Promissio und Bund: Gesetz und Evangelium bei Luther und Barth 9783666562372, 3525562373, 9783525562376

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Promissio und Bund: Gesetz und Evangelium bei Luther und Barth
 9783666562372, 3525562373, 9783525562376

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Β. Klappert • Promissio und Bund

BERTOLD KLAPPERT

Promissio und Bund Gesetz und Evangelium bei Luther und Barth

V A N D E N H O E C K & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink Band 34

CIP-Kurztitelaufnahme Klappert,

der Deutschen

Bibliothek

Bertold

Promissio und B u n d : Gesetz u. Evangelium bei Luther u. Barth. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1976. (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 34) I S B N 3-525-56237-3

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1976. - Printed in G e r m a n y . Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto-

oder

akustomechanischem

Wege

fältigen. Satz und Druck: Guide-Druck T ü b i n g e n , Bindearbeiten: Hubert & C o . , Göttingen

zu

verviel-

MARTIN LUTHER „Neque enim deus . . . aliter cum hominibus unquam egit aut agit quam v e r b o p r o m i s s i o n i s. Rursus, nec nos cum deo unquam agere aliter possumus quam fide in verbum promissionis eius." 1 „Ecce p r a e d i c a t i o r e m i s s i o n i s p e c c a t o r u m per nomen Christi, hoc est Euangelium." 2 KARL BARTH „In diesem Begriff des B u n d e s erst vollendet sich der Begriff Gottes selbst. Denn wie Gott nicht erkannt wird und nicht erkennbar ist außer in Jesus Christus, so existiert er auch in seinem göttlichen Sein . . . nicht ohne den in diesem Namen beschlossenen und vollzogenen Bund mit dem Menschen. Man hätte Gott nicht vollständig, man hätte ihn darum gar nicht erkannt, wenn man ihn nicht als den Stifter und Herrn dieses Bundes zwischen ihm und dem Menschen erkannt hätte." 3 „Der Bund - und also Gott als der Gott des Menschen und der Mensch als der Mensch Gottes - diese Geschichte, dieses W e r k ist also solches auch die Aussage des W o r t e s Gottes, die es von allen anderen Worten unterscheidet . . . Evangelische Theologie existiert im Dienst des Wortes von Gottes Gnaden- und Friedensbund." 4

1

WA 6,516,30-32: „Denn Gott hat n i e m a l s . . . anders mit den Menschen. gehandelt oder handelt mit ihnen als durch das Wort der Verheißung [Zusage], Wiederum können wir niemals mit Gott anders handeln als durch den Glauben an das Wort seiner Verheißung." Sperrung im Text vom Verfasser. 2 WA 2,466,12 f.: „Siehe, die Predigt von der Vergebung der Sünden durch den Namen Christi, das ist das Evangelium." Sperrung im Text vom Verfasser. 3 KD II/2, 564. 4 Barth, Einführung 28.

Vorwort Das vorliegende Buch ist die erweiterte und überarbeitete Fassung einer Arbeit, die im Wintersemester 1973/74 von der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen als Habilitationsschrift angenommen worden ist. Für das Zustandekommen dieser Arbeit habe ich meinen theologischen Lehrern in Göttingen zu danken, nicht zuletzt Herrn Prof. D. Dr. W. Zimmerli und Herrn Prof. Dr. H. J. Kraus - vor allem aber Herrn Prof. Dr. Dr. Hans-Georg Geyer, bei dem ich als Assistent das Geschäft der systematischen Theologie zu betreiben das Glück hatte und der mir bei der Ausarbeitung des Themas ein hohes Maß an Vertrauen, Interesse und Freiheit gewährt hat. Ihm bin ich für alle persönliche und wissenschaftliche Förderung zu bleibendem Dank verpflichtet. Zu danken habe ich ferner Herrn Prof. D. Dr. E. Schlink DD. für die Aufnahme der vorliegenden Habilitationsschrift in die von ihm herausgegebene Reihe „Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie" und für einen ausführlichen Briefwechsel zur behandelten Thematik. Dank gebührt der Karl Barth-Stiftung in Basel und der Evangelischen Kirche im Rheinland für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses, ferner dem Verleger Herrn Dr. A. Ruprecht, der das Erscheinen dieses Buches ermöglicht hat. Zu danken habe ich schließlich Frau Pastorin Hannelotte Reiffen und meinem Assistenten Herrn Vikar Reinhard Gruhn für ihre Mithilfe beim Korrekturenlesen. Wuppertal, im März 1976

6

Bertold Klappert

Inhalt Einleitung 1. Die Bedeutung, die Schwierigkeit und die Offenheit des Themas . . . 2. Die systematischen Möglichkeiten der Ortsbestimmung der Lehre von Gesetz und Evangelium

I. Die Verhältnisbestimmung von Heilsgeschehen und Verkündigung in Relation zur Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium / Evangelium und Gebot 1. Die systematische Zuspitzung des theologischen Problems auf den Vergleich zwischen Luther und Barth 2. Die wechselseitige Interpretation von „Heilsgeschehen und Verkündigung" durch „Gesetz und Evangelium" 3. Die Aporien einer diese Korrelation verkennennden Barth- und Lutherinterpretation 4. Karl Barth als reformatorischer Theologe oder als Theologe der Neuzeit? 5. Die Differenz zwischen Luther und Barth als Differenz zwischen Paulus und dem Alten Testament? 6. Die terminologische Differenz zwischen „Gebot" und „Gesetz" und Barths Formel „Evangelium und Gesetz"

II. Die bundestheologische Grundlegung der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Verheißung und Gebot Erfüllung der Verheißung und Erfüllung des Gebotes Bund und Gebot Das offenbare Gebot der Erfüllung des Bundes Die Universalierung des erfüllten besonderen Gebotes Israels . . . . Der Vorrang der Wahrheitsbestimmung von Evangelium und Gebot vor der Wirklichkeitsbestimmung von Gesetz und Evangelium . . . . 7. Das Gebot der freien Selbstbestimmung Gottes 8. Die bundestheologische Grundlegung der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot

11 11 13

24 24 25 25 27 28 31

35 37 43 45 48 52 59 61 67

III. Die christologische Grundlegung der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot

70

1. Der Inhalt des Evangeliums als Kriterium der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot 2. Der Glaube Jesu Christi als die Erfüllung des Bundesgebotes . . . .

70 73

7

I V . D i e trinitarisch-christologische G r u n d l e g u n g u n d die k e r y g m a t i s c h e n K o n s e q u e n z e n des I n h a l t - F o r m - S c h e m a s

78

1. Das antithetische Verständnis des Inhalt-Form-Schemas 2. Das Inhalt-Form-Schema 'als Sicherung der konkreten Inhaltlichkeit des Gebotes 3. Das christologisch-relationale Verständnis des Inhalt-Form-Schemas . 4. Das Inhalt-Form-Schema als ein kausal-strukturiertes christologisches Koinzidenzverhältnis 5. Das Inhalt-Form-Schema als Implikat der Gegenständlichkeit der O f fenbarung Gottes in Christus 6. Die innertrinitarisch-prädestinatianische Grundlegung des Inhalt-FormSchemas 7. Das teleologisch-dynamische Verständnis des Inhalt-Form-Schemas . .

80 84 89 90 92 93 95

V . D i e christologische Realebene als S a c h k r i t e r i u m der Z u o r d n u n g v o n Evangelium

und Gebot

auf

der

kerygmatisch-anthropologischen

Signalebene 1. 2. 3. 4.

97

Die christologisch-perfektische Realebene Die kerygmatische Signalebene Die anthropologische Konformitätsebene Die Realebene des Heilsgeschehens und die Signalebene des Verkündigungsgeschehens

98 99 101 105

V I . D i e D i a l e k t i k der Bundesgeschichte als B e s t i m m u n g s g r u n d der D i a lektik der Versöhnungsgeschichte

107

1. „Evangelium und G e b o t " und „Verheißung und Erfüllung" als die Grundkategorien des Wortes Gottes bei Barth 2. Die Wirklichkeitskategorien der Versöhnungsgeschichte als Gestaltkategorien der Bundesgeschichte 3. Die irreversible Inklusion in der Wahrheitsbestimmung von Evangelium und Gebot als Qualifizierung der Wirklichkeitsbestimmung von Gesetz und Evangelium

107 109

119

V I I . D i e D i f f e r e n z der christologischen B e g r ü n d u n g des N a c h e i n a n d e r s v o n Gesetz und E v a n g e l i u m bei L u t h e r u n d B a r t h

124

1. Die Relevanz der Unterscheidung zwischen Wahrheits- und Wirklichkeitsgeschichte für das Verständnis von Kreuz und Auferweckung bei Barth 2. Die christologische Bezogenheit (Luther) und die christologische Fassung (Barth) der Lehre von Gesetz und Evangelium 3. Die Dialektik von Gesetz und Evangelium als Dialektik der Anfechstungserfahrung (Luther) und als christologische Dialektik der Bundesgeschichte (Barth) V I I I . D e r differenzierte Z u s a m m e n h a n g v o n K r e u z u n d

126

128

Auferweckung

als S a c h k r i t e r i u m der Z u o r d n u n g v o n Gesetz u n d E v a n g e l i u m

8

124

. .

133

1. Die Transposition der kerygmatischen Dialektik von Gesetz und E v a n gelium bei Luther in die Teleologie des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung bei Barth

133

2. Der unbestimmte (Luther) und der bestimmte (Barth) differenzierte Zusammenhang von Gesetz und Evangelium (die, immanente und teleologische Perspektive der lex bei Luther) 3. Die exklusiv christologische Fassung der immanenten und teleologischen Perspektive des Gesetzes 4. Die kerygmatischen Konsequenzen der christologischen Restriktion der Dialektik von Gesetz und Evangelium bei Barth 5. Die sozialethischen Konsequenzen der christologischen Restriktion der Dialektik von Gesetz und Evangelium bei Barth

I X . D i e Partikularisierung des Ü b e r g a n g s p r o b l e m s u n d der christologischen I n k l u s i v i t ä t bei Luther u n d deren Universalisierung bei Barth 1. Die kerygmatisch-anthropologische (Luther) und die christologische (Barth) Fassung des prädestinatianischen Übergangsproblems . . . . 2. Die universale Exklusivität des Christusgeschehens und die kerygmatisch-partikulare Inklusivität der promissio-fides-Relation bei Luther .

X . D a s christologisch-sakramentale Wortereignis Jesus Christus (Barth) u n d das p r o m i s s i o n a l - s a k r a m e n t a l e Ereigniswort der V e r k ü n d i g u n g (Luther)

136 140 146 153

156

156 158

163

1. Die übergreifende christologische Wortgeschichte (Barth) und die promissio-fides-Relation bei Luther 2. Das Ineinander von Verbum Christi (Wort des Christus praesens) und verbum Christi (Verkündigung von Christus) bei Luther 3. Die Unterscheidung von Christus-Wort und signifikativem Zeugendienst (Barth) 4. Die Umkehrung der Korrelations- und Relationsbestimmungen Luthers bei Barth 5. Die Trias von christologischem Wortereignis - signifikativem Zeugendienst - analogischem Glauben bei Barth

178

X I . D i e kerygmatisch-anthropologische Verklammerung von Rechtfert i g u n g u n d H e i l i g u n g bei Luther u n d deren christologische G r u n d legung bei Barth

181

165 168 173 176

1. Die christologische Grundlegung von Rechtfertigung und Heiligung bei Barth 2. Der Vergleich der christologischen Begründung der Rechtfertigung und Heiligung bei Luther und Barth

191

X I I . D i e exklusiv-christologische Fassung der Lehre Luthers v o m D e u s absconditus-revelatus bei Barth

202

1. Die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und Deus reve"latus als Dialektik des opus alienum im Dienst des opus proprium (Luther) 2. Die exklusiv-christologische Fassung der Lehre Luthers vom Deus absconditus-revelatus bei Barth

181

204 211 9

X I I I . D e r B u n d der E r w ä h l u n g ( B a r t h ) und die Verheißung der Vergebung (Luther) (Der systematische Bezugspunkt der Lehre von Evangelium und Gebot / Gesetz und Evangelium bei Luther und Barth) Diskussion auf dem Leuenberg 1973 ( A u s w a h l ) 1. Der systematische Bezugspunkt der Lehre von „Evangelium und Gebot" / „Gesetz und Evangelium" bei Luther und Barth 2. Exegetische Anfragen an das Gesetzesverständnis Luthers und Barths . 3. Das Verhältnis der christologischen Wirklichkeit zur kerygmatischen Tätigkeit der Kirche 4. Die ekklesiologischen und gesellschafts-politischen Konsequenzen der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot

229 239 239 256 266 276

Literaturverzeichnis

290

Personenregister

296

10

Einleitung ι. Die Bedeutung, die Schwierigkeit und die Offenheit des Themas Der Lutheraner H. J. Iwand, der sich wie kein anderer mit der Theologie der Reformatoren, insbesondere mit der Theologie Luthers und innerhalb der Theologie Luthers wiederum mit der Unterscheidung und Beziehung von Gesetz und Evangelium beschäftigt hat, hat im Hinblick auf die Wiederentdeckung der paulinischen Dialektik von Gesetz und Evangelium durch M. Luther gesagt: Der Reformation „geht es nicht um Wissenschaft, sondern um Wahrheit, nicht um Methode [Wissenschaftstheorie!], sondern um Inhaltlichkeit, nicht um Meinungen, sondern um die Sache, die res. ,Theologus crucis dicit id quod res est.' So lautet 'eine der frühesten Thesen Luthers . . Λ Die Reformation setzt wieder die vorletzten wissenschaftlichen Probleme in Beziehung zu letzten Fragen, zu der Frage des Glaubens, der Kirche, des Heils. Der Hörsaal ist nicht mehr Schule, sondern ist selbst schon Leben, nicht mehr Exerzierplatz, sondern Schlachtfeld. Eine Vorlesung über den Römerbrief oder den Galaterbrief [und das dort verhandelte Thema Gesetz und Evangelium] in Wittenberg und Genf bedeutet mehr als die weltumspannenden Beratungen am Hofe in Wien oder im Vatikan. Das Wort [Gottes] ist auf dem Plan. Das ist der Gegner, auf den diese Gruppe - genannt Reformatoren - gestoßen ist. Und nun setzt, in dem Gegenüber zum Wort, jenes große Umdenken ein, das ihre Theologie bis heute so bewegend und belebend macht. Und es setzt eben vornehmlich ein bei der Lehre vom Gesetz, bei der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium und bei der von da aus neu aufbrechenden Botschaft, dem Kerygma" 2 . Wieder kein geringerer als der verstorbene Göttinger Kirchenhistoriker und Systematiker E. Wolf, der in seinem Buch über „Barmen. Kirche zwischen Versuchung und Gnade" (1957) wie kein anderer die verhängisvollen und geschichtswirksamen Konsequenzen der Aporien und Modifikationen von Luthers Lehre von Gesetz und Evangelium aufgewiesen hat, konnte in seinem Kolleg über „Theologische Grundfragen der Sozialethik" (SS 1962) sagen: „Die Frage nach Gesetz und Evange1 2

These 21 der Heidelberger Disputation von 1518, WA 1,354. Iwand, N W IV 247 f.

11

lium ist innerhalb der protestantischen Theologie im Zusammenhang mit der Wiederentdeckung reformatorischer Rechtfertigungslehre nach dem Ersten Weltkrieg neu lebendig geworden, vor allem im Zusammenhang mit dem Aufkommen einer theologischen Lehre vom sogenannten Volksnomos als Gottesgesetz zu Beginn des Kirchenkampfes 1933. In dieser Lage hat K. Barth ohne direkte Polemik gegen L u t h e r . . . in seiner Schrift ,Evangelium und Gesetz' das Problem theologisch neu gestellt und formuliert und damit zugleich auf lutherischer Seite eine eigentümliche Schematisierung und Konfessionalisierung der ,Lehre von Gesetz und Evangelium' ausgelöst. Diese ,Lehre' ist nun mit einem Schlage zum Hauptstück der innerreformatorischen Kontroverstheologie erhoben worden - einer Kontroverstheologie, deren Schärfe bereits der Protest des „Ansbacher Ratschlags" gegen „Barmen" im Jahre 1934 signalisiert. Das Extrem der lutherischen Position stellt der neulutherische und . . . ,fast mythologische' Dualismus von Gesetz und Evangelium als der ,zwei Worte' Gottes dar, die einander im Anspruch auf die ganze Menschheit widerstreiten; - entwickelt in dieser Schärfe bei W. Eiert und seinen Schülern. Im Zusammenhang damit steht dann eine entsprechende Fassung der Lehre von den beiden Reichen und weiterhin die Betonung der Eigengesetzlichkeit der natürlichen Ordnungen. Darauf wie auf Grundfragen der theologischen Anthropologie richtet sich heute das Interesse an dem Problem Gesetz und Evangelium im besonderen." Und E. Wolf fährt mit dem Verweis auf die Schwierigkeit und Offenheit der anstehenden Thematik fort: „So groß die Gefahr voreiliger, schematischer Konstruktion dieser neuen Unterscheidungslehre ist, so offen ist zur Zeit noch die theologische Diskussion des mit ,Gesetz und Evangelium gestellten Problems. Es droht immer noch die Gefahr der auf ein theologisches Prinzip tendierenden Schematisierung der Formel b e setz und Evangelium' - es droht die Gefahr der Entleerung des theologischen Gehaltes dieser Formel zum bloßen Schlagwort." 3 Gerade im Blick auf die Schwierigkeit und Offenheit der anstehenden Thematik hat wiederum H. J. Iwand gesagt: „Denn die Sache ist immer größer als wir Menschen. Darum ist der Versuch, sie anzufassen, immer wieder begleitet von unserem Scheitern. Nur die Fragen, die wir selbst stellen, die künstlichen, die wissenschaftlichen, ausgedachten Fragen und Probleme lassen sich lösen - die Fragen, die uns ' gestellt werden, bleiben immer offen! Und nur, wo sie der Rand sind, wo sie letzte Fragen sind, wird alles andere wissenschaftliche Arbeiten sinnvoll, auch und gerade in der Theologie." 4

3 4

12

E. Wolf, Sozialethik. Theologische Grundfragen, Göttingen 1975, S. 74 f. Iwand, N W IV 247.

2. Die systematischen der Ortsbestimmung

Möglichkeiten

der Lehre von Gesetz und

Evangelium

Die Art und Weise der Unterscheidung und Zuordnung von Gesetz und Evangelium und damit auch das i n h a l t l i c h e Verständnis der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist ein jeweils verschiedenes, je nachdem „Gesetz und Evangelium" auf die Existenzgeschichte des angefochtenen Menschen, auf das Verkündigungsgeschehen der Predigt, auf die Offenbarung des Wortes Gottes, auf das Heilsgeschehen in der Geschichte Jesu Christi oder auf die Bundesgeschichte Gottes mit Israel, wie sie in der Geschichte Jesu Christi zu ihrer Erfüllung kommt, bezogen werden. Insofern kann die Unterscheidung und Zuordnung von Gesetz und Evangelium verschieden als eine anthropologische Relation, als eine kerygmatische Relation, als eine offenbarungstheologische Relation, als eine christologische Relation oder als eine bundestheologische Relation verstanden und interpretiert werden. Dabei ist für das verschiedene Verständnis von Gesetz und Evangelium nicht so wichtig, ob es verschiedene Ortsanweisungen gibt, entscheidend ist aber die Frage und Auskunft, wo Gesetz und Evangelium ihren primären und grundlegenden Definitionsort und Bestimmungsort haben. a) Die kerygmatische Ortsbestimmung der Unterscheidung und Evangelium (Gesetz und Evangelium als kerygmatische

von Gesetz Kategorien)

Luthers reformatorische Theologie und reformatorische Entdeckung und ineins damit Luthers Unterscheidung von Gesetz und Evangelium nimmt ihren Ausgang von der grundlegenden exegetischen Einsicht in Rom. 1,17: δικαιοσύνη γαρ θεοί έν αύτω άποκαλύπτίται / iustitia Dei in ilio revelatur: die Gerechtigkeit wird im Evangelium, d. h. im mündlichen Wort der Predigt (E. Bizer) offenbar gemacht und mitgeteilt. Und zwar ist die im Evangelium, im mündlichen Wort der Predigt offenbarte und mitgeteilte Gerechtigkeit keine vergeltende Strafgerechtigkeit (im Sinne der iustitia distributiva bzw. iustitia formalis seu activa, qua Deus iustus est et iniustos punit), sondern die sich dem Menschen, insbesondere dem sündigen Menschen schenkende, heilstiftende Gerechtigkeit. Muß aber die heilschenkende Gerechtigkeit Gottes (iustitia passiva, qua nos Deus misericors iustificat per fidem), wie sie im Evangelium offenbart und geschenkt wird, von der vergeltenden Strafgerechtigkeit Gottes, die ihren Maßstab am göttlichen Gesetz und am menschlichen Tun hat, unterschieden werden, dann ist der „Gegensatz von Gesetz und Evangelium von der aktuellen Begegnung des Menschen mit dem 13

durch Verkündigung . . . widerfahrenden Gotteswort her" zu verstehen (W. Joest)5. So heißt es bei Luther im Großen Galaterkommentar von 1531/35: „Sic lex, quando in suo vero usu est, nihil aliud facit, quam quod revelat peccatum, efficit iram, accusat, perterrefacit et fere ad desperationem mentes adigit.. . Contra: Evangelium lux est quae illuminât et vivificat corda; ostendit enim, quae sit Gratia et misericordia Dei, quae sit remissio peccatorum, benedictio, iustitatia, vita et salus aeterna et quo modo ista consequi debeamus. Hoc modo discernentes legem ab Evangelio utrique tribuimus suum proprium usum et officium . . . Nisi enim diserte discernatur Evangelium a Lege, non potest salva retineri doctrina Christiana." 6 Das Gesetz in seiner wahren Funktion (Vollzug) offenbart ausschließlich die Sünde, bewirkt Zorn, erhebt Anklage, erschrickt und führt die Seele an den Rand der Verzweiflung... Demgegenüber ist das Evangelium ein Licht, das die Herzen erleuchtet und lebendig macht; es (das Evangelium) zeigt nämlich, was Gnade und Barmherzigkeit Gottes, was Vergebung der Sünden, Segen, Gerechtigkeit und ewiges Leben und Heil ist und wie wir dieses alles erlangen sollen. Wenn wir auf diese Weise das Gesetz vom Evangelium unterscheiden, lassen wir beiden ihre Funktion und A m t . . . Wenn nämlich nicht deutlich (bestimmt) zwischen Evangelium und Gesetz unterschieden wird, kann die christliche Verkündigung nicht unverletzt bewahrt werden. M. a. W.: „An der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium k o m m t . . . heraus, was das Besondere an der christlichen Verkündigung ist" (G. Ebeling)7. Die Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist die Predigt. Dezidiert in der Richtung dieser kerygmatischen Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium hat sich auch H. J. 'Iwand geäußert: „Es ist ganz eindeutig, daß es Luther primär um die Predigt des Gesetzes geht." 8 Aber wie das Gesetz gepredigt werden muß, so erhält auch das Evangelium seine primäre Ortsbestimmung in der Predigt; so lautet die Definition der Predigt im Galaterkommentar von 1519: „Praedicatio remissionis peccatorum . . . hoc est Euangelium" 9 - Die Predigt von der Vergebung der Sünden . . . ist das Evangelium. Evangelium muß gepredigt, muß verkündigt werden. Evangelium - so versteht Iwand Luther - ist offenbar nur als verkündigtes mitten unter uns, kann nur als Botschaft vernommen und gehört werden. Evangelium 5

Joest, Art. Gesetz und Evangelium, EKL I 1558. » WA 40/1,486,13 ff.; Kursivierung vom Verfasser. 7 Ebeling, Luther 133. 8 Iwand, N W IV 305. • WA 2,466,12 f., vgl. Iwand, N W IV 277.

14

ist das mündliche, mittels der Predigt zugesprochene Wort der Vergebung. Eine eindeutig kerygmatische Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium vollzieht Luther in seiner Vorlesung über den Galaterbrief von 1519: „Euangelium et lex proprie in hoc differunt, quod lex praedicat [!] facienda et omittenda . . . ac impossibilia fieri et omitti (ideo solam peccati ministrat cognitionem), Euangelium autem [praedicat] remissa peccata et omnia impleta factaque" 10 - Evangelium und Gesetz unterscheiden sich wesentlich darin, daß das Gesetz verkündigt, was zu tun und zu lassen i s t . . . und was nicht möglich ist zu tun und zu lassen (deshalb dient es allein der Erkenntnis der Sünde), das Evangelium aber (verkündigt), daß die Sünden vergeben sind und alles erfüllt und getan ist. Die Problematik der kerygmatischen Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium läßt sich vorläufig so umschreiben: Ist die kerygmatische Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bei Luther unbestritten, so erwächst die Schwierigkeit der Interpretation erst daraus, daß weitere Ortsbestimmungen der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bei Luther namhaft gemacht werden können, so daß sich die systematische Frage nach der zentrierenden Mitte, dem Koordinatensystem und den Bezügen der verschiedenen Ortsbestimmungen stellt. Und exakt an dieser Frage gehen die verschiedenen Lösungsversuche historisch und systematisch auseinander. M. a. W. : Die Differenz des Bezugssystems von Gesetz und Evangelium als kerygmatischer Kategorien macht im Zentrum die Differenz der verschiedenen Antworten zum Thema aus. b) Die anthropologische Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium (Gesetz und Evangelium als anthropologische Kategorien) In der von Ernst Kinder und Klaus Haendler verfaßten Einleitung zum Sammelband „Gesetz und Evangelium" (1968) wird in dem Lutherabschnitt S. VII bis X I X einer anthropologischen Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bei Luther das Wort geredet: Luther, durch den die protestantische Erörterung des Themas Gesetz und Evangelium bestimmt ist, „ b e g r ü n d e t " - so wird dort ausgeführt - „diese Bestimmung des einzigen und eigentlichen Kriteriums . . . christlicher Existenz . . . damit, daß so und nur so nämlich: in der notwendigen und richtigen Unterscheidung von ,Gesetz' und ,Evangelium' - des Menschen Mensch-Sein als das, das es in Wahrheit ist, . . . erkannt, ausgesagt, verkündigt und . . . konstituiert werden 10

WA 2,466,3 ff., vgl. Iwand, NW IV 273. 15

kann" (VII). Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium - so müssen wir verstehen - „ist also von fundamentaler soteriologischer oder, was dasselbe ist [!], anthropologischer (,existentialer') Relevanz" (VIII). Das G e s e t z - so wird dann weiter erläutert — betrifft den Menschen nicht „primär als Lehre", nicht „materialiter, sondern functionaliter und effective", d. h. das Gesetz „ i s t . . . für den Menschen in seiner geschichtlich-individuellen Konkretheit präsent und be-trifft ihn" (!). M. a. W.: Das Gesetz - so wird S. X I gesagt - „spricht als faktischgegenwärtige Wirklichkeit (Wirk-lichkeit!) Sachverhalte aus und zeigt sie auf, ,quae iam existunt in natura humana' 11 ". Dieses dem Menschen in seiner geschichtlich-individuellen Konkretheit präsente, ihn betreffende und als faktisch-gegenwärtige Wirk-lichkeit immer schon angehende Gesetz ist „als wirk-liches Geschehen immer schon auf dem Plan - ,nulla nostra necessitate, sed de facto iam invitis nostris adest"' 12 . Dieses den Menschen de facto immer schon bestimmende und angehende anthropologische Gesetz (lex naturalis), wie es sich bei Luther vornehmlich in den Antinomer-Disputationen diskutiert findet, wird dann S. X I f. mit G. Ebeling so interpretiert: Das Gesetz ist „dasjenige, in dem ich selbst vorkomme und das darum schon immer bei mir ist, mich von jeher in Anspruch genommen hat, weil es untrennbar zu meiner Existenz gehört" 13 . Dem Gesetz - so wird gefolgert - „eignet also fundamental-anthropologische (,existentiale*) Relevanz". „Darum hat das Gesetz seinen anthropologischen (.existentiellen') Ort im Gewissen."14 Ist das Gesetz in der Wirklichkeit des Menschen immer schon da ( X V f.) und besteht die Unerfüllbarkeit des Gesetzes darin, „daß es auf das Vor-Gott-Bestehen-Wollen und -Können des Menschen bezogen wird" (XII) und der Mensch im Verfügen-Wollen über sich selbst sich selbst verliert, so definiert sich das Evangelium selbst als Gegensatz dieses Gesetzes und im Gegensatz zu diesem Gesetz (XV), in dem der Mensch im Sich-selbst-Empfangen sich selbst gewinnt. Der Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium ist demnach das funktionale und wirksame Geschehen der Unterscheidung als Kampfesgeschehen zwischen dem den Menschen schon immer angehenden Gesetz der Selbstbegründung und Selbstkonstitution und dem Evangelium als dem Ermöglichungsgrund d.es reinen Sich-Empfangens aus Gott. Ausgetragen wird dieser Streit zwischen Gesetz und Evangelium, zur UnterWA 39/1,361,30. . . . nicht auf Grund unserer Nötigung sondern de facto auch gegen unseren Willen; Antinomerdisputationen W A 3 9 / 1 , 3 5 3 , 3 7 ff. 13 Ebeling, Erwägungen zur Lehre vom Gesetz 301 f. 14 W d F S. X I I . 11 12

16

Scheidung kommt es zwischen dem Gesetz und dem Evangelium i m M e n s c h e n , genauer: in seinem Gewissen. D . h . „der Mensch ^ w i schen' Gesetz und Evangelium ist der Austragungsort dieses ,discrimen et certamen legis et evangelii' [dieser Unterscheidung und dieses Kampfesgeschehens zwischen Gesetz und Evangelium], wenn anders Gesetz und Evangelium und also das Geschehen ihrer Unterscheidung (und allein in diesem Geschehen des Sich-Unterscheidens sind sie realiter [!], nämlich functionaliter und effictive) primär anthropologische (,existentiale') Sachverhalte und Tatbestände sind" (XVII). Es ist also, so läßt sich diese anthropologisch-existentiale Ortsbestimmung (des Geschehens) der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zusammenfassend bestimmen, „der Mensch, an und in dem sich Gesetz und Evangelium als Geschehen und Macht voneinander unterscheiden, . . sie unterscheiden sich an ihm und in ihm" (XVII). Worum geht es in dem Machtgeschehen der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium? E. Kinder und K. Haendler antworten: „Um nicht weniger als um des Menschen Sein und Nicht-Sein, um sein Sichselbst-Gewinnen (im Sich-selbst-Empfangen) und um sein Sich-selbstVerlieren . . . oder denn: um die Wirklichkeit des Mensch-Seins in Wahrheit und um seine Wirklichkeit in Unwahrheit" (XIX). Gesetz und Evangelium stehen damit im Rahmen und im Zusammenhang „der Frage nach dem Woher [Evangelium] und Wo [Gesetz] menschlicher Existenz" (XIX). Ist das W o geschichtlicher Existenz das den Menschen schon immer und von Haus aus im Gewissen angehendeGesetz, so ist das W o h e r menschlicher Existenz das Evangelium als Ermöglichungsgrund wahren und eigentlichen Existierens des Menschen. Dies meint die anthropologische (existentiale) Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium an und im Menschen. Und diese anthropologische Ortsbestimmung von Gesetz und Evangelium besagt zugleich inhaltlich: das Geschehen und der Vollzug der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist ein Geschehen a η und i m Menschen und vollzieht sich als Wandel des Sichverstehens der Existenz vom Sich-selbst-Behaupten zum reinen Sich-selbst-Empfangen aus Gott. Im Hinblick auf eine solche oder ähnliche anthropologisch-existentiale Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium lassen sich folgende Fragen stellen: Sind Gesetz und Evangelium, Urteil und Freispruch, das richtende, tötende und das rechtfertigende und freisprechende Wort Gottes als ein Geschehen a η und i m Menschen beschreibbar, genauer: Sind Gesetz und Evangelium als existentielle Erfahrungen bzw. Reflexe zugleich als e x i s t e n t i a l e Sachverhalte bzw. Geschehensvollzüge verstehbar und also im Rahmen anthropologischer Existenzvollzüge beschreibbar? 17 2

Klappert, Proraissio

Anders formuliert: Ist der Mensch in seinen existential-ontologischen Strukturen das Unwandelbare, an dem Gesetz und Evangelium im Sinn der Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit abwechseln, so daß Gesetz und Evangelium im Geschehen des Übergangs von der Verfallenheit der Selbstverfügung zur Eigentlichkeit des Sich-selbst-Empfangens Ereignis und Wirklichkeit sind? Ist das Nacheinander von Gesetz und Evangelium als das Geschehen der Wandlung der ontischen Wirklichkeit des Menschen von seiner Uneigentlichkeit zu seiner Eigentlichkeit interpretierbar? Ist - um mit H. J. Iwand 15 zu fragen - der Mensch das Unwandelbare, an dem das tötende Gesetz und lebendigmachende Evangelium (1. Sam. 2,6) abwechseln? Ist in der Tat und kann überhaupt der Mensch der Austragungsort des discrimen et certamen legis et evangelii, der Austragungsort dieser Unterscheidung und dieses Kampfesgeschehens zwischen Gesetz und Evangelium sein? c) Die offenbarungstheologische Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium (Das Wort Gottes jenseits von Gesetz und Evangelium, Gesetz und Evangelium als das eine Wort Gottes) Gegenüber dieser von Kinder und Haendler vorgetragenen, sich insbesondere auf die Antinomerdisputationen berufenden und an Ebelings existential-anthropologischer Interpretation der Untscheidung von Gesetz und Evangelium als einem Geschehen an und im Menschen orientierenden Deutung hat besonders H. ]. Iwand die theo-logische bzw. offenbarungstheologische Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium herausgearbeitet: „Die Lehre vom Wort Gottes bei Luther - so lautet die These Iwands in seiner posthum erschienenen Theologie Luthers - ist bisher kaum entwickelt worden, und sie wird dadurch verdorben, daß man sie sofort in die Lehre von Gesetz und Evangelium aufspaltet." 16 Und seine frühere Anfrage an K. Barths Prolegomena der Kirchlichen Dogmatik KD 1/1.2 in seinem Aufsatz „Jenseits von Gesetz und Evangelium?"17 korrigierend, fährt Iwand fort: „Das eine Wort Gottes ist noch jenseits von Gesetz und Evangelium da. Dieses eine Wort Gottes, das noch nicht geteilt ist in die Dialektik von Gesetz und Evangelium" (203 f.), sichert nicht nur das Evangelium, sondern auch das Gesetz als eine Kategorie der Offenbarung, macht es also unmöglich, das Gesetz aus der Offenbarung auszuklammern und es direkt als eine anthropologische Größe zu bestimmen. Hatte man einmal das Ge15 18 17

18

Iwand, N W IV 433 f. Iwand, Luthers Theologie, N W V 203. Iwand, U m den rechten Glauben, Gesammelte Aufsätze 87 ff.

setz Gottes aus der Offenbarung ausgeklammert und damit „die Einheit des Wortes Gottes zerschlagen... in den Unterschied von Gesetz und Evangelium", so bedeutet das nach Iwand: „Jetzt war für Gesetz und Evangelium kein überlegener Begriff mehr da, jetzt wurde das ganze Verhältnis von Gesetz und Evangelium interpretiert aus der jeweils verschiedenen Situation [!], in der mich das Wort trifft - sei es, daß es mich schreckt, verurteilt, verdammt, sei es daß es mich tröstet, erbaut." 18 Und die Folge der Zerschlagung der Einheit des offenbarenden Wortes Gottes in den Unterschied von Gesetz und Evangelium beschreibt Iwand so: „So wurde das ganze Problem des Wortes Gottes hineinverlegt . . . in das jeweilige Verständnis des Menschen" (ebd). Iwand will also sagen: Sind Gesetz und Evangelium das e i n e Wort der Offenbarung Gottes, ist also auch das G e s e t z Moment der Offenbarung und Element des einen Wortes Gottes, so darf die Akzentuierung der Unterscheidung des Wortes Gottes hei Luther nicht die Frage nach der Einheit des Wortes Gottes bei Luther ausklammern. Haben Gesetz und Evangelium ihren Definitionsort in der einen Offenbarung Gottes, sind Gesetz und Evangelium Kategorien und Elemente des einen Wortes Gottes, dann ist nach der theo-logischen bzw. offenbarungstheologischen Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, dann ist nach dem „überlegenen Begriff" (Iwand) für Gesetz und Evangelium zu fragen. Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang vorläufig erheben, sind folgende: Wenn die Unterscheidung des Wortes Gottes in Gesetz und Evangelium zugleich streng als Unterscheidung innerhalb des einen Wortes Gottes zu verstehen ist, wie ist dann das eine Wort Gottes jenseits von Gesetz und Evangelium inhaltlich zu bestimmen? Ist dieser ,überlegene Begriff' des einen Wortes Gottes eine kerygmatisch-theologische oder eine christologisch-theologische Kategorie? Ist das eine Wort Gottes das eindeutige, nicht zwischen Nein und Ja alternierende Wort der Zusage und der Verkündigung oder ist damit Jesus Christus als das eine Wort Gottes bezeichnet? Anders formuliert: Ist das eine Wort Gottes eine kerygmatische Kategorie im Sinn der Eindeutigkeit der Predigt oder eine christologische Kategorie im Sinne der 1. Barmer These von Jesus Christus als dem einen Wort Gottes? Wenn aber beides gelten sollte, die Frage also nicht alternativ zu beantworten ist, wie ist sodann das Verhältnis beider Kategorien des einen Wortes Gottes zu bestimmen?

18

2*

Iwand, NW V 206. 19

d) Oie christologische Ortsbestimmung der Unterscheidung und Evangelium (Gesetz und Evangelium als christologische

von Gesetz Kategorien)

Ist der anthropologischen Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zufolge der Mensch der Ort des Geschehens, an und in dem Gesetz und Evangelium sich vollziehen, ist m. a. W. der Mensch in seinen existential-ontologischen Strukturen das Unwandelbare, an dem Gesetz und Evangelium, Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit, Über-sich-selbst-Verfügen und Sich-selbst-Empfangen abwechseln, so weist Luthers im Galaterkommentar von 1519 erfolgende Definition des Evangeliums zugleich in eine andere Richtung, insofern das Evangelium als „praedicatio remissionis peccatorum p e r n o m e n Christi" verstanden wird. Das Evangelium als sakramentaler Zuspruch der Promissio, als Verheißung der Vergebung „will verkündigt werden per nomen Christi!", d. h. im begründenden Verweis auf „den gekreuzigten und von den Toten auferstandenen Christus. Mit anderen Worten: eingeschlossen in die frohe Botschaft von der Gnade Gottes ist die Aussage über incarnatio, passio und resuscitatio Christi!" (Iwand) 19 . Als Evangelium, als diese promissio, „kann diese Vergebung - so will Iwand Luther verstanden wissen - nur in der Weise verkündigt werden, daß der menschgewordene, gekreuzigte und auferstandene Christus verkündigt w i r d . . . So kommt Luther zu der klassischen Formulierung: ,Euangelium est doctrina de filio dei Jesu Christo'"20. G. Ehelings anthropologisch-existentialer Ortsbestimmung der effektiven und funktionalen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium am und im Menschen zufolge meint ,Unterscheidung' „nicht einen ohne weiteres bestehenden und nun eben bloß zu konstatierenden, einzusehenden, zu erkennenden Unterschied . . . Unterscheidung ist hier . . . im strengen Sinn ein - wie Ebeling sich ausdrückt - nomen actionis, und zwar nicht als bloße Feststellung eines bestehenden Unterschiedes, sondern als Vollzug der Unterscheidung... Das Modell der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium - so präzisiert Ebeling weiter - ist nicht das harmlos-friedliche Geschäft einer logischen Operation, eines Definitionsverfahrens, wie man zwei in irgendeiner Beziehung zueinander stehende Größen oder Sachverhalte gegeneinander abzugrenzen versucht" 21 . Sondern - so heißt es schließlich bei Ebeling positiv —: „Das Modell, an dem man sich hier zu orientieren hat, ist eher der Vorgang eines Rechtsstreites... oder vielleicht noch sachnäher: das Geschehen eines Kampfes [!], der darum so erbittert ist und hoffnungslos scheint, weil die Fronten ineinander verkeilt sind" (127 f.). Iwand, N W IV 277. Iwand, N W IV 2 7 9 : „Das Evangelium ist die Predigt von Jesus Christus, dem 2 1 Ebeling, Luther 127. Sohn Gottes." 19

20

20

Genau als den Vorgang eines solchen Rechtsstreites, als Geschehen eines erbitterten Kampfes, als „Vollzug der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium" (Ebeling) hat nun Luther die Geschichte Jesu Christi in Kreuz und Auferweckung bezeichnen können, denn - so lautet Iwands gewichtige These zur Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium - „in der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium wird μ bei den Reformatoren die Christologie verhandelt, so, wie es ja auch bei Paulus ist" 22 ! In dem duellum mirabile des Kreuzes — so führt Luther im Großen Galaterkommentar von 1531/35 aus (wir werden darauf zurückkommen müssen) - übernimmt Christus die Person aller Sünder und wird von Gott mit der Sünde der ganzen Welt identifiziert. Und das heißt nach Iwand: „So ist er das Ende des Gesetzes, nicht ein mit dem Begriff des Gesetzes gegebener Gedanke, sondern Ende des Gesetzes als Gottes wunderbare, uns befreiende Tat" (298). „Vollendet sich [aber] die Erkenntnis, die das Gesetz bringt, in der Passion Jesu . . . , (kann) nur von daher überhaupt das Gesetz ausgelegt, verkündigt werden, . . . macht (es) uns diesem gerichteten und zerschlagenen, von Gott zerschlagenen Menschen gleich [!]" (455), so ist die Predigt und die sich in der Predigt vollziehende Unterscheidung von Gesetz und Evangelium immer darauf ausgerichtet, daß jenes pro nobis der Geschichte Jesu Christi präsent ist, so daß die kerygmatische und anthropologische Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zugleich auf die christologische Ortsbestimmung verweist und in einem unumkehrbaren Fundierungsverhältnis auf diese bezogen bleibt. Denn es vollendet sich - so kann Iwand schließlich sagen - „die Predigt des Gesetzes genauso in Christus wie auch die Botschaft von der Vergebung.. . Hier am Kreuz . . . ist über den ganzen Menschen Gericht gesprochen. Hier hat Gott ein unübersehbares Nein mitten hineingestellt . . . in unser Leben und unsere Geschichte. Und das ist nun in der Tat der Sinn des Gesetzes, daß es jenes Geschehen verdeutlicht". Ist aber das Gesetz als das richtende Nein Gottes im Kreuz Christi Ereignis und Geschichte, so „kann wohl niemand wirklich ganz und von innen her [!] unter das Gesetz geraten, ohne daß dieses ihm eben damit zur Brücke wird, zum Führer zu Christus, und zwar eben zu diesem gekreuzigten Herrn . . . Das Gesetz Gottes macht uns innerlich [!] zu dem, was wir von außen [!] in Christus vor uns sehen" (444 f.). Die Frage, die auch hier vorläufig zu stellen sein wird, ist folgende: Wie ist eigentlich das Verhältnis der christologischen, kerygmatischen und anthropologischen Ortsbestimmungen der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bei Luther zu verstehen? Ist es ein Verhältnis der Wiederholung der Geschichte Jesu Christi in Kreuz und Auferweckung 22

Iwand, N W IV 246; vgl. Eichholz, Die Theologie des Paulus im Umriß, passim. 21

auf der kerygmatischen und anthropologischen Ebene? Und wie müßte das Verhältnis der christologischen zu der kerygmatischen und anthropologischen Ortsbestimmung von Gesetz und Evangelium präzis verstanden werden, wenn das E P H A P A X der Geschichte Jesu Christi eine einfache Wiederholung ausschließt bzw. eine Wiederholung einfach verunmöglicht? e) Die bundestheologische Ortsbestimmung der Unterscheidung Evangelium und Gesetz (Gesetz und Evangelium als Kategorien Bundesgeschichte )

von der

K . Barth hat - was noch ausführlich zu zeigen sein wird - Luthers im Großen Galaterkommentar vorgenommene christologische Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium (in dieser Reihenfolge!) ausdrücklich und zwar in der Gestalt der paulinisch-lutherischen Dialektik bejahen und als grundlegendes und unverzichtbares Element der Geschichte Jesu Christi und damit als unverzichtbares Moment der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium aufnehmen können. K . Barth hat aber darüber hinaus im I V . Band seiner Kirchlichen Dogmatik im Hinblick auf die paulinische Dialektik von Gesetz und Evangelium gesagt: „Ich verstehe nicht, wie man dazu kommt, dem Apostel Paulus eine Auffassung von G o t t e s G e s e t z zuzuschreiben, in der er sich zu dem, was im Selbstverständnis des Alten Testaments so heißt, zugestandenermaßen . . . i n W i d e r s p r u c h befinden würde - eine Auffassung, die m a n . . . insbesondere von dem her, was wir heute . . . vom alttestamentlichen Gesetzesbegriff in seiner positiven Beziehung zum Jahwebund wissen, nur als tief i r r t ü m l i c h bezeichnen könnte. Ich wundere mich, wie man sich mit dieser doch recht beunruhigenden exegetischen Voraussetzung so leichthin abfinden kann." 2 3 Barth hat damit explizit im ausdrücklich benannten Rückgriff auf Paulus über die christologische Ortsbestimmung hinaus auf die bundestheologische Ortsbestimmung der Unterscheidung von Evangelium und Gesetz abgehoben und damit auf den für die christologische Ortsbestimmung der in Frage stehenden Unterscheidung grundlegenden Sachverhalt aufmerksam gemacht, daß Luthers christologische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium o h n e die Reflexion auf die bundestheologische Fundierung und auf den Zusammenhang der Bundesgeschichte Gottes mit Israel nicht sachgemäß und eindeutig erfolgen kann. Damit stellt uns die vorgetragene Analyse der systematischen Möglichkeiten einer kerygmatischen, anthropologisch-existentialen, theo-logischen, christologischen und bundesgeschichtlichen Ortsbestimmung der 23

22

K. Barth, KD IV/3, 427 f.

Unterscheidung und Zuordnung von Gesetz und Evangelium vor ein doppeltes Problem: a) Wie ist die von Luther angezeigte kerygmatische, anthropologische, theo-logische und christologische Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium sachlich zu verstehen? Wie verhalten sich die kerygmatische, die anthropologische und die christologische Ebene der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zueinander? b) Wie ist von Barth die von Luther namhaft gemachte christologische Ortsbestimmung rezipiert und zur bundestheologischen Ortsbestimmung in Beziehung gesetzt worden? Welche Modifikationen haben sich aus der Verklammerung der christologischen und bundestheologischen Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium/Evangelium und Gesetz f ü r die kerygmatische und anthropologische Ortsbestimmung derselben Unterscheidung Luthers ergeben? Und repräsentieren diese Modifikationen aus der Verklammerung von Bund und Christologie, wie sie Barth im Gesamtentwurf der Kirchlichen Dogmatik entfaltet hat, zugleich Richtungen der Antwort auf Aporien, die angesichts der bei Luther zu findenden vielfachen Ortsbestimmungen entstehen konnten und auch entstanden sind?

THESE 0

Die Art und Weise und das inhaltliche Verständnis der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist ein jeweils verschiedenes, je nachdem sie auf die Existenzgeschichte des angefochtenen Menschen, auf das Verkündigungsgeschehen des Kerygmas, auf die Offenbarung des einen Wortes Gottes, auf das Heilsgeschehen in der Geschichte Jesu Christi oder auf die Bundesgeschichte Gottes mit Israel, wie sie in der Geschichte Jesu Christi zu ihrer Erfüllung kommt, bezogen werden. Insofern kann die Zuordnung von Gesetz und Evangelium als eine anthropologische, als eine kerygmatische, als eine offenbarungstheologische, als eine christologische und als eine bundestheologische Relation verstanden und interpretiert werden. Dabei ist für das historische und systematische Verständnis von „Gesetz und Evangelium" nicht so wichtig, o b es verschiedene Ortsbestimmungen gibt, entscheidend ist vielmehr die Frage und Auskunft, wo Gesetz und Evangelium ihren primären und grundlegenden Definitionsund Bestimmungsort haben.

23

I. Die Verhältnisbestimmung von Heilsgeschehen und Verkündigung in Relation zur Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium / Evangelium und Gebot i. Die systematische

Zuspitzung

auf den Vergleich

des theologischen

zwischen Luther und

Problems

Barth

Angesichts der systematischen Relevanz der Inhalts- und Formbestimmung der Relation von „Heilsgeschehen und Verkündigung bei Barth und in der reformatorischen Theologie" in der systematisch- theologischen, lutherisch-reformierten und gesellschafts-politischen Debatte und Auseinandersetzung der Gegenwart wird hier zur exemplarischen Erhellung dieser Relation speziell der Vergleich zwischen Luther und Barth thematisiert. Dies bedeutet, daß ein vorläufiges Urteil über das Verhältnis Barths zur reformatorischen Theologie und ihres gesamten Spektrums erst zur Debatte steht, wenn entsprechende Vergleiche zwischen Calvin und Barth1 und nicht zuletzt auch insbesondere im Hinblick auf KD IV/4 zwischen Zwingli und Barth unternommen worden sind. Von daher muß die Frage offengelassen werden, inwieweit die hier herausgearbeitete Differenzierung zwischen Luther und Barth diejenige zwischen lutherischer und reformierter Theologie ist. Zumindest dies, daß diese Frage nicht einfach bejaht werden kann, wird aus dem Folgenden deutlich werden2.

1 W. Kreck, Johannes Calvin und Karl Barth, in: Kirche, Konfession und Ökumene. Festschrift für W . Niesei, 1973,77 ff. 2 Vgl. K. Barth, Abschied, Zwischen den Zeiten 1 9 3 3 , 5 3 6 - 5 4 4 (zit. nach Kupisch 68) : „Es werden etliche Lust haben . . . meine ganze Stellung. . . auf den Gegensatz meines reformierten zum lutherischen Bekenntnis zurückzuführen. Ich warne." Brechen und Bauen (Kupisch 116): „Ich glaube . . . man meint vielfach, was ich mich vorzutragen bemühe, sei reformiert. Es ist so wenig altreformiert wie altlutherisch. Gar nicht alle Reformierten sind damit einverstanden." Barths ausführliche dogmengeschichtlichen Exkurse in der K D belegen diese Aussagen mit aller Deutlichkeit. Seine des öfteren ausgesprochenen Warnungen, seine theologischen Stellungnahmen und seine theologische Position von dem Gegensatz einer von ihm vertretenen reformierten zur lutherischen Theologie her begreifen zu wollen, gelten zunächst auch im Hinblick auf die zu erhebenden Differenzen zwischen Luther und Barth.

24

2. Die wechselseitige Interpretation von „Heilsgeschehen und Verkündigung" durch „Gesetz und Evangelium" Die Verhältnisbestimmung von Heilsgeschehen und Verkündigung bei Luther und Barth impliziert in systematischer Zuspitzung die Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium/Evangelium und Gebot und umgekehrt: Die Diskussion des Verhältnisses von Evangelium und Gebot/Gesetz und Evangelium führt notwendig auf die Diskussion des Verhältnisses von Heilsgeschehen und Verkündigung. Man wird deshalb über einen allgemeinen Vergleich zwischen Luther und Barth, der ,das Anliegen Barths, das auch Luther kenne, und das Anliegen Luthers, das auch bei Barth nicht ganz unberücksichtigt sei', nur dann hinauskommen, wenn man eine strenge Wechselbeziehung (Korrelation) zwischen dem Thema „Heilsgeschehen und Verkündigung" einerseits und „Gesetz und Evangelium/Evangelium und Gebot" andererseits aufmacht. Ziel der folgenden Darlegungen ist es, die wechselseitige Interpretation von Heilsgeschichte und Verkündigungsgeschehen durch die für Luthers wie für Barths Theologie zentrale Kategorie Gesetz und Evangelium bzw. Evangelium und Gebot durchzuführen. Denn „Heilsgeschichte und Verkündigung" sind für Barth und Luther eng mit der Kategorie „Evangelium und Gebot" bzw. „Gesetz und Evangelium" verbunden und umgekehrt.

3. Die Aporien einer diese Korrelation verkennenden Luther- und Barth-Interpretation Die Weigerung, das Verhältnis von „Gesetz und Evangelium/Evangelium und Gebot" bei Luther und Barth zugleich als das Verhältnis von „Heilsgeschehen und Verkündigung" und umgekehrt zu diskutieren, führt zu unlöslichen Aporien, wie an G. Ebelings Lutherund Barth-Interpretation verdeutlicht werden kann. Indem G. Ebeling die Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium auf die kerygmatische Ebene im Sinne des Wortgeschehens beschränkt und nicht zu der Frage nach dem Verhältnis der christologischen zur kerygmatiscben Ebene weiterentwickelt 3 , kommt er sowohl in seiner Luther- als auch in seiner Barth-Interpretation zu unvermeidbaren Aporien. 3

Vgl. K. Barth, K D 11/2,617 f.: „Es gibt bekanntlich einen Zirkel - Luther gerne davon gesprochen: Gott und der Glaube, der Glaube und Gott als die beide Haufe' gehören: da wird Gott für den Menschen, der er ist, und da wird auch Mensch für Gott, der er ist; da tritt die Gottheit Gottes für den Menschen und

hat ,zu der die

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I m H i n b l i c k auf L u t h e r : „ C h r i s t l i c h e V e r k ü n d i g u n g - das ist das G e s c h e h e n d e r U n t e r s c h e i d u n g v o n G e s e t z u n d E v a n g e l i u m . . . , also der V o l l z u g eines K a m p f e s g e s c h e h e n s . . . W e n n aber das V e r k ü n d i g u n g s g e s c h e h e n das ist, w a s es z u sein b e a n s p r u c h t , n ä m l i c h H e i l s g e s c h e h e n [ ! ] , d a n n ereignet sich a l s o darin, d a ß z w i s c h e n G e s e t z u n d E v a n g e l i u m u n terschieden w i r d , das H e i l , w ä h r e n d ihre V e r m e n g u n g . . . i m strengen S i n n e das U n h e i l selbst w ä r e . " 4 D i e K o n z e n t r a t i o n auf das k e r y g m a t i s c h - e x i s t e n t i a l e W o r t g e s c h e h e n m i t der R e l a t i o n v o n G e s e t z u n d E v a n g e l i u m als F u n d a m e n t a l k a t e g o r i e bei L u t h e r f ü h r t E b e l i n g i n seiner L u t h e r i n t e r p r e t a t i o n 5 d a z u , „ d a ß er, in der e x i s t e n t i a l e n I n t e r p r e t a t i o n g e f a n g e n , nie sagt, w a s der [ c h r i s t o l o g i s c h e ] I n h a l t [ ! ] des E v a n g e l i u m s ist, u n d a l l e n i c h t . g e s c h i c h t l i c h e n ' [d. h. n i c h t k e r y g m a t i s c h e n ] A u s s a g e n v e r m e i d e t " 6 , w a s B i z e r z u f o l g e einer V e r z e i c h n u n g Luthers g l e i c h k o m m t . Menschheit des Menschen für Gott in das Licht und in die Kraft der besonderen, direkten, persönlichen Begegnung und Bewegung des Ereignis gewordenen Glaubens an Gott. In diesen Zirkel gehört dann auch das, daß der Anspruch Gottes im Besonderen ergeht an einen Menschen und daß er von diesem im Besonderen vernommen wird." Zugleich fragt Barth über diesen kerygmatisch-anthropologischen Zirkel hinaus „nach dem G r u n d und R e c h t dieses Anspruchs, nach der M a j e s t ä t , in der Gottes [Wort] ergeht und vernommen wird innerhalb jenes Zirkels. Diese Majestät [des Wortes Gottes] als solche ist [nämlich] wohl dort [innerhalb des kerygmatisch-anthropologischen Zirkels] wirksam, aber nicht etwa eingeschlossen in jenen Zirkel, sodaß sie nur Majestät wäre, sodaß Gottes [Wort] gewissermaßen darauf warten müßte, diese Majestät erst zu bekommen dadurch, daß Gott einem Menschen im Besonderen begegnet und daß ein Mensch im Besonderen von Gott in Anspruch genommen wird. Auch der Grund des Glaubens, der sich in jenem Zirkel als mächtig erweist, liegt als solcher a u ß e r h a l b jenes Zirkels". 4 5 Ebeling, Luther 128 f. Vgl. Ebeling, Luther. 8 Bizer, Fides 204, Anm. 28; ders., Neue Darstellungen der Theologie Luthers. ThR 1966,316 ff.; vgl. weiter W. Kreck, Das reformatorische ,pro me' und die existentiale Interpretation heute, in: Reformation 1517-1967. Wittenberger Vorträge, hg. v. E. Kahler, Berlin 1968,163-180, bes. 166 ff.; H . Gollwitzer, Ein Luther oder zwei Luher, KiZ 1966,2 ff.; W. Joest, Ontologie der Person bei Luther 1967,32 ff., 354 ff. Das Problem des Verhältnisses der christologischen zur kerygmatischen ,Ebene' wird von Joest in seiner Kritik an Gogartens und Ebelings existentialer Lutherinterpretation so formuliert: „Wenn diese Heilswirklichkeit ,Wortgeschehen' ist im aktuellen Anruf kann sie dann im eigentlichen Sinne noch Christus heißen, wenn damit das Gekommensein und die beständige Gegenwart der gottmenschlichen Person als solcher gemeint ist? . . . Luther hat zweifellos sehr grundsätzlich vom Verbum-Charakter des Heiles und von dem Charakter unseres ,Seins' im Heil als auditus fidei geredet. Er hat aber ebenso die Heilswirklichkeit als Persongegenwart Christi bezeichnet, und er hat von dieser Persongegenwart in der Terminologie des christologischen Dogmas gesprochen. Warum tat er das eine, ohne das andere zu lassen?" (40) Waren aber sowohl die kerygmatischen als auch die christologischen Aussagen „Luther selbst zentral wichtig" (41), dann bleibt als die Aufgabe der Lutherinterpretation, „Luthers Denken über die Worthaftigkeit des Heilswirklichkeit... und sein Denken über die Heilswirklichkeit . . . als Persongegenwart Christi, in dem Gott in menschlicher ,Natur' i s t , . . . s o 26

Im Hinblick auf Barth: Indem Ebeling Barths Umstellung „Evangelium und Gesetz [Gebot]" und deren Präzisierung durch das InhaltForm-Schema lediglich auf die kerygmatische Ebene begrenzen und im Rahmen der kerygmatischen Ebene verstehen möchte, muß er Barths Formel vom Gebot als der Form des Evangeliums als ein „Mißgebilde" beurteilen und folgende scheinbare Aporien bei Barth konstatieren: Das Gesetz sei einmal die Form des Evangeliums als Inhalt, wobei das Evangelium selber Inhalt sei (das Gesetz als Form - das Evangelium als Inhalt), dann wieder sei das Gesetz die Form des Evangeliums, wobei dessen Inhalt die Gnade sei (das Gesetz als Form des Evangeliums - die Gnade als der Inhalt des Evangeliums). M. a. W.: Bei Barth werde das Gesetz bestimmt als Form des Evangeliums, wobei sein Inhalt einmal das Evangelium und dann wieder die Gnade ( = Jesus Christus) sei. Sodann würden „Evangelium und Gebot", „Inhalt und Form" von Barth nicht als verschiedene Hinsichten, sondern als unendlicher Unterschied bezeichnet und schließlich - wie die Tafeln vom Sinai in der Bundeslade - das Gesetz als im Evangelium eingeschlossen bezeichnet, als wäre das Gesetz der Inhalt des Evangeliums 7 . Man sieht: Das Thema „Gesetz und Evangelium/Evangelium und Gebot" bei Luther und Barth ist in der Restriktion auf die kerygmatische Ebene nicht zu begreifen und führt notwendig auf die Verhältnisbestimmung von christologischem Heilsgeschehen und kerygmatischem Verkündigungsgeschehen bei Barth und in der reformatorischen Theologie Luthers. Als solches soll es im folgenden diskutiert werden.

4. Karl Barth als reformatorischer oder als Theologe

der

Theologe

Neuzeit?

D. Schellong hat es in seinem 1972 auf dem Leuenberg gehaltenen Vortrag gegenüber den gängigen Interpretationsversuchen, Karl Barths Theologie als orthodoxe Theologie zu reklamieren oder zu diffamieren (beides übrigens gleicherweise falsche Versuche!), unternommen, das anstehende Thema „Karl Barth als Theologe der Neuzeit" zu behandeln. Die Themenstellung ist Schellong zufolge dadurch bedingt, „daß das Werk Karl Barths heute vielfach so verstanden wird, als bedeute es eine Abwendung von neuzeitlichem Denken und als wolle es in Wiederaufnahme vorneuzeitlichen Denkens ein zeitloses theologisches Lehrgebäude errichten, das den Wandlungen der Geschichte und vor allem den Bedinzu verstehen, daß dieses beides, anstatt sich gegenseitig in Frage zu stellen, genau aufeinander bezogen ist" (42). 7 Vgl. Ebeling, Erwägungen 255-293, besonders 277-279.

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gungen der Moderne enthoben ist" 8 . Demgegenüber möchte D. Schellong zu Recht „den Finger darauf legen, daß Barths Theologie einen gezielten Beitrag zum 20. Jahrhundert darstellt und daß diese Theologie in der Substanz - und nicht nur im Formalen - moderne Konturen trägt. Dies zu bedenken stellt nicht nur einen Akt der Gerechtigkeit gegenüber Barth dar, sondern kann vor allem verhindern helfen, daß in den Aufgaben unserer Gegenwart ein Beitrag von der Bedeutung des Barthschen ungenutzt liegen bleibt" 9 . Hat D. Schellong Karl Barth als Theologen der Neuzeit gegen die reformatorische Theologie ausspielen wollen? Seine Fragestellung und die Front, gegen die er zu Recht argumentiert, lassen den Akzent auf „Barths Neuzeitlichkeit" fallen. Zwei Jahre vor D. Schellongs Vortrag hat W. Kreck im Vorwort seiner „Grundfragen der Dogmatik" gesagt: „Am stärksten bewegt mich - und zwar zunehmend im Blick auf den älteren Barth - das Problem, wieweit seine große theologische Konzeption in Kontinuität mit oder in Spannung zu reformatorischer Theologie steht. In dieser Darstellung versuche ich, zwischen den reformatorischen Erkenntnissen und denen der Theologie Barths einen engen Zusammenhang zu sehen, ohne mir im unklaren darüber zu sein, daß in dieser Hinsicht noch lange nicht das letzte Wort gesprochen ist." 10 Inwieweit ist die Differenz, die im folgenden zwischen Luther und Barth herausgearbeitet wird, die Differenz zwischen Reformation und Neuzeit? Inwieweit ist Barths Theologie als Theologie der Neuzeit nicht (mehr) als reformatorische Theologie zu verstehen? Oder hat sich Barth als Vollender der Reformation gerade als Theologen der Neuzeit verstanden? Die folgenden Ausführungen wollen die gestellten Fragen nicht einfach unbeantwortet lassen, können sie aber vom Thema her auch nicht e i n f a c h und abschließend beantworten.

5. Die Differenz zwischen Luther und Barth als Differenz zwischen Paulus11 und dem Alten Testament? G. Bornkamm12 hat in seinem Aufsatz „Der Auferstandene und der Irdische" von der von ihm entwickelten Konzeption und Front der Theo9 Ebd. 1 0 Kreck, Grundfragen, Vorwort. Schellong» Karl Barth 34. Iwand, NW V 77: In seiner posthum erschienenen Theologie Luthers hat H. ] . Iwand im Hinblick auf die paulinische Kontur und Orientierung der Theologie Luthers gesagt: „Luther hat gemeint, mit der Lehre der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ins Zentrum der paulinischen Theologie zu treffen, sozusagen den Punkt zu berühren, von dem aus einem das Ganze der paulinischen Theologie aufgeht. Er hat dazu immer wieder den Galaterbrief gewählt . . . Er hat Paulus als den angesehen, von dem er diese Unterscheidung gelernt hat." 12 Bornkamm, Der Auferstandene. 8

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logie des Matthäus aus am Schluß das Lohnende eines Vergleichs zwischen Matthäus und Paulus herausgestellt. Im Hinblick auf die hier anstehende Thematik heißt es dann bei Bornkamm: „Es bedarf keines Wortes, daß Matthäus niemals von Christus als des Gesetzes Ende [!] und der Rechtfertigung des Gottlosen sprechen könnte, wie Paulus nicht von der heilsnotwendigen Geltung des Gesetzes bis zu Jota und H ä k chen. Es dürfte auch klar sein, daß Matthäus die paulinischen Reflexionen darüber, daß das Gesetz alle, Juden und Heiden, ohne Unterschied nur schuldig spricht, völlig fremd sind." 13 Nach Paulus dagegen steht „die Rechtfertigung aus Glauben, nicht aus den Werken" im Zentrum, „während Matthäus zum Gehorsam und zur Nachfolge des Irdischen zurückruft" 1 4 . Barth hat zwar im Unterschied zu Bornkamms Vergleich eine wesentliche Sachdifferenz zwischen Mt. 5,17 f. und Paulus 15 bestritten und im Hinblick auf Stellen wie Rom. 3,21; 7,10.12; 8,3; Gal. 3,21 so argumentiert: Paulus „ e r k l ä r t . . . (im Einklang mit den bekannten Worten der Bergpredigt Mt. 5,17 f.), daß die Verkündigung des Glaubens nicht die Aufhebung, sondern die Aufrichtung des Gesetzes bedeutet" 16 . Ähnlich formuliert auch G. Eichholz: „Liegt Matthäus daran, jede Formulierung zu vermeiden, die sich antinomisch anhören könnte", so steht angesichts „der so verschiedenen Sicht der Tora bei Matthäus und P a u l u s . . . trotz des Eindrucks sehr gegensätzlicher Formulierungen - doch nicht einjach These gegen These. Diese Einsicht dürfte nicht unwichtig sein. Auch Paulus kennt das Liebesgebot als Summe der Tora. Und Paulus ist sicher kein Antinomist" 1 7 . 13

Ebd. 191. Ebd. Ähnlich heißt es bei G. Eichholz, daß „die Theologie der Tora bei Matthäus mit der des Paulus nicht eigentlich verbindbar [ist]. Mindestens wird man sagen, daß Paulus die Sätze des ersten Evangelisten zur Tora nicht geschrieben hätte und daß die Spitzensätze paulinischer Theologie der Tora im Rahmen des Matthäus nicht denkbar gewesen wären. Übersähe man das, so . . . [müßten] die jeweiligen Pointen (Christus als das Ende der Tora Rom. 10,4 und Christus als Erfüller der Tora Mt. 5,17) . . . undeutlich, wenn nicht völlig verwischt werden" (Die Theologie des Paulus im Umriß, 1972,239). - Vgl. weiter E. Schweizer, Gesetz und Enthusiasmus bei Matthäus, in: Beiträge zur Theologie des Neuen Testaments, 1970,49 ff. 15 Vgl. Ev. u. Ges. und K D II/2. 19 Ev. u. Ges. 13 f. (WdF 10); vgl. K D II/2, 625. 17 G. Eichholz, Auslegung der Bergpredigt, Biblische Studien 46, 1970 2 , 164 f.; vgl. auch E. Lohse: ό νόμος του πνεύματος της ζωής. Exegetische Anmerkungen zu Rom. 8,2, in: Neues Testament und christliche Existenz. Festschrift für H. Braun. Hg. von H. D. Betz und L. Schottroff, 1973, S. 279-287, der gegenüber einer Exegese von Rom. 8,2, derzufolge im Sinne des Paulus ein altes Gesetz von einem neuen Gesetz des Geistes im Sinne zweier verschiedener Ordnungen zu unterscheiden sei (280,284), von der Einheitlichkeit des Gebotes/Gesetzes in Rom. 8,2 her argumentiert: „Paulus [hat] nicht zwei inhaltlich verschiedene Gesetze vor Augen. Sondern . . . es geht tatsächlich um ein und dasselbe Gesetz, die Tora" (286). „Gerade weil Christus des Gesetzes 14

29

Hinzukommt, daß Barth zwischen der Aussage von „Christus als der Erfüllung des Gebotes" und „Christus als dem Ende des Gesetzes" im Rahmen seiner Bundestheologie und der Unterscheidung zwischen der Wahrheitsgeschichte des Bundes und der Uberwindungsgeschichte der Versöhnung keine systematische Alternative aufmachen konnte. Denn Christus ist - so lautet Barths Grundthese - als die Erfüllung des Bundesgebotes (Wahrheitsgeschichte) 18 zugleich das Ende des richtenden Gesetzes (Versöhnungsgeschichte) 19 . M. a. W.: Jesus Christus ist als Ende des richtenden Gesetzes Gottes zugleich das erfüllte Ziel der Wahrheit des Gebotes Gottes 20 . Aber kann Barth den paulinischen Satz Gal. 3,19 (vgl. Rom. 5,20): „das Gesetz [die Tora] wurde um der Übertretungen willen [von Gott] hinzugefügt", im Rahmen seiner Konzeption 2 1 noch voll zur Geltung bringen? Oder anders gefragt: Kann Barths am Alten Testament orientierte Aussage von dem Gebot als der Form und Ordnung des Bundes noch mit der genannten paulinischen über den durch Gottes Setzung begründeten, zeitlich begrenzten Interpolationscharakter des richtenden Gesetzes 22 vermittelt werden? Allgemeiner gefragt: Steht etwa hinter der Differenz zwischen Luther und Barth diejenige zwischen Paulus und Matthäus, oder ist die Differenz zwischen Luther und Barth diejenige zwischen der paulinischen Theologie und einer am Alten Testament orientierten Verheißungs- bzw. Bundestheologie?

Ende ist, ist nun das alttestamentliche Gesetz erst in seinem eigentlichen Sinn erk a n n t [!], so daß nunmehr ,die Freiheit vom Gesetz als Heilsweg . . . zugleich eine Freiheit zum Gesetz als inhaltlichem Gebot' ist" (286 f.). - Genau so hat Barth die paulinische Unterscheidung und Dialektik von Gesetz und Gebot auf dem H i n t e r grund der Wahrheit ihrer Selbigkeit und inhaltlichen Einheit verstanden wissen wollen (vgl. K D I V / 3 , 427 f. u. ö.), und exakt dieser P u n k t ist wiederum von E. Schlink, A n t w o r t 323 ff., in seinem Versuch der exegetischen Begründung einer undialektischen Unterscheidung von „Gesetz" und „Paraklese" bei Paulus übersehen worden. - Vgl. demgegenüber E. W o l f : Bei Paulus „hat das Problem jedoch vorwiegend die Gestalt: Gesetz und Christus, wobei trotz des scharfen Gegensatzes beider als Weg zur .Gerechtigkeit' Christus doch zugleich insofern Ende des Gesetzes ist (Rom 10,4), als er auch die Erfüllung des Gesetzes darstellt und prinzipiell ermöglicht (Rom 3,21 ff.; 8,4)" ( R G G 3 II 1519 f.). 18 Ev. u. Ges. 10 f., 19 (WdF 6 f., 16). 19 Ebd. 27 ff. (WdF 24 ff.). 20 Vgl. dazu neuerdings P. von der Osten-Sacken, Römer 8 als Beispiel paulinischer Soteriologie, 1975,245-260, der die These Barths von Christus als dem Ende des richtenden Gesetzes und dem Ziel der Wahrheit der atl. Tora auch exegetisch wieder erhärtet und „konsequent (für) den Verzicht auf einen undialektischen Gebrauch der abgeschliffenen Formel von Christus als dem ,Ende des Gesetzes'" plädiert (252 A. 21). 21 Ev. u. Ges. 27 (WdF 24). 22 Vgl. G. Eichholz, Die Theologie des Paulus im Umriß, 1972,243,248 f.

30

6. Die terminologische Differenz zwischen Gebot und Gesetz und Barths Formel „Evangelium und Gesetz" Im folgenden wird im Unterschied zu Barths Promiscue-Gebrauch von Gebot und Gesetz23 zwischen dem Gebot als der Form des Evangeliums, der Ordnung des Bundes einerseits und dem richtenden Gesetz andererseits unterschieden, wobei im Sinne Barths die Unterscheidung nicht als Diastase von Gebot und Gesetz mißverstanden werden darf, insofern Barth das richtende Gesetz als eine negative Gestalt des Gebotes als der positiven Form des Bundes verstanden wissen will, also auch die negative Gestalt des Gesetzes nur von der Bundeskategorie des Gebotes her verstanden werden kann 24 . Im Hinblick auf Barths Formel „Evangelium und Gesetz" ist weiter zu beachten: a) Barths Formel „Evangelium und Gesetz" ist eine antithetische Formel, d. h. sie steht im Gegensatz zu dem Dualismus von Gesetz und Evangelium als den zwei Worten Gottes in der lutherischen Tradition 25 . b) Barths Formel „Evangelium und Gesetz" ist eine inklusiv und keine exklusiv zu verstehende Formel, d. h. sie schließt die umgekehrte Reihenfolge „Gesetz und Evangelium" nicht aus, sondern als konstitutives Moment wesensnotwendig ein, was von Barths Kritikern meistens übersehen oder - was ebenso unrichtig ist - als zwar von Barth angedeutet, aber als seiner systematischen Gesamtkonzeption inkongruent abgetan wird 26 . Gerade letzteres ist aber entschieden zu bestreiten. c) Die in der Formel „Evangelium und Gesetz" erfolgte Umkehrung im Kontext der systematischen Gesamtkonzeption Barths wird da verkannt, wo man „das Wahrheitsmoment in Barths Reihenfolge" 27 konzediert und als sog. „Anliegen Barths" im Sinne der neutestamentlichen „Paraklese" 28 , des „Gebotes des Evangeliums"29, des „usus practicus evangelii" 30 oder im Sinne der evangelischen Weisung als Form der Evangeliumsverkündigung31 meint verstehen und rezipieren zu können. Denn Barths Formel „Evangelium und Gesetz" impliziert die Dialektik der bundestheologischen Relationen „Erwählung und Gebot", „Gesetz und Evangelium" und „Rechtfertigung und Heiligung" in systematischem Gegensatz zu der ζ. B. von P. Althaus (und nicht nur von ihm!) aufge23 24 25 26 27 28 29 30 31

Vgl. Ev. u. Ges. (1935) und K D I I / 2 (1942). Vgl. Abschnitt V I / 2 dieser Arbeit. S. u. These IV,1. Vgl. Joest in R G G 3 11/1530. Althaus, Gebot und Gesetz 1 ( W d F 202). Schlink, Gesetz und Paraklese. Vgl. Althaus, Gebot und Gesetz 23 ff. (WdF 220 ff.). Joest, Gesetz 132. Vgl. Heintze, Luthers Predigt 282.

31

machten schöpfungstheologischen Sequenz: α) Schöpfungsgnade und Gebot 32 , ß) Gesetz und Evangelium 33 und γ) Evangelium und Gebot 34 . d) Barths Formel „Evangelium und Gesetz" wird nicht zuletzt auch da verkannt, wo man voraussetzt, daß sie primär oder ausschließlich eine Kategorie der Predigt, des verkündigten Wortes sei, also eine kerygmatische Kategorie bezeichne und somit ihre Problematik auf der kerygmatischen Ebene zu diskutieren sei. Diese Voraussetzung der Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz als Kategorien der Predigt zeigt sich bis in die kongeniale Barthinterpretation H. ]. Iwands hinein, wenn dieser sagt: Barth „sieht in dieser wiederherzustellenden Rangordnung die Voraussetzung, um überhaupt wieder das Gesetz zu predigen"35. Genau dies wird aber von Barth bestritten, insofern die Formel „Evangelium und Gesetz" als christologische Formel primär die Dialektik der Bundesgeschichte beschreibt und von dieser Dialektik her einsichtig macht, daß das richtende Gesetz als kerygmatische Kategorie im Sinne Luthers 36 für Barth nicht mehr in Frage kommen kann, worauf ausführlich zurückzukommen sein wird. e) In Barths Formel „Evangelium und Gesetz" ist nicht nur der Begriff des Gesetzes mehrschichtig: er umgreift das Gebot als Form des Evangeliums und als Ordnung des Bundes ebenso wie das richtende Gesetz und wehrt darin der von den meisten lutherischen Kritikern vorausgesetzten Trennung zwischen dem richtenden Gesetz und dem Gebot als der Form des Evangeliums 37 . Der Begriff des Evangeliums ist ebenfalls komplexer Art, insofern er nicht nur die christologische Kategorie der Erwählung, nicht nur die Kategorie der Versöhnung, nicht nur das Ereignis der Durchführung des Bundes angesichts der Sünde des Menschen, sondern auch die kerygmatische Kategorie des Freispruchs bezeichnet. In Barths Formel „Evangelium und Gesetz" ist schließlich auch das „und" mehrschichtig, insofern „Evangelium und Gesetz" sowohl das Gebot als gleichzeitige Form des Evangeliums bezeichnet (und = als) als auch das zeitliche Nacheinander von Gesetz und Evangelium in Kreuz und Auferstehung meint. 32

D a s Gebot des IJrstandes, U r o f f e n b a r u n g ! D a s Gesetz als pervertiertes Gebot, das Evangelium als Ende des Gesetzes und als Rückführung in den Urständ. 34 D a s durch das Evangelium wiederhergestellte Schöpfungsgebot. Vgl. dazu die abgewogene Analyse und Kritik der Althausschen Dialektik v o n Gebot, Gesetz und Evangelium bei Krötke (Theol. St. passim) und seine präzisen H i n w e i s e auf die z w i schen Althaus und Barth bestehende fundamentale D i f f e r e n z (35,44,52). 35 Iwand, N W I V 410. 3e Vgl. I w a n d N W IV 305: „Es ist ganz eindeutig, daß es Luther primär um die Predigt des Gesetzes geht." 37 Vgl. z u m Beispiel Joest in R G G 3 II 1526 f f . 33

32

f) Den gemachten Überlegungen zum systematischen und antithetischen Stellenwert der Barthschen Formel „Evangelium und Gesetz" füge ich folgende mir von J. Fangmeier in seinem Brief vom 22. 7. 1973 freundlicherweise gemachte Mitteilung an: „Barths Aussage, er würde für ,Evangelium und Gesetz' nunmehr den Titel ,Evangelium und Gebot' wählen, geschah in der Sozietät im Zusammenhang der Behandlung von K D II/2 (,Gottes Gebot'), 1959 oder 1960. Ich meine nicht, daß darauf die Frage, warum er 1935 dann gerade ,Evangelium und G e s e t z ' formuliert habe, explizit aufgetaucht sei. I c h würde auf Grund der Gespräche in der Sozietät antworten: 1. Als Antithese zur lutherischen Lehre legte es sich zunächst e b e n s o nahe. 2. ,Evangelium und G e b o t ' ist in Gestalt einer Formel 1935 noch nicht Eigentum Barths gewesen. D a f ü r war ihm damals selbst die Erkenntnis zu neu." Dem wäre freilich hinzuzufügen, daß die Formel „Evangelium und Gebot" nach Ausweis von K D I F 2 , §§ 36 ff. auch 1942 (!) nicht Barths Eigentum gewesen ist. Man vergleiche nur die Formulierung des Leitsatzes des § 36: „Die Ethik als Lehre von Gottes Gebot [!] erklärt das Gesetz [!] als die Gestalt [hier im Sinne Barths gleich ,Form'] des Evangeliums" 38 . Aber kann man überhaupt sagen, daß die Formel „Evangelium und Gebot" 1935 oder 1942 noch nicht (!) Barths Eigentum gewesen ist? Barth hat noch 1959 39 und auch noch 1961/62 40 diesen Promiscue-Gebrauch von Gebot und Gesetz beibehalten, indem er in seiner letzten Stellungnahme zum Thema der Aufforderung, „die Uberordnung des Ja über das Nein Gottes, des Evangeliums über das Gesetz, der Gnade über die Verurteilung, des Lebens über den Tod . . . [zu] respektieren" 41 , die Versicherung zur Seite stellt: „Sicher wird da das den Menschen bindende Gesetz [?] aufgerichtet und proklamiert, aber ebenso sicher ist es, daß es doch nur als das Gesetz [?] des Bundes, als Gestalt des Evangeliums göttliche Geltung und göttlich bindende K r a f t hat." 4 2 Ist der Promiscue-Gebrauch von diesen Beobachtungen her nicht doch in Antithese zur lutherischen Reihenfolge „Gesetz und Evangelium" zu verstehen und besteht die primäre Sachintention dieses Gebrauchs bei Barth nicht gerade darin, die Unablösbarkeit auch des richtenden Gesetzes von dem Gebot als der Form des Evangeliums herauszustellen und also das richtende Gesetz streng als Gestalt des Gebotes als der Form des Evangeliums zu verstehen? Auch auf diesen Punkt wird ausführlich zurückzukommen sein. 38

K D II/2, 564. Vgl. Barths letzte 103-106. 41 Ebd. 105. 40

3

Vorlesung:

» Vgl. K D IV/3, 426-428. „Einführung in die evangelische 42

Theologie",

Ebd. 104.

33 3

Klappert, Promissìo

THESE I

Die Verhältnisbestimmung von Heilsgeschichte und Verkündigungsgeschehen impliziert in systematischer Zuspitzung die Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium, bzw. Evangelium und Gebot. Die Diskussion der Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium bei Luther und von Evangelium und Gebot bei Barth ist zugleich die nicht allgemein, sondern an einem für Luthers wie Barths Theologie zentralen Topos durchzuführende Verhältnisbestimmung von Heilsgeschichte und Verkündigung. Damit wird die Verhältnisbestimmung von Heilsgeschichte und Verkündigung nicht nur exemplarisch auf einen Vergleich zwischen Luther und Barth begrenzt, sondern die Relation Heilsgeschichte - Verkündigung sowohl bei Luther wie bei Barth durch die Relation Gesetz und Evangelium, bzw. Evangelium und Gebot wechselseitig interpretiert, wie durch folgende Fragen anfangsweise verdeutlicht werden kann: a) Inwiefern sind Gesetz und Evangelium als primär kerygmatischanthropologische Kategorien bei Luther auch christologische Kategorien? b) Inwiefern sind Evangelium und Gebot als primär christologischtrinitarische Kategorien bei Barth auch kerygmatisch-anthropologische Kategorien?

34

II. Die bundestheologische1 Grundlegung der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot (Die Verhältnisbestimmung von Bund, Verheißung und Gebot) Barth beginnt in seiner Schrift „Evangelium und Gesetz" die Verhältnisbestimmung der beiden Größen Evangelium und Gebot in der für seine Theologie charakteristischen und für die Verhältnisbestimmung der beiden Größen grundlegenden Weise, indem er nach der bundestheologischen Verankerung von Evangelium und Gebot fragt. Damit wird von Anfang an deutlich: Die kerygmatischen Kategorien „Evangelium und Gebot/ Gesetz und Evangelium" finden ihre Zuordnung und haben die Kriterien ihrer Zuordnung nicht im kerygmatischen Bereich, im Bereich der Verkündigung. Ja mehr: Evangelium und Gebot sind im Sinne Barths primär keine kerygmatischen Kategorien, sie können es allenfalls werden, sie sind es aber - entgegen dem allgemeinen Konsens - nicht von Haus aus. Wie die Versöhnung nach Barth den Bund zu ihrer Voraussetzung hat und wie die Versöhnung als Erfüllung des Bundes ohne den Bund als ihre grundlegende, in der Versöhnung erkennbare Voraussetzung gar nicht zu verstehen ist 2 , so muß die Zuordnung von „Evangelium und Gesetz", die Ermittlung der Kriterien ihrer Zuordnung mit der Frage nach der bundestheologischen Grundlegung dieser Zuordnung beginnen. Die bundestheologische Grundlegung der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot in Barths Lehre von der Gnadenwahl und der Grundlegung der Ethik (KD II/2) läßt sich anhand der die beiden Kapitel (7. Kapitel: Gottes Gnadenwahl; 8. Kapitel: 1 Die im Folgenden zu entfaltende bundestheologische Grundlegung der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot bei Barth darf a) weder mit der föderaltheologischen Grundlegung, die - worauf Barth in seiner Analyse der Föderaltheologie KD IV/1,57 ff., bes. 62.66 f. abgehoben hat - in einem nomologischen Rahmen denkt, noch b) mit der - worauf Ο. H . Pesch, Die Theologie der Rechtfertigung bei Luther und Thomas v. Aquin, 1967,399 ff, bes. 450 hingewiesen hat - ebenfalls heilsgeschichtlich konturierten nomologischen Synthese von Gesetz und Evangelium und dessen Verständnis als nova lex foederis (439 ff.) bei Thomas v. Aquin verwechselt werden. - Die immer wieder geäußerte Meinung, daß Barth mit seiner bundestheologischen Fundierung deutlich in der reformierten Tradition und insbesondere der Tradition der Föderaltheologie (Coccejus) stehe, ist deshalb undifferenziert und infolgedessen nichtssagend. 2 Vgl. dazu den Abschnitt „Die Relevanz der Erkenntnis des Bundes als Voraussetzung der Versöhnung" in meinem Buch: „Die Auferweckung des Gekreuzigten." 236 ff.

3*

35

Gottes Gebot) einleitenden und sich wechselseitig aufeinander beziehenden Leitsätze der §§ 3 2 / 3 6 in ganz vorläufiger und im Folgenden im einzelnen zu interpretierender Weise folgendermaßen skizzieren: Ist die Erwählungslehre die Summe des Evangeliums, weil sie zum Inhalt das Beste hat, was je gesagt und gehört werden kann: daß Gott den Menschen wählt und also nicht nur in sich selber, sondern auch für ihn der in Freiheit Liebende ist (§ 32), so erklärt die theologische Ethik als Lehre von Gottes Gebot das Gebot als die dem Menschen durch den ihn erwählenden G o t t widerfahrende Heiligung (§ 36), versteht sie also das Gebot Gottes als die Form des Evangeliums. Ist die Lehre von der Gnadenwahl in der Erkenntnis Jesu Christi begründet,

weil dieser der erwählende

Gott und der erwählte Mensch in einem ist (§ 32), so ist die

Lehre vom Gebot deshalb eine christologische Erkenntnis, weil Jesus Christus der

heilige Gott und der geheiligte Mensch in einem ist (§ 36).

Gehört die Erwählungslehre darum zur Lehre von Gott, weil Gott, indem er den Menschen wählt, nicht nur über diesen, sondern in ursprünglicher Weise über sich selbst bestimmt (§ 32), so ist theologische Ethik als Lehre vom Gebot Gottes deshalb ein Kapitel der Gotteslehre, weil der den Menschen für sich in Anspruch nehmende Gott sich darin bereits in ursprünglicher Weise für diesen verantwortlich gemacht hat ($ 36). Besteht die Funktion

der Erwählungslehre in der grundlegenden Bezeugung

ewigen, freien und beständigen Gnade als des Anfangs aller Wege und Werke

der

Gottes

(§ 32), so hat Ethik als Lehre vom Gebot als Form des Evangeliums die Funktion der grundlegenden Bezeugung der Gnade Gottes, sofern diese des Menschen heilsame Bin-

dung und Verpflichtung

ist (§ 36).

Stellen wir den grundlegenden Eingangsabschnitt Barths aus „Evangelium und Gesetz" an den Anfang, um dessen Einzelinterpretation im Kontext der ausführlichen Aussagen Barths in K D II/2, der Lehre von der Erwählung und von dem Gebot Gottes, es zunächst gehen soll: „Wer zu unserem Thema recht reden will, der muß zuerst vom E v a n g e l i u m reden. Denken wir hier sofort an jene 430 Jahre Abstand, in dem das Gesetz nach Gal. 3,17 der Verheißung folgte . . . Und indem es ihr folgt, folgt ihm selber die E r f ü l l u n g der Verheißung und in ihr, nur in ihr, auch seine eigene, des Gesetzes Erfüllung. Das Gesetz wäre nicht das Gesetz, wenn es nicht geborgen und verschlossen wäre in der Lade des B u n d e s . Und auch das Evangelium ist nur dann das Evangelium, wenn das Gesetz . . . in ihm, als in der Bundeslade g e b o r g e n und v e r s c h l o s s e n ist. Das Evangelium ist nicht Gesetz, wie das Gesetz nicht Evangelium ist; aber weil das Gesetz [1] im Evangelium, [2] vom Evangelium her und [3] auf das Evangelium hin ist, darum müssen wir, um zu wissen, was Gesetz ist, allererst um das Evangelium wissen und nicht umgekehrt." 3 Bund, Verheißung, Erfüllung und Gebot - diese Begriffe signalisieren also nach Barth - wie anhand des Zitates sofort deutlich wird ein ganzes Koordinatennetz von Bezügen und bilden das Bezugsfeld der Zuordnung von Evangelium und Gebot bzw. Gesetz und Evangelium. Die bundestheologische Grundlegung der Zuordnung der kerygmati3

36

Ev. u. Ges. 5 (WdF 1 f.).

sehen Kategorien von Evangelium und Gebot/Gesetz und Evangelium bei Barth, wie sie in These II entfaltet wird, meint also deren ausschließliche Verhältnisbestimmung im Kontext der an Bund und Erwählung orientierten Kategorien Verheißung, Erfüllung, Bund und Gebot. Die Interpretation des Zitates im Kontext der Ausführungen Barths in KD II/2 soll dabei in folgenden Themenkreisen erfolgen: 1. Verheißung und Gebot (die Vorordnung der Verheißung vor das Gebot), 2. Erfüllung der Verheißung und Erfüllung des Gebotes, 3. Bund und Gebot (der Relationscharakter des Gebotes), 4. das offenbare Gebot des erfüllten Bundes, 5. die Universalisierung des erfüllten besonderen Gebotes Israels, 6. der Vorrang der Wahrheitsbestimmung von Evangelium und Gebot vor der Wirklichkeitsbestimmung von Gesetz und Evangelium, 7. das Gebot der freien Selbstbestimmung Gottes (die Lehre vom Gebot als ein Kapitel der Gotteslehre). l . Verheißung und Gebot (die Vor Ordnung der Verheißung vor das

Gebot)

Barth beginnt die bundestheologische Grundlegung der Verhältnisbestimmung von Evangelium und Gebot/Gesetz und Evangelium mit dem Verweis auf Gal. 3,17, der paulinischen Aussage von der zeitlichen Differenz und dem geschichtlich-chronologischen Abstand zwischen Verheißung· und Gesetz: „Wer zu unserem Thema [seil. ,Evangelium und Gesetz'] recht reden will,' der muß zuerst vom E v a n g e l i u m reden. Denken wir hier sofort an jene 430 Jahre Abstand, in dem das Gesetz nach Gal. 3,17 der Verheißung folgte. Es m u ß ihr folgen, aber es muß ihr f o l g e n ."4 Wie die Verheißung des Bundes dem Gebot, so ist - so folgert Barth - das Evangelium dem Gesetz vorgeordnet, wobei Verheißung hier eine Kategorie des Bundes ist. Die zeitliche Vorordnung der Verheißung vor das Gesetz nach Gal. 3,17 wird bei Barth bundestheologisch als qualitative Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot verstanden. Die qualitative Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot wird also bei Barth in der göttlichen Vorordnung der Verheißung vor das Gebot, in der zeitlichen Praevenienz der Verheißung gegenüber dem Gebot verankert. Die promissio als Kategorie des Bundes in ihrer Vorordnung vor das Gebot erzwingt sich die Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot. Wird die zeitliche, heilsgeschichtliche Vorordnung der Verheißung vor das Gesetz nach Gal. 3,17 von Barth bundestheologisch im Sinn der 4

Ebd.

37

qualitativen Vörordnung der Verheißung vor das Gebot verstanden, so interpretiert Luther im Unterschied zu Barth im Großen Galaterkommentar die zeitliche Vorordnung der promissio vor die lex soteriologisch als qualitative Überlegenheit der promissio gegenüber der lex damnans: „Ergo promissio est supra legem . . . , destruit legem, ut amplius non possit augere peccatum, perterrefacere et in desperationem adigere peccatores, qui fide apprehendunt promissionem."5 Die zeitliche Vorordnung der promissio gegenüber der lex bei Paulus wird so von Luther sofort soteriologisch-anthropologisch im Sinn seines die Lehre von Gesetz und Evangelium durchgängig bestimmenden seelsorgerlichen Interesses der evangelischen Unterweisung der Gewissen zur Freiheit6 aktualisiert: „Ideo [so führt Luther zu Gal. 3,17 weiter aus], ut saepe inculco, ista duo, Lex et Promissio [beachte die Reihenfolge!], diligentissime distinguenda s u n t , . . . Sunt quidem próxima, quia in uno homine . . . coniuncta, tarnen in affectu . . . longissime seiuncta esse debent. . . . Si vero ista duo confundís.. ., fit confusio, qualis fuit in Papatu, ut nescias, quid lex, promissio [!], quid peccatum, quid iustitia sit." 7 Diese soteriologische Interpretation von Gal. 3,17 im Sinne der Aufhebung des anklagenden Gesetzes durch die Verheißung8 im Unterschied zu Barths bundestheologischer Orientierung signalisiert zugleich das für Luthers Theologie grundlegende Verständnis der promissio als „des gewißmachenden Wortes" 9 , als „promissio remissionis peccatorum . . . per mortem filii dei firmata" 10 . H. E. Weber beschreibt diesen fundamentalen Sachverhalt reformatorischer Theologie so: „Aus der Not, in die das Gesetz als die Kraft der Sünde und des Zornes hineinstürzt, erwächst 5 W A 4 0 / 1 4 6 7 , 1 4 - 1 9 : „Deshalb ist die Verheißung [der Sündenvergebung] dem Gesetz überlegen, sie zerstört das Gesetz, so daß es die Sünde nicht mehr vermehren und diejenigen Sünder nicht mehr erschrecken und in Verzweiflung treiben kann, die im Glauben die Verheißung ergreifen." « Vgl. Wolf, Per. II, 29, 33; vgl. Iwand N W IV 236, V 75 ff. 7 W A 4 0 / 1 , 4 6 9 , 1 9 - 3 1 : „Deshalb, wie ich oft einschärfe, müssen diese beiden, Gesetz und Verheißung, aufs sorgfältigste unterschieden werden . . . Sie sind nämlich weil in einem Menschen . . . verbunden - sehr nahe beieinander, dennoch müssen sie im Affekt [der Anfechtung] . . . sehr weit auseinander gehalten werden . . . Wenn du aber diese beiden vermischst . . . , entsteht eine Verwirrung, wie sie im Papsttum gewesen ist, so daß du nicht weißt, was Gesetz, Verheißung, was Sünde, was Gerechtigkeit sei."

