Protokonstitutionalismus: Die Reichsverfassung in den Wahlkapitulationen der römisch-deutschen Könige und Kaiser 1519-1792 9783666360855, 9783647360850, 9783525360859

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Protokonstitutionalismus: Die Reichsverfassung in den Wahlkapitulationen der römisch-deutschen Könige und Kaiser 1519-1792
 9783666360855, 9783647360850, 9783525360859

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Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Band 94

Wolfgang Burgdorf

Protokonstitutionalismus Die Reichsverfassung in den Wahlkapitulationen der römisch-deutschen Könige und Kaiser 1519–1792

Vandenhoeck & Ruprecht

Die Schriftenreihe wird herausgegeben vom Sekretär der Historischen Kommission: Helmut Neuhaus

Umschlagabbildung: Feierliche Auffahrt des Kurfürsten von Mainz, aus: Johann Daniel von Olenschlager: Vollständiges Diarium von der höchstbeglückten Erwehlung des … Fürsten Franciscus … zum Romischen König und Kayser … mit Kupfferstichen und schematischen Vorstellungen versehen nebst einer Vorrede von den Vorzügen des regierenden Hauses …, Frankfurt a. M. 1746 (Tafel zwischen S. 228 u. 229). (Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: 1025423 2 J.publ.g., urn:nbn:de:bvb:12-bsb10493882-1) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 0568-4323 ISBN 978-3-647-36085-0 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit Unterstützung der Franz Schnabel Stiftung. © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Bedeutung der Wahlkapitulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3. Begriff und Synonyma der Wahlkapitulationen . . . . . . . . . . . . . 25 4. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 5. Die Originale der Wahlkapitulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 6. Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 7. Visualisierung der konstitutionellen Ordnung des Reiches . . . . . . 48 8. Die Kurfürstlichen Kollegialschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 9. Der Weg zum Thron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 9.1 Die Verhandlungen auf den Wahlkonventen . . . . . . . . . . . 53 9.2 Vorverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 9.3 Antizipation der Diplomatischen Revolution . . . . . . . . . . . 59 9.4 Hauptverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 10. Vom König zum Kaiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 10.1 Erwählter Römischer Kaiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 10.2 Krönungsmesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 11. Veränderungen in den Wahlkapitulationen . . . . . . . . . . . . . . . 76 12. Die Grenzen des Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 13. Die Sprachen des Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 13.1 Reichsverfassung und Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 13.2 Der Reichstitel in den Wahlkapitulationen . . . . . . . . . . . . 110 13.3 Die Sprache der Wahlkapitulationen . . . . . . . . . . . . . . . . 111

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Inhalt

14. Die politische Theologie des Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 15. Die Zeit des Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 16. Idealwahlkapitulationen. Eine deutsche Verfassungsdiskussion in den 1790er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 17. Protokonstitutionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 17.1 Gewaltenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 17.2 Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 17.3 Budgetrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 17.4 Reichstagsarmee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 17.5 Verfassungsrevision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 17.6 Öffentlichkeit und Transparenz der Reichspolitik . . . . . . . . 170 17.7 Frühneuzeitliche Veröffentlichungen der Wahlkapitulationen . . 173 17.8 Freiheit der Commerzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 17.9 Kontrasignation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 17.10 Der Verfassungseid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 18. Grundrechtliche Gewährleistungen im Protokonstitutionalismus . . 190 18.1 Jus emigrandi und begrenzte Religionsfreiheit . . . . . . . . . . 190 18.2 Verbot von Religionsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 18.3 Ordentlicher Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 18.4 Gleichheit vor dem Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 18.5 Indigenat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 18.6 Armenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 18.7 Brief- und Postgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 18.8 Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 19. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

»Es erben sich Gesetz und Rechte / Wie eine ew’ge Krankheit fort; / Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte, / Und rücken sacht von Ort zu Ort. / Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage; / Weh dir, daß du ein Enkel bist! / Vom Rechte, das mit uns geboren ist, / Von dem ist, leider! nie die Frage«1.

1 Goethe, Faust, 1.  Teil, Studierzimmer. Mit diesen Worten kommentiert der als Faust verkleidete Mephisto die Äußerung des Schülers Wagner, dass er sich zur Rechtsgelehrsamkeit »nicht bequemen« könne.

Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist aus den Arbeiten an einer Edition der kaiserlichen und königlichen Wahlkapitulationen hervorgegangen. Die Edition der Kapitulationen selbst erfolgt zeitgleich. Das Projekt wurde von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt und von der DFG finanziert. Die Antragsteller waren Karl Otmar Freiherr von Aretin, Heinz Duchhardt, Helmut Neuhaus und Barbara Stollberg-Rilinger. Herr Duchhardt war der Projektleiter, der Autor der Bearbeiter. Er dankt besonders Karl Otmar Freiherr von Aretin für die Anregung des Vorhabens und den Professoren Duchhardt, Neuhaus und Stollberg-Rilinger für tätige Anteilnahme und Lektüre, seinem Mitarbeiter, Herrn Florian Lehrmann M. A. sowie Herrn Alexander Prasser, der später als Hilfskraft hinzukam, für kreative und selbstständige Mitarbeit und Durchsicht des Textes. Großen Dank fürs Korrekturlesen schulde ich auch meinem Freund Dr. Wolfgang Kern.

1. Einleitung Die Frühe Neuzeit in Deutschland beginnt mit der Bindung des Monarchen an die Verfassung 1519, mit seinem Eid auf die Wahlkapitulation1. Zudem waren die Reichsreform von 1495, der institutionelle Ausbau des Reiches, die letzte Kaiserkrönung durch einen Papst 1530 und in einem weiteren Sinn die Erfindung des Buchdrucks, Humanismus, Renaissance und Reformation bedeutende Schwellen zwischen dem deutschen Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Die Wahlkapitulationen regelten von 1519 bis 1806 letztgültig die Funktionsweise und das Zusammenwirken der Institutionen des Reiches und das staatsrechtliche Leben im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation insgesamt. Besonders in den kleineren Territorien des Reiches gehörte für die Einwohner jedoch zunächst die Gegenwart der reichsunmittelbaren Obrigkeiten zur alltäglichen Erfahrung. Reichsunmittelbare Obrigkeiten waren reichsstädtische Regierungen, Reichsritter, Reichsgrafen und -fürsten, die unmittelbar dem Kaiser und dem Reich, also der Gesetzgebung des Reichstages und den Anordnungen der Reichsgerichte unterstanden. Eine adlige Herrschaft, eine Stadt oder ein Dorf, die unter einer solchen unmittelbaren, mit der so genannten »Landeshoheit« ausgestatteten Herrschaft standen, befanden sich hingegen zum Reich nur in einem mittelbaren Verhältnis. Die Verfassungen der Territorien des Reiches waren häufig schriftlich fixiert. Fürsten hatten Vergleiche mit Untertanen oder ihren Landständen geschlossen, um Konflikte über die wechselseitigen Rechte, zu fordernde Dienstleistungen und über die zu erhebenden Steuern beizulegen. Ebenso verglichen sich reichsstädtische Räte mit den Bürgerschaften und geistliche Fürsten mit ihren Domkapiteln usw2. Die schriftlich fixierten Verfassungen der Territorien waren in der Frühen Neuzeit oft durch aktive Teilnahme der Reichsgerichte oder kaiserlicher Kommissare zustande gekommen oder modifiziert worden3. Hinsichtlich der territorialen Verfassungen und Gesetze übten das Reichskammergericht und insbesondere der Reichshofrat eine Normenkontrolle aus. Die Legitimation dafür findet sich in verschiedenen Bestimmungen der Wahlkapitulationen, welche Herstellung und Gewährung von Gerechtigkeit für jedermann ohne Ansehen der Person verlangten. Gegen Ende des Reiches entzogen sich jedoch die größeren Territorien des Reiches zunehmend dieser Kontrolle. Die mächtigen protestantischen Reichsstände Kurbrandenburg und Kurhannover konkurrierten hierbei mit dem Kaiser, indem sie Religionsvergleiche vermittelten und garantierten. Sämtliche Religionsveränderungen regierender 1 Dieses Kapitel beruht auf den Ausführungen in Burgdorf, Weltbild, S. 19–25. 2 Maier, Domkapitel. Stollberg-Rilinger, Wahlkapitulation, S. 379–404. 3 Fimpel, Reichsjustiz.

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deutscher Fürstenhäuser im späten 17. und im gesamten 18. Jahrhundert, sei es durch Erbe oder persönliche Konversion, erfolgten zugunsten des Katholizismus4. Durch das Eingreifen der größeren protestantischen Reichsstände wurde der Besitzstand des Protestantismus gegen Rekatholisierungen geschützt. Die neue Konfession des Fürsten konnte den Untertanen nicht mehr aufgezwungen werden. Die deutschen Großmächte Österreich und Preußen jedenfalls hatten sich weitgehend vom Einfluss des Reiches und ihrer Mitstände emanzipiert. Der Druck der öffentlichen Meinung zwang sie jedoch wiederholt zu reichskonformem Verhalten. Andererseits zeigte sowohl die Kriegspolitik Friedrichs II. ab 1740 als auch die josephinische Diözesanpolitik in den 80er-Jahren und Preußens Arrangement mit Frankreich 1795, dass dieser Druck zunehmend nachließ. Als Reichsstände werden alle unmittelbaren Herrschaftsträger im Reich bezeichnet, die über Sitz und Stimme auf dem Reichstag verfügten. Die Reichsritter waren zwar reichsunmittelbar und besaßen die Landeshoheit, waren aber auf dem Reichstag nicht direkt vertreten und waren daher keine Reichsstände5. Sie waren in Ritterkantone organisiert und leisteten keinen Beitrag zu den vom Reichstag ausgeschriebenen Matrikularbeiträgen. Stattdessen leisteten sie sogenannte Karitativsubsidien direkt an den Kaiser. Die Reichsgrafen und bis 1803 auch die Reichsprälaten verfügten jedoch über Kuriatstimmen auf dem Reichstag und genossen daher die Reichsstandschaft6. Standeserhebungen durch den Kaiser aus dem Freiherrn- in den Grafenstand oder aus dem Grafen- in den Fürstenstand führten in der Regel zu Auseinandersetzungen um das Stimmrecht auf dem Reichstag und um die zu tragenden Reichslasten. Die schriftliche Fixierung der Territorialverfassung schützte nicht in jedem Fall vor absolutistischen Bestrebungen, wie das Beispiel Württemberg im letzten Drittel des 18.  Jahrhunderts zeigt7. In anderen Territorien wurde das politische Leben im Wesentlichen durch das Herkommen bestimmt, welches allerdings im 18. Jahrhundert zunehmend durch die Reichspublizistik, die Wis4 Die beiden prominentesten Fälle waren die beiden führenden protestantischen Dynastien Kurpfalz (1685) durch Erbantritt der katholischen Linie Zweibrücken und Kursachsen (1697) im Zusammenhang mit dem Erwerb der polnischen Krone. Manche mindermächtige Dynasten konvertierten, um in den Dienst des Kaisers treten zu können. Duchhardt / May (Hg.), Union – Konversion – Toleranz. Lozar / Schaser, Die Rückkehr, S. 65–74. 5 Roth von Schreckenstein, Geschichte der ehemaligen freien Reichsritterschaft. Müller, Der letzte Kampf. Press, Reichsritterschaft, S.  101–122. Ders., Kaiser und Reichsritterschaft, S.  163–194. Duchhardt, Reichsritterschaft, S.  315–337. Kollmer, Die schwäbische Reichsritterschaft. 6 Arndt, Das Niederrheinisch-Westfälische Reichsgrafenkollegium. Ders., Zwischen kollegialer Solidarität, S. 105–128. 7 Sauer, Der Schwäbische Zar. Haug-Moritz, Württembergischer Ständekonflikt. Blickle (Hg.), Von der Ständeversammlung.

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senschaft vom Jus publicum, dem Staatsrecht des Reiches, normiert wurde. Besonders für die Einwohner mindermächtiger Territorien hatte das Reich bis zu seinem Ende auch jenseits der symbolischen Präsenz alltägliche Bedeutung. Es war präsent in den täglichen Kirchengebeten für Kaiser und Reich, den Kaisersälen der Reichsabteien und den Wappen über den Toren der Reichsstädte, im ikonographischen Schmuck ihrer Rathäuser, in den Hoheitszeichen der kaiserlichen Post sowie der Vielzahl vom Reich eingesetzter Kommissionen vor Ort8. Für viele der kleineren Territorien, deren Gerichtswesen keine drei Instanzen ausgebildet hatten, dienten die Reichsgerichte als Appellationsinstanz. Zwar besaßen die Kurfürsten und im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend auch die Fürsten Privilegia de non appellando bzw. de non evocando, d. h. die Untertanen durften nicht, oder erst ab einer bestimmten Summe des Streitwertes, an die Gerichte des Reiches appellieren und die Reichsgerichte durften nicht ohne weiteres unerledigte Rechtsfälle an sich ziehen. Aber in Fällen von Rechtsverweigerung oder fehlerhaften Verfahren war für die Untertanen der Weg an die Reichsgerichtsbarkeit trotz der Privilegien wieder frei. Gerade diese Regelung trug sehr viel zur Verrechtlichung, zum Aufbau eines dreistufigen Instanzenweges und zur Unabhängigkeit der Rechtsprechung innerhalb der Territorien bei9. Beliebt bei den Untertanen waren die kaiserlichen Debitkommissionen, welche nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763) vermehrt auftraten10. Hierbei handelte es sich um Schuldentilgungskommissionen, die in Fällen von Überschuldung infolge unzureichender Administration, verschwenderischer Hofhaltung oder übertriebener Militärausgaben in den Territorien tätig wurden. Vorausgegangen war in der Regel eine Intervention der Landstände, der Bürgerschaft, von Untertanen oder fürstlichen Erben beim Reichshofrat oder beim Kaiser. Überwölbt wurde dieses vielfältige politische Leben in den Territorien durch die Reichsverfassung11. Sie bestand aus den Reichsgrundgesetzen und dem Reichsherkommen. Die Reichsgrundgesetze beginnen mit der Goldenen Bulle von 135612, welche die Wahl des Reichsoberhauptes und die Verwaltung des Reiches während des Fehlens eines regierungsfähigen Oberhauptes regelte. 1495 folgte der Ewige Landfrieden13, 1555 die Reichskammergerichtsordnung, die Reichsexekutionsordnung und der Augsburger Religionsfriede, 1648 der West8 Müller (Hg.), Bilder des Reiches. Fimpel, Reichsjustiz. Pflüger, Kommissare. 9 Weitzel, Der Kampf um die Appellation. Eisenhardt (Hg.), Die kaiserlichen privilegia de non appelando. Dick, Die Entwicklung. Diestelkamp, Die Durchsetzung. 10 Gagliardo, Reich, S. 73. 11 Stolleis, Neues zur Verfassungsgeschichte, S. 187. Duchhardt, Verfassungsgeschichte. Willoweit, Verfassungsgeschichte. 12 Rospatt, Königswahl. Hergemoeller, Der Nürnberger Reichstag. Leonhardi, Goldene Bulle. Fritz / Müller-Mertens, Reichsgesetz. Wolf, Goldene Bulle. 13 Angermeier, Reichsreform. Krause, 500jähriges Jubiläum, S.  201–204. Wefers, Wormser Tag, S. 287–304.

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fälische Friede, 1654 der Jüngste Reichsabschied und 1803 der Reichsdeputationshauptschluss. Das umfassendste und wichtigste aller Reichsgrundgesetze war die jeweils gültige Wahlkapitulation. Sie bestätigte die Geltung der übrigen Grundgesetze14. Jenseits der vertraglichen und gesetzlichen Festlegung wurde die Reichsverfassung vom Reichsherkommen geprägt, also von dem oft umstrittenen Gewohnheitsrecht, das gleichwohl durch die Kompendien der Reichspublizisten eine zunehmende schriftliche Fixierung erfahren hatte15. All diese Reichsgrundgesetze wurden ab 1519 durch die Wahlkapitulationen bekräftigt und galten ab 1653 als Teil der Wahlkapitulationen. Dies war der Rahmen, der die Verfassungspraxis des Reiches normierte. Die Kompetenzen des Kaisers bestanden im Wesentlichen im Ratifikationsrecht für die Reichsgesetze und in seiner nominellen, teilweise auch tatsächlichen oberstrichterlichen Funktion sowie in den kaiserlichen Reservatrechten, insbesondere Standeserhebungen und Legitimierungen16. Für den Fall eines Interregnums besaßen die Reichsvikare, der Kurfürst von der Pfalz (bzw. Bayern) und der Kurfürst von Sachsen das Recht, die Reichsjustiz fortzuführen und niedere Standeserhebungen vorzunehmen. Die Aufgaben des Reichserzkanzlers, des Kurfürsten von Mainz, bestanden vornehmlich in der Direktion der Reichstage und der Reichsdeputationen, was während der letzten Deputation 1802/03 für sein politisches Fortleben nicht unwesentlich war. Infolge der außerordentlichen Reichsdeputation von 1802/03 leitete der Erzkanzler zunächst auch die letzte aller Reichsistitutionen, die »Subdelegationskommission für das transrhenanische Sustentationswesen«, die über das Reich und den Rheinbund hinaus Bestand hatte17. Zudem hatte er die Aufsicht über die Reichskanzlei am kaiserlichen Hof und über die Kanzleien der Reichsgerichte18. Die wichtigsten Funktionen der Kurfürsten waren die Wahl des Reichsoberhauptes und das Abfassen der Wahlkapitulationen19. Der Reichstag setzte sich aus der kurfürstlichen, reichsfürstlichen und reichsstädtischen Kurie zusammen20. In der reichsfürstlichen Kurie waren auch die Reichsgrafen und bis 1803 ebenso die Reichsprälaten durch vier bzw. zwei Kollektivstimmen vertreten. Die Reichsritter besaßen hier keine direkte Vertre14 Gleichwohl wird man Fritz Hartungs Urteil, seit 1519 »besaß das Reich eine festumschriebene Verfassung« nicht auf unseren heutigen Verfassungsbegriff, der durch die Verfassungstexte von 1787 und 1789 geprägt wurde, beziehen. Ders., Wahlkapitulationen, S. 329. Burgdorf, Ursprünge des Konstitutionalismus, S. 65–98. 15 Moser, Betrachtungen über das Sammeln, S. 320 f. u. S. 324. 16 Press, Die kaiserliche Stellung, S. 51–80. 17 Burgdorf, Der Untergang der Reichskirche, S. 143–188. 18 Seeliger, Erzkanzler und Reichskanzleien. Diestelkamp, Reichserzkanzler, S. 99–110. Hartmann (Hg.), Kurmainz. 19 Schubert, Kurfürsten, Sp. 1581–1583. Gotthard, Säulen des Reiches, Teilbd. 2: Der Kampf. Pelizaeus, Der Aufstieg Württembergs. Erkens, Kurfürsten. 20 Das Standardwerk zum Reichstag während der Deputationsverhandlungen von 1802/03: Härter, Reichstag und Revolution.

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tung, waren aber bis zum Reichsdeputationshauptschluss indirekt durch die oft aus ihren Reihen hervorgegangenen geistlichen Fürsten und Kurfürsten vertreten. Im kurfürstlichen und fürstlichen Kollegium saßen sowohl weltliche wie geistliche Fürsten. In seltenen Fällen, wenn es um strittige Religionsangelegenheiten ging, teilten sich alle drei Kurien des Reichstages nach 1648 in das Corpus evangelicorum und das Corpus catholicorum21. Der Kaiser ließ sich am Reichstag durch den Prinzipalkommissar vertreten22. Diese Funktion wurde seit 1748 durch die Fürsten von Thurn und Taxis versehen. Das Amt war jedoch eher repräsentativer Art, während die politischen Tagesgeschäfte durch den Konkommissar geführt wurden. Zudem verfügte der Kaiser seit 1708, sofern er, wie es in der Frühen Neuzeit mit der wittelsbachischen Ausnahme von 1742–1745 die Regel war, ein österreichischer Erzherzog war, noch über die kurböhmische Stimme im Kurfürstenrat und über die österreichische im Fürstenrat. Ein verbindlicher Entwurf für ein Reichsgesetz, ein Reichsgutachten, benötigte die Zustimmung aller drei Kollegien. Nachdem man sich innerhalb der Kurien geeinigt hatte, wurde auf dem Wege der Re- und Korrelationen Übereinstimmung zwischen den Kurien erzielt. Seit dem Westfälischen Frieden genoss auch der Städterat eine entscheidende Stimme, das so genannte »Votum decisivum«. Die beiden höheren Kollegien bestritten jedoch bis zum Ende des Alten Reiches, dass das reichsstädtische Votum im Falle eines Konfliktes zwischen ihnen den Ausschlag geben könne. Gesandtschaftsberichte zeigen, dass der Reichstag der Einfachheit halber häufig in Zirkulo, d. h. unter Teilnahme aller Gesandten, und nicht in getrennten Kurien tagte. Auch das strenge Schema des Aufrufes der Stimmen, die Strophen, mit den Alternationen (wechselnder Vorrang bestimmter Höfe bei der Abstimmung) spielte in der Regel keine wichtige Rolle. Zeremonialkonflikte waren in der Regel Ausdruck von Misshelligkeiten zwischen den größeren Mächten23. Die zehn Reichskreise dienten seit dem 17. Jahrhundert in erster Linie der Organisation der im Bedarfsfall aufzustellenden Reichsarmee sowie dem Policey-Wesen, der Exekution der reichsgerichtlichen Urteile, Münzwesen, Flussregulierung, Chausseebau, Unterhalt gemeinsamer Zuchthäuser und dergleichen24. Zudem präsentierten sie die nicht vom Kaiser oder den Kurfürsten präsentierten Beisitzer für das Reichskammergericht. Die Kreistage lassen sich 21 Heckel, Autonomia et pacis Compositio, S. 141–248. Ders., Parität, S. 261–420. Ders., Itio in partes, S. 181–308. Ders., Deutschland im konfessionellen Zeitalter. 22 Fürnrohr, Die Vertreter, S.  71–139. u. 124 (1984), S.  99–148. Hoke, Prinzipalkommissar, Sp. 1962–1965. Piendl, Prinzipalkommissariat, S. 131–149. 23 Stollberg-Rilinger, Zeremoniell als politisches Verfahren, S. 91–132. 24 Brock (Hg.), Der schwäbische Reichskreis. Dotzauer, Die Deutschen Reichskreise in der Verfassung. Ders., Die deutschen Reichskreise (1383–1806). Magen, Reichsexekutive. Gittel, Aktivitäten. Hartmann (Hg.), Regionen. Ders., Zur Bedeutung der Reichskreise, S. 304–325. Wunder, Kaiser, S. 1–22. Hartmann, Der Bayerische Reichskreis. Nicklas, Macht oder Recht. Schmidt, Neuerscheinungen, S. 425–429. Wüst (Hg.), Reichskreis. Ders., Die »gute« Policey.

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in ihrer Gestalt und Funktionsweise mit dem Reichstag vergleichen. Geleitet wurden sie von den kreisausschreibenden Fürsten. In jenen Reichskreisen, die von einem mächtigen Mitglied wie Österreich, Kurbrandenburg oder Bayern dominiert wurden, war das Kreisleben verkümmert. Kreistage fanden nur noch selten oder gar nicht mehr statt. Der dominierende Hof regelte die den Kreis betreffenden Fragen im bilateralen Verkehr mit den übrigen Mitgliedern des Reichskreises. Die Reichsjustiz bestand aus dem Reichskammergericht, das über die Präsentation der Richter (Assessoren) von den Reichsständen dominiert wurde, und dem vom Kaiser kontrollierten Reichshofrat sowie einigen Landgerichten. Das Kammergericht war hauptsächlich für Streitigkeiten zwischen den Reichsständen zuständig und fungierte als höchste Appellationsinstanz für Prozesse, die von Untertanen betrieben wurden25. Der Reichshofrat war vorrangig für feudalrechtliche Auseinandersetzungen zuständig. Eine eindeutige Kompetenzabgrenzung gab es jedoch nicht. In der Regel wurde das Gericht als zuständig erachtet, welches zuerst mit einem bestimmten Fall befasst wurde. Der Reichshofrat führte zudem die Aufsicht über die Regierung und die Verwaltung insbesondere der kleineren Reichsterritorien26. Die Landeshoheit, die Rechte der Reichsstände in ihren Territorien, war durch den Westfälischen Frieden normiert. Die Reichskirche hatte bis 1803 durch ihre Präsenz auf dem Reichstag einen starken politischen Rückhalt. Im Kurfürstenkollegium saßen die drei rheinischen Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz. Mitglieder des Reichsfürstenrats waren der Erzbischof von Salzburg, die Fürstbischöfe, die Häupter der unmittelbaren Ritterorden und die gefürsteten Äbte und Prälaten, letztere jedoch, wie die Reichsgrafen, nur durch Kuriatstimmen vertreten. Die Reichskirche war überwiegend katholisch, obgleich es im Norden Deutschlands auch protestantische Abteien und Domkapitel gab. Das Domkapitel von Osnabrück war halb lutherisch, halb katholisch, von Bischofswahl zu Bischofswahl alternierten lutherische und katholische Fürstbischöfe. Gleichzeitig war die Reichskirche überwiegend eine Adelskirche. Manche Hochstifte wie das Domkapitel von Mainz waren fest in der Hand des niederen Reichsadels, der Reichsritter und Reichsgrafen. Andere Domkapitel waren in der Hand regionaler landsässiger (mittelbarer) Adelsgruppen27. Die Staatlichkeit des Reiches lässt sich als subsidiär beschreiben28. Für die kleineren Territorien, die administrativ schwach entwickelt waren, übernahmen 25 Fahnenberg auf Burgheim, Literatur. Smend, Reichskammergericht. Press, Reichskammergericht. Baumann, Gesellschaft. Diestelkamp (Hg.), Reichskammergericht. Fuchs, Sollicitatur. Klass, Standes- oder Leistungselite. Jahns, Reichskammergericht. Mader, »Priester der Gerechtigkeit«. 26 Sellert (Hg.), Reichshofrat, Sp. 630–638. Westphal, Kaiserliche Rechtsprechung. 27 Hersche, Domkapitel. 28 Schmidt, Geschichte des Alten Reiches. S. a.: Schilling, Reichs-Staat, S. 377–395. Darauf reagierte wiederum Schmidt, Das frühneuzeitliche Reich, S. 371–399.

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Reichskreise und Reichsinstitutionen vielfältige Aufgaben. Die Reichsgerichte dienten als dritte Instanz der Rechtsprechung, die Reichskreise übernahmen Straßenbau und Flussregulierung, unterhielten Gefängnisse, übernahmen die Bekämpfung von Tierseuchen usw. Die größeren Länder innerhalb des Reiches regelten diese Sachen selbst. Der subsidiäre Reichsstaat funktionierte vielfach kommissarisch. Im Falle der Regierungsunfähigkeit oder Überschuldung z. B. eines Reichsfürsten oder eines reichsstädtischen Rates wurden dessen Kompetenzen zeitweise, das konnte mehrere Jahrzehnte dauern, durch vom Reichshofrat und Kaiser bestellte Kommissare wahrgenommen. Dies waren in der Regel Reichsfürsten bzw. deren Räte, deren Kompetenz in den fraglichen Feldern erwiesen war. Auf diese Art waren auch die größeren Reichsstände in die subsidiäre Staatlichkeit des Reiches eingebunden. Die hier nur umrisshaft beschriebene komplexe Verfasstheit des Reiches und seiner Territorien wurde letztlich durch die Wahlkapitulationen garantiert. Schon in der Frühen Neuzeit gab es eine ausufernde Diskussion darüber, wann die Geschichte der Wahlkapitulationen beginne. Manche Autoren verwiesen dabei auf Gebräuche der alten Germanen und Römer. Relevanter war der Hinweis auf die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. von 1356. Sie verpflichtete den Kaiser, den Ständen des Reiches ihre Rechte und Gerechtsame zu bestätigen29. Vorläufer, Vorbilder und Vorgeschichte der Wahlkapitulation von 1519 werden eingehend von Gerd Kleinheyer dargestellt30. Einzelne Bestimmungen der späteren Wahlkapitulationen, wie die Forderung, das Reichsgut in Italien zurückzugewinnen oder unrechtmäßig errichtete Zölle abzuschaffen, tauchen schon in Sonderverträgen der Kandidaten mit einzelnen Kurfürsten oder einer Gruppe von Kurfürsten in den vorherigen Jahrhunderten auf. In der Regel sind sich die Autoren einig, dass die eigentliche Geschichte der Wahlkapitulationen mit der Wahl Karls V. 1519 beginnt. Maximilian I. stellte bereits am 1.  September 1518 fünf Urkunden für die Kurfürsten von Köln, Mainz, Pfalz sowie Brandenburg und Böhmen aus, welche wesentliche Inhalte der späteren Wahlkapitulation Karls vorwegnahmen31. In diesem Vorgang ist der spätere Brauch präfiguriert, dass bei einer Wahl vivente Imperatore die Wahlkapitulation des Nachfolgers zunächst vom noch lebenden Kaiser akzeptiert werden musste. In weiteren Urkunden für die genannten Kurfürsten vom 24. Dezember 1518 versicherte König Karl von Spanien, die Versprechen vom 1. September 1518 getreu zu halten. Nach dem Tod Maximilians wurden diese Zugeständnisse in weiteren Verhandlungen zur endgültigen Wahlkapitulation Karls V. vom 3.  Juli 1519 ausgebaut. Im Gegensatz zu den folgenden Kapitulationen wurden die Artikel der Kapitulation Karls nicht vor der Wahl 29 Tit. II. § 3. 30 Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 19–45. 31 Wurtzbacher-Rundholz, Kaiser und Reich, S. 99, S. 88–93. Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 47–51.

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dem Kandidaten unterbreitet, sondern erst danach den Bevollmächtigten Karls präsentiert32. Die Wahlkapitulationen besitzen eine ganz spezifische Literarizität. Siebzehn Generationen schrieben in fast drei Jahrhunderten von 1519 bis 1792 an ihnen. Ihrem Text liegen zudem teilweise Formulierungen aus der Goldenen Bulle von 1356 zugrunde. Die Wahlkapitulation war ein Vertrag des Thronkandidaten mit dem Wahlkollegium, also mit den Kurfürsten, »der vor allem den Zweck verfolgte, die Regierungskompetenzen des künftigen Königs bzw. Kaisers zu limitieren. Dieses Bestreben der Kurfürsten erklärt sich aus dem jahrzehntelangen Ringen um die zentralen Herrscherbefugnisse im Heiligen Römischen Reich, das in der Ära Kaiser Maximilians I. nicht eindeutig entschieden worden war«33. Die Wahlkapitulation war so gesehen die Fortsetzung der Reichsreform von 1495, die Institutionalisierung der Reichsreform. Die Wahlkapitulation von 1519 ist im Detail deshalb von Interesse, weil sie zur Urkapitulation, zum Ausgangspunkt der folgenden sechzehn Herrschaftsverträge bzw. »Reichshauptfundamentalgesätze« wurde34. Die Verpflichtung des Reichsoberhaupts auf die Verfassung war ein Spezifikum der deutschen Frühen Neuzeit. Die anderen Wahlkapitulationen in Europa erlangten nie Verfassungsstatus. In Frankreich erfolgt die Bindung des Monarchen an die Verfassung erst 1791. Mit Hilfe des grundgesetzlichen Vertragswerkes der Wahlkapitulation sollte zunächst nur die Macht des zum Kaiser gewählten spanischen Königs Karl eingehegt werden. Auch für die Wahlkapitulationen gilt somit: »Der Zweck ist der Schöpfer des ganzen Rechts«35. Das Instrument der Wahlkapitulationen wurde dann aber bis zum Ende des Reiches beibehalten.

32 Pick, Bemühungen, S. 8. 33 Kohler, Ferdinand I., S. 259. 34 Matthaei (Hg.), Ihrer Röm. Kayserl. Majestät Caroli VII. Wahl-Capitulation, S.  I (Vorbericht unpaginiert). 35 Ihring, Der Zweck im Recht. Motto auf dem Einband.

2. Bedeutung der Wahlkapitulationen Die frühneuzeitlichen königlichen und kaiserlichen Wahlkapitulationen galten Christian August Beck, dem Staatsrechtslehrer des späteren Kaisers Joseph II., als das »Grundgesetz« des Reiches. Sie seien »das vornehmste Reichsgrundgesetz, welches die Rechte und Pflichten eines regierenden Kaisers bestimmt und dessen Verbindung mit den Reichsständen ins klare setzt«. Sie verdienten »eine ganz besondere Aufmerksamkeit, weil in derselben das ganze Staatsrecht verborgen« liege1. Becks Kollege Karl Friedrich Häberlin bezeichnete die Wahlkapitulationen als ein »Handbuch deutscher Regenten, Staats- und Geschäftsmänner«, die »Quint-Essenz aller Reichsgesetze«2. Publizisten rühmten sie als »Reich-Staats-Katechismus«, »authentische Enzyklopädie unserer Reichsgesetze«, »die alte Feste der Deutschen Freiheit« und »Grundvertrag zwischen dem Oberhaupt der Deutschen Nation und ihren ersten Repräsentanten«3, den »Anker der Deutschen Freiheit«4 und deutsche »Magna Charta«5. Mit Ausnahme von Dietrich Theodor Reinkingk, der als »Vertreter der unumschränkten kaiserlichen Machtvollkommenheit in seinem ›Tractatus de regimine seculari et ecclesiastico‹ (Basel 1619) der Wahlkapitulation jede Bedeutung abspricht, stimmen alle, die monographisch oder in zusammenfassenden Darstellungen des deutschen Staatsrechts die Wahlkapitulationen besprechen, in der Anerkennung ihres hohen Wertes überein«6. Dies galt nicht nur für Juristen, sondern auch für Politiker. Der britische Gesandte Andrew Mitchell berichtete am 24. Juni 1756, der preußische König 1 Conrad, Recht und Verfassung, S.  407, § 15, S.  409, § 19, sowie Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S.  1. Zu Beck (1720–1781 o. 1783) DBA 69, 67–70. Schon 1640/47 räumte ihr Philipp Bogislaus von Chemnitz den vornehmsten Platz unter den Reichsgrundgesetzen ein: Ders., Hippolithi  a Lapide Abriß der Staats-Verfassung, T. 1, Mainz 1761, S.  281. 1697 schrieb ­Johann Christian Müldener von dem »allervornehmsten Grundgesetz des Heil. Röm. Reichs«: Ders.: Capitulatio Harmonica, S. II. 2 Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. IV u. 1. 3 Schmelzer, Die kaiserliche Wahlkapitulation, S. III, VIII, XIV u. XLIII. »Magna charta der deutschen Nation« und »magna charta Germaniens« nannte sie auch Crome, Wahlcapitulation, S. I u. X. 4 [Anonym]: Politische Betrachtungen und Nachrichten, S. 37. 5 Danz, Deutschland wie es war, S. 141 f. 6 Hartung, Wahlkapitulationen, S. 308. Sie sei das »allervornehmste Grund-Gesetz des Heiligen Römischen Reichs, auf dessen steter, festen und unverbrüchlichen Haltung die Wohlfahrth des gemeinen Wesens und die Erhaltung der eingeführten Regierungsform hauptsächlich beruhet«. Müldener, Capitulatio Harmonica, S. II. Die Wahlkapitulation sei »ein zwischen dem künftigen Kaiser und den Kurfürsten für sich und gesamte Stände des Reichs errichteter Vertrag, wonach der Kaiser seine Regierung zu führen verspricht«. Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 3.

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messe der kaiserlichen Wahlkapitulation »real importance« bei, »as the power of every elector, prince and member of the Empire may be affected by it«7. Die Reichshofratsordnung von 1654 nennt als Grundlage der Rechtsprechung »zuvorderst« die kaiserliche Wahlkapitulation, dann den Religionsfrieden sowie den Westfälischen Frieden8. In einer Definition von 1745 heißt es, die kaiserliche Wahlkapitulation sei ein »Vertrag, welchen die Kurfürsten des Heiligen Römischen Reichs für sich, sämtliche Fürsten und Stände nur gedachten Reichs« mit dem Römischen König und Kaiser »zu errichten pflegen, dadurch sich derselbe zu einer gewissen eingeschränkten Ausübung der durch die Wahl erhaltenen Majestätsrechte, sowohl abwesend durch einen Bevollmächtigten, als auch in Person selbst, eidlich verbindet«9. Das Reichsoberhaupt erhielt also durch seine Wahl die vollen Majestätsrechte und verpflichtete sich freiwillig durch die Wahlkapitulation zu einer eingeschränkten Ausübung dieser Rechte, insoweit diese Begrenzungen hier fixiert wurden. »Die Reichsgrundgesetze, zu denen per definitionem auch die Kapitulation zählte, banden nach der übereinstimmenden Ansicht der Reichspublizisten den Kaiser« und die Stände insgesamt »vertragsweise«, einzelne Stände und Reichsuntertanen »ex lege«10. Von 1519 an wurde der Kaiser durch die Wahlkapitulation verpflichtet und verpflichtete sich. »Wir sollen und wollen«11, diese Formel war seit dem Spätmittelalter in »allen Arten von Zusagungsurkunden, Einungen, Privilegienerteilungen« usw. üblich12. Die verfassungsrechtliche Sonderstellung der Wahlkapitulationen als eine Selbstverpflichtung des Herrschers, die von anderen, nämlich seinen Wählern, formuliert wurde, wird besonders deutlich beim Übergang vom Projekt der Beständigen Wahlkapitulation zu jener Karls VI. 1711 heißt es in der Perpetua stets, »der Römische Kaiser soll und will«, in der Wahlkapitulation Karls VI. an den gleichen Stellen: »Wir sollen und wollen«. Häberlin, damals ein bekannter Reichspublizist, schrieb 1792, die Wahlkapitulationen seien »größtenteils als das Resultat der sorgfältigsten Überlegungen nicht bloß einzelner Staatsmänner, sondern oft eines ganzen Staatsministeriums anzusehen. Man kann die Gesinnungen, die Grundsätze und das Staatsinteresse der einzelnen Kurhöfe am besten daraus kennen lernen und ohne sie wird man oft nicht im Stande sein, den Inhalt dieses Handbuchs teutscher Regenten, Staats- und Geschäftsmänner zu verstehen«13. Denn »zu keiner Zeit«, so meinte ein Zeitgenosse um 1792, sei wohl »mehr allgemeine Tätigkeit in den Ka7 Zitiert nach: Neuhaus, Die Römische Königswahl, S. 47. 8 Titulus I, § 15: Buschmann (Hg.), Kaiser und Reich, T. II, S. 137. 9 Francken (Hg.), Ihrer Röm. Kayserl. Majestät Francisci Wahlcapitulation, S. 6 f. Tatsächlich wurde das Werk jedoch vor der Wahl ausgehandelt. 10 Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 126. Becker, Wahlkapitulation, S. 106. Mohnhaupt, Gesetzgebung des Reiches, S. 100. 11 Buschmann, Die Rechtsstellung des Kaisers, S. 96. 12 Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 51. 13 Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. III.

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binetten deutscher Fürsten, als wenn die Nachricht von dem Ableben des bisherigen Oberhaupts des deutschen Reiches« bekannt werde14. König Friedrich II. von Preußen sprach angesichts des 1740 eingetretenen Interregnums von einer »Zeit der Crisis«. »Die großen Neuigkeiten, welche seit acht Tagen so rasch auf einander folgen, geben der Politik Beschäftigung und die öffentlichen Angelegenheiten beginnen einen so ernsthaften Gang anzunehmen, dass nicht eine gewöhnliche Klugheit dazu gehört, um sie zu leiten und dass, um das Richtige zu thun, man die Zukunft durchdringen und in dem Buch des Schicksals die Conjuncturen und Combinationen der kommenen Zeit lesen muß«15. Schlimmstenfalls kam es mit Eintritt eines Interregnums zu einem deutschen Thronfolgekrieg wie 1740. Immer aber waren die kaiserlosen Perioden in der Frühen Neuzeit erfüllt vom Ringen um den genauen Inhalt der neuen Wahlkapitulation. Es finden sich auch zeitgenössische Kritiker der Wahlkapitulationen wie Samuel von Pufendorf16. Man erkannte zudem die Mängel und Aporien der Wahlkapitulation. »Der beste Kaiser und wenn er vom Himmel herunter fiel, kann nicht alles halten und würde seine Regierung äußerst verhasst machen, den größten Widerstand finden, Gelegenheit zu innerlichen Unruhen im Reich geben […], wenn er alles halten wollte, wozu man ihn verpflichtet«17. »Die Wahlkapitulation fordert Dinge, welche unmöglich sind, oder solche, deren Beobachtung sich die Verfasser zuerst aus allen Kräften widersetzen würden«18. Die positiven Beurteilungen der wiederkehrenden Verfassungsrevisionen überwiegen aber. So urteilte Häberlin 1790: »Ohnstreitig hat das hohe Kurkollegium, wie die bisherige Geschichte der Verhandlungen zeigt, in der kurzen Zeit, da es wegen der Wahl versammelt war, sehr viel getan, gewiß mehr, als in fünfzig Jahren auf dem Reichstag geschehen sein würde«19. Zwar bestritt die Mehrzahl der Fürsten seit Beginn des 17.  Jahrhunderts, bestärkt durch Artikel VIII des Westfälischen Friedens von 1648 (IPO), das Recht der Kurfürsten, das Kapitulationsgeschäft allein zu bewerkstelligen. Hinsichtlich der Gültigkeit war jedoch entscheidend, dass das Reichsoberhaupt auch die strittigen, von den Fürsten und Ständen abgelehnten Teile beschwor. Die Kurfürsten durften aber nach der Mehrheitsmeinung der zeitgenössischen Staatsrechtslehrer keine Zusätze machen, welche die Rechte der Fürsten einschränken20. 14 Ebd., S. 1. 15 Friedrich II. an Algarotti, Remusberg, 2.  November 1740, in: Algarotti, Briefwechsel mit Friedrich II., S. 34. 16 Severinus de Monzambano Veronensis [=Pufendorf], De statu imperii germanici. 17 Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 23. 18 Ebd., S. 24. Auch moderne Verfassungen sind nicht frei von Widersprüchen, z. B. die beiden sich ausschließenden Wege zur deutschen Wiedervereinigung gemäß Artikel 23 bzw. 146 des Grundgesetzes. 19 Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. 360. 20 Moser, Betrachtungen über die Wahlcapitulation, S. 19 f.

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Die Wahlkapitulationen, die ab 1653 auch den Westfälischen Frieden in sich einschloss, war das zentrale Dokument für die Regelung der Beziehungen zwischen dem Kaiser und den Reichsständen sowie den Untertanen. Ohne diese Regelungen zu akzeptieren, konnte seit 1519 kein Kandidat mehr den deutschen Thron besteigen. »Die Wahl und diese Bedingungen stehen in einem unzertrennbaren Zusammenhang: will man das eine; so muss man auch das andre wollen«, erklärte der Patriarch des deutschen Staatsrechts, Johann Jacob Moser21. Denn die Stände wären dem Kaiser keinen Gehorsam schuldig in Sachen, in denen er seine Kapitulation übertrete. Solche Handlungen des Kaisers seien »nichtig, unkräftig und unverbindlich«22. »Jede neue Wahlkapitulation ist, wie schon lange bemerkt worden, eine pragmatische Geschichte der Regierung des vorigen Kaisers. Karls des fünften Wahlvertrag, dies nach aller Übereinstimmung unvergeßliche Denkmal der patriotischen Gesinnungen der damaligen Kurfürsten, ist sehr kurz, die neuesten sind Riesen dagegen«, wurde völlig zu Recht nach der 1790 erfolgten Wahl Leopolds II. konstatiert23. Im Vergleich zu ähnlichen Verträgen in anderen europäischen Staaten galten die Wahlkapitulationen der deutschen Kaiser schon den Zeitgenossen als etwas Besonderes. »Denn gleich wie kein Reich oder Staat in der Welt sonst zu finden, der dem Römischen Kayserthum, theils wegen seiner sonderbahren wohl eingerichteten Verfassung und Regimentsart, theils wegen derer Stände Hoheit und Präeminenzien, theils in andere Wege zu vergleichen. Also hat sothanes Heiliges Römisches Reich dieses vor anderen Reichen und Staaten auch billig zum voraus, dass desselben Wahlkapitulationen allen anderen dergleichen Verbindungen mit vorgezogen zu werden verdienen«24. Im Artikel »Constitution« der Encyclopédie heißt es 1754 zunächst, der Begriff »Verfassung« sei erst in der neueren Geschichte hervorgetreten. Dann jedoch wird mit Hinweis auf die fundamentalrechtlichen Gesetze die Verfassung des deutschen Reiches als der Inbegriff einer geschriebenen Verfassung bezeichnet25. Noch 1750 sprach man in französischen Publikationen von den 21 Ebd., S. 21. 1519 wurde im Reich erstmals ein Thronkandidat »auf eine sogenannte ›Wahlkapitulation‹ verpflichtet, und zwar vor seiner eigentlichen Wahl  – quasi als ›Eintrittspreis‹«: Kohler, Ferdinand I., S. 259. 22 Moser, Betrachtungen über die Wahlcapitulation, S. 22. 23 Bülow, Betrachtungen, S.  12. »Das die Masse und Verfassung der Regierung eines zeitgen Kaysers in dem Heiligen Römischen Reich Teutscher Nation aus nichts mehr hervorscheine, oder deutlicher anzunehmen seye, als aus derjenigen Verbindung, welche mit Ihm die Churfürsten vor sich und sämmtlichen Fürsten und Ständen des heiligen Reichs bey seiner Erweehlung zum Römischen König aufrichten, und die derselbe vermittels Eydes zu bestärken pflegt; solches bezeugt nicht nur die tägliche Erfahrung und die Sache selbst, sondern es kommen wohl auch darinnen die meisten Scriptores Juris Publici überein«, Zech, Gegenwärtige Verfassung, S. I. 24 Ebd., S. III. 25 Bd. 4, 1754, S.  65: »Constitution, (Hist. mod.) ce terme relativement à l’empire d’Allemagne, a deux significations différentes. Sous la premiere on comprend les lois générales

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deutschen Constitutionen, im Sinne der Vielzahl der Reichsfundamentalgesetze26. In der Encyclopédie wurden sie nun jedoch im Begriff »Constitution« zusammengefasst. Das ist eine Annäherung an unseren Sprachgebrauch, der sich hier im Französischen vor der Revolution am Beispiel der Reichsverfassung vollzog27. Der Artikel »Constitution« der Encyclopédie von 1754 nimmt bereits die emphatische Aufladung vorweg, die der Begriff Verfassung durch die ame­ rikanische und französische Revolution erhielt – eine Aufladung, die insbesondere auf ihre vernünftige Konstruktion und die Gewährleistung von Grundrechten gründet28. Hierbei ist noch heute die Kritik an der im Gegensatz zur Reichsverfassung nicht positivierten, sondern gewohnheitsrechtlichen französischen Verfassung nicht zu überlesen29. Im frühneuzeitlichen Frankreich gab es keine geschriebene Verfassung, keine elementaren rechtlichen Gewährleistungen für jedermann. In Frankreich gab es Lettres de cachet, das Lit de justice und Religionsprozesse. Wegen ihres Grundgesetzcharakters sind die kaiserlichen Wahlkapitulatio­ nen von vergleichbaren Herrscherverpflichtungen deutlich abgehoben. Gleichzeitig war sie jedoch 1519 in vielerlei Hinsicht zeittypisch. Während des Aufstandes der Comuneros und Germania wurden Karl 1515/16 von den kastilischen Cortes 88 Artikel überreicht. Sie glichen den traditionellen Gravamina der deutschen Nation30. Die Forderungen, Würden und Pfründen nur an Einheimische zu vergeben, die Landessprache exklusiv zu verwenden, den Abfluss von Ressourcen zu verhindern sowie nach Anwesenheit des Herrschers und nach Reformen im kirchlichen und politischen Bereich verdeutlichen gleich zu Beginn der Herrschaft Karls die Widerstände gegen die Bildung von Großreichen. Die Ähnlichkeit mit der deutschen Wahlkapitulation von 1519 ist auffallend. Einige dieser Forderungen fanden sich bereits in der englischen Magna Carta von 1215. So ist es nicht verwunderlich, dass die Wahlkapitulation von frühneuzeitlichen Staatsrechtlern häufig als deutsche Magna Carta bezeichnet wurde31. Man kann die ständige Weiterentwicklung der frühneuzeitlichen Reichs­ verfassung durch die Wahlkapitulationen entweder, in Anlehnung an Helmut

26 27 28 29 30 31

qui servent de regle à tout l’Empire, & que Melchior Goldaste a recueillies sous le titre de collectio constitutionum imperialium. La seconde signification de ce terme regarde l’état du gouvernement de ce vaste corps, & c’est en ce sens que nous avons dessein d’en parler ici«. Schmale, Das Heilige Römische Reich, S. 247. Würtenberger, An der Schwelle, S. 60. Müldener, Capitulation harmonique. Mohnhaupt / Grimm, Verfassung. Mohnhaupt, Verfassung (I), Konstitution, Status, Lex fundamentalis / Grimm, Verfassung (II), Konstitution, S. 831–862 und 863–899. Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider, S. 12 f. Burgdorf, Die Ursprünge des Konstitutionalismus. Kohler, Karl V., S. 62. »Die magna charta Germaniens«: Danz, Deutschland wie es war, S. 141 f. »Die alte Feste der Deutschen Freiheit« und »Magna Charta«, Schmelzer, Die kaiserliche Wahlkapitulation, S. III, VIII, XIV u. XLIII. »Magna charta der deutschen Nation« und »magna charta Germaniens« nannte sie auch Crome, Wahlcapitulation, S. I u. X.

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Neuhaus, als Beleg für die »Unausgetragenheit der Reichsverfassung, ihre Offenheit und Beweglichkeit« sehen32 oder aber als Ausdruck einer elastischen Stabilität, die auch essenzielle Krisen wie die Reformation, den Fürstenaufstand, den Dreißigjährigen Krieg oder das Aussterben der Herrscherdynastie überdauerte. Die seit 1711 ungemein prachtvoll mit Gold und Purpur ausgestatteten Wahlkapitulationen gehörten von Anbeginn an zu den Materialisierungen und Visualisierungen des Reichs, wie die Reiter und Wagen der Reichspost, deren Poststationen, die Türme und Rathäuser der Reichsstädte, die Kaisersäle der großen Abteien, die Porträts des jeweiligen Kaisers in den Audienzsälen der Reichsstände und nicht zuletzt der von Johann Bernhard Fischer von Erlach und seinem Sohn Joseph Emanuel errichteten Reichskanzleitrakt, der erhabenste Teil der kaiserlichen Residenz in Wien.

32 Neuhaus, Reichsständische Repräsentationsformen, S. 524 f.

3. Begriff und Synonyma der Wahlkapitulationen »Kapitulation« im frühneuzeitlichen Sprachgebrauch meint nicht Unterwerfung, sondern ein in Kapitel gegliedertes Dokument. Auch Verträge, welche Offiziere in der Frühen Neuzeit bei Dienstantritt abschlossen, nannte man damals »Capitulation«. Da die Wahlkapitulationen jedoch ursprünglich überhaupt nicht gegliedert waren und später nicht in Kapitel, sondern in Artikel unterteilt wurden, wurde in den Reichstagsverhandlungen über die Errichtung einer beständigen Wahlkapitulation 1665 vorgeschlagen, künftig nicht mehr den Begriff »Capitulation«, sondern »Artikulation« zu verwenden1. Die Bezeichnung »Capitulation« erinnerte auch an die Verfasser, denn analog zu den Domkapiteln deutscher Bischöfe wurden die Kurfürsten als Kapitel des Kaisers bezeichnet. Im ersten Entwurf der Wahlkapitulation Karls V. sprachen die Kurfürsten von sich »als dem Capitel eines Römischen Königs«2. Der König verpflichtete sich zudem nicht einzelnen Kurfürsten, sondern »capitulariter« dem Kolleg gegenüber, welches als Repräsentant des Reiches handelte3. Drucke der Wahlkapitulation aus der Zeit Karls V. tragen den Titel »Die Verschreibung und Verwilligung des allerdurchlauchtigsten und Großmächtigsten Herrn Carl, Römischer Kaiser gegen dem heiligen Reich«4. Man nannte das Vertragswerk auch schlicht »Punkte«, »kaiserliche Artikel«, »Obligation«, »Lex Regia«5 oder auch »Norma Regiminis«6. Wenn hingegen eine mittelalterliche Urkunde im Findmittel eines Archives als Kapitulation verzeichnet ist, beispielsweise »Pfalzgraf Ruprecht stellt den drei rheinischen Kurfürsten eine Wahlkapitulation für seine Königswahl aus«, 20. August 14007, dann handelt es sich um eine anachronistische Beschriftung von Archivaren des 19. oder 20. Jahrhunderts. Die Wahlkapitulation ist gemäß der einhelligen Meinung der Staatsrechtler des 17. und 18. Jahrhunderts immer eine Verpflichtung des Gewählten gegenüber dem Kurkolleg insgesamt, das für das ganze Reich handelt8. Bei der Urkunde Ruprechts handelt es sich jedoch nur um eine Partikularverabredung. 1 Votum Minden in der Fürstenratssitzung vom 21.  August 1665, zitiert nach Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S 104. 2 Pick, Bemühungen, S. 3. 3 Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S 104. 4 Ohne Herausgeber, Ort und Jahr, wohl 1519. 5 Reineccius, Disputatio inauguralis. 6 Riegger, K. Joseph des II. harmonische Wahlkapitulation, T. II,, S. 15. »Die Kapitulationes, die eigentlich nichts anderes sein sollen, als eine dem erwählten Kaiser, zu Konservation der Reichsgesetze und gesamter Stände Freiheiten und Gerechtsame, vorgeschriebene Norma regiminis«, ebd. S. 59. 7 Landeshauptarchiv Koblenz (LHAKo) Bestand 1A, Nr.  6731. Zeumer, Quellensammlung, Nr. 114: Die sog. Wahlkapitulation Adolfs von Nassau, 1292, April 27, S. 145–148. 8 Duchhardt, Verfassungsgeschichte, S. 90–92.

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Das erste Blatt der Wahlkapitulation Karls V. ist links oben zeitgenössisch mit »Capitulatio Caroli V. 1519« betitelt.9 Bei Ferdinand I. lautet die Aufschrift 1531 »Capitulatio und Revers König Ferdinands 1531«. Der Begriff Kapitulation findet sich 1619 erstmals auch im Text einer Wahlkapitulation, und zwar in einem neuen Zusatz zu Artikel XLIII, in dem der Neoelectus Ferdinand II. sich verpflichtete, auch die Mitglieder der Reichsadministration und -justiz auf die Wahlkapitulation zu vereidigen. In der Publizistik wurde auch der Begriff »Wahlvertrag« verwandt10, ebenso in der Wahlkapitulation Leopolds II.11 und im zweiten Kurfürstlichen Kollegialschreiben. Die frühe Verwendung der Begriffe »Capitulatio«, »Wahlvertrag« bzw. von Synonymen dieser Begriffe für die Wahlkapitulation Karls V.12 nimmt die Staatsvertragstheorien des 17. Jahrhunderts vorweg, wie sie nach antiken Vorläufern erstmals von Johannes Althusius, Hugo Grotius, Thomas Hobbes und John Locke entwickelt und im 18. Jahrhundert von Montesquieu, Rousseau und den Autoren der Federalist Papers ausgebaut wurden. Johannes Althusius, der erste in der chronologischen Reihe dieser Staatsvertragstheoretiker, war räumlich wie auch in seiner publizistischen und administrativen Praxis eng mit dem Reich assoziiert. Fritz Hartung definierte die Wahlkapitulationen als »Verträge zwischen den Wählern und dem Gewählten in der Gestalt einer einseitigen Willenserklärung des Gewählten«13. Die Wähler prätendierten dabei, als Vertragspartner als Repräsentanten des gesamten Reiches zu handeln. Auch in der Resignationsurkunde Kaiser Franz᾽ II. vom 6. August 1806 erscheinen die Begriffe »Wahlkapitulation«, »Wahlvertrag« und »Constitution« an entscheidender Stelle synonym. Der Kaiser begründete seine Resignation damit, dass er die in seinem »Wahlvertrag« übernommenen Pflichten nach der Auflösung des Reiches durch den Austritt der Rheinbundfürsten und die Erklärung Napoleons, die Reichsverfassung nicht mehr anzuerkennen, nicht länger erfüllen könne. Er entließ die Mitglieder des Reiches und das Personal der Reichsinstitutionen aus den Eiden, durch welche sie an ihn bzw. an die »Constitution« gebunden waren14. In verfassungsrechtlicher Hinsicht begann die Frühe Neuzeit in Deutschland mit dem Eid des Herrschers auf die Wahlkapitulation und endete mit der Aufhebung der eidlichen Bindungen an die »Constitution«. Die Wichtigkeit der Wahlkapitulation »ergibt sich aus ihrem Inhalt. Sie bestimmt nämlich, wie weit des Kaisers Gerechtsame und Pflichten in allen Stü9 Bei der kurpfälzischen Überlieferung in München steht auf dem Titelblatt hingegen »keyser carls verschreibung 1519«, BayHStA München, Kurpfalz Urkunden 108. 10 Z. B.: Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. III. 11 Artikel  I § 9. 12 Z. B.: Bülow, Betrachtungen, S. 12, mit Bezug auf die Kapitulation Rudolfs II. sowie S. 316. 13 Hartung, Wahlkapitulationen, S. 324. 14 Zeumer (Hg.), Quellensammlung, Nr. 217: Erklärung des Kaisers Franz II. über die Niederlegung der deutschen Kaiserkrone, 1806, Aug. 6, S. 538–539. Buschmann (Hg.), Kaiser und Reich, T. II, S. 380.

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cken unserer Reichsverfassung sich erstrecken sollen oder nicht«15. Ebenso wurden jedoch auch die Rechte und Pflichten der Reichsglieder in der Wahlkapitulation festgesetzt. Seit 1519 wurden die bestehenden und noch folgenden Reichsgrundgesetze durch die jeweilige Wahlkapitulation zu einer gemeinsamen Textur verwoben. Die deutschen Wahlkapitulationen bilden daher einen einheitlichen, umfassend normierenden Verfassungstext avant la lettre. Denn bereits in der ersten Wahlkapitulation von 1519 wurden die früheren Fundamentalgesetze bestätigt. Unter Verfassung wird hier ein Text zur Staatsorganisation verstanden, der auch die Rechte der Staatsglieder und des Volks bestimmt. Ab 1555 galt der Religionsfrieden als »das Fundament nostrae Reipublicae«, wie es der kurbrandenburgische Wahlbotschafter 1612 formulierte16. Schon 1612 hatte Kurbrandenburg vorgeschlagen, dessen Bedeutung zu unterstreichen, indem man ihn in der Wahlkapitulation als »ewiges Band« hervorhebe. Aber erst 1653 wurde er in der Wahlkapitulation »als ein immerwehrendes Bandt zwischen Haubt unnd Gliedern« bezeichnet17. Daraus wurde 1658 endlich »ein immerwehrendes Bandt zwischen Haubt undt Glidern undt den Gliedern unter sich selbst«18. 1612 befand man sich keineswegs alternativlos am Vorabend eines Dreißigjährigen Religionskrieges. Ab 1653 hieß es dann regelmäßig mit Bezug auf die älteren Grundgesetze, das neugewählte Reichsoberhaupt wolle sie halten, »als wenn sie dieser Kapitulation von Wort zu Wort einverleibt« wären19. Kursachsen hatte schon in der Sitzung vom 3. März 1558 verlangt, dass der Religionsfriede der Wahlkapitulation »eingeleibt« werde20. Ganz treffend sprach Günther Lottes daher von der »Inventarisierungsfunktion« der Wahlkapitulationen21. Ähnlich betonte August Siemsen schon 1909, »das Hauptmoment einer Weiterbildung der Reichsverfassung« lag nach 1648 »in den Wahlkapitulationen«22. Die Geltung der früheren Reichsgrundgesetze ist besonders dadurch hervorgehoben, dass sie bereits am Anfang der jeweiligen Wahlkapitulationen erklärt wird. Zudem ist Artikel II, Paragraph 3, der ab 1742 ganz der Einhaltung der Reichsverfassung gewidmet ist, einer der längsten Einzelparagraphen der Wahlkapitulation. Die Wahlkapitulationen verstanden seit 1653 die statischen »Leges fundamentales« wie die Goldene Bulle (1356), den Augsburger Religionsfrieden (1555), den Westfälischen Frieden (1648) und später auch den Jüngsten Reichsabschied (1654) als »von Wort zu Wort« in ihren jeweiligen Text ein­gerückt und reagierten zudem auf den in der Regierungszeit des vorhergehenden Kaisers 15 16 17 18 19 20 21 22

Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 6. Müldener, Capitulatio Harmonica, S. 44. Ebd., S. 44. Artikel II. Artikel  II, § 3. Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S 150. Lottes, Herrschaftsvertrag, S. 145. Siemsen, Kur-Brandenburgs Anteil, S. 2.

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offenkundig gewordenen Reformbedarf. Insofern waren 1495, 1519, 1619 und 1653 »konstitutionelle Momente« der Reichsgeschichte, ohne dass sie jedoch schon eine Verfassung im modernen Sinn hervorbrachten. Sie waren insofern typische »konstitutionelle Momente«, als die Zeitgenossen die besondere Veränderung oft nicht wahrnahmen und ihre Bedeutung erst rückblickend offensichtlich wurde23. Da die Wahlkapitulationen die über Jahrhunderte entstandene komplexe Verfassung des Reiches in einem Text zusammenfasste, verglich der Verfassungshistoriker Fritz Hartung sie schon 1911 mit »modernen Verfassungsurkunden«. Die Wahlkapitulation ist die Verfassung des Reiches, aber in einem vordemokratischen Sinn. Als Grundgesetz des Reiches ordnet sie dessen organisatorischen Aufbau, territoriale Gliederung sowie die Beziehung zu den Territorien und das Verhältnis zu seinen mittelbaren und unmittelbaren Untergebenen, deren wichtigste Rechte und Pflichten gegenüber der Obrigkeit sowie untereinander. Zudem bindet die Reichsverfassung die durch sie konstituierten Gewalten des Reiches an sich als oberste Norm. Insofern ist auch die in der Wahlkapitulation zusammengefasste Reichsverfassung eine Verfassung, wenn auch keine Verfassung im heutigen Sinn. In der Sicht der Zeitgenossen zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand zwischen den damals »modernen« Verfassungen und den kaiserlichen Wahlkapitulationen kein grundsätzlicher Gegensatz. So wurde die französische Konsulatsverfassung von 1802 in der deutschsprachigen Publizistik auch als Napoleons Wahlkapitulation bezeichnet24. Verfassungen im modernen Sinn, als politische und gesellschaftliche Grundordnung des Staates, gibt es jedoch erst seit der Verabschiedung der Konstitution von Virginia 1776. Den Wahlkapitulationen fehlt das wesentliche Charakteristikum moderner Konstitutionen: die Partizipation des Volkes an der Staatsgewalt. Die Wahlkapitulationen in den Wahlstaaten Europas waren aber ein wichtiger Vorläufer der modernen Verfassungen. Es gab sie im Alten Reich, in vielen geistlichen Herrschaften25, in Venedig sowie in den Königreichen Böhmen, Ungarn, Dänemark, Schweden und Polen26. Auch die gewählten Hetmane der­ Saporoscher Kosaken, einer Formation, die heute als Vorläufer der Ukraine gilt, mussten wie Pylyp Orlyk 1710 Wahlkapitulationen unterzeichnen.

23 24 25 26

Zur Erläuterung des »constitutional moment«: Ackermann, We the People. [Anonym]: Bonapartens Wahl-Capitulation. Vierhaus, Wahlkapitulationen, S. 205–219. Krzistanowitz, Curieuse Beschreibung. »Ein europäischer Vergleich nimmt der deutschen Wahlkapitulation von 1519 jeglichen sensationellen Charakter«: Duchhardt, Verfassungsgeschichte, S.  91. Einzigartig war jedoch, dass ihre Nachfolger zu unbestrittenen »Leges fundamentales« aufstiegen. Boldt, Verfassungsgeschichte, Bd.  1, S.  259, verweist auf die Vergleichbarkeit der Wahlkapitulation mit »Freiheitsbriefen und Herrschaftsverträgen in den ständestaatlichen Territorien«.

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Anfang des 18. Jahrhunderts erläuterte ein Reichspublizist, die Wahlkapitulation sei »ein kurzer Begriff aller übrigen Reichs-Grund-Gesätze«, in ihr seien sämtliche Reichsgrundgesetze, d. h. die gesamte Verfassung, als deren »Mittelpunkt« »konzentriert«27. Die Mehrheit der Staatsrechtler des 17. und 18. Jahrhunderts maß der Wahlkapitulation den Charakter einer Verfassung bei. Sie erfüllte zwar nicht alle Erwartungen, die im konstitutionellen Zeitalter an eine Verfassung gestellt wurden. Solche Erwartungen wurden vor 1789 in der Regel aber auch nicht an sie herangetragen. Für die Gliederung der Wahlkapitulationen in sechs thematische Bereiche hat Günther Lottes anhand der Perpetua einen sinnvollen Vorschlag gemacht. »Erstens in den Artikeln I bis VI die Staatsverfassung, zweitens in den Artikeln VII bis IX die Wirtschaftsverfassung, drittens in den Artikeln X und XI die Lehnsverfassung, viertens in den Artikeln XII, XIII und XV die Regierungsorganisation, fünftens in den Artikeln XVI bis XXI das Gerichtswesen, sechstens in den Artikeln XXII bis XXIX Selbstverpflichtungen im Bereich der Jura reservata. Im letzten Artikel verpflichtet sich der Kaiser, alle seine Ministri und Räte auf die Kapitulation zu vereidigen«28.

27 Zech, Gegenwärtige Verfassung, S. I f. 28 Lottes, Herrschaftsvertrag, S. 143.

4. Forschungsstand Die sympathischste Ausformung des Nationalstolzes ist mit Ironie verbunden. Jean Paul gehört zu den Repräsentanten dieser Form des Patriotismus. »Weiset mir doch nur überhaupt ein Territorium auf, dem ein ebenso langes Parlament, nämlich ein längster Reichstag bescheret ist, gleichsam eine außerordentlich heilsame pillula perpetua (Fußnote: Diese Pille besteht aus Spießglaskönig und wird ihrer Festigkeit wegen stets von neuem mit altem Erfolge gebraucht; man schüttet bloß vorher einen Aufguß von Wein darüber), die der Patient unaufhörlich einnimmt und die ihn unaufhörlich ausreinigt; und wem fällt dabei nicht ebenso gut wie mir die capitulatio perpetua und überhaupt das Reichscorpus als perpetuum immobile aus Gründen ein?«1 Die Wahlkapitulation war nach Meinung der zeitgenössischen Staatsrechtler das wichtigste Reichsgrundgesetz, und so stand sie auch bei der Auflösung des Reiches ein letztes Mal im Mittelpunkt. Kaiser Franz II. musste den demütigenden Umstand kaschieren, dass er die Kaiserkrone aufgrund eines Ultimatums Napoleons niederlegte. Er erklärte also, dass er durch die Ereignisse des 1. August 1806, den Austritt der Rheinbundstaaten aus dem Reich, und durch die vorhergehenden Ereignisse »im deutschen Reiche« nicht mehr in der Lage sei, die in »der kaiserlichen Wahlcapitulation« übernommenen Pflichten zu erfüllen2. Erst mit dem Ende des Reiches 1806 verfinsterte sich, parallel zur abnehmenden Wertschätzung des Reiches, auch das Ansehen der Wahlkapitulationen. Mit Bezug auf Karl V. hieß es in einer Flugschrift zum Wiener Kongress: »In den Wahlkapitulationen, die damals ihren Anfang nahmen, legte man dem Kaiser schwere Pflichten auf, und in eben diesen Vorschriften bot man alles auf, um ihm die Macht zu deren Erfüllung abzuschneiden«3. Der Verfasser sah die Hauptverantwortung dafür bei den geistlichen Kurfürsten, die, aus dem Privatstand erhoben, von einem unermesslichen Stolz erfüllt gewesen seien. Immerhin räumte er ein, dass die protestantischen Gesandten eine gewisse Mitschuld trügen4. Er hoffte, dass »dieses ewige Kapitulieren und dieses ewige Einschnüren des Reichsoberhaupts jetzt ein Ende« habe. »Hoffentlich bekommen wir nun einen von edlen Staatsmännern verfassten, und von den erhabenen Regenten selbst durchgelesenen Staatsvertrag, der der Majestät des Kaiserthrons, so wie der Hoheit und Würde der Reichsstände gemäss ist, d. h. der die Rechte und Pflichten des Reichsoberhaupts gegen die Stände und 1 2 3 4

Jean Paul, Titan, S. 31. Erstmals in vier Bänden 1800–1803. Buschmann (Hg.), Kaiser und Reich, T. II, S. 380 f. [Schwarzenau], Blicke eines teutschen Publicisten, S. 9. Ebd., S. 11.

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Untertanen, aber auch die Pflichten dieser gegen den Kaiser kurz darstellt und ein für alle Mal festsetzt«5. Ebenso sei die »Reichsarmee eine Missgeburt«, lächerlich gegen Ludwig XIV., Ludwig XV. und Friedrich II. wie gegenüber den Jakobinern, aber Napoleon habe die Deutschen von Sieg zu Sieg geführt, die gleichen Deutschen, »aber es waren keine unter wahlkapitulationsmäßiger Verkrüppelung gelähmte« Deutsche6. Daher müsse auch der »durch die Wahlkapitulation an Händen und Füßen gebundene Kaiser« mehr exekutive Macht erhalten7. Es treibe einem »die Schamröte ins Gesicht«, wenn man in den alten Wahlkapitulationen lese, »wie die Stände des Reichs ihrem erhabenen Oberhaupt die Hände zusammen­ knebeln, und ihn nicht als ihren Herrn, sondern ohngefähr wie ihren Aufwährter behandeln«8. »Selbst eine Kapitulation im eigentlichen Sinn setzt doch noch wechsel­ seitige Pflichten fest, die dem Reichsoberhaupt Hände und Füße umschlingen, und die ihm sogar die Erfüllung der Pflichten unmöglich machen, die ihm die Wahlkapitulation selbst vorgeschrieben sind. Weg also mit diesem Modell zu einer neuen Konstitution!!«9 Die dann von dem Verfasser entworfene »Reichskonstitution« lehnt sich jedoch formal und im Aufbau stark an die älteren Wahlkapitulationen an. Als Verfasser des Entwurfs wünschte sich der Publizist den ehemaligen Mainzer Premierminister Freiherrn von Albini, der an verschiedenen Entwürfen für eine Rheinbundverfassung mitgewirkt hatte und als erster Präsidialgesandter am Deutschen Bundestag vorgesehen war10. Noch zu Zeiten des Wiener Kongresses war die Wahlkapitulation Bezugspunkt des Verfassungsdiskurses. Am Ende der Frühen Neuzeit verbanden die Menschen mit dem Namen »Kapitulation« die heutige Bedeutung. Das war dem retrospektiven Ansehen der Reichsverfassung nicht günstig. »Schon der Nahme Kapitulation gefällt mir nicht«, schrieb ein deutscher Publizist während der Verfassungsverhandlungen des Wiener Kongresses11. Mit Blick auf die alten Wahlkapitulationen forderte dieser Publizist, eine »mit Kürze, Präcision, und in einer planen, allgemein verständlichen Schreibart abgefasste« neue »Reichskonstitution«12. Nachdem sich nach 1806 mit dem Bild des Reiches auch das seiner Verfassung rasant verfinstert hatte, verschwanden die Wahlkapitulationen bald ganz aus dem Fokus. Sie wurden bislang von Historikern, Juristen und Germanisten äußerst stiefmütterlich behandelt, obwohl sie ein enormes heuristisches Potential beinhalten. Der Forschungsstand zu den Wahlkapitulationen ist bis5 6 7 8 9 10 11 12

Ebd., S. 12. Ebd., S. 38 f. Ebd., S. 41. Ebd., S. 59, ähnlich S. 85. Ebd., S. 89. Ebd., S. 96. Menzel, Franz Josef von Albini, S. 1–126. [Schwarzenau], Blicke eines teutschen Publicisten, S. 11, S. 18. Ebd., S. 97.

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lang übersichtlich. Zwar schrieb Johann Gustav Droysen 1870, bereits die Bestimmungen der Wahlkapitulation von 1519 umfassen »alle Fragen des öffentlichen Rechts«13. Eine entsprechende Beachtung fand die Wahlkapitulation von 1519 und ihre Nachfolgerinnen jedoch nicht. Ferdinand Frensdorff ging 1899 in einem Beitrag über »das Reich und die Hansestädte« auch auf die Wahlkapitulationen ein14. Eingangs erläutert er, »die Wahlkapitulationen der deutschen Könige, einst zu den Reichsgrundgesetzen gezählt, ja als das wichtigste unter ihnen betrachtet, werden heute von Juristen und Historikern nur noch selten zur Hand genommen«15. »Das Reichsstaatsrecht der letzten Jahrhunderte ist wissenschaftlich wenig beliebt. […] Und doch ist es ein Gebiet, das der rechtshistorischen Bearbeitung auch vom Standpunkt der heutigen Wissenschaft ebenso fähig als würdig ist. Nur muss man nicht bei den äußeren Formen des Reichsstaatsrechts stehen bleiben, sondern seine Verbindung mit dem in den Territorien durchgeführten Rechte, seine Anwendung im Leben aufsuchen«16. August Siemsen widmete 1909 »Kur-Brandenburgs Anteil an den kaiserlichen Wahl-Kapitulationen von 1689 bis 1742« eine Untersuchung und stellte einleitend fest, »überhaupt sind die Wahlkapitulationen von der modernen Geschichtsschreibung vernachlässigt, während sie den Zeitgenossen als höchst wichtige Reichsgrundgesetze galten«17. Bemerkenswert ist hier das Kapitel über »kaiserfreundliche Änderungen der Kapitulation«, welches zeigt, dass die Geschichte der Walkapitulationen nicht zwangsläufig eine Einbahnstraße zur Verkleinerung der kaiserlichen Macht sein musste18. Besonders in die Wahlkapitulation Josephs I. wurde 1690 eine Reihe von kaiserfreundlichen Bestimmungen aufgenommen, wenngleich es Leopold I. nicht gelang, seinen damals elfjährigen Sohn schon ab vierzehn, statt, gemäß der Goldenen Bulle, ab achtzehn Jahren für regierungsfähig erklären zu lassen. Nur außerhalb der Wahlkapitulation sicherte die Mehrheit der Kurfürsten, außer Brandenburg, dem Kaiser zu, seinen Sohn mit sechzehn Jahren für regierungsfähig anzusehen19. Christoph Kampmann resümiert 2012, »der gesamte Charakter der Wahlkapitulation als Selbstverpflichtung des Gewählten, die in Ritual und Schriftlichkeit betont wurde, stand durch die Kür eines unmündigen Kindes in Frage«20. 1911 konstatierte auch Fritz Hartung anlässlich des zweihundertsten Jahrestages der Fertigstellung des Entwurfs der Perpetuierlichen Wahlkapitulation, dass von allen Einrichtungen des alten Reiches »kaum eine von der neueren 13 Droysen, Geschichte der preußischen Politik, II. Teil, II. Abt., S.  87, zitiert nach: Wurtzbacher-Rundholz, Kaiser und Reich, S. 99. 14 Frensdorff, Das Reich und die Hansestädte, S. 115–126, Zum Verfassungseid, ebd. S. 120. 15 Ebd., 115. 16 Ebd., 163. 17 Siemsen, Kur-Brandenburgs Anteil, S. 4. 18 Ebd., S. 28–31. 19 Ebd., S. 31 f. Kampmann, Ein Neues Modell, S. 225. 20 Ebd., S. 226.

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Forschung derart vernachlässigt worden ist wie die kaiserlichen Wahlkapitulationen«21, obwohl allein durch sie das Reich seit 1519 »eine festumschriebene Verfassung« besaß22. Hartung wies auch auf ein grundlegendes Problem der frühneuzeitlichen Editionen hin. Schon der erste Nachdruck der Wahlkapitulation Karls V. aus der Zeit des Schmalkaldischen Krieges enthielt Textmanipulationen im antikaiserlichen Sinne23. Die noch immer grundlegende Monographie zum Thema legte der Rechtshistoriker Gerd Kleinheyer 1968 vor und konstatierte ein »Vorurteil gegenüber den Wahlkapitulationen«24. Mit Blick auf die bisherige Forschung stellte Kleinheyer fest: »Die Wahlkapitulationen werden oft mit den modernen Verfassungsurkunden, der Eid des Kaisers auf die Kapitulation mit dem Verfassungseid des konstitutionellen Monarchen oder des Staatsoberhaupts verglichen. In der Tat sind beide in mancher Hinsicht ähnlich, und doch lassen sich die grundsätzlichen Unterschiede nicht übersehen«25. Einen wesentlichen Unterschied sieht Kleinheyer im Zustandekommen der Kapitulationen. »Für den König verbindliches Recht konnte aber nur in der Weise gesetzt werden, daß der König selbst mitwirkte. Auch in der Zeit größter Ausdehnung der ständischen Mitwirkungsrechte konnte der König nicht ohne seine Zustimmung gebunden werden, er war in diesem Sinne Quelle allen gesetzten Rechtes. Die erforderliche Zustimmung zur Festlegung seiner Regierungsbefugnisse gab der König mit der Annahme der Wahlkapitulation. Der Kapitulationseid war also rechtsbegründend, und zwar in doppelter Hinsicht: er legte einmal grundsätzlich die Pflichten des regierenden Kaisers fest und band andererseits den Gewählten an diese Pflichten«26. Eine »moderne« Verfassung hingegen gelte bereits vor dem Eid des Monarchen. Die Wahlkapitulationen seien in dieser Hinsicht eher mit spätmittelalterlichen Herrschaftsverträgen zu vergleichen. »Letztlich ist die Fortentwicklung des Verfassungsrechts durch Übereinkunft zwischen Kaiser und Reichsständen nur Ausdruck eines personalen Staatsdenkens, das sich in Resten noch im monarchischen Konstitutionalismus findet«27. Andererseits habe die Reformation zur Ausbildung eines »transpersonalen, vom Kaiser abstrahierenden Staatsbegriff im Reich« beigetragen28. Ab 1558 verpflichtete sich der Kaiser zur Einhaltung der älteren Reichsgrundgesetze, ohne sie wie noch 1519 und 1531 lediglich erneut zu konfirmieren. »So hatte die Wahlkapitulation sich zu dem Grundgesetz entwickelt, das die Geltung der anderen Reichsgrundgesetze als ›perpetua lex et sanctio pragmatica‹ unterstrich und sicherte«29. 21 22 23 24 25 26 27 28 29

Hartung, Wahlkapitulationen, S. 306. Ebd., S. 322. Ebd., S. 307. Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S 68. Ebd., S 135. Ebd., S 136. Ebd., S 141. Ebd., S 144. Ebd., S 146.

