Prozessuale Handlungsortzurechnung: Eine Untersuchung der internationalen Zuständigkeit am Handlungsort gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sowie gemäß § 32 ZPO am Beispiel arbeitsteilig verwirklichter Kapitalanlagedelikte [1 ed.] 9783428583782, 9783428183784

Fragen der internationalen Zuständigkeit haben sich zu einem typischen Streitpunkt kapitalmarktrechtlicher Haftungsproze

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Prozessuale Handlungsortzurechnung: Eine Untersuchung der internationalen Zuständigkeit am Handlungsort gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sowie gemäß § 32 ZPO am Beispiel arbeitsteilig verwirklichter Kapitalanlagedelikte [1 ed.]
 9783428583782, 9783428183784

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Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 190

Prozessuale Handlungsortzurechnung Eine Untersuchung der internationalen Zuständigkeit am Handlungsort gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sowie gemäß § 32 ZPO am Beispiel arbeitsteilig verwirklichter Kapitalanlagedelikte

Von

Raphael Höll

Duncker & Humblot · Berlin

RAPHAEL HÖLL

Prozessuale Handlungsortzurechnung

Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen

Band 190

Prozessuale Handlungsortzurechnung Eine Untersuchung der internationalen Zuständigkeit am Handlungsort gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sowie gemäß § 32 ZPO am Beispiel arbeitsteilig verwirklichter Kapitalanlagedelikte

Von

Raphael Höll

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. hat diese Arbeit im Jahr 2021 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 25 Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-18378-4 (Print) ISBN 978-3-428-58378-2 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/21 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis März 2021 berücksichtigt werden. Besonderer Dank gilt meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hanno Merkt, LL. M. (Univ. of Chicago), für seine Aufgeschlossenheit gegenüber dem Thema, die stets offene und engagierte Betreuung sowie die außergewöhnlich schnelle Erstellung des Erstgutachtens. Herrn Prof. Dr. Jan Lieder, LL. M. (Harvard) danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Für die Aufnahme meiner Arbeit in die Schriftenreihe „Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht“ gebührt den Herausgebern Herrn Prof. Dr. Holger Fleischer, LL. M. (Univ. of Michigan), Herrn Prof. Dr. Hanno Merkt, LL. M. (Univ. of Chicago) und Herrn Prof. Dr. Gerald Spindler mein Dank. Zahlreiche Freunde und Kollegen haben mich während der Promotionszeit begleitet und unterstützt. Aus diesem Kreis gilt mein besonderer Dank für das gründliche Korrekturlesen des Manuskripts insbesondere Frau Pauline Grotz, Herrn Dr. Leo Humpenöder, Frau Tamara Knödler, Herrn Christopher Réti, Herrn Alexander Rickelt, Herrn Dr. Damian Schmidt, LL. M. (Cape Town) und Herrn Dr. Sebastian Traub. Meine Mutter und meine Lebensgefährtin Tamara, die während der gesamten rechtswissenschaftlichen Ausbildung an meiner Seite standen und mich stets vorbehaltlos unterstützt haben, wissen um ihren Anteil am erfolgreichen Abschluss meines Promotionsvorhabens sowie um meine tief empfundene Dankbarkeit. Ihnen ist die vorliegende Arbeit gewidmet. Stuttgart, den 04. 10. 2021

Raphael Höll

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 A. Problemeinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Kapitel 1 Wertungsgrundlagen

26

A. Eigenständigkeit des zuständigkeitsrechtlichen Wertungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Modell der autonomen Zuständigkeitsgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Tendenz zur Materialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 B. Binnenmarktbezug des europäischen Zivilprozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 C. Zu ausgewählten Zuständigkeitsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Parteinähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 II. Vollstreckungsnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 III. Sach- und Beweisnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Territoriale Grenzen der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Differenzierung zwischen örtlicher und territorialer Beweisnähe im Schrifttum 35 3. Innereuropäische und drittstaatenbezogene Auslandsbeweisaufnahmen . . . . . . 36 a) Besondere Bedeutung bei Drittstaatenbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Relativierte Bedeutung innerhalb des europäischen Justizraums . . . . . . . . . 37 IV. Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Bedeutung der Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Grundkonflikt zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit . . . . . . . 39 3. Zuständigkeitsklarheit durch formale Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4. Vorhersehbarkeitsschädliche Anknüpfungspunkte im Einzelnen . . . . . . . . . . . . 41 a) Anknüpfung an den Parteien unbekannte Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Klarheitsschädlichkeit richterlicher Wertungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . 41 c) Schädlichkeit rechtlich komplexer Zuständigkeitsprüfungen . . . . . . . . . . . . 42 d) Klägerwahlrechte als einseitige Vorhersehbarkeitsbeeinträchtigung . . . . . . . 43

8

Inhaltsverzeichnis V. Rechtsnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 VI. Konzentration zusammenhängender Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

D. Der Grundsatz actor sequitur forum rei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I. Präzisierung des favor defensoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 II. Rechtfertigung des favor defensoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Kurzer Blick auf die rechtshistorischen Ursprünge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Motive des Vertrauensschutzes sowie des Rechtsfriedens . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Strukturelle Unterlegenheit der prozessualen Beklagtenstellung . . . . . . . . . . . . 51 a) Kompensation einseitiger Gerichtsunterworfenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b) Kompensation von Prozesszwang und Einlassungsdruck . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) Kompensation fehlender Gestaltungsmöglichkeiten und erschwerter Prozessvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 d) Erstes Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4. Rechtfertigung im Gesamtsystem der Art. 4 ff. EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 5. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 III. Die besonderen Gerichtsstände als eng auszulegende Ausnahmevorschriften . . . . 58 1. Zur Eingrenzungsbedürftigkeit besonderer Gerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Enge Auslegung als Konsequenz des effet utile-Gedankens . . . . . . . . . . . . . 60 b) Verbleibende Restriktionsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Effet utile als Grenze der restriktiven Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

Kapitel 2 Der Gerichtsstand am Handlungsort

64

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Sach- und Beweisnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Tatortanknüpfung als Folge grob typisierender Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Zusätzliche Relativierung der Beweisnähe durch das Ubiquitätsprinzip . . . . . . 67 3. Keine vollständige Beseitigung der teleologischen Leitbildfunktion . . . . . . . . . 68 II. Opferschutz als zweite ratio legis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Berücksichtigungsfähigkeit materiell aufgeladener Opferschutzerwägungen 70 2. Zuständigkeitsrechtliche Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Keine prozessuale Unterlegenheit des Deliktsklägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Zufallsabhängigkeit der prozessualen Rollenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3. Opferschutzerwägungen in der Rechtsprechung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Grundsätzliche Verneinung eines Opferschutzzwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

Inhaltsverzeichnis

9

b) Gegenläufige Opferschutztendenzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 aa) Das Ubiquitätsprinzip der Entscheidung Mines de Potasse . . . . . . . . . . 76 bb) Der Erfolgsort persönlichkeitsrechtsverletzender Presseerzeugnisse . . . 78 (1) Das Mosaikprinzip der Shevill-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (2) Modifikationen durch die Entscheidung eDate Advertising . . . . . . . 78 cc) Der Klägergerichtsstand der kartellrechtlichen CDC-Entscheidung . . . . 79 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 III. Begründung eines vorhersehbaren Gerichtsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Präzisierung der Schutzrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Ausgleich der Vorhersehbarkeitsinteressen als eigenständiger Zuständigkeitszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3. Das strukturelle Informationsdefizit des Geschädigten eines Distanzdelikts . . . 84 IV. Teilweise Gewährleistung besonderer Rechtsnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 V. Kein spezifischer Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 B. Maßstab der gerichtlichen Zuständigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 I. Zur Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Beeinträchtigung des zuständigkeitsrechtlichen Beklagtenschutzes . . . . . . . . . 90 2. Schwierigkeiten bei der Feststellung der konkreten Doppelrelevanz . . . . . . . . . 90 3. Einfachrelevanz des Tatorts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 II. Prüfungsanforderungen in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Mögliche Berücksichtigung des Beklagtenvortrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Pflicht zur Berücksichtigung des Beklagtenvortrags? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3. Modalitäten der Zuständigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 C. Der prozessuale Handlungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 I. Einführung in die Problematik mehraktiger Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Kollisionsrechtlich motiviertes forum shopping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Prozessrechtlich motiviertes forum shopping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Einflussmöglichkeiten auf die Beweisnähe des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 II. Mehraktige Delikte in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Starre Zentralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Wertende Zentralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3. Abweichung in der Rechtssache CDC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 III. Lösungsansätze aus dem Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Rückgriff auf die lex causae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Die Tessili-Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

10

Inhaltsverzeichnis b) Keine Übertragbarkeit auf Art. 7 Nr. 2 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) Widerspruch zu dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Beeinträchtigung der Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Beeinträchtigung der Verfahrensökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Verordnungsautonome Konkretisierung des Handlungsortgerichtsstands . . . . . 110 a) Ausklammerung vorbereitender Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Handlungsortgerichtsstand am Ort jedes deliktischen Teilakts . . . . . . . . . . . 112 aa) Erhebliche Durchbrechung des Grundsatzes actor sequitur forum rei bb) Keine Kompensationsmöglichkeit auf Ebene der Kognitionsbefugnis

113 114

c) Anknüpfung an den deliktischen Handlungsschwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . 115 aa) Parallele zu Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Rückschlüsse auf den Handlungsortgerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 cc) Ermittlung des zentralen Teilakts durch wertende Betrachtung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (1) Fehlen objektiver Gewichtungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (2) Strukturelles Informationsdefizit des Deliktsgeschädigten . . . . . . . . 119 (3) Erforderlichkeit einer umfassenden Einarbeitung in den Rechtsstreit 119 dd) Starre Ermittlung des zentralen Handlungselements . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (1) Keine vollständige Erübrigung einer Einzelfallwertung . . . . . . . . . . 120 (2) Abweichende Beurteilung aufgrund sachrechtlicher Deliktsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

Kapitel 3 Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

123

A. Überblick über die deutsche und europäische Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 I. Handlungsortzurechnung im autonomen Zuständigkeitsrecht am Beispiel der Entscheidung BGH XI ZR 93/09 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 II. Rechtsprechung im Zusammenhang mit Art. 7 Nr. 2 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Melzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 b) Der Vorlagebeschluss des LG Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 c) Die Schlussanträge des Generalanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 d) Die Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 e) Überblick über zentrale Kritikpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Fehlen eines europäischen Zurechnungskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (1) Vorbilder aus den mitgliedstaatlichen Deliktsrechten . . . . . . . . . . . . 131 (2) Unschädlichkeit fehlender Vorbildregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Inhaltsverzeichnis

11

bb) Fehlen eines Anknüpfungspunkts innerhalb des Gerichtsbezirks . . . . . . 134 cc) Unzulässiger Vorgriff auf die Begründetheitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . 135 dd) Schutzlücken der alternativ verfügbaren besonderen Gerichtsstände . . . 135 (1) Begrenzter Schutz durch den Erfüllungsortgerichtsstand . . . . . . . . . 136 (2) Schutzlücken des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (a) Erfordernis einer tauglichen Ankerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (b) Keine besondere Sachnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 (3) Kurzer Überblick über zentrale Defizite des Erfolgsortgerichtsstands 139 (a) Versagung eines generellen Klägergerichtsstands . . . . . . . . . . . . 140 (b) Rechtsunsicherheit durch Anknüpfung an den Kontoführungsort 140 (c) Schwach ausgeprägte Beweisnähe des Kontoführungsorts . . . . . 141 2. Bestätigung durch die Entscheidungen Hi Hotel und Coty Germany . . . . . . . . 142 3. Handlungsortzurechnung in der Rechtssache CDC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Abweichung von der vorausgegangenen Entscheidungstrilogie . . . . . . . . . . 144 b) Versuch einer Erklärung der Diskrepanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 aa) Streitgenössische Inanspruchnahme der Schädiger . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 bb) Primärrechtlich fundiertes Interesse an einer effektiven Kartellrechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (1) Effektivität der Kartellrechtsdurchsetzung als auslegungsleitende Maxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (2) Effektivitätsgebot als Mindeststandard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 cc) Begehungsform der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung 149 (1) Ausführungen der CDC-Entscheidung zu Art. 8 Nr. 1 EuGVVO . . . 150 (2) Berücksichtigungsfähigkeit im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO 151 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5. Rezeption durch BGH VI ZR 618/15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Sachverhalt und erstinstanzliche Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 b) Die Berufungsentscheidung des OLG Stuttgart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 c) Die Revisionsentscheidung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 d) Bedenken gegen die Annahme eines acte éclairé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des autonomen deutschen Zuständigkeitsrechts

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I. Vorüberlegung zu den Unterschieden zwischen autonomem und europäischem Deliktsgerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. § 32 ZPO als doppelfunktionale Zuständigkeitsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. § 32 ZPO als einseitige Regelung der internationalen Zuständigkeit . . . . . . . . 159 3. Fehlen eines Gerichtsstands der Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 II. Verdeckte Begründung eines unerwünschten Mehrparteiengerichtsstands? . . . . . . 161 1. Historische Entscheidung gegen einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft 162 2. Rückschlüsse auf die Auslegung des § 32 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

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Inhaltsverzeichnis III. Rückgriff auf den materiell-rechtlichen § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB . . . . . . . . 163 1. Dogmatische Präzisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Gesetzessystematische Berücksichtigung von § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB 165 a) Zur Ratio der materiell-rechtlichen Mehrpersonenhaftung . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Gemeinsame Verantwortlichkeit gemäß § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB 167 bb) Konkretisierung durch § 840 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 cc) Normative Rechtfertigung der verschärften Haftung . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Übertragbarkeit des Rechtsgedankens auf die Zuständigkeitsebene . . . . . . . 170 aa) Abgleich mit den Wertungsgrundlagen des Zuständigkeitsrechts . . . . . . 170 bb) Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen als Gegeneinwand . . . . 171 cc) § 830 Abs. 2 BGB als Argument gegen eine Handlungsortzurechnung

172

c) Erstes Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 IV. Zuständigkeitsrechtliche Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der Sach- und Beweisnähe . . . . . . . . . . 173 a) Wertungsparallele zu Fällen der Alleintäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Einteilung in drei Grundkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Ansätze für ein originär zuständigkeitsrechtliches Zurechnungsmodell . . . . . . 176 a) Allseitige Zurechnung des deliktischen Handlungsschwerpunkts . . . . . . . . . 176 b) Zurechnung der Orte täterschaftlicher Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 c) Abwägung zwischen fehlender und überschießender Zurechnung . . . . . . . . 179 aa) Ebene der örtlichen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 bb) Ebene der internationalen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (1) Abweichende Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (2) Systematische Untermauerung der gespaltenen Auslegung . . . . . . . 183 (a) Wertungsparallele zu § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (b) Wertungsparallele zu § 33 ZPO im Falle der streitgenössischen Drittwiderklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 V. Kurzer Blick auf zwei Parallelprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Handlungsortzurechnung in Anlehnung an § 831 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . 187 a) Ungeeignetheit der eigenhändigen Auswahl- und Überwachungstätigkeiten 187 b) Rechtfertigung der Gerichtspflicht am Ort des Gehilfenhandelns . . . . . . . . . 188 2. Zurechnung der Handlungen von Gesellschaftsorganen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 I. Darstellung und Bewertung zentraler Argumentationsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Im Schrifttum geäußerte Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Konkurrenzverhältnis zu Art. 8 Nr. 1 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 b) Drohende Zuständigkeitsvervielfältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 c) Verschärfte Gefahr der Zuständigkeitserschleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 d) Vermehrte Anwendung ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Inhaltsverzeichnis

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2. Versuche einer zuständigkeitsrechtlichen Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Grundsatz des effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 b) Potentielle Beweisbedürftigkeit fremder Tatbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 aa) Grobeinteilung in drei Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 bb) Schwache Ausprägung der gegebenen Beweisnähe . . . . . . . . . . . . . . . . 198 c) Begünstigung einer einheitlichen Verhandlung und Entscheidung . . . . . . . . 199 aa) Fehlende teleologische Verankerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 bb) Jedenfalls geringes teleologisches Gewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 d) Fehlende Schutzbedürftigkeit unter Gesichtspunkten der Vorhersehbarkeit 201 aa) Keine generelle Vorhersehbarkeit kraft gemeinsamen Tatplans . . . . . . . 202 bb) Binnenmarktfunktionale Betrachtung am Beispiel der Entscheidungstrilogie des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (1) Vorhersehbarkeit des zugerechneten Handlungsorts im Fall Melzer 203 (2) Abweichende Bewertung der Rechtssachen Hi Hotel und Coty Germany . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 e) Wertungsparallele zu Fällen der Alleintäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3. Versuche einer Rechtfertigung mit zuständigkeitsfremden Erwägungen . . . . . . 205 a) Handlungszurechnung als Abbild sachrechtlicher Haftungsregeln . . . . . . . . 205 aa) Solidarhaftung gemäß Art. VI.-4:102 DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Solidarhaftung gemäß Art. 9:101 Abs. 1 lit. a PETL . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Drohende Lücken des prozessualen Anlegerschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 c) Zuständigkeitsfremder Charakter der Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 4. Zusammenführende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Verschärfte Durchbrechung des Grundsatzes actor sequitur forum rei . . . . . 211 b) Zuständigkeitsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 c) Materiell-rechtliche Überlagerung des zuständigkeitsrechtlichen Interessenausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 II. Ansätze zur Identifikation der zurechnungsfähigen Tatbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Materiell-rechtlich inspirierte Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Rückgriff auf Zurechnungsregeln der lex causae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 aa) Keine Beseitigung der zentralen zuständigkeitsrechtlichen Bedenken 218 bb) Folgewirkungen auf Ebene der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 cc) Drohende Überfrachtung der Zuständigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . 219 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Orientierung an den Zurechnungsvoraussetzungen des DCFR und der PETL 220 c) Zurechnung im Falle bewusster und gewollter Kooperation . . . . . . . . . . . . . 221

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Inhaltsverzeichnis 2. Ansätze für eine zuständigkeitsrechtliche Begrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 a) Normative Eingrenzung des zuständigkeitsrechtlichen Handlungsortbegriffs 223 b) Beschränkung auf die Orte täterschaftlicher Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . 224 c) Einseitige Zurechnung des deliktischen Handlungsschwerpunkts . . . . . . . . . 226 aa) Kongruenz mit der sonstigen Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . 226 bb) Verbleibende Kritikpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 d) Folgerungen für die weitere Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3. Skizze eines deliktstypenorientierten Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Verankerung in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Vorzüge einer deliktsspezifischen Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 c) Deliktsspezifische Zurechnung am Beispiel von Kapitalanlagedelikten . . . . 232 aa) Betrugs- und betrugsähnliche Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Untreue und untreueartige Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 cc) Aufsichtsrechtlich unzulässige Finanzdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . 235 III. Kurzer Blick auf die Parallelfälle der Haftung für Verrichtungsgehilfen und Gesellschaftsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Haftung des Geschäftsherrn für Deliktshandlungen eines Gehilfen . . . . . . . . . . 236 2. Haftung von Gesellschaften für Deliktshandlungen ihrer Organe . . . . . . . . . . . 238

Thesenartige Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. F. Abs. AEUV AG AGG Anm. AcP Art. Aufl. BeckOGK BeckOK Begr. BerDGV Beschl. BG BGB BGE BGH BKR BVerfG bzw. DCFR ders. e. V. ECPIL Ed. EGBGB Einl. EMRK EuBewVO

andere Ansicht alte Fassung Absatz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesellschaft Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Anmerkung Archiv für die civilistische Praxis Artikel Auflage beck-online.GROßKOMMENTAR Beck’scher Onlinekommentar Begründer Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Beschluss Schweizerisches Bundesgericht Bürgerliches Gesetzbuch Amtliche Sammlung der Leitentscheide des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesverfassungsgericht beziehungsweise Draft Common Frame of Reference Derselbe eingetragener Verein European commentaries on private international law Edition Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen EuGH Europäischer Gerichtshof EuGRCh Charta der Grundrechte der Europäischen Union EuGVVO Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGVVO a. F. Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

16 EuGVÜ EuIPR EL EuR EUV EuZA EuZPR EuZVR EuZW EWiR f. FamFG FIW ff. Fn. FS GA GPR grds. GRUR GVG GWR HBÜ Hrsg. i. E. IPRax JA JBl JuS JZ KapMuG Kl. KölnKomm LG LMK LugÜ m. w. N. MMR MüKo NJOZ NJW NJW-RR Nr.

Abkürzungsverzeichnis Übereinkommen von Brüssel von 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäisches Internationales Privatrecht Ergänzungslieferung Zeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Europäisches Zivilprozessrecht Europäisches Zivilverfahrensrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb e. V. folgende Fußnote Festschrift Generalanwalt Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gerichtsverfassungsgesetz Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 18. März 1970 Herausgeber im Ergebnis Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter Juristische Schulung Juristen Zeitung Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten Kläger Kölner Kommentar Landgericht Beck-Fachnachrichtendienst „Zivilrecht – LMK“ Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, abgeschlossen in Lugano am 30. Oktober 2007 mit weiteren Nachweisen Zeitschrift für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht Münchener Kommentar Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Nummer

Abkürzungsverzeichnis NStZ NStZ-RR NZG NZKart ÖBA OGH OLG PETL Prospekt-VO

RabelsZ RIW Rom II - VO Rn. Rs. S. sog. StGB u. a. Urt. v. vgl. WiSt WM WuW ZBB ZEuP ZfPW ZfRV ZGR ZHR ZIP ZPO ZRP ZVerglRWiss ZZP

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Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ Rechtsprechungsreport Strafrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Kartellrecht Österreichisches Bankarchiv Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberlandesgericht Principles of European Tort Law Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Internationalen Wirtschaft Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Randnummer Rechtssache Satz/Seite sogenannt Strafgesetzbuch und andere Urteil von vergleiche Wirtschaftswissenschaftliches Studium Wertpapier-Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Wirtschaft und Wettbewerb Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess

Einleitung A. Problemeinführung Wie kaum ein anderer Rechtsbereich haben Klagen geschädigter Kapitalanleger in der jüngeren Vergangenheit die Gerichte verschiedenster europäischer Staaten durch aufsehenerregende und umfangreiche Prozessserien in Atem gehalten. Auch abseits medial bekannt gewordener Fälle wie den Klagewellen gegen Volkswagen und Porsche wegen des sogenannten Abgasskandals,1 prospekthaftungsrechtlichen Streitigkeiten anlässlich der Börsengänge der Deutschen Telekom AG2 und vermeintlichen Ad-hoc-Pflichtverletzungen der DaimlerChrysler AG wegen des Ausscheidens ihres ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Schrempp3 erweisen sich derartige Rechtsstreitigkeiten nicht zuletzt wegen ihrer oftmals grenzüberschreitenden Bezüge als besonders komplex. Einen wiederkehrenden Streitpunkt bildet die internationale Zuständigkeitsfrage.4 Denn aus Sicht geschädigter Anleger ist es von höchstem Interesse, Schadensersatzansprüche innerhalb des eigenen Wohnsitzstaats einklagen zu können und nicht auf eine Klage am Sitz des Finanzdienstleisters verwiesen zu werden. Die bekannte Justiz des eigenen Wohnsitzstaats genießt nicht nur besonderes Vertrauen.5 Wohnsitznahe Klagemöglichkeiten vereinfachen die Rechtsdurchsetzung auch deshalb erheblich, weil der klagende Anleger der Gerichtssprache mächtig ist, auf seinen vertrauten Anwalt zurückgreifen kann und zudem nicht mit den Unwägbarkeiten eines ausländischen Kollisions- und Pro1 LG Braunschweig, Vorlagebeschl. v. 5. 8. 2016 – 5 OH 62/16, WM 2016, 2019 ff.; LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 2. 2017 – 22 AR 1/17 Kap, WM 2017, 1451 ff.; LG Stuttgart, Urt. v. 24. 10. 2018 – 22 O 101/16, WM 2019, 463 ff.; OGH, Beschl. v. 7. 7. 2017 – 6 Ob 18/17 s, IPRax 2018, 96 ff.; OLG Braunschweig, Beschl. v. 12. 8. 2019 – 3 Kap 1/16, NJW-RR 2019, 1400 ff.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 29. 10. 2019 – 1 U 204/18, BeckRS 2019, 26186. 2 BGH, Beschl. v. 22. 11. 2016 – XI ZB 9/13, NZG 2017, 378 ff.; BGH, Beschl. v. 21. 10. 2014 – XI ZB 12/12, NJW 2015, 236 ff.; OLG Frankfurt, Beschl. v. 30. 11. 2016 – 23 Kap 1/06, NJOZ 2017, 1391 ff.; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 16. 5. 2012 – 23 Kap 1/06; NZG 2012, 747 ff.; vgl. hierzu Mankowski, EWiR 2018, 31, 31 f.; Zoller, GWR 2017, 215, 215 ff. 3 OLG Stuttgart, Beschl. v. 15. 2. 2007 – 901 Kap 1/06, NZG 2007, 352 ff.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 22. 4. 2009 – 20 Kap 1/08, NZG 2009, 624 ff.; EuGH, Urt. v. 28. 6. 2012, Rs. C-19/11, EuZW 2012, 708 ff. – Geltl; BGH, Urt. v. 23. 4. 2013 – II ZB 7/09, NZG 2013, 708 ff.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 16. 11. 2016 – 20 Kap 1/08, BeckRS 2016, 115906; vgl. hierzu Klöhn, ZIP 2012, 1885 ff. 4 Thole, ZBB 2011, 399, 399; Thole, AG 2013, 73, 73 ff.; Thole, AG 2013, 913, 913. 5 Vgl. Müller-Froelich, Der Gerichtsstand der Niederlassung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 2008, S. 59 f.; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 251; Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018, S. 6.

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Einleitung

zessrechts konfrontiert wird.6 Klagen im Ausland sind demgegenüber mit einer nicht zu unterschätzenden Hemmschwelle verbunden, die in Kombination mit der Anwendbarkeit eines ausländischen, dem Anleger unbekannten Kollisions- und Sachrechts einen faktischen „Haftungsschild des Finanzdienstleisters gegenüber seinen Kunden“ bilden kann.7 Spätestens seit der Kronhofer-Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 20048 steht der Erfolgsortgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion und hat sich angesichts der Vielzahl von Finanzinstrumenten und Anlageformen sowie der notorischen Schwierigkeit einer Lokalisierung primärer Vermögensschäden als chronischer Problemfall erwiesen.9 Hingegen wird der Gerichtsstand am Handlungsort in Anbetracht seines vermeintlich „faktischen Charakters“10 gemeinhin als weniger problemträchtige Komponente des Ubiquitätsprinzips angesehen und seiner Dogmatik in Rechtsprechung und Schrifttum eher geringe Aufmerksamkeit geschenkt.11 Der Gerichtsstand am Handlungsort bietet geschädigten Kapitalanlegern jedoch eine attraktive Option. Nicht nur wird er oftmals einfacher zu identifizieren sein als der normativ geprägte Erfolgsort und ist daher in geringerem Maße mit dem Risiko einer Klageabweisung aus Zuständigkeitsgründen behaftet.12 Da sich transnationale Kapitalanlagedelikte nicht selten dadurch auszeichnen, dass zumindest ein Anlageberater oder Vermögensverwalter am Wohnsitz des Anlegers tätig wird, kommt der Handlungsort in derartigen Fällen zudem oftmals einem Klägergerichtsstand gleich.

6 Zu den Vorteilen eines Gerichtsstands im Staat des eigenen Wohnsitzes vgl. Mankowski, IPRax 2006, 454, 456 f.; Messinger, Rechtsunsicherheiten bei internationalen elektronischen Handelsgeschäften, 2014, S. 93 f.; Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 4 ff. 7 So ausdrücklich Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 459. 8 EuGH, Urt. v. 10. 6. 2004, Rs. C-168/02, NJW 2004, 2441, 2442 – Kronhofer, Rn. 11 ff. 9 EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015, Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1584 – Kolassa, Rn. 50 ff.; EuGH, Urt. v. 16. 6. 2016, Rs. C-12/15, NJW 2016, 2167, 2168 f. – Universal Music, Rn. 21 ff.; EuGH, Urt. v. 12. 9. 2018, Rs. C-304/17, EuZW 2018, 998, 999 – Löber, Rn. 17 ff.; EuGH, Urt. v. 9. 7. 2020, Rs. C-343/19, BeckRS 2020, 15180 – Verein für Konsumenteninformation, Rn. 34 ff.; BGH, Urt. v. 13. 7. 2010 – XI ZR 28/09, NZG 2011, 69, 72; Bachmann, IPRax 2007, 77, 81 f.; Freitag, WM 2015, 1165, 1167 ff.; Engel, Internationales Kapitalmarktdeliktsrecht, 2019, S. 188 ff.; von Hein, IPRax 2005, 17 ff.; von Hein, JZ 2015, 946, 948 ff.; Lehmann, Journal of Private International Law 2016, 318, 329 ff.; Mankowski, RIW 2005, 561, 561 ff.; Oberhammer, Jbl 140 (2018), 750, 750 ff.; Roth, in: FS Kronke, 2020, 471, 471 ff.; Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 715 ff.; Thiede/Lorscheider, EuZW 2019, 274, 277 ff.; Thole, AG 2013, 73, 74 f.; Thole, AG 2013, 913, 915 f.; Thole, in: Lehmanns/Zetzsche, Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen, 2018, § 2 Rn. 30 ff.; Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 61 ff. 10 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 19a. 11 Vgl. hierzu Kontogeorgou, Das IPR der Kapitalmarktdelikte, 2018, S. 139; Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 432 f.; Thole, in: Lehmanns/Zetzsche, Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen, 2018, § 2 Rn. 29, 41. 12 Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 430.

A. Problemeinführung

21

Die Lokalisierung des Handlungsortgerichtsstands wird dadurch verkompliziert, dass Finanzprodukte zumeist arbeitsteilig über eine mehrgliedrige Kette aus Anlagevermittlern, Vermögensverwaltern, Brokerhäusern, Depotbanken und sonstigen Intermediären transnational vertrieben werden und neben dem lokalen, am Wohnsitz des Anlegers handelnden Vermittler daher weitere Akteure in Vermittlung und Abwicklung verlustträchtiger Kapitalanlagen involviert sind.13 Unter den Voraussetzungen des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB müssen sich derartige Finanzdienstleister das deliktische Handeln des am Anlegerwohnsitz handelnden Vermittlers zurechnen lassen und haften als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen neben diesem gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz.14 Erweist sich der ortsansässige Anlagevermittler als zahlungsunfähig, so bleibt dem geschädigten Anleger nichts anderes übrig, als seine Schadensersatzansprüche gegen den mithaftenden auslandsansässigen Broker geltend zu machen.15 Dass Klagen deutscher Anleger gegen auslandsansässige Broker die Rechtsprechung in den verschiedensten Spielarten beschäftigt haben, überrascht vor diesem Hintergrund kaum. Verbreitet sind nicht nur Fälle des Kapitalanlagebetrugs sowie der unzureichenden Aufklärung über Risiken und Rückvergütungen,16 sondern etwa auch Fälle der Vermittlung aussichtsloser Termin- und Optionsgeschäfte17 sowie der Gebührenschinderei durch oftmaliges gebührenpflichtiges Umschichten des Depots.18 Aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht werfen derartige Klagen die Problematik auf, ob das auslandsansässige Brokerhaus am Ort der Deliktshandlung des Vermittlers verklagt werden kann. Anders gewendet stellt sich die „zuständigkeitsrechtliche Grundfrage“,19 ob die Tatbeiträge in Anlehnung an die Zurechnungsregeln des 13

Thiede/Sommer, ÖBA 2015, 175, 175. Vgl. etwa BGH, Urt. v. 6. 2. 1990 – XI ZR 184/88, NJW-RR 1990, 604, 605; BGH, Urt. v. 13. 7. 2004 – VI ZR 136/03, NJW 2004, 3423, 3425; BGH, Urt. v. 25. 1. 2011 @ XI ZR 195/08, NJW-RR 2011, 1193, 1195 f.; BGH, Urt. v. 13. 7. 2010 – XI ZR 28/09, NJW-RR 2011, 197, 200 f.; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 128, 130, 137. 15 Vgl. von Hein, EuZW 2011, 369, 370; Weller, WM 2013, 1681, 1681. 16 Vgl. etwa BGH, Urt. v. 16. 2. 1981 – II ZR 179/80, NJW 1981, 1266, 1266 f.; BGH, Urt. v. 11. 7. 1988 – II ZR 355/87, NJW 1988, 2882, 2882 f.; BGH, Urt. v. 28. 2. 1989 – XI ZR 70/88, ZIP 1989, 830, 832; BGH, Urt. v. 6. 2. 1990 – XI ZR 184/88, NJW-RR 1990, 604, 605; BGH, Urt. v. 13. 7. 2004 – VI ZR 136/03, NJW 2004, 3423, 3424 f.; BayObLG, Beschl. v. 22. 1. 2004 – 1Z AR 4/04, NJOZ 2004, 2528, 2528 f.; LG Düsseldorf Urt. v. 29. 7. 2008 – 8 O 418/07, BeckRS 2010, 6232. 17 Vgl. statt aller BGH, Urt. v. 9. 3. 2010 – XI ZR 93/09, NZG 2010, 550, 551; BGH, Urt. v. 8. 6. 2010 @ XI ZR 349/08, NJW-RR 2011, 548, 550 f.; BGH, Urt. v. 13. 7. 2010 – XI ZR 28/09, NJW-RR 2011, 197, 200; BGH, Urt. v. 25. 1. 2011 @ XI ZR 195/08, NJW-RR 2011, 1193, 1194 f.; vgl. hierzu Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 460; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 133 ff. (m. w. N.). 18 BGH, Urt. v. 22. 11. 1994 – XI ZR 45/91, NJW 1995, 1225, 1225 ff.; BGH, Urt. v. 23. 9. 1999 – III ZR 214/98, NJW-RR 2000, 51, 52; BGH, Urt. v. 13. 7. 2004 – VI ZR 136/03, NJW 2004, 3423, 3424 f.; BGH, Urt. v. 15. 11. 2011 – XI ZR 54/09, BKR 2012, 78, 83; Barta, BKR 2004, 433, 433 ff.; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 130 (jeweils m. w. N.). 19 So wörtlich Weller, WM 2013, 1681, 1681. 14

22

Einleitung

materiellen Deliktsrechts auch zuständigkeitsrechtlich zuzurechnen sind und ein Deliktsbeteiligter daher nicht nur am Ort seines eigenen Tatbeitrags, sondern auch am Handlungsort eines präsumtiven Mittäters oder Teilnehmers gerichtspflichtig ist. Im Rahmen des autonomen Deliktsgerichtsstands des § 32 ZPO bejaht der BGH eine wechselseitige Handlungsortzurechnung zwischen den Tätern und Teilnehmern in ständiger Rechtsprechung.20 Sämtliche Deliktsbeteiligten sind in Anlehnung an § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB bereits dann innerhalb Deutschlands gerichtspflichtig, wenn einer von ihnen seinen Tatbeitrag im Bundesgebiet erbracht hat. Hingegen legt der EuGH den europäischen Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO weit weniger klägerfreundlich aus und ist einer gerichtsstandbegründenden Zurechnung fremder Handlungsorte in der Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany kategorisch entgegengetreten.21 Zwischen dem autonomen deutschen und dem europäischen Tatortgerichtsstand zeigt sich mithin eine augenfällige Diskrepanz. Das autonome deutsche Zuständigkeitsrecht bietet gegenüber drittstaatenansässigen Finanzdienstleistern einen prozessualen Anlegerschutz, welcher das Schutzniveau des europäischen Zuständigkeitsrechts klar übersteigt. Auf Ebene des europäischen Tatortgerichtsstands scheint die Rechtsentwicklung ihren Abschluss indes noch nicht gefunden zu haben. Nicht nur ist die restriktive Haltung des EuGH im Schrifttum auf erhebliche Kritik gestoßen.22 In der Rechtssache CDC ist der EuGH vielmehr von dem restriktiven Standpunkt abgerückt und hat eine wechselseitige Handlungsortzurechnung zwischen den Mitgliedern eines Kartells in knappen Worten bejaht.23 Dies gibt Anlass zu einer näheren Betrachtung. 20 BGH, Urt. v. 06. 2. 1990 – XI ZR 184/88, NJW-RR 1990, 604, 604; BGH, Urt. v. 22. 11. 1994 – XI ZR 45/91, NJW 1995, 1225, 1226; BayOblG, Beschl. V. 31. 8. 1995, NJW-RR 1996, 508, 509; OLG Düsseldorf, Urt. v. 6. 3. 2008 – 6 U 109/07, BeckRS 2011, 18578; BGH, Urt. v. 9. 3. 2010 – XI ZR 93/09, NZG 2010, 550, 550; BGH, Urt. v. 8. 6. 2010 @ XI ZR 349/08, NJWRR 2011, 548, 550 f.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 14. 6. 2010 – I-9 U 186/09, BeckRS 2012, 20549; BGH, Urt. v. 25. 1. 2011 @ XI ZR 195/08, NJW-RR 2011, 1193, 1193; BGH, Urt. v. 25. 1. 2011 – XI ZR 350/08, RIW 2011, 321, 323; BGH, Urt. v. 8. 2. 2011 – XI ZR 168/08, NJW-RR 2011, 1188, 1190; OLG München, Urt. v. 17. 11. 2011 @ 29 U 3496/11, NJOZ 2012, 1328, 1330; Nagel/Gottwald, IZPR, 8. Aufl. 2020, § 3 Rn. 355 (1); Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 23. Aufl. 2014, § 32 Rn. 24; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 32 Rn. 17; Thole, ZBB 2011, 399, 400; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 527 f.; kritisch aber Huber, IPRax 2009, 134, 135 f.; Müller, EuZW 2013, 130, 132; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 137; Weller, IPRax 2000, 202, 206 f.; Weller, WM 2013, 1681, 1684. 21 EuGH, Urt. v. 16. 5. 2013, Rs. C-228/11, NJW 2013, 2099, 2100 – Melzer, Rn. 19 ff.; EuGH, Urt. v. 3. 4. 2014, Rs. C-387/12, EuZW 2014, 431, 433 – Hi Hotel, Rn. 31; EuGH, Urt. v. 5. 6. 2014, Rs. C-360/12, EuZW 2014, 664, 666 – Coty Germany, Rn. 50. 22 von Hein, IPRax 2013, 505, 505 ff.; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 282 ff.; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 445 f.; Müller, EuZW 2013, 130, 130 ff.; Thiede/Sommer, ÖBA 2015, 175, 183 ff.; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 529 ff.; Thole, in: Lehmanns/Zetzsche, Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen, 2018, § 2, Rn. 48 ff.; Thole, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Rn. 77 f.; Wagner, EuZW 2013, 544, 546 f.; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 91 ff.; Weller, MW 2013, 1681, 1681 ff. 23 EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 589 f. – CDC, Rn. 47 ff.

C. Gang der Untersuchung

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B. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands Fälle der arbeitsteiligen Deliktsbegehung bilden ein allgemeines, deliktstypenübergreifendes Problem.24 Dennoch ist die Frage nach einer zuständigkeitsrechtlichen Beteiligungsdogmatik vornehmlich im Zusammenhang mit dem arbeitsteiligen Vertrieb von Finanzprodukten diskutiert worden. Auch die vorliegende Arbeit behandelt die Zurechnungsfrage daher exemplarisch am Beispiel der Kooperation mehrerer Finanzdienstleister oder -intermediäre. Andere Deliktstypen werden in die Untersuchung einbezogen, soweit sie für die zuständigkeitsrechtliche Behandlung deliktischer Mehrpersonenverhältnisse im Allgemeinen oder wegen der ergangenen Rechtsprechung von Interesse sind. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Zurechnungsproblematik innerhalb des europäischen Deliktsgerichtsstands. Dennoch kommt die Untersuchung nicht ohne Betrachtung der auf Ebene des autonomen deutschen Zuständigkeitsrechts vorfindlichen Parallelproblematik aus. Die in Bezug auf Art. 7 Nr. 2 EuGVVO geführte Diskussion hat zum Ausgangspunkt, dass deutsche Gerichte die im autonomen Recht etablierten Zurechnungsgrundsätze der Sache nach auf die unionsrechtliche Ebene übertragen und die Zulässigkeit dieser Praxis dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt haben.25 Die im Zusammenhang mit § 32 ZPO sowie § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB etablierte Handlungsortzurechnung bildet den Hintergrund der auf unionsrechtlicher Ebene geführten Paralleldiskussion und fließt als solcher in die Untersuchung ein.

C. Gang der Untersuchung Die Untersuchung behandelt den Problemkreis der gerichtsstandbegründenden Handlungsortzurechnung in drei Kapiteln. In einem ersten Schritt werden die für die Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO maßgebenden Grundlagen des europäischen Zuständigkeitsrechts erarbeitet. Insbesondere wird das eigenständige Wertungssystem des Zuständigkeitsrechts betrachtet, das auf eine angemessene Berücksichtigung der widerstreitenden Zuständigkeitsinteressen von Gericht, Parteien und Forumstaat abzielt und zu den Regelungszielen und Gerechtigkeitsvorstellungen des materiellen Rechts eine gewisse Distanz offenbart. Ausgewählte Zuständigkeitsinteressen wie das hinter Art. 7 Nr. 2 EuGVVO stehende Interessen an einem sach- und beweisnahen Gerichtsstand sowie das Ziel klarer und vorhersehbarer Zuständigkeiten, welche für die vorliegende Untersuchung von besonderer Bedeutung sind, werden in diesem Zusammenhang vertieft behandelt. Auf dieser Grundlage nimmt die Arbeit den in Art. 4 Abs. 1 24

Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 526. Vgl. die Vorlagebeschlüsse LG Düsseldorf, Urt. v. 29. 4. 2011 – 15 O 601/98, RIW 2011, 810, 810 f.; BGH, Beschl. v. 28. 6. 2012 – I ZR 1/11, GRUR 2012, 1065, 1067; BGH, Beschl. v. 28. 6.2012 @ I ZR 35/11, GRUR 2012, 1069, 1070. 25

24

Einleitung

EuGVVO verankerten Grundsatz des actor sequitur forum rei in den Blick. Denn nach ständiger Rechtsprechung des EuGH basiert das europäische Zuständigkeitsrecht auf dem Grundprinzip des Beklagtengerichtsstands. Besondere Gerichtsstände, die zu einer Gerichtspflicht des Beklagten außerhalb seines Wohnsitzstaats führen, werden gegenüber dieser Grundregel als rechtfertigungsbedürftige Ausnahmevorschriften angesehen und von Seiten des EuGH betont eng ausgelegt. In ihrem zweiten Kapitel wendet sich die Arbeit der Zuständigkeit am deliktischen Handlungsort zu. Den Ausgangspunkt bildet die Teleologie des europäischen Deliktsgerichtsstands, die traditionell in der herausgehobenen Sach- und Beweisnähe des Tatorts, mitunter aber auch in einem besonderen zuständigkeitsrechtlichen Schutz des Deliktsopfers gesehen wird. Die Bedeutung dieses Opferschutzwecks wird anhand ausgewählter Judikate des EuGH untersucht. Auf dieser Grundlage nimmt die Arbeit die Lokalisierung des Handlungsortgerichtsstands in den Blick. Während die Identifikation der Handlungsorte einfach strukturierter Delikte keine größeren Schwierigkeiten bereitet, droht im Zusammenhang mit komplexen, mehraktigen Delikten bereits im Bereich der Alleintäterschaft eine Vervielfältigung des Handlungsortgerichtsstands, welche die Gefahr eines forum shopping birgt. In Rechtsprechung und Schrifttum finden sich deshalb Ansätze für eine Eingrenzung auf die Orte zentraler Handlungselemente. Diese werfen die Frage auf, ob sich der Begriff der Deliktshandlung im zuständigkeitsrechtlichen Sinne anhand allgemeingültiger, deliktstypenübergreifender Grundregeln konturieren lässt. Den thematischen Schwerpunkt bildet das dritte Kapitel der Untersuchung, welches dem Fragenkreis der gerichtsstandbegründenden Handlungsortzurechnung nachgeht. Die Arbeit nähert sich dem Problem der prozessualen Handlungsortzurechnung anhand einer Rechtsprechungsanalyse. Vertieft betrachtet werden nicht nur der zurechnungsfeindliche Standpunkt der Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany, sondern auch die weit klägerfreundlichere Auslegung des Handlungsorts in der kartellrechtlichen Entscheidung CDC sowie die Rezeption der restriktiven EuGH-Rechtsprechung durch die deutschen Gerichte. Angesichts der heterogenen Rechtsprechungsgrundsätze wird zunächst die etablierte prozessuale Handlungsortzurechnung innerhalb des § 32 ZPO hinterfragt. Die Analyse des autonomen deutschen Deliktsgerichtsstands dient als Grundlage für die folgende Betrachtung der Zurechnungsfrage auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Hier geht die Arbeit der Frage nach, ob eine zusätzliche Gerichtspflicht der Deliktsbeklagten an den Orten fremder Tatbeiträge mit den Zwecken des Deliktsgerichtsstands oder aber mit Erwägungen des Anlegerschutzes zu rechtfertigen ist. Der Opferschutzgedanke der materiell-rechtlichen Haftungsregeln tritt insoweit in ein Spannungsverhältnis zu den autonomen, von der Offenheit der Sach- und Rechtslage geprägten Wertungen des Zuständigkeitsrechts. Vor dem Hintergrund dieses Spannungsverhältnisses werden die verschiedenen Modelle, die im Schrifttum zur Bestimmung der zurechnungsfähigen Handlungsorte diskutiert worden sind, einer kritischen Prüfung unterzogen. Untersucht wird insbesondere, ob sich aus den Deliktsrechten der Mitgliedstaaten eine konsensfähige Zurechnungsregel ableiten lässt, die mutatis

C. Gang der Untersuchung

25

mutandis auf die Zuständigkeitsebene übertragen werden kann. Insoweit werden die Modellregeln der Principles of European Tort Law (PETL) sowie insbesondere des Draft Common Frame of Reference (DCFR) zugrunde gelegt, die als Ergebnis langjähriger rechtsvergleichender Forschungstätigkeit hochrangiger Expertenkommissionen belastbare Rückschlüsse auf den Besitzstand des europäischen Privatrechts erlauben. Die Untersuchung schließt mit einer thesenartigen Zusammenfassung der gefunden Ergebnisse.

Kapitel 1

Wertungsgrundlagen Die internationale Zuständigkeit entscheidet sowohl über das anwendbare Kollisions- und Prozessrecht als auch über die faktischen Belastungen der Prozessführung in einem fremden Staat. Über die Frage nach dem Prozessort hinaus determiniert sie somit Faktoren, die sich maßgeblich auf die gerichtliche Entscheidung in der Sache auswirken können. Angesichts seiner erheblichen Bedeutung für die Rechtsschutzinteressen der Parteien sowie für staatliche Ordnungsinteressen erschöpft sich das europäische Zuständigkeitsrecht nicht in formalen Zweckmäßigkeitsbestimmungen, sondern ist Ausdruck tiefergreifender prozessualer Gerechtigkeitsvorstellungen.1 Die allgemeinen Lehren und Wertungsgrundlagen, auf die im Verlauf der nachfolgenden Analyse des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zurückgegriffen wird, zieht die Untersuchung in ihrem ersten Kapitel vor die Klammer.

A. Eigenständigkeit des zuständigkeitsrechtlichen Wertungssystems Das Verfahrensrecht dient dem Schutz und der Durchsetzung subjektiver Rechte,2 steht zugleich aber vor dem Hintergrund einer offenen materiellen Sach- und Rechtslage und ist daher von Natur aus auf Ungewissheit ausgelegt.3 Welche Partei materiell im Recht ist, steht aus Sicht des Prozessrechts nicht fest, sondern soll ergebnisoffen geklärt werden. Das Verfahrensrecht knüpft an eine zwischen den Parteien umstrittene und deshalb unklare Rechtslage an, die es im Wege eines kontradiktorischen Verfahrens der gerichtlichen Klärung zuführt.4 Nach der erstmals von Ekkehard Schumann formulierten Lehre vom offenen Prozesszweck bleibt 1

Geimer, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 1126; Pfeiffer, in: Canaris u. a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band III, 2000, 617, 619; Pfeiffer, in: FS Kirchhof, Band II, 2013, § 121 Rn. 15. 2 Vgl. nur Gaul AcP 168 (1968), 27, 38 f.; Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140, 147; Jurczyk, Materialisierung des Zivilverfahrensrechts, 2019, S. 21 f.; Münch, in: Bruns/Münch/Stadler (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses, 2014, S. 5, 11 ff.; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Einl. Rn. 5; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 238 ff.; Rauscher, in: MüKo, ZPO, 6. Aufl. 2020, Einl. Rn. 8; Roth, JZ 2016, 1134, 1139; Roth, ZfPW 2017, 129, 132 f.; Zöllner, AcP 190 (1990), 471, 476. 3 Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140, 146 f. 4 Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140, 146 f.

A. Eigenständigkeit des zuständigkeitsrechtlichen Wertungssystems

27

dahingestellt, welche subjektiven Rechte im konkreten Fall geschützt werden.5 Offen bleibt insbesondere, ob im Einzelfall zugunsten des Klägers oder zugunsten des Beklagten gerichtlicher Rechtsschutz gewährt wird. Denn genau wie der Kläger die Durchsetzung eines ihm zustehenden Rechts begehrt, streitet auch der Beklagte, der durch eine unberechtigte Vollstreckung in Freiheit und Eigentum beeinträchtigt zu werden droht, um den Schutz seiner subjektiven Rechte.6 Die Offenheit der Sach- und Rechtslage spiegelt sich auf Ebene des Verfahrensrechts in Form einer formalen, gegenüber materiell-rechtlichen Wertungen neutralen Gleichbehandlung der Parteien wider. Das Zivilverfahren gewährleistet eine der materiellen Rechtslage entsprechende Sachentscheidung, indem es den Beklagten in gleichem Maße vor einer unberechtigten Verurteilung schützt, wie es dem Kläger die effektive Durchsetzung seiner Rechte ermöglicht. Die verfahrensrechtliche Gleichbehandlung beider Parteien verhindert, dass das Verfahrensergebnis auf prozessrechtlicher Ebene in die eine oder in die andere Richtung präjudiziert wird.7

I. Modell der autonomen Zuständigkeitsgerechtigkeit Wegen ihrer erheblichen Bedeutung für die Rechtsschutzziele der Parteien sowie staatliche Regulierungsinteressen lässt sich die internationale Zuständigkeit nicht auf eine reine Zweckmäßigkeitsfrage reduzieren.8 Ebenso wenig bezweckt das internationale Zuständigkeitsrecht traditioneller Prägung die Abbildung politischer oder materiell-rechtlicher Regelungsziele. Ähnlich dem materiell ergebnisblinden, am Prinzip der engsten Verbindung orientierten Kollisionsrecht nach Savigny fungiert es nicht etwa als Spiegel sachrechtlicher Wertungen und Gerechtigkeitsvorstellungen, sondern basiert auf einem eigenen, aus dem rechtsstaatlichen Charakter des Verfahrens abgeleiteten Gerechtigkeitsideal.9 Dieses zuständigkeitsrechtliche Wertungssystem hat insbesondere Pfeiffer unter dem Schlagwort der autonomen Zuständigkeitsgerechtigkeit aus den widerstreitenden Justizgewährungsansprüchen der Parteien rekonstruiert.10 Einerseits gewährleistet der Justizgewährungsanspruch dem Kläger den lückenlosen Zugang zu einem gesetzlich vorbestimmten staatlichen Gericht sowie die Verfahrenserledigung durch ein endgültiges, verbindliches und

5 Grundlegend Schumann, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 20. Aufl. 1984, Einl. Rn. 520; vgl. auch Jurczyk, Materialisierung des Zivilverfahrensrechts, 2019, S. 22 f.; Roth, JZ 2016, 1134, 1139; Roth, ZfPW 2017, 129, 137 f. 6 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 242 f. 7 Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140, 147; Jurczyk, Materialisierung des Zivilverfahrensrechts, 2019, S. 22 f.; Roth, JZ 2016, 1134, 1139; Roth, ZfPW 2017, 129, 137. 8 Pfeiffer, in: Canaris u. a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band III, 2000, 617, 619; Pfeiffer, in: FS Kirchhof, Band II, 2013, § 121 Rn. 15. 9 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 199 ff. 10 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 199 ff.

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

effektiv durchsetzbares Urteil.11 Andererseits hat auch der Beklagte einen Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, welcher die Gerichtspflicht im Ausland als rechtfertigungsbedürftigen Eingriff erscheinen lässt und unzumutbare oder gänzlich beziehungsarme, exorbitante Zuständigkeiten verbietet.12 Vor dem Hintergrund der beiderseitigen Justizgewährungsansprüche zielt das internationale Zuständigkeitsrecht auf einen Ausgleich zwischen dem Recht des Klägers auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und dem Schutz des Beklagten vor ausufernder fremdstaatlicher Gerichtsgewalt.13 Gegenüber dem materiellen Recht verhält sich das internationale Zuständigkeitsrecht dagegen grundsätzlich neutral.14 Es nimmt allein die Frage nach dem Prozessort in den Blick und zielt insoweit auf einen Interessenausgleich, der von rechtspolitischen Steuerungszielen, materiell-rechtlichen Schutzwürdigkeitserwägungen sowie Gegenstand und Zweck des streitgegenständlichen Anspruchs unabhängig ist.15

II. Tendenz zur Materialisierung Ähnlich dem europäischen Kollisionsrecht, dem mitunter eine schleichende Abkehr vom traditionellen Prinzip der engsten Verbindung sowie eine zunehmende Ausrichtung auf materiell-rechtlich determinierte Regelungsziele bescheinigt wird,16 wird auch Zuständigkeitsrecht in jüngerer Vergangenheit eine zunehmende Tendenz zur Materialisierung attestiert.17 Im zuständigkeitsrechtlichen Kontext umschreibt der Begriff der Materialisierung den Befund, dass die Gerichtsstandbestimmungen nicht mehr alleine an dem Ideal der autonomen Zuständigkeitsgerechtigkeit ausgerichtet, sondern die grundsätzliche Distanz zwischen zuständig11

Vgl. hierzu Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 356 ff. 12 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 577 ff. 13 Pfeiffer, in: Canaris u. a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band III, 2000, 617, 621 f. 14 Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005, S. 68 f.; Weller, ZVglRWiss 112 (2013), 89, 93. 15 Pfeiffer, in: FS Kirchhof, Band II, 2013, § 121 Rn. 15; Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005, S. 68; Weller, ZVglRWiss 112 (2013), 89, 93; vgl. auch Heinze, JZ 2011, 709, 716 („vom materiellen Gegenstand unabhängige, ,trans-substantive‘ und deshalb im Wesentlichen für alle Verfahren einheitliche Zweckmäßigkeitsnormen.“). 16 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 2018, S. 186 ff.; M.P. Weller, IPRax 2011, 429, 429 ff.; M.P. Weller, RabelsZ 81 (2017), 748, 758 f.; vgl. hierzu eingehend von Hein, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 40 ff. 17 Heinze, EuZW 2011, 947, 950; Heinze, JZ 2011, 709, 715 f.; Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 522 ff.; Jurczyk, Materialisierung des Zivilverfahrensrechts, 2019 S. 1 ff.; Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, 2019, S. 55 ff.; Pfeiffer, in: Canaris u. a. (Hrsg.), 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft, Band III, 2000, S. 617 ff.; Wagner, ZEuP 2008, 6, 13 ff.

B. Binnenmarktbezug des europäischen Zivilprozessrechts

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keits- und sachrechtlichen Wertungen aufgegeben und das Zuständigkeitsrecht zur Durchsetzung materiell-rechtlicher Normzwecke oder regulativer Steuerungsanliegen instrumentalisiert wird.18 Aus dem autonomen deutschen Zuständigkeitsrecht wird nicht zuletzt der Gerichtsstand für Haustürgeschäfte gemäß § 29c Abs. 1 ZPO auf zuständigkeitsfremde Regelungsziele zurückgeführt.19 Auf Ebene des europäischen Zuständigkeitsrechts werden die Schutzgerichtsstände in Verbraucher-, Versicherungs- und Arbeitsvertragssachen gemäß Art. 10 ff. EuGVVO als Ausdruck materiell-rechtlich determinierter Steuerungsanliegen angesehen.20 Die Tendenz zur Materialisierung von Zuständigkeitsregeln ist indes nicht auf die „sozialpolitisch“21 motivierten Gerichtsstände zum Schutz der strukturell schwächeren Vertragspartei beschränkt. Im außervertraglichen Bereich wird dem EuGH die Tendenz attestiert, den Geschädigten bestimmter Deliktstypen durch betont klägerfreundliche Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO besonders günstige Klagemöglichkeiten zu eröffnen.22 Insbesondere betrifft dies die Lokalisierung des Erfolgsortgerichtsstands für über das Internet vermittelte Pressedelikte in der Rechtssache eDate Advertising sowie die Lokalisierung des Erfolgsortgerichtsstands in der kartellrechtlichen CDCEntscheidung.23 Die klägerfreundlichen Judikate werden aus rein zuständigkeitsrechtlicher Sicht für nicht erklärbar gehalten und daher auf eine Berücksichtigung materiell-rechtlicher Wertungen zurückgeführt.24 Auf die somit angesprochene Tendenz zur Materialisierung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO durch die Rechtsprechung des EuGH wird im Verlauf der Untersuchung zurückzukommen sein.25

B. Binnenmarktbezug des europäischen Zivilprozessrechts Das europäische Zivilprozessrecht steht in funktionalem Zusammenhang mit der Integration des europäischen Rechts- und Wirtschaftslebens, der Verwirklichung der 18 Zum Begriff der Materialisierung Jurczyk, Materialisierung des Zivilverfahrensrechts, 2019, S. 1 ff.; Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, 2019, S. 6 ff.; Pfeiffer, in: Canaris u. a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band III, 2000, 617, 620 f. 19 Vgl. etwa Jurczyk, Materialisierung des Zivilverfahrensrechts, 2019, S. 61 ff.; Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, 2019, S. 105 ff. 20 Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, 2019, S. 154 ff.; differenzierend Jurczyk, Materialisierung des Zivilverfahrensrechts, 2019, S. 71 ff. 21 Bericht von Herrn P. Jenard zu dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 1979, S. 29; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, vor Art. 8 EuGVO Rn. 2. 22 Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 522 ff. 23 Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 523 ff.; vgl. auch Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 100 ff. 24 Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 524 ff. 25 Vgl. Kapitel 2 A. II. 3. b) sowie Kapitel 3 C. I. 4. c).

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

Grundfreiheiten sowie dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts.26 Hinter der Vereinheitlichung der mitgliedstaatlichen Zuständigkeitsregeln steht die Erkenntnis, dass die Attraktivität einer Teilnahme am mitgliedstaatenübergreifenden Rechts- und Wirtschaftsverkehr maßgeblich von der Verfügbarkeit effektiven Rechtsschutzes sowie der Kalkulierbarkeit der Haftungsrisiken abhängt und die voranschreitende Integration der mitgliedstaatlichen Märkte deshalb der parallelen Harmonisierung des Verfahrensrechts bedarf.27 Als Instrument der Binnenmarktintegration garantieren insbesondere die Grundfreiheiten des AEUV die Mobilität von Waren, Dienst- und Arbeitsleistungen sowie von Kapital und fördern somit den mitgliedstaatenübergreifenden Wirtschaftsverkehr.28 Ist die Nutzung der Grundfreiheiten mit Unsicherheiten im Bereich der prozessualen Forderungsdurchsetzung oder mit dem Risiko einer ausufernden Gerichtspflicht verbunden, können weniger riskante Inlandstransaktionen vorzugswürdig erscheinen, was das Ziel der Binnenmarktintegration gefährdet.29 Bereits in ihrer Note vom 22. 10. 1959, welche die Ausarbeitung des EuGVÜ anregte und die Entwicklung des europäisches Zivilprozessrechts in Gang setzte, formulierte die Kommission deshalb: „Ein echter Binnenmarkt zwischen den sechs Staaten wird erst dann verwirklicht sein, wenn ein ausreichender Rechtsschutz gewährleistet ist. Es wären Störungen im Wirtschaftsleben der Gemeinschaft zu befürchten, wenn die sich aus den vielfältigen Rechtsbeziehungen ergebenden Ansprüche nicht erforderlichenfalls auf dem Rechtswege festgestellt und durchgesetzt werden könnten.“30 Die durch den Vertrag von Amsterdam in Art. 61 lit. c, 65 EGV eingeführte Unionskompetenz auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit war daher an die Voraussetzung der Erforderlichkeit unionsrechtlicher Regelungen für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes geknüpft.31 Wenngleich der Binnenmarktbezug durch den Vertrag von Lissabon abgeschwächt wurde, stellt der heutige Kompetenztitel des Art. 81 Abs. 2 AEUV noch immer – nunmehr in Gestalt eines Regelbeispiels – ausdrücklich klar, dass die Unionskompetenz im Bereich der 26

Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 1 Rn. 1.1; Prütting, in: FS Baumgärtel, 1990, 457, 461; Schack in von Hein/Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union, 2016, 279, 285; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 178 ff. 27 Anliker, Internationale Zuständigkeit bei gesellschaftlichen Streitigkeiten im Rechtsrahmen des europäischen Binnenmarktes, 2018, S. 185; Hess, JZ 1998, 1021, 1026; Leible, in: Leible/Terhechte (Hrsg.), Enzyklopädie Europarecht, Band 3, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, 2. Aufl. 2021, § 14 Rn. 35. 28 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 2018, S. 41; Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt, 2007, S. 19 ff. 29 Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 178 f. 30 Verbalnote der Kommission an die Mitgliedstaaten vom 22. 10. 1959; berichtet bei Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 1 Rn. 1.1; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Einl EuGVVO Rn. 14. 31 Vgl. Hausmann in unalex Kommentar Brüssel I-VO, 2012, Einl. Rn. 27 ff.; Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 2018, S. 25 ff.

C. Zu ausgewählten Zuständigkeitsinteressen

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justiziellen Zusammenarbeit insbesondere das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zum Ziel hat.32 Diesen Binnenmarktbezug greift Erwägungsgrund 3 der EuGVVO expressis verbis auf. Ergänzend führt Erwägungsgrund 4 aus, divergierende Zuständigkeitsreglungen der Mitgliedstaaten erschwerten das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und erforderten eine Harmonisierung. Angesichts dieses integrationspolitischen Bezugs hat sich im Schrifttum der Terminus des „Binnenmarktprozess“ etabliert, welcher aus der Ausübung der Grundfreiheiten resultierende privatrechtliche Streitigkeiten umschreibt.33 Neben den grund- und menschenrechtlichen Gewährleistungen der Art. 6 Abs. 1 EMRK, 47 Abs. 2 EUGRCh sind die Grundfreiheiten des AEUV mitunter gar als „oberste Regelungsebene“ des europäischen Zivilprozessrechts bezeichnet worden.34

C. Zu ausgewählten Zuständigkeitsinteressen Verbreitet wird das internationale Zuständigkeitsrecht als Ergebnis einer gesetzgeberischen Bewertung der Zuständigkeitsinteressen von Gericht, Parteien und Forumstaat interpretiert.35 Die Interessenjurisprudenz, anhand derer insbesondere Kegel den Versuch einer Untermauerung und inneren Systematisierung des deutschen Kollisionsrechts unternommen hat,36 hat somit auch in die wissenschaftliche Durchdringung des internationalen Zuständigkeitsrechts Eingang gefunden. Angesichts der strukturellen Parallelen zwischen Kollisions- und Zuständigkeitsrecht, die als Metaordnungen auf die räumliche Zuordnung rechtlicher Verhältnisse zielen, liegt eine entsprechende Interessenanalyse auch auf Ebene des Zuständigkeitsrechts nahe.37 Die Ermittlung und Bewertung der hinter dem gesetzlichen Zuständigkeitsregime stehenden Interessen erhellt Bedeutung und Wirkungsweise einzelner Gerichtsstandbestimmungen im Hinblick auf die betroffenen Interessenträger. Sie dient nicht nur der wertungsmäßigen Untermauerung der bestehenden Kollisions32

Vgl. hierzu Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 2018, S. 26 f. 33 Begriff nach Hess, JZ 1998, 1021, 1021 ff.; Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 1 Rn. 1.18 ff.; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 179. 34 So expressis verbis Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 4 Rn. 4.2. 35 Geimer, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 1126 ff.; Heldrich, in: FS Ficker, 1967, 205, 205 ff.; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, S. 102 ff.; HoffmannNowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, S. 185 ff.; Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 214 ff.; Linke/Hau, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 4 Rn. 4.22 ff.; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 167 ff.; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 250 ff.; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 107 ff. 36 Kegel, in: FS Lewald, 1953, S. 259, 259 ff.; vgl. hierzu Flessner, Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht, 1990, S. 13 ff.; von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 73 ff. 37 Vgl. Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 214 f.

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

und Zuständigkeitsrechtsordnung, sondern erlaubt Rückschlüsse auf die gesetzgeberische Gewichtung der involvierten Belange. Nutzbar machen lassen sich die gewonnen Erkenntnisse in komplexeren oder atypischen Fallkonstellationen, in denen die abstrakt-generellen Zuständigkeitsregeln einer Präzisierung bedürfen. Hier kann die der gesetzlichen Regelung zugrundeliegende Interessenbewertung als auslegungsleitende Wertungsmaxime herangezogen werden und insofern helfen, kohärente Ergebnisse zu erzielen und Wertungswidersprüche zu vermeiden.38

I. Parteinähe Sowohl der Kläger als auch der Beklagte ist typischerweise daran interessiert, den Prozess im Staat seines eigenen Wohnsitzes zu führen.39 Denn eine Prozessführung im Ausland birgt Nachteile, die sich – zumindest im Extremfall – auf den Ausgang des Rechtsstreits auswirken können. Mit der Distanz zwischen Wohnsitz und Gerichtsort steigen sowohl der Zeit- und Kostenaufwand als auch die Säumnisgefahr.40 Oft ist die auslandsansässige Partei weder mit der Gerichtssprache noch mit der lex fori processualis vertraut,41 was die lückenlose Wahrnehmung der verfügbaren Angriffs- oder Verteidigungsmittel erschwert und die Gefahr einer unbeabsichtigten, mit Sanktionen bewährten Verletzung prozessualer Mitwirkungsobliegenheiten erhöht. Nicht ausgeschlossen werden kann zudem eine Voreingenommenheit des Prozessgerichts zugunsten der inländischen Partei (sog. forum bias), welche sich bewusst oder unbewusst auf die ermessensabhängige Verfahrensleitung sowie auf gerichtliche Wertungsentscheidungen auswirken kann.42 Die Prozessführung im Ausland erschwert auch die Inanspruchnahme anwaltlicher Unterstützung. Regelmäßig verfügt der angestammte Rechtsbeistand weder über Kenntnisse des ausländischen Justizsystems noch über eine ausländische Zulassung.43 Dadurch wird seine Zuverlässigkeit geschwächt und die Vergleichsbereitschaft im vorprozessualen

38 Flessner, Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht, 1990, S. 14 f.; Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 214. 39 Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, S. 223 f.; Heldrich, in: FS Ficker, 1967, 205, 207; Müller-Froelich, Der Gerichtsstand der Niederlassung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 2008, S. 59; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 168 f.; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 251; Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018, S. 6. 40 Braun, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, 2014, S. 282 f.; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 251. 41 Messinger, Rechtsunsicherheiten bei internationalen elektronischen Handelsgeschäften, 2014, S. 94; Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 5. 42 Mankowski, IPRax 2006, 454, 457. 43 Vgl. Mankowski, IPRax 2006, 454, 456; Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 5 f.

C. Zu ausgewählten Zuständigkeitsinteressen

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Stadium erhöht.44 Ist die ausländische Partei auf einen im Forumstaat zugelassenen Anwalt angewiesen, kann eine Sprachbarriere die Abstimmung mit dem eigenen Prozessbevollmächtigten erschweren. Muss der ausländische Korrespondenzanwalt neben dem angestammten inländischen Rechtsbeistand mandatiert werden, droht eine Doppelung der Anwaltskosten.45

II. Vollstreckungsnähe Im Interesse der Parteien liegt daneben ein Gerichtsstand innerhalb des Staats, in dem vollstreckungsfähiges Vermögen der Gegenseite vorhanden und die schnellere, sicherere und einfachere Vollstreckung im Urteilsstaat gewährleistet ist.46 Dem Kläger ist mit einer zusprechenden Sachentscheidung nur gedient, wenn diese in einem Staat vollstreckt werden kann, in dem vollstreckungsfähiges Vermögen des Beklagten vorhanden ist. Hingegen ist der Beklagte an der schnellen, einfachen und sicheren Durchsetzung seiner Kostenerstattungsansprüche interessiert. Eine schnelle, einfache und risikoarme Vollstreckung innerhalb des Forumstaats wird durch einen Gerichtsstand am Wohnsitz des Prozessgegners begünstigt, an dem das Vorhandensein vollstreckungsfähigen Vermögens am wahrscheinlichsten ist. Das Interesse an einem vollstreckungsnahen Gerichtsstand widerstrebt dem Interesse an einem wohnsitznahen Erkenntnisverfahren mithin.

III. Sach- und Beweisnähe Übereinstimmend ist Parteien, Gericht und Forumstaat hingegen an einem sachund beweisnahen Gerichtsstand gelegen.47 Der räumliche Konnex zwischen Gericht und streitgegenständlichem Lebenssachverhalt gewährleistet höhere gerichtliche Sensibilität für soziale oder wirtschaftliche Hintergründe sowie für sonstige außerrechtlicher Faktoren48 und minimiert den mit dem Rechtsstreit verbundenen Zeitund Kostenaufwand.49 Am Ort des streitgegenständlichen Lebenssachverhalts besteht für die Wohnhaftigkeit der zu vernehmenden Zeugen sowie für das Vorhandensein der in Augenschein zu nehmenden Objekte oder der beweiserheblichen 44

Mankowski, IPRax 2006, 454, 456. Mankowski, IPRax 2006, 454, 456. 46 Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 255. 47 Heldrich, in: FS Ficker, 1967, 205, 212 f.; Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, S. 194 f.; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 169 f.; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 252; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 108; Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018, S. 8. 48 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 169 f. 49 Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 252. 45

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

Urkunden die höchste Wahrscheinlichkeit. Die Zuständigkeitsallokation am Ort des streitgegenständlichen Lebenssachverhalts begünstigt somit eine unmittelbare Beweisaufnahme und fördert die Richtigkeitsgewähr sowie die Autorität des Beweisergebnisses.50 1. Territoriale Grenzen der Beweisaufnahme Angesichts ihres hoheitlichen Charakters kann eine Beweisaufnahme nur innerhalb der Grenzen der Hoheitsgewalt des Forumstaats durchgeführt werden. Im Ausland kann eine Beweisaufnahme ohne Verletzung fremdstaatlicher Souveränitätsrechte nur mit Einwilligung des betroffenen Staates erfolgen.51 Weniger stark behindert wird die Beweisaufnahme, solange sich die entscheidungserheblichen Beweismittel in der Sphäre der Prozessparteien befinden.52 Beschafft die beweisbelastete Partei das außerhalb des Forumstaats belegene Beweismittel nicht, so zieht die Beweisfälligkeit gemäß der lex fori processualis verfahrensrechtliche Nachteile bis hin zu einem möglichen Unterliegen in der Sache nach sich. Die Beschaffung der Beweismittel liegt daher im eigenen Interesse der beweisbelasteten Partei. Befinden sich Beweismittel in der Sphäre der nicht beweisbelasteten Partei, kann das Gericht kraft des Prozessrechtsverhältnisses ohne Verstoß gegen fremdstaatliche Souveränitätsrechte das persönliche Erscheinen zwecks informatorischer Anhörung, die Vorlage einer im Ausland befindlichen Urkunde oder die Vorlage eines Augenscheinobjekts anordnen.53 Kommt die beweisbelastete Partei einer derartigen Anordnung nicht nach, kann die mangelnde Mitwirkung durch verfahrensrechtliche Sanktionen etwa gemäß §§ 427, 446 ZPO oder über die Figur der Beweisvereitelung sanktioniert werden, was ebenfalls den Verlust des Rechtsstreits nach sich ziehen kann.54 Schwierigkeiten drohen jedoch, sofern die Auslandsbeweisaufnahme Bezug zu einem nicht an dem Rechtsstreit beteiligten Dritten aufweist.55 Denn hier kann die unterlassene Mitwirkung im Rahmen der Beweismittelbeschaffung nicht mit verfahrensrechtlichen Nachteilen sanktioniert werden. Zeugen, die sich nicht im Forumstaat aufhalten und dessen Staatsbürgerschaft nicht besitzen, sind weder in personaler noch in territorialer Hinsicht der Gerichtsgewalt des Forumstaats unterworfen und können nicht unter Androhung von Zwang geladen, sondern nur um ihr

50 Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 256; Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 37. 51 Geimer, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 363 Rn. 1; Junker, IZPR, 5. Aufl. 2020, § 26 Rn. 1; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 15 Rn. 845 ff. 52 Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 15 Rn. 850 f. 53 Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 15 Rn. 847 ff. 54 Vgl. Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 15 Rn. 850. 55 Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 15 Rn. 851 ff.

C. Zu ausgewählten Zuständigkeitsinteressen

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freiwilliges Erscheinen gebeten werden.56 Im Ausland befindliche Objekte können angesichts des hoheitlichen Auftrags einer sachverständigen Begutachtung nicht ohne Zuständigkeit des betroffenen Staates durch einen Sachverständigen besichtigt und begutachtet werden.57 Öffentliche Urkunden, die sich im Besitz ausländischer Behörden befinden, können nicht ohne weiteres angefordert, sondern nur im Wege der Rechtshilfe erbeten werden.58 Auch zu einer Sicherung im Ausland belegener Beweismittel – etwa im Wege eines selbstständigen Beweisverfahrens – ist das Gericht der Hauptsache außerhalb des Rechtshilfewegs nicht befugt.59 Die Belegenheit entscheidungserheblicher Beweismittel im Ausland gefährdet das durch den Justizgewährungsanspruch sowie das Recht auf rechtliches Gehör verbürgte Recht auf Beweis60 deshalb erheblich und setzt die beweisbelastete Partei schwerwiegenden Nachteilen aus. 2. Differenzierung zwischen örtlicher und territorialer Beweisnähe im Schrifttum Angesichts dieser Grenzen wird in der Literatur zwischen zwei Erscheinungsformen der Beweisnähe differenziert. Während die rein räumliche Distanz zwischen Gericht und Beweismitteln mit dem Begriff der „örtlichen Beweisnähe“ umschrieben wird, bezeichnet der Terminus der „territorialen Beweisnähe“ die Belegenheit der Beweismittel im Hoheitsgebiet des Forumstaats.61 Mit der räumlichen Entfernung zwischen Gericht und Beweismitteln mögen Dauer und Kosten der Beweisaufnahme steigen. Gravierendere Folgen drohen jedoch, wenn entscheidungserhebliche Beweismittel außerhalb des Gerichtsstaats belegen sind und daher nach Maßgabe der EuBewVO, des HBewÜ oder im Wege der vertragslosen Rechtshilfe erhoben werden müssen.62 Ladung und Anreise eines mehrere Hundert Kilometer entfernt innerhalb des Forumstaats lebenden Zeugen verursachen weder eine Verfahrensverzögerung noch Kosten, die mit dem Aufwand der Vernehmung auslandsansässiger, fremdsprachiger Zeugen vergleichbar wären.63 Ebenso stellt etwa eine deutschsprachige, in Hamburg belegene Urkunde aus Sicht eines Münchener Gerichts ein einfacher zugängliches Beweismittel dar als etwa ein Schriftstück in tschechischer Sprache, das 56

Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 15 Rn. 851 f. Linke/Hau, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 10 Rn. 10.25; a. A. Geimer, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 2387. 58 Vgl. Linke/Hau, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 10 Rn. 10.27. 59 Linke/Hau, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 10 Rn. 10.47 ff. 60 Linke/Hau, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 10 Rn. 10.1. 61 Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 34 ff. 62 Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 34 ff. 63 Vgl. Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 39. 57

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

sich im geografisch deutlich näher gelegenen Prag befindet.64 Eine zeit- und kostensparende sowie unmittelbare Beweiserhebung wird daher durch Begründung eines Gerichtsstands in dem Staat begünstigt, in dem sich der streitgegenständliche Sachverhalt zugetragen hat und in dessen Hoheitsgebiet die entscheidungserheblichen Beweismittel belegen sind.65 Die räumliche Distanz, welche das Gericht innerhalb des Forumstaats zu den entscheidungserheblichen Beweismitteln zu überbrücken hat, ist demgegenüber von geringerer Bedeutung.66 3. Innereuropäische und drittstaatenbezogene Auslandsbeweisaufnahmen Unter dem Obergriff der territorialen Beweisnähe kann danach unterschieden werden, ob die entscheidungserheblichen Beweismittel innerhalb des harmonisierten europäischen Justizraums belegen sind oder aber wegen ihr Belegenheit in einem Drittstaat nach Maßgabe des HBewÜ oder gar im vertragslosen Rechtsverkehr erhoben werden müssen.67 a) Besondere Bedeutung bei Drittstaatenbezug Von besonderer Bedeutung ist die staatlich-territoriale Beweisnähe in Rechtsstreitigkeiten mit außereuropäischem Bezug, da auch die zu erhebenden Beweismittel hier oftmals in Drittstaaten belegen sein werden. Außerhalb des harmonisierten europäischen Justizraums können Beweismittel allenfalls nach Maßgabe des HBÜ oder im vertragslosen Rechtsverkehr erhoben werden. Die Art. 2 ff. HBewÜ verknüpfen die Auslandsbeweisaufnahme indes mit einem schwerfälligen Rechtshilfeverfahren. Die Beweisaufnahme muss zunächst bei der zentralen Behörde des ersuchten Staats beantragt und das Ersuchen sodann an die zuständige Behörde des ersuchten Staats weitergeleitet werden,68 die es nach ihrem eigenen Beweisrecht erledigt.69 Zwar räumt Art. 7 HBewÜ dem Prozessgericht sowie den Parteien während der Beweiserhebung gewisse Anwesenheitsrechte ein. Die Hürden, zwecks Teilnahme an der Beweisaufnahme in einen Drittstaat reisen zu müssen, sind indes hoch. Bleiben das Gericht des ersuchenden Staats sowie die Parteien dem Beweisaufnahmetermin fern, so werden Unmittelbarkeit (§ 355 ZPO) und Parteiöffentlichkeit (§ 357 ZPO) der Beweisaufnahme beeinträchtigt und der Wert des Be64 Beispiel angelehnt an Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 39. 65 Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 34 ff. 66 Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 34 ff. 67 Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 36 f. 68 Art. 2 HBewÜ. 69 Art. 9 I HBewÜ.

C. Zu ausgewählten Zuständigkeitsinteressen

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weismittels geschwächt.70 Insbesondere im Bereich des fehleranfälligen Zeugenbeweises ist dem Gericht eine belastbare Würdigung ohne unmittelbare Wahrnehmung der Aussage kaum möglich.71 Als weniger zeitaufwändige Alternative sehen die Art. 15 ff. HBewÜ zwar eine unmittelbare Beweiserhebung im Ausland durch nicht zur Anwendung von Zwangsmitteln befugte diplomatische oder konsularische Vertreter des ersuchenden Staates vor. Hiergegen hat die Mehrzahl der Vertragsstaaten jedoch einen Vorbehalt erklärt und lehnt eine fremdstaatliche Beweisaufnahme durch konsularische Vertreter innerhalb des eigenen Hoheitsgebiets ab.72 b) Relativierte Bedeutung innerhalb des europäischen Justizraums Innerhalb des harmonisierten europäischen Justizraums werden Auslandsbeweisaufnahmen durch die Anwendbarkeit der EuBewVO erleichtert. Wenngleich auch die EuBewVO eine Beweisaufnahme im Wege der Rechtshilfe vorsieht, beschleunigt Art. 2 EuBewVO den Rechtshilfeweg, indem er den unmittelbaren Geschäftsverkehr zwischen den Gerichten eröffnet und auf die Einschaltung zentraler Behörden grundsätzlich verzichtet. Die Rechtshilfe wird gemäß Art. 18 Abs. 1 EuBewVO grundsätzlich kostenfrei gewährt und die mit einem grenzüberschreitenden Bezug verbundene Kostenerhöhung insoweit eingedämmt. Das ersuchte Gericht hat das Rechtshilfeersuchen gemäß Art. 10 Abs. 1 EuBewVO zudem unverzüglich, zumindest aber innerhalb von 90 Tagen zu erledigen. Eine Überschreitung der Erledigungsfrist zieht jedoch keine ernsthaften Konsequenzen nach sich.73 Die Eröffnung des unmittelbaren Geschäftsverkehrs zwischen den Gerichten ändert zudem nichts daran, dass die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme durch den Rechtshilfeweg empfindlich beeinträchtigt wird.74 Außerhalb des klassischen Rechtshilfewegs bietet Art. 17 EuBewVO dem Prozessgericht die Option, die Beweisaufnahme selbst und damit ohne Beeinträchtigung der Unmittelbarkeit in einem anderen Mitgliedstaat durchzuführen. Die unmittelbare hoheitliche Beweisaufnahme in fremdstaatlichem Territorium erfordert aber eine vorherige Beantragung bei der Zentralstelle des ersuchten Staats75 und kommt nach Art. 17 Abs. 2 EuBewVO nur in Betracht, wenn sie auf freiwilliger Grundlage und ohne Zwangsmaßnahmen erfolgen kann, spricht mit Einverständnis des Betroffenen durchgeführt wird.76 Aus Art. 17 Abs. 3 EuBewVO ergibt sich zudem, dass nicht etwa sämtliche Mitglieder des Spruchkörpers zwecks Beweisaufnahme in das 70

Geimer, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 363 Rn. 5. Geimer, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, vor §§ 373 – 401 Rn. 14. 72 Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 15 Rn. 870. 73 Linke/Hau, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 10 Rn. 10.41; Wais, Der europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 37. 74 Geimer, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 363 Rn. 7. 75 Linke/Hau, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 10 Rn. 10.44. 76 Geimer, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 363 Rn. 7; Linke/Hau, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 10 Rn. 10.45. 71

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

Ausland reisen, sondern die Auslandsbeweisaufnahme regelmäßig durch ein Mitglied des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers durchgeführt werden soll.77 Die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme wird mithin nur partiell gewahrt. Zwischen den Mitgliedstaaten wird die praktische Bedeutung eines in staatlich-territorialer Hinsicht beweisnahen Gerichtsstands somit bis zu einem gewissen Grad reduziert, nicht aber der Einfachheit einer Beweisaufnahme innerhalb des Forumstaats gleichgestellt.78 Die besondere Bedeutung eines in staatlich-territorialer Hinsicht beweisnahen Gerichtsstands ist innerhalb des europäischen Justizraums daher allenfalls leicht verringert.

IV. Vorhersehbarkeit Von besonderem Gewicht ist das Interesse von Parteien und Forumstaat an der Vorhersehbarkeit der eröffneten Gerichtsstände.79 Denn es liegt in niemandes Interesse, wenn eine umfangreiche Klage nach langjährigem Streit über die internationale Zuständigkeitsfrage kostenträchtig abgewiesen wird und unter Verlust des gewonnenen Prozessstoffs vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats erneut erhoben werden muss.80 Das Bundesverfassungsgericht formuliert, „Klarheit und Bestimmtheit von Rechtswegvorschriften im Rahmen dessen, was generell-abstrakter Regelung praktisch möglich ist“ seien „unabdingbare Anforderung an eine rechtsstaatliche Ordnung, die dem Bürger die eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung behaupteter Rechtspositionen grundsätzlich verwehrt und ihn statt dessen auf den Rechtsweg verweist.“81 1. Bedeutung der Vorhersehbarkeit Dass Klagemöglichkeiten und Gerichtspflicht im Streitfall vorherzusehen sein müssen, liegt auf der Hand.82 Der Kläger hat ein gewichtiges Interesse daran, sein Rechtsschutzverlangen gezielt an das zuständige Gericht richten zu können, ohne mit langwierigem Streit über die internationale Zuständigkeitsfrage rechnen zu müssen. Wird die Klage mangels internationaler Zuständigkeit abgewiesen, muss der Kläger 77

Junker, IZPR, 5. Aufl. 2020, § 26 Rn. 9. Wais, Der europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 37 f. 79 Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, S. 190 ff.; Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 221 ff.; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 254. 80 Geimer, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, Art. 7 EuGVVO Rn. 2; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8, Rn. 254; Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 724. 81 BVerfG, Beschl. v. 25. 3. 1981 – 2 BvR 1258/79, NJW 1981, 1154, 1154. 82 Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 27 f. 78

C. Zu ausgewählten Zuständigkeitsinteressen

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ein zweites Mal klagen und damit erneut Zeit und Kosten aufwenden. Auch der Beklagte ist im Streitfall daran interessiert, das international zuständige Gericht ex ante vorhersehen zu können. Nur in Kenntnis des Forumstaats kann der Beklagte Belastungen, Chancen und Risiken eines Rechtsstreits gegeneinander abwägen und sachgerecht entscheiden, ob die Verteidigung einer außergerichtlichen Erfüllung vorzuziehen ist. Daneben sind die Parteien unter einem zweiten Gesichtspunkt an der Vorhersehbarkeit der internationalen Zuständigkeiten interessiert.83 Denn Rechtsschutz und Gerichtspflicht können bereits für die Entscheidung über die Aufnahme grenzüberschreitender Tätigkeiten ein entscheidender Faktor sein. Wer die Mobilitätsgarantien der Grundfreiheiten nutzt, um in einem anderen Mitgliedstaat wirtschaftlich tätig zu sein, ist darauf angewiesen, dass er sich ex ante auf die Verfügbarkeit effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verlassen und die verbleibenden Risiken einkalkulieren kann. Umgekehrt müssen die mit einer grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit verbundenen Haftungsrisiken auch aus Sicht des späteren Beklagten kalkulierbar bleiben. Letztere sind untrennbar mit der Frage verbunden, in welchen Mitgliedstaaten Klagen zulässigerweise erhoben werden können. Das beiderseitige Interesse an vorhersehbaren Gerichtsständen ist insoweit eng mit dem binnenmarktfunktionalen Ziel des europäischen Zuständigkeitsrechts verknüpft.84 2. Grundkonflikt zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit Das Interesse an vorhersehbaren Gerichtsständen steht in einem Spannungsverhältnis zu dem Ziel im Einzelfall sachgerechter Zuständigkeiten.85 Je abstrakter und einzelfallunabhängiger die zuständigkeitsrechtlichen Anknüpfungskriterien ausgestaltet sind, desto vorhersehbarer ist die Belegenheit der eröffneten Gerichtsstände. Zugleich steigt mit der Anknüpfung an starre Kriterien aber die Gefahr, dass sich der Gerichtsstand aufgrund der Einzelfallumstände als nicht interessengerecht erweist. Umgekehrt erhöhte eine flexible und auf die Einzelfallumstände abgestimmte Zuständigkeitsallokation die Wahrscheinlichkeit tatsächlich interessengerechter Gerichtsstände, beeinträchtigt aber die Vorhersehbarkeit.86 Ein besonderer Konflikt 83

Vgl. Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 27 f. 84 Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im Europäischen Zivilprozessrecht, 2014, S. 40 („das Gebot der der Vorhersehbarkeit den Parteien gleichermaßen Vertrauensschutz bei der Ausübung von Grundfreiheiten zusichert.“); Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 27 f. 85 Domej, IPRax 2008, 550, 550 f.; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 204 f.; Pfeiffer, in: Canaris u. a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band III, 2000, 617, 620; Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 40 ff. 86 Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 40.

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

zeigt sich zwischen dem Ziel vorhersehbarer Gerichtszuständigkeiten auf der einen und dem Interesse an einem sach- und beweisnahen Gerichtsstand auf der anderen Seite.87 Welche Tatsachen im Prozessverlauf bestritten werden und sich somit als beweisbedürftig erweisen, ist vor Prozessbeginn oftmals nicht abzusehen, da sich die Verteidigung des Beklagten, Reaktionen des Klägers oder die Rechtsauffassung des Gerichts einer gesicherten Prognose entziehen.88 An welchen Orten die entscheidungserheblichen Beweismittel belegen sein werden, kann vor Prozessbeginn daher allenfalls vage vermutet werden. 3. Zuständigkeitsklarheit durch formale Typisierung Das europäische Zuständigkeitsrecht trägt der besonderen Bedeutung der Vorhersehbarkeit durch seine formal typisierende Regelungstechnik Rechnung.89 Es definiert typische Prozesskonstellationen und weist die Zuständigkeiten den Gerichten des Ortes zu, an dem die hinter dem Gerichtsstand stehenden Interessen im pars pro toto zugrunde gelegten Regelanwendungsfall am besten zur Geltung kommen.90 Dass die typisierende Betrachtungsweise in atypischen Fällen zu sachwidrigen Ergebnissen führt, wird in Kauf genommen, da der Gewinn an Zuständigkeitsklarheit höher gewichtet wird als die korrespondierenden Beeinträchtigungen der Einzelfallgerechtigkeit.91 So wählt Art. 4 Abs. 1 EuGVVO mit dem Wohnsitzstaat des Beklagten den Anknüpfungspunkt, der dem Beklagteninteresse an einer Verteidigung in der bekannten Heimatjurisdiktion sowie dem Klägerinteresse an einer effektiven Vollstreckung typischerweise am besten Rechnung trägt.92 Dass im Einzelfall ein anderer Gerichtsstand dem Beklagten die Rechtsverteidigung sowie dem Kläger die Vollstreckung in besonderem Maße erleichtern kann, wird hingenommen. Ebenso knüpfen die Art. 7 Nr. 1, 2 EuGVVO an den Erfüllungsort des umstrittenen Vertrags bzw. den Tatort des streitgegenständlichen Delikts an, denen für das Vorhandensein der entscheidungserheblichen Beweismittel die größte Wahrscheinlichkeit zugeschrieben wird.93 Sie nehmen aus Gründen der Rechtssicherheit in Kauf, dass sich diese Prämisse in manchen Fällen als unzutreffend er87 Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 40 ff. 88 Vgl. Gsell, IPRax 2002, 484, 489; Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 725. 89 Domej, IPRax 2008, 550, 550 f.; Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, S. 192; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 204 f.; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 41. 90 Czernich, in: Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, 4. Aufl. 2015, Art. 7 EuGVVO Rn. 7. 91 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 204 f. 92 Vgl. hierzu Kapitel 1 D. I. 93 Vgl. Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 1.

C. Zu ausgewählten Zuständigkeitsinteressen

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weist. Im Schrifttum wird dieser Ansatz als „Wahrscheinlichkeitsprognose“94 oder als „Durchschnittsbetrachtung“95 charakterisiert. 4. Vorhersehbarkeitsschädliche Anknüpfungspunkte im Einzelnen Trotz ihrer besonderen Bedeutung beansprucht die Rechtssicherheit auf Zuständigkeitsebene keinen absoluten Vorrang vor gegenläufigen Zuständigkeitsinteressen.96 Soweit die formal typisierenden Gerichtsstandbestimmungen durch Auslegung zu präzisieren sind, bedarf es einer kompromisshaften Abwägungsentscheidung, in deren Ergebnis das Interesse an vorhersehbaren Gerichtsständen mit gegenläufigen Zuständigkeitsinteressen in schonenden Ausglich gebracht werden muss.97 Die Anknüpfungskriterien müssen ausreichend abstrakt gehalten werden, um noch vorhersehbar zu bleiben, zugleich aber einen hinreichenden Grad an Wertung und Differenzierung zulassen, um die Zahl der Fälle, in denen die eröffneten Gerichtsstände beweisfern oder sonst interessenwidrig sind, möglichst weitgehend zu minimieren.98 a) Anknüpfung an den Parteien unbekannte Tatsachen Eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung der Vorhersehbarkeit droht, wenn der Gerichtsstand mit Sachverhaltselementen verknüpft wird, die aus der Sphäre der Gegenpartei stammen und deren örtliche Belegenheit der anderen Partei daher nicht bekannt ist. Vermag der Kläger den Gerichtsstand mangels Kenntnis der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen nicht zu lokalisieren, so gewährleistet die Zuständigkeit de facto keinen Rechtsschutz. b) Klarheitsschädlichkeit richterlicher Wertungsspielräume Vorhersehbare Gerichtsstände erfordern ferner die Anknüpfung an starre und faktische Kriterien.99 Die Zuständigkeitsbestimmung anhand bedeutungsoffener unbestimmter Rechtsbegriffe ist der Zuständigkeitsklarheit dagegen abträglich. Einzelfallabhängige Wertungsentscheidungen des Prozessgerichts beruhen auf 94

Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 145 f. 95 Domej, IPRax 2008, 550, 551; Stammwitz, Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Kartelldelikten, 2018, S. 133. 96 Schmidt, Rechtssicherheit im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2015, S. 259; Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 263 f. 97 Schmidt, Rechtssicherheit im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2015, S. 259. 98 Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 41. 99 Czernich, in: Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, 4. Aufl. 2015, Art. 7 EuGVVO Rn. 7; Schmidt, Rechtssicherheit im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2015, S. 243, 258.

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

Elementen der subjektiven Anschauung und sind selbst aus Sicht einer anwaltlich beratenen Partei nicht immer zuverlässig zu antizipieren.100 Wertungsoffene Zuständigkeitsbestimmungen zwingen den Kläger zur Anrufung eines Gerichts, das sich möglicherweise in Folge einer abweisenden Wertung für unzuständig erklärt. Damit steigt die Gefahr eines abweisenden Prozessurteils, das trotz beidseitigem Zeit- und Kostenaufwand keine Befriedung in der Sache bewirkt.101 Aus Klägersicht wird die Nachteilhaftigkeit wertungsoffener Zuständigkeitsbestimmungen dadurch verschärft, dass eine mitgliedstaatenübergreifende Verfahrensverweisung, wie sie § 281 Abs. 1 S. 1 ZPO zwischen deutschen Gerichten vorsieht, unter der EuGVVO unzulässig ist.102 Verneint das angerufene Gericht seine internationale Zuständigkeit, so weist es die Klage als unzulässig ab. Der Kläger muss erneut klagen und erneut Zeit und Kosten aufwenden.103 Hinzu kommt, dass die Rechtskraft des abweisenden Prozessurteils die Gerichte anderer Mitgliedstaaten nur insoweit bindet, wie die internationale Unzuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts festgestellt worden ist.104 Das anschließend angerufene Gericht eines anderen Mitgliedstaats ist nicht in dem Sinne an die vorausgegangene Zuständigkeitsentscheidung gebunden, dass es dessen Wertungen folgen und sich daher für zuständig erklären müsste.105 Aus Klägersicht birgt die Abweisung daher die Gefahr, dass in Folge einer abweichenden gerichtlichen Beurteilung auch eine zweite Klage aus Gründen der internationalen Unzuständigkeit abgewiesen wird.106 Der Beklagte wird durch richterliche Wertungsspielräume zumindest unter dem Gesichtspunkt drohenden Mehraufwands belastet. Zuständigkeitsrechtliche Unklarheiten zwingen ihn zu einer umfassenden, möglicherweise unnötigen Verteidigung, da er zur Vermeidung einer Einlassungszuständigkeit gemäß Art. 26 Abs. 1 EuGVVO die Gerichtszuständigkeit rügen und zugleich für den Fall einer bejahenden Zuständigkeitsentscheidung hilfsweise zur Sache vortragen muss.107 c) Schädlichkeit rechtlich komplexer Zuständigkeitsprüfungen Als Vorhersehbarkeitsmangel bzw. als Umstand vergleichbarer Wirkung wird ferner die übermäßige rechtliche Komplexität der Zuständigkeitsprüfung einge-

100 Schmidt, Rechtssicherheit im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2015, S. 243, 258; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 23 f. 101 Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 23. 102 Vgl. Weller, IPRax 2000, 202, 203 f.; Schumann, in: FS Nagel, 1987, 402, 403 f.; Zöller, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, Art. 28 EuGVVO Rn. 3. 103 Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 23. 104 Weller, IPrax 2000, 202, 203. 105 Weller, IPrax 2000, 202, 203. 106 Vgl. Weller, IPrax 2000, 202, 203. 107 Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 23.