Vgl. W A 4 0 / 1 , 4 6 7 , 5 : „Promissio destruit legem." ' Bayer, Promissio 344. 10 W A 6,513,34 f.: „Die Verheißung der Sündenvergebung... durch den Sohnes Gottes in Kraft gesetzt." Das Zitat findet sich auch in Barths Aufsatz und Absicht in Luthers Abendmahlslehre" (Ges. Vorträge 2) und wird dort schluß an Luthers Begriff der „Zusagung" so interpretiert: „Diese Z u s a g e missio] ist es, die das S a k r a m e n t . . . zum Sakrament macht" (33). 8

9

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Tod des „Ansatz im An[ = pro-

das Verständnis für die Verheißung [!]. Das E v a n g e l i u m ist die Botschaft von der Sündenvergebung durch die Gnade Gottes." 11 Die kerygmatisch-soteriologische Interpretation der promissio durch Luther schließt zugleich deren bundes- bzw. heilsgeschichtliches Verständnis im Sinne Barths aus: „,Promissio' [so formuliert deshalb O. Bayer] ist für Luther keine heilsgeschichtliche Offenbarungskategorie.. sondern der Inbegriff der Verkündigung. So kann Luther . . . promissio schon im Alten Bund nicht verstehen als ein . . . Versprechen, sondern nur als im hic et nunc wirklich tröstende und rettende Zusage."12 „Man würde also Luther mißverstehen, wollte man ihn mit seiner Aufzählung alttestamentlicher Promissionen sich im heilsgeschichtlichen Schema von .Verheißung und Erfüllung' bewegen sehen. Jedesmal, wenn eine Zusage Gottes ergeht, geschieht dasselbe, geschieht das Ganze, geschieht alles: das Heil." 13 Promissio wird damit von Luther als Inbegriff der Predigt, genauer: die Predigt als tröstende Zusage wird als ausgezeichnetes Modell der Promissio verstanden. Die Predigtsituation als „eschatologische Entscheidungssituation" (O. Bayer) wird zum Verstehensrahmen der promissio überhaupt, wird zum Bezugsrahmen der im Alten und Neuen Testament jeweils ergangenen promissiones. Mit Luthers grundsätzlichen Worten defini torischen Charakters aus de captivitate: „Neque enim d e u s . . . aliter cum hominibus unquam egit aut agit [!] quam verbo promissionis. Rursus, nec nos cum deo unquam agere aliter possumus quam fide in verbum promissionis eius."14 Gegen Luthers Verständnis des mündlichen Predigtwortes als Inbegriff der promissio überhaupt, gegen sein Verständnis der promissio absolutions als Inbegriff der alttestamentlichen und neutestamentlichen Verheißungen, gegenüber Luthers Verständnis der Predigtsituation als Modellsituation für das Ergehen von Verheißung hat Barth in einem äußerst prägnanten E x k u r s zum Begriff KERYSSEIN Stellung genommen: „ L u t h e r" - so beginnt Barth den wichtigen Exkurs K D IV/2, 223-232 - „pflegte das Wort κηρύσσειν mit ,predigen' zu übersetzen. Aber der Vorstellungsgehalt, den dieses Wort für uns hat, ist zu problematisch, als daß es sich empfehlen würde, dabei stehen zu bleiben" (IV/2, 223). Barth meint das eschatologisch-kairologische (O. Bayer) und sakramentale Verständnis der Predigt-Promissio im Sinne Luthers. So sehr die Predigt auch für Barth den Charakter der ,promissio' im Sinne der P r o k l a m a t i o n hat, so ist doch nicht jede atl. und ntl. promissio P r e d i g t und umgekehrt. Barth unterscheidet dabei 1. das r e l i g i o n s g e s c h i c h t l i c h e κηρύσσειν (224 f.), 2. das 11 12 14

Weber, Reformation 1/1, 23. 13 Ebd. 244. Bayer, Promissio 244 f. W A 6 , 5 1 6 , 3 0 - 3 2 ; vgl. S. 5 Anm. 1 dieser Arbeit.

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a l t t e s t a m e n t l i c h e κηρύσσειν (226 f.), 3. das P R O - κηρύσσει/ν Johannes des Täufers ( 2 2 8 - 3 3 0 ) , 4. das a b s o l u t e κηρύσσειν Jesu selbst ( 2 2 7 ) und 5. das r e l a t i v e κηρύσσειν des Zeugendienstes der Gemeinde (226, 2 3 0 f.). 1. Barth beginnt überraschend mit dem religionsgeschichtlichen κηρύσσειν: das altgriediische κηρύσσειν versteht den A u s r u f e r einer Botschaft als sakrale Amtsund Würdeperson, das stoische bzw. gnostische κηρύσσειν verstehen die Predigt als aus der pneumatischen Selbstgewißheit und Offenbarungsgewißheit des Predigers heraus sich vollziehende moralische Erhebung (Stoa) bzw. sakramentale Vergottung (Gnosis). 2. Demgegenüber ist die alttestamentliche Verkündigung wesentlich prophetische Verheißung (praemissio) : „Die Ereignisse, auf die auch die alttestamentliche Rede ständig zurückblickt - Barth nennt die Väter-Sinai-Exodus- und Landnahmetraditionen - . . . waren dauernde Verheißung einer erst k o m m e n d e n Erfüllung" (226). Erinnert man sich doch im Alten Testament um der Hoffnung willen, ist doch Erinnerung dort eine Funktion der Hoffnung und Erwartung. Atl. Verkündigung ist eine wesentlich an „Israels Z u k u n f t " orientierte (226), „eine im Blick auf diese Zukunft geformte Verkündigung" (228). Israelitische Propheten sind - des Rückblicks auf das Geschichts- und Offenbarungshandeln Jahwes unbeschadet - wesentlich „Träger des Hinweises auf ein erst kommendes Heil" (ebd.). 3. Ist die Verkündigung des Täufers als ein P R O -κηρύσσειν entscheidend dadurch charakterisiert, daß sie „das Verheißene unmittelbar an die Gegenwart heranstellt" (229), so ist 4. das absolute κηρύσσειν Jesu selbst durch die Koinzidenz, ja Identität des Aktes der Verkündigung, des Subjektes der Verkündigung (Jesus spricht nicht von dem Kommenden, sondern er ist der Kommende selbst) und des Inhalts der Verkündigung (das Kommen Gottes und seiner Herrschaft) charakterisiert. Und in deutlicher Abweichung von Luther heißt es dann bei Barth: Die Koinzidenz, ja Identität, in der J e s u Zuspruch der Vergebung (Mk. 2,5: ,promissio absolutionis'; 227) zugleich der Vollzug und die Vollstreckung der Vergebung ist (Mk 2,11), in der das κηρύσσειν vom Gottesreich selber das Gottesreich ist - „sie dürfte nun doch nur in diesem einen einzigen Fall, im Blick auf das κηρύσσειν J e s u s e l b s t behauptet werden" (227). Ist Jesus Christus die Herrschaft Gottes in Person, dann ist der Satz „In Evangelio est Dei regnum Christus ipse" (219) ein exklusiv christologischer Satz. 5. Von diesem absoluten, eschatologischen, sakramentalen κηρύσσειν Jesu (sein Wort vollzieht, was es sagt) als definitiver Erfüllung atl. Verheißung ist schließlich das relative κηρύσσειν zu unterscheiden: das apostolische Kerygma und das κηρύσσειν des Zeugendienstes der Gemeinde. Dieses steht nämlich zu jenem nicht im Verhältnis der eschatologisch-sakramentalen Wiederholung (Luther: neque Deus aliter cum hominibus unquam egjt aut agit quam verbo promissitmis), sondern im Verhältnis der Partizipation (227), der Beziehung und des Hinweises (231). Dieses „ n e u t e s t a m e n t l i c h e [relative] Reden in seiner Gestalt als Kerygma . . . blickt auf ein schon geschehenes, schlechterdings abschließendes E r e i g n i s zurück und von da aus vorwärts auf die Offenbarung des in diesem Ereignis schon geschehenen Abschlusses" (226). Und von daher ist zugleich zu sagen: Dies relative ntl. κηρύσσειν als Zeugendienst der Gemeinde „spricht E n t s c h e i d u n g aus. Es partizipiert, indem es von diesem Ereignis [definitiv erfüllter Verheißung] herkommt und seiner [der von diesem abschließenden Ereignis her konkret gefüllten Zukunft] Offenbarung entgegeneilt, an dessen Entscheidungscharakter..., indem es im Ausrufen, in der Aussage, in der Proklamation dieses E r e i g n i s s e s besteht" (ebd.).

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M. a. W.: d i e s e Proklamation, d i e s e s Ausrufen von Entscheidung, d i e s e ,promissio' - so heißt es nun in Abgrenzung und Aufnahme von Luthers Verständnis der promissio als rechtskräftiger Zusage der Vergebung im mündlichen Wort der Predigt - „ist es, was das Neue Testament unter .Predigen' versteht!" (226). Die alttestamentliche promissio (praemissio) als „Verheißung einer erst k o m m e n d e n Erfüllung" (ebd.), Jesu Verkündigung und Sündenvergebung (.promissio absolutionis') als Erfüllung und göttliche Vollstreckung der Herrschaft und des Wortes Gottes, das neutestamentliche Verkündigen (.Predigen'; Luthers promissio) als Proklamation und „Aufruf zu der ihr angemessenen Stellungnahme der Buße und des Glaubens" (231) und zuletzt die kerygmatische Verheißung (praemissio) der erlösenden, verleiblichenden „ O f f e n b a r u n g s c h o n erfüllter Verheißung" (226) sind im Sinne Barths genau zu unterscheiden. Kurz: Die Predigt ist n i c h t der Inbegriff der promissio, die Predigtsituation nicht der Verstehensrahmen der eschatologisch-differenziert zu verstehenden promissiones. Das mündliche, promissorische Wort der Predigt Luthers ist nicht das Modell und Urbild für das Ergehen und Verstehen von promissio überhaupt. — Darauf wird in anderem Zusammenhang ausführlich zurückzukommen sein, darauf mußte aber schon hier im Zusammenhang mit Luthers Verständnis der promissio als des Inbegriffs der Predigt und der Predigt als des Inbegriffs der promissio eingegangen werden. Luther versteht also die promissio, jede promissio wesentlich als rechtskräftige Zusage der Vergebung im mündlichen Wort der Predigt, als promissio absolutionis, sie meint nach ihm nicht „Verheißung" (praemissio) im heilsgeschichtlichen Sinn.15 15

Vgl. jedoch Barths gegenüber den grundsätzlichen Äußerungen Bayers vorsichtigere und abgewogenere Aussagen im Hinblick auf Luthers Exegese der Abrahamsverheißung und des Protevangeliums Gen. 3,15 in K D 1/2, 83 f f . Vgl. weiter Luthers Ausführungen über die Verheißung der Propheten auf die in Christus erfolgte Erfüllung des Gesetzes hin in WA 39/1, 367,4 f f . Freilich: Luthers Unterscheidung vom Altem und Neuem Bund und - wie P. Althaus formuliert - insofern „die Zeitlichkeit der Heilsgeschichte" steht bei Luther in der Klammer „der wesentlichen Gleichzeitigkeit aller Glaubenden vor und nach Christus" (94) und ist „in einem f ü r ihn grundlegenden theologischen Gedanken begründet, nämlich d a ß alle Geschichte im tiefsten Grunde immer eine und dieselbe i s t . . . Die Menschen (sind) insofern allezeit die einen und selben, als sie immer in der einen großen Entscheidung f ü r den Glauben oder U n glauben stehen" (95). Alle zeitliche Differenzierung Luthers zwischen der den Vätern gegebenen Verheißung und der in Christus erfolgten Erfüllung und insofern die mögliche Unterscheidung zwischen der fides promissionis und der fides impletae promissionis (93 A. 97) steht deshalb f ü r Luther in dem umfassenden Rahmen der typologischen Entsprechung, was besagt: „alle Verheißungen Gottes, die im Alten Testament enthalten sind, bieten eine Vorbildung [!] der in dem gekreuzigten Christus gegebenen Verheißung der Vergebung der Sünden und haben in dieser ihre Gültigkeit bekommen" (P. Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 1962,90 A. 81). - Die in der Gegenwart zwischen W. Zimmerli und G. v. R a d strittige Frage, ob und inwiefern die Typologie ein

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Die auf die lex damnans bezogene promissio remissionis peccatorum bei Luther und die dem Gebot grundsätzlich und qualitativ vorgeordnete Verheißung des Bundes (promissio foederis) bei Barth, Verheißung als mündliches Vergebungswort der Predigt bei Luther und Verheißung als Kategorie der Geschichte des Bundes bei Barth stehen sich hier gegenüber und signalisieren schon zu Beginn die Differenz des theologischen Ansatzes. Die von Barth damit implizit ausgesprochene Negation lautet: Es kann nicht die soteriologische Orientierung der promissio an der lex damnans, der Verheißung am Gesetz in seiner den Menschen anklagenden Funktion, sondern es muß die christologische Orientierung der lex an der promissio des Bundes der Ausgangspunkt der Verhältnisbestimmung von „Gesetz und Evangelium" sein.

THESE I I / L

Wie bei Luther das Nacheinander von lex et evangelium sofort durch das Nacheinander von lex et promissio präzisiert wird (der Inhalt des das anklagende Gericht außer K r a f t setzenden Evangeliums ist die remissio peccatorum propter Christum durch das Mittel des mündlichen, gepredigten Wortes, d. h. des Wortes als Gnadenmittel!) 16 , so wird bei Barth die Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot sofort durch die Vorordnung der Bundes-Verheißung vor das Bundes-Gebot erläutert. Verweist das Nacheinander von lex und promissio bei Luther auf seine soteriologische Orientierung der promissio an der lex damnans und auf den Primat des usus elenchticus legis, d. h. auf die Identifizierung von promissio mit remissio peccatorum, so verweist die Vorordnung der promissio vor die lex bei Barth auf die bundestheologische Verankerung der lex in der promissio als der Verheißung des Bundes, d. h. auf die Inte gralisierung der promissio in den Bund. Wird im Unterschied zu Barth bei Luther das Nacheinander von lex et evangelium mit dem Nacheinander von lex et promissio identifiziert (Evangelium est promissio remissionis peccatorum), so wird im Unterschied zu Luther bei Barth die Umkehrung „Evangelium und Gebot" durch die Umkehrung „Verheißung und Gebot" zwar interpretiert, aber Evangelium mit Verheißung nicht einfach identifiziert, insofern Christus als der Inhalt des Evangeliums sowohl die Verheißung als auch die Moment des grundlegenden Zusammenhangs von Verheißung und Erfüllung ist (so Zimmerli) oder ob Verheißung und Erfüllung als Elemente in dem übergreifenden Rahmen der Typologie zu verstehen sind (so v. Rad), wird auch zwischen Luther und Barth diskutiert werden müssen. 18 Vgl. Bizer, Fides passim.

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Erfüllung der Bundesgeschichte umgreift. Christus als der Inhalt des Evangeliums ist sowohl die Verheißung als auch die Erfüllung des Bundes: evangelium est Christus, et Christus est promissio et impletio foederis electionis.

2. Erfüllung der Verheißung und Erfüllung des Gebotes (impletio promissionis et impletio legis) Die von Luther in den Antiomerdisputationen immer wieder formulierte und von R. Hermann17 analysierte Grundthese lautet: „In Christo tota lex est impleta" 18 , Christus est „impletor legis" 19 , Christus est mediator, „qui venit implere legem"20 oder noch pointierter: plenitudo legis id est Christus21. Dabei wird die Verklammerung von kerygmatischer promissio und christologischer impletio legis von Luther so vollzogen, daß Christus als der impletor legis der Rechtsgrund für die gepredigte promissio remissionis darstellt, die deshalb propter Christum zugesprochen wird 22 : so geschieht z. B. die Aufhebung der lex accusans durch die remissio peccatorum, „quod Deus vult habere legem pro impleta lege, dum credimus in impletorem legis" 23 . Ist die promissio - so läßt sich Luthers Verhältnisbestimmung von kerygmatischer promissio und christologischer impletio legis umschreiben - [a] ihrem Vollzug nach das mündliche Wort der Predigt, ist sie [b] ihrem Inhalt nach die remissio peccatorum, so ist sie [c] ihrem Rechtsgrund nach die impletio legis in Christo. „Deus enim revelavit [a] per suum verbum se fore propitium patrem qui velit sine nostro merit o . . . nobis [b] gratis donare remissionem peccatorum, iustitiam et vitam aeternam [c] propter Christum." 24 Die soteriologische promissio reVgl. Hermann, Zum Streit 29 ff. W A 39/1, 380,22: „In Christus ist das ganze Gesetz erfüllt." 1 9 Ebd. 538,15: „Christus ist der Erfiiller des Gesetzes." 2 0 Ebd. 535,10: „Christus ist der Mittler, der kam, um das Gesetz zu erfüllen." 2 1 Vgl. ebd. 357,21 : „Die Fülle des Gesetzes, das ist Christus." 2 2 Vgl. M. Schloemann: „In den Antinomerthesen und -disputationen nimmt der Gedanke der Gesetzeserfüllung durch . . . Christus eine Schlüsselstellung ein . . . Diese Gesetzeserfüllung Christi vermittelt sich . . . allein durch den Spiritus sanctus im sakramentalen und gepredigten W o r t " (Natürliches und gepredigtes Gesetz bei Luther 95 A. 296). 17

18

2 3 W A 39/1, 380,4 f. Die Aufhebung des anklagenden Gesetzes durch die Sündenvergebung geschieht, „weil Gott das Gesetz als erfüllt ansehen will, sofern wir an den Erfüller des Gesetzes glauben". 2 4 W A 40/1, 224,25 ff.: „Gott hat nämlich durch sein W o r t offenbar gemacht, daß er ein gnädiger Vater sein werde, der ohne unser V e r d i e n s t . . . uns aus Gnade Sündenvergebung, Gerechtigkeit und ewiges Leben um Christi willen schenken will." Vgl. Clemen III, 185.

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missionis der Predigt gründet bei Luther sachlich in der christologischen impletio legis der Gehorsamsgeschichte Jesu Christi und folgt aus ihr. Im Unterschied zu einer solchen Verhältnisbestimmung bei Luther heißt es bei Barth in „Evangelium und Gesetz" pointiert: Indem das Gebot der Verheißung folgt, „folgt ihm selber die E r f ü l l u n g der Verheißung und in ihr, nur in ihr, auch seine eigene, des Gesetzes Erfüllung" 25 . M. a. W.: Wie nach Barth das Gebot der Verheißung des Bundes folgt 26 , so ist auch die Erfüllung des Gebotes die Folge aus der Erfüllung der Verheißung des Bundes. Die Folge von impletio promissionis und impletio legis ist für Barth unumkehrbar, die Erfüllung des Gebotes durch Christus folgt und ist eingeschlossen in die Erfüllung der Verheißung in Christus. Impletio ist also zuerst eine Kategorie der promissio und erst darin auch eine Kategorie der lex. Die Erfüllung des Bundes in Jesus Christus ist auch die Erfüllung und Proklamation des Gebotes als seiner Lebensordnung27. Die Erfüllung der Bundes-Verheißung — und nur sie! - ist auch des Gebotes eigene Erfüllung. Die damit von Barth implizit ausgesprochene Negation lautet: es kann nicht die soteriologische Ableitung der gepredigten promissio remissionis aus der impletio legis in Christo (promissio remissionis propter Christum), sondern es muß die bundestheologische Begründung der christologischen impletio legis in der christologischeh impletio promissionis des Bundes der Ausgangspunkt der Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium sein. Impletio ist nicht soteriologisch eine Kategorie der lex, sondern primär bundestheologisch eine Kategorie der promissio.

THESE I I / 2

Kann bei Luther das Evangelium unmittelbar als praedicatio legis in Christo impletae bezeichnet und Christus direkt als die plenitudo legis, als impletor legis im Sinn der oboedientia passiva und activa verstanden werden, so ist bei Barth im Unterschied zu Luther die impletio legis eine Folge der impletio promissionis, die Erfüllung des Gebotes eine Folge der Erfüllung der Verheißung des Bundes, ist das Evangelium nur mittelbar auch die praedicatio legis impletae, Christus nur indirekt auch die impletio legis. Folgt das Gebot der Verheißung, so ist „impletio" für Barth zuerst eine Kategorie der Verheißung des Bundes und erst daraufhin eine Kategorie des Gebotes. Folgt das Gebot der Verheißung, so ist Christus zuerst die Erfüllung der Bundesverheißung und erst als solcher und daraufhin auch die Erfüllung des Bundesgebotes. 25

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Ev. u. Ges. 5 (WdF 1).

28

S. o. These 11,1.

27

Vgl. K D II/2, 766 f.

3· Bund und Gebot (Das Gebot als Implikat des Bundes und als Kategorie der Relation im Bund) Dem Beispiel zeitlicher Distanz von Verheißung und Gebot in Gal. 3,17 läßt Barth ein Beispiel lokaler Inklusion von Bund und Gebot, ein Beispiel räumlicher Aufbewahrung, Einschließung und Aufhebung des Gebotes in den Bund folgen: „Das Gesetz [Gebot] wäre nicht das Gesetz [Gebot], wenn es nicht geborgen und verschlossen wäre in der Lade des B u n d e s . Und auch das Evangelium ist nur dann das Evangelium, wenn das Gesetz . . . in ihm, als in der Bundeslade g e b o r g e n und v e r s c h l o s s e n ist." 28 Diente Barth das paulinische Argument von der zeitlichen Distanz zwischen Verheißung und Gesetz in Gal. 3,17 zur systematischen Begründung der qualitativen Vorordnung der Verheißung des Bundes gegenüber dem Gebot des Bundes 29 , so gebraucht er nun die deuteronomisch-deuteronomistische Vorstellung von der Bundeslade als dem Behälter der Gebotstafeln zur systematischen Begründung der grundsätzlichen Einordnung des Gebotes in den Bund. „Es ist das Evangelium, das das Gesetz enthält und in sich schließt wie die Bundeslade die Tafeln am Sinai." 30 Das Verhältnis von Bund und Gebot ist das der unumkehrbaren Implikation - der Bund schließt das Bundesgebot ein. „Die Proklamation des Bundes verheißener Gnade zwischen Gott und Israel geschieht als [!] Promulgation der göttlichen G e b o t e." 31 Diese Implikation von Bund und Gebot wird von Barth sofort als Implikation einer Beziehung, als relationale Implikation präzisiert: Bund meint die unumkehrbare Beziehung des freien Gottes zum befreiten Menschen, Gebot meint die im Bund eingeschlossene Beziehung dieses Menschen zu diesem Gott 3 2 . Aus dieser f ü r Barth grundlegenden relationalen Implikation von Bund und Gebot ergeben sich im Hinblick auf „Gesetz und Evangelium/ Evangelium und Gebot" folgende Konsequenzen: a) Normiert der Implikatcharakter von Bund und Gebot, die Einbettung des Gebotes in den Bund bzw. die Implikation des Gebotes durch den Bund, die Zuordnung von „Gesetz und Evangelium" im Sinn der 28

28 Ev. u. Ges. 5 (WdF 1). S. o. These 11,1. K D II/2, 567. ai E v . u. G e s . 1 2 (WdF 8). 32 Vgl. K D II/2, 564 ff. - „Das Sein, Wesen und Handeln Gottes als des Herrn des Bundes zwischen ihm und den Menschen schließt in sich eine Beziehung [!] zum Sein, Wesen und Handeln des Menschen. Eben indem Gott sich selbst für den Menschen verantwortlich macht [Bund], macht er auch den Menschen verantwortlich [Gebot]" (KD II/2, 566 f.). Erschöpft sich der Begriff des Bundes nicht in der Lehre von der freien Gnadenwahl, dann meint Bund in seinem zweiten Element „den Gehorsam des freien Menschen gegen den freien Gott" (623). Dies bedingt „für den Menschen, Partner des Bundes, in diese Beziehung zu Gott gestellt zu sein" (565). 30

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Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot - der Bund begründet das Bundesgebot - , dann wird es nach Barth schon von hier aus unmöglich, in Umkehrung der Implikatstruktur von Bund und Gebot das Evangelium zu einem Moment bzw. „Lückenbüßer" 33 in der Geschichte des Gesetzes zu machen. b) Bestimmt die Einbettung des Gebotes in den Bund, normiert die relationale Implikation von Bund und Gebot das Verhältnis von Evangelium und Gebot als relationale Beziehung im Bund, dann ist es nach Barth im Unterschied zu Luther ausgeschlossen, das Gebot aus einem Beziehungsbegriff des Bundes (Bundesrecht), aus einer Relationskategorie im Bund in eine vom Bund abgelöste ontologische Kategorie der geschöpflichen Existenz (Schöpfungsgesetz) zu verwandeln und es mit einer abstrakten, d. h. vom Bund abstrahierten lex naturalis oder lex moralis, mit einem abstrakten Schöpfungs- oder Moralgesetz in Verbindung zu setzen 34 . „Der Mensch, dem nach Micha 6,8 gesagt ist, was gut ist, ist ja nicht der Mensch als solcher und im Allgemeinen, sondern der israelitische Mensch, das Volk Israel, und so ist das, was von ihm gefordert ist: das Rechte zu tun, Barmherzigkeit zu ü b e n . . . , kein Kompendium einer allgemeinen natürlichen Menschenpflicht, sondern wie die zehn Gebote eine Zusammenfassung der Forderung, die damit proklamiert, aufgerichtet und in Kraft gesetzt wurde, daß Gott dieses Volk Israel zu seinem Volk und sich selbst zum Gott dieses Volkes erwählt hat." Diese 33

Ev. u. Ges. 23 (WdF 19). Barth zufolge kann das Evangelium, die Gnade Gottes in Jesus Christus, deshalb nicht als Moment in der Geschichte des Gesetzes verstanden werden, weil Jesus Christus selber als die wahre Wirklichkeit der Gnade und als die wirkliche Wahrheit des erfüllten Gebotes Gottes „wirkliches, übergreifendes principium" ist (II/2, 675) und also „kein der Gnade und also dieser Person vorangehender . . . Faktor . . . das ethische Prinzip (ist), das uns beherrscht und nach dem wir uns zu richten haben" (674). Ausgeschlossen wird damit die nomologische Synthese von Gesetz und Evangelium, wie sie von E. Wolf RGG 3 II 1521 f. und von E. Troeltsch RGG 1 II 1382 f. beschrieben worden ist: „Die Religion der Kirche gestaltete sich als Gesetzesreligion, in der die Gnade nur als Sündenvergebung und als sakramentale Einflößung von Kräften zum sittlichen Handeln ü b e r b l e i b t . . . Das Gute stammt dann freilich materiell aus der Gnade, aber formell ist es doch in dem Grundriß des Verdienstes und der Vergeltung gedacht" (1383). In Abgrenzung von dieser nomologischen Synthese von Gesetz und Evangelium als Konsequenz der Umkehrung der Implikatstruktur von Evangelium und Gebot heißt es bei H . J. Iwand: „Vergebung der Sünden bedeutet etwas Letztes, Absolutes, nicht eine Stufe im Prozeß des neuen Lebens, nicht einen notwendigen Akt, damit ich zu nun neuen, besseren Zielen meinen Weg nehme, sondern etwas Erstes und Letztes, über das wir nie hinauskommen" (NW V 67, vgl. 50). Sündenvergebung, Evangelium, Gnade und Bund können nicht zu einem Prozeßmoment in der Geschichte des Gesetzes gemacht werden, solange die relationale Implikation von Bund und Gebot im Auge behalten wird. 34 Vgl. zu dem hier und im folgenden zu diskutierenden Problem der Einheit des natürlichen und gepredigten Gesetzes bei Luther die ausgezeichnete Arbeit von M. Schloemann, Natürliches und gepredigtes Gesetz bei Luther, passim, bes. 47 ff., 97 ff., 107 f.

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konkrete israelitische und bundestheologische Kontur des Gebotes bedeutet aber negativ: „ D a ist keine abstrakte Kultregel, keine abstrakte Rechtsnorm, kein abstraktes Moralgesetz... Keines der zehn Gebote und keines der anderen Kult-, Rechts- und Moralgebote steht für sich, läßt sich lösen von diesem Vordersatz" der Selbstvorstellung des Israel aus Ägypten befreienden Jahwe 3 5 . Barths grundlegende, in K D III/l—4 entwickelte 36 These von dem Bund als dem inneren Grund der Schöpfung und der Schöpfung als dem äußeren Grund des Bundes bedeutet auf diesem Hintergrund eine systematische Abgrenzung gegenüber von Luther nicht grundsätzlich ausgeschlossenen Tendenzen, lex naturalis und Bundesgebot zu identifizieren, worauf in anderem Zusammenhang zurückzukommen ist 37 . Die von Barth damit implizit ausgesprochene Negation lautet: Ist der Bund die Kategorie der Relation des freien Gottes zum befreiten Menschen hin und das Bundesgebot die Kategorie der Relation von diesem Menschen zu diesem Gott, dann kann weder der Bund 38 noch das Evangelium als Moment der Geschichte des Gesetzes verstanden werden. Das Verständnis des Gebotes als Relation im Bund macht es zugleich systematisch unmöglich, das Gebot des Bundes mit einer vom Bund losgelösten Kategorie geschöpflicher Existenz im Sinn der lex naturalis zu identifizieren. Denn Bundesgebot ist auch Schöpfungsge^oi, allgemeines Schöpfungsgeietz (lex naturalis) aber nicht konkretes Bundesgebot, „so gewiß als eben in J e s u s der Bund zwischen Gott und Mensch geschlossen ist, der . . . das objektive Gesetz bildet, unter dem die Existenz der ganzen Kreatur ihren Lauf nimmt" 3 9 .

THESE I I / 3

Die Vorordnung der Verheißung vor das Gebot, bzw. die Nachordnung des Gebotes gegenüber der Verheißung muß im Sinne Barths zugleich als Implikation des Gebotes im Bund der Verheißung verstanden werden. Die Implikation des Bundesgebotes im Verheißungsbund bedeutet aber zugleich das relationale Verständnis des Verhältnisses von Evangelium und Gebot bei Barth. Bundesverheißung meint die Relation des erwählenden Gottes zum erwählten Menschen hin, Bundesgebot meint die darin eingeschlossene, daraus folgende Relation des freien und gehorsamen Menschen zu 8S

KD II/2, 635 (Kursivierung vom Verfasser). Vgl. insbesondere KD I I I / l , 103 ff.; 258 ff. " Vgl. Abschnitt II/4 ff. 88 Wie etwa nach Barths Analyse (vgl. KD IV/1, 57 ff., 409 f.) in der Föderaltheologie. a » K D II/2, 682. 38

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Gott hin. Das Gebot als Implikat des Bundes meint die in der freien Beziehung Gottes zum Menschen eingeschlossene antwortende Beziehung des Menschen zu Gott. Wie das Evangelium, so ist also auch das Gebot eine aus der Bundesgeschichte Gottes mit dem Menschen zu verstehende relationale Größe. Das Gebot als Implikat des Bundes, d. h. das Gebot als in den Bund „eingeschlossene" Kategorie der Relation im Bund bedeutet im Sinne Barths von Anfang an die systematische Verunmöglichung, a) das Evangelium als Moment der Geschichte des Gesetzes zu interpretieren und b) das Gebot aus einer Relationskategorie des Bundes in eine vom Bund abgelöste ontologische Kategorie der geschöpflichen Existenz (Schöpfungsgeseiz) zu transformieren.

4. Das offenbare Gebot der Erfüllung des Bundes (der Dekalog als das verborgene Gebot der Verheißung, die Bergpredigt als das offenbare Gebot der Erfüllung des Bundes) Barth eröffnet auch den 2. Abschnitt seiner Schrift „Evangelium und Gesetz" mit einer grundlegenden Feststellung: Soll der Abweg der Vermischung von Evangelium und Gesetz auf der einen und der Abweg der Trennung von Gesetz und Evangelium auf der anderen Seite vermieden werden, dann „werden wir jetzt ausgehen müssen von dem unzweifelhaften Zeugnis der Schrift, daß J e s u s C h r i s t u s . . . dem Gesetz [Gebot] genug getan, das Gesetz [Gebot] erfüllt, das heißt durch Gehorsam gegen seine Gebote gehalten hat. Von dieser Tatsache, daß Jesus Christus, [1] indem er die erschienene Gnade Gottes' (Tit. 2,11) war, [2] zugleich die Gebote des Gesetzes gehalten hat, werden wir, wenn es um die Definition des Gesetzes geht, auf keinen Fall abstrahieren dürfen; wir werden vielmehr von ihr auszugehen haben. Sie [die wahre Wirklichkeit und wirkliche Wahrheit Jesu Christi als Ereignis der Gnade Gottes und zugleich des erfüllten Gebotes] wird . . . der Kanon sein müssen zur Interpretation alles dessen, was uns im Alten und Neuen Testament als Gesetz begegnet: das Entscheidende, das eigentlich Gemeinte in jedem großen oder kleinen, inneren oder äußeren Gebot haben wir abzulesen aus der Erfüllung [!], die jedes von ihnen in Jesus Christus gefunden hat" 4 0 . Durchläuft der das Gebot einschließende Bund nach Barth die Geschichte von der Verheißung auf die Erfüllung hin, so ist erst die Erfül40

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Ev. u. Ges. 10 f. (WdF 6 f.).

lung der Verheißung die authentische Auslegung des Gebotes. Die die Erfüllung des Gebotes einschließende Erfüllung der Verheißung in Christus ist allererst die definitive Offenbarung des Gebotes. D. h. die christologische Koinzidenz von endgültiger Erfüllung und definitiver Offenbarung des Gebotes, die Koinzidenz von ontischer impletio und noetischer revelatio legis ist der Skopus der Aussagen Barths im Unterschied zu Luther. So steht nach Barth die Bergpredigt als die offenbare Gestalt des Gebotes dem Dekalog als dessen verborgener Gestalt gegenüber: Die Bergpredigt „durchkreuzt . . . die Zehn Gebote in einer in diesen selbst noch nicht sichtbaren neuen Dimension", insofern sie offenbar macht, „was dort [im Dekalog!] . . . noch verborgen ist: daß Gott selber und in eigener Person den Bund . . . nicht nur seinerseits in Treue hält, sondern auch zugunsten des Menschen selber d u r c h f ü h r t und . . . e r f ü l l t " 4 1 . Oder: „Alles, was die Bergpredigt anders, Alles, was sie mehr zu fordern scheint als die Zehn Gebote . . . spiegelt die Offenbarung der Tatsache, die auch in den Zehn Geboten bezeugt, aber eben noch nicht offenbar, sondern verborgen ist: das Ereignis des Reiches, der Person Jesu, des neuen Menschen, die wirkliche Existenz des Menschen im Bereich des göttlichen Gnadenbundes."42 Anders formuliert: Ist das alttestamentliche Gebot die Vorschrift auf die Erfüllung der Verheißung hin, so ist das neutestamentliche Gebot die Nachschrift von der in Jesus Christus erfüllten Verheißung her. Ist das verborgene Bundesgebot des Dekalogs die Entsprechung und das Korrelat der Verheißung des noch nicht erfüllten Bundes, so ist das offenbare Bundesgebot das Korrelat des vollendeten Gnadenbundes und seiner abgeschlossenen Geschichte43. Gegenüber dieser christologischen Koinzidenz von end-geschichtlicher Erfüllung und definitiver Offenbarung des Gebotes bei Barth zeichnet sich bei Luther folgendes Nacheinander von allgemein gegebenem (lex generalis), offenbartem (Dekalog), in Jesu Verkündigung radikalisiertem (Bergpredigt) und in seinem Tod erfülltem Gesetz ab: 1. „Habent quidem omnes homines naturaliter quandam cognitionem legis" 44 ; 2. „Christus . . . interpreta tur legem . . . , ut intelligamus, cuiusmodi opus aut impletio sit, quam lex a nobis requirit" 45 ; 3. Christus „venit implere legem, sed non tollere" 46 . Gegenüber diesem Gefälle der Interpretation Luthers wird die Geschichte Jesu Christi von Barth nicht als die Erfüllung des a) anderweitig 4 2 Ebd. 779. 4 9 Vgl. ebd. 768. K D II/2, 767. W A 39/1, 361,19 f.: „Alle Menschen haben von Natur eine allgemeine Kenntnis des Gesetzes." 4 5 Ebd. 3 8 7 , 5 - 7 : „ C h r i s t u s . . . legt das Gesetz a u s . . . damit wir begreifen, welcher Art das Werk oder die Erfüllung sei, die das Gesetz von uns fordert." 4 6 Ebd. 535,10 f.: Christus „kam, das Gesetz zu erfüllen, aber nicht aufzuheben". 41

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Klappert, Fromissio

gegebenen, b) in Christi Verkündigung radikalisierten und c) in seinem Tod erfüllten Gebotes, sondern als der exklusive Definitionsort des Gebotes bezeichnet. Der in der Exegese und der Systematik vielfach verwendete Terminus der Radikalisierung des Gesetzes zur Bezeichnung des N o v u m der Verkündigung und Geschichte Jesu ist im Sinne Barths kein eindeutiger, sondern ein mehrdeutiger Begriff. Muß doch zwischen einer Radikalisierung der alttestamentlichen Tora unter der Bedingung des G e s e t z e s und unter der Bedingung des E v a n g e l i u m s als der erfüllten Verheißung sorgfältig unterschieden werden. Denn die Radikalisierung des alttestamentlichen Gebotes in der Verkündigung und im Lehren Jesu ist eine Funktion des Evangeliums als der in Jesu Geschichte erfüllten Verheißung, nicht eine Funktion eines abstrakten, verinnerlichten Gesetzes: Jesu Lehren ist nach Barth zunächst wie das Lehren der Pharisäer und Schriftgelehrten durch das „ V o r g e g e b e n e des G e s e t z e s . . . des A l t e n T e s t a m e n t e s " bestimmt 4 7 . „ U n d Jesus t a t . . . formell und sachlich, was die anderen Rabbinen auch taten: er verlas und kommentierte . . . nach Mt. 5,17 f. bestimmte Stellen aus der Thora . . . Er faßte, wie es auch andere jüdische Lehrer damals und später getan haben, das Gesetz . . . gelegentlich summarisch zusammen" (das Doppelgebot der Liebe Mt. 22,36 f.; vgl. 7,12). Jesu Lehren, das der mehr an der Praxis orientierten pharisäischen Bewegung näher steht als dem mehr am theoretischen Studium des Gesetzes interessierten Schriftgelehrtentum, - Jesu Auslegung des Gesetzes steht „ganz im Dienst der Anwendung, sie r u f t zum G e h o r s a m , zur tätigen Entscheidung f ü r den im Gesetz offenbaren Willen Gottes, und zwar - das hat seine Lehre mit der des Täufers zunächst noch gemein: - zur umfassenden, zur radikalen [!], zur grundsätzlichen, nun wirklich den ganzen Menschen in Anspruch nehmenden Entscheidung" (221): zur metanoia (Mk. 1,15). Aber genau an dieser Stelle w i r d die Analogie zur an der Praxis orientierten Lehre der Pharisäer und zum radikalisierten Lehren des Täufers, wie sie durch den Rückbezug auf das vorgegebene atl. Gesetz und dessen radikalisierende Auslegung und A n wendung im Gehorsams- und Entscheidungsruf f ü r den im Gesetz offenbaren Willen Gottes charakterisiert ist, aufgehoben. Denn „eben an dieser Stelle wird das Eigene, das Neue des Lehrens Jesu gegenüber den anderen Rabbinen sichtbar.. . . Gerade der Bußruf als die existentielle Spitze seiner Lehre ist ja Mk. 1,15 begründet in dem Satz . . . ,Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen'. Eben von da aus hat Jesus das Alte Testament [und die Tora] ausgelegt und angewendet" (ebd.). Weil aber das radikalisierte, den ganzen Menschen in Anspruch nehmende Gebot des Lehrens Jesu die Form der in Jesu Person gegenwärtigen, befreienden Herrschaft Gottes ist, „darum heißt ,Tut Buße!' als Spitze s e i n e r Lehre . . . - was es auch beim Täufer noch nicht heißen konnte, k o n k r e t : , G l a u b e t an d a s Evangelium!'" (ebd.). Denn Jesu radikalisierende Auslegung und Anwendung des atl. Gebotes behandelt das Alte Testament nicht als ein „Dokument einer . . . von ferne her maßgeblichen V e r g a n g e n h e i t " , sondern als ein „Buch, dessen Nachricht von dem, was e i n s t , d o r t geschehen und gesagt war, in dem was eben j e t z t , heute, h i e r geschieht und gesagt wird, ihren eigentlichen Inhalt, ihre Erfüllung hat. Eben 47

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K D IV/2, 220.

jetzt und hier ist das wirklich, was sich in ihm [erst] a n k ü n d i g t e . . . Denn f ü r Jesus w a r . . . diese seine G e g e n w a r t . . . der ,erfüllte' Kairos" (ebd.). Das N o v u m des Lehrens Jesu als A n w e n d u n g und Auslegung des atl. Gebotes ist deshalb nicht die Radikalisierung des Gesetzes als solche, denn d i e radikalisierte Tora des L e h r e n s Je s u i s t die Form des Evangeliums als der e r f ü l l t e n V e r h e i ß u n g . Radikalisierung ist im Sinne Barths keine Kategorie des Gesetzes, sondern eine Gestalt des Evangeliums.

Die Geschichte Jesu Christi und zwar entscheidend die Geschichte Jesu Christi in Kreuz und Auferweckung ist die' endgültige Erfüllung und als solche die definitive Offenbarung des Bundesgebotes: „Wir müssen Gottes G e b o t . . . nur in dem suchen, was in Bethlehem, was zu Kapernaum und Tiberias, was in Gethsemane und auf Golgatha, was im Garten des Joseph von Arimathia geschehen ist. In diesem Geschehen hat Gott sein Gebot ausgesprochen." 48 „Gerade das in Jesus Christus ein für allemal e r f ü l l t e Gesetz [Gebot] ist ja das wahrhaft b i n d e n d e Gesetz [Gebot]." 4 9 Kurz: derName Je sus Christus, definiert imZentrum durch sein Geschick in Kreuz und Auferweckung, ist das endgültige Ereignis der Erfüllung und darin die definitive Bezeichnung des Inhalts des Gebotes Gottes. Wo die Verheißung des Bundes in Christus erfüllt ist, da ist auch das Gebot des Bundes endgültig erfüllt und definitiv offenbar. Die in der impletio promissionis in Christus implizierte und eingeschlossene, stellvertretende impletio legis koinzidiert so mit der (in der Geschichte Jesu Ereignis gewordenen) definitiven revelatio legis. Der N a m e Jesus Christus, der Messias Jesus als „das Ziel . . . der ganzen Geschichte Israels" 50 ist - das gilt für Barth exklusiv, und das hat Luther so nicht gesagt! - diese Koinzidenz von endgeschichtlicher Erfüllung (ontisch) und definitiver'Offenbarung (noetisch) des Bundesgebotes. Die Fundierung der impletio legis in der impletio promissionis des Bundes 48

K D II/2, 621; vgl. Ev. u. Ges. 11 (WdF 7). Ebd. 625. Die definitive Bezeichnung des Gebotes Gottes e r s t in der Geschichte Jesu Christi kann freilich im Sinne Barths keinen „sachlich neuen Inhalt gegenüber Micha 6,8 oder gegenüber Dtn.10,12 f. oder gegenüber den zehn Geboten" meinen ( K D II/2, 638). Ist doch Israel „das Volk der Verheißung", das proleptisch „von dem ihm Verheißenen lebt, der das Gesetz allein halten und erfüllen w i r d " (636), so daß Barth im Hinblick auf die Tora Israels und von der israelitischen K o n t u r des Gebotes her „dieses Volkes Lebensgesetz ist das Gesetz Gottes" (635) - , von dem konkreten Verständnis dieses Gebotes im Rahmen der auf Erfüllung tendierenden Verheißungsgeschichte Israels her auch formulieren kann und theologisch legitim auch formulieren m u ß : Die Geschichte des Messias Israels „klärt und bestimmt nur [!] die Beziehung, in der Alles, was das alttestamentliche Gesetz gefordert hatte, immer stand, in der es nun aber mit der Erscheinung Jesu, mit seinem T o d und seiner Auferstehung o f f e n b a r geworden ist " (638). - Es bedarf keiner Erläuterung, daß diese von Barth im Hinblick auf die Tora Israels gemachten Aussagen nicht einfach auf die lex naturae anwendbar sind und auf diese übertragen werden können. 49

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K D II/2, 636.

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und die Koinzidenz der impletio legis in Christus und der revelatio legis macht das Spezifikum der Position Barths im Unterschied zu Luther aus. In der Erfüllung des Gebotes in Jesus Christus wird auch das Wesen des Gebotes allererst offenbar. Das Ontische der Erfüllung des Gebotes impliziert das Noetische der Offenbarung des Gebotes. Die darin eingeschlossene Negation Barths lautet: Es kann nicht das noch verborgene Gebot der Verheißung, sondern es muß das in der Erfüllung des Gebotes allererst offenbare Wesen des Gebotes zum ausschließlichen systematischen Ausgangspunkt der inhaltlichen Bestimmung des Gebotes gemacht werden. THESE I I / 4

Indem der das Gebot implizierende Bund die Geschichte von der Verheißung des Bundes auf seine Erfüllung in Jesus Christus hin durchläuft, ist noch nicht der Dekalog als das in der Verheißung begründete und vom Bundespartner unter der Voraussetzung des Bundes zu erfüllende Gebot, sondern erst die Bergpredigt, aber auch diese nicht als das radikalisierte Gesetz, sondern als das in der Erfüllung des Bundes in Jesus Christus eingeschlossene und stellvertretend erfüllte Gebot die definitive Offenbarung des Gebotes Gottes. Das in der Verheißung begründete und vom Menschen zu erfüllende Gebot des Alten Testaments ist das noch verborgene Gebot, das in der Erfüllung des Bundes in Jesus Christus stellvertretend erfüllte Gebot des Neuen Testaments erst ist das offenbare Gebot. Im Unterschied zu Luther ist für Barth Christus als die Erfüllung des Bundesgebotes der exklusive Definitionsort des Gebotes. Die in der impletio promissionis implizierte stellvertretende impletio legis in Christus ist allererst die definitive revelatio legis. Die Koinzidenz von endgeschichtlicher Erfüllung und definitiver Offenbarung des Bundesgebotes in Jesus Christus macht das Besondere der Position Barths im Unterschied zu Luther aus.

5. Die Universalisierung des erfüllten besonderen Gebotes Israels (nicht die bestätigende Erfüllung eines Allgemeinen) Luthers in den Antinomerdisputationen entwickelte These lautet: „Decalogus vero haeret adhuc in conscientia. N a m si Deus nunquam tulisset legem per Mosen, tarnen mens humana naturaliter habet hanc notitiam, Deum esse colendum, proximum diligendum. Habet et decalo52

gus suum praefinitum tempus, quo . . . Christus .. . sese legi subiecit. . . ne posset [lex] in desperationem adigere, et condemnare." 51 Dieses Gesetz ist das Natur- und Schöpfungsgesetz, dem sich Christus unterworfen hat. Dieser Zusammenhang zwischen allgemeinem Naturgesetz, schriftlichem Mosegesetz und in Jesus Christus erfülltem Gesetz wird an folgender Stelle von Luther noch deutlicher benannt: „Sed a condito mundo decalogus fuit inscriptus omnium hominum m e n t i b u s . . . N a m nulla natio unquam sub sole tam crudelis aut barbara fuit ac inhumana, quin senserit Deum colendum, diligendum e s s e . . . Sed postea, quia homines tandem eo pervenerant, ut ñeque Deum ñeque homines curarent, coactus est Deus per Mosen leges illas renovare atque descriptas . . . ante oculos nostros ponere, ut admoneremur, quid ante lapsum Adae fuerimus et quid olim in Christo futuri sumus. Ita Moses fuit tantum quasi interpres et illustrator legum scriptarum in mentibus omnium hominum." 52 Diesen Stellen ist die von Luther an anderen Stellen vorgetragene These an die Seite zu stellen, daß dieses dem Geist und Gewissen aller Menschen eingeschriebene Gesetz durch Christus nicht aufgehoben, sondern aufgerichtet, bestätigt und in Richtung auf das Doppelgebot der Liebe interpretiert wird 53 . Genau gegenüber dieser Konstruktion eines Zusammenhangs von allgemeinem Naturgesetz (lex naturalis54J, schriftlichem Mosegesetz (lex re51

WA 39/1, 374,2 ff.: „Der Dekalog aber haftet bis heute im Gewissen [eines jeden Menschen]. Denn wenn Gott durch Mose das Gesetz niemals erlassen hätte, hat der menschliche Geist von Natur dennoch dieses Wissens, daß Gott zu verehren, der Nächste zu lieben sei. Auch der Dekalog hat seine vorherbegrenzte Zeit, in welcher . . . C h r i s t u s . . . sich dem Gesetz u n t e r w a r f . . . damit es nicht in Verzweiflung treiben und verurteilen könne." Kursivierung vom Verfasser. 52 WA 39/1, 454,4 ff.: „Sondern von der Gründung der Welt an war der Dekalog in die Herzen aller Menschen geschrieben, denn keine Nation unter der Sonne war jemals so grausam oder barbarisch und unmenschlich, daß sie nicht gefühlt hätte, daß Gott zu verehren und zu lieben sei . . . [ebenso hinsichtlich der Ehrerbietung und des Gehorsams gegenüber den Eltern]. Aber später, weil es mit den Menschen so weit kam, daß sie sich weder um Gott noch um die Menschen kümmerten, war Gott gezwungen, durch Mose jene Gesetze zu erneuern und sie aufgeschrieben... uns vor Augen zu setzen, damit wir erinnert würden, was wir vor dem Fall Adams gewesen sind und was wir einst in Christus sein werden. So war Mose nur gleichsam ein Erklärer und Erläuterer der in die Herzen aller Menschen geschriebenen Gesetze" (Kursivierung im lat. Text vom Verfasser). Diese und andere Stellen haben O. H . Pesch zu dem Fazit kommen lassen: „Es gibt also . . . nach Luther eine Ebene . . . wo Naturgesetz, mosaisches Gesetz, Evangelium und sogar die Lebensform des zukünftigen Lebens zusammenfallen" (Theologie der Rechtfertigung 37 f.). 53 Vgl. WA 39/1, 387,5 ff. 54 Zu dem Begriff der „lex naturalis", dem „ a b s t r a k t e n Gesetz eines a b s t r a k t e n Gottes" (KD IV/1, 401) und seinen Auswirkungen in der Reformationstheologie des 16. Jahrhunderts, der reformierten Theologie des 17. Jahrhunderts und

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novata), von Jesus verkündigtem Gesetz (lex interpretata) und durch Christus erfülltem Gesetz (lex impleta) setzt Barths Kritik ein mit der Formulierung der Gegenthese, daß Jesus Christus nicht die bestätigende Erfüllung des Allgemeinen der lex naturalis, sondern die Universalisierung des in ihm erfüllten besonderen Bundesgebotes an Israel sei. Das Besondere des Bundesgebotes Gottes an Israel als Entsprechung zu dem, was Jahwe für Israel in der Setzung des Bundes getan hat, wird in Jesu Verkündigung und in seiner für alle Menschen vollzogenen stellvertretenden Erfüllung universalisiert. Denn „was der Herr von Israel [!] f o r d e r t . . . b e k o m m t dann in Jesu Ruf, ihm nachzufolgen 55 , a u c h . . . universale Bedeutung: die Bedeutung des göttlichen Anspruchs an a l l e Menschen" 56 . U n d zwar ist im Sinne Barths die Universalisierung des in Jesus Christus erfüllten besonderen Gebotes an Israel sachlich darin begründet, daß Gott den Bund, den er zwischen sich und dem Menschen aufrichtet, zugunsten des Menschen selber erfüllt. „Es tritt die Lebensordnung der Gemeinde G o t t e s . . . jetzt in das Licht der Tatsache, daß sie von Gottes Seite wie begründet und proklamiert, so auch zur Rettung und zum Heil der Menschen erfüllt, d. h. aber, daß der Gehorsam, zu dem sie vorbereitet und aufruft, nachdem ihn das Volk Israel im Streit gegen Mose und die Propheten sicher nicht bewährt hat, durch Israels M e s s i a s für dieses Volk, das ihn immer verworfen hat und jetzt eben endgültig verwirft, aber eben dámit für alle Menschen bewährt und geleistet ist. Was kann die Lebensordnung der Gemeinde Gottes im Lichte dieser Tatsache noch Anderes sein als die Absteckung im Neuprotestantismus des 18. und 19. Jahrhunderts vergleiche Barths wichtige Exkurse in KD IV/1, 401-427. - KD II/2, 634 ff. wird von Barth sorgsam die israelitische, die christologische, die ekklesiologische und die universale Kontur des Gebotes unterschieden und kann infolgedessen von diesem unauflöslichen Zusammenhang her erst die universale Kontur und Intention des Gebotes auch als das Allgemeine des Gebotes bezeichnet werden. Dieses Sach- und Interpretationsgefälle ist im Sinne Barths nicht umkehrbar. Es bezeichnet also erst die universale Kontur und Intention des Gebotes den Ort, an dem, wie H . J. Iwand durchaus im Sinne K. Barths formulieren konnte, „das Recht der .natürlichen Theologie' sichtbar wird. Nicht, als ob sie der Ansatz der Gebote Gottes wäre [!], wie man sie später verstanden hat. Aber insofern, als mir das Gebot Gottes nichts mehr befiehlt als das, was nicht jedermann . . . als wahr und gut und recht anerkennen müßte" (NW V 150). Verweist die israelitische Kontur des Gebotes auf die atl. Geschichte der Verheißung, meint die christologische Kontur die Geschichte des erfüllten Bundes, so bezeichnet die ekklesiologische Kontur des Gebotes die dankbare Bezeugung des erfüllten Gebotes, wie schließlich die universale Kontur des Gebotes auf die allgemeine Bestimmung jedes Menschen zur freien und dankbaren Entsprechung hinweist: „Um seinetwillen [Jesu Christi willen] hat dieses Gesetz [Israels], das doch nur ihm g e g e b e n . . . i s t . . . universale Bedeutung..., sofern e r . . . es halten und erfüllen wird" (KD II/2, 636). 55

Ergänze: und in dem durch Israels Messias für dieses Volk und damit für alle Menschen geleisteten stellvertretenden Gehorsam, vgl. KD II/2, 767. 68 KD II/2, 637.

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des Bezirkes, in welchem die Menschen an diesen für sie geleisteten Gehorsam sich halten, von der ihnen damit erwiesenen Gnade Gebrauch machen . . . dürfen?"57 U m das Gesagte an einem konkreten Beispiel zu erläutern: Das Gebot der Einehe als die Form des Evangeliums von der freien, exklusiv erwählenden Gnade Gottes als Inhalt ergibt sich Barth zufolge in seiner Eindeutigkeit noch nicht aus der Verheißungsgeschichte des Bundes. Denn dort ist die Frage „Vielehe oder Einehe?" noch offen, die Vielehe also noch als eine M ö g l i c h k e i t vorausgesetzt. Die Eindeutigkeit des Gebotes der Einehe ergibt sich allererst a u f g r u n d der in Jesus Christus geschehenen Erfüllung des Bundes. Denn „von da, nur von da her ergibt sich auch der Inhalt d e s . . . göttlichen Gebotes" 5 8 . Mit der Erfüllung des Bundes, der „Erscheinung der freien erwählenden Gnade Gottes in dem Einen" ist „jetzt Gottes fréie erwählende Gnade . . . f ü r das Leben derer, die sie erkannt haben und die in der Erkenntnis ihrer Gegenwart existieren möchten, m a ß g e b e n d geworden". M. a. W . : „Die in der Erfüllung des Bundes in Jesus Christus erschienene, frei erwählende G n a d e Gottes gibt der Forderung der Einehe zwingende K r a f t . " 5 9 Die Universalität und Radikalität, die das Gebot Gottes im Munde Jesu erfährt, bedeutet damit nicht einfach die Radikalisierung des alttestamentlichen Gebotes, sondern entscheidend dessen Interpretation „im Licht des Bundes der erschienenen Gnade Gottes, als der Quelle und O f f e n b a r u n g seines Gebotes" 6 0 . D. h. die Radikalität und Universalität des Gebotes ist noch nicht aus dem „Besonderen, das im Alten Testament zunächst damit bezeichnet ist" (Ex. 20,14), auch nicht isoliert aus der „von Jesus vorgenommenen Radikalisierung und . . . Erweiterung der Anklage des Gebotes" (Mt. 5,28), was einer Verinnerlichung des Gebotes gleichkäme, erkennbar, sondern erst aus der erfüllten Bundesgeschichte als der definitiven O f f e n b a r u n g des Gebotes Gottes. Die Geschichte des erfüllten Bundes der erschienenen Gnade Gottes (ontisch) als der definitiven O f f e n b a r u n g des Gebotes (noetisch) - und nur sie - ist der Zusammenhang, von dem her die „von Jesus vorgenommene Radikalisierung . . . der Anklage des Gebotes" nicht mehr lediglich als qualitative „Erweiterung" oder Verinnerlichung mißverstanden, sondern nur noch als qualitative Ü b e r b i e t u n g des alttestamentlichen Gebotes verstanden werden kann®1. Die „Radikalität und Universalität, die das Gebot Gottes im Munde Jesu überhaupt bekommen hat" 6 2 bedeutet also nicht gesetzlich die Erweiterung bzw. „Verschärfung", sondern evangelisch „die grundsätzliche Überbietung des Gesetzes [Gebotes] durch das inzwischen Ereignis gewordene Kommen des Reiches, durch die geschehene Erfüllung des Bundes" 6 3 . Ein abstraktes, gesetzliches, biblizistisches Verständnis der Radikalisierung des alttestamentlichen Gebotes in der Verkündigung Jesu ist also von dem konkreten, evangelischen Verständnis der Universalität und Radikalität des Gebotes Jesu als Form des Inhalts der erfüllten Bundesgeschichte streng zu unterscheiden, und zwar „unter der - in der christlichen Ethik allein möglichen - Voraussetzung, daß das Gebot von der in Jesus Christus erschienenen Gnade, von dem in ihm erfüllten Bund, von dem in ihm gekommenen Reich her zu verstehen ist" 64 . Die unauflösliche Korrelation zwischen dem durch Jesus verkündigten Gebot als Form der erfüllten Bundesgeschichte als Inhalt ist damit f ü r Barth Kriterium der U n terscheidung zwischen einem nomistischen oder evangelischen Verständnis der in der 57 58 59 61 63

Ebd. 767. K D I I I / 4 , 223, Kursivierung vom Verfasser. 6 Ebd. 224. » Ebd. 261. 62 Ebd. Ebd. 64 Ebd. 230. Ebd. 261.

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Verkündigung Jesu erkennbaren Radikalisierung des alttestamentlichen Bundesgebotes. Kurz: Die Korrelation von erfüllter Bundesgeschichte als Inhalt und in Jesu Verkündigung radikalisiertem Gebot als Form ist im Sinne Barths unauflösbar. Das in Jesu Verkündigung offenbare Gebot ist die Form des m a ß g e b e n d e n I n h a l t s des in Jesus Christus erfüllten Bundes der freien Gnade Gottes. Die Korrelation von in Jesus Christus radikalisiertem Gebot und erfülltem Bund ist aber im Sinne Barths zugleich identisch mit der Korrelation von V e r k ü n d i g u n g J e s u und seinem G e s c h i c k in Kreuz und Auferweckung; Die Radikalität und Universalität des Gebotes der Verkündigung Jesu, in der er „sich selbst als den Urheber und damit auch als den kompetenten Ausleger d e s . . . anklagenden und zum Tod verurteilenden Gebotes zu erkennen" gibt·5, ist nämlich nur insofern die Form des Inhalts der Gnade der erfüllten Bundesgeschichte, als dieser eschatologische Gesetzgeber und Richter zugleich der an der Stelle der Welt im Kreuz Gerichtete und Verurteilte ist". M. a. W.: das radikalisierte Gebot der Verkündigung Jesu ist die Form des G e s c h i c k s J e s u als Ereignis und Inhalt der erfüllten Bundesgeschichte.

Im Unterschied zu Luthers Einsatz (terminus a quo) bei der lex naturalis als einem non certo populo, sed universo generi humano gegebenen, dem Gewissen jedes Menschen eingemeißelten, dem Geist aller Menschen eingeschriebenen, durch Moses nicht gegebenen, sondern lediglich illustrierten und durch Christus bestätigten, interpretierten und erfüllten Gesetz wird also Barth zufolge das Besondere des Bundesgebotes Gottes an Israel in der Verkündigung Jesu und insbesondere in der für alle Menschen stellvertretend vollzogenen Erfüllung des Bundesgebotes in Jesus Christus universalisiert, bekommt also das Gebot in dieser Erfüllung universale Bedeutung für alle Menschen. Gilt für den Text der Bergpredigt wie auch für den des Dekalogs die hermeneutische Regel, „daß man ihn im Zusammenhang mit seiner Umgebung . . . zu lesen hat, dann steht zunächst fest, daß man seinen Gehalt entscheidend in einem besonderen Hinweis auf das als Erfüllung der alttestamentlichen Weissagung [Verheißung] in der Person Jesu selbst nahe herbeigekommene Reich Gottes zu suchen hat" 67 . Die Bergpredigt redet nämlich - wie Barth weiter erklärt - „von der Vollendung des Gnadenbundes und damit vom Telos des Gesetzes, der Zehn Gebote: von demselben Ort, der Israel in den Zehn Geboten bestimmt und verheißen, aber nun doch erst b e s t i m m t und v e r h e i ß e n und noch nicht gegeben war" 68 . Ist aber die Geschichte des Bundes in Jesus Christus zu ihrem Ziel und ihrer Erfüllung gekommen, dann gilt: „Die Bergpredigt... als Dokument des vollendeten Gnadenbundes und seiner abgeschlossenen Geschichte bezeichnet und beschreibt die der Gemeinde G o t t e s . . . gegebene und durch sie der ganzen Welt [!] zu verkündigende Freiheit." 69 Entsprechend wird die Proklamation der messianischen Tora (Bergpredigt) und ihre Erfüllung durch den Messias Israels (Passion und 65 Ebd. 263. •7 KD II/2, 766.

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«· Ebd. 264. 68 Ebd. 768.

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Ebd.

Kreuz) der theologischen Konzeption des Matthäusevangeliums zufolge zum Grund ihrer Bedeutung als Lebensordnung für die universale Völkerwelt (Mt. 28,16-20). Es geht Barth also nicht abstrakt um die Universalisierung des besonderen Gebotes an Israel, sondern konkret um die Universalisierung des Besonderen des in Jesus Christus erfüllten Gebotes Israels. Nicht die Universalisierung der exklusiv Israel von Jahwe gegebenen Tora (Rom. 9,4) - denn das liefe faktisch auf ihre Verallgemeinerung hinaus! - ist hier gemeint, sondern die durch Jesus proklamierte und erfüllte Tora Israels wird zur Lebensordnung der Gemeinde, die als exemplarisches und repräsentatives Gebot zugleich universale Bedeutung hat. Der Gott, der in Jesus Christus den Bund erfüllt und ins Werk setzt, ist „der Herr der g a n z e n Welt und - ob erkannt oder nicht e r k a n n t . . . - der Herr j e d e s Menschen, der ihm zu j e d e r Zeit und in j e d e r Lebenslage gegenwärtig i s t . . . Dieser Herr im Vollzuge dieses seines Werkes [seil, der Erfüllung des Bundes] i s t selbst das Gebot Gottes. Und darum, w e i l . . . e r Gottes Gebot ist, ist dieses konkret, bestimmt, gezielt auf jeden Augenblick und jede Handlung jedes Menschenlebens" 70 . In diesem Sinn ist also das Besondere der Geschichte des erfüllten Bundes in Jesus Christus zugleich das universale Gebot an alle Menschen, insofern Gott „sein Gebot in und mit der Geschichte . . . seines Gnadenbundes ein für allemal und so auch für uns [!], für unsere Zeit und alle unsere Lebenssituationen ausgesprochen hat" 7 1 . Nicht wie bei Luther wird das Allgemeine des Gesetzes72 durch Mose illustriert und durch Christus interpretiert und erfüllt, sondern das Besondere des Bundesgebotes an Israel wird in der stellvertretenden Erfüllung durch den Messias Israels für alle Menschen universalisiert. D. h. die universale impletio legis in Christus, wie sie in der impletio promissionis des Bundes eingeschlossen und enthalten ist, ist allererst die definitive revelatio legis universalis. Somit steht der Bestätigung und Erfüllung des Allgemeinen der lex naturalis in Christus bei Luther die Universalisierung des Besonderen des Bundesgebotes an Israel in der stellvertretenden Erfüllung für alle Menschen bei Barth gegenüber. Die „Einzigkeit und Einzigartigkeit Gottes als des Herrn", die Singularität der Person Jesu Christi und der in ihm erfüllten Bundesgeschichte und infolgedessen die „Singularität und Partikularität dessen, was er 70

71 Ebd. 787. Ebd. 790. Vgl. M. Schloemann: „Der prinzipielle Bezug auf die Allgemeinheit [!] und U n entrinnbarkeit des Gesetzes also, die jeden Menschen nicht erst durch die Sinaioffenbarung, sondern schon durch seine Geburt und daher mit dem gefallenen A d a m als sündig qualifiziert, ist f ü r das Verständnis von Luthers Gesetzesbegriff grundlegend" (Natürliches und gepredigtes Gesetz bei Luther 52). 72

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[Gott] will und gebietet" 73 , mit ihrer universalen Intention auf alle Menschen wehrt damit prinzipiell einer Verallgemeinerung des Gebotes im Sinne der Konstruktion eines Anknüpfungspunktes bei einem allgemeinen Natur- und Sittengesetz74. Die darin eingeschlossene Negation Barths lautet: Es kann nicht ein abstraktes Gesetz des Allgemeinen, auch nicht das (angeblich) allgemeine Gesetz der lex naturalis, sondern es muß das in der Geschichte Jesu Christi mit ihrer u n i v e r s a l e n Bedeutung erfüllte besondere Gebot Israels zum ausschließlichen systematischen Ausgangspunkt der inhaltlichen Bestimmung des Gebotes gemacht werden.

THESE I I / 5

Im Unterschied zu Luthers Ausgang (terminus a quo) von der lex naturalis wird Barth zufolge das Besondere des Bundesgebotes Gottes an Israel in der Verkündigung Jesu und insbesondere in der für alle Menschen stellvertretend vollzogenen Erfüllung des Gebotes in Jesus Christus universalisiert, bekommt also das Gebot in dieser Erfüllung universale Bedeutung für alle Menschen. Nicht wird, wie bei Luther systematisch nicht ausgeschlossen, das Allgemeine des Gesetzes durch Mose illustriert und durch Christus interpretiert und erfüllt, sondern das Besondere des Bundesgebotes an Israel wird in der stellvertretenden Erfüllung durch den Messias Israels für alle Menschen universalisiert. D. h. die universale impletio legis in Christus, wie sie in der impletio promissionis des Bundes impliziert ist, ist allererst die definitive revelatio legis universalis. Damit steht der Bestätigung und Erfüllung des Allgemeinen der lex naturalis in Christus bei Luther .. . die Universalisierung des Besonderen des Bundesgebotes an Israel in der stellvertretenden Erfüllung durch Christus für alle Menschen bei Barth gegenüber. K D II/2, 754. D e r exklusiv christologische Zusammenhang von Partikularität und Universalität, wie er in Barths Verständnis des in Christus erfüllten, partikularen Gebotes Israels als des alle Menschen angehenden universalen Gebotes vorausgesetzt ist, ist für Barths Denken auch in anderen Zusammenhängen konstitutiv. Ich nenne zwei Beispiele aus Barths letzter Vorlesung: „Einführung in die Evangelische T h e o l o g i e " : „Indem Israel auf Jesus Christus hin und indem Jesus Christus von Israel her ist, ergeht - universal [ ! ] gerade in dieser Partikularität [ ! ] - das Evangelium Gottes, das gute W o r t des von G o t t aufgerichteten, erhaltenen, durchgeführten und vollendeten G n a d e n - und Friedensbundes, des freundlichen Verkehrs zwischen ihm und den Menschen" (28). Gegenstand der Theologie ist „das p a r t i k u l a r in dem einen Christus Israels Fleisch gewordene und eben in ihm als dem Heiland der W e l t u n i v e r s a l an alle Menschen gerichtete G o t t e s w o r t " ( 3 1 ) . 73

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6. Der Vorrang der Wahrheitsbestimmung von Evangelium und Gebot vor der Wirklichkeitsbestimmung von Gesetz und Evangelium Von der Barth-Interpretation und Barth-Kritik 75 noch kaum beachtet hat Barth in „Evangelium und Gesetz" zwischen der Wahrheitsbestimmung (Wahrheitsaspekt) von Evangelium und Gebot 76 und der Wirklichkeitsbestimmung (Wirklichkeitsaspekt) von Gesetz und Evangelium77 unterschieden. „Wir haben [so resümiert Barth im Anschluß an die bundestheologische und christologische Grundlegung der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot] im bisherigen von der W a h r h e i t des Evangeliums und des Gesetzes [Gebotes] in ihrem gegenseitigen Verhältnis geredet. Nur von daher ist nämlich ihre W i r k l i c h k e i t [die Wirklichkeit von Gesetz und Evangelium] . . . einzusehen."78 Barth hat diese Unterscheidung in seiner Lehre vom Gebot Gottes79 ausdrücklich wiederholt, indem er dort die Wahrheit des Verhältnisses von Erwählung und Gebot/Evangelium und Gebot 80 von der Wirklichkeit des Verhältnisses von Gericht und Rechtfertigung/Gesetz und Evangelium81 in der Geschichte der Versöhnung unterscheidet und zugleich die Wirklichkeit von Gericht und Rechtfertigung auf die Wahrheit von Evangelium und Gebot bezieht. Das Verhältnis von Gesetz und Evangelium muß also - so lautet Barths These - zuerst und grundlegend in seiner Wahrheitsbestimmung, es kann nicht zuerst in seiner Wirklichkeitsbestimmung entschieden werden. Vielmehr kann der Wirklichkeitsaspekt von Gesetz und Evangelium nur von dem Wahrheitsaspekt von Evangelium und Gebot her verstanden werden. Damit vollzieht Barth eine dreifache Abgrenzung gegenüber Luther: a) Die kerygmatischen Kategorien „Gesetz und Evangelium" (in dieser Reihenfolge!) können nur als Funktion der Wirklichkeit von Gericht und Rechtfertigung in Kreuz und Auferstehung, d. h. nur als Funktion der Geschichte Jesu Christi verstanden werden. b) Die Wirklichkeitsgeschichte von Gericht und Rechtfertigung/Gesetz und Evangelium kann nur von der an der Bundesgeschichte orientierten Wahrheitsgeschichte von Evangelium und Gebot aus eingesehen werden. 7 5 Das gilt von der Interpretation und Kritik sowohl der Schrift „Evangelium und Gesetz" als auch der Lehre von Gottes Gebot (KD II/2) im besonderen und der Bände KD IV/1-3 im allgemeinen. 7« Abschnitt I und II in: Ev. u. Ges. 5-17 (WdF 1-13). 77 Abschnitt III und IV in: Ev. u. Ges. 17-32 (WdF 13-29). 7 8 Ev. u. Ges. 17 (WdF 13). 7 9 Vgl. KD U/2. 8 9 Ebd. § 36-38. 81 Ebd. § 39.

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c) Der Einsatzpunkt der Zuordnung von Gesetz und Evangelium kann nicht kerygmatisch-anthropologisch bei der Wirklichkeit der das Gebot Gottes pervertierenden opinio iustitiae, der auf sie treffenden lex damnans und der diese außer K r a f t setzenden promissio remissionis peccatorum genommen werden. D. h. die Wesensbestimmung des Gebotes ist vor der Funktions-(usus-)Bestimmung des richtenden Gesetzes zu diskutieren, die Wesens- und Wahrheitsbestimmung des Gebotes kann also niemals aus der usus-Bestimmung des Gesetzes abgeleitet werden. In diesem Sinn ist der Vorrang der Wahrheitsbestimmung von Evangelium und Gebot vor der Wirklichkeitsbestimmung von Gesetz und Evangelium für Barth grundlegend. Auf die Relevanz dieser aspektivischen Unterscheidung zwischen Wahrheits%esc)\ich.x.e und Wirklichkeitsgeschichte 1) für die Fassung der Christologie und Versöhnungslehre Barths, 2) für die Verhältnisbestimmung von Erniedrigung und Erhöhung in Kreuz und Auferweckung, 3) für die Verhältnisbestimmung von christologischer oboedientia activa und passiva, 4) von promissio als Verheißung des Bundes und promissio als remissio peccatorum, 5) für das Verständnis von Christus als maxima persona des Bundes und maximus peccator im Kreuz, 6) für die Unterscheidung des Ontischen und Noetischen in der Auferweckung bei Barth wird später 82 zurückzukommen sein. Die in dieser Unterscheidung von Wahrheitsgeschichte bzw. Wahrheitsaspekt und Wirklichkeitsgeschichte bzw. Wirklichkeitsaspekt von Barth ausgesprochene Negation lautet: Die Wahrheits- und Wesensbestimmung des Gebotes hat den Primat vor der Wirklichkeits- bzw. ususBestimmung des Gesetzes, die Wahrheitsbestimmung des Gebotes kann also niemals aus der usus-Bestimmung des Gesetzes abgeleitet werden.

THESE I I / 6

Barth vollzieht in „Evangelium und Gesetz" die bundestheologische Grundlegung der Zuordnung von Evangelium und Gesetz im Rahmen der von Verheißung auf Erfüllung tendierenden Bundesgeschichte, ohne auf die Wirklichkeit der Ungehorsamsgeschichte des Menschen als des Bundespartners zu rekurrieren. Das Verhältnis von Gesetz und Evangelium muß also nach Barth zuerst auf der Ebene seiner Wahrheit, kann also nicht unmittelbar auf der Ebene seiner Wirklichkeit entschieden werden. Im Unterschied zu Luther kann deshalb bei Barth der Einsatz zur Bestimmung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium nicht bei der Wirklichkeit der das Gebot pervertierenden opinio iustitiae und der auf sie treffenden lex damnans (Verkündigung), sondern ausschließlich bei 82

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S. u. These V I f f .

der Wahrheit der Bundesgeschichte (Heilsgeschehen) erfolgen. Denn wie die Wahrheit der Bundesgeschichte der Wirklichkeit der Ungehorsamsgeschichte, so ist auch die Wahrheit des Verhältnisses von Evangelium und Gebot der Wirklichkeit des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium vorgeordnet. D. h. im Unterschied zu Luther ist bei Barth die 'Wahrheitsbestimmung des Gebotes als Bundesgebot der usus-Bestimmung des Gesetzes in seiner richtenden Funktion vorgeordnet, insofern der usus des Gesetzes nur im Rahmen der Wahrheitsbestimmung des Gebotes verstehbar und interpretierbar ist. Von daher unterscheidet Barth in seiner Schrift „Evangelium und Gesetz" zwischen der Wahrheitsgeschichte von Evangelium und Gebot, der Wirklichkeitsgeschichte von Gesetz und Evangelium und der siegreichen Durchsetzung der Wahrheitsgeschichte in und gegenüber der Wirklichkeitsgeschichte.

7. Das Gebot der freien Selbstbestimmung Gottes (die theologische Grundlegung des Verhältnisses von Evangelium und Gebot) Christliche Gotteslehre muß Barth zufolge das in K D I I / l über „die Erkenntnis Gottes" (5. Kapitel) und über „die Wirklichkeit Gottes" (6. Kapitel) Gesagte darin zu Ende führen, d a ß sie Gott als Subjekt kenntlich macht, „das k r a f t seines innersten Wesens, Wollens und Seins nicht ohne B e z i e h u n g ist, sondern in einer bestimmten Beziehung nach außen, zu einem Anderen steht" 8 3 . Nicht als ob diese Beziehung f ü r Gott notwendig, nicht als ob Gott unter der Bedingung dieser Beziehung nach außen stünde. Denn Gott als der in Freiheit Liebende und der in der Liebe Freie „wäre nicht weniger die Liebe auch ohne jene Beziehung" (11/2,4). Gott ist aber - wenn wir Gott nur in Jesus Christus zu erkennen haben - tatsächlich a u f g r u n d der freien Entscheidung seiner Liebe in dieser Beziehung nach außen, so daß wir, „indem wir eben von G o t t reden, in Beachtung seiner Freiheit, aber eben darum in Beachtung der freien Entscheidung, die er vollzogen hat, sofort auch von jener B e z i e h u n g reden müssen" (4). A u f g r u n d seiner freien aber endgültig gefallenen Entscheidung „ g e h ö r t [diese Beziehung Gottes zum Menschen] zu seiner Wirklichkeit, die nicht ohne, sondern nur in dieser Entscheidung seine Wirklichkeit ist. Sie [die Beziehung] ist ihr [der Wirklichkeit Gottes als des in Freiheit Liebenden und in der Liebe Freien] so z u g e o r d n e t , d a ß w i r " - so fordert nun Barth „dieses Zugeordnete als weiteres Element unserer G o t t e s erkenntnis zu Worte kommen" lassen müssen (5). Jesus Christus ist die Entscheidung Gottes f ü r diese Beziehung zum Menschen. U n d diese freie Entscheidung, diese freie Selbstbestimmung Gottes zur Relation mit dem Menschen in Jesus Christus hat zwei Aspekte: Gottes G n a d e n w a h l und Gottes Gebot. Die Lehre von Gottes G n a d e n w a h l als der einen Seite der Beziehung Gottes zum Menschen im Bund „ist die Summe des E v a n g e l i u m s " (9). Aber - so f ä h r t Barth nun f o r t - „die Lehre von Gottes Verhalten im Bunde mit dem in dem Men83

K D II/2, 4.

61

sehen Jesus repräsentierten Volk als die notwendige Ergänzung der Gotteslehre . . . erschöpft sich nicht in der Lehre von der Gnadenwahl". Vielmehr: „Indem Gott in seiner freien Gnade handelt, w i l l , e r w a r t e t und f o r d e r t er etwas von dem Partner seines Bundes" (10). Es gibt nämlich keine Gnadenwahl „ohne Herrschaft und Anspruch der Gnade" (11). Barth kommt nicht umsonst zu Eingang der Grundlegung der theologischen Ethik erneut auf diesen Doppelaspekt des Bundes zurück, wie die Wiederaufnahme der in 11/2,1-11 angesprochenen Thematik in 11/2,564-567 nur zu deutlich zeigt. Und er bestimmt den Doppelaspekt erneut so: „Die Lehre von Gottes Gnadenwahl ist das eine und die Lehre von Gottes Gebot ist das andere Element des rechten, christlichen Begriffs vom Bunde Gottes mit dem Menschen" (564). Und dieses a n d e r e Element - Zentrum der Ethik als der Aufgabe der Gotteslehre - wird nun von Barth eigens so bestimmt: „Gerade indem die Erwählung letztlich die [freie] Bestimmung des Menschen [durch Gott selbst] ist, erhebt sich die Frage nach der dieser Bestimmung entsprechenden menschlichen S e l b s t bestimmung" (566). Die der freien Bestimmung Gottes zum Bund entsprechende freie Bestimmung des Menschen als Element schon der Gotteslehre! - Barth ist sich des Besonderen und Neuen dieser Lehre gegenüber der Tradition durchaus bewußt und betont deshalb nocheinmal: „Man sieht: wir entfernen uns tatsächlich nodi immer nicht aus dem Kreis der Betrachtung des Seins, Wesens und Handelns Gottes, indem wir auf diese zweite Frage stoßen: sie erhebt sich vielmehr . . . innerhalb der Gotteslehre" (566).

Sind aber Erwählung und Gebot, Evangelium und Gebot im Sinne Barths zwei grundlegende aspektivische Elemente s c h o n der Gotteslehre, dann wird ein gängiges Mißverständnis der Lehre Barths von vornherein ausgeklammert werden können: die beliebte Auskunft, daß Barth hier vom tertius usus im reformatorischen Sinn bzw'. im Sinne der reformierten Tradition spreche, insofern Barths Ausführungen über Gesetz und Evangelium in einer Grundlegung der Ethik stünden. Wird doch in dieser Argumentation ein D r e i f a c h e s verkannt: 1. Barth entwickelt die Grundlegung der Ethik im Rahmen seiner Lehre von Evangelium und Gebot und nicht umgekehrt, insofern die Entfaltung der Ethik e i η Element der Lehre von Erwählung und Gebot darstellt 2. Barth bestimmt das Verhältnis von Evangelium und Gebot grundlegend zunächst auf der Ebene ihrer W a h r h e i t , um erst von daher das Verhältnis auf der Ebene ihrer W i r k l i c h k e i t durchsichtig zu machen. Insofern ist die Lehre vom tertius usus legis im reformatorischen bzw. r e f o r m i e r t e n Sinn ein Element der Wirklichkeitsbestimmung von Rechtfertigung und Heiligung/Evangelium und Gebot, das im Sinne Barths erst von der umgreifenden Wahrheitsbestimmung von Erwählung und Gebot/Evangelium und Gebot her eingesehen werden kann. 3. Barth entwickelt seine Lehre von Evangelium und Gebot als Element weder der Grundlegung der Ethik noch als Element der Lehre vom tertius usus legis, sondern entscheidend als Element s c h o n der Gotteslehre. Und präzis das ist - Barth ist sich dessen bewußt gewesen 62

das N o v u m sowohl gegenüber lutherischer wie auch reformierter Tradition. Barths grundlegende These in K D II/2, wo er die Lehre vom Gebot als ein Kapitel schon der Gotteslehre entfaltet und die t h e o -logische Grundlegung der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot entwikkelt, lautet also: Theologische Ethik, die Lehre vom Gebot Gottes, gehört wie die Erwählungslehre zur Lehre von Gott selber. Und zwar ist die Lehre von Gottes Gebot darum ein Kapitel schon der Gotteslehre, „weil der den Menschen für sich in Anspruch nehmende G o t t . . . sich selbst für diesen verantwortlich macht" 84 und exklusiv von daher die „grundlegende Bezeugung der Gnade Gottes.. . des Menschen heilsame Bindung und Verpflichtung ist" (Leitsatz § 36). „In und mit seiner Bestimmung durch Gott, wie sie in der Prädestination [Erwählung] Ereignis ist, erhebt sich die Frage nach des Menschen Selbstbestimmung, nach seiner Verantwortung und Entscheidung, nach seinem Gehorchen und Tun. . . . Eben indem Gott sich selbst für den Menschen verantwortlich macht, macht er auch den Menschen verantwortlich." 85 Das Gebot der freien Selbstbestimmung Gottes meint dabei im Sinne Barths nicht das die freie Selbstbestimmung Gottes bestimmende Gebot, sondern das in der freien und durch die freie Selbstbestimmung Gottes bestimmte Gebot. Das Gebot der freien Selbstbestimmung Gottes ist also das der freien Selbstbestimmung Gottes zur Gemeinschaft mit dem Menschen entsprechende, mit ihr unmittelbar verbundene, in ihr verankerte Gebot. D. h. die freie Selbstbestimmung Gottes für den Menschen ist zugleich die Inanspruchnahme der menschlichen Freiheit, ist zugleich das Gebot der freien Selbstbestimmung des Menschen in Entsprechung zur freien Selbstbestimmung Gottes. Barths Verständnis der Lehre vom Evangelium der Erwählung und Gebot der Freiheit als Kapitel der Gotteslehre hat ihre Spitze in der These, daß - nicht nachträglich im Sinne der Folge und Konsequenz, sondern gleichwesentlich und gleichursprünglich im Sinne der Implikation86 - mit der freien Selbstbestimmung Gottes das Gebot der antwor-

84

Ebd. 5 6 4 ; vgl. E v . u. Ges. 11 ( W d F 7).

Ebd. 566 f. Vergleiche in diesem Zusammenhang die Voranstellung der Selbstvorstellungsformel „ Ich bin Jahwe, dein G o t t " an die Spitze der Rechtsordnungen des Heiligkeitsgesetzes (Lev. 18,2) und insbesondere ihr Auftauchen „in der Stellung der die Gebote oder kleineren Gebotsreihen abschließenden Schlußaussagen" ( W . 2immerli, Ich bin J a h w e 1 1 - 4 0 , bes. 12 ff.). Die Selbstoffenbarung des Jahwenamens, Jahwes Selbstvorstellung unter seinem Eigennamen sind zugleich die Voraussetzung wie auch der Grund des Gebotes der freien Selbstbestimmung Gottes. 8 6 K D I I / 2 , 5 6 8 : „Aber eben dieses Implizite [ ! ] muß nun auch explizit . . . gemacht, es muß die Gotteslehre als das, was sie auf der ganzen Linie auch ist, nämlich als Ethik ausdrücklich bezeichnet, entfaltet und erklärt werden." 85

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tenden Freiheit des Menschen unmittelbar gesetzt ist: „Es handelt sich um den Gehorsam des freien Menschen gegen den freien Gott." 87 Die Explikation der Lehre vom Gebot und die Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot als Kapitel schon der Gotteslehre hat aber im Sinne Barths zugleich unverkennbar antithetischen Charakter. Man vergleiche Barths Resümee: „Indem Gott sein Bundesgenosse wird, wird er als Herr des Bundes... zum G e s e t z [Gebot] seiner Existenz" 88 , mit der Definition aus Solida Declaratio V: „quod lex proprie sit doctrina divina, in qua iustissima et immutabilis Dei voluntas revelatur, qualem oporteat esse hominem in sua natura" 89 , um die Antithese Barths zu verstehen: Der Erwählungs- und Bundeswille Gottes, nicht aber der unwandelbare Wille eines abstrakten, Imperativischen Leistungsgesetzes Gottes ist das „Wesensgesetz" des Menschen, ist das Gebot seiner Existenz. Luther konnte ebenso in den Antinomerdisputationen von einem abstrakten, dem deus absconditus zugeordneten, fordernden Gesetz reden, bis zu dem Spitzensatz: „Deus in natura et maiestate sua est adversarius noster, exigit legem [!] et minatur transgressoribus mortem." 90 Und Barth hat auf solche möglichen Äußerungen Luthers ebenfalls hingewiesen: „Es ist bekannt, daß L u t h e r die Erkenntnis der Sünde, den Schrecken vor Gottes Zorn . . . in der Regel auf eine besondere, von der Offenbarung der Gnade Gottes getrennte Gesetzes-, Heiligkeits- und Zornesoffenbarung, ja, auf ein besonderes Wesen Gottes in seiner Majestät und Verborgenheit zurückgeführt hat." 9 1 W. Joest hat die in diese Richtung laufenden Aussagen Luthers über das Gesetz so resümiert: Das Gesetz ist eine Instanz, die den Menschen von außen unter Druck setzt, von ihm eine verdienstliche Leistung forEbd. 623. Ebd. 5 6 6 ; vgl. ebd. 11: „Gott wird seinem Bundesgenossen zu dem, durch welchen er gerichtet wird und nach dem er sich zu richten hat. E r wird ihm zum Kriterium, zum Maß, zur Frage nach dem Guten oder Bösen, nach dem Recht oder Unrecht seines eigenen Seins und Tuns. E r hat ihn zum Partner in diesem Bund . . . geschaffen; er hat ihn dazu erwählt und berufen; er zieht ihn als solchen zur Verantwortung . . . E r macht diese [ ! ] Verantwortung zum Sinn seiner ganzen Existenz." - Der den Menschen in Jesus Christus zum Bundespartner erwählende Gott und nicht eine abstrakte lex divina - will Barth sagen - wird dem Menschen zum Kriterium und Maß seiner Existenz. Der in Freiheit liebende und in der Liebe freie Gott, der den Menschen als Bundespartner zur Antwort bzw. Verantwortung gerufen hat, macht d i e s e Verantwortung zum Sinn, zur N o r m und zum . G e s e t z ' der ganzen Existenz des Menschen. 87

88

8 9 B S L K 957,11 ff.: „daß das Gesetz eigentlich eine göttliche Lehre sei, in der der gerechteste und unwandelbare Wille Gottes offenbart ist, wie beschaffen der Mensch in seiner Natur sein sollte." Kursivierung vom Verfasser. 9 0 W A 39/1, 3 7 0 , 1 3 f . : „Gott ist in seiner Natur und Majestät unser Gegner, er fordert das Gesetz [seine Erfüllung] und droht den Übertretern den Tod an." 8 1 K D I I / l , 407.

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dert, ihn damit auf seine Aktivität, sein facere stellt, ein einsichtiges Verhältnis zwischen Leistung und Lohn, Werk und Heil herstellt. Gott selbst hat das Gesetz des Leistens und der reziproken Vergeltung gegeben, und er selbst setzt es im Evangelium außer Kraft 9 2 . Es handelt sich in solchen durchaus möglichen Aussagen Luthers um die Vorstellung eines abstrakten Leistungs- und Vergeltungsgesetzes, durch das der Mensch zur Einsicht in seinen Widerspruch zu Gott gebracht wird, insofern dieses Gesetz für den Menschen unerfüllbar ist. Barths in These II/6 entfaltete Forderung, die Wahrheits- und Wesensbestimmung des Gebotes der Wirklichkeits- und Funktions-(usus-)Bestimmung des Gesetzes vorzuordnen, und Barths darin eingeschlossener Widerspruch gegen eine Ableitung der Wahrheitsbestimmung des Gebotes aus der usus-Bestimmung des Gesetzes als lex accusans in Richtung auf ein abstraktes Leistungs- und Vergeltungsgesetz hat ihre gegen solche möglichen Aussagen Luthers gerichtete Spitze. H. Gollwitzer hat ganz im Sinne Barths argumentiert: „Jene axiomatische Voraussetzung eines Vergeltungsgesetzes, in dessen Rahmen sich erst von Zorn und Gericht sprechen ließe, muß falsch sein, weil sie bedeuten würde, daß das Vergeltungsgesetz .. . schon vor der Sünde, supralapsarisch gegeben wäre, also das erste, ursprüngliche Wort Gottes an den Menschen wäre. Dies aber hieße, daß das Gesetz in diesem Sinne in das ursprüngliche Gottesverhältnis gehörte. Dann wäre nicht die Liebe Gottes ursprüngliches Verhältnis zum Menschen, das Evangelium nicht, wie wir es von Luther gehört haben, Gottes eigentlicher W i l l e . . . und der Mensch hätte dann recht, nach seiner eigenen Gerechtigkeit auf dem Wege der Leistung zu streben." 93 Und Gollwitzer fährt fort: „Die Unklarheit ist schon durch Luther selbst verschuldet, indem auch er oft genug, besonders... in den Antinomer-Disputationen, Zorn und Liebe in einem exklusiven Gegensatz sah, wohl von seiner Anfechtungserfahrung her [!], die sich hier als problematischer Ausgangspunkt für theologisches Denken enthüllt; darum hat schon er [Luther] den Zorn Gottes oft im Vergeltungsgesetz begründet und zu jener Beschreibung eines von der Liebe Gottes isolierten Zornes Anlaß gegeben." 94 Barths damit implizit ausgesprochene Negation lautet: Die Explikation der Lehre vom Gebot Gottes schon im Rahmen der Gotteslehre und dessen Interpretation als das der freien Selbstbestimmung Gottes entsprechende Gebot der freien, antwortenden Selbstbestimmung des Menschen bedeutet gegenüber Luther die systematische Verunmöglichung, ein abstraktes Leistungsgesetz als Norm und Gesetz menschlicher Existenz in das ursprüngliche Gottesverhältnis zu transponieren und so die 92 93 84

Joest, Gesetz 21 ff; vgl. Gollwitzer, in: Antwort 301. Gollwitzer, in: Antwort 303 f. (Kursivierung vom Verfasser). Ebd. 304.

65 J

Klappert, Promissio

usus-Bestimmung des richtenden Gesetzes Gottes (usus elenchticus) auf die Wesensbestimmung eines Imperativischen Leistungsgesetzes zu extrapolieren. Die bei Luther an diesem Punkt vorhandene Zweideutigkeit: 1. Gott als unser in seinem Wesen und seiner Majestät die Erfüllung des Gesetzes fordernder Gegner95 und 2. Gott als der glühende Backofen voll Liebe96, wird von Barth durch die prädestinatianische Grundlegung der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot und die Behandlung der Lehre vom Gebot schon im Rahmen der Gotteslehre systematisch zur Eindeutigkeit gebracht. Denn „in diesem Begriff des B u n d e s erst vollendet sich der Begriff Gottes selbst" 97 . Die darin eingeschlossene Negation Barths lautet: Es kann nicht ein einem abstrakten Gottesbegriff subsumiertes bzw. einem Deus absconditus zugeordnetes imperativisches Leistungs- und Vergeltungsgesetz, sondern es muß das Gebot der freien Selbstbestimmung des in Christus offenbaren Gottes, wie er sich in der erfüllten Bundesgeschichte definitiv zeigt, zum ausschließlichen systematischen Ausgangspunkt der inhaltlichen Bestimmung des Gebotes gemacht werden.

THESE I I Π

Indem Gott in seinem Sein nicht ohne den in Jesus Christus beschlossenen und in Freiheit vollzogenen Bund mit dem Menschen existiert, indem sich im Begriff des Bundes der Begriff Gottes als des in Freiheit liebenden und in der Liebe freien vollendet, indem also der Bund Gottes mit dem Menschen dem Wesen Gottes nicht äußerlich gedacht werden kann, ist das im Bund Gottes mit dem Menschen implizierte Gebot zugleich das Gebot der freien Selbstbestimmung Gottes. Der den Menschen im Gebot in Verantwortung nehmende Gott ist der Gott, der in ursprünglicher Weise sich selbst für den Menschen verantwortlich macht. Was Gott von uns will, steht in Entsprechung zu dem, was er selbst in Jesus Christus für uns und mit uns will. Das im Bund Gottes mit dem Menschen (Erwählung) implizierte Gebot der freien Selbstbestimmung Gottes in Jesus Christus schließt nach Barth - im Unterschied zu der bei Luther vorhandenen Zweideutigkeit - prinzipiell aus, das Gebot der freien und liebenden Selbstbestimmung Gottes an den Deus absconditus zu delegieren oder auf ein abstraktes Gebot der Leistungsforderung (imperativisches Leistungsgesetz) hin zu transformieren. 8 6 Vgl. W A 10/III, 55 f. »5 Vgl. Anm. 90. 9 7 K D II/2, 564. - Daß Barth hier wörtlich gelesen sein will und also nicht sagt, daß Gott sich erst im Bund vollendet, wird zu beachten sein (vgl. K D II/2, 4 f.).

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Die Verklammerung von Erwählung und Gebot einerseits und ihre Explikation als Elemente schon der Gotteslehre andererseits sind der wirksame systematische Widerspruch K. Barths gegen die bei Luther systematisch nicht ausgeschlossene Möglichkeit der Transformation des Gebotes der Selbstbestimmung des Deus revelatus in das Gesetz der abstrakten Leistungsforderung des Deus absconditus.

8. Die bundestheologische Grundlegung der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot (Zusammenfassung) Sind Evangelium und Gebot/Gesetz und Evangelium Barth zufolge primär keine kerygmatischen Kategorien, sondern Kategorien der Bundesgeschichte, dann folgt aus der bundestheologischen Grundlegung abschließend: „Das Evangelium ist nicht Gesetz, wie das Gesetz nicht Evangelium ist; aber weil das Gesetz im Evangelium, vom Evangelium her und auf das Evangelium hin ist, darum müssen wir, um zu wissen, was Gesetz ist, allererst um das Evangelium wissen und nicht umgekehrt." 98 M. a. W.: Der Bund ist nicht das Bundesgebot, wie das Bundesgebot nicht der Bund der Erwählung ist, weil aber das Bundesgebot im Bund, vom Bund her und auf den Bund der Verheißung und der Erfüllung in Jesus Christus hin ist, darum müssen wir, um zu wissen, was das Bundesgebot ist, allererst um den Bund wissen und nicht umgekehrt. Das Implikatverhältnis zwischen Bund und Gebot, zwischen der Erfüllung der Verheißung des Bundes und Erfüllung des Bundesgebotes, der Relationscharakter des Gebotes als einer Kategorie des Bundes, die Koinzidenz von erfülltem Bund und offenbartem Gebot, die Verklammerung des universalen Gebotes mit dem in Jesus Christus erfüllten partikularen Gebot Israels und schließlich die Fundierung des Gebotes der freien Selbstbestimmung des Menschen in der freien Selbstbestimmung Gottes zur Gemeinschaft mit dem Menschen im Bund - alle diese von Barth entwickelten Distinktionen haben ihren Skopus darin, daß das im Evangelium implizierte Gebot nicht nur seinen terminus ad quem, sondern auch seinen terminus a quo im Evangelium, d. h. in der Geschichte des Bundes der Erwählung hat, insofern das Gebot nicht nur auf das Evangelium hin, sonderji zugleich und wesentlich vom Evangelium her ist. Implikation des Gebotes durch das Evangelium meint also im Sinne Barths weder Trennung von Evangelium und Gebot, noch Vorordnung des Gebotes vor das Evangelium, noch inhaltliche Identität von Evan98

Ev. u. Ges. 5 (WdF 1 f.). 67

5*

gelium und Gebot, sondern die in der Geschichte des Bundes Gottes mit dem Menschen gegebene Implikation des Gebotes durch das Evangelium. Die Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot und die Implikation des Gebotes durch das Evangelium sind also Reflexe ihres Verständnisses primär als Kategorien der Bundesgeschichte und erst davon abgeleitet sekundär als Kategorien des Kerygmas, ihres Verständnisses primär als Kategorien des Heilsgeschehens und erst davon abgeleitet sekundär als Kategorien der Verkündigung. 1. Die bundestheologische Interpretation der promissio und ihre qualitative Vorordnung vor das Gebot bei Barth steht der soteriologischen Interpretation der promissio im Sinn der qualitativen Überlegenheit über die lex accusans bei Luther gegenüber. 2. Die Erfüllung der Verheißung des Bundes in Christus schließt die Erfüllung des Bundesgebotes ein. Die Erfüllung des Gebotes ist bei Barth die Folge der Erfüllung der Verheißung. Demgegenüber leitet Luther die soteriologische promissio von der christologischen impletio legis ab, ohne - wie Barth - auf die Implikation der christologischen impletio legis durch die christologische impletio promissionis abzuheben. Die christologische Erfüllung des Gesetzes ist nach Luther der Rechtsgrund der kerygmatischen promissio remissionis. Erfüllung (impletio) ist nach Barth primär bundestheologisch eine Kategorie der Bundesverheißung und darin eingeschlossen auch eine Kategorie des Bundesgebotes. 3. Bund ist nach Barth eine Kategorie der Relation von Gott aus zum Menschen hin, Bundesgebot eine Kategorie der Relation vom Menschen aus zu Gott hin. Dies meint die relationale Implikation von Bund und Gebot bei Barth. Demgegenüber gibt es bei Luther eine Tendenz, das Gebot mit einer abstrakten lex naturalis, einem abstrakten Leistungsund Vergeltungsgesetz zu identifizieren. Der Relationscharakter des Gebotes als Kategorie des Bundes (!) kommt bei Luther im Unterschied zu Barth nicht deutlich in den Blick. 4. Betont Barth die Koinzidenz von endgeschichtlicher Erfüllung und definitiver Offenbarung des Gebotes in Christus, die Koinzidenz von ontischer impletio und noetischer revelatio legis, so zeigt sich demgegenüber bei Luther eine Tendenz zur Konstruktion eines Nacheinanders und eines Zusammenhangs von lex generalis, lex scripta, lex interpretata, lex impleta. Das dem Menschen von N a t u r eingepflanzte, durch Mose aufgeschriebene Gesetz ist identisch mit dem durch Christus proklamierten und in seinem Tod erfüllten Gesetz. 5. Der Universalisierung des erfüllten besonderen Bundesgebotes an Israel im Christusgeschehen bei Barth steht bei Luther die bestätigende Erfüllung des Allgemeinen der lex naturalis gegenüber. 68

6. Ist Barths Ansatz durch die Vorordnung der Wahrheits- und Wesensbestimmung des Gebotes vor die Wirklichkeits- und usus-Bestimmung des richtenden Gesetzes charakterisiert, so zeigt sich bei Luther eine Tendenz, die Wesensbestimmung des Gebotes aus der usus-Bestimmung des richtenden Gesetzes in Richtung auf ein abstraktes Leistungsgesetz abzuleiten. 7. Der Eindeutigkeit, mit der bei Barth das Gebot als das Gebot der freien Selbstbestimmung herausgestellt wird, steht die Zweideutigkeit gegenüber, mit der bei Luther das Gebot Gottes als Gesetz der abstrakten Leistungsforderung bestimmt werden kann.

69

III. Die christologische Grundlegung der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot l. Der Inhalt des Evangeliums als Kriterium der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot Der Inhalt des Evangeliums - so lautet Barths Grundthese - ist das Kriterium der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot. Der Inhalt des Evangeliums und d. h. : nicht die Korrelation von Evangelium und Adressat ist das ausschließliche Kriterium der Zuordnung von Evangelium und Gebot. Und zwar ist der Inhalt des Evangeliums deshalb das ausschließliche Kriterium der Zuordnung und Vorordnung, weil der Gegenstand theologischen Denkens - und theologische Wissenschaft ist „positive Wissenschaft von diesem Gegenstand und also an dessen Natur gebunden" 1 - „das Wort und Werk der göttlichen Gnadenwahl (ist), die in J e s u s C h r i s t u s geschehen und offenbar geworden ist. Dieses Wort und Werk Gottes als solches ist auch . . . die Aufrichtung und Offenbarung des göttlichen Gesetzes. Was das rechte Handeln des Menschen ist, das ist schlechterdings beschlossen im rechten Handeln Gottes. Es ist in Jesus Christus beschlossen. E r ist der erwählende Gott und der erwählte Mensch in Einem. Er ist aber auch der heiligende Gott und der geheiligte Mensch in Einem" 2 . Wir bedürfen neben diesem einen Kriterium „weder eines anderen Evangeliums noch eines anderen Gesetzes. Wir haben in dem einen Bild Jesu Christi wie das Evangelium, das uns mit Gott versöhnt, . . . so auch d a s . . . wirklich bindende und verpflichtende G e s e t z . . . Denn es ist G n a d e - die Gnade Gottes in Jesus Christus - in der auch das G e b o t Gottes aufgerichtet und erfüllt und als aufgerichtetes und erfülltes Gebot offenbart ist" 3 . Barth entfaltet in Explikation dieser Grundthese in „Evangelium und Gesetz" nacheinander: a) die Wahrheit der Bundesgeschichte in der Wirklichkeit der Versöhnungsgeschichte4, b) die Wirklichkeit der Versöhnungsgeschichte auf dem Hintergrund der Wahrheit der Bundesgeschichte und 1 KD II/2, 596. 3 Ebd.

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2 4

Ebd. 598. Ev. u. Ges. 7-17 (WdF 3-13).

c) die Erfüllung des Bundes als Durchsetzung der Wahrheitsgeschichte des Bundes in der Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung 5 . Noch präziser und kürzer, um jegliche Vorstellung einer von der Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung zu isolierenden Wahrheitsgeschichte des Bundes oder umgekehrt auszuschließen und die Unterscheidung als eine aspektivische innerhalb der Christusgeschichte selber zu verdeutlichen, kann man formulieren: Barth geht es a) um die Wahrheit dieser Wirklichkeit, b) um die Wirklichkeit auf dem Hintergrund dieser Wahrheit und c) um die Durchsetzung dieser Wahrheit in dieser Wirklichkeit 6 . Dieser Unterscheidung entspricht in „Evangelium und Gesetz" das Nacheinander von a) Evangelium und Gebot, b) Gesetz und Evangelium (in dieser Reihenfolge!) und c) Evangelium und Gebot. Die Reihenfolge „Gesetz und Evangelium" hat also bei Barth innerhalb des übergreifenden Rahmens von „Evangelium und Gebot" ihren konstitutiven und notwendigen Ort. Die insbesondere von lutherischen Kritikern Barths gern vertretene These, bei Barth spiele das für Luthers Theologie konstitutive Nacheinander von „Gesetz und Evangelium" keine Rolle, ist genau so falsch wie das Vergessen des übergreifenden Rahmens und präzisen systematischen Ortes, an dem diese Grundunterscheidung der Theologie Luthers bei Barth in der Tat ihre Rolle spielt.

THESE I I I / L

Der Inhalt des Evangeliums ist Barths Explikation in „Evangelium und Gesetz" zufolge die Erfüllung des Bundes Gottes mit dem Menschen in der Koinzidenz der Gehorsamsgeschichte des Sohnes Gottes (Erniedrigung) und des ihr entsprechenden Glaubensgehorsams des Menschen Jesus (Erhöhung). Dabei wird von Barth die Gehorsamsgeschichte der Erfüllung des Bundes in Erniedrigung und Erhöhung (Abschnitt I und II) 5

Ebd. 17-31 (WdF 13-27). Jesus Christus als die Wahrheit erfüllter Bundesgeschichte und die Wirklichkeit vollbrachter Versöhnungsgeschichte ist - so hat es Barth (Die christlichen Kirchen und die heutige Wirklichkeit) expressis verbis formuliert - „die w a h r e Wirklichkeit" (102), auf deren Hintergrund allererst die Sünde als faktische, unmögliche Wirklichkeit zu verstehen und von der her zugleich „die heutige Wirklichkeit" (101) zu beurteilen und zu messen wäre. Die wahre Wirklichkeit der Geschichte Jesu Christi, die unwahre Wirklichkeit des der Bundestreue Gottes gegenüber undankbaren Menschen und die heutige Wirklichkeit der Welt und Geschichte werden von Barth unterschieden, zugleich aber so aufeinander bezogen, daß die unwahre Wirklichkeit des Menschen und die heutige Wirklichkeit seiner Geschichte nur von der wahren Geschichte Jesu Christi her beurteilt werden können, denn „Jesus Christus [ist] die wahre Wirklichkeit, das wahre Geheimnis und Jenseits und Leben auch im [!] heutigen Geschehen" (102; vgl. K D IV/3, 815 ff.). 6

71

von der Versöhnungsgeschichte in Kreuz und Auferweckung (Abschnitt III und IV in Ev. u. Ges.) unterschieden. Insofern der Inhalt und der Gegenstand des Evangeliums die ausschließlichen Kriterien der Zuordnung von Evangelium und Gebot/Gesetz und Evangelium darstellen, leitet Barth in „Evangelium und Gesetz" die Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot aus der Gehorsamsgeschichte des Bundes in Erniedrigung und Erhöhung, das Nacheinander von Gesetz und Evangelium aus der Gerichts- und Rechtfertigungsgeschichte in Kreuz und Auferweckung ab, wobei zugleich die siegreiche Durchsetzung der Wahrheitsgeschichte des Bundes in der Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung die Bewährung der Priorität des Evangeliums vor dem Gebot bedeutet. Die Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot ist also für Barth die Konsequenz 1. des Vorrangs der Wahrheitsgeschichte des erfüllten Bundes vor der Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung und 2. der siegreichen Durchsetzung der Wahrheit der Bundesgeschichte in der Wirklichkeit der Versöhnungsgeschichte. Die Unterscheidung zwischen der Gehorsamsgeschichte in Erniedrigung und Erhöhung und der Gerichts- und Rechtfertigungsgeschichte in Kreuz und Auferweckung7 ist also schon für das Verständnis von Barths Schrift „Evangelium und Gesetz" grundlegend. Die Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot bei Barth ist die Folge des Vorrangs der Wahrheitsgeschichte des erfüllten Bundes vor der Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung, wie umgekehrt die Vorordnung des Gesetzes vor das Evangelium bei Luther der fehlenden Unterscheidung zwischen der Wahrheitsgeschichte des Bundes und der Wirklichkeitsgeschichte in Gericht und Rechtfertigung und seiner primären theologisch-soteriologischen Orientierung an letzterer entspricht 8 .

7

Vgl. Abschnitt VII dieser Arbeit. Vgl. hinsichtlich der primär soteriologischen Orientierung Luthers auf die ,Wirklichkeitsgeschichte' bezogenen Satz definitorischen Charakters: „tria haec, lex, peccatum, mors sunt inseparabilia" (WA 39/1, 354 f.) und Barths schon 1928 geäußerte Kritik: „Das Gesetz darf nicht mit jener Eindeutigkeit, die bei Luther gelegentlich begegnet, in einer Reihe mit Teufel, Sünde, Vernunft oder doch so ohne weiteres in selbstverständlichem Zusammenhang mit dem Zorne Gottes verstanden werden" (Ethik I 149). 8

72

2. Der Glaube Jesu Christi als die Erfüllung des

Bundesgebotes

Luthers in unserem Zusammenhang zu erinnernder Grundgedanke 9 lautet: Der Glaube ist nichts anderes als die Erfüllung des ersten Gebotes. Denn was dieses fordert, Gott Gott sein zu lassen und ihm die Ehre zu geben, das ist gerade das eigentliche Wesen des Glaubens. Ist der Glaube die Erfüllung des ersten Gebotes und fließen alle Werke aus der lebendigen Tätigkeit des Glaubens, dann sind alle anderen Gebote im ersten Gebot enthalten, dann ist der Glaube die Erfüllung des ersten und in ihm eigeschlossen aller anderen Gebote. „Gerade hier ist, wie das erste Gebot sagt, Gesetz in der Tat Form des Evangeliums und Evangelium Inhalt des Gebotes, denn Gottes Wort ist als Wort des Herrn stets ein Gebieten, auch ein Gebieten seines gnädigen Handelns." 1 0 Indem Barth in „Evangelium und Gesetz" die Verklammerung von Evangelium (I) und Gebot (II) dadurch vollzieht, daß er den der Erniedrigung des Sohnes Gottes entsprechenden Glauben des Menschen Jesus als die Erfüllung der Gebote beschreibt 11 , greift er unverkennbar auf den von Luther entwickelten Grundgedanken zurück, daß der Glaube die Erfüllung des ersten Gebotes ist, die tätige Lebendigkeit des Glaubens die Erfüllung aller Gebote in der Liebe ist, d. h. daß im Glauben als der Erfüllung des ersten Gebotes schon der Übergang zu den guten Werken, zum Gehorsam des Glaubens gegeben ist. Ich versuche, den an Luther orientierten Gedankengang Barths in „Evangelium und Gesetz" ( 1 4 - 1 7 ) noch etwas genauer zu beschreiben und in seinen einzelnen Momenten herauszustellen: 1. Barth stellt zunächst die Frage nach dem Inhalt des göttlichen Anspruchs. Es geht Barth also um die „Beantwortung der Frage: w a s G o t t denn nun mit uns und von uns will in seinem Gesetz [Gebot]?" (H). ' _ 2. Barth rekurriert bei der Beantwortung zunächst auf die Geschichte Jesu Christi, die die Geschichte des Evangeliums, der Gnade Gottes und als solche zugleich die Geschichte der Erfüllung des Gebotes ist. So führt die Frage nach dem konkreten Inhalt des Gebotes „nun doch wieder in aller Strenge auf den I n h a l t des Evangeliums, auf die Tatsache, das J e s u s C h r i s t u s das Gesetz erfüllt und alle Gebote gehalten h a t . . . Gottes Gnade aber ist Jesus Christus, der mit seinem Menschsein für uns eintritt" (ebd.). 9 Besonders im „Sermon von den guten Werken" (1520) hat Luther diesen Grundgedanken entwickelt. 1 0 So hat E. Wolf die hier zutage tretende enge Beziehung von Gesetz und Evangelium bei Luther beschrieben (Theologische Grundfragen, Kolleg SS 146). 1 1 Vgl. Anm. 4.

73

3. Die Geschichte Jesu Christi (als die Geschichte der Gnade Gottes und darin eingeschlossen als Geschichte der Erfüllung der Gebote) ist aber die Geschichte des s t e l l v e r t r e t e n d e n Glaubens Jesu Christi: „Er tritt aber damit für uns ein, daß er an unserer Stell e . . . g e g l a u b t und das heißt zu Gottes Herrlichkeit und also zu des Menschen Elend Ja gesagt hat. In diesem seinem Glauben hat er das, was Gott mit dem Menschen und von ihm will, ein für allemal vollbracht, hat er das Gesetz erfüllt und alle seine Gebote gehalten" (14 f.). 4. Barth nimmt in diesem Zusammenhang einen wichtigen Grundgedanken Luthers auf: Alle Gebote sind im e r s t e n Gebot beschlossen und sind besondere Einschärfungen des von der Präambel des Dekalogs her zu verstehenden 1. Gebotes (Luthers Auslegung im Großen und Kleinen Katechismus), und der Glaube ist die Erfüllung des ersten Gebotes. Von dem Glauben zeugen, auf ihn zielen alle Gebote. 5. Barth aber präzisiert und beschränkt damit zugleich Luthers wichtige Aussage auf eine ganz bestimmte Stelle: „Von diesem [stellvertretenden] Glauben [Jesu Christi], den ganz allein e r bewährt hat, zeugen, auf ihn zielen alle Gebote. Und darum wird dieser Glaube Jesu Christi, der der Kern und Stern des Evangeliums i s t . . . das Gebot in allen Geboten" (15). M. a. W.: Der stellvertretende Glaubensgehorsam Jesu Christi und keines anderen ist die Erfüllung aller Gebote Gottes. 6. Der stellvertretende Glaubensgehorsam Jesu Christi als die Erfüllung des ersten Gebotes zeitigt aber als einzigen Inhalt des göttlichen Anspruchs das Gebot: glaube an Jesus Christus. „Der Glaube Jesu Christi, in welchem die Gnade geschehen und zugleich das Gesetz erfüllt ist, ist eine einmalige, eine unwiederholbare T a t . . . Ihn nachzuahmen in diesem Glauben und also zu glauben w i e Jesus Christus glaubte, das werden wir wohl bleiben lassen... Wohl a b e r . . . muß dies der Sinn des ersten Gebotes und also aller Gebote und also unseres Gehorsams gegen Gottes Gesetz sein, daß wir a η Jesus Christus glauben, daß w i r . . . seinen stellvertretenden Glauben, den wir nie realisieren werden, anerkennen und gelten lassen als unser eigenes Leben" (16 f.). Der Glaube α η Jesus Christus ist der Sinn des ersten Gebotes, denn der Glaube Jesu Christi ist die stellvertretende Erfüllung des Gebotes. 7. Schließlich: der Aufruf zum Glauben a η Jesus Christus und seinen stellvertretenden Glaubensgehorsam, in dem er das Gebot erfüllt hat, ist das g e i s t l i c h e Verständnis des Gesetzes. „Das ist es, worum es geht, wenn die Gnade, wenn der Inhalt des Evangeliums uns angeht, wenn es offenbar wird und also annimmt die Form des Gesetzes. ,Das Gesetz ist geistlich' (Rom. 7,14), d. h. aber sein Sinn und seine Meinung ist dieses Aufgehobensein unseres Lebens mit Christus." 12 „Es geht 12

74

Ev. u. Ges. 16; vgl. K D II/2, 647 f.

immer um den Glauben an Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen" (ebd.). Die lex spiritual is ist also das Gebot der Konformität, den stellvertretenden Glauben Jesu Christi im Glauben an Jesus Christus gelten zu lassen (16 f.). Die „geistliche Natur des Gebotes" 13 ist das Gebot, sich das gnädige Tun Gottes in Jesus Christus recht sein zu lassen. „Es k o m m t . . . hier Alles darauf an, das Gesetz nach Rom. 7,14 als .geistlich', nach Rom. 8,2 als ,das Gesetz des Geistes des Lebens' zu verstehen: als die Gestalt der Gnade und des Evangeliums" 14 . M. a. W.: Das geistliche Verständnis des Gebotes ist die Konsequenz seines christologischen Verständnisses. „Die geistliche Natur des Gebotes, in der sein Sollen und sein Dürfen Eins sind, b e s t e h t . . . in seiner in J e s u s C h r i s t u s geschehenen Erfüllung. S e i n Geist ist ja der Geist, der Gottes Kinder in die Freiheit treibt." 15 Und „dieser Glaube, der sich Jesus Christus recht sein läßt als seinen Stellvertreter, ist das Werk und Geschenk des Heiligen Geistes" 16 . Das christologische Verständnis des Gebotes, die Vor Ordnung des Evangeliums vor das Gebot, das Verständnis des Gebotes als Form des Evangeliums ist die Bedingung der Möglichkeit des .geistlichen Verständnisses des Gebotes. Die lex spiritualis ist das Gebot der E n t s p r e c h u n g , das Gebot der „vom Menschen geforderten Gleichförmigkeit mit Gottes Gnade" 17 . Die lex spiritualis ist das Gebot der menschlichen K o n f o r m i t ä t mit der stellvertretenden Glaubensgeschichte Jesu Christi, insofern „dieser Glaube Jesu C h r i s t i . . . jene Form (ist), die nach Konformität verlangt" 18 . Das christologische Verständnis des Gebotes als Form der Gnade ist also die Bedingung der Möglichkeit seines geistlichen Verständnisses als Gebot der Konformität. Das geistliche Verständnis des Gebotes ist der Aufruf zur anthropologischen Konformität mit der christologischen Form des Evangeliums. Wie aber das Gebot als Form des Evangeliums nicht mit dem Gebot der Konformität, d. h. dem geistlichen Verständnis des Gesetzes identifiziert werden, so kann auch das Thema „Evangelium und Gebot/Gesetz und Evangelium" nicht mit dem Thema „Gesetz und Geist" (littera et spiritus bzw. lex literalis et lex spiritualis) verwechselt werden. Die Relation „Gesetz und Geist" ist Barth zufolge also eine Funktion und Konsequenz der christologischen Relation „Evangelium und Gebot/Gesetz und Evangelium". Beide Relationen sind nicht identisch, beide Relationen sind nicht austauschbar. Deshalb kann die Relation „Gesetz und Geist", littera et spiritus, nicht das Rahmenthema für die Frage nach Gesetz und Evangelium abgeben, vielmehr steht das Thema Gesetz 19 15 17

KD II/2, 671. Ebd. 672. KD II/2, 643.

Ebd. 643. Ev. u. Ges. « Ev. u. Ges. 15.

14 19

75

und Geist in der Klammer der christologischen Thematik von Evangelium und Gebot, Gesetz und Evangelium. „Die geistliche N a t u r des Gebotes . . . b e s t e h t . . . in seiner in J e s u s Christus geschehenen Erfüllung" 19 . Anders formuliert: „Daß die N a t u r des Gebotes Gottes geistlich ist, bedeutet: es tritt u n s . . . g e g e n ü b e r . . . als die in der Person Jesu Christi erfüllte Wirklichkeit." 20 Der positive Bezug Barths auf den Grundgedanken Luthers vom Glauben als der Erfüllung aller Gebote 21 erfährt also eine für Barths Lutherrezeption überaus charakteristische Einschränkung: Der Glaube Jesu Christi - so heißt es hier bei Barth - und sonst keines Menschen Glaube ist die Erfüllung des ersten und darin eingeschlossen aller anderen Gebote. Die Geschichte des Glaubens Jesu Christi - und sie allein - ist als Gehorsam des Glaubens die stellvertretende Erfüllung des Bundesgebotes. Im stellvertretenden Glauben Jesu Christi 22 als der Entsprechung zum Bund Gottes ist die stellvertretende Erfüllung des Bundesgebotes eingeschlossen. 1. Die Transposition des Übergangs vom Glauben zum Werk als der Verklammerung von Evangelium und· Gebot in die christologische Ebene und 2. das Verständnis des Glaubensgehorsams Jesu Christi als Erfüllung der Bundesgebote signalisieren den Modus der Rezeption und Modifikation der Aussagen Luthers durch Barth. D a ß Barth in „Evangelium und Gesetz" in der Tat positiv und negativ an Luthers anthropologisch-kerygmatischer Verklammerung von Evangelium und Gebot durch die Verklammerung von Glaube und Werk orientiert ist, läßt sich zeigen: Barth hat schon 1942 in K D II/2 § 37,2 diese Argumentation mit ihrem Rekurs auf das Verständnis von πίστις Ίησοΰ im Sinne des gen. subj. (Rom. 3,22; Gal. 2,16) nicht mehr wiederholt. Barth hat darüber hinaus in K D IV/2, worauf in Abschnitt X I in extenso zurückzukommen sein wird, die Verklammerung von Evangelium und Gebot / Rechtfertigung und Heiligung nicht mehr an Luther orientiert - durch den Glaubensgehorsam des Menschen Jesus, sondern durch das christologische Zugleich der Zwei-Naturen- und Zwei-Stände-Lehre und deren Begründungsgefälle und Teleologie im Kreuz präziser zu bestimmen versucht.

19

20 K D II/2, 672. Ebd. 674. Vgl. Barths differenzierte Stellungnahme zu Luther, wie sie in den folgenden Sätzen zum Ausdruck kommt: „Wir halten uns an diesen z w e i t e n Luther" (KD 1/2, 340) im Unterschied zum „Luther des Streites gegen die Antinomer, der mir freilich auch in nicht weniger früheren und späteren seiner Äußerungen erschreckend genug begegnet" (KD IV/3,428). 22 Rom. 3,22; Gal. 2,16 von Barth als gen. subj. verstanden. 21

76

THESE I I I / 2 Indem Barth den stellvertretenden Glauben des Menschen Jesus zugleich als die Erfüllung des Gebotes auslegt, greift er auf den von Luther insbesondere im Sermon von den guten Werken entwickelten Grundgedanken zurück, daß der Glaube die Erfüllung des ersten Gebotes, und aller in ihm eingeschlossenen Gebote ist. Barth wandelt den positiv rezipierten Gedanken Luthers in für ihn charakteristischer Weise aber dahingehend ab, daß er den Übergang vom Glauben zur Erfüllung des Gebotes exklusiv auf den stellvertretenden Glauben des Menschen Jesus Christus begrenzt. Der stellvertretende Glaube Jesu Christi - und er allein - ist der Gehorsam des Glaubens und darin die stellvertretende Erfüllung des Bundesgebotes. Die stellvertretende πίστις Ίησοΰ - und sie allein - ist die stellvertretende υπακοή πίστεως. Die Transposition der anthropologischen Verklammerung von Glaube und Tun des Gebotes in die Ebene der Christologie ist das Charakteristikum der Aussagen Barths im Unterschied zu Luther: nicht der Glaube irgendeines Menschen, sondern exklusiv der Glaube Jesu Christi ist die Erfüllung des Bundesgebotes.

77

IV. Die trinitarisch-christologische Grundlegung und die kerygmatischen Konsequenzen des Inhalt-Form-Schemas Die Aufnahme des Inhalt-Form-Schemas zur Bestimmung des Verhältnisses von Evangelium und Gebot ist im Sinne K. Barths - so wird zunächst einleitend hervorzuheben sein - kritisch an der „prinzipiellen Unterscheidung zwischen Dogmatik und Ethik" 1 orientiert. Die Aufnahme des Inhalt-Form-Schemas zur Beschreibung des unlöslichen Zusammenhangs zwischen Dogmatik und Ethik, insofern theologische Ethik das Gebot (Form) der Gnade Gottes (Inhalt) entfaltet, grenzt sich kritisch von solchen Ansätzen und Grundlegungen der Ethik ab, „die von der Voraussetzung ausgehen, daß es zwar die Dogmatik mit G o t t und dem Glauben an ihn, die Ethik aber mit dem M e n s c h e n und seinem Leben zu tun habe" 2 . Eine solche Unterscheidung theologisch orientierter Dogmatik und anthropologisch orientierter Ethik pflegt sich aber nach Barth darin zu rächen, „daß das eigentümliche Woher? und Wohin? der theologischen Ethik alsbald verdeckt wird durch die verschiedenen Fragen, die der Mensch als solcher hinsichtlich der Gestaltung seines Lebens zu stellen hat und gerne beantwortet sähe. Es sind diese menschlichen Lebensfragen, die nun dem Gebote Gottes gegenüber zum eigentlichen Thema, zum Rahmen aller Überlegungen werden" 3 . Barth kritisiert an dieser Trennung zwischen Dogmatik und Ethik insbesondere „die bei dieser Unterscheidung übliche Veränderung der Blickrichtung und des Themas" 4 , derzufolge „die Problematik des menschlichen Handelns das Maß . . . [und] den Rahmen aller Untersuchung und Darstellung bilden" 5 . Eine solche Ethik ist, sowohl was ihren Ausgangspunkt als auch was ihren methodischen Weg charakterisiert, nach Barth entscheidend durch die Voraussetzung bestimmt, „daß der Mensch gewisse Fragen zu stellen h a t . . . Auf diese gar nicht in der Entscheidung gegenüber dem wirklich ergangenen göttlichen Gebot und also gar nicht im Akt der Verantwortung gestellten Fragen hätte dann die theologische Ethik zu antworten". Eine solche sich im Rahmen anthropologischer Fragestellungen vollziehende Ethik „hätte dann dem Menschen irgendetwas zu sagen in Beantwortung seiner Fragen, wo doch in Wirklichkeit der Mensch der Gefragte i s t . . . , wo theologische Ethik doch nur in der Einsdiärfung der Erinnerung [!] bestehen könnte, daß der Mensch mit seinem Handeln auf alle Fälle Antwort zu geben, und zwar auf das an ihn ergangene Gebot Gottes Antwort zu geben hat" 6 . Einer „soldien dem Menschen auf seine Fragen antwortenden Ethik" 7 , die immer die Trennung von Dogmatik und Ethik, von Evangelium und Gebot zur Voraussetzung hat und sich unausgesprochen oder ausgesprochen im Schema von Gesetz (das sittliche Gesetz des Guten als normativer Maßstab menschlichen Handelns) und Evangelium (die sittliche Kraft zur Verwirklichung des Guten durch den Menschen) vollzieht, konfrontiert Barth eine an ihrem Gegenstand orientierte Ethik der E r i n n e r u n g , E t h i k der B e z e u g u n g und E n t s p r e c h u n g 8 : Dogmatik und „grundle1

KD II/2, Ebd. 605, 7 Ebd. 8 Ebd. 606, Gnade Gottes 4

78

605. vgl. 597, 599, 605 u. ö.

2 5

Ebd. 604. Ebd. 605 f.

» Ebd. · Ebd. 606.

571, 575, 595; Barth entfaltet eine Ethik der Bezeugung des Gebotes der in Abgrenzung von und im Unterschied zu einer Ethik der „Beantwor-

g e n d . . . die christliche Gotteslehre ist Ethik" 9 , freilich nicht im Sinne der Beantwortung der ethischen Frage. „Wir müssen . . . genauer sagen: sie ist die B e z e u g u n g , die Ü b e r l i e f e r u n g . . . ihrer Beantwortung. Denn nicht die Theologie, nicht die Gotteslehre ist ja ihre Beantwortung, sondern ihr Gegenstand: die O f f e n b a r u n g und das Werk der erwählenden Gnade Gottes. Diese aber, die Gnade Gottes i s t die Beantwortung des ethischen Problems." 1 0 Das bedeutet aber f ü r eine der göttlichen Ethik entsprechende theologische Ethik der Bezeugung: „Hinter . . . i h r e Bezeugung können wir nicht wieder zurückgehen. Es kann sich also f ü r uns nicht etwa d a r u m handeln, die ethische Frage als die menschliche Existenzfrage so zu verstehen, als wäre sie im leeren Raum gestellt, als gäbe es eine ethische Frage an sich und f ü r sich, als w ä r e sie nicht zuerst durch die Gnade Gottes gestellt, eben durch die Gnade Gottes aber auch schon beantwortet. Wir können nicht so tun, als ob wir um das durch Gottes Gnade an den erwählten Menschen Jesus Christus ergangene und wieder durch Gottes Gnade durch diesen Menschen schon erfüllte Gebot Gottes als den Inbegriff des Guten nicht schon wüßten." 1 1 U n d in A u f n a h m e der Inhalt-Form-Relation zur Beschreibung und Sicherung theologischer Ethik als Ethik der Bezeugung des in Jesus Christus erfüllten Gebotes der Gnade Gottes heißt es dann bei Barth: „die F o r m einer theologischen Ethik" w i r d der „spezifischen Angemessenheit an die besondere Sache, um die e s . . . in der theologischen Ethik geht" 1 2 , zu folgen haben. Sie wird also den f ü r die neuprotestantische und katholische Ethik so überaus charakteristischen Wechsel von Blickpunkt und Methode im Sinn eines Wechsels von einer theologischen Dogmatik zu einer anthropologischen Ethik unterlassen, „wenn sie nicht das menschliche H a n d e l n f ü r sich und als solches, sondern seine Inanspruchnahme durch das Gebot Gottes, seine geschehene Heiligung in Jesus Christus, also das H a n d e l n Gottes f ü r den Menschen und am Menschen ihren Zentralbegriff, ihren Ausgangs- und E n d p u n k t sein und bleiben läßt" 1 3 . Denn wenn „Theologie und so auch theologische Ethik - wie Barth sein Verständnis von Theologie als einer ,positiven', ihrem Gegenstand als einziger N o r m verpflichteter Wissenschaft umschreiben kann - grundsätzlich Wissenschaft von dem in der O f f e n b a r u n g , in der heiligen Schrift, in der Verkündigung der Kirche bezeugten W o r t e G o t t e s ist, dann muß der Mensch gegenüber ihren Sätzen der Gefragte, dann darf sie mit ihren Sätzen nicht die auf die Fragen des Menschen Antwortende sein. N i c h t das vom Menschen in Anspruch genommene, sondern das den Menschen seinerseits in Anspruch nehmende W o r t Gottes ist ihr Gegenstand: nicht der Mensch, der mit dem Worte Gottes, sondern das W o r t Gottes, das mit dem Menschen etwas anfangen will" 1 4 . M. a. W . : T h e o l o g i s c h e Ethik hat den Inhalt der erwählenden Gnade Gottes in Jesus Christus und das in seiner Geschichte erfüllte Gebot Gottes zum ausschließlichen Kriterium und zur einzigen N o r m . U n d eben von diesem Inhalt her kann „kein Wechsel der Blickrichtung und des Themas stattfinden, wenn die Dogmatik zur Ethik w i r d " . Vielmehr kann Dogmatik nur „ihren ethischen Gehalt [!] sichtbar" m a chen 15 . Denn „Theologie ist auch als Ethik Erkenntnis und Darstellung des Wortes und Werkes Gottes ganz allein" 1 6 . Gnade Gottes in Abgrenzung von und im Unterschied zu einer Ethik der „Beantwortung der menschlichen Lebensfrage" (617), im Unterschied zu einer Ethik der A n k n ü p fung (575) und einer Ethik der A n t w o r t (606). tung der menschlichen Lebensfrage" (617), im Unterschied zu einer Ethik der A n k n ü p fung (575) und einer Ethik der A n t w o r t (606). 8 10 11 Ebd. 571. Ebd. 571 f. Ebd. 574. 12 Ebd. 605; Sperrung vom Verfasser. 15 14 15 Ebd. 606 f. Ebd. 606. Ebd. 599. 16 Ebd. 597; vgl. neuerdings W. Kreck, Ethik 15 ff., 76 f f .

79

In diesem Sinne ist die Aufnahme des Inhalt-Form-Schemas und die normative Orientierung der „ F o r m einer theologischen Ethik" an ihrem Inhalt und Gegenstand kritisch an der insbesondere im Neuprotestantismus erfolgten Zementierung der Trennung von Dogmatik und Ethik orientiert.

Die neuprotestantische Trennung von Dogmatik und Ethik hat ihre kirchenpolitischen Konsequenzen im 3. Reich gezeitigt. Sie werden hier unmittelbar zur Sprache kommen müssen - und mit ihnen die antithetische Relevanz der Rezeption des Inhalt-Form-Schemas zur Bestimmung des Verhältnisses von Evangelium und Gesetz (Gebot).

i. Das antithetische

Verständnis

des

Inhalt-Form-Schemas

Die Aufnahme des Inhalt-Form-Schemas durch Barth in „Evangelium und Gesetz" kann ohne die zeitgeschichtliche Situation des Kirchenkampfes nicht verstanden werden und ist antithetisch am Aufkommen der theologischen Lehre vom Volksnomos und dessen direkter bzw. indirekter Identifizierung mit dem Gesetz Gottes orientiert 17 . Die ständig wiederholten Klagen, daß die Anwendung der Kategorien Inhalt und Form, wie sie Barth in „Evangelium und Gesetz" und im Anschluß daran auch in K D II/2, § 36 ff. vorgenommen hat, „wenig glücklich" bzw. „unglücklich" sei, das kritische Abheben auf die Statik dieser Begrifflichkeit, das Beklagen der schon logischen Unhaltbarkeit des Satzes von dem Gebot als der notwendigen Form des Evangeliums 18 bis hin zu der Spitzenthese, die Formel Barths vom Gebot als Form des Evangeliums stelle ein „Mißgebilde" dar 19 , verkennen nicht nur deren sachliche Angemessenheit, sondern erst recht den spezifisch zeitgeschichtlichen Kontext und die theologische Relevanz der Präzisierung der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot gerade durch das Inhalt-Form-Schema, verkennen also, „daß Barth seinen Vortrag [Evangelium und Gesetz] nicht aus bloßer Lust am ,Theologisieren' hält, sondern er hält und veröffentlicht ihn in einer Zeit, in der die in der Fassung von Gesetz und Evangelium latente Gefahr zur offenen Krankheit wird 17 Vgl. dazu die sachlich und zeitlich hierin gehörenden Stellungnahmen Barths zur Ekklesiologie, zur Reformation und speziell zu Luther und Gogarten: 1. Quosque tandem; 2. Die N o t der evangelischen Kirche; 3. Abschied; 4. Theologische Existenz heute; 5. Reformation als Entscheidung; 6. Lutherfeier 1933·. Vgl. schließlich den zur Vorgeschichte des in Ev. u. Ges. verwendeten Inhalt - Form - Schemas wichtigen Hinweis Barths, „daß gleichzeitig in der Philosophie das Problem der Form [!] und der Gestalt [!] auch und gerade im Blick auf die soziologische W i r k l i c h k e i t . . . wieder lebendig wurden" (Kupisch 49), und dazu den aus dem Jahre 1924 stammenden Aufsatz von K. Mannheim, Historismus, und seine dort entwickelte Theorie der drei Formen bzw. Gestalten des historischen Werdens, der werdenden Totalität. 18 19

80

Vgl. Althaus, Gebot und Gesetz 25 f. Α. 1 (WdF 222). Ebeling, Erwägungen 291.

und unermeßliches Unheil anrichtet. Es ist die Zeit, da die Lehre vom ,Volksnomos' entdeckt wird, da Gogarten, Hirsch und Stapel mit dieser Lehre den Paganismus [der deutschen Christen] rechtfertigen und die ganze Holl-Schule . . . dahin abfällt, weil sie glaubt, in der Lehre vom ,Gesetz' einen Anknüpfungspunkt [!] zum Nationalsozialismus gefunden zu haben" 20 . Man muß sich zum Verständnis von „Evangelium und Gesetz" und der Rezeption des Inhalt-Form-Schemas die aus dieser Zeit stammenden und noch am differenziertesten argumentierenden Thesen Fr. Gogartens'21 vor Augen halten, um hier nicht am Thema vorbeizureden. Drei Punkte sind in unserem Zusammenhang am Beispiel der Äußerungen Gogartens in Erinnerung zu rufen: a) Die theologische

Lehre vom „Volksnomos"

als Gesetz

Gottes

Das Aufkommen der theologischen Lehre vom Volksnomos und die deutsch-christliche Parole der „Einheit von Evangelium und Volkstum" ist nach Gogartens Aussagen von 1933 richtig und berechtigt, „wo man sich klarmacht, daß sie von nichts anderem redet als von der Einheit von Gesetz und Evangelium. Denn das Gesetz ist in unserem Volkstum gegeben"22. Das Gesetz Gottes als das in Jesus Christus offenbarte Wort Gottes ist „wiederum kein anderes als das Gesetz, das uns in unserem irdischen Leben und seinen Verhältnissen begegnet, d. h. das Gesetz Gottes begegnet uns, in einzelne Gebote gefaßt, in den Forderungen des Staates, des Volkes und der Sitte" 23 . Und Gogarten folgert: „Es sind also nicht zwei verschiedene Gesetze, sondern es ist das e i n e Gesetz Gottes, das uns im Gesetz des Staates und in der Sitte des Volkes in irdischmenschlicher ,Fassung' und das uns in dem als Gesetz verstandenen Worte Gottes als die unverhüllte Majestät Gottes begegnet."24 Es ist nach Gogarten die Intention dieser Lehre vom Volksnomos, einen Anknüpfungspunkt zum Nationalsozialismus für das Evangelium zu finden: Bekommt das Gesetz durch die nationalsozialistische Bewegung in Staat und Volk wieder konkrete Bedeutung, so schafft es „gerade dadurch, daß es die größte Bedeutung bekommt... die Möglichkeit [!], daß das Evangelium wieder lauter und rein verkündigt werden kann. Denn das Evangelium kann erst da seinen Sinn offenbaren, wo der Mensch unter das schärfste Gesetz gestellt ist" 25 . So ist die Erfahrung des Gesetzes im nationalsozialistischen Staat im Gegensatz zur Individualisierung und Privatisierung des Menschen in der Weimarer De20 21 22 24

Iwand, N W IV 405.; vgl. K D I I I / 4 , 689 ff. Vgl. Gogarten, Einheit, und ders., Volksgesetz; vgl. Kreck, Ethik 63 ff. 23 Ders., Volksgesetz 10. Gogarten, Einheit 18. 2 5 Ders., Einheit 21. Ebd. 27 f. 81

6

Klappert, Promissio

mokratie und Verfassung die Voraussetzung für die Predigt des Evangeliums. b) Die Unterscheidung schem Gottesgesetz

zwischen immanentem

Volksgesetz und teleologi-

Luther konnte - was im späteren Zusammenhang auszuführen sein wird 26 - zwischen einer immanenten, noch nicht am Evangelium orientierten Perspektive des Gesetzes und einer dem Gesetz transzendenten, im Evangelium begründeten teleologischen Perspektive des Gesetzes auf Christus hin unterscheiden. In solchen durchaus möglichen Aussagen Luthers wird das Gesetz in der immanenten Perspektive dem Naturgesetz bzw. dem ewigen Gottesgesetz zugeordnet und erst in der teleologischen Perspektive eindeutig vom Evangelium bzw. von Christus her definiert. Diese bei Luther mögliche und systematisch in seiner Lehre vom Gesetz nicht ausgeschlossene Unterscheidung innerhalb des anklagenden Gesetzes (usus elenchticus) taucht bei Gogarten modifiziert in der Zuordnung und Unterscheidung zwischen immanentem Volksnomos (usus politicus) und teleologischem Gottesgesetz (usus elenchticus) wieder auf: Denn mit der von Gogarten verbotenus vollzogenen Gleichsetzung von Volksnomos und Gottesgesetz - „das sind nicht zwei verschiedene Gesetze, sondern das ist ein und dasselbe Gesetz" 27 - will ja im Sinne Gogartens „gar nicht gesagt sein . . . , daß . . . die Erkenntnis des Gottesgesetzes in seiner irdischen Gestalt dieselbe ist wie die Erkenntnis des in Gottes Wort geoffenbarten Gesetzes" 28 . Das vom Staat und Volk repräsentierte „Gesetz in seiner irdischen Gestalt, so wie es ohne Christus verstanden ist" 29 , ist von der „Erkenntnis des Gesetzes als des Zuchtmeisters auf Christus hin und d a m i t . . . seines eigentlichen Amtes und seiner eigentlichen Kraft" 3 0 zu unterscheiden, insofern „kein Mensch zu d i e s e r [der tötenden] Erkenntnis des Gesetzes kommt, es sei denn durch die Verkündigung des Evangeliums" 31 . Kurz: „Das Gesetz ist ein anderes ohne Christus und ein anderes mit Christus." 32 Es wird also hier die von Luther systematisch nicht ausgeschlossene Unterscheidung zwischen einer immanenten, noch nicht am Evangelium orientierten und einer teleologischen, auf das Evangelium bezogenen Perspektive der lex innerhalb des usus elenchticus von Gogarten durch welche historische Vermittlung auch immer! - auf die Zuord2

« S. u. These VIII,2. Gogarten, Volksgesetz 22. Ders., Einheit 25. 31 Ebd. 29. 27

28

29

30

82

32

Ebd. 10. Ders., Volksgesetz 11. Ders., Einheit 24.

nung des usus politicus (immanentes Volksgesetz) zum usus elenchticus (Predigt des richtenden Gesetzes vom Evangelium her) übertragen und mit der Unterscheidung eines noch nicht am Evangelium orientierten Staatsgesetzes und einer am Evangelium orientierten Gesetzesverkündigung die Eigengesetzlichkeit der „natürlichen Ordnungen" begründet. Die theologische Möglichkeit oder Unmöglichkeit, die systematische Legitimität oder Illegitimität einer Unterscheidung zwischen einer immanenten und teleologischen Perspektive des Gesetzes wird hier für die Zwei-Reiche-Lehre unmittelbar relevant, das Thema Gesetz und Evangelium hat — wie hier evident ist — für die Zuordnung von weltlichem und geistlichem Regiment, von Rechtfertigung und Recht, von Christengemeine und Bürgergemeinde unmittelbare Konsequenzen.

c) Die aus der Trennung von Gesetz und Evangelium resultierende Ohnmacht des Gebotes Gottes im politischen Bereich „Das Gebot der Liebe [so folgert Gogarten aus dem Gesagten] . . . kann unmöglich . . . als ein kritischer Maßstab gegenüber den i r dischen Ordnungen' gebraucht werden" 33 , denn „das Gesetz ist im usus politicus eine Angelegenheit der Vernunft" 3 4 . Oder noch pointierter: „Es gibt, auf das Materielle gesehen, keine besondere christliche Sittlichkeit." 3 5 Das Gebot Gottes hat gegenüber dem Volksnomos keine inhaltlich normierende Bedeutung und Kraft. So wird der politisch-gesellschaftliche Bereich dem Bereich der Herrschaft Christi entzogen und der Eigengesetzlichkeit des totalen Staates ausdrücklich überantwortet, insofern „die Kirche den Menschen in seiner ewigen Existenz [!], in seiner Beziehung zur Ewigkeit [!] in Anspruch nimmt und damit die Totalität der Existenz, die der Staat für sich in Anspruch nehmen kann, in aller Klarheit und Bestimmtheit als die Totalität irdischer Existenz . . . bestätigt" 36 .

THESE I V / 1

Gegenüber einer in der lutherischen Tradition, insbesondere im Gefolge Melanchthons und Joh. Gerhards 37 erfolgten Trennung von Gesetz und Evangelium und deren Interpretation als Dialektik der „zwei Worte Gottes" (W. Eiert) 38 , gegenüber der Ineinssetzung des offenbarten GeDers., Volksgesetz 16. 3 5 Ders., Einheit 24. Ebd. 24. 3 e Ebd. 27. 3 7 E K L I 1536. 3 8 W. Eiert, Zwischen Gnade und Ungnade 132 ff. Vgl. zu W. Elerts und Fr. Gogartens Gesetzesbegriff die Arbeit von F. Duensing, Gesetz als Gericht. Auch E. 33 34

83 6*

setzes mit dem Naturgesetz, d. h. der Interpretation des Zusammenhangs von Gesetz und Evangelium als Korrelation von Naturgesetz und Evangelium bis zu der Identifizierung von Gottesgesetz und Volksnomos (Fr. Gogarten) hat die Rezeption des Inhalt-Form-Schemas durch Barth die theologische und gesellschaftlich-politische Funktion, antithetisch den unlöslichen Zusammenhang von Evangelium und Gebot, d. h, die Zugehörigkeit des Gesetzes zu dem einen Wort der Offenbarung Gottes zu betonen: „Die Entgegenstellung von Evangelium und Gesetz bezeichnet.. . wohl eine Zweiheit. Sie kann auch einen Streit bezeichnen. Aber größer als ihre Zweiheit und ihr Streit ist ihr Frieden in dem einen Wort dieses Vaters." 39 Der Nomos Gottes gehört in den Logos Gottes.

2. Das Inhalt-Form-Schema als Sicherung der konkreten Inhaltlichkeit des Gebotes Es hängt mit dem in Abschnitt IV/1 Gesagten aufs engste zusammen, daß Barth zufolge das Inhalt-Form-Schema die konkrete Inhaltlichkeit des Gebotes Gottes umschreiben und sichern soll, insofern das InhaltForm-Schema zugleich kritisch an einem Verständnis des Gebotes als einem Formalen und Allgemeinen orientiert ist, das von dem konkreten Einzelgebot zu unterscheiden bzw. erst in der Anwendung auf eine bestimmte Situation inhaltlich zu konkretisieren wäre. Mit Barths eigenen Worten: „Es geht also nicht an, daß wir uns dem Gebot Gottes gegenüber in der Weise einen Vorsprung sichern, daß wir es zwar als allgemeine Regel verstehen und gelten lassen, dessen Anwendung aber, d. h. dessen konkrete Erfüllung für die Sache unseres Urteils und Handelns halten. So daß gerade das Besondere, die einzelne Ausführung des im Gebot allgemein Gesagten und Vorgeschriebenen erst in und mit unserer eigenen Entscheidung zu verwirklichen w ä r e . . . Das Gebot Gottes ist darum jedem menschlichen Gesetz unvergleichbar, weil es nicht nur allgemeine Regel, sondern zugleich bestimmte Vorschrift und Norm gerade des einzelnen Falles i s t . . . Sein Gebot ist wahrhaftig keine leere Form [!], der wir erst durch unser Handeln bzw. durch das Schlink spricht 1937 in Abgrenzung gegenüber Barths Schrift von Gesetz und Evangelium als den zwei Worten Gottes: „Die Einheit von Gesetz und Evangelium besteht nicht in einer übergeordneten Begrifflichkeit, in der der Mensch beide vereinigt, sondern allein in der Tatsache, daß derselbe dreieinige Gott beide Worte, das Wort des Gesetzes und das Wort der Gnade spricht" (ThEx 53, 83). „So steht der Mensch unter zwei ganz verschiedenen Worten Gottes" (ebd. 82). Beide Sätze werden von Schlink in seiner „Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften" (184-187) allerdings nicht wiederholt. 3 9 Ev. u. Ges. 6 (WdF 2).

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unser Handeln begleitende Urteil unserer ethischen Besinnung bestimmten - den für diesen und diesen Augenblick unseres Lebens bestimmten - Inhalt [!] zu geben hätten. Es ist wahrhaftig kein Allgemeines, dem das Besondere erst von anderswoher zukommen müßte. Das Gebot Gottes ist auch darin gänzlich, daß Form und Inhalt [!], allgemeine Vorschrift und konkrete Beziehung in ihm nicht zwei, sondern eins sind. Die göttliche Entscheidung, in der das souveräne Urteil über unsere Entscheidungen vollzogen wird, ist ganz bestimmte Entscheidung. Das bedeutet: Je in einer ganz bestimmten Meinung und Absicht, je mit einem Willen, der Alles und Jedes vorgesehen, der auch nicht das Kleinste dem Zufall oder unserer Willkür überlassen hat, steht uns Gott in der Forderung und in dem Urteil seines Gebotes gegenüber."40 Und 40 KD II/2, 739; vgl. KD III/4, 5 ff. und H . Gollwitzers Verweis auf die durch die Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot von Barth intendierte Verunmöglichung der traditionellen Korrelation von autonomer Ethik und dem Verständnis des Evangeliums als Kraft und Aufbaumittel zur Adäquation des Menschen mit dem anderweitig gewonnenen Gesetz: „Die .Einheit von Dogmatik und Ethik' (KD 1/2, § 22,3) . . . das hatte er [Barth] bei Wilhelm Herrmann nicht gehört, das war der tiefste Bruch mit Marburg . . . , weil dort die Trennung von Dogmatik und Ethik zementiert war: Für die Aporien, in die uns die Forderungen der autonomen Ethik bringen, weist uns die Dogmatik auf die Quellen von Trost und Kraft, und die ,sittlichen Weisungen Jesu' unterstehen deshalb unserem veränderten sittlichen Bewußtsein und haben nicht mehr viel zu sagen. Genau gegen diese spätprotestantische Form der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium [in dieser Reihenfolge!], gegen die Meinung, ,die Wahrheit der christlichen Religion . . . bestehe darin, daß eben die recht verstandene Lehre von Jesus Christus und die ihr entsprechende Lebensordnung die geheime Kraft habe, den Menschen zum Anstreben und Erreichen seiner im übrigen selbständig erwählten Ziele zum Zwecke innerlich fähig zu machen' (KD 1/2, 368), wendet Barth später die ganze Energie seiner Sicht von Evangelium und Gesetz: Das Evangelium gibt in sich selbst dem menschlichen Handeln Ziel, Inhalt und Richtung und nicht nur die Kraft [!] für anderswoher gewonnene oder auferlegte Ziele" (Reich Gottes und Sozialismus, ThExh N F 196,1972,19 f.). Barth selbst beschreibt in Ev. u. Ges. 22 f. (WdF 18-20) den Umschlag von der Implikatstruktur von „Evangelium und Gebot" zur Replikatstruktur von „Gesetz und Evangelium": Die Verkennung des Gebotes als Form des Evangeliums hat die Umkehrung der Implikatstruktur zur Folge. Die Perversion des Gebotes als der Form des Evangeliums macht aus dem Gebot als Implikat des Evangeliums das nomistische Verständnis des Evangeliums als Implikat des Gesetzes. - Barths Ausführungen in KD II/2 zufolge fragt die allgemein-ethische Frage „nach der Gültigkeit der . . . Gesetze menschlichen Handelns. Sie fragt nach dem Gesetz des G u t e n und nach dem Zusammenhang jener anderen Gesetze und des mit ihnen übereinstimmenden menschlichen Handelns mit diesem Gesetz" (571). Demgegenüber stellt die theologisch-ethische Frage im Unterschied zur allgemein-ethischen Frage nach dem G e s e t z des Guten die Frage nach der G n a d e Gottes als der Beantwortung des ethischen Problems (571). Noch genauer: die ethische Frage als Element christlicher Gotteslehre ist die Frage nach dem Gebot der erwählenden Gnade Gottes, ist die Frage nach der erwählenden Gnade, die den Menschen für Gott in Anspruch nimmt. Daraus folgt aber eine doppelte Abgrenzung gegenüber der neuprotestantischen Synthese von Gesetz und Evangelium: 1. Das Spezifische christlich-theologischer Ethik kann nicht a p o l o g e t i s c h als das Besondere im Rahmen des Allgemeinen ethi-

85

Barth fragt: „Wäre unser inhaltlich durch das Gebot n i c h t bestimmtes Tun nicht doch wieder notwendig ein Tun dessen, was w i r w o l l e n ? "41

Das Inhalt-Form-Schema ist also im Sinne Barths die systematische Verunmöglichung der Anwendung des Verhältnisses vom Allgemeinen und Besonderen auf die Lehre vom Gebot Gottes. Es hat die Funktion, die im Bereich der neuprotestantischen und katholischen Ethik 42 sonst herrschende Korrelation des Allgemeinen und Besonderen auszuschließen und das Verständnis des Gebotes der Gnade Gottes bzw. des christlichen Handelns „als eines Spezialfalles des menschlichen Handelns überhaupt"43 wirksam zu durchbrechen. Denn „ein allgemeines formales und abstraktes Gebot ist tatsächlich genau genommen überhaupt kein Gebot"44. Demgegenüber ist „ein Gebot - und nun gar das Gebot im strengsten Begriff: das Gebot Gottes - . . . eine solche Forderung an den Menschen, die ihm gänzlich gegeben ist, über deren Inhalt er nicht zu verfügen, die er also nicht erst konkret zu füllen hat nach seinem Urteil und Befinden. Ein Gebot ist eine Forderung und nicht bloß eine theoretische Erklärung über die Form einer solchen. Es tritt uns also inhaltlich bestimmt und erfüllt entgegen: indem es den ganzen äußeren und inneren Gehalt der Entscheidung je eines Augenblicks umfaßt, als der Inbegriff alles dessen was in diesem und diesem Augenblick von uns verlangt ist. Es bedarf keiner Interpretation: darum nicht, weil es durch sich selbst bis aufs Kleinste und Letzte interpretiert ist"45. scher Fragen und Probleme verstanden werden (577 ff.). 2. „Gottes Gnade im Ergehen und in der Erfüllung seines G e b o t e s . . . , die Bezeugung des Gebotes Gottes als der Gestalt seiner Gnade" kann nicht f u n k t i o n a l als „ein notwendiges M o m e n t . . . [der] durch den Menschen zu vollbringenden Verwirklichung des Guten" etwa im Sinne W. Herrmanns verstanden werden (577 f.). M. a. W.: Das Gebot Gottes als Gestalt der Gnade Gottes ist weder a p o l o g e t i s c h an einem Allgemeinen als möglich oder notwendig verifizierbar noch auch f u η k t i o η al als sittliche Kraft und wirksames Aufbaumittel (vis agendi, virtus agendi) zur Erreichung der erstrebten Konformität des Menschen mit dem Sittengesetz interpretierbar. 41 KD II/2, 740. 42 Ebd. 577 ff., 586 ff., 604 ff. 48 Ebd. 605. Die Konkretheit, Geschichtlichkeit und I n h a l t l i c h k e i t des Gebotes Gottes wird von Barth von einem Verständnis des Gebotes Gottes als einer l e e r e n F o r m abgegrenzt, demzufolge „das G e b o t G o t t e s eine a l l g e m e i n e R e g e l , eine leere Form oder vielmehr ein Gefüge solcher Regeln und Formen [sei] . . . Es sei also, wie es bei einem menschlichen Gesetz in der Tat der Fall ist, der besonderen konkreten speziellen F ü l l u n g durch die A n w e n d u n g bedürftig, um als Gebot in Kraft zu treten". Barths Aufnahme des Inhalt-Form-Schemas ist an dieser Art und Weise seiner Verwendung antithetisch orientiert: „Das Gebot des lebendigen Gottes aber bedarf dessen nicht. Es wird dem Menschen gerade nicht nur allgemein und formell [!], sondern in konkreter Fülle, in inhaltlicher Bestimmtheit [!] gegeben" (KD III/4, 11: vgl. II/2, 572-607). 44 45 KD II/2, 741. Ebd. 86

Barth hat nicht versäumt, in K D II/2 die in „Evangelium und Gesetz" vorausgesetzte theologisch-politische Relevanz der Ersetzung der ethischen Korrelation des Allgemeinen und Besonderen durch das InhaltForm-Schema explizit zu machen. Die konkrete Inhaltlichkeit des Gebotes enthebt nämlich nicht der Notwendigkeit des Wählens konkreter ethisch-politischer Entscheidungen und Zielbestimmungen 46 , und zwar unter sorgfältiger Prüfung zugleich dessen, „worauf es in der jeweiligen Situation ankommt" 4 7 . Und Barth argumentiert in diesem Zusammenhang im Hinblick auf die deutsch-christliche Konkretisierung des Gebotes durch den Hinweis auf die sog. Notwendigkeit der Stunde und die Forderung der Situation, indem er fragt: „Aber worauf kommt es in der jeweiligen Situation an? Doch wohl nicht etwa auf eine der jeweiligen Situation gewissermaßen immanente Notwendigkeit, nicht etwa auf ein ,Gebot der Stunde', so daß die Fähigkeit und Übung des δοκιμάζειν in einer Art von Witterung, Divination, Gespür oder Kairosgefühl dafür bestehen würde! Die jeweilige Situation als solche ist ja abgesehen von unserer eigenen fleischlichen N a t u r immer auch von allerlei Dämonien beherrscht und es dürfte die Aufgeschlossenheit für diese mit der für den Willen Gottes wenig zu tun haben . . . Schlechterdings ü b e r der jeweiligen Situation, wenn auch schlechterdings auf sie b e z o g e n , steht und gilt aber die souveräne Entscheidung Gottes in seinem Gebot und eben das ist zu prüfen, wie sich das eine und das andere und vielleicht das dritte Tun, die uns in dieser Situation möglich erscheinen mögen, zu ihm und wie Gottes Gebot sich zu diesen unseren Handlungsmöglichkeiten verhalten möchte." 48 Unsere verschiedenen Handlungsmöglichkeiten in der jeweiligen Situation sind Barth zufolge deshalb daraufhin zu befragen, „ob wir die eine oder die andere von ihnen im Vertrauen darauf ergreifen dürfen und dann auch ergreifen sollen, daß das Verhältnis zwischen ihr und Gottes Gebot ein positives . . . sein möchte" 49 . Barths Rezeption des Inhalt-Form-Schemas - so sagten wir - ist kritisch an einem Verständnis des Gebotes als einem Formalen und Allgemeinen orientiert, das von dem konkreten Einzelgebot zu unterscheiden bzw. erst in der Anwendung auf die bestimmte Situation zu konkretisieren wäre. Fr. Gogarten unterscheidet zwischen dem „Inbegriff des Gesetzes" und dem konkreten „einzelnen Gebot des Staats- und Volksgesetzes" 50 und erkennt jenem keine inhaltlich normierende Relevanz diesem gegenüber zu. 46 48 50

Vgl. ebd. 705. Ebd. Vgl. Gogarten, Einheit 26 ff.

" Ebd. 711. Ebd.

4(1

87

H. J. Iwand sieht denn auch in dieser Formalisierung des Gebotes Gottes zum „Inbegriff des Gesetzes" einerseits und der Behauptung der konkreten Inhaltlichkeit des Volksnomos als Gottesgesetz andererseits den freilich zum Scheitern verurteilten Versuch, den scheinbar abstrakten Charakter des Gebotes durch die konkrete Gebotsforderung der sog. natürlichen Ordnungen zu ersetzen: „Wir kennen diesen Versuch . . . durch den Begriff der Theologie der Ordnungen. Man glaubt, das Gesetz konkret zu machen, indem man es bezieht auf das Verhältnis von Ich und Du [!], auf die Gebundenheit an Volk und Rasse, auf die Ordnung des Standes und des Staates. Man m e i n t . . . daß die Schwäche des Gesetzes darin liegt, daß es uns immer nur begegnet in seinem abstrakten ,du sollst' und wir gar nicht wissen können, was wir sollen, daß uns jetzt aber ganz konkret in den Ordnungen gesagt wird, was wir sollen . . . Von diesem Ausgangspunkt aus gesehen, liegt die Schwäche des Gesetzes darin, daß das Gesetz abstrakt ist, und l i e g t . . . das Lebendigmachen des Gesetzes darin, daß es uns gelingt, dies Gesetz zu konkretisieren"51. Und Iwands Kritik an der Formalisierung des Gebotes zugunsten der Eigengesetzlichkeit und inhaltlichen Konkretheit des Volksnomos bei Gogarten lautet im Anschluß an Barth: „Was diese Lehre vom Volksnomos so böse und - fast möchte man sagen - so gottlos macht: das ist ihr Formalismus. Die Gebote Gottes bestimmen doch inhaltlich unser Tun. Schon im Alten Testament finden wir diesen sich ins einzelne erstreckenden . . . Charakter des Gebotes Gottes." 52 „Das Materiale des Nomos wird ebensowenig der völkischen Existenz überlassen wie der Hörer, an den das Wort Gottes ergeht. Das Gebot Gottes will uns frei machen zum bestimmten Tun des Guten." 53 Von daher ist die These IV/2 zu verstehen. THESE I V / 2

Das Inhalt-Form-Schema ist bei Barth zugleich kritisch an einem Verständnis des Gebotes als einem Formalen, Allgemeinen orientiert, das erst in der Anwendung auf eine bestimmte Situation inhaltlich zu konkretisieren wäre. Das Verständnis des Gebotes als Bestimmtheit der göttlichen Entscheidung, d. h. das Verständnis des Gebotes als bestimmter Form des konkreten Inhalts des Evangeliums macht die Anwendung des Verhältnisses des Allgemeinen/Formalen und Besonderen/Inhaltlichen auf die Lehre vom Gebot unmöglich. 51 Iwand, N W IV, 122, in seiner 1937 über Gesetz und Evangelium gehaltenen Vorlesung. 52 Iwand, Prinzipienstreit 239; vgl. K D I I / 2 , 7 3 7 - 7 9 1 . 53 Iwand, ebd.

88

Das Inhalt-Form-Schema bedeutet also - und das ist von Barths Kritikern bisher nicht zur Kenntnis genommen worden - die systematische Verunmöglichung der Anwendung des Verhältnisses vom Allgemeinen und Besonderen auf die Lehre von Gottes Gebot. Seine am Inhalt der Bundesgeschichte orientierte Rezeption hat die Funktion, die im Bereich philosophisch orientierter theologischer Ethik herrschende Korrelation des Allgemeinen und Besonderen zu eliminieren. Dies ist die theologischpolitische Relevanz der Ersetzung der ethischen Korrelation des Allgemeinen und Besonderen durch das Inhalt-Form-Schema. 3. Das christologisch-relationale des

Verständnis

Inhalt-Form-Schemas

Das Inhalt-Form-Schema ist nach Barths Analyse in „Evangelium und Gesetz" grundlegend die Explikation nicht der kerygmatischen, sondern der christologischen Relation: der in der Erfüllung des Bundes Gottes mit dem Menschen sich in Jesus Christus vollziehenden Gehorsamsgeschichte des Sohnes Gottes (Erniedrigung) und der ihr entsprechenden Geschichte des Glaubensgehorsams des Menschen Jesus (Erhöhung). Das ist nämlich, so schreibt Barth, „der Gnade eigentliches Werk, daß sein ewiges Wort - indem es Fleisch wurde, indem es im Fleische Gehorsam bewährte, indem es in diesem Gehorsam die Strafe litt und also starb - es übernommen hat, an unserer Stelle die rettende Antwort zu geben" 54 . Und Barth fährt fort: „Der Stand und Gang des M e n s c h e n unter der Gnade ist danach zu bestimmen als der Stand und Gang eines solchen, für dessen Menschsein Jesus Christus mit seinem angenommenen, gehorsamen und verherrlichten Menschsein eiηt r i t t . . . g a n z u n d g a r eintritt." 55 Dabei wird von Barth die Gehorsamsgeschichte des Menschen Jesus als die Form der Erniedrigungsgeschichte des Sohnes Gottes als Inhalt verstanden. In der Geschichte Jesu Christi ist die Gnade der Kondeszendenz Gottes der eine ganze Inhalt des Glaubensgehorsams Jesu und der Glaubensgehorsam Jesu die eine und einzige Form der Gnade Gottes. Insofern die Relation Gottes zum Menschen in Jesus Christus (Inhalt) die Relation des Menschen zu Gott in Jesus Christus (Form) bei sich hat, ist das Inhalt-Form-Schema bei Barth grundlegend die Explikation der christologischen Relation. In der Unterscheidung der Relationen in der christologischen Ebene hat die These Barths ihren Ort, daß die Unterscheidung von Inhalt und Form einen unendlichen Unterschied bezeichnet 56 . 54

Ev. u. Ges. 8 (WdF 4).

55

Ebd. 9 (WdF 5).

5

» Ebd. 14 (WdF 10).

89

Dieser Sachverhalt ist von G. Ebeling in seiner Kritik 5 7 übersehen worden. THESE I V / 3

Das Inhalt-Form-Schema ist nach Barths Analyse in „Evangelium und Gesetz" grundlegend die Explikation nicht der kerygmatischen, sondern der christologischen Relation. Dabei wird die Gehorsamsgeschichte des Menschen Jesus als die Form der Erniedrigungsgeschichte des Sohnes Gottes als Inhalt verstanden: in der Geschichte Jesu Christi ist die Gnade der Kondeszendenz Gottes der Inhalt des Glaubensgehorsams Jesu und der Glaubensgehorsam Jesu die Form der Gnade Gottes. Insofern die Relation Gottes zum Menschen in Jesus Christus (Inhalt) die Relation des Menschen zu Gott in Jesus Christus (Form) bei sich hat, ist das Inhalt-Form-Schema bei Barth grundlegend die Explikation der christologischen Relation.

4. Das Inhalt-Form-Schema als ein kausal-strukturiertes christologisches Koinzidenzverhältnis Barth versteht das Inhalt-Form-Schema im Sinne eines kausal-strukturierten christologischen Koinzidenzverhältnisses. Denn was die Zuordnung von Evangelium und Gebot und deren Präzisierung durch das Inhalt-Form-Schema anbetrifft, so „ist das Alles wirklich in J e s u s Christus; es ist das G e s e t z [Gebot] ganz im Evangel i u m beschlossen: nicht ein Zweites neben und außer dem Evangelium, nicht ein Fremdes, das dem Evangelium voranginge oder ihm erst nachfolgte, sondern der Anspruch, den das Evangelium selbst und als solches an uns richtet, das Evangelium selbst, sofern es die Form eines an uns gerichteten Anspruchs hat" 5 8 . Qualifiziert die Doppelbestimmung der christologischen Relation als einer Relation Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott in Jesus Christus das Inhalt-Form-Schema, so wird der christologischen N o r m entsprechend das Verhältnis von Inhalt und Form als unumkehrbares Begründungsverhältnis bestimmt: der Inhalt des Evangeliums begründet die Form des Gebotes, und diese Form ist nicht von diesem Inhalt ablösbar (auch nicht die pervertierte Form des Gesetzes!). Es signalisiert nur eine andere christologische Betrachtungshinsicht, wenn Barth das Inhalt-Form-Schema nicht nur als kausal-strukturiert, 57 58

90

Ebeling, Wort und Glaube, 278 f. (Anm. 51). K D II/2, 619.

sondern zugleich als ein zeitlich koinzidierendes Verhältnis bestimmt. Von daher „steht der göttliche Anspruch nie für sich; er ergeht nie i η a b s t r a c t o : weder indem er dem Ereignis und der Verkündigung der Gnade irgendwie voranginge [!] als ein Erstes, noch daß er ihr erst folgen würde als ein Zweites. Sondern immer ist er die F o r m . . . der Gnade, immer ist er selbst . . . verhüllte Wiederholung der Gnadenwirklichkeit und Gnadenverheißung" 59 . D. h.: Qualifiziert die Doppelbestimmung der christologischen Relation als einer Relation Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott das Verhältnis von Inhalt und Form, so ist dieses nicht nur als ein kausalstrukturiertes, sondern zugleich als ein zeitlich koinzidierendes Verhältnis zu bestimmen: der Gleichzeitigkeit von Erniedrigung und Erhöhung entspricht die Gleichzeitigkeit von Inhalt und Form. Sowenig Form und Inhalt identisch sind, sowenig gibt es die Form als Voraussetzung oder Folge des Inhalts. Vielmehr ist das Ereignis der Gnade als Inhalt zugleich das Ereignis des Gebotes als Form, die Verkündigung des Evangeliums als Inhalt zugleich die Aufrichtung des Gebotes als Form. Hier hat Barths These ihren Ort, daß das Gebot als Form nicht als zeitliche Voraussetzung oder zeitliche Folge des Inhalts des Evangeliums verstanden werden darf, so daß die kausale Begründung der Form des Gebotes im Inhalt des Evangeliums die zeitliche Koinzidenz von Inhalt und Form impliziert. Dies ist von G. Ebeling in seiner Kritik 60 ebenfalls übersehen worden.

THESE I V / 4

Von der Bestimmung des Inhalt-Form-Schemas durch die Doppelbestimmung der christologischen Relation als einer Relation Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott her wird das Verhältnis von Inhalt und Form a) als unumkehrbares Begründungsverhältnis bestimmt: der Inhalt des Evangeliums begründet die Form des Gebotes, und diese Form ist nicht von diesem Inhalt ablösbar; b) zugleich als zeitlich koinzidierendes Verhältnis bestimmt: der Gleichzeitigkeit von Erniedrigung und Erhöhung entspricht die Gleichzeitigkeit von Inhalt und Form.

59

Ebd. 625. «» Vgl. Anm. 57. 91

5· Das Inhalt-Form-Schema als Implikat der Gegenständlichkeit der Offenbarung Gottes in Christus Im Rahmen der Entfaltung seiner Christologie des erfüllten Bundes und der vollbrachten Versöhnung geht es Barth in Konsequenz des methodischen Grundsatzes „esse sequitur fieri" um eine indirekte Erkenntnis des Sohnes Gottes (Inhalt) im Spiegel und Reflex seines gegenständlichen Menschseins (Form): Die Geschichte des Menschen Jesus im Verhältnis zu Gott offenbart in ihrem Charakter als Gehorsamsgeschichte i n d i r e k t den Sohn Gottes als Gehorsamen, der seine Gottheit zutiefst im Gehorsam der Erniedrigung erweist. D. h. aber: Wie die Erniedrigungsgeschichte des Sohnes Gottes noetisch nur in der gegenständlichen Gestalt der Gehorsamsgeschichte des Menschen Jesus zugänglich ist61, so ist ontisch der Gehorsam des Menschen Jesus die eine und einzige raumzeitliche Form der Gnade der Kondeszendenz Gottes als Inhalt. Auf die durch das Inhalt-Form-Schema präzisierte Verhältnisbestimmung von Evangelium und Gebot angewandt: Wie das Ereignis der Gnade Gottes immer zugleich - anders könnte es vom Menschen gar nicht vernommen und verstanden werden - in der gegenständlichen Gestalt des Gehorsams Jesu ist, so ist auch die gegenständliche Form des Gebotes unablösbar von dem sich in ihm vergegenständlichenden Inhalt des Evangeliums, ist die Form des Gebotes notwendig die gegenständliche Gestalt des Evangeliums als Inhalt. Insofern ist das Inhalt-Form-Schema von der raumzeitlichen Gegenständlichkeit der Offenbarung Gottes nicht ablösbar: der Inhalt erscheint in der Gegenständlichkeit der Form, der Inhalt des Evangeliums in der Form raumzeitlicher Gegenständlichkeit des Gebotes. Hier hat Barths These ihren Ort, daß das Gebot als Form des Evangeliums „dem Evangelium Raum gibt, in unserem menschlichen Raum", daß wir „ohne das Gesetz tatsächlich auch das Evangelium nicht haben" würden 62 , „daß das E v a n g e l i u m immer als offenbares, als verkündigtes, als den Menschen angehendes im G e s e t ζ ", in der Form „des Gebotes und Gebietens Gottes ist" 63 . THESE IV/5

Ist die Erniedrigungsgeschichte des Sohnes Gottes nur in der gegenständlichen Gestalt der Gehorsamsgeschichte des Menschen Jesus zu61 Vgl. Barths Rückschluß von der Gehorsamsgeschichte des Menschen Jesus auf die Gehorsamsgeschichte der Erniedrigung Gottes; § 59,1 in K D IV/1, 171 f f . 62 Ev. u. Ges. 14 (WdF 10). 63 Ebd. 13 (WdF 9 f.).

92

Kondeszendenz Gottes als Inhalt, so ist auch die Form des Gebotes die gänglich, ist der Gehorsam Jesu die raumzeitliche Form der Gnade der gegenständliche Gestalt der Gnade Gottes, so ist das Ereignis der Gnade Gottes immer zugleich notwendig die gegenständliche Aufrichtung des Gebotes. 6. Die innertrinitarisch-prädestinatianische des

Grundlegung

Inhalt-Form-Schemas

(Das Gebot des innertrinitarischen prädestinatianischen

Gehorsams

Selbstbestimmung

und der Gottes)u

Da Gott „nicht ohne Grund in seinem Wesen . . . nicht ohne Entsprechung zu der Geschichte . . . in der er Gott ist" 65 sich ins Kreuz erniedrigt, sondern darin „von einer im Wesen G o t t e s b e g r ü n d e t e n M ö g l i c h k e i t Gebrauch macht" 66 , impliziert der wesentliche Gehorsam des Sohnes Gottes im Kreuz nach Barth die Forderung, „den Gehorsam Christi als das geradezu beherrschende Moment in unsere Vorstellung von seiner G o t t h e i t aufzunehmen"67. Die gehorsame Kondeszendenz des Sohnes Gottes ins Kreuz entspricht der inneren Geschichte Gottes, ohne mit dieser einfach identisch oder lediglich deren Epiphanie zu sein. Im Sinne Barths sind im Rahmen der innertrinitarisch-prädestinatianischen Grundlegung des Inhalt-Form-Schemas zwei Momente am Gebot zu unterscheiden: a) Das Gebot Gottes ist das Gebot der prädestinatianischen Selbstbestimmung Gottes: Intendiert ist hier von Barth die prädestinatianische Grundlegung des Gebotes als der Form, in der Gott von uns will, wozu er s i c h s e l b s t für uns inhaltlich bestimmt hat. Hier ist das Gebot die wesentliche Form der freien und treuen Selbstbestimmung Gottes zur Gemeinschaft mit dem Menschen als Inhalt. b) Das Gebot Gottes ist das Gebot des innertrinitarischen Gehorsams des Sohnes Gottes: Gemeint ist hier von Barth die innertrinitarische 6 4 W. Andersen hat in seiner Arbeit „Der Gesetzesbegriff in der gegenwärtigen theologischen Diskussion" in T h E x N F 108, besonders 50 ff. eine trinitarische Interpretation der Lehre von den drei usus legis vorgelegt, indem er Gott dem Vater als dem U r heber der Schöpfung den usus politicus, Gott dem Sohn als dem Urheber der Versöhnung den usus elenchticus und Gott dem Geist als dem Urheber der Erlösung den tertius usus legis jeweils appropriiert. - Barths trinitarisch-christologische Grundlegung von Bund und Gebot, Inhalt und Form, die zugleich die systematische Verunmöglichung der traditionellen Lehre von den drei usus legis einschließt, steht zugleich im ausschließenden Widerspruch zu einer solchen trinitarisch-heilsgeschichtlichen Grundlegung der Lehre vom triplex usus legis. 65

K D IV/1, 223.

ββ

Ebd. 212.

67

Ebd. 218.

93

Analogisierung der Gehorsamsgeschichte des Sohnes Gottes bis zur Aussage von einem in Gott selbst stattfindenden Gehorsam als der Form, in der der Sohn als der in Freiheit Liebende dem Vater als dem in der Liebe Freien in Gehorsam entspricht 68 . Sowohl die innertrinitarische Analogisierung als auch die prädestinatianische Grundlegung des Gebotes Gottes zeigen dabei in aller Deutlichkeit, daß Barth über die christologische Grundlegung hinaus - zu ihrer Sicherung, also fernab aller speculatio maiestatis! - wesentlich an einer innertrinitarischen Verklammerung und Präzisierung des InhaltForm-Schemas interessiert ist. Denn das Gebot als Form des Inhalts des Evangeliums ist kein anderes Gebot als das Gebot der innertrinitarischen Wesensbestimmung und der prädestinatianischen S e l b s t b e s t i m m u n g Gottes69. Dieser in Explikation der christologischen Grundlegung vollzogene Rückschluß macht das Besondere der Lehre vom Gebot bei Barth aus. In Konsequenz dieser Grundlegung gibt es für Barth kein Gebot, das nicht die Form der innertrinitarischen Wesensbestimmung und prädestinatianischen Selbstbestimmung Gottes bei sich und an sich trüge. In Konsequenz dieser innertrinitarisch-prädestinatianischen Grundlegung des Inhalt-Form-Schemas und der Verklammerung von Evangelium und Gebot ist es für Barth noch einmal systematisch unmöglich das Gebot der freien Wesens- und Selbstbestimmung Gottes anstatt dem Deus revelatus in Christus mit Luther - in welcher Form und wie begrenzt auch immer - dem Deus absconditus zuzuordnen. Die drohende Umklammerung der Lehre vom Gebot durch einen metaphysischen Gottesbegriff bei Luther ist hier von Barth systematisch ausgeschlossen.

68

Vgl. § 59,1 in K D IV/1, 210 ff. Zur Einzelanalyse der innertrinitarischen Nezessität der Erniedrigung Gottes ins Kreuz, derzufolge Barth das Sein Gottes als ein relationales Sein des in Liebe und Gehorsam freien Gottes beschreibt, vgl. meine Arbeit: Die Auferweckung des Gekreuzigten, 183 ff. 69 Einzig bei W. Krötke (Theol. Stud. 83, 44) findet sich (wenn auch nur) ein Hinweis auf die für Barth grundlegende prädestinatianische Grundlegung des Inhalt Form - Schemas: „Wenn K. Barth vom Gesetz als der notwendigen ,Form des Evangeliums, dessen Inhalt die Gnade ist' . . . spricht, dann ist dieser Satz letztlich begründet in seiner Lehre von der Gnadenwahl Gottes." Vgl. aber auch H. Gollwitzer, Reich Gottes und Sozialismus bei Karl Barth, ThExh N F 196, 1972,22: „Ist Gottes Gebot, das auf unsere gleichnishafte Entsprechung zum Reich Gottes zielt, schon im Evangelium enthalten und nur dort aufzufinden und von dorther begründet, dann muß es zuvor in Gottes eigenem Handeln zu finden sein, und in diesem Handeln ist Gott zu erkennen, wie er ,zuvor in sich selber' [!] ist. Dazu ist die Trinitätslehre nötig, die in den Prolegomena dargelegt wird, aber erst in der Versöhnungslehre ganz zum Zuge kommt."

94

THESE I V / 6

Die innertrinitarische Analogisierung der Gehorsamsgeschichte des Sohnes Gottes bis zu der Aussage von einem in Gott stattfindenden Gehorsam als der Form, in der der Sohn als der in Freiheit Liebende dem Vater als dem in der Liebe Freien entspricht, und die prädestinatianische Grundlegung des Gebotes als der Form, in der Gott von uns will, wozu er sich selbst für uns inhaltlich bestimmt hat, zeigen, daß Barth über die christologische Grundlegung hinaus eine innertrinitarische Verklammerung des Inhalt-Form-Schemas vollzieht. Das Gebot als Form des Inhalts des Evangeliums ist das Gebot der innertrinitarischen Wesensbestimmung und der prädestinatianischen Selbstbestimmung Gottes.

7. Das teleologisch-dynamische Verständnis des Inhalt-Form-Schemas Es wird im Abschnitt V ausführlich darauf zurückzukommen sein, muß aber schon hier im Zusammenhang der Analyse des Inhalt-FormSchemas bei Barth zur Sprache gebracht werden: Das Inhalt-FormSchema als exklusiv christologisches und relationales Schema ist als Kategorie des in Jesus Christus erfüllten Bundes Gottes mit allen Menschen zugleich ein dynamisch-teleologisches Schema. Das Inhalt-Form-Schema ist im Sinne Barths ein dynamisches Schema. Es findet also auch hier - analog zu der Vergeschichtlichung und Dynamisierung der Statik der traditionellen orthodoxen Christologie, der Zweinaturen- und der Zweiständelehre - eine Übersetzung der statischen Begrifflichkeit des Inhalt-Form-Schemas in ein dynamisches Verständnis statt. Die Inhalt-Form-Kategorie ist im Sinne Barths eine Bewegungskategorie, und zwar von dem speziellen Inhalt des Evangeliums, der Gnade Gottes, her. „Gottes Gnade hat nämlich - wo immer sie wirklich und offenbar wird - t e l e o l o g i s c h e K r a f t " . Ist es doch „das Ziel der Gnade [!], die im Bunde Gottes mit dem Menschen wirklich und offenbar wird, die Herstellung des Menschen zu seinem Bilde und so zur Gemeinschaft mit ihm" 70 . Das Inhalt-Form-Schema darf deshalb im Sinne Barths nicht als statisches Schema mißverstanden werden, insofern der perfektischen Geschichtsebene (der Gehorsam des Menschen Jesus als Form des Inhalts der Gnade Gottes) im Hinblick auf die soteriologische Konformitätsebene teleologische Bedeutung zukommt. Das Gebot als Form des Inhalts der Gnade impliziert als sein Telos die anthropologische Konformität. 70

KD II/2, 629. 95

Muß „von diesem teleologischen Charakter der Gnade" her das Handeln des Menschen „ein von jenem Anstoß bewegtes und gerichtetes Handeln sein" 71 , so impliziert für Barth die christologische Grundlegung des Inhalt-Form-Schemas dessen dynamische Explikation im Hinblick auf die kerygmatisch-soteriologische Konformitätsebene: der exklusive Glaubensgehorsam des Menschen Jesus ist die Form, der die Macht (Pneuma!) inklusiver Konformität eignet und insofern nach soteriologischer Konformität ruft. Es bestätigt sich also im Hinblick auf die Art und Weise der Verwendung des Inhalt-Form-Schemas hier wie auch in These IV/1-6, was E. Jüngel in anderem Zusammenhang zu jeder von Barth benutzten Begrifflichkeit treffend bemerkt hat: Will man das von Barth in einer bestimmten Begrifflichkeit und mit einem bestimmten Begriff zur Sprache gebrachte Phänomen verstehen, „so wird man Barth zwar bei seinen Begriffen behaften dürfen. Aber man wird, bevor man aus seinen Begriffen l o g i s c h e Konsequenzen zieht, berücksichtigen müssen, daß es sich um einen theologischen Begriff handelt, der in theologische Sätze entfaltet worden ist; und daß das in diesen Sätzen zur Sprache gebrachte Phänomen selbst und nicht primär der es ausweisende Begriff bedacht sein will. Sonst weicht die Offenheit des Verstehens dem Diktat einer sich im Begriffsspiel erschöpfenden Konstruktion" 72 . THESE I V / 7

Das Inhalt-Form-Schema als exklusiv christologisches und relationales Schema ist als Kategorie des in Jesus Christus erfüllten Bundes Gottes mit allen Menschen zugleich ein dynamisch-theologisches Schema. Das Inhalt-Form-Schema darf deshalb im Sinne Barths nicht als statisches Schema mißverstanden werden, insofern der perfektischen Geschichtsebene im Hinblick auf die soteriologische Konformitätsebene teleologische Bedeutung zukommt. Das Gebot als Form des Inhalts der Gnade impliziert als sein Telos die anthropologische Konformität. Deshalb schließt für Barth die christologische Grundlegung des Inhalt-Form-Schemas dessen dynamische Explikation im Hinblick auf die kerygmatisch-soteriologische Konformitätsebene ein. Insofern hat das Inhalt-Form-Schema der perfektischen Geschichtsebene für die soteriologische Konformitätsebene teleologische Bedeutung. Die Inhalt-Form-Kategorie meint im Sinne Barths eine Bewegungskategorie, das Inhalt-Form-Schema ist von seinem christologischen Inhalt her ein Bewegungsbegriff. Ebd. 630. E. Jüngel, Die Möglichkeit theologischer Anthropologie auf dem Grunde der Analogie, EvTh 1 9 6 2 / 1 0 , 5 3 5 - 5 5 7 , 535 f. 71

72

96

V. Die christologische Realebene als Sachkriterium der Zuordnung von Evangelium und Gebot auf der kerygmatisch-anthropologischen Signalebene1 (Die Realebene des Heilsgeschehens und die Signalebene 2 des Verkündigungsgeschehens) Auf dem Hintergrund des zu I - I V bereits Ausgeführten geht es im folgenden um ein vorläufiges Resümee der Zuordnung von Heilsgeschehen und Verkündigung bei Barth und in der reformatorischen Theologie Luthers anhand einer Interpretation des Spitzensatzes Barths aus „Evangelium und Gesetz" im Kontext seiner ausführlichen Darlegungen und seiner Präzisierungen in K D II/2.

1 Als ein konkretes Beispiel der Anwendung des Inhalt - Form - Schemas auf die Relation von christologischer Realebene und anthropologischer Konformitätsebene nenne ich folgende Lutherskizze Barths aus dem J a h r e 1933 : „Luthers Wort, H a l t u n g und Werk sind Zeuge der unerhörten Sammlung, in der dieser Mensch gelebt haben muß. Er konnte sich auch wohl gehen lassen. N u r umso deutlicher blitzt auch in seiner Zerstreuung die Einheit auf, die sein Denken und Wollen dauernd zerbricht und neu formt. Die aus dieser Sammlung folgende Geschlossenheit seines Bildes wird viel bewundert und sie ist bewundernswert. Sie ist aber keine Form [!], die von ihrem Inhalt [!] zu trennen wäre. Luther selbst nannte das Eine, um das er gesammelt war, .Christus' oder ,das Evangelium' oder ,das W o r t Gottes'. Man muß die Geschlossenheit seines Bildes schon von daher [!] sehen oder man sieht sie gar nicht. Von daher gesehen erscheint sie aber jedenfalls auch als eine fremdartige, unheimliche, gefährliche Geschlossenheit. Sie ruht nicht in sich selber. Sie weist über sich selbst, aber damit auch über alle anderen menschlichen Geschlossenheiten hinaus. Sie ist im strengen Sinn des Begriffs exzentrisch. Sie ist die Geschlossenheit eines angestrengt hörenden Menschen [!]" (Lutherfeier 1933, 8). 2 Zum Begriff der S i g n a l e b e n e , der den Verweis-, Hinweis- und Zeugnischarakter der Verkündigung der Gemeinde und der menschlichen Entsprechung (Konformität) umschreibt, vgl. insbesondere K D IV/3, 967 ff., w o Barth noch einmal das Zeugnis und den Zeugendienst der Gemeinde als Aussage (Proklamation), als Erklärung (Explikation) und als Anrede (Applikation) entfaltet und sich zur Präzisierung der Struktur und des Vollzugs dieses Zeugendienstes des terminus Z e i c h e n bedient: Der Zeugendienst der christlichen Gemeinde besteht darin, „ein Zeichen a u f z u richten . . . Ihr Dienst besteht darin, . . . diese anzeigende Bewegung zu machen . . . Das Zeichen, das sie damit aufrichtet, darf der Welt nicht fehlen" (968). Kann und darf die Gemeinde als Dienst- und Zeugnisgemeinschaft „dem Evangelium den Dienst der Erklärung [intellectus fidei!] nicht versagen, so kann und darf doch auch ihr Erklären nur Dienst, und zwar Zeugendienst sein. Dem Evangelium verpflichtet, kann sie nicht umhin, sein der Welt zu gebendes Zeichen [!] auch damit aufzurichten, d a ß sie seinem Verständnis dient und dazu anleitet" (971).

97 7

Klappert, Promissio

Der Spitzensatz lautet: „Das Gesetz [Gebot] ist nichts anderes als die notwendige F o r m d e s E v a n g e l i u m s , dessen Inhalt die Gnade ist. Gerade dieser Inhalt erzwingt diese F o r m , . . . die nach Gleichform ruft."3 Dieser Spitzensatz Barths setzt die Differenzierung in eine christologische Realebene einerseits und eine kerygmatische Signalebene und anthropologische Konformitätsebene andererseits voraus4. Diese Differenzierung läßt sich im Sinne Barths in drei Sätzen formulieren: 1. Die Gnade hat eine Form (die christologisch-perfektische Realebene), 2. das Evangelium hat eine Form (die kerygmatische Signalebene), 3. der Glaube hat eine Form (die anthropologische Konformitätsebene). i. Die christologisch-perfektische (Die Gnade hat eine

Realebene Form)

„Es gibt keinen göttlichen Anspruch, der n i c h t . . . in J e s u s verkörpert ist, so gewiß dieser wie die Gnade Gottes selbst, so auch deren Gestalt [Form], wie das Evangelium so auch das Gesetz ist."5 „Er [Jesus Christus] selbst ist das Evangelium"6 und „seine Person ist die Fülle des göttlichen Gebotes"7. M. a. W.: In der Geschichte Jesu Christi wird uns 3

Ev. u. Ges. 13 (WdF 9). Kursivierung vom Verfasser. Zu der hier vorgenommenen Differenzierung zwischen der cbristologischen Realebene als der Einheit der Wahrheit erfüllter Bundesgeschichte und der Wirklichkeit vollbrachter Versöhnungsgeschichte einerseits und der kerygmatisch-anthropologischen Signal bzw. Zeichen-, Hinweis-, Zeugnis-, Form- und Konformitätsebene andererseits vergleiche Barths Verwendung des Inhalt - Form - Schemas, seine Differenzierung zwischen dem gekreuzigten Christus als dem Inhalt bzw. dem Wesen der Kirche und den kerygmatisch-anthropologischen Zeichen als der Form der Kirche und seine P a r allelisierung des Form- und Zeichenbegriffes in den Kapitel IV,1 Anm. 17 dieser Arbeit genannten Aufsätzen. Der dort zu findende folgende Satz Barths stammt nicht - wie man meinen sollte - aus K D IV/3,4, sondern aus dem Jahre 1931 und d ü r f t e unter anderem f ü r die Beantwortung der schwierigen Frage von Gewicht sein, wie sich Barths in K D 1/1 entwickelte Lehre von den drei Gestalten des Wortes Gottes zu dem insbesondere in K D IV/3,4 entwickelten signifikativen W o r t verständnis verhält. N a c h d e m Barth jegliche Fortsetzung, Vergegenwärtigung und also jegliche kerygmatisch-anthropologische Wiederholung durch die Kirche abgewiesen und ihre Funktion als Zeugen d i e η s t bestimmt hat, f ä h r t er f o r t : „Die Aufrichtung von Zeichen ist ihre Aufgabe. Sie wird aber über die Aufrichtung von Zeichen nach keiner Seite hinausgehen. Zeichen ist ihre Verkündigung, Zeichen ihre Anbetung, Zeichen ihr Sakrament [!], Zeichen das Zeugnis des Lebens ihrer Glieder [!] sowohl wie das Zeugnis, das sie als Kirche der Gesellschaft gegenüber [!] ablegt" (Die N o t der evangelischen Kirche, in: Kupisch 40). 4

5

98

K D II/2, 630.

6

Ebd. 619.

7

Ebd. 676.

der Wille Gottes inhaltlich und formal als Gnade sichtbar8, d. h. „der Inhalt des Evangeliums [hat] auch eine Form" 9 . Die Geschichte Jesu Christi als die Geschichte der Gnade Gottes, die der Inhalt des Evangeliums ist, hat selber eine Form. Denn die Geschichte der Gnade Gottes ist die Geschichte der Koinzidenz von „inhaltlicher" Erniedrigungsgeschichte Gottes und „formaler" GlaubensGehorsams-Geschichte des Menschen Jesus. Diese Geschichte Jesu Christi dieses Inhalts und dieser Form hat - durch ein unumkehrbares Begründungs- und Implikationsverhältnis charakterisiert - den Charakter des Perfektischen exklusiver Stellvertretung.

2. Die kerygmatische Signalebene (Das Evangelium hat eine Form) „Anders denn als d i e . . . Form dieser Botschaft kann die Kirche das Gesetz [Gebot] Gottes nicht verkündigen. Anders denn als gezielte und angewendete Evangeliumsverkündigung kann alles Reden von Gottes Willen und G e b o t . . . nur ein Geschwätz sein."10 Das Gebot als Form des Evangeliums, das Gebot als gezielte Evangeliumsverkündigung, meint Barth, wenn er in „Evangelium und Gesetz" feststellt: „Das Gesetz [Gebot] ist nichts anderes als die notwendige Form des E v a n g e l i u m s . " 1 1 Wie ist der Charakter der Notwendigkeit des Gebotes als Form des Evangeliums zu denken? Die Notwendigkeit des Gebotes als Form des Evangeliums auf der kerygmatischen Signalebene ist exklusiv die Notwendigkeit der Geschichte Jesu Christi selber, d. h. — im Unterschied zu Luthers „seelsorgerliche[r] Bestimmtheit seines Eintretens für die Gesetzespredigt"12 - keine anthropologische Notwendigkeit: Wenn die Erniedrigungsgeschichte des Sohnes Gottes die Form der Gehorsamsgeschichte des Menschen Jesus hat, dann muß - so argumentiert Barth - diesem auf der kerygmatischen Ebene das Gebot als Form des Evangeliums entsprechen. Die Aussage Barths, daß das Evangelium als verkündigtes, offenbares, uns ansprechendes immer im Gesetz, d. h. in der Form des Gebotes erscheint13, ist also nicht - wie bei Luther - zugleich am Adressaten, sondern ausschließlich an der Inhaltlichkeit des Evangeliums und von diesem Inhalt her auch am Adressaten orientiert. Nicht sofern das Evangelium seinen durch die perversio legis und opinio iustitiae charakterisierten Adressaten, sondern sofern es diesen chriVgl. E v . u. Ges 11 (WdF 7). 10 K D I I / 2 , 626. » Ebd. 14 (WdF 10). 1 1 E v . u. Ges. 13 (WdF 9). Kursivierung vom Verfasser. 12 Wolf, Per. II 36. 13 E v . u. Ges. 13 (WdF 9). 8

99 7*

stologischen Inhalt hat, hat es das Gebot als seine Form notwendig bei sich. Die Notwendigkeit des Zusammenhangs von Inhalt und Form auf der kerygmatischen Signalebene ist also in der Koinzidenz von christologischem Inhalt und christologischer Form auf der Realebene begründet und schließt von daher - im Unterschied zu Luther - auf der kerygmatischen Ebene ein Folgeverhältnis zwischen richtendem Gesetz und rechtfertigendem Evangelium aus. Denn es ergeht der Anspruch des göttlichen Gebotes „weder indem er . . . der Verkündigung der Gnade irgendwie voranginge . . . noch daß er ihr erst folgen würde ... Sondern immer ist er [der göttliche Anspruch des Gebotes] die Form . . . der Gnade, immer ist er selbst... Wiederholung der . . . Gnaden Verheißung"14. So wenig also Evangelium und Gebot identisch sind, so wenig gibt es auf der kerygmatischen Ebene die Form des Gebotes als Voraussetzung oder Folge des Evangeliums. Die Form des Gebotes, ihr aufgrund des Inhalts der Gnade verheißender Charakter hat nach Barth seine Konkretion ζ. B. in den kerygmatischen Imperativen, die als solche „potenzierte Indikative" 15 darstellen: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen, darum tut Buße und glaubt an das Evangelium" (Mk. 1,15)16. Der kerygmatische Imperativ „Sorget nicht! Fürchtet euch nicht!" ist die Form des Indikativs der Gegenwart der Herrschaft Gottes in Jesus Christus. Und Barth meint zu Recht: „Die Trennung zwischen Evangelium und Gesetz [Gebot] dürfte, in diesen beiden Imperativen schlechterdings unmöglich sein."17 Und zum paulinischen und johanneischen στήκετε und μένετε heißt es bei Barth: „Wie man das Gesetz [Gebot] vom Evangelium trennen, wie man das Gesetz [Gebot] als solches kraftvoll . . . verkündigen kann, ohne es vom Evangelium her auszulegen, das ist also wirklich auch bei diesen beiden Begriffen unerfindlich." 18 Daß der kerygmatische Imperativ („glaubet!", „sorget nicht!", „bleibet!") als Form des zusprechenden Indikativs („deine Sünden sind dir vergeben", „die Herrschaft Gottes ist gegenwärtig") das für Luther konstitutive Nacheinander von Gesetz und Evangelium (in dieser Reihenfolge!) auf der kerygmatischen Ebene grundsätzlich ausschließt, das kann hier erst in seinem D a ß konstatiert, das kann hier noch nicht in seinem W a r u m und I n w i e f e r n expliziert werden.

14 15 17

100

K D II/2, 625, Kursivierung vom Verfasser. 18 Ebd. 774. Ebd. 625. 18 Ebd. 666. Ebd. 669.

jj. Die anthropologische

Konformitätsebene

(Der Glaube hat eine Form) Die Exklusivität der perfektischen Stellvertretung macht es Barth zufolge unmöglich, den Glaubensgehorsam des Menschen Jesus als exemplum19 im Sinne des vorbildlichen Urbildes und den Glaubensgehorsam irgendeines Menschen als Realisierung der christologischen Realebene zu begreifen - und zwar wiederum im charakteristischen Unterschied zu Luther, dessen Aufstellungen in den Antinomerdisputationen an diesem Punkt zumindest keine Eindeutigkeit aufweisen. Ich meine Luthers Sequenz20 über die lex: a) lex ab homine implenda, non impleta, b) lex a Christo impleta, c) lex fide impleta, d) lex a nobis spiritu implenda, die etwa in folgenden Zitaten Luthers sichtbar wird: lex „manet ante Christum non impleta, post Christum implenda [!], quamquam in hac vita perfecte non f i t . . . a iustificatis" 21 oder „lex enim. . . fuit ante Christum nos quidem accusans, sub Christo . . . placata, et deinceps spiritu implenda" 22 . Gerade diese Zweideutigkeit im Verständnis der anthropologischen Konformitätsebene in Luthers Aussagen, d. h. im Hinblick auf die Frage, ob die anthropologische Konformitätsebene als Realisierung oder als Bezeugung zu verstehen ist, ist Barth zufolge unmöglich - und zwar angesichts von „Gottes Wort und Werk in Jesus Christus, in welchem das rechte Handeln des Menschen schon geschehen ist und also nur noch auf seine Bestätigung [nicht Realisierung!] durch unser Handeln wartet" 23 . Insofern ist der Glaubensgehorsam des Menschen Jesus die Form, die nach Konformität und Entsprechung verlangt 24 . 19

Vgl. E. Wolf, Christusverkündigung 72 ff.; O. Bayer, Promissio 298 ff.; S. Hausammann, Buße 106 ff., W. Joest, Ontologie 382 ff. 20 Luthers Sequenz über die lex ist insbesondere von R. Hermann in seiner Schrift „Zum Streit um die Überwindung des Gesetzes" analysiert worden. 21 Luthers Sequenz über das Gesetz: a) das vom Menschen zu erfüllende, aber nicht erfüllte Gesetz, b) das von Christus erfüllte Gesetz, c) das im Glauben erfüllte Gesetz, d) das von uns im Geist zu erfüllende Gesetz, wird in folgenden Zitaten erkennbar: Das „vor Christus nicht erfüllte, nach Christi Kommen zu erfüllende Gesetz bleibt, obwohl es in diesem Leben . . . von den Gerechtfertigten nicht vollkommen erfüllt wird" (WA 39/1, 363,10-12). 22 Oder: „Denn das G e s e t z . . . klagte vor Christi Kommen uns an, unter Christus . . . wurde es versöhnt und infolgedessen ist es im Geist zu erfüllen" (WA 39/1, 349,39 f.). 23 K D II/2, 603. Kursivierung vom Verfasser. 24 Vgl. Ev. u. Ges. 15 (WdF 11). 101

Diese anthropologische Konformitätsebene ist nach Barth a) durch den Glauben an Jesus Christus, b) durch die Notwendigkeit der Inklusion von Inhalt und Form und c) durch einen teleologischen Charakter bestimmt. a) Die anthropologische

Konformitätsebene

als Glaube an Jesus Christus

Die anthropologische Konformitätsebene im Sinn des Glaubensgehorsams ist mit Barth im strengen Sinn als gegenstandsbezogener Glaube an Jesus Christus zu beschreiben und kann in keinem Sinn als Glaube wie Jesu Glaube beschrieben werden. Denn nur der Glaube an Jesus Christus kann die Konformität mit dem Glaubensgehorsam Jesu Christi und der bestätigende Verweis auf ihn sein, insofern in dem Glauben an Jesus Christus aller Gehorsam beschlossen ist 25 . b) Die Notwendigkeit der Inklusion anthropologischen Konformitätsebene

von Inhalt

und Form auf

der

Wie der Glaube als Inhalt den Gehorsam als Form begründet und zugleich einschließt, so gibt es umgekehrt - so argumentiert Barth - den Glauben immer und notwendig nur in der Form des Gehorsams. Die Koinzidenz und Inklusion von Inhalt und Form auf der christologischen Realebene hat also ihr Echo und ihren Reflex auf der anthropologischen Signalebene: wie der Glaube als Inhalt den Gehorsam als Form notwendig einschließt, so gibt es den Glauben als Inhalt nur in der Form des Gehorsams. Das Verständnis des Gehorsams als F o r m des Glaubens als I n h a l t richtet sich (1) gegen ein prozessuales Verständnis des Glaubens als Anfangsmoment des menschlichen Gehorsamsprozesses, demzufolge der Gehorsam die Vollendung des Glaubens und der Glaube als Anfang des Gehorsams verstanden ist. Gegenüber einem solchen Verständnis der fides als initium iustificationis und der oboedientia und caritas als incrementum iustificationis26 besagt Barths These von dem Gehorsam als Form des Glaubens als Inhalt in Aufnahme des reformatorischen sola fide und in Abgrenzung gegenüber der tridentinischen prozessualen Vermittlung: Der Glaube ist nicht überholbares Anfangsmoment in der menschlichen Gehorsamsgeschichte, der Glaube v o l l e n d e t sich nicht im Gehorsam. Vielmehr ist der Gehorsam immer und zu jeder Zeit die Form, dessen Inhalt immer und zu jeder Zeit der Glaube ist. Und dieses Verhältnis von Inhalt und Form ist nicht in ein prozessuales Verständnis konvertierbar. Vgl. ebd. 17 (WdF 13·). Concilium Tridentinum Sessio VI, Decretum de iustificatione Cap. 8 f., Denzinger 288 f. 25

28

102

Das Verständnis des Gehorsams als F o r m des Glaubens als I n h a l t richtet sich (2) gegen ein abstraktes Verständnis des Gehorsams losgelöst vom Glauben, demzufolge der Gehorsam als Gehorsam der Werke, als Gehorsam im Tun der Tora im Unterschied zum Gehorsam des Glaubens verstanden ist. Gegenüber einem solchen Verständnis, demzufolge der jüdische Mensch die Rechtfertigung aufgrund des Gehorsams gegenüber der Tora erlangt, gegenüber dem Weg des jüdischen Menschen und seinem Versuch, die Rechtfertigung vor Gott durch das gehorsame Tun der Tora zu erlangen (Rom. 10,3), besagt Barths These in Aufnahme des paulinischen sola fide und seiner Abgrenzung gegenüber der jüdischen Abstraktion des Gehorsams vom Glauben: Der Mensch wird nur im Glauben gehorsam und sein Gehorsam hat nur insofern die wahre Form, als er den Glauben zum Inhalt hat. Der Gehorsam des Menschen empfängt seine .formale' Definition durch die Inhaltlichkeit und Bestimmtheit des Glaubens als Annahme der Gnade Gottes. Der Gehorsam gegenüber der Tora ist vom Glauben nicht a b s t r a h i e r b a r . Vielmehr ist der Gehorsam immer und zu jeder Zeit nur die Form, dessen Inhalt immer und zu jeder Zeit der Glaube ist. Und dieses Bezogensein der Form auf diesen Inhalt ist nicht zugunsten eines abstrakten Verständnisses des Gehorsams losgelöst vom Glauben aufhebbar. Das Verständnis des Gehorsams als F o r m des Glaubens als I n h a l t richtet sich (3) gegen ein abstraktes Verständnis des Glaubens losgelöst von der Form des Gehorsams, demzufolge der Gehorsam erst eine sekundäre F o l g e des Glaubens und von dem Glauben her ist. Gegenüber einem solchen a b s t r a k t e n Verständnis des Glaubens und in Abgrenzung gegenüber einer aus ihm notwendig folgenden Fragestellung hinsichtlich der Heilsnotwendigkeit der guten Werke bzw. des Gehorsams (der majoristische Streit) bzw. einer aus ihm folgenden These, daß dem Glauben der Gehorsam als seine Wirkung (!) notwendig f o l g e n müsse (J. Menuis) besagt Barths These von dem Gehorsam als der Form des Glaubens als Inhalt: Der Glaube ist nicht abstraktes Grundelement (causa), dem der Gehorsam als Wirkung (effectus) erst folgt. Vielmehr ist der Glaube als Inhalt immer und zu jeder Zeit nur in der Form des Gehorsams auf dem Plan, ist der Gehorsam die n o t w e n d i g e Form des Glaubens als Inhalt. Fides sola iustificat, sed fides non est sola (Luther). Das Verständnis des Gehorsams als F o r m des Glaubens als I n h a l t richtet sich (4) gegen ein gesetzliches Verständnis des Glaubens, demzufolge der Glaube als sublimste und potenzierte Leistung des Gehorsams verstanden ist. Gegenüber einem solchen gesetzlichen Verständnis des Glaubens und in Abgrenzung von einem gesetzlichen Mißverständnis des reformatorischen sola fide in Sinne der Rechtferti103

gung „aufgrund des Glaubens"27 besagt Barths These von dem Gehorsam als Form des Glaubens als Inhalt: Der Glaube als Inhalt ist nicht die potenzierte Form des Gehorsams. Vielmehr ist der Gehorsam als Form immer und zu jeder Zeit b e z o g e n auf den Glauben als Inhalt und ist also der Glaube als Inhalt nicht als subtile Gestalt dieses Gehorsams als Form verstehbar. Und diese U n v e r t a u s c h b a r k e i t und Unverwechselbarkeit von Inhalt und Form kann nicht zugunsten eines „formalen" Verständnisses des Glaubens im Sinne seines gesetzlichen Verständnisses mißverstanden werden. c) Der teleologische Charakter der anthropologischen Konformitätsebene als Funktion der perfektisch-teleologischen Bestimmtheit der christologischen Realebene Was ist die teleologische Bestimmung des durch das Gebot der Gnade befreiten Menschen? Was ist das Telos der Gnade Gottes, die dem Menschen zum Gebot und damit zur Kritik „aller anderen einzelnen τέλη unserer Existenz" 28 wird? Barth antwortet: „Es ist Gottes Gnade, die uns durch Gottes Anspruch bezeugt wird. Gottes Gnade will und schafft den Bund zwischen Gott und dem Menschen. Sie bestimmt also den Menschen zur Existenz in diesem B u n d e . . . Sie bestimmt also sein Tun zu einer Entsprechung, zur Konformität, zur Gleichförmigkeit mit Gottes T u n . . . Die Gnade Gottes ist aber die Existenz Jesu Christi." 29 Hat von der perfektisch-christologischen Realebene, d. h. vom Heilsgeschehen her die Verkündigung und die anthropologische Entsprechung nach Barth den Charakter einer ständigen Bewegung des Verweises und der „menschlichen Bestätigung dieser göttlichen Grundentscheidung"30, so kommt der Signalebene von dem „teleologischen Charakter der Gnade" 31 her, d. h. aufgrund der dynamisch-perfektischen Realebene ein wie Barth formuliert - grundsätzlich teleologischer Charakter zu. „Jes u s . . . hat diese teleologische Kraft." 3 2 Die perfektische Identität von Wahrheit und Wirklichkeit auf der christologischen Realebene begründet angesichts der faktischen Wirklichkeit der Nichtentsprechung zur wahren Wirklichkeit der christologischen Realebene auf der kerygmatisch-anthropologischen Ebene den teleologischen Prozeß der allmählich fortschreitenden Entsprechung der Signalebene gegenüber der Realebene, wobei sich dieser dynamisch-teleologische Prozeß aus der Kraft der christologischen Realebene vollzieht. 27 28 28 31

104

Corpus Reformatorum II 501. KD II/2, 634. Ebd. 638 f. Ebd.

80 32

Ebd. 630. Ebd. 634.

Es kann deshalb Barth zufolge kein Moment auf der kerygmatischanthropologischen Signalebene gedacht werden, das seine Konstitutionsbedingungen nicht in der perfektisch-christologischen Realebene hätte. Das Fazit der Barthschen Differenzierung zwischen der christologisch-perfektischen Realebene einerseits und der kerygmatischen Signalund anthropologischen Konformitätsebene andererseits läßt sich in Barths Worten so umschreiben: Die Gnade als der Inhalt des Evangeliums, sofern er (der Inhalt) selber eine Form hat (die Gnade hat eine Form!), erzwingt sich das Gebot als Form des Evangeliums (das Evangelium hat eine Form!), das nach menschlicher Gleichform (Entsprechung, Konformität) ruft (der Glaube hat eine Form!) 33 .

4. Die Realebene des Heilsgeschehens und die Signalebene des Verkündigungsgeschehens (Zusammenfassung) Die christologisch-perfektische Realebene (Heilsgeschehen) ist von der kerygmatisch-anthropologischen Signalebene (Verkündigung) grundsätzlich zu unterscheiden34. Zwischen der Real- und der Signalebene besteht dabei im Sinne Barths ein unumkehrbares Begründungsgefälle. Gegenüber der perfektisch-christologischen Realebene können - im Gegensatz zum zentralen Stellenwert des promissio-Begriffs bei Luther - sowohl das Kerygma (Evangelium und Gebot) als auch die anthropologische Gleichform (Glaubensgehorsam) grundsätzlich auf die Signalebene geraten, wobei es dann ein eindeutiges Begründungsgefälle im Bereich der kerygmatisch-anthropologischen Signalebene nicht mehr gibt. Der Glaubensgehorsam des Menschen kann dann nicht nur 1. als Konformität mit der Form des Evangeliums ( = Kerygma), sondern auch 2. als unmittelbare, d. h. - und darin in fundamentaler Differenz zu Luther - nicht durch das Wort der Verkündigung vermittelte Konformität mit dem stellvertretenden Glaubensgehorsam des Menschen Jesus beschrieben werden, ja, der Glaubensgehorsam kann 3. als zeichenhafte Entsprechung selber zum kerygmatischen Zeugnis der christologischen Realebene werden. Die Zuordnungen, Verklammerungen und Strukturen auf der kerygmatischen Signalebene können nur von dem Begründungs-, Inklusionsund Koinzidenzverhältnis der Erniedrigungsgeschichte des Sohnes Gottes und der Gehorsamsgeschichte des Menschen Jesus auf der perfektisch-christologischen Realebene her verstanden werden: Das Gebot ist 83 34

Vgl. E v . u. Ges. 13 ( W d F 9). Vgl. ebd. 16 (WdF 13): „es kann nur Z e u g n i s s e

geben."

105

nur von daher die notwendige Form des Evangeliums, der Gehorsam ist nur von daher die notwendige Form des Glaubens. Die christologisch-perfektische Realebene als die Einheit von Wahrheit erfüllter Bundesgeschichte und Wirklichkeit vollbrachter Versöhnungsgeschichte qualifiziert die kerygmatisch-anthropologische Signalebene als eine teleologische Ebene: die Begriffe „Form" und „Gleichform" sind also von Barth nicht als statische, sondern als dynamisch-teleologische Begriffe verstanden. Von der perfektisch-christologischen Realebene her kann die kerygmatisch-anthropologische Signalebene nicht als Realisierung im Sinne von Luthers Aussage über die „lex in Christo impleta a nobis implenda" verstanden werden, sondern nur noch als Zeugnis von der Realebene in dem Sinn, daß wir dem in Christus für alle erfüllten Gebote der Liebe in Dankbarkeit entsprechen. In dieser - im Blick auf Luther - unreformatorischen Differenzierung zwischen christologischer Realebene einerseits und kerygmatischanthropologischer Signalebene andererseits ist bereits in „Evangelium und Gesetz", d. h. bereits im Jahre 1935, in nuce enthalten, was dann in K D IV/1-3 bis hin zur Tauflehre in K D IV/4 durch Barth seine konsequente Explikation erfahren hat. Die Einordnung der bisher anhand von „Evangelium und Gesetz" und K D II/2 gewonnenen Ergebnisse in den Gesamtzusammenhang der Kirchlichen Dogmatik, insbesondere der Bände IV/1-4, wird im zweiten Teil der Untersuchung (VI ff.) zu leisten sein. THESE V

Die christologisch-perfektische Realebene (Heilsgeschehen) ist von der kerygmatisch-anthropologischen Signalebene (Verkündigung) grundsätzlich zu unterscheiden. Zwischen der Real- und der Signalebene besteht dabei im Sinne Barths ein unumkehrbares Begründungsgefälle. Gegenüber der perfektisch-christologischen Realebene geraten sowohl das Kerygma (Evangelium und Gebot) als auch die anthropologische Gleichform (Glaubensgehorsam) grundsätzlich auf die Signalebene, wobei es ein eindeutiges Begründungsgefälle im Bereich der Signalebene nicht mehr gibt. Der Glaubensgehorsam des Menschen kann deshalb nicht nur 1. als Konformität mit der Form des Evangeliums und 2. als unmittelbare, d. h. nicht durch das Wort der Verkündigung vermittelte Konformität mit dem stellvertretenden Glaubensgehorsam des Menschen Jesus umschrieben werden, sondern der Glaubensgehorsam kann 3. als zeichenhafte Entsprechung selber zum kerygmatischen Zeugnis der Realebene werden. 106

VI. Die Dialektik der Bundesgeschichte als Bestimmungsgrund der Dialektik der Versöhnungsgeschichte (Die Dialektik der christologischen Wortkategorien)

i. „Evangelium und Gebot" und „Verheißung und Erfüllung" als die beiden Grundkategorien des Wortes Gottes bei Barth (Die Unterscheidung zwischen Wahrheits- und Wirklichkeitskategorien des Wortes Gottes) Barth unterscheidet anders als Luther die Wahrheitsgeschichte von Evangelium und Gebot,Verheißung und Erfüllung von der Wirklichkeitsgeschichte von Gesetz und Evangelium, Rechtfertigung und Weisung, wobei er innerhalb der der Wahrheitsgeschichte des Bundes zugeordneten Wortkategorien noch einmal zwischen der vertikalen Kategorie „Bund und Gebot", der horizontalen Kategorie „Verheißung und Erfüllung" und der den genannten ontischen Kategorien entsprechenden noetischen Kategorie „Verhüllung und Offenbarung" differenziert. Diese vertikale, diese horizontale und diese noetische Wortkategorie des Bundes werden von Barth auf die der Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung zugeordneten Kategorien „Gesetz und Evangelium", „Rechtfertigung und Weisung* bezogen, wobei er die Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung zugleich streng als Geschichte der siegreichen Erfüllung der Wahrheitsgeschichte des Bundes verstanden wissen will. Von daher ist es Barth unmöglich, mit Luther die Verheißung (promissio) mit dem rechtfertigenden Evangelium im Sinne der remissio zu identifizieren: die Rechtfertigungslehre ist Barth zufolge nicht einfach die Mitte und Grenze christlicher Lehre1! Von daher ist es Barth zugleich unmöglich, die an den Gerechtfertigten ergehende Weisung des göttlichen Wortes zugunsten der Spontaneität des Glaubens als der Erfüllung der Gebote zu eliminieren. Die promissio wäre im Sinne Barths nur dann als das eine Wort Gottes verstanden, wenn diese promissio zugleich im Sinne 1. des Bundes als zusprechender Verheißung, 2. des Gebotes als beanspruchender Verheißung, 3. des „Gesetzes" als widersprechender Verheißung und 4. der Vergebung als freisprechender Verheißung verstanden wäre. 1

Vgl. KD IV/1, 581.

107

Während für Luther — am Ubergang von der iustitia activa hominis zur iustitia passiva Dei orientiert - die christologisch-kerygmatische Kategorie „Gesetz und Evangelium" im Zentrum steht und also der kerygmatische Ubergang vom Gesetz zum Evangelium die Christologie inhaltlich bestimmt, bezieht Barth die der Bundesgeschichte (Wahrheitsgeschichte!) zugeordneten Wortkategorien „Erwählung und Gebot" und die der Versöhnungsgeschichte (Wirklichkeitsgeschichte!) zugeordneten Wortkategorien „Gesetz und Evangelium" und „Rechtfertigung und Heiligung" so aufeinander, daß die Dialektik der Bundesgeschichte auch die Dialektik der Versöhnungsgeschichte ausmacht, die Dialektik der Wortkategorien „Evangelium und Gebot" und „Verheißung und Erfüllung" der Bundesgeschichte auch die Dialektik der Wortkategorien „Gesetz und Evangelium" und „Rechtfertigung und Heiligung" der Versöhnungsgeschichte bestimmt und nicht umgekehrt.

THESE V I / 1

Barth differenziert im Unterschied zu Luther zwischen der Wahrheitsgeschichte von Evangelium und Gebot, Verheißung und Erfüllung, und der Wirklichkeitsgeschichte von Gesetz und Evangelium, Rechtfertigung und Weisung, wobei er innerhalb der der Wahrheitsgeschichte des Bundes zugeordneten Wortkategorien zwischen der vertikalen (Bund und Gebot), der horizontalen (Verheißung und Erfüllung) und der noetischen Kategorie (Verhüllung und Offenbarung) unterscheidet und diese auf die der Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung zugeordneten Kategorien Gesetz und Evangelium, Rechtfertigung und Weisung bezieht. Von daher ist es Barth unmöglich, mit Luther die Verheißung (promissio) mit dem rechtfertigenden Evangelium im Sinne der remissio zu identifizieren und die an den Gerechtfertigten ergehende Weisung des göttlichen Wortes zugunsten der Spontaneität des Glaubens als der Erfüllung der Gebote zu eliminieren. Während für Luther die christologisch-kerygmatische Kategorie Gesetz und Evangelium im Zentrum steht, bezieht Barth die der Bundesgeschichte und die der Versöhnungsgeschichte zugeordneten Wortkategorien so aufeinander, wie die Dialektik der Bundesgeschichte die Dialektik der Versöhnungsgeschichte bestimmt und nicht umgekehrt.

108

2. Die Wirklichkeitskategorien der Versöhnungsgeschichte als Gestaltkategorien der Bundesgeschichte (Die Gestaltkategorien des richtenden Gesetzes, der siegreichen Rechtfertigung und der beanspruchenden Verheißung) Auf eine hier vorgenommene Differenzierung gegenüber Barths Terminologie zur Präzisierung der theologischen Sachaussage Barths muß zunächst hingewiesen werden2. Wie Barth in KD II/2 zwischen Gebot und Gesetz nicht differenziert, so gebraucht er analog die Kategorien der Form und der Gestalt synonym, wie folgende Beispiele zeigen: „Die Ethik als Lehre von Gottes Gebot erklärt das Gesetz [!] als die Gestalt [!] des Evangeliums."3 „Das Evangelium selbst und als solches hat die Form und Gestalt [!] des Gesetzes."4 Im Unterschied zu diesem Promiscue-Gebrauch wird von Barth in KD IV/1 § 57,2 zwischen der Aktion Gottes in der Durchführung des Bundes und der Reaktion Gottes auf den Zwischenfall der Sünde in der Versöhnung unterschieden und die Versöhnung als die Gestalt der Durchführung des Bundes bezeichnet: „Alles Geschehen des Willens Gottes ist das Geschehen seines B u n d e s w i l l e n s . Als sein Bundeswille streitet und siegt er in der in Jesus Christus geschehenen Versöhnung gegen des Menschen Sünde und ihre Folgen. Er ist aber zuerst, er ist schon vor des Menschen Sünde und vor Gottes Streit und Sieg gegen sie und ihre Folgen sein Bundeswille. Er b e w ä h r t sich in diesem Gegensatz, Streit und Sieg. Er kommt in ihm zur E r f ü l l u n g . " 5 „Man kann und muß also wohl die menschliche Übertretung als einen Zwischenfall und ihre Uberwindung in Jesus Christus als Gottes kontingente Reaktion gegen diesen Z w i s c h e n f a l l verstehen. Es geschieht aber auch diese R e a k t i o n als solche im Zug und in der Linie der im Willen Gottes von Anfang an festgelegten und im Gang befindlichen A k t i o n . Sie ist doch nur deren besondere Gestalt [!] angesichts jenes Zwischenfalles . . . Dieser Bundes w i 11 e ist es, der in Jesus Christus vollstreckt - diese Bundes S t i f t u n g ist es, die in ihm durchgeführt wird. Er tut es angesichts der menschlichen Sünde, als deren Überwinder, als Versöhner zwischen Gott und Mensch. Er tut es also in der Tat im Vollzug der göttlichen Reaktion auf jenen Zwischenfall. Es ist aber vor Allem auch Gottes, durch jenen Zwischenfall gestörte, aber 2 Der Begriff der Gestalt wird im folgenden im Unterschied zu dessen Gebrauch bei Barth in KD II/2, 564 ff. zugleich im Anschluß an dessen Gebrauch in KD I V / 1 , 36 ff. verwendet. 3 K D I I / 2 , 564. 4 Ebd. 567. « KD I V / 1 , 36.

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nicht unterbrochene A k t i o n , die er dadurch zu ihrem Ziele führt. Er vollzieht und offenbart gerade damit auch Gottes Ur- und Grundwillen, Gottes erste Tat, seinen ursprünglichen B u n d mit dem Menschen."6 Ignoriert der Mensch den Bund Gottes mit ihm und pervertiert er das Gebot als Form dieses Bundes, „muß ihm die ihm zugewendete Wohltat Gottes d a n n tatsächlich und o b j e k t i v zum Schrecken und Verderben werden, wenn er sich Gott entzieht und widersetzt. Die göttliche Huld selbst nimmt dann für ihn die Gestalt [!] des Zornes an. Es wandelt sich ihm dann Gottes Ja zum Nein, seine Gnade zum Gericht. Eben das Licht blendet ihn dann und versetzt ihn in Finsternis; eben das Leben wird ihm dann zum Tode. Das heißt aber nicht, daß Gott den Bund nicht halten und nicht einmal, daß dieser aufhören würde, Gnadenbund - sein Sinn und seine Absicht aufhörte, die dem Menschen zugewendete Wohltat zu sein. Wie könnte Jahwe aufhören, das Heil zu sein? Das heißt aber allerdings: daß sich der eigentliche Charakter des Bundes in bestimmten Situationen seiner Ausführung und Geschichte unter einer fremden Gestalt [!] verbergen muß - die dann aber doch auch wieder fallen und . . . seiner eigentlichen Gestalt neuen Raum geben kann. In ihr, in sich selbst, von seinem Sinn und seiner Absicht her, ist und bleibt der Bund - so gewiß Gott in ihm König ist und bleibt - ein Verhältnis des Vollzugs und des Empfangs von Wohltat, nicht auch das Gegenteil, nicht auch ein Zornes- und Unheilsverhältnis: auch dann nicht, wenn es sich dem Menschen (etwa wie Hiob) so darstellt und darstellen muß, und auch dann nicht, wenn der barmherzige, aber auch gerechte und heilige Gott selber es (wie in der Geschichte Israels so oft) nur noch unter jener Fremdgestalt [!] aufrechterhalten und durchführen will und kann" 7 . Der Begriff der Gestalt in seiner in den zitierten grundlegenden Äußerungen Barths verwendeten Bedeutung ist also eine Reaktionskategorie, d. h. eine an der Sünde und dem Zorn Gottes als Reaktion auf die Sünde orientierte Kategorie und als solche die Umschreibung des richtenden Gesetzes, wobei Reaktion hier als Moment und Gestalt der Bundesaktion Gottes verstanden ist. Gestalt bezeichnet also die Reaktionskategorie des richtenden Gesetzes im Rahmen der Durchführung der Bundesgeschichte. Die in Abschnitt VI/1 entfaltete inhaltliche und strukturelle Bestimmung der Wirklichkeitskategorien der Versöhnungsgeschichte durch die Wahrheitskategorien der Bundesgeschichte hat also zur Folge, daß die der Versöhnungsgeschichte zugeordneten Wortkategorien (Gesetz und Evangelium/Rechtfertigung und Heiligung) durch die der Bundesgeschichte zugeordneten Wortkategorien (Evangelium und Gebot/Verhei« Ebd. 37. 7 Ebd. 42; Kursivierung vom Verfasser.

110

ßung und Erfüllung) zu Gestaltkategorien bestimmt und „Gesetz und Evangelium" und „Rechtfertigung und Heiligung" als Gestalten der Durchführung des Bundes in der Erfüllung der Verheißung verstanden werden. Von daher sind im Sinne Barths drei Gestaltkategorien zu unterscheiden: a) die Gestaltkategorie des richtenden Gesetzes, b) die Gestaltkategorie der siegreichen Rechtfertigung und schließlich c) die Gestaltkategorie der beanspruchenden Weisung. a) Das Bundesgebot in der negativen Gestalt des richtenden (Das richtende Gesetz als Funktion des Bundes)

Gesetzes

W. Joest hat in seiner Analyse in „Gesetz und Freiheit" — und viele lutherische Interpreten und Kritiker Barths sind ihm darin gefolgt8 die Differenz zwischen Luther und Barth dahingehend zusammengefaßt, daß für Barth das richtende, tötende Gesetz nur ein Ergebnis menschlichen Mißverständnisses und Mißbrauchs, für Luther dagegen die lex accusans daneben entscheidend auch Gottes Handeln selbst, seine Zornesreaktion auf den sündigen Mißbrauch durch den Menschen darstellt9. Joest meint dabei, Barth so verstehen zu sollen: „Gesetz und Evangelium seien von Gott her überhaupt nicht einander entgegengesetzt, sondern gehörten undialektisch [!] zusammen . . . Was hingegen dem Evangelium entgegenstehe und an ihm sein Ende finde, sei wirklich nur jene menschliche Gesetzesfrömmigkeit, die Gottes Gesetz gerade mißdeutet und verfälscht, indem sie es als eine Forderung zu Leistungen versteht . . . Das dem Evangelium entgegenstehende und an ihm endende Gesetz sei nicht Gottes wirkliches, sondern vom Menschen gesetzlich' mißverstandenes Gesetz." 10 Barth hat sich demgegenüber schon in „Evangelium und Gesetz" aber nicht nur dort! - in dezidiert anderer Weise und Richtung geäußert, wenn er sagt: „Es ist das durch den Betrug der Sünde e n t e h r te und e n t l e e r t e Gesetz, das mit der Kraft des Z o r n e s Gottes dennoch s e i n Gesetz ist und bleibt." 11 Von daher ist gegenüber Joest zu sagen, daß an diesem Punkt eine Differenz zwischen Luther und Barth nicht aufgemacht werden kann. Denn „stimmt Luther mit Karl Barth darin überein, daß es sich [bei dem Mißbrauch des Gebotes Gottes] um eine falsa opinio de lege handelt, so versäumt Karl Barth ebenso wenig wie Luther klarzustellen, daß eben dieses mißbrauchte 8 Als repräsentatives Beispiel eines solchen Barth(miß)verständnisses nenne ich H . G. Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 1973, 32 ff, 196 ff. 9 Vgl. Joest, Gesetz 20, 25, 37 ff. 1 0 Joest in R G G 3 II 1529, Kursivierung vom Verfasser. 1 1 E v . u. Ges. 27 ( W d F 23).

111

Gottesgesetz dem Menschen zum Gericht [Gottes] wird; [es ist] Gottes R e a k t i o n . . . [und] sein Zorn, in dem er den Menschen bei dem mißbrauchten Gesetz behaftet" 12 . W. Joest hat im Unterschied zu früheren Stellungnahmen in seinem Artikel „Gesetz und Evangelium" die Position Barths schließlich dahingehend charakterisiert: Gegenüber dem das Gebot Gottes pervertierenden Willen des Menschen „gewinnt nun auch Gottes wirkliches Gesetz eine Gestalt [!], in der es nicht mehr gnädiger Zuspruch und Anspruch . . . sein kann. Auch Barth deutet in u n c j Gesetz' diesen Gedanken an, ohne ihn aber systematisch in seine Gesamtkonzeption hineinzunehmen" 13 . Zu dieser Charakterisierung der Position Barths ist dreierlei zu bemerken: 1. Hier ist richtig gesehen, daß Barth in der Tat das richtende Gesetz Gottes als Gestalt des (Bundes-)Gebotes Gottes begreift. 2. Aber Barth deutet diesen Gedanken, wie Joest meint, nicht nur an, sondern bezeichnet präzis den - freilich christologischen und nicht kerygmatischen! - Ort, an dem die Reihenfolge „richtendes Gesetz Gottes freisprechendes Evangelium" ihre konstitutive Bedeutung hat. Und 3. integriert Barth die Reihenfolge Luthers von tötendem Gesetz und lebendigmachendem Evangelium systematisch in seine am Bund Gottes und seiner Geschichte orientierte Gesamtkonzeption. Die Differenz zwischen Luther und Barth taucht also nicht hier auf, d. h. nicht in der Alternative zwischen einem vom Menschen pervertierten und einem aufgrund des Zornes Gottes tötenden Gesetz, sie taucht aber an folgender Stelle auf: Barth versteht in fundamentaler Differenz zu Luther das richtende Gesetz als Funktion des Bundesgebotes, die lex accusans als Bedrohung aus der Bundeswirklichkeit heraus, den Zorn Gottes als das verzehrende Feuer seiner Bundesliebe. Die „Verkehrung des Bundesverhältnisses" in der Pervertierung des Bundesgebotes durch den Menschen bedeutet, daß der Mensch das auch weiterhin zu ihm gesprochene Ja Gottes „als ein vernichtendes N e i n hören muß . . . daß ihm Gottes Gnade . . . zum Z o r n und G e r i c h t wird" 14 . Es ist also dieses Ja angesichts des „Zwischenfalls" 15 des von der Seite des Menschen gebrochenen Bundes zwar „ein Ja voll gewaltiger, durchgreifender Verneinung seiner S ü n d e . . . , es ist das Ja seiner den Menschen r i c h t e n d e n Gnade; das Ja eines Todesurteils und seiner Vollstreckung - es ist und bleibt aber s e i n J a , sein durch des Menschen Sünde und F a l l . . . nicht rückgängig gemachter Bundeswille" 16 . Es ist darum gerade dieser von Gott gehaltene und bewährte Bund der, „weil Jahve als Bundesherr seiner nicht spotten läßt, geradezu lebensge. E v a n g e l i u m

12 14 16

112

Gollwitzer, in: Antwort 301. KD IV/1, 536 f. Ebd. 535; Sperrung ζ. T. vom Verfasser.

13 15

Joest, in: RGG 3 II 1530. Ebd. 470.

fährlich gewordene Bund" 17 . Es kommt dann gerade „auf [dem] Boden" und „in [dem] Rahmen" dieses Bundes zu göttlichen Gerichten, „die den Bestand Israels schließlich gänzlich in Frage zu stellen scheinen"18. Es „kann dieser Bund [dann] nicht bestehen ohne . . . die Offenbarung des göttlichen Gegensatzes und Gerichtes, nicht ohne die Offenbarung des Zornes Gottes vom Himmel her über alle Gottlosigkeit.. . der Menschen (Rom. 1,18)" 1 9 . Es wird dann gerade der von Gott gehaltene Bund dem Menschen zum Fluch, gerade das von Gott durchgehaltene Ja dem Menschen gegenüber zum Nein, es muß ihm dann gerade Gottes Heil zum Unheil, Gottes Barmherzigkeit zum Gericht werden20. Exkurs: Die alttestamentliche bot (Der Gesetzesfluch

Verhältnisbestimmung

von Bund und Ge-

als Bedrohung aus der Bundeswirklichkeit

heraus)

Auf den Zusammenhang von Bund und Gebot als Gabe des Bundes einerseits und Gesetz und Fluch als Bedrohung aus der Bundeswirklichkeit heraus andererseits hat in Auseinandersetzung mit G. von Rads Gesetzesverständnis W. Zimmerli in seiner Schrift „Das Gesetz und die Propheten" 21 aufmerksam gemacht: „Hinter dem Bunde lauern die Bundesmöglichkeiten von Segen und Fluch" 22 , so „daß sich gerade aus der Bundeswirklichkeit heraus die Bedrohung des Bundespartners, der die Bundesordnung nicht gehalten hat, e r h e b t . . . so daß das Gebot, das über Israel verkündet wird . . . nicht nur das Netz ist, mit dem Jahwe sein Volk für sich beschlagnahmt, sondern auch der Ankläger, die Quelle des F l u c h s . . . werden kann" 23 . Das Wort Jahwes, das im Bundesgebot auf Israel zukommt, ist nicht nur Wort der Zuwendung, sondern „auch heiliger Brand, unter dem der Unheilige verbrennen könnte" 24 . „Gebot ist [also] nicht nur die Gelegenheit, in Randsituationen sich zu Jahwe zu bekennen (von Rad). Es kann unversehens auch zum Ort werden, an dem innerhalb des Bundesbereiches Fluch aufbricht." 25 Denn „der Gott, der seines Volkes Wohl will, ist zugleich der unerbittliche Richter" 26 . „In Lev. 26,25 findet sich dabei die einmalige Redeweise von dem ,Schwert, das die Rache des Bundes' vollzieht. Nicht von außen kommt das Unheil, sondern gerade aus dem Bunde selber könnte sich das Unheil

17 18 20 21 22 24 28

K D IV/3, 54. K D IV/1, 23. Vgl. Klappert, Auferweckung 248. Zimmerli, Das Gesetz und die Propheten. Ebd. 82. Ebd. Ebd. 91.

19

K D I I / l , 407.

23

Ebd. 83. Ebd. 86 f.

25

113 8

Klappert, Promissio

gegen ein Volk, das die Gebote seines Bundesherrn nicht befolgt, wenden." 2 7 K u r z : „Israel wird von seinem Bundesgebot her bedroht." 2 8 Amos 3,1 f. „Euch allein habe ich erwählt vor allen Geschlechtern der Erde, darum suche ich an euch heim eure Missetaten" interpretiert Zimmerli so: „Schärfer ist es in der Prophetie auch nachher nicht mehr ausgesprochen worden, daß die ganze bedrohliche Gerichtswirklichkeit für Israel von keiner anderen Stelle her zu verstehen ist, als aus eben seiner Verbundenheit mit seinem Gott [Bund] heraus" 2 9 . In seiner Replik auf W. Zimmerli bekundet G. v. Rad in der 5. Aufl. seiner „Theologie des Alten Testaments" sein „völliges" Einverständnis mit Zimmerli, „daß mit der Gewährung des Bundes immer auch die Bedrohung durch einen Fluch gegeben war . . . Erwählung und Anathema sind theologisch nicht zu trennen. Wo die eine sich ereignet, da kommt auch die entgegengesetzte Möglichkeit in Sicht" 3 0 . G. von R a d möchte aber im Unterschied zu Zimmerli nach wie vor „die Gerichtsbotschaft der vorexilischen Propheten von diesem Vorstellungskreis [Erwählung und Anathema] abrücken und in ihr etwas Neues sehen. Wenn Amos und die nachfolgenden Propheten das Ende Israels, also ein totales, ,restloses' Gericht ansagen, so kommt das einer Suspendierung des Bundes überhaupt gleich. D a s aber ist anders zu bewerten als das da und dort auch wirksam werdende Anathema". Denn traf dieses Anathema — so begründet von R a d - nur Einzelne oder Gruppen im Volk, so ging 2 8 Ebd. 99. Ebd. 92. Ebd. 102 f.; vgl. Zimmeriis Besprechung der Theologie des Alten Testaments von G. von R a d in Vetus Testamentum 13,1963,10 f f . : „Es ist unverkennbar von der heimlichen Orientierung am Deuteronomium her zu verstehen, daß von R a d im Gebot zunächst nur das bekenntnishaft Abgrenzende und hilfreich Weisende sehen kann und von einer Macht der Todesdrohung über Israel in der vorprophetischen Zeit nichts wissen will . . . Ist diese Aussage aber wirklich für das Alte Testament haltbar?" (106). „Die Propheten selber haben in keiner Weise das Bewußtsein, in ihrer Anklage des Volkes unter dem Gottesrecht etwas Neuartiges, die älteren Bundesaussagen Überhöhendes zu tun . . . Der Prophet ist ganz offensichtlich der Meinung, schlicht aus dem alten Bundesrecht Israels heraus zu argumentieren, wenn er das Volk der Sünde zeiht" (110). „In Wahrheit gehört . . . die Prophetie bei allem, was in ihr an charismatischer K r a f t zweifellos durchbricht, ganz in den Zusammenhang der alttestamentlichen Bundeswirklichkeit. In der Gerichtsbotschaft und der Gesetzesverkündigung der Prophetie bricht die im alttestamentlichen Bund von Anfang an . . . angelegte Spannung auf. Die radikale Infragestellung dieses Bundes in der Botschaft der Propheten, die Todeszeit des Exils [!], in welcher die Geschichtsankündigung der Propheten eingelöst wird, aber auch die Verheißung des kommenden Neuen, bis hin zu der Verheißung eines neuen Bundes, führt nicht aus dem Bunde Jahwes mit Israel heraus, sondern enthüllt den Willen Gottes in eben diesem Bund in seiner vollen Tiefe. Auch dort, wo Jahwe sagt, daß man des Alten nicht mehr gedenken soll, weil er Neues tun wolle, bekennt sich Jahwe zu seiner Treue gegenüber seinem Volke über die Unmöglichkeit des Volkes, in diesem Bunde und vor seinem Gebote zu bestehen, hinweg" (111). 27

29

30

114

G. v. Rad, Theologie des A T II 421 Anm. 12.

es darin „doch nicht um eine endgültige Verstoßung ganz Israels" 31 . In der Ansage dieses totalen Gerichtes aber „arbeiten die Propheten mit einem ganz neuen Gesetzesverständnis", führen ihre Ansagen „zu einem Todesurteil über ganz Israel" 32 . - G. von Rad will gegenüber Zimmerli festhalten, daß das Gesetz in seiner total richtenden und zerstörenden Funktion nicht einfach aus der Wahrheitsbestimmung des Gebotes als eines Gegenstandes des Dankes und Lobpreises und eines Zeichens der Erwählung f o l g t . W. Zimmerli will gegenüber von Rad festhalten, daß die Prophten nicht einfach mit einem ganz neuen Gesetzesverständnis arbeiten, so daß das heilsgeschichtlich in einer ganz neuen Situation angesagte Gericht nicht ohne Kontinuität mit dem Gebot Israels steht. Will von Rad gegenüber Zimmerli gewahrt wissen, daß die „restlose" Gerichtsansage der Propheten nicht aus der Gewährung des Bundes einfach g e f o l g e r t , so will Zimmerli gegenüber von Rad daran festhalten, daß die totale Gerichtsansage nicht aus der Dialektik von Bund und Gebot entlassen werden kann. Führen von Rads Bestimmungen systematisch zu der beziehungslosen Unterscheidung zwischen „richtendem Gesetz" und „Paraklese" (vgl. E. Schlink), so wollen Zimmeriis Präzisierungen den heils- und bundesgeschichtlichen Zusammenhang zwischen dem total richtenden Gesetz als einer Gestalt des Gebotes Israels und dem Gebot Israels als der Form und Ordnung des Bundes wahren (vgl. K. Barth). Die exegetisch-systematische Differenz zwischen von Rad und Zimmerli ist freilich nur dann in ihrer Relevanz zu begreifen und systematisch zu vermitteln, wenn man zwischen der Wahrheitsgeschichte des erfüllten Bundes und seiner Wirklichkeits- bzw. Gerichtsgeschichte in Kreuz und Versöhnung unterscheidet, angesichts des kontingenten Zwischenfalles der Sünde die Wirklichkeitsgeschichte (und damit auch die Kategorie des richtenden Gesetzes) nicht einfach aus der Wahrheitsgeschichte des Bundes (und damit aus der Bestimmung des Gebotes als Bundesgebot) folgen läßt (so das Recht des Einwandes G. von Rads), aber zugleich die Wirklichkeitsgeschichte (und damit auch das richtende Gesetz) nicht aus der Wahrheitsgeschichte von Bund und Gebot entläßt (so das bleibende Recht der Ausführungen von W. Zimmerli). Ich versuche das Gesagte noch anders zu formulieren: Nach von Rad scheitert Israel nicht am Gebot, sondern am Heilswillen Jahwes. Zimmerli will demgegenüber daran festhalten, daß Israel, indem es am Heils- und Bundeswillen Jahwes scheitert, zugleich am Gebot scheitert, insofern der Heilswille Jahwes zugleich das Gebot, d. h. die Beschlagnahmung des Menschen enthält. Der These von Rads vom Scheitern Israels am Heilswillen Jahwes und n i c h t am Gesetz steht Zimmeriis 31 32

Ebd. Ebd. 422, Anm. 12.

115 8*

These vom Scheitern Israels am Gebot, insofern der Heilswille Jahwes zugleich das Gebot in sich enthält, gegenüber. Dieser Sachzusammenhang von Bund einerseits und Fluch als negativer Gestalt und Behauptung des Bundes durch Gott andererseits ist zum Verständnis von KD I V I § 30, II/2 § 32 ff., IV/1 § 59,2 grundlegend und bestimmt auch die inhaltliche und sachliche Reihenfolge von (1 ) Evangelium und Gebot, (2) Gesetz und Evangelium und (3) Evangelium und Gebot in Barths Schrift ,Evangelium und Gesetz'33. Der Zusammenhang von Bund und Fluch ist nicht zuletzt für das Verständnis von Gal. 3,13 f. konstitutiv: die Auswirkung des Fluches an dem gekreuzigten Messias „aus der Bundeswirklichkeit heraus" (Zimmerli) bedeutet zugleich die Einlösung der Bundesverheißung an die Heiden. Der Zusammenhang von Mark. 15,33 f. 37 (das universale Gericht über den gekreuzigten Messias Israels) und 15,39 (im Centurio als Repräsentant der Völkerwelt gibt das Heidentum Anwort auf den Tod Jesu) ist ebenfalls von daher zu interpretieren34. In diesem Zusammenhang will auch Barth verstanden sein: Ist „der Bund Gottes mit dem Menschen" von dessen Seite „total und . . . unheilbar gebrochen"35, so ist der Mensch damit nicht etwa „aus dem Bereiche des positiven Willens Gottes herausgefallen", hört Gott also nicht auf, „auch dieses gefallenen Menschen. . . Bundesherr zu sein . . . Auch das verlorene Schaf bleibt [ja] immerhin im Bereich des suchenden Hirten" 36 . Aber angesichts der „Verkehrung des Bundesverhältnisses" bedeutet nun das Ja, das Gott nach wie vor zu ihm sagt, daß der Mensch „eben dieses J a als ein vernichtendes N e i n hören muß . . . Daß ihm Gottes Gnade zugewendet ist, bedeutet nun: daß sie ihm, der sie verachtet und h a ß t . . . zur U n g n a d e , zum Z o r n und G e r i c h t wird" 37 . Die usus-Bestimmung des richtenden und tötenden Gesetzes ist darin läßt sich Barths Grundthese im Unterschied zu Luther zusammenfassen - von dem Hintergrund der Wahrheitsbestimmung des Bundesgebotes und der freien Selbstbestimmung Gottes zur Gemeinschaft mit dem Menschen im Bund nicht ablösbar. Das richtende Gesetz ist im Sinne Barths eine Funktion des Bundesgebotes, der Zorn Gottes eine Gestalt [!] seines Bundeswillens. Barth geht es also im Zentrum um die Unablösbarkeit der lex accusans von dem Gebot als der Form des Evangeliums. Barths These von dem Bundesgebot in der negativen Gestalt des richtenden Gesetzes, von dem richtenden Gesetz als Funktion des Bundes und des Bundesgebotes meint also: Das Gebot als Form der Gnade 33 34 35

116

Vgl. H . Gollwitzer, Stellvertretung 151 f., ders., in: Antwort 301, 304. Vgl. Klappert, Auferweckung 247 Anm. 20. 3 8 Ebd. 534. 3 7 Ebd. 536 f. K D IV/1, 5 3 5 .

nimmt angesichts der Perversion des Gesetzes durch den Menschen die Gestalt des Gerichtes an, so daß das Gericht im Kreuz Christi die Form der ßundesgnade in der negativen Gestalt darstellt. „Er offenbart sich als Heiland durch das Gesetz auch in dieser Gestalt." 38 b) Die Bundesgna.de in der Gestalt der siegreichen Rechtfertigung (Die siegreiche Rechtfertigung als Funktion des Bundes) Ist das göttliche Gericht der lex accusans von dem Gebot als der Form des Evangeliums nicht ablösbar, dann ist auch die Rechtfertigung des Gottlosen nur als Funktion der Bundesgnade, d. h. als Funktion der siegreichen Durchsetzung des Bundes- und Erwählungswillens Gottes zu begreifen. In Barths Terminologie aus „Evangelium und Gesetz": Gott „erweckt nämlich unsere durch die F o r m des Evangeliums, also durch das Gesetz um unseres Unglaubens willen verurteilte und in die Hölle verstoßene Existenz . . . durch den I n h a l t des Evangeliums, also durch sich selbst zum Leben des Glaubens an ihn als an den, der uns rechtfertigt" 39 . Die Rechtfertigung des Gottlosen - für Luther im Anschluß an Paulus Zentrum seiner Theologie! - wird von Barth als die „in der Versöhnung als der Erfüllung des Bundes . . . siegreiche Gnade Gottes" 4J verstanden, kann aber, wiewohl ein zentraler Topos, im Sinne Barths nicht als Zentrum der Theologie verstanden werden, insofern wir es „in Jesus Christus... nicht nur mit dem Urheber unserer Rechtfertigung und Heiligung als die Sünder, die wir sind, zu tun" haben41. Die Rechtfertigung des Gottlosen als Funktion der sich durchsetzenden Bundesgnade Gottes ist also von Barth im strengen Sinn als Gestalt des siegreichen Bundeswillens Gottes selbst, d. h. im Unterschied zu Luthers soteriologisch-anthropologischer Orientierung der Rechtfertigungslehre, verstanden. Hieß es schon in der zweiten Auflage des Barthschen Römerbriefes zu Rom. 1,17: Gott „rechtfertigt uns, indem er sich selbst rechtfertigt" 42 , so heißt es in KD IV/1 mit Verweis auf Rom. 3,26: In „der Gnade Jesu C h r i s t i . . . findet nicht erst die Rechtfertigung des an Jesus glaubenden Menschen statt, sondern zuerst und als deren Begründung das, daß Gott selbst sich in ihr als gerecht erweist... dann und daraufhin erst", daß er den Gottlosen gerecht macht 43 . Die Rechtfertigung des Gottlosen (iustificatio impii) ist als Moment und Gestalt des sich durchsetzenden Bundeswillens Gottes zuerst die Selbstrechtfertigung Gottes selbst. Barth geht es also im Zentrum um die Unablösbarkeit der Rechtfertigung des Gottlosen von der Realisierung 38 40 42

Ev. u. Ges. 29 (WdF 25). KD IV/1, 73. Barth, Römerbrief 16.

39 41 43

Ebd. Ebd. 50. KD IV/1, 593. 117

der ursprünglichen Selbstbestimmung Gottes zum Bund mit dem Menschen. Barths These von der Bundesgnade in der Gestalt der siegreichen Rechtfertigung, von der siegreichen Rechtfertigung als Funktion des Bundes meint also: Die Gnade als der Inhalt des Gebotes nimmt angesichts des göttlichen Gerichtes im Kreuz in der Auferweckung die Gestalt der siegreichen Rechtfertigung an, so daß Rechtfertigung die Bundeszuwendung Gottes in der Gestalt der siegreichen Durchsetzung darstellt. c) Das wiederhergestellte Bundesgebot in der Gestalt beanspruchender Weisung (Die beanspruchende Weisung als Funktion des Bundes) Siegt das Evangelium als der sich durchsetzende Bundeswille Gottes in der Rechtfertigung des Gottlosen, „dann wird auch das G e s e t z [Gebot], die Form des Evangeliums, wiederherges t e l l t . . . aus der Forderung: Du sollst! zu der Verheißung: Du wirst sein!" 44 . Es wird also nicht - im Sinne der Lehre vom triplex usus legis - das Gesetz wiederhergestellt, sondern es wird nach Barths expliziter Aussage das Gebot als „Form des Evangeliums" wiederhergestellt. Auch hier ist also im Sinne Barths das weisende Gebot, die beanspruchende Verheißung, der promissorische Indikativ von dem Hintergrund des Bundes der Erwählung nicht ablösbar. Barth geht es also im Zentrum um die Unablösbarkeit des wiederhergestellten Gebotes vom Bund der Erwählung, von dem Inhalt des Evangeliums, d. h. um die Unablösbarkeit der Kategorie beanspruchender Verheißung von der Bundeskategorie. Barths These vom wiederhergestellten Bundesgebot in der'Gestalt beanspruchender Verheißung bzw. Weisung, von der beanspruchenden Verheißung als Funktion des Bundes und des Bundesgebotes meint also: Die Auferweckung als die siegreiche Überwindung der negativen Gestalt des richtenden Gesetzes im Kreuz bedeutet zugleich die Wiederherstellung des Gebotes als Form des Evangeliums in der positiven Gestalt beanspruchender Verheißung (promissorischer Indikativ).

THESE V I / 2

Die inhaltliche und strukturelle Bestimmung der Wirklichkeitskategorien der Versöhnungsgeschichte durch die Wahrheitskategorien der Bundesgeschichte hat zur Folge, daß die der Versöhnungsgeschichte zugeordneten Wirklichkeitskategorien durch die der Bundesgeschichte zuge44

118

Ev. u. Ges. 31 (WdF 27).

ordneten Wahrheitskategorien als Gestaltkategorien bestimmt und Gesetz und Evangelium, Rechtfertigung und Heiligung als Gestalten der Durchführung des Bundes in der Erfüllung der Verheißung verstanden werden. Die drei Gestaltkategorien des richtenden Gesetzes, der siegreichen Rechtfertigung und der beanspruchenden Weisung sind von daher zu unterscheiden: 1. Das Bundesgebot (als Form der Gnade) in der negativen Gestalt des richtenden Gesetzes: Das Gebot als Form der Gnade nimmt angesichts des durch den Menschen pervertierten Gesetzes die Gestalt des Gerichtes Gottes an, so daß das Gericht im Kreuz Christi die Form der Bundesgnade in der Gestalt der Negation darstellt. 2. Die Bundesgnade (als Inhalt des Gebotes) in der positiven Gestalt der siegreichen Rechtfertigung: Die Gnade als Inhalt des Gebotes nimmt angesichts des göttlichen Gerichtes im Kreuz in der Auferweckung die Gestalt der siegreichen Rechtfertigung an, so daß die Rechtfertigung die Gnade des Bundes in der Gestalt der siegreichen Negation der Negation, d. h. der siegreichen Position darstellt. 3. Das Bundesgebot (als Form der Gnade) in der positiven Gestalt der beanspruchenden Verheißung: Die Auferweckung als die siegreiche Überwindung der negativen Gestalt des richtenden Gesetzes im Kreuz bedeutet zugleich die Wiederherstellung des Gebotes als Form des Evangeliums in der positiven Gestalt zusprechender Verheißung (promissorischer Indikativ). 3. Die irreversible

Inklusion

von Evangelium

der irreversiblen

ahrheitsbestimmung

und Gebot als Qualifizierung

Wirklichkeitsbestimmung (Das Nacheinander

in der W

von Gesetz und

von Gesetz Inklusion

und Evangelium

von Evangelium

der

Evangelium und

als

Gestalt

Gebot)

a) Die im Rahmen der Bundesgeschichte erfolgende Bestimmung der Wirklichkeitskategorien der Versöhnungsgeschichte zu Gestaltkategorien der Bundesgeschichte bei Barth wehrt prinzipiell der in der Theologie Luthers systematisch nicht ausgeschlossenen Möglichkeit, das richtende Gesetz auf dem Hintergrund der lex aeterna Dei und der lex naturalis zu verstehen. Barth hat45 die Auswirkungen des in der Reformationstheologie zweideutigen Gesetzesbegriffs der lex aeterna Dei und der lex naturalis in der Theologie des 17., 18. und 19. Jahrhunderts beschrieben 45

Vgl. KD IV/1, 403 ff., 407 ff., 413 ff.

119

und ein eindeutiges Resümee im Hinblick auf einen theologischen Gesetzesbegriff gezogen: „Es ist das von keinem Menschen ersonnene, entworfene und konstruierte, sondern allen Menschen . . . nur als Gottes freie Offenbarung begegnende E v a n g e l i u m - es ganz allein das G e s e t z , in dessen Erkenntnis der Mensch sich als angeklagt, verurteilt, verdammt finden wird . . . das Evangelium ist aber J e s u s C h r i s t u s

."46

Die von Barth damit aufgemachte systematische Alternative, die als solche von Luther noch nicht gesehen worden ist, lautet also: Entweder wird eine Ableitung der Wahrheitsbestimmung des Gebotes aus der usus-Bestimmung des richtenden Gesetzes in Richtung auf eine lex aeterna Dei bzw. ein von Gott in unsere Herzen eingeschriebenes Leistungsgesetz im Sinn der lex naturalis vorgenommen (eine von Luther systematisch nicht ausgeschlossene Möglichkeit) oder es wird das Verständnis der usus-Bestimmung des richtenden Gesetzes Gottes auf dem Hintergrund der Wahrheitsbestimmung des Gebotes der freien Selbstbestimmung Gottes zugunsten der Gemeinschaft mit dem Menschen im Bund vollzogen, wobei dann der Zorn Gottes, die lex accusans Dei, als Gestalt der Liebe Gottes in der Durchsetzung des Bundes zu verstehen ist. b) Die im Rahmen der Bundesgeschichte erfolgende Bestimmung der Wirklichkeitskategorien zu Gestaltkategorien bei Barth wehrt prinzipiell der in der Theologie Luthers systematisch nicht ausgeschlossenen Möglichkeit, das Evangelium in einem nomologischen Rahmen 4 7 zu deuten und Christus in diesem Rahmen als impletor legis, Christi Geschichte als satisfaktorische Erfüllung der lex aeterna Dei und das Evangelium als praedicatio legis impletae zu verstehen 48 . 46

K D IV/2, 426 f.; vgl. IV/3, 426 f. Vgl. S. H a u s a m m a n n , die an Luthers Stellungnahmen im Antinomerstreit die Frage stellt: „Ist wirklich nur das Evangelium aufs Gesetz angewiesen? M u ß nicht umgekehrt auch das Gesetz vom Evangelium umgestaltet und modifiziert werden?" (Buße 222). Luthers Ausführungen in den Antinomerdisputationen zufolge dringt das E v a n gelium „als zweites, neues W o r t ins vom Gesetz erschreckte Gewissen und beruhigt dieses, ohne das Gesetz außer Gültigkeit zu setzen oder zu verändern [!]. Das Gesetz bleibt in seinen Forderungen unverändert verbindlich [ ! ] " (223). So muß man aus Luthers Stellungnahmen den Eindruck gewinnen, „daß das Evangelium das Gesetz unverändert l ä ß t " (ebd.). 47

48

Diese in der Theologie Luthers systematisch nicht ausgeschlossenen Möglichkeiten haben dann insbesondere in der Theologie Melanchthons eine teilweise Realisierung erfahren, insofern aus der dienenden Funktion des Gesetzes gegenüber dem Evangelium tendenziell eine dienende Funktion des Evangeliums gegenüber dem Gesetz w i r d : „Denn das Gesetz weist (im Sinne Melanchthons) nicht nur die N o r m des Handelns auf, sondern es ist ewiggültig und unverrückbar diese N o r m , an die Gott sich selbst gebunden hat. Gottes Gerechtigkeit ist darum primär sein Wille, dieser N o r m Geltung zu verschaffen. Mit seiner Gerechtigkeit ist sein Zorn gegen alles Normwidrige . . . verk n ü p f t . Als der zornige, gerechte Gott s t r a f t er die Sünde ohne Ausnahme. Doch er ist nicht nur gerecht, sondern auch barmherzig, darum rechnet er uns d i e . . . satisfactio

120

Muß auf dem Hintergrund eines nomologischen Rahmens in der Christologie konsequenterweise zwischen der oboedientia activa (impletio legis activa) und der oboedientia passiva (impletio legis passiva) im Sinne der stellvertretenden aktiven Erfüllung des Gehorsams und der stellvertretenden passiven Übernahme der Strafe des nicht erfüllten Gesetzes unterschieden werden (Luther), so bedeutet die innertrinitarische Analogisierung der oboedientia. activa Christi und deren Verständnis als Potentialität zur oboedientia passiva der stellvertretenden Übernahme des Bundesfluches bei Barth in KD IV/l, § 59,1 die Unmöglichkeit, die oboedientia activa und passiva in einem nomologischen Rahmen als aktive und passive Erfüllung des abstrakten Gesetzes Gottes zu interpretieren. Die oboedientia activa Christi gehört nach Barth zur Wahrheitsgeschichte des Bundes, die oboedientia passiva Christi zur stellvertretenden Übernahme der Fluchgeschichte des Bundes. Gehört die oboedientia activa zur Wahrheitsgeschichte des Bundes, so gehört die oboedientia passiva zur Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung, muß also die oboedientia passiva der Übernahme der Leidensgeschichte des ungehorsamen Bundesvolkes als die Gestalt der oboedientia activa des Gehorsams des Sohnes Gottes als der Erfüllung des Bundes verstanden werden. c) Die im Rahmen der Bundesgeschichte erfolgende Bestimmung der Wirklichkeitskategorien der Versöhnungsgeschichte zu Gestaltkategorien der Bundesgeschichte bei Barth wehrt prinzipiell der in der Theologie Luthers systematisch nicht ausgeschlossenen und von der Tradition im Gefolge Melanchthons dann aufgegriffenen Möglichkeit, das weisende Gebot des Bundes bzw. das wiederhergestellte Bundesgebot in der Gestalt beanspruchender Verheißung im Sinne des tertius usus legis als das bestätigte, wiederhergestellte Schöpfungsgesetz zu verstehen und in Konsequenz dessen die Heiligung als die durch die Gnade im Sinn der lex spiritualis ermöglichte Konformität des Menschen mit der lex aeterna Dei bzw. einem abstrakten Leistungsgesetz im Sinn der adaequatio legis et hominis zu deuten. W. Matthias hat in seinem wichtigen Aufsatz „Der anthropologische Sinn der Formel Gesetz und Evangelium" die Position beschrieben, an der hier Barth in seiner ausschließlichen Orientierung der Gestaltkategorie beanspruchender Verheißung an der Bundeskategorie antithetisch orientiert ist: „Beschreibt die Theologie den Menschen, so wie er vor Gott steht, in seiner natura durch die lex . . . dann steht der Mensch nicht mehr unmittelbar vor Gott, sondern nur insofern, als er vor dem Christi zu . . . Das Evangelium dient somit der Erfüllung der barmherzigen Gerechtigkeit Gottes; die dienende Funktion im Verhältnis von Gesetz und Evangelium kommt bei Melanchthon damit dem Evangelium zu: Es leitet an zur Erfüllung der Gerechtigkeit des Gesetzes" (Hausammann, Buße 167, vgl. 166, 168).

121

Gesetz steht [!], das ihm geoffenbart ist. Es drückt Gottes unwandelbaren Willen aus und ist zugleich das Wesensgesetz [!] des Menschen, weil es seine causa finalis ist. . . Das Evangelium dient dann der Gesetzeserfüllung, christologisch durch die Lehre von der doppelten oboedientia49 ausgedrückt, anthropologisch . . . durch den dreifachen Brauch des Gesetzes [!]. Das Evangelium muß der Gesetzeserfüllung dienen, weil sonst Gottes Wille nicht mehr unwandelbar wäre und der Mensch nicht Mensch werden könnte. Heiligung.. . wird Ziel der Rechtfertigung [!].a®° d) Die irreversible Inklusion in der Wahrheitsbestimmung von Evangelium und Gebot muß auch für die Wirklichkeitsbestimmung von Gesetz und Evangelium gelten: d. h. man hat das auch für Barth (im Gegensatz zu allen gegenteiligen Versicherungen und Behauptungen!) konstitutive Nacheinander von Gesetz und Evangelium nicht verstanden, wenn man es nicht als Gestalt der irreversiblen Inklusion von Evangelium und Gebot begreift. In der Gestalt des Nacheinanders von Gesetz und Evangelium, in der Gestalt des richtenden Gesetzes und rechtfertigenden Evangeliums hält sich die irreversible Inklusion von Evangelium und Gebot in der Wahrheitsebene durch: d. h. 1. das richtende Gesetz muß als negative Gestalt des Gebotes als Form des Evangeliums, d. h. es muß als Funktion des Bundes Gottes verstanden werden; 2. das rechtfertigende Evangelium muß als siegreiche Gestalt des Evangeliums (Erwählung) als Inhalt des Bundes, d. h. es muß als Moment der Durchsetzung des Bundes angesichts der Sünde verstanden werden; 3. das beanspruchende Gebot im Sinne der Heiligung muß als die positive, wiederhergestellte, erfüllte Gestalt des Gebotes als Form des Bundes Gottes, d. h. es muß als Aufruf zur dankbaren Entsprechung angesichts des in Christus erfüllten Bundes verstanden werden. Die irreversible Inklusion51 durch die Wahrheitsbestimmung von Evangelium und Gebot vorausgesetzt, kann das richtende Gesetz des zürnenden Gottes nicht mehr auf ein abstraktes Vergeltungs- und Leistungsgesetz (lex naturalis) als dessen wesenhafte Voraussetzung, sondern nur noch auf das Gebot als Form des Bundes hinterfragt werden. Die irreversible Inklusion durch die Wahrheitsbestimmung von Evangelium und Gebot vorausgesetzt, kann das rechtfertigende Evangelium oboedientia activa und passiva, vgl. These VI, 3b. Matthias, Der anthropologische Sinn 414 f., ( W d F 305). 5 1 Zur Denkfigur der irreversiblen Inklusion bzw. Implikation, die das christologische Denken Barths und von daher auch die Zuordnung von Evangelium und Gebot/Gesetz und Evangelium bestimmt, vgl. meine Ausführungen in: Auferweckung 271 ff. 49

50

122

nicht mehr exklusiv aus der aporetischen Situation des durch das Gesetz angefochtenen Menschen, sondern muß als Moment der siegreichen Erfüllung des Bundes als der Durchsetzung der Selbstbestimmung Gottes zugunsten des Menschen verstanden werden. Die irreversible Inklusion durch die Wahrheitsbestimmung von Evangelium und Gebot vorausgesetzt, kann das beanspruchende Gebot der Weisung nicht auf einen tertius usus legis im Sinne der Konformität des Menschen mit dem ewigen Gottesgesetz, sondern nur noch auf das Gebot als Form des Evangeliums hinterfragt werden.

THESE V I / 3

Die im Rahmen der Bundesgeschichte erfolgende Bestimmung der Wirklichkeitskategorien der Versöhnungsgeschichte zu Gestaltkategorien der Bundesgeschichte bei Barth wehrt prinzipiell den in der Theologie Luthers systematisch nicht ausgeschlossenen Möglichkeiten: 1. das richtende Gesetz auf dem Hintergrund der lex aeterna Dei, der lex naturalis und in systematischer Korrelation zur conscientia in homine zu verstehen; 2. das Evangelium in einem nomologischen Rahmen als christologische Erfüllung der lex aeterna Dei zu deuten (Christus als impletor legis, evangelium als praedicatio legis impletae); 3. das weisende Gebot im Sinn des tertius usus legis als das bestätigte, wiederhergestellte Schöpfungsgesetz zu verstehen und in Konsequenz dessen die Heiligung als die durch die Gnade (lex spiritualis) ermöglichte Konformität des Menschen mit der lex aeterna Dei bzw. einem abstrakten Leistungsgesetz (adaequatio legis et hominis) zu deuten. Diese von Barth prinzipiell ausgeschlossenen Möglichkeiten der Theologie Luthers bedeuten im Sinne Barths positiv, daß 1. das richtende Gesetz das Gebot als Form der Gnade in der negativen Gestalt des richtenden Gesetzes darstellt, 2. das Evangelium die Erfüllung des Bundes als Inhalt des Gebotes in der positiven Gestalt der siegreichen Rechtfertigung bedeutet und 3. das weisende Gebot das als Form der Gnade wiederhergestellte Gebot in der positiven Gestalt beanspruchender Verheißung meint.

123

VII. Die Differenz der christologischen Begründung des Nacheinander von Gesetz und Evangelium bei Luther und Barth l. Die Relevanz der Unterscheidung zwischen Wahrheitsund Wirklichkeitsgeschichte für das Verständnis von Kreuz und Auferweckung bei Barth Als ein konkretes Beispiel für die Relevanz einer solchen Differenzierung zwischen der W a h r h e i t s g e s c h i c h t e d e s B u n d e s und der Wirklichkeitsgeschichte der Durchf ü h r u n g d e s B u n d e s angesichts der menschlichen Sünde i η d e r K r i s i s g e s c h i c h t e g ö t t l i c h e n G e r i c h t e s und i m Ereignis d e r A u f e r w e c k u n g nenne ich W. Zimmeriis „Grundriß der alttestamentlichen Theologie" 1 , und seine „Erwägungen zur Gestalt einer alttestamentlichen Theologie" 2 . Zimmeriis Ansatz beim und sein Ausgang vom N a m e n J a h w e s als der „Mitte des Alten Testamentes" (§ 1) f ü h r t in der Grundlegung des Teiles I sogleich zu der Doppelaussage von J a h w e als dem Gott Israels und Israel als dem Volk Jahwes (§ 2), was noch innerhalb der Grundlegung durch die Themen „Erwählung Israels" (§ 5) und Bund und Gebot (§ 6) expliziert wird. - In der schriftprophetischen Verkündigung (§ 21) kommt es dann angesichts des Ungehorsams des Volkes gegenüber dem Bundesgebot Jahwes zu der Infragestellung Israels als Volk Jahwes (Hos. 1,9), zur Ansage von Krisis und Gericht Jahwes über sein Volk 3 , die in der exilischen Prophetie überraschend in einer Verkündigung der erneuten Zuwendung Jahwes zu seinem Volk in der Weise der Vergebung (Ez., Dtjs.) und der Erweckung der Toten (Ez. 37,1 ff.) gipfelt (§ 20 f.) Dabei enthüllt „der freie A k t des Erbarmens, in dem Jahwes eigener N a m e in der Mitte steht,. . . gleichzeitig das Wunder der Treue Jahwes, der aus seiner Freiheit heraus zu seinem früheren Tun mit Israel steht und seinen N a m e n nicht von diesem Volke löst. Beide Exilspropheten betonen es, . . . d a ß es der freie A k t der Barmherzigkeit Jahwes ist, welcher Israels Geschick wendet" 4 . - So kommt gerade in der Geschichte der Krise Israels, im Gericht Jahwes über Israel, die Wahrheitsgeschichte des Anfangs, der Ausgang von dem freien, sich selbst mit seinem N a m e n aussagenden und sich in der Exodustat der Errettung aus Ägypten dem Volk zusagenden Jahwe, in verschärfter Weise zum Ausdruck, geschieht also in der Prophetie „die letzte Radikalisierung der Aussagen von Jahwe. Die Anrede, mit der J a h w e als der Freie auf sein Volk Israel zugeht, e r f ä h r t hier ihre tiefste Explikation [!]. Wiederum geschieht dies nicht in einer abgelösten gedanklichen Reflexion, sondern mitten in einem 1 2 3 4

124

Theologische Wissenschaft 3, 1972. T h L Z 98, 1973, 81-98. G r u n d r i ß Teil V : „Krise und H o f f n u n g " , 147 f f . T h L Z 98, 1973, 96.

Geschehen an Israel, das aus dem Tode zu neuem Leben gerufen wird" 5 . In der Wirklichkeitsgeschichte v o n Sünde und Gericht und Heil und vergebendem Erbarmen kommt also die Wahrheitsgeschichte Jahwes mit seinem Volk, der sich in Freiheit an Israel bindet, in radikalisierter, d. h. wesentlicher Weise zum Ausdruck.

Indem Barth (wie schon gezeigt) im Unterschied zu Luther zwischen der Wahrheitsgeschichte des Bundes und der Gestalt- bzw. Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung differenziert und die Wesensgeschichte des Bundes als Weg von der Verheißung zur Erfüllung und die Gestaltgeschichte der Versöhnung in Gericht und Rechtfertigung als in Gericht und Rechtfertigung sich vollziehende Durchsetzung der Bundesgeschichte angesichts des Zwischenfalls der Sünde begreift, ordnet er zugleich — und das ist etwas gegenüber der gesamten christologischen Tradition fundamental Neues - im Unterschied zu Luther der Wahrheitsgeschichte des Bundes das Ineinander von Erniedrigung und Erhöhung (von Erniedrigungsgeschichte des Sohnes Gottes und entsprechender Gehorsamsgeschichte des Menschen Jesus 6 ) und der Gestaltgeschichte der Versöhnung das Nacheinander von Kreuz und Auferweckung zu. In Barths Interpretation des Kreuzes wiederholt sich noch einmal im Unterschied zur theologia crucis Luthers die Unterscheidung zwischen der Wahrheitsgeschichte des Bundes und der Gestaltgeschichte der Versöhnung, indem Barth zwischen dem richtenden, gerichteten, vernichteten und rechttuenden Richter 7 unterscheidet und die Aussagen über den gerichteten und vernichteten Richter (Gerichtsgeschichte/Gestaltgeschichte) den übergreifenden Aussagen vom richtenden, d. h. den Bund aufrichtenden, helfenden, die Ordnung des Bundes schaffenden Richter und vom rechttuenden, den Bund haltenden Richter einordnet. Barth unterscheidet schließlich wiederum im Unterschied zu Luther im Zusammenhang der Auferweckung/Auferstehung zwischen 1. der Auferweckung als noetischer Offenbarung der Wahrheitsgeschichte des Bundes, 2. der Auferweckung als der ontischen Validierung der Überwindungs- und Gestaltgeschichte der Versöhnung und 3. der „Auferstehung" als der worthaften, übergreifenden Offenbarungsgeschichte der erfüllten Bundesgeschichte 8 . 5 Ebd. - D i e den Grundriß der alttestamentlichen Theologie Zimmeriis beherrschende Linie führt v o n Gottes Selbstvorstellung und seinen grundlegenden Taten an Israel (Teil I; „Grundlegung", 12 ff.) zu der durch Gottes Gericht bedingten Krise und dem diese Krise überwindenden, vergebenden Erbarmen Gottes (Teil V: „Krise und H o f f n u n g " , 147 ff.), worin die souveräne und liebende Freiheit Jahwes sich in letzter Eindeutigkeit offenbart. Insofern möchte ich C. Westermann zustimmen, der in seiner Besprechung sagt: „Man hat den Eindruck, daß diese beiden Teile, der erste und der fünfte, das eigentliche Gerüst der Theologie Zimmeriis bilden" (EvTh 1974/1, 9 104). Vgl. § 59,1 in K D IV/1, 178 ff. 7 8 Vgl. § 59,2 in ebd. 254 ff. Vgl. § 59,3 in ebd. 330 ff.

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Barth ordnet also, wie schon in „Evangelium und Gesetz", auch in KD IV/1 § 59,1-3 die Koinzidenz von Erniedrigung und Erhöhung und die Auferweckung als Offenbarung dieser Koinzidenz als der Wahrheitsgeschichte des erfüllten Bundes dem Kreuz als dem Vollzug des gerichteten und vernichteten Richters und der Auferweckung als dem Rechtsurteil des Vaters als der Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung vor, um die Wirklichkeitsgschichte der Versöhnung in ihrer Dialektik und Struktur von der sich in ihr durchsetzenden Wahrheitsgeschichte des erfüllten Bundes her durchsichtig zu machen9.

THESE

VII/1

Barth ordnet im Unterschied zu Luther^ der Wahrheitsgeschichte des Bundes das Ineinander von Erniedrigung und Erhöhung und der Gestaltgeschichte der Versöhnung das Nacheinander von Kreuz und Auferweckung zu. In Barths Interpretation des Kreuzes reflektiert sich noch einmal im Unterschied zur theologia crucis Luthers die Unterscheidung zwischen der Wahrheitsgeschichte des Bundes und der Gestaltgeschichte der Versöhnung, indem Barth die Aussagen über den gerichteten und vernichteten Richter den übergreifenden Aussagen vom richtenden, d. h. den Bund aufrichtenden, und vom rechttuenden, den Bund haltenden Richter einordnet. Barth unterscheidet schließlich wiederum im Unterschied zu Luther im Zusammenhang der Auferstehung/Auferweckung zwischen 1. der Auferweckung als noetischer Offenbarung der Wahrheitsgeschichte des Bundes, 2. der Auferweckung als der ontischen Validierung der Überwindungsgeschichte der Versöhnung und 3. der Auferstehung als der worthaften, übergreifenden Offenbarungsgeschichte der erfüllten Bundesgeschichte. 2. Die christologische christologische

Bezogenheit

(Luther)

Fassung

(Barth) der

von Gesetz und

Evangelium

und die Lehre

Gesetz und Evangelium sind bei Luther primär kerygmatische Kategorien: „Euangelium et lex proprie in hoc differunt, quod lex praedicat 9 Vgl. zu diesen für das Verständnis der Christologie Barths grundlegenden Differenzierungen meine A r b e i t : Auferweckung 2 8 7 ff. und insbesondere meinen Beitrag in: Geyer ( H g . ) , Freispruch 2 4 4 - 2 7 1 .

126

facienda et omittenda, immo iam commissa et omissa ac impossibilia fieri et omitti (ideo solam peccati ministrat cognitionem), Euangelium autem [praedicat] remissa peccata et omnia impleta factaque." 1 0 Gesetz und Evangelium unterscheiden sich auf der kerygmatischen Ebene also wesentlich darin, daß das Gesetz verkündigt, was zu tun, und anklagt, was unterlassen ist; demgegenüber verkündigt das Evangelium die Vergebung der Sünden aufgrund dessen, daß in Christus schon alles erfüllt ist. Und so ist es nicht auffällig, wenn G. Heintze in seinem Buch mit dem charakteristischen Titel „Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium" zu dem ebenso charakteristischen wie sachgemäßen Ergebnis kommt: „So bleibt es für Luther im praktischen Vollzug der Predigt dabei: Gesetz und Evangelium, Zorn und Gnade, Anfechtung und Trost werden . . . v e r k ü n d i g t . . . von Christus her und auf Christus hin." 1 1 Und H. J. Iwand, der wie kein anderer die christologische Begründung und Bezogenheit von Gesetz und Evangelium bei Luther herausgearbeitet hat, sagt: „Die P r e d i g t des Gesetzes w i r k t . . . etwas G r o ß e s . . . sie offenbart dem Menschen sein Sein vor Gott. Das ist der Offenbarungscharakter der Gesetzesverkündigung." 12 „Die Verkündigung [des Evangeliums] ist die Weise, in der die remissio peccatorum in der Welt e χ i s t e η t ist [!] . . . Ihr Dasein mitten unter uns ist die P r e d i g t !" 13 Ja, Gesetz und Evangelium sind bei Luther so fundamental kerygmatische Kategorien, daß man von lutherischer Seite her die Kritik an Barth ohne Ausnahme so geführt hat, als handele es sich bei der von Barth vollzogenen Umkehrung von Gesetz und Evangelium um eine Umkehrung vorwiegend oder lediglich auf der kerygmatischen Ebene. Im Unterschied zur christologischen Bezogenheit und Begründung der primär kerygmatischen Kategorien Gesetz und Evangelium bei Luther geht es Barth um die christologische Fassung von Gesetz und Evangelium (in dieser Reihenfolge!) als Kategorien des Christusgeschehens selber. D. h. bei Barth vollzieht sich die christologische Fassung von Gesetz und Evangelium nicht nur als christologische Begründung und Beziehung, sondern als Transposition der kerygmatischen Wortkategorie Luthers in die christologische Geschehenskategorie: „Das , f ü r uns' seines Kreuzestodes enthält und umschließt auch dieses furchtbare , g e g e η 10 WA 2, 466,3 ff.: „Evangelium und Gesetz unterscheiden sich wesentlich darin, daß das Gesetz verkündigt, was zu tun und zu lassen ist, vielmehr, was schon begangen und unterlassen worden ist und was unmöglich geschehen und gelassen werden sollte (deshalb dient es allein der Erkenntnis der Sünde), das Evangelium aber [verkündigt], daß die Sünden vergeben sind und alles erfüllt und getan ist" (GalaterKommentar von 1519). 11 Heintze, Luthers Predigt 283: „von Christus her und auf Christus hin", d . h . propter Christum bzw. per Christum. 12 Iwand, N W IV 275. 13 Ebd. 277.

127

uns'. Es wäre ohne dieses ,gegen uns' nicht das göttliche . . . effektiv hilfreiche ,für uns', in welchem des Menschen und der Welt Umkehrung zu Gott hin Ereignis geworden ist." 14 Darauf wird unmittelbar zurückzukommen sein. THESE VII/2 Gesetz und Evangelium werden sowohl bei Barth wie auch bei Luther christologisch begründet und verankert. Aber während Gesetz und Evangelium bei Luther als primär kerygmatische Wortkategorien auf die Christologie bezogen werden und christologisch begründet sind, wird bei Barth Gesetz und Evangelium als Dialektik der Christusgeschichte selber entfaltet. Die christologische Bezogenheit von Gesetz und Evangelium als einer kerygmatischen Wortkategorie (Luther) ist noch- etwas anderes als die christologische Fassung von Gesetz und Evangelium als Kategorie des Christusgeschehens selber. Ist die Verklammerung von Gesetz und Evangelium bei Luther als eine christologische immer zugleich wesentlich eine kerygmatisch-anthropologische, so ist die Verklammerung von Evangelium und Gebot, von Inhalt und Form bei Barth als eine christologische immer zugleich wesentlich eine trinitarisch-prädestinatianische. 3. Die Dialektik15 als Dialektik

von Gesetz und

der Anfechtungserfahrung

christologische

Dialektik

Evangelium (Luther)

der Bundesgeschichte

(Die Christus-persona-maxima-Aussage

und als (Barth)

hei Luther und

Barth)

H. ]. Iwand hat darauf aufmerksam gemacht, wie für Luther, insbesondere im Großen Galaterkommentar von 1531/35, das Thema der K D IV/1, 326. Zum Begriff der Dialektik von Gesetz und Evangelium/Evangelium und Gebot im Unterschied zur marcionitisch-lutherischen Diastase und katholisch-scholastischen Synthese vgl. E. Wolf in R G G 3 II 1519 ff. Wolf unterscheidet dort die paulinische Dialektik von Gesetz und Evangelium von der schon in der frühen Christenheit bald aufkommenden nomistischen Synthese, im Gegensatz zu der Marcion die paulinische Dialektik zu einer dualistischen Diastase vereinseitigte (1520 f.). H a t Augustin die paulinische Dialektik innerhalb der katholischen Synthese nicht wirklich zur Geltung bringen köiinen (1522), so hat Luther an die paulinische Dialektik anknüpfend gegen die Dialektik von Gesetz und Evangelium innerhalb der katholischen Synthese diese wieder zur exklusiven Mitte theologischen Denkens erhoben (1523 f.). K. Barth hat schließlich - so wäre E. Wolfs Typologisierung fortzuführen - Luthers kerygmatischanthropologische Dialektik von Gesetz und Evangelium (in Frontstellung gegen de14

15

128

„Überwindung der Anfechtung" in engem Zusammenhang mit der „Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium" steht. „Die Anfechtung nach Luthers Theologie i s t . . . mit der fehlenden Unterscheidung von Gesetz und Evangelium [gegeben]." Erwächst die Anfechtung aus dem „total verstandenen Gesetz", daraus also, „daß das Gesetz letzte Instanz ist"16, so geschieht die Uberwindung der Anfechtung durch das Evangelium von Christus als dem von Gott Verfluchten, durch das Evangelium von Christus als dem Ende des Gesetzes, von Christus als dem maximus ren problematische Weiterentwicklung zur Diastase von Gesetz und Evangelium bis hin zur Identifizierung von Gottesgesetz und Volksnomos im Luthertum des 20. J a h r hunderts) in den übergreifenden Rahmen der christologischen Dialektik von Evangelium und Gebot eingestellt und diese christologische Dialektik als Dialektik der Bundesgeschichte entfaltet. Die christologische Dialektik von Evangelium und Gebot/Gesetz und Evangelium als Dialektik der Bundesgeschichte verhält sich dabei exklusiv kritisch zur dualistischen Diastase (Marcion, Luthertum) und nomistischen Synthese (Katholizismus) von Gesetz und Evangelium, zugleich mklusiv kritisch zur paulinisch-lutherschen Dialektik von Gesetz und Evangelium, deren D y n a m i k sie in dem übergreifenden Rahmen der Dialektik der Bundesgeschichte voll zur Geltung zu bringen vermag. Die kerygmatisch-anthropologische Dialektik von Gesetz und Evangelium (Luther), die Dialektik von Evangelium und Gebot innerhalb der bundestheologischen Synthese (Barth) einerseits sind also von der Dialektik von Gesetz und Evangelium innerhalb der dualistischen Diastase (Marcion, Luthertum) und der Dialektik von Gesetz und Evangelium innerhalb der nomistischen Synthese (Katholizismus) andererseits zu unterscheiden. - Dabei meint Dialektik das Z u g l e i c h der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium und der Einheit von Evangelium und Gebot. Diastase bezeichnet das dualistische Verständnis von Gesetz und Evangelium als Verabsolutierung der notwendigen Unterscheidung, Synthese das synthetische Verständnis des Evangeliums als Moment in der Geschichte des Gesetzes und damit die Verabsolutierung der notwendigen Einheit. - Die systematische Frage, die sich angesichts der dogmengeschichtlich relevanten Lösungsversuche der Zuordnung von Gesetz und Evangelium stellt, ist folgende: Gibt es ein Verständnis der Zuordnung von Gesetz und Evangelium, das die dualistische Diastase und die nomistische Synthese von Gesetz und Evangelium ausschließt und das das Z u g l e i c h der Einheit und Unterscheidung von Gesetz und Evangelium (das dialektische Verständnis von Gesetz und Evangelium) nicht nur zu fordern, sondern im Rahmen eines theologischen Ganzen durchsichtig zu machen vermag? - Die Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz (Gebot) bei Barth stellt im Rahmen der genannten Typologien E. Wolfs den Versuch einer weiteren Präzisierung des dialektischen Verständnisses von Gesetz und Evangelium dar, der so zu verstehen ist, d a ß das dualistische und synthetische Verständnis verunmöglicht und das dialektische Verständnis gegen Mißdeutungen gesichert wird. Denn indem das dialektische Verständnis Luthers in den übergreifenden christologisch-bundestheologischen Rahmen eingestellt wird, wird 1. durch das Verständnis des Gebotes als Form des Evangeliums als Inhalt das dualistische Verständnis ausgeschlossen. Indem zugleich unter A u f n a h m e des unverzichtbaren dialektischen Verständnisses 2. das Evangelium dem Gebot begründend vorgeordnet wird, w i r d ein nomistisch-synthetisches Verständnis des Evangeliums im Rahmen des Gesetzes, d. h. ein Verständnis des Evangeliums als Moment in der Geschichte des Gesetzes, ein Verständnis des Evangeliums als vis agendi zur Erfüllung der anderweitig gewonnenen norma agendi des Gesetzes ausgeschlossen. 16 Iwand, N W IV 295.

129 9

Klappert, Promissio

peccator. Christus ist - so lautet Luthers berühmte Exegese von Gal. 3,13 - zu dem gemacht worden, „qui personam omnium peccatorum gerendam suscepit ideoque reus factus est peccatorum totius mundi" 17 . Christus ist als maxima persona dadurch konstituiert, daß Gott zu ihm sagt: „tu sis omnium hominum persona qui feceris omnium hominum peccata." 18 M. a. W.: Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium im Horizont der Anfechtungserfahrung des erschrockenen Gewissens und ihrer Uberwindung bestimmt bei Luther die inhaltliche Fassung der Christologie — wiederum im charakteristischen Unterschied zu Barth, der die Christus-maximus-peccator-Aussagen Luthers im Zusammenhang mit den Aussagen über den gerichteten Richter 19 voll und ganz zu rezipieren vermag, für den sie aber nicht - wie für Luther - die Spitzenaussage der Christologie darstellen können. Ist Christus Luther zufolge als persona publica et non privata, als persona maxima als ein solcher von Gott identifiziert, „qui personam omnium peccatorum gerendam suscepit", ist er die omnium hominum persona, qui fecerit omnium hominum peccata, so erscheint die personamaxima-Aussage bei Barth darüber hinaus in einer charakteristisch anderen Fassung: Ist Jesus Christus die Erfüllung der Geschichte des Bundes, „lebt er das Leben des ersten und für alle . . . maßgebenden Bundesgenossen Gottes" 20 , ist „diese Person als solche.. . wie der Grund und Inhalt so auch die Form des göttlichen Anspruchs", dann ist „diese Person keine uns gegenüber für sich stehende Privatperson [!] . . . weil diese Person vor Gott für die Person auch eines jeden anderen Menschen eingesetzt ist und steht, weil wir alle in dem Auftrag und Werk dieser Person den Vollzug des Willens Gottes auch an unserer eigenen Stelle zu erkennen haben" 21 . Christus als die persona maxima, die die Person aller Sünder übernommen hat, bei Luther und bei Barth 22 darüber hinaus 1 7 W A 40/1, 436,14 ff.: „der die Person aller Sünder auf sich nahm und deshalb der Angeklagte für die Sünder der ganzen Welt geworden ist." 1 8 Ebd. 437,23 ff.: Christus ist als die eine alle umgreifende, inklusive P e n o n dadurch konstituiert, daß Gott zu ihm sagt: „Du sollst Petrus, jener Verleugner, Paulus, jener Verfolger, David, jener Ehebrecher, jener Sünder, der den Apfel im Paradies aß, jener Räuber am Kreuz sein, in Summa: du sollst die Person aller Menschen sein, die aller Menschen Sünden getan hat." Das oben im Text lateinisch nur zum Teil aufgeführte Zitat erscheint vollständig in K D IV/1, 261 f.

Vgl. K D IV/1, 261 f. 2 1 Ebd. 674. K D II/2, 673. 2 2 Vgl. Barths in K D II/2, 182,189 verbotenus erfolgende Anspielung und Aufnahme des christologischen Topos vom „fröhlichen Wechsel" aus Luthers Schrift de libertate (1520). ,Doppelte Prädestination' als Selbstverwerfung Gottes zugunsten des Menschen ( 1 7 7 - 1 8 1 ) und infolgedessen Nichtverwerfung des Menschen ( 1 7 7 - 1 8 1 ) zeitigt nach Barth die folgende Konsequenz: „Es kann also die Verwerfung nicht wieder des Menschen Teil und Sache werden. Es ist der Tausch [ ! ] , der auf Golgatha geschehen 19 20

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Luthers Aussage inkludierend - Christus als die persona maxima, die als der maßgebende Bundespartner Gottes an der Stelle aller anderen das Gebot des Bundes erfüllt, das Leben im Bunde mit Gott lebt - diese Differenz ist die Spiegelung der Tatsache, daß Luthers Christologie primär an der Wirklichkeitsbestimmung von Gesetz und Evangelium, Barths Christologie primär (Luthers Aussagen nicht aus-, sondern einschließend!) an der Wahrheitsbestimmung von Bund und Gebot orientiert ist. Die Dialektik von Gesetz und Evangelium, die auch bei Luther christologisch begründet wird, ist ihrer Struktur nach die Dialektik der Anfechtungserfahrung des erschrockenen Gewissens und der Überwindung der Anfechtung durch den Trost des Evangeliums (consolatio evangelii). Die Erfahrung der Anfechtung in der Begegnung mit dem Gesetz und die Uberwindung der Anfechtung durch die und in der Begegnung mit dem Evangelium ( i u s t i f i c a t u s . . . a lege ad euangelium fugiens) 23 , d. h. die Struktur der Anfechtungserfahrung und ihrer Überwindung bestimmt auch die Struktur der Christologie Luthers im Horizont der Dialektik von Gesetz und Evangelium. Christus wird von daher als maximus peccator verstanden, die mors Christi als mors legis bestimmt. Der Dialektik von Gesetz und Evangelium als Dialektik der Anfechtung des erschrockenen Gewissens und ihrer Uberwindung in homine bei Luther steht somit die christologische Dialektik von Gesetz und Evangelium (Kreuz und Auferweckung) als Moment der siegreichen, die Sünde überwindenden Bundes- und Christusgeschichte bei Barth gegenüber. Die christologische Begründung der Anfechtungserfahrung und ihrer Uberwindung hat zur Folge, daß für Luther die Wirklichkeitsbestimmung von Gesetz und Evangelium die inhaltliche Fassung der Christologie bestimmt (Christus maximus peccator), während für Barth - primär an der Wahrheitsbestimmung von Evangelium und Gebot orientiert - die Gehorsamsgeschichte des Sohnes Gottes und die antwortende Entsprechungsgeschichte des Menschen Jesus, das Kommen des helfenden Richters und des rechttuenden Richters, im Zentrum der christologischen persona-maxima-Aussage stehen. D. h. nicht die Anfechtungserfahrung und ihre Überwindung, sondern die Dialektik der christologischen Wahrheitsgeschichte (Christus als persona maxima der Bundesgeschichte) bestimmt die Dialektik der christologischen Wirklichkeitsgeschichte (Christus als maximus peccator) und insofern die christologische Fassung von Gesetz und Evangelium bei Barth. So sehr das Begründungsgefälle von Christologie und Anfechtungserfahrung bei Luther ist, w o Gott das Verbrecherkreuz zu seinem Thron erwählte, w o der Gottessohn erlitt, was der Menschensohn erleiden sollte . . . , ein für allemal geschehen, . . . darum ist dieser Tausch [!] nicht mehr rückgängig zu machen" (182). 23 WA 2, 466,15 f.: „Der Gerechtfertigte . . . flieht vom Gesetz zum Evangelium." 131 9·

eindeutig unumkehrbar ist (insbesondere im Großen Galaterbrief-Kommentar von 1531/35), so ist doch noetisch die Fassung der Christologie durch die Dialektik der Anfechtungserfahrung bestimmt. Barth kann dabei Luthers Aussagen von Christus als dem maximus peccator durchaus aufnehmen, indem er sie zugleich in die Klammer von Christus als der persona maxima, als des stellvertretenden Bundespartners Gottes stellt. Der Prägung der Christologie Luthers durch die Dialektik von Gesetz und Evangelium als Dialektik der Anfechtungserfahrung und ihrer Uberwindung steht somit bei Barth die Dialektik von Evangelium und Gebot als Dialektik der Bundesgeschichte gegenüber. Ist die persona-maxima-Aussage Luthers exklusiv an der christologischen Wirklichkeits- bzw. Überwindungsgeschichte im Kreuz, so ist die persona-maxima-Aussage Barths - Luthers christologische Aussage einschließend - primär an der Wahrheitsgeschichte des erfüllten Bundes orientiert. Der maxima persona, die die Person aller Sünder übernommen hat, bei Luther steht somit - diese übergreifend - die maxima persona, die als der maßgebende Bundespartner Gottes an der Stelle der vielen das Gebot im Bund erfüllt hat, bei Barth gegenüber.

THESE V I I / 3

Die Struktur der Anfechtungserfahrung und ihrer Überwindung bestimmt die Struktur der christologischen Dialektik von Gesetz und Evangelium bei Luther. Die christologische Begründung der Anfechtungserfahrung und ihrer Überwindung hat zur Folge, daß für Luther die Wirklichkeitsbestimmung von Gesetz und Evangelium die inhaltliche Fassung der Christologie bestimmt, während für Barth — primär an der Wahrheitsbestimmung von Evangelium und Gebot orientiert - die Gehorsamsgeschichte des Sohnes Gottes in Einheit mit der antwortenden Entsprechungsgeschichte des Menschen Jesus im Zentrum der christologischen Aussage steht. D. h. nicht die Anfechtungserfahrung und ihre Uberwindung, sondern die Dialektik der christologischen Bundesgeschichte bestimmt die christologische Fassung von Gesetz und Evangelium bei Barth. So sehr das Begründungsgefälle von Christologie und Anfechtungserfahrung bei Luther eindeutig unumkehrbar ist, so ist doch noetisch die Fassung der Christologie durch die Dialektik der Anfechtungserfahrung grundlegend bestimmt.

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VIII. Der differenzierte Zusammenhang von Kreuz und Auferweckung als Saehkriterium der Zuordnung von Gesetz und Evangelium „In Jesus Christus ist Beides, das Negative und das Positive, schon Ereignis, und immer in Jesus Christus werden wir finden, daß es auch für uns schon Ereignis ist und gilt." 1

i. Die Transposition der kerygmatischen Dialektik von Gesetz und Evangelium bei Luther in die Teleologie des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung bei Barth Barth transponiert die kerygmatische Dialektik Luthers von Gesetz und Evangelium, opus proprium und opus alienum, in die christologische Dialektik von Kreuz und Auferweckung, indem er sie durch die Teleologie des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung bestimmt. „Es geschah der T o d Jesu Christi als Gottes n e g a t i v e Tat laut seiner Auferstehung in p o s i t i v e r Absicht. . . Und es hatte die A u f e r w e c k u n g Jesu Christi als Gottes p o s i t i v e Tat laut seines vorangegangenen Todes jene n e g a t i v e Voraussetzung", so daß da ein terminus a quo und ein terminus ad quem zu unterscheiden sind: „ z u e r s t [!] ein n e g a t i v e s Geschehen (in p o s i t i v e r A b s i c h t ! ) , eine Abwendung (mit dem Ziel einer Zuwendung!) . . . - d a n n [!] aber ein p o s i t i v e s Geschehen (mit einer n e g a t i v e n V o r a u s s e t z u n g ! ) " 2 Es darf nämlich - so argumentiert Barth - „keinen Augenblick vergessen werden, was das bedeutet, daß es der g e k r e u z i g t e Jesus Christus ist, der dort aufersteht. Das bedeutet: daß das göttliche J a des Ostertages ein göttliches Nein zur Voraussetzung hat, von dem es nicht getrennt werden kann, ohne das es das göttliche Ja, der Akt der freisprechenden . . . Gerechtigkeit Gottes gar nicht wäre. Das Ereignis des Karfreitags ist das Ereignis des göttlichen Ν e i η - das als g ö t t l i c h e s Nein das J a schon in sich e n t h ä l t . . . - das aber darum nicht minder bestimmt als göttliches Nein gehört und verstanden werden will" 3 . 1 2

KD II/2, 656. KD IV/1, 342.

3

KD II/l, 443.

133

Mit dieser zuletzt zitierten Aussage Barths aus der Gotteslehre K D I I / l ist die folgende ergänzende Aussage Barths aus der Versöhnungslehre zu verbinden: Ist das Ereignis des Kreuzes das Ereignis des göttlichen Nein, das als Nein G o t t e s das Ja schon in sich enthält, so ist aufgrund der A u f e r w e c k u n g Jesu Gottes „Ja nicht, nie mehr in seinem Nein verschlossen [und] verborgen"4, gilt vielmehr nun umgekehrt - die kerygmatischen Konsequenzen dieser Umkehrung werden später zu bedenken sein - : Das Nein ist nun nur noch im Ja enthalten, „das Erste ist [nur noch] im Zweiten, Jesus Christi Tod ist [nur noch] in seinem Leben, Gottes Gericht ist [nur noch] in Gottes Gnade eingeschlossen"5. Im Sinne Barths ist von daher zunächst ein Dreifaches festzuhalten: a) Das göttliche J a des Ostertages hat das göttliche N e i n im Kreuz zu seiner Voraussetzung. Dies meint das Nacheinander von Kreuz und Auferweckung bei Barth. b) Das K r e u z ist das Ereignis des göttlichen Nein, das als göttliches Nein das ]a schon in sich enthält. Ante Christum natum ist also das Ja als Implikat des Nein zu verstehen. c) Die A u f e r w e c k u n g ist das Ereignis des göttlichen Ja, das als göttliches Ja das Nein noch in sich enthält. Post Christum resuscitatum ist also das Nein als Implikat des Ja zu verstehen. Das Ereignis der Auferweckung ist damit die unwiderrufliche Umkehrung der Implikation des Ja durch das Nein zur Implikation des Nein durch das Ja. Denn „,der Tod ist verschlungen in den Sieg' (1. Kor. 15,54). Eben dieses Verhältnis ist nicht ,nie mehr umzukehren"6. Die Implikatstruktur von Nein und Ja (Gesetz und Evangelium) und Ja und Nein (Evangelium und Gesetz) ist also im Sinne Barths a n t e et p o s t Christum resuscitatum eine verschiedene. Genau die Beobachtung dieser Differenz in der Implikatstruktur von Nein und Ja im Kreuz und Ja und Nein in der Auferweckung ist aber für die Zuordnung von „Gesetz und Evangelium" und „Evangelium und Gesetz" im Sinne Barths grundlegend. Sie ist bisher in der Diskussion nicht beachtet worden. Indem Barth die kerygmatische Dialektik von Gesetz und Evangelium bei Luther in die christologische Dialektik von Kreuz und Auferweckung zurückübersetzt und zur Eindeutigkeit bringt, wird für ihn die Korrelation von Kreuz und Auferweckung zum exklusiven Kriterium für die Zuordnung von Gesetz und Evangelium: 1. Das Gesetz ist als Gesetz nur erkennbar und verstehbar von der Auferweckung des Gekreuzigten her: nulla lex sine evangelio, quia nulla crux sine resurrectione. 4 5

134

KD IV/1, 380. Ebd.

6

Ebd.

2. Das Evangelium ist als Evangelium nur erkennbar und verstehbar von der Auferweckung des Gekreuzigten her: nullum evangelium sine lege, quia nulla resurrectio sine cruce1. Denn in dieser Einheit eines negativen Geschehens in positiver Absicht, eines opus alienum im Dienst des opus proprium, und eines positiven Geschehens mit negativer Voraussetzung konstituieren der Tod und die Auferweckung die Geschichte Jesu Christi. Deshalb „muß man das eine ihrer beiden Momente immer vom anderen her erklären. Man redet vom Tod Jesu Christi nicht recht, wenn man nicht schon bei ihm seine Auferweckung, sein Sein als der A u f e r s t a n d e n e klar und deutlich vor Augen hat. Man würde freilich auch von seiner Auferweckung . . . nicht recht reden, wenn man . . . verwischen würde, daß dieser Lebendige ja eben der für uns G e k r e u z i g t e und G e s t o r b e n e ist" 8 . Diese Transposition der kerygmatisch-anthropologischen Dialektik von Gesetz und Evangelium bei Luther in die Ebene der Christologie bei Barth reflektiert sich u. a. in der Kritik insbesondere lutherischer Theologen, bei Barth werde die bei Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium vorausgesetzte existentielle Erfahrung von Tod und Leben, Erniedrigung und Erhöhung, Gericht und Freispruch zum Wissen degradiert bzw. durch Erkenntnis ersetzt9, wobei freilich der bei Barth vorausgesetzte alttestamentliche Wissensbegriff10 von den Kritikern Barths nicht berücksichtigt wird. THESE V I I I / 1

Barth transponiert Luthers kerygmatische Dialektik von Gesetz und Evangelium in die christologische Dialektik von Kreuz und Auferwekkung und eliminiert dadurch die Zweideutigkeit der kerygmatischen Dialektik von Gesetz und Evangelium bei Luther11. Infolgedessen wird 7 1. Kein Gesetz ohne Evangelium, weil kein Kreuz ohne Auferweckung. 2. Kein Evangelium ohne Gesetz, weil keine Auferweckung ohne Kreuz. 8 KD IV/1, 379. ' Vgl. G. Wingren, in: Antwort 319 ff. 10 Vgl. KD IV/3, 210 ff. 11 S. Hausammanns eindringender Analyse zufolge ist Luthers „neue Erfassung der Unterscheidung und Zugehörigkeit von Gesetz und Evangelium" durch eine Zweideutigkeit gekennzeichnet. „Zwischen Luthers Behauptung, daß die wahre Buße aus dem amor iustitiae et dei [also aus der Predigt des Evangeliums] komme und seiner Lehre vom usus elenchticus legis" (Buße 109) besteht eine Spannung. „Luther hat die beiden Vorstellungen, daß das Gesetz tötet und das Evangelium rettet einerseits und daß das Evangelium erst tötet und dann lebendig macht andererseits, nicht miteinander ausgeglichen" (111 Anm. 73). Fragt man also, wie der Gedanke, „daß das Evangelium das Zerschlagensein durch das Gesetz voraussetzt, sich reimt mit der anderen Aussage [Luthers], daß die Buße von der Liebe zu Gott und . . . also vom Evangelium ausgehen müsse, so sucht man beim jungen Luther vergeblich nach einer befriedigenden explizi-

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für Barth die Korrelation von Kreuz und Auferweckung zum exklusiven Kriterium für die Zuordnung von Gesetz und Evangelium: 1. Das Gesetz ist als Gesetz nur erkennbar und verstehbar von der Auferweckung des Gekreuzigten her. 2. Das Evangelium ist als Evangelium nur erkennbar und verstehbar von der Auferweckung des Gekreuzigten her.

2. Der unbestimmte (Luther) und der bestimmte (Barth) differenzierte Zusammenhang von Gesetz und Evangelium (Die immanente und teleologische Perspektive der lex bei Luther) Zur Erläuterung von Luthers Unterscheidung zwischen einer immanenten, noch nicht am Evangelium orientierten Funktion des Gesetzes (usus legis per se se!) und einer der lex transzendenten Funktion (usus legis per evangelium!) greife ich zwei wichtige Stellen aus dem Großen Galater-Kommentar Luthers von 1 5 3 1 / 3 5 und aus den Antinomerdisputationen heraus: ten Auskunft. E r hat sich wenig um den denkerischen Ausgleich bemüht, was ihm noch Jahre später in den Antinomerstreitigkeiten Mühe und Verdruß bereiten sollte" (112 f.). Im Antinomerstreit zeigt sich dann eine gewisse Verschiebung in Luthers Aussagen, „eine nicht unerhebliche Differenz, die zugleich eine Annäherung [Luthers] an Melanchthon ( ) . . . bedeutet" (222). Gegenüber Luthers in seiner reformatorischen Frühzeit noch stärker unausgeglichenen Aussagen, setzt sich im Antinomerstreit eine gewisse Schematisierung im Sinne einer vorangehenden Sündenerkenntnis durch das Gesetz und einer nachfolgenden Sündenerkenntnis durch das Evangelium durch: „Die Sündenvergebung setzt die Sündenerkenntnis voraus, welche aufgrund des Gesetzes entsteht. Zwar ist zur wahren, heilsamen Buße auch das Evangelium nötig, aber dies dringt als zweites, neues Wort ins vom Gesetz erschreckte Gewissen, ohne das Gesetz außer Gültigkeit zu setzen oder zu verändern" (223). Agrícolas Verweis auf die U n ausgeglichenheit und Zweideutigkeit bei Luther, der in seinen Schriften Buße und Vergebung einmal durch Gesetz und Evangelium, das andere Mal durch das Evangelium allein lehre, ist von Luther letztlich nicht verstanden worden. So hat Luther „nicht erwogen, ob wahre Sündenerkenntnis und Reue möglich sind, wo mit der göttlichen Forderung nicht zugleich das Evangelium verkündigt. . . wird" (222). Und deshalb lautet die entscheidende Frage an Luther: „Gehört denn nicht beides, Gesetz und Evangelium, zusammen und bedingt sich gegenseitig? Ist wirklich nur das Evangelium auf das Gesetz angewiesen? Muß nicht umgekehrt auch das Gesetz vom Evangelium umgestaltet und modifiziert werden?" (ebd.) - Die Zweideutigkeit und Unausgeglichenheit bei Luther ist systematisch geurteilt die Konsequenz aus der undiskutierten Voraussetzung, beide Aussagereihen exklusiv auf der kerygmatischen Ebene diskutieren und hier einer Lösung zuführen zu können. In der Restringierung auf die kerygmatische Ebene ist die Aporie zwischen Luther und Agricola nicht lösbar. D a es sich in beiden Aussagereihen Luthers zugleich um theologisch unverzichtbare Aussagen handelt, ist die Unausgeglichenheit der Aussagen Luthers im Gegensatz zu den eindeutigeren Aussagen bei Melanchthon und Agricola Zeugnis einer größeren Sachnähe.

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a) In seiner Auslegung zu Gal. 3,19 „lex propter transgressionem apposita est" führt Luther aus: „Ideo postquam te lex humiliavit, perterref e c i t . . . ut iam sis desperationi proximus, vide, ut lege recte noris uti [ne perverse utaris ista contritione]. Quia officium et usus eius est non solum [1] ostendere peccatum ac iram Dei, sed etiam [2] compellere ad Christum. Hunc usum legis [also den usus salutaris] solus Spiritus sanctus quaerit et Evangelium d o c e t . . . Quando lex sic te u r g e t . . . ad quaerendum auxilium et solatium apud Christum, tum est in vero usu, Sicque servit [lex] per Evangelium ad iustificationem. Et is est optimus ac perfectissimus legis usus." 12 Der usus salutaris legis ist also nach Luther dadurch charakterisiert, daß sich das Evangelium der Wirkung des immanenten, noch nicht am Evangelium orientierten Gesetzes bedient und es auf Christus hin finalisiert. b) In der zweiten Antinomerdisputation differenziert Luther noch deutlicher: Lex „per sese nihil potest, nisi affligere, perdere, turbare conscientias. . .Quod autem desperationem dieimus esse utilem, id non fit beneficio legis [et effectu legis, quid ipsa per sese possit] . . . sed [beneficio] Evangelii et Spiritus sancti sic interpretantis legem. Lex enim per sese tantum potest terrores incutere . . . Sed deinde venit Evangelium . . . et facit ex ea [lege] paedagogum. Atque ita debet lex per Evangelium interpretan et r e d u c i . . . ad salutarem usum, ad Christum" 1 3 . E. Wolf hat in seinem Artikel „Gesetz und Evangelium" zur vorliegenden Problematik bei Luther ausgeführt: „Die Predigt des Gesetzes d e c k t . . . das Wesen des verlorenen Menschen auf und f ü h r t . . . in der Umklammerung durch die Predigt des Evangeliums zu dem von der Rechtfertigung her allein legitimen ,zwei ten' Brauch des Gesetzes: 12 WA 40/1, 489,31-490,24: In seiner Auslegung zu Gal. 3,19 „Das Gesetz wurde um der Übertretungen willen hinzugefügt" führt Luther aus: „Nachdem dich nämlich das Gesetz gedemütigt und erschreckt h a t . . . so daß du der Verzweiflung sehr nahe bist, sieh zu, daß du das Gesetz recht zu gebrauchen weißt [damit du eine solche Bedrängnis nicht verkehrt nutzest]. Denn sein Amt und Funktion ist nicht nur [1], die Sünde und den Zorn Gottes zu zeigen, sondern auch [2], zu Christus zu treiben. Diese Funktion des Gesetzes [also den heilsamen Gebrauch] bewirkt nur der heilige Geist und lehrt das Evangelium . . . Wenn das Gesetz dich so treibt.. . Hilfe und Trost bei Christus zu suchen, dann ist es in seiner wahren Funktion, und so dient [das Gesetz] durch das Evangelium zur Rechtfertigung. Und das ist die beste und vollkommenste Funktion des Gesetzes." 13 WA 39/1, 445,9-446,3: Das Gesetz „vermag durch sich selber nichts, außer die Gewissen zu bedrängen, zu verderben und zu verwirren . . . Daß aber, wie wir sagen, die Verzweiflung heilsam ist, das geschieht nicht mittels des Gesetzes [und durch die Wirkung des Gesetzes, die es durch sich selbst vermöchte] . . . , sondern [mittels] des Evangeliums und des heiligen Geistes, der das Gesetz so erklärt. Denn das Gesetz kann durch sich nur Schrecken einjagen . . . Aber dann kommt das Evangelium . . . und macht aus ihm [dem Gesetz] einen Pädagogen. Und so muß das Gesetz durch das Evangelium erklärt u n d . . . auf seine heilsame Funktion, auf Christus hin ausgerichtet werden".

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,Evangelium facit ex lege paedagogum in Christum.' 14 Das bezeichnet die Mitte des Lutherschen Verständnisses des Problems von Gesetz und Evangelium." 15 Gerade der von E. Wolf herausgehobene Spitzensatz aus den Antinomerdisputationen: „Evangelium facit ex lege paedagogum in Christum" 1 6 befindet sich aber bei Luther in einem Argumentationskontext, der keineswegs durch die eindeutige Umklammerung der Predigt des Gesetzes durch die Predigt des Evangeliums charakterisiert ist. Deshalb heißt es bei Barth differenzierter, daß in der Reformationstheologie und so auch bei Luther „wenigstens ein G l e i c h g e w i c h t zwischen den beiden Faktoren [immanentem Naturgesetz und an Christus orientiertem richtenden Gesetz] gewährleistet [gewesen sei], das angebliche Naturgesetz in des Menschen eigenem Herzen wenigstens nicht geradezu zur übergeordneten Norm, zum entscheidenden Kanon der menschlichen Selbsterkenntnis gemacht" wurde, insofern „die konkrete Willensäußerung und Urteilsverkündigung Gottes [im Kreuz Christi] . . . die innere Stimme jenes angeblichen Naturgesetzes wenigstens in einiger K r a f t konkurrenzieren, kontrollieren und korrigieren kann" 1 7 . Die diesem „Gleichgewicht" zwischen immanenter und teleologischer Perspektive entsprechende Frage, ob Luther das Gesetz von Christus her definiert oder eine relative Selbständigkeit des Gesetzes, das erst sekundär auf Christus bezogen und von Christus her verschärft wird, voraussetzt, ist von der Unterscheidung zwischen der Wahrheitsbestimmung des Gebotes und der Wirklichkeitsbestimmung des Gesetzes im Hinblick auf Luther so zu beantworten: die Wirklichkeitsbestimmung des richtenden Gesetzes wird bei Luther streng christologisch, d. h. vom Kreuz Christi her definiert (der Fluchcharakter des Gesetzes im Kreuz Christi!), nicht aber so eindeutig die Wahrheitsbestimmung des Gebotes. Wird das Gesetz in seiner Zielbestimmung christologisch-staurologisch bestimmt, so kann es in seiner Herkunftsbestimmung zugleich - theonomanthropologisch — als abstraktes Gottes- und Naturgesetz bestimmt werden. Der möglichen Differenz von schöpfungstheologischer Herkunftsbestimmung des Gebotes und christologisch er Zielbestimmung des Gesetzes bei Luther steht also bei Barth die Einheit von christologisch-bundestheologischer Herkunftsbestimmung und christologisch-soteriologischer Zielbestimmung des Gebotes gegenüber. Christologische Ziel- und anthropologisch-theonome Herkunftsbestimmung fallen in bei Luther durchaus möglichen Aussagen auseinander, während im Sinne Barths Christus nicht nur die Zielbestimmung, 14 WA 39/1, 446,22: „Das Evangelium macht aus dem Gesetz einen Erzieher auf Christus hin." 15 Wolf in: RGG 3 II 1523. 19 17 Vgl. Anm. 14. K D IV/1, 411 f.

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sondern auch dieWahrheitsbestimmung des Gebotes ist. Das macht den unbestimmten differenzierten Zusammenhang von Gesetz und Evangelium bei Luther im Unterschied zum bestimmten differenzierten Zusammenhang bei Barth aus.

THESE

VIII/2

Im Unterschied zu Barths Verankerung des christologischen Nacheina n d e r von Gesetz und Evangelium in dem bundestheologischen Nacheinander von Evangelium und Gebot (nulla lex sine evangelio) wird bei Luther die negative, richtende Bedeutung des Gesetzes (usus elenchticus) nicht ausschließlich aus der Position des Evangeliums gewonnen, sondern erst sekundär auf die Position des Evangeliums bezogen. Das macht den unbestimmten differenzierten Zusammenhang von Gesetz und Evangelium bei Luther im Unterschied zum bestimmten differenzierten Zusammenhang bei Barth aus. Im Unterschied zu Barth ist bei Luther eine immanente, noch nicht am Evangelium orientierte Perspektive der lex von einer teleologischen Perspektive der lex, ein der lex immanenter und ihr transzendenter usus zu unterscheiden, d. h. einmal ein usus legis im Sinn des genetivus subiectivus — das Gesetz selbst übt die Funktion aus - , demzufolge das vom Menschen pervertierte Gesetz die Verzweiflung im Sinn der desperatio sui und des odium Dei wirkt, zum anderen ein usus legis im Sinn des genetivus obiectivus — das Evangelium bedient sich des Gesetzes - , demzufolge das die doppelte Verzweiflung des Menschen wirkende Gesetz vom Geist, bzw. vom Evangelium gebraucht und auf Christus bezogen wird. Wird in der immanenten Perspektive das Gesetz von der lex naturalis, der lex aeterna Dei her definiert und dem Deus nudus, bzw. dem spiritus absconditus zugeordnet 18 , so wird in der teleologischen Perspektive die lex vom Evangelium, bzw. von Christus her definiert, bzw. vom heiligen Geist auf das Evangelium, bzw. auf Christus hin teleologisiert. 18 Vgl. Schloemann, Natürliches und gepredigtes Gesetz bei Luther, demzufolge bei Luther „auch schon der sensus legis" unter dem prädestinatianischen Vorbehalt des ,ubi et quando visum est Deo' steht. „Hier ist die Bindung an das äußere verbum praedicatum nicht so unabdingbar wie beim Evangelium . . . Ohne den S p i r i t u s S a n c t u s kommt freilich auch eine Gesetzeserfahrung nie zustande. D o c h handelt es sich hier nicht um den Geist Christi, sondern um den Geist des deus nudus [!], der verzehrenden Majestät"(119 Anm. 372). Zum Verhältnis von Gesetzeserkenntnis und heiligem Geist bei Luther vgl. Hausammann, Buße 131, 140, 209 ff. „Was Gottes N a tur und Majestät betrifft, so ist er [ - wie Luther in der 1. Antinomerdisputation ausführt - ] unser Gegner: er fordert Gesetzesgehorsam und bedroht die Übertreter des Gesetzes mit dem Tod. In diesem Zusammenhang ist auch der Heilige Geist majestätisch und schrecklich" (211). Und diese Differenzierung zwischen dem spiritus abscon-

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3· Die exklusiv christologische Fassung der immanenten und teleologischen Perspektive des Gesetzes (Die Transposition der immanenten und teleologischen Perspektive der lex bei Luther in die Teleologie des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und Auf erweckung hei Barth) Barth entwickelt 19 in einer sich auf den Zusammenhang von Kreuz und Auferweckung beziehenden formalen Näherbestimmung und Ergänzung die Teleologie des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung. Er kommt dabei im Rahmen dieser formalen Ergänzung zu einer grundlegenden positiven Bejahung von Luthers Lehre von Gesetz und Evangelium und zugleich zu einer negativen Abgrenzung ihr gegenüber. Denn so sehr einerseits die Teleologie des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung bei Barth in positiver Anknüpfung an Luther nach dessen Dialektik von Gesetz und Evangelium inhaltlich strukturiert ist, so sehr ist andererseits in negativer Abgrenzung von Luther die Dialektik von Gesetz und Evangelium auf die Teleologie von Kreuz und Auferweckung beschränkt, ist die Dialektik von Gesetz und Evangelium (in dieser Reihenfolge!) kerygmatisch nicht wiederholbar. Bezug auf Luther und gleichzeitige Abgrenzung von ihm sind also bei Barth genau zu unterscheiden. Kreuz und Auferweckung, so heißt es in Barths formaler Näherbestimmung, bilden die Einheit einer unumkehrbaren Folge. Diese Einheit „hat die Art einer ,Einbahnstraße', sie ist also n i c h t umkehrb a r " 2 0 . Der wechselseitige Zusammenhang von Kreuz und Auferweckung in seinem Rückbezug und Vorausbezug ist ein Z u s a m menhang einer unumkehrbaren Teleologie. War ante Christum resuscitatum die Gnade Gottes in seinem Gericht, das J a Gottes in seinem Nein, die große Position als das Telos unter der Negation Gottes verborgen, so gilt das „post Christum crucifixum et resusciditus und dem spiritus Christi „ist genauer besehen ohne Zweifel eine Korrektur der früheren Position Luthers, die zugleich eine Annäherung an Melanchthon bedeutet" (ebd). „Der Antinomerstreit bringt. . . eine Klärung der lutherischen Position, die im wesentlichen Melanchthons frühe Vorstellungen aufnimmt . . . : Der Heilige Geist bewirkt mortificatio und vivificatio, aber auf verschiedene Weise. Verbunden mit dem Evangelium, erneuert er als ,donum dei' den alten Menschen; verbunden mit dem Gesetz, ist er der Finger Gottes, der das Herz beunruhigt, es zur Anerkennung des Gesetzes und zur Sündenerkenntnis führt. Dieses Wirken des Heiligen Geistes im Zusammenhang mit dem Gesetz ist nicht tröstlich, sondern schrecklich.. . Wo ihm nicht die gnädige Gabe des Geistes durchs Evangelium nachfolgt, da führt es nicht zum Heil, sondern in rettungslose Verzweiflung" (221). 19

140

Vgl. K D IV/1, 378 ff.

20

Ebd. 379.

tatum" 21 nicht mehr. „Denn das Erste ist im Zweiten, Jesu Christi Tod ist in seinem Leben, Gottes Gericht ist in Gottes Gnade eingeschlossen."22 Das bedeutet aber umgekehrt: „Das Zweite ist nicht, nie mehr, im Ersten, Jesu Christi Leben nicht, nie mehr in seinem Tod, Gottes Gnade nicht, nie mehr in seinem Gericht, sein Ja nicht, nie mehr in seinem Nein verschlossen."23 Haben wir es aber „mit dem G e k r e u z i g t e n n u r noch als mit dem A u f e r s t a n d e n e n zu tun" 24 , dann gibt es „keinen Gekreuzigten in abstracto" 25 , dann gibt es „ k e i n Z u r ü c k hinter den Ostermorgen"26. Eine mit dem „nackten Kreuz" 27 operierende Kreuzes- bzw. Gesetzespredigt schritte ja „zurück in die noch nicht durch das Licht des Ostertages erleuchtete Nacht von Golgatha! zurück und hinein in das noch nicht als Heilsgeschehen proklamierte und offenbare Gerichtsgeschehen! zurück in den Bereich, wo Gottes Ja zum Menschen.. . noch unzugänglich tief unter seinem Nein verborgen war!" 2 8 M. a. W.: der einmalige Weg vom Kreuz zur Auferwekkung meint „ k e i η [ e η ] Cyklus" 29 , , , k e i n [ e n ] Weg der ewigen Wiederkehr" 30 , sondern er ist die unauflösliche Einheit einer dynamischteleologischen Folge: „Um seines E r w ä h l e n s willen hat er von Ewigkeit her verworfen. In seiner L i e b e hat er in der Zeit gezürnt und verdammt. . ." 3 1 Und nun ist dieses Telos seines Weges - „alle Rückwege und Rückblicke uns versperrend"32 - unser Ausgangspunkt33. Und in wörtlicher Abgrenzung von Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium und dessen Definition: „proprium officium legis est accusare et occidere, [proprium officium] Evangelii vivicare" 34 , heißt es dann bei Barth: „Als ob wir noch einmal dort anzufangen hätten, wo er für uns und mit uns Schluß gemacht hat! Als ob er das nicht ein für allemal und für uns alle getan hätte! . . . Als ob es etwas Anderes a l s . . . ein im Grunde frevelhaftes Spiel bedeuten könnte, das Unwiederholbare, weil von Gott selbst Vollbrachte, unsererseits [kerygmatisch!] wiederholen zu wollen." 35 Von dieser unumkehrbaren Teleologie des Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung her ist es nach Barth theologisch unsachgemäß, wenn man kerygmatisch „wieder mit dem Ersten, mit dem ,nackten Kreuz', mit dem Gericht, mit dem göttlichen N e i n . . . mit dem Gesetz 2 2 Ebd. Ebd. 380. 2 4 Ebd. 379. Ebd. 2 5 Ebd. 2 6 Ebd. 379 f. 2 7 Ebd. 380. 2 8 Ebd. 2 9 Ebd. 381. 3 0 Ebd. 3 1 Ebd. 3 2 Ebd. 3 3 Vgl. Klappert, Auferweckung 361 f. 3 4 W A 39/1, 363,19 f.: „Das eigentliche Amt des Gesetzes ist, anzuklagen und zu töten, [das eigentliche Amt] des Evangeliums [ist], lebendig zu machen." 3 5 K D IV/1, 380. 21

23

141

anfangen wollte, das doch von Jesus an unserer Stelle erfüllt ist - mit Gottes Zorn, den er doch an unserer Stelle ein für allemal erlitten hat" 3 6 . Und gegenüber Luthers im Anschluß an 1. Sam. 2,6 f. immer wieder formulierter Grundaussage, daß „Gottes Handeln am Menschen im Nacheinander von Demütigen und Erhöhen, von Zorn und Gnade, von Gesetz und Evangelium" geschieht, daß also Gottes dialektisches Handeln am Menschen im Töten und Lebendigmachen besteht 37 , heißt es bei Barth: „Gott h a t von Ewigkeit her verworfen und in der Zeit verdammt und gerichtet, er h a t getötet - in seinem Sohn . . . Alle getötet, indem dieser an ihrer Stelle getötet wurde. Aber eben darauf kommt er n i c h t zurück. Eben damit fängt er nicht wieder von vorne an. Denn u m z u e r r e t t e n h a t er gerichtet. Um l e b e n d i g z u m a c h e n hat er getötet [!] . . . Und nun ist dieses Τ e 1 o s des Weges, den er . . . in der Geschichte Jesu Christi gegangen ist, unser Anfang." 3 8 Ist aber das christologische Verständnis von Gesetz und Evangelium identisch mit der Teleologie des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung und ist diese christologische Teleologie post Christum resuscitatum kerygmatisch nicht wiederholbar, dann - so heißt es nun verbotenus bei Barth - „sollte [man] das Evangelium vom Weg des wahren Gottes n i c h t mythologisieren, auch nicht im Namen . . . Luthers selbst!" 39 Luthers Weiterentwicklung des dialektisch-immanenten Umschlages vom Gesetz ins Evangelium in seiner vorreformatorischen Theologie zu der reformatorischen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, mithin seine Betonung der äußeren Eigenständigkeit und Andersartigkeit des bei strengem Bezug auf das Gerichtswort des Gesetzes von diesem doch streng zu unterscheidenden Heilswortes des Evangeliums 40 , d. h. die theologiegeschichtliche und zugleich systematisch neue Einsicht Luthers, „daß dem Gesetz - selbst in seiner schärfsten Zuspitzung - nicht das Evangelium erwächst, daß aus sich heraus der Tod nicht in Leben, das Kreuz nicht in das H e i l . . . die Negation nicht in die Position umschlägt"41, ist auch in Barths christologischer Fassung der Dialektik von Gesetz und Evangelium als Teleologie des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung vorausgesetzt. Die Auferweckung ist nämlich auch im Sinne Barths nicht als dialektisch-immanenter Umschlag des Kreuzes zu verstehen, denn Gott hätte - so argumentiert Barth - es bei dem Tod des gerichteten Richters, bei dem totalen Nein des göttlichen Zorns über den Menschen belassen kön36 37 38 40 41

142

Ebd. Heintze, Luthers Predigt 97, vgl. 272. K D IV/1, 381. Vgl. Bayer, Promissio 184. Ebd. 344. Kursivierung vom Verfasser.

39

Ebd.

nen. Die Geschichte Jesu Christi hätte sich dann „darin e r s c h ö p f t . . . in seiner Person das Nein des göttlichen Zornes über die Welt zu vollziehen und zu erleiden" 42 . Man muß sich nämlich im Sinne Barths im Hinblick auf das Kreuz „klar machen, daß eben dieses Ereignis zunächst und als solches den Charakter einer über den Menschen hereinbrechenden K a t a s t r o p h e . . . hat", insofern Jesus Christus „den sündigen Menschen in seiner eigenen Person, in seiner Dahingabe in den Tod tatsächlich hinweggenommen, zum Verschwinden gebracht" hat 43 . „Ihm konnte anders als durch seine Vertilgung nicht geholfen werden. Es m u ß t e . . .die ihm in Jesus Christus zugewendete Liebe Gottes, sollte sie zu ihrem Ziele kommen, tatsächlich die Gestalt des verzehrenden Feuers seines Zornes haben, durchbrennen bis auf den Grund, ihn selbst, den zum Feinde Gottes gewordenen Menschen, hinwegfegen und total zunichte machen." 14 Und Barth folgert im Hinblick auf das Problem und die Möglichkeit einer dialektischen Vermittlung von richtendem Gesetz und rechtfertigendem Evangelium in Kreuz und Aufweckung: „Gericht ist Gericht. Tod ist Tod. Ende ist Ende. Gericht, Tod, Ende hat Jesus Christus.. . im Gehorsam des Sohnes an unserer Stelle erlitten. . . Gericht, Tod, Ende ist in seiner Person, mit ihm, uns selbst ein für allemal widerfahren." 45 Und die im Kreuz erkannte Unmöglichkeit einer dialektischen Vermittlung von Gesetz und Evangelium führt unmittelbar zu der Frage: „Gibt es ein J e n s e i t s , und zwar ein überlegenes Jenseits dieses Widerfahrnisses: einen festen Ort und Grund, von dem her gesehen das G e r i c h t . . . zwar in seinem ganzen furchtbaren Ernst gesehen und nun doch nicht als ein Letztes und Absolutes, sondern in einer bestimmten B e z i e h u n g , Z u o r d n u n g und U n t e r o r d n u n g erkennbar würde?" 46 Allerdings gibt Barth zu bedenken: „Es ist wirklich von ferne nicht selbstverständlich, daß sie [diese Frage] nicht d o c h in jenem n e g a t i v e n Sinn zu beantworten ist! Es besteht nämlich zunächst aller Grund zu der Befürchtung, es möchte gerade das Sein und Tun Jesu Christi. . . nur als der in ihm vollzogene Abschluß alles anderen menschlichen S e i n s . . . zu verstehen sein." 47 „Seine Gnade konnte auch im Vollzug eines endgültigen Gerichtes bestehen: . . . der Weg seines Sohnes in die Fremde konnte auch den Sinn haben, diesem fremden Wesen durch einfache Aufhebung seiner Existenz ein Ziel zu setzen." 48 Und Barth hält es deshalb für notwendig, dieser Möglichkeit einer negativen Beantwortung der gestellten Frage ins Auge zu sehen, „weil. . . die zu 42 43 45 47

KD IV/1, 339. Ebd. 3 26 . Ebd. 326 f. Ebd. 323.

44 46 48

Ebd. Ebd. 327. Ebd. 324.

143

gebende positive A n t w o r t . . . dieser negativen direkt gegenübersteht, weil sie ohne ehrliche Erwägung dieser negativen Alternative gar nicht zu verstehen" ist 49 . Der Tod Jesu Christi „bedeutet jedenfalls a u c h , daß er [Gott] in ihm mit der ihm widersprechenden . . . Welt Schluß, und zwar gründlich und ein für allemal Schluß gemacht h a t . . . daß eben in und mit ihm wir selber gestorben und also als die, die wir waren, abgetan und erledigt, tatsächlich nicht mehr da sind" 50 . „Sein Sterben i m p l i z i e r t e und w a r insofern unser eigenes Sterben. Und so . . . wurde in seinem Tod der Sold unserer Sünde an unserer Stelle bezahlt (Rom. 6,23) . . . Wir s t a r b e n : man verstehe das ganz konkret und wörtlich: es war in seinem Sterben das Sterben, das in irgend einer Nähe oder Ferne auf u n s wartet, schon Inbegriffen." 5 1 Und diese Aussage von dem im Tod Jesu Christi implizierten Sterben des Menschen ist im Sinne Barths keine auf die Gemeinde zu beschränkende, also ekklesiologisch einzugrenzende Wirklichkeit. Vielmehr „die Gesamtheit aller sündigen Menschen, die damals Lebenden, aber auch die damals längst Dahingegangenen, aber auch die damals noch lange nicht Geborenen - die Christen . . . aber auch die Juden und die Heiden . . . Sein Tod w a r auch ihrer a l l e r Tod: unabhängig von ihren Stellungnahmen und Verhaltungsweisen zu diesem Geschehen" 52 . Und in kritischer Abgrenzung gegenüber Luthers Definition der Funktion des Gesetzes im Rahmen der Predigt: proprium officium legis est occidere 53 , ergänzt Barth sofort: „also nicht etwa erst darin [geschah ihrer aller Tod], daß das Kerygma von ihm auch zu ihnen drang und von ihnen vernommen und angenommen wurde, nicht erst k r a f t der Wirkung irgendwelcher kirchlicher Institutionen und Verrichtungen . . . überhaupt nicht erst in irgendwelchen sakramentalen . . . Wiederholungen [!], Abbildungen [und] Applikationen des Kreuzesgeschehens" 54 . Von der Unmöglichkeit her, die Auferweckung als immanent-dialektischen Umschlag des Kreuzes als des radikalen Endes und das Kerygma als Wiederholung des im Tod Jesu erfolgten Sterbens aller Menschen zu verstehen, fragt Barth 55 nach den Bedingungen der Auferweckung als eines echten, durch keine dialektische Denkoperation zu ermittelnden Jenseits. Denn die Auferweckung ist keine dem Kreuz Christi per se eignende immanente Teleologie. 49

50 Ebd. Ebd. 52 Ebd. 3 25 . Ebd. 53 „Das eigentliche Amt des Gesetzes ist zu töten", vgl. Anm. 34, und den v o n Pesch, Theologie der Rechtfertigung 467 Anm. 42 zitierten genuin lutherischen Satz H . Thielickes: „Das Gesetz wird seines Wesens beraubt, daß es kein Gericht mehr bringt; man stirbt nicht mehr daran. Die Gnade wird dadurch entmächtigt, daß sie uns nicht mehr aus dem Tode auferweckt, da wir ja nicht gestorben sind." Vgl. weiter Thielicke, Ethik I 192 und ders. Der Evangelische Glaube. Grundzüge der Dogmatik II 219 ff. 54 55 K D IV/1, 3 25 . Vgl. K D IV/1, 327 f f . 51

144

Vielmehr: die immanente Perspektive des Kreuzes als des endgültigen Gerichtes Gottes wird Barth zufolge - entsprechend den an der kerygmatischen Ebene orientierten Aussagen Luthers über die Verwandlung der immanenten in die teleologische Perspektive der lex - erst aufgrund der Auferweckung als der neuen Tat Gottes in eine teleologische Perspektive verwandelt. D. h. der teleologische Charakter des Kreuzes auf die Auferweckung hin ist ein dem Kreuz nicht immanenter, sondern ein ihm von der Auferweckung her allererst zukommender, ihm also transzendenter Charakter. Heißt es bei R. Prenter: „Die Anfechtung [!] ist für Luther tatsächlich S c h 1 u ß , Tod, Vernichtung. Auf der anderen Seite der Anfechtung geht für ihn kein Weg weiter. Sie ist nicht das negative Moment einer folgenden Synthese [!], sondern das tatsächlich unwiderrufliche und erschreckende Ende" 5 6 , so werden solche Aussagen Luthers bei Barth der kerygmatisch-anthropologischen Ebene entnommen und auf den christologischen Ubergang von Kreuz und Auferweckung konzentriert, womit zugleich ausgesagt wird, daß diese christologischen Aussagen keiner kerygmatisch-anthropologischen Wiederholung und Erfahrung fähig sind. Allerdings - das gilt es hier im Hinblick auf die positive Rezeption Luthers durch Barth ebenso deutlich zu sehen - die immanente und teleologische Perspektive der lex bei Luther hat ihre genaue Entsprechung in der immanenten Perspektive des Kreuzes als absoluten Gerichtes und Endes aller Menschen einerseits und in der dem Kreuz erst aufgrund der Auferweckung zukommenden teleologischen Perspektive andererseits. Und Barth hat diesen Sachverhalt nicht erst in K D IV/1, sondern schon 1935 in „Evangelium und Gesetz" zum Ausdruck gebracht: „Die Reihenfolge: Gesetz - Evangelium . . . um die es hier geht, ist dadurch charakterisiert, daß sie identisch [!] ist mit der Reihenfolge: Tod-Leben. Das heißt aber: Sie ist uns als Reihenfolge ganz uneinsichtig. Sie kann nur Ereignis und T a t s a c h e sein . . . Wir werden [von daher] nur t a t s ä c h l i c h glauben können ohne ein Wissen um die Möglichkeit [R. Bultmann!] dessen, was wir damit tun." 5 7

THESE

VIII/3

Der differenzierte Zusammenhang von Kreuz und Auferweckung bei Barth ist nach der Dialektik von Gesetz und Evangelium bei Luther entworfen. Umgekehrt wird Luthers Dialektik von Gesetz und Evangelium von Barth auf den differenzierten Zusammenhang von Kreuz und Auf56

Prenter, Spiritus 220.

57

Ev. u. Ges. 29 f. (WdF 26).

145 10

Klappert, Promissio

erweckung, d. h. christologisch begrenzt. Die christologische Dialektik von Gesetz und Evangelium ist post Christum resuscitatum kerygmatisch nicht wiederholbar. Darin liegt bei aller positiven Rezeption Luthers eine nicht aufzuhebende Differenz zwischen Luther und Barth. In der Bestimmung des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung bei Barth: 1. der negativen Bestimmung der Immanenz des Kreuzes als endgültigen Endes, 2. der Teleologisierung des Kreuzes aufgrund der Auferweckung als eines echten Jenseits und 3. der daraufhin vollzogenen teleologischen Fassung des Kreuzes selber kommt Luthers Dialektik von Gesetz und Evangelium einerseits voll zu Ehren, wird sie aber andererseits auf den differenzierten Zusammenhang von Kreuz und Auferweckung beschränkt. Das Spezifikum der Rezeption der Dialektik von Gesetz und Evangelium bei Luther durch Barth liegt damit in deren christologischer Restriktion.

4. Die kerygmatischen Konsequenzen der christologischen Restriktion der Dialektik von Gesetz und Evangelium bei Barth Die kerygmatischen Konsequenzen der exklusiv-christologischen Restriktion von richtendem Gesetz und rechtfertigendem Evangelium auf den christologischen Zusammenhang von Kreuz und Auferweckung, die im bisherigen lediglich angedeutet werden konnten, müssen nunmehr eigens thematisiert werden. Barth unterscheidet drei kerygmatische Formen, die in ihrer Verschiedenheit primär nicht formgeschichtlich aus einem verschiedenen „Sitz im Leben" im Sinn der Formgeschichte, sondern auf dem Hintergrund der sie bestimmenden christologischen Realebene zu verstehen sind, insofern Barth zufolge „Formgeschichte" die Benennung und das Aufzeigen der Formen dieser Geschichte bedeutet. Formgeschichte ist die Geschichte der kerygmatischen Formen der Christusgeschichte. Barth unterscheidet a) Verkündigung als erzählenden Indikativ, b) Verkündigung als warnenden Indikativ, c) Verkündigung als promissorischen Indikativ. a) Verkündigung

als erzählender

Indikativ

Barth folgert aus der Geschichte Jesu Christi in Kreuz und Auferweckung: „Es bleibt . . . tatsächlich nichts übrig, als sich das ein146

fach in der Weise der Erzählung von so geschehener Geschichte . . . erzählen, als objektiv geschehen, vorhalten zu lassen."58 In dieser Form „will . . . die damals und dort geschehene, erzählbare und zu erzählende Geschichte Jesu Christi für sich vernommen sein: So g e s c h a h es für uns" 59 . D. h. aber: Die Verkündigung wird durch die objektiv geschehene Geschichte inhaltlich normiert und in ihrer Form als E r z ä h l u n g bestimmt. Die Verkündigung ist im streng am Gegenstand orientierten Sinn „Botschaft von . . ." 60 . Als solche „Botschaft" v o n . . . 61 ist sie Erzählung62, Hinweis, Verweis, Erinnerung63, Anzeige und Bekanntmachung64 dieser Geschichte. Und Barth stellt angesichts dieser extra nos für uns geschehenen Geschichte die pointierte Frage, „ob gerade die K a r f r e i t a g s p r e d i g t da und dort statt in Form von allerlei unzureichender Theologie nicht besser in Form einer . . . simplen Nacherzählung der evangelischen Leidensgeschichte verlaufen, als solche nicht auch ,existentiellere' Anrede sein würde?"65 Man würde Barth freilich mißverstehen, wenn man den Begriff der „Erzählung", des „schlichten Hinweises auf das Ereignis"66 und der Bekanntmachung und also die Definition der Verkündigung als ,Botschaft von . . . ' und ,Hinweis a u f . . . ' auf dem Hintergrund einer am ObjektSubjekt-Schema orientierten ,Mitteilung' verobjektivierbarer Sachverhalte interpretieren würde. Barths Terminus der ,Botschaft von' einer erzählbaren Geschichte hat „mit verfügendem Aussagen eines objektiv Gewußten nicht das geringste zu tun" 67 . Gilt doch nach Barth von diesem alle Menschen übergreifenden Ereignis grundlegend, daß es „für sich selbst sprechende Wirklichkeit ist" 68 , daß es „für sich selbst spricht, sich selbst erklärt" 69 ; genauer, daß Er für sich selbst spricht: „der sich selbst richten ließ, lebt, regiert, redet, wirkt - ist selbst das Wort, das nun allen . . . als Gottes Wort verkündigt werden soll." 70 Und wird seine Geschichte ,lediglich' erzählt, auf ihn als den in dieser Geschichte Existierenden .lediglich' verwiesen, so deshalb, weil er „nicht erst zum Sprechen gebracht zu werden [braucht]; er spricht, indem er in jener Geschichte existiert, indem er als der in jener Geschichte Existierende . . . redet und wirkt, für sich selber, wo immer von ihm gesprochen [und] seine Geschichte erzählt" wird71. „Identisch ist er, ist seine damals und dort geschehene Geschichte mit Gottes Wort." 72 Gerade also nicht mit 58 59 61 63 65 67 68 70 72

K D I V / 1 , 245; vgl. I V / 3 , 967 ff. K D I V / 1 , 245. Vgl. ebd. 1. Ebd. 274 f. Ebd. 275. Ott, in: Kerygma und Mythos IV, 116. K D I V / 3 , 60. Ebd. 249. Ebd.

Ebd. 249. «2 Ebd. 249 f. »4 Ebd. 82. « Ebd. 274.

60

«· K D I V / 1 , 274 f. Ebd. 250.

71

147 10*

der Verkündigung als dem Zeugnis von diesem Wort73. Dies meint im Sinne Barths die Verkündigung als erzählender Indikativ. b) Verkündigung

als warnender

Indikativ

„Dem Gesetz - jenem Gesetz der Sünde und des Todes - (sind wir) entrückt und enthoben . . . Es ist nicht an dem, daß dieses Gesetz trotz des Todes und der Auferstehung Jesu C h r i s t i . . . uns als Sünder anklagen" könnte 74 . Barth hat die kerygmatischen Konsequenzen aus der exklusiv-christologischen Fassung der Dialektik von Gesetz und Evangelium bei Luther speziell auch im Hinblick auf die Kategorie des „richtenden Gesetzes" gezogen: Ist die Schilderung Israels im Alten Testament durch die „fast völlig beherrschende göttliche Anklage gegen die Untreue und gegen den Ungehorsam" Israels charakterisiert, so ist im Neuen Testament diese Anklage „ v e r s t u m m t . . . zu einer bloßen warnenden Erinnerung" geworden 7 5 . Und zwar, wie Barth sogleich hinzufügt, „nicht deshalb, weil sie jetzt gegenstandslos geworden wäre. Sie hat aber in Jesus Christus ihren eigentlichen Gegenstand gefunden. Es ist das ihr notwendig folgende Gericht an ihm zur Erfüllung gekommen" 76 . Das bedeutet aber im Hinblick auf die kerygmatische Ebene: „Das Gebot Gottes kann nun nur noch als das durch ihn gehaltene und erfüllte Gebot verstanden und verkündigt werden" und zwar mit dem ausschließlichen „Inhalt: ihm, Jesus Christus, mit dem Glauben, der Liebe und der H o f f n u n g . . . gerecht zu werden" 7 7 , d. h. ihm zu entsprechen. M. a. W.: Das anklagende, richtende Gesetz, die lex accusans Luthers ist für Barth keine Kategorie der neutestamentlichen Verkündigung, der Predigt der Gemeinde, sie ist keine kerygmatische Kategorie. W. Zimmerli hat auf die kerygmatische Kategorie der warnenden Erinnerung in der Verkündigung des Propheten Ezechiel aufmerksam gemacht. Nach Ez. 6,8-10 wird unter den dem Gerichtsschwert Entronnenen Israels angesichts des erfahrenen Gerichtes Jahwes ein Sich-Erinnern einsetzen, wobei dieses wesentlich dadurch charakterisiert ist, „daß biblisches ,Gedenken' an Gott nie ohne ein Element perfektisch zu formulierender ,Erinnerung' an ein in der Geschichte zuvor schon geschehenes Handeln Gottes mit dem Menschen" verstanden werden kann 7 8 . „So ist denn die Erinnerung der unter die Völker versprengten Entkommenen Israels an Jahwe unmittelbar auch [!] Erinnerung an den Gott, der ,ihr Herz, das von mir weg b u h l t e ' . . . zerbrochen hat. Der Tod, den 73 74 76 78

148

Vgl. Klappert, Auferweckung 255 ff. K D II/2, 656. Ebd. Zimmerli, Ezechiel 153.

75 77

Ebd. 638. Ebd.

Jahwe im richtenden Schwert über den Bergen Israels aufgerichtet hat, wird von nun an Teil der ,Erinnerung' sein müssen, die Israels Glauben bestimmt." 79 Ez. 20,43 f. schildet „die demütig beschämte Anerkenntnis" der durch Jahwes Treue Geretteten Israels. „Der in drei Phasen geschilderte Vorgang des Sicherinnerns, Ekel-Empfindens und E r k e n n e n s . . . wird sich dann letztgültig unter den wieder ins Land zurückgeführten Exulanten vollziehen. Die böse Vergangenheit wird nicht in unguter Weise verdrängt und vergessen sein, sondern vor Augen stehen. In dem Ekel vor dieser Vergangenheit aber wird sich die echte, bewußt das Geschehene verarbeitende Umkehr vollziehen." 80 Insofern gebietet die Verkündigung Ezechiels der Gemeinde, „auch da, wo Gott sie aus der Nacht des Gerichtes zu neuem Leben geführt hat, ihre Gerichtswürdigkeit nicht zu vergessen, ihre Verschuldung vor Augen zu behalten und aus einem echten Erschrecken und einer redlichen Absage an ihren Ungehorsam heraus sich zur Erkenntnis des Gottes, der auch in seinen Gerichten die Treue hält, zu wenden" 8 1 . Barths Begriff der warnenden Erinnerung und sein anthropologisches Korrelat der beschämenden Anerkenntnis82 wird nicht zuletzt von dieser alttestamentlichen Verkündigungskategorie her zu verstehen sein. Freilich mit dem von Barth selber namhaft gemachten, durch das Christusgeschehen bedingten wichtigen Unterschied, daß an die Stelle der beschämenden Anerkenntnis der durch das Gericht selber Getroffenen im Alten Testament im Neuen Testament die beschämende Erkenntnis des einen durch das Gericht Gottes an der Stelle der Vielen Getroffenen, die warnende Erinnerung an ein in der Geschichte schon zuvor geschehenes Gerichtshandeln im Kreuz zugunsten des Menschen in das Zentrum der kerygmatischen Kategorie der warnenden Erinnerung tritt. Dies meint im Sinne Barths die Verkündigung als warnender Indikativ, der „als Erinnerung an den g e s c h l i c h t e t e n Streit, an die z e r r i s s e n e Anklage, an die v e r g e b e n e Sünde der Botschaft von der geschehenen Versöhnung der Welt mit Gott kritisches Salz verleih(t), ohne sie in Frage zu stellen" 83 . c) Verkündigung

als promissorischer

Indikativ

Die Ablehnung der kerygmatischen Kategorie der Wiederholung hat bei Barth die Funktion, dem Mißverständnis zu wehren, „als ob es sich auf Golgatha eben doch nur um die Beschaffung einer Möglichkeit 79 81 83

Ebd. 153. Ebd. 459. K D II/2, 229.

80 82

Ebd. 458. Vgl. K D IV/2, 430 ff.

149

[!] . . . um ein außerordentliches Angebot [!] . . . gehandelt hätte, dessen Befolgung ihm erst Realität zu verschaffen hätte". Denn das der kerygmatischen Kategorie der Wiederholung meistens heimlich zugrundeliegende oder aus ihr zu folgernde Schema „Möglichkeit-Wirklichkeit" zur Bezeichnung der Zuordnung von Heilsgeschehen und Verkündigung gibt es nach Barth im Neuen Testament auch der Sache nach nicht. „Gewiß gibt es da auch Mahnungen und Imperative, die zu dem Geschehen auf Golgatha in sehr deutlicher Beziehung stehen . . . Das [aber] sind F o l g e r u n g e n aus dem schon geschehenen Sterben des Menschen, gebotene Bezeugungen [!] dieses nur indikativisch, nur in Erzählungsform [!] zu bezeichnenden, weil eben nur im Rückblick auf Golgatha zu begreifenden Ereignisses. Solche B e z e u g u n g e n der Bejahung und Anerkennung des dort Geschehenen fehlen ihm noch, müssen noch zu ihm hinzukommen . . . so gewiß . . . von einer Fortsetzung oder Wiederholung [!] oder Vergegenwärtigung oder gar so erst zu vollziehenden Verwirklichung jenes Ereignisses keine Rede sein kann." 84 Denn „das Ereignis des Todes des M e n s c h e n ist das des Todes J e s u C h r i s t i auf Golgatha . . . Es ist . . . d a s Sakrament. . . vor oder neben oder nach dem . . . kein anderes Raum hat" 8 5 . Von daher ist auch der Begriff des promissorischen, des beanspruchenden Indikativs zu verstehen: Ist das alttestamentliche Gebot die Imperativische Umschreibung dessen, wo Israel aufgrund des Bundes vor und mit Gott stehen soll: „du sollst sein, was du bist", und ist die negative Gestalt des richtenden Gesetzes im Kreuz die Umschreibung dessen, wohin der Mensch aufgrund der Perversion des Gebotes sich selbst gestellt hat: „du mußt sein, der du vor Gott sein willst", so ist das neutestamentliche Gebot der Verkündigung die indikativische, promissorische Umschreibung dessen, wohin der Mensch aufgrund der Erfüllung des Bundes in Jesus Christus und des in ihm stellvertretend erfüllten Bundesgebotes hingestellt ist: „du wirst sein, der du in Jesus Christus schon bist." Die positiv-imperativische Umschreibung des Gebotes auf die erwartete Erfüllung der Verheißung hin (Altes Testament), die negativ-imperativische Umschreibung des Gebotes als Konsequenz der Perversion des Gebotes durch den Menschen (Kreuz Christi) und die promissor isch-indikativische Umschreibung des Gebotes von der Erfüllung des Bundes in Jesus Christus her (Neues Testament) sind also im Sinne Barths zu unterscheiden. D. h. der Indikativ der promissio: „du wirst sein" folgt aus dem Indikativ der stellvertretenden Erfüllung des Bundesgebotes in der Geschichte Jesu Christi. 84

150

KD IV/1, 325.

85

Ebd. 326.

Der promissorische Indikativ der beanspruchenden Weisung als primäre Gestalt des Gebotes auf der kerygmatischen Ebene ist die notwendige Konsequenz der universalen stellvertretenden Erfüllung des Bundesgebotes und der stellvertretenden Übernahme des Bundesfluches in der Christusgeschichte. Dies meint im Sinne Barths die Verkündigung als promissorischer, beanspruchender Indikativ. d) Der erzählende, warnende und beanspruchende des Inhalts des Evangeliums

Indikativ

als die Form

Sowohl der erzählende Indikativ (Aussage) wie auch der warnende Indikativ (Absage) und der verheißende Indikativ (Zusage) sind bei Barth im strengen Sinn als kerygmatische Formen des Evangeliums als Inhalt zu verstehen. Das Evangelium ist im Hinblick auf seine Aussageform als Botschaft und Kunde, im Hinblick auf seine Absageform als warnende Erinnerung und im Hinblick auf seine Zusageform als Weisung und Gebot die ausschließliche, inhaltliche Norm des erzählenden, warnenden und verheißenden Indikativs als Form. Kunde, Warnung und Weisung, bzw. Botschaft, Erinnerung und Gebot sind somit die notwendigen Verkündigungsformen des Inhalts des Evangeliums. Von daher ist es im Sinne Barths nicht statthaft, den Indikativ auf das Evangelium als dessen Aussageform zu begrenzen, wie P. Althaus will, demzufolge der Satz Barths, „das Gesetz [Gebot!] sei nichts anderes als die notwendige Form des Evangeliums. . . nicht erst theologisch, sondern schon logisch unhaltbar [ist]. Denn das Evangelium ist promissio, Angebot, seine ,notwendige Form' daher der Indikativ. In ihm ist freilich s o f o r t . . . der Imperativ . . . mitgesetzt, aber dieser i s t . . . ,Gebot', und auch als solches nicht die p r i m ä r e Gestalt des Evangeliums"86. Barth zufolge ergeht aber das Gebot als die Form des Evangeliums als Inhalt ebenfalls in Aussageform, insofern es von ihm als „gebietende Bezeugung".87 oder als „potenzierter Indikativ" 88 von der Erfüllung in Christus her verstanden wird. Zugleich ist es im Sinne Barths nicht möglich, zwischen der Aussageform des Evangeliums als Kunde und der Begegnungsform des Evangeliums als Imperativ zu unterscheiden, wie H. Gollwitzer will, der einen „Unterschied zwischen einer Aussageform, die beim Evangelium als Kunde tatsächlich der Indikativ ist, und einer Begegnungsform, die auch beim Evangelium der Imperativ ist" 89 , aufmacht. Eine solche Unterscheidung zwischen indikativischem Evangelium in seiner am Ereignis der Gnade orientierten Aussageform und imperativischem Gebot in seiner » Althaus, Gebot und Gesetz 25 ( W d F 222). 8 8 K D II/2, 774. K D IV/1, 324. 8 9 Gollwitzer, in: Antwort 295, Anm. 26. 8

87

151

am Adressaten orientierten Begegnungsform ist im Sinne Barths deshalb nicht möglich, weil exklusiv die Gnade als Inhalt das Gebot zur Form des Evangeliums macht. Barth zufolge ist also das Gebot gerade in seiner indikativischen Form als promissorischer Indikativ am Inhalt des Evangeliums und nicht am Adressaten orientiert.

THESE V I I I / 4

Während für Luther Gesetz und Evangelium als kerygmatisch-anthropologische Kategorien auch christologische Kategorien sind und während für Barth die christologischen Kategorien Zuspruch und Anspruch, Evangelium und Gebot auch kerygmatische Kategorien sind, ist Barth zufolge Gesetz und Evangelium (in dieser Reihenfolge!) eine exklusiv christologische Relation, die mit der Geschichte von Kreuz und Auferweckung identisch, d. h. exklusiv in der Geschichte von Kreuz und Auferweckung Ereignis und folglich in der kerygmatisch-anthropologischen Ebene nicht wiederholbar ist. Das „richtende Gesetz" kann in der Verkündigung nur noch als Gegenstand des Verweises auf das im Kreuz Jesu Christi ein für allemal vollzogene Gericht des Gesetzes und der Erinnerung an es, aber nicht mehr in seinem richtenden Vollzug, nicht mehr als richtendes Gesetz selber „zur Sprache kommen". Indem das Gesetz Gottes nicht mehr als anklagendes, sondern nur noch als durch Jesus Christus gehaltenes und erfülltes Gebot verkündigt werden kann, gibt es Barth zufolge nicht das richtende Gesetz Luthers als Kategorie der Verkündigung, sondern ausschließlich die drei kerygmatischen Formen des erzählenden, warnenden und weisenden Indikativs. Verkündigung wird also bei Barth - infolge seines Verständnisses der Formgeschichte als Entwicklung der Formen dieser Geschichte verstanden a) als erzählender Indikativ: du bist der, der du in Jesus Christus bist, b) als warnender Indikativ: du bist nicht mehr der, als der du in Jesus Christus verurteilt bist, und c) als promissorischer Indikativ: du wirst sein, der du in Jesus Christus schon bist.

152

5· Die sozialethischen Restriktion

Konsequenzen

der

christologischen

der Dialektik

von Gesetz und

Evangelium

bei Barth (Die Ersetzung

des insbesondere

durch

lutherische

Theologie

vertretenen

die

V er geltun gsstraf recht s

durch das Fürsorgemaßnahmerecht

bei

Barth)

Wir sprachen von dem offenbaren Gebot der erfüllten Bundesgeschichte. Barths These lautete: die in der Erfüllung der Verheißung in Jesus Christus eingeschlossene Erfüllung des Gebotes ist allererst die definitive Offenbarung des Inhalts und Wesens des Gebotes. Barth hat dies gegenüber Luthers möglichem Ausgang von einer als Leistungs- und Vergeltungsgesetz (exactio legis) verstandenen lex naturalis festhalten wollen. Wir sprachen von der Transposition der kerygmatischen Kategorie Gesetz und Evangelium bei Luther in das Nacheinander von Kreuz und Auferweckung. Barths These lautete: das Nacheinander von Gesetz und Evangelium bei Luther hat seinen theologisch legitimen Ort allein im christologischen Nacheinander von Kreuz und Auferweckung, was zugleich bedeutet: das richtende Gesetz ist eine exklusiv christologische Kategorie, wie sie im Gericht über den Gekreuzigten Ereignis und offenbar wird. Wir sprachen von den kerygmatischen Konsequenzen dieser christologischen Transposition und Rezeption. Barths These lautete: die Kategorie des richtenden Gesetzes im Kreuz Christi ist kerygmatisch nicht wiederholbar, das Gesetz als warnende Erinnerung ist die Form des Evangeliums als Inhalt, die Erkenntnis des Gesetzes ist in der Erkenntnis des Evangeliums eingeschlossen. Oder: Sündenerkenntnis ist ein Moment der Evangeliumserkenntnis. Es bezeichnet nun lediglich die Konsequenz der von Barth in der Kirchlichen Dogmatik durchgeführten Verklammerung von Dogmatik und Ethik, wenn die bisher entwickelten christologischen und kerygmatischen Grundentscheidungen Barths ihre unmittelbare Entsprec h u n g im sozialethischen Bereich haben. Stellen wir Barths Aussage hier gleich an den Anfang: Der christologischen Einschränkung des richtenden Gesetzes Gottes und der daraus folgenden Unmöglichkeit, das richtende Gesetz Gottes kerygmatisch zu wiederholen, entspricht im gesellschaftlichen Bereich die Unmöglichkeit einer strafrechtlichen Wiederholung des richtenden Gesetzes Gottes. Der christologischen Restriktion des richtenden Gesetzes Gottes entspricht also positiv die Notwendigkeit, das gesellschaftliche Sühne- und Schuldstrafrecht durch ein Fürsorgemaßnahmerecht zu ersetzen. Denn - so lautet Barths entscheiden153

de Begründung für die Abschaffung der im Rahmen des Schuld- und Sühnestrafrechtes theologischerseits immer wieder geforderten Todesstrafe und für die Humanisierung des Strafvollzuges - „Sühne ist keine menschliche Möglichkeit, sondern Gottes in Jesus Christus [im Kreuz] vollzogene Tat" 9 0 . Auch Luther hat zwischen dem zwingenden Charakter des zivilen Gesetzes, dem arcere civiliter, und dem tötenden Charakter des gepredigten Gesetzes, dem damnare theologice, einen Zusammenhang gesehen, ja den Zwangscharakter des usus politicus gerade aus dem Gerichtscharakter des usus theologicus bestimmt91. So kann Luther ζ. B. in der 6. Disputationsreihe gegen die Antinomer thetisch formulieren: „Nec politica lex . . . est quidquam, nisi sit damnans et terrens peccatores", d. h. auch das politische, bürgerliche Gesetz ist nichts mehr, wenn das verurteilende und die Sünder schreckende Gesetz nicht mehr gilt92. Barth würde hier gegenfragen: Bedeutet nicht das Ein-für-Allemal des exklusiven Vergeltungs- und Straftodes Jesu Christi für alle Menschen aller Zeiten negativ die Notwendigkeit der Aufhebung des Vergeltungsstrafrechtes? Ja, mehr: Bedeutet nicht das in Jesus Christus erfüllte und allererst definitiv offenbare Wesen des Gebotes positiv die Forderung nach einem Verständnis und einer Praxis jeder gesellschaftlichen ,Strafe' als Fürsorgemaßnahme? Und gegenüber dem von P. Althaus und W. Künneth vorgebrachten Argument, Barths Ablehnung der Todesstrafe als Sühne aufgrund des in Jesus Christus für die Welt geschehenen universalen Vergeltungstodes impliziere und setze voraus die Vermischung von Gesetz und Evangelium, hat der Lutheraner E. Wolf darauf hingewiesen, daß sowohl in der Forderung der Todesstrafe als abbildlicher Wiederholung des richtenden Gesetzes Gottes (Althaus, Künneth) als auch in der Forderung der Abschaffung der Todesstrafe zugunsten einer die Resozialisierung ermöglichenden Fürsorgemaßnahme (Barth) die theologische Differenz im Problemkreis von Gesetz und Evangelium an den Tag kommt. E. Wolf hat weiter die Frage gestellt, ob nicht bei Althaus und Künneth „jene Lehre von Gesetz und Evangelium zugrundeliegt, die ein Vergeltungsgesetz normativ n e b e n Gottes Handeln in Christus stellt", wohingegen doch Gottes Handeln in Christus die alleinige Norm und Gestalt von Gebot und Weisung darstelle93. Gilt der aufgrund der am Kreuz vollzogenen Todesstrafe erwirkte Freispruch jedem Menschen, „dann wird - so hat K. Barth formuliert - die Bestrafung des Verbrechers eine Form [!] haben müssen, in 90 81 82 93

154

Barth, Antworten auf Grundsatzfragen der Gefangenenseelsorge 48. Schloemann, Gesetz 22 ff., bes. 25, 83, 87, 112, 116, 118, 121. W A 39/1 358,28 f. Wolf, Todesstrafe 68.

der die Vergebung, die Jesus Christus auch für ihn erworben hat, ihm selbst und allen Anderen . . . sichtbar" wird 94 . Das Gesetz in seiner gesellschaftlichen und hier speziell strafrechtlichen Gestalt ist also Barth zufolge die Form und Entsprechung des Evangeliums als des normativen Inhalts. M. a. W.: Die Barthsche Rangordnung „Evangelium und Gesetz" negiert nicht nur die kerygmatische, sondern auch jegliche gesellschaftliche Wiederholung des richtenden Gesetzes Gottes. Die Ersetzung des Vergeltungs- durch das Fürsorgeprinzip und damit die Unmöglichkeit der Todesstrafe post Christum resuscitatum markiert exemplarisch die sozialethische Konsequenz der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot bei Barth. Barths These vom Sinn der Strafe als Fürsorgemaßnahme, seiner Kritik am Sühne- und Schuldstrafrecht und des ihm zugrunde liegenden Vergeltungsprinzips liegt also seine neue Sicht des Verhältnisses von Evangelium und Gesetz zugrunde. Das Gesetz, auch das gesellschaftliche Gesetz, kann legitimerweise nur die Form des Evangeliums als Inhalt sein. THESE V I I I / 5

Der exklusiv christologischen Ortsbestimmung des richtenden Gesetzes Gottes im Kreuz Christi und der daraus abgeleiteten Unmöglichkeit, das richtende Gesetz Gottes im Sinn der lex accusans et occidens Luthers kerygmatisch zu wiederholen, e n t s p r i c h t im gesellschaftlichen Bereich die Illegitimität der strafrechtlichen Wiederholung des richtenden Vergeltungsgesetzes Gottes, e n t s p r i c h t vielmehr positiv die Notwendigkeit, das Sühne- und Schuldstrafrecht durch ein Fürsorgemaßnahmerecht (Barth) zu ersetzen. Gegenüber dem insbesondere von lutherischer Seite (u. a. W. Künneth) vertretenen Verständnis der Todesstrafe als staatlicher Vollzug des göttlichen Zorngerichtes im Raum der Geschichte oder als partielle Antizipation des Weltgerichtes im Sühneamt der staatlichen Todesstrafe, d. h. gegenüber jeglichem Verständnis einer abbildlichen W i e d e r holung des richtenden Gesetzes Gottes im Raum der Gesellschaft und ihres Strafrechtes ist Barth zufolge das ephapax der am Kreuz erlittenen Todesstrafe das Maß der Eliminierung jeglichen an Sühne und Schuld orientierten Strafrechtes und die Norm für ein die Resozialisierung in die menschliche Rechtsgemeinschaft ermöglichendes Fürsorgemaßnahmerecht. Barths These vom Sinn der Strafe als Fürsorgemaßnahme, seine theologische Kritik am Sühne- und Schuldstrafrecht und dessen Klassenbedingtheit folgt aus seiner neuen Sicht des Verhältnisses von Evangelium und Gebot. Jegliches gesellschaftliche und also auch das strafrechtliche Gesetz hat zu sein die Form des Inhalts des Evangeliums als Norm. 94

K D I I I / 4 , 507, vgl. Wolf, Todesstrafe 64.

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IX. Die Partikularisierung des Übergangsproblems und der christologischen Inklusivität bei Luther und deren Universalisierung bei Barth l. Die kerygmatisch-anthropologische (Luther) und die christologische (Barth) Fassung des prädestinatianischen Übergangsproblems Luther kennt im Zusammenhang der Predigt von Gesetz und Evangelium ein doppeltes Übergangsproblem: a) einmal das Problem des partikular-anthropologischen Übergangs von der opinio iustitiae, der Anmaßung eigener Gerechtigkeit, zu den terrores conscientiae: „Multi audiunt legem, et tarnen neque minis ñeque terroribus eius moventur, quia non sentiunt vim legis. . . nisi Deus adsit et suo Spiritu cooperetur . . . quos et quando v u l t " 1 ; b) zum anderen das Problem des partikular-anthropologischen Übergangs von dem diabolice terrere des Gesetzes, der desperatio inutilis, dem teuflischen Schrecken des Gesetzes und der sinnlosen Verzweiflung zu dem evangelice terrere, der desperatio utilis legis, der evangelischen und heilsamen Verzweiflung gegenüber dem Gesetz: „Petrus enim tarn contristatus est et tactus lege, quam ludas . . . Sed hoc profuit Petro, quod . . . respexit eum d o m i n u s . . . J a das ist's. In hoc praecurrit Petrus Iudam. Q u o d nisi hoc factum esset, illico mortuus esset, ut l u d a s . " 2 In seinem Aufsatz „Zur Bedeutung der lex, ihres Unvermögens und dennoch Bleibens, nach Luthers Antinomerthesen" stellt R . Hermann im Hinblick auf diese zweite Form des Übergangsproblems bei Luther die Frage, „ob und wie der innerlich erschrockene Mensch es nun vermag, zwischen dem evangelice und dem diabolice terrere des Gesetzes zu unterscheiden und in seiner N o t das Evangelium als ihm geltend zu ergreifen" 3 . 1 WA 39/1, 3 6 8 , 1 3 - 3 6 9 , 3 : „Viele hören das Gesetz und werden dennoch weder durch seine D r o h u n g e n noch durch seine Schrecken [innerlich] bewegt, weil sie die G e w a l t des Gesetzes nicht f ü h l e n . . . wenn nicht G o t t beisteht und durch seinen Geist m i t w i r k t . . . bei welchen und w a n n er w i l l . " 2 W A 39/1, 4 1 1 . 3 - 6 : „ D e n n Petrus ist ebenso betrübt und durch das Gesetz berührt worden wie J u d a s . . . Aber das half Petrus, d a ß . . . der H e r r ihn anblickte . . . J a das ists. In diesem w a r Petrus dem J u d a s voraus. Wenn dies nicht geschehen w ä r e , w ä r e er sofort gestorben wie J u d a s . " 3

156

H e r m a n n , Zur Bedeutung der lex 152 (483).

Im Gegensatz zu Luthers partikular-anthropologischer Fassung taucht das Ubergangsproblem bei Barth in einer universal-christologischen Fassung, nämlich im Rahmen der „das Problem Lessings und das Problem des Petrus" 4 behandelnden Übergangsüberlegung auf, d. h. im Rahmen der Frage, inwiefern es angesichts des universalen Gerichtes im Kreuz möglich und legitim sein soll, „von der Christologie aus zu einer von der Christologie umschlossenen Anthropologie überzugehen" 5 , und in der Antwort, daß von der Auferweckung als dem Jenseits jenes Kreuzestodes, des Endes und Gerichtes aller Menschen „Christologie gerade keine exklusive, sondern nur universal-inklusive Christologie sein dürfte" 6 . Ohne auf die Mehrschichtigkeit und Differenziertheit des von R. Hermann als Übergangsproblem bezeichneten Sachverhaltes bei Luther 7 und ohne auf das von Barth ebenfalls so benannte „Übergangsproblem" 8 im einzelnen eingehen zu können, soll im Rahmen dieser Analyse lediglich a) auf den Zusammenhang zwischen der kerygmatischen Dialektik von Gesetz und Evangelium und dem partikula r-prädestinatianischen Übergangsproblem („quos et quando vult"!) bei Luther einerseits und b) auf den Zusammenhang zwischen der christologischen Transposition von Gesetz und Evangelium in die Teleologie des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung und dem uni ν er s a l-christologischen Übergangsproblem bei Barth andererseits aufmerksam gemacht werden. Denn wie bei Luther der kerygmatischen Orientierung von Gesetz und Evangelium die Partikularisierung der Erwählung infolge des doppelten Übergangsproblems entspricht, so hat die exklusiv-christologische Fassung von Gesetz und Evangelium bei Barth die inklusive Universalität der Erwählung infolge des christologischen Ubergangs zu allen Menschen zu ihrem Korrelat. THESE I X / 1

Die Doppelbestimmung des usus legis als genetivus subietivus (usus legis per sese) und genetivus obiectivus (Evangelium facit ex lege paidagogum in Christum) mit der doppelten Wirkung der desperatio sui et odium Dei, verbunden mit der Möglichkeit der Judasverzweiflung (perseveratio desperationis, desperatio finalis) einerseits und der Umwandlung der desperatio sui et odium Dei in die desperatio utilis et salutaris 4 5 7 8

Barth, Das Problem Lessings 4. K D I V / 1 , 385. β Ebd. Vgl. Hermann, Gesammelte Studien 483 f. K D I V / 1 , 315; vgl. 311 ff. und 384 ff.

157

(Petrusbuße) andererseits, signalisieren das prädestinatianische Übergangsproblem in der Lehre von Gesetz und Evangelium bei Luther (R. Hermann). Wäre die negative Bedeutung und Funktion des Gesetzes bei Luther ausschließlich aus der positiven Bedeutung und Funktion des Evangeliums gewonnen, dann hätte das Ubergangsproblem mit der Implikation des Deus nudus und der partikularen Prädestination hier keinen Ort, dann dürfte die Bestimmung des usus elenchticus legis in keinem Moment und zu keinem Zeitpunkt aus der teleologischen Perspektive der lex auf das Evangelium entlassen werden, es dürfte die anklagende Funktion des Gesetzes nicht „propter electos" 9 , sondern müßte propter mundum sein. Mit anderen Worten: Ist das prädestinatianische Problem bei Luther in der kerygmatisch-anthropologischen Korrelation von Gesetz und Evangelium infolge der anthropologischen Fassung des Übergangsproblems partikularisiert, so ist es bei Barth in der christologischen Korrelation von Gesetz und Evangelium (Kreuz und Auferweckung) einerseits und in dem Übergriff der Geschichte Jesu Christi auf alle Menschen, d. h. durch die christologisch-universale Fassung des Ubergangsproblems (Prophetie Jesu Christi) andererseits universalisiert.

2. Die universale Exklusivität des Christusgeschehens und die kerygmatisch-partikulare Inklusivität der promissio-fides-Relation hei Luther Luther hat in seiner Auslegung zu Gal. 3,13 die universale Exklusivität des Christusgeschehens in der Lehrbildung von Christus als der maxima persona zum Ausdruck gebracht 10 . Durch den Tod Christi - so exegesiert Luther - „totus mundus purga tus et expiatus est ab omnibus peccatis, Ergo etiam liberatus a morte et omnibus malis" 11 . „Sic in Christo vincitur, occiditur et sepelitur universum Peccatum et manet victrix et regnatrix Iustitia in aeternum." 12 „Itaque per Christum Mors vieta et abolita est in toto mundo." 13 Diese totalen und universalen Inklusivaussagen Luthers über die die Person aller Menschen tragende persona maxima hat H. J. Iwand — man Luther, Clemen III, 124,9. Luther, G r o ß e r G a l a t e r - K o m m e n t a r ( W A 40/1, 4 3 2 f f . ) . 1 1 W A 40/1, 4 3 8 , 1 4 f . : Durch den Tod Christi „ist die ganze W e l t gereinigt und erlöst v o n allen Sünden, also auch b e f r e i t v o m Tod und allen Übeln". 1 2 Ebd. 4 3 9 , 2 6 f . : „So w i r d in Christus besiegt, getötet und begraben die gesamte Sünde, und es bleibt Siegerin und Herrscherin die Gerechtigkeit in Ewigkeit." 1 3 Ebd. 439, 33 f . : „So ist durch Christus der Tod besiegt und abgeschafft in der ganzen Welt". 9

10

158

möchte fast sagen, im Barthschen Sinn - so interpretiert: „Es gibt also eine ,göttliche Weltanschauung', die von der Realität des Kreuzes her die Welt ansieht - vor diesem Auge Gottes gibt es weder Sünde noch Tod! Das ist das Unerhörte, was Luther l e h r t . . . Wir sehen in Wahrheit die W i r k l i c h k e i t nicht, wenn wir Sünde und Tod als letzte Realitäten ansprechen." 14 N u n ist es für Luthers Exegese freilich charakteristisch, daß er die universal-inklusiven Aussagen zugleich unter den Vorbehalt des Glaubens stellt: „Deus nihil aliud videret amplius in toto mundo, praesertim si crederet." 15 „Quatenus [!] igitur Christus per gratiam suam in cordibus fidelium regnat, nullum peccatum, mors, maledictio est. Ubi vero Christus non cognoscitur, manent ista [!]." 1 6 „Manent igitur sub maledicto, quotquot Christum fide non apprehendunt." 1 7 Κ. Bornkamm hat - in ihrer, hier möchte man nun sagen, Ebelingschen Interpretation von Luthers Galater-Kommentar von 1531/35 auf die genannten Stellen und auf Luthers Exegese im gleichen Kommentar zu Gal. 2,19 „ego sum Christo crucifixus" 18 hingewiesen, in der Luther im scheinbaren oder wirklichen Widerspruch zu den zu Gal. 3,13 gemachten Aussagen bündig feststellt: „solum mori tur, crucif igitur in illis qui credunt in Christum; alias regnat et vivit lex et mors in toto mundo [!]" 1 9 . N u r in den Glaubenden ist das Gesetz tot und gekreuzigt, abgesehen von den Glaubenden leben Gesetz und Tod, und sie regieren in der ganzen Welt 20 . Von diesen die universal-inklusiven Aussagen der Christologie unter den Vorbehalt des Glaubens stellenden Sätzen Luthers her hat K. Bornkamm die christologischen persona-maxima-Aussagen Luthers im Unterschied zu Iwand „als Interpretation für das Geschehen, das durch die Begegnung mit dieser Verkündigung in seiner [des glaubenden Menschen] eigenen Existenz ausgelöst wird [!]", d . h . als kerygmatisch-anthropologisches Interpretament verstanden. „Der Glaubende erleidet" - so meint K. Bornkamm die inklusiven persona-maxima-Aussagen 14

Iwand, N W IV 298 f. W A 40/1, 438,16 f.: „Gott w ü r d e in der ganzen Welt nichts mehr [nämlich von Sünde und T o d ] sehen, wenn er [der Mensch] nur glauben würde." 16 Ebd. 440, 31-33: „Insoweit [!] deshalb Christus durch seine Gnade in den H e r zen der Glaubenden herrscht, existiert keine Sünde, Tod, Fluch. Wo aber Christus nicht erkannt wird, bleiben diese [!]." 17 Ebd. 446,26 f.: „Folglich bleiben unter dem Fluch, wie viele immer Christus im Glauben nicht annehmen." 18 Gal. 2,19: „Ich bin mit Christus gekreuzigt." 19 19 WA 40/1, 281-282: „[Das Gesetz] stirbt und wird gekreuzigt nur in jenen, die an Christus glauben; andernfalls herrscht und lebt das Gesetz und der Tod in der ganzen Welt [!]." Kursivierung vom Verfasser. 20 Vgl. K. Bornkamm, Luthers Auslegungen 109. 15

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Luthers interpretieren zu sollen - „im Hören des Wortes die gleiche [!] Geschichte wie Christus, weil sich das Handeln Gottes mit dem Menschen als Töten und Lebendigmachen [!] abspielt" 21 . Oder noch deutlicher: „Die merkwürdige Lehrbildung von Christus als der maxima persona, die alle Menschen in sich s c h l i e ß t . . . ist im Grunde nichts anderes als die in die begriffliche Fassung des Werkes Christi selbst verwandelte Formulierung der Aussage . . ., [die] christologisch gewandte Formulierung . . . daß das Werk Christi mit der Zueignung an den Menschen in eins fällt." 2 2 So wird für K. Bornkamm schließlich „deutlich, in welchem Maße für Luther das gesamte Offenbarungs- und Rechtfertigungsgeschehen, ob es sich in der Geschichte Christi oder der des einzelnen Glaubenden vollzieht [!], nichts ist als die einzige Geschichte [!], die Gott mit dem Menschen führt, die sich in allen Zeiten in gleicher Weise [!] ereignet und allen Zeiten in gleicher Weise gegenwärtig ist" 2 3 . K. Bornkamm versteht also die inklusiven persona-maxima-Aussagen Luthers als Interpretament einer erst durch das sakramentale Wort vermittelten und im Glauben sich realisierenden kerygmatisch-anthropologischen Inklusivität. Die christologische Inklusivität der persona-maxima-Aussage Luthers ist im Sinne Bornkamms nichts anderes als ein Interpretament einer kerygmatisch-anthropologischen Inklusivität, wie sie in der promissio-fides-Relation Ereignis wird. Im Unterschied zu Luther bzw. zu diesem systematisch zumindest nicht ausgeschlossenen Lutherverständnis werden die persona-maximaAussagen bei Barth24 weder unter den Vorbehalt des Glaubens gestellt noch als Interpretament einer durch das sakramentale Verkündigungswort vermittelten kerygmatisch-anthropologischen Inklusivität verstanden. Vielmehr wird die inklusive, an der Geschichte der Erfüllung des Bundes in Christus orientierte persona-maxima-Aussage von Barth als universales ontisches und noetisches Implikat der exklusiven Stellvertretung Jesu Christi ausgesagt - und zwar im Unterschied zu Luthers unausgeglichenem Nebeneinander zwischen universaler Exklusivität des Christusgeschehens einerseits und partikularer Inklusivität des Verkündigungs- und Glaubensgeschehens andererseits.

THESE I X / 2

Das spannungsvolle, unausgeglichene Verhältnis von universaler klusivität des Christusgeschehens (Stellvertretung) und partikularer klusivität des- dem Verkündigungsgeschehen antwortenden Glaubens 21

ExInbei

22 23 Ebd. 127. Ebd. 134. Ebd. 156. Christus die persona m a x i m a des universal-stellvertretenden Bundespartners, Christus der maximus peccator. 24

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Luther wird bei Barth dadurch zur Eindeutigkeit gebracht25, daß Barth die Inklusivität in die universale, christologische Exklusivität hinein25

O d e r als Spannung eingeebnet?: Kritische A n f r a g e n an Barths Verständnis der universalen Inklusivität des alle Menschen umgreifenden w o r t h a f t e n Christusgeschehens sind von ganz verschiedenen theologischen Positionen aus gestellt worden. Ich beschränke mich auf zwei Beispiele: 1. W. Kreck h a t unter A u f n a h m e von Intentionen insbesondere der Lutherinterpretation H . J. Iwands in seinen „ G r u n d f r a g e n der Dogm a t i k " im Hinblick auf das von Barth so stark betonte Übergreifende der Erwählung und Versöhnung in Jesus Christus auf alle Menschen argumentiert, „daß das von den Reformatoren dem sola fide zugemessene Gewicht davon unberührt ist. N u r der Glaub e . . . als freie, vom heiligen Geist gewirkte Entscheidung, empfängt das H e i l . . . D a ß idi mit Christus gestorben und in ihm bereits neue K r e a t u r bin, kann ich als extra me geschehene und gültige Wirklichkeit nur vernehmen, indem ich damit gerichtet und freigesprochen [!], das heißt aber getötet und lebendig gemacht [!] werde" (Kreck, G r u n d f r a g e n 237). Gegenüber einer um den Begriff des Selbstverständnisses kreisenden Existenztheologie (Bultmann) und gegenüber einer christologisch-ontologischen Redeweise, die den Wortcharakter der übergreifenden Christusgeschichte mit N a c h d r u c k akzentuiert (Barth), möchte Kreck einer Theologie des Wortes Gottes den Vorzug geben, die Urteil und Freispruch, die „Proklamation des richtenden und rettenden [!] Tatwortes" (ebd. 238), das „richtende und freisprechende Urteil" (ebd. 256) als K a t e gorien des verkündigten Kerygmas im Unterschied zu Barth wieder zur Geltung bringt. - 2. W. Krusche hat in seinem Aufsatz „Die Kirche f ü r andere" nach einer verständnisvollen Darstellung des ökumenischen Konzepts der missionarischen Gemeinde die folgenden Fragen gestellt: „Stimmt die entscheidende theologische Prämisse . . . , daß durch Tod und Auferstehung Jesu Christi faktisch alle Menschen zur neuen Menschheit gehören, auch wenn sie es gedanklich noch nicht wissen? . . . Oder i s t . . . die Tatsache der allen geltenden Zugehörigkeit zur neuen Menschheit von solcher Gewichtigkeit, daß die Frage, ob oder wieviel einer davon bewußt weiß, kein letztes Gewicht mehr hat? O b einer bewußt oder ohne es zu wissen ein Glied der durch Christus erlösten Menschheit ist, wäre dann also z w a r f ü r sein gegenwärtiges Leben nicht einfach belanglos, aber f ü r seine ewige Z u k u n f t nicht mehr entscheidend?" (ebd. 165). Dieser Meinung müßte nach Krusche widersprochen werden, „denn im Neuen Testament w i r d nirgendwo gesagt, daß jeder - zufolge des f ü r ihn geschehenen Heilstodes Jesu Christi - bereits zur neuen Menschheit gehöre" (ebd. 165 f.). Die Anfragen K r u sches richten sich zwar direkt an die ökumenische Studie „The Church for Others" selber, indirekt aber an die hinter ihr vermutete theologische Konzeption K. Barths (vgl. ebd. 141 f., 166). Die theologische D i f f e r e n z Barths zur ökumenischen Studie bed ü r f t e einer ausführlichen Diskussion. Vgl. dazu Barths Ausführungen in K D IV/3, 781 f f . und die dort geführte Auseinandersetzung mit der auch hinter der ökumenischen Studie stehenden holländischen „Reichstheologie" (bes. K D IV/3, 815-818) und neuerdings die Arbeit von Manecke, „Mission als Zeugendienst". Im Gegensatz zu der von Barth herausgestellten universalen christologischen Inklusivität heißt es bei K r u sche im Sinne der sakramental-eschatologischen Vermittlungsfunktion der Kirche: „Gottes eschatologische Rettungsaktion vollzieht sich ausschließlich [!] durch die von Jesus Christus mit dem Evangelium ausgesandte Kirche . . . So h a t die Reihenfolge Gott - Kirche - Welt ihr Recht, insofern darin festgehalten ist, d a ß Gott rettend an der Welt ausschließlich [!] durch das von der Kirche zur Welt gebrachte Evangelium handelt" (Krusche, Die Kirche f ü r andere 167). Das Verständnis sakramentaler Vermittlung bzw. Vollzuges des Heils durch die Kirche und die Korrelation von göttlichem H a n d e l n mittels des Schöpfungsgesetzes und exklusiv ekklesiologischer Vermittlung des eschatologischen Heils durch das Evangelium (vgl. ebd. 167) stehen dabei sy11 Klappert, Promissio

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nimmt und damit die Partikularität der Inklusivität (Luther) zugunsten einer universalen ontischen 26 und noetischen 27 , d. h. worthaften Inklusivität ersetzt. Die Inklusivität der alle Menschen einschließenden maxima persona wird von Barth als universales Implikat der exklusiven Stellvertretung verstanden, nicht aber als ein christologisches Interpretament oder eine christologische Umschreibung einer prozessualen, durch das sakramentale Wort der Verkündigung vermittelten kerygmatisch-anthropologischen Inklusivität im Sinne von K. Bornkamms Lutherdeutung. Dabei wird die kerygmatisch-partikulare Inklusivität der promissiofides-Relation Luthers von Barth so transformiert, daß er die universale christologische Inklusivität der ontischen und noetischen Anteilgabe von der noch partikularen, im Prozeß befindlichen Anteilnahme28 unterscheidet, wobei die universale Inklusivität der christologisch-pneumatologischen Anteilgabe die Bedingung der Möglichkeit der im Glauben und Erkennen sich vollziehenden kerygmatisch-partikularen Anteilnahme ist. Von daher wird der Glaube bei Barth nicht wie bei Luther als über Heil und Unheil des Menschen entscheidende Annahme der promissio als sakramentaler Anteilgabe 29 verstanden, sondern primär als partikulares Echo, Reflex und Zeugnis für die bereits in Christus vollzogene universale Anteilgabe an jeden Menschen.

stematisch im Hintergrund der Aussagen Krusches, wie übrigens auch hinter G. Wingrens Aufsatz „Gesetz und Evangelium" in: Antwort 310 ff. 26 Vgl. K D IV/1. 2. 27 Vgl. K D IV/3: die Prophetie Jesu Christi. 28 Vgl. K D IV/3. 29 Luther in De captivitate, WA 6, 514,13 f.: „Ubi . . . est verbum promittentis dei, ibi necessaria est fides acceptantis hominis": „Wo das Wort des verheißenden Gottes ist, da ist notwendig der Glaube des annehmenden Menschen."

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X. Das christologisch-sakramentale Wortereignis Jesus Christus (Barth) und das promissional-sakramentale Ereigniswort der Verkündigung (Luther) Dem folgenden Abschnitt, der das Thema „Heilsgeschehen und Verkündigung bei Barth und in der reformatorischen Theologie Luthers" zu einem vorläufigen Abschluß führt, stelle ich der grundsätzlichen systematisch-theologischen Bedeutung und der kirchlich-praktischen Konsequenzen der im folgenden aufgemachten Differenz zwischen Luther und Barth wegen die Ausführungen von W. Fürst aus seinem vorzüglichen Aufsatz zu Karl Barths Predigtlehre unter dem insbesondere im Hinblick auf K D IV/3 prägnanten Titel „Das gute Werk der Predigt" 1 voran. Wenn die Predigt - so argumentiert W. Fürst - als ein gutes Werk bezeichnet wird, dann bedeutet das für die Predigt im Sinne Barths: „Als gutes Werk kann sie nicht als heilsnotwendig oder heilswirksam bezeichnet, nicht als Gnadenmittel oder Sakrament ausgegeben oder gar zum eschatologischen Ereignis überhöht werden - kurz: sie kann nicht identifiziert werden mit dem Wort Gottes, das allein heilswirksam und heilsnotwendig ist." 2 „Motiv und Ziel [der Predigt] ist Gottes Wort, das sie weder zu schaffen noch zu wiederholen noch fortzusetzen, das sie aber in einer menschlichen Entsprechung . . . zu bezeugen hat. Mit dem Begriff der Entsprechung hat K. Barth in seiner Versöhnungslehre die Aufgabe alles christlichen Zeugnisses in Wort und Tat, dem er die Predigt einordnet [!] s , bestimmt. Noch zurückhaltend hat er in der K D das Bild gebraucht, das Zeugnis der Gemeinde sei wie das Entstehen des Echos auf einer Wand, das auf die Präsenz der originalen Stimme notwendig ange1

Fürst, Das gute Werk der Predigt. Vgl. Josuttis, Das Wort und die Wörter, und Berkhof, Die Heilsvermittlung, und schließlich Bernet, Theologie ohne Sakrament, dessen Frage nach den Kommunikationsbedingungen des sakramentalen Kerygmas und dessen Plädoyer für die Entsakramentalisierung des Kerygmas mit Barths - christologisch orientiertem! - signifikativem Kerygmabegriff positiv und kritisch zu vergleichen wäre. Die Entsakramentalisierung des Kerygmas durch Barth ist die von der Christologie her notwendige Entmythologisierung des sakramentalen Kerygmabegriffs im Sinne R. Bultmanns. Die Theologie Barths ist von ihrer christologischen Mitte her freilich keine solche, „die christologisch, damit [!] soteriologisch und sakramental orientiert" wäre (ebd. 35), wie Bernet für jede Theologie vorauszusetzen scheint. Barths Entsakramentalisierung ist - im Unterschied zu Bernet - die notwendige Konsequenz der Christologie. 2 3

11·

Fürst, Das gute Werk der Predigt 85. Kursivierung vom Verfasser.

163

wiesen sei; er sprach auch von einem Spiegel, der das Spiegelbild nur reflektieren könne, wenn das Original selbst in den Spiegel fällt. In der ,Einführung in die [evangelische] Theologie' dominiert immer wiederkehrend das Bild von Echo und Spiegel. Das Original, dessen Präsenz . . . vorausgesetzt ist, ist Jesus Christus als der auferstandene Gekreuzigte, der in Person das eine Wort Gottes ist, das spricht, ohne daß wir es zum Sprechen erst bringen könnten oder müßten - der das eine Sakrament ist, neben oder nach dem ein anderes Sakrament oder sakramentales Geschehen keinen Platz hat. . . . In der Angewiesenheit auf den lebendigen Christus liegt die Schwachheit - die zu rühmende Schwachheit - wie die Kraft der Predigt. Der Glaube an seine Gegenwart bewahrt uns davor, daß wir an eine ,Selbstmächtigkeit des Kerygmas* glauben - nach Barth ,eines der ungeheuerlichsten Mythologeme aller Zeiten' - und vergessen, daß wir ohne Jesus [Christus] auch in und mit unserer Predigt nichts tun, mit ihm aber einiges tun können und sollen4. Die ihn bezeugende Gemeinde ist als sein Gleichnis eine - nicht die einzige - Weise des Existierens Jesu Christi in der Welt." 5 „Die Einordnung der Predigt in die guten Werke (also ihre Behandlung in der Ethik) wehrt einer Übersteigerung der Predigt, die, indem sie zuviel von ihr sagen will, in Wahrheit zuwenig von ihr sagt6, die Predigt mit zu hohen Ansprüchen belädt und die ihr gegebene Verantwortung verkennt. . . . Zwar setzt die Predigt Gottes gegenwärtiges Handeln voraus und zielt sie darauf hin, doch ist sie selbst kein göttliches Handeln, auch keine Mischgestalt von göttlichem und menschlichem Tun. Ihre Ehre hat sie darin, daß sie unter der genannten Terminierung ein wahrhaft menschliches Tun ist: ein Tun von Menschen, denen Gott die Ehre erweist, sie bei seinem eigenen Tun dieses bezeugend mittun zu lassen."7 „Die Predigt ist keine necessitas salutis, sie ist die necessitas praecepti. Die Predigt ist notwendig, weil sie von Gott geboten wird. Die Verheißung der Predigt, daß Gott sich ihrer bedienen will, zieht das Gebot nach sich: ,Predigt das Evangelium aller Kreatur!' Man muß genau denken, um nicht doch in sakramentalistische Bahnen zu geraten: nach Rom. 10,17 kommt nicht das Wort Christi durch die Predigt, sondern die Predigt durch das Wort Christi. Dieses ist der Predigt gegenüber selbständig, es geht ihr voran und folgt ihr. Das Wort der Predigt als das analogatum ist nie identisch mit dem Wort Christi als dem analogans; Christus könnte sich sonst mit ihm nicht identifizieren. Die Predigt erübrigt es nicht, sondern bleibt darauf angewiesen, daß Christus 4

Kursivierung vom Verfasser. Fürst, Das gute Werk der Predigt 86. • Kursivierung vom Verfasser. 7 Fürst, Das gute Werk der Predigt 88.

5

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den Menschen unmittelbar anspricht, wenn es zum Glauben kommen soll... Mit 2. Kor. 5,20 geredet (,wir sind Botschafter an Christi statt'): Der Prediger ist nicht Stellvertreter oder gar Ersatzmann Christi, vielmehr kann er nur υπέρ Χριστοί} stehen, wenn Christus sich selbst zu seinem Stellvertreter macht. Weil er dies verspricht, ist die Predigt nicht überflüssig, sondern notwendig. Notwendig macht sie der Wille Gottes, der sich im Echo menschlicher Worte zu erkennen geben will, sein Versöhnen im Widerhall menschlichen Bittens (2. Kor. 5,20) kundmachen will." 8 i. Die übergreifende

christ ologische

und die promissio-fides-Relation

Wort geschickt e bei

(Barth)

Luther

E. Wolf spricht von der die Christologie bzw. die Christusverkündigung Luthers charakterisierenden Einheit von Person und Werk: „Es handelt sich um die unitas zweier unitates, einmal der Einheit von ,Gottheit' und ,Menschheit', besser von Vater und Sohn . . . und sodann der von Luther so betonten Einheit von Person und Amt oder Werk. Diese beiden unitates sind bei Luther ebensowenig voneinander zu scheiden, wie sie in sich nicht eigentlich zerlegbar sind. . . . So werden Person und Werk Christi nicht nebeneinandergestellt, sondern als Einheit genommen. Der statisch-substantielle Charakter des festgehaltenen Schemas der Zweinaturenlehre wird dadurch zugleich überwunden, sofern . . . die Übernahme der Sünde der Menschheit durch den Sündlosen von dieser Heilstat aus, also vom ,Werk' her die ,Person', gerade das göttliche Wesen des Menschgewordenen offenbart." 9 Dabei werden beide unitates, Gott und Mensch, Person und Werk von Luther so unmittelbar zusammengedacht, daß „vom Werk aus die Person konstituiert und erkannt wird" 10 , quod ab opere Christus nominatur: „Christus non dicitur Christus, quod habet naturam humanitatis et deitatis, sed ab officio et opere, quod suscepit."11/12 Ganz ähnlich wie bei Luther ist bei Barth das Ineinander der wirkenden Person und des persönlichen Werks in der Gegensatzeinheit des versöhnenden Gottes und des versöhnten Menschen, d. h. die Einheit von Person und Werk in der Versöhnung im Kreuz der Interpretationsrahmen der Rezeption und Modifikation der klassischen Christologie in der Versöhnungslehre. Die Einheit des versöhnenden Gottes und des versöhnten Menschen in Jesus Christus impliziert nach Barth die Einheit von wahrem Gott (vere Ebd. 93. » Wolf, Per. I 54 f. 11 Ebd. 64. Ebd. 72. 12 Vgl. Klappert, Auferweckung 99, Anm. 24. 8

10

165

deus) und wahrem Menschen (vere homo) in Jesus Christus. Die Versöhnungslehre ist mithin nicht Explikat der an der Inkarnation orientierten Person- und Zweinaturenlehre. Vielmehr ist die Zweinaturenlehre ein Lmplikat der am Kreuz orientierten Versöhnungslehre. Ist Jesus Christus als der versöhnende Gott (Werk) der wahre (vere deus), sich erniedrigende (status exinanitionis) Gott und als der versöhnte Mensch (Werk) der wahre (vero homo), erhöhte (status exaltationis) Mensch, so sind die Koinzidenz der beiden Stände, das Ineinander von Naturen und Ständen und infolgedessen die Interpretation der Gottheit von der Erniedrigung und der Menschheit von der Erhöhung her nach Barth notwendige Implikate der Bundes- und der Versöhnungsgeschichte in ihrer zeitlich koinzidierenden Doppelbewegung von versöhnendem Gott und versöhntem Menschen. Weder eine Isolierung der Person von ihrem Werk, d. h. eine Interpretation der Person als Voraussetzung des Werks und des Werks als Aktualisierung der Person, noch auch eine Funktionalisierung der Person zugunsten des Werkes, d. h. eine Auflösung der Person in das Werk, vermag nach Barth der von ihm intendierten Einheit von Person und Werk im Versöhnungsgeschehen gerecht zu werden13. Die Dynamisierung der altkirchlichen Christologie geschieht aber bei Luther nicht nur durch die wechselseitige Interpretation der beiden unitates zwischen den „Naturen" einerseits und zwischen Person und Werk andererseits, sondern, wie E. Wolf hervorgehoben hat, zugleich durch die Verklammerung dieser unitas zweier unitates mit der promissio-fides-Relation14. Demgegenüber tritt bei Barth zu der dargestellten Einheit von Person und Werk der Grundgedanke einer einmaligen Geschichte als einer übergreifenden christologischen Wortgeschichte15, den Barth auch in die Frage kleidete: „Wie kann von einer d a m a l s geschehenen Geschichte gesagt werden, daß sie als solche noch h e u t e geschieht. . .?" 16 In dieser verschiedenen Verklammerung der sowohl von Luther als auch von Barth gleichermaßen vollzogenen Dynamisierung der Christologie mit der promissio-fides-Relation (Luther) und mit der übergreifenden Wortgeschichte Jesu Christi (Barth) tritt eine Grunddifferenz der Christologie Barths und der Luthers zutage. Denn Jesus Christus selbst und nicht die promissionale Verkündigung im Sinne Luthers ist Barth zufolge das Wort Gottes. Und dies Wort Gottes „wird von Barth zunehmend in den späteren Bänden der Kirchlichen Dogmatik als die Geschichte Jesu Christi, des Gekreuzigten und Auferstandenen, interpretiert, die selber Wortcharakter hat. Dies alle 13 14 15

166

Ebd. 100 f. Vgl. Wolf, Per. I 56, Anm. 83; Bayer, Promissio 298 f f . 16 Ebd. 120. Vgl. K D I V / 2 , 119 f f .

Zeiten übergreifende Christusgeschehen versetzt alle Menschen in eine neue Situation, so daß sie ontologisch bereits als Gott-zugehörige, Gottvernehmende Menschen angesehen werden müssen, auch wenn es erst im heiligen Geist zum (subjektiven) Erkennen und Anerkennen kommt, wodurch sie dann antwortend dem zu entsprechen beginnen, was sie (objektiv) bereits sind" 17 . Die Geschichte des in Jesus Christus erfüllten Bundes hat Barth zufolge „das volle Gewicht des ewigen Perfektums, d a s . . . vollbracht und abgeschlossen" 18 ist. „Das g e s c h a h : keine Umkehrung darf das abschwächen, daß es geschah und ein für allemal geschah. Aber das geschah nicht nur, sondern das g e s c h i e h t und w i r d gescheh e n . Denn es ist ja gerade das Prinzip und Wesen alles Geschehens überhaupt." 19 Es hat dieses Geschehen „mit dem Charakter des Perfektums ohnegleichen auch . . . [den] Charakter der G e g e n w a r t und auch . . . [den] der Z u k u n f t ohnegleichen" 20 . Insofern gilt für Barth, daß „so gewiß es um ein .vollendetes' Geschehen geht, so wenig ist es doch ein bloß historisches Faktum, das vergangen ist. Diese G e s c h i c h t e . . . ist übergreifende, zur Erkenntnis rufende, sich selbst potenzierende Geschichte" 21 . Ja, auch die Erkenntnis Jesu Christi ist in gewissem Sinn bereits universal. Barth unterscheidet hier zwischen objektiver und subjektiver Erkenntnis. „Weil mit Jesu Auferweckung und Erhöhung dieser Ubergriff Gottes über alle Menschen bereits geschehen ist, deshalb sind alle schon in dem Raum dieser Erkenntnis." 22 These X/l sucht diese Differenz zwischen Luther und Barth herauszustellen. THESE X / L

Die Rezeption und Dynamisierung der altkirchlichen Christologie geschieht bei Luther und Barth durch die wechselseitige Interpretation der unitas der beiden Naturen, Gottheit und Menscheit, einerseits und der unitas von Person und Werk andererseits (E. Wolf) - im Unterschied zu Barth bei Luther durch die Verklammerung dieser unitas zweier unitates mit der kerygmatischen promissio-fides-Relation - im Unterschied zu Luther bei Barth durch die Verklammerung des Ineinanders der beiden Naturen und der Einheit von Person und Werk mit dem übergreifenden Wortereignis Jesus Christus. Tritt bei Barth zu der Einheit von Person und Werk der Grundgedanke einer einmaligen Geschichte als einer übergreifenden christologischen 17 19 21 22

Kreck, Grundfragen 229. Ebd. Kreck, Grundfragen 273; vgl. K D I V / 3 . Kreck, Grundfragen 274.

18 20

K D I I / 2 , 201. Ebd.

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Wortgeschichte, so verklammert Luther in Konsequenz der reformatorischen Entdeckung des mündlich-sakramentalen Absolutionswortes anders die unitas zweier unitates mit der promissio-fides-Relation. Wo bei Luther die promissio, steht bei Barth die übergreifende worthafte „Christusgeschichte". In dieser Differenz tritt eine Grunddifferenz zwischen der Christologie Barths einerseits und der promissionalen Christologie Luthers andererseits zutage.

2. Das Ineinander von Verbum Christi (Wort des Christus praesens) und verbum Christi (Verkündigung von Christus) bei Luther Das Ineinander von christologischem Wortereignis und kerygmatischem Ereigniswort ist E. Wolfs Analyse in seinem Aufsatz „Die Christusverkündigung bei Luther" zufolge für die Fassung der Christologie Luthers als Christusverkündigung konstitutiv: ,,,Wort' und ,Christus' gehen bei Luther immer ineinander über."23 Die Verkündigung von Christus (verbum Christi) ist zugleich das Wort, in dem Christus selber gegenwärtig ist: „Nam qui Christianus est et praedicat ipsum, non ipse facit opus, sed Christus, quando audimus Euangelium, ipsum Christum audimus, et sua propria vox est verbumque suum est, quod dicitur."24 Die sakramentale Identität von Christusereignis und Christusverkündigung bei Luther, d. h. die beherrschende Stellung des Kerygmas in Luthers Christologie bringt E. Wolf - in fast Bultmannscher Terminologie 25 - schließlich auf die Formel: „Erst die Verkündigung macht das 23

Wolf, Per. I 60. WA 20,365,13: „Denn wer Christ ist und [das Wort] verkündigt, tut das Werk nicht selbst, sondern Christus; wenn wir das Evangelium hören, hören wir Christus selbst, und es ist seine eigene Stimme und es ist sein Wort, das gesprochen wird." Vgl. Wolf, Per. I 61. 25 Auf den engen Sachzusammenhang zwischen dem Kerygmaverständnis der sog. Kerygmatheologie (R. Bultmann) und der sakramentalen Koinzidenz und Identität von verbum Christi (Kerygma) und Christus als Verbum Dei bei Luther hat Barth aufmerksam gemacht: „Ich wage Beträchtliches" - schreibt Barth - „. . . wenn ich die Frage riskiere : ob Bultmann nicht einfach als L u t h e r a n e r (Lutheraner sui generis natürlich) anzusprechen ist? . . . Das Erbe Luthers ist nun einmal sehr mannigfaltig. Auf eine gewisse Beziehung zwischen Bultmanns Unternehmen und dem des jungen M e l a n c h t h o n in der Urfassung seiner Loci wurde bereits hingewiesen . . . Bewegt sich nicht schon diese erste protestantische Dogmatik in bewußter Ausschließlichkeit in dem anthropologischen Dreieck zwischen dem (naturri chtlich gedeuteten) Gesetz, der menschlichen Sünde und der dem Menschen widerfahrenden Gnade [Evangelium] ? . . . Und ist der junge Melanchthon etwa nicht ein leidlich getreuer Schüler des jungen L u t h e r gewesen? Ich warte schon lange auf eine Untersuchung und Darstellung der Eigenständigkeit, Bedeutung und Funktion der Christologie im Denken des jungen Luther: in ihrem Verhältnis zu der ihn so übermächtig beschäftigenden Frage 24

168

[Christus-] Ereignis zu einem Ereignis ,für unsV26 Daraus folgt: Der „Christus pro nobis ist für Luther stets der gepredigte Christus' als das den einzelnen in der Kirche unmittelbar anrufende Verheißungswort der Gnadenzusage Gottes, als das mit dem Evangelium identische Wort der Absolution" 27 . Das Christusereignis der Versöhnung der Welt mit Gott (2. Kor. 5,19) wird „wirksam appliziert . . . allein [!] durch den in Predigt und Sakrament gleichermaßen erfolgenden Zuspruch des Wortes Gottes. Dieser Zuspruch allein, das schöpferische Wort allein, das eine W O R T Gottes, Christus selbst, ist hier am Werk in der Gestalt des Verheißungsworts. Der promissio aber entspricht als zugeordnetes Korrelat die fides" 28 . Diese für Luther grundlegende Präsenz des Wortereignisses Jesus Christus im kerygmatischen Ereigniswort der Verkündigung ist im Anschluß an E. Wolf insbesondere von H. E. Weber herausgearbeitet worden: „Die reformatorische Theologie verkündet die Rechtfertigung aus Glauben durch das Wort von Christus als das Wort der Sündenvergebung." 29 Ist für Barth Sündenvergebung ein Implikat des erfüllten Bundes als des neuen Lebens und der Bundesgerechtigkeit Gottes, so ist bei Luther dieses Implikatverhältnis zwischen Erfüllung des Bundes und Sündenvergebung umgekehrt: Versöhnung ist nicht Moment der erfüllten Bundesgeschichte, sondern „die Sündenvergebung ist . . . Vermittlung [!] des Heils; das heißt aber, daß sie die Gabe des n e u e n Lebens, der Ge«lach dem rechten Ergreifen des Heils durch den Menschen nämlich! D a ß die Sache beim späteren Luther . . . noch ein anderes Gesicht gewonnen hat, weiß ich. Aber w a r und blieb nicht die Frage nach der applicatio salutis (Gesetz und Evangelium) . . . dit e i g e n t l i c h e Frage L u t h e r s . . . ? Gibt es nicht noch in der letzten Fassung von Luthers Galaterbriefkommentar Stellen, in denen die Christologie in der Soteriologie nahezu aufzugehen scheint: Stellen, auf die sich Bultmann zugunsten seiner existentialen Methode merkwürdig gut berufen könnte?" (K. Barth, R. Bultmann. Ein Versuch 53 f.). - Auf den Zusammenhang zwischen der anthropologisch-existentialen Ortsbestimmung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium und dem Verständnis des Gewissens (als O r t , an dem sich Gesetz und Evangelium als Macht- und Kampfesgeschehen voneinander unterscheiden: G. Ebeling), hat zuletzt W. Kreck hingewiesen : „Es ist doch nicht zufällig, daß man immerhin Luthers Glaube als Gewissensreligion [K. H o l l ] verstehen, bzw. mißverstehen konnte. Hier konnte offenbar die Situation des Menschen . . . unter Gesetz und Evangelium so beschrieben werden, daß man den Eindruck eines wirklich im H e r z e n und Gewissen sich vollziehenden Kampfes auf Leben und Tod hat. Hier scheint das Gericht zu ergehen, hier der Freispruch, hier im erwachenden, erschrockenen, getrösteten . . . Gewissen ereignet sich das Heilsgeschehen." Der „Gewissenskampf konnte als eine Art Hypostase erscheinen, die Anfechtung und ihre Ü b e r w i n d u n g schien das Thema der christlichen Theologie zu sein. Kein Wunder, d a ß also Barth die Theologie Bultmanns wegen ihrer anthropologisch-existentialen Methode als lutherisch glaubte ansprechen zu sollen" (Grundfragen der Ethik 187). 29

27

2

28

Wolf, Per. I, 66; vgl. 123. " Ebd. 124.

Ebd. 122. Weber, Reformation 1/1, 10.

169

rechtigkeit... in sich birgt" 30 . Die Verheißung der Sündenvergebung ist Leben und Seligkeit, „denn das Wort der Sündenvergebung ist eben das Wort von Christus, in dem die Sündenvergebung geschenkt wird. In diesem Christus, der das Leben bringt, wird zugleich die ganze Fülle der Gabe, die in der Sündenvergebung erschlossen wird, vergegenwärtigt. Er wird der Herr und der Heiland durch das Wort" 3 1 . Und ganz ähnlich wie E. Wolf faßt auch H. E. Weber das Ergebnis dahingehend zusammen: Die Versöhnungstat Gottes in Christus als der Inhalt des Wortes Gottes „wird wirksam in dem Wort, in dem Christus der Herr wird" 32 . In der ihm eigenen theologischen und systematischen Konzentration hat E. Bizer in seiner Lutherinterpretation das Problem der Vermittlung in das Zentrum seiner Analysen gestellt. Der Frage, w i e Gott durch Christus und in welcher Art und Weise der V e r m i t t l u n g Gott in Christus zu uns kommt, ist Bizers Lutherforschung im Zentrum gewidmet. Die Antwort, die Bizer bei Luther fand und in „Fides ex auditu" im Gegensatz zur herrschenden Lutherforschung veröffentlichte, lautete: Luther hat das mündliche Wort, die den Menschen hörbar und insbesondere in Taufe und Abendmahl leiblich erreichende Zusage als d a s Gnadenmittel, als das medium salutis (wieder-)entdeckt. So ist das promissionale und sakramentale Wort der Zusage, das Wort als Gnadenmittel - Bizer konnte so formulieren - „die Summa des Evangeliums, modern gesprochen: ,Das Wesen des Christentums'"33. Von diesem sakramentalen Wortbegriff und promissionalen Wortverständnis Luthers her hat sich Bizer systematisch nicht nur 1. von jeder vom äußeren mündlichen Wort abgelösten i n n e r e n Geistvermittlung, jeglicher schwärmerischen Korrelation von innerem Wort und äußerer Zusage abgegrenzt und von daher 2. die existentiale Interpretation R. Bultmanns zunehmend mehr kritisiert34, sondern 3. zugleich jede heilsgeschichtliche oder universalgeschichtliche Vermittlung der Christusgeschichte mit der Gegenwart bestritten. Bizer meinte von diesem reformatorischen Verständnis des Wortes als Gnadenmittel (Luther) jenseits einer anthropologischen (Schwärmer, Bultmann) und universalgeschichtlichen (Idealismus, Pannenberg) Vermittlung her sich auch von Barths Wortbegriff abgrenzen zu müssen, dessen christologischer Wortbegriff Bizers Verständnis zufolge heilsge30

Ebd. 24.

33

E . Bizer, Die E n t d e c k u n g des Sakraments durch Luther, E v T h 1 9 5 7 , 8 8 .

31

Ebd. 31.

32

Ebd. 42.

3 4 Die Möglichkeit für das Verstehen des promissionalen W o r t e s liegt nicht in einer fundamentalontologischen Voraussetzung auf der Seite des Menschen und seiner a n thropologisch-existentialen Grundstruktur, sondern im sakramentalen W o r t der Zusage selber, das mit dem Zuspruch der remissio die Bedingungen des Verstehens selber mit sich bringt und selber schafft (Bizer).

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schichtlichem Geschichts- und Vermittlungsdenken verhaftet blieb. Demgegenüber mußte gerade das Bemühen Barths, das W o r t e r e i g n i s Jesus Christus zum einzigen Kriterium des E r e i g n i s w o r t e s der Verkündigung zu machen und in strengem und unumkehrbarem Sinn dieses von jenem abzuleiten und dieses als Z e u g e n d i e n s t an jenem zu verstehen, von Bizer übersehen werden und damit die offene Verhältnisbestimmung zwischen Barths christologischem Wortbegriff einerseits und Luthers reformatorischem Wortverständnis andererseits undiskutiert bleiben. Tendenzen in E. Wolfs Interpretation der Christologie Luthers als Christusverkündigung aufgreifend hat insbesondere O. Bayer auf der Linie und im Anschluß an E. Bizers Lutherinterpretation die enge Korrelation von promissionaler Christologie und christologisch-kerygmatischer promissio, d. h. die sakramentale Koinzidenz, ja Identität von verbum Christi (Kerygma) und Christus als Verbum Dei als die reformatorische Entdeckung Luthers herausgearbeitet: Das „äußere, mündliche Menschenwort ist mit Jesus Christus selbst verschränkt. Diese Verschränkung und die sich mit ihr konstituierende Einheit wird . . . [von Luther] chiastisch erläutert: ,er ist yn dem wort und das wort in ym"' 3 5 . Ja, mehr: Die beherrschende Stellung des Kerygmas in der Christologie Luthers, das Kerygma als der eigentliche Ort der Christologie Luthers bedeutet, daß das mündliche Wort der promissio „das Medium [ist], in dem sich vere homo und vere deus untrennbar vereinigen [!] . . . So sind die ,Naturen' auf die promissio als Kopula angewiesen [!] . . ., womit die beobachtete Identifikation von verbum und Christus selbst als Verbum vollends verständlich wird . . . Die christologische Rede von der unio personalis [so meint schließlich O. Bayer Luthers Christologie in fast Bultmannscher Terminologie interpretieren zu sollen] . . . [ist] nur die Reflexion [!] jenes Geschehens..., das sich konstitutiv im Raum des mündlichen und öffentlichen Wortes begibt" 36 . Luthers Korrelation von promissionaler Christologie und sakramental-kerygmatischer promissio meint also nach Bayer: „Der [christologische] Grund ist nicht ohne den begründeten [kerygmatischen] Ort, in dem er sich äußert." 37 Aber die Korrelation zwischen Verbum Christi und dem kerygmatischen verbum promissionis kann von Luther auch umgekehrt akzentuiert werden: Denn „die Notwendigkeit von Gottes Tod liegt für Luther in der Unwiderruflichkeit und Letztgültigkeit von Gottes mündlicher und öffentlicher Zusage und ist k o n k r e t . . . nur im Blick auf sie zu denken" 38 . O. Bayer hat in seinem Buch „Promissio" dort, wo er die Korrelation von damaligem Christusereignis und kerygmatisch-sakramentaler Christuspromissio entwickelt 35 37

Bayer, Promissio, 303 f. Ebd. 3 0 8 .

36 38

Ebd. 315. Ebd. 314.

171

und von dem die Geschichte Jesu Christi in sich begreifenden, erschließenden und zueignenden W o r t der promissio spricht, auf den Zusammenhang zwischen dem sakramental-eschatologischen promissio-Begriff Luthers und der formgeschichtlichen Fragestellung in der sog. Kerygmatheologie aufmerksam gemacht 3 9 . Dieser Hinweis vermag im Zusammenhang des hier entwickelten Vergleichs zwischen Luther und Barth zugleich die Differenz der formgeschichtlichen Fragestellung unter dem Gesichtspunkt eines eschatologischen, an Luther orientierten Kerygmaverständnisses einerseits (R. Bultmann) und eines signifikativen Zeugnisbegriffs andererseits (K. Barth) erhellen. Ist in Luthers Fassung der Christuspromissio der christologische G r u n d als Inhalt nicht ohne den kerygmatischen O r t als Form 4 0 , so wird in R. Bultmanns formgeschichtlicher Fragestellung, die nach dem ,Sitz im Leben' bestimmter typischer Formen der neutestamentlichen Überlieferung fragt, „von der Form eines Überlieferungsstückes auf dessen Entstehung . . . so geschlossen, daß notwendig der Inhalt des Textes von diesem Schluß mitbetroffen ist" 41 . Gegenüber einer solchen kerygmatischen Form-Inhalt-Korrelation (Bultmann), die in einer unverkennbaren Beziehung zur Korrelation von christologischem Inhalt und sakramental-promissionaler Form bei Luther steht, ist K. Barths Position durch die christologisch-kerygmatische Relation von Inhalt und Form mit ihrem unumkehrbaren Begründungsverhältnis bestimmt: Indem die Geschichte Jesu Christi als W o r t G o t t e s Ereignis geworden ist, muß sie in der Form der Verkündigung angezeigt und bezeugt werden. Das hat zur Folge, daß die Kreuz und Auferweckung antizipierende Verkündigung Jesu a 1 s W o r t Gottes mit der formgeschichtlichen Gattung des -Kerygmas der Gemeinde unvergleichbar ist 42 , insofern sich Jesus Christus als das W o r t Gottes (Inhalt) die Gattung des Evangeliums bzw. des Kerygmas (Form) erzwingt, die christologische Ebene also von der signifikativen Ebene im Hinblick auf den Begriff des Eschatologischen streng zu unterscheiden ist. Barth vertritt also die These von der christologischen Relevanz der Form des Evangeliums, versteht also im strengen Sinne die Form des erzählenden Evangeliums als Implikat der Christologie. Formgeschichte wäre die Darstellung der Geschichte der kerygmatischen und signifikativen Formen der Christusgeschichte. Die Geschichte Jesu Christi (ontisch), die in der Prophetie Jesu Christi als C h r i stusverkündigung zugleich übergreift (noetisch), erzwingt sich als dieser exklusiv-christologische Inhalt die kerygmatisch-signifikative Entsprechung. F o r m G e s c h i c h t e meint auf dem H i n t e r g r u n d der christologisch-kerygmatischen InhaltForm-Relation (nicht Korrelation!) bei Barth die exegetisch-systematische Aufhellung und Beschreibung der kerygmatischen Formen dieser Christusgeschichte, insofern das Kerygma „eine in diesem (Jesus Christus) selbst gründende N o t w e n d i g k e i t " 4 3 ist. Jesus Christus als das Wort Gottes in seiner ontisch-noetischen Wirklichkeit begründet und erfordert den Zeugendienst als notwendige Form dieses Inhalts, wobei auch hier keine Korrelation, sondern nur eine unumkehrbare Begründungsrelation f ü r die Zuordnung von Inhalt und Form bestimmend sein kann. Ist doch die Verkündigung im Sinne Barths nicht das Ergehen des eschatologischen Urteils selber, sondern der zeichenhafte Verweis auf das in Jesus Christus und seiner Geschichte ergangene und in seiner Prophetie d a r a u f h i n gegenwärtig ergehende Urteil. Verkündigung, H e r r e n m a h l und T a u f e sind also die Formen, die sich Jesus Christus als das eine W o r t G o t t e s erzwingt. 3

40 » Ebd. 2 8 8 . Ebd. 308. So die treffende Charakteristik von E. Jüngel, Paulus und Jesus, 1962,291. 42 43 K D I V / 2 , 227 f f . Ebd. 305. 41

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D e r unverkennbaren Beziehung zwischen den formgeschichtlichen Analysen der sog. Kerygmatheologie und dem sakramentalen Promissiobegriff der Korrelation von christologischem Inhalt und sakramental-promissionaler Form im Sinne Luthers steht also bei Barth die übergreifende Selbstverkündigung der Prophetie Jesu Christi selber als das Noetische des Ontischen der erfüllten Bundesgeschichte und die unumkehrbare Relation dieser w o r t h a f t e n Prophetie zum Zeugendienst der Verkündigung, m. a. W . die christologische Bedingtheit aller kerygmatischen Formen, die christologisch-kerygmatische Inbalt-Form-Relation gegenüber.

Die hier skizzierten Interpretationen von E. Wolf, H. E. Weber, E. Bizer und O. Bayer zum Problem des Verhältnisses von christologischem Heilsgeschehen und kerygmatischer Verkündigung bei Luther zeigen aber insgesamt und einheitlich, daß die reformatorische Entdeckung Luthers das Ineinander von christologischem Wortereignis und kerygmatischem Ereigniswort zur konstitutiven Mitte hat. These X/2 sucht diese Koinzidenz bei Luther herauszustellen. THESE X / 2

Das Ineinander von christologischem Wortereignis (Christus als Verbum Dei, Christus als Verbum incarnatum) und kerygmatischem Ereigniswort ist für Luthers Fassung der Christologie als Christusverkündigung (E. Wolf) konstitutiv. Die für Luther grundlegende Präsenz des Worteignisses Jesus Christus im kerygmatischen Ereigniswort der Verkündigung (H. E. Weber), d. h. die enge Korrelation von promissionaler Christologie und christologischkerygmatischer promissio (O. Bayer) lassen im Sinne der reformatorischen Entdeckung Luthers die Alternativfrage nicht thematisch werden, ob es sich bei dem Verständnis des Werkes Christi als gegenwärtiges Wort, bzw. der Präsenz Christi im gegenwärtigen Wort um das Wort Jesu Christi (genetivus subiectivus) oder um das anredende Wort (Kerygma) von Jesus Christus (genetivus obiectivus) handelt. 3. Die Unterscheidung von Christus-Wort und signifikativem Zeugendienst (Barth) Für Luthers promissionale Fassung der Christologie und christologische Fassung des sakramentalen promissio-Begriffs ist die Korrelation von Verbum Christi im Sinne des genetivus subiectivus und verbum Christi im Sinne des genetivus obiectivus grundlegend. Luther ist in seiner Kampfschrift gegen Karlstadt 44 für den unauflösli4 4 Luthers Kampfschrift (1525), in: W A 1 8 , 3 7 f f .

gegen

Karlstadt

„Wider

die

himmlischen

Propheten"

173

chen Zusammenhang von Christusereignis und Christusverkündigung, des Kreuzes Christi als Gnadengrund und des Wortes als Gnadenmittel eingetreten. Deshalb heißt es bei Luther gegen Karlstadts meditativ-asketische Weise der Vergegenwärtigung des Kreuzes unter Umgehung des Wortes als Gnadenmittel: „Von der Vergebung der Sünden handeln wir auf zweierlei Weise. Einmal, wie sie erlangt und erworben ist, das andermal, wie sie ausgeteilet und geschenkt wird. Erworben hat sie Christus am Kreuze, das ist wahr; aber er hat sie nicht ausgeteilt oder gegeben am Kreuze. Im Abendmahl oder Sakrament hat er sie nicht erworben; er hat sie aber daselbst durchs Wort ausgeteilet und gegeben, wie auch im Evangelio, wo es gepredigt wird. Die Erwerbung ist einmal geschehen am Kreuze; aber die Austeilung ist oft geschehen, vorhin und hernach von der Welt Anfang bis ans Ende." 4 5 „Das Wort, das W o r t . . . das Wort tuts! Denn ob Christus tausendmal für uns gegeben und gekreuzigt würde, wäre es alles umsonst, wenn nicht das Wort Gottes käme und teilte es aus und schenkte mirs und spräche: Das soll dein sein, nimm hin und habe dirs.1*46 Luther interpretiert jedoch das Verhältnis des Kreuzes als Gnadengrund zum Wort als Gnadenmittel nicht derart, daß zu dem einmaligen Verdienst Christi am Kreuz das isolierte Wort der Verkündigung als Gnadenmittel hinzuträte, daß also lediglich das Wort zwischen dem Kreuz und der aktuellen Sündenvergebung vermittelte. Vielmehr entspricht es dem für Luther charakteristischen Ineinander von Christusereignis und Christusverkündigung, daß im Verkündigungswort der promissio die Austeilung der am Kreuz durch Christus erworbenen Sündenvergebung durch den gegenwärtigen Christus selbst (!) geschieht. „Denn weil er beschlossen hatte, sie einmal zu erwerben, galts bei ihm gleich viel: er [!] teilet sie aus . . . durch sein Wort" 4 7 . Gegenüber dem promissional-sakramentalen Verkündigungswort bei Luther 48 erscheint bei Barth die ganz unreformatorische Alternative Luther, Ausgewählte Werke 4, 265. Kursivierung vom Verfasser. Ebd. 264. Kursivierung vom Verfasser. 47 Ebd. 265. Ähnlich interpretiert Luther die Erscheinung des Auferstandenen vor seinen Jüngern und ihre Sendung nach Luk. 2 4 , 4 6 - 4 7 : „Also stehets geschrieben, daß Christus mußte leiden und am dritten Tage auferstehen (da stehet sein Verdienst) und in seinem Namen predigen lassen Buße und Vergebung der Sünden (da gehet seines Verdienstes Austeilung). Darum sagen wir im Abendmahl sei Vergebung der Sünden, nicht d e s . . . h a l b e n , . . . daß Christus daselbst der Sünden Vergebung verdiene oder erwerbe, sondern des Wortes halben, dadurch er solche erworbene Vergebung unter uns austeilet" (Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis. 1528, in: Luther, Clemen III 376,32-39). 45

46

48

174

Vgl. die von E. Bizer

im Nachwort zur dritten Auflage von Fides ex auditu ge-

„ n i c h t das christliche Kerygma, sondern er selbst in seinem S e i n und O f f e n b a r s e i n baut . . . seine Gemeinde" 49 , geraten „Verkündigung, Glaube und Lebensvollzug" als das, „was durch Gottes Wort in und durch und aus uns Menschen . . . als Verkündigung, Glaube, Lebensvollzug werden mag" 50 , gegenüber dem Wortereignis Jesus Christus auf eine Ebene. Noch deutlicher ist die Zusammenordnung: Bekenntnis, Leiden, Buße, Demut und Werke des Christen, „aber auch [!] die Taufe, auch das Abendmahl können und sollen dieses Ereignis b e z e u g e n , aber auch n u r bezeugen"51. G. Bornkamm hält diese Formulierung Barths „in keiner Weise für gerechtfertigt..., weil sie das Besondere des Sakramentes verwischt", insofern sie eine „spiritualisierende Umdeutung des Herrenmahles, die es ,nur' zu einer Bezeugung des Golgatha-Geschehens macht", impliziert 52 . Barth differenziert in diesem Zusammenhang im Hinblick auf 2. Kor. 5,19 f. in exegetisch unzulässiger, für Barth selber aber charakteristischer Weise zwischen dem ,Wort von der Versöhnung' - Barth zufolge: Jesus Christus selbst als das übergreifende Ereigniswort - und dem ,Dienst der Versöhnung' als der menschlichen Entsprechung, während Paulus mit beiden Begriffen das apostolische Kerygma bezeichnet. Schließlich ist angesichts des beliebig zu vermehrenden Belegmaterials noch auf Stellen zu verweisen, wo Barth in analoger Weise das „unmittelbar [!] an einen Menschen ergehende, ihn unmittelbar zu sich selbst rufende Wort Jesu Christi selber"53 von der Verkündigung der Apostel und Gemeinde, die dies „nur eben begleiten, erläutern, beleuchten können" 54 , unterscheidet 55 . Im Kontext dieser Gegenüberstellung von Luther und Barth will These X/3 die Unterscheidung zwischen christologischer Wortgeschichte und signifikativem Zeugendienst als das Besondere bei Barth herausstellen. nannte Stelle aus WA 25,336,33-36: „Christus non cognoscitur nisi per doctrinam et externum verbum. Euangelion igitur est ceu vehiculum quoddam, per quod ad nos defertur Christus cum iustita sua et omnibus donis suis." - Christus wird nur durch die Predigt und das äußere Wort erkannt. Das Evangelium ist deshalb so etwas wie ein Vehikel (!), durch das Christus mit seiner Gerechtigkeit und allen seinen Gaben zu uns gelangt. 49 50 K D IV/1, 178. Ebd. 250. 51 Ebd. 326; vgl. G. Eichholz, Theologie des Paulus 202 ff., bes. 210-212. 52 Bornkamm, Ges. Aufs. II 165. 53 K D IV/4, 35; vgl. 143, 145, 150, 169. 54 Ebd. 35; vgl. 16, 175; IV/3, 220 ff. 55 Vgl. W. Kreck, Karl Barths Tauflehre, ThLZ 1969/6, 401-412. Die „Entsakramentalisierung" der Taufe im Horizont der strikten Unterscheidung von göttlichem und menschlichem Tun hat K. Barth mit seiner Tauflehre K D IV/4 vollzogen, vgl. dazu E. Jüngel, Karl Barths Lehre von der Taufe. Ein Hinweis auf ihre Probleme, PoIis 98,1968 = Theol. Studien, Hg. v. K. Barth und M. Geiger. 175

THESE Χ / 3

Ist für Luthers promissionale Fassung der Christologie und christologische Fassung des sakramentalen promissio-Begriffs die Korrelation von Verbum

Christi

( g e n e t i v u s s u b i e c t i v u s ) und verhum

Christi

(geneti-

vus obiectivus) entscheidend, so ist umgekehrt für Barth die genaue Unterscheidung (nicht Trennung) zwischen der übergreifenden Wortgeschichte Jesu Christi (Christusverkündigung im Sinne des genetivus subiectivus) und dem Zeugendienst der Verkündigung (Christusverkündigung im Sinne des genetivus obiectivus) grundlegend, wobei in Barths K o n z e p t i o n d e r Transposition

des sakramentalen

Wortbegriffs

in

die

christologische Ebene (Christus als Wort ist das exklusive, sakramentale Gnadenmittel der Vermittlung seiner Geschichte) das signifikative Verständnis

der Verkündigung

als Zeugendienst

auf der

kerygmatischen

Ebene entspricht.

4. Die Umkehrung der Korrelations- und Relationsbestimmungen Luthers bei Barth Luther hat nicht nur - wie soeben dargestellt - das wechselseitige Ineinander von christologischem Wortereignis und promissional-sakramentalem Ereigniswort des Kerygmas (Korrelation), sondern zugleich den unumkehrbaren Begründungszusammenhang von promissio und fides (Relation) grundlegend betont. Demgegenüber geht Barth „heute so weit, daß er nicht nur den Gnadenmittelcharakter der ,Sakramente', der Taufe und des Abendmahles, bestreitet, sondern auch nicht mehr, wie in KD 1/1 und 2, von der Verkündigung oder auch der heiligen Schrift als der dritten bzw. zweiten Gestalt des Wortes Gottes reden würde, weil Jesus Christus allein das Wort Gottes ist" 56 . Ja, Barth hat in Konsequenz dieser eingetretenen Verschiebung s o g a r - w i e schon gezeigt-Glaube, Lebensvollzug und Verkündigung in ihrer zeichenhaften Relation zum übergreifenden Christusgeschehen zugleich untereinander als korrelative Größen verstanden und sie in ihrer Bedeutung als Zeugendienst in den Bereich der Versöhnungsethik verwiesen. Barth hat diese in ihrer christologisch-theologischen Begründung und zeitgeschichtlichen Aktualität 5 7 nicht hoch genug einzuschätzende „VerKreck, Grundfragen 296. Zur zeitgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Aktualität des Verständnisses der Verkündigung der Gemeinde als Zeugendienst im Gegensatz zu einem Verständnis der Kirche als sakramentaler Vermittlung des Heils nenne ich die folgenden Beispiele: 1. Gegenüber dem Versuch des damaligen US-Außenministers John Forster Dulles, die 56

57

176

Schiebung" als solche selber kenntlich gemacht: „Man wird" - so heißt es im Vorwort zu K D IV/2 - „vielleicht schon in den Bänden II und III bemerkt haben, daß ich von dem Allgemeinbegriff ,Sakrament', mit dem ich noch in Band I etwas sicher und sorglos umgegangen war, immer weniger und schließlich fast gar keinen Gebrauch mehr gemacht habe . . . [und ich möchte] nur eben andeuten, daß ich, wenn irgendwo, dann hier so etwas wie eine respektvoll umsichtige ,Entmythologisierung' für tunlich zu halten gelernt habe . . . Taufe und Abendmahl . . . sind aber nicht vergessen, sondern sollen als Grundlegung und Krönung [!] des vierten, ethischen Teils der Versöhnungslehre ihre . . . sachgemäße und würdige Stellung finden." 58 Luthers wechselseitige Korrelation von verbum Christi und Kerygma Christi und unumkehrbare Relation von promissio und fides werden damit bei Barth - die Transposition der sakramental-kerygmatischen Verkündigungskategorie in die christologische Geschehenskategorie vorausgesetzt - 1. durch die wechselseitige Korrelation von Christusgeschichte ( K D IV/1.2) und Christuswort ( K D IV/3), 2. durch die unumkehrbare Relation der übergreifenden Wortgeschichte Jesu Christi auf 1948 an der Weltkonferenz in Amsterdam beteiligten Kirchen in die westlich-antikommunistische Kreuzzugsideologie einzugliedern, hat Barth in seinem in Amsterdam gehaltenen Vortrag „Die U n o r d n u n g der Welt und Gottes Heilsplan" (4) argumentiert, daß die Gemeinde nicht als die sakramentale Vermittlungsinstanz des Heilsplanes G o t tes im Sinne eines „christlichen Marshall-Planes" zu verstehen sei. Im Gegenteil: „Inmitten dieser U n o r d n u n g G o t t e s R e i c h als das der Gerechtigkeit und des Friedens a n z u z e i g e n [!], das ist der prophetische A u f t r a g der Kirche: der A u f t r a g ihres politischen Wächteramtes und ihres sozialen Samariterdienstes" (ebd. 8). 2. Angesichts der durch den Staat erfolgten Beschneidung des sog. Öffentlichkeitsanspruches der Kirche in ihrer bisherigen Existenzform als sakramentale Volkskirche in der D D R und im Hinblick auf die Frage, ob diese Tatsache G r u n d zum kirchlichen Widerstand sei, heißt es in Barths Brief an einen P f a r r e r in der Deutschen Demokratischen Republik (27) : „Nein, der Fortgang und Sieg der Sache Gottes, der die christliche Gemeinde mit ihrem Zeugnis dienen [!] darf, ist n i c h t ausgerechnet an diese ihre bisherige Gestalt gebunden." U n d entscheidend (ebd. 33): „Der Begriff ,Öffentlichkeitsanspruch der Kirche' ist als solcher tief problematisch. Eigentlichen und echten Öffentlichkeitsanspruch kann nur Gott selbst f ü r sein Wort [!] erheben. Die Kirche hat keinen ,Anspruch' auf Öffentlichkeit ihres Wortes. Anspruch hat [vielmehr] das W o r t Gottes [!] auf den treuen, genauen und gänzlich anspruchslosen Dienst [!] ihres Wortes." Barths Reduktion der Verkündigung auf den Zeugendienst der Gemeinde ist also nicht nur als Entmythologisierung von Bultmanns eschatologischem Kerygmabegriff zu verstehen, sondern steht zugleich in Antithese zu den restaurativen Tendenzen der Kirche nach 1945. W a r es Luther angesichts des angefochtenen Gewissens geboten, der katholischen Theologie gegenüber die certitudo des an der sakramentalen promissio orientierten Glaubens zu betonen (vgl. Bayer, Promissio, 343 f.), so ist es Bartbs Intention, gegenüber der Pervertierung der sakramentalen promissio in eine ekklesiologisch-sakramentale securitas die Universalität der christologischen promissio als Krisis der ekklesiologisch-restaurativen Tendenzen des 20. Jahrhunderts herauszustellen. 58 K D IV/2, I X . 12

Klappert, Promissio

177

den Zeugendienst der Gemeinde und 3. durch die Korrelation von Zeugendienst und Glaube als signifikativer Größen ersetzt. Es ist also im Sinne Barths a) zwischen exklusiv-inklusiver Bundesgeschichte Jesu Christi (ontisch) und der übergreifenden Wortgeschichte Jesu Christi (noetisch), d. h. zwischen Jesus Christus als der Geschichte des Bundes und Jesus Christus als dem Wort von diesem Bund zu unterscheiden, aber b) an der Korrelation von exklusiv-inklusiver Geschichte Jesu Christi und übergreifender Wortgeschichte Jesu Christi auf der christologischen Ebene festzuhalten und zugleich c) die Bezogenheit der übergreifenden Wortgeschichte (Prophetie Jesu Christi) auf den Zeugendienst der Verkündigung als unumkehrbare Relation im Unterschied zur Korrelation Luthers zu begreifen. These X / 4 sucht die Umkehrung der Korrelations- und Relationsbestimmungen Luthers bei Barth herauszustellen.

THESE X / 4

Der Korrelation von christologischem Wortereignis und promissionalsakramentalem Ereigniswort des Kerygmas bei Luther steht bei Barth die übergreifende, worthaft-sakramentale Christusgeschichte, d. h. die Korrelation von Christusgeschichte und Christuswort auf der christologischen Ebene und ihre Relation auf die Verkündigung in ihrer Bedeutung als signifikativer Zeugendienst gegenüber. Die Korrelation von christologischem Wortereignis und promissional-sakramentalem Ereigniswort bei Luther wird also bei Barth durch die unumkehrbare Relation von christologisch-sakramentalem Wortereignis Jesus Christus und signifikativem Zeugendienst der Gemeinde ersetzt, wobei die für Luthers promissionales Absolutionswort grundlegende Korrelation von Wort Christi und Kerygma Christi bei Barth exklusiv für die christologische Ebene reklamiert, d. h. auf die christologische Ebene restringiert wird.

5. Die Trias von christologischem Wortereignis signifikativem Zeugendienst — analogischem Glauben bei Barth



Indem Barth das Christusereignis in seiner teleologischen Dialektik von Gesetz und Evangelium, iudicium und promissio, von Gottes Gericht über den Menschen im Kreuz und dessen Rechtfertigung in der Auferweckung interpretiert und somit Luthers Wortkategorie (iudicium 178

und promissio) in die christologische Geschehenskategorie transponiert, deutet er auf diesem Hintergrund zugleich die Verkündigung als erzählenden Bericht, als Anzeige und Bekanntmachung 59 , als Erinnerung und Nacherzählung der in Jesus Christus geschehenen, aufgrund der Auferweckung übergreifenden und selbstsprechenden Geschichte, und unterscheidet er die Verkündigung als „Dienst der Versöhnung" einerseits von Jesus Christus als dem „Wort von der Versöhnung" 60 andererseits. Schließlich versteht er von dieser Zuordnung von christologischem Wortereignis und signifikativem Zeugendienst her auch den Glauben als analogisches Geschehen der Anerkennung, des Erkennens in seinem kognitiven, noetischen und existentiellen Charakter als dankbare Entsprechung zu der übergreifenden Prophetie Jesu Christi. Indem Barth die sakramentale Wortkategorie der Reformation in die christologische Geschehenskategorie transponiert und infolgedessen das Christusereignis als übergreifende worthafte Geschichte (christologischkerygmatischer Geschichtsbegriff) und Jesus Christus in seinem übergreifenden Sein als das an alle Menschen ergangene bzw. ergehende Wort begreift 61 , folgt aus dieser Transposition des sakramentalen Verkündigungsgeschehens in das christologische Wortereignis bei Barth die Ersetzung der sakramentalen Relation von Verkündigung und Glaube (promissio und fides) bei Luther durch die Verkündigung als signifikativen Verweis einerseits und die unmittelbare Analogisierung des Glaubens zu dem übergreifenden christologischen Wortereignis andererseits. Diese Entsakramentalisierung der Verkündigung verleiht dieser jedoch nicht etwa weniger, sondern von der übergreifenden Christusgeschichte her notwendiges (wenn auch nicht heilsnotwendiges!) Gewicht. Bedeutet doch die Predigt, ihr Verständnis als ein gutes Werk und infolgedessen ihre Behandlung im Rahmen der Ethik, die Partizipation als Mitarbeiter Gottes an der im Prozeß befindlichen Kampfesgeschichte Jesu Christi 62 . These X / 5 sucht diesen Sachverhalt bei Barth festzuhalten.

THESE X / 5

Die Transposition der sakramental-eschatologischen Verkündigungskategorie Luthers in die christologisch-eschatologische Geschehenskategorie bei Barth bedingt das Gegenüber zwischen einem christologischen Wortereignis einerseits und signifikativer Verkündigung und analogi59

92

12·

Vgl. K D IV/1, 82. K D IV/1, 245. Vgl. K D IV/3, 193, 843, 918, 994 ff.

81

Vgl. KD IV/2, 249 f.

179

schem Glauben andererseits, wobei signifikative Verkündigung und analogischer Glaube in das unmittelbare Gegenüber zur worthaften Geschichte Jesu Christi zu stehen kommen und so zu einer Entsprechung, Anzeige bzw. einem Echo und Reflex, zu einem menschlichen Analogatum gegenüber einem worthaften christologischen Analogans werden. Bedingt aber die Kerygmatisierung der Geschichte Jesu Christi im Sinne des Verständnisses Jesu Christi als übergreifendes, exklusiv-sakramental vermittelndes Wortereignis notwendig das signifikative Verständnis von Verkündigung und Glaube (Glaube, Buße und Werke können signifikativ-kerygmatische Bedeutung erhalten), dann impliziert dies bei Barth eine gewisse Korrelation von Zeugendienst und Glaube im Unterschied zu Luthers mit der reformatorischen Entdeckung gesetzten unumkehrbaren Relation von promissio und fides.

180

XI. Die kerygmatisch-anthropologische Verklammerung von Rechtfertigung und Heiligung bei Luther und deren christologische Grundlegung bei Barth Sind - wie E. Wolf 1 zu Recht gemeint hat - „die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ebenso wie ihr unauflösliches Beieinander . . . maßgebend für die rechte Unterscheidung von Rechtfertigung und Heiligung", dann muß der Differenz in der Unterscheidung zwischen Evangelium und Gebot/Gesetz und Evangelium bei Luther und Barth eine Differenz in der Unterscheidung von Rechtfertigung und Heiligung entsprechen. Darauf wird im folgenden skizzenhaft einzugehen sein.

1. Die christologische Grundlegung und Heiligung bei

von Barth

Rechtfertigung

„Siegt das Evangelium" - so heißt es bei Barth schon 1935 in „Evangelium und Gesetz" - „dann stellt es nicht nur sich selbst wieder her als die überströmende Gnade. . . nein, dann wird auch das G e s e t z , die Form des Evangeliums [!], w i e d e r h e r g e s t e l l t ... aus der Forderung: Du sollst! zu der Verheißung: Du wirst sein! . . . Dann redet das Gesetz . . . in seinem eigentlichen ursprünglichen Sinn als Zeugnis, als Offenbarung dessen, der alles wohlgemacht" 2 . a) Die christologischen Begründungssätze Rechtfertigung und Heiligung

der Verklammerung

von

Die Verklammerung von Rechtfertigung und Heiligung ist für Barth im Gegensatz zu Luther - kein kerygmatisch-anthropologisch zu lösendes Problem. Sie ist auch nicht im Schema einer reactio des Menschen (Heiligung) auf die actio Gottes (Rechtfertigung) verständlich zu machen, als ob „unsere Heiligung u n s überlassen, von u n s ins Werk zu setzen wäre" 3 . Vielmehr bringt Barth die Heiligung christologisch als „das andere Problem der Versöhnungslehre" 4 zur Sprache. Hatte Barth in K D IV/1 das ganze Werk der Versöhnung unter einem ersten Aspekt dargestellt „als eine mächtige Bewegung v o n o b e n n a c h u n t e n , d. h. von Gott 1 2 4

Wolf, in: RGG 3 II 1524. 3 Ev. u. Ges. 31 (WdF 27). K D IV/2, 584. Ebd. 1; Überschrift des Abschnittes von § 64,1. 181

her zum Menschen hin" 5 , als Rechtfertigung aller Menschen in Christus, so ist eben darin nun der andere Aspekt eingeschlossen, „daß die Versöhnung als solche zugleich ganz und gar eine Bewegung von unten nach oben, die Bewegung des versöhnten Menschen z u G o t t h i n ist" 6 . Stellt aber die Heiligung das andere Problem der Versöhnungslehre dar, so „kann also nicht in Frage kommen, daß wir den Bereich der einen ganzen Gnade Gottes nun etwa zu verlassen und uns einem anderen zuzuwenden hätten" 7 . Es geht vielmehr darum, der uns „in Anspruch nehmenden Wahrheit der Versöhnung... gerecht zu werden" 8 . Rechtfertigung und Heiligung gründen also nach Barth so in der Durchführung des Bundes und der Verwirklichung der Versöhnung, daß die Einheit und Verschiedenheit von Rechtfertigung und Heiligung der Einheit und Verschiedenheit der Momente des Christusgeschehens entsprechen. Die Frage nach dem Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung ist also nach Barth präzis die Frage nach dem Verhältnis der christologischen Linien, die jeweils die Rechtfertigung und die Heiligung begründen. Kurz: „das Problem des versöhnten Menschen [Heiligung] ist wie das des versöhnenden Gottes [Rechtfertigung] in der C h r i s t o l o g i e begründet." 9 Rechtfertigung und Heiligung bezeichnen also eine christologische Dimension. Die grundlegende These Barths hinsichtlich der Verklammerung von Rechtfertigung und Heiligung lautet nun: „Die in Jesus Christus geschehene . . . Gottestat der Versöhnung besteht n i c h t n u r in der Erniedrigung Gottes, sondern in und mit dieser in der Erhöhung des Menschen . . . Sie besteht also n i c h t n u r in des Menschen Rechtfertigung, sondern, mit dieser unzertrennlich verbunden, auch in seiner Heiligung."10 Barth präzisiert diese These durch vier christologische Begründungssätze: (1) das christologische simul, (2) das christologische άσυγχύτως, (3) das christologische άχωρίστως und (4) den christologischen ordo. (1) Das christologische simul11 : Rechtfertigung und Heiligung sind so heißt es bei Barth - nicht als zeitliche Folge verschiedener göttlicher Aktionen, sondern als das Zugleich zweier verschiedener Momente der einen versöhnenden Aktion Gottes zu interpretieren. Barth wendet sich damit negativ zunächst gegen eine historisierende Pragmatik in der Christologie, in deren Gefolge man die Erniedrigung und Erhöhung Jesu Christi als zeitliches Nacheinander interpretiert, sodann gegen einen ebenfalls aus diesem zeitlich-historisierenden Denken stammenden Dualismus einer objektiven Heilsbeschaffung dort und damals und einer subjektiven Heilszueignung heute und hier und schließlich gegen eine 5

Ebd. 2. Ebd. 3. » Ebd. 19. 7

182

6

Ebd. 4. Ebd. 10 Ebd. 565.

8

aus beiden abgeleitete psychologisierende Pragmatik in der Soteriologie, in deren Gefolge man Rechtfertigung und Heiligung als zeitliche Stufen eines ordo salutis interpretiert, damit „in das Erzählen der Seelengeschichte des christlichen Menschen"12 abgleitet, m. a. W. Rechtfertigung und Heiligung anthropologisch verifiziert: „Die spätere altprotestantische Dogmatik wollte iustificatio und sanctificatio als Stufen eines sog. ordo salutis verstehen, indem sie . . . unter diesem ordo salutis in zunehmendem Maß eine z e i t l i c h e F o l g e [verstand], in der der Heilige Geist seine Wirkungen - die Auswirkungen der dort, damals, auf Golgatha vollbrachten Versöhnung - heute und hier im Menschen hervorbringe. Es entsprach das nur zu sehr der zeitlichen Folge, als die man sich in der Christologie der alten Dogmatik das Verhältnis zwischen Christi Erniedrigung und Erhöhung vorstellig machte. Es entsprach m. a. W. der historischen Pragmatik in der Christologie eine psychologistische in der sog. Soteriologie."13 In Auseinandersetzung mit diesem zeitlich-historisierenden Denken in der Christologie und dem psychologisierenden Denken in der Soteriologie - insbesondere in der altprotestantischen Orthodoxie, aber nicht nur dort! - geht es Barth positiv zunächst um das zeitliche simul der Erniedrigung des Sohnes Gottes und der Erhöhung des Menschensohnes im Christusgeschehen, m. a. W. um das Ineinander von Erniedrigungsund Erhöhungsgeschichte14, sodann um das zeitliche simul der damals geschehenen Geschichte als gegenwärtiger Geschichte, um den übergreifenden Charakter der einmal geschehenen Geschichte, um Jesus Christus als die Gegenwart der damals geschehenen Geschichte: „Jesus Christus l e b t ' heißt: diese Geschichte g e s c h i e h t heute w i e die, ja a 1 s die, die gestern geschehen ist. Jesus Christus redet, handelt, regiert - das Alles heißt: diese Geschichte ist Gegenwart; sie ist, ob bekannt oder unbekannt, ob anerkannt oder nicht, das große entscheidende Ereignis heute, aktuellste Tagesgeschichte . . . Mit anderen Worten: daß Jesus Christus zu jeder Zeit i s t , heißt: daß zu jeder Zeit diese seine Geschichte g e s c h i e h t ." 1 5 In diesem christologischen simul, also dem Zugleich von Erniedrigungs- und Erhöhungsgeschichte und dem Zugleich der damals geschehenen Geschichte als gegenwärtiger Geschichte gründet für Barth das soteriologische simul von Rechtfertigung und Heiligung. Indem Barth die Rechtfertigung der christologischen Erniedrigungslinie und die Heiligung der christologischen Erhöhungslinie zuordnet, folgt: Rechtfertigung und Heiligung sind das zeitliche simul zweier verschiedener Momente der einen unteilbaren Aktion Gottes „in der Wiederherstellung und Erneuerung des Bundes" 16 . 11 14

Vgl. ebd. 567 f f . Vgl. ebd. 118, 122.

12 15

Ebd. 568. Ebd. 119; vgl. 122 f.

Ebd. " Ebd. 3.

18

183

Das Zugleich von Erniedrigung und Erhöhung, von dort und hier, begründet das Zugleich von Rechtfertigung und Heiligung. Rechtfertigung und Heiligung sind damit zwei Aspekte der einen Aktion Gottes tempore simul und „näher als in einem mathematischen Punkt verbunden" 1 7 . So kann Barth abschließend sagen: „In ihrer Einheit der sich erniedrigende Gott, der uns rechtfertigt, und der erhöhte Mensch, der uns heiligt [Koinzidenz von Erniedrigung und Erhöhung!], dort u n d hier, damals u n d heute [christologischer Geschichtsbegriff!], der eine lebendige Herr" 1 8 . Das christologische simul der Erfüllung des Bundes ist die Begründung des soteriologischen simul von Rechtfertigung und Heiligung. Kurz: Das zeitliche Zugleich von Rechtfertigung und Heiligung, das eine kerygmatisch-anthropologische Verklammerung von Rechtfertigung und Heiligung im Sinne Luthers unmöglich macht, gründet in dem zeitlichen Zugleich von Erniedrigung und Erhöhung, d. h. in dem simul der christologischen Erniedrigungs- und Erhöhungsgeschichte als der Erfüllung des Bundes Gottes. (2) Das christologische άσυγχύτως 19 : Gegenüber einem monistischen Denken, das das zeitliche simul als Identität versteht, präzisiert Barth weiter: Rechtfertigung und Heiligung sind und bleiben zwei real verschiedene Aspekte und Momente des einen ganzen Versöhnungsgeschehens. Barth sieht diese Unterscheidung in dem christologischen άσυγχύτως des Chalcedonense begründet: „Daß Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch in einer Person ist, heißt eben nicht, daß seine wahre Gottheit und seine wahre Menschheit eins und dasselbe . . . sind." 20 Die unio hypostatica, die Existenzeinheit des Sohnes Gottes mit dem Menschen Jesus von Nazareth meint eben nicht Identität 2 1 . Begründet das christologische άσυγχύτως das soteriologische, so folgt daraus in kritischer Abgrenzung gegen Luther: „ R e c h t f e r t i g u n g i s t ... n i c h t H e i l i g u n g ! Die Soteriologie kann, . . . bei Nichtbeachtung des ,unvermischt und unverwandelt', . . . auch daran kranken, daß sie die H e i l i g u n g in der R e c h t f e r t i g u n g verschwinden läßt. Etwa auf Grund des in der Tat überwältigenden Eindrucks des Trostes der als Rechtfertigung wirksamen und zu verstehenden Gnade! Etwa in der sehr richtigen Erwägung, daß eben die Rechtfertigung auf alle Fälle die beherrschende Voraussetzung der Heiligung ist! Etwa in der wieder sehr richtigen Einsicht, daß doch auch der geheiligte Mensch auch in seinen besten Werken der Rechtfertigung vor Gott schlechterdings bedürftig ist und bleibt! Etwa in der nicht unbegründeten Sorge, es könnte sich unter dem besonderen Titel der Heiligung zum Schaden der 17 18 20

184

Ebd. 569. Ebd. Ebd. 569.

" Vgl. ebd. 569 ff. Vgl. ebd. 55, 68 f.

21

Souveränität der Gnade so etwas wie eine vorlaufende oder nachträgliche Selbstrechtfertigung des Menschen einschleichen! Es konnten alle diese gewiß nicht abzuweisenden Überlegungen - etwa vom jüngeren L u t h e r . . . zu einem Monismus der theologia crucis und der Rechtfertigungslehre führen. In diesem Monismus konnte und kann dann die Notwendigkeit guter Werke nur etwas mühsam und beiläufig behauptet werden, konnte und kann dann mehr als ein etwas unbestimmtes Reden . . . von der Liebe, in der der Glaube tätig sei [!], manchmal nicht möglich werden." 2 2 (3) Das christologische άχωρίστως 23 : Gegenüber einem dualistischen Denken will Barth im Sinne des Inhalt-Form Schemas noch schärfer formuliert wissen: Rechtfertigung und Heiligung sind zwei zwar zu unterscheidende, aber dennoch untrennbar zusammengehörende Momente des einen Versöhnungsgeschehens in gegenseitiger Bezogenheit. Denn wo die Beziehung der Rechtfertigung auf die Heiligung vernachlässigt wird, kommt es zu einem faulen Quietismus, wo die Beziehung der Heiligung auf die Rechtfertigung vergessen wird, zu einem illusionistischen Aktivismus. Beide Abwege setzen eine Trennung von Inhalt und Form innerhalb der einen Wirklichkeit Jesu Christi voraus, beiden Abwegen ist aber angesichts des christologischen άχωρίστως eine Schranke gesetzt. „Das göttliche und das menschliche Wesen [sind] in dem einen Jesus Christus, der der Sohn Gottes ist, u n t e i l b a r vereinigt . . . Da ist also kein doppelter, sondern nur der e i n e Jesus Christus, der als solcher zugleich göttlichen u n d menschlichen Wesens . . . ist." 24 M. a. W.: Die Unmöglichkeit, die Heiligung in der Rechtfertigung aufgehen bzw. mit ihr gesetzt sein zu lassen (Luther), gründet nach Barth in dem christologischen άσυγχύτως und άχωρίστως, d. h. in der Unmöglichkeit, das Subjekt der Erniedrigung (den Sohn Gottes) und das Subjekt der Erhöhung (den Menschen Jesus), d. h. Inhalt und Form der Christusgeschichte zu vermischen oder zu trennen. Die Existenzeinheit des Sohnes Gottes mit dem Menschen Jesus von Nazareth ist unvermischbar wie auch unauflösbar. (4) Der christologische ordo25: Die Frage nach der Ordnung des Verhältnisses von Rechtfertigung und Heiligung beantwortet Barth auf doppelte Weise: 1. Der christologische ordo in seinem Begründungsverhältnis26 bedingt die Priorität der Rechtfertigung gegenüber der Heiligung, denn „kraft der Kondeszendenz [des Sohnes] Gottes . . . kommt es zu der Erhebung des Menschen in der Existenz des königlichen 22

23 24 Ebd. 570 f. Vgl. ebd. 571 f f . Ebd. 69. Vgl. ebd. 574 f f . : Das Begründungsverhältnis und die Teleologie von Rechtfertigung und Heiligung im Kreuz. 26 Vgl. ebd. 574: Die Erniedrigung gründet in der Erhöhung. 25

185

Menschen Jesus. . . . [Daraus folgt:] Kraft dessen, daß er von Gott . . . gerechtfertigt wird, wird er von ihm geheiligt"27. 2. Der christologische ordo in seiner Teleologie bedingt zugleich die Überordnung der Heiligung über die Rechtfertigung. Wie die Existenz des königlichen Menschen Jesus das Ziel der Erniedrigung des Sohnes Gottes, so ist die Heiligung das Ziel der Rechtfertigung. Barth geht es dabei um das Zugleich von kausalem und teleologischem Verständnis des Verhältnisses von Rechtfertigung und Heiligung. In der kausalen Sicht ist die Rechtfertigung als Grund und die Heiligung als Folge zu interpretieren, in der teleologischen Sicht ist die Rechtfertigung als Voraussetzung und die Heiligung als Ziel zu verstehen. Dieses Zugleich von kausalem und teleologischem Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung28 gründet für Barth in dem unumkehrbaren Begründungsverhältnis und der unumkehrbaren Teleologie innerhalb des christologischen ordo im Kreuz. Denn die Erhöhung gründet in der Erniedrigung, die Erniedrigung geschieht um der Erhöhung willen. Kurz: Die genaue Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Heiligung ist nach Barth nur christologisch zu erhellen. Die Zuordnung von Rechtfertigung und Heiligung spiegelt die christologische Zweiständelehre, den christologischen Geschichtsbegriff, die Zweinaturenlehre und das Begründungsverhältnis und die Teleologie der zwei Naturen und der zwei Stände im Kreuz wider. D. h. die Bestimmung von Rechtfertigung und Heiligung vollzieht sich mit Hilfe von Lehnsätzen aus der Christologie. b) Die Teleologie der Totalaspekte

von Rechtfertigung

und

Heiligung29

Ist die Zuordnung von Rechtfertigung und Heiligung in der Teleologie der zwei Stände im Kreuz begründet30, so wird das dynamisch-teleologische Zugleich der Totalaspekte (totus peccator - totus iustus/ sanctus), das nicht das Zugleich einer Balance, sondern das Zugleich einer unumkehrbaren Folge ist, aus der Teleologie von Kreuz und Auferstehung entfaltet. Die Teleologie der Stände als Dynamik der Wahrheitsgeschichte des Bundes (!) und die Teleologie von Kreuz und Auferstehung als Dynamik der Überwindungsgeschichte der Versöhnung (!) werden also auch hier von Barth unterschieden und aufeinander bezogt^ Ebd. D i e Rechtfertigung als causa der Heiligung, die H e i l i g u n g als Telos der R e c h t f e r tigung. 2 9 Die Teleologie von K r e u z und A u f e r s t e h u n g ; totus peccator - totus iustus/sanctus als das Zugleich einer unumkehrbaren Folge. 3 0 D i e Erhöhung ist in der Erniedrigung b e g r ü n d e t ; die Erniedrigung hat die Erhöhung zum Ziel. 27

28

186

Bei dem totus pecca tor - totus iustus/sanctus handelt es sich also „um zwei totale, darum um zwei nicht zu vereinigende, sondern sich aufs Äußerste widersprechende, um zwei sich gegenseitig ausschließende Bestimmungen" 31 ; „der g a n z e Mensch n o c h der alte, und wieder der g a n z e Mensch s c h o n der neue, beides in konträrem Gegensatz" 32 . Aber Barth präzisiert weiter: die beiden Totalaspekte, die das Zugleich des totus peccator und totus iustus/sanctus aussagen, sind „ganz und gar u n g l e i c h . Darum ist Ordnung und Folge in diesem Zugleich: R i c h t u n g und Z i e l s t r e b i g k e i t . Darum stehen der alte und der neue Mensch, die da zugleich sind, im Verhältnis eines terminus a quo und eines terminus ad quem" 33 . Ein statisches Zugleich der beiden Totalmomente ist nach Barth angesichts der Teleologie der Auseinandersetzung des neuen mit dem alten Menschen unmöglich, so „daß es bei jener Koinzidenz . . . des alten und des neuen Menschen, des homo peccator und des homo [iustus/] sanctus n i c h t b l e i b e n kann" 3 4 . Die Teleologie von Kreuz und Auferstehung nötigt dazu, das Zugleich beider Totalmomente nicht dualistisch, sondern „monistisch in der Richtung auf das V e r g e h e n , den T o d , das definitive E n d e . . . des Einen zugunsten des W e r d e n s , des L e b e n s . . . des Anderen" 3 5 zu verstehen. Die totale Auseinandersetzung der beiden Totalaspekte „zielt darauf, daß er [der Mensch] g a r n i c h t m e h r sein kann, der er war, n u r n o c h sein kann, der er sein wird" 3 6 . „Was er jetzt s c h o n g a n z ist [totus iustus/sanctus], das wird er in der Weise werden und sein dürfen, daß er ganz allein (unter Ausschluß dessen, was er jetzt noch ganz ist [totus peccator]) n u r noch eben das [totus iustus/sanctus] sein wird." 3 7 Die Begründung der Heiligung in der Rechtfertigung38 und die Zielgerichtetheit der Rechtfertigung auf die Heiligung39 ist aus dem Begründungsverhältnis der Erniedrigungs- und Erhöhungslinie im Kreuzi0 und aus deren Teleologie41 abgeleitet und wird von Barth der Wahrheitsgeschichte des erfüllten Bundes zugeordnet. Das Zugleich der Totalmomente (totus peccator - totus iustus/sanctus) und die Ungleichheit und Teleologie der Auseinandersetzung des zweiten mit dem ersten, d. h. die Teleologie der Totalmomente gründet in der unumkehrbaren Teleo31 33 35 37 38 39 40 41

32 K D IV/2, 646. Ebd. 647. 34 Ebd. Ebd. 648. 3 Ebd. 649. « Ebd. Ebd. 648. Die Heiligung als Folge, die Rechtfertigung als Grund. Die Heiligung als Ziel, die Rechtfertigung als Voraussetzung. Die Erhöhung gründet in der Erniedrigung. Die Erniedrigung geschieht um der Erhöhung willen.

187

logie von Kreuz und Auferstehung und wird von Barth der Überwindungsgeschichte der Versöhnung zugeordnet. Wird die Zuordnung von Rechtfertigung und Heiligung an dem Begründungsverhältnis und der Teleologie der Stände im Kreuz entfaltet, so wird das Zugleich der beiden Totalmomente (totus peccator - totus iustus/sanctus) und ihre Zielgerichtetheit von Barth an der Teleologie von Kreuz und Auferstehung expliziert. „Es ist s e i n Sterben am Kreuz, in welchem w i r als alte Menschen gestorben - und s e i n Auferstehen in welchem w i r als neue Menschen auferstanden sind." 42 Die Begründung von Rechtfertigung und Heiligung in und ihre Zuordnung zu der Teleologie von Erniedrigung und Erhöhung im Kreuz ist also von der Zuordnung der dynamisch-teleologischen Totalaspekte (totus peccator - totus iustus/sanctus) zu der Teleologie von Kreuz und Auferstehung zu unterscheiden. Auch hier wird von Barth die Wahrheitsgeschichte von Rechtfertigung und Heiligung als Erfüllung des Bundes in Erniedrigung und Erhöhung im Kreuz von der Überwindungsgeschichte, d. h. der Auseinandersetzung des neuen mit dem alten Menschen in Kreuz und Auferstehung unterschieden. Die prädestinatianische Implikation dieser Unterscheidung zwischen der Wahrheitsgeschichte des Bundes in Rechtfertigung und Heiligung und der Uberwindungsgeschichte der Versöhnung in der teleologischen Auseinandersetzung zwischen dem totus peccator und dem totus iustus/ sanctus zeigt sich im folgenden: c) Die prädestinatianische Verankerung gung als Kategorie der Wahrheitsgeschichte

von Rechtfertigung des Bundes

und

Heili-

In seiner christologischen Grundlegung der Heiligung 43 stellt Barth bewußt den prädestinatianischen Wahrheitsaspekt der in Jesus Christus geschehenen Erhöhung des Menschen zu Gott an den Anfang 44 . Der erhöhte Mensch Jesus von Nazareth ist entscheidend der erwählte Mensch. Die menschliche Geschichte Jesu Christi, die Erhöhung des Menschensohnes, ist der wesentliche wahre Inhalt des Bundeswillens Gottes. Jesus Christus als der erwählende Gott und als der erwählte Mensch ist beides: „als Gottessohn der . . . seine eigene Erniedrigung E r w ä h l e n d e , als Menschensohn [ = Mensch] der von G o t t . . . zu seiner eigenen Erhöhung E r w ä h l t e." 45 Mit dem Verweis auf die Erwählung des Menschen Jesus verfolgt Barth in diesem Zusammenhang die Intention, die Verklammerung von Rechtfertigung und Heiligung aller Zufälligkeit und Beiläufigkeit zu entkleiden, insofern sie damit der Wahrheitsgeschichte des erfüllten 42 44

188

K D IV/2, 659 f. Vgl. ebd. 32-38.

43 45

Vgl. ebd. 20 f f . Ebd. 33.

Bundes und nicht der antithetisch am „Zwischenfall der Sünde" orientierten Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung zugeordnet wird. Die Heiligung ist kein Implikat der mit der Sündenvergebung identischen Rechtfertigung (Luther), sondern hat nach Barth das volle Gewicht der in der erfüllten Bundesgeschichte der Erniedrigung Gottes folgenden Erhöhung des Menschen Jesus von Nazareth. Und die daraus folgende soteriologische Konsequenz besagt im Sinne Barths: „Alles Folgende hängt daran, daß dieser Nagel sitzt. Der versöhnte [geheiligte] Mensch ist nicht bloß ein Schatten des versöhnenden [rechtfertigenden] Gottes . . . Die Heiligung ist nicht nur ein Appendix zur Rechtfertigung." 46 „So weit oben ist die Entscheidung über des Menschen Heiligung beschlossen."47 M. a W. : Die aller Zufälligkeit und Beiläufigkeit entkleidete Notwendigkeit, mit der die Heiligung auf die Rechtfertigung folgt, gründet nach Barth in der christologischen Tiefendimension der Erwählung, d. h. in der prädestinatianischen Verankerung von Rechtfertigung und Heiligung in der Wahrheitsgeschichte des in Jesus Christus erfüllten Bundes. d) Das universale extra nos der Rechtfertigung signifikative Zeugendienstiä

und Heiligung

und der

In der christologischen Grundlegung „die Weisung des Sohnes" geht es Barth in einer erneuten Übergangsüberlegung um den Aufweis des inklusiven, des repräsentativen, des alle Menschen einschließenden Charakters des erwählten Menschen Jesus von Nazareth. In der Auferstehung Jesu Christi von den Toten ist der Übergriff des königlichen Menschen auf alle Zeiten und Räume (Geschichtsbegriff!), d. h. die Einbeziehung aller Menschen, die Umschließung und Beherrschung unseres, des anthropologischen Bereiches durch den königlichen Menschen Jesus von Nazareth bereits Ereignis und Wirklichkeit geworden49. „Es ist gerade die besondere Geschichte dieses E i n e n im konkretesten Sinn des Begriffs W e l t geschichte", die „in diesem E i n e n für a l l e Menschen . . . o b j e k t i v w i r k l i c h ist" 5 0 . Barth redet hier von dem „ o n t o l o g i s c h e n Zusammenhang zwischen dem Menschen Jesus . . . und allen anderen Menschen" 51 Aus diesem christologischen Obersatz folgt für Barth hinsichtlich der Soteriologie 52 : Jesus Christus ist der königliche Mensch, in welchem aller Menschen Heiligung Wirklichkeit ist, in welchem „die Versöhnung der Welt mit Gott in ihrer Gestalt als Heiligung" 53 Ereignis ist. „Nach 46

"

48

Ebd. 37. Vgl. ebd. 2 9 3 - 3 1 1 , 5 7 8 - 5 8 9 . 5 » Ebd. 298 f. 5 2 Vgl. ebd. 578 ff.

49 51 53

Ebd. 586. Vgl. ebd. 295, 3 3 2 - 3 3 6 . Ebd. 305. Ebd. 578. 189

Barth ist in Jesus Christus" - so hat W. Kreck diesen fundamentalen Sachverhalt im Sinne Barths zusammengefaßt - „die Rechtfertigung und Heiligung aller bereits geschehen und wirksam, weil er als der erniedrigte Sohn Gottes zugleich der geheiligte Mensch ist, an dem wir andern Anteil haben... Nach Barth sind - in charakteristischem Unterschied zur reformatorischen Auffassung [!] - Rechtfertigung und Heiligung de iure bereits in Christus an allen Menschen vollzogen, es geht im Glauben und im Gehorsam des Menschen um das de facto, d. h. die durch den heiligen Geist bewirkte Entsprechung, die darin besteht, daß das vollendete Heilsgeschehen durch den Christen bezeugt wird" 54 . Die de iure für alle Menschen in Jesus Christus verwirklichte, de facto aber nur von einem besonderen Volk ergriffene Rechtfertigung und Heiligung bestimmt die Gemeinde funktional zur vorläufigen Antizipation und Darstellung der Bestimmung der Existenz aller Menschen55. Die von Barth gebrauchten Begriffe: ontologischer Zusammenhang, inklusive, alle Menschen repräsentierende Existenz des Menschen Jesus sind dabei als dynamische, die Geschichte umgreifende, teleologische und prospektive Aussagen zu interpretieren. Die Rechtfertigung und Heiligung der Gemeinde geschieht deshalb teleologisch mit dem Fernziel der Rechtfertigung und Heiligung aller Menschen und der ganzen Welt. Das de facto der Rechtfertigung und Heiligung noch erst der Gemeinde und noch nicht der Welt kann von dem universalen de iure der Rechtfertigung und Heiligung aller Menschen her gerade nur als ein zu transzendierendes und nicht als ein endgültiges de facto verstanden werden. Diesem christologisch-universalen extra nos der in Christus verwirklichten Rechtfertigung und Heiligung aller Menschen entspricht auf der anthropologischen Ebene nicht etwa deren Verwirklichung. Denn das de iure der universalen Rechtfertigung und Heiligung ist nicht lediglich als universale Bestimmung, die noch ihrer entscheidenden Verwirklichung bedarf, zu verstehen, sondern das universale Extra nos der Rechtfertigung und Heiligung ruft nach Entsprechung und Bezeugung zu dem in Jesus Christus bereits verwirklichten Gerecht- und Heiligsein jedes Menschen. Das christologisch-universale extra nos verlangt nach der sich in Gehorsam und Liebe vollziehenden, bezeugenden Entsprechung des Menschen, denn „des Menschen in diesem E i n e n geschehene Heiligung i s t ihre [aller Menschen] Heiligung" 56 . D. h. nicht die sakramentale promissio in Verkündigung, Taufe und Herrenmahl (Luther), sondern der Zeugendienst der Gemeinde als Antizipation der neuen Menscheit gegenüber der Welt einerseits und die damit notwendig gesetzte kritische Differenz zur bestehenden Gesellschaft 54 55

190

Kreck, Grundfragen 316. Vgl. KD IV/2, 578, 304 f.

56

Ebd. 582.

und Welt des Menschen andererseits werden damit im Sinne Barths zu den entscheidenden notae ecclesiae. Barth selbst hat die die Gemeinde kennzeichnenden Momente der signifikativen Antizipation und kritischen Differenz so beschrieben: „Des Menschen Heiligung, seine Umkehrung zu Gott hin, ist also wie seine Rechtfertigung eine de iure der Welt und also allen Menschen widerfahrene Veränderung und Neubestimmung. Sie widerfährt aber de facto nicht allen Menschen, wie ja auch ihre Rechtfertigung de facto nur von den zum Glauben Erweckten als ihre eigene Rechtfertigung ergriffen, anerkannt, erkannt und bekannt wird. Eben diesem Volk dieser Menschen widerfährt auch die Heiligung. Den Umfang und die Angehörigen dieses Volkes kennt Gott allein. Die Einladung, zu ihm zu gehören, ergeht an a l l e Menschen. Wohl ist es nicht identisch mit der Menscheit als solcher, wohl ist es ein besonderes Volk besonderer, weil von Gott inmitten aller Anderen beiseite genommener, allen Anderen gegenübergestellter Menschen. Diese seine Sonderexistenz ist aber nicht Selbstzweck. Es ist den Anderen, der Menscheit als solcher gegenübergestellt zur .vorläufigen Darbringung der Dankbarkeit, zu welcher die g a n z e Welt durch die Tat der Liebe Gottes bestimmt ist'. Es ist die lebendige Verheißung des positiven Sinnes, den Gott in der Tat der Versöhnung nicht nur seiner, sondern der Existenz a l l e r Menschen wiedergegeben hat. Es ist der Zeuge der Liebe, mit der Gott eben die W e l t geliebt hat. Was ihm de facto widerfahren ist, ist de iure allen Menschen widerfah-

2. Der Vergleich zwischen Luther und Barth a) Die christologische Begründung bei Luther und Barth

der Rechtfertigung

und der

Heiligung

Luther begründet die Rechtfertigung christologisch durch den Verweis auf den „fröhlichen Wechsel", in dem Christus die Sünde übernimmt und der Mensch der Gerechtigkeit Christi teilhaftig wird 58 . Luther kann auch die Heiligung christologisch begründen: Zur Begründung der Heiligung, d. h. der Werke gegenüber dem Nächsten wird Christus bzw. die in Phil. 2,6 ff. ausgesagte Erniedrigung Christi „zu einem Exempel angeführt" 59 . So soll der Christ, „ob er nun ganz frei ist. . . seinem Nächsten helfen, mit ihm verfahren und handeln, wie Gott mit ihm durch Christus gehandelt hat: und gegen meinen Nächsten auch werden ein Christ, wie Christus mir geworden ist" 6 0 . " 58 59

Ebd. 578. Vgl. Luther, De Libertare, These 12: W A 7, 25,34. Ebd. These 2 6 : W A 7,35,13. Ebd. These 2 7 : W A 7,35,25 ff.

191

Die Heiligung kann auch analog zu Römer 6 auf die Auferstehung Christi begründet werden: „Resurrectio et Vita Christi e s t . . . causa, i. e. efficax sacramentum nostrae spiritualis resurrectionis." 61 „Die Auferstehung des Christus ist der Realgrund der Heiligung des Christen. Alles, was sich auf dem Wege dieser Heiligung . . . vollzieht, ist ein fortschreitendes Wirklichwerden der Auferstehung Christi an uns selbst." 62 Wenn auch Luther die Rechtfertigung (fröhlicher Wechsel) und die Heiligung 63 jeweils christologisch begründen kann, so werden dennoch Rechtfertigung und Heiligung christologisch nicht verklammert, erfährt also das „Und" bei Luther keine christologische Begründung. Rechtfertigung und Heiligung können also von Luther jeweils christologisch begründet werden, nicht aber werden die Verklammerung von Rechtfertigung und Heiligung, ihre Einheit und Verschiedenheit christologisch begründet. Barth hat demgegenüber mit Hilfe der Christologie, d. h. der Zweinaturenlehre, der Zweiständelehre, der Teleologie der Erniedrigungs- und Erhöhungsgeschichte im Kreuz, mittels der Teleologie von Kreuz und Auferstehung und mittels des christologischen Geschichtsverständnisses eine christologische Begründung der Art und Weise der Zuordnung von Rechtfertigung und Heiligung zu geben versucht. b) Die kerygmatische bei Luther

Verklammerung

von Rechtfertigung

und

Heiligung

Heiligung im Sinn von regeneratio und renovatio gehört bei Luther zur Rechtfertigung. „Die Gerechtigkeit, die dem Menschen in der Rechtfertigung übereignet wird, ist der Ursprung seines beginnenden eigenen Gerechtwerdens. Die Heiligung ist mit dem Rechtfertigungsgeschehen selbst gesetzt." 64 Rechtfertigung impliziert zugleich regeneratio und renovatio. Denn es „gehört zur Verheißung des Evangeliums auch der Geist, der ein Neues wirkt im Leben der Liebe als der Erfüllung des Gesetzes" 65 . Die Heiligung ist die Wirkung der Rechtfertigung beim Menschen, deren Folge und Konsequenz, denn „Gerechtigkeit und Geist gehören zusammen wie iustificatio und sanctificatio" 66 . Die Heiligung ist die Bewahrung der Rechtfertigung; d . h . : die Rechtfertigung hat realisierende 61 WA 56,51,20 ff.: „Die Auferweckung und das Leben Christi i s t . . . der Realgrund, d. h. das wirksame Sakrament unserer geistlichen Auferweckung." 62 Joest, Gesetz 95. 63 Die Erniedrigung Christi als Exempel, die Heiligung als fortschreitendes Wirklichwerden der Auferstehung Christi am Menschen. 64 K. Bornkamm, Luthers Auslegungen 84. 65 H. E. Weber, Reformation 1/1, 24. · · Iwand, N W IV 125.

192

Kraft. Die forensische Rechtfertigung ist also Luther zufolge zugleich effektive Heiligung beim Menschen. „In dieser Sicht kann es keine Trennung zwischen Gerecht erklärung und Gerecht machung geben. Weil jene schöpferisch ist, ist die Rechtfertigung die anhebende Erneuerung." 67 M. a. W.: Rechtfertigung ist ein schöpferisches Geschehen am Menschen mit effektiver Wirkung in der Heiligung68. Barth zufolge ist die Heiligung nicht die effektive Wirkung der durch die sakramentale promissio vermittelten Rechtfertigung des Menschen. Vielmehr sind Rechtfertigung und Heiligung Ereignis und Wirklichkeit extra nos in der Geschichte Jesu Christi. Die Heiligung ist nicht die Wirkung der Rechtfertigung beim Menschen, sondern selber wie die Rechtfertigung Moment der Geschichte Jesu Christi. Von dieser christologischen Begründung her ist es Barth möglich, nicht nur die Heiligung im Sinne Luthers als Wirkung der Rechtfertigung als causa, sondern auch die Heiligung als das Telos der Rechtfertigung als Voraussetzung zu bezeichnen. Die Heiligung als effektive Wirkung der durch die sakramentale promissio vermittelten Rechtfertigung des Menschen (Luther) und die Geschichte Jesu Christi als das universale Ereignis und die universale Vermittlung von Rechtfertigung und Heiligung, die zur menschlichen Entsprechung rufen (Barth), stehen sich also hier gegenüber. c) Das effektive Wortes Gottes

(Luther) und das signifikative

(Barth) Verständnis

des

Das Verständnis des Wortes Gottes als eines schöpferischen Wortes in Luthers Berufung auf Dtjs. 40,8; 50,10 f.: „das Wort tut, was es sagt" ist die Begründung für Luthers Verständnis der Heiligung als der effektiven Wirkung der Rechtfertigung beim Menschen. Denn „das Geltung setzende Wort [Gottes] hat realisierende, Wirklichkeit setzende Kraft" 6 9 . Das rechtfertigende Urteil Gottes ist eine die Heiligung schaffende wirksame Macht. Die Einheit von Wort und Geist bei Luther bringt diesen gleichen Sachverhalt zum Ausdruck: Für Luther ist im Anschluß an Gal. 3,1 ff. die forensische Rechtsprechung zugleich der Empfang des Geistes. „Das Urteil, das rechtfertigt, und die Ausgießung des Geistes, der heiligt, sind ein unteilbares Ganzes." 70 Anders als bei Luther ist bei Barth die übergreifende Geschichte Jesu Christi, in der die Rechtfertigung und Heiligung aller Menschen de iure 6 7 Kinder, in: RGG 3 V 835. «8 Vgl. Joest, Gesetz 82 ff.; vgl. Iwand, N W I 71-75. 69 Joest, Gesetz 86; vgl. Iwand, N W V 142-144. 7 0 Joest, Gesetz 86.

13

Klappert, Promissio

193

schon Ereignis geworden ist, das eigentliche, alle Menschen bereits umgreifende Wort Gottes71. Dieser übergreifenden Wortgeschichte Jesu Christi, in der des Menschen Rechtfertigung und Heiligung bereits Ereignis ist, steht die Entsprechung des Menschen gegenüber, wobei auch das Wort der Verkündigung als menschliche Entsprechung zu dieser übergreifenden, selbstsprechenden Geschichte Jesu Christi verstanden wird. Das Wort der Verkündigung und die der in Jesus Christus universal geschehenen Rechtfertigung und Heiligung entsprechende Antwort des Menschen sind Entsprechungen zu der übergreifenden Wortgeschichte Jesu Christi. Die Verkündigung und die menschliche Antwort der Entsprechung können diese Geschichte also nur „begleiten, erläutern, beleuchten" 72 . Das effektive Verständnis des Wortes Gottes, das die Heiligung schöpferisch beim Menschen wirkt (Luther), und das christologische Verständnis des Wortes Gottes als übergreifende Geschichte Jesu Christi, in der Rechtfertigung und Heiligung aller Menschen schon verwirklicht sind, die in der Prophetie Jesu Christi worthaft anredet und der signifikative Verkündigung, signifikativer Glaube und signifikative Werke des menschlichen Gehorsams antworthaft entsprechen (Barth), stehen sich also hier gegenüber. d) Die anthropologische gung bei Luther

Verklammerung

von Rechtfertigung

und Heili-

Für Luther ist der durch den heiligen Geist gewirkte Glaube, der zu Werken überfließt, eine schöpferische Größe: „Fatemur opera bona fidem sequi debere, imo non debere, sed sponte sequi, sicut arbor bona non debet bonos fructus facere, sed sponte facit." 73 Die anthropologische Verklammerung der Rechtfertigung mit der Heiligung durch die Begriffsschemata: innerer und äußerer Mensch, Person und Werk 74 , Baum und Frucht, das gegen das aristotelische Denken von der durch Einzelakte konstituierten Person gerichtete Beispiel von dem Tischler, der gute Tische macht, haben hier ihren Ort. „Weil denn Wesen und Natur des Menschen keinen Augenblick sein kann, ohne etwas zu tun" (Luther)75, werden aufgrund der Einheit von Sein und Tun beim Menschen die Werke als spontaner Ausfluß des Glaubens verstanden. „Sit ergo in Theologia fides perpetuo divinitas Vgl. K D IV/3. K D IV/4, 35. 7 3 W A 39/1,46,28 ff.: „Wir bekennen, daß gute Werke dem Glauben folgen müssen, vielmehr nicht müssen, sondern spontan folgen, wie ein guter Baum nicht gute Früchte hervorbringen muß, sondern von selbst hervorbringt."; vgl. Iwand, N W V 141 ff. 7 4 Vgl. Iwand, N W IV 5 6 - 8 0 ; V 146. 7 5 W A 6,212. 71 72

194

operum."76 Analoges gilt für den im Sermon von den guten Werken von Luther entwickelten und schon erwähnten Grundgedanken, daß mit dem Glauben als der Erfüllung des ersten Gebotes unmittelbar der Übergang zu guten Werken gegeben ist. Die Verklammerung von Rechtfertigung und Heiligung wird hier von Luther mittels anthropologischer Begriffsschemata erläutert. Barths Ausführungen77 zufolge ist der Glaube nicht in der Weise schöpferisch, daß er das gute Werk zur Folge hat. Ist die Geschichte Jesu Christi das gute Werk Gottes, so ist das gute Werk des Menschen nicht aus seinem Glauben zu folgern. Vielmehr wird im Sinne Barths der Glaube des Menschen zur Antwort und sein Werk zur Bezeugung des guten Werkes Gottes in Jesus Christus, werden also - im Unterschied zu Luther - Glaube und Werke nicht voneinander abgeleitet, vielmehr beide als menschliche Entsprechung und menschliche Antwort auf die Geschichte Jesu Christi verstanden. Das gute Werk ist nicht die Folge der schöpferischen Spontaneität des Glaubens (Luther), sondern das Werk des Menschen ist darin gut, daß es das allein gute Werk Gottes in Jesus Christus bezeugt (Barth). Anders formuliert: Im Unterschied zum signifikativen Verständnis von Glaube und Werk bei Barth sind Luther zufolge die Werke zugleich die Königsherrschaft Jesu Christi in ihrem Kommen78. „Diese Werke sind" - wie Melanchthon im Gefolge Luthers am deutlichsten formuliert hat - „die certamina Christi, per quae repressit diabolum" 79 , ja sie sind „Kampfhandlungen Christi", denn „per haec opera triumphat Christus adversus diabolum" 80 . Dem strengen Verständnis des Werkes als eines signifikativen Verweises auf die Kampfesgeschichte der Prophetie Jesu Christi bei Barth steht also bei Luther das „sakramental-instrumentale" Verständnis der Werke als eines mitwirkenden Vollzuges der Überwindung der gottfeindlichen Mächte gegenüber. M. a. W.: Der Entsakramentalisierung der Verkündigung entspricht bei Barth auch eine Entsakramentalisierung der Werke, wie dem signifikativen Verständnis der Verkündigung zugleich ein signifikatives Verständnis der Werke parallel geht. Von diesem signifikativen Verständnis auch der Werke als der Bezeugung der in Jesus Christus universal schon verwirklichten Heiligung aller Menschen her ist es für Barth noch einmal unmöglich, im Sinne Lu7 6 W A 40/1,417,15 f.: „Es soll also in der Theologie der Glaube beständig die Gottheit der Werke sein." 7 7 Vgl. K D IV/2, 660 ff. „Das Lob der Werke.« 7 6 Vgl. Wolf, Per. II, 11 ff., 19; vgl. Per. I 128 f. 7 9 Per. II 19: „Diese Werke sind die Kampfhandlungen Christi, durch welche er den Teufel besiegt" (Melanchthon). 8 0 Ebd. 2 0 : „Durch diese Werke [der Heiligung] triumphiert Christus über den Teufel" (Melanchthon).

13"

195

thers die Heiligung als die schöpferische Auswirkung der Rechtfertigung beim Menschen in der Weise zu verstehen, daß sich in der Heiligung „das schöpferische Geschehen der Rechtfertigung in das instrumentale Handeln des Gerechtfertigten aus [wirkt]" 8 1 und der Mensch zwar nicht in der Rechtfertigung, wohl aber in der Heiligung „zum ,Mitwirker Gottes" 82 werde. Von daher ist Barths implizite Auseinandersetzung mit dem soeben zitierten Aufsatz von E. Wolf zu verstehen, und d. h. mit einem Verständnis der Rechtfertigung, demzufolge „alles Andere [seil, die Heiligung und die Werke] nur noch . . . Konsequenz . . . oder Nachwort" der Rechtfertigung sein soll 83 . e) Die christologische bei Barth

Fassung des Totalaspekts

und des

Partialaspekts

. Luther kennt neben dem Totalaspekt (totus peccator - totus iustus) einen Partialaspekt (partim peccator - partim sanctus). Deshalb heißt es bei H. ]. Iwand: „ W e n n . . . Luther sagt, der Christ sei gerecht und Sünder zugleich, dann will er dies nicht verstanden wissen im Sinne eines unentschiedenen Ringens, sondern er fügt hinzu, dieses Ineinander der beiden Mächte sei immer schon ein Übereinander; der Mensch lebt wohl in der Dämmerung und die Schatten der Nacht ringen mit den Strahlen des Lichtes, aber es ist nicht die Dämmerung des sinkenden Tages, sondern die des anbrechenden Morgens. Die Sünde ist im Weichen, sie hat die Schlacht verloren, die neue Gerechtigkeit Gottes zieht herauf." 8 4 Die Partialaussage will dabei der aufgrund der Rechtfertigung anfangenden Erfüllung des Gesetzes 85 , den primitiae spiritus, den anfangenden Wirkungen des Geistes, Rechnung tragen: der Partialaspekt meint bei Luther den Progressus der Heiligung innerhalb der Wirklichkeit des Menschen. „Nachdem wir in Christus das ,totus iustus' ergriffen haben, muß nun ein ,partim iustus' [ = sanctus] an uns selbst reale und immer wachsende Wirklichkeit werden" 8 6 . Im Unterschied zu Luther wird bei Barth (1) der Totalaspekt nicht als ständiger transgressus vom anthropologischen Bereich quoad nos zum christologischen Geltungsbereich quoad Christum 87 , sondern als Wirklichkeit des Christusgeschehens selber verstanden: der Mensch in Christus totus peccator - der Mensch in Christus totus iustus. 81

Ebd. 20; vgl. Per. I 128 f. und Barth K D III/4, 596 f. 83 Wolf, Per. II 20. K D IV/1, 581. 84 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, 22. 85 Vgl. Joest, Gesetz, 67. 8 « Ebd. 68. 87 Vgl. ebd. passim, auch Iwand, Glaubensgerechtigkeit 21 : Der Mensch ist „beides total: ganz Sünder und ganz gerecht . . . Der Mensch erkennt dann in sich [!] sein 82

196

(2) Zugleich wird über Luther hinaus der Totalaspekt auch auf die Heiligung übertragen: totus peccator - totus sanctus, und auch diese Totalaussage christologisch begründet. „An der strengen Anwendung von L u t h e r s : simul (totus) iustus, simul (totus) peccator auch auf den Begriff der Heiligung [!] und also der Umkehr hängt es, ob das mit diesem Begriff bezeichnete Geschehen in seiner Tiefe gesehen und in dem ihm zukommenden Ernst verstanden wird." 88 (3) Die von Barth vollzogene Übertragung des Totalaspektes der Rechtfertigung über Luther hinaus auch auf die Heiligung und deren christologische Begründung in der Erhöhung Jesu Christi im Kreuz hat aber zur Folge, daß Barth den Partialaspekt Luthers durch die Teleologie von Kreuz und Auferstehung ersetzt: dadurch wird es Barth möglich, das Zugleich der Totalaspekte (totus peccator - totus iustus/sanctus) mit der Teleologie ihrer Auseinandersetzung89 zusammenzudenken und damit das Anliegen des Partialaspektes bei Luther sachlich besser zum Zuge zu bringen. (4) Die Bewegung im anthropologischen Bereich ist dabei im Sinne Barths zugleich ständiger „transgressus", d. h. Umkehr wird von Barth in positiver Aufnahme von Luthers bekannter erster These von 1517 als die durchgehende Bewegung des ganzen Lebens ausgesagt: „Es geht schließlich nicht an" - so heißt es deshalb bei Barth - „des Menschen Umkehr als die Sache b l o ß e i n e r Z e i t seines Daseins zu verstehen, der dann ändere folgen würden, in denen er auf das damals Geschehene . . . zurückblicken könnte . . . Ist es die offenbare Wahrheit, daß G o t t für ihn, er selber für G o t t ist, die ihn zur Umkehr nötigt, in diese Bewegung versetzt, dann ist diese eine nicht abbrechende, sondern durchgehende Bewegung seines g a n z e n Lebens. Sie erschöpft sich also nicht in einem einmal vollzogenen besonderen Akt, sie vollzieht sich auch nicht in einer Reihe solcher besonderen Akte - wie wäre sie sonst Sache des ganzen Menschen? - sondern sie wird und ist Inhalt und Charakter seines Lebensaktes als solchen"90. Die Umkehr als die durchgehende Bewegung des ganzen Lebens eines Menschen schließt dabei im Sinne Barths auch ein Element des Wachsens und der Kontinuität ein, wobei Luthers Partialaspekt von Barth als immer bestimmtere Bewegung der Entsprechung interpretiert wird: „Heilig leben heißt: von der Mitte jener offenbaren Wahrheit her durchhaltend immer beVerlorensein, in Christus [ ! ] seine Rettung, in sich die Macht der Sünde, in Christus ihre Ohnmacht". 8 8 K D IV/2, 646 f. 8 9 Der alte Mensch als das Hereinstehen der im Kreuz gerichteten Vergangenheit des Menschen noch in die Gegenwart - der neue als das Hereinstehen der in der Auferstehung eröffneten Zukunft des Menschen schon in die Gegenwart. 90

K D IV/2, 640 f.

197

stimmter aufgehalten und vorwärts getrieben sein und also immer aufrichtiger, immer gründlicher, immer ausgeprägter in der Umkehr leben." 91 Diese Bewegung im anthropologischen Bereich wird dabei - im Unterschied zu Luther - von Barth als de facto 92 sich vollziehende Entsprechung zur perfektisch-teleologischen Bewegung im christologischen Bereich verstanden93. f) Die Differenz

der Front bei Luther und Barth

Luthers Front ist die „scholastische Vergesetzlichung des Evangeliums vom Christus - legislator" 94 , ist der katholische Nomismus, demzufolge die Erfüllung des Gesetzes als Ziel und Endzweck und die Gnade als Erfüllungsmächtigkeit des Gesetzes verstanden wird. Das Gesetz ist norma agendi, das Evangelium ist vis agendi. Demgegenüber betont Luther, obwohl selber kein Antinomist, die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Luther steht, worauf Barth 95 aufmerksam gemacht hat, von daher zugleich in der Front gegen die katholische Verklammerung von Rechtfertigung und Heiligung, d. h. gegen die Interpretation der Rechtfertigung als des Anfangs der Heiligung, bzw. der Heiligung als der Vollendung der Rechtfertigung. Gegenüber dieser „Werkgerechtigkeit" will Luther die Rechtfertigung so zur beherrschenden Voraussetzung der Heiligung machen, daß er die Heiligung lediglich als Implikat und Folge der Rechtfertigung, das gute Werk lediglich als Aus flu β der schöpferischen Spontaneität des Glaubens begreift. Der Sicherung der Rechtfertigung gegenüber einer die Rechtfertigung konditionierenden Heiligung dient Luthers Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Barths christologische Verklammerung von Rechtfertigung und Heiligung ist in einer doppelten Front zu sehen: (1) Die im Neuprotestantismus erfolgte Anthropologisierung von Rechtfertigung und Heiligung: H. J. Iwand hat diese neuprotestantische Front und ihre moderne Gestalt so beschrieben: Luther zufolge „muß der Mensch aufgehoben werden . . . ,hominem potius auferri peccato remanente', während der ,sensus humanus', also der humanistisch ausgerichtete Geist, bestrebt ist, ,peccatum auferri homine remanente', daß also der M e n s c h die Einheit sei, d a s U n w a n d e l b a r e , an dem [!] Sünde und Gerechtigkeit abwechseln. Der Mensch muß ,erhalten bleiben'! . . . Nein, sagt Luther, der Mensch muß nicht erhalten bleiben, sondern der Mensch muß untergehen, sterben, aufgehoben werden" 96 . 91 93 95 98

198

9 2 Vgl. ebd. 589 ff. Ebd. 641. 9 4 Wolf, in: R G G 3 II 1523. Vgl. ebd. 660. Vgl. K D IV/2, 570 f. Iwand, N W IV 2 6 9 ; vgl. Joest, Gesetz 58 f., 92 f.

„Das kann man aber nicht begreifen, solange man die Rechtfertigungslehre darauf aufbaut, daß sie sich . . . am Selbstverständnis des Glaubens erweisen lasse. Denn diese Identität ist ja prinzipiell durchbrochen . . . Nicht das Ich Adams, also des Menschen ihm inhärentes Selbstverständnis, umschließt christliche und vorchristliche Existenz . . . sondern umgekehrt: C h r i s t u s umschließt beides: die Existenz des alten u n d des neuen Menschen."97 Gegenüber dieser im Neuprotestantismus und bis in die Gegenwart hinein erfolgten Anthropologisierung von Rechtfertigung und Heiligung, der zufolge Rechtfertigung und Heiligung ein Geschehen und einen Ubergang am Menschen im Rahmen der Identität des Subjektes bezeichnen, werden bei Barth in Aufnahme der Intention Luthers die Totalaspekte von Rechtfertigung und Heiligung, das Gestorbensein des alten und Auferwecktsein des neuen Menschen98 ernstgenommen, als christologische Sätze interpretiert und - darin zugleich im Unterschied zu Luther - mit der Teleologie von Kreuz und Auferstehung verklammert. (2) Das Phänomen des totalen Weltanschauungsstaates: Gegenüber der Ineinssetzung von Gesetz und Gewissen, Gesetz und Volksnomos, Gesetz und Geschichte usw. und gegenüber dem Totalitätsanspruch des Staates und der Gesellschaft wird bei Barth nicht nur die kosmische, universale Dimension von Rechtfertigung und Heiligung99 ausgesagt, sondern in Abgrenzung gegenüber der in der reformatorischen Theologie Luthers erfolgten ekklesiologischen Restriktion von Rechtfertigung und Heiligung der in Christus ergangene Zuspruch der Rechtfertigung als totaler und universaler Anspruch auf das ganze Leben und alle Menschen deutlich gemacht (Barmen II). Denn - so fragt Barth - „kann man übersehen, daß in der Bibel gerade das Werk der souveränen Gnade Gottes als Werk Jesu Christi und des Heiligen Geistes des Menschen Heiligung in ihrer Eigenart gegenüber seiner Rechtfertigung in sich schließt? . . . Versteht man sie nämlich nicht auch als heiligende Gnade . . . so wird es eigentlich unvermeidlich, daß man im Ausblick nach einer doch wohl unentbehrlichen N o r m der christlichen Lebensgestaltung am Evangelium vorbei - in welchem man ja nur das Trostwort von der Rechtfertigungsgnade zu hören vermeint [!] - nach irgend einem durch . . . naturrechtliche [!] Erwägungen oder auch einfach nach irgend einem nach historischer Konvenienz geformten G e s e t z [!] fragen und greifen muß. Was dann bedeutet, daß man sich in irgend eine doppelte Buchführung verfangen, in aller Stille oder zugestandenermaßen außer dem angeblich nur für die Vergebung der Sünden zustän97 98 99

Iwand, N W IV 450. Kursivierung vom Verfasser. Vgl. K D IV/2, 649, 659. Alle Menschen de iure gerechtfertigt und geheiligt, d. h. beansprucht.

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digen Herrn Jesus Christus in einem Reich zur Linken [!] auch noch anderen Herren Untertan werden wird! Wäre es nicht doch ratsam, die Heiligung in ihrer ganzen Zusammengehörigkeit mit der Rechtfertigung Heiligung sein zu lassen, statt sie zum vornherein nur als eine Umschreibung der Rechtfertigung verstehen zu wollen" 100 ?

THESE X I

Die genaue Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Heiligung ist nach Barth nur christologisch zu erhellen: a) das Zugleich, b) die Unterschiedenheit, c) die Untrennbarkeit und d) die Zuordnung von Rechtfertigung und Heiligung sind Reflexe christologischer Sachverhalte. D. h. die Bestimmung von Rechtfertigung und Heiligung vollzieht sich mit Hilfe von Lehnsätzen aus der Christologie. Die aller Zufälligkeit und Beiläufigkeit entkleidete Notwendigkeit, mit der die Heiligung auf die Rechtfertigung folgt, gründet nach Barth in der christologischen Tiefendimension der Erwählung, d. h. in der prädestinatianischen Verankerung von Rechtfertigung und Heiligung in der Wahrheitsgeschichte des in Jesus Christus erfüllten Bundes. Auch hier wird von Barth die Wahrheitsgeschichte von Rechtfertigung und Heiligung als Erfüllung des Bundes in Erniedrigung und Erhöhung im Kreuz von der Überwindungsgeschichte, d. h. der Auseinandersetzung des neuen mit dem alten Menschen in Kreuz und Auferstehung unterschieden und die prädestinatianische Implikation dieser Unterscheidung zwischen der Wahrheitsgeschichte des Bundes in Rechtfertigung und Heiligung und der Überwindungsgeschichte der Versöhnung in der teleologischen Auseinandersetzung zwischen dem totus peccator und dem totus iustus/ sanctus aufgezeigt. In charakteristischem Unterschied zur reformatorischen Auffassung Luthers spricht Barth von dem christologisch-universalen extra nos der in Jesus Christus geschehenen Rechtfertigung und Heiligung aller Menschen, dem auf der kerygmatischen Ebene die Bezeugung und auf der anthropologischen Ebene die Entsprechung zu der in Jesus Christus de iure verwirklichten universalen Rechtfertigung und Heiligung entspricht. Das christologisch-universale extra nos der Rechtfertigung und Heiligung, die de iure in Jesus Christus verwirklichte Rechtfertigung und Heiligung aller Menschen, das Christusgeschehen als alle Menschen bereits umgreifendes wirksames Wortgeschehen und insofern der ontologische Zusammenhang zwischen Jesus Christus und allen Menschen hat im Sinne Barths zur notwendigen Folge, daß im Gegensatz zum reformato100

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KD IV/2, 571.

rischen Verständnis Luthers Rechtfertigung nicht als durch das sakramentale Wort vermittelt und Heiligung nicht als durch das schöpferische Wort der promissio in der Rechtfertigung mitgesetzt verstanden werden können. Der ontologische Zusammenhang zwischen Jesus Christus und allen Menschen (IV/2) - dem Gefalle der KD entsprechend ein Implikat der universalen Stellvertretung des Sohnes Gottes (IV/1) - , das universale extra nos der Rechtfertigung und Heiligung aller Menschen in Jesus Christus bedeutet auch hier im Sinne Barths die systematische Verunmöglichung der kerygmatisch-anthropologischen Verklammerung und sakramentalen Vermittlung von Rechtfertigung und Heiligung in der reformatorischen Theologie Luthers. Die Heiligung als effektive Wirkung der durch die sakramentale promissio vermittelten Rechtfertigung des Menschen (Luther) und die Geschichte Jesu Christi als das universale Ereignis und die universale Vermittlung von Rechtfertigung und Heiligung, das zur menschlichen Entsprechung aufruft (Barth), stehen sich hier gegenüber. Damit wird - in Differenz zu Luther - nicht mehr die Vermittlung des Heils in der sakramentalen promissio, sondern werden der Zeugendienst der Gemeinde als Antizipation der neuen Menschheit und die daraus folgende konstitutive Differenz zur bestehenden Gesellschaft zu den unverzichtbaren notae ecclesiae.

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XII. Die exklusiv-christologische Fassung der Lehre Luthers vom Deus absconditus-revelatus bei Barth1 Barth hat schon in den Prolegomena von 1932 auf den engen Zusammenhang der Themenkreise „Verhüllung und Enthüllung", „Gesetz und Evangelium" und „Kreuz und Auferweckung" aufmerksam gemacht: Der doppelten Bewegung und inneren Zweiseitigkeit des Wortes Gottes entsprechend gilt es, „das g a n z e . . . Wort Gottes zu hören, also sowohl die E n t h ü l l u n g G o t t e s in seiner Verhüllung, als auch die V e r h ü l l u n g Gottes in seiner Enthüllung" 2 . Barth meint, daß man „die Linien nur etwas auszuziehen braucht, um von den Begriffen Verhüllung und E n t h ü l l u n g . . . aus auf die anderen gegensätzlichen Begriffe: Gesetz und E v a n g e l i u m , . . . Gottes Zorn und Gericht und Gottes Gnade" zu stoßen 3 . In dem vorliegenden Abschnitt X I I wird methodisch der umgekehrte Weg beschritten, also von dem bereits behandelten Thema „Evangelium und Gebot/Gesetz und Evangelium" aus Barths und Luthers Lehre vom deus absconditus und revelatus ansatzweise entwickelt und verglichen. K. Barths in den Prolegomena von 1932, also noch vor dem Erscheinen von „Evangelium und Gesetz" (1935) gemachten Ausführungen 4 über die innere Zweiseitigkeit und doppelte Bewegung des Wortes Gottes in „Verhüllung und Enthüllung" 5 , „Gesetz und Evangelium" (in dieser Reihenfolge!) 6 und „Kreuz und Auferstehung" 7 differenzieren - entsprechend Barths Lehre von den drei Gestalten des Wortes Gottes 8 noch nicht zwischen der christologischen, kerygmatischen und anthropologischen Ebene und begreifen infolgedessen auch noch nicht das Nacheinander von Gesetz und Evangelium als Gestalt der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot. Die differenzierte Einheit des Wortes Gottes („das Wort Gottes ist e i n e s ") 9 ist hier noch als eine wechselseitige und wechselseitig erfahrbare und also von Barth noch nicht als 1 Vgl. zum Folgenden H. Bornkamm, Der verborgene und der offenbare Gott, in: Theologie und Verkündigung, 1946; E. Jiingel, Quae supra nos, nihil ad nos. Eine Kurzformel der Lehre vom verborgenen Gott - im Anschluß an Luther interpretiert, EvTh 1972/3,197 ff.; H. Rückert, Luthers Anschauung von der Verborgenheit Gottes, in: Vorträge und Aufsätze, 1973,96-107; R. Weth, Freispruch und Zukunft der Welt. Bemerkungen zur Frage der Qualität der Welt im Anschluß an K. Barth, in: Freispruch und Freiheit. Theologische Aufsätze für W. Kreck, 1973,406 ff. 2 3 Vgl. K D 1/1, 182. Ebd. 186. 4 5 K D 1/1, 180-188. Ebd. 182, 184. 7 « Ebd. 186. Ebd. 188. 8 9 K D 1/1, 89 ff. Ebd. 186.

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unumkehrbar-teleologische Einheit der christologischen Wortgeschichte, der Geschichte Jesu Christi als Wort Gottes verstanden. Man wird hier W. Schlichting zustimmen, wenn er sagt: Barth „gebraucht hier [ich ergänze: n o c h ] im lutherischen Sinne die Begriffe Gesetz und Evangelium" 10 . Luthers Nacheinander von Gesetz und Evangelium steht im engen Zusammenhang mit Luthers Lehre vom Deus absconditus - revelatus. Die im bisherigen aufgezeigte Problematik in jenem Fragenkreis wiederholt sich auch in diesem. Barths Umkehrung der Reihenfolge von Gesetz und Evangelium, die diese Reihenfolge Luthers nicht aus-, sondern einschließt, steht deshalb nicht zufällig im Zusammenhang mit einer christologischen Präzisierung des Begriffs der Verborgenheit Gottes, das heißt mit der positiven Rezeption der Lehre Luthers vom Deus absconditus einerseits und deren kritischer Restriktion auf die Christusoffenbarung11 andererseits. „Es ist bekannt" - so hat Barth auf den Zusammenhang zwischen Luthers Lehre vom Gesetz und seiner Lehre vom Deus absconditus verwiesen - „daß L u t h e r . . . den Schrecken vor Gottes Zorn . . . in der Regel auf eine besondere, von der Offenbarung der Gnade Gottes getrennte Gesetzes- . . . und Zornesoffenbarung [!], ja, auf ein besonderes Wesen Gottes in seiner Majestät und Verborgenheit [!] zurückgeführt hat" 1 2 . Barth hat damit auf den insbesondere in den Antinomerdisputationen - aber nicht nur dort - zu konstatierenden Sachverhalt aufmerksam gemacht, daß Luther in der immanenten Perspektive die lex dem Deus nudus, d. h. dem Deus absconditus jenseits der christologischen Offenbarungsdialektik zuordnen konnte. Wie bei Luther die immanente, noch nicht an Christus orientierte Perspektive der lex von der erst durch das Evangelium gesetzten teleologiW. Schlichting, Biblische Denkformen 56. Vgl. P. Althaus, der auf den Zusammenhang zwischen einer noch nicht an der Christusoffenbarung orientierten elenchtischen Funktion des Gesetzes und „einer der Christusoffenbarung vorangehenden revelatio generalis" bei Luther verweist (Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde 170) und von seinen Voraussetzungen her thetisch behauptet: In der „Art, wie Karl Barth alle Sündenerkenntnis vor und außer dem Evangelium skeptisch zersetzt [ ! ] , . . . rächt es sich, daß von Barth die revelatio generalis und eine in ihr begründete Gotteserkenntnis geleugnet wird" (177). Althaus hat schließlich auf den Zusammenhang zwischen der exklusiv-christologischen Restriktion des Offenbarungsbegriffes und der kritischen Rezeption der Zwei-Reiche-Lehre Luthers bei Barth aufmerksam gemacht: „Luthers Lehre von den zwei Reichen ist der exklusiv-christologischen Theologie von heute [gemeint ist die Theologie K. Barths!] zuwider. Denn sie gehört zusammen mit der Unterscheidung einer revelatio generalis von der specialis.. . Begreiflich, daß K. Barth in der Konsequenz seines exklusiv-christologischen A n s a t z e s . . . die Zwei-Reiche-Lehre abweisen muß" (Luthers Lehre von den beiden Reichen im Feuer der Kritik, in: U m die Wahrheit des Evangeliums, 1962, 1 2 K D I I / l , 407. 272). 10

11

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sehen Perspektive auf Christus hin unterschieden werden mußte13, so muß nun entsprechend auch hier eine Verborgenheit Gottes jenseits der christologischen Offenbarungsdialektik von der Verborgenheitsgestalt der Offenbarung Gottes in Christus unterschieden werden. Jener Verborgenheit Gottes, auf die Luther das Gesetz in seiner noch nicht an Christus orientierten Gestalt zurückführen konnte, und nicht der Verborgenheitsgestalt der Offenbarung Gottes in Christus bei Luther gilt die Kritik Barths. Stellt jene doch „gewissermaßen die Verborgenheit Gottes dar, insofern sie noch nicht zur Verborgenheitsgestalt seiner Offenbarung geworden ist, und muß darum wohl von dieser unterschieden werden" 14 . Und wie bei Luther die immanente, noch nicht am Evangelium orientierte Perspektive der lex zugleich durch das Evangelium in die teleologische Perspektive verwandelt wurde, so ist die Verborgenheit Gottes „gerade als solche für Luther keine totale und absolute, sondern eine lediglich vorläufige und relative Verborgenheit, denn sie zielt ja darauf, je und wieder zur Verborgenheitsgestalt der göttlichen Offenbarung zu werden" 15 .

i. Die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus als Dialektik des opus alienum im Dienst des opus proprium (Luther) a) Oie Unterscheidung Offenbarungsbegriffs

des Deus absconditus-revelatus

als Dialektik

des

H. J. Iwands Erläuterungen zu De servo arbitrio zufolge sind Luthers Ausführungen über den Deus absconditus in maiestate und seine Unterscheidung vom Deus praedicatus bzw. indutus et proditus verbo suo16 im Sinne Luthers nicht als geschichtsphilosophische Spekulationen, sondern als eindeutige Bestimmung der Offenbarung zu verstehen: „Die Verborgenheit Gottes als den Hintergrund seiner Offenbarung nicht gelten lassen, heißt Gottes Offenbarung rationalisieren."17 Luthers Unterscheidung zwischen dem Gott, der sich uns offenbart, und dem Gott, der in seiner Majestät und Verborgenheit dem Menschen unzugänglich ist, d. h. die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus ist als Dialektik des Offenbarungsbegriffs selber zu verstehen. Vgl. Abschnitt V I I I 2.3. Bandt, Luthers Lehre 127. 1 5 Ebd. 1 8 Luther, Clemen III 177: Luthers Unterscheidung des in seiner Majestät verborgenen Gottes und des verkündigten, bzw. mit seinem Wort bekleideten und bekanntgemachten Gottes. 1 7 Iwand, in: Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 292. 13 14

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Der Deus absconditus „gehört wesensgemäß zum Begriff der Offenbarung Gottes. Denn eben dieser G o t t . . . hat sich in freier Gnade an sein Wort gebunden und sich damit dem Menschen faßbar, hörbar, verständlich und offenbar gemacht. Gott ist nicht seinem Wesen nach erkennbar und offenbar, sondern daß er das ist, verdanken wir einer nur aus seinem Willen und seiner Liebe zu erklärenden Bindung seiner selbst" 18 . Die Verborgenheit Gottes ist also - so interpretiert Iwand ein notwendiges Moment der Offenbarung Gottes als Tat seiner freien Gnade, in der Gott Subjekt ist und bleibt. Sichert aber der Begriff der Verborgenheit Gottes die Offenbarung vor ihrem Mißverständnis als verfügbarer und objektivierbarer Offenbartheit, dann bilden der Deus absconditus und der Deus revelatus „die beiden von einander untrennbaren Seiten des einen, lebendigen, souveränen Gottes, der auch als der offenbare Gott Subjekt seiner Offenbarung bleibt und sich damit nicht an die Menschen oder die Welt ausgeliefert hat" 1 9 . Mit anderen Worten: „Seine Verborgenheit gibt der Offenbarung ihre göttliche Souveränität, seine Offenbarung aber nimmt seiner Verborgenheit den Schrecken und ist seine Nähe zu uns" (H. J . Iwand) 20 . b) Die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus revelatus als christologische Dialektik des Kreuzes21

und dem Deus

Luther schreibt in De servo arbitrio: „fides est rerum non apparentium . . . omnia, quae creduntur, abscond [ujntur. Non autem remotius absconduntur, quam sub contrario obiectu, sensu, experientia."22 Wie der Glaube im Sinne der fides qua seinem Wesen nach Vertrauen auf Unsichtbares, so ist auch der Gegenstand des Glaubens im Sinne der fides quae seinem Wesen nach unter dem Gegensatz und Gegenteil verborgen. Und Luther erläutert: „Sic aeternam suam clementiam et misericordiam abscondit [!] sub aeterna ira, Iustitiam sub iniquitate." 23 Die Verborgenheit Gottes - so hat H. Bandt seine Untersuchungen über „Luthers Lehre vom verborgenen Gott" zusammengefaßt - bedeutet für Luther nicht so sehr im Sinne philosophisch-spekulativer Seinsaussagen „die ,Ubernatürlichkeit' göttlichen S e i n s . . . als vielmehr die 1 9 Ebd. 2 0 Ebd. 294. Ebd. 293. Vgl. zum folgenden insbesondere Bandt, Luthers Lehre 25 ff. 2 2 Luther, Clemen III 124, 1 6 - 1 9 : „Der Glaube richtet sich auf Tatsachen, die man nicht s i e h t . . . Alles, was geglaubt wird, muß verborgen sein. Es wird aber nicht tiefer verborgen als unter dem Gegensatz zum Gegenständlichen, zur Wahrnehmung, zur Erfahrung" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I, 44). 2 3 Luther, Clemen III 124,25 f: „So verbirgt er seine ewige Güte und Barmherzigkeit unter dem ewigen Zorn, seine Gerechtigkeit unter Ungerechtigkeit" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 44). 18

21

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konkrete Gestalt des göttlichen Heilshandelns sub contrariis ... Gott ist verborgen, insofern er wie im Leben [und Tod] Christi. . . seine Gnade im Gericht, seine Liebe im Zorn, seine Macht unter Schwachheit und Leiden erweist, insofern er sein opus proprium mit Hilfe eines opus alienum ausrichtet" 24 . Die Verborgenheit Gottes „ist also primär die Verborgenheitsgestalt seiner Gnadenzuwendung: die Verhüllung seiner G o t t h e i t . . . unter dem Leiden und Sterben Jesu Christi" 25 . Der Deus absconditus ist der Deus in passionibus, ist der Deus crucifixus. Die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus ist also im Sinne Luthers als christologische Dialektik des Heilshandelns Gottes sub contrario im Kreuz zu verstehen. Die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus ist ein Kapitel aus der theologia crucis Luthers. Im Hinblick darauf hat H . J. Iwand gesagt, daß alles in De servo arbitrio Ausgeführte „nur eine Auslegung des Kreuzes Christi" ist und „als ein Stück der Kreuzestheologie Martin Luthers" verstanden werden muß 26 . c) Die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus als kerygmatische Dialektik von Gesetz und Evangelium Die Unterscheidung Luthers zwischen dem verborgenen und dem offenbaren Gott als Dialektik des Handelns Gottes sub contrario im Kreuz Christi wiederholt sich Luther zufolge zugleich als Dialektik des Handelns Gottes im sakramentalen Wort der Verkündigung, ist als christologische Dialektik der theologia crucis zugleich die kerygmatische Dialektik von Gesetz und Evangelium. Luthers zur Interpretation des schöpferischen Handelns Gottes am Menschen durch das Wort der promissio bereits des öfteren zitierte Stelle aus 1. Sam 2,6 taucht nicht zufällig auch hier in De servo arbitrio auf: „Sic Deus dum vivificat, facit illud occidendo, dum iustificat, facit illud reos faciendo, dum in coelum vehit, facit id ad infernum ducendo, ut dicit scriptura: Dominus mortificat et vivicat, deducit ad inferos et reducit." 27 Will der Deus ipse nach seinem unerforschlichen Willen den Tod des Sünders („vult mortem peccatoris.. . volúntate illa imperscrutabili" 28 , so will ihn der Deus praedicatus nicht (Ez. 18,23). 24

25 Bandt in RGG 3 VI 1257. Bandt, Luthers Lehre 39. Iwand, in: Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 262. 27 Luther, Clemen III 124, 19-23: „So, wenn Gott lebendig macht, tut er das durch Töten, wenn er gerecht macht, tut er das, indem er zu Schuldigen macht, wenn er in den Himmel bringt, tut er das, indem er in die Hölle führt, wie die Schrift sagt: ,Der Herr tötet und macht lebendig, führt in die Hölle und wieder heraus', 1. Sam. 2,6" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 44). 28 Luther, Clemen III 178, 4 - 6 : Gott „will den Tod des S ü n d e r s . . . nach jenem unerforschlichen Willen" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 108). 26

206

Treibt aber der Schrecken des Deus ipse den Menschen dem Deus praedicatus in die Arme 29 , weist der Deus absconditus den Menschen zum Deus revelatus, haben also die Aussagen Luthers über den Deus absconditus ihr Telos in den Aussagen über den Deus revelatus („Deus dum vivificat, facit illud occidendo" !), dann ist die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus im Sinne Luthers zugleich als kerygmatische Dialektik von Gesetz und Evangelium zu verstehen. Luthers Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus hat ihren O r t innerhalb der kerygmatischen Zuordnung von Gesetz und Evangelium, sie gehört somit wesentlich in den Zusammenhang der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Die kerygmatisch-teleologische Dialektik von Gesetz und Evangelium hat also ihr Korrelat in der dialektischen Bezogenheit des Deus absconditus auf den Deus revelatus. Die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus bedeutet im Sinne Luthers die Einzeichnung der teleologischen Dialektik von Gesetz und Evangelium in den Gottesbegriff. d) Die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus als anthropologische Dialektik der Anfechtungserfahrung und ihrer Überwindung30 Es bedeutet nur das Ausziehen der christologischen und kerygmatischen Dialektik des Deus absconditus - revelatus in den anthropologischen Bereich hinein, wenn Luther in De servo arbitrio schreibt: „Hic est fidei summus gradus, credere ilium esse.. . iustum, quia sua volúntate nos necessario damnabiles facit." 3 1 Gerade der Glaube wird immer wieder vor der Frage stehen, „quomodo is Deus sit misericors et iustus, qui tantam iram et iniquitatem ostendit" 32 . Handelt Gott also „auch im einzelnen Christenleben" (!) sub contrario, verbirgt er auch hier seine Gnade im Gericht, seine Liebe im Zorn, dann betrifft „die Verborgenheit G o t t e s . . .den Menschen . . . in seiner gesamten Existenz: sie führt ihn immer wieder [!] in Anfechtung" 3 3 . Und H . Bandt erläutert die anthropologische Dialektik des Deus absconditus - revelatus im Kontext der Anfechtungserfahrung an anderer 29

Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 293. Vgl. zum folgenden insbesondere Bandt, Luthers Lehre 44 ff., 54 ff. 31 Luther, Clemen III 124, 26-29: „Das ist die höchste Stufe des Glaubens, zu glauben, jener sei. . . gerecht, der durch seinen Willen uns so, daß es nicht anders sein kann, verdammenswert macht" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 44). 32 Luther, Clemen III 124, 31-33: „auf welche Weise dieser Gott barmherzig und gerecht sei, der so großen Zorn und Ungerechtigkeit an den Tag legt" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 44). 33 Bandt in RGG 3 VI 1257. 30

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Stelle näher so: „In dieser Anfechtung erreicht Gottes Verborgenheit erst ihre allertiefste Tiefe. In ihr begegnet Gott dem Menschen in der, schärfsten Form der Gmc^isgestalt seines Offenbarungshandelns" 3 4 , wobei es sich auch in der schwersten Anfechtung, der tentatio mortis et inferni 35 , „um nichts anderes als um eine Bestimmung des menschlichen Gottesverhältnisses durch die Gerichtsgestalt . . . der göttlichen Gnadenzuwendung handelt" 3 6 . Mit Luthers Worten aus De servo arbitrio: „dum Deus occidit, fides vitae in morte exercetur" 37 . Würde die Verborgenheit Gottes den Menschen nicht treffen - folgert Luther - : „non disceret timere et humiliari [!], ut per timorem [!] tandem ad gratiam et amorem veniret." 3 8 So ist die Erfahrung des Deus absconditus in der Anfechtung der „locus exercendae fidei" 39 , so gehört die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus in den Zusammenhang der Anfechtungserfahrung und ihrer Überwindung, ist sie also von der teleologischen Dialektik der „humiliatio nostrae superbiae et cognitio gratiae Dei" 4 0 nicht ablösbar. Gegenüber einer statischen Trennung zwischen dem Deus absconditus einerseits und dem Deus revelatus andererseits besteht also die Pointe bei Luther gerade in der teleologischen Bezogenheit des Deus absconditus auf den Deus revelatus: Ist der Deus absconditus immer zugleich der Deus revelatus, so hat es der Mensch in der Anfechtung immer mit dem Deus revelatus in der verborgenen Gestalt des Deus absconditus zu tun. e) Die Ausweitung der christologisch-kerygmatischen Offenbarung Gottes sub contrario auf die Verborgenheit Handelns in der Geschichte41

Dialektik der des göttlichen

Die teleologische Dialektik des Nein im Dienste des Ja, des opus alienum im Dienst des opus proprium als Charakteristikum des christologisch-kerygmatisch-anthropologischen Handelns Gottes im Kreuz, in der Verkündigung und am Menschen wird von Luther so auf die Gesamtheit des göttlichen Handelns in der Weltgeschichte ausgeweitet, daß 34

Bandt, Luthers Lehre 69. Ebd. 68 : der Versuchung des Todes und der Hölle. 3 » Ebd. 70. 37 Luther, Clemen III 124, 35-36: „wenn Gott tötet, [wird] der Glaube an das Leben im Tode eingeübt" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 44). 38 Luther, Clemen III 123, 19-21: der Mensch würde nicht lernen, „Gott zu fürchten und sich zu demütigen, auf daß er durch die Furcht endlich zur Gnade und zur Liebe käme" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 43). 39 Luther, Clemen III 124, 34: „der Ort, den Glauben einzuüben" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 44). 40 Luther, Clemen III 123, 34 f.: „die Demütigung unseres Hochmuts und die Erkenntnis der Gnade Gottes" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 43). 41 Vgl. zum folgenden Bandt, Luthers Lehre 83 ff., besonders 102 ff., 134 ff. 35

208

er zwischen Gott, „insoweit . . . er von uns nicht erkannt werden will", einerseits 42 und dem eschatologischen lumen gloriae der Offenbarung der undurchdringlichen Geheimnisse der Majestät Gottes 43 andererseits unterscheidet. Wirkt Gott auch außerhalb seiner Offenbarung in seinen „Mummereien", „Masken" und „Larven" 4 4 , so bleibt doch nach Luther völlig unbegreiflich, warum Gott so wenige rettet und so viele verwirft 4 5 . Dies undurchdringliche, verborgene und stumme Wirken Gottes in N a t u r und Geschichte, Unglück und Tod, Gericht und Verwerfung der Menschen wird vom Glauben als die Verborgenheit des Handelns Gottes sub contrario anerkannt (cum reverenda adorare 46 ), ohne daß die teleologische Einheit des Deus absconditus - revelatus in dem Wirken des Deus absconditus vom Glaubenden noch erkannt (comprehendere) werden könnte. Deshalb heißt es in De servo arbitrio: „Hic est fidei summus gradus, credere ilium esse dementem, qui tarn paucos salvat, tarn multos damnat . . . Si igitur possem ulla ratione comprehendere, quomodo is Deus sit misericors et iustus, qui tantam iram et iniquitatem ostendit, non esset opus fide." 47 Weil der Glaube Gottes Handeln im Kreuz Christi (christologisch), in der Verkündigung (kerygmatisch) und der Anfechtungserfahrung (anthropologisch) in seiner Verborgenheit kennt, glaubt er - so will Luther sagen - den offenbaren Gott auch unter der Maske des verborgenen Gottes, „der in undurchdringlichem Dunkel, stumm und verborgen, das Weltgeschehen regiert und in seiner H a n d hält" 4 8 . Weil Gottes Handeln im Kreuz Christi, in der Verkündigung und am Menschen sub contrario geschieht und vom Glauben als opus alienum im Dienst des opus proprium in seiner teleologischen Dialektik erkannt wird, ist es die höchste Stufe des Glaubens, auch in der scheinbaren Ungerechtigkeit des H a n delns Gottes in der Geschichte 49 Gottes barmherziges und gerechtes Handeln im Gegensatz zum Augenschein zu glauben.

42

Vgl. Luther, Clemen III 177. Vgl. ebd. 290 f. 44 Vgl. Band:, in: RGG 3 VI 1258. 45 Vgl. Luther, Clemen III 124. 46 Ebd. 177, 6: „mit Ehrfurcht anbeten" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 107). 47 Luther, Clemen III 124, 26-33: „Das ist die höchste Stufe des Glaubens, zu glauben, jener sei gütig, der so wenige selig macht, so viele verdammt . . . Wenn ich also durch irgendwelche Vernunft begreifen könnte, auf welche Weise dieser Gott barmherzig und gerecht sei, der so großen Zorn und Ungerechtigkeit an den Tag legt, dann wäre der Glaube nicht nötig" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 44). 48 Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 260. 49 Z. B. in der Verwerfung der Mehrzahl aller Menschen. 43

14

Klappert, Promissio

209

THESE X U / 1 Luthers Unterscheidung zwischen dem Gott, der uns in seiner Majestät verborgen ist, und dem Gott, der sich uns offenbart, zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus ist intentional nicht metaphysisch-spekulativ orientiert und stellt im Sinne Luthers keine geschichtsphilosophische Spekulation dar, sondern will das Verständnis der Verborgenheit Gottes als Moment der freien und souveränen Offenbarung Gottes verstanden wissen (Dialektik des Offenbarungsbegriffs). Wie die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus die Dialektik des Offenbarungsbegriffs präzisiert, so ist sie im Sinne Luthers als diese Offenbarungsdialektik wesentlich zugleich an der Dialektik des Kreuzes orientiert, insofern diese Unterscheidung das Heilshandeln Gottes im Kreuz als Handeln Gottes sub contrario bestimmt. Die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus ist ein Kapitel aus der theologia crucis Luthers. Die Einheit des Deus absconditus - revelatus ist für Luther christologisch begründet: Am Kreuz hat Gott getötet, um lebendig zu machen (Dialektik der Kreuzeschristologie). Die in der Offenbarung Gottes sub contrario im Kreuz von Luther erkannte und von daher ausgesagte Einheit des Deus absconditus - revelatus bestimmt zugleich die kerygmatische Dialektik von Gesetz und Evangelium. Die Offenbarung Gottes im Kreuz Christi sub contrario wiederholt (!) sich auf der kerygmatischen Ebene, insofern Gott sein opus alienum (das richtende Gesetz) in den Dienst des opus proprium (das rettende Evangelium) stellt: Gott macht lebendig, indem er tötet; Gott tötet, um lebendig zu machen. Die Dialektik der Offenbarung Gottes sub contrario auf der christologischen (Kreuz Christi) und der kerygmatischen (Gesetz und Evangelium) wiederholt (!) sich schließlich Luther zufolge auf der anthropologischen Ebene, insofern sich die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus - revelatus auf der Ebene der Anfechtungserfahrung und ihrer Überwindung in homine reflektiert: der Mensch hat es in der Anfechtung immer zugleich mit dem Deus revelatus in der Gestalt des Deus absconditus zu tun. Insofern bedeutet Glauben nach Luther „Gott fürchten und Gott lieben" (in dieser Reihenfolge!). Die teleologische Dialektik des opus alienum im Dienst des opus proprium als Charakteristikum des Handelns Gottes in Christus, im Kerygma und am Menschen wird von Luther so auf die Gesamtheit des göttlichen Handelns in Welt und Geschichte ausgeweitet, daß er zwischen dem gegenwärtigen Handeln des Deus absconditus außerhalb der Offenbarung in Christus und der zukünftigen Offenbarung Gottes und der undurchdringlichen Geheimnisse seines Geschichtshandelns unterschei210

det, wobei der Glaube an der in Christus und im Kerygma erkannten teleologischen Dialektik des Nein im Dienste des J a auch hinsichtlich des verborgenen und rätselhaften Geschichtshandelns Gottes gegen den Augenschein festhält.

2. Die exklusiv-christologische Fassung der Lehre Luthers vom Deus absconditus - revelatus bei Barth a) Die Unterscheidung des Deus absconditus christologischen Offenbarungsbegriffs

- revelatus als Dialektik

des

H. J . Iwands Interpretation zufolge geht es Luther in seiner Unterscheidung zwischen dem verborgenen und offenbaren Gott im Zentrum um die Verborgenheit Gottes als Hintergrund seiner Offenbarung. Verborgenheit Gottes gehört als ein notwendiges Moment zum Begriff der Offenbarung Gottes als einer Tat freier und souveräner Gnade. Iwand verweist50 in diesem Zusammenhang auf Luthers Aufruf in De servo arbitrio, sich an den „Deus incarnatus" bzw. „Jesus crucifixus" zu halten, in quo sunt omnes thesauri sapientiae et scientiae, sed absconditi [ ! ] " 5 1 . Die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus - revelatus bezeichnet hier die christologische Dialektik des Deus incarnatus et crucifixus. Entsprechend wird die Dialektik des christologischen Offenbarungsbegriffs Luthers auch von E. Wolf beschrieben: Luther meint „den Deus incarnatus als den Gott der Offenbarung, der als solcher revelatus und absconditus ist. Denn der innerste Gedanke in der Christusverkündigung Luthers ist, daß Gott den ,Abgrund seiner Majestät' in Christus offenbart" 5 2 . Oder noch präziser: „Der Deus incarnatus wird eigentlich erst revelatus." 53 „Daß der Deus incarnatus als der absconditus zum revelatus wird . .. diese Selbstoffenbarung des incarnatus, absconditus geschieht . . . durch das Wort [der Verkündigung], das dem Glauben den widervernünftigen Tatbestand deutet." 54 Die christologische Dialektik des Deus, incarnatus - absconditus, der im Wort der Verkündigung zum Deus revelatus wird, arbeitet auch H. Bandt in seiner Interpretation der Lehre Luthers vom verborgenen Gott heraus: „Ausgangspunkt und bleibende Grundlage für sein Verständnis der Verborgenheit Gottes ist die Erkenntnis, daß Gott in dem Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 294. Luther, Clemen III 182-, 15 f.: Luthers Aufruf in De servo arbitrio, sich an den „fleischgewordenen Gott" und an „Jesum den Gekreuzigten" zu halten, „in dem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis, aber verborgen, sind" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 113). 5 2 Wolf, Per. I 58 f. 5 3 Ebd. 59. 5 4 Ebd. 59 f. 50

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Menschen Jesus nur in verhüllter Gestalt, (als Deus in carne, in passionibus, in cruce absconditus) b e g e g n e t . . . Verborgenheit Gottes besagt für Luther . . . die Wirklichkeit der göttlichen Heilszuwendung in einer Geschichte . . . Gott ist ihm auch in seinen schon vollbrachten Heilstaten nicht verfügbar. Luther stellt das besonders dadurch sicher, daß er alle geschehene Offenbarung unter dem Begriff der promissio Dei [!] befaßt, die (als Zusage) den Glaubenden der Liebe Gottes gewiß macht." 5 5 Die Verborgenheit Gottes als notwendiges Moment des CharisCharakters und der Souveränität der Offenbarung Gottes stellt Barth in positiver Rezeption des christologischen Offenbarungsbegriffs und damit der Lehre vom Deus absconditus - revelatus bei Luther ebenfalls heraus: Die Offenbarung Gottes „ist die Offenbarung des verborgenen Gottes. Sie erweist sich gerade darin als des wahrhaftigen Gottes Offenbarung, daß Gott in ihr der Herr ist und bleibt, über den der Mensch keine Macht hat noch b e k o m m t . . . Es ist gerade die Verborgenheit, in der er hier [in Jesus Christus] offenbar wird, nur das Merkmal der Gnade [!] seiner Offenbarung" 5 6 . Luther kennt aber über die christologische Dialektik des Deus crucifixus - absconditus, der im Wort der promissio dem Glauben (und nur ihm!) offenbar wird, hinaus noch eine Verborgenheit des Deus ipse, des Deus absconditus in maiestate 57 , von dem er sagt: „Neque enim tum verbo suo definivit sese, sed liberum sese reservavit super omnia." 5 8 Und nur in Abgrenzung gegenüber solchen, die christologische Offenbarungsdialektik transzendierenden Aussagen Luthers heißt es bei Barth: „Es bleibt aber in Gottes Offenbarung kein verborgener Gott, kein Deus absconditus h i n t e r [!] seiner Offenbarung zurück, mit dessen Existenz und Wirksamkeit wir dann über sein W o r t . . . hinaus [!] gelegentlich a u c h noch zu rechnen, den wir h i n t e r seiner O f fenbarung a u c h noch zu fürchten und zu verehren [!] hätten. So könnte es in gewissen Zusammenhängen bei Luther manchmal aussehen. Im Zeugnis d e r . . . Schrift [so fährt Barth fort] aber sieht es nicht so aus. Gott ist auch hier Gott und also Geheimnis, aber eben in diesem Geheimnis begegnet und gibt er sich dem Menschen [wie es nun gegenüber dem „Deus sese reservans" Luthers heißt], ohne sich vorzubehalten, ohne daß wir nun doch auch noch eines Anderen zu warten hätten." 5 9 Und im Hinblick auf die soteriologischen Konsequenzen seines jenseits der christologischen Offenbarungsdialektik behaupteten Deus abs55 5 Bandt in RGG 3 VI 1257 f. « K D I I / l , 236. " Vgl. Luther, Clemen III 177. 58 Ebd. 177, 38 f.: „Denn da hat er sich nicht durch sein Wort in Grenzen eingeschlossen [gebunden], sondern hat [sich] die Freiheit seiner selbst über alles behalten" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 108). 59 K D I I / l , 236 f.

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conditus, im Hinblick auf die soteriologischen Konsequenzen der Verschiedenheit der „Verborgenheit der allgemeinen göttlichen Weltregierung" einerseits und der „Verborgenheitsgestalt der göttlichen Offenbarung" in der Geschichte Jesu Christi andererseits60 formuliert Barth gegenüber Luther: „Es ist klar, und das hat gerade L u t h e r wohl gesehen . . . daß es, wenn es mit der nominalistisch verstandenen potentia absoluta seine Richtigkeit hätte, so etwas wie Heilsgewißheit. . . nicht geben k ö n n t e . . . Es ist aber nicht ebenso klar, inwiefern Luther diese Not damit wirklich überwinden zu können meinte, daß er den Rat gab, sich um den Deus absconditus so wenig als möglich zu kümmern und sich ganz an das zu halten, was er als Gottes opus proprium bezeichnete, an den Deus revelatus, an den in Jesus Christus gegenwärtigen Gott." 6 1 Die Anfrage Barths an die Theologie Luthers spitzt sich an diesem Punkt also auf die Frage zu, ob Luther den Deus absconditus exklusiv als Moment der christologischen Offenbarungsdialektik verstanden oder ob er darüber hinaus auch von einem jenseits der christologischen Offenbarungsdialektik handelnden Deus absconditus geredet hat. Die Zweideutigkeit an diesem Punkt hatte - wie schon gezeigt - die von Luther systematisch nicht ausgeschlossenen Konsequenzen des Luthertums des 20. Jahrhunderts zur Folge, den Deus absconditus jenseits der christologischen Offenbarungsdialektik zum Ausgangspunkt geschichtsund ordnungstheologischer Spekulationen und Deduktionen zu machen. b) Die Interpretation des Deus absconditus-revelatus des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und (Barth)

aus der Teleologie Auferweckung

Barth hat den Zusammenhang des Deus absconditus - revelatus nicht, wie Luther vorwiegend, aus dem Zusammenhang des Deus incarnatus - crucifixus mit dem Deus indutus verbo suo62, also nicht primär aus dem Zusammenhang von Inkarnationschristologie und promissionaler Christusverkündigung63 verstanden, sondern exklusiv auf die Teleologie des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung bezogen. In K D IV/1 § 59,1 hat Barth die Kondeszendenz des Sohnes Gottes ins Kreuz als sub contrario erfolgende Offenbarung der Gottheit Gottes entfaltet und das Kreuz als Interpretationszentrum der Gottheit Gottes, das Selbstsein des Sohnes Gottes im Kreuz dahingehend präzisiert, „daß 8 1 K D I I / l , 609. Bandt, Luthers Lehre 121. Luther, Clemen III 177, 2 9 - 3 3 : Der Zusammenhang des fleischgewordenen und gekreuzigten Gottes mit dem sich mit seinem Wort bekleidenden Gott (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 108). 6 3 Vgl. Wolf, Per. I 5 8 - 6 1 . 80

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G o t t . . . eben in solcher Erniedrigung [ins Kreuz] aufs Höchste Gott, in diesem Tode aufs Höchste lebendig war, daß er seine Gottheit gerade in der Passion dieses Menschen als seines ewigen Sohnes eigentlich bewährt und offenbar gemacht hat" 6 4 . Die Kondeszendenz des Sohnes Gottes ins Kreuz - so lautete Barths Grundthese - ist die sich sub contrario vollziehende Offenbarung der Gottheit Gottes. Die wesentliche Offenbarung Gottes gerade in der Erniedrigung ins Kreuz bedingt aber im Sinne Barths zugleich: „Das eigentliche Sein des einen wahren Gottes in Jesus Christus, dem Gekreuzigt e η" 65 , ist im Kreuz verborgen und durch die Möglichkeit, das Kreuz auch im Zusammenhang menschlicher Aktionen zu verstehen, für den Menschen verdeckt. Bedeutet doch die Kondeszendenz des Sohnes Gottes ins Kreuz in Bewährung der Gottheit Gottes, „daß sein G o 11 s e i η für alle anderen Augen . . . schlechterdings u n s i c h t b a r wird" 6 6 , „daß der . . . im Leiden des Sohnes G o t t e s . . . begangene Weg Gottes in die Erniedrigung fortgesetzt ist bis hinein in die tiefste, letzte V e r b o r g e n h e i t s e i n e s G o t t s e i n s " 6 7 . Ist es doch „die Größe seiner Herrlichkeit, die sich gerade darin offenbart, daß sie sich auch gänzlich verbergen kann in ihr völliges Gegenteil" 68 . Der exinanitus in cruce ist wesentlich der tectus sub contrario. Daraus folgt aber: D a ß der Sohn Gottes sich selbst ins Kreuz erniedrigt und dort die Herrlichkeit Gottes sub contrario offenbart 6 9 , das kann nur Gott selbst offenbar machen. In diesem Sinn ist die Auferwekkung für Barth grundlegend die exemplarische Gestalt der Offenbarung Gottes, die unzweideutige Vermittlung der Erkenntnis, daß Gott in dem gekreuzigten Christus war 7 0 , daß Gott gerade im Kreuz der „in seiner Demut hohe Gott" ist 71 . Die Auferweckung ist als eindeutige O f fenbarung des im Kreuz sub contrario verborgenen Sohnes Gottes die exemplarische Gestalt der Offenbarung Gottes 72 . H. Bandt hat in seiner sorgfältigen Analyse zu Luthers Lehre vom verborgenen Gott gemeint: „Die Grundsätzlichkeit [!], mit der Barth den Begriff des Deus absconditus zurückweist, scheint mir ein kaum zu übersehendes Anzeichen dafür zu sein, daß Barth eine letzte Grenze theologischen Erkennens, die Luther durch die Aussage von der Verborgenheit Gottes sicherzustellen sich bemüht hat, seinerseits mehr oder minder außer acht läßt [!] - wodurch wiederum alle d i e . . . teilweise recht bedenklichen dogmatischen Konsequenzen (vor allem . . . neuerdings in der Christologie) erst ermöglicht werden [!]" 7 3 . • 4 K D IV/1, 271. ββ Barth, Credo 78. 68 Barth, Dogmatik im Grundriß 136. 70 2. Kor. 5,19a; vgl. K D IV/1, 332. 72 Vgl. Klappert, Auferweckung 296 ff.

214

85

Ebd. 218. Ebd. «· K D IV/1, § 59,1. 71 K D IV/1, 192. 73 Bandt, Luthers Lehre (Vorwort). 87

Und ähnlich wie Bandt meint auch K. Schwarzwäller in seiner Studie über De servo arbitrio, den „kritischen P u n k t . . . an dem auch die grundsätzliche [!] Differenz zwischen Luther und Barth aufspringt, . . . [in der] theologischen Figur des Deus in majestate absconditus" finden zu sollen74. Es wird freilich zu fragen sein, wie man solche grundsätzlichen Urteile angesichts der vollen Aussagen Barths über die sub contrario erfolgende Offenbarung Gottes im Kreuz, über Gottes Majestät und „Herrlichkeit, die sich gerade darin offenbart, daß sie sich auch gänzlich verbergen kann in ihr völliges Gegenteil" 75 , wird aufrechterhalten können. An diesem Punkt, im Hinblick auf den Deus in maiestate absconditus bricht eine Differenz zwischen Luther und Barth noch nicht auf. Der kritische Punkt der Differenz zeigt sich vielmehr erst im folgenden. „Wir haben" - so heißt es bei Barth - „die Auferweckung Jesu Christi als Gottes . . . O f f e n b a r u n g verstanden. Aber eben: was kann sie. . . offenbaren, was kann sie ans Licht bringen als. . . das göttliche Ja, das schon unter jenem Nein verborgen war" 7 6 . Die „Verborgenheit"77 im Tod Christi und die Offenbarung Gottes in der Auferwekkung78, der Deus absconditus im Kreuz und der Deus revelatus in der Auferweckung - diese Doppelaussage bezeichnet im Sinne Barths und hier erst kommt die kritische Differenz zu Luther in den Blick die Einheit einer einmaligen, unwiederholbaren und unumkehrbaren Folge. D. h. wir haben es mit dem Deus absconditus nicht mehr in abstracto, sondern aufgrund der Auferweckung mit dem Deus absconditus nur noch als Implikat des Deus revelatus zu tun. Seit der Auferweckung als der exemplarischen Offenbarung des Deus in maiestate absconditus gibt es - wie Barth formuliert - kein Zurück „in den Bereich, wo Gottes Ja zum Menschen, das nur er selbst offenbar machen konnte, noch unzugänglich tief unter seinem Nein verborgen [!] war" 7 9 ! Mit anderen Worten: Post Christum resuscitatum ist der Deus revelatus nicht, nie mehr im Deus absconditus, nicht, nie mehr Gottes „Gnade im Gericht" 80 unzugänglich tief verschlossen, weil „Jesu Christi Leben nicht, nie mehr in seinem Tod, Gottes . . . Ja nicht, nie mehr in seinem N e i n . . . verborgen [!]" ist81. Denn Gott ist in der Geschichte von Kreuz und Auferweckung der Deus absconditus nur um des Deus revelatus willen, „Gott sagt auch sein Nein nur, um Ja zu sagen. Sein Wort ist ja eben das Wort jener t e l e o l o g i s c h ausgerichteten E i n h e i t des Todes und der Auferstehung Christi" 82 . 74

Schwarzwäller, Theologia crucis 12. Barth, Dogmatik im Grundriß 298. ™ K D IV/1, 378. 77 Ebd. 192. 7 » Ebd. 380. 81 K D IV/1, 380. 75

78 80 82

Vgl. ebd. 332 f. Bandt, Luthers Lehre 55. Ebd. 383.

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Wird aber Luthers Unterscheidung zwischen dem Deus absconditusrevelatus von Barth aus der Teleologie des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung verstanden und im Rahmen dieser einmaligen und unwiederholbaren Teleologie positiv aufgenommen und ist post Christum resuscitatum der Deus absconditus nie mehr ohne den Deus revelatus, der Deus revelatus nie mehr exklusiv nur im Kreuz verborgen, sondern der Deus absconditus nur noch ein Moment und Implikat des Deus revelatus, der Deus absconditus nur noch zugleich in der Gestalt des Deus revelatus auf dem Plan, dann ist es im Sinne Barths in der Tat unmöglich — und dies erst ist der kritische Punkt der Differenz zwischen Luther und Barth - , die christologische Teleologie des Deus absconditus - revelatus als exklusive Teleologie des Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung kerygmatisch oder anthropologisch zu wiederholen, also „das Un wiederholbare. . . unsererseits wiederholen zu wollen" (K. Barth) 83 . Die Gemeinde ist in ihrem Kerygma zu der kerygmatischen Wiederholung der christologischen Dialektik so wenig aufgefordert84, wie dem einzelnen Glaubenden auf der anthropologischen Ebene eine solche Wiederholung zugemutet werden darf. Kann Luther in De servo arbitrio85 und im Kleinen Katechismus unter dem Leitbegriff „wir sollen Gott fürchten und lieben" den Glauben „als eine Bewegung, und zwar nach Luther" - wie Barth hervorhebt „offenbar als die Bewegung von der Furcht zur Liebe" 86 beschreiben, so heißt es bei Barth infolge der Unmöglichkeit, die christologische Dialektik des Deus absconditus - revelatus anthropologisch zu wiederholen: „Wenn es dabei bleiben soll, daß es sich dabei um den Gott handelt, der uns in Jesus Christus offenbar ist, und wenn wir dann von da aus wieder auf den Menschen zurückblicken [!], dann muß die Bewegung des Menschen doch eigentlich gerade umgekehrt als bei Luther beschrieben werden: es muß die Furcht auf die Liebe f o l g e n und nicht umgekehrt; es muß die Liebe als der Grund der F u r c h t . . . verstanden, und es muß die Furcht aus der L i e b e erklärt werden - . . . die Furcht Gottes aus der Liebe zu Gott . . . Dies ist der Grund" - so resümiert Barth - „weshalb wir die beiden Begriffe lieber umgekehrt gestellt sehen möchten, als es in Luthers Katechismus der Fall ist" 87 . Luthers Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus wird also von Barth nicht nur mit Luther von der Teleologie des differenzierten Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung her interpretiert, sondern - da post Christum resuscitatum weder eine 83

84 Ebd. 3 8 0. Vgl. ebd. Luther, Clemen III 123, 20 f.: „ut per timorem . . . ad amorem veniret"; „auf daß er [der Mensch] durch die Furcht. . . zur Liebe käme" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 43). 8 87 « K D I I / l , M. Ebd. 85

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kerygmatische (Gesetz und Evangelium) noch eine anthropologische (Furcht und Liebe zu Gott) Wiederholung des Nacheinanders von Deus absconditus und Deus revelatus möglich ist - zugleich gegen Luther auf den teleologischen Zusammenhang von Kreuz und Auferweckung begrenzt. Die Einmaligkeit, Exklusivität und Unumkehrbarkeit des christologischen Weges vom Deus absconditus im Kreuz zum Deus revelatus in der Auferweckung impliziert die Unwiederholbarkeit dieser christologischen Dialektik auf der kerygmatischen und anthropologischen Ebene, d. h. die kerygmatisch-anthropologische Unwiederholbarkeit des Nacheinanders vom Deus absconditus und Deus revelatus der Christusgeschichte. c) Die christologische Grundlegung der Erwählungslehre ständnis der Verkündigung als Verheißung der Erwählung

und das Ver(Barth)

D a ß Luther den Deus absconditus nicht exklusiv als Moment der Teleologie von Kreuz und Auferweckung versteht, sondern darüber hinaus von einem Deus absconditus jenseits dieser christologischen Offenbarungsdialektik reden kann, zeigt sich nach Barth insbesondere an den prädestinatianischen Aussagen Luthers in De servo arbitrio, insofern hier „ L u t h e r . . . seinen Hinweis auf Christus mit dem ebenso bestimmten Hinweis auf ein abgesehen von Christus stattfindendes, verborgenes [!] und von uns nicht zu erforschendes, aber darum nicht minder reales göttliches Wollen verbunden und in diesem die . . . eigentliche Wirklichkeit der göttlichen Erwählung gesehen hat" 8 8 . Barth weist darauf hin, „daß noch der alte Luther seine Schrift De servo arbitrio von 1525 zu seinen besten Hervorbringungen g e z ä h l t . . . h a t . . . Dort wird dem nachdenkenden Menschen wohl auch positiv sehr bestimmt gesagt: cum Deo incarnato, cum Jesu crucifixo habe er sich zu beschäftigen. Dieser Deus incarnatus sei es, den . . . wir Allen Alles anbieten [sehen], was ihnen zum Heil notwendig i s t . . . c u m v o l u n tas m a i e s t a t i s ex p r o p o s i t o aliquos relinquat et r e p r o b e t , ut pereant"89. Und Barth ergänzt: „Die Frage nach dem Wesen und Inhalt dieser voluntas maiestatis will Luther . . . unterdrückt haben." 90 Barth fragt gegenüber einer solchen Rückführung der doppelten Prädestination auf einen jenseits der christologischen Offenbarungsdialektik 88

K D II/2, 70. Ebd. 70 f. Das von Barth angeführte Luther-Zitat aus De servo arbitrio steht in Clemen III 182, 27 f.: Beschäftigen mag sich der Mensch „mit dem fleischgewordenen Gott o d e r . . . mit Jesum dem Gekreuzigten . . . obgleich der Wille der Majestät nach seinem Vorsatz manche verläßt und verwirft, so daß sie verloren gehen" (Luther, Borcherdt, Erg. Reihe I 113 f.). 90 K D II/2, 71. 89

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stehenden Deus absconditus bei Luther: „Wie aber läßt sich diese Frage abweisen, wie soll es eine vertrauensvolle Zuwendung dem Deus incarnatus gegenüber geben, wenn eine von seinem Willen verschiedene voluntas maiestatis hinter und über ihm nun immerhin festgestellt und festgehalten wird?" 9 1 „Ist der Satz, daß wir die göttliche Erwählung in Jesus Christus zu erkennen haben . . . (auch bei Luther und den Lutheranern!) . . . nun eigentlich t h e o l o g i s c h ernst zu nehmen? . . . Gibt es außer Jesus Christus keinen anderen Grund der Erwählung? . . . Dürfen wir uns in der Frage der Erwählung darum n o e t i s c h an Christus und sonst an gar nichts halten, weil es o η t i s c h keine Erwählung, keinen erwählenden Gott gibt außer eben in Christus? . . . Haben wir es also in Gottes Erwählung als solcher letztlich und eigentlich doch mit einer von Jesus Christus unabhängigen, durch ihn bloß ausgeführten, nicht aber mit einer in Jesus Christus gefallenen göttlichen Entscheidung zu tun?" 9 2 Barth hat es in seiner Erwählungslehre unternommen, den Strukturparallelismus von Verwerfung und Erwählung und deren Rückführung auf einen jenseits der christologischen Offenbarungsdialektik stehenden Deus absconditus bei Luther sowohl 1. durch die christologische Grundlegung von Verwerfung und Erwählung als auch 2. durch das Verständnis der Verkündigung als eindeutige Bezeugung der Verheißung der Erwählung zu überwinden. 1. Kritisch gegenüber Luthers mit dem Deus absconditus gesetzten „drohenden Vorbehalt, daß in einem dunklen Hintergrund Alles noch einmal ganz anders sein und sich verhalten könnte" 93 , und ausgehend von der christologischen Grundthese und „Gewißheit, daß Vordergrund und Hintergrund in dieser Sache Eines sind, daß wir eben in dem uns erkennbaren Vordergrund auch den Hintergrund erkennen dürfen" 94 , hat Barth - im Unterschied zu Luther - die doppelte Prädestination als Nichtverwerfung und Erwählung des Menschen und als Selbstverwerfung Gottes im Kreuz Christi entfaltet: „In der Erwählung Jesu Christi, die der ewige Wille Gottes ist, hat Gott d e m M e n s c h e n das E r s t e , d i e E r w ä h l u n g , die Seligkeit und das Leben, s i c h s e l b e r a b e r d a s Z w e i t e , d i e V e r w e r f u n g , die Verdammnis und den Tod z u g e d a c h t " 9 5 , wobei wiederum vom teleologischen Zusammenhang von Kreuz und Auferweckung her kein „Gleichgewichtsverhältnis", sondern nur die Disproportionalität von Verwerfung und Erwählung Geltung haben kann. Es „kann die doppelte Prädestination nur in jener Ordnung, nur in dem Verhältnis jenes U b e r g e w i c h t s zwischen . . . der Erniedrigung Gottes und der Erhöhung des »i Ebd. 9 3 Ebd. 173 . 9 5 Ebd. 177; vgl. 177-184. 218

92 94

Ebd. 68. Ebd.

Menschen und so: zwischen Verwerfung und Erwählung verstanden werden" 9 6 . Indem aber Gott die Verwerfung „auf sich selber nimmt, ist gesagt, daß dieser Teil n i c h t d e s M e n s c h e n T e i l ist. Es ist also die Prädestination, sofern in ihr auch ein Nein ausgesprochen ist, auf alle Fälle kein den Menschen treffendes Nein. Sie ist, sofern sie auch Ausschluß und Verwerfung ist, nicht des Menschen Ausschluß und Verwerfung" 9 7 . 2. Barth hat aus dieser christologischen Grundlegung von Verwerfung und Erwählung in ihrer Disproportionalität und Teleologie die kerygmatischen Konsequenzen gezogen und das Kerygma der Gemeinde als Form dieser Gnñstusgeschichte und infolgedessen als eindeutige Verheißung der Erwählung (promissio electionis!) bestimmt: „Denn das ist die Botschaft, mit der sich die erwählte Gemeinde . . . an jeden Menschen zu wenden hat: die V e r h e i ß u n g , daß a u c h e r ein E r w ä h l t e r ist." 9 8 Weiß die Gemeinde, „daß Gott die verdiente V e r w e r f u n g . . . auf sich selber genommen hat, daß . . . der einzige wirklich verworfene Mensch sein eigener Sohn ist, daß Gottes Verwerfung diesem Einen gegenüber mit allen Konsequenzen ihren Lauf genommen . . . hat" 9 9 , dann hat die Gemeinde von daher kein Recht, in ihrem Kerygma „das in Jesus Christus geordnete Verhältnis zwischen Erwählung und Verwerfung, zwischen Verheißung und Drohung [!] wieder umzukehren" 1 0 0 . Aus der exklusiven Restriktion von Verwerfung und Erwählung auf die christologischen Ebene folgt also für Barth die definitiv signifikative Verheißung der Erwählung auf der kerygmatischen Ebene: „Die Gemeinde kann die Tat und die Offenbarung der göttlichen Gnadenwahl nur b e z e u g e n . . . Sie kann die Botschaft von Jesus Christus unmöglich ausrichten, ohne eben damit einem Jeden . . . die Verheißung seiner E r w ä h l u n g auszurichten. Nicht ohne Erinnerung [!] an die Drohung seiner Verwerfung - aber diese Erinnerung doch nur um der Erklärung und Verschärfung der V e r h e i ß u n g willen!" 1 0 1 Die Gemeinde darf also das Nacheinander von Verwerfung und Erwählung, von Deus absconditus und Deus revelatus in Kreuz und Auferweckung nicht kerygmatisch wiederholen, sondern kann (post Christum resuscitatum) angesichts der „durch Jesus Christus a u ß e r K r a f t gesetzte[n] Drohung" und der „durch Jesus Christus i n K r a f t gesetzte[n] Verheißung" nur noch die Verheißung der Erwählung vorbehaltlos bezeugen 102 . Ebd. 191. Ebd. 102 Ebd. 353.

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Ebd. 181. Ebd. 352.

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Ebd. 350. Ebd. 351 f.

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Das signifikative Verständnis des Kerygmas als eindeutigen Zuspruchs der Verheißung der E r w ä h l u n g - nicht ohne die Erinnerung an die in Jesus Christus geschehene Verwerfung - hat im Sinne Barths freilich zur Voraussetzung, daß der Mensch „nicht zu seinem Sein wohl aber zu seinem Leben als Erwählter . . . des Hörens und Glaubens der Verheißung" bedarf 103 . Denn „nicht Jeder, der [in Christus] erwählt i s t , lebt als Erwählter" 1 0 4 . Oder noch deutlicher im Hinblick auf die im Kerygma ausgesprochene Verheißung der Erwählung: „Daß sie Erwählte s i n d , das transzendiert ja . . . die ihnen ausgerichtete Verheißung als solche . . . Sie s i n d erwählt . . . jenseits . . . der von dieser [seil, der Gemeinde] ausgerichteten Verheißung." 105 Kommt es angesichts der von der Gemeinde bezeugten kerygmatischen promissio electionis faktisch zu Scheidungen zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden, so kann die Gemeinde von ihrem christologischen Grund her eine solche Scheidung „nicht ins Prinzipielle erheben, nicht verewigen" 106 , insofern „gerade der Glaubende [vom christologischen Grund der Erwählung aller Menschen in Jesus Christus her!] . . . im Unglauben Anderer unmöglich eine letzte Gegebenheit erkennen" 107 kann. d) Der ekklesiologiscbe Sakramentalismus der Gnadenmittel und der anthropologische Synergismus der Prädestination des einzelnen Barth hat im Zusammenhang mit seiner Kritik an Luthers prädestinatianischen Aussagen in De servo arbitrio darauf hingewiesen, daß „ganz anders vor allem der ältere L u t h e r . . . mit größter Wucht" 1 0 8 eine eindeutigere christologische Fassung der Prädestinationslehre vorgelegt hat. O b nun in Kontinuität 1 0 9 oder mit gewisser Akzentverschiebung 110 gegenüber De servo arbitrio - Luther hat jedenfalls in der Genesisvorlesung von 1542 die Prädestination „als wesentliches Teilstück des Christuszeugnisses [entwickelt]. D. h. die Prädestinationslehre gehört zur Evangeliumsverkündigung, zur allein legitimen Predigt des Christus bzw. des Deus pro nobis" 111 . Mit Luthers eigenen Worten aus der Genesisvorlesung, in denen dieser die Prädestination mit der gegenwärtigen promissio parallelisiert: „praesentem promissionem et praedestinationem 10» Ebd. 105 Ebd. 3 5 2. 107 Ebd. 360. io» Vgl. Wolf, Erwählungslehre 87 f. 110

104 106 108

Ebd. Ebd. 358. Ebd. 65.

Vgl. K D I I / 2 , 65, 70; Moltmann, Prädestination 62, Anm. 92; Pannenberg, Der Einfluß der Anfechtungserfahrung 109 ff., besonders 125 f f . 111 Wolf, Erwählungslehre 87 f.

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suscipe . . . Si credis in Deum revelatum et recipis verbum eius [!], paulatim etiam absconditum Deum revelabit." 112 Aus dieser gegenüber De servo arbitrio stärkeren Ineinssetzung von Prädestination und Christusverkündigung, von praedestinatio und praesens promissio, aus dieser Unterstreichung der Gegenwart des erwählenden Gottes im Zuspruch des Versöhnungswortes folgt aber im Hinblick auf Luther, daß „der Augenblick, da das Evangelium gehört wird, erfüllt [ist] durch den Ewigkeitsernst der Entscheidung über Heil und Verdammnis, die in diesem Augenblick für den Hörenden fällt" 1 1 3 . Mit anderen Worten: „die ewige Entscheidung über meine Erwählung oder Verwerfung [fällt] in dem Augenblick, da Christus mir verkündigt [!] wird" (W. Pannenberg) 114 . Von dieser Ineinssetzung von Prädestination und kerygmatischer promissio bei Luther und der darin notwendig implizierten Verlagerung der eschatologischen Entscheidung über Verwerfung und Erwählung in die durch promissio und fides bestimmte kerygmatische Situation her ist es verständlich, daß Melanchthon in seiner späteren Fassung der Prädestinationslehre zum Synergismus tendierte, insofern die allgemeine Gnadenverheißung an alle Menschen erst durch den Glauben als electio wirksam gemacht wird, so daß der Unterschied zwischen Erwählten und Verworfenen in homine accipiente, in der Entscheidung des Menschen seinen Grund hat. Die promissio gratiae universalis 115 , die Institutionalisierung des Heils für alle durch die Stifung des in Wort und Sakrament dem Menschen angebotenen sakramentalen Heilsweges wirkt so zusammen (concurrere) mit der Annahme oder Nicht-Annahme des Menschen die Erwählung oder die Verwerfung 1 1 6 , so daß bei Melanchthon im Blick auf die menschliche Entscheidung der bei Luther in seiner Lehre vom Deus absconditus angesiedelte Strukturparallelismus von Erwählung und Verwerfung anthropologisch wieder auftaucht. Die sakramentale Fassung der universalen promissio gratiae und die synergistische Fassung der Prädestination des einzelnen gehören bei Melanchthon zusammen, ja sie bedingen einander. Das heißt aber im Hinblick auf Luther: 112 WA 43, 460, 2 5 - 2 8 : „Ergreife die gegenwärtige [ d . h . die gegenwärtig verkündigte] Verheißung und Prädestination . . . Wenn du an den offenbarten Gott glaubst und sein W o r t annimmst, wird es allmählich auch den verborgenen Gott offenbar machen" (Genesisvorlesung von 1542). 113 Pannenberg, Der Einfluß der Anfechtungserfahrung 129. 114 Ebd. 115 Vgl. C R 21, 914 f f . 116 Vgl. Pannenberg, Der Einfluß der Anfechtungserfahrung 131 f f . und Moltmann, Prädestination 66, 82, 86, 114.

221

Wie der an einem jenseits der christologischen Offenbarungsdialektik stehenden Deus absconditus orientierte Prädestinationsgedanke Luthers in De servo arbitrio (1525) nicht den Schein des Determinismus und der Spekulation vermeiden konnte, so konnte auch der an der Ineinssetzung von praedestinatio und kerygmatischer promissio orientierte Prädestinationsgedanke Luthers in der Genesisvorlesung (1542), demzufolge der Augenblick der Christusverkündigung zur eschatologischen Entscheidung über Verwerfung und Erwählung wurde, die Konsequenz des Synergismus nicht verhindern. Indem Barth aber im Unterschied zu Luther die Erwählungslehre nicht an einem Deus absconditus jenseits der christologischen Offenbarungsdialektik orientiert, sondern aus der christologischen Grundlegung von Erwählung und Verwerfung in ihrer Disproportionalität und Teleologie in Kreuz und Auferweckung Jesu Christi die kerygmatischen Konsequenzen folgert, bestimmt er die Verkündigung der Gemeinde als signifikativen Zeugendienst der „Verheißung der. Erwählung" an alle Menschen, wobei die durch den Zeugendienst der Gemeinde hervorgerufene Scheidung in Hörende und Nicht-Hörende im Sinne Barths niemals das Gewicht der eschatologischen Entscheidung über Erwählung und Verwerfung erhalten kann. Die exklusiv christologische Grundlegung von Verwerfung und Erwählung und die daraus gefolgerte Bestimmung der Verkündigung als signifikative Zusage der Verheißung der Erwählung ermöglichen Barth eine, eindeutige Abgrenzung nicht nur gegenüber jeglichfem Determinismus in der Prädestinationslehre einerseits, sondern auch gegenüber einem ekklesiologischen Sakramentalismus der Prädestination der Heilsmittel und einem anthropologischen Synergismus der Prädestination des einzelnen andererseits, Abwege und Konsequenzen, die bei Luther systematisch zumindest nicht ausgeschlossen worden sind. Die sakramentale promissio praedestinationis Luthers und die signifikative Verheißung der Erwählung bei Barth reflektieren damit im kerygmatischen Bereich die Differenz der Zuordnung von Heilsgeschehen und Verkündigung bei Barth und in der reformatorischen Theologie Luthers im Horinzont der Lehre von der Verborgenheit Gottes und der Erwählungslehre. e) Die Schatten des Kreuzes und die Lichter der Auferstehung in der Weltgeschichte (K. Barth)

Jesu

Christi

Luther weitet, wie bereits gezeigt, die teleologische Dialektik des opus alienum im Dienste des opus proprium als Charakteristikum des Handelns Gottes im Kreuz Christi und in der Verkündigung so auf die Gesamtheit des göttlichen Handelns in der Welt und Geschichte aus, daß er 222

zwischen dem gegenwärtigen Handeln des Deus absconditus außerhalb seiner Offenbarung in Christus und der zukünftigen Offenbarung dieses Gottes unterscheidet, wobei der Glaube an der teleologischen Dialektik des Nein im Dienste des J a auch gegen den Augenschein festhält. Barth hat gegenüber dieser Konstruktion eines Zusammenhangs zwischen Ereignissen der Weltgeschichte und einem Deus absconditus außerhalb der Christusoffenbarung (Luther) seine Lehre von den Schatten in der Weltgeschichte als den Zeichen des Gerichtes Gottes im Kreuz und den Lichtern in der Weltgeschichte als den Zeichen der Auferstehung und Prophetie Jesu Christi entwickelt und hat Luthers Aussagen über einen Deus absconditus jenseits der Christusoffenbarung in Kreuz und Auferweckung grundsätzlich entgegengehalten: „Mit einem anderen als dem uns b e k a n n t e n Können Gottes haben wir auf Grund seiner Freiheit allerdings zu rechnen: mit einem r e i c h e r e n , größeren, ganz andere Bezirke und Dimensionen als die uns bekannten umfassenden Können Gottes nämlich. Wir haben aber n i c h t damit zu rechnen, daß dieses sein anderes Können. . . jemals und irgendwo s a c h l i c h ein anderes als eben das in seinem uns bekannten tatsächlichen Werk erwiesene, ein. . . von diesem verschiedenes, ihm widersprechendes Können sein werde." 1 1 7 Barth zufolge steht also von der Christusoffenbarung her grundsätzlicher und exklusiver als für Luther fest, „daß der Deus absconditus in allen [!] seinen Möglichkeiten, in seinem ganzen [!] Können auch in allen [!] uns unzugänglichen Bezirken und Dimensionen kein Anderer [!] als eben der Deus revelatus ist" 1 1 8 . Diese Grundsätzlichkeit und Ausschließlichkeit macht es nach Barth systematisch unmöglich, das undurchdringliche Dunkel der Weltgeschichte auf einen jenseits der christologischen Offenbarungsdialektik stehenden Deus absconditus zurückzuführen. Denn nicht zwischen dem Deus absconditus jenseits der Christusoffenbarung und dem Rätsel der Weltgeschichte, sondern „zwischen jenem einen Leiden des Sohnes Gottes und den vielen Leiden, die wir über Israel, über die Kirche, über die Welt, über uns selbst gehen sehen, [besteht] zweifellos ein innerer sachlicher Z u s a m m e n h a n g " 1 1 9 . Kein Zusammenhang im Sinn der Wiederholung, „daß wir es in dem Allem . . . noch einmal [!] und im g l e i c h e n Sinn [!] mit dem G e r i c h t e G o t t e s zu tun hätten, das am Kreuze von Golgatha vollzogen ist, das G o t t . . . vollzogen und erlitten hat" 1 2 0 . Vielmehr gilt — zunächst im Hinblick auf die Geschichte Israels exemplarisch - , daß man Gottes „Gerichtstaten an Israel und mit ihnen das israelitische Schicksal in allen Zeiten und Zonen [!] gerade nicht für sich ansehen kann. . ., daß das Alles, so furchtbar es. . . tatsächlich ist, 117 119

KD II/l, 609. Ebd. 456.

1,8 120

Ebd. 610. Ebd. 455.

223

nur Widerschein ist von dem unendlich viel Furchtbareren, das sich am Karfreitag zugetragen hat" 1 2 1 . Zugleich gilt im Hinblick auf die Völker und den einzelnen Menschen: „Was mit Krankheit und Not, was mit dem inneren und äußeren Leid jedes Einzelnen, was mit Krieg, Hunger, Tyrannei und Revolution im Leben der Völker, was schließlich mit dem unaufhaltsam über Alle und Alles sich ausbreitenden Leichentuch des Todes gemeint ist, das wird dort [im Gericht Gottes im Kreuz Christi], erst dort, in seiner wahren Schrecklichkeit sichtbar." 122 Denn „das wirkliche Gericht Gottes ist doch die Kreuzigung Christi ganz allein und das eben ist das Furchtbare dieses Ereignisses, daß es die Wirklichkeit ist, die alle anderen Gerichte über Israel, aber auch alle anderen Gerichte über die Welt und uns Menschen nur vorbilden konnten und nachbilden können" 123 . „Sie können gerade nur das Zeichen [!] der Kreuzigung C h r i s t i und damit das Zeichen des w i r k l i c h e n Gerichtes Gottes" sein 124 . Barth hebt hervor, daß seine Aussagen über das Schreckliche und Grauenhafte in der Weltgeschichte als Zeichen des Gerichtes Gottes im Kreuz Christi nicht etwa deren Relativierung, Verharmlosung oder gar immanente Sinngebung bedeuten. Vielmehr bedingt der Zusammenhang mit dem Kreuz Christi umgekehrt, daß alles Leiden - das durch Ideologie und Fortschrittsglauben jeder Art immer wieder vergessen, verharmlost, relativiert und einer immanenten Teleologie unterworfen worden ist — erst „ein unsere Apathie endgültig störendes Gewicht bekommt [!] von der Stelle her - und das ist eben das Kreuz von Golgatha - wo das unendliche Gewicht d e s Schmerzes, d e s Todes getragen worden ist, an den unser Schmerz und Tod . . . von ferne nicht heranreicht, als dessen Zeichen aber unser Schmerz und Tod nun doch" zu verstehen ist 125 . Das Kreuz von Golgatha ist nämlich „ d a s Gericht, dessen mit ewiger Flamme brennendes Feuer erst das Licht [!] ist, in dessen Schein die wahre Furchtbarkeit auch jener alttestamentlichen [und - ich ergänze - weltgeschichtlichen] Gerichtsdrohungen und Gerichtstaten wirklich sichbar wird" 1 2 6 . Barth hat nicht nur im Unterschied zur Lehre Luthers vom Deus absconditus streng christologisch von den „Zeichen und Schatten" des göttlichen Gerichtes über den Gekreuzigten in der Weltgeschichte, sondern über Luther hinaus - post Christum resuscitatum! - auch von den Lichtern der Auferstehung und Prophetie Jesu Christi in der Weltgeschichte gesprochen: „Das Offenbarwerden dieses Geschehens [seil, der vollendeten Geschichte des Bundes und der Versöhnung] und also 121 123 125

224

Ebd. 444. Ebd. 445. Ebd. 444.

122 124 126

Ebd. Ebd. Ebd. 443.

die Prophetie Jesu Christi ist die e i n e Wahrheit, das e i n e Licht. Aber indem es aufgeht und leuchtet, spiegelt es sich im Sein und in der Existenz des nicht von ungefähr, sondern auf dieses Geschehen und so auch auf diese Offenbarung hin geschaffenen Kosmos" 127 . Und in Anspielung auf und zugleich kritischer Abwandlung der Rede Luthers von Gottes Wirken außerhalb seiner Offenbarung (!) in seinen „Mummereien", „Masken" und „Larven" heißt es bei Barth im Hinblick auf die Prophetie Jesu Christi als das wahre Licht des Selbstzeugnisses Gottes, „daß die schlechthinnige Verbindlichkeit des Wortes Gottes sich in die beschränkte des kreatürlichen Selbstzeugnisses verkleiden [!] kann. Gottes e w i g e s . . . Wort, das neue Wort vom Reich und vom Gnadenbund kann seine Gestalt wandeln [!], kann laut werden in der scheinbar ganz anspruchslosen Gestalt dieses oder jenes Selbstzeugnisses der Kreatur. . . Es kann seine göttliche Macht, Würde und Geltung verbergen [!] in der relativen eines solchen kreatürlichen Selbstzeugnisses, um nun dort gerade in dieser Verborgenheit [!] Gottes Selbstkundgebung... zu sein" 128 . Barth hat also im Unterschied zu Luthers Lehre vom Deus absconditus nicht nur von den Schatten in der Weltgeschichte als den Zeichen des Gerichtes Gottes im Kreuz Christi, sondern darüber hinaus - das Nachher der Auferstehung Jesu Christi ist unser Ausgangspunkt 129 ! von den Lichtern in der Weltgeschichte als den Zeichen der Auferstehung und Prophetie Jesu Christi gesprochen, insofern wir es in Jesus Christus „mit der n e u e n Wirklichkeit der Weltges c h i c h t e zu tun" haben 130 . Barth hat im Unterschied zu Luther die Schatten und die Lichter in der Weltgeschichte streng von der christologischen Offenbarungsdialektik in Kreuz und Auferweckung her interpretiert und von daher eine doppelte Abgrenzung vollzogen: 1. Die Leiden in der Weltgeschichte - von Ideologie und Fortschrittsglaube immer wieder entweder verharmlost oder vergessen, uminterpretiert oder finalisiert, d. h. um eines zu erreichenden Endzieles willen für sinnvoll und notwendig erklärt - können als Zeichen des Furchtbaren und Entsetzlichen des Gerichtes Gottes im Kreuz Christi keiner immanenten Sinnhaftigkeit unterworfen werden, insofern die Auferweckung als neue Tat Gottes nicht als immanente Sinngebung des Kreuzes und nicht als immanenter Umschlag des Kreuzes verstanden werden kann131. D. h. wie vom Kreuz Christi her alles Leiden in der Welt erst sein alle Relativierung, Instrumentalisierung und Immanentisierung aufhebendes Gewicht bekommt, so ist umgekehrt das Grausame und Entsetzliche in der Weltgeschichte bis hin zu Auschwitz als Zei127 129 131

1J

KD IV/3, 174. KD IV/1, 3 8 2. Vgl. KD I V / 1 , 327 ff.

Klappert, Promissio

128 130

Ebd. 179. KD IV/3, 815.

225

chen von Golgatha zugleich die Krisis jeglicher gegenstandsvergessenen, heimlich an einer theologia gloriae orientierten Kreuzeschristologie. Wer meint, das Kreuz verstehen zu können, aber Auschwitz nicht, der hat die Dimensionen des Kreuzes als „einer über den Menschen hereinbrechenden K a t a s t r o p h e " 1 3 2 noch nicht in den Blick bekommen. 2. Ist Jesus Christus die neue Wirklichkeit der Weltgeschichte und ist die Prophetie Jesu Christi zugleich seine Kampfesgeschichte, dann besteht bei aller faktischen Entsetzlichkeit der Leiden in der Weltgeschichte Barth zufolge zwischen den Schatten und den Lichtern der Weltgeschichte „kein statisches Gegenüber, keine Schwebe, keine Balance", sondern „ihrem Inhalt und Gegenstand entsprechend [!] Ü b e r g a n g , Wendung, Entscheidung in einer ganz bestimmten R i c h t u n g " 1 3 3 . Es ist das Verhältnis zwischen den Schatten und den Lichtern in der Weltgeschichte von der Wirklichkeit Jesu Christi, des in seiner Geschichte erfüllten Bundes und der verwirklichten Versöhnung her auf jeden Fall ein ungleiches Verhältnis.

THESE X I I / 2

Die Verborgenheit Gottes als notwendiges Implikat der Souveränität der Offenbarung Gottes wird von Barth in positiver Rezeption des christologischen, an der theologia crucis orientierten Offenbarungsbegriffs Luthers herausgearbeitet. Barth stellt an Luthers zweideutige Fassung der Lehre vom Deus absconditus - revelatus zugleich die Frage, ob Luther den Deus absonditus exklusiv als Moment der christologischen Offenbarungsdialektik verstanden oder ob er darüber hinaus von einem jenseits der Offenbarung Gottes im Kreuz handelnden Deus absconditus geredet hat. Barth hat Luthers Lehre vom Deus absconditus - revelatus exklusiv auf den differenzierten Zusammenhang von Kreuz und Auferweckung bezogen. Wird aber Luthers Unterscheidung von der Teleologie des Zusammenhangs von Kreuz und Auferweckung her verstanden und ist post Christum resuscitatum der Deus revelatus nie mehr exklusiv im Christus crucifixus verborgen, dann ist es im Sinne Barths unmöglich - und hier erst kommt die kritische Differenz zu Luther in den Blick - , die christologische Offenbarungsdialektik des Deus absconditus - revelatus kerygmatisch oder anthropologisch zu wiederholen. Die Einmaligkeit, Exklusivität und Unwiederholbarkeit des christologischen Weges vom Deus absconditus im Kreuz zum Deus revelatus in der Auferweckung impliziert dessen kerygmatisch-anthropologische Unwiederholbarkeit. 132

226

Ebd. 326.

m

Ebd. 224.

Aus der exklusiv christologischen Grundlegung von Verwerfung und Erwählung und der daraus abgeleiteten Bestimmung der Verkündigung als signifikativen Zeugendienst der Verheißung der Erwählung folgt f ü r Barth die eindeutige Abgrenzung nicht nur gegenüber dem Schein des philosophischen Determinismus in der Prädestinationslehre, sondern auch gegenüber einem ekklesiologischen Sakramentalismus der Prädestination der Gnadenmittel und einem anthropologischen Synergismus der Prädestination des einzelnen (Melanchthon) - Konsequenzen der an der Ineinssetzung von praedestinatio und kerygmatischer promissio orientierten Prädestinationslehre Luthers in der Genesisvorlesung (1542), der zufolge der Augenblick der Erwählungsverkündigung und der Akt der Annahme oder Nicht-Annahme von der Seite des Menschen zur eschatologischen Entscheidung über Verwerfung und Erwählung wurde. Die sakramentale promissio praedestinationis Luthers und die signifikative Verheißung der Erwählung bei Barth reflektieren damit im kerygmatischen Bereich die Differenz der Zuordnung von Heilsgeschehen und Verkündigung bei Barth und in der reformatorischen Theologie Luthers. Barth hat im Unterschied zu Luthers Lehre vom Deus absconditus nicht nur von den Schatten der Weltgeschichte als den Zeichen des Gerichtes Gottes im Kreuz Christi, sondern darüber hinaus von den Lichtern der Weltgeschichte als den Zeichen, Verkleidungen und Verhüllungen der Auferstehung Jesu Christi gesprochen und dabei präziser und konsequenter als Luther die Schatten und die Lichter in der Weltgeschichte streng von der christologischen Offenbarungsdialektik von Kreuz und Auferweckung her interpretiert und zwar in doppelter Abgrenzung: 1. Die Leiden in der Weltgeschichte können als Zeichen des Gerichtes Gottes im Kreuz Christi keiner immanenten Sinnhaftigkeit unterworfen werden, insofern die Auferweckung als neue Tat Gottes nicht als immanenter Umschlag des Kreuzes verstanden werden kann. 2. Jesus Christus als die neue Wirklichkeit der Weltgeschichte und die Prophetie Jesu Christi als die Geschichte der Bezeugung und Durchsetzung des erfüllten Bundes und verwirklichter Versöhnung implizieren, daß zwischen den Schatten und den Lichtern der Weltgeschichte kein statisches Gegenüber, sondern ihrem Gegenstand entsprechend nur ein Übergang in einer bestimmten unumkehrbaren Richtung bestehen kann. Es ist das Verhältnis zwischen den Schatten und Lichtern in der Weltgeschichte von der Geschichte Jesu Christi in Kreuz und Auferweckung, „Gesetz und Evangelium" her ein ungleichgewichtiges Verhältnis. Die Exklusivität, mit der Barth in positiver Aufnahme der Lehre Luthers vom Deus absconditus - revelatus diese zugleich gegenüber Luther auf den christologischen Zusammenhang von Kreuz und Auferweckung 15·

227

beschränkt, richtet sich 1. nicht nur gegen eine Rückführung eines abstrakten Leistungs- und Vergeltungsgesetzes auf den Deus absconditus, mithin gegen eine Verklammerung des Gesetzes in seiner immanenten Perspektive mit der immanenten Perspektive eines noch nicht exklusiv an der christologischen Offenbarungsdialektik orientierten Deus absconditus, sondern 2. zugleich wesentlich gegen die Vorstellung einer kerygmatisch-anthropologischen Wiederholung der exklusiv christologischen Dialektik des Deus absconditus - revelatus und 3. nicht zuletzt gegen die Konstruktion eines Zusammenhangs zwischen Ereignissen der Weltgeschichte und einem außerhalb der Christusoffenbarung, d. h. jenseits der christologischen Offenbarungsdialektik agierenden Deus absconditus. Das Handeln des Deus absconditus in der Weltgeschichte als Zeichen des Gerichtes im Kreuz Christi (Schatten des Kreuzes Christi) und das Handeln des Deus revelatus in der Weltgeschichte als Zeichen der Auferstehung Jesu Christi (Lichter der Prophetie Jesu, Christi) repräsentiert Barth zufolge ein uns unbekannte Dimensionen umfassendes, aber kein von der christologischen Offenbarungsdialektik sachlich verschiedenes, ihm widersprechendes Handeln Gottes.

228

XIII. Der Bund der Erwählung (K. Barth) und die Verheißung der Vergebung (M. Luther) „Heilsgeschehen und Verkündigung" und „Evangelium und Gebot" bzw. „Gesetz und Evangelium" stehen bei Barth und Luther in einem verschiedenen Bezugsrahmen, der bei Barth mit der christologischen Kategorie Bund, bei Luther mit der kerygmatischen Kategorie promissio, Verheißung zu bestimmen ist: Wo bei Barth der B u n d der E r wählung, da steht bei Luther die V e r h e i ß u n g der Vergebung. Mit Hilfe von Luthers Bestimmung des Inhalts und Gegenstandes (subiectum!) der Theologie aus der Enarratio zu Psalm 51 soll dieser Unterschied zwischen Luther und Barth abschließend verdeutlicht werden: Thema und Inhalt der Theologie ist Luther zufolge der schuldige Mensch und der rechtfertigende Gott: „Cognitio dei et hominis est sapientia divina et proprie theologica, et ita cognitio dei et hominis, ut referatur tandem ad deum iustificantem et hominem peccatorem, ut proprie sit subiectum Theologiae homo reus et perditus et deus iustificans vel salvator." 1 Ist Luthers Definition zufolge das exklusive Thema der Theologie der schuldige Mensch und der rechtfertigende Gott, so wäre im Hinblick auf Barth so zu formulieren: Cognitio Dei et hominis est sapientia divina et proprie theologica, et ita cognitio Dei et hominis, ut referatur ad Deum eligentem et hominem electum, ut proprie sit subiectum Theologiae Deus in Christo eligens et homo in Christo elee tus2. In diesem Zusammenhang ist auch Luthers Definitionsformel zum Wesen des Menschen aus seiner „Disputatio de Homine" von 1536 zu verstehen: „hominem iustificari fide." 3 Der Mensch als Mensch - so 1 WA 40/2,327,11-328,2: „Erkenntnis Gottes und des Menschen ist eine göttliche und spezifisch theologische Weisheit und wird erst dadurch Erkenntnis Gottes und des Menschen, daß sie zuletzt auf den rechtfertigenden Gott und den sündigen Menschen bezogen wird, so daß der eigentliche Gegenstand der Theologie der schuldige und verlorene Mensch und der rechtfertigende Gott oder Heiland ist." Kursivierung vom Verfasser. 2 „Erkenntnis Gottes und des Menschen ist eine göttliche und spezifisch theologische Weisheit und wird erst dadurch Erkenntnis Gottes und des Menschen, daß sie auf den erwählenden Gott und den erwählten Menschen bezogen wird, so daß der eigentliche Gegenstand der Theologie der in Christus erwählende Gott und der in Christus erwählte Mensch ist." 3 WA 39/1,176,34 f.: „Der Mensch wird durch den Glauben gerechtfertigt."

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definiert Luther in antischolastischer Front - wird durch den Glauben gerechtfertigt. Oder noch deutlicher: der Mensch wird durch das Ereignis der Rechtfertigung des Gottlosen zum Menschen 4 . Demgegenüber ist für Barth - primär an der Wahrheitsgeschichte des Bundes in Christus und erst darin auch an der Wirklichkeitsgeschichte der Rechtfertigung des Gottlosen orientiert - Jesus von N a z a reth als der stellvertretende Bundespartner, ist der „ontologis c h e Zusammenhang zwischen dem Menschen Jesus einerseits und allen anderen Menschen andererseits" 5 die wirkliche Wahrheit des Menschen 6 und als solche auch die Wesensbestimmung des Menschen, auf deren Hintergrund die Rechtfertigung des Gottlosen in ihrer Bedeutung allererst bestimmt, aber nicht einfach zur Wesensbestimmung des Menschen im Sinne von Luthers Definitionsformel gemacht werden kann. Wo bei Luther die in der promissio zugesprochene Rechtfertigung des Gottlosen, steht bei Barth der Bund als die Einheit des in Freiheit erwählenden Gottes und des zur Freiheit erwählten Menschen. D a s Verhältnis Barths zu Luther ist aber nicht im Sinne eines Alternativverhältnisses, sondern - und dem diente der Nachweis der vorangegangenen Analysen! - im Sinne eines Inklusionsverhältnisses zu verstehen: das subiectum Theologiae des Deus eligens und des homo electus schließt im Sinne Barths Luthers Thema des homo peccator und des Deus iustificans notwendig ein, so wenig es freilich in ihm aufgeht oder mit ihm identisch wäre. Denn „die beiden Formeln: ,Gesetz und Evangelium' und ,Evangelium und Gesetz' wird man gerade im Blick auf Luther [und im Blick auf Barth] nicht gegeneinander ausspielen dürfen; man wird andererseits auch nicht sagen können, daß die Unterschiedenheit ihrer Formulierung gleichgültig sei. ,Gesetz und Evangelium' schließt die Gefahr einer [kerygmatisch-] anthropozentrischen Fassung der Rechtfertigungslehre in sich; ,Evangelium und Gesetz [Gebot]' sucht den christologischen Charakter des gebietenden, schöpferischen . . . Wortes Gottes zu sichern" 7 . Barths letzte ausführliche und bisher kaum beachtete Stellungnahme zum Thema „Evangelium und Gesetz" in der Kirchlichen Dogmatik, in der Barth noch einmal alle wichtigen Themenkreise 8 rekapituliert 4 5 8

230

Vgl. W o l f , Per. I I 119 f f . , bes. 133 f . ; ders., T o d e s s t r a f e 18 f f . 8 Vgl. K D I V / 1 , 55 f. 7 Wolf, Per. I I 37. K D I V / 2 , 305. 1. D a s P r o b l e m des Verständnisses v o n Gesetz und E v a n g e l i u m als der zwei Worte Gottes. 2. D i e A b s t r a k t i o n des Gebotes Gottes zu einem fordernden Gesetz und die R e duktion des E v a n g e l i u m s auf die P r o k l a m a t i o n der Sündenvergebung. 3. D i e exegetische Schwierigkeit der Bestreitung eines Sachzusammenhangs zwischen G e b o t Gottes und J a h w e b u n d im Alten Testament. 4. D i e Identifizierung des abstrakten Gesetzes mit der lex naturalis zum Z w e c k der B e g r ü n d u n g einer allgemeinen, natürlichen Gotteserkenntnis.

und seine Position präzisiert hat, soll hier am Schluß zu Wort kommen. „ D i e . . . Auffassung vom Evangelium und vom Gesetz . . . gehören zum eisernen Bestand d e r . . . [Kirchlichen] Dogmatik. Das beweist gewiß nicht, daß sie richtig sind. Doch muß ich hier beiläufig erklären, daß ich durch das, was von Seiten der durch sie besonders betroffenen Theologen lutherischer Herkunft und Formation (u. a. von W. E i e r t , Ρ. Althaus, E. Sommerlath, H. Thielicke, W. J o e s t und in dem Buch ,Antwort' [1956] von G. W i n g r e n und - besonders umsichtig - von E d m u n d S c h l i n k ) dagegen eingewendet worden ist, auch nicht davon überzeugt worden bin, daß sie n i c h t richtig sind. Zu Vieles ist mir in der von diesen Autoren (in verschiedener Schärfe und Konsequenz) vorgetragenen Gegenthese von der verschiedenen, ja entgegengesetzen Bedeutung und Funktion des ,Gesetzes' und des ,Evangeliums' nach wie vor völlig dunkel. Ich verstehe (1) nicht, mit welchem biblischen und inneren Recht, von welchem Begriff von Gott, seinem Tun und seiner Offenbarung, vor allem von welcher Christologie her man dazu kommt, statt von e i n e m in sich wahren und klaren Wort Gottes von deren z w e i zu reden, in welchem er, man weiß nicht nach welcher Regel alternierend, je in ganz verschiedener Weise zum Menschen reden würde. Ich verstehe (2) weder den Sinn eines angeblichen Evangel i u m s ' , dessen Inhalt sich in der Proklamation der Vergebung der Sünden erschöpfen würde und das vom Menschen in einem bloß innerlichen, rein rezeptiven Glauben aufzunehmen wäre - noch den eines angeblichen , G e s e t z e s ' , das als abstrakte Forderung einerseits nur äußere Lebensordnung sein, anderseits nur eben dazu bestimmt sein soll, den Menschen anzuklagen und damit auf das ,Evangelium' hinzuweisen und vorzubereiten 9 . 5. Das v o m Evangelium abstrahierte f o r d e r n d e und anklagende Leistungs- und Vergeltungsgesetz und das Problem der ihm gegenüber entstehenden Sündenerkenntnis. 9 Vgl. E. Hesse: „Gebot und Gesetz" und das A l t e Testament, EvangelischLutherische Kirchenzeitung 1 3 , 1 9 5 9 , 1 7 7 - 1 2 4 , der sich im Hinblick auf die v o n ihm vorgenommene Unterscheidung v o n Bundes g e b o t und Vergeltungs g e s e t ζ auf den A u f s a t z v o n P. A l t h a u s „Gebot und Gesetz" b e r u f t und dessen Position gekennzeichnet ist: durch das Verständnis des Gesetzes als eines göttlichen Vergeltungsgesetzes und als äußerer Lebensordnung (kasuistisches und Ritualrecht), durch die Unterscheidung v o n alttestamentlichem Gesetz und neutestamentlicher Paränese, durch die Identifizierung des alttestamentlichen „Gesetzes" mit der postlapsarischen Zornes- und Vergeltungsordnung, der alle Menschen - und so auch Israel in der Gestalt des „Gesetzes" - u n t e r w o r f e n sind, schließlich durch die Behauptung eines erst im Neuen Testament an den Tag gekommenen Gegenübers v o n Vergeltungsordnung ( G e s e t z ) und Vergebungsordnung ( E v a n g e l i u m ) ; vgl. Zimmerli, Das Gesetz im A l t e n Testament, der 2 6 0 f f . die Position Hesses analysiert; vgl. neuerdings K r e c k , Ethik 88 f f . , der die in ihrer A r g u m e n t a t i o n gegen B a r t h

231

Ich verstehe (3) nicht, wie man dazu kommt, dem Apostel Paulus eine Auffassung von G o t t e s G e s e t z zuzuschreiben, in der er sich zu dem, was im Selbstverständnis des Alten Testamentes so heißt, zugestandenermaßen nicht in Übereinstimmung, deutlicher gesagt:.in W i d e r s p r u c h befinden würde - eine Auffassung, die man von diesem, insbesondere von dem her, was wir heute (M. N o t h , G. v o n Rad, H. J. K r a u s ) 1 0 vom alttestamentlichen Gesetzesbegriff in seiner positiven Beziehung zum Jahvebund wissen, nur als tief i r r t ü m l i c h bezeichnen könnte. Ich wundere mich, wie man sich mit dieser doch recht beunruhigenden exegetischen Voraussetzung11 so leichthin abfinden kann. keineswegs überzeugenden Beiträge von Althaus, Eiert, Wingren und Thielicke einer kritischen Analyse unterzieht. 10 M. N o t h , Die Gesetze im Pentateuch, Ges. Studien zum AT, ThBü 6,1957,9-141; ders., Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch, ebd. 155-171; G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments I, 1957,368-380; H . J. Kraus, Freude an Gottes Gesetz. Ein Beitrag zur Auslegung der Psalmen 1; 19 B; 119, E v T h 1950/51,10,337-351; ders., Zum Gesetzesverständnis der nachprophetischen Zeit, Biblisch-Theologische Aufsätze, 1972,179-194; W. Zimmerli, Das Gesetz im Alten Testament, in: Gottes O f f e n b a r u n g , Ges. Aufsätze, ThBü 19,1963,249-276; ders., Das Gesetz und die Propheten. Zum Verständnis des Alten Testaments, 1963; ders., G r u n d riß der alttestamentlichen Theologie 39-48,94 f f . - Die Ergebnisse der genannten Alttestamentler werden kritisch gegen R. Prenter, Schöpfung und Erlösung, 1960, diskutiert von H . Berkhof, Gesetz und Evangelium, WdF, 58-75. 11 E. Käsemann hatte seinen Beitrag in der Bultmann-Festschrift als indirekte Anfrage auch an die Versöhnungslehre Barths verstanden, wenn er schrieb: „Jene uns aus der Dogmatik vertraute und dann in die neutestamentliche Theologie übertragene Versöhnungslehre k a n n sich . . . [lediglich] an einzelne neutestamentliche Aussagen anschließen" (Bultmann-Festschrift 48) und daraus zugleich folgerte, „daß es so etwas wie eine das ganze Neue Testament bestimmende Versöhnungslehre nicht gibt" (ebd.). Käsemanns exegetischer Kritik an einer die Vielfalt der neutestamentlichen Aussagen verkennenden Versöhnungslehre steht neuerding die Kritik von L. Perlitt an einer die Vielfalt der alttestamentlichen Aussagen einebnenden Bundestheologie in seinem Buch „Bundestheologie im Alten Testament" zur Seite. Perlitts These zufolge wird die wesentlich im deuteronomisch-deuteronomistischen Bereich beheimatete Bundestheologie und mit ihr die Bundeskategorie „zu einem alle Nuancen des religiösen Reichtums Israels verschlingenden Moloch [!] . . . gegen die Krise des Jahweglaubens erst da, w o es als Zentralkategorie des israelitischen Gottesverhältnisses überhaupt und f ü r alle Zeiten [!] angesehen und in seinem C h a r a k t e r als ein Bild (neben anderen!) f ü r dieses Gottesverhältnis verkannt w i r d " (ebd. 284). Die mit „Bund" nur unvollkommen, wenn nicht gar falsch wiedergegebene berit-Kategorie f ü h r t e nach Perlitt „zu einer theologischen V e r e n g u n g . . . die sich in der Verkennung des auch nur Bildlichen dieser C h i f f r e und der entsprechenden Vernachlässigung vieler anderer überkommener Bilder f ü r das Gottesverhältnis äußerte" (ebd. 280). - Wieweit ist Barths Theologie des in Jesus Christus erfüllten Bundes und der in ihm zugleich verwirklichten Versöhnung durch solche exegetischen Anfragen inhaltlich getroffen? Was bedeuten Käsemanns und Perlitts Anfragen f ü r die am Alten und Neuen Testament gleicherweise exegetisch orientierte Theologie K. Barths? Im Rahmen dieser Analysen bleibt nur der Hinweis, daß diese Auseinandersetzung bisher nicht geführt wurde, diese exegetischen A n f r a g e n aber

232

Ich verstehe (4) nicht, wie man den Begriff jenes angeblichen .Gesetzes' anders als (wie es schon im 16. Jahrhundert, mit den verhängnisvollsten Folgen im 17., 18. und 19. geschehen ist) unter Rückgriff auf die Vorstellung eines , N a t u r r e c h t s ' und damit auf eine allgemeine natürliche Gottesoffenbarung oder aber mit Hilfe eines primitiv b i b l i z i s t i s c h e n Verfahrens gewinnen und füllen will - und wundere mich, daß man sich durch dieses Dilemma nicht warnen läßt. Und ich verstehe schließlich (5) gerade das n i c h t , . . . inwiefern sich aus der Konfrontierung des Menschen mit diesem angeblichen ,Gesetz' eine ernstliche, präzise, unausweichliche Erkenntnis der menschlichen Übertretung und also seiner S ü n d e ergeben: inwiefern nämlich dieses Gesetz die Autorität und Macht Gottes haben soll, den Menschen unter sein Gericht zu bringen und zu beugen. Und so verstehe ich denn auch das nicht: daß und inwiefern sich der Mensch, indem er sich an diesem Gesetze mißt, auf dem Wege zur Erkenntnis des Evangeliums befinden soll. Verstehe ich M a r t i n L u t h e r nicht, wenn ich das Alles nicht verstehe? Den Luther des Streites gegen die Antinomer (der mir freilich auch in nicht weniger früheren und späteren seiner Äußerungen erschreckend genug begegnet) verstehe ich sicher nicht - und das, was sich seither in dieser Sache als klassisch ,lutherische' Lehre entfaltet hat, erst recht nicht. Wie aber, wenn es - der Reichtum der in dem Corpus WA beschlossenen Geheimnisse ist ja so vielfältig - auch in dieser Hinsicht m e h r als einen Luther geben sollte, darunter e i n e n , auf den sich die klassische ,lutherische' Lehre und deren mir in ihrem Namen widersprechende moderne Ausleger und Vertreter nun gerade n i c h t berufen könnten? Ich durfte ja umgekehrt dem in der ,Antwort' unmittelbar neben den kritischen Beiträgen von W i η g r e η und S c h 1 i η k abgedruckten Aufsatz von H . G o l l w i t z e r und neuerdings dem Buch von G e r h a r d H e i n t z e , ,Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium' (1958) entnehmen, daß Luther, insbesondere auf der nicht schmalen Linie seiner Auslegung und Anwendung des Dekalogs, vor Allem des ersten Gebotes, in seinen Predigten über die Bergpredigt und über die Leidensgeschichte a u c h einem Programm (Nihil nisi Christus praedicandus) folgen konnte, im Blick auf das es sich wohl fragen ließe, ob ich mit dem, was ich in dieser Sache vertrete, nicht endlich und zuletzt auch ein gar nicht so übler - Lutheraner sein möchte" 12 . K. Barth, der die Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz zum Kernbestand der K D rechnet, benennt also im Rückblick auf die Auseiner Klärung dringend bedürften. - Zur inneralttestamentlichen mit

Perlitts These vgl.

vorläufig W.

Zimmerli,

Erwägungen

Auseinandersetzung 171-190,

und

ders.,

Grundriß bes. 3 9 - 4 8 . 12

K D I V / 3 , 427 f.

233

einandersetzung insbesondere mit den lutherischen Theologen folgende 5 Gravamina, die es ihm unmöglich machen, der G e g e n t h e s e von der entgegengesetzten Funktion und Bedeutung des „Gesetzes und des Evangeliums" zuzustimmen. Barth nennt: 1. Die Schwierigkeit der Legitimation des Verständnisses von Gesetz und Evangelium als der zwei Worte Gottes (Eiert, Althaus) im Hinblick auf die biblische G o t t e s l e h r e , die O f f e n b a r u n g Gottes und die C h r i s t o l o g i e . 2. Die Sinnlosigkeit der Abstraktion des Gebotes Gottes zu einem fordernden Gesetz der ä u ß e r e n Lebensordnung (usus civilis) und der i n n e r e n Anklage (usus elenchticus) einerseits und der Reduktion des Evangeliums auf die Proklamation der Sündenvergebung und des Glaubens auf eine rein passive Innerlichkeit andererseits. 3. Die Unmöglichkeit der Negation eines Sachzusammenhangs zwischen dem paulinischen Verständnis der Tora als des Gesetzes Gottes und dem alttestamentlichen Verständnis der Verklammerung von Gebot Gottes und Jahwebund bzw. der Verankerung des Gebotes Gottes im Jahwebund. 4. Die Unausweichlichkeit der Identifikation des vom Evangelium separierten abstrakten Gesetzes mit der (Vorstellung einer) l e x nat u r a l i s unter gleichzeitigem Rückgriff auf die Behauptung einer allgemeinen, natürlichen Gotteserkenntnis und Gottesoffenbarung. 5. Die Unausweisbarkeit der Konstitution der Sündenerkenntnis angesichts eines solchen vom Evangelium abstrahierten, fordernden und anklagenden Leistungs- und Vergeltungsgesetzes einerseits und der teleologischen Funktion einer solchen Gesetzes- und Sündenerkenntnis im Hinblick auf die Erkenntnis des Evangeliums andererseits. E. Wolf hat darauf hingewiesen, daß Barth in seiner Schrift „Evangelium und Gesetz" merkwürdigerweise „ohne direkte [!] Polemik gegen Luther" argumentiert 13 , und G. Heintze hat ebenfalls auf den auffälligen Tatbestand aufmerksam gemacht, „daß in der grundsätzlichen Darlegung des Verhältnisses von Evangelium und Gesetz in Kirchl. Dogm. 11,2 K. 8 (Gottes Gebot) Luther nicht zitiert wird" 1 4 . Dieser Tatbestand ist aber nicht primär - wie Heintze meint - Ausdruck der Ehrerbietung Barths gegenüber Luther 15 , sondern Kennzeichen der Barthschen Auseinandersetzung mit einer Theologie, deren Komplexität, Mehrschichtigkeit und Differenziertheit16 keinem anderen so bewußt war wie eben K. Barth. So fragte er schon 1933: „Scheint er [Luther] nicht immer noch um eine Ecke weitergedacht zu haben, wo auch die scheinbar komplizierten (wie etwa sein Melanchthon) zu denken aufhörten? Ist er nicht 13 14 15

234

Wolf, in: R G G 3 II 1525. Heintze, Luthers Predigt, 12, A n m . 2. Vgl. ebd. 11 f.

16

Vgl. Kupisch, 114 f.

in Wahrheit doch differenzierter und dunkler als etwa Thomas von Aquin oder Schleiermacher." 17 Ist einmal die Indirektheit dieser fragenden Auseinandersetzung Barths mit Luther erkannt, dann erhellt sogleich, daß mit einem mittels der Konkordanzmethode gewonnenen Stellenmaterial, das etwa von G. Heintze 1 8 oder ergänzend von E. Kinder und K. Haendler 1 9 zusammengestellt worden ist, ein Vergleich zwischen Luther und Barth sachlich und methodisch nicht hinreichend durchgeführt werden kann, wie das in den vorangegangenen Analysen herangezogene breite Stellenmaterial aus dem Zeitraum und Bereich der Kirchlichen Dogmatik deutlich macht. Barths ausgewogene vorsichtige Stellungnahme zu Luther, die sich durch den ganzen Zeitraum seiner Beschäftigung mit Luther belegen läßt 20 , weicht nur in den seltensten Fällen einer durch die akute Zeitund Kirchengeschichte provozierten und durch eine fragwürdige Lutherdeutung bedingten direkten Polemik gegen Luther21, die aber sogleich durch eine mögliche und offengelassene Differenzierung zwischen Luther und dem Luthertum von Barth präzisiert wird 2 2 . Im Jahre 1945 hat sich Barth wieder in differenzierter Weise dahingehend geäußert, daß die Kirche „entweder zu einem neuen kritischen Verhältnis zu ihrem Reformator Luther o d e r . . . zu einem anderen besseren [!] Verständnis seiner Lehre [!] vordringen müßte" 2 3 . Barths methodisches Verfahren gegenüber Luther reicht deshalb vom Aufweis glücklicher Inkonsequenzen bei Luther selbst 24 , von der Berufung auf den wirklichen gegen den mißverstandenen Luther 25 , auf den zweiten gegen einen ersten Luther 26 , auf den frühen Luther vor 1525 gegen den späten Luther der Antinomerdisputationen 27 , auf den „Luther v o r dem Ausbruch des Abendmahlsstreites" 28 , bis zu dem Auf17

Barth, Lutherfeier 9. Vgl. Heintze, Luthers Predigt 12, Anm. 2. 19 Kinder und Haendler, 364. 20 Vgl. Barth, Ethik I, 149 und K D IV/1, 411 f.; IV/3, 427 f. 21 Barth, Schweizer Stimme 113: Das Deutsche Volk „leidet an der Erbschaft des größten christlichen Deutschen [!]: an dem Irrtum Martin Luthers hinsichtlich des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium, von weltlicher und geistlicher Ordnung und Macht". 22 Ebd. 122: „Das Luthertum [!] hat dem deutschen H e i d e n t u m . . . mit seiner Absonderung . . . des Gesetzes vom Evangelium so etwas wie einen eigenen sakralen Raum zugewiesen." 23 Kupisch, Barth 109. 24 K D I I / l , 407: „Luther scheint sich manchmal in glücklicher Weise widersprochen zu haben." 25 Barth, Lutherfeier 11. 29 27 Vgl. K D 1/2, 340. Vgl. K D IV/3, 428. 28 Barth, Ges. Vorträge 2,37 und 51, Anm. 103. 18

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weis von unlösbaren Aporten bei Luther, die Barth durch die christologische Grundlegung und kerygmatische Ableitung meint auflösen zu können, um so die Intentionen Luthers besser zum Zuge zu bringen 29 . Barths Lutherrezeption läßt sich noch am ehesten und präzisesten durch die Methode der irreversiblen Inklusion30 kennzeichnen, insofern Barth 29

Vgl. Barths auf der christologischen und kerygmatischen Ebene durchgeführte Rezeption von Luther einerseits und Agricola andererseits (s. o. einerseits These V I I I , 1 - 3 und andererseits These VIII,4b). 30 Das hier aufgezeigte Verhältnis der unumkehrbaren Inklusion zwischen Barth und Luther könnte an konkreten ethischen Einzelfragen diskutiert werden, so z. B. im Zusammenhang der Suizid-Problematik, in der Barth im Gegensatz zu der naturrechtlichen Argumentation der katholischen Kirche (Thomas v. Aquin, die katholische Moraltheologie der Gegenwart; z . B . J. Mausebach, Katholische Moraltheologie III, 1961 10 ,243) und im Unterschied zur schöpfungstheologischen bzw. ordnungstheologischen Argumentationsweise lutherischer Theologie (Althaus, Trillhaas) sich zunächst an Luthers Verständnis des Selbstmordes (vgl. G. Krause, Luthers Stellung zum Selbstmord, Zeitschrift der Luther-Gesellschaft, 1965/36, H e f t 1,50-71; M. Schloemann, Natürliches und gepredigtes Gesetz bei Luther 112 Anm. 354 und R. H e r m a n n , Zum Streit um die Überwindung des Gesetzes 23 f.) als durch die Anfechtung, wie sie das vom Evangelium isolierte Gesetz provoziert, bedingte Verzweiflung orientiert ( K D I I I / 4 , 462) - in dessen Tradition auch Bonhoeffers Aussagen zur Suizidproblematik (Ethik, 1958 4 ,113,116) stehen - , um sodann Luthers an der kerygmatischen Dialektik von Gesetz und Evangelium orientiertes Verstehen der Suizidproblematik in den übergreifenden christologischen und bundestheologischen Rahmen zu stellen, demzufolge das Leben als göttliche Wohltat (Evangelium) und als Bestimmung zum Dienst und zur Freiheit (Gebot) zu verstehen ist (KD I I I / 4 , 461) und von dem her allererst das eigenmächtige und gesetzliche Leben m ü s s e n und Leben w o l l e n des Menschen (464) als die in die Anfechtung führende Perversion des Evangeliums und des Gebotes verstanden werden kann. „Solid und unzweideutig wird man die Verwerflichkeit des Selbstmordes überhaupt nur von der Erkenntnis her begründen können, d a ß der Schöpfer . . . und H e r r des Lebens der g n ä d i g e Gott ist, vom Evangelium . . . und also von keinem Gesetz her" (462). - Auf die sozialpolitische Relevanz der Zuordnung von Evangelium und Gebot z. B. hinsichtlich der Auseinandersetzung um die Reform des § 218 ist hier ebenfalls hinzuweisen: Geht und ging es doch in dem Modell der Fristenlösung „nicht [um] das Ob, sondern allein [um] das Wie dieses Schutzes" des Lebens (Sondervotum). Argumentiert w u r d e aber bei der Bestreitung der Fristenlösung - sowohl in kirchlichen Stellungnahmen als auch im umstrittenen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes - faktisch von einem abstrakten Schöpfungs-, N a t u r - und Sittengesetz aus, während die Bejahung der Fristenlösung im Gegensatz zu „der mehr dogmatischen [naturrechtlichen] Betrachtungsweise" bei der „Weigerung der Schwangeren, die Menschwerdung ihrer Leibesfrucht in ihrem Körper zuzulassen, . . . von dem sozialen Problem [der Schwangeren] ausgehen" wollte (so das Sondervotum der Verfassungsrichter Wiltraut R u p p von Brünneck und H . Simon). Ein abstraktes N a t u r r e c h t und S c h ö p f u n g s g e s e t z einerseits und das dem Gebot als der Form des Evangeliums entsprechende s o z i a l e R e c h t des N ä c h s t e n (das Fürsorgemaßnahmerecht der Fristenlösung) standen sich hier letztlich gegenüber (vgl. das von mir mitentworfene Votum zur Änderung des § 218 des Fachbereichs Evangelische Theologie der Universität Göttingen, in: § 218. Dokumente und Meinungen zur Frage des Schwangerschaftsabbruchs, H g . E. Wilkens, GTB 78, 1973,164 ff.).

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Luthers Dialektik von Gesetz und Evangelium und Luthers Kreuzeschristologie positiv zu rezipieren vermag, sie zugleich aber der übergreifenden Dialektik der christologischen Bundesgeschichte einordnet. In dieser Methode der irreversiblen Inklusion hat Barths Umgang mit Luther ihr - was den hier berücksichtigten Zeitraum der Kirchlichen Dogmatik anbetrifft - durchgängiges und zugleich positives wie kritisches Kennzeichen 31 . Ich schließe mit einer abgewogenen und angesichts der traditionellpolemischen Zuordnung von Luther und Barth überraschenden Verhältnisbestimmung von Luther und Barth aus der Feder des Luther- und Barth-Schülers H. Gollwitzer, die auch so von H. J . Iwand und W. Kreck formuliert sein könnte, insofern sie in der Gegenwart die Frage nach der vom Evangelium her nicht mehr beliebigen, dem Evangelium als einziger Norm entsprechenden gesellschaftlichen Praxis der Gemeinde gestellt und von der Zuordnung der Kategorien Evangelium und Gebot her zu bestimmen versucht haben: „Barth teilt Luthers Intention, das Evangelium von aller Vermischung mit gesetzlichen Elementen freizuhalten. Entgegen der von lutherischen Kritikern geäußerten Besorgnis, er könne gerade zu einer neuen Vermischung von Gesetz und Evangelium Anlaß geben, kann man behaupten, daß [Barth] in der Bemühung, das Evangelium ,rein' zu halten und zugleich nicht [ich ergänze: wie Agricola] Antinomist zu sein, vielmehr auch dem Gesetz seinen legitimen Ort zu geben, konsequenter und radikaler ist als Luther." „Barth will also trotz seiner gelegentlich scharfen Äußerungen über Luthers Lehre nicht einfach in Gegensatz zu ihr treten, sondern sie sozusagen als einen Spezialfall innerhalb der Geschichte Gottes mit uns Menschen in seine Sicht aufnehmen." 32 3 1 Die F r a g e , ob und inwiefern Barths A n s a t z innerhalb der Lutherschen U n t e r scheidung von Gesetz und Evangelium unterzubringen ist, m. a. W . der umgekehrte Versuch einer unumkehrbaren Inklusion und Integration Barths in Luthers Konzeption ist unter dem S t i c h w o r t „Gesetz und P a r a k l e s e " am umsichtigsten und eindringlich von E . Schlink in seinen verschiedenen Arbeiten zum T h e m a behandelt und durchgeführt w o r d e n (vgl. Abschnitt I 6 c und die im Literaturverzeichnis genannten A r beiten Schlinks). Diesem Versuch konnte hier aus den dargelegten biblisch-theologischen E r w ä g u n g e n (unter Berufung auf die E x e g e t e n W . Zimmerli, G. Eichholz, E . Lohse und P . von der Osten-Sacken u. a.) und systematisch-theologischen Begründungen nicht Folge geleistet werden. V o n dieser zweifachen Argumentationsebene her erhebt die vorliegende Arbeit den Anspruch, über einen geisteswissenschaftlichen V e r gleich zwischen Luther und B a r t h hinaus zu einer im strengen Sinn biblisch-dogmatischen Position vorzustoßen. - Vgl. Barths weitere Stellungnahmen zu Luthers r e f o r m a t o rischer Entscheidung, zu Luthers Theologie und seiner Person, zum Luthertum, zur Lutherdeutung und Lutherrenaissance in: Kupisch 5 3 , 55, 6 0 , 6 2 f., 6 8 , 114 f. und öfter. 3 2 H . Gollwitzer, K o m m e n t a r seelsorge 53 f . ; vgl. Gollwitzers an den repressiven, heteronomen eines gesetzlichen Christentums,

und K r i t i k zu B a r t h s Äußerungen über Gefangenen„Absage an das Gottesverständnis unter dem Gesetz, Weltenherrn, von dem alle Religionen, einschließlich zur E r h a l t u n g des status quo der Gesellschaft und

237

ihrer Moral voll sind" (34 in: H . Gollwitzer, Die Bibel - marxistisch gelesen, in: Verkündigung und Forschung 1970, 2-37). K o m m t es zu der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot/Gesetz, „dann kann nicht mehr mit Luther die Predigt des repressiven Gesetzes samt daraus folgender Staats- und Obrigkeitstheologie Aufgabe der Kirche des Evangeliums sein, und dann wird die Mitarbeit an der Aufhebung von Repression so weit wie nur möglich, in Pädagogik und Politik, Konsequenz des Evangeliums f ü r dessen H ö r e r sein" (35). K o m m t es wirklich zu einer Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot und wird diese Vorordnung als konstitutives Moment schon der G o t t e s l e h r e verstanden (vgl. Abschnitt II 7 dieser Arbeit), dann folgt daraus: „Wo an die Stelle des Gesetzes das Evangelium getreten ist, ist der Ödipuskomplex des Vaterhauses, dem der Vater das Hindernis, zu sich selbst zu kommen, war, geheilt" (36). 238

Diskussion auf dem Leuenberg 1973. (Auswahl) 1 1 . Der systematische Bezugspunkt der Lehre von „Evangelium und Gebot"I„Gesetz und Evangelium" bei Luther und Barth G. Peters: Sie haben in Ihrem Referat im Gegensatz zu Barth die Begriffe Verheißung und Gesetz bzw. Evangelium und Gesetz durch die Begriffe Verheißung und Gebot bzw. Evangelium und Gebot ersetzt und mir ist nicht einleuchtend, warum Sie das getan haben. B. Klappert: Man könnte im Hinblick auf den Titel, den Barth in seiner Schrift „Evangelium und Gesetz" gewählt hat, fragen, ob nicht die präzisere Bestimmung des Titels „Evangelium und Gebot" sein könnte oder gar sein müßte. Denn Barth will ja zwischen dem Gebot als der Form des Evangeliums und dem richtenden Gesetz unterscheiden und zugleich beide so aufeinander beziehen, daß er das richtende Gesetz als eine Gestalt des Gebotes als der Form des Evangeliums begreift. D. h. Barth ist der Meinung, daß man das richtende Gesetz nur dann theologisch versteht, wenn man es auf dem Hintergrund des Gebotes als der Form des Evangeliums versteht. Das Gebot als Form des Evangeliums ist eine Kategorie des Bundes. Und aus der Bundesgeschichte ergibt sich auch die Kategorie des richtenden Gesetzes, insofern das Gebot als Form des Bundes angesichts der Sünde des Menschen die Gestalt des richtenden Gesetzes gewinnt. Barth will sagen: das richtende Gesetz ist eine Bundeskategorie, es ist eine Gestalt der Bundesgeschichte. Insofern meine ich im Unterschied zu Barths promiscue-Gebrauch von Gebot und Gesetz, zugleich aber zur präziseren Bestimmung der eigentlichen Sachintention Barths die Differenzierung (nicht Trennung!) zwischen Gebot und Gesetz aufmachen zu sollen, während ich umgekehrt durchaus verstehe, warum Barth die Überschrift „Evangelium und Gesetz" gerade in der damaligen Situation der Ablösung des usus politicus legis vom Evangelium und der Identifizierung des Gesetzes Gottes mit 1 Die Tonbandaufzeichnungen entstammen einer Diskussion über Thesen und Thematik meines Referates „Heilsgeschehen und Verkündigung und Gesetz und Evangelium bei Luther und Barth", das ich am 12. 7. 1973 im Rahmen der Barth-Herausgebertagung in Leuenberg (Schweiz) gehalten habe. Sie haben den einzelnen Diskussionsteilnehmern zu stilistischen Veränderungen und sachlichen Präzisierungen vorgelegen. Die Anmerkungen zur Diskussion auf dem Leuenberg stammen sämtlich von mir.

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dem Volksnomos wählte. Denn die Kategorie des „Gesetzes" muß zwar unterschieden werden, sie ist aber nicht ablösbar von der Kategorie des Gebotes, sie ist eine Gestalt der Bundeskategorie. G. Peters: Folgt daraus, daß das Gesetz im Sinne des usus elenchticus legis zu verstehen ist, wohingegen das Bundesgebot mit dem reformatorischen tertius usus legis vergleichbar wäre? Könnte man das im Sinne Barths sagen? B.

Klappert:

Insbesondere die lutherischen Kritiker Barths haben zwischen „Gesetz und Paraklese" (E. Schlink) unterschieden und argumentiert, daß Barths Umkehrung die freilich verabsolutierende Wiederaufnahme der neutestamentlichen tertius usus-Lehre Melanchthons und insbesondere Calvins sei. Dies ist ein Mißverständnis der systematischen Gesamtkonzeption Barths. Denn es ist die Frage, ob Barth überhaupt einen tertius usus legis (!) kennt. Der tertius usus setzt ja heimlich die Reihenfolge von Gesetz und Evangelium schon voraus, wohingegen Barth umgekehrt diese Reihenfolge aus der Dialektik der Bundesgeschichte allererst entwickelt. Von daher ist das richtende Gesetz im Sinne Barths nicht einfach identisch mit dem reformatorischen usus elenchticus Luthers und das Bundesgebot ebenfalls nicht einfach dasselbe wie der reformatorische tertius usus legis im Sinne Melanchthons. / . Fangmeier: Barth hat in seiner Sozietät im Jahre 1959/60 gesagt, hätte er die Studie noch einmal zu schreiben, dann würde er für „Evangelium und Gesetz" nunmehr „Evangelium und Gebot" wählen. H.

Gollwitzer:

Die lutherischen Kritiker Barths haben jedenfalls bei diesem Punkt sofort eingesetzt mit der Kritik, daß Barth Gebot und Gesetz vice versa benützt, so P. Althaus in seiner Schrift „Gebot und Gesetz" (1952) und E. Schlink in seinen Aufsatz über „Gesetz und Paraklese" (1956). Von da aus könnte man Herrn Klapperts Differenzierung so verstehen, daß er eigentlich zur Reinigung der Begrifflichkeit bei Barth diese lutherische Kritik aufnimmt und den Begriff des Gesetzes ganz im lutherischen Sinn für die anklagende, den sündigen Menschen negierende Funktion des Gesetzes reserviert und dann in der apostolischen Paränese den ursprünglichen Sinn des göttlichen Gebotes freilich als des Gebotes des Bundes wiederhergestellt sieht. 240

Β.

Klappert:

Im Unterschied zu Barths Orientierung von Evangelium und Gebot und Gesetz und Evangelium an der Bundeskategorie steht bei Luther der mündlich-sakramentale Wortbegriff der remissio im Zentrum, der seinerseits auf den Menschen in seiner durch das Gesetz bestimmten Situation der Sünde bezogen ist. Insofern ist Luther von Anfang an an der Wirklichkeit des durch das Gesetz angefochtenen Menschen bzw. an der evangelischen Unterweisung der angefochtenen Gewissen (E. Wolf) orientiert 2 . 2

Wie zwischen der immanenten und teleologischen Perspektive der lex, so ist auch zwischen einer immanenten und teleologischen Perspektive der conscientia bei Luther zu unterscheiden: In der immanenten Perspektive steht das Gewissen im Zeichen der lex naturalis, kann Luther es als durch die lex aeterna des göttlichen Willens berührt verstehen und infolgedessen von „dem in Gesetz und Werk .selbstherrlichen' Gewissen" (E. Wolf I 93) sprechen. In der teleologischen Perspektive steht demgegenüber das Gewissen im Zeichen seiner Auslieferung an und seiner Bestimmung durch die A n fechtungsmächte „Gesetz, Tod und Satan", aus welchen es allein durch das verbum Christi, das Evangelium als Absolution, befreit und zu einem guten Gewissen konstituiert wird. „Fides Christi est bona conscientia" (E. Wolf I 81, 90, II 110). Insofern steht „das Gewissen zwischen Gesetz und Evangelium" (E. Wolf) und muß im Sinne Luthers formuliert werden: „Es gibt Gewissen nur zusammen mit dem W o r t Gottes, erschrockenes Gewissen unter dem Zorneswort, getröstetes Gewissen unter dem Evangelium" (II 116). - Wird so das Gewissen nicht als substantielle Größe in sich, sondern als Relationsbegriff verstanden, „so ist es begreiflich, daß man bei Luther so verschiedene Urteile über das Gewissen finden k a n n : Einerseits w i r d es ernstgenommen in seiner anklagenden und richtenden Funktion, andererseits aber kann auch wieder s o . . . scheinbar leichtfertig und abwertend von ihm geredet werden, so daß es sowohl des Teufels wie Gottes Stimme, Stimme des Richters und Gottes Stimme sein kann. Es ist das alles nicht in sich, sondern als Zeuge und Echo der Stimme Gottes, wie sie in seinem Wort, in Gesetz und Evangelium in Christus erklingt" (W. Kreck, Ethik 185). Nicht an die Relation „richtendes Gesetz - Gewissen", sondern an die bei Luther durchaus auch konstatierbare Relation „natürliches Gesetz - Gewissen" wird die Frage zu stellen sein, inwiefern sie sich auf Rom 2,14 f. berufen k a n n ! Bezieht sich doch Paulus in Rom 2,14 f. auf das Phänomen der Abschattung des göttlichen Willens in den H e r z e n der Heiden, wobei neuere Exegese hervorhebt, daß Rom 2,14 f. unter dem eschatologischen Vorzeichen von 1,18 und 2,16 steht, Gewissen also als eschatologischer Relationsbegriff zu verstehen ist. Paulus bezieht sich in Rom 2,14 f. auf das Phänomen des Gewissens, das auch seinen terminus a quo wie seinen terminus ad quem in der eschatologischen Perspektive hat, von dieser Perspektive nicht ablösbar ist und also nicht unter dem Vorzeichen einer lex naturalis und lex aeterna Dei verstanden werden k a n n (vgl. E. Käsemann, A n die Römer, H N T 1973; G. Eichholz, Paulus 89 ff.; H . J. Kraus, Reich Gottes 235-241, E. Wolf, Sozialethik 60 f.). - Der paulinische Bezug auf das Phänomen des Gewissens als das „Wissen des Menschen der Völkerwelt um die ungeschriebene T o r a " einerseits und das inhaltliche Verstehen dieses Phänomens als eschatologischer Relationsbegriff in der eschatologischen Perspektive sowie die Verwendung dieses Phänomens „als Grenz-Satz im Rahmen der Anklage des J u d e n " (Eichholz S. X ) andererseits sind also streng zu beachten. Jegliche T r a n szendierung des Gewissenphänomens auf eine es begründende lex naturalis bzw. lex aeterna Dei wird von daher exegetisch und theologisch illegitim. - Der primär soterio-

16

Klappert, Promissio

241

].

Fangmeier:

Allerdings fehlt die reformatorische Dialektik von Gesetz und Evangelium in Barths Schrift „Evangelium und Gesetz" nicht, w o der 3. Ablogischen Orientierung des Gewissens an der lex naturalis (das geforderte Gewissen), der lex damnans (das angefochtene Gewissen) und an dem evangelium absolutionis (das getröstete Gewissen) bei Luther steht bei Barth das primär bundestheologische Verständnis des Gewissens gegenüber ( K D 111/4,13 f f . ) : Gewissen ist das menschliche Mit-wissen (conscientia) um die Geschichte Gottes in Jesus Christus. Gewissen meint die weder durch eine kasuistische Ethik der N o r m e n noch durch eine Ethik der Schöpfungs- bzw. Erhaltungsordnungen beschreibbare, in Freiheit „zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten O r t in bestimmter Weise" erfolgende Orientierung des Menschen an „der von G o t t regierten Bundes- und Heilsgeschichte" (12). Gewissen ist das freie, sich in einer bestimmten Situation vollziehende menschliche Entscheiden im Mitwissen um und in der Orientierung an den Tendenzen und Kontinuitäten der Geschichte Gottes mit dem Menschen in Jesus Christus. Die freie Entscheidung des Gewissens kann von daher weder rein aktualistisch-kairologisch im Sinne der Situationsethik noch kasuistisch im Sinne einer N o r m e n - und Ordnungsethik verstanden werden (15 ff.). - Geht es aber im Evangelium um das freie „Einverständnis des Menschen mit G o t t " (436) in der Orientierung an den Konstanten, Kontinuitäten und Tendenzen der göttlichen Bundes- und Heilsgeschichte, dann ist Gewissen von daher primär als das freie Mit-wissen des Menschen mit dem „Gebot der freien Gnade Gottes" (12) zu verstehen. Gewissen ist also nicht im Sinne Luthers primär als ein gefordertes, angefochtenes und befreites, sondern im Sinne Barths primär als ein um das Gebot der freien Gnade wissendes Gewissen zu bestimmen. - Man kann also im Sinne Barths nicht wie W. Trillhaas im Gefolge lutherischer Tradition - sagen, d a ß „das Gewissen erst von Gott aus, als dem Richter unserer Taten, seinen wahren Sinn o f f e n b a r t " (W. Trillhaas, Die innere Welt 1953 2 ,86), d a ß es „die Lage des Menschen vor dem Gesetz und seine unausweichliche Forderung" bezeichnet (89 A 14) und aufgrund der Vergebung „das getröstete Gewissen..., das zur Vergebung und . . . Befreiung durch Gott g e l a n g t e . . . Gewissen" sei (89). „Das getröstete Gewissen ist das Gewissen des gerechtfertigten Sünders" (90 A 15, vgl. H . Thielicke, Ethik I 507 ff.). Ist doch Gewissen nicht primär als ein gefordertes, angefochtenes, befreites, sondern im Sinne Barths primär als ein am Gebot der freien Gnade Gottes orientiertes, in freier Entscheidung mit-wissendes Gewissen zu bestimmen. - Ist aber weder die „Verzweiflung" des Gewissens noch die „Tröstung der Gewissen" (Trillhaas 89) und also auch nicht einfach die Rechtfertigungslehre der Prüfstein f ü r das evangelische Verständnis des Gewissens (90 A 15), dann kann und darf das Evangelium nicht ausschließlich als Uberwindung der Anfechtung des Gewissens bzw. als Behebung der gesellschaftlichen, psychologischen und ethischen Aporten des Gewissens definiert werden. - Es wäre dann vielmehr die A u f gabe theologischer Anthropologie, nach möglichen Entsprechungen und Strukturanalogien zwischen dem um das Gebot der freien Gnade Gottes mit-wissenden, angefochtenen und befreiten Gewissen u n d den anthropologischen (ethischen, soziologischen, psychologischen, psychopathologischen) Phänomenen des Gewissens in den außertheologischen Humanwissenschaften zu fragen. - Von der Primärbestimmung des Gewissens als des um das Gebot der freien Gnade Gottes mit-wissenden, freien Gewissens (Barth) her wäre es dann freilich einseitig, in der Frage nach dem Identischen der Phänomene mit Thielicke auf „das Gewissen (als) das Zeichen des Zwiespaltes" (501) abzuheben und Luther „die tiefste theologische Deutung dieses Zwiespalt [ . . . ] Charakters des Gewissens" zu attestieren (Ethik I 498-501). - Dies also sind die Konsequenzen und Implikationen der Grundentscheidung Barths, die soteriologische Wirklichkeitsbestimmung „des Gewissens zwischen Gesetz und Evangelium" bei Luther der bundes-

242

schnitt nicht zufällig der längste ist, übrigens ebensowenig bei Calvin trotz seines speziellen Ansatzes beim tertius usus legis, der zum primus usus legis wird, insofern Calvin im Genfer Katechismus materialiter am meisten vom usus elenchticus spricht. Und ich sehe das in Barths Schrift nicht anders, so daß ich den Weg und die Spannung der reformatorischen Dialektik bei Barth doch nicht vermisse, sondern sie kommt wieder herein. H.

Gollwitzer:

Dem stimme ich zu, und Klapperts Referat hat ja gerade gezeigt, daß Barth Luther in sich begreift. Aber nachdem wir gefragt haben, was angesichts der aporetischen Situation des angefochtenen Menschen Luther zu seiner Konzeption treibt, muß nun weiter gefragt werden: Was drängt Barth über Luthers Konzeption hinaus, wenn es nicht die von Luther gefürchtete speculatio maiestatis sein soll, in der der Mensch sich über seine Situation erhebt? M. Geiger: Zentrales Thema ist für Luther die dem durch das Gesetz angefochtenen Menschen zugesprochene promissio. Meine Frage lautet in Hinblick auf Luther: Wie verhält sich der Heilscharakter des Zuspruchs zu dem Heilscharakter des Heilsgeschehens? Promissio gibt es aufgrund dessen, daß in Christus die Vergebung, das Evangelium realiter da ist: erworben hat es Christus im Kreuz, aber noch nicht ausgeteilt, ausgeteilt wird es in der promissio. Wie ist das Verhältnis des „objektiven" Heilsgeschehens zur zueignenden promissio bei Luther zu bestimmen? H.

Gollwitzer:

An diesem Punkt der Unterscheidung eines objektiven Heilsgeschehens von der Verkündigung als dessen applikativer Zueignung setzt Melanchthon mit seinem Begriff des Angebotes ein, und gerade das ist das Bedenkliche. Denn nun wird die Wirklichkeit dieser persona maxima, auf der alle Sünden der Welt liegen, durch die die Welt sündenfrei ist, zu einer Möglichkeit, die dem Menschen angeboten wird. Es hängt nun ganz an der Entscheidung des Glaubens, ob diese Möglichkeit beim Individuum zur Heilswirklichkeit wird, wobei dann die für die Konkordienformel so schwierige Prädestinationsfrage auftaucht. Melanchthon und in seinem Gefolge die Formula Concordiae sagen: Es ist die Schuld des Menschen, wenn es nicht von der Möglichkeit des Heilsgeschehens zur subjektiven Wirklichkeit beim Menschen kommt. Nun geschieht das, was bis zu G. Ebelings Glaubensbegriff charakteristisch ist: theologischen mit-wissenden 16*

Wahrheitsbestimmung des um das Gewissens ein- und unterzuordnen.

Gebot

der

freien

Gnade

Gottes

243

die eigentliche Achse der Wende vom Unheil zum Heil ereignet sich in der Wendling des Individuums zum Glauben und nicht in Christus. Wenn aber die Wende in Christus geschieht, was bedeutet dann noch die Wendung, die im Glauben geschieht? B. Klappert: Auf die Frage nach dem Verhältnis der „objektiven" Wende in Christus und der „subjektiven" Wendung im Glauben als der Annahme des in der Verkündigung zugesprochenen Heilsgeschehens bei Luther ist m. E. zu antworten, daß es sich bei Luther um ein unausgeglichenes Nebeneinander beider Momente handelt, daß Luther also diese vollen christologischen Aussagen über Christus als die persona maxima, die die Person aller Sünder übernommen hat, machen kann, daß er aber dann doch Momente benennt, die die Folgerung nahelegen, daß es zu einer Art Wiederholung des Heilsgeschehens beim Menschen kommt: Gott tötet durch das Gesetz und macht durch das Evangelium lebendig. Luthers Aussagen sind unausgeglichen, wenn er ζ. B. einerseits die universal-christologischen persona-maxima-Aussagen machen kann, andererseits aber sagt: wenn du nicht glaubst, bleibt die Sünde und der Tod auf der ganzen Welt. Wie verhalten sich diese beiden Aussagenreihen bei Luther zueinander? Im Großen Galater-Kommentar zu Gal. 3,13: „Christus factus maledictum" und zu Gal. 2,19: „ego sum Christo crucifixus" werden die Aussagen, die in Gal. 3,13 christologisch gemacht werden, in Gal. 2,19 anthropologisch wiederholt. Die in solchen Aussagenreihen Luthers systematisch nicht ausgeschlossene Konsequenz der Späteren bis hin zu R. Bultmann (vgl. KD IV/1,313) lautet, daß man beide Aussagen im Sinne von christologischer Möglichkeit und anthropologischer Verwirklichung zu verstehen habe. Barth stellt, was Luther nicht tut, die explizite Frage nach diesem unausgeglichenen Nebeneinander von Heilsgeschehen und Wirkung der Verkündigung beim Menschen: Wie verhalten sich eigentlich diese beiden Ebenen, die christologische Ebene und die Vermittlungsebene der promissio, zueinander? Und in Beantwortung dieser offenen Frage weist Barth im Unterschied zu Aussagen der Wiederholung bei Luther auf das eindeutige unumkehrbare Gefälle von christologischem Grund und kerygmatischer Zeichenebene. H. Th. Goebel: Wenn die für Luthers Theologie leitende Frage nach dem Evangelium als dem Trost für das angefochtene Gewissen bei Barth nicht mehr als leitende Fragestellung anerkannt wird, dann doch offenbar deshalb, weil Barth auf dem Hintergrund der neuzeitlichen Entwicklung und 244

ihres theologischen Ansatzes bei der vorfindlichen aporetischen Fragestellung des Menschen erkennt, daß - entsprechend der Verselbständigung des Gesetzes - auch die hermeneutische Frage nach dem Selbstverständnis des Menschen eine solche Verselbständigung als methodische Fragestellung erfahren hat, daß Gott und sein Wort einer vorgängigen Fragestellung des Menschen eingeordnet werden. W.

Kreck:

Es muß allerdings die Frage gestellt werden, wieweit der Ansatz Luthers ausschließlich auf diese Orientierung an der aporetischen Situation des Menschen festgelegt werden kann oder wieweit Luther auch die Grundfrage Barths kennt, wie Gott zu seinem Recht kommt und sein Recht aufrichtet. H. J . Iwand war der Meinung, daß Luther auch diese Fragestellung gekannt habe. H.

Gollwitzer:

Herr Goebel hat darauf hingewiesen, daß Luther bei dem empirischen Defizit des Menschen ansetzt, bei der Aporie, in die der Mensch jederzeit geraten kann, weil er überall von allen möglichen verinnerlichten Forderungen umgeben ist, denen gegenüber er versagt. Und dann kommt ihm vom Evangelium die Hilfe zu. Barth war in seiner letzten Zeit von dem Buch des Konvertiten Paul Hacker: „Das Ich im Glauben bei Martin Luther" 3 angetan. Luther wird dort dargestellt als der Begründer und Beförderer eines neuzeitlichen Individualismus, bei dem alles Verständnis des christlichen Glaubens am empirischen Interesse des Einzelnen aufgehängt ist. Diese Verlegenheit des Menschen, bei der Luther ansetzt, könnte - so muß doch wohl gesagt werden - auch auf andere Weise bewältigt werden und wird laufend auf andere Weise bewältigt. Die Situation der Anfechtung des erschrockenen Gewissens, also die aporetische Situation des Menschen, kann auch als Neurose verstanden werden, die der Gegenstand der Psychotherapie ist. Dann ist das Evangelium durch andere Aufbaumittel, wie Herr Geyer soeben formuliert hat, ersetzt, während Barth sicherstellen wollte, daß es im Evangelium um das Recht Gottes selbst geht. Barth kann von daher in großer Freiheit der Psychotherapie, die dem Menschen aus seinen Verlegenheiten hilft, in einem großen Maße recht geben; denn das Evangelium segnet auch das. Aber im Evangelium geht es nicht darum, sondern um etwas, was dem um seine eigene Wichtigkeit zitternden Menschen noch gar nicht in den Blick gekommen ist, nämlich um den Weg Gottes mit seiner ganzen Schöpfung und seiner ganzen Menschheit. 3 Zum Buch von P. Hacker vgl. K. Barth, Briefe 1 9 6 1 - 1 9 6 8 , in: K. Barth Gesamtausgabe V 1975, 357, 361 f.

245

W.

Kreck:

Iwand sagte, die Fragen, die der Mensch sich selber stellt, kann der Mensch auch selber beantworten. Insofern stimme ich zu. Ich bin mir freilich nicht ganz sicher, ob und inwieweit Luther für die skizzierte Entwicklung verantwortlich gemacht werden kann, insofern Luther in De servo arbitrio, aber nicht nur dort, letztlich die Sündenerkenntnis an die Christuserkenntnis bindet, indem er sagt: Wenn das nötig war, daß Christus Mensch wurde, was müssen wir dann für Sünder sein. Sündenerkenntnis ist für Luther Kreuzeserkenntnis. Luther rechnet also - wenn es auch oft bei ihm schillert - nicht einfach mit dem psychologisch erfahrbaren Phänomen menschlicher Verlegenheit, sondern gerade das Evangelium nennt den Menschen einen Sünder und daraufhin soll er glauben, daß er ein Sünder ist. H. Gollwitzer: Das wäre in der Tat korrigierend zu dem Begriff des empirischen Defizits zu sagen. Es ist zugleich ein erst durch das Evangelium geschaffenes und offenbartes Defizit, so wenn Luther sagen kann: fide fit peccator (Römerbriefvorlesung). H. G. Geyer: In der Personeneinheit Jesu Christi findet Barth den Grund, der es ausschließen und unmöglich machen soll, daß noch einmal von einem abstrakten, vom Evangelium gelösten Gesetz in irgendeinem Sinn gesprochen wird. Und da lautet doch die These Barths: Die Personeneinheit Jesu Christi ist die Einheit von Evangelium und Gebot, weil diese Personeinheit die volle Realität des Bundes selber ist. Diese relationale Wirklichkeit der Personeinheit Jesu Christi bezeichnet den Inhalt des Evangeliums und den Inhalt des Gebotes. Denn das Evangelium hat das Verhältnis Gottes zum Menschen, das Gebot das Verhältnis des Menschen zu Gott zum Inhalt. Wenn bei Barth also auf diese Personeinheit Jesu Christi als die Einheit des Bundes abgehoben wird, dann sind in diesem Bund vereinigt der ursprünglich freie Gott und der durch diesen freien Gott zur Freiheit provozierte Mensch. Und erst von diesem Hintergrund her wird dann sichtbar, um was es in der mit der Bundesgeschichte faktisch koinzidierenden Versöhnungsgeschichte eigentlich geht. In dieser mit der Bundesgeschichte faktisch koinzidierenden Versöhnungsgeschichte wird nämlich offenbar, daß der Mensch von der ihm ursprünglich zugedachten Freiheit Gottes keinen rechten Gebrauch gemacht hat und daß Versöhnung um der ursprünglichen Freiheit Gottes und des Menschen willen ist. Es ist die Gefährdung der Freiheit Gottes 246

und der Freiheit des Menschen, um deren Überwindung es in der Versöhnungsgeschichte als der Weise der Durchsetzung der Bundesgeschichte geht. Deshalb muß zu dem Satz von Christus als der Realität des Bundes notwendig der andere hinzugefügt werden: Die Christusgeschichte hat nicht nur als Bundesgeschichte, sondern sie hat auch als Versöhnungsgeschichte stattgefunden. Auf dem Hintergrund dieser Koinzidenz von Bundes- und Versöhnungsgeschichte kommt die Frage, die bei Luther mit dem Schein da ist, als sei sie eine unmittelbar empirische Frage, bei Barth erst in dieser christologischen Vermittlung auf den Plan, indem er die anthropologische Problematik von daher auf den zentralen Gedanken der Freiheit, in der Gott und Mensch verbunden sind, konzentriert. Und das wäre eine Aufnahme des Problems der Autonomie als des neuzeitlichen Problems. H. Th.

Goebel:

Es war von Herrn Geyer gesagt worden, daß der Ansatz, die Gesetzesbestimmung bei der Bundesgeschichte und beim Versöhnungsgeschehen zu nehmen, es ermöglicht, in einer neuen Weise das freie Gegenüber zwischen dem freien Gott und dem befreiten Menschen in den Blick zu bekommen und damit auch das Anliegen der neuzeitlichen Autonomie des Menschen aufzunehmen, insofern der freie Mensch eben der Zielpunkt des ganzen Versöhnungsgeschehens ist. Ich möchte nun meinen, daß gerade diese Entwicklung des Gebotes von Jesus Christus her statt auf ihn hin es einmal ermöglicht, in neuer Weise eine Lehre vom Gebot, von der Ethik in den Blick zu nehmen, und zum anderen in neuer Weise eine Lehre vom Menschen, vom befreiten Menschen zu konzipieren, d. h. eine neue Möglichkeit der Ethik und der Anthropologie, die eine gewisse lutherische Engführung in der strengen Alternative von Glaube und Werk vermeidet und den Gedanken der Werke in einer neuen Weise aufnehmen kann. Und zwar meine ich das konkret in dem Sinne, wie es besonders im Taufband, am Schluß der Versöhnungslehre Barths, zum Ausdruck gekommen ist, insofern das Versöhnungsgeschehen auf den freien Menschen zielt, der Werke tut und Zeichen der Dankbarkeit gerade in seinem Handeln aufrichtet, die als solche gar nicht mehr in den Verdacht fallen können, „Werke" im Sinne des von den Reformatoren abgelehnten Verständnisses der Werkgerechtigkeit zu sein, weil dieser Verdacht von vornherein ausgeschlossen ist. Das ermöglicht es, den Gedanken der Werke in anderer Weise zu akzentuieren und gewichtig zu machen, als das von der soteriologischen Alternative „Glaube und Werke" in der Theologie Luthers her möglich war.

247

H. G. Geyer: Die Umkehrung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium ist für Barth kein Standpunkt, sondern ein Ausgangspunkt. Und zwar ist diese Relationsbestimmung der Einheit von Evangelium und Gebot in der Geschichte Jesu Christi für Barth ein Ausgangspunkt in dem Sinne, daß er von daher die Relationsbestimmung von Gesetz und Evangelium neu in den Blick nimmt. Und es käme nun alles darauf an, sich diesen Schritt zu verdeutlichen und die Bedeutung, die damit verbunden ist, klar zu machen. Was heißt es eigentlich, daß Barth die These entwickelt und begründet, daß die lutherische Fassung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium, Gericht und Gnade ihre Eindeutigkeit allererst auf der Grundlage der Bundeseinheit von Evangelium und Gebot empfängt und nur von dieser Einheitsstiftung in der Christusgeschichte her die Funktion erfüllen kann, die Luther ihr zugedacht hat, nämlich so etwas wie den moralischen Mißbrauch des Evangeliums im Sinne einer eigenmächtigen Erfüllung des Gesetzes zum Zweck der Selbstidentifikation abzuwehren? Wir stehen hier noch an dem Punkt, wo der Schein nicht vermieden ist, als bestehe die ganze Pointe der Barthschen Relationsbestimmung darin, daß er die lutherische Fassung umgekehrt habe und sonst nichts. H.

Gollwitzer:

Mir scheint es in der Tat für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Barth und Luther grundlegend zu sein, daß Barth die lutherische Reihenfolge nicht nur umkehrt, sondern die Entgegensetzung von Gesetz und Evangelium in einen übergreifenden Horizont einordnet. Die Frage ist: Wie geschieht das, und wird damit der lutherischen Entgegensetzung die Spitze abgebrochen? Man müßte deutlich machen, welche Brisanz diese Fragen haben. Herr Goebel hat soeben ausgeführt, daß da eine neue Möglichkeit der Ethik, ein neues Verhältnis zu den Werken, auch zur Aufforderung zu Werken in den Blick kommt. Aber das ist nicht alles. M. Geiger: Wenn sich angesichts der Barthschen Einsicht in das Heilsgeschehen und damit in die Aufgabe der Verkündigung eine wirkliche Verschiebung, gar eine Revolution auch der Reformation gegenüber vollzogen hat, dann muß das außerordentliche Konsequenzen für Wesen, Gestalt und Auftrag der Kirche haben. Und wir müßten wenigstens die Ansätze dieser Konsequenzen aufzeigen, wobei ich freilich zugleich frage: Ist es wirklich eine Revolution gegenüber Luther? Meinte es Luther letztlich nicht auch so? 248

H. G. Geyer: Es ist ja schon im Referat von Herrn Klappert sehr deutlich geworden, daß diese kritische Korrektur, wie Barth sie vorgenommen hat, nicht einfach das Beiseitelegen dessen ist, was die Reformation, was Luther formuliert hat, sondern es handelt sich eigentlich dabei um das Ausführen von Intentionen, die in gewisser Weise steckengeblieben sind, wobei man fragen kann und auch fragen muß, aus welchen Gründen sie nicht zum Austrag gelangt sind. Dabei sind vermutlich gewisse Momente beim ersten Angang und bei der ersten Entdeckung zu gewaltig erschienen, als daß die Reformation sie so mit einem Anrennen bewältigen konnte. Man muß sich doch vor Augen halten, daß es damals dieses imposante Gebäude der einigenden europäischen Kirche, aufgebaut seit Jahrhunderten, festgefügt in den Ordnungen und in der Hierarchie gab und niemand im Ernst daran zweifelte, daß zur Anteilnahme am Heil die Gemeinschaft und die Teilnahme an dieser Kirche unerläßlich sei. Die Position, zu der Luther schließlich gedrängt wurde, enthielt im Grunde den Sprengstoff zur Zerstörung dieses ganzen Gebäudes, und ich kann mir gut vorstellen, daß das für einen Menschen der damaligen Zeit einen ungeheuren Schrecken bedeuten mußte, so daß da zunächst in kleinen Schritten an die Sache heranging und sich dann freilich bei den kleinen Schritten auch beruhigte. Im Rahmen dieser heilsnotwendigen Teilnahme an der Kirche und ihrem sakramentalen Heilsweg im Sinne des ordo salutis war es in die Aufgabe des Menschen gestellt, mit Hilfe der übernatürlichen Gnade die Übereinstimmung des menschlichen Daseins mit seinem Wesen, wie es in dem Begriff des Gesetzes dargestellt ist, zu realisieren. Im Grunde war es der moralische Prozeß menschlichen Lebens, der hier bestimmend war, die Idee also, daß es durch die Mitteilung der übernatürlichen Gnade zu einer solchen Synthesis des menschlichen Lebens und des göttlichen Anspruches komme. Dazu war der ganze ordo salutis, der ganze Raum der ecclesia und das zentrale Sakrament der Messe, auf das alles ausgerichtet war, aufgebaut. Luther hat mit der Veränderung des Verständnisses der Gnade und des Evangeliums diese ganze Konzeption vom innersten Zentrum her gesprengt, indem er das Meßverständnis Roms nicht übernehmen konnte. Das war im Grunde schon die Aushöhlung der ganzen Konstruktion der römischen Kirche mit ihrem Gnadengesetz. Und damit fiel auch der ordo sacerdotium ebenso wie der ordo sacramentorum dahin, und es wäre darauf angekommen, eine ganz neue Konzeption von Gemeinde zugrundezulegen, der zufolge der ordo sacramentorum völlig aufgehoben wäre. Es ist aber nun dazu gekommen, daß in der Reformation zwar eine 249

beachtliche Reduktion des ordo sacramentorum stattgefunden hat, nicht aber dessen Aufhebung. Und man konnte in diesem Zusammenhang seitens der Reformation durchaus auch die alte Vorstellung von der Heilsnotwendigkeit der Kirche wieder aufnehmen. Dennoch ist bei Luther 1523 etwa in seiner Obrigkeitsschrift („Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei", 1523) und in seiner Schrift von dem Recht der Gemeinde, christliche Lehre zu beurteilen („Daß eine christliche Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu beurteilen", 1523), so etwas wie eine Magna Charta des neuen Gemeindeverständnisses geschrieben worden, ohne daß das von der Reformation schon in seinen Konsequenzen verwirklicht worden wäre. Deshalb könnte durchaus ein Zusammenhang bestehen zwischen dem, was Luther in jenen Frühschriften entwickelt, und dem, was sich aus Barths verändertem Verständnis von Gnade und Gebot, von Gesetz und Evangelium ergibt, so daß Barths Gemeinde- und Kirchenverständnis da durchaus anknüpfen könnte, das durchaus aufnehmen und erfüllen könnte, was in jenen Lutherschriften von 1523 noch enthalten ist. ]. Fangmeier: Es tauchte in der Diskussion immer wieder die Gleichung „nicht Luther entsprechend" gleich „unreformatorisch" auf. Es bleibt aber immerhin die Frage, ob nicht Barth im Sinne einer calvinischen Theologie durchaus „reformatorisch" denkt. Auch die Frage des Verhältnisses von „unreformatorisch" und „neuzeitlich" ist noch nicht geklärt. Wieweit ist die Differenz zwischen Luther und Barth diejenige zwischen Reformation und Neuzeit und wieweit die zwischen lutherischer und reformierter Theologie? Und wieweit muß man Barth als Theologen der Neuzeit (!) als nicht (mehr) reformatorischen Theologen verstehen? H a t er sich nicht selbst mehr als Vollender denn als Auflöser reformatorischer Theologie verstanden? H. Gollwitzer: Was Herr Geyer berührt hat, trifft eine Lutheranern sehr teure Sache. Luther hat ja ganz bewußt die Konsequenz der vollen Entsakramentalisierung, die sich dann bei Barth findet, nicht gezogen. Er wisse genau so hat Luther gesagt - wenn er die hoensche Deutung der Einsetzungsworte übernähme und also das „est" im Sinne des „significat" deuten würde, er damit dem Papsttum seinen größten Puff versetzte 4 . Luther hat das nicht getan. Die holländischen Antisakramentarier, die nach Wittenberg kamen, 4 Der Wortlaut des Zitates aus dem Brief Luthers an die Straßburger vom Dezember 1524 wird auch von K. Barth: Ansatz und Absicht in Luthers Abendmahlslehre (1923) 66 ff. angeführt.

250

dort aber abgelehnt wurden, dann nach Zürich gingen und Zwingli den Anstoß für seine signifikative Abendmahlslehre gaben, - diese Holländer haben zuerst ganz richtig gesehen, daß erst mit dieser gänzlichen Aushöhlung des Sakraments die Basis der Menschenbeherrschung durch die katholische Kirche wegfällt. Was war für Luther das eigentlich Treibende, daß er im Rahmen seiner Gnadenmittellehre der Verkündigung einschließlich der zwei bei ihm übrigbleibenden Sakramente, vor allem der Absolution, eine so entscheidende Bedeutung gab, daß das Handeln der Kirche nicht auf einen signifikativen Hinweis reduziert wurde, sondern eine Bedeutung bekam, die sich schließlich in der Lehre vom Amt in der Weise niederschlug, daß das Amt nicht einfach eine Beauftragung der Gemeinde, sondern, wie bei Vilmar, in sich selbst etwas Selbständiges im Gegenüber zur Gemeinde sei? Bis hin zu der Konsequenz der ganzen Neuinstallierung zwar nicht eines Priestertums, aber doch einer Pfarrerschaft, in deren Folge dann Reste des Anstaltlichen in der Kirche zur Herrschaft gelangten! Barth ist also nicht einfach ein Schritt über Luther hinaus gegangen, sondern er ist den Schritt gegangen, den Luther bewußt abgelehnt hat. B. Klappert: Setzt sich in den Antinomerdisputationen eine Schematisierung der Abfolge „Sündenerkenntnis durchs Gesetz, Sündenvergebung durchs Evangelium" durch, entsteht also Luther zufolge die Erkenntnis der Sünde durch die Predigt des Gesetzes, so ist nach Barth das Evangelium der exklusive Grund der Sündenerkenntnis. In diesem Gegensatz wiederholt sich, worauf P. Althaus und M. Schloemann aufmerksam gemacht haben, so etwas wie die reformatorische Aporie zwischen Luther und Agricola. Von dieser reformatorischen Aporie zwischen Luther und Agricola, der frühe Intentionen Luthers aufgriff, her möchte ich den Versuch machen, die Differenz zwischen der kerygmatischen Kategorie Gesetz und Evangelium bei Luther und dem, was bei Barth daraus entwickelt wurde, aufzuzeigen. Für Luthers Predigt ist das Nacheinander von Gesetz und Evangelium konstitutiv: das Gesetz tötet, das Evangelium macht lebendig. Genau dieses „zuerst - dann", dieser schematisierende ordo rei, den Luther gegen Agricola so leidenschaftlich verteidigt hat, taucht bei Barth unter expliziter Berufung auf diese Unterscheidung Luthers im Nacheinander von Kreuz und Auf erweckung auf. Barth sagt: zuerst das Gericht, dann die Auferweckung, zuerst die Negation, dann die Position; und zwar die Negation so, daß in dieser Negation des Kreuzes nicht schon der Umschlag in die Position der Auferweckung mitgesetzt ist, entsprechend dem Hinweis von R. Prenter, daß Tötung und Anfech251

tung durch das Gesetz bei Luther nicht bereits den Umschlag in die Position bei sich haben, was übrigens das Besondere der Dialektik Luthers im Gegensatz zu seinem vorreformatorischen Verständnis des immanenten Umschlages des Gesetzes in das Evangelium ausmacht. Das Nacheinander von Kreuz und Auferweckung in der Christologie Barths entspricht inhaltlich und strukturell in überraschender Weise genau dem Nacheinander von Töten und Lebendigmachen durch das Kerygma bei Luther. Barth zufolge kann nun aber - will man das έφ' απαξ und die Unwiederholbarkeit von Kreuz und Auferweckung nicht aufweichen - diese Reihenfolge von Gesetz und Evangelium deshalb kerygmatisch nicht mehr wiederholt werden, weil der Zielpunkt der Christusgeschichte - die Auferweckung des Gekreuzigten - der ausschließliche Ausgangspunkt der Verkündigung ist. E. Busch: In der „Schweizer Stimme" findet sich eine Paraphrase Barths über das „Her zu mir": „Her zu mir, ihr Unsympathischen, ihr bösen Hitlerbuben und -mädchen, ihr brutalen SS-Soldaten, ihr üblen Gestaposchurken, ihr traurigen Kompromißler und Kollaborationisten, ihr Herdenmenschen, die ihr nun so lange geduldig und dumm hinter eurem sogenannten Führer hergelaufen seid! Her zu mir, ihr, ihr Schuldigen und Mitschuldigen . . . " (354). Diese eigentümliche Paraphrase Barths weist darauf hin, daß gerade der gnädige, evangelische Zuspruch Christi an den Menschen („Kommt her zur mir") - sozusagen beiläufig - eine „anklagende", „verurteilende" Qualifizierung des Menschen („ihr Mühseligen und Beladenen") enthält. Aber freilich ist sie so darin enthalten, daß sie eben nur beiläufig, eingewickelt in den gnädigen Zuspruch zur Sprache kommt. In diesem Sinne ist auch von K. Barth her noch eine Gerichtspredigt möglich, wobei natürlich unter Gericht etwas jener eben genannten „Qualifizierung" Entsprechendes zu verstehen ist. Ich würde an diesem Satz festhalten, auch wenn Barth unter seinen Gefängnispredigten gerade da aus verständlichen Gründen! - keine ausgesprochene Gerichtspredigt gehalten hat. Immerhin Barth wollte ja doch nicht das Element des „Richtenden", „Anklagenden", „Verurteilenden" einfach eliminieren, sondern das Besondere bei ihm war, wie, in welchem Sinn und Ton, an welchem O r t und mit welchem Stellenwert er das brachte. Und eben dieses Element findet sich doch auch in jeder seiner Gefängnispredigten. B. Klappert: Im Hinblick auf die Frage von Herrn Gollwitzer, inwieweit die Gerichtspredigt Luthers für Barth weiterhin Relevanz habe einerseits und 252

andererseits in Aufnahme des Votums von Herrn Busch und seines Hinweises, daß gerade der evangelische Zuspruch Christi an den Menschen („Kommt her zur mir") - sozusagen beiläufig - eine „anklagende", Qualifizierung des Menschen enthalte („ihr Mühseligen und Beladenen"), die freilich so darin enthalten sei, daß sie nur eingewickelt in den gnädigen Zuspruch des Evangeliums zur Sprache komme, möchte ich meinen, daß für Barth die einzig mögliche Weise evangelischer Gesetzespredigt die Verkündigung des Gebotes als Form des Evangeliums ist. D. h. es wird nicht mehr das richtende Gesetz, sondern es wird ausschließlich das Gebot als Form des Fvangeliums verkündigt, wofür Barth in K D II/2 das Logion Jesu: „Kehrt um, denn die Herrschaft Gottes ist nahegekommen" als Beispiel anführt. Das ist der promissorische Indikativ. Exklusiv an der Verkündigung des Evangeliums entsteht nach Barth Buße und Sündenerkenntnis. Das schließt aber gerade die Perpetuierung der Reihenfolge von Gesetz und Evangelium als einer kerygmatischen Kategorie im Sinne Luthers aus. Von dieser Differenz zu Luther her ist es deshalb nicht zufällig, daß Barth an diesem Punkt eine gewisse N ä h e zu dem sich auf anderslautende Aussagen des frühen Luther von der Entstehung der Sündenerkenntnis am Evangelium berufennden Agricola5 aufweist. Barth weist nämlich in K D IV/1,438 ff. im Zusammenhang der Entfaltung seiner am Evangelium der Geschichte Jesu Christi orientierten Lehre von der Sünde des Menschen darauf hin, daß Luther und Melanchthon in ihrer Predigt Sündenerkenntnis generell nicht aus dem Evangelium, sondern aus der Predigt des Gesetzes abgeleitet haben. Und exakt da ist der Punkt, an dem bei Barth Agrícolas Anliegen gegenüber Luther bzw. das Anliegen des frühen Luther gegenüber dem späten der Antinomerdisputationen berücksichtigt worden ist. Promissorischer Indikativ meint im Sinne Barths - und das war u. a. das Anliegen Agrícolas, daß Buße und Sündenerkenntnis angesichts des Evangeliums entstehen. H e r r Gollwitzer hat soeben gesagt - und das steht im direkten Zusammenhang mit der zwischen Luther und Barth bestehenden Differenz, daß es Barth nicht mehr ausschließlich um die Frage nach dem eigenen Heil oder Unheil, nicht mehr im Zentrum um die Fragen des um sein eigenes Heil Interessierten geht - diese Frage ist in Christus entschieden 5 Vgl. J. Rogge, Joh. Agrícolas Lutherverständnis unter besonderer Berücksichtigung des Antinomismus, o.J. (1961), M. Schloemann, Natürliches und gepredigtes Gesetz bei Luther 46 Anm. 131,54 Anm. 159 und S. Hausammann, Buße 168 ff. - „Agricola, sich doch wohl nicht einfach zu Unrecht auf Sätze Luthers berufend, ließ nur eine Buße gelten, die durch das Evangelium bewirkt ist, und bestritt überhaupt das Recht einer christlichen Gesetzespredigt" (E. Bizer, in: F. Lau/E. Bizer, Reformationsgeschichte Deutschlands, Die Kirche in ihrer Geschichte, hg. v. K. D. Schmidt und E. Wolf, 1964,71).

253

- sondern wesentlich um die Frage des interessierten Jüngers, d. h. um die Frage, ob wir dem großartigen Vater gegenüber, der uns endgültig geliebt und aufgenommen hat, versagen. Es ist also nicht die Angst des an seinem Heil Zweifelnden, sondern die Furcht des Geliebten im Vaterhaus, die Furcht des interessierten Mitarbeiters Gottes, der weiß, daß das, was im Gericht droht, nicht mehr die Verwerfung, sondern nur die Scham sein kann. Die Aporie in der Reformation zwischen Luther und Agricola konnte nicht gelöst werden, weil sie eine Aporie im kerygmatischen Bereich darstellte und eine notwendige Konsequenz der kerygmatischen Wiederholung der Gerichts- und Rechtfertigungsgeschichte Jesu Christi war. Diese Aporie wird von Barth so aufgelöst, daß er das richtende Gesetz und das rechtfertigende Evangelium, das tötende Gesetz und das lebendigmachende Evangelium (Luther) in die Christusgeschichte verlagert und Agrícolas Anliegen, daß Sündenerkenntis am Evangelium entstehe, als die Funktion der Predigt bezeichnet, in der das Gebot als Form des Evangeliums verkündigt wird. Das ist nochmals ein Hinweis darauf, daß das, was Barth den erinnernden Verweis nennt, genau dieser promissorische Indikativ ist. Nicht wiederholt sich das Töten und Lebendigmachen in der Predigt - das hat lutherische Kritik an Barths Entwurf sicher herausgehört, und das ist der Kern des Vorwurfs, bei Barth werde der Glaube zum Wissen degradiert - , sondern es wird in der Predigt dem Menschen sein Geliebtsein in Christus zugesagt, demgegenüber d a n n des Menschen Nichtentsprechung zur Liebe des Vaters als seine Sünde erkannt wird. Besteht nicht von daher zwischen Luthers Gesetzespredigt und Barths Sündenerkenntnis implizierender Zusage des promissorischen Indikativs doch eine Differenz innerhalb des Kerygmatischen, die nicht zu schnell eliminiert werden sollte? Eine Differenz zwischen Luther und Barth im kerygmatischen Bereich, die durchaus eine Kontinuität der Barthschen Sätze zu entsprechenden, von Agricola aufgegriffenen anderslautenden Aussagen des frühen Luther nicht ausschließt? Bei Barth ist also sowohl das Anliegen Luthers, das Anliegen des vom Menschen nicht dialektisch zu vermittelnden Nacheinanders von Gesetz und Evangelium, als auch das Anliegen Agrícolas, daß Sündenerkenntnis ausschließlich am Evangelium entsteht, aufgehoben. H.

Gollwitzer:

Sie sagten, daß Barth damit eine Aporie bei Luther selbst gelöst habe. Könnte man also sagen, daß damit nicht nur eine einfache Differenz zwischen Luther und Barth besteht, sondern daß sich Barths Position zugleich von der lutherischen Position aus als Lösung eines Punktes, an dem Luther im Widerspruch zu sich selbst stand, anbietet? 254

Β. Klappert: Dem stimme ich zu. Barth hat expressis verbis gesagt, daß „ausgerechnet Luther sich gelegentlich ziemlich kräftig so hat äußern können, als ob auch er den Grund der Erkenntnis der Sünde im Evangelium . . . gesehen hätte" (IV/1,438), aber die Frage „offen bleiben [müsse], ob und in welchem Maß man Luther bei diesen Aussagen behaften darf", insofern „Aussagen in dieser Richtung bei ihm nur vereinzelt anzutreffen sind" und Luther „in der R e g e l . . . zweifellos auf der bekannten anderen Linie gedacht und geredt" hat (KD IV/1,439). Und Barth hat hinzugefügt: „Jedenfalls sind Sätze dieser Art [seil, über die Erkenntnis der Sünde am Evangelium] für die Lehre der lutherischen Kirche im Ganzen ebensowenig bezeichnend und wirksam geworden wie für die der reformierten" (ebd.). Agricola konnte also immerhin auf frühe Aussagen Luthers verweisen, in denen Luther gerade Sündenerkenntnis als Erkenntnis am Evangelium ausgesagt hatte. Zugleich trug aber Agricola dieses Anliegen in einer Form und mit Konsequenzen im Hinblick auf die Zwei-Reiche-Lehre (der Dekalog gehört auf das Rathaus und nicht auf den Predigtstuhl) vor, die Luther in den Antinomerdisputationen zwangen, das Nacheinander von Gesetz und Evangelium geradezu zum methodus der Predigt zu machen. Die in der lutherischen Reformation - und nicht nur in ihr! - nicht zur Lösung gekommene Aporie zwischen Luther und Agricola ist bei Barth in der Tat so aufgegriffen, daß das Nacheinander von tötendem Gesetz und lebendigmachendem Evangelium in die Christologie, in den Zusammenhang von Kreuz und Auferweckung, und daß das Anliegen Agrícolas in der Hamartiologie (KD IV/1,395 ff.) aufgenommen ist, indem Barth Luther und Melanchthon vorwirft, daß sie Sündenerkenntnis eigentlich nicht am Evangelium, sondern an einem abstrakten Gottes- bzw. Leistungsgesetz orientiert und verkündigt haben. W. Kreck: Es ist dann aber doch festzuhalten, daß innerhalb dieses promissorischen Indikativs auch das Anliegen, was Luther bewegte, bei Barth aufgenommen ist, denn es könnte sonst der Eindruck entstehen, als ob das, was nach Luther sich im Kerygma, auf der kerygmatischen Ebene vollzieht, bei Barth ganz verschwunden ist. Das aber ist nicht der Fall.

255

2. Exegetische Anfragen an das Gesetzesverständnis Luthers und Barths M. Barth (Exkurs): a) Die Heiden und das Evangelium Gesetzes

von Christus als dem Erfuller

des

Paulus faßt im Galaterbrief den Auftrag, den er durch Gottes Erwählung und Berufung bekommen hat, zusammen in den Worten: „ . . . daß ich den Sohn (Gottes) als gute Botschaft unter den Heiden verkünde" (Gal. 1,16). Jesus Christus ist die frohe Botschaft in Person, er ist das Evangelium. Der Apostel sagt kein Wort davon, daß er zusammen mit dem Evangelium (oder vor oder nach dem Evangelium) auch noch das Gesetz unter den Heiden zu predigen habe. Wenn er das Gesetz überhaupt zur Sprache bringt, dann entweder in Beschreibung der Erfahrung Israels mit dem Gesetz, oder in Abweisung einer die Gemeinden bedrohenden Irrlehre, oder aber mit dem Hinweis der Erfüllung des Gesetzes durch den Messias Jesus. Der letzten Gruppe von Aussagen wenden wir uns zuerst zu: „Gott sandte seinen Sohn, damit der Rechtsanspruch des Gesetzes in unserer Mitte erfüllt werde" (Rom. 8,3). Während Adam ungehorsam war, war Christus gehorsam (Rom. 5,19). Jesus Christus ist einzig insofern das „Ende des Gesetