentenversicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 9.1.2 Gesetzliche Arbeitslosenversicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 9.1.3 Gesetzliche Unfallversicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 9.1.4 Gesetzliche Krankenversicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 9.1.5 Gesetzliche Pflegeversicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 9.2 Präventionsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 9.3 Leitfaden Prävention. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 9.3.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 9.3.2 Welche Arten der Prävention werden unterschieden?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 9.3.3 Wie unterteilt sich der § 20 SGB V?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 9.3.4 Was bedeutet „Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF)“?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 9.3.5 Wann ist Betriebliche Gesundheitsförderung erfolgreich gemäß § 20a SGB V (gleiches gilt für Betriebliches Gesundheitsmanagement)?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 9.3.6 Wie kann die Krankenkasse das Unternehmen unterstützen und was ist von einer Förderung ausgeschlossen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 9.3.7 Welche Bedingungen (Qualitätskriterien für die betriebliche Gesundheitsförderung der European Foundation for Quality Management) sollten im Unternehmen erfüllt sein, damit die Krankenkassen Maßnahmen im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung fördern?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 9.3.8 Welche Rolle spielt BGF in Klein- und Kleinstbetrieben?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 9.3.9 Welche Handlungsfelder gibt es in der Betrieblichen Gesundheitsförderung?. . . . . . . 74 9.3.10 Was ist nicht der Auftrag von Krankenkassen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Weiterführende Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 10

Steuerrechtliche Aspekte fürs Betriebliche Gesundheitsmanagement. . . . 77 Werner Gitschel

10.1 10.2 10.3 10.4

Die Folgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Der Idealfall – überwiegend eigenbetriebliches Interesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Der Freibetrag nach § 3 Nr. 34 EStG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Was ist zu tun bei Zweifelsfällen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Weiterführende Literatur und Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

X

Inhaltsverzeichnis

11

Die zentrale Rolle der Führungskräfte im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Martin Simmel



Weiterführende Literatur und Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

12

Betriebliche Beteiligung und Mitbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Willy Graßl

12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6 12.7

Arbeits- und Gesundheitsschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Gefährdungsbeurteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Suchtprävention. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Arbeitszeitgestaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Gesundheitsförderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Gesundheitsmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Weiterführende Literatur und Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

III

BGM mit System – bewährte Methoden und Instrumente

13

Betriebliche Gesundheitsbildung, praktische Einstiegsszenarien und Entwicklung didaktischer Konzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Erich Wühr und Martin Simmel

14

Betriebliche Kampagnenarbeit nach innen und außen – mit Zeit, Herz und Köpfchen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Frank Betthausen

15

Klassiker der betrieblichen Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Achim Müller

15.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 15.2 Warum sind gerade die Betriebe ein sehr zentrales Setting für BGF und BGM?. . . . 116 15.3 Ziele von Betrieblicher Gesundheitsförderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 15.4 BGM und BGF – Gemeinsam sind sie stark und wirkungsvoll!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 15.5 Welche speziellen BGF-Maßnahmen gibt es, bzw. sind möglich?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 15.5.1 Bewegung – Muskel-Skelett-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 15.5.2 Bewegung – Herz-Kreislauf-System. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 15.5.3 Ernährung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 15.5.4 Stressbewältigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 15.5.5 Sucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 15.6 Womit und wie fange ich an?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 15.7 Wie stelle ich den Erfolg der durchgeführten Maßnahmen sicher?. . . . . . . . . . . . . . . . 120 15.8 Wer sind meine BGF-Ansprechpartner?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 16

Der betriebliche Gesundheitsbericht – Kennzahlen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Willy Graßl

16.1 16.2

Vorhandene Berichte und Kennzahlen nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Zielgruppen für den Gesundheitsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

XI Inhaltsverzeichnis



16.3 16.4 16.5 16.6

Sinnvolle Kennzahlen für den betrieblichen Gesundheitsbericht. . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Interpretation von Ergebnissen und Kennzahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Beispiel eines Gesundheitsberichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Beispiel eines integrierten Arbeitsschutz- und Gesundheitsberichts. . . . . . . . . . . . . . 129

IV

BGM mit System – Erfahrungen und Beispiele aus der erfolgreichen Praxis

17

Betriebliches Gesundheitsmanagement in einem Mittelstandsunternehmen im Maschinenbau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Martin Simmel und Klaus Bott

18

Ergonomie als „best practice“ für Büroarbeitsplätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Willy Graßl und Michael Burger

18.1 18.2 18.3 18.4 18.5 18.6 19

Bestandsoptimierung unter ergonomischen, biomechanischen und funktionellen Gesichtspunkten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Ergonomisch sinnvolle Ergänzungen prüfen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Neuanschaffungen mit Konzept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Wichtige Voraussetzungen (des Ergonomieberaters) im Unternehmen . . . . . . . . . . . 140 Doch warum ist Gesundheits- und Sozialmanagement so wichtig? . . . . . . . . . . . . . . . 140 Volkswirtschaftlicher Schaden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Weiterführende Literatur und Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

Das PsyBELA Konzept bei der MMM Group als Einstieg ins Betriebliche Gesundheitsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Ulrich Hößler und Norbert Weinhold

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Klassiker der Betrieblichen Gesundheitsförderung bei der Nabaltec AG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Achim Müller

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Stressmanagementtraining mit System für Pflegekräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Sylvia Simmel und Rosemarie Rothe

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Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System für Berufskraftfahrer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Martin Simmel, Josef Dischner und Wolfram Dischner

23

Gesundheit als zentrales Thema der Führungskräfte über alle Hierarchieebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Martin Simmel, Joachim Dick und Erich Vogl

24

Betriebliches Gesundheitsmanagement als Baustein im Employer Branding, in der Zertifizierung und in der Qualitätssicherung. . . . . . . . . . . 169 Willy Graßl

24.1 24.2

Employer Branding. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Zertifizierung und Qualitätssicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

XII

Inhaltsverzeichnis

V

BGM mit System – Fazit und Aublick

25

…das Korrektiv zu einem ungesunden Schneller, Höher und Weiter! . . . 175 Willy Graßl und Martin Simmel



Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

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Voneinander profitieren und das Gute weiterentwickeln – Das Gesunde Unternehmen Gruppenkonzept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Willy Graßl und Martin Simmel

XIII

Herausgeber- und Autorenverzeichnis Über die Herausgeber Martin Simmel Diplom-Psychologe, Geschäftsführer der Professor Wühr und Simmel Gesundheits MANAGEMENT Systeme GbR (7 www.igms-institut.de) Regensburg Deutschland. E-Mail: [email protected]

Willy Graßl Studium Arbeitswissenschaft und langjähriger Leiter eines mehrfach ausgezeichneten Gesundheitsmanagements in Bayern (7 www.gesundeunternehmen.expert) Regensburg Deutschland. E-Mail: [email protected]

Autorenverzeichnis Frank Betthausen Redaktionsleiter dreier Lokalausgaben der Mittelbayerischen Zeitung. Das iGMS-Institut Regensburg unterstützt Betthausen als Moderator von Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen. Regensburg Deutschland. E-Mail: [email protected]

Klaus Bott Geschäftsführer der Afag GmbH Amberg Deutschland. E-Mail: [email protected]

XIV

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Michael Burger Diplom Sportwissenschaftler und Ergonomie Experte München Deutschland. E-Mail: [email protected]

Joachim Dick Teamleiter HR Services DE bei der Zollner Elektronik AG Zandt Deutschland. E-Mail:[email protected]

Wolfram Dischner Geschäftsführer der Dischner Speditions- und Handelsgesellschaft mbH Weiding Deutschland. E-Mail: [email protected]

Josef Dischner Geschäftsführer der Dischner Speditions- und Handelsgesellschaft mbH Weiding Deutschland. E-Mail: [email protected]

Werner Gitschel ist Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Fachberater für den Heilberufebereich (IFU/ISM GmbH) und geschäftsführender Partner der whg Werkmann Hien Gitschel PartGmbB mit Stammsitz in Regensburg. Regensburg Deutschland. E-Mail: [email protected]

XV Herausgeber- und Autorenverzeichnis



Ulrich Hößler, Dr. Experte für die Angewandte Forschung am iGMS-Institut, Professor Wühr und Simmel Gesundheits MANAGEMENT Systeme Regensburg, Deutschland. Regensburg Deutschland. E-Mail: [email protected]

Kristian Knöll, Dr. Facharzt für Arbeitsmedizin, Facharzt für Allgemeinmedizin, Zusatzbezeichnung Notfallmedizin sowie Präventivmedizin (DAPM). Seit 1995 arbeitet er in leitenden Funktionen in den Bereichen Notfallmedizin, Arbeitsmedizin und Betriebliches Gesundheitsmanagement, bis 2017 im industriellen Umfeld, aktuell an einem Universitätsklinikum Regensburg Deutschland. E-Mail: [email protected]

Peter Lugbauer Leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit (Deutsche Werke) und stellvertretender Leiter EH&S der Zollner Elektronik AG in Zandt. Sein Tätigkeitsfeld umfasst als Berater der Führungskräfte die Unterstützung zu den Fragen des Arbeitsschutzes in den deutschen Werken. Des Weiteren ist er international für die Weiterentwicklung des integrierten Arbeitsschutzmanagements zuständig. Regensburg Deutschland. E-Mail: [email protected]

Achim Müller ist Personalreferent und Betrieblicher Gesundheitsmanager in einem Unternehmen der chemischen Industrie. Seit Anfang 2014 arbeitet als Referent/Berater für das iGMS-Institut in Regensburg. Seine Hauptthemen sind Mentaltraining, Motivation, Stressmanagement und Bewegung. Regensburg Deutschland. E-Mail: [email protected]

Rosemarie Rothe Diplom Pflegewirtin (FH) und Pflegedienstleitung am Universitätsklinikum Regensburg Regensburg Deutschland. E-Mail: [email protected]

XVI

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Sylvia Simmel B.Sc. Psychologie, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Expertin für Herzratenvariabilitätsmessungen am iGMS Institut. Sie entwickelt und begleitet im Expertenteam ein innovatives Blended-Learning Konzept im Rahmen des 7 www.igms-gesundheitsportal.de. Außerdem ist sie Dozentin für Pflegekräfte in der aus- und Weiterbildung. Regensburg Deutschland. E-Mail: [email protected]

Ingo Striepling, Dr. ist Professor an der Hochschule Regensburg. Seine Schwerpunkte sind: Wirtschaftsprivatrecht mit Schwerpunkt Arbeitsrecht. Regensburg Deutschland. E-Mail: [email protected]

Erich Vogl BGM-Manager bei der Zollner Elektronik AG Zandt Deutschland. E-Mail: [email protected]

Norbert Weinhold Werkleiter MMM Münchener Medizin Mechanik GmbH Stadlern Deutschland. E-Mail: [email protected]

Erich Wühr, Dr. Professor für das Lehrgebiet Gesundheitsförderung und Prävention am Gesundheitscampus Bad Kötzting der Technischen Hochschule Deggendorf. Bad Kötzting Deutschland. E-Mail: [email protected]

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Einführung Willy Graßl und Martin Simmel

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_1

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W. Graßl und M. Simmel

Betriebliches Gesundheitsmanagement BGM – Zeitgeist und Modephänomen oder ­einfach nur „nice to have“? Das vorliegende Buch basiert auf der Annahme, dass BGM als Managementprinzip notwendiger und fester Bestandteil des unternehmerischen Denkens und Handelns ist. Es steht gleichberechtigt neben den anderen Unternehmerthemen Strategie, Qualität, Innovation, Vertrieb und Controlling. Als Teil des Personalmanagements beschäftigt es sich mit den Fragen, was Menschen im Unternehmen leistungsfähig und leistungsbereit macht und wie diese Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft über die Jahre erhalten und gepflegt werden kann. BGM stellt somit im klassischen Sinne eine Win-win Konstellation für Mitarbeiter und Unternehmen dar. Das Buch soll ein „Handbuch“ und kein „Regalbuch“ für den Praktiker sein. Unser Denkmodell orientiert sich an der Vorstellung, wie ein bestmöglich umgesetztes BGM aussehen würde und beschreibt dies in allen relevanten Aspekten. Mithilfe eines Selbstbewertungsinstruments (s. . Abb. 1.1) kann sich jedes Unternehmen, egal ob noch Anfänger oder bereits Erfahrener, verorten und nach einer Ist-Analyse einen operativen Plan entwickeln, der sich an diesem Idealszenario orientiert. Die vier Kernbereiche werteorientierte und gesundheitsfördernde Führung, individuelles Gesundheitsmanagement, betriebsärztlicher Dienst sowie Arbeitsschutz und ­Prävention bilden die tragenden Säulen des Modells (s. . Abb. 1.2). Wir beschreiben Schritt für Schritt, wie zuerst die notwendigen Voraussetzungen und das Fundament zur Umsetzung eines wirkungsvollen BGM geschaffen werden (Teil I und II) und stellen dann bewährte Methoden und Instrumente (Teil III) vor. Im Teil IV lassen wir unsere Kunden und Kooperationspartner zu Wort kommen, die Tipps und Tricks aus der erfolgreichen Praxis berichten. Wir schließen mit einem Fazit (Teil V), das BGM als Korrektiv zu einem ungesunden „Schneller, Höher, Weiter“ setzt. Wir empfehlen Ihnen als Leser nach der Selbstbewertung Ihres Unternehmens einfach da mit dem Buch anzufangen, wo Sie am meisten Interesse haben. Benutzen Sie es und behalten Sie sich eine kritische Grundhaltung. Wir freuen uns über Ihre Anmerkungen und sind bereit für eine Auseinandersetzung, die die Themen konstruktiv diskutiert und somit Entwicklungen ermöglicht und zulässt.

. Abb. 1.1  QR Code 1 Download zur Standortanalyse und Selbstbewertung

Werteorientierte Führung

. Abb. 1.2  Das iGMS Modell – BGM mit System

Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System Krankheitsverursachende Arbeitsbedingungen vermeiden

Arbeitsschutz und Prävention

Krankheiten frühzeitig erkennen und angemessen behandeln!

Betriebsärztlicher Dienst

Gesund durch Eigenverantwortung!

Individuelles Gesundheitsmanagement

Arbeit als gesundheitsfördernder Faktor!

Einführung 3

Win - Win Konstellation für Mitarbeiter: Gesundheit, Leistungsfähigkeit, Lebensqualität und für das Unternehmen: produktive, rentable, kundenorientierte, loyale Mitarbeiter

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5

BGM mit System – Voraussetzungen schaffen Inhaltsverzeichnis Kapitel 2

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Einführung – 7 Willy Graßl und Martin Simmel

Kapitel 3

Chancen entstehen – 13 Willy Graßl und Martin Simmel

Kapitel 4

Gesundheitsökonomische Aspekte: Kosten oder Investition – 21 Willy Graßl und Martin Simmel

Kapitel 5

Rollenerklärung und Rollenverständnis – 31 Willy Graßl und Martin Simmel

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Voraussetzungen für eine erfolgreiche Einführung Willy Graßl und Martin Simmel 2.1  Die Unternehmenssituation – 8 2.2  Die Unternehmenskultur – 9 2.3  Die Haltung der Entscheidungsträger zum BGM – 9 2.4  Die Führungskultur und Vorbildfunktion von Führungskräften – 10 2.5  Der Gesundheitsmanager – 11 2.6  Ressourcen – 12

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_2

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W. Graßl und M. Simmel

Der Mann, der zu beschäftigt ist, sich um seine Gesundheit zu kümmern, ist wie der Handwerker, der keine Zeit hat, seine Werkzeuge zu pflegen. Spanisches Sprichwort

BGM ist kein Plan ins Blaue, deshalb beschäftigen wir uns mit den wichtigsten Faktoren bei der Einführung eines Gesundheitsmanagements mit System. Es ist wichtig, dass diese Faktoren kritisch hinterfragt werden und eine seriöse Bewertung stattfindet. Das erleichtert die Planung und die Umsetzung. Man sollte auch bedenken, dass ein BGM immer ein Gesamtergebnis aus dem Zusammenspiel von Personen mit verschiedenen Kompetenzen, Aufgaben und Rollen ist. Je besser dieses Zusammenspiel passt, desto weniger Reibungsverluste entstehen und umso anhaltender werden die Ergebnisse sein. Die relevanten Faktoren sind: 5 Die Unternehmenssituation 5 Die Unternehmenskultur 5 Die Haltung der Entscheidungsträger zum BGM 5 Die Führungskultur und Vorbildfunktion von Führungskräften 5 Der Gesundheitsmanager 5 Die Ressourcen 2.1  Die Unternehmenssituation

Ein gutes BGM ist ein Teil des Unternehmens, dockt an das Unternehmen an und entwickelt sich mit diesem weiter. Es besitzt die notwendige Flexibilität, damit es den Betrieb bei sich verändernden Situationen unterstützen und begleiten kann. Deshalb ist es wichtig zu wissen, in welcher Phase sich ein Unternehmen befindet. Ist es in einer Wachstums-, Konsolidierungs- oder in einer kritischen Phase, die das Unternehmen auch zu unangenehmen Entscheidungen zwingt? Die bekannten Szenarien stellen unterschiedliche Anforderungen an den Betrieb und seine Beschäftigten. Ein Gesundheitsmanagement sollte in der Lage sein, sich diesen Anforderungen anzupassen. Bei Gebäuden könnte man von einem engen Appartement, dem Einfamilienhaus mit Garten und einem guten Altbau mit erheblichem Sanierungsaufwand sprechen. Eben unterschiedlichen Situationen und Anforderungen für die Nutzer. Für alle Bewohner ist es aber wichtig, dass das Gebäude auf einem stabilen Fundament steht und stabile Mauern mit einem guten Dach hat. Genauso verhält es sich mit den Grundpfeilern des BGM. In allen Phasen eines Unternehmens braucht es stabile Säulen. Diese sind der Arbeits- und Gesundheitsschutz (Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin) und das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM). Alles gesetzliche und sinnvolle Anforderungen. Es ist notwendig, ihre Stabilität in guten und schlechten Zeiten aufrecht zu halten. An diesen Positionen zu sparen, geht dauerhaft an die Substanz und birgt hohe Risiken für Belegschaft und Unternehmen. In all diesen Feldern müssen auch die physische und die psychische Belastungssituation der Beschäftigten und die Rahmenbedingungen der Arbeit gesondert betrachtet werden. Diese sind erheblich für eine gesunde und leistungsfähige Belegschaft. In einer Wachstumsphase herrscht dank Erfolg und einer verheißungsvollen Zukunft Euphorie. Nichtsdestotrotz sind die Veränderungen nicht zu unterschätzen und schwer einschätzbar. Die Beschäftigten sind oft den steigenden Anforderungen physisch und psychisch nicht gewachsen und müssen bei der Entwicklung begleitet werden.

9 Voraussetzungen für eine erfolgreiche Einführung

In einer Konsolidierungsphase fühlen sich viele Beschäftigte sicher und es können die Akkus wieder aufgeladen werden. Mit vollen Akkus können sie sich auf bevorstehende Aufgaben besser vorbereiten und sind ihnen eher gewachsen. In dieser stabilen Phase beeinträchtigt es die Arbeitssituation geringer, wenn ein Kunde oder ein Auftrag wegfallen. In einer kritischen Phase herrscht viel Unsicherheit im Unternehmen. Entscheidungsträger, Geschäftsführer und Führungskräfte sind nervös und übertragen ihre Unsicherheit auf die Belegschaft. Einsparmaßnahmen führen zu Personalabbau, Arbeitszeit- und Lohnkürzungen. Vielfach verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen, zumindest in der Wahrnehmung der Belegschaft. Wenn auch die Beschreibungen der Szenarien knapp und eher plakativ sind, die Thematik ist immer die gleiche. Das Produkt BGM muss zum Unternehmen passen und deshalb ist es wichtig, dass bei der Einführung die Unternehmenssituation mit bewertet wird. 2.2  Die Unternehmenskultur

Die Unternehmenskultur ist die DNA des Unternehmens. Jeder Betrieb hat seine eigene betriebsspezifische DNA. Deshalb ist es bei der Einführung eines Gesundheitsmanagements entscheidend, die Unternehmenskultur als relevanten Faktor nicht zu übersehen. Die Unternehmenskultur ist der Boden, auf dem das BGM wachsen soll. Gleichzeitig unterstützt ein Gesundheitsmanagement die positive Entwicklung des betrieblichen Zusammenlebens und der Zusammenarbeit. Die Unternehmenskultur wird dadurch gefördert und verbessert. Bei Veränderungen oder Change-Prozessen erlebt man immer wieder, dass Beschäftigte in einem Betrieb mit einem BGM positiver eingestellt sind und Veränderungen besser akzeptieren. Bei einem etablierten Gesundheitsmanagement unterstützt dieses mit seinen Maßnahmen den Veränderungsprozess und stabilisiert die kritische Phase nach der Umsetzung. Ein ebenso bedeutsames Thema sind die Tabuthemen, die eine Unternehmenskultur nicht anerkennt. Es kann sein, dass relevante Themen wie Suchtprävention, psychische Probleme oder Burnout in einem Unternehmen tabuisiert werden, wohingegen diese in anderen Unternehmen bereits ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Anhand der Tabuthemen lässt sich der Reifegrad des Unternehmens ablesen. Durch Einbindung in die Unternehmenskultur ist es aber möglich, die Haltungen zu diesen Themen glaubwürdig zu verändern und abzubauen. Ein BGM unterstützt diesen Prozess und verleiht den Entscheidungsträgern damit eine hohe Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit. 2.3  Die Haltung der Entscheidungsträger zum BGM

Dieser Punkt hat die höchste Relevanz bei der Einführung eines BGM. Heutzutage gibt es eine Vielzahl Beschäftigter und Führungskräfte, die sich ein BGM wünschen und für sinnvoll erachten. Obwohl in einigen Fällen die Entscheidungsträger ein BGM nicht immer voll und ganz unterstützen, gelingt es doch immer wieder, es zu initiieren. Die Beweggründe dafür sind verschieden: der Druck aus der Belegschaft, eine engagierte Arbeitnehmervertretung, der Trend zur Einführung eines BGM in einer Branche oder

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W. Graßl und M. Simmel

die Erwartung des Marktes. Bei Ausschreibungen für Aufträge müssen immer häufiger die sozialen Standards oder ein BGM nachgewiesen werden. Das BGM stellt somit auch einen Wettbewerbsvorteil für Unternehmen dar und ist immer lohnenswert. Ohne positive Haltung der Entscheidungsträger ist jedoch die Einführung eines systematischen BGM nicht möglich. Die Entscheidung muss eine bewusste Entscheidung sein. Falls diese Haltung bei den Entscheidungsträgern nicht vorhanden ist, sollte eine mehrstufige Herangehensweise erfolgen, die es ermöglicht, sich auf neue Bedürfnisse einzustellen und eine positive Haltung zum Gesundheitsmanagement zu entwickeln. Keine oder eine spätere Einführung sind besser als ein BGM, das nach einiger Zeit nur noch als Platzhalter fungiert oder sich zu einer Belastung für die Beteiligten entwickelt und nicht glaubwürdig gelebt wird. Für letzteres haben Beschäftigte ein feines Gespür. Die eingesetzte Energie verpufft und führt zu einer hohen Frustration. Entscheidungsträger müssen sich bewusst sein, dass sie der wichtigste Faktor sind. Es geht schließlich um ihre persönliche Glaubwürdigkeit und ihre Entscheidungen über Ressourcen und Prozesse. 2.4  Die Führungskultur und Vorbildfunktion von

Führungskräften

Es sind meist nicht die spektakulären Aktionen und Angebote, die Beschäftigte aufleben lassen und ihre volle Leitungsfähigkeit dauerhaft fördern, sondern authentische Handlungen und Gesten, ein aufrichtiges Lob, ein Dank zur rechten Zeit, Aufmerksamkeit oder Anerkennung für gute Arbeit. Als weiterer Aspekt ist hier die Vorbildfunktion der Führungskräfte anzusprechen. Wer selbst pünktlich ist, kann Unpünktlichkeit beim Mitarbeiter leichter ansprechen. Wer Beschäftigte aktiv unterstützt, wird selbst unterstützt. Wer Verständnis zeigt, erhält Verständnis. Wer freundlich ist, erhält ein Lächeln. Trotz dieser Einfachheit, ist es in einigen Betrieben immer noch keine Selbstverständlichkeit und verursacht jede Menge Probleme. Wenn ein Fehlverhalten geahndet werden muss, dann sollte dies auch nachvollziehbar sein. Keiner erwartet von Führungskräften, dass sie Superman sind, aber ein Mensch mit Werten zu sein, hilft dem Unternehmen weiter. Beim Fehlverhalten wegzuschauen, vergrößert dauerhaft die Probleme. In der heutigen Zeit verändert sich der Anspruch von Beschäftigten an Führungskräfte deutlich. Der Wert und der Sinn einer Arbeit erlangen wieder eine höhere Gewichtung. Daneben wird auch der Familie und der individuellen Freizeitgestaltung mehr Bedeutung zugesprochen als noch vor 20 Jahren. Dem gegenüber steht, dass viele Führungskräfte immer noch denken, dass ein „Schneller, Höher, Weiter“ nur durch Zielvereinbarungen, Druck oder mehr Geld erreicht werden kann. Was auch leider bedingt funktioniert. Sonst hätte man schon lange Akkordlöhne und Zielvereinbarungen abgeschafft. Dabei stehen sich beide Bedürfnisse nicht unvereinbar gegenüber. Wer Bedürfnisse des Beschäftigten berücksichtigt, ein „Schneller, Höher, Weiter“ nicht überzieht und mit Bedacht eine Balance zwischen diesen Polen herstellt, wird erstaunt sein, was möglich ist und wozu Beschäftigte bereit sind. Ein BGM kann hier die notwendige Balance zwischen ungesunden und gesunden Anforderungen herstellen. Je nach gewünschter Führungskultur kann es aber sein, dass vor der Einführung eines BGM mit System zunächst ein Veränderungsprozess in der Führungskultur angestoßen werden muss. Idealerweise wird das BGM genutzt, um diesen Prozess zu begleiten und positiv

11 Voraussetzungen für eine erfolgreiche Einführung

zu gestalten. Gerade in diesen positiven Veränderungsprozessen gibt es Beschäftigte und Führungskräfte, die leider nicht mehr zu einem Unternehmen oder ihrer Rolle passen. Trotzdem werden die meisten Menschen positive Entwicklungen mitgehen, wenn die Sinnhaftigkeit erkannt wird oder positive Erfahrungen gemacht werden. Wer bei der Einführung eines BGM seine Führungskräfte mitnimmt und ihnen die neuen Erwartungen mitteilt, der hat es anschließend leichter und gewinnt sie für die neuen Denkweisen. 2.5  Der Gesundheitsmanager

Vor 15 bis 20 Jahren gab es wenig Erfahrungswerte von betrieblichen Experten oder Studiengänge und Fortbildungen zum Thema Gesundheitsmanagement. Vor allem Prof. Bernhard Badura (ein BGM-Pionier) hatte die theoretische Beschreibung des BGM skizziert und herausgearbeitet. Gleichzeitig entstanden in größeren Betrieben sehr schnell Gesundheitsmanagements und die dazugehörigen Rollen und Stellen der Gesundheitsmanager. Diese erste Generation entwickelte mit dem vorhandenen theoretischen Wissen die Praxisumsetzung in den Betrieben. Versuch und Irrtum waren als Arbeitsweise weit verbreitet. Heute gibt es Studiengänge, Fortbildungen und gute Beschreibungen eines BGM-Standards. Eine systematische Herangehensweise an Themen und Problemstellungen ist vielfach selbstverständlich. Das diesem Buch zugrundeliegende Ausbildungskonzept des iGMS Instituts „BGM mit System“ ermöglicht betrieblichen Akteuren eine gute praxisorientierte Ausbildung, um sich in ihrer Rolle zu finden und zu entwickeln. So wie ein BGM für die Entwicklung Zeit braucht, so brauchen auch die Personen Zeit, sich zu entfalten. Gesundheitsmanager haben eine sehr komplexe theoretische und praktische Aufgabenstellung und brauchen in vielen Themenfeldern Erfahrung. Hier geht es um die Anforderungen an die Person. Zunächst soll aber grundsätzlich gesagt werden, dass die Person weder Arzt, Psychologe noch Sozialpädagoge sein muss. Wichtig bei der Person ist es, dass sie sich als Manager versteht, der Themen und Personen zusammenbringt und ein Miteinander ermöglicht. Sie soll ausgeglichen sein und in Stresssituationen ruhig bleiben. Die Person soll komplexe Zusammenhänge analysieren können und sich nicht scheuen, Themen neu zu betrachten und anzupassen. Ein klares Rollenverständnis ist hilfreich und ein realistischer Optimismus fast unabdingbar. Geduld und Durchsetzungsfähigkeit sind vorteilhaft. Aufgrund der Vielfalt der Aufgaben und Einsatzgebiete ist es nicht notwendig, ein Experte auf allen Gebieten zu sein. Jedoch sollte die Fähigkeit und Freude vorhanden sein, das Basiswissen in den verschiedenen Gebieten zu erlernen. Darüber hinaus sind Projekterfahrung und Überzeugungsfähigkeit wichtige Punkte. Hinzu kommen eine Leidenschaft für Menschen und idealerweise die Akzeptanz von Beschäftigten, Entscheidungsträgern und Führungskräften. In fast jedem Betrieb gibt es geeignete Personen, die dieser Aufgabe gewachsen sind. Mit der richtigen Unterstützung, mit Hilfe guter Berater und richtiger Ausbildungskonzepte kann aus einem geeigneten Bewerber ein hervorragender BGM Experte werden. Entscheidend ist, dass der Kandidat die entsprechenden Entwicklungsmöglichkeiten erhält. Ein entscheidender Faktor zur Bewältigung der Aufgaben sind die verfügbaren Ressourcen.

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2.6  Ressourcen

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Es kommt nicht selten vor, dass Gesundheitsmanager vollkommen überlastet sind oder Burnout erleiden. Warum passiert das? Allgemein herrscht immer noch die Mei­ nung, dass ein BGM nebenher aufgebaut und erledigt werden kann. Auch wird oft angenommen, dass der Gesundheitsmanager alle Probleme in Bezug auf Krankheit, Konflikte, Kultur oder Prävention lösen soll. Dies kann man nur verneinen. Ein BGM ist kein Selbstläufer. Fortbildung, Planung, die Erarbeitung von Konzepten, das führen wichtiger Gespräche sowie die Entscheidungen vorbereiten und herbeiführen braucht Zeit. Diese Zeit ist notwendig, damit Fehler reduziert und Ergebnisse gesichert werden können. Beim BGM geht es schließlich auch darum die Dinge im gesamten zu betrachten, unternehmerische Risiken zu erkennen und abzuwehren und die bereits eingesetzten Ressourcen zu optimieren. Wer die vorangegangenen Punkte aufgreift, dem wird klar, dass Gesundheitsmanager Akzeptanz, Zeit und Ressourcen brauchen, um das Unternehmen beim Erreichen seiner Ziele nachhaltig zu unterstützen. Erst damit können Wirtschaftswachstum, Innovation, leistungsfähige und leistungsbereite Beschäftigte und eine positive Innen- und Außendarstellung des Unternehmens gefördert und unterstützt werden. Die Abbildung (s. . Abb. 2.1) fasst alle relevanten Faktoren zusammen und dient neben der Orientierung auch einer ersten Einschätzung der Erfolgsaussichten des BGM.

ja, aber nicht wichtig

stark fachbezogen

den Aufgaben nicht angepasst

ist Getriebener

nicht vernetzt

Haltung Entscheidungsträger

Führungskultur

Ressourcen Gesundheitsmanager

Gesundheitsmanager

Vernetzung der Themen und Akteure

geringe Erfolgsaussichten

. Abb. 2.1  Relevante Faktoren im BGM – bezogen auf die Erfolgsaussichten

ist sehr wichtig

am Menschen ausgerichtet

den Aufgaben angepasst

ist Gestalter

gemeinsame Agenda

hohe Erfolgsaussichten

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Chancen entstehen Willy Graßl und Martin Simmel 3.1  Verbesserung des Unternehmenserfolges – 14 3.2  Unterstützung der Unternehmensziele und -strategien – 15 3.3  Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber und Bindung der Beschäftigten – 16 3.4  Erhalt und Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit – 16 3.5  Stabile Prozesse – 17 3.6  Optimaler Einsatz von Ressourcen und Steigerung der Produktivität – 17 3.7  Stärkung der Unternehmenskultur – 18 3.8  Reduzierung von Konflikten – 18 Weiterführende Literatur – 19

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_3

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W. Graßl und M. Simmel

Ich prüfe jedes Angebot. Es könnte das Angebot meines Lebens sein. Henry Ford

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Erfolgreiche Unternehmen investieren in Produkte, gehen dafür Risiken ein und nehmen Rückschläge in Kauf. Diese sind unvermeidbar und tragen zur Weiterentwicklung des Unternehmens bei. Ohne Risiko gibt es keine Entwicklung und keinen Gewinn. Im Bereich des Gesundheitsmanagements gefährden die eingesetzten und notwendigen Ressourcen niemals die Existenz des Unternehmens, sondern tragen einen elementaren Teil zu dessen Wirtschaftlichkeit bei. Wer ein Produkt wie das BGM entwickeln kann, das seinem Unternehmen nicht schadet, sondern das eine erhebliche Rendite (Return on Investment) des eingesetzten Kapitals oder deutlich höher garantiert, der nimmt in der Regel diese Möglichkeit wahr und freut sich über den zu erwartenden Gewinn. Laut Duden werden Chancen als Aussicht auf Erfolg oder als eine günstige Gelegenheit definiert. Chancen, die sich aus dem BGM ergeben, sind zahlreich und vielfältig. Nach dem deutschen Werte Index 2016 ist Gesundheit das wertvollste Gut des Deutschen und liegt vor Freiheit und Erfolg. Die Vermeidung von Krankheit ist dabei nur ein Teil von Gesundheit. Die Steigerung der Leistungsfähigkeit und der Lebensqualität sind ebenso wichtig geworden und ergänzen diese. Beim Wert Freiheit werden vor allem Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit in den Vordergrund gestellt, wohingegen Erfolg mittlerweile an der eigenen verbesserten Lebensqualität und den persönlichen Projekten gemessen wird. Im Wert Natur finden die Menschen einen Gegenpol zur hochtechnisierten Lebens- und Arbeitswelt. Dieses Werteverständnis findet sich in einer betrieblichen Erwartungshaltung der Beschäftigten wieder, womit die Anforderungen an die Arbeitgeber steigen. Ein systematisches Gesundheitsmanagement leistet hier einen wertvollen Beitrag, um die Erwartungen der Beschäftigten zu erfüllen. Nach dem Werte Index würde allein eine rein gesundheitsbezogene Betrachtung ein BGM rechtfertigen. Bei einer ganzheitlichen Betrachtung ergibt sich aber zusätzlich eine Vielzahl von Chancen, die ein BGM bieten kann und auf die wir nachfolgend eingehen (siehe . Abb. 3.1). 5 Verbesserung des Unternehmenserfolges 5 Unterstützung der Unternehmensziele und Strategien 5 Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber und Bindung der Beschäftigten 5 Stabile Prozesse 5 Optimaler Ressourceneinsatz und Steigerung der Produktivität 5 Stärkung der Unternehmenskultur 5 Reduzierung von Konflikten 5 Erhalt und Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit 3.1  Verbesserung des Unternehmenserfolges

Der wirtschaftliche Erfolg setzt sich aus einer Vielzahl von Faktoren zusammen. Je nach Marktumfeld ergeben sich höhere oder geringere Renditen für Dienstleistungen oder Produkte. Darüber hinaus gibt es Unternehmen, die nicht auf Profit ausgelegt sind, sondern humanitäre oder andere gemeinnützige Ziele verfolgen. Eines haben alle

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Unterstützung der Unternehmensziele und Strategien Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber und Bindung der Beschäftigten

Verbesserung des Unternehmenserfolgs

Stärkung der Unternehmenskultur

Stabile Prozesse

Erhalt und Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit

Optimaler Ressourceneinsatz und Steigerung der Produktivität Reduzierung von Konflikten

. Abb. 3.1  Chancen, die durch ein BGM entstehen

Unternehmen gemeinsam: Ihr Erfolg entsteht durch menschliches Handeln. Das Unternehmensergebnis ist eine Erfolgsgeschichte aus dem Zusammenspiel menschlicher Fähigkeiten, ihrer Leistungsbereitschaft, ihrer fachlichen und persönlichen Ressourcen und dem Einbringen ihrer Werte und Haltungen. Durch das vielfältige Wirken eines systematischen BGM ergibt sich für das Unternehmen die Chance, dass Mitarbeiter positivere Ergebnisse erzielen und damit das Unternehmen rentabler machen. 3.2  Unterstützung der Unternehmensziele und -strategien

Jedes Unternehmen hat Ziele und Strategien. Läuft es gut, werden die Ziele erreicht und angehoben, läuft es dagegen schlecht, wird in der Regel die Strategie geändert. Von Anfang an sollte sich deshalb das BGM am Unternehmen, an seinen Zielen, seinen Strategien, seinen Grundsätzen und Werten orientieren. Daraus lassen sich Maßnahmen ableiten, die für die Unterstützung des Unternehmens notwendig sind. Ergeben sich Veränderungen, passt sich das Gesundheitsmanagement an diese neu entstandenen Anforderungen an und unterstützt die Strategien zur Erreichung der Unternehmensziele. Jede BGM-Maßnahme gewinnt damit an Bedeutung und trägt zum Unternehmenserfolg bei.

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3.3  Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber und Bindung der

Beschäftigten

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Der Arbeitsmarkt spiegelt den derzeitigen und fortschreitenden Fachkräftemangel. Gute und attraktive Arbeitgeber haben hier einen entscheidenden Vorteil gegenüber ihrer Konkurrenz. Wenige Branchen können mittlerweile geeignete Bewerber allein über eine hochattraktive Bezahlung gewinnen. In allen Tätigkeiten verändern sich die Erwartungen und Anforderungen der Beschäftigten und Bewerber. Nachdem Gesundheit bei vielen Menschen das höchste Gut ist, entstehen die Arbeitgeber-Attraktivität und die Bindung der Beschäftigten zu einem Großteil über die verschiedenen Angebote und Unterstützungsleistungen eines BGM. Es reicht jedoch nicht aus, ein paar Fitnessangebote, einen Obstkorb oder einen Gesundheitstag anzubieten. Attraktive Arbeitszeiten, Flexibilität bei Familie und Beruf, gesunde Arbeitsbedingungen, Unterstützung bei Krisen, eine gute Unternehmenskultur sowie Verständnis für die Bedürfnisse von Beschäftigten in verschiedenen Lebensphasen sind nur einige Beispiele, die von Beschäftigten heute erwartet werden. Die entsprechenden Inhalte eines Gesundheitsmanagements machen ein Unternehmen attraktiver und glaubwürdiger. Damit werden Bewerber angezogen, Beschäftigte gebunden und es entsteht eine starke und attraktive Arbeitgebermarke. 3.4  Erhalt und Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit

Eines der meistgenannten Ziele bei der Einführung eines BGM ist weiterhin die Reduzierung des Krankenstandes. Der Krankenstand ist leicht berechenbar und vermittelt das Gefühl, dass Abwesenheit Geld kostet und Anwesenheit Produktivität sicherstellt. Je nach Blickwinkel verwirrt der Krankenstand mehr, als er hilft. Außerdem ist der Krankenstand ein Spätindikator. Plakativ gesehen gibt es meistens folgende Aussagen zum Krankenstand: „Bei uns ist der Krankenstand niedrig, wir haben keine Probleme“, „Bei uns ist der Krankenstand hoch, das liegt …“ oder „In der Branche muss man mit einem solchen Krankenstand leben“. Besonders interessant wird es, wenn der Krankenstand monatlich oder quartalsweise betrachtet wird und daraus Schlüsse abgeleitet werden. Der Krankenstand ist eine Kennzahl, die langfristig betrachtet werden muss, denn kurzfristige Betrachtungszeiträume führen aufgrund der hohen Schwankungsbreite zu falschen Interpretationen. Ein Krankenstand ist ein Richtwert, der bei einer langfristigen (ab 12 Monaten) Betrachtung aussagekräftig ist, jedoch die wirkliche Situation nur eindimensional und verspätet darstellt. Neben den Zuständen „krank“ und „gesund“ existieren noch viele Facetten dazwischen. Anwesenheit bedeutet nicht immer Produktivität und bewirkt teilweise sogar das Gegenteil. Der Fachbegriff dazu ist Präsentismus. Er definiert Beschäftigte, die im Betrieb anwesend sind, jedoch aus gesundheitlichen oder persönlichen Haltungen ihre Leistungsfähigkeit nicht bringen können oder wollen. Deshalb sollte das oberste Ziel eine hohe Beschäftigungsfähigkeit der Belegschaft sein. Mitarbeiter mit einer hohen Beschäftigungsfähigkeit haben eine positive Haltung zur Arbeit, eine hohe Leistungsbereitschaft und die Fähigkeit, sich Fachwissen anzueignen und auszubauen. Sie besitzen das Selbstvertrauen, auch nach einem Verlust des Arbeitsplatzes die nötigen Ressourcen zu haben, um eine neue Arbeitsstelle zu finden.

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Veränderungen gegenüber sind diese Beschäftigten aufgeschlossen und sie passen ihre Lebensweise den beruflichen Anforderungen an und tragen damit Verantwortung für ihre gesamten Lebenswelten. Es gibt viele Mitarbeiter, die eine hohe Beschäftigungsfähigkeit aufweisen, die aber leider übersehen werden. Diese machen einfach ihre Arbeit und sind unauffällig. Im Betrieblichen Gesundheitsmanagement sollte deshalb die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter an oberster Stelle stehen. Mit dieser Betrachtungsweise wird der Blick auf das große Ganze geworfen und die Diskussionen über die Selbstverantwortung des Beschäftigten für sein Berufsleben, wozu auch privates Verhalten gehört, werden ermöglicht. Ohne eine Mitwirkung des Beschäftigten verpufft jede Maßnahme. 3.5  Stabile Prozesse

Stabile Prozesse sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor für ein Unternehmen. Wer ein BGM einführt, der spricht aber selten davon, dass die Prozesse stabiler werden und die Prozessstörungen sich reduzieren sollen. Bei einem systematischen Gesundheitsmanagement passiert jedoch genau das. Grund dafür ist, dass Mitarbeiter mit einer hohen Beschäftigungsfähigkeit bessere Ergebnisse erzielen und effizienter arbeiten. Jeder hat sein eigenes Bild von einem geschätzten und fachlich guten Mitarbeiter sowie von einem eher schwierigen und unmotivierten Kollegen. Obwohl beide anwesend und gesund sind, so ist der sich einstellende Produktivitätsunterschied enorm. Diesen Vergleich kann man über alle Berufsgruppen ziehen. Nicht außer Acht gelassen werden darf, dass die gesamten Prozessketten, die mit menschlichem Handeln zusammenhängen, durch eine veränderte Betrachtungsweise in Bereichen wie Arbeitsbelastung, Störungen und Ablenkungen, Monotonie, Qualifikation, usw. verbessert werden. Somit ergibt am Ende eine Vielzahl von kleinen Maßnahmen den wirklichen Mehrwert. 3.6  Optimaler Einsatz von Ressourcen und Steigerung der

Produktivität

Ein weiteres Ziel des Gesundheitsmanagements ist es, die vorhandenen Ressourcen optimal einzusetzen. Damit wird auch der Nutzen eines BGM sichtbar. Wer zufriedenere Mitarbeiter hat, hat Mitarbeiter, die in ihrem Leben gefestigter sind und selbstständiger handeln. Ergebnis daraus sind stabile Prozesse, gute Produkte und eine gute Qualität. Auch sinken die betrieblichen Störungen bei gleichzeitiger Steigerung der Identifikation mit der eigenen Tätigkeit und dem Unternehmen. Beschäftigte werden besser an das Unternehmen gebunden und entwickeln sich kontinuierlich, fachlich und persönlich weiter. Nicht zu vergessen ist, dass sich Mitarbeiter bei Veränderungsprozessen oder Umstrukturierungen mit einer hohen Beschäftigungsfähigkeit nicht als Verlierer sehen, sondern aktiv ihr Leben in die Hand nehmen und sich neue Wege und Chancen erarbeiten. Viele bleiben gelassen, gehen die Veränderungen mit, bringen sich ein und vertrauen ihren Fähigkeiten. Das ist ein Gewinn für jedes Unternehmen.

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3.7  Stärkung der Unternehmenskultur

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Unternehmenskulturen verändern sich, trotzdem gibt es in jedem Unternehmen Eigenschaften, die auch bei starken Veränderungen bleiben. Das sind die geteilten Werte, Normen und Haltungen der Beschäftigten und Führungskräfte. Die Unternehmenskultur ist die soziale Kompetenz und das Wesen eines Unternehmens. Innovations- oder Risikofreude, Konfliktfähigkeit und Toleranz, Trägheit und Aggressivität am Markt, eine Siegermentalität und Tabuthemen unterliegen der Unternehmenskultur. Vor allem aber das Miteinander wird durch diese Kultur geprägt. Oftmals wird die Unternehmenskultur vom Management eher positiver dargestellt, als diese ist. Erst bei der Überarbeitung der Marke oder in Krisen rückt die Unternehmenskultur, vor allem zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit, in den Vordergrund. Wenn die Marke erarbeitet oder eine Neuausrichtung beschlossen wurde, dann wird diese mit einem lauten Knall verkündet. Spätestens wenn die Maßnahmen eingefordert werden, die gewünschten Effekte ausbleiben und der alte Trott wieder in den Vordergrund tritt, gibt es ein böses Erwachen. Die Enttäuschungen sind groß und die „Ich habe es gleich gewusst“-Fraktion erhält ihre Bestätigung. In vielen Betrieben ist die Situation dann deutlich negativer als vorher. Bei einer genauen Analyse wird erkannt, dass die vorgegebenen Erwartungen das Management überfordert haben oder die Maßnahmen nicht authentisch umgesetzt wurden. Beides führt zu einer Frustration bei Beschäftigten und Führungskräften. Die Unternehmenskultur wirkt auch durch Symbole. In guten wie in schlechten Zeiten geht der Blick der Beschäftigten nach oben zum Management oder dem Chef. Das beginnt beim exklusiven Parkplatz und hört bei der Spesenabrechnung auf. Es gibt hierarchieübergreifend ein Verständnis für Gerechtigkeit und Selbstverständnis. Glaubwürdige Unternehmer, Führungskräfte und Mitarbeiter gehen mit gutem Beispiel voran und beginnen bei sich mit kleinen Gesten und Taten, die in der Belegschaft oftmals Wunder bewirken. Damit legen sie die Basis für glaubwürdiges Handeln. Das systematische BGM beschützt die Unternehmenskultur und sorgt dafür, dass an Glaubwürdigkeit festgehalten wird. In Veränderungsprozessen stellt sich ein Gleichgewicht ein, das stabilisierend wirkt und die Veränderungen positiv mitgestaltet. Oft sind es Kleinigkeiten, wie die gleiche Büroausstattung, der gleiche Parkplatz, das wertschätzen von geleisteter Arbeit oder der gemeinsame Gang zum Mittagessen, die den Mehrwert ergeben und die im Tagesgeschäft übersehen werden. 3.8  Reduzierung von Konflikten

Das Ergebnis eines systematischen BGM ist auch die Reduzierung von Konflikten. Menschen, die sich verstanden fühlen, ein nachvollziehbares Handeln erleben und deren Bedürfnisse beachtet werden, sind ausgeglichener und haben ein besseres Toleranzverhalten gegenüber der Führungsetage und dem Unternehmen. Hier kann auch der Begriff Loyalität verwendet werden. Trotzdem werden Konflikte, vor allem durch psychosoziale Problemstellungen, beim Beschäftigten oder den Führungskräften ausgelöst. Hier zu nennen sind beispielsweise Überforderung, Schicksalsschläge, Depressionen, Scheidung, finanzielle Sorgen, Pflege und Krankheit oder Suchtmittelmissbrauch, die zu diesen Konflikten und betrieblichen Herausforderungen führen. Die Auswirkungen sind vielfältig, Minderleistung, erhöhte

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Abwesenheiten, negative Stimmung im Team, eine Steigerung der Fehlerhäufigkeit und ein erhöhter Führungsaufwand. Viele Führungskräfte sind nicht auf dieses Krisenmanagement vorbereitet, geschweige denn dafür qualifiziert. Aufgrund Überforderung oder einer starken persönlichen Beziehung zu den Betroffenen verschärfen sich die Krisen. Bei diesen wirklichen Lebenskrisen muss die Führungskraft einen hohen Zeitaufwand für eine Person und das betroffene Umfeld aufwenden und damit sonstige Aufgaben vernachlässigen. Bei verhärteten Situationen beschäftigten sich dann sogar ganze betriebliche Helfersysteme über Jahre hinweg mit einer einzigen Person, ohne dass sich die Situation verbessert oder auflöst. Bei einer professionellen Herangehensweise und guten Interventionen kann sich der Betroffene nach kurzer Zeit wieder stabilisieren und damit die betrieblichen Aufgaben erfüllen. Ein Gesundheitsmanagement baut je nach Betriebsstruktur hierzu die notwendigen internen und externen Hilfssysteme auf und schafft damit ein Leitsystem für Betroffene. Führungskräfte werden damit psychisch und zeitlich entlastet, somit wird die gesamte Leistungsfähigkeit der Organisation gestärkt. > Eine klassische Win-win-Situation (s. . Abb. 3.1).

Weiterführende Literatur iga Report 28 – Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Prävention. AOK-Bundesverband, Berlin; BKK Dachverband, Berlin; Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Berlin; Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek), Berlin. Internetausgabe. Prof. Dr. Dietmar Bräunig, Jessy Haupt, Dr. Thomas Kohstall, Ina Kramer, Dr. Claudia Pieper, Sarah Schröer. ISSN: 1612-1996 (Internetausgabe). Werte-Index 2016. Deutscher Fachverlag. Auflage: 1 (13. November 2015) . Peter Wippermann (Herausgeber, Autor), Jens Krüger (Herausgeber, Autor), ISBN-10: 9783866413122, ISBN-13: 978-3866413122.

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Gesundheitsökonomische Aspekte: Kosten oder Investition Willy Graßl und Martin Simmel 4.1  Kostenbetrachtung von Krankheit – 22 4.2  Präsentismus – 23 4.3  Nutzenbetrachtung von Gesundheit – 24 4.4  Emotionale Bindung steigert den Gewinn – 24 4.5  Haltung zur Arbeit, zum Unternehmen und wirtschaftlicher Erfolg – 25 4.6  Kostenvergleichsrechnung – 26 4.7  Ausgleichsübungen bei einseitigen Belastungen: – 27 4.8  Elektrisch höhenverstellbare Schreibtische – 28 Weiterführende Literatur – 29

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_4

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Wer keine Zeit für seine Gesundheit hat, wird später viel Zeit für seine Krankheit brauchen. Sebastian Kneipp

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Wer das BGM wirtschaftlich bewerten möchte, muss die gesamten Faktoren einbeziehen, die eine Kostenvergleichsrechnung ermöglichen. Mit der Kostenvergleichsrechnung wird der Nutzen dargestellt und die Wirkungsweise des BGM sichtbar. In großen Unternehmen hat sich das BGM bereits durchgesetzt, in kleinen und mittelständischen Unternehmen wird es immer öfter angewandt. Ein kluger Unternehmer erkennt, dass Investitionen in diesem Bereich einen langfristigen Erfolg bewirken. Die großen Unternehmen haben es vorgemacht und wer glaubt, dass dahinter keine wirtschaftlichen Interessen stecken, der irrt sich. Die Romantisierung des Gesundheitsmanagements ist vorbei. Verstärkt werden die Notwendigkeiten durch die Veränderung der Arbeitswelt, durch die Globalisierung, durch den fortschreitenden Alterungsprozess der Gesellschaft, durch die Digitalisierung und durch den Kampf um gut ausgebildete Beschäftigte, Schul- oder Studienabsolventen. Wissen und Ressourcen im Betrieb zu erhalten, auszubauen und optimal zu nutzen, bringt eine hohe Rendite und ist nicht selbstverständlich. Wer sich am Arbeitsmarkt als Top-Arbeitgeber platzieren kann, hat weniger Probleme mit guten Bewerbern und das Gehalt steht nicht im Vordergrund. Deshalb stellen wir den gesundheitsökonomischen Nutzen eines BGM und einige Maßnahmen vor. Die Beispiele und Berechnungen sind validiert und kommen aus der Praxis. 5 Kostenbetrachtung von Krankheit 5 Präsentismus 5 Nutzenbetrachtung von Gesundheit 5 Emotionale Bindung steigert den Gewinn 5 Haltung zur Arbeit, zum Unternehmen und wirtschaftlicher Erfolg 5 Kostenvergleichsrechnung 4.1  Kostenbetrachtung von Krankheit

Die Reduzierung von Krankheitszeiten ist immer noch einer der meistgenannten Punkte bei der Einführung eines BGM. Es liegt vermutlich daran, dass diese Kennzahl in jedem Unternehmen vorhanden ist und die Auswirkungen in einen direkten Zusammenhang mit dem Ertrag gebracht werden. Wenn ein Beschäftigter krank ist und nicht im Betrieb erscheint, kostet er mehr Geld, als wenn er produktiv arbeitet und damit Gewinn erwirtschaftet. Das leuchtet jedem Betriebswirtschaftler ein. Bei einem tüchtigen Beschäftigten wird eine Krankmeldung nicht hinterfragt, wohingegen einem ungeliebten Kollegen bei einem Ausfall schlichtes „Blaumachen“ unterstellt wird. Was leider nicht betrachtet wird, ist die Beeinflussbarkeit von Krankenständen durch Rahmenbedingungen, Prävention, gute Führung oder unterstützende Maßnahmen, die eine schnellere Arbeitsfähigkeit ermöglichen. Bevor wir zum Nutzen kommen, müssen wir also die Kosten genau betrachten. Wenn ein Beschäftigter wegen einer Krankheit nicht zur Arbeit erscheinen kann, verursacht er folgende Kosten: Lohnfortzahlung in der Regel bis zu sechs Wochen, einen höheren administrativen Aufwand aufgrund des ungeplanten Arbeitsausfalls, die Ersatzbeschaffung von Personal, die Absage von Aufträgen oder zusätzliche Überstunden bei anderen Kollegen. Als Folge treten eine höhere Belastung und eine geringere Erholung

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der Kollegen auf. Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass die Konkurrenz bei einem niedrigeren Krankenstand mehr leisten kann und somit einen Wettbewerbsvorteil generiert. Bei realistischer Betrachtung muss bei einem angelernten Beschäftigten von mindestens 250 € pro Krankentag, bei Facharbeitern von ca. 400 € und bei Spezialisten von bis zu 800 € ausgegangen werden. Bei Managern in den oberen Führungskreisen kostet der Ausfalltag deutlich mehr. Im Folgenden die Durchschnittsberechnung für Unternehmen: „Im Schnitt waren die Deutschen im Jahr 2016 zweieinhalb Wochen krankgeschrieben. (Institut der deutschen Wirtschaft Köln, interaktive Grafiken, Krankenstand)“. In meiner Berechnung benutze ich die Arbeitstage und nicht die Krankentage der Krankenkasse, diese beinhalten auch freie Tage, wie das Wochenende. Zweieinhalb Wochen sind bei einer 5-Tage-Woche 12,5 Tage pro Jahr oder ca. 5,6 % bei 220 Arbeitstagen pro Jahr. Das ergibt bei einem angelernten Mitarbeiter ungefähr 3125 €, bei einem Facharbeiter 5000 € und bei einem Spezialisten bis zu 10.000 €. In einem Betrieb mit einhundert Beschäftigten belaufen sich die Summen, die die durchschnittlichen Krankheitskosten verursachen, demnach auf 312.500 € bei Angelernten, 500.000 € bei Facharbeitern und 1.000.000  € bei Spezialisten. Wahrlich stattliche Beträge. 4.2  Präsentismus

Nach der BAUA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) -Studie „Präsentismus: Ein Review zum Stand der Forschung“ (M. Steinke, B. Badura) gibt es zwei Handlungsstränge in der Forschung zum Präsentismus. 1. Das Verhalten von Mitarbeitern, trotz Krankheit zur Arbeit zu gehen. 2. Präsentismus als Einbußen der Arbeitsproduktivität, die Organisationen dadurch entstehen, dass ihre Mitarbeiter durch gesundheitliche Beschwerden – vor allem chronische Erkrankungen – in ihrer Arbeit eingeschränkt sind und unterhalb ihres durchschnittlichen Arbeitspensums bleiben. Die Autoren möchten noch einen erweiterten Blick auf den Präsentismus geben. Bei Anwesenheit sind neben den krankheitsbedingten Leistungseinbußen auch Einbußen durch eine reduzierte Leistungsbereitschaft zu berücksichtigen, die eine andere Ursache haben. Hier muss man verstärkt die durch den Arbeitgeber verursachten Faktoren berücksichtigen: geringe Führungskompetenzen, fehlende Anerkennung und Wertschätzung, fehlendes Verständnis bei persönlichen oder betrieblichen Themen, ungünstige Arbeitsbedingungen, usw. In dem obigen Review unter Punkt 3.5 Kosten werden aus den verschiedenen Studien auch die Kosten des Präsentismus betrachtet. Das Ergebnis zeigt eindeutig, dass Kosten durch Präsentismus höher sind als durch Absentismus. In der Arbeits- und Organisationspsychologie bezeichnet Absentismus (lat. absentia = Abwesenheit) Fehlzeiten, die auf Probleme im privaten Umfeld oder motivationale (das Motiv betreffend) Ursachen, nicht aber auf krankheitsbedingte Gründe zurückzuführen sind. (Quelle: Wirtschaftslexikon 7 Gabler.de). Es ist wichtig, zu verstehen, dass zwischen Krankheit

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und Gesundheit viele Facetten bestehen und diese durch viele Faktoren beeinflusst werden. Hierzu ausführlicher auch unter, „Emotionale Bindung steigert den Gewinn.“ Je geringer der Präsentismus in einem Unternehmen ist, desto höher sind die Produktivität, das Vertrauen und die Bereitschaft, die eigenen Fähigkeiten gewinnbringend einzusetzen.

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4.3  Nutzenbetrachtung von Gesundheit

Wer gesund ist, geht zur Arbeit und erwirtschaftet dem Unternehmen einen Ertrag. Je mehr Beschäftigte anwesend sind, desto höher die mögliche Rendite. Führungskräfte und administrative Stellen können sich auf die Prozesse, Aufgaben und Ziele konzentrieren und der Betrieb läuft störungsfreier. Auch können mehr Aufträge angenommen werden oder es sind zusätzliche Ressourcen für außergewöhnliche Themen oder Projekte vorhanden, die das Unternehmen vorwärtsbringen. Innovation entsteht durch Zeit für Kreativität und nicht durch Überlastung. Nehmen wir an, das Unternehmen mit einhundert Beschäftigten kann seinen Krankenstand dauerhaft um 1 % positiv beeinflussen, also von 5,6 % auf 4,6 % senken. Dann hat es laut unseren obigen Beispielen 55.804 €, 89.286 € oder 178.571 € weniger Aufwand als vorher. Wer möchte, kann es gerne auf 10 Jahre hochrechnen. Zusätzlich hat das Unternehmen noch einen Beschäftigten mehr zur Verfügung, der bisher wegen Krankheit gefehlt hat. Mit allen wirtschaftlichen Vorteilen. 4.4  Emotionale Bindung steigert den Gewinn

Es gibt Unternehmen, die in ihrer Mitarbeiterbefragung die emotionale Bindung der Beschäftigten abfragen und die Ergebnisse mit betrieblichen Gesundheitsparametern vergleichen. Welche Gesundheitsparameter dazu geeignet sind, behandeln wir im Kapitel „Der betriebliche Gesundheitsbericht“. Bei dem hier erwähnten Vergleich konnte in verschiedenen Betrieben festgestellt werden, dass in allen Teilbereichen des Unternehmens ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Bindungsindex und dem Krankenstand bestand. In der Literatur erhält man hierzu bei Bernhard Badura (Soziologe und Gesundheitswissenschaftler), Juhani Illmarinen (Arbeitswissenschaftler und Experte für Generationenmanagement) und Jürgen Tempel (Arbeitsmediziner) ausreichend Bestätigungen. Warum aber ist die emotionale Bindung so wichtig? Beschäftigte mit einer emotionalen Bindung zum Unternehmen haben eine höhere Identifikation und eine höhere Leistungsbereitschaft, denn sie betrachten die Tätigkeit und das Unternehmen als einen wertvollen Teil ihres Lebens. Die Folge daraus ist, dass sogenannte Bettkantenentscheidungen (ich kann arbeiten oder ich könnte auch krank sein) zugunsten des Arbeitgebers ausfallen. Die Beschäftigten wechseln nicht so leicht ihren Arbeitsplatz, sie übernehmen mehr Selbstverantwortung zum Erhalt des Arbeitsverhältnisses, und eine Gehaltserhöhung ist für diese Beschäftigtengruppe nicht das Entscheidende. Damit steigert die emotionale Bindung den wirtschaftlichen Erfolg durch produktivere Beschäftigte. Fehlendes Fachpersonal oder die Kosten für Beschaffung, Qualifizierung und Einarbeitung eines Beschäftigten sind deutlich geringer als in Unternehmen mit geringer Bindung. Dadurch bleiben die Beschäftigten mit ihrem

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Erfahrungswissen auch länger im Betrieb und bereiten sich nicht schon mit 50 auf die Rente vor. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist, dass Beschäftigte mit diesem Zugehörigkeitsgefühl ihren Arbeitsplatz erhalten möchten und Vertrauen in das Unternehmen bzw. ihre Führungskraft haben. Denn mit steigendem Alter erhöhen sich die Probleme mit chronischen Erkrankungen überproportional in der Gesellschaft und verursachen hohe wiederkehrende Kosten, die wiederum mit Einschränkungen bei der Leistungserbringung verbunden sind und die sowohl die Beschäftigten als auch das Unternehmen vermeiden wollen. Eine Frühverrentung, Arbeitsplatzverlust oder der Verlust des mühsam aufgebauten Erfahrungswissen, sind Beispiele, die jedem bekannt sind. Mit einer gezielten präventiven Herangehensweise können chronische Erkrankungen oftmals vermieden werden. Gerade hierbei unterstützt ein gutes BGM mit den richtigen Ansätzen. Jede Vermeidung einer chronischen Erkrankung entlastet Führungskräfte und stärkt das Unternehmen und dessen Beschäftigte mit ihren Familien. 4.5  Haltung zur Arbeit, zum Unternehmen und wirtschaftlicher

Erfolg

Der finnische Forscher Juhani Ilmarinen hat mit dem Haus der Arbeitsfähigkeit langjährige Forschungsergebnisse dargestellt, und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat mit dem Forschungsprojekt Nr. 18/05 „Unternehmenskultur, Arbeitsqualität und Mitarbeiterengagement in den Unternehmen in Deutschland“ nachweisen können, welche Aspekte einen Großteil des wirtschaftlichen Erfolges von Unternehmen ausmachen. Ilmarinens Haus der Arbeitsfähigkeit hat vier Ebenen. Gesundheit und Leistungsfähigkeit, Kompetenz (Kenntnisse und Fähigkeiten), Werte (Einstellung und Motivation) und die Arbeit (Führung, Management, soziales Arbeitsumfeld, Arbeitsorganisation, Arbeitsumgebung, Arbeitsinhalt/-anforderung). In Ilmarinens Konzept sind auch die Familie, die Freunde, das persönliches Umfeld und die Gesellschaft als wichtige Aspekte der Arbeitsfähigkeit integriert. Die Darstellung ist einfach und logisch aufgebaut und stellt den Zusammenhang der verschiedenen Einflüsse auf die Arbeitsfähigkeit des Menschen dar. Unternehmerisch denkende Personen sollten deshalb die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf alle vier Aspekte berücksichtigen. Damit werden Entscheidungen und deren Auswirkungen mehrdimensional geprüft und bewertet. Ilmarinen hat 30 Jahre Forschung nachvollziehbar in eine Folie integrieren können. Im Haus der Arbeitsfähigkeit ragt aber eine Ebene für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens heraus. Die Ebene Werte (Einstellung und Motivation) beeinflusst maßgeblich die Haltung des Beschäftigten zur Tätigkeit, seine Motivation, die Leistungsbereitschaft und seine Selbstverantwortung. In Teil I wurde das Beispiel des geschätzten Mitarbeiters mit einer hohen Beschäftigungsfähigkeit und dem eines schwierigen und unmotivierten Mitarbeiters genannt. Greifen wir dieses Beispiel noch einmal auf und stellen uns vor, beide Beschäftigte betreten das Unternehmen. Sie sind gesund und leistungsfähig, haben die gleichen Kompetenzen und die gleichen Rahmenbedingungen für ihre Arbeit. Das außerbetriebliche Umfeld – Familie, Freunde und Lebensraum – ist vergleichbar. Welcher der beiden wird dem Unternehmen mehr Ergebnisse erwirtschaften und weniger Probleme und somit Führungsaufwand verursachen? Mit diesem einfachen Bild wird nachvollziehbar, wie wichtig die Ebene Werte für ein Unternehmen ist.

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In der Studie des BMAS wurde branchenübergreifend festgestellt, welchen Einfluss eine gute Unternehmenskultur auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens hat. Der wichtigste Treiber dabei ist das Engagement des Beschäftigten. Dieses Engagement ist für ca. 30 % des Unternehmenserfolges zuständig. In der Studie wurden dazu folgende sieben Variablen verantwortlich gemacht: 5 Ich bin stolz, anderen erzählen zu können, dass ich hier arbeite (Stolz). 5 Besondere Ereignisse werden bei uns gefeiert (Teamorientierung). 5 Das Unternehmen/die Organisation ist sehr flexibel und reagiert schnell auf Veränderungen (Veränderungsfähigkeit). 5 Die Mitarbeiter unterlassen verdeckte Machenschaften und Intrigen, um etwas zu erreichen (Fairness). 5 Mein Wissen und meine Fähigkeiten werden optimal genutzt (Förderung). 5 Wenn Mitarbeiter innerhalb der Organisation ihre Funktion oder die Abteilung wechseln, werden sie gut aufgenommen und integriert (Teamorientierung). 5 Die Mitarbeiter werden unabhängig von Nationalität oder ethnischer Herkunft fair behandelt (Fairness). Laut Studie ist „Stolz“ der Haupttreiber der sieben Variablen. Dies in Zusammenhang mit Bindung, Haltung, Leistungsbereitschaft, Motivation und Unternehmenskultur zu bringen, fällt sicherlich leicht und ist auch logisch nachvollziehbar (BMAS Abschlussbericht). Wenn wir die 30 % des Unternehmenserfolges als Ansatz aufgreifen, dann können wir den Zusammenhang zwischen dauerhaft wirtschaftlich erfolgreichen und nicht erfolgreichen Unternehmen herstellen und bewerten. Das beste Beispiel dafür sind die Drogerieketten Schlecker und DM. Schlecker führte seine rigorose Personalpolitik in die Insolvenz, und DM hat seine wertschätzende und fördernde Personalpolitik als Erfolgsgarant zur Kundenbindung etabliert. 4.6  Kostenvergleichsrechnung

Wer ein BGM systematisch betreibt, fördert die Zusammenarbeit und die Innovation im Unternehmen. Durch die produktive Zusammenarbeit der verschiedenen Personen und Fachkompetenzen ergeben sich neue und andere Blickwinkel auf Themen und aus einer reinen Kostenbetrachtung wird wieder eine Kostenvergleichsrechnung. In einer Kostenvergleichsrechnung, in der die Unternehmenskultur, die Unternehmensattraktivität, die Bindung von Beschäftigten, die Vermeidung von chronischen oder anderen Erkrankungen miteinbezogen werden, ist gut erkennbar, wie erfolgreich viele Maßnahmen im Bereich des BGM sind. Hier einige Anregungen zu einer Kostenbetrachtung: Ergonomie-Beratung bei Büroarbeitsplätzen durch einen qualifizierten Sportwissenschaftler Das Themenfeld Ergonomie im Unternehmen wird in der Regel durch eine Sicherheitsfachkraft oder durch einen Arbeitsmediziner abgedeckt. Sofern es überhaupt mit diesem Ansatz angeboten wird.

27 Gesundheitsökonomische Aspekte: Kosten oder Investition

Gehen wir davon aus, dass der Sportwissenschaftler, der Arbeitsmediziner und die Sicherheitsfachkraft die Qualifikation für eine gute Ergonomie-Beratung haben. Sie besitzen dann das Wissen über die korrekte Einstellung von Stuhl, Tisch und Bildschirm, die Erklärung und den Nutzen von ergonomisch relevanten Faktoren, die Beratung bei bereits vorhandenen Beschwerden, das Erläutern von geeigneten Ausgleichsübungen oder den Verweis auf innerbetriebliche oder außerbetriebliche Unterstützungsstellen, die bei der Behebung der Beschwerden helfen können. Wichtig dabei ist das Wissen über die notwendigen Anpassungen der Büromöbel, um die Beschwerden zu beheben oder zu minimieren. Die Dauer einer guten Beratung sollte mit ca. 60 min angesetzt werden. Wenn also alle drei Personen die gleichen Kompetenzen im Bereich der Ergonomie haben, dann ergibt sich bei einer Kostenbetrachtung folgendes Ergebnis: Bei einem Arbeitsmediziner muss man heute von einem Stundensatz (60 min) zwischen 150–200 € ausgehen. Eine Sicherheitsfachkraft ist mit einem Stundensatz von 70–100 € anzusetzen. Der Sportwissenschaftler kostet in der Regel zwischen 50–70 € pro Stunde. Der Sportwissenschaftler kann aufgrund seiner Ausbildung die medizinischen Anforderungen abdecken. Die Fachqualifikation im Bereich Büromöbel und ergonomische Anforderungen ist als Zusatzqualifikation notwendig. Diese brauchen aber auch der Arbeitsmediziner und die Sicherheitsfachkraft. Sie ist jedoch deutlich einfacher zu erwerben als das medizinische Wissen über den menschlichen MuskelSkelett-Apparat und seine Bedürfnisse. Der größte Nutzen mit dem geringsten Aufwand an Qualifikation kann über den Sportwissenschaftler dargestellt werden. Er kann die Beschäftigten im Bereich Ergonomie beraten und gleichzeitig bestehende Problemstellungen erkennen oder mit geeigneten Ausgleichsübungen bzw. alternativen Einstellungen oder geeigneteren Büromöbeln beheben. Wenn er auch noch Erfahrungen in ergonomischen Eingabehilfen wie Maus und Tastatur besitzt, kann er wahre Wunder bewirken. Durch eine gute individuelle Ergonomie-Beratung kann man einen Mitarbeiter in einer Stunde qualifizieren. Derjenige selbst und das Unternehmen profitieren davon ein Leben lang. Kostenpunkt: ca. 60 € pro Mitarbeiter.

4.7  Ausgleichsübungen bei einseitigen Belastungen:

In vielen Berufen oder Tätigkeiten gibt es einseitige Belastungen durch das Stehen, Heben, Sitzen oder sich wiederholende Aufgaben. Diese einseitigen Belastungen können durch gezielte Ausgleichsübungen ausgeglichen und damit Schäden am Muskel-Skelett-Apparat vermieden werden. Eine Beratung durch einen Physiotherapeuten und eine betriebliche Begleitung kostet ca. 60–80 € pro Stunde. Rund 25 % aller Krankentage entstehen durch Muskel-Skelett-Erkrankungen. In unserem Beispielunternehmen mit 100 Mitarbeitern ergeben sich bei der niedrigsten Berechnung mit 250 € Ausfallkosten von ca. 78.125 € durch Muskel-Skelett-Erkrankungen. Bei einer Reduzierung von nur 10 % der Krankentage durch diese präventive Maßnahme wäre ein Einsatz von 98 h eines Physiotherapeuten pro Jahr noch kostenneutral. Das heißt: in einem Jahr wären alle Beschäftigten kostenneutral

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beraten. Fehlende Folgekosten durch die Vermeidung von chronischen Muskel-SkelettErkrankungen und die möglichen Erträge durch die zusätzliche Anwesenheit sind noch nicht berechnet. Wer dieses Angebot in der Arbeitszeit kostenneutral anbieten möchte, hat die Möglichkeit, dafür auch die jährliche Arbeitsschutzunterweisung zu nutzen. Nach der Startphase können die Beschäftigten die Ausgleichübungen auch selbstständig machen, und die Unterstützung durch den Physiotherapeuten kann zeitlich verlängert werden.

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4.8  Elektrisch höhenverstellbare Schreibtische

Elektrisch höhenverstellbare Schreibtische werden durch verschiedene Leistungsträger (Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit, Berufsgenossenschaften oder Integrationsamt) unter bestimmten Voraussetzungen zur Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben bezahlt. Am Beispiel Schreibtisch kann sehr plausibel gezeigt werden, dass Prävention viel günstiger ist als Wiederherstellung oder eine dauerhafte chronische Erkrankung. Der Preisunterschied zwischen einem guten ergonomischen Schreibtisch mit oder ohne elektrische Höhenverstellung liegt bei ca. 150–200 €. Wer mehr bezahlt, sollte nachverhandeln. Bei einer Nutzungsdauer von mindestens 10 Jahren würde die Amortisierung bereits bei der Reduzierung von einem Krankentag in den 10 Jahren erfolgt sein. Zusätzlich kann die oben erwähnte Ergonomie-Beratung dazu gerechnet werden und die Amortisierung würde immer noch funktionieren. Der Nutzen entsteht aber nur, wenn die Beschäftigten durch eine Ergonomie-Beratung eingewiesen werden. Damit verstehen sie den Vorteil und Sinn der elektrischen Höhenverstellung, nutzen diese und wechseln zwischen Sitzen, Stehen und Gehen, was ein deutlich gesünderes Arbeiten ermöglicht. Es ist immer wieder schön zu sehen, welchen Nutzen diese einfache Anschaffung hat und welche Wertschätzung die Beschäftigten damit verbinden. Zudem können nach der Beratung der Bürostuhl und der Schreibtisch einfach an die verschiedenen Körpergrößen der Beschäftigten angepasst werden. Bei Beschwerden ist es möglich, dass der Mitarbeiter ohne zusätzliche Büromöbel wie Stehhilfe oder ähnliche Produkte auskommt. Bei Arbeitsplätzen, die von mehreren genutzt werden, ist eine ergonomische Einstellung in ein paar Sekunden hergestellt. Damit können die Erfordernisse von Menschen mit verschiedenen Größen und ergonomischen Bedürfnissen berücksichtigt werden. Wer also darauf wartet, dass die Kosten für einen elektrisch höhenverstellbaren Schreibtisch durch einen Leistungsträger übernommen werden, der spart zwar ca. 800– 1000 €. Dafür bezahlt er eine Vielzahl von Krankentagen und in der Regel mindestens einen Rehabilitationsaufenthalt. Mit Sicherheit eine negative wirtschaftliche Kostenbetrachtung. Eine Zusammenfassung verschiedenster gesundheitsökonomischer Aspekte in Bezug auf Abwesenheit und Produktivität kann bei der Einschätzung und Bewertung von Kosten und Nutzenargumenten im eigenen Unternehmen hilfreich sein (s. . Abb. 4.1).

29 Gesundheitsökonomische Aspekte: Kosten oder Investition

rehabilitative Unterstützungsangebote für Gesundheit

Ursache

Unterstützungsangebote in psychosozial kritischen Situationen Überlastung, Kränkung, Angst branchentypische Belastungen Erkrankungen, Unfälle, Schicksalsschläge

Ergebnis

kurze Erkrankung lange Ausfallzeit durch Erkrankung branchentypische Ausfallzeit durch Erkrankung Abwesend

mangelnde Wertschätzung

präventive Unterstützungsangebote für Gesundheit gute Führungskultur

ungünstige Rahmenbedingungen bei der Arbeit

gute Arbeitsbedingungen

geringe Leistungsbereitschaft

gute und wertschätzende Unternehmenskultur,

Präsentismus persönlich / betrieblich beeinflussbare Ausfallzeit oder Anwesenheit Anwesend

hohe Innovation hohe Motivation und Leistungsbereitschaft hohe Bindung zur Tätigkeit und dem Unternehmen Hohe Produktivität

. Abb. 4.1  Gesundheitsökonomische Aspekte: Ursache und Ergebnis in Bezug auf Abwesenheit und Produktivität

Weiterführende Literatur Präsentismus: Ein Review zum Stand der Forschung. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Autoren: Mika Steinke Prof. (em.) Dr. Bernhard-Badura-Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften . ISBN 978-3-88261-126-7 Abschlussbericht Forschungsprojekt Nr. 18/05 – Unternehmenskultur, Arbeitsqualität und Mitarbeiterengagement in den Unternehmen in Deutschland. Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Durchführung: psychonomics AG in Kooperation mit dem Institut für. Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Universität zu Köln und freundlicher Genehmigung des Great Place to Work® Institute. Frank Hauser, Andreas Schubert, Mona Aicher. Unter Mitarbeit von: Prof. Dr. Lorenz Fischer, Katharina Wegera, Claudia Erne, Inge Böth. 7 https:// www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/forschungsbericht-f371.pdf;jsessionid=2AA18F9A4D95D5328B9E410F819F415B?__blob=publicationFile&v=2 Gabler Wirtschaftslexikon. Springer Gabler. Verlagsausgabe Internet. 7 https://wirtschaftslexikon.­ gabler.de/ Arbeit und Gesundheit im 21. Jahrhundert: Mitarbeiterbindung durch Kulturentwicklung. Springer Gabler. 1. Aufl. 2017 (8. März 2017). Bernhard Badura (Herausgeber). ISBN-10: 3662531992. ISBN-13: 978-3662531990 Arbeitsleben 2025: Das Haus der Arbeitsfähigkeit im Unternehmen bauen. Gebundenes Buch – 1. Juni 2012. Marianne Giesert (Herausgeber), Jürgen Tempel (Autor), Juhani Ilmarinen (Autor). VSA Verlag. 1. Auflage (01. Juni 2012). ISBN-10: 3899654641. ISBN-13: 978-3899654646 Institut der deutschen Wirtschaft Köln, interaktive Grafiken, Krankenstand. Quelle: 7 https://www. iwkoeln.de/presse/interaktive-grafiken.html

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Rollenerklärung und Rollenverständnis Willy Graßl und Martin Simmel 5.1  Einleitung – 32 5.2  Rollen im betrieblichen Kontext – 33 5.3  Rollenklarheit und Rollenverständnis – 34 5.4  Entscheider – 34 5.5  Führungskräfte – 34 5.6  Gesundheitsmanager – 34 5.7  Mitarbeiter – 35 5.8  Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin – 35 5.9  Arbeitnehmervertreter – Betriebsrat und Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen (Schwerbehindertenvertretung) – 36 5.10  Inklusionsbeauftragter des Arbeitgebers nach § 181 SGB IX zur Erfüllung der Pflichten des Arbeitgebers zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (SGB IX Teil 3; Kap. 5) – 36 5.11  Sozialversicherungsträger – 37

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_5

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W. Graßl und M. Simmel

Die Menschen hegen eine instinktive Abscheu vor dem Erfolg anderer, sie finden es ungerecht vom Schicksal, den einen zu begünstigen und versuchen deshalb, das Gleichgewicht wiederherzustellen, indem sie ihm Steine in den Weg rollen. August Strindberg

5.1  Einleitung

5

„Rolle und Selbstverständnis“ lautet der Titel eines Kurses im Weiterbildungsstudium Arbeitswissenschaft am Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Der Kurs umfasst 190 h und richtet sich an Akteure in der betrieblichen Suchtarbeit und Gesundheitsförderung mit dem Ziel ein Rollenverständnis in diesen Aufgabengebieten zu entwickeln. Viele Beschäftigte oder externe Berater erleben in einem betrieblichen Umfeld eine Rollendiffusität, die in fast allen Fällen eine Vielzahl von Problemen verursacht. Ein systematisches Gesundheitsmanagement profitiert enorm von einer Rollenklarheit. Bei der Entwicklung und dem Aufbau des BGM sollte darauf geachtet werden, dass die Rollen und Zuständigkeiten klar benannt und festgelegt werden. Wenn dies nachvollziehbar und transparent geschieht, werden Missverständnisse vermieden und die Zusammenarbeit gefördert. Ein funktionierendes Gesundheitsmanagement ermöglicht allen Beteiligten eine Stärkung des eigenen Bereiches oder der eigenen Person, sofern nicht die von August Strindberg erwähnten Steine in den Weg gerollt werden. In kleinen und mittelgroßen Betrieben gibt es eine Vielzahl von Beschäftigten, die mehrere Rollen aufgrund ihrer Fähigkeiten und Qualifikationen ausüben. Im BGM steigert sich diese Problematik noch um einiges. Zum Beispiel kann ein Werkstattleiter, der zusätzlich als Sicherheitsbeauftragter im Arbeitsschutz eingesetzt ist, aufgrund seiner Beliebtheit und seines guten Führungsstils zum Arbeitnehmervertreter gewählt werden. In dieser Funktion engagiert er sich für das Thema Sucht und Gesundheitsförderung und qualifiziert sich als ehrenamtlicher Suchtkrankenhelfer. Daraus entsteht ein BGM, in dem er die Rolle des Koordinators übernimmt. Bei genauer Betrachtung nimmt er mindestens fünf verschiedene betriebliche Rollen, die abzugrenzen und auszufüllen sind, ein. Deshalb ist es wichtig die verschiedenen Rollen im BGM zu kennen und genauer zu betrachten. Die Themen Gesundheit, Bewegung, Stress und Ernährung kennt jeder und viele glauben, dass der Zuständige im BGM alles über diese Themen wissen muss. Dem ist nicht so. Die Gesamtheit des Wissens zusammenzuführen und nutzbar zu machen, ist die Kunst und die Aufgabe eines Gesundheitsmanagers. 5 Rollen im betrieblichen Kontext 5 Rollenklarheit und Rollenverständnis 5 Entscheider 5 Führungskräfte 5 Gesundheitsmanager 5 Mitarbeiter 5 Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin 5 Arbeitnehmervertreter – Betriebsrat und Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen (Schwerbehindertenvertretung) 5 Inklusionsbeauftragter des Arbeitgebers nach § 181 SGB IX zur Erfüllung der Pflichten des Arbeitgebers zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (SGB IX Teil 3) 5 Sozialversicherungsträger

33 Rollenerklärung und Rollenverständnis

Ents. FK Themen

EF SVT Rollen

BGM

GM Ressourcen

MA Wissen

IBA

SBV BR

FASI

Ents. FK GM MA FASI AM BR SBV IBA

- Entscheider - Führungskräfte - Gesundheitsmanager - Mitarbeiter - Arbeitssicherheit - Arbeitsmedizin - Betriebsrat - Schwerbehindertenvertretung - Inklusionsbeauftragter des Arbeitgebers SVT - Sozialverischerungsträger EF - Externe Fachstellen

AM

. Abb. 5.1  BGM ist ein Ergebnis aus verschiedenen Rollen, Themen, Ressourcen und Wissen

5.2  Rollen im betrieblichen Kontext

Wie schon erwähnt ist das BGM ein Gesamtergebnis von Menschen in verschiedenen Rollen und Funktionen (s. . Abb. 5.1). Die wichtigste Rolle im BGM ist nach den Entscheidern, der BGM Koordinator oder Gesundheitsmanager. Er ist dafür zuständig, dem BGM ein Gesamtbild zu geben sowie die Angebote, Maßnahmen, Qualität, Ressourcen und die Ausrichtung auf den betrieblichen Bedarf zu entwickeln und abzustimmen. Er fungiert auch als Schnittstelle zwischen den internen und externen Akteuren und führt die Themen und Personen zu einem gewinnbringenden Ganzen zusammen. Im Arbeitsschutz sind Arbeitsmediziner und Fachkräfte für Arbeitssicherheit betriebliche Partner. In einem BGM werden diese beiden wichtigen Funktionen in einem übergreifenden Verständnis eingebunden und tragen mit ihrem Fachwissen zum Erfolg des BGM bei. Ein weiterer gesetzlicher Baustein ist das betriebliche Eingliederungsmanagement. Die zuständigen Ansprechpartner sind ebenso ein Teil des Gesundheitsmanagements. Bei einer bestehenden Arbeitnehmervertretung sind Betriebsrat oder Schwerbehindertenvertretung als Sprachrohr der Belegschaft und Unterstützer der Angebote und Maßnahmen mit einzubeziehen. Als externe Akteure sind für ein BGM die Sozialversicherungsträger, das Integrationsamt oder soziale Beratungsstellen wichtige Beteiligte. Betrieblich gibt es je nach Unternehmen noch weiter Akteure, die in einem BGM wichtig sind und die Ziele aus dem BGM unterstützen. Allen voran zählen dazu Führungskräfte, Mitarbeiter, der Inklusionsbeauftragte des Arbeitgebers, Suchtbeauftragte, die Personalentwicklung oder die zuständige Stelle für die Qualifizierung der Belegschaft, Sozialberater, Ausbildungsbeauftragte und alle Mitarbeiter, die auf einer Stelle sind, deren Entscheidungen Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Wichtig dabei ist, die Beteiligten thematisch und entsprechend ihrer Rollen einzubinden. Bei übergreifenden Themen ist es von großem Vorteil, verschiedene Blickwinkel und Fachwissen zusammen zu führen und somit das vorhandene Expertenwissen zu bündeln und zu nutzen.

5

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W. Graßl und M. Simmel

5.3  Rollenklarheit und Rollenverständnis

5

Im Gesundheitsmanagement ist es unvermeidlich, gewohnte Abläufe und Prozesse zu hinterfragen und zu verbessern. Damit ist Veränderung ein ständiger Begleiter des Gesundheitsmanagements. Gerade am Anfang prallen bei der Initiierung und Entwicklung des BGM unterschiedliche Meinungen und Positionen aufeinander. Ängste und Unsicherheiten bei den Beteiligten sind vielfach die Folge. Wenn es dabei keine klaren Zuständigkeiten und eine ausgesprochene Rollenklärung gibt, dann bewegen sich die Beteiligten schnell in verschiedene Richtungen, die nur schwer zu korrigieren sind. Die Zeit, die für die Entwicklung und die Klärung der Rollen investiert wird, bringt eine hohe Rendite durch gute Angebote und geringe Reibungsverluste in der Zusammenarbeit. Kurz zusammengefasst bedeutet es, dass durch Klarheit Verständnis entsteht. 5.4  Entscheider

Gesundheit ist Führungsaufgabe, deshalb sind Unternehmer, Geschäftsführer und Personalleiter Träger des Gesundheitsmanagements und sorgen mit ihren Entscheidungen zum BGM für eine positive Ausgestaltung und Akzeptanz im Unternehmen. Arbeitsschutz ist ein Teil des Gesundheitsmanagements, deshalb verhält es sich dort genauso. 5.5  Führungskräfte

In ihrer Funktion sind Führungskräfte zuständig für viele Aufgaben, die mit dem Thema Gesundheit zusammenhängen. Arbeitsschutz, BEM, Ausstattung der Arbeitsplätze, Einhaltung von Vorschriften und Regelungen, berufliche Qualifikation, Unterstützung bei beruflichen und privaten Problemstellungen sowie wertschätzender Umgang mit der Belegschaft sind einige Beispiele. Dadurch haben Sie einen erheblichen Einfluss auf die Gesundheit der Beschäftigten und tragen durch ihre Einstellung, Haltung und Vorbildfunktion maßgeblich zum Gelingen des Gesundheitsmanagements bei. Ein effektives Miteinander von BGM und Führungskräften erleichtert die tägliche Arbeit der Vorgesetzten, v. a. bei Themen wie schwere Erkrankungen, Krisen der Beschäftigten oder Suchtmittelauffälligkeiten. Führungskräfte sind die wichtigsten Partner eines Gesundheitsmanagements. Ihre Rolle ist es, das Thema Gesundheit in ihren Bereichen zu stärken und damit die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu sichern. 5.6  Gesundheitsmanager

Gesundheitsmanager mit ihrem breiten Wissen sind die Generalisten im BGM. Sie kennen alle Themen und Aufgaben und ihre zustehende Rolle ist es, den Auftrag der Entscheider umzusetzen und somit auch die bestehenden Strukturen, Angebote und Maßnahmen im Betrieb zu hinterfragen. In dieser Rolle kann es schnell zu Konflikten kommen, weshalb die Grundhaltung, mit der diese Aufgabe ausgeführt wird, umso wichtiger ist. Das Ziel und die Aufgabe des Gesundheitsmanagers ist das

35 Rollenerklärung und Rollenverständnis

Zusammenführen der Akteure und dem Wissen. Eine Rollenklärung ist dabei hilfreich. Ideal ist es, wenn der Gesundheitsmanager eine partnerschaftliche Arbeitsweise entwickelt und das Fachwissen der Spezialisten nutzt. Nicht der Gesundheitsmanager steht im Mittelpunkt, sondern die gute Kooperation und die Ergebnisse. 5.7  Mitarbeiter

Viele der gesundheitsrelevanten Themen betreffen jeden Beschäftigten. Anforderungen, Belastungen und Krisen treffen sowohl ungelernten Hilfsarbeiter, Facharbeiter als auch Geschäftsführer. In einem BGM ist jeder Mitarbeiter immer Spezialist für seinen Arbeitsplatz und seine Tätigkeit. Wegen dieser Expertenfunktion können Mitarbeiter genaue Angaben über die Schwierigkeiten und Lösungen an ihrem Arbeitsplatz machen und sinnvolle Dinge anstoßen, die zu einer positiven Veränderung führen. Angebote in den Bereichen Bewegung, Ernährung und Psyche müssen jedoch zum Teil sehr differenziert aufgesetzt werden, um die Wirkung und Akzeptanz bei den verschiedenen Beschäftigtengruppen zu erhalten. Was im Arbeitsschutz für viele nachvollziehbar und selbstverständlich ist, muss sich im BGM vielfach erst noch entwickeln. Beschäftigte sind für ihre Gesundheit und Leistung verantwortlich und tragen mit ihrem Verhalten maßgeblich zur Arbeitsfähigkeit bei. Diese Verantwortung ist notwendig und sinnvoll, denn nur dadurch kann ein selbstbestimmtes Leben geführt werden. Die Auswirkungen eines ungesunden Lebensstils sind in der Regel erst zeitversetzt erkennbar und deshalb ist ein aktives Mitwirken der Beschäftigten unersetzlich. Damit können Arbeitsplatz und Entwicklungsperspektiven für Unternehmen und Mitarbeiter dauerhaft gesichert werden. 5.8  Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin

Fachkräfte für Arbeitssicherheit (FASI) und Arbeitsmediziner haben in Deutschland im Arbeitsschutz eine sehr lange Tradition. Beide beraten sowohl den Arbeitgeber als auch den Betriebsrat in Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Der Arbeitsschutz ist und bleibt jedoch eine Arbeitgeberaufgabe. Deshalb sind sowohl die FASI als auch die Arbeitsmedizin weisungsungebundene Fachstellen, die den Betrieb und die Mitarbeitervertretung beraten. Aufgrund der gesetzlichen Regelungen im Arbeitssicherheitsgesetz sowie bei den Unfallversicherungsträgern und Berufsgenossenschaften gibt es einen hohen Standard mit vielen wertvollen Normen. Wichtig hierbei ist die Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen im Arbeitsschutz, durch die am 01.01.2011 in Kraft getretene DGUV Vorschrift 2. Damit erfolgt eine Gleichbehandlung unterschiedlicher Branchen und Betriebe sowie gleiche Anforderungen an Qualität und Ressourcen im Arbeitsschutz. Für die Arbeitsmedizin veränderte sich in den letzten Jahren durch die Einführung der ArbMedVV (Arbeitsmedizinische Vorsorge nach der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge) die Ausrichtung der Leistungen. Diese Ende 2008 eingeführte Verordnung hat verschieden Regelungen zusammengeführt und neu konzipiert. Sie regelt und fördert sowohl die Pflichtvorsorge, die Angebotsvorsorge und die Wunschvorsorge in den Betrieben als auch eine beratende Arbeitsmedizin und die Selbstverantwortung des Beschäftigten. Somit sind die Rollen und Aufgaben von FASI

5

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W. Graßl und M. Simmel

und Arbeitsmedizin relativ klar geregelt. Im BGM ist es wichtig, diese beratenden Fachstellen eng einzubinden. Dadurch wird wertvolles Fachwissen genutzt und durch die verschiedenen Denkansätze und Blickrichtungen eine noch bessere Verhältnis- und Verhaltensprävention erreicht. 5.9  Arbeitnehmervertreter – Betriebsrat und

Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen (Schwerbehindertenvertretung)

5

In einem BGM ist es nicht die Aufgabe der Arbeitnehmervertreter, eine Arbeitgeberfunktion zu übernehmen. Das geschieht jedoch immer wieder aufgrund der mangelnden Kompetenzen beim Arbeitgeber. Oftmals freuen sich Unternehmen, wenn sich Betriebsräte oder Schwerbehindertenvertreter im Gesundheitsmanagement engagieren und damit, aus Sicht des Arbeitgebers, sinnvoll ihre Arbeitszeit nutzen. Problematisch wird es, wenn Rollengrenzen überschritten werden und kein klares Rollenbild des Arbeitnehmervertreters möglich ist. Es gibt immer noch zahlreiche Unternehmen, die im Bereich Gesundheit keinen Überblick haben. Aus diesem Grund überlassen diese Arbeitgeber gerne die Verantwortung engagierten Arbeitnehmervertretern. Arbeitnehmervertreter nehmen diese Verantwortung auf und entwickeln sinnvolle Aktivitäten oder helfen Menschen in Krisen. Trotz allem werden Arbeitnehmervertreter niemals Arbeitgeberaufgaben wie beispielsweise Budget- und Ressourcenplanung, Steuerung der Beschäftigten oder Qualitäts- und Zieldefinition übernehmen können. Zu einem Gesundheitsmanagement gehört ein kompetenter Arbeitgeber und eine kompetente Arbeitnehmervertretung. Das Schöne im BGM ist die positive Denkrichtung, bei der am Ende alle Beteiligten zum Erfolg beitragen. 5.10  Inklusionsbeauftragter des Arbeitgebers nach § 181 SGB IX

zur Erfüllung der Pflichten des Arbeitgebers zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (SGB IX Teil 3; Kap. 5)

Eine der in vielen Betrieben unterschätzte Aufgabe hat der Inklusionsbeauftragte (siehe nachfolgender Gesetzestext). Nach § 181 SGB IX hat jeder Arbeitgeber einen Beauftragten zu bestellen. Er vertritt den Arbeitgeber in Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen und unterstützt und kontrolliert den Arbeitgeber in Hinblick auf die Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen. Der Gesetzgeber möchte damit sicherstellen, dass jeder Betrieb einen kompetenten Ansprechpartner für die Belange von Menschen mit Behinderung hat und der Arbeitgeber seinen gesetzlichen Pflichten nachkommt. Er ist Ansprechpartner für schwerbehinderte oder gleichgestellte Beschäftigte und ist verpflichtet mit dem Betriebsrat/Personalrat und der Schwerbehindertenvertretung eng zusammen zu arbeiten. Es ist gesetzlich eindeutig geregelt, dass der Arbeitgeber das Thema der Schwerbehinderten oder von Schwerbehinderung betroffenen Beschäftigten als seine Aufgabe zu betrachten hat. Leider erkennen viele Arbeitgeber nicht die Wichtigkeit dieser Aufgabe. Der Inklusionsbeauftragte ist ein immer wichtiger werdender Ansprechpartner und Bindeglied im BGM.

37 Rollenerklärung und Rollenverständnis

Mit einer guten Qualifizierung und den notwendigen Ressourcen kann er den Arbeitgeber kompetent in diesem Aufgabengebiet vertreten und kluge Entscheidungen vorbereiten oder auf Problemstellungen hinweisen und dazu beitragen, sie abzubauen. Im Alterungsprozess der Belegschaft enthalten diese Problemstellungen auch viele Lösungen, die andere Arbeitsplätze verbessern und somit das Unternehmen attraktiv und wirtschaftlich leistungsfähig machen. Auszug aus dem Sozialgesetzbuch (SGB IX) Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Kap. 5 Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- und Präsidialrat, Schwerbehindertenvertretung, Inklusionsbeauftragter des Arbeitgebers § 181 Inklusionsbeauftragter des Arbeitgebers Der Arbeitgeber bestellt einen Inklusionsbeauftragten, der ihn in Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen verantwortlich vertritt; falls erforderlich, können mehrere Inklusionsbeauftragte bestellt werden. Der Inklusionsbeauftragte soll nach Möglichkeit selbst ein schwerbehinderter Mensch sein. Der Inklusionsbeauftragte achtet vor allem darauf, dass dem Arbeitgeber obliegende Verpflichtungen erfüllt werden. § 182 Zusammenarbeit 1. Arbeitgeber, Inklusionsbeauftragter des Arbeitgebers, Schwerbehindertenvertretung und Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- oder Präsidialrat arbeiten zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben in dem Betrieb oder der Dienststelle eng zusammen. 2. Die in Absatz 1 genannten Personen und Vertretungen, die mit der Durchführung dieses Teils beauftragten Stellen und die Rehabilitationsträger unterstützen sich gegenseitig bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Vertrauensperson und Inklusionsbeauftragter des Arbeitgebers sind Verbindungspersonen zur Bundesagentur für Arbeit und zu dem Integrationsamt

5.11  Sozialversicherungsträger

Die Leistungen der Sozialversicherungsträger sorgen für soziale Sicherheit und haben damit einen maßgeblichen Anteil zum Erhalt und der Wiederherstellung der Beschäftigungsfähigkeit von Mitarbeitern. Als externe Partner eines BGMs ist es ihre Aufgabe, Unternehmen bei ihren Aktivitäten im BGM zu unterstützen. In der Zusammenarbeit mit den Sozialversicherungsträgern entsteht für alle Beteiligten ein Mehrwert. Leistungen der Sozialversicherungsträger sind zum Beispiel Statistiken und Kennzahlen, Krankengeld, Pflegegeld, Erwerbsminderungsrente, Kurzarbeitergeld sowie Heilbehandlungen. Sozialversicherungsträger (Krankenkassen, Pflegekassen, Deutsche Rentenversicherung, Unfallversicherungsträger, Berufsgenossenschaften, Bundesagentur für Arbeit).

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BGM mit System – Das Fundament Inhaltsverzeichnis Kapitel 6

Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin und Gefährdungsbeurteilung - Zukunftsorientierte Ausrichtung im Unternehmen – 41 Kristian Knöll und Peter Lugbauer

Kapitel 7

Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungsfaktoren – 51 Ulrich Hößler und Ingo Striepling

Kapitel 8

Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) – 57 Achim Müller und Ingo Striepling

Kapitel 9

Die Sozialversicherungsträger und ihr gesetzlicher Auftrag – 67 Achim Müller

Kapitel 10

Steuerrechtliche Aspekte fürs Betriebliche Gesundheitsmanagement – 77 Werner Gitschel

Kapitel 11

Die zentrale Rolle der Führungskräfte im Betrieblichen Gesundheitsmanagement – 83 Martin Simmel

Kapitel 12

Betriebliche Beteiligung und Mitbestimmung – 93 Willy Graßl

II

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Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin und Gefährdungsbeurteilung – Zukunftsorientierte Ausrichtung im Unternehmen Kristian Knöll und Peter Lugbauer 6.1  Historische Entwicklung im Arbeitsschutz – 42 6.2  Gesellschaftliche Bedeutung – 42 6.3  Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsarzt – 43 6.4  Gefährdungsbeurteilung und arbeitsmedizinische Vorsorge – 44 6.5  Arbeit und Gesundheit im Wandel – Herausforderungen für den Arbeitsschutz – 45 6.6  Arbeitsschutz im Wandel – neue Perspektiven für Unternehmen, Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit – 46 Literatur – 50

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_6

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K. Knöll und P. Lugbauer

6.1  Historische Entwicklung im Arbeitsschutz

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Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit sind bereits seit mehr als 200 Jahren wesentlicher Bestandteil unserer Arbeitswelt. In diversen Gesetzen ist der Schutz von Beschäftigten festgeschrieben. Der anfängliche Schutz der Beschäftigten vor den negativen Auswirkungen der industriellen Revolution entwickelte sich ständig weiter. Dabei ging es um die Bereitstellung sicherer Betriebsmittel und den Erhalt der Gesundheit der Beschäftigten. Mit dem Fortschreiten der Technik, der sozialen Verantwortung der Unternehmer und arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse entstand ein umfangreiches Regelwerk im Arbeitsschutz. Die heutige Arbeitsschutzgesetzgebung verpflichtet den Arbeitgeber zur Bereitstellung von Betriebsmitteln – dem Stand der Technik entsprechend – und zu der Anwendung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse. Sie verpflichten aber auch die Beschäftigten, sich an die gegebenen Arbeitsschutzvorgaben zu halten und aktiv an der Verbesserung des Arbeitsschutzes im Unternehmen mitzuwirken. Diese Verantwortung des Arbeitgebers einerseits als auch die Mitwirkungspflicht aller Beschäftigten ist zwingend notwendig für einen sicheren und gesunden Betrieb. 6.2  Gesellschaftliche Bedeutung

Die Zielsetzung der staatlichen Verordnungen ist der Schutz der Beschäftigten vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen aus relevanten arbeitsbedingten Belastungen. Für solche Belastungen und deren Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten bilden wissenschaftliche und statistische Daten die entsprechende Grundlage. Daraus ergeben sich Auflagen und Vorgaben für die Unternehmen. Vielfach werden diese Auflagen als Einschränkungen der unternehmerischen Entfaltungsfreiheit betrachtet. Gleichzeitig stellen die Vorgaben aber auch die Chancengleichheit der Unternehmen sicher. Es gelten für alle Unternehmen gleiche Bedingungen. Arbeitsunfälle oder arbeitsbedingte Erkrankungen beeinträchtigen die Produktivität und die Erträge im Unternehmen. Mit der Vermeidung von Ausfällen wird die laufende Produktion gesichert. Beim Ausfall von Beschäftigten können Liefertermine und Produktqualität beeinträchtigt werden. Bei einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit eines Beschäftigten kommt dazu noch die zu erbringende Leistung des Unfallversicherungsträgers und unter Umständen auch eine Leistungsminderung des Beschäftigten, oft verbunden mit langen und kostspieligen Ausfallzeiten, was ebenfalls zulasten des Unternehmens geht. Die Vermeidung von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen hat damit auch eine unternehmenspolitische Komponente. In den letzten Jahrzehnten entstand eine große Anzahl gesetzlicher Verpflichtungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Diese Arbeitsschutzgesetzgebung soll einen einheitlichen Standard in der arbeitenden Gesellschaft sicherstellen. Was dabei eine besondere Gewichtung erhält ist, dass die Umsetzung der Vorgaben nicht nur auf der Einsicht aller Betroffenen beruht, sondern bei Nichtbeachtung auch sanktioniert werden kann.

43 Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin und Gefährdungsbeurteilung …

6.3  Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsarzt

Für die Umsetzung der arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben erhält der Arbeitgeber Unterstützung durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit und den Betriebsarzt. Im Kontext der betrieblichen Verhältnisse sollen sie mit dem Unternehmer u. a. bei der Umsetzung der gesetzlichen und berufsgenossenschaftlichen Vorgaben praxisgerechte Lösungen vorschlagen. Dazu gehört auch das Einbringen arbeitswissenschaftlicher, sicherheitstechnischer und arbeitsmedizinischer Erkenntnisse um Maßnahmen mit möglichst hohem Wirkungsgrad zu erreichen. Gute Kontakte zu den Aufsichtsbehörden im Arbeitsschutz und der Unfallversicherungsträger sind dabei vorteilhaft. Die Anforderungen, die an den Arbeitgeber gestellt werden, betreffen neben dem Arbeitsschutzrecht aber auch noch weitere Anforderungen wie Arbeits-, Bau-, Umweltrecht und Bedingungen der betrieblichen Versicherungen. Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit bekleiden eine Stabsstelle und arbeiten weisungsfrei und unabhängig eng zusammen. Ihre Aufgaben und Verantwortungen werden seit 1973 im Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) geregelt. Die Aufgaben der Fachkraft für Arbeitssicherheit und des Betriebsarztes ergeben sich im Wesentlichen bei der 5 Planung, Ausführung und Unterhaltung der Betriebsanlagen und sozialen und sanitären Einrichtungen 5 der Beschaffung von technischen Arbeitsmitteln und der Einführung von Arbeitsverfahren und Arbeitsstoffen 5 der Auswahl und Erprobung von Körperschutzmitteln 5 der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs, der Arbeitsumgebung und in sonstigen Fragen der Ergonomie 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen, z. B. durch regelmäßige Begehungen 5 Überprüfung und Beurteilung der Betriebsanlagen, technischen Arbeitsmitteln und Arbeitsverfahren insbesondere vor Inbetriebnahme 5 Durchführung des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung im Betrieb 5 Einwirkung auf die Beschäftigten zu unfallvermeidendem und gesundheitsbewusstem Verhalten bei der Arbeit 5 Organisation der Ersten Hilfe im Betrieb Der grundsätzliche Ansatz im Betätigungsfeld liegt also in 5 der Auswertung und Darstellung der für das Unternehmen relevanten vorgegebenen Anforderungen 5 praxisorientierten Vorschlägen für deren Umsetzung im betrieblichen Ablauf 5 der Beurteilung und Bewertung dieser Umsetzung im Unternehmen Die DGUV-Vorschrift 2 von 2011 konkretisiert als Unfallverhütungsvorschrift für Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte die im ASiG geforderte Bestellung beider Fachspezialisten zur Umsetzung des Gesundheitsschutzes und der Unfallverhütung. Die dabei zu planenden Einsatzzeiten orientieren sich im Rahmen einer Ressourcenbemessung am konkreten Bedarf für eine passgenaue und qualitativ hochwertige Betreuungsleistung. Seit 1996 richtet sich das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) mit umfassenden Vorgaben zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit direkt an Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Das zentrale Tool zur Beurteilung sicherer und gesunder Arbeitsbedingungen ist die sog. Gefährdungsbeurteilung.

6

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K. Knöll und P. Lugbauer

Sie unterliegt einem kontinuierlichen Prozess und berücksichtigt dabei alle mit dem Arbeitsplatz verbundenen Bedingungen, inzwischen auch eine Beurteilung psychischer Belastungen. 6.4  Gefährdungsbeurteilung und arbeitsmedizinische Vorsorge

6

Zur optimalen Nutzung der vorgegebenen Spielräume stellt die Gefährdungsbeurteilung den betrieblichen Ist-Zustand dar, ermittelt daraus die Gefährdungen und legt die gebotenen Maßnahmen zur Erreichung definierter Ziele für einen optimierten Arbeitsschutz fest. Die Gefährdungsbeurteilung umfasst sämtliche Gefährdungen und Belastungen, die für Beschäftigte in ihrem Arbeitsbereich auftreten können. Die vom Arbeitgeber geforderten Maßnahmen beziehen sich auf die von ihm beeinflussbaren Faktoren am Arbeitsplatz. Damit können Unternehmen die ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechenden Arbeitsbedingungen schaffen – ausgerichtet an den gesetzlichen Schutzzielen. Unter Beteiligung der Beschäftigten stellen die Führungskräfte die Belastungen und Gefährdungen in ihrem Arbeitsbereich fest. Dabei helfen ihnen diverse Checklisten der Unfallversicherungsträger und die Technischen Regeln zum Arbeitsschutzgesetz. Bei der Beurteilung der auftretenden Belastungen und Gefährdungen sind die Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Betriebsarzt als Experten gefordert. Ihr Wissen zu den geforderten Vorgaben aus dem Regelwerk und die Kenntnisse der betrieblichen Praxis befähigen sie zu einer qualifizierten Beurteilung der Belastungen und Gefährdungen. Aus dieser Beurteilung werden mit allen Beteiligten die erforderlichen und umsetzbaren Maßnahmen entwickelt. Eine wesentliche Voraussetzung für die optimale Unterstützung der Unternehmen ist hier die enge Zusammenarbeit zwischen Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsarzt. Da die meisten Betriebsärzte externe Dienstleister sind, die sich nicht ständig im Betrieb aufhalten, obliegt es in diesem Fall der Fachkraft für Arbeitssicherheit, die Belange des Betriebsarztes wahr zu nehmen. Doch eine enge Zusammenarbeit ermöglicht erst die effektive und betriebsorientierte Umsetzung der Arbeitsschutzvorgaben. Gerade bei der Gestaltung der Gefährdungsbeurteilung gelingt dies besonders gut durch die Berücksichtigung von Kriterien der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Die Verordnung zur Rechtsvereinfachung und Stärkung der arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) von 2008 (Novellierung von 2013) zielt darauf, arbeitsbedingte Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, bzw. bestenfalls zu verhindern und erfüllt das Recht der Beschäftigten auf arbeitsmedizinische Vorsorge. Bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge handelt es sich um eine gezielt personenbezogene, also individuelle Arbeitsschutzmaßnahme, die die technischen und organisatorischen Maßnahmen ergänzt und dabei einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit leistet. Die ArbMedVV richtet sich an Arbeitgeber und Betriebsärzte. Der Betriebsarzt nimmt vornehmlich eine aufmerksame Beraterrolle ein und nutzt dabei vorwiegend die Mittel einer sprechenden und hörenden Medizin, Untersuchungen unterliegen prinzipiell einer Prüfung auf Erforderlichkeit nach pflichtgemäßem ärztlichen Ermessen und rücken eher in den Hintergrund. Die Ergebnisse der medizinischen Vorsorge werden in der Gesundheitsakte festgehalten, die im Rahmen der ärztlichen Schweigepflicht datenschutzrechtlich besonders schützenswert ist (vgl. auch Kap. 6, Handlungsbereich Prävention). Der Arbeitgeber hat auf Grundlage der Gefährdungsbeurteilung für eine angemessene Vorsorge zu sorgen, einen geeigneten Arzt zu beauftragen und dabei zu

45 Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin und Gefährdungsbeurteilung …

kooperieren, die Vorsorge während der Arbeitszeit anzubieten und durch das Führen einer Vorsorgekartei nachzuweisen, dass, wann und aus welchem Anlass eine Vorsorge stattgefunden hat. 6.5  Arbeit und Gesundheit im Wandel – Herausforderungen für

den Arbeitsschutz

Innerhalb der letzten 200 Jahre fand eine starke Veränderung der Charakteristik von Arbeit statt. Ausgehend von Arbeit 1.0 (industrielle Revolution, Ende 18. Jhdt.) über Arbeit 2.0 (Massenproduktion, Ende 19. Jhdt.) und Arbeit 3.0 (Dienstleistung, Globalisierung, seit 1970er) vollzieht sich seit Ende des vergangenen Jahrtausends ein weiterer bedeutender Wandel. Besonders daran ist, dass er mit einer nie zuvor dagewesenen Geschwindigkeit stattfindet und diesmal nahezu alle Lebensbereiche (Settings) betrifft. Für das Setting Arbeitswelt werden diese Veränderungen aktuell mit dem Begriff „Arbeit 4.0“ beschrieben. Arbeit 4.0 ist durch viele Merkmale charakterisiert, z. B.: Digitalisierung, Virtualisierung, Flexibilisierung, Multitasking und Vernetzung, eine noch engere Kommunikation zwischen Mensch und Maschine, verringerte körperliche Anforderungen bei deutlich erhöhtem Lern- und Entwicklungsbedarf, ein stringentes Streben nach Effizienz mit neuen, beschleunigten Produktionsabläufen und eine wachsende Arbeitsplatzunsicherheit durch Spezialisierung, Leiharbeit und befristete Arbeitsverträge. Selbst unter diesen Veränderungen wird es weiterhin genügend Arbeit geben und nicht alles wird neu sein. Aber vieles wird neu eingeordnet werden müssen. In Betrieben und Unternehmen führt dieser Wandel daher zu Umdenken und strategischer Neuausrichtung. Aus neuen Veränderungen entstehen neue Herausforderungen. Die Errungenschaften eines hervorragenden Arbeitsschutzes in Deutschland haben in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass das Risiko arbeitsbedingter Unfälle und berufsbedingter Erkrankungen deutlich gesunken ist. Nur noch selten werden heute Menschen durch ihre, bzw. wegen ihrer Arbeit krank. Da sich die Merkmale von Arbeit 4.0 aktuell noch auf einem unbekannten, rasanten und sehr komplexen Niveau präsentieren, können sie momentan nur schwer eingeschätzt werden. Neben allen innovativen Vorteilen ist damit der Komplex Arbeit 4.0 vorerst auch sorgenbehaftet. Aus neuen Herausforderungen können daher andere Belastungen und Beanspruchungen ­entstehen.

Wir leben in einer Welt, die sich demografisch verändert, in der wir länger als zuvor arbeiten werden und trotz des Älterwerdens leistungsfähig und produktiv bleiben müssen. In diesem gesamtgesellschaftlichen Kontext ist eine Trennung zwischen Arbeit und anderen Lebensbereichen heute weder möglich noch sinnvoll. Das gleiche gilt, wenn aus neuen Herausforderungen andere Belastungen und Beanspruchungen entstehen. Auch sie können nicht mehr eindeutig zugeordnet werden und müssen daher komplex und eben nicht Setting-fokussiert eingeschätzt werden. Diese realistische Sichtweise gilt besonders für die Arbeitswelt, auch hier im Kontext gesamtgesellschaftlicher Veränderungen: epidemiologische Beobachtungen zeigen, dass chronische Erkrankungen inklusive sog. psychomentaler Befindlichkeitsstörungen deutlich zunehmen, immer mehr Menschen frühzeitiger chronisch erkranken und bei vielen Menschen eine eigenverantwortliche Gesundheitskompetenz viel zu gering ausgeprägt ist. Das wird spürbare Auswirkungen auf Leistungsfähigkeit und Produktivität haben.

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K. Knöll und P. Lugbauer

Aus anderen Belastungen und Beanspruchungen können neue Ereignisse mit Krankheitswert entstehen. Damit wird Gesundheit zu einem Megatrend unserer Zeit. Der Aspekt Gesundheit erhält dadurch einen besonders hohen Stellenwert.

Der allgemeine Wandel führt daher auch im konventionellen Arbeitsschutz zu einem notwendigen Perspektiven-Wechsel.

6.6  Arbeitsschutz im Wandel – neue Perspektiven

für Unternehmen, Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit

6

Zeitgemäß ausgerichtete Betriebe und Unternehmen erkennen die aktuellen Veränderungen und die damit verbundenen zukünftigen Herausforderungen. In ihrer Sichtweise nimmt der Aspekt Gesundheit nicht nur einen besonderen, sondern einen weittragenden Stellenwert ein und wird mittels einer ganzheitlichen Sichtweise organisiert. Folgerichtig erweitern solche Betriebe und Unternehmen ihren betrieblichen Gesundheitsschutz, indem sie die Vorteile von Prävention und betrieblicher Gesundheitsförderung (BGF) als nachhaltige und kostensparende Werkzeuge erkennen und nutzen. Bereits seit einigen Jahren erfolgt dies bei einer steigenden Anzahl von Betrieben und Unternehmen durch die Einführung eines zukunftsfähigen Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM). BGM ist dabei nichts anderes als die Erweiterung des konventionellen betrieblichen Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der durch den Wandel bedingten aktuell präsenten Gesundheitsrisiken im gesamtgesellschaftlichen Kontext sowie die Überführung in ein strukturiertes, prozessorientiertes und messbares System. Weitsichtig denkende Unternehmer erkennen dabei, dass Leistungsfähigkeit und Produktivität nicht nur von strategischer Innovation und Qualität sowie fachlicher Expertise, Qualifikation und Motivation ihrer Beschäftigten abhängen, sondern eng mit Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz verbunden sind, die dadurch zu gleichwertigen und maßgeblichen wirtschaftlichen Erfolgsgaranten werden. Zukunftsorientierte Personalmanager integrieren darüber hinaus den Aspekt Gesundheit in ihre Personalentwicklungsstrategie. Sie erkennen, dass dadurch nicht nur in puncto Talentakquise und Mitarbeiterbindung wettbewerbsentscheidende Vorteile für eine angestrebte Positionierung als Top-Arbeitgeber am Markt entstehen, sondern auch eine gesunde Leistungskultur im eigenen Unternehmen maßgeblich von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz abhängen. Hierbei spielen gesundheitsorientierte Führungsqualität und Vorbildfunktion des Managements eine besonders wichtige Rolle. Durch die genannten gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen erweitert sich folgerichtig auch der Verantwortungsbereich und das Handlungsspektrum derjenigen Akteure, die sich im betrieblichen Umfeld im Sinne eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM, s. o.) für einen modernen, zukunftsorientierten Arbeitsschutz (= Arbeitssicherheit + Gesundheitsschutz) einsetzen. Besonders bei den Spezialisten des betrieblichen Gesundheitsschutzes, also den Arbeitsmedizinern und Betriebsärzten (entweder als Fachärzte für Arbeitsmedizin oder als Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin), führt das zu einer Erweiterung

47 Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin und Gefährdungsbeurteilung …

ihrer medizinischen, gesundheitsbezogenen Sichtweise und zu einer Neuausrichtung der damit verbundenen fachlichen Expertise. Sie sind es, die jeglichen gesundheitsbezogenen Aspekt im Betrieb maßgeblich beurteilen, ausrichten und konzeptionell lenken können. Vier Handlungsbereiche spielen dabei eine tragende Rolle: 5 Akut- und Notfallmedizin und Erste Hilfe 5 Gesundheitsschutz und Prävention 5 Wiedereingliederung und Integration 5 Betriebliche Gesundheitsförderung Handlungsbereich Akut- und Notfallmedizin/Erste Hilfe

Einige Betriebe verfügen über einen eigenen Arbeitsmedizinischen Dienst. Das dort tätige medizinische Personal ist qualifiziert, mithilfe der verfügbaren Ausstattung und vorgehaltener Hilfsmittel Symptome zu lindern, bzw. akute Erkrankungen erst-zu-versorgen. Dieses Angebot wird von den meisten Mitarbeitern/innen als wertvolle und wertschätzende Maßnahme ihres Unternehmens bewertet und dementsprechend gut genutzt. Erfahrungsgemäß können dadurch bis zu 90 % der betroffenen Mitarbeiter(innen) im Arbeitsprozess gehalten werden. Auch der Erstversorgung von Not- und Unfällen sowie der Organisation der Ersten Hilfe durch sog. Ersthelfer, bzw. Betriebssanitäter kommt ein hoher Stellenwert zu. Viele Betriebsärzte sind zudem festes Mitglied im Notfall- und Katastrophenmanagement ihres Unternehmens. Betriebsärzte, die über eine zusätzliche klinische Gebietsbezeichnung (z. B. Allgemeinmedizin, Innere Medizin) sowie die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin verfügen, sind bestens qualifiziert. Handlungsbereich Gesundheitsschutz und Prävention

Dieser Bereich hat arbeitsmedizinisch eine lange Tradition und wird auch in Zukunft zu den Kernaufgaben des Betriebsarztes gehören. Gesundheitsschutz und Prävention dienen dazu, den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit zu unterstützen und Arbeitsunfälle sowie die Entstehung von (berufsbedingten) Erkrankungen zu verhindern. Dabei spielen die Erkenntnisse aus Gefährdungsbeurteilungen, Begehungen sowie der arbeitsmedizinischen Vorsorge (vgl. 7 Kap. 4) eine wichtige Rolle. Handlungsbereich Wiedereingliederung und Integration

In engem Austausch mit internen Akteuren und externen Fachgruppen und Einrichtungen des Gesundheitswesens unterstützt der Betriebsarzt die angemessene Rückkehr längerfristig erkrankter Mitarbeiter/innen an ihren Arbeitsplatz. Dabei soll eine erneute oder anhaltende Gesundheitsgefährdung vermieden und möglichst ausgeschlossen werden. Die sog. stufenweise Wiedereingliederung dient der behutsamen Wiederaufnahme der gewohnten Arbeit und erfolgt in bis zum Erreichen der Vollarbeitszeit ansteigenden Zeitphasen, ggfs. unter befristet ausgesprochenen Einschränkungen für bestimmte Tätigkeiten. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist ein hilfreiches, gesetzlich geregeltes Verfahren, um längerfristig, bzw. wiederholt häufig Erkrankten, die absehbar nur noch eingeschränkt oder nicht mehr an ihrem gewohnten Arbeitsplatz einsetzbar sein werden, eine angemessene Rückkehr in ihr Berufsleben zu ermöglichen. Dieses Verfahren wird meistens von der Personalabteilung eingeleitet und von einem fachübergreifenden Gremium begleitet (ggfs. unter Einbeziehung externer Fachdienste); der Betriebsarzt übernimmt hier im Rahmen seiner ärztlichen Schweigepflicht eine wichtige beratende Funktion.

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K. Knöll und P. Lugbauer

Handlungsbereich Betriebliche Gesundheitsförderung Das Präventionsgesetz (PrävG), das in Deutschland seit 2016 neue Maßnahmen in

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den Bereichen Vorbeugung gegen Krankheiten (Prävention), Gesundheitsförderung und  Früherkennung von Krankheiten  definiert, erwähnt explizit das Fachgebiet ­Arbeitsmedizin. Speziell für Betriebe und Unternehmen gibt es jedoch noch keine direkten gesetzlichen Vorgaben. Es liegt somit völlig in der Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit des Unternehmers, BGF anzuwenden. Da sich im Arbeitsumfeld viele Menschen aufhalten, können betriebliche Gesundheitsakteure eine große und meinst auch dankbare Zielgruppe erreichen. Das ist eine hervorragende Ausgangssituation für BGF. Der Betriebsarzt ist aufgrund seiner fachlichen Kompetenz dabei der ideale Berater, Lenker und Begleiter. Er weiß, wie Krankheiten entstehen und kennt ihre maßgeblichen Risikofaktoren. Anhand seiner präventivmedizinischen Sichtweise kann er einschätzen, welche Maßnahmen sinnvoll und wirksam sind, um Gesundheitsrisiken zu minimieren, Gesundheitsstörungen zu reduzieren und die Entwicklung chronischer Erkrankungen zu verhindern, bzw. in eine fernere Zukunft zu verschieben. Neben fachlicher Kompetenz und Arbeiten im vertrauensgeschützten Raum steht ihm meist auch genügend Zeit zur Verfügung – wichtige Voraussetzungen für eine erfolgsversprechende Einflussnahme und Begleitung. Inzwischen wurde mehrfach nachgewiesen, dass sich BGF stets dann lohnt (und auch finanziell rechnet), wenn zielgruppenorientierte, bedarfsbezogene, wirksame und möglichst messbare Inhalte gewählt werden und die Umsetzung im Rahmen eines Managementsystems erfolgt. Unter diesen günstigen Rahmenbedingungen können gute und nachhaltige Gesundheitsprogramme entwickelt werden. Ihr besonderer Wert lässt sich anhand dreier Perspektiven hervorheben und entsprechend wirksam im Betrieb positionieren: 5 Fürsorge des Unternehmers durch Akzeptanz und klare Entscheidung für einen gesunden Betrieb sowie Bereitstellung von finanziellen Mitteln und Ressourcen 5 Eigenverantwortung des Einzelnen durch aktives Engagement für die eigene Gesundheit 5 Unterstützung des Managements durch Verbreitung und Übernahme einer Vorbildfunktion Die meisten chronischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft haben den Charakter sog. Lifestyle-Erkrankungen. Sie entstehen vorwiegend aus einem falschen Lebensstil und sind daher hauptsächlich selbst verschuldet. Diese Erkrankungen verlaufen chronisch und werden später therapieresistent. Darüber hinaus sind sie sehr kostenintensiv und schränken Leistungsfähigkeit und Lebensqualität der Betroffenen erheblich ein. Mit dieser Charakteristik gehen zwei Erkenntnisse einher: 5 Wenn Lifestyle-Erkrankungen mit ernsten gesundheitlichen Einschränkungen, erheblichen Beeinträchtigungen und hohen Kosten einhergehen, müssen sie ­vermieden werden. 5 Wenn Lifestyle-Erkrankungen hauptsächlich selbstverschuldet sind, können sie ­vermieden werden.

49 Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin und Gefährdungsbeurteilung …

Die meisten Gesundheitsrisiken dieser Gruppe finden sich vorwiegend im Bereich der „Big 3“ und lassen sich durch geeignete, ganzheitlich ausgelegte Gesundheitsförderungsmaßnahmen wirksam, nachweisbar und anhaltend positiv beeinflussen: 5 Ausdauer + Kraft (= Fitness) 5 Ernährung + Genussmittel 5 Entspannung + Regeneration Es geht darum, länger gesund und leistungsfähig arbeiten zu können und gesunder alt zu werden Gesundheit wird dabei als Wert erkannt, der gezielt gestaltet werden kann, der erlebbar ist und immer mit einem wechselseitigen Nutzen einhergeht: für den Betrieb

und jede/n Einzelne/n. Betriebliche Gesundheitsförderung kann zudem besonders dann erfolgreich sein, wenn sie neben den genannten Kriterien diese drei Interessenfelder berücksichtigt: 5 Individuelle Gesundheitskompetenz 5 Gesundheitsorientierte Führung 5 Gesundes Arbeitsdesign

Über individuelle Gesundheitskompetenz verfügt derjenige, der seine persönlichen Gesundheitsrisiken kennt, veränderungsbereit ist, dafür Eigenverantwortung übernimmt, gezielte Anleitungen und medizinisches Hintergrundwissen nutzt, Erlerntes im Alltag umsetzt und sich und andere motiviert. Gesundheitsorientierte Führung beschreibt einen wertschätzenden, einbeziehenden, aufmerksamen, und transparenten Führungsstil. Wer seine Führungskompetenz derart verinnerlicht, handelt gesundheitsförderlich – für seine Mitarbeiter und sich selbst. Methoden und Praktiken sind erlernbar und können entsprechend in das betriebliche Trainingsprogramm für Führungskräfte integriert werden. Ein gesundes Arbeitsdesign berücksichtigt alle Aspekte, die gute Arbeit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz ausmachen und Menschen motivieren, ihrer Arbeit mit Freude und Erfüllung nach zu gehen. Wertvolle Hinweise und Erkenntnisse hierzu liefern Mitarbeiterbefragungen, Gefährdungsbeurteilungen und Gesundheitszirkel. Der aktuelle Wandel bietet Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit ein besonders breites und spannendes Berufsfeld. Ihr zukunftsorientiertes Denken wird zunehmend auch auf Prävention und Gesundheitsförderung setzen und die fachliche Expertise beider Akteure entsprechend erweitern, um sich mit qualifizierten und richtungsweisenden Akzenten selbstbewusst und proaktiv in den aktuellen Wandel einzubringen. Dabei werden sie zunehmend fachübergreifend handeln, mit diversen internen und externen Akteuren sowie dem Management zusammenarbeiten, ihre fachliche Expertise gegenüber allen betrieblichen Ebenen und Interessengruppen aktiv, geschickt, kommunikativ ausgewogen, umsichtig und wertschätzend anbringen, sich dort wo nötig klar positionieren und ansonsten eine zielführende Berater-, bzw. Begleiter-Rolle einnehmen. Mit diesem Verständnis wird es beiden Experten gelingen, nicht nur operativ mitzuwirken, sondern auch strategisch mitzudenken. Dabei setzen sie wichtige Maßstäbe für eine gesunde Leistungskultur im Unternehmen – für jeden Einzelnen sowie den betrieblichen Erfolg (s. . Abb. 6.1).

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K. Knöll und P. Lugbauer

MUSS (Gesetzliche Forderung)

KANN (Überzeugung)

Beratung + Unterstützung Techn. Ausstattung Fachkraft ASi Organ. Abläufe

Arbeitgeber

ArbSchG

Gefährdungsbeurteilung §5 ArbSchG

Arbeitnehmer

ArbMed VV

MUSS + KANN (Konzept)

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ASiG §§ 3+6

Beratung + Unterstützung Medizinische Vorsorge

DGUV V2

Betriebsarzt

Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF)

Gestaltung

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM)

BGM-Team + Steuerkreis

. Abb. 6.1  Schaubild: Systematischer Arbeitsschutz

Literatur Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit – ASiG vom 12.12.1973 (BGBl. I S.1885) zuletzt geändert 20.04.2013 (BGBl. I S.868) DGUV Vorschrift 2 Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit – Deutsche gesetzliche Unfallversicherung 01.01.2011 Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit – ArbSchG vom 07.08.1996 (BGBl. I S.1246) zuletzt geändert 31.08.2015 (BGBl. I S.1474) Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge – ArbMedVV vom 18.12.2008 (BGBl. I S.2768), zuletzt geändert 15.11.2016 (BGBl. I S.2549) Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – SGB IX vom 23.12.2016 (BGBl. I S.3234)

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Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungsfaktoren Ulrich Hößler und Ingo Striepling 7.1  Die gesetzliche Ausgangslage – 52 7.2  Besonderheit psychischer Belastung – 52 7.3  Zusammenspiel von Belastungsfaktoren, Ressourcen, Belastungsreaktion und Ursachen – 53 7.4  Angemessene Einbindung aller Beteiligten – 54 7.5  Ableitung geeigneter Maßnahmen – 56

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_7

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U. Hößler und I. Striepling

Fragt eigentlich mal jemand, wie es uns geht?

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„Jetzt müssen wir auch noch Psychisch! Was kommt denn noch?!“ – So oder so ­ähnlich mag der Kommentar des überforderten Geschäftsführers eines mittelständischen Unternehmens zum geänderten Arbeitsschutzgesetz klingen. Darin wird nämlich vom Arbeitgeber gefordert, die Arbeit so zu gestalten hat, dass eine Gefährdung nicht nur für das Leben sowie die physische Gesundheit, sondern explizit auch für die psychische Gesundheit möglichst vermieden wird. Um dies zu gewährleisten, wird vom Gesetzgeber eine regelmäßig vorgenommene Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz eingefordert. Damit diese gelingen kann und nicht als weitere Beeinträchtigung durch lästige gesetzliche Auflagen, sondern als nachhaltige Chance für eine gesunde Unternehmensentwicklung wahrgenommen wird, sind die folgenden Faktoren zu beachten: 1. Die gesetzliche Ausgangslage 2. Besonderheit psychischer Belastung 3. Zusammenspiel von Belastungsfaktoren, Ressourcen, Belastungsreaktion und Ursachen 4. Angemessene Einbindung aller Beteiligter 5. Ableitung geeigneter Maßnahmen 7.1  Die gesetzliche Ausgangslage

Im geänderten Gesetzestext (§ 5) wird der Arbeitgeber dazu verpflichtet, „durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundene Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.“ „Psychische Belastung bei der Arbeit“ wird seit Oktober 2013 ausdrücklich als zu berücksichtigende Gefährdungsquelle genannt. Manche Unternehmensverantwortliche werden mit dieser Gesetzesnovellierung erst dann konfrontiert, wenn das Gewerbeaufsichtsamt prüft, wie es um die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz bestellt ist. Noch verheerender wird es, wenn z. B. ein Beschäftigter die Kosten für seine Burnout-Behandlung vom Arbeitgeber einklagt. 7.2  Besonderheit psychischer Belastung

Wie und wann auch immer ein Unternehmen von dieser neuen gesetzlichen Verpflichtung erfährt, der Auftrag zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz landet im Normalfall bei der Person, die sich bislang auch um die Gefährdungsbeurteilung gekümmert hat: beim Arbeitssicherheitsbeauftragten. Häufig hat diese Fachkraft für Arbeitssicherheit eine technische Ausbildung (z. B. Sicherheitsingenieur) und dementsprechend keine Expertise, um psychische Belastung zu erfassen. Denn bewährte Methoden der Gefährdungsbeurteilung greifen hier nicht mehr. Physische Gefahrenquellen, wie das Bedienen von Maschinen, der Umgang mit gefährlichen Substanzen, belastende Körperhaltung oder schweres Heben und Tragen, können durch Arbeitssicherheitsbeauftragte anhand objektiver Checklisten zuverlässig erfasst und beurteilt werden. Psychisch reagieren Beschäftigte jedoch sehr unterschiedlich auf ähnliche Belastungssituationen: wo die eine Mitarbeiterin erst zur Hochform ­aufläuft,

53 Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungsfaktoren

Belastungsfaktoren: • durch Arbeit allgemein • tätigkeitsspezifisch

Ressourcen:

• Selbstwirksamkeit • Wertschätzung • Unterstützung

+

Belastungsreaktionen und Stresssymptome

?

Ursachen: Benchmarkvergleiche möglich

• Kollegen • Führungskraft • privates Umfeld

• Tätigkeit • Selbst

. Abb. 7.1  Potenzielle Einflussgrößen psychischer Belastung am Arbeitsplatz

ist die andere bereits maximal gestresst. Verschiedenste Faktoren der Arbeitswelt können je nach individueller Verfassung und Begleitumständen als belastend, neutral oder bereichernd erlebt werden. Persönliche und soziale Ressourcen wie Gelassenheit oder ein gut funktionierendes Team mildern die subjektiven Reaktionen auf psychische Belastung ab. Darüber hinaus macht psychische Belastung nicht am Werkstor halt: private Belastungen werden mit in die Arbeit gebracht und berufliche Stressoren bestimmen auch nach Feierabend noch das psychische Wohlbefinden. Letztlich führt für eine ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungsfaktoren inklusive subjektiver Aspekte kein Weg an der Einbindung und Befragung der Belegschaft vorbei. . Abb. 7.1 illustriert dabei das komplexe Zusammenspiel potenzieller Einflussgrößen. 7.3  Zusammenspiel von Belastungsfaktoren, Ressourcen,

Belastungsreaktion und Ursachen

Allein die Erfassung potenzieller allgemeiner und auch tätigkeitsspezifischer Belastungsfaktoren wie Termin- und Leistungsdruck, fehlende Informationen, häufige Störungen, Lärmbelästigung, Schichtarbeit etc. durch Befragung der Mitarbeiter reicht also nicht aus, da unterschiedliche Personen unterschiedlich darauf reagieren. Es müssen demnach auch noch die individuellen Belastungsreaktionen wie Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, Erschöpfung etc. erhoben werden. Möglicherweise stellt sich heraus, dass zwar die Belastung hoch ist, die Belastungsreaktion (der berüchtigte „Stress“) jedoch moderat bleibt. Dies kann daran liegen, dass die Arbeitsgruppe über ausreichend Ressourcen verfügt wie Selbstwirksamkeit, klarer Auftrag, gutes Teamklima, Anerkennung etc., um hohe Belastungen zu neutralisieren. Mögliche Ressourcen sind also auch Gegenstand einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz.

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U. Hößler und I. Striepling

Belastungsfaktoren:

● Termindruck ● Störungen ● Lärm etc.

erhöhen

Ressourcen:

● Teamklima ● Einfluss ● Anerkennung etc.

vermindern

wahrgenommene

Belastungsreaktionen:

● Erschöpfung ● Frustration ● Mangelnder Selbstwert etc.

Ursachen: vermutete Auslöser

● ● ● ● ●

Tätigkeit Führungskraft Kollegen privates Umfeld eigener Anspruch

. Abb. 7.2  Zusammenspiel verschiedener Datenquellen für die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz

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Schließlich ist auch der Kontext „Arbeitsplatz“ von entscheidender Bedeutung. Belastungsreaktionen am Arbeitsplatz können auch durch Faktoren außerhalb der Arbeit herbeigeführt werden, wie die Pflege eines Familienangehörigen, unzureichende Kinderbetreuung oder Beziehungsprobleme. Da jedoch Arbeitgeber weder das Interesse noch das Recht haben, das Privatleben ihrer Beschäftigten auszuforschen, muss die Einschätzung, was möglichen Stress auslöst, allein beim Mitarbeiter bleiben. Maßnahmen, auch privat verursachten Stress zu bearbeiten, können durchaus von Unternehmensseite auf freiwilliger Basis angeboten werden, sollten allerdings nicht als Teil der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz verstanden werden. . Abb. 7.2 illustriert, wie die einzelnen Datenquellen zusammenhängen, die für eine systematische und ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz durch Mitarbeiterbefragung erschlossen werden müssen. 7.4  Angemessene Einbindung aller Beteiligten

Laut § 5 des Arbeitsschutzgesetzes muss eine Gefährdungsbeurteilung „je nach Art der Tätigkeit“ durchgeführt werden. Dies bedeutet, dass zunächst einmal geeignete Gruppen von Beschäftigten definiert werden müssen, die eine vergleichbare Tätigkeit ausüben – die psychische Belastung in einem Großraumbüro der IT-Abteilung unterscheidet sich voraussichtlich von Stressfaktoren, die während der Nachtschicht in einer Produktionshalle auftreten. Dabei ist darauf zu achten, dass die Gruppen groß genug sind, um die Anonymität zu wahren (erfahrungsgemäß ab ca. 30 Personen). Da sowieso die subjektive Einschätzung der Befragten erhoben wird, spielen persönliche Informationen wie Geschlecht oder Alter zunächst keine Rolle und sollten im Sinne der Anonymität auch nicht erfasst werden. Generell gilt es, die Zusicherung der Anonymität ebenso wie transparente Informationen über den gesamten Prozess der Gefährdungsbeurteilung frühzeitig und überzeugend zu kommunizieren. Mitarbeiterbefragungen gelten in Unternehmen eher als lästige und verdächtige Datensammlungen. Wenn auch nur die leiseste Gefahr wahrgenommen wird (egal, ob sie de facto besteht oder nicht), dass Aussagen zu einzelnen

55 Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungsfaktoren

Befragten zurückverfolgt werden können, werden sich die Mitarbeiter verweigern, sei es durch offenen Protest oder stille Sabotage (wobei letzteres eindeutig die destruktivere Alternative ist). Inwieweit der Begriff „psychisch“ den Mitarbeitern gegenüber überhaupt verwendet werden sollte, gilt es je nach Unternehmen abzuwägen. Unserer Erfahrung nach weckt der Begriff häufig schillernde Assoziationen, insbesondere zur Psychoanalyse, die nicht zielführend sind. Sollte er eingesetzt werden, muss entsprechend klar kommuniziert werden, dass es sich um eine Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes und nicht um eine psychologische Diagnose von Einzelpersonen handelt. Auch wenn den Beschäftigten nicht vollkommen klar ist, wie und wann die Daten erhoben werden, was mit ihnen geschieht, wann und wie die Ergebnisse zurückgemeldet werden und wie diese zur Entwicklung geeigneter Maßnahmen genutzt werden, werden sie nur unwillig an der Befragung teilnehmen. Nichts ist demotivierender als nach seiner Meinung gefragt zu werden, um dann festzustellen, dass die Antwort irrelevant ist. Sofern es einen Betriebsrat gibt, führt kein Weg daran vorbei, diesen von Anfang an in sämtliche Entscheidungen mit einzubinden – ebenso wie alle anderen Stakeholder im BGM, wie Vertreter der Geschäftsführung, Arbeitssicherheitsbeauftragte oder Betriebsarzt. Eine sogenannte BGM-Steuerungsgruppe kann diesbezüglich als Gremium aufgebaut und regelmäßig einberufen werden. Im Internet finden sich zahlreiche Erhebungsinstrumente zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz zum kostenfreien Download. Inwiefern diese Fragebögen seriös sind, ist sicherlich von Fall zu Fall unterschiedlich. Letztlich ist das Erhebungsinstrument aber nur ein kleiner Teil des Gesamtprozesses. Viel wichtiger als die Entscheidung für den einzig wahren Fragebogen (den es letzten Endes natürlich nicht gibt), ist eine stimmige Einbettung geeigneter Fragen inklusive offener Fragen für frei formulierte Kommentare in ein zugrunde liegendes theoretisches Konzept (siehe . Abb. 7.2), möglicherweise auch in bereits bestehende Mitarbeiterbefragungen und in einen umfassenden Kommunikationsprozess. Auch die Auswertung bereits vorliegender Daten kann zielführend sein, sofern sie für die Beurteilung von Belastungsfaktoren, Belastungsreaktionen, Ressourcen und Ursachen geeignet sind. Denn schlussendlich dient die Erfassung von relevanten Daten dazu, psychische Belastung am Arbeitsplatz überhaupt besprechbar zu machen. Deshalb ist die gelungene Rückmeldung der Ergebnisse von entscheidender Bedeutung. Diese sollte ein neutraler Moderator vornehmen und, wenn nicht mit allen, so doch mit einer repräsentativen Auswahl der Befragten und auf jeden Fall auch mit deren Führungskräften stattfinden. Unsere anfänglichen Bedenken, dass die Mitarbeiter sich nicht oder nicht offen genug äußern würden, wenn die Führungskraft mit im Raum sitzt, haben sich schnell aufgelöst. Eine nüchterne Präsentation der in einer anonymen Befragung objektiv erhobenen Ergebnisse mit anschließender professionell moderierter Diskussion ermöglicht einen gelungenen sachlichen Dialog über die wahren stressverursachenden Faktoren am Arbeitsplatz. Wie kommen die Ergebnisse zustande? Welche sind wirklich für unsere Arbeitsgruppe relevant? Inwieweit handelt es sich dabei um repräsentative Einschätzungen oder Einzelmeinungen? Etc. – Fragen wie diese erlauben es, die Fragebogenergebnisse differenzierter zu betrachten und mit Alltagserfahrungen zu illustrieren sowie fehlende Faktoren zu ergänzen und die wirklich wichtigen Brennpunkte zu ­identifizieren.

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U. Hößler und I. Striepling

7.5  Ableitung geeigneter Maßnahmen

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Die Mitarbeiter wurden nun anonym in geeigneten, tätigkeitsspezifischen Gruppen zu Belastungsfaktoren, Belastungsreaktionen, Ressourcen und Ursachen befragt. Die Ergebnisse wurden zurückgemeldet und im Dialog zielführend interpretiert. Im Vorfeld wurden alle Beteiligten transparent und umfassend informiert und in die Entscheidungsprozesse eingebunden. Und idealerweise wurde der Gesamtprozess für das Gewerbeaufsichtsamt nachvollziehbar dokumentiert. Ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz damit nun abgeschlossen? Fast! Laut Arbeitsschutzgesetz fehlt noch die Ableitung geeigneter Maßnahmen, um die psychische Belastung am Arbeitsplatz zu reduzieren. Passende Maßnahmen, um Belastungen zu reduzieren und auch Ressourcen zu stärken, lassen sich gleich im Rahmen der moderierten Ergebnisrückmeldung gemeinsam erarbeiten. Hier erweist sich die Anwesenheit von Führungskräften wiederum als nützlich, da diese sofort Rückmeldung über die Umsetzbarkeit gewünschter Maßnahmen geben kann. Außerdem beziehen sich viele Maßnahmen weitgehend auf Themen der Kooperation und Führung: Trainings zu wertschätzender Kommunikation, Interviews zur Erarbeitung von Führungsleitlinien, Teamentwicklungsmaßnahmen oder Workshops zu werteorientierter Führung. Die bislang gewonnenen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass der entscheidende Faktor für eine geringe psychische Belastung am Arbeitsplatz eine wertebasierte Organisationskultur ist, die individuelle Bedürfnisse berücksichtigt, tolerant gegenüber Fehlern ist, transparente Strukturen und Zuständigkeiten aufweist, Freiräume für Austausch und Kooperation bietet, den Beschäftigten Weiterentwicklung ermöglicht und gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung fördert. Die Führungskräfte erweisen sich einmal mehr als die entscheidenden Akteure, sowohl um psychische Belastung am Arbeitsplatz zu moderieren und zu reduzieren als auch um systematisches BGM zu verwirklichen. Sie sind das Bindeglied zwischen Geschäftsleitung und Belegschaft. Eine systematische und gesteuerte Kulturentwicklung hin zu einem werteorientierten Umgang miteinander kann nur über sie stattfinden. Eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz kann hierfür der ideale Anfangsimpuls sein, indem Missstände angesprochen, Ressourcen identifiziert und entsprechende Interventionen gemeinsam abgestimmt und angestoßen werden. Dadurch wird nicht nur der gesetzliche Auftrag erfüllt, sondern auch aktives Change Management und gezielte Organisationsentwicklung betrieben, die mit einem systematischen betrieblichen Gesundheitsmanagement integriert werden kann.

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Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) Achim Müller und Ingo Striepling 8.1  BEM – ein wichtiger Bestandteil eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements – 58 8.2  Warum BEM durch Arbeitgeber? – 58 8.3  Was ist, wenn ein Arbeitgeber das BEM nicht durchführt? – 59 8.4  Welche Rolle spielt die Interessenvertretung (Betriebs-/ oder Personalrat, Schwerbehindertenvertretung)? – 59 8.5  Welche Rolle hat der betroffene Mitarbeiter? – 59 8.6  Wie sieht eine typische Vorgehensweise im BEM aus? – 60 8.7  Wie sieht es mit dem Thema „Datenschutz“ aus? – 62 8.7.1  Bezogen auf die BEM-Beauftragten/ BEM-Verantwortlichen – 62 8.7.2  Bezogen auf die Betroffenen – 62

8.8  Thema „Information“ – 62 8.9  Thema „Interessenvertretung“ – 63 8.10  Thema „Schriftform“ – 63 8.11  Persönlicher Anruf vor Zusendung des Anschreibens – 63 8.12  Während des Gesprächs – 63 Weiterführende Quellen und Literatur – 65 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_8

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A. Müller und I. Striepling

Ein systematisches BEM ist nur möglich, wenn man mit allen Betroffenen spricht. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass jedes Gespräch einen Mehrwert hat. Achim Müller

8.1  BEM – ein wichtiger Bestandteil eines Betrieblichen

Gesundheitsmanagements

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Ein professionelles Betriebliches Gesundheitsmanagement besteht in der Regel aus vielen einzelnen Teildisziplinen. Diese lassen sich in präventive und korrektive Maßnahmen einteilen. Während sich die präventiven Maßnahmen (u. a. betriebliche Gesundheitsförderung, Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit, Personalentwicklung) auf die Masse der Belegschaft, also den Anwesenden und Gesunden, eines Unternehmens konzentrieren, liegt bei den korrektiven Maßnahmen der Fokus auf den Abwesenden (kein Urlaub oder Stundenabbau!) und Kranken. Genau hierzu gehört neben dem Fehlzeitenmanagement auch der Baustein Betriebliches Eingliederungsmanagement. Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem Instrument der Wiedereingliederung. Dies kann eine mögliche Maßnahme im BEM-Verfahren sein! Das BEM soll nicht nur den akut Betroffenen als Unterstützung und Hilfe dienen, sondern ist auch als Instrument der erweiterten Prävention zu sehen, da es langfristig natürlich auch darum geht, ein Ansteigen von chronischen Erkrankungen und Arbeitsunfällen zu vermeiden. 8.2  Warum BEM durch Arbeitgeber?

Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist eine Pflichtaufgabe des Arbeitgebers mit dem Ziel, Arbeitsunfähigkeit der Beschäftigten eines Betriebes oder einer Dienststelle möglichst zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und den Arbeitsplatz des betroffenen Beschäftigten im Einzelfall zu erhalten. Die Rechtsgrundlage ist § 167 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Das BEM ist seit 01. Mai 2004 verpflichtend für den Arbeitgeber und gilt für Beschäftigte, die innerhalb eines Jahres (nicht Kalenderjahr!) länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren. Es gilt für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (siehe auch BAG-Urteil vom 12. Juli 2007 – 2 AZR 716/06). Hinweise: Es ist auch möglich, den BEM-Prozess bereits vor Ablauf der Sechs-­ Wochen-Frist einzuleiten. Dies ist zulässig und ermöglicht noch früher die Suche nach passenden Lösungen. In manchen Betriebsvereinbarungen wird vereinbart, dass bei Bagatellerkrankungen oder bei absehbar ausheilenden Erkrankungen kein BEM-Verfahren durchgeführt werden muss. Dies ist ebenso zulässig, führt aber in der Konsequenz zu keiner systematischen Umsetzung und erlaubt auch keine sauberen Auswertungen (Kennzahlen „BEM-Fälle“ und „BEM-Quote“ sind nicht sauber darstellbar). Es empfiehlt sich also, mit allen Betroffenen zu sprechen und somit eine Gleichbehandlung sicherzustellen.

59 Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM)

8.3  Was ist, wenn ein Arbeitgeber das BEM nicht durchführt?

Erst einmal gar nichts. Das Gesetz sieht keine Sanktionen bei Nichtdurchführung vor. Dies ist auch Grund, warum immer noch viele Arbeitgeber das Verfahren nicht umsetzen. Jedoch führt es für ihn zu Nachteilen in einem möglichen Kündigungs-schutzverfahren aufgrund einer personenbedingten Kündigung. Speziell verändert sich hier nachteilig die Darlegungs- und Beweislast. Was bedeutet dies? Bei sehr hohen Fehlzeiten kann der Arbeitgeber pauschal behaupten, dass eine leidensgerechte Weiterbeschäftigung nicht möglich ist. Der Arbeitnehmer muss nun beweisen, dass diese doch bestehen. Situation ohne BEM: Der Arbeitgeber muss nun beweisen, dass er alles dafür getan hat, um den betroffenen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen (z. B. durch Weiterqualifizierung, Umsetzung, usw.). In einem Kündigungsschutzverfahren hat er also einen sehr schweren Stand ohne ein ordnungsgemäßes BEM. 8.4  Welche Rolle spielt die Interessenvertretung (Betriebs-/oder

Personalrat, Schwerbehindertenvertretung)?

Generell ist es so, dass ein BEM auch ohne eine bestehende Interessenvertretung durchgeführt werden muss. Ein Vorhandensein ist also keine Voraussetzung für ein BEM. Soweit sie existieren, macht es natürlich Sinn, sie bei Bedarf einzubinden und nach guten Lösungen gemeinsam zu suchen. Für einen konkreten Ablauf des BEM gibt es keine gesetzlichen Regelungen oder Vorgaben. Die Vorgehensweise sollte immer so geregelt werden, dass es zum Unternehmen passt. Es wird daher in vielen Betriebsvereinbarungen ein stufenweiser Ablauf festgelegt bzw. vereinbart. Und hier kommt auch der Betriebsrat ins Spiel. Er hat die Aufgabe, dass dieser Ablauf und sich die daraus ergebenden Verpflichtungen eingehalten werden. Die rechtliche Grundlage hierzu ergibt sich aus § 167 Abs. 2 Satz 7 SGB IX. Ebenso geht es im BEM auch um das Verhalten der betroffenen Arbeitnehmer und dem Gesundheitsschutz. Hieraus ergibt sich ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 7 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Wichtig! Der Betriebsrat hat ein Recht auf namentliche Mitteilung der betroffenen Mitarbeiter. Diese Mitteilung soll quartalsweise erfolgen. Hierbei geht es nicht um die zusätzliche Bereitstellung von Gesundheits-/oder Krankheitsdaten, sondern lediglich um die relevanten Arbeitsunfähigkeitszeiten. Dieser Anspruch ergibt sich aus dem Urteil 07.02.2012 – 1 ABR 46/10 (br 2012, S. 83). Dieses bestehende Informationsrecht gilt auch natürlich auch für die Schwerbehindertenvertretung, da er gleichberechtigt dem Betriebsrat steht. 8.5  Welche Rolle hat der betroffene Mitarbeiter?

Für den betroffenen Mitarbeiter ist die Teilnahme am BEM-Verfahren freiwillig. Er kann nicht zur Teilnahme gezwungen werden. Jede Teilnahme bedarf zuerst seine Zustimmung. Es wird empfohlen, diese Zustimmung schriftlich zu fixieren (also mit Unterschrift des Betroffenen!).

8

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A. Müller und I. Striepling

Was ist, wenn der Betroffene ablehnt? Wenn ein Mitarbeiter, trotz vorheriger Information über Ziele und Ablauf des Verfahrens das BEM ablehnt, wirkt sich eine evtl. später folgende Kündigung (= worst case!) „kündigungsneutral“ aus. Dies bedeutet, dass die sogenannte Darlegungs- und Beweislast nicht mehr beim Arbeitgeber liegt, sondern beim Arbeitnehmer. D. h., der Arbeitgeber kann dadurch pauschal vortragen, dass er keinen leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung stehen hat. Eine Ablehnung hat also negative arbeitsrechtliche Auswirkungen für den Arbeitnehmer. Auch dieser Punkt muss in der Information zum Verfahren an den Arbeitnehmer berücksichtigt werden. 8.6  Wie sieht eine typische Vorgehensweise im BEM aus?

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Grundvoraussetzung für die Feststellung, ob eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Wochen zusammenhängend oder in Summe (durch Mehrfacherkrankungen) innerhalb eines Jahres vorliegt, ist die Eingabe und Pflege von Arbeitsunfähigkeitszeiten z. B. in einem Zeiterfassungssystem. Wichtig hierzu: 5 Regelmäßige Klärung, ob anrechenbaren Vorerkrankungen vorliegen (ggf. Verknüpfung und Zusammenrechnung) 5 Zeiten für Kur- oder Rehabilitationszeiten und KO-Tage (Krank-ohne-Schein-Tage) werden ebenso berücksichtigt 1. Prüfung und Feststellung, ob Sechs-Wochen-Frist überschritten wurde 5 I. d. R. erfolgt dies durch Personalabteilung 5 Information über Ergebnisse an Verantwortliche(n) im BEM-Verfahren 2. Kontaktaufnahme mit Betroffenen 5 Mündlich, schriftlich oder persönlich durch BEM-Beauftragten oder ein Mitglied eines BEM-Teams (Empfehlung: Schriftlich mit Rückantwort durch Erkrankten als Nachweis!) 5 Informationsvermittlung (Ziele, Ablauf, …) mit dem Ziel, eine Vertrauensbasis zu schaffen 3. Erstgespräch führen 5 Vor offiziellem Beginn des Gesprächs Information und Aufklärung über: – Warum BEM? →Gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren für Arbeitgeber – Mitteilung darüber, wer alles im BEM-Team ist (wenn mehr als ein Ansprechpartner vorhanden!) – Ziele des BEM und mögliche Maßnahmen (Beispiele nennen!) – Hinweis: BEM ist kein Fehlzeitengespräch – Hinweis: Umgang und Aufbewahrung der Daten, Informationen und Gesprächsinhalten – Auswirkungen bei Ablehnung eines BEM-Gesprächs 5 Empfehlung: Einholung der schriftlichen Bestätigung des Betroffenen, dass er sich ausreichend informiert fühlt und einverstanden ist mit Gespräch 5 Klärung, ob die Erkrankungen etwas mit dem Arbeitsplatz zu tun haben und gemeinsame Maßnahmen miteinander vereinbart werden können 4. Fallbesprechung: 5 Sammlung aller wichtigen Informationen für Fallbesprechung: – Arbeitsunfähigkeitszeiten – Hintergründe für Ausfallzeiten

61 Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM)

– Atteste inkl. aktuelles Leistungsbild – Sinnvoll: Statement Betriebs-/Werksarzt – Zielsetzung der erkrankten Person – Evtl.: Wiedereingliederungsplan, /-vorschlag 5 Bei Bedarf (oder Wunsch Betroffenen) Hinzuziehung von internen Experten: – Betriebs-/Werksarzt – Fachkraft/-mann aus Bereich Arbeitsschutz/Arbeitssicherheit – Personalvertretung/Betriebsrat – Schwerbehindertenvertretung – Direkter Vorgesetzter 5 Bei Bedarf (oder Wunsch Betroffenen) Hinzuziehung von externen Experten: – Sozialversicherungsträger – Bei Vorliegen Schweigepflichtentbindungserklärung: Behandelnde Ärzte, Psychologen, Psychotherapeuten 5. Erarbeitung und Festlegung von Maßnahmen: 5 Beispiele für interne Maßnahmen: – Durchführung einer Wiedereingliederung/Belastungserprobung – Arbeitssicherheit: Beratung, Begehungen nach Unfall zur Vorbeugung, Sicherheitstechnische Veränderung von Arbeitsplätzen – Interner Arbeitsplatzwechsel (wenn möglich!) – Schulung und Qualifizierung – Beschaffung und Bereitstellung von Arbeitsplatzhilfen – Einbindung von Kollegen – Individuelle Gestaltung Arbeitsplatz, Arbeitszeit, Arbeitsorganisation – Beratung durch Konflikt-/Mobbingexperten – Arbeitsmedizinische Beratung durch Betriebs-/Werksarzt – Gefährdungsbeurteilungen 5 Beispiele für externe Maßnahmen: – Kuren/Rehabilitationsmaßnahmen – Coaching – Suchtberatung durch z. B. Caritas – Einbindung von Integrationsämter/Integrationsfachdiensten – Schulung und Weiterqualifizierung i. R. einer medizinischen und beruflichen Rehabilitation 5 Schriftliche Vereinbarung mit beteiligten Akteuren treffen Hinweis: Punkt 4 und 5 können auch schon Bestandteil im Punkt 3 sein.

6. Maßnahmen durchführen, begleiten und kontrollieren 5 Regelmäßig Gespräche führen 5 Kontakt halten 5 Akteure informieren über aktuellen Stand 7. Abschluss BEM-Verfahren 5 Feststellung, ob alle Maßnahmen erfolgreich oder erfolglos durchgeführt wurden 5 Abschlussgespräch führen

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A. Müller und I. Striepling

8.7  Wie sieht es mit dem Thema „Datenschutz“ aus?

Während eines BEM-Verfahrens kommt es zur Erhebung und Sammlung von sensiblen Daten bezogen auf die Erkrankung(en) der Betroffenen. Dass sich hieraus datenschutzrechtliche Konsequenzen ergeben, ist selbstverständlich. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? 8.7.1  Bezogen auf die BEM-Beauftragten/BEM-Verantwortlichen

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Normalerweise gründet ein Unternehmen ein Team („BEM-Team“), das mit der Organisation und Durchführung des BEM betraut ist. Da im Rahmen dieses Prozesses zahlreiche Daten, u. U. auch besondere Arten personenbezogener Daten, erhoben, verarbeitet und genutzt werden, sind die BEM-Teammitglieder (beispielweise Ansprechpartner in der Personalabteilung, Betriebsratsmitglied) zusätzlich entsprechend auf das Datengeheimnis nach der DSGVO zu verpflichten. Sollten Sie noch Fragen zur datenschutzkonformen Umsetzung haben, steht Ihnen sicherlich Ihr Datenschutzbeauftragter mit Rat und Tat zur Seite. 8.7.2  Bezogen auf die Betroffenen

Am Anfang des BEM-Verfahrens kommt es immer erst einmal zu einer Erhebung der Daten (persönliche Daten, Arbeitsunfähigkeitszeiten). Diese dienen als Basis für die weiteren Gespräche. Bereits im BEM-Anschreiben ist der Arbeitgeber verpflichtet, Betroffene darüber zu informieren und sich diese Datenerhebung schriftlich genehmigen zu lassen vom Arbeitnehmer (siehe SGB IX § 167 Absatz 2). Die erhobenen Daten dürfen nur für das laufende BEM-Verfahren genutzt werden. Für andere personenbezogene Personalthemen ist eine weitere Verwendung verboten. Ebenso ist darauf zu achten, dass die gewonnen Daten und Informationen in einer separaten BEM-Akte aufbewahrt und diese Akten in extra absperrbaren Schränken gelagert werden müssen. Das heißt, in die Personalakte kommen nur die Nachweise, die die Durchführung eines Verfahrens bestätigen (z. B. Anschreiben, Zustimmungs-/ Ablehnungsschreiben), aber keine sensiblen Gesundheitsdaten. 8.8  Thema „Information“

Vor offizieller Einführung macht es Sinn, alle Führungskräfte über das Verfahren und den Ablauf ordnungsgemäß zu informieren. Hierzu sind kurze Vorträge (ca. 30 min) mit anschließender Beantwortung von offenen Fragen völlig ausreichend. Ebenso ein „Muss“ ist die Benachrichtigung der Mitarbeiter über Einführung des Verfahrens. Man sollte hier nicht auf eine „Email an alle“ vertrauen. Gerade Mitarbeiter in einem Produktionsunternehmen haben oft keinen eigenen Email-Account und sind schwer erreichbar. Um sicherzustellen, dass alle Mitarbeiter informiert werden, bietet sich ein ein- oder zweiseitiger Anhang an die Abrechnung an.

63 Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM)

8.9  Thema „Interessenvertretung“

Eine förmliche Vereinbarung (z. B. Betriebsvereinbarung) ist mehr als sinnvoll. Hier können der Ablauf, die Ansprechpartner und weitere Rahmenbedingungen transparent festgehalten werden. Nachträgliche Diskussionen werden dadurch vermieden und der Arbeitgeber signalisiert von Anfang an, dass er keinen Alleingang macht. Ein positives Signal kann ebenfalls gesetzt werden, indem man anstelle nur eines Ansprechpartners (= BEM-Beauftragter oder Disability-Manager) ein BEM-Team gründet. Hier kann z. B. eine Vertretung der Personalabteilung, die Schwerbehindertenvertretung und ein Vertreter des Betriebsrates eingebunden werden. Hintergrund ist, einzelne Mitarbeiter haben immer wieder den Wunsch, dass eine weitere Person, z. B. aus den Reihen des Betriebsrates, als Unterstützung an solchen Gesprächen teilnimmt. Beide Maßnahmen sorgen von Anfang an für ein deutlich höheres Vertrauen seitens der Belegschaft. 8.10  Thema „Schriftform“

Die Benutzung von vorgefertigten Formularen erleichtert den Prozess enorm und sorgt für eine einheitliche und gleichbleibende Vorgehensweise. Es empfiehlt sich in allen Phasen des Prozesses, schriftliche Dokumentation anzulegen. Hierdurch werden Ungereimtheiten und nachträgliche Diskussionen vermieden. Alle Beteiligten eines Gesprächs sollten auf den angefertigten Dokumentationen unterschreiben. Musterschreiben erhält man z. B. von einzelnen Krankenkassen, auf Seminaren oder im Internet. 8.11  Persönlicher Anruf vor Zusendung des Anschreibens

Ein persönlicher Anruf, noch vor Zusendung eines offiziellen BEM-Anschreibens, bietet dem Arbeitgeber die Möglichkeit, in Ruhe mit dem Mitarbeiter vorab über das Verfahren zu sprechen und dahingehend zu informieren. Hier können in vertraulicher Atmosphäre die Basis und das Verständnis bzgl. des Verfahrens geschaffen werden. Eine Zusendung des Anschreibens, ohne vorheriges Telefonat, ist natürlich möglich, aber unpersönlich und wenig förderlich für das Verfahren. 8.12  Während des Gesprächs

a) Verständnis äußern Wenn man zu einem Gespräch eingeladen wird in dem es um Krankheitszeiten geht, kann man nicht erwarten, dass sich die Betroffenen wohl fühlen und sofort Rede und Antwort stehen. Dies ist normal und verbunden mit anfänglicher Skepsis und Angst. Der BEM-Beauftragte sollte dies auch dem Eingeladenen mitteilen und dafür ­Verständnis äußern. In umgekehrten Rollen wäre es das Gleiche.

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A. Müller und I. Striepling

b) Setzen Sie sich im 90°-Winkel zum Mitarbeiter und platzieren Sie die Krankheits

zeiten auf dem Tisch

Die Sitzposition sollte nicht gegenüber des Betroffenen sein. Eine frontale Haltung hat für viele etwas Bedrohliches und verursacht Unwohlsein. Sich übers Eck setzen, also im 90°-Winkel zum Betroffenen, entspannt die Situation. Die Basis für ein BEM-Gespräch bilden immer die Arbeitsunfähigkeitszeiten. Diese bilden erst einmal den Grund des Gesprächs und somit auch das Problem. Damit der Betroffene den BEM-Gesprächspartner nicht persönlich zum Problem macht, sollte man die dokumentierten Krankheitszeiten auf den Tisch legen, also separat vom BEM-Beauftragten. Man vermeidet dadurch eine direkte Verknüpfung zwischen BEM-Verantwortlichen/-Gesprächsführer und dem Problem.

c) Keine Wertungen im Gespräch über Krankheitszeiten oder Verhalten der

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Betroffenen

Eine wichtige Regel in derartigen Gesprächen ist die Vermeidung von Wertungen. Zum Beispiel: „Wir sitzen heute wegen Ihren Krankheitszeiten zusammen. Diese sind verhältnismäßig hoch, verursachen Kosten für das Unternehmen und wirken natürlich auch negativ auf Ihre Kollegen.“ Mit solchen Äußerungen stellt man sicher, dass der Betroffene sich schnell in die Ecke gedrängt fühlt. Ein konstruktives und offenes Gespräch ist nicht mehr möglich. Man sollte ebenso den Betroffenen nicht bestärken. Zum Beispiel: „Wir sitzen heute wegen Ihren Krankheitszeiten zusammen. Ich verstehe Sie und kann Ihre Situation nachvollziehen.“ Dadurch entsteht das Gefühl, dass der BEM-Beauftragte auf Seiten des Betroffenen steht. Dies tut er nicht! Wichtig ist also, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten und der Krankheitsverlauf neutral ohne jegliche Wertung geschildert werden. Diese Vorgehensweise unterstützt den Aufbau eines zielführenden Gespräches.

d) Den Betroffenen mit ins Boot holen Wenn es darum geht sinnvolle und realistische Lösungen zur Verbesserung der Krankheitssituation bezogen auf die Arbeit zu finden, muss der Betroffene mit eingebunden werden. In „erster Instanz“ hat nämlich er die Verantwortung für seinen Gesundheitszustand. Hierzu können Fragen gestellt werden wie zum Beispiel: 5 Was können Sie tun, um Ihren Zustand zu verbessern? 5 Bei welchen Themen benötigen Sie noch Unterstützung? 5 Was muss/kann Ihr Vorgesetzter oder Ihre Kollegen beachten? Ziel ist es, dass der Betroffene selbst Lösungen findet und zu einem Auseinandersetzen mit der eigenen Gesundheitssituation angeleitet wird. Je stärker er also eingebunden wird, desto größer ist seine eigene Akzeptanz bezogen auf eine Situationsverbesserung und einer gesundheitsförderlichen Einstellung und ­Arbeitsplatzgestaltung. Sollten keinerlei Vorschläge vom Betroffenen kommen, darf natürlich der BEM-Beauftragte, aufgrund seiner Erfahrungen und seines Wissens, seine Hilfe anbieten und seine Ideen ansprechen. Natürlich auch ergänzend zu den Punkten des Betroffenen! Auch hier geht es nicht um das „Bekehren“ des Gegenübers, ­sondern lediglich um Unterstützung.

65 Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM)

Weiterführende Quellen und Literatur 7 www.sozialgesetzbuch-sgb.de Betriebliches Eingliederungsmanagement 4.0, Marianne Giesert / Tobias Reuter / Anja Liebrich (Hrsg.), VSA-Verlag Betriebliches Eingliederungsmanagement bei Mitarbeitern mit psychischen Störungen, Ina Riechert und Edeltrud Habib, Springer-Verlag

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Die Sozialversicherungsträger und ihr gesetzlicher ­Auftrag Achim Müller 9.1  Sozialversicherungsträger – 69 9.1.1  Gesetzliche Rentenversicherung – 69 9.1.2  Gesetzliche Arbeitslosenversicherung – 69 9.1.3  Gesetzliche Unfallversicherung – 70 9.1.4  Gesetzliche Krankenversicherung – 70 9.1.5  Gesetzliche Pflegeversicherung – 70

9.2  Präventionsgesetz – 71 9.3  Leitfaden Prävention – 71 9.3.1  Allgemeines – 71 9.3.2  Welche Arten der Prävention werden unterschieden? – 72 9.3.3  Wie unterteilt sich der § 20 SGB V? – 72 9.3.4  Was bedeutet „Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF)“? – 72 9.3.5  Wann ist Betriebliche Gesundheitsförderung erfolgreich gemäß § 20a SGB V (gleiches gilt für Betriebliches Gesundheitsmanagement)? – 73 9.3.6  Wie kann die Krankenkasse das Unternehmen unterstützen und was ist von einer Förderung ausgeschlossen? – 73 9.3.7  Welche Bedingungen (Qualitätskriterien für die betriebliche Gesundheitsförderung der European Foundation for Quality Management) sollten im Unternehmen erfüllt sein, damit die Krankenkassen Maßnahmen im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung fördern? – 74

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_9

9

9.3.8  Welche Rolle spielt BGF in Klein- und Kleinstbetrieben? – 74 9.3.9  Welche Handlungsfelder gibt es in der Betrieblichen Gesundheitsförderung? – 74 9.3.10  Was ist nicht der Auftrag von Krankenkassen? – 75

Weiterführende Quellen – 75

69 Die Sozialversicherungsträger und ihr gesetzlicher Auftrag

Die Sozialversicherungsträger merken allmählich, dass sie sich mehr öffnen müssen für die gesundheitlichen Belange der Menschen in den Betrieben. Gerade für kleinere Unternehmen können diese mit ihrem Fachwissen und den finanziellen Möglichkeiten wertvolle Kooperationspartner sein. Achim Müller

9.1  Sozialversicherungsträger

Es gibt wohl kaum ein Land auf dieser Welt, das ein so gutes Sozialversicherungssystem hat wie Deutschland. Hauptgrund ist, dass Deutschland ein sozialer Rechtsstaat ist. Ziel eines solchen Staates ist soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit. Ca. 90 % der Bevölkerung sind sozialversichert. Die Finanzierung dieses Systems setzt sich sowohl aus Beiträgen und aus Steuergeldern zusammen. Welche Träger gibt es? Wer finanziert was? Dies sind Fragen, die sich sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber immer wieder stellen. Hier ein Überblick: 9.1.1  Gesetzliche Rentenversicherung Träger:

5 Bundesweite Träger (Deutsche Rentenversicherung Bund) 5 Regionalträger (z. B. Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd) Leistungen:

5 Zahlt Altersrenten 5 Finanziert Rehabilitationsmaßnahmen, um die Erwerbsfähigkeit kranker und behinderter Menschen positiv zu beeinflussen, im besten Fall wiederherzustellen (Grundsatz: „Rehabilitation vor Rente“) 5 Absicherung der Versicherten vor finanziellen Folgen der verminderten Erwerbsfähigkeit 5 Finanzierung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, um Arbeitsplatz zu erhalten oder zu erlangen. Z. B. technische Hilfen, spezielle Bürostühle, höhenverstellbare Schreibtische, Umschulungen/Weiterbildungen. 5 Beratung von Arbeitgebern zu den Themen gesunde Beschäftigte, Rente und Altersvorsorge 9.1.2  Gesetzliche Arbeitslosenversicherung Träger:

5 Bundesagentur für Arbeit 5 Regionale Arbeitsagenturen Leistungen:

5 Sicherstellung des Lebensunterhalts während Arbeitslosigkeit 5 Beratung und Vermittlung von Arbeitslosen

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A. Müller

5 Finanzierung von Trainingsmaßnahmen, Weiterbildungen, Lehrgängen (sowohl als Grundqualifikation als auch Aufstiegsfortbildung) 5 Finanzielle Leistungen an Arbeitgeber, die einen behinderten oder schwerbehinderten Menschen beschäftigen (z. B. Ausbildungszuschüsse, Kosten für Probebeschäftigung, behindertengerechte Gestaltung von Arbeitsplatz) 9.1.3  Gesetzliche Unfallversicherung Träger:

5 Gewerbliche Berufsgenossenschaften 5 Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften Leistungen:

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5 Leistungen im Rahmen der Prävention: 5 Beratung der Unternehmen und Betriebe vor Ort, z. B. bzgl. Unfallverhütungsvorschriften, Sicherheitsbestimmungen, sicheres Fahren 5 Angebot spezieller Gesundheitsschutz-Check-Ups z. B. Rückenmobil, Rückenparcours, Koordinationsparcours usw. 5 Leistungen im Rahmen der Rehabilitation: 5 Unterstützung und Beratung bei der medizinischen Behandlung, Wiedereingliederungen am Arbeitsplatz, Umschulungen, Beantragung und Zahlung von Entschädigungsleistungen an Versicherte oder Hinterbliebene 5 Ablösung der Unternehmerhaftpflicht: 5 Übernahme der privatrechtlichen Haftung der Unternehmen bei Arbeit-, Wegeunfälle und Berufskrankheiten 9.1.4  Gesetzliche Krankenversicherung Träger:

5 Gesetzlichen Krankenkassen (u. a. Ortskrankenkassen, Betriebskrankenkassen, Ersatzkassen) Leistungen:

5 Notwendige Leistungen für die medizinischen Hilfen, z. B. ärztliche Behandlung, Hilfsmittel, Psychotherapie usw. 5 Unterhaltsichernde Leistungen, z. B. Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit 5 Leistungen zur Wiederherstellung/Verbesserung der Arbeitsfähigkeit, z. B. Wiedereingliederung 9.1.5  Gesetzliche Pflegeversicherung Träger:

5 Pflege- oder Krankenkassen

71 Die Sozialversicherungsträger und ihr gesetzlicher Auftrag

Leistungen:

5 Absicherung des finanziellen Risikos der Pflegebedürftigkeit 5 Geld- und/oder Sachleistungen gem. Grad der Pflegebedürftigkeit → Ziel: Pflegebedürftige sollen selbstständiges Leben führen können! 9.2  Präventionsgesetz

Der Bundestag hat am 18.06.2015 das neue Präventionsgesetz verabschiedet. Kurz gesagt: es soll die Gesundheitsförderung, Früherkennung und Impfschutz stärken. Kranken- und Pflegekassen sollen künftig mehr als 500 Mio. EUR für Gesundheitsförderung und Prävention investieren. Die gesetzlichen Regelungen zur Primärprävention, betrieblichen Gesundheitsförderung sowie Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren sind in den §§ 20 Abs. 1 und 2 sowie 20a und 20b SGB V geregelt. Zielsetzungen des Gesetzes sind: 5 Verbesserung von Früherkennungsuntersuchungen aller Altersgruppen 5 Verbesserung Impfschutz 5 Vermeidung von Zivilisationserkrankungen (Volkskrankheiten, z. B. u. a. Adipositas, Diabetes, Bluthochdruck) 5 Stärkung der Gesundheitsförderung in Betrieben, Kindergärten, Schulen und Pflegeheimen Insgesamt sollen künftig mehr als 500 Mio. EUR jährlich für Gesundheitsförderung und Prävention investiert werden. Alleine 300 Mio. EUR entfallen hier auf die letzte genannte Zielsetzung. 9.3  Leitfaden Prävention 9.3.1  Allgemeines

Für den betrieblichen Gesundheitsmanager ist vor allem der Leitfaden Prävention ein wichtiges Nachschlagewerk. Aktuell gilt die Version vom 10.12.2014. Regelmäßig, d. h. alle paar Jahre, wird er überprüft und aufbauend auf den neuesten Erkenntnissen von Wissenschaft und den betrieblichen Erfahrungen angepasst. Der Leitfaden konkretisiert den gesetzlichen Auftrag der Krankenkassen, welcher im § 20 SGB V geregelt ist, die Gesundheit der Versicherten zu verbessern und zu fördern unabhängig von deren Geschlecht oder sozialer Stellung. Der Leitfaden beschreibt die Handlungsfelder in der Prävention als auch notwendige Voraussetzungen für eine Leistungszusage der Krankenkassen. Er bildet somit die Grundlage für Förderung bzw. Bezuschussung von Maßnahmen in den Betrieben.

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A. Müller

9.3.2  Welche Arten der Prävention werden unterschieden?

5 Primärprävention: Maßnahmen, die das Auftreten einer Krankheit verhindern oder verzögern sollen bei (noch) Gesunden (z. B. durch Impfungen, individuelle Kompetenzerweiterung durch Vorträge/Schulungen). 5 Sekundärprävention: Maßnahmen, die die Ausweitung einer Krankheit verhindern sollen (z. B. durch Vorsorgeuntersuchungen, Screenings). Ziel ist der frühestmögliche Eingriff in den Entstehungsprozess einer Krankheit. 5 Tertiärprävention: Maßnahmen, die die Folgeschäden einer Krankheit verhindern sollen (z. B. Rehabilitationsmaßnahmen, Koronarsport). Die Leistungen von Sekundär- und Tertiärprävention fallen nicht unter den § 20 SGB V. Prävention kann in personenbezogene Verhaltensprävention (z. B. Ernährungskurse, Raucherentwöhnungskurse, Führungskräfteschulungen) und umfeldbezogene Verhältnisprävention (z. B. gesunde Kantinenkost, Rauchverbot in öffentlichen Räumen, Leitbilder) unterteilt werden. 9.3.3  Wie unterteilt sich der § 20 SGB V?

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5 § 20 SGB V Abs. 1 und 2: Anforderungen Primärprävention/Höhe Ausgaben pro Versicherten 5 § 20a SGB V: Betriebliche Gesundheitsförderung als Pflichtaufgabe der Kassen 5 § 20b SGB V: Zusammenarbeit zwischen den Krankenkassen und Unfallversicherungsträgern 9.3.4  Was bedeutet „Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF)“?

Bei der Betrieblichen Gesundheitsförderung geht es vor allem darum, die Ressourcen von Beschäftigen zu stärken. Nach der Luxemburger Deklaration des Europäischen Netzwerks für betriebliche Gesundheitsförderung umfasst „betriebliche Gesundheitsförderung […] alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Dies kann durch eine Verknüpfung folgender Ansätze erreicht werden: 5 Verbesserung der Arbeitsorganisationen und der Arbeitsbedingungen 5 Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung 5 Stärkung persönlicher Kompetenzen.“

73 Die Sozialversicherungsträger und ihr gesetzlicher Auftrag

9.3.5  Wann ist Betriebliche Gesundheitsförderung erfolgreich

gemäß § 20a SGB V (gleiches gilt für Betriebliches Gesundheitsmanagement)?

Einzelne Maßnahmen sollten nie isoliert durchgeführt werden. Wenn möglich, sollten sie immer in eine Jahreskampagne eingebettet sein und sich sowohl an die Organisation als auch den einzelnen Mitarbeiter richten. Zum Beispiel: Jahresmotto = „Gesunde Ernährung“ → BGF-Maßnahmen u. a.: 5 Kantinencheck = Organisationsbezogene Maßnahme (Verhältnisprävention) 5 Expertenvorträge, Gesundheitstage = Einzelbezogene Maßnahmen (Verhaltensprävention) Somit wird ein ganzheitlicher Ansatz gewährleistet. Damit auch eine entsprechende Teilnahmequote erreicht wird ist es wichtig, dass die Maßnahmen gemeinsam mit der Interessenvertretung und der Firmenleitung, vertreten in einem Arbeitskreis oder einer Projektgruppe, vor Umsetzungsbeginn abgestimmt und diskutiert werden. Ebenso ist der Punkt „interne Öffentlichkeitsarbeit“ nicht zu vernachlässigen. Ganz nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“ sollte man die Belegschaft rechtzeitig und regelmäßig über geplante Maßnahmen informieren. Anhand von Teilnehmerlisten, Feedbackbögen, Mitarbeiterbefragungen oder persönlichen Nachfragen besteht die Möglichkeit der Evaluation. Die Ergebnisse können dann wieder als Grundlage für weitere Maßnahmen dienen. 9.3.6  Wie kann die Krankenkasse das Unternehmen unterstützen

und was ist von einer Förderung ausgeschlossen?

Unterstützungsmöglichkeiten der Krankenkassen: 5 Analysen (Statistiken über Arbeitsunfähigkeit oder Altersstruktur der Versicherten im Betrieb) 5 Beratungsleistungen (z. B. über gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen als Unterstützer im BEM-Prozess) 5 Einsatz von Experten bei verhaltensbezogenen Maßnahmen 5 Unterstützung bei der internen Öffentlichkeitsarbeit Nicht gefördert werden u. a.: 5 Pflichtaufgaben eingebundener Akteure 5 Einzelmaßnahme, die nicht in ein Gesamtkonzept eingebunden sind 5 Kosten für Baumaßahmen, Einrichtungsgegenstände, technische Hilfsmittel 5 Berufliche Ausbildungen/Qualifizierungen, die nicht zu Projekt gehören 5 Aktivitäten, die für einseitige Werbezwecke dienen (z. B. für Einrichtungen oder Organisationen) 5 Untersuchungen/Screenings ohne Bezug zum Projekt 5 Aktivitäten von politischen Parteien

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9.3.7  Welche Bedingungen (Qualitätskriterien für die betriebliche

Gesundheitsförderung der European Foundation for Quality Management) sollten im Unternehmen erfüllt sein, damit die Krankenkassen Maßnahmen im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung fördern?

Bestehende Unternehmensleitlinie oder Äquivalent (z. B. Betriebsvereinbarung) Personalvertretungen werden mit eingebunden in Prozess Geplante Maßnahmen basieren auf Ist-Analysen Existenz eines internen Gremiums, dass sich regelmäßig mit Gesundheitsthemen auseinandersetzt 5 Alle Maßnahmen werden ausgewertet und begleitet durch Verantwortliche 5 Festhaltung der Ergebnisse und Kommunikation an Beteiligte im BGF-Prozess 5 5 5 5

9.3.8  Welche Rolle spielt BGF in Klein- und Kleinstbetrieben?

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Ca. 40 % der Beschäftigten arbeiten in Klein- oder Kleinstbetrieben. D. h., Betriebe mit weniger als 50, bzw. weniger als 10 Beschäftigten. Was ist der Unterschied zu einem Mittelstandsunternehmen? U. a. mehr eigenverantwortliches Arbeiten kürzere Informationswege, oft keine Arbeitnehmervertretungen, geringere Trennung von Familie und Beruf. Was bedeutet dies für das BGF/BGM? Der Inhaber oder Geschäftsführer hat eine wesentlich wichtigere Rolle bei der Einführung, Durchführung und Umsetzung von gesundheitsbezogenen Maßnahmen. Durch die Nähe zu den Mitarbeitern kann schneller und mehr auf die Einzelbedürfnisse eingegangen werden. Mit ihm stehen und fallen die Themen BGF und BGM. Gerade für Klein- und Kleinstbetrieben empfiehlt sich ebenso die Teilnahme an Erfahrungsaustauschgruppen oder Unternehmensnetzwerken. Es bietet die Möglichkeit, sich auf Augenhöhe auszutauschen und evtl. auch gemeinsame Aktionen zu planen. 9.3.9  Welche Handlungsfelder gibt es in der Betrieblichen

Gesundheitsförderung?

Beratung zur gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung:

5 Gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeitstätigkeit und -bedingungen 5 Gesundheitsgerechte Führung 5 Gesundheitsförderliche Gestaltung betrieblicher Rahmenbedingungen 5 Bewegungsförderliche Umgebung 5 Gesundheitsgerechte Verpflegung im Arbeitsalltag 5 Verhältnisbezogene Suchtprävention im Betrieb Gesundheitsförderlicher Arbeits- und Lebensstil:

5 5 5 5

Stressbewältigung und Ressourcenstärkung Bewegungsförderliches Arbeiten und körperlich aktive Beschäftigte Gesundheitsgerechte Ernährung im Arbeitsalltag Verhaltensbezogene Suchtprävention im Betrieb

75 Die Sozialversicherungsträger und ihr gesetzlicher Auftrag

Überbetriebliche Vernetzung und Beratung:

5 Verbreitung und Implementierung von BGF durch überbetriebliche Netzwerke Die Förderungsbereitschaft, -höhe und –möglichkeiten variieren von Krankenkasse zu Krankenkasse bezogen auf Maßnahmen in den genannten Handlungsfeldern. 9.3.10  Was ist nicht der Auftrag von Krankenkassen?

Es gibt keinen gesetzlichen Auftrag für Krankenkassen, der die Entwicklung und Implementierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements beinhaltet. Krankenkassen haben lediglich den Auftrag, Maßnahmen im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung zu fördern. Die Maßnahmen legt der Unternehmer unter Einbeziehung aller Leitungsfunktionen und Arbeitnehmervertreter fest, bzw. leitet sie aus vorhandenen Managementstrategien ab.

Weiterführende Quellen 7 www.bdem.de 7 www.gkv-spitzenverband.de 7 www.integrationsaemter.de 7 www.sozialgesetzbuch-sgb.de

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Steuerrechtliche Aspekte fürs Betriebliche Gesundheitsmanagement Werner Gitschel 10.1  Die Folgen – 78 10.2  Der Idealfall – überwiegend eigenbetriebliches Interesse – 79 10.3  Der Freibetrag nach § 3 Nr. 34 EStG – 80 10.4  Was ist zu tun bei Zweifelsfällen? – 81 Weiterführende Literatur und Quellen – 82

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_10

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W. Gitschel

Steuer- und sozialabgebenrechtliche Förderung von BGM-Maßnahmen? Ja, aber nur unter engen Voraussetzungen!

Die Verantwortlichen sollten sich daher konkret vor der Entscheidung für eine Maßnahme die folgenden Fragen stellen: 5 Sind die BGM-Maßnahmen bei den Nutznießern möglicherweise als Arbeitslohn zu interpretieren? 5 Kann das Unternehmen aus den Investitionen die Umsatzsteuer als Vorsteuer beim Finanzamt geltend machen? 5 Schreibt das Lohnsteuer- oder Sozialversicherungsrecht bestimmte Dokumentationspflichten vor? 10.1  Die Folgen

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Diese Fragestellungen sind deshalb so wichtig, da hierdurch die letztlich endgültige Kostenbelastung des Unternehmens durch die BGM-Maßnahmen beeinflusst wird. Sind beispielsweise aus den BGM-Maßnahmen die dem Unternehmen in Rechnung gestellten Umsatzsteuern nicht als Vorsteuern geltend zu machen, verteuern sich die BGM-Maßnahmen um die gesetzliche Umsatzsteuer. Ist die BGM-Maßnahme bei den Nutznießern als Arbeitslohn zu interpretieren, sind grundsätzlich von den gewährten BGM-Maßnahmen Lohnsteuer- und Sozialversicherungsbeiträge einzubehalten und abzuführen. Wird dies wegen Fehlinterpretation der BGM-Maßnahme vom Arbeitgeber unterlassen, haftet dieser grundsätzlich für den Abzug dieser Abgaben. Eine nachträgliche Beteiligung des Arbeitnehmers an diesen Abgaben ist faktisch nur schwer möglich. Es besteht nämlich nur ein eingeschränktes Rückgriffrecht auf den Arbeitnehmer, um diesen nachträglich an dem nicht einbehaltenen Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung zu beteiligen. Hinsichtlich der Lohnsteuer ist das Rückgriffrecht zwar unbeschränkt, es wird bei den Arbeitnehmern allerdings auf Unverständnis stoßen, wenn diese nachträglich an den lohnsteuerrechtlichen Abgaben beteiligt werden sollen. In der Praxis werden diese Abgaben in Form von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen daher dann stets vom Unternehmen getragen. Das Unternehmen hat dann nur die Möglichkeit den Schaden dadurch zu minimieren, in dem es beispielsweise bei Sachzuwendungen, die pauschale Versteuerung nach § 37b EStG wählt und damit auch Sozialversicherungsfreiheit für die zugewendeten BGM-Maßnahmen erlangt. In diesem Fall belaufen sich die Mehrkosten für den Arbeitgeber jedoch auch noch auf ca. 34 % der BGM-Maßnahmekosten. Bei in bar erbrachten BGM-Maßnahmen ist diese Notlösung nicht möglich. Der Arbeitgeber trägt dann voll die lohnsteuer- und sozialversicherungsrechtliche Abgabenlast. Im Ergebnis kann also bei einem nicht möglichen Vorsteuerabzug und bei Vorliegen von Arbeitslohn die BGM-Maßnahme für das Unternehmen um mehr als 60 % teurer werden, als vielleicht zunächst angenommen. Berücksichtigt man die Tatsache, dass die Finanz- und Sozialversicherungsbehörden Abgaben regelmäßig bis zu vier Jahre rückwirkend nachverlangen können, wird klar, dass je höher die Beträge sind, die in BGM-Maßnahmen investiert werden und je länger

79 Steuerrechtliche Aspekte fürs Betriebliche Gesundheitsmanagement

die BGM-Maßnahmen durchgeführt werden, umso schneller potenzieren sich daher die Abgabennachforderungen, die auf das Unternehmen zukommen können, wenn die BGM-Maßnahmen unter Umständen steuer- und sozialversicherungsrechtlich fehlinterpretiert werden. 10.2  Der Idealfall – überwiegend eigenbetriebliches Interesse

Im Idealfall sollte aus den Investitionen in die BGM-Maßnahmen die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer gegenüber dem Finanzamt geltend gemacht werden können. Weiter sollten die BGM-Maßnahmen bei deren Nutznießern möglichst nicht zu Arbeitslohn führen, um hierauf keine Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge abführen zu müssen. Der vorstehend beschriebene Idealfall ist immer dann erfüllt, wenn die geplanten BGM-Maßnahmen im überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse vorgenommen werden. Es liegt auf der Hand, dass die Bedingung „im überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse“ viel Interpretationsspielraum zulässt und auch streitanfällig ist. Der Bundesfinanzhof hat in mehreren Urteilen versucht eine Definition dafür zu finden, wann eine Maßnahme im überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse vorgenommen wird und damit kein Arbeitslohn bei den Nutznießern der Maßnahme vorliegt. Demnach müssen die Vorteile des Arbeitgebers deutlich die Vorteile des Arbeitnehmers überwiegen. Die Vorteile des Arbeitnehmers dürfen nur eine notwendige Begleiterscheinung der betriebsfunktionalen Zielsetzung sein. Und je höher also aus der Sicht des Arbeitnehmers die Bereicherung anzusetzen ist, desto geringer zählt das vorhandene eigenbetriebliche Interesse. Da die meisten BGM-Maßnahmen, die persönliche Gesundheit der Arbeitnehmer im Fokus haben und diese damit auch immer mit einem nicht zu vernachlässigenden Eigeninteresse des Arbeitnehmers verbunden sind, herrscht bei der Beantwortung der Frage ob die BGM-Maßnahme im überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse durchgeführt wird seit Jahren bereits große Unsicherheit für die Unternehmen. Gesetzgeber und Finanzbehörden schweigen sich leider hierzu aus und überlassen es bislang der Rechtsprechung über Einzelfälle zu urteilen, ob diese im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse erbracht werden. Insoweit sehen sich Unternehmen immer wieder im Rahmen von Lohnsteuer- oder Sozialversicherungsprüfungen mit erheblichen vorstehend beschriebenen Abgabennachforderungen konfrontiert, wenn diese Voraussetzungen als nicht erfüllt angesehen werden. Seit einiger Zeit kristallisiert sich in der Rechtsprechung heraus, dass nur dann ein überwiegend eigenes betriebliches Interesse angenommen wird, wenn der Arbeitgeber mit den Maßnahmen eigene gesetzliche Arbeitsschutzpflichten erfüllt oder Maßnahmen getroffen werden, um berufsbedingte Krankheiten zu vermeiden. Wann genau Maßnahmen ergriffen werden, um berufsbedingte Krankheiten zu vermeiden und wie dies in Zweifelsfällen nachzuweisen ist, ist in weiten Teilen jedoch bislang nicht geklärt.

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Generell gilt hier die Empfehlung möglichst treffende und viele geeignete Nachweise zu dokumentieren, um im Falle einer Überprüfung durch die Steuer- und Sozialversicherungsbehörden diese vorlegen zu können. 10.3  Der Freibetrag nach § 3 Nr. 34 EStG

Sind die Voraussetzungen für ein überwiegend eigenbetriebliches Interesse nicht erfüllt, so liegt in der Regel in den BGM-Maßnahmen, die den Arbeitnehmern zugutekommen, Arbeitslohn vor. Seit Beginn des Jahres 2008 und in neuer Fassung seit dem 01.01.2019 ist in § 3 Nr  34 EStG für bestimmte Maßnahmen eine Lohnsteuer- und Sozialversicherungsfreiheit festgelegt. Voraussetzungen hierfür sind kumulativ, dass die BGM-Maßnahmen 1. zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbrachte Leistungen des Arbeitgebers darstellen. 2. zur Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken und zur Förderung der Gesundheit in Betrieben dienen. 3. hinsichtlich Qualität, Zweckbindung, Zielgerichtetheit und Zertifizierung den Anforderungen der §§ 20 und 20b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch genügen.

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Zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn werden die Maßnahmen nur dann erbracht, wenn diese zusätzlich zu im Zeitpunkt der Zahlung bereits aus Arbeitsvertrag oder betrieblicher Übung bestehenden Ansprüchen erbracht werden und wenn keine Barlohnumwandlung vorliegt. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist es auch zulässig, wenn die Maßnahmen im Rahmen einer Gehaltserhöhung gewährt werden, auf die kein Rechtsanspruch bestand oder wenn diese unter Anrechnung auf eine freiwillig erbrachte Leistung zum Beispiel in Anrechnung auf einen freiwilligen Jahresbonus gewährt werden. Gefördert werden nach Auffassung der Finanzverwaltung nur Maßnahmen im Sinne der §§ 20, 20b SGB V. Diese sind im „Leitfaden Prävention“ des GKV-Spitzenverbandes aufgeführt. Hierzu gehören beispielsweise Schutzimpfungen, Früherkennungsuntersuchungen, Kurse zur Suchtentwöhnung (Alkohol, Zigaretten), Rückenschulen, YogaKurse, Pilates-Kurse, Schwangerschaftsberatung. Erforderlich ist, dass diese Maßnahmen von einem qualifizierten Anbieter durchgeführt werden. Anbieter, welche das Prüfsiegel der Zentralen Prüfstelle Prävention für die jeweils angebotene BGM-Maßnahme tragen, werden regelmäßig als ausreichend qualifiziert angesehen. Gesetzlich war dieses Prüfsiegel bis zum 31.12.2018 nicht vorgeschrieben. Mit der Neufassung des § 3 Nr. 34 EStG ist die Zertifizierung für Maßnahmen die am oder nach dem 01.01.2019 neu beginnen nun zwingende Voraussetzung für die Anerkennung der Steuerbefreiung. Nach finanzgerichtlicher Rechtsprechung waren in der Vergangenheit Maßnahmen jedoch immer dann begünstigt, wenn diese von Physiotherapeuten, Heilpraktikern oder qualifizierten Fitnesstrainern erbracht wurden. Auch eine Bindungswirkung des „Leitfaden Prävention“ wurde von einzelnen Finanzgerichten in der Vergangenheit verneint. Es steht zu befürchten, dass diese Rechtsprechung mit der Neufassung des § 3 Nr. 34 EStG für beginnende Maßnahmen ab dem 01.01.2019 überholt ist und nur solche

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Maßnahmen begünstigt sind, die dem „Leitfaden Prävention“ entsprechen und für die eine Zertifizierung nachgewiesen ist. Lohnsteuer- und Sozialversicherungsfreiheit besteht nur soweit die Maßnahmen je Arbeitnehmer 500 EUR im Kalenderjahr nicht übersteigen. Sowohl Sach- als auch Barleistungen sind begünstigt. Ein übersteigender Betrag kann wie bereits oben beschrieben nach § 37b EStG pauschal der Besteuerung unterworfen werden, wenn Sachleistungen an die Arbeitnehmer erbracht werden. In diesem Fall sind keine Sozialabgaben auf den übersteigenden Betrag zu entrichten. Die Maßnahmen bis zum Betrag von 500 EUR bleiben dann trotzdem vollständig steuer- und sozialversicherungsfrei. Der Betrag von 500 EUR gilt je Arbeitgeber, auch bei nur anteiliger Beschäftigung im Kalenderjahr, was bedeutsam bei Mehrfachbeschäftigung und Arbeitgeberwechsel sein kann. Um für eine Lohnsteuer- oder Sozialversicherungsprüfung gewappnet zu sein, sind unbedingt die Voraussetzungen für eine Begünstigung nachzuweisen. So ist beispielsweise bei Kursen die Teilnahmebestätigung zu den Personalakten zu nehmen. Diese dient auch als Grundlage für Erstattungen an die Arbeitnehmer. Weiter sind Nachweise über die Zertifizierung des Anbieters und des besuchten Angebots zu führen. Wenn es sich um Fälle von geringer Bedeutung handelt oder wenn die Möglichkeit zur Nachprüfung in anderer Weise sichergestellt ist, kann das Unternehmen überlegen einen Antrag auf Aufzeichnungserleichterung nach § 4 Absatz 2 Nr. 4 LStDV beim zuständigen Betriebsstättenfinanzamt zu stellen. 10.4  Was ist zu tun bei Zweifelsfällen?

Ist dem Unternehmen nicht klar welcher Fallkonstellation die geplante BGM-Maßnahme zuzuordnen ist, sind neben der Einholung einer Expertise bei einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe folgende Handlungsalternativen denkbar. Das Unternehmen kann beispielsweise das gebührenfreie Instrument der Lohnsteueranrufungsauskunft nach § 42e Satz 1 EStG in Anspruch nehmen. Das Betriebsstättenfinanzamt hat auf Anfrage eines Unternehmens darüber Auskunft zu geben, ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind. Daneben besteht die Möglichkeit eine Verbindliche Auskunft nach § 89 Absatz 2 AO beim Finanzamt einzuholen. Die Einholung einer verbindlichen Auskunft ist gebührenpflichtig. Mit beiden Maßnahmen kann das Unternehmen Rechtssicherheit für den Lohnsteuerabzug und damit auch für den Sozialversicherungsabzug erlangen. Da die Lohnsteueranrufungsauskunft keine Gebühren auslöst, ist dieser der Vorzug zu geben, da die Bindungswirkung die gleiche ist, wie die der Verbindlichen Auskunft. Wichtig ist für beide Alternativen, dass diese im Vorhinein, also vor Beginn der BGM-Maßnahme eingeholt werden und die Einholung schriftlich unter Darstellung des vollständigen Sachverhalts durchgeführt wird. Auch wenn bei der Lohnsteueranrufungsauskunft keine Form vorgeschrieben ist, empfiehlt sich die schriftliche Einholung aus Beweisgründen dennoch. Wichtig ist auch, dass die Maßnahme dann im Anschluss auch ohne Abweichungen zur schriftlichen Darstellung umgesetzt werden müssen.

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Weiterführende Literatur und Quellen § 3 Nr. 34 EStG in der Fassung des UStAVermG vom 11. Dezember 2018. §§ 20 und 20b SGB V. BFH-Urteil vom 11.03.2010 VI R 7/08. Stellungnahme GKV-Spitzenverband zur betrieblichen Gesundheitsförderung

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Die zentrale Rolle der Führungskräfte im Betrieblichen Gesundheitsmanagement Martin Simmel

Weiterführende Literatur und Quellen – 91

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_11

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Ein Beispiel zu geben ist nicht die wichtigste Art, wie man andere beeinflusst. Es ist die einzige. Albert Schweitzer

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Bevor es losgeht … Haben Sie schon mal etwas von ultradianen Rhythmen gehört? Nein? Man kennt ja in der Regel die circadiane Rhythmik bzw. den sogenannten Biorhythmus. Dieser beschreibt und erklärt den Sachverhalt, dass wir über den Tag verteilt bis Mittag ein relatives Leistungshoch erleben, nach der Mittagspause in ein „Suppenkoma“ fallen, nachmittags noch einmal eine Hochphase haben und dann in den Abend hinein müder werden und schließlich schlafen (s. . Abb. 11.1). Die ultradiane Rhythmik wurde wissenschaftlich erst kürzlich näher erforscht. Man hat beobachtet, dass unser Organismus alle 90 bis 120 min für etwa 10 bis 15 min Pause macht. Er reguliert sein Energieniveau ein wenig herab, so als würde man das Licht in einem Raum etwas dimmen. Haben Sie das schon mal bemerkt? Vielleicht nicht bei sich selbst, sondern bei anderen Personen? Woran? Man gähnt, lehnt sich zurück, blickt aus dem Fenster mit starrem und unbeweglichem Blick, … Die Kunst besteht darin, überhaupt zu bemerken, dass der Organismus diese Rhythmik hat und seine kleine Pause macht. Im Alltag gelingt uns das nicht immer. Ein vollgepackter und eng getakteter Vormittag führt in der Regel eher dazu, dass wir die kleinen Pausensignale des Organismus überhören und – statt innezuhalten und dem Bedürfnis einen Moment lang Beachtung zu schenken – noch eins draufsetzen und uns pushen (s. . Abb. 11.2). Wenn wir das kontinuierlich machen, erleben wir abends etwas, das wir als Interferenzphänomen bezeichnen könnten: Die Augen schließen sich, weil müde und der Geist schaltet nicht ab – es denkt noch mit uns. Kennen Sie jemanden, der das schon mal erlebt hat? Konsequenz aus diesen Beobachtungen und Erkenntnissen? Ganz einfach: Wenn Sie sich im Laufe des Kapitels immer wieder mal zurücklehnen und die Augen schließen, weiß ich, dass Sie verstanden haben, was ich Ihnen gerade erklärt habe. Sollten Sie in der nächsten Zeit im Büro bei der Arbeit sich mal für zehn Minuten zurücklehnen und die Augen schließen und darauf angesprochen werden …

6 Uhr . Abb. 11.1  Circadiane Rhythmik

12 Uhr

18 Uhr

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6 Uhr

12 Uhr

18 Uhr

. Abb. 11.2  Ultradiane Rhythmik

„Schlafen Sie?“, so lautet die wissenschaftlich korrekte Antwort: „Nein, ich synchronisiere gerade meinen ultradianen Rhythmus!“ ? Was ist eigentlich Gesundheit?

Die Frage scheint einfach, bei genauerer Betrachtung erkennen wir jedoch, dass die Antwort nicht ganz eindeutig auf der Hand liegt. Viele Profis wie Ärzte und Therapeuten werden darin ausgebildet, Krankheiten und deren Symptome zu erkennen, die dann wiederum therapiert werden. Gesundheit und Krankheit sind eben nicht zwei Seiten einer Medaille – wer nicht krank ist, ist nicht automatisch gesund. Vielmehr bewegen wir uns im Laufe unseres Lebens in einem Kontinuum zwischen den Polen Krankheit und Gesundheit hin und her. Wie Gesundheit entsteht bzw. wie man Gesundheit selbst machen und herstellen kann, damit haben sich verschiedene Wissenschaftler auseinandergesetzt. Drei sehr plausible Antworten mit hoher praktischer Relevanz werde ich hier darstellen und erörtern. v Antwort 1

„Gesundheit bedeutet auch, im Gleichgewicht zu sein!“

Der Experte Nossrath Peseschkian sagt, dass Gesundheit der Ausdruck subjektiven und objektiven Gleichgewichts von vier relevanten Lebensbereichen sei. Dazu gehören zum einen Arbeit und Leistung, zum anderen Gesundheit und körperliches Befinden, außerdem der Bereich Kontakt- und Beziehungspflege zu Familie und Freunden sowie das Feld Sinn und Kultur (s. . Abb. 11.3). Bitte skizzieren Sie doch mal diesen Kreis auf einem weißen Blatt Papier und schätzen Sie ein, wie sich diese Felder zum aktuellen Zeitpunkt in Ihrem Lebenskontext dar-

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Körper & Gesundheit

Sinn & Kultur

Arbeit & Leistung

Familie & Kontakt

. Abb. 11.3  Gesundheit bedeutet auch im Gleichgewicht zu sein

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stellen. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen. Vielleicht unternehmen Sie sogar einen kleinen Spaziergang und nehmen zwei Fragen mit auf den Weg: 1. Wovon hast du zu viel, das dir nicht gut tut? 2. Wovon hast du zu wenig, das dir gut täte? Merken Sie etwas? Es geht schon los! Ihre Intuition sucht und bewertet wahrscheinlich bereits, welche förderlichen und belastenden Faktoren aktuell in Ihrem Lebenskontext wirken. Es hat sich als nützlich und sinnvoll erwiesen, sich mit den zwei bis drei Hauptfaktoren zu beschäftigen und die förderlichen stärker in den Fokus zu rücken als die belastenden. Bitte fragen Sie sich: Was ist zu tun, um die förderlichen Faktoren zu pflegen und weiter zu entwickeln? Wer seine Konzentration und Aufmerksamkeit vornehmlich in diese Richtung lenkt, kann seine Lebensqualität und Gesundheit deutlich positiv beeinflussen und verbessern. Glauben Sie nicht? Probieren Sie es aus – drei Monate lang, bis es „chronisch“ wird. Dann können Sie die Methode sicher beurteilen und entscheiden, ob sie für Sie passt. v Antwort 2

„Arbeit als gesundheitsfördernder Faktor!“

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Anforderung Überforderung

Langeweile

Fähigkeit

. Abb. 11.4  Das Flow-Erleben

Der Psychologieprofessor Csikszentmihalyi wollte herausfinden, was Menschen glücklich macht und hat sie im Alltagskontext befragt, was sie gerade machen und wie sie sich dabei fühlen. Ganz einfach lassen sich seine Erkenntnisse in Grafik . Abb. 11.4 zusammenfassen. Wenn wir mit Aufgaben konfrontiert sind, die schwierig sind, eine hohe Anforderung darstellen und demgegenüber mit niedrigen Fähigkeiten aufwarten können, sie zu bewältigen, gelangen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Zustand der Überforderung. Andererseits bedeuten Aufgaben mit geringer Anforderung und hoher Fähigkeitsstatus unsererseits Unterforderung und Langeweile. Wenn sich Anforderungen und Fähigkeiten bestmöglich entsprechen, entsteht ein Zustand, den viele Probanden mit „Flow“ bezeichnet haben. Wir vergessen die Zeit während des Tuns, alles fließt und geht uns leicht von der Hand. Flow entsteht im aktiven Tun, nicht auf der Couch oder am Strand. Aus diesen Forschungsarbeiten lassen sich viele Erkenntnisse ableiten. Zum Beispiel können Sie jetzt erklären, wie Arbeit zum gesundheitsfördernden Faktor wird. Das Rezept lautet: Sorgen Sie dafür, dass das, was Sie tun, weitestgehend und bestmöglich Ihren Talenten und Fähigkeiten entspricht. Und: Machen Sie ausreichend Pause, weil Flow Energie verbraucht und ein Zuviel auch anstrengend sein kann. Außerdem können Sie jetzt Ihrem Nachbarn auch erklären, wie man einen „Burnout“ macht, falls der mal fragen sollte. Erstens: Gehen Sie permanent in die Überforderung, am besten ohne Pausen! Als Führungskraft werfen Sie Ihre Mitarbeiter ins kalte Wasser und fragen Sie vorher nicht, ob sie schwimmen können! Auch sehr effektiv ist es, den Mitarbeiter in einen zugefrorenen See zu werfen und dann alleine zu lassen – alles schon passiert. Zweitens: Bleiben Sie in Arbeitskontexten, die Sie chronisch unterfordern. Erfahrungsgemäß gehen dabei nicht nur der Sinn, sondern auch die Energie verloren! Drittens: Gehen Sie in „Dauer-Flow“ und vergessen Sie, Pause zu machen. Damit verlieren Sie ebenfalls mehr Energie, als Sie gewinnen und „brennen aus“. v Antwort 3

„Gesundheit entsteht, wenn wir gesundheitsbildende Werte schöpfen können!“

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Grossarth-Maticek hat in seinen Längsschnittstudien chronisch kranke Patienten gefragt, was in ihrem Leben wichtig ist, worauf sie Wert legen und was ihnen fehlt. Er beschreibt die sogenannten „gesundheitsbildenden Werte“ auf persönlicher und auf sozialer Ebene. Gesundheitsbildende Werte Persönliche Werte 5 Sinn- und Selbstverwirklichung 5 Selbstbestimmung und Selbstverantwortung/Verhaltensautonomie 5 Verhaltensflexibilitat und Wahlfreiheit 5 Selbstvertrauen und Selbstachtung 5 Zuversicht, Optimismus und Hoffnung Soziale Werte 5 Zuneigung, Respekt und Liebe gegenüber anderen Menschen 5 Anerkennung und Wertschätzung durch andere Menschen 5 Tragfähiges soziales Umfeld 5 Leben in Harmonie und im Einklang mit der belebten und unbelebten Natur

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Wenn Sie für sich diese gesundheitsbildenden Werte als bedeutsam erachten und Ihr Alltag ausreichend Möglichkeiten bietet, diese Werte leben zu können, entsteht Gesundheit. Vielleicht nutzen Sie eine nächste Gelegenheit und nehmen diese Liste mit auf einen kleinen Spaziergang. Was verstehen Sie beispielsweise unter Sinn und Selbstverwirklichung? Welche Bedeutung hat dieser Wert in Ihrem aktuellen Lebenskontext? Hat sich das im Laufe der Zeit verändert? Vermissen Sie etwas? Wie wäre es, wenn es ideal und bestmöglich umgesetzt wäre? Über die Wertelandschaft einer Person betreten wir direkt den Bereich unserer psycho-emotionalen Steuerungsinstanz. Man könnte sagen, wir beschäftigen uns mit unserer „Software“. Meistens unterbewusst, jedoch über unser Denken und Tun sichtbar und spürbar (s. . Abb. 11.5).

. Abb. 11.5  Das Werteschöpfungsprinzip

89 Die zentrale Rolle der Führungskräfte im Betrieblichen …

Das, was uns wichtig ist, treibt uns an. Es mobilisiert unsere Energie und schafft Motivation (lat. movere = bewegen). Und: Nicht immer sind unsere Werte gleichgerichtet. Es ergeben sich im Alltag nicht selten scheinbare Wertegegensätze und somit Ambivalenzen („Zwickmühlen“). Die bewusste Wahrnehmung dieser Wertekonflikte verschafft uns Zugang dazu und ermöglicht (Auf-)Lösung. Und als ob das nicht schon spannend genug wäre: Unsere Wertelandschaften ändern sich im Laufe des Lebens. Dies geschieht vielleicht, weil wir es bewusst tun und neue Prioritäten setzen, oder es passiert uns scheinbar einfach so. Äußere Umstände ändern sich, außergewöhnliche Lebensereignisse prägen uns, bemerkenswerte Menschen/ Führungskräfte treten in unser Leben usw. Wenn sich Wertelandschaften ändern, entsteht meistens eine eigenartige Zwischenwelt. Das Alte passt nicht mehr und das Neue ist (noch) nicht da. Kennen Sie das? Manch einer spricht in diesem Zusammenhang von einer „Krise“ – irgendwie dazwischen eben. Und was macht der Mensch, wenn er sich irgendwie dazwischen befindet? Richtig. Meistens (ver-)sucht er den Weg zurück in alte Gewohnheiten. Nur wenige sagen dann „Oh spannend, es entsteht etwas Neues und ich weiß noch gar nicht was!“. Nicht weniger bewegend erleben wir Situationen, in denen unsere Werte, das, was uns wichtig und wertvoll ist, verletzt werden. Egal, ob dies bewusst oder zufällig – weil wir es so bewerten und erleben – passiert: Unser Organismus reagiert darauf. Und zwar jeder ein bisschen anders mit unterschiedlichen Ausprägungen. Typische Reaktionsmuster in jeweils typischen, individuumsspezifischen Kombinationen können sein: 5 Körperliche Reaktionen: Verdauungsprobleme, Muskelverspannungen, Kopfschmerzen, … 5 Emotionale Reaktionen: Frustration, mangelndes Kompetenzgefühl, Stimmungsschwankungen, Nervosität, … 5 Soziale Reaktionen: Nörgelei, Intoleranz, am liebsten alleine sein wollen, … 5 Mentale Reaktionen: Konzentrationsmangel, abnehmende Kreativität, Entscheidungsschwäche, ….

Erkennen Sie Symptome und Phänomene, die sie selbst auch schon erlebt haben? Diese Aufzählung beschreibt wohl am schlüssigsten, was mit „Psycho-somatik“ gemeint ist. 80 % aller chronischen Rückenschmerzen sollen psychosomatisch sein! Das muss man dem Menschen erst mal erklären, dem der Rücken weh tut! Vor dem Hintergrund erlebter Werteverletzungen wird das meistens viel plausibler. Eine andere Perspektive beschreibt Werteverletzungen im betrieblichen Kontext. Folgende Symptome sollen angeblich darauf hindeuten:

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Resignation und innere Kündigung Dienst nach Vorschrift (Versuch, das System auszunutzen) Minderung der Loyalität (es werden negative Geschichten erzählt) Die Energie wird nicht mehr in die erwarteten Ergebnisse investiert, sondern in die persönliche/private Optimierung 5 Jammern statt Handeln (…)

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Kennen Sie jemanden, der so etwas schon mal hatte? Nein? Jetzt wird es spannend, um nicht zu sagen psycho-logisch. Diese Betrachtungsperspektive führt uns zum einen zu einer Antwort, inwiefern das Thema Gesundheit im Unternehmen ein Schlüsselfaktor hinsichtlich Qualitätsmanagement, Produktivität, Leistungsfähigkeit und vor allem Leistungsbereitschaft sein kann. Zum anderen verdeutlicht dieser Blickwinkel die zentrale Bedeutung des Verhaltens der Führungskräfte. Hägar wurde einmal gefragt: „Sag´ mal, wie bist du eigentlich Chef geworden?“ Und er antwortete: „Beharrlichkeit, Genialität und einfach Pech!“ Führungskräfte prägen selbstverständlich die (Werte-)Kultur eines Unternehmens. So, wie der Chef „tickt“, so „ticken“ die Menschen in seiner Umgebung. Und jeder Einzelne kann und muss sich fragen, wie seine Werte mit den gelebten Werten des Unternehmens zusammenpassen. Massiv vereinfacht empfiehlt sich die Anwendung des „it-Prinzips“: Love it, change it or leave it! Am Ende des Artikels fasse ich noch einmal zusammen und liefere ein „Patentrezept“, weil das von Experten gerne so gewünscht wird! 1. Finden Sie heraus, wie Sie und Ihre Mitarbeiter ticken (gemeint ist die Werteebene)! Das erfordert Zeit und die Fähigkeit, zuzuhören. 2. Klären Sie für sich, ob und wie das zusammenpasst! Das wiederum erfordert ehrliche Selbstreflexion. 3. Machen Sie sich bewusst, wie Sie reagieren, wenn Ihre Werte verletzt werden! Und: Schützen Sie sich! Weil Sie an der Decke klebend weder fair und gerecht, noch wirksam führen können. 4. Beantworten Sie die Fragen: Wozu braucht mich dieses Unternehmen? Was ist der Zweck meines Tuns? … für sich selbst und für Ihre Mitarbeiter! 5. Sorgen Sie dafür, dass Sie und Ihre Mitarbeiter weitestgehend das machen, was sie können und schaffen Sie angemessen herausfordernde Entwicklungsperspektiven! 6. Sorgen Sie für Ausgleich und Pflege aller relevanten Lebensbereiche! Schaffen Sie Rahmenbedingungen im Unternehmenskontext, die diesen Ausgleich auch bei Ihren Mitarbeitern ermöglichen! 7. Und: Machen Sie Pause, wenn es der ultradiane Rhythmus einfordert

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Weiterführende Literatur und Quellen Ernest L. Rossi und David Nimmons, 20 Minuten Pause, Junfermann Verlag Paderborn 2007 Klaus Jork und Nossrath Peseschkian, Salutogenese und Positive Psychotherapie, Verlag Hans Huber 2006 Grossarth-Maticek, Ronald, Autonomietraining – Gesundheit und Problemlösung durch Anregung der Selbstregulation, De Gruyter 2000 Mihaly Csikszentmihalyi, Flow im Beruf, Klett-Cotta, 2014 Simmel Martin und Wühr Erich (2014): Werteorientierte Führung – Unternehmenswelten schaffen, denen Menschen zugehören wollen. Online Buch

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Betriebliche Beteiligung und Mitbestimmung Willy Graßl 12.1  Arbeits- und Gesundheitsschutz – 95 12.2  Gefährdungsbeurteilung – 95 12.3  Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) – 96 12.4  Suchtprävention – 97 12.5  Arbeitszeitgestaltung – 97 12.6  Gesundheitsförderung – 98 12.7  Gesundheitsmanagement – 98 Weiterführende Literatur und Quellen – 99

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_12

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Zusammenkommen ist ein Beginn, Zusammenbleiben ist ein Fortschritt, Zusammenarbeiten ist ein Erfolg. Henry Ford

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Die betriebliche Mitbestimmung in einem BGM ist ein sehr komplexes Thema. Einerseits hat der Betriebsrat in der Arbeitssicherheit und dem Gesundheitsschutz weitreichende Mitbestimmungsrechte, andererseits bestehen diese im Bereich der Gesundheitsförderung nur themenbezogen. Das BGM ist aufgrund der fehlenden Rechtslage nicht erzwingbar und somit obliegt es dem Arbeitgeber, auf freiwilliger Basis ein BGM einzuführen. In der Praxis ist es sinnvoll, dass der Arbeitgeber und der Betriebsrat die Rahmenbedingungen für ein Gesundheitsmanagement in einer Betriebsvereinbarung festlegen. Ein betriebliches Gesundheitsmanagement funktioniert nur dann, wenn sich beide Seiten darüber klar sind, dass der erwünschte Erfolg durch eine wertschätzende Kooperation aller Beteiligten entsteht. Das Thema Mitbestimmung spielt zunächst im Aufbau und der Entwicklung eines Gesundheitsmanagements eine untergeordnete Rolle. Hierbei geht es um Struktur, Ressourcen, Qualität, Zusammenarbeit und Ziele. Mitbestimmung rückt erst später als unabdingbarer Bestandteil in einigen Handlungsfeldern des BGM in den Vordergrund. Gute Arbeitgeber nehmen die gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben ernst, erfüllen diese und schöpfen den Nutzen eines gut strukturierten BGM aus. Falls ein Arbeitgeber die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz nicht gesetzeskonform umsetzt, macht es wenig Sinn, wenn der Betriebsrat auf die Einführung eines Gesundheitsmanagements besteht. In einem solchen Fall müssen primär die Pflichten des Arbeitgebers eingefordert werden, um aktiv im Arbeitsschutz mitgestalten zu können. Je weniger klar die Mitbestimmung ist, desto mehr sollte dem Arbeitgeber daran gelegen sein, den Betriebsrat einzubinden und ihn über die Ziele und Ansätze zu informieren. Das vermeidet weitestgehend Konflikte und führt zu einer kooperativen Zusammenarbeit. Grundlegend sollten sich beide Parteien darüber im Klaren sein, wer welche Interessen vertritt und was die Aufgabe einer jeden Partei ist. Wer sich an den Grundsatz hält, dass ein BGM keine Spielwiese von Egoisten oder geeignet für politische Machtkämpfe ist, wird erfolgreich sein und das Thema Mitbestimmung positiv gestalten. Nachfolgend betrachten wir wichtige Felder im BGM unter dem Aspekt der Zusammenarbeit und Mitbestimmung. 5 Arbeits- und Gesundheitsschutz 5 Gefährdungsbeurteilung 5 Betriebliches Eingliederungsmanagement 5 Suchtprävention 5 Arbeitszeitgestaltung 5 Gesundheitsförderung 5 Gesundheitsmanagement

95 Betriebliche Beteiligung und Mitbestimmung

12.1  Arbeits- und Gesundheitsschutz

§ 87/Abs. 1 Nr. 7 des BetrVG stellt eindeutig fest, dass der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zu Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften hat. Sofern der Gesetzgeber keine abschließende Regelung getroffen hat und Entscheidungs- und Ermessensspielräume lässt, hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht. Der Betriebsrat kann von sich aus aktiv werden und sein Initiativrecht nutzen. Das Arbeitsschutzgesetz sieht den Betriebsrat als Akteur der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation. Seine Aufgabe ist es, über die Einhaltung der geltenden Gesetze, Tarifverträge, Normen und Vorschriften zu wachen. Die Berufsgenossenschaft und Gewerbeaufsicht sind aufgefordert, mit dem Betriebsrat eng zu kooperieren. Eine gute Qualifikation der zuständigen Betriebsräte ermöglicht einen sachlichen Austausch auf der betrieblichen Ebene und entschärft Konflikte. Der Betriebsrat muss sich für die Aufgaben qualifizieren, damit er Maßnahmen des Arbeitsschutzes fördern kann. Qualifizierte Arbeitnehmervertreter sind unverzichtbar für eine gewinnbringende Partnerschaft im Arbeitsschutz. 12.2  Gefährdungsbeurteilung

Jeder Arbeitsplatz benötigt eine Gefährdungsbeurteilung. Diese unterliegt der Mitbestimmung und erfasst Gefahren für den Arbeitnehmer, die von seinem Arbeitsplatz oder seiner Tätigkeit ausgehen. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung wurden 2013 neben der technischen und physischen Beurteilung zusätzlich die psychischen Belastungen (Punkt 10) aufgenommen. Dieser Punkt verursacht seitdem erhebliche Probleme in den Unternehmen. Die systematische Erfassung der Gefährdung und die Ableitung von Maßnahmen im Bereich der psychischen Belastung sind etwas vollkommen Neues für die Arbeitgeber und die Betriebsräte. Leider wird aufgrund der fehlenden Kompetenzen und Erfahrungen der Beteiligten im Arbeitsschutz die Erfassung und Abstellung der psychischen Belastungen meistens nur unzureichend oder gar nicht durchgeführt. Selbst Unternehmen mit einem guten Stand bei den physikalisch-technischen Gefährdungsbeurteilungen verfahren teilweise bei diesem Punkt dilettantisch. Wegen der weitreichenden Mitbestimmung des Betriebsrates ist dieser Punkt geradezu prädestiniert für Konflikte. Diese gesetzliche Vorschrift ermöglicht dem Betriebsrat ein Initiativrecht und er hat bei der gesamten Durchführung ein Mitbestimmungsrecht. Arbeitgeber sind hier gut beraten, eine kompetente, externe Beratung zu beauftragen und ein wissenschaftlich validiertes Verfahren zur Messung der Belastungen einzusetzen. Betriebsräte sollten auf die Durchführung der gesamten Gefährdungsbeurteilung bestehen und sich auf die Umsetzung und den Nutzen konzentrieren. Ein erfahrener Berater kann beide Parteien unterstützen und kennt die validierten Verfahren. Leider investieren oft beide Parteien viel Zeit und Nerven in die Vorgehensweise, jedoch nicht

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in einen guten Berater und verlieren somit den Blick auf den betrieblichen Nutzen für Unternehmen und Beschäftigte, der erst durch die Umsetzung der erarbeiteten Maßnahmen entstehen kann. 12.3  Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)

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Das BEM ist im Sozialgesetzbuch IX – Prävention -§ 167 Abs. 2 geregelt: „Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung (SBV), mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Soweit erforderlich wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die örtlichen gemeinsamen Servicestellen oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.“ (Gesetzestext). Für Arbeitgeber ist die Mitbestimmung im betrieblichen Eingliederungsmanagement schwierig. Bis vor kurzem gab es keine arbeitsrechtlichen Urteile, die Klarheit über die Fragestellung, Mitbestimmung und Beteiligung des Betriebsrates oder der Schwerbehindertenvertretung schafften. Durch neue Urteile in den letzten Jahren ist in das Thema mehr Rechtssicherheit gekommen und es konnte sichergestellt werden, dass das BEM ein strukturierter Prozess zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem ist. Weitere Beteiligte können nach der Zustimmung oder auf Wunsch des Beschäftigten hinzugezogen werden. Der Beschäftigte hat also das Recht, einen Betriebsratsvertreter oder die SBV als Vertrauensperson hinzuzuziehen. Die schlechteste Alternative für Arbeitgeber und Mitarbeiter ist ein nicht durchgeführtes BEM (siehe BEM Netz, Prümper, Reuter, Sporbert). Das BEM bietet Beschäftigten die Möglichkeit, zielgerichtete Gespräche mit den Arbeitgebern zu führen, um eine weitere Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden. Der Arbeitgeber ist durch die Einleitung von gezielten Maßnahmen für die Unterstützung des Arbeitnehmers verantwortlich. Er ist aber nicht verpflichtet, unverhältnismäßige Maßnahmen anzubieten oder diese umzusetzen. Die Mitbestimmung oder Einbindung des Betriebsrates oder der SBV ist entsprechend der normalen betrieblichen und gesetzlichen Regularien zu gewährleisten. Also gleichermaßen wie bei einer Versetzung, bei der Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder der Veränderung der Tätigkeiten. Wichtig dabei ist es, dass nicht nur der Arbeitgeber eine Verantwortung zur Einleitung der Maßnahmen trägt, sondern auch,

97 Betriebliche Beteiligung und Mitbestimmung

dass die Beschäftigen eine Mitwirkungspflicht haben und somit verpflichtet sind, aktiv mitzuwirken, um zukünftige Fehlzeiten zu vermeiden. Das BEM ist ein freiwilliges Verfahren und geht von einem positiven Zusammenwirken zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus. Die wichtige Frage, ob der Betriebsrat und die SBV ein BEM-Gremium erzwingen können und somit ein Teilnahmerecht ohne Zustimmung des Mitarbeiters haben, wurde durch das Bundesarbeitsgericht vom 22.03.2016, Az.: – 1 ABR 14/14 mittlerweile arbeitsgerichtlich entschieden. Die Durchführung des BEM ist Arbeitgebersache und im Gesetzestext geregelt. 12.4  Suchtprävention

Suchtprävention und Suchtmittel sind Themen des Arbeitsschutzes. Somit stellt sich die Frage der Mitbestimmung oder der betrieblichen Notwendigkeit bei der Erstellung von Regelungen nicht. Das Arbeitsschutzgesetz klärt leider nur kryptisch die Thematik Suchtmittel am Arbeitsplatz. § 7 des Gesetzes schreibt vor: Bei der Übertragung von Aufgaben auf Beschäftigte hat der Arbeitgeber je nach Art der Tätigkeiten zu berücksichtigen, ob die Beschäftigten befähigt sind, die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Aufgabenerfüllung zu beachtenden Bestimmungen und Maßnahmen einzuhalten (Gesetzestext). Das heißt, jeder Beschäftigte, der anhand von Alkohol, Drogen und Medikamenten dies nicht gewährleisten kann, darf nicht eingesetzt werden. Aufgrund des erheblichen Risikos für Betriebe sind betriebliche Rahmenbedingungen festzulegen. Fast alle dieser Regularien sind mitbestimmungspflichtig, weshalb es sinnvoll ist, für diesen Bereich eine Betriebsvereinbarung abzuschließen, die präventiv wirkt, einen Handlungsrahmen für Beschäftigte und Führungskräfte darstellt und einen Stufenplan, der die Vorgehensweise bei Auffälligkeiten regelt, beinhaltet. Anhand von mangelndem Fachwissen bei der Suchtprävention und im Umgang mit suchtmittelauffälligen Mitarbeitern ist es ratsam, dass sich die Betriebsparteien durch fachkundige Berater unterstützen lassen. 12.5  Arbeitszeitgestaltung

Die Arbeitszeitgestaltung hat einen erheblichen Einfluss auf die Leistungs- und die Beschäftigungsfähigkeit. Gut gestaltete Arbeitszeitmodelle haben eine hohe präventive Wirkung und verfügen über ausreichende Pausenzeiten und Erholungsmöglichkeiten zwischen den Arbeitsblöcken. Durch Tarifverträge und gesetzliche Rahmenbedingungen gibt es bereits eine vernünftige Basis an Schutzmaßnahmen, die jedoch in den Betrieben noch ausgestaltet werden müssen. Diese Ausgestaltung unterliegt der Mitbestimmung und führt oftmals zu erheblichen Interessenkonflikten zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens und den Interessen der Beschäftigten, wobei meistens der Gesundheitsschutz nicht im Vordergrund steht. Auf Beschäftigtenseite spielen zum Beispiel Fahrgemeinschaften oder eine hohe Anzahl an zusammenhängenden freien Tagen und Akkordlöhne eine Rolle, wohingegen auf Arbeitgeberseite produktive Prozesse, Flexibilität und ständige Erreichbarkeit des Beschäftigten wichtiger erscheinen. Im Rahmen dieser harten und sehr emotionalen Mitbestimmungsthematik

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W. Graßl

ist es anzuraten, dass die Betriebsparteien auf arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauende Normen für gesunde Arbeitszeitmodelle aufstellen und somit eine gute Basis für vernunftorientierte Verhandlungen schaffen. Die Beschäftigten erhalten damit auch nachvollziehbare Kriterien, an denen sie sich orientieren können. Im Rahmen der demografischen und gesellschaftlichen Entwicklung sollten auch spezifische Themen wie Familie und Beruf oder Pflege von Angehörigen beachtet werden. 12.6  Gesundheitsförderung

Der Bereich der Gesundheitsförderung umfasst vielfältigste Maßnahmen und Aktivitäten, mit denen die Stärkung der Gesundheitsressourcen und -potenziale der Beschäftigten erreicht werden soll. Präventive Maßnahmen wie z. B. ergonomische Standards, Arbeitszeitmodelle, eine gesunde Mitarbeiterverpflegung, ein Angebot zur Stressprävention oder ein Gesundheitscheck können sowohl ein großes Kollektiv als auch nur jeden Einzelnen unterstützen. Grundsätzlich ist eine Mitbestimmung in jedem Einzelfall zu klären. Nachdem es sich hierbei um positiv ausgerichtete Angebote handelt, sollten vernünftige Betriebsparteien in der Lage sein, das Thema professionell und konstruktiv zu bearbeiten und sich auf den Nutzen der Maßnahmen zu konzentrieren. Bei großen Meinungsverschiedenheiten ist es immer ratsam, sich mit einem Experten auszutauschen, der sachlich die Vor- und Nachteile aufbereitet und die Betriebsparteien dabei unterstützt, keine dauerhaften Konflikte zu verhärten, die weitere sinnvolle Aktivitäten behindern. 12.7  Gesundheitsmanagement

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Wie erwähnt, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein Gesundheitsmanagement einzuführen. Der Sinn eines BGM ist jedoch unbestritten und wird im Buch ausführlich aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt. Die Mitbestimmung ist im Gesundheitsmanagement je nach Struktur, Zielsetzung und den verschiedenen Themen (s.  . Abb. 12.1) unterschiedlich ausgeprägt. Praxisnah sollten sich beide Betriebsparteien bei der Einführung eines BGM bewusst sein, dass ein abgestimmter Rahmen, mit definierten Ansprechpartnern, Themenfeldern und Zieldefinitionen, zu einem akzeptierten Gesundheitsmanagement im Betrieb gehört. In diesem Prozess der Erarbeitung wird die Position der Betriebsparteien klar. Am Ende des Prozesses sollten diese Punkte in einer Vereinbarung niedergeschrieben und der Belegschaft vorgestellt werden. Wenn Betriebsparteien dazu nicht in der Lage sind, kann sicherlich davon ausgegangen werden, dass ein BGM scheitert oder seinen Nutzen nicht entfalten kann. Damit lassen beide Seiten die Chance ungenutzt, Belegschaft und Unternehmen zukunftssicherer zu machen.

99 Betriebliche Beteiligung und Mitbestimmung

Arbeitssicherheit

Arbeitsmedizin

Arbeitszeitgesetz

Suchtprävention

Gesundheitsförderung

Tarifverträge

Betriebliches Eingliederungsmanagement

Betriebliche Mitbestimmung

Gesundheitsmanagement

. Abb. 12.1  Das BGM vernetzt und steuert gesetzliche und freiwillige Aktivitäten im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.

Weiterführende Literatur und Quellen BEMNETZ – Betriebliches Eingliederungsmanagement erfolgreich umsetzen, Ergebnisse aus einem transnationalen Projekt. Herausgegeben von: Prof. Dr. Jochen Prümper, Tobias Reuter und Alexandra Sporbert Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Veröffentlicht: Juni 2015 Das Projekt BEM-Netz wurde durchgeführt von: Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, Prof. Dr. Jochen Prümper (Gesamtleitung),7 www.htw-berlin.de Sozialministeriumservice Linz, Dr. Christa Aistleitner, 7 www.sozialministeriumservice.atmit Betriebsservice,7 www.betriebsservice. info Chancen Nutzen Büro des Österreichischen Gewerkschaftsbundes ÖGB, Herbert Pichler. ISBN: 978–3-86262-022-7 Mitbestimmung Betriebsrat im BEM. 7 www.rehadat-recht.de

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BGM mit System – bewährte Methoden und Instrumente Inhaltsverzeichnis Kapitel 13

Betriebliche Gesundheitsbildung, praktische Einstiegsszenarien und Entwicklung didaktischer Konzepte – 103 Erich Wühr und Martin Simmel

Kapitel 14

Betriebliche Kampagnenarbeit nach innen und außen – mit Zeit, Herz und Köpfchen – 109 Frank Betthausen

Kapitel 15

Klassiker der betrieblichen Gesundheitsförderung – 115 Achim Müller

Kapitel 16

Der betriebliche Gesundheitsbericht Kennzahlen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement – 123 Willy Graßl

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Betriebliche Gesundheitsbildung, praktische Einstiegsszenarien und Entwicklung didaktischer Konzepte Erich Wühr und Martin Simmel

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_13

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E. Wühr und M. Simmel

Es gibt nur Eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung – keine Bildung. John F. Kennedy

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Betriebliches Gesundheitsmanagement kann nur gelingen, wenn sich die Unternehmensführung bewusst dafür entscheidet, es systematisch umsetzt und einfordert. Dazu muss sie gegenüber ihren Führungskräften immer wieder zum Ausdruck bringen, dass Betriebliches Gesundheitsmanagement ein Führungsprinzip ist, ebenso wie das Personalmanagement, das Produktionsmanagement, das Qualitätsmanagement, das Marketing- und Vertriebsmanagement, das Finanzmanagement, das Innovationsmanagement und so weiter. Betriebliches Gesundheitsmanagement muss zur Aufgabe einer jeden Führungskraft werden: Nur, wenn jede Führungskraft im Unternehmen ihre Mitarbeiter durch systematisch geplante gesundheitsfördernde und krankheitsvermeidende Maßnahmen unterstützt, wird das Betriebliche Gesundheitsmanagement das ganze Unternehmen durchdringen und erfolgreich sein. Es gilt, die Mitarbeiter nicht nur fachlich weiter zu entwickeln, sondern auch ihre Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft zu stärken – zum beiderseitigen Nutzen. Zwei Perspektiven sind zu beachten: 5 Die Führungskraft schafft für ihre Mitarbeiter Arbeitsbedingungen, die unabhängig von der Mitwirkung der Mitarbeiter gesundheitsfördernd und krankheitsvermeidend wirken. Dies geschieht durch werteorientierte Führung, durch gesundheitsfördernde und krankheitsvermeidende Arbeitsbedingungen und mit Unterstützung durch den betriebsärztlichen Dienst. 5 Die Führungskraft schafft für ihre Mitarbeiter Arbeitsbedingungen, die der Eigeninitiative des Mitarbeiters bedürfen, um ihre gesundheitsfördernden und krankheitsvermeidenden Wirkungen zu entfalten. Dies betrifft zum einen die Mitwirkungspflicht der Mitarbeiter bei der Arbeitssicherheit und bei der Inanspruchnahme betriebsärztlicher Dienstleistungen. Zum anderen gilt es, Bedingungen zu schaffen, in denen der einzelne Mitarbeiter sein individuelles Gesundheitsmanagement auch in seiner beruflichen Lebenswelt umsetzen kann. Individuelles Gesundheitsmanagement bedeutet, dass der einzelne Mensch eigenverantwortlich, bewusst und systematisch einen gesundheitsfördernden und krankheitsvermeidenden Lebensstil pflegt. Dazu braucht er bestimmte Kompetenzen: 5 die Kompetenz der Achtsamkeit zur Selbst- und Lebensweltwahrnehmung, 5 die Kompetenz des proaktiven Gesundheitsverhaltens zum Aufsuchen und Herstellen von förderlichen Lebensbedingungen, zur Vermeidung belastender Lebensbedingungen und zur Pflege der eigenen Regulationssysteme, 5 die Kompetenz der Früherkennung von Krankheiten und 5 die Kompetenz des angemessenen Umgangs mit Krankheiten. Die Unternehmensführung kann es sich im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements zur Aufgabe machen, ihren Mitarbeitern in Fortbildungen und Informationskampagnen diese Kompetenzen zu vermitteln, was wir Betriebliche Gesundheitsbildung nennen. Die Einführung und die Umsetzung eines Betrieblichen Gesundheitsbildungsprogramms können in drei Schritten geschehen:

105 Betriebliche Gesundheitsbildung, praktische Einstiegsszenarien …

Schritt 1: Gesundheitsmotivation der Mitarbeiter feststellen

Zunächst ist die grundsätzliche Überlegung anzustellen, ob die Mitarbeiter Betriebliche Gesundheitsbildung überhaupt wollen oder brauchen. Auf der einen Seite könnte es sein, dass Mitarbeiter ihre Gesundheit als Privatangelegenheit ansehen und es ablehnen, dass sich ihr Unternehmen einmischt. Auf der anderen Seite gibt es Mitarbeiter, die bereits einen gesundheitsfördernden und krankheitsvermeidenden Lebensstil pflegen und keine Gesundheitsbildungsmaßnahmen brauchen. Zwischen den beiden Extremen des Krankheitsverhaltens auf der einen Seite und des autonomen Gesundheitsverhaltens von Mitarbeitern auf der anderen Seite haben wir es mit verschiedenen Verhaltensmotiven zu tun (s. . Abb. 13.1): 5 Krankheitsverhalten geht bezüglich der Änderungsbereitschaft des Betroffenen einher mit der Motivationslage, der Beharrung und des Widerstands: Der Betroffene will sich nicht ändern. Er beharrt auf seinem Verhalten und reagiert auf Hinweise bezüglich drohender Krankheitsrisiken mit Widerstand. 5 In der Motivationslage der Ambivalenz zeigt der Betroffene zwar noch Krankheitsverhalten, aber er spürt bereits Störungen seiner Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit oder sogar erste Symptome einer Krankheit. Er weiß aus eigenem Antrieb, dass eine Erkrankung droht und er sein Verhalten ändern sollte. 5 In der Motivationslage der Absicht geht der Betroffene den nächsten Schritt und fasst die feste Absicht, sein Verhalten zu ändern. Er will die Gefahr einer Erkrankung abwenden und seine Lebensqualität steigern. 5 Aus dieser Motivationslage ist der Übergang zur Motivationslage des Schulungsbedarfs fließend: Der Betroffene will sich das notwendige Wissen und die notwendigen Fähigkeiten für einen gesundheitsfördernden und krankheitsvermeidenden Lebensstil aneignen. 5 Schließlich zeigt der Betroffene autonomes Gesundheitsverhalten: Er pflegt eigenverantwortlich und autonom einen gesundheitsfördernden und krankheitsvermeidenden Lebensstil. 5 Von der Motivationslage der Ambivalenz bis zum autonomen Gesundheitsverhalten besteht stets die Gefahr des Rückfalls in das Krankheitsverhalten. Es gilt im ersten Schritt der Einführung eines betrieblichen Gesundheitsbildungsprogramms, mithilfe von Interviews oder Umfragen die Gesundheitsmotivationen und ihre Verteilungen in der Belegschaft festzustellen. Dadurch machen Sie Betroffene zu Beteiligten/Mitwirkenden. Aufgrund dieser Bestimmung der Ausgangslage kann ein passendes Gesundheitsbildungsprogramm für die verschiedenen Motivationslagen erstellt werden.

. Abb. 13.1  Motive des Gesundheits- und Krankheitsverhaltens

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E. Wühr und M. Simmel

Schritt 2: Gesundheitsbildungsprogramm planen und umsetzen

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Die Planung eines Gesundheitsbildungsprogramms beginnt mit der Entscheidung, auf welche Motivationslagen in der Belegschaft die Bildungsangebote abzielen sollen. Die Verantwortlichen überlegen genau, wie vorhandenen Ressourcen zum besten Nutzen der Belegschaft und des Unternehmens eingesetzt werden können. Die Abbildung illustriert das strategische Ziel eines Gesundheitsbildungsprogramms: Es gilt, immer mehr Mitarbeiter bezüglich ihrer Motivationslagen von „links nach rechts“ zu bringen, sie vom Krankheitsverhalten weg in Richtung Gesundheitsverhalten zu bewegen. Davon ausgehend werden operative Ziel festgelegt und die angestrebten und messbaren Ergebnisse beschrieben. Je nach Motivationslage stehen dem Gesundheitsmanagement bestimmte Maßnahmen und Werkzeuge zur Verfügung: 5 In der Motivationslage der Beharrung sind die Mitarbeiter durch Informationen und Argumente nur schwer zur Verhaltensänderung zu bewegen – und seien diese auch noch so plausibel. Im Gegenteil: Es besteht sogar die Gefahr des verborgenen oder offenen Widerstands, vor allem, wenn den Betroffenen mit Krankheitsrisiken gedroht wird. Wir empfehlen, solche Mitarbeiter immer wieder zu gesundheitsfördernden und krankheitsvermeidenden Aktivitäten einzuladen und sie ansonsten in Ruhe zu lassen. In jedem Fall gilt es, das Selbstbestimmungsrecht dieser Mitarbeiter anzuerkennen. Auf Dauer sind bei diesen Mitarbeitern die Mundpropaganda, das Vorbild von Kollegen und eigener Leidensdruck wirksamer als jede direkte Ansprache durch die Führung. Hier ist Geduld gefragt. 5 In der Motivationslage der Ambivalenz sind die betroffenen Mitarbeiter Informationen und Argumenten besser zugänglich: In Informationskampagnen können Krankheitsrisiken verdeutlicht sowie Chancen und Wege der Gesundheitsbildung aufgezeigt werden. Die Mitarbeiter sind empfänglich für konkrete Handlungsaufforderungen und Bildungsangebote, wie Risiko- und Ressourcen-Screenings, Gruppen- und sogar Einzel-Coachings. Besonders geeignete Informationsangebote für Mitarbeiter in dieser Motivationslage sind sogenannte Gesundheitstage. Diese können als unternehmensinterne Gesundheitsmessen organisiert werden, in denen das Unternehmen sein Betriebliches Gesundheitsmanagement im Allgemeinen und seine verschiedenen gesundheitsfördernden und krankheitsvermeidenden Aktivitäten im Besonderen vorstellt. 5 In der Motivationslage der Absicht sind die betroffenen Mitarbeiter überzeugt, dass sich ihr Verhalten ändern muss. Sie sind auf der Suche nach Wegen, wie sie dies tun können. Die Führungskraft muss diese Einstellungen loben und ihre Mitarbeiter darin bestärken. Sie muss ihre Mitarbeiter bei der Planung konkreter Handlungen unterstützen und sie bei der Umsetzung begleiten. Dies geschieht am besten in Einzel-Coachings und gezielten Bildungsangeboten. 5 Der Schulungsbedarf von Mitarbeitern kann durch interne und externe Bildungsangebote befriedigt werden. Diese reichen von Vorträge, Seminaren und Workshops bis hin zu langfristigen Schulungsprogrammen, die bis zu einem Jahr dauern können. Die aktuelle Forschungslage zeigt, dass die langfristigen Betreuungen und Coachings die nachhaltigste Wirkung zeigen. Kurzfristige Aktivitäten sind oft nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein“.

107 Betriebliche Gesundheitsbildung, praktische Einstiegsszenarien …

5 Ziel eines betrieblichen Gesundheitsbildungsprogramms ist, möglichst viele Mitarbeiter zu einem eigenverantwortlichen und autonomen Gesundheitsverhalten zu befähigen. Dies steigert die Lebensqualität der Mitarbeiter und fördert ihre Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft – zu beiderseitigem Nutzen. 5 Eine Rückfallgefahr in Richtung Krankheitsverhalten besteht immer. Ein Rückfall ist allerdings leicht zu handhaben, denn üblicherweise besinnen sich Menschen schnell wieder eines Besseren. Und weil sie schon die positive Erfahrung der Wirksamkeit ihres Gesundheitsverhaltens für die eigene Lebensqualität gemacht haben, finden die Betroffenen in der Regel leicht zu einem gesundheitsfördernden und krankheitsvermeidenden Lebensstil zurück. Schritt 3: Evaluation und Qualitätsmanagement

Der Unterschied zwischen betrieblicher Gesundheitsförderung und einem Betrieblichen Gesundheitsmanagement ist zweierlei: Zum einen wird im Betrieblichen Gesundheitsmanagement systematisch und ergebnisorientiert geplant und umgesetzt. Und zum zweiten werden hier die Ergebnisse gemessen und bewertet, was in einem systematischen Verbesserungsprozess mündet. Dies gilt auch für ein Gesundheitsbildungsprogramm: Nach der Bestimmung der Ausgangslage (Schritt 1) werden Maßnahmen und Aktivitäten systematisch geplant und umgesetzt (Schritt 2). Im dritten Schritt werden die Ergebnisse gemessen und bewertet. Daraus werden Verbesserungsmaßnahmen für das Gesundheitsbildungsprogramm abgeleitet. Die Betriebliche Gesundheitsbildung ist nicht unbedingt Bestandteil eines Betrieblichen Gesundheitsmanagementsystems: Eine Unternehmensführung kann sich dafür entscheiden, die Gesundheit ihrer Mitarbeiter als Privatsache zu betrachten und sich nicht einzumischen. Da aber für die Gesundheit eines Menschen – und damit für seine Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft – letztendlich die eigene Lebensführung entscheidend ist, tut jede Unternehmensführung gut daran, systematische Bildungsangebote für ihre Mitarbeiter zu entwickeln. Beide Seiten, Mitarbeiter und Unternehmen, werden davon profitieren – eine Win-Win-Situation. Zusammenfassung/„Rezept“ 1. Unternehmen, die sich für ein systematisches BGM entschieden haben, definieren spezifische Zielgruppen und deren Bedarf mit Hilfe von Informationsveranstaltungen (Vorträge, Gesundheitstage, …und systematischen Analysen (Befragungen, Interviews, …) 2. Konzentrieren Sie sich auf relevante Kernthemen und die Mitarbeiter, die wollen! 3. Evaluieren Sie den Nutzen der Maßnahmen, indem Sie die Teilnehmer dazu nach ihrer Meinung fragen. Machen Sie die Ergebnisse sichtbar und leiten Sie nachvollziehbare Konsequenzen daraus ab. 4. Gehen Sie gelassen mit „Misserfolgen“ um diskutieren Sie auch diese mit den Teilnehmern. 5. Nutzen Sie die vorhandenen und gewohnten Informationsmedien der Zielgruppen, um im Dialog zu bleiben. 6. „Weniger ist mehr!“ Engpässe bei qualitativ hochwertigen Angeboten erhöhen die Attraktivität!

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Betriebliche Kampagnenarbeit nach innen und außen – mit Zeit, Herz und Köpfchen Frank Betthausen

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System , https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_14

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F. Betthausen

Beim Reden kommen die Leute zusammen. (Diese alte bayerische Weisheit ist so simpel – und im Arbeitsalltag für viele doch oft so schwer umzusetzen. Für Bosse genauso wie für Angestellte.)

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Jede gute Kampagne beginnt beim Chef – ganz oben. Bei dem, der sie zu verantworten und am Ende des Tages zu bezahlen hat. Es ist viel dran am alten Sprichwort: Der Fisch stinkt immer vom Kopf weg. Beim Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) ist das nicht anders. Es ist schwer, aber letztlich ganz leicht: Mitarbeiter und ihre Gesundheit sollten Chefsache sein. Dabei darf kein Vorgesetzter glauben, dass er seine Verantwortung ausgliedern oder delegieren kann – etwa an eine Krankenkasse. Sobald das Thema und die Verantwortung nicht mehr beim Unternehmer liegen, geht jede Relevanz verloren. Was im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass bestimmte Angebote nicht an externe Experten oder Dienstleister ausgegliedert werden dürften – ganz im Gegenteil! Die erste große Hürde vor der Einführung eines BGM – lange bevor die Kampagnenarbeit nach innen und außen beginnt – muss also die Geschäftsführung selbst nehmen. In der obersten Führungsebene muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass ein Betrieb nicht erst dann auf seine Mitarbeiter schauen darf, wenn sie krank sind, sondern dass es darum geht, Prävention zu betreiben. Oder anders formuliert: Ein Unternehmen sollte mit dem BGM die 96 % seiner Beschäftigten in den Fokus nehmen, die jeden Tag in die Arbeit gehen – dazu die drei Prozent der Mitarbeiter, die krankheitsbedingt fehlen. Das verbleibende Prozent ist Führungsaufgabe. Bei allen Überlegungen, ein BGM einzuführen, ist es ebenso kontraproduktiv, nur kurzfristig auf den Krankenstand und die Fluktuation zu schauen. Ein gutes BGM ist für alle Mitarbeiter konzipiert – nicht nur für Kranke, Sportler oder Topleute. Neben einem klaren Ja zu Budget und Ressourcen ist es für die Geschäftsführung essenziell, sich selbst genug Zeit einzuräumen, sich das Thema bewusstzumachen und es zu durchdenken. Die Grundlage ist es, ein realistisches, humanistisch geprägtes Bild über die Ausgangssituation aufzubauen und sich die ersten Schritte klarzumachen. „Ich muss wissen, was ich möchte“, bringt es ein Mittelständler mit ersten BGM-Erfahrungen auf den Punkt. Nur punktuelle Veranstaltungen wie eine Rückenschule anzubieten, ohne einen Zukunftsprozess anzustoßen und den Bereich Gesundheit allumfassend anzugehen, kann keine erfolgversprechende Strategie sein. Der Themenkomplex Gesundheit ist riesig. Je länger daran gearbeitet wird, desto größer wird er. Letztlich hat alles, was in einem Unternehmen passiert, mit Gesundheit zu tun. Experten empfehlen auch deswegen, sich zu Beginn „Leute und Abläufe anzuschauen“, mit den Beschäftigten zu reden und eine klare Linie herauszuarbeiten. Hier liegt einer der größten Fallstricke in der Kommunikation – nämlich der, im Unternehmen zu einem Zeitpunkt über BGM zu reden, zu dem es noch gar keine konkreten Vorstellungen davon gibt. Inhalt geht ganz klar vor Kommunikation! Viele Betriebe kommunizieren zu früh oder hängen ihre Pläne zu hoch auf. Die Folge: Das Thema wird falsch oder sehr vereinfacht dargestellt und auf Bereiche wie Sportangebote oder die Arbeitsmedizin reduziert. Ein weiteres großes Risiko, wenn es darum geht, BGM in einen Betrieb und in die Belegschaft zu tragen, liegt darin, falsche oder solche Erwartungen zu wecken, die niemand halten kann – nicht zuletzt bei Mitarbeiter-Befragungen, die prinzipiell eine

111 Betriebliche Kampagnenarbeit nach innen und außen …

wertvolle, wichtige Grundlage und ein guter Auftakt für einen gelingenden BGM-Prozess sind. Enttäuschung ist der kontraproduktivste und demotivierendste aller Effekte, das Schlimmste, was ich bei Mitarbeitern verursachen kann. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Frage zu klären, wer überhaupt kommuniziert – und dabei zu berücksichtigen, wie glaubwürdig er ist. Hier kommen die Vorbilder ins Spiel, Entscheider und Führungskräfte, die das Thema vorleben und vorantreiben. Ein Punkt, an dem viele Unternehmen beim BGM scheitern. Speziell in der Kommunikation ist es unabdingbar, Vertrauen aufzubauen und mit dem ehrlichen Anspruch aufzutreten, von den Mitarbeitern zu erfahren, was in ihrem Alltag schlecht läuft oder geändert werden müsste. Sonst stellt sich ein Reflex in Teams ein, der bremst und jede Glaubwürdigkeit zunichtemacht; der sich flapsig, aber treffend so umschreiben lässt: „Jetzt treiben sie die nächste Sau durchs Dorf!“. Dabei ist es durchaus interessant, dass viele kleine und mittelständische Unternehmen BGM leben und betreiben, obwohl sie es gar nicht wissen – weil sie bei der Belegschaft eine gute, teils über Jahrzehnte gewachsene Vertrauensbasis haben. Immer gefährlich in der Kommunikation ist es, die Ist-Situation falsch darzustellen. BGM ist die große Chance, negative Dinge positiv zu beeinflussen und stets mit einem Appell an die Ehrlichkeit verbunden. Dinge schönzureden, ist eine der größten Selbstlügen in der Kommunikation. Veränderung kann unangenehm sein, ja! Doch der Anspruch an ein gutes BGM und eine gute Kampagne im Betrieb muss es sein, Nutzen vor allem bei den Themen zu generieren, die schwierig sind und weh tun. Das Erfolgsrezept ist es, die Mitarbeiter einzubeziehen – ruhig und kritisch. Hier liegt der Schlüssel. Den Mitarbeitern muss das Recht eingeräumt werden, Dinge zu hinterfragen und ehrliche, klare Aussagen zu treffen. So stürzen bei den Beschäftigten Mauern ein, hinter denen sie sich möglicherweise verschanzen. „Lieber weniger – dafür richtig!“ Dieser Leitsatz sollte für ein gutes BGM gelten – gerade in der Aufbauphase und gerade, weil der Themenkomplex fast genauso groß ist wie das Risiko, zu scheitern. Neben Mut zum „Losfahren“ braucht es die wichtige Erkenntnis: Wir haben ein Problem, das eine Lösung erfordert. Oder anders formuliert: Es ist Bedarf für ein Gesundheitsthema da – Bedarf, den es tunlichst nicht künstlich zu schaffen gilt. Neben einem bewusst gesetzten Startpunkt, der keinem Knall oder Erdbeben gleichkommen muss, verlangt BGM nach einem kontinuierlichen Wachstumsprozess. Menschen brauchen Zeit, um mitzugehen. Auch das ist ein entscheidender Punkt für Kampagnen. Verändert sich die Haltung, verändert sich auch das Verhalten! Was sich immer anbietet (insbesondere bei kleineren und mittleren Unternehmen): Bei geeigneten Anlässen – etwa Jahresschluss-Sitzungen mit der Geschäftsleitung – Informationen weiterzugeben und den Beschäftigten zu erklären, was es mit dem Veränderungsprozess im Unternehmen auf sich hat und wohin die Reise geht. Wichtig ist und bleibt auch hier, den Beschäftigten klar, transparent und wertschätzend zu kommunizieren, was im Unternehmen geplant ist, ihrer Abwehrhaltung vorzubeugen, ihnen Ängste zu nehmen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Sie aber auch bewusst zu „schütteln“ und ihnen aufzuzeigen, dass sich das Thema BGM längst nicht nur um Gesundheit dreht, sondern auch um Führungsverhalten, gute Arbeitsbedingungen sowie weiche Faktoren wie Motivation und Freude an der Arbeit. Die Herausforderung besteht darin, der Belegschaft zu verdeutlichen, dass es nicht um Krankheit oder Druck von oben geht, sondern um Vorbeugung. Dass es Ziel der

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Unternehmensleitung ist, ihre Mitarbeiter zu unterstützen – aber auch die Selbstverantwortung einzufordern. Nicht zuletzt, um dem Eindruck vorzubeugen: „Was nichts kostet, ist auch nichts wert“. Dabei kann es sehr wohl sinnvoll sein, ein kleines Belohnungssystem einzuführen und Anreize für Mitarbeiter zu schaffen. Zum Beispiel über Tankgutscheine oder Stundengutschriften, die jemand dafür erhält, dass er an einem betrieblichen Gesundheitsprogramm teilnimmt. Auch über solche Botschaften strahlt eine Firma aus: Dieses Thema ist uns etwas wert! Bei jeder Kampagne braucht es die Führungskräfte – wobei es gewaltige Unterschiede in der Kommunikation zwischen einem 25-Mitarbeiter-Betrieb und einem Unternehmen mit 10.000 und mehr Beschäftigten gibt. Bei 25 Personen ist eine Kampagne relativ einfach glaubwürdig zu vermitteln, im Konzern ist es wesentlich schwieriger, jeden Einzelnen „abzuholen“. Erst recht, weil E-Mails und Newsletter nicht jeden erreichen. In einem großen Produktionsbetrieb verfügen 50 und mehr Prozent der Mitarbeiter häufig über keinen Arbeitsplatz mit PC. Hinzu kommt, dass die Flut an elektronischer Post im digitalen Zeitalter jeden Tag zunimmt. Das Risiko, dass ein so wichtiges Thema wie BGM mit einem Mausklick weggeklickt oder buchstäblich aus der Wahrnehmung gelöscht wird, ist zu groß. Umso mehr müssen Führungskräfte Informationen und Neuerungen aus dem Büro heraus an ihre Abteilungen weitertragen und im Idealfall den direkten Weg gehen – „von Angesicht zu Angesicht“. Beispielsweise, indem sie sich beim Thema „Aktive Pause“ oder bei der Ergonomie-Beratung mit den Mitarbeitern deren Arbeitsplätze anschauen, sich aktiv an Angeboten beteiligen und die Mitarbeiter damit positiv beeinflussen. Ziel muss es sein, und hier unterscheidet sich der Konzern nicht vom kleinen Handwerksbetrieb, Führungskräfte zu Betroffenen machen, bei ihnen das Thema Gesundheit anzudocken und ein Bewusstsein für BGM zu schaffen – etwa für die Themen Achtsamkeit oder Resilienz, also psychische Widerstandsfähigkeit. In großen Firmen bieten sich hier feste, regelmäßige Workshop- und Schulungstermine für bestimmte Führungsebenen oder Impulsvorträge als Kommunikationsmittel an. Generell gilt es, sich in großen Unternehmen zu überlegen, wie sich BGM in die Breite und in die Tiefe tragen lässt. In einem Konzern sollte über die Themen geredet werden, die tatsächlich jeden erreichen oder betreffen. Den Arbeitsschutz, die Arbeitsmedizin, die Mitarbeiter-Verpflegung oder das Wirken der Führungskräfte… Nehme ich als Unternehmer die gesetzlichen Themen ernst, agiere ich von Haus aus glaubwürdig. Daraus lassen sich weitere Schritte ableiten. Darüber hinaus ist es ein empfehlenswerter Weg, zielgruppenspezifisch zu arbeiten. Nicht jedes Thema muss jeder Gruppe zur Verfügung gestellt werden. Die eigentliche Kommunikation sollte auf allen Kanälen stattfinden – seien es Infoblätter, Aushänge oder Aktionen, über die für das Thema BGM Aufmerksamkeit erregt wird. Die gewinnbringendste und wertbeständigste Kampagne ist es jedoch, die Menschen, die mit BGM zu tun haben und das gleiche Bild davon haben – egal, welche Rolle oder Funktion sie in der Firma haben –, einzubinden. So entsteht ein echter Nutzen. Wenn die Botschaften bei allen gleich sind, die sie verbreiten, besteht bei jedem Kontakt – in Meetings genauso wie beim Plausch auf dem Gang oder beim Mittagessen in der Kantine – die Chance, den Nutzen von BGM zu erklären und vorzuleben. Mundpropaganda ist Gold wert. So entstehen Fans – und die sind im BGM genauso wichtig wie in allen anderen Lebens- und Gesellschaftsbereichen.

113 Betriebliche Kampagnenarbeit nach innen und außen …

Wer eine Kampagne zum Erfolg führen möchte, sollte also mit den Menschen zusammenarbeiten, die wollen: Mit Führungskräften genauso wie mit geeigneten Teams. Das reduziert den Aufwand um ein Vielfaches. So, wie der Mensch überhaupt das wichtigste Gut sein muss – in Zeiten des Fachkräftemangels mehr denn je; trotz der Umsatzzahlen und der harten geschäftlichen Seite. Oder besser: Gerade wegen Umsatz und Geschäft! Auch im Zeitalter der Automatisierung und Digitalisierung wird der Mensch immer die tragende Säule sein – mit seinen Hobbys, seinem Vereins- und seinem Familienleben. Letztlich geht es beim BGM immer um eines: um gesunde Mitarbeiter in einem gesunden Unternehmen. Um Wertschätzung, kleine Gesten und Überraschungen im Betriebsalltag – etwa, wenn der Chef persönlich am Arbeitsplatz vorbeikommt, um einem Beschäftigten zum Geburtstag zu gratulieren. Aufmerksamkeiten wie diese, so banal es klingen mag, sind wichtige Bausteine in der Kampagnenarbeit. Viele Betriebe meinen es gut und beginnen ihr BGM mit einem Obstkorb, den sie in einem Pausenraum aufstellen – in der Hoffnung, auf diese Weise ein Gesundheitssignal auszusenden und Mitarbeiter zu gesünderer Verpflegung anzuhalten. Aber oft – ohne Konzept oder weitere Überlegungen im Hintergrund – ist der Obstkorb nur ein Placebo. Wer glaubt, über Äpfel, Bananen und Birnen das Thema gesunde Ernährung in den Betrieb zu bringen und „anpacken“ zu können, erleidet Schiffbruch. „Weil ich den Menschen nicht anlange“, wie es ein erfahrener BGM-Experte einmal formuliert hat. Eine Ursache für Vorgehensweisen wie diese ist sicherlich auch, dass Gesundheitsmanager oder BGM-Beauftragte in Unternehmen insbesondere in der Anfangsphase dazu neigen, Mitarbeitern so schnell wie möglich etwas anbieten zu wollen. Sie setzen sich dem Druck und Irrglauben aus, die Beschäftigten müssten bald etwas von ihrer Arbeit und dem frischen Wind spüren. Der wahre Schlüssel zum Erfolg ist Kontinuität. Sie muss beim Thema BGM hinter jedem Schritt erkennbar sein. Wenn ich Themen ernsthaft im Unternehmen platzieren will, muss ich sie wiederholen und auf Nachhaltigkeit bauen. Erst das bringt echten Mehrwert. Und: Eine Kampagne, die im Multimedia-Zeitalter zwingend „sexy“ sein sollte, lebt von individuellen Angeboten – das Gießkannenprinzip oder vermeintlich heilende Motto „Alles für alle“ funktioniert nicht. Eine weitere Gefahr bei der Kampagnenarbeit liegt darin, dass viele Gesundheitsthemen oft zu groß dimensioniert oder zu sehr von oben aufgesetzt sind. Kleinere Kampagnen zu fahren, ist ressourcenschonender und bietet insbesondere in der Anfangszeit die wertvolle Chance, dazuzulernen und Fehlerquellen einzudämmen. „Was ich unterstützen muss, ist die Erkenntnis beim Mitarbeiter: Wenn ich nur ein klein wenig mehr auf mich schaue, entsteht ein Gewinn“, sagt ein erfahrener BGM-Beauftragter. Dieser Gewinn zahlt sich für beide Seiten aus – für das Unternehmen und den Beschäftigten. Grundsätzlich sollte sich jeder Geschäftsführer oder BGM-Beauftragte immer wieder aufs Neue fragen, ob er das Thema ernsthaft vorantreibt. Fatal sind Glitzerwelten und Hochglanz-Broschüren, hinter denen sich kein Leben verbirgt. Viele Unternehmen setzen riesige Kampagnen auf, die am Ende krachend in sich zusammenfallen, weil nichts dahintersteckt – außer Plakaten und Kurswerbung. Weil Produkt und Kampagne nicht zusammenpassen und möglicherweise überhaupt kein Produkt vorhanden ist! Dabei hinterfragt und überprüft gerade der Markt sehr schnell und gnadenlos, wie stimmig ein BGM-Konzept ist, mit dem sich ein Unternehmen brüstet. Bevor ein Betrieb darangeht, seine Vorzüge und „Errungenschaften“ nach draußen zu

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tragen – über ein Logo oder gezielte Werbung –, bevor daraus ein Wettbewerbsvorteil werden kann, gilt es, intern zu wirken und die ureigenen Hausaufgaben zu machen. In dem Moment, in dem BGM über Qualitätskontrollen, Zertifizierungen oder Urkunden messbar wird, ist es gut und glaubwürdig. In diesem Fall trägt ein Unternehmen Kennzahlen oder Nachhaltigkeitszahlen nach außen – und schafft einen guten Gleichklang. Wer BGM missbraucht, um sich zu profilieren oder Scheinwelten zu verkaufen, wird Schiffbruch erleiden. Wer es glaubwürdig nutzt, wird mit seinem Unternehmen und seinen Mitarbeitern erfolgreich in die Zukunft gehen und zum attraktiven Arbeitgeber werden. Der Fisch stinkt immer vom Kopf weg!

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Klassiker der betrieblichen Gesundheitsförderung Achim Müller 15.1  Einführung – 116 15.2  Warum sind gerade die Betriebe ein sehr zentrales Setting für BGF und BGM? – 116 15.3  Ziele von Betrieblicher Gesundheitsförderung – 116 15.4  BGM und BGF – Gemeinsam sind sie stark und wirkungsvoll! – 117 15.5  Welche speziellen BGF-Maßnahmen gibt es, bzw. sind möglich? – 117 15.5.1  Bewegung – Muskel-Skelett-System – 117 15.5.2  Bewegung – Herz-Kreislauf-System – 118 15.5.3  Ernährung – 118 15.5.4  Stressbewältigung – 119 15.5.5  Sucht – 119

15.6  Womit und wie fange ich an? – 119 15.7  Wie stelle ich den Erfolg der durchgeführten Maßnahmen sicher? – 120 15.8  Wer sind meine BGF-Ansprechpartner? – 120

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_15

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A. Müller

BGF ist Pflicht! Es kann Fachwissen zu Gesundheitsthemen vermittelt werden und für eine Sensibilisierung des eigenen Gesundheitsverhaltens sorgen. Es regt an, über sich und sein Verhalten nachzudenken und gibt wertvolle Tipps. Achim Müller

15.1  Einführung

Wie bereits im Kapitel „Die Sozialversicherung und ihr gesetzlicher Auftrag“ erwähnt, ist das Thema „Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF)“, neben den Themen „Arbeits-/Gesundheitsschutz, Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) und Gesundes Führen“, ein wichtiger Teil eines ganzheitlichen Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM). Bei der Betrieblichen Gesundheitsförderung geht es vor allem darum, die Ressourcen von Beschäftigen zu stärken. Nach der Luxemburger Deklaration des Europäischen Netzwerks für betriebliche Gesundheitsförderung umfasst „betriebliche Gesundheitsförderung […] alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Dies kann durch eine Verknüpfung folgender Ansätze erreicht werden: 5 Verbesserung der Arbeitsorganisationen und der Arbeitsbedingungen 5 Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung 5 Stärkung persönlicher Kompetenzen.“ BGF ist eine Ergänzung zu den bestehenden gesetzlichen Regelungen (z. B. BEM oder Arbeitsschutz). Die Maßnahmen stellen freiwillige Aktivitäten des Arbeitgebers dar und werden, soweit möglich, vor allem von den Krankenkassen (siehe auch Kapitel „Die Sozialversicherung und ihr gesetzlicher Auftrag“) getragen. 15.2  Warum sind gerade die Betriebe ein sehr zentrales Setting

für BGF und BGM?

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5 Der Betrieb hat Zugang zu weitgehend gesunden Erwachsenen (die manchmal auch schwer erreichbar sind als Zielgruppe). 5 Der Arbeitgeber muss seine Arbeitnehmer vor Gefahren schützen, die in der Tätigkeit liegen können. 5 Der Betrieb hat einen wirtschaftlichen Nutzen (Erhalt der Leistungsfähigkeit und weniger Krankheitskosten durch Fehlzeiten). 5 Der Arbeitsplatz kann Quelle für Krankheit sein (und auch für Gesundheit). 15.3  Ziele von Betrieblicher Gesundheitsförderung

Aus Sicht der Beschäftigten: 5 Belastungen reduzieren

117 Klassiker der betrieblichen Gesundheitsförderung

5 Gesundheitsfördernde Ressourcen stärken 5 Ausbau der Beschäftigungsfähigkeit Aus Sicht des Arbeitgebers: 5 Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit und -identifikation 5 Steigerung der Arbeitgeberattraktivität 5 Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Gesamtziel - Schaffung einer nachhaltigen, gesundheitsförderlichen Kultur im Unternehmen! Konsequenzen für Arbeitnehmer - Die Beschäftigten gehen gerne in die Arbeit und bringen sich mehr ein!

Konsequenzen für Arbeitgeber - Wenn sich viele Beschäftigte einbringen, fördert dies das Betriebsklima und steigert das Unternehmensergebnis positiv!

Auf gut Deutsch: „Die Leute sollen miteinander kooperieren, Wissen erwerben, sich persönlich und fachlich weiterentwickeln und Wertschätzung für ihre Arbeit erfahren.“ 15.4  BGM und BGF – Gemeinsam sind sie stark und wirkungsvoll!

BGF-Maßnahmen sollten so kombiniert werden, dass sie sowohl auf das Verhalten der Einzelnen (Verhaltensprävention) als auch auf die Organisationsumgebung der Beschäftigten (Verhältnisprävention) abzielen. Diese Vorgehensweise fördert die Effektivität enorm und alle Mitarbeiter werden in den Prozess eingebunden. Beim BGM geht es um Schaffung von gesundheitsförderlichen Strukturen und Prozessen. Im Rahmen der Organisationsentwicklung soll durch Aufbau, z. B. eines Arbeitskreises oder einer Projektgruppe, langfristig erreicht werden, dass Maßnahmen sinnvoll geplant, umgesetzt und natürlich auch bewertet werden. BGF-Maßnahmen finden also im Rahmen des BGM-Managementprozess statt und führen somit zu einer ganzheitlichen Betrachtung von guter Arbeit und den Bedürfnissen von Beschäftigten. 15.5  Welche speziellen BGF-Maßnahmen gibt es, bzw. sind

möglich?

15.5.1  Bewegung – Muskel-Skelett-System Verhaltensprävention:

5 Interne Kurse zu den Themen Rückenschule, Wirbelsäulengymnastik 5 Kooperationen mit regionalen Sportvereinen oder Fitnessstudios 5 Ausbildung von internen Multiplikatoren (z. B. Bewegungsscouts) 5 Individuelle Beratung vor Ort durch Ergonomie-Experten 5 Arbeitsplatzbegehungen 5 Organisation von Bewegungspausen

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5 Regelmäßige Mitarbeiterinformationen im Intranet oder als Anhänger an der Gehaltsabrechnung zur Verfügung stellen 5 Bewegung im Arbeitsalltag, Kopierer am Gang, Treppe statt Lift, Rad statt Dienstauto oder auch einmal ein persönlicher Gang ins Nachbarbüro statt einer E-Mail oder eines Telefonates Verhältnisprävention:

5 Gesunde Gestaltung Arbeitsplatz (z. B. höhenverstellbare Schreibtische, gute ergonomische Stühle die den verschiedenen körperlichen Bedürfnissen von Beschäftigten entgegenkommen (Größe, Gewicht, Bewegungsdrang, Vorschädigungen)) 5 Beschaffung spezieller Arbeitsmittel (z. B. Tastatur, Maus, Bildschirm) 5 Einsatz von biodynamischen Lichtanlagen 15.5.2  Bewegung – Herz-Kreislauf-System Verhaltensprävention:

5 5 5 5 5

Gründung von Betriebssportgruppen (z. B. Laufen, Walking, Fußball usw.) Kooperationen mit regionalen Sportvereinen oder Fitnessstudios Check-Ups (z. B. Herzratenvariabilität, Vermessung Augengefäße) Durchführung von Leistungstest (z. B. Laktatmessung) Durchführung von Aktionen (z. B. mit dem Rad zur Arbeit, 10.000 Schritte pro Tag)

Verhältnisprävention:

5 Grippeschutzimpfung 5 Gesunde Gestaltung des Arbeitsplatzes (z. B. gute klimatische Verhältnisse und funktionelle Arbeitsplatzbekleidung) 15.5.3  Ernährung Verhaltensprävention:

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5 Ernährungsvorträge 5 Gemeinsame Kochkurse 5 Check-Ups (z. B. Cholesterin, Körperfett,…) 5 Individuelle Beratung Verhältnisprävention

5 Trennung von Pause und Arbeitsplatz 5 Förderung einer gesunden Pausengestaltung, Ernährung, Bewegung, Ruhe 5 Gesunde Verpflegung am Arbeitsplatz: 5 Kostenlose Bereitstellung von Trinkwasser (z. B. für Hitzearbeitsplätze) 5 Obst-Körbe 5 Ausgewogene Kantinenkost 5 Kantinenberatung organisieren

119 Klassiker der betrieblichen Gesundheitsförderung

15.5.4  Stressbewältigung Verhaltensprävention:

5 Kurse zur Stärkung der persönlichen Ressourcen und psychischen Gesundheit, wie z. B. 5 Entspannungskurse/-training 5 Stressbewältigungstraining 5 Konfliktmanagementkurse 5 Individuelle Beratung Verhältnisprävention:

5 Einsatz von innerbetrieblichen Mediatoren 5 Mobbingberatung 5 Sozialberatung 5 Handlungsleitfäden in Form von Dienst-/Betriebsvereinbarungen z. B. Mobbing, Konflikte 5 Gesunde Führung 5 Regelmäßig Mitarbeitergespräche durchführen 5 Offene Kommunikationspolitik 5 Förderung von Kooperation zwischen Beschäftigten 5 Wertschätzende Konfliktkultur 15.5.5  Sucht Verhaltensprävention:

5 Innerbetriebliche Suchtberater 5 Spezielle Kursangebote z. B. Nicht-Raucher-Seminare Verhältnisprävention:

5 Netzwerkkooperationen mit externen Instituten (z. B. Caritas Suchtberatung, Sozialpsychiatrischer Dienst, Psychologen) 5 Dienst-/Betriebsvereinbarungen zu Themen wie z. B. Alkoholverbot/Umgang mit alkoholisierten Kollegen, Suchtprävention 5 Rauchfreier Betrieb, Zonen für Raucher schaffen 5 Alkoholfreier Betrieb → Keine Angebote in Getränkeautomaten oder in Kantinen 15.6  Womit und wie fange ich an?

Gut eignen sich am Anfang vor allem sehr niederschwellige Angebote wie z. B. einzelne Vorträge oder Kurzworkshops (ca. 90 min) zu einzelnen Themen. Die Themen dürfen die Beschäftigten (also auch die Führungskräfte!) selbst auswählen. Ziel ist es, diese am Anfang nicht zu „überrennen“ und von Beginn an mit ins Boot zu holen. Im nächsten Schritt eignet sich dann z. B. ein Gesundheitstag. Beim Gesundheitstag lassen sich

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unterschiedliche Messungen und Vorträge (Themen s. o.) sinnvoll miteinander kombinieren. Sinnvoll bedeutet, dass man sich auf Themenschwerpunkte festlegt. Durch eine Mischung aus Wissensvermittlung und Aktivitäten können den Beschäftigen ihre Schwächen und Stärken aufgezeigt werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass man eine große Mehrheit der Arbeitnehmer erreicht. Ziel ist es, das Thema Gesundheit ins Bewusstsein zu rücken. Maßnahmen, die auf sehr großes Interesse stoßen, sollten im Nachgang noch einmal angeboten werden, evtl. in Form eines Kurses oder Trainings. Hauseigne Experten sollten wenn möglich mit eingebunden werden. Dies wirkt extrem motivierend und bietet unter Umständen auch einen leichteren Zugang zu der Belegschaft. 15.7  Wie stelle ich den Erfolg der durchgeführten Maßnahmen

sicher?

Punkte, die beachtet werden sollten, findet man in der Luxemburger Deklaration wieder. Diese gelten auch für das BGM. Zusammenfassung Alle müssen mit einbezogen werden. D. h., schon bei der Planung sollten Arbeitnehmervertreter und ein Arbeitgebervertreter beteiligt sein. BGF-Maßnahmen müssen allen zugänglich sein. Alle unternehmerischen Entscheidungen bedürfen der Prüfung, wie sich diese auf die Mitarbeitergesundheit auswirken. Danach richten sich auch die BGF-Maßnahmen! Maßnahmen und Projekte müssen systematisch durchgeführt werden. Die Grundlage sollte immer ein Planungsprozess (PDCA-Zyklus) sein. D. h., Bedarfsanalyse, Prioritätensetzung, Planung, Ausführung, kontinuierliche Kontrolle und Bewertung der Ergebnisse sind für jede Maßnahme notwendig. Wenn möglich, sollten verhaltens- und verhältnisorientierte Maßnahmen kombiniert werden. D. h. z. B., dass Mitarbeiter nicht nur lernen sollen, wie man mit Stress umgeht, sondern die Unternehmen sollten auch prüfen, was die Ursache dafür ist.

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15.8  Wer sind meine BGF-Ansprechpartner?

Es gibt zwei Ansprechgruppen: Sozialversicherungsträger: 5 Krankenkassen 5 Rentenversicherung 5 Berufsgenossenschaften Dienstleister: 5 BGM-/BGF-Institute 5 Gesundheitszentren 5 Fitnessstudios 5 Physiotherapiepraxen

121 Klassiker der betrieblichen Gesundheitsförderung

Fazit BGF lohnt sich! Es bietet eine gute Entwicklungsmöglichkeit in einem BGM. Durch die Einbindung aller Partner (BGM-Verantwortliche, Führungskräfte, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter, Krankenkassen, Arbeitsmediziner, interne und externe Trainer, usw.) und die Teilnahme an den Aktionen entstehen ein besseres Verständnis für gemeinsame Ziele und Herangehensweisen. Die Kompetenzen aller Partner können gebündelt werden und gewinnbringend genutzt werden.

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Der betriebliche Gesundheitsbericht – Kennzahlen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement Willy Graßl 16.1  Vorhandene Berichte und Kennzahlen nutzen – 124 16.2  Zielgruppen für den Gesundheitsbericht – 125 16.3  Sinnvolle Kennzahlen für den betrieblichen Gesundheitsbericht – 126 16.4  Interpretation von Ergebnissen und Kennzahlen – 126 16.5  Beispiel eines Gesundheitsberichts – 127 16.6  Beispiel eines integrierten Arbeitsschutz- und Gesundheitsberichts – 129

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_16

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Ich habe viele Ergebnisse erzielt, ich kenne Tausende von Sachen, die nicht funktionieren. Thomas Alva Edison

Heutzutage sind Informationen über den Gesundheitszustand der Bevölkerung und der Beschäftigten im Überfluss vorhanden. Die Kunst ist es, nicht mehr an Informationen zu gelangen, sondern diese vernünftig zu analysieren, aufzubereiten und einen Nutzen daraus zu generieren. Deshalb ist es wichtig, die Zielgruppen zu bestimmen und daraus die Inhalte und die Form des Berichtes zu ermitteln. Neben den Kennzahlen sind die Lesbarkeit und die Interpretation der Inhalte wichtig. Wer benötigt welche Informationen und wie muss man diese Informationen aufbereiten, damit der Leser einen Mehrwert erhält und richtige Entscheidungen daraus ableiten kann. Dadurch wird der Bericht ein gutes Steuerungs- und Marketinginstrument für die Akteure im BGM. 5 Vorhandene Berichte und Kennzahlen 5 Zielgruppen für den Gesundheitsbericht 5 Sinnvolle Kennzahlen für den Bericht 5 Interpretation von Ergebnissen und Kennzahlen 5 Informationen und Berichte für die Akteure im BGM 5 Beispiel eines Gesundheitsberichts 5 Beispiel eines integrierten Arbeitsschutz- und Gesundheitsberichts 16.1  Vorhandene Berichte und Kennzahlen nutzen

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BGM Akteure sind einer Vielzahl an Informationen zu Gesundheitsthemen aus dem Betrieb oder von Fachstellen ausgesetzt. Über das Internet ist es heute möglich, zu jedem Thema Interessantes zu erhalten. Fachbücher liefern zusätzlich Fakten und Hintergrundwissen. Wer sich nicht in diesen Datenbergen verlieren möchte, der sollte auf seriöse Quellen achten, betriebliche Zahlen herausfiltern und sich auf die Zielgruppen konzentrieren. Einen guten Gesamtüberblick über Themen und Zahlen bietet der jährlich erscheinende Fehlzeitenreport (Herausgeber: Badura, Ducki, Schröder, Klose, Meyer, Springer Verlag). Bei jeder Ausgabe wird ein Hauptthema beleuchtet und detailliert über die Entwicklung und Struktur des Krankenstandes in Deutschland in den verschiedenen Branchen informiert. Die Wichtigkeit des Gesundheitsmanagements wird darin dargestellt und aktuelle Sachstände erklärt. Durch die verschiedenen Themenschwerpunkte erhält der Leser über die Jahre hinweg ein fundiertes Breitenwissen. Der Fehlzeitenreport ist eine ideale Basis für die persönliche Information und für die Erstellung eines Gesundheitsberichtes. Allgemeine Gesundheits- und Krankeninformationen erhält man über die Seite des Robert Koch Institutes. Dieses arbeitet im Auftrag des Bundes und ist für das Gesundheitsmonitoring zuständig. Ziel dabei ist es, Entwicklungen von Erkrankungen sowie das Gesundheits- und Risikoverhalten zu beobachten. Die Internetseite bietet Broschüren, Statistiken und Berichte zu allen wesentlichen Gesundheitsthemen in der deutschen Bevölkerung. Hier kann man sich auch zu aktuellen Trends Informationen einholen und erfahren, ob der betriebliche Krankenstand durch eine Grippewelle erhöht ist oder es nur eine Wahrnehmung ist, die sich nicht in den Ergebnissen des Instituts bestätigt.

125 Der betriebliche Gesundheitsbericht – Kennzahlen …

Wer sich noch breiter über Gesundheit und Krankheit informieren möchte, kann dies unter „Destatis“ der Webseite des statistischen Bundesamts tun. Hier findet man unter dem Begriff Gesundheit viele Ergebnisse und Statistiken. Unter dem Schlagwort WHO-Regionalbüro für Europa gibt es im Internet eine Vielzahl von Gesundheitsstatistiken und Instrumenten für die detaillierte Beobachtung und Auswertung wichtiger Gesundheitsbereiche. Eine weitere gute Quelle sind die verschiedenen Berichte der Krankenkassen, dazu zählen vor allem die betrieblichen Arbeitsunfähigkeitsberichte (AU Berichte). Je mehr Beschäftigte in einem Unternehmen in der gleichen Krankenkasse versichert sind, desto gewichtiger sind die Kennzahlen. Die AU Berichte werden auf Anfrage erstellt und durch einen Mitarbeiter dem Unternehmen vorgestellt und interpretiert. Sie sind so aufbereitet und hochgerechnet worden, dass ein Vergleich mit anderen Betrieben oder Branchen möglich ist und die Ergebnisse nicht durch voneinander abweichenden Mitarbeiterzahlen verfälscht werden. Neben den Krankenzahlen werden auch die Krankheitsarten anonym ausgewertet. Das ermöglicht den Betrieben die Entwicklung der verschiedenen Krankheitsarten zu verfolgen und sich auf bedeutsame betriebliche Themen zu konzentrieren, durch die diese ausgelöst werden. Die betrieblichen Kennzahlen zum Krankenstand, der Arbeitsschutzbericht oder die Zahlen aus der Arbeitsmedizin sind weitere wertvolle Quellen. Hierbei sollte jedoch immer die Qualität der Zahlen geprüft werden. Oftmals gibt es widersprüchliche Ergebnisse oder mehrere Zahlen aus unterschiedlichen Quellen, die nicht übereinstimmen. Hier möchte ich kurz auf den genialen schwedischen Professor für Internationale Gesundheit, Hans Rosling (* 27. Juli 1948; † 7. Februar 2017) hinweisen. Hans Rosling gründete mit seiner Schwiegertochter und seinem Sohn die Gapminder Stiftung. Die Stiftung entwickelte die Software Trendalyzer, mit der Statistiken verständlich und interaktiv dargestellt werden. Ziel dabei ist es, eine faktenbasierte Sicht auf die Welt zu erhalten. Rosling war aber auch ein begnadeter Speaker. Seine Darstellungen und Vorträge vermitteln wichtige Informationen und dienen als Anregung, wie man Zahlen, Daten und Fakten originell aufbereiten und vorstellen kann. Im Internet findet man unter den Begriffen Hans Rosling und Gapminder zahlreiche Darstellungen und Videos. 16.2  Zielgruppen für den Gesundheitsbericht

Gesundheitsberichte müssen zielgruppenspezifisch aufbereitet werden. Nicht jeder ist ein Spezialist und kann die Zahlen interpretieren. Das Gesundheitsmanagement ist eine Zielgruppe und es ist die Kernaufgabe der BGM Akteure, sich die Hoheit im Bereich Gesundheitszahlen und Berichte zu erwerben. Die Qualität der Kennzahlen und die Interpretation dieser ist für den Erfolg sehr wichtig. Deshalb ist es auch die Aufgabe im BGM, die Zahlen zu prüfen, zu hinterfragen und aus diesen vorliegenden Datenbergen die relevantesten herauszuarbeiten, zu interpretieren und für spezifische Berichte aufzubereiten. Weitere Zielgruppen sind die Geschäftsführung oder die oberste Führungsebene. Wer hier etwas bewegen will, muss kurze und aussagekräftige Berichte vorlegen, sonst verschwinden diese in der Schublade. Für das BGM Kernteam ist es wichtig, neben den betrieblichen Zahlen auch gesellschaftliche Entwicklungen und Krankheitsentwicklungen zu betrachten, damit geeignete präventive Ansätze im BGM entwickelt werden. Wer eine gute Zahlenbasis

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hat, kann auch für die Führungskräfte der Bereiche oder Abteilungen spezifische Berichte erstellen. Ebenso können für Geschäftsberichte die Kennzahlen des BGM genutzt werden. 16.3  Sinnvolle Kennzahlen für den betrieblichen

Gesundheitsbericht

Wer die Zielgruppen kennt, kann sich aus vorhandenen Kennzahlen gute Berichte erstellen. Die vorliegenden Daten werden geprüft und nachvollziehbar aufbereitet. Wertvoll sind grundsätzlich alle Zahlen, die eine hohe Aussagekraft besitzen. Krankenkassen sind eine gute Quelle dafür. In den Krankenkassenberichten finden sich die betrieblichen Kennzahlen zu Erkrankungen, deren Häufigkeit, deren Entwicklung über die Jahre und in der Regel ein Vergleich zur eigenen Branche. Als Quelle dient auch der Arbeitsschutzbericht, der die Zahlen aus der Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin darstellt. Arbeitsunfälle und die dadurch entstandenen Fehlzeiten, Gefährdungsbeurteilungen mit abgeleiteten Maßnahmen und auch die Zahlen über arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen werden hier dargestellt. Zahlen über schwerbehinderte Menschen und gleichgestellte Menschen im Betrieb müssen in Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten wegen der Ausgleichsabgabe, auch Schwerbehindertenabgabe genannt, erhoben werden und liegen ebenso vor wie Krankheitszahlen. Gesetzlich vorgeschrieben ist auch das Betriebliche Eingliederungsmanagement und damit die Auswertung der BEM Fälle. Statistiken über die Altersstruktur und Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen finden sich ebenfalls in vielen Unternehmen. Diese interessanten Ergebnisse zeigen den aktuellen Stand von verschiedenen Bereichen im Unternehmen auf. Mit dieser Auflistung wird klar, dass nicht die Menge an sinnvollen Kennzahlen das Problem ist, sondern die Auswahl, Interpretation und die Darstellung. 16.4  Interpretation von Ergebnissen und Kennzahlen

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Kennzahlen verdichten, Sachverhalte darstellen und Kausalzusammenhänge erklären und interpretieren, dass ist die wichtigste Aufgabe bei der Berichterstellung. Ziel dabei ist es, dass sich der Betrachter eine aussagekräftige Meinung bilden und dadurch auch Entscheidungen treffen kann. Deshalb ist die Interpretation der Inhalte eines Berichtes wichtig. Ohne Interpretation konzentriert sich der Leser vielfach auf das ihm Bekannte oder seine vorhandenen Blickwinkel. In der Regel ist dies ausschließlich der Krankenstand. Dieser soll als Spätindikator jedoch nicht einzeln, sondern als Teil des Ganzen wahrgenommen werden, denn er zeigt nur vergangene Entwicklungen auf. Abteilungen und Mitarbeitergruppen haben bei gleichen Rahmenbedingungen zum Teil deutlich unterschiedliche Ausfallzeiten. In verschiedenen Gruppen, wie beispielsweise Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte oder ältere und jüngere Mitarbeiter, sind zum Teil ohne ersichtlichen Grund unterschiedliche Ergebnisse vorhanden. Wer die Ausfallzeiten breiter betrachtet, erhält mehr Informationen. Wenn zwei Gruppen oder Bereiche mit der gleichen Tätigkeit oder unter denselben Rahmenbedingungen deutlich unterschiedliche Fehlzeiten aufweisen, sollten diese Ergebnisse hinterfragt und die Bereiche auf Unterschiede untersucht werden. Der Krankenstand muss auch langfristig betrachtet

127 Der betriebliche Gesundheitsbericht – Kennzahlen …

werden. Schwankungen bei den Fehlzeiten von mehreren Prozenten während eines Jahres sind nicht ungewöhnlich. Die Empfehlung lautet hier, dass Zeiträume mindestens ein Jahr umfassen sollten und mehrjährige Betrachtungen ein aussagekräftigeres Bild als kurzzeitige Darstellungen liefern. Bei diesen Zeitlinien spiegeln sich die Auswirkungen von betrieblichen Entscheidungen zu einem neuen Arbeitszeitmodell, zu Umstrukturierungen, zu Rationalisierungsmaßnahmen, zu fehlendem Personal oder zu einer neuen Führungskraft im Bereich ab. Die Ergebnisse aus dem Bericht der Krankenkassen sollten zusätzlich einbezogen werden. Daraus werden Zusammenhänge von Erkrankungen und die Einflussfaktoren sichtbar. Somit bleibt zwar auf der einen Seite der Krankenstand ein Spätindikator in diesem Kennzahlensystem, auf der anderen Seite ist eine Interpretation über die Einflüsse, die denkbaren Maßnahmen oder die zukünftigen Entwicklungen durch die Gesamtheit der Zahlen möglich. Zielgruppenspezifische Berichte und eine schlüssige Präsentation, die auch kritischen Fragen standhält, führen zu guten Entscheidungen. Wichtig dabei ist, sich ein kritisches Denken beizubehalten und das Erfahrungswissen von den betrieblichen Akteuren und externen Experten zu nutzen. 16.5  Beispiel eines Gesundheitsberichts

Der hier leicht modifiziert dargestellte Gesundheitsbericht (siehe . Abb. 16.1) wird in einem Konzern seit Jahren als Bericht für die Geschäftsführung und den obersten Führungskreis zweimal jährlich erstellt. Er umfasst einen Hauptbericht mit den Kennzahlen des gesamten Unternehmens und weitere Einzelberichte mit jeweils zwei Seiten und einer Legendenseite für jede Hauptabteilung. Aufgrund seiner Klarheit ist er auch für kleinere Unternehmen geeignet. Er ist ein Beispiel dafür, dass weniger oftmals mehr ist. Auf der ersten Seite erscheint die Legende zu den Zahlen, auf der zweiten Seite eine Tabelle mit relevanten Kennzahlen und dem Vergleich zum Vorjahr.

Bericht zur Beschäftigungsfähigkeit Aktuell

Vorjahr

Aktuell

Krankenstand 12 Monate

Schwerbehinderte Beschäftigte

Krankenstand 48 Monate

Gleichgestellte Beschäftigte

Durchschnittsalter / Alterspyramide der Beschäftigten

BEM Fälle

Beschäftigte über 55

Bearbeitete BEM Fälle

Beschäftigte mit Renteneintritt in den nächsten 3 Jahren

Relevante Ergebnisse aus BeschäftigtenBefragungen

Durchgeführte Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention im Berichtszeitraum Erkenntnisse aus den Kennzahlen

. Abb. 16.1  Beispiel für einen Bericht zur Beschäftigungsfähigkeit

Vorjahr

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Unter der Tabelle werden alle Maßnahmen, die das Gesundheitsmanagement im Betrieb oder in den einzelnen Bereichen durchgeführt hat, aufgelistet. Damit erhält das Management einen Überblick über die Arbeit des BGM und kann die Entwicklung der Kennzahlen mit den Aktivitäten vergleichen. Bereiche mit negativen Kennzahlen und fehlenden positiven BGM Ansätzen können damit auch kritisch hinterfragt und zur Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsmanagement ermutigt werden. Unterhalb dieser Darstellung werden die Kennzahlen und die Maßnahmen durch das BGM interpretiert. Damit ergibt sich eine klare Aussage und Gewichtung und die Ergebnisse stehen nicht mehr ohne Bezug zueinander im Raum. Wichtige Kennzahlen der Tabelle

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5 Die Anzahl der Beschäftigten heute und vor 12 Monaten. Bei kleinen Gruppen werden verschiedene Kennzahlen, wie z. B. der Krankenstand, durch eine geringe Zahl von Beschäftigten stark beeinflusst. 5 Das Durchschnittsalter der Beschäftigten ist hilfreich zum Vergleich mit anderen Bereichen oder für gezielte Maßnahmen, die demografische Faktoren berücksichtigen. 5 Mitarbeiter über 55 Jahre wegen der Nachfolgeplanung. 5 Beschäftigte mit Renteneintritt in den nächsten 3 Jahren, wegen der Nachfolgeplanung 5 Anzahl der schwerbehinderten Mitarbeiter und die Anzahl der Mitarbeiter, die einen Schwerbehinderten gleichgestellt sind. Hier sind eventuell besondere Anforderungen an Arbeitsplätze notwendig oder es reift die Erkenntnis, dass vielfach Schwerbehinderung nicht für einen hohen Krankenstand verantwortlich ist. Dadurch werden auch negative Bilder über schwerbehinderte Beschäftigte verändert. 5 Die aktuellen BEM Fälle. Hier kann die Wirksamkeit des BEM Verfahrens betrachtet werden. Bei vielen BEM Fällen kann die Belastung der Anwesenden beobachtet und in der Personalplanung berücksichtigt werden. 5 Bearbeitete BEM Fälle. Hieran wird sichtbar, wie konsequent diese relevante und gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe bearbeitet wird. 5 Relevante Ergebnisse aus der Beschäftigten Befragung – z. B. Bindungsindex. Der Bindungsindex wird alle 2 Jahre bei der Mitarbeiterbefragung erhoben. Er bildet sich aus sechs Fragen. Die Fragen beziehen sich auf die Bereitschaft, das Unternehmen als Arbeitgeber weiterzuempfehlen, wie man sich gebunden fühlt oder ob man das Unternehmen verlassen möchte? Es konnte festgestellt werden, dass der Bindungsindex in einem direkten Zusammenhang mit den Fehlzeiten steht. Ein hoher Wert steht für geringe Fehlzeiten, ein geringer Wert für hohe Fehlzeiten. 5 Der durchschnittliche Krankenstand der letzten 12 und der letzten 48 Monate wird ebenfalls als Wert angegeben. 5 Auf der zweiten Seite sind zwei grafische Zeitlinien, die den Krankenstandsverlauf und den Trend über 12 und über 48 Monate darstellen. Auf dieser Zeitachse können damit Entscheidungen im Betrieb und ihre positiven oder negativen Auswirkungen auf die Fehlzeiten in Zusammenhang gebracht werden.

129 Der betriebliche Gesundheitsbericht – Kennzahlen …

Das Beispiel des Gesundheitsberichtes (s. . Abb. 16.1) kann sehr gut als Steuerungsinstrument verwendet werden. 16.6  Beispiel eines integrierten Arbeitsschutz- und

Gesundheitsberichts

Der hier dargestellte integrierte Bericht eignet sich als Jahresbericht, der die Zusammenarbeit, die gemeinsame Ausrichtung sowie die relevanten Projekte und Kennzahlen aus den Bereichen Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit und Gesundheitsmanagement darstellt. Dieser Bericht ist sowohl als Information für das Management und die Belegschaft geeignet, sowie für externe Kunden oder als Marketinginstrument, mit dem sich das Unternehmen als guter Arbeitgeber darstellt. Unterschätzt ist die Breitenwirkung eines integrierten Berichtes. Noch immer ist es eher selten, dass die Bereiche Arbeitssicherheit, Arbeitsmedizin und das Gesundheitsmanagement einen in sich schlüssigen gemeinsamen und qualitativ hochwertigen Bericht abgeben. Die Konzeptionierung und Erarbeitung eines solchen Berichts reflektiert auch die Aktivitäten und die Zusammenarbeit untereinander und ist ein gemeinsames Produkt. Die Inhalte sind in der Regel vorhanden und somit geht es um das Konzept und die Aufbereitung der Inhalte. Dabei ist wichtig, dass im Vorwort die Geschäftsleitung ihr Statement zum Nutzen und zur Notwendigkeit dieser Bereiche abgibt. Das erhöht die Akzeptanz und erleichtert die tägliche Arbeit durch die positive Positionierung der Unternehmensführung. Der Bericht muss das Unternehmen und die Bereiche vorstellen. Die Organisation, die relevanten Aufgaben, Tätigkeiten und Projekte und die übergreifenden Themen sind Bestandteil des hier dargestellten Berichts. Neue Regelungen und Vereinbarungen finden ebenso einen Platz und werden kurz skizziert. Daraus ergibt sich ein strukturiertes und informatives Portfolio für den Leser. Der integrierte Bericht spricht definitiv mehr Menschen an als ein einzelner Bericht eines Bereiches und ist deutlich einfacher zu füllen und interessant zu gestalten. Ein weiterer Vorteil ist, dass man sich bei der Erstellung noch besser kennen und hoffentlich schätzen lernt. Wichtig sind auch, die Qualität und die Ziele der Leistungen herauszustellen. Wer dabei ein ungutes Gefühl bekommt, sollte sich mit den Ansprüchen noch einmal befassen. Am Ende soll noch Platz für die Gesundheitskennzahlen, die Jahresunfallstatistik und das Maßnahmenprogramm finden. Wie immer gilt beim Berichtswesen: Weniger ist mehr. Dadurch kann man sich auf die wirklichen Highlights des vergangenen Jahres konzentrieren und die eher uninteressanten Themen müssen nicht breitgetreten werden. Nicht zu vergessen sind schöne Bilder. Diese sind wichtiger als ein wissenschaftlicher Text. Bei den Bildern können Beschäftigte aus dem Unternehmen auch herausgehoben werden und die Kollegen schätzen es, wenn einer aus ihrer Mitte und damit sie selber Beachtung finden.

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BGM mit System – Erfahrungen und Beispiele aus der erfolgreichen Praxis Inhaltsverzeichnis Kapitel 17

Betriebliches Gesundheitsmanagement in einem Mittelstandsunternehmen im Maschinenbau – 133 Martin Simmel und Klaus Bott

Kapitel 18

Ergonomie als „best practice“ für Büroarbeitsplätze – 137 Willy Graßl und Michael Burger

Kapitel 19

Das PsyBELA Konzept bei der MMM Group als Einstieg ins Betriebliche Gesundheitsmanagement – 145 Ulrich Hößler und Norbert Weinhold

Kapitel 20

Klassiker der Betrieblichen Gesundheitsförderung bei der Nabaltec AG – 151 Achim Müller

Kapitel 21

Stressmanagementtraining mit System für Pflegekräfte – 155 Sylvia Simmel und Rosemarie Rothe

IV

Kapitel 22

Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System für Berufskraftfahrer – 161 Martin Simmel, Josef Dischner und Wolfram Dischner

Kapitel 23

Gesundheit als zentrales Thema der Führungskräfte über alle Hierarchieebenen – 165 Martin Simmel und Joachim Dick

Kapitel 24

Betriebliches Gesundheitsmanagement als Baustein im Employer Branding/ Zertifizierung und Qualitätssicherung – 169 Willy Graßl

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Betriebliches Gesundheitsmanagement in einem Mittelstandsunternehmen im Maschinenbau Martin Simmel und Klaus Bott

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_17

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M. Simmel und K. Bott

z Herr Bott, BGM bei einem Mittelstandsunternehmen wie der Afag mit knapp über 100 Mitarbeitern, wieso investieren Sie Zeit in so ein Thema?

Weil ich glaube, dass die Anforderungen an die Mitarbeiter wachsen. Dass die Geschwindigkeit in den Märkten, die Globalisierung, die Digitalisierung die Leute stark fordert – teilweise überfordert. Wir müssen versuchen, unseren Fokus beizubehalten und die Leute gesund zu halten. Wir sind jetzt in fünf Jahren um das Doppelte gewachsen, auch in der Mitarbeiterzahl. Wir müssen Organisationsstrukturen ändern. Wir müssen diverse Dinge anpassen, damit die Leute Rahmenbedingungen finden, wo sie sich auf ihre Arbeit fokussieren können. Und uns ist es ein Anliegen, dass sich die Leute einfach in unserem Unternehmen wohlfühlen. z Eine provokante Frage: Ist BGM wie häufig diskutiert einfach eine Modeerscheinung oder tatsächlich auch ein Managementprinzip – eine Unternehmeraufgabe?

Ich sehe das BGM nicht isoliert, sondern ich sehe es als Unternehmeraufgabe. Wir haben in der Afag-Gruppe den großen Vorteil, dass wir ein familiengeführtes Unternehmen sind und versuchen, das Ganze ganzheitlich werteorientiert zu betrachten. Das heißt, wir haben sehr viel Zeit und Aufwand investiert, um Wertestrukturen zu schaffen, diese Werte zu kommunizieren, die unterschiedlichen Standorte mit diesen Werten gemeinsam auszurichten. Wir haben jetzt gerade die Zertifizierung für die DIN ISO45001 bestanden im Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsmanagement, um einfach die Basis zu schaffen, das Unternehmen langfristig aufzustellen und natürlich auch, um das Unternehmen für Mitarbeitende interessant zu machen. z Das heißt, Sie sagen BGM kann auch einen Beitrag im Hinblick auf die Attraktivität als Arbeitgeber leisten?

Ja – das sehe ich so! Ich denke, das ist ein wichtiger Baustein, um die Attraktivität des Unternehmens zu fördern. Es ist ja nicht so, dass die Leute Schlange stehen, um bei der Afag oder woanders zu arbeiten. Sondern wir müssen viel investieren, um die richtigen Leute für unsere Jobs, die wir haben, zu finden. Und da gilt sicherlich: Was ist das richtige Paket? Und da ist dann sicherlich auch dieses Thema Mund-zu-Mundpropaganda. Wer arbeitet bei der Afag? Wie spricht er über die Afag? Was macht die Afag, was andere Unternehmen nicht machen? Und das ist sicherlich auch eine gute Argumentation, um Menschen für das Unternehmen Afag zu begeistern.

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z Sie stellen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Mittelpunkt. Wie erreichen Sie denn diese und die Führungskräfte? Wie können Sie sie für dieses Thema – BGM – gewinnen?

Für uns ist das ja ein Baustein – auch im Thema Führung. Und wir arbeiten sehr eng mit unseren Führungspersönlichkeiten – so möchte ich sie mal nennen. Das Wort Führungskräfte mag ich nicht so besonders. Also wir versuchen, uns mit diesem Thema „Führung“ – „werteorientierte Führung“, auch „sinnorientierte Führung“, auseinanderzusetzen. Und die Führungskräfte und die Mitarbeitenden dafür zu sensibilisieren. Dass, wenn man sich konsequent und nachhaltig mit dem Thema auseinandersetzt, wir eigentlich alle davon profitieren

135 Betriebliches Gesundheitsmanagement in einem …

können. Natürlich haben wir einen riesen Vorteil hier bei der Afag GmbH. Dass wir eine gute Zusammenarbeit mit unserem Betriebsrat haben und der Betriebsratsvorsitzende auch als BGM-Beauftragter sehr engagiert ist, diese Sache voran zu bringen. Deswegen ist auch eine entsprechende Akzeptanz bei den Menschen da und das macht uns die Sache natürlich etwas leichter. z Sie sagen, der Begriff „Führungskraft“ gefällt Ihnen nicht so gut. „Führungspersönlichkeit“ ist Ihnen lieber. Wieso differenzieren Sie da?

Wir reden ja von Menschen. Und Menschen mögen Kraft haben, aber Menschen sind Persönlichkeiten. Genauso wie wir bei den Führungs-„kräften“ von Führungs-„persönlichkeiten“ reden. Und wenn wir Menschen führen möchten oder Menschen entscheiden, bestimmten Menschen freiwillig zu folgen, dann hat das etwas mit Persönlichkeit, mit Charisma, zu tun und mit Überzeugungskraft. Wir können niemanden in unserer Branche, die sehr menschen- und kompetenzgetrieben ist, befehlen, bestimmte Dinge zu tun. Wir müssen die Menschen überzeugen und begeistern für das, was wir hier tun, damit wir gemeinsam erfolgreich sind. Da ist es für mich ganz wichtig zu sagen: „Wir haben Persönlichkeiten als Mitarbeitende.“ Und unsere Führungsbeauftragten müssen Persönlichkeit ausbilden und natürlich auch die richtigen Führungswerkzeuge haben, um mit den Menschen umzugehen. z Vor dem Hintergrund dessen, was Sie gerade ausgeführt haben – welchen Stellenwert hat denn da das Thema Gesundheit?

Also wir merken, dass das Thema Gesundheit all unseren Mitarbeitenden extrem wichtig wird. Wir sind ein wachsendes Unternehmen, das sich gerade internationalisiert mit Standorten in den USA und China. Unsere Kunden werden internationaler. Das heißt, wir fordern unsere Leute, die Führungsverantwortung haben, immer stärker. Das heißt, es ist extrem wichtig, dass diese Leute, die sich ja permanent in einem Sandwich bewegen, auf ihre Gesundheit achten. Die ganz guten Führungspersönlichkeiten stellen das nur zu gerne hinten an. Das merke ich an mir selber auch manchmal. Und es ist ganz wichtig, dass man dann sensibler mit sich selber umgeht. Nur, wenn man gesund bleibt, kann man auch mit Begeisterung seiner Arbeit nachgehen und auch seine Mitarbeitenden anstecken. Das ist ein ganz wesentlicher Aspekt, denke ich. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bott!

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Ergonomie als „best practice“ für Büroarbeitsplätze Willy Graßl und Michael Burger 18.1  Bestandsoptimierung unter ergonomischen, biomechanischen und funktionellen Gesichtspunkten – 138 18.2  Ergonomisch sinnvolle Ergänzungen prüfen – 138 18.3  Neuanschaffungen mit Konzept – 139 18.4  Wichtige Voraussetzungen (des Ergonomieberaters) im Unternehmen – 140 18.5  Doch warum ist Gesundheits- und Sozialmanagement so wichtig? – 140 18.6  Volkswirtschaftlicher Schaden – 141 Weiterführende Literatur und Quellen – 143

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_18

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W. Graßl und M. Burger

Ergonomie ist ein wissenschaftlicher Ansatz, damit wir aus diesem Leben die besten Früchte bei der geringsten Anstrengung mit der höchsten Befriedigung für das eigene und für das allgemeine Wohl ziehen. Wojciech Jastrzebowski

Der Begriff Ergonomie kommt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus ergon = Arbeit und nomos = Regel, Gesetz. Die Ergonomie ist demnach die Wissenschaft, die sich mit den Gesetzmäßigkeiten menschlicher Arbeit beschäftigt. Ihr Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen und Abläufe so zu optimieren, dass die Menschen selbst bei jahrelanger Ausübung ihrer Tätigkeit möglichst wenig ermüden oder geschädigt werden. Gleichzeitig wird die Optimierung des Arbeitsergebnisses angestrebt. Meist ist es der Anruf eines Mitarbeiters, der den Ergonomie-Berater auf den Plan ruft – auch am Flughafen München. Häufig sind es Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich sowie an Ellbogen und Handgelenk, die beklagt werden. Bei einer persönlichen Ergonomieberatung erfolgt dann die Optimierung des Arbeitsplatzes – mit dem Ziel, Belastung zu reduzieren. Dass im Unternehmen ein Bedarf für diesen Service besteht, zeigt die große Nachfrage mit durchschnittlich rund 180 Einzelberatungen pro Jahr seit der Einführung dieser Beratungsleistung 2012. Doch wie sieht die betriebliche Umsetzung von Büroarbeitsplatzergonomie konkret aus? Am Beispiel der Flughafen München GmbH kann eine strukturierte systematische Herangehensweise an das Thema ergonomische Büroarbeitsplatzgestaltung aufgezeigt werden: („Leitfaden gute Ergonomie“ Stehle). 18.1  Bestandsoptimierung unter ergonomischen,

biomechanischen und funktionellen Gesichtspunkten

Dies bedeutet, es werden Basiseinstellungen im Rahmen der Gegebenheiten des vorhandenen Mobiliars und der vorhandenen Arbeitsmittel vorgenommen, die etwa den Schreibtischstuhl, den Tisch und die Arbeitsmittel betreffen. Oft sind es einfache Maßnahmen, die viel bewirken können. In nahezu allen Fällen wurde festgestellt, dass es am richtigen Verhältnis von Tisch- und Sitzhöhe mangelt. Bildschirme sind meist zu hoch eingestellt, was auf Dauer zu Verspannungen im Halswirbelsäulenbereich führt. Die richtige Stuhlhöhe stellt sicher, dass sich das Becken aufrichten kann. Es ist also das richtige Verhältnis von Tisch- und Sitzhöhe, die so genannte mittlere Sitzhöhe am Arbeitsplatz, welche aus biomechanischer Sicht die optimale Entlastung gewährleistet. Natürlich spielt auch die richtige Positionierung des Arbeitsplatzes im Raum selbst eine Rolle.

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18.2  Ergonomisch sinnvolle Ergänzungen prüfen

Eventuell kann es auch sinnvoll sein, spezielle ergonomische Hilfsmittel zur Anwendung zu bringen. Dabei kann es sich um Stützen für die Unterarme handeln, und das Einsetzen einer Vertikalmaus oder sogar von sogenannten Beidhandmäusen – zum Schutz des Handgelenks und zur Vermeidung ungesunder Gelenkwinkel und Armhebel.

139 Ergonomie als „best practice“ für Büroarbeitsplätze

Dokumentenablagen und Notebookhalter können ebenso sinnvoll sein. Und auch eine ergonomische Tastatur kann Entlastung bringen. Neben den oben genannten Beispielen können auch die Lichtverhältnisse am Arbeitsplatz durch den Ergonomie-Berater optimiert werden. 18.3  Neuanschaffungen mit Konzept

Um bei Neuanschaffungen optimale Ergebnisse zu erzielen, wurden entsprechende Entwicklungen innerhalb des Unternehmens angestoßen, indem Kompetenzen gebündelt und Konzepte für den optimalen Büroarbeitsplatz erstellt wurden. Bereits 2011 wurde die damalige Stabsstelle der Flughafen München GmbH vom Personalbereich mit der Erstellung eines Bildschirm- und Büroarbeitsplatzkonzeptes beauftragt. Im Juni 2013 legten dann die Abteilungen Finanzen/Controlling und der Personalbereich des Flughafens München fest, dass das betriebliche Gesundheits- und Sozialmanagement, genannt PEB, als Fachbereich und als erster Ansprechpartner für das Thema Büromöbel in der Flughafen München GmbH (FMG) zuständig ist. Ziel des von PEB 2012 fertiggestellten Büroarbeitsplatzkonzeptes ist die Definition der Rahmenbedingungen für einen modernen und nach arbeitswissenschaftlichen, ergonomischen Erkenntnissen gestalteten Arbeitsplatz, mit dessen Hilfe unnötige Belastungen der Beschäftigten reduziert und die Gesundheit und Leistungsfähigkeit erhalten und gefördert wird. Darüber hinaus soll eine Minimierung von Umzugsaufwänden erreicht werden. Einen wichtigen Schritt in der Umsetzung des Büroarbeitsplatzkonzeptes stellte die Definition des Raumbedarfs für einen modernen FMG Büroarbeitsplatz dar. Gemeinsam mit dem Arbeitsschutz, der Arbeitsmedizin, dem Geschäftsbereich Real Estate und dem Betriebsrat definierte das Betriebliche Gesundheits- und Sozialmanagement den FMG-Standard „Raumbedarf für einen Büroarbeitsplatz“. Mit dem Ziel, einen neuen einheitlichen Büromöbelstandard unter Berücksichtigung hoher ergonomischer Anforderungen umzusetzen und auch den gesamten zukünftigen Büromöbelbestellprozess neu aufzusetzen, bereitete PEB gemeinsam mit dem Konzern-Einkauf ab 2013 insgesamt sieben Ausschreibungen rund um das Thema Büromöbel vor. PEB formulierte dabei die unterschiedlichen Leistungsbeschreibungen. Um den individuell unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen der Mitarbeiter gerecht zu werden, wurden deshalb zum Beispiel drei verschiedene ergonomische Bürodrehstuhlvarianten sowie ein höhenverstellbarer Motortisch gefordert. Bürostuhl-Modelle können dann je nach funktionellem Bewegungstyp empfohlen werden. Es ist von Vorteil, auf eine kleine Auswahl von ergonomischen Modellen zurückgreifen zu können. Das Ergebnis der Ausschreibung waren neue Rahmenverträge mit verschiedenen Bürostuhlherstellern, einem Büromöbelhersteller sowie einem Hersteller für Schulungsund Konferenzmöbel. Die Ausschreibung und die Verhandlungen der neuen Verträge führten zu einer höheren Qualität und deutlichen monetären Einsparungen beim Einkauf von Büromöbeln sowie zu verbesserten Serviceleistungen seitens der Hersteller. Im Zuge der Ausschreibung setze man auch den gesamten Büromöbelbestellprozess neu auf. Damit ein „Büromöbelwildwuchs“ vermieden wird. Ähnlich wie im Bereich der Büroutensilien installierte das Unternehmen einen Onlinekatalog, auf den alle Sekretariate zugreifen können. Im Online-Katalog finden sich nur die im Rahmenvertrag

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verhandelten Produkte. Der Vorteil neben der transparenten Darstellung aller Möbel liegt auch darin, dass sämtliche Genehmigungsprozesse im Hintergrund des Katalogs hinterlegt sind. Diese Maßnahme hat dazu beigetragen, dass der Zeitaufwand für den Bestellprozess um 80 % reduziert werden konnte. Zukünftig werden auch alle bestellten Büromöbel zentral erfasst und in einem Raumbuch zugeordnet. Zudem wird die dafür zuständigen Abteilung auch im Bereich Ergonomie und in Bezug auf Arbeitsschutzthemen geschult, sodass sie zukünftig bei anstehenden Umzügen Beratungsleistungen übernehmen kann. Dadurch ist wiederum gewährleistet, dass bei der Büromöblierung alle Arbeitsstättenrichtlinien eingehalten werden und alle Büros dem ergonomischen Standard entsprechen. Ziel ist ein einheitlicher hoher Standard am gesamten Flughafen, sodass in Zukunft die Möbel nicht mehr mit umgezogen werden müssen. Lediglich der Stuhl, der eine sehr persönliche und individuelle Arbeitsplatzausstattung darstellt, soll mitgenommen werden. „Gute Ergonomie zeichnet sich also durch ein klar strukturiertes Vorgehen aus, das Produkte und Maßnahmen an den individuellen Erfordernissen ausrichtet und sie langfristig sinnvoll und präzise bündelt. Dadurch wird die Summe der Belastungen für den Körper reduziert.“ („Leitfaden gute Ergonomie“ Stehle). 18.4  Wichtige Voraussetzungen (des Ergonomieberaters) im

Unternehmen

Fundiertes Wissen des Ergonomieberaters im Bereich Biomechanik und funktionelle Anatomie sind Grundvoraussetzung, um den individuellen Arbeitsplatz zu optimieren. Dabei ist eine systematische Vorgehensweise mit Formulierung und Definition von betrieblichen Standards notwendig, zum Beispiel auf Basis der Arbeitsstättenrichtlinien (siehe oben). Die Art der Beratung geht über die Einhaltung von Standards hinaus. Vielmehr wird der Einzelne mit all seinen individuellen Voraussetzungen genau betrachtet und gegebenenfalls bezüglich gesundheitlicher Problemstellungen unterstützt. So kann im Einzelfall als Unterstützungsmaßnahme, und um Belastung zu reduzieren, auf verschiedene ergonomische Hilfsmittel zurückgegriffen werden. 18.5  Doch warum ist Gesundheits- und Sozialmanagement so

wichtig?

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Fast jeder Zweite hat Beschwerden im Nacken. Jeder Dritte klagt über Kopfschmerzen, wie die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) ermittelt hat. Das hat nicht nur für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter negative Auswirkungen, sondern auch auf die Unternehmen selbst. Denn einer Studie des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation zufolge, verzichten die deutschen Unternehmen auf 36 % der möglichen Arbeitsleistung an Büroarbeitsplätzen und das nur, weil Schreibtisch, Stuhl oder Bildschirm nicht ergonomisch ausgerichtet sind. (Quelle 7 Arbeitssicherheit.de).

141 Ergonomie als „best practice“ für Büroarbeitsplätze

Rückenleiden sind generell weit verbreitet in der Gesellschaft und eine der wichtigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit in Deutschland. Bundesweit waren 2015 rund 25 % aller Fehltage auf Erkrankungen des Muskel-Skelett-Apparates zurückzuführen. Und selbst wenn viele aufgrund dieser Zahlen zunächst an körperlich stark beanspruchende Berufe denken, Fakt ist: Der Kreuzschmerz entsteht häufig durch alltägliche Belastungen. Tatsächlich zeigen körperlich stark belastete Menschen oft Verschleißerscheinungen an Wirbelsäule und Gelenken. Doch Büroangestellte sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Berufen, die stehen, sind ebenso häufig von Rückenschmerzen betroffen wie erstgenannte Personen. Vor allem Bewegungsmangel, Fehlhaltungen, einseitige Belastungen, aber auch Stress führen bei ihnen zu Problemen. Das Gesundheits- und Sozialmanagement am Flughafen München hat dafür einen präventiven Ansatz gefunden und in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Fachstellen einen Standard schaffen, der nicht nur ein best practice Beispiel im präventiven Bereich ist. Er hat den Prozess verschlankt, die Ausstattungskosten reduziert, den Platzbedarf verringert und eine gleiche Büromöbelausstattung für alle ermöglicht. Der größte Nutzen entsteht jedoch über die Fachkompetenz in der persönlichen Ergonomieberatung. Hier erwirbt der Beschäftigte in kurzer Zeit Gesundheitskompetenzen, die ihm ein Berufsleben lang beim Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit helfen. 18.6  Volkswirtschaftlicher Schaden

Die Zahlen allein sprechen Bände. So verursachen Rückenschmerzen in Deutschland einen jährlichen volkswirtschaftlichen Schaden in Höhe von rund 49 Mrd. EUR. Auch deshalb nimmt das Thema Prävention und Rehabilitation in der betrieblichen Gesundheitsförderung bei vielen Unternehmen einen immer größeren Stellenwert ein. Häufig verbindet man mit Angeboten zur Gesundheitsförderung Sportprogramme, Rückenschulen und vergleichbare Maßnahmen. Während das Thema Ergonomie in großen Industrie- und Fertigungsbetrieben bereits immer mehr Beachtung findet, sind es meist die nicht in der Produktion tätigen Unternehmen, welche das Thema noch stiefmütterlich behandeln – meist aus Angst, die Umsetzung von ergonomischen Maßnahmen werde große Kosten mit sich bringen. Doch gerade im Zusammenhang mit einer immer älter werdenden Belegschaft spielen chronische Erkrankungen und im Speziellen Erkrankungen des Muskel-Skelett-Apparates eine immer größere Rolle, folglich also auch in der betrieblichen Gesundheitsförderung. In dieser Zeit des demografischen Wandels und der damit einhergehenden veränderten Altersstruktur spielt es also eine immer größere Rolle, dass die Arbeitsplatzverhältnisse individuell auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Einzelnen angepasst werden können. Wichtig ist darüber hinaus aber auch, Mitarbeiter für ergonomisches Verhalten am Arbeitsplatz zu sensibilisieren und sie arbeitsplatzspezifisch zu schulen. Arbeitsplätze altersgerecht zu gestalten, stellt eine große Herausforderung für Unternehmen dar, zumal der Anteil älterer Beschäftigter in den Belegschaften kontinuierlich ansteigt. Zugleich aber rücken immer weniger junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt nach. Das heißt, es gilt Rahmenbedingungen für eine längere Lebensarbeitszeit zu gestalten.

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Lag der Anteil der über 55-Jährigen in deutschen Belegschaften im Jahr 2000 noch bei knapp 13 %, so stieg er bis 2014 auf fast 20 % an. Zugleich werden 2030 voraussichtlich nur noch 39 Mio. Menschen im erwerbsfähigen Alter in Deutschland leben. 2010 waren es noch rund 45 Mio. Angesichts dieser Entwicklungen sollten Unternehmen qualifiziertes Personal möglichst lange und leistungsfähig im Unternehmen halten und Bedingungen schaffen, unter denen Beschäftigte gesund bis zur Rente arbeiten können. Gut gestaltete Arbeitsbedingungen tragen auch wesentlich zur Arbeitszufriedenheit, Motivation sowie Unternehmensbindung bei und fördern geringere Fehlzeiten. Sie zahlen sich darum sowohl für die Beschäftigten als auch für die Unternehmen aus. Eine altersgerechte Gestaltung der Erwerbstätigkeit, welche die unterschiedlichen Auswirkungen von Arbeitsbedingungen auf verschiedene Altersgruppen berücksichtigt, ist also von besonderer Bedeutung. „Die Untersuchung „Microsoft Healthy Computing Survey“ bietet interessante Einblicke in das Leben von 530 deutschen Büromitarbeitern über 18 Jahre, die täglich länger als drei Stunden am Computer arbeiten. Demnach fühlen sich 86 % der Befragten an ihrem Schreibtisch unwohl, haben sogar Schmerzen. Nacken (48 %), Schultern (36 %), oberer Rücken (31 %), Handgelenke (18 %) und Hände (8 %) tun am häufigsten weh. Ursache Nummer Eins für die Beschwerden ist das Starren auf den Computermonitor (42 %), direkt gefolgt vom langen Sitzen am Schreibtisch (38 %) und dem „Herumsitzen“ in Meetings (31 %).“ Doch nicht nur die Gesundheit der Beschäftigten leidet, wenn ein Arbeitsplatz keine ergonomischen Kriterien erfüllt. Auch die Qualität der Arbeit und damit die Produktivität des Mitarbeiters werden negativ beeinflusst. 53 % der Befragten legen eine Pause ein, wenn sie sich unwohl fühlen, 24 % verlängern ihre Pause, um sich besser erholen zu können. 56 % leiden unter Konzentrationsschwäche und 46 % geben zu, dass sie nicht ihre besten Leistungen bringen, wenn sie sich am Büroarbeitsplatz nicht wohlfühlen. Wer hier die Verantwortung hat? „Der Arbeitgeber, ist doch klar! So sehen es zumindest 85 % der Befragten. Obwohl 87 % denken, dass dieses Thema angesprochen werden sollte, wagten es nur 26 %, ihren Arbeitgeber nach ergonomischen Arbeitsmitteln zu fragen. Liegt das vielleicht daran, dass nur 39 % glauben, der Arbeitgeber würde sich für ihre Gesundheit interessieren und dafür, dass sie sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen?“ (7 Arbeitsschutz-portal.de)

> Die Effekte guter Ergonomie liegen also auf der Hand.

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Ein tätigkeitsbezogenes, individuelles angepasstes Arbeitsumfeld fördert natürliche Bewegungsabläufe, beugt Fehlstatik und Fehlbelastung vor, sorgt für höhere Konzentration und Leistungsfähigkeit, vermindert Beschwerde- und Schmerzrisiken, unterstützt Genesungsprozesse, minimiert das Unfallrisiko und verkürzt die Erholungsphase nach der Arbeit. Und davon profitiert auch das Unternehmen. (Leitfaden gute Ergonomie, Stehle).

143 Ergonomie als „best practice“ für Büroarbeitsplätze

Weiterführende Literatur und Quellen Gute Ergonomie – Gesünder Arbeiten am PC: Leitfaden GUTE ERGONOMIE – Petra Stehle; Christian Erhard. Arbeitsschutz Portal – 7 https://www.arbeitsschutz-portal.de/ Arbeitssicherheit.de – 7 https://www.arbeitssicherheit.de/ BAuA – 7 https://www.baua.de

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Das PsyBELA Konzept bei der MMM Group als Einstieg ins Betriebliche Gesundheitsmanagement Ulrich Hößler und Norbert Weinhold

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_19

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Aus der Not eine Tugend gemacht und mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Die MMM Group hat sich seit der Firmengründung 1954 von einem kleinen, regional orientierten Handwerksunternehmen zu einer europäischen Firmengruppe im Bereich Medizintechnik entwickelt und ist weltweit einer der führenden Systemanbieter für Sterilisations- und Desinfektionsanlagen für Krankenhäuser, wissenschaftliche Institute, Labore und die Pharma-Industrie. Die ca. 1100 Mitarbeiter verteilen sich auf den Geschäftssitz in Planegg, zwei Produktionsstätten im bayerischen Stadlern und Peiting und dem tschechischen Brno sowie mehrere regionale Vertriebs- und Servicezentren in verschiedenen Ländern Europas. Das Leistungsspektrum reicht von der detaillierten Planung und Beratung, über die Fertigung bedarfsspezifischer Produkte, die Installation, die Logistik und den Service, einschließlich der Validierung sämtlicher Prozesse, bis hin zur Gesamtabwicklung umfangreicher Bauvorhaben. Im vorliegenden Praxisbeispiel wird eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz beschrieben, die im Werk Stadlern durchgeführt wurde. Neben Beweggründen, Vorgehensweise, Hindernissen und Ergebnissen wird dabei auch darauf eingegangen, inwieweit eine solche Gefährdungsanalyse psychischer Belastungsfaktoren den Einstieg in ein gelungenes betriebliches Gesundheitsmanagement bilden kann. Was hat die Werksleitung veranlasst, eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz vorzunehmen?

Der Hauptgrund für die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz lag schlichtweg in den gesetzlichen Anforderungen: Seit der entsprechenden Änderung des Arbeitsschutzgesetzes im Jahr 2013 ist jeder Arbeitgeber dazu verpflichtet, neben dem physischen auch das psychische Gefährdungspotenzial für die Belegschaft regelmäßig zu identifizieren und geeignete Gegenmaßnahmen in die Wege zu leiten. Abgesehen davon hatte die Werksleitung sowieso geplant, Maßnahmen zur Steigerung der MA-Zufriedenheit zu ergreifen. Die Kommunikation zwischen verschiedenen Abteilungen und Führungsebenen wurde allgemein als unbefriedigend wahrgenommen. Derartige, häufig an den Schnittstellen in Organisationen auftretende Kommunikationsschwierigkeiten sind naturgemäß Stressoren und werden oft als psychisch belastend erlebt. Deshalb sah die Werksleitung in der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsanalyse einen guten Aufhänger, um die Kommunikations- und Führungskultur nachhaltig zu verbessern und dadurch die Arbeitszufriedenheit zu erhöhen. Wie wurde vorgegangen? Was lief gut? Wo gab es Hindernisse?

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Die Novellierung des Arbeitsschutzgesetzes traf die Werksleitung unvorbereitet – wie viele mittelständische Betriebe. Da sich die Beauftragten für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit außer Stande sahen, psychische Belastungsfaktoren systematisch zu erfassen, wurde ein externer Dienstleister damit beauftragt. Dieser war der Werksleitung bereits aus anderen Kooperationsprojekten vertraut und verfügte über ein erprobtes, schlüssiges Konzept zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz in Form einer Mitarbeiterbefragung. Das Gesamtprojekt nahm knapp vier Monate in Anspruch und dauerte von Juli bis Oktober 2015. Dabei wurden zunächst mittels eines Online-Fragebogens, der während der Arbeitszeit an bereitgestellten Computern bearbeitet werden konnte, folgende Daten anonymisiert erhoben:

147 Das PsyBELA Konzept bei der MMM Group als Einstieg …

Allgemeine und tätigkeitsspezifische Belastungsfaktoren (wie Termin- und Leistungsdruck, fehlende Informationen, Lärmbelästigung etc.). Individuelle Belastungsreaktionen (wie Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, Magen-/Darmbeschwerden etc.). Ressourcen (wie Selbstwirksamkeit, klarer Auftrag, Anerkennung etc.). Ursachenzuschreibungen (wie Belastung aufgrund von Tätigkeit, Führungskraft, privater Ursachen etc.). Insgesamt nahmen im Werk Stadlern 87 Beschäftigte an der Befragung teil, die sich auf die vier Arbeitsbereiche Fertigung, Meister/Abteilungsleiter, Administration und Service Innendienst verteilten. Da die Beschäftigten von Anfang an rechtzeitig, transparent und umfassend über Zweck und Vorgehensweise der Gefährdungsanalyse informiert wurden, verlief die Befragung reibungslos und die geplante Stichprobengröße konnte mühelos erreicht werden. Die Befragungsergebnisse wurden im Oktober 2015 präsentiert und mit den einzelnen Befragtengruppen diskutiert. Dabei wurde besprochen, wie sich die Ergebnisse mit der eigenen Wahrnehmung decken und welche Bereiche besonders wichtig oder eher vernachlässigbar sind. Darauf aufbauend wurden Maßnahmen erarbeitet und systematisch erfasst, wie Belastungsfaktoren minimiert und Ressourcen gestärkt werden können. Auch diese Workshops zur Ergebnisrückmeldung und -diskussion inklusive Erarbeitung geeigneter Maßnahmen unter Anwesenheit potenziell betroffener Führungskräfte konnten aufgrund der professionellen externen Moderation sehr produktiv, zielführend und zufriedenstellend durchgeführt werden. Zum Projektabschluss erstellte das beauftragte Beratungsunternehmen einen Projekt- und Ergebnisbericht mit Maßnahmenplan. Welche Folgemaßnahmen resultierten daraus?

Neben einem generell hohen Arbeitspensum mit starkem Leistungs- und Termindruck wurden mangelnde Kommunikation zwischen Organisationseinheiten und Führungsebenen sowie mangelnde Anerkennung und Wertschätzung geleisteter Arbeit als besonders belastend beklagt. In den moderierten Ergebnis-Workshops wurden dann zum einen die vorhandenen Ressourcen hervorgehoben, durch die Termin- und Leistungsdruck als weniger belastend erlebt werden, wie hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, gute Zusammenarbeit innerhalb von Arbeitsgruppen, hohes Niveau an Kompetenz und Engagement in der Belegschaft. Zum anderen wurde deutlich, dass die Mitarbeiter durchaus bereit waren, das hohe Arbeitspensum in Spitzenzeiten mitzugehen und dies auch nicht als übermäßig belastend empfanden, sofern eben die gezeigte Leistungsbereitschaft entsprechend gewürdigt wurde. Wie die Werksleitung also bereits im Vorfeld vermutete, lag der stärkste Hebel zur Reduzierung psychischer Belastung am Arbeitsplatz in einer verbesserten, wertschätzenden Kommunikation. Dementsprechend wurden v. a. Maßnahmen in dieser Richtung in die Wege geleitet: 5 Regelmäßige strukturierte und standardisierte Besprechungen, in denen Arbeitsabläufe abteilungsübergreifend abgestimmt werden; 5 Systematisierung, Strukturierung und Standardisierung der regelmäßig stattfindenden Mitarbeitergespräche dahin gehend, dass Führungskräfte Leistungen stärker anerkennen und Entscheidungen transparent begründen und die Mitarbeiter stärker Prioritäten und Unterstützung einfordern sowie Bedürfnisse und Überlastung rückmelden;

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5 Schulungen zur Weiterentwicklung von Gesprächsführungskompetenzen, insbesondere für die Meister und Abteilungsleiter; 5 Programme zur individuellen Gesundheitsförderung, Selbstfürsorge und Selbstverantwortung Wie zufriedenstellend ist das Ergebnis?

Insgesamt ist das Ergebnis sehr zufriedenstellend und nachhaltig. Insbesondere das strukturierte Mitarbeiter-Gespräch wird konsequent weitergeführt. Hierbei bewährt sich der in einem eigens durchgeführten Workshop erarbeitete und stetig optimierte bedarfsgerechte Gesprächsleitfaden. Dieser thematisiert auch eine Qualifikationsmatrix, die auf jeder Ebene definiert, wer wann welchen Schulungsbedarf hat und gibt den Mitarbeitern die Möglichkeit, Kritik zu üben. Sofern es dabei nicht um Einzelmeinungen handelt, werden auch konsequent Maßnahmen ergriffen. Die Meister und Abteilungsleiter erhielten ein Training zu wertschätzender Gesprächsführung und tauschen sich darüber hinaus regelmäßig in professionell moderierten Workshops über aktuelle Herausforderungen, Bedürfnisse und Verbesserungsmöglichkeiten aus. Es finden standardisierte Gesprächsrunden unter Beteiligung der Werksleitung, der Personalabteilung und der Abteilungsleiter statt. Durch die ergriffenen Maßnahmen wurde eine Entwicklung der Organisationskultur eingeleitet, sodass Kritik an der nächsthöheren Führungsebene ohne psychische Belastung für beide Seiten möglich wird und produktiv genutzt werden kann. Die mittlere Führungsebene konnte ihre Führungskompetenz erweitern und bringt sich stärker in die direkte Personalführung ein, was zu einer höheren Transparenz führt, als wenn die Werksleitung eingreift. Dadurch hat sich die allgemein wahrgenommene Zufriedenheit merkbar erhöht. Die ergriffene Vorgehensweise war auf das Wesentliche konzentriert und hat rundum gepasst, die Werksleitung würde wieder so vorgehen. Neben der Erfüllung des gesetzlichen Auftrags konnten systematische und effiziente Kommunikationsstrukturen etabliert werden, durch die die psychische Belastung am Arbeitsplatz reduziert wird. Alle zwei bis drei Jahre soll die Gefährdungsbeurteilung nun wiederholt werden, um den Gesamtprozess zu stabilisieren, Wirkungen zu dokumentieren und stetig Verbesserungspotenzial zu identifizieren. Was hat das alles mit BGM zu tun?

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Insbesondere der letztgenannte Punkt verdeutlicht das Potenzial einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz als Einstieg in ein systematisches BGM. Durch eine regelmäßig durchgeführte Gefährdungsbeurteilung wird ein standardisiertes Berichtswesen eingeführt, das weiter angereichert werden kann mit verschiedensten Maßnahmen und Kennzahlen nicht nur der psychischen Belastung, sondern der allgemeinen Gesundheit der Mitarbeiter. Die erstmalig durchgeführte Gefährdungsanalyse ermöglicht die Erfassung des Status-quo und bahnt den Weg für Interventionen, die von Anfang in eine systematische, planvolle Vorgehensweise eingebettet sind. So kann Schritt für Schritt ein systematisches BGM aufgebaut werden. Die MMM-Group plant genau das, allerdings mittel- bis langfristig. Es wird nicht der Anspruch einer Vorreiterrolle erhoben, das Thema soll behutsam entwickelt werden. Durch die ländlich geprägte, naturnahe Außenlage des Werks Stadlern ergeben

149 Das PsyBELA Konzept bei der MMM Group als Einstieg …

sich andere Möglichkeiten des Stressmanagements und körperlichen Ausgleichs als das oft ins Feld geführte Fitnessstudio. Vereinsmäßig organisierte sportliche Aktivitäten, anfallende Tätigkeiten im eigenen Wald und Grund oder bei der Pflege von Tieren sowie die umliegende Natur sorgen für körperliche Fitness, ausreichenden Ausgleich und hohen Erholungswert. Allerdings gibt es bei gesunder Ernährung noch Potenzial nach oben: Als die betriebseigene Kantine mit dem Anspruch, gesünder zu kochen, CousCous mit Gemüse anbot, gingen noch viele Teller zurück.

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Klassiker der Betrieblichen Gesundheitsförderung bei der Nabaltec AG Achim Müller

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_20

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A. Müller

Betriebliche Gesundheitsförderung ist ein fester und wichtiger Baustein in unserem Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Für die persönliche Gesundheit können neue Impulse gesetzt und zum Nachdenken angeregt werden. Achim Müller

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Die Nabaltec AG mit Sitz in Schwandorf ist ein mehrfach ausgezeichnetes, innovatives Unternehmen der chemischen Industrie. Auf der Basis von Aluminiumhydroxid und Aluminiumoxid entwickelt, produziert und vertreibt Nabaltec hochspezialisierte Produkte in den beiden Produktsegmenten „Funktionale Füllstoffe“ und „Technische Keramik“ im industriellen Maßstab. Die Gesundheit der Mitarbeiter hat bei uns einen sehr hohen Stellenwert. Gesunde Mitarbeiter stellen eine wichtige Ressource für den Unternehmenserfolg dar. Ziel ist es, das Arbeitsumfeld aller Mitarbeiter gesundheitserhaltend und gesundheitsfördernd zu gestalten. Die hohe Bedeutung spiegelt vor allem die Vielzahl der durchgeführten Gesundheitsprojekte wider. Seit Anfang 2014 setzen wir uns intensiv mit „Betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM)“ auseinander. Hierzu fanden im Januar und April 2014 zwei Workshops zusammen mit einem externen Dienstleister statt. Dort ging es um die Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses für Betriebliches Gesundheitsmanagement und über dessen Erfolgsfaktoren, Stolpersteine und Ziele. Neben organisatorischen Maßnahmen (z. B. Gründung einer Projektgruppe), wurden auch erste Aktionen im Bereich „Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF)“ besprochen und geplant. So legten wir im selben Jahr den Fokus auf „Herzgesundheit und Ernährung“. Im Rahmen von Gesundheitstagen wurden den Beschäftigten unterschiedliche Checks angeboten (u. a. Messung von Blutzucker, Blutdruck und Cholesterin, Körperfett). Das Angebot wurde ergänzt um individuelle Ernährungsberatungen und Vorträge über gesunde Ernährung. Ebenso organisierte man im gleichen Jahr für die Standort-Kantine einen Kantinen-Check. Im Jahr 2015 lag der Schwerpunkt auf dem Thema „Rückengesundheit“. Hierzu wurden u. a. folgende Checks angeboten: 3D-Screening Wirbelsäule, Haltekraftmessung Bauch-/Rückenmuskulatur. Ein Bewegungsworkshop mit den Inhalten „Wirbelsäule und Faszien“ und „Bewegungskonzept Moving“ rundete das Angebot ab. Im November wurde zusätzlich das BG-Rückenmobil für zwei Tage gebucht. Nach einer Standortbestimmung in 2016, beschäftigten wir uns im darauffolgenden Jahr mit „Stress und Sucht“ im Unternehmen. Vorträge, Checks und Workshops standen auf dem Programm. Ebenso starteten wir mit der Erfassung psychischer Belastungsfaktoren im Rahmen der psychischen Gefährdungsbeurteilung. Dass das Unternehmen bei der Auswahl und Festlegung von BGF-Maßnahmen nicht nach dem „Gießkannen-Prinzip“ handelt, lässt sich daran festmachen, dass die Maßnahmen auf Basis von aussagekräftigen Statistiken (z. B. Arbeitsunfähigkeitsprofile Krankenkassen) oder als begleitende, sinnvolle Ergänzung zu langfristigen Gesundheitsprojekten (z. B. psychische Gefährdungsbeurteilung) ausgewählt werden. Außerdem ist es wichtig, stets ein „offenes Ohr“ für die Bedürfnisse und Anregungen der Belegschaft zu haben. Unserem Betriebsrat kommt hier eine wichtige Rolle zu. Jährlich wiederkehrende Aktionen wie z. B. „Mit dem Rad zur Arbeit“ oder die Versorgung von Hitzearbeitsplätzen mit ausreichend Mineralwasser in den heißen Jahresmonaten sind mittlerweile Standard.

153 Klassiker der Betrieblichen Gesundheitsförderung …

Bisheriges Fazit: Alle durchgeführten BGF-Maßnahmen waren ein Erfolg. Die Angebote hatten immer eine Auslastung von über 90 % und das Feedback an die Projektgruppe Gesundheit war sehr positiv. Dies zeigt, dass der eigene Gesundheitszustand bei den Beschäftigten in den Fokus gerückt ist. Ebenso rasant angestiegen sind die Teilnehmerzahlen an regionalen Laufveranstaltungen. Diese Entwicklung spiegelt das wachsende Interesse und den Wunsch nach mehr Bewegung wider. Wir planen auch zukünftig bedarfsgerechte BGF-Aktionen. Hierbei geht es vor allem um Wissensvermittlung und Sensibilisierung. Ziel ist es, mehr Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen und diese dauerhaft positiv zu beeinflussen. Somit stellt Betriebliche Gesundheitsförderung ein wichtiges Instrument innerhalb des Gesundheitsmanagements der Nabaltec AG dar.

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Stressmanagementtraining mit System für Pflegekräfte Sylvia Simmel und Rosemarie Rothe

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_21

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S. Simmel und R. Rothe

Medizinisches Personal – im Besonderen das Pflegepersonal – gehört zu einer Berufsgruppe, die häufig hohen Belastungen ausgesetzt ist. Oft kann der Stressor nicht beeinflusst werden. Doch es ist möglich, den Umgang mit Stresssituationen zu erlernen und bewusst zu gestalten. Aus einer Belastung wird eine Herausforderung. Im Rahmen eines Pilotprojekts an der Universitätsklinik Regensburg wurde ein systematisches Stressmanagementtraining entwickelt und evaluiert. Die Beantwortung der Frage, welche Strategien zur Bewältigung von Stress im beruflichen Alltag am wirkungsvollsten für die Zielgruppe der Pflegekräfte sind, stand dabei im Mittelpunkt. z Frau Rothe, aus der Perspektive der Pflegedienstleitung – immer wieder steht diese Berufsgruppe der Pflegekräfte mit ihren anspruchsvollen Aufgaben in der öffentlichen Diskussion. Was hat Sie dazu veranlasst, ein Stressmanagementtraining für Ihre Kolleginnen und Kollegen zu initiieren?

Das waren mehrere Punkte. Zum einen ist mir beim Rundgang auf den Stationen aufgefallen, dass es Stationen gibt, wo ein sehr hoher Patientenandrang herrscht, wo sehr große Spitzenzeiten da sind und wo man den Mitarbeitern auch wirklich anmerkt, dass sie Stress haben. Über das normale Maß in der Pflege hinausgehend. Dieser tägliche Umgang mit Krankheit und Leid, zusätzlich viele Patienten, die kommen, viele Angehörige, die Fragen stellen, sehr viel Informationsbedarf. Organisatorische Regelungen greifen da natürlich. Trotzdem gibt es Momente, wo man merkt: Vielleicht würde es den Pflegekräften helfen, anders mit der Situation „Stress“ umzugehen. Dann ist es so, dass wir jährlich Gefährdungsbeurteilungen auf den Stationen durchführen. Und da ist ein Unterpunkt „psychische Belastung“, die wir einschätzen sollen. Man merkt dann schon von Abteilung zu Abteilung, dass unterschiedliche Stationsleitungen das verschieden einschätzen. Daraus ist bei uns der Gedanke aufgetaucht: „Eigentlich müsste man eine richtige psychische Belastungsanalyse machen.“ Wir haben das dann mit dem Leiter der Personalabteilung besprochen. Der hatte dann die Idee, zum einen dieses Thema weiter aufzugreifen – das wird ja auch grade im Haus verfolgt – dass dann die Befragung zur psychischen Belastung stattfindet, wo alle Mitarbeiter teilnehmen dürfen; wir wollten aber für diese besonders belasteten Bereiche, die sich da in meinem Pflegezentrum herauskristallisiert haben – das ist zum einen die Poliklinik und zum anderen die Station der Unfallchirurgie und der Plastischen Hand- und Wiederherstellungschirurgie – ein spezielles Angebot entwickeln. Mir hat sehr gut gefallen, dass wir es auf die Bedürfnisse des Dreischichtbetriebes zuschneiden konnten und den Mitarbeitern die Teilnahme an mehreren Workshops ermöglicht wurde. z War es denn schwierig oder leicht, die Teilnehmer für dieses Training zu gewinnen?

Das war sehr unterschiedlich. Da, wo wir komplett auf Freiwilligkeit gesetzt hatten, konnten wir einen sehr hohen Zulauf verzeichnen und es gab sogar noch Mitarbeiter auf der Warteliste. Im stationären Bereich mit dem Dreischichtbetrieb hat es sich als schwieriger erwiesen. Weil wir an bestimmte Termine gebunden waren, ist nur ein Teil des Teams überhaupt von den Terminen her infrage gekommen. Wenn jemand bei zwei Terminen im Nachtdienst und im Urlaub ist, dann hat es keinen Sinn, denjenigen mitmachen zu lassen. Deshalb war es in einigen Fällen auch so, dass der Stationsleiter auf eine Mitarbeiterin zugegangen ist und gesagt hat: „Und du machst jetzt beim

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Stressmanagementtraining mit. Das tut dir gut!“ Die Mitarbeiterin hat dann nicht so positiv reagiert und hat es eher als aufgesetzt und ungut empfunden. Für uns war die Erkenntnis, dass wir sagen: „Wenn man so ein Training durchführt, dann muss es auf freiwilliger Basis angeboten werden. Es soll ein Angebot an die Mitarbeiter sein.“ Und der Mitarbeiter muss auch sagen können: „Ok, ich nehme dieses Angebot an.“ z Und jetzt nach dem Abschluss der Pilottrainings – wie war denn die Rückmeldung von Ihren Kolleginnen und Kollegen?

Die Rückmeldungen waren überraschend positiv. Ich war erstaunt, dass eine relativ kurze Trainingssequenz bei den Mitarbeitern schon so gut ankommt und sie sagen: „Wir können Ergebnisse in den Alltag mitnehmen.“ Und was mich noch mehr beeindruckt hat – dass Mitarbeiter, die nicht am Workshop beteiligt waren, trotzdem von der Situation profitiert haben und gesagt haben: „Das hat auch uns was gebracht.“ Und das Interessante war: Wir haben für die wissenschaftliche Auswertung der Fragebögen noch eine weitere Station gehabt, die per se mit diesen Workshops gar nichts zu tun hatte und auch unter den Mitarbeitern kaum Kontakt da war – selbst da haben die Pflegekräfte gesagt: „Super, dass überhaupt so ein Angebot da ist. Und wenn das Angebot erweitert wird, würden wir auch gerne mitmachen.“ Also eine sehr positive Resonanz! Selbst Skeptiker konnten überzeugt werden. z Das klingt überzeugend, dennoch erlauben Sie mir noch eine provokante Frage: Kann man denn in diesem anspruchsvollen Beruf als Pflegekraft alt werden und immer noch gesund sein?

Doch. Man kann mit Sicherheit in diesem Beruf alt werden und gesund sein. Wir haben immer wieder Beispiele auf den Stationen, die das belegen. Wir sind ja eigentlich ein sehr junges Klinikum mit unseren mittlerweile 26 Jahren. Damals waren die Mitarbeiter Ende 20, Anfang 30, als sie bei uns angefangen haben. Und wir haben jetzt einige, die über 50 sind. Das Durchschnittsalter steigt im Allgemeinen. Und wir haben sehr viele Leute, die mit sehr viel Freude immer noch auf den Stationen, im Intensivbereich, in den Funktionsbereichen oder im OP tätig sind. z Glauben Sie denn, dass die erfahrenen Pflegekräfte, die so lange im Beruf sind, auch eine besondere Art des Stressmanagements anwenden – eben aufgrund der Erfahrung?

Das ist mit Sicherheit so, dass sie ein besonderes Stressmanagement anwenden, denn die greifen auf ihr Erfahrungswissen zurück. Sie können Wichtiges vom Unwichtigen unterscheiden, können Prioritäten setzen und beherrschen aufgrund der Expertise, die sie in all den Jahren erworben haben, ein sehr zielgerichtetes Arbeiten, was die jungen Leute erst erlernen müssen. Die müssen sich eher durchfragen und müssen sich nochmal erkundigen, versuchen manchmal, das Rad neu zu erfinden. Und die Älteren informieren sich untereinander und haben im Allgemeinen ein sehr hohes Fachwissen. Bei uns im Haus ist Fort- und Weiterbildung sehr groß geschrieben. Und dieses lebenslange Lernen, das für das Älterwerden im Beruf erforderlich ist, bieten wir hauseigene Veranstaltungen und den Verein der Freunde und Förderer in der Pflege, die gerade für den Pflegebereich sehr viel tun. Das Stressmanagementtraining,

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S. Simmel und R. Rothe

bei dem Resonanz sehr gut war und gerade eine zweite Gruppe gestartet ist sowie künftige Refresher-Kurse, werden dabei ebenfalls einen sinnvollen Beitrag leisten ­können. z Das heißt also auch aus der Perspektive des Arbeitgebers, dass Sie diese Angebote fortführen und vertiefen werden?

Unbedingt! z Sie haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Stationen gemischt für dieses Stressmanagementtraining. Halten Sie es für sinnvoll, auch die Erfahrenen und die jüngeren Kolleginnen und Kollegen gemeinsam in solche Trainings zu schicken?

Ja. Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man eine altersgemischte Struktur hat. Denn die einen können von den anderen lernen. Und was die Älteren an Erfahrung mitbringen, bringen die Jungen manchmal an neuem Fachwissen mit oder an Idealismus, an positiver Haltung. z Frau Simmel aus Expertensicht – was war denn aus Ihrer Perspektive die Herausforderung bezüglich der Konzeption und Durchführung eines Stressmanagementtrainings für Pflegekräfte?

Neben den Herausforderungen, die sich aufgrund der zeitlichen Rahmenbedingungen in einem Dreischichtbetrieb stellen, war es uns wichtig, zu verstehen, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wirklich im Alltag nutzen können. z Wie sind Sie vorgegangen?

In enger Abstimmung mit der Pflegedienstleitung und der Personalabteilung war es möglich, mit der betreffenden Zielgruppe Interviews zu führen. Wir wollten, dass die Menschen sich maximal beteiligen und somit unsere Expertenangebote mitgestalten können. Diese Interviews haben wir im Verlauf des Trainings und am Ende wiederholt. Unserer Ansicht nach ist das der beste Weg, um ein maßgeschneidertes Konzept entwickeln zu können. Der Filmbeitrag zum Projekt (s. Abb. 21.1) ermöglicht einen kleinen Eindruck. Und was uns ganz besonders freut: Die Rückmeldung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Sie beschreiben, dass sie die Anregungen als hilfreich und nützlich bewerten und dass sie sich dann auch tatsächlich im Alltag an diese erinnern.

. Abb. 21.1  QR Code 2 – Stressmanagementtraining mit System für Pflegekräfte

159 Stressmanagementtraining mit System für Pflegekräfte

Teilnehmerstimmen „Diese Stunden waren Gold wert, es hat sehr nachgewirkt und nachgearbeitet.“ „Ich gehe mit Situationen ruhiger um, in denen ich bisher genervt war … Es muss jedoch langsam aufgebaut werden und es gibt Tage, an denen es (noch) nicht funktioniert.“ „Ich erkenne die wahren Stressoren, oft sind es zum Beispiel Mitmenschen oder Kollegen. Ich achte mehr auf mich selbst: ich erledige meine Aufgaben und dann helfe ich den Anderen – man kann nicht alle retten, manchmal muss man egoistisch sein!“ „Ich fand gut, dass wir dieses Pilot Projekt gestartet haben. Ich bin überzeugt, dass es vielen helfen könnte. Man ist nicht allein. Es wäre sehr sinnvoll, es weiterzuführen.“

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Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System für Berufskraftfahrer Martin Simmel, Josef Dischner und Wolfram Dischner

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_22

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M. Simmel et al.

Die Entwicklung eines betrieblichen Gesundheitsmanagementsystems für Berufskraftfahrer ist auch für ein Expertenteam eine nicht alltägliche Herausforderung. Insbesondere die Rahmenbedingungen, die den Arbeitsplatz eines Fernfahrers kennzeichnen sind bedeutsam, wenn es darum geht, welche Angebote und Anregungen überhaupt möglich und sinnvoll sind. Des Weiteren sind Fernfahrer in der Regel Männer und haben vermutlich infolgedessen kein bis wenig ausgeprägtes Interesse an gesundheitlichen Themen oder gar Risikoanalysen. „Ein Mann ist erst krank, wenn es blutet!“ Deshalb war es uns wichtig, zuerst ein grundlegendes Verständnis für die speziellen Anforderungen und Problemstellungen dieser Berufsgruppe zu bekommen, um dann ein maßgeschneidertes Konzept mit und für die beteiligten Menschen zu entwickeln! Im Zuge einer umfassenden Belastungsanalyse und dem daraus resultierenden Workshop zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungsfaktoren fand in den Jahren 2016 und 2017 die konkrete Bedarfsermittlung für dieses Projekt statt. Folgende übergeordnete Zielsetzungen wurden mit der Geschäftsführung der Spedition Dischner vereinbart: 5 Aufbau von Gesundheitskompetenzen aller Beschäftigten, insbesondere der Berufskraftfahrer. 5 Förderung der Eigenverantwortung der Beschäftigten im Bereich Gesundheit. 5 Erhalt der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten. 5 Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber nach innen und außen. 5 Bessere Bindung der Belegschaft an das Unternehmen. Konkret kristallisierten sich drei Kernthemen heraus, die dann im Zuge des Projekts zur Anwendung und Umsetzung kamen: 5 „In der Pause liegt die Kraft!“ Regeneration und Erholung für Fahrer 5 „Der Kraftstoff ist entscheidend!“ Ernährung und Trinken für Fahrer 5 „Wer rastet der rostet!“ Bewegung und Konzentration für Fahrer 5 Später im Projektverlauf ergänzt: Regeneration und Erholung für Verwaltung und Disposition Als Vermittlungs- und Umsetzungsformat wurde für das erste Halbjahr 2018 eine Veranstaltungsreihe konzipiert und durchgeführt. Die besondere Herausforderung dabei war, dass alle Angebote in deutscher und tschechischer Sprache durchgeführt werden

mussten. Nach einem Gesundheitstag im Januar, zu dem alle Mitarbeiter/innen und deren Partner/innen eingeladen waren, konnten sich die Teilnehmer für eine der thematischen Kerngruppen entscheiden. Es folgten drei weitere Workshopveranstaltungen von März bis Juli, die im Sinne einer kontinuierlichen Vertiefung und zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit der Angebote aufeinander aufbauten. Zwischen den Workshops hatten die Teilnehmer ihre spezifischen Anregungen und Umsetzungsaufgaben im beruflichen Alltag anzuwenden und zu dokumentieren.

163 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System …

Die mittlerweile vorliegende quantitative und qualitative Evaluation erlaubt zum einen eine Bewertung der durchgeführten Maßnahmen und Angebote aus der Sicht der Beteiligten und zum anderen die Ableitung konkreter Vorschläge für die systematische Fortführung des Projekts.

Die vorliegenden Ergebnisse sind sehr aufschlussreich und zeigen, dass der Aufwand einer derartig umfassenden Projektevaluation gerechtfertigt ist. Der Film zum

Projekt (s. . Abb. 22.1) gibt tiefere Einblicke und lässt die Beteiligten zu Wort kommen. „Es wäre ein Fehler, jetzt stehen zu bleiben“, sagen Josef und Wolfram Dischner und denken konkret über ein Anschlusskonzept nach, das auf den Erfahrungen des Pilotprojekts aufbaut.

. Abb. 22.1  QR Code 3 – Betriebliches Gesundheitsmanagement für Berufskraftfahrer

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Gesundheit als zentrales Thema der Führungskräfte über alle Hierarchieebenen Martin Simmel, Joachim Dick und Erich Vogl

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_23

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M. Simmel et al.

> Betriebliches Gesundheitsmanagement – die Systematik durchzieht das ganze

Unternehmen Der Erfolg eines Unternehmens wird maßgeblich von den Menschen gemacht, die sich mit ihrem Wissen und Können dafür engagieren.

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z Herr Dick, Sie sind als Teamleiter HR Services DE bei der Zollner Elektronik AG im Personalmanagement verantwortlich für alle mitarbeiternahen Dienstleistungen im Rahmen der Serviceprozesse dem Gesundheits- und Sozialmanagement. z Welchen Stellenwert hat das Betriebliche Gesundheitsmanagement in Ihrem Unternehmen?

Einen sehr zentralen Stellenwert. Seit 01.01.2018 haben wir auch organisatorisch einen eigenen Bereich Gesundheits- und Sozialmanagement bei der Zollner Elektronik AG. Mittlerweile sind dort vier Personen mit unterschiedlichen Schwerpunkten tätig. Einzelmaßnahmen im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements werden bei der Zollner Elektronik AG schon seit mehreren Jahren durchgeführt – systematisch allerdings erst seit Oktober 2015. z Was verstehen Sie in diesem Zusammenhang unter systematisch?

Unter systematisch verstehen wir folgenden Ansatz: Abgeleitet aus den Strategiezielen des gesamten Unternehmens und über die HR Strategie haben wir Schlüsselthemen formuliert und Maßnahmen definiert. Dies fassen wir in einer Roadmap zusammen und führen sie Schritt für Schritt durch. Dadurch wird das Gesundheits- und Sozialmanagement konkret und für die betreffenden Bereiche mit den besagten Themen erfahrbar. Zum 01.01.2018 wurden durch die Umorganisation im HR Bereich weitere wichtige organisatorische Voraussetzung geschaffen, die uns systematisch handlungsfähig und den Erfolg der Angebote messbar machen. z Herr Vogl, Sie sorgen als BGM-Manager dafür, dass das BGM lebendig und nachhaltig im Unternehmen verankert werden kann. Worauf achten Sie in diesem Zusammenhang besonders? Welche Ansatzpunkte und Rahmenbedingungen sind Ihrer Erfahrung nach von zentraler Bedeutung?

Wir haben festgestellt, dass die Ableitung von Maßnahmen von zahlreichen Parametern abhängt. Beispiele für solche Parameter sind Führungskräfterollen, bestimmte Zielgruppen sowie die Lebens- und Berufsphasen. Das bedeutet, dass wir Fragestellungen und Themen der Menschen in den verschiedenen Arbeitskontexten, beispielsweise in der Produktion oder in der Verwaltung, erkennen, verstehen und zum Thema machen können. Dabei werden insbesondere die betroffenen Menschen und ihre spezifischen Fragestellungen eingebunden. Getragen wird das BGM von unserem Vorstand sowie den Führungskräften, die bei der Umsetzung eine zentrale Rolle spielen. Im Rahmen der Säule Gesundheitsorientierte Führung (GOF) bieten wir, je nach Führungsebene beispielsweise Workshops oder Vorträge an, welche immer einen Reflexions- und einen Umsetzungsteil beinhalten. Um BGM lebendig und erfahrbar zu machen bedarf es in der Säule Gesundheitsförderung Maßnahmen rund um die Bausteine Bewegung, Ernährung, Stress, Regeneration oder Ergonomie. Beispielsweise bieten wir hier bewegte Pausen, Ergonomieberatungen oder Gesundheitstage für unsere Azubis an.

167 Gesundheit als zentrales Thema der Führungskräfte …

Im Betrieblichen Sozialmanagement geht es in erster Linie darum, das wir die gesetzlichen Anforderungen im Rahmen des BEM einhalten. Darüber hinaus bieten wir unseren Mitarbeitern kompetente Hilfestellung in schwierigen Lebenslagen. Beispielsweise in unseren Mitarbeitersprechstunden. Der letzte Baustein, der aktuell ausgearbeitet wird ist das Work-Life- Management. Dort werden wir Lösungen anbieten zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (Schlagworte sind eldercare, familycare). Beispiele im Unternehmensalltag: 5 Gesundheitsorientierte Führung: (Schulungen und Workshops) 5 Betriebliche Gesundheitsförderung: Ergocheck, Hautscreening, Osteoporosecheck, Gesundheitstage für die Azubis 5 Betriebliches Sozialmanagement: Mitarbeitersprechstunden und Gesundheitszirkel 5 Work-Life Management: Gleitzeit, Telearbeit, unterschiedliche Schicht- und Gleitzeitmodelle etc. z Eine Frage an den Experten Martin Simmel. Die Führungskräfte scheinen im BGM eine zentrale Rolle zu spielen. Warum?

Wenn ein BGM vernünftig eingeführt und nachhaltig umgesetzt werden soll, muss es von den Führungskräften mitgetragen werden. Deshalb ist es notwendig, dass sich die Führungskräfte zuallererst kritisch damit auseinandersetzen und zwei Kernfragen prüfen: Erstens: Ist das Thema für mich persönlich interessant und relevant? Nützt es mir bei meinen täglichen Aufgaben? Und zweitens: kann ich die Anregungen im Zuge der Verantwortung für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebrauchen? z Stichwort Verantwortung – Herr Vogl/Herr Dick, von welchen Verantwortungen sprechen wir da?

Herr Dick: Wir erkennen mehrere Verantwortungsebenen. Verantwortung gegenüber dem Unternehmen, den unterstellten Mitarbeitern und gegenüber sich selbst. Die Belastungen durch die Internationalisierung und Digitalisierung steigen. Entscheidungsprozesse werden durch die immer schneller fließenden Informationen beschleunigt. Produktlebenszyklen werden kürzer. Veränderung wird zum Dauerthema. Herr Vogl: Die genannten Herausforderungen (Digitalisierung, Globalisierung) wurden durch die Führungskräfte der 1. Ebene bereits 2016 in einem Workshop erkannt. Daraus haben wir dann Folgeangebote entwickelt. Ein Beispiel dafür ist das Format Gesundes Führen in der Produktion. Dieses wurde speziell auf die Anforderungen der Koordinatoren und Schichtleiter in der Produktion abgestimmt. Inhaltlich geht es um eine wertschätzende Gesprächsführung und Hilfestellungen zum Betriebsalltag, beispielsweise zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement oder dem Erkennen von Belastungssituationen bei Mitarbeitern nach dem Motto: „Was kann ich? Was darf ich? Was muss ich?“ Der kleine Filmbeitrag (s. Abb. 23.1) lässt die Verantwortlichen der Zollner AG zu Wort kommen.

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M. Simmel et al.

23 . Abb. 23.1  QR Code 4 7 Kap. 24 Gesundheit als zentrales Thema der Führungskräfte über alle Hierarchieebenen

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Betriebliches Gesundheitsmanagement als Baustein im Employer Branding, in der Zertifizierung und in der Qualitätssicherung Willy Graßl

24.1  Employer Branding – 170 24.2  Zertifizierung und Qualitätssicherung – 171

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_24

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W. Graßl

Natürlich kostet Qualität, aber fehlende Qualität kostet mehr. Hans Jürgen Quadbeck-Seeger

24.1  Employer Branding

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Employer Branding fasst die Aufgabe der Entwicklung und der Etablierung einer Arbeitgebermarke zusammen. Jedes Unternehmen möchte unter seinen Mitbewerbern oder beim Kunden herausstechen und damit Beachtung finden. Was gute Arbeitgebermarken für eine Sogwirkung auf Bewerber und den Markt haben ist unbezahlbar. Die Arbeitgebermarke lebt von seiner Glaubwürdigkeit und dem damit verbundenen Vertrauen in das Unternehmen, seine Belegschaft und seine Produkte. Glaubwürdigkeit entsteht durch eine Vielzahl von Faktoren. Qualität, positive Berichte, interessante oder innovative Produkte, Erfolge, Schweiß und harte Arbeit, Persönlichkeiten, Authentizität und der Übernahme einer gesellschaftlichen Verantwortung. Wie im Buch dargestellt zahlt ein strategisches und nutzenorientiertes BGM einen erheblichen Beitrag in eine glaubwürdige Unternehmensmarke ein und fällt auch bei genauer Betrachtung nicht in sich zusammen. Das BGM unterstützt die Beschäftigten und wirkt damit positiv auf die Arbeitsfähigkeit und die Arbeitsergebnisse. Es erhält durch seine präventive Wirkung das Erfahrungswissen im Betrieb und ermöglicht durch seine rehabilitative Ausrichtung die Weiterbeschäftigung von Beschäftigten mit gesundheitlichen Einschränkungen. Ein gutes Gesundheitsmanagement erhöht auch die Bindung der Belegschaft und gleicht Defizite im Unternehmen durch sein positives Wirken aus. Führungskräfte werden vielfach entlastet und können sich auf die eigentlichen Aufgaben konzentrieren und damit das Unternehmen vorwärtsbringen. Es gäbe noch zahlreiche Beispiele für das Wirken des BGM zur Stärkung der Arbeitgebermarke, das wichtigste Argument ist, dass ein gutes BGM die Glaubwürdigkeit der Arbeitgebermarke ermöglicht und damit das Bild des guten Arbeitgebers stärkt und gute Arbeitsbedingungen unterstützt (s. . Abb. 24.1).

Gesellschaftliche Verantwortung

Gute Unternehmensführung

Glaubwürdige und werteorientierte Arbeitgebermarke

Identifikation der Belegschaft Innovation Qualität

. Abb. 24.1  BGM unterstützt eine glaubwürdige und werteorientierte Arbeitgebermarke

171 Betriebliches Gesundheitsmanagement als Baustein …

24.2  Zertifizierung und Qualitätssicherung

Die dargestellte Unterstützung des Employer Branding hat viele Vorteile für ein Unternehmen. Es entsteht aber nicht von alleine. Das Gesundheitsmanagement muss sich dem Markt stellen und darin bestehen. So wie es bei den Produkten und Prozessen in den meisten Unternehmen hohe Qualitätsstandards gibt, die mit verschiedenen Zertifizierungen oder Auditierungen nachgewiesen werden, so ist auch wichtig, dass sich ein BGM diesen Standards widmet. Wer ein BGM aufbaut soll sich von Anfang an mit den Qualitätsmerkmalen auseinandersetzen und eine Qualitätssicherung anstreben. In vielen Betrieben können hier die vorhandenen Standards aufgegriffen und an ein BGM angepasst werden. Damit erreicht das BGM Team oder der BGM Manager von Anfang an eine hohe Akzeptanz im Betrieb. Durch Qualitätsstandards werden Fehler vermieden und ein strukturiertes Arbeiten gefördert. Wer das Gesundheitsmanagement über die Jahre hinweg mit diesem Qualitätsansatz entwickelt und aufgebaut hat, kann sich auch zertifizieren lassen und damit seine Qualität im BGM nachweisen oder sogar im Wettbewerb bestehen. Es ist zu beobachten, dass jedes BGM mit einem guten Qualitäts- und Prozessverständnis erfolgreicher und effektiver ist als ohne. Hiermit schließt sich auch der Kreis zum Employer Branding. Der Nutzen des BGM wirkt intern und extern auf verschiedene Art und fördert das Unternehmen seine Ziele zu erreichen. Im Bereich des Gesundheitsmanagement gibt es mittlerweile verschiedene Zertifizierungen, wer ein Unternehmen in Bayern hat, findet bei der AOK eine sehr gute und systematische BGM Zertifizierung. Die Zertifizierung „Gesundes Unternehmen“ hat die drei Stufen Bronze, Silber und Gold und wurde spezifisch auch für kleine und mittelständische Unternehmen entwickelt. Die Gold Zertifizierung wird durch ein externes Institut durchgeführt und stellt damit auch die Unabhängigkeit zur AOK her. Es wäre zu begrüßen, wenn diese sehr gelungene Zertifizierung auch in anderen Bundesländern von der AOK übernommen wird. Siehe auch, 7 http://www.aok-business.de/bayern/gesundheit/angebote/zertifizierung-gesundes-unternehmen/. Wer sich im Wettbewerb messen möchte, der findet bei der derzeit renommiertesten BGM Auszeichnung, dem „Corporate Health Award“, sowohl eine Zertifizierung als auch einen Vergleich mit den BGM der eigenen Branche. Ähnlich wie die AOK Zertifizierung hat diese Auszeichnung von EuPD Research Sustainable Management, Handelsblatt und der ias-Gruppe ein mehrstufiges Level. Interessant ist es, als Orientierung den Quick Check zu machen und eine Rückmeldung über den Stand des eigenen BGM in Prozenten zu bekommen. Ab einem bestimmten Niveau macht es auch Sinn, den Qualifizierungsbogen auszufüllen und bei einem entsprechenden Ergebnis sich dem Corporate Health Audit zu stellen. Ab einem bestimmten Reifegrad des BGM werden Prädikat-Siegel, Exzellenz-Siegel, Finalist-Siegel und als höchste Auszeichnung das Award-Winner-Siegel für die Branchenbesten in den verschiedenen Branchenkategorien verliehen. Siehe auch: 7 http://www.corporate-health-award.de/home/. Beide Zertifizierungen haben eine hohe Güte und ermöglichen die Weiterentwicklung des eigenen BGM. Grundsätzlich sind die Ergebnisse der Zertifizierung ein Spiegelbild des eigenen Tuns. Gute Ergebnisse werden in den Jahren vor der Zertifizierung erarbeitet.

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BGM mit System – Fazit und Aublick Inhaltsverzeichnis Kapitel 25

...das Korrektiv zu einem ungesunden Schneller, Höher und Weiter! – 175 Willy Graßl und Martin Simmel

Kapitel 26

Voneinander profitieren und das Gute weiterentwickeln - Das Gesunde Unternehmen Gruppenkonzept – 177 Willy Graßl und Martin Simmel

V

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…das Korrektiv zu einem ungesunden Schneller, Höher und Weiter! Willy Graßl und Martin Simmel

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_25

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W. Graßl und M. Simmel

Was ist Erfolg? Viel zu lachen, die Liebe von Kindern zu gewinnen, den Verrat falscher Freunde zu ertragen, die Welt zu einem klein wenig besseren Ort zu machen, als sie es war, bevor wir in sie hineingeboren wurden, die gesellschaftlichen Verhältnisse in irgendeiner Beziehung verbessern, oder den Menschen helfen, gesünder zu werden, zu wissen, dass ein Leben leichter atmet, seit du lebst. Das ist Erfolg! Ralph Waldo Emerson

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Schneller, höher, weiter, darauf ist unser Wirtschaftssystem aufgebaut. Ohne Wachstum, wird den Managern gelehrt, geht es nicht voran. Wer heute noch glaubt, dass diese Entwicklung in unserer vernetzten und globalen Welt eingeschränkt werden kann, der wird als Spinner und Fantast abgestempelt. Zeitoptimierung, Überlastung, sinnentleerte Tätigkeiten, Manager mit psychischen Zusammenbrüchen, steigende psychische Erkrankungszahlen und viele weitere Beispiele zeugen davon, dass die Arbeitswelt auch unmenschliche Formen entwickelt hat mit der Beschäftigte nur noch bedingt klarkommen. Wer sich intensiv mit dem Thema Arbeit und seine Auswirkungen auseinandersetzen möchte, dem ist das Buch „Arbeit – warum Sie uns glücklich oder krank macht“ von dem deutschen Neurobiologen Prof. Dr. med. Joachim Bauer zu empfehlen. Plausibel, klar und verständlich stellt er das Doppelgesicht der Arbeit dar. In der Kurzbeschreibung des HEYNE Verlags steht, dass dieses Werk ein aufrüttelndes, streitbares Manifest für die Rückkehr des Menschlichen in die Arbeitswelt ist und warum der Raum für Muße, schöpferische Lust und Selbstverwirklichung nicht preisgegeben werden darf. Die Autoren sind davon überzeugt, dass der Weg zu einem dauerhaften gesunden Wachstum und einer langfristigen positiven Entwicklung einen Gegenpol braucht. Gerade hier ist die Bedeutung des Gesundheitsmanagements nicht hoch genug einzuschätzen. Nach fester Überzeugung der Autoren ist das BGM für ein dauerhaftes gesundes Wachstum unverzichtbar. Vermutlich hat es sich auch deshalb in fast allen großen und erfolgreichen Unternehmen durchgesetzt und findet immer mehr Akzeptanz in mittleren und kleinen Betrieben. Es ist das Korrektiv, damit Unternehmen in einem Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen eines erfolgreichen Unternehmens und den Bedürfnissen der Beschäftigten bleibt. Wirtschaftlicher Erfolg entsteht nur durch die Belegschaft, deren Arbeit, Innovation und deren Entscheidungen. Ebenso ist das Gesundheitsmanagement ein Garant dafür, dass in schwierigen Zeiten die Stabilität für zukünftige Entwicklungen nicht verloren geht. Solange Unternehmen von Menschen geführt werden und in den Unternehmen Menschen arbeiten, müssen die Bedürfnisse des Menschen erfüllt und eine menschengerechte und sinnhafte Arbeit sichergestellt werden und Ziel jedes Entscheiders sein.

Weiterführende Literatur Arbeit – warum Sie uns glücklich oder krank macht. Wilhelm Heyne Verlag. 2. Auflage (02.2015). Prof. Dr. med. Joachim Bauer (Autor)ISBN: 978-3-453-60354-7

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Voneinander profitieren und das Gute weiterentwickeln – Das Gesunde Unternehmen Gruppenkonzept Willy Graßl und Martin Simmel

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Simmel, W. Graßl (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement mit System, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26956-2_26

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W. Graßl und M. Simmel

Nicht von Beginn an haben die Götter uns Sterblichen alles Wissen offenbart. Erst allmählich finden wir suchend das Bessere. Xenophanes

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Betriebliches Gesundheitsmanagement ist ein zweckmäßiges und notwendiges unternehmerisches Handlungsprinzip. Unser Anspruch ist es, zu zeigen, was in der Praxis funktioniert und was nicht. Deshalb haben wir das Gesunde Unternehmen Netzwerk gegründet und laden Unternehmer ein, mit uns in diesen kritischen Austausch zu gehen. Die Zielsetzung der Initiative lässt sich wie folgt zusammenfassen: 5 Höhere Wertschöpfung durch leistungsfähige und leistungsbereite Beschäftigte. 5 Aufbau von Gesundheitskompetenzen im Betrieb. 5 Verbesserung der Eigenverantwortung der Beschäftigten im Bereich Gesundheit. 5 Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber nach innen und außen. 5 Bessere Bindung der Belegschaft an das Unternehmen. 5 Erhalt der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten bis ins hohe Alter. Die Umsetzung erfolgt in Form einer Workshopreihe, die sich über einen Zeitraum von ca. 1,5 Jahren erstreckt. Die Teilnehmer erhalten Zugriff auf ein fundiertes und unterschiedliches betriebliches Expertenwissen und entwickeln ein maßgeschneidertes Konzept für Ihr Unternehmen. Sie qualifizieren bis zu drei Beschäftigte oder Funktionsträger zum BGM Experten und gewährleisten damit eine kontinuierliche Verankerung im betrieblichen Alltag. Außerdem entwickeln sie zielführende Maßnahmen und Umsetzungsstrategien und lernen dabei aus den vielfältigen Erfahrungen der anderen Netzwerkpartner. Wir freuen uns über die starke Resonanz und die vielen Impulse aus den verschiedensten Branchen und den unterschiedlichsten Unternehmensgrößen. Relevanz, Erfahrung und Kompetenz schaffen immer wieder zielgruppenspezifische Innovationen. Besuchen Sie unsere Themenwebsite und bilden Sie sich Ihre eigene Meinung! 7 www.gesunde-unternehmen.expert