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1969 stellte Eckhart Pick »die Bemühungen der Stände um eine beständige Wahlkapitulation und ihr Ergebnis 1711« vor30. Pick referiert: »Die Frage der kaiserlichen Wahlkapitulationen hat dagegen obgleich unbestritten eine der wichtigsten Quellen des Reichsstaatsrechts darstellend, keine besondere Beachtung gefunden. Dies erstaunt um so mehr, als gerade die Wahlkapitulation im Brennpunkt staatsrechtlicher und politischer Auseinandersetzungen stand und als Paradebeispiel des Versuchs anzusehen ist, faktische Machtkonstellationen de jure – also verfassungsrechtlich – zu verankern«31. In Hinblick auf die publizistische Resonanz in der Frühen Neuzeit bezeichnet Pick die »kaiserliche Kapitulation als eines der verfassungsrechtlichen Zentralprobleme des Reichs«32. Aber »der Versuch, mit ihrer Hilfe Kaiser und Kurfürsten zu einer Abgrenzung ihrer Rechtspositionen zu veranlassen, scheiterte an deren Desinteresse am Reich, in dem schließlich auch die übrigen Stände von einiger Bedeutung ihre politische Heimat nicht mehr erblickten«33. »Für die Lösung der großen Probleme der Zeit konnte die Kapitulation kein Rezept bieten«34. Diese Sicht ist noch ganz in der älteren borussischen Geschichtsauffassung verhaftet. Auch Anton Schindling beschäftigte sich intensiv mit der Entstehung des Entwurfs einer beständigen Wahlkapitulation, ein Prozess, der ganz wesentlich war für »die Anfänge des Immerwährenden Reichstages zu Regensburg«35. Der Immerwährende Reichstag verdankte seine Geburt der Prokrastination, er entstand zwischen Handlungsaufschub und Erledigungsblockade und wurde so zu einer permanenten Clearingstelle. 1977 widmete Rudolf Vierhaus Herrschaftsverträgen, Wahlkapitulationen und Fundamentalgesetzen einen Sammelband, zu welchem auch Gerhard Oest­reich einen Beitrag leistete: »Vom Herrschaftsvertrag zur Verfassungsurkunde. Die ›Regierungsformen‹ des 17. Jahrhunderts als konstitutionelle Instrumente«36. Oestreich stellt die moderne Staatsvertragslehre ausgehend von der Bartholomäusnacht 1572 und der calvinistischen Widerstandslehre dar. »So reifte aus der calvinistisch-ständischen Lehre eine allgemeine Vertragstheorie des politischen Daseins heran, die weiterwirkend das frühneuzeitliche Naturrechtsdenken und die für das Naturrecht konstitutive Lehre vom Staatsvertrag bis zur Aufklärung beeinflußte«37. Oestreich konstatierte eine Häufung von »schriftlichen Festlegungen« der Regierungsform um 1650, die er als »Übergangsformen zum modernen Verfassungsstaat« bezeichnete38. Die Wahl­ 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Pick, Bemühungen. Ebd., S. 1. Die Monographie von Kleinheyer konnte von Pick nicht mehr berücksichtigt werden. Ebd., S. 25. Ebd., S. 192. Ebd., S. 192. Schindling, Die Anfänge, S. 134–156. Oestreich, Vom Herrschaftsvertrag, S. 45–67. Ebd., S, 48. England 1653, Schweden 1634, Deutsches Reich 1648 wie in dessen Territorium Pommern 1634 und im Herzogtum Preußen 1661. Ebd., S. 51.

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kapitulationen zählten seit 1519 »zu den großen Vertragsurkunden der ständischen Verfassung des Reiches, zu den Grundgesetzen, bevor der Begriff existierte«, einem »der wichtigsten Vorläufer der heutigen Verfassungen«39. 1981 beschäftigte sich Ingrid Wurtzbacher-Rundholz in zwei Beiträgen mit den Wahlkapitulationen Karls V. und Maximilians II.40. Einleitend stellt sie fest: »Die Kausalität von Politik und Recht ist auffallend, denn die Bindungen des Kaisers und der Reichsstände werden auf der Reichsebene geregelt«41. Wurtzbacher-Rundholz charakterisiert die Wahlkapitulation als »ein Bollwerk, welches die Reichsstände für sich errichtet hatten. Die vertragsmäßige Begrenzung kaiserlicher Rechte, die 1486 versäumt worden war, sollte bei der Königswahl Karls V. 1519 nachgeholt werden«42. Der Regelung der Königswahl zu Lebzeiten eines Kaisers in der beständigen Wahlkapitulation und deren Interpretation in der Staatsrechtsliteratur des 18. Jahrhunderts hat Hans-Michael Empell 1994 einen Beitrag gewidmet43. Empell stellt fest, dass die neuere rechtshistorische Literatur dem Thema ganz im Kontrast zur Reichspublizistik keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt habe44. Gleichwohl erscheint sein Urteil etwas einseitig, die Regelung sei »auf der Linie der Verträge« vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Westfälischen Frieden zu sehen, »die einen Sieg der ständischen Libertät über den Kaiser darstellen«45. Immerhin hätten sich im Reich auch mit Hilfe der Constitutio I »Vorformen moderner Staatlichkeit« entwickelt46. Arno Buschmann, der auch den Entwurf der Perpetuierlichen Wahlkapitulation edierte, publizierte 1996 einen Beitrag zur »Rechtsstellung des Kaisers nach dem Projekt einer Capitulatio Perpetua vom 8.  Juli 1711«47. Das Projekt habe bislang in der verfassungsgeschichtlichen Forschung nur »wenig Be­achtung gefunden«, eine Monographie fehle, in den gängigen Verfassungsgeschichten werde es nur »am Rande« erwähnt48. Dies stehe in einem Kontrast zu ihrer Bedeutung in der Reichspublizistik des 18. Jahrhunderts. Der Beitrag beschränkt sich freilich weitgehend auf eine Inhaltsangabe. Zudem wird hervorgehoben, dass die Perpetua nur bestehendes Recht zusammenfasse, kein neues schöpfe. Buschmann kommt zu dem Schluss, dass die Perpetua die kaiserliche »Macht39 Ebd., S. 60 f. 40 Wurtzbacher-Rundholz, Kaiser und Reich. 41 Ebd., S. 7. 42 Ebd., S.  99. Die Wiedergabe des Inhalts der beiden Kapitulationen durch WurtzbacherRundholz ist jedoch öfters ungenau, so z. B. die Aussage, in der Wahlkapitulation Maxi­ milians II. fehle ein Artikel zur Reichsacht. Ebd., S.  120. Die Reichsacht regelte 1562 Artikel XXIV. 43 Empell, De eligendo regis, S. 11–38. 44 Ebd., S. 11. 45 Ebd., S. 23. 46 Ebd., S. 24. 47 Das Projekt einer beständigen Wahlkapitulation vom 8. Juli 1711, in: Buschmann (Hg.), Kaiser und Reich, 2. T., 274–316. Ders., Die Rechtsstellung des Kaisers, Wien 1996, S. 89–116. 48 Ebd., S. 89.

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vollkommenheit« nicht substantiell einschränkte49. Da die Perpetua und die nachfolgenden Wahlkapitulationen »keineswegs die gesamte Rechtsstellung des Kaisers zum Gegenstand« hätten, können sie nicht, wie es gelegentlich dargestellt werde, als »Gesamtverfassung des Reiches« gelten50. Ebenfalls 1996 stellte Helmut Neuhaus die Frage nach dem »Herrschaftsübergang« von Karl V. zu Ferdinand I.51. Es waren die drei protestantischen Kurfürsten, die eine Neuverhandlung der Wahlkapitulation von 1531 und die Verankerung des Augsburger Religionsfriedens, der Reichskammergerichtsund Reichsexekutionsordnung in der neuen Kapitulation durchsetzten. Die Kurfürsten insgesamt stellten so sicher, dass Ferdinand das Kaisertum nicht durch die Abdankung seines Bruders, sondern durch sie erhalten habe. Ein Jahr später widmete sich Neuhaus dem Phänomen der »Römischen Königswahl vivente Imperatore in der Neuzeit« bzw. dem »Problem der Kontinuität in einer frühneuzeitlichen Wahlmonarchie«52. Tendenziell waren Interregna der Verfassungsrevision im Sinn der Kurfürsten günstiger als eine Wahl zu Lebzeiten des Kaisers. Dennoch kam es wie 1562 oder 1575 wiederholt vor, dass die Initiative zur Königswahl vivente Imperatore nicht vom Kaiser, sondern von den Kurfürsten ausging, die damit einer kollegialen Gesamtverantwortung für das Reich nachkamen53. 1612 kam es zwar nicht mehr zu einer Wahl vivente Imperatore, doch wurde die Wahl Kaiser Matthias’ noch zu Lebzeiten des Kaisers Rudolf gegen seinen Willen vorbereitet. Der Gesamtverantwortung der Kurfürsten für das Reich entsprach auch, dass es nie zu einer Verschärfung kam, »wie sie Kurbrandenburg im Jahre 1612 vorschlug, dass bei einer Verletzung der Kapitulation durch den Kaiser ›die Churfürsten, Fürsten und Stände des Reichs eo ipso ferners nicht verbunden sein wolten‹«, und noch weniger drang der von Frankreich 1658 angeregte Antrag durch, dass jede Nichtbeachtung der Wahlkapitulation durch den Kaiser sofort dessen Absetzung nach sich ziehen solle54. Wolfgang Burgdorf schilderte 1998 wie die Wahlkapitulationen zu der Projektionsfläche der Reichsreformbemühungen im 18.  Jahrhundert wurden55. Junge Juristen, die später in den Verfassungskämpfen des Vormärz involviert waren, publizierten in den achtziger und neunziger Jahren des 18.  Jahrhunderts Musterwahlkapitulationen, welche Elemente der Vormärzverfassungen antizipierten. Ebenfalls 1998 untersuchte Heinz Mohnhaupt die »Gesetzgebung des Reiches« und das »Recht im Reich vom 16. bis 18. Jahrhundert«56. Während August 49 50 51 52 53 54 55 56

Ebd., S. 115. Ebd., S. 115. Neuhaus, Von Karl V. zu Ferdinand I., S. 417–440. Neuhaus, Die Römische Königswahl. Ebd., S. 21, 24–28. Hartung, Wahlkapitulationen, S. 313. Burgdorf, Reichskonstitution, S. 384–443. Mohnhaupt, Gesetzgebung des Reiches, S. 83–108.

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Siemsen schon 1909 darauf hingewiesen hatte, dass die Fortentwicklung der Wahlkapitulationen nicht immer zu Ungunsten des Reichsoberhauptes verlief, konstatierte Mohnhaupt: »So zeigen die insgesamt 16 Wahlkapitulationen seit dem Abschluss der ersten Wahlkapitulation mit Karl V. vom Jahre 1519 bis zur letzten mit Franz II. 1792 eine kontinuierliche Einschränkung der kaiserlichen Rechte zugunsten der Reichsstände an und bilden damit auch das sich verändernde Gewicht der beiden Vertragsparteien ab«57. In Axel Gotthards zweibändiger Monographie zur Geschichte des frühneuzeitlichen Kurkollegs – wo man es am meisten erwarten würde – fehlt ein eigenes Kapitel zu den Wahlkapitulationen, obwohl die Verhandlungen über sie doch die Hauptbeschäftigung der frühneuzeitlichen Kurtage waren58. Im Jahre 2000 behandelte Günther Lottes die Wahlkapitulationen der deutschen Kaiser und Könige und verortete sie »zwischen Herrschaftsvertrag und Verfassungsnotariat«59. 89 Jahre nach Hartung hebt Lottes erneut das »hartnäckige Desinteresse der Forschung« an den Wahlkapitulationen hervor60. Lottes sieht die Wahlkapitulationen in Beziehung auf den gesamten habsburgischen Herrschaftskomplex als Instrument der »Staatsbildungsprophylaxe«61, um wenig später in Hinblick auf das Reich zu konstatieren, »der Impetus der Verfassungsgestaltung« habe sich schon bei der nächsten Wahlhandlung 1531 »erschöpft«62. Die Kurfürsten wirkten »als Verfassungsanwälte der übrigen Reichsglieder, die sich mit Änderungs- und Ergänzungswünschen an sie wenden konnten«63. 1711 sei die Perpetua als »Verfassungskonvention« zur Grundlage der weiteren Kapitulationen geworden64. Der Aufbau und Inhalt der Wahlkapitulationen ab 1711 zeige, »dass dieses Instrument im Laufe des 16.  und 17.  Jahrhunderts vom Herrschaftsbegrenzungsvertrag im Spannungsfeld des fürstlich ständischen Dualismus zum Versuch einer verfassungsartigen Fixierung der Grundordnung des Reiches gewandelt hatte«65. Die Wahlkapitulationen besäßen einen »Staatsgrundgesetzcharakter«66. Sie waren »der einzige Ort im Rechtsgefüge des Reiches, an dem sich der Stand der Reichsgrundgesetzentwicklung verbindlich dokumentieren ließ«67. So wurde zwar der Religionsfriede aufgenommen, aber nicht die Declaratio Ferdinandea. So sei es zu einer Bestandsaufnahme der Verfassungsverhältnisse »im Sinne des englischen 57 Ebd., S. 85. Insgesamt sind es 17 Wahlkapitulationen. Mohnhaupt betrachtet die Reichsstände seit 1648 als »souverän«, ebd., S. 86 u. 103. 58 Gotthard, Säulen des Reiches. 59 Lottes, Herrschaftsvertrag, S. 133–148. 60 Ebd., S. 133. 61 Ebd., S. 136. 62 Ebd., S. 137. 63 Ebd., S. 138. 64 Ebd., S. 141. 65 Ebd., S. 143. 66 Ebd., S. 145. 67 Ebd., S. 145.

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Verständnisses von Verfassung als einer an einer traditionsbestimmten, aber entwicklungsoffenen Norm ausgerichteten gelebten politischen Wirklichkeit« gekommen68. Sie wurde zur »lex regia der Deutschen«69. Allerdings wurde dadurch nicht wie 1665 in Dänemark der Absolutismus begründet, sondern auf der Ebene des Reiches verhindert. 2002 meinte Wolfgang Reinhard die Wahlkapitulation habe »geradezu den Charakter einer Verfassungsurkunde«70. Steffen-Werner Meyer veröffentlichte 2004 eine Dissertation über die »Bemühungen um ein Reichsgesetz gegen den Büchernachdruck anlässlich der Wahlkapitulation Leopolds II. aus dem Jahre 1790«71, ohne jedoch der Wahlkapitulation als solcher dabei viel Aufmerksamkeit zu schenken. Er begnügt sich mit der Feststellung, sie sei ein »sogenanntes ›Reichsgrundgesetz‹«72. Ebenfalls 2004 publizierte Hans-Jürgen Becker einen Beitrag zum Thema »Wahlkapitulation und Gesetz«73. Becker betont den »besonderen Rang« der kaiserlichen Wahlkapitulationen im europäischen Ver­gleich74. 2006 bezeichnete Barbara Stollberg-Rilinger die Capitulatio Perpetua als eine »Art schriftlicher Reichsverfassung«75. Insgesamt zeigt sich, dass seit dem späten 19. Jahrhundert die Mehrheit der Autoren die Nähe der Wahlkapitulationen der deutschen Könige und Kaiser zu modernen schriftlichen Verfassungen betonte.

68 69 70 71 72 73 74 75

Ebd., S. 146. Ebd., S. 147. Reinhard, Frühmoderner Staat, S. 352. Meyer, Bemühungen. Ebd., S. 24. Becker, Wahlkapitulation, S. 91–106. Ebd., S. 93. Stollberg-Rilinger, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, S. 27.

5. Die Originale der Wahlkapitulationen »Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft«, lautet Paragraph 267 des deutschen Strafgesetzbuches. Bereits in der Frühen Neuzeit, aber auch in der neueren Forschung wurde leidenschaftlich diskutiert, welche Ausfertigung der jeweiligen Wahlkapitulation das Original sei. Manchen Herausgebern der Frühen Neuzeit galt allein das »Kurmainzische Original«1 als »das einzige und wahre Urbild« der Wahlkapitulation2. Andere hingegen wie der Jurist Heinrich Günther von Thülemeyer sprachen auch vom »Kurpfälzer Original«3. Noch Anfang des 18. Jahrhunderts glaubten manche Publizisten, Karl V. habe nur ein Original seiner Wahlkapitulation für das Reichsarchiv fertigen lassen4. Zudem herrschte vereinzelt die falsche Vorstellung, die Originale würden gewöhnlich von der königlich böhmischen Lega­ tionskanzlei erstellt5. Gleich nach der Wahl wurden in der Reichskanzlei die Originale der Wahlkapitulation für die einzelnen Kurfürsten ausgefertigt, »jeweils eine für jeden Kurfürsten mit Ausnahme des Königs von Böhmen«6, der erst ab 1745 regelmäßig ein Exemplar erhielt. »Alle Exemplare sind daher Originale und keines hat vor den anderen einen Vorzug«7. Böhmen wurde überhaupt erst 1690 eingangs der Wahlkapitulation genannt, obwohl es an allen Wahlen seit 1519 teilgenommen hatte, nicht jedoch an den Verhandlungen über die Kapitulation. Allerdings wies Gerd Kleinheyer bereits 1968 darauf hin, dass die Anzahl der Ausfertigungen nicht immer mit der Anzahl der beteiligten Kurfürsten übereinstimme8. Es wurden auch Ausfertigungen für eingangs der Urkunde nicht mit aufgezählte, geächtete, gefangene oder ferngebliebene Kurfürsten angefertigt. Durch die Mitzählung der überzähligen Exemplare am Ende der Urkunde wurde dieser Kurfürsten und ihrer künftig wieder eintretenden Rechte gedacht. Später erhielten sie jedoch mitunter nochmals revidierte und von Fehlern bereinigte Ausfertigungen, so dass die ursprünglichen Ausfertigungen im Mainzer Erzkanzlerarchiv verblieben9. Die Ausfertigungen der jeweils nicht be1 2 3 4 5 6 7 8 9

Crome, Wahlcapitulation, S. 76. Riegger, K. Joseph des II. harmonische Wahlkapitulation, T. I, S. 22. Thülemeyer, De Bulla aurea, Vorbericht. Zech, Gegenwärtige Verfassung, S. XXVII. Ebd., S. XXX. Lottes, Herrschaftsvertrag, S. 139. Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 21. Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 14 f. Ebd., S. 18.

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Die Originale der Wahlkapitulationen

nötigten Exemplare der Wahlkapitulationen und ihre Mitzählung entsprechen den gedeckten Tischen für die abwesenden Kurfürsten während des Krönungsmahls. Wie jene ungenutzten, aber dennoch mit Speisen versehenen Tische für die abwesenden Kurfürsten, die in dem berühmten Gemäldezykuls Martin van Meytens10 für 1764 dargestellt sind, haben die am Ende der Wahlkapitulation mitgezählten, teilweise ausgefertigten, aber nie ausgehändigten Exemplare der Wahlkapitulationen eine wichtige Funktion. Das Mitzählen der nicht auszuhändigenden Exemplare für die nicht beteiligten Kurfürsten erzeugte die »symbolische Fiktion« ihrer Beteiligung. Es hatte den Sinn, ihre Beteiligung »als Norm aufrechtzuerhalten«11. Die Besiegelung geschah nicht mit den Siegeln der Bevollmächtigten, sondern mit dem des Gewählten12. Bis zur Wahl Ferdinands II. wurden nur sechs Ausfertigungen angefertigt, weil Böhmen kein Exemplar erhielt. Denn der König von Böhmen durfte als nichtdeutscher Kurfürst nicht an den Verhandlungen über die Wahlkapitulation teilnehmen. Kurböhmen nahm bis 1711 bzw. 1745 nur an der Wahl teil, um eine Pattsituation zu verhindern. Ausfertigungen erhielten aber nur jene Kurfürsten, die an den Verhandlungen über die Wahlkapitulation teilgenommen hatten. 1708 wurde Böhmen in das Kurkolleg »readmittiert«. Das war der Triumph der wiederaufgestiegenen Kaisermacht. Der künftige Kaiser gehörte nun selbst zu dem Gremium, das seine Macht vertraglich bestimmen sollte. Die angeblich »wiedereingeführte« böhmische Stimme war faktisch eine habsburgische Stimme. Anlässlich der Wahl Ferdinands IV. 1653 nahmen erstmals sieben Kurfürsten an den Verhandlungen über die Wahlkapitulation teil, weil Pfalz, das im Dreißigjährigen Krieg geächtet und durch Bayern ersetzt worden war, erneut hinzutrat. So war es auch bei Leopold I. und Joseph I. Bei der Wahl Karls VI. hingegen verringerte sich die Zahl der Beteiligten wieder auf sieben, weil, obwohl nun Kurböhmen und Kurhannover erstmals an den Verhandlungen über die Wahlkapitulation teilnahm, aktuell Köln und Bayern in der Reichsacht waren. Anlässlich der Wahl Karls VII. 1742 wurden sieben Originale ausgehändigt, weil zwar Bayern und Köln wieder mit verhandelten, aber Böhmen suspendiert war und der Kurfürst von Bayern als Kaiser keine Ausfertigung erhielt. Denn offiziell war der Gewählte der Aussteller der Urkunde. Kurfürsten, Reichsinstitutionen und Öffentlichkeit waren die Adressaten. Über hundert Jahre lang bemühten sich die Habsburger vergeblich, an den Beratungen über die Wahlkapitulation beteiligt zu werden. Schon 1562, bei den Verhandlungen über die Wahlkapitulation Maximilians II., versuchten sie im 10 Martin van Meytens (1695–1770) kaiserlicher Hofmaler, führender höfischer Repräsentationsmaler der Zeit, NDB 17, S. 409 f. 11 Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider, S. 242. 12 Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 21.

Die Originale der Wahlkapitulationen

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Kurkolleg mitzuverhandeln13. 1612 verlangte Erzherzog Matthias an den Beratungen teilzunehmen14. Nach eingehender Beratung beschied ihn jedoch das kurfürstliche Kolleg: »Daß nehmlich dem alten Herkommen gemäß ein König von Böhmen erst zwei Tag vor der Wahl ad revidendam Capitulationem admittiret, sonst aber zu keinem Rat in praeparatoriis erfordert zu werden pflegte«15. Die Wahltagsprotokolle zeigen, dass die Wahlkapitulation dem König von Böhmen immer erst zwei Tage vor der Wahl zugesandt wurde16, er aber sonst »zu keinen Rat« gezogen wurde17. In den Verhandlungen zu den Wahlkapitulationen wurden die böhmischen, gemeinsam mit den niederländischen und italienischen Reichslehen auch als »ausländische Lehen«, »auswärtige Lehen« oder »fremde Lehen« bezeichnet18. Später behaupteten die Habsburger, dass Matthias 1612 an den Verhandlungen teilgenommen habe19. Böhmen, das 1711 erstmals an den Verhandlungen über die Wahlkapitulation beteiligt wurde, 1742 aber von der Wahl und damit auch von den Verhandlungen ausgeschlossen wurde, erhielt erst ab 1745 regelmäßig ein eigenes Exemplar. Nachdem die Aushändigung der »Originale« von den Empfängern urkundlich bestätigt worden war, wurde das Wahlverfahren mit der Übergabe des Wahldekrets durch Kurmainz an den Gewählten abgeschlossen20.

13 HHStA, Wien: »Extractus Generalis: Wie bei den Wahltägen des Römischen Königs vor dem Chrufürstlichen Collegio, in und anderen Sachen halben für Deputationen beschehen, und wie die Cron Böhmen als Churfürst der Admission in dieses Churfürstliche Collegium bei denen Präparatori Consultationen gesucht hat«, in: Bd. 3: Electio et cronatio Regis Romanorum Maximilianus secundus …, anno 1562, in: Reichsarchive, Mainzer Erzkanzlerarchiv [MEA], Wahl- und Krönungsakten, Karton 4, 1558–1562. 14 HHStA, Wien: MEA Wahl- und Krönungsakten, Karton 9, 1612;, Karton 10, 1612. 15 Müldener, Capitulatio Harmonica, S. XIII. 16 Ebd., S. 21. 17 Ebd., S. 30. 18 Ebd., S. 71 u. 73. 19 Ebd., S. XIV. 20 Lottes, Herrschaftsvertrag, S. 142. Miethke, Die »Wahldekrete«, S. 89–113.

6. Überlieferung Es gibt keine kaiserliche Überlieferung der Wahlkapitulationen, da der Kaiser offiziell der Aussteller der Urkunden war. So heißt es auch in den Reversales, die Artikel seien »bedungen, bewilliget und eydlich angenommen, auch in Unserm Nahmen und Siegel ausgangen« und den Kurfürsten übergeben worden1. Dass es tatsächlich so viele Originale der Wahlkapitulationen gibt, wie Kurhöfe an den Verhandlungen beteiligt waren, ergibt sich daraus, dass die anderen Kurhöfe Kurmainz den Empfang ihres »Originalexemplars« regelmäßig bestätigten2. Die Originale der Wahlkapitulationen sind in unterschiedlicher Vollständigkeit in jenen staatlichen Archiven in Deutschland überliefert, welche die Hinterlassenschaft der vormaligen Kurfürstentümer verwahren, sowie im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv, das die Exemplare des Kurerzkanzlers und Böhmens hütet. Die kurtrierische Überlieferung der Wahlverträge findet sich im Landesarchiv Rheinland-Pfalz, Landeshauptarchiv Koblenz3. Sie ist vollständig, obwohl sich der Kurfürst von Trier 1636 in kaiserlicher Gefangenschaft befand und daher an der Wahl Ferdinands III. nicht teilnehmen konnte. Er erhielt 1648 eine revidierte Ausfertigung, so dass das ursprüngliche, »reservierte« Original im Reichsarchiv verblieb4. Die Kapitulationen Karls VI., Leopolds II. und Franz᾽ II. sind doppelt verzeichnet. Es handelt sich um revidierte Exemplare und Abschriften.

1 Z. B. Reversales Joseph II. in: Schmauß / Francke / Schumann (Hg.), Corpus Iuris Publici, 2. Bd. Frankfurt/M. 1774, S. 1625. Die 1. Aufl. des Sammelwerkes erschien 1735, weitere stets ergänzte Auflagen folgten bis 1794. 2 »Daß das von der Chur-Bayerischen Gesandtschaft beschworene untersiegelte und unterschriebene Originalexemplar der Wahl-Caputulation Ihro Römisch Königl. Majestät, von dem Chur-Maynzischen hochlöblichen Directorio, der Chur-Braunschw.-Lüneburgischen Gesandschaft heute extradieret worden, solches bescheinige hiermit. Frankfurt den 2. Februar 1742. Gerlach Adolph von Münchhausen«. HHStA Wien: MEA, Wahl- und Krönungsakten, Karton 53, 1741–1742. 3 Landesarchiv Rheinland-Pfalz, Landeshauptarchiv Koblenz: 9324/9235 Karl V., 1519; 9389 Ferdinand I., 1531; 9594 Ferdinand I., 1558; 9621 Maximilian II., 1562; 9705 Rudolf II., 1575; 9924 Matthias, 1612; 9940 Ferdinand II., 1619; 10049 Ferdinand III., 1637; 10071 Ferdinand IV., 1653; 10100 Leopold I., 1658; 10318 Joseph I., 1705; 10337 Karl VI., 1711 u. 11525 Karl VI., 1711; 11528 Karl VII., 1742; 11529 Franz I. Stephan, 1745; 11532 Joseph II., 1764; 10674 Leopold II., 1790; 10684 Franz II., 1792, 11533 Leopold II., 1790; 11534 Franz II., 1792. 4 Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 108.

Überlieferung

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Die Originale der Ausfertigungen für Kurköln finden sich heute im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland in Duisburg5. Die Kapitulation Karls VI. von 1711 fehlt, weil der Kurfürst von Köln damals geächtet war. Die Kurpfälzer Überlieferung findet sich von Karl V. bis Joseph II. mit Ausnahme der Urkunde Ferdinands III. von 1636, weil Pfalz damals geächtet war, vollständig im Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Die Überlieferung endet 1764, weil die Pfalz nach dem Aussterben der bayerischen Wittelsbacher 1777 mit Bayern vereint wurde6. Im Bayerischen Hauptstaatsarchiv sind zudem für Kurbayern bzw. PfalzBayern die Wahlkapitulationen von Ferdinand III. bis Franz II. mit Ausnahme jener Karls VI., weil Bayern 1711 geächtet war, und jener Karls VII., weil dieser 1742 selbst der Aussteller war, überliefert. Vom Original der Wahlkapitulation Franz’ I. finden sich nur noch die Einleitung und der Schluss7. In den Beständen des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz sind die für Kurbrandenburg ausgestellten Wahlkapitulationen von 1531 bis 1792 sowie mehrere Kopien von ihnen mit einigen Ausnahmen überliefert8. Die Wahlkapitulationen Kaiser Karls V. von 1519 und Ferdinands I. von 1558 sind bei der kriegsbedingten Auslagerung in Verlust geraten. Sie waren bei einer 1951

5 Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland (vormals Hauptstaatsarchiv Düsseldorf): Karl V. (Kurköln, Urkunden Nr.  3993), Ferdinand I. 1531 (Kurköln, Urkunden Nr. 4140), Ferdinands I. 1558 (Kurköln Urkunden 4528), Maximilian II. (Kurköln, Urkunden Nr.  4591), Rudolf II. (Kurköln, Urkunden Nr.  4724), Matthias (Kurköln, Urkunden Nr.  4970), Ferdinand II. (Kurköln, Urkunden Nr.  5031), Ferdinand III. (Kurköln, Urkunden Nr. 5125), Ferdinand IV. (Kurköln, Urkunden Nr. 5218), Leopold I. (Kurköln, Urkunden Nr. 5239), Joseph I. (Kurköln, Urkunden Nr. 5350), Karl VII. (Kurköln, Urkunden Nr. 5598). Franz I. (Kurköln, Urkunden Nr.  5620), Joseph II. (Kurköln, Urkunden Nr.  5725), Leopold II. (Kurköln, Urkunden Nr. 5790), Franz II. (Kurköln, Urkunden Nr. 5799). 6 BayHStA München: Kurpfalz Urkunden fortlaufende Nummern von 108 bis 123, wobei 121 übersprungen wurde, auf 120 (Karl VI.) folgt 122 (Karl VII.). 7 BayHStA München: Ferdinand III. Bayern Urkunden 12, Ferdinand IV. Bayern Urkunden 13, Leopold I. Bayern Urkunden 14, Joseph I. Bayern Urkunden 15, nur noch bruchstückhaft Franz I. Bayern Urkunden 16/1 u. 16/2, Joseph II. Bayern Urkunden 18, Leopold II. Bayern Urkunden 18, Franz II. Bayern Urkunden 19. 8 GStA-PK: VII. HA Urkunden, Abt.a: Mark als Reichsstand, Nr. 110: Wahlkapitulation König Ferdinands I., 1531, Nr.  151 und 152: Wahlkapitulation König Maximilians II., 1562, Nr. 183: Wahlkapitulation König Rudolfs II., 1575, Nr. 244: Wahlkapitulation König Matthias’, 1612, Nr.  275: Wahlkapitulation König Ferdinands III., 1636, Nr.  299: Wahlkapitulation König Ferdinands IV., 1653, Nr.  301: Wahlkapitulation König Leopolds I., 1658. VII. HA Urkunden, Nr. 773: Wahlkapitulation König Ferdinands II., 1619. I. HA Rep. 131 Archivkabinett, K 163 B: Wahlkapitulation Kaiser Leopolds I., 1658. K 518 H: Wahlkapitulation König Josephs I., 1690, K 518 I: Wahlkapitulation Kaiser Karls VI., 1711, K 518 K: Wahlkapitulation Kaiser Karls VII., 1742, K 498 A: Wahlkapitulation Kaiser Franz’ I., 1745, K 498 B: Wahlkapitulation Kaiser Josephs II., 1764, K 499 A: Wahlkapitulation Kaiser Franz’ II., 1792, K 163 F: Kopien von Wahlkapitulationen der römisch-deutschen Kaiser, 1612–1690.

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Überlieferung

in Merseburg durchgeführten Bestandsrevision nicht mehr nachweisbar9. Auch die Wahlkapitulation Leopolds II. von 1790 fehlt. Im Niedersächsischen Landesarchiv – Hauptstaatsarchiv Hannover sind alle Originale der Wahlkapitulationen seit 1711, der ersten Wahl, seit BraunschweigLüneburg 1692 ins Kurkolleg aufgenommen worden war, überliefert10. Im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv findet sich neben der erzkanzlerischen auch die kurböhmische Überlieferung von 1711 bis 179211. Darunter befindet sich auch ein Exemplar der Wahlkapitulation Karls VII. von 1742, von dessen Wahl Kurböhmen ausgeschlossen worden war. Es handelt sich dabei nicht um das in München fehlende bayerische Exemplar, da Karl VII. für sich selbst dem Herkommen gemäß keine Urkunde in der erzkanzlerischen Kanzlei ausfertigen ließ. Es handelt sich um jenes Exemplar, das Maria Theresia nachgereicht wurde, nachdem sie am 22. April 1745 im Frieden von Füssen nachträglich die Kaiserwahl Karls VII. anerkannt hatte. Die Überlieferung der Wahlkapitulationen im ehemaligen Reichsarchiv bzw. dem heute im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv befindlichen Bestand des Mainzer Erzkanzlerarchivs ist als einzige von Anfang an vollständig12. Üblicherweise findet sich im Mainzer Erzkanzlerarchiv nur eine Ausfertigung der jeweiligen Wahlkapitulationsurkunde, nämlich das Kurmainzer Exemplar. Für Karl V. und Karl VI. finden sich aber zwei Ausfertigungen, für Ferdinand III. gar drei13. Alle heute in Wien befindlichen Wahlkapitulationen sind im späten 18. Jahrhundert in Packpapier eingeschlagen und beschriftet worden. Die Schrift stammt bei der Mehrzahl der Verpackungen von der Hand desselben Schreibers. Ab dem 18. Jahrhundert haben die Urkunden kein Titelblatt mehr. Die anhängenden Siegel stimmen formal nicht immer mit jenen überein, die in der einschlägigen Literatur für die Kandidaten beschrieben werden14, was der besonderen Transformationssituation der Zeit zwischen Wahl und Krönung geschuldet ist. Zum Teil  sind sie abgegriffen oder beschädigt, ihre Emblematik und Umschriften sind teilweise nicht mehr eindeutig erkennbar. Im Folgenden werden nur jene Urkunden näher vorgestellt, die sich in mehrfachen Ausfüh9 Auskunft von Frau Dr. Ingrid Männl. 10 NLA-Hauptstaatsarchiv Hannover: Bestand Han. 10, Nr. 137 Karl VI. (1711); Nr. 172 Karl VII (1742); Nr.  174 Franz I. (1745); Nr.  178 Joseph II. (1764); Nr.  179 Leopold II. (1790); Nr. 182 Franz II. (1792). 11 HHStA Wien: AUR: 1711 X 12; 1742 I 24; 1745 IX 13; 1764 III 27; 1790 IX 30; 1792 VII 5. 12 Heute sind die Wahlkapitulationen in den Bestand Allgemeine Urkundenreihe (AUR) eingegliedert. Konrad Amann, Ein-Blick in das Erzkanzlerarchiv. Beobachtungen zum erweiterten Aufgabenkreis der Mainzer Erzkanzlei in der frühen Neuzeit, in: Peter Claus Hartmann (Hg.), Reichskirche  – Mainzer Kurstaat  – Reichserzkanzler, Frankfurt/M. 2001, S. 145–171. 13 HHStA Wien: AUR, jeweils unter dem Datum der Ausstellung der Urkunde. Allgemein zum ehemaligen Erzkanzlerarchiv: Amann, Ein-Blick in das Erzkanzlerarchiv. Michael Müller, Die Entwicklung des Kurrheinischen Kreises in seiner Verbindung mit dem Oberrheinischen Kreis im 18. Jahrhundert, Frankfurt/M. 2008, S. 42. 14 Posse, Die Siegel, 5. Bd..

Überlieferung

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rungen finden oder markante Änderungen aufweisen, die für die folgenden Urkunden stilbildend wurden. Die Verpackung der Wahlkapitulation Karls V. trägt die Aufschrift »3. Juli 1519. Wahlkapitulation K. Carl V.« Das erste Blatt des Pergamentheftes der Urkunde ist links oben zeitgenössisch »Capitulatio Caroli V. 1519« beschriftet15. Im Vergleich zu späteren Ausfertigungen ist die Wahlkapitulation Karls V. sehr schlicht, neun als Heft zusammengebundene Pergamentseiten. Anders als die späteren Wahlkapitulationen ist jene Karls V. nicht eigenhändig unterfertigt, da Karl bei der Wahl nicht zugegen war, wurde sie im Auftrag Karls vom späteren Reichsvizekanzler Nicolaus Ziegler unterschrieben. Bis 1711 sehen die weiteren Wahlkapitulationen ähnlich aus, nehmen aber an Umfang deutlich zu. Die erste bedeutsame Änderung erfolgte 1619 mit der Wahlkapitulation Ferdinands II. Erstmals sind die nun 43 Artikel auf 23 Seiten mit arabischen Zahlen am linken Rand durchgezählt. Von der Verpflichtung Ferdinands III. finden sich im Erzkanzlerarchiv drei Ausfertigungen. Eine trägt auf dem Umschlag die Aufschrift »Originalwahlkapitulation des Römischen Kaisers Ferdinand III. dieses Exemplar war für Churtrier bestimmt, ist aber wegen der damaligen Irrungen mit diesem Churfürsten nicht extradirt worden«. Der Trierer Kurfürst Philipp Christoph Reichsritter von Sötern befand sich wegen seiner frankreichfreundlichen Politik von 1635 bis 1645 in kaiserlicher Haft und konnte daher 1636 nicht an den Wahlverhandlungen teilnehmen. Dieses Exemplar der Kapitulation von 1636 ist nicht auf Pergament, sondern auf Papier geschrieben. Das war wohl den Kriegsnöten geschuldet sowie der Scheu, hohe Kosten für ein Exemplar auszugeben, das wahrscheinlich nicht übergeben würde. Auch das rote Siegel hängt nicht an dem Dokument, sondern ist nach der eigenhändigen Unterschrift aufgedrückt. Durch das Siegel geht die schwarz-gelbe Seidenschnur, mit der die ungefähr DIN A4-großen Blätter gebunden sind, auf dem Siegel liegt ein quadratisches Papier, durch welches das Siegel als Prägedruck durchscheint. Zwei weitere Fassungen auf Pergament sind gemeinsam verpackt. Auf dem Umschlag steht: »Regensburg 24.  Dezember 1636. Wahlkapitulation K. Ferdinands III. als römisch-deutschen Königs«. Die ansehnlichere Ausfertigung von beiden umfasst 25 Seiten, ist ohne Absätze vom Anfang bis zum Ende durchgeschrieben und trägt die Aufschrift »Capitulatio Ferdinandi tertii de anno 1636«16. 15 HHStA Wien: AUR 3.VII.1519. Bei parallelen Überlieferungen fehlt teilweise die Beschriftung direkt auf der Urkunde, z. B.: Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (SächsHStA Dresden): 10001 Ältere Urkunden 10248 »Kaiser Caroli V. Wahl Capitulation Dat. den 3. Juli an. 1519« [= Aufschrift zeitgenössisches Kuvert]. Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe: Deutsche Reichstagsakten unter Karl V. 1. Bd. bearb. v. August Kluckhohn, Göttingen 1962, S. 864–876: »Wahlverschreibung«. 16 HHStA Wien: AUR 24.XII.1636. Nicht beschriftet hingegen ist das kursächsische Exemplar: SächsHStA Dresden: 10001 Ältere Urkunden 13042 »Capitulation des Römischen Königs Ferdinands des Dritten, sub dato Regensburgk den 24. Decembris Anno Anno 1636. Nov. 21« [= Aufschrift zeitgenössisches Kuvert].

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Überlieferung

Auch die Wahlkapitulation Josephs I. findet sich in Wien in zwei Ausfertigungen. Der Schutzumschlag trägt die Beschriftung »Augsburg 24.  Jänner 1690. Wahlkapitulation K. Joseph I. als römisch-deutscher König«. Die Kapitulation selbst, immer noch ein Heft aus Pergamentseiten, hat anders als die früheren keine beschriftete Titelseite. Das 57 Seiten umfassende Dokument ist eigenhändig sowohl von Kaiser Leopold I. als auch König Joseph I. sowie Reichsvizekanzler Leopold Wilhelm Graf von Königsegg-Rothenfels unterschrieben. Die Urkunden sind mit zwei an einer goldenen Seidenschnur anhängenden Siegeln versehen, einem kaiserlichen mit Doppeladler mit Hals- und Kopfkrone für Kaiser Leopold I. wie an der vorherigen Urkunde sowie einem königlich ungarischen Siegel für Joseph. Die Seidenschnur dient gleichzeitig der Bindung der Urkunde. Auch die Wahlkapitulation Karls VI. findet sich in zweifacher Ausfertigung. Die Aufschriften auf den Verpackungen lauten »Frankfurt 12.  Oktober 1711. Wahlkapitulation Karls VI. als römisch-deutscher König«. Beide Kapitulationen haben kein eigenes Titelblatt, sind aber erstmals in purpurroten Samt eingebunden, mit sehr prächtigen Einbandinnenseiten in purpurrot mit goldenem Prägedruck und goldener Schnittverzierung, prunkvolle Foliobände aus Pergament mit kostbaren Einbänden. Vier Seidenbänder in den österreichischen Farben, je zwei rote und zwei weiße, dienen als Verschluss. Bei dem kleineren Exemplar, das ungefähr DIN A4-Format aufweist, ist die Farbkraft völlig erhalten. Die Wahlkapitulation ist hier jedoch auf Papier geschrieben und ohne Unterschriften. Ein Prägesiegel auf der letzten Seite ist in früherer Zeit offensichtlich ausgeschnitten worden. Auch die zweite auf Pergament geschriebene Ausfertigung wurde nicht vom Monarchen unterschrieben. Unterfertigt ist die Urkunde mit »Ad Mandatum sacrae regiae Majestatis proprium C. F. Consbruch«, also vom Reichsreferendar Caspar Florenz Consbruch. Die Abwesenheit Karls VI. 1711 bewirkte, dass keine der folgenden Wahlkapitulationen mehr von einem neugewählten König bzw. Kaiser unterschrieben wurde, da man jeweils die letzte zum Muster für die künftige nahm. Die Unterschrift der Neugewählten verlagerte sich nun auf die Reversales, auf die gesonderte zusätzliche offizielle Versicherung des Gewählten, die Wahlkapitulation persönlich zu beschwören, einzuhalten und nicht einseitig zu ändern. So fehlen hinfort den prunkvollen Ausführungen dieses ranghöchsten frühneuzeitlichen europäischen Verfassungsdokuments die Unterschriften der Reichsoberhäupter. Die Wahlkapitulationen selbst wurden in der Folge von den Wahlbotschaftern des Gewählten unterzeichnet. Die Ausfertigung der Wahlkapitulation Karls VI. wirkte bis zum Ende des Reiches modellgebend. Die plötzliche Pracht zeigt die gestiegene Bedeutung der Wahlkapitulationen infolge des Westfälischen Friedens und der Perpetuadiskussion. Die Wahlkapitulation Karls VII. von 1742 entbehrt wie jene Karls VI. eines Titelblattes. Sie hat einen Einband in purpurnem Samt. Die Einbandrückseiten sind mit floralen Motiven in buntem Prägedruck auf goldenem Seidenpapier verziert. Vier Seidenbänder in den bayerischen Farben, je zwei weiße und zwei

Überlieferung

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blaue, dienen als Verschluss. Erstmals sind die Artikel zusätzlich in Paragraphen geteilt. Die Urkunde Franz᾽ I. gleicht äußerlich den beiden vorigen. Wie seit Karl VI. üblich, verfügt die Kapitulation über kein eigenes Titelblatt mehr. Die hundertzweiundfünfzigseitige Urkunde ist in einem prunkvollen Einband aus purpurnem Samt gebunden. Die Einbandrückseiten sind mit floralen Motiven im bunten Prägedruck auf goldenem Seidenpapier versehen. Die Pergamentseiten sind mit Goldschnitt geschmückt. Vier Seidenbänder in den Farben Lothringens bzw. der Toskana, je zwei gelbe und zwei rote, dienen als Verschluss. Erstmals findet sich am Ende der letzten Seite der Vermerk »Collationatum auf dem Römer den 27. 7ber 1745. Von Lohmer Hofrat und Legationssecretarius«. »Das Original der kaiserlichen Wahlkapitulation ist auf Pergament in Folio geschrieben, in rotem Samt eingebunden, und mit dem an einer goldenen Kordel hängenden, in einer hölzernen Kapsel auf rotes Wachs abgedruckten kaiserlichen Siegel versehen, und von den drei hierzu bevollmächtigen königlichkurböhmischen Wahlbotschaftern unterschrieben. Es ist nur in Artikeln und §§ abgeteilt, welche aber mit keiner einzigen Rubrik und mit keinem Inhalte überschrieben sind, wie in den Abdrücken gemeiniglich geschieht«17. So beschrieb ein Herausgeber des 18. Jahrhunderts die entsprechende Urkunde Josephs II. Die erste leere Seite der Urkunde trägt unten klein den Vermerk »Chur Mainz« als Hinweis darauf, dass dieses Exemplar für Kurmainz vorgesehen war. Die Innenseite des Einbandes aus purpurnem Samt ist nun einfaches Goldpapier. Sowohl hinsichtliche der Gliederung, ab 1619 nummerierte Artikel, die ab 1742 zusätzlich in Paragraphen unterteilt wurden, wie von der äußeren Gestalt zeigen sich die Wahlkapitulationen als protokonstitutionelle Dokumente. Sie nahmen die Gestaltung der Verfassungen des konstitutionellen Zeitalters vorweg.

17 Roth, Die zwei wichtigsten Reichsgrundgesetze, S. V.

7. Visualisierung der konstitutionellen Ordnung des Reiches

Der im 18. Jahrhundert hervortretende Prunk der kaiserlichen und königlichen Wahlkapitulationen ist eine Visualisierung der konstitutionellen Ordnung des Reiches1, die äußerlich alle Charakteristika der Verfassungen des konstitutionellen Zeitalters vorwegnimmt. Sie diente als Modell für die formalästhetische Gestaltung späterer Konstitutionen. Neben der äußeren Form gab es zudem viele inhaltliche Überschneidungen. Allerdings fehlte den Wahlkapitulationen ein wesentliches Moment moderner Konstitutionen: die Teilhabe des Volkes an der Staatsgewalt, auch wenn die Kurfürsten prätendierten, für das gesamte Reich zu handeln. Von dem Charakteristikum moderner Verfassungen gar, dass das Volk die Staatsgewalt konstituiert und allein legitimiert, waren die Wahlkapitulationen weit entfernt, ungeachtet aller Prätentionen der Kurfürsten. Die äußeren Ähnlichkeiten sind jedoch auffällig. Es ist naheliegend, dass man sich in den vormaligen Kurfürstentümern und anderen Nachfolgestaaten des Alten Reiches an diesem Vorbild orientierte. Die bayerische Verfassungsurkunde von 1818 sieht den Wahlkapitulationen der Zeit seit 1711 zum Verwechseln ähnlich, nur dass nun das Siegel des Königs von Bayern, statt eines römisch-deutschen Kaisers oder Königs, an ihr hängt. Den deutschen Wahlkapitulationen zum Verwechseln ähnlich war auch die von August dem Starken 1697 als König von Polen beschworene Wahlkapitulation. Ähnlich erscheinen auch die mit einem Einband versehenen französischen Verfassungen der Zeit zwischen 1791 und 1804. Das Original der auf Pergament geschriebenen Verfassung des französischen Kaiserreichs von 1804 hingegen hat keinen Einband und sieht den Wahlkapitulationen der Zeit vor 1711 ähnlich. Vergleichbar ist das Original der auf Papier geschriebenen Charte constitutionnelle vom 4. Juni 1814. Auch sie hat keinen Einband und ist mit einem Faden gebunden, an dem gleichzeitig das königliche Siegel hängt. Auch das Original der amerikanischen Verfassung vom 17. September 1787 ist ohne Einband wie die Wahlkapitulationen auf Pergament geschrieben.

1 Knauer / Kümmel (Hg.), Visualisierung konstitutioneller Ordnung.

8. Die Kurfürstlichen Kollegialschreiben Ab Mitte des 18. Jahrhunderts erhielten die Wahlkapitulationen nicht nur weitere Ergänzung in sich, sondern auch außerhalb ihrer selbst: Die Kurfürstlichen Kollegialschreiben. Für das Vorhandensein von Kurfürstlichen Kollegialschreiben seit 1558, wie Günther Lottes vermutet, finden sich keine Belege1. Kollegial­ schreiben, definiert als Schreiben des gesamten Kurkollegs, tauchen erstmals in den Wahl- und Krönungsakten Karls VII. als eigener Aktentitel auf. Wenn in der Literatur gelegentlich auch anlässlich früherer Wahlen von Kollegialschreiben gesprochen wird2, so handelt es sich dabei nicht um Briefe des Kurkollegs, sondern einer Gruppe von Kurfürsten. Wie bei den Wahlkapitulationen gibt es bei den Kurfürstlichen Kollegialschreiben keine kaiserliche Überlieferung3. Das erstaunt, da die Schriftstücke ja an den Kaiser adressiert waren. Seit dem Aufkommen der Kurfürstlichen Kollegialschreiben, 1742, war der künftige Kaiser, respektive seine Frau, 1745, bzw. seine Mutter, 1764, nicht nur am Wahlakt, sondern – anders als vor 1711 – auch an den vorgehenden Verhandlungen beteiligt. Möglicherweise begnügte man sich deswegen mit der Endfassung der Schreiben in den jeweiligen Wahl- und Krönungsakten. Offenbar war die Vielzahl der italienischen Eingaben während des langen Wahlkonvents von 1741/424 mitentscheidend für das Aufkommen der Kollegialschreiben. »Da die Versammlung der Kurfürsten, der Wichtigkeit der Verhandlungen wegen, kleine Reichstage vorstellen, so ist es ganz natürlich, dass sie von den fürstlichen und städtischen Kollegien, einzelnen Reichsfürsten, auch ausländischen Mächten etc. zuweilen beschickt werden«5. Nicht nur einzelne Reichsstände und Privatpersonen, auch Gruppen von Reichsständen, sogar Ausländer oder ganze Reichskreise wandten sich an die Wahlkonvente6. Da der Reichstag bis dahin mit dem Tod des Kaisers aufgelöst wurde, traten die Kurtage gleichsam an dessen Stelle. »Es fehlt daher nie an Gesandten, Abgeordneten, mit oder ohne öffentliche Vollmacht auf dem Wahlkonvent«7. 1 Lottes, Herrschaftsvertrag, S. 143. 2 Francken (Hg.), Ihrer Röm. Kayserl. Majestät Francisci Wahlkapitulation, S. 213. Siemsen, Kur-Brandenburgs Anteil, S. 45 f. 3 Auskunft des Haus- Hof- und Staatsarchivs Wien vom 20.12.2013. 4 20. November 1741 bis zum 12. März 1742. Schlösser, Interregnum, S. 111–130. 5 Caesarinus Furstenerus Republicanus [= Sorge], Teutschvaterländische Gedanken, S. 43. 6 Der Fürsten und Stände des löblichen Schwäbischen Creyses occasione bevorstehender Kayser-Wahl und darbey zu errichten habender Wahl-Capitulation, höchst bemüßigte Gravamina und angelegenste Desideria, [1711]. Es handelt sich um Beschwerden gegen die vorderösterreichische Regierung. 7 Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. 3.

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»Oft werden auf dem Wahltag Materien auf die Bahn gebracht, welche zwar an sich alle Beherzigung verdienen, die man jedoch, weil sie entweder nur einzelne Stände, Personen, oder Kommunen betreffen, oder zum Schluss noch nicht reif sind, oder offenbar nicht für das Kurkollegium allein, sondern vor den gesamten Reichskonvent gehören, der Wahlkapitulation einzuschalten Bedenken findet«8. Mit den Kollegialschreiben hatten sich die Kurfürsten ein neues Instrument für den Fall geschaffen, dass sie ihr exklusives Jus adcapitulandi verlieren sollten. Oft wurden spezielle Themen an die Kurfürsten herangetragen, die sich nicht für eine Aufnahme in die Wahlkapitulationen eigneten. Einmal aufgekommen, betrachtete man die kollegialen Schreiben bald als geeignetes Instrument, um Angelegenheiten anzusprechen, die nicht unbedingt Verfassungsrang beanspruchen konnten oder deren Aufnahme in die Wahlkapitulation den Widerspruch der Reichsfürsten hervorgerufen hätte. Trotzdem wandte sich der Protest der Fürsten umgehend auch gegen die Kollegialschreiben, die als weitere unzulässige Ergänzung der Perpetua von 1711 angesehen wurden9. Fritz Hartung meinte 1911, dass die Kollegialschreiben lediglich »Wünsche von nur vorübergehender Bedeutung« enthielten10. Dies scheint als Kriterium jedoch nicht hinreichend, da dies auch auf verschiedene Punkte der Wahlkapitulation, z. B. hinsichtlich der Kammergerichtsvisitation, zutraf. Die meisten in die Kollegialschreiben aufgenommenen Materien verpflichten den Kaiser, bestimmte Materien zur reichstäglichen Beratung zu befördern. Wurden im Vorfeld einer römischen Königswahl neue Kurfürstliche Kollegialschreiben beschlossen, wie 1764, so wurden diese nicht an den zu wählenden König, sondern an den noch regierenden Kaiser adressiert. Dies korrespondierte mit dem Umstand, dass auch königliche Wahlkapitulationen zunächst die Billigung des noch regierenden Kaisers erhalten mussten. Innerhalb der Wahlkapitulationen wurde die neue Dokumentenform erstmals 1742 in Artikel XXIX, Paragraph 3 erwähnt: »Auch sollen und wollen Wir die in vielen wichtigen Angelegenheiten von dem zur Wahl versambleten churfürstlichen Collegio durch besondere Schreiben ahn Uns erstattete Gutachten fordersambst zum würcklichen Vollzug bringen, und darauf die Behörde beobachten«. Einige Reichspublizisten wie Heinrich Wilhelm von Bülow waren der Ansicht, die Kurfürstlichen Kollegialschreiben seien, »da deren Beobachtung von dem Oberhaupte des Reiches« »eidlich zugesagt worden, umso mehr 8 Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 100. Moser sieht den Beginn der Kolle­ gialschreiben bereits 1711. In den Wahlakten finden sie sich jedoch erst ab 1742. 9 Tomus X Wahl- und Crönungsacten Kayser Caroli VII. enthaltend Wahlkapitulation und die in Supplementum derselben ahn Kayserliche Majestät erlassene Churfürstliche Collegial-Schreiben cum adjunctis wobey besonders die beym Collegio eingekommene Supplicae puncto feudorum in Italia, befindlich, in: HHStA Wien: MEA, Wahl- und Krönungsakten, Karton 53, 1741–1742. 10 Hartung, Wahlkapitulationen, S. 314.

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mit Recht für einen das Oberhaupt des Reichs verbindenden Teil, der neuerrichteten Wahlkapitulation« anzusehen11. Die Fürsten, zumindest die altfürstlichen Häuser, protestierten ab 1742 regelmäßig gegen die Erwähnung der Kollegialschreiben in der Wahlkapitulation. Die Verpflichtung des Kaisers, die Kollegialschreiben zu befolgen, sei eine nicht hinzunehmende Erstreckung des Adkapitulationsrechts, auch wenn man die Inhalte der Kollegialschreiben unterstütze12. 1745 wurden die zwölf Kollegialschreiben von 1742 ohne Veränderung erneut an den Neugewählten gesandt, sie behielten sogar das Datum »14. Februar 1742« bei. In den zeitgenössischen Publikationen wurde das zwölfte Kollegial­ schreiben, das vom Unterhalt des Erbmarschalls handelt, in der Regel weg­ gelassen, da es – so die Begründung – keinen Bezug zur Verfassung hatte13. Das kurfürstliche Kollegialschreiben wegen der Auslieferung des Reichsarchivs aus Wien entfiel 1745. Während der Kapitulationsverhandlungen von 1764 regte der bayerische Gesandte mit Unterstützung des pfälzischen und sächsischen am 8. März an, ein zusätzliches Kollegialschreiben zu erlassen, um den Kaiser zu bitten, den Reichstag durch ein Kommissionsdekret aufzufordern, den am 9. Juni 1750 geschlossenen Vikariatsgrenzvertrag zu bestätigen, worauf der Vertrag verlesen und vom kurfürstlichen Kollegium als gültig anerkannt wurde. Das betreffende neue Kollegialschreiben wurde am 10. März in der vierten Sitzung verlesen und verabschiedet14. Ferner wurden 1764 noch Kollegialschreiben wegen Abstellung der Religionsbeschwerden15, wegen der Handelsstraßen und Handwerksmißbräuche16, der geistlichen Gerichtsbarkeit17, der Reichskammergerichts- und Reichshofratsvisitation18 sowie wegen des Deputationsrechts bei der Kammergerichtsvisitation erlassen19. Die 1764 neu hinzugekommenen Kollegialschreiben waren nicht an den neu gewählten Römischen König Joseph II., sondern an seinen Vater Kaiser Franz I. gerichtet. »Das berühmte Werk des Febronius« veranlasste 1764 auf Anregung von Kurpfalz das Kurfürstliche Kollegialschreiben gegen die päpstlichen Eingriffe in die Rechte der deutschen Metropoliten20. Hier zeigte sich noch einmal, wie 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Bülow, Betrachtungen, S. 307. Erstmals 1742 Artikel XXIX, Paragraph 3. Francken (Hg.), Ihrer Röm. Kayserl. Majestät Francisci Wahlkapitulation, S. 213. Riegger, K. Joseph des II. harmonische Wahlkapitulation, T. II, S. 7. Abgedruckt: Ebd., T. II, S. 7–9. Abgedruckt: Ebd., T. II, S. 10. Abgedruckt: Ebd., T. II, S. 29 f. Abgedruckt: Ebd., T. II, S. 31 f. Abgedruckt: Ebd., T. II, S. 34 f. Abgedruckt: Ebd., T. II, S. 39 f. Crome, Wahlcapitulation, S. 106. Justinus Febronius [=Hontheim], De statu ecclesiae. Ein entsprechendes Kollegialschreiben konnte bislang nicht in den Wahl- und Krönungsakten gefunden werden.

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schon im 17. Jahrhundert und später, der bedeutende Einfluss der Reichspublizistik bzw. Reichskirchenpublizistik auf die Verhandlungen des Wahlkollegs. 1790 bestimmte Artikel XIX, Paragraph 8, Richter und Kommissare dürften keinen Anteil an den festgesetzten Strafen haben. Darauf bezog sich das sechste Kurfürstliche Kollegialschreiben. Im gleichen Jahr erlangten die Reichsgrafen ein Kollegialschreiben wegen des Gebrauchs des Prädikats »Wir«. Zwei Jahre später entfiel es wieder, weil die Sache schnell erledigt wurde. Am 22. Februar 1791 erging ein kaiserliches Dekret an den Reichshofrat, künftig zu gestatten, dass Reichsgrafen und Reichsprälaten das Prädikat »Wir« verwenden21. Ein weiteres Kollegialschreiben galt den Revisionssporteln. Das waren Gebühren, welche eine Partei entrichten musste, die gegen ein Urteil des Reichshofrates Revision beantragte. Die Gebühr verblieb dem Reichshofrat, wenn die Partei in der Revision unterlag, ihr entsagte oder sich mit der Gegenpartei verglich. Sie diente der Besoldung der Reichshofräte22. Wegen der Verleihung von Lehen durch die Vikare ist 1790 trotz des Widerspruchs der Vikariatshöfe ein Kollegialschreiben erlassen worden. Es bezog sich auf Artikel XI in der Wahlkapitulation. Kurbraunschweig hatte 1790 in den Kapitulationsverhandlungen angeregt, dass der Kaiser Jurisdiktionskonflikte zwischen den höchsten Gerichten nicht selbst entscheiden dürfe. Dies fand keine Mehrheit der Stimmen, doch »ist wegen des letzteren ein Kollegialschreiben beliebet, mithin der Endzweck, in so ferne auf eine andere Weise und auf einem anderen Weg als vorgeschlagen, erreicht worden«. Die »Veranlassung zu diesem Kollegialschreiben haben die Monita des fürstlichen Kollegiums von 1790, zur Wahlkapitulation gegeben«23. Kurmainz gab daher die Anregung zu einem detaillierten Kollegialschreiben. Kurköln regte 1790 die Kollegialschreiben gegen den Büchernachdruck und wegen der französischen Übergriffe im Elsass an. Ein weiteres Schreiben betraf die Jurisdiktionskonflikte zwischen den Reichsgerichten. Ein Schreiben bezieht sich auf den Besitz des norditalienischen Marquisats Pregola bzw. einen Prozess, den Sardinien gegen Malaspina am Reichshofrat führte. Das siebente Kollegial­ schreiben war der Sache des Prinzen Aloysius Gonzaga von Castiglione geschuldet24. Der letzte Agnat des Hauses Castiglione kämpfte um das Herzogtum Mantua und weitere Besitzungen, die der Familie wegen Felonie im Spanischen Erbfolgekrieg entzogen worden waren. Das achte Kollegialschreiben enthielt Beschwerden des Schwäbischen Reichskreises gegen Österreich und das neunte betraf das Mecklenburger Privilegium de non appellando.

21 22 23 24

Crome, Wahlcapitulation, S. 114. Hanzely, Anleitung, S. 61. Crome, Wahlcapitulation, S. 144. Gonzaga von Castiglione, Bittschrift.

9. Der Weg zum Thron In der Zeit zwischen 1519 und 1792 war die Abfassung der Wahlkapitulation, neben der eigentlichen Wahl eines neuen Reichsoberhauptes, »eines der vorzüglichsten Geschäfte des Wahlkonvents«1. Die Verhandlungen über die Wahl­ kapitulation waren der Grund, warum sich die Wahltage oft über viele Monate erstreckten. Das Ergebnis der Wahl, das künftige Reichsoberhaupt, stand in der Regel schon vor der Zusammenkunft fest. Die nach dem Ableben des Kaisers erfolgenden Rechtsakte und Maßnahmen waren immer gleich und hatten ihren Ursprung im Königswahlgesetz »­ Licet­ iuris« Ludwigs des Bayern von 1338 und insbesondere in der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. von 1356, mit der die zur Zeit Kaiser Karls IV. bereits bestehenden Gepflogenheiten normiert und in eine fundamentalgesetzliche Form gebracht wurden. Sollte noch zu Lebzeiten eines Kaisers ein Nachfolger gewählt werden, verfuhr man in enger Anlehnung an dieses Verfahren. Nachdem der Kurfürst von Mainz vom Ableben des Kaisers Kenntnis erhalten hatte, versandte er ein Notifikationsedikt an seine Mitkurfürsten, das auch öffentlich angeschlagen und von den Kanzeln verlesen wurde. Ziel der Bekanntgabe war die Festsetzung des Beginns des Wahltages »zu künftigher Wahl eines Römischen Königs, zu Förderung eines Kaisers«, wie es schon in der Goldenen Bulle heißt.

9.1 Die Verhandlungen auf den Wahlkonventen Zu Beginn der Frühen Neuzeit traf man sich noch persönlich. Am Ende des Reiches erschienen nur noch die geistlichen Kurfürsten in eigener Person. Auch sie wurden, wie die Gesandten der abwesenden weltlichen Kurfürsten, von weiteren Wahlbotschaftern und gelehrten Beratern begleitet. Dies führte zu einigen Zeremonialkonflikten, die aber zu Beginn des 18.  Jahrhunderts überwunden wurden. Gemäß einem kurfürstlichen Kollegialschluss vom 9. Dezember 1771 wurden die zweiten, dritten und vierten Wahlbotschafter so wie die ersten Wahlbotschafter behandelt. Bloß die Legationssekretäre mussten ein »Handgelöbnis wegen zu beobachtener Verschwiegenheit leisten«, während die Botschafter, wie die anwesenden Kurfürsten, damit »verschont bleiben sollten«2. 1 Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 6. 2 Paragraph 3 des Schlusses, Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. 18. Ein Handgelöbnis ist eine Versicherung an Eides statt.

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Im Laufe der Verhandlungen über die Wahlkapitulation einigten sich die Kurfürsten bzw. ihre Repräsentanten irgendwann auf einen Termin für die Wahl des Reichsoberhauptes. Dieser Termin wurde auch öffentlich bekannt gemacht, da umfangreiche Vorbereitungen zu treffen waren; so mussten z. B. vor Beginn der Wahl alle Fremden aus der Stadt gewiesen und die Stadttore verschlossen werden. Nach der Festsetzung des Termins war die Zeit für weitere Verhandlungen begrenzt. Zur Verzögerung führten in der Regel nicht Auseinandersetzungen über den zu wählenden Kandidaten, sondern Konflikte über die inhaltliche Ausgestaltung der Wahlkapitulation. In der Regel wurde versucht, strittige Fragen im Vorfeld zu klären. Dies gelang nicht immer und belastete dann die offiziellen Konferenzen. So bahnten 31  Konferenzen Karl VII. den Weg zum Thron, bei Franz I. waren es 13 Sessionen, bei der Wahl Josephs II. nur 12. Bei der Wahl Leopolds II. folgten den drei Prädeliberationssessionen 22 offizielle Zusammenkünfte bis zur Wahl am 30. September 1790. Danach gab es noch zwei weitere Versammlungen, die unter anderem am 14.  Oktober 1790 der feierlichen Erneuerung des Kurvereins dienten3. »Nach geendigtem Wahlkapitulationsgeschäft wurden noch einige Sitzungen der Vornahme verschiedener, beim Wahlkonvent eingekommener Vorstellungen und Schreiben gewidmet«4. Waren die Verhandlungen über die Wahlkapitulation beendet, wurde dem wahrscheinlichen neuen Reichsoberhaupt oder seinem Vertreter die Wahlkapitulation zwei Tage vor dem angesetzten Wahltermin zur Einsicht überreicht. Nach einer angemessenen Bedenkzeit, 1575 z. B. nach einem Tag, wurde sie mit dem Einverständnis des Kandidaten zurückgebracht5. 1690 äußerte Kaiser Leopold I. anlässlich der Durchsicht der Kapitulation seines Sohnes Joseph Bedenken zu mehreren Artikel, worauf die Kurfürsten nochmals für einen Tag in die Verhandlungen eintraten und die Wahlkapitulation erneut dem Kaiser zur Durchsicht übersandten, der sich nun einverstanden erklärte, worauf unmittelbar zur Wahl geschritten wurde6. Eine Verschiebung der Wahl demonstrierte der ganzen Welt die Uneinigkeit im Kurkolleg. So war es z. B. 1612, als die Wahl für den 30. Mai anberaumt worden war und schließlich auf den 13.  Juni verschoben werden musste7. Als sich die Verhandlungen immer mehr in die Länge zogen, monierte der Vertreter Kurbrandenburgs, »einmal müsse« man »aus der Capitulation kommen«, damit man zur Wahl schreiten könne8. 1711 musste der Wahltermin wegen Ver­ zögerungen in den Kapitulationsverhandlungen vom 6.  auf den 12.  Oktober Bülow, Betrachtungen, S. 21. Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. 354. [Anonym]: Geheimbdes Protokollum. Müldener, Capitulatio Harmonica, S. XVI. Die Monita bezogen sich auf Artikel IV, V, VI, XII, XVII, XXXIV, XXXV, XL, LIII u. LVII. 7 Ebd., S. 143. 8 Ebd., S. 29. 3 4 5 6

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verschoben werden9. Zwei Tage vor der Wahl wurde dem Kandidaten bzw. seinen Bevollmächtigten das Ergebnis der Verhandlungen zur Begutachtung übersandt. Die Prüfung der Wahlkapitulation durch den Kandidaten oder seine Bevollmächtigten entfiel später. Ab 1711 bzw. 1745 wirkten, mit der Aufnahme Kurböhmens in das kurfürstliche Kolleg, alle potentiell zu wählenden Kandidaten bei der Revision der Wahlkapitulation mit.

9.2 Vorverhandlungen Sobald die Kurmainzer Delegation in der Wahlstadt eingetroffen war, verständigte sie sich mit dem Rat der Stadt über die »Einrichtung der Wahlkonsultationszimmer« auf dem Rathaus10. Für die Einrichtung des feierlichen Konsultationssaals war Kurmainz gemeinsam mit dem Reichserbmarschall, dem Grafen von Pappenheim, verantwortlich. Vor Beginn der formellen Konferenzen musste der Plan dem Kollegium vorgelegt werden. Aber auch die Entwürfe der Innenarchitekten für die Emporen und Umbauten im Dom anlässlich der Krönung wurden hier besprochen und zur Entscheidung an eine Konferenz des Reichserbmarschallamts mit den Marschällen aller Wahlgesandtschaften verwiesen. Die Kosten wurden zwischen den Kurhöfen geteilt11. Vor Beginn der offiziellen Verhandlungen wurden in der Regel »Vorverhandlungen«, sogenannte »Präliminarkonferenzen«, geführt. Sie konnten sich je nach Problemlage über Stunden, Tage, Wochen oder Monate erstrecken und fanden in der Regel in den Gesandtschaftsquartieren statt, wobei sich befreundete Kurhöfe noch vor Beginn dieser inoffiziellen »Kollegialverhandlungen« in separaten Vorvorkonferenzen auf gemeinsame Positionen für die Kollegial­ konferenzen verständigten12. In der Regel wurde hier gleich zu Beginn anheimgestellt, ob es nicht das Beste sein »bei Ablesung der botschaftlichen Vollmachten die Titulaturen sub reservandorum völlig zu umgehen, und dadurch allen Titutlaturanständen unschädlich auszuwichen«.13 Dies hatte allerdings nur Erfolg, wenn alle Gesandtschaften bzw. Kurfürsten kooperationswillig waren. 9 Pick, Bemühungen, S. 174. 10 Olenschlager, Des Römischen Kaysers Franz I. Wahl- und Krönungs-Diarium, S. 111. 11 [Roth], Aechtes Protokoll, S. 14. Die temporären Umbauten kosteten mehrere tausend Gulden, Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. 12. 12 Ebd., S. II. 13 Dritte Präliminarkonferenz, 11.  August 1790, in: [Roth], Aechtes Protokoll, S.  12. Konfliktpotential bot ab 1711 der königlich preußische Titel bzw. der Titel »Administrator des Hochmeistertums in Preußen«, gegen den der Hoch- und Teutschmeister bzw. Kurbrandenburg protestierten, z. B. 1741/42, HHStA Wien: MEA Wahl- und Krönungsakten Kar-

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In den gemeinschaftlichen Vorverhandlungen wurde zunächst über die Verfahrensart, den Modus tractandi, aber auch über schwierige Verhandlungsgegenstände gesprochen. Letztere führten nicht selten zur Aussetzung der offiziellen Verhandlungen im »Wahlkonsultationszimmer« auf dem Rathaus und zu erneuten inoffiziellen Verhandlungen in den Quartieren. Immer wieder wurden Materien in »Privatuntersuchungen präpariert, zuweilen wurde dies sogar förmlich beschlossen. So fragte Kursachsen am 14. September 1711 im Wahlkonvent: »Ob nicht zur Beschleunigung der italienischen Sachen diensam seyn möchte, ehe man zur Session käme, sich unter der Hand über ein und andern Punkt vertraulich zu vernehmen und zu versuchen, wie durch ein oder ander vorkommendes Temperament die Sache in die Weege zu richten, dass dadurch kein Aufenthalt verursacht werde«14. Wesentliche Verfahrensfragen und inhaltliche Entscheidungen wurden somit in diesen unprätentiösen »Privatberatungen der Wahlgesandten« geregelt15. Das Verglichene wurde dann im Idealfall in der förmlichen Session einstimmig zu Protokoll gegeben. 1741 erforderte z. B. die Frage der Zulassung Kurböhmens »kollegiale Vorberatungen«, ohne dass jedoch wegen des pfälzischen und brandenburgischen Protestes Einstimmigkeit erzielt werden konnte. Insbesondere sollte der Übergriff österreichischer Truppen auf den Sekretär des zweiten Kurpfälzer Wahlbotschafters in »gemeinsame Kollegialpraedeliberation gezogen« werden16. Es stand 1740 bis 1742 in Frage, ob eine Frau eine Kurstimme führen könne. Pfalz stellte daher im Interesse Bayerns den Antrag, den auf den 1. März 1741 ausgeschriebenen Wahltag zu verschieben. Dies wurde von Köln und Brandenburg unterstützt. Da aber die übrigen Kurhöfe eine Verschiebung ablehnten, einigte man sich darauf, den Wahltag zwar am 1. März zu beginnen, aber ohne die gewöhnlichen Feierlichkeiten und ohne die offiziellen Konferenzen. Stattdessen sollten sich die Gesandten zunächst zu »Privatberatschlagungen« treffen17. Erst am 4.  November fand die erste »Präliminarsitzung« statt18, auf welcher der Ausschluss Böhmens von den Beratungen und von der Wahl beschlossen wurde.

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ton 52 1741–1742. 1612 kam es zum Konflikt zwischen Kurpfalz und Kurbrandenburg wegen der Jülisch-Clevisch- und Bergischen Titel, HHStA Wien: MEA Wahl- und Krönungsakten Karton 11, 1612. Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 11. Auch am 4., 9. und 13.August 1745 lud Kurmainz die anwesenden Wahlbotschafter zu »einer Privatzusammenkunft und vertraulichen Unterredung zum Compostell« ein, Olenschlager, Des Römischen Kaysers Franz I. Wahl- und Krönungs-Diarium, S. 143, 156, 164. Erst am 20. August kam es zur ersten förmlichen Zusammenkunft. Siemsen, Kur-Brandenburgs Anteil, S. 73 f. Olenschlager, Des Römischen Kaysers Franz I. Wahl- und Krönungs-Diarium, S. 145 f. Siemsen, Kur-Brandenburgs Anteil, S. 73. Ebd., S. 87.

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Im 18. Jahrhundert wurden diese »vorläufigen Privatkonferenzen« im Vergleich zu den »feierlichen Hauptkonferenzen« immer wichtiger, so dass auch hier Protokolle geführt wurden und diese auch als Teil der Wahltagsprotokolle gedruckt wurden19. In der Regel, aber nicht zwingend, fanden sie im kurmainzischen Quartier in Frankfurt, dem Kompostell, statt und wurden durch einen »Direktorialvortrag« des kurmainzischen Direktorialwahlbotschafters er­öffnet. Die Tagesordnung behandelte die Bestimmung des Beginns der feierlichen Konferenzen, den Ort der zeremoniellen Zusammenkünfte und seine Präparation sowie die Verfahrensart während der Verhandlungen. »Die Sitzungen geschahen an einem großen runden mit den erforderlichen Schreibmaterialien versehenen Tische, damit diejenigen Gesandten, welche wollten, sich den Vorgang aufzeichnen konnten, ohne Beobachtung des Ranges, ohne Gegenwart eines Sekretärs, ohne Führung eines förmlichen Protokolls«. Der dritte kurmainzische Gesandte notierte die Ergebnisse, welche in der mainzischen Kanzlei achtmal kopiert und den Gesandtschaften zugestellt wurden20. Die Verhandlungssituation am Runden Tisch im Kompostell war wesentlich zielführender als im Wahlkonsultationszimmer mit seiner für Verhandlungen unpraktischen zeremoniellen Bestuhlung. Tatsächlich wurde auch im offiziellen Konsultationsraum öfters »in Circulo« verhandelt. Schon 1612 bemühte sich Kurmainz im Vorfeld des Wahltages, »alle Weitläufigkeit« bei den Verhandlungen zu vermeiden21. In der Regel wurde beschlossen, die Posttage, 1658 waren das z. B. die Dienstage, von Versammlungen freizuhalten22. Zudem wurde 1790 festgelegt, »daß unter sämtlichen Herrn Wahlbotschaftern, sobald dieselben unter sich befindlich sind«, keine fremden Gesandten oder Standespersonen anwesend seien oder ein anderer zwingender Grund vorliege, »keinerlei Zeremoniel beobachtet, sondern das Kommerzium ohne Rang und ohne Gêne (doch unabbrüchig der sonst über das Zeremoniel beste19 [Roth], Aechtes Protokoll, S. VI. 20 Ebd., S. VIII. So auch 1792 an einem »runden Tisch, ohne den Rang zu beachten«, Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. 7. Schon anlässlich der Präzedenzstreitigkeiten während des Westfälischen Friedenskongresses hatte man überlegt, einen runden Tisch in einem Raum mit mehreren Zugängen aufzustellen, Rohrschneider, Friedenskongress, S. 231. Auf dem Kongress von Ryswijk 1697 versammelte man sich in einem Saal im Kreis, jedoch ohne Tische. Der Frieden von Karlowitz 1698 wurde an einem runden Tisch verhandelt. Beim Friedenskongress von Fokzani saßen die Abgeordneten Russlands und des Osmanischen Reiches 1772 an einem runden Tisch um Rangstreitigkeiten zu vermeiden, Hennings, Vorurtheile, S. 95 u. 97. In Utrecht 1712, Cambrai 1722, Soissons 1728 und Aachen 1748 verhandelte man an runden Tischen, Hatschek, Wörterbuch des Völkerrechts, 1. Bd., S. 666. Die Bundesversammlung des Deutschen Bundes im Thurn und Taxis’schen Palais in Frankfurt am Main tagte später ebenfalls an einem großen runden Tisch, bildliche Darstellung: Kühn, Charakterköpfe, Tafel 32. 21 HHStA Wien: MEA, Wahl- und Krönungsakten, Karton 11, 1612. Nebeninstruktion für den Kurmainzer Vizedom Brömser von Rüdesheim anlässlich seiner Gesandtschaft am sächsischen Hof, 11. März 1612. 22 HHStA Wien: MEA, Wahl- und Krönungsakten, Karton 31, 1657–1658.

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henden Kollegialschlüsse) lediglich auf dem Fuße eines freundschaftlichen Privatumganges gepflogen werde«23. Ebenso kam man überein, auf solenne Visiten und Revisiten zu verzichten. So befreiten sich die Wahlbotschafter »nach ihrem Hange« von »dem steifen und beschwerlichen Zeremoniell mit allgemeiner Zufriedenheit«24. Ankommende regierende Reichsfürsten verzichteten auf die »Honneurs« bzw. die Salutschüsse der Kanonen, um keinen Zeremonialstreit mit den kurfürstlichen Gesandten zu provozieren25. Die Reduzierung des Zeremoniells entsprach dem Trend der Zeit. Die Reichshofratsordnung von 1654 hob das »unnötige« Zeremoniell innerhalb des Gerichts gänzlich auf26. Anlässlich der Wahl Josephs II. stellte Johann Jacob Moser fest, was eigentlich für alle Zeremonialfragen galt: »Kurz, nachdem Österreich und Preußen sich wegen ihrer übrigen Streitigkeiten verglichen hatten, hielte dieser Umstand die Wahl nicht weiter auf, die Fürsten und übrigen Stände wurden nicht darüber befragt«27. Die zeremoniellen Prätentionen der mindermächtigen Reichsstände waren in diesem Prozess zu einem Instrument der Politik der Großmächte geworden. Anspruch, Anmaßung, Dünkel, Überheblichkeit und Vermessenheit konnten nur aufkommen, wenn die deutschen Großmächte bereit waren, ihnen Raum zu geben, und das war immer seltener der Fall. Die in der Öffentlichkeit durch Kupferstiche und Druckschriften in der Regel hochzeremoniell dargestellten Verhandlungen der Wahltage verzichteten, wenn sie schnell zu einem Ergebnis kamen, weitgehend auf das Zeremoniell. Wie bei den Verhandlungen des Reichstags bestand häufig eine Divergenz zwischen den tatsächlichen Verhandlungen und ihrer öffentlichen Darstellung. Die beteiligten Delegationen setzten zum gegenseitigen Nutzen auf eine Ökonomie der Nähe, die schneller zum Ziel, zur überarbeiteten Version der Wahlkapitulation führte. Die Betonung des Zeremoniells hingegen verkörperte eine Ökonomie der Distanz, die andere Ziele verfolgte. Je nach politischer Situation konnte die Befolgung des einen oder anderen Ansatzes für einzelne Delegationen sinnvoll sein. In den Vorkonferenzen besprach man auch das Prozedere der gegenseitigen Akkreditierung, möglichst mit Umgehung der Titulaturen in der ersten offiziellen Sitzung, da manche Titel unter den Anwesenden umstritten waren, wie der preußische Königstitel des Kurfürsten von Brandenburg, gegen den der Kurfürst von Köln als Deutschordensmeister widersprechen musste.