C. Zu ausgewählten Zuständigkeitsinteressen

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ordnet.108 Zwar lässt die zunehmende Komplexität der vorzunehmenden Prüfungsschritte die objektive Eindeutigkeit der zuständigkeitsrechtlichen Rechtslage unberührt. Dennoch steigen mit der Zahl und der Komplexität der erforderlichen Prüfungsschritte Aufwand und Rechtskenntnisse, die den Parteien bei der vorprozessualen Beurteilung der eröffneten Gerichtsstände abverlangt werden. Zumindest de facto wird die Zuständigkeitsfeststellung dadurch erschwert.109 Zugleich steigt mit zunehmender Komplexität das Risiko einer rechtsfehlerhaften Beurteilung durch das angerufene Gericht, was die verlässliche Herbeiführung einer gerichtlichen Sachentscheidung ebenfalls behindert.110 Unter dem Gesichtspunkt der Rechtskomplexität beeinträchtigen zum einen mehrstufige, komplexe Prüfungen111 sowie zum anderen inzidente Rückgriffe auf die lex causae die Vorhersehbarkeit der eröffneten Gerichtsstände.112 Eine Zuständigkeitsprüfung unter Berücksichtigung der lex causae erfordert die korrekte Anwendung kollisionsrechtlicher Vorschriften, die nicht dem hohen Formalisierungsgrad des Zuständigkeitsrechts entsprechen.113 Insbesondere können Kollisionsnormen Ausweichklauseln enthalten, die angesichts ihrer erheblichen Wertungsspielräume dem erhöhten Klarheits- und Objektivitätsbedürfnis des Zuständigkeitsrechts nicht gerecht werden. Auf sachrechtlicher Ebene kann zudem ein ausländisches, möglicherweise drittstaatliches Recht zur Anwendung berufen sein, dessen korrekte Ermittlung und Anwendung selbst bei anwaltlicher Beratung nicht immer mit vertretbarem Aufwand möglich ist. d) Klägerwahlrechte als einseitige Vorhersehbarkeitsbeeinträchtigung Als Vorhersehbarkeitsproblem wird ferner die Vervielfältigung der zur Wahl des Klägers stehenden Gerichtsstände angesehen.114 Ausufernde Klägerwahlrechte berühren weder die objektive Eindeutigkeit der zuständigkeitsrechtlichen Rechtslage noch zwingen sie den Kläger zur Anrufung eines möglicherweise international 108

Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 254; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 24 f. sowie 161 ff. 109 Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 24 f. sowie 161 ff. 110 Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 162. 111 Mankowski, IPRax 2007, 404, 409. 112 Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, S. 225; Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 259 f.; Schack, IZPR, 8. Aufl. 2021, § 8, Rn. 254; vgl. auch Schmidt, Rechtssicherheit im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2015, S. 47 ff. sowie S. 237 ff. 113 Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 215. 114 EuGH, Urt. v. 3. 5. 2007, Rs. C-386/05, NJW 2007, 1799, 1801 – Color Drack, Rn. 42 f.; Schmidt, Rechtssicherheit im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2015, S. 117; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 25 f.

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

unzuständigen Gerichts.115 Jedoch kann der Beklagte, der sich mehreren Alternativgerichtsständen gegenübersieht, vor Zustellung der Klage allenfalls die theoretische Reichweite seiner Gerichtspflicht erahnen, nicht aber den Ort der tatsächlichen Rechtsverteidigung antizipieren.116 Ausufernde Klägerwahlrechte begründen insofern einen einseitigen Vorhersehbarkeitsmangel, der dem Beklagten eine gezielte Prozessvorbereitung maßgeblich erschwert.117 In Unkenntnis des Forumstaats kann der Beklagte weder einen zugelassenen Anwalt mandatieren noch kennt er die maßgebliche lex fori processualis. Vor Klagezustellung ist er daher nicht in der Lage, gezielt nach Maßgabe des später zur Anwendung berufenen Beweisrechts wichtige Beweismittel zu konservieren oder zu beschaffen.

V. Rechtsnähe Dem Interesse von Gericht, Parteien und Forumstaat entspricht es ferner, wenn das zuständige Gericht die lex fori anwenden kann. Ein Gleichlauf von forum und ius erübrigt die zeit- und kostenintensive Ermittlung ausländischen Rechts anhand fehleranfälliger Sachverständigengutachten und reduziert somit Dauer und Kosten des Gerichtsverfahrens.118 Die besseren Vorkenntnisse des Prozessgerichts gewährleisten eine authentische Rechtsanwendung sowie eine erhöhte Richtigkeitsgewähr,119 die durch Korrekturmöglichkeiten in den Rechtsmittelinstanzen abgesichert wird.120 Die Anwendung der lex fori führt überdies zu einem Gleichlauf von Sach- und Prozessrecht und begünstigt Synergien, die sich aus der wechselseitigen Abstimmung beider Rechtsgebiete innerhalb derselben Rechtsordnung ergeben.121 Beispielsweise korrelieren Formvorschriften des materiellen Rechts mit der Zulässigkeit entsprechender Beweismittel auf Ebene des Beweisrechts.122 Ebenso reagiert das materielle Recht mitunter durch Vermutungsregeln darauf, dass das Beweismaß des zugehörigen Prozessrechts in einzelnen Konstellationen unangemessen er115

S. 25 f. 116

S. 25 f. 117

Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, Vgl. Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013,

Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 32. Dutta, in: FS Kronke, 2020, 51, 57; Heldrich, in: FS Ficker, 1967, 205, 210; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 170; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 253; Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018, S. 7. 119 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 76 f.; Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018, S. 7 f. 120 Vgl. nur BGH, Beschl. v. 4. 7. 2013 – V ZB 197/12, NJW 2013, 3656, 3657 f.; BGH, Urt. v. 14. 1. 2014 – II ZR 192/13, NJW 2014, 1244, 1245, wonach die fehlerhafte Anwendung ausländischen Rechts nicht gemäß § 545 ZPO, sondern nur die verfahrensfehlerhafte Ermittlung ausländischen Rechts als Verstoß gegen § 293 ZPO revisibel ist. 121 Dutta, in: FS Kronke, 2020, 51, 58; Heldrich, in: FS Ficker, 1967, 205, 210. 122 Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 15 Rn. 788. 118

D. Der Grundsatz actor sequitur forum rei

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scheint.123 Derartige Zusammenhänge werden durch Anwendung ausländischen Rechts auseinandergerissen.

VI. Konzentration zusammenhängender Prozesse Von Interesse ist schließlich die gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zusammenhängender Rechtsstreitigkeiten.124 Werden zusammenhängende Prozesse verschiedenen Gerichten zugewiesen, so müssen die Parteien mehrfach zu demselben Lebenssachverhalt vortragen und mehrere Gerichte sich in den Fall einarbeiten, was den ohnehin erheblichen Zeit- und Kostenaufwand eines grenzüberschreitenden Rechtsstreits weiter erhöht.125 Daneben drohen widersprüchliche Entscheidungen, welche der grenzüberschreitenden Urteilsanerkennung entgegenstehen können.126 Aus verfahrensökonomischen Gründen liegt es insbesondere im Interesse des Klägers, nicht nur zusammenhängende Streitigkeiten mit demselben Beklagten, sondern auch zusammenhängende Klagen gegen mehrere Beklagte in einem Rechtsstreit konzentrieren zu können. Im letztgenannten Fall der Beklagtenmehrheit wirft das Interesse des Klägers an einer Zuständigkeitskonzentration indes einen besonderen Interessenkonflikt auf, der in zwei Richtungen aufgelöst werden kann.127 Entweder wird der Kläger auf die Führung mehrerer Parallelverfahren verwiesen, welche mit einer Vervielfachung des Zeit- und Kostenaufwands sowie der Prozessrisiken verbunden ist. Anderenfalls muss der Schutz der Beklagten vor fremdstaatlicher Gerichtsgewalt zurückgestellt und zumindest ein passiver Streitgenosse vor einen fremden Gerichtsstand gezogen werden, zu dem er selbst keinerlei Bezug aufweist und an dem er allein nicht verklagt werden könnte.128

D. Der Grundsatz actor sequitur forum rei Personen mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat sind gemäß Art. 4 Abs. 1 EuGVVO im Mitgliedstaat ihres Wohnsitzes zu verklagen. Die Verordnung basiert somit auf dem traditionsreichen129 und in den Mitgliedstaaten verbrei123

Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 15 Rn. 788. Heldrich, in: FS Ficker, 1967, 205, 215 f.; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, S. 225. 125 Heldrich, in: FS Ficker, 1967, 205, 215 f. 126 Heldrich, in: FS Ficker, 1967, 205, 215 f. 127 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 610. 128 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 610. 129 Vgl. nur Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 81; Kropholler, in: Basedow/Herrmann (Hrsg.), Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 1982, Kap. 3 Rn. 265; Spellenberg, IPRax 1981, 74, 76; Wacke, JA 1980, 654, 654 f. 124

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

teten130 Grundsatz des actor sequitur forum rei. Die Zuständigkeitszuweisung an die Gerichte des Beklagtenwohnsitzes wird allgemein als Instrument einer gerechten prozessualen Lastenverteilung angesehen.131 Übereinstimmend mit der vorherrschenden Lesart bezeichnete bereits der Jenard-Bericht aus dem Jahre 1979 den allgemeinen Gerichtsstand als elementare, gerade im transnationalen Rechtsverkehr bedeutende „Schutzbestimmung für den Beklagten“.132 Der allgemeine Gerichtsstand verwirklicht indes nicht exklusiv Zuständigkeitsinteressen des Beklagten, sondern sichert durch seine unbeschränkte Kognitionsbefugnis zugleich den Justizgewährungsanspruch des Klägers. Der mit dem allgemeinen Gerichtsstand verbundene favor defensoris bedarf vor diesem Hintergrund einer Präzisierung (dazu I.). Die zuständigkeitsrechtliche Privilegierung des Beklagten steht in deutlichem Kontrast zu der ergebnisoffenen, auf formale Gleichbehandlung der Parteien gerichteten Zwecksetzung des Zivilprozesses und bedarf insoweit der sachlichen Rechtfertigung. Traditionell wird die besondere Schutzbedürftigkeit des Beklagten aus dessen strukturell unterlegener Stellung innerhalb des Rechtsstreits hergeleitet. In jüngerer Vergangenheit wird der allgemeine Gerichtsstand jedoch vermehrt als integraler Bestandteil eines Gesamtsystems angesehen, welches durch das Zusammenspiel zwischen allgemeinen und besonderen Gerichtsständen auf die Verwirklichung der prozessualen Waffengleichheit abzielt (dazu II.). In der Rechtsprechung des EuGH strahlt der favor defensoris des allgemeinen Gerichtsstands auf die Auslegung der besonderen Gerichtsstände aus.133 Der EuGH charakterisiert die besonderen Gerichtsstände als Ausnahmen von der Grundregel des Beklagtengerichtsstands und betont, die besonderen Gerichtsstände seien eng auszulegen und keinesfalls über die explizit in der Verordnung geregelten Fälle hinaus zu erweitern (dazu III.). 130 GA Colomer, Schlussanträge v. 14. 3. 2006, Rs. C-103/05 – Reisch Montage, Rn. 21; Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.40; Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 2 EuGVVO Rn. 1. 131 von Hoffmann, IPRax 1982, 217, 218; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 4 EuGVVO Rn. 1 f.; vgl. zu §§ 12 ff. ZPO auch Bendtsen, in: Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 12 Rn. 2; Braun, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, 2014, S. 282; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 23. Aufl. 2014, vor § 12 Rn. 3; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 12 Rn. 2; Wacke, JA 1980, 654, 654 f.; Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 2 EuGVVO Rn. 1; Wolff, Private International Law, 2. Aufl. 1950, S. 62 f.; anders aber wohl LG München I, Urt. v. 28. 3. 1973 – 15 S 918/72, NJW 1973, 1617, 1618. 132 Bericht von Herrn P. Jenard zu dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 1979, S. 18. 133 Vgl. statt aller EuGH, Urt. v. 5. 7. 2018, Rs. C-27/17, NZKart 2018, 357, 357 – Lithuanian Airlines, Rn. 26; EuGH, Urt. v. 16. 6. 2016, Rs. C-12/15, NJW 2016, 2167, 2168 – Universal Music, Rn. 25; EuGH, Urt. v. 5. 6. 2014, Rs. C-360/12, EuZW 2014, 664 – Coty Germany Rn. 44 f.; EuGH, Urt. v. 16. 5. 2013, Rs. C-228/11, NJW 2013, 2099, 2100 – Melzer, Rn. 23 f.; dazu Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.40 ff.; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Einl. EuGVVO Rn. 72.

D. Der Grundsatz actor sequitur forum rei

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I. Präzisierung des favor defensoris Art. 4 Abs. 1 EuGVVO erlaubt es dem Beklagten, sich innerhalb der gewohnten Heimatjurisdiktion zu verteidigen. Das Interesse des Klägers an einer Prozessführung im Staat des eigenen Wohnsitzes wird hinten angestellt. Dennoch begünstigt der Grundsatz des actor sequitur forum rei den Beklagten nicht exklusiv. Unter dem Gesichtspunkt der Vollstreckungsnähe verwirklicht er vielmehr Interessen des Klägers.134 Er führt zu einem Urteil im Wohnsitzstaat des Beklagten, in welchem die höchste Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein vollstreckungsfähigen Vermögens besteht.135 Besonderes Gewicht kommt der Vollstreckungsnähe aus Sicht drittstaatenansässiger Kläger zu. Durch Bereitstellung eines Gerichtsstands innerhalb eines Mitgliedstaats wird die mitgliedstaatenübergreifende Anerkennungs- und Vollstreckungsmöglichkeit der Art. 36, ff. 39 ff. EuGVVO eröffnet, die einer Vollstreckung drittstaatlicher Titel in aller Regel vorzuziehen sein dürfte.136 Daneben trägt Art. 4 Abs. 1 EuGVVO den Zuständigkeitsinteressen des Klägers unter zwei weiteren Gesichtspunkten Rechnung. Insbesondere sichert er durch seinen umfassenden Charakter den Justizgewährungsanspruch. Zwar gewährleistet der allgemeine Gerichtsstand durch seine parteibezogene Anknüpfung an den Wohnsitz des Beklagten keine besondere Nähe zu dem streitgegenständlichen Lebenssachverhalt.137 Aus Sicht des Klägers wird die Prozessführung vor einem sachnahen Gericht einer Klage am Wohnsitz des Beklagten oftmals vorzuziehen sein.138 Die Art. 7, 8 EuGVVO bieten jedoch nicht für sämtliche denkbare Streitigkeiten eine sachlich legitimierte Zuständigkeit.139 Diese Rechtsschutzlücke schließt der allgemeine Gerichtsstand, indem er eine umfassende Zuständigkeit eröffnet, auf welche der Kläger mangels vorzugswürdiger Alternativen zurück-

134 Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 17; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, S. 257; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 602; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 237 f.; Vedie, Arthur T. von Mehren und das internationale Zivilverfahrensrecht im transatlantischen Dialog, 2017, S. 172. 135 GA Colomer, Schlussanträge v. 14. 3. 2006, Rs. C-103/05 – Reisch Montage, Rn. 21; Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 17; Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.40; Hess/Pfeiffer/Schlosser, Heidelberg Report, 2008, D. III. 1. b) Rn. 151; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 243; Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018, S. 11. 136 Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 18. 137 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 17; Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 11. 138 Hess/Pfeiffer/Schlosser, Heidelberg Report, 2008, D. III. 1. b) Rn. 151; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 240. 139 Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.42 (dort Fn. 214); Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 601.

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

greifen kann (sog. Restfunktion).140 Daneben kommt dem Kläger die vergleichsweise einfache Feststellbarkeit des Beklagtenwohnsitzes zugute.141 Angesichts ihrer Verknüpfung mit sachrechtlichen Systembegriffen wie einem Delikt oder einem Vertrag werfen die besonderen Gerichtsstände rechtlich komplexe Abgrenzungsfragen auf.142 Der allgemeine Gerichtsstand bietet einen Weg, auf dem der Kläger Streit über die internationale Zuständigkeitsfrage vermeiden kann.143 Zwar ist der Wohnsitz natürlicher Personen gemäß Art. 62 EuGVVO nach den Rechtsvorschriften des betroffenen Staates zu beurteilen und daher nicht frei von rechtlichen Wertungen. Verglichen mit der Bestimmung des Erfüllungs- oder Tatorts dürfte sich seine Lokalisierung in aller Regel dennoch als weitaus einfacher erweisen. Dem erheblichen Schutz, welchen der allgemeine Gerichtsstand aus Beklagtensicht bietet, stehen aus Sicht des Klägers mithin die Vorzüge der Vollstreckungsnähe, der Einfachheit und der Lückenlosigkeit gegenüber. Das Interesse des Klägers an einem einfach auszumachenden, umfassend kognitionsbefugten Gerichtsstand hängt indes nicht von der örtlichen Belegenheit ab. Die diesbezüglichen Interessen des Klägers ließen sich ebenso durch Anknüpfung an ein parteineutrales Merkmal verwirklichen, dessen Allokation nicht notwendigerweise zu einer einseitigen Begünstigung des Beklagten führt. Dass als Anknüpfungspunkt des allgemeinen Gerichtsstands gerade der Wohnsitz des Beklagten gewählt wird, verwirklicht daher auf der einen Seite das Interesse des Beklagten an einer möglichst wohnortnahen Prozessführung sowie auf der anderen Seite das Interesse des Klägers an einem möglichst vollstreckungsnahen Gerichtsstand. Ein favor defensoris lässt sich dem allgemeinen Gerichtsstand nur zuschreiben, soweit die verwirklichten Beklagteninteressen schwerer wiegen als die mitverwirklichten Zuständigkeitsinteressen des Klägers. Jedenfalls in Anbetracht der fortschreitenden Liberalisierung des europäischen Anerkennungs- und Vollstreckungsrechts,144 welche das Klägerinteresse an einem vollstreckungsnahen Gerichtsstands zunehmend relativiert, kann dem allgemeinen Gerichtsstand durchaus eine gewisse Tendenz zur Begünstigung des Beklagten attestiert werden.

140 Terminus nach Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 18; Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia_VO Rn. 17; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 240. 141 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 601 ff.; Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.42; Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018, S. 11. 142 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 602; Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018, S. 11. 143 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 601 ff. 144 Vgl. hierzu Geimer, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 2756a ff.

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II. Rechtfertigung des favor defensoris Dass ein Beklagter, welcher möglicherweise zu Unrecht die geschuldete Leistung verweigert, prinzipiell schutzwürdiger sein soll als der Kläger, der einen möglicherweise berechtigten Anspruch behauptet, leuchtet angesichts der Offenheit der Sach- und Rechtslage nicht ohne Weiteres ein. Im Verlauf der langen Historie des Grundsatzes actor sequitur forum rei sind zur Rechtfertigung des zuständigkeitsrechtlichen Beklagtenprivilegs verschiedene Ansätze in Erwägung gezogen worden. Die diskutierten Konzepte reichen von der grundsätzlichen Ablehnung des allgemeinen Beklagtengerichtsstands145 über seine Reduktion auf eine nachrangige Auffangfunktion146 bis hin zu seiner Deutung als zivilprozessuales Abbild der naturalistischen Lage, dass der vermeintliche Gläubiger sich zu seinem Schuldner begeben und das ihm Zustehende dort einfordern muss.147 1. Kurzer Blick auf die rechtshistorischen Ursprünge In der rechtshistorischen Forschung werden die Ursprünge des allgemeinen Beklagtengerichtsstands auf den klassischen römischen Formularprozess zurückgeführt.148 Als Hintergrund werden indes nicht etwa Privilegierungsintentionen, sondern Besonderheiten des römischen Justizsystems gesehen. Die Zuständigkeitsregel wird auf das allgemeine Staats- und Justizverständnis des römischen Reiches zurückgeführt, wonach die Gerichtspflicht als Teilaspekt des weiter gefassten Staat-Bürger-Verhältnisses verstanden149 und dort lokalisiert wurde, wo der Bürger auch im Übrigen dem staatlichen Verwaltungs- und Strafzugriff unterstand.150 Daneben wird auf den strukturellen Aufbau des römischen Justizsystems verwie-

145 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 94. 146 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 240. 147 Vgl. Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 18 f.; in diese Richtung auch AG Köln, Urt. v. 7. 12. 1993 – 129 C 340/93, NJW-RR 1995, 185, 185; Danckwerts, GRUR 2007, 104, 106; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 12 Rn. 2, die den Grundsatz des Beklagtengerichtsstands aus „der Natur der Sache“ ableiten. 148 Bittighofer, Der internationale Gerichtsstand des Vermögens, 1993, S. 42 f.; Wenger, Institutionen des Römischen Zivilprozessrechts, 1925, S. 42 f.; vgl. auch Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 82 ff.; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 229 ff.; Vedie, Arthur T. von Mehren und das internationale Zivilverfahrensrecht im transatlantischen Dialog, 2017, S. 158. 149 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 230; Wenger, Institutionen des Römischen Zivilprozessrechts, 1925, S. 28 ff.; vgl. auch Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band 8, 1849, S. 72 („Fragt man nun, wo der Beklagte seinen regelmäßigen Gerichtsstand hat, so bestimmt diesen das römische Recht dahin: In jeder Stadt, gegen deren Obrigkeit er zum Gehorsam verpflichtet ist, weil er dieser Stadt angehört.“). 150 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 230.

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sen.151 Denn obwohl die Gerichtsgewalt der verschiedenen Rechtsprechungsorgane Roms sowie der lokalen Jurisdiktionen sowohl in räumlicher als auch in persönlicher Hinsicht begrenzt war,152 kannte der römische Formularprozess zunächst kein Säumnisverfahren.153 Ob der Prozess geführt werden konnte, hing maßgeblich von der Mitwirkung des Beklagten ab.154 Daher lag es nahe, den Rechtsstreit den Heimatgerichten des Beklagten zuzuweisen, deren beschränkter Gewalt der Beklagte unterlag und die eine Säumnis durch hoheitlichen Zwang sanktionieren konnten. Während der Kläger als Prozessinitiator zumeist aus eigenem Antrieb an dem Verfahren teilnahm, wurde auf Seiten des Beklagten eine größere Säumnisgefahr vermutet.155 Vor dem Hintergrund dieser heute entfallenen Motive wird dem historischen Beklagtengerichtsstand die Funktion beigemessen, durch Befassung eines gegenüber dem Beklagten zu Zwang befugten Gerichts die Ausübung richterlicher Zivilrechtspflege an sich zu sichern.156 2. Motive des Vertrauensschutzes sowie des Rechtsfriedens Noch heute wird dem Beklagten in Rechtsprechung und Schrifttum mitunter die Rolle eines Verteidigers des rechtlichen Istzustands beigemessen und seine zuständigkeitsrechtliche Privilegierung auf die allgemeine Friedenssicherungs- und Vertrauensschutzfunktion des Rechts157 sowie die Rechtsvermutung melior est causa possidentis158 zurückgeführt. Es entspreche einem elementaren „Rechts- und Ordnungsprinzip“, dass Schutz die Prozesspartei verdiene, die nach einer Wahrung des Istzustands strebe, nicht aber der Angreifer, der den Status quo zu seinen Gunsten überwinden wolle.159 Der Umstand alleine, dass der Kläger den Status quo zu ändern 151 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 82; Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 8; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 230 f. 152 Vgl. hierzu von Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß, Band 2, 1865, S. 123 f.; Kaser, Das Römische Zivilprozessrecht, 1966, S. 181 f. 153 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 82 f.; Geimer, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 1127 (dort Fn. 428); Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 230 f. 154 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 82 f.; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 230. 155 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 82 f. 156 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 82 f.; Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 8; Geimer, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 1127 (dort Fn. 428); Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 229 ff. 157 LG Karlsruhe, Urt. v. 31. 10. 1995 – 12 O 492/95, NJW 1996, 1417, 1418; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 257 („Der Staat muss den Rechtsfrieden wahren, indem er den Beklagten schützt“). 158 Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 201, 232 (dort Fn. 54); Spellenberg, EuR 1980, 329, 334. 159 So wörtlich LG Karlsruhe, Urt. v. 31. 10. 1995 – 12 O 492/95, NJW 1996, 1417, 1418.

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sucht, rechtfertigt seine zuständigkeitsrechtliche Schlechterstellung angesichts des ergebnisoffenen, gleichmäßig auf beidseitigen Rechtsschutz gerichteten Verfahrenszwecks indes nicht.160 Dieser Gedanke basiert vielmehr auf einem Vorgriff auf materiell-rechtlich geprägte Schutzwürdigkeitserwägungen, für die es angesichts der Offenheit der Sach- und Rechtslage an einer tragfähigen Grundlage fehlt.161 Ob der Rechtsfrieden durch eine unberechtigte Forderung des Klägers oder durch eine unberechtigte Erfüllungsverweigerung des Beklagten beeinträchtigt ist, steht nicht ex ante fest, sondern ist im gerichtlichen Verfahren ergebnisoffen zu klären. Stellt sich im Prozessverlauf heraus, dass der Beklagte die Forderung des Klägers zu Unrecht bestreitet, so ist er es, der sich durch seine der materiellen Rechtslage widersprechende Verteidigung dem vorgeschriebenen Status quo widersetzt und ein klärendes Eingreifen des Gerichts erforderlich gemacht hat.162 Bei rein zuständigkeitsrechtlicher Betrachtung stört der Kläger den Rechtsfrieden nicht, sondern führt den bereits vorprozessual entstandenen Streit auf dem gesetzlich vorgesehenen Weg der gerichtlichen Klärung zu. Klage und korrespondierende Verteidigung sind gleichermaßen notwendige Elemente des gerichtlichen Erkenntnisprozesses. Sie ermöglichen keine Rückschlüsse darauf, welche Partei materiell im Recht und daher zu schützen ist.163 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die prozessuale Rollenverteilung bis zu einem gewissen Grad auf Zufall beruht. Die Zufallsabhängigkeit der prozessualen Rollenverteilung illustriert der im Schrifttum vorfindliche Beispielfall, in dem das Rückzahlungsverlangen eines Käufers der Restkaufpreisforderung des Verkäufers gegenübersteht.164 In solchen Konstellationen, in denen die prozessuale Rollenverteilung alleine von der früheren Klageerhebung abhängt, lässt sich der Grundsatz des Beklagtengerichtsstands kaum als Ausdruck erhöhter Schutzwürdigkeit einer Partei deuten. 3. Strukturelle Unterlegenheit der prozessualen Beklagtenstellung Die heute vorherrschende Auffassung rechtfertigt den allgemeinen Gerichtsstand hingegen rein prozessual mit der strukturellen Unterlegenheit der von Natur aus defensiven Beklagtenrolle, die eine Wiederherstellung der prozessualen Waffen-

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Wolf, JZ 1989, 690, 696. Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 235. 162 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 599 („Wer der Störenfried ist, erfahren wir erst im Prozeß.“). 163 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 88. 164 Beispiel nach Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 86 f.; Vedie, Arthur T. von Mehren und das internationale Zivilverfahrensrecht im transatlantischen Dialog, 2017, S. 168. 161

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gleichheit durch ein Beklagtenprivileg auf Zuständigkeitsebene erfordern soll.165 Der EuGH leitet die Gebotenheit des favor defensoris daraus ab, der Beklagte sei „weil er mit der Klage überzogen wird, generell die schwächere Partei.“166 Die strukturellen innerprozessualen Nachteile der Beklagtenstellung werden im Schrifttum in verschiedene Richtungen konkretisiert. a) Kompensation einseitiger Gerichtsunterworfenheit Mitunter wird die Ungleichheit der prozessualen Kräfteverhältnisse aus der Erwägung abgeleitet, die Ausübung der gerichtlichen Gewalt richte sich vornehmlich gegen den Beklagten. Gegenüber der offensiven, nicht mit einer Verurteilungsgefahr verbundenen Position des Klägers erscheine seine prozessuale Stellung unterlegen.167 Die Vorstellung einer einseitigen Gerichtsunterworfenheit des Beklagten ist mit den Funktionen eines modernen Zivilprozesses indes nicht kompatibel. Das erkennende Gericht übt nicht etwa einseitig seine hoheitliche Gewalt über den Beklagten aus, sondern entscheidet parteineutral über das Bestehen eines Anspruchs im prozessualen Sinne. Wird dem Kläger sein vermeintlicher Anspruch rechtskräftig aberkannt, so ist er der Entscheidungsgewalt des erkennenden Gerichts in gleicher Weise ausgesetzt wie der Beklagte, der rechtskräftig zur Leistung verurteilt wird.168 b) Kompensation von Prozesszwang und Einlassungsdruck Andere Stimmen leiten eine strukturelle Unterlegenheit des Beklagten aus der einseitigen Befugnis des Klägers zur Begründung des Prozessrechtsverhältnisses ab.169 Der Kläger könne frei über seine Prozessbeteiligung entscheiden.170 Hingegen werde der Beklagte ungewollt in den Rechtsstreit involviert und zugleich einem erheblichen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Er müsse sich – oftmals unter dem Druck prozessualer Fristen171 – zu den Behauptungen des Klägers einlassen.172 Der 165 Vgl. statt aller EuGH, Urt. v. 20. 3. 1997, Rs. C-295/95, IPRax 1998, 354, 356 – Farrell, Rn. 19; Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 12 Rn. 1; Liebscher/Steinbrück, WM 2020, 359, 359 f. 166 EuGH, Urt. v. 20. 3. 1997, Rs. C-295/95, IPRax 1998, 354, 356 – Farrell, Rn. 19. 167 Coester-Waltjen, in: FS Klamaris, 2016, 173, 173 f.; Neuner, Internationale Zuständigkeit, 1929, S. 23; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 243 („Die Interessen des Beklagten denen des Klägers grundsätzlich vorzuziehen, ist ganz besonders bei der internationalen Zuständigkeit gerechtfertigt, da sich die Ausübung der Gerichtsgewalt in erster Linie gegen den Beklagten richtet.“). 168 Vgl. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 597. 169 LG Karlsruhe, Urt. v. 3. 4. 1989 – 022/89 KfH III, JZ 1989, 690, 693; Berger, GRUR Int 2005, 465, 466; Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 12 Rn. 1; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, vor §§ 12 – 37 Rn. 8. 170 LG Karlsruhe, Urt. v. 3. 4. 1989 – 022/89 KfH III, JZ 1989, 690, 693. 171 Bittighofer, Der internationale Gerichtsstand des Vermögens, 1994, S. 26; Wacke, JA 1980, 654, 655.

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Zwang zur Prozessführung sowie der Druck zur Sacheinlassung sollen es nahelegen, dem Beklagten mit geringem Aufwand, geringerer Säumnisgefahr sowie geringeren Unwägbarkeiten verbundene Einlassungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.173 Dem ließe sich entgegenhalten, über das Institut der negativen Feststellungsklage könne der Beklagte aus eigenem Antrieb sowie zu einem selbst gewählten Zeitpunkt die prozessuale Initiative ergreifen und umgekehrt den Gläubiger zur Prozessführung zwingen.174 Indes besteht die Option einer negativen Feststellungsklage allenfalls, wenn der Beklagte die Klageabsicht des angeblichen Gläubigers derart frühzeitig kennt, dass er einer Leistungsklage mit ausreichender Prozessvorbereitung zuvorkommen kann.175 Selbst in diesem Fall ändert der prozessuale Rollentausch nichts daran, dass der negative Feststellungskläger in ein letztlich unerwünschtes Gerichtsverfahren involviert wird. Negativer Feststellungsklage und Leistungsklage ist gemein, dass der angebliche Gläubiger durch Behauptung eines Anspruchs die gerichtliche Auseinandersetzung heraufbeschwört. Angesichts der typisierenden Betrachtungsweise, die Art. 4 Abs. 1 EuGVVO zugrunde liegt, hat das Institut der negativen Feststellungsklage zudem bereits im Ausgangspunkt außer Betracht zu bleiben. Die negative Feststellungsklage fungiert als gesetzessystematische Ausnahmeerscheinung und ist innerhalb des regeltypischen Zivilprozesses, dessen Interessenlage der allgemeine Gerichtsstand pars pro toto zugrunde legt, kein ausschlaggebender Faktor.176 Auch im Fall einer Leistungsklage des materiellen Gläubigers trifft der „Prozesszwang“ indes nicht einseitig den Beklagten.177 Verweigert der Beklagte vorprozessual die Erfüllung, so ist vor dem Hintergrund des staatlichen Gewaltmonopols der Kläger zur Prozessführung gezwungen, sofern er nicht auf die Realisierung seiner Forderung verzichten will.178 Durch vorprozessuale Erfüllungsverweigerung zwingt der Beklagte den Kläger in gleichem Maße zu einem Rechtsstreit, wie der Kläger dem Beklagten mit der Klageerhebung eine Verteidigung aufzwingt.179 Beide 172 Vgl. Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.42; Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 12 Rn. 1; vgl. zu §§ 12 ff. ZPO auch Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 12 Rn. 2 173 Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020 § 6 Rn. 6.42; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 12 Rn. 2; Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 12 Rn. 1. 174 Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 468 f.; Wolf, JZ 1989, 690, 696. 175 Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018, S. 11. 176 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 600; Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018, S. 11. 177 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 236. 178 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 90; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 236; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 599 f.; Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 17. 179 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 90; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 236; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 2012, S. 599 f.

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

Prozessparteien können eine günstige Gerichtsentscheidung durch Erfüllung ihrer prozessualen Mitwirkungslasten befördern oder das Unterliegen in Kauf nehmen.180 Genau wie der Kläger auf die prozessuale Durchsetzung seiner Forderung verzichten kann, kann der Beklagte ein Gerichtsverfahren durch außergerichtliche Erfüllung vermeiden.181 Bei näherer Betrachtung ist der faktische Prozesszwang daher kein einseitiges Phänomen, sondern trifft in Gestalt eines zumeist wirtschaftlichen Mitwirkungsanreizes beide Parteien. c) Kompensation fehlender Gestaltungsmöglichkeiten und erschwerter Prozessvorbereitung Strukturelle Nachteile des Beklagten werden ferner aus der ungleichen Verteilung prozessualer Gestaltungsmöglichkeiten abgeleitet.182 Denn dem Kläger obliegt sowohl die Entscheidung über den Gegenstand183 als auch über den Zeitpunkt184 des Rechtsstreits. Aus der einseitigen prozessualen Gestaltungsmacht resultieren überlegene Vorbereitungsmöglichkeiten. Der Kläger kann Chancen und Risiken eines Gerichtsverfahrens gegeneinander abwägen und die Klage dann erheben, wenn er sämtliche für erforderlich erachteten Vorkehrungen getroffen hat.185 Hingegen hat der Beklagte auf den konkreten Prozesszeitpunkt keinen Einfluss und muss sich ungeachtet seines Vorbereitungsstandes verteidigen.186 Da der Kläger entscheiden kann, welche Tatsachen er zur Anspruchsbegründung vorträgt, ist der Beklagte einer Ungewissheit ausgesetzt. Zwar wird der Rechtsstreit 180 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 90; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 236. 181 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 90. 182 LG Karlsruhe, Urt. v. 3. 4. 1989 – 022/89 KfH III, JZ 1989, 690, 693; AG Köln, Urt. v. 7. 12. 1993 – 129 C 340/93, NJW-RR 1995, 185, 185; Bittighofer, Der internationale Gerichtsstand des Vermögens, 1994, S. 26; Lehmann/Duczek, IPRax 2011, 41, 47; Patzina, in: MüKo, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 12 Rn. 2; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 12 Rn. 2; Wacke, JA 1980, 654, 655; Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 18; in diese Richtung auch Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 468 f. 183 Vgl. Danckwerts, GRUR 2007, 104, 106; Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 468; Liebscher/Steinbrück, WM 2020, 359, 360; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 12 Rn. 2. 184 AG Köln, Urt. v. 7. 12. 1993 – 129 C 340/93, NJW-RR 1995, 185; LG Karlsruhe, Urt. v. 3. 4. 1989 – 022/89 KfH III, JZ 1989, 690, 693; Danckwerts, GRUR 2007, 104, 106; Liebscher/ Steinbrück, WM 2020, 359, 360; Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 468; Patzina, in: MüK, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 12 Rn. 2; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 600; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 12 Rn. 2; Wacke, JA 1980, 654, 655. 185 LG Karlsruhe, Urt. v. 3. 4. 1989 – 022/89 KfH III, JZ 1989, 690, 693; Bittighofer, Der internationale Gerichtsstand des Vermögens, 1994, S. 26; vgl. auch Patzina, in: MüKo, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 12 Rn. 2; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 600. 186 Wacke, JA 1980, 654, 655.

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zumeist aus einem Lebenssachverhalt resultieren, in den der Beklagte involviert war.187 Auch soweit sich der Rechtsstreit erkennbar im Vorfeld abzeichnet, beseitigt dies den überraschenden Effekt des klägerischen Tatsachenvortrags jedoch nicht vollständig. Denn erst mit Klagezustellung erlangt der Beklagte letztlich Gewissheit über das „Ob“ des Prozesses sowie über die Tatsachenbehauptungen, auf die sich der Kläger letztlich zur Begründung seiner Forderung stützt.188 Vor Klagezustellung kennt der Beklagte die streitgegenständlichen Tatsachen nicht im Detail, was gezielte Maßnahmen zur Vorbereitung der Rechtsverteidigung erschwert. Nach Klagezustellung kennt der Beklagte die zur Anspruchsbegründung vorgetragenen Tatsachen zwar, kann aber nur noch innerhalb eines straffen Korsetts aus prozessualen Fristen reagieren.189 Auch mit der Dispositionsmöglichkeit des Klägers über den Zeitpunkt der Klageerhebung geht eine gewisse Überrumpelungsgefahr einher. Zwar wird der Gestaltungsspielraum zumeist durch die Vorgaben des Verjährungsrechts eingegrenzt190 und kann durch Aspekte wie die drohende Insolvenz des Schuldners oder das wirtschaftliche Angewiesensein auf die ausstehende Forderung zusätzlich beschränkt werden.191 Im Regelfall dürfte dem Kläger aber dennoch ein gewisser Gestaltungsspielraum verbleiben.192 Verjährungsregeln und äußere Zwänge schaffen allenfalls einen Zeitkorridor, innerhalb dessen der Kläger den Klagezeitpunkt bestimmen und der Beklagte den Prozesszeitpunkt nur begrenzt antizipieren kann.193 Wenngleich das Gericht einem Überrumpelungseffekt der Klage zumeist durch angepasste Verfahrensgestaltung begegnen wird, eröffnen verlängerte Einlassungsfristen während des laufenden Prozesses dem Beklagten keine Vorbereitungs- und Entscheidungsfreiräume, die mit den klägerseitigen Spielräumen im vorprozessualen Stadium vergleichbar wären.

187 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 600; Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, S. 18. 188 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, S. 600; Wais, der Europäische Gerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 18. 189 Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 18. 190 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 90; Wais, der Europäische Gerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 18. 191 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 90; Wais, der Europäische Gerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 18. 192 Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 18. 193 Wacke, JA 1980, 654, 655; Wais, der Europäische Gerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 18.

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

d) Erstes Zwischenfazit In den Prozessrollen des Klägers und des Beklagten ist zumindest keine krasse Asymmetrie angelegt, die im Sinne eines unabweisbaren Gerechtigkeitsaxioms194 nach einer Kompensation auf Zuständigkeitsebene verlangen würde. Allenfalls mit Blick auf die überlegenen Einflussmöglichkeiten auf Gegenstand und Zeitpunkt des Rechtsstreits geht mit der Klägerrolle ein prozessualer Vorteil einher, der sich in tendenziell größeren Freiräumen bei der Prozessvorbereitung niederschlagen kann. Die leichte Kräftedisparität spricht für einen allenfalls schwach ausgeprägten favor defensoris auf Zuständigkeitsebene.195 Ob der eher schwach ausgeprägte Klägervorteil die erhebliche Beklagtenprivilegierung aufzuwiegen vermag, die mit dem Grundsatz des actor sequitur forum rei im internationalen Kontext verbunden ist, lässt sich durchaus bezweifeln.196 4. Rechtfertigung im Gesamtsystem der Art. 4 ff. EuGVVO Zu berücksichtigen ist indes, dass der Grundsatz des actor sequitur forum rei weder den Kläger zu einer Klage am Beklagtenwohnsitz zwingt noch den Beklagten umfassend vor einer Gerichtspflicht außerhalb seines Wohnsitzstaats schützt.197 Der favor defensoris des allgemeinen Gerichtsstands wird vielmehr durch die Alternative einer Klage vor den besonderen Gerichtsständen der Art. 7, 8 EuGVVO relativiert.198 In Teilen des Schrifttums wird der allgemeine Gerichtsstand daher als integraler Bestandteil eines in seiner Gesamtheit angemessenen Zuständigkeitsregimes gerechtfertigt, welches durch das Zusammenspiel zwischen dem allgemeinen Be-

194

Begriff angelehnt an Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.42. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 600; Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 11; Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 468 f.; Spellenberg, IPRax 1981, 74, 76; Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, 18. 196 Kritisch insoweit Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 94; Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 468 f.; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 600 („Das Prinzip des actor sequitur forum rei wäre daher nicht zu halten, wenn nicht weitere Gesichtspunkte zu seiner Rechtfertigung hinzutreten würden.“); vgl. auch Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 11; Geimer, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 1131; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, S. 256 ff.; Leible, in: FS Spellenberg, 2010, S. 451, 451; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 1; Spellenberg, EuR 1980, 329, 334; Spellenberg, IPRax 1981, 74, 76. 197 Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 16; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 601. 198 Kropholler, in: Basedow/Herrmann (Hrsg.), Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 1982, Kap. 3 Rn. 265; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 601; Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, 2018, S. 11. 195

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klagtengerichtsstand und dem Klägerwahlrecht zugunsten der besonderen Gerichtsstände auf die Gewährleistung prozessualer Waffengleichheit abzielt.199 Wären die Klagemöglichkeiten auf den Wohnsitzstaat des Beklagten beschränkt, würden die Zuständigkeitsinteressen des Klägers weitgehend hinten angestellt und die grenzüberschreitende Forderungsdurchsetzung empfindlich erschwert. Pfeiffer hat aus dem Justizgewährungsanspruch des Klägers deshalb das Erfordernis abgeleitet, neben dem parteibezogenen allgemeinen Gerichtsstand müsse dem Kläger im Regelfall eine streitgegenstandsbezogene Alternative zur Verfügung stehen.200 Umgekehrt erfordere der lückenhafte Charakter der besonderen Gerichtsstände, dass dem Kläger neben den streitgegenstandsbezogenen Zuständigkeiten ein lückenloser, streitgegenstandsunabhängiger Gerichtsstand offen stehe.201 Nach diesem Verständnis ist der allgemeine Gerichtsstand nicht etwa als einseitige Privilegierung des Beklagten, sondern als eine von mehreren Wahlmöglichkeiten des Klägers konzipiert.202 Innerhalb eines Zuständigkeitsregimes, welches durch die Gegenpole eines Wohnsitzgerichtsstands sowie abweichender streitgegenstandsbezogener Gerichtsstände den Zuständigkeitsinteressen beider Parteien angemessen Rechnung zu tragen versucht, sprechen für die Lokalisierung des allgemeinen Gerichtsstands am Wohnsitz des Beklagten verschiedene Erwägungen. Verlangt der Justizgewährungsanspruch des Klägers zumindest einen lückenlosen, streitgegenstandsunabhängigen Gerichtsstand, spricht vieles dafür, diesen an jenem Ort zu lokalisieren, den der Beklagte keinesfalls als exorbitant empfinden kann.203 Dahinter mag auch der Sachzwang stehen, dass sich die Verteilung der widerstreitenden Privilegien – Heimatgerichtsstand und abweichendes Wahlrecht – nicht umkehren ließe. Denn ein Rollentausch in dem Sinne, dass der allgemeine Gerichtsstand am Sitz des Klägers lokalisiert und der Beklagte zur Auswahl besonderer Gerichtsstände ermächtigt würde, wäre weder praktisch durchführbar noch angesichts der erheblichen Verzö199 Adolphsen, EuZVR, 2. Aufl. 2015, 3. Kap. Rn. 66; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 87 („das in Artt. 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 verankerte Prinzip des Beklagtenwohnsitzes als allgemeinem Gerichtsstand mit limitiert zulässigen Sondergerichtsständen ist letztlich nur eine bestimmte Ausgestaltung des übergeordneten Prinzips der ,Waffengleichheit‘ im Prozess, an der sich auch die Gerichtsstandsregeln messen lassen müssen.“); vgl. auch Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 10 ff.; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, S. 256 ff.; Mankowski, IPRax 2007, 404, 413; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 599 ff.; Pfeiffer, ZZP 106 (1993), 159, 161; Spellenberg, IPRax 1981, 75, 76 f. sowie mit Blick auf die §§ 12 ff. ZPO Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 12 Rn. 2. 200 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1971, S: 601. 201 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1971, S: 602. 202 Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 10 f.; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 601 ff.; in diese Richtung auch Spellenberg, IPRax 1981, 74, 76 f. 203 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1971, S. 602.

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

gerungsmöglichkeiten des Beklagten mit dem Justizgewährungsanspruch des Klägers zu vereinbaren.204 Zudem spricht das stärker ausgeprägte Interesse des Klägers an einem vollstreckungsnahen Gerichtsstand dafür, den allgemeinen Gerichtsstands am Beklagtenwohnsitz zu verorten. Das Vollstreckungsinteresse des Klägers vermag die Belastungen eines ausländischen Erkenntnisverfahrens eher aufzuwiegen als es im umgekehrten Fall eines allgemeinen Klägergerichtsstands das schwächer ausgeprägte Interesse des Beklagten an der vereinfachten Vollstreckung seiner Kostenerstattungsansprüche wäre. 5. Zusammenfassung und Folgerungen Der favor defensoris des allgemeinen Gerichtsstands rechtfertigt sich demnach aus seinem Zusammenspiel mit den besonderen Gerichtsständen. Das Nebeneinander von allgemeinem Beklagtengerichtsstand und dem Klägerwahlrecht zugunsten einer streitgegenstandsbezogenen Alternative zielt insgesamt auf die gleichwertige Berücksichtigung der Zuständigkeitsinteressen beider Parteien. Innerhalb dieses Gesamtkonzepts erscheint die Allokation des allgemeinen Gerichtsstands am Wohnsitz des Beklagten eher als von Sachzwängen geleitete Abwägungsentscheidung denn als elementares Gerechtigkeitsaxiom.205 Aus diesem Grundverständnis der Art. 4 ff. EuGVVO lassen sich für die weitere Untersuchung zwei wesentliche Rückschlüsse ziehen. Erstens: Hinter dem allgemeinen Beklagtengerichtsstand steht kein alternativloses Gerechtigkeitspostulat, das durch maximale Restriktion abweichender Zuständigkeitsregeln gewahrt werden müsste. Zweitens: Ist der allgemeine Beklagtengerichtsstand primär deshalb gerechtfertigt, weil dem Kläger im Regelfall eine streitgegenstandsbezogene Alternative zur Verfügung steht, so setzt das wechselseitige Legitimationsverhältnis von allgemeinem und besonderen Gerichtsständen vielmehr der Restriktion der besonderen Gerichtsstände Grenzen. Denn durch übergebührliche Einschränkung der besonderen Gerichtsstände wird die Bedeutung des allgemeinen Gerichtsstands gesteigert, das zuständigkeitsrechtliche Gleichgewicht zulasten des Klägers gestört und letztlich die prozessuale Waffengleichheit gefährdet.206

III. Die besonderen Gerichtsstände als eng auszulegende Ausnahmevorschriften Dennoch betont der EuGH in ständiger Rechtsprechung, die besonderen Gerichtsstände wichen von dem Grundsatz des Beklagtengerichtsstands ab und 204

Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 601 f.; vgl. auch Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 16. 205 Begriff angelehnt an Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.42. 206 Mankowski, IPRax 2007, 404, 413; Stammwitz, Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Kartelldelikten, 2018, S. 124 f.

D. Der Grundsatz actor sequitur forum rei

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seien deshalb eng auszulegen sowie keinesfalls über die ausdrücklich in der Verordnung geregelten Fälle hinaus zu erweitern.207 Mit dieser Formulierung bedient sich der EuGH der Auslegungsregel singularia non sunt extendenda, welche in der deutschen Methodenlehre auf nahezu einhellige Ablehnung stößt,208 auf Ebene des Unionsrechts aber sachgebietsübergreifend zu den häufigsten Argumentationsfiguren zählt.209 In deutlichem Kontrast zu dem immer wieder betonten Postulat der engen Auslegung handhabt der EuGH die besonderen Gerichtsstände der Art. 7, 8 EuGVVO aber mitunter durchaus klägerfreundlich.210 So lässt sich das Ubiquitätsprinzip, welches der EuGH dem europäischen Deliktsgerichtsstand seit der Entscheidung Mines de Potasse entnimmt, kaum als Ergebnis einer restriktiven Auslegung erklären.211 Nicht minder klägerfreundlich interpretiert der EuGH den europäischen Erfüllungsortgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO, aus welchem er zugunsten eines Flugreisepassagiers ein Wahlrecht zwischen den Gerichten am Abflug- und Ankunftsort herleitet.212 Ausgesprochen weit hat der EuGH in der Rechtssache SAR Schotte ferner den besondere Gerichtsstand der Niederlassung gemäß Art. 7 Nr. 5 EuGVVO ausgelegt und bereits dem Rechtsschein einer Zweigniederlassung gerichtsstandbegründende Wirkung beigemessen. 213 Im Schrifttum wird die Grunddirektive einer engen Auslegung besonderer Gerichtsstände angesichts derartiger Judikate als „bloße Wortfloskel“214 oder als reine „petitio principii“215 bezeichnet und der Ausnahmecharakter der besonderen Gerichtsstände in Frage gestellt.216 Die Bewertung eines Auslegungsergebnisses als „eng“ oder als „zu 207

Vgl. statt aller EuGH, Urt. v. 16. 7. 2009, Rs. C-189/08, NJW 2009, 3501, 3502 – Zuid Chemie, Rn. 22; EuGH, Urt. v. 16. 5. 2013, Rs. C-228/11, NJW 2013, 2099, 2100 – Melzer, Rn. 24. 208 Vgl. statt aller Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Auf. 1991, S. 440; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 181; Danwerth, ZfPW 2017, 230, 235 f.; Effer-Uhe, in: FS Prütting, 2018, 15, 16 ff.; Heck, AcP 112 (1914), 1, 186 ff.; Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 10 Rn. 62 ff.; Rosenkranz, JURA 2015, 783, 783; Würdinger, AcP 206 (2006), 946, 956 ff. 209 Baldus/Raff, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Enzyklopädie Europarecht, Band 6, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 1. Aufl. 2016, § 3 Rn. 63; Herberger, Ausnahmen sind eng auszulegen, 2017, S. 44 ff.; Herberger, EuZA 2019, 310, 310 ff. 210 Mankowski, IPRax 2007, 404, 413; von Hein, IPRax 2013, 505, 511; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, vor Art. 5 Rn. 3; Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 14. 211 EuGH, Urt. v. 30. 11. 1976 – Rs. 21/76, NJW 1977, 493 f. – Mines de Potasse, Rn. 15/19. 212 EuGH, Urt. v. 9. 7. 2009, Rs. C-204/08, NJW 2009, 2801, 2803 – Rehder, Rn. 43 ff. 213 EuGH, Urt. v. 9. 12. 1987, Rs. 218/86, NJW 1988, 625 – SAR Schotte, Rn. 14 ff. 214 Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 3. 215 Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Brussels Ibis Regulation Rn. 27. 216 Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 15; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, S. 259; Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im europäischen Zivilprozessrecht, 2014,

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Kap. 1: Wertungsgrundlagen

weit“ sei letztlich rechtspolitischer Natur, gehe von dem gewünschten Ergebnis aus und bewege sich in der Nähe eines Zirkelschlusses.217 1. Zur Eingrenzungsbedürftigkeit besonderer Gerichtsstände Die sprachlich im Verordnungswortlaut angelegte Differenzierung zwischen allgemeinen und besonderen Zuständigkeiten deutet nicht etwa ein Regel-Ausnahme-Verhältnis an, sondern kennzeichnet den Umstand, dass besondere Gerichtsstände die örtliche Zuständigkeit mitregeln und somit jedweden Rückgriff auf Zuständigkeitsregeln der lex fori processualis erübrigen.218 Da die besonderen Gerichtsstände mit den vertraglichen und deliktischen Rechtsstreitigkeiten weite Teilbereiche der allgemeinen Zivil- und Handelssachen erfassen, dürfte die Eröffnung zumindest eines besonderen Gerichtsstands auch statistisch betrachtet eher der Regel als einem Ausnahmefall entsprechen.219 a) Enge Auslegung als Konsequenz des effet utile-Gedankens In der europäischen Methodenlehre wird der singularia-Satz des EuGH mit dem Grundsatz des effet utile in Verbindung gebracht.220 Ausnahmetatbestände resultierten daraus, dass über die vollständige Verwirklichung des Vereinheitlichungsoder Integrationsziels eines Rechtsakts zwischen den Mitgliedstaaten keine Einigkeit erzielt worden sei. Dennoch dürfe das Integrationsziel nicht durch extensive Handhabung von Ausnahmetatbeständen, die letztlich auf im Gesetzgebungsverfahren gefundenen Kompromissen beruhten, ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt werden.221 Dementsprechend kommt der singularia-Satz in der Rechtsprechung des EuGH vornehmlich bei der Interpretation von Bereichsausnahmen zum Tragen, welche den Anwendungsbereich einer Grundfreiheit oder eines Rechtsakts begrenzen oder lokale Abweichungen von unionsrechtlichen Standards erlauben.222 Derartige Bestimmungen hat der EuGH mitunter gar explizit wegen ihres Widerspruchs zu besonders zentralen Integrations- und Vereinheitlichungszielen des S. 27 ff.; Mankowski, IPRax 2007, 404, 413; Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 430 f.; Roth, in: FS Kronke, 2020, 471, 480; vgl. auch Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 3. 217 Thole, in: FS Schilken, 2015, 524, 530. 218 Bericht von Herrn P. Jenard zu dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 1979, S. 22; Stammwitz, Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Kartelldelikten, 2018, S. 123. 219 Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 14. 220 Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 10 Rn. 63; Ulber, EuZA 2014, 202, 207 f. 221 Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 10 Rn. 63. 222 Gößling, Europäisches Kollisionsrecht und internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 2019, S. 68 ff.; vgl. auch die Beispiele bei Schilling, EuR 1996, 44, 47.

D. Der Grundsatz actor sequitur forum rei

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Unionsrechts als restriktionsbedürftige Ausnahmen klassifiziert.223 Aus dem Bereich des europäischen Zivilverfahrensrechts bilden die Anerkennungshindernisse des Art. 45 Abs. 1 AEUVein anschauliches Beispiel, deren Restriktionsbedürftigkeit der EuGH aus ihrem Widerspruch zu dem in Erwägungsgrund 3 der EuGVVO verankerten Ziel der Urteilsfreizügigkeit herleitet. Art. 45 Abs. 1 EuGVVO sei, so formuliert der EuGH, „eng auszulegen, da er ein Hindernis für die Verwirklichung eines der grundlegenden Ziele des Übereinkommens bildet.“224 Ein vergleichbarer Widerspruch zu den zentralen Integrationszielen der EuGVVO lässt sich den besonderen Gerichtsständen nicht attestieren. Die Art. 7, 8 EuGVVO stellen sicher, dass neben den Zuständigkeitsinteressen des Beklagten auch jene des Klägers angemessen zur Geltung kommen und sind im Hinblick auf das in Erwägungsgrund 3 angelegte Ziel einer Stärkung des Rechtsschutzes im Binnenmarkt ihrerseits von erheblicher Bedeutung. Bliebe die Gerichtspflicht des Beklagten auf dessen Wohnsitz beschränkt, so wäre eine Forderungsdurchsetzung im Binnenmarkt empfindlich erschwert und die Nutzung der Grundfreiheiten in ihrer Attraktivität beeinträchtigt. b) Verbleibende Restriktionsbedürftigkeit Eine gewisse Restriktionsbedürftigkeit kann den besonderen Gerichtsständen dennoch nicht abgesprochen werden. Das Grundgleichgewicht, welches der allgemeine Gerichtsstand im Zusammenspiel mit den besonderen Gerichtständen herstellt, wird zulasten des Beklagten gestört, wenn die besonderen Gerichtsstände über Gebühr erweitert werden und das Klägerwahlrecht somit in einem Maße ausgedehnt wird, dass es das Gegengewicht des allgemeinen Beklagtengerichtsstands überwiegt. Eine gewisse Einschränkung der besonderen Gerichtsstände ist auch vor dem Hintergrund der binnenmarktfinalen Zielsetzung des europäischen Zuständigkeitsrechts zwingend.225 Das Ziel einer Verbesserung des Rechtsschutzes im Binnenmarkt erfordert nicht nur eine verlässliche, zeit- und kostensparende Forderungsdurchsetzung, sondern auch die Beseitigung von Handelshemmnissen, die aus einer aus-

223 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 28. 4. 2009, Rs. C-420/07, BeckRS 2009, 70441 – Apostolides, Rn. 35; EuGH, Urt. v. 12. 2. 1974, Rs. 152/73 – Sotgiu, Rn. 4; EuGH, Urt. v. 21. 6. 1974, Rs. 2/ 74 – Reyners, Rn. 42/43. 224 So wörtlich EuGH, Urt. v. 28. 3. 2000, Rs. C- 7/98, NJW 2000, 1853, 1854 – Krombach, Rn. 21; vgl. auch EuGH, Urt. v. 2. 6. 1994, Rs. C- 414/92, NJW 1995, 38, 39 – Solo Kleinmotoren, Rn. 20; EuGH, Urt. v. 11. 5. 2000, Rs. C-38/98, NJW 2000, 2185, 2186 – Renault, Rn. 26; EuGH, Urt. v. 28. 4. 2009, Rs. C-420/07, BeckRS 2009, 70441 – Apostolides, Rn. 55; vgl. hierzu Baldus/Raff, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Enzyklopädie Europarecht, Band 6, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 1. Aufl. 2016, § 3 Rn. 63; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, 1999, 449 f. 225 Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462.

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ufernden Gerichtspflicht resultieren.226 Auch wenn mitgliedstaatlichen Wirtschaftstätigkeiten mit einer unvorhersehbaren oder vielfachen Gerichtspflicht verbunden sind, erschwert dies die Planung sowie die Bewertung von Haftungsrisiken und beeinträchtigt die Nutzung der Grundfreiheiten in ihrer wirtschaftlichen Attraktivität. 2. Effet utile als Grenze der restriktiven Auslegung Dies bedeutet freilich nicht, dass der Anwendungsbereich der besonderen Gerichtsstände möglichst weitgehend zu beschränken wäre. Außerhalb des zivilverfahrensrechtlichen Bereichs hat der EuGH die Grunddirektive einer engen Auslegung verschiedentlich durch die Formulierung konkretisiert, Ausnahmetatbestände dürften „nicht weiter reichen, als der Zweck es erfordert, um dessentwillen sie vorgesehen sind.“227 Eine methodische Grenze hat der EuGH der engen Auslegung daneben auch gesetzt, indem er wiederholt betont hat, durch enge Auslegung dürfte der Ausnahmetatbestand nicht seiner praktischen Wirksamkeit beraubt werden.228 Im zivilprozessualen Kontext hat der EuGH den Grundsatz des effet utile insbesondere einer übergebührlichen Restriktion des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung entgegengehalten. Nicht zuletzt hat er das Ubiquitätsprinzip sowie das damit verbundene Klägerwahlrecht zwischen Handlungs- und Erfolgsort in der Rechtssache Mines de Potasse auf die Erwägung gestützt, eine ausschließliche Anknüpfung an den Handlungsort habe ein oftmaliges Zusammenfallen des Tatortgerichtsstands mit dem allgemeinen Gerichtsstand des Schädigers zur Folge, welches den Deliktsgerichtsstand in seiner praktischen Wirksamkeit beeinträchtige.229 Auf den effet utile hat der EuGH auch in den Rechtssachen Shevill und Zuid Chemie Bezug genommen.230 Aus dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit leitet der EuGH insoweit ein widerstreitendes Auslegungsziel ab, das die Grunddirektive der engen Auslegung nach unten hin begrenzt. Dahinter steht die Erkenntnis, dass auch Ausnahmevor226 Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462 („Ein wesentliches Anliegen der EuGVVO besteht darin, die Gerichtspflichtigkeit als mögliches Hindernis für grenzüberschreitende Aktivitäten einzugrenzen.“). 227 So im grundfreiheitlichen Kontext EuGH, Urt. v. 12. 2. 1974, Rs. 152/73 – Sotgiu, Rn. 4; EuGH, Urt. v. 21. 6. 1974, Rs. 2/74 – Reyners, Rn. 42/43; vgl. auch EuGH, Urt. v. 28. 4. 2009, Rs. C-420/07, BeckRS 2009, 70441 – Apostolides, Rn. 35. 228 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 3. 9. 2014, Rs. C-201/13 – Deckmyn, Rn. 23; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-19/13 – Fastweb, Rn. 40; EuGH, Urt. v. 26. 9. 2013, Rs. C-189/11, BeckRS 2013, 81865 – Kommission./.Spanien, Rn. 65; EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009, Rs. C-461/08 – Don Bosco, Rn. 25. 229 EuGH, Urt. v. 30. 11. 1976, Rs. 21/76, NJW 1977, 493, 493 f. – Mines de Potasse, Rn. 20/ 23. 230 EuGH, Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881, 1882 – Shevill, Rn. 22, 27; EuGH, Urt. v. 16. 7. 2009, Rs. C-189/08, NJW 2009, 3501, 3502 – Zuid-Chemie, Rn. 30; vgl. auch GA Cruz Villalon, Schlussanträge v. 29. 3. 2011, Rs. C-509/09 und C-161/10 – eDate Advertising und Martinez, Rn. 34.

D. Der Grundsatz actor sequitur forum rei

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schriften ein eigenständiger Normzweck zugedacht ist, der ungeachtet des Ausnahmecharakters durch Auslegung ermittelt und zur Anwendung gebracht werden muss.231 Die beiden Grunddirektiven des EuGH – Restriktion und effet utile – treten bei der Auslegung von Ausnahmevorschriften in einen Konflikt,232 der durch Abwägung zwischen den Zielen der Ausnahme sowie jenen der übergeordneten, lokal durchbrochenen Grundregel aufgelöst werden muss.233 3. Fazit Die Grunddirektive der engen Auslegung besagt somit nicht, in welchem Umfang der favor defensoris des Art. 4 Abs. 1 EuGVVO anderen Zuständigkeitsinteressen konkret weichen muss.234 Vielmehr sind die Interessen des Beklagten an einem Schutz vor fremdstaatlicher Gerichtsgewalt sowie das Ziel einer Eingrenzung von Gerichtspflichtrisiken im Binnenmarkt mit den Zuständigkeitsinteressen abzuwägen, die hinter dem besonderen Gerichtsstand stehen. Entscheidend kommt es darauf an, ob eine Abweichung vom Grundsatz des actor sequitur forum rei nach der Abwägung der Zuständigkeitsinteressen von Parteien, Gericht und Forumstaat, wie sie im System der Art. 4 ff. EuGVVO gewichtet sind, gerechtfertigt ist.235 Das Gebot der engen Auslegung besonderer Gerichtsstände lässt sich daher in zweifacher Hinsicht konkretisieren. Zum einen ist die Vervielfältigung der besonderen Gerichtsstände tendenziell zu vermeiden, da sie dem Ziel einer Eingrenzung der Gerichtspflichtrisiken zuwiderläuft.236 Zum anderen sind beziehungsarme Gerichtsstände, die nur eine schwache teleologische Legitimation aufweisen, in der Abwägung mit den gewichtigen Beklagtenschutzzielen des Art. 4 Abs. 1 EuGVVO regelmäßig nicht zu halten.

231 Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, 1999, 449; Muscheler, in: FS Kruse, 2001, 135, 148. 232 Baldus/Raff, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Enzyklopädie Europarecht, Band 6, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 1. Aufl. 2016, § 3 Rn. 67. 233 von Hein, IPRax 2013, 505, 510 f.; von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 54. 234 Weller, IPRax 2000, 202, 207. 235 Weller, IPRax 2000, 202, 207; Weller, ZVglRWiss 112 (2013) S. 89, 93. 236 Vgl. Roth, in: FS Schilken, 2015, 427, 430 f.

Kapitel 2

Der Gerichtsstand am Handlungsort Neben den allgemeinen Beklagtengerichtsstand tritt für Klagen aus unerlaubter Handlung gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ein besonderer Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses. Dies begründet der Jenard-Bericht aus dem Jahre 1979 zum einen mit der Verbreitung eines entsprechenden Gerichtsstands in den Prozessordnungen der Mitgliedstaaten sowie zum anderen mit der Häufigkeit grenzüberschreitender Verkehrsunfälle.1 Seit der Entscheidung Mines de Potasse legt der EuGH den Tatortgerichtsstand im Sinne des klägerfreundlichen Ubiquitätsprinzips aus und gewährt dem Geschädigten im Falle eines Distanzdelikts ein Wahlrecht zwischen Gerichtsständen am Handlungs- und Erfolgsort.2 Die Lokalisierung der Erfolgsorte verschiedenster Deliktstypen stand in der Vergangenheit im Zentrum viel beachteter Leitentscheidungen und hat sich angesichts der Vielzahl denkbarer Anlageformen und Haftungsgründe insbesondere im Bereich der Kapitalanlagedelikte als immer wiederkehrender Problemfall erwiesen.3 Hingegen wird der Handlungsort wegen seines „faktischen Charakters“4 verbreitet als unproblematische Komponente des Ubiquitätsprinzips angesehen und hat in Rechtsprechung und Schrifttum bislang eher eine untergeordnete Rolle gespielt.5 Dass die Dogmatik des Handlungsortgerichtsstands in der Literatur mitunter als „unausgereift“6 und seine belastbare Lo-

1

Bericht von Herrn P. Jenard zu dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 1979, S. 26. 2 EuGH, Urt. v. 30. 11. 1976, Rs 21/76, NJW 1977, 493, 493 f. – Mines de Potasse, Rn. 8/ 12 ff. 3 EuGH, Urt. v. 10. 6. 2004, Rs. C-168/02, NJW 2004, 2441, 2442 – Kronhofer, Rn. 11 ff.; EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015, Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1584 – Kolassa, Rn. 48 ff.; EuGH, Urt. v. 16. 6. 2016, Rs. C-12/15, NJW 2016, 2167, 2168 f – Universal Music, Rn. 21 ff.; EuGH, Urt. v. 12. 9. 2018, Rs. C-304/17, EuZW 2018, 998, 998 f. – Löber, Rn. 16 ff. 4 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 19a; vgl. auch Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 264. 5 Vgl. Eichel, IPRax 2019, 16, 16 („wobei die dogmatische Aufarbeitung des Handlungsorts noch ein gewisses Schattendasein führt.“). 6 Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 430; vgl. auch Roth, in: FS Kronke, 2020, 471, 471 („dogmatisch vergleichbar unterentwickelten […] Handlungsort.“).

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands

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kalisierung als „bisher nicht gelungen“7 bezeichnet wird, überrascht vor diesem Hintergrund nicht. Die Untersuchung nähert sich dem Gerichtsstand am Handlungsort anhand einer Betrachtung der Zwecke des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, welche primär in der besonderen Sach- und Beweisnähe, mitunter aber auch in einem besonderen Schutz des Deliktsopfers gesehen werden (dazu I.). In den Blick genommen werden auch die prozessualen Darlegungsanforderungen, die das europäische Zuständigkeitsrecht traditionell der lex fori processualis überlässt, die in jüngerer Vergangenheit aber zunehmend unionsrechtlich überformt werden (dazu II.). Anschließend wendet sich die Untersuchung dem prozessualen Handlungsort zu. Keine besonderen Schwierigkeiten verursacht die Lokalisierung des Gerichtsstands, sofern bei naturalistischer Betrachtung nur eine Handlung des Beklagten in Streit steht. Schon im Falle der Alleintäterschaft werden grenzüberschreitende Delikte typischerweise jedoch nicht durch einen isolierten Akt verwirklicht, sondern bilden das Resultat mehrerer aneinander gereihter Aktivitäten des Schädigers, die sich in ihrer Gesamtschau zur Verwirklichung eines Tatbestands des materiellen Deliktsrechts zusammenfügen. Prospekthaftungsrechtlichen Streitigkeiten liegen gestreckte Sachverhalte zugrunde, die von der Entscheidung über die Prospektinhalte über die Erstellung des Prospekts, die Durchführung des Billigungsverfahrens und die Prospektveröffentlichung bis hin zur Beeinflussung einzelner Anleger reichen.8 Kartelldelikte basieren auf einer ursprünglichen Kartellabsprache, die durch nachfolgende Einzelabreden präzisiert und schlussendlich auf den Märkten verschiedener Mitgliedstaaten umgesetzt wird. Fälle der fehlerhaften Anlageberatung reichen von ersten Vorgesprächen und der abschließenden Beratung über die Vertragsunterzeichnung, die Überweisung des Anlagekapitals und den Erwerb eines Finanzinstruments bis zu dem schlussendlichen Verlust des investierten Kapitals. Angesichts ihrer mehraktigen Struktur bergen derartige Delikte aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht die Gefahr einer Multiplikation des Handlungsortgerichtsstands (dazu III.).

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands Der allgemeine Gerichtsstand soll gemäß Erwägungsgrund 16 S. 1 der EuGVVO durch alternative Zuständigkeiten ergänzt werden, die aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung dient gemäß Erwägungsgrund 16 S. 2 der Rechtssicherheit und soll verhindern, dass der Beklagte

7

Thole, in: Lehmanns/Zetzsche, Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen, 2018, § 2 Rn. 29. 8 Vgl. hierzu jüngst GA Bobek, Schlussanträge v. 8. 5. 2018, Rs. C-304/17 – Löber, Rn. 55 ff.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

vor die Gerichte eines Mitgliedstaats gezogen werden kann, mit dem er vernünftigerweise nicht rechnen konnte.

I. Sach- und Beweisnähe Der Deliktsgerichtsstand rechtfertigt sich nach allgemeiner Meinung aus der besonderen Sach- und Beweisnähe des Tatorts.9 Nach Auffassung des EuGH beruht er darauf, dass „zwischen der Streitigkeit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt.“10 Die Gerichte am Tatort des streitgegenständlichen Delikts seien wegen „der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten in der Lage, den Rechtsstreit zu entscheiden.“11 Die Beweisnähe des Gerichts verkürzt die Verfahrensdauer und steht insoweit in Zusammenhang mit dem binnenmarktfunktionalen Zweck des europäischen Zuständigkeitsrechts.12 Transnational tätige Wirtschaftsakteure sind zur Bedienung ihrer laufenden Verbindlichkeiten nicht nur auf eine zuverlässige, sondern auch auf eine zeitnahe Beitreibung ausstehender Forderungen angewiesen. Mit zunehmender Verfahrensdauer verlängert sich zugleich der Zeitraum, während dessen der Beklagte einer Ungewissheit über seine Verbindlichkeiten ausgesetzt und daher zur Bildung von Rückstellungen gezwungen ist.13 1. Tatortanknüpfung als Folge grob typisierender Betrachtung Hinter der Anknüpfung an den Tatort steht die typisierende Annahme, dass im Mittelpunkt der meisten Deliktsprozesse Täterschafts-, Verschuldens- und Schadensfragen stehen, die räumlich mit dem Ort der Tatbegehung verbunden sind und von einem dort ansässigen Gericht am besten aufgeklärt werden können. Dass die 9

Vgl. statt aller Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn. 73; Oberhammer, in: Dasser/Oberhammer, LugÜ, 2. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 101; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 16. 10 EuGH, Urt. v. 16. 7. 2009, Rs. C-189/08, NJW 2009, 3501, 3502 – Zuid Chemie, Rn. 24; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, NJW 2012, 137, 139 – eDate Advertising und Martinez, Rn. 40. 11 EuGH, Urt. v. 16. 7. 2009, Rs. C-189/08, NJW 2009, 3501, 3502 – Zuid Chemie, Rn. 24; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2012, Rs. C-133/11, GRUR 2013, 98, 99 – Folien Fischer, Rn. 38; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, NJW 2012, 137, 139 – eDate Advertising und Martinez, Rn. 40; EuGH, Urt. v. 5. 7. 2018, Rs. C-27/17, NZKart 2018, 357, 357 – Lithuanian Airlines, Rn. 27; hierzu auch Roth, in: FS Schilken, 2015, 427, 430, jeweils m. w. N. 12 Wais, Der europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 39 f. 13 Wais, Der europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 40.

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands

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typisierende Betrachtungsweise für atypisch gelagerte Deliktsprozesse nicht zu einem tatsächlich beweisnahen Gerichtsstand führt, wird aus Gründen der Rechtssicherheit hingenommen. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO gewährleistet daher keinen tatsächlich beweisnahen Gerichtsstand, sondern allenfalls eine gewisse Wahrscheinlichkeit hierfür.14 Die Prämisse, für einen Deliktsprozess erhebliche Beweismittel seien zumeist am Tatort belegen, erscheint indes als eher grobe und fehleranfällige Typisierung.15 Im Bereich der Platzdelikte wird die „Wahrscheinlichkeitsprognose“16 zwar oftmals zutreffen. Nicht selten werden Zeugen eines Verkehrsunfalls im Bezirk des Unfallorts wohnhaft, beizuziehende Ermittlungsakten bei den dortigen Behörden belegen und Ortsbegehungen dem Gericht des Unfallorts am einfachsten und schnellsten möglich sein.17 Wesentlich kleiner ist die Wahrscheinlichkeit für einen tatsächlich beweisnahen Gerichtsstand aber in komplexeren, mehraktigen Deliktskonstellationen, in denen die potentiell beweisbedürftigen Sachverhaltselemente über mehrere Mitgliedstaaten verstreut sind. Mit zunehmender Streuung der Sachverhaltsteile steigt die Zahl der potentiell beweisnahen Orte. Zugleich sinkt am Ort jedes einzelnen Sachverhaltselements die Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein der im konkreten Fall entscheidenden Beweismittel. Je geringer die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlich sach- und beweisnahen Gerichtsstands ist, desto mehr verliert die Ratio der typisierten Sach- und Beweisnähe an teleologischem Gewicht.18 2. Zusätzliche Relativierung der Beweisnähe durch das Ubiquitätsprinzip Die Beweisnähe des Deliktsgerichtsstands wird daneben durch zwei weitere Faktoren geschwächt. Der EuGH lokalisiert den Erfolgsort zwecks Vermeidung einer Zuständigkeitsvervielfältigung alleine am Ort der primären Rechtsgutverletzung19 und misst (Vermögens-)Folgeschäden selbst dann keine gerichtsstandbegründende Wirkung bei, wenn sie umfangreiche Beweisaufnahmen erfordern oder gar als einzige beweisbedürftige Frage im Mittelpunkt des Rechtsstreits stehen.20 Daneben räumt das Ubiquitätsprinzip dem Kläger ein ungebundenes Wahlrecht zwischen

14

Vgl. Domej, IPRax 2008, 550, 551. Ahrens, IPRax 1990, 129, 131; Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 471. 16 Terminus nach Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 145 f. 17 Vgl. Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 126 f. 18 Ahrens, IPRax 1990, 128, 131 („Dieses eingeengte Verständnis der ratio legis geht freilich auf eine sehr grobschlächtige Typisierung der Lebenswirklichkeit zurück, was dem Argument der Normzweckverfehlung erheblich an Überzeugungskraft nimmt.“). 19 EuGH, Urt. v. 19. 9. 1995, Rs. C-364/93, EuZW 1995, 765, 766 – Marinari, Rn. 14 f.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 19b. 20 Ahrens, IPRax 1990, 128, 131. 15

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

Handlungs- und Erfolgsort ein.21 Während sich der Handlungsort regelmäßig im Hinblick auf Täterschafts- und Verschuldensfragen als beweisnah erweisen wird, kommt den Gerichten am Erfolgsort eine besondere Beurteilungskompetenz im Hinblick auf Art und Umfang des Schadens zu.22 Welche der anspruchsbegründenden Tatsachen im Verlauf des Prozesses beweisbedürftig werden, hängt von unsicheren Entwicklungen wie der Verteidigung des Beklagten oder der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts ab und ist für den wahlberechtigten Kläger zum Zeitpunkt der Klageerhebung oftmals nicht vorherzusehen.23 Selbst wenn sich vorprozessual abzeichnet, welche Tatsachen zwischen den Parteien in Streit stehen werden, kann der Kläger zugunsten eines beweisfernen Gerichtsstands optieren, um sich vermeintliche Standortvorteile zu sichern oder dem Beklagten den Beweis der Tatsachen zu erschweren, auf welche er seine Einwendungen stützt.24 3. Keine vollständige Beseitigung der teleologischen Leitbildfunktion Hat das gerichtliche Verfahren ein strukturell komplexes Distanzdelikt zum Gegenstand, so gewährleistet der Tatortgerichtsstand mithin eine eher geringe Wahrscheinlichkeit für eine Zuständigkeit am tatsächlichen Belegenheitsort der entscheidungserheblichen Beweismittel. Aufgrund seines grob typisierenden Blickwinkels sowie des ungebundenen Klägerwahlrechts zwischen Handlungs- und Erfolgsort trägt er dem Interesse von Gericht, Parteien und Forumstaat an einer beweisnahen Prozessführung nur in einem vergleichsweise kleinen Teil der Anwendungsfälle tatsächlich Rechnung. Der Zweck der Sach- und Beweisnähe erscheint derart stark verwässert, dass seine Tauglichkeit als Leitmotiv einer teleologischen Auslegung mitunter sogar grundsätzlich in Frage gestellt wird.25 Argumentiert wird, an Stelle des räumlichen Konnexes zwischen Gericht und Deliktssachverhalt stünden im Bereich der Distanzdelikte Opferschutzgesichtspunkte oder sonstige Wertungen hinter Art. 7 Nr. 2 EuGVVO.26 Diesen Stimmen ist zuzugeben, dass die Sach- und Beweisnähe durch gegenläufige Ziele wie die Vorhersehbarkeit und die Vermeidung einer Zuständigkeitsvervielfältigung in der Tat überlagert und ihr teleologisches Gewicht somit relativiert wird. Dennoch bildet der räumliche 21 Ahrens, IRRax 1990, 128, 131; Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 127; Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 724 f.; Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 90 f.; Weller, IPRax 2000, 200, 207. 22 Vgl. Hess, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, S. 11; Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 724 f. 23 Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 724 f. 24 Vgl. Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 127; Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 724 f. 25 Ahrens, IPRax 1990, 129, 131; Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz, 1998, S. 129; Hess, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, S. 11; Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 469, 470 ff.; Weller, IPRax 2000, 200, 207. 26 Hess, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, S. 11; Weller, IPRax 2000, 200, 207; Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 90 ff.

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands

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Konnex zwischen Gericht und Rechtsstreit gemäß Erwägungsgrund 16 S. 1 die zentrale Legitimationsgrundlage besonderer Gerichtsstände. Es ginge daher zu weit, der Sach- und Beweisnähe a priori jedwede teleologische Bedeutung abzusprechen.27 Das hinter Art. 7 Nr. 2 EuGVVO stehende Ziel beweisnaher Gerichtsstände verbietet jedenfalls eine Auslegung, die schon im typisierend zugrunde zu legenden Regelfall zu beweisfernen Gerichtsständen führt.28

II. Opferschutz als zweite ratio legis? Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nimmt dem Geschädigten die Last einer Klage am allgemeinen Gerichtsstand und stellt ihn insofern besser. Ob der Deliktsgerichtsstand darüber hinaus Opferschutzzwecke verfolgt, die im Rahmen der teleologischen Auslegung zu berücksichtigen wären, ist nicht abschließend geklärt.29 Während eine verbreitete Auffassung den Zweck des Deliktsgerichtsstands alleine in dem räumlichen Konnex zwischen Gerichtsort und Sachverhalt sieht,30 wird der Normzweck andernorts anhand der Formel charakterisiert, dort wo das Unrecht begangen worden sei, müsse auch Abhilfe verlangt werden können.31 Andere Strömungen interpretieren das klägerfreundliche Ubiquitätsprinzip als zuständigkeitsrechtliche Sympathiebekundung zugunsten des Deliktsgeschädigten32 oder verweisen auf die ver27

So aber Ahrens, IPRax 1990, 129, 131; Weller, IPRax 2000, 200, 207 („die Sach- und Beweisnähe spielt hingegen – jedenfalls im Bereich der Distanzdelikte aufgrund der dem Kläger zugestandenen Wahl – keine wesentliche Rolle.“); Hess, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, S. 11. 28 Vgl. Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 472. 29 Vgl. zur Diskussion Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 471; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 16 (dort Fn. 136); Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 88 ff.; sowie zur Parallelvorschrift des Art. 5 Nr. 3 LugÜ Oberhammer, in: Dasser/Oberhammer, LugÜ, 2. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 101. 30 OLG Karlsruhe, Urt. v. 13. 5. 2020 – 6 U 127/19, GRUR-RS 2020, 12781; Domej, IPRax 2008, 550, 551 ff.; Gottwald, in: MüKo, ZPO, 5. Aufl. 2017, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 45; von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 57 ff.; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn. 78; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 103; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 227 ff.; Oberhammer, JBl 2018, 750, 751; Paulus, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverehr, 59. El, Stand April 2020, Art. 7 VO (EU) Nr. 1215/2012 Rn. 139; Thole, NJW 2013, 1192, 1193. 31 Geimer, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 1497; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 269; Thole, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 54. 32 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 127 f.; Coester-Waltjen, in: FS Schütze, 1999, 175, 182; Foerste, in: FS Kollhosser, 2004, Band 2, 141, 149 f.; Hess, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, S. 11; Holl, EuZW 1995, 766, 767; Kiethe, NJW 1994, 222, 224; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, S. 89; Linke/Hau, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 5 Rn. 5.34; Roth, in: FS Kronke, 2020, 471, 472 („Die ratio legis des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO liegt […] auch in der angestrebten Begünstigung des deliktisch Geschädigten im

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

minderte Schutzwürdigkeit des Deliktstäters, welche eine zuständigkeitsrechtliche Bevorzugung des Opfers rechtfertige.33 Der Deliktsgerichtsstand wird insoweit von dem diffizilen Wertungsproblem durchzogen, dass einerseits das Vorliegen eines Delikts unterstellt und der Schutz des actor sequitur forum rei durchbrochen, andererseits aber das Nichtvorliegen eines Delikts einkalkuliert und der Schutz des Beklagten vor einer unberechtigten Inanspruchnahme gewährleistet werden muss (dazu 1.).34 Ob eine Privilegierung des Deliktsopfers rein zuständigkeitsrechtlich zu rechtfertigen ist, erscheint fraglich (dazu 2.). Der Rechtsprechung des EuGH wird in der Frage des prozessualen Opferschutzes eine gewisse Zwiespältigkeit attestiert.35 Während der EuGH einen Opferschutzzweck des Tatortgerichtsstands in manchen Judikaten explizit verneint hat, werden andere Entscheidungen auf teils unausgesprochene Opferschutzerwägungen zurückgeführt (dazu 3.). 1. Berücksichtigungsfähigkeit materiell aufgeladener Opferschutzerwägungen Nahe liegt es, aus der verminderten Schutzwürdigkeit des unerlaubt Handelnden sowie der besonderen Schutzbedürftigkeit des Deliktsgeschädigten auf einen zuständigkeitsrechtlichen favor laesi zu schließen. Der Gedanke, dass der deliktisch Handelnde die Grenzen der Rechtsordnung übertritt und daher keinen besonderen Schutz verdient, basiert jedoch auf einer materiell-rechtlichen Wertung, gegenüber welcher sich das Zuständigkeitsrecht nach traditionellem Verständnis neutral verhält.36 Dass der Beklagte tatsächlich ein Delikt begangen hat und daher vermindert schutzwürdig ist, steht aus Perspektive des Zuständigkeitsrechts nicht fest, sondern soll im Prozess ergebnisoffen geklärt werden. Da die Zuständigkeitsprüfung der Feststellung eines rechtswidrigen Verhaltens sachlogisch vorgelagert ist, fehlt es materiell-rechtlichen Unwerturteilen und daraus abgeleiteten Schutzwürdigkeitserwägungen an einer Grundlage. Angesichts der Offenheit der Sach- und Rechtslage Zuständigkeitsrecht.“); Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 93; Weller, IPRax 2000, 202, 207 („Im Zentrum des Deliktsgerichtsstandes steht die ausnahmsweise Privilegierung des rechtsuchenden Klägers in der Opferrolle.“). 33 Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 32 Rn. 1; Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsverletzungen im Internet, 2007, S. 199; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 32 Rn. 1; in diese Richtung auch Heinrichs, Die Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit nach dem Begehungsort im nationalen und internationalen Zivilprozeßrecht, 1984, S. 3 ff. 34 Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 95. 35 Vgl. hierzu Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 471; Thode, in: BeckOK, ZPO, 40. Ed., Stand 1. 3. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 66.1. 36 Domej, IPRax 2008, 550, 553; Heinrichs, Die Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit nach dem Begehungsort im nationalen und internationalen Zivilprozeßrecht, 1984, S. 5; Oberhammer, JBl 2018, 750, 752; Magnus, LMK 2013, 341419; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 266 („Vorstellung […], der Kläger sei das Opfer fremden Unrechts, dem zuständigkeitsrechtlich besondere Sympathie erwiesen werde. Der materielllrechtliche Vorgriff hat im Prozeß nichts zu suchen.“).

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands

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muss vielmehr der Deliktsbeklagte in gleichem Maße vor einer unberechtigten Inanspruchnahme geschützt, sprich seinen Zuständigkeitsinteressen in gleichem Maße Rechnung getragen werden wie jenen des angeblich geschädigten Klägers. Dieser Gedanke soll durch eine weitere Überlegung verdeutlicht werden. Die autonome Deliktskollisionsnorm des Art. 40 Abs. 1 EGBGB, welche dem Geschädigten die Wahl zwischen dem Recht des Handlungs- und Erfolgsorts eröffnet, wird traditionell auf einen favor laesi zurückgeführt.37 Dieses kollisionsrechtliche Günstigkeitsprinzip hat Kegel mit der vielzitierten Formulierung gerechtfertigt, die „Sympathie mit dem Opfer“ sei „im allgemeinen größer als die mit dem Täter.“38 Zunehmend setzt sich aber die Einsicht durch, dass die kollisionsrechtliche Schlechterstellung des Schädigers dogmatisch nicht zu rechtfertigen und als sachwidrige „Vermengung kollisionsrechtlicher und materiell-rechtlicher Kategorien“ abzulehnen ist.39 Ob die fragliche Aktivität als Delikt und die Beteiligten daher als Täter und Opfer anzusehen sind, steht im Rahmen der kollisionsrechtlichen Prüfung noch nicht fest. Vor Subsumtion des Sachverhalts unter einen Deliktstatbestand der lex causae kann keiner der Beteiligten als vermindert schutzwürdiger Delinquent klassifiziert werden.40 Auf Zuständigkeitsebene muss diese Erwägung erst recht gelten. Die Zuständigkeitsprüfung ist wiederum der kollisionsrechtlichen Prüfung vorgelagert und sachlogisch noch weiter von einer materiell-rechtlichen Einordnung der Beteiligten als Täter und Opfer eines Delikts entfernt. Vor Beantwortung der internationalen Zuständigkeitsfrage stehen weder das Kollisions- noch das Sachrecht fest, auf deren Grundlage das Handeln des Beklagten als unerlaubt eingestuft werden könnte. 2. Zuständigkeitsrechtliche Betrachtung Geboten ist vor diesem Hintergrund eine rein zuständigkeitsrechtliche, von den Wertungen des materiellen Deliktsrechts abstrahierte Betrachtung. Zuständigkeitsrechtlich ließe sich ein besonderer Schutz des angeblichen Deliktsopfers allenfalls mit der Erwägung rechtfertigen, typischerweise befinde sich der Deliktskläger innerhalb des Rechtsstreits in einer unterlegenen prozessualen Position, die eine

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Vgl. hierzu eingehend von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 44 ff.; von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 47. 38 Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 725; vgl. hierzu von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 47; Unberath/Cziupka/ Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 3, 4. Aufl. 2016, Art. 4 ROM II-VO Rn. 29. 39 So wörtlich Unberath/Cziupka/Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 3, 4. Aufl. 2016, Art. 4 ROM II-VO Rn. 29; vgl. auch von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 141 f. 40 Unberath/Cziupka/Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Art. 4 ROM II-VO Rn. 29.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

Kompensation durch Bereitstellung eines besonders klägerfreundlichen Gerichtsstands erfordere.41 a) Keine prozessuale Unterlegenheit des Deliktsklägers Den einseitigen Schutz einer Partei bezwecken die „sozialpolitisch“42 motivierten Gerichtsstände in Verbraucher-, Versicherungs- und Arbeitsvertragssachen gemäß den Art. 10 ff. EuGVVO. Diese basieren auf der Annahme, dass Verbraucher sowie Versicherungs- und Arbeitnehmer angesichts ihrer geringeren Geschäfts- und Prozesserfahrung typischerweise eine gegenüber dem Geschäftspartner unterlegene Stellung einnehmen, angesichts derer es als unzumutbare Gefährdung des Justizgewährungsanspruchs erschiene, die unterlegene Partei zusätzlich mit den Nachteilen einer Prozessführung im Ausland zu belasten.43 Ihre zuständigkeitsrechtliche Bevorzugung privilegiert hier nicht die Chancen des Obsiegens der zuständigkeitsrechtlich begünstigten Partei, sondern restituiert die regeltypisch gestörte Kräftedisparität und sichert somit die beiderseitige Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Eine ungleiche Geschäfts- oder Prozesserfahrung kann zwischen Deliktskläger und Deliktsbeklagtem nicht als Regelfall unterstellt werden. Wie der Fall eines Verkehrsunfalls mit grenzüberschreitendem Bezug zeigt, welchen der JenardBericht aus dem Jahre 1979 als typischen Anwendungsfall vor Augen hatte,44 beruht die Identität der in ein Delikt involvierten Personen bis zu einem gewissen Grad auf Zufall. Für die strukturelle Unterlegenheit des Deliktsgeschädigten besteht dieselbe Wahrscheinlichkeit, die auch für die unterlegene Prozess- und Geschäftserfahrung des Schädigers spricht.45 In Deliktsprozessen treten nicht nur typischerweise unerfahrene, wirtschaftlich schwache Personen als Kläger auf, sondern ebenso transnational tätige Großunternehmen, die durch einen Verstoß gegen kapitalmarkt-, kartell- oder produkthaftungsrechtliche Bestimmungen einen Schaden erlitten haben. Durch zuständigkeitsrechtliche Privilegierung des Deliktsklägers würde nicht 41

Domej, IPRax 2008, 550, 553. Bericht von Herrn P. Jenard zu dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 1979, S. 28; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, vor Art. 8 EuGVO Rn. 2. 43 Gottwald, in: MüKo, ZPO, 5. Aufl. 2017, Art. 10 Brüssel Ia-VO Rn. 1; Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.103 ff.; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, vor Art. 8 EuGVO Rn. 2; vgl. auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 586 f. 44 Bericht von Herrn P. Jenard zu dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 1979, S. 26; vgl. hierzu Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 102; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 226; Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 118. 45 Domej, IPRax 2008, 550, 553; Liebscher/Steinbrück, WM 2020, 359, 360; Oberhammer, JBl 2018, 750, 752. 42

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands

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etwa eine regeltypische Ungleichgewichtslage kompensiert. Vielmehr würden die Zuständigkeitsinteressen des nicht a priori unterlegenen Deliktsklägers begünstigt und somit die prozessuale Waffengleichheit sowie der ergebnisoffene Charakter des Verfahrens gefährdet. Ein umfassender Privilegierungszweck nach dem Vorbild der Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Versicherungsnehmergerichtsstände ist dem Tatortgerichtsstand vor diesem Hintergrund nicht zu attestieren.46 b) Zufallsabhängigkeit der prozessualen Rollenverteilung Gegen eine einseitige Privilegierung des Deliktsklägers spricht zudem, dass die prozessuale Rollenverteilung bis zu einem gewissen Grad austauschbar ist und daher keinerlei Rückschlüsse auf die Schutzbedürftigkeit einer Partei zulässt. Auch dies zeigt die Konstellation eines Verkehrsunfalls mit grenzüberschreitendem Bezug, welche der Jenard-Bericht aus dem Jahre 1979 als zentralen Anwendungsfall der Tatortzuständigkeit vor Augen hatte.47 Denn es handelt sich um ein unvorhergesehenes Geschehen, aus welchem die Unfallbeteiligten nicht selten wechselseitig Ansprüche ableiten, deren materielles Bestehen von den oftmals umstrittenen Verschuldensverhältnissen abhängt. Welche Unfallpartei prozessual in der Rolle des Klägers und welche in der Rolle des Beklagten auftritt, hängt davon ab, wer zufällig schneller Klage erhebt. Wäre in Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ein spezifischer Opferschutzzweck angelegt, so würde die zufällig zuerst klagende Partei zuständigkeitsrechtlich bevorzugt, obwohl diese den streitgegenständlichen Unfall möglicherweise selbst schuldhaft verursacht hat. c) Fazit Genau wie der Erfüllungsortgerichtsstand dem Vertragsgläubiger eine Klage am Wohnsitz seines Schuldners erspart und den favor defensoris des allgemeinen Gerichtsstands durch Bereitstellung einer parteineutralen Alternative ausgleicht,48 stellt auch der Deliktsgerichtsstand eine Parität der beiderseitigen Zuständigkeitsinteressen her, indem er den grundsätzlichen favor defensoris zurücknimmt und dem Kläger eine sachlich legitimierte, parteineutrale Alternative eröffnet. Als parteineutrales Gegengewicht zu dem allgemeinen Beklagtengerichtsstand begünstigt Art. 7 Nr. 2 EuGVVO den Deliktskläger durchaus. Ein Opferschutzzweck, der über die bloße Relativierung des grundsätzlichen favor defensoris durch Bereitstellung 46

Vgl. aber Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 98 f. Bericht von Herrn P. Jenard zu dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 1979, S. 26; vgl. hierzu Vgl. Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 102; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 226; Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 118. 48 Wais, Der europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 19 f. 47

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

einer parteineutralen Alternative hinausgeht, ist dem Deliktsgerichtsstand aber nicht zu entnehmen. 3. Opferschutzerwägungen in der Rechtsprechung? In den Rechtssachen Folien Fischer, Kainz und Svensk Handel hat auch der EuGH dem Deliktsgerichtsstand einen einseitigen Opferschutzzweck ausdrücklich abgesprochen (dazu a). Dennoch wird dem EuGH die Tendenz attestiert, in einzelnen Judikaten teils offen und teils verdeckt auf Motive des Opferschutzes zurückzugreifen.49 Die Bedeutung von Opferschutzmotiven in der Rechtsprechung des EuGH soll am Beispiel dreier Entscheidungen untersucht werden, die in besonderem Maße mit Aspekten des prozessualen Opferschutzes in Verbindung gebracht worden sind. Exemplarisch herangezogen werden erstens die Implementierung des klägerfreundlichen Ubiquitätsprinzips durch die Entscheidung Mines de Potasse, zweitens die Lokalisierung des Erfolgsortgerichtsstands für Persönlichkeitsrechtsverletzungen in den Rechtssachen Shevill und eDate Advertising sowie drittens die Auslegung des Erfolgsortgerichtsstands in der kartellrechtlichen CDC-Entscheidung (dazu b). a) Grundsätzliche Verneinung eines Opferschutzzwecks Der Rechtssache Folien Fischer lag eine negative Feststellungsklage zugrunde, mit der sich die Klägerinnen gegen den Vorwurf kartellrechtswidriger Verhaltensweisen zur Wehr setzten, indem sie am Tatort der angeblichen Kartellrechtsverstöße die Feststellung des Nichtbestehens von Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen begehrten.50 In Teilen der mitgliedstaatlichen Rechtsprechung51 war eine Anwendbarkeit des Deliktsgerichtsstands mit der Erwägung bezweifelt worden, der negative Feststellungskläger mache gerade das Nichtvorliegen einer außervertraglichen Schadenshaftung i. S. d. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO geltend und könne sich deshalb nicht auf das zuständigkeitsrechtliche Tatortprivileg berufen.52 Werde dem Delinquenten, dem an der fehlenden Beweisbarkeit der unerlaubten Handlung gelegen sei, das klägerfreundliche Ubiquitätsprinzip zugänglich gemacht, so werde ihm die Anrufung eines sach- und beweisfernen Gerichts erleichtert, welches dem Verletzten 49 Vgl. hierzu Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 523 ff.; Magnus, LMK 2013, 341419; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 16 (dort Fn. 136); Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 100 ff.; vgl. auch Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 472. 50 Zu Sachverhalt und Verfahrensgang EuGH, Urt. v. 25. 10. 2012, Rs. C-133/11, GRUR 2013, 98, 98 – Folien Fischer, Rn. 13 ff. 51 Vgl. die Berichte bei GA Jääskinen, Schlussanträge v. 19. 4. 2012, Rs. C-133/11 – Folien Fischer, Rn. 38 sowie bei von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 51 (dort Fn. 30). 52 Vgl. zum Streitstand etwa Bukow, Verletzungsklagen aus gewerblichen Schutzrechten, 2003, S. 124 ff.; Domej, IPRax 2008, 550, 552; Gebauer, ZEuP 2013, 874, 876 ff.; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im internationalen Zivilprozeßrecht, 1996, S. 137 ff.; Sack, GRUR 2018, 893, 893 ff.

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands

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den Deliktsnachweis erschwere.53 Zugleich begünstige das mit dem Ubiquitätsprinzip verbundene Wahlrecht sachwidrig motivierte Torpedoklagen.54 Entgegen der Schlussanträge, in welchen Generalanwalt Jääskinen den Tatortgerichtsstand als einseitiges Privilegierungsinstrument zugunsten des Geschädigten ansah,55 hielt der EuGH die Tatortzuständigkeit jedoch für eröffnet und begegnete Bedenken gegen die Anwendung der Zuständigkeitsvorschrift auf eine Klage des Delinquenten mit der Erwägung, im Hinblick auf den teleologischen Geltungsgrund des Deliktsgerichtsstands – die besondere Beurteilungskompetenz der Gerichte am Tatort – komme dem mit einer negativen Feststellungsklage verbundenen Austausch der üblichen Parteirollen keine entscheidende Bedeutung zu. Anders als die Schutzgerichtsstände in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitnehmersachen hänge der Deliktsgerichtsstand „weder mit der Verteilung der Rollen von Kläger und Beklagtem noch mit dem Schutz von Kläger oder Beklagtem zusammen.“56 Dieses Normzweckverständnis hat der EuGH in der Produkthaftungssache Kainz bekräftigt.57 Der klagende Endverbraucher hatte im gerichtlichen Verfahren die Auffassung vertreten, der Handlungsortgerichtsstand für eine Produkthaftungsklage sei an dem Ort der Weitergabe des Produkts durch den Hersteller zu lokalisieren. Dies begründete er mit der teleologischen Erwägung, in die Lokalisierung des Deliktsgerichtsstands müsste zumindest auch das Interesse des Opfers an einem Gerichtsstand möglichst nahe dem eigenen Wohnsitz einfließen.58 Dieser Argumentation trat der EuGH expressis verbis entgegen und lokalisierte den Handlungsortgerichtsstand weitaus weniger klägerfreundlich am Ort der Produktherstellung. Zuletzt hat der EuGH in der persönlichkeitsrechtlichen Entscheidung Svensk Handel aus dem Jahre 2017 bekräftigt, die Tatortzuständigkeit bezwecke nicht etwa den Schutz der unterlegenen Prozesspartei, sondern die Befassung eines in der Sache besonders geeigneten Gerichts.59

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Vgl. Gebauer, ZEuP 2013, 874, 876 f.; Thole, NJW 2013, 1192, 1192. Magnus, LMK 2013, 341419; vgl. zu diesem Einwand auch Gebauer, ZEuP 2013, 874, 874 f.; Sack, GRUR 2018, 893, 893 ff. 55 GA Jääskinen, Schlussanträge v. 19. 4. 2012, Rs. C-133/11 – Folien Fischer, Rn. 48. 56 So wörtlich EuGH, Urt. v. 25. 10. 2012, Rs. C-133/11, GRUR 2013, 98, 100 – Folien Fischer, Rn. 46. 57 EuGH, Urt. v. 16. 1. 2014, Rs. C-45/13, EuZW 2014, 232, 233 f. – Kainz, Rn. 30 ff. 58 Die Rechtsauffassung des Klägers wird berichtet in EuGH, Urt. v. 16. 1. 2014, Rs. C-45/ 13, EuZW 2014, 232, 233 f. – Kainz, Rn. 30 f. 59 EuGH, Urt. v. 17. 10. 2017, Rs. C-194/16, NJW 2017, 3433, 3435 – Svensk Handel, Rn. 39 54

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

b) Gegenläufige Opferschutztendenzen? aa) Das Ubiquitätsprinzip der Entscheidung Mines de Potasse Auf Erwägungen des zuständigkeitsrechtlichen Opferschutzes wird im Schrifttum mitunter das klägerfreundliche Ubiquitätsprinzip zurückgeführt,60 welches der EuGH dem Deliktsgerichtsstand seit der Mines de Potasse-Entscheidung aus dem Jahre 1976 entnimmt.61 Denn vom Sonderfall einer negativen Feststellungsklage abgesehen begünstigt das Klägerwahlrecht zwischen Handlungs- und Erfolgsort den Deliktsgeschädigten.62 Insbesondere wird die Ausweitung des Klägerwahlrechts als Ausgleich für die zusätzlichen Hindernisse gedeutet, die in Gestalt kollisionsrechtlicher Zusatzprobleme sowie erhöhter räumlicher Distanzen zwischen Wohnsitz, Gericht und Beweismitteln im Falle eines Distanzdelikts mit der Rechtsverfolgung verbunden sind.63 Dem Deliktskläger werde über das Ubiquitätsprinzip die Möglichkeit eröffnet, nicht nur ein beweis- oder rechtsnahes Forum, sondern auf Grundlage anderweitiger Motive ebenso ein rechts- oder beweisfernes Gericht anzurufen. Die mit einem ungebundenen Wahlrecht einhergehende Begünstigung sei alleine mit der Ratio eines sach- und beweisnahen Gerichtsstands nicht zu erklären.64 In seinen Schlussanträgen zu der Rechtssache Mines de Potasse schrieb Generalanwalt Capotorti dem Deliktsgerichtsstand des damaligen Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ in der Tat eine einseitige Schutzfunktion zugunsten des Deliktsopfers zu und setzte die Tatortzuständigkeit daher in Verbindung mit den damaligen Schutzgerichtsständen in Unterhalts-, Versicherungs- und Verbrauchersachen. Auf Grundlage dieses teleologischen Verständnisses sprach er sich dafür aus, den Gerichtsstand im Falle eines Distanzdelikts am Ort des Deliktserfolgs zu lokalisieren, da dieser tendenziell mit dem Wohnsitz des Geschädigten zusammenfalle und den Zuständigkeitsinteressen des Verletzten somit bestmöglich Rechnung trage.65 Der Geschädigte, so die Argumentation des Generalanwalts, könne „in dem Rechtsverhältnis, das durch die Vornahme einer unerlaubten Handlung entsteht, ohne weiteres als der Schwächere angesehen werden“ und erscheine daher „bei der Wahl des Gerichtsstandes als 60 So etwa GA Jääskinen, Schlussanträge v. 19. 4. 2012, Rs. C-133/11 – Folien Fischer, Rn. 48; Ahrens, IPRax 128, 131; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, S. 13; Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 89 ff.; Wagner, in: RabelsZ 62 (1998), 243, 259; in diese Richtung auch Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 127 f.; anders hingegen von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 57 ff.; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 83. 61 Vgl. hierzu grundlegend EuGH, Urt. v. 30. 11. 1976, Rs. 21/76, NJW 1977, 493, 493 f. – Mines de Potasse, Rn. 8/12 ff. 62 von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 53. 63 Vgl. Wagner, in: RabelsZ 62 (1998), 243, 259. 64 Ahrens, IPRax 1990, 128, 131; Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 90 ff. 65 GA Capotorti, Schlussanträge v. 10. 11. 1976, Rs. 21/76 – Mines de Potasse, Rn. 9.

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands

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schutzwürdig.“66 Wenngleich der EuGH in seiner nachfolgenden Entscheidung mit dem Ubiquitätsprinzip eine noch klägerfreundlichere Lösung gewählt hat,67 finden sich die Opferschutzerwägungen des Generalanwalts in den Entscheidungsgründen nicht, sondern werden durch gerichtseigene, alleine an Aspekten der Sach- und Beweisnähe orientierte Begründungselemente ersetzt.68 Die Schlussanträge zu nachfolgenden Rechtssachen schlossen aus der Mines de Potasse-Entscheidung daher gar auf eine gezielte Außerachtlassung opferschutzbezogener Erwägungen und damit auf eine implizite Absage an einen Opferschutzzweck.69 Statt auf Erwägungen des Opferschutzes zurückzugreifen, leitet der EuGH das Ubiquitätsprinzip ausschließlich aus der a priori gleichwertigen Sach- und Beweisnähe von Handlungs- und Erfolgsort her, die eine abstrakt-generelle Auswahlentscheidung – insbesondere in Anbetracht der Vielgestaltigkeit der erfassten Deliktstatbestände – verbiete.70 Je nach Lage des Falles könne der zuständigkeitsbegründende Konnex zwischen Gericht und unerlaubter Handlung sowohl am Handlungs- als auch am Erfolgsort bestehen. Während eine isolierte Anknüpfung an den Handlungsort oftmals ein Zusammenfallen von Tatortzuständigkeit und allgemeinem Gerichtsstand zur Folge habe und den Deliktsgerichtsstand somit seiner praktischen Wirksamkeit beraube, vernachlässige eine ausschließliche Erfolgsortanknüpfung die sachgerechte Verbindung zwischen Delikt und Handlungsort.71 Hinter dem Ubiquitätsprinzip mag überdies die Erwägung stehen, dass die Alternative – eine Auswahlentscheidung zwischen Handlungs- und Erfolgsort für einzelne Deliktstypen – die Gefahr einer kasuistischen Zersplitterung des Gerichtsstands bergen würde, welche ihrerseits der Zuständigkeitsklarheit abträglich wäre.72 Angesichts dieser Begründungserwägungen erscheint das Ubiquitätsprinzip nicht als Ausdruck eines einseitigen Privilegierungszwecks, sondern vielmehr als Ergebnis einer Abwägung zwischen den Interessen an einem sach- und beweisnahen sowie vorhersehbaren Gerichtsstand und der Gefahr der Zuständigkeitsvervielfältigung.73

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GA Capotorti, Schlussanträge v. 10. 11. 1976, Rs. 21/76 – Mines de Potasse, Rn. 9. Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 94. 68 EuGH, Urt. v. 30. 11. 1976, Rs. 21/76, NJW 1977, 493 f. – Mines de Potasse, Rn. 15/19; vgl. hierzu von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 57 f.; von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 50 f. 69 GA Darmon, Schlussanträge v. 14. 7. 1994, Rs. C-68/93 – Shevill, Rn. 18; GA Darmon, Schlussanträge v. 21. 9. 1994, Rs. C-364/93 – Marinari, Rn. 16. 70 EuGH, Urt. v. 30. 11. 1976, Rs 21/76, NJW 1977, 493 f. – Mines de Potasse, Rn. 15/19; vgl. hierzu von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 57 f.; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 Rn, 83; von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 49. 71 EuGH, Urt. v. 30. 11. 1976, Rs. 21/76, NJW 1977, 493 f. – Mines de Potasse, Rn. 15/19 ff. 72 von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 58; Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 471. 73 Vgl. von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 61 f. 67

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

bb) Der Erfolgsort persönlichkeitsrechtsverletzender Presseerzeugnisse Auf Opferschutzerwägungen werden ferner die Grundsätze zurückgeführt, nach welchen der EuGH den Erfolgsort über die Presse vermittelter Persönlichkeitsrechtsverletzungen in den Entscheidungen Shevill und eDate Advertising konkretisiert hat.74 (1) Das Mosaikprinzip der Shevill-Entscheidung In der berühmt gewordenen Shevill-Entscheidung hatte der EuGH im Jahre 1995 über die Lokalisierung des Erfolgsorts einer Persönlichkeitsrechtsverletzung zu befinden, die über Printmedien in verschiedenen Mitgliedstaaten publiziert worden war.75 Den Erfolgsortgerichtsstand lokalisierte der EuGH an sämtlichen Verbreitungsorten, beschränkte zugleich aber die Kognitionsbefugnis der einzelnen Erfolgsortgerichte auf innerhalb des Forumstaats eingetretene Schäden (sog. Mosaikprinzip).76 Das materiell-rechtliche Ziel des effektiven Persönlichkeitsschutzes sowie das rechtspolitische Anliegen der Verhinderung eines Verleumdungsklagetourismus mögen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben.77 Dennoch lässt sich das Mosaikprinzip ohne Rückgriff auf derartige Aspekte alleine aus dem Zweck eines sach- und beweisnahen Gerichtsstands rekonstruieren. Die Gerichte eines jeden Verbreitungsortes können über vor Ort eingetretene Verletzungsfolgen besonders gut Beweis erheben und dank ihrer Kenntnis der örtlichen Wertanschauungen sowohl den ehrverletzenden Charakter der Publikation als auch ihre stigmatisierende Wirkung besonders gut beurteilen. Während die Annahme mehrerer Erfolgsortgerichtsstände den vermehrten Verbreitungsorten der streitgegenständlichen Publikationen entspricht, zeichnen Einschränkungen der gerichtlichen Kognitionsbefugnis die räumlichen Grenzen der besonderen Beurteilungskompetenz der einzelnen (Teil-)Erfolgsortgerichte nach. (2) Modifikationen durch die Entscheidung eDate Advertising Für über das Internet vermittelte Persönlichkeitsrechtsverletzungen hat der EuGH die Shevill-Doktrin in der Rechtssache eDate Advertising aus dem Jahre 2011 um einen unbegrenzt kognitionsbefugten Gerichtsstand am Mittelpunkt der Interessen des Geschädigten ergänzt.78 Der Geschädigte eines Online-Persönlichkeitsdelikts kann mithin zwischen den (Teil-)Erfolgsorten der Shevill-Doktrin und einem umfassenden Erfolgsortgerichtsstand am Mittelpunkt seiner Interessen wählen, welcher 74 Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 524 ff.; Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 471; Magnus, LMK 2013, 341419; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 16 (dort Fn. 136); Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 100 ff. 75 EuGH, Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881, 1881 f. – Shevill, Rn. 17 ff. 76 EuGH, Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881, 1881 f. – Shevill, Rn. 17 ff. 77 Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 84. 78 EuGH, Urt. v. 25. 10. 2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, NJW 2012, 137, 139 – eDate Advertising und Martinez, Rn. 48.

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands

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zumeist einem Klägergerichtsstand gleichkommt.79 Die klägerfreundliche Auslegung des Erfolgsortgerichtsstands begründet der EuGH mit der globalen Abrufbarkeit rufschädigender Onlinepublikationen, die einerseits die betroffenen Persönlichkeitsrechte besonders schwerwiegend beeinträchtige und andererseits zu einer verstärkten Rechtszersplitterung führe, welche die Erlangung effektiven Rechtsschutzes zusätzlich erschwere.80 Jedenfalls soweit der Gerichtsstand am Interessenmittelpunkt optional neben die (Teil-)Erfolgsorte der parallel fortgeltenden Shevill-Doktrin tritt, lässt sich die eDate Advertising-Rechtsprechung nicht mehr alleine aus der Ratio einer besonderen Sach- und Beweisnähe erklären.81 Aus Gründen der typisierten Sach- und Beweisnähe kann der Erfolgsortgerichtsstand eines Streudelikts entweder für sämtliche Verletzungen am Ort des quantitativen Verletzungsschwerpunkts konzentriert82 oder in Form eines Mosaiks auf die einzelnen Verletzungsorte aufgeteilt werden. Das in der Rechtssache eDate Advertising befürwortete Nebeneinander beider Lösungsmöglichkeiten eröffnet dem Kläger indes ein Wahlrecht, das sich nicht mit dem Interesse an einem sach- und beweisnahen Gerichtsstand rechtfertigen lässt.83 Wie der EuGH ausdrücklich einräumt, resultiert das Klägerwahlrecht zwischen dem Gerichtsstand am Interessenmittelpunkt und den (Teil-)Erfolgsortgerichtsständen an den verschiedenen Verbreitungsorten vielmehr aus der besonderen „Schwere der Verletzung“ und damit letztlich aus einem Vorgriff auf materiell-rechtlich geprägte Opferschutzerwägungen.84 cc) Der Klägergerichtsstand der kartellrechtlichen CDC-Entscheidung Als drittes Beispiel soll die Entscheidung in der Rechtssache CDC betrachtet werden, die in besonderem Maße als Ausdruck eines zuständigkeitsrechtlichen Opferschutzes gedeutet worden ist.85 Der erstinstanzlich vor dem LG Dortmund erhobenen follow on-Klage lagen durch Abtretung bei einem belgischen Prozessfinanzier gebündelte Schadensersatzansprüche der Geschädigten eines von der Kommission festgestellten Bleichmittelkartells zugrunde, das über einen längeren Zeitraum die Preisbildung im gesamten Binnenmarkt verfälscht hatte. Das Kartell war durch zahlreiche Einzelabsprachen zwischen den sechs Kartellanten, darunter 79

Roth, IPRax 2013, 215, 219. EuGH, Urt. v. 25. 10. 2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, NJW 2012, 137, 139 – eDate Advertising und Martinez, Rn. 45 ff. 81 Heinze, EuZW 2011, 947, 949; Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 524 f.; vgl. auch von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 78 f. („favor laesi in Internetfällen“). 82 Hierfür Oberhammer, in: Dasser/Oberhammer, LugÜ, 2. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 123. 83 Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 525; vgl. auch Mankowski, LMK 2017, 400139. 84 So wörtlich EuGH, Urt. v. 25. 10. 2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, NJW 2012, 137, 139 – eDate Advertising und Martinez, Rn. 47; vgl. hierzu eingehend Heinze, EuZW 2011, 947, 949; Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 525; Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 471; Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 102 f. 85 Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 526 f. 80

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

das Essener Chemieunternehmen Evonik Degussa, in wechselnder persönlicher Besetzung an verschiedensten Orten gegründet und in der Begehungsform einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung aufrechterhalten worden.86 Der EuGH lokalisierte den Erfolgsortgerichtsstand am Sitz eines jeden Kartellgeschädigten und billigte den Verletzten somit einen Klägergerichtsstand zu. Da der streitgegenständliche Schaden in dem kartellbedingten Aufpreis bestehe und somit von der Unternehmenssituation des Geschädigten abhänge, seien im Hinblick auf den „von der Kommission festgestellten, in mehreren Mitgliedstaaten unter unterschiedlicher örtlicher und zeitlicher Beteiligung der Beklagten begangenen einheitlichen und fortgesetzten Verstoß gegen Art. 101 AEUV“ die Gerichte am Sitz des Geschädigten zur Beurteilung der kartellbedingten Vermögensnachteile am besten geeignet.87 Wenngleich der EuGH den Klägergerichtsstand vordergründig nicht aus Opferschutzerwägungen ableitet, sondern auf die besondere Beurteilungskompetenz der Gerichte am Klägerwohnsitz verweist, wird ein Erfolgsort am Klägerwohnsitz in follow on-Prozessen der Sache nach nicht von dem Beweisnähezweck des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO getragen. Weder die von dem Kartell betroffenen Transaktionen noch die von dem Kartellgeschädigten bezahlten Preise, über welche am Sitz des Geschädigten besonders gut Beweis erhoben werden könnte, werden zwischen den Parteien typischerweise in Streit stehen.88 Der typische Streitpunkt kartellrechtlicher follow on-Klagen – der kartellbedingte Mehrpreis – muss zumeist sachverständig anhand eines Vergleichs mit nicht kartellierten Parallelmärkten bzw. mit der Preisentwicklung im Vor- oder Nachkartellzeitraum ermittelt werden.89 Von eben diesem Anknüpfungspunkt, dem kartellierten Markt, entkoppelt der EuGH den Erfolgsgerichtsstand durch Anknüpfung an den Sitz des Geschädigten. Zudem setzt er sich in Widerspruch zu der marktbezogenen Schutzrichtung der Art. 101, 102 AEUV sowie dem Marktortprinzip des Art. 6 Abs. 3 lit. a. ROM II-VO.90 Statt den Erfolgsort an dem primär verletzten Rechtsgut oder der parallelen Behandlung durch das Kollisionsrecht zu orientieren, begründet der EuGH einen tendenziell beweisfernen Klägergerichtsstand, welcher zu den Art. 4 ff. EuGVVO in konzeptionellem Widerspruch steht und sich alleine mit der besonderen Tragweite des streitgegenständlichen Kartellrechtsverstoßes sowie dem Interesse an einer effektiven Durchsetzung des Art. 101 AEUV erklären lässt.91 86

EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 584 f. – CDC, Rn. 9 ff. EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 590 – CDC, Rn. 56. 88 Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 527 f.; Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 725; vgl. auch Stadler, JZ 2018, 91, 97. 89 Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 527 f.; vgl. auch Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 725; Wurmnest, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker, Kartellverfahren und Kartellprozess, 1. Aufl. 2017, § 31 Rn. 64. 90 Vgl. Brüggemann/Patzer, NZKart 2019, 538, 540 f; Grothaus/Haas, EuZW 2019, 792, 795. 91 Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 526 ff. 87

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands

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Aus Gründen der Vollständigkeit ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der EuGH die klägerfreundliche CDC-Entscheidung in den nachfolgenden Rechtssachen Lithuanian Airlines und Tibor Trans aus den Jahren 2018 und 2019 erheblich relativiert hat.92 Ohne den Klägergerichtsstand der CDC-Entscheidung näher zu thematisieren oder gar ausdrücklich aufzugeben lokalisiert der EuGH den Erfolgsort eines Verstoßes gegen die Art. 101, 102 AEUV in beiden Judikaten an dem „Ort des durch diese Verhaltensweisen beeinträchtigten Marktes, auf dem der Geschädigte diese Verluste erlitten zu haben behauptet.“93 Indem er den Erfolgsort zumindest auch mit dem Ort des kartellierten Marktes verknüpft, wählt der EuGH nunmehr eine Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, die – denkt man an Fälle des passing on oder des sonstigen Auseinanderfallens von Geschädigtensitz und kartelliertem Markt – nicht notwendigerweise zu einem Klägergerichtsstand führt.94 Ob die klägerfreundliche CDC-Rechtsprechung somit endgültig überholt ist, lassen die Entscheidungen indes nicht erkennen.95 c) Fazit Die Analyse ausgewählter Judikate des EuGH offenbart somit ein zwiespältiges Bild. Einerseits zeigen die Entscheidungen Folien Fischer, Kainz und Mines de Potasse, dass auch der EuGH die prozessuale Privilegierung des Deliktsgeschädigten nicht zu den Normzwecken des Deliktsgerichtsstands zählt und daher nicht flächendeckend auf Opferschutzerwägungen zurückgreift, sondern den Tatortgerichtsstand alleine anhand der Sach- und Beweisnähe auslegt. Wie die Entscheidung eDate Advertising ausdrücklich einräumt und die CDC-Entscheidung zumindest andeutet, berücksichtigt der EuGH andererseits aber jedenfalls in manchen Judikaten die besondere Schutzbedürftigkeit bestimmter Geschädigter und begegnet einem besonderen Gewicht des materiell in Streit stehenden Deliktsvorwurfs mitunter durch Bereitstellung klägerfreundlicher Gerichtsstände.96 Eine derartige Auslegung beruht nicht alleine auf einer Abwägung der Zuständigkeitsinteressen von Parteien, Gericht und Forumstaat, sondern zumindest auch auf der Bestrebung, den Rechtsschutz bestimmter Deliktsgeschädigter zu stärken. Sie lassen daher eine gewisse Tendenz zur Materialisierung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO erkennen.97

92 EuGH, Urt. v. 5. 7. 2018, Rs. C-27/17, NZKart 2018, 357, 358 f. – Lithuanian Airlines, Rn. 43 ff.; EuGH, Urt. v. 29. 7. 2019, Rs. C-451/18, EuZW 2019, 792, 794 – Tibor-Trans, Rn. 37. 93 EuGH, Urt. v. 5. 7. 2018, Rs. C-27/17, NZKart 2018, 357, 358 – Lithuanian Airlines, Rn. 43. 94 Brüggemann/Patzer, NZKart 2019, 538, 542 f.; Grothaus/Haas, EuZW 2019, 792, 795 f. 95 Grothaus/Haas, EuZW 2019, 794, 795. 96 Heinze, EuZW 2011, 947, 949 f.; Roth, IPRax 2013, 215, 220; vgl. auch von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 78 f. 97 Heinze, EuZW 2011, 947, 949 f.; Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 523 ff.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

Im Schrifttum wird darauf hingewiesen, dass eine auf sachrechtlichen Motiven beruhende zuständigkeitsrechtliche Privilegierung bestimmter Deliktskläger die prozessuale Waffengleichheit gefährdet.98 Denn die materiell schützenswerte Partei wird privilegiert, obwohl es für eine derartige Wertung angesichts der Offenheit der Sach- und Rechtslage an einer Rechtfertigung fehlt. Daneben besteht die Gefahr, dass die eigenen Zwecke des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO durch materiell-rechtlich geprägte Wertungen überspielt und beweisferne oder unvorhersehbare Zuständigkeiten begründet werden, die mit der Teleologie des Tatortgerichtsstands in keinem Zusammenhang mehr stehen.99 Die Tendenz zur Materialisierung des Zuständigkeitsrechts wirft mit anderen Worten die Frage nach den dogmatischen Grenzen auf, welche der Berücksichtigung von Opferschutzmotiven bei der Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO gesetzt sind.100 Diese Frage soll im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben. Die Auswirkungen materiell-rechtlicher und rechtspolitischer Aspekte auf die Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO werden im weiteren Verlauf der Untersuchung wieder aufgegriffen.101

III. Begründung eines vorhersehbaren Gerichtsstands Eine zentrale Funktion kommt ferner dem in den Erwägungsgründen 15 S. 1 und 16 S. 2 hervorgehobenen Ziel der Vorhersehbarkeit zu, welches der EuGH auf den allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit zurückführt.102 Wie Erwägungsgrund 16 S. 3 andeutet, ist die Vorhersehbarkeit im außervertraglichen Bereich von besonderer Bedeutung.103 1. Präzisierung der Schutzrichtung Das Vorhersehbarkeitspostulat soll gemäß Erwägungsgrund 16 S. 2 verhindern, dass „die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte.“ Diese Formulierung deutet

98 Heinze, EuZW 2011, 947, 950; Heinze, JZ 2011, 709, 716; vgl. auch Jurczyk, Materialisierung des Zivilverfahrensrechts, 2019, S. 5; Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005, S. 68 f. („ein prinzipiell ,materialisiertes‘ oder ,politisches‘ Zuständigkeitsrecht verbietet sich damit, weil ein derartiges Zuständigkeitsrecht verfahrensrechtliche Gerechtigkeitsanforderungen negierte.“). 99 Vgl. Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 531 ff. 100 Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 531 ff. 101 Kapitel 3 C. I. 4. c). 102 EuGH, Urt. v. 1. 3. 2005, Rs. C-281/02, EuZW 2005, 345, 348 – Owusu, Rn. 40; EuGH, Urt. v. 14. 7. 2016, Rs. C-196/15, IPRax 2017, 369, 397 f. – Granarolo, Rn. 16; Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im Europäischen Zivilprozessrecht, 2014, S. 38 f. 103 von Hein, JZ 2015, 946, 948.

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands

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einen einseitigen Schutz der Vorhersehbarkeitsinteressen des Beklagten an.104 Der Schutz des angeblichen Deliktstäters erschließt sich aus dem binnenmarktfunktionalen Zweck des europäischen Zuständigkeitsrechts. Wirtschaftliche Tätigkeiten in anderen Mitgliedstaaten erfordern, dass die Haftungsrisiken vorhersehbar bleiben und bereits vor Ausführung der später streitgegenständlichen Handlung abzusehen ist, in welchen Mitgliedstaaten etwa mit produkthaftungs-, kartell- oder prospekthaftungsrechtlichen Klagen gerechnet werden muss. In seinen Schlussanträgen zu der Rechtssache Melzer formulierte daher auch Generalanwalt Jääskinen, „eine gewisse Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands bei unerlaubten Handlungen“ sei auch „für einen mutmaßlichen Schädiger notwendig, da anderenfalls die Wirtschaftsteilnehmer von grenzüberschreitenden Aktivitäten abgehalten werden könnten.“105 Ebenso erfordern Aktivitäten im Binnenmarkt jedoch, dass vor Aufnahme der streitgegenständlichen Handlungen nicht nur die Gerichtspflicht, sondern auch die erforderlichenfalls eröffneten Klagemöglichkeiten vorherzusehen sind.106 Anderenfalls drohen Unsicherheiten, die Risiken und Planungsaufwand einer Tätigkeit im Binnenmarkt erhöhen. Nicht nur der spätere Deliktsbeklagte, sondern auch der spätere Kläger muss ex ante in der Lage sein, Schutzlücken der gesetzlichen Zuständigkeiten zu erkennen, um durch Gerichtsstandvereinbarungen sowohl im Hinblick auf vertragliche als auch im Hinblick auf parallele außervertragliche Ansprüche Abhilfe schaffen zu können.107 Der EuGH formuliert dementsprechend beidseitig, es sei Ziel der Verordnung, „den Rechtsschutz der in der Europäischen Union ansässigen Personen in der Weise zu verbessern, dass ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen kann, und ein Beklagter vorhersehen kann, vor welchem Gericht er verklagt werden kann.“108 2. Ausgleich der Vorhersehbarkeitsinteressen als eigenständiger Zuständigkeitszweck Die Begründung eines vorhersehbaren Gerichtsstands fungiert innerhalb des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nicht nur als Korrektiv, welches die Begründung unvorhersehbarer Zuständigkeiten ausschließt, sondern bildet einen eigenständigen Zweck der Zuständigkeit am Tatort. Delikte ereignen sich oftmals unversehens zwischen zufällig aufeinandertreffenden Personen und weisen keinen Bezug zu den Wohn104

Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im Europäischen Zivilprozessrecht, 2014, S. 39 f. 105 GA Jääskinen, Schlussanträge v. 29. 11. 2012, Rs. C-228/11 – Melzer, Rn. 64. 106 Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im Europäischen Zivilprozessrecht, 2014, S. 39 f. 107 Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 27 ff. 108 So wörtlich EuGH, Urt. v. 14. 7. 2016, Rs. C-196/15, IPRax 2017, 369, 397 f. -_ Granarolo, Rn. 16; vgl. auch EuGH, Urt. v. 23. 4. 2009, Rs. C-533/07, NJW 2009, 1865, 1865 – Falco Privatstiftung, Rn. 22.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

sitzen der Beteiligten auf. Dies verdeutlicht die Konstellation eines Verkehrsunfalls mit grenzüberschreitendem Bezug. Indem Art. 7 Nr. 2 EuGVVO einen Gerichtsstand am Unfallort eröffnet, an den sich beide Unfallparteien bewusst begeben haben, erspart er dem Unfallgeschädigten eine Klage im zufälligen und unvorhersehbaren Wohnsitzstaat des Unfallverursachers und bewahrt umgekehrt den Unfallverursacher vor einer Gerichtspflicht am nicht minder zufälligen Wohnsitz des Geschädigten.109 Ein Beispiel: Eine in Deutschland wohnhafte Partei, die sich mit ihrem PKW in das Elsass begibt, muss damit rechnen, zur Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche auf eine Klage in Frankreich angewiesen zu sein, nicht aber damit, ihrem lettischen Unfallgegner an dessen Wohnsitz nach Riga folgen zu müssen. Umgekehrt muss der lettische Unfallverursacher, der sich mit seinem PKW in das Elsass begibt, mit seiner Gerichtspflicht in Frankreich rechnen, nicht aber mit seiner Gerichtspflicht an dem unvorhersehbaren Wohnsitz seines deutschen Unfallgegners.110 Der Deliktsgerichtsstand reagiert mithin darauf, dass unerlaubte Handlungen unversehens im Jedermannsverkehr auftreten. Er eröffnet einen Gerichtsstand an einem Ort, der für alle Beteiligten ex ante vorherzusehen ist und bewirkt einen Ausgleich zwischen den beiderseitigen Vorhersehbarkeitsinteressen.111 Er schafft eine Alternative, die – anders als der Wohnsitz – nach Entstehen des Schuldverhältnisses nicht mehr verlagert werden kann. 112

3. Das strukturelle Informationsdefizit des Geschädigten eines Distanzdelikts Der Gerichtsstand am Handlungsort ist in bestimmten Konstellationen jedoch mit einem besonderen Vorhersehbarkeitsproblem verbunden. So liegt es in der Natur eines Distanzdelikts, dass der Geschädigte die in einem anderen Mitgliedstaat verübte schadensursächliche Handlung nicht sinnlich wahrgenommen hat.113 Insoweit zeigt sich ein strukturell bedingtes Informationsdefizit.114 Dem Verletzten eines Pressedelikts wird kaum bekannt sein, an welchen Orten ein ehrverletzender Artikel recherchiert, erstellt, gedruckt und im Internet hochgeladen wurde.115 Ebenso wird dem Geschädigten Kapitalanleger kaum im Detail bekannt sein, an welchen Orten über die Prospektinhalte entschieden, der Prospekt abgefasst und von wo aus dieser im Internet veröffentlicht wurde.116 Besonders schwer wiegt die mangelnde Sach109

Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 103; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 354. 110 Beispiel nach Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 354. 111 Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 103; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 354. 112 Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 103. 113 Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 435. 114 Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 435. 115 Eichel, IPRax 2019, 16, 20. 116 Vgl. Art. 21 Abs. 2 Prospekt-VO.

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands

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verhaltskenntnis des Deliktsgeschädigten in Anbetracht dessen, dass er – abgesehen vom Sonderfall der negativen Feststellungsklage – in der Klägerrolle auftritt und im Hinblick auf die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen somit die Darlegungslast trägt. Oftmals wird der Deliktskläger den Handlungsort nur aus Indizien schließen oder ins Blaue hinein behaupten können. Verschärft wird das strukturelle Informationsdefizit, wenn das Distanzdelikt arbeitsteilig von mehreren Schädigern begangen wird. Insbesondere soweit einzelne Mitverursacher im Hintergrund agieren und gegenüber dem Geschädigten nicht in Erscheinung treten, ist diesem weder die genaue Arbeitsteilung zwischen den Delinquenten noch die örtliche Belegenheit sämtlicher Tatbeiträge bekannt.117

IV. Teilweise Gewährleistung besonderer Rechtsnähe Im Bereich der Platzdelikte wird der Tatort des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO oftmals mit dem Erfolgsort des Art. 4 Abs. 1 ROM II-VO übereinstimmen und daher zu einem Gleichlauf von forum und ius führen.118 Im Bereich der Distanzdelikte weicht das zuständigkeitsrechtliche Ubiquitätsprinzip hingegen von der Erfolgsortanknüpfung des europäischen Deliktskollisionsrechts ab.119 Während die Gerichte des Erfolgsorts gemäß Art. 4 Abs. 1 ROM II-VO oftmals zur Anwendung des eigenen Deliktsrechts gelangen werden, sind die Gerichte am Handlungsort zumeist zur Anwendung der ausländischen lex loci damni gezwungen.120 Der Tatortgerichtsstand gewährleistet daher keine flächendeckende Anwendbarkeit der lex fori, sondern trägt den diesbezüglichen Gerichts- und Parteiinteressen allenfalls partiell Rechnung.121 Erwägungsgrund 7 der ROM II-VO formuliert das Ziel der Kohärenz zwischen europäischem Deliktskollisions- und Zuständigkeitsrecht. Auch der EuGH zieht daher mitunter Parallelen zu der kollisionsrechtlichen Rechtslage.122 Die unterschiedlichen Regelungsziele des Zuständigkeits- und des Kollisionsrechts setzen

117 Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 285. 118 In diese Richtung Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.67. 119 Vgl. Schack in von Hein/Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union, 2016, 279, 282. 120 Zu einem Gleichlauf von forum und ius kommt es am Handlungsort nur im Bereich der Arbeitskampfmaßnahmen (Art. 9 ROM II-VO), im Falle der Verletzung geistiger Eigentumsrechte (Art. 8 Abs. 2 ROM II-VO) sowie innerhalb mancher kollisionsrechtlicher Alternativanknüpfungen (Art. 7 ROM II-VO und Art. 40 Abs. 1 EGBGB); vgl. hierzu von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 55. 121 Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 471. 122 EuGH, Urt. v. 9. 7. 2020, Rs. C-343/19, BeckRS 2020, 15180 – Verein für Konsumenteninformation, Rn. 39; EuGH, Urt. v. 2. 4. 2020, Rs. C-500/18, WM 2020, 870, 872 f. – Reliantco Investment, Rn. 71.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

einer parallelen Auslegung indes dogmatische Grenzen.123 Während die Kollisionsnormen der Art. 4 ff. ROM II-VO die engste räumliche Verbindung zwischen dem Delikt und dem Recht eines Staates typisieren,124 bewegt sich das Zuständigkeitsrecht vor dem Hintergrund der Justizgewährungsansprüche der Parteien, die praktikable sowie für beide Seiten zugängliche Gerichtsstände erfordern und daher nicht den räumlichen Sitz des Rechtsverhältnisses, sondern die Wohnsitze der Parteien in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken.125 Als eine Alternative zu dem allgemeinen Beklagtengerichtsstand erfordert der Deliktsgerichtsstand nicht etwa die Identifikation einer exklusiv engsten Verbindung, sondern verlangt einen gewissen Konnex zwischen Sachverhalt und Gericht, der eine sachgerechte Verfahrensgestaltung ermöglicht.126 Die aus kollisionsrechtlicher Perspektive engste Verbindung kann – etwa im Falle des Art. 4 Abs. 2 ROM II-VO – zur Anwendbarkeit des Rechts eines Staates führen, dessen Gerichte beweisfern und daher aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht nicht besonders geeignet sind. Demgemäß hat in der Rechtssache Kainz auch der EuGH klargestellt, dass das Kohärenzziel keinesfalls zu einer kollisionsrechtsakzessorischen Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO führen dürfe, die dessen eigener Ratio zuwiderlaufe.127 Das Kohärenzziel kann daher als ergänzender Gesichtspunkt in die Auslegung des Tatortgerichtsstands einbezogen werden, vermag eine Auslegung, die dessen Zwecken zuwiderläuft, für sich genommen aber nicht zu rechtfertigen. Rechtsferne Zuständigkeiten, die aus den eigenständigen Zwecken des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO resultieren, müssen trotz des Mehraufwands der Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts also hingenommen werden.

V. Kein spezifischer Verbraucherschutz Hinzuweisen ist schließlich darauf, dass der Tatortgerichtsstand keinen besonderen Schutz deliktisch geschädigter Verbraucher bezweckt.128 Der zuständigkeitsrechtliche Verbraucherschutz der Art. 17 ff. EuGVVO ist grundsätzlich 123 Dutta, in: FS Kronke, 2020, 51, 51 f.; von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 57 f.; Schack in von Hein/Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union, 2016, 279, 285 f. 124 von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 54. 125 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 113. 126 von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 58; Mankowski, in: FS Heldrich, 2005, 867, 868 f.; Thomale, ZVglRWiss 119 (220), 59, 73 f. 127 EuGH, Urt. v. 16. 1. 2014, Rs. C-45/13, EuZW 2014, 232, 233 – Kainz, Rn. 20. 128 von Hein, in: BerDGV, Paradigmen im internationalen Recht, 2012, S. 369, 396; von Hein, IPRax 2005, 17, 21; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO, Rn. 83b; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 99; Weller, WM 2013, 1681, 1687.

A. Zur Teleologie des Deliktsgerichtsstands

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auf den vertragsrechtlichen Bereich beschränkt. Auch eine Annexkompetenz, welche dem gemäß Art. 17 ff. EuGVVO zuständigen Gericht die Entscheidung über parallel laufende Deliktsansprüche erlauben würde, ist nach traditionellem Verständnis nicht anerkannt.129 Zwar hat der EuGH diesen restriktiven Standpunkt jedenfalls im Hinblick auf Schadensersatzansprüche eines Privatanlegers, die aus einer Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten resultieren, jüngst revidiert und die Verbrauchergerichtsstände auf außervertragliche Ansprüche erstreckt, die untrennbar mit dem Verbrauchervertrag verbunden sind.130 Dennoch verbleibt ein augenfälliges zuständigkeitsrechtliches Schutzgefälle, soweit es an einer Vertragsbeziehung fehlt oder das Delikt mit dem Verbrauchervertrag nicht hinreichend eng verbunden ist. Während sich der geschädigte Verbraucher zur Geltendmachung seiner vertraglichen Ansprüche auf den derogationsfesten Klägergerichtsstand des Art. 18 Abs. 1 EuGVVO berufen kann, stehen ihm zur Geltendmachung deliktsrechtlicher Ansprüche nur die verbraucherschutzpolitisch neutralen Gerichtsstände der Art. 4 ff. EuGVVO offen. Will der Verbraucher seine Klage auf Delikt stützen, so muss er sich bei identischer Kräftedisparität vielfach auf ein ausländisches Gerichtsverfahren einlassen und die damit verbundenen Nachteile in Kauf nehmen. Das niedrige prozessuale Verbraucherschutzniveau außerhalb des vertraglichen Bereichs trifft private Kleinanleger im Verhältnis zu dem Emittenten der verlustträchtigen Finanzinstrumente besonders schwer. Denn Anleger und Emittent treten oftmals nicht unmittelbar in vertragliche Beziehung, sondern kontrahieren jeweils mit einem Intermediär. Wirtschaftlich betrachtet werden etwa der Erwerb eines fremdemittierten Finanzinstruments oder der Anteilserwerb mittels eines Kommissionsgeschäfts oder auf Wertpapierrechnung einem Direkterwerb vom Emittenten dennoch im Wesentlichen entsprechen.131 Auch im Falle der arbeitsteiligen Vermarktung von Finanzprodukten durch mehrere kooperierende Finanzdienstleister tritt der Verbraucher oftmals nur mit einem Glied der Vertriebskette in vertragliche Beziehung. Obwohl das strukturelle Ungleichgewicht zwischen dem Kleinanleger auf der einen und dem Emittenten oder Finanzdienstleister auf der anderen Seite in derartigen Fällen in keiner Weise schwächer ausgeprägt ist als bei Vorhandensein einer unmittelbaren Vertragsbeziehung, finden die „sozialpolitisch“132 motivierten Schutzvorschriften des Verbraucherprozessrechts keine Anwendung.133 Auch dem Ansatz, die Vertragsparteien im Sinne der Art. 17 ff. EuGVVO anhand einer wirt129

von Hein, IPRax 2005, 17, 21; Weller, WM 2013, 1681, 1687. EuGH, Urt. v. 2. 4. 2020, Rs. C-500/18, WM 2020, 870, 872 f. – Reliantco Investment, Rn. 58 ff.; vgl. hierzu Mankowski, EWiR 2020, 349, 349 f.; Pfeiffer, LMK 2020, 429785. 131 Vgl. hierzu Müller, EuZW 2015, 218, 226. 132 Bericht von Herrn P. Jenard zu dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 1979, S. 28; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, vor Art. 8 EuGVO Rn. 2. 133 Vgl. hierzu Müller, EuZW 2015, 218, 226. 130

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

schaftlichen Betrachtung zu bestimmen, ist der EuGH in der Rechtssache Kolassa für den kapitalmarktrechtlichen Bereich entgegengetreten und hat den Verbraucher auf die Durchsetzung außervertraglicher Ansprüche am allgemeinen Gerichtsstand des Emittenten oder am Tatort verwiesen.134 Daraus resultierende Schutzlücken mögen de lege ferenda korrekturbedürftig erscheinen.135 Sie beruhen aber auf einer bewussten Beschränkung des prozessualen Verbraucherschutzes auf den vertraglichen Bereich. Sie sind de lege lata hinzunehmen und sollten nicht durch system- und zweckwidrige Extension des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO kompensiert werden.136

B. Maßstab der gerichtlichen Zuständigkeitsprüfung Die prozessualen Prüfungsanforderungen sind nach traditioneller Rechtsprechung des EuGH nicht in der Verordnung geregelt und bleiben der lex fori processualis überlassen.137 Die deutsche Rechtsprechung wendet deshalb die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen an,138 wonach der Zuständigkeitsprüfung im Hinblick auf Umstände, von deren Vorliegen sowohl die Zulässigkeit als auch die Begründetheit der Klage abhängt, alleine der schlüssige Klägervortrag zugrunde zu legen ist (dazu I.). Die Freiheit der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der Prüfungsanforderungen wird indes durch das Gebot eingeschränkt, die praktische Wirksamkeit des europäischen Zuständigkeitsrechts zu wahren.139 Einer exklusiv auf den Klä134 EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015, Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1582 f. – Kolassa, Rn. 33 ff.; anders aber für den Bereich der Reisevermittlung noch EuGH, Urt. v. 14. 11. 2013, Rs. C-478/ 12, NJW 2014, 530, 531 – Maletic, Rn. 28 ff.; vgl. hierzu von Hein, JZ 2015, 946, 947. 135 von Hein, in: BerDGV, Paradigmen im internationalen Recht, 2012, S. 369, 396; von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 88; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 99; Weller, WM 2013, 1681, 1687. 136 Vgl. hierzu Weller, WM 2013, 1681, 1687. 137 EuGH, Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881, 1882 – Shevill, Rn. 35 ff.; EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015, Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1584 f. – Kolassa, Rn. 58 ff.; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 94; Spickhoff, IPRax 2020, 368, 370; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 4 EuGVVO Rn. 4; für autonome Ableitung aus den Zwecken des Art. 7 EuGVVO aber Thole, IPRax 2013, 136, 140 f. 138 BGH, Urt. v. 30. 3. 2006 – I ZR 24/03, NJW 2006, 2630, 2632; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19. 10. 2017 – I-20 U 29/17, BeckRS 2017, 130901; Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.175; Paulus, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverehr, 59. El, Stand April 2020, Art. 7 VO (EU) Nr. 1215/2012 Rn. 166 f.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 4 EuGVVO Rn. 4. 139 EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015, Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1584 – Kolassa, Rn. 60 („Auch wenn es sich dabei in der Tat um einen Aspekt des innerstaatlichen Verfahrensrechts handelt, dessen Vereinheitlichung nicht Gegenstand der VO Nr. 44/2001 ist, darf doch die Anwendung der einschlägigen nationalen Vorschriften die praktische Wirksamkeit dieser Verordnung nicht beeinträchtigen.“); EuGH, Urt. v. 10. 3. 2016, Rs. C-94/14, BeckRS 2016, 80468 – Flight Refund, Rn. 62 ff.

B. Maßstab der gerichtlichen Zuständigkeitsprüfung

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gervortrag bezogenen Schlüssigkeitsprüfung hat der EuGH aus diesem Grund wiederholt Grenzen gesetzt (dazu II.).

I. Zur Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen eröffnet dem Kläger den erstrebten Gerichtsstand bereits auf Grundlage einer schlüssigen Behauptung, setzt ihn aber zugleich der Gefahr aus, dass ihm die Klageforderung von einem an sich unzuständigen Gericht rechtskräftig aberkannt und die erneute Klage vor dem zuständigen Gericht somit versperrt wird.140 Der Beklagte hingegen muss sich ungeachtet des Prüfungsstandorts verteidigen. Wendet er sich zurecht gegen die doppelrelevante Tatsache, so liegt es in seinem Interesse, wenn die Klage nicht nur als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen und der Anspruch des Klägers rechtskräftig aberkannt wird.141 Erweist sich die doppelrelevante Tatsache als zutreffend, so wird der Beklagte von dem zuständigen Gericht in der Sache verurteilt und erleidet keinen ungerechtfertigten Nachteil.142 Da dem Beklagten in keiner denkbaren Konstellation eine Verurteilung durch ein unzuständiges Gericht droht, wird er – so der Grundgedanke – durch den reduzierten Prüfungsmaßstab auf Zuständigkeitsebene nicht unzumutbar belastet. Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen privilegiert demnach nicht etwa den Kläger, sondern fördert die endgültige Beilegung des Rechtsstreits143 und schützt den Beklagten vor einer erneuten Inanspruchnahme.144 Trotz ihres einleuchtenden Grundgedankens bestehen gegen eine Anwendung der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen auf Ebene der internationalen Zuständigkeit Bedenken.145 Zum einen wird der Beklagte auf Grundlage einer möglicherweise unzutreffenden Tatsachenbehauptung des Klägers des Schutzes seiner Heimatjurisdiktion beraubt (dazu 1.). Schwierigkeiten bereitet zum anderen die Feststellung, ob die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen im konkreten Fall tatsächlich doppelrelevant sind (dazu 2.). Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Begründetheit der Klage kaum von der örtlichen Belegenheit des Tatorts abhängen und der Tatort als solcher daher nur selten doppelrelevant sein wird (dazu 3.). 140

BGH, Urt. v. 25. 11. 1993 – IX ZR 32/93, NJW 1994, 1413, 1414. Mankowski, IPRax 2006, 454, 457; Spickhoff, IPRax 2020, 368, 371; vgl. auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, 1995, S. 604; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 265 f. 142 BGH, Urt. v. 25. 11. 1993 – IX ZR 32/93, NJW 1994, 1413, 1414. 143 BGH, Urt. v. 25. 11. 1993 – IX ZR 32/93, NJW 1994, 1413, 1414. 144 Vgl. Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, S. 126 ff.; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, S. 265 f.; Schumann, in: FS Nagel, 1987, 402, 421 ff.; Weller, IPRax 2000, 202, 203. 145 Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, S. 129 ff.; Mankowski, IPRax 2006, 454, 454 ff. 141

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

1. Beeinträchtigung des zuständigkeitsrechtlichen Beklagtenschutzes Der Beklagte wird durch eine Tatsachenbehauptung des Klägers vor ein ausländisches Gericht gezogen, die möglicherweise jeder Grundlage entbehrt.146 Der abgesenkte Prüfungsmaßstab birgt erhebliches Missbrauchspotential. Denn der Kläger kann durch gezielte Behauptung eines Tat- oder Erfüllungsorts einen Gerichtsstand in der erwünschten Jurisdiktion konstruieren. Freilich wird diese Gefahr dadurch eingedämmt, dass den reduzierten Prüfungsanforderungen ein Korrektiv auf Begründetheitsebene gegenübersteht und die Klage ungeachtet der reduzierten Zuständigkeitsprüfung kostenträchtig abgewiesen wird, sofern der Kläger seine Behauptung nicht zu beweisen vermag.147 Dies bietet dem Beklagten jedoch nur begrenzten Schutz. Er bleibt gezwungen, sich anhand der Gerichtssprache des Forumstaats, auf Grundlage von dessen möglicherweise ungünstiger lex fori processualis sowie ohne seinen angestammten Rechtsbeistand im Ausland zu verteidigen.148 Gelingt die Verteidigung angesichts dieser Hürden nicht, so ist dem Beklagten mit der Möglichkeit einer abweisenden Sachentscheidung nicht gedient. Der Schutz vor einer erneuten Inanspruchnahme erscheint gegenüber den Nachteilen einer Rechtsverteidigung im Ausland also als schwacher Trost. Dass der Kläger in einem anderen Mitgliedstaat erneut klagt, nachdem er eine doppelrelevante Tatsache im Rahmen des Erstprozesses nicht beweisen konnte, dürfte auch rein praktisch eher die Ausnahme bilden.149 Begehrt der Beklagte eine abweisende Sachentscheidung des kompetenzwidrig angerufenen Gerichts, so kann er sich gemäß Art. 26 Abs. 1 EuGVVO rügelos einlassen.150 Will der Beklagte – etwa wegen eines drohenden Anerkennungshindernisses – keine abweisende Sachentscheidung erstreiten, wird ihm der „Schutz“ vor einer erneuten Inanspruchnahme durch die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen dennoch aufgezwungen und die Möglichkeit, auf die internationale Unzuständigkeit des Gerichts zu bestehen, genommen. 2. Schwierigkeiten bei der Feststellung der konkreten Doppelrelevanz Im Rahmen der Prüfung des europäischen Deliktsgerichtsstands kann sich zudem die Feststellung der Doppelrelevanz als schwierig erweisen. Angesichts der autonomen Auslegung bilden die in Art. 7 Nr. 2 EuGVVO verwendeten Termini des Delikts oder des Tatorts eigenständige, mit den Kategorien der lex causae nicht zwingend deckungsgleiche Begrifflichkeiten.151 Eine Doppelrelevanz kann sich vor diesem Hintergrund nur daraus ergeben, dass der Tatsachenvortrag des Klägers 146 Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, S. 132 f.; Mankowski, IPRax 2006, 454, 456 f. 147 Schumann, in: FS Nagel, 1987, 402, 421 f.; Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 96. 148 Mankowski, IPRax 2006, 454, 457 f. 149 Mankowski, IPRax 2006, 454, 457. 150 Mankowski, IPRax 2006, 454, 458. 151 Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, vor Art. 2 EuGVVO Rn. 27.

B. Maßstab der gerichtlichen Zuständigkeitsprüfung

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sowohl auf ein Delikt im autonomen Sinne der Verordnung als auch auf ein Delikt im Sinne der lex causae schließen lässt.152 Dies kann letztlich nur in Kenntnis des anwendbaren Deliktstatuts beurteilt werden.153 Bei strenger Anwendung der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen muss zur Beurteilung der Doppelrelevanz anhand einer kollisionsrechtlichen Vorprüfung der streitentscheidende Deliktstatbestand der lex causae ermittelt und untersucht werden, ob hiernach auch die Begründetheit der Klage von der zuständigkeitsrechtlich relevanten Tatsache abhängt. Die Bestimmung des Prüfungsmaßstabs erfordert also eine kollisions- und sachrechtliche Vorprüfung, wie sie durch die autonome Auslegung der Art. 4 ff. EuGVVO gerade verhindert werden soll. 3. Einfachrelevanz des Tatorts Zumeist wird die Begründetheit einer Deliktsklage davon abhängen, ob der Beklagte eine unerlaubte Handlung begangen hat, nicht aber davon, an welchem Ort dies geschehen ist.154 Die Frage nach dem „Wo“ kann sich auf die Begründetheit der Klage allenfalls über das Kollisionsrecht und dort über die Erfolgsortanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 ROM II-VO oder das Günstigkeitsprinzip des Art. 40 Abs. 1 EGBGB auswirken.155 Auch wenn sich aus einer Kongruenz der zuständigkeits- und kollisionsrechtlichen Anknüpfungspunkte im konkreten Fall die Doppelrelevanz des Tatorts ergibt, greift indes die hinter der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen stehende Ratio nicht.156 Diese beruht auf der Prämisse, dass die Klage bei Vorliegen der doppelrelevanten Tatsache zulässig und begründet, bei ihrem Nichtvorliegen dagegen sowohl unzulässig als auch unbegründet ist. Zeigt sich im Prozessverlauf, dass der Tatort nicht im Bezirk des angerufenen Gerichts, sondern in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist, so entfällt zwar die zuständigkeitsbegründende Tatsache, die Klage ist deshalb aber nicht zwingend unbegründet. Es kommt vielmehr ein anderes Deliktsstatut zur Anwendung, auf dessen Grundlage die Klageforderung durchaus bestehen kann.157 Es liegt deshalb nahe, über den umstrittenen Tatort bereits im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung Beweis zu erheben. Vermag der Kläger den behaupteten Tatort zu beweisen, müsste der Beklagte in der Sache verurteilt, an-

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Mankowski, IPRax 2006, 454, 455. So zumindest andeutungsweise Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, vor Art. 2 EuGVVO Rn. 27. 154 Vgl. hierzu Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, S. 273 ff.; Mankowski, IPRax 2006, 454, 455; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, S. 36 ff.; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 23. Aufl. 2014, § 32 Rn. 15. 155 Vgl. hierzu Mankowski, IPRax 2006, 454, 455; Spickhoff, IPRax 2020, 368, 371. 156 Vgl. Weller, IPRax 2000, 200, 204. 157 Vgl. Weller, IPRax 2000, 200, 204. 153

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

derenfalls die Klage als unzulässig abgewiesen werden.158 Es sprechen jedoch auch gute Gründe gegen eine Beweiserhebung.159 Da sich die Frage nach dem „Wo“ kaum von der doppelrelevanten Frage nach dem „Ob“ der unerlaubten Handlung trennen lässt, müsste im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung de facto über den gesamten potentiell deliktischen Lebenssachverhalt Beweis erhoben werden.160 Der Beklagte müsste sich umfassend verteidigen, ohne eine abweisende Sachentscheidung erstreiten zu können. 4. Fazit In Anbetracht dieser Kritikpunkte lässt sich eine exklusiv auf den schlüssigen Klägervortrag gestützte Zuständigkeitsprüfung allenfalls als geringeres Übel rechtfertigen. Denn auch die naheliegende Alternative – eine umfassende Beweiserhebung im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung – weist erhebliche Schwächen auf. Eine solche würde nichts daran ändern, dass sich der Beklagte vor dem möglicherweise unzuständigen, weit entfernten Gericht nach Maßgabe von dessen Prozessrecht und Gerichtssprache verteidigen muss. Es drohte jedoch eine einseitige Verteilung der Prozessrisiken zulasten des Beklagten. Denn würde bereits auf Ebene der Zuständigkeitsprüfung Beweis erhoben, so würde der Beklagte bei Vorliegen der doppelrelevanten Tatsache in der Sache verurteilt, während die Klage bei Nichtvorliegen der doppelrelevanten Tatsache als unzulässig abgewiesen würde. Der Kläger wäre allenfalls der Gefahr einer Abweisung aus Zuständigkeitsgründen ausgesetzt, während der Beklagte bestenfalls ein abweisendes Prozessurteil, nicht aber eine abweisende Sachentscheidung erstreiten könnte.161

II. Prüfungsanforderungen in der Rechtsprechung des EuGH Auch der EuGH betont, das hinter der Verordnung stehende Ziel der Rechtssicherheit erfordere, dass das angerufene Gericht seine Zuständigkeit ohne Eintritt in die Sachprüfung162 oder umfassende Beweiserhebung festzustellen vermöge.163 Ohne auf die Doppelrelevanz der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen abzuheben, hat 158

Mankowski, IPRax 2006, 454, 455; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, S. 39 f.; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 23. Aufl. 2014, § 32 Rn. 15; Schumann, in: FS Nagel, 1987, 402, 419; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 531 f. 159 Thole, IPRax 2013, 136, 140 f. 160 Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, S. 39; Thole, IPRax 2013, 136, 141. 161 Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, S. 128; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 23. Aufl. 2014, § 1 Rn. 32. 162 EuGH, Urt. v. 3. 7. 1997 – Rs. C-269/95, JZ 1998, 896, 897 – Benincasa, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015 – Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1585 – Kolassa, Rn. 61. 163 EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015 – Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1585 – Kolassa, Rn. 63.

B. Maßstab der gerichtlichen Zuständigkeitsprüfung

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der EuGH eine Wahrunterstellung des schlüssigen Klägervortrags sowie das Absehen von einer Beweisaufnahme zumindest im Grundsatz gebilligt.164 Zugleich betont er aber in ständiger Rechtsprechung, die Prüfungsanforderungen der lex fori processualis dürften die praktische Wirksamkeit der europäischen Zuständigkeitsregeln nicht beeinträchtigen.165 Aus dem Grundsatz des effet utile leitet er einen Mindeststandard ab, welcher den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten begrenzt. Zwischen den beiden Extrempositionen einer exklusiv auf den Klägervortrag gestützten Schlüssigkeitsprüfung sowie einer umfassenden Beweiserhebung scheint dem EuGH ein Mittelweg vorzuschweben, der einer Prima-facie-Prüfung anhand sämtlicher ohne Beweisaufnahme verfügbarer Informationen nahekommt.166 1. Mögliche Berücksichtigung des Beklagtenvortrags In der Rechtssache Kolassa hat der EuGH betont, wenngleich von Unionsrechts wegen keine Beweisaufnahme durchzuführen sei, verlange das hinter der Verordnung stehende Ziel der geordneten Rechtspflege eine Zuständigkeitsprüfung unter Berücksichtigung aller verfügbaren Informationen. Hierzu zählten auch die Einwände des Beklagten.167 Deutlicher hat der EuGH in der Rechtssache Flight Refund formuliert, soweit das Gericht auf die Würdigung schlüssiger Klägerbehauptungen beschränkt sei, „könnte ein solches Verfahren weder die praktische Wirksamkeit der in der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellten Zuständigkeitsregeln noch die dem Antragsgegner zustehenden Verteidigungsrechte gewährleisten.“168 Die gebotene Zuständigkeitsprüfung anhand aller verfügbaren Informationen könne auch eine Anhörung der Parteien verlangen.169 So verstanden fordert der effet utile, dass das Gericht zur Berücksichtigung sämtlicher ohne Beweiserhebung verfügbarer Informationen befugt ist und nicht durch sein Verfahrensrecht gezwungen wird, den Beklagtenvortrag auszublenden.

164 EuGH, Urt. v. 4. 3. 1982 – Rs. 38/81, BeckRS 2004, 71041 – Effer, Rn. 7; EuGH, Urt. v. 3. 4. 2014 – Rs. C-387/12, EuZW 2014, 431, 432 – Hi Hotel, Rn. 20; EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015 – Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1585 – Kolassa, Rn. 61; EuGH, Urt. v. 16. 6. 2016 – Rs. C-12/ 15, NJW 2016, 2167, 2169 – Universal Music, Rn. 44. 165 EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015, Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1584 – Kolassa, Rn. 60; EuGH, Urt. v. 10. 3. 2016, Rs. C-94/14, BeckRS 2016, 80468 – Flight Refund, Rn. 62 ff.; vgl. hierzu Klöpfer/Wendelstein, JZ 2017, 96, 101 f.; Thole, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Rn. 68 ff. 166 Vgl. zu möglichen Formen einer prima-facie-Prüfung Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, S. 134 ff. 167 EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015 – Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1584 f. – Kolassa, Rn. 64. 168 EuGH, Urt. v. 10. 3. 2016, Rs. C-94/14, BeckRS 2016, 80468 – Flight Refund, Rn. 62; vgl. hierzu Klöpfer/Wendelstein, JZ 2017, 96, 101 f. 169 EuGH, Urt. v. 10. 3. 2016, Rs. C-94/14, BeckRS 2016, 80468 – Flight Refund, Rn. 62.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

2. Pflicht zur Berücksichtigung des Beklagtenvortrags? Weitergehend deutet der EuGH in der Rechtssache Universal Music eine unionsrechtliche Pflicht zur Berücksichtigung von Beklagteneinwendungen an. Konkret formuliert er, dass das „Gericht bei der Zuständigkeitsprüfung nach der VO Nr. 44/ 2001 alle ihm vorliegenden Informationen zu würdigen hat.“170 Bezugnehmend auf diese Wendung hat etwa das OLG Schleswig im Zusammenhang mit Anlegerklagen aus griechischen Staatsanleihen verlangt, es müsse „der äußere Tatbestand eines Vertragsschlusses von der klägerischen Partei substantiiert dargelegt werden und im Rahmen der Amtsprüfung des Gerichts bewiesen werden.“171 Im Schrifttum wird aus den Entscheidungen Universal Music und Flight Refund vereinzelt die Verpflichtung abgeleitet, den zuständigkeitsrelevanten Sachverhalt durch Anhörung der Parteien zu ermitteln.172 Ein derart weites Verständnis erscheint angesichts des fragmentarischen Charakters der EuGH-Rechtsprechung sowie des unionsrechtlichen Kontrollmaßstabs – der praktischen Wirksamkeit der Zuständigkeitsregeln – zumindest zweifelhaft.173 Die Erwägungen der Universal Music-Entscheidung entsprechen wörtlich den Erwägungen der vorausgegangenen Entscheidung in der Rechtssache Kolassa.174 Die Judikate unterscheiden sich alleine darin, dass das Gericht seine Zuständigkeit nach der Entscheidung Kolassa „im Licht aller ihm vorliegender Informationen prüfen kann“,175 während es diese nach der Universal Music-Entscheidung „zu würdigen hat.“176 Ob dem mehr als nur die Bedeutung einer sprachlichen Unschärfe beizumessen ist, bleibt unklar.177 3. Modalitäten der Zuständigkeitsprüfung Angesichts der potentiell prozessentscheidenden Bedeutung der internationalen Zuständigkeitsfrage leuchtet es durchaus ein, der Zuständigkeitsprüfung mehr zugrunde zu legen als den bloßen Tatsachenvortrag des Klägers. Die Vereinheitlichung der prozessualen Prüfungsanforderungen ist auch im Hinblick auf das binnenmarktfinale Ziel der Verordnung von erheblicher Bedeutung. Denn Regelungsunterschiede auf Ebene des gerichtlichen Prüfungsmaßstabs haben zur Folge, dass sich die Voraussetzungen, unter denen eine Klage zulässigerweise erhoben werden kann, 170

EuGH, Urt. v. 16. 6. 2016 – Rs. C-12/15, NJW 2016, 2167, 2169 – Universal Music, Rn. 41 ff.; Müller, NJW 2016, 2167, 2170; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 4 EuGVVO Rn. 4; Magnus, LMK 2016, 381538; Klöpfer/Wendelstein, JZ 2017, 99, 101 f. 171 OLG Schleswig Urt. v. 7. 7. 2016 – 5 U 84/15, BeckRS 2016, 16044 (dort Rn. 50). 172 Klöpfer/Wendelstein, JZ 2017, 96, 102. 173 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 4 EuGVVO Rn. 4. 174 Müller, NJW 2016, 2167, 2170. 175 EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015 – Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1584 f. – Kolassa, Rn. 64. 176 EuGH, Urt. v. 16. 6. 2016 – Rs. C-12/15, NJW 2016, 2167, 2169 – Universal Music, Rn. 46. 177 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 4 EuGVVO Rn. 4.

B. Maßstab der gerichtlichen Zuständigkeitsprüfung

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von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden.178 In Mitgliedstaaten, deren Verfahrensrecht sich durch eine geringe Prüfungsintensität auszeichnet, können Klagen als gezieltes Mittel zum Aufbau erheblichen Vergleichsdrucks instrumentalisiert werden.179 Die genaue Ausgestaltung der unionsrechtlich gebotenen Zuständigkeitsprüfung bleibt indes offen. Prüft das Gericht seine Zuständigkeit anhand einer umfassenden Würdigung des beidseitigen Parteivortrags, bestünde die Gefahr, dass der Beklagte dem Kläger Gerichtsstände durch nicht verifiziertes Bestreiten aus der Hand schlägt und eine Beweisaufnahme somit verhindert.180 Soll diese Gefahr gebannt, zugleich aber von einer umfassenden Beweisaufnahme abgesehen werden, so kommt das Gericht letztlich nicht umhin, den bestrittenen Klägervortrag im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung ausreichen zu lassen und dem Bestreiten des Beklagten im Rahmen einer Beweisaufnahme auf Ebene der Begründetheitsprüfung nach zu gehen.181 Von der Möglichkeit, die Zuständigkeit auf Grundlage eines Bestreitens des Beklagten zu verneinen, ist daher zurückhaltend Gebrauch zu machen. Beklagteneinwendungen rechtfertigen eine verneinende Zuständigkeitsentscheidung allenfalls, wenn für das Vorliegen der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht. Hier überwiegt der Schutz des Beklagten vor einer sachlich ungerechtfertigten Gerichtspflicht das Interesse des Klägers an einer Sachentscheidung, zumal dem Kläger im Anschluss an ein abweisendes Prozessurteil immerhin die Möglichkeit einer erneuten Klage offensteht.

III. Zusammenfassung Die – ohnehin kritikwürdige – Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen findet im Rahmen der Art. 4 ff. EuGVVO keine uneingeschränkte Anwendung. Aus dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit leitet der EuGH die Befugnis des Gerichts ab, seine Zuständigkeit nicht nur auf Grundlage des Klägervortrags, sondern anhand aller verfügbaren Informationen einschließlich der Einwendungen des Beklagten sowie einer Anhörung der Parteien zu prüfen. Mitunter deutet der EuGH gar eine diesbezügliche Prüfungspflicht an. Letztlich ändert die Berücksichtigung des Beklagtenvortrags jedoch nichts daran, dass das nicht zur Beweiserhebung befugte Gericht in aller Regel gezwungen sein wird, seine Zuständigkeit entsprechend dem bestrittenen Tatsachenvortrag des Klägers zu bejahen, um im Rahmen der Begründetheitsprüfung über den Sachverhalt Beweis erheben zu können. Zu einem abweisenden Prozessurteil führt ein Bestreiten der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen allenfalls, wenn für das Vorliegen der Zuständigkeitsvoraussetzungen auf 178 179 180 181

Vgl. Klöpfer/Wendelstein, JZ 2017, 96, 101. Klöpfer/Wendelstein, JZ 2017, 96, 101. Vgl. Mankowski, IPRax 2006, 454, 454. Vgl. Magnus, LMK 2016, 381538.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

Grundlage der vorhandenen Informationen eine äußerst geringe Wahrscheinlichkeit besteht.

C. Der prozessuale Handlungsort In ständiger Rechtsprechung bezeichnet der EuGH den Handlungsort mit unterschiedlichsten semantischen Variationen als den „Ort des ursächlichen Geschehens“182 oder als den „Ort, an dem das schadensbegründende Geschehen seinen Ausgang nahm.“183 Ähnliche Formulierungen in Rechtsprechung und Schrifttum zielen gleichermaßen auf das Erfordernis ab, dass die kausale Schädigungshandlung im Bezirk des angerufenen Gerichts begangen wurde. Mitunter wird der Handlungsortgerichtsstand dort lokalisiert, wo der Täter eine „für den Deliktstatbestand wesentliche Teilhandlung verwirklicht“ hat,184 wo sich der Täter zur Tatzeit befand185 oder wo „ein die unerlaubte Handlung teilverwirklichender Akt vorgenommen wird.“186 So eindeutig diese Kriterien auf den ersten Blick erscheinen, so diffizil gestalten sie sich bei näherem Hinsehen. Denn im transnationalen Rechts- und Wirtschaftsverkehr basieren deliktsrechtlich relevante Sachverhalte zumeist auf einer Kette von Planungs-, Herstellungs- und Vertriebstätigkeiten, die sich erst in ihrer Gesamtschau zur Verwirklichung eines Tatbestands des materiellen Deliktsrechts zusammenfügen.187 Pressedelikte zeichnen sich sowohl durch persönlichkeitsrechtsverletzende Recherchen als auch durch die Erstellung eines Artikels, seine redaktionelle Bearbeitung sowie durch seine (transnationale) Publikation aus. Produkthaftungsrechtlich relevante Sachverhalte reichen von der Produktkonzeption über die Fertigung einzelner Teile, der Herstellung des Endprodukts und dessen Export bis hin zum Vertrieb im Einzelhandel. Fälle der fehlerhaften Anlageberatung haben beratende Vorgespräche zum Ausgangspunkt, in deren Folge der Vertrag unterzeichnet, ein Depot eröffnet, das Anlagekapital überwiesen und schlussendlich ein verlustträchtiges Finanzinstrument erworben wird. Derartige Delikte zeichnen sich bereits im Falle der Begehung durch einen Alleintäter dadurch aus, dass bei naturalistischer Betrachtung mehrere gleichermaßen schadensursächliche Handlungen vorliegen 182

So etwa EuGH, Urt. v. 16. 7. 2009, Rs. C-189/08, NJW 2009, 3501, 3502 – Zuid Chemie, Rn. 27. 183 EuGH, Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881, 1882 – Shevill, Rn. 24; vgl. hierzu Leible, in: Rauscher, EuZPR-EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 134. 184 Schack, IZPR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 365. 185 Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203, 257. 186 LG Kiel, Urt. v. 30. 1. 2008 – 14 O 195/03, IPRax 2009, 164, 167; ähnlich Adolphsen, EuZVR, 2. Aufl. 2015, 3. Kap., Rn. 105 („Teilhandlungen einer unerlaubten Handlung“). 187 Vgl. die Beispiele bei von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 269.

C. Der prozessuale Handlungsort

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(dazu I.). Die Rechtsprechung des EuGH ist überwiegend von dem Bestreben getragen, einer Vervielfältigung einer aus der mehraktigen Struktur des Delikts resultierenden Vervielfältigung der Handlungsortgerichtsstände entgegenzuwirken und den Gerichtsstand am Ort eines deliktischen Teilakts zu konzentrieren (dazu II.). Im Schrifttum wird die Dogmatik des Handlungsortgerichtsstands hingegen nur vereinzelt vertieft. Es werden verschiedene Ansätze diskutiert, die von einem unbeschränkten Klägerwahlrecht bis hin zu einem Rückgriff auf die lex causae reichen (dazu III.).

I. Einführung in die Problematik mehraktiger Delikte Setzt sich das streitgegenständliche Delikt aus mehreren Teilakten zusammen, so droht eine Vervielfältigung des Handlungsortgerichtsstands. Die drohende Multiplikation eines besonderen Gerichtsstands ist aus anderem Zusammenhang bekannt. Eine vergleichbare Problematik bereitet die Lokalisierung des Erfolgsortgerichtsstands im Fall eines Streudelikts.188 Auch droht eine Vervielfältigung des autonomen Erfüllungsortgerichtsstands des Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO, sofern mehrere kaufoder dienstvertragliche Teilleistungen erbracht werden.189 Im Anwendungsbereich des Deliktsgerichtsstands ist die Vermeidung einer ausufernden Zuständigkeitsvervielfältigung jedoch von besonderer Bedeutung. Denn das klägerfreundliche Ubiquitätsprinzip eröffnet dem Geschädigten eines Distanzdelikts bereits im Ausgangspunkt die Wahl zwischen zwei besonderen Gerichtsständen.190 Stehen innerhalb des Ubiquitätsprinzips mehrerer Handlungsortgerichtsstände offen, so wird dem Kläger ein exzessives forum shopping ermöglicht. Dem Kläger werden einseitige Gestaltungsmöglichkeiten geboten, über welche der Beklagte nicht verfügt.191 Zwar dämmt die fortschreitende Vereinheitlichung des Deliktskollisionsrechts die Möglichkeiten des Klägers ein, durch Wahl des Forums Einfluss auf das anwendbare Kollisionsrecht zu nehmen (dazu 1.). Ungeachtet dessen ermöglicht es eine Handlungsortvervielfältigung dem Kläger aber, über das anwendbare Prozessrecht zu

188 EuGH, Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881, 1881 f. – Shevill, Rn. 17 ff.; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, NJW 2012, 137, 139 – eDate Advertising und Martinez, Rn. 38 ff.; EuGH, Urt. v. 17. 10. 2017, Rs. C-194/16, NJW 2017, 3433, 3434 – Svensk Handel, Rn. 22 ff. 189 Vgl. EuGH, Urt. v. 15. 1. 1987, Rs. 266/85, NJW 1987, 1131, 1132 – Shenavai, Rn. 19; EuGH, Urt. v. 3. 5. 2007, Rs. C-386/05, NJW 2007, 1799, 1801 – Color Drack, Rn. 38 ff.; EuGH, Urt. v. 9. 7. 2009, Rs. C-204/08, NJW 2009, 2801, 2802 f. – Rehder, Rn. 38 ff.; EuGH, Urt. v. 11. 3. 2010, Rs. C-19/09, NJW 2010, 1189, 1191 Wood Floor Solutions, Rn. 43; EuGH, Urt. v. 7. 3. 2018, Rs. C-274/16, C-447/16 und C-448/16, EuZW 2018, 465, 468 f. – flightright, Rn. 67 ff.; anders dagegen noch EuGH, Urt. v. 19. 2. 2002, Rs. C-256/00, NJW 2002, 1407, 1409 – Besix, Rn. 50. 190 Weller/Wäschle, RIW 2015, 598, 604. 191 Vgl. Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 147.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

disponieren (dazu 2.). Daneben vermag der Kläger die Beweisnähe des erkennenden Gerichts zu beeinflussen (dazu 3.). 1. Kollisionsrechtlich motiviertes forum shopping Wahlmöglichkeiten zwischen mehreren internationalen Gerichtsständen versetzen den Kläger grundsätzlich in die Lage, durch Auswahl des Forumstaats mit dem günstigsten Kollisionsrecht über das anwendbare Deliktsstatut zu disponieren und dadurch Einfluss auf die gerichtliche Sachentscheidung zu nehmen.192 Im räumlichen Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO wird kollisionsrechtlich motiviertes forum shopping aber durch die vereinheitlichten Kollisionsnormen der ROM II-VO eingedämmt, über welche die Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten zumeist zu derselben lex causae gelangen.193 Nicht vereinheitlichte Deliktskollisionsnormen finden – soweit ersichtlich – nur noch auf den Gebieten des Persönlichkeitsrechtsschutzes,194 der Produkthaftung195 sowie der Straßenverkehrsunfälle196 Anwendung.197 2. Prozessrechtlich motiviertes forum shopping Durch die Auswahl zwischen den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten vermag der Kläger aber jedenfalls das Verfahrensrecht zu beeinflussen, auf dessen Grundlage der Rechtsstreit geführt und entschieden wird.198 Denn entsprechend dem Grundsatz forum regit processum wendet das angerufene Gericht das Verfahrensrecht der lex fori an.199 Durch Anrufung eines Gerichts, dessen Prozessordnung sich durch kurze Einlassungsfristen, strenge Säumnisfolgen oder hohe Gerichtskosten auszeichnet, kann der Kläger erheblichen Druck aufbauen und den Beklagten so zu

192 Geimer, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 1095 ff.; von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 59; Schwartze, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 415, 415 ff. 193 Schwartze, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 415, 420 ff.; Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 96. 194 Vgl. die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. g ROM II-VO. 195 Vgl. insoweit das Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht sowie Art. 28 ROM II-VO. 196 Vgl. das Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht sowie Art. 28 ROM II-VO. 197 von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 55. 198 Schmidt, Rechtssicherheit im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2015, S. 117 f. 199 Geimer, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 319 ff.; Pfeiffer, in: FS Kirchhof, Band II, 2013, § 121 Rn. 13.

C. Der prozessuale Handlungsort

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einem Anerkenntnis oder zu einem Vergleich drängen.200 Durch Wahl einer lex fori processualis mit weitreichenden oder zurückhaltenden prozessualen Kostenerstattungsansprüchen kann er Einfluss auf die wirtschaftlichen Prozessrisiken nehmen und somit beeinflussen, bis zu welchem Punkt eine Verteidigung für den Beklagten sinnvoll ist.201 Von Interesse können ferner Aspekte wie das Bestehen eines Anwaltszwangs, die Strenge der prozessualen Substantiierungsanforderungen, die Dispositionsmöglichkeiten der Parteien, die Reichweite einer rechtskräftigen Entscheidung202 oder auch die Verfügbarkeit kollektiven Rechtsschutzes sein, welche zwischen den Mitgliedstaaten erheblich divergiert.203 Unterschiede bestehen sowohl bezüglich der Zulässigkeit von Verbands-, Gruppen- und Sammelklagen als auch hinsichtlich der Anerkennung von Modellen, bei denen Klageforderungen durch Abtretung gebündelt werden.204 Als ausschlaggebender Faktor für die Gerichtsentscheidung in der Sache kann sich vor allem aber das Beweisrecht der lex fori processualis erweisen.205 Zwar wird die Beweislastverteilung materiell-rechtlich qualifiziert und richtet sich nach der lex causae (vgl. Art. 22 ROM II-VO).206 Das Prozessrecht des Forumstaats bestimmt jedoch, ob die Parteien an das Strengbeweisverfahren gebunden sind oder ob der Freibeweis statthaft ist, welche Beweismittel im Strengbeweisverfahren zugelassen sind und unter welchen Voraussetzungen die Verwertung einzelner Beweismittel untersagt wird.207 Die lex fori processualis entscheidet ferner über das Beweismaß, das zwischen den Prozessrechten der Mitgliedstaaten mitunter variiert,208 sowie über das Eingreifen von Beweiserleichterungen wie etwa eines Anscheinsbeweises oder einer Schätzungsmöglichkeit gemäß § 287 ZPO.209 Sie bestimmt, in welchem Maße das Gericht die Parteien durch amtswegige Anordnungen210 oder durch vorprozes200 Vgl. Anliker, Internationale Zuständigkeit, bei gesellschaftlichen Streitigkeiten im Rechtsrahmen des europäischen Binnenmarktes, 2018, S. 53 f.; Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 201, 232; Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 6 f. 201 Vgl. Anliker, Die internationale Zuständigkeit bei gesellschaftlichen Streitigkeiten im Rechtsrahmen des europäischen Binnenmarktes, 2018, S. 52 f.; Pfeiffer, in: FS Kirchhof, Band II, 2013, § 121 Rn. 11. 202 Vgl. zu diesen Aspekten Pfeiffer, in: FS Kirchhof, Band II, 2013, § 121 Rn. 11. 203 Wurmnest, NZKart 2017, 2, 3 (mit Blick auf Kartellschadensersatzklagen). 204 Wurmnest, NZKart 2017, 2, 3 (mit Blick auf Kartellschadensersatzklagen). 205 Anliker, Die internationale Zuständigkeit bei gesellschaftlichen Streitigkeiten im Rechtsrahmen des europäischen Binnenmarktes, 2018, S. 54 ff.; Geimer, WM 1986, 117, 117; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozeßrecht, 1996, S. 30 f. 206 Vgl. BGH, Urt. v. 8. 11. 1951 – IV ZR 10/51, NJW 1952, 142, 143; Geimer, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 2340; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 15 Rn. 806. 207 Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 15 Rn. 811 ff. 208 Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 15 Rn. 828 ff. 209 Geimer, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 2276. 210 Vgl. nur die §§ 141 – 144 ZPO, welche dem Gericht eine Sachverhaltsaufklärung in gewissen Grenzen erlauben.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

suale Offenlegungspflichten bei der Beschaffung der entscheidungserheblichen Beweismittel unterstützt.211 3. Einflussmöglichkeiten auf die Beweisnähe des Gerichts Durch Wahl zwischen Gerichtsständen in verschiedenen Mitgliedstaaten kann der Kläger zudem die Beweisnähe des Gerichts beeinflussen. Dies betrifft die räumliche Distanz zwischen Gericht und Beweismitteln, erfasst vor allem aber auch die staatlich-territoriale Beweisnähe, also die Frage, ob die entscheidungserheblichen Beweismittel im Hoheitsgebiet des Forumstaats belegen sind.212 Dass Einflussmöglichkeiten auf Einfachheit und Zuverlässigkeit der Beweisaufnahme dem Kläger einen gravierenden Vorteil verschaffen, liegt auf der Hand. Nicht nur vermag er die Wahrscheinlichkeit, die eigenen, zur Begründung der Klageforderung aufgestellten Tatsachenbehauptungen beweisen zu können, durch Anrufung eines beweisnahen Gerichts zu erhöhen. Zeichnet sich ab, dass sich der Rechtsstreit im Kern um Einwendungen des Beklagten drehen wird, kann er seine Klage umgekehrt vor den Gerichten eines in territorialer Hinsicht beweisfernen Mitgliedstaats erheben und dem Beklagten den Nachweis von dessen Tatsachenbehauptungen somit erschweren. Kann die Beweisaufnahme gemäß Art. 17 EuBewVO unmittelbar durch das erkennende Gericht durchgeführt werden, so droht eine Steigerung des Zeit- und Kostenaufwands.213 Muss gemäß Art. 2 ff. EuBewVO auf den Rechtshilfeweg zurückgegriffen werden, so wird die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme beeinträchtigt und der Beweiswert gemindert.214 Nimmt das erkennende Gericht eine Zeugenaussage oder ein Augenscheinobjekt nicht unmittelbar wahr, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht nicht zu der erforderlichen Überzeugung gelangt und deshalb ein non liquet entsteht, in dessen Folge die beweisbelastete Partei unterliegt. 4. Zwischenfazit Eine Handlungsortvervielfältigung eröffnet dem Kläger somit nicht nur Einflussmöglichkeiten auf die Gerichtssprache oder die räumliche Entfernung. Durch Wahl zwischen Gerichtsständen in verschiedenen Mitgliedstaaten vermag der Kläger Faktoren wie die lex fori processualis und die Beweisnähe des Prozessgerichts zu beeinflussen, mit denen der Ausgang des Rechtsstreits stehen und fallen kann. Über vergleichbare Gestaltungsmöglichkeiten verfügt der Beklagte nicht. Ein ausuferndes 211

S. 6 f.

Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013,

212 Zu dieser Differenzierung Kapitel 1 C. III. 2. sowie Wais, der europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013 S. 34 ff. 213 Vgl. Kapitel 1 C. III. 214 Kapitel 1 C. III.

C. Der prozessuale Handlungsort

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Klägerwahlrecht überwiegt somit das Gegengewicht des allgemeinen Gerichtsstands und bedroht letztlich die Waffengleichheit der Parteien.215

II. Mehraktige Delikte in der Rechtsprechung In der Rechtsprechung des EuGH hat der Gerichtsstand am Handlungsort bislang eine eher untergeordnete Rolle gespielt.216 Einen allgemeingültigen Begriff der zuständigkeitsrechtlichen Deliktshandlung lassen die zumeist knappen Ausführungen des EuGH nicht erkennen. Vielmehr beschränkt sich der EuGH darauf, gewissermaßen kasuistisch für den streitgegenständlichen Deliktstypus Kriterien für die Ermittlung des Handlungsortgerichtsstands festzuschreiben. Die kasuistische Bestimmung der Handlungsorte einzelner Deliktstypen ist jedoch erkennbar von dem Bestreben getragen, einer Zuständigkeitsvervielfältigung durch Konzentration des Handlungsortgerichtsstands am Ort des zentralen Teilakts entgegenzuwirken.217 1. Starre Zentralisierung Überwiegend tendiert der EuGH dazu, den Handlungsortgerichtsstand starr und ohne detaillierte Berücksichtigung der Einzelfallumstände an einem Ort zu lokalisieren, der in Deliktssachverhalten der betreffenden Art oftmals im Mittelpunkt des Geschehens steht. Er definiert insoweit ein Sachverhaltselement, an dessen Ort der Gerichtsstand für Streitigkeiten des betreffenden Typus zu lokalisieren sein soll. Deutlich zeigt sich diese Tendenz in der presserechtlichen Shevill-Entscheidung, in welcher der EuGH den Handlungsort ausschließlich am Sitz des herausgebenden Verlags als dem Ort lokalisiert, an dem „das schädigende Ereignis seinen Ausgang nahm.“218 In dieselbe Richtung weist die produkthaftungsrechtliche Entscheidung Kainz, wonach der Gerichtsstand am Ort der Produktherstellung zu lokalisieren ist. Denn für den Geschädigten wie auch für den verklagten Hersteller sei vorherzusehen, dass die Gerichte am Herstellungsort zur Beweiserhebung über die Fehlerhaftigkeit des Produkts besonders gut geeignet seien.219 In der Rechtssache Wintersteiger hat der EuGH den Handlungsort einer Online-Markenrechtsverletzung alleine am Ort der Niederlassung des Verletzers lokalisiert. Als Ort, an welchem über die Auslösung des technischen Vorgangs entschieden wurde, sei die Niederlassung des präsumtiven 215 Vgl. zur Gefährdung der prozessualen Waffengleichheit durch forum shopping Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 488 f. 216 Kontogeorgou, Das IPR der Kapitalmarktdelikte, 2018, S. 139; Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 432 f.; Thole, in: Lehmanns/Zetzsche, Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen, 2018, § 2, Rn. 29, 41. 217 Thole, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 76; Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 148. 218 EuGH, Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881, 1882 – Shevill, Rn. 24. 219 EuGH, Urt. v. 16. 1. 2014, Rs. C-45/13, EuZW 2014, 232, 233 f. – Kainz, Rn. 27 ff.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

Verletzers anzusehen, da es sich um einen feststehenden, für beide Parteien gleichermaßen erkennbaren sowie sachlich geeigneten Anknüpfungspunkt handle.220 In diese Richtung deutet ferner die Entscheidung in der Rechtssache ÖFAB, welcher ein auf die Vorwürfe der Unterkapitalisierung sowie der unzureichenden Kontrolle gestützter Haftungsdurchgriff gegen die Hauptanteilseigner und Verwaltungsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft schwedischen Rechts zugrunde lag.221 Den Handlungsort lokalisierte der EuGH einheitlich am Sitz der angeblich unterkapitalisierten Gesellschaft, da hier die wesentlichen Unterlagen über die Vermögens- und Ertragslage zu finden seien. Im Schrifttum ist vor diesem Hintergrund dieser mitunter als dogmatische Fiktion eines Handlungsorts kritisierten222 Rechtsprechungslinie von einem „zentralisierten Handlungsortverständnis“223 oder von einer Anknüpfung an die „Verhaltenszentrale“224 des Geschädigten die Rede. 2. Wertende Zentralisierung Einen anderen Ansatz deutet die Entscheidung zu der Kartellschadensersatzsache Lithuanian Airlines an. Die beklagte Fluggesellschaft Air Baltic hatte am Flughafen Vilnius Kampfpreise angeboten und somit die Klägerin, eine konkurrierende Fluggesellschaft, unter Missachtung der Wettbewerbsregeln der Art. 101, 102 AEUV vom Markt verdrängt. Die gewährten Kampfpreise finanzierte die Beklagte durch Preisnachlässe des mitverklagten Flughafens Riga. Den Handlungsortgerichtsstand lokalisierte der EuGH primär am Ort der ursprünglichen Kartellabsprache, hielt ferner aber einen zweiten Handlungsortgerichtsstand am Ort der gewährten Kampfpreise für denkbar, sofern in der Gewährung der Kampfpreise ein eigenständiger Verstoß gegen Art. 102 AEUV zu sehen sei. Von der starren Handlungsortanknüpfung vorausgegangener Judikate entfernt sich der EuGH deutlich, indem er ergänzt, erweise sich das Verhalten der Beklagten tatsächlich als Ausdruck einer auf die Marktverdrängung der Klägerin gerichteten Gesamtstrategie, so sei es „Sache des vorlegenden Gerichts, das Geschehnis zu ermitteln, dem für die Umsetzung dieser Strategie im Rahmen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kette von Geschehnissen eine besonders große Bedeutung zukommt.“225 Der EuGH wählt mithin nicht etwa ein für Delikte des betreffenden Typs im Allgemeinen 220 EuGH, Urt. v. 19. 4. 2012, Rs. C-523/10, EuZW 2012, 513, 515 – Wintersteiger, Rn. 37 ff.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 22. 1. 2015, Rs. C-441/13, GRUR 2015, 296, 297 – Hejduk, Rn. 24. 221 EuGH, Urt. v. 18. 7. 2013 – Rs. C-147/12, NZG 2013, 1073,1076 f. – ÖFAB, Rn. 53 f.; vgl. hierzu Landbrecht, EuZW 2013, 703, 707; Stadler, in: Musielak/Voit, 18. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 19a (dort Fn. 171). 222 Lehmann/Stieper, JZ 2012, 1014, 1016. 223 Wurmnest, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker, Kartellverfahren und Kartellprozess, 1. Aufl. 2017, § 31 Rn. 50. 224 Thorn, in: FS von Hoffmann, 2011, 746, 748 f. 225 So expressis verbis EuGH, Urt. v. 5. 7. 2018, Rs. C-27/17, NZKart 2018, 357, 359 – Lithuanian Airlines, Rn. 53; kritisch Mäsch, IPRax 2020, 305, 306 f.

C. Der prozessuale Handlungsort

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maßgebliches Anknüpfungsmoment, sondern ermittelt den deliktischen Handlungsschwerpunkt anhand einer Wertungsentscheidung im Einzelfall. Einen ähnlichen Ansatz offenbart die Entscheidung in der Rechtssache Holterman Ferho aus dem Jahre 2015, die eine Schadensersatzklage einer Gesellschaft gegen ihren ehemaligen Geschäftsführer wegen grob pflichtwidriger Unternehmensführung zum Gegenstand hatte. In seinem dritten Leitsatz judizierte der EuGH, das angerufene Gericht habe „auf Grundlage der tatsächlichen Umstände der Rechtssache den engsten Anknüpfungspunkt des für den Schaden ursächlichen Geschehens […] zu ermitteln.“226 In den Entscheidungsgründen weist der EuGH ferner darauf hin, der Handlungsort könne an dem Ort zu lokalisieren sein, an welchem der Geschäftsführer seine Tätigkeit erbracht habe.227 Die insoweit anklingende Tendenz, den zentralen Teilakt anhand einer Wertungsentscheidung im Einzelfall zu ermitteln, findet sich auch in der Rechtsprechung des BGH. Dieser führt im Zusammenhang mit dem Parallelgerichtsstand des Art. 97 Abs. 5 Gemeinschaftsmarken-VO a. F.228 aus, es sei „nicht auf einzelne Verletzungshandlungen abzustellen, sondern eine Gesamtwürdigung des Verhaltens der Bekl. vorzunehmen, um den Ort zu bestimmen, an dem die ursprüngliche Verletzungshandlung, auf die das vorgeworfene Verhalten zurückgeht, begangen worden ist oder droht.“229

3. Abweichung in der Rechtssache CDC Von dieser deutlichen Tendenz zur Zentralisierung der Handlungsortzuständigkeit ist der EuGH in der kartellrechtlichen CDC-Entscheidung indes abgewichen.230 Angesichts der zahlreichen verstreuten Kartellabsprachen, durch welche das streitgegenständliche Bleichmittelkartell gegründet und in wechselnder persönlicher Besetzung aufrechterhalten worden war, lag der Rechtssache CDC ein besonders komplexes mehraktiges Delikt zugrunde. Erschwerend trat hinzu, dass es gemäß den Feststellungen der europäischen Kommission angesichts der auf zahlreichen Einzelabsprachen beruhenden Kartellstruktur nicht möglich war, einen einzelnen Gründungsort zu identifizieren. Entsprechend seiner Grundtendenz zu einer starren Zentralisierung lokalisierte der EuGH den Handlungsortgerichtsstand dennoch am – in casu unklaren – Ort der ursprünglichen Kartellgründung.231 Darüber hinaus stellte 226

EuGH, Urt. v. 10. 9. 2015, Rs. C-47/14, IPRax 2016, 151, 151 – Holterman Ferho, 3. Leitsatz. 227 EuGH, Urt. v. 10. 9. 2015, Rs. C-47/14, IPRax 2016, 151, 156 – Holterman Ferho, Rn. 76. 228 VO (EG) Nr. 207/2009 vom 26. 2. 2009. 229 BGH, Urt. v. 9. 11. 2017 – I ZR 164/16, EuZW 2018, 84, 88; vgl. hierzu sowie zu den Querbezügen zu dem allgemeinen Deliktsgerichtsstand Eichel, IPRax 2019, 16, 16 ff. 230 Vgl. zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt Kapitel 2 A. II. 3. b) cc). 231 EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 588 – CDC, Rn. 44; vgl. kritisch hierzu Lahme/Bloch, in: Stancke/Weidenbach/Lahme, Kartellrechtliche Schadensersatzklagen, 2. Aufl. 2021, D. I. 1. e) bb) (1) Rn. 67 f.; Weller/Wäschle, RIW 2015, 598, 604.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

er aber klar, dem Kartellgeschädigten bleibe ferner die Option, am Ort jeder weiteren kartellrechtswidrigen Einzelabsprache den auf die konkrete Absprache zurückzuführenden Schaden einzuklagen. Angesichts der größeren Zahl der kartellzugehörigen Einzelfallabsprachen nimmt der EuGH eine Vervielfältigung des Handlungsortgerichtsstands insoweit in Kauf. Zugleich schränkt er die Belastung der Beklagten aber ein, indem er die Kognitionsbefugnis abseits des Gerichtsstands am Ort der ursprünglichen Kartellgründung auf solche Schäden reduziert, für welche die konkrete Kartellabsprache ursächlich war.232 Handlungsortgerichtsstände stehen dem Kartellgeschädigten somit gleichermaßen am Ort der ursprünglichen wie auch am Ort der konkret schadensursächlichen Kartellabsprache zur Verfügung.

III. Lösungsansätze aus dem Schrifttum In Teilen des Schrifttums wird erwogen, die aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht maßgebliche Deliktshandlung durch Rückgriff auf den streitentscheidenden Deliktstatbestand der lex causae zu bestimmen (dazu 1.). Überwiegend wird aber für eine verordnungsautonome Bestimmung des maßgeblichen Teilakts plädiert. Breitem Konsens entspricht es insoweit, dass bloßen Vorbereitungsakten keine zuständigkeitsbegründende Wirkung zukommen soll. In diesem Punkt hat es mit der Einigkeit jedoch sein Bewenden. Setzt sich das streitgegenständliche Delikt auch nach Abschluss des Vorbereitungsstadiums aus mehreren Teilakten zusammen, so ist die verordnungsautonome Bestimmung des maßgeblichen (Teil-)Handlungsorts umstritten. Eine verbreitete Strömung will dem Geschädigten im Falle eines mehraktigen Delikts ein Wahlrecht zwischen sämtlichen (Teil-)Handlungsorten zugestehen. Näher an der zentralisierenden Rechtsprechung des EuGH bewegen sich dagegen andere Stimmen, nach denen die Handlungsortzuständigkeit normativ am Ort des zentralen Tatbeitrags zu konzentrieren ist (dazu 2.). 1. Rückgriff auf die lex causae Im Ausgangspunkt ergibt sich die deliktsrechtliche Relevanz einer Aktivität nicht aus den Wertungen des Zuständigkeitsrechts, das auf einen Ausgleich rein zuständigkeitsbezogener Interessen abzielt, sondern aus dem Unwerturteil einer sachrechtlichen Verbotsnorm.233 An einem autonomen zuständigkeitsrechtlichen Begriff der Deliktshandlung fehlt es. Im Schrifttum wird vor diesem Hintergrund dafür plädiert, auf die lex causae zurückzugreifen und im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung auf die Aktivitäten abzustellen, denen nach dem streitentscheidenden

232 233

EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 589 – CDC, Rn. 50. Vgl. Maultzsch, IPrax 2017, 442, 447.

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sachrechtlichen Deliktstatbestand haftungsbegründende Wirkung zukommt.234 Ein Rückgriff auf den streitentscheidenden sachrechtlichen Deliktstatbestand ermöglicht es, den Handlungsortgerichtsstand am Ort einer Aktivität zu lokalisieren, die auf Begründetheitsebene die entscheidende Deliktshandlung bildet und daher möglicherweise unter Beweis gestellt werden muss. Eine Synchronisation der zuständigkeits- und sachrechtlich maßgeblichen Handlungen schließt aus, dass anhand verordnungsautonomer Kriterien gerichtsstandbegründend auf einen Teilakt abgestellt wird, der nach der lex causae nicht zu den Haftungsvoraussetzungen zählt und für die Begründetheit der Klage daher von vorne herein unerheblich und beweisfern ist. a) Die Tessili-Rechtsprechung des EuGH Während der frühen Entwicklungsstadien des europäischen Zivilprozessrechts vertrat der EuGH die Auffassung, das damalige EuGVÜ räume weder einer autonomen noch einer an der lex causae orientierten Auslegung generell den Vorrang ein. Für jede Bestimmung des Übereinkommens sei gesondert zu ermitteln, ob diese autonom oder als Verweis auf das kollisionsrechtlich zur Anwendung berufene Sachrecht auszulegen sei.235 Den Charakter einer Verweisung auf das zur Anwendung berufene Vertragsstatut misst der EuGH seit der Entscheidung in der Rechtssache Tessili aus dem Jahre 1976 dem besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsorts bei. Dies begründet er mit den Regelungsunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten. Nach derzeitigem Stand der Sachrechtsvereinheitlichung fehle es an einem einheitlichen europäischen Konzept, das eine rechtssichere Bestimmung des Erfüllungsorts ohne Rückgriff auf die Rechtsordnungen einzelner Mitgliedstaaten ermögliche.236 Seit dem Jahre 1976 hat das europäische Zivilprozessrecht eine eigenständige, zunehmend von den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gelöste Entwicklung genommen, in deren Verlauf die autonome Auslegung den Rang eines methodischen

234 Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 363 („Strenggenommen lässt sich der Handlungsort erst bestimmen, wenn man den Deliktstatbestand kennt, den der Täter verletzt haben soll. Was Tathandlungen sind, lässt sich ohne Rückgriff auf die lex causae [das Deliktsstatut] nicht beurteilen.“); bzgl. der Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Ausführungshandlungen auch Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 268; Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 439 f. 235 EuGH, Urt. v. 13. 2. 1976, Rs. 12/76 – Tessili, Rn. 11 („Keiner dieser beiden Möglichkeiten gebührt unter Ausschluss der anderen der Vorrang, da eine sachgerechte Entscheidung nur für jede Bestimmung des Übereinkommens gesondert getroffen werden kann.“); vgl. auch EuGH, Urt. v. 28. 9. 1999, Rs. C-440/97, NJW 2000, 719, 719 – Groupe Concorde, Rn. 11 f. 236 EuGH, Urt. v. 13. 2. 1976, Rs. 12/76 – Tessili, Rn. 11 ff.

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Grundprinzips erlangt hat.237 Die mit dem Vertrag von Amsterdam begründete Unionskompetenz in Fragen der justiziellen Zusammenarbeit bekräftigt nach Deutung des EuGH „den Willen der Mitgliedstaaten, Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit in der Gemeinschaftsrechtsordnung zu verankern und damit den Grundsatz der autonomen Auslegung dieser Maßnahmen festzulegen.“238 Indem der Unionsgesetzgeber das EuGVÜ nicht wie zunächst von Seiten der Kommission angedacht durch eine Richtlinie ersetzt, sondern die Handlungsform einer Verordnung gewählt habe, sei die Bedeutung der unmittelbaren und einheitlichen Anwendung des Rechtsakts akzentuiert worden.239 Im Verlauf dieser zunehmend autonomen Entwicklung hat auch der Verordnungsgeber auf die Kritik reagiert, welcher der Tessili-Rechtsprechung in der Literatur entgegengeschlagen ist,240 und hat anlässlich der Überführung des EuGVÜ in die erste Fassung der EuGVVO einen autonomen Erfüllungsort für Kauf- und Dienstleistungsverträge definiert.241 Dennoch hat die Rechtsprechung auch unter der EuGVVO für sonstige Vertragstypen an dem Rückgriff auf den Erfüllungsort des anwendbaren Vertragsstatuts festgehalten.242 Dies hat der Verordnungsgeber stillschweigend gebilligt, indem er im Zusammenhang mit der im Januar 2015 in Kraft getretenen Neufassung der EuGVVO von der Implementierung eines allgemeinen autonomen Erfüllungsorts abgesehen hat.243 Für andere Vertragstypen als Kauf- und Dienstleistungsverträge gilt die Tessili-Rechtsprechung mithin fort. Vor dem Hintergrund der zunehmend autonomen Entwicklung erscheint dies aber eher als Relikt aus der Frühphase des europäischen Zuständigkeitsrechts. Wenngleich die Tessili-Rechtsprechung partiell überdauert hat, sind die Art. 4 ff. EuGVVO heute grundsätzlich autonom auszulegen. Die Auslegung anhand der lex causae ist nur noch in Ausnahmefällen zu erwägen, in denen eine autonome Auslegung schlechterdings ausscheidet.244

237 Hess, IPRax 2006, 348, 352; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Einl EuGVO Rn. 69; Schmidt, Rechtssicherheit im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2015, S. 242 f.; Staudinger, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Einl. Brüssel Ia-VO Rn. 36. 238 So wörtlich EuGH, Urt. v. 8. 11. 2005, Rs. C-443/03, NJW 2006, 491, 492 – Leffler, Rn. 45; EuGH, Urt. v. 25. 6. 2009, Rs. C-14/08, NJW 2009, 2513, 2515 – Roda Golf, Rn. 48. 239 EuGH, Urt. v. 25. 6. 2009, Rs. C-14/08, NJW 2009, 2513, 2515 – Roda Golf, Rn. 49. 240 Vgl. zu den geäußerten Kritikpunkten Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn. Rn. 23; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn 322 ff. 241 Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Einl. vor Art. 1 EuGVVO Rn. 32. 242 EuGH, Urt. v. 28. 9. 1999, Rs. C-440/97, NJW 2000, 719, 720 – Groupe Concorde, Rn. 29; EuGH, Urt. v. 23. 4. 2009, Rs. C-533/07, NJW 2009, 1865, 1867 – Falco Privatstiftung, Rn. 46 ff. 243 Maultzsch, IPRax 2017, 442, 446. 244 Vgl. bereits EuGH, Urt. v. 28. 9. 1999, Rs. C-440/97, NJW 2000, 719, 719 – Groupe Concorde, Rn. 11 f.; Hess, IPRax 2006, 348, 352; Hausmann in unalex Kommentar Brüssel IVO, 2012, Einl. Rn. 45 ff.

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b) Keine Übertragbarkeit auf Art. 7 Nr. 2 EuGVVO Genau wie das europäische Zuständigkeitsrecht nicht für jeden Vertragstypus einen autonomen Erfüllungsort bereithält, existiert nach derzeitigem Stand der autonomen Rechtsentwicklung nicht für jeden Deliktstypus ein autonomer Handlungsort. Von einzelnen Spezialmaterien abgesehen fehlt es auch an einer Vereinheitlichung des materiellen Deliktsrechts.245 Die autonomen Entwicklungsdefizite, welche den EuGH im Bereich des Vertragsrechts zu einem Rückgriff auf den Erfüllungsort der lex causae bewogen haben, lassen sich ebenso dem Deliktsgerichtsstand attestieren. Eine Bestimmung von Handlungs- und Erfolgsort auf Grundlage des anwendbaren Deliktsstatuts hätte vor diesem Hintergrund durchaus nahegelegen. Ungeachtet dessen ist der EuGH einer Bestimmung von Handlungsund Erfolgsort anhand der lex cause bereits unter dem EuGVÜ entgegengetreten und legt den europäischen Deliktsgerichtsstand seit jeher autonom aus.246 In der Rechtssache Marinari hat er die autonome Tatortbestimmung im Jahre 1999 damit begründet, eine Berücksichtigung des mitgliedstaatlichen Rechts widerstrebe dem Ziel einfach und klar feststellbarer Zuständigkeiten und habe überdies Einbrüche zuständigkeitsfremder Regelungszwecke zur Folge.247 Dieser etablierte Standpunkt kann angesichts der zunehmend autonomen Entwicklung des europäischen Zuständigkeitsrechts nicht ohne Weiteres zugunsten eines Rückgriffs auf das zur Anwendung berufene Sachrecht sowie die hiernach maßgebliche Deliktshandlung aufgegeben werden. Auch dogmatisch begegnet eine an der lex causae orientierte Bestimmung des Handlungsorts gravierenden Bedenken. aa) Widerspruch zu dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung Angesichts des in 4 S. 1 der EuGVVO verankerten Ziels der Rechtsvereinheitlichung formuliert der EuGH, es müsse sichergestellt sein, dass sich aus der Verordnung „für die betroffenen Personen so weit wie möglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben.“248 Eine Berücksichtigung der lex causae kann die rechtsvereinheitlichende Wirkung auf zwei verschiedenen Ebenen durchbrechen. Einheitlichkeitsmängel können sich aus divergierenden Kollisionsnormen ergeben, welche zur Anwendbarkeit unterschiedlicher Deliktstatute führen und dem Handlungsortgerichtsstand aus Sicht der Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten somit einen unterschiedlichen Regelungsgehalt beimessen. Solche kollisionsrechtlich bedingten Divergenzen werden durch die fortschreitende Kollisionsrechtsvereinheitlichung weitgehend beseitigt.249 Die Vereinheitlichungswirkung des Art. 7 Nr. 2 245

Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, vor § 823 Rn. 113. EuGH, Urt. v. 19. 9. 1995, Rs. C-364/93, EuZW 1995, 765, 766 – Marinari, Rn. 18 f. 247 EuGH, Urt. v. 19. 9. 1995, Rs. C-364/93, EuZW 1995, 765, 766 – Marinari, Rn. 18. 248 Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 4. 2009, Rs. C-420/07 – Lechouritou, Rn. 41. 249 Vgl. von Hein, RIW 2011, 810, 812; von Hein, IPRax 2013, 505, 511; Mankowski, in: ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 289. 246

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EuGVVO kann aber ebenso durch Einbrüche des unvereinheitlichten Sachrechts gestört werden.250 Die Vereinheitlichung des Deliktskollisionsrechts ändert nichts daran, dass sich der Inhalt der lex causae danach unterscheidet, in welchem Mitgliedstaat das kollisionsrechtlich maßgebliche Anknüpfungskriterium belegen ist. Bei Berücksichtigung der lex causae würde der Handlungsortgerichtsstand eines Kapitalmarktdelikts mit Erfolgsort (Art. 4 Abs. 1 ROM II-VO) in Frankreich nach anderen Grundsätzen lokalisiert als der Handlungsortgerichtsstand für ein Kapitalmarktdelikt mit Erfolgsort in Italien. Dem Ziel, dass sich aus der Verordnung einheitliche Rechte und Pflichten ergeben, widerspricht eine solche Auslegung ersichtlich. bb) Beeinträchtigung der Vorhersehbarkeit Kollisions- und sachrechtliche Vorprüfungen widerstreben daneben dem Ziel der Verordnung, den Rechtsschutz durch einfach und schnell festzustellende Gerichtsstände zu stärken. Rechtlich anspruchsvolle, mehrstufige Zuständigkeitsprüfungen erhöhen die Gefahr, dass der Kläger in Folge einer rechtlichen Fehlbewertung vor einem unzuständigen Gericht klagt oder das Gericht die Klage rechtsfehlerhaft als unzulässig abweist.251 Kollisions- und Sachnormen weisen oftmals einen niedrigeren Formalisierungsgrad auf und genügen den besonderen Klarheitsanforderungen des Zuständigkeitsrechts nicht.252 Kollisionsnormen enthalten Ausweichklauseln, über welche auf Grundlage einer Wertungsentscheidung im Einzelfall von der gesetzlichen Regelanknüpfung abgewichen werden kann.253 Sachnormen können wertungsoffene unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, die es erschweren und mitunter gar verunmöglichen würden, die anhand der lex causae zu treffende Zuständigkeitsentscheidung des Gerichts vorherzusehen. Weiter erschwert wird die Zuständigkeitsbestimmung, wenn die kollisionsrechtliche Vorprüfung zur Anwendbarkeit ausländischen Rechts führt, dessen Inhalt den Parteien unbekannt ist.254 Oftmals wird selbst eine anwaltlich beratene Partei nicht in der Lage sein, den Inhalt der ausländischen, fremdsprachigen lex causae vor Prozessbeginn mit angemessenem Aufwand belastbar zu ermitteln.

250 So zumindest andeutungsweise Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, S. 125; Bukow, Verletzungsklagen aus gewerblichen Schutzrechten, 2003, S. 47 f. 251 Vgl. Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 162. 252 Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 215. 253 Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 215. 254 Vgl. Schack, IZPR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 254 und 323.

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cc) Beeinträchtigung der Verfahrensökonomie Eine Handlungsortbestimmung anhand der lex causae hätte darüber hinaus zur Folge, dass das angerufene Gericht seine Zuständigkeit nicht mehr einfach und schnell vorab prüfen könnte. Der Prozessökonomie entspricht es aber, wenn das Gericht seine Zuständigkeit ohne vertiefte Einarbeitung in den Sach- und Streitstand zu beurteilen vermag.255 Muss sich das Gericht vertieft in den Fall einarbeiten, erfordert dies erheblichen Arbeitsaufwand, der – sofern das Gericht seine Zuständigkeit verneint – von dem zuständigen Gericht wiederholt werden muss. Es besteht die Gefahr, dass dem Gericht erst im Rahmen einer vertieften Befassung mit dem Fall Zweifel an seiner Zuständigkeit kommen, nachdem die Parteien bereits in erheblichem Umfang schriftsätzlich sowie nach Maßgabe einer ausländischen Gerichtssprache zur Sache vorgetragen haben. Der mit einer kollisions- und sachrechtlichen Vorprüfung verbundene Aufwand wiegt insofern besonders schwer.256 Ist ausländisches Deliktsrecht zur Anwendung berufen, müsste das Gericht dessen Inhalt bereits im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung durch Einholung eines Gutachtens ermitteln. Erweist sich das Gericht im Ergebnis als international unzuständig, so käme es trotz der zeit- und kostenaufwändigen Ermittlung der lex causae nicht zu einer Entscheidung in der Sache. Der Kläger müsste erneut klagen und das tatsächlich zuständige Gericht den Inhalt der lex causae erneut ermitteln. c) Zwischenfazit Eine Bestimmung des Handlungsortgerichtsstands anhand des streitentscheidenden Deliktstatbestands der lex causae erschiene vor dem Hintergrund der zunehmend autonomen Entwicklung des europäischen Zuständigkeitsrechts als Rückschritt und ist angesichts der erheblichen Beeinträchtigung der Einheitlichkeit sowie der Klarheit des Gerichtsstands auch in der Sache abzulehnen. Freilich gewährleistet eine autonome Auslegung ein höheres Maß an Einheitlichkeit und Vorhersehbarkeit nur, soweit Rechtsprechung und Schrifttum den Handlungsortbegriff aus Zielen und Systematik der Verordnung konkretisiert haben.257 Da dies bislang nur im Hinblick auf einzelne Deliktstypen erfolgt ist, birgt auch eine autonome Auslegung partiell Rechtsunsicherheiten. Während aber die einer sach- und kollisionsrechtlichen Vorprüfung entgegenstehenden Einwände strukturell bedingt sind, gewinnt ein verordnungsautonom bestimmter Handlungsort im Verlauf der Rechtsentwicklung zunehmend an Kontur und damit an Klarheit.

255

Vgl. Wais, Der europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 161 f. 256 Uhl, Internationale Zuständigkeit gemäss Art: 5 Nr. 3 des Brüsseler und LuganoÜbereinkommens, 2000, S. 95 f. 257 Vgl. Schmidt, Rechtssicherheit im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2015, S. 258.

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2. Verordnungsautonome Konkretisierung des Handlungsortgerichtsstands Auch im Schrifttum wird eine Lokalisierung des Handlungsortgerichtsstands anhand verordnungsautonomer Grundsätze bevorzugt. Als weitgehender Konsens kann gelten, dass rein vorbereitenden Aktivitäten keine gerichtsstandbegründende Wirkung zukommen soll (dazu a). An konsensfähigen Kriterien für die Behandlung mehrerer deliktischer Teilakte, die nach Abschluss des Vorbereitungsstadiums verübt werden, fehlt es hingegen. Während eine verbreitete Strömung ein naturalistisches Handlungsortverständnis zugrunde legt und dem Kläger ein Wahlrecht zwischen den Orten sämtlicher Aktivitäten zubilligen will (dazu b), plädieren andere Stimmen für eine normative Zuständigkeitskonzentration am Ort des zentralen Handlungselements (dazu c). a) Ausklammerung vorbereitender Tätigkeiten Dass reinen Vorbereitungsakten keine zuständigkeitsbegründende Wirkung zukommt, entspricht allgemeiner Meinung.258 Dahinter steht der einleuchtende Gedanke, dass Aktivitäten im Vorfeld der eigentlichen Deliktsbegehung für die Begründetheit der Klage ohne Belang sind und der Ort der Deliktsvorbereitung daher keine besondere Beweisnähe aufweist, die ein Abweichen vom Grundsatz des actor sequitur forum rei rechtfertigen könnte. Einem komplexen transnationalen Delikt gehen zumeist mehrere Vorbereitungsakte voraus. Misst man sämtlichen Teilakten gerichtsstandbegründende Wirkung bei, so droht eine Zuständigkeitsmultiplikation.259 Illustriert wird die Außerachtlassung vorbereitender Tätigkeiten am Beispiel eines Briefdelikts, dessen Handlungsort nicht am Ort der Abfassung des Briefs, sondern am Ort der Absendung zu lokalisieren sein soll.260 Für den Handlungsort eines Pressedelikts soll nicht auf Anfertigungsort der persönlichkeitsrechtsverletzenden Fotografien, sondern auf den Ort der Veröffentlichung abzustellen sein.261 Von derartigen Fällen abgesehen bereitet die Abgrenzung der Deliktshandlung von unbeachtlichen Vorbereitungshandlungen jedoch Schwierigkeiten. Welcher von mehreren Teilakten die Deliktshaftung auslöst und welche Handlungselemente dem 258 Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 135; Mankowski, in: ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 268; Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 439 f.; Oberhammer, in: Dasser/Oberhammer, LugÜ, 2. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 127; Thole, ZBB 2011, 399, 401; Thole, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 76; Thorn, in: FS von Hoffmann, 2011, 746, 748 f.; Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 146; vgl. auch Eichel, IPRax 2019, 16, 19, der für den Begriff der „Begleithandlung“ für präziser erachtet; kritisch hingegen Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsverletzungen im Internet, 2007, S. 189 ff. 259 Roth, in: FS Schilken, 2015, 427, 431. 260 Thorn, in: FS von Hoffmann, 2011, 746, 748 f. 261 Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 269.

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vorgelagert sind, lässt sich ohne Rückgriff auf die lex causae kaum bestimmen.262 Eine allgemeingültige Formel für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Ausführungsstadium, wie sie sich mit der Schwelle zum „jetzt geht’s los“ im deutschen Strafrecht etabliert hat, kennt das europäische Zuständigkeitsrecht nicht.263 Im Schrifttum ist vorgeschlagen worden, die Grenzziehung zwischen deliktsrechtlicher Relevanz und unbeachtlichen Vorbereitungshandlungen dem Recht des Mitgliedstaats zu überantworten, in dessen Gebiet die Aktivität verübt wurde.264 Der Ansatzpunkt, es jedem Mitgliedstaat selbst zu überlassen, in welchem Umfang er Rechtsgüter schützt und welche Handlungen er in seinem Hoheitsgebiet als deliktisch bewertet, leuchtet durchaus ein und bietet dem Handelnden, der sich auf die rechtlichen Vorgaben seines Aufenthaltsstaats verlassen kann, einen nicht zu unterschätzenden Vertrauensschutz. Dennoch erfordert eine Abgrenzung nach dem Recht des Aktivitätsorts eine komplexe kollisions- und sachrechtliche Vorprüfung und beeinträchtigt damit die Zuständigkeitsklarheit sowie die rechtsvereinheitlichende Wirkung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Daneben wird erwogen, den Handlungsortgerichtsstand im Sinne einer Zurechnung an den Teilakt zu knüpfen, mit dessen Vornahme der Delinquent nach seiner Vorstellung alles zur Erfolgsherbeiführung Erforderliche getan hat und das Geschehen aus der Hand gibt.265 Vorausgehende Aktivitäten, die ohne das Hinzutreten weiterer Zwischenakte nicht zur Herbeiführung des Deliktserfolgs geeignet sind, sollen als Vorbereitungsakte außer Betracht bleiben.266 Mit der subjektiven Tätervorstellung267 sowie der spezifischen Funktion einzelner Teilakte wird indes auf Aspekte abgestellt, die dem Geschädigten eines Distanzdelikts nicht verlässlich bekannt sind und sich daher kaum als Anknüpfungspunkt für einen vorhersehbaren Gerichtsstand eignen. Die ersichtlich dem deutschen Straf- und Deliktsrecht entlehnte Differenzierung nach der Erforderlichkeit weiterer Zwischenakte resultiert letztlich aus dessen verhaltenssteuernder Funktion, angesichts derer die Haftung gezielt an die zu steuernde Handlung geknüpft wird.268 Straf- und deliktsrechtliche Zurechnungsregeln basieren insoweit auf 262

Vgl. Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 268; Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 439 ff. 263 Mankowski, in: FS Geimer, 2015, 429, 439. 264 Mankowski, in: FS Geimer, 2015, 429, 439 f. 265 Bukow, Verletzungsklagen aus gewerblichen Schutzrechten, 2003, S. 56 f.; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, S. 148 f.; Pichler, Internationale Zuständigkeit im Zeitalter globaler Vernetzung, 2008, S. 504 f. 266 Bukow, Verletzungsklagen aus gewerblichen Schutzrechten, 2003, S. 57. 267 Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, S. 148 („Ausschlaggebend für diese Abgrenzung ist die Grundlage jedweder Zurechnung: Es geht um den Willen, die Vorstellung des Handelnden. […] Stellt sich der Täter vor, weitere Zwischenakte seien nicht mehr notwendig, so rechtfertigt das eine Zurechnung.“). 268 Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 189 f.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

einem zuständigkeitsfremden Steuerungsziel, welches zumeist zur Maßgeblichkeit des letzten Teilakts führen wird. Die chronologische Aneinanderreihung der Teilakte lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die Sach- und Beweisnähe und damit auf die Eignung eines Teilakts als zuständigkeitsrechtlicher Anknüpfungspunkt zu. So wäre etwa im Bereich der Pressedelikte oder der Produkthaftung sämtlichen dem Inverkehrbringen vorgelagerten Tätigkeiten die zuständigkeitsbegründende Wirkung abzusprechen. Entsprechendes gilt für eine Kartellabsprache, die nachfolgend durch einzelne Abreden präzisiert und umgesetzt werden muss. Nach Abschluss des Vorbereitungsstadiums kann sich das streitgegenständliche Delikt ebenfalls aus mehreren Teilakten zusammensetzen und somit die Frage nach einer Eingrenzung der Handlungsortzuständigkeit aufwerfen. Der Befund, dass der eigentlichen Schädigungshandlung vorausgehende Aktivitäten für die Begründetheit der Klage oftmals irrelevant und daher außer Acht zu lassen sind, erlaubt allenfalls eine erste Annäherung, löst die Problematik der Handlungsortbestimmung im Falle eines mehraktigen Delikts aber nicht. Welcher von mehreren Teilakten aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht den sachgerechten Anknüpfungspunkt bildet, hängt nicht primär von seiner chronologischen Stellung innerhalb des deliktischen Geschehens ab, sondern von seiner qualitativen, anhand der Teleologie des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zu bestimmenden Bedeutung.269 Wenngleich der Grundgedanke der Unbeachtlichkeit bloßer Vorbereitungstätigkeiten bei der Entwicklung einer autonomen Handlungsortdogmatik als grobe Richtschnur dienen kann, sollte die Zuständigkeitsprüfung angesichts der Gefahr diffiziler Wertungsfragen nicht flächendeckend mit einer konstitutiven Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Ausführungsstadium aufgeladen werden.270 b) Handlungsortgerichtsstand am Ort jedes deliktischen Teilakts Verbreitet wird in der Literatur vertreten, im Falle eines mehraktigen Delikts sei sämtlichen Teilakten gleichermaßen zuständigkeitsbegründende Wirkung beizumessen.271 Einschränkend wird vereinzelt verlangt, dass die Aktivität die Bagatell-

269

Eichel, IPRax 2019, 16, 19. Vgl. auch Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsverletzungen im Internet, 2007, S. 189 ff., die für die vollständige Aufgabe der Differenzierung plädiert. 271 BGE 125 III 346 S. 351 („Bei räumlich auseinanderliegenden Teilhandlungen multizipliert Art. 5 Ziff. 3 LugÜ die örtlichen Zuständigkeiten, indem jedes Gericht, in dessen Bezirk eine Handlung begangen wurde, konkurrierend örtlich zuständig ist.“); Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.71; Hausmann in unalex Kommentar Brüssel I-VO, 2012, Art. 5 Nr. Rn. 40; Mankowski, WuW 2012, 797, 800 f.; Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsverletzungen im Internet, 2007, S. 193 ff.; Schlosser/Hess, EuZPR, 4. Aufl. 2015, Art. 7 EuGVVO Rn. 17a; so wohl auch Thode, in: BeckOK, ZPO, 40. Ed., Stand 1. 3. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 84 („liegt dort, wo die Handlung ganz oder teilweise ausgeführt wurde.“); Thole, AG 2013, 73, 74. 270

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schwelle überschreitet.272 Dieses naturalistisch geprägte Verständnis des zuständigkeitsrechtlichen Handlungsortbegriffs nimmt die Gefahr einer Zuständigkeitsvervielfältigung in Kauf, trägt durch weitgehenden Verzicht auf komplexe normative Eingrenzungskriterien aber zugleich zur Einfachheit der Zuständigkeitsprüfung bei und reduziert die Gefahr zeit- und kostenaufwändigen Streits über die Zuständigkeitsfrage.273 Ein Klägerwahlrecht zwischen sämtlichen (Teil-)Handlungsorten ließe sich insofern als logische Konsequenz der Mines de Potasse-Entscheidung rechtfertigen, welche das Wahlrecht des Klägers zwischen Handlungs- und Erfolgsort nicht zuletzt damit begründet, dass anderenfalls eine schwierige Auswahlentscheidung zwischen den beiden aus abstrakt-genereller Sicht gleichermaßen geeigneten Anknüpfungspunkten getroffen werden müsste.274 Dieser Logik entspräche es, dem Kläger auch zwischen sämtlichen potentiell beweisnahen (Teil-)Handlungsorten ein Wahlrecht einzuräumen, statt die Zuständigkeitsprüfung mit einer komplexen Auswahlentscheidung zu belasten. Denn jeder der (Teil-)Handlungsorte steht zu dem deliktischen Gesamtgeschehen in Verbindung und weist daher zumindest eine gewisse Sachnähe auf.275 Selbst ein nebensächlicher Teilakt kann als Indiz für den Nachweis des Gesamtdelikts relevant werden. aa) Erhebliche Durchbrechung des Grundsatzes actor sequitur forum rei Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Handlungsortgerichtsstand von vornherein neben die Gerichtsstände am Wohnsitz sowie am Erfolgsort tritt. Schon eine Doppelung der Handlungsortzuständigkeit eröffnet dem Kläger die Wahl zwischen insgesamt vier Gerichtsständen und erweitert die angesichts des klägerfreundlichen Ubiquitätsprinzips ohnehin erheblichen Dispositionsmöglichkeiten über das anwendbare Kollisions- und Prozessrecht sowie die Beweisnähe des Gerichts zusätzlich. Ob eine derart weitreichende Durchbrechung des Grundsatzes actor sequitur forum rei nach der Art. 4 Abs. 1 und 7 Nr. 2 EuGVVO zugrunde liegenden Interessenabwägung gerechtfertigt ist, darf bezweifelt werden. Da sich transnationale Delikte wie etwa Produkt- oder Prospektfehler sowie Presse- und Kartelldelikte typischerweise aus mehreren Teilakten zusammensetzen, wäre eine Handlungsortvervielfältigung in wesentlichen Bereichen des Wirtschaftslebens die Regel, wodurch das Ziel einer Eingrenzung von Gerichtspflichtrisiken im Binnenmarkt gefährdet würde.276 Ein Klägerwahlrecht zwischen sämtlichen potentiell beweisnahen (Teil-)Handlungsorten widerspricht in gewisser Weise zudem der formal typisie-

272

Oberhammer, in: Dasser/Oberhammer, LugÜ, 2. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 127. Vgl. zur Parallelproblematik mehrerer vertraglicher Teilleistungsorte Wais, Der europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 148. 274 EuGH, Urt. v. 30. 11. 1976 – Rs 21/76, NJW 1977, 493 f. – Mines de Potasse, Rn. 15/19; vgl. hierzu Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 471. 275 Oberhammer, in: Dasser/Oberhammer, LugÜ, 2. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 127. 276 Vgl. Kapitel 1 D. III. 1. b) sowie Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462. 273

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

renden Regelungstechnik des Deliktsgerichtsstands.277 Art. 7 Nr. 2 EuGVVO lokalisiert den Deliktsgerichtsstand gerade nicht nach Wahl des Klägers an jedem mit dem Delikt verbundenen und daher potentiell beweisnahen Ort, sondern knüpft einheitlich an den Tatort an, dem unter sämtlichen mit dem Delikt zusammenhängenden Orten die größte Beweisnähe zugeschrieben wird. bb) Keine Kompensationsmöglichkeit auf Ebene der Kognitionsbefugnis Eine Vervielfältigung des Deliktsgerichtsstands hat bislang auch der EuGH konsequent vermieden. Soweit der EuGH Art. 7 Nr. 2 EuGVVO in einer Weise ausgelegt hat, die das Potential einer uferlosen Vervielfältigung des Handlungs- oder Erfolgsorts birgt, hat er die damit verbundene Belastung des Beklagten durch gegenläufige Einschränkung der gerichtlichen Kognitionsbefugnis kompensiert.278 Einen solchen Interessenausgleich zeigt aus dem Bereich des Erfolgsorts das Mosaikprinzip der Shevill-Entscheidung.279 Auch in der Rechtssache CDC hat der EuGH neben dem Gerichtsstand am Gründungsort des Kartells – potentiell vielfache – Handlungsortgerichtsstände am Ort jeder weiteren kartellrechtswidrigen Einzelabsprache angenommen, die Kognitionsbefugnis aber auf Schäden reduziert, die kausal auf die konkrete Absprache zurückgehen.280 Als verallgemeinerungsfähige Lösung für die Problematik der Handlungsortvervielfältigung eignet sich die Kombination multipler Gerichtsstände mit einer Einschränkung der gerichtlichen Kognitionsbefugnis indes nicht.281 Mehraktige Delikte zeichnen sich zumeist dadurch aus, dass der verursachte Schaden gleichermaßen kausal auf sämtliche Teilakte zurückgeht und sich nicht mosaikartig einzelnen Handlungselementen zuordnen lässt.282 So beruht der Schaden eines Anlegers einheitlich auf der Erstellung, Billigung und Veröffentlichung eines fehlerhaften Prospekts. Im Falle der Produkthaftung sind Konstruktion, Fertigung und Vertrieb gleichermaßen kausal für durch das Produkt verursachte Schäden. Es bleibt daher alleine die Wahl, am Ort des jeweiligen Handlungsbeitrags einen zur Entscheidung über den Gesamtschaden befugten Gerichtsstand anzunehmen oder diesen vollständig zu versagen.283

277

Vgl. Wais, Der europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 145, nach dem der typisierenden Regelungstechnik eine Schwerpunktbetrachtung entspricht. 278 Vgl. etwa Oberhammer, in: Dasser/Oberhammer, LugÜ, 2. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 127, der das Mosaikprinzip treffend als „Mittellösung“ bezeichnet. 279 EuGH, Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881, 1882 – Shevill, Rn. 28 ff. 280 EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 589 – CDC, Rn. 50. 281 Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 84; Oberhammer, in: Dasser/ Oberhammer, LugÜ, Art. 5 Rn. 127; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 104. 282 Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 84. 283 Oberhammer, in: Dasser/Oberhammer, LugÜ, 2. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 127.

C. Der prozessuale Handlungsort

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c) Anknüpfung an den deliktischen Handlungsschwerpunkt Andere Stimmen im Schrifttum plädieren dafür, den zuständigkeitsrechtlichen Handlungsort normativ auf den Ort des – gemessen an den Zwecken des Deliktsgerichtsstands – zentralen Ausführungsbeitrags zu konzentrieren.284 Nur soweit sich ein deliktischer Handlungsschwerpunkt nicht identifizieren lässt, soll hilfsweise ein Klägerwahlrecht zwischen sämtlichen (Teil-)Handlungsorten anzunehmen sein.285 aa) Parallele zu Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO Die zweistufige Konstruktion aus Schwerpunktbetrachtung und hilfsweisem Klägerwahlrecht entspricht den Grundsätzen, nach welchen der EuGH den autonomen Erfüllungsortgerichtsstand für Kauf- und Dienstleistungsverträge gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO lokalisiert. Ein Blick auf die dortige Diskussion erweist sich deshalb als instruktiv. Im Falle mehrerer kauf- oder dienstvertraglicher Teilleistungen begegnet der EuGH der drohenden Zuständigkeitsvervielfältigung, indem er den autonomen Erfüllungsortgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO am Ort der nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmenden Hauptleistung lokalisiert.286 Nur sofern sich kein vertraglicher Leistungsschwerpunkt ermitteln lässt, soll dem Kläger hilfsweise ein Wahlrecht zwischen sämtlichen (Teil-)Leistungsorten zustehen.287 Letzteres rechtfertigt der EuGH mit der Erwägung, der Beklagte kenne die vertragsgemäßen Teilleistungsorte und könne sich daher auf seine Gerichtspflicht einstellen.288 284 Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 135; Paulus, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, 61. El, Stand Januar 2021, Art. 7 VO (EU) Nr. 1215/2012 Rn. 193 f.; Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 148; in diese Richtung auch Thorn, in: FS von Hoffmann, 2011, 746, 748 f.; für ein rein faktisches Handlungsortverständnis aber Mankowski, EWiR 2018, 31, 32. 285 Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 135; Paulus, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, 61. El, Stand Januar 2021, Art. 7 VO (EU) Nr. 1215/2012 Rn. 194. 286 Vgl. EuGH, Urt. v. 15. 1. 1987, Rs. 266/85, NJW 1987, 1131, 1132 – Shenavai, Rn. 19; EuGH, Urt. v. 3. 5. 2007, Rs. C-386/05, NJW 2007, 1799, 1801 – Color Drack, Rn. 40; EuGH, Urt. v. 9. 7. 2009, Rs. C-204/08, NJW 2009, 2801, 2802 f. – Rehder, Rn. 38 ff.; EuGH, Urt. v. 11. 3. 2010, Rs. C-19/09, NJW 2010, 1189, 1191 – Wood Floor Solutions, Rn. 43; EuGH, Urt. v. 7. 3. 2018, Rs. C-274/16, C-447/16 und C-448/16, EuZW 2018, 465, 468 f. – flightright, Rn. 67 ff.; anders dagegen noch EuGH, Urt. v. 19. 2. 2002, Rs. C-256/00, NJW 2002, 1407, 1409 – Besix, Rn. 50. 287 EuGH, Urt. v. 3. 5. 2007, Rs. C-386/05, NJW 2007, 1799, 1801 – Color Drack, Rn. 42 ff.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 9. 7. 2009, Rs. C-204/08, NJW 2009, 2801, 2802 f. – Rehder, Rn. 35 ff.; anders aber EuGH, Urt. v. 11. 3. 2010, Rs. C-19/09, NJW 2010, 1189, 1191 – Wood Floor Solutions, Rn. 42, wonach der Erfüllungsort eines Handelsvertretervertrags in Ermangelung eines eindeutigen Leistungsschwerpunkts am Wohnsitz des Handelsvertreters zu lokalisieren sein soll. 288 EuGH, Urt. v. 3. 5. 2007, Rs. C-386/05, NJW 2007, 1799, 1801 – Color Drack, Rn. 44; vgl. auch EuGH, Urt. v. 9. 7. 2009, Rs. C-204/08, NJW 2009, 2801, 2802 f. – Rehder, Rn. 35 ff.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

Trotz der erheblichen gerichtlichen Wertungsspielräume wird die erste Prüfungsstufe – die Schwerpunktbetrachtung – im Schrifttum als logische Konsequenz der formal typisierenden Regelungstechnik289 sowie des Ziels des Verordnungsgebers, den Gerichtsstand am Erfüllungsort der charakteristischen Leistung zu konzentrieren,290 begrüßt. Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO knüpft einheitlich an den Erfüllungsort an, dem unter sämtlichen mit dem Vertrag verbundenen Orten im Sinne einer „Wahrscheinlichkeitsprognose“291 die größte Sach- und Beweisnähe zugeschrieben wird. Dem entspricht es, unter mehreren (Teil-)Erfüllungsorten auf den Leistungsschwerpunkt abzustellen, dem abstrakt-generell größere Beweisnähe zukommt als geringfügigeren Teilleistungsorten. Als problematisch erwiesen hat sich indes die rechtssichere Ermittlung der wirtschaftlichen Hauptleistung. Keine größeren Schwierigkeiten bereitet die Schwerpunktbildung zwar, wenn die Teilleistungen – etwa bei Lieferungen unterschiedlicher großer Warenmengen – nach quantitativen Kriterien wie der Stückzahl oder dem Gewicht verglichen werden können. Komplikationen drohen aber, wenn eine rein quantitative Gewichtung ausscheidet und deshalb „der sprichwörtliche Vergleich von […] Äpfeln und Birnen“ vollzogen werden muss.292 Dies betrifft etwa die Lieferung unterschiedlicher Waren oder die Erbringung ungleichartiger Dienstleistungen. Hier soll der wirtschaftliche Wert der einzelnen Teilleistungen durch eine Gesamtwürdigung von Indizien wie der Gegenleistung, dem Zeitaufwand sowie der Bedeutung der geschuldeten Tätigkeiten ermittelt und ins Verhältnis gesetzt werden.293 Insbesondere die zweite Prüfungsstufe, die hilfsweise Annahme eines unbeschränkten Klägerwahlrechts, ist im Schrifttum jedoch mitunter kritisch rezipiert worden. Eine zweistufige Zuständigkeitsprüfung erhöhe die rechtliche Komplexität und widerstrebe dem Ziel einfach festzustellender und klarer Gerichtsstände.294 Dass das potentiell uferlose Wahlrecht nur hilfsweise für den Fall der Nichtermittelbarkeit eines Leistungsschwerpunkts angenommen werde, ändere nichts daran, dass es den wahlberechtigten Kläger privilegiere und den Beklagten unangemessen benachtei-

289 Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 145 f.; vgl. auch Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn. 50; kritisch aber Leible, in: FS Spellenberg, 2010, 451, 459 ff. 290 Paulus, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverehr, 59. El, Stand April 2020, Art. 7 VO (EU) Nr. 1215/2012 Rn. 117. 291 Terminus nach Wais, Der europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 145 f. 292 Formulierung nach Mankowski, IPRax 2007, 404, 410; vgl. auch Leible, in: FS Spellenberg, 2010, 451, 459 ff. 293 Vgl. zu den Kriterien der Schwerpunktermittlung eingehend GA Trstenjak, Schlussanträge v. 12. 1. 2010, Rs. C-19/09 – Wood Floor Solutions, Rn. 78; Lehmann/Duczek, IPRax 2011, 41, 43; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 84 ff.; Mankowski, IPRax 2007, 404, 409 ff.; Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 172 ff. 294 Mankowski, IPRax 2007, 404, 409.

C. Der prozessuale Handlungsort

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lige.295 Lasse sich wegen der Gleichwertigkeit zweier vertraglicher Teilleistungen keine eindeutige Hauptleistung ausmachen, so sei es dennoch nicht gerechtfertigt, hilfsweise auch einem dritten, offenkundig untergeordneten Teilleistungsort zuständigkeitsbegründende Wirkung beizumessen.296 bb) Rückschlüsse auf den Handlungsortgerichtsstand Die im Bereich des autonomen Erfüllungsortgerichtsstands etablierten Grundsätze lassen sich für die Lokalisierung des Handlungsortgerichts fruchtbar machen. Dies gilt insbesondere, wenn man einen Opferschutzzweck des Deliktsgerichtsstands ablehnt und Erfüllungs- und Tatortgerichtsstand gleichermaßen als parteineutrale Anknüpfung an den abstrakt beweisnächsten Ort versteht. Auch im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO lässt sich die Schwerpunktbetrachtung als logische Konsequenz der formal typisierenden Regelungstechnik deuten. Der typisierenden Anknüpfung an den Tatort entspricht es, unter mehreren (Teil-)Handlungsorten auf den zentralen Handlungsakt abzustellen, dem im Wege einer „Durchschnittsbetrachtung“297 größere Sach- und Beweisnähe beizumessen ist als den Orten nebensächlicher Handlungen. Eine wertende Anknüpfung an den deliktischen Handlungsschwerpunkt kommt dem „zentralisierten Handlungsortverständnis“298 des EuGH zumindest nahe. Der Präzisierung bedürfen jedoch die Grundsätze, nach denen der aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht maßgebliche Teilakt zu ermitteln ist. Das zentrale und deshalb maßgebliche Handlungselement ließe sich zum einen anhand einer wertenden Betrachtung der deliktischen Teilakte im Einzelfall ermitteln. Dies deuten die Entscheidungen Holterman Ferho299 und Lithuanian Airlines mit der Formulierung an, es sei „Sache des vorlegenden Gerichts, das Geschehnis zu ermitteln, dem […] im Rahmen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kette von Geschehnissen eine besonders große Bedeutung zukommt.“300 Zum anderen ließe sich der zentrale Tatbeitrag starr auf abstrakt-genereller Ebene bestimmen, indem für einzelne Deliktstypen ein Sachverhaltselement ausgewählt und der Gerichtsstand ungeachtet der

295

Mankowski, IPRax 2007, 404, 411. Mankowski, IPRax 2007, 404, 411. 297 Domej, IPRax 2008, 550, 551; Stammwitz, Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Kartelldelikten, 2018, S. 133. 298 Wurmnest, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker, Kartellverfahren und Kartellprozess, 1. Aufl. 2017, § 31 Rn. 50. 299 EuGH, Urt. v. 10. 9. 2015, Rs. C-47/14, IPRax 2016, 151, 156 – Holterman Ferho, 3. Leitsatz. 300 So expressis verbis EuGH, Urt. v. 5. 7. 2018, Rs. C-27/17, NZKart 2018, 357, 359 – Lithuanian Airlines, Rn. 53. 296

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

Einzelfallumstände an dessen Belegenheitsort lokalisiert wird. In diese Richtung weisen die Entscheidungen Shevill, Kainz und Wintersteiger.301 cc) Ermittlung des zentralen Teilakts durch wertende Betrachtung im Einzelfall Eine Wertungsentscheidung auf Grundlage der Einzelfallumstände erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass jene Handlung als deliktischer Handlungsschwerpunkt qualifiziert wird, die im konkreten Fall tatsächlich im Mittelpunkt des deliktischen Geschehensverlaufs stand. Verglichen mit der starren, deliktstypenorientierten Handlungsortbestimmung gewährleistet ein solcher Ansatz zweifelsohne ein höheres Maß an Einzelfallgerechtigkeit. Zumindest geringfügig wird die Wahrscheinlichkeit für einen tatsächlich beweisnahen Gerichtsstand erhöht. Im Gegenzug belastet eine Schwerpunktbestimmung im Einzelfall die Zuständigkeitsprüfung mit einer subjektiv eingefärbten Wertungsentscheidung und erschwert dem Kläger eine verlässliche Prognose, ob sich das Gericht am Ort des vermeintlich zentralen Teilakts tatsächlich für zuständig erachtet oder eine andernorts ausgeführte Handlung als deliktischen Tätigkeitsschwerpunkt ansieht und seine Zuständigkeit aus diesem Grund verneint. (1) Fehlen objektiver Gewichtungskriterien Im Rahmen des autonomen Erfüllungsortgerichtsstands des Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO verhilft das Vorhandensein objektiver Gewichtungskriterien der Schwerpunktbetrachtung zu einem gewissen Maß an Rechtssicherheit. Quantitative Gesichtspunkte wie die Zahl der gelieferten Waren oder der Maßstab der Gegenleistung werden oftmals zu einer nachvollziehbaren und für die Parteien vorhersehbaren Einteilung in Haupt- und Nebenleistung führen. Eine Gewichtung verschiedener deliktischer Handlungen anhand einer Wertungsentscheidung im Einzelfall würde die Zuständigkeitsklarheit in Ermangelung entsprechender Gewichtungskriterien deutlich stärker beeinträchtigen. Deliktshandlungen sind zumeist ungleichartig und verursachen durch ihr Zusammenwirken denselben Schaden, was eine Schwerpunktbildung anhand wirtschaftlicher oder rein quantitativer Kriterien ausschließt. Auch fehlt es an einer Gegenleistung, die als Maßstab herangezogen werden könnte. Beispielsweise lässt sich im Falle eines Pressedelikts weder die Anfertigung der persönlichkeitsrechtswidrigen Aufnahmen noch die Erstellung des Artikels oder seine Publikation eindeutig als deliktischer Handlungsschwerpunkt klassifizieren. Im Bereich der Produkthaftung ist die Schwerpunktbestimmung zwischen der Konzeption, der Fertigung und dem Vertrieb eines fehlerhaften Produkts schwierig.

301 EuGH, Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881, 1882 – Shevill, Rn. 24; EuGH, Urt. v. 16. 1. 2014, Rs. C-45/13, EuZW 2014, 232, 233 f. – Kainz, Rn. 29; EuGH, Urt. v. 19. 4. 2012, Rs. C-523/10, EuZW 2012, 513, 515 – Wintersteiger, Rn. 37 ff.

C. Der prozessuale Handlungsort

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(2) Strukturelles Informationsdefizit des Deliktsgeschädigten Hervorzuheben ist das strukturelle Informationsdefizit des Geschädigten eines Distanzdelikts.302 Dem Verletzten, der die in einem anderen Mitgliedstaat verübten Schädigungshandlungen nicht unmittelbar wahrgenommen hat, werden weder die örtliche Belegenheit noch die Beschaffenheit der einzelnen Teilakte bis ins letzte Detail bekannt sein, was die Bestimmung eines Handlungsschwerpunkts und damit die Ermittlung des zuständigen Gerichts erschwert. Einen gewissen Schutz bietet insoweit die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen, wonach das Gericht der Zuständigkeitsprüfung alleine den Tatsachenvortrag des Klägers zugrunde legt.303 Soweit sich das angerufene Gericht auf eine reine Schlüssigkeitsprüfung beschränkt und Einwände des Beklagten entgegen der neueren Rechtsprechung des EuGH außer Acht lässt,304 muss der Kläger nicht befürchten, dass das Gericht weitergehende, ihm unbekannte Informationen in die Schwerpunktbildung einstellt und aus diesem Grund einen andernorts verübten Teilakt als deliktischen Handlungsschwerpunkt ansieht. Wird der deliktische Handlungsschwerpunkt auf Grundlage der oftmals unvollständigen Tatsachenkenntnis des Geschädigten gebildet, so gewährleistet die Schwerpunktbetrachtung jedoch keinen Gerichtsstand am tatsächlich zentralen und daher beweisnächsten (Teil-)Handlungsort und verliert letztlich ihren Sinn. (3) Erforderlichkeit einer umfassenden Einarbeitung in den Rechtsstreit Zu berücksichtigen ist ferner, dass es eine Schwerpunktbildung im Einzelfall dem angerufenen Gericht verunmöglicht, seine Zuständigkeit als ersten Prüfungsschritt unmittelbar nach Eingang der Klage einfach und schnell vorab festzustellen, ohne sich umfassend in den Sach- und Streitstand einzuarbeiten.305 Denn die Bestimmung der im Einzelfall zentralen Deliktshandlung erfordert detaillierte Kenntnis des streitgegenständlichen Sachverhalts. Jedenfalls den Tatsachenvortrag des Klägers muss das Gericht umfassend aufarbeiten, um den deliktischen Handlungsschwerpunkt identifizieren zu können. Will das Gericht entsprechend der neueren Rechtsprechung des EuGH Einwendungen des Beklagten berücksichtigen, muss es zusätzlich dessen Tatsachenvortrag aufarbeiten. Das Gericht müsste also erheblichen Aufwand betreiben, ohne zu wissen, ob es zur Entscheidung in der Sache befugt ist. Erweist sich das Gericht dabei als unzuständig, so müsste der gesamte Sachverhalt vor einem anderen Gericht erneut vorgetragen und die Schwerpunktbildung von diesem wiederholt werden.

302

Vgl. Kapitel 2 A. III. 3. sowie Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 435. Zur Kompensation struktureller Informationsdefizite des Klägers über die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen vgl. Liebscher/Steinbrück, WM 2020, 359, 368. 304 Vgl. hierzu Kapitel 2 B. II. 305 Wais, Der europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 161 f. 303

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

dd) Starre Ermittlung des zentralen Handlungselements Demgegenüber erscheint es grundsätzlich vorzugswürdig, den maßgeblichen Anknüpfungspunkt deliktstypenorientiert zu konkretisieren, wie es der EuGH in den Rechtssachen Shevill, Kainz und Wintersteiger angedeutet hat. Die abstrakt-generelle Auswahl der „Verhaltenszentralen“ einzelner Deliktstypen erübrigt eine wertende Schwerpunktbildung im Einzelfall.306 Der mit einer starren Zuständigkeitsanknüpfung verbundene Verlust in puncto Einzelfallgerechtigkeit ist in der formal typisierenden Regelungstechnik des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO angelegt und wird durch die Vorteile einer klaren und einfachen Zuständigkeitsprüfung aufgewogen. Eine gewisse Loslösung des Handlungsortgerichtsstands von den Einzelfallumständen ermöglicht es dem Gericht, seine Zuständigkeit ohne vertiefte Einarbeitung in die Feinheiten des Falles einfach und schnell vorab festzustellen und reduziert somit die Gefahr zeit- und kostenaufwändigen Streits über eine schlussendlich unzulässige Klage.307 Zugleich relativiert eine starre, von den Details des Einzelfalls entkoppelte Zuständigkeitsprüfung das strukturelle Informationsdefizit des Geschädigten. So gewährleistet im Fall eines Pressedelikts die starre Anknüpfung an den Verlagssitz, dass eine Klage des Persönlichkeitsrechtsträgers, der in die inneren Abläufe des Verlags keinen Einblick hat, nicht deshalb scheitert, weil der verklagte Verlag den streitigen Artikel andernorts erstellt, redaktionell bearbeitet und über das Internet veröffentlicht hat.308 (1) Keine vollständige Erübrigung einer Einzelfallwertung Mehraktige, aus verschiedenen Vorbereitungs- und Ausführungsaktivitäten zusammengesetzte Sachverhalte sind jedoch in zahllosen Erscheinungsformen denkbar. Eine fallgruppenartige Schwerpunktbestimmung birgt daher die Gefahr einer inneren Zergliederung durch kleinteilige und unübersichtliche Kasuistik, welche ihrerseits Abgrenzungsfragen aufwerfen und die Klarheit und Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands beeinträchtigen würde.309 Es kann nicht für jede theoretisch denkbare Handlungschronologie ein starrer Anknüpfungspunkt definiert werden. Eine fallgruppenartige Schwerpunktbildung kommt nur für typische transnationale Delikte in Betracht, die immer wieder gleichförmige Sachverhalte zum Gegenstand haben. Im Hinblick auf weniger gleichförmige, variantenreichere Delikte kann der Handlungsschwerpunkt nicht abstrakt-generell, sondern nur anhand der Einzelfallumstände gebildet werden. Eine derartige Differenzierung deutet sich auch in der Rechtsprechung des EuGH an. Für gleichförmige Konstellationen wie die Haftung des Verlags für persönlichkeitsrechtsverletzende Presseerzeugnisse oder wie die 306

Terminus nach Thorn, in: FS von Hoffmann, 2011, 746, 748 f. Vgl. zur Bedeutung einer einfachen und schnellen Vorabprüfung der Zuständigkeit Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 161 f. 308 Eichel, IPRax 2019, 16, 20. 309 Zu den Nachteilen einer fallgruppenorientierten Zuständigkeitsbestimmung vgl. Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 167 f. 307

C. Der prozessuale Handlungsort

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Haftung des Herstellers für fehlerhafte Produkte hat der EuGH mit dem Sitz des Verlags bzw. dem Ort der Produktherstellung starre Anknüpfungspunkte definiert. Für vielgestaltigere unerlaubte Handlungen wie die kartellrechtswidrige Verdrängung eines Wettbewerbers oder die deliktische Schädigung einer Gesellschaft durch ihren Geschäftsführer hat er in den Rechtssachen flyLAL und Holterman Ferho die Bestimmung des zentralen Handlungselements hingegen einer Einzelfallwertung überantwortet. (2) Abweichende Beurteilung aufgrund sachrechtlicher Deliktsstrukturen Eine Konzentration des Gerichtsstands am Ort des zentralen Handlungselements ist überdies nicht in jedem Fall sachgerecht. Wie die CDC-Entscheidung des EuGH verdeutlicht, kann die sachrechtliche Struktur des streitgegenständlichen Delikts vielmehr eine andere Betrachtungsweise nahelegen. Der dortige Fall zeichnete sich zum einen durch die Besonderheit aus, dass angesichts des auf einer Vielzahl verstreuter Einzelabsprachen basierenden Charakters des Kartells keine einzelne Gründungsabsprache zu identifizieren, ein deliktischer Handlungsschwerpunkt also nicht ohne Weiteres auszumachen war.310 Zum anderen war es angesichts der besonderen Struktur des Kartells denkbar, einzelne Schadenspositionen isoliert auf einzelne Absprachen zurückzuführen und den kartellbedingten Gesamtschaden somit mosaikartig auf die Ort der einzelnen deliktischen Teilakte aufzuteilen. Angesichts dieser beiden Faktoren – der Schwierigkeit einer Schwerpunktbildung und der Möglichkeit einer mosaikartigen Schadensaufteilung – lag es im Fall CDC nahe, von dem zentralisierten Handlungsortverständnis abzuweichen. Dass der EuGH in seiner CDC-Entscheidung nicht nur im Sinne einer Schwerpunktbetrachtung an den Ort der ursprünglichen Kartellgründung anknüpft, sondern dem Geschädigten daneben die Option eröffnet, am Ort jeder kartellrechtswidrigen Einzelabsprache den auf die konkrete Absprache zurückzuführenden Schaden geltend zu machen, überrascht vor diesem Hintergrund nicht. Dass der Handlungsort einer deliktsspezifischen Konkretisierung bedarf, verdeutlicht auch die Entscheidung Lithuanian Airlines, in welcher der EuGH den Handlungsort in Abhängigkeit vom Zweck des streitgegenständlichen Kartelldelikts entweder am Ort des zentralen Handlungselements oder am Ort jeder selbstständig gegen Art. 102 AEUV verstoßen Absprache lokalisieren will.311 Angesichts seiner Abhängigkeit von der Struktur des zugrundeliegenden Delikts sowie seiner variierenden Erscheinungsformen ist der Handlungsortgerichtsstand im Schrifttum treffend als „juristisches Chamäleon“ beschrieben worden.312

310

EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 584 f. – CDC, Rn. 9 ff. sowie Kapitel 2 A. II. 3 b) cc). 311 EuGH, Urt. v. 5. 7. 2018, Rs. C-27/17, NZKart 2018, 357, 359 – Lithuanian Airlines, Rn. 53; kritisch Mäsch, IPRax 2020, 305, 306 f. 312 Basedow, in: FS 50 Jahre FIW, 2010, 129,142.

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Kap. 2: Der Gerichtsstand am Handlungsort

d) Zusammenfassung Trotz der zunehmenden Beseitigung kollisionsrechtlicher forum shopping-Anreize eröffnet eine Vervielfältigung der internationalen Gerichtsstände dem Kläger noch immer einseitige Einflussmöglichkeiten auf den Ausgang des Rechtsstreits und gefährdet somit die Waffengleichheit der Parteien. Vor diesem Hintergrund erscheint es grundsätzlich angezeigt, dem Kläger ein Wahlrecht zwischen Gerichtsständen an sämtlichen (Teil-)Handlungsorten zu verwehren und die Handlungsortzuständigkeit am Ort des zentralen Handlungselements zu konzentrieren. Während der deliktische Handlungsschwerpunkt im Hinblick auf gleichförmige, immer wieder in ähnlicher Gestalt auftretende Deliktstypen durch starre Auswahl des maßgeblichen Sachverhaltselements rechtssicher konkretisiert werden kann, muss das zentrale Sachverhaltselement für unerlaubte Handlungen, denen keine derart gleichförmigen Handlungsabläufe zugrunde liegen, durch eine an den Zwecken des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO orientierte Wertungsentscheidung im Einzelfall bestimmt und der damit verbundene Verlust an Vorhersehbarkeit in Kauf genommen werden. Wie die EuGHEntscheidungen in der Rechtssache Lithuanian Airlines sowie insbesondere CDC zeigen, kann der aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht maßgebende Ort letztlich jedoch nur unter Berücksichtigung der räumlichen sowie der normativen Struktur des betreffenden Deliktstypus identifiziert werden. Besonderheiten einzelner Deliktstypen können eine Handlungsortvervielfältigung erfordern. Das Grundgleichgewicht zwischen Kläger- und Beklagtenschutz, welches die Art. 4 Abs. 1 und 7 Nr. 2 EuGVVO in ihrem Zusammenspiel gewährleisten, muss dennoch gewahrt und die Beeinträchtigung der zuständigkeitsrechtlichen Beklagteninteressen – etwa durch Beschränkung der Kognitionsbefugnis an den einzelnen (Teil-)Handlungsorten – ausgeglichen werden.

Kapitel 3

Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen Im transnationalen Rechts- und Wirtschaftsverkehr basieren deliktische Schädigungen oftmals nicht auf dem Handeln eines einzelnen Akteurs, sondern bilden das Resultat arbeitsteiliger Planungs-, Produktions- und Vertriebsprozesse. Nicht selten wird ein fehlerhaftes Produkt aus den Teilen mehrerer Zulieferer zusammengesetzt, von dem Hersteller in verschiedene Mitgliedstaaten exportiert und schlussendlich über den Einzelhandel in Verkehr gebracht. An der Erstellung und Verbreitung eines fehlerhaften Anlageprospekts sind neben dem Emittent auch Anwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Konsortialbanken und Finanzintermediäre beteiligt.1 Kartelldelikte basieren auf wettbewerbswidrigen Absprachen mehrerer Unternehmen, die von einzelnen Kartellmitgliedern auf den Märkten verschiedener Mitgliedstaaten umgesetzt werden.2 Die Liste derartiger Beispiele ließe sich nahezu beliebig fortsetzen. Die arbeitsteilige Deliktsbegehung wirft die „zuständigkeitsrechtliche Grundfrage“ auf, ob die Handlungsorte zwischen den Schädigern wechselseitig zuzurechnen sind, sodass jeder Deliktsbeteiligte an den Orten verklagt werden kann, an denen ein Mitverursacher gehandelt hat.3 Die Frage nach einer zuständigkeitsrechtlichen Beteiligungsdogmatik hat Rechtsprechung und Schrifttum vornehmlich im Zusammenhang mit Klagen geschädigter Kapitalanleger gegen auslandsansässige, oftmals in London oder New York domizilierte Brokerhäuser bewegt, die mit Hilfe lokaler, mittlerweile zahlungsunfähiger Anlagevermittler Kunden innerhalb Deutschlands geworben hatten.4 Eine gerichtsstandbegründende Handlungsortzurechnung ermöglicht es geschädigten Anlegern, den auslandsansässigen Broker am Handlungsort des inländischen Vermittlers zu verklagen. Der faktische Klägergerichtsstand, der aus dem Handeln des lokalen Vermittlers resultiert, bliebe nach Insolvenz des handelnden Vermittlers gegenüber dem Broker erhalten. Aus Sicht der Deliktsbeklagten tritt der Gerichtsstand am zugerechneten fremden Handlungsort indes neben jenen am Ort des eigenen Tatbeitrags. Es droht eine potentiell uferlose

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Lehmann, Journal of Private International Law 2016, 318, 328 f. Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 91. 3 Weller, WM 2013, 1681, 1681. 4 Vgl. Weller, WM 2013, 1681, 1681. 2

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

Handlungsortvervielfältigung, welche dem Kläger ein weitreichendes forum shopping ermöglicht.5 Im Ausgangspunkt sind zwei Grundformen deliktischer Mehrpersonenverhältnisse zu unterscheiden. Denkbar sind zunächst Fälle, die in Anlehnung an die Terminologie des deutschen Strafrechts mit dem Begriff der Nebentäterschaft umschrieben werden. Die Schädiger agieren ohne jedes arbeitsteilige Element und das Zusammentreffen der Deliktshandlungen mehrerer Personen beruht auf Zufall.6 Eine wechselseitige Handlungsortzurechnung wird hier ganz herrschend abgelehnt.7 Denn der Handlungsort eines zufällig hinzutretenden Zweitschädigers ist kaum vorherzusehen.8 Sachrechtlich haftet ein Nebentäter nicht für die zugerechneten Handlungen anderer Nebentäter, sondern lediglich für den eigenen Verursachungsbeitrag. Kommt es materiell-rechtlich nicht auf das Handeln anderer Nebentäter an, so erscheinen deren Handlungsorte aus prozessualer Sicht beweisfern. Den Kristallisationspunkt der prozessualen Zurechnungsproblematik bilden daher Fälle der – im weitesten Sinne – vorsätzlichen Kooperation, welche die arbeitsteilige Deliktsbegehung durch Mittäter, Anstifter oder Gehilfen einschließt. Dieser Problematik nähert sich die Untersuchung anhand einer Rechtsprechungsanalyse. In Anlehnung an die materiell-rechtliche Zurechnungsvorschrift des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB erkennt die deutsche Rechtsprechung eine wechselseitige Handlungsortzurechnung im Rahmen des § 32 ZPO an. Hingegen legt der EuGH den europäischen Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO beklagtenfreundlicher aus und lehnt eine gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Handlungsorte ab. Gegenüber Finanzdienstleistern mit Sitz in einem Mitgliedstaat weist der prozessuale Anlegerschutz somit ein niedrigeres Niveau auf als gegenüber drittstaatenansässigen Brokerhäusern (dazu A.). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechungsgrundsätze wird zunächst die Zurechnungsproblematik auf Ebene des autonomen deutschen Zuständigkeitsrechts näher betrachtet. Hinterfragt wird, ob die etablierte Handlungsortzurechnung mit einer Wertungsparallele zu § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB oder mit spezifisch zuständigkeitsrechtlichen Erwägungen dogmatisch tragfähig begründet werden kann (dazu B.). Anschließend wendet sich die Arbeit der Zurechnungsfrage im Rahmen des europäischen Deliktsgerichtsstands zu und untersucht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH sowie der im Schrifttum vorfindlichen Argumentationsansätze, ob sich auf unionsrechtlicher Ebene ein Zurechnungskonzept finden lässt, welches den spezifischen Anforderungen des Zuständigkeitsrechts gerecht wird (dazu C.).

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Vgl. Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 153. Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 533 f.; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 101. 7 von Hein, IPRax 2013, 505, 509; Müller, EuZW 2013, 130, 131; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 534. 8 Müller, EuZW 2013, 130, 133. 6

A. Überblick über die deutsche und europäische Rechtsprechung

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A. Überblick über die deutsche und europäische Rechtsprechung I. Handlungsortzurechnung im autonomen Zuständigkeitsrecht am Beispiel der Entscheidung BGH XI ZR 93/09 Auf Ebene des autonomen deutschen Deliktsgerichtsstands ist die zuständigkeitsbegründende Handlungsortzurechnung in Anlehnung an die materiell-rechtliche Zurechnungsregel des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB weitgehend anerkannt.9 Sämtliche Täter und Teilnehmer sind innerhalb Deutschlands bereits dann gemäß § 32 ZPO gerichtspflichtig, wenn nur ein Mitverursacher seinen Tatbeitrag im Bundesgebiet erbracht hat. Der zurechnungsfreundliche Standpunkt der deutschen Rechtsprechung lässt sich am Beispiel einer Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2010 illustrieren,10 die im Zusammenhang mit einer Serie ähnlich gelagerter Anlegerklagen erging.11 Die Klägerin, eine deutsche Anlegerin, machte Schadensersatzansprüche aus Delikt gegen ein US-amerikanisches Brokerhaus geltend, welches über eine OnlinePlattform Anlagevermittlern aus aller Welt Zugang zu US-amerikanischen Börsen vermittelt hatte. Über das System der Beklagten vollzogen die Anlagevermittler, die selbst nicht an den US-amerikanischen Börsen zugelassen waren, vollautomatisch die von ihren Kunden beauftragten Transaktionen. In Kooperation mit dem USamerikanischen Brokerhaus vermittelte ein deutscher Anlagevermittler der Klägerin ein Brokereinzelkonto sowie Termin- und Optionsgeschäfte an US-amerikanischen Börsen. Im Gegenzug entrichtete die Klägerin eine Dienstleistungsgebühr an den deutschen Anlagevermittler, räumte diesem eine Beteiligung am Quartalsgewinn ein und bezahlte daneben pro Transaktion eine Gebühr von 50 USD an den Broker. 9 BGH, Urt. v. 6. 2. 1990 – XI ZR 184/88, NJW-RR 1990, 604, 604; BGH, Urt. v. 22. 11. 1994 – XI ZR 45/91, NJW 1995, 1225, 1226; BayObLG, Beschl. v. 31. 8. 1995 – 1Z AR 37/95, NJW-RR 1996, 508, 509; OLG Düsseldorf, Urt. v. 6. 3. 2008 – 6 U 109/07, BeckRS 2011, 18578; BGH, Urt. v. 9. 3. 2010 – XI ZR 93/09, NZG 2010, 550, 550; BGH, Urt. v. 8. 6. 2010 – XI ZR 349/08, NJW-RR 2011, 548, 549; BGH, Urt. v. 8. 6. 2010 – XI ZR 41/09, NZG 2010, 1351, 1351; OLG Düsseldorf, Urt. v. 14. 6. 2010 – I-9 U 186/09, BeckRS 2012, 20549; BGH, Urt. v. 25. 1. 2011 @ XI ZR 195/08, NJW-RR 2011, 1193, 1193; BGH, Urt. v. 25. 1. 2011 – XI ZR 350/ 08, RIW 2011, 321, 323; BGH, Urt. v. 8. 2. 2011 – XI ZR 168/08, NJW-RR 2011, 1188, 1190; OLG München, Urt. v. 17. 11. 2011 – 29 U 3496/11, NJOZ 2012, 1328, 1330; Nagel/Gottwald, IZPR, 8. Aufl. 2020, § 3 Rn. 355 (1); Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 23. Aufl. 2014, § 32 Rn. 24; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 32 Rn. 17; Thole, ZBB 2011, 399, 400; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 527 f.; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 137; kritisch aber Huber, IPRax 2009, 134, 135 f.; Müller, EuZW 2013, 130, 132; Weller, IPRax 2000, 202, 206 f.; Weller, WM 2013, 1681, 1684. 10 BGH, Urt. v. 9. 3. 2010 – XI ZR 93/09, NZG 2010, 550, 550 ff. 11 BGH, Urt. v. 9. 3. 2010 – XI ZR 93/09, NZG 2010, 550, 550; BGH, Urt. v. 8. 6. 2010 @ XI ZR 349/08, NJW-RR 2011, 548, 550 f.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 14. 6. 2010 – I-9 U 186/09, BeckRS 2012, 20549; BGH, Urt. v. 25. 1. 2011 @ XI ZR 195/08, NJW-RR 2011, 1193, 1193; BGH, Urt. v. 25. 1. 2011 – XI ZR 350/08, RIW 2011, 321, 323.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

Nachdem das investierte Kapital nahezu vollständig verloren bzw. durch die kumulierten Gebühren verbraucht worden war, verklagte die Anlegerin das US-amerikanische Brokerhaus vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz. Zum einen habe der deutsche Anlagevermittler vor Vertragsschluss nicht vorschriftsgemäß über die Risiken der Termin- und Optionsgeschäfte aufgeklärt. Zum anderen seien die Geschäfte angesichts der überhöhten Gebühren von vornherein aussichtslos gewesen. Ihre Vermittlung habe dem alleinigen wirtschaftlichen Vorteil des Vermittlers gedient und erfülle nach ständiger Rechtsprechung des BGH den Tatbestand einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung.12 Dem beklagten Brokerhaus warf die Anlegerin Beihilfe zu den Schädigungshandlungen des deutschen Anlagevermittlers vor. Das Brokerhaus habe dem deutschen Anlagevermittler trotz unzureichender Kontrollen Zugang zu US-amerikanischen Börsen gewährt und somit billigend in Kauf genommen, dass die Klägerin zu hoch riskanten, letztlich aussichtslosen Termin- und Optionsgeschäften veranlasst worden sei. Die Brokergesellschaft hafte daher gemäß §§ 826, 830 Abs. 2 BGB auf Schadensersatz. Obgleich sich der Schädigungsbeitrag des Beklagten auf die Bereitstellung der Online-Plattform beschränkte und das Brokerhaus selbst zu keinem Zeitpunkt außerhalb der Vereinigten Staaten gehandelt hatte, bejahte der BGH gestützt auf § 32 ZPO die Handlungsortzuständigkeit deutscher Gerichte. Da die Klägerin eine Beihilfe zu der vorsätzlichen und sittenwidrigen Schädigung des deutschen Anlagevermittlers schlüssig vorgetragen habe, sei dessen im Inland verübte Deliktshandlung dem beklagten Brokerhaus gemäß § 830 Abs. 2 BGB nicht nur materiellrechtlich, sondern innerhalb des § 32 ZPO auch zuständigkeitsrechtlich zuzurechnen.

II. Rechtsprechung im Zusammenhang mit Art. 7 Nr. 2 EuGVVO Auf Ebene des europäischen Deliktsgerichtsstands schließt der Grundsatz der autonomen Auslegung einen Rückgriff auf Zurechnungsregeln der lex fori und damit auf § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB aus.13 Für geraume Zeit wurde die Übertragbarkeit der zu § 32 ZPO etablierten Rechtsprechungsgrundsätze auf den europäischen Deliktsgerichtsstand daher kontrovers beurteilt.14 Dennoch hat die deutsche Recht12 Vgl. statt aller BGH, Urt. v. 9. 3. 2010 – XI ZR 93/09, NZG 2010, 550, 551; BGH, Urt. v. 12. 10. 2010 @ XI ZR 394/08, NJW-RR 2011, 551, 552 f.; BGH, Urt. v. 13. 7. 2010 – XI ZR 28/ 09, NJW-RR 2011, 197, 200; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 133 ff. (m. w. N.). 13 von Hein, RIW 2011, 810, 813; Weller, IPRax 2000, 202, 207; Weller, WM 2013, 1681, 1683. 14 Vgl. zum Stand der Diskussion vor der Melzer-Entscheidung etwa Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462 f.; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn. 83b; von Hein, in: BerDGV, Paradigmen im internationalen Recht, 2012, S. 369, 396; von Hein, IPRax 2006, 460, 461 f.; von Hein, EuZW 2011, 369, 370; Mankowski, WuW 2012, 797, 803 f.; Thole, ZBB 2011, 399, 401 ff.; Wagner/Gess, NJW 2009, 3481, 3484 f.; Weller, IPRax 2000, 202 ff.

A. Überblick über die deutsche und europäische Rechtsprechung

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sprechung eine wechselseitige Handlungsortzurechnung mehrheitlich anerkannt, ohne den aus dem Gebot der autonomen Auslegung resultierenden Methodenfragen gesteigerte Berücksichtigung zu schenken.15 Dieser Praxis ist der EuGH in der Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany in den Jahren 2013 und 2014 entgegengetreten und hat der Zurechnung fremder Handlungsorte im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO eine kategorische Absage erteilt.16 1. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Melzer a) Sachverhalt Dem Vorabentscheidungsverfahren Melzer lag die vor dem LG Düsseldorf erhobene Schadensersatzklage eines deutschen Anlegers gegen das Brokerhaus MF Global UK. Ltd. zugrunde.17 Der in Berlin wohnhafte Kläger war von dem Düsseldorfer Wertpapierhandelsunternehmen W.W.H. telefonisch kontaktiert, als Kunde geworben und in Anlagefragen betreut worden. Insbesondere eröffnete der Anlagevermittler W.W.H. bei dem beklagten Londoner Brokerhaus ein Anlagekonto, über welches er für Herrn Melzer entgeltliche Options- und Termingeschäfte durchführte. Dabei berechnete MF Global pro Transaktion eine Kommission i. H. v. 120 USD, von denen sie 95 USD als Innenprovision an den Düsseldorfer Anlagevermittler W.W.H. zurückführte. Das Anlagekapital in Höhe von insgesamt 172.000 Euro, welches er von seinem Berliner Bankkonto sukzessive auf das Londoner Depot überwiesen hatte, verlor Herr Melzer im Zusammenhang mit den Termingeschäften fast vollständig. Der Düsseldorfer Anlagevermittler erwies sich in der Folge aber als zahlungsunfähig, sodass seine Inanspruchnahme auf Schadensersatz ausschied.18 Vor diesem Hintergrund richtete Herr Melzer seine Schadensersatzklage gegen das Londoner Brokerhaus MF Global. Zur Begründung führte er aus, im Zusam15 Für Zurechnung wohl OLG Brandenburg, Urt. v. 12. 4. 2006 – 4 U 179/05, BeckRS 2006, 5566; OLG Düsseldorf, Urt. v. 24. 8. 2005 – 15 U 190/04, NJOZ 2006, 145, 146 f.; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 8. 6. 2006 – 16 U 106/05, ZIP 2006, 2385, 2386; OLG Köln, Urt. v. 24. 3. 2010 @ 17 U 60/09, NJOZ 2011, 532, 535 f.; BGH, Urt. v. 06. 11. 2007 – VI ZR 34/07, NJW-RR 2008, 516, 518 f.; OLG Düsseldorf Urt. v. 23. 1. 2008 – 15 U 18/07, BeckRS 2008, 19577; OLG Düsseldorf Urt. v. 3. 9. 2010 – 17 U 169/09, BeckRS 2011, 92; OLG Düsseldorf Urt. v. 29. 1. 2009 – 6 U 256/07, BeckRS 2010, 19419; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 8. 6. 2006 – 16 U 106/05, ZIP 2006, 2385, 2386; offengelassen in BGH, Urt. v. 15. 11. 2011 – XI ZR 54/09, BKR 2012, 78, 80; dagegen LG Mönchengladbach Urt. v. 5. 2. 2009 – 10 O 422/07, BeckRS 2010, 29144. 16 EuGH, Urt. v. 16. 5. 2013, Rs. C-228/11, NJW 2013, 2099, 2100 – Melzer, Rn. 19 ff.; EuGH, Urt. v. 3. 4. 2014, Rs. C-387/12, EuZW 2014, 431, 433 – Hi Hotel, Rn. 31; EuGH, Urt. v. 5. 6. 2014, Rs. C-360/12, EuZW 2014, 664, 666 – Coty Germany, Rn. 50. 17 Sachverhalt nach EuGH, Urt. v. 16. 5. 2013, Rs. C-228/11, NJW 2013, 2099, 2100 – Melzer; LG Düsseldorf, Urt. v. 29. 4. 2011 – 15 O 601/98, RIW 2011, 810, 810; GA Jääskinen, Schlussanträge v. 29. 11. 2012, Rs. C-228/11 – Melzer, Rn. 14 ff. 18 Vgl. das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, berichtet bei GA Jääskinen, Schlussanträge v. 29. 11. 2012, Rs. C-228/11 – Melzer, Fn. 9; von Hein, IPRax 2013, 505, 507 (dort Fn. 24).

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

menhang mit der telefonischen Vermittlung der Termingeschäfte habe der Düsseldorfer Anlagevermittler W.W.H. weder in gebotener Form über die Risiken der Termingeschäfte aufgeklärt noch die im Innenverhältnis gewährten Rückvergütungen und die daraus resultierenden Interessenkonflikte offengelegt. Zudem seien die Brokergebühren überhöht gewesen. Zu den Schädigungshandlungen von W.W.H. habe MF Global Beihilfe geleistet und hafte gemäß §§ 826, 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB auf Ersatz des verursachten Schadens. Die internationale wie auch die örtliche Zuständigkeit des angerufenen LG Düsseldorf leitete der Kläger daraus her, dass der nicht mitverklagte Anlagevermittler W.W.H. die deliktischen Schädigungshandlungen an seinem Sitz in Düsseldorf begangen habe. Dem beklagten Londoner Brokerhaus seien die in Düsseldorf verübten Aufklärungspflichtverletzungen von W.W.H. im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zuständigkeitsbegründend zuzurechnen. Letzterem trat MF Global entgegen und beantragte gestützt auf das zugrunde liegende Private Customer Dealing Agreement, in welchem die Zuständigkeit englischer Gerichte vereinbart worden war, die Abweisung der Klage als unzulässig. b) Der Vorlagebeschluss des LG Düsseldorf Das LG Düsseldorf sah die streitgegenständlichen Deliktsansprüche als nicht von der Gerichtsstandvereinbarung erfasst an und verortete die Zuständigkeitsfrage somit in Art. 7 Nr. 2 EuGVVO.19 In diesem Zusammenhang tendierte das LG Düsseldorf offen dazu, seine internationale Zuständigkeit in einem ersten Prüfungsschritt zu bejahen, da der Kläger das verlorene Anlagekapital von seinem Berliner Bankkonto überwiesen habe und der Deliktserfolg i. S. d. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO somit innerhalb Deutschlands eingetreten sei. In einem zweiten Prüfungsschritt bezweifelte das Landgericht jedoch seine örtliche Zuständigkeit, die sich allein mit den von Düsseldorf aus verübten Aufklärungspflichtverletzungen des nicht mitverklagten Anlagevermittlers W.W.H. begründen lasse. Nach deutschem Recht müsse sich MF Global den in Düsseldorf verübten Schädigungsakt gemäß § 830 BGB sowohl haftungs- als auch zuständigkeitsrechtlich zurechnen lassen. Auf Ebene des europäischen Deliktsgerichtsstands fehle es hingegen an einer vergleichbaren Zurechnungsregel. Während die deutsche Rechtsprechung eine Handlungsortzurechnung jedenfalls dann bejaht habe, wenn der zentrale Handlungsbeitrag im Inland verübt worden sei,20 werde eine Handlungsortzurechnung von anderen Stimmen mit Verweis auf den Grundsatz der engen Auslegung sowie dem Fehlen verordnungsautonomer Zurechnungskriterien abgelehnt. Die Frage nach der korrekten Lokalisierung des

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Zu Auslegung und Wirksamkeit der Gerichtsstandvereinbarung vgl. Weller, WM 2013, 1681, 1682 f. 20 Insoweit verweist das LG Düsseldorf auf die vorausgegangene Entscheidung OLG Düsseldorf, Urt. v. 3. 9. 2010 – 17 U 169/09, BeckRS 2011, 92.

A. Überblick über die deutsche und europäische Rechtsprechung

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maßgeblichen Handlungsorts legte das LG Düsseldorf daher gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV dem EuGH zur Klärung vor.21 c) Die Schlussanträge des Generalanwalts Während sich die deutsche, die tschechische, die portugiesische sowie die schweizerische Regierung in ihren Stellungnahmen für eine Zurechnung des Handelns des Düsseldorfer Anlagevermittlers an das Londoner Brokerhaus aussprachen, vertrat die Kommission den gegenteiligen Standpunkt.22 In seinen Schlussanträgen trat auch Generalanwalt Jääskinen einer Handlungsortzurechnung mit Verweis auf die Ziele der Rechtssicherheit sowie des Gleichgewichts zwischen den Parteiinteressen entgegen.23 Zunächst sei es mit der Struktur des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO unvereinbar, dass das LG Düsseldorf die internationale Zuständigkeit mit einem innerdeutschen Erfolgsort, seine örtliche Zuständigkeit aber auf einer zweiten Stufe mit einem Handlungsort innerhalb seines Bezirks zu begründen versuche. Da Art. 7 Nr. 2 EuGVVO unmittelbar ein konkretes Gericht für zuständig erkläre, sei die gestufte Prüfung von internationaler und örtlicher Zuständigkeit verfehlt. Entgegen der Annahme des Vorlagegerichts sei der Erfolgsort zudem nicht am Ort des Berliner Privatkontos von Herrn Melzer, sondern am Ort des Londoner Depots zu lokalisieren. Für die spezielle Konstellation des Ausgangsverfahrens, in welcher der vor Ort agierende Schädiger nicht Partei des Rechtsstreits sei, schlage das LG Düsseldorf vor, aus dem Deliktsgerichtsstand neben Handlungs- und Erfolgsort einen dritten Gerichtsstand an dem Ort abzuleiten, an dem ein anderer Schädiger gehandelt habe. Dieses Ansinnen sei angesichts der Umstände des Falles abzulehnen. Gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVVO habe es Herrn Melzer freigestanden, MF Global gemeinsam mit W.W.H. an deren Wohnsitz in Düsseldorf zu verklagen. Dennoch habe Herr Melzer von einer Ankerklage gegen W.W.H. abgesehen und sich somit der Option begeben, die Zuständigkeit des LG Düsseldorf gegenüber MF Global mit der Deliktsbeteiligung eines Dritten zu begründen. Die zuständigkeitsrechtlichen Konsequenzen dieser bewussten Entscheidung müsse der Kläger tragen. Das Düsseldorfer Vorlagegericht weise zu der unstreitig in London verübten Beihilfehandlung der Beklagten keinen Bezug auf und gewährleiste keine Befassung des am besten geeigneten Gerichts. Auch die Stärkung des prozessualen Anlegerschutzes rechtfertige eine Handlungsortzurechnung nicht, da der Tatortgerichtsstand keine Privilegierung des Opfers bezwecke, sondern zur Vermeidung von forum shopping sowie zur Gewährleistung vorhersehbarer Zuständigkeiten einzugrenzen sei. Das Ziel der geordneten Rechtspflege fordere eine Zurechnung des in Düsseldorf verübten Tatbeitrags jedenfalls deshalb nicht, weil sich die Klage allein gegen das Londoner 21

LG Düsseldorf, Urt. v. 29. 4. 2011 – 15 O 601/98, RIW 2011, 810, 810 f. Vgl. den Bericht bei GA Jääskinen, Schlussanträge v. 29. 11. 2012, Rs. C-228/11 – Melzer, Rn. 44. 23 GA Jääskinen, Schlussanträge v. 29. 11. 2012, Rs. C-228/11 – Melzer, Rn. 26 ff. 22

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

Brokerhaus richte. Eine abweichende Beurteilung könne allenfalls geboten sein, „wenn es darum ginge, die Zusammenfassung mehrerer gegen verschiedene Beklagte gerichtete Verfahren vor ein und demselben Gericht zu fördern.“24 d) Die Entscheidung des EuGH Diesem zurechnungsfeindlichen Standpunkt schloss sich der EuGH mit der Erwägung an, Systematik und Ziele der Verordnung stünden einer gerichtsstandbegründenden Zurechnung der Handlungen Dritter entgegen.25 Werde allein der Schädiger verklagt, der nicht im Bezirk des angerufenen Gerichts agiert habe, fehle es an einem auf das eigene Handeln des Beklagten gestützten Anknüpfungspunkt. Das Gericht müsse unter diesen Umständen darlegen, aus welchem Grund der Handlungsort dennoch in seinem Bezirk zu verorten, das fremde Handeln also dem Beklagten zuzurechnen sei. Dies erfordere einen unzulässigen Vorgriff auf die Begründetheitsprüfung. Insbesondere fehle es an einem einheitlichen Zurechnungskonzept in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sowie in der Rechtsordnung der Union. Wie die auf § 830 BGB bezogenen Ausführungen des LG Düsseldorf zeigten, würde sich das angerufene Gericht daher an Zurechnungsregeln der lex fori orientieren. Dies liefe dem Vereinheitlichungszweck des europäischen Zuständigkeitsregimes zuwider und beeinträchtige zudem die Rechtssicherheit, da der Beklagte nicht mehr ohne Weiteres erkennen könne, welche seiner Aktivitäten als Handlungsort im zuständigkeitsrechtlichen Sinne anzusehen seien. Hinzuweisen sei zudem auf die verbleibenden Möglichkeiten, den Schädiger gemäß Art. 7 Nr. 1 EuGVVO am vertraglichen Erfüllungsort, gemäß Art. 4 Abs. 1 EuGVVO an seinem Wohnsitz oder unter der Voraussetzung eines hinreichenden Zusammenhangs gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVVO am Wohnsitz eines Streitgenossen zu verklagen. e) Überblick über zentrale Kritikpunkte Während die Melzer-Entscheidung von Teilen des Schrifttums nicht zuletzt mit Verweis auf die geschaffene Rechtssicherheit begrüßt wird,26 ist die restriktive Auslegung des Handlungsortgerichtsstands in anderen Teilen des Schrifttums auf Kritik gestoßen. Angezweifelt werden sowohl der rechtsvergleichende Befund des EuGH, in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sowie der Union fehle es an einem gemeinsamen Zurechnungskonzept, als auch das zweite tragende Begründungselement, in Ermangelung einer eigenen deliktischen Handlung des Beklagten fehle es für die Annahme eines Tatortgerichtsstands an einem geeigneten Anknüpfungspunkt. Den alternativen Klagemöglichkeiten der Art. 4 ff. EuGVVO, auf welche der EuGH den Deliktsgeschädigten verwiesen hat, werden zudem ein24 25 26

So wörtlich GA Jääskinen, Schlussanträge v. 29. 11. 2012, Rs. C-228/11 – Melzer, Rn. 59. EuGH, Urt. v. 16. 5. 2013, Rs. C-228/11, NJW 2013, 2099, 2100 – Melzer, Rn. 19 ff. Müller, NJW 2013, 2099, 2102.

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schneidende Schutzlücken attestiert, die ein erhebliches praktisches Bedürfnis für eine extensive Handhabung des Handlungsortgerichtsstands indizieren.27 Die zentralen Kritikpunkte sollen im Folgenden nachgezeichnet und ergänzt werden. aa) Fehlen eines europäischen Zurechnungskonzepts Während es zutreffen mag, dass das Unionsrecht auf derzeitigem Entwicklungsstand keine eigene Teilnahmedogmatik bereithält, lässt sich das Fehlen eines gemeinsamen Zurechnungskonzepts in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen durchaus in Zweifel ziehen.28 (1) Vorbilder aus den mitgliedstaatlichen Deliktsrechten Der Rechtsgedanke des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB, wonach bei arbeitsteiliger Deliktsbegehung jeder Mittäter, Anstifter oder Gehilfe im Außenverhältnis für das Gesamtdelikt verantwortlich ist, entsprach bei Veröffentlichung der deliktsrechtsvergleichenden Studie von Christian von Bar aus dem Jahr 1996 zwischen den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen weitgehendem Konsens.29 Auch die neuere Deliktsrechtsvergleichung zeigt in der Frage der deliktsrechtlichen Mehrpersonenhaftung weitgehende Einigkeit.30 Nicht nur hat eine entsprechende Bestimmung Eingang in Art. 9:101 Abs. 1 lit. a PETL31 gefunden.32 Rückschlüsse auf den acquis der europäischen Rechtsordnungen erlauben insbesondere die Modellregelungen des DCFR, in welchen hochrangig und multilateral besetzte Expertengruppen nach langjähriger rechtsvergleichender Forschungstätigkeit den elementaren Grundkonsens des europäischen Privatrechts zusammengefasst haben.33 Auch 27

von Hein, IPRax 2013, 505, 511 ff. von Hein, IPRax 2013, 505, 507 ff.; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 445; Thiede/Sommer, ÖBA 2015, 175, 184; Thole, in: FS Schilken, 2015, 524, 532 f.; Weller, WM 2013, 1681, 1684. 29 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, 1996, Erster Band, § 2, Rn. 54 ff. 30 Vgl. die rechtsvergleichenden Erwägungen bei Weller, WM 2013, 1681, 1684 (dort Fn. 39). 31 Art. 9:101: Gesamtschuldnerische Haftung: Beziehung zwischen Geschädigtem und mehreren Schädigern (1) Die Haftung ist gesamtschuldnerisch, wenn der gesamte oder ein bestimmter Teil des Schadens, den der Geschädigte erlitten hat, einem oder mehreren Personen zuzurechnen ist. Die Haftung ist gesamtschuldnerisch, wenn: a) eine Person sich wissentlich an der rechtswidrigen Tat anderer, die dem Geschädigten Schaden zufügt, beteiligt oder dazu anstiftet oder ermutigt; oder b) das selbständige Verhalten einer Person oder ihre Aktivität dem Geschädigten Schaden zufügt und derselbe Schaden auch einer anderen Person zuzurechnen ist; oder c) (…). 32 Vgl. auch die kommentierte Version European Group on Tort Law, Principles of European Tort Law, 1. Ed., 2005, S. 142 ff. 33 Vgl. Schulte-Nölke, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der gemeinsame Referenzrahmen, 2009, S. 9, 10 ff. 28

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

der DCFR sieht in Art. VI.-4:10234 die solidarische Haftung arbeitsteilig agierender Schädiger vor35 und enthält damit eine Bestimmung, die – so wird in Teilen des Schrifttums argumentiert – bei der Entwicklung verordnungsautonomer Zurechnungskriterien Modell stehen könnte.36 Angesichts seines Charakters als privates, nichtstaatliches Regelwerk kann der DCFR zwar nicht unmittelbar in die systematische Auslegung sekundären Unionsrechts einbezogen werden.37 Als „rechtssatzförmige Essenz der Rechtsvergleichung“38 erlaubt der DCFR aber Rückschüsse auf in den Mitgliedstaaten anerkannte Grundsätze, welche über die Figur der rechtsvergleichenden Auslegung Eingang in Interpretation und Fortbildung des Unionsrechts finden können. Auf die somit angesprochene Frage, ob die Zurechnungsregeln des DCFR und der PETL über eine rechtsvergleichende Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO für die Entwicklung eines autonomen Zurechnungskonzepts fruchtbar gemacht werden können, wird an anderer Stelle zurückzukommen sein.39 (2) Unschädlichkeit fehlender Vorbildregeln Auch sofern sich aus den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen kein gemeinsames Zurechnungskonzept ableiten lässt, rechtfertigt es dieser Befund für sich genommen nicht, dem Deliktsgeschädigten von der Teleologie des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO getragene Gerichtsstände an den Handlungsorten anderer Schädiger zu verwehren.40 Ungeachtet berücksichtigungsfähiger Vorbildregeln aus den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen steht es dem EuGH frei, spezifisch prozessuale Zurechnungsregeln aus Zielen und Systematik der Verordnung zu entwickeln.41 So hat der EuGH etwa in der Rechtssache Shevill die Kognitionsbefugnis am Erfolgsort durch Entwicklung des Mosaikprinzips beschränkt und die dort aufgestellten Grundsätze nachfolgend in seiner eDate Advertising-Entscheidung modifiziert, obwohl hierüber in den Mitgliedstaaten kaum ein Konsens auszumachen sein dürfte. In den Parallelkonstella-

34

Art. VI.-4:102: Collaboration: A person who participates with, instigates or materially assists another in causing legally relevant damage is to be regarded as causing that damage. 35 Vgl. auch die kommentierte Vollversion von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3593 ff. 36 von Hein, IPRax 2013, 505, 508; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 445; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 287; Thiede/ Sommer, ÖBA 2015, 175, 184; Thole, in: FS Schilken, 2015, 524, 532. 37 Riesenhuber, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der gemeinsame Referenzrahmen, 2009, S. 173, 200 ff.; Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 10 Rn. 27 f. 38 Riesenhuber, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der gemeinsame Referenzrahmen, 2009, S. 173, 184 ff. 39 Vgl. hierzu Kapitel 3 C. I. 3. a) sowie Kapitel 3 C. I. 4. c). 40 von Hein, IPRax 2013, 505, 507 f.; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 446. 41 von Hein, IPRax 2013, 505, 508; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 532 f.; skeptisch Müller, NJW 2013, 2099, 2102.

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tionen einer Klage gegen den Rechtsnachfolger des Schädigers,42 der Haftung des Geschäftsherrn für seinen Verrichtungsgehilfen sowie der Haftung einer Gesellschaft für ihre Organe ist eine prozessuale Handlungsortzurechnung auch ohne ausgefeilte europäische Zurechnungsdogmatik allgemein anerkannt.43 Wie diese Parallelfälle verdeutlichen, führt der Rückschluss vom Fehlen eines ausgefeilten europäischen Zurechnungskonzepts auf die generelle Unzulässigkeit jedweder Zurechnung zu kaum tragbaren Ergebnissen.44 Hält man auch nach der Melzer-Entscheidung des EuGH an den anderweitig anerkannten Zurechnungskonstellationen fest, so drohen zwischen den Gehilfenfällen der Melzer-Entscheidung und der Haftung für das Handeln eines Verrichtungsgehilfen diffizile Abgrenzungsfragen.45 Beide Fallgruppen können sich überschneiden, sofern sich der Prinzipal vorsätzlich an dem Delikt seines Verrichtungsgehilfen beteiligt.46 Wie die Beispiele des Organ- oder Verrichtungsgehilfenhandelns zeigen, kommt es weniger auf das Vorhandensein eines gemeinsamen Zurechnungskonzepts in den Mitgliedstaaten als vielmehr auf die Frage an, ob sich mit vertretbarem Aufwand eine autonome Teilnahmedogmatik aus Systematik und Zielen der Verordnung entwickeln lässt.47 Für diffizile Zuständigkeitsfragen wie die Erfolgsortlokalisierung bei Streudelikten oder die autonome Erfüllungsortlokalisierung im Falle mehrerer Teilleistungsorte hat der EuGH autonome Lösungen gefunden.48 Wenngleich sich die Zurechnungsfrage nicht nur durch das Vorhandensein mehrerer potentieller Anknüpfungspunkte, sondern zudem durch die Involvierung mehrerer Personen auszeichnet und insoweit tendenziell komplexer ist, ist eine autonome Lösung nicht von vornherein ausgeschlossen. Sofern sich die Entwicklung autonomer Zurechnungs42

von Hein, IPRax 2013, 505, 508. Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462; von Hein, IPRax 2006, 460, 461; von Hein, IPRax 2006, 460, 461; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 286; Thole, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO Rn. 78; Thole, AG 2013, 913, 914 f.; Thole, in: FS Schilken, 2015, 524, 536 f.; Thole, in: Lehmanns/Zetzsche, Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen, 2018, § 2, Rn. 48 ff. 44 von Hein, IPRax 2013, 505, 507 f. 45 Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 536 f. 46 Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 536. 47 von Hein, IPRax 2013, 505, 508; Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462; skeptisch Müller, NJW 2013, 2099, 2102. 48 Vgl. zum Erfolgsort eines Pressedelikts EuGH, Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881, 1881 f. – Shevill, Rn. 17 ff.; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, NJW 2012, 137, 139 – eDate Advertising und Martinez, Rn. 48; EuGH, Urt. v. 17. 10. 2017, Rs. C194/16, NJW 2017, 3433, 3434 ff. – Svensk Handel, Rn. 22 ff.; zur Erfüllungsortlokalisierung Vgl. EuGH, Urt. v. 15. 1. 1987, Rs. 266/85, NJW 1987, 1131, 1132 – Shenavai, Rn. 19; EuGH, Urt. v. 3. 5. 2007, Rs. C-386/05, NJW 2007, 1799, 1801 – Color Drack, Rn. 40; EuGH, Urt. v. 9. 7. 2009, Rs. C-204/08, NJW 2009, 2801, 2802 f. – Rehder, Rn. 38 ff.; EuGH, Urt. v. 11. 3. 2010, Rs. C-19/09, NJW 2010, 1189, 1191 Wood Floor Solutions, Rn. 43; EuGH, Urt. v. 7. 3. 2018, Rs. C-274/16, C-447/16 und C-448/16, EuZW 2018, 465, 468 f. – flightright, Rn. 67 ff.; anders dagegen noch EuGH, Urt. v. 19. 2. 2002, Rs. C-256/00, NJW 2002, 1407, 1409 – Besix, Rn. 50. 43

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regeln als gänzlich unmöglich erweist, bliebe jedenfalls die Option eines Rückgriffs auf die lex causae.49 Denn wie die Tessili-Rechtsprechung andeutet, kann eine Durchbrechung der autonomen Auslegung durchaus angezeigt sein, wenn dem Kläger sachgerechte Gerichtsstände anderenfalls wegen des defizitären Stands der europäischen Rechtsentwicklung versagt werden müssten.50 Auch auf die Frage nach einer Kompensation fehlender autonomer Zurechnungsregeln durch Rückgriff auf die lex causae wird im weiteren Verlauf der Untersuchung zurückzukommen sein.51 bb) Fehlen eines Anknüpfungspunkts innerhalb des Gerichtsbezirks Einwenden begegnet daneben der Rückschluss des EuGH, es fehle für die Annahme eines Handlungsortgerichtsstands an einem tauglichen Anknüpfungspunkt, wenn der Beklagte nicht selbst im Bezirk des angerufenen Gerichts gehandelt habe.52 Im Falle eines arbeitsteiligen Delikts kann nicht nur der eigene Tatbeitrag des Beklagten, sondern ebenso das Handeln eines nicht mitverklagten Mit- oder Haupttäters im Zentrum des Rechtsstreits stehen und somit den räumlichen Konnex zwischen Gericht und entscheidungserheblichem Sachverhalt begründen, der eine Abweichung von der Grundregel actor sequitur forum rei rechtfertigt.53 Die Sach- und Beweisnähe der Gerichte an den einzelnen (Teil-)Handlungsorten hängt nicht in erster Linie davon ab, ob gerade der vor Ort handelnde Delinquent verklagt wird, sondern steht und fällt damit, ob im konkreten Fall der eigene oder ein fremder Tatbeitrag im Mittelpunkt des Rechtsstreits steht. Abstrakt betrachtet lässt sich das Fehlen eines eigenhändigen Tatbeitrags daher nicht schlechterdings mit fehlender Sach- und Beweisnähe gleichsetzen. Dies verdeutlicht kaum ein Beispielfall so deutlich wie der Sachverhalt der Melzer-Entscheidung selbst. Den zentralen Tatbeitrag, die unzureichende Aufklärung über Risiken und Rückvergütungen, hatte der nicht mitverklagte Anlagevermittler W.W.H. in Düsseldorf begangen. Für eine gegen W.W.H. gerichtete Schadensersatzklage wären die Düsseldorfer Gerichte ohne Zweifel ausreichend beweisnah gewesen. Dass für eine auf denselben Lebenssachverhalt gestützte Klage gegen das Londoner Brokerhaus MF Global etwas anderes gelten soll, erschließt sich nicht. Denn neben das in Düsseldorf verübte Delikt tritt lediglich die Frage, ob MF Global aufgrund ihres in London verübten Gehilfenbeitrags nach materiellem Recht mithaftet.54 49

Maultzsch, IPRax 2017, 442, 445. EuGH, Urt. v. 13. 2. 1976, Rs. 12/76 – Tessili, Rn. 11 ff. 51 Kapitel 3 C. II. 1. a). 52 von Hein, IPRax 2013, 505, 510; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 446; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 530 f. zustimmend hingegen Müller, NJW 2013, 2099, 2102; Müller, EuZW 2013, 130, 133. 53 Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 287. 54 Wagner, EuZW 2013, 544, 546. 50

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cc) Unzulässiger Vorgriff auf die Begründetheitsprüfung Kritisch ist auch das Argument aufgenommen worden, eine Zurechnung fremder Tatbeiträge überfrachte die Zuständigkeitsprüfung mit Rechtsfragen, die erst im Rahmen der Begründetheitsprüfung zu beantworten seien. Die Befürchtung unzulässiger Vorgriffe auf die Begründetheitsebene offenbare eine unzureichende Differenzierung zwischen den beiden Ebenen der prozessualen Handlungsortzurechnung und der materiell-rechtlichen Verhaltenszurechnung.55 Selbst wenn im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung auf sachrechtliche Kategorien zurückgegriffen werden müsse, deute dies nicht etwa einen sachwidrigen Rückschluss von der Begründetheit der Klage auf ihre Zulässigkeit an, sondern beschreibe den alt bekannten Problemkreis der doppelrelevanten Tatsachen.56 dd) Schutzlücken der alternativ verfügbaren besonderen Gerichtsstände Daneben werden dem prozessualen Anlegerschutz der Art. 4 ff. EuGVVO einschneidende Defizite attestiert. Angesichts dieser Defizite vermögen die alternativ zur Verfügung stehenden Gerichtsstände die Schutzlücken, welche mit der restriktiven Auslegung des Handlungsortgerichtsstands einhergehen, nach verbreiteter Ansicht nicht flächendeckend zu kompensieren.57 Auch hierfür steht der Fall Melzer geradezu paradigmatisch. Eine Zurechnung des deliktischen Handlungsorts bildete den einzig verlässlichen Weg zu einer Gerichtspflicht des Londoner Brokerhauses innerhalb Deutschlands. Während dem Kläger eine auf den Erfüllungsortgerichtsstand gestützte Klage durch die Gerichtsstandvereinbarung in dem Private Customer Dealing Agreement der Beklagten ausgeschlossen war,58 schied eine Klage am Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVVO aus, da der inlandsansässige Anlagevermittler W.W.H. angesichts der zwischenzeitlich eingetretenen Zahlungsunfähigkeit nicht ohne Weiteres mitverklagt werden konnte.59 Die Belegenheit des Erfolgsortgerichtsstands war dagegen rechtlich unklar. Während das LG Düsseldorf den Erfolgsort mit dem Berliner Privatkonto verknüpfte, von dem Herr Melzer das Anlagekapital überwiesen hatte,60 lokalisierte Generalanwalt Jääskinen den Erfolgsort der Auffassung der Kommission folgend am Ort des Londoner Depots, auf welchem sich das Kapital zum Zeitpunkt der verlustträchtigen Investitionen befunden hatte.61 55 Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 100; Wagner, EuZW 2013, 544, 547. 56 von Hein, IPRax 2013, 505, 509; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 446. 57 von Hein, IPRax 2013, 505, 511 ff. 58 Vgl. zur Reichweite der Gerichtsstandvereinbarung LG Düsseldorf, Beschl. v. 29. 4. 2011 – 15 O 601/09, RIW 2011, 810, 811; Weller, WM 2013, 1681, 1682 f. 59 Vgl. hierzu von Hein, IPRax 2013, 505, 513; Müller, EuZW 2013, 130, 132. 60 LG Düsseldorf, Urt. v. 29. 4. 2011 – 15 O 601/98, RIW 2011, 810, 810 f. 61 GA Jääskinen, Schlussanträge v. 29. 11. 2012, Rs. C-228/11 – Melzer, Rn. 30 f.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

(1) Begrenzter Schutz durch den Erfüllungsortgerichtsstand Durch die in dem Private Customer Dealing Agreement der Beklagten enthaltene Prorogation der Zuständigkeit englischer Gerichte war die Geltendmachung vertraglicher Schadensersatzansprüche vor deutschen Gerichten im Fall Melzer von vornherein ausgeschlossen. Dass der Kläger seine Schadensersatzklage ausschließlich auf deliktsrechtliche Ansprüche stützte, die von der Gerichtsstandvereinbarung nicht erfasst waren, überrascht vor diesem Hintergrund kaum.62 Aus Sicht geschädigter Anleger kann die Geltendmachung deliktsrechtlicher Ansprüche aber auch ohne eine ungünstige Gerichtsstandvereinbarung wegen weiterreichender Rechtsfolgen, divergierender Verjährungsregeln oder einer günstigeren Beweisprognose einer auf Vertrag gestützten Klage vorzuziehen sein. Ein anschauliches Beispiel bildet der im Schrifttum vorfindliche Fall, dass die aus einer Gewährung unzulässiger Rückvergütungen resultierenden vertraglichen und deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüche verjährt sind, der Anleger aber über § 852 BGB die Auskehr einer verbleibenden Bereicherung verlangen kann.63 In derartigen Fällen bietet der Erfüllungsortgerichtsstand dem Anleger keinen Schutz. Die Kognitionsbefugnis der dortigen Gerichte ist auf vertragliche Ansprüche beschränkt und erfasst weder konkurrierend noch isoliert geltend gemachte Deliktsansprüche.64 Gänzlich versperrt ist dem Anleger der Erfüllungsortgerichtsstand, wenn er nur mit einem Glied der Vertriebskette, nicht aber mit den dahinterstehenden Emittenten, Brokern oder sonstigen Intermediären kontrahiert.65 Prozessuale Schutzlücken bestehen auch, soweit der Anleger vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen will. Der erwünschte Klägergerichtsstand steht regelmäßig nur Privatanlegern offen, die sich auf den derogationsfesten Klägergerichtsstand des Art. 18 Abs. 1 EuGVVO berufenen können.66 Gewerbliche Anleger werden dagegen auf den allgemeinen Erfüllungsortgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 EuGVVO verwiesen. Beratungs- und Vermittlungsleistungen im Zusammenhang mit Finanzprodukten werden zumeist als Dienstleistungen unter Art. 7 Nr. 1 lit. b, 2. Spiegelstrich EuGVVO zu subsummieren sein und zu einem Erfüllungsortgerichtsstand am faktischen Erbringungsort der Dienstleistung – dem Sitz des Finanzdienstleisters – führen.67

62

Vgl. von Hein, IPRax 2013, 505, 511. von Hein, IPRax 2013, 505, 511. 64 Zur umgekehrten Konstellation einer Anspruchskonkurrenz am Deliktsgerichtsstand EuGH, Urt. v. 27. 9. 1988, Rs. 189/87, NJW 1988, 3088, 3089 – Kalfelis, Rn. 19; zur Übertragbarkeit vgl. Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Rn. 100 f.; Paulus, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverehr, 59. El, Stand April 2020, Art. 7 VO (EU) Nr. 1215/2012 Rn. 45. 65 von Hein, IPRax 2013, 505, 511. 66 Vgl. von Hein, IPRax 2013, 505, 513. 67 Vgl. von Hein, IPRax 2013, 505, 512 f. 63

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(2) Schutzlücken des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO Anders als das autonome deutsche Zuständigkeitsrecht enthält das europäische Zuständigkeitsregime in Art. 8 Nr. 1 EuGVVO einen spezifischen Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft.68 Dieser ermöglicht es dem Kläger, mehrere Beklagte gemeinsam am allgemeinen Gerichtsstand eines passiven Streitgenossen in Anspruch zu nehmen, wenn zwischen den Klagen eine enge Beziehung besteht, welche die gemeinsame Verhandlung zur Vermeidung von Parallelverfahren und widersprüchlichen Entscheidungen rechtfertigt (sog. Konnexität). Die zusätzliche Gerichtspflicht des Beklagten am Wohnsitz eines Streitgenossen erklärt sich primär aus dem hohen Stellenwert der Entscheidungsharmonie sowie ergänzend aus Aspekten der Prozessökonomie.69 Unter den Voraussetzungen des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO entscheidet die Verordnung den Konflikt zwischen dem Klägerinteresse an einer Zuständigkeitskonzentration und dem Beklagteninteresse, nicht vor den Gerichtsstand eines Streitgenossen gezogen zu werden, somit zugunsten der Zuständigkeitsinteressen des Klägers.70 Nach allgemeiner Meinung ist die von Art. 8 Nr. 1 EuGVVO geforderte Konnexität in Fällen zu bejahen, in denen arbeitsteilig agierende Deliktsschädiger streitgenössisch wegen derselben unerlaubten Handlung verklagt werden.71 Denn ein hinreichend enger Zusammenhang besteht jedenfalls dann, wenn die Klagen gegenüber sämtlichen Streitgenossen auf derselben Sach- und Rechtslage beruhen.72 Im Falle der arbeitsteiligen Deliktsbegehung ergibt sich die Einheitlichkeit der Sachlage daraus, dass sämtliche Täter und Teilnehmer materiell-rechtlich für dieselbe, wechselseitig zugerechnete Deliktshandlung haften.73 Die Einheitlichkeit der Rechtslage folgt aus Art. 15 lit. a ROM II-VO, wonach das Deliktsstatut über den mithaftenden Personenkreis und damit über den Fragenkreis von Täterschaft und Teilnahme entscheidet.74 Dem Deliktsgeschädigten steht daher gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVVO gegenüber jedem Delinquenten ein Gerichtsstand am Wohnsitz jedes Mitverursachers offen, über welchen ein geschädigter Anleger auslandsansässige Broker vor den allgemeinen Gerichtsstand eines inlandsansässigen Anlagevermittlers ziehen kann. Aus Klägersicht birgt der Mehrparteiengerichtsstand dennoch einschneidende Schutzlücken. 68

Gottwald, in: MüKo, ZPO, 5. Aufl. 2017, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rn. 2. EuGH, Urt. v. 27. 10. 1998, Rs. C-51/97, EuZW 1999, 59, 62 – Réunion européenne, Rn. 48; Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im europäischen Zivilprozessrecht, 2014, S. 23 ff. 70 Vgl. hierzu Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 610. 71 Vgl. Müller, EuZW 2013, 130, 131; Weller, ZVglRWiss 112 (2013), 89, 98 f. 72 EuGH, Urt. v. 13. 7. 2006, Rs. C-539/03, EuZW 2006, 573, 574 – Roche Nederland, Rn. 26; freilich ist die Anwendbarkeit desselben Deliktsstatuts nach EuGH, Urt. v. 1. 12. 2011, Rs. C-145/10, EuZW 2012, 182, 185 – Painer, Rn. 80 f. insoweit nicht konstitutiv. 73 Weller, ZVglRWiss 112 (2013), 89, 98 f. 74 Weller, ZVglRWiss 112 (2013), 89, 98 f. 69

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

(a) Erfordernis einer tauglichen Ankerklage Insbesondere verlangt das forum connexitatis, dass der innerhalb des Forumstaats wohnhafte Schädiger als sog. Ankerbeklagter mitverklagt wird. Für die alleinige Inanspruchnahme eines andernorts wohnhaften Mitverursachers bietet Art. 8 Nr. 1 EuGVVO keinen zusätzlichen Gerichtsstand.75 Ist der potentielle Ankerbeklagte insolvent oder aus anderen Gründen – etwa in Folge einer Liquidation – nicht greifbar, verliert der Kläger den Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft gegenüber sämtlichen Schädigern.76 Entsprechendes gilt, wenn gegenüber dem möglichen Ankerbeklagten eine Gerichtsstandvereinbarung besteht oder der ortsansässige Delinquent in einem vorausgegangenen Rechtsstreit verurteilt wurde, sich die Vollstreckung aber als erfolglos erwiesen hat.77 Ferner scheidet ein Vorgehen über Art. 8 Nr. 1 EuGVVO aus, sofern mit dem ortsansässigen Schädiger bereits eine außergerichtliche Einigung erzielt wurde oder dieser erfüllungsbereit ist.78 In Konstellationen wie der Rechtssache Melzer, in welcher eine Ankerklage in Folge fehlender Zahlungsfähigkeit des möglichen Ankerbeklagten keinen wirtschaftlichen Erfolg versprach, begründet das Erfordernis eines Ankerbeklagten erhebliche Fehlanreize. Der Kläger wird verleitet, einen ortsansässigen Schädiger mit zu verklagen, obwohl dieser nur einen völlig untergeordneten Tatbeitrag geleistet hat, erfüllungsbereit ist oder bereits Einigkeit über einen Vergleich besteht.79 Ist der ortsansässige Deliktsbeteiligte insolvent oder bereits rechtskräftig verurteilt, so kann die Ankerklage wegen eines Vorrangs des Insolvenzverfahrens oder entgegenstehender Rechtskraft gar unzulässig sein.80 Zwar erlaubt es nach der Rechtsprechung des EuGH auch eine unzulässige Ankerklage, in anderen Mitgliedstaaten wohnhafte Streitgenossen gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVVO vor das forum connexitatis zu ziehen.81 Die prozesstaktische Erhebung einer unzulässigen Ankerklage wird indes nicht selten mit nachteiligen Kostenfolgen verbunden sein82 und erscheint auch unter dem Gesichtspunkt der geordneten Rechtspflege kaum als wünschenswerter Anreiz.83 Umgekehrt kann auch aus Sicht des Beklagten die Verteidigung an einem selbst 75 EuGH, Urt. v. 27. 10. 1998, Rs. C-51/97, EuZW 1999, 59, 62 – Réunion européenne, Rn. 46; Junker, IZPR, 5. Aufl. 2020, § 12, Rn. 7. 76 von Hein, IPRax 2013, 505, 513. 77 von Hein, IPRax 2013, 505, 510. 78 So lag es wohl im Fall EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584 ff. – CDC. 79 Maultzsch, IPRax 2017, 442, 446. 80 von Hein, IPRax 2013, 505, 510. 81 EuGH, Urt. v. 13. 7. 2006, Rs. C-103/05, EuZW 2006, 667, 669 – Reisch Montage, Rn. 33; Zöller, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, Art. 8 EuGVVO Rn. 13. 82 Vgl. etwa den deutschen § 100 Abs. 1 ZPO, wonach mehrere Beklagte grds. als Teilschuldner auf Kostenerstattung haften. Gesamtschuldnerische Kostenhaftung tritt nach § 100 Abs. 4 ZPO nur bei gesamtschuldnerischer Verurteilung in der Hauptsache ein; vgl. von Hein, IPRax 2013, 505, 510; Müller, EuZW 2013, 130, 132. 83 von Hein, IPRax 2013, 505, 513.

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gewählten, beweisnahen Handlungsort der Verteidigung am außerhalb des eigenen Tätigkeitskreises belegenen Wohnsitz eines Ankerbeklagten, welchen der Kläger aus rein prozesstaktischen Erwägungen in den Rechtsstreit einbezieht, durchaus vorzuziehen sein.84 (b) Keine besondere Sachnähe Art. 8 Nr. 1 EuGVVO knüpft den Mehrparteiengerichtsstand zudem personenbezogen an den Wohnsitz eines passiven Streitgenossen und eröffnet den oftmals erstrebten Klägergerichtsstand nur, wenn zumindest ein Deliktsbeteiligter in demselben Mitgliedstaat domiziliert wie der Kläger.85 Weder führt das forum connexitatis zu einer Zuständigkeitskonzentration an einem besonderen Gerichtsstand wie etwa einem deliktischen Handlungsort, noch gewährleistet die streitgegenstandsunabhängige Wohnsitzanknüpfung eine besondere Sach- und Beweisnähe.86 Handeln die Delinquenten außerhalb ihrer jeweiligen Wohnsitzstaaten, so besteht zwischen dem Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO und dem streitgegenständlichen Lebenssachverhalt kein besonderer räumlicher Konnex. Zeichnet sich vorprozessual ab, dass im Verlauf des Rechtsstreits umfangreiche Beweisaufnahmen durchzuführen sein werden, so erscheint eine Klage am beweisfernen Wohnsitz eines Schädigers kaum attraktiv. Denn eine solche erhöht nicht nur den Zeit- und Kostenaufwand, sondern beeinträchtigt – sofern ein Vorgehen nach Art. 17 EuBewVO ausscheidet – zudem auch die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, was die Wahrscheinlichkeit eines non liquet erhöht und die Obsiegenschancen des beweisbelasteten Klägers schwächt. (3) Kurzer Überblick über zentrale Defizite des Erfolgsortgerichtsstands Eine weitere Alternative zu einer Klage am deliktischen Handlungsort bietet der Erfolgsortgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Dieser relativiert das praktische Bedürfnis nach einer extensiven Handhabung des Handlungsortgerichtsstands bis zu einem gewissen Grad,87 da er lediglich einen faktisch kausalen Verursachungsbeitrag erfordert88 und dem Verletzen somit die Option eröffnet, die Deliktsbeteiligten einzeln oder gemeinsam vor einem sachlich legitimierten Gericht zu verklagen.89 Im Fall primärer Vermögensschäden begegnet die Erfolgsortlokalisierung indes erheblichen Schwierigkeiten, die eine Klage am Handlungsort nicht selten als at84

Maultzsch, IPRax 2017, 442, 446. Weller, WM 2013, 1681, 1687. 86 von Hein, RIW 2011, 810, 813; Weller, ZVglRWiss 112 (2013), 89, 93. 87 Vgl. von Hein, EuZW 2014, 664, 667; Leible, in: Rauscher, EuZPR-EuIPR, Band 1, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 137; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO, Rn. 21. 88 Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015, Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1584 – Kolassa, Rn. 52. 89 von Hein, EuZW 2014, 667, 668; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 21; kritisch insoweit Müller EuZW 2014, 432, 434 f. 85

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

traktivere Option erscheinen lassen.90 Die in den Rechtssachen Kronhofer, Kolassa, Universal Music und Löber zur Lokalisierung der Erfolgsorte primärer Vermögensdelikte herausgearbeiteten Grundsätze sind im Schrifttum vielfach und zumeist kritisch besprochen worden.91 Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich aus diesem Grund auf die exemplarische Darstellung dreier aus Klägersicht zentraler Schutzlücken. (a) Versagung eines generellen Klägergerichtsstands Da der EuGH einer Erfolgsortlokalisierung am Mittelpunkt des geschädigten Vermögens in der Rechtssache Kronhofer entgegengetreten ist, gewährleistet der Erfolgsort den zumeist erstrebten Klägergerichtsstand oftmals nicht.92 Stattdessen hat der EuGH den Erfolgsort in den Rechtssachen Kolassa, Universal Music und Löber mit dem Belegenheitsort des in seinem Guthaben geminderten Kontos verknüpft,93 welches nicht notwendigerweise mit dem Wohnsitz des geschädigten Anlegers zusammenfällt.94 Eine besonders einschneidende Schutzlücke ergibt sich aus der Anknüpfung an den Kontoführungsort, wenn die Kapitalanlage über Konten an drittstaatlichen offshore-Finanzplätzen abgewickelt wird, sodass der Erfolgsortgerichtsstand nach dem Eingangssatz des Art. 7 EuGVVO von vorne herein entfällt.95 (b) Rechtsunsicherheit durch Anknüpfung an den Kontoführungsort Der Kontoführungsort ist nicht nur zufallsabhängig und manipulationsanfällig,96 sondern angesichts der rechtlichen Natur des Kontos als schuldvertraglicher Auszahlungsanspruch gegen die kontoführende Bank zudem schwierig zu lokalisieren. Nicht abschließend geklärt ist, ob insoweit auf die Hauptniederlassung des Kredit90

Vgl. Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 429 f. Vgl. statt aller Bachmann, IPRax 2007, 77, 81 f.; Freitag, WM 2015, 1165, 1167 ff.; Engel, Internationales Kapitalmarktdeliktsrecht, 2019, S. 188 ff.; von Hein, IPRax 2005, 17 ff.; von Hein, JZ 2015, 946, 948 ff.; Lehmann, Journal of Private International Law 2016, 318, 329 ff.; Mankowski, RIW 2005, 561, 561 ff.; Oberhammer, Jbl 140 (2018), 750, 750 ff.; Roth, in: FS Kronke, 2020, 471, 471 ff.; Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 715 ff.; Thiede/Lorscheider, EuZW 2019, 274, 277 ff.; Thole, AG 2013, 73, 74 f.; Thole, AG 2013, 913, 915 f.; Thole, in: Lehmanns/Zetzsche, Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen, 2018, § 2 Rn. 30 ff.; Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 61 ff. 92 EuGH, Urt. v. 10. 6. 2004, Rs. C-168/02, NJW 2004, 2441, 2442 – Kronhofer, Rn. 11 ff.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO EuGVVO Rn. 19c. 93 EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015, Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1584 – Kolassa, Rn. 50 ff.; EuGH, Urt. v. 16. 6. 2016, Rs. C-12/15, NJW 2016, 2167, 2168 f. – Universal Music, Rn. 21 ff.; EuGH, Urt. v. 12. 9. 2018, Rs. C-304/17, EuZW 2018, 998, 999 f. – Löber, Rn. 23 ff. 94 Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 525. 95 Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 83b; von Hein, in: BerDGV, Paradigmen im internationalen Recht, 2012, S. 369, 396; vgl. hierzu auch Thole, ZBB 2011, 399, 402. 96 Mankowski, RIW 2005, 561, 562; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 19c. 91

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instituts97 oder auf die kontoführende Filiale98 abzustellen ist. Selbst eine Erfüllungsortbestimmung anhand der lex causae erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen.99 Der EuGH stellt zudem nicht allein auf den Kontoführungsort ab, sondern verlangt überdies, dass im konkreten Fall weitere Umstände hinzutreten, die einen Gerichtsstand am Führungsort des Transaktionskontos rechtfertigen.100 Dieses Erfordernis hat er in den prospekthaftungsrechtlichen Entscheidungen Kolassa und Löber zumindest andeutungsweise konkretisiert.101 So hat der EuGH den Erfolgsortgerichtsstand in der Rechtssache Löber mit der Begründung in Österreich am Kontoführungsort lokalisiert, der geschädigte Anleger habe ausschließlich mit österreichischen Banken korrespondiert, das zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft sei in Österreich geschlossen worden und der fehlerhafte Anlageprospekt sei an die österreichischen Aufsichtsbehörden notifiziert worden.102 Außerhalb des Prospekthaftungsrechts sind die ergänzenden Umstände, deren Hinzutreten einen Erfolgsortgerichtsstand am Kontoführungsort rechtfertigen soll, jedoch weitgehend unklar. Auf ihrem derzeitigen Entwicklungsstand erscheint die Dogmatik des Erfolgsortgerichtsstands derart lückenhaft, verworren und schwer durchschaubar, dass eine Klage am Erfolgsort in der Literatur mit einem Roulettespiel103 verglichen und für den Bereich der primären Vermögensschäden wegen des gravierenden Verlusts an Rechtssicherheit für eine vollständige Aufgabe des Erfolgsortgerichtsstands plädiert worden ist.104 (c) Schwach ausgeprägte Beweisnähe des Kontoführungsorts Der mit dem Kontoführungsort verknüpfte Erfolgsortgerichtsstand weist zudem kaum eine besondere Beweisnähe auf. Zwischen dem Sitz der kontoführenden Bank und dem sachrechtlichen Haftungstatbestand fehlt jeder innere Zusammenhang.105 97

Vgl. Freitag, WM 2015, 1165, 1168; Steinrötter, RIW 2015, 407, 411. Engel, Internationales Kapitalmarktdeliktsrecht, 2019, S. 194; Lehmann, Journal of Private International Law 2016, 318, 330; Müller, EuZW 2015, 218, 224. 99 Vgl. hierzu Engel, Internationales Kapitalmarktdeliktsrecht, 2019, S. 194; Freitag, WM 2015, 1165, 1168. 100 EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015, Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1584 – Kolassa, Rn. 56; EuGH, Urt. v. 12. 9. 2018, Rs. C-304/17, EuZW 2018, 998, 1000 – Löber, Rn. 30 f., („anderen spezifischen Gegebenheiten dieser Situation ebenfalls zur Zuweisung der Zuständigkeit an diese Gerichte beitragen.“); vgl. hierzu Paulus, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, 61. EL., Stand Januar 2021, Art. 7 VO (EU) Nr. 1215/2012 Rn. 203. 101 EuGH, Urt. v. 28. 1. 2015, Rs. C-375/13, NJW 2015, 1581, 1584 – Kolassa, Rn. 56; EuGH, Urt. v. 12. 9. 2018, Rs. C-304/17, EuZW 2018, 998, 1000 – Löber, Rn. 31 ff. 102 EuGH, Urt. v. 12. 9. 2018, Rs. C-304/17, EuZW 2018, 998, 1000 – Löber, Rn. 31 ff. 103 Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 716 f. 104 GA Jääskinen, Schlussantr. v. 10. 3. 2016, Rs. C-12/15 – Universal Music, Rn. 38; Stadler FS Geimer, 2017, 715, 726; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 7 Rn. 19c; dagegen aber Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 84 ff. 105 Engel, Internationales Kapitalmarktdeliktsrecht, 2019, S. 195; Stadler, in: Musielak/ Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 19c. 98

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

Herausgehobene Beweisnähe kommt den Gerichten am Kontoführungsort vornehmlich mit Blick auf Kontobewegungen zu.106 Prozessual relevant sind diese jedoch nur, wenn der Erwerb der Finanzinstrumente, die Höhe des Erwerbspreises oder seine Bezahlung zwischen den Prozessparteien umstritten sind.107 Steht aber der Inhalt von Verkaufs- oder Beratungsgesprächen im Mittelpunkt des Haftungsprozesses, besteht am Kontoführungsort für das Vorhandensein entscheidungserheblicher Dokumente oder Zeugen keine erhöhte Wahrscheinlichkeit.108 Entsprechendes gilt, soweit die Richtigkeit seitens des Emittenten publizierter Kapitalmarktinformationen im Prozess zu klären ist.109 Auch eine Klage am Erfolgsort wird daher nicht selten zeit- und kostenaufwändige sowie unmittelbarkeitsschädliche Auslandsbeweisaufnahmen zur Folge haben. 2. Bestätigung durch die Entscheidungen Hi Hotel und Coty Germany Ungeachtet der gravierenden dogmatischen Kritik aus dem Schrifttum sowie der geschilderten Schutzlücken der übrigen besonderen Gerichtsstände hat der EuGH die restriktive Ausgestaltung, welche er der Zuständigkeit am Handlungsort in der Rechtssache Melzer beigemessen hatte, in den nachfolgenden Vorabentscheidungsverfahren Hi Hotel und Coty Germany bereits im Jahre 2014 bestätigt. Der Rechtssache Hi Hotel lag die vor dem LG Köln erhobene Klage eines deutschen Fotographen zugrunde, der von einem französischen Hotelbetreiber Schadensersatz sowie Unterlassung der Weitergabe von Fotoaufnahmen begehrte.110 Der Kläger hatte für den beklagten Hotelbetreiber Fotographien von einem Hotel in Nizza angefertigt, die exklusiv zur eigenen Verwendung bestimmt waren. Dennoch hatte der Hotelbetreiber die Aufnahmen in Frankreich an einen Verlag weitergereicht und damit Beihilfe dazu geleistet, dass die Fotographien nachfolgend urheberrechtswidrig in einem deutschen Bildband veröffentlicht werden konnten. Ähnlich lag der Fall in der Rechtssache Coty Germany. Auch hier warf der Kläger dem Beklagten eine vorbereitende Beihilfehandlung zu einer nachfolgend von einem Dritten in Deutschland begangenen Verletzungshandlung vor. Der Beklagte, ein belgischer Großhändler, hatte innerhalb Belgiens Parfumflakons an einen Händler veräußert, der die Waren wettbewerbswidrig auf dem deutschen Markt anbot.111 In beiden Vorlagebeschlüssen ließ der BGH offen die Präferenz des Senats durchblicken, den im Ausland handelnden Gehilfen die Orte der fremden, innerhalb 106 107 108 109 110

Hotel.

Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 724 f. Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 724 f. Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 725. Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 725. Vgl. zum Sachverhalt EuGH, Urt. v. 3. 4. 2014, Rs. C-387/12, EuZW 2014, 431, 432 – Hi

111 Vgl. zum Sachverhalt EuGH, Urt. v. 5. 6. 2014, Rs. C-360/12, EuZW 2014, 664, 664 – Coty Germany.

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Deutschlands belegenen Verletzungshandlungen gerichtsstandbegründend zuzurechnen.112 Er verwies darauf, auch die österreichische Rechtsprechung habe einen Handlungsortgerichtsstand für die Klage gegen ein italienisches Unternehmen bejaht, das innerhalb Italiens Kleidungsstücke mit Markenzeichen versehen, diese sodann in Italien in Verkehr gebracht und somit Beihilfe dazu geleistet hatte, dass die Kleidungsstücke nachfolgend markenrechtswidrig durch Händler in Österreich veräußert werden konnten.113 In ihrer Stellungnahme zu dem Vorabentscheidungsverfahren Coty Germany plädierte die Regierung des Vereinigten Königreichs dafür, eine Zurechnung unter der einschränkenden Voraussetzung zuzulassen, dass zwischen dem ausländischen Handlungsbeitrag des Beklagten und dem im Bezirk des angerufenen Gerichts begangenen Teilakt ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe.114 Dessen ungeachtet erteilte der EuGH jedweden Zurechnungsbestrebungen mit knappem Verwies auf seine vorausgegangene Melzer-Entscheidung eine kategorische Absage.115 3. Handlungsortzurechnung in der Rechtssache CDC Von besonderer Relevanz ist die Zurechnungsfrage im Kontext des Kartellrechts. Denn horizontale Preis-, Kundenschutz- und Quotenkartelle werden naturgemäß von mehreren Kartellanten geplant und verabredet sowie arbeitsteilig auf den Märkten verschiedener Mitgliedstaaten umgesetzt.116 Dabei werden präzisierende Einzelabsprachen oftmals bilateral oder telefonisch zwischen auf dem konkreten Markt aktiven Kartellanten getroffen, ohne dass die übrigen Kartellmitglieder zugegen oder beteiligt sind. Auch in die Umsetzung der gemeinsam geplanten Aktivitäten sind oftmals nur einzelne Kartellmitglieder involviert.117 Eine wechselseitige Zurechnung der einzelnen kartellrechtswidrigen Handlungen eröffnet dem Kartellgeschädigten die Option, am Ort jeder gegen Art. 101 AEUV verstoßenden Absprache nicht nur die konkret beteiligten Kartellanten, sondern sämtliche Kartellmitglieder gemeinsam oder alleine zu verklagen. Vor dem Hintergrund der in den Jahren 2013 und 2014 ergangenen Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany überrascht es dennoch, dass der EuGH eine gerichtsstandbegründende Handlungsortzurechnung 112 BGH, Beschl. v. 28. 6. 2012 – I ZR 1/11, GRUR 2012, 1065, 1067 („Der Senat neigt ebenfalls diesem Ergebnis zu. Hierfür sprechen Sinn und Zweck des Art. 5 Nr. 3 BrüsselI – VO.“); BGH, Beschl. v. 28. 6. 2012 @ I ZR 35/11, GRUR 2012, 1069, 1070 f. 113 OGH, Urt. v. 8. 7. 2003 – 4 Ob 122/03z, ZfRV 2003, 226. 114 GA Jääskinen, Schlussanträge v. 21. 11. 2013, Rs. C-360/12 – Coty Germany, Rn. 46; mit Berichten zu den im Verfahren abgegebenen Stellungnahmen. 115 EuGH, Urt. v. 3. 4. 2014, Rs. C-387/12, EuZW 2014, 431, 433 – Hi Hotel, Rn. 31; EuGH, Urt. v. 5. 6. 2014, Rs. C-360/12, EuZW 2014, 664, 666 – Coty Germany, Rn. 50. 116 Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 91. 117 Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 91.

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zwischen mehreren Kartellanten in der CDC-Entscheidung aus dem Jahre 2015 für zulässig erachtet hat. a) Abweichung von der vorausgegangenen Entscheidungstrilogie Der bereits angesprochene Sachverhalt der Rechtssache CDC soll an dieser Stelle nur kurz in Erinnerung gerufen werden.118 Das auf die Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen spezialisierte Unternehmen CDC klagte gegen das deutsche Chemieunternehmen Evonik Degussa sowie gegen fünf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Chemieunternehmen auf Schadensersatz. Zugrunde lagen die durch Abtretung gebündelten Ansprüche gegen die Mitglieder eines Bleichmittelkartells, welches nach den Feststellungen der Kommission in wechselnder Besetzung durch verschiedene Absprachen an unterschiedlichen Orten begründet sowie in der Begehungsform einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung aufrechterhalten worden war. Den Handlungsortgerichtsstand lokalisierte der EuGH unter diesen Umständen sowohl an dem – nach den Feststellungen der Kommission unklaren – Ort der ursprünglichen Kartellgründung sowie zusätzlich am jeweiligen Ort der für den konkreten Schaden ursächlichen Einzelabsprache.119 Im Anschluss warf er die Frage auf, ob an einem nach diesen Grundsätzen bestimmten Handlungsort mehrere Kartellmitglieder verklagt werden könnten. Zwar habe es der Gerichtshof in der Rechtssache Melzer abgelehnt, die Handlungsortzuständigkeit auf einen Mitverursacher zu erstrecken, der selbst nicht innerhalb des Gerichtsbezirks gehandelt habe. „Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens“ spreche jedoch „nichts dagegen, mehrere Mitbeklagte zusammen vor demselben Gericht zu verklagen.“120 Mit dieser knappen Begründung ermöglicht es der EuGH dem Kartellgeschädigten, am Ort jeder kartellrechtswidrigen Einzelabsprache auch nicht konkret beteiligte Kartellmitglieder zu verklagen und nimmt der Sache nach eben jene Zurechnung vor, die er zuvor kategorisch abgelehnt hatte. b) Versuch einer Erklärung der Diskrepanz In der Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany hat der EuGH seinen zurechnungsfeindlichen Grundstandpunkt nicht etwa mit deliktsspezifischen Erwägungen, sondern allgemein mit der ratio legis des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sowie dem Fehlen eines europäischen Zurechnungskonzepts begründet. Insoweit hat er Erwägungen angestellt, die auf den Fall einer Kartellschadensersatzklage ohne Weiteres übertragbar gewesen wären.121 Die Diskrepanz zu dem zurechnungs118

Vgl. im Übrigen die Sachverhaltsschilderung in Kapitel 2 A. II. 3. b) cc). EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 588 f. – CDC, Rn. 43 ff. 120 So expressis verbis EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 589 – CDC, Rn. 49. 121 Stammwitz, Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Kartelldelikten, 2018, S. 218 f. 119

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freundlichen Standpunkt der CDC-Entscheidung erscheint deshalb erklärungsbedürftig. Abgesehen von einem knapp gehaltenen Hinweis auf die Umstände des Ausgangsfalles enthält die Entscheidung in der Rechtssache CDC eine Abgrenzung zu der vorausgegangenen Entscheidungstrilogie der Jahre 2013 und 2014 jedoch nicht. Bis zu welchem Grad der EuGH die Grundsätze der Melzer-Entscheidung aufgegeben, eingeschränkt oder für den kartellrechtlichen Bereich modifiziert hat, bleibt daher offen.122 aa) Streitgenössische Inanspruchnahme der Schädiger Einen ersten Erklärungsansatz liefert der Umstand, dass in der Rechtssache CDC zumindest ursprünglich sämtliche Kartellanten als passive Streitgenossen verklagt waren, während sich die Klage im Fall Melzer allein gegen den im Ausland tätig gewordenen Mitverursacher richtete.123 Aus einem Vergleich der beiden Judikate ließe sich deshalb der Schluss ziehen, der EuGH habe die Klage am Ort der fremden Deliktshandlung unter der einschränkenden Voraussetzung zugelassen, dass der vor Ort handelnde Mitverursacher streitgenössisch in den Rechtsstreit einbezogen wird. Hierauf deutet jedenfalls die Wortwahl der CDC-Entscheidung hin, welche nicht von einer Zurechnung spricht, sondern es dem Kartellgeschädigten erlaubt, „mehrere Mitbeklagte zusammen vor demselben Gericht zu verklagen.“124 Auch die MelzerEntscheidung scheint eine abweichende Behandlung der Zurechnungsfrage für den Fall der gemeinsamen Inanspruchnahme des ortsansässigen und eines ortsfremden Schädigers stellenweise offen zu halten.125 Die dortigen Leitsätze beziehen sich allein darauf, dass der im Gerichtsbezirk handelnde Delinquent „nicht Partei des Rechtsstreits ist.“126 Seinen zurechnungsfeindlichen Standpunkt fasst der EuGH in der Formulierung zusammen, die Gerichtspflicht des Beklagten könne nicht aus einer Handlung hergleitet werden, „die einem der mutmaßlichen Verursacher eines Schadens – der nicht Partei des Rechtsstreits ist – angelastet wird.“127 Auch Generalanwalt Jässkinen hatte sich eine abweichende Beurteilung offengehalten, wenn es darum gehe, „die Zusammenfassung mehrerer gegen verschiedene Beklagte gerichtete Verfahren vor ein und demselben Gericht zu fördern.“128

122 Lahme/Bloch, in: Stancke/Weidenbach/Lahme, Kartellrechtliche Schadensersatzklagen, 2. Aufl. 2021, D. I. 1. e) bb) (1) Rn. 69;Weller/Wäschle, RIW 2015, 598, 604. 123 Vgl. hierzu von Hein, IPRax 2013, 505, 510; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 95 ff. 124 So expressis verbis EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 589 – CDC, Rn. 49. 125 Vgl. hierzu von Hein, IPRax 2013, 505, 510. 126 EuGH, Urt. v. 16. 5. 2013, Rs. C-228/11, NJW 2013, 2099, 2099 – Melzer (Leitsatz). 127 EuGH, Urt. v. 16. 5. 2013, Rs. C-228/11, NJW 2013, 2099, 2101 – Melzer, Rn. 41. 128 So wörtlich GA Jääskinen, Schlussanträge v. 29. 11. 2012, Rs. C-228/11 – Melzer, Rn. 59.

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Trotz dieser deutlichen Anhaltspunkte ist eine Interpretation der EuGH-Rechtsprechung vorzugswürdig, welche die Zurechnung nicht an eine streitgenössische Prozessbeteiligung des vor Ort handelnden Mitverursachers knüpft. Denn die Teleologie des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO trägt eine solche Differenzierung nicht. Weder die Vorhersehbarkeit noch die Sach- und Beweisnähe des Gerichtsstands hängen davon ab, ob der Beklagte alleine oder gemeinsam mit dem innerhalb des Gerichtsbezirks handelnden Delinquent prozessiert.129 So kann sich der Handlungsort des Haupttäters auch dann als beweisnah erweisen, wenn nicht der Haupttäter, sondern ein Gehilfe verklagt wird, der die Tat von einem anderen Ort aus unterstützt hat.130 Insoweit kommt es aber nicht darauf an, ob der Gehilfe alleine oder gemeinsam mit dem Haupttäter verklagt wird. Freilich bewirkt die streitgenössische Inanspruchnahme mehrerer Schädiger die gemeinsame Verhandlung und Entscheidung des Delikts, welche unter Gesichtspunkten der Prozessökonomie sowie des Entscheidungseinklangs von Vorteil ist. Unter welchen Voraussetzungen es das Interesse an einer Zuständigkeitskonzentration rechtfertigt, einen Beklagten vor den Gerichtsstand eines Streitgenossen zu ziehen, hat der Verordnungsgeber jedoch nicht in Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, sondern in Art. 8 Nr. 1 EuGVVO festgeschrieben.131 In der Teleologie des Deliktsgerichtsstands sind Entscheidungseinklang sowie die Vermeidung von Parallelverfahren nicht angelegt.132 bb) Primärrechtlich fundiertes Interesse an einer effektiven Kartellrechtsdurchsetzung Ein zweiter Erklärungsansatz für die klägerfreundlichere Auslegung des Handlungsortgerichtsstands in der CDC-Entscheidung ergibt sich aus dem Interesse an einer effektiven privaten Kartellrechtsdurchsetzung.133 Denn das Zuständigkeitsrecht steht insoweit in Zusammenhang mit dem primärrechtlichen Kartellverbot des Art. 101 AEUV sowie mit dessen private enforcement. Seit seiner grundlegenden Entscheidung in der Rechtssache Courage aus dem Jahre 2001 leitet der EuGH aus Art. 101 AEUV privatrechtliche Schadensersatzansprüche zugunsten von jedermann ab, der durch eine Zuwiderhandlung gegen das europäischen Kartellverbot Nachteile erlitten hat.134 Die praktische Wirksamkeit der primärrechtlichen Wettbewerbsregeln sei beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz seines kartellbedingten Schadens 129

Vgl. von Hein, IPRax 2013, 505, 510 („fraglich, ob die Sachnähe des Gerichtsstandes in Bezug auf den Gehilfen schematisch davon abhängig gemacht werden sollte, ob gleichzeitig auch der Haupttäter belangt wird.“). 130 Vgl. Kapitel 3 B. IV. 1. b). sowie Kapitel 3 C. I. 2. b) aa). 131 Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Klagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 98. 132 Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Klagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 98. 133 In diese Richtung Weller/Wäschle, RIW 2015, 598, 604 („Verdeckt mag der Effektivitätsgrundsatz eine Rolle gespielt haben.“). 134 EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001, Rs. C-453/99, EuZW 2001, 715, 716 – Courage, Rn. 25 ff.; vgl. hierzu eingehend Kamann, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker, Kartellverfahren und Kartellprozess, 1. Aufl. 2017, § 24 Rn. 8 ff.

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verlangen könne. Schadensersatzansprüche Privater erhöhten die Durchsetzungskraft des Art. 101 AEUV und seien geeignet, Unternehmen von wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen abzuhalten.135 Vor dem Hintergrund dieser generalpräventiven Intention kompensiert der Kartellschadensersatzanspruch nicht nur private Schäden, sondern dient zu gleich der Abschreckung und verfolgt insoweit überindividuelle Präventionszwecke.136 (1) Effektivität der Kartellrechtsdurchsetzung als auslegungsleitende Maxime Die Bereitstellung klägerfreundlicher Gerichtsstände erleichtert die prozessuale Geltendmachung bestehender Kartellschadensersatzansprüche, erhöht die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen schadensersatzrechtlichen Sanktionierung kartellrechtswidriger Verhaltensweisen und stärkt die faktische Geltungskraft des primärrechtlichen Kartellverbots.137 Eine klägerfreundliche Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO kommt nicht nur den privaten Rechtsdurchsetzungsinteressen des Klägers, sondern ebenso der europäischen Marktordnung sowie der Integrität des Wirtschaftsverkehrs im Binnenmarkt zugute. Dass der EuGH den Deliktsgerichtsstand in der kartellrechtlichen CDC-Entscheidung klägerfreundlicher ausgelegt hat als im Kontext anderer Deliktstypen ließe sich deshalb als Ausdruck einer Tendenz zur Materialisierung erklären. Der Deliktsgerichtsstand, so könnte man argumentieren, werde anders als in den Rechtssachen Melzer, Hi Hotel und Coty Germany nicht allein am Maßstab der autonomen Zuständigkeitsgerechtigkeit ausgerichtet, sondern im Lichte des höherrangigen Art. 101 AEUV für die Zwecke eines effektiven private enforcement instrumentalisiert. Seine Auslegung, so ließe sich schlussfolgern, bezwecke im kartellrechtlichen Kontext nicht mehr allein einen paritätischen Ausgleich der widerstreitenden Zuständigkeitsinteressen, sondern ziele zugleich darauf ab, die private Kartellrechtsdurchsetzung durch Bereitstellung klägerfreundlicher Gerichtsstände zu fördern und die Geltungskraft des Art. 101 AEUV zusätzlich zu stärken. Dass der EuGH in der CDC-Entscheidung nicht nur den Handlungsort klägerfreundlich bestimmt, sondern daneben den Erfolgsort am Wohnsitz des Kartellgeschädigten lokalisiert und somit einen Klägergerichtsstand geschaffen hat, der rein zuständigkeitsrechtlich kaum zu rechtfertigen ist, bekräftigt diesen Verdacht.138 Das Ziel einer effektiven privaten Kartellrechtsdurchsetzung steht jedoch in einem eklatanten Spannungsverhältnis zu den autonomen, von materiellen Steuerungsanliegen abstrahierten Gerechtigkeitsvorstellungen des Zuständigkeits-

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EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001, Rs. C-453/99, EuZW 2001, 715, 716 f. – Courage, Rn. 25 ff. Kamann, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker, Kartellverfahren und Kartellprozess, 1. Aufl. 2017, § 24 Rn. 19 ff.; Wagner, ZEuP 2008, 6, 15 f. 137 Vgl. zu dem Zusammenhang zwischen Sanktionswahrscheinlichkeit und Geltungskraft eines Verbots vgl. Poelzig, ZGR 2015, 801, 821; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 444. 138 EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 589 f. – CDC, Rn. 51 ff.; vgl. hierzu bereits Kapitel 2 A. II. 3. b) cc). 136

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rechts.139 Das kartellrechtliche private enforcement wird gestärkt, je weitergehend dem Kartellgeschädigten die Belastungen eines Rechtsstreits mit grenzüberschreitendem Bezug abgenommen und einseitig auf die Kartellanten verlagert werden. Hingegen erfordert die Wertungsmaxime der autonomen Zuständigkeitsgerechtigkeit, dass den beiderseitigen Zuständigkeitsinteressen gleichermaßen Rechnung getragen wird und die Waffengleichheit der Parteien sowie der ergebnisoffene Charakter des Verfahrens gewahrt bleibt. Soweit dieses Spannungsverhältnis im Schrifttum thematisiert worden ist, wird für seine Auflösung zugunsten der prozessualen Gerechtigkeitsvorstellungen plädiert und eine Berücksichtigung von Belangen der effektiven Kartellrechtsdurchsetzung bei der Auslegung des europäischen Zuständigkeitsrechts abgelehnt.140 Die primärrechtliche Fundierung und die besondere Rechtsdurchsetzungsfunktion des Kartellschadensersatzanspruchs ändern nichts daran, dass die Sach- und Rechtslage aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht offen und der Beklagte daher in gleichem Maße vor einer unberechtigten Inanspruchnahme zu schützen ist, wie zugunsten des Klägers die effektive Rechtsdurchsetzung gewährleistet wird. (2) Effektivitätsgebot als Mindeststandard Ungeachtet dessen hätte das in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Effektivitätsgebot die Abweichung von der Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany jedenfalls nicht zwingend gefordert. Das Effektivitätsgebot verpflichtet die Mitgliedstaaten, die praktische Wirksamkeit des Art. 101 AEUVund damit auch jene der privaten Kartellrechtsdurchsetzung sowohl sach- als auch verfahrensrechtlich durch Bereitstellung wirksamer, abschreckender und verhältnismäßiger Sanktionen sicherzustellen.141 Dabei verlangt es keine größtmögliche Wirksamkeit des Kartellverbots, sondern verbietet im Sinne eines Mindeststandards, dass die Durchsetzung des Kartellschadensersatzanspruchs durch die Bestimmungen der Mitgliedstaaten praktisch verunmöglicht oder übermäßig erschwert wird.142 Das autonome Zivilverfahrensrecht der Mitgliedstaaten, auf welches für die prozessuale Durchsetzung 139 Roth, JZ 2016, 1134, 1139; Weller, ZVglRWiss 112 (2013), 89, 90 („Damit verbunden ist die Grundsatzfrage, inwieweit sich das allgemeine Querschnittsinstrument der Brüssel I-VO für die Umsetzung bereichsspezifischer materieller Regelungsziele – etwa Förderung des private enforcement – in Dienst nehmen lassen soll. Hierbei kollidieren materiellrechtliche Regelungsziele mit einer spezifisch prozessualen Gerechtigkeitsidee.“); vgl. auch Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 8 ff. 140 Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 8 ff.; Weller, ZVglRWiss 112 (2013), 89, 93; vgl. auch Stadler, JZ 2016, 1134, 1139 f. 141 Heinze, in: Basedow/Hopt/Zimmermann, Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Band 1, 2009, S. 339; Poelzig, ZGR 2015, 801, 807; Schütt, Europäische Marktmissbrauchsverordnung und Individualschutz, 2019, S. 349 ff. 142 Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 7. 2006, Rs. C-295/04 bis C-298/04, EuZW 2006, 529, 534 – Manfredi, Rn. 82; EuGH, Urt. v. 5. 6. 2014, Rs. C-557/12. EuZW 2014, 586, 587 – Kone, Rn. 25; Heinze, in: Basedow/Hopt/Zimmermann, Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Band 1, 2009, S. 337.

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des Kartellschadensersatzanspruchs zurückgegriffen werden muss, wäre einschließlich seiner internationalen Zuständigkeitsregeln zweifellos an den Mindestanforderungen des Art. 4 Abs. 3 EUV zu messen. Für die sekundärrechtlich vereinheitlichten Zuständigkeitsregeln der Art. 4 ff. EuGVVO kann nichts anderen gelten.143 Genau wie mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften die Effektivität der privaten Kartellrechtsdurchsetzung zu gewährleisten haben, müssen sich Bestimmungen des europäischen Sekundärrechts, die für die private Kartellrechtsdurchsetzung von Relevanz sind, an den Mindestvorgaben des Art. 4 Abs. 3 EUV messen lassen.144 Stellt man den Maßstab des Effektivitätsgebots der restriktiven Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany gegenüber, so hätte das Ziel eines effektiven private enforcement für den Bereich des Kartellrechts keine Abweichung zugunsten einer klägerfreundlicheren Auslegung verlangt.145 Auch ohne wechselseitige Handlungsortzurechnung stehen dem Kartellgeschädigten gemäß Art. 4 Abs. 1 und 8 Nr. 1 EuGVVO Gerichtsstände an den Wohnsitzen der Kartellanten offen. Daneben tritt der Gerichtsstand am deliktischen Erfolgsort, welchen der EuGH in der Rechtssache CDC am Wohnsitz des Kartellgeschädigten lokalisiert hat.146 Angesichts dieser klägerfreundlichen Alternativen hätte auch die zurechnungsfeindliche Auslegung des Handlungsortgerichtsstands dem Geschädigten die prozessuale Anspruchsdurchsetzung weder praktisch verunmöglicht noch übermäßig erschwert. Der effet utile des Art. 101 AEUV bildet mithin keinen rechtlich zwingenden Grund, welcher die klägerfreundlichere Handhabung des Handlungsortgerichtsstands in der Rechtssache CDC geboten hätte. Aspekte der effektiven Kartellrechtsdurchsetzung lassen sich allenfalls als unausgesprochenes rechtspolitisches Motiv verstehen, das bei der Erklärung der Diskrepanz zwischen der CDC-Entscheidung und der vorausgegangenen Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany nicht außer Acht gelassen werden kann. cc) Begehungsform der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung Vornehmlich erschließt sich die Diskrepanz zwischen der CDC-Entscheidung und den vorausgegangenen Judikaten des EuGH jedoch aus der Begehungsform einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung, welche in dem zugrunde liegen-

143 Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 8 f.; Weller, ZVglRWiss 112 (2013), 89, 90 („Insoweit richtet sich also das kartellrechtliche Gebot der Effektivität des privaten Rechtsschutzes an den Unionsgesetzgeber selbst.“). 144 Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 8 f.; Weller, ZVglRWiss 112 (2013), 89, 90. 145 So i. E. auch Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 99, nach dem die Frage nach der örtlichen Belegenheit der Klagemöglichkeiten den effet utile von vornherein nicht betreffen soll. 146 EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 589 f. – CDC, Rn. 51 ff.

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den Bußgeldbescheid der Kommission bindend festgestellt worden war.147 Die Rechtsfigur der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung entstammt dem Kartellbußgeldrecht. Sie basiert darauf, dass ein kartellrechtswidriges Verhalten nicht nur aus einer einzelnen Aktivität, sondern ebenso aus einer dauerhaft fortgesetzten Verhaltensweise resultieren kann und es daher unnatürlich erschiene, die Verhaltenschronologie in einzelne Kartellrechtsverstöße aufzuspalten. Angenommen werden darf eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung, wenn sich das Unternehmen „an einer vielgestaltigen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln durch eigene Handlungen beteiligt hat, die […] zur Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit beitragen sollen.“148 Daneben wird verlangt, dass das kartellbeteiligte Unternehmen „nachweislich von dem rechtswidrigen Verhalten der anderen Beteiligten weiß oder es vernünftigerweise vorhersehen kann und bereit ist, die daraus erwachsenden Gefahren in Kauf zu nehmen.“149 Unter diesen Voraussetzungen ist es der Kommission erlaubt, auf den Nachweis einer eigenhändigen Beteiligung an konkreten Kartellabsprachen und Umsetzungsakten zu verzichten und Kartellmitglieder auch für Wettbewerbsverfälschungen auf Märkten mit Bußgeldern zu belegen, auf denen andere Mitglieder des Kartells agiert haben.150 (1) Ausführungen der CDC-Entscheidung zu Art. 8 Nr. 1 EuGVVO Welche Bedeutung der Figur der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung für das private Kartellschadensersatzrecht zukommt, ist nicht abschließend geklärt. Im zuständigkeitsrechtlichen Kontext wird die Figur der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung vornehmlich im Zusammenhang mit dem Konnexitätserfordernis des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO thematisiert. Dort soll die gemeinschaftliche Beteiligung an einem einheitlichen Kartellrechtsverstoß eine einheitliche Sach- und Rechtslage und damit die Konnexität der Klagen gegen mehrere Kartellanten indizieren.151 In der Rechtssache CDC hat auch der EuGH die Begehungsform der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung im Rahmen des besonderen Gerichtsstands der passiven Streitgenossenschaft in das europäische Zuständigkeitsregime überführt. Die Anwendbarkeit des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO auf die streitgenössische Inanspruchnahme mehrerer Kartellanten begründet er mit folgender Erwägung. Liege eine verbindliche Kommissionsentscheidung vor, „mit 147 von Hein, LMK 2015, 373398; Stammwitz, Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Kartelldelikten, 2018, S. 219. 148 So wörtlich EuGH, Urt. v. 6. 12. 2012, Rs. C-441/11 – Verhuizingen Coppens NV, Rn. 29; zu den Voraussetzungen vgl. Brei, NZKart 2017, 211, 212; Seifert, Die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung, 1. Aufl. 2013, S. 56 ff. 149 EuGH, Urt. v. 6. 12. 2012, Rs. C-441/11 – Verhuizingen Coppens NV, Rn. 29. 150 Vgl. zu den Wirkungen der Begehungsform im Einzelnen Seifert, Die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung, 1. Aufl. 2013, S. 25 ff. 151 Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 67 f.; Wurmnest, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker, Kartellverfahren und Kartellprozess, 1. Aufl. 2017, § 31 Rn. 88.

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der ein einheitlicher Verstoß gegen Unionsrecht festgestellt und damit die Haftung jedes Beteiligten für Schäden begründet wird,“ so müssten die Beteiligten „damit rechnen, vor den Gerichten eines Mitgliedstaats verklagt zu werden, in dem einer von ihnen ansässig ist.“152 Zuvor hatten bereits das LG Dortmund in seinem Vorlagebeschluss sowie Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen argumentiert, aus den bindenden Feststellungen der Kommission müsse auch zivilrechtlich die Verantwortlichkeit eines jeden Kartellanten für sämtliche mit dem Kartell in Zusammenhang stehende Handlungen folgen.153 (2) Berücksichtigungsfähigkeit im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO Angesichts der Berücksichtigung der besonderen Form des Kartellrechtsverstoßes bei der Prüfung des Mehrparteiengerichtsstands liegt es nahe, auch die zurechnungsfreundliche Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO durch den EuGH auf die Begehungsform einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung zurückzuführen. Jedenfalls die knappe Begründung der CDC-Entscheidung, die Abweichung von der restriktiveren Melzer-Rechtsprechung rechtfertige sich aus den Umständen des Ausgangsfalles,154 lässt sich zwanglos als Bezugnahme auf die besondere Begehungsweise verstehen, die im konkreten Fall in Streit stand. Mit den Grundsätzen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung existieren speziell für den Bereich des europäischen Kartellrechts zudem eben jene mitgliedstaatenübergreifenden Zurechnungsgrundsätze, deren Fehlen der EuGH in der Rechtssache Melzer als zentrales Argument gegen eine prozessuale Handlungsortzurechnung angeführt hat. Ob sich die Figur der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung als allgemeines Zurechnungskonzept im Kartelldeliktsrecht oder gar darüber hinaus fruchtbar machen lässt, darf bezweifelt werden.155 Sie basiert auf einer Mehrzahl wertungsoffener Voraussetzungen, die sich angesichts ihrer erheblichen Komplexität kaum als Anknüpfungspunkte für einen vorhersehbaren, einfach festzustellenden Gerichtsstand eignen. Darüber hinaus birgt die Figur der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung angesichts ihres Charakters als unbeschränkter wechselseitiger Zurechnungsmechanismus die Gefahr einer ausufernden Handlungsortvervielfältigung. Im Hinblick auf die hier alleine relevante Deutung der CDC-Entscheidung und ihres Kontrasts zu der vorausgegangenen Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany kann dies jedoch dahingestellt bleiben. Denn in 152

EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 586 – CDC, Rn. 24. LG Dortmund, Beschl. v. 29. 4. 2013 – 13 O (Kart) 23/09, NZKart 2013, 472, 473; GA Jääskinen, Schlussanträge v. 11. 12. 2014, Rs. C-352/13 – CDC, Rn. 65. 154 EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 589 – CDC, Rn. 49. 155 Kritisch der Vorlagebeschluss LG Dortmund, Beschl. v. 29. 4. 2013 – 13 O (Kart) 23/09, NZKart 2013, 472, 474 f. („Auch bei Annahme einer umfassenden Haftungszurechnung wegen mittäterschaftlicher einheitlicher und fortgesetzter Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG/101 AEUV fragt sich, weshalb sich für jedes Gericht an einem der mehreren Orte […] die vom Erwägungsgrund Nr. 12 geforderte besonders enge Beziehung zur Streitigkeit ergeben soll.“). 153

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der Rechtssache CDC trat als entscheidender Aspekt hinzu, dass das Vorliegen der Zurechnungsvoraussetzungen in dem Bußgeldbescheid der Kommission gemäß Art. 16 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003 bindend festgestellt worden war.156 Die Bindungswirkung des Art. 16 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003 verbietet es dem Gericht eines follow onProzesses, sich in den Bereichen der Sachverhaltsfeststellung sowie der rechtlichen Bewertung zu den Kommissionsfeststellungen in Widerspruch zu setzen.157 Dass der Kartellrechtsverstoß auf Grundlage eines gemeinsamen Plans begangen wurde und die Beklagten sich hieran bewusst beteiligt hatten, war von dem angerufenen Gericht im Sinne einer erwiesenen Tatsache zugrunde zu legen.158 Die bindenden Feststellungen der Kommission beseitigen die Offenheit der Sach- und Rechtslage, von welcher das Zuständigkeitsrecht grundsätzlich ausgeht, und relativieren somit das Bedürfnis, den Beklagten vor fremdstaatlicher Gerichtsgewalt zu schützen. Soweit der Sachverhalt feststeht, wird der Beklagte nicht auf Grundlage einer möglicherweise unzutreffenden Klägerbehauptung vor ein Gericht außerhalb seines Wohnsitzstaats gezogen, sondern an dem Ort für gerichtspflichtig gehalten, an dem er feststehendermaßen in einen Kartellrechtsverstoß involviert war. dd) Fazit Nach vorzugswürdiger Lesart resultiert die Diskrepanz zwischen der klägerfreundlichen CDC-Entscheidung auf der einen sowie der deutlich restriktiveren Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany auf der anderen Seite nicht daraus, dass der innerhalb des Gerichtsbezirks handelnde Deliktsbeteiligte im Fall CDC (zunächst) Partei des Rechtsstreits war und somit die einheitliche Verhandlung und Entscheidung der Deliktsklagen gefördert wurde. Entscheidend ist vielmehr, dass die Kommission die Voraussetzungen einer einheitlichen Verhandlung und Entscheidung gemäß Art. 16 Abs. 1 VO 1/2003 bindend festgestellt hatte. Dass die einzelnen Deliktshandlungen als Teil eines kartellrechtswidrigen Gesamtverhaltens zuzurechnen waren, an welchem sich sämtliche Beklagten beteiligt hatten, stand damit fest. Zumindest als rechtspolitisches Hintergrundmotiv mag daneben das Ziel eines effektiven private enforcement den Ausschlag gegeben haben. 156 So mit Blick auf Art. 8 Nr. 1 EuGVVO GA Jääskinen, Schlussanträge v. 11. 12. 2014, Rs. C-352/13 – CDC, Rn. 65; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 67 f.; vgl. aber Stammwitz, Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Kartelldelikten, 2018, S. 219; Wurmnest, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker, Kartellverfahren und Kartellprozess, 1. Aufl. 2017, § 31 Rn. 89, die darauf hinweisen, dass die Kommission Feststellungen oftmals erst nach Jahren trifft und die zuständigkeitsrechtliche Rechtslage zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Verhaltensweisen daher nicht vorhersehbar ist. 157 Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im europäischen Zivilprozessrecht, 2014, S. 261 f.; Ohlhoff, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker, Kartellverfahren und Kartellprozess, 1. Aufl. 2017, § 26 Rn. 112. 158 Vgl. hierzu Ohlhoff, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker, Kartellverfahren und Kartellprozess, 1. Aufl. 2017, § 26 Rn. 112; Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im europäischen Zivilprozessrecht, 2014, S. 261 f.

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4. Zusammenfassung und Folgerungen Der kategorischen Ablehnung jedweder Handlungsortzurechnung, welche der EuGH in den Entscheidungen Melzer, Hi Hotel und Coty Germany vertreten hatte, ist im Schrifttum erhebliche Kritik entgegengeschlagen. Insbesondere ein Blick auf die Parallelprobleme der Haftung einer Gesellschaft für Delikte ihrer Organe sowie der Verrichtungsgehilfenhaftung verdeutlichen, dass längerfristig auch der EuGH nicht ohne eine gewisse Eingrenzung der Melzer-Rechtsprechung sowie um die Entwicklung von Zurechnungsgrundsätzen für bestimmte Konstellationen auskommen wird.159 Die Entscheidung in der Rechtssache CDC hat insoweit gezeigt, dass auch der EuGH nicht unumstößlich an seiner restriktiven Grundposition festhält, sondern durchaus bereit ist, im Hinblick auf Besonderheiten des streitgegenständlichen Deliktstypus von seinem restriktiven Grundstandpunkt abzuweichen. Festhalten lässt sich somit, dass die Rechtsentwicklung ihren Abschluss in der Zurechnungsfrage noch nicht gefunden hat. 5. Rezeption durch BGH VI ZR 618/15 Im Anschluss an die Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany war die deutsche Rechtsprechung gezwungen, ihren traditionell zurechnungsfreundlichen Standpunkt im Hinblick auf den europäischen Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sowie die Parallelvorschrift des Art. 5 Nr. 3 LugÜ zu überdenken. Dass sich im Jahre 2016 auch der BGH abermals mit der Zurechnungsfrage sowie der Interpretation der Melzer-Entscheidung zu befassen hatte, überrascht vor diesem Hintergrund nicht.160 a) Sachverhalt und erstinstanzliche Entscheidung Vor dem LG Ravensburg machte ein deutsches Ehepaar gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 32 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG Schadensersatzansprüche wegen der unerlaubten Erbringung von Finanzdienstleistungen geltend.161 Persönlich beklagt war der ehemalige Alleinaktionär und Vorstand einer im Bereich der Vermögensverwaltung tätigen, mittlerweile liquidierten Aktiengesellschaft liechtensteinischen Rechts (G AG), die sich ohne aufsichtsbehördliche Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Erbringung von Finanzdienstleistungen um den Aufbau eines Kundenstamms in Deutschland bemüht hatte. Im Rahmen mehrerer Vorgespräche am deutschen Wohnsitz der Kläger hatte ein auf Provisionsbasis für die G AG tätiger Anlagevermittler Finanzprodukte präsentiert und den Klägern zum Abschluss eines Vermögensverwaltungsvertrags mit einem Volumen von 230.000 Euro geraten. Anknüpfend hieran begaben sich die Kläger an den Wohnsitz des Beklagten in der Schweiz, 159 160 161

von Hein, IPRax 2013, 505, 508. BGH, Urt. v. 18. 10. 2016 – VI ZR 618/15, WM 2017, 323 ff. LG Ravensburg, Urt. v. 18. 2. 2015 – 6 O 207/14, BeckRS 2015, 117326.

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an dem sie den empfohlenen Vermögensverwaltungsvertrag unterzeichneten. Das Anlagekapital wurde weitgehend verloren und die G AG durch aufsichtsbehördliche Verfügung liquidiert. Ihre Schadensersatzklage richteten die Kläger daher persönlich gegen den Beklagten, dem sie mit Verweis auf die innerhalb Deutschlands durch den Provisionsvertreter geführten Vorgespräche die unerlaubte Erbringung von Finanzdienstleistungen vorwarfen. Das LG Ravensburg verneinte seine internationale Zuständigkeit jedoch und wies die Klage ab. Ein Handlungsortgerichtsstand i. S. d. Art. 5 Nr. 3 LugÜ sei innerhalb seines Bezirks nicht eröffnet, da der Beklagte allein an seinem schweizerischen Wohnsitz sowie dem liechtensteinischen Sitz der G AG gehandelt habe. Auf das Handeln des Provisionsvertreters, der die potentiell erlaubnispflichtigen Vorgespräche innerhalb Deutschlands geführt hatte, könne nicht abgestellt werden.162 b) Die Berufungsentscheidung des OLG Stuttgart Hingegen erachtete das OLG Stuttgart einen Handlungsortgerichtsstand am Ort der innerdeutschen Vorgespräche in seiner Berufungsentscheidung für eröffnet.163 Bereits die Vertragsanbahnung im Inland erfülle den Tatbestand einer erlaubnispflichtigen Finanzdienstleistung und begründe damit einen Verstoß gegen die §§ 32 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG. Dass die Vorgespräche durch einen Provisionsvertreter geführt worden seien, stehe der Handlungsortzuständigkeit nicht entgegen. Entscheidend komme es darauf an, ob der Beklagte „selbst oder durch Einschaltung einer anderen Person in Deutschland den Tatbestand einer unerlaubten Handlung verwirklicht“ habe, was angesichts des Handelns des Provisionsvertreters als „verlängerter Arm des Beklagten“ zu bejahen sei.164 Die in der Melzer-Entscheidung geäußerten Einwände des EuGH ließen sich auf die zu entscheidende Fallkonstellation nicht übertragen.165 Innerhalb des Gerichtsbezirks bestehe im vorliegenden Fall ein Anknüpfungspunkt, da auf die Beschäftigung eines deutschen Provisionsvertreters und damit auf die gezielte Ausrichtung der erlaubnispflichtigen Finanzdienstleistungen auf den deutschen Markt abgestellt werden könne. Die Handlungsortzuständigkeit ergebe sich insoweit aus der intendierten Auswirkung des eigenen Verhaltens. Von der klassischen Problematik einer wechselseitigen Handlungsortzurechnung, wie sie dem Fall Melzer zugrunde gelegen habe, unterscheide sich die vorliegende Konstellation auch dadurch, dass mit der innerdeutschen Vertragsanbahnung nur eine potentielle Deliktshandlung in Rede stehe und nur ein Haftungsadressat, der Anbieter der potentiell erlaubnispflichtigen Finanzdienstleistungen, in Betracht komme. Es werde nicht mehreren Personen eine 162

LG Ravensburg, Urt. v. 18. 2. 2015 – 6 O 207/14, BeckRS 2015, 117326. OLG Stuttgart, Urt. v. 26. 10. 2015 – 5 U 46/15, WM 2016, 1781 ff.; vgl. dazu Flick, GWR 2016, 146, 146; Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 439. 164 So wörtlich OLG Stuttgart, Urt. v. 26. 10. 2015 – 5 U 46/15, WM 2016, 1781, 1784. 165 OLG Stuttgart, Urt. v. 26. 10. 2015 – 5 U 46/15, WM 2016, 1781, 1784. 163

A. Überblick über die deutsche und europäische Rechtsprechung

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unerlaubte Handlung zur Last gelegt, sondern der Handlungsort bezüglich des einzig möglichen Deliktsschuldners an dem Ort lokalisiert, an dem die Tat – wenn auch durch das Verhalten einer Hilfsperson – nach außen getreten sei. c) Die Revisionsentscheidung des BGH Der BGH hob das Berufungsurteil auf und wies die Berufung zurück.166 Die eigenhändigen Handlungsbeiträge des Beklagten, namentlich die finalen Beratungsgespräche sowie die Unterzeichnung und die Durchführung des Vermögensverwaltungsvertrags, seien ausschließlich am Wohnsitz des Beklagten in der Schweiz erbracht worden. Aus den inländischen Vorgesprächen des Provisionsvertreters lasse sich eine Gerichtspflicht des Beklagten nicht herleiten. Soweit das Berufungsgericht den Provisionsvertreter als „verlängerte[n] Arm“ des Beklagten ansehen und dem Beklagten dessen innerdeutschen Handlungsbeitrag gerichtsstandbegründend zurechnen wolle, stehe dies in Widerspruch zu der Melzer-Entscheidung des EuGH. Aus dieser ergebe sich unzweideutig, dass eine Handlungsortzuständigkeit ein eigenes Handeln des Beklagten erfordere und nicht mit dem Verhalten eines Dritten begründet werden könne. Einer neuerlichen Vorlage bedürfe es insoweit nicht, da an der korrekten Beantwortung der Rechtsfrage keine vernünftigen Zweifel bestünden.167 d) Bedenken gegen die Annahme eines acte éclairé Dass der BGH kurzerhand von einem acte éclairé ausgeht und von einer erneuten Vorlage an den EuGH absieht, erscheint angesichts der erheblichen Unterschiede zwischen der vorliegenden Konstellation der erlaubnispflichtwidrigen Erbringung von Finanzdienstleistungen auf der einen und den drei von Seiten des EuGH entschiedenen Fallkonstellationen auf der anderen Seite durchaus überraschend. Die Rechtssachen Melzer, Hi Hotel und Coty Germany hatten allesamt Fallgestaltungen zum Gegenstand, in denen ein nicht mitverklagter Dritter die unmittelbar schädigende Handlung innerhalb Deutschlands verübt und der Beklagten dies durch einen (vorbereitenden) Gehilfenbeitrag von einem anderen Mitgliedstaat aus unterstützt hatte.168 Im weitesten Sinne ging es jeweils um die Frage, ob ein im Ausland handelnder Gehilfe am Handlungsort des Haupttäters verklagt werden kann. Von dieser Grundkonstellation unterscheidet sich der Fall, welcher dem BGH zur Entscheidung vorlag, bereits im Ausgangspunkt. Wie die Berufungsentscheidung des OLG Stuttgart herausarbeitet, betraf der Deliktsvorwurf nicht mehrere Täter und Teil166

BGH, Urt. v. 18. 10. 2016 – VI ZR 618/15, WM 2017, 323 ff.; vgl. hierzu Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. 2020, Art. 7 EUGVVO Rn. 22; Thole, in: Lehmanns/Zetzsche, Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen, 2018, § 2 Rn. 50. 167 BGH, Urt. v. 18. 10. 2016 – VI ZR 618/15, WM 2017, 323, 325. 168 Maultzsch, IPRax 2017, 442, 447.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

nehmer, sondern allein den Beklagten.169 Daneben tritt ein weiterer, besonders gravierender Unterschied. Die Erlaubnispflicht der §§ 32 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG erfasst allein gewerbsmäßige Finanzdienstleistungen innerhalb Deutschlands. Deliktsrechtlich relevant waren die Vorgespräche nur, weil sie im Bundesgebiet stattgefunden hatten.170 Finanzdienstleistungen, die in einem anderen Staat erbracht werden, begründen keinesfalls einen Verstoß gegen die §§ 32 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG und sind für die Schadensersatzhaftung des Beklagten nach der Struktur des Delikts von vorne herein irrelevant. Es leuchtet kaum ein, den Handlungsortgerichtsstand für eine Klage wegen unerlaubter Finanzdienstleistungen innerhalb Deutschlands an eine im Ausland verübte Aktivität zu knüpfen. Für die Beweiserhebung über den einzigen potentiell haftungsbegründenden Akt – die Vorgespräche – sowie für deren Einordnung als nach deutschem Aufsichtsrecht erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung sind die deutschen Gerichte, in deren Bezirk die Gespräche geführt wurden, am besten geeignet.171 Dies resultiert aus der Struktur des streitgegenständlichen Delikts und hängt in keiner Weise damit zusammen, ob der handelnde Provisionsvertreter selbst oder der dahinterstehende ausländische Finanzdienstleister verklagt wird.172 Angesichts dieser Besonderheiten kann die vorliegende Zurechnungsfrage kaum als eindeutig durch die Melzer-Entscheidung geklärt gelten. Angesichts dessen, dass ausweislich der CDC-Entscheidung offenbar auch der EuGH eine Zurechnung für besonders gelagerte Deliktstypen anerkennt, hätte eine erneute Vorlage gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV zumindest nahegelegen.

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des autonomen deutschen Zuständigkeitsrechts Angesichts der restriktiven Auslegung durch den EuGH unterscheidet sich der europäische Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO in der Frage der prozessualen Handlungsortzurechnung maßgeblich von dem autonomen deutschen Tatortgerichtsstand des § 32 ZPO, welchen die deutsche Rechtsprechung in Anlehnung an die materiell-rechtliche Zurechnungsregel § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB klägerfreundlicher handhabt. Die klägerfreundlichere Haltung der deutschen Gerichte dürfte nicht zuletzt auf die unausgesprochene Bestrebung zurückzuführen sein, inländischen Verbrauchern gegenüber drittstaatenansässigen Schädigern bereits auf Grundlage geringfügiger Sachverhaltselemente Klagemöglichkeiten innerhalb Deutschlands zu eröffnen. Somit wird verhindert, dass geschädigte Verbraucher angesichts der erhöhten Hemmschwelle eines Auslandsprozesses vor der

169 170 171 172

OLG Stuttgart, Urt. v. 26. 10. 2015 – 5 U 46/15, WM 2016, 1782, 1784. Maultzsch, IPRax 2017, 442, 447. Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 447. Maultzsch, IPRax 2017, 442, 447.

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

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Rechtsverfolgung zurückschrecken173 oder durch das Kollisionsrecht eines Drittstaats unangemessen benachteiligt werden.174 Rechtspolitisch haben derartige Erwägungen unbestreitbar Gewicht. Dogmatisch wirft die extensive Auslegung der Handlungsortzuständigkeit jedoch Fragen auf. Eine konzeptionell am Vorbild des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB orientierte Handlungsortzurechnung führt nicht nur dazu, dass auslandsansässige Broker auf Grundlage eines Beihilfevorwurfs am innerdeutschen Handlungsort des Anlagevermittlers verklagt werden können. Eine wechselseitige Handlungsortzurechnung hat umgekehrt zur Folge, dass der innerhalb Deutschlands agierende Vermittler im zuständigkeitsrechtlichen Sinne am ausländischen Tätigkeitsort des Brokers gehandelt hat.175 Es droht eine normative Vervielfältigung der Handlungsorte. Die Problematik der gerichtsstandbegründenden Handlungsortzurechnung ist im Zusammenhang mit dem tendenziell klägerfreundlicheren Grundstandpunkt der deutschen Rechtsprechung zu sehen. Während der EuGH zu einer Zentralisierung des europäischen Handlungsortgerichtsstands neigt, steht die deutsche Rechtsprechung einer Vervielfältigung des autonomen deutschen Handlungsortgerichtsstands aufgeschlossener gegenüber. Dass die deutsche Rechtsprechung auch im Falle der arbeitsteiligen Deliktsbegehung eher zu einer extensiven Auslegung des Deliktsgerichtsstands greift, erscheint angesichts dieses klägerfreundlichen Grundstandpunkts konsequent (dazu I.). Dennoch ist die klägerfreundliche Auslegung des § 32 ZPO im Schrifttum verschiedentlich kritisiert worden. Zum einen wird angeführt, eine wechselseitige Handlungsortzurechnung ermögliche dem Verletzten die gemeinsame Inanspruchnahme der Schädiger und stehe daher in einem Spannungsverhältnis zu der historischen Entscheidung gegen einen besonderen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (dazu II.).176 Zum anderen wird der Rückgriff auf den materiell-rechtlichen § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB als normativer Anknüpfungspunkt auf Zuständigkeitsebene in Frage gestellt.177 Die Vorschrift helfe dem mit mehreren Schädigern konfrontierten Verletzten über Beweisschwierigkeiten im Bereich der Kausalität hinweg und verfolge damit einen zuständigkeitsfremden Zweck (dazu III.). An Stelle einer Heranziehung materiell-rechtlicher Figuren wird für eine rein zuständigkeitsrechtliche Betrachtung arbeitsteilig begangener Delikte plädiert. Auf dieser Grundlage wird eine Beschränkung der Zurechnung auf den deliktischen Handlungsschwerpunkt gefordert (dazu IV.).178 Parallele Fragen werfen 173

Weller, WM 2013, 1681, 1686. Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 98 f. 175 Vgl. im kollisionsrechtlichen Kontext von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 280. 176 Huber, IPRax 2009, 134, 135; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 23. Aufl. 2014, § 32 Rn. 24. 177 Müller, EuZW 2013, 130, 132; Weller, IPRax 2000, 202, 206 f.; Weller, WM 2013, 1681, 1684. 178 Huber, IPRax 2009, 134, 135 f. 174

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

die Zurechnungsregeln der §§ 31, 831 Abs. 1 BGB auf. Denn auch eine gerichtsstandbegründende Zurechnung deliktischer Handlungen eines Verrichtungsgehilfen oder eines Gesellschaftsorgans ist allgemein anerkannt (dazu V.).

I. Vorüberlegung zu den Unterschieden zwischen autonomem und europäischem Deliktsgerichtsstand Während der EuGH dazu neigt, die Handlungsortzuständigkeit am Ort des zentralen schadensursächlichen Geschehens zu konzentrieren und einer exzessiven Ausdehnung des zuständigkeitsrechtlichen Klägerwahlrechts somit entgegenwirkt, steht die deutsche Rechtsprechung einer Handlungsortvervielfältigung aufgeschlossener gegenüber.179 Schon das Reichsgericht formulierte, es komme „jedem der einzelnen Bestandteile der (Gesamt-)Handlung grundsätzlich die gleiche Bedeutung zu.“180 Daher könne „keines der einzelnen Momente und keiner der einzelnen Bestandteile […] einen Vorrang vor den übrigen gleich wesentlichen Momenten und Bestandteilen beanspruchen.“181 Im zuständigkeitsrechtlichen Sinne sei die Tat deshalb „überall begangen, wo ein wesentlicher Teil von ihr begangen ist.“182 Bereits seit Reichsgerichtszeiten hat die deutsche Rechtsprechung den autonomen Handlungsortgerichtsstand des § 32 ZPO somit in eine vergleichsweise klägerfreundliche Richtung entwickelt. In diese Linie reiht sich die Bejahung einer wechselseitigen prozessualen Handlungsortzurechnung nahtlos ein. Die augenfällige Diskrepanz zwischen dem zentralisierten Handlungsortgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO und den multiplen (Teil-)Handlungsorten des § 32 ZPO ist vor dem Hintergrund der strukturellen Unterschiede der beiden Zuständigkeitsbestimmungen zu betrachten. 1. § 32 ZPO als doppelfunktionale Zuständigkeitsregel Der autonome deutsche Tatortgerichtsstand des § 32 ZPO ist nicht funktional auf den transnationalen Rechts- und Wirtschaftsverkehr ausgerichtet, sondern zielt in höherem Maße auf die Regelung der örtlichen Zuständigkeit. Das autonome Zuständigkeitsrecht der §§ 12 ff. ZPO behandelt Zuständigkeitsfragen ohne explizite Differenzierung zwischen örtlicher und internationaler Zuständigkeitsebene ein-

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Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462. So wörtlich RG, Beschl. v. 18. 10. 1909 – Rep. II 96/08, RGZ 72, 41, 43; siehe auch BGH, Urt. v. 25. 11. 1993 – IX ZR 32/93, NJW 1994, 1413, 1414 f. 181 RG, Beschl. v. 18. 10. 1909 – Rep. II 96/08, RGZ 72, 41, 43. 182 RG, Beschl. v. 18. 10. 1909 – Rep. II 96/08, RGZ 72, 41, 44; vgl. auch BGH, Urt. v. 25. 11. 1993 – IX ZR 32/93, NJW 1994, 1413, 1414 f.; Toussaint, in: BeckOK, ZPO, 40. Ed., Stand 1. 3. 2021, § 32 Rn. 10. 180

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

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heitlich unter dem Oberbegriff des Gerichtsstands.183 Denn der Gesetzgeber der historischen CPO ging nicht von einer grundlegenden, sondern allenfalls von einer stufenartigen Unterschiedlichkeit der beiden Sachentscheidungsvoraussetzungen aus und erachtete eine gesonderte Regelung der internationalen Zuständigkeit deshalb für entbehrlich.184 Dies hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der IPRReform des Jahres 1986 mit den Worten bekräftigt, „das geltende Recht“ entnehme „die Regeln für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit.“185 Im Schrifttum wird die doppelfunktionale Anwendung der §§ 12 ff. ZPO auf den Grundgedanken heruntergebrochen, durch Regelung der örtlichen Zuständigkeitsvoraussetzungen habe der deutsche Gesetzgeber mittelbar den für eine Ausübung der deutschen Gerichtsgewalt erforderlichen Inlandsbezug festgeschrieben.186 Die Eröffnung eines örtlichen Gerichtsstands indiziere die internationale Zuständigkeit daher regelmäßig.187 Der europäische Deliktsgerichtsstand steht ausweislich Erwägungsgrund 3 S. 2 der EuGVVO hingegen in Zusammenhang mit dem Konzept des Binnenmarktes und bezweckt nicht zuletzt den Abbau von Hindernissen für einen reibungslosen Wirtschaftsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten.188 Art. 7 Nr. 2 EuGVVO hat daher nicht nur die effektive Forderungsdurchsetzung zu gewährleisten, sondern muss zugleich sicherstellen, dass die Attraktivität grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit nicht durch das Risiko einer ausufernden Gerichtspflicht beeinträchtigt wird.189 Die Vermeidung einer Zuständigkeitsvervielfältigung ist unter dem Gesichtspunkt der Eingrenzung von Gerichtspflichtrisiken und daraus resultierenden Hemmnissen für den Binnenmarkt ein Ziel von erheblicher Bedeutung. 2. § 32 ZPO als einseitige Regelung der internationalen Zuständigkeit Dass eine Vervielfältigung des Handlungsortgerichtsstands im Rahmen des § 32 ZPO eher hingenommen werden kann als eine Multiplikation der aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO resultierenden Zuständigkeiten, ergibt sich aus den unterschiedlichen räumlichen Anwendungsbereichen der beiden Gerichtsstandbestimmungen. Der 183 Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005, S. 35. 184 Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005, S. 35 („keinen kategorischen, sondern nur einen graduellen Unterschied.“). 185 BT-Drucks. 10/504, S. 89. 186 Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996, S. 11 f.; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, S. 167 ff. 187 Vgl. nur BGH, Urt. v. 20. 4. 1993 – XI ZR 17/90, NJW 1993, 2683, 2684; BGH, Urt. v. 12. 6. 2007 –XI ZR 290/06, NJW-RR 2007, 1570, 1572. 188 Vgl. zur Ausrichtung des europäischen Zuständigkeitsrechts auf das Konzept des Binnenmarkts Kapitel 1 B. 189 Vgl. Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

europäische Deliktsgerichtsstand verteilt die internationale Zuständigkeit zwischen zahlreichen Mitgliedstaaten. Er ist daher geeignet, dem Kläger ein forum shopping zwischen den Gerichten verschiedener Staaten zu ermöglichen und die Waffengleichheit der Parteien zu gefährden. Durch Wahl zwischen Gerichtständen in verschiedenen Mitgliedstaaten kann der Kläger mitunter das anwendbare Kollisionsrecht, jedenfalls aber das anwendbare Prozessrecht sowie die Beweisnähe des Prozessgerichts einseitig beeinflussen.190 Eine Vervielfältigung der aus § 32 ZPO resultierenden Gerichtsstände eröffnet dem Kläger keine vergleichbaren Einflussmöglichkeiten. Der autonome Deliktsgerichtsstand begründet alleine die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte. Außerhalb des Bundesgebiets begangene Deliktshandlungen eröffnen dem Kläger keine wählbare Entscheidungszuständigkeit, sondern lediglich die Anerkennungszuständigkeit des § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Ein Wahlrecht zwischen mehreren (Teil-) Handlungsorten begründet daher lediglich ein Wahlrecht zwischen mehreren örtlich zuständigen deutschen Gerichten, die dasselbe Kollisions- und Prozessrecht anwenden, die sich angesichts ihrer Belegenheit in demselben Staat auch unter dem Gesichtspunkt der Beweisnähe nicht wesentlich unterscheiden und die den Korrekturmöglichkeiten eines auf Ebene der Revision zusammenlaufenden Instanzenzugs (vgl. § 133 GVG) unterstehen. Welches deutsche Amts- oder Landgericht in erster Instanz zur Entscheidung berufen ist, wirkt sich daher nicht auf die Entscheidung in der Sache aus, sondern betrifft Beklagteninteressen alleine unter dem Aspekt der räumlichen Nähe.191 3. Fehlen eines Gerichtsstands der Streitgenossenschaft Zu berücksichtigen ist zudem, dass das autonome deutsche Zuständigkeitsrecht der §§ 12 ff. ZPO keinen spezifischen Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft kennt, wie ihn in das europäische Zuständigkeitsrecht in Art. 8 Nr. 1 EuGVVO vorsieht.192 Das Interesse des Klägers, mehrere Deliktsbeklagte gemeinsam an den Orten der Tathandlungen verklagen zu können, ist vor diesem Hintergrund auf Ebene des autonomen deutschen Zuständigkeitsrechts stärker ausgeprägt. Freilich trägt das autonome deutsche Zuständigkeitsrecht dem Interesse des Klägers, mehrere Beklagte streitgenössisch in Anspruch nehmen zu können, auch ohne einen spezifischen Mehrparteiengerichtsstand in gewissem Maße Rechnung. Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bestimmt das nächsthöhere Gericht einen gemeinsamen Gerichtsstand, wenn mehrere Personen streitgenössisch am allgemeinen Gerichtsstand eines Beklagten verklagt werden sollen und kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand eröffnet ist. Angesichts der Erforderlichkeit einer (zeit-)aufwändigen 190

Zu den Einflussmöglichkeiten des wahlberechtigten Klägers vgl. Kapitel 2 C. I. Vgl. BGH, Beschl. v. 14. 6. 1965 – GSZ 1/65, NJW 1965, 1665, 1665 f.; Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 149 f. 192 Vgl. hierzu Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996, S. 54 ff. 191

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

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Vorlage an das nächsthöhere Gericht wird dem Gerichtsstandbestimmungsverfahren zwar eine gewisse Behäbigkeit zugeschrieben.193 § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gewährleistet dennoch, dass das Klägerinteresse an einer Zuständigkeitskonzentration zur Geltung kommt. Auf Ebene der internationalen Zuständigkeit kompensiert jedoch auch § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO das Fehlen eines Gerichtsstands der Streitgenossenschaft nicht. Ein Gerichtsstandbestimmungsverfahren ist nur statthaft, wenn deutsche Gerichte ohnehin gegenüber sämtlichen Beklagten international zuständig sind.194 § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erlaubt keine Gerichtsstandbestimmung, durch welche ein passiver Streitgenosse vor ein deutsches Gericht gezogen wird, obwohl er gemäß §§ 12 ff. ZPO nicht innerhalb Deutschlands verklagt werden könnte.195 Die vorgenannten Defizite, die sich aus dem Fehlen eines Mehrparteiengerichtsstands sowie den Beschränkungen des stattdessen vorgesehenen Gerichtsstandbestimmungsverfahrens ergeben, vermag eine wechselseitige Handlungsortzurechnung bis zu einem gewissen Grad zu überspielen. Während dem Kläger auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit die Durchführung eines aufwändigen Gerichtsstandbestimmungsverfahrens erspart wird, kann die wechselseitige Handlungsortzurechnung auf Ebene der internationalen Zuständigkeit die einzige Möglichkeit für eine gemeinsame Inanspruchnahme der Schädiger bilden.

II. Verdeckte Begründung eines unerwünschten Mehrparteiengerichtsstands? Wie die vorstehenden Erwägungen andeuten, ermöglicht es eine wechselseitige Handlungsortzurechnung im Rahmen des § 32 ZPO dem Deliktsgeschädigten, sämtliche Schädiger streitgenössisch am Handlungsort eines Deliktsbeteiligten zu verklagen. Sie schließt damit Schutzlücken, die sich – insbesondere auf Ebene der internationalen Zuständigkeit – aus dem Fehlen eines Gerichtsstands der Streitgenossenschaft im Rahmen der §§ 12 ff. ZPO ergeben. Im Schrifttum wird einer Handlungsortzurechnung innerhalb des § 32 ZPO daher mitunter ein Spannungsverhältnis zu der historischen Entscheidung gegen einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft attestiert, die für den Bereich arbeitsteilig verwirklichter Delikte partiell unterlaufen zu werden drohe.196 193

Lorenz, ZRP 2011, 182, 183; Vossler, NJW 2006, 117, 117. BGH, Beschl. v. 17. 9. 1980 – IVb ARZ 557/80, NJW 1980, 2646, 2646; Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996, S. 109; Bornkamm, NJW 1989, 2713, 2716; Patzina, in: MüKo, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 36 Rn. 4; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 610; Vossler, NJW 2006, 117, 119. 195 BGH, Beschl. v. 17. 9. 1980 – IVb ARZ 557/80, NJW 1980, 2646, 2646; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 610; Vossler, NJW 2006, 117, 119. 196 In diese Richtung Huber, IPRax 2009, 134, 135; sowie Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 23. Aufl. 2014, § 32 Rn. 24, nach dem die Bedenken, die gegen einen Gerichtsstand der 194

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

1. Historische Entscheidung gegen einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft Gerichtsstände, die eine Inanspruchnahme mehrerer Beklagter am Wohnsitz eines Streitgenossen ermöglichten, waren vor Vereinheitlichung des deutschen Zivilprozessrechts in verschiedenen einzelstaatlichen Prozessordnungen vorgesehen.197 Die im Jahre 1879 in Kraft getretene CPO sah hingegen bewusst von der Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung ab.198 Vor dem Hintergrund der nicht vereinheitlichten Privatrechtsordnungen der einzelnen Staaten befürchteten die Verfasser, der Kläger werde durch ein Wahlrecht zwischen Gerichtsständen an den Wohnsitzen mehrerer passiver Streitgenossen mittelbar zur Auswahl des günstigsten materiellen Rechts befähigt und dadurch sachwidrig bevorzugt.199 Ein Klägerwahlrecht zwischen den Wohnsitzen sämtlicher Streitgenossen gewährleiste nicht die Befassung des am besten geeigneten Gerichts, biete dem Kläger aber die Option, sich durch kollusives Zusammenwirken mit einem Beklagten einen Gerichtsstand zu erschleichen.200 Angesichts dieser Missbrauchsbefürchtungen wurde die Bestimmung des Mehrparteiengerichtsstands nicht etwa in Gestalt eines besonderen Gerichtsstands dem Kläger, sondern durch § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO dem nächsthöheren Gericht überantwortet.201 Während die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung die Einflussmöglichkeiten des Klägers begrenzt und die gleichgewichtige Berücksichtigung der Beklagteninteressen sichert, gewährleistet die Anknüpfung an den allgemeinen Gerichtsstand, dass zumindest einem Beklagten die Vorzüge des actor sequitur forum rei erhalten bleiben.202

Streitgenossenschaft sprechen, aber durch die Wertung des § 830 BGB überspielt werden sollen. 197 Vgl. insoweit die Aufzählungen bei Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996, S. 54 (dort Fn. 173); Hahn/Stegemann, Die gesamten Materialien zu den ReichsJustizgesetzen, Band 2, Abteilung 1, 2. Aufl. 1881, S. 159; Touissant, in: BeckOK, ZPO, 40. Ed., Stand 1. 3. 2021, § 36 Rn. 10.2. 198 Hahn/Stegemann, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 2, Abteilung 1, 2. Aufl. 1881, S. 159; vgl. hierzu Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996, S. 54 ff.; Lorenz, ZRP 2011, 182, 182 f. 199 Hahn/Stegemann, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 2, Abteilung 1, 2. Aufl. 1881, S. 159; Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996, S. 55 f.; Lorenz, ZRP 2011, 182, 182 f. 200 Hahn/Stegemann, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 2, Abteilung 1, 2. Aufl. 1881, S. 159. 201 Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996, S. 67 ff.; Liebscher/Steinbrück, WM 2020, 359, 360 f. 202 Vgl. zu den Vorzügen der Gerichtsstandbestimmung Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996, S. 54 ff.; Liebscher/Steinbrück, WM 2020, 359, 360; Vossler, NJW 2006, 117, 117; kritisch aber Lorenz, ZRP 2011, 182, 182 f.

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

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2. Rückschlüsse auf die Auslegung des § 32 ZPO Aus dem bewussten Verzicht auf einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft ließe sich der Rückschluss ziehen, der historische Gesetzgeber habe den Grundkonflikt zwischen dem Klägerinteresse an einer Zuständigkeitskonzentration und dem Beklagteninteresse, nicht vor den Gerichtsstand eines Streitgenossen gezogen zu werden, jedenfalls grundsätzlich zugunsten der Zuständigkeitsinteressen des Beklagten entschieden.203 Eine wechselseitige Handlungsortzurechnung im Rahmen des § 32 ZPO, so ließe sich argumentieren, zwinge den Deliktsbeklagten nach Wahl des Klägers vor einen letztlich fremden Gerichtsstand und verkehre das Ergebnis der gesetzgeberischen Interessenabwägung somit in sein Gegenteil. Angesichts der veränderten Rahmenbedingungen ist die historische Entscheidung gegen einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft bei der Auslegung der §§ 12 ff. ZPO jedoch ein Argument von geringem Gewicht.204 Regelungsunterschiede auf Ebene des materiellen Privatrechts können sich innerhalb Deutschlands heute allenfalls aus unterschiedlichen Rechtsaufassungen verschiedener Gerichte ergeben.205 Vor einem diesbezüglichen Klägerwahlrecht wird der Beklagte durch Rechtsmittel ausreichend geschützt. Zumindest partiell sind die Bedenken, die historisch gegen eine zur Wahl des Klägers gestellte Zuständigkeitskonzentration gesprochen haben mögen, heute überholt.206 Dass die Folge einer Zuständigkeitskonzentration einer Handlungsortzurechnung im Rahmen des § 32 ZPO nicht entgegensteht, zeigt auch § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Dieser knüpft die Zulässigkeit eines Gerichtsstandbestimmungsverfahrens tatbestandlich an die Voraussetzung, dass gegen die Streitgenossen kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand eröffnet ist. Gegenüber einer gerichtlichen Zuständigkeitsbestimmung räumt § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO der sachlich legitimierten Zuständigkeitskonzentration an einem besonderen Gerichtsstand somit explizit den Vorrang ein.207

III. Rückgriff auf den materiell-rechtlichen § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB Einer näheren Betrachtung bedarf der Rückgriff auf die materiell-rechtliche Zurechnungsregel des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB, deren Rechtsgedanken die deutsche Rechtsprechung traditionell sowohl auf die zuständigkeitsrechtliche als auch auf die kollisionsrechtliche Ebene überträgt.208 203

Vgl. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 610. In diese Richtung Lorenz, ZRP 2011, 182, 182 f. 205 Lorenz, ZRP 2011, 182, 182 f. 206 Lorenz, ZRP 2011, 182, 182 f. 207 Vgl. hierzu Bornkamm, NJW 1989, 2713, 2716 f. 208 Zu den kollisionsrechtlichen Fragen vgl. von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 278 ff. 204

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

1. Dogmatische Präzisierung Insoweit bedarf es einer dogmatischen Präzisierung. Dass bei der Auslegung des § 32 ZPO auf die materiell-rechtliche Haftungsregel des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB zurückgegriffen wird, lässt sich konstruktiv auf zwei Wegen begründen.209 Denkbar ist es zum einen, den prozessualen Handlungsort des § 32 ZPO anhand des streitentscheidenden Deliktstatbestands der lex causae zu konkretisieren und im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung auf die Handlung abzustellen, auf die es nach dem anwendbaren Deliktsstatut auch für die Begründetheit der Klage ankommt.210 Die Zurechnungsregel des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB wäre demnach zu berücksichtigen, wenn auch auf Begründetheitsebene deutsches Deliktsrecht zur Anwendung berufen ist.211 Ebenso wäre die Gerichtspflicht am Ort einer fremden Deliktshandlung zu bejahen, wenn die fremde Handlung dem Beklagten nach der ausländischen lex causae zuzurechnen ist. Ein derartiger Ansatz würde die Zuständigkeitsfeststellung jedoch mit komplexen kollisions- und sachrechtlichen Vorprüfungen überfrachten212 und hätte Einbrüche materiell-rechtlicher Wertungen in das Zuständigkeitsregime zur Folge. Die internationale Reichweite der deutschen Gerichtsgewalt wie auch die örtliche Zuständigkeitsverteilung zwischen den deutschen Gerichten den Wertungen eines fremdstaatlichen Deliktsrechts anheimzustellen, erscheint sachwidrig.213 Über das Spiegelbildprinzip des § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO würden sich Regelungsunterschiede zwischen Deliktsstatuten zudem auf Ebene der Urteilsanerkennung fortsetzen. Zurechnungsregeln der lex causae würden darüber entscheiden, ob das Urteil eines Drittstaats in Deutschland anerkannt und vollstreckt werden kann.214 Vorzugswürdig erscheint deshalb der zweite denkbare Ansatz, den Begehungsort des § 32 ZPO als originär prozessrechtlichen, nach Zielen und Systematik des deutschen Verfahrensrechts auszulegenden Rechtsbegriff zu verstehen.215 Materiell-rechtliche Zurechnungsregeln wie § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 209 Vgl. hierzu Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 461; Huber, IPRax 2009, 134, 135; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, S. 123 ff. 210 Vgl. hierzu Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 461; Huber, IPRax 2009, 134, 135; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, S. 125 f. 211 Vgl. hierzu Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 461; Huber, IPRax 2009, 134, 135; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, S. 125 f. 212 Vgl. Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, S. 125. 213 Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, S. 125 ff. 214 In diese Richtung jedenfalls andeutungsweise Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 461. 215 Vgl. BGH, Urt. v. 25. 11. 1993 – IX ZR 32/93, NJW 1994, 1413, 1414; Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 461; Huber, IPRax 2009, 134, 135; Nagel/Gottwald, IZPR, 8. Aufl. 2020, § 3 Rn. 354 (9); Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 23. Aufl. 2014, § 32 Rn. 26; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 527.

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

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BGB oder die §§ 31, 831 BGB lassen sich alleine im Wege einer systematischen Auslegung des § 32 ZPO in die Konkretisierung des prozessualen Handlungsortbegriffs einbeziehen. Als gesetzessystematischer Bezugspunkt beeinflussen sie die Auslegung des Deliktsgerichtsstands unabhängig davon, ob das deutsche Deliktsrecht im konkreten Fall zur Anwendung berufen ist.216 2. Gesetzessystematische Berücksichtigung von § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB Auch eine rein gesetzessystematische Berücksichtigung des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB auf Zuständigkeitsebene ist nicht frei von teleologischen Bedenken. Hinter dem autonomen Zuständigkeitsregime steht ein eigenständiges Wertungssystem, das auf einer Gewichtung spezifischer Zuständigkeitsinteressen basiert und die unbesehene Übertragung materiell-rechtlicher Wertungen verbietet.217 Sachrechtliche Deliktstatbestände zielen auf materiell interessengerechte Haftungsverhältnisse und dienen einem anderen Zweck als der auf einen sach- und beweisnahen Gerichtsstand ausgerichtete § 32 ZPO.218 Angesichts ihrer eigenständigen Zielsetzungen sind auch die §§ 12 ff. ZPO in gewisser Weise autonom und von den Wertungen des materiellen Deliktsrecht losgelöst auszulegen.219 Sachrechtliche Wertungen sind nur ergänzend berücksichtigungsfähig, soweit sie mit den Wertungen und Zielen des Zuständigkeitsrechts in Einklang stehen.220 Gegen eine zuständigkeitsrechtliche Berücksichtigung des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB wird im Schrifttum eingewendet, die Vorschrift behebe die Beweisnot des mit einer Schädigermehrheit konfrontierten Verletzten, der die Kausalität einzelner Handlungsbeiträge oftmals nicht zu beweisen vermöge. Sie adressiere damit ein strukturelles Problem, das sich auf Zuständigkeitsebene nicht unmittelbar stelle.221 In Fällen des Kapitalanlagebetrugs seien die Tätigkeiten und Handlungsorte der verschiedenen Finanzdienstleister den betroffenen Anlegern in aller Regel bekannt.222 Aus der arbeitsteiligen Tatbegehung resultierende Unklarheiten im Kausalitätsbereich rechtfertigten es zudem nicht, den Verletzten zuständigkeitsrechtlich zu privilegieren.223 Dem wird entgegengehalten, anders als die Haftung voneinander unabhängig agierender Alternativtäter gemäß § 830 Abs. 1 S. 2 BGB setzte die 216 217

1684. 218 219 220 221

1684. 222 223

Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 461; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 527. Huber, IPRax 2009, 134, 135; Weller, IPRax 2000, 202, 206 f.; Weller, WM 2013, 1681, Vgl. Müller, EuZW 2013, 130, 132 f. Huber, IPRax 2009, 134, 135; Weller, WM 2013, 1681, 1684. Huber, IPRax 2009, 134, 135. Müller, EuZW 2013, 130, 132; Weller, IPRax 2000, 202, 206 f.; Weller, WM 2013, 1681, Weller, IPRax 2000, 202, 207; Weller, WM 2013, 1381, 1684. Weller, IPRax 2000, 202, 206 f.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

Verhaltenszurechnung zwischen Tätern und Teilnehmern die Beweisnot des Geschädigten nicht zwingend voraus.224 Angesichts des erhöhten Verletzungspotentials arbeitsteilig agierender Schädiger halte § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB die Delinquenten an ihrem gemeinsamen Tatplan fest und basiere damit auf einem Gerechtigkeitsgedanken, der sich durch entsprechende Ausweitung der Gerichtspflicht auf die Zuständigkeitsebene übertragen lasse.225 Dass die jeweiligen Tatbeiträge im Bereich der Kapitalanlagedelikte den involvierten Finanzdienstleistern zumeist zugeordnet werden könnten, rechtfertige es nicht, eine Berücksichtigung der Wertung des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB im Allgemeinen zu versagen. In anderen Deliktsbereichen – so etwa im Kartellrecht – seien die Informationsdefizite weit stärker ausgeprägt.226 Die Untersuchung unterzieht zunächst die Zurechnungsregel des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB einer näheren Analyse (dazu a). Im Anschluss wird die Frage in den Blick genommen, inwiefern sich der Rechtsgedanke der materiell-rechtlichen Handlungszurechnung im Rahmen der systematischen Auslegung des § 32 ZPO fruchtbar machen lässt (dazu b). a) Zur Ratio der materiell-rechtlichen Mehrpersonenhaftung Das Haftungsregime der §§ 823 ff. BGB basiert auf dem unausgesprochenen Gedanken, dass sich die Haftung des Deliktsschuldners auf den eigenhändigen Tatbeitrag sowie den dadurch verursachten Schaden beschränkt.227 Wenngleich dieser Grundsatz im Gesetzestext keine ausdrückliche Erwähnung gefunden hat, ging der historische Gesetzgeber doch von der Prämisse aus, dass „jeder nur für denjenigen Schaden haftet, den er in schuldvoller Weise verursacht hat.“228 Für Delikte, die gemeinschaftlich durch mehrere, nach strafrechtlichen Kategorien als Täter oder Teilnehmer zu qualifizierende Personen begangen wurden, wird diese Grundregel durch die §§ 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 840 Abs. 1 BGB modifiziert.229 § 830 Abs. 1 S. 1 BGB ordnet an, dass jeder Beteiligte einer gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung über seinen eigenen Verursachungsanteil hinaus für den Gesamtschaden und somit auch für die Verursachungsbeiträge anderer Schädiger verantwortlich ist. § 830 Abs. 2 BGB erstreckt diese Haftungserweiterung auf Mittäter, Anstifter und Gehilfen und stellt klar, dass die privatrechtliche Delikts224

Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 528. Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 528. 226 Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 528. 227 Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 830 Rn. 1 („Folie einer ,allgemeinen Regel‘ der Teilhaftung“); Weller, WM 2013, 1681, 1684. 228 von Kübel, in: Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Recht der Schuldverhältnisse, Teil 1 AT, 1980, S. 706; vgl. Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 830 Rn. 1. 229 Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 830 Rn. 1. 225

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

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haftung nicht dem dualistischen Beteiligungsmodell des deutschen Strafrechts, sondern einem Einheitstätermodell folgt.230 aa) Gemeinsame Verantwortlichkeit gemäß § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB Aus Sicht des Verletzten, der im Rahmen eines Schadensersatzprozesses die Darlegungs- und Beweislast trägt, erleichtert § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB den Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität.231 Ein Täter oder Teilnehmer, dessen Handeln den Schaden unstreitig oder nachweislich kausal verursacht hat, haftet zumeist gemäß § 823 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz.232 Konstitutive Bedeutung erlangt die Haftungserweiterung des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB daher, wenn sich nicht klären lässt, welche von mehreren Täter- oder Teilnehmerhandlungen sich letztendlich kausal in dem Deliktserfolg niedergeschlagen hat.233 Indem er die Verantwortlichkeit jedes Deliktsbeteiligten für den Gesamtschaden anordnet, schützt § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB den Verletzten davor, dass seine Schadensersatzklage abgewiesen wird, falls er angesichts des unklaren Geschehensablaufs gegenüber keinem Deliktsbeteiligten die konkrete Kausalität des eigenen Handlungsbeitrags beweisen kann.234 Vor diesem Hintergrund wird der gemeinsamen Verantwortlichkeit gemäß § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB von Teilen des Schrifttums die Funktion einer reinen Beweislastregel beigemessen und die Mithaftung solcher Tatbeteiligter verneint, deren Tatbeiträge sich nachweislich nicht im Eintritt des Taterfolgs niedergeschlagen haben.235 Nach überwiegendem Verständnis handelt es sich indes um eine echte Zurechnungsregel, welche die Verantwortlichkeit sämtlicher Mittäter, Anstifter oder Gehilfen ungeachtet einer im konkreten Fall bestehenden Beweisnot anordnet und auch solche Beteiligten erfasst, deren Tatbeiträge nachweislich nicht kausal geworden sind.236 Dass dem Geschädigten der schwierige Kausalitätsnachweis abgenommen wird, wird als Folge, nicht aber als einzige Wirkung oder gar als alleiniger Legitimationsgrund der Zurechnung verstanden. Vor dem Hintergrund der erhöhten Gefährlichkeit mehrerer Deliktsbeteiligter schützt § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB 230

Müller, EuZW 2013, 130, 132; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 830 Rn. 16. BGH, Urt. v. 30. 5. 1972 – VI ZR 6/71, NJW 1972, 1366, 1369; BGH, Urt. v. 29. 10. 1974 – VI ZR 182/73, NJW 1975, 49, 50; Becker/Weidt, JuS 2016, 481, 481 ff.; Eberl-Borges, AcP 196 (1996), 491, 495; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, 13. Aufl. 1994, S. 564 f. 232 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, 13. Aufl. 1994, S. 564 f. 233 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, 13. Aufl. 1994, S. 564 f. 234 BGH, Urt. v. 30. 5. 1972 – VI ZR 6/71, NJW 1972, 1366, 1369; BGH, Urt. v. 29. 10. 1974 – VI ZR 182/73, NJW 1975, 49, 50; Förster, in: BeckOGK, BGB, Stand 1. 1. 2021, § 830 Rn. 8; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 830 Rn. 6 f. 235 Bydlinski, AcP 158 (1959/1960), 410, 417 ff.; Eberl-Borges, AcP 196 (1996), 491, 495. 236 Becker/Weidt, JuS 2016, 481, 483; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 830 Rn. 6 f.; Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, S. 412. 231

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

den Verletzten insofern nicht nur vor einer Anspruchslosigkeit aus Beweislastgründen, sondern stellt ihm neben dem feststehenden Schädiger weitere Schuldner zur Verfügung und reduziert damit das Risiko, wegen eines Durchsetzungshindernisses gegenüber dem feststehenden Schädiger keine Schadenskompensation zu erhalten. bb) Konkretisierung durch § 840 Abs. 1 BGB § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB ist im Zusammenhang mit § 840 Abs. 1 BGB zu lesen, welcher die gesamtschuldnerische Haftung der Täter und Teilnehmer anordnet und damit konkretisiert, was unter der Verantwortlichkeit für den Gesamtschaden im Einzelnen zu verstehen ist.237 Die gesamtschuldnerische Haftung trägt dem Umstand Rechnung, dass das zivile Haftungsrecht keine Sanktionszwecke verfolgt und anders als das Strafrecht daher nicht kraft Zurechnung jeden Täter oder Teilnehmer wegen des Gesamtdelikts belangen kann, sondern der Schaden auch bei arbeitsteiliger Verursachung insgesamt nur einmal kompensiert werden muss.238 Dennoch wird es dem Verletzten ermöglicht, abweichend von der in § 420 BGB verankerten Grundregel der Teilschuld, wonach der Gläubiger die Teilschuldner kumulativ in Höhe ihrer jeweiligen Haftungsanteile verklagen muss, jeden einzelnen Täter oder Teilnehmer in Höhe des Gesamtschadens in Anspruch zu nehmen.239 Die gesamtschuldnerische Haftung sichert eine volle Schadenskompensation, solange zumindest ein leistungsfähiger Täter oder Teilnehmer vorhanden ist. Sie verhindert, dass der Verletzte im Falle der Insolvenz eines Mitverursachers den auf den ausgefallenen Schädiger entfallenden Haftungsanteil selbst zu tragen hat.240 Das Risiko der Insolvenz eines Haftenden wird in das Regressverhältnis zwischen dem in Anspruch genommenen Schädiger und den übrigen Verursachern verlagert (vgl. § 426 Abs. 1 S. 2 BGB).241 Der Verletzte kann sich auf die Inanspruchnahme eines Delinquenten seiner Wahl beschränken und wird aus der internen Haftungsverteilung zwischen den Tätern und Teilnehmern herausgehalten. Hingegen muss der in Anspruch genommene Schädiger nach Führung des Außenhaftungsprozesses Regressansprüche gegen die übrigen Gesamtschuldner geltend machen um sicherzustellen, dass der Schaden entsprechend den individuellen Verursachungsbeiträgen verteilt wird. Er trägt mithin das Risiko, dass sich die quantitative Aufteilung des Schadens auf die zusammenwirkenden Verursachungsbeiträge als schwierig erweist.242 Auch der 237 Becker/Weidt, JuS 2016, 481, 482 („Die Vorschrift regelt das ,Wer‘ im Sinne der Verantwortlichkeit für eine Tat. § 840 hingegen bestimmt, wie ,mehrere‘, die ,nebeneinander verantwortlich‘ sind, haften.“); Förster, in: BeckOGK, BGB, Stand 1. 1. 2021, § 830 Rn. 3; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 830 Rn. 1. 238 Hoffmann, AcP 211 (2011), 703, 711. 239 Becker/Weidt, JuS 2016, 481, 487. 240 Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 840 Rn. 1. 241 Becker/Weidt, JuS 2016, 481, 487. 242 Förster, in: BeckOGK, BGB, Stand 1. 1. 2021, § 830 Rn. 8.

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

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mehrfache Zeit- und Kostenaufwand sowie die vermehrten Prozessrisiken, die mit dem Vorhandensein einer Schuldnermehrheit einhergehen, werden somit dem Geschädigten abgenommen und den Schädigern auferlegt.243 Angesichts der bloßen Verlagerung des prozessualen Mehraufwands in das Innenverhältnis wird die Außenhaftung, soweit sie den im Innenverhältnis zu tragenden Schadensteil übersteigt, im Schrifttum mitunter als rein „formelle Abwicklungshaftung“244 charakterisiert. cc) Normative Rechtfertigung der verschärften Haftung Die Haftungsverschärfung des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB hilft dem Verletzten mithin nicht nur über Beweisschwierigkeiten im Kausalitätsbereich hinweg. In ihrer Ausgestaltung als gesamtschuldnerische Mithaftung schützt sie den Verletzten zudem vor sonstigen Risiken und Komplikationen, die – wie die Vervielfachung der Prozess- und Insolvenzrisiken – aus dem Vorhandensein mehrerer Schädiger resultieren.245 Dass derartige Belastungen über eine verschärfte Außenhaftung auf die arbeitsteilig vorgehenden Schädiger verlagert werden, rechtfertigt sich aus deren qualifiziertem Verschulden.246 Anders als der Vorsatz eines Alleintäters umfasst der Vorsatz eines Mittäters, Anstifters oder Gehilfen neben dem eigenen Handeln auch fremde, auf die Herbeiführung desselben Deliktserfolgs gerichtete Tatbeiträge.247 Steht der Vorsatz zur gemeinschaftlichen Deliktsbegehung fest, so erscheint es legitim, dass über § 830 Abs. 1 S. 1 BGB auch Deliktsbeteiligte mithaften, deren Handlungsbeiträge (möglicherweise) nicht kausal geworden sind. Denn der Vorsatz jedes Mittäters oder Teilnehmers richtet sich darauf, den Deliktserfolg entweder durch den eigenen oder einen fremden Tatbeitrag zu verwirklichen.248 Ebenso scheint es gerechtfertigt, die Delinquenten mit den Insolvenzrisiken ihrer Kooperationspartner zu belasten. Die Schädiger können ihre Mittäter und Teilnehmer wählen und das Risiko, insolvenzbedingt keinen Regress nehmen zu können, somit steuern. Hingegen ist dem Deliktsgeschädigten, der sich seine Schuldner außerhalb vertraglicher Beziehungen nicht aussuchen kann, eine Vervielfältigung der Insolvenzrisiken nicht zuzumuten.249 Das qualifiziert vorsätzliche Zusammenwirken legitimiert es auch, den durch die Mehrzahl involvierter Personen erhöhten Prozessaufwand den Schädigern zuzuweisen. Diese haben sich bewusst zugunsten einer ge243

Becker/Weidt, JuS 2016, 481, 487; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 840 Rn. 1. Hoffmann, AcP 211 (2011), 703, 711. 245 Vgl. Wilhelmi, in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 830 Rn. 2. 246 Becker/Weidt, JuS 2016, 481, 483; Eberl-Borges, AcP 196 (1996), 491, 497; Förster, in: BeckOGK, BGB, Stand 1. 1. 2021, § 830 Rn. 8; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/ 2, 13. Aufl. 1994, S. 564 f.; Wilhelmi, in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 830 Rn. 2. 247 Eberl-Borges, AcP 196 (1996), 491, 497. 248 Brambring, Mittäter, Nebentäter, Beteiligte und die Verteilung des Schadens bei Mitverschulden des Geschädigten, 1973, S. 28. 249 Förster, in: BeckOGK, BGB, Stand 1. 1. 2021, § 840 Rn. 2; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 840 Rn. 1; vgl. auch Hoffmann, AcP 211 (2011), 703, 711 f. 244

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

meinschaftlichen Tatbegehung entschieden und damit in Kauf genommen, dass eine Haftungsverteilung anhand der individuellen Tatbeiträge im Rahmen eines Schadensersatzprozesses einen erhöhten Zeit- und Kostenaufwand verursacht. b) Übertragbarkeit des Rechtsgedankens auf die Zuständigkeitsebene Mutatis mutandis stellt sich die Frage, wie die aus der Involvierung einer größeren Zahl von Schuldnern resultierenden Belastungen zu verteilen sind, auch auf Zuständigkeitsebene. Das Vorhandensein mehrerer Beklagter begründet hier besondere Interessenkonflikte.250 Entweder muss der klagende Geschädigte auf die Führung getrennter Prozesse verwiesen und die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes insoweit erschwert werden. Anderenfalls muss zumindest ein Beklagter vor den Gerichtsstand eines Streitgenossen gezogen und an einem Ort für gerichtspflichtig gehalten werden, an dem er alleine nicht verklagt werden könnte.251 Im Mittelpunkt des Rechtsstreits kann nicht nur der eigene Tatbeitrag des Beklagten, sondern ebenso das Handeln eines nicht mitverklagten Mit- oder Haupttäters stehen. Das Interesse des Geschädigten, jeden Schädiger vor einem tatsächlich beweisnahen Gericht verklagen zu können, widerstrebt dem Interesse der Beklagten, keiner zusätzlichen Gerichtspflicht an den Orten fremder Handlungen ausgesetzt zu werden. Auch das Insolvenzrisiko findet auf Zuständigkeitsebene ein Pendant, da der Verletzte bei Insolvenz eines Schädigers den potentiell beweisnahen Gerichtsstand am Handlungsort des ausgefallenen Mitverursachers praktisch zu verlieren droht, sofern er die übrigen Schädiger dort nicht verklagen kann.252 aa) Abgleich mit den Wertungsgrundlagen des Zuständigkeitsrechts Dem Rechtsgedanken der §§ 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 840 Abs. 1 BGB entspricht es, die Gerichtspflicht der Schädiger auszuweiten und derartige Interessenkonflikte somit zugunsten des Deliktsgeschädigten aufzulösen. Ob dieser Opferschutzgedanke mit den Gerechtigkeitsvorstellungen und Wertungen des Zuständigkeitsrechts vereinbar ist, erscheint jedoch fraglich.253 In seiner Gesamtheit zielt das Zuständigkeitsregime der §§ 12 ff. ZPO auf eine paritätische Berücksichtigung der beiderseitigen Zuständigkeitsinteressen und gewährleistet somit die Waffengleichheit der Parteien.254 Zu dem zuständigkeitsrechtlichen Ziel einer ausgeglichenen prozes250

Vgl. Kapitel 1 C. VI. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 610. 252 Vgl. mit Blick auf den europäischen Deliktsgerichtsstand Thiede/Sommer, ÖBA 2015, 175, 185. 253 Dagegen Müller, EuZW 2013, 130, 132; Weller, IPRax 2000, 202, 206 f.; Weller, WM 2013, 1681, 1684. 254 Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 23. Aufl. 2014, § 12 Rn. 3; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 12 Rn. 2; die unter Kapitel 1 D. 4. angestellten Überlegungen gelten im Rahmen der §§ 12 ff. ZPO entsprechend. 251

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

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sualen Lastenverteilung steht der Gedanke, aus dem Vorhandensein mehrerer Täter oder Teilnehmer resultierende Mehrbelastungen einseitig auf die Deliktsbeklagten zu verlagern, in deutlichem Kontrast. Es besteht die Gefahr, dass der Deliktsgerichtsstand derart ausgedehnt wird, dass er das Gegengewicht des allgemeinen Beklagtengerichtsstands überwiegt und die Balance der beiderseitigen Zuständigkeitsinteressen bedroht. Vor allem aber findet die normative Legitimationsgrundlage, auf welcher die Haftungsverschärfung materiell-rechtlich beruht, auf Zuständigkeitsebene kein Pendant. Während sich die Handlungszurechnung materiell-rechtlich mit der Erwägung rechtfertigen lassen mag, der Haftende habe auch den fremden Tatbeitrag in seinen Vorsatz aufgenommen, ist die Sach- und Rechtslage aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht offen. Ob sich der Beklagte tatsächlich an einem vorsätzlich und arbeitsteilig begangenen Delikt beteiligt hat, steht aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht nicht fest, sondern ist im Prozess ergebnisoffen zu klären. Dass der schlüssige Tatsachenvortrag des Klägers für die Zuständigkeitsprüfung als wahr unterstellt wird, dient vornehmlich dem Schutz des Beklagten vor einer erneuten Inanspruchnahme und ändert an der strukturellen Ungewissheit nichts.255 Wegen der Offenheit der Sach- und Rechtslage ist der Ausgleich zwischen den Zuständigkeitsinteressen der Parteien von dem Gewicht des streitgegenständlichen Deliktsvorwurfs unabhängig. Das höhere materielle Gewicht eines arbeitsteilig verwirklichten Delikts lässt die prozessuale Schutzwürdigkeit des Beklagten unberührt und erlaubt es nicht, den angeblichen Mittäter oder Teilnehmer zuständigkeitsrechtlich schlechter zu stellen als einen präsumtiven Alleintäter.256 Eine Übertragung des hinter § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB stehenden Rechtsgedankens auf § 32 ZPO ist daher als Aufladung des Zuständigkeitsrechts mit materiell-rechtlichen Gerechtigkeitserwägungen abzulehnen. bb) Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen als Gegeneinwand Dem Kritikpunkt, eine an § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB orientierte Handlungsortzurechnung schließe in unzulässiger Weise von der Begründetheit der Klage auf ihre Zulässigkeit, ist in der Literatur die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen entgegengehalten worden.257 Diese deute an, dass dem Zuständigkeitsrecht gewisse Vorgriffe auf Elemente der Begründetheitsprüfung keineswegs fremd seien. Werde im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung die schlüssige Behauptung eines arbeitsteilig verwirklichten Delikts als wahr unterstellt, so reihe sich dies nahtlos in die anderweitige Handhabung der §§ 29, 32 ZPO ein.258 255

Vgl. Kapitel 2 B. A. A. Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 461, nach denen die Belastung der Beklagten, denen vorsätzliches Handeln zur Last liegt, hinzunehmen sein soll. 257 Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 528. 258 Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 528. 256

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

Dass Zuständigkeits- und Sachrecht oftmals an dieselben Sachverhaltselemente anknüpfen und damit doppelrelevante Tatsachen entstehen, ist für die Begründung sachnaher Gerichtsstände zwingend. Das Ziel eines räumlichen Konnexes zwischen Gerichtsstand und streitgegenständlichem Lebenssachverhalt rechtfertigt es aber nicht, materiell-rechtliche Haftungsverschärfungen auf Zuständigkeitsebene in Gestalt einer erweiterten Gerichtspflicht zu spiegeln. Dass der Beklagte gemäß § 29 Abs.1 ZPO am vertraglichen Erfüllungsort sowie gemäß § 32 ZPO am deliktischen Tatort gerichtspflichtig ist, ist keineswegs Ausdruck einer Kongruenz zuständigkeitsrechtlicher und materiell-rechtlicher Wertungen, sondern rechtfertigt sich aus rein zuständigkeitsrechtlichen Interessen.259 Die §§ 29 Abs. 1, 32 ZPO beruhen nicht auf der materiell-rechtlichen Erwägung, der Beklagte habe einen als doppelrelevant zu unterstellenden Vertrag geschlossen oder ein Delikt begangen, sondern auf der verfahrensrechtlichen Annahme, in Vertrags- bzw. Deliktsprozessen bestehe am angeblichen Erfüllungs- bzw. am Tatort eine besonders große Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein erheblicher Beweismittel. Dementsprechend lässt sich eine Ausweitung der Gerichtspflicht auf die Handlungsorte anderer Schädiger nicht mit der Erwägung rechtfertigen, die Beteiligung des Beklagten an dem arbeitsteilig verwirklichten Delikt sei angesichts ihrer Doppelrelevanz als wahr zu unterstellen. Sie ließe sich alleine damit begründen, dass auch der Handlungsort eines Mit- oder Haupttäters die für den Tatort typische Beweisnähe indiziert. cc) § 830 Abs. 2 BGB als Argument gegen eine Handlungsortzurechnung Aus Gründen der Vollständigkeit ist auf einen weiteren Gesichtspunkt hinzuweisen. Im Schrifttum ist argumentiert worden, das Einheitstäterprinzip des § 830 Abs. 2 BGB lasse sich nicht nur als Argument für, sondern ebenso als Argument gegen eine prozessuale Handlungsortzurechnung fruchtbar machen.260 Die materiellrechtliche Gleichbehandlung der Handlungen von Tätern, Anstiftern und Gehilfen lasse sich auch in dem Sinne auf die Zuständigkeitsebene übertragen, dass jeder Deliktsbeteiligte ungeachtet des Gewichts seiner Tatbeteiligung am Ort seines eigenen Handelns gerichtspflichtig ist. c) Erstes Zwischenfazit Die materiell-rechtliche Handlungszurechnung gemäß §§ 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 840 Abs. 1 BGB schützt den Verletzten nicht nur vor Beweisschwierigkeiten im Bereich der Kausalität, sondern gleichermaßen vor Belastungen wie einer Vervielfältigung der Prozess- und Insolvenzrisiken. Dass die aus der Beteiligung mehrerer Schädiger resultierenden Lasten in Gestalt einer verschärften Deliktshaftung einseitig auf die Schädiger verlagert werden, rechtfertigt sich aus dem qualifizierten 259 Vgl. zum Erfüllungsortgerichtsstand Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 678. 260 Müller, EuZW 2013, 130, 133; Weller, IPRax 2000, 202, 206 f.

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

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Vorsatz der Delinquenten. Die Zuständigkeitsvorschriften der §§ 12 ff. ZPO zielen demgegenüber auf eine ausgeglichene Berücksichtigung der beiderseitigen Zuständigkeitsinteressen sowie auf die angemessene Verteilung der mit dem Verfahren verbundenen Belastungen. Zu diesem parteineutralen Ansatz steht der Rechtsgedanke der §§ 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 840 Abs. 1 BGB in Widerspruch. Da sich die Zuständigkeitsallokation vor dem Hintergrund einer offenen Sach- und Rechtslage bewegt und sowohl begründete und als auch unbegründete Deliktsklagen erfasst, lässt sich eine klägerfreundliche Auslegung des Deliktsgerichtsstands nicht entsprechend § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB mit einer qualifiziert schuldhaften Tatbegehung oder einem erhöhten Gewicht des arbeitsteilig begangenen Delikts begründen.

IV. Zuständigkeitsrechtliche Betrachtung Eine wechselseitige Handlungsortzurechnung zwischen mehreren (angeblichen) Tätern und Teilnehmern lässt sich dogmatisch widerspruchsfrei daher nicht mit dem Rechtsgedanken des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB, sondern alleine anhand zuständigkeitsrechtlicher Erwägungen rechtfertigen. Entscheidend kommt es darauf an, ob eine zusätzliche Gerichtspflicht des Beklagten an den Handlungsorten anderer Täter, Anstifter oder Gehilfen von der Teleologie des § 32 ZPO sowie dem dahinterstehenden Interesse an einem sach- und beweisnahen Gerichtsstand getragen wird.261 1. Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der Sach- und Beweisnähe Mit der arbeitsteiligen Deliktsbegehung sind unter dem Gesichtspunkt der Sachund Beweisnähe Besonderheiten verbunden. Sind die Sachverhaltselemente, aus denen sich das auf Begründetheitsebene festzustellende Delikt zusammensetzt, an verschiedenen Orten belegen, so ist jeder Teilakt mit Blick auf den innerhalb seines Bezirks verübten Handlungsbeitrag beweisnah und im Übrigen beweisfern. An keinem der (Teil-)Handlungsorte sind die Gerichte unter dem Gesichtspunkt der räumlichen Nähe zur Beweiserhebung über das Gesamtdelikt geeignet. Die nur partielle Sach- und Beweisnähe der einzelnen Handlungsorte ist notwendige Folge der arbeitsteiligen Begehungsweise. a) Wertungsparallele zu Fällen der Alleintäterschaft Hätte der Beklagte als Alleintäter des streitgegenständlichen Delikts sämtliche Handlungsbeiträge selbst verübt, so stünde dem Verletzten nach der klägerfreundlichen Rechtsprechung des BGH ein Gerichtsstand am Ort jedes Handlungselements 261

Huber, IPRax 2009, 134, 135; Weller, WM 2013, 1681, 1684.

174

Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

offen.262 Es ließe sich argumentieren, im Falle der arbeitsteiligen Deliktsbegehung müsse Entsprechendes gelten. Die arbeitsteilige Vorgehensweise dürfe nicht zu einer zuständigkeitsrechtlichen Besserstellung der einzelnen Delinquenten führen.263 Im Grundsatz leuchtet diese Wertungsparallele ein. Dennoch lässt sich die Rechtsprechung des BGH, welche den Handlungsortgerichtsstand gleichermaßen am Ort jedes Handlungselements lokalisiert, nicht unmittelbar auf Fälle der arbeitsteiligen Deliktsbeteiligung übertragen. Zu groß sind die strukturellen Unterschiede zwischen beiden Begehungsformen. Im Falle der Alleintäterschaft wirken jedenfalls völlig nebensächlichen Begleit- oder Vorbereitungshandlungen nicht zuständigkeitsbegründend. Bei arbeitsteiliger Deliktsbegehung müssen vorbereitende Anstiftungsoder Beihilfehandlungen zumindest die Gerichtspflicht des vor Ort handelnden Teilnehmers zur Folge haben. Letzteres darf aber nicht dazu führen, dass der Haupttäter durch prozessuale Zurechnung des Anstifter- oder Gehilfenbeitrags an einem Ort gerichtspflichtig wird, der zuständigkeitsrechtlich unbeachtlich wäre, wenn er die betreffende oder eine funktional vergleichbare Handlung selbst vorgenommen hätte.264 Daneben tritt ein zweiter Aspekt. Für eine Klage gegen den Alleintäter weist der Ort jedes Teilakts eine gewisse Beweisnähe auf. Hingegen kommt bei arbeitsteiliger Vorgehensweise nicht jedem Tatbeitrag für die Haftung jedes Deliktsbeteiligten Bedeutung zu. Denkbar sind untergeordnete, etwa rein psychische Gehilfenbeiträge, die für die materiell-rechtliche Mithaftung des Gehilfen konstitutiv, für die Haftung anderer Beteiligter – allen voran des Haupttäters – aber von vorne herein unerheblich sind.265 Der Beweisnähezweck des § 32 ZPO spricht dafür, am Ort eines solchen Tatbeitrags alleine den eigenhändig handelnden Gehilfen, nicht aber den Haupttäter oder andere Teilnehmer für gerichtspflichtig zu halten. b) Einteilung in drei Grundkonstellationen Materiell-rechtlich wird die Begründetheit der Klage stets davon abhängen, dass dem Beklagten ein eigener Tatbeitrag nachgewiesen werden kann. Der eigene Handlungsort weist daher in aller Regel eine gewisse Beweisnähe auf.266 Im Einzelfall kann der eigene Tatbeitrag allerdings unstreitig bleiben und das Handeln eines 262

Vgl. Kapitel 3 C. I. Vgl. mit Blick auf den europäischen Deliktsgerichtsstand Mankowski, in: Magnus/ Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 286; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 446; Thole, in: FS Schilken, 2015, 524, 532; Weller, WM 2013, 1681, 1684. 264 Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 534 f.; vgl. auch Thole, ZBB 2011, 399, 404; sowie im Kontext des Art. 40 Abs. 1 EGBGB von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 280 f. 265 Huber, IPRax 2009, 134, 135; Weller, WM 2013, 1681, 1685. 266 Weller, WM 2013, 1681, 1685; noch weitergehend Müller, NJW 2013, 2099, 2102; Müller, EuZW 2013, 130, 133 (jeweils mit Blick auf Art. 7 Nr. 2 EuGVVO), der aus dem materiell-rechtlichen Einheitstäterprinzip zumindest in der Grundtendenz auf die Beweisferne fremder Handlungsorte schließt. 263

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

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nicht mitverklagten Mit- oder Haupttäters im Mittelpunkt des Rechtsstreits stehen. Ein anschauliches Beispiel bildet der Fall eines Beklagten, der sich an dem Delikt von einem anderen Staat aus durch psychische Beihilfe beteiligt hat.267 Hier kann sich der Prozess primär um die Deliktsbegehung durch den Haupttäter drehen, während sich der weit entfernte Ort der psychischen Beihilfehandlung auch gegenüber dem Gehilfen als beziehungsarmer Gerichtsstand erweist.268 Während der eigene Handlungsort des Beklagten aber ungeachtet seiner Bedeutung für das Gesamtdelikt beweisnah ist, hängt die Beweisnähe zuzurechnender fremder Handlungsorte von der Bedeutung des jeweiligen Tatbeitrags für das deliktische Gesamtgeschehen ab. In Anlehnung an die Beteiligungsformen des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB lassen sich die Handlungsorte der Mittäter und Teilnehmer, welche der BGH im Rahmen des § 32 ZPO zurechnet, in drei Grundtypen einteilen. (1.) Dem Haupttäter werden die Handlungsorte seiner Anstifter und Gehilfen mit zuständigkeitsbegründender Wirkung zugerechnet.269 Materiell-rechtlich wird die Haftung des Haupttäters, welcher den Deliktstatbestand durch sein eigenes Handeln verwirklicht, aber kaum davon abhängen, dass der Kläger fremde Unterstützungshandlungen beweisen kann. Der Handlungsort eines Anstifters oder Gehilfen ist derart beweisfern, dass eine Abweichung vom Grundsatz des Beklagtengerichtsstands kaum zu rechtfertigen wäre.270 Die Gerichtspflicht des Haupttäters am Handlungsort eines Anstifters oder Gehilfen lässt sich isoliert betrachtet nicht mit den Zwecken des § 32 ZPO begründen, sondern allenfalls als unvermeidbare Nebenfolge eines insgesamt gerechtfertigten Zurechnungskonzepts hinnehmen.271 (2.) Gegenüber Anstiftern und Gehilfen eröffnet eine an § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB orientierte Handlungsortzurechnung einen Gerichtsstand am Handlungsort des Haupttäters. Da die Haupttat den „sachbezogenen und personellen Schwerpunkt einer unerlaubten Handlung“ bildet272 und das deliktische Gesamtgeschehen prägt,273 erscheint ein Gerichtsstand am Ort der Haupttat auch gegenüber andernorts handelnden Schädigern sachgerecht. Da die Haupttat bei der Prüfung der Teilnehmerhaftung in aller Regel inzident festzustellen sein wird, entsteht neben der Zuständigkeit am Ort des eigenen Tatbeitrags ein zweiter, gleichermaßen beweisnaher

267

Beispiel nach Huber, IPRax 2009, 134, 135; Weller, WM 2013, 1681, 1685. Huber, IPRax 2009, 134, 135; Weller, WM 2013, 1681, 1685; anders aber Müller, NJW 2013, 2099, 2102, nach dem es zumeist um den eigenen Tatbeitrag des Beklagten gehen und Handlungsorte anderer Beteiligter daher beweisfern sein sollen. 269 Huber, IPRax 2009, 134, 135; Weller, WM 2013, 1681, 1685. 270 Huber, IPRax 2009, 134, 135; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 101. 271 Vgl. Weller, WM 2013, 1681, 1685. 272 So expressis verbis Wagner, EuZW 2013, 544, 546; vgl. auch von Hein, RIW 2011, 810, 812. 273 Maultzsch, IPRax 2017, 442, 446. 268

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

Gerichtsstand.274 Ob sich einer der beiden Handlungsortgerichtsstände tatsächlich als beweisnah erweist oder sich der Rechtsstreit im Kern um den andernorts eingetretenen Taterfolg dreht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. (3.) Daneben sind Fälle der echten arbeitsteiligen Mittäterschaft denkbar. Hier wird das Delikt nicht an einem Ort begangen und von einem zweiten Beteiligten von einem anderen Ort aus unterstützt, sondern setzt sich erst aus den verstreuten Handlungsbeiträgen mehrerer Personen zusammen. Müssen bei der Prüfung der Begründetheit der Klage gegenüber jedem Deliktsbeteiligten sowohl eigene als auch fremde Handlungsbeiträge festgestellt werden, so ist das Gericht am Ort jedes Teilakts für die Haftung jedes Mittäters gleichermaßen partiell beweisnah. Ob der Mittäter am Ort seines eigenen oder eines fremden Tatbeitrags verklagt wird, ist insoweit nicht von Belang. 2. Ansätze für ein originär zuständigkeitsrechtliches Zurechnungsmodell Die Teleologie des § 32 ZPO gebietet es daher, die Zurechnung auf Tatbeiträge zu beschränken, die nicht nur für die Haftung des eigenhändig vor Ort handelnden Beteiligten relevant, sondern für das deliktische Gesamtgeschehen zentral sind und daher gegenüber sämtlichen Deliktsbeteiligten eine besondere Beweisnähe indizieren.275 Gelingt eine auf das Gewicht der Tatbeiträge gestützte Differenzierung zwischen zurechnungsfähigen und nicht zurechnungsfähigen Tatbeiträgen anhand ausreichend klarer Kriterien nicht, so muss die wechselseitige Zurechnung entweder – wie vom BGH praktiziert – umfassend zugelassen und damit in Kauf genommen werden, dass auch beweisferne Handlungsorte zugerechnet werden, oder aber die Zurechnung insgesamt ausgeschlossen bleiben, obwohl dem Geschädigten somit die Option verwehrt wird, andernorts handelnde Mitverursacher an beweisnahen fremden Handlungsorten zu verklagen. a) Allseitige Zurechnung des deliktischen Handlungsschwerpunkts Im Schrifttum wird dafür plädiert, die prozessuale Handlungsortzurechnung im Wege einer rein zuständigkeitsrechtlichen Betrachtung auf den deliktischen Handlungsschwerpunkt zu beschränken.276 Während der zentrale Handlungsbeitrag sämtlichen Tätern und Teilnehmern zuzurechnen sein soll, wird eine Zurechnung nebensächlicher Handlungsorte abgelehnt. Im Ergebnis begrenzt eine derartige Differenzierung die prozessuale Handlungsortzurechnung auf den Tatbeitrag des 274

546. 275

Vgl. mit Blick auf den europäischen Deliktsgerichtsstand Wagner, EuZW 2013, 544,

Vgl. Huber, IPRax 2009, 134, 135. Huber, IPRax 2009, 134, 135 f.; zu Art. 7 Nr. 2 EuGVVO vgl. auch Kontogeorgou, Das IPR der Kapitalmarktdelikte, 2018, S. 146; Weller, IPRax 2000, 202, 208; Weller, LMK 2013, 348154; Weller, WM 2013, 1681, 1685 f.; vgl. auch von Hein, RIW 2011, 810, 812; von Hein, IPRax 2013, 505, 510; Schmidt, Rechtssicherheit im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2015, S. 145. 276

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

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Haupttäters und nimmt weniger schwerwiegende Tatbeiträge von der Zurechnung aus. Sie führt unter dem Gesichtspunkt der Sach- und Beweisnähe zu dem einleuchtenden Ergebnis, dass der Haupttäter alleine am Ort der Haupttat verklagt werden kann, während Anstifter und Gehilfen sowohl am Ort der eigenen Unterstützungshandlung als auch am Ort der Haupttat gerichtspflichtig sind. Dennoch bleiben dogmatische Bedenken. Ein erster Kritikpunkt ergibt sich daraus, dass Anstifter und Gehilfen sowohl am Ort des eigenen als auch am Ort des zentralen Tatbeitrags gerichtspflichtig wären und damit schlechter gestellt würden als der Haupttäter, der alleine am Ort seines eigenen Tatbeitrags einem Handlungsortgerichtsstand ausgesetzt wird. Zuständigkeitsrechtlich mag dieses Ergebnis angesichts der Unterschiede im Bereich der Sach- und Beweisnähe gerechtfertigt sein. Dennoch verbleibt ein gewisser Widerspruch zwischen sach- und zuständigkeitsrechtlichen Wertungen, da die Anspruchsdurchsetzung prozessual gerade gegenüber solchen Schädigern erleichtert wird, die aus materiell-rechtlicher Sicht lediglich nebensächliche Tatbeiträge erbracht haben.277 Ein zweiter Kritikpunkt zeigt sich in Fällen der gleichberechtigten Mittäterschaft. Setzt sich das Delikt aus gleichwertigen Handlungen mehrerer Mittäter zusammen, so lässt sich kaum ein deliktischer Handlungsschwerpunkt ausmachen. Es bedürfte einer Auffangregel, wonach die Zurechnung in Ermangelung eines eindeutigen Schwerpunkts zugelassen und die Begründung beziehungsarmer Gerichtsstände in Kauf genommen oder aber die Zurechnung im Zweifel verneint und auf eine Zurechnung des zentralen Handlungsorts verzichtet wird.278 Beide denkbaren Auffangkonstruktionen vermögen nicht zu kaschieren, dass eine Schwerpunktbetrachtung im Falle einer Kooperation gleichberechtigter Mittäter an ihre Grenzen stößt. Insbesondere beeinträchtigt eine Schwerpunktbetrachtung aber die Zuständigkeitsklarheit.279 Auch auf Ebene des autonomen deutschen Zuständigkeitsrechts fehlt es für die objektive Gewichtung ungleichartiger Deliktshandlungen an belastbaren Kriterien. Ist der zentrale Handlungsbeitrag nicht gänzlich eindeutig, so verlangt die Bestimmung des deliktischen Handlungsschwerpunkts dem Gericht eine hochgradig subjektive Wertungsentscheidung ab, deren Ergebnis für den Kläger kaum verlässlich zu prognostizieren ist. Erschwerend tritt das strukturelle Informationsdefizit des Geschädigten hinzu. Im Falle eines transnationalen Distanzdelikts wird der Geschädigte weder die einzelnen Handlungsorte noch die Arbeitsteilung zwischen den Schädigern bis ins letzte Detail kennen und schon aus Gründen der Tatsa-

277 Vgl. im kollisionsrechtlichen Kontext von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 284. 278 Für letzteres Weller, WM 2013, 1681, 1685 (mit Blick auf den europäischen Deliktsgerichtsstand). 279 Vgl. mit Blick auf den europäischen Deliktsgerichtsstand Mankowski, in: Magnus/ Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn 285; Thole, in: FS Schilken, 2015, 524, 534.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

chenunkenntnis nicht immer in der Lage sein, den deliktischen Handlungsschwerpunkt belastbar zu identifizieren und im Prozess vorzutragen.280 Dass die Rechtsprechung das Schwerpunktmodell bislang nicht aufgegriffen und stattdessen an einer allseitigen Handlungsortzurechnung nach dem Vorbild des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB festgehalten hat, erscheint unter dem Gesichtspunkt der Zuständigkeitsklarheit deshalb nachvollziehbar. Eine Schwerpunktbetrachtung erschiene zudem als Bruch mit der sonstigen, gegenüber einer Zuständigkeitsvervielfältigung aufgeschlossenen Auslegung des § 32 ZPO. Eine Zentralisierung des Handlungsortgerichtsstands im Falle der arbeitsteiligen Deliktsbegehung stünde in diametralem Widerspruch zu der sonstigen Linie, als Tatort im zuständigkeitsrechtlichen Sinne jeden Ort anzusehen, „an dem auch nur eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale verwirklicht worden ist.“281 b) Zurechnung der Orte täterschaftlicher Handlungen Denkbar wäre es daneben, die Zurechnung in Anlehnung an das dualistische Beteiligungsmodell des deutschen Strafrechts auf die Orte täterschaftlicher Handlungen zu beschränken und die Handlungsorte der Teilnehmer von der Zurechnung auszunehmen.282 Während am Handlungsort eines jeden Mit- oder Haupttäters eine umfassende Zuständigkeit eröffnet wäre, könnte am Ort einer Anstiftungs- oder Beihilfehandlung nur der eigenhändig agierende Teilnehmer verklagt werden. Anders als eine isolierte Zurechnung des deliktischen Handlungsschwerpunkts kann dies zur allseitigen Zurechnung mehrerer täterschaftlicher Handlungen und damit zu einer weitergehenden Vervielfältigung des Handlungsortgerichtsstands führen. Der potentiellen Zuständigkeitsvervielfältigung steht der Vorteil gegenüber, dass für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme – anders als für die Bildung eines deliktischen Handlungsschwerpunkts – ausgereifte Kriterien existieren, auf die zur Bestimmung der zurechnungsfähigen Handlungsorte zurückgegriffen werden könnte. Zudem würde in Fällen der „echten“ arbeitsteiligen Mittäterschaft die schwierige Identifikation eines einzelnen zentralen Tatbeitrags vermieden. Indes würde die Zuständigkeitsprüfung mit einer diffizilen Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme belastet, welche § 830 Abs. 2 BGB für den Bereich der zivilrechtlichen Deliktshaftung an sich erübrigt.283 Im strafrechtlichen Kontext knüpft die deutsche Rechtsprechung die Täterschaft an den Täterwillen und damit an die subjektive Willensrichtung des Handelnden, welche sie durch eine Gesamt280 Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussel Ibis Regulation Rn 285. 281 RG, Beschl. v. 18. 10. 1909 – Rep. II 96/08, RGZ 72, 41, 43, 44. 282 Vgl. hierzu mit Blick auf den europäischen Deliktsgerichtsstand von Hein, IPRax 2013, 505, 510; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 533. 283 Kritisch mit Blick auf den europäischen Deliktsgerichtsstand Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 534.

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

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würdigung von Umständen wie dem Interesse am Taterfolgt, dem Gewicht des Tatbeitrags, der Tatherrschaft und dem Willen zur Tatherrschaft feststellt.284 Angesichts ihrer Komplexität und Wertungsoffenheit eignet sich eine solche Gesamtwürdigung subjektiver und objektiver Umstände kaum als Anknüpfungspunkt für einen klaren, einfach festzustellenden Gerichtsstand.285 Die subjektive Einstellung einzelner Deliktsbeteiligter wird dem Verletzten eines transnationalen, arbeitsteilig verwirklichten Distanzdelikts oftmals unbekannt sein. Eine Differenzierung anhand der subjektiven Willensrichtung lässt ferner die spezifischen Zwecke des § 32 ZPO unberücksichtigt. Der Täterwille ermöglicht keine besonderen Rückschlüsse auf die Beweisnähe des Handlungsorts und besagt nichts darüber, ob der Tatbeitrag für das deliktische Gesamtgeschehen aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht einen besonders geeigneten Anknüpfungspunkt bildet. c) Abwägung zwischen fehlender und überschießender Zurechnung Scheidet eine Begrenzung der Handlungsortzurechnung auf zentrale Tatbeiträge demnach aus Gründen der Rechtssicherheit aus, so bleiben die beiden Optionen, den Handlungsortgerichtsstand a priori auf den eigenen Tatbeitrag des Beklagten zu beschränken oder aber eine Handlungsortzurechnung mit der Rechtsprechung des BGH ohne Einschränkungen zuzulassen. Die Vor- und Nachteile einer unbegrenzten wechselseitigen Handlungsortzurechnung sind insoweit am Maßstab der hinter § 32 ZPO stehenden Zuständigkeitsinteressen gegeneinander abzuwägen. Es kommt darauf an, ob der Vorteil einer umfassenden Zurechnung zentraler, allseitig beweisnaher Handlungsorte die erhebliche Durchbrechung des Grundsatzes actor sequitur forum rei sowie die erhebliche Belastung des Beklagten rechtfertigt, die mit einer Gerichtspflicht an mehreren, zum Teil beweisfernen (Teil-)Handlungsorten verbunden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 32 ZPO mit der örtlichen und der internationalen Zuständigkeit zwei voneinander zu unterscheidende Sachentscheidungsvoraussetzungen regelt, welche die Zuständigkeitsinteressen in unterschiedlicher Weise betreffen.286 Während die örtliche Zuständigkeitsfrage vornehmlich den logistischen Aufwand einer Partei beeinflusst, kann sich die internationale Zuständigkeitsfrage angesichts ihrer Bedeutung für das anwendbare Kollisions- und Prozessrecht sowie die Beweisnähe des Gerichts maßgeblich auf den Prozessausgang in der Sache auswirken.287 Die beiden zentralen gegen eine umfassende Handlungsortzurechnung sprechenden Einwände – die Gefahr der Zuständigkeitsvervielfälti284 Vgl. statt aller BGH, Urt. v. 12. 2. 1998 – 4 StR 428/97, NJW 1998, 2149, 2150; BGH, Beschl. v. 23. 12. 2009 – 1 BJs 26/77 – 5 – StB 51/09, NStZ 2010, 445, 447; Joecks/Scheinfeld, in: MüKo, StGB, 4. Aufl. 2020, § 25 Rn. 22 ff.; Kühl, in: Lackner/Kühl, 29. Aufl. 2018, vor § 25 Rn. 5 ff. 285 Vgl. Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 533. 286 Geimer, WM 1986, 117, 117; Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005, S. 37 f. 287 Geimer, WM 1986, 117, 117; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 288.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

gung sowie Zurechnung der beweisfernen Orte nebensächlicher fremder Tatbeiträge – erscheinen auf Ebene der örtlichen sowie der internationalen Zuständigkeit in unterschiedlichem Licht. aa) Ebene der örtlichen Zuständigkeit Auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit ist die Vervielfältigung des Handlungsortgerichtsstands wie auch die Beweisnähe des Gerichts von reduzierter Bedeutung. Hat der Haupttäter das Delikt in Frankfurt a. M. begangen und wurde durch zwei Gehilfen von München und Hamburg aus unterstützt, so sind sämtliche Schädiger kraft ihrer eigenen Tatbeiträge gemäß § 32 ZPO innerhalb Deutschlands gerichtspflichtig. Die mit einer wechselseitigen Zurechnung verbundene Vervielfältigung des Handlungsortgerichtsstands eröffnet dem Verletzten die Wahl, ob er jeden einzelnen Schädiger in Frankfurt a. M., München und Hamburg verklagen will. Die örtlichen Gerichtsstände unterscheiden sich aber weder durch das anwendbare Kollisions- und Prozessrecht noch durch ihre staatlich-territoriale Beweisnähe. Ein derartiges Klägerwahlrecht ermöglicht kein forum shopping mit Einfluss auf die Entscheidung in der Sache,288 sondern betrifft die Zuständigkeitsinteressen des Beklagten alleine unter dem Gesichtspunkt der räumlichen Nähe.289 Auch der zweite Kritikpunkt, die Zurechnung nebensächlicher und beweisferner Tatbeiträge, wiegt angesichts der reduzierten Bedeutung räumlicher Distanzen innerhalb des Forumstaats290 auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit weniger schwer. Hat der Beklagte selbst innerhalb Deutschlands gehandelt, so sind die deutschen Gerichte in staatlich-territorialer Hinsicht beweisnah und müssen jedenfalls für eine Beweiserhebung über den eigenhändigen Tatbeitrag des Beklagten nicht auf die EuBewVO oder auf den Rechtshilfeweg zurückgreifen.291 Wird der Rechtsstreit in einem anderen deutschen Gerichtsbezirk vor einem räumlich beweisfernen Gericht am Ort eines fremden Tatbeitrags geführt, wirkt sich dies vergleichsweise geringfügig auf den Rechtsstreit aus. Wird etwa in dem skizzierten Beispielfall der in Frankfurt a. M. handelnde Haupttäter am beweisfernen Handlungsort seines Gehilfen vor dem LG Hamburg verklagt, erhöht sich lediglich die räumliche Distanz, welche bei der Beweiserhebung über die in Frankfurt a. M. begangene Handlung des Beklagten überbrückt werden muss. Dies verursacht aber weder eine exzessive Steigerung des Zeit- und Kostenaufwands noch eine Beeinträchtigung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. 288 Vgl. zur Hinnehmbarkeit einer örtlichen Zuständigkeitsvervielfältigung Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 149 f. 289 Vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 14. 6. 1965 – GSZ 1/65, NJW 1965, 1665, 1665 f. 290 Vgl. Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 34 ff. 291 Vgl. zum Begriff der territorialen Beweisnähe Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 34 ff.

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

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Die beiden zentralen Einwände lassen sich auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit somit relativieren. Ein Wahlrecht zwischen mehreren örtlichen Gerichtsständen eröffnet dem Kläger keine einseitigen Einflussmöglichkeiten auf die Sachentscheidung. Ist der Beklagte ohnehin innerhalb Deutschlands gerichtspflichtig, so erscheint es unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor ausufernder fremdstaatlicher Gerichtsgewalt hinnehmbar, ihm auch beweisferne Orte nebensächlicher fremder Tatbeiträge zuzurechnen. Stellt man diese relativierten Kritikpunkte den Vorteilen einer umfassenden wechselseitigen Handlungsortzurechnung gegenüber, so erscheint der zurechnungsfreundliche Standpunkt der deutschen Rechtsprechung auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit durchaus gerechtfertigt. Denn die sachlichen Vorteile, die mit der Förderung einer streitgenössischen Inanspruchnahme sämtlicher Delinquenten am beweisnahen Ort der Haupttat verbunden sind, wiegen die korrespondierende Gefahr der Zuständigkeitsvervielfältigung sowie der Zurechnung auch beweisferner (Teil-)Handlungsorte auf. bb) Ebene der internationalen Zuständigkeit Damit ist jedoch nicht gesagt, dass dieselbe Zurechnungsregel zwingend auf die internationale Zuständigkeitsebene übertragen werden muss. Aufgrund der Annahme, dass die örtliche und die internationale Zuständigkeitsebene von vergleichbaren Interessenkonflikten durchzogen werden, hat der historische Gesetzgeber unter dem Oberbegriff des Gerichtsstands ein einheitliches Zuständigkeitsregime geschaffen.292 Die regelungstechnische Zusammenfassung beider Sachentscheidungsvoraussetzungen zwingt aber nicht dazu, internationale und örtliche Zuständigkeitsregelungen ausnahmslos gleich auszulegen. Der Verzicht auf separate Vorschriften ändert nichts daran, dass es sich um voneinander zu unterscheidende Sachentscheidungsvoraussetzungen handelt, welche die Zuständigkeitsinteressen von Parteien und Forumstaat angesichts der divergierenden Auswirkungen auf die gerichtliche Sachentscheidung mit unterschiedlicher Intensität betreffen. Ob ein auf örtlicher Zuständigkeitsebene gefundener Interessenausgleich ebenso auf den Interessenkonflikt passt, der sich auf Ebene der internationalen Zuständigkeit stellt, muss im Einzelfall geprüft werden.293 Im Schrifttum ist die Eröffnung eines örtlichen Gerichtsstands innerhalb Deutschlands deshalb als „gedanklicher Merkposten“294 292 Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005, S. 35 f. 293 Bachmann, IPRax 2007, 77, 83; Geimer, in: Liber amicorum Böckstiegel, 2001, 187, 193 (mit Blick auf die Doppelfunktionalität ausschließlicher Zuständigkeiten); Müller-Froelich, Der Gerichtsstand der Niederlassung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 2008, S. 48 f.; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 288; Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005, S. 37 ff.; Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 165, 203; kritisch aber Pfeiffer, in: Canaris u. a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band III, 2000, 617, 623 ff. 294 Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005, S. 39.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

oder als „Anhaltspunkt“295 bezeichnet worden. Auch der BGH hat formuliert, örtliche Zuständigkeitsregeln ließen sich nur auf die internationale Zuständigkeitsebene übertragen, soweit die hinter dem Gerichtsstand stehende Interessenabwägung auf die internationale Zuständigkeitsebene zutrifft,296 sofern also „die Interessenlage bei örtlicher und internationaler Zuständigkeit gleich oder doch vergleichbar ist.“297 (1) Abweichende Interessenlage Handelt der Haupttäter in New York und wird durch zwei Gehilfen von Hongkong und Frankfurt a. M. aus unterstützt, so erstreckt eine Handlungsortzurechnung die Zuständigkeit des Gerichts am Ort des Gehilfenbeitrags in Frankfurt a. M. auf die beiden im Ausland tätigen Schädiger und begründet diesen gegenüber einen in staatlich-territorialer Hinsicht beweisfernen Gerichtsstand.298 In aller Regel wird die Begründetheit einer gegen den Haupttäter gerichteten Klage vom Nachweis der in New York begangenen Haupttat, nicht aber vom Nachweis der in Frankfurt a. M. begangenen Beihilfehandlung abhängen. Auf die prozessuale Handlungsortzurechnung wird es vornehmlich in Fällen ankommen, in denen auch der Erfolgsort nicht in Deutschland belegen ist299 und sich innerhalb Deutschlands somit kein Sachverhaltselement befindet, das im Rahmen einer gegen den Haupttäter gerichteten Klage festgestellt werden müsste. Derart beziehungsarme Gerichtsstände mögen auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit als unvermeidlicher Bestandteil eines insgesamt gerechtfertigten Zurechnungskonzepts hinzunehmen sein. Sie lassen sich aber nicht als Ausdruck eines typisierten Inlandsbezugs ansehen, welcher es vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich garantierten Schutzes vor ausufernder fremdstaatlicher Gerichtsgewalt300 rechtfertigen würde, den im Ausland agierenden Haupttäter der deutschen Gerichtsgewalt auszusetzen. Die Nebenfolge einer Zurechnung auch beweisferner fremder Handlungsorte wiegt auf Ebene der internationalen Zuständigkeit auch aus einem weiteren Grund besonders schwer. Denn es ist zu berücksichtigen, dass das autonome deutsche Zuständigkeitsrecht vornehmlich in Fällen mit Drittstaatenbezug zur Anwendung 295

Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 165, 203. BGH, Urt. v. 20. 5. 1981 – VIII ZR 270/80, NJW 1981, 2642, 2643; vgl. auch BGH, Beschl. v. 14. 6. 1965 – GSZ 1/65, NJW 1965, 1665; Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996, S. 12; Bachmann, IPRax 2007, 77, 83. 297 So wörtlich BGH, Urt. v. 20. 5. 1981 – VIII ZR 270/80, NJW 1981, 2642, 2643; vgl. auch BGH, Beschl. v. 14. 6. 1965 – GSZ 1/65, NJW 1965, 1665, 1665 („In jedem Fall stellt sich die Frage, ob die Bestimmungen der ZPO, die sich […] mit der örtlichen Zuständigkeit befassen, […] auch für die internationale Zuständigkeit gelten. Die Antwort auf sie ist nicht schon aus der positivrechtlichen Verknüpfung der Voraussetzungen der beiden Zuständigkeiten logisch zu erschließen, sie ist vielmehr nur durch eine Auslegung dieser Bestimmungen […] zu gewinnen.“). 298 Gedanke nach Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 34 ff. 299 Huber, IPRax 2009, 134, 135. 300 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 577 ff. 296

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

183

gelangt, in denen auch entscheidungserhebliche Beweismittel oftmals in Drittstaaten belegen sein werden. Ein beweisfernes deutsches Gericht muss daher auf den zeitund kostenaufwändigen Rechtshilfeweg des HBÜ oder des vertragslosen Rechtsverkehrs zurückgreifen, welcher zudem die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gefährdet. Werden durch unbegrenzte wechselseitige Handlungsortzurechnung beweisferne internationale Gerichtsstände begründet, zwingt das Spiegelbildprinzip des § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zur Anerkennung drittstaatlicher Entscheidungen, die auf Grundlage vergleichbar beziehungsarmer Zuständigkeiten ergangen sind. Zugleich birgt die schwache Sachlegitimation die Gefahr, dass dem deutschen Urteil in Drittstaaten die Anerkennung versagt wird.301 Ist ein Schädiger nach dem dort geltenden Zuständigkeitsrecht an seinem eigenen Handlungsort in einem Drittstaat gerichtspflichtig, eröffnet ein zusätzlicher Handlungsortgerichtsstand gemäß § 32 ZPO dem Kläger ein Wahlrecht zwischen deutschen und drittstaatlichen Gerichten, welches in Ermangelung vereinheitlichter Kollisionsnormen ein besonders einschneidendes forum shopping ermöglicht. Stellt man diese erheblichen Nachteile den Vorteilen einer unbegrenzten wechselseitigen Handlungsortzurechnung gegenüber, so zeigt sich auf Ebene der internationalen Zuständigkeit ein anderes Abwägungsergebnis. Der mit einer Handlungsortzurechnung verbundene Vorteil, sämtliche Deliktsbeteiligten am beweisnahen Ort der Haupttat innerhalb Deutschlands verklagen zu können, wiegt die korrespondierende Begründung beweisferner internationaler Zuständigkeiten nicht auf. Eher erscheint es hinnehmbar, dem Verletzten gegenüber im Ausland handelnden Deliktsbeteiligten den (zusätzlichen) Gerichtsstand am Ort des innerdeutschen Tatbeitrags zu verwehren und ihn stattdessen auf eine Klage am Wohnsitz, am Erfolgsort oder am eigenen Handlungsort sowie auf die Anerkennungsmöglichkeit des § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu verweisen. Die Handlungsortzuständigkeit deutscher Gerichte bleibt demgegenüber auf den Schädiger beschränkt, der selbst innerhalb Deutschlands gehandelt hat und seine dortige Gerichtspflicht keinesfalls als exorbitant empfinden kann. (2) Systematische Untermauerung der gespaltenen Auslegung Die Beklagten vor die Gerichte der möglicherweise zahlreichen, zum Teil beziehungsarmen Handlungsorte der Mitverursacher zu ziehen, ist auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit gegenüber dem Grundsatz des actor sequitur forum rei somit eher gerechtfertigt als auf Ebene der internationalen Zuständigkeit. Die Wertung, dass die Beziehung des Beklagten zu einem Dritten auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit eher zu einer Ausweitung der Gerichtspflicht führen kann, ist dem autonomen deutschen Zuständigkeitsrecht keineswegs fremd.

301

535.

Vgl. Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 260 ff.; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523,

184

Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

(a) Wertungsparallele zu § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO So hat der autonome deutsche Gesetzgeber den Konflikt zwischen dem Interesse des Klägers an einer Zuständigkeitskonzentration und dem Interesse des Beklagten, nicht vor den Gerichtsstand eines Streitgenossen gezogen zu werden, durch das Gerichtsstandbestimmungsverfahren des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit anders gelöst als auf Ebene der internationalen Zuständigkeit.302 Das nächsthöhere Gericht bestimmt für die streitgenössische Inanspruchnahme mehrerer Beklagter einen gemeinsamen örtlichen Gerichtsstand und räumt, indem es zumindest einen Beklagten vor den allgemeinen Gerichtsstand eines Streitgenossen zieht, dem Klägerinteresse an einer Zuständigkeitskonzentration den Vorrang ein. Auf Ebene der internationalen Zuständigkeit ist eine Gerichtsstandbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hingegen unstatthaft.303 Gegenüber einem Beklagten, der nicht gemäß §§ 12 ff. ZPO alleine innerhalb Deutschlands verklagt werden kann, vermag auch das nächsthöhere Gericht keinen internationalen Gerichtsstand zu bestimmen. Somit wird der Kläger auf die Führung von Parallelverfahren in verschiedenen Staaten verwiesen und dem Interesse des Beklagten, nicht wegen der Verbindung zu einem Dritten vor die Gerichte eines ausländischen Staates gezogen zu werden, höheres Gewicht beigemessen.304 (b) Wertungsparallele zu § 33 ZPO im Falle der streitgenössischen Drittwiderklage Eine vergleichbare Wertung zeigt der besondere Gerichtsstand des § 33 ZPO, welcher es dem Beklagten erlaubt, konnexe Widerklagen auch dann vor dem Gericht der Klage zu erheben, wenn dieses für die Widerklageforderung an sich örtlich unzuständig wäre. Nach traditioneller Rechtsprechung findet der besondere Gerichtsstand des § 33 ZPO analoge Anwendung auf parteierweiternde Drittwiderklagen, die sich streitgenössisch gegen den Kläger sowie gegen einen Dritten richten. Angesichts seines Zwecks, eine Zersplitterung zusammenhängender Verfahren zu verhindern, ermöglicht es der Gerichtsstand der Widerklage dem Beklagten somit, den Drittwiderbeklagten vor das Gericht der Klage zu ziehen.305 In gewisser Weise räumt die analoge Anwendung des § 33 ZPO dem Klägerinteresse, eine zuständigkeitsbedingte Verfahrenszersplitterung zu vermeiden, Vorrang vor dem Interesse des Drittwiderbeklagten ein, sich nicht wegen seiner angeblichen Verbindung zu dem

302

Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 610. BGH, Beschl. v. 17. 9. 1980 – IVb ARZ 557/80, NJW 1980, 2646, 2646; Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996, S. 109; Bornkamm, NJW 1989, 2713, 2716; Patzina, in: MüKo, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 36 Rn. 4; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 610; Vossler, NJW 2006, 117, 119. 304 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 610. 305 BGH, Urt. v. 17. 10. 1963 – II ZR 77/61, NJW 1964, 44, 45; BGH, Beschl. v. 4. 3. 1966 – I b ARZ 52/66, NJW 1966, 1028, 1028; BayObLG Beschl. v. 12. 3. 2019 – 1 AR 10/19, BeckRS 2019, 3268; a. A. aber BGH, Urt. v. 6. 5. 1993 – VII ZR 7/93, NJW 1993, 2120, 2120; BAG, Beschl. v. 16. 5. 1997 – 5 AS 9/97, NZA 1997, 1071, 1071. 303

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

185

Kläger vor einem Gericht verteidigen zu müssen, vor welchem er alleine nicht verklagt werden könnte. Dies gilt indes alleine auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit. Einer doppelfunktionalen Anwendung dieses Gerichtsstands ist der BGH mit Verweis auf die Unterschiedlichkeit der Interessenlage entgegengetreten.306 Ein Dritter, der alleine nicht innerhalb Deutschlands verklagt werden könnte, kann auch nicht analog § 33 ZPO im Wege der parteierweiternden Drittwiderklage vor deutsche Gerichte gezogen werden. Im Recht der örtlichen Zuständigkeit sei dem Interesse an einer einheitlichen Verhandlung und Entscheidung von Klage und konnexer Drittwiderklage angesichts der prinzipiellen Gleichwertigkeit der deutschen Gerichte der Vorrang vor den Interessen des Drittwiderbeklagten einzuräumen. Werde eine Anwendung von § 33 ZPO verneint, so könne jedenfalls das nächsthöhere Gericht gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO einen gemeinsamen örtlichen Gerichtsstand für die streitgenössische Inanspruchnahme von Kläger und Drittwiderbeklagtem bestimmen und den Drittwiderbeklagten so vor das Gericht der Klage ziehen. Diese Erwägungen ließen sich auf die internationale Zuständigkeitsebene nicht übertragen. Es fehle an der Gleichwertigkeit zwischen ausländischen und deutschen Gerichten. Ob er sich vor deutschen oder ausländischen Gerichten verteidigen müsse, sei für den Drittwiderbeklagten mit Blick auf das anwendbare Sachrecht sowie die Gerichtssprache entscheidend. Dementsprechend könne das nächsthöhere Gericht nicht gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO einen gemeinsamen Gerichtsstand von Kläger und Drittwiderbeklagtem bestimmen und damit originär die Gerichtspflicht des Drittwiderbeklagten in Deutschland begründen. Im Rahmen des § 33 ZPO könne nichts anderes gelten. 3. Zusammenfassung Die eigenständigen Wertungen der §§ 12 ff. ZPO verbieten eine unbesehene Übertragung materiell-rechtlicher Gerechtigkeitsgedanken und Regelungsziele. Der Rechtsgedanke des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB rechtfertigt eine Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts nicht. Der Beweisnähezweck des § 32 ZPO spricht vielmehr für eine einseitige Zurechnung zentraler Handlungsorte. Eine Schwerpunktbetrachtung steht indes in deutlichem Kontrast zu der sonstigen Auslegung des § 32 ZPO durch die Rechtsprechung und begegnet unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit Bedenken. Erachtet man eine auf zentrale Tatbeiträge beschränkte Zurechnung deshalb für ausgeschlossen, so bleiben die beiden Optionen, eine wechselseitige Handlungsortzurechnung entweder allseitig zuzulassen oder eine solche per se auszuschließen. Auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit ist es als unerwünschte Nebenfolge hinnehmbar, den Beklagten der Gefahr einer Zuständigkeitsvervielfältigung sowie beweisfernen Gerichtsständen an den Orten nebensächlicher Tatbeiträge auszusetzen. Auf Ebene der internationalen Zustän306

BGH, Urt. v. 20. 5. 1981 – VIII ZR 270/80, NJW 1981, 2642, 2642 f.

186

Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

digkeit führt die Abwägung zu einem anderen Ergebnis. Rechtspolitisch betrachtet mögen umfassende Klagemöglichkeiten im Inland zum Schutz inländischer Verbraucher gegenüber drittstaatendomizilierten Unternehmern wünschenswert erscheinen. Ausgehend von der Teleologie des § 32 ZPO erlaubt dies eine Ausdehnung der deutschen Gerichtsgewalt durch Begründung auch beziehungsarmer internationaler Gerichtsstände aber nicht. Dass eine Zurechnung in Fällen sachgerecht ist, in denen der zentrale Tatbeitrag innerhalb Deutschlands verübt wurde, rechtfertigt es nicht, stets sämtliche Schädiger auf Grundlage eines noch so unbedeutenden Tatbeitrags in Deutschland für gerichtspflichtig zu halten. Der Handlungsortgerichtsstand begründet die internationale Zuständigkeit demnach nur gegenüber Schädigern, die – ungeachtet der örtlichen Zuständigkeitsfrage – ohnehin innerhalb Deutschlands gerichtspflichtig sind.

V. Kurzer Blick auf zwei Parallelprobleme Anerkannt ist eine gerichtsstandbegründende Handlungsortzurechnung daneben in zwei weiteren Konstellationen. Nach dem Rechtsgedanken des § 831 Abs. 1 BGB hat der Geschäftsherr auch zuständigkeitsrechtlich für das Handeln seines Verrichtungsgehilfen einzustehen.307 Entsprechend § 31 BGB sollen zudem Gesellschaften an den deliktischen Handlungsorten ihrer Organe gerichtspflichtig sein.308 Aus zuständigkeitsrechtlicher Perspektive unterscheiden sich beide Konstellationen erheblich von den an § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB orientierten Fällen der arbeitsteiligen Deliktsbegehung durch mehrere Täter und Teilnehmer. Es geht nicht um eine unerlaubte Handlung, die sich aus einer Gesamtschau zusammenwirkender Deliktshandlungen mehrerer Täter oder Teilnehmer zusammenfügt. Der Geschäftsherr bzw. die Gesellschaft haftet vielmehr ohne eigenhändige Involvierung in das deliktische Geschehen für eine unerlaubte Handlung, deren Tatbestand alleine ein Dritter verwirklicht hat.309

307 BGH, Urt. v. 28. 2. 1989 – XI ZR 70/88, ZIP 1989, 830, 832; BayObLG, Beschl. v. 31. 8. 1995, 1Z – AR 37/95, NJW-RR 1996, 508, 509; OLG Stuttgart, Beschl. v. 30. 5. 2011 – 5 U 64/ 11, BeckRS 2011, 26881; Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 32 Rn. 17; von Hein, IPRax 2006, 460, 461; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 286; Thole, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO Rn. 78; Thole, in: Lehmanns/ Zetzsche, Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen, 2018, § 2 Rn. 48 ff.; Thole, in: FS Schilken, 2015, 524, 536 f.; Thole, AG 2013, 913, 914 f. 308 OLG Stuttgart, Beschl. v. 30. 5. 2011 – 5 U 64/11, BeckRS 2011, 26881; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 32 Rn. 17. 309 Vgl. mit Blick auf die Verrichtungsgehilfenhaftung Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 536 f.

B. Handlungsortzurechnung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts

187

1. Handlungsortzurechnung in Anlehnung an § 831 Abs. 1 BGB Der Haftung des Geschäftsherrn für Delikte seines Verrichtungsgehilfen ist die Besonderheit attestiert worden, in Ermangelung eines eigenhändigen Tatbeitrags des Prinzipals begründe eine Handlungsortzurechnung keinen zusätzlichen Gerichtsstand und berge daher nicht die Gefahr einer Vervielfältigung des Handlungsortgerichtsstands.310 Der Verrichtungsgehilfe verwirkliche den Deliktstatbestand alleine und determiniere durch sein Handeln die gleichermaßen für die Haftung des Geschäftsherrn maßgebliche Tathandlung.311 Zu berücksichtigen ist indes, dass die materiell-rechtliche Geschäftsherrenhaftung gemäß § 831 Abs. 1 BGB nicht auf einer Verhaltenszurechnung im klassischen Sinne basiert, sondern auf einem vermuteten eigenen Auswahl- und Überwachungsverschulden.312 Der haftungsbegründende Fehlverhaltensvorwurf liegt nicht in einer normativ auf den Geschäftsherrn projizierten Handlung des Verrichtungsgehilfen, sondern in der eigenhändigen, wenn auch mittelbaren Schadensverursachung durch sorgfaltswidrige Einschaltung einer Hilfsperson.313 Aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht liegt der Haftung gemäß § 831 Abs. 1 BGB deshalb ein mehraktiges Geschehen zugrunde, welches sich aus der Schädigungshandlung des Verrichtungsgehilfen sowie der mittelbaren Schadensverursachung durch unzureichende Auswahl-, Instruktions- und Überwachungstätigkeiten des Geschäftsherrn zusammensetzt. In gewisser Weise tritt der Handlungsort des Gehilfen also durchaus neben den eigenen Handlungsort des Geschäftsherrn. a) Ungeeignetheit der eigenhändigen Auswahl- und Überwachungstätigkeiten Dennoch sprechen die besseren Gründe für eine an § 831 Abs. 1 BGB orientierte Handlungsortzurechnung. Lehnte man eine zuständigkeitsrechtliche Zurechnung der Handlung des Verrichtungsgehilfen ab, so wäre für eine gegen den Geschäftsherrn gerichtete Klage ein Handlungsortgerichtsstand alleine am Ort der Auswahl- und Überwachungstätigkeiten eröffnet. Angesichts der Verteilung der prozessualen Darlegungslast eignet sich das eigene Handeln des Geschäftsherrn indes nicht als zuständigkeitsrechtlicher Anknüpfungspunkt. Ist kollisionsrechtlich deutsches Deliktsrecht zur Anwendung berufen, so muss angesichts der Vermutungsregel des § 831 Abs. 1 S. 2 BGB nicht der Kläger, sondern der verklagte Geschäftsherr Auswahl-, Instruktions- oder Überwachungshandlungen vortragen.314 Welche eigenen Handlungen des Geschäftsherrn Gegenstand des Rechtsstreits sind und daher bei der Prüfung des § 831 Abs. 1 S. 2 BGB möglicherweise unter Beweis gestellt werden müssen, steht frühestens nach der Klageerwiderung fest und ist für den Kläger bei 310 311 312 313 314

Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 105. Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 105. Wilhelmi, in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 831 Rn. 1. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, 13. Aufl. 1994, S. 475. Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 831 Rn. 39.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

Ausübung des Zuständigkeitswahlrechts gemäß § 35 ZPO nicht notwendigerweise vorherzusehen. Ein Gerichtsstand am Ort der eigenhändigen Auswahl-, Instruktionsund Überwachungstätigkeiten des Geschäftsherrn eröffnet dem Kläger somit nicht die von § 32 ZPO bezweckte Option, die Klage gezielt am Ort eines potentiell beweisbedürftigen Sachverhaltselements zu erheben. Ist kollisionsrechtlich ein ausländisches Deliktsstatut zur Anwendung berufen, so wird die Begründetheit der Klage von vornherein nicht von der Auswahl, Instruktion und Überwachung des Gehilfen durch den Geschäftsherrn abhängen und ein dortiger Gerichtsstand somit keine Beweisnähe gewährleisten. Entsprechend dem Grundsatz respondeat superior geht die Mehrzahl der Rechtsordnungen von der unbedingten Einstandspflicht des Geschäftsherrn für unerlaubte Handlungen seiner Gehilfen aus und kennt keine § 831 Abs. 1 S. 2 BGB entsprechende Entlastungsmöglichkeit.315 Dass die deutsche Haftungsanknüpfung an ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden aus dem internationalen Vergleichsrahmen fällt, ist im deliktsrechtsvergleichenden Schrifttum anerkannt.316 b) Rechtfertigung der Gerichtspflicht am Ort des Gehilfenhandelns Vorzugswürdig erscheint es vor diesem Hintergrund, auf einen Gerichtsstand am Ort der eigenhändigen Auswahl- und Überwachungstätigkeiten zu verzichten und den Gerichtsstand auch gegenüber dem Geschäftsherrn am Handlungsort seines Verrichtungsgehilfen zu lokalisieren. Denn dass § 831 Abs. 1 BGB an ein eigenes Auswahl-, Instruktions- und Überwachungsverschulden des Geschäftsherrn anknüpft, ändert nichts daran, dass im Rahmen der Begründetheitsprüfung das Delikt des Verrichtungsgehilfen inzident festgestellt werden muss und der Handlungsort des Verrichtungsgehilfen für eine gegen den Geschäftsherrn gerichtete Klage somit nicht weniger beweisnah ist als für eine Klage gegen den Verrichtungsgehilfen selbst. Eine Zurechnung des Handlungsorts des Gehilfen wird mithin von der Teleologie des § 32 ZPO getragen und ist als Ausnahme vom Grundsatz des actor sequitur forum rei gerechtfertigt. Für eine Zurechnung spricht daneben auch der hinter § 831 Abs. 1 BGB stehende Gerechtigkeitsgedanke, wonach der Geschäftsherr, der seinen Aktionsradius durch Einschaltung von Hilfspersonen ausdehnt, das korrespondierende

315

Vgl. von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Band I, 1996, § 2 Rn. 179 ff.; von Bar/ Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3453; Kim, ZEuP 2013, 263, 263 ff.; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 14. Aufl. 2021, Kapital 6, Rn. 5; Wagner, in: Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 1. Aufl. 2003, 189, 291 ff.; Wicke, Respondeat Superior, 2000, S. 25 ff.; Zweigert/ Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 41, S. 632 ff. 316 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Band I, 1996, § 2 Rn. 179 ff.; von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3453; Wagner, in: Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 1. Aufl. 2003, 189, 291 ff.; Wicke, Respondeat Superior, 2000, S. 25 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 41, S. 632 ff.

C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO

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Risiko tragen und für Fehlerverhalten seiner Hilfspersonen einstehen muss.317 Diese materiell-rechtliche Wertung basiert nicht auf einem einseitigen Opferschutzmotiv und kann daher ohne Widerspruch zu den Wertungen des Zuständigkeitsrechts in dem Sinne auf die Zuständigkeitsebene übertragen werden, dass der Geschäftsherr auch das zuständigkeitsrechtliche Risiko eines Deliktsvorwurfs gegenüber seinem Gehilfen zu tragen hat und an dessen angeblichem Handlungsort gerichtspflichtig ist.318 2. Zurechnung der Handlungen von Gesellschaftsorganen Einfacher zu begründen ist die § 31 BGB nachempfundene Handlungsortzurechnung zwischen Gesellschaften und ihren Organen. Hinter der materiell-rechtlichen Verhaltenszurechnung (analog) § 31 BGB steht der Gedanke, dass Vereine und Gesellschaften naturalistisch betrachtet nicht zu eigenständigem Handeln fähig sind und ohne eine Einstandspflicht für die Handlungen ihrer Organe gegenüber natürlichen Personen haftungsrechtlich privilegiert wären. Indem § 31 BGB eine Zurechnung der Handlungen der aus freien Stücken gewählten, verfassungsmäßig berufenen Vertreter anordnet, erlegt er dem Verband die aus seiner rechtlichen Struktur resultierenden Nachteile auf und stellt den Verein bzw. die Gesellschaft eigenständig handelnden natürlichen Person gleich.319 Hinter der materiell-rechtlichen Verhaltenszurechnung steht mithin ein Gleichstellungsgedanke, der sich auf die Zuständigkeitsebene übertragen lässt. Ohne gerichtsstandbegründende Zurechnung angeblich unerlaubten Handelns ihrer Organe wären Verbände von der Gerichtspflicht am Handlungsort von vornherein befreit und gegenüber einer natürlichen Person zuständigkeitsrechtlich privilegiert. Haftet die Gesellschaft materiell-rechtlich für unerlaubtes Handeln ihres Organs, so ist der Handlungsort des Delikts unabhängig davon beweisnah, ob die handelnde natürliche Person in Anspruch genommen wird oder eine Gesellschaft, welcher die Handlung materiell-rechtlich zugerechnet wird.

C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO Bereits das autonome deutsche Zuständigkeitsrecht steht in Ermangelung einer spezifisch zuständigkeitsrechtlichen Beteiligungsdogmatik vor der Wahl, entweder per se auf eine Zurechnung fremder Tatbeiträge zu verzichten oder auf die nur be317

Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462. von Hein, IPRax 2006, 460, 461. 319 BGH, Urt. v. 8. 7. 1986 – VI ZR 47/85, NJW 1986, 2941, 2943; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band I/2, S. 382 ff.; Leuschner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2018, § 31 Rn. 1; Offenloch, in: BeckOGK, BGB, Stand 15. 2. 2021, § 31 Rn. 1. 318

190

Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

dingt passenden Zurechnungsregeln des materiellen Deliktsrechts zurückzugreifen. Auf Ebene des europäischen Deliktsgerichtsstands gestaltet sich die Rechtslage noch komplexer. Während das autonome deutsche Zuständigkeitsrecht zur Identifikation der Mittäter, Anstifter und Gehilfen die tradierten Begrifflichkeiten des deutschen Straf- und Deliktsrechts heranziehen kann, fehlt es an einer Herausbildung unionsrechtlich-autonomer Beteiligungsgrundsätze auch auf materiell-rechtlicher Ebene weitgehend. Der insgesamt niedrigere Entwicklungsstand der unionsrechtlichen Begriffs- und Systembildung erschwert auch die Lösung der zuständigkeitsrechtlichen Zurechnungsproblematik.320 Angesichts der Unterschiede zwischen beiden Zuständigkeitsregeln lassen sich die im Zusammenhang mit § 32 ZPO angestellten Überlegungen auch sonst nicht ohne Weiteres auf den europäischen Deliktsgerichtsstand übertragen.321 Die Differenzierung zwischen örtlicher und internationaler Zuständigkeitsebene beruht maßgeblich auf der Erwägung, dass der doppelfunktionale § 32 ZPO mit der örtlichen Zuständigkeit in reinen Inlandsfällen sowie der internationalen Zuständigkeit für Prozesse mit Drittstaatenbezug zwei grundverschiedene Anwendungsbereiche umfasst, in denen sich das Gewicht seines teleologischen Leitmotivs, der Sach- und Beweisnähe, maßgeblich unterscheidet. Der europäische Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist hingegen nicht von einer vergleichbaren Dualität der Anwendungsfälle geprägt, sondern regelt internationale und örtliche Zuständigkeit einheitlich für im Kontext des europäischen Justizraums auftretende „Binnenmarktprozesse“.322 Besonderheiten, die bei der Betrachtung arbeitsteiliger Delikte zu berücksichtigen sind, weist der europäische Deliktsgerichtsstand daneben unter weiteren Gesichtspunkten auf. Zum einen regelt er die internationale Zuständigkeit zahlreicher Staaten und ist daher anders als der autonome deutsche Deliktsgerichtsstand geeignet, dem Kläger nicht nur ein örtliches Zuständigkeitswahlrecht, sondern auch ein weitaus bedeutenderes forum shopping zwischen den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten zu ermöglichen.323 Zum anderen verlangt die funktionale Ausrichtung des europäischen Deliktsgerichtsstands auf das Konzept des Binnenmarkts eine Eingrenzung wirtschaftlicher Gerichtspflichtrisiken, die der autonome deutsche Tatortgerichtsstand nicht spezifisch bezweckt.324 Wie die Analyse der Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany gezeigt hat, dürfte die Rechtsentwicklung ihren Abschluss in der Zurechnungsfrage noch nicht gefunden haben. Darauf deutet nicht nur die massive Kritik hin, die der zurechnungsfeindlichen Rechtsprechung des EuGH im Schrifttum entgegenge320 Aus Gründen der Anschaulichkeit bedient sich die Untersuchung dennoch auch im Zusammenhang mit Art. 7 Nr. 2 EuGVVO der aus dem deutschen Strafrecht bekannten Terminologie, ohne die nationalen Kategorien der Täterschaft und Teilnahme der Sache nach auf die unionsrechtliche Ebene übertragen zu wollen. 321 Vgl. zu diesen Unterschieden Kapitel 3 B I. 322 Begriff nach Hess, JZ 1998, 1021, 1021 ff.; Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 1 Rn. 1.18 ff. 323 Kapitel 3 B. I. 2. 324 Vgl. Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462.

C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO

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schlagen ist.325 Auch der klägerfreundlichere Standpunkt der nachfolgenden CDCEntscheidung sowie die beiden Parallelkonstellationen der Haftung für Verrichtungsgehilfen und Gesellschaftsorgane illustrieren, dass der EuGH nicht ohne jede Eingrenzung der Melzer-Rechtsprechung sowie ohne jede Entwicklung autonomer Zurechnungskriterien auskommen wird. In der Literatur findet sich ein heterogenes Bild weitgehend unzusammenhängender Argumente mitunter gegen, insbesondere aber für eine gerichtsstandbegründende Handlungsortzurechnung, die in einem ersten Schritt dargestellt und bewertet werden sollen (dazu I.). Auf dieser Grundlage werden in einem zweiten Schritt die verschiedenen im Schrifttum diskutierten Ausgestaltungsmöglichkeiten eines zuständigkeitsrechtlichen Zurechnungskonzepts näher untersucht (dazu II.). Abschließend folgt ein kurzer Blick auf die beiden Parallelkonstellationen der Haftung für Verrichtungsgehilfen sowie für Gesellschaftsorgane (dazu III.).

I. Darstellung und Bewertung zentraler Argumentationsansätze In der Literatur hat die Problematik der zuständigkeitsrechtlichen Handlungsortzurechnung insbesondere im Anschluss an die Entscheidungstrilogie des EuGH einige Beachtung gefunden. Während vereinzelt eine gewisse Zurückhaltung angemahnt wird,326 steht die vorherrschende Auffassung einer Zurechnung jedenfalls im Grundsatz aufgeschlossen gegenüber.327 Wenngleich besonders im Hinblick auf die systematischen Querbezüge zu Art. 8 Nr. 1 EuGVVO mitunter Bedenken geäußert werden (dazu 1), wird vorwiegend der Versuch unternommen, die extensive Auslegung der Zuständigkeit am Handlungsort mit zuständigkeitsrechtlichen Erwägungen wie der potentiellen Beweisnähe fremder Handlungsorte oder der Förderung einer einheitlichen Verhandlung und Entscheidung der deliktischen Haftungsverhältnisse zu rechtfertigen (dazu 2.). Neben originär zuständigkeitsrechtlichen Aspekten werden von Teilen des Schrifttums auch im Kern zuständigkeitsfremde Gesichtspunkte wie die solidarische Haftung auf Ebene des materiellen 325

Vgl. hierzu Kapitel 3 A. II. 1 e). Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 105; Müller, NJW 2013, 2099, 2102. 327 Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462 f.; von Hein, RIW 2011, 810, 812 f.; von Hein, IPRax 2013, 505, 507 ff.; Huber, IPRax 2009, 134, 135 (bzgl. § 32 ZPO); Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz, 2015, S. 332 f.; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn. 83b; Mankowski, WuW 2012, 797, 803; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 282 ff.; Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 438 f.; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 445 ff.; Thole, ZBB 2011, 399, 401 ff.; Thole, AG 2013, 913, 914 f.; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 533 ff.; Thole, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 77; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 91 ff.; Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 153; Wagner/ Gess, NJW 2009, 3481, 3484 f.; Weller, IPRax 2000, 202, 209 (mit Blick auf § 32 ZPO); Weller, WM 2013, 1681, 1683 ff.; Weller, LMK 2013, 348154. 326

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

Rechts oder Aspekte des Anlegerschutzes ins Feld geführt (dazu 3.). Diese Argumentationsansätze werden zunächst dargestellt und bewertet. Den wertungsmäßigen Hintergrund, vor dem die verschiedenen Ansätze zu betrachten sind, bildet indes der typisierende Ausgleich von Kläger- und Beklagtenschutz, welchen der Deliktsgerichtsstand in seinem Zusammenspiel mit dem allgemeinen Gerichtsstand herstellt. Entscheidend kommt es darauf an, ob die zusätzliche Relativierung des zuständigkeitsrechtlichen Beklagtenschutzes entweder durch die hinter Art. 7 Nr. 2 EuGVVO stehenden Interessen rein zuständigkeitsrechtlich gerechtfertigt ist oder sich mit dem ausnahmsweisen Durchschlagen sachrechtlicher Wertungen begründen lässt. Im Rahmen einer zusammenführenden Betrachtung sollen die verschiedenen, im Schrifttum zugunsten einer gerichtsstandbegründenden Handlungsortzurechnung angeführten Argumente daher zu der korrespondierenden Durchbrechung des zuständigkeitsrechtlichen Beklagtenschutzes ins Verhältnis gesetzt werden (dazu 4.). 1. Im Schrifttum geäußerte Bedenken a) Konkurrenzverhältnis zu Art. 8 Nr. 1 EuGVVO In Fällen der arbeitsteiligen Tatbegehung tritt der europäische Deliktsgerichtsstand in Konkurrenz zu dem Mehrparteiengerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO, welcher die streitgenössische Inanspruchnahme der Deliktsbeteiligten am Wohnsitz eines Schädigers ermöglicht.328 Beide Zuständigkeitsregeln sind nach allgemeiner Meinung uneingeschränkt nebeneinander anwendbar.329 Denn weder der Verordnungstext noch die Erwägungsgründe oder die Rechtsprechung des EuGH liefern Anhaltspunkte für ein Vorrangverhältnis. Auch verfolgen beide Zuständigkeitsbestimmungen unterschiedliche Zwecke. Der Tatortgerichtsstand eröffnet dem Deliktskläger eine optionale Zuständigkeit an einem typischerweise beweisnahen Ort und durchbricht somit den Grundsatz des actor sequitur forum rei. Der Mehrparteiengerichtsstand hingegen relativiert den Grundsatz des Beklagtengerichtsstands nur partiell und bestimmt die Voraussetzungen, unter denen es die Ziele der Entscheidungsharmonie sowie der Verfahrensökonomie rechtfertigen, einen Beklagten vor den allgemeinen Gerichtsstand eines Streitgenossen zu ziehen.330 Eine Handlungsortzurechnung innerhalb des Deliktsgerichtsstands ermöglicht dem Geschädigten die gemeinsame Inanspruchnahme der Deliktsbeteiligten auch bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des forum connexitatis und birgt insoweit eine gewisse Umgehungsgefahr. Handeln die Delinquenten an ihren jeweiligen Wohnsitzen, so werden mit gerichtsstandbegründender Wirkung die Orte zugerechnet, an denen die Delinquenten ebenso gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVVO gerichts328

Kapitel 3 A. II. 1. e) dd) (2). von Hein, IPRax 2013, 505, 513; Müller, EuZW 2013, 130, 131 f.; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 96 f.; skeptisch aber Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 105. 330 Müller, EuZW 2013, 130, 132. 329

C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO

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pflichtig sind.331 Während der Mehrparteiengerichtsstand aber eine gegen den ortsansässigen Schädiger gerichtete Ankerklage verlangt, könnte jeder Deliktsbeteiligte am Ort der zugerechneten fremden Tathandlung auch allein verklagt werden. Dass einer gerichtsstandbegründenden Handlungsortzurechnung teilweise mit Skepsis begegnet wird, überrascht in Anbetracht dieses vermeintlichen Wertungswiderspruchs kaum.332 Angesichts der unterschiedlichen Zwecke sind Friktionen, die aus der parallelen Anwendbarkeit beider Zuständigkeitsbestimmungen resultieren, indes hinzunehmen. Hinter dem Mehrparteiengerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO steht eine Abwägung zwischen dem Klägerinteresse an einer Zuständigkeitskonzentration und dem Beklagteninteresse, nicht vor den Gerichtsstand eines Streitgenossen gezogen zu werden.333 Dass eine Verfahrenskonzentration hiernach nicht gerechtfertigt ist, schließt nicht aus, dass die Gerichtspflicht des Deliktsbeklagten am Ort eines fremden Tatbeitrags von dem allseitigen Interesse an einem sach- und beweisnahen Gerichtsstand und damit von der Teleologie des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO getragen wird.334 b) Drohende Zuständigkeitsvervielfältigung Die parallele Gerichtspflicht an den Orten eigener und fremder Tatbeiträge birgt ferner die Gefahr einer Zuständigkeitsvervielfältigung.335 Da der Geschädigte jeden Deliktsbeteiligten ohnehin gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO am eigenen Handlungsort sowie am Erfolgsort verklagen und zudem gemäß Art. 4 Abs. 1 und 8 Nr. 1 EuGVVO an jedem eigenen oder fremden Wohnsitz in Anspruch nehmen kann, ist der Einwand der drohenden Zuständigkeitsvervielfältigung von besonderem Gewicht.336 Stünde dem Kläger ein zusätzliches Wahlrecht zwischen multiplen Handlungsortzuständigkeiten offen, so wären ihm – selbst soweit kollisionsrechtliche forum shoppingAnreize beseitigt sind – weitreichende Einflussmöglichkeiten auf das anwendbaren Prozessrecht und die Beweisnähe des Gerichts offen, die dem Beklagten verschlossen blieben und die Waffengleichheit der Parteien gefährden würden.337

331 Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 102. 332 Kritisch daher GA Jääskinen, Schlussanträge v. 29. 11. 2012, C-228/11 – Melzer, Rn. 53; Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 105. 333 Vgl. Kapitel 1 B. VI. 334 von Hein, IPRax 2013, 505, 513; Müller, EuZW 2013, 130, 131 f.; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 96 f.; Weller, IPRax 2000, 202, 207. 335 Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 105; Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 153; Weller, IPRax 2000, 202, 207. 336 Weller, IPRax 2000, 202, 207. 337 Vgl. zur Gefährdung der prozessualen Kräfteparität durch derartige Wahlrechte Kapitel 2 C. I.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

Relativiert wird die drohende Handlungsortvervielfältigung durch die parallele Anwendbarkeit von Art. 7 Nr. 2 und 8 Nr. 1 EuGVVO.338 Handeln die Deliktsbeteiligten an ihren jeweiligen Wohnsitzen, so begründet eine wechselseitige Handlungsortzurechnung Gerichtsstände an den Orten, an denen die Deliktsbeteiligten über den Mehrparteiengerichtsstand ohnehin verklagt werden könnten.339 Die Zurechnung fremder Handlungsorte eröffnet dem Kläger in derartigen Fällen keine zusätzlichen Wahl- und Einflussmöglichkeiten. Zwar mag ein Handeln am eigenen Wohnsitz in arbeitsteiligen Produktions- und Vertriebsprozessen nicht unüblich sein und die Handlungsortzurechnung daher oftmals zu Gerichtsständen an den Wohnsitzen der Mitverursacher führen.340 Die Gefahr einer übergebührlichen Ausweitung des Klägerwahlrechts wird durch die Überschneidung von Art. 7 Nr. 2 und 8 Nr. 1 EuGVVO dennoch nicht vollständig gebannt. Handeln die Delinquenten außerhalb ihrer Wohnsitzstaaten, bleibt die Gefahr einer Vervielfältigung der internationalen Zuständigkeiten bestehen.341 Handelt ein Deliktsbeteiligter in seinem Wohnsitzstaat, aber außerhalb seines Wohnsitzbezirks, begründet eine Handlungsortzurechnung auf örtlicher Ebene von Art. 8 Nr. 1 EuGVVO abweichende, zusätzliche Gerichtsstände.342 c) Verschärfte Gefahr der Zuständigkeitserschleichung Angesichts der reduzierten Tatsachengrundlage, welche der Zuständigkeitsprüfung nach der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen wie auch nach der neueren Rechtsprechung des EuGH zugrunde liegt, wird einer prozessualen Zurechnung fremder Handlungsorte ferner eine gewisse Missbrauchsanfälligkeit attestiert.343 Es besteht die Befürchtung, der Kläger könnte sich durch die Behauptung eines zurechenbaren Tatbeitrags eines Dritten einen internationalen Gerichtsstand erschleichen, welcher die prozessualen Erfolgsaussichten des Klägers durch ein ihm günstiges Prozessrecht oder seine (fehlende) Beweisnähe erhöht. Die Missbrauchsanfälligkeit soll indes, so wird im Schrifttum eingewandt, durch das Schlüssigkeitserfordernis der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen abgeschwächt werden. Der Beklagte werde vor einer missbräuchlichen Zuständigkeitserschleichung dadurch geschützt, dass der Kläger den Gerichtsstand am zugerechneten Handlungsort nicht durch pauschale Behauptungen begründen könne, sondern die zurechenbare Handlung eines Komplizen schlüssig und mit einem gewissen 338 Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 105; Weller, IPRax 2000, 202, 207. 339 Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 105; Weller, IPRax 2000, 202, 207. 340 Vgl. Weller, IPRax 2000, 202, 207. 341 Weller, IPRax 2000, 202, 207. 342 Müller, EuZW 2013, 130, 132. 343 Vgl. hierzu Maultzsch, IPRax 2017, 442, 446; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 531 f.; Thole, ZBB 2011, 399, 400 (mit Blick auf § 32 ZPO).

C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO

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Substantiierungsgrad vortragen müsse.344 Daneben ist zu berücksichtigen, dass dem Kläger mit einer nicht beweisbaren Behauptung jedenfalls dann nicht gedient ist, wenn entweder der fremde Tatbeitrag oder die zurechnungsbegründende Komplizenstellung des Beklagten auch für die Begründetheit der Klage entscheidend ist. Denn behauptet der Kläger einen doppelrelevanten, nicht beweisbaren Tatbeitrag eines Dritten, so wird seine Klage nach erfolgter Beweisaufnahme als unbegründet abgewiesen. Vollständig beseitigt wird das Missbrauchspotential dadurch jedoch nicht. Denn dass die Klage bei Beweisfälligkeit des Klägers als unbegründet abgewiesen wird, ändert nichts daran, dass der Beklagte zunächst gezwungen bleibt, sich vor dem angerufenen Gericht nach Maßgabe von dessen Gerichtssprache, Kollisions- und Prozess- sowie insbesondere Beweisrecht gegen die behauptete doppelrelevante Tatsache zu verteidigen. Das Schlüssigkeitserfordernis der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen bietet, da es sich allein auf den Tatsachenvortrag des Klägers bezieht, allenfalls schwachen Schutz. Mitunter wird es zudem an der Doppelrelevanz des fremden Tatbeitrags sowie dessen Zurechenbarkeit fehlen. So wird es für die Haftung des voll deliktisch handelnden Haupttäters kaum auf die untergeordnete, etwa rein psychische Beihilfeoder Anstiftungshandlungen ankommen. Ebenso wird die Haftung eines Gehilfen sachrechtlich von der Haupttat sowie einer eigenhändigen Beihilfehandlung abhängen, nicht aber von dem Tatbeitrag des Anstifters oder eines weiteren Gehilfen. Mangels Doppelrelevanz müsste bereits im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung über den Tatbeitrag des Dritten sowie über das Vorliegen der Zurechnungsvoraussetzungen Beweis erhoben werden. Der Prozess würde mit einer Beweisaufnahme belastet, deren Ergebnis für die Sachentscheidung unerheblich ist. Der Beklagte müsste sich am Handlungsort eines angeblichen Komplizen nach den Regeln des dortigen Prozessrechts gegen die von der Klägerseite behauptete, zurechnungsbegründende Beziehung zu dem handelnden Dritten verteidigen, ohne eine Abweisung in der Sache erstreiten zu können. d) Vermehrte Anwendung ausländischen Rechts Weiterhin wird im Schrifttum darauf hingewiesen, dass eine gerichtsstandbegründende Handlungsortzurechnung zu einem vermehrten Auseinanderfallen von forum und ius führt und daher dem in Erwägungsgrund 7 der ROM II-VO verankerten Ziel der Kohärenz von europäischem Zuständigkeits- und Deliktskollisionsrecht zuwiderläuft.345 Angesichts der kollisionsrechtlichen Grundanknüpfung an den Erfolgsort (Art. 4 Abs. 1 ROM II-VO) ist mit einer Stärkung des Erfolgsortgerichtsstands tendenziell eine erhöhte Rechtsnähe des Deliktsgerichtsstands verbunden. Eine Ausweitung der Zuständigkeit am Handlungsort, dessen Gerichte oftmals zur

344 345

Vgl. Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 531 f. Vgl. hierzu von Hein, RIW 2011, 810, 812.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

Anwendung der ausländischen lex loci damni gezwungen sind, führt hingegen zur vermehrten Anwendung ausländischen Rechts.346 Freilich muss der Tatortgerichtsstand vor dem Hintergrund der Eigengesetzlichkeiten des Kollisions- und des Zuständigkeitsrechts auf Grundlage seiner eigenen Zwecke ausgelegt und ein daraus resultierendes Auseinanderfallen von forum und ius in Kauf genommen werden.347 Soweit eine extensive Auslegung des Handlungsortgerichtsstands nach Systematik und Zielen des europäischen Zuständigkeitsrechts angezeigt ist, steht das in Erwägungsgrund 7 der ROM II-VO verankerte Kohärenzziel nicht entgegen. Dennoch ist festzuhalten, dass den Vorzügen, die mit einer Zurechnung fremder Handlungsorte unter dem Gesichtspunkt der Beweisnähe verbunden sein mögen, der Nachteil zumeist fehlender Rechtsnähe gegenüberstünde.348 Oftmals wären die Gerichte am zugerechneten fremden Handlungsort gezwungen, die gemäß Art. 4 Abs. 1 ROM II-VO zur Anwendung berufene lex loci damni durch Einholung zeit- und kostenaufwändiger Gutachten zu ermitteln. Die Zuverlässigkeit des Rechtsschutzes würde zudem durch die erhöhte Fehleranfälligkeit sowie durch die fehlende Revisibilität der Anwendung ausländischen Rechts geschwächt.349 2. Versuche einer zuständigkeitsrechtlichen Rechtfertigung a) Grundsatz des effet utile Zugunsten einer wechselseitigen Handlungsortzurechnung wird hingegen die praktische Wirksamkeit der Zuständigkeit am Handlungsort angeführt.350 Denn handeln die Schädiger, was im transnationalen Wirtschaftsverkehr keine Seltenheit bilden dürfte, an ihren jeweiligen Wohnsitzen, so fällt der Handlungsort mit dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten zusammen und begründet nach dem Eingangssatz des Art. 7 EuGVVO keine besondere Zuständigkeit.351 Vor dem Hintergrund des oftmaligen Entfallens eines zusätzlichen Gerichtsstands am eigenen Handlungsort wird argumentiert, durch Erweiterung der Handlungsortzuständigkeit auf Mitverursacher, die an anderen Orten Tatbeiträge erbracht haben, werde die praktische Wirksamkeit der Handlungsortzuständigkeit gewahrt.352 Für diesen Ansatz lassen sich die Entscheidungen Shevill, Kainz und Zuid Chemie fruchtbar machen, in denen der EuGH einer Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO entgegenge346

Kapitel 2 A. IV. Vgl. hierzu EuGH, Urt. v. 16. 1. 2014, Rs. C-45/13, EuZW 2014, 232, 233 – Kainz, Rn. 20; von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 56 ff. 348 Zur Relativierung der Vorteile eines beweisnahen Gerichtsstands durch dessen fehlende Rechtsnähe vgl. Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 85 f. 349 Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 85 f. 350 In diese Richtung von Hein, IPRax 2013, 505, 511. 351 Vgl. hierzu Mankowski, in: FS Geimer, 2017, 429, 431 f. 352 In diese Richtung von Hein, IPRax 2013, 505, 511. 347

C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO

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treten ist, die ein regelmäßiges Zusammenfallen des Tatortgerichtsstands mit dem allgemeinen Beklagtengerichtsstand zur Folge hat.353 Indes hat der EuGH das Ubiquitätsprinzip in seiner grundlegenden Mines de Potasse-Entscheidung nicht zuletzt mit dem oftmaligen Zusammenfallen von Beklagtenwohnsitz und Handlungsort begründet. Einer Auslegung, wonach zur Entscheidung über ein Distanzdelikt allein die Gerichte des Handlungsorts berufen sind, ist der EuGH mit Verweis auf die praktische Wirksamkeit des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO entgegengetreten.354 Innerhalb des Ubiquitätsprinzips wird der regelmäßige Wegfall des Handlungsortgerichtsstands mithin in Kauf genommen und die praktische Wirksamkeit des Deliktsgerichtsstands durch die alternative Klagemöglichkeit am Erfolgsort gewahrt. Dass dem Geschädigten eines Distanzdelikts stets ein zweiter besonderer Gerichtsstand am Handlungsort offen steht, verlangt der effet utileGrundsatz nicht. b) Potentielle Beweisbedürftigkeit fremder Tatbeiträge Daneben wird auf das hinter Art. 7 Nr. 2 EuGVVO stehende Motiv der Sach- und Beweisnähe verwiesen.355 Da die Haftung des Beklagten materiell-rechtlich von dem zurechenbaren Tatbeitrag eines Mit- oder Haupttäters abhängen könne, komme auch den Orten fremder Tatbeiträge eine gewisse Beweisnähe zu. In Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls ist es sogar denkbar, dass der eigene Tatbeitrag des Beklagten unstreitig bleibt, während das Handeln eines Mit- oder Haupttäters sowie dessen Zurechenbarkeit im Mittelpunkt des Rechtsstreits steht und umfassender Beweisaufnahmen bedarf. aa) Grobeinteilung in drei Kategorien Während aber die Haftung des Beklagten stets zumindest auch vom Vorliegen eines eigenen Tatbeitrags abhängt und der eigene Handlungsort daher in jedem Fall zumindest abstrakt eine gewisse Beweisnähe indiziert,356 ist die Beweisnähe fremder Handlungsorte differenziert zu betrachten. Die im Zusammenhang mit § 32 ZPO entwickelte Grobeinteilung in drei Kategorien gilt auf Ebene des europäischen Deliktsgerichtsstands entsprechend.357 353 EuGH, Urt. v. 30. 11. 1976, Rs. 21/76, NJW 1977, 493, 493 f. – Mines de Potasse, Rn. 20/ 23; EuGH, Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881, 1882 – Shevill, Rn. 22, 27; EuGH, Urt. v. 16. 7. 2009, Rs. C-189/08, NJW 2009, 3501, 3502 – Zuid-Chemie, Rn. 30. 354 EuGH, Urt. v. 30. 11. 1976, Rs 21/76, NJW 1977, 493 f. – Mines de Potasse, Rn. 15/19 ff. 355 von Hein, IPRax 2013, 505, 510; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 446; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 530 f.; anders aber Müller, NJW 2013, 2099, 2102. 356 von Hein, IPRax 2013, 505, 510; Müller, NJW 2013, 2099, 2102; Müller, EuZW 2013, 130, 133; Weller, WM 2013, 1681, 1685. 357 Kapitel 3 B. IV. 1. b).

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

(1.) Auch auf unionsrechtlicher Ebene indiziert der Ort eines nebensächlichen, etwa rein psychischen Gehilfenbeitrags nur für eine Klage gegen den handelnden Gehilfen selbst einen sachnahen Gerichtsstand. Im Rahmen einer Klage gegen den Haupttäter, der den Deliktstatbestand eigenhändig verwirklicht und materiellrechtlich bereits für seinen eigenen Tatbeitrag haftet, wird es auf den unterstützenden Tatbeitrag eines Anstifters oder Gehilfen kaum ankommen. Der Handlungsort des Anstifters oder Gehilfen weist daher regelmäßig keine besondere Nähe zu den potentiell beweisbedürftigen Sachverhaltselementen auf. (2.) Hingegen wird die Haftung eines Mittäters, Anstifters oder Gehilfen, der sich von einem anderen Mitgliedstaat aus an dem Delikt des Haupttäters beteiligt hat, nicht nur den Nachweis des eigenen Tatbeitrags, sondern inzident auch die Feststellung des zentralen deliktischen Handlungselements erfordern. Zumindest teilweise ist der Handlungsort des Haupttäters demnach auch für eine Klage beweisnah, die sich gegen ortsfremde Mitverursacher richtet. Er tritt insoweit neben den gleichermaßen partiell beweisnahen Ort des eigenen Tatbeitrags. (3.) Denkbar sind daneben Fälle der „echten“ arbeitsteiligen Mittäterschaft, in denen sich die Tatbeiträge erst in ihrer Gesamtheit zu einem Tatbestand des materiellen Deliktsrechts zusammenfügen. Da keiner der Beteiligten bei isolierter Betrachtung deliktisch handelt und gegenüber jedem Mittäter sowohl eigene als auch fremde Tatbeiträge festgestellt werden müssen, kommt den Gerichten sämtlicher (Teil-)Handlungsorte im Hinblick auf einen Teil des potentiell beweisbedürftigen Sachverhalts besondere Beweisnähe zu. Wie die Rekapitulation dieser drei Grundfälle verdeutlicht, führt eine umfassende wechselseitige Handlungsortzurechnung auch im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO einerseits zu jedenfalls partiell beweisnahen Gerichtsständen an zentralen Handlungsorten der Mit- oder Haupttäter, begründet zugleich aber beweisferne Zuständigkeiten an den Orten nebensächlicher Anstiftungs- oder Beihilfehandlungen. bb) Schwache Ausprägung der gegebenen Beweisnähe Selbst die Orte zentraler Handlungen, die das deliktische Geschehen prägen, weisen im Rahmen einer Klage gegen andernorts handelnde Mittäter, Anstifter oder Gehilfen jedoch besondere Beweisnähe allenfalls zu einem von drei potentiell beweiserheblichen Sachverhaltselementen auf, da ebenso der eigene Tatbeitrag des Beklagten oder der Deliktserfolg im Mittelpunkt des Rechtsstreits stehen können. Das Vorhandensein mehrerer partiell beweisnaher Handlungs- und Erfolgsorte reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass die im konkreten Fall entscheidungserheblichen Beweismittel tatsächlich im Bezirk des Gerichts eines bestimmten Tatbeitrags zu finden sind.358 Der Kläger vermag bei Ausübung seines Zuständigkeitswahlrechts nicht immer vorherzusehen, ob sich der Deliktserfolg oder ein bestimmter Handlungsbeitrag im Prozessverlauf als umstritten erweisen wird und ist daher nicht ohne 358 Vgl. zur Verringerung der Wahrscheinlichkeit eines tatsächlich beweisnahen Gerichtsstands bei zunehmender Streuung potentiell beweisbedürftiger Sachverhaltselemente vgl. Kapitel 2 A. I. 1.

C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO

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Weiteres zur gezielten Anrufung eines im konkreten Fall beweisnahen Gerichts in der Lage.359 Selbst in Fällen, in denen sich der zentrale Streitpunkt vorprozessual abzeichnet, könnte die Klage am Ort des unstreitigen fremden Tatbeitrags erhoben werden. Wenngleich dem Handlungsort eines Mit- oder Haupttäters eine gewisse abstrakte Beweisnähe nicht abgesprochen werden kann, wird diese nur selten zu einem tatsächlich beweisnahen Gerichtsstand führen. Das Gericht am zugerechneten fremden Handlungsort wird, jedenfalls sofern eine unmittelbare Beweisaufnahme nach Art. 17 EuBewVO ausscheidet, in einem erheblichen Teil der Fälle auf den schwerfälligen sowie der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme abträglichen Rechtshilfeweg zurückgreifen müssen.360 Die abstrakt vorhandene Beweisnähe fremder Handlungsorte ist demnach von eher geringem teleologischem Gewicht. c) Begünstigung einer einheitlichen Verhandlung und Entscheidung Demgegenüber argumentiert Wagner, die im Ausgangspunkt zweifelhafte Vervielfältigung der Handlungsortzuständigkeiten lasse sich mit dem korrespondierenden Vorteil rechtfertigen, dass an den verschiedenen Handlungsorten die einheitliche Verhandlung und Entscheidung der deliktischen Haftungsverhältnisse ermöglicht werde.361 Denn indem dem Verletzten an jedem der (Teil-)Handlungsorte eine streitgenössische Inanspruchnahme sämtlicher Deliktsbeteiligter zugelassen wird, wird die Gefahr zeit- und kostenaufwändiger Parallelverfahren in mehreren Mitgliedstaaten sowie die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen reduziert. aa) Fehlende teleologische Verankerung Unter welchen Voraussetzungen es die Zwecke der Verfahrensökonomie sowie des Entscheidungseinklangs rechtfertigen, einen Beklagten vor den Gerichtsstand eines Streitgenossen zu ziehen, verdeutlicht indes der Mehrparteiengerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO. In der Teleologie des Deliktsgerichtsstands sind die Ziele der Entscheidungsharmonie sowie der Verfahrensbündelung hingegen nicht angelegt und können im Rahmen einer normzweckgestützten Auslegung daher nicht als maßgebender Gesichtspunkt angesehen werden.362 Auch als gesetzessystematisches Argument vermag der Mehrparteiengerichtsstand keine Auslegung zu rechtfertigen, die angesichts der Beweisferne oder der Unvorhersehbarkeit der begründeten Gerichtsstände den eigenständigen Zwecken des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO widerspricht. Im Rahmen der Auslegung des Deliktsgerichtsstands ließe sich das Ziel der Verfahrensbündelung daher nur berücksichtigen, wenn man eine solche als überge359

Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 724 f. Vgl. hierzu Kapitel 1 C. III. 3. b). 361 Vgl. Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 153; in diese Richtung auch Thole, ZBB 2011, 399, 402. 362 Müller, EuZW 2013, 130, 131 f.; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Klagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 98. 360

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

ordnetes, die europäischen Zuständigkeitsvorschriften in ihrer Gesamtheit durchziehendes Integrationsziel versteht. Hierfür spricht Erwägungsgrund 21 S. 1 der EuGVVO, wonach Parallelverfahren angesichts der erhöhten Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen so weit wie möglich zu vermeiden sind. bb) Jedenfalls geringes teleologisches Gewicht Selbst wenn man die Ziele der Entscheidungsharmonie und der Verfahrensbündelung trotz der abweichenden Teleologie des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO für berücksichtigungsfähig erachtet, ist dennoch hervorzuheben, dass der Geschädigte in keiner Weise zu einer streitgenössischen Inanspruchnahme der Delinquenten gezwungen wäre und jeden Deliktsbeteiligten ebenso allein am zugerechneten Handlungsort eines anderen Mitverursachers verklagen könnte. Insoweit droht eine überschießende Folge, die mit den Vorteilen einer Konzentration zusammenhängender Verfahren nicht mehr zu rechtfertigen wäre. Zu berücksichtigen ist daneben, dass dem Geschädigten mit dem Gerichtsstand am Erfolgsort sowie dem forum connexitatis des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO bereits mehrere Zuständigkeiten offenstehen, die eine streitgenössische Inanspruchnahme der Deliktsbeteiligten ermöglichen. Wird die gemeinsame Inanspruchnahme der Deliktsbeteiligten daneben auch an den Handlungsorten zugelassen, wäre im Hinblick auf die Bündelungsmöglichkeiten des Klägers damit ein allenfalls geringer Mehrwert verbunden. Freilich liegt die streitgenössische Inanspruchnahme mitunter auch im Interesse der Beklagten. Die Verteidigung am Handlungsort eines selbst gewählten Komplizen kann – etwa im Hinblick auf die einfachere Verfügbarkeit eigener Gegenbeweismittel – der Verteidigung an dem sachferneren Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft vorzuziehen sein, der möglicherweise auf einer rein prozesstaktisch motivierten Ankerklage beruht.363 Auch im Hinblick auf einen nachfolgenden Innenregress ergeben sich Vorteile, wenn die übrigen Schädiger an dem Prozess über die Haftung im Außenverhältnis beteiligt und an dessen Entscheidung gebunden sind. Denn der alleine verklagte Schädiger ist der Gefahr ausgesetzt, dass er im Außenverhältnis zum Ersatz des Gesamtschadens verurteilt wird, von den Mitverursachern, die mangels Prozessbeteiligung nicht an das Urteil über die Haftung gegenüber dem Geschädigten gebunden sind, in Folge einer abweichenden Beurteilung durch das Gericht des nachfolgenden Regressprozesses aber keinen Ausgleich erlangt. Dem Interesse der Beklagten an einer einheitlichen Verhandlung und Entscheidung von Außenhaftung und Innenregress wird indes durch den besonderen Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage gemäß Art. 8 Nr. 2 EuGVVO Rechnung getragen.364 Dieser ermöglicht es dem allein verklagten Deliktsbeteiligten, die potentiellen Regressschuldner im Wege einer eigenständigen Klage in den Außenhaftungsprozess einzubeziehen und somit die einheitliche 363 364

Vgl. Maultzsch, IPRax 2017, 442, 446. Weller, WM 2013, 1681, 1685.

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Verhandlung und Entscheidung von Außenhaftung und Innenregress zu sichern.365 Mitgliedstaaten wie Deutschland und Österreich, deren Verfahrensrecht eine Gewährleistungs- und Interventionsklage unbekannt ist,366 erzielen vergleichbare Ergebnisse über das Institut der Streitverkündung, dessen Interventionswirkung gemäß Art. 65 Abs. 2 EuGVVO mitgliedstaatenübergreifend anerkannt wird.367 Die Deliktsbeteiligten können eine einheitliche Entscheidung von Außenhaftung und Innenregress somit unabhängig davon sicherstellen, ob der Verletzte sämtliche Deliktsbeteiligte oder nur einen Mitverursacher verklagt.368 cc) Fazit Angesichts der abweichenden Teleologie ist die Berücksichtigungsfähigkeit des Bündelungsziels bei der Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bereits im Ausgangspunkt zweifelhaft,369 vermag aber jedenfalls nicht zu rechtfertigen, dass jeder Deliktsbeteiligte allein am Ort eines zugerechneten fremden Tatbeitrags verklagt werden könnte. Da dem Kläger die umfassenden Gerichtsstände am Erfolgsort sowie am forum connexitatis offenstehen und der Beklagte eine einheitliche Entscheidung durch Gewährleistungs- und Interventionsklage bzw. durch Streitverkündigung zu sichern vermag, weist eine weitere Zuständigkeitskonzentration an den Handlungsorten unter den Gesichtspunkten der Verfahrensökonomie sowie des Entscheidungseinklangs zudem allenfalls geringen Mehrwert auf. d) Fehlende Schutzbedürftigkeit unter Gesichtspunkten der Vorhersehbarkeit Das in den Erwägungsgründen 15 S. 1 und 16 S. 2 der EuGVVO prominent hervorgehobene Vorhersehbarkeitsziel soll einer Handlungsortzurechnung zwischen bewusst kooperierenden Mittätern, Anstiftern und Gehilfen nach im Schrifttum verbreiteter Auffassung nicht entgegenstehen.370 Nur vereinzelt werden aus dem Ziel, die Vorhersehbarkeit der internationalen Zuständigkeitsregeln zu wahren, Bedenken gegen die Gerichtspflicht an den Orten fremder Handlungen abgeleitet.371 Überwiegend wird jedoch ausgeführt, sachrechtlich setze die Haftung für fremde 365

Weller, WM 2013, 1681, 1685. Vgl. insoweit die Auflistung bei Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, Art. 8 EuGVVO Rn. 6. 367 Vgl. Gottwald, in: MüKo, ZPO, 5. Aufl. 2017, Art. 65 Brüssel Ia-VO Rn. 4. 368 Weller, WM 2013, 1681, 1685. 369 Müller, EuZW 2013, 130, 131 f.; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Klagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 98. 370 von Hein, RIW 2011, 810, 812; von Hein, IPRax 2013, 505, 509; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn. 83b; Müller, EuZW 2013, 130, 133. 371 Thole, ZBB 2011, 399, 402 („Prinzip der Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands eine individuelle Betrachtungsweise nahelegt.“); Müller, EuZW 2013, 130, 133, der darauf hinweist, dass dem Haupttäter vorbereitende Beihilfehandlungen nicht notwendigerweise bekannt sind. 366

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Tatbeiträge einen gemeinsamen Tatplan voraus. Die Delinquenten müssten die Tatbeiträge der Mittäter und Teilnehmer einschließlich der jeweiligen Handlungsorte zumindest in groben Zügen kennen. Ein Delinquent, der die Tatbeiträge anderer Tatbeteiligter in seinen Vorsatz aufnehme, bedürfe unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit keines Schutzes.372 aa) Keine generelle Vorhersehbarkeit kraft gemeinsamen Tatplans Der Rückschluss von den Voraussetzungen der sachrechtlichen Verhaltenszurechnung auf die Vorhersehbarkeit fremder Handlungsorte im zuständigkeitsrechtlichen Sinne vermag indes nicht zu überzeugen. Dass sich der Beklagte auf Grundlage eines gemeinsamen Tatplans an dem Delikt beteiligt hat und die fremden Tatbeiträge somit kannte, steht aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht nicht fest, sondern soll im ergebnisoffenen Prozess schlussendlich geklärt werden. Dabei schützt das Vorhersehbarkeitsgebot der Erwägungsgründe 15 S. 1 und 16 S. 2 der EuGVVO nicht nur den zurecht verklagten Delinquenten, sondern erfasst sämtliche Anwendungsfälle des Tatortgerichtsstands. Er schützt damit insbesondere den ungerechtfertigt Beklagten, der sich objektiv nicht auf Grundlage eines gemeinsamen Tatplans an dem Delikt beteiligt hat. Dass der von der Klägerseite behauptete gemeinsame Tatplan oftmals doppelrelevant sein wird und im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung daher als wahr unterstellt werden kann, dient der endgültigen Erledigung des Rechtsstreits sowie dem Schutz des Beklagten vor einer erneuten Inanspruchnahme, ändert aber nichts an der prinzipiellen Offenheit der Sach- und Rechtslage und begründet insbesondere die tatsächliche Vorhersehbarkeit der Handlungsorte angeblicher Komplizen nicht. Wird die Vorhersehbarkeit des fremden Handlungsorts trotz der offenen Sach- und Rechtslage aus einem angeblichen gemeinsamen Tatplan hergleitet, so werden gerade die Vorhersehbarkeitsinteressen des zu Unrecht Beklagten übergangen, der sich objektiv nicht an dem Delikt beteiligt hat und den Gerichtsstand am fremden Handlungsort daher nicht vorhersehen konnte. bb) Binnenmarktfunktionale Betrachtung am Beispiel der Entscheidungstrilogie des EuGH Lückenloser Schutz vor einer unvorhersehbaren Gerichtspflicht kann dem zu Unrecht Beklagten freilich nicht gewährleistet werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Beklagte in Folge einer unzutreffenden Klägerbehauptung zur Verteidigung in einem völlig unvorhersehbaren Bezirk gezwungen wird, zu dem er keinen realen Bezug aufweist. Dass dem Beklagten ein völlig aus der Luft gegriffenes Handeln unterstellt wird, an dessen angeblichen Ort objektiv weder er selbst noch ein Kooperationspartner agiert hat, erscheint jedoch als eher theoretische Konstellation und sollte im Rahmen der formal typisierenden Betrachtung daher nicht als maß372

von Hein, IPRax 2013, 505, 509.

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stabsbildender Regelfall angesehen werden. Angesichts der Binnenmarktfunktion der europäischen Zuständigkeitsregeln kommt es vielmehr darauf an, ob die Gerichtspflicht und daraus resultierende Haftungsrisiken vor der Aufnahme wirtschaftlicher Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat verlässlich prognostiziert werden können. Ein solches binnenmarktbezogenes Verständnis des Vorhersehbarkeitspostulats deutet in der Rechtssache Melzer insbesondere die Formulierung des Generalanwalts Jääskinen an, eine „gewisse Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands bei unerlaubten Handlungen“ sei auch „für einen mutmaßlichen Schädiger notwendig, da anderenfalls die Wirtschaftsteilnehmer von grenzüberschreitenden Aktivitäten abgehalten werden könnten.“373 So verstanden erfordert das Vorhersehbarkeitsziel, dass nur solche fremden Handlungsorte mit gerichtsstandbegründender Wirkung zugerechnet werden, deren räumliche Belegenheit für den Beklagten typischerweise vor Aufnahme arbeitsteiliger Wirtschaftstätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat abzusehen ist. Die Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany offenbart insoweit ein zwiespältiges Bild. (1) Vorhersehbarkeit des zugerechneten Handlungsorts im Fall Melzer Im Fall Melzer hatte das Londoner Brokerhaus MF Global Finanzprodukte über den Düsseldorfer Anlagevermittler W.W.H. gezielt innerhalb Deutschlands vermarktet und kannte das räumliche Tätigkeitsgebiet seines Vertriebspartners zumindest in groben Zügen. Dass W.W.H. im Zusammenhang mit der Vermittlung von Finanzprodukten unzureichendes Aufklärungsverhalten vorgeworfen und deshalb am Ort der Beratungsgespräche auf Schadensersatz geklagt werden würde, war als branchentypisches Haftungsrisiko vorherzusehen. Das Londoner Brokerhaus kannte das räumliche wie auch das sachliche Tätigkeitsgebiet seines deutschen Vertriebspartners und konnte sowohl das Stattfinden der Beratungsgespräche innerhalb Deutschlands als auch den daraus folgenden Rechtsstreit antizipieren. Die gerichtsstandbegründende Zurechnung solcher (angeblich deliktischer) Handlungen ändert nichts daran, dass die aus dem arbeitsteiligen Vertrieb des Finanzprodukts in anderen Mitgliedstaaten resultierende internationale Gerichtspflicht vorhersehbar bleibt. (2) Abweichende Bewertung der Rechtssachen Hi Hotel und Coty Germany Anders lag es in den Rechtssachen Hi Hotel und Coty Germany, in welchen die Beklagten ihre Geschäftstätigkeit – soweit ersichtlich – nicht gezielt auf das Bundesgebiet ausgerichtet hatten. Im Fall Coty Germany hatte der Beklagte an seinem belgischen Wohnsitz nachgeahmte Parfümflakons an einen Händler veräußert.374 Diese verbrachte der Händler nach Abholung in Belgien nach Deutschland, wo er sie markenrechtswidrig weiterveräußerte. Dass dem Beklagten bei Abgabe der Parfümflakons in Belgien bekannt war, dass und an welchen Orten der Händler diese 373 374

GA Jääskinen, Schlussanträge v. 29. 11. 2012, Rs. C-228/11 – Melzer, Rn. 64. EuGH, Urt. v. 5. 6. 2014, Rs. C-360/12, EuZW 2014, 664, 664 – Coty Germany.

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entgegen den Vorgaben des Markenrechsts in Verkehr bringen würde, lässt sich nicht ohne Weiteres unterstellen. Entsprechendes gilt in der Rechtssache Hi Hotel. Der beklagte französische Hotelbetreiber hatte Photographien in Frankreich an einen Verlag weitergereicht, der die Aufnahmen nachfolgend in einem Bildband veröffentlichte, welchen er unter anderem im Bezirk des angerufenen LG Köln vertrieb.375 Dass dem Hotelbetreiber die Veröffentlichung in dem Bildband sowie dessen räumlicher Verbreitungsradius zum Zeitpunkt der Weitergabe der Aufnahmen bekannt waren oder hätte bekannt sein müssen, ist keinesfalls zwingend. Die Vorhersehbarkeit der Gerichtspflicht wäre erheblich beeinträchtigt, würden dem Hotelbetreiber sämtliche an die Weitergabe der Photographien anknüpfende Verbreitungshandlungen Dritter zugerechnet. (3) Fazit Angesichts der offenen Sachlage, welche das Zuständigkeitsrecht adressiert, kann die Vorhersehbarkeit fremder Handlungsorte nicht per se aus dem Vorhandensein eines deliktischen Tatplans geschlossen oder unter Verweis auf die fehlende Schutzwürdigkeit des Deliktsbeklagten für entbehrlich erklärt werden. Den Maßstab bildet vielmehr, ob die mit einer Tätigkeit im Binnenmarkt verbundenen Gerichtspflicht im Hinblick auf begründete wie auch auf unbegründete Deliktsklagen derart verlässlich antizipiert werden kann, dass aus unüberschaubaren Gerichtspflichtrisiken keine Mobilitätshemmnisse zu entstehen drohen. Richtet der Beklagte seine Tätigkeit wie im Fall Melzer über einen lokalen Kooperationspartner gezielt auf einen anderen Mitgliedstaat aus, so bleibt die Gerichtspflicht trotz Zurechnung des fremden Handlungsorts vorhersehbar. Hingegen würde in Fällen wie den Rechtssachen Hi Hotel und Coty Germany, in welchen der Beklagte seine Tätigkeit nicht gezielt auf einen bestimmten anderen Mitgliedstaat ausrichtet, die Vorhersehbarkeit der Gerichtspflicht durch Zurechnung sämtlicher Folgehandlungen Dritter erheblich beeinträchtigt. e) Wertungsparallele zu Fällen der Alleintäterschaft Verschiedentlich wird argumentiert, sei der Alleintäter eines mehraktigen Delikts an sämtlichen (Teil-)Handlungsorten gerichtspflichtig, so könne nichts anderes gelten, wenn die Teilakte arbeitsteilig von mehreren Delinquenten verübt würden.376 Anderenfalls werde gerade der Deliktstäter zuständigkeitsrechtlich privilegiert, der seinen Schädigungsradius durch Einschaltung von Hilfspersonen ausweite. Da aber der EuGH im Falle der mehraktigen Deliktsbegehung durch einen Alleintäter bislang gerade kein Klägerwahlrecht zwischen sämtlichen naturalistischen (Teil-)Hand375

EuGH, Urt. v. 3. 4. 2014, Rs. C-387/12, EuZW 2014, 431, 432 – Hi Hotel. von Hein, RIW 2011, 810, 812; Mankowski, WuW 2012, 797, 803; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 286; Thole, in: FS Schilken, 2015, 524, 532; Weller, WM 2013, 1681, 1684. 376

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lungsorten annimmt, sondern jedenfalls im Hinblick auf die Mehrzahl der Delikte zu einer normativen Zentralisierung des Handlungsortgerichtsstands neigt,377 erscheint bereits die Grundannahme dieses Arguments zweifelhaft. Zudem gilt, dass es unter dem Gesichtspunkt der Beweisnähe durchaus gerechtfertigt sein kann, den Alleintäter eines mehraktigen Delikts, nicht aber jeden Beteiligten eines arbeitsteilig verwirklichten Delikts am Ort jedes deliktischen Teilakts für gerichtspflichtig zu halten. Während jeder (Teil-)Handlungsort gegenüber dem Alleintäter eine gewisse Beweisnähe indiziert, sind im Falle der arbeitsteiligen Deliktsbegehung nebensächliche Anstifter- oder Gehilfenbeiträge denkbar, denen für die Mithaftung des Anstifters oder Gehilfen, nicht aber für die Haftung der Täter Bedeutung zukommt und die somit nur gegenüber einzelnen Deliktsbeteiligten beweisnah sind.378 3. Versuche einer Rechtfertigung mit zuständigkeitsfremden Erwägungen Angesichts der aufgezeigten Schwächen rein zuständigkeitsrechtlicher Begründungsansätze wird die gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Handlungsorte im Schrifttum nicht allein mit prozessrechtlichen Erwägungen, sondern teilweise auch mit einer Parallele zu den Haftungsregeln des materiellen Deliktsrechts sowie mit Erwägungen rechtspolitischer Provenienz begründet. Insbesondere wird auf die solidarische Haftung bewusst und gewollt kooperierender Schädiger Bezug genommen, die auf sachrechtlicher Ebene über die Figur der Gesamtschuld oder in Gestalt funktional ähnlicher Institute in den Mitgliedstaaten anerkannt ist (dazu a). Daneben werden Lücken des prozessualen Anlegerschutzes angeführt, die insbesondere dann drohen, wenn die streitgegenständliche Transaktion über Konten an offshore-Finanzplätzen in Drittstaaten abgewickelt wird und der Erfolgsortgerichtsstand daher entfällt (dazu b).379 Freilich begegnet die Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO anhand sachrechtlicher oder rechtspolitischer Motive angesichts des eigenständigen Wertungen des Zuständigkeitsrechts dogmatischen Bedenken (dazu c). a) Handlungszurechnung als Abbild sachrechtlicher Haftungsregeln Verbreitet wird in der Literatur auf die Modellregeln der PETL sowie des DCFR verwiesen, die als Ergebnis umfangreicher rechtsvergleichender Forschungsarbeiten belastbare Rückschlüsse auf den Besitzstand des europäischen Privatrechts erlauben und im Wege einer rechtsvergleichenden Auslegung in die Begriffs- und System-

377

Kapitel 2 C. II.; skeptisch daher bereits vgl. Weller, WM 2013, 1681, 1684. Vgl. bereits Kapitel 3 B. IV. 1. a). 379 Vgl. Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 83b; von Hein, in: BerDGV, Paradigmen im internationalen Recht, 2012, S. 369, 396; kritisch aber Thole, ZBB 2011, 399, 402. 378

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bildung des Unionsrechts einbezogen werden können.380 Der gemeinschaftlichen Begehung unerlaubter Handlungen begegnen sowohl die PETL als auch der DCFR durch einen Haftungsmechanismus, der mit der aus dem deutschen Recht bekannten gesamtschuldnerischen Haftung gemäß §§ 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 840 Abs. 1 BGB trotz gewisser Unterschiede in Terminologie und Detailfragen funktional durchaus vergleichbar ist. Hinter der materiell-rechtlichen Solidarhaftung, so wird argumentiert, stehe der überzeugende Gerechtigkeitsgedanke, dass die gemeinsame Deliktsbegehung die gemeinsame Verantwortlichkeit zur Folge haben müsse.381 Mit der Sachgerechtigkeit einer solidarischen Haftung auf Ebene des materiellen Rechts korrespondiere auf prozessualer Ebene die Sachgerechtigkeit einer gemeinsamen Gerichtspflicht.382 aa) Solidarhaftung gemäß Art. VI.-4:102 DCFR Jeder Beteiligte eines arbeitsteilig verwirklichten Delikts ist gemäß Art. VI.4:102 DCFR nicht nur für den eigenen Verursachungsanteil, sondern für den Gesamtschaden verantwortlich.383 Die Modellregel unterscheidet zwischen den drei Beteiligungsformen des participant, des instigator sowie des accessory, die auf Rechtsfolgenseite gleichermaßen die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit für das Gesamtdelikt nach sich ziehen. Die erläuternde Kommentierung der Verfasser stellt klar, dass eine Mithaftung in allen drei Varianten die bewusste und gewollte Deliktsbeteiligung voraussetzt.384 Als participant soll haften, wer an der Umsetzung eines auf die Tat bezogenen Gesamtplans beteiligt war oder sich während der Ausführung im Hintergrund gehalten, dabei aber die Kontrolle über den Geschehensablauf innegehabt hat. Als instigator ist für das Delikt verantwortlich, wer dem Handelnden einen (zusätzlichen) Grund für die Tatausführung liefert. Den im Außenverhältnis ebenso für das gesamte Delikt verantwortlichen accessory zeichnet aus, dass er das Handeln des unmittelbaren Schädigers in Kenntnis wesentlicher Grundzüge unterstützt, ohne das letztendliche Zustandekommen der Tat beeinflussen zu können. Da die drei Beteiligungsformen einheitliche Rechtsfolgen nach sich

380 von Hein, IPRax 2013, 505, 508; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 445; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 287; Thiede/ Sommer, ÖBA 2015, 175, 184; Thole, in: FS Schilken, 2015, 524, 532. 381 Vgl. von Hein, IPRax 2013, 505, 508 f.; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 532; kritisch aber Weller, LMK 342334; Weller, WM 2013, 1681, 1683 f. 382 Vgl. von Hein, IPRax 2013, 505, 508 f.; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 532; kritisch aber Weller, LMK 342334; Weller, WM 2013, 1681, 1683 f. 383 Vgl. den auszugsweise in Fn. 607 wiedergegebenen Normtext sowie die kommentierte Version von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3593 ff. 384 von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3593 („The present Article requires a conscious and wilful cooperation of the participant in de causation of damage.“).

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ziehen, beschränken sich die Verfasser des DCFR auf ihre allgemein gehaltene Umschreibung und sehen von einer detaillierten Abgrenzung bewusst ab.385 Die Gesamtverantwortlichkeit jedes Deliktsbeteiligten konkretisiert Art. VI.-6:105 DCFR im Sinne einer gesamtschuldähnlichen Haftung, der sog. solidary liability.386 Diese ermöglicht es dem Verletzten, von jedem der Tatbeteiligten Ersatz des gesamten Schadens zu verlangen und zwingt den in Anspruch genommenen Schädiger, die übrigen Verursacher in Höhe der jeweiligen Verursachungsbeiträge in Rückgriff zu nehmen. Dadurch soll der Verletzte aus der Haftungsverteilung zwischen den Delinquenten herausgehalten und dem verklagten Schädiger der Einwand abgeschnitten werden, der Schaden gehe ebenso auf das Handeln eines Dritten zurück.387 Daneben erachteten es die Verfasser für unbillig, wenn das Opfer kumulativ und anteilig gegen die Verursacher vorgehen müsse und dabei das Risiko der Insolvenz eines Schädigers trage. Stattdessen sei es angezeigt, dem Verletzten eine einfache und schnelle Schadenskompensation zu sichern sowie den prozesstaktischen Spielraum zu eröffnen, einzelne Schädiger nicht mit zu verklagen und stattdessen als Zeugen zu benennen. bb) Solidarhaftung gemäß Art. 9:101 Abs. 1 lit. a PETL Anders als der DCFR und das deutsche Deliktsrecht ordnet Art. 9:101 Abs. 1 lit. a PETL388 unmittelbar die gemeinsame Haftung bewusst und gewollt kooperierender Schädiger an und verzichtet auf eine zweistufige Regelung, die in einem ersten Schritt die gemeinsame Verantwortlichkeit der Deliktsbeteiligten bestimmt und diese in einem zweiten Schritt im Sinne einer solidarischen Haftung konkretisiert. Trotz dieses regelungstechnischen Unterschieds erlauben es im Ergebnis auch die PETL dem Verletzten, von jedem Deliktsbeteiligten Ersatz des gesamten Schadens zu verlangen. Durch diese umfassende Außenhaftung wird der in Anspruch genommene Deliktsbeteiligte gezwungen, die übrigen Schädiger gemäß Art. 9:102 Abs. 1 S. 1 in Regress zu nehmen, um eine den individuellen Verantwortungsbeiträgen entsprechende Haftungsverteilung zu realisieren. Die solidarische Haftung betrifft gemäß Art. 9:101 Abs. 1 lit. a PETL jedermann, der sich „wissentlich an der rechtswidrigen Tat anderer, die dem Geschädigten Schaden zufügt, beteiligt oder dazu anstiftet oder ermutigt“ und umfasst somit Fallkonstellationen, die weitgehend den aus dem deutschen Recht bekannten Beteiligungsformen der Mittäterschaft, der Anstiftung und der Beihilfe entsprechen. Dabei wird nicht zwischen den Beteiligungsformen der Täterschaft und der Teilnahme differenziert, sondern im Sinne 385 von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3593. 386 von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3766 ff. 387 von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3766. 388 Vgl. den in Fn. 604 wiedergegebenen Normtext sowie European Group on Tort Law, Principles of European Tort Law, 1. Ed., 2005, S. 142 ff.

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eines Einheitstätermodells an den Umstand angeknüpft, dass der Beteiligte das Schädigungsziel des unmittelbar Handelnden gekannt und in diesem Wissen einen Tatbeitrag erbracht hat.389 Eine solidarische Haftung ordnet Art. 9:101 Abs. 1 lit. b der PETL daneben für die Konstellation der Nebentäterschaft an. Auch ohne arbeitsteiliges Element haftet jeder der für einen Schadensteil verantwortlichen Delinquenten im Außenverhältnis auf Ersatz des Gesamtschadens. Die Verfasser der PETL begründen die gemeinschaftliche Haftung im Bereich der Nebentäterschaft mit ihrer Verwurzelung im System der europäischen Deliktsrechte, mit der Verlagerung des Insolvenzrisikos auf die Gruppe der Verursacher sowie mit den erheblichen praktischen Schwierigkeiten, die aus Sicht des Verletzten mit einer anteiligen Inanspruchnahme jedes Nebentäters verbunden wären.390 Eine Übertragung dieses Rechtsgedankens auf die Zuständigkeitsebene wird im Schrifttum indes abgelehnt und dafür plädiert, die prozessuale Handlungsortzurechnung im Wege einer zuständigkeitsrechtlichen Korrektur auf die in Art. 9:101 Abs. 1 lit. a PETL geregelten Fälle der bewussten Kooperation zu reduzieren.391 b) Drohende Lücken des prozessualen Anlegerschutzes Neben dem Gedanken der materiell-rechtlichen Solidarhaftung werden auch Gesichtspunkte des wirksamen Anlegerschutzes als rechtspolitisches Argument zugunsten einer prozessualen Handlungsortzurechnung vorgebracht.392 Denn angesichts der einschneidenden Lücken im System des prozessualen Anlegerschutzes droht der Anleger insbesondere dann vor den allgemeinen Gerichtsstand des auslandsansässigen Brokers gezwungen zu werden, wenn ein Vorgehen über Art. 8 Nr. 1 EuGVVO wegen der Zahlungsunfähigkeit des möglichen Ankerbeklagten, des lokalen Vermittlers, ausscheidet und der Erfolgsort nicht rechtssicher zu identifizieren oder in einem Drittstaat belegen ist.393 Die Gefahr, Deliktsansprüche im Ausland durchsetzen zu müssen, kann die Attraktivität einer Kapitalanlage in anderen Mitgliedstaaten erheblich beeinträchtigen. Durch eine Gerichtsstandvereinbarung gemäß Art. 25 EuGVVO vermag sich der Anleger allenfalls zu schützen, wenn er nicht nur mit einem lokalen Vermittler, sondern auch mit dem auslandsansässigen Finanzdienstleister in vertragliche Beziehung tritt und den Vertragsschluss von einer zufriedenstellenden Klärung der 389 European Group on Tort Law, Principles of European Tort Law, 1. Ed., 2005, S. 143 („A person does not incur liability under this paragraph unless he is aware oft he purpose of the one who inflicts the damage.“). 390 European Group on Tort Law, Principles of European Tort Law, 1. Ed., 2005, S. 143 f. 391 von Hein, IPRax 2013, 505, 509. 392 Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 83b; von Hein, in: BerDGV, Paradigmen im internationalen Recht, 2012, S. 369, 396; vgl. auch Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 458; kritisch aber Thole, ZBB 2011, 399, 402. 393 Vgl. zu den Lücken der übrigen besonderen Gerichtsstände Kapitel 3 A. II. 1. e) dd).

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Zuständigkeitsfrage auch für deliktsrechtliche Ansprüche abhängig machen kann. Da sich der auslandsansässige Finanzdienstleister auf die Prorogation eines umfassenden Klägergerichtsstands – wenn überhaupt – nur gegen eine substantiell erhöhte Gegenleistung einlassen wird,394 steht der Anleger oftmals vor der Wahl, zuständigkeitsrechtliche Schutzlücken in Kauf zu nehmen oder in Ermangelung des umfassenden Schutzes seiner Heimatjurisdiktion von der Kapitalanlage in einem anderen Mitgliedstaat abzusehen. Angesichts des zuverlässigeren Rechtsschutzes kann eine Kapitalanlage im Inland als sicherere Alternative erscheinen. Ökonomisch wünschenswerte Investitionen in anderen Mitgliedstaaten drohen entgegen der binnenmarktfinalen Zwecksetzung der Verordnung am Fehlen adäquaten Rechtsschutzes zu scheitern.395 Nimmt der Anleger das zuständigkeitsrechtliche Risiko einer Auslandsinvestition in Kauf, steht er im Schadensfall vor der Wahl, dem Finanzdienstleister vor dessen allgemeinen Gerichtsstand zu folgen oder angesichts der erheblichen Hürden eines Auslandsprozesses von der prozessualen Rechtsverfolgung abzusehen.396 Erscheint ein Verzicht auf die prozessuale Rechtsverfolgung als vorzugswürdige Alternative, schwächt dies nicht nur den individuellen Anlegerschutz, sondern steigert zugleich die Attraktivität unzulässiger Verhaltensweisen, reduziert die objektiv-rechtliche Geltungskraft kapitalmarktrechtlicher Verhaltenspflichten397 und unterminiert letztlich die Anleger- wie auch die Funktionsschutzzwecke des materiellen Kapitalmarktrechts.398 Während eine Klage im Ausland aus Sicht geschädigter Anleger eine erhebliche Hürde darstellt, belastet die gerichtsstandbegründende Zurechnung lokaler Vertriebspartner ein transnational tätiges Brokerhaus weit weniger.399 Ein Finanzdienstleister, der mit Vertriebspartnern in anderen Mitgliedstaat kooperiert, muss sich angesichts eines möglichen Erfolgsorts sowie angesichts des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO ohnehin auf die dortige Gerichtspflicht einstellen. Der erschwerten Beurteilung der Haftungsrisiken sowie den daraus resultierenden Transaktionskosten steht zumeist ein größeres Umsatzvolumen gegenüber, welches die Mehrkosten relativiert und eine Inkaufnahme zeit- und kostenaufwändiger sowie riskanter Auslandsprozesse rechtfertigt. Die durch eine verschärfte Gerichtspflicht erhöhte Haftungswahrscheinlichkeit kann in die Gebühren eingepreist und auf eine Vielzahl 394 Vgl. zu den Auswirkungen einer Gerichtsstandvereinbarung auf die Vertragskalkulation Wais, Der europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 30 f. 395 Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 459; vgl. auch Wais, Der europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 27. 396 Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 459. 397 Zur Korrelation zwischen Sanktionswahrscheinlichkeit und faktischer Geltungskraft vgl. vgl. Poelzig, ZGR 2015, 801, 821; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 444. 398 Vgl. zu den Individual- und Funktionsschutzzwecken des materiellen Kapitalmarktrechts Assmann, ZGR 1994, 494, 499; Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, S. 334 ff.; Hopt, ZGR 1991, 17, 26; Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 159; Hopt, WM 2009, 1873, 1873 ff.; Merkt, in: FS Hopt, 2010, S. 2207, 2224 ff. 399 Vgl. Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 459.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

ähnlich gelagerter Transaktionen umgewälzt werden.400 Nicht nur angesichts der Größenvorteile des Finanzintermediärs erscheint es rechtspolitisch vorzugswürdig, diesem die Belastungen eines Auslandsprozesses aufzuerlegen.401 Auch der Gedanke einer Korrelation von Profit und Risikotragung spricht dafür, den Finanzdienstleister mit einer Prozessführung im Ausland zu belasten, der seine Absatzmöglichkeiten durch Einschaltung lokaler Vermittler auf andere Mitgliedstaaten erstreckt hat.402 Die Stärkung des prozessualen Anlegerschutzes wäre der Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte insgesamt zuträglich und käme in Gestalt reduzierter Transaktionsrisiken sowie eines gestärkten Anlegervertrauens mittelbar wiederum den mit einer erweiterten Gerichtspflicht belasteten Finanintermediären zugute.403 c) Zuständigkeitsfremder Charakter der Erwägungen Freilich kann einer zuständigkeitsrechtlichen Berücksichtigung der Haftungsregeln des DCFR und der PETL der Einwand der Eigenständigkeit des zuständigkeitsrechtlichen Wertungssystems entgegenhalten werden, der ebenso im Rahmen des § 32 ZPO gegen einen Rückgriff auf den zuständigkeitsfremden Rechtsgedanken des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB spricht.404 Motive des Opferschutzes im Allgemeinen oder des Anlegerschutzes im Besonderen bilden angesichts des traditionell unpolitischen, alleine auf die beiderseitige Gewährung angemessenen Rechtsschutzes gerichteten Charakters des Zuständigkeitsrechts ebenfalls keinen Faktor, dem im Rahmen des zuständigkeitsrechtlichen Interessenausgleichs Rechnung zu tragen wäre. Dennoch spricht für eine Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO unter Berücksichtigung sachrechtlicher und rechtspolitischer Aspekte, dass der EuGH den Tatortgerichtsstand nach dem bisher Gesagten nicht ausnahmslos anhand zuständigkeitsrechtlicher Erwägungen konkretisiert, sondern mitunter durchaus dazu tendiert, auf materiell-rechtliche Wertungen vorzugreifen und den deliktsrechtlichen Schutz bestimmter Rechtsgüter bzw. Rechtsgutträger durch ergänzende Bereitstellung klägerfreundlicher Gerichtsstände zu stärken.405 Eine wechselseitige Handlungsortzurechnung ließe sich vor diesem Hintergrund als konsequente Folge einer zunehmenden Überlagerung des originär zuständigkeitsrechtlichen Interessenausgleichs durch materiell-rechtlich determinierte Wertungen und Steuerungsziele erklären.406 400

Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 459. Terminus der Größenvorteile nach Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 459. 402 Vgl. Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn. 83b; Thole, ZBB 2011, 399, 402. 403 Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 459. 404 Vgl. zu den im Zusammenhang mit § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB und § 32 ZPO geäußerten Einwenden Kapitel 3 B. III. 2. b); gegen einen Rückgriff auf den DCFR daher Weller, WM 2013, 1681, 1684. 405 Vgl. Kapitel 2 A. II. 3. b). 406 Hierzu sogleich unter Kapitel 3 C. I. 4. c). 401

C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO

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4. Zusammenführende Betrachtung Wie die Betrachtung der im Schrifttum anzutreffenden Begründungsansätze zeigt, finden sich durchaus gewichtige Argumente gegen, insbesondere aber auch für eine prozessuale Zurechnung fremder Handlungsorte. Zugleich verdeutlicht ein Blick auf die Diskussionen im Schrifttum aber, dass dem Meinungsstand eine gewisse Zerfahrenheit nicht abgesprochen werden kann. Der zurechnungsfreundliche Grundstandpunkt des überwiegenden Schrifttums basiert auf einem Nebeneinander zahlreicher, kaum zusammenhängender Einzelargumente zuständigkeitsrechtlicher, materiell-rechtlicher sowie rechtspolitischer Natur. Keiner der vertretenen Argumentationsansätze ist für sich genommen von derart zwingender Überzeugungskraft, dass er eine Zurechnung ohne das Verbleiben erheblicher dogmatischer Bedenken rechtfertigen könnte. Die interessengerechte Lösung der Zurechnungsproblematik bedarf vielmehr einer Abwägung zwischen den widerstreitenden Vor- und Nachteilen, die nicht methodisch ungebunden im luftleeren Raum, sondern vor dem Hintergrund der zuständigkeitsrechtlichen Interessenabwägung der Art. 4 ff. EuGVVO zu erfolgen hat. Gewahrt werden muss die Konzeption der Verordnung, wonach der Grundsatz des actor sequitur forum rei nur durchbrochen werden darf, soweit die hinter dem Deliktsgerichtsstand stehenden Interessen an einem sach- und beweisnahen Gerichtsstand eine Relativierung des grundsätzlichen favor defensoris erlauben und das Grundgleichgewicht von Kläger- und Beklagtenschutz nicht zugunsten der Klägerinteressen verschoben wird. Die erhebliche Revidierung des grundsätzlichen favor defensoris bedarf einer Rechtfertigung anhand gewichtiger Gründe (dazu a). Ob die hinter dem Deliktsgerichtsstand stehenden Interessen eine derart weitgehende Durchbrechung des zuständigkeitsrechtlichen Beklagtenschutzes aufwiegen, erscheint fraglich (dazu b). Entscheidende Bedeutung kommt mithin der Frage zu, ob materiell-rechtliche und rechtspolitische Aspekte den zuständigkeitsrechtlichen Interessenausgleich zu überlagern und eine klägerfreundliche Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zu rechtfertigen vermögen (dazu c). a) Verschärfte Durchbrechung des Grundsatzes actor sequitur forum rei Mitunter wird die Zurechnungsfrage auf das Kernproblem zurückgeführt, nach den grundlegenden Vorstellungen der Rechtsordnung sei die Verantwortlichkeit eines jeden Individuums auf eigenes Handeln begrenzt und die Verantwortlichkeit für fremdes Verhalten als rechtfertigungsbedürftige Ausnahme anzusehen.407 Zwar mag der Gedanke der Eigenverantwortlichkeit die Haftungsregeln des materiellen Deliktsrechts prägen. Ob das Motiv der prinzipiellen Eigenverantwortlichkeit in dem Sinne auf die Zuständigkeitsebene übertragen werden kann, dass die Gerichtspflicht am eigenen Handlungsort als Regel und die Gerichtspflicht an den Orten fremder Tatbeiträge als rechtfertigungsbedürftige Ausnahme anzusehen ist, darf jedoch bezweifelt werden. Auch der Gerichtsstand am eigenen Handlungsort kann angesichts 407

Müller, EuZW 2013, 130, 130 f.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

der reduzierten Prüfungsanforderungen der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen an einem Ort eröffnet sein, an welchem der Beklagte tatsächlich nicht gehandelt hat. Bereits der Gerichtspflicht am Ort des eigenen Tatbeitrags liegt mithin nicht der Gedanke der Verantwortung für eigenes Handeln, sondern ein räumlicher Konnex zwischen dem Gerichtsort und dem von der Klägerseite determinierten Streitgegenstand zugrunde. Dies spiegelt sich darin wider, dass der EuGH weder ausdrücklich auf den eigenen noch auf einen fremden Handlungsort verweist, sondern ohne Bezug zu einem handelnden Subjekt vom „Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens“ spricht.408 An der Rechtfertigungsbedürftigkeit einer gerichtsstandbegründenden Handlungsortzurechnung ändert dies freilich nichts. Der Justizgewährungsanspruch des Beklagten sowie das Recht auf effektiven Rechtsschutz verbieten beziehungslose internationale Gerichtsstände und verlangen, dass die Gerichtspflicht außerhalb des Wohnsitzstaats auf sachlichen Gründen beruht.409 Eine sachgrundlose Gerichtspflicht im Ausland verbietet auch die in Art. 4 Abs. 1 EuGVVO verankerte Entscheidung, den Beklagten grundsätzlich vor der Gerichtsgewalt anderer Mitgliedstaaten zu schützen. Eine umfassende wechselseitige Zurechnung der Handlungsorte sämtlicher Deliktsbeteiligter bedürfte vor diesem Hintergrund einer Rechtfertigung durch besonders gewichtige Umstände. Denn die drohende Zuständigkeitsvervielfältigung, die zumindest in manchen Fällen erschwerte Vorhersehbarkeit fremder Handlungsorte sowie die verschärfte Gefahr einer Zuständigkeitserschleichung setzen den Beklagten erheblichen Gerichtspflichtrisiken außerhalb seines Wohnsitzstaats aus und revidieren den grundsätzlichen favor defensoris somit weitgehend. b) Zuständigkeitsrechtliche Rechtfertigung Ob die korrespondierenden Vorteile einer prozessualen Handlungsortzurechnung die erhebliche Durchbrechung des Grundsatzes actor sequitur forum rei aufzuwiegen vermögen, erscheint fraglich. Denn insbesondere das Interesse des Verletzten, den Klägergerichtsstand am Handlungsort eines ortsansässigen Schädigers als umfassenden Klägergerichtsstand auch gegenüber auslandsansässigen Mitverursachern nutzen zu können, vermag eine extensive Auslegung der Zuständigkeit am Handlungsort für sich genommen nicht zu rechtfertigen. Ein nicht durch seinen Streitgegenstandsbezug legitimierter Klägergerichtsstand würde die Entscheidung zugunsten eines allgemeinen Beklagtengerichtsstands konzeptionell in ihr Gegenteil verkehren,410 die Gegengewichte des Heimatgerichtsstands und des Zuständig408 Vgl. statt aller EuGH, Urt. v. 16. 5. 2013, Rs. C-228/11, NJW 2013, 2099 f. – Melzer, Rn. 25, 29; EuGH, Urt. v. 16. 6. 2016, Rs. C-12/15, NJW 2016, 2167, 2168 – Universal Music, Rn. 28. 409 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 577 ff. 410 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 6. 2004, Rs. C-168/02, NJW 2004, 2441, 2442 – Kronhofer, Rn. 20; Coester-Waltjen, in: FS Klamaris, 2016, 173, 174 ff.; Klöpfer, JA 2013, 165, 169; Weller, WM 2013, 1681, 1685.

C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO

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keitswahlrechts in der Hand des Klägers vereinen und den Beklagten unangemessen benachteiligen.411 Eine Auslegung, die regelmäßig zu Klägergerichtsständen führt, die nicht durch ihren spezifischen Streitgegenstandsbezug gerechtfertigt sind, lehnt daher auch der EuGH als systemwidrig ab.412 Beschränkt man die Betrachtung auf die von Art. 4 Abs. 1 und 7 Nr. 2 EuGVVO in Ausgleich gebrachten Interessen, müssen auch die Vorzüge einer Bündelung zusammenhängender Verfahren sowie Motive des Opferschutzes als nicht in der Teleologie des Deliktsgerichtsstands angelegte Regelungszwecke außen vor bleiben. Der erheblichen Relativierung des zuständigkeitsrechtlichen Beklagtenschutzes steht demnach vornehmlich die partielle Sach- und Beweisnähe zentraler, das deliktische Geschehen prägender Handlungsbeiträge gegenüber. Angesichts der grob typisierenden Betrachtungsweise, des Vorhandenseins weiterer partiell beweisnaher Handlungs- und Erfolgsorte sowie in Anbetracht des ungebundenen Klägerwahlrechts wird die partielle Beweisnähe zentraler fremder Handlungsorte dennoch nur in einem vergleichsweise kleinen Teil der praktischen Anwendungsfälle zu einem Gerichtsstand am tatsächlichen Belegenheitsort der entscheidungserheblichen Beweismittel führen. Dass die Orte nebensächlicher Anstiftungs- oder Gehilfenbeiträge für eine Klage gegen andere Deliktsbeteiligte per se keine besondere Beweisnähe indizieren, tritt erschwerend hinzu.413 Stellt man der insgesamt schwach ausgeprägten Beweisnähe fremder Handlungsorte die erhebliche Durchbrechung des zuständigkeitsrechtlichen Beklagtenschutzes gegenüber, ist jedenfalls eine unbegrenzte wechselseitige Handlungsortzurechnung rein zuständigkeitsrechtlich nicht zu rechtfertigen. c) Materiell-rechtliche Überlagerung des zuständigkeitsrechtlichen Interessenausgleichs Eine unbegrenzte wechselseitige Handlungsortzurechnung lässt sich daher allein mit einem Durchschlagen sachrechtlicher Wertungen sowie mit dem im Kern zuständigkeitsfremden Ziel eines wirksamen Anlegerschutzes begründen.414 Einen Ansatzpunkt für eine derartige Überlagerung des zuständigkeitsrechtlichen Interessenausgleichs bietet die bereits angesprochene Tendenz zur Materialisierung des Zuständigkeitsrechts im Allgemeinen415 sowie des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO im Be411

Vgl. Lehmann/Duczek, IPRax 2011, 41, 47. EuGH, Urt. v. 10. 6. 2004, Rs. C-168/02, NJW 2004, 2441, 2442 – Kronhofer, Rn. 20. 413 Vgl. hierzu Kapitel 3 B. IV. 1. b) sowie Kapitel 3 C. I. 2. b) aa). 414 Vgl. Kern/Uhlmann, IPRax 2019, 488, 492, die ausgehend von der allgemeinen Tendenz zur Materialisierung des Zuständigkeitsrechts bei der Zuständigkeitslokalisierung für eine außerhalb des Insolvenzverfahrens erhobene Anfechtungsklage die Berücksichtigung von Gläubigerschutzaspekten in Erwägung ziehen. 415 Vgl. Zur Materialisierung des Zuständigkeitsrechts Kapitel 1 A. II. sowie Heinze, EuZW 2011, 947, 950; Heinze, JZ 2011, 709, 715 f.; Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 522 ff.; Jurczyk, Materialisierung des Zivilverfahrensrechts, 2019 S. 1 ff.; Kehrberger, Die Materialisierung des 412

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sonderen.416 Die Indienstnahme des Zuständigkeitsrechts für die erleichterte Durchsetzung bestimmter Ansprüche, die Verordnungstext und Rechtsprechung mitunter erkennen lassen, ließe sich in der Frage der deliktischen Mehrpersonenhaftung nahtlos fortsetzen. Entsprechend der eDate Advertising-Entscheidung, welche dem Geschädigten einer Online-Persönlichkeitsrechtsverletzung unter Vorgriff auf den materiell-rechtlichen Aspekt einer besonderen „Schwere der Verletzung“417 günstigere Klagemöglichkeiten zubilligt, könnte dem erhöhten Verletzungspotential einer arbeitsteiligen Tatbegehung durch klägerfreundliche Handlungsortallokation begegnet werden. Anknüpfend an die CDC-Entscheidung, welche dem Kartellgeschädigten einen Klägergerichtsstand einräumt, der allein mit dem Ziel der wirksamen Kartellrechtsdurchsetzung zu erklären ist, könnte auch das Finanzdienstleistungsrecht durch klägerfreundliche Gerichtsstände flankiert werden.418 Hinter den Gerichtsständen in Arbeitsvertrags-, Verbraucher- und Versicherungssachen gemäß Art. 10 ff. EuGVVO steht nicht zuletzt die rechtspolitische Bestrebung, das Vertrauen strukturell schwacher Akteure in den mitgliedstaatenübergreifenden Rechtsverkehr zu stärken und die Attraktivität einer Teilnahme am Wirtschaftsleben anderer Mitgliedstaaten zu steigern.419 Diese auf Mobilitätsförderung gerichtete Zielsetzung ließe sich mutatis mutandis auf den Bereich des Anlegerschutzes übertragen. Entscheidende Bedeutung gewinnt mithin die im zweiten Kapitel der Untersuchung noch offengelassene Grundsatzfrage nach den Grenzen, innerhalb derer materiell-rechtliche und rechtspolitische Motive auf die Zuständigkeitsebene durchzuschlagen und die eigenständigen Ziele des Zuständigkeitsrechts zu überlagern vermögen.420 Bei der Bestimmung dieser Grenzen ist zu berücksichtigen, dass der Deliktskläger angesichts der Offenheit der Sach- und Rechtslage weder per se aus Sicht des materiellen Rechts schutzwürdig ist, noch sich durch eine typischerweise unterlegene Prozess- und Geschäftserfahrung auszeichnet, die einen besonderen Schutz aus Gründen der Sicherung zumutbaren gerichtlichen Rechtsschutzes erfordern würde. Anders als im Rahmen der Art. 10 ff. EuGVVO würde durch Privilegierung des Deliktsklägers nicht etwa eine regeltypische Ungleichgewichtslage kompensiert, sondern die prozessuale Stellung einer nicht per se unterlegenen Partei begünstigt und in letzter Konsequenz der ergebnisoffene Charakter des Prozesses Zivilprozessrechts, 2019, S. 55 ff.; Pfeiffer, in: Canaris u. a. (Hrsg.), 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft, Band III, 2000, S. 617 ff.; Wagner, ZEuP 2008, 6, 13 ff. 416 Heinze, EuZW 2011, 947, 950; Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 522 ff. 417 So wörtlich EuGH, Urt. v. 25. 10. 2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, NJW 2012, 137, 139 – eDate Advertising und Martinez, Rn. 47; vgl. hierzu eingehend Heinze, EuZW 2011, 947, 949; Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 525; Hoffmann, ZZP 128 (2015), 465, 471; Thomale, ZVglRWiss 119 (2020), 59, 102 f. 418 EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 589 f. – CDC, Rn. 51 ff.; vgl. auch Kapitel 2 A. II. 3. b) cc). 419 Heiderhoff, IPRax 2005, 230, 231; Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.108. 420 Vgl. zur Materialisierung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO in der Rechtsprechung Kapitel 2 A. II. 3. c).

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gefährdet. Eine zuständigkeitsrechtliche Privilegierung der aus materiell-rechtlicher Perspektive schützenswerten Partei widerspräche nicht nur dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit, der wertungsmäßig hinter dem System der Art. 4 ff. EuGVVO steht, sondern birgt daneben die Gefahr, dass aufgrund sachrechtlicher oder rechtspolitischer Motive aus prozessualer Sicht beziehungsarme Gerichtsstände eröffnet werden, die angesichts ihres exorbitanten Charakters mit dem Justizgewährungsanspruch des Beklagten in Konflikt treten.421 Materiell-rechtliche Wertungen und rechtspolitische Steuerungsziele mögen daher als ergänzendes Motiv in die Feinjustierung der Zuständigkeitsverteilung Eingang finden, nicht aber den in der Verordnung angelegten Ausgleich von Klägerund Beklagtenschutz zu überspielen.422 Denn der Inhalt des streitgegenständlichen Anspruchs ändert nichts daran, dass der Beklagte angesichts der Offenheit der Sachund Rechtslage in gleichem Maße vor einer unberechtigten Inanspruchnahme zu schützen ist, wie dem Kläger eine effektive Rechtsdurchsetzung ermöglicht wird. Dass der grob typisierende Interessenausgleich der Art. 4 Abs. 1 und 7 Nr. 2 EuGVVO auch für solche Deliktskläger Geltung beansprucht, die angesichts ihrer typischerweise geringen Geschäfts- und Prozessroutine ohne Gefährdung der Kräfteparität der Parteien privilegiert werden könnten, ist unmittelbare Folge der Beschränkung spezifischer Schutzgerichtsstände auf den vertraglichen Bereich. Dies mag man für rechtspolitisch korrekturbedürftig erachten.423 De lege lata ist das Fehlen besonderer Schutzgerichtsstände außerhalb des vertraglichen Bereichs jedoch hinzunehmen und nicht rechtsfortbildend durch eine extensive Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zu kompensieren, die gleichermaßen strukturell überlegene Deliktskläger begünstigen würde. d) Zwischenfazit Angesichts der insgesamt schwach ausgeprägten Beweisnähe fremder Handlungsorte, der eine schwerwiegende Durchbrechung des grundsätzlichen Beklagtenschutzes gegenübersteht, ist jedenfalls eine uneingeschränkte wechselseitige Handlungsortzurechnung nach sachrechtlichem Vorbild rein zuständigkeitsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Materiell-rechtliche und rechtspolitische Aspekte mögen zwar für eine extensive Auslegung des Handlungsortgerichtsstands sprechen, vermögen 421 Vgl. zum Justizgewährleistungsanspruch als Grenze exorbitanter Zuständigkeit Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 523 ff. 422 Heinze, in: FS Ahrens, 2016, 521, 531 ff.; vgl. auch Huber, IPRax 2009, 134, 135 („Ähnlich wie bei der Auslegung kollisionsrechtlicher Regelungen sind aber auch hier die Wertungen des Sachrechts an den neuen Kontext anzupassen. Sie können im Rahmen einer prozessrechtsautonomen Begriffsbildung nur insoweit eine Rolle spielen, als sie mit den spezifischen Grundprinzipien des internationalen Zuständigkeitsrechts vereinbar sind.“). 423 von Hein, in: BerDGV, Paradigmen im internationalen Recht, 2012, S. 369, 396; von Hein, in: Kleinschmidt u. a. (Hrsg.), Symposium in Gedenken an Bernd von Hoffmann, 2016, 45, 88; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 99; Weller, WM 2013, 1681, 1687.

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den zuständigkeitsrechtlichen Ausgleich von Kläger- und Beklagtenschutz aber nicht zu überspielen. Eine Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, die nicht von rein zuständigkeitsrechtlichen Erwägungen getragen wird, kann auch mit dem Durchschlagen materiell-rechtlicher oder rechtspolitischer Erwägungen nicht tragfähig begründet werden.

II. Ansätze zur Identifikation der zurechnungsfähigen Tatbeiträge Das Missverhältnis, welches zwischen der massiven Durchbrechung des Grundsatzes actor sequitur forum rei und der schwach ausgeprägten Beweisnähe fremder Handlungsorte besteht, verbietet nicht jedwede Zurechnung. Der Ausgleich von Kläger- und Beklagtenschutz erfordert jedoch eine Begrenzung auf eine hinnehmbare Zahl fremder Handlungsorte, deren Zurechnung angesichts ihrer abstrakten Beweisnähe sowie ihrer Vorhersehbarkeit von der Teleologie des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO getragen wird. Anhand eingrenzender Kriterien müssen hingegen diejenigen Tatbeiträge von der Zurechnung ausgenommen werden, deren räumliche Belegenheit für eine der Parteien in der Regel nicht vorherzusehen ist oder die angesichts ihrer untergeordneten Bedeutung typischerweise nur für die Haftung des handelnden Deliktsbeteiligten konstitutiv sind, für eine gegen ortsfremde Schädiger gerichtete Klage aber keine besondere Beweisnähe indizieren. Von Voraussetzungen und Funktionsweise der materiell-rechtlichen Verhaltenszurechnung unterscheidet sich eine an den Regelungszwecken des Zuständigkeitsrechts ausgerichtete Beteiligungsdogmatik bereits im Ausgangspunkt. Das materielle Deliktsrecht kompensiert nicht nur widerrechtlich verursachte Schäden, sondern verfolgt daneben präventive, verhaltenssteuernde Zwecke.424 In seiner Funktion als Instrument der Verhaltenssteuerung knüpft das materielle Deliktsrecht die Haftung an ein vermeid- und daher über die Haftungssanktion steuerbares Verhalten.425 Auch die verschärfte, solidarische Haftung kooperierender Täter und Teilnehmer basiert auf der Erwägung, dass der Deliktsbeteiligte den Taterfolg unter Mitwirkung weiterer Delinquenten herbeiführen wollte und somit einen qualifizierten Vorsatz aufweist.426 Der Deliktsgerichtsstand hingegen differenziert in Ermangelung einer Steuerungs- und Präventionsfunktion nicht nach der individuellen Verschuldensform, sondern basiert auf rein objektiven Gesichtspunkten der räumlichen Nähe.427 424

Zu den Kompensations- und Präventionszwecken des materiellen Deliktsrechts vgl. Habersack/Zickgraf, ZHR 182 (2018), 252, 255 f.; von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 28 ff.; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 14. Aufl. 2021, Kapital 6, Rn. 1 ff.; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, 13. Aufl. 1994, S. 354; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, vor § 823 Rn. 43 ff. 425 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, 13. Aufl. 1994, S. 351 ff. 426 Vgl. im Hinblick auf § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB Kapitel 3 B. III. 2. a) cc). 427 Vgl. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 189 ff.

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Diese unterschiedlichen Blickwinkel spiegeln sich in der rechtlichen Bewertung dahingehend wider, dass das materielle Deliktsrecht durch umfassende Zurechnung der qualifiziert vorsätzlichen Tatbeiträge der Beteiligung an fremden Delikten auch präventiv entgegenwirkt, während die zuständigkeitsrechtliche Zurechnung auf objektiv zentrale, gegenüber allen Deliktsbeteiligten beweisnahe Tatbeiträge zu beschränken ist. Die diesbezüglichen Auswahlkriterien sind an den erhöhten Klarheits- und Vorhersehbarkeitsanforderungen des Zuständigkeitsrechts zu messen.428 Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden die verschiedenen im Schrifttum vorfindlichen Zurechnungsmodelle betrachtet werden. Verbreitet sind Ansätze, die anhand der Zurechnungsregeln der lex causae, durch eine Orientierung an den Modellregeln des DCFR und der PETL oder über das Erfordernis einer vorsätzlichen Kooperation im Ergebnis einer umfassenden wechselseitigen Handlungsortzurechnung nach sachrechtlichem Vorbild nahekommen. Derartige Konzepte werden der spezifisch zuständigkeitsrechtlichen Interessenlage nach dem bisher Gesagten nicht gerecht, sollen aus Gründen der Vollständigkeit aber dennoch dargestellt werden (dazu 1.). Daneben findet sich der Versuch, die Zurechnung etwa anhand der Kategorien von Täterschaft und Teilnahme oder anhand einer Schwerpunktbetrachtung auf objektiv zentrale Tatbeiträge zu beschränken. Derartige Differenzierungsversuche begegnen indes mit Blick auf die erhöhten Klarheits- und Vorhersehbarkeitsanforderungen des Zuständigkeitsrechts Bedenken (dazu 2.). Die erheblichen Unterschiede zwischen den zahlreichen tatbestandlich von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO erfassten Deliktstypen wie auch die geschilderte Rechtsprechung des EuGH und des BGH legen vielmehr eine deliktsspezifische Betrachtung nahe (dazu 3.). 1. Materiell-rechtlich inspirierte Modelle a) Rückgriff auf Zurechnungsregeln der lex causae Obwohl sich die autonome Auslegung zu einem methodischen Grundprinzip des europäischen Zivilverfahrensrechts entwickelt hat,429 können die europäischen Zuständigkeitsregeln noch immer als Verweisung auf die lex causae ausgelegt werden, soweit der Stand der verordnungsautonomen Begriffs- und Systembildung eine Zuständigkeitsallokation auf Grundlage autonomer Kriterien nicht zulässt. Wie die Tessili-Rechtsprechung des EuGH zeigt, kann ein Rückgriff auf das anwendbare Sachrecht geboten sein, wenn dem Kläger in der Verordnung angelegte Gerichtsstände anderenfalls in Ermangelung autonomer Lokalisierungskriterien versagt werden müssten.430 Geht man mit der Melzer-Entscheidung vom Fehlen eines eu428 Vgl. Czernich, in: Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, 4. Aufl. 2015, Art. 7 EuGVVO Rn. 7. 429 Vgl. Kapitel 2 C. III. 1. a) sowie EuGH, Urt. v. 8. 11. 2005, Rs. C-443/03, NJW 2006, 491, 492 – Leffler, Rn. 45; EuGH, Urt. v. 25. 6. 2009, Rs. C-14/08, NJW 2009, 2513, 2515 – Roda Golf, Rn. 48; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Einl EuGVO Rn. 69. 430 EuGH, Urt. v. 13. 2. 1976, Rs. 12/76, NJW 1977, 491, 491 f. – Tessili, Rn. 13 ff.

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ropäischen Zurechnungskonzepts aus und erachtet eine auf autonome Grundsätze gestützte Handlungsortzurechnung für ausgeschlossen, so ließe sich argumentieren, an Stelle eines generellen Ausschlusses jedweder Zurechnung sei in Anlehnung an die Tessili-Rechtsprechung des EuGH auf die höher entwickelten Zurechnungsregeln des anwendbaren Deliktsstatuts zurückzugreifen.431 aa) Keine Beseitigung der zentralen zuständigkeitsrechtlichen Bedenken Regelmäßig ginge mit einem Rückgriff auf die lex causae jedoch eine unbegrenzte wechselseitige Zurechnung der bewussten und gewollten Tatbeiträge einher. Denn wie sowohl § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB als auch die Modellregeln des DCFR und der PETL andeuten, sehen die Deliktsrechte der meisten Staaten vor, dass jeder Beteiligte, der im weitesten Sinne vorsätzlich und mit dem Willen zur arbeitsteiligen Deliktsbegehung einen Tatbeitrag leistet, haftungsrechtlich für das deliktische Gesamtgeschehen verantwortlich ist.432 Durch einen Rückgriff auf derartige Zurechnungsregeln würde weder die Gefahr einer uferlosen Handlungsortvervielfältigung gebannt noch würden die Orte nebensächlicher Tatbeiträge von der Zurechnung ausgenommen, die für eine Klage gegen andernorts handelnde Mitverursacher keine besondere Beweisnähe indizieren. bb) Folgewirkungen auf Ebene der Rechtskraft Würde die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts von der Bewertung durch die lex causae abhängig gemacht, so drohte in Fällen, in denen die Parteien alleine um die Rechtsfrage der Zurechenbarkeit eines fremden Tatbeitrags streiten, ein einseitiges „Rechtskraftgefälle“433 zulasten des Beklagten. Denn erachtet das Gericht den innerhalb seines Bezirks begangenen Tatbeitrag für zurechenbar, so wäre die Klage sowohl zulässig als auch begründet. Lehnt das angerufene Gericht eine Zurechnung des innerhalb seines Bezirks verübten Tatbeitrags aufgrund der lex causae ab, erginge mangels internationaler Zuständigkeit ein abweisendes Prozessurteil mit Folge, dass der Kläger seinen vermeintlichen Anspruch vor einem anderen Gericht erneut einklagen könnte. Die Prozessrisiken würden einseitig auf den Beklagten verlagert, da der Kläger eine zusprechende Sachentscheidung erstreiten könnte, aber nur ein abweisendes Prozessurteil fürchten müsste, während der Beklagte in der 431 Maultzsch, IPRax 2017, 442, 445; vgl. auch Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 288. 432 Vgl. Kapitel 3 C. I. 3. a) sowie die in Fn. 604 und Fn. 607 wiedergegebenen Normtexte; von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3593 ff.; European Group on Tort Law, Principles of European Tort Law, 1. Ed., 2005, S. 142 ff. 433 Terminus nach Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 23. Aufl. 2014, § 1 Rn. 32, der die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen mit der Verhinderung eines Rechtskraftgefälles rechtfertigt.

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Sache verurteilt werden, umgekehrt aber nur eine Klageabweisung aus Zuständigkeitsgründen erzielen könnte. cc) Drohende Überfrachtung der Zuständigkeitsprüfung Die Zuständigkeitsprüfung würde ferner mit einer komplexen kollisions- und sachrechtlichen Prüfung aufgeladen.434 Während Einbrüche divergierenden Sachrechts dem in Erwägungsgrund 4 S. 1 der EuGVVO verankerten Vereinheitlichungsziel widersprächen, würde das Vorhersehbarkeitsziel der Erwägungsgründe 15 S. 1 und 16 S. 2 durch die erhöhte Komplexität der mehrstufigen, möglicherweise in ein ausländisches Deliktsstatut führenden Zuständigkeitsprüfung beeinträchtigt. Das angerufene Gericht wäre gezwungen, die Zurechnungsregeln der lex causae bereits im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung durch Einholung eines zeit- und kostenaufwändigen Gutachtens zu ermitteln, das bei Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht zur endgültigen Erledigung des Rechtsstreits beitragen würde.435 Der Vorhersehbarkeitsmangel fiele in den exemplarisch behandelten Kapitalanlagefällen besonders ins Gewicht. Denn das anwendbare Deliktsstatut richtet sich hier gemäß Art. 4 I ROM II-VO nach dem notorisch schwierig zu bestimmenden Erfolgsort, der auch im Kontext des Kollisionsrechts am Ort des in seinem Guthaben geminderten Kontos lokalisiert wird.436 Die zur Transaktionsabwicklung genutzten Konten einzelner, von lokalen Vermittlern geworbener Anleger können sich an verschiedensten Orten, etwa an offshore-Finanzplätzen in einem Drittstaat,437 befinden und sind für ein transnational tätiges Brokerhaus kaum vorherzusehen. Die maßgeblichen Zurechnungsregeln würden also einem aus Beklagtensicht ex ante oftmals unklaren Sachrecht entnommen. Auch dem Kläger würde die Identifikation der im konkreten Fall verfügbaren Gerichtsstände erschwert. So könnten das mögliche Eingreifen der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 ROM II-VO auf kollisionsrechtlicher Ebene oder schwierige Auslegungsfragen innerhalb der lex causae Unklarheiten verursachen. Dazu kann ein ausländisches, möglicherweise gar drittstaatliches Deliktsrecht zur Anwendung berufen sein, dessen Inhalt selbst ein anwaltlich beratener Kläger kaum mit vertretbarem Aufwand zu ermitteln und zuverlässig anzuwenden vermag. 434 Vgl. hierzu Kapitel 2 C. III. 1. b) sowie die Kritik an der Tessili-Rechtsprechung bei Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn. 23; Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn 322 ff.. 435 Vgl. nur Bedeutung einer einfachen und schnellen Vorabprüfung der Zuständigkeit Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 161 f. 436 Freitag, WM 2015, 1165, 1166 f.; Junker, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 4 ROM IIVO Rn. 21; Lehmann, IPRax 2012, 399, 400; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 448; Spickhoff, in: BeckOK, BGB, 57. Ed., Stand 1. 11. 2020, Art. 4 ROM II-VO Rn. 7. 437 Vgl. Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 83b; von Hein, in: BerDGV, Paradigmen im internationalen Recht, 2012, S. 369, 396.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

dd) Fazit Obwohl das zur Anwendung berufene Deliktsstatut zumeist eine höher entwickelte Beteiligungsdogmatik vorhalten wird, vermag ein Rückgriff auf die Zurechnungsregeln der lex causae nicht zu überzeugen. Sachrechtliche Zurechnungsregeln begrenzen die Zurechnung weder verlässlich auf eine hinnehmbare Zahl von Handlungsorten noch auf zentrale, allseitig beweisnahe Tatbeiträge und bieten daher keine nennenswerten Vorteile, welche den korrespondierenden Nachteil einer Überfrachtung der Zuständigkeitsprüfung mit kollisions- und sachrechtlichen Fragen aufwiegen könnten. Erweist sich die Entwicklung autonomer Zurechnungskriterien als gänzlich unmöglich, erscheint es vorzugswürdig, an Stelle eines Rückgriffs auf die lex causae auf die Zurechnung zu verzichten und den Gerichtsstand auf den Ort des eigenen Tatbeitrags zu beschränken. b) Orientierung an den Zurechnungsvoraussetzungen des DCFR und der PETL Verbreitet wird daneben auf die Zurechnungskriterien des DCFR verwiesen.438 Dass die sachrechtlichen Zurechnungsregeln nach dem bisher Gesagten auf zuständigkeitsfremden Motiven des Opferschutzes und der Verhaltenssteuerung beruhen,439 steht der zumindest begrifflichen Orientierung eines autonomen Zurechnungskonzepts an den Zurechnungsvoraussetzungen des DCFR nicht notwendigerweise entgegen. Da der DCFR als „Essenz der Rechtsvergleichung“440 Grundsätze wiedergibt, die innerhalb des europäischen Rechtsraums weitgehend anerkannt sind, werden die dortigen Zurechnungsregeln in groben Zügen oftmals jenen der lex cause entsprechen. Gegenüber einem Rückgriff auf das konkret anwendbare Deliktsstatut wiese eine Orientierung an den überstaatlichen Zurechnungsregeln des DCFR aber den Vorteil auf, dass sich Regelungsunterschiede, die zwischen den Deliktsrechten verschiedener Staaten in Detailfragen bestehen mögen, nicht auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO widerspiegeln würden. Es bedürfte weder einer Ermittlung der lex causae anhand zeit- und kostenaufwändiger sowie fehleranfälliger Gutachten noch einer komplexen kollisionsrechtlichen Vorprüfung, was die Feststellung der eröffneten Zuständigkeiten sowohl den Parteien als auch dem angerufenen Gericht erleichtern würde. Dennoch bleiben die Kritikpunkte, dass auf Grundlage von Art. VI.4:102 DCFR jeder Beteiligte, der im weitesten Sinne willentlich einen Beitrag zu dem arbeitsteilig verwirklichten Delikt geleistet hat, für das deliktische Gesamt438 Maultzsch, IPRax 2017, 442, 445; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn. 287; Thiede/Sommer, ÖBA 2015, 175, 184; Thole, in: FS Schilken, 2015, 524, 532; vgl. mit Blick auf die Modellregel der PETL von Hein, IPRax 2013, 505, 508. 439 Vgl. Kapitel 3 C. I. 3. a) sowie Kapitel 3 C. I. 4. c). 440 Riesenhuber, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der gemeinsame Referenzrahmen, 2009, S. 173, 184 ff.

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geschehen haftet.441 Auf die Zuständigkeitsebene übertragen bannt ein solches Modell weder die Gefahr einer Vervielfältigung des Handlungsortgerichtsstands, noch differenziert es nach dem objektiven Gewicht der Tatbeiträge und führt daher zu einer Zurechnung auch nebensächlicher, typischerweise beweisferner Handlungsorte. Entsprechendes gilt für die Modellregel des Art. 9:101 Abs. 1 lit. a PETL, die ein funktional vergleichbares Einheitstätermodell vorsieht und auf einen bewussten Tatbeitrag ebenfalls mit der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit für das Gesamtdelikt reagiert.442 c) Zurechnung im Falle bewusster und gewollter Kooperation Im Schrifttum wird ferner erwogen, die Zurechnung an die Voraussetzung der Kollusion bzw. eines auf die gemeinsame Tatbegehung gerichteten Vorsatzes zu knüpfen.443 Auch ein solches Modell hätte aber eine umfassende wechselseitige Handlungsortzurechnung zwischen bewusst und gewollt kooperierenden Schädigern zur Folge, welche der Solidarhaftung nach sachrechtlichem Vorbild nahekommt. Weder würde die Zuständigkeit auf eine hinnehmbare Zahl von Handlungsorten begrenzt, noch würden die Orte objektiv nebensächlicher Anstifter- oder Gehilfenbeiträge von der Zurechnung ausgenommen. Entgegen dem Ziel einfach und klar zu identifizierender Gerichtsstände würde die internationale Zuständigkeit überdies mit subjektiven, aus Sicht des Geschädigten kaum einsehbaren Umständen aus der Sphäre der Delinquenten verknüpft. Zu beachten ist ferner, dass es an einem autonomen Begriff des Vorsatzes fehlt, der die erforderlichen voluntativen und kognitiven Elemente konkretisieren und auch in Grenzfällen eine zuverlässige und vorhersehbare Abgrenzung zwischen der (bedingt) vorsätzlichen und der (bewusst) fahrlässigen Tatbeteiligung ermöglichen würde. Bei der Entwicklung einer autonomen Vorsatzdefinition könnte allenfalls auf den Begriff der intention gemäß Art. VI.-3:101 DCFR444 zurückgegriffen werden, 441

von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3593 („The present Article requires a conscious and wilful cooperation of the participant in the causation of damage.“); ebenso European Group on Tort Law, Principles of European Tort Law, 1. Ed., 2005, S. 143 („A person does not incur liability under this paragraph unless he is aware oft he purpose of the one who inflicts the damage.“). 442 European Group on Tort Law, Principles of European Tort Law, 1. Ed., 2005, S. 142 ff. 443 Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462; von Hein, RIW 2011, 810, 812; Janal, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz, 2015, S. 332 f.; Mankowski, WuW 2012, 797, 800 f.; Thole, AG 2013, 913, 914; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 533 f.; Wagner, EuZW, 2013, 546, 547. 444 VI.-3:101: Intention: A person causes legally relevant damage intentionally when that person causes such damage either: (a) meaning to cause damage of the type caused; or (b) by conduct which that person means to do, knowing that such damage, or damage of that type, will or will almost certainly be caused.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

welcher gemäß lit. a die intendierte Schadensverursachung sowie gemäß lit. b ein Handeln im Wissen um den nahezu sicheren Schadenseintritt erfasst.445 Die letztgenannte Variante eines Handelns in Kenntnis der hohen Schadenswahrscheinlichkeit soll nach der erläuternden Kommentierung der Verfasser weitgehend dem in verschiedenen Mitgliedstaaten bekannten Begriff des dolus eventualis entsprechen.446 Hinsichtlich der Frage, ob der Handelnde die Verursachung eines Schadens für ausreichend wahrscheinlich gehalten hat oder lediglich die Verschuldensform der negligence gemäß Art. VI.-3:102 DCFR447 aufweist, soll dem angerufenen Gericht ein gewisser Spielraum zur Berücksichtigung der Einzelfallumstände offenstehen.448 In Grenzfällen verlangt die Definition der intention in Art. VI.-3:101 DCFR mithin eine diffizile richterliche Würdigung der subjektiven und objektiven Einzelfallumstände und wirft zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit somit Abgrenzungsfragen auf, wie sie das deutsche Strafrecht traditionell vor Probleme stellen.449 Eine umfassende Bewertung subjektiver und objektiver Tatumstände mag unter Gesichtspunkten der sachrechtlichen Einzelfallgerechtigkeit unerlässlich sein, eignet sich aber nicht als Anknüpfungspunkt für einen einfach und klar festzustellenden Gerichtsstand. Die Vorhersehbarkeitsbeeinträchtigung, die mit einer Differenzierung zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Tatbeteiligung einherginge, illustriert der bereits im Zusammenhang mit § 32 ZPO geschilderte Fall des BGH.450 Ein US-amerikanisches Brokerhaus hatte über ein Onlinesystem unzureichend kontrollierten Anlagevermittlern aus aller Welt Zugang zu US-amerikanischen Börsen gewährt und damit – so jedenfalls der Klägervorwurf – Beihilfe zu deren teils betrügerischen Geschäftspraktiken geleistet.451 Die nicht mit effektiven Kontrollen verbundene Zugangsgewährung zu US-amerikanischen Termin- und Optionsbörsen bewegt sich an der Grenze zwischen einer bewussten Ermöglichung unvermeidlicher Betrugsfälle und 445 Vgl. hierzu auch die kommentierte Vollversion von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3389 ff. 446 von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3393. 447 VI.-3:102: Negligence A person causes legally relevant damage negligently when that person causes the damage by conduct which either: (a) does not meet the particular standard of care provided by a statutory provision whose purpose is the protection of the injured person from the damage suffered; or (b) does not otherwise amount to such care as could be expected from a reasonably careful person in the circumstances of the case. 448 von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3594. 449 Vgl. statt aller BGH, Urt. v. 22. 3. 2012 @ 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525; BGH, Urt. v. 13. 12. 2017 – 2 StR 230/17, BeckRS 2017, 139903; BGH, Urt. v. 15. 2. 2018 – 4 StR 361/ 17, NStZ-RR 2018, 174, 176; Joecks/Kulhanek, in: MüKo, StGB, 4. Aufl. 2020, § 16 Rn. 31 ff.; Puppe, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 15 Rn. 88 ff. 450 Kapitel 3 A. I. 451 BGH, Urt. v. 9. 3. 2010 – XI ZR 93/09, NZG 2010, 550, 550 ff.

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deren Inkaufnahme als unvermeidliche, aber dennoch unerwünschte Nebenfolge. Die exakte Grenzziehung zwischen vorsätzlicher Tatbeteiligung und bewusst nachlässiger Ermöglichung der Schädigungshandlungen einzelner Anlagevermittler erfordert in derartigen Grenzfällen eine komplexe Bewertung der Einzelfallumstände, die maßgeblich von der unvorhersehbaren subjektiven Positionierung des Gerichts abhängt.452 2. Ansätze für eine zuständigkeitsrechtliche Begrenzung Die Zulässigkeit einer gerichtsstandbegründenden Handlungsortzurechnung hängt mithin davon ab, ob sich von der Beteiligungsdogmatik des materiellen Deliktsrechts abstrahierte Kriterien finden lassen, die einerseits eine Eingrenzung der Zurechnung auf eine hinnehmbare Zahl im Regelfall beweisnaher sowie vorhersehbarer Handlungsorte gewährleisten und andererseits den erhöhten Einfachheitsund Klarheitsbedürfnissen des Zuständigkeitsrechts gerecht werden. Keinen Anklang gefunden hat der im Zusammenhang mit dem Vorabentscheidungsverfahren Coty Germany von der Regierung des Vereinigten Königreichs unterbreitete Vorschlag, die Zurechnung an die einschränkende Voraussetzung „eines hinreichend deutlichen und unmittelbaren Zusammenhangs“453 zwischen dem zuzurechnenden fremden Handlungsort und dem eigenen Tatbeitrag des Beklagten zu knüpfen. Das Kriterium wird ohne nähere Konkretisierung in den Schlussanträgen des Generalanwalts berichtet, ist im weiteren Diskurs aber nicht aufgegriffen worden. a) Normative Eingrenzung des zuständigkeitsrechtlichen Handlungsortbegriffs Thole hat angeregt, der Problematik arbeitsteiliger Delikte nicht primär über eingrenzende Zurechnungskriterien, sondern durch normative Eingrenzung des zuständigkeitsrechtlichen Handlungsortbegriffs zu begegnen.454 Er argumentiert, die Entscheidung zugunsten einer wechselseitigen Handlungsortzurechnung beinhalte keine Aussage darüber, welche Aktivitäten überhaupt als Deliktshandlungen i. S. d. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO anzusehen seien. Anerkanntermaßen komme rein vorbereitenden Tätigkeiten eines Alleintäters keine gerichtsstandbegründende Wirkung zu. 452 Im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung begnügte sich der BGH indes mit einem knappen Verweis auf den schlüssigen Vortrag der Klägerin. Im Rahmen der Begründetheitsprüfung bejahte er den Vorsatz aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung sowie nicht zuletzt mit der Erwägung, dem US-Brokerhaus müsse die deutsche Rechtsprechung zur Vermittlung chancenloser Termin- und Optionsgeschäfte sowie die hohe Zahl in der Vergangenheit aufgetretener Missbrauchsfälle bekannte gewesen sein. Indem die Beklagte den Zugang zu USamerikanischen Börsen dennoch ohne effektive Kontrollen eröffnet habe, habe sie „zumindest so leichtfertig gehandelt, dass sie die als möglich erkannte Schädigung der Kl. in Kauf genommen haben muss“ (BGH, Urt. v. 9. 3. 2010 – XI ZR 93/09, NZG 2010, 550, 553). 453 GA Jääskinen, Schlussanträge v. 21. 11. 2013, Rs. C-360/12 – Coty Germany, Rn. 45 ff. 454 Thole, in: FS Schilken, 2015, S. 523, 534 f.; Thole, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 77 f.; vgl. auch Thole, ZBB 2011, 399, 404.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

Ausgehend von dem Gedanken, dass die arbeitsteilige Vorgehensweise nicht zu einer abweichenden rechtlichen Bewertung führen dürfe, scheide die Zurechnung vorbereitender Tatbeiträge aus. Am Handlungsort des Anstifters oder am Ort einer (psychischen) Beihilfehandlung sei der Haupttäter schon deshalb nicht gerichtspflichtig, weil funktional vergleichbare Tätigkeiten auch im Falle der eigenhändigen Begehung keine gerichtsstandbegründende Wirkung entfalteten. Gegen die Zurechnung eines um vorbereitende oder nebensächliche Tatbeiträge bereinigten Handlungsorts bestünden keine Bedenken. Belastbare Kriterien für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Ausführungsstadium fehlen jedoch schon im Bereich der Alleintäterschaft.455 Für eine spezifisch zuständigkeitsrechtliche Formel, anhand derer sich die Tatbeiträge mehrerer Schädiger in zurechnungsfähige Ausführungs- und nicht zurechnungsfähige Vorbereitungshandlungen einteilen ließen, gilt dies erst recht. Das Sachproblem, dass die zurechnungsfähigen Tatbeiträge anhand von Kriterien identifiziert werden müssen, die den erhöhten Klarheitsanforderungen des Zuständigkeitsrechts genügen, löst der Gedanke einer wertenden Gleichstellung von Alleintäterschaft und arbeitsteiliger Begehungsweise nicht. Begrifflich unterscheidet der EuGH im Falle der Alleintäterschaft nicht zwischen Vorbereitungs- und Ausführungsstadium, sondern konzentriert den Handlungsortgerichtsstand zumeist am Ort eines zentralen Sachverhaltselements.456 Nimmt man den Gedanken einer zuständigkeitsrechtlichen Gleichstellung von alleintäterschaftlicher und arbeitsteiliger Deliktsbegehung ernst, so müsste der Handlungsortgerichtsstand auch im Falle der arbeitsteiligen Deliktsbegehung am deliktischen Handlungsschwerpunkt konzentriert und allen übrigen Begleithandlungen die zuständigkeitsbegründende Wirkung abgesprochen werden. Eine parallele Gerichtspflicht an den Orten eigener und fremder Handlungsorte würde sich von der Zentralisierungstendenz, welche der EuGH im Bereich der Alleintäterschaft an den Tag legt, merklich abheben. Der Ansatz Tholes ermöglicht zwar eine normative Ausgrenzung vorbereitender Anstiftungs- und Beihilfehandlungen, liefert aber keine Kriterien für die Bestimmung des betroffenen Personenkreises und eignet sich daher jedenfalls ohne ergänzende Kriterien für die autonome Bestimmung der Täter, Anstifter und Gehilfen nicht als umfassendes Zurechnungskonzept. b) Beschränkung auf die Orte täterschaftlicher Handlungen Denkbar ist es ferner, die Zurechnung auf die Orte täterschaftlicher Handlungen zu beschränken und die Orte nebensächlicher Anstiftungs- oder Beihilfehandlungen von der Zurechnung auszunehmen.457 Ein solches Modell zielt darauf, die Gerichtszuständigkeit an den Orten besonders bedeutsamer, nicht aber an den Orten 455 456 457

Vgl. Kapitel 2 C. III. 2. a). Kapitel 2 C. II. Vgl. von Hein, IPRax 2013, 505, 510; Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 533.

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nebensächlicher Tatbeiträge in persönlicher Hinsicht zu erweitern und die zurechnungsbedingte Begründung beweisferner Gerichtsstände somit zu minimieren. In diesem Bestreben würde jedoch auf eine durch das dualistische Beteiligungsmodell des (deutschen) Strafrechts geprägte Kategorisierung der Tatbeiträge zurückgegriffen, deren Zwecke zum einen in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem zu lösenden Problem der rechtssicheren Differenzierung zwischen zuständigkeitsrechtlich geeigneten und ungeeigneten Handlungsorten steht und zum anderen aufeben jener Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme aufbaut, auf welche die mitgliedstaatlichen Deliktsrechte ausweislich der Modellregeln des DCFR und der PETL im Bereich des Privatrechts verzichten.458 Im Bereich des Privatrechts ist vielmehr ein Einheitstätermodell etabliert, das die Haftungsfolge abstrakt an eine vorsätzliche Deliktsbeteiligung knüpft und von einer Kategorisierung der Beteiligungsformen absieht. Der DCFR, der mit Verweis auf die unterschiedslose solidarische Mithaftung auf eine exakte Abgrenzung zwischen der Haftung als participant, instigator oder accessory ausdrücklich verzichtet, macht dies besonders deutlich.459 Sowohl in der Rechtsordnung der Union als auch in den Deliktsrechten der Mitgliedstaaten fehlt es daher an privatrechtlichen Kriterien, die als Vorbild für eine autonome Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme fruchtbar gemacht werden könnten.460 Wie ein Blick auf das deutsche Strafrecht zeigt, wäre eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme überdies kaum ohne wertende Gesamtbetrachtung subjektiver und objektiver Tatumstände denkbar.461 Dass sich autonome Kriterien finden lassen, die einerseits die trennscharfe Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ermöglichen und andererseits einen einfachen, faktischen und klaren Charakter aufweisen, welcher den besonderen Vorhersehbarkeitsbedürfnissen des Zuständigkeitsrechts entspricht, darf vor diesem Hintergrund bezweifelt werden.462 Die dem deutschen Strafrecht entlehnten Kategorien von Täterschaft und Teilnahme eignen sich daher zur anschaulichen Umschreibung der deliktischen Funktion einzelner Tatbeiträge, taugen in Ermangelung einer mitgliedstaatenübergreifenden, den spezifischen Anforderungen des Zuständigkeitsrechts entsprechenden Begriffsbildung aber nicht als prozessuales Zurechnungskriterium.

458

von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3593 ff.; European Group on Tort Law, Principles of European Tort Law, 1. Ed., 2005, S. 142 ff. 459 von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3593 („Since all three classes of persons are treated alike, no precise differentiation among them is required.“). 460 Das Fehlen einer überstaatlichen Beteiligungsdogmatik konstatiert bereits von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 284. 461 Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 534. 462 Thole, in: FS Schilken, 2015, 523, 533.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

c) Einseitige Zurechnung des deliktischen Handlungsschwerpunkts In Anbetracht der aufgeführten Defizite überrascht es kaum, dass die wohl breiteste Zustimmung ein Modell erfahren hat, das sich nicht an Kategorien des materiellen Delikts- oder Strafrechts orientiert. Namentlich wird im Anschluss an eine bereits seit Längerem von Weller463 und Huber464 vertretene Auffassung dafür plädiert, die Zurechnung anhand einer rein zuständigkeitsrechtlichen Betrachtung auf den deliktischen Handlungsschwerpunkt bzw. den zentralen Tatbeitrag zu begrenzen.465 Ein schwerpunktbezogener Ansatz begrenzt die Handlungsortzuständigkeit auf die Orte des eigenen sowie des zentralen Tatbeitrags und schließt sowohl eine uferlose Handlungsortvervielfältigung als auch eine Zurechnung der beweisfernen Orte nebensächlicher Anstiftungs- und Beihilfehandlungen aus. Soweit kein solcher Schwerpunkt zu identifizieren ist, soll die Zurechnung ausgeschlossen und ein jeder Deliktsbeteiligter allein am Ort seines eigenen Tatbeitrags gerichtspflichtig sein.466 aa) Kongruenz mit der sonstigen Rechtsprechung des EuGH Während eine Schwerpunktbildung in deutlichem Kontrast zu der sonstigen Handhabung des § 32 ZPO stünde, fügt sie sich im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bruchlos in das normativ-zentralisierende Handlungsortverständnis des EuGH ein. Denn es erschiene inkonsequent, den Handlungsort im Falle mehraktiger Delikte eines Alleintäters normativ am deliktischen Handlungsschwerpunkt zu konzentrieren, dem Kläger im Falle der arbeitsteiligen Deliktsbegehung aber ein Wahlrecht zwischen den Orten sämtlicher Tatbeiträge einzuräumen. Parallelen weist eine allseitige Zurechnung des deliktischen Handlungsschwerpunkts insbesondere zu den Grundsätzen auf, nach denen der EuGH den Erfolgsortgerichtsstand in der eDate Advertising-Entscheidung sowie den Handlungsortgerichtsstand in der Rechtssache CDC konkretisiert hat.467 In der Rechtssache eDate Advertising hat der EuGH das Erfolgsortmosaik der Shevill-Entscheidung um einen unbeschränkt kognitionsbefugten Gerichtsstand

463

Weller, IPRax 2000, 202, 208. Huber, IPRax 2009, 134, 135. 465 Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462; Kontogeorgou, Das IPR der Kapitalmarktdelikte, 2018, S. 146; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 446 („Gedanken des Kerns der deliktischen Handlung“); Weller, IPRax 2000, 202, 208; Weller, LMK 2013, 348154; Weller, WM 2013, 1681, 1685 f.; von Hein, IPRax 2013, 505, 510; Schmidt, Rechtssicherheit im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2015, S. 145; sowie mit Blick auf § 32 ZPO Huber, IPRax 2009, 134, 135; kritisch aber Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rn 285; Thole, in: FS Schilken, 2015, 524, 534. 466 Weller, WM 2013, 1681, 1685 f. 467 Auf die Parallele zu der eDate Advertising-Entscheidung verweist Weller, WM 2013, 1681, 1685. 464

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am Mittelpunkt der betroffenen Persönlichkeitsinteressen ergänzt.468 In der Rechtssache CDC hat der EuGH die Kognitionsbefugnis an den Orten jeder dem Kartell zuzuordnenden Einzelabsprache auf Schäden beschränkt, die aus der konkreten Absprache resultieren.469 Neben dem Handlungsortmosaik, das sich aus der Aufteilung des Kartellschadens auf die Orte der zahlreichen Einzelabsprachen ergibt, hat der EuGH indes einen unbeschränkten, für die Entscheidung über den gesamten Kartellschaden zuständigen Handlungsortgerichtsstand am Ort der ursprünglichen Kartellgründung anerkannt.470 Neben das Mosaik aus begrenzten Zuständigkeiten tritt also auch hier ein umfassender Gerichtsstand am Ort des zentralen Sachverhaltselements. Konsequent erschiene es daher, neben dem durch die Entscheidungen Melzer, Hi Hotel und Coty Germany geschaffenen Mosaik aus persönlich begrenzten Zuständigkeiten eine umfassende Zuständigkeit gegenüber sämtlichen Deliktsbeteiligten am Ort des deliktischen Handlungsschwerpunkts anzunehmen.471 bb) Verbleibende Kritikpunkte Eine Schwerpunktbetrachtung stößt jedoch auch innerhalb des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO an ihre Grenzen, sofern das streitgegenständliche Delikt aus den gleichwertigen Tatbeiträgen mehrerer Mittäter resultiert. Wird der sachrechtlich Deliktstatbestand erst durch die zusammenwirkenden Tatbeiträge zweier Personen verwirklicht, so bliebe eine wechselseitige Zurechnung der betreffenden Handlungsorte in Ermangelung eines eindeutigen Schwerpunkts ausgeschlossen, obwohl es gerade in solchen Fällen auf der Hand liegt, dass dem fremden Handlungsort jedenfalls im Hinblick auf einen Sachverhaltsteil besondere Beweisnähe zukommt. In Fällen, in denen ein voll deliktisch handelnder Haupttäter mit Anstiftern oder Gehilfen kooperiert, könnten die Anstifter und Gehilfen in Folge der allseitigen Zurechnung des Ortes der Haupttat wahlweise am Ort des zentralen sowie am Ort des eigenen Tatbeitrags verklagt werden. Trotz ihrer eher untergeordneten Tatbeiträge würde dem Verletzten gegenüber Anstiftern und Gehilfen stärkerer Rechtsschutz gewährt als gegenüber dem voll deliktisch handelnden Haupttäter, der alleine am Ort seiner eigenen Deliktshandlung gerichtspflichtig wäre.472

468 Vgl. hierzu Kapitel 2 A. II. 3. b) bb) (2) sowie EuGH, Urt. v. 25. 10. 2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, NJW 2012, 137, 139 – eDate Advertising und Martinez, Rn. 48; EuGH, Urt. v. 17. 10. 2017, Rs. C-194/16, NJW 2017, 3433, 3434 – Svensk Handel, Rn. 32. 469 EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 588 – CDC, Rn. 46. 470 EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 588 – CDC, Rn. 44. 471 Weller, WM 2013, 1681, 1685 f. 472 Vgl. hierzu Kapitel 3 B. IV. 2. a) sowie im kollisionsrechtlichen Kontext von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 284.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

Eine wertende Schwerpunktbildung träte in Ermangelung objektiv fassbarer Gewichtungskriterien ferner in Konflikt mit dem Gebot der Vorhersehbarkeit.473 Durch Herausbildung einer starren „Verhaltenszentrale“474 nach dem Vorbild der Entscheidungen Kainz, Shevill und Winterstaiger ließe sich der Handlungsschwerpunkt allenfalls für typische Konstellationen rechtssicher bestimmen. Die deliktischen Handlungsschwerpunkte sämtlicher denkbarer Deliktstypen und arbeitsteiligen Begehungsmöglichkeiten durch Fallgruppenbildung zu konkretisieren, erscheint angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Konstellationen nicht nur als aussichtsloses Unterfangen, sondern hätte zudem eine kasuistische, der Zuständigkeitsklarheit abträgliche Zergliederung des Gerichtsstands zur Folge.475 Bereits die Tatbeiträge einzelner Beteiligter können sich naturalistisch betrachtet aus mehreren, räumlich verstreuten Teilakten zusammensetzen und somit bereits bei der Bestimmung des eigenen Handlungsorts eine normative, an den Zwecken des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ausgerichtete Wertungsentscheidung erfordern.476 Anhand einer zweistufigen Prüfung müssten die „Verhaltenszentralen“477 der einzelnen Schädiger ermittelt und darauf aufbauend im Rahmen einer zweiten Schwerpunktbildung der insgesamt zentrale, allseitig zurechenbare Tatbeitrag bestimmt werden. Erschwerend tritt das strukturelle Informationsdefizit des Geschädigten hinzu. Dem auf Zuständigkeitsebene darlegungsbelasteten Verletzten würde detaillierter Vortrag zu Modalitäten und deliktischer Funktion einzelner Tatbeiträge abverlangt, obwohl ihm die Arbeitsteilung zwischen den von anderen Mitgliedstaaten aus agierenden Delinquenten nicht notwendigerweise bekannt ist.478 Zweifel daran, dass sich ein schematisch auf die Zurechnung eines einzelnen Handlungsorts gerichtetes Modell als allgemeines, deliktstypenübergreifendes Zurechnungskonzept eignet, weckt zudem der Befund, dass besondere Deliktstypen oder Begehungsmodalitäten eine abweichende Behandlung erfordern können. Auch dies verdeutlicht die Rechtssache CDC. Obwohl eine Schwerpunktbildung angesichts der zahlreichen, an unterschiedlichen Orten sowie in variierender persönlicher Besetzung getroffenen Kartellabsprachen ausschied, erschiene ein kategorischer Ausschluss jedweder Zurechnung hier kaum sachgerecht.479 Angesichts der bindenden Feststellungen der Kommission, wonach das erkennende Gericht das Vorliegen einer von sämtlichen Kartellmitgliedern zu verantwortenden einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV zugrunde zu legen hatte, 473

Mankowski, in: Magnus/Mankowski, ECPIL, Volume 1, 2016, Brussels Ibis Regulation Rn. 285; Mankowski, WuW 2012, 797, 803; Thole, in: FS Schilken, 2015, 524, 534. 474 Begriff nach Thorn, in: FS von Hoffmann, 2011, 746, 748 f. 475 Vgl. zu den Nachteilen einer fallgruppenbasierten Zuständigkeitsbestimmung Wais, Der Europäische Erfüllungsortgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, S. 167 f. 476 Vgl. hierzu Kapitel 2 C. 477 Begriff nach Thorn, in: FS von Hoffmann, 2011, 746, 748 f. 478 Vgl. hierzu Mankowski, WuW 2012, 797, 803. 479 EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 584 – CDC, Rn. 9 ff.; vgl. zum Sachverhalt Kapitel 2 C. II. 3.

C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO

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erschien die Gerichtspflicht jedes Kartellmitglieds am Ort jeder kartellrechtswidrigen Einzelabsprache sachgerecht. d) Folgerungen für die weitere Untersuchung Festhalten lässt sich somit, dass eine dem materiellen Deliktsrecht nachempfundene, umfassende Handlungsortzurechnung zwischen bewusst und gewollt zusammenwirkenden Schädigern weder die Gefahr der Handlungsortvervielfältigung bannt noch die allseitige Zurechnung beweisferner Handlungsorte ausschließt. Zurechnungsmodelle, die sich an der lex causae, an rechtsvergleichenden Modellregeln oder an dem Kriterium einer vorsätzlichen Kooperation orientieren, werden der spezifisch zuständigkeitsrechtlichen Interessenlage nicht gerecht. Modelle, welche die Zurechnung anhand einer Schwerpunktbetrachtung oder einer strafrechtlich geprägten Kategorisierung auf zentrale Tatbeiträge zu begrenzen versuchen, genügen in Ermangelung tragfähiger autonomer Kriterien den erhöhten Klarheits- und Vorhersehbarkeitsbedürfnissen nicht. 3. Skizze eines deliktstypenorientierten Ansatzes Wie die behandelten Rechtsprechungsbeispiele zeigen, variieren die verschiedenen Deliktstypen und Begehungsformen nicht nur bezüglich der schädigenden Handlungschronologie, sondern auch hinsichtlich der an den Zwecken des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zu messenden Bedeutung der einzelnen Tatbeiträge. Die der MelzerEntscheidung zugrunde liegende Kooperation eines Anlagevermittlers mit einem Broker480 ist unter Gesichtspunkten der räumlichen Nähe sowie der beiderseitigen Vorhersehbarkeit anders zu bewerten als etwa der weitaus komplexere, von einer größeren Personenzahl begangene Kartellrechtsverstoß der CDC-Entscheidung.481 Von beiden Konstellationen unterscheidet sich wiederum der BGH-Fall der Haftung für die Erbringung aufsichtsrechtlich unerlaubter Finanzdienstleistungen im Inland, deren normative Pflichtenstruktur weit stärker mit Hoheitsgebiet und Aufsichtsrecht eines bestimmten Mitgliedstaats verknüpft ist.482 Angesichts der gravierenden Unterschiede zwischen den Deliktstypen sowie der Natur des Handlungsorts als „juristisches Chamäleon“,483 dessen Erscheinungsform sich nach dem zugrundeliegenden Delikt richtet, darf bezweifelt werden, dass sich ein verallgemeinerungsfähiges Zurechnungskriterium finden lässt, das den räumlichen Besonderheiten wie auch den besonderen normativen Pflichtenstrukturen sämtlicher Deliktstypen gleichermaßen gerecht wird.484 In Ermangelung einer allgemeingültigen, spezifisch 480 481 482 483 484

Zum Sachverhalt vgl. Kapitel 3 A. II. 1. a). Vgl. zum Sachverhalt Kapitel 2 A. II. 3 b) cc). Vgl. Hierzu Kapitel 3 A. II. 5. Basedow, in: FS 50 Jahre FIW, 2010, 129,142. Skeptisch insoweit Müller, NJW 2013, 2099, 2102.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

zuständigkeitsrechtlichen Beteiligungsdogmatik bleibt nichts anderes übrig, als die Zurechnungsfrage für die unterschiedlichen Deliktstypen gesondert zu beantworten.485 a) Verankerung in der Rechtsprechung des EuGH Bereits im Bereich der Alleintäterschaft lokalisiert der EuGH Handlungs- und Erfolgsort allenfalls in Ansätzen nach allgemeinen Regeln. Soweit der EuGH Aussagen tätigt, deren Bedeutung über den konkret streitgegenständlichen Deliktstypus hinausgeht, beschränken sich diese zumeist auf hochgradig konkretisierungsbedürftige Leitlinien wie die Systemwidrigkeit von Klägergerichtsständen,486 das Ziel der Sachnähe487 oder das Gebot der Vorhersehbarkeit.488 Innerhalb dieser groben Rahmenvorgaben tendiert der EuGH zu einer deliktsspezifischen Konkretisierung von Handlungs- und Erfolgsort und gibt geradezu dezisionistisch die jeweils maßgebenden Anknüpfungspunkte vor.489 Erfordert das Fehlen allgemeingültiger Kriterien bereits im Grundfall der Alleintäterschaft eine deliktsspezifische Konkretisierung, so erscheint es konsequent, in Fällen der arbeitsteiligen Deliktsbegehung auf diesen Grundsätzen aufzubauen und die deliktsspezifisch für den Fall der Alleintäterschaft entwickelten Grundsätze für den Fall der arbeitsteiligen Tatbegehung weiterzuentwickeln. Als Ansatz eines deliktstypenorientierten Zurechnungskonzepts kann die Diskrepanz zwischen der restriktiven Rechtsprechungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany auf der einen sowie der klägerfreundlicheren CDC-Entscheidung auf der anderen Seite interpretiert werden. Denn die Wendung des EuGH, der klägerfreundliche Standpunkt der CDC-Entscheidung resultiere aus den „Umständen […] des Ausgangsverfahrens“,490 legt den Schluss nahe, dass sich jedenfalls für einzelne Deliktstypen und Begehungsweisen auch der EuGH einer prozessualen Zurechnung 485 Maultzsch, IPRax 2017, 442, 446 ff.; Wäschle, Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle, 2017, S. 102. 486 EuGH, Urt. v. 10. 6. 2004, Rs. C-168/02, NJW 2004, 2441, 2442 – Kronhofer, Rn. 20. 487 EuGH, Urt. v. 16. 7. 2009, Rs. C-189/08, NJW 2009, 3501, 3502 – Zuid Chemie, Rn. 24; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2012, Rs. C-133/11, GRUR 2013, 98, 99 – Folien Fischer, Rn. 38; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, NJW 2012, 137, 139 – eDate Advertising und Martinez, Rn. 40. 488 EuGH, Urt. v. 23. 4. 2009, Rs. C-533/07, NJW 2009, 1865, 1865 – Falco Privatstiftung, Rn. 22; EuGH, Urt. v. 14. 7. 2016, Rs. C-196/15, IPRax 2017, 369, 397 f. – Granarolo, Rn. 16. 489 Vgl. etwa für Pressedelikte EuGH, Urt. v. 7. 3. 1995, Rs. C-68/93, NJW 1995, 1881, 1881 f. – Shevill, Rn. 17 ff.; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, NJW 2012, 137, 139 – eDate Advertising und Martinez, Rn. 48; EuGH, Urt. v. 17. 10. 2017, Rs. C-194/16, NJW 2017, 3433, 3434 – Svensk Handel, Rn. 32; oder für den Bereich der Produkthaftung EuGH, Urt. v. 16. 7. 2009, Rs. C-189/08, NJW 2009, 3501, 3502 – Zuid Chemie, Rn. 26 ff.; EuGH, Urt. v. 16. 1. 2014, Rs. C-45/13, EuZW 2014, 232, 233 – Kainz, Rn. 18 ff. 490 So expressis verbis EuGH, Urt. v. 21. 5. 2015, Rs. C-352/13, EuZW 2015, 584, 589 – CDC, Rn. 49.

C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO

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fremder Handlungsorte nicht schlechterdings verschließt. Die Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany hat in einem ersten Schritt Unklarheiten beseitigt, die sich aus dem Fehlen eines tauglichen Zurechnungskonzepts sowie der an der lex fori orientierten Rechtsprechung der mitgliedstaatlichen Gerichte ergaben. Die CDC-Entscheidung hat in einem zweiten Schritt die Perspektive eröffnet, einzelne Deliktstypen und Begehungsweisen zu definieren, deren spezifisch zuständigkeitsrechtliche Interessenlage eine prozessuale Handlungsortzurechnung rechtfertigt. Die Herausarbeitung weiterer Konstellationen, deren spezielle Interessenlage die gerichtsstandbegründende Zurechnung einzelner oder mehrerer Handlungsorte trägt, bleibt der Rechtsentwicklung in Rechtsprechung und Wissenschaft anheimgestellt. b) Vorzüge einer deliktsspezifischen Beurteilung Eine Differenzierung nach Deliktstypen verlagert das hinter der Zurechnungsfrage stehende Wertungsproblem der Grenzziehung zwischen dem Beklagtenschutz des Art. 4 Abs. 1 EuGVVO und den Zwecken des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO auf eine niedrigere Abstraktionsebene. Eine allgemeingültige Beteiligungsdogmatik muss Besonderheiten einzelner Deliktstypen und Begehungsweisen notgedrungen außer Acht lassen und kann allenfalls eine allgemein gehaltene Grobeinteilung in zurechnungsfähige und nicht zurechnungsfähige Tatbeiträge vornehmen. Hingegen vermag ein deliktstypenorientierter Ansatz, der nicht in gleichem Maße auf Pauschalierungen angewiesen ist, die Zurechnung unter Berücksichtigung der räumlichen Strukturen sowie des normativen Pflichtgehalts einzelner Deliktsformen auf Handlungsbeiträge zu beschränken, die das deliktische Geschehen typischerweise prägen. Wie ein Vergleich zwischen dem Fall Melzer und den Rechtssachen Hi Hotel und Coty Germany gezeigt hat, variiert insbesondere die Vorhersehbarkeit fremder Handlungsorte erheblich.491 Die Vorhersehbarkeit der Gerichtspflicht im Binnenmarkt kann durch ein deliktsspezifisches Zurechnungskonzept daher eher gewahrt werden als durch eine Zurechnung nach allgemeinen Merkmalen bestimmter Tatbeiträge. Freilich ist auch einer deliktsspezifischen Beantwortung der Zuständigkeitsfrage das Risiko einer inneren Zersplitterung des Gerichtsstands in kleinteilige und abgrenzungsbedürftige Fallgruppen immanent. Die Zersplitterungstendenz ist jedoch schwächer ausgeprägt als etwa im Rahmen eines Modells, welches den Handlungsortgerichtsstand grundsätzlich durch eine Schwerpunktbildung zu identifizieren versucht, für die Konkretisierung des deliktischen Handlungsschwerpunkts aber auf die Strukturen verschiedener Deliktstypen und insoweit auf eine umfassende Fallgruppenbildung zurückgreift. Anders als ein solcher Ansatz bedarf ein deliktstypenorientiertes Zurechnungsmodell keiner lückenlosen Fallgruppenbildung, sondern kann gemäß der Melzer-Rechtsprechung von der Unzulässigkeit der Zurech491

Vgl. hierzu Kapitel 3 C. I. 1. d) bb).

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

nung ausgehen und auf dieser Grundlage einzelne klar umrissene Konstellationen definieren, in denen die Zurechnung einzelner Tatbeiträge unter hinreichend bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise zugelassen wird. c) Deliktsspezifische Zurechnung am Beispiel von Kapitalanlagedelikten Für den exemplarisch behandelten Bereich der Kapitalanlagedelikte lässt sich die Differenzierung zwischen den beiden Grundkategorien der betrugs- und untreueartigen Delikte fruchtbar machen, welche der BGH mitunter im Hinblick auf den Erfolgsortgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO vertritt,492 der EuGH bislang aber nicht explizit aufgegriffen hat.493 Betrugsartige Delikte im weitesten Sinne zeichnen sich dadurch aus, dass der Finanzdienstleister den Anleger durch Desinformationsverhalten im Rahmen der Verkaufs- oder Beratungsgespräche zum Erwerb eines verlustträchtigen Finanzinstruments verleitet. Die Fallgruppe der Betrugsdelikte soll auch Geschäftsmodelle erfassen, in denen die Tätigkeit des Vermittlers von vorne herein auf die deliktische Anlegerschädigung etwa durch gebührenträchtige Vermittlung chancenloser Termin- und Optionsgeschäfte ausgelegt ist.494 In derartigen Fällen soll der zuständigkeitsbegründende Vermögensschaden bereits mit der Überweisung des Anlagekapitals ins Ausland eintreten und der Erfolgsort am Führungsort des betroffenen Privatkontos des Anlegers zu lokalisieren sein. Charakteristisch für untreueartige Delikte ist demgegenüber, dass das Anlagekapital erst nach ordnungsgemäßer Vermittlung der Anlage und Überweisung des Kapitals ins Ausland durch rechtswidrige Verwendung verloren wird. Der Taterfolg soll hier nicht schon mit Überweisung des Anlagekapitals in das Ausland, sondern erst am Führungsort des ausländischen Depots eintreten, auf dem sich das Kapital zum Zeitpunkt der Veruntreuung befindet.495 Der Grundgedanke dieser Differenzierung lässt sich auf den Handlungsort übertragen. Der gesonderten Betrachtung bedürfen jedoch Fälle der Erbringung aufsichtsrechtlich unzulässiger Finanzdienstleistungen im Inland, deren deliktischer Kernvorwurf weder betrugs- noch untreueartiger Natur ist. 492 BGH, Urt. v. 13. 7. 2010 – XI ZR 28/09, NJW-RR 2011, 197, 200; BGH, Urt. v. 24. 6. 2014 – VI ZR 347/12, IPRax 2015, 423, 426 f.; Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 463 f.; von Hein, IPRax 2013, 505, 507; von Hein, in: BerDGV, Paradigmen im internationalen Recht, 2012, S. 369, 398 f.; Huber, IPRax 2015, 403, 404 f.; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn. 90; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 125; Stadler, in: FS Geimer, 2017, 715, 721 ff.; Thole, ZBB 2011, 399, 402 f.; Thole, in: Lehmanns/Zetzsche, Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen, 2018, § 2 Rn. 34 ff.; Thole, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 105; Wagner/Gess, NJW 2009, 3481, 3483 ff.; Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 161. 493 Vgl. zum Standpunkt des EuGH Kapitel 3. A. II. 1. e) dd) (3). 494 BGH, Urt. v. 13. 7. 2010 – XI ZR 28/09, NJW-RR 2011, 197, 199; BGH, Urt. v. 24. 6. 2014 – VI ZR 347/12, IPRax 2015, 423, 426 f.; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn. 90. 495 Vgl. nur Huber, IPRax 2015, 403, 405.

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aa) Betrugs- und betrugsähnliche Delikte Bezieht sich der deliktische Fehlverhaltensvorwurf wie etwa in Fällen des klassischen Kapitalanlagebetrugs oder der unzureichenden Aufklärung über Risiken, Innenprovisionen und Rückvergütungen im Kern auf den Inhalt der Verkaufs- oder Beratungsgespräche, besteht für das Vorhandensein von Zeugen sowie von dokumentierenden Unterlagen eine besondere Wahrscheinlichkeit an dem Ort, an dem das Gespräch persönlich geführt wurde bzw. von dem aus der Vermittler das Gespräch über Fernkommunikationsmittel geführt hat.496 Dass die Gerichte am Ort der Verkaufs- und Beratungsgespräche gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO für eine Klage gegen den gesprächsführenden Vermittler zuständig sind, steht daher außer Frage. Werden im Vorfeld der Anlage mehrere Verkaufs- und Beratungsgespräche an unterschiedlichen Orten geführt, bestehen gegen ein Klägerwahlrecht keine durchgreifenden Bedenken. Ein Wahlrecht zwischen den Gerichten sämtlicher Vorgespräche eröffnet dem Kläger nur seltenen Fällen alternative Klagemöglichkeiten in einer größeren Zahl von Mitgliedstaaten und kann im Gegenzug für die Vermeidung einer rechtlich komplexen, klarheitsschädlichen Auswahlentscheidung zwischen den Orten der verschiedenen Beratungsgespräche in Kauf genommen werden. Richtet sich die Klage gegen einen auslandsansässigen Finanzintermediär, der sich von seinem eigenen Sitz aus an dem Delikt beteiligt haben soll, sind die Gerichte am Ort der Verkaufs- und Beratungsgespräche indes nur partiell beweisnah. Daneben tritt mit der eigenen „Verhaltenszentrale“497 des auslandsansässigen Finanzdienstleisters ein zweiter, ebenso partiell beweisnaher Handlungsort. Entweder muss der Broker einem zweiten Handlungsortgerichtsstand ausgesetzt und der Schutz des Grundsatzes actor sequitur forum rei zusätzlich relativiert oder aber dem Anleger der zweite Handlungsortgerichtsstand trotz dessen partieller Beweisnähe versagt und der Anleger auf eine Klage am Erfolgsort oder am Sitz des Brokers verwiesen werden. Zu berücksichtigen ist, dass der transnational tätige Finanzdienstleister angesichts des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO sowie eines möglichen Erfolgsortgerichtsstands ohnehin mit einer Gerichtspflicht in den Mitgliedstaaten rechnen muss, auf welche er seine Vermarktungstätigkeiten über lokale Vermittler ausgerichtet hat. Mit einer ergänzenden Handlungsortzurechnung ist eine eher geringfügige Beeinträchtigung seiner Zuständigkeitsinteressen verbunden. Hingegen beeinträchtigte es die Zuständigkeitsinteressen des Anlegers erheblich, wenn ihm ein umfassender Gerichtsstand am Ort des zentralen, schadensursächlichen Geschehnisses versagt bliebe. Selbst wenn der Broker über einen lokalen Vermittler agiert, kommt jedenfalls der Ort persönlich geführter Verkaufs- und Beratungsgespräche einem objektiven Treffpunkt der Parteien am nächsten, welcher – nach dem Vorbild des Orts eines Verkehrsunfalls – die

496

Vgl. etwa BGH, Urt. v. 13. 7. 2010 – XI ZR 28/09, NJW-RR 2011, 197, 200; von Hein, IPRax 2005, 17, 21; von Hein, RIW 2011, 810, 812; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn. 90. 497 Begriff nach Thorn, in: FS von Hoffmann, 2011, 746, 748 f.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

widerstreitenden Vorhersehbarkeitsinteressen der Parteien in Ausgleich bringt.498 Angesichts dieser zuständigkeitsrechtlichen Interessenlage erscheint eine Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO kaum zu rechtfertigen, welche dem Anleger einen in persönlicher Hinsicht umfassenden Gerichtsstand am Ort der schadensursächlichen Desinformationshandlung verwehrt. bb) Untreue und untreueartige Delikte Betrifft der Deliktsvorwurf hingegen die nachfolgende Verwendung des Kapitals, besteht am Ort der Verkaufs- und Beratungsgespräche keine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein entscheidungserheblicher Beweismittel. Nicht als zuständigkeitsrechtlicher Anknüpfungspunkt geeignet ist der Ort der Gesprächsführung daher, wenn das in einem anderen Mitgliedstaat investierte Kapital im Rahmen einer zweckwidrigen Verwendung verloren, unterschlagen oder durch wiederholtes, gebührenpflichtiges Umschichten des Depots aufgezehrt wird.499 Vielmehr entspricht es der Teleologie des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, den Handlungsort an der „Verhaltenszentrale“,500 also dem Sitz des veruntreuenden Finanzintermediärs, zu verorten, da sich hier am ehesten Zeugen und Unterlagen finden werden, anhand derer die Verwendung des überlassenen Kapitals aufgeklärt werden kann. Eine starre Anknüpfung an den Sitz des Finanzdienstleisters relativiert zudem das strukturelle Informationsdefizit des Geschädigten, der das Kapital in einen anderen Mitgliedstaat überweist und in dessen Veruntreuung nicht notwendigerweise detaillierten Einblick hat. Richtet sich die Klage gegen ein anderes Glied der Vertriebskette, das wegen seiner Beteiligung an dem Untreuedelikt in Anspruch genommen wird, so tritt mit dem Ort des eigenen Tatbeitrags ein zweiter, im Hinblick auf einen anderen Teil des haftungsbegründenden Geschehens beweisnaher Handlungsort hinzu. Auch im Bereich der Untreuedelikte bleiben somit die Alternativen, den Beklagten durch ein Klägerwahlrecht zwischen zwei Handlungsortgerichtsständen zu benachteiligen oder dem Kläger einen potentiell beweisnahen Gerichtsstand am Ort des zentralen schadensursächlichen Geschehens zu versagen. Eine Zurechnung eröffnet dem Anleger, der in die interne Arbeitsteilung keinen Einblick hat, gegenüber sämtlichen Mitverursachern einen Gerichtsstand an der einfach zu identifizierenden „Verhaltenszentrale“501 eines Finanzdienstleisters. Umgekehrt ist der Gerichtsstand am Sitz des veruntreuenden Finanzdienstleisters für die Zurechnungsadressaten, die übrigen 498

Vgl. hierzu Kapitel 2 A. III. 2. Sog. Churning; vgl. hierzu BGH, Urt. v. 22. 11. 1994 – XI ZR 45/91, NJW 1995, 1225, 1225 ff.; BGH, Urt. v. 23. 9. 1999 – III ZR 214/98, NJW-RR 2000, 51, 52; BGH, Urt. v. 13. 7. 2004 – VI ZR 136/03, NJW 2004, 3423, 3424 f.; BGH, Urt. v. 15. 11. 2011 – XI ZR 54/09, BKR 2012, 78, 83; Barta, BKR 2004, 433, 433 ff.; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 130. 500 Begriff nach Thorn, in: FS von Hoffmann, 2011, 746, 748 f. 501 Begriff nach Thorn, in: FS von Hoffmann, 2011, 746, 748 f. 499

C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO

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Glieder der arbeitsteiligen Vertriebskette, vorhersehbar und das erhöhte Gerichtspflichtrisiko kalkulierbar. Eine allseitige Zurechnung des deliktischen Verhaltensmittelpunkts des veruntreuenden Finanzintermediärs bringt die beiderseitigen Vorhersehbarkeitsinteressen mithin in Ausgleich. Nimmt man eine allseitige Zurechnung von Betrugshandlungen an, erscheint eine entsprechende Handhabung der untreueartigen Delikte zudem aus Gründen der Wertungskonsistenz geboten. Denn im Hinblick auf die Gewichtung der widerstreitenden Zuständigkeitsinteressen kann es keinen Unterschied machen, ob dem Beklagten die Beteiligung an einer vorvertraglichen Anlegertäuschung oder an der nachträglichen zweckwidrigen Verwendung des Kapitals vorgeworfen wird. cc) Aufsichtsrechtlich unzulässige Finanzdienstleistungen Wieder anders zu beurteilen sind Fälle der Erbringung aufsichtsrechtlich unzulässiger Finanzdienstleistungen. Hier bezieht sich der Deliktsvorwurf weder auf ein vorvertragliches Desinformationsverhalten noch auf die nachfolgende rechtswidrige Verwendung des Kapitals, sondern vielmehr auf den staatlich-territorialen Erbringungsort der im Übrigen ordnungsgemäßen Finanzdienstleistung. Die deliktsrechtliche Relevanz resultiert allein daraus, dass die Beratung, Anlagevermittlung oder Vermögensverwaltung entgegen einer öffentlich-rechtlichen Erlaubnispflicht im Hoheitsgebiet eines bestimmten Mitgliedstaats erfolgt. Die privatrechtliche Haftung für aufsichtsrechtlich unzulässige Finanzdienstleistungen weist mit anderen Worten einen besonderen Bezug nicht nur zu dem Ort der angeblich erlaubnispflichtigen Aktivitäten, sondern ebenso zu dem dort geltenden Aufsichtsrecht auf.502 Vor diesem Hintergrund entspricht es der Teleologie des Deliktsgerichtsstands, den Handlungsort gegenüber sämtlichen Beklagten, die gestützt auf den Vorwurf aufsichtsrechtlich unzulässigen Handelns in Anspruch genommen werden, einheitlich am Ort der potentiell erlaubnispflichtigen Aktivität zu lokalisieren. Die dortigen Gerichte können nicht nur über die genaue Beschaffenheit der fraglichen Aktivität besonders gut Beweis erheben, sondern zeichnen sich zudem durch ihre besondere Nähe zu dem maßgeblichen Aufsichtsrecht aus und können daher besser beurteilen als die Gerichte anderer Mitgliedstaaten, ob tatsächlich eine erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung erbracht wurde.503 Werden in dem hiernach zuständigen Mitgliedstaat mehrere potentiell haftungsbegründende Aktivitäten verübt, bestehen gegen ein Klägerwahlrecht zwischen den Orten der verschiedenen Teilakte keine durchgreifenden Bedenken. Ein solches betrifft alleine die örtliche Zuständigkeitsebene und ermöglicht daher kein forum shopping mit Einfluss auf die Sachentscheidung.

502 503

Maultzsch, IPRax 2017, 442, 447. Maultzsch, IPRax 2017, 442, 447.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

III. Kurzer Blick auf die Parallelfälle der Haftung für Verrichtungsgehilfen und Gesellschaftsorgane Abschließend soll auch im Zusammenhang mit dem europäischen Deliktsgerichtsstand ein kurzer Blick auf die beiden Parallelfragen der Haftung des Geschäftsherrn für Delikte seines Verrichtungsgehilfen sowie die Haftung von Gesellschaften für ihre Organe geworfen werden. Wie bereits im Zusammenhang mit § 32 ZPO dargestellt,504 unterscheiden sich die Fälle der Haftung für Organ- oder Verrichtungsgehilfenhandeln von der im Übrigen behandelten arbeitsteiligen Deliktsbegehung bereits im Ausgangspunkt, da weder der Geschäftsherr noch die Gesellschaft wegen eines eigenhändigen Tatbeitrags, sondern vielmehr kraft ihrer übergeordneten Stellung für eine unerlaubte Handlung haften, deren Tatbestand ein Dritter vollständig verwirklicht hat.505 Aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht setzt sich der Sachverhalt nicht aus den beiden partiell beweisnahen Orten des eigenen sowie des fremden Tatbeitrags zusammen. Da der Verrichtungsgehilfe bzw. das Organ die Handlung determiniert, die gleichermaßen für die Haftung des Geschäftsherrn bzw. der Gesellschaft maßgeblich ist, birgt eine Handlungsortzurechnung nicht die Gefahr einer Zuständigkeitsvervielfältigung.506 1. Haftung des Geschäftsherrn für Deliktshandlungen eines Gehilfen Haftet der Geschäftsherr allein für das Handeln seines Verrichtungsgehilfen, ist dessen Handlungsort für eine Klage gegen den Geschäftsherrn nicht weniger beweisnah als für eine Klage gegen den handelnden Verrichtungsgehilfen selbst. Ohne Zurechnung der Verrichtungsgehilfenhandlung stünde dem Geschädigten in Ermangelung eines eigenhändigen Tatbeitrags gegenüber dem Geschäftsherrn kein Handlungsortgerichtsstand offen. Verglichen mi einer solchen Privilegierung des Geschäftsherrn erscheint es eher hinnehmbar, dem Geschäftsherrn, der seinen Aktionsradius durch das Einschalten von Hilfspersonen ausweitet, die Belastung einer erweiterten Gerichtspflicht aufzuerlegen.507 Wie sowohl Art. VI.-3:201 Abs. 1 DCFR508 als auch Art. 6:102 Abs. 1 PETL509 andeuten, haftet der Geschäftsherr 504

Kapitel B. V. Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 105. 506 Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 105. 507 Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462; von Hein, IPRax 2006, 460, 461. 508 VI.-3:201: Accountability for damage caused by employees and representatives (1) A person who employs or similarly engages another, is accountable for the causation of legally relevant damage suffered by a third person when the person employed or engaged: (a) caused the damage in the course of the employment or engagement; and (b) caused the damage intentionally or negligently, or is otherwise accountable for the causation of the damage. (2) … 509 Art. 6:102. Haftung für Hilfspersonen 505

C. Entwicklungsperspektiven auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO

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regelmäßig ohne die Möglichkeit einer dem § 831 Abs. 1 S. 2 BGB entsprechenden Exkulpation.510 In den verbleibenden Mitgliedstaaten, deren Deliktsrecht noch immer an ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden des Geschäftsherrn knüpft, kommt der Exkulpationsmöglichkeit jedenfalls rechtspraktisch kaum noch Bedeutung zu.511 Sind die eigenen Auswahl-, Instruktions- und Überwachungstätigkeiten für die materiell-rechtliche Haftung des Prinzipals regelmäßig ohne Belang, erscheint es unter dem Gesichtspunkt der Beweisnähe angezeigt, die Zuständigkeit auf den Ort des Gehilfenhandelns zu beschränken und dem Ort, an welchem der Geschäftsherr den Schaden durch sorgfaltswidrige Einschaltung der Hilfsperson mittelbar verursacht hat, keine zuständigkeitsbegründende Wirkung beizumessen. Der Präzisierung bedürfen jedoch die Voraussetzungen, unter denen der Handelnde als zurechnungsfähiger Verrichtungsgehilfe anzusehen ist. Denn angesichts der gebotenen autonomen Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO kann weder unmittelbar auf den deutschen § 831 Abs. 1 S. 1 BGB noch auf sonstige Begrifflichkeiten einzelner Mitgliedstaaten zurückgegriffen werden.512 Vielmehr bedarf es einer rechtsvergleichenden Orientierung an den funktional vergleichbaren Regelungen sämtlicher Mitgliedstaaten. Nach Art. VI.-3:201 Abs. 1 DCFR haftet für das Delikt, wer den Schädiger als Arbeitnehmer oder in ähnlicher Weise beschäftigt hat. Die Zurechnung steht unter der Mindestanforderung, dass der Geschäftsherr über die abstrakte Möglichkeit verfügt, das Handeln des Gehilfen durch bindende Weisungen zu steuern.513 In eine ähnliche Richtung weist die Modellregel des Art. 6:102 Abs. 2 PETL, wonach ein selbstständiger Unternehmer nicht als Hilfsperson anzusehen ist. Vielmehr erfordert die Geschäftsherrenhaftung auch unter den PETL eine gewisse Subordination des Handelnden oder dessen Eingliederung in die Organisation des Geschäftsherrn.514 Entscheidend kommt es demnach auf die Weisungsgebundenheit des Handelnden an. Der Beklagte muss den Handelnden zwar nicht im konkreten Fall angewiesen haben, aber hierzu zumindest abstrakt in der Lage sein. (1) Soweit Hilfspersonen im Rahmen ihres Aufgabenbereiches tätig werden, dabei aber den erforderlichen Sorgfaltsmaßstab (Art. 4:102) verletzen, haftet ihr Geschäftsherr für den dadurch verursachten Schaden. (2) Ein selbständiger Unternehmer ist keine Hilfsperson im Sinne dieses Artikels. 510 Vgl. auch von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3453 ff.; European Group on Tort Law, Principles of European Tort Law, 1. Ed., 2005, S. 115 ff. 511 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Band I, 1996, § 2 Rn. 179 ff.; von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3453. 512 Vgl. zum Begriff des Verrichtungsgehilfen Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 14. Aufl. 2021, Kapitel 6, Rn. 7 ff.; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, 13. Aufl. 1994, S. 478 f.; Wagner, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 831 Rn. 14 ff.; Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse,10. Aufl. 2020, S. 395 f. 513 von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3455 („The requistie for liability for another is always the minimum abstract possibility of directing and supervising their conduct through binding instructions.“). 514 European Group on Tort Law, Principles of European Tort Law, 1. Ed., 2005, S. 116.

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Kap. 3: Gerichtsstandbegründende Zurechnung fremder Deliktshandlungen

2. Haftung von Gesellschaften für Deliktshandlungen ihrer Organe Auch dass sich Verbände das Handeln der natürlichen Personen zurechnen lassen müssen, über deren Tun sie am Rechtsleben teilnehmen, entspricht in den mitgliedstaatlichen Deliktsrechten einem breiten Konsens.515 Die im Hinblick auf § 32 ZPO und § 31 BGB angestellten Überlegungen gelten insoweit entsprechend.516 Wird das Verhalten des Repräsentanten im Wege einer materiell-rechtlichen Verhaltenszurechnung auf die Gesellschaft projiziert, weisen die Gerichte am Handlungsort des Organs auch für eine gegen die Gesellschaft gerichtete Klage eine besondere Beweisnähe auf. Zur Präzisierung des zurechnungsfähigen Personenkreises kann auf die Definition in Art. VI.-3:201 Abs. 2 S. 2517 DCFR zurückgegriffen werden, wonach die Gesellschaft für sämtliche Personen haftet, die kraft Satzung bzw. kraft Gesellschaftsvertrags dazu befugt sind, in ihrem Namen Rechtshandlungen vorzunehmen.518

515 von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3453 ff. 516 Kapitel 3 B. V. 2. 517 „For the purposes of this paragraph, a representative is a person who is authorised to effect juridical acts on behalf of the legal person by its constitution.“ 518 von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private Law, Full ed., Band 4, 2009, S. 3453.

Thesenartige Zusammenfassung Kapitel 1 I)

Der Zivilprozess adressiert eine umstrittene Sach- und Rechtslage, welche er im Wege eines kontradiktorischen gerichtlichen Verfahrens der Klärung zuführt. Nach der sog. Lehre vom offenen Prozesszweck bleibt dahingestellt, ob das konkrete Verfahren Rechtsschutz zugunsten des Klägers gewährt oder den Beklagten vor einer unberechtigten Inanspruchnahme schützt. Die ergebnisoffene Ausgestaltung verhindert, dass das Verfahrensrecht den Ausgang des Rechtsstreits zugunsten des Klägers oder des Beklagten präjudiziert. II) Hinter dem internationalen Zuständigkeitsregime steht ein eigenständiges Wertungssystem, das Pfeiffer unter dem Stichwort der autonomen Zuständigkeitsgerechtigkeit aus den widerstreitenden Justizgewährungsansprüchen der Parteien rekonstruiert hat. Das internationale Zuständigkeitsrecht nimmt allein die Frage nach dem Prozessort in den Blick. Es bezweckt einen Ausgleich zwischen dem Bestreben, dem Kläger durch einfach zugängliche sowie sachlich geeignete Gerichtsstände effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren, und dem widerstreitenden Ziel, den Beklagten vor ausufernder fremdstaatlicher Gerichtsgewalt zu schützen. Der zuständigkeitsrechtliche Ausgleich von Kläger- und Beklagtenschutz verhält sich gegenüber materiell-rechtlichen Wertungen und rechtspolitischen Motiven grundsätzlich neutral. III) Das internationale Zuständigkeitsrecht wird in Anlehnung an die Interessenlehre Kegels auf die Zuständigkeitsinteressen von Parteien, Gericht und Forumstaat zurückgeführt. Von herausgehobener Bedeutung ist der Aspekt der Rechtssicherheit. Denn stellt sich nach langjährigem Streit die fehlende internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts heraus, wird die Klage in Ermangelung einer grenzüberschreitenden Verweisungsmöglichkeit abgewiesen und den Parteien die Führung eines zeit- und kostenaufwändigen Zweitprozesses abverlangt. Die Vorhersehbarkeit von Klagemöglichkeiten und Gerichtspflicht sichert daneben die Attraktivität mitgliedstaatenübergreifender Wirtschaftstätigkeiten und ist im Hinblick auf die binnenmarktfunktionale Zwecksetzung der Verordnung von erheblicher Bedeutung. Dennoch beansprucht das Vorhersehbarkeitsziel keine absolute Geltung, sondern ist mit gegenläufigen Zuständigkeitsinteressen in schonenden Ausgleich zu bringen.

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Thesenartige Zusammenfassung

IV) Von erheblichem Interesse ist ferner die Sach- und Beweisnähe, die sich ausgehend von der im Schrifttum vertretenen Differenzierung zwischen räumlicher und staatlich-territorialer Beweisnähe in drei Erscheinungsformen einteilen lässt. Die rein räumliche Distanz zwischen Gericht und Beweismitteln ist – jedenfalls innerhalb des Forumstaats – von untergeordneter Bedeutung. Befinden sich die entscheidungserheblichen Beweismittel in einem Drittstaat, muss auf den schwerfälligen Weg der Rechtshilfe zurückgegriffen werden, der angesichts der fehlenden unmittelbaren Wahrnehmung des erkennenden Gerichts den Beweiswert und damit in letzter Konsequenz die Chancen der beweisbelasteten Partei beeinträchtigt. Befinden sich die entscheidungserheblichen Beweismittel in einem anderen Mitgliedstaat, kann die Rechtshilfe in einem vereinfachten Verfahren in Anspruch genommen werden. Ohne Anwendung von Zwangsmitteln kann die Beweisaufnahme gemäß Art. 17 EuBewVO sogar auf fremdstaatlichem Territorium durchgeführt werden. Innerhalb des europäischen Justizraums wird die Bedeutung eines Gerichtsstands im Belegenheitsstaat der Beweismittel somit reduziert, nicht aber vollständig beseitigt. V) Der Grundsatz des actor sequitur forum rei bewahrt einerseits den Beklagten vor der Gerichtsgewalt anderer Mitgliedstaaten, sichert andererseits aber auch den Justizgewährungsanspruch des Klägers. Ein gewisser favor defensoris ergibt sich daraus, dass der Schutz vor den Unannehmlichkeiten eines Auslandsprozesses schwerer wiegt als die im Gegenzug verwirklichten Zuständigkeitsinteressen des Klägers. Denn abgesehen von der Vollstreckungsnähe könnte den Klägerinteressen ebenso durch eine leicht vorhersehbare, umfassende Zuständigkeit an einem parteineutralen, nicht der Sphäre des Beklagten entnommenen Ort Rechnung getragen werden. VI) Der EuGH und die herrschende Lehre begründen den favor defensoris mit einer strukturellen Unterlegenheit der von Natur aus defensiven Rolle des Beklagten. Eine nähere Betrachtung offenbart jedoch, dass die Klägerrolle allenfalls hinsichtlich des konkreten Zeitpunkts der Klageerhebung sowie der Bestimmung des zur Anspruchsbegründung vorgetragenen Tatsachenstoffs größere Gestaltungsmöglichkeiten aufweist. Zunehmend wird der allgemeine Gerichtsstand daher in seinem Zusammenspiel mit den besonderen Gerichtsständen der Art. 7, 8 EuGVVO gerechtfertigt. Nach dieser vorzugswürdigen Lesart schafft er in seinem Zusammenspiel mit dem Klägerwahlrecht zugunsten einer sachlegitimierten Alternative ein Grundgleichgewicht, das den beiderseitigen Zuständigkeitsinteressen auf abstrakt-genereller Ebene angemessen Rechnung trägt und somit die Waffengleichheit der Parteien gewährleistet. Der allgemeine Beklagtengerichtsstand und das zuständigkeitsrechtliche Klägerwahlrecht rechtfertigen sich innerhalb dieses Systems gegenseitig. VII) Die Direktive des EuGH, besondere Gerichtsstände seien als Ausnahmen vom Grundsatz des actor sequitur forum rei eng auszulegen, erscheint angesichts dieses Grundgleichgewichts kritikwürdig. Auch der EuGH legt die

Kapitel 2

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besonderen Gerichtsstände indes nicht per se restriktiv aus, sondern betont ebenso ihre praktische Wirksamkeit. Der Beklagtenschutz des allgemeinen Gerichtsstands tritt damit in ein Spannungsverhältnis zu den Regelungszwecken der Art. 7, 8 EuGVVO. Die widerstreitenden Ziele sind im Rahmen der Auslegung der besonderen Gerichtsstände in schonenden Ausgleich zu bringen. Systematik und Zwecke der Verordnung setzen einer extensiven Auslegung besonderer Gerichtsstände dabei Grenzen. Beziehungsarme, schwach legitimierte Zuständigkeiten sind gegenüber dem gewichtigen Ziel eines effektiven Beklagtenschutzes kaum zu rechtfertigen. Daneben bedroht eine Vervielfältigung besonderer Gerichtsstände angesichts des erweiterten Klägerwahlrechts die Kräfteparität der Parteien und konterkariert das Verordnungsziel einer Eingrenzung von Gerichtspflichtrisiken im Binnenmarkt.

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II)

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Der Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO beruht auf dem Gedanken der Sach- und Beweisnähe. Er gewährleistet jedoch keinen im konkreten Fall tatsächlich beweisnahen Gerichtsstand, sondern geht von der grob typisierenden Prämisse aus, für die Entscheidung eines Deliktsprozesses erhebliche Beweismittel befänden sich am Tatort. Weiterhin wird die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlich beweisnahen Gerichtsstands durch das ungebundene Klägerwahlrecht zwischen Handlungs- und Erfolgsort reduziert. Selbst wenn sich der beweisrechtliche Prozessschwerpunkt bereits im vorprozessualen Stadium abzeichnet, kann der Geschädigte zugunsten einer Klage an einem absehbar beweisfernen Alternativgerichtsstand optieren. Die zunehmende Streuung potentiell beweisbedürftiger Sachverhaltselemente reduziert die Wahrscheinlichkeit eines im Einzelfall tatsächlich beweisnahen Forums und mindert das teleologische Gewicht des Beweisnäheziels. Daneben stellt Art. 7 Nr. 2 EuGVVO einen für beide Parteien ex ante vorhersehbaren Gerichtsstand bereit. Dies illustriert das Beispiel eines grenzüberschreitenden Verkehrsunfalls, welches der Jenard-Bericht aus dem Jahr 1979 als typischen Anwendungsfall vor Augen hatte. Der Geschädigte eines Distanzdelikts sieht sich indes einem strukturell bedingten Informationsdefizit ausgesetzt. Da er die Tathandlung nicht immer sinnlich wahrnimmt, können ihm die Identifikation des Handlungsortgerichtsstands sowie der Vortrag der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen im Prozess besondere Schwierigkeiten bereiten. Entgegen einer mitunter vertretenen Auffassung bezweckt der Tatortgerichtsstand keine besondere Privilegierung des Deliktsopfers, sondern trägt der Offenheit der Sach- und Rechtslage Rechnung, indem er den favor defensoris des allgemeinen Gerichtsstands – ähnlich dem Erfüllungsort-

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IV)

V)

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Thesenartige Zusammenfassung

gerichtsstand – durch Bereitstellung einer parteineutralen Alternative relativiert. Ob der Kläger tatsächlich als Opfer einer unerlaubten Handlung besonderen Schutzes bedarf, steht aus Sicht des Zuständigkeitsrechts nicht fest. Auch eine spezifisch prozessuale Unterlegenheit in Form einer unterlegenen Prozess- oder Geschäftserfahrung ist dem Deliktskläger selbst bei grob typisierender Betrachtung nicht zu attestieren. Obwohl auch der EuGH den Opferschutz nicht zu den allgemeinen Zwecken des Deliktsgerichtsstands zählt, lassen sich einzelne Judikate ohne Rückgriff auf materiell-rechtlich geprägte Schutzintentionen nicht erklären. Insbesondere in der Rechtssache eDate Advertising begründet der EuGH die klägerfreundliche Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO explizit mit dem besonderen Gewicht des streitgegenständlichen Delikts, sprich mit einem Vorgriff auf materielle Wertungen, denen es angesichts der offenen Sachund Rechtslage an sich an einer belastbaren Grundlage fehlt. Die Rechtsprechung offenbart insoweit eine Materialisierungstendenz, in deren Folge die grundsätzliche Distanz zwischen sach- und zuständigkeitsrechtlichen Wertungen aufgegeben und das Zuständigkeitsrecht zum Schutz bestimmter Deliktsgeschädigter instrumentalisiert wird. Traditionell legen die deutschen Gerichte der Zuständigkeitsprüfung die Lehre von den doppelrelevanten Tataschen zugrunde, wonach der Vortrag des Klägers als wahr unterstellt und die Beweisaufnahme zum Schutz des Beklagten vor einer erneuten Inanspruchnahme der Begründetheitsprüfung vorbehalten wird. Im Schrifttum begegnet dies berechtigter Kritik, da der Beklagte durch eine unverifizierte Tatsachenbehauptung des Klägers dazu gezwungen wird, sich nach Gerichtssprache sowie Kollisions- und Prozessrecht eines fremden Staats gegen das Vorliegen der doppelrelevanten Tatsache zu verteidigen. Angesichts dieses Benachteiligungspotentials erscheint die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen auf Ebene der internationalen Zuständigkeit in der Tat nicht vollständig interessengerecht. Sie lässt sich allenfalls damit rechtfertigen, dass eine umfassende Beweiserhebung dem Verordnungsziel einfach und schnell festzustellender Zuständigkeiten widerspräche und überdies die Prozessrisiken einseitig auf den Beklagten verlagern würde, der allenfalls ein abweisendes Prozessurteil erstreiten, umgekehrt aber in der Sache verurteilt werden könnte. Gestützt auf den effet utile der europäischen Zuständigkeitsregeln hat der EuGH die Anforderungen an die gerichtliche Zuständigkeitsprüfung in jüngerer Vergangenheit zunehmend präformiert. Einer exklusiv auf den Klägervortrag beschränkten Schlüssigkeitsprüfung, wie sie die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen vorsieht, ist er mit Verweis auf die praktische Wirksamkeit der Verordnung sowie die Verteidigungsrechte des Beklagten entgegengetreten und hat verlangt, dass dem angerufenen Gericht zumindest eine Zuständigkeitsprüfung anhand aller verfügbaren Informationen einschließlich des Beklagtenvortrags offenstehen müsse. Mitunter klingt in der Rechtsprechung gar eine Pflicht zur Berücksichtigung von

Kapitel 3

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Beklagteneinwendungen an. An Stelle einer Schlüssigkeitsprüfung scheint dem EuGH eine prima facie-Prüfung anhand sämtlicher ohne Beweisaufnahme verfügbarer Informationen vorzuschweben. VII) Ein naturalistisches Verständnis des Handlungsorts stößt im Hinblick auf mehraktige Delikte an seine Grenzen. Auch soweit ein kollisionsrechtlich motiviertes forum shopping durch Vereinheitlichung des Deliktskollisionsrechts eingedämmt worden ist, eröffnen Wahlrechte zwischen den Gerichten verschiedener Staaten dem Kläger noch immer Einflussmöglichkeiten auf das anwendbare Prozessrecht sowie die staatlich-territoriale Beweisnähe des erkennenden Gerichts. Angesichts ihrer potentiell prozessentscheidenden Bedeutung gefährden derart einseitige Gestaltungsmöglichkeiten die Waffengleichheit der Parteien. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung bedarf die Handlungsortzuständigkeit vor diesem Hintergrund einer normativen Eingrenzung. VIII) Der EuGH tendiert dazu, die Handlungsortzuständigkeit am Ort der Verhaltenszentrale des Beklagten zu konzentrieren. Die Schwerpunktbetrachtung erscheint angesichts der parallelen Lokalisierung des Erfüllungsortgerichtsstands am Ort der wirtschaftlichen Hauptleistung konsequent, birgt im deliktsrechtlichen Bereich in Ermangelung objektiver Gewichtungskriterien aber die Gefahr verstärkter Rechtsunsicherheit. Die Verhaltenszentrale bestimmt der EuGH daher für typische, oftmals in ähnlicher Form auftretende Handlungschronologien durch Vorgabe eines starren, von den Einzelfallumständen entkoppelten Anknüpfungspunkts. Der deliktische Handlungsschwerpunkt atypischer, weniger gleichförmiger Deliktssachverhalte wird hingegen anhand einer wertenden Betrachtung im Einzelfall ermittelt. Wie die CDC-Entscheidung verdeutlicht, können besondere Strukturen des streitgegenständlichen Delikts aber auch eine abweichende Auslegung des Handlungsorts erfordern. Letztlich bedarf der Handlungsortgerichtsstand daher einer deliktsspezifischen Konkretisierung.

Kapitel 3 I)

Nach vorzugswürdiger Lesart resultiert die Diskrepanz zwischen der Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany und der klägerfreundlicheren CDC-Entscheidung aus der Besonderheit, dass die Kommission im letztgenannten Fall das Vorliegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV bindend festgestellt hatte. Mit den Grundsätzen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung existiert im Kartellbußgeldrecht eben jenes europäische Zurechnungskonzept, dessen Fehlen der EuGH einer Handlungsortzurechnung in der Rechtssache Melzer entgegengehalten hatte. In Folge der bindenden Feststellungen der Kommission war zudem die Offenheit der Sach- und

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II)

III)

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Thesenartige Zusammenfassung

Rechtslage beseitigt und die prozessuale Schutzwürdigkeit der Beklagten relativiert. Die besondere integrationspolitische Bedeutung des primärrechtlich verankerten Kartellschadensersatzanspruchs mag als unausgesprochenes Motiv eingeflossen sein. Während der EuGH zu einer Anknüpfung an den deliktischen Handlungsschwerpunkt neigt, leitet die deutsche Rechtsprechung aus § 32 ZPO bereits seit Reichsgerichtszeiten ein Klägerwahlrecht zwischen den Orten sämtlicher deliktischer Teilakte ab. Der klägerfreundlichere Grundstandpunkt des autonomen deutschen Zuständigkeitsrechts erschließt sich zum einen aus dem Fehlen eines integrationspolitischen Zwecks, der die Eingrenzung von Gerichtspflichtrisiken im Binnenmarkt erfordern würde. Zum anderen ist die Rechtsprechung vor dem Hintergrund der divergierenden räumlichen Anwendungsbereiche der beiden Zuständigkeitsregeln zu sehen. Als einseitige Regelung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte eröffnet § 32 ZPO dem Deliktskläger im Falle der Zuständigkeitsvervielfältigung kein potentiell sachentscheidendes Wahlrecht zwischen den Gerichten verschiedener Staaten. Zu berücksichtigen ist zudem, dass ein allseitig zugerechneter Handlungsort in Ermangelung eines spezifischen Gerichtsstands der passiven Streitgenossenschaft mitunter den einzigen Weg zu einer gemeinsamen Inanspruchnahme der Schädiger bilden kann. Als Figur des deutschen Zivilprozessrechts ist der Tatortbegriff des § 32 ZPO allein nach den Vorstellungen des deutschen Rechts auszulegen. Die historische Entscheidung gegen einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft steht einer wechselseitigen Handlungsortzurechnung in Anbetracht der veränderten Rahmenbedingungen nicht entgegen. Der anstelle eines Mehrparteiengerichtsstands eingeführte § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO räumt der Zuständigkeitskonzentration an einem besonderen Gerichtsstand gar explizit den Vorrang ein. Der gesetzessystematische Rückgriff auf § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB vermag nicht zu überzeugen. Während es auf sachrechtlicher Ebene unbillig erschiene, dem Verletzten die anteilige Inanspruchnahme jedes einzelnen Deliktsbeteiligten abzuverlangen und ihm damit die kumulierten Prozessund Insolvenzrisiken mehrerer Schädiger aufzuerlegen, rechtfertigt es der qualifizierte Vorsatz, derartige Belastungen auf die Gruppe der Schädiger zu verlagern. Der zuständigkeitsrechtliche Ausgleich von Kläger- und Beklagtenschutz ist vom materiellen Gewicht des streitgegenständlichen Deliktsvorwurfs hingegen unabhängig. Vor dem Hintergrund einer offenen Sach- und Rechtslage hat das Zuständigkeitsrecht den Beklagten in gleichem Maße vor einer unberechtigten Inanspruchnahme zu schützen, wie es zugunsten des Klägers eine effektive Rechtsdurchsetzung ermöglicht. Dass die behauptete Deliktsbegehung nach der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen als wahr unterstellt und zunächst von einer Beweisaufnahme abgesehen wird, dient der endgültigen Erledigung des Rechtsstreits und ändert an der prinzipiellen Offenheit der Sach- und Rechtslage nichts.

Kapitel 3

V)

245

Unter dem Gesichtspunkt der Sach- und Beweisnähe lassen sich die zuzurechnenden Handlungsorte in drei Grundtypen einteilen. Die Handlungsorte der Anstifter und Gehilfen indizieren für eine gegen den Haupttäter gerichtete Klage keine besondere Beweisnähe. Dem Handlungsort des Haupttäters kommt für Klagen gegen Anstifter oder Gehilfen hingegen partiell Beweisnähe zu. Denn neben dem eigenen Tatbeitrag des Beklagten wird regelmäßig auch die zentrale deliktische Handlung festzustellen sein. Denkbar sind daneben Fälle der gleichwertigen Mittäterschaft, in denen sich das Delikt erst aus einer Gesamtschau der Tatbeiträge mehrerer Personen ergibt. Hier weist jeder eigene oder fremde Handlungsort gegenüber jedem Tatbeteiligten besondere Beweisnähe im Hinblick auf einen potentiell beweisbedürftigen Sachverhaltsteil auf. Vor diesem Hintergrund wird im Schrifttum gefordert, die Zurechnung auf den deliktischen Handlungsschwerpunkt zu beschränken. Eine solche Schwerpunktbetrachtung widerspräche indes der sonstigen, gegenüber einer Zuständigkeitsvervielfältigung aufgeschlossenen Auslegung des § 32 ZPO, birgt angesichts der Subjektivität und Wertungsoffenheit der Schwerpunktbetrachtung erhebliche Rechtsunsicherheiten und scheitert bei Vorhandensein im Wesentlichen gleichwertiger Tatbeiträge. Auch eine Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme scheidet mangels Einfachheit und Klarheit aus. VI) Es bleiben die Alternativen, eine Zurechnung nach materiell-rechtlichem Vorbild umfassend zuzulassen oder den Gerichtsstand per se auf den eigenen Handlungsort zu beschränken. Die Entscheidung fällt auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit anders aus als auf Ebene der internationalen Zuständigkeit. Auf örtlicher Zuständigkeitsebene fallen die zentralen Kritikpunkte weniger ins Gewicht. Die zurechnungsbedingte Vervielfältigung der örtlichen Gerichtsstände ermöglicht dem Deliktskläger kein forum shopping mit Einfluss auf die Sachentscheidung und betrifft Zuständigkeitsinteressen allein unter dem Gesichtspunkt der räumlichen Nähe. Die Kritikwürdigkeit einer Zurechnung auch nebensächlicher, beweisferner Handlungsorte wird dadurch relativiert, dass die beweisnahen Orte jedenfalls innerhalb des Forumstaats belegen sind. In Fällen mit Drittstaatenbezug, in denen § 32 ZPO die internationale Zuständigkeit doppelfunktional mitregelt, wiegt die Zurechnung nebensächlicher Anstiftungs- und Gehilfenbeiträge weit schwerer. Das beweisferne deutsche Gericht muss auf den Rechtshilfeweg des HBÜ oder gar des vertragslosen Rechtsverkehrs zurückgreifen. Dass es auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit eher hinnehmbar erscheint, den Beklagten vor einen an sich fremden Gerichtsstand zu ziehen, unterstreicht ein systematischer Vergleich mit § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sowie mit der Analogie zu § 33 ZPO im Falle der streitgenössischen Drittwiderklage. Fremde Tatbeiträge sollten daher nur solchen Schädigern zugerechnet werden, die ohnehin bereits im Inland gerichtspflichtig sind. VII) Auf Ebene des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO schließt der Grundsatz der autonomen Auslegung einen Rückgriff auf § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB und die

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Thesenartige Zusammenfassung

dortigen Begrifflichkeiten aus. Dennoch verdeutlichen die massive Kritik aus dem Schrifttum sowie der zurechnungsfreundlichere Standpunkt der nachfolgenden CDC-Entscheidung, dass die Rechtsentwicklung ihren Abschluss mit der Melzer-Entscheidung noch nicht gefunden hat. Die im Hinblick auf § 32 ZPO vorgeschlagene Differenzierung zwischen örtlicher und internationaler Zuständigkeitsebene lässt sich indes nicht ohne Weiteres auf Art. 7 Nr. 2 EuGVVO übertragen. Der autonome deutsche Deliktsgerichtsstand regelt die örtliche Zuständigkeit in reinen Inlandsfällen sowie die internationale Zuständigkeit für Prozesse mit Drittstaatenbezug und umfasst damit zwei Anwendungsfälle, in denen sich die Bedeutung eines sach- und beweisnahen Gerichtsstands maßgeblich unterscheidet. Der europäische Deliktsgerichtsstand regelt die Gerichtszuständigkeit dagegen einheitlich für Prozesse innerhalb des europäischen Justizraums. Angesichts des weiter gefassten räumlichen Anwendungsbereichs sowie der Ausrichtung auf das Konzept des Binnenmarkts sind die Ziele einer Eingrenzung handelshemmender Gerichtspflichtrisiken sowie der Vermeidung von forum shopping im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO von erhöhter Bedeutung. VIII) Eine wechselseitige Handlungsortzurechnung vervielfältigt den Gerichtsstand, erhöht die Gefahr der Zuständigkeitserschleichung und beeinträchtigt die Rechtsnähe sowie die Vorhersehbarkeit aus Beklagtensicht. Der erheblichen Durchbrechung des Grundsatzes actor sequitur forum rei steht gegenüber, dass jedenfalls zentralen Handlungsorten eines Haupt- oder Mittäters auch für eine Klage gegen andere Deliktsbeteiligte nicht jede Beweisnähe abgesprochen werden kann. Diese Beweisnähe ist aber, da ebenso der eigene Tatbeitrag sowie der Taterfolg im Mittelpunkt des Rechtsstreits stehen können, partieller Natur und wird durch die grob typisierende Betrachtungsweise sowie das ungebundene Zuständigkeitswahlrecht des Klägers weiter relativiert. Da sich die Gerichte am zugerechneten Ort eines fremden Tatbeitrags auch bei abstrakt gegebener Beweisnähe oftmals als tatsächlich beweisfern erweisen werden, ist die Beweisnähe von reduziertem Gewicht und wiegt die erhebliche Belastung des Beklagten nicht auf. Beschränkt man die Betrachtung auf die von Art. 4 Abs. 1 und 7 Nr. 2 EuGVVO in Ausgleich gebrachten Zuständigkeitsinteressen, vermögen nicht in der Teleologie des Deliktsgerichtsstands angelegte Motive des Opferschutzes sowie der Verfahrensbündelung die erhebliche Beeinträchtigung des zuständigkeitsrechtlichen Beklagtenschutzes ebensowenig zu rechtfertigen. IX) Eine umfassende Handlungsortzurechnung lässt sich allenfalls mit einem Durchschlagen sachrechtlicher Wertungen begründen. DCFR und PETL verdeutlichen, dass der Rechtsgedanke des § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB in den Mitgliedstaaten weitgehend anerkannt ist. Ferner sprechen rechtspolitische Erwägungen dafür, verbleibende Lücken des prozessualen Anlegerschutzes durch eine extensive Handlungsortzuständigkeit zu schließen. Für eine Berücksichtigung derartiger Aspekte spricht die Tendenz zur Mate-

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XI)

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rialisierung des Zuständigkeitsrechts im Allgemeinen sowie des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO im Besonderen. So hat der EuGH auf ein besonderes materielles Gewicht des streitgegenständlichen Deliktsvorwurfs in der Rechtssache eDate Advertising ausdrücklich durch Bereitstellung klägerfreundlicher Gerichtsstände reagiert. In der Rechtssache CDC hat er – zumindest unausgesprochen – dem Ziel einer wirksamen Kartellrechtsdurchsetzung Berücksichtigung geschenkt. Zuständigkeitsfremde Aspekte können in die Auslegung des Deliktsgerichtsstands jedoch allenfalls ergänzend Eingang finden und vermögen den zuständigkeitsrechtlichen Interessenausgleich nicht zu überspielen. Gerichtsstände, die wegen ihrer fehlenden Beweisnähe, der mangelnden Vorhersehbarkeit oder ihrer einseitigen Begünstigungstendenz rein zuständigkeitsrechtlich nicht tragfähig begründet werden können, können auch durch zuständigkeitsfremde Erwägungen nicht legitimiert werden. Die Zurechnung muss deshalb auf eine hinnehmbare Zahl fremder Tatbeiträge beschränkt werden, die typischerweise beweisnah und für alle Tatbeteiligten vorhersehbar sind. Im Schrifttum vertretene Ansätze, die über einen Rückgriff auf die lex causae, mitgliedstaatenübergreifende Modellregeln oder ein Vorsatzerfordernis letztlich auf eine umfassende wechselseitige Handlungsortzurechnung nach sachrechtlichem Vorbild hinauslaufen, werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Eine mitunter ebenfalls erwogene Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme scheitert am Fehlen autonomer Abgrenzungskriterien, die den erhöhten Vorhersehbarkeits- und Klarheitsanforderungen des Zuständigkeitsrechts gerecht würden. Der wohl am weitesten verbreitete Lösungsvorschlag, die Zurechnung auf den deliktischen Handlungsschwerpunkt bzw. den zentralen Tatbeitrag zu begrenzen, begegnet unter Gesichtspunkten der Vorhersehbarkeit ebenfalls Bedenken. Dem Verletzten würde gegenüber Anstiftern und Gehilfen stärkerer Rechtsschutz gewährt als gegenüber dem Haupttäter. Wie die CDC-Entscheidung des EuGH zeigt, kann die besondere Struktur einzelner Delikte zudem eine abweichende Beurteilung nahelegen. Dass sich allgemeingültige zuständigkeitsrechtliche Zurechnungskriterien finden lassen, darf angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Deliktstypen und Begehungsformen bezweifelt werden. Die Zurechnungsfrage muss daher deliktsspezifisch beantwortet werden. Dies deutet auch die CDCEntscheidung an, die eine Handlungsortzurechnung mit Verweis auf die Umstände des Ausgangsverfahrens zulässt. Aufbauend auf der zurechnungsfeindlichen Entscheidungstrilogie Melzer, Hi Hotel und Coty Germany können demnach Konstellationen definiert werden, in denen eine Handlungsortzurechnung anerkannt wird. Für den exemplarisch behandelten Bereich der Kapitalanlagedelikte bietet sich in Anlehnung an die Diskussion um den Erfolgsortgerichtsstand eine Unterscheidung zwischen Betrugs- und Untreuedelikten an. Betrifft der deliktische Fehlverhaltensvorwurf das vorvertragliche Informationsverhalten, wird eine allseitige

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Thesenartige Zusammenfassung

Zurechnung des Orts der Beratungsgespräche von der Teleologie des Deliktsgerichtsstands getragen. In untreueartigen Konstellationen, in denen das Kapital erst nach Überweisung in das Ausland durch unerlaubte Handlung verloren wird, sprechen die Gesichtspunkte der Beweisnähe und der Vorhersehbarkeit für einen umfassenden Gerichtsstand am Sitz des veruntreuenden Finanzdienstleisters. Anders sind wiederum Fälle der Erbringung aufsichtsrechtlich unzulässiger Finanzdienstleistungen zu beurteilen. Hier erscheint es angezeigt, den Gerichtsstand am Ort der potentiell erlaubnispflichtwidrigen Aktivität allseitig zuzurechnen.

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Sachverzeichnis Actor sequitur forum rei 45 ff., 113 f., 211 f. Anlegerschutz 22, 124, 129, 135, 205, 208 ff. Aufsichtsrechtlich unzulässige Finanzdienstleistungen 144 ff., 235 f. Ausnahmevorschrift 58 ff. Binnenmarktbezug

29 ff., 202 ff.

CDC-Entscheidung 79 ff., 103 f., 143 ff., 226 f. Coty Germany-Entscheidung 142 f., 203 f. DCFR 131 f., 206 f., 220 f., 221 f., 236 f. Drittwiderklage 184 f. eDate Advertising-Entscheidung 78 f., 226 f. Effet utile 60 f., 62 f., 92 f., 148 f., 196 f. Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung 149 ff. Einteilung der Zurechnungsproblematik in drei Grundkonstellationen 174 ff., 197 f. Erfolgsort 67, 139 ff. Favor defensoris 47 ff. Favor laesi 69 ff. Folien Fischer-Entscheidung 74 f., 81 Formale Typisierung 40 f., 67 Forum shopping 97 ff. Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft 137 ff., 150 f., 161 ff., 192 f. Gerichtsstandbestimmungsverfahren 160 f., 162, 184 Gesamtschuld 168 f. Gewährleistungs- und Interventionsklage 200 f.

Haftung für Verrichtungsgehilfen und Gesellschaftsorgane 186 ff., 236 ff. Handlungsort 64 ff., 96 ff. Hi Hotel-Entscheidung 142 f., 203 f Historische Entscheidung gegen einen Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft 162 f. Interessenjurisprudenz Jenard-Bericht

31

46, 64, 72, 73,

Kainz-Entscheidung 74 f., 81, 86, 101, 120, 228 Klägergerichtsstand 20, 78 f., 79 ff., 87, 139 ff., 147 Kollisionsrechtlich motiviertes forum shopping 98 Kontoführungsort 139 ff. Konzentration zusammenhängender Prozesse 45, 199 ff. Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen 88 ff., 171 f. Lex causae 104 ff., 133 f., 217 ff. Materialisierung des Zuständigkeitsrechts 28 f., 213 ff. Melzer-Entscheidung 127 ff. Mosaikprinzip 78 Normative Eingrenzung des zuständigkeitsrechtlichen Handlungsortbegriffs 223 f. Opferschutz

69 ff.

Parteinähe 32 f. PETL 131 f., 207 f., 220 f. Prozessrechtlich motiviertes forum shopping 98 f.

Sachverzeichnis Ratio der deliktsrechtlichen Mehrpersonenhaftung 166 ff. Rechtsnähe 44 f., 85 f., 195 f. Sach- und Beweisnähe 33 ff., 66 ff., 100, 141 f., 173 ff., 198 f. Shevill-Entscheidung 78 ff., 101 f., 226 f. Skizze eines deliktstypenorientierten Zurechnungsmodells 229 ff. Solidarische Haftung 206 ff. Svensk Handel-Entscheidung 74, 75 Teleologie des Deliktsgerichtsstands 65 ff. Tessili-Entscheidung 105 ff., 133 f., 217 ff. Ubiquitätsprinzip 62, 64, 67 f., 69 f., 76 ff. Überfrachtung der Zuständigkeitsprüfung 109, 219 Unterlegenheit des Deliktsklägers 72 f.

265

Verdeckte Begründung eines unerwünschten Mehrparteiengerichtsstands 161 ff. Vermehrte Anwendung ausländischen Rechts 195 f. Vollstreckungsnähe 33 Vorbereitungsakte 110 ff. Vorhersehbarkeit 38 ff., 201 ff. Zurechnung der Orte täterschaftlicher Handlungen 178 f., 224 ff. Zurechnung des deliktischen Handlungsschwerpunkts 176 ff., 226 ff. Zurechnung im Falle bewusster und gewollter Kooperation 221 ff. Zuständigkeitserschleichung 194 f. Zuständigkeitsgerechtigkeit 27 f., Zuständigkeitsinteressen 31 ff. Zuständigkeitsklarheit 40 ff., 111, 118, 177 f., 228 Zuständigkeitsvervielfältigung 67, 68, 77, 97, 101, 113, 115, 178, 180 f., 185 f., 193 f., 212