23 [Roth], Aechtes Protokoll, S. 9. 24 Ebd., S. 11. Nur die persönlich anwesenden geistlichen Kurfürsten wurden mit feierlichen Visiten geehrt. Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. 9. 25 Ebd., S. 11. 26 Titulus II, § 9. Buschmann (Hg.): Kaiser und Reich, T. II, S. 143. 27 Moser, Betrachtungen über die Wahlcapitulation Kayser Josephs II., S. 14.

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9.3 Antizipation der Diplomatischen Revolution Das Zeremoniell blieb auf der Reichsebene, wie nahezu überall in der Frühen Neuzeit, von großer Wichtigkeit, da es Rechtsansprüche sympolisierte. Anspruch und Wirklichkeit wurden dabei jedoch auf den Wahltagen, den Kreistagen, im Reichstag und in anderen Reichsinstitutionen zunehmend prak­matisch gehandhabt. Artikel XL der Wahlkapitulation von 1658 hob die Standesunterschiede in den kaiserlichen Ratsgremien auf. Abstimmungen sollten künftig gemäß dem Eintritt in das Gremium erfolgen und nicht gemäß der individuellen Adelstitel. Dieses Prinzip der Anciennität, der Rangfolge aufgrund des Dienstalters, war damals Ausdruck der Modernität. Nach endlosen Zeremonialkonflikten gilt es heute noch. Bei der Verteilung der sieben Ressorts im Schweizerischen Bundesrat wird gleichfalls nach dem Anciennitätsprinzip vorgegangen. Der dienstälteste Bundesrat wählt zuerst. 1658 kontrastierte die Nüchternheit eines Resolutionsverfahrens mit der schwer fassbaren Allzuständigkeit des Reichshofrats. In den Institutionen des Reiches wurde im 17. und 18. Jahrhundert eingeübt, was durch die Kongresse von Wien und Aachen 1814/15 und 1818 zur Diplomatischen Revolution wurde. Die Ersetzung des Rangs der Gesandten, unabhängig von der Macht und den Prätentionen der entsendenden Herrscher und Staaten, durch die Anciennität des Dienstantritts. Auf den Kongressen in Wien und Aachen, fand man einen Modus Vivendi, der einen häufigen Kriegsgrund der Vormoderne, Konflikte um Rang und Zeremoniell, ein für alle Mal beilegte. Man einigte sich in Wien, dass die selbst anwesenden Kaiser, Könige, Fürsten und Minister im persönlichen Umgang auf jedes Zeremoniell verzichteten, bzw., wenn es sich nicht vermeiden ließ wie beim Sitzen an einem gemeinsamen Tisch oder in der Opernloge, sich der Rang nach dem individuellen Alter richten sollt. Die Rangfolge der diplomatischen Vertreter der verschiedenen Klassen sollte sich in Zukunft nicht mehr nach der Macht oder dem Ansehen der entsendenden Monarchen oder Länder richten, sondern nach dem Zeitpunkt der Übergabe ihrer Beglaubigungsschreiben am Dienstort. Es galt also, wer als erster angekommen war, darf bei offiziellen Gelegenheiten voranschreiten und an der Spitze der anderen Gesandten stehen. Das ist das Prinzip der Anciennität des Dienstantritts und gilt bis heute im diplomatischen Verkehr, wenn Botschafter in eine Reihenfolge gebracht werden müssen. Für das Unterschreiben von Verträgen einigte man sich, künftig, unabhängig vom Herrschernamen, nach dem französischen Alphabet der Ländernamen zu richten. Dies hatte den Vorteil, dass der Kaiser von Österreich, der bis 1806 als römisch-deutscher Kaiser traditionell den ersten Platz im Zeremoniell einnahm, weiter stets an erster Stelle stand, bis auf eine Ausnahme. Auf Intervention des orthodoxen russischen Zaren wurde dem Papst ein Ehrenvorrang für den Fall eingeräumt, dass er an einem Vertrag teilnahm. Alle anderen folgten alphabetisch.

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Diese zeremonielle Informalität als Verfahrensart bewirkte auch, dass die großen Friedenskongresse, die in der Frühen Neuzeit, um Rangkonflikte zu vermeiden, abseits der großen Residenzen veranstaltet wurden, seit dem frühen 19. Jahrhundert in den Hauptstädten der großen Mächte stattfinden. Wie konnte es zu dieser Diplomatischen Revolution kommen, die ein jahrtausendealtes Problem glücklich löste. Die Monarchen von Österreich, Russland, Preußen usw. hatten schon in dem langen Winterfeldzug nach der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 bis zum Einzug in Paris im März 1814 bei ihren häufigen persönlichen Umgang miteinander in den Feldlagern und Hauptquartieren und später in Paris, London und Wien nach und nach auf das Zeremoniell verzichtet. Und noch etwas anderes kam hinzu. Die Kongresse in Wien und Aachen wurde von deutschen Diplomaten dominiert. Auch die neuen hegemonialen Mächte Großbritannien und Russland beschäftigten eine Vielzahl von deutschen Beratern. Die deutschen »Geschäftsmänner« waren alle in den Institutionen des Reiches sozialisiert, zumindest in ihrem Studium auf ein Wirken in den Reichsinstitutionen vorbereitet worden. In den nach außen scheinbar hochzeremoniellen Institutionen des Reiches hatte man jedoch im Alltag in der Regel schon seit Langem auf das Zeremoniell verzichtet.

9.4 Hauptverhandlungen Auch in den »Hauptkonferenzen« der Wahlatge führte Kurmainz das Direktorium und eröffnete das Protokoll sowie die Umfrage und wurde zuletzt selbst von Kursachsen aufgerufen. Mainz fertigte dann über das Ergebnis der einhellig oder mehrheitlich ausgefallenen Abstimmungen ein Konklusum an. Protokolle schrieben der kurmainzische Sekretär sowie sämtliche Sekretäre der übrigen Kurhöfe und kollationierten sie später. 1575 beantragte Kurtrier, dass zur Verbesserung der Kapitulation jeder Kurfürst zwei Räte verordnen solle28. 1612 einigten sich die Kurfürsten, dass jeder von ihnen sechs Räte nebst einem Sekretär für die Wahlkonsultationen bei dem Kurfürsten von Mainz akkreditieren solle. Damit hatte man genügend Reserveräte für Unglücksfälle wie Krankheit oder Tod29. Auch wenn die Kurfürsten anwesend waren, wurde das Kapitulationsgeschäft bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts von den gelehrten Räten besorgt30. Die Kurfürsten bzw. die ersten Wahlbotschafter saßen auf einer mit rotem Tuch belegten, durch drei Stufen erhabenen »Estrade« in Lehnsesseln in der sogenannten »Lateralordnung«31, als wenn der Kaiser in ihrer Mitte sitzen würde. 28 29 30 31

[Anonym]: Geheimbdes Protokollum, S. 10. Müldener, Capitulatio Harmonica, S. 4. Ebd., S. 43. Von lateinisch latus = Seite.

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Von der Mitte nach rechts saßen 1711 Mainz, Böhmen, Pfalz, Brandenburg, wobei Böhmen vor 1711 bzw. 1745 an den Verhandlungen nicht teilnahm. Auf der anderen Seite saßen von der Mitte nach links: Köln, Sachsen und Braunschweig. Trier saß in der Mitte vor dem Kaiser, tatsächlich aber zwischen Kurmainz und Köln. 1623 nahm Bayern den Platz der Pfalz ein. Pfalz musste sich von 1648 bis zum Zutritt Hannovers 1692 mit dem letzten Platz begnügen. Während des 16.  Jahrhunderts erschienen die Kurfürsten noch persönlich zur Kaiserwahl. Noch 1612 waren außer Brandenburg alle Kurfürsten in Person anwesend, der minderjährige Kurfürst von der Pfalz wurde jedoch durch einen Administrator vertreten. 1690 weigerte sich Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, verstimmt über die Nichtüberlassung des Kreises Schwiebus, persönlich an der Wahl Josephs I. teilzunehmen und schickte Gesandte. Diesem Beispiel schloss sich der Kurfürst von Sachsen an. »Die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen sind seitdem nie wieder persönlich zu den Wahlverhandlungen erschienen«32. Gleichzeitig trat dadurch hinsichtlich der Kapitulationsverhandlungen eine Professionalisierung ein, da sie nun mehr als zuvor auf die jeweils fähigsten Juristen der Wahlfürsten übergingen. Weltliche Kurfürsten waren zuletzt 1711 in Person zugegen. Noch 1792, bei der letzten Kaiserwahl, waren alle geistlichen Kurfürsten anwesend. Geistliche Kurfürsten, die geborene Prinzen waren, erhielten zu Beginn der Wahlkapitulationen den Titel »hochwürdigst und durchlauchtigst«, geistliche Kurfürsten, die keine geborenen Fürsten waren, bekamen nur den Titel »hochwürdigst«. Vor dem Podest mit den Sesseln der Kurfürsten und ihrer ersten Stellvertreter stand ein langer mit rotem Samt belegter Tisch, an dem die Votanten, jene Gesandte, die das Votum führten, in Sesseln ohne Lehne Platz nahmen. Im Gegensatz zu den Kurfürsten bzw. den ersten Wahlbotschaftern saßen sie nicht in der Lateralordnung, sondern in der Linearordnung in der Reihenfolge Mainz, Trier, Köln, Böhmen, Pfalz, Sachsen, Brandenburg, Braunschweig-Lüneburg. Vorn an diesem Tisch auf der Seite neben dem kurmainzischen Gesandten saß der kurmainzische Sekretär. Hinter den Votanten saßen die übrigen Gesandten eines jeden Hofes auf gleichen Sesseln. Zwischen Kurköln und Kurtrier gab es von Konferenz zu Konferenz eine Alternation, bei der die beiden Kurfürsten abwechselnd den zweiten und den dritten Platz einnahmen. Kurköln gebührte dabei der Vorrang in der ersten Konferenz. Sie fand jedoch nur innerhalb der Lateralordnung der ersten Wahlbotschafter, nicht in der Linearordnung der weiteren Wahlgesandten statt. Beim Votieren hatte jedoch ohnehin stets der kurtrierische Gesandte den Vorrang vor dem kurkölnischen. Die Alternation fand nur in der Platzierung statt, im Eingang der Wahlkapitulation erschien Kurtrier immer vor Kurköln. Auf der sogenannten »Zwergseite« rechts gegenüber dem Kurmainzer Sekretär am Kopf des Votantentisches, stand ein langer, mit rotem Tuch belegter 32 Siemsen, Kur-Brandenburgs Anteil, S. 9.

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Tisch, an dem die Sekretäre der übrigen Kurhöfe nach gleicher Rangordnung saßen. An der gegenüberliegenden Wand stand der sogenannte Konfekttisch mit Erfrischungen. Die Votanten waren die eigentlichen »Geschäftsmänner«, die übrigen Gesandten sprachen fast nichts in den Konferenzen. Sie konnten aber je nach ihren persönlichen Fähigkeiten erheblichen Einfluss nehmen, da die Voten schon vor den feierlichen Sitzungen von jeder Botschaft »in ihren häuslichen Privatkonferenzen« unter sämtlichen Botschaftern der Kurhöfe mit oder ohne Zuziehung ihrer Legationsräte und Konsulenten gefertigt werden konnten33. Die Konsulenten, die juristischen Berater der Gesandtschaften, waren in der Regel die fähigsten Staatsrechtler, derer sich die Kurhöfe versichern konnten. »Eine sehr natürliche Folge davon ist, daß ein jeder Kurhof zu diesem Geschäft nur solche Männer wählt, die gründliche Kenntnis des teutschen Staatsrechts besitzen, bereits hinlängliche Erfahrung in deutschen Staatssachen erlangt haben, und mit dem Interesse ihrer Höfe auf das genaueste bekannt sind. Das Verzeichniß der Namen der kurfürstlichen Wahlbotschafter, vorzüglich, derjenigen, welche die eigentlichen Votanten sind, stellt also eine Gallerie der vorzüglichsten teutschen Staats- und Geschäftsmänner dar«34. So war Johann Jacob Moser 1742 Mitglied der Kurtrierer und 1745 der Kurbraunschweiger Wahlgesandtschaft. Johann Stephan Pütter, der Moser als »Patriarch des deutschen Staatsrechts« nachfolgte, nahm gleich dreimal (1764, 1790 und 1792) für Hannover an Kaiserwahlen teil. Befriedigt konnte Pütter 1790 und 1792 feststellen, »unter den Gesandtschaftskavalieren waren nur zwei, die nicht studiert hatten, […]. Alle anderen hatte ich die Ehre gehabt als Göttingische gelehrte Mitbürger in meinem Hörsaal zu sehen«35. Darunter befand sich auch Johann Christian Kestner, Goethes Mitpraktikant am Reichskammergericht, der spätere Gemahl Charlotte Buffs, der Karl Wilhelm Jerusalem 1772 die Pistolen geliehen hatte, welche die Leiden des Werther-Vorbildes beendeten. Auch wenn die Verhandlungen wegen politischer Friktionen oder Kriegsereignisse für Wochen oder Monate stockten, konnten sich die anwesenden Diplomaten und Fürsten, ähnlich wie am Reichstag, nicht über einen Mangel an Beschäftigung beschweren. Empfänge für Gäste und Delegationen wechselten mit Amtseinführungen, Antrittsbesuchen und Revisiten, Visiten bei durchreisenden Fürstlichkeiten, Namenstage und Geburtstage der Kurfürsten, Verabschiedungen, Vertragsunterzeichnungen nach bi- oder multilateralen »Nebenverhandlungen«, Konzerte und Theateraufführungen. Es war wohl kaum möglich, allen Einladungen Folge zu leisten. Zu einigen Anlässen aber galt es, unbedingt zu erscheinen: zum Empfang der gastgebenden Stadt sowie den Namens- oder Geburtstagen der anwesenden 33 [Roth], Aechtes Protokoll, S. XI. 34 Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. III f. 35 Pütter, Selbstbiographie, S. 816.

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Kurfürsten oder gar des anwesenden Kaisers oder Thronkandidaten. Das waren die protokollarischen Höhepunkte im Kalender der Gesandten, die nur von der offiziellen Wahl und Krönung übertroffen wurden. Auch die Namenstage und Geburtstage der Gesandten wurden gefeiert. Bei Abwesenheit oder Erkrankung des ersten Gesandten nahm der zweite Wahlgesandte dessen Stelle ohne weitere Förmlichkeiten ein, so dass die Sitzungen ohne Unterbrechung fortgesetzt werden konnten. Alle Schreiben, die sich an das Kurkolleg richteten, wurden in der Diktatur verlesen oder in Abschriften verteilt. Die Diktatur erfolgte in einem besonderen Zimmer nach Ankün­ digung durch Kurmainz. Zu Beginn der Verhandlungen wurde stets »die vorige Kapitulation reiflich und wohl bedacht«36. Lange Zeit war man so verfahren, dass die vorige Wahlkapitulation artikelweise vorgelesen wurde, worauf jeder Kurfürst seine Anmerkungen und Zusätze vortragen konnte37. Diese Art der Abstimmung war unbequem, unübersichtlich und ließ wenig Zeit zum Überlegen. Am 8. Mai 1658 regte Kurbayern an, die Monita vorab schriftlich zu kommunizieren, jedoch ohne Diktatur. Wegen der Geheimhaltung sollte dies ausschließlich im Wahlzimmer erfolgen. Bei den umfangreichen Änderungen 1711 und 1742 musste dennoch auf die Diktatur zurückgegriffen werden. Am 28.  August 1745 beschloss das Kollegium dann, dass Änderungswünsche gleich in hinlänglicher Anzahl bei Kurmainz eingereicht werden müssten, um die beschwerliche Diktatur zu vermeiden38. Bald ging man dazu über, den Verhandlungen Drucke der jüngsten Wahlkapitulation zugrunde zu legen39. Da die Wahltagsakten immer umfangreicher wurden, benutzte man im 18.  Jahrhundert auch kommerzielle Drucke der Wahltagsprotokolle zurückliegender Wahlen, um sich leichter orientieren zu können40. Hierbei halfen die Indices. Denn die handschriftlichen Wahl­ protokolle waren sehr unübersichtlich, weil sich die Wahlbotschafter oft das Protokoll offen hielten, d. h. sie erklärten später abstimmen zu wollen. Oft wurden Themen erst nach etlichen Sessionen weiterbehandelt bzw. Abstimmungen fortgesetzt41. Oft stammten diese Drucke von Mitarbeitern der Wahldelegationen wie dem kurmainzischen Legationssekretär Johann Richard Roth, der 1791 das Wahltagsprotokoll von 1790 veröffentlichte. Bei seiner Veröffentlichung dachte Roth nicht nur an das Verlangen des breiten Publikums, die Arkana der Kaiserwahl zu ergründen, sondern auch bereits an einen künftigen Wahlkonvent42. Seit 1653 erschienen zudem offizielle Drucke der Wahlkapitulationen 36 37 38 39 40 41 42

Müldener, Capitulatio Harmonica, S. 46. Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 6. Olenschlager, Des Römischen Kaysers Franz I. Wahl- und Krönungs-Diarium, S. 187. Crome, Wahlcapitulation, S. 73. [Roth], Aechtes Protokoll, S. IV. Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. VII. [Roth], Aechtes Protokoll.

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mit einem kaiserlichen Privileg, deren Erlöse einer karitativen Einrichtung in Mainz zugutekamen43. Für den Fall der Verletzung des Privilegs, also des unautorisierten Nachdrucks, wurde 1792 eine Strafe von »fünf Mark löthigen Goldes« angedroht, die zur jeweils zur Hälfte an die kaiserliche Kammer und das­ Rochusspital in Mainz fließen sollte44. 1709 bis 1711, während der Verhandlungen über die Perpetua, die allerdings nicht im Wahlkonvent, sondern auf dem Reichstag geführt wurden, kam es erneut zu Auseinandersetzungen über die Verfahrensart. Die einzelnen Artikel wurden schließlich vormittags verlesen, und am gleichen Tag nachmittags wurden Monita beim Direktorium eingereicht. Diese wurden von Mainz zusammengestellt, in der nächsten Sitzung verlesen und am folgenden Tag durch Umfrage entschieden. Seit 1764 wählte man einen noch kürzeren Weg. Jeder Kurhof schickte seine Monita, die bereits der Zahl der Kurhöfe entsprechend vervielfältigt waren, an das Direktorium. Dieses teilte sie dann den anderen Wahldelegationen »loco dictature« mit, wodurch sie Teil  der Wahlakten wurden. In den Konferenzen wurde der Text dann paragraphenweise verlesen, die jeweiligen Monita in Umfrage gestellt, darüber votiert und über jedes Monitum ein besonderes Konklusum gefasst45. Da man sich bereits in den ersten Sitzungen auf die weitgehende Übernahme der Wahlkapitulation Franz’ I. von 1745 geeinigt hatte, verlas der kurmainzische Hof- und Legationsrat Freiherr von Bentzel in der dritten Sitzung am Donnerstag, dem 8. März 1764, die Kapitulation Franz’ I. mit den Bemerkungen und Erinnerungen zu den einzelnen Artikeln und Paragraphen, worauf jeweils anschließend durch Umfrage abgestimmt wurde46. Bereits am 16. März war die Überarbeitung mit der sechsten Sitzung abgeschlossen47. Die Umfrage wurde vollzogen, indem das Kurzmainzer Direktorium das Wort »Umfrage« aussprach und die Sekretäre dieses Wort ins Protokoll schrieben. Danach wurden die Voten diktiert. Hatte jemand seine Stimme bereits abgelegt und wollte, nachdem er schon an der Reihe war, noch etwas nachtragen, so sagte der Votant z. B.: ›Kurtrier interloquendo‹ usw. und diktierte seinen Nachtrag. Auch die Voten der einzelnen Kurhöfe wurden diktiert oder, wenn sie zu ausführlich waren, abgelesen und später durch die Diktatur den sämtlichen Botschaftern mitgeteilt. Nach jeder Sitzung kamen die Sekretäre in einem be43 1792 z. B. gemäß dem vorangestellten kaiserlichen Privileg dem St. Rochushospital s. Wahlkapitulation des roemischen Kaisers Franz des Zweiten. Nach dem kurmainzischen Originale zum Drucke befoerdert, Mainz 1792, S. I u. 2 [unpaginiert]. 44 Ebd. Löthig hier im Sinne von rein bzw. unvermischt. 45 Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S.  10. »Kapitulationserinnerungen« seien »Artikel für Artikel in behöriger abschriftlicher Anzahl« von den Wahlgesandten beim Direktorium einzureichen und von diesem den Botschaftern mitzuteilen und dann abzustimmen, Riegger, K. Joseph des II. harmonische Wahlkapitulation, T. II, S. 2. 46 Ebd., T. II, S. 3. 47 Ebd., T. II, S. 36.

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sonderen Zimmer zusammen und kollationierten ihre Protokolle mit dem kurmainzischen. Bereits 1711 wurde dieses Verfahren von Kurmainz als »uralte Praxis« bezeichnet. Nach Mehrheit der Stimmen formulierte und diktierte Kurmainz ohne weitere Besprechung das Konklusum, sobald das Resultat deutlich war48. Wenn Mainz aus mehreren Voten eines bilden musste, wurde die Zusammenfassung vor der nächsten Umfrage »ad aedes« kommuniziert, d. h. die Mainzer Zusammenfassung wurde den Gesandten vor der nächsten förmlichen Sitzung in ihren Quartieren überreicht. Spätestens ab 1764 wurde auch die Tagesordnung für die nächste Sitzung so kommuniziert49. »Die beliebten Zusätze werden, den gefassten Schlüssen gemäß, vom Direktorium an den gehörigen Orten eingeschaltet und zuletzt, wann dies geschehen, und alle Artikel durchgegangen sind, die ganze entworfene Kapitulation nochmals in den Konferenzen verlesen«50. 1612 einigte man sich jedoch, am Ende der Verhandlungen nur jene Artikel zu verlesen, die man geändert oder neu hinzugefügt hatte51. Bei dieser Gelegenheit kam es in der Regel zu letzten Korrekturen. 1658 und 1741 wurde beschlossen, dass keine »Spezialitäten« in die Wahlkapitulation eingerückt werden sollten. In dem Verfassungsgesetz sollte nur Grundsätzliches geregelt werden52. Dies wurde aber nicht immer erreicht. Immer wieder wurden Einzelinteressen mit dem angeblichen allgemeinen Wohl ummantelt. Manche inhaltliche Änderungen, die so zustande kamen, wie die Einbeziehung der nichtkurfürstlichen Stände und der Reichsritterschaft, hatten einen Vorlauf von bis zu fünf Wahltagen. Mehrmaliges Scheitern und hundertjähriges Bemühen bedeutete also kein grundsätzliches Misslingen. 1790 wurde als Modus Tractandi festgesetzt, die letzte Wahlkapitulation »paragraphenweise« durchzugehen »und die vorher dem Direktorio in siebenfacher Abschrift zugestellten Monita nach ihrer Ordnung an gehörigen Orten in Umfrage« zu stellen. Zudem einigte man sich während der Verhandlungen, »um Zeit zu gewinnen«, nur jene Paragraphen zu verlesen, die geändert werden sollten53. Hatte man sich über den Text endgültig verständigt, verfuhr man im 18. Jahrhundert in der Regel so, dass die »Original-Exemplare der Kapitulationen« von Kanzlisten der einzelnen kurfürstlichen Höfe in der Kurmainzer Kanzlei geschrieben, durch die Legationssekretäre auf dem Römer kollationiert und von dem Thronprätendenten bzw. seiner Wahlgesandtschaft besiegelt und unter­ fertigt wurden54. Die von Kurmainz den anderen Wahlgesandtschaften aus48 49 50 51 52 53 54

Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 11. [Roth], Aechtes Protokoll, S. 22. Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 12. Müldener, Capitulatio Harmonica, S. 85. Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 18. Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. 18. Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 13.

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gehändigten Originale wurden oft nochmals selbst kollationiert, wie gelegentlich Vermerke auf den Deckblättern oder letzten Seiten der Urkunden zeigen55. Die Endredaktion der ergänzten bzw. neuen Wahlkapitulation erfolgte ab 1742 durch Kurmainz mittels eines durchschossenen gedruckten Exemplars der letzten Wahlkapitulation, in der nach jeder bedruckten eine leere Seite eingebunden war, um handschriftliche Ergänzungen oder Notizen zu der jeweils gegenüberliegenden Seite zu ermöglichen. Anders als beim Einlegen loser Blätter wurden durch das Einbinden von Leerseiten nachträgliche Ergänzungen dauerhaft gesichert56. Humanistische Übersetzer antiker Schriften, Bibelexegeten und Gesetzeskommentatoren arbeiteten ab der Mitte des 16. Jahrhunderts mit durchschossenen Exemplaren, wodurch die Übersetzung auch im wörtlichen Sinn immer an den Ursprungstext gebunden blieb57. Durch das Einschießen von Schreibpapier wurde das gedruckte Grundgesetz, »eine technisch im hohen Maße abgeschlossene Form von Schriftlichkeit, mit seinem Gegenteil konfrontiert: der ›tabula rasa‹ des weißen Blattes«58. Durchschossene Exemplare wurden im 19. und 20. Jahrhundert ein übliches Instrument der Gesetzes- und Verfassungsrevision. Erstmals wurde dieses Verfahren der Verfassungsrevision im 18. Jahrhundert bei der Revision der Wahlkapitulationen angewandt. In den archivalischen Überlieferungen der Wahlkapitulationsverhandlungen finden sich alle Formen von paratextuellem Beiwerk, Exzerpte, Zettelkästen bzw. Faszikel, mit Monita zu bestimmten Punkten, Randbemerkungen und durchschossene Exemplare. Diese Form der Organisation von zunächst relativ unverbundenen Textteilen in eine immer festere Form spiegelt die Entstehung der jeweils neuen Wahlkapitulation. Eine weitere vergleichbare Praxis findet sich in den Wahl- und Krönungsakten. Anfang des 17. Jahrhunderts setzte sich in der Kurmainzer Kanzlei die Übung durch, Aktenseiten nur noch rechts- bzw. halbseitig zu beschreiben. Dies wurde dann in deutschen Behörden bis ins 20. Jahrhundert so gehandhabt. Was 55 Z. B. SächsHStA Dresden, 10001 Ältere Urkunden 14822 »Kaiser Francisci Wahl-Capitulation, Dat Frankfurt den 13. September ao. 1745.« »Joh. Coelestinus Just. Collat« auf dem Deckblatt. 56 »Gedruckte Wahlkapitulation Kayser Caroli VIti, welche zum Basi der neu zuerrichtenden genommen worden, wie solche in mehreren Paragraphen abgeteilt, mit weis Papier durchschossen und die in dem Collegial Protocolla befindliche Churfürstliche Monita und Addiaments locis congrus [d. h. an den vereinbarten Stellen] beigesetz, sowohl daraus das folgende Projekt Capitulationis Carolii VII. formiert worden«, in: HHStA Wien: MEA, Wahl- und Krönungsakten, Karton 53, 1741–1742. 57 Brendecke, »Durchschossene Exemplare«, S. 54 u. 56. Meise, Das Archivierte Ich, S. ­154–156. Brendecke, »Durchschossene Exemplare«, S. 54. Um 1700 finden sich durchschossene Zeremonialbücher. Ebd., S. 56. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts wurde es üblich, Kalender mit leeren Blättern zu durchschießen. Sie konnten als Tagebuch dienen. Immanuel Kant arbeitete bei Neuauflagen mit durchschossenen Ausgaben seiner Werke. Theologische Kontroversschriften entstanden oft mit Hilfe durchschossener Ausgaben der Ausgangstexte. 58 Ebd., S. 55.

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um 1612 noch fehlte, war die ab dem Ende des 17. Jahrhunderts übliche kurze Inhaltsangabe links oben. Die leere linke Hälfte der Aktenblätter entsprach den eingeschossenen leeren Seiten und konnte entsprechend genutzt werden. Nachdem all dies geschehen war, konnte endlich zur Wahl eines neuen Reichsoberhauptes geschritten werden. Die Wahl fand hinter verschlossener Tür statt. Ursprünglich waren die Kurfürsten während des Wahlaktes unter sich. Später durften sie oder ihre Repräsentanten je zwei Räte dazu mitnehmen, Kurmainz zusätzlich zwei Advokaten, um den Vorgang zu beglaubigen. Die Räte mussten gegenüber Kurmainz schwören, daß sie »die Sachen, welche verlesen bekommen, bis in ihre Gruben bei sich verschwiegen behalten wollten«59. Unmittelbar vor der Wahl versprachen sich die Kurfürsten gegenseitig, im Fall ihrer Wahl die Wahlkapitulation erneut beschwören zu wollen60. Wie während des Gottesdienstes waren für die Dauer des Konklaves alle gastronomischen Betriebe, Kramläden und Werkstätten geschlossen61. Nach erfolgter Wahl fragte Kurmainz, sofern der Gewählte nicht anwesend war, die Repräsentanten des neugewählten Reichsoberhauptes: »Nachdem bekanntlich vor dieser Wahl von uns, Kurfürsten zu Mainz, Trier und Kölln und der abwesendenen Herrn Kurfüsten gegenwärtigen Gesandten die verbindliche Abrede geschehen, das der Neo-Electus diejenigen Pacta, deren man sich bekanntermaßen vorhin verglichen, beschwören soll; als ist man nunmehro zu vernehmen gewärtig, ob, und wer dazu so wohl als auch etwa sonsten zu Verhandlung der weiteren Nothdurft instruieret und bevollmächtiget seyn möge«. Daraufhin traten die Abgesandten des Gewählten vor den Altar, legten ihre Hände auf das Evangelium und schworen nach der vorgelegten Eidesformel62.

59 Müldener, Capitulatio Harmonica, S. 142. 60 Wahrscheinlich war dies schon früher üblich geworden. 1711 ist es erstmals dokumentiert, Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 8. 61 Olenschlager, Des Römischen Kaysers Franz I. Wahl- und Krönungs-Diarium, S. 228. 62 Riegger, K. Joseph des II. harmonische Wahlkapitulation, T. II, S. 41–43.

10. Vom König zum Kaiser Nach seiner Wahl am 27. März 1764 legte Joseph II. persönlich seinen Eid auf die Wahlkapitulation ab. Gemeinsam mit dem Kurfürsten von Mainz als deutschem Primas1 und Direktor des Wahlgremiums trat er dazu an den Altar von St. Bartholomäus, legte die zwei bloßen vorderen Finger der rechten Hand auf die Anfangsbuchstaben des in der Mitte des Altars liegenden Johannes-Evangeliums und schwor, indem er die Eidesformel laut nachsprach, die ihm der Erzbischof von Mainz vorlas: »Wie Wir mit Worten unterrichtet seynd, und die Artikel durch die Kurfürsten, vor jetziger Wahl eines Römischen Königs gestellet, angenommen und jeder dem andern und bewilliget; dem wollen Wir Joseph zu Ungarn […] etc. erwählter Römischer König also stets und getreulich nachkommen und halten, auch sonsten alles das thun, was uns als Römischer König gebühret, als uns Gott helfe und das heilige Evangelium«2. Die ersten Worte des Johannes-Evangeliums, auf welche der künftige Kaiser seine Finger legte, »in Principio erat Verbum […]«, »im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort«, unterstreichen in religiöser Versicherung, dass die Regierung des Reichsoberhauptes erst mit dem Wort, seinem Wort, seinem Eid auf die Verfassung beginnt. Der Schwur als religiöses politisches Zeremoniell war Teil der konfessionsüberwölbenden politischen Theologie des Heiligen Reiches. Wie die Schöpfung der Welt, so begann auch die Regierung des Reichsoberhaupts mit dem Wort, nämlich mit dem Eid des Herrschers auf die Verfassung des Reiches. Danach überreichte Joseph persönlich den schriftlichen Revers über die vollzogene Eidesleistung an den Kurfürsten von Mainz3. Daraufhin erfolgte am 3. April 1764 seine Krönung.

1 Neben Mainz beanspruchten auch die Erzbischöfe Trier, Magdeburg, Klön und Salzburg Primates zu sein. Salzburg führt den Titel noch heute. Daher der Fehler bei Seward: »Im Dom salbte der Erzbischof von Salzburg Leopold II. zum Kaiser und setzte ihm die Krone aufs Haupt«, Ders., Metternich, S. 14. 2 Riegger, K. Joseph des II. harmonische Wahlkapitulation, T. II, S.  49. Auch in England schworen die Monarchen seit 1689 auf die Bibel, sich an die Verfassung des Landes zu halten. Dieser Teil der englischen Krönungszeremonie ist möglicherweise der Vereidigung des deutschen Reichsoberhauptes auf die Wahlkapitulation nachempfunden. 3 Ebd., T. II, S. 47–49.

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10.1 Erwählter Römischer Kaiser Bereits in der Goldenen Bulle hieß es, die Kurfürsten sollten zusammenkommen, »zu erwählen einen Römischen König zum Kaiser zu machen«. Diese Wendung von 1356 wurde bis zum Ende des 18.  Jahrhunderts in den Korrespondenzen und legislativen Akten im Zusammenhang mit dem Wahltag immer wieder aufgegriffen4. Das Aufkommen der Wahlkapitulationen hatte auch Folgen für die Titulatur des ranghöchsten Herrschers der Christenheit. Der unter Maximilian 1508 eingeführte Herrschertitel »Erwählter Römischer Kaiser« erfuhr durch sie eine Bekräftigung. Obwohl Maximilian nie zum Kaiser gekrönt worden war, nennt ihn auch die lateinische Inschrift auf Albrecht Dürers Porträt von 1519 »den allermächtigsten und unüberwindlichen Kaiser Maximilian«5. In der Wahlkapitulation taucht der Begriff »Erwählter Römischer Kaiser« 1711 zunächst in der Perpetua, dann in Artikel III bei Karl VI. als Terminus technicus im Zusammenhang mit dem Recht der Kurfürsten auf, schon zu Lebzeiten des Kaisers einen Nachfolger zu wählen6. Ferdinand I. führte den Kaisertitel nach der Abdankung seines Bruders Kaiser Karls V., obwohl er, wie Maximilian I., nie zum Kaiser gekrönt worden war. Von da an setzte sich in der Reichsstaatsrechtslehre über zwei Jahrhunderte hinweg die Bezeichnung »Kaiser« für den amtierenden Römischen König durch, der – wenn er vivente Imperatore gewählt worden war – bis zu seinem Herrschaftsantritt den Titel König trug7. Dem entsprach das im 17. Jahrhundert entstandene Rechtssprichwort, »wenn der Kaiser stirbt, setzt sich der König in den Sattel«8, eine Metapher für die »gelenkte« Wahlmonarchie des Alten Reiches9. Der Spruch charakterisiert die Tendenz zur »gelenkten« Herrschaftsübertragung zwischen der Wahlfreiheit im Interregnum und dem »der König ist tot, es lebe der König« der Erbmonarchie. 4 Goldene Bulle im 1. Kapitel und öfter. Olenschlager, Des Römischen Kaysers Franz I. Wahlund Krönungs-Diarium, S. 80 f. »Der Wahltag eines römischen Königs zu Förderung eines Kaisers«, ebd., S. 105 »Wahl eines Römischen Künigs zum Kaisertum«, ebd., S. 126 »Wahltag zu Kürung eines Römischen Königs zum künftigen Kaiser«, ebd., S. 144 »zu der Wahl eines Römischen Königs, so zum Römischen Kaiser zu erheben«. Im Direktorialvortrag der ersten offiziellen Sitzung des Konvents von 1790 erklärte der Mainzer Gesandte, Aufgabe der Versammlung sei »die Wahl eines neuen demnächst zum Kaiser zu befördernden römischen Königs«, [Roth], Aechtes Protokoll, S. 23. 5 Auf dem Porträt seines Hofmalers Bernhard Strigel in der Berliner Gemäldegalerie (1515) wird er »Romanorum Imperator« genannt. Die Vereinigung von Gemälde und Schrift war ein Propagandamittel, das die fehlende Legitimation durch die päpstliche Krönung kompensieren sollte. Reuschil, Dissertationes III, de Imp. Titulo ex antiquitate. [Struve], Gründliche Untersuchung. 6 Bei Karl VII. Art. III, § 10. 7 Neuhaus, Die Römische Königswahl, S. 52. 8 Ebd. 9 Duchhardt, Verfassungsgeschichte, S. 102.

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Der neugewählte künftige Kaiser wurde durch die Wahl, auch wenn er im Interregnum gewählt wurde, zunächst zum Römischen König. Als Römischer König musste er persönlich den Eid auf die Wahlkapitulation schwören. Das war die Voraussetzung für die Krönung. Der persönliche Eid wurde daher »juramentum ante coronationem« genannt10. Die Selbstverpflichtung auf eine gute Herrschaft als Vorbedingung für die Krönung hatte nicht nur legitimatorische, sondern auch regierungspraktische Auswirkungen. Erst durch die Krönung wurde der während der Thronvakanz Gewählte zum »Erwählten Römischen Kaiser«. Bis zur Krönung blieb er König. Lebte sein Vorgänger noch, blieb er, unabhängig von seiner bereits erfolgten Krönung, bis zu dessen Tod König. Nach 1530 konnte der Papst sein Recht, die Kaiserkrönung durchzuführen, nicht mehr ausüben. Die gewählten Reichsoberhäupter verzichteten auf den traditionellen Romzug. Die Erzbischöfe von Köln und Mainz bauten ihr traditionelles Recht der Königskrönung in ihren Diözesen zum Recht der Kaiserkrönung aus. Die Krönungen fanden nun in Aachen, Augsburg, Regensburg und Frankfurt statt. Die im Mittelalter im Interregnum üblichen Krönungen zum deutschen König entfielen in der Frühen Neuzeit. In den drei Proklamationen der Wahl durch Kurmainz am Wahltag, also im Konklave sowie zweimal »ad populum«, einmal in und einmal vor der Kirche, heißt es stets der Neoelectus sei gewählt »zum Römischen König und künftigen Kayser«. Dass der Neugewählte zunächst als deutscher König handelte, ergibt sich auch aus den Texten der Reversalien, den Gegenbescheinigungen, welche die Reichsoberhäupter über ihren persönlichen Schwur auf die Reichsverfassung ausstellen mussten11. »Wir Leopold der Zweite, von Gottes Gnaden, erwählter Römischer König, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, König in Germanien […]. Bekennen öffentlich mit diesem Briefe: als am Tage Unserer Wahl zum Römischen König […] Zusage gethan, daß Wir selbige Artikel, bevor Wir die römische Krone empfangen, persönlich erneuern, und mit Unserm Eide bestätigen und bekräftigen sollen etc. etc. daß wir demselben noch jetzt zu hiesiger Unserer Ankunft, und vor empfangener königlicher Krönung alle und jede Punkte und Artikel […] aus freiem gnädigen Willen jetzt von neuem bewilliget, angenommen und zu halten, dazu auch alles zu thun, was Uns als Römischen König gebührt, zu Gott und den Heiligen geschworen haben«12. Zwar sprach das neugewählte Reichsoberhaupt von seiner bevorstehenden »königlichen Krönung«. Aber nach der Krönung sprach er von sich als Kaiser, es sei denn, das künftige Reichsoberhaupt war vivente Imperatore gewählt worden und sein Vorgänger regierte noch.

10 Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 11. 11 Die Reversalien dienten somit als erneute schriftliche Versicherung des Reichsoberhauptes, den Ständen ihre Rechte und Freiheiten zu wahren. 12 Jaeger (Hg.), Vollständiges Diarium, S. 50.

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Gegen diesen eindeutigen Befund stehen die bei den Zeitgenossen üblichen umgangssprachlichen Bezeichnungen »kaiserliche Wahlkapitulation«, »Kaiserwahl« usw. Dies erklärt sich aus der zeitlichen Nähe des Eides des Königs auf die Wahlkapitulation und der Krönung bzw. durch den seit Maximilian I. ein­ geführten Herrschertitel13. Vor ihrer Krönung führten die deutschen Kaiser den Titel Erwählter Römi­ scher König, nachher aber den Titel eines Römischen Kaisers14. Franz I. unterzeichnete vor der Krönung als Erwählter Römischer König, wurde jedoch schon als kaiserliche Majestät angesprochen15. Durch Krönung und Salbung veränderte sich die Legitimation. Die legale und legitime Wahl wurde zeremoniell und spirituell bekräftigt. Zwischen der Wahl eines Reichsoberhaupts und dessen persönlicher Beschwörung der Wahlkapitulation konnten Wochen vergehen. Bis zum Eid des Neoelectus auf die Wahlkapitulation dauerte dann das Interregnum an. Was von »vicariats-wegen in mittler Zeit der Vacanz und biß Wir die Wahl-Capitulation beschworen, folglich das Regiment würklich angetretten« haben, verordnet wurde, »billigen und ratifizieren wir«16, heißt es daher in der Wahlkapitulation Franz’ I. Gewählt wurde, wie aus vielen Paragraphen der Wahlkapitulation und besonders deutlich auch aus den Reversales des Neoelectus hervorgeht, ein Römischer König. Wir »bekennen öffentlich mit diesem Brieff, als am Tag Unserer Wahl zum Römischen König«17 heißt es im Reversales Franz’ I. Das Interregnum dauerte fort, bis der Neugewählte die Wahlkapitulation persönlich, körperlich anwesend, vor den Kurfürsten bzw. deren Bevollmächtigten beschworen hatte – bis »wir selbige Articul, bevor Wir die Regierung des Reichs würklich antreten, persönlich erneueren und mit Unserem Eydt bestättigen und bekräfftigen sollen«18. Mit dem Schwur des Königs auf die Verfassung begann die tatsächliche Regierung des neuen Reichsoberhauptes, noch vor der Krönung, jedoch zunächst als Römischer König.

10.2 Krönungsmesse Durch Wahl und Krönung fand das Reich nicht nur »seinen symbolischen Ausdruck, vielmehr existierte es zu wesentlichen Teilen in solchen performativen Akten, die seine rechtlichen und institutionellen Grundlagen in Abhän13 Weisert, Zur Dauer der Königswahlen, S. 598–609. 14 Reuschil, Dissertationes III, de Imp. Titulo. [Struvens], Gründliche Untersuchung. 15 Olenschlager, Des Römischen Kaysers Franz I. Wahl- und Krönungs-Diarium, S. 258 u. 272. 16 1745 Art. III. § 20 Franz I. 17 Francken (Hg.), Ihrer Röm. Kayserl. Majestät Francisci Wahlkapitulation, S. 209. 18 Ebd.

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gigkeit von den politischen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen in der politischen Praxis realisierten und ihnen erst dadurch zu Wirkmächtigkeit verhalfen«19. Die Vereidigung der Königswähler auf das Evangelium erfolgte vor dem Konklave am Altar. Kurmainz, Köln und Trier schworen, indem sie die Finger auf die Brust, die weltlichen Kurfürsten oder ihre Wahlgesandten, indem die ihre Finger auf den Anfang des Johannes-Evangeliums legten. Am Ende lautete die Eidesformel konfessionell unanstößig »als mir Gott helfe und sein Heiliges Evangelium«20. Neben dem Altar standen zwei Notare und beobachteten die Eidesleistung. Später wurden sie durch Kurmainz aufgefordert, die Eidesleistung gemäß der Goldenen Bulle zu bezeugen. Gemäß der Goldenen Bulle wurden vor der Wahl die Fremden aus der Wahlstadt entfernt und die Stadttore verschlossen. Die Schlüssel der Stadt wurden von Kursachsen verwahrt21. Unmittelbar vor der Wahl versprachen sich die Kurfürsten bzw. ihre ersten Wahlbotschafter seit 1531 in einem »Confoederatio« genannten Rechtsakt gegenseitig eidesstattlich, im Fall ihrer Wahl die Wahlkapitulation zu beschwören und einzuhalten. Während der Wahl in der Sakristei mussten auch die überzähligen gelehrten Räte den Raum verlassen. Zudem wurde die Kirche verschlossen und der Schlüssel von Kurmainz verwahrt. Katholiken und Protestanten wählten stets gemeinsam in der Sakristei einer katholischen Kirche. Nach der Wahl wurden die beiden Notare in die Sakristei bestellt und der Kurfürst von Mainz teilte ihnen das Ergebnis der Wahl mit22. Dann fragte Mainz Kurböhmen bzw. die Vertreter des Gewählten, wer bevollmächtigt sei, die Wahlkapitulation zu beschwören. Die Gesandten des Erwählten übergaben dann ihre Vollmachten, die von einem Legationssekretär verlesen wurden. Mainz übergab ihnen die Eidesformel, die sie am Altar mit der Hand auf dem Evangelium beschwören mussten. Später musste der Neoelectus diesen Eid unmittelbar vor seiner Krönung wiederholen. Dann folgte die glänzendste Inszenierung des Reiches. Während der Erzbischof von Mainz, assistiert von den Erzbischöfen von Köln und Trier, dem neugewählten künftigen Kaiser die Reichskrone auf das Haupt setzte, sprachen die drei geistlichen Kurfürsten folgenden Text: »Nehmet hin die Reichskrone, welche Euch, obwohl von unwürdigen, jedoch aber bischöflichen Händen, alter Gewohnheit nach auf das Haupt gesetzt wird, und wisset, daß diese ausdrücklich bedeutet eine herrliche Herrlichkeit und wirkliche Tapferkeit, ja dass Ihr dadurch auch unsers geistlichen Dienstes teilhaftig werdet, dass gleich wie wir den inwendigen nach Hirten und Regenten der Seelen sind, also auch 19 Rudolph, Kontinuität, S. 378. 20 Olenschlager, Des Römischen Kaysers Franz I. Wahl- und Krönungs-Diarium, S.  246. Eigentlich verbietet das Evangelium das Schwören überhaupt (Mt 5,37 f.). 21 HHStA Wien: MEA, Wahl- und Krönungsakten, Karton 10 1612. 22 HHStA Wien: MEA, Wahl- und Krönungsakten, Karton 10 1612.

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Ihr in auswendigen Sachen ein wahrer Diener Gottes und bei aller Widerwärtigkeit, ein tapferer Beschützer der Kirchen Christi und des von Gott Euch verliehenen Reiches sein möget, auch das Amt unseres Segens, so wir an statt der Apostel verrichten mit Zustimmung aller Heiligen, allezeit geneiget verbleibet, zu erprießlicher Handhabung des anvertrauten Regiments und zu nützlicher Regierung, damit Ihr unter den berühmten Kämpfern mit den Edelsteinen der Tugend gezieret und mit Belohnung der ewigen Glückseligkeit gekrönt mit unsern Herrn Erlöser und Seligmacher Jesu Christo dessen Nahmen und Stelle Ihr vertretet23, ohne Ende frohlocken möget, der da lebet regieret und herrscht als ein Herr mit dem Vater und Heiligen Geist«24. In der Ansprache tauchen die katholischen Heiligen auf, was von den protestantischen Kurfürsten akzeptiert wurde, da der Text dem hergebrachten Ritus entsprach. Die drei Erzbischöfe bescheinigten dem Gewählten, dass er durch die Krönung an ihrem bischöflichen Amt Teil habe und als Stellvertreter Christi herrschen werde. Zudem wurde er durch die Krönung Kanoniker mit Sitz und Stimme im Aachener, Kölner und Bamberger Stifts- bzw. Domkapitel. Die ganze Zeremonie unterstrich die Sakralität des Herrscheramtes. Aber der Neugewählte wurde durch die Worte der drei Erzbischöfe während des Krönungsaktes auch verpflichtet, »Beschützer der Kirchen Christi« und des ihm von Gott verliehenen Reiches zu sein. Allerdings verzichteten Maximilian II. und seine Nachfolger, im Gegensatz zu ihren Vorgängern, auf die Prostratio, auf die Niederwerfung in Kreuzform während der Allerheiligenlitanei, die zudem seit 1562 verkürzt wurde. Die Prostratio, ein zentrales Element der Priesterweihe, verwies wie die Salbung auf die Aufnahme des zu Krönenden in den Priesterstand25. Nach der Krönung wurde der Kaiser wieder näher zum Altar geführt und schwor mit aufgelegten Fingern auf das Evangelienbuch einen zweiten Eid, den Krönungseid: »Ich gelobe und verspreche vor Gott und seinen Engeln, dass ich jetzt und hinfüro das Gesetz und die Gerechtigkeit, auch den Frieden der Heiligen Kirchen Gottes will halten und handhaben, auch dem Volk, so mir unterworfen ist, will nutz sein, und die Gerechtigkeit verschaffen und mitteilen, daß ich des Reichs Recht (mit gebührender Betrachtung göttlicher Barmherzigkeit) will erhalten, wie ich solches mit Rat der Fürsten und des Reiches und Meiner Getreuen am besten erfinden kann. Ich will auch dem allerheiligsten römischen Bischof und der römischen Kirchen, auch den anderen Bischofen und Kirchen Gottes, gebührende Ehre erzeigen und diese Dinge, welche von Kaisern und Königen der Kirche und denen geistlichen Männern gesammelt und gegeben sind, die will ich ihnen ungeschwächt erhalten und erhalten zu werden verschaffen, 23 Vereinzelt auch in der Reichspublizistik aufgegriffen. Olenschlager, Des Römischen Kaysers Franz I. Wahl- und Krönungs-Diarium, S. 70: »welche das menschliche Geschlecht als Statthalter der allwaltenden Gottheit auf Erden venerrieret.« 24 [Anonym]: Vollkommene Beschreibung, S. 19. Krönung Leopolds I. 1658. 25 Rudolph, Kontinuität und Dynamik, S. 393.

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auch den Prälaten Ständen und Lehnsleuten des Reichs gebührende Ehre tragen und beweisen, so viel Mir unser Herr Jesus Christus Hilfe, Stärke und Gande verleiht«26. Zwar verpflichtete sich der »Neo-Coronatus«, besonders den Papst, der hier als Bischof von Rom bezeichnet wird, gebührend zu ehren, aber »auch den anderen Bischöfen und Kirchen Gottes« die »gebührende Ehre« zu erzeigen. An erster Stelle des Krönungseides steht »das Gesetz«, also die Reichsverfassung, an zweiter Stelle der Schutz der Religion und ihrer verschiedenen Vertreter und Institutionen bzw. Kirchen. Die Formulierung war zwar nicht konfessionsneutral gefasst, aber so, dass Katholiken sie exklusiv und Protestanten sie inklusiv verstehen konnten. Insgesamt folgten die Krönungsmessen der deutschen Kaiser dem Ritus des Heiligen Dreikönigsfests. Mehrere Reichsbischöfe und Kapitulare zelebrierten die Messe. Kurmainz achtete darauf, dass in der konzelebrierenden Geistlichkeit beim Hochamt am Wahltag und mehr noch während der Krönungsmesse Kleriker des gesamten Reiches vertreten waren27. Die Krönung war kein »­ säkularer Akt«28 und auch kein »zeremonielles Anhängsel der Wahl«29, sondern interkonfessionelles religiös-politisches Ritual in katholischer Form. Die bei den vorreformatorischen Krönungen in Aachen übliche Prozession mit Klerikern und Reliquien entfiel seit 1562. Andererseits beharrte die lutherische Stadt Nürnberg darauf, die religiös aufgeladenen Reichsinsignien zu bewahren. Schwieriger war es, die konfessionelle Unanstößigkeit während der Krönungsmesse zu gewährleisten. Um weder Anstoß oder Protest zu provozieren, verfuhr man ab 1652 so, dass die nichtkatholischen Kurfürsten bzw. ihre ersten Wahlgesandten sich nach der Praefation ins Konklave zurückzogen und bis zur Sumption dort blieben. Denn nach der katholischen Lehre besteht von der Konsekration an bis zur Sumption eine Realpräsenz Christi. Allerdings verließen Calvinisten und Protestanten die Messe nicht gemeinsam. Friedrich III. von der Pfalz entfernte sich »bereits beim Schuldbekenntnis ›Confiteor‹, während Jo­ achim II. Hektor von Brandenburg und August von Sachsen bis zum ›Halleluja‹ unmittelbar vor der Eucharistiefeier blieben«30. Während das Evangelium gesungen wurde, kehrten die protestantischen Kurfürsten bzw. ihre ersten Wahlgesandten zurück. Die zweiten und dritten Wahlgesandten und das protestantische Gefolge blieben aber während der ganzen Messe auf ihren Plätzen31. Hätten alle Lutheraner und Calvinisten den 26 [Anonym]: Vollkommene Beschreibung, S. 20. Jaeger (Hg.), Vollständiges Diarium, S. 324. 27 HHStA Wien: MEA, Wahl- und Krönungsakten, Karton 11, 1612, S. 52, 50 f. 28 Sellert, Zur rechtshistorischen Bedeutung der Krönung, S. 30. Ähnlich: Berbig, Zur rechtlichen Relevanz von ritus, S. 204–249. 29 Rudolph, Kontinuität, S. 387. 30 Ebd., S. 392. Zu den tendenziösen Quellen über den Gottesdienstbesuch der Protestanten in Gegenwart des Kaisers im 16. und 17. Jahrhundert s. Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider, S. 112–114 und S. 192. 31 Olenschlager, Des Römischen Kaysers Franz I. Wahl- und Krönungs-Diarium. S. 245.

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Gottesdienst verlassen, wäre eine empfindliche Störung entstanden. Man hatte also einen Kompromiss gefunden. Die drei höchstrangigen Vertreter der Protestanten entfernten sich stellvertretend zeitweise für alle ihre Glaubensgenossen, die währenddessen weiterhin der katholischen Krönungsmesse beiwohnten. 1612 jedoch wohnte der Kurfürst von Sachsen der gesamten Messe bei. So hielten es auch seine Gesandten während des ganzen 17. Jahrhunderts. Erst im 18. Jahrhundert, als der Kurfürst von Sachsen selbst katholisch war, verließ sein erster Wahlgesandter während der Eucharistie wieder die Messe32. Wie in der Krönungszeremonie fand man auch in den Wahlkapitulationen zu Kompromissen und wie in der Königsmesse waren auch hier die ersten bedeutenden Veränderungen der Spaltung der Religion geschuldet. Diese Kompromisse führten zu komplexen Sprachregelungen.

32 Rudolph, Kontinuität, S. 393.

11. Veränderungen in den Wahlkapitulationen 1519 Bis zu Karl V. stand dem Kaiser in vielen Bereichen das alleinige Gesetzgebungsrecht zu, z. B. im Policey- und Münzwesen, bei der Festsetzung von Maßen, Gewichten usw. Erst durch die Wahlkapitulationen wurde das Recht der Gesetzgebung auch in diesen Feldern zunehmend auf den Reichstag ausgedehnt. Faktisch waren Gesetze auch vorher in der Regel ein Konsens zwischen dem Kaiser und seinen örtlichen Mitregenten im Reich gewesen. Ab 1519 war jedoch grundgesetzlich festgeschrieben, dass die Reichsstände zuvor gehört werden mussten. Artikel I der Wahlkapitulationen entsprach ungefähr dem tradierten Krönungseid. Er trat aber nicht an die Stelle dieses Eides, der sich vielmehr bis 1792 behauptete. Hartung sah im Aufkommen der Wahlkapitulationen ab 1519 das entscheidende Instrument zur Stabilisierung des nachmittelalterlichen Reiches. »Es ist eine wichtige und zugleich eine bleibende Frucht der an positiven Ergebnissen armen Zeit der Reichsreform, daß in der Wahlkapitulation das Reich der Auflösung des Reichsverbandes seit dem Ende der Staufer Halt geboten und sich in der Form einer Verbindung zwischen dem Kaiser einerseits und den Reichsständen andererseits wieder zu fester Gestalt erhoben hat«1. Schon die erste Wahlkapitulation enthielt gewisse protokonstitutionelle Gewährleistungen für alle Einwohner des Reiches. So wurde den Bewohnern des Reiches ihr ordentlicher Gerichtsstand garantiert. Allerdings enthielt Artikel VI auch ein Koalitionsverbot, das es den Untertanen verbot, sich zur Wahrung und Förderung ihrer Interessen, insbesondere hinsichtlich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, zum Schutz vor Überbesteuerung und Überfrachtung mit anderen Lasten und Diensten, zusammenzuschließen. Dieser Artikel verweist bereits auf die Spannungen, die wenig später zum Bauernkrieg führten. 1531 Ferdinand verpflichtete sich 1531 im ersten Artikel seiner Kapitulation nicht nur wie 1519 Karl V., die Christenheit und den römischen Stuhl »in guetem Bevelh, Schuz und Schirmb« zu haben, sondern »auch die cristennlich Kirch bey dem alten loblichen und wohlherbrachten Glauben, Religion und Ceremonien vermöge des jungisten zu Augspurg aufgerichteten Abschids bis zu entlicher Determination ains khunftigen gemainen Concilii« zu halten. Dies entspricht einer Festlegung auf die gegen die Confessio Augustana gerichtete Confutatio Augustana. Mit der Verlängerung des Wormser Edikts vom 8. Mai 1521, das 1 Hartung, Wahlkapitulationen, S. 330.

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die Reichsacht über Luther verhängt hatte, war der Reichstag von 1530 reli­ gionspolitisch gescheitert. 1558 In der zweiten Wahlkapitulation Ferdinands I. von 1558 war hingegen der Religionsfrieden von 1555 eingeschlossen. Damit war eine andere wesentliche Veränderung verbunden. 1519 und 1531 versprachen die Gewählten in Artikel II, die älteren Reichsgrundgesetze seit der Goldenen Bulle zu »confirmiren«. Diese Bestätigung entfiel nun. Die Gewählten versprachen fortan an gleicher Stelle, die älteren Reichsgrundgesetze, einschließlich des Religionsfriedens, »stet unnd vest hallten, hanndthaben unnd darwider niemandts beschweren oder durch anndere beschwern lassen«. Lediglich die normalen Gesetze des Reiches wurden weiterhin von ihnen »konfirmiert«. Damit war die eigentliche Verfassung der Verfügungsgewalt des Monarchen entzogen. Durch seinen Eid verpflichtete er sich zu verfassungskonformem Handeln. Die übrigen Unterschiede zu 1531 sind eher marginal, außer Artikel II, wo die Ergebnisse des Augsburger Reichstages von 1555, also auch der Religionsfrieden, bekräftigt werden. Die Veranlassung zur reichsverfassungsmäßigen Festschreibung der Möglichkeit von Klagen der Untertanen gegen ihre Obrigkeiten 1555 gab der Bauernkrieg, der überhaupt auf die deutsche Gesetzgebung einen großen Einfluss hatte2. Ferdinand I. wurde in seiner zweiten Wahlkapitulation von 1558 auf die Einhaltung aller Reformgesetze von 1555 verpflichtet. Die Möglichkeit der Untertanenklagen war auch im Interesse der Fürsten. »Denn gewiss werden die Untertanen destoweniger darauf denken, sich auf eine unerlaubte Art von ihren Beschwerden zu befreien, je leichter sie es auf eine rechtmäßige Weise thun können«3. Die 1558 in der Einleitung der Wahlkapitulation erwähnte »Genehmhaltung« der Wahl von 1531 durch Herzog Johann Friedrich von Sachsen verschleiert, dass Kurfürst Johann der Beständige von Sachsen 1531 gegen die Wahl Ferdinands protestiert und nicht an ihr teilgenommen hatte. Im Vertrag von Kaaden waren Herzog Ulrich von Württemberg und Kurfürst von Sachsen Johann Friedrich »der Großmütige«, am 29. Juni 1534 verpflichtet worden, die Wahl Ferdinands I. von 1531 anzuerkennen. Im Übrigen betrafen die Korrekturen zum großen Teil die Ersetzung der königlichen durch die kaiserliche Titulatur. 1562 Die wesentlichen Veränderungen der Kapitulation Maximilians II. 1562 betreffen wieder die religiösen Differenzen im Reich. Im Artikel II widersprechen die protestantischen Kurfürsten dem Schutz der »päpstlichen Heiligkeit«4. Indem 2 Weiße, Ueber die Berichterstattung, S. 8. 3 Ebd., S. 205. 4 Später Artikel I, § 10.

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sie es tun, erkennen sie jedoch diesen Titel an. Das war der Preis für die Aufnahme des Protestes5. Hier taucht erstmals sinngemäß die in der Geschichte der Diplomatie so hilfreiche Formel auf: »Wir stimmen darin überein, dass wir nicht übereinstimmen«. Der Protest wurde in die Verfassungsordnung eingebunden. Es handelt sich um einen dissimulierenden Formelkompromiss. Die Dissimulation spielte die offensichtlichen Symptome der Dysfunktionalität herunter. Bislang war man der Ansicht, die Phrase »we agree to disagree« sei erstmals 1770 von John Wesley in einer Gedächtnisrede auf Prediger George Whitefield gedruckt worden, und zwar als ein Zitat von Whitefield aus dem Jahre 1750, welches sich auf dogmatische Differenzen bezog6. Die Wahlkapitulation von 1562 wurde mehr als zweihundert Jahre früher gedruckt. 1575 1575 gab es keine gravierenden Veränderungen an der Wahlkapitulation. 1612 1612 gehörte Pfalz zur Bewegungspartei; auf ihre Initiative gingen die meisten Änderungen zurück. Hätte sich die Mehrheit nicht in der Regel Änderungen verweigert, wäre es zu einem weitgehenden Umbau der Verfassung gekommen. Vor allem wünschte Pfalz 1612 die Errichtung eines neuen Reichsregiments, wozu die Kurfürsten schon 1610 einen Plan in Prag übergeben hatten. Trier hielt dem entgegen, wenn man dem Kaiser alle Gewalt entziehe und ihn einem Titularfürsten gleichmache, würde dies Geringachtung bei Aus- und Inländern zur Folge haben7. In den Verhandlungen von 1612 fürchtete Kurtrier, man werde die Wahlkapitulation »in infinitium extendiren«8. Seit der Wahl Kaiser Matthias’ 1612 verlangten die Fürsten, bei der Abfassung der Wahlkapitulation mitwirken zu dürfen. Diese Forderung fand später Eingang in Artikel VIII, Paragraph 3 des Westfälischen Friedens (IPO). 1612 wurde in Artikel XII erstmals die Zweckbindung der vom Reichstag bewilligten Reichssteuern festgeschrieben. Das Budgetrecht des Reichstages war damit für die Zukunft eindeutig formuliert, so dass es niemals zu einem gravierenden Budgetstreit auf Reichsebene kam. In Artikel XV wurden erstmals die Vorbehalte der Stände gegen das Rottweiler Hofgericht formuliert. In Artikel XXXIV wurde das Recht der Kurfürsten zur Königswahl vivente Imperatore explizit festgehalten. Matthias musste in seiner Wahlkapitulation den Zusatz akzeptieren, dass die Kurfürsten »so oft sie es einem Kayser zu Behuff oder sonsten dem Heiligen Reich nothwendig und nützlich befinden, 5 Zu den Widersprüchen in den Wahlkapitulationen: Moser, Paradoxen der kaiserlichen Wahlkapitulation. 6 Wesley, A sermon, S. 2. 7 Müldener, Capitulatio Harmonica, S. 101. 8 Ebd., S. 114.

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auch bey Lebzeiten eines Römischen Kaysers«, einen König zu wählen berechtigt seien und zwar auch »ohne eines regierenden Kaysers Consens«. Wäre es zu einer solchen Wahl ohne Zustimmung des Kaisers gekommen, wäre dies einer sanften Amtsenthebung gleich gekommen. Der regierende Kaiser hätte keine Mehrheiten mehr im Reichstag bekommen. Denn dafür brauchte er die Mehrheit im Kurfürstenkollegium, die sich ja für ein anderes Reichsoberhaupt entschieden hatte. Im selben Artikel wurde auch erstmals der Bestätigung der Vikariatshandlungen gedacht, weil seit langem wieder ein Interregnum vorgefallen war. Die Hervorhebung der Reichsvikare war auch eine Kompensation für das nun festgeschriebene Recht der Wahl eines Königs bei Lebzeiten eines Kaisers, da dies die Ausübung des Vikariats verhindert hätte. In Artikel XXXVIII wurden erstmals die Reichshofratsordnung und die Reichshofratsvisitation sowie die Audienzen und Expeditionen erwähnt. Zudem wurde das Reichsoberhaupt verpflichtet, Lehnsbriefe nach »vorigem Tenor« auszufertigen. Das heißt, er durfte die Lehnsgebühren nicht einseitig erhöhen. 1619 Ferdinand II. verpflichtete sich 1619 in Artikel XLIII, auch die kaiserlichen Geheimen und Hofräte auf die Wahlkapitulation zu vereidigen. Dies antizipierte den Verfassungseid der Staatsdiener, wie er im konstitutionellen Zeitalter üblich wurde. 1636 Auf der Ebene des Reiches war jede Form der Kabinettsjustiz seit 1636 durch die Artikel XLIII und XLIV der Wahlkapitulation Ferdinands III. abgewehrt. Sie unterbanden Entscheidungen des Geheimrats in Justizsachen und willkürliche Abänderungen der Urteile des Reichshofrats. Bis zum Ende des Reiches wurden kaiserliche Eingriffmöglichkeiten in die Reichsjustiz, in Entscheidungen der Gerichte und den Ablauf der Verfahren durch die Wahlkapitulation weiter unterbunden. Die Frage des Vorrangs der Gesandten auswärtiger Republiken bzw. der Kurfürsten wurde 1636 in Artikel IV zugusten der kurfürstlichen Gesandten entschieden. In Artikel XII versprach Ferdinand III., das Reich nicht von Truppen zu entblößen. In Artikel XIV taucht erstmals der Begriff »Reichsgrundgesetz« in einer Wahlkapitulation auf. In der verfassungsrechtlichen Literatur war er schon seit langem gebräuchlich. Die Wahlkapitulation wurde erstmals im Kurverein von 1521 offiziell als »Grundgesetz« bezeichnet9. Seit 1519 versprachen die Kaiser, die Hof- und Reichsämter nur mit geborenen Deutschen zu besetzen. 1636 wurde diese Bestimmung in Artikel XV ausgedehnt. Nun sollten auch der Kriegsrat und die höheren Offiziersstellen mit geborenen Deutschen besetzt werden bzw. dort zumindest deutsche Bewerber 9 Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 124.

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gegenüber ausländischen bevorzugt eingestellt werden. Das Indigenatsrecht wurde ausgebaut. Artikel XXVIII verbot, Afterlehen und Allodialgüter von Majestätsverbrechern zugunsten des Kaisers einzuziehen. Westfälischer Frieden Das Grundgesetz der Bundesrepublik wurde zwischen 1949 und 2009 insgesamt 57 Mal geändert. Das bedeutet durchschnittlich fast jedes Jahr eine Verfassungsänderung. Im Vergleich dazu war die Reichsverfassung relativ stabil. Dennoch ist die Reichsverfassung vom Verfassungswandel geprägt. Die Änderung der Verfassung ist ihr eingeschrieben. Artikel VIII des Westfälischen Friedens (IPO) und erneut Paragraph 192 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654 verpflichteten Kaiser und Reichsstände, die Verfassung durch gemeinsame Änderung festzuschreiben, insbesondere eine beständige Wahlkapitulation zu verfassen. Dies gelang zwar nicht, aber über die Versuche wurde der Reichstag ab 1663 zum Immerwährenden Reichstag, wodurch das Reich eine beständige Clearingstelle für Konflikte gewann. Die Regelungen von 1648 haben, wie so oft in der Reichsgesetzgebung, auch Herkommen normiert. Andererseits diente die explizite Ausdehnung der Gesetzgebungskompetenz auf den Reichstag auch dazu, konkurrierende Formen der Legislation durch Deputations- oder Kurfürstentage auszuschalten. Die Zollfragen blieben allerdings ein exlusives Reservatrecht von Kaiser und Kurfürsten. Das hierarchische Prinzip der Reichsordnung wurde 1648 nicht vollständig aufgehoben. Das Reich blieb eine Monarchie und auch die Kurfürsten wahrten bestimmte Vorrechte jenseits der Kaiserwahl. Im Gegensatz zum Adkapitulationsrecht waren die Zollsachen ein unbestrittenes Reservatrecht. Die übrigen Reichsstände entschieden hier nicht mit, wurden aber angehört, sofern sie betroffen waren10. 1653 Erstmals wurde die Wahlkapitulation explizit »im Namen der Kurfürsten, Fürsten und Stände« abgefasst. Obwohl 1653 Pfalz nun die neugeschaffene achte Kur innehatte, taucht es im Eingang der Wahlkapitulation Ferdinands IV. nach wie vor an erster Stelle nach den geistlichen Kurfürsten auf. Hier mussten die Kurfürsten 1653 einräumen, dass sie die Kapitulation im Auftrag aller Reichsstände mit dem Gewählten abschließen: »vor sich und sämtliche Stände des Heiligen Römischen Reichs«. Ferdinand IV. sicherte erstmals in Artikel I den Protestanten »gleichen Schutz« wie dem Papst und der katholischen Kirche zu. 1519 und 1531 »konfirmierten« Karl V. und Ferdinand I. in Artikel II ihrer Wahlkapitulationen die älteren Reichsgrundgesetze seit der Goldenen Bulle. 1558 mußte Ferdinand I. versprechen, die älteren Reichsgrundgesetze, einschließlich des Augsburger 10 1792 Artikel VIII.

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Religionsfriedens, der Reichskammergerichts- und Reichsexekutionsordnung zu »hallten, hanndthaben unnd darwider niemandts beschweren oder durch anndere beschwern lassen«. Damit war die Reichsverfassung der Verfügung des Reichsoberhaupts entzogen. Es stand nicht länger in seinem Belieben, sie zu konfirmieren oder nicht zu konfirmieren. Er musste sie einhalten. Ab dem 2. Juni 1653 heißt es in Artikel II, die älteren Reichsgrundgesetze, einschließlich des Westfälischen Friedens, sollten gelten, als seien sie hier von »Worten zu Worten« einverleibt. Damit hatte das Reich sechs Monate vor England, wo am 15. Dezember 1653 das »Instrument of Government« erlassen wurde, eine geschriebene Verfassung mit umfassendem Normierungsanspruch. Mit der Wendung von »Worten zu Worten« im Sinne von »Wort für Wort« war eine Formulierung gefunden worden um Rechtsgültigkeit unmissverständlich auszudrücken. Sie wurde später häufig zum Bestandteil staatsrechtlicher Verträge. In der Wiener Kongressakte von 1815 wurde sie gleich fünfmal gebraucht11. Zudem wurden in Artikel II Äußerungen gegen den Religionsfrieden mit Strafen bedroht, aber nicht wegen der Verletzung einer theologischen Wahrheit, sondern wegen der Gefahr der Erregung öffentlicher Unordnung. In Artikel III und XII wurde erstmals auch der »unmittelbaren freien Reichs­ ritterschaft« gedacht und in Artikel XX der »Freyheit der Commerciorum«. Artikel XXIV verpflichtete den Kaiser, sämtliche Prozesse, welche die Reichsstände oder Reichsstädte am Reichskammergericht gegen die rheinischen Kurfürsten führen, an den Reichshofrat zu ziehen. Diese Ausnahme widerspricht der gesamten frühneuzeitlichen Verfassungsentwicklung, die dem Kaiser und seinem Reichshofrat sonst grundsätzlich ein Jus evocandi abspricht. Artikel XLV verbietet wie Paragraph 197 des Jüngsten Reichsabschieds die Annahme unqualifizierter Kandidaten in die Reichsstandschaft. Die Standesgemäßheit musste nun durch Reichsstände und Kaiser gemeinsam erklärt werden. Für die Reichsstandschaft war früher neben dem reichsunmittelbaren Territorium ein Mindestmatrikelanschlag notwendig, bei Lobkowitz z. B. 75 fl. Lächerliche Anschläge bestimmter Grafen, z. B. 2 fl. für Sinzendorf-Rheineck, hatten für viel Unmut gesorgt12. Ab 1653 sollten erstmals auch die Mitglieder des Reichskammergerichts auf die Wahlkapitulation vereidigt werden. Möglicherweise hatten die Zeitgenossen sie bereits seit 1619 unter die kaiserlichen Räte subsumiert. Nun werden sie aber in Artikel XLVIII explizit genannt. Das gesamte Reichspersonal13 wurde also fortan auf die Verfassung des Reichs vereidigt.

11 In den Artikeln 73, 88, 91, 117 und 118. Jeweils um die Gültigkeit der angefügten Anhänge unmissverständlich zu betonen. 12 Moser, Betrachtungen über die Wahlcapitulation Kayser Josephs II., S. 45. 13 Baumann / Oestmann / Wendehorst / Westphal (Hg.), Reichspersonal.

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1658 Als Leopold I. am 18. Juli 1658 nach einem eineinvierteljährigen Interregnum, dem längsten seit dem 13. Jahrhundert, auf dem Höhepunkt des französischen Einflusses im Reich gewählt wurde, musste er den Kurfürsten in seiner Wahlkapitulation so viele Zugeständnisse machen wie keiner seiner Vorgänger14. Allein die lange Dauer des Zwischenreichs zeigt, wie verbissen die Verhandlungen geführt wurden. Im Ergebnis der neuen Wahlkapitulation schlägt sich dies indes nur bedingt nieder, weil man letztlich häufig bei den älteren Formulierungen blieb, statt die Verhandlungen scheitern zu lassen. Wie schon 1653, wurde die Wahlkapitulation Leopolds I. »im Namen der Kurfürsten, Fürsten und Stände« abgefasst. In Artikel II wurden alle Proteste gegen den Westfälischen Frieden untersagt und in Artikel III allen Reichsständen die Erhaltung ihres Sitz- und Stimmrechtes zugesichert. Anlass war, dass der Kaiser auf dem Reichstag von 1640/41 Braunschweig und Hessen-Kassel von Sitz und Stimme ausgeschlossen hatte. Die Änderung war bereits 1653 angemahnt worden, wurde aber erst 1658 aufgenommen. Kurköln wollte 1658 festschreiben, dass Obrigkeiten den Mandaten der Reichsgerichte nicht zu folgen brauchen, wenn sie nicht zuvor vom Gericht um Bericht gefragt wurden, wogegen sich jedoch Widerstand regte. Letztlich fand jedoch der kurkölnische Antrag Eingang in Artikel XVIII der leopoldinischen Kapitulation. In diesem Sinn wurde auch der dritte Artikel abgeändert. Erstmals wurde auch der Reichshofrat ausdrücklich in diesem Zusammenhang erwähnt15. Artikel III bestimmte, dass Klagen der Untertanen gegen ihre Obrigkeiten wegen zu hoher Steuern, Zehnten oder anderer Bürden »a Limine Judicii« abgewiesen werden sollten. Die Formulierung erinnert an Franz Kafkas Prosatext »Vor dem Gesetz« von 1915. Die Handlung besteht darin, dass ein »Mann vom Land« vergeblich versucht, Eintritt in das Gesetz zu erlangen. Doch wird der Eingang von einem Türhüter bewacht. Der Mann wartet viele Jahre. Bevor er stirbt, fragt er, warum in all der Zeit niemand außer ihm Einlass verlangt habe. Der Türhüter erklärt, dieser Eingang sei nur für ihn da gewesen. Er werde ihn jetzt schließen. Genau genommen gab es überhaupt keine anderen Untertanenklagen als jene, welche in Artikel III der Kapitulation von 1658 aufgezählt wurden. Die Untertanen durften sich eben nicht abweisen lassen, sondern mussten die Schwelle der Reichsgerichte überschreiten. Das hätte auch Michael Kohlhaas gerettet. In Artikel XIV verpflichtete sich der Kaiser, »das geliebte Vatterlandt teütscher Nation« aus dem Krieg in Italien und im Burgundischen Kreis herauszuhalten, damit »das Heylige Reich seines bestendigen Fridenstandts gesichert

14 Neuhaus, Die Römische Königswahl, S. 40. 15 Weiße, Ueber die Berichterstattung, S. 34.

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bleibe«. Die Formulierung zeigt, dass man zwischen dem eigentlichen deutschen Reich und den Besitzungen in Italien und Burgund unterschied. Artikel XVI war dem Bevölkerungsverlust durch den Dreißigjährigen Krieg gewidmet: »Damit dan auch das Römische Reich, alß welches bey vorigen Kriegen an Manschafft mercklich abgenommen, nit noch weiters durch die frembde Werbungen entblöset undt öede gemacht werde«. Mit Artikel XVII wurde festgelegt, dass die Reichsstände für Länder, die sie durch den Westfälischen Frieden neu erlangt hatten keine zusätzliche Lehnstaxe zu bezahlen haben. Das war nach dem großen Interregnum des 13. Jahrhunderts, dem Religionsfrieden 1555 und dem Westfälischen Frieden ein weiterer Schritt auf dem Weg vom Lehnsreich zur föderativen Nation, ein Weg der 1803, 1806 und 1815 fortgesetzt wurde. Artikel XXXV sollte die Reichspost vor Konkurrenz schützen. Artikel XL hob die Standesunterschiede in den kaiserlichen Ratsgremien auf. Abstimmungen sollten künftig gemäß dem Eintritt in das Gremium erfolgen und nicht gemäß der individuellen Adelstitel. Dieses Prinzip der Anciennität, der Rangfolge aufgrund des Dienstalters, war damals Ausdruck der Modernität. Der neue Artikel XLII bewirkte indirekt die obligatorische Gegenzeichnung aller kaiserlichen Ausfertigungen durch den Reichsvizekanzler, damit immer klar war, als welche Person der Monarch handelte, als Kaiser oder als Herrscher der habsburgischen Erblande. An sich blieb der Artikel über die Amtssprachen über die Jahrhunderte fast gleich, bis 1658 in Artikel XLIII eine entscheidende Änderung eingefügt wurde. Im Reich solle in Reichssachen, die deutsche oder lateinische Sprache gebraucht werden, »es were dan an Ortten, außerhalb deß Reichs«, an denen andere Sprachen üblich seien. Bis dahin hieß es immer »im Reich«. Damit konnte bislang auch Friesisch, Sorbisch, Polnisch oder Französisch gemeint sein. Fortan dachte man mehr an Reichsitalien. Die Vielsprachigkeit des engeren Reichs war an dessen Spitze vergessen worden. 1690 Die Wahl des noch minderjährigen Joseph I. 1690 fand zu Lebzeiten Kaiser Leopolds I. während des Neunjährigen Krieges (1688–1697) statt16. Nach dem langen Interregnum von 1657/58 war dies ein großer Triumph für die Habsburger. Leopolds Sohn und Erbe Joseph musste sich allerdings fünfzehn Jahre bis zum Tod seines Vaters am 5. Mai 1705 gedulden, bevor er Kaiser wurde. Eine Voraussetzung des habsburgischen Erfolgs war, dass Philipp Wilhelm aus der katholischen Linie Pfalz-Neuburg 1685 die Pfalz geerbt hatte, wodurch im Kurfürstenkollegium nun sechs katholische Stimmen zwei lutherischen gegenüberstanden. Zudem gehörte Pfalz-Neuburg zur habsburgischen Klientel. 16 Auch Pfälzischer Erbfolgekrieg, Orléansscher Krieg, Krieg der Augsburger Allianz, Krieg der Großen Allianz genannt, ein von Ludwig XIV. provozierter Konflikt, um u. a. die Anerkennung seiner »Reunionen« zu erreichen.

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Bei den Verhandlungen von 1689/90 stand das schon 1664 zur Diktatur gekommene Projekt der Perpetuierlichen Wahlkapitulation zur Diskussion. Erstmals 1689, während der Verhandlungen über die Wahlkapitulation Josephs, entstand die Frage, ob man die Wahlkapitulation seines Vaters oder das Projekt der Beständigen Wahlkapitulation zugrunde legen sollte. Als das Werk fast vollendet war, entstand ein leidenschaftlicher Streit über den Prolog und Epilog, so dass die Grundlegung 1690 scheiterte. 1689/90 stand das Reich im Krieg gegen Frankreich. Die rheinischen Kurfürsten waren vielfach in Mitleidenschaft gezogen. So gelang es Kaiser Leopold I. in der Wahlkapitulation seines Sohnes, eine Reihe von kaiserfreundlichen Änderungen durchzusetzen. In Artikel X wurden die Reichsstände an ihren »Eid« erinnert, »wormit ein jeder Stand dem Römischen Kayßer und dem Heyligen Römischen Reich verwant ist, daß auch die von frembden Potentaten begehrende Hülff also und nicht anderst begehrt werde noch gethan seye, dan daß dadurch dem Reich kein Gefahr zuwachßen möge«. Das Kaisertum befand sich auf dem Höhepunkt seiner Macht nach 1648. Die Wahlkapitulation wurde zum Instrument der Durchsetzung der kaiserlichen Politik. Artikel XV drohte den Reichsständen sowie jedem Deutschen bei Zusammenarbeit mit dem Reichsfeind mit dem Verlust der Stiftsfähigkeit und damit der Ebenbürtigkeit, dem Verlust des Adels und mit Leibesstrafen. Artikel XIX formulierte das Programm eines gegen Frankreich gerichteten Reichsmerkantilismus einschließlich Zollrepressalien. Artikel XXXIV forderte »die getreuwe und richtige Brieffbestellung«. Hier begann 1690 die Geschichte des Brief- und Postgeheimnisses, das heute zum Rechtsstandard fast aller Verfassungen der Welt gehört. Die Perpetua, 1711 Nach dem Tod Josephs I. wurde das nur zwischen beiden höheren Kollegien verglichene Projekt der Perpetua, dem jedoch noch die Zustimmung der reichsstädtischen Kurie fehlte, durch die Mainzer »Privatdiktatur« und Druck bekannt gemacht, ein Fait accompli. Nicht nur die Städte, auch die Reichsvikare protestierten, da sie dem Verfahren nicht zugestimmt hatten und es bislang auch während des Zwischenreichs keinen Reichstag und damit auch keine Diktatur gegeben hatte. Dem entsprach, dass Reichsfürsten und -städte schon ab 1653 und nun erneut nach Abschluss der Verhandlungen und der Publikation des Ergebnisses mehrere Protestschriften ad acta imperii gaben, worauf die Kurfürsten ihrerseits mit »Gegennotdurften und Reprotestationen« reagierten17. Dies wiederholte sich nun bei jeder neuen Wahlkapitulation. In Artikel II der Perpetua, später Artikel II, Paragraph 3, sowie in Artikel XIV wurden erstmals die Re­ formierten mit in den kaiserlichen Schutz aufgenommen. 17 Müldener, Capitulatio Harmonica, S. 211.

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Wie schon die Wahlkapitulation Josephs I., ist die Perpetua und mehr noch die Wahlkapitulation Kaiser Karls VI. vom Gedanken des Reichsmerkantilismus geprägt, dem der Artikel VII gewidmet ist. Artikel XVIII der Perpetua bestimmte darüber hinaus, der Kaiser solle sich nicht in »Cameral- und Criminal-Sachen« einmischen. Hier wurde eine neue Sicherung für die relative Unabhängigkeit der Reichsstände errichtet. Artikel XIX stipulierte: »In Straffällen sollen und wollen Wir auch denjenigen, so in der Sache kognosciren, oder denen darinn Kommission aufgetragen worden, von der Straffe nichts versprechen, noch die geringste Hoffnung dazu machen«. Dies war eine zukunftsweisende Regelung. In vielen Territorien wurde noch um 1800 Denunzianten ein Teil der Strafe versprochen. In Artikel XX der Perpetua wurde die Reichsacht an die Zustimmung aller Stände gebunden. Die Perpetua spiegelt auch die Professionalisierung der Administration, indem in Artikel XXIV Examen für den Eintritt in die Reichsinstitutionen verlangt wurden. Dies war gleichzeitig Ausdruck der Säkularisierung. An die Stelle der Frömmigkeit, die zu Beginn der Frühen Neuzeit als Einstellungskriterium genannt wurde, war nun die juristische Kompetenz getreten. Hier griff die Wahlkapitulation frühere reichsrechtliche Regelungen auf. Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 verlangte von Beisitzern ein fünf­ jähriges Universitätsstudium und vorherige Berufserfahrung als Anwalt oder Richter sowie von Prokuratoren und Advokaten ein Examen18. Examen verlangte auch die Reichshofratsordnung von 165419. Insgesamt beruhte die Capitulatio Perpetua ebenfalls auf den älteren Wahlkapitulationen. Sie hatte jedoch durch die Wünsche der Fürsten eine bedeutende Erweiterung erfahren. Wenn auch nicht immer konsequent durchgeführt, so war sie doch weit systematischer eingerichtet als ihre Vorgänger. 1711, Karl VI. Der Tod des kinderlosen Königs Karl II. von Spanien am 1.  November 1700 hatte den Spanischen Erbfolgekrieg ausgelöst. Die Haager Große Allianz, also die habsburgischen Kaiser, das Reich und Großbritannien kämpften bis 1713 gegen eine Koalition aus Frankreich, Kurköln, Savoyen und Kurbayern. Hartnäckige reichsfürstliche Demarchen seit 1653 führten dazu, dass das Projekt der Beständigen Wahlkapitulation 1711 wirklich der neuen Wahlkapitulation zugrundegelegt wurde. Aufgrund des Umfanges haben die Ausfertigungen von nun an nicht mehr das Aussehen von mehrseitigen Urkunden, sondern von prunkvollen gebundenen Büchern mit Samteinband, Pergament­ seiten und dreiseitigem Goldschnitt, womit die Würde des Dokuments hervorgehoben wurde.

18 I § 2 und XVIII § 1. 19 Titulus I § 3. Buschmann (Hg.), Kaiser und Reich, T. II, S. 132 f.

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Nach der im Jahre 1708 erfolgten Readmission, der Wiederaufnahme Böhmens in das Kurkollegium, hatte die österreichische Dynastie eine weitere ständige Vertretung im Reichstag und konnte ab 1711 auch auf den Wahltagen an den Beratungen über die Wahlkapitulation teilnehmen. Kaiser Leopold hatte 1692 die Zustimmung Hannovers, 1694 die Sachsens und im Krontraktat des Jahres 1700 jene Brandenburgs für diesen Schritt erhalten20. 1708 fasste der Reichstag einen entsprechenden Beschluss. Der Wahlkapitulation Karls VI. lag das Projekt der Perpetua zugrunde, jedoch wurde vieles »ex Josephina mit eingerückt«21. Zudem fügten die Kurfürsten Neues hinzu, dass »die Carolinam überhaupt also eingerichtet, daß kein Zweifel, es könne selbige vor die vollkommenste unter allen bisherigen Wahlkapitulationen, mit dem größten Rechte, passieren«22. Ungeachtet der Proteste der Reichsfürsten erging sich die Mehrheit der Reichspublizisten in hymnischen Urteilen, »indem vorgedachte neueste Wahl=Capitulation, die nach dem Project Capitulationis perpetuae eingerichtet, wohl ohne Widerspruch wegen Inbegriff des Juris publici novissimi die vollkommenste ist«23. Als wesentliche Neuerung wurde in Artikel II die braunschweigisch-lüneburgische Kurstimme bestätigt und Frankreich der im Westfälischen Frieden erlangten Gewinne verlustig erklärt. Darüber hinaus wurde das Verbot von Einsprüchen und Schriften gegen den Religionsfrieden und den Westfälischen Frieden bekräftigt. Mit dem Verbot der staatsgefährdenden Kritik agierte das Reich als wehrhafte politische Konsensgemeinschaft zur Verteidigung der freiheitlich-hierarchischen Grund­ ordnung des Reiches. Die Verteidigung der hierarchisch-partizipierenden Grundordnung mit monarchischer Spitze wurde zunehmend ein Grundmotiv der Reichspolitik. Die Situation des Interregnums und die Abwesenheit des Kandidaten, König Karls III. von Spanien, erlaubte es den Kurfürsten ferner, sich in der Wahlkapitulation Kaiser Karls VI. in geradezu anstößiger Weise selbst zu bedienen, indem sie sich und ihren Gesandten in Artikel III allerlei Vorrechte beilegten und die Wahlkapitulation hier gegenüber der mit den Reichsfürsten verglichenen Perpetua förmlich aufblähten. Dies betraf besonders den Status der kurfürstlichen Gesandten, welcher im Reich jenem der königlichen Gesandten gleichgestellt wurde. Das war eine Reaktion der übrigen Kurfürsten auf die Erlangung von Königskronen durch die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg 1697 und 170124. Vorausgegangen war bereits am 24.  August 1671 ein Rezess zwischen den Kurfürsten wegen des Ranges ihrer Gesandten25. 20 Begert, Böhmen. 21 Zech, Gegenwärtige Verfassung der Kayserlichen Regierung, S. XXI. 22 Ebd., S. XX f. 23 Gritsch, Der Auserlesenen Sammlung, T. I, S. II. 24 Caesarini Furstenerii Republicani [= Sorge], Teutschvaterländische Gedanken, S. 53. 25 Gedruckt: Gritsch, Der Auserlesenen Sammlung, T. I, S. 790, Nr. XLIX.

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Auch die im selben Artikel verfügte Verlängerung des Vikariats, bis der Neuerwählte die Kapitulation persönlich beschwören würde, war eine Neuerung. Bislang endete das Interregnum, wenn der Gewählte die Kapitulation durch seine Bevollmächtigten hatte beschwören lassen und er sich im Reich Deutscher Nation befand. Artikel IV schrieb die Beteiligung der Reichsstände am künftigen Friedensschluss sowie die Wiederherstellung der politischen und kirchlichen Verhältnisse vor Kriegsausbruch vor, »worunder doch die Augspurgische Confessions-Verwandte den Rißwickischen Frieden nicht verstanden haben wollen, die Catholische aber sothane Reservation an seinen Orth außgesetzt seyn lassen«. Nach 1562 ist dies die zweite Stelle in einer Wahlkapitulation, in der Kurfürsten darin übereinstimmen, dass sie nicht übereinstimmen. Der Kriegssitutation geschuldet finden sich lange Zusätze gegenüber der Perpetua, welche sich auf Werbungen und Einquartierungen insbesondere durch Auswärtige beziehen. Artikel IX drohte mit der Aussetzung der Reichsstandschaft bei Missbrauch des Münzregals. Dies war offenbar wirksam. Außer Friedrich II. im Siebenjährigen Krieg hat es kein deutscher Fürst mehr gewagt, das Münzregal zu missbrauchen bzw. minderwertige Münzen in Umlauf zu bringen. Hier zeigt sich zudem, dass die Wahlkapitulation nicht nur den Kaiser einschränkte, sondern auch die Stände disziplinierte. In Artikel X fehlte nun auf Verlangen Preußens der in die Perpetua aufgenommene Passus wegen der Restitution des Deutschen Ordens. Artikel XII bestimmte, dass der Kaiser nur mit den Ständen gemeinsam über die Zusammensetzung der Reichsdeputationen entscheiden könne. Artikel XV spiegelt den Aufbau staatlicher Strukturen in den Territorien, indem die Klagemöglichkeiten der Untertanen gegen ihre reichsunmittelbaren Obrigkeiten ebenso wie die Steuerverwaltung der Landstände beschränkt wurden. Dass dem Kaiser in Artikel XX das Mittel der Reichsacht entwunden wurde, ist erst eine Reaktion auf die Ereignisse des Spanischen Ebfolgekrieges bzw. auf die Ächtung der Kurfürsten von Bayern und Köln. Schon hier und nicht erst in der Wahlkapitulation von Karl VII. wurde der rasante Wiederaufstieg des Kaisertums nach dem Dreißigjährigen Krieg, der 1711 in der noch von Leopold I. und Joseph I. ausgehandelten Aufnahme Böhmens in das Kurkolleg gipfelte, beendet. Denn mit diesem Zusatz zur Perpetua wurde dem Kaiser ein entscheidendes Macht- und Disziplinierungsmittel genommen. Der monarchische Charakter der Reichsverfassung und -regierung erlitt eine empfindliche Beeinträchtigung. Die Bestimmungen der Wahlkapitulation bestehen einerseits aus politisch relevanten, tatsächlich normsetzenden Verfassungsbestimmungen und prätentiösen und zeremoniellen Bestimmungen auf der anderen Seite. Die Erschwerung der kaiserlichen Acht, ihr Umbau zu einer wenig wahrscheinlichen Reichsacht, gehört eindeutig zur ersten Gruppe. Das Ächtungsverfahren wurde dem Kaiser und den Reichsgerichten entzogen und auf den Reichstag als entscheidende Instanz verlagert. Es wurde damit zu einem politischen Prozess. 1711 bildet

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hier eine Wasserscheide, eine Zäsur in der Verfassungsgeschichte des Alten Reiches nach 1648. Hätte der Aufstieg des habsburgischen Kaisertums angehalten, wäre der Bruch rückblickend wahrscheinlich kaum wahrnehmbar, vielleicht wäre er sogar zurückgenommen worden. Durch die dynastische Katastrophe von 1740 wurde er jedoch zum Menetekel. Artikel XXVII konkretisiert frühere Bestimmungen zum ordentlichen Gerichtsstand. Es sollte unterbunden werden, dass Reichsstände und Untertanen »von ihren ordentlichen Richtern des Reichs abgezogen und nach Holland, Braband und an andere ausländische Potentaten gezogen« werden. Die Formulierung zeigt, dass die Niederlande bzw. der Burgundische Reichskreis im Verhältnis zum eigentlichen Reich als »Ausland« angesehen wurden. Einer der merkwürdigsten Artikel der Wahlkapitulation Karls VI. ist der XXX.: »Sodann sollen und wollen wir gleich nach eingetretener Unserer Regierung das Negotium Capitulationis perpetuae (wobey jedoch die Kurfürsten sich das Jus ad capituladi vorbehalten haben) bey dem Reichstage vornehmen«. »Dieser § steht schon seit 1711 in der W. C. und wird auch so stehen und unbefolgt bleiben, bis das Capitulationswesen ein Ende nimmt. Und dazu ist, wie ich hoffe, die jetzige Zeit bestimmt. Möchte also doch eine gute, dauerhafte und feste Konstitutionsvorschrift an die Stelle der ekelhaften Kapitulation treten; darin aber auch das Jus ad capitulandi für immer verboten werden! Haben die Stände, oder auch der Kaiser bei dem bestehenden Staatsvertrag etwas zu erinnern; so ist die Reichsversammlung der Ort, wo darüber gehandelt und Vertragsweise (per amicabilem compositionem) darüber entschieden werden muss«26, kommentierte ein zeitgenössischer Jurist. Diese Stelle ist nach der erstmals 1562 erfolgten Verwahrung der protestantischen Kurfürsten gegen den kaiserlichen Schutz für den Papst und die katholische Kirche sowie der bereits in Artikel IV der Kapitulation Karls VI. eingefügten Protestation der Protestanten gegen den Rijswijker Frieden und der Verwahrung der Katholiken gegen diese Protestation die dritte Dissimulation innerhalb der Wahlkapitulation. Die Aporie wird durch die Feststellung ein­ gehegt, dass die Kurfürsten übereinstimmen, nicht übereinzustimmen. 1742 Für die nächste Kapitulation erwartete man allgemein, dass, wenn die Perpetua förmlich beschlossen sei, die 1711 geschlossene Kapitulation aufgehoben und der Kaiser auf die Perpetua verpflichtet würde. Dies scheiterte jedoch an der neuerlichen dynastischen Katastrophe des Hauses Habsburg und den dadurch ausgelösten Kriegswirren. Im Laufe von 223 Jahren waren manche Artikel über viele Seiten angewachsen. Daher wurden sie nun in Paragraphen unterteilt. Die neue Paragrapheneinteilung hat etwas Brachiales, da die Paragraphen einzelne Sätze, ja Gliedsätze auseinanderreißen. 26 [Schwarzenau], Blicke eines teutschen Publicisten, S. 88 f.

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Der Wahl Karls VII. am 12. Februar 1742 ging mit fast sechzehn Monaten das längste Interregnum der Frühen Neuzeit bzw. seit 1273 voraus. Ohne eigene Macht, sein Erbland war von österreichischen Truppen besetzt, befand sich der Kandidat in einer fatalen Abhängigkeit von Frankreich und Kurbrandenburg. So war er gezwungen, in seiner Wahlkapitulation mehr Zugeständnisse als alle seine Vorgänger zu machen. Die Reichspublizistik kommentierte dies: »Die Wahlcapitulation Karls V. sieht der neuesten sehr unähnlich. Jeder Schritt eines Kaisers, den man den Gesetzen oder dem Herkommen zuwider fand, oder sonst nur nicht billigte, veranlasste einen Zusatz in der Kapitulation seines Nachfolgers, wenigstens ein Monitum bei ihrer Abfassung. Darüber ist sie »nach und nach so ausgedehnt worden, dass sie wenigstens auf dem Papier, für einen Universalmonarchen« hinreichend wäre27, wie Friedrich Karl von Moser mit Bezug auf die Kapitulation Karls VII. äußerte. Gingen die Einschränkungen der kaiserlichen Macht bei der Abfassung früherer Wahlkapitulationen oft auf Demarchen Frankreichs bei den Kurfürsten zurück, so trat 1742 auch Kurbrandenburg in diesem Sinn hervor, weil Frankreich und Brandenburg voraussahen, dass die Krone des Reiches bei der nächsten Wahl wieder an Österreich fallen würde. Die drei wittelsbachischen Höfe Pfalz, Bayern und Köln versuchten zusammen mit Mainz die gänzliche Entmachtung des Kaisers zu verhindern. Schon Leopold I. hatte 1658 die seine kaiserlichen Befugnisse sehr einschränkenden Artikel als Folge der »französischen Bosheit« betrachtet28. In Artikel I, Paragraph 3 wurde dem Kaiser verwehrt, allein den Entzug des Sitz- und Stimmrechts, auch »provisorie, noch in sonstige Weis« zu verfügen. Artikel I, 7 enthielt die Verpflichtung, die Qualifizierung der neuen Fürsten zu untersuchen. Die Einfügung spiegelt die Eskalation des Streits zwischen altund neufürstlichen Häusern. Artikel II, 8 sicherte den im Reich anerkannten Konfessionen die Freiheit des Drucks ihrer symbolischen Bücher, also ihrer Bekenntnisschriften, zu. 1711 war das erste Interregnum während des Immerwährenden Reichstags eingetreten, und damit entbrannte ein Streit über die Rechte der Reichsvikarien in Bezug auf die Fortführung oder Ausschreibung eines Reichstags. 1742 wurde in Artikel III, 15–20 den Vikaren dieses Recht zugesprochen. Da jedoch die Fürsten widersprachen, wurde der Reichstag im Interregnum von 1745 unterbrochen. Während des Interregnums von 1790 kam es erneut zum Streit, wenngleich eine Mehrheit durch Reichsschluss vom 7. Juni 1790 für die Fortsetzung des Reichstages eintrat. Besonders strittig war die Einsetzung einer Vikariatsprinzipalkommission. Die Mehrheit verweigerte ihr das kaiserliche Zeremoniell, lehnte auch die Erstattung von Reichsgutachten an die Vikare ab und wollte auch die Ratifizierung der Reichsgesetze durch die Reichsvikare nicht zugestehen. Wäre es den Reichsvikaren gelungen, ihre Rechte soweit auszudehnen, wäre eine neuerliche Kaiserwahl überflüssig geworden. 27 Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 16. 28 Ebd., S. 24.

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Dennoch konnten die Reichsvikare ihre Rechtsstellung im Artikel III, 1­ 5–17 entscheidend ausbauen. In Artikel III, 16 wurde ihnen das Recht gewährt, Reichshofratsprozesse an ihren Vikariatsgerichten fortzusetzen. In Artikel III, 17 wurde erstmals des Reichsarchivs gedacht, an welches nach Ende des Interregnums die Akten abzugeben seien. Es wirkte fast wie ein Hohn, dass der mittellose Karl VII. sich in Artikel IV, 16 verpflichten musste, für den Durchzug kaiserlicher Truppen im Reich nur Unterbringung, keine Verpflegung zu verlangen. In Artikel VII, 2 wurde erstmals den Hansestädten besonderer Schutz zugesichert. Artikel X war lange Zeit gänzlich der Wiedergewinnung des verlorenen Reichsgutes gewidmet. In die Kapitulation Karls VII. wurde ganz entgegengesetzt mit Paragraph 4 verfügt, dass der Besitz der Kurfürsten, Fürsten und Stände »ohne Wiederlösung und Widerrufung« geschützt werden solle. Der neue Paragraph 5 regelte das Verfahren für Grenzbereinigungen. Mit Artikel X, 10 wurde erstmals des Reichsschlusses vom 9. Dezember 1722 gedacht, der sich auf Toskana, Parma und Piacenza bezog, die zu jener Zeit mit den Medici und Farnese noch eigene Regenten hatten, deren Aussterben jedoch absehbar war. Wenngleich diese Territorien damals keine staatsrechtliche Verbindung zum Reich hatten, wurden sie für die Zukunft ausdrücklich, wie schon 1718, mit Zustimmung der Quadrupelallianz, zu Reichslehen erklärt und es wurde dem spanischen Prinzen Don Carlos, dem nachmaligen König Karl III. die An­wartschaft zuerkannt, was der Reichstag im Dezember 1722 bestätigte29. Mit Artikel XI, 4 wurde es den geistlichen Fürsten freigestellt, ob sie geistliche oder weltliche Bevollmächtigte zum Lehnsempfang abordneten. Artikel XII, 4 schränkte die Möglichkeiten der Reichsgerichte ein, in die Militär-, Zivil- und Wirtschaftsverfassung der Reichskreise einzugreifen. »Die mühsam ausgehandelte Verfassung der Kreise«, »die kettenmäßige Verbindung einzelner Kräfte unter sich und mit anderen«, vertrage keine Einmischung der Reichsgerichte30, kommentierte ein Publizist. Die Tagesordnung des Reichstags wurde durch Artikel XIII, 4 ins Belieben der Reichsstände gestellt. Der Streit um das sogenannte Propositionsrecht währte seit dem Regensburger Reichstag von 1608. Nun verlor der Kaiser endgültig ein wichtiges Instrument zur Steuerung des Reichestages. Artikel XIII, 8 und 9 bekräftigten die Rechte von Kurmainz und der Vikare hinsichtlich Ausschreibung oder Fortführung des Reichstags. Der achte Paragraph des Artikel XVI unterband Anweisungen des Kaisers an das Reichskammergericht. Er wurde bei Franz I. wieder ausgelassen, weil man meinte, dass dies schon in den Reichsgesetzen geregelt war. Das Verhalten Josephs II. hat zur Wiedereinrückung geführt. »In einem wohleingerichte-

29 Crome, Wahlcapitulation, S. 92. 30 Caesarini Furstenerii Republicani [= Sorge], Teutschvaterländische Gedanken, S. 154.

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ten Staate sind es nicht der Richter und der Landesherr, sondern die Gesetze, die Recht sprechen«31, kommentierte ein zeitgenössischer Schriftsteller. Der neu eingefügte dritte Paragraph des Artikel XVII war der künftigen Reichskammergerichtsvisitation gewidmet. Dies war eine der wenigen für das Reich positiven Ergänzungen der Wahlkapitulation Karls VII. Die Erweiterung des Artikels XVII um die Paragraphen 17 und 18 sollte vorab verhindern, dass der mittellose Karl VII. die Lehnsgebühren erhöhte. Artikel XX, 8 verbot, Strafen auf Erben und Rechtsnachfolger eines Geächteten zu erstrecken. Im Mittelpunkt des Strafrechts steht hier, lange vor der Französischen Revolution, das Individuum, in einer Zeit, als Sippenhaft noch gewöhnlich war. Noch Ende des 18.  Jahrhunderts wurden in vielen Territorien die Familien der Wild-, Fisch- und Waldfrevler oder Deserteure mitbestraft. Sippenhaft war ein in der Frühen Neuzeit weit verbreitetes Instrument der Sozialdisziplinierung. Neu eingefügt wurde unter Karl VII. auch der Artikel XXII, 4, der »Kinder aus notorischen Mißheiraten« von der reichsständischen Erbfolge ausschließen sollte32. In Artikel XXIV wurde in der Erwartung, dass das Kaisertum bald wieder an Österreich fallen würde, die Unabhängigkeit des Reichshofrats massiv gestärkt. Artikel XXV, 4 stärkte die Trennung zwischen der Reichskanzlei und der erbländischen Kanzlei. Unabhängig von der steten Ausweitung der Bestimmungen zum Reichshofrat galt die Reichshofratsordnung von 1654 noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts als »ein Muster der guten Prozessordnung« und hatte eine erhebliche Vorbildfunktion für die Territorien33. Anders als die Reichskammergerichtsordnung gehörte die Reichshofratsordnung nicht zu den Reichsgrundgesetzen, da das Reich ihr nie zugestimmt hatte. Allerdings war das sogenannte Konzept der Kammergerichtsordnung von 1613, das dem späteren Procedere des Gerichts zugrunde lag, ebenfalls nie förmlich vom Reich verabschiedet worden. Dennoch waren sich die Juristen einig, sie sei »gleich einem wirklich publizierten Gesetz in Observanz«34. Die vom Reich vorgegebenen Normen galten in Deutschland weithin als das Vorbild. »Nach dem Muster des Reichshofrats sind die Regierungen der Fürsten mehrenteils, so wie die Hofgerichte, nach dem Muster des Kammergerichts eingerichtet worden«35. Die in Regensburg 1654 publizierte Reichshofratsordnung lag im Reichshofrat immer »auf der Tafel« und wurde zu Anfang jedes Jahres in mehreren Stunden vorgelesen, samt dem Anhang von Karl VI.36. Damit wurden die Mitglieder des Reichshofrats auch immer wieder daran erinnert, dass 31 Bülow, Betrachtungen, S. 223. 32 Minnigerode, Ebenburt. Fitte, Unebenbürtige Fürstenehen, S.  632–644. Bollmann, Die Lehre von der Ebenbürtigkeit. 33 Schmauß / Senckenberg (Hg.), Teutsche Reichs-Abschiede, T. 1, S. 59. 34 Schmauß, Corpus Juris Publici S. R. Academicum, S. XVI (Vorrede zur dritten Auflage). 35 Caesarini Furstenerii Republicani [= Sorge], Teutschvaterländische Gedanken, S. 171. 36 Bülow, Betrachtungen, S. 217.

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sie sich mit ihrem Diensteid zur Einhaltung der Wahlkapitulation verpflichtet hatten. Die Reichshofratsordnung von 1654 enthält auch einen Artikel über die Gerichtsbibliothek, in der die Drucke der Reichsgrundgesetze und der Wahlkapitulation vorhanden sein mussten37. Restriktionen gegen land- und reichsstädtische Boten enthielt Artikel XXVIII, 3.  In Artikel XXIX, 3 wird das Reichsoberhaupt erstmals verpflichtet, den Aufforderungen der Kurfürstlichen Kollegialschreiben nachzukommen bzw. »die in vielen wichtigen Angelegenheiten von dem zur Wahl versammleten Churfürstlichen Collegio durch besondere Schreiben Uns erstattete Gutachten fordersamst zum wirklichen Vollzuge bringen«. Artikel XXIX, 6 bekräftigt die Rechte der Vikare »absente rege«. Die Titelinflation unter Karl VII. hatte zudem zu einer relativen Entwertung der Titel geführt. Die Ausdehnung der Rechte der Reichsfürsten durch die Wahlkapitulation Karls VII. wurde zum Katalysator der Föderalisierung Deutschlands. 1745 Im Vergleich zur Wahlkapitulation Karls VII. gab in es jener Franz’ I. nur wenige Zusätze, Artikel XXVI über Savoyen, Montferrat und das Reichsvikariat in Italien ausgenommen, welchen man aus der Kapitulation Karls VI. wieder einrückte. Ferner wurden der zehnte des Artikels I, der 18. und 19. Paragraph des dritten Artikel etwas verändert und bei dem vierten des fünften Artikels ein paar Zeilen hinzugesetzt, bei Paragraph 8 in Artikel XVI wenige Zeilen weggelassen. Wie wichtig zeitgenössisch auch kleinste Veränderungen genommen wurden, zeigt ein dem kursächsischen Exemplar der Kapitulation von 1745 eingelegtes handschriftliches Errata-Verzeichnis. In diesem Korrekturverzeichniss wurden auch marginale offensichtliche Schreibfehler akribisch vermerkt. Das Corrigendum lautete: »Nachdem das Original von der Wahlkapitulation K.  Francisci mit einem gedruckten Exemplar collationiert und letzteres nach dem ersteren corrigirt worden, so hat man in dem Originali folgende Schreibfehler wahrgenommen: / Introduction, Lünburg anstatt Lüneburg / Art. IV § 18 vermeldtem anstatt vermeldten / Art. XV § 4 leichtich anstatt leichtlich / Art. XVII § 4 Jahr anstatt Jahres /Art. XXIII entzieh anstatt entziehen. In denen Externis dieser Original-Capitulation ist bey Zusammenhaltung derselben mit der Originalcapitulation Caroli VII auch dieser Unterschied bemerkt worden, daß der jetzigen neueren Capitulation K. Fancisci das RömischKönigl. Insigel mit der Umschrift eines Römischen Königs anhanget, an dem 37 Schon im 18.  Jahrhundert war die Literaturlage zu den beiden höchsten Reichsgerichten sehr unausgewogen. »Es ist schade, daß wir von dem Kammergericht zuviel, von dem Reichshofrat aber zuwenig Scribenten haben, welche noch dazu die neuere nicht ausgenommen, fast bei einem Haufen nichts taugen«, Schmauß / Senckenberg (Hg.), Teutsche ReichsAbschiede, T. I, S. 60.

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Original der Capitul. K. Carls VII aber nur das Churbayerische Vicariats-Sigel befindlich ist. Übrigens stehen auf dem vorliegenden ersten Blatte der Capitulation K. Francisci die Worte: ›Chur Sachsen‹, und ganz unten: ›Joh. Coelestinus Just38 Collat:‹ welches beides auf der Original Capitul. Caroli VII nicht zu sehen ist«39. Die bedeutendste Neuerung von 1745 betraf nicht die Kapitulation selbst, sondern ihre Distribution. Erstmals erhielt auch Böhmen ein Exemplar der Wahlkapitulation. 1764 1764 war das Kurkollegium zum ersten Mal in der Frühen Neuzeit vollzählig an den Wahlkapitulationsverhandlungen beteiligt. Zudem war es das einzige Mal, dass eine Frau, nämlich Maria Theresia als Kurfürstin von Böhmen, teilnahm, wenn auch durch Bevollmächtigte. Maria Theresia hatte 1758 von Papst Clemens XIII. das Prädikat »Apostolisch« erhalten, weil ihr Vater noch die spanischen Titel mit dem Zusatz »Allerkatholischte Majestät«, der erstmals 1496 von Papst Alexander VI. an Ferdinand II. von Aragonien und Isabella I. von Kastilien verliehen worden war, geführt hatte. In der Kapitulation Josephs II. bei der Erwähnung Maria Theresias, wurde dieser Titel erstmals auch von den evangelischen Kurfürsten bzw. den Königen von Großbritannien und Preußen anerkannt. Die meisten Änderungen ergaben sich 1764, wie bei früheren Gelegen­heiten, weil statt eines Kaisers ein Römischer König gewählt wurde. Ebenso war es 1790, weil statt eines römischen Königs wieder ein Kaiser gewählt wurde. In Artikel III, 5 der Wahlkapitulation Josephs II. ist die Verpflichtung, sich um ein Erzamt für Braunschweig zu bemühen, neu eingerückt, wodurch die folgenden Paragraphen des Artikels um eine Nummer verrückt werden. Diese Verpflichtung entfiel 1790 wieder, da durch das Aussterben der bayerischen Kurlinie ein Erzamt frei geworden war. In Artikel X, 12 wurde Joseph verpflichtet, auch die italienischen Vasallen zu den Reichslasten heranzuziehen. 1790 »Es wäre zu viel gefordert, wenn man mit Gewalt die Reichsverfassung zu ändern, vorschlagen wollte, um Deutschland zu einer politischen Schönheit zu machen«40, schrieb der sächsische Jurist Gottlob Rössig 1786. Er war der­ 38 Johann Cölestin Just war 1780 kursächsischer Geheimer Legationsrat, s. Kurfürstlich Sächsischer Hof- und Staatscalender auf das Jahr 1780, Leipzig 1780, S. 180. 1730 veröffentlichte er einen Nachruf auf Johanna Hernritte Pflugk. 1745 war er kursächsischer Legationsrat und Wahlgesandtschaftssekretär, während der Wahl im Chor, aber nicht im Konklave. Jung, Des Römischen Kaisers Franciscus Wahl und Krönungs Diarium, S. 269. 39 SächsHStA Dresden, 10001 Ältere Urkunden 14822 »Kaiser Francisci Wahl-Capitulation, Dat Frankfurt den 13. September ao. 1745« [= Aufschrift zeitgenössisches Kuvert]. 40 Rössig, Ueber deutsches Staatsinteresse, S. 27.

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Ansicht, dass durch den zunehmenden Ausbau der Wahlkapitulation die Möglichkeiten für eine Reform der Reichsverfassung verstellt seien41. Entgegen der Ansicht Rössigs kam es 1790 erneut durch die Wahlkapitulation zu einer Reform der Reichsverfassung. Die vielen Änderungen in der Kapitulation von 1790 waren durch die lange Regierungszeit Josephs II. und sein robustes Auftreten gegenüber der Reichsjustiz, der Reichskirche und einigen Reichsfürsten, aber auch durch die Ereignisse jenseits des Rheins veranlasst worden. Die Französische Revolution wirkte sich bereits aus. Auch die Reichskirchenpolitik des Papstes bewirkte massive Veränderungen. Da der Kaiser die Kardinäle mit »Herr« ansprach, erhielten 1790 auch die Kurfürsten erstmals in der Einleitung der Wahlkapitulation das Prädikat »Herr« beigelegt. In Reaktion auf die Staatskirchenpolitik Josephs II. kam es auf Antrag Kurtriers in Artikel I, 2 zur Bekräftigung der Diözesanrechte. Die Verpflichtung auf den Dresdener Frieden von 1745 wurde in der Kapitulation Josephs II. vergessen bzw. war in den Verhandlungen nicht durchgedrungen. Sie taucht erst in Artikel II, 3 der Kapitulation Leopolds II. auf, wo auch des Teschener Frieden von 1779 gedacht wurde. Der dritte Paragraph des Artikels III erhielt den Zusatz, dass der Kaiser den Rat der Kurfürsten auch gern vernehmen und beantworten wolle, wenn dieser auf eigenen Antrieb der Kurfürsten geäußert wurde. 1790 entfielen der ehemalige fünfte Paragraph des dritten Artikels, welcher der Suche nach einem Erzamt für Braunschweig gewidmet war, und der vormalige 18. Paragraph, der sich auf die zwischen Pfalz und Bayern 1745 und 1752 errichteten Vikariatsvergleiche bezog, infolge des Aussterbens der bayerischen Wittelbacher. Die Betonung des Primogeniturrechts, welche seit Joseph I. an unpassender Stelle geschah, wurde an einen besseren Ort, nämlich den Artikel III, 4 verrückt. Im zwölften Paragraphen desselben Artikels wurde auf kurbrandenburgischen Antrag ergänzt, dass bei Kurtagen weder ein kaiserlicher Gesandter noch Kommissare zugelassen werden müssen. Anlass dafür war die Entsendung zweier Kommissare durch Franz I. zum Kurtag von 1764. Artikel III, 14 verbot ausländische Werbungen ohne besondere Erlaubnis. Paragraph 18 desselben Artikels, »Bestätigung der Vikariatshandlungen«, war in der Kapitulation Josephs II. weggefallen und wurde jetzt wieder aufgenommen. Es erfolgte aber dabei der einschränkende Zusatz »in so weit als dasselbe die Grenzen der Goldenen Bulle, der gegenwärtigen Wahlkapitulation, und des unverrückten Herkommens nicht überschreitet«. Damit sollte die Ausdehnung der Rechte der Reichsverweser verhindert werden. Dies lag nicht nur im Interesse des Kaisers, sondern auch der übrigen Kurfürsten. Der Zusatz zu Artikel IV, 6 wurde veranlasst durch die versuchte Inbesitznahme der Reichsfestung Philippsburg durch den Fürstbischof von Speyer 1782 und 1790. Im 17.  Paragraphen desselben Artikels wurde »auswärtige Völker« 41 Ebd., S. 26.

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weggelassen, weil es keine Rolle spiele, ob die Stände von Auswärtigen oder Mitständen bedrängt werden. In Artikel VII, 1 wurde der Kaiser aufgefordert, durch ein neues Presse­ gesetz den Schutz vor Nachdruck zu gewährleisten. Hierbei wurden jedoch nicht der kommerziellen Interessen der Autoren, sondern derer des Buchhandels gedacht. Der Buchhandel setzte damals pro Jahr 1 ½ Millionen Gulden um42. Die Bemühungen um den Urheberrechtsschutz begannen nicht erst auf dem Wiener Kongress43. Die Aufforderung in der Wahlkapitulation, ein allgemeines Reichsgesetz gegen Büchernachdruck voranzubringen, war gleichzeitig eine Art »Vorgesetz«, weil die Wahlkapitulation als Reichsgrundgesetz bei richterlicher Rechtsprechung berücksichtigt werden musste. Die Mitwirkung der Reichsfürsten, anderer Reichsstände und, hier besonders wichtig, der Reichsstädte, also ein allgemeines Reichsgesetz, erhöhte zudem die moralische Wirkung. Auch Reichspublizisten wie Johann Ludwig Klüber hatten bereits entsprechende Vorschläge unterbreitet. In Wien und Karlsruhe wurden jedoch aus Gründen der Förderung der örtlichen Wirtschaft sogar gewerbliche Nach­ drucker privilegiert44. In Artikel IX, 2 wurde der Bezug auf das Münzedikt Franz’ I. von 1759 gestrichen. Es war aus Versehen und gegen die Mehrheit der Stimmen in die Wahlkapitulation Josephs II. eingerückt worden. »Eine Übereilung, welche bei der fast postmäßigen Beschleunigung, die zu der dermaligen Zeit dem ganzen Kapitulationsgeschäft gegeben wurde, sehr leicht vorfallen konnte«45. Artikel X, 5 »von den Reichsgrenzen« erhielt auf kurkölnischen Antrag die Erweiterung, dass das Erfordernis der Einwilligung des Reichs und der dabei interessierten Stände bei Grenzscheidungen, auch bei »Umtauschungen der Grenzlande« zu gelten habe46. Die Veränderungen und Zusätze zu Artikel XIV, »Beschwerden wider den römischen Papst« sind mit »die wichtigsten und beträchtlichsten« der Wahlkapitulation von 1790. 1769 übergaben die geistlichen Kurfürsten dem Kaiser 31  Beschwerdepunkte, dieser verwies sie jedoch an den Papst47. 1785 war die Nuntiatur in München errichtet worden. Dies führte zu erheblichem Widerstand der deutschen Erzbischöfe gegen die Anmaßungen des Papstes und schließlich zur Emser Punktation vom August 1786. Nun unterstützte der Kaiser den Protest der Erzbischöfe. Die Ehedispensation des Fürsten HohenloheBartenstein und der Gräfin Franziska Wilhelmina Augusta v. ManderscheidBlankenheim wegen des zweiten Grades der Verwandtschaft im November 1786 sahen die Erzbischöfe als Eingriff eines fremden Bischofs in ihre Diözesan42 Bülow, Betrachtungen, S. 152. 43 Pütter, Büchernachdruck, S. 1 f. Crome, Wahlcapitulation, S. 66–68, nennt Literatur wider den Büchernachdruck seit 1774. 44 Ebd., S. 67. 45 Bülow, Betrachtungen, S. 163. 46 Burgdorf, Die frühneuzeitlichen Grenzen, S. 137–152. 47 Crome, Wahlcapitulation, S. 106.

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rechte. Am 27. Februar 1787 war ein Reichshofratskonklusum wegen des Nuntiaturstreits erfolgt, besonders gegen die Kommissare des Münchener Nuntius Giulio Cesare Zoglio in Berg und Jülich. Zoglio war ein Vetter des amtierenden Papstes Pius VI. Missmut erzeugte auch, dass er, obwohl selbst erst kurz vor Übernahme der Nuntiatur geweiht, mehrere Konsekrationen im Reich vornahm. Am 9. August 1788 war die Nuntiatursache durch ein kaiserliches Hofdekret auch an den Reichstag gekommen48. Das in Artikel XVI, 8 neu aufgenommene Verbot, Verfügungen an das Reichskammergericht oder seine Glieder zu erlassen, war schon in der Wahlkapitulation Karls VII. enthalten. Damals war es aber entgegen des Abstimmungsergebnisses irrtümlich aufgenommen worden. Deswegen wurde es 1745 weggelassen. Durch neue Vorfälle veranlasst, wurde es 1790 wieder hinzugefügt. Joseph II. hatte in der Hansinner Präbendensache, in welcher eine Kollision zwischen Reichskammergericht und Reichshofrat entstanden war, zu Anfang des Jahres 1786 befohlen, sämtliche Unterlagen an ihn einzuschicken. Nach einer Abstimmung im Plenum hatte das Reichskammergericht die Anweisung des Kaisers befolgt49. Ein Herr von Weichs hatte sich wegen einer strittigen Präbende an das Reichskammergericht, ein Herr von Collenbach an den Reichshofrat gewandt und der Bischof von Lüttich hatte zum Vorteil des Herrn Weichs den Rekurs an den Reichstag ergriffen. Diese verworrene Situation wollte Joseph durch seine Intervention auflösen. Artikel XVI, 15 stärkte die Unabhängigkeit des Reichshofrats. Oft wurde in Justizsachen vom Reichshofrat ein Gutachten an den Kaiser erstattet, und von ihm wurde darauf eine Resolution erteilt, in der die Urteile nicht immer nur genehmigt, sondern zuweilen auch geändert wurden. Das durfte nach der Reichshofratsordnung aber nur bei Stimmengleichheit geschehen. Durch diesen Zusatz wurde also die Gewaltenverteilung im Reich weiter gefestigt. Das war von Bedeutung, weil die Regelungen auf Reichsebene Vorbildcharakter für die Territorien hatten. Ein zeitgenössischer Staatsrechtler kommentierte: »Es bleibt immer, auch so wie es jetzt lautet, einer der wichtigsten Zusätze, vornehmlich für die Reichsjustizverfassung«50. Artikel XVII, 3 war nun ganz neu gefasst und den Rekursen an den Reichstag gewidmet. Die vorigen Paragraphen XVII, 4 bis 12 waren ganz weggelassen. Sie bezogen sich auf die Beförderung der außerordentlichen Deputation zur Visitation des Reichskammergerichts, welche im Reichsabschied von 1654 angeordnet worden war. Diese Visitation hatte von 1767 bis 1776 stattgefunden. Jetzt sollten ordentliche Visitationen wiederhergestellt werden.

48 1763 gab Reichsreferendar Baron von Horix, durch die speyerischen Wirren veranlasst, die älteren Konkordate heraus. 1789 edierte Koch in Straßburg die deutschen Fürstenkonkordate. Literatur dazu: Ebd., S. 117. 49 Ebd., S. 128. 50 Ebd., S. 131.

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Der Artikel XIX, 6 behandelte das sensible Thema der Untertanenklagen. Im letzten Wahlkonvent hatte Kurtrier auf eine Veränderung gedrängt. Deshalb wurde entschieden, dass Untertanen, wenn sie in Privatsachen gegen eine landesherrliche Kammer klagten, in erster Instanz, statt der Austräge, die Landesgerichte anrufen mussten. »Diese letztere Meinung ist nun in der Wahlkapitulation gebilligt, welche überhaupt in diesem und dem folgenden Paragraphen gar sehr zum Vorteil der Landesherrn eingerichtet ist. Hieraus können gerade in unseren Zeiten am allerersten und häufigsten Unruhen entstehen, da den armen Untertanen durch jenes Gesetz, auch der letzte Weg zur unparteiischen, rechtlichen Abhilfe ihrer Klagen nun auch abgeschnitten ist«51. »Diese Stelle erhebt die Gerechtsame der Landesherrn so sehr, als auf der andern Seite, in einigen Staaten dadurch gerechter Mißmuth, wenn nicht jetzt, dennoch einmal in der Folge, entstehen kann«52. Die nun in Paragraph 7 enthaltene Aufforderung, den Untertanen nicht leichtlich Prozesse aufzuerlegen, sondern erst den Bericht der Obrigkeit zu erfordern bzw. abzuwarten, findet sich schon in Paragraph 150 des Jüngsten Reichsabschieds und in Paragraph 10 des Reichskammergerichtsvisitationsabschiedes von 1713 sowie in einem Dekret der Kammergerichtsvisitation vom 1. Februar 176953. Das Kammergericht interpretierte diese Paragraphen jedoch so, als ob es seinem eigenen Ermessen anheimgegeben wäre, ob Bericht zu erfordern sei oder nicht und eigentlich nur als eine Einschärfung der herkömmlichen Regelung54. Artikel XXII, 4, »Kinder notorischer Mißheirathen«, wurde nun dahin ergänzt, dass der Kaiser ein Reichsgesetz deswegen veranlassen solle. Die Heirat des Herzogs Anton Ulrich zu Sachsen-Meiningen mit einer bürgerlichen Frau hatte den Einschub veranlasst. »Hingegen ist der Fall einer Ehe eines Illustris cum femina nobili desto streitiger«55. Schon 1742 ersuchten die Kurfürsten den Kaiser, ein Regulativ zur Definition von Missheiraten durch den Reichstag herbeizuführen. Artikel XXIV, 10, welcher die Entlassung der Reichshofräte regelt, ist so erweitert worden, dass kein Reichshofrat anders als nach vorhergegangener gerichtlicher Untersuchung und Entscheidung abgesetzt werden soll. Die Unabhängigkeit der Reichsjustiz wurde so gestärkt und die Verwaltungsgerichtsbarkeit antizipiert56.

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Ebd., S. 141. Bülow, Betrachtungen, S. 256. Crome, Wahlcapitulation, S. 143. Weiße, Ueber die Berichterstattung. Schmidt, Ueber den Gerichtsstand. Schue, Gedanken. Ders., Rechtliche Prüfung. Schelhaß, Ueber die Gerichtsbarkeit. 55 Crome, Wahlcapitulation, S. 150, Literatur zu Missheiraten. 56 Jellinek, Der Schutz.

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1792 Zu nennenswerten Änderungen kam es angesichts des Weltanschauungskriegs, den das Reich nun gegen Frankreich führte, 1792 nicht mehr. Der letzte Text der Wahlkapitulation von 1792, die gewissermaßen aus siebzehn Schichten seit 1519 zusammengesetzt wurde, stößt wie eine Nadel durch die Sedimentschichten der philosophischen und politischen Strömungen dreier Jahrhunderte. Wie alle Verfassungen sind auch die Wahlkapitulationen geprägt von den Bewegungen der Zeit. Die großen Ereignisse der Geschichte, Kriege und Kaisertodesfälle, die lange Zeit herrschende Wirtschaftstheorie des Merkantilismus haben hier Spuren hinterlassen, ebenso wie die Aufklärung, die großen Strömungen der Reichspublizistik und der politischen Theorie der Frühen Neuzeit. Gleichzeitig haben die Zusätze zu den Wahlkapitulationen auch immer wieder die theoretische Diskussion angeregt. Der Text von 1792 bietet daher einen komplexen Rückblick auf Deutschlands bewegte frühneuzeitliche Geschichte57.

57 Zur Entwicklung der Wahlkapitulationen grundlegend: Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 70–100.

12. Die Grenzen des Reiches In staatsrechtlicher Hinsicht hatten die Grenzen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zwei Grundlagen: zwischenstaatliche Verträge, in der Regel Friedensverträge des Reiches mit seinen Nachbarn, und das Reichsstaatsrecht, die Reichsverfassung1. Innerhalb der Wahlkapitulation war den Reichsgrenzen ein eigener Artikel gewidmet, zeitweise waren es auch mehrere. 1519, als Karl V. die erste Wahlkapitulation abschloss, war es Artikel IX. Infolge von Ergänzungen und Umgruppierungen variiert die Zählung der einschlägigen Artikel im Laufe der Jahrhunderte. Seit der Wahl Kaiser Karl VII. 1742 war Artikel X den Reichsgrenzen gewidmet2. Grob bestimmte der Inhalt, dass das Reichsoberhaupt ohne Zustimmung der Reichsstände keine Teile des Reiches veräußern dürfe und sich bemühen solle, verlorene Teile oder »Zubehörungen«, das waren Reichslehen außerhalb der Grenzen des engeren deutschen Reiches, wieder herbeizuschaffen. Letzteres gelang im 18. Jahrhundert mit einigen stattlichen Reichslehen in Italien, wie 1722 mit Toskana, Parma und Piacenza, die zuvor in keiner Lehensverbindung mit dem Reich standen3. Wenn in den Wahlkapitulationen, wie bei Ferdinand IV. 1653, in Artikel XXXI von »Lehen in und außerhalb des Reiches« die Rede ist, dann drückt dies aus, dass Reichsitalien zwar zum Reich gehörte, aber nicht Teil des deutschen Reiches war. Der spätere X. Artikel der Wahlkapitulation, der Grenzartikel, bezog sich ursprünglich allein auf die Außengrenzen des Reiches. Im Laufe der Jahrhunderte wurde er immer weiter ergänzt, wobei Bestimmungen einflossen, die sich auch auf innere Grenzen des Reiches bezogen, die Ergänzung und Abgrenzung der Reichskreise, die Restitution von Reichsständen, die aus ihren Besitzungen verdrängt worden waren, sowie die Wiedergewinnung verpfändeter Reichsbesitzungen. Es war eben der Artikel, in dem alle Grenzfragen des Reiches behandelt wurden. Die letzte Ergänzung dieses Grenzartikels der Reichsverfas1 François / Seifarth / Struck (Hg.), Die Grenze. Kahn, Die deutschen Staatsgrenzen. Schmale /  Stauber (Hg.), Menschen und Grenzen. Lindgren, Die Grenzen des Alten Reiches, S. 31–50. Demandt (Hg.), Deutschlands Grenzen. Kirn, Politische Geschichte der deutschen Grenzen. – Stellvertretend für seine vielen Hervorbringungen sei hier auf einen innovativen Forschungsverbund verwiesen: »Grenzräume in der Ostseeregion  – Der Wandel kultureller und mentaler Grenzen im Ostseeraum« (GRK 1540) wird von den Universitäten Greifswald, Lund (Schweden) und Tartu (Estland) getragen. 2 1558 Wahlkapitulation (WK) Ferdinands I. Art.  VIII, 1562 WK Maximilians II. Art.  IX, 1575 WK Rudolph II. Art.  VIII, 1612 WK Matthias Art.  IX, 1619 WK Ferdinands II. Art. VIII, 1636 WK Ferdinands III. Art. IX, 1653 WK Ferdinands IV. Art. IX, 1658 WK Leopolds I. Art. XII, 1690 WK Josephs I. Art. XII, …, seit 1742 WK Karl VII. Art. X. 3 Crome, Wahlcapitulation, S. 92.

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sung 1790 bezog sich wieder ausschließlich auf die Außengrenze des Reiches. Eine detailierte Beschreibung der Reichsgrenzen gab es in dem Artikel nicht. Sie wurden als bekannt vorausgesetzt. Während die Eidergrenze im Norden seit 811 eine der stabilsten Grenzen des Reiches war4, dehnte sich das Reich im Zuge der deutschen Ostsiedlungs­ bewegung immer weiter auf slawisches Siedlungsgebiet aus. Erst die Unterwerfung der deutschen Ordensritter durch die polnischen Könige 1410 bzw. 1466 führte zu einer Fixierung der Ostgrenze des Reiches5. Die West- und Südgrenze des Reiches konkretisierte sich durch den Westfälischen Frieden 1648. Die Niederlande waren schon im Burgundischen Vertrag von 1548 von der Zuständigkeit der zentralen Reichsinstitutionen weitgehend befreit worden6. Bis weit in die Frühe Neuzeit blieb die Südwestgrenze des Reiches instabil. Es war Frankreich, das unter allerlei Vorwänden, wie dem der Reunionen die Reichsgrenze immer wieder verletzte, sich die reichsritterlichen Besitzungen im Elsass, die zehn Vereinsstädte und zuletzt Straßburg aneignete. Aber mit dem Waffenstillstand von 1684 war auch die Grenze zu Frankreich erstarrt, in Artikel X fixiert, nicht in Form einer geraden Linie, sondern kurvenreich und nicht ohne Enklaven und Exklaven. Für die Zeitgenossen war die Reichsgrenze zu Frankreich mit Problemen behaftet, nicht weil die Grenze nicht genau bestimmt war, sondern weil Frankreich sich nicht an die Fixierungen hielt. Immer neue Anläufe wurden unternommen, die Grenze festzuschreiben: im 18. Artikel des Badischen Frieden 1714 und im 14. des Wiener Frieden von 1738, sowie zehn Jahre später im 18. Artikel des Aachener Frieden von 1748. Dennoch blieb die südliche Westgrenze konfliktträchtig. Frankreich war übermächtig, die benachbarten Reichsstände mindermächtig. Durch Okkupationen ihrer exponierten Gebiete versuchte Frankreich ihnen immer wieder seinen Willen in der Reichspolitik aufzuzwingen. Die Situation entspannte sich erst, als Österreich und Frankreich zu Beginn des Siebenjährigen Krieges 1756 ein Bündnis schlossen. Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges kam es zu einer ganzen Reihe von Grenzverträgen zwischen deutschen Reichsständen und Frankreich. Diese Verträge wurden in der Regel Kaiser und Reich zur Genehmigung vorgelegt. Die Genehmigung erfolgte durch ein gemeinsames Reichsgutachten der drei Kurien des Reichstages und dessen kaiserliche Ratifikation. Das Reich als Ganzes achtete sehr genau auf die Bestimmtheit seiner Grenzen7. 4 5 6 7

Hansen, Deutschlands Nordgrenze, S. 94–139. Ders., Die Nordgrenze Deutschlands, S. 3–48. Zernack, Deutschlands Ostgrenze, S. 140–165. Stollberg-Rilinger, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, S. 21. Crome, Die Wahlcapitulation, S. 89 f. Gerstlacher, Handbuch der deutschen Reichsgesetze, 2. Th., S. 323–347, bietet eine Übersicht über die Verträge der Reichsstände mit Frankreich. Moser, Beyträge zu dem neuesten Europäischen Völkerrecht, Th. 5, S. 216 ff. Ders., Zusätzen zum neuen Staatsrecht, 3. Bd., S. 1207 ff. Pütter, Institutiones juris publici germanici, S. 21–22.

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Insgesamt waren zwischen 1766 und 1785 von deutschen Reichsständen acht Grenzausgleichsverträge mit Frankreich geschlossen worden8. Sie präzisierten bzw. vereinfachten die 1684, 1738 und 1748 zwischen Frankreich und dem Reich verhandelte Grenzziehung. Diese Verträge beinhalteten in der Regel einen Gebietsaustausch und Grenzbegradigungen, oft wurden Flüsse oder andere »natürliche« Grenzen nun zu politischen Grenzen. Auf die beiden letzten 1790 noch nicht von Kaiser und Reich genehmigten Grenzverträge bezog sich der 1790 in die Wahlkapitulation Kaiser Leopolds II. eingerückte fünfte Paragraph des zehnten Artikels: »In vorkommenden Reichsgrenzscheidungen, auch bei Umtauschung der Grenzlande, ohne des Reichs und dabei interessierter Stände Miteinwilligung nichts vornehmen zu lassen«. Die Zeitgenossen in der Frühen Neuzeit wussten, dass jenseits der Grenzen des »Deutschen Reichs« ein größerer Reichslehnsverband existierte, dessen Glieder nicht zum engeren deutschen Reich, das auf dem Reichstag repräsentiert wurde, gehörten. »Wer denn auch die Grenzen dieses Reichs wissen will, der muss vor allen Dingen einen Unterschied machen, unter dem Römischen Reich, dem Deutschen Reich und dem Römischen Reich Deutscher Nation«, heißt es 1742 im Zedler, der großen deutschen Enzyklopädie der Aufklärung9. Deutsche Staatsrechtler des 17. und 18. Jahrhunderts hatten eine klare Vorstellung von den Grenzen des Reiches und davon, dass z. B. Reichsitalien oder Böhmen nicht Teile des Deutschen Reiches waren. Viele der zeitgenössischen Reichsstaatsrechtsdarstellungen beinhalten ein Kapitel über die Grenzen des Deutschen Reiches, die dies klar zeigen. Auch zeitgenössische kartographische Darstellungen zeigen in der Regel eine eindeutige Abgrenzung des deutschen Reiches10. Der Patriarch des Reichsstaatsrechts, Johann Jacob Moser, hat der Thematik eine eigene Schrift mit dem schlichten Titel »Von den Gränzen des Deutschen Reiches« gewidmet11. Die Annahme, dass die frühneuzeitlichen Grenzen des Reichs unbestimmt gewesen seien, ist aufzugeben, da sie der Quellenlage widerspricht. Dies gilt insbesondere für die Grenze zu Frankreich, die in diesem Kontext in der Regel angeführt wurde.

8 9 10 11

Burgdorf, Die frühneuzeitlichen Grenzen, S. 137–153. Zedler, Grosses vollständiges Universal Lexicon, Bd. 31, Artikel »Reich«, Sp. 7–14, Sp. 11. Schmidt, Mappae Germaniae, S. 3–25. Moser, Von den Gränzen, S. 58–102.

13. Die Sprachen des Reiches Dreihundert Jahre Reichs-, Rechtsgeschichte und Sprachgeschichte spiegelten sich in der letzten Wahlkapitulation. Hinsichtlich der Wahlkapitulationen stellt sich aber die Frage, wer ist überhaupt Autor, das Kollektiv der Kurfürsten, ihre Wahlbotschafter, deren Sekretäre? Kompliziert wird die Autorenfrage zudem durch den Umstand, dass die Wahlkapitulation über knapp 300 Jahre fortgeschrieben wurde. Das klingt fremd, ist aber auch bei heutigen Staatsverträgen und Verfassungen, die von Zeit zu Zeit aktualisiert werden, nicht grundsätzlich anders. Es handelt sich bei den Wahlkapitulationen um eine extreme Form eines »sprachlichen Mischtextes«1. Verantwortlich zeichneten Kurfürsten und Kaiser gemeinsam, indem die einen formulierten oder formulieren ließen und der andere diese Formulierungen für sich übernahm. Die Kurfürsten bzw. ihre Gesandten wirkten durch die Wahlkapitulation als Praeceptores Germaniae. Sie formten durch sie gleichermaßen die deutsche Hochsprache wie den Stil der offiziellen politischen Kommunikation im Reich. Praeceptores ist hier im wörtlichen Sinn als »Vorschreiber« zu verstehen. Die Wirkung der kurfürstlichen Praeceptores Germaniae war jedoch nicht mit jener der Académie française gleichzusetzen. Eine vergleichbare deutsche Gelehrtengesellschaft, eine Reichsakademie, wie sie Leibniz und andere bis hin zu Wieland auch zur Vereinheitlichung und Pflege der deutschen Sprache forderten, kam nie zustande. Sie war auch weniger notwendig als in Frankreich. Das Reich verkleinerte sich in der Frühen Neuzeit zunehmend auf die Titularnation. Frankreich hingegen wurde immer multinationaler. Die Académie française als älteste und prestigereichste Institution im geistigen Leben Frankreichs, 1635 auf Betreiben Richelieus begründet, residierte nicht von ungefähr im 1688 fertiggestellten Collège des Quatre Nations. Es war gemäß einer testamentarischen Verfügung des französischen Kardinal-Ministers italienischer Abstammung Jules Mazarin errichtet worden. Dessen Testament bestimmte, dass dort jährlich sechzig junge Adlige aus den nach dem Frieden von Münster 1648 und dem Pyrenäenfrieden 1659 an Frankreich gefallenen Gebieten Artois, Elsass, Pignerol und Roussillon, den vier Nationen, kostenlos auszubilden und zu treuen Untertanen der fran­ zösischen Krone zu erziehen seien. Dergleichen Integrationsaufgaben stellten sich in Deutschland nicht. Die Verknüpfung von hoher Reichspolitik und Hochsprache war in Deutschland deshalb nicht weniger eng als in Frankreich. Die Kurfürsten wirkten durch die Wahlkapitulation aber nicht nur in sprachlicher Hinsicht als Erzieher. 1 Roloff, Zur Relevanz von Varianten, S. 13.

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Die Wahlkapitulationen bestimmten den politischen Stil im Reich. Indem sie leidenschaftliche und verletzende Formen der politischen Kommunikation unterbanden, kultivierten sie den politischen Duktus. Zudem waren die Wahlkapitulationen selbst Resultat und Instrument dieser Erziehungsaufgabe. Sie wurden von höchstlegitimierten Repräsentanten aus den verschiedenen Teilen des Reiches formuliert und mussten in allen Teilen des Reiches verstanden werden. In den Verhandlungen zur Wahlkapitulation trafen wie auf den Reichstagen Repräsentanten aus verschiedenen Teilen des Reiches und ihre Sprachgewohnheiten aufeinander. Johann Jacob Moser monierte hinsichtlich der Wahlkapitulation, »übel siehts in Ansehung der Schreibart aus. Brandenburg schreibt anders, als Pfalz, und Köln anders als Braunschweig. Wird ein Monitum gebilligt, so wird es eingeschaltet, nur selten gibt sich ein anderer Kurhof die Mühe eine andere Fassung vorzuschlagen«2. Aber dennoch wurde hier gemeinsam deutsch geschrieben und gesprochen, anders als an den deutschen Höfen. »Unter Kaiser Joseph I. redet man in Wien nur Italienisch; unter Karl VI. wurde dieses vom Spanischen verdrungen; und während der Regierung Franz I., eines geborenen Lothringers, wurde am Wiener Hofe weit mehr französisch als deutsch geredet. An den kurfürstlichen Höfen ging es ebenso«3, schrieb Friedrich II. 1780 auf Französisch in seinem Essay »De la littérature allemande«. Im Gegensatz zum Französisch der Höfe war die Sprache der Reichspolitik Deutsch, ein Deutsch, das reichsweit verstanden werden sollte. Das Reichsdeutsch, die Sprache der Reichsakten, insbesondere auch die Sprache der Wahlverhandlungen und der Reichstage, war für die Entstehung der modernen deutschen Sprache nicht weniger wichtig als die Luther-Bibel4. Denn in den sprachlichen Akten des Reiches musste man sich eines Deutschen befleißigen, das sowohl in Regensburg wie Hamburg, Wien als auch Dresden und Köln, gleichermaßen von Katholiken, Lutheranern und Calvinisten verstanden wurde. Fritz Hartungs Urteil verkennt die Bedeutung der Reichspublizistik in der Frühen Neuzeit, wenn er meint: »Alle diese Schriften sind lediglich aus der unstillbaren Schreiblust jenes tintenklecksenden Säkulums entstanden und auffallend arm an Gedanken; man begreift bei der Lektüre die Besorgnis, die einen dieser Vielschreiber erfaßt, daß seine Schrift nutzlos bleiben und gewiß auch bey der künftigen Kayserwahl keine wesentliche Veränderungen […] gemacht werden«5. Ganz im Gegenteil orientierte sich die Reichspublizistik nicht nur an der Reichsverfassung, sondern beeinflusste sie auch. Damit sie dies konnte, musste sie, wenn sie nicht in Latein abgefasst war, in einem verständlichen Deutsch erscheinen. In der Zeit zwischen 1519 und 1806 waren über 650 Mono2 3 4 5

Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 14. Zitiert nach: Morello, Der Feind der deutschen Sprache, S. 155. Bruns, Amtssprache. Demandt, Laterculus Notarum. Hartung, Wahlkapitulationen, S. 310. Bezogen auf: [Mohl], Ist es ratsam, S. 4.

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graphien den Wahlkapitulationen gewidmet. Das war ein nicht unerheblicher Teil der Reichspublizistik, der Königsdisziplin an den deutschen Universitäten. Ein nicht geringer Teil der Elite der Nation, nämlich die Juristen, wurde also während der gesamten Frühen Neuzeit auch durch die Beschäftigung mit den Wahlkapitulationen geprägt. Literaten wie Martin Opitz, Daniel Casper von Lohenstein, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Christoph Martin Wieland, Johann Wolfgang von Goethe und andere waren ausgebildete Juristen. Bereits unter Kaiser Friedrich II. wurde der Gebrauch der deutschen Sprache auf den Reichsversammlungen üblich, wie der 1235 errichtete Zweite Mainzer Landfrieden zeigt6, ein Grundgesetz mit Verfassungsrang. Er war die erste Königsurkunde, die nicht nur in lateinischer Sprache, sondern auch in Mittelhochdeutsch formuliert wurde. Unter Kaiser Rudolf I. wurden ältere lateinisch abgefasste Gesetze ins Deutsche übertragen und erneut verkündet. Unter Maximilian I. verdrängte das Deutsche allmählich das Latein in den Gerichtsverhandlungen7. Die in 17.283 gereimten Versen Mitte des 12. Jahrhunderts verfasste Kaiserchronik8 ist das umfangreichste und am dichtesten überlieferte Werk der frühmittelhochdeutschen Literatur und behandelt die Geschichte von Caesar bis zum römisch-deutschen König Konrad III. Die Kaiserchronik entstand zwischen 1147 und 1172 in Regensburg9, welches schon damals häufig für Reichsversammlungen genutzt wurde, wodurch das Werk dort auch sofort seine Leser fand. Die Geschichte der neunzehn römisch-deutschen Kaiser bildet die erste deutschsprachige Reichsgeschichte. So wurde das Reich zum Anlass für die erste deutschsprachige Chronik überhaupt. Deutsches Reich und deutsche Prosa entstanden gemeinsam. Auch die deutsche Poesie profitierte vom lebendigen Deutsch der Reichsverhandlungen. 1624 veröffentlichte Martin Opitz sein Hauptwerk, das »Buch von der Deutschen Poeterey«, das erste Regelwerk der hochdeutschen Dichtkunst. 1628 wurde Opitz von Kaiser Ferdinand II. zum Poeta Laureatus gekrönt und in den Adelsstand erhoben. Kaiserliche Dichterkrönungen der Frühen Neuzeit ehrten zwar keine Nationaldichter im modernen Sinne, sie standen aber in einem nationalen Diskurs.

6 Zeumer, Der deutsche Urtext. Zur Vorgeschichte Hans-Werner Goetz, Gentes et linguae, S. 290–312. Weisert, Seit wann spricht man von »Deutschen«?, S. 131–168. 7 Schmauß / Senckenberg (Hg.), Teutsche Reichs-Abschiede, T. I, S. 14. 8 [Anonym]: Deutsche Kaiserchronik, (Monumenta Germaniae Historica, Digitalisat). 9 Knape, Textleistung, S. 147.

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13.1 Reichsverfassung und Sprache Die älteste Sprachregelung des Reiches findet sich im Mainzer Ordo des 11. Jahrhunderts. Hier war das Verfahren für den Krönungseid vorgegeben. Der König wurde demnach vom Kölner Erzbischof in Latein befragt und antwortet jeweils »volo«. Anschließend wurden die Fragen und Antworten auf Deutsch wiederholt. »Id est in theutonico nostro« heißt es in fast allen Handschriften des Ordo. Auch die Goldene Bulle sah vor, dass sowohl der Wahleid der Kurfürsten, wie später der Herrschereid in Deutsch geleistet wurden10. Mit dem Mainzer Reichslandfrieden von 1235, einem gesetzesähnlichen Erlass Kaiser Friedrich II., einem Verfassungsakt, wurde erstmals ein Landfrieden sowohl in deutscher als auch in lateinischer Sprache verkündet. Wurde die Goldene Bulle 1356 noch in Latein verfasst, erschienen 200 Jahre später neue Reichsgesetze regelmäßig auf Deutsch. Latein war nun die Regelsprache für den auswärtigen Verkehr des Reiches. Die erste Wahlkapitulation von 1519 bestimmte Latein und Deutsch als Reichssprachen und gestatte an bestimmten Orten die Verwendung des örtlichen Idioms. 1519 hieß es in Artikel XIV, der Kaiser solle »in Schrifften und Hanndlungen des Reichs kain annder Zungen noch Sprach gebrauchen lassen, dann die tewtsch oder lateynisch Zungen, es were dann an Orten, da gemeinlich ain anndere Sprach in Ubung und Gebrauch stuende, alsdann mögen Wir und die unnsern Unns derselben daselbs auch behelffen«. Neben Latein war Deutsch nun die offizielle Sprache des Reiches, im politischen und rechtlichen Alltag gar die Hauptsprache. Langsam, über Jahrhunderte hinweg, formte die Sprache des Reiches das Standarddeutsch. Hochdeutsch entstand in den höchsten Institutionen des Reiches. Der Passauer Vertrag vom 2. August 1552, nach dem Fürstenaufstand zwischen König Ferdinand I. und den protestantischen Reichsfürsten geschlossen, war in 24 deutschsprachige Artikel gegliedert, in einer sprachlichen Ausprägung, die in allen Teilen des Reiches verstanden wurde. Katholiken und Lutheraner sollten sie gleichermaßen begreifen können. Die Akteure der Reichspolitik sprachen miteinander in den Reichssprachen und verlangten dies auch von Auswärtigen, die mit ihnen kommunizieren wollten. Unangenehm berührt zeigte man sich, wenn sich ein Akteur »contra stilum curiae« oder »imperii« verhielt11. So ergingen am 15. Februar 1717 und 11. März 1717 vom Reichstagsdirektorium zwei Noten an den französischen Gesandten Jacques Vincent Languet, Comte de Gergy, der berühmt wurde, weil Canaletto neun Jahre später seine Ankunft als französischer Gesandter in Venedig dargestellt hat. Die Noten besagten, er habe sich an den »reichshergebrachten Stylo« zu halten und seine Beglaubigungen in deutscher oder lateinischer

10 Büttner, Der Weg zur Krone, 1. Bd., S. 143 u. 383. 11 Gemeiner, Geschichte der öffentlichen Verhandlungen, 2. Bd., S. 234, 3. Bd., S. 79 u. 171.

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Sprache abzugeben12. Das Reich duldete für seinen Umgang gemäß den Wahlkapitulationen nur seine eigenen Sprachen. Auch die Ausfertigung der Dekrete wegen der Entfernung der Fremden aus der Wahlstadt für die Zeit der Wahl des neuen Reichsoberhauptes erfolgte in deutscher und lateinischer Sprache. 1745 hieß es ganz zu Beginn der eigens für den Wahltag erlassenen Policey- und Taxordnung: »Es sollen auch insgemein alle und jede, was Nation, Würden oder Stand dieselbe sein, respektive erhrerbietig und freundlich aneinander begegnen, und keiner dem anderen wegen der unterschiedlichen Sprachen, Sitten und Kleider, noch einigerlei andern, sonderlich Religions- und Glaubenssachen willen, weder mit Worten, Schriften, noch in anderen Weg antasten, schelten, schmähen, verachten und verspotten, in oder außerhalb der Kirchen Ungelegenheit anfangen, noch sonst etwas Tätliches einer gegen den andern fürnehmen, oder den Seinigen zu tuhn gestatten«13. Hier wird deutlich, dass die Sprache des Reiches eine gemäßigte sein sollte. Entsprechende Aufforderungen zur Mäßigung der Sprache finden sich auch an unterschiedlichen Stellen der jeweils aktuellen Wahlkapitulation. Hier wirkten die Kurfürsten durch die Wahlkapitulationen erneut als Praeceptores ­Germaniae, indem sie mit der Sprache den politischen Stil, das politische Klima im Reich und seinen Institutionen prägten. 1742 wurde die Reichsjustiz verpflichtet, sich »unglimpfflicher Ausdruckungen bevorab gegen die Churfürsten des Reichs« zu »enthalten«14. Zu Recht konstatierte ein Zeitgenosse: »Das Kammergericht hat seine eigenen Ausdrücke und Wendungen, welche zwar nicht nach Gottscheds Sprachkunst abgemessen sind, sondern nach dem Altertume schmecken, aber auch in dieser Rücksicht ehrwürdig sind«15. Bei Aussprachen innerhalb der Reichsinstitutionen war man bemüht, den Austausch der Argumente nicht daran scheitern zu lassen, dass eine Seite an den Formulierungen Anstoß nahm. Besonders, wenn die Kommunikation durch die Diktatur des Reichstages, eines Kurtages oder einer Reichsdeputation ging und dort verschriftlicht oder gar gedruckt wurde, achtete man auf eine angemessene Sprache. Dies galt umso mehr, je massiver die Konflikte waren. 12 Schmauß, Corpus Juris Publici S. R. Academicum, S.  1294 f. Nr.  CXLV–CXLVII Reichsschlüsse wegen französischer Sprache der fremden Ministres 15. Februar 1717 und 11. März 1717. Comitial Nachrichten betreffend, daß von denen durch auswärtige Potentaten Gesandte und besonders Frankreich, bey denen Reichsversammlungen in anderer als teutscher Sprach übergebene Creditive und Vollmachten Jedesmahl ein Transumptum Lationum beygelegt werden müsste, Novembris 1741. 13 Olenschlager, Des Römischen Kaysers Franz I. Wahl- und Krönungs-Diarium, S. 232. 14 Karl VII.. 1742, Art. XVI, § 4. 15 Caesarini Furstenerii Republicani [= Sorge], Teutschvaterländische Gedanken, S. 213. Diez, Über deutsche Sprach- und Schreibart. Hoppenbichl, Rede von der großen Nothwendigkeit. Staudner, Rettung des Kanzleystils. Moser, Abhandlung von den europäischen Hof- und Staats-Sprachen.

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So formulierten die Protestanten ihre Nichtanerkennung des Papstes seit 1562 in Artikel II, indem sie von seiner »päpstlichen Heiligkeit« sprachen. Kritik am Kaiser erwähnte stets seine »reichsväterliche Fürsorge« usw. Schon 1574 forderte Lazarus von Schwendi, »Schmähen und Schelten in Religionssachen zu verbieten«16. 168 Jahre später, 1742, wurde diese Forderung in Artikel II, Paragraph 8 der Wahlkapitulation Karls VII. aufgenommen: »Alle anzügliche und schmählige Ausdrückungen gegen beyderley Religionen im Reich« sollen »denen heylsamen Satzungen gemäs, vermieden bleiben«. 1711 war der Antrag Brandenburgs, die Diktatur der von den Ständen ein­ gereichten Schriften dürfe nicht verweigert werden, auf Drängen Triers mit dem Zusatz wieder eingeschränkt worden, sie müssten »mit behöriger Ehrerbietung« verfasst sein17. 1742 wurde auf Antrag Brandenburgs ergänzt, dass Mainz sich mit dem Kurkolleg über die Verweigerung der Diktatur zu beraten und seinem Urteil zu folgen habe18. Seit 1742 bestimmten die Wahlkapitulationen über Eingaben an den Reichstag: »Das die in dergleichen Sachen eingegebene Memorialien, wann dieselbe anderst mit behöriger Ehrerbietsambkeit und ohne unziemliche harte Ausdrückung (worüber jedoch, wann sich deßhalb einiger Anstand findet, das Reichs Directorium mit dem churfürstlichen Collegio vorgängige Communication und Beredung zu pflegen und darnach zu verfahren hat) eingerichtet sind, zur Dictatur gebracht und denen Ständen auf solche Weis communiciret werden mögen«19. Das Reichstagsdirektorium wirkte hier zusammen mit dem Kurfürstenrat, wie heute das Bundestagspräsidium mit dem Ältestenrat, als Ort, an dem auftretende Streitigkeiten besprochen und geschlichtet werden, insbesondere politische Stilfragen. Wieder war es das Kur­kolleg, welches in Hinsicht auf die politische Sprache des Reiches zum Praeceptor Germaniae wurde. Wie im konfessionellen Bereich sorgten auch in der politischen Sprache die normativen Vorgaben des Reiches für eine Entemotionalisierung und Versachlichung. Der politische Gegner wurde im Reich in der offiziellen Kommunikation weder diffamiert noch verteufelt. So blieb man auch bei diametral entgegengesetzten Positionen dialogfähig. Dies verhinderte natürlich nicht, dass der öffentliche intergouvernementale Diskurs in der Publizistik mit groben Diffamierungen einherging20. Aber in den Institutionen blieben Mitteilende und Adressaten gesprächsfähig. Die Institutionen wie Reichstage, Kreistage oder Deputationen und Gerichte blieben so arbeitsfähig. Dennoch gab es ernste Krisen wie den Dreißigjährigen Krieg. Aber hier kamen Motive hinzu, die außerhalb der Reichslogik lagen, wie das Streben nach Hegemonie im Reich und in 16 Schwendi, Bedenken an Kaiser Maximilian, 1574, Frankfurt/M. 1782, § 62. Das Bedenken wurde 1612 während der Verhandlungen zur Wahlkapitulation Kaiser Matthias s. l. neuaufgelegt. 17 Siemsen, Kur-Brandenburgs Anteil, S. 97. 18 Ebd. 19 Karl VI. 1711 Art. XIII, Karl VII. 1742 Art. XIII. § 7. 20 Burgdorf, Der intergouvernementale Diskurs, S. 75–99.

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Europa, der Wunsch, sich als Führer einer religiösen Partei in Europa zu profilieren, neue Territorien und Staaten zu errichten und sich fremde Ressourcen anzueignen. In der Regel leistete die durch das Reich normierte politische Sprache in Deutschland mehr als das klassische Französisch des Grand Siècle de Louis XIV et du siècle des lumières. Dessen eleganter Gebrauch verhinderte nicht, dass die Generalstände 1614 sistiert wurden und sich die französische Monarchie somit eines wichtigen Dialogfeldes und Korrektivs ihrer Politik beraubte. Als die Generalstände in Frankreich 1789 wieder einberufen wurden, fanden Monarchie und Stände, König und Volk keine gemeinsame Sprache mehr. Wieland schrieb 1791: »Übrigens bin ich überzeugt, daß auch über diese Gegenstände aller Streit, wo nicht ganz aufhören, doch wenigsten mit ungleich mehr Mäßigkeit und größeren Vorteil des Ganzen geführt werden würde, wenn man einander, und vornehmlich, wenn jeder sich selbst recht verstehen würde«21. Das französische dixhuitième mündete ein Jahrzehnt vor seinem Ende in einer Katastrophe. Das deutsche 18. Jahrhundert reichte bis ins 19. Jahrhundert. In Deutschland verhinderten die normativen Vorgaben des Reiches gegenseitiges Unverständnis. Sie bewirkten im Vergleich allerdings auch eine Ent­ dramatisierung und produzierten eine gewisse Langeweile, zuweilen sowohl für die Zeitgenossen wie für den Historiker Verdruss über die fortwährenden, sprachästhetisch wenig ansprechenden, komplexen Kompromisse. Der Preis für die Zivilisierung der Reichspolitik war die Entdramatisierung der Sprache, der Verzicht auf revolutionäre Showeffekte. Die gemäßigte, eingehegte Sprache des Reiches war selten sensationell. Dies war keineswegs ein Verlust an Unterhaltungswert, denn es entstand eine viel differenziertere und diffizilere politische Kultur, in welcher die feinen Unterschiede wichtiger wurden als grobe Unstimmigkeiten. In der Zeit nach 1806, als die Welt des Alten Reiches weitgehend entschwunden und die Politik von unvereinbaren ideologischen Gegensätzen geprägt war22, hörte man immer wieder, oft vorwurfsvoll, dieser oder jener Staatsmann bzw. Beamte sei noch ganz dem Reichsstil verhaftet. Er schreibe oder spreche im Stil der untergegangenen Welt, was soviel hieß wie: es fehle ihm an Schneid. Man verwechselte nach 1806 Draufgängertum mit Zielorientierung. Die politische Sprache des Reiches verkörperte nicht ideologische oder konfessionelle Wunschwelten, sondern stand für eine pragmatische, oft verantwortungsbewusste Politikgestaltung. Die politische Sprache des Reiches verkörperte den Modus vivendi des Reiches. Sie war Ausdruck einer erträglichen Übereinkunft, einer in den Wahlkapitulationen und nachgeordneten Gesetzen festgeschriebenen Verständigung zwischen den deutschen Staatsrechtssubjekten über die Art ihres Zusammenwirkens innerhalb des Rahmens der Reichsverfassung.

21 Wieland, Anhang des Herausgebers, S. 436. 22 Burgdorf, Weltbild.

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»Politik vollzieht sich in Sprache. […] In ihr lässt sich nicht säuberlich unter­ scheiden, zwischen Reden und Tun, weil das Reden sehr wohl Handeln bedeutet«23. »Auch Reden sind Taten oder können es sein«, schreibt Dolf Sternberger24. In Dantons Tod klagt Louis-Sébastien Mercier angesichts der Überfüllung der Gefängnisse mit Todeskandidaten: Danton, »diese Elenden, ihre Henker und die Guillotine sind eure lebendig gewordenen Reden«25. Eine solch effektvolle Sprache war dem Reich fremd, wie auch die Sprache der preußischen Souveränität: »Meine Herrn! Brechen Sie auf zum Rendezvous mit dem Ruhm!«26. Das Alte Reich der Frühen Neuzeit war keine »heroische Monarchie«27. Die Sprache des Reiches war gemäßigt, kultiviert durch eine ganz eigene Ausdrucksform, den »Reichsstil«. Diese Domestizierung der politischen Sprache in Deutschland auf der Ebene des Reiches war Folge der Reichsverfassung, der Wahlkapitulationen. Sie wandten sich explizit gegen die Semantik der Eskalation. Das bewirkte allerdings auch eine gewisse Blässe, eine Fadheit, welche die Menschen weniger leicht emotional zu binden vermochte, als die Feierlichkeit des Absolutismus oder das Pathos der Revolution. Die administrative Routine des Reiches bot, trotz Konflikten, kaum Sensationen. Der Reichspatriotismus stellte insofern höhere intellektuelle Ansprüche. Statt um die Bedienung populistischer Bedürfnisse ging es um die Hinwendung und Verteidigung eines hochkomplexen Rechtssystems mit einer ganz eigenen kommunikativen Kultur. Auch das Ergebnis der berühmten Kontroverse zwischen Johann Christoph Adelung und Christoph Martin Wieland um die Frage »Was ist Hochdeutsch?« bestätigte den gesamtdeutschen Charakter der hochdeutschen Sprache, die sich zunächst in der Reichspolitik, Reichsgesetzgebung und Reichspublizistik und dann auch in Literatur und Dichtung ausprägte. »Gegen Adelung, der den­ Primat Obersachsens starr festhielt und damit das Geschmackszentrum und die nunmehr abgeschlossene Blütezeit der Literatur in das Gottschedische Leipzig verlegte, verteidigte Wieland schlagend die Idee der dauernden Entwicklung der Schriftsprache durch die guten Schriftsteller und deren Recht zur Bereicherung durch dialektische und antiquarische Wortzufuhr«28. Und diese Entwicklung fand parallel zur Literatur in den Institutionen und Akten des Reiches statt und befruchtete sich gegenseitig. Die landesherrlichen Kanzleien verfügten in der Frühen Neuzeit teils »über eigene Traditionen hinsichtlich der Formulierung und der Verwendung regionaler Ausdrücke«29. Sie orientierten sich dabei jedoch insgesamt an den Kanz23 24 25 26 27 28 29

Eppler, Kavalleriepferde, S. 7. Sternberger (Hg.), Reden, S. X. 3. Akt, Die Conciergerie. Volz, Historische und militärische Schriften Friedrichs, S. 93. Wrede, Die heroische Monarchie, S. 79–94. Wahl, Geschichte des Teutschen Merkur, S. 87. Friedrich, Drehscheibe Regensburg, S. 38.

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leien der Reichsinstitutionen. »Die Kanzleisprache galt vor 1700 als Muster guter deutscher Sprache«30. Im Laufe des 18.  Jahrhunderts verlor sie jedoch im alltäglichen Schreiben an Bedeutung. Sie wurde zu einem »Spezifikum von Regierungen und Administrationen«31. Im Reich kam es auf die Feinheiten an. »Ein Streit um das richtige Wort konnte sich so lange hinziehen. »Dies war aber mit ein Grund, dass Regensburg als Ort galt, in dem ein besonders guter Stil geschrieben wurde«32. Die gemeinsame Entwicklung von hoher deutscher Politik und deutscher Hochsprache hielt über das Ende des Alten Reiches 1806 an. Bei der Redaktion der Bundesakte Anfang Juni 1815 kam es auf dem Wiener Kongress über die unterschiedliche Schreiweise »teutsch« oder »deutsch« zu einem Streit zwischen dem königlich hannoverischen Konferenzsekretär Georg Friedrich von Martens und dem Bremer Senator Johann Smidt. Schließlich setzte sich Smidt durch und in der Bundesakte wurde die Varianten »deutsch«, »Deutschland« usw. gebraucht33.

13.2 Der Reichstitel in den Wahlkapitulationen Auch die Bezeichnung des Reiches in den Wahlkapitulationen veränderte sich im Laufe dieser Entwicklung. In den Urkunden finden sich verschiedene Bezeichnungen für das Gebiet, auf welches sie sich beziehen. Es wird sehr klar zwischen dem Reich deutscher Nation und einem weiteren Bereich unterschieden. Wenn von den dem »Reich angehörige Lehen, innerhalb und ausserhalb des­ selben gelegen«34 gesprochen wird, ist mit letzterem in der Regel Reichsitalien gemeint. Es ist damit ausgedrückt, dass Reichsitalien nicht zum eigentlichen Reich gehörte. Es gehörte dem Reich, war aber nicht Teil des Reiches. Aber auch Brabant bzw. der Burgundische Reichskreis liegen in der Sprache der Wahlkapitulationen außerhalb des Reiches deutscher Nation35. Die Bezeichnung »Reichs tewtscher Nation« findet sich erstmals in den Artikeln XII und XXX der Wahlkapitulation Karls V. Das im XV. Artikel der Obligation Karls V. ausgesprochene Verbot, Reichstage außerhalb »deutscher Nation« abzuhalten, findet sich bereits im Sachsenspiegel, der im dritten Buch des Landrechts die Pflicht der Reichsfürsten zum 30 Ebd. 31 Ebd., S. 38 f. 32 Ebd., S. 39 33 Hundt (Hg.), Quellen zur kleinstaatlichen Verfassungspolitik, nach: StAHB, 2-M.3.a.2b. Bd. 3. Berichts Smith Nr. 77 vom 7. Juni 1815. 34 Erstmals 1612, Artikel XXIX. Zeumer, Heiliges römisches Reich deutscher Nation. Petersohn, Rom und der Reichstitel. Weisert, Der Reichstitel, S.  441–513. Hammerstein, Der Reichstitel, S. 17–30. 35 Z. B. 1653, Artikel VI.

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Besuch von Reichstagen, auf die »binnen dudischer art« gehaltenen Tage einschränkt36. 1496 hatte Maximilian I. versucht, den Lindauer Reichstag nach Chiavenna in die Lombardei zu verlegen. Die Stände verwehrten sich dagegen mit Hinweis auf das Herkommen und schrieben dieses Herkommen ab 1519 in der Wahlkapitulation fest. Daneben findet sich in den Kapitulationen während der ganzen Zeit der offizielle Reichstitel »Heiliges Römisches Reich Teutscher Nation«37. Auch die Formulierung »Heiliges Reich Teutscher Nation«38 wird gebraucht. In späteren Ergän­zungen, z. B. 1653 wird oft schlicht von »Deutschland« oder »Teutschland« gesprochen39. Dies entsprach einem Trend der Zeit. Die Wahlkapitulation von 1658 spricht vom »geliebte[n] Vatterlandt teütscher Nation«40. Auch Samuel von Pufendorfs berühmte Schrift von 1667 trug den Titel »De statu imperii germanici«, »Von der Verfassung des Deutschen Reiches«. Im alltäglichen Sprachgebrauch wurde der umständliche offizielle Reichstitel im Laufe der Frühen Neuzeit zunehmend durch diese kürzeren Formen, die sich auf die Titularnation des Reiches bezogen, verdrängt, ohne dass dadurch ältere zeremonielle Formen gänzlich außer Gebrauch gerieten. Meistens ist in den Wahlkapitulationen schlicht vom »Reich« die Rede. Nicht von ungefähr monierte der Publizist Heinrich Wilhelm von Bülow 1791 mit Bezug auf die Wahlkapitulation Leopolds II. von 1790: »Es wäre übrigens gewiß gut gewesen, wenn anstatt des im 11., von der Wahl eines Römischen Königs bei Lebzeiten des Kaisers handelnden Paragraphen gebrauchten Wortes ­›Römischen Reiches‹, nach Vorschlage der kurbraunschweigischen Wahlbotschaft, ›Deutsches Reich‹ gesetzt worden wäre«41. Im Frieden von Preßburg (26. Dezember 1805) und in der Resignationsurkunde Kaiser Franz’ II. (6. August 1806) wurde so verfahren.

13.3 Die Sprache der Wahlkapitulationen Die Wahlkapitulationen trugen zwar, wie die Reichspolitik und -gesetzgebung insgesamt, wesentlich zur Ausbildung der deutschen Hochsprache bei, jedoch beklagten schon die Zeitgenossen ihre mangelnde sprachliche Eleganz. Der wiederkehrende Vorwurf, der Text der Wahlkapitulationen bestehe stellenweise eher aus Kauderwelsch, denn aus kultiviertem Deutsch, erklärt sich unter anderem aus ihrer herausgehobenen Bedeutung. Bei einem niederrangigen 36 37 38 39 40 41

Hartung, Wahlkapitulationen, S. 325. Erstmals 1519, Artikel XXX. Erstmals 1562, Artikel XXXII. Z. B. 1653, Artikel XLIII. Artikel XIV. Bülow, Betrachtungen, S. 125.

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Dokument hätte man die sprachlichen Unzulänglichkeiten weniger anstößig empfunden. Die Kritik an der juristischen Fachsprache war zudem schon im 16. Jahrhundert zum Topos geworden. Ein Topos, der gerade auch von Juristen gegen Juristen gebraucht wurde. Als sich im Laufe des 17.  und 18.  Jahrhunderts die deutsche Prosa entwickelte, wurde die Diskrepanz zwischen dem staatsrechtlichen Rang und der sprachlichen Form der Wahlkapitulationen immer offensichtlicher. Auch Zeitgenossen, die die herausragende Bedeutung der Wahlkapitulationen anerkannten, fanden hier reichlich Anlass für Kritik: So monierte der Helmstedter Jurist Friedrich August Schmelzer die »Barbarismen, Solözismen, Unbestimmtheiten, Auswüchsen, Unordnungen« der Wahlkapitulation, man sehe »fast aus jedem Paragraphen«, daß sie »mit Tautologien und Pleonasmen überladen sei«, ihr »unanständiges, widerliches und zurückschreckendes Äußeres« sei beleidigend und anstößig42. Klüber bemängelte »Tautologien, buntscheckige Schreibart, unbedeutende Triaden, seitenlange Perioden, die einem Labyrinth gleichen, aus dem auch ein Kunsterfahrener sich kaum« befreien könne, »auffallende Sprachunrichtigkeiten«, unnötige »Wiederholungen, und – was am zweckwidrigsten ist – ein unentwickeltes Chaos der wichtigsten Materien«, insgesamt »unverzeihlich«43. 1785 stellte ein anonymer Publizist fest: »Manche Stellen der Wahlkapitulation sind so widersprüchlich, daß sie nicht eingehalten werden können«44. Es werde »niemand leugnen, daß die kaiserliche Wahlkapitulation nicht vieler Verbesserungen bedürfe und wenigstens von Widersprüchen zu reinigen sei, die fremden Nationen in die Augen fallen und keinen vorteilhaften Begriff von der deutschen Staatsklugheit erwecken können«45. Zu Beginn der Frühen Neuzeit waren Tautologien und Pleonasmen herkömmliche Mittel der Bekräftigung gerade auch in der Gesetzgebung. Der rationalistische Geist der Aufklärung erkannte in diesen rhetorischen Figuren jedoch nur noch mangelnde Ordnung in der Sprache. Johann Stephan Pütter schrieb 1789 die sprachlichen Mängel der Wahl­ kapitulation der »in vorigen Zeiten noch nicht so weit gediehenen Kultur der Teutschen Sprache und Schreibart« zu. So habe man »oft von einerley Gegenstände mehrere synonymische Ausdrücke zusammengehäuft«, dies »nicht nur unnöthigen Überfluß verursacht, sondern oft den wahren Sinn, der vielleicht durch einen einzigen nur zweckmäßig gewählten Ausdruck kürzer und bestimmter hätte gefasst werden können, mehr verdunkelt als ins Helle gesetzt«46. Dasselbe gelte für die vielen eingemischten lateinischen Wörter, die eleganter durch verständliche deutsche Begriffe zu ersetzen seien.

42 43 44 45 46

Schmelzer, Die kaiserliche Wahlkapitulation, S. VII, LV u. XII. Klüber, Systematischer Entwurf, S. 4. [Anonym]: Politische Betrachtungen, No. II, S. 41. Ebd., S. 47. Zitiert nach: Eckert, Johann Stephan Pütters Gutachten, 72 f.

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Im Wesentlichen kam es ab Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer Verschlichtung der Sprache der Wahlkapitulationen. Sie wurden entbarockisiert und dem Duktus der Aufklärung angepasst, ohne dass es jedoch zu einer grundsätzlichen Überarbeitung kam. Besonders 1790 waren viele Änderungen nur stilistischer Art, welche »bei der barbarischen Sprache, welche in den vorigen Wahlkapitulationen herrschte, ganz ungemein nötig« waren47. »Sprachverbesserungen waren größtenteils dem kurmainzischen Direktorialsekretär übertragen, und die gemachten Verbesserungen nachher beim Schluss des Wahlgeschäfts, mit der ganzen Kapitulation vorgelesen und genehmigt«48. Jedoch konstatierten Kommentatoren, es hätte noch weit mehr geschehen müssen49. Zur Widerlegung der angeblichen Unmöglichkeit der Sprachverschönerung wurde auf bereits gedruckte Muster wie Johann Ludwigs Klübers »systematischer Entwurf einer [reformierten] Wahlkapitulation« verwiesen50. Unter »vielen andern« hat sich auch Klüber »die Mühe gemacht, den überlieferten Inhalt der Wahlkapitulationen in eine neue, dem verfeinerten Geschmack seines aufgeklärten Zeitalters entsprechende Form zu kleiden«51. Schmelzer publizierte eine Musterkapitulation in »gereinigter Kanzelley-Sprache des jetzigen Zeitalters«52. »Man würde in diesem Werke sehr gerne derer älteren Abdrucke ganze Schreibart beibehalten haben, wie es auch anfangs meine Meinung gewesen. Allein ich habe gefürchtet, dass die mehrsten Leser sodann den Inhalt nicht ver­ stehen möchten, wannenhero ich davon billig abgestanden. Ein solches Buch wie dieses, muss allen Menschen brauchbar seyn, und da kommt es endlich auf die Schreibart nicht an«53, rechtfertigte schon 1747 der Publizist Ernst August Koch seine Modernisierung der altertümlichen Sprache. 1742 und 1790 gab es verschiedene Projekte einer gänzlichen sprachlichen Überarbeitung der Wahlkapitulation. Das große Projekt scheiterte jedoch. »Hin und wieder brachte zwar Braunschweig eine bessere Ordnung und Fassung in Vorschlag, aber nicht immer fand sie Beifall. Böhmen fürchtete, dass die Kommentatoren in derlei unschuldigen Abänderungen etwas Wesentliches suchen und andere damit irre führen möchten; auch könnte dies Gesetz ohne gänzliche Umformung nicht in die dermalige reinere Schreibweise gebracht werden. Traurig sieht es also mit unserem wichtigsten deutschen Reichsgrundgesetz in diesen Punkten aus«54. Wenn es sich bei Änderungen lediglich um die Beseitigung von Eingeschlichenem oder eine genauere Bestimmung der Gesetze handelte, reagierten die 47 Crome, Wahlcapitulation, S. VII. 48 Ebd. 49 Ebd. 50 Ebd. 51 Hartung, Wahlkapitulationen, S. 310. 52 Schmelzer, Die kaiserliche Wahlkapitulation. 53 Schmauß / Senckenberg (Hg.), Teutsche Reichs-Abschiede, T. I, S. 47. 54 Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 15.

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Wahlbotschafter damit in der Regel auf Anmerkungen der Reichspublizistik55. So z. B. in Artikel IV, Paragraph 2, wo 1790 die »christlichen Mächte« an die Stelle der »christlichen Gewälte« traten. Viele der von dem Kameralisten und Aufklärer August Friedrich Wilhelm Crome bemerkten ästhetischen Verbesserungen, Sinn- und Sprachberichtigungen wurden durch Anmerkungen Johann Jacob Mosers oder Carl Friedrich Gerstlachers veranlasst56. Crome hatte als »Gelehrter a consiliis« der kursächsischen Gesandtschaft an den Verhandlungen über die Wahlkapitulation Leopolds II. teilgenommen. Man könnte die Leopoldina secunda, die Kapitulation Leopolds II., auch »die Moserische« nennen, da die Wahlbotschafter, wo immer staatsrechtliche Auswirkungen einer Textveränderung nicht entgegenstanden, den Moserschen Rationalisierungs-, Vereinfachungs- und Verbesserungsvorschlägen gefolgt sind. Es gibt kaum einen Artikel oder Paragraphen, der nicht Einwirkungen der Moserschen Anregungen zeigt. Das offenbart die ungeheure stände-, konfessions- und alle Parteien übergreifende Bedeutung des 1785 verstorbenen Reichsstaatsrechtlers. Mosers Gewicht in allen Fragen, welche die Wahlkapitulation betrafen, war so gewaltig, dass der Staatsrechtler Carl Friedrich Häberlin 1792 erklärte, »Moser ist kein Gesetzbuch; nur da wo der Gesetzgeber spricht, sind die Worte als unverletzliches Heiligtum zu betrachten«57. Eine umfassende sprachliche Überarbeitung und Vereinheitlichung schien manchem Beobachter aus politischen und staatsrechtlichen Gründen unmöglich. »Zwar hatte man sich auch die Hoffnung gemacht, daß diesmal die Wahlkapitulation auch in eine bessere Ordnung würde gebracht werden, daß die öfteren Tautologien und Wiederholungen vermieden, die seitenlangen Perioden abgekürzt und überhaupt mehr auf die Sprache und den Ausdruck würde Rücksicht genommen werden, allein, ohnerachtet wohl hier und da etwas geschehen ist, auch mehrere Versuche, vorzüglich von Braunschweig deshalben gemacht wurden, so ist doch alles im Ganzen unbedeutend«58. Eine solche Umschmelzung hätte mehrere Monate gedauert und dadurch erhebliche Kosten verursacht. Das Ergebnis wäre dem Projekt der Beständigen Wahlkapitulation noch unähnlicher gewesen und daher wohl von den Fürsten insgesamt als unverbindlich angesehen worden59. 55 Crome, Wahlcapitulation, S. VIII verweist auf explizite Übernahmen von Vorschlägen Mosers und Gerstlachers, die aus dem Wahlprotokoll ersichtlich sind. 56 Ebd., S. 51 u. 57. 57 Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. VI. Moser, Betrachtungen über die Wahlcapitulation Kayser Josephs II., S. 7: »Endlich habe ich geglaubt, nicht ohne Verantwortung anzeigen zu können, worinn die Kapitulation in Zukunft in verschiedenen Stellen, (entweder nur in Ansehung der Schreibart, oder auch in Ansehung derer Sachen selbst,) einer Abänderung oder Verbesserung, oder Erklärung, oder Zusatzes benötigt wäre, oder im Gegenteil etwas füglich ausgelassen werden könnte; sondern ich denke auch, es könnten Zeiten kommen, da dergleichen Erinnerungen wohl aufgenommen und benutzt werden dürften«. 58 Häberlin, Pragmatische Geschichte, S. 360 f. 59 Ebd., S. 360 f.

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So blieb das erste Grundgesetz der Deutschen sprachlich mangelhaft. Dennoch normierten die Wahlkapitulationen die Sprache des Reichs in vielfacher Hinsicht. Sie zivilisierten den politischen Diskurs und trugen so ganz wesentlich zum ordre public, der grundlegenden inländischen Werteordnung bei.

14. Die politische Theologie des Reiches Zur Werteordnung des Reiches gehörte auch die Religion. Die Spaltung der Religion war ein politisches Problem, da frühneuzeitliche Herrschaft göttlich legitimiert war1. Dass der Übergang der Herrschaft von Karl V. auf Ferdinand I. am 14. März 1558 wegen der Glaubensspaltung in keine kirchliche Feier eingebettet war, wurde als defizitär wahrgenommen2. Man fand bald Abhilfe. Vielfach wurde das relativ friedliche Zusammenleben der zwei, später drei anerkannten christlichen Konfessionen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nach 1648 von Zeitgenossen und Historikern gelobt. Diese Koexistenz war nicht immer friedlich, doch im Ganzen praktikabel. Ihr rechtsgarantierendes Fundament hatte diese konfessionelle Koexistenz in der Reichsverfassung, insbesondere in der schriftlichen Zusammenfassung aller Reichsgrundgesetze in den Wahlkapitulationen und hier insbesondere in den religiösen Bekräftigungsformeln, mit denen die Einhaltung der Verfassung vor Gott versichert wurde. Diese Beteuerungsformeln mussten so gewählt werden, dass sie für alle im Reich zugelassenen Konfessionen unanstößig waren. In dieser interreligiösen Unanstößigkeit religiöser Formeln zeigen sich Ansätze einer konfessionsüberwölbenden Reichsreligion. Am Ende der Wahlkapitulationen versprach das Reichsoberhaupt ab 1562, es werde das Vorstehende »mit einem leiblichen Eide zu Gott und dem heiligen Evangelium beschwören«.3 Und dieser Schwur fand stets an einem Tag, in einem Monat und einem Jahr »nach Christi, unsers lieben Herrn und Selig­ machers Geburt« statt. 1519, 1531 und 1558 hatten Karl V. und Ferdinand I. noch einen »leiblichen Eide zu Gott und den Heiligen« geschworen. Die Funktion der Heiligen als Mittler zwischen Menschen und Gott war aber zwischen Lutheranern und Katholiken umstritten, Kalvinisten lehnten die Existenz von Heiligen gänzlich ab. Der Bezug auf die Heiligen war infolge der Reformation konfessionell anstößig geworden und taugte somit nicht mehr zur allgemein akzeptierten religiösen Bekräftigung einer rechtsverbindlichen Handlung. Deswegen wurde der Bezug auf die Heiligen 1562 durch den allgemein akzeptierten Verweis auf das heilige Evangelium ersetzt. Der Kaiser, das Reich und dessen Funktionsträger nahmen nun eine »religiöse Mittelstellung« ein4. 1 Stumpf, Bedeutung der Reichsgrundgesetze, S.  342–355. Zeeden, Einwirkung, S.  207–215. Duchhardt, Verfassungsgeschichte, S. 115. 2 Neuhaus, Von Karl V. zu Ferdinand I., S. 347. 3 Die Eidesformel der Gesandten bzw. die persönliche Eidesformel des Neugewählten. Abdruck des von Kurmainz zugestellten Eides, Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 20. 4 Wurtzbacher-Rundholz, Kaiser und Reich, S. 129.

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In der schriftlichen Ausfertigung der Reversales, der Versicherung, die jeweilige Wahlkapitulation nochmals persönlich zu beschwören, blieb die ältere, katholische Fassung des Schwurs, wie bei Karl V., »zu Gott und den Heiligen«, bis zur letzten Kaiserwahl 1792 erhalten. Dies lag daran, dass die Reversales weniger öffentlich waren und daher auch weniger Anstoß erregen konnten. Im öffentlich vom Kaiser selbst laut gesprochenen Eid wurden die Heiligen nicht genannt. Man kann hier von einer »Politischen Theologie« sprechen, insofern der Begriff im Allgemeinen theologisches oder politisches Denken bezeichnet, das die Bedeutung des einen im Bereich des jeweils anderen thematisiert. Umgekehrt bezeichneten die Zeitgenossen im 18. Jahrhundert den vorherigen Zustand konfessionell konfrontativer Politik als »politische Dogmatik«. »Sowenig sich übrigens in Teutschland das religiöse Interesse immer von dem politischen trennen lässt: so zufrieden kann doch ein ächter Teutscher darüber seyn, wenn die politische Dogmatik und die dogmatische Politik immer mehr außer Gebrauch kömmt«5. In entsprechenden Formulierungen der Wahlkapitulationen oder der Diensteide zeigt sich ein religiös motiviertes Staats-, Politik- und Herrschaftsverständnis, welches sich, um Politik und Herrschaftsausübung zu ermöglichen, konfessionell unanstößig artikulieren musste. Es handelte sich dabei um eine gewollte »Unschärfe in Zeiten der Eindeutigkeit«. »Ambiguität, Indifferenz und Dissimulation im konfessionellen Zeitalter«6 fließen hier zusammen. Durch die gemeinsame, beidseitig, von Katholiken einerseits und Lutheranern sowie Reformierten andererseits, akzeptierte religiöse Bekräftigung der Staatsakte des Reiches wurde die Einigkeit von Kaiser und Reich rhetorisch und kultisch präsentiert. Jedermann wurde demonstriert, dass die hohen Repräsentanten der Reichsfürstenhierarchie bis hin zum Kaiser wie auch die Mitglieder der Reichsadministration und -justiz – auch wenn sie sich unterschiedlichen Konfessionen zuzählten – an denselben Gott glaubten und ihr Handeln vor ihm verantworten wollten. Erst dies ermöglichte ein gemeinsames Agieren. Das gemeinsame Auftreten des Kaisers und der Reichsstände sollte, trotz bestehender Differenzen, besonders in Glaubensfragen, ihre gemeinsame Sorge um das Reich bekunden. »Die Abnahme des Eides des Gewählten auf die Wahlkapitulation durch den Inhaber des Mainzer Erzstuhles war unstrittig, der Anspruch, den gewählten König auch krönen zu dürfen, dagegen längst nicht«7. Hier konkurrierte der Erzbischof von Mainz mit dem Erzbischof von Köln, da der traditionelle Krönungsort Aachen in dessen Diözese lag. 5 [Anonym]: Von der Titulatur: Haupt der Christenheit und päbstliche Heiligkeit, in: Der Teutsche Merkur. 1773–89, 2.Viertelj., (1783), S. 72–74, S. 74. 6 Sommerkurs »Unschärfen in Zeiten der Eindeutigkeit. Ambiguität, Indifferenz und Dissimulation im konfessionellen Zeitalter« Universität Erlangen 07/13. 7 Duchhardt, Verfassungsgeschichte, S. 35.

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Das Heilige Reich war zwar nicht der erste säkulare Staat, aber wohl der erste Staat, der mit konfessioneller Vielfalt und Konkurrenz umgehen konnte und unabhängig von konfessionellen Gegensätzen im Normalfall funktionierte. Der Eid der Monarchen und der Amtsträger des Reiches war ein Instrument der Friedenssicherung, der religiös-weltanschaulichen Koexistenz. Für die politische Theologie des Reiches war allein der Glaube an die Offenbarung hinreichend. Alles andere war ein Adiaphoron. Die neue Eidesformel geht zurück auf den Passauer Vertrag vom 2. August 1552 zwischen König Ferdinand I. und den protestantischen Reichsfürsten unter der Führung Moritz von Sachsens nach dem Ende des Fürstenaufstandes, dem wichtigsten Dokument in der Vorgeschichte des Augsburger Religions­ friedens von 1555. Der Passauer Vertrag war damit sowohl für die offizielle Sprache des Reiches wie für das Verhältnis der Konfessionen im Reich von entscheidender Bedeutung. In Paragraph 107 des Augsburger Reichsabschieds von 1555 heißt es: »Und dann, dieweil beyderseits Religions-Verwandte an dem Kayserlichen CammerGericht anzunehmen, aber sich der ein Teil den gewöhnlichen Eyd in der Form zu Gott und den Heiligen zu schweren, beschwert, derowegen im Passauischen Vertrag die Form der Beysitzer und anderer Personen Eyd zu Gott und den Heiligen oder zu Gott und auf das Heilig Evangelium zu schweren, denen, so schweren sollen, frey gestellt, daß die Form des Eyds oder Juraments (allerhand ungereimtes, so aus diesen zwyspaltigen Formen am Kayserlichen Cammer-Gericht künfftiglich erfolgen möcht, zu vermeyden) auf ein gewisse Maaß, als nemlich auf Gott und das Heilig Evangelium zu stellen«8. Mit dieser Formel mussten ab 1562 auch die neugewählten Reichsoberhäupter vor der Krönung das »Juramentum« auf die Wahlkapitulation persönlich ablegen. So erklärte König Matthias 1612 gegenüber seinen Mitkurfürsten: »Wie wir mit Worten unterrichtet seind, und die Articul durch die Churfürsten vor itziger Wahl eines Römischen Königs gestelt, und von uns mitbeliebet und angenommen, und jeder dem anderen so Er erwelet zuschwören und zuhalten versprochen und bewilligt, dem wollen wir Mathias Konig zu Bohem etc. Erzherzog zu Oesterreich, Erwählter Römischer König, also steet und getreulich nachkommen und halten, auch sonst alles thun, was uns als Römischen König gepürt, als uns Gott helff und das heilige Evangelium«9. Der Eid blieb bis zum Ende des Reiches gleich. Auf die Heiligen, wie sonst bei Katholiken zu jener Zeit in Eidesformeln üblich, wurde in öffentlichen Reichssachen verzichtet. Die pragmatisch gehandhabte gemeinsame Reichsreligion, die interkonfes-

8 http://www.augsburgwiki.de/index.php/AugsburgWiki/DieReichskammergerichtsordnung, am 25.10.2014. Laufs, Die Reichskammergerichtsordnung, S. 151–162. Wurtzbacher-Rundholz, Kaiser und Reich, S. 124 missversteht den Text, wenn sie meint, Katholiken schworen weiter bei Gott und den Heiligen, die Protestanten auf Gott und das Evangelium. 9 HHStA Wien: MEA, Wahl- und Krönungsakten, Karton 11, 1612.

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sionelle religiöse Gemeinsamkeit im Reich, war keinem konfessionellen Dogmatiker anstößig. 1562 mit der Wahlkapitulation Maximilians II. beginnt die konfessionsüberwölbende politische Reichsreligion. Sie tritt in die Welt mit einer Transsubstantiation. Im Zuge dieser Wesensverwandlung wurde aus der Heerschar der Heiligen das Wort Gottes, die vier Bücher der frohen Botschaft. Die der religiösen Bekräftigung einer politischen Handlung dienende Eidesformel selbst wird zur frohen Botschaft, denn sie verweist auf die Überwindung dogmatischer Differenzen zugunsten einer friedlichen Koexistenz im Diesseits. Die Ausbildung einer konfessionsüberwölbenden politischen Reichsreligion nötigte die Akteure der Reichspolitik nicht nur zu einer expliziten Duldung anderer, auch gegnerischer Bekenntnisse, sondern auch zu einer gewissen Distanz zum eigenen Bekenntnis, das sich für einen Akteur der Reichspolitik nicht mehr absolut setzen ließ. Dies heißt nicht, dass die Akteure der Reichspolitik ein lediglich instrumentelles Verhältnis zur Religion pflegten. Aber durch den Verlust der Unbedingtheit war ihr Verhältnis zur Religion komplexer geworden. Konfessionelle Ausschließlichkeit, die Absolutheit des eigenen Bekenntnisses, widersprach der politischen Grundordnung des Reiches, an der sie partizipierten. Eine konfessionelle Verbrämung der Reichspolitik war langfristig nicht mehr möglich. Gleichwohl erhielten die zentralen staatstheatralischen Inszenierungen des Reiches nach der Unterbrechung beim Herrscherwechsel von 1558 erneut eine religiöse Bekräftigung und Einfassung. Diese war aber nun konfessionsüberwölbend. Die kirchenpolitische Gemengelage im Reich wurde nicht aufgehoben, aber politisch transzendiert, indem man sich dort, wo es unumgänglich war, auf die unstrittigen gemeinsamen theologischen Überzeugungen beschränkte. Bei den Staatsakten des Reiches zeigte sich ab 1562 und erneut und nachhaltig ab 1648 eine Wendung weg von den Kirchen und hin zur Religion. Ein bedeutender Vordenker dieser Entwicklung war Lazarus von Schwendi, dessen »Bedenken« für Kaiser Maximilian II. von 1574 im 17. und 18. Jahrhundert, teilweise begleitend zu den Verhandlungen über die Wahlkapitulation, neu aufgelegt wurde. Auch nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde Schwendi noch in den Verhandlungen über die Wahlkapitulation zitiert, wenn es darum ging, einen sich abzeichnenden konfessionellen Konflikt im Ansatz zu entschärfen. Auch in der frühneuzeitlichen Publizistik zu den Wahlkapitulationen blieb Schwendis »Bedenken« präsent. 1574 hatte Schwendi empfohlen, der Kaiser möge seinen Hofrat mit »jungen Herrn« bzw. »Beamten« von »beiderlei Religion« besetzen. Zudem trat er für die »Freistellung« beider Religionen im Reich ein, während »Schmähen und Schelten in Religionssachen zu verbieten« sei und deswegen Druckerzeugnissen »Maaß und Ordnung« zugeben wäre. Überhaupt sei »Toleranz beider Religionen, das einzige Mittel, des Reichs Wohlfahrt zu erhalten«10. 10 §§ 59–65, hier nach: Müldener, Capitulatio Harmonica, S. 146 ähnlich S. 172.

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Schwendi forderte, dass der Kaiser »beide Teile zugleich, die Katholische und Evangelische, soweit jeder Fug und Recht hat, dabei schütze und kein Teil weiter denn dem anderem etwas ungleiches nachgebe und zustehe«, denn es sei »seine Majestät beider Teile ordentliche Obrigkeit«11. Der Feldherr verglich den friedensstiftenden religiösen Ausgleich in Schottland und Polen mit den religiösen Bürgerkriegen in Frankreich und stellte das Europa der Toleranz gegen das Europa des Glaubensfanatismus und der religiösen Bürgerkriege. Er warnte den Kaiser, wenn man den falschen Weg der Gewalt gehe, würden die »Strafen Gottes fortgehen« und endlich das »Teutsche Reich« zerstört12. Der Papst war für den Katholiken Schwendi theologisch eine zu vernachlässigende Größe. Die Beispiele Schottland, Polen und England sowie der Augsburger Religionsfrieden von 1555 lehrten, dass sich die Religionsverhältnisse politisch, ohne Mitwirkung des Papstes, ordnen ließen. Schwendi riet Kaiser Ferdinand I. in einem Gutachten, sich nicht um den päpstlichen Protest gegen seine Regierungsübernahme zu besorgen, auch andernorts, z. B. in England, regiere es sich ganz gut ohne päpstliche Einwilligung. Ganz auf der Linie Schwendis stellte der Primas der deutschen Kirche, der Erzbischof-Kurfürst von Mainz, auf den Wahltagen von 1562 und 1575 anheim, »dass der Stuhl zu Rom gar ausgelassen und an Statt dessen gesetzt (die Christliche Kirche) deren Advokatus oder Defensor ein Kayser seyn soll«, »oder, da er sich jedem Papst wolle verpflichten, daß solches von seinen Erblanden und nicht des Reiches wegen geschehe«13. Der zweite Mann im Staat, der Reichserzkanzler, hatte sich sehr schnell von der Notwendigkeit einer konfessionsneutralen Verfassung und Inszenierung des Reiches und seines Oberhauptes überzeugt. Da die Wahlkapitulation sich jedoch auf das gesamte Reich bezog, entschied man sich gegen eine Verpflichtung des Reichsoberhauptes nur für seine Erblande. Stattdessen wurde 1562 eine Verwahrung der nichtkatholischen Kur­ fürsten aufgenommen. 1612 war es wiederum Kurmainz, das anregte, dass man wie 1562 und 1575 in der Wahlkapitulation Kaiser Matthias eine Reservation der weltlichen Kurfürsten gegen die kaiserliche Advokatie für den Papst in die Wahlkapitulation einrücke14. Kaiser Matthias hatte noch 1612 gemäß dem Rat Schwendis an seinen Vorfahren, wie die Kaiser Ferdinand I. Maximilian II. und Rudoph II. Personen beiderlei Konfessionen sowohl in seinem Geheimrat wie auch im Reichshofrat angestellt15. Die Reichshofratsordnung von 1654 gab die entsprechende Eidesformel für Advokaten und Prokuratoren vor: »Ihr sollt der Römischen Kaiserlichen Majestät geloben, und einen Eid zu Gott und auf das Heilige Evangelium schwören 11 12 13 14 15

§§ 51, 52, hier nach: Ebd., S. 147 f. § 80, hier nach: Ebd., S. 180. [Anonym]: Geheimbdes Protokollum, S. 11. Müldener, Capitulatio Harmonica, S. 44. Ebd., S. 107.

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[…] so wahr mir Gott helf und sein heiliges Evangelium«16. Ähnlich lautete die Eidesformel für die Reichshofräte »Ich N. gelobe und schwöre dem Allerdurchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn (Nomen Sac. Caes. Maj.) Römischen Kaiser, auch zu Ungarn und Böhmen etc. König, Erzherzog zu Österreich etc. meinem allergnädigsten Herrn getreu, gehorsam und gegenwärtig zu sein, seiner Majestät Ehr und Nutz zu fördern, Nachteil und Schaden nach meinem besten Vermögen zu warnen und zu wenden, jetzige und künftige des Heiligen Reichs Constitutionen und Satzungen neben denen gemeinen beschriebenen Rechten die Kaiserliche Wahlkapitulation, Reichshofratsordnung und den jünggst getroffenen Friedensschluß in Acht zu nehmen […] so wahr mir Gott helfe und das Heilige Evangelium«17. Konfessionsneutral erfolgte vor der Kaiserwahl auch die Vereidigung von Rat, Magistrat, Bürgerschaft und Militär der Wahlstadt. Mitunter wurde auf die religiöse Bekräftigung verzichtet18, ansonsten erfolgte sie konfessionell unanstößig. Die Repräsentanten der Stadt verpflichteten sich, die Sicherheit der Wahldelegationen zu gewährleisten und während der Wahl alle Fremden aus der Stadt zu schaffen. Bürgermeister und Rat der Stadt versprachen: »Was mir jetzo vorgelesen ist, ich auch wohl verstanden habe, dem will ich also nach­ kommen, dasselbe stät vest halten, alles treulich und ohne Gefährde, so wahr mir Gott helffe und sein heilig Evangelium«19. Diese religiöse Bekräftigung durfte auch deswegen kein konfessionelles Missfallen erregen, weil hier in der Regel die Vertreter eines protestantischen Reichsstandes, z. B. der Stadt Frankfurt, sich gegenüber einem Katholiken, nämlich dem Reichserzkanzler, dem Kurfürsten-Erzbischof von Mainz, verpflichteten, der diesen Schwur stellvertretend für das Kurkolleg entgegennahm. Ähnlich hieß es auch am 10.  September 1745 im Notifikationsdekret des Rates der Stadt Frankfurt zur Königswahl drei Tage später: Die »Wahl eines römischen Königs und künftigen Kaisers« werde vollzogen, niemand solle beim morgendlichen Läuten der Sturmglocke von sechs bis sieben Uhr erschrecken, »sondern vielmehr ein jeder den allmächtigen und allgütigen Gott inbrünstig, eifrig und andächtig anrufen und bitten«, dass alles gut zu Ende gebracht werde. Dieses Dekret wurde von Kanzeln der Kirchen beider Konfessionen sowie in der Synagoge verlesen20. Die politischen Akteure des Reiches agierten in einem pluralistischen politischen und religiösen System, in dem nicht Separierung, sondern das Zusammenwirken von Menschen unterschiedlicher kultureller, regionaler und reli­ giöser Identität das politische Ideal war, welches es trotz aller Schwierigkeiten, die in Kauf genommen werden mussten, fortwährend zu verwirklichen galt. 16 17 18 19 20

Titulus VII, § 19. Buschmann (Hg.): Kaiser und Reich, T. II, S. 175 f. Titulus VII, § 21, ebd., T. II, S. 177 f. Olenschlager, Des Römischen Kaysers Franz I. Wahl- und Krönungs-Diarium, S. 222. Ziegler, Wahl-Capitulationes, S. 295. Müldener, Capitulatio Harmonica, S. 35. Olenschlager, Des Römischen Kaysers Franz I. Wahl- und Krönungs-Diarium, S. 228.

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Gegner dieses Prinzips bewegten sich auf einem schmalen Grat, weil sie sich letztlich als Feinde des komplexen Systems und damit der geltenden Verfassung erwiesen hätten. Die Akteure versuchten, dieses System auch – wenngleich nicht immer erfolgreich  – gegen konfessionsbedingte Störungen von außen zu immunisieren. Dies gelang z. B., als 1790 der päpstliche Nuntius Giovanni Battista ­Caprara nach der Wahl Kaiser Leopolds II. intervenierte. Caprara wurde später Kardinallegat in Paris. Die Darstellung der Kaiserkrönung Napoleons von JacquesLouis David zeigt Caprara neben Pius VII. unmittelbar hinter Napoleon. Vor der Pariser Krönung war Capraras Entsendung zur deutschen Kaiserwahl und Krönung seine bis dahin wichtigste Mission. Wie seine Vorgänger bei früheren Wahlen sollte Caprara feierlich gegen die Wahl eines Reichsoberhauptes ohne päpstliche Genehmigung und gegen die papstkritischen Passagen der Wahlkapitulation protestieren. Er überreichte den schriftlichen Protest Kurmainz. Der Erzbischof von Mainz nahm den schriftlichen Widerspruch zwar entgegen, erklärte jedoch später, die Akten des Wahlkonvents seien bereits geschlossen, weshalb er ihm sein Schreiben zurückgegeben müsse21. Eine solche Einmischung von päpstlicher Seite wäre nicht nur den protestantischen Kurfürsten, sondern auch den selbstbewussten rheinischen Erzbischöfen und Kurfürsten unerträglich gewesen. Nicht nur die katholische Seite, auch protestantische Reichsfürsten machten Zugeständnisse. So unterfertigte Kurfürst Johann Georg von Sachsen ein Schreiben an Kurfürst Schweikhardt von Mainz vom 9. September 1613 mit »getreuer Freund, Sohn und Bruder«22. Durch die Bezeichnung »Sohn« erkannte der protestantische Kurfürst das Priestertum seines Mitkurfürsten an. Seit 1562 protestierten die nichtkatholischen Kurfürsten gegen den besonderen Schutz des Kaisers für seine »päpstliche Heiligkeit«. Auch die Fürbitten im Interregnum, die auch als Einzeldrucke verbreitet wurden, waren konfessionell unanstößig. Sie konnten gleichermaßen in katholischen wie in lutherischen und calvinistischen Kirchen verlesen werden. »Wir rufen auch in jetzigen gefährlichen Zeiten den allmächtigen, barmherzigen Gott eiffrig und inbrünstig an, Er wolle den durch höchst bedauerliches Absterben Ihro Kayserlichen Majestät, unseres weiland allergnädigsten Kaysers und Herrn, im Römischen Reich gethanen grossen Riß, fürdersamst gnadiglich wiederum wenden und ersetzen, und dasselbe mit einem anderwärtigen friedfertigen Oberhaupt, unter dessen Schutz und Schirm wir und jedermann an seinem Ort unserm Gott in Friede und Ruhe ferner mögen dienen können, mildiglich versehen: So dann das gesamte Römische Reich in wohlhergebrachter Freyheit erhalten, hingegen, was derselben zuwider ist, kräfftig hindern, auch sonsten allerhand zu gerechter Straffe unserer Sünden obschwebende Gefahren vätterlich abwenden: Ingleichen dem noch währenden Reichstag mit seinem 21 Bülow, Betrachtungen, S. 205. 22 HHStA Wien: MEA, Wahl- und Krönungsakten, Karton 15.

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Heiligen Geist bewohnen und durch denselben alle Ratschläge und Handlungen dahin richten, das solche zum fördersten zu seines allerheiligsten, großmächtigsten Namens Lob und Ehre, zu Ausbreitung des allein seligmachenden göttlichen Worts, und beständiger Erhaltung des edlen Friedens, und auch zur Befestigung und der Erhaltung des allgemeinen Ruhe- und Wohlstandes gereichen mögen, um Jesu Christi Willen Amen«23. Ohne die letzten Worte, konnte der Text auch in Synagogen verlesen werden. Die religiöse Sprache des Staatszeremoniells des frühneuzeitlichen Reiches ist Ausdruck einer spezifischen nationalen Identität. Die Zeitgenossen bewerteten sie unterschiedlich. Sie wurde von konfessionellen Zeloten als defizitär empfunden, von Aufklärern aber, welche die Freiheit schätzten, als im europäischen Vergleich fortschrittlich gewertet. Das staatliche Leben des Reiches erhielt so eine normative Prägung durch eine religiöse, aber die Bekenntnisse übergreifende, Identität stiftende Praxis. Mit dem Passauer Vertrag von 1552 und dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 hatte sich das Heilige Reich eine vordemokratische Zivilreligion gegeben24. Diese Zivilreligion des Reiches war undogmatisch. Im abschließenden Artikel der Virginia Declaration of Rights vom 12. Juni 1776 heißt es: »Die Religion oder die Ehrfurcht, die wir unserem Schöpfer schulden, und die Art, wie wir sie erfüllen, können nur durch Vernunft und Überzeugung bestimmt sein und nicht durch Zwang oder Gewalt; daher sind alle Menschen gleicherweise zur freien Religionsausübung berechtigt, entsprechend der Stimme ihres Gewissens; es ist die gemeinsame Pflicht aller, christliche Nachsicht, Liebe und Barmherzigkeit aneinander zu üben«. Diese Formulierung kann als der klassische Ausdruck der Zivilreligion gelten. Das Konzept der Zivilreligion geht letztlich auf Rousseau zurück. »De la religion civile«, »Die bürgerliche Religion« ist das abschließende Kapitel des vierten Buchs seines Werks »Der Gesellschaftsvertrag oder die Grundsätze des Staatsrechtes« von 1758 überschrieben. Leibniz dachte bereits um 1700 im Zusammenhang mit dem Ritenstreit der Mission in China über einen Cultus civils nach25. Faktisch wurde die Zivilreligion in der Reichsverfassung zweihundert Jahre vor der theoretischen Begründung durch Rousseau in die Verfassungs­ realität eingebaut. In den Staatsakten des Reiches, insbesondere bei der Leistung der Amtsund Diensteide war diese »christliche Nachsicht«, schon zweihundert Jahre vor Rousseau zur Routine geworden, eine Routine, die gleichwohl gelegentlich durch retardierenden religiösen Eifer gestört wurde, aber insgesamt gut funktionierte. Im Gegensatz zur Virginia Declaration of Rights, die alle Bekenntnisse freistellte, beschränkte sich die Duldung im Reich auf die zwei, später drei reichsrechtlich anerkannten Bekenntnisse. 23 HHStA Wien: MEA, Wahl- und Krönungsakten, Karton 46, 1740. 24 Bellah, Civil Religion, S. 1–21. 25 Li, Cultus religiosus, S. 110–127.

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Die Zivilreligion des Reiches war der religiöse Anteil der politischen Kultur des Reiches, der notwendig war, damit es als Ganzes funktionieren konnte. Zentral waren hierbei die identitätsstiftenden und Akzeptanz sowie Vertrauen schaffenden Elemente, die religiöse Bekräftigung von Eiden. Die konfessionsneutrale religiöse Beteuerung der Amtseide des Herrschers und der Mitglieder der Reichsadministration sowie der kommissarischen Auftragsverwaltung und -exekution des Reiches bildeten die »vorpolitischen Grundlagen der politischen Ordnung« des Reiches26. Die Eide drückten das Bekenntnis zur Verfassung des Reiches aus. Die entkonfessionalisierte Religion wurde zur rechtlichen und kulturellen Erhaltungsbedingung des Reiches. Nicht die Religion oder religiöse Führer bestimmten im Heiligen Reich, sondern das Reich schuf sich die zu ihm passende Religion. Religion wurde zum politischen Gebrauchsgegenstand. Religiöse Verschiedenheit wurde versöhnt. Religiös-konfessionelle Differenz zugunsten der hohen Reichspolitik bewältigt. Die konfessionsneutralen Eide boten ein politisch und verfassungsrechtlich abgesichertes Verfahren der Konfliktlösung und der Differenzbewältigung jenseits der gewaltsamen Wiederherstellung der religiösen Einheit. Die gegenseitige Toleranz war Ergebnis des Zusammenlebens der Konfessionen27. Auf der Reichs- und Kreisebene gab es beispielhaft gelebte Trikonfessionalität. Diese politische Theologie des Reiches war auch ein Sieg der »Standessolidarität« der Kurfürsten über ihren Glaubensgegensatz28. Letztlich waren sie doch mehr Kurfürsten als »Ligaoberhäupter«29. Diese Entwicklung fand bald eine Entsprechung in den Territorien. Die Reichskreise, einzelne Domkapitel, Bistümer bzw. geistliche Territorien wie Osnabrück oder Mainz waren bi- oder trikonfessionell. Auch der Deutsche Orden und verschiedene seiner Balleien waren bi- und trikonfessionell. Im noch größeren Maßstab galt dies für die weltlichen Territorien des Reiches. Was auf der Reichs- und Kreisebene vorexerziert wurde, wurde in den Territorien mehr oder weniger schnell adaptiert. Erst mehr als zweihundert Jahre nach der Einführung des konfessions­ neutralen Eides auf der Reichsebene wurde durch Artikel VII des Toleranzediktes Kaiser Josephs II. vom 13.  Oktober 1781 in den Erblanden für Lutheraner, Calvinisten und Griechisch-Orthodoxe der Zwang aufgehoben, sich katholischer Eidesformeln zu bedienen30. Die Praxis des Reiches belegt statt26 Münkler, Einleitung. Was sind vorpolitische Grundlagen politischer Ordnung?, 7 f. 27 Tagungsbericht: Unversöhnte Verschiedenheit. Verfahren zur Bewältigung religiös-konfes­ sioneller Differenz in der europäischen Neuzeit. Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz; 15.11.2013–16.11.2013, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id =5198. 28 Gotthard, Säulen des Reiches, Bd. 1, S. 100–114. 29 Ebd., S. 370. 30 Trattner (Hg.), Sammlung, S. 137–149, S, 137. Dessen ungeachtet halten sich Spätdatierungen, wie: »In Deutschland setzte die individuelle Religionsfreiheit Ende des 18. Jahrhunderts mit dem Preußischem Allgemeinen Landrecht von 1794 ein«, Detjen, Wertordnung, S. 188.

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dessen, dass die Duldung in der Regel eine Selbstverständlichkeit war, sie dokumentiert »gelebten Religionsfrieden mit Problemlösungen, die den Reichsverband stabilisierten«31. Die wesentlichen Schritte zur Entkonfessionalisierung der Reichspolitik wurden bereits im Zeitalter der Konfessionalisierung vollzogen. Auf dieser Tradition des Reiches ruht auch der Religionsartikel der deutschen Bundesakte von 1815: »Die Verschiedenheit der christlichen Religionen darf in den Ländern des deutschen Bundes keinen Unterschied in der Wahrnehmung der bürgerlichen und politischen Rechte begründen. Die Bundesversammlung wird darüber beraten, wie auf eine möglichst übereinstimmende Weise die bürgerliche Verbesserung der Bekenner des jüdischen Glaubens in Deutschland zu bewirken sei«32. Wie die Wahlkapitulationen des alten Reiches konfessionell unanstößig bekräftigt wurden, wurde die deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 konfessionell neutral »Im Namen der allerheiligsten und untheilbaren Dreieinigkeit« verkündet. Damit beginnt die Geschichte der Gottesbezüge in den jüngeren deutschen Verfassungen. Der »Präambelgott« der deutschen Verfassungen ist immer konfessionsneutral.

31 Lanzinner, Der authentische Text. Lanzinner bezieht sich auf den Reichstag von 1566. 32 http://de.wikisource.org/wiki/Die_teutsche_Bundesacte_vom_8._Juny_1815. Artikel XVI. Wie viele zwischenstaatliche Verträge der Frühen Neuzeit wurde die Bundesakte am 8. Juni 1815 konfessionell unanstößig »Im Namen der allerheiligsten und untheilbaren Dreieinigkeit« verkündet. Die Formulierung war fester Bestandteil des konfessionsneutralen frühneuzeitlichen Völkerrechts.

15. Die Zeit des Reiches Deutlichster Ausdruck der Religionsspaltung im Reich war das Zerreißen der einheitlichen Zeit. Auf dem Augsburger Reichstag 1582 wurde der neue Kalender dem Reich vorgestellt1. Infolge der Wirren wegen des geistlichen Vorbehalts bzw. des Kölner Krieges (1582–1584) scheiterten die Verhandlungen jedoch bereits im Ansatz. Der Kölner Erzbischof und Kurfürst Gebhard Truchseß von Waldburg war zum protestantischen Glauben übergetreten und versuchte, nach dem Vorbild des letzten Hochmeisters des Deutschen Ordens, Albrecht von Brandenburg-Ansbach, das Erzbistum als weltliches Kurfürstentum zu behalten. Er wurde vom Papst abgesetzt und unterlag in der militärischen Aus­ einandersetzung dem zum Nachfolger gewählten Ernst von Bayern. Der allgemein als notwendig angesehenen Kalenderreform verweigerten sich die protestantischen Reichsstände, weil Papst Gregor XIII. sie Kraft eigener Machtvollkommenheit verkündete und sie nicht durch Kaiser und Reichsinstitutionen eingeführt wurde. Die Altgläubigen im Reich übernahmen den in Rom ausgearbeiteten neuen Kalender. Die Neugläubigen verharrten in der alten Zeit. Viele Jahrzehnte lang scheiterten alle Versuche, sich auf eine einheitliche Zeitrechnung zu einigen. 1648 und auch 1654, in Paragraph 158 des Jüngsten Reichsabschieds, musste die Vereinheitlichung des Kalenders weiter verschoben werden. Auf der Reichsebene war man schnell zu pragmatischen Lösungen gelangt. Sie waren aber nur bedingt komfortabel. So wurde z. B. die notarielle Bestätigung der Notifikation des Todes von Kaiser Ferdinand III. von Kurpfalz an den Kurfürsten von Mainz doppelt datiert: »Sambtag den zwölften neuen und zweiten May alten Calenders Nachmittag zwischen fünf und sechs Uhr«2. Die Annahme des Schriftstücks musste also nicht am Kalenderstreit der Konfes­ sionen scheitern. Auch die Kommunikation zwischen dem Direktor des kurfürstlichen Kollegiums und seinen Mitkurfürsten war geprägt von dem Bemühen, die Reichspolitik nicht durch konfessionelle Probleme wie den seit 1582 währenden Kalenderstreit zu belasten. Aber auf der unteren Ebene, besonders in bikonfessionellen Territorien führten die unterschiedlichen Kalender immer wieder zu Reibereien, gegenseitige Störungen der Festtage, Gottesdienste usw. Dies konnte jederzeit zu Weiterungen führen, die das Reich insgesamt in Mitleidenschaft gezogen hätten. Doch mit der Etablierung des Immerwährenden Reichstages eröffneten sich neue Möglichkeiten. Am 19. Oktober 1664 beschloss der Reichstag anstatt »des Worts Evangelische die Formel Augsburgische Konfessionsverwandte zu 1 Koller, Die Suche nach der richtigen Zeit, S. 233–255. Dies., Kalenderreform, Sp. 286–290. 2 HHStA Wien: MEA, Wahl- und Krönungsakten, Karton 3o 1657–1658.

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gebrauchen3, weil auch die Katholiken behaupteten, evangelisch zu sein. Mit diesem Beschluss erhöhte der Reichstag seine Kommunikationsfähigkeit, da es nun keinen Streit mehr um die Benennung einer Partei gab. Damit wurde der Religionskonflikt weiter entschärft. Diese Einigung verweist, wie viele Formulierungen in den Wahlkapitulationen, darauf, dass »die Verständigung zwischen den Gruppen nur gewährleistet war, wenn die gegenseitigen Bezeichnungen einen Kompromiss zwischen Selbst- und Fremdbild erzielten«4. Diese Annäherung hing von der Bereitschaft der Gesprächspartner ab, den kommunikativen Kontext zu beachten. Hatten die Bezeichnungen in der auf Abgrenzung zielenden Flugschriftenliteratur vornehmlich polemische Funktion, so unterscheidet sich davon eine amtliche Funktion auf den Reichs- und Wahltagen und deren schriftlicher Niederschlag, »wo die kommunikative Herausforderung darin bestand, durch respektvolle Umgangsformen die Grundlagen der Verständigung zu schaffen oder zu erhalten«5. Damit waren nicht alle Probleme konfessioneller Konvivenz gelöst, aber doch einige. Gegenseitige Bezeichnungen mussten wie religiöse Eidesformeln so gefasst sein, dass sie von allen Konfessionsparteien akzeptiert werden konnten. Diese Verbesserung des Kommunikationsklimas ermöglichte die Verhandlungen über eine gemeinsame Reichszeit. Am 2. April 1665 gelangte ein Dekret an den Reichstag, in dem der Kaiser verlangte, »die so lange vergeblich gesuchte Gleichheit im Kalender zu bewerkstelligen, und damit den Unbequemlichkeiten abzuhelfen, die der verschiedenen Kirchenfeiertage wegen nicht allein im täglichen und bürgerlichen Leben, sondern auch bei dem damaligen Krieg selbsten und mit den Beratschlagungen auf dem Reichstag immer entstanden«. Kurbrandenburg erklärte daraufhin, man hätte den neuen Kalender angenommen, »wenn eine Erklärung vorangegangen wäre, dass diese Änderung als eine politische Sache angesehen, und ohne Rücksicht auf den Stuhl zu Rom ausgeführt werden solle«6. Mit dieser Erklärung Kurbrandenburgs war der Weg vorgegeben. Am 23.  September 1699 fassten die Augsburgischen Religionsverwandten Reichsstände einen Beschluss zur Kalenderverbesserung7. Brandenburg war in dieser Frage besonders interessiert, weil im Herzogtum Preußen, einem polnischen Lehen, bereits seit 1612 der neue Kalender galt. Die Hohenzollern wünschten in ihrem künftigen Königreich einen einheitlichen Kalender. Wie sich das Reich nach Kriegen und Konfessionswechseln auf Normaljahre und -tage einigte8, um den dauernden Streit um den konfessionellen Besitzstand zu beenden, so einigte es sich 1700 auch auf einen einheitlichen Kalender, auf eine Reichszeit3 Gemeiner, Geschichte, 2. Bd., S. 11. 4 Ziegler, Besprechung von: Bent Jörgensen, Konfessionelle Selbst- und Fremdbezeichnungen, (19.11.2014). 5 Ebd. 6 Ebd., 1. Bd., S. 172. 7 Gritsch, Der Auserlesenen Sammlung, T. II, S. 456–457, Nr. XVII. 8 Fuchs, Ein ›Medium‹ zum Frieden. Die Normaljahresregelung.

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messung. Dieser verbesserte Kalender war so erfolgreich, dass er nach und nach die gesamte Welt in seinen Bann zog. 1752 z. B. übernahm ihn Großbritannien und ein Großteil seiner Kolonien sowie Schweden. Die Welfen vereinheitlichten so die Zeitrechnung in ihren Stammlanden und ihren britischen Besitzungen. Aus konfessionellen Gründen blieb jedoch die Bestimmung des Ostertermins abweichend. Der König von Preußen wünschte jedoch in seinen gemischtkonfessionellen Territorien einen einheitlichen Termin für die Osterfeiertage. Dies führte im Dezember 1775 zu einem entsprechen Beschluss des Corpus Evangelicorum. Man einigte sich unter Vermeidung des päpstlichen Namens auf die Berechnung des Ostertermins gemäß dem neuen Kalender. Der Reichstag folgte dem einstimmig, worauf Joseph II. den erneut »verbesserten Reichskalender« 1776 ratifizierte. Heute gilt der 1582 überarbeitete Kalender gleichermaßen in China, der Türkei und Japan. Den Kalenderexperten in anderen Kulturkreisen, im Orient und in Asien fiel die Entscheidung für den Kalender von 1582 umso leichter, weil, neben starken astronomischen Argumenten, ein weiter Grund für ihn sprach. Sie sahen nämlich wie der ursprünglich konfessionell und ideologisch stark aufgeladene Kalender bis zum Jahre 1700 entideologisiert und säkularisiert wurde, vom Gregorianischen Kalender zum »Verbesserten Reichskalender«, zum Kalender eines Reiches, das in der Neuzeit keine imperialen und kolonialen Ambitionen hatte und ohnehin bereits Vergangenheit war. Die Datierungen der Wahlkapitulationen selbst folgen jeweils dem Kalender, der am Hof des Ausstellers der Urkunde in Gebrauch war. Seit 1582 bzw. 1612, der ersten Kaiserwahl nach der Kalenderreform, folgt die Datierung dem Gregorianischen Kalender, der im Reich später, konfessionell unanstößig, »Verbesserter Reichskalender« genannt wurde.

16. Idealwahlkapitulationen. Eine deutsche Verfassungsdiskussion in den 1790er Jahren

Nicht nur wegen des Verfassungsauftrag des Artikel VIII des Westfälischen Friedens (IPO) und der anhaltenden Debatte um eine Immerwährende Wahlkapitulation waren die Wahlkapitulationen für den Kodifikationsenthusiasmus des 18. Jahrhunderts eine naheliegende Herausforderung1. Auch die Dynastiewechsel von 1742 und 1745 sowie die Auseinandersetzungen um den deutschen Fürstenbund ab 1785 aber auch der Naturrechtsdiskurs befruchteten, wie später die Revolution in Frankreich, die Debatte um eine ideale Wahlkapitulation. Die Aufgabe der Kodifikation wurde sowohl auf der politischen als auch auf der publizistischen Ebene verfolgt und führte anläßlich der Errichtung der Wahlkapitulation Karls VII., 1742, zu ersten Resultaten2. Kurtrier schlug vor, die zusammengehörigen Materien an einer Stelle zu sammeln und »was dunkel ist deutlicher zu machen und zu diesem Ende« Parenthesen möglichst zu entfernen sowie lange Perioden zu kürzen3. Dieses Konzept ging auf Johann­ Jacob Moser zurück, welcher 1742 der kurtrierischen Wahlgesandtschaft angehörte. Mosers Vorschlag fiel jedoch der Behandlung wichtigerer Materien zum Opfer4. Die 1742 eingeführte Untergliederung in Paragraphen folgte nicht Mosers Vorschlägen, sondern einem kurmainzer Konzept. Moser fand diese Einteilung unbefriedigend und konfrontierte sie mit der Veröffentlichung seiner eigenen Neufassung5. Er nannte folgende Gründe, warum es, nicht zu einer gründlichen Überarbeitung gekommen war: Die Sache erfordere »mehrere Instructiones und Zeit, als der kurze Periodus derer Wahlkonferenzen gestattete«, sodann sei mit Beschwerden der Fürsten zu rechnen. Zwar sei, anders als auf den Wahltagen, auf dem Reichstag genügend Zeit, das Werk in Angriff zu nehmen, doch seien »die Hindernisse mehr denn zu bekannt, warum auch von dort aus, rebus sic stantibus, nichts fruchtbarliches zu erwarten ist«6. Diese Auffassung war – un1 Das folgende Kapitel beruht auf einen überarbeiteten Aufsatz: Burgdorf, Die Ursprünge des Konstitutionalismus, S. 65–98. 2 Hartungs Urteil, daß die Wahl Karls VII. »keinen nennenswerten Einfluß« auf die Kapitulation ausgeübt habe, ist nicht zu folgen, Ders., Wahlkapitulationen, S. 340 f. Dagegen Feine, Verfassungsentwicklung, S. 83. 3 Moser, Projekt wie Carls VII. Wahlkapitulation, T. 1, S. 108–233. Ders., Ihro Römisch Kayserliche Majestät Carls des siebenden Wahl-Capitulation, T. 3, S. 8. 4 Schmelzer, Die kaiserliche Wahlkapitulation, S. II. 5 Moser, Carls des siebenden Wahl-Capitulation, T. 3, S. 10. 6 Ebd.

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abhängig von dem seit 1740 andauernden Österreichischen Erbfolgekrieg – nicht verwunderlich, da die Verhandlungen über die Perpetua ihr Ziel noch nicht erreicht hatten. Dennoch hielt die Diskussion über die Reform der Kapitulation an, und Moser trug mit seinen Arbeiten viel zur wissenschaftlichen Fundierung der Diskussion bei. Er edierte nicht nur Kapitulationen, die er zur besseren Orientierung mit Marginalien versah, sondern auch Wahltagsprotokolle, Monita und kurfürstliche Kollegialschreiben7. Wie es seit Johann Christian Müldeners Edition von 1697 üblich war8, kennzeichnete Moser die jeweils neu eingefügten Stellen im Druckbild. Des Weiteren vermerkte er an jeder Stelle, wann und aus welchem Anlaß sie eingefügt worden war. Hiermit waren die Grundlagen für eine systematisierende Reform dieses Reichsgrundgesetzes gelegt9. Doch kam es, nachdem 1742 der Dynastiewechsel aufgrund der gleich­ zeitigen Spaltung des Reiches nicht für eine Reform genutzt wurde, in Abhängigkeit von der weiteren politischen Entwicklung bei den publizistischen Reformbemühungen zu einer Phase des Stillstandes. 1745 bei der Wahl Franz’ I. wurde zwar wieder an eine Verbesserung der Wahlkapitulation gedacht, da aber der Konflikt zwischen Österreich und Preußen fortdauerte, einigte sich die Mehrheit der Kurfürsten jedoch auf eine weitgehende Übernahme der vorherigen Kapitulation, um die Verhandlungen abzukürzen. Bei der römischen Königswahl des späteren Kaisers Josephs II. »wurde noch mehr geeilt« und die Reformfrage überhaupt nicht mehr berührt10. Erst 1781/82 bekam sie durch den Prager Lehens- und Staatsrechtlers ­Joseph Anton von Riegger neue Impulse11. Das neue Interesse für die Wahlkapitulation stand im Zusammenhang mit dem Tod Maria Theresias im Jahre 1780. Riegger stand mit seinem ungefähr 1200 Seiten umfassenden Werk in der Tradition Mosers12 und führte ein 1697 von Johann Christian Müldener begründetes Untergebiet der staatsrechtlichen Literatur zu höchster Blüte, nämlich die sogenannten »harmonischen Wahlkapitulationen«13. 7 Ebd., T. 1, 1742. 8 Müldener, Capitulatio harmonica, 1697. 9 Moser schrieb nicht vorrangig für die theoretische Reformdiskussion, sondern, wie er in den Einleitungen seiner Schriften stets betonte, für die alltägliche Praxis. 10 Schmelzer, Die kaiserliche Wahlkapitulation, S. II. 11 Riegger, K. Joseph des II. harmonische Wahlkapitulation. Zu Riegger (1742–1795) s. ADB 28, S. 549 ff. Er kam 1792 in den Verdacht Jakobiner zu sein. Hartung bezeichnet Rieggers Werk als das letzte dieser Gattung, Ders., Wahlkapitulationen, S. 310. Es ist jedoch lediglich das letzte Werk dieser Gattung, das durch den Titel als solches erkennbar ist. Viele der hier besprochenen Werke führen Rieggers Arbeit für die folgenden Kapitulationen fort. 12 Riegger, K. Joseph des II. harmonische Wahlkapitulation, T. 1, S. 1–24. 13 Ebd., S. II. Das erste Werk dieser Art war Müldener, Capitulatio harmonica, 1697. 2. Ausgabe zum Gebrauche bequemer gemacht von Johann Christian Müldener, des Auctoris Sohne, Dresden 1725. 1750 erschien Müldners Werk, bis in die »Gegenwart« fortgeführt, in Französisch. Zu Müldener (*?-1710) DBA 865,26 f., er hatte in Leipzig, Halle und Erfurt studiert und war kurfürstlich sächsischer Hofrat zu Dresden, Müldener, Capitulatio harmonica, S. III f.

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Bei Müldeners Werk handelte es sich noch um eine kommentierte vergleichende Edition der bisherigen Kapitulationen, aber schon 1711 gab Christoph Ziegler im Anhang einer solchen Edition die erste »harmonische« Wahlkapitulationstabelle heraus14. Am Anfang waren diese Tabellen relativ grob und nicht sehr umfangreich, sie wurden aber zunehmend verfeinert und boten sehr bald Politikern, Staatsrechtlern und Richtern ein hilfreiches Instrumentarium. Ausgehend von der jeweils gültigen Kapitulation erlaubten sie es, den einzelnen Artikeln und ab 1742 auch den Paragraphen, trotz der durch Einfügungen veränderten Zählung, die entsprechenden Stellen aller früheren Kapitulationen zuzuordnen. In den Spalten der Tabellen waren, nach Kapitulationen chronologisch geordnet, die einzelnen Artikel und Paragraphen ohne Text aufgelistet. Neben den harmonischen Wahlkapitulationstabellen gab es ein zweites, wichtiges Hilfsmittel: die Register. Sie erlaubten es, unter einem Stichwort den Fundort aller diesbezüglichen Stellen der gültigen bzw. aller Kapitulationen zu überblicken. Zwar hatte schon Moser hinsichtlich der Weiterentwicklung der Register wichtige Voraussetzungen geschaffen15, das umfassendste Register war jedoch 1746 für den Gebrauch in den kaiserlichen Behörden entstanden16. Harmonische Tabelle und Register, wurden 1781/82 von Riegger in verfeinerter Form in einem Werk vereinigt. Damit waren alle Voraussetzungen für eine systematische Reform der Wahlkapitulation geschaffen. Rieggers Werk stellt den Höhepunkt der Entwicklung einer eigenständigen staatsrechtlichen Hilfswissenschaft, der Wahlkapitulationshermeneutik, dar17. Es ist erstaunlich, wie modern das methodische Niveau in diesem 1806 obsolet gewordenen Wissenschaftszweig war18. Mit der Gründung des Fürstenbundes 1785 kam es zu einer Belebung der Diskussion. Es wurde verkündet, daß es nun »unumgänglich« sei, »durch eine neue Kapitulation die kaiserliche Gewalt in noch engere Grenzen einzuschließen«, um künftigen Häuptern des Hauses Österreich die Lust an der kaiser-

14 Ziegler, Wahl-Capitulationes. Hartung gebraucht den, gegenüber dem zeitgenössischen Begriff, passenderen Ausdruck »Konkordanztabelle«, Ders., Wahlkapitulationen, S. 310. 15 Durch das sechzig Seiten umfassende Register, das Moser 1744 dem dritten Teil seiner Arbeit über Karls VII. Kapitulation beifügte. Müldener hatte aus Mangel an Zeit auf die Erstellung eines Registers verzichtet, Müldener, Capitulatio harmonica, S.  XII. Aber schon Ziegler hatte 1711 seinem Werk ein brauchbares alphabetisches Register angefügt. 16 Vollständiges Register über die Wahlkapitulation Ihro kaiserliche Majestät Francisci, wie solches auf Befehl und zum Gebrauch des kaiserlichen Reichshofrats verfertigt worden, Wien 1746. 17 Zur »Hermeneutik der Wahlkapitulation« z. B. Schmelzer, Die kaiserliche Wahlkapitulation, S. XXXIX. 18 Die Form der Anmerkungen, die genauen, in der staatsrechtlichen Literatur der Zeit keineswegs selbstverständlichen Literaturangaben und der konsequente Rückgriff auf authentische Quellen bzw. Ersteditionen sowie das umfassende Register. Dieser 1806 unterbrochene Weg in die »Moderne« wurde bislang übersehen. Grafton, Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote.

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lichen Würde zu nehmen19. Darüber hinaus sollte der »Wahlkapitulation eine solche Gestalt gegeben« werden, »daß der Reichsverfassung von keiner Seite zu nahe getreten werden kann«. Durch das Zusammentragen der Bemerkungen wohldenkender Publizisten sollte alles gesammelt werden, was in einer künftigen Wahlkapitulation berührt werden müsse20. In den folgenden Jahren hielt sich das Gerücht, der Fürstenbund beabsichtige eine Reform der Wahlkapitulation. Den badischen Geheimrat Karl Friedrich von Gerstlacher veranlaßten 1789 Gerüchte »von einer bevorstehenden römischen Königswahl und neuen Wahlkapitulation«21, die infolge der Erkrankung des Kaisers an Glaubwürdigkeit gewonnen hatten22, über die Reform der Wahlkapitulation nachzudenken. Gerstlacher hob zwar die Verdienste Mosers hervor23, ging jedoch methodisch über dessen Ansatz hinaus, indem er betonte, daß es zur Erklärung der Wahlkapitulation und der anläßlich der Kapitulationsverhandlungen von den Ständen eingebrachten Monita nicht ausreiche, die Wahltagsprotokolle heranzuziehen. Da diese häufig über die wahren Ur­sachen hinweggingen, müsse man auch die politischen Umstände der betreffenden Höfe berücksichtigen24. Während der erste Teil seiner Arbeit den Wahlkonvent des Jahres 1764 behandelt, enthält der zweite Teil »Bemerkungen, wie eine künftige Wahlkapitulation in undeutlichen Stellen zu erläutern, in fehlerhaften zu verbessern, und in Stellen, die unseren Zeiten nicht mehr recht angemessen sind, bequemer einzurichten sein möchte«25. Zu diesem Zwecke ging Gerstlacher die dreißig Artikel der Kapitulation paragraphenweise durch und machte entsprechende Vorschläge. Er beschränkte sich darauf, die Kapitulation ohne Veränderung ihrer Struktur gefälliger zu gestalten, indem er Widersprüche und Überflüssigkeiten entfernte und syntaktische, semantische und grammatikalische Korrekturen vornahm. Obwohl seine Arbeit als »sehr gründlich« bezeichnet wurde26, war eine wirkliche Reform auf diesem Wege jedoch nicht zu erreichen. Andererseits 19 Ueber die Politische Lage des deutschen Reich nach dem fehlgeschlagenen Umtausch von Bayern, Regensburg 1785, in: Politische Betrachtungen und Nachrichten. Periodische Schrift, No. II: Projekt zu einer neuen kaiserlichen Wahlkapitulation, Nov. 1785, das Zitat ebd., S. 6, ähnlich S. 40. 20 Ebd., S. 42 u. 45. Über die Einhaltung der neuen Kapitulation sollte ein neueinzurichtender »Areopag« wachen, also eine Art Verfassungsgericht, was, angesichts der Funktions­ mängel der bestehenden Reichsgerichtsbarkeit, einen hämischen Kommentar provozierte, ebd., S. 51. 21 Gerstlacher, Anmerkungen. Zu Gerstlacher (1732–1795) ADB 9, S. 67. Er hatte in Tübingen studiert und stand, nachdem er zunächst in einer Stuttgarter Kanzlei tätig war, ab 1767 im Dienste Badens. 22 Gerstlacher, Anmerkungen, S. III. 23 Ebd., S. V. Ähnlich: [Senkenberg], Gedanken, S. 24. 24 Gerstlacher: Anmerkungen, S. V. 25 Ebd., S. VII. Der zweite Teil umfaßt die Seiten 81–156. 26 [Mohl], Ist es ratsam, den teutschen Kaiser in Wahlkapitulation noch mehr einzuschränken?, S. 4.

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sprach der Umstand, daß Gerstlacher nur moderate Veränderungen vornahm, für eine relativ leichte politische Durchsetzbarkeit seines Projektes. Kurz nachdem Gerstlacher seine Anmerkungen veröffentlicht hatte, publizierte Benjamin von Mohl anonym ein weiteres Projekt27. Mohl – er war mütterlicherseits ein Enkel Johann Jacob von Mosers und selbst der Vater Robert von Mohls – griff dabei wiederholt auf Gedanken zurück, die sein Onkel Friedrich Karl von Moser nach dem Siebenjährigen Krieg geäußert hatte28. Mohl beendete sein Projekt noch vor dem Tode Josephs II., dessen Krankheit und die Erwartung, daß die Fürstenbundpartei das kommende Interregnum für eine umfassende Reformen der Reichsverfassung nutzen werde, hatten auch ihn veranlaßt, seine Gedanken zu publizieren29. Für Mohl war es weder eine offene Frage, ob der Kaiser in seinen verfasssungsmäßigen Rechten »zu viel eingeschränkt sei«30, noch ob bei einzelnen Teilen der Reichsverfassung »zweckmäßige Veränderungen getroffen werden« könnten31. Sein Verfassungsideal war Montesquieus Schema der Gewaltenteilung32. Die Reichsverfassung sollte durch eine »Totalumschmelzung« der Wahlkapitulation diesem Ideal gemäß umgestaltet werden33. Als Ziel der »Totalveränderung« wünschte er für den Kaiser »mehr Einfluß auf dem Reichstag, weniger auf den Reichshofrat und wieder mehr bei der Vollstreckung der reichsgerichtlichen Urteile«34. Weiter sei es nötig, daß das Reichsoberhaupt nicht nur ein unbedingtes Veto erhalte, sondern auch die Möglichkeit, unter widersprüchlichen Voten der drei Kollegien eines zu wählen »und ihm dadurch die gesetzliche Sanktion« zu geben35. In der Konsequenz dieser Vorschläge lag es, daß Mohl sich gegen jede konkurrierende Form der Legislative aussprach, insbesondere gegen eine Gesetz27 Ebd., 1790. Gerstlachers Anmerkungen hatte Mohl zwar noch lobend zur Kenntnis genommen, konnte aber inhaltlich nicht mehr auf sie eingehen, ebd., S. 3. Zu Mohl (1766–1845) s. ADB 22, S. 54 f. Er war auf der Karlsakademie in Stuttgart ausgebildet worden und hatte seine Studien später in Göttingen, Wetzlar, Regensburg und Wien ergänzt. 28 [Mohl], Ist es ratsam, Motto sowie S. 5, 6 f. u. 49. Friedrich Karl von Moser, Was ist gut Kayserlich und nicht gut kayserlich?, Frankfurt/M. 1766. 29 [Mohl], Ist es ratsam, S. 3. 30 Ebd., S. 5 u. 8. 31 Ebd., S. 4. 32 Ebd., S. 10. Gagliardo übersieht dieses zentrale Anliegen, Ders., Reich and Nation, S. 108 f. Vgl. Kluxen, Die Herkunft der Lehre von der Gewaltenteilung, in: Rausch (Hg.), Zur heutigen Problematik, S. 141–143. 33 [Mohl], Ist es ratsam, S. 35. 34 Ebd., S. 45 u. 27. Klüber erschien diese Zusammenfassung des Mohlschen Projektes so prägnant, daß er sie wörtlich zitierte, Ders., Litteratur des deutschen Staatsrechts, T. 4, S. 88. Insbesondere die Struktur und das Verfahren des Reichstages wären durch eine Realisierung des Mohlschen Projektes stark verändert worden. Mohl wünschte nicht nur die »Ungleichheit der Stimmen« zu heben, also die Häufung der Stimmen »einiger der mächtigsten Stände« abzubauen, sondern der Kaiser sollte auch Mittel erhalten, die Stände zur reichstäglichen Beratschlagung von Themen zu zwingen, die sie selbst nicht behandeln wollten.« 35 [Mohl], Ist es ratsam, S. 13 f. u. 18.

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gebung im Interregnum, also gegen ein Ratifikationsrecht der Vikare36 und gegen das Jus adcapitulandi der Kurfürsten37. Hinsichtlich der Justiz sollten die Urteile des Reichshofrates dem kaiserlichen Einfluß entzogen werden und für dieses Gericht wie für das Kammergericht eine ordentliche Visitation durch alle Stände institutionalisiert werden38. Die Vollziehung der reichsgerichtlichen Urteile und der Gesetze sollte nach Möglichkeit dem Kaiser übertragen werden. Auch die Frage: »Wer soll die vorgeschlagenen Veränderungen machen?« beantwortete Mohl eindeutig. Diese Aufgabe sei vom ganzen Reich auf dem Reichstag in Angriff zu nehmen. Als Handreichung für die angestrebten Reichstagsverhandlungen hatte er die jüngste Wahlkapitulation seinen Vorstellungen gemäß modifiziert39. Da er aber »bei dem jetzigen Kleinigkeitsgeiste«40, wenngleich ihm die Schwierigkeiten nicht »unüberwindlich« erschienen41, die Realisierungschancen seines Entwurfes zurückhaltend beurteilte, bot er alternativ ein bescheidenderes Programm an42. Mohl listete alle Stellen auf, die er als überflüssig empfand, und empfahl, sie zu streichen. Er hielt es für das Beste, »jedem Kaiser bloß eine kurze, körnige, allgemeine, nicht ins Detail der Materie hinein laufende Wahlkapitulation vorzulegen. Wenigstens hätte man alsdann doch die Hoffnung, daß er sie bisweilen, oder auch nur einmal läße«43. Damit hatte er eine grundlegende Anforderung an Verfassungen formuliert. Noch in den deutschen Verfassungsdiskussionen des Vormärz, z. B. in Mohls Heimat Württemberg, war das Verhältnis zwischen detaillierten Regelungen und Allgemein­ gültigkeit Gegenstand der Auseinandersetzungen44. Indem Mohl sich von den Tendenzschriften abgrenzte, betonte er die Selbständigkeit seiner Position45, die keineswegs, z. B. hinsichtlich des Reichshofrates, mit der Wiener Position identisch war. Sein Entwurf war insofern einzigartig, als er die Gewaltenteilung zum Strukturprinzip der Verfassung machte. Das Projekt sollte durch einen einmaligen grundgesetzgeberischen Akt des Reichstages realisiert werden. Falls sein Plan einer »Totalveränderung« schei-

36 Ebd., S. 27. 37 Ebd., S. 44 f. 38 Ebd., S. 24–26. 39 Ebd., S. 28–35. 40 Ebd., S.  18. Er verwies bei seinen einzelnen Vorschlägen stets mit Bedauern auf die zu erwartenden Hemmnisse. 41 Ebd., S. 35. 42 »Wir wollen mit demjenigen anfangen, was ohne alle Rücksicht auf unser System von Veränderungen ganz Außen bleiben könnte«, ebd., S. 35. Die Streichungen ebd., S. 35–44. 43 Ebd., S. 8. 44 1992/93 scheiterte in der Bundesrepublik die Aufnahme des Umweltschutzes in ein revidiertes Grundgesetz an der Frage, wie detailliert die entsprechenden Formulierungen sein dürften, was man mit einem Talleyrand zugeschriebenen Diktum kommentieren kann: »Eine Verfassung muß kurz und unklar sein.« 45 Mohl vertrat die Auffassung, der Rekurs, d. h. die Appellation gegen höchstrichterliche Urteile an den Reichstag, sei »ein schreckliches Übel«, [ders.], Ist es ratsam, S. 20 f.

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tern sollte, hatte er dem Reichstag mit seinen Streichungsvorschlägen ein Programm für eine Minimalreform angeboten. Insgesamt ist Mohls Entwurf mit konstitutionellen Verfassungen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergleichbar. Es fehlt jedoch das wichtigste Element repräsentativer Verfassungen, nämlich die Repräsentanz der Bevölkerung. Unrealistisch war seine Hoffnung, nicht nur den Einfluß der mächtigsten Stände auf dem Reichstag zu nivellieren, sondern darüber hinaus den Reichstag der kaiserlichen Lenkung zu unterwerfen und dies von dem bestehenden Reichstag verabschieden zu lassen. Einen weiteren großen Schritt in Richtung einer Reform der Wahlkapitulation machte 1790 der Erlanger Jurist Johann Ludwig Klüber mit seinem »Systematischen Entwurf der kaiserlichen Wahlkapitulation«46. »An einen Regentenspiegel, der das Vademecum des Reichsoberhauptes und zugleich der Kern unserer Staatsgesetze sein soll«, stellte Klüber folgende »Forderungen«: »1)  er verbinde mit dem Reichtume der Ideen, der notwendig darin herrschen muß, größtmögliche Kürze; 2) die Übersicht und Verbindung sei leicht und natürlich; 3) der Geschmack, welcher darin sichtbar ist, sei gut und trage das Gepräge seines Jahrhunderts«47. Mit diesem Programm einer inhaltlichen Systematisierung und sprachlichen Modernisierung ging Klüber auf den Weg weiter, den Moser und seine Nachfolger geebnet hatten. Wie vielen seiner Zeitgenossen schien dem Erlanger Juristen – er hatte sein Werk am 8. April 1790 beendet48, Joseph II. war am 20. Februar verstorben – die Situation für eine Reform der Wahlkapitulation besonders günstig zu sein49. Vielen erschien die Reichsreform um 1790 zum Greifen nahe. »Wie hoch waren nicht in unseren Tagen die Erwartungen aller deutschen Bürger gespannt, als der verewigte unglückliche Joseph II. die Augen schloß? Manche wichtige, bisher noch bestrittene Punkte unserer Verfassung hoffte man berichtigt zu sehen, und von dem Wahlvertrag des neuen Kaisers schmeichelte man sich, er werde endlich in Wahrheit die magna charta Germaniens genannt zu werden verdienen«50. So resümierte Wilhelm August Danz einige Jahre später die damalige Stimmung. Auch Klüber war der Ansicht, »zu diesem Zweck« seien jetzt »viele Hände beschäftigt« und »die Materialien zu diesem Gebäude« bereits in »beträchtlicher Menge« gesammelt. »Nur für die ordnende Hand« bliebe noch einiges zu tun.

46 Klüber, Systematischer Entwurf, 1790. 47 Ebd., S. 3. 48 Ebd., S. 6. 49 Ebd., S.  5. Die Protokolle der Verhandlungen des Wahlkonventes von 1790 wie jene von 1792 zeigen, daß man sich ernsthaft mit den Verbesserungsvorschlägen auseinandersetzte. Die Verhandlungen auf den beiden Wahltagen fanden durch Karl Friedrich Häberlin eine ausführliche Darstellung: Pragmatische Geschichte, sowie: Ders., Anhang. Zur Reformerwartung auch: Crome, Wahlcapitulation, S. 105. 50 Wilhelm August Danz, Deutschland wie es war, S. 141 f.

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In seinem »Grundriß der künftigen Wahlkapitulation« verwies er im Text der neuen systematischen Zusammensetzung jeweils auf die entsprechenden Stellen der Kapitulation Josephs II.51 Im Register gab er, ausgehend von der Wahlkapitulation Josephs II., eine Übersicht über die entsprechenden Stellen seines systematischen Entwurfes. In dem von Klüber aufgestellten Plan einer Neueinteilung bildeten jeweils mehrere der insgesamt 30 Artikel einen thematischen Block. Artikel I und II waren dem Kaiser gewidmet, III und IV der Kirche und der Religion, die Artikel V–VII den Reichsunmittelbaren und Mittelbaren, VIII–IX dem Reichstag und den Kreisen, X–XV der Reichsjustiz und der Kanzlei, XVI–XXII den Reichssteuern und -anlagen, der Wirtschaft, den Zöllen, dem Münzwesen und dem Handel. Artikel XXIII beschäftigte sich mit dem Postwesen, und nur noch Artikel XXIV war den Reichslehen gewidmet. Indem Klüber die feudalen Aspekte der Reichsverfassung im Wesentlichen nur in diesem Artikel konzentrierte, trug er der historischen Entwicklung und einer zeitgemäßen Reichsauffassung Rechnung. Die Artikel XXV–XXVII handelten von Krieg, Frieden, Werbungen, Einquartierungen, Durchmärschen und dem Bündnisrecht. Die drei letzten Artikel galten den Reichsvikarien, der Römischen Königswahl und der Bestärkung der Wahlkapitulationen. Eine Stellungnahme zum Streit um das Adkapitulationsrecht erschien Klüber jedoch zu brisant. Auch dieser Entwurf war in seiner systematischen Anlage den im späten 18.  und frühen 19.  Jahrhundert projektierten Verfassungen verwandt. Allerdings fehlt auch hier eine repräsentative Vertretung der Bevölkerung. Klübers Projekt erschien rechtzeitig, um bei den im Spätsommer 1790 beginnenden Kapitulationsverhandlungen als Grundlage zu dienen. Zudem hatte sich Klüber im Auftrage des Markgrafen Karl Alexander von Ansbach-Bayreuth zur Kaiserwahl Leopolds II. nach Frankfurt begeben, wo er als markgräflicher und kurbraunschweigischer Bevollmächtigter den Wahlkapitulationsverhandlungen beiwohnte52. Nach dem Abschluß der Verhandlungen wurde mit Bedauern festgestellt, daß sein Entwurf kaum berücksichtigt worden war. Dies lag daran, daß der Wahlkonvent noch von den Frontstellungen der Fürstenbundzeit beherrscht wurde und man ein Aufbrechen des Konfliktes durch die weitgehende Übernahme der letzten Kapitulation vermied. Dennoch wurden die Hoffnungen auf eine Reform der Verfassung für die Zukunft nicht aufgegeben53. Klüber selbst war sich jedoch bewußt, daß sein Versuch nicht frei von Inkonsequenzen und – bei aller Kreativität – eben nur ein »Grundriß« war.

51 Klüber, Systematischer Entwurf, S. 5. 52 Die großen Erwartungen, die man an den Wahlkonvent von 1790 stellte, zeigten sich auch darin, daß aus diesem Anlaß fast alle, die sich in der publizistischen Diskussion einen Namen erworben hatten, in Frankfurt zusammenkamen. [Hommel], Briefe über die Kaiserwahl, S. 56–62. 53 Ebd., S. 62.

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Seine Hoffnung, daß andere seinen Entwurf weiter ausführen würden54, wurde von dem Gießener Privatgelehrten Renatus Karl von Senkenberg erfüllt55. Senkenberg gab seine »Gedanken« unter dem programmatischen Pseudonym »Germanus Biedermann« und dem fiktiven Erscheinungsort Eleutheropolis heraus. Das Pseudonym beinhaltet sowohl die Prätention des Nationalen als auch der Aufrichtigkeit. Der angebliche Erscheinungsort, Eleutheropolis, wird kaum für die gleichnamige römische Stadt im antiken Palästina stehen, sondern für den Begriff »Eleutheronomie«, mit dem Kant das Freiheitsprinzip der inneren Gesetzgebung bezeichnete. Der Begriff war auch eine gute Umschreibung für Frankfurt, den Ort, an dem die Wahlkapitulation ausgehandelt und Senkenbergs »Gedanken« verlegt wurden56. Senkenberg verglich zunächst Gerstlachers Arbeit mit Rieggers harmoni­ scher Wahlkapitulation und kam zu dem Schluß, daß Gerstlachers Verbesserungsvorschläge viele Lücken aufwiesen und das Vorgefundene allzu sehr schonten57. Dementsprechend strich der Gießener Jurist die vorliegenden Vorschläge und mit ihnen die Kapitulation Josephs II., auf der sie beruhten, radikal zusammen. Souveräner als Mohl entfernte er, was er für unnütz, veraltet, unverständlich, redundant oder undurchsetzbar hielt und führte eine neue Gliederung nach thematischen Gesichtspunkten durch58. Als Ergebnis zählte sein eigener Entwurf statt dreißig nur noch zwölf Artikel59. Inhaltlich trat Senkenberg für einen laizistischen und pazifistischen Nationalstaat ein. In seinen »Gedanken« herrschte eine strenge Trennung von Reich und Kirche60. Alle Stellen, welche die Konkordate betrafen, sollten entfernt und diese selbst durch ein einfaches Reichsgesetz ersetzt werden61. Sein Ziel war eine »allgemeine und vollkommene Toleranz«. Als »Vorbild« für sein säkulares Staatsverständnis nannte er Frankreich und das freie Amerika62. Daß die Verfassungsentwicklung des revolutionären Frankreich bzw. Amerika als Muster 54 Klüber, Systematischer Entwurf, S. 5 f. 55 [Senkenberg], Gedanken. Zu Senkenberg (1751–1800) ADB 34, S.  5 ff. Seine juristischen Studien in Göttingen und Straßburg hatte er durch Aufenthalte in Wetzlar und Wien vervollständigt. 56 Als Grund für diese Tarnung nannte Senkenberg, daß er seine Vorschläge vor der voreiligen Zuordnung zu einer konfessionellen Partei bzw. zur kaiserlichen, kurfürstlichen oder fürstlichen Fraktion schützen wolle, [Senkenberg], Gedanken, S. IV. 57 Ebd., S. III. 58 Sein Text ist voll von Begriffen wie »unnötig«, »überflüssig«, »auslassen«, »wegbleiben«, »wegfallen«, »streichen« und »einschränken«, ebd., S. 12, 20, 21, 22, 24, 26, 31 u. 35. 59 Ebd., S. 44 f. 60 Seine Streichungsvorschläge setzten deshalb mit dem 1. Paragraphen des 1. Artikels, nämlich mit dem Schutzversprechen für den Papst, ein, ebd., S. 1. 61 Ebd., S.  3. Da es insbesondere »die politischen Verhältnisse der Religion« seien, die »Deutschland in Unruhe setzen«, ebd., S. 8–11. Die Abschaffung der Konkordate und die Befreiung des katholischen Deutschlands aus der Abhängigkeit von Rom werden S. 27–31 (Art. XIV) behandelt. 62 Ebd., S. 10 f.

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für konkrete Veränderungen in der Reichsverfassung diente, war zu Beginn der neunziger Jahre absolut ungewöhnlich63. Die Verfassungsentwürfe ­deutscher Jakobiner stammen in der Regel erst aus der zweiten Hälfte der 1790er Jahre64. Pazifistisch war Senkenbergs Entwurf insofern, als er dafür eintrat, dem Neugewählten die Aufgabe zu erlassen, das Reich zu mehren65. Er war der Meinung, daß Deutschland, wenn es zusammenhielte, so mächtig wie »kein Reich in Europa« sei. Da dann keine Macht mehr in der Lage sei, ihm Schaden zuzufügen, bedürfe das Reich keiner Vermehrung. Es liegt nahe, daß Senkenberg hier auf die elsässischen Verwicklungen und die im Reich enstehende Kriegsziel­ diskussion abhob. Dem im Pseudonym zum Ausdruck gekommenen nationalen Motiv entsprach sein Wunsch, die Bezeichnung »Römisches Reich deutscher Nation« durch »Deutsches Reich« zu ersetzen66 sowie sein Verweis auf Klopstock und sein Programm einer radikalen Sprachreform im Sinne einer Germanisierung des Vokabulars67. Entsprechend diesem Programm sollten alle »ausländischen Worte« in der Wahlkapitulation »mit gleichgeltenden teutschen Wörtern« vertauscht werden68. Der Gießener Gelehrte plädierte dafür, die künftige Wahlkapitulation, nachdem die Politiker sich über die einzelnen Verbesserungsvorschläge geeinigt hätten, einem in »der Teutschen Sprache recht erfahrenen, durch sonstige gute stilisierte Aufsätze schon bekannten Mann« zu übergeben, um sie, »soviel es der Inhalt leidet«, in ein »schönes Teutsch und gute natürliche Ordnung« setzen zu lassen69. Senkenberg äußerte sich auch zu weiteren aktuellen verfassungspolitischen Auseinandersetzungen, wie zur Anzahl der Kurstimmen70, zum Verhältnis zwischen Familienverträgen und Belehnungen sowie zur Fortführung des Reichstages im Interregnum71. Die Frage des Verhältnisses zwischen Familien- und Lehensrecht hatte unmittelbaren Bezug zu Senkenberg, der 1778, während eines Aufenthaltes in Wien, im Zusammenhang mit den bayerischen Erbhändeln, zunächst verhaftet und dann aus den habsburgischen Ländern verbannt worden war. In der Diskussion um die Rechte der Reichsvikare, trat er 63 Dippel, Germany and the American Revolution. 64 Lamprecht, Das Streben nach Demokratie. Dippel (Hg.), Die Anfänge des Konstitutio­ nalismus. 65 [Senkenberg], Gedanken, S. 7, bezüglich Art. II § 1 der Wahlkapitulation. 66 Ebd., S. 38. 67 Das Gedicht vom Deutschen Jüngling, ebd., S.  7. Das Germanisierungsprogramm, ebd., S. 4–6. 68 [Senkenberg], Gedanken, S. 41–44. 69 Ebd., S.  43. In der jetzt anstehenden Kapitulation sollte der Kaiser verpflichtet werden, die Kapitulationsthematik zur reichstäglichen Beratung zu bringen und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, daß das zeitraubende, Deutschland lächerlich machende Zeremonialwesen diese Verhandlungen nicht behindere, ebd., S. 26. 70 Ebd., S. 13–16, ein Überblick über die Diskussion. 71 Ebd., S. 22, mit Bezug auf Art. XI § 2.

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für die Fortführung des Reichstages während des Interregnums ein72. Gleichzeitig setzte er sich aber für die »möglichste Verhütung einer Thronledigkeit« ein73, um so der Einmischung auswärtiger Mächte, namentlich Rußlands und Frankreichs, vorzubeugen. Für besonders verderblich hielt er die Meinung, daß es für das Reich besser sei, wenn mit jeder Wahl eines Reichsoberhauptes die Dynastie gewechselt würde74. Die Geschichte Polens, des Kirchenstaates und der deutschen Bistümer widerlege diese Auffassung. Senkenberg drang daher nochmals auf eine frühzeitige Römische Königswahl, und zwar spätestens, sobald der Kaiser Anzeichen von Schwäche zeige oder das fünfzigste Lebensjahr erreicht habe75. Breiten Raum widmete Senkenberg den vieldiskutierten Fragen des Justizwesens. Hinsichtlich der Verfahrensregelung im Falle von Rechtsstreitigkeiten zwischen Landesherren und Untertanen setzte er sich für die letzteren ein76. Im Zusammenhang mit der von den deutschen Literaten leidenschaftlich debattierten Frage des Schutzes gegen den Büchernachdruck, betonte Senkenberg, daß in der Wahlkapitulation keine neuen Gesetze gemacht werden dürften77. Damit stellte auch er die reichsgrundgesetzliche Funktion der Wahlkapitulation heraus und wandte sich gleichzeitig gegen das kurfürstliche Jus adcapitulandi. Obgleich Senkenbergs Eingriffe in die bestehende Wahlkapitulation weit radikaler waren als die Klübers, erreichte er nicht dessen systematisches Niveau. Als der Gießener Jurist zwei Jahre später, anläßlich des Todes Kaiser Leopolds II. am 1. März 1792, diesmal ohne Pseudonym, eine »Ausdehnung« seines »Plans einer beständigen Wahlkapitulation« veröffentlichte, bezog er sich auf Klüber78, unterbreitete nun aber einen noch weitaus radikaleren Reform­vorschlag: Nun sollte alles, »was dem Kaiser binnen seiner Regierung auszuführen aufgegeben ist«, zusammengefaßt werden, um es von demjenigen zu trennen, »was der Kaiser überhaupt zu beobachten übernommen hat«, also den Versprechen, etwas nicht zu tun, damit letzteres »die Grundlage zu einer beständigen Wahlkapitulation abgeben könne«79. Damit hatte er die Unterscheidung zwischen 72 Ebd., S. 25 f., mit Bezug auf Art. XIII §§ 1f u. 9. Zur Frage des umkämpften Ratifikationsrech­ tes nahm er nicht eindeutig Stellung, ebd., S. 44. 73 Ebd., S. 47–51, das Zitat S. 48. 74 Hier bezog er sich offensichtlich auf die anhaltende Chemnitz- bzw. Bodin-Rezeption. 75 Ebd., S. 49 u. 51. 76 Ebd., S.  36, mit Bezug auf Art.  XIX § 7.  Der Reichsjustiz, insbesondere der Reform des Reichshofrates widmete er mehrere Schriften. Weiter trat er dafür ein, die Ausführungen zur Kammergerichtsvisitation in der Wahlkapitulation zu streichen und die ganze Materie zunächst auf dem Reichstag zu regeln, ebd., S. 35 f. mit Bezug auf Art. XVII § 10. Für den Reichshofrat schlug er hingegen einen konkreten Reformplan vor, ebd., S. 39 f., mit Bezug auf Art. XXIV § 13. 77 Ebd., S. 51–58, mit Bezug auf Art. III § 7. 78 Senkenberg, Ausführung, S. IV f., weiter nannte er die Arbeiten Häberlins und seiner Gießener »Freunde« Crome und Jaup. 79 Ebd., S. 67.

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Regierungsprogramm und Verfassung vollzogen und erstmals die formalen Voraussetzungen für eine wirklich beständige Wahlkapitulation geschaffen. Auch inhaltlich hatten sich einige Veränderungen ergeben. Bei der Erwähnung des Reichsverweseramtes wurde das Recht den Reichstag fortzusetzen nun nicht mehr genannt80. Stattdessen betonte er nachdrücklicher als zuvor die Notwendigkeit, rechtzeitig einen Römischen König zu wählen81. Hierzu mag der Schock des frühen Todes Kaiser Leopolds II. beigetragen haben. In seiner neuen Schrift fehlte nun auch jeder Hinweis auf den Vorbildcharakter Frankreichs, stattdessen fand sich die Aufforderung, alle gegen die Reichsverfassung gerichteten Schriften zu verbieten82. Ausgenommen sein sollten nur »bescheidene Anmerkungen, Kritiken, Vorschläge«, wozu er offensichtlich auch seine Schrift zählte. Wie bei vielen deutschen Intellektuellen, scheint auch bei ihm der anfängliche Revolutionsenthusiasmus 1792 verflogen zu sein. Abschließend ordnete Senkenberg wie Klüber die einzelnen Paragraphen seines Projektes in einem Register den entsprechenden Stellen der letzten Wahlkapitulation zu83. Dadurch wurde auch sein Entwurf als Vorlage für künftige Verhandlungen auf der politischen Ebene verwendbar. Insgesamt hatte Senkenberg große staatsrechtliche Kreativität bewiesen. In seine Vorschläge, wie die Wahlkapitulation gemäß den aufklärerischen Vorstellungen einzurichten sei, hatte er eingearbeitet, was ihm von den revolutionären Veränderungen im Westen übernehmenswert erschien, und war dabei formal auf dem Boden des Reichsstaatsrechtes geblieben. Zukunftsweisend war, neben Senkenbergs laizistischer Reichsvorstellung, sein Versuch, das Reich in nationalstaatlicher Richtung zu entwickeln. Obwohl er keine Partizipationsmöglichkeiten für das Volk forderte, sind seine Schriften ein eindrucksvolles Dokument dafür, daß Reichspatriotismus und nationaler Patriotismus sich auch jenseits bloßer Rhetorik, wenn es um konkrete Umsetzungen ging, nicht ausschließen mußten. Seine besondere Leistung bestand in der Trennung von Regierungsprogramm und Grundgesetz. Allerdings klang sein Wunsch nach einem laizistischen Reich wie eine Säkularisationsforderung und erschien für den Wahlvertrag, an dessen Zustandekommen ja auch geistliche Fürsten beteiligt waren, nicht sehr geeignet. Weiter war es durch seine radikalen Eingriffe, insbesondere durch Umstellung einzelner Paragraphen, also durch Kontextveränderungen, zu erheblichen inhaltlichen Veränderungen gekommen. Schmelzer wies denn auch darauf hin, daß genau dies, mehr noch als bei Klübers Projekt, der Grund für die Unmöglichkeit der politischen Durchsetzbarkeit sei84. 80 Ebd., S. 11. 81 Ebd., S. IV u. 82. Für Senkenberg scheint sich der Einsatz für die Fortsetzung des habsburgisch-lothringischen Kaisertums gelohnt zu haben, denn 1792 hob Kaiser Franz II. das Verbannungsurteil auf. 82 Ebd., S. 2. 83 Ebd., S. 85–88. 84 Schmelzer, Die kaiserliche Wahlkapitulation, S. XXIV–XXXVII.

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In der Zeit zwischen dem Tode Kaiser Josephs II. am 20. Februar 1790 und der Wahl Leopolds II. am 30. September 1790 veröffentlichte auch der nassauusingische Regierungspräsident Karl Friedrich von Kruse seine »Betrachtungen über die Gesetzgebung der Deutschen bei Gelegenheit der Wahl eines Römischen Kaisers«85. Er setzte sich dafür ein, die einseitige Bindung des Kaisers an die Wahlkapitulation durch eine allgemeine Bindung zu ersetzen, die auch die Reichsstände einschloß. Diese Ausführungen Kruses erinnern an Regelungen in den Verfassungen der Rheinbundstaaten86. Kruse argumentierte mit dem Wohl der mittelbaren Reichsuntertanen und plädierte dafür, der Exekutive des Kaisers und der Legislative des Reiches den Weg in die Territorien erneut zu öffnen. In seinen anonymen Betrachtungen ging er davon aus, daß das Reich ohne eine Reform seiner Verfassung zusammenbrechen werde87. Aus diesem Grunde unterzog er die Wahlkapitulation einer eingehenden Kritik88. Er kam zu dem Schluß, dass es ihr formal und inhaltlich »an den nötigen Erfordernissen ermangele«89. Deswegen sollte ein »neues Grundgesetz« geschaffen werden, das sich im Wesentlichen auf vier Bereiche zu beschränken habe: 1. Die »Gerechtsame des höchsten Oberhaupts des Reichs«. 2.  »Sodann die Vorzüge, Freiheit und Gerechtsame der Kurfürsten, Fürsten und Stände«. 3. »Diesem folgt die Materie von dem Justizwesen im deutschen Reich und die Vollstreckung sowohl der Urteile in Justizsachen, als derjenigen Verordnungen, welche in politicis und commercialibus ect. schon ergangen sind, oder ferner durch die gesetzgebende Gewalt werden erlassen werden«. 4. »Endlich werden die Kreis- und Reichstagseinrichtungen, und was mit diesen wichtigen Gegenständen zusammenhängt, als das vorzüglichste Mittel und Vehiculum, obiges alles in Ausübung zu setzen, und Haupt und Glieder in wechselseitiger Verbindung, Einigkeit und Ehrfurcht zu erhalten, nachfolgen«90. Auch diese Gliederung erinnert an rheinbündische Verfassungen. Sämtliche Ausführungen zu den Reichsvikaren wollte Kruse aus der Kapitulation entfernen91, was der kaiserlichen Position entgegenkam. Sein vor85 [Kruse], Betrachtungen. Zu Kruse (1737–1806) ADB 17, S. 265 ff. Nach seinem Studium war er zunächst in hessen-darmstädtische Dienste getreten, befand sich aber seit 1768 ununterbrochen in nassau-usingischem Dienst. Nur durch erhebliche finanzielle und rangmäßige Zugeständnisse konnte 1769/70 verhindert werden, daß er als Reichshofrat nach Wien ging. Zu den »Betrachtungen« Gagliardo, Reich, S. 108. 86 So mußte nach der bayerischen Verfassung von 1808 jeder erwachsene Bayer einen Eid auf die Verfassung ablegen, Demel / Puschner (Hg.), Deutsche Geschichte in Quellen, Bd.  6, S. 119–123, S. 121, § VIII. 87 Kruse betonte besonders die Reformbedürftigkeit der Legislative, [ders.], Freimüthige Betrachtungen, S. 41. 88 Ebd., S. 23 f. Er teilte implizit J. J. Mosers Auffassungen sowie die des ein Jahr zuvor veröffentlichten Gutachtens zur Kapitulation Josephs II. aus dem Jahre 1765. 89 Ebd., S. 39. 90 Ebd., S. 43–45. Kruse ging die Kapitulation Josephs II. durch und machte entsprechende Verbesserungsvorschläge, ebd., S. 24–26. 91 Ebd., S. 34.

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nehmliches Interesse galt der Legislative. Hier waren nach seiner Ansicht »zwei Hauptgebrechen« abzustellen, nämlich die »Ungewißheit über die gesetzliche Kraft und Verbindlichkeit so vieler disparater Verordnungen, Gewohnheiten, Herkommen und Satzungen« sowie »zweitens die durchaus mangelhafte und schwankende Vollstreckungsart«92. Insbesondere hinsichtlich der Wirtschaftsund Militärverfassung trat er für die allgemeine Gültigkeit der Reichs- und Kreisgesetze in allen Territorien ein93. Für all dies galt ihm die Wahlkapitulation als das Mittel zur »Wohlfahrt« des »größten Haufens, nämlich des dem Reich mittelbar unterworfenen deutschen Untertans«94. Aber gerade deswegen dürfe es nicht nur von den Kurfürsten beschlossen werden, sondern müsse als ein »alles umfassendes Reichsgrundgesetz« vom gesamten Reich verabschiedet werden95. Dem Willen, die Stände an die Kapitulation zu binden, entsprach sein Wunsch, die Unabhängigkeit des Kaisers und dessen exekutive Gewalt zu stärken. Er war überzeugt, daß bei weiterer Einschränkung der Position des Kaisers bald »kein annehmlicher Kandidat« mehr für die deutsche Kaiserkrone zu finden wäre96. Auch hier argumentierte er mit der Wohlfahrt der mittelbaren Reichseinwohner97. So sollte dem Kaiser die unmittelbare Dienstaufsicht über alle Landesobrigkeiten im Reich eingeräumt werden und er in bestimmten Fällen »die Entziehung der Regierung« verfügen dürfen98. Abschließend hoffte Kruse, daß »die Wünsche aller deutschen Patrioten« durch eine Wahlkapitulation erfüllt würden, die eine verbesserte Vollstreckung der Gesetze und Urteile bewirken würde99. Wie viele kaiserliche Parteigänger war Kruse der Ansicht, daß es eine Verbindung zwischen den Interessen der kaiserlichen Regierung und denen der mittelbaren Einwohner Deutschlands gebe. Dieses Argument sollte in der Kaiser­ propaganda nach 1813 erneut große Bedeutung erlangen. Trotz der engagierten Vorarbeiten hatten die Kapitulationsverhandlungen von 1790 nicht zu der erwarteten Verfassungsreform geführt. Wie schmerzhaft die Patrioten diese Enttäuschung empfanden, formulierte exemplarisch der

92 Ebd., S. 13. Auch »die Notwendigkeit eines neuen zweckmäßigen, allgemeinen deutschen Gesetzbuches« schien ihm daher unmittelbar einleuchtend, ebd. 93 Ebd., S.  48 f. Bezüglich der Justizreform wünschte Kruse, daß für Appellationen gegen reichsgerichtliche Urteile an den Reichstag ein geregeltes Verfahren eingerichtet werde oder die Reichsgerichte, gemäß den während der letzten Visitation erlassenen Verordnungen, effektiver organisiert würden und der Kaiser die Möglichkeit erhalte, durch einstweilige Verfügungen Unrecht zu verhindern, ebd., S. 29. 94 Ebd., S. 21, ähnlich ebd., S. 40 u. 42. 95 Ebd., S. 21 u. 42. 96 Ebd., S. 46. 97 Ebd., S. 24, 26, 33, 40, 46 u. 50. 98 Ebd., S. 26, mit Bezug auf Art. I § 4, der genau dies, auch im Falle von erwiesener Regierungsunfähigkeit, verbot. 99 Ebd., S. 52.

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Stuttgarter Jurist Wilhelm August Danz100. Dennoch rissen die Reformerwartungen keineswegs ab. So hoffte der Gießener Professor August Friedrich Wilhelm Crome im Mai 1791 daß durch das Zusammenwirken Kaiser Leopolds II. und Karl Theodor von Dalbergs101, Deutschlands künftigem Erzkanzler, eine Zeit der Aufklärung für die Reichsverfassung anbrechen würde102. Crome hatte Dalberg, dem Koadjutor des Reichserzkanzlers, seine kommentierte Edition der leopoldinischen Kapitulation gewidmet. Während des Wahltages von 1790 hatte Crome zum Gefolge der kursächsischen Wahlgesandtschaft gehört und in Frankfurt eine lange »Privataudienz« bei Leopold erhalten103. Dadurch sah er sich »in den Stand gesetzt«, dem »Publikum über mehrere Punkte der Wahlkapitulation einige Aufklärung zu geben«, wodurch es »künftig einmal zweideutige Auslegungen, oder mindermenschenfreundliche Anwendungen und Mißbräuche der hier erklärten Gesetze richtiger« beurteilen werde104. Crome

100 Danz, Deutschland, S.  141 f. Zu Danz (1764–1803) ADB 4, S.  752 f. Eine Äußerung des anonymen Sammlers der »Paradoxien der kaiserlichen Wahlkapitulation« zeigt hingegen auch, daß man auf seiten der kaiserlichen Partei angesichts der Vorschläge der Gegenseite froh war, daß es nicht zu größeren Veränderungen gekommen war. Praktische Bemerkungen über die Zusätze der kayserlichen Wahlkapitulation Leopold II. Als eine Fortsetzung der Paradoxien über die kaiserliche Wahlkapitulation, S. If. Es handelt sich um die Fortsetzung der Paradoxien der kaiserlichen Wahlkapitulation mit praktischen Bemerkungen, 1790, die eine Handreichung für die erwarteten Reformverhandlungen waren. Der Verfasser ging die Kapitulation durch und bemühte sich um ihre zeitgemäße und rationale Gestaltung. Einen interessanten Vorschlag machte er hinsichtlich Art.  II § 5. Die Richter sollten in Zukunft entscheiden, ob eine Sache rekursfähig sei oder nicht. Damit wäre die politische Umgehung der reichsgerichtlichen Urteile weitgehend eingedämmt worden. 101 Crome, Wahlcapitulation, 1791. Crome erweiterte seine Publikation später: Ders., Die Wahlkapitulation der Römischen Kaiser Leopolds des Zweiten  – allerehrwürdigen Andenkens – und Franz des Zweiten, k.k. Majestät, mit historischen und publizistischen Anmerkungen und Erklärungen, nebst den dazugehörigen Kollegialschreiben und mehreren Aktenstücken, 1794. Zu Crome (1753–1833) ADB 4, S. 606 f. Er hatte ab 1772 in Halle Theologie studiert und verbrachte anschließend mehrere Jahre als Hofmeister in Preußen. 1778 wurde er als Geograph und Historiker an das Dessauer Philanthropin gerufen und war 1783–86 Instruktor des Dessauischen Erbprinzen, bevor er als Professor der Statistik und Kamereralwissenschaft nach Gießen ging. Als Mitglied der Erfurter Akademie, die in mehrfacher Hinsicht eng an Dalberg gebunden war, war Crome diesem schon vor der Publikation verpflichtet. Auch das Verhältnis zu Kaiser Leopold II. blieb gut, und der Kaiser betraute ihn mit der Übersetzung seines Rechenschaftsbericht über die Regierung der Toskana. Als Statistiker berühmt wurde Crome durch seine »Produktenkarte von Europa« (1782). 102 Crome, Wahlcapitulation, in der auf der Widmung folgenden Anrede an Dalberg. 103 Ebd., S. II, X u. S. 20–37. 1792 gehörte Crome zur kurbrandenburgischen Gesandtschaft und hatte zwei Audienzen bei Franz II. der ihm eine der fünf vom Kaiser zu verleihenden lutherischen Präbenden als Belohnung für die von Leopold II. in Auftrag gegebene Übersetzung des »Governo della Toscana« verlieh, DBA 209,349–406. 104 Crome, Wahlcapitulation, S. II u. VII.

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hatte nicht die Absicht, einen vollständigen Kommentar zu schreiben, wie dies bereits Moser, Gerstlacher u. a. für frühere Kapitulationen getan hatten105, sondern wollte lediglich eine korrekte Edition lieferen106. Als »wesentlichere Vorzüge« seiner Edition nannte Crome, daß er die alte Zählung der Paragraphen mit aufführte und die von Johann Richard Roth in der offiziellen Edition benutzten »Privatrubriken« (das waren Überschriften, die die Orientierung erleichterten, aber kein Bestandteil der Urkunde waren), »verändert und verbessert« habe107. Wie viele der zeitgenössischen Autoren, äußerte sich auch Crome zur Problematik der »Sprachverbesserung« der Wahlkapitulation. Er unterstützte diese Bemühungen im Sinne der Überlegungen Klübers108. Von Kaiser Leopold II. hoffte der Gießener Gelehrte, daß dieser seine Wahlkapitulation zum Ausgangspunkt einer aktiven Reichspolitik mache und dabei den »mutigen Geist der Freiheits- und Gerechtigkeitsliebe« zeigen und die »Menschenrechte« ehren würde109. Aber auch die Sympathie des Gießener Professors für die Französische Revolution war unübersehbar. Er hatte seine Schrift noch im Mai 1791 beendet, also vor der Radikalisierung der Revolution110. Gleichwohl ist es bezeichnend, daß er den Begriff »Gleichheit« nicht verwendete. In den Erläuterungen seiner Edition erörterte Crome das Verhältnis zwischen den Verfassungsveränderungen in Frankreich und der Verfassungsdiskussion in Deutschland, und zwar im Zusammenhang mit Reflexionen über Zensur und Pressefreiheit111. Als Ausgangspunkt diente ihm die Verschärfung der Zensurbestimmungen in den Paragraphen sieben und acht des zweiten Artikels der jüngsten Leopoldina. Die »Einschränkung der Preßfreiheit in theologischer und politischer Hinsicht« war auch der Gegenstand seines Gespräches mit Leopold II. während der Frankfurter Audienz gewesen. Dieses bot Crome die Möglichkeit, den Kaiser als Verteidiger einer gemäßigten Pressefreiheit zu zitieren112. Daß ein Stand oder gar das ganze Reich durch publizistische Schriften gefährdet werden könnten, hielt er für ausgeschlossen. Einschränkend fügte er hinzu, daß diese Schriften aller105 Ebd., S. VI. 106 Ebd., S.  III. Die offizielle Edition enthielt eine Reihe von teilweise sinnentstellenden Druckfehlern. Hinsichtlich der historischen Aspekte seiner Arbeit hatte Crome sein Gießener Kollege, der Jurist Helwig Bernhard Jaup, unterstützt. Ebd., S. IIIf. 107 Ebd., S. VI. Die weggelassenen Stellen druckte er in den Anmerkungen. Zu Roth s. ADB 29, S. 315 f. Mathy, Über das Mainzer Erzkanzleramt, S. 115–121. Roth (1749–1813) war ehemaliger Jesuit und juristisch in Mainz, Heidelberg, Würzburg, Marburg und Göttingen ausgebildet. 108 Crome, Wahlcapitulation, S. VII. Crome war der Überzeugung, die »Verteidiger der Barbarismen in der Sprache der Rechtsgelehrsamkeit« würden sich in Zukunft höchstens »ein mitleidiges Lächeln« zu ziehen, ebd., S. VIII. 109 Ebd., S. I u. X. 110 Die Vorrede am 20. und die Anrede an Dalberg ist am 25. Mai 1791 unterschrieben. 111 Ebd., S. 20–37. 112 Ebd.

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dings mit »Wahrheitsliebe und Bescheidenheit abgefaßt« sein müßten113. Einen »Umsturz der gegenwärtigen Reichsverfassung« wie in Frankreich hoffte er in Deutschland nicht befürchten zu müssen, da »hoffentlich in Deutschland die Untertanen nie so gedrückt, nie so unmenschlich und unpolitisch behandelt« würden wie dort114. Anschließend zählte er alle Umstände auf, die er für die Revolution für ursächlich hielt, und kam zu dem beruhigenden Schluß: »Dies alles ist ja in Deutschland gar nicht der Fall«115. Die Reichsverfassung selbst sei »der beste Riegel gegen alle solche Unruhen und Rebellionen«116. Sofern ein Konsens erzielt war, hielt Crome Verfassungsänderungen weiterhin für legitim. Crome war überzeugt, daß die Revolution bei den Regenten einen lehrreichen Eindruck hinterlassen habe. Insgesamt sprach Crome sich dafür aus, die deutschen Verfassungsdiskussionen, unabhängig von den Ereignissen in Frankreich, weiterzuführen. Für die Fortführung der deutschen Verfassungsdiskussion trat auch der Stuttgarter Professor Wilhelm August Friedrich Danz ein117. Wie Crome hoffte Danz, die Reichspolitik durch die Veröffentlichung seiner Gedanken beeinflussen zu können. Drücke Crome dieses Verlangen in seiner programmatischen Adresse an den künftigen Erzkanzler des Reiches aus, so entfaltete Danz seine Überlegungen in einer später gedruckten Vorlesung anläßlich des Geburtstages des württembergischen Herzogs Karl Eugen am 2. Februar 1792 in der Stuttgarter Karlsschule. Die Werke von Crome und Danz waren nicht die einzigen, die eine große Nähe zwischen den publizistischen Reformanhängern und exponierten Vertretern der Reichspolitik belegen. Zwar kaprizierte sich Heinrich Wilhelm von Bülow, der seine »freimütigen und erläuternden Betrachtungen« über die neue Kapitulation dem Kurfürs113 Ebd., S. 30–37. Als Beispiel sittengefährdender und zu verbietender Schriften nannte er die Pasquillen des Hofrates Zimmermann in Hannover und Kotzebues anonyme Schrift »Dr. Bahrdt mit der eisernen Stirn«, ebd., S. 30. Dies zeigt, daß Crome gerade die Aufklärung unter den Schutz der Zensur stellen wollte. Er war jedoch überzeugt, daß das Reich »fester gegründet« sei, als daß »Druckschriften es umstürzen könnten!«, ebd., S. 33. Er verwies auf die unzähligen Schriften, die über den Westfälischen Frieden geschrieben worden seien, ohne das Reich zu erschüttern. Das Gleiche galt nach seiner Ansicht für die verschiedenen Wahlkapitulationen und viele andere Reichsgesetze. Namentlich nannte er »Moser, Gerstlacher, Pütter, Klüber u. a. m.«, die verschiedene Reformvorschläge öffentlich vorgelegt hatten«. 114 Ebd., S. 32 f. 115 Ebd. 116 In diesem Zusammenhang verwies er auf die Möglichkeit der Untertanen, ihr Recht auch gegen ihre Obrigkeiten bei den Reichsgerichten einzuklagen, ebd., S. 34. 117 Danz, Deutschland, (1794). Danz war gegen den Adel bzw. dessen Privilegien. Seine Einstellung zur Revolution war positiv, wenn er dergleichen auch für Deutschland nicht wünschte, ebd., S. 135 u. 163. Er bedauerte, daß die Wahlkapitulation von 1790 nicht für eine Verfassungsreform genutzt worden war, ebd., S. 141. Ihm erschien es als »die Pflicht eines jeden denkenden Bürgers, über die Verfassung des Staates, in dem er lebt, sorgfältig nachzudenken«, ebd., S. 135.

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ten von Mainz, als Erzkanzler des Reiches, widmete, nicht auf eine Reform der Wahlkapitulation118, aber die Reformvorschläge Friedrich August Schmelzers – ein Versuch, die Wahlkapitulation Franz’ II. der zeitgenössischen Kanzleisprache anzupassen – verdanken ihre Ausführung der Aufmunterung des Reichsvizekanzlers, des Fürsten Franz Gundaker zu Colloredo-Mannsfeld. Dieser nahm auch an der Erstellung des Werkes Anteil und wurde zum Adressaten der Widmung119. Die erste Idee zu dem Vorhaben wurde während des Wahltages von 1790 geboren. Die Ausführung unterblieb jedoch zunächst120, erst auf dem Wahltag von 1792 fiel die Entscheidung für das ambitionierte Projekt, welches am 16. Mai 1793 vollendet wurde. Auch Schmelzer betonte, daß die Erwartungen bezüglich einer Reform der Wahlkapitulation 1790 ihren Höhepunkt erreicht hatten121, insgesamt habe es ebensowenig am Aufzeigen der Mängel gefehlt »als an Verbesserungsvorschlägen«122. »Manche Verbesserungen« seien vorgenommen worden, andere »aus Gründen deren Erheblichkeit nicht jedermann einleuchten dürfte«, gescheitert123. Die Mehrzahl der Reformvorschläge sei von der kurbraunschweigischen, der kurmainzischen und der kursächsischen Gesandtschaft gekommen, deren Höfe sich »gewöhnlich hierin zu unterstützen pflegten«124. Es handelte sich also um die im Fürstenbund vereinigten Kurhöfe, was die Blockierung der Reformen erklärt. Wie 1741/42 und 1745 wurde die Reformpartei auch 1790 und 1792 von Kurbraunschweig angeführt. Diese Vorreiterposition in den politischen Verhandlungen um eine Reform der Wahlkapitulation erklärt sich dadurch, daß in der kurbraunschweigischen Wahldelegation die Vertreter des Reichsrechts ein besonderes Gewicht erlangten. 1745 und 1790 waren mit dem älteren Moser,­ Pütter und mit Klüber die bedeutendsten Reichsstaatsrechtsgelehrten ihrer

118 Bülow, Betrachtungen, 1791. Bülow ging die einzelnen Artikel der Reihe nach durch und erläuterte, welche Ereignisse unter der Regierung Josephs II. die Veränderungen veranlaßt hatten. Bülows Arbeit fand eine Ergänzung durch Häberlin, Pragmatische Geschichte, s. ebd., S. VII. Häberlin war als diplomatischer Vertreter seines Hofes und der schwäbischen Reichsstädte auf dem Wahlkonvent tätig. Sein »Anhang« (Leipzig 1793), war den Verhandlungen zur Kapitulation Franz’ II. gewidmet. Zu Bülow (1748–1810) DBA 160,257–263. 119 Schmelzer, Die kaiserliche Wahlkapitulation, dem Werk vorangestellte Anrede an den Fürsten sowie S. Xf. Schmelzer (1759–1842) war der Sohn eines Kirchenrates und Superintendenten, s. DBA 1112,383–389. 120 Da man mit dergleichen »leicht in den Fall kommen könne, vielen zu Mißfallen, und keinen Teil zu befriedigen«, Schmelzer, Die kaiserliche Wahlkapitulation, S. X f. 121 Ebd., S. IIIf. 122 Ebd., S. V. 123 Ebd. Ähnlich äußerte sich [Hommel], Briefe, S. 136, S. 137–142, dort findet sich eine Auflistung der Änderungen. 124 Schmelzer, Die kaiserliche Wahlkapitulation, S. V f. Dies fand auch Crome »merkwürdig«, Ders., Wahlcapitulation, S. 9. Der Wiener Hof verhielt sich in den Verhandlungen passiv, Kurböhmen hatte kein einziges Monitum vorgebracht.

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Epoche für die Delegation gewonnen worden125. Andererseits drängte auch Österreich 1792 auf eine Neufassung der Wahlkapitulation, verzichtete aber – angesichts der Ereignisse in Frankreich  – darauf, um die Kaiserwahl zu beschleunigen126. Schmelzer begann seine Ausführungen mit einer ausgedehnten »Rechenschaft über diesen Versuch einer Sprachreinigung der neuesten kaiserlichen Wahlkapitulation«127. Nach der Darstellung der Reformbemühungen seit 1741 und des vorliegenden Schrifttums galt der größte Teil seiner einleitenden methodischen Überlegungen der Auseinandersetzung mit den Arbeiten Klübers und Senkenbergs. Ihnen warf er vor, dass in ihren Entwürfen der Sinn der ursprünglichen Wahlkapitulation verloren gegangen sei128. Dagegen lobte der Helmstedter Professor die weit schonendere Vorgehensweise Mosers129 und betonte die großen Schwierigkeiten, die sich ergäben, wenn die »Form eines Gesetzes oder Vertrages« geändert werden solle, ohne den Sinn zu verändern. Diese Schwierigkeiten seien der Grund gewesen, warum man sich in den Kapitula­ tionsverhandlungen im Zweifelsfall stets leichter auf die Beibehaltung des Bestehenden geeinigt habe130. Schmelzers Ziel war es, »den echten Sinn der neuesten kaiserlichen Wahlkapitulation, auf eine ihrer Natur und der Würde ihres Gegenstandes angemessene Weise«, in die Kanzleisprache seiner Zeit zu übersetzen. »Damit sie nicht nur denjenigen, die sie zunächst angeht, und deren verfeinerter Geschmack, durch ihr« jetziges Aussehen, »beleidigt« werde, in einer »anziehenderen Gestalt erscheine; sondern auch dem größeren Publikum unanstößiger, verständlicher und lesbarer werde«131. Für die Beibehaltung der vorgegebenen Ordnung führte er acht Gründe an132, u. a. den, dass durch eine strukturelle Veränderung der Kapitulation ein großer Teil der staatsrechtlichen Literatur zu Makulatur werden würde. Schmelzer fand, daß dies unnötig sei, da die vorliegenden guten Parallelstellenverzeichnisse und Register eine Beibehaltung der bisherigen Ordnung unproblematisch machten133. Tatsächlich schien ihm ein Register nützlicher zu sein als systematische Kompendien à la Klüber und Senkenberg. Er begründete dies mit der Möglichkeit, mittels der Register und trotz Beibehaltung der Struktur die systematische mit der alphabetischen Ordnung zu verbinden134. Diese Argumentation 125 Als Joseph II. 1790 starb, war die kurbraunschweigische Regierung bestens vorbereitet. Bereits ein Jahr zuvor hatte sie bei Pütter Denkschriften zu wünschenswerten Veränderungen der Kapitulation eingeholt, Eckert, Johann Stephan Pütters Gutachten, S. 67–91. 126 Kohler, Kaiserwahl, S. 29–40. 127 Schmelzer, Wahlkapitulation, S. I–LXX. 128 Ebd., S. XXVIII. 129 Ebd., S. XXXIII f. 130 Ebd., S. IX. 131 Ebd., S. XII u. XXII. 132 Ebd., S. XX–XXII. 133 Ebd., S. XXII. 134 Ebd., S. LXIX.

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besagte im Grunde, daß die Vorarbeiten für eine Reform der Reichsverfassung nun die Reform selbst überflüssig gemacht hätten. Dennoch räumte er ein, daß die Systematisierung eine Aufgabe für das gesamte Reich sei135. Der Hauptteil seines Werkes umfaßte den zweispaltigen Abdruck der Kapitulation Franz’ II. im Original und in einer sprachlich überarbeiteten Version136. Hätte es eine weitere Wahlkapitulation gegeben, hätte diese redigierte Fassung, unabhängig von einer Systematisierung oder anders gearteten Reform, leichter an die Stelle der bisherigen Kapitulation treten können als die vorhergehenden Projekte. Die großen Entwürfe der Reformeuphorie der Jahre 1790 bis 1792 waren zugunsten der politischen Durchsetzbarkeit aufgegeben worden. Mit Schmelzers Arbeit endeten die ernsthaften juristischen Bemühungen um eine Reform der Wahlkapitulation137. Als Fazit aus der Diskussion um die Wahlkapitulationsreform in den 1790er Jahren ist festzuhalten, daß die Debatte bereits vor dem Beginn der Franzö­ sischen Revolution sowie des Interregnums und der Kapitulationsverhandlungen einsetzte. Die Diskussion war durch die Gründung des Fürstenbundes 1785 erneut angestoßen worden und ging letztlich auf den Verfassungsreform­ auftrag des Westfälischen Friedens von 1648 zurück. Als die Revision der Verfassung anstand, waren bereits die ersten Entwürfe für eine aufgeklärte Reichsverfassung, nämlich die von Gerstlacher und Mohl, publiziert. Offensichtlich betrachteten die Reichsjuristen die Wahlkapitulation als den Ansatzpunkt für eine Verfassungsreform138. Ohnehin kam es bei jeder Kaiserwahl im Bereich der Wahlkapitulation zu einer partiellen Verfassungsreform, die allerdings unsystematisch und oft tagespolitisch motiviert war. Ferner forderte die Mehrheit der Reichsfürsten gegen die Interessen der Kurfürsten seit Beginn des 17. Jahrhunderts den Entwurf einer neuen beständigen Wahlkapitulation auf dem Reichstag. Die beteiligten Juristen konnten also hoffen, ihre Entwürfe mit den Interessen einer mächtigen politischen Partei zu verbinden. Ihr mehrfach formuliertes Ziel bestand im Ausbau der Wahlkapitulation zum maßgeblichen, systematischen und beständigen Grundgesetz. Insgesamt belegt die bis Mitte der 1790er Jahre anhaltende Diskussion um die Reform der Wahlkapitulation, dass es im Verlauf der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts auch im Deutschen Reich zu einem Umbruch im Verfassungsverständnis gekommen war. Der Verfassungsbegriff wurde mit dem Vernunftrecht und der politischen Theorie der Aufklärung verbunden. Verfassung wurde nun als »innovatorischer Kodex zur Organisation, Begrenzung und Ver135 Ebd., S. XLI. 136 Ebd., S. 1–209. 137 Er verfaßte noch 1796 eine Abhandlung »De auctoritate pactorum capitulationi Caesare post informatam perpetuam adjectorum«. 138 »Dies ist aber ein unbestrittener Satz, daß die Wahlkapitulation das einzige und das bequemste Mittel ist die Reichsverfassung zu befestigen«, Politische Betrachtungen, No. II, S. 40.

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teilung von Macht« verstanden139. Dies führte zu Verfassungsreformentwürfen und zur Orientierung des tradierten Reichsverfassungspatriotismus am Ideal einer reformierten Reichsverfassung. Die Publikationen zur Wahlkapitulation waren dabei keine abgehobenen theoretischen Erörterungen, sondern sie entstanden in Reaktion auf konkrete politische Anlässe und sollten unmittelbar auf die Ereignisse einwirken. Die Verfasser waren hochqualifizierte Experten, einige von ihnen hielten sich während der Wahlkonvente in offiziellen Missionen in Frankfurt auf. Zudem be­ legen Widmungen an Persönlichkeiten aus dem Bereich der hohen Politik ihre Beziehungen zur politischen Realität. Die Verfasser waren sich einig, daß eine neue Wahlkapitulation nicht von den Kurfürsten allein verfaßt werden konnte, sondern auf dem Reichstag beschlossen werden mußte, wie es schon der Westfälische Friede vorgesehen hatte. Durch die Verlagerung der Problematik auf den Reichstag sollte vermieden werden, daß die mächtigen Stände ihre Position als Kurfürsten dazu mißbrauchten, die eigene Landeshoheit auszubauen und gleichzeitig ihren Anteil an der Regierung des Reiches durch eine »reformierte« Kapitulation auf Kosten des Kaisers und der übrigen Stände auszudehnen. Übereinstimmend wurde auch die Notwendigkeit einer Systematisierung der Wahlkapitulation betont. Während zunächst eine thematische Strukturierung des Stoffes angestrebt wurde, traten Mohl und Senkenberg mit weitergehenden inhaltlichen Konzepten hervor. Mohl wollte mittels der Kapitulation die Reichsverfassung gemäß dem Schema der Gewaltenteilung gestalten; gleichzeitig betonte er, daß nur allgemeine Ausführungen und keine Detailregelungen festzusetzen seien. Deutlicher noch stellte Senkenberg fest, daß die programmatischen, auf die künftige Regierung bezogenen Äußerungen aus der Kapitulation zu entfernen seien und diese nur die Grenzen der kaiserlichen Gewalt beschreiben solle. Desgleichen bestand Konsens über die Notwendigkeit der »Sprachverbesserung«. War der ältere Moser in den 40er Jahren lediglich um eine größere Verständlichkeit bemüht, ging es später um eine mehr oder weniger starke Nationalisierung der Sprache. Der radikalste Vertreter dieser Richtung war Senkenberg, bei dem auch die nationalstaatliche Konzeption am weitesten entwickelt war. Er war auch der einzige an dieser Diskussion beteiligte Jurist, der in den revolutionären Verfassungen Nordamerikas und Frankreichs ein Vorbild für das Reich erblickte, und zwar für den Aufbau eines laizistischen Staates. Crome und Danz, die ebenfalls auf die Französische Revolution eingingen, taten dies nur, um sich gegen die durch die Revolution ausgelöste Verschärfung der Zensur im Reich zu wenden und für einen selbständigen deutschen Verfassungsdiskurs einzutreten. Eine Vorbildfunktion für das Reich konnten sie in den französischen Vorgängen jedoch nicht erkennen. Dies ist umso bemerkenswerter, als beide eine durchaus positive Einstellung zur Revolution zeigten. 139 Vgl. Dippel (Hg.), Die Anfänge des Konstitutionalismus, S. 11.

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Die Mehrheit der Juristen trat für eine Stärkung der kaiserlichen Position mittels der Kapitulation, insbesondere in der Exekutive, ein140. Die Verfasser, die sich um 1790/92 in diesem Sinne äußerten, distanzierten sich dadurch deutlich von den politischen Zielen und der Propaganda des Fürstenbundes. Sie übernahmen jedoch keineswegs alle Positionen der Wiener Hofpublizistik. Ihr Ziel war eine im Sinne der Aufklärung rationalisierte Reichsverfassung. Die, im Vergleich zu den Verfassern der Tendenzschriften, große Unabhängigkeit der Autoren vom Kanon der reichsständischen oder kaiserlichen Positionen erlaubt es, hier, wenn nicht vom bürgerlichen, so doch vom Emanzipations- und Partizipationswillen der Gelehrten zu sprechen. Der Partizipationswille fand seinen Ausdruck nicht im Verlangen nach einer politischen Repräsentation, sondern in der Absicht, die Verfassung des Reiches mitzugestalten. Dazu gehörte das Beharren auf Publizität; keinesfalls sollte die Reichspublizistik durch die Verschärfung der Zensur infolge der Französischen Revolution beeinträchtigt werden. Natürlich mochten im Einzelfall wie bei Senkenberg, der sich um die Aufhebung seiner Verbannung bemühte, persönliche Interessen Bedeutung haben. Doch zeigen gerade seine Schriften wie auch die von Mohl im Detail, z. B. hinsichtlich des Reichshofrates, erhebliche Selbständigkeit gegenüber den Wiener Positionen, die in den Flugschriften der kaiserlichen Partei ihren Niederschlag gefunden haben. Es verwundert daher nicht, daß Mohl, dessen Konzept eindeutig auf die Stärkung der kaiserlichen Position zielte, anonym blieb. Sein Dienstherr, Herzog Karl Eugen von Württemberg, wird Mohls Ansichten kaum geteilt haben. Mehrfach findet sich die Behauptung, daß eine sinnvolle Ergänzung zwischen den Interessen der kaiserlichen Zentralregierung und denen der reichsmittelbaren Einwohner gäbe sowie die Forderung, dass die neue beständige Reichsverfassung nicht nur den Kaiser, sondern auch die reichsunmittelbaren Obrigkeiten binden müsse. Verschiedene Gründe lassen sich für das Scheitern der in den frühen 1790er Jahren so allgemein erwarteten Einführung einer beständigen geschriebenen Verfassung für das Reich anführen. Schon die Bestrebungen, eine konkurrierende Form der Legislative im Interregnum zu etablieren und deren Ergebnisse jeweils in die nächste Wahlkapitulation aufzunehmen, waren mit einer beständigen Wahlkapitulation nicht vereinbar. Zudem trauten sich die Kurfürsten nicht, selbständig eine Reform der Wahlkapitulation durchzuführen, da sie den Protest der Fürsten befürchteten. Andererseits waren die Kurfürsten bestrebt, ihr Kapitulationsrecht zu behaupten, und daher nicht geneigt, eine neue, beständige Kapitulation auf dem Reichstag aushandeln zu lassen, wie es bereits im Westfälischen Frieden vorgesehen war und von den Vertretern des Reichsstaatsrechts einhellig gefordert wurde.

140 Johann Christoph Erich von Springers Schrift »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, vermöge der Wahlkapitulation« [Mietau 1773] kann für diese Richtung als Vorläufer gelten.

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Zudem zeigen einige der Entwürfe, daß die Vertreter der Aufklärung sich in der Verfassungsdiskussion auch in Deutschland in einer Position mit zwei Fronten befanden. Die eine Gefechtslinie richtete sich gegen die zunehmend repressiven Obrigkeiten bzw. gegen Zensurverschärfungen. Die andere Kampflinie wandte sich gegen die unemanzipierten Unterschichten und ein Ausufern der Verfassungsdiskussion. Diese Konstellation war keine Folge der Revolution, diese wirkte nur als Katalysator, wie Cromes Hinweis auf den Streit zwischen dem reaktionären Hannoverischen Hofrat Zimmermann und den Ber­liner Aufklärern belegt141. Darüber hinaus waren, wie die Flugschriften belegen, die Frontstellungen der Fürstenbundzeit noch nicht überwunden. Auch auf Seiten der Juristen gab es Widerstände gegen den Versuch, durch eine revidierte Wahlkapitulation die Verfassung des Reiches zu modernisieren. Schmelzer formulierte sie, und andere teilten seine Ansicht, daß die Wahlkapitulation kein neues Gesetz sei und auch nicht sein solle, sondern nur den bisherigen Rechtszustand bekräftige142. Das zukunftsweisende Konzept der Volkssouveränität, das auch in Deutschland bekannt war und das man zur gleichen Zeit westlich des Rheins in die Verfassungsrealität umzusetzen versuchte, wurde in den Schriften zur Wahlkapitulationsreform nicht thematisiert143. Dies mag dazu beigetragen haben, daß dieses Schrifttum der Vergessenheit anheimfiel. Wenn die deutschen Diskussionsteilnehmer mit den französischen Ereignissen inhaltlich nicht Schritt hielten, so ist zu berücksichtigen, daß sie ein grundsätzlich anderes Interesse verfolgten. Sie wollten keine Revolution, sondern eine Verbesserung der bestehenden Verfassung. Wichtiger als Partizipation durch Repräsention war ihnen die Herrschaft des Gesetzes und dies bedeutete für sie auch Partizipation durch Publizität. Die Auffassung der älteren Forschung: »Eine Kodifikation des gesamten Verfassungsrechts ist nie angestrebt worden«144, kann als überholt gelten. Mit dem Ende des Wahlreiches erschienen im Jahre 1806 alle Arbeiten zur Wahlkapitulation als Makulatur, während große Teile des übrigen Reichsstaatsrechts, gerade von hervorragenden Vertretern des Faches wie Klüber, über den Rheinbund in die Zeit des Deutschen Bundes gerettet und weiterentwickelt wurden. Es scheint nichts dagegen zu sprechen, daß, nach den nur bescheidenen

141 Crome, Wahlcapitulation, S. 30. Der Streit setzte Mitte der 1780er Jahre ein. 142 S. Einige Bemerkungen über die Worte unstreitig notorisch, S. 43 f. 143 Gleichwohl sahen Autoren wie Pütter die Volkssouveränität nicht mehr in der ständischen Gliederung verwurzelt, sie gingen von der bürgerlichen Gesellschaft aus. In diesem Sinne forderte Friedrich Karl von Moser Jahrzehnte vor der französischen Revolution ein direkt vom Volk gewähltes deutsches »Unterhaus« und die Umwandlung des überkommenen Reichstages in ein Oberhaus, Ders., Patriotische Briefe, S.62 ff. Justus ­Möser beklagte zur gleichen Zeit mehrfach, daß es in Deutschland nicht zu einer Parlamentarisierung des politischen Lebens gekommen war, z. B. Ders., Patriotische Phantasien, S. 212 u. 217. 144 Dickmann, Der Westfälische Friede und die Reichsverfassung, S. 9.

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Erfolgen zu Beginn der 90er Jahre, die großen Anstrengungen der Juristen später doch noch Früchte getragen hätten. Doch fortan wurden alle politischen Energien durch die Folgen der kriegerischen Auseinandersetzung mit Frankreich gebunden145. Dennoch kommt auch der Wahlkapitulationsdiskussion am Ende des Alten Reiches eine Bedeutung zu, die über 1806 hinausweist. Sie war nämlich der Rahmen in dem mehrere prominente Vertreter des Vormärzliberalismus ihre verfassungspolitischen Vorstellungen entwickelten. Benjamin von Mohl z. B. machte, nachdem er sich 1790 unter dem Schutze der Anonymität für die Gewaltenteilung als Verfassungsprinzip eingesetzt hatte, noch in jungen Jahren steile Karriere im württembergischen Staatsdienst. Doch erlitt seine Karriere, nachdem der 1807 zum Leiter des Polizeidepartements bestellt worden war, einen Einbruch, da er sich weigerte, einen Befehl König Friedrichs I., den er für verfassungswidrig hielt, gegen politisch Angeklagte zu vollstrecken. Obwohl er gerade Familienvater geworden war, bestand er auch nun auf der Gewalten­ teilung und bat um seine Entlassung. Erst 1811 kehrte die Gnade des Königs teilweise zurück. Mohl wurde zum Staatsrat ernannt und dem Medizinal- und Straßenbauwesen vorgesetzt, was seinen Neigungen eher fern lag. 1818, mit dem Regierungsantritt König Wilhelms I., besserte sich seine Lage, er wurde Regierungspräsident eines Kreises und 1820 zum lebenslangen Mitglied der Kammer der Standesherren ernannt, wo er die formelle Leitung der Kammergeschäfte ausübte. 1830, in Frankreich und Belgien hatte die Revolution ihr Haupt erneut erhoben, übernahm er das Ministerium des Inneren. Von 1831 bis 1843, als er aus dem Dienst ausschied, war er zudem Präsident des Oberkonsistoriums, er starb 1845. Man wird ihn in seinen letzten Lebensjahrzehnten als konservativen Liberalen bezeichnen können. In kaum einem der Nekrologe, die unmittelbar vor der Märzrevolution auf ihn erschienen, wurde es unterlassen, auf seine heroische, persönliche Nachteile in Kauf nehmende, Verteidigung der Verfassungsprinzipien gegenüber dem Fürsten hinzuweisen146. August Friedrich Crome, seit 1786 Professor für Statistik und Kameralistik in Gießen, der 1791 seine Sympathie für die Revolution bekundet hatte, wurde angesichts der Zeitumstände 1797 Mitglied der in Gießen niedergesetzten Landeskriegskommission und führte, teilweise unter Einsatz seines Lebens sämtliche Verhandlungen mit den Kommandanten, der bis 1799 ununterbrochen im Lande stehenden Franzosen. Er trug dadurch wesentlich zum Bestand des darmstädtischen Staates bei. Zu Beginn der Befreiungskriege verteidigte er das Rheinbundsystems, was ihn fast seine Professur gekostet hätte und ihn vorübergehend zwang, sich ins Exil zu begeben147. 1817 verfaßte er in Fortführung

145 Feine zeigt sich hingegen überzeugt, dass die Reform durch reichsinterne Gründe gescheitert sei. Ders., Verfassungsentwicklung, S. 83. 146 DBA 853, 91–101. 147 Crome, Deutschlands Krise und Rettung.

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seiner bereits früher bekundeten Ansichten eine Schrift »Ueber Deutschlands und Europens Staats- und National-Interesse, vorzüglich in Betreff des germanischen Staaten-Bundes, und der in Deutschland allgemein einzuführenden landständischen Verfassung«148. Als »Nestor der Statistiker« starb er 1833149. Johann Ludwig Klüber wurde nach 1815 zum maßgeblichen deutschen Staatsrechtler. Er hatte die Akten des Rastatter und des Wiener Kongresses ediert und die entscheidenen Dokumentationen und Darstellungen zum Völkerrecht und zum Staatsrecht des Rheinbundes und des Deutschen Bundes publiziert. Sein Ruf »verlieh seinem Urteil eine fast autoritativ zu nennende Geltung«150. Er hatte hohe Ämter erst im badischen, dann im preußischen Staatsdienst inne. Unter Hardenberg regelte er die Rechtsstellung der preußischen Standesherren, war an der Abwicklung des Großherzogtums Frankfurt beteiligt und nahm 1818 am Kongreß von Aachen teil. Nach Hardenbergs Tod, 1822, sah sich Klüber jedoch in Preußen gezwungen, sich wegen der in der Neuauflage seiner Darstellung »Öffentliches Recht des Deutschen Bundes und der Bundesstaaten« zu verantworten. Denn hier hatte er bereits in der ersten Auflage 1817 seine Sympathien für die südwestdeutschen Verfassungsstaaten geäußerten, in deren Institutionen sich seine Mitdiskutanten aus der Wahlkapitulationsdiskussion der 1790er Jahre, Corme und Mohl engagieren. Wie vor ihm Mohl nahm er dies zum Anlaß den Staatsdienst zu quitieren. Als 1823 eine preußischen Verordnung das Recht der Entscheidung über die Auslegung und Anwendung von Staatsverträgen in Zweifelsfällen den Richtern entzog und dem Ministerium des Außwärtigen zusprach, plädierte Klüber öffentlich für die Gewaltenteilung151. In einer Untersuchung, der er ein Motto von Montesquieu vorranstellte, belegte er, daß eine Verordnung auf Antrag des Außenministeriums kein Gesetz sei und verlangte, daß sich das Richteramt im Reich der Gesetze »frei bewegen« solle152. Wie Crome und Mohl hochgeachtet, starb Klüber 1837. Aber noch im unmittelbaren Vorfeld der Märzrevolution, 1844 und 1845, edierte Karl Theodor Welcker »aus dessen Papieren« »Wichtige Urkunden für den Rechtszustand der deutschen Nation«153. Als Fazit dieser prosopographischen Betrachtung läßt sich festhalten, daß die nach 1815 noch lebenden Teilnehmer der Wahlkapitulationsdiskussion der 1790er Jahre sich aktiv in den Institutionen oder publizistisch am konstitutionellen Leben im Deutschen Bund beteiligten154. Sie hielten dabei an ihren Idea-

148 Gießen 1817. 149 DBA 209,349–406. 150 DBA 666,277. 151 Klüber, Die Selbständigkeit des Richteramtes. 152 Ebd., S. 24. 153 Mannheim 1844 [2. unv. Aufl. ebd. 1845]. 154 Riegger war 1795 verstorben, Danz 1803, Kruse 1806, Häberlin 1808, Bülow 1810, Roth 1813, Schmelzer starb zwar erst 1842, trat aber nach dem Antritt seiner Professur in Halle 1810 nicht mehr besonders hervor.

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len fest, die sie im Rahmen der Reichspolitik und -verfassung entwickelt hatten. Durchweg betrachteten sie nämlich das Reich als einen zu verteidigenden und auszubauenden Rechts- und Verfassungsstaat. Dieses Ideal übertrugen sie nach dem Ende des Reiches auf die neuen staatsrechtlichen Rahmenbedingungen. Dies machte sie in den Augen ihrer Zeitgenossen und der Nachwelt, die die Ursprünge ihrer Vorstellungen nicht mehr sah, zu Liberalen.

17. Protokonstitutionalismus 1776, als die Sklavenhalter Virginias immer lauter nach Freiheit von der Tyrannei des englischen Königs riefen1, hatten deutsche Untertanen schon seit Jahrhunderten das reichsverfassungsmäßige Recht, ihre Fürsten zu verklagen. Und wenn sie nur über begrenzte oder keine Mittel verfügten, konnten sie dies mit Hilfe des ebenfalls reichsverfassungsmäßigen, nämlich durch die Reichskammergerichts- und Reichshofratsordnung gewährten Armenrechts, sogar auf Kosten der von ihnen beklagten Obrigkeit tun. Das ist nur ein Beispiel für die rechtlichen Gewährleistungen der Reichsverfassung. Diese verfassungsrechtlichen Gewährleistungen erlauben es, die Reichsverfassung seit 1519 als protokonstitutionelles System zu bezeichnen. Konstitutionalismus ist eine Verfassungsform, in der die Rechte, Pflichten und Kompetenzen der Staatsgewalt bzw. des Monarchen und der Bürger in einer Verfassung festgelegt sind und die Bürger bedingte Partizipationsrechte genießen. Die in der Wahlkapitulation konkretisierte Reichsverfassung hingegen ist eine Form des Protokonstitutionalismus2. Der Protokonstitutionalismus wird durch den Frühkonstitutionalismus vom Konstitutionalismus getrennt3. Die drei genannten Verfassungstypen sind Übergangsformen zwischen dem sogenannten »Absolutismus«4 bzw. ständischer Herrschaft und parlamentarischer Monarchie bzw. Herrschaft. Protokonstitutionalismus ist ein System der Konstruktion des Staates, des Zusammenspiels seiner Institutionen und Organe sowie rechtlicher Gewährleistungen aufgrund einer geschriebenen Verfassung ohne repräsentative Vertretung des Volkes. Die Bedeutung des Begriffs Protokonstitutionalismus geht somit über die zeitliche Verortung hinaus. Mit Protokonstitutionalismus ist gemeint, dass im deutschen Fall mittels der Wahlkapitulationen Verfahrensformen und recht1 Als am 4. März 1789 die heutige Verfassung der USA in Kraft trat und George Washington Präsident wurde, lebten in dem jungen Staat 3,2 Millionen Menschen, mehr als 750.000 oder knapp 20 % von ihnen waren afrikanischer Herkunft, vier Fünftel von diesen waren in der »Neuen Welt« geboren. Sie waren aber wie die Indigenen von der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen. Marshall, Race and the Constitution, S. 29–31. Ueda, Naturalization and Citizenship, S. 736–737. 2 Der Begriff wurde an einer Stelle bereits von Bernd Marquardt gebraucht, Marquardt, Staat, Verfassung und Demokratie, 1.  Bd.: Das liberale Jahrhundert (1810–1916), S.  297, mit Bezug auf das England des 17. Jahrhunderts, als Beispiel eines Staates, der keine konstitutionellen Strukturen ausgebildet hat. Ders., Universalgeschichte des Staates, S.  232: »Protokonstitutionalismus«. 3 Eine bestimmte Ausprägung des Frühkonstitutionalismus in Deutschland ist der sogenannte Rheinbundkonstitutionalismus, s. Brandt / Grothe (Hg.), Rheinbündischer Konstitutionalismus. 4 Asch / Duchhardt (Hg.), Absolutismus.

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liche Einhegungen der Exekutive eingeführt und gewohnheitsmäßig angewandt wurden, die später zum festen Repertoire konstitutioneller Verfassungen gehörten. Die vielkritisierte Reichsverfassung bot in vielen Details Vorbilder für verfassungsrechtliche Regelungen des konstitutionellen Zeitalters. Dass sie von den Vätern der amerikanischen Verfassung intensiv studiert wurde, ist bekannt5. Benjamin Franklin hatte sich schon im Juli 1766 in Göttingen ausführlich mit Johann Stephan Pütter und Gottfried Achenwall über die Reichsverfassung beraten. Franklin interessierte sich für föderale Systeme und die Koexistenz unterschiedlicher Religionen. Der Mitautor der amerikanischen Verfassung wurde damit zu einem entfernten Verwandten der »Generation Pütter«6. Auch James Madison der spätere Präsident der USA sammelte aus diesem Grund alles, was er über die Reichsverfassung erlangen konnte. Verfassungsgeschichte ist immer auch Rezeptionsgeschichte. Schon die Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 ließen sich von dem »Plakkaat van Verlatinghe« inspirieren, durch welches sich 1581 die Niederlande von der spanischen Herrschaft losgesagt hatten7. Die Gründungsurkunde der USA ist gewissermaßen eine Vorverfassung. Auch die vielen Übersetzungen der Wahlkapitulationen und reichsstaatsrechtlicher Traktate ins Französische und andere Sprachen blieben nicht ohne einen gewissen Nachhall. Die Revolution der Amerikaner war ideengeschichtlich angetrieben von der Tradition. Zu dieser Tradition gehörten nicht nur die Rezeption des antiken Republikanismus, Machiavellis, der radikalen Denker des englischen Bürgerkrieges, der Naturrechtslehre John Lockes und der Aufklärungsphilosophie, sondern auch die bereits vorhandenen Verfassungsmodelle, zu denen insbesondere das Reich mit seiner geschriebenen Verfassung gehörte. Die schöpferische Beschäftigung mit den europäischen Vorbildern ist ein zentrales Element der amerikanischen Verfassungsdiskussion gewesen. Wann immer sich eine Versammlung an die Ausarbeitung einer neuen Verfassung machte – gleichgültig ob in Philadelphia oder Paris –, begann sie damit zu sammeln und zu studieren, was es in dieser Hinsicht schon gab. Die französischen Verfassungsväter setzten sich 1791 natürlich mit der vier Monate zuvor erlassenen polnischen Verfassung auseinander, ähnlich wie man in Polen auf die amerikanischen Verfassungen von 1777 und 1787 schaute und in Philadelphia auf die europäischen Vorbilder, u. a. die Reichsverfassung, blickte. So fanden viele Details aus dem Verfassungsalltag des Reiches Eingang in konstitutionelle Verfassungen. 5 Overhoff, Reichsverfassung als Vorbild, S.  41 f. http://www.damals.de/de/8/Die-Reichsverfassung-als-Vorbild.html?aid=190745&cp=1&action=showDetails, am 25.10.2014. Ders., Ein Kaiser für Amerika. Overhoff, Benjamin Franklin, S. 277- 286. 6 Burgdorf, Weltbild, S. 14. 7 Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung wird in der vietnamesischen Unabhängigkeitserklärung von 1945 zitiert.

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In Deutschland ist das Verhältnis von Protokonstitutionalismus und Konstitutionalismus offensichtlich. Fast alle Juristen, die nach dem Wiener Kongress an den Verfassungsauseinandersetzungen in den deutschen Ländern beteiligt waren, hatten in ihrer Jugend das Reichsstaatsrecht studiert. Manche von ihnen hatten als Debütarbeit sogar Musterfassungen für das Reich in Form von Idealwahlkapitulationen publiziert, die eine starke Ähnlichkeit zu den deutschen Länderverfassungen des Vormärz haben8. Verfahrensformen, rechtliche Einhegungen und Bürgerrechte als Elemente des Protokonstitutionalismus, die sich im konstitutionellen Zeitalter wiederfinden, sind z. B. der Verfassungseid des Monarchen und sämtlicher Staatsdiener, die Regelung, dass das Budgetrecht nicht mehr bei der Exekutive, sondern bei der Legislative liegt, der Zwang zur Gegenzeichnung aller Anordnungen des Herrschers, Gewaltenverteilung, Normenkontrolle, Öffentlichkeit und Transparenz staatlicher Handlungen und Bürgerrechte wie das Recht auf den gesetzlichen Richter, das Briefgeheimnis, Meinungsfreiheit, das Verbot von Religionsprozessen, das Recht, die Obrigkeit zu verklagen, das Armenrecht usw. Es gab auf dem Weg vom Protokonstitutionalismus zum Konstitutionalismus aber auch Rückschritte. Während im Konstitutionalismus das Heer in der Regel allein auf den Monarchen vereidigt wurde und Akte des Monarchen als Oberbefehlshaber gegenzeichnungsfrei waren, wurde die Reichs- und Kreisgeneralität im Alten Reich auf die Reichsverfassung vereidigt. Im Gegensatz zum Alten Reich war das Militär noch im Wilhelminischen Reich verfassungstechnisch nicht unter Kontrolle gebracht. Gemeinsam ist dem Konstitutionalismus und dem Protokonstitutionalismus das Vorhandensein einer geschriebenen Verfassung. Der Monarch ist nicht mehr notwendig verfassungsgebende Gewalt, immer aber durch die Verfassung eingefasste Gewalt. Zwar waren im Alten Reich die Gewalten nicht klar getrennt, aber doch verteilt. Gesetzgebung und Gesetzesinterpretation konnten nur gemeinsam durch das Reichsoberhaupt und den Reichstag erfolgen. Das Reichsoberhaupt stand nicht nur der Reichsadministration vor, sondern hatte auch teil an der Legislative. Die Reichsstände partizipierten an der Administration des Reiches. Das größte Maß an Unabhängigkeit hatte am Ende des Reiches die Reichsjustiz. Sie war am klarsten von den beiden anderen Gewalten, der Legislative und der Exekutive, getrennt. Im Zuge der frühneuzeitlichen Verfassungsauseinandersetzungen ­gewann der Verfassungsbegriff im Alten Reich, parallel zur Entwicklung in England, Konturen. Bereits die Akten zum Westfälischen Frieden erlauben es, von »einem Verfassungs- und Naturrechtsdiskurs zu sprechen, in dem die rechtlichen Schlüsselbegriffe der Aufklärung und des Konstitutionalismus präfiguriert« wurden9. Allerdings beinhaltete dieser Diskurs keine politische und

8 Burgdorf, Die Ursprünge des Konstitutionalismus, S. 65–98. 9 Schmale, Das Heilige Römische Reich, S. 237 f.

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rechtliche Emanzipation des Bürgers, wie es in Nordamerika und Frankreich nach 1776 und 1789 geschah10. »Ein zusammenfassender Überblick über« die Wahlkapitulationen ist »geeignet, das Bleibende in der deutschen Reichsverfassung herauszuheben und in großen Zügen die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Kaisertum und Ständen zu verfolgen«11. »Soweit Verfassungen auf Vertrag und Einigung zurückgeführt werden können, befinden sie sich im ›historischen Vorfeld‹ verfassungsstaatlicher Entwicklung oder entstehen aus einer politischen Situation, in der die Verfassunggebung nicht (unmittelbar) auf der Volkssouveränität beruht«12. Dennoch antizipierte die Reichsverfassung Elemente moderner Ver­ fassungen. Die Vertragsidee bildete eine der Brücken vom positiven Staatsrecht des Alten Reiches zur konstitutionellen Monarchie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. »Der Vertrag, durch welchen die Verfassung bestimmt wird, heißt Verfassungsvertrag. Die Bestimmungen, die darin enthalten sind, machen die Grundgesetze der Gesellschaft aus«13. Die in das Naturrecht des ausgehenden 18. Jahrhunderts zurückreichende Idee des Verfassungsvertrages, beherrschte die verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Kontroversen bis zur Revolution von 1848«14. In der Reichsverfassung und -publizistik reicht diese Idee bis ins 17. Jahrhundert zurück. Die verfassungsrechtliche Organisation des Reiches wurde durch die Wahlkapitulationen umfassend und letztgültig geregelt. An verschiedenen Stellen wurden durch sie nicht nur die älteren Reichsgrundgesetze bestätigt, sondern auch die Gültigkeit des Reichsherkommens bekräftigt. Die Wahlkapitulationen bestätigten die bisherige Verfassung und ergänzten sie. Dass Teile älterer Verfassungen in neuere Verfassungstexte aufgenommen werden, ist bis heute weltweit üblich. In Artikel 140 des Grundgesetzes vom 23. April 1949 z. B. heißt es: »Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes«. Ab 1653 hieß es zu Beginn der Wahlkapitulationen, die älteren Reichsgrundgesetze sollen gelten, als wenn sie an dieser Stelle »Wort für Wort« einverleibt seien. Wichtiger ist jedoch, dass die Wahlkapitulationen, ähnlich wie neuere Verfassungen, grundrechtliche Gewährleistungen verbürgten. Zwar erscheinen diese im Vergleich mit den Grundrechtskatalogen moderner Verfassung rudimentär, dennoch gingen sie aber über mittelalterliche Privilegienbestätigungen gegenüber herausgehobenen Gruppen hinaus, da sie sich auf alle Einwohner des Reiches bezogen. Die Wahlkapitulationen der deutschen Reichsoberhäupter nehmen ­Elemente moderner Verfassungen vorweg. Dazu gehört ihr umfassender Regelungs10 11 12 13 14

Burgdorf, Die Ursprünge des Konstitutionalismus. Hartung, Wahlkapitulationen, S. 315. Würtenberger, Die Idee, S. 107. Schlettwein, Die Rechte der Menschen, S. 364. Würtenberger, Die Idee, S. 113.

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anspruch und ihre normative Letztgültigkeit gegenüber den untergeordneten territorialen Verfassungen sowie der Schutz gewisser Grundrechte lange Zeit vor der Französischen Revolution. »Auch haben wir in Deutschland wahrlich einen ähnlichen Umsturz der gegenwärtigen Reichsverfassung, wie ihn unsere Nachbarn jenseits des Rheins im vorigen Jahr erlebten,  – schwerlich je zu befürchten; da unsere Reichsverfassung eine vermischte, auf gültige Verträge und Grundgesetze fundierte Regierungsform ist, – jene in Frankreich aber ganz despotisch war; da hier ein Kreis dem anderen, ein Staat seinem Nachbarn, bei etwaigen Unruhen sofort beistehen kann, und am Ende das ganze Reich für den Riß steht; in Frankreich aber keine Rettung mehr zu erhalten war, sobald Paris nur rebellierte«15. Diese Überzeugung äußerte der Statistiker und Kameralist August Friedrich Crome noch 1791. In Deutschland garantierten die Reichsverfassung und Reichsgerichte auch den Schutz der Untertanen, und zwar durch »eine von den Kurfürsten im Namen des Reichs bei jedesmaliger Wahl, den Umständen der Zeit angemessene, dem zukünftigen Kaiser zu machende Reichsregierungsvorschrift«16. Tatsächlich war das protokonstitutionelle System des Reiches in seiner Anwendung defizitär und oft dysfunktional. Die Bedeutung des protokonstitutionellen Systems der Reichsverfassung liegt darin, dass es in Ansätzen ein Musterbuch für die Verfahrensregeln konstitutioneller Verfassungen bot.

17.1 Gewaltenverteilung Auf der Ebene des Reiches war jede Form der Kabinettsjustiz seit 1636 durch Artikel XLIII der Wahlkapitulation Ferdinands III. abgewehrt17. Er unterband Entscheidungen des Geheimrats in Justizsachen. Bis zum Ende des Reiches werden kaiserliche Eingriffsmöglichkeiten in die Reichsjustiz, in Entscheidungen der Gerichte und den Ablauf der Verfahren durch die Wahlkapitulationen immer weiter eingeschränkt und schließlich gänzlich unterbunden. In Frankreich hingegen gab es bis zum Ende des Ancien Régime Lettres de cachet18. Entsprechend der Wahlkapitulationsregelung von 1636 hieß es in der Reichshofratsordnung von 1654 zur richterlichen Unabhängigkeit: »Hergegen wollen Wir die, unser Reichshofratspräsidenten und Räte, ihrer Eide und Pflichten damit sie Uns (außerhalb der Reichshofratssachen) verwandt, in Kraft dieser Ordnung hiermit erlassen haben, dass sie frei und ungescheut, und ohne alle 15 16 17 18

Crome, Wahlcapitulation, S. 33. [Roth], Aechtes Protokoll, S. 42. Ab 1742 Art. XVII, § 15. Das waren königliche Schreiben, die ohne Gerichtsverfahren zu Inhaftierung, Exilierung oder Internierung von Personen führten.

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Gefahr allein der pur lautern Gerechtigkeit gemäß, manniglich in allen Sachen ein unparteiisches Recht und Urteil, ihrem Eid gemäß schöpfen und sprechen mögen«19. Ein Phänomen wie die Lettres de cachet untersagte die Reichsverfassung. Natürlich gab es dessen ungeachtet auf der Ebene der Territorien des Reiches willkürliche Inhaftierungen und zuweilen auch Todesurteile. Nicht immer konnte die Reichsjustiz dies verhindern. Aber allein die publizistischen Folgen und der Imageverlust infolge eines Einschreitens der Reichsjustiz gegen territorialstaatliche Justizwillkür verhinderten in den kleineren und mittleren Territorien vielfach Auswüchse der Kabinettsjustiz. Allerdings galt die Kabinettsjustiz im 17.  und 18.  Jahrhundert nicht allgemein als negativ. Häufig sah man in ihr ein korrigierendes Eingreifen des Herrschers, das willkürliche und ungerechte Entscheidungen unterer Instanzen berichtigte. Ein bekanntes Exempel für diese Sicht ist der Fall Müller Arnold, der, gegen die Entscheidungen mehrerer Instanzen, durch einen Machtspruch Friedrichs II. entschieden wurde20. Aber es war auch genau dieser Mangel an Willkür, der das Reich hinderte, eine ähnliche Durchsetzungskraft wie andere Staaten des Ancien Régime zu entwickeln. Es wirkt geradezu konstitutionell, wenn in den Wahlkapitulationen seit 1742 von der »gesetzgebenden Gewalt« des Reichstags gesprochen wird21. Die Verfasser der Wahlkapitulationen legten weit vor dem Erscheinen von Montesquieus »Vom Geist der Gesetze« großen Wert auf die Teilung und Abgrenzung der staatlichen Gewalten. »Vom Geist der Gesetze« wurde 1748 veröffentlicht. Zwanzig Jahre hatte Montesquieu an seinem Hauptwerk gearbeitet. 1728 hatte er sich auf eine dreijährige Bildungs- und Kavaliersreise durch Deutschland, Italien, die Niederlande und England begeben. Dass England die letzte und längste Station seiner Tour war, sollte auch in seinem Werk einen besonderen Nachklang finden. Die Gewaltenverteilungslehre entwarf Montesquieu in Anlehnung an John Locke am Beispiel der englischen Verfassung, weshalb man besser, statt von Gewaltenteilung, von Gewaltenverteilung sprechen sollte. Hier gibt es viele Parallelen mit den verschiedenen Modellen der Mischverfassung in der Reichspublizistik.­ Lockes Modell der Teilung der staatlichen Gewalt zwischen Exekutive und Legislative ergänzte Montesquieu durch eine dritte Gewalt, die Judikative22. Die Teilung war nicht linear, vielmehr war es ein System mit vielen Überschneidungen, Kontrollen und Ausgleichungen, checks and balances. Wie bei Locke diente das Konzept bei Montesquieu zur Sicherung der Freiheit. Seine Ausführungen abstrahieren jedoch von den damaligen englischen Verhältnissen und

19 20 21 22

Titulus I, § 17. Buschmann (Hg.), Kaiser und Reich, T II, S. 138. Luebke, Frederick, S. 379–408. 1790 Artikel IX, § 1, mit Bezug auf die Abstellung von Mängeln im Münzwesen. Drath, Die Gewaltenteilung, S. 21–77. Mass (Hg.), Montesquieu-Traditionen.

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stellen ein Idealbild dar. Der Begriff »Gewaltenteilung« kommt bei John Locke nicht vor. Die Verfasser der königlichen und kaiserlichen Wahlkapitulationen in Deutschland bemühten sich hingegen schon seit dem 16. Jahrhundert um eine Trennung der drei Gewalten. Gleichwohl waren auch im Reich die Gewalten niemals völlig getrennt, jedoch verteilt. Gesetzesvorlagen des Reichstags erlangten ohne kaiserliche Ratifizierung keine Gültigkeit. Die im Reichstag versammelten Reichsstände waren in vielfältiger Weise an der exekutiven Gewalt beteiligt, nicht zuletzt in Form der kommissarischen Auftragsexekution, der Reichsexekutionen, Debitkommissionen usw. Die Reichsstände dominierten die Besetzung des Reichskammergerichts. Der Kaiser konnte bei Stimmengleichheit im Reichshofrat bis zum Ende des Reiches sein oberstrichterliches Amt persönlich versehen. Dennoch war die Justiz von allen Gewalten im Reich die unabhängigste. Rekurse an den Reichstag gegen oberstrichterliche Entscheidungen des Reichskammergerichts kamen zwar vor, wurden aber als regelwidrig empfunden und nicht selten zurückverwiesen. Die Unabhängigkeit der Reichsjustiz gründet in der Etablierung des Reichskammergerichts 1495 und wurde 1519 in der ersten Wahlkapitulation bekräftigt und noch in der vorletzten Wahlkapitulation 1790 weiter ausgebaut. Artikel XXIV, Paragraph 10 untersagte dem Kaiser die willkürliche Entlassung von Reichshofräten.

17.2 Souveränität Die Wahlkapitulationen sicherten die Staatsform des Reiches als Wahlmonarchie, indem sie das Königswahlrecht der Kurfürsten stets neu bekräftigten23. Die Aufnahme der Verfügung des Westfälischen Friedens, nach welcher der Kaiser ohne Mitwirkung des Reichstages kein neues Gesetz geben oder bereits bestehende interpretieren dürfe24, war schon für die Wahlkapitulation Leopolds I. 1658 beschlossen, dann aber wohl durch Zufall vergessen worden25. 1690 scheiterte die Aufnahme dieser Regelung in die Wahlkapitulation­ Josephs I. an der gestiegenen Macht des habsburgischen Kaiserhauses. Spätestens 1711 mit Artikel II der Perpetua bzw. der Wahlkapitulation Karls VI. war jedoch auch die Frage der Kompetenz-Kompetenz, die Frage des Ortes der Souveränität, innerhalb der Reichsverfassung entschieden. Dort heißt es, der Kaiser wolle die Reichsgrundgesetze und Gesetze »steet, vest und unverbrüchlich halten und under keinerley Vorwandt, er seye wer der wolle, ohne

23 Neuhaus, Die Römische Königswahl, S. 3. 24 Instrumentum Pacis Osnabrugensis Artikel 8, § 2. Buschmann (Hg.), Kaiser und Reich, T. II, S. 65. 25 Siemsen, Kur-Brandenburgs Anteil, S. 22.

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Churfürsten, Fürsten und Stände auff einem Reichstag oder ordinari Deputations Tag vorgehende Bewilligung daraus schreiten« und »keines Weegs aber ohne Churfürsten, Fürsten und Ständen auff Reichs-Tägen gleichmäßig vorgehende Bewilligung änderen, vielweniger newe Ordnungen und Gesätze im Reich machen, noch allein die Interpretation der Reichs Satzungen und Friedenschlusßes vornehmen, sondern mit gesambter Ständten Rhat und Vergleichung auff Reichs-Tägen darmit verfahren, zuvor aber darinn nichts verfügen, noch ergehen laßen«. Strittige Verfassungsfragen konnten hinfort in letzter Instanz nur von Kaiser und Reichsständen gemeinsam entschieden werden. Sie legten gemeinschaftlich die Auslegung der Grundgesetze und Gesetze für alle übrigen Verfassungsorgane des Reiches und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden verbindlich fest. Verfassungsreform und -interpretation konnten nur von Kaiser und Reichsständen gemeinsam ausgeübt werden. Alle Staatsgewalt im Reich ging somit von Kaiser und Reichsständen zusammen aus. Sie wurde ausgeübt durch Beschlussfassung auf dem Reichstag und Ratifizierung durch den Kaiser. Bei ihnen lag die politische Gestaltungs- und Normsetzungsmacht im Reich. Die Rechtsprechung der Reichsgerichte und die im Namen des Reiches vollziehende, oft kommissarische, Gewalt waren daran gebunden. Die Tendenz dazu war bereits 1519 im zweiten Artikel der ersten Wahlkapitulation angelegt. »Wir sollen und wellen auch sonnderlich die vorgemachten Güldin Bullen, kunigclichen Lanndtfriden und annder des Heiligen Reichs Ordnungen und Gesetz confirmieren, ernewen und wo Not, dieselben mit Rat Unnserer und des Reichs Churfürsten, Fürsten und annderer Stennde pessern, wie das zu yeder Zeitt des Reichs Gelegenheit erfordern wierdet«. Am Ende der Wahlkapitulation Karls V. in Art. XXXII wurde das Thema nochmals aufgegriffen: »Wir wellen auch in diser Unnser Zuesag, der Güldin Bullen, des Reichs Ordnung und Gesetzen, yetzo gemacht oder künfftigclich durch Unns mit ir, der Churfürsten und Fürsten, auch annderer Stennde des Heiligen Reichs Rat möchten aufgericht werden, zu wider kein Rescript oder Mandat oder ichts annders beswerlichs unverhörter Sachen ausgeen lassen oder zugeschehen gestatten in einich Weise oder Wege«. Mohnhaupt sieht bereits hier, 1519, die »gemeinsame Kompetenz« »reichsgrundgesetzlich festgelegt«26. 1711 wurde die Soll-Bestimmung über die Beteiligung der Reichsstände in eine Muss-Bestimmung verwandelt, eine bindende Regel, nach der in jedem einzelnen Fall verfahren werden musste. Damit hatte die »Kompetenz-Kompetenz« ihren festen Ort. Moser resümiert hinsichtlich der legislatorischen Tätigkeit der »Erläuterung, Verbesserung oder Abänderung« der Reichsgesetze: »1. Die Reichsstände können hierinn nichts einseitig und ohne den Kayser thun: 2. Hinwiederum aber

26 Mohnhaupt, Gesetzgebung des Reiches, S. 89. Hier mit der Angabe § 31. Mohnhaupt geht jedoch zugleich von der »gesetzgeberische[n] Ohnmacht« bzw. »Unfähigkeit« des Reiches aus, ebd., S. 98, 103.

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auch der Kayser nichts einseitig ohne die Reichsstände«27. Damit beschreibt­ Moser die Kompetenz-Kompetenz im Reich. »Kompetenz-Kompetenz« bezeichnet die Befugnis, im Zweifels- oder Krisenfall die Kompetenzverteilung im Staatsgefüge festzulegen. Diese Befugnis liegt zunächst einmal beim Verfassungsgeber, im Rahmen der Verfassung aber bei verschiedenen Stellen, jeweils für spezifische Bereiche. In diesem Sinne wird von »Kompetenz-Kompetenz« in Bezug auf Gerichte und Behörden gesprochen. Es handelt sich dabei um die Berechtigung eines staatlichen Organs, z. B. eines Gerichts, Zweifel über die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Gerichten verbindlich zu entscheiden. Ihre essentiellste Ausprägung ist die Hoheit, im Konfliktfall über die Kompetenzverteilung zwischen den Verfassungsorganen, zwischen den Gewalten im Staat zu entscheiden. So hat das britische Parlament seit der Glorious Revolution von 1688/89 »kraft seiner Souveränität die Kompetenzkompetenz gegenüber den anderen Gewalten, einschließlich der Rechtsprechung«, indem es Urteile aufheben kann28. »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet«29. In Deutschland wurde diese Frage zur gleichen Zeit wie in England, aber auf dem Verhandlungsweg, entschieden und fand, nachdem die Zugrundelegung des Entwurfs der permanenten Wahlkapitulation für den Herrschaftsvertrag Josephs I. 1690 gescheitert war, 1711 Eingang in die Reichsverfassung. Die Kompetenz-Kompetenz im Reich liegt gemäß Artikel II der Wahlkapitulation Karls VI. bei Kaiser und Reichsständen. Sie wird ausgeübt im gemeinsamen Handeln auf dem Reichstag. Hier ist der Ort der Souveränität. Die Verfassung selbst beendete somit 1711 mit dem Projekt der Immerwährenden Wahl­ kapitulation, welche zur Grundlage aller weiteren Wahlkapitulationen wurde, die Forma-Imperii-Debatte des 17. Jahrhunderts30. Für die deutsche und allgemeine Verfassungsgeschichte ist bedeutsam, dass ab 1711 nicht nur der Ort der Souveränität benannt und die Frage der Kompetenz-Kompetenz entschieden, sondern erstmals in der Verfassungsgeschichte innerhalb der Verfassung selbst eine Regel für Verfassungsänderungen aufgenommen wurde31. Analog zu den Vorgaben des Westfälischen Friedens bzw. zur Wahlkapitulation legte die Reichshofratsordnung von 1654 fest, dass bei Zweifeln über die

27 Moser, Von denen Teutschen Reichs-Tags-Geschäften, S. 317. Zitiert nach: Mohnhaupt, Gesetzgebung des Reiches, S. 92. 28 Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand, S. 1886 f. 29 Schmitt, Politische Theologie, S. 13. 30 Burgdorf, Reichskonstitution, S. 52–113. 31 Der entsprechende Artikel 79 im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland lautet: »Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. […] Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates«.

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Auslegung des Reichsrechts der Reichstag entscheiden solle32. Kaiser und Reich wurden schon hier gemeinsam als Organe der Gesetzgebung und -interpretation angesprochen. Sie unterlagen dabei dem Handlungsprinzip des Konsenses, dem allgemeinen Verfassungsprinzip des Reiches33. In der Verfassung war die Frage der Souveränität somit spätestens 1711 entschieden, innerhalb des voluminösen Textes der Wahlkapitulation an einer zwar systematisch passenden, aber wenig exponierten Stelle. Dennoch wurde die Frage der Forma Imperii, der Staatsform des Reiches in der Reichspublizistik und der europäischen Staatstheorie noch einige Zeit weiter diskutiert. Erst 1766 beendete Johann Jacob von Moser die Debatte mit der berühmten Sentenz: »Teutschland wird auf teutsch regiert und zwar so, daß sich kein Schulwort oder wenige Worte oder die Regierungsart anderer Staaten dazu schicken, unsere Regierungsart dadurch begreiflich zu machen«34. Die Verfassungswirklichkeit war der theoretischen Begründung vorausgeeilt. 1742 wurde mittels der Wahlkapitulation Artikel II, 5 auch den Reichsgerichten die Interpretation der Reichsgesetze und Friedensschlüsse ausdrücklich untersagt. Damit war für das Reich eine Fortbildung der Verfassung durch Richterrecht blockiert und der Ort der Kompetenz-Kompetenz bei Kaiser und Reichsständen bekräftigt. Allerdings meint Arno Buschmann, dass die Wahlkapitulationen die kaiserliche »Machtvollkommenheit« nicht substantiell einschränkten, da z. B. das Ratifikationsrecht überhaupt nicht angesprochen werde. Dem Kaiser sei dadurch ein »absolutes Veto gegen sämtliche Beschlüsse des Reichstages« eingeräumt worden35. Allerdings wurde das Vetorecht in den Wahlkapitulationen genauso wenig thematisiert wie das Ratifikationsrecht. Der Begriff des »absoluten Vetos« stammte aus dem polnischen Verfassungsleben des späten 17. Jahrhunderts. Er bezog sich dort jedoch nicht auf den Monarchen, sondern auf jeden einzelnen Teilnehmer des Sejm. Mit Bezug auf den Monarchen erscheint der Begriff erst zu Beginn des konstitutionellen Zeitalters, mit der französischen Verfassung von 1791. Die beiden Leerstellen, das Fehlen einer Stelle über ein ständisches bzw. kaiserliches Veto verweisen darauf, dass die Reichsverfassung nicht auf ein Entweder-oder, sondern auf Konsens und Kompromiss zielte. »Wenn der Kaiser auf

32 Titel V, § 22. 33 Mohnhaupt, Gesetzgebung des Reiches, S. 84. 34 Moser, Neues Teutsches Staatsrecht, Bd.  1: Von Teutschland und dessen Staatsverfassung überhaupt, S.  550. »Jean Bodin lehnte nicht nur die Translatio Imperii ab, sondern provozierte auch mit der These, das Deutsche Reich sei eine Aristokratie«; Frisch, Das Restitutionsedikt, S.  111. Zum Gesetzgebungsrecht und Gesetzesinterpretationsrecht sowie den Ansichten einzelner Reichspublizisten dazu siehe Frisch, Das Restitutionsedikt, S. 111–125. 35 Buschmann, Die Rechtsstellung, S. 115.

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der einen Seite und das gesamte Reich (corpus statuum) auf der anderen Seite über ihre Rechte und Verbindlichkeiten sich vertragsweise einigen, so gibt dieses allgemeine Reichsgesetze«36.

17.3 Budgetrecht Die Geschichte der bundesstaatlichen Finanzverfassung Deutschlands beginnt nicht erst mit der Paulskirchen-Verfassung 1849 oder 1867/7137, sondern mit der gemeinsamen Finanzierung der Reichsjustiz und Reichskriege an der Schwelle vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit. Zum ersten Mal wurden Steuergesetzgebungshoheit, Steuerertragshoheit und Steuerverwaltungshoheit zwischen dem Reich und den Territorien aufgeteilt. Die Steuerertragshoheit wurde geteilt, das Steueraufkommen zwischen Reich, Territorien und Gemeinden verteilt. Zugleich wurden der Besteuerung auf den verschiedenen Ebenen rechtsstaatliche und grundrechtliche Grenzen gegeben. Eine systematische Untersuchung der Staatsfinanzen des Alten Reiches ist bislang noch nie vorgenommen worden38. Dies ist umso auffälliger, als innerhalb der Wahlkapitulationen jene Artikel, die den Finanzen bzw. Zöllen und Steuern gewidmet sind, zu den umfangreichsten gehören. Die einschlägigen Regelungen der Wahlkapitulationen zeigen: beim Geld hörte jede Konzilianz gegenüber dem Kaiser, aber auch gegenüber den Reichsständen auf. Die Freiheit der Reichsstände fand hier enge Grenzen. Reichsstände, welche Münzrechte missbrauchten, wurden mit dem vorübergehenden Verlust der Reichsstandschaft bedroht39. Der Verlust der Reichsstandschaft trat sonst nur bei Verhängung der Reichsacht ein. Diese wurde jedoch zunehmend erschwert. Die Strafandrohung für Münzmanipulationen war also auffallend drastisch. Hier galt es, das Auskommen aller Reichsstände zu schützen, indem das Reich als gemeinsamer Wirtschafts- und Währungsraum geschützt wurde. Zwar existierten im Reich unterschiedliche Münzfüße. Sie waren jedoch alle auf den Reichstaler als Rechnungswährung ausgerichtet. Die Reichsfinanzen unterlagen einer strengen Austerität. Finanzpolitische Disziplin und Sparsamkeit waren unumgänglich, da das Reich und seine Institutionen nur im Rahmen der Bewilligungen durch den Reichstag oder die 36 Pütter, Kurzer Begriff des Teutschen Staatsrechts, S. 36. Zu den gemeinsamen Kompetenzen von Kaiser und Reichsständen: Hoke, Reichsstaatsrechtslehre. S. 175 f. 37 Kempny, Staatsfinanzierung. Kempny vertritt die Auffassung, die Geschichte der bundesstaatlichen Finanzverfassung beginne erst 1848. 38 Schulze, Reichstage, S.  43–58. Ders., Reichskammergericht. Schwennicke, »Ohne Steuer kein Staat«. 39 Artikel IX der Wahlkapitulation Karls VI. von 1711. Es handelte sich dabei um eine Ergänzung zum Text der Perpetua.

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Reichskreistage kreditwürdig waren. Die Haushaltspolitik war daher grundsätzlich ausgeglichen. Da dieser Politikbereich hochgradig transparent war, gab es bei der Kreditbeschaffung keine Ausweichmöglichkeiten. Schattenhaushalte existierten nicht. Das Recht der Haushaltsplanung hat in Deutschland eine lange, bislang verschüttete Tradition. Der Reichstag erlangte erstmals in Artikel V des Entwurfs für eine Beständige Wahlkapitulation bzw. Artikel V der Wahlkapitulation Karls VI. von 1711 das verfassungsmäßig alleinige Budgetrecht40. Hier wurde der Verwendungszweck der Reichseinnahmen ohne Ausnahme an das Bewilligungsrecht des Reichstages gebunden. Nur der Reichstag hatte künftig die Befugnis, Steuern und Abgaben zu bewilligen und über deren Verwendung zu entscheiden. Das Budgetrecht blieb dem Reichstag fortan vorbehalten und stellt dessen wichtigstes Vorrecht dar, ein entscheidendes Element der protokonstitutionellen Staatlichkeit. Dadurch erlangte der Reichstag einen maßgeblichen Einfluss auf alle kaiserlichen Aktivitäten, soweit sie vom Reich finanziert wurden. Das Recht, über Einnahmen und Ausgaben exklusiv zu entscheiden, wurde im Sinn einer definitiven Zweckbindung aller Abgaben der Reichsglieder an den Kaiser und andere Reichseinrichtungen konkretisiert. Im Reichshaushalt war kein Gesamtdeckungsprinzip vorgesehen, alle Mittel waren zweckgebunden. Somit waren Haushaltsrecht und Haushaltsgrundsätze des Reiches in der Reichsverfassung verankert. Ein livre rouge ou liste des pensions secrètes sur le trésor public, wie im vorrevolutionären Frankreich, konnte es im Reich nicht geben41. Anhängern der Tea-Party-Bewegung42 bzw. des Limited-Government-Konservativismus hätte dieses Finanzregime sehr zugesagt. Haushaltsdefizite bzw. Staatsverschuldung konnten so auf Reichsebene nur kurzfristig zwischen der Abgabenbewilligung und Aufbringung entstehen. Langfristig waren sie ausgeschlossen. Das Budgetrecht des Reichstags relativierte die prätendierte kaiserliche Machtfülle und beendete die bis zum Jahr 1711 behauptete kurfürstliche Prä­ rogative bei der Bewilligung von Geldmitteln43. Die Wahl des in Spanien abwesenden Kandidaten ermöglichte so zumindest formal einen entscheidenden Modernisierungsschub. Schon früher lassen sich eindeutige Haushaltsgrundsätze erkennen wie sachliche und zeitliche Bindung und den Grundsatz der Vorherigkeit der Aufstellung bestimmter Etats. Nun wurden diese Bestimmungen jedoch generalisiert und erhielten Verfassungsrang. 40 Heute in Artikel 110 des Grundgesetzes als Recht des Bundestages festgeschrieben. 41 Necker, Observations. 42 Eine anfangs libertäre, später zunehmend konservative und populistische Protestbewegung, die 2009 in den USA entstand. 43 Dass zur Not die Zustimmung der Kurfürsten reiche, war 1636 in Artikel XIV der Wahlkapitulation Ferdinands III. explizit erklärt worden, 1653 entfiel der entsprechende Artikel dann wieder.

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Der Reichstag hatte ab 1711 das alleinige Recht, den Etat des Reiches und seiner Institutionen zu bestimmen. Die Reichsstände insgesamt konnten somit, zumindest was die Einnahmen und Ausgaben des Reiches anbelangte, von sich sagen: Nous sommes l’État. ›L’État c’est moi‹ hingegen machte im Reich keinen Sinn. Dieses Etatrecht des Reichstages erstreckte sich auch auf die Kreditaufnahme zu Lasten des Reiches oder seiner Gebietskörperschaften, die durch Artikel V, 8 seit 1742 auch formal grundgesetzlich untersagt war, jedoch schon lange vorher politisch nicht durchsetzbar gewesen war. Der Kaiser hatte mithin keine Möglichkeit, Etatengpässe infolge von Nichtbewilligung durch den Reichstag durch Kreditaufnahmen zu kompensieren. Nicht einmal Steuernachlässe als monarchischer Gnadenakt angesichts offensichtlicher Not der Steuerpflichtigen war der Exekutive, ohne gesetzliche Mitwirkung des Reichstages, gestattet. Das Etatrecht lag allein beim Reichstag44. Das war eine wesentliche Stärkung des Reichstags als Zentralinstitution des Reiches. Er hatte damit den beiden hierarchischen Spitzen des Reiches, nämlich dem Monarchen und den höchstprivilegierten Vertretern der Reichsfürsten, den Kurfürsten, das abgerungen und übte allein das aus, was man später, zu Zeiten der konstitutionellen Monarchie, das »Königsrecht des Parlaments« nannte45. Die Vorbildfunktion des Reiches für die normative Durchsetzung dieses »Königsrechts des Parlaments« in Deutschland wurde in der einschlägigen jüngeren Forschung bislang verkannt. Der Fokus liegt auf den preußischen Verfassungskämpfen im 19. Jahrhundert.

17.4 Reichstagsarmee Ein weiteres »Königsrecht des Reichstags«, das zudem eng mit dem Budgetrecht zusammen hing, war die weitgehende Verfügungsgewalt über die Reichsarmee. Zunächst hatten die Reichsstände hier über die in ihrem Steuerbewilligungsrecht verankerte Zweckbindung der Reichssteuern einen starken Einfluss. Dieser wurde gefestigt, durch eine Bestimmung, die nach dem Prager Frieden von 1635 in die Wahlkapitulation Kaiser Ferdinands III. aufgenommen wurde. Gemäß dem Prager Frieden wären die reichsständischen Kontingente zu einer Reichsarmee unter kaiserlichen Oberbefehl zusammen gefasst worden. Um zu verhindern, dass der Kaiser dieses neue Machtinstrument zu Ungunsten der armierten Stände zum Ausbau seiner Position missbraucht, fügten die Kurfürsten 1636 einen neuen Artikel in die Wahlkapitulation Kaiser

44 Artikel V, Paragraphen 10,11. 45 Köhler, Budgetrecht.

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­erdinands III. ein: »Wir gereden unnd versprechen auch daß jenig Krigs F Volckh so zu deß Reichs Defension albereit uf die Bain gepracht oder ins künfftig geworben werden mögte, ohne der Reichs Stendte oder ufs wenigst der sechs Churfürsten Vorwissen unnd Bewilligung außerhalb deß Reichs nicht führen, sonndern zu desselben Defension unnd Rettung der betrangten Ständte gebrauchen unndt anwendten zu laßen. […], wie nicht weniger, da der allmechtige Gott den so lang desiderirten lieben Fridten bescheren wirdt, daß Volkh alß dann ohne menniglichs unzimbliche Belästigung abgedanckt werdenn solle«46. Damit wurde die Reichsarmee zwar keine Parlamentsarmee im modernen Sinne. Sie wurde aber im Zusammenhang mit der Zweckbindung der Reichssteuern weitgehend der Kontrolle des Reichstags bzw. der Reichsstände unterstellt. Der offensive Einsatz der Reichsarmee war nur noch mit der Genehmigung des Reichstages gestattet, der Einfluss des Kaisers auf die Streitkräfte des Reiches geschwächt. Erst acht Jahre später 1644 kam der Begriff »Parlamentsarmee« bzw. »Parliament’s forces« erstmals in England auf, um die New Model Army Oliver Cromwells von den Einheiten der englischen Könige zu unterscheiden. Eine einseitige Kriegserklärung des Kaisers an auswärtige Mächte war demnach in Deutschland seit 1636 unmöglich. Ein offensiver Einsatz der Reichsarmee konnte nur noch infolge der Willensbildung auf dem Reichstag zustande kommt. Das war unwahrscheinlich, wodurch das Reich strukturell defensiv, nichtangriffsfähig wurde. Die Rechte des Reichstages wurden in den folgenden Wahlkapitulationen durch Bestimmungen zur Ernennung der Reichsgenera­ lität und des Reichskriegsrat weiter gestärkt. 1742 gingen als letztes durch Paragraph 4 des Artikels IV der Wahlkapitulation Karls VII. auch die Reichsfestungen in die Verfügungsgewalt des Reichstages über. In Deutschland wurde nach dem Ende des Alten Reiches erstmals durch Artikel V der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849 die Kontrolle der Armee durch den Reichstag mittels des Budgetrechts wieder verankert. Diese Regelungen hatten jedoch keine nachhaltige Wirkung. Bis 1945 verblieb die Verfügung über bewaffnete Macht in Deutschland weitgehend bei der Exekutive.

17.5 Verfassungsrevision Thomas Jefferson, der Autor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, befürchtete, wenn die Verfassung nicht regelmäßig erneuert werde, würden die Vorfahren die Nachgeborenen regieren. Er verglich dies mit dem unveräußerlichen, dem Wirtschaftsverkehr entzogenen Besitz der Kirche im alten Europa bzw. den Fideikommissen, die es auch in Nordamerika gab. Der toten Hand der 46 1636, Artikel XII.

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Vergangenheit sollte nicht das Schicksal der Lebenden anvertraut werden47. Nach Jeffersons Ansicht kann es auch hinsichtlich der Verfassung wie in Vermögensangelegenheiten grundsätzlich kein Verfügungsverbot geben. Auch die Reichsverfassung insgesamt besaß keine Ewigkeitsgarantie, Teile der Verfassung wie der Religionsfrieden und der Westfälische Frieden hingegen schon. Darüber hinaus war der Reichsverfassung die Änderung der Verfassung eingeschrieben. Schon 1356, beim Erlass der Goldenen Bulle Karls IV., waren einige Thematiken für eine spätere Regelung auf dem nächsten Hoftag zurückgestellt worden. So wurde in der Landfriedensfrage nur wenig entschieden und hinsichtlich des Münz-, Geleit- und Zollwesens vermochten die rheinischen Kurfürsten eine Entscheidung zu verhindern48. Einige der schon 1356 zurückgestellten Materien gehörten seit dem Spätmittelalter zum festen Inventar der Reichsreformdiskussion und tauchen im Text des Westfälischen Friedens 1648 erneut als »negotia remissa«, noch zu erledigende Aufgaben auf. Artikel VIII des Westfälischen Friedens (IPO) sowie Paragraph 192 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654 verpflichteten Kaiser und Reichsstände, die Verfassung durch gemeinsame Änderung festzuschreiben. Dies gelang nicht. Veränderung blieb vielmehr das Signum der Reichsverfassung. Auch das Bewusstsein des Verfassungswandels war der Wahlkapitulation eingeschrieben. Artikel VIII verweist mehrfach auf frühere Zustände der Reichsverfassung, als andere »Requisiten«49 erforderlich waren, um Rechte »den damaligen Reichsconstitutionibus gemäß«50 zu erhalten oder zu ändern. Offenbar schärfte die gemeinsame Arbeit an der Perpetua, an der Festschreibung der Verfassung, das Bewusstsein für den Wandel der Verfassung. Die in den Wahlkapitulationen angemahnten Reformen, z. B. die Überarbeitung der Reichshofratsordnung sollen »den heutigen Umständen« entsprechen51. Dies ist interessant, weil es dem allgemeinen Neuerungsunwillen der Frühen Neuzeit widerspricht und Jeffersons Überlegungen in der Verfassungswirklichkeit des Reiches antizipiert. Jede neue Wahlkapitulation war eine Teilrevision der Reichsverfassung. Die Wahlkapitulationsverhandlungen waren das vorgegebene Verfahren zur Änderung des geltenden Verfassungsrechts. Die Wahlkapitulationen entsprechen somit inhaltlich dem angelsächsischen »Amendment« im Sinne von Änderung, Verbesserung, Korrektur, Neufassung und Zusatz. Darüber hinaus bestimmte die Wahlkapitulation seit 1711 in Artikel II, wo und wie die Reichsverfassung außerhalb der Wahlkonvente, wenn nötig, zu ändern sei, nämlich von Kaiser und Reichsständen gemeinsam auf dem Reichstag. Während das »Amendment« 47 Ohlhoff / Wasser (Hg.), Thomas Jefferson, S.  56. Einen Überblick bietet: Neuhaus (Hg.), Verfassungsänderungen. 48 Schmauß / Senckenberg (Hg.), Teutsche Reichs-Abschiede, T. IV, S. 17. 49 Erstmals Artikel VIII der Perpetua. 50 Z. B. Artikel  XI, § 12. 51 1745 Artikel XXIV, § 8.

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allein eine Änderung der Verfassung außerhalb der bestehenden Verfassung bzw. des geltenden Verfassungstexts durch einen Zusatz erlaubte, erlaubte die Reichsverfassung drei Arten: Zusatz oder Umschreibung und Einschub. Es gab mithin im Reich zwei alternative Verfahren der Verfassungsänderung, durch gemeinsame Beschlussfassung von Kaiser und Reich auf dem Reichstag oder durch Ergänzung der Wahlkapitulation. Sowohl der Reichstag als auch das Kurkollegium verstanden sich dabei als Vertretung des gesamten Reiches. Anders als im Grundgesetz, das eine Zweidrittelmehrheit erfordert, gab es in der Reichsverfassung keine besonderen Hürden für die Verfassungsrevision. In Deutschland hatte man schon hundert Jahre vor der Französischen Revolution über den legitimen Ort von Verfassungsänderungen nachgedacht. Dabei spielte die Repräsentanz des Gesamtstaats eine wesentliche Rolle, ohne dass dieser Gedanke zur Idee der Volkssouveränität radikalisiert worden wäre.

17.6 Öffentlichkeit und Transparenz der Reichspolitik 1612 konnte man in einer Flugschrift lesen: »Unser lieber Leser, wann ein Papst in Rom stirbt und die Kardinäle zukommen sollen, einen anderen zu erwählen, gibt es zu Rom allerhand freie Diskurse, welchen die Wahl treffen und was einen oder den andern daran verhindern möchte. Warum sollte es dann jetzt nach tödlichen Abgang des Teutschen Kaysers den freyen Teutschen nicht auch erlaubt sein, von der neuen Wahl zu diskutieren«52. Reichsöffentlichkeit wurde bereits durch die Goldene Bulle Karls IV. 1356 verfassungsrechtlich konstituiert. Sie bestimmte, dass der Kurerzkanzler den anderen Kurfürsten den Tod des Kaisers in einem »offenen Brief« mitteile53. Daher taucht die Bezeichnung »offener Brief« mit Bezug auf die Goldene Bulle in den Denuntiations-Schreiben bis zum Ende des Reiches immer wieder auf. Eingangs heißt es: »In Gottes Namen Amen: Kund und offenbar sei jeden männiglich durch dieses offene Instrument«54. Der Begriff des »offenen Briefes« hat in diesem Kontext seinen Ursprung. Auch die Wahlkapitulationen wurden immer wieder, unter anderem gleich zu Beginn der Einleitung, als »offener« Brief, Vertrag oder Artikel bezeichnet. In der Wahlkapitulation heißt es außerdem wiederholt, dass nur gemeinsame Beschlüsse auf »öffentlichen Reichstagen« gültige, die Reichsstände und Reichsuntertanen verbindende Gesetze zur Folge haben können55. Diese grundgesetzlich vorgeschriebene Öffentlichkeit und Transparenz der gemeinsamen Staatsverhandlungen war ein besonderes Charakteristikum des 52 53 54 55

[Anonym]: Discurs oder Politische Erzehlung, 1612, [Einleitung]. 1. Kapitel § 18. HHStA Wien: MEA Wahl- und Krönungsakten Karton 44 1711, 1712, 1740. U. a. Artikel XII,6 Franz I. 1745.

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Alten Reiches. Dies führte zu einer breiten publizistischen Partizipation am politischen Diskurs. Diese beständige, breite, politische Debatte war das Eigentümliche der politischen Kultur des Alten Reiches, die es von anderen frühneuzeitlichen Staaten wie Frankreich unterscheidet. Nur im Nach-Stuart-England und in den Niederlanden war in Europa eine vergleichbar lebendige politische Öffentlichkeit vorhanden. In Deutschland wurde diese politische Öffentlichkeit durch die Reichsverfassung, die Wahlkapitulation, garantiert. Die Öffentlichkeit der politischen Verhandlungen führte dazu, dass die Obrigkeiten selbst sich am publizistischen Diskurs beteiligten. Ein großer Teil  des politischen Schrifttums der Frühen Neuzeit stammte nicht von emanzipationsbeflissenen Aufklärern und war nicht gegen den Arkananspruch der Obrigkeiten gerichtet, sondern stammte von den Obrigkeiten selbst und war gegen konkurrierende Obrigkeiten gerichtet. Dieses Schriftgut sollte auf dem Umweg über die öffentliche Meinung, häufig aber auch durch einen direkten Appell die Politik der anderen Reichsstände beeinflussen. Es handelt sich um politische Publizistik als herrschaftliches Mittel, um den Gegner zu diffamieren und die Bevölkerung zu beeinflussen. Dieses offizielle, offiziöse oder auch nur parteiische Schrifttum wurde von den interessierten Mächten sehr genau zur Kenntnis genommen. An den Spesenabrechnungen der Vertreter der großen Mächte auf dem Westfälischen Friedenskongress ist zu ersehen, dass sie in großem Umfang Parteischriften aller Art kauften56. Die Macht der Darstellung in Wort und Bild wurde zugunsten obrigkeitlicher Zwecke genutzt und rief gleichzeitig obrigkeitsferne Publizistik hervor. Besonders in Deutschland führten die große Zahl der Reichsstände und ihre unterschiedlichen Interessen zu einer enormen Dynamik ihres öffentlichen Diskurses, die auch regierungsunabhängige Publizisten in ihren Sog zog und den Arkananspruch der frühneuzeitlichen Politik unterminierte57. Dies war ein bemerkenswerter Gegensatz zu den Verhandlungen des späteren Deutschen Bundestages, auf dem die deutschen Länder wichtige Themen zunehmend im Geheimen, unter Ausschluss der politischen Öffentlichkeit er­ örterten. Strenge Zensurgesetze in den meisten Einzelländern des Deutschen Bundes vernichteten dann die über Jahrhunderte gewachsene Kultur der politischen Öffentlichkeit in Deutschland. Erst jetzt entstand der später so verhängnisvolle Untertanengeist als dominierende politische Kultur in Deutschland. Die Reichsverfassung war dennoch eine wehrhafte Verfassung, denn Schriften gegen ihre Fundamente, den Augsburger Religionsfrieden und den West56 Bosbach, Gedruckte Informationen, S.  59–137. Ein ausführlicher Anhang dokumentiert den Erwerb von Drucksachen durch die Diplomaten und vermag einen lebendigen Eindruck davon zu vermitteln, welchen Anteil Druckschriften an der Informationsbeschaffung der Gesandten sowie an der Verbreitung von Nachrichten über den Verhandlungsgang hatten, ebd., S. 85–137. Schmidt, Spanische Universalmonarchie. 57 Burgdorf, Der intergouvernementale Diskurs, S. 75–99.

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fälischen Frieden waren durch die Wahlkapitulation seit 1653 verboten58. 1715 folgte noch ein kaiserliches Edikt gegen reichskonstitutionswidrige Schriften59. Das Verbot von Schriften wider den Religionsfrieden und den Westfälischen Frieden wurde von den Reichsständen strengstens exekutiert. Ausgehend von der erstaunlichen Vitalität der Reichspublizistik ist dies bemerkenswert. Umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass ein Teil der Reichspublizistik im Auftrag der Obrigkeiten entstand. Alle weiteren Friedensschlüsse im Reich lösten wahre Fluten von Publizistik aus. Nicht selten wandten sich diese Schriften gegen den Friedensvertrag oder einzelne seiner Bestimmungen. Erstaunlich ist es auch, weil 1648 kaum ein Reichsstand mit dem Friedensschluss zufrieden war. Trotz unsäglicher Anstrengungen und Aufwendungen hatte niemand sein Kriegsziel erreicht. Kritik am Frieden von 1648 hätte somit nahegelegen. Aber dies geschah nicht, zu groß war die Furcht vor einer Wiederanfachung mörderischer Kriegsgreuel. Später verhinderten die Wahlkapitulationen eine öffentliche Infragestellung dieses Fundaments der Reichsverfassung. In diesem Punkt, was die Unangreifbarkeit ihrer Substanz anbelangt, war die Reichsverfassung erfolgreich wehrhaft. Der Reichshofrat, der neben dem Bücherkommissariat in Frankfurt die Aufsicht darüber führte, versah hier seit 1653 gemäß Artikel II der Wahlkapitulation die Funktion des Verfassungsschutzes60. Die Reichsverfassung verteidigte durch die Bestimmungen der Wahlkapitulationen die Grundordnung des Reiches. Die Bücherkommission in Frankfurt diente nur diesem Zweck. Das verhinderte aber nicht, dass es in Hinblick auf alle anderen Bereiche der Reichsverfassung eine permanente Flut von Verfassungsreformvorschlägen gab. Schriften zur Frage der Verfassungs- bzw. der Reichsreform blieben erlaubt und machten einen erheblichen Teil  der Reichspublizistik aus61. Dass die Verfassungsreformdiskussion gestattet sei, unterstützt auch das erste der Kurfürstlichen Kollegialschreiben von 1742, das der bevorstehenden Reichskammergerichtsvisitation gewidmet war und selbst auf Vorschlägen aus der Reichspublizistik beruhte. Gemeinhin gilt die Entstehung der Press Gallery ab 1771 im Londoner House of Commons als erste Ablösung von der Geheimpolitik. Die Reichspolitik war jedoch spätestens seit 1653 immer transparent. Da man in der Regel in Circulo tagte, blieb die für Verhandlungen unpraktische zeremonielle Bestuhlung bzw. die Bänke im Reichstag von den Reichstagsgesandten unbenutzt. Hier saßen in der Regel die Legationssekretäre und Beobachter, die alles, was hier vorging und

58 Artikel II. 59 Patent wegen Schmäh-Schriften in Glaubens- und Staats-Sachen, 18. Juli 1715, teilweise abgedruckt in: Deutsche Vierteljahrsschrift 9 (1840), S. 25. 60 1792 Artikel II, Paragraph 7. 61 Burgdorf, Reichskonstitution.

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beschlossen wurde, alsbald publizierten. Hier gab es eine Press Gallery, mehr als hundert Jahre, bevor der Begriff in England geprägt wurde. Die Transparenz der Reichspolitik war ein Charakteristikum der politischen Kultur des Reiches. Dieser Mangel an Arcana war aber auch ein weiterer Grund für die geringe Durchsetzungskraft des Reiches gegenüber seinen eher absolutistischen Zeitgenossen. Arkanpolitik, die sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit abspielte, verlieh dem beteiligten Staatswesen darüber hinaus eine spezifische Anziehungskraft, nämlich die Attraktivität des Geheimnisses. Auch dieser entbehrte das Reich.

17.7 Frühneuzeitliche Veröffentlichungen der Wahlkapitulationen Das Schwinden der Reichsarkana, die zunehmende Transparenz von Reichspolitik und Reichsverfassung lässt sich besonders gut am zeitgenössischen Umgang mit den Wahlkapitulationen zeigen. Noch 1611 trug man Bedenken, ein Dokument zu publizieren, das dem Kaiser Beschränkungen auferlegte. So schrieb der Publizist Melchior Goldast von Haiminsfeld an seinen Kollegen Friedrich Hortleder: »Nicht alle werden mit dir übereinstimmen, wenn die kaiserliche Wahlkapitulation veröffentlicht wird. Die Sache entbehrt auch nicht einer Gefahr, zumal da damit die größte Beleidigung des Kaisers verbunden ist«, der lange Arme habe62. Johann Stephan Pütter war zunächst wie vor ihm Goldast und Hortleber der Ansicht, dass die frühen Wahlkapitulationen ungedruckt geblieben waren63, korrigierte sich jedoch später, der Druck der Kapitulationen sei so alt wie die Kapitulationen selbst64. Schon in der Vorrede eines Drucks der Verpflichtung Ferdinands II. hieß es 1620: »Es ist nichts neues, günstiger Leser, daß kaiserliche Kapitulationen an Tag gegeben werden«65. Alle Wahlkapitulationen sind bereits in der Frühen Neuzeit zeitnah zu ihrer Abfassung gedruckt worden. Zunächst gab es nur kommerzielle Drucke. Eine »förmliche« Publikation erfolgte zunächst nicht. »Die amtliche Publikation mittels kaiserlichen Privilegs setzte erst nach dem Westfälischen Frieden mit der

62 63 64 65

Pütter, Litteratur des Teutschen Staatsrechts. 1. T., S. 139. Übersetzung Florian Lehrmann. Ebd., T. 1, S. 137, 139. Ebd., T. 2, S. 393. Moser, Betrachtungen über die Wahlcapitulation Kayser Josephs II., S.  9 f. Kleinheyer glaubte irrtümlich, dass es keine zeitgenössischen Drucke der ersten Wahlkapitulation Ferdinands I. von 1531 gäbe: Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 70 u. 128. Die Kapitulationen bis einschließlich Kaiser Matthias seien nicht gedruckt worden. Fritz Hartung kannte keine Drucke der Obligationen Maximilians II. und Rudolfs II: Hartung, Wahlkapitulationen, S. 307.

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Wahlkapitulation Ferdinands IV. 1653 ein« und wurde bis zum Ende des Reiches fortgesetzt66. Die Publikation war entscheidend für die allgemeine Kenntnis der Kapitulationen. »Die übrigen Stände erhalten nicht einmal legale Notiz davon. Es war etwas außerordentliches, dass im Jahr 1654 die Wahlkapitulation dem Reichskonvent durch die Diktatur mitgeteilt wurde«67. Der 1654 mitgeteilte Entwurf war die Verhandlungsgrundlage für die Perpetua. 1711 wurde auch der endgültige Entwurf der Perpetua den Reichsständen durch die Diktatur bekannt gemacht. Das Verfahren war jedoch umstritten, da es im Interregnum stattfand. Herkömmlich galt der Reichstag mit dem Tod des Kaisers als aufgelöst. Daher konnte es bis zur Wahl eines neuen Reichsoberhauptes auch keine offizielle Diktatur geben. In der zweiten Hälfte des 17.  und während des 18.  Jahrhunderts wurden die ersten Drucke der Wahlkapitulationen in der Regel mit einem kaiserlichen Druckprivileg zugunsten einer karitativen Einrichtung in Mainz von einem Kurmainzer Sekretär veranstaltet. So informiert Peter Mathaei den Leser 1742 im »Vorbericht« seiner Edition: Das »königliche Privilegium Impressorium« sei ihm gnädigst erteilt worden, da »er bei Expedir- und Kollationierung erwehnter Wahlkapitulation selbst gebraucht, und das Originalkonzept von ihm auch eigenhändig geschrieben worden«, er »folglich dem Publico solche vor andern getreulich mitzuteilen im Stande seye«68. Der Stellenwert dieser offiziellen, kaiserlich privilegierten Drucke in der Geschichte der förmlichen Gesetzespublikation ist bislang noch nicht erforscht. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war der antike römische Rechtsgrundsatz, dass nur jene Gesetze Bindungskraft entfalten können, die allgemein bekannt gemacht wurden. Dieser Grundsatz war im Mittelalter weitgehend unbekannt. Um 1500 trat er mit der Rezeption des Römischen Rechts wieder ins allgemeine Bewusstsein. Ratifizierte Reichsgesetze traten durch ihre Promulgation, durch ihre Verlesung bzw. durch die Diktatur im Reichstag in Kraft. Diese war stets mit der Aufforderung an die Stände verbunden, das neue Gesetz in ihren Territorien bekannt zu machen, führte in der Regel aber auch zur umgehenden Publikation. Mithin bedurfte es keiner offiziellen Publikation, da schnell private Drucke aus kommerziellen Motiven erfolgten. Vorlage dieser Veröffentlichungen war in der Regel eine der Kopien aus der Diktatur, die seit 1495 auch an das Reichs­ kammergericht und später auch an andere Institutionen versandt wurden. Der freie Markt sorgte für die allgemeine Bekanntmachung der Reichsgesetze. Offizielle Gesetzesblätter gibt es erst seit der Französischen Revolution. Die Publikationen von Reichsabschieden, Reichsgutachten und deren Ratifi­ kationen und auch der Wahlkapitulationen, zumal mit kaiserlichem Privileg, 66 Holzborn, Geschichte der Gesetzespublikation, S. 36. 67 Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 22. 68 Matthaei (Hg.), Ihrer Röm. Kayserl. Majestät Caroli VII. Wahl-Capitulation, S. I.

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antizipierte diese Entwicklung69. Geheime Gesetze, wie in einigen Territorien des Reiches oder in Frankreich, gab es auf der Ebene des frühneuzeitlichen Reiches nicht. Das Privileg verbot den Nachdruck für zehn Jahre, »bei Vermeidung fünf Mark löthigen Goldes für jeden Druck zur Hälfte in die königliche Kammer, zur andern an Mathäi oder dessen Erben«70. Spätere, nicht privilegierte Drucke waren eine Kommerzialisierung jener Drucke, die ursprünglich für den Gebrauch der Reichsgerichte, weiterer Reichsinstitutionen oder auch auf Wunsch bestimmter Reichsstände hergestellt worden waren. Aber auch die Legationssekretäre anderer Kurfürsten oder Juristen, die reichsständische Partikularaufträge am Wahlkonvent verfolgten, betätigten sich als Herausgeber71. Der spätere kursächsische Minister und Reichsgraf Bernhardt Zech hatte 1711 der Kaiserwahl Karls VI. als kursächsischer Legationssekretär beigewohnt. 1713 publizierte er anonym eine vergleichende Edition der Wahlkapitulationen von Joseph I. bis Karl VI. sowie des Entwurfs der Perpetuierlichen Wahlkapitulation von 171172. Seine Anonymität war dem Umstand geschuldet, dass er das kaiserliche Druckprivileg für die Kurmainzer Edition der Wahlkapitulation Karls VI. verletzte. Die Masse der Reichsstände erfuhr wie die deutsche und internationale Öffentlichkeit den überarbeiteten Inhalt der jeweiligen Wahlkapitulationen erst aus den öffentlichen Drucken, also mit einer gewissen Verzögerung zum Verhandlungs- und Krönungsgeschehen. Dies zeigt z. B. ein Protest der Fürsten gegen die Wahlkapitulation Kaiser Leopolds I. 1658: »Wie und welcher Gestalt die jüngste kaiserliche Kapitulation eingerichtet worden, davon ist uns von dem Kurmainzischen Reichsdirektorium Kommunikation geschehen, haben es auch nunmehr in der gedruckten, welche gleichwohl nicht ohne Befremdung mit der von dem Direktorio kommunizierten in einigem Hauptstück dicrepant befunden worden, ersehen«73. Trotz zeitgenössischer Drucke hatte man die Kapitulation Ferdinands I. von 1531 bereits im 17. Jahrhundert vergessen. Sie wurde erst 1781 wiederentdeckt74. Schon die Editoren der Frühen Neuzeit bemühten sich um »vollständige diplomatische Genauigkeit und Richtigkeit«, denn »leider« komme »es ja hier, wie in mehreren Theilen der Rechtswissenschaften, gar sehr auf Kleinigkeiten an!«75. Fast ohne Ausnahme klagten sie sich gegenseitig sinnentstellender Druckfehler an, bis hin zu fehlerhafter Zählung von Paragraphen und Arti69 Holzborn, Die Geschichte der Gesetzespublikation, S. 36. 70 Matthaei (Hg.), Ihrer Röm. Kayserl. Majestät Caroli VII. Wahl-Capitulation, S. I. 71 Häberlin war während des Wahlkonvents 1790 mit Aufträgen von seinem Hofe wie auch vom reichsstädtischen Kollegium in Schwaben versehen. 72 Zech, Gegenwärtige Verfassung. 73 Der Fürsten und Stände Protestation und Contradiction, die Capitulation Leopoldi, in: Müldener, Capitulatio Harmonica, S. 207. 74 Arndt (Hg.), Römisch-Königliche Kapitulation Ferdinands des Ersten. 75 Crome, Wahlcapitulation, S. IV.

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keln76. Zudem wurde moniert, dass »die Privatrubriken der Artikel und Paragraphen« fehlerhaft oder unsinnig seien. Dabei handelt es sich um die Überschriften der Paragraphen und Artikel, die nicht Teil  der Urkunde waren, gleichwohl zur Orientierung unerlässlich sind, da man sich ansonsten ohne Wegweiser in den immer umfangreicher werdenden Texten orientieren müsste. Manche der frühneuzeitlichen Editoren haben auch Wahltagsprotokolle mitediert77. Schon Zeitgenossen konstatierten, dass die Verhandlungsprotokolle das beste Mittel zur Erläuterung der Wahlkapitulationen seien78. Angesichts des Umfangs der Protokolle, die mitunter über 1000 Seiten umfassten, ist dies jedoch wenig praktikabel. Gleichwohl bleibt die Edition der Wahltagsprotokolle, insbesondere jener Wahlen nach entscheidenden Veränderungen im Reichsgefüge (1558, 1658, 1742, 1790) ein reizvolles Desiderat. Ein generelles Problem der frühneuzeitlichen Reichspublizistik ist ihr oft tendenziöser Charakter. Schon die Veröffentlichungen Melchior Goldasts von Haiminsfeld, die den Beginn des Jus publicum markieren, waren tendenziös, nämlich zumindest antipäpstlich79. »Wichtig an den Pionieren des Staatsrechts um 1600 war, dass sie das politische System des Reiches nicht mehr aus römischrechtlichen Grundsätzen entwickelten, sondern sich vielmehr an der aktuellen, indes historisch gewachsenen Gesetzeslage orientierten, und dass sie die Beschäftigung mit ihr der Geheimnistuerei jener fürstlichen Kanzleien entwanden, die staatsrechtlich relevante Dokumente traditionell als ihre Domäne erachtet hatten – ein Monopolanspruch, der sich zur Ignoranz der herkömmlichen Jurisprudenz fügte, die sich als Privatrechtswissenschaft verstand, staatsrechtliche Sachverhalte nur am Rande wahrnahm und dann gegenwartsblind in römischrechtlicher Manier zu traktieren pflegte«80. Im 17. und 18. Jahrhundert jedoch erreichte die Editionstätigkeit der Reichspublizistik ein hohes, um Neutralität bemühtes Niveau. Gipfel dieser Entwicklung sind die Editionen harmonischer Wahlkapitulationen in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. Frühneuzeitliche Editionen dienten der Unterrichtung des allgemeinen Publikums, der historischen Erklärung der damaligen Reichsverfassung, der juristischen und politischen Praxis sowie der akademischen Lehre, »zum Gebrauch feiner Herrn Auditorum in den Collegiis Juris Publici« Imperii, »vorzüglich zu akademischen Vorlesungen«81. Ein Herausgeber erläutert, sein Werk habe den

76 Ebd., S. IV. 77 [Anonym]: Geheimbdes Protokollum. Schneidt, Vollständige Geschichte der römischen Königs-Wahl Rudolphs II.. Bei Müldener 1697 findet sich das Wahlprotokoll von Kaiser Matthias. Wahlprotokoll Franz I. 1746 auf hohen Befehl o. O. gedruckt. Moser, Einleitung in die neueste Staats-Historie Teutschlands, S. 1. Lynker, Protocolle. [Roth], Aechtes Protokoll. 78 Schmauß / Senckenberg (Hg.), Teutsche Reichs-Abschiede, T. I, S. 59. 79 Goldast von Haiminsfeld, Monarchia S. R. Imperii. Ders., Collectio constitutionum imperialium. Gotthard, Rezension von: Caspary, Späthumanismus. 80 Ebd. 81 Francken (Hg.), Ihrer Röm. Kayserl. Majestät Francisci Wahlkapitulation, S. III.

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»Zweck der gelehrten Welt, vorzüglich der studierenden Jugend einen nützlichen Dienst« zu leisten82. »Da die Wahl-Kapitulation unter denen Reichsgesetzen den ersten Platz verdienet und allezeit behauptet, und eine jede, welche bey der Wahl eines neuen Kaysers abgefasset wird, einige Abweichungen von der vorhergehenden hat; so ist einen jeden Rechtsgelehrten, der sich nicht blos auf die Ausübung der Privatrechte einschräncket, daran gelegen, solche zu haben, und sich bekannt zu machen. Es werden auch auf manchen Universitäten Vorlesungen darüber angestellet und gehalten, mithin solche von Jünglingen, die sich der RechtsGelahrheit wiedmen, und ihre Absicht auf mehr als magere und trockene Prozesse richten, in den Buchläden öfters vergebens gesuchet, und wenn auch dieses nicht wäre; so wird dieselbe dennoch in Vorlesungen über verschiedene Theile des Rechts angeführet, und also von denen fleißigen Zuhörern zum Nachschlagen sehr nöthig und nüzlich gebrauchet. Und wie nöthig sind nicht endlich die Grund-Gesetze, die in der neuesten Wahl-Capitulation enthalten, denjenigen, welche das Jus publicum öffentlich lehren, damit sich beschäftigen, und davon Schriften ans Licht stellen? Wie unentbehrlich den erhabenen Ministern und grossen Staats-Männern?«83. So erläuterte ein anonymer Herausgeber 1773 ausführlich seine Motivation. Auch Johann Jacob Schmauß hatte 1720 »die Reichsgesetze zum Gebrauch akademischer Lektionen zusammendrucken lassen«84. Einer seiner Nachfolger zielte auf den »täglichen pragmatischen Gebrauch bei den Vorlesungen über das deutsche Staatsrecht«85. Andere publizierten eher für die juristische Praxis: »Wie aber Recht und Gerechtigkeit, als die edelsten Stützen des Throns, hinwieder auch auf die Gesetze gegründet seyn müssen: Also darf sich auch gegenwärtige Sammlung der Teutschen Reichsgrundgesetze, welche den Teutschen Richter-Stühlen die Regeln und Richtschnur ihrer Aussprüche geben sollen«86, größter Nützlichkeit erfreuen, erklärte der kaiserliche Bücher-Kommissions-Actuarius Ernst August Koch 1747. Einige der Editoren wie Schmauß beschränkten sich bei der Herausgabe auf jene Reichsgrundgesetze, die noch gültig waren, und verzichteten auf den Abdruck der früheren Wahlkapitulationen, die »in dem studio juris publici novissimi unnötig« seien87. Viele Autoren sahen aber gerade in dem möglichst vollständigen Abdruck aller Wahlkapitulationen die einzige Möglichkeit zum sinnvollen Studium und zur Erklärung der neuesten Kapitulation. Johann Christian Müldener, der erste Herausgeber einer Sammeledition aller bis dahin erschienenen Wahlkapitulationen, wollte 1697 gerade die Verände82 Ebd., S. 100. 83 Wahlkapitulation Ihro Römischen Kaiserlichen Majestät Joseph II., S. 3–5. 84 Schmauß, Corpus Juris Publici S. R. Academicum, S.  XVII (Vorrede zur 4.  Auflage, die 1. war 1720 erschienen). 85 Riegger, K. Joseph des II. harmonische Wahlkapitulation, T. I, S. XII. 86 Schmauß / Senckenberg (Hg.), Teutsche Reichs-Abschiede, T. I, S. 2. 87 Schmauß, Corpus Juris Publici S. R. Academicum, S. IV f.

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rungen der Wahlkapitulation im Laufe der Zeiten im Schriftbild verdeutlichen, um so »gleichsam in einem Augenblick den Anfang und das Ende derer WahlCapitulationen gegeneinander halten, und aus der letzeren alsobald und ohne besondere Mühe die erstere erwägen konnte«88. Müldener wollte die Ergänzungen in den einzelnen Kapitulationen von Ferdinand I. bis zu Joseph I. im Schriftbild durch verschiedene Farben kenntlich machen. Das wäre schon damals eine ziemlich bunte Edition geworden. Das Vorhaben scheiterte jedoch an den Kosten, stattdessen verwendete er unterschiedliche Schriftarten. Teile aus der Kapitulation Karls V. wurden in mittlere Schriftgröße gesetzt, Zusätze, die erstmals bei Joseph I. auftauchen, wurden mit großer Schrift wiedergegeben. Die anderen acht Kapitulationen sind mit der üblichen kleinen Schrift gedruckt, Zusätze in den mittleren acht Wahlkapitulationen sind durch den ersten Buchstaben des Kaisernamens und eine römische Zahl bei den vier Ferdinanden kenntlich gemacht. Kaiser Matthias muss sich mit einem kleinen »m« begnügen, weil das große »M« schon an Maximilian II. vergeben war. Anmerkungen mit Kreuzchen kennzeichnen Auslassungen und Änderungen, Anmerkungen mit arabischen Zahlen Begriffsveränderungen, die den Sinn nicht betrafen. Sternchen zeigten an, wenn ganze Artikel weggelassen worden waren. Er betrachtete seine Edition als eine brennende »Kerze, von deren Feuer viele andere angeflammt werden«89. Mit dieser Metapher erscheint die Reichspublizistik als Teil der Aufklärung und wissenschaftlichen Erklärung der Welt. 1697 berichtet Müldener er habe im »verflossenen Winter über die Capitulation Josephi aufrichtig, deutlich, und nach der hier gewöhnlichen Methode, als woselbst man weder das Licht der Weisheit unter einen Scheffel zu verbergen, noch die Sonne der Wahrheit mit Dunst und Nebel zu umhüllen gemeynet, so viel nemlich in« seinem »wenigen Vermögen bestanden«, zu erläutern sich bemüht, »den Studierenden nützlichen Dienst« zu leisten90. Das Bewusstsein des methodischen wissenschaftlichen Durchbruchs führte zu einer wahren Blüte der Aufklärungsmetaphorik, ein bislang unbekannter Höhepunkt der Frühaufklärung, hundert Jahre, bevor Kant den Begriff der Aufklärung definierte. Müldener versah als erster jeden Artikel mit einem kurzen Regest und wirkte damit stilbildend. »Wie ich nun zu Erfüllung dieses meines Versprechens, das Jus publicum Gentium Europaeum in einem sonderlichen Collegio bißhero tractiret, also habe ich auch gleichfalls die Grund-Gesetze des Heil. Römischen Reichs zu erklären angefangen«91. Hier erscheint das deutsche Reich als einer in der Vielzahl der europäischen Staaten. Seit Kaiser Karl VII. wurde auch in der Wahlkapitulation in Artikel XXII, Paragraph 7 von den »Reichsstaatsachen« gesprochen.

88 89 90 91

Müldener, Capitulatio Harmonica, S. II. Ebd., S. III. Ebd., S. IV f. Ebd., S. IV.

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Die deutsche Verfassungsgeschichte ist somit, als sie zur methodisch reflektierten Wissenschaft wurde, ungeachtet älterer kompendienhafter Vorläufer aus einer komparatistischen europäischen Verfassungskunde hervorgegangen. Diese komparatistische europäische Verfassungskunde war sowohl Teil der juristischen Ausbildung wie der galanten Studien, die zur höheren Bildung des Adels gehörte. Kein anderes europäisches Land weist in der Frühen Neuzeit ein ähnlich reiches, seiner Verfassung gewidmetes Schrifttum auf wie Deutschland mit seiner Reichspublizistik, deren historischer Ansatz ein wichtiges, bald vergessenes Fundament der historischen Rechtsschule des 19. Jahrhunderts wurde. Als Schmauß 1727 feststellen musste, dass Burkhard Gotthelf Struve im Vorjahr in Jena einen Nachdruck seiner Sammlung der Reichsgrundgesetze veranstaltet hatte92, vermutete er wohlwollend, Struve habe wohl »nichts anderes, als ein großer Eifer der akademischen Jugend zu dienen, hierzu angetrieben«, und begründete somit seinerseits die Neuauflage seiner Sammlung93. Zwar habe Struve Recht gehabt, dass manche Constitutionen nicht »nach den richtigsten Exemplaren abgedruckt worden« seien und es auch »die allgemeine Klage der vornehmsten Publicisten bis dato gewesen« sei, »daß so wohl das Corpus Recessum, als auch andere Collectiones und Editionen der Reichsgesetze mit so unzähligen Fehlern angefüllt sind, dass oft gar kein, oft aber ein ganz verkehrter und widriger Verstand daraus genommen werden kann«. Doch statt die ursprüngliche Edition zu verbessern, hätten Struve und sein Verleger etliche neue Fehler hinzugefügt94. Schmauß habe hingegen seit vielen Jahren »alte Originalia« und erste Editionen gekauft. Er könne »solchemnach mit großer Zuversicht von der gegenwärtigen Auflage« seines »Corporis Juris Publici versichern, daß alles in demselben nach den besten und allerältesten Exemplarien auf das sorgfältigste und genaueste collationiret und corrigiret worden, so dass man dergleichen Akkuratesse in keiner Edition des Corporis der Reichsabschiede von Anno 1599 an bis dato finden wird«95. Der Hauptmakel blieb also dabei, dass nicht konsequent auf die Originale zurückgegriffen wurde und somit mögliche Fehler oft gar nicht erkannt werden konnten. Bei manchen frühneuzeitlichen Editionen fehlen ganze Zeilen oder Absätze96. Schon der erste Herausgeber einer Sammeledition der ersten zehn Wahlkapitulationen und eines Entwurfes für die Perpetuierliche Wahlkapitulation bemühte sich 1697 um akkurate und mit den Originalen fleißig kollationierte Abschriften97. Dergleichen äußerten fast alle frühneuzeitlichen Herausgeber, »da man wahrgenommen, dass in die meisten anderen Editiones sehr viele, und 92 Struve, Corpus iuris publici academicum. 93 Schmauß, Corpus Juris Publici S. R. Academicum. S. VIII (Vorwort zur 2. Auflagen). Struves »unerlaubter Nachdruck« sei ein »offenbares Plagium«, ebd. Vorwort zur 4.  Auflage, S. XVII. 94 Ebd., S. VIII (Vorwort zur 2. Auflagen). 95 Ebd., S. IX (Vorwort zur 2. Auflagen). 96 Riegger, K. Joseph des II. harmonische Wahlkapitulation, T. I, S. 10 u. 16. 97 Müldener, Capitulatio Harmonica.

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nicht nur bloße Druck, sondern auch Real-Fehler mit eingeschlichen, welche öfters den Sensum ganz corrumpirten«98. So konnte einer der letzten Wahlkapitulationssynoptiker 1781 schreiben, seine Vorgänger hätten »mit viel Fleiß und großer Mühe gearbeitet«, doch sei er bestrebt, sie darin »nicht nur zu erreichen, sondern wohl gar zu übertreffen«99. Dieser Synoptiker Joseph Anton von Riegger beschreibt anschaulich das mühevolle Geschäft der Edition: »Ich habe verglichen, gebessert, kollationiert, und konkordirt. – Mühsam war die Arbeit genug, denn ich mußte die nämliche Stelle, und eben denselben § eines jeden Artikels wohl zu zwanzigmalen entweder selbst lesen, oder aber mir vorlesen lassen. Vielleicht könnte ich hier wohl sagen: inglorius, dum utilis«100. Bis zum Ende des Reiches gelang den Editoren jedoch niemals ein vollständiger Rückgriff auf die Originale, zumal mitunter exorbitante Summen für die Ausleihe bzw. für Abschriften von diesem ranghöchsten Verfassungsdokument des Alten Reiches verlangt wurden101. Zunehmend dienten solche Editionen aber auch dem Informationsbedürfnis eines breiteren Publikums. So bezeichnete ein Herausgeber sein Werk mitunter auch als »Opus zum Besten des sehnlich danach verlangenden Publici«102. Er war überzeugt, dass die Öffentlichkeit »großen Nutzen« aus »solchen endlich in ihrer wahren Gestalt und Vollkommenheit ans Licht trettenden Reichsgrundgesetze« ziehen werde103. Ein Herausgeber konstatierte neun Jahre nach der Wahl Kaiser Josephs II., es gebe an vielen Orten »einen grossen Mangel dieser neuesten Wahlkapitulation«104. »Je grösser und allgemeiner der Nutzen, den man sich von der neuesten Kayserlichen Wahl-Capitulation versprechen kann; je brennender die Begierde so vieler, das Original davon, in einen sauber genauen und richtigen Abdruck zu sehen und zu haben; je eifriger werde ich mich bemühen einen so rühmlichen Verlangen ein Genüge zuthun, und dem Publico einen angenehmen Dienst zu erweisen«105. Diese Äußerungen lassen darauf schließen, dass die kaiserlichen Wahlkapitulationen, wie überhaupt alles, was mit den Kaiserwahlen zusammenhing, von 98 99 100 101

102 103 104 105

Zech, Gegenwärtige Verfassung, S. XXII. Riegger, K. Joseph des II. harmonische Wahlkapitulation, T. I, S. V f. [nicht Ruhm verheißend, aber nützlich W. B.] Ebd., T. I, S. VI f. Ebd., T. I, S. IX: »Aechte, und mit den Originalen vergliche Abschriften konnte ich aller angewandten Mühe ungeachtet, nicht zur Hand bringen. Es wurden bis zwei tausend Gulden gefordert und soviel konnte ich freilich nicht dafür bezahlen«. Ebd., S. X: »So konnte ich doch mehrere, als ich unten anzeigen werde, von den originellen und ersten Abdrücken nicht zusammenbringen«. Schmauß / Senckenberg (Hg.), Teutsche Reichs-Abschiede, T. I, S. VII. Ebd., T. I, S. VIII. Fischer (Hg.), Wahl-Capitulation Ihro Römischen Kaiserlichen Majestät Joseph II., S.  5. Der Herausgeber meint zudem, dass die Kommentare der Caesarini-Ausgabe von 1766 stören. Fischer (Hg.), Wahl-Capitulation Ihro Römischen Kaiserlichen Majestät Joseph II., 1773, S. 7.

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allgemeinem Interesse waren. Ein Mitarbeiter der Frankfurter Bücherkommission behauptete 1747, die beiden auf dem Markt befindlichen Editionen der Wahlkapitulation Kaiser Franz’ I. seien »allgemein« bekannt106. Jeder vermochte sich im frühneuzeitlichen Reich relativ leicht über die Verfassung des Reiches und die Rechte, die sie gewährte, zu informieren. Allerdings klafften Ver­fassungsnorm und Verfassungswirklichkeit oft weit auseinander. Manche Verfassungsziele wurden nie erreicht.

17.8 Freiheit der Commerzien Die Wahlkapitulationen postulierten seit 1653 die »Freyheit der Commerzien, des Handels unnd Wandels zue Waser unnd Landt«107. Der Appell der Reichsmerkantilisten fand mit der Wahlkapitulation Ferdinands IV. Eingang in die Reichsverfassung108. Diese Forderung blieb aber zu Zeiten des Alten Reiches eine uneingelöste Zielvorgabe. Sie tauchte erneut in Artikel XIX der Deutschen Bundesakte vom 10. Juni 1815 auf: »Die Bundesstaaten behalten sich vor, bei der ersten Zusammenkunft der Bundesversammlung in Frankfurt wegen des Handels und Verkehrs zwischen den einzelnen Bundesstaaten sowie der Schifffahrt, nach den Grundsätzen und Beschlüssen des Wiener Kongresses, in Beratung zu treten«. Doch die Geschichte des gemeinsamen Marktes begann erst mit den Vorläufern des Deutschen Zollvereins von 1834 ab 1822. Erst im 19.  Jahrhundert konnte der Deutsche Zollverein ein »Faktor kultureller Nationsbildung« werden109. In Artikel VII der Paulskirchenverfassung von 1849 hieß es: »Das deutsche Reich soll ein Zoll- und Handelsgebiet bilden, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze, mit Wegfall aller Binnengrenzzölle« und in Artikel 33 der Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16.  April 1867: »Der Bund bildet ein Zoll- und Handelsgebiet, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze«. Fast wortgleich steht in Artikel 33 der Reichsverfassung vom 16. April 1871: »Deutschland bildet ein Zoll- und Handelsgebiet, umgeben von ge­meinschaftlicher Zollgrenze«. Nach Artikel 6 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 hat das Reich eine »ausschließliche Gesetzgebung« über »das Zollwesen sowie die Einheit des Zoll- und Handelsgebiets und die Freizügigkeit des Warenverkehrs«. Der Gegensatz der vielen Territorien und fiskalischen Interessen der mächtigeren Reichsfürsten verhinderte zu Zeiten des Alten Reiches den gemeinsamen 106 107 108 109

Schmauß / Senckenberg (Hg.), Teutsche Reichs-Abschiede, T. I, S. 59. Artikel XX der Wahlkapitulation. Bog, Der Reichsmerkantilismus. Kreutzmann 10.12.2009, Bericht: Konferenz Ökonomie und Nation. Burg, Die deutsche Trias.

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Markt. Die Vorgeschichte der gemeinsamen Zollgrenze und des gemeinsamen Marktes beginnt gleichwohl 1653. Mit jeder weiteren Wahlkapitulation wurde die Forderung bekräftigt und auf dem Wiener Kongress erneut diskutiert.

17.9 Kontrasignation Ab 1658 galt, dass Reichsangelegenheiten, welche an den Kaiser gingen, diesem vom Reichsvizekanzler vorgelegt wurden. Was immer der Kaiser als Kaiser zu unterschreiben hatte, musste vorab vom Reichsvizekanzler »kontra­signiert« sein110. Der neue Artikel XLII bewirkte die obligatorische Gegenzeichnung, damit immer klar war, als welche Person der Monarch handelte: als Kaiser oder Herrscher der Erblande. Die Gegenzeichnung nahm so quasi die Ministerverantwortlichkeit vorweg. Sie war ein wesentliches Element der Protokonstitutionalisierung. Diese Ausprägung der Protokonstitutionalisierung war zunächst dem Bestreben der Reichsstände geschuldet, die Handlungen des Reichsoberhauptes zu kontrollieren. Sie war aber gleichzeitig eine Folge der Aufspaltung der Administration in eine erbländische und eine Reichsverwaltung und Regierung. Beides zusammen führte zur Protokonstitutionalisierung der Verfahren auf der Reichsebene, wie der Kontrasignatur, die Vorbilder für konstitutionelle Herrschaftspraktiken nach 1789 liefern konnte. Artikel XLII der Wahlkapitulation Leopolds I. begründete eine bislang übersehene vordemokratische Ministerverantwortlichkeit gegenüber dem Reichstag. Dies führte dazu, dass alle kaiserlichen Ausfertigungen, die der Monarch als Kaiser erlassen wollte, der Kontrasignation, der Gegenzeichnung bzw. Mitunterschrift des Reichsvizekanzlers oder eines stellvertretenden Reichshofrates bedurften. Ohne die zusätzliche Unterschrift hätten die vom Kaiser unterschriebenen Dokumente in Zukunft keine Rechtswirksamkeit mehr entfaltet. Zwar kommen die Begriffe »Kontrasignatur« oder »Gegenzeichnung« 1658 in Artikel XLII nicht vor, aber dieses Verfahren der Mitunterzeichnung entstand infolge seiner Umsetzung, ohne dass es zunächst einen pointierten Namen gehabt hätte, 133 Jahre bevor es in der französischen Revolutionsverfassung von 1791 erstmals explizit fixiert wurde. Gewöhnlich wird davon ausgegangen, dass die Gegenzeichnung erst mit der parlamentarischen Kontrolle in konstitutionellen Monarchien an Bedeutung gewann, da der gegenzeichnende Minister oder Regierungschef mit seiner Unterschrift dem Parlament gegenüber für den Vorgang Verantwortung übernahm. Dadurch wurde die Kontrolle durch das Parlament ermöglicht, da der Monarch selbst dem Parlament nicht verantwortlich war. Das Handeln des Monarchen wurde der Willkür enthoben und in ein festes Verfahren gebettet. In Deutschland geschah dies mittels der 110 Siemsen, Kur-Brandenburgs Anteil, S. 106. Pütter, Historische Entwicklung, S. 45.

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Wahlkapitulationen eineinhalb Jahrhunderte vor dem Beginn des konstitutionellen Zeitalters111. 1742 wurde dies noch einmal in Artikel XXV, Paragraph 4 präzisiert: »Insonderheit sollen und wollen Wir die kayßerliche und Reichs-Angelegenheiten, als die Reichs-Tags-Geschäffte, die Instructiones Unßerer kayßerlichen Gesandten in und ausßer Reichs, die Erstattung ihrer Relationen in Reichs-Sachen, nicht weniger die Reichs-Kriegsgeschäfte und Friedens-Geschäffte betreffende Negotiationes und Schlüsße, an und durch niemand anders, dan durch den Reichs-Vice-Cantzlern gehen, nicht aber dießelbe zu Unßerer Erbland-HoffCantzley ziehen lasßen«. Vergleichbare Entwicklungen setzten auf der territorialen bzw. Länderebene oft erst viel später ein. In einem Patent zur Neuorganisation der Kurmainzer Regierung erklärte Kurfürst Friedrich Carl Joseph von Erthal hingegen noch am 19. Dezember 1790: »Was ich resolviere, das hat niemand zu verantworten, genug, dass meine Minister zu ihrer Wissenschaft davon unterrichtet werden«112. Auch in späteren deutschen Verfassungen erlangte die Gegenzeichnung Verfassungsrang, so in Artikel 17 der Reichsverfassung von 1871, Artikel 50 der Weimarer Verfassung und Artikel 58 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland: »Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister. Dies gilt nicht für die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers, die Auflösung des Bundestages gemäß Artikel 63 und das Ersuchen [der vorübergehenden Amtsführung] gemäß Artikel 69 Abs. 3«. Heute gehört die Kontrasignatur zum Rechtsstandard fast aller Verfassungen der Welt. Seinen Ausgangspunkt nahm dieses rechtsstaatliche Verfahren von der Wahlkapitulation des Jahres 1658.

17.10 Der Verfassungseid Am 14. August 1919 wurde für den Verfassungseid der Beamtenschaft des Deutschen Reiches eine neue Eidesformel erlassen. Sie lautete: »Ich schwöre Treue der Verfassung«. Dies war scheinbar ein eklatanter Bruch mit der Tradition. In der Geschichtsschreibung ist dazu zu lesen: »Erstmals wurde nicht mehr einer Person, dem Monarchen, sondern den Rechtsnormen der Verfassung Treue geschworen«113. Das ist jedoch falsch. Nicht 1919, sondern schon 1619 wurde in 111 Frisch, Die Verantwortlichkeit der Monarchen. Biehl, Gegenzeichnung. Winkler, Begna­ digung. 112 HHStA Wien: MEA, Korrespondenz, Fasz. 136, Organisationspatent vom 19.12.1790, zitiert nach: Blisch, Reichspolitik, S. 164. 113 Zusammenfassung zu: Conze, Treue schwören, S. 354–389, in: http://hsozkult.geschichte. hu-berlin.de/zeitschriften/ausgabe=7881.

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Deutschland die Treue im öffentlichen Dienst erstmals nicht mehr als Versprechen in »einer personalen Beziehung zwischen zwei Menschen«114, sondern als Bekenntnis gegenüber der Rechtsnorm der Verfassung des Reiches eingefordert115. Die eklatante Differenz von 300 Jahren steht für die abgerissenen und vergessenen, von der historischen und juristischen Forschung bislang nicht wahrgenommenen Traditionen der deutschen Rechtsstaatsgeschichte. Die Vereidigung des Herrschers und der Staatsdiener auf die Verfassung war in Deutschland lange vor dem 14. September 1791 oder gar dem 14. August 1919 üblich. Bereits 1899 hob Frensdorff die Ähnlichkeit des Eides auf die Kapitulation mit dem Eid der Monarchen auf die modernen Verfassungen hervor. Dem schlossen sich später Fritz Hartung und Gerd Kleinheyer an116. Der alte Krönungseid diente dafür nicht als Vorbild und wurde durch den neuen Eid auf die Wahlkapitulation auch nicht ersetzt. Der Krönungseid behielt seine tradierte Form bis zum Ende des Reiches. Im Unterschied zum Krönungseid der römisch-deutschen und anderer frühneuzeitlicher Herrscher erfolgte der Eid auf die Wahlkapitulation nicht nach dem Herrschaftsantritt oder als Teil  der Inthronisation, vielmehr als Voraussetzung für die Regierungsübernahme schon vor der Krönung. Besonders am Eid auf die Wahlkapitulation ist, dass nach Ablauf der ersten hundert Jahre nicht mehr nur der Monarch auf die Wahlkapitulation vereidigt wurde, sondern das gesamte Personal des Reiches. Nachdem Kurtrier und Kursachsen in den Wahlkapitulationsverhandlungen von 1612 vorgeschlagen hatten, die kaiserlichen Räte im Geheimrat wie im Reichshofrat sowie das künftige Reichsoberhaupt nach seiner Wahl auf den Religionsfrieden zu vereidigen117, kam es ab 1619 regelmäßig zur Vereidigung des Reichspersonals118 auf die Wahlkapitulation, die ihrerseits den Religionsfrieden bekräftigte, ab 1653 mit der Wendung, er solle gelten, als wenn er hier »Wort zu Wort« einverleibt wäre. Seit 1619 gab es also eine Vereidigung auf die Verfassung, nicht nur des Herrschers, sondern auch der Mitglieder der Reichsadministration wie im konstitutionellen Zeitalter. Auch die Mitglieder des Reichskriegsrates wurden auf die Wahlkapitulation vereidigt119. Der Schwur nicht nur des Reichsoberhaupts, sondern auch des gesamten Reichspersonals auf die Wahlkapitulation nahm den modernen Verfassungseid vorweg120.

114 Ebd. 115 Holenstein, Huldigung, S. 28. Zu Amts- und Diensteiden: Ders., Seelenheil und Untertanenpflicht, S. 11–63. Prodi, Eid. Ders. (Hg.), Glaube. Ders., Sakrament. Lange, Fahneneid. Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider, S. 94. 116 Frensdorff, Das Reich, S. 120. Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 51. Hartung, Wahlkapitulationen, S. 326. 117 Müldener, Capitulatio Harmonica, S. 107 u. 111. 118 »Reichsbeamten«, so Duchhardt, Verfassungsgeschichte, S. 239. 119 Eyd vor die Generalkriegsratdirektores, in: Schmauß / Senckenberg (Hg.), Teutsche ReichsAbschiede, T. IV, S. 29. 120 Ebenso in Reichshofratsordnung Titel 1 § 15, Titel 7 §§ 21, 24.

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In Großbritannien oder den USA würde man zur Beschreibung dessen, was am 28. August 1619 in Frankfurt am Main geschah, von einem »constitutional moment« sprechen. Die deutsche Geschichtsschreibung hat diesem Ereignis bislang keine besondere Bedeutung zugeschrieben. Zwar war die Wahlkapitulation von 1619, obwohl sie die älteren Reichsgrundgesetze bekräftigte, keine Verfassung im modernen Sinn, aber es bleibt doch das für die Rechtsgeschichte bedeutende Faktum, dass erstmals Funktionsträger des öffentlichen Dienstes nicht mehr auf den Monarchen oder eine andere Obrigkeit, sondern auf letztgültige und übergeordnete Rechtsnormen vereidigt wurden. In der Regel wird der Beginn der Geschichte der Amts- und Diensteide mit Hinweis auf die Vertragstheorie auf die Aufklärung zurückgeführt. Ein Amtsbzw. Diensteid stelle demnach eine Art »Vertrag« dar, der vor Gott geschlossen wird. Gott kam so die Rolle eines Eideshelfers und Eideswächters zu. In der Wahlkapitulation tauchen Amts- und Diensteide im Sinn der Vertragstheorie der Aufklärung schon 1519, Jahrhunderte vor Beginn der klassischen Aufklärung, auf. Ab 1558 wurde die religiöse Bekräftigung des Eides Monarchen konfessionsneutral formuliert. Spätestens ab 1619 galt dies auch für Amtsträger des Reiches. Der Kaiser sollte sicherstellen, dass die Mitglieder der Reichsadministration und Reichsjustiz die Wahlkapitulation »jederzeit vor Augen haben und darwieder weder handeln, noch raten«121. Aus diesem Grund wurde seit 1619 die Wahlkapitulation in allen Diensteiden des Reichspersonals ausdrücklich hervorgehoben. Dies geschah mehr als hundert Jahre vor 1750. Erst um 1750 erschienen mit den Werken von Hume, Spalding, Montesquieu, La Mettrie, Diderot, Condillac, Turgot, Maupertuis und Rousseau in dichter Folge die wichtigsten Werke der Aufklärung, der neuen Epoche des Denkens. Allerdings war es noch im 16. Jahrhundert in mehreren Territorien üblich, die fürstlichen Räte auch auf die »Landesfreiheiten« zu vereidigen122. Was hier als neue Entwicklung erscheint, die Vereidigung auf die Verfassung, war so durchaus in der Tradition verankert. Es wurde aber durch die neuzeitliche Staatsvertragstheorie mit neuem Inhalt aufgeladen. Auch galt die Vereidigung ab 1619 nicht mehr den Privilegien bestimmter Gruppen oder Korporationen. Intendiert war diese Verpflichtung der Amtsträger des Kaisers und des Reiches spätestens seit 1531, als Ferdinand I. in Artikel XXIX versprach, Zuwiderhandlungen zu unterbinden. Der Kaiser und sein Nachfolger, der Römische König, leisteten als die höchsten Amtsträger des Reiches einen Eid auf die Verfassung, Jahrhunderte bevor sich Friedrich »der Große« als »erster Diener seines Staates«123 bezeichnete, eines Staates ohne Verfassung.

121 1619, Artikel XLIII. 122 Schenk und Notzing, Das Bayerische Beamtentum, S. 27. 123 Friedrich II., Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandenbourg, S. 142.

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Etwas dem Eid auf die Wahlkapitulation Vergleichbares gab es erst mit dem Eid des amerikanischen Präsidenten, dem Eid des polnischen124, später des französischen Königs auf die jeweilige Verfassung und mit Napoleons Eid auf die Verfassungen von 1799 und 1804. Auch der Verfassungseid Ludwigs XVI. von Frankreich vom 3.  September 1791 beinhaltet ähnliche Grundelemente wie die deutschen Wahlkapitulationen: »Der König soll bei seiner Thronbesteigung, oder sobald er großjährig geworden ist, der Nation in Gegenwart der gesetzgebenden Körperschaft den Eid leisten, der Nation und dem Gesetze treu zu sein, alle ihm übertragene Macht zur Aufrechterhaltung der durch die verfassunggebende Nationalversammlung in den Jahren 1789, 1790 und 1791 beschlossenen Verfassung anzuwenden und die Gesetze ausführen zu lassen«125. Napoleon versprach 1804: »Ich schwöre, die Unversehrtheit der Republik zu behaupten, die Gesetze des Konkordats und die Freiheit des Gottesdienstes zu achten und achten zu lassen, die Gleichheit der Rechte, die politische und bürgerliche Freiheit, die Unwiderruflichkeit des Verkaufs der Nationalgüter zu achten und achten zu lassen, keine Abgabe zu erheben und keine Auflage zu errichten als in Gemäßheit der Grenzen des Gesetzes, die Ehrenlegion aufrechtzuerhalten und nur zum Vorteil des Glücks und zum Ruhm des französischen Volkes zu regieren«126. Auch hier finden sich die klassischen Themen der deutschen kaiserlichen Wahlkapitulationen wieder: Aufrechterhaltung und Schutz der Verfassung und Gesetze, Einhaltung der Konkordate und Freiheit der Religionsausübung, Gleichheit der Rechte, Verzicht auf unrechtmäßige Abgaben und Auflagen. Revolutionsbedingt waren die Unwiderrufbarkeit des Verkaufs der National­güter und natürlich als wesentlicher Unterschied die Achtung der politischen und bürgerlichen Freiheit. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss wurde die Veräußerung der deutschen ›Nationalgüter‹ sogar ein Jahr früher, 1803, von der Reichsverfassung garantiert. Am Ende der Wahlkapitulationen, dort wo der neu gewählte Monarch zum Eid verpflichtet wird, fehlt der explizite Bezug zur Nation, aber ab 1653 verband sich das Reichsoberhaupt nicht nur gegenüber den Kurfürsten, sondern gegenüber dem gesamten Reich zur Einhaltung der Verfassung: »Das Wir Unns demnach, aus freyem gnädigem Willen, mit denenselben Unnseren lieben Neven, Oheimen unnd Churfürsten, vor sich unnd sambtliche Fürsten unnd Stände des Heyligen Römischen Reichs, dieser nachfolgenden Articul, geding unnd pactweis vereiniget, vertragen unnd angenohmen, vergliechen unnd zuegesagt ha124 Der polnische König beschwor zwar die Verfassung am 8. Mai 1791. Dies ist jedoch nur bedingt mit dem Amtseid des deutschen Reichsoberhaupts, amerikanischen Präsidenten oder Napoleons vergleichbar. In der Verfassung heißt es: »Die Person des Königs ist heilig und unverletzlich. Da er nichts für sich selbst thut; so kann er auch der Nation für nichts verantwortlich seyn; und dafür erkennt und erklärt ihn das Gesetz und die gegenwärtige Verfassung«. Gosewinkel / Masing (Hg.), Verfassungen, S. 381. 125 Kapitel II, Artikel 4. 126 Zit. nach: Hartig / Hartig, Französische Revolution, S. 64.

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ben, alles wisentlich unnd Krafft dieses Briefs« heißt es von nun an in der Präambel. Die Kurfürsten wie die Reichstände insgesamt verstanden sich hier als Repräsentativkörperschaft, die auch die Interessen der einfachen Reichseinwohner wahrnahmen, wenn sie z. B. an verschiedenen Stellen die Gleichheit vor dem Gesetz festschrieben. Zwar bestand hier eine offensichtliche Kluft zwischen der normativen Verfassung und der rechtlichen und sozialen Realität im Reich, sie war aber nicht so eklatant wie in den Sklavenhalterstaaten der USA. Der Amtseid des deutschen Reichsoberhauptes wurde, wie in späteren konstitutionellen Verfassungen, durch die Verfassung des Reiches selbst, nämlich durch die Wahlkapitulationen verlangt, bevor der Gewählte die tatsächlichen Regierungsbefugnisse ausüben durfte. Der Amtseid wurde normalerweise bei einer Amtseinführung, unmittelbar vor der Krönung abgelegt. Ohne Vereidigung auf die Wahlkapitulation erfolgte seit 1531 keine Krönung und Amtsübernahme mehr. Allerdings konnte die Eidesleistung vorläufig auch kommissarisch durchgeführt werden, musste jedoch in diesem Fall später, während einer öffentlichen Zeremonie, wiederholt werden. Der Beginn der Amtszeit und damit die Ausübung der Amtsbefugnisse hingen von der Eidesleistung ab. Die Vereidigung auf die Wahlkapitulation war eine Bekundung der Loyalität gegenüber der Verfassung des Reiches. Es zeigt sich somit, dass die Tradition der neuzeitlichen Amts- und Diensteide vor die Zeit der Aufklärung und der neueren staatsrechtlichen Vertragstheorie zurückgeht. Vielmehr bot die Reichsverfassung hier ein Vorbild für die neuzeitliche Staatstheorie sowie für spätere konstitutionelle Verfahren. Wahrscheinlich wird man ähnliche Zusammenhänge zwischen der Staatstheorie und den Verfassungen der Schweiz, der Niederlande, Venedigs usw. konstatieren können. Der Zusammenhang zwischen Montesquieus Staatsmodell und dem englischen Vorbild ist oft betont worden. Der Eid hat nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine moralisch-ethische Bedeutung. Er ist Ausdruck des Bekenntnisses zu Verfassung und Recht des Reiches und den dort definierten Pflichten des Amtes. »Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die Verfassung und die Gesetze des Reichs wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe«127, lautete ab 1919 der Amtseid des Reichspräsidenten, und die Bundespräsidenten versichern: »Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe«128. In der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 lautete der Amtseid des Präsidenten der Republik nach Artikel 102: »Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, die Verfassung und die Gesetze der 127 Artikel 39 Weimarer Reichsverfassung. 128 Artikel 56 Satz 2 GG.

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Republik wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde«. Neu ist die Heraushebung des »deutschen Volkes«. Dies verdeutlicht, dass die Verfassung des Alten Reiches keine Verfassung im modernen Sinne war, die durch die Volkssouveränität charakterisiert wird. Gleichermaßen verpflichtete sich aber das Reichsoberhaupt schon vor 1806 zur Einhaltung der Verfassung und der Gesetze. Der kaiserliche Amtseid der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849 ist das Scharnier zwischen der frühneuzeitlichen und modernen Form, das noch deutliche Einflüsse der Praktiken des Alten Reiches zeigt129. Die Regelungen der Paulskirchenverfassung zeigen formal und inhaltlich eine starke Anlehnung an das Vorbild der letzten Wahlkapitulation. Formal dadurch, dass die Eidesleistung des Kaisers ganz am Ende der Verfassung, nämlich in Abschnitt VII, geregelt wurde, welcher der »Gewähr der Verfassung« gewidmet war. Artikel I, Paragraph 190 bestimmte: »Bei jedem Regierungswechsel tritt der Reichstag, falls er nicht schon versammelt ist, ohne Berufung zusammen, in der Art, wie er das letzte Mal zusammengesetzt war. Der Kaiser, welcher die Regierung antritt, leistet vor den zu einer Sitzung vereinigten beiden Häusern des Reichstages einen Eid auf die Reichsverfassung. Der Eid lautet: ›Ich schwöre, das Reich und die Rechte des deutschen Volkes zu schirmen, die Reichsverfassung aufrecht zu erhalten und sie gewissenhaft zu vollziehen. So wahr mir Gott helfe‹. Erst nach geleistetem Eide ist der Kaiser berechtigt, Regierungshandlungen vorzunehmen«. Genau so war es schon in den Wahlkapitulationen geregelt. Das Gleiche gilt für den folgenden Paragraphen 191. Alle Reichsbeamten haben beim Antritt ihres Amtes einen Eid auf die Reichsverfassung zu leisten. Die Vereidigung der Bundesbeamten ist heute in Paragraph 64 BBG geregelt: »Ich schwöre, das Grundgesetz und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe«. Die Entwicklung, die hierhin führte begann mit der staatsrechtlichen Innovation der Wahlkapitulation Ferdinands II. 1619, mit der erstmaligen Vereidigung des Personals des Reiches auf die Verfassung und nicht auf die Person des Monarchen. Ihr vorausgegangen waren ältere Formen der Vereidigung der fürstlichen Amtsträger auf die jeweiligen Landesfreiheiten. Es war jedoch der Rezeption des »konstitutionellen Moments« vom 28. August 1619 nicht günstig, dass er zu Beginn eines Krieges erfolgte, in dem das Reichsoberhaupt entschieden versuchte, sich von der tradierten Bindung an die Verfassung zu lösen. Es handelt sich also um einen vergessenen konstitutionellen Moment, der wohl auch deswegen vergessen wurde, weil er in den folgenden Jahrzehnten wenig Auswirkung zeigte. Er wurde für Jahrzehnte von dem überwältigenden Ereignis eines verheerenden Krieges überlagert, der die Erinnerung der folgenden Generationen okkupierte. Aber dennoch, mit der Bindung nicht nur des Monarchen, sondern des gesamten Reichspersonals an die 129 Abschnitt VII, Artikel I. § 190.

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Wahlkapitulation trat ein neues Prinzip in die Verfassungsgeschichte. Der entscheidende neue Modus vivendi für die Funktionäre des Reiches wurde 1619 in der Wahlkapitulation installiert, auch wenn viele Funktionsträger ihre Treue weiterhin eher auf den Kaiser oder den Kurerzkanzler statt auf die Reichsverfassung richteten. Seit dem Entwurf der Pepetua 1711 bzw. der Wahlkapitulation Karls VI. 1711 blieb die Formulierung des damaligen Artikel XXX gleich: »Damit auch die Reichs-Hoffräthe, wie auch das kayßerliche Cammergericht in ihren RahtSchlägen, Expeditionen und sonsten sich nach dieser Capitulation richten, sollen und wollen Wir ihnen sowohl, als allen anderen Unseren Ministris und ­R häten dieselbe nicht allein vorhalten, sondern auch ernstlich einbinden, solche, so viel einem jeden gebühret, jederzeit vor Augen zu haben und dawieder weder zu thun, noch zu rhaten, solches auch ihren Dienst-Aydten mit ausdrücklichen Worten einverleiben laßen«. Nach einer Aufstellung in den Wahl- und Krönungsakten der Mainzer Erzkanzlei versandte der Kurfürst vier Exemplare der gedruckten beglaubigten Wahlkapitulation Karls VII. an die Reichsgerichte. Eines ging an den Reichsvizekanzler zum Gebrauch des Reichshofrates, drei an das Reichskammergericht. Zudem wurden Kurmainzische Territorialbehörden bedacht, die Regierung, das Kammeramt, Gerichte. Bis zur Zeit Leopolds II. nahm der Umfang der Versendungen stetig zu130. Gegen Ende des 18.  Jahrhunderts wurden ungefähr zweiundzwanzig Exemplare offiziell von der Reichskanzlei verschickt. Diese offiziellen Drucke enthalten am Ende in der Regel den handschriftlichen Eintrag »concordatum originali. Churfürstlich Maynzische Geheime Canzley« und waren mit einem eingeklebten, in Papier gefalteten Mainzer Siegel aus rotem Wachs versehen131. Adressaten waren solche Institutionen, von denen man eine sichere Kenntnis der Reichsverfassung erwarten durfte. Zwar verlangten die altfürstlichen Häuser ab der Wahl von 1711, der Kaiser solle die Mitglieder der Reichsgerichte und seine Räte nicht auf die Wahlkapitulation vereidigen lassen, da sie nicht alle von den Kurfürsten dem Projekt der Perpetua zugefügten Abschnitte als verbindlich ansähen. Sie konnten jedoch damit nicht durchdringen, da die neufürstlichen Häuser und die geistlichen Fürsten sowie jene fürstlichen Stimmen, die von Kurfürsten geführt wurden, den Protest nicht mittrugen. Die Staatsrechtler waren sich einig, dass die Wahlkapitulation durch den Schwur des Kaisers in Kraft trat132. 130 Kleinheyer, Wahlkapitulationen, S. 132. 131 In der Münchener Universitätsbibliothek hat sich ein solches Exemplar erhalten. HHStA Wien: MEA Wahl- und Krönungsakten, Karton 53, 1741–1742: »4 Exemplarien der gedruckten Wahl-Capitulation von der Churmayntzischen geheimen Canzley gesiegelt seyn, dem Reichsvizecanzler zum Gebrauch und Nachachtung des Reichshofraths worden« fol. 10. »Desgleichen 6 Exemplarien an Churfürstliche Regierung, 3 an Vicariatum, 3 an Hofgericht, 3 an Cammergericht, 3 und Stadtgericht und 3 an die Rhent«, fol. 11–12. Bestätigung der Kurhöfe über den Empfang der »Original-Wahl-Capitulation«, fol. 13–14. 132 Moser, Von der kaiserlichen Wahlkapitulation, S. 53, 67 u. 70.

18. Grundrechtliche Gewährleistungen im Protokonstitutionalismus

Lange vor der Virginia Declaration of Rights vom 12.  Juni 1776 oder der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 wurden sie öffentlich eingefordert. Obwohl die christlichen Kirchen sich lange gegen die Idee subjektiver Rechte, die jedem Menschen gleichermaßen zustehen, wehrten, sehen Christen die Letztbegründung der Menschenrechte in der Offenbarung der Schöpfung, in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, begründet. Man muss nicht bis zum Anfang aller Dinge zurückgehen. Aber lange vor 1776 oder 1789 finden wir Ansätze zu einem Grundrechtskatalog auch in den grundrechtlichen Gewährleistungen der Wahlkapitulationen der deutschen Könige und Kaiser. Schon bevor mit der Epoche der Aufklärung der Versuch der Durchsetzung gleicher Rechte für alle begann, waren sie der Reichsverfassung partiell eingeschrieben. Es findet sich in den kaiserlichen Wahlkapitulationen ein im Lauf der Zeit stetig erweiterter, wenn auch bis 1792 nicht vollständiger Katalog von Grundrechten. »Menschenrechte als gegenstaatliche Reservatrechte«1 werden hier sichtbar.

18.1 Jus emigrandi und begrenzte Religionsfreiheit »Cuius regio, eius religio« so brachte 1612 der Greifswalder Jurist Joachim­ Stephani das Jus reformandi des Augsburger Religionsfriedens von 1555 auf eine eingängige Formel: »Wessen Herrschaft, dessen Religion«2. Der damit verbundene Gewissenszwang wurde in Paragraph 24 des Religionsfriedens durch ein konfessionell begründetes Abzugsrecht gemildert. »Wo aber Unsere, auch der Churfürsten, Fürsten und Stände Unterthanen der alten Religion oder Augspurgischen Confession anhängig, von solcher ihrer Religion wegen aus Unsern, auch der Churfürsten, Fürsten und Ständen des H.  Reichs Landen, Fürsten­ thumen, Städten oder Flecken mit ihren Weib und Kindern an andere Orte 1 Nachwort von Garber zum ND von 1978, in: Valjavec, Entstehung der politischen Strömungen, S. 559. 2 Herling, Universität, S. 196. Schneider, Ius reformandi. Asche, Auswanderungsrecht und Migration aus Glaubensgründen: Kenntnisstand und Forschungsperspektiven zur ius emigrandi Regelung des Augsburger Religionsfriedens, in: Schilling / Smolinsky (Hg.), Augsburger Religionsfrieden, S. 75–104.

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ziehen und sich nieder thun wolten, denen soll solcher Ab- und Zuzug, auch Verkauffung ihrer Haab und Güter gegen zimlichen, billigen Abtrag der Leibeigenschafft und Nachsteuer, wie es jedes Orts von Alters anhero üblichen, herbracht und gehalten worden ist, unverhindert männiglichs zugelassen und bewilligt, auch an ihren Ehren und Pflichten allerding unentgolten seyn«3. Die Vielgliedrigkeit des Reiches erleichterte das Jus emigrandi und die damit verbundenen Ansätze zur Religionsfreiheit. Das Jus emigrandi garantierte die Bekenntnisfreiheit, jedoch nur für die beiden im Reich zugelassenen christlichen Bekenntnisse. Gleichzeitig stellte es einen Ansatz von Personenfreizügigkeit auch für solche Gruppen dar, die bislang »an die Scholle gebunden« waren. Das Abzugsrecht war allerdings nur ein schwaches Recht angesichts des Druckes, den die Landesherren durch das Jus reformandi auf die Gewissen der Untertanen ausüben konnten. Denn dieses Recht musste man sich leisten können. Wer nicht über die nötigen Mittel verfügte, musste die Religion der Obrigkeit annehmen. Wie so oft im Alten Reich war die Ausgestaltung dieses Rechtes von heute aus betrachtet defizitär. Aber dennoch wurde hier erstmals, seit das Christentum 380 zur Staatsreligion im Römischen Reich erklärt wurde, Ansätze zum Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit staatsrechtlich verankert. Schon drei Jahre später, nämlich 1558, wurde der Religionsfriede und damit auch das Jus emigrandi und das Recht, zwischen den beiden zugelassenen Konfessionen zu wählen, durch die zweite Wahlkapitulation Ferdinands I. bekräftigt4. Heute sind das Recht auf Religionsfreiheit und das Recht auf Auswanderung zentraler Bestandteil aller Menschenrechtskonventionen sowie aller freiheitlichen Verfassungen der Welt.

18.2 Verbot von Religionsprozessen Im Dreißigjährigen Krieg hatten die Deutschen erfahren, wohin die Verletzung religiöser Gefühle führen konnte. Darauf reagierten die Kurfürsten 1653 mit der Überarbeitung der Wahlkapitulation. Die Reichsverfassung gewährte einerseits die Freiheit zum Druck der religiösen Bekenntnisschriften der zugelassenen Konfessionen, untersagte aber gleichzeitig die Verletzung religiöser Gefühle durch Rede und Schrift. Danach war nur eine Beschimpfung, Verspottung oder Herabwürdigung von Religion und Kirche strafbar, die den öffentlichen Frieden stören konnte, einen Aufruf zur Gewalt, eine Aufstachelung darstellte. Es ging um die Vermeidung von »Ufruhr, Zwitracht, Mißtrauwen unndt Zanckh im Reich«5, nicht um den religiösen Wahrheitsgehalt. Eine gemäßigte

3 Buschmann (Hg.), Kaiser und Reich, Bd. 1, S. 228. 4 Artikel II, WK 1558. 5 1653 Artikel II.

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Entscheidung, die der Aufklärung weiten Raum ließ und wohl dazu beigetragen hat, dass die deutsche Aufklärung sich nicht annähernd so kirchen- und reli­ gionsfeindlich artikulierte wie in Frankreich. Dies findet noch heute einen Nachklang in Paragraph 166 des Strafgesetzbuches, der die Beschimpfung eines Bekenntnisses nicht aus theologischen Gründen unter Strafe stellt, sondern weil es dadurch zu einer Störung des »öffentlichen Friedens« kommen kann. Eine vergleichbare Bestimmung in Artikel XXXIV der Wahlkapitulation von 1619, die untersagte, »daß die Vicariaten und deren Jura samt was den selben anhängig von jemanden disputiret, oder restringiret werden«, fand hingegen offensichtlich keine Befolgung. Nach 1648 wurde in und nach jedem Interregnum in öffentlichen Schriften für und wider die Rechte der Reichsvikare gestritten. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand dabei das von ihnen behauptete Ratifikationsrecht. Die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges absorbierten alle Aufmerksamkeit, und so wurde diese Ergänzung unbemerkt über die Generationen weitergereicht. Artikel I, 11 verbot seit 1742 im Reich alle Religionsprozesse. Faktisch hatte es solche Prozesse seit 1648 ohnehin nicht mehr gegeben. Artikel II, 8 der Kapitulation von 1742 dehnte das Prozessverbot auf die Zensur der Bekenntnisschriften aus. In Frankreich hingegen verhinderte noch nicht einmal die »Affäre Calas«, welche dank Voltaires Schrift »Traité sur la tolérance« (1763) in ganz Europa als Exempel klerikalen Fanatismus’ und eines abscheulichen Justizmords bekannt wurde, dass die Religionsprozesse weitergingen. 1766 wurde der Chevalier de la Barre hingerichtet und sein Leichnam öffentlich verbrannt, weil er angesichts einer vorbeiziehenden Prozession seinen Hut nicht gezogen hatte6. Dergleichen war in Deutschland im 18. Jahrhundert nicht mehr denkbar. Im Reich gab es keine Religionspolizei. Als Brandenburg-Preußen 1790 mit einer Änderung der Wahlkapitulation die Freiheit der theologischen Publizistik einzuschränken versuchte, löste dies einen Sturm der Entrüstung und des Spottes aus. Nach dieser Ergänzung sollten alle Schriften verboten werden, die sich mit den bereits anerkannten Bekenntnissen nicht vertrugen. 1792 scheiterte eine Revision dieser Änderung, da man sich angesichts des Krieges im Westen für eine Übernahme der vorherigen Kapitulation entschied, um das Verfahren zu beschleunigen. Hätte es noch eine weitere Wahlkapitulation gegeben, wäre diese Bestimmung, angesichts des desaströsen öffentlichen Echos, möglicherweise wieder zurückgenommen worden. Publizisten wiesen sofort darauf hin, dass man gemäß dieser Verfassungsergänzung sämtliche Glaubensbekenntnisse und Katechismen verbieten müsse, da sie alle nicht mit denen der anderen Konfessionen vereinbar waren. Die Ergänzung der Wahlkapitulation diente in Brandenburg-Preußen zur Legitima6 Gallo, Que passe la justice du roi.

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tion der Religionspolitik Johann Christian Woellners7, der Verfolgung heterodoxer Meinungen. Die Aufklärer monierten umgehend, dass angesichts solcher Gesetze »Mißbrauch und Schikanen« absehbar seien, und forderten vehement die Trennung von staatlicher und religiöser Gewalt8. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass die Konfessionen selbst zuweilen ihre Katechismen überarbeiten, auch die verbesserte Kenntnis der alten Sprachen manche Korrekturen erzwinge. »Überhaupt aber« könne »das Forschen und Streben nach Wahrheit, auch in Glaubenssachen, in einem aufgeklärten Staate nie mit Recht verboten, noch eingeschränkt werden«9. »Würde die Reformation der Kirche je statt gefunden haben, wenn niemand seine Zweifel gegen die damaligen symbolischen Bücher hätte bekannt machen dürfen? – Und was wäre überhaupt aus unserer Aufklärung geworden, wenn nicht eine wohlgeordnete Pressefreiheit statt gefunden hätte? Genug, der Staat darf sich um Religionsvorschriften gar nicht bekümmern, als in dem Fall, wenn sie ihm offenbar schädlich werden«10. Hier zeigt sich, wie eng der zeitgenössische Diskurs um die Wahlkapitulation mit der Aufklärung verknüpft war. Nicht zuletzt widersprach diese Zensurbestimmung dem seit 1742 in Artikel I, 11 ausgesprochenen Verbot von Religionsprozessen. Die reichsgrundgesetzlichen Bestimmungen hatten auch praktische Folgen. Wenngleich bekannt war, dass Katholiken eher in kaiserliche Dienste aufgenommen wurden und dort auch leichter vorankamen, so gab es doch auf der Reichsebene keinen Suprematseid, keinen Act of Uniformity und keinen Test Act. Immer wieder errangen prominente Protestanten, wie Leibniz, die beiden Moser und andere, hohe Positionen im Dienst des Kaisers oder des Kurerzkanzlers und Primas Germaniae. Über die Jahrhunderte hinweg hatten die angestrebten oder erfolgten Ergänzungen der Wahlkapitulation immer wieder zu leidenschaftlichen Diskussionen in den Wahlkonventen und in der politischen Öffentlichkeit geführt. Die letzte dieser durch die Wahlkapitulationen angefachten öffentlichen Diskussionen galt 1790 der Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit im Reich.

7 Das preußische Religionsedikt vom 9. Juli 1788, das am 27. Dezember 1793 wieder aufgehoben werden musste, nahm diese Absolutsetzung der Inhalte der »Symbolischen Bücher« vorweg. 8 Crome, Wahlcapitulation, S.  21–23, mit vielfältigen Verweisen auf die zeitgenössische Literatur. 9 Ebd., S. 25. 10 Ebd., S. 26.

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18.3 Ordentlicher Gerichtsstand Gleich die erste Wahlkapitulation verbot 1519 in Artikel XV Vorladungen außerhalb des Reiches Deutscher Nation. Das ist der Nucleus des Rechts auf den ordentlichen Richter und ordentlichen Gerichtsort. Das Recht auf den ordentlichen Gerichtsstand wurde bis zur vorletzten Wahlkapitulation 1790 stetig ausgebaut. Diese reichsverfassungsrechtliche Norm diente auch den Territorien des Reiches als Richtschnur und führte schon vor 1806 zur Eindämmung der Kabinettsjustiz bzw. zur Sicherung der Rechtswegegarantie. Die Kabinettsjustiz im Absolutismus, als der Fürst als oberster Gerichtsherr für ein bestimmtes Verfahren ad hoc einen Richter willkürlich bestimmen oder ablösen oder auch die Sache an sich ziehen konnte, um selbst zu entscheiden, zeichnete sich gerade durch das Fehlen des gesetzlichen Richters aus. Die Kabinettsjustiz wurde in Artikel XLIII 1653 im Reich schon unterbunden, bevor ihre große Zeit in anderen Teilen Europas begann. Hier wurde nämlich festgeschrieben, dass der Kaiser in Justizsachen keine Dekrete aus dem Geheimrat erlassen darf. Norm und Modell der Gewaltenteilung waren in der Verfassungsrealität des Reiches vorhanden, lange bevor die Kabinettsjustiz im Diskurs der Aufklärung skandalisiert und der Monarch seiner Funktion als oberster Richter entkleidet wurde. Hier und an anderen Stellen finden sich in den Wahlkapitulationen auch die Vorläufer und Anfänge der Verwaltungsgerichtsbarkeit, nach deren Prinzip Konflikte zwischen den Institutionen und Instanzen auf der Basis rechtlicher Standards entschieden werden. 1742 wurde diese Entwicklung durch Artikel XXIV, Paragraph 13 bekräftigt. Das Recht auf den gesetzlichen, d. h. gesetzlich bestimmten Richter ist ein Grundrecht, das festlegt, dass für Prozesse bereits im Voraus bestimmt sein muss, welches Gericht und welcher Richter zuständig ist. Der gesetzliche Richter ist bereits vor Erhebung einer Klage durch abstrakte und generelle Regeln festgelegt. Das Recht auf den gesetzlich bestimmten Richter gewährleistet ein faires Verfahren und ist Teil des Rechtsstaatsprinzips11. Heute ist der ordentliche Gerichtsstand ein Verfassungsbegriff, der mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör und dem Verbot von Ausnahmegerichten in engem Zusammenhang steht. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. In der neueren juristischen Literatur wird hinsichtlich der Entstehung der örtlichen Zuständigkeit, der Rechtswegzuständigkeit und der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte auf die Entwicklung des Kirchenrechts seit dem Mittel11 Dieses Recht auf den gesetzlichen Richter ist in Europa seit 1950 in Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten festgeschrieben, in Deutschland in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (»Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden«.) sowie in § 16 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) geregelt.

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alter und auf das nachrevolutionäre Recht in England sowie in Frankreich nach 1689 und 1789 verwiesen12. Artikel 7 der preußischen Verfassung von 1850 bestimmte: »Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahmegerichte und außerordentliche Kommissionen sind unstatthaft«. Schaut man auf die Wahlkapitulationen der deutschen Reichsoberhäupter, beginnt die verfassungsrechtliche Festschreibung des Rechts auf den gesetzlichen Richter jedoch 270 Jahre vor 1789. Das Recht auf den gesetzlichen Richter gehörte zu den protokonstitutionellen Gewährleistungen der Wahlkapitulationen.

18.4 Gleichheit vor dem Gesetz »Also war David König über ganz Israel, und schaffte Recht und Gerechtigkeit allem Volk«13. Auch biblische Vorbilder wirkten auf die Wahlkapitulationen. Der erste Monarch der Christenheit verstand und inszenierte sich als Nachfolger der vorbildlichen biblischen Könige. Im »Heiligen Reiche Friden, Recht unnd Einigkeit phlanntzen und aufrichten und verfuegen sollen und wellen, das die iren gepurlichen Ganng dem Armen als dem Reichen gewynnen und haben, auch gehalten und denselben Ordnungen, auch Freyheiten und alten, loblichen Herkomen nach gerichtet werden solle«, gebot Artikel I der ersten Wahlkapitulation von 1519. »Wir sollen und wollen im Heiligen Römischen Reich Fried und Einigkeit pflanzten, Recht und Gerechtigkeit aufrichten und verfügen, damit sie ihren gebührlichen Gang dem Armen wie dem Reichen, ohne Unterschied der Personen, Stands, Würden und Religionen, auch in Sachen Uns und Unseres Hauses eigenes Interesse betreffend, gewinnen und haben, auch behalten, und denenselben Ordnungen, Freyheiten und altem löblichen Herkommen nach verrichtet werden möge«, heißt es in Artikel XVI der Wahlkapitulation Karls VI. von 1711. Diese Formulierung verleiht den Wahlkapitulationen einen herausragenden Platz unter den Quellen zur europäischen Verfassungsgeschichte. Aufbauend auf Wendungen in den älteren Kapitulationen entstand sie in den ab 1663 geführten Verhandlungen zur Immerwährenden Wahlkapitulation, die 1711 als Grundlage für die Wahlkapitulation Karls VI. diente. Bis 1792 war sie Bestandteil aller weiteren Wahlkapitulationen. Dem Verfasser des Liedes der Deutschen wird dies noch gegenwärtig gewesen sein. Jedenfalls werden in der dritten Strophe, also in der aktuellen deutschen Nationalhymne, die Freiheit, Brüderlichkeit und Recht in ähnlichen Worten beschworen. Aus der Aufgabe des Reichsoberhaupts, Rechtsstaatlichkeit herzustellen, ist eine Gemeinschaftsaufgabe geworden. August Heinrich Hoff-

12 Müßig, Recht und Justizhoheit. 13 2. Buch Samuel 8,15.

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mann von Fallersleben, hatte enge Kontakte zu der aus der Reichspublizistik hervorgegangenen Germanistik und Historischen Rechtsschule. Schon antike Schriftsteller wie Euripides oder Seneca der Jüngere hatten die Gleichheit vor dem Gesetz als Charakteristikum des Bürgers und der Rechtsstaatlichkeit definiert. Ein noch früherer Ursprung dieser Idee, die in den Flugschriften des Bauernkrieges propagiert wurde, ist die durch die Schöpfungsgeschichte offenbarte Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Die Wahlkapitulationen postulierten die Gleichheit vor dem Gesetz ungeachtet sozialer Distinktionen. Angestrebt wurde rechtliche Gleichheit in sozialer Ungleichheit. Die Verabsolutierung der Gleichheit durch die extremen Ausläufer der Englischen und Französischen Revolution vernichteten alle Rechte, Ansprüche und allen Besitz, die sich auf Verträge gründeten. Die Wahlkapitulationen beschränkte die Gleichheit auf eine Gleichheit vor dem Gesetz. Auf genau diese Form der Gleichheit kam man nach allen extremen Auswüchsen der Revolutionen in England, Frankreich, Russland und andernorts langfristig immer wieder zurück. »Der größte Feind des Rechtes ist das Vorrecht« lautet ein prägnanter Satz von Marie von Ebner-Eschenbach14. Dagegen postulierten die Wahlkapitulationen im rechtlichen Bereich die Gleichheit. Dies fand im Armenrecht der Reichskammergerichtsordnung von 1495 bzw. 1555 und der Reichshofratsordnung von 1559 bzw. 1654 eine konkrete Umsetzung. Liberté und Égalité sind Schlagworte der Französischen Revolution. Doch in der Reichsverfassung waren Freiheit und Gleichheit schon Jahrhunderte vor der großen Revolution grundgesetzlich verankert. Zwar hatten die Begriffe Freiheit und Gleichheit noch nicht die allgemeine Bedeutung wie im konstitutionellen Zeitalter. Sie befanden sich aber auf dem Weg zu dieser Bedeutung, denn die Reichspublizistik war ein wichtiger Teil der Aufklärung15. Das zentrale Versprechen der Gründerväter Amerikas, dass alle vor dem Gesetz gleich seien, unabhängig davon, ob an anderer Stelle politische und wirtschaftliche Ungleichheit bestehe, war in der Reichsverfassung besser gelöst. Gleich mehrere Stellen der Wahlkapitulation betonen die Gleichheit von Untertanen und Reichsständen vor dem Gesetz und als Parteien vor Gericht. Kein Teil  der Bevölkerung war versklavt. Dennoch dokumentieren die Verhältnisse z. B. im frühneuzeitlichen Ostelbien auch im Reich eine erhebliche Norm-Praxis-Differenz. Ohne Ansehen der Person, »ohne Underschied der Personen, Standt, Würden unnd Religion, auch in Sachen Unnser unndt Unsers Hauses aigenes Interesse betreffendt« soll das Recht seinen Gang nehmen, hieß es ab 1653 in Artikel I der Wahlkapitulation. Das damals einzigartige Armenrecht des Reiches trug zur Umsetzung dieses Verfassungsgebots bei. 14 Ebner-Eschenbach, Aphorismen, S. 41. 15 Burgdorf, Reichskonstitution, S.  256–351, Kapitel 6: »Der Fürstenbund von 1785. Gleich­ gewicht, Deutsche Feiheit und nationale Identität«.

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Aufgrund der protokonstitutionellen Gewährleistungen der deutschen Reichsverfassung war Christoph Martin Wieland der Überzeugung, dass kein zivilisiertes Volk der Welt »einen höheren Grad menschlicher und bürgerlicher Freiheit« genieße als das deutsche16. Die durch die amerikanische Verfassung von 1776 oder die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte garantierten individuellen Freiheitsrechte sahen die deutschen Reichspatrioten und Publizisten durch die Reichsverfassung schon zuvor weitgehend gewährleistet. In den Wahlkapitulationen der deutschen Könige und Kaiser finden sich Anfänge der Rechtsstaatlichkeit.

18.5 Indigenat In Artikel III der Norddeutschen Bundesverfassung vom 26. Juli 1867 liest man: »Für den ganzen Umfang des Bundesgebietes besteht ein gemeinsames Indi­genat mit der Wirkung, daß der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger) eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist«17. Diese Bestimmung ging fast wortidentisch in die deutsche Reichsverfassung vom 16. April 1871 über. Häufig wird das gesamtdeutsche Indigenat auf diese Bestimmungen zurückgeführt. Es wurde jedoch schon 1519 begründet, als man Kaiser Karl V. in Artikel XIII seiner Wahlkapitulation vorschrieb, für die Administration und Justiz des Reiches nur Deutsche heranzuziehen: »Wir sollen und wellen auch Unnser kunigcliche und des Reichs Ambter am Hof und sonnst im Reiche auch mit kainer anndern Nation, dann gebornn Tewtschen« besetzen. Schon im Spät­ mittelalter waren Bestimmungen zum Indigenat wiederkehrender Bestandteil von Herrschaftsverträgen18. Eines der wesentlichen Ziele, das mit der Wahlkapitulation Karls V. verbunden wurde, war der Schutz vor Fremdherrschaft. 1653 werden in Artikel XLI eigens der kaiserliche Geheimrat, der Hofrat und Kriegsrat in diesem Kontext genannt. Das Indigenatsrecht wurde 1790 auf die Pfründen der Reichskirche ausgedehnt. Die gesamtdeutsche Dimension des frühneuzeitlichen Indigenats wurde lange Zeit übersehen. Man konzentrierte sich bei der Betrachtung dieses Rechts auf die Besetzung protestantischer Pfarrstellen. Dieses Recht war fast überall 16 Wieland, Patriotischer Beitrag, S. 365. 17 http://www.verfassungen.de/de/de67–18/verfassung67-i.htm, am 25.102014. 18 Oestreich, Vom Herrschaftsvertrag, S. 47.

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auf die Landeskinder des jeweiligen Territoriums begrenzt. Ähnlich verhielt es sich bei der Aufnahme in Adelsmatrikeln. Seit 1519 galt für die Amtsinhaber in der Reichsadministration das gesamtdeutsche Indigenat. Das Recht der geborenen deutschen Staatsangehörigkeit galt für den gesamten Bereich des Reiches und war nicht auf die unmittelbaren Untertanen des Kaisers begrenzt. Das Reich sollte von Deutschen verwaltet werden, denn es war ihr Reich.

18.6 Armenrecht In der Reichshofratsordnung heißt es zu Armensachen: »Und weil zum Dritten der armen Leut, auch dergleichen Wittiben und Waisen Sachen vor andern im Rath und Relationibus befürdert, und derselben elend mit billichen Mit­leyden in acht genommen werden solle, welche dann etwa aus Noth, zum Theil aus Einfalt, auch wohl aus Muthwillen, oder anderer unruhiger Leut Verhetzung Uns ferren Weg nachreisen, so solle Unser Präsident und Reichs-Hof-Räthe gegen solchen geziemende Discretion halten, also, daß derjenigen, so von Noth wegen und aus zimlicher Ursachen sich dieser Zuflucht gebrauchen, um so viel mehr befürdert, ihnen in ihrer Armuth zu Recht fürderlich verholffen, die anderen aber und muthwillige zeitlich abgeschafft, auch, da der Frevel so groß, der Nothdurfft nach abgestrafft werden«19. Detailliert war das Armenprozessrecht in den Reichskammergerichtsordnungen von 1495 und 1555 geregelt. Es wurde bekräftigt durch Artikel I der Wahlkapitulation, der seit 1519 verlangte, »dem Armen als dem Reichen« gleichermaßen Recht zu gewähren. Es waren nicht zuletzt diese protokonstitutionellen Gewährleistungen, die nach Überzeugung beobachtender Zeitgenossen wie Wieland eine Revolution wie in Frankreich in Deutschland unnötig machten. »Befände sich Teutschland in ebenselben Umständen, worin sich Frankreich vor vier Jahren befand – hätten wir nicht eine Verfassung, deren wohlthätige Wirkungen die nachtheiligen noch immer merklich überwiegen, befänden wir uns nicht bereits im wirklichen Besitz eines großen Teils der Freyheit, die unsere westlichen Nachbarn erst erobern mussten – genössen wir nicht größerntheils milder, gesetzmäßiger und auf das Wohl der Unterthanen (mehr oder weniger) aufmerksamer Regierungen, hätten wir nicht mehrere und kräftige Hülfsmittel gegen Bedrückungen« als die Franzosen. Die Reichsgesetze halten die Abgaben und den Übermut der Aristokraten in Deutschland in Schranken20. »Die bisherige Ruhe, die wie – 19 1654 Titulus IV, § 9, Buschmann (Hg.), Kaiser und Reich, T. II, S. 129–179, S. 152 f. 20 Wieland, Betrachtungen über die gegenwärtige Lage, S. 22 f. In einer Fußnote macht Wieland allerdings eine Einschränkung: »Freihlich gilt dies nicht von allen Theilen des teutschen Reiches, und leidet überall seine Einschränkungen:  – freihlich liegt in manchen Gegenden das Joch des politischen und religiösen Despotismus noch hart genug auf den Hälsen des Volkes«.

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mit wenigen unbedeutenden, und (wie dem Frommen alles zum besten dienen muss) sogar nützlich gewordenen Ausnahmen – in dem ganzen teutschen Vaterlande genossen haben, beweiset schon sehr viel für die gute Seite unserer Konstitution und den Respekt, welchen sowohl Regenten als Unterthanen gegen die Gesetze tragen«21.

18.7 Brief- und Postgeheimnis Das Brief- und Postgeheimnis, das verfassungsrechtlich garantierte Grundrecht der Unverletzlichkeit von Briefen, nahm seinen Weg, ausgehend von den Wahlkapitulationen im Reich rund um die Welt. Die Gewährleistung des Briefgeheimnisses, »die getreuwe und richtige Brieff­ bestellung gegen billiches Postgeld«, erfolgte auf nationaler Ebene weltweit zuerst in Artikel XXXIV der josephinischen Wahlkapitulation von 1690, ebenso die Gewährung, dass verlässliche Posttarife, »so in allen Post-Häusern zu jedermanns guter Nachricht in offenem Drucke beständig angeschlagen seyn« sollen. Für eine Verletzung des Postgeheimnisses sollte der Delinquent mit Schlägen am Pranger und Landesverweisung bestraft werden. Für regelmäßige Botenlinien erließen Fürsten und Städte Ordnungen, in denen die Kuriere auf Wahrung des Briefgeheimnisses eidlich verpflichtet und bei Verfehlungen mit hohen Strafen bedroht wurden. In der Allgemeinen preußischen Postordnung vom 10.  August 1712 wurde jedem Postbediensteten bei verbotener Brieföffnung oder »Aushändigung in fremder Hand« die Dienstentlassung und die strafrechtliche Ahndung als Meineidiger angedroht, ein Verbot, das 1794 in das Allgemeine Preußische Landrecht einging22. Noch härter war das französische Recht. Eine Verordnung Ludwigs XV. vom 25. September 1742 legte fest, dass Postbedienstete, welche Briefe und Pakete aufgebrochen und die darin enthaltenen Gegenstände zu eigenem Nutzen unterschlagen hatten, die Todesstrafe erleiden sollten. Dennoch war es im 17.  und 18.  Jahrhundert um die Wahrung des Briefgeheimnisses schlecht bestellt. Es entstanden die sogenannten »Schwarzen Kabinette«, fürstliche und kaiserliche Spionagebüros. Aber das rechtsstaatliche Prinzip des Postgeheimnisses war seit 1690 in der Welt. Erst beim Übergang zur konstitutionellen Staatsform wurde die Unverletzlichkeit der Briefe zunehmend als Grundrecht in der Verfassung verankert. Die französische Nationalversammlung nahm 1791 auf Sieyès’ Vorschlag die Gewährleistung des Briefgeheimnisses unter die Grundrechte auf. In der Folge­

21 Ebd., S. 24. 22 König, Schwarze Cabinette. Lüthy, Briefgeheimnis. Zimmermann, Evangelische Rechtsprechung. Austermühle, Entstehung. Grillmeyer, Briefgeheimnis, S. 205–220.

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zeit fand das Briefgeheimnis in die meisten Verfassungen der konstitutionellen Staaten Eingang, so in Portugal 1826, Kurhessen 1831, Württemberg 1843 und Baden 1845. Artikel 141 der Paulskirchenverfassung von 1849 bestimmte: »Das Briefgeheimnis ist gewährleistet. Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen notwendigen Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen«. In der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850 steht: »Das Briefgeheimnis ist unverletzlich. Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen notwendigen Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen«23. Im Wilhelminischen Reich wurde durch Paragraph 5 des Gesetzes über das Postwesen vom 28. Oktober 1871 das Briefgeheimnis für ganz Deutschland gewährleistet und in Artikel 117 der Reichsverfassung von 1919 zum Grundrecht erklärt. Infolge der Reichstagsbrandverordnung von 1933 wurde es »bis auf weiteres« außer Kraft und 1949 durch Artikel 10 des Grundgesetzes wieder in Kraft gesetzt: »Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich«. Heute gehört das Datenübermittlungsgeheimnis zum Verfassungsstandard der freien Welt. Seine Geschichte begann 1690 mit Artikel XXXIV der Wahlkapitulation Kaiser Josephs I.

18.8 Meinungsfreiheit Der Stil der Verhandlungen in den Reichsinstitutionen wurde, schon von den Zeitgenossen, oft belächelt und als lächerlich denunziert. Es wurde aber auch festgestellt, es herrsche in der »Amtssprache« ein »zum Erstaunen freier Ton«24. Johann Nikolaus Becker, wie einst Goethe Praktikant am Reichskammergericht, berichtet: »Ich habe in den Protokollen Beispiele gefunden, dass man hier gegen ungerechte Fürsten eine Sprache führt, die, wenn sie bekannt wäre, Bewunderung erregen würde, und gegen welche das Geschrei der britischen Opposition, die nie handelt, nur leeres Schellengeklingel und Rasseln einer Kinderklapper ist«25. Die angebliche Unmündigkeit und Beschränktheit der Bürger des Alten Reiches wurde oft wie in Christoph Martin Wielands »Agathon« zum Gegenstand der Satire. Allerdings war das bekannteste Werk dieser Art, Kotzebues »Die deutschen Kleinstädter« (1803) eine Übersetzung aus dem Französischen. Im Reich herrschte hingegen eine erstaunliche Pluralität und Freiheit der Meinungen, gerade hinsichtlich politischer Fragen. Der ältere Moser hat dem Phänomen sogar eine Monographie gewidmet: »Von der Reichsverfassungsmäßigen Freyheit, von Teutschen Staats-Sachen zu

23 Artikel 33. 24 Gemeiner, Geschichte, 1. Bd., S. 142 f. 25 Becker, Fragmente, S. 26. Zu Becker s. Burgdorf, Einleitung zu: [Becker], Kritik, S. V–LXXV.

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schreiben«26. Und sein Sohn Friedrich Carl von Moser schrieb 1766: »Das schreckliche Wort: Ihr sollt nicht räsonieren, ist in den Reichsgesetzen nicht anzutreffen, diese erlauben vielmehr jedem Deutschen Herrn und Mann, räsonieren zu dürfen, und diese Vergünstigung ist in der Freiheit des menschlichen Willens und in der Deutschen Freiheit wesentlich und ursprünglich gegründet«27. Wieland sprach vom Recht der deutschen Schriftsteller, »laut zu denken«, weil in Deutschland niemand über den Gesetzen stehe28. In der Sicht der beiden Moser und Wielands garantierte die Reichsverfassung das Menschenrecht der freien Meinungsäußerung, lange bevor es in Amerika und Frankreich durch Verfassungen garantiert wurde. Denn schon 1519 wurde in Artikel I der Wahlkapitulation, unabhängig von Privilegien und Adel, den Armen wie den Reichen ihre »Freyheiten« garantiert. Dies wurde in den folgenden Jahrhunderten an verschiedenen Stellen weiter konkretisiert. Noch nach Ausbruch der Französischen Revolution erblickte August Ludwig Schlözer in der Freiheitsgarantie der Reichsverfassung deren besonderen Wert: »Der Patriot freut sich der weisen Gesetze seines Vaterlandes, welche die Bewohner Deutschlands gegen offenbaren Despotismus so nachdrücklich schützen. Denn wer wird nicht ein Vaterland lieben, dessen Gesetze die Grenzen der Obergewalt, die Gerechtsame der mancherlei Stände im Staate, so gezeichnet, so wohl abgewogen haben?, darin ein jeder Bürger frei leben kann, frei denken und frei schreiben darf«29. »Nicht Pohlen und Schweden sind es alleine, welche die Pacta conuenta ihrer Könige30 und ihre Grundgesetze mit Erläuterungen der Welt vor Augen führen können; nicht die Britten alleine sind in dem verjährten Besitze, über die Verfassung und Gebrechen ihrer, sonst glücklichen Insel freimütige Beherzigungen anzustellen. Nein, noch ehrt das Teutsche Reich eine kleine, aber desto ehrwürdigere Schaar echter Publicisten, Männer, welche dessen wunderbar durchdachte Verfassung entfalten, beurteilen, vergleichen« und »der Landeshoheit auf Kosten der Untertanen keinen übermäßigen Weihrauch streuen. Ein mehr als hundertjähriger Gebrauch bringt es mit sich, daß die Wahlgedinge unserer Kaiser mit Anmerkungen und Beilagen erscheinen«31, schrieb der Jurist Friedrich Sorge 1766. Infolge der Reichsverfassung war die politische Presse, die öffentliche Meinung in Deutschland so frei, wie in Europa nur noch in den Niederlanden und in England. Gleichwohl gab es in verschiedenen Territorien des Reiches schon 26 Moser, Von der Reichsverfassungsmäßigen Freyheit. Ders., Neues teutsches Staatsrecht, Bd. 17: Von der teutschen Unterthanen Rechten und Pflichten. 27 [Moser], Was ist: gut Kayserlich, S. 273; vgl. Moser, Von dem Deutschen Nationalgeist, S. 24. 28 Wieland, Sendschreiben, S. 69. 29 Anonym [=Schlözer], Betrachtungen eines Deutschen, S. 89. Maßgeblich zur »Deutschen Freiheit«: Schmidt, Die Idee »deutsche Freiheit«, S. 159–189. 30 Pacta conventa, »vereinbarte Bedingungen«, gemeint sind die Wahlkapitulationen der polnischen Könige zwischen 1573 und 1791. 31 Caesarini Furstenerii Republicani [= Sorge], Teutschvaterländische Gedanken, S. I–IV.

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vor Ausbruch der Französischen Revolution und dem Wöllnerschen Religionsedikt vom 9. Juli 1788 Versuche, die Zensur auch jenseits der Religionskritik zu verschärfen. »Noch eine Ursache, warum ich manche Nachrichten verschweige, ist die politische Intoleranz unseres Jahrzehnds, welche in dem nämlichen Grade zunimmt, als die Toleranz in Religionsmeinungen wächst. Man kann ungestraft die Gottheit Jesu zweifelhaft machen; aber dem Cabinette manches kleinen Sultanchens Infallibilität abstreiten, wäre Hochverrath. Preßfreyheit in unserm Deutschlande ist noch ein sehr relativer Begriff«32. Diese Meinung vertrat der Herausgeber des »Journals von und für Deutschland«, der katholische Priester und Aufklärer Sigmund Freiherr von Bibra. Aber solche Zensurbemühungen der lokalen Obrigkeit wurden in der Regel durch die territoriale Vielgliedrigkeit des Reiches neutralisiert. Die Freiheit der Meinungen und der Presse im Alten Reich wurde durch die Vielzahl der Grenzen erleichtert. Viele Zeitgenossen waren zudem der Überzeugung, dass die relative Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland eine unmittelbare Folge der Reichsverfassung war.

32 Bibra, Vorbericht, in: Journal von und für Deutschland 3 (1786), S. 3–6, S. 4.

19. Resümee Das alles klingt schön, entsprach aber nicht immer der Wirklichkeit und gehörte ab dem Sommer 1806 der Vergangenheit an. Zwischen den protokonstitutionellen grundrechtlichen Gewährleistungen der Reichsverfassung und der tatsächlichen Situation der einfachen Menschen in den Reichsterritorien klaffte oft eine Norm-Praxis-Differenz, aber sie war bei weiten nicht so eklatant wie in den Sklavenhalterstaaten Nordamerikas. Die Kluft zwischen der geschriebenen Verfassung und der Verfassungswirklichkeit ist zudem kein Spezifikum des Reiches und der Vormoderne, sondern auch heute vielfach zu beobachten. Viele Prinzipien der Abgrenzung und des Zusammenwirkens der Institutionen und Organe des Reiches wurden später zu Strukturprinzipien des Aufbaus konstitutioneller Staaten. Ebenso finden sich die protokonstitutionellen rechtlichen Gewährleistungen der Wahlkapitulationen später in den Grundrechtskatalogen moderner Verfassungen. Der Reichsverfassung fehlte jedoch das wesentliche Moment der Partizipation und Repräsentation des Volkes. Daher war sie keine moderne Verfassung. Viele Regelungen des Protokonstitutionalismus fanden jedoch Eingang in das konstitutionelle Zeitalter. Gerade die Aporien der Wahlkapitulationen, Bestimmungen, die miteinander nicht vereinbar waren, verdeutlichen, dass in diesem Grundgesetz, das von Generation zu Generation, vom Beginn bis zum Ende der Frühen Neuzeit weitergereicht und erweitert wurde, manche Anordnung im Laufe der Zeit ihren Sinn verloren hatten. Aber anders als Mephisto es Wagner erläutert, war in den Wahlkapitulationen durchaus »vom Rechte, das mit uns geboren ist«, die Rede. Es findet sich nämlich eine ganze Reihe von Bestimmungen, die später Aufnahme in die Grundrechtskataloge moderner Verfassungen fanden. Die Wahlkapitulationen der frühneuzeitlichen deutschen Könige und Kaiser sind ein bislang vergessenes Fundament deutscher Rechtsstaatlichkeit.

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1 Das Literaturverzeichnis beschränkt sich auf die tatsächlich benutzten Titel. Eine umfangreichere Bibliographie auch der frühneuzeitlichen Editionen, Monographien und Aufsätze findet sich als Anhang bei der von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Edition der Wahlkapitulationen.

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Register

Albini, Joseph von (1746–1816), deutscher Staatsmann  31 Althusius, Johannes (1557/63–1638), Rechtsgelehrter  26 Bartholomäusnacht  34 Beck, Christian August (1736–1780), Staatsrechtslehrer Kaiser Josephs II.  19 Böhmen  17, 28, 39–42, 44, 55 f., 61, 86 f., 93, 113, 121 Büchernachdruck  38, 95, 139 Buchhandel  95 Bülow, Heinrich Wilhelm von (1748–1810), diplomatischer Agent  50, 111, 145 Colloredo-Mannsfeld, Franz de Paula Gundaker Fürst von (1731–1807), Reichsvizekanzler  146 Condillac, Étienne Bonnot de (1714–1780), französischer Geistlicher und Philosoph  185 Consbruch, Caspar Florenz (1655–1712), kaiserlicher Diplomat, Reichsreferendar  46 Crome, August Friedrich Wilhelm ­(1753–1833), Jurist, Geograph  114, 143– 145, 149, 151–153, 159 Dalberg, Karl Theodor Anton Maria von und zu (1744–1817), Reichserzkanzler, Großherzog  143 Dänemark  28 Danz, Wilhelm August Friedrich ­(1764–1803), Jurist  135, 143, 145, 149 Debitkommission  13 Declaratio Ferdinandea  37 Diderot, Denis (1713–1784), französischer Philosoph  185 Diensteid  26 Ferdinand I. (1503–1564), Kaiser  26, 36, 43, 69, 76 f., 80, 105, 116, 118, 120, 175, 178, 185, 191 Ferdinand II. (1578–1637), Kaiser  26, 40, 45, 79, 93, 173, 188

Ferdinand III. (1608–1657), Kaiser  42–45, 79, 126, 159, 167 Ferdinand IV. (1633–1654), Römischer ­ König  40, 80, 174, 181 Frankreich  18, 23, 36, 84–86, 89, 98, 102, 120, 129, 137, 139 f., 144 f., 147, 149, 152, 158 f., 166, 171, 175, 192, 195 f., 198, 201 Franz I. (1708–1765), Kaiser  43, 47, 51, 54, 64, 71, 90, 92, 94 f., 103, 130, 181 Franz II. (1768–1835), Kaiser  26, 30, 37, 42 f., 146, 148 Friedrich I. (1754–1816), König von Württemberg  152 Friedrich II. (1194–1250), Kaiser  104 Friedrich II. (1712–1786), 1740 Kurfürst von Brandenburg und König in Preußen  12, 21, 31, 87, 103, 160 Fürstenbund von 1785  129, 131, 133, 136, 146, 148, 150 f. Gerstlacher, Karl Friedrich von (1732–1795), badischer Geheimrat  132 f., 137, 144, 148 Goldene Bulle  13, 17 f., 27, 32, 53, 69, 72, 77, 80, 94, 105, 169 f. Grotius, Hugo (1583–1645), Mitbegründer des modernen Völkerrechts  26 Häberlin, Karl Friedrich (1754/56–1808), Reichspublizist  19–21, 114 Hardenberg, Karl August Fürst von ­(1750–1822)  153 Herkommen  13 f. Hobbes, Thomas (1588–1679), englischer Philosoph  26 Hume, David (1711–1776), schottischer Philosoph  185 Indigenat  23 Interregnum  14, 21, 69–71, 79, 82 f., 87, 89, 122, 133 f., 138, 148, 150, 174, 192 Italien  17 Jean Paul [Friedrich Richter] (1763–1825), deutscher Schriftsteller  30

Register Jefferson, Thomas (1743–1826), dritte ­ Präsident der Vereinigten Staaten  168 Joseph I. (1678–1711), Kaiser  32, 40, 46, 61, 83–85, 87, 94, 103, 161, 163, 175, 178, 199 f. Joseph II. (1741–1790), Kaiser  19, 43, 47, 51, 54, 58, 68, 90, 93–96, 124, 128, 130, 133, 135, 141, 180 Jüngster Reichsabschied  14, 27, 80 f., 97, 126, 169 Jus adcapitulandi  50, 134, 139, 150 Karl Alexander von Ansbach-Bayreuth (1736–1806), Markgraf  136 Karl Eugen (1737–1793), Herzog von Württemberg  145, 150 Karl II. (1661–1700), König von Spanien  85 Karl IV. (1316–1378), Kaiser  17, 23, 53, 169 f. Karl V. (1500–1588), Kaiser  17 f., 22, 25 f., 30, 33, 35–37, 39, 43–45, 69, 76, 80, 89, 110, 116 f., 162, 178, 197 Karl VI. (1685–1740), Kaiser  20, 40, 42–44, 46 f., 69, 85 f., 88, 91 f., 103, 161, 163, 166, 175, 195 Karl VI. (1685–1745), Kaiser  195 Karl VII. (1697–1745), Kaiser  40, 43 f., 46, 49, 54, 87, 89–92, 96, 107, 168, 178, 189 Klüber, Johann Ludwig (1762–1837), Staatsund Völkerrechtler  95, 112 f., 135 f., 139 f., 144, 146 f., 151, 153 Königsegg-Rothenfels, Leopold Wilhelm Graf von (1630–1694), Vizepräsident des Reichshofrats und Reichsvizekanzler  46 Königswahl vivente Imperatore  17, 35 f., 139 Königwahl vivente Imperatore  140 Konkommissar  15 Kruse, Karl Friedrich von (1737–1806), nassau-usingische Regierungspräsident  141 f. Kurverein  54, 79 La Mettrie, Julien Offray de (1709–1751), französischer Arzt und Philosoph  185 Landeshoheit  11 f., 16, 201 Leopold I. (1640–1705), Kaiser  32, 40, 46, 54, 82–84, 86 f., 89, 111, 161, 175, 182 Leopold II. (1747–1792), Kaiser  22, 26, 38, 42, 44, 54, 70, 94, 101, 114, 122, 139, 141, 143 f., 189 Leopolds II. (1747–1792), Kaiser  136

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Locke, John (1632–1704), englischer Philosoph  26, 156, 160 f. Ludwig XIV. (1638–1715), König von Frankreich  31 Ludwig XV. (1710–1774), König von Frankreich  31 Madison, James (1751–1836), 4. Präsident der Vereinigten Staaten  156 Magna Carta  19, 23, 135 Maria Theresia (1717–1780), 1740 Königin von Ungarn und Böhmen sowie Kurfürstin von Böhmen  44 Maria Theresia (1717–1785), Kaiserin  130 Martens, Georg Friedrich, Völkerrechtler, Diplomat  110 Matthias (1557–1619), Kaiser  36, 41, 78, 118, 120, 178 Maupertuis, Pierre Louis Moreau de ­(1698–1759), französischer Philosoph  185 Maximilian I. (1459 -1519), Kaiser  17 f., 69, 71, 104, 111 Maximilian II. (1527–1576), Kaiser  35, 40, 73, 77, 119 f., 178 Meytens, Martin van (1695–1770), kaiserlicher Hofmaler  40 Missheiraten  91 Mitchell, Sir Andrew (1708–1771), britischer Diplomat  19 Mohl, Benjamin von (1766–1845), württembergischer Staatsmann  133 f., 137, 148– 150, 152 f. Mohl, Robert von (1799–1875), Staatswissenschaftler  133 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de (1689–1755), französischer Staatsphilosoph  26, 133, 153, 160, 185, 187 Moser, Friedrich Karl von (1723–1798), Reichspublizist  133 Moser, Johann Jacob (1701–1785), Reichspublizist  22, 58, 62, 103, 114, 129–133, 147, 149, 162–164, 193, 200 f. Müldener, Johann Christian (?-1710), Reichspublizist  130, 177 f. Napoleon I. (1764–1821), Kaiser der Fran­ zosen  26, 28, 30 f., 122, 186 Naturrecht  34, 129, 156–158 Normenkontrolle  11, 157

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Register

Polen  28, 48, 120, 156 Prinzipalkommissar  15 Pufendorf, Samuel von (1632–1694), Naturund Völkerrechtler, Historiker  21, 111 Ratifikationsrecht  14, 134, 164, 192 Reichsarmee  15, 31, 167 f. Reichsdeputationshauptschluss  14 f., 186 Reichserzkanzler  14, 42, 44, 120 f., 143, 145 f., 170, 189, 193 Reichsexekutionsordnung  13, 36 Reichshofrat  11, 13, 16, 52, 81 f., 91, 96 f., 120, 133 f., 150, 159, 161, 172, 182, 184, 189 Reichshofratsordnung  20, 155, 159, 163, 169, 196, 198 Reichskammergericht  11, 15 f., 62, 81, 90, 96, 174, 189, 200, 214 Reichskammergerichtsordnung  13, 36 Reichskreise  15, 49, 90 Reichsstände  11 f., 16, 24, 30, 35, 37, 49, 58, 76, 80 f., 83–85, 87 f., 90, 95, 117, 127, 157, 161 f., 165, 167–171, 175, 182 Reichstag  12, 14–16, 21, 30, 34, 49, 51, 62, 64, 76–80, 82, 84, 86 f., 89 f., 96 f., 107, 111, 122, 126–129, 134, 136, 138, 140 f., 148–150, 157, 160–170, 172, 174, 182, 188 Reichsvikare  14, 52, 79, 84, 89 f., 92, 134, 136, 138, 140 f., 192 Reinkingk, Dietrich Theodor (1590–1664), Reichspublizist  19 Religionsfrieden  13, 20, 27, 35–37, 77, 81, 83, 86, 118, 120, 123, 125, 169, 171 f., 184, 190 f. Riegger, Joseph Anton (1742–1795), Reichspublizist  131 Riegger, Joseph Anton von (1742–1795), Reichspublizist  130, 137, 180 Roth, Johann Richard (1749–1813), Mainzer Jurist  63, 144 Rousseau, Jean-Jacques (1712–1778), französischer Philosoph  123, 185 Rousseau, Jean-Jacques (1712–1778), französischer Staatsphilosoph  26 Rudolf II. (1552–1612), Kaiser  36 Ruprecht (1352–1410), römisch-deutscher König  25 Schmelzer, Friedrich August (1751–1842), Jurist  112 f., 140, 146–148, 151 Schottland  120

Schweden  28 Senkenberg, Renatus Karl von (1751–1800), Jurist Privatgelehrter  137–140, 147, 149 f. Smidt, Johann, Bremer Senator  110 Sötern, Philipp Christoph Reichsritter von (1567–1652), 1610 Bischof von Speyer und ab 1623 Erzbischof und Kurfürst von Trier  45 Spalding, Johann Joachim (1714–1804), protestantischer Aufklärungstheologe  185 Subdelegationskommission  14 Thülemeyer, Heinrich Günther von, Reichspublizist  39 Turgot, Anne Robert Jacques (1727–1781), französischer Ökonom und Staatsmann  185 Ukraine  28 Ungarn  28, 121 USA  137, 149, 156, 158, 168, 196 f., 201, 203 Vereidigung, Reichsoberhaupt  18, 187 Verfassungseid  11, 33, 79, 141, 150, 157, 183 f., 186 Vertragstheorie  19 f., 22, 26, 30, 34, 37, 88, 123, 135, 158, 165, 185, 187 Veto  133, 164 Wahlkapitulation, Beständige  34 f., 37 f., 129 f., 139 f., 148, 150, 166 Wesley, John (1703–1791), Prediger  78 Westfälischer Frieden  14–16, 20–22, 27, 35, 46, 78, 80–83, 86, 129, 148–150, 157, 161, 169, 171–173 Whitefield, George (1714–1770), Prediger  78 Wiener Kongress  30 f., 95, 157, 181 f. Wilhelm I. (1781–1864), König von Württemberg  152 Ziegler, Christoph (publiziert um 1711), Reichspublizist  131 Ziegler, Nicolaus (um 1472-um 1527), Reichsvizekanzler  45 Zimmermann, Johann Georg (1728–1795), Mediziner, Publizist  151 Zölle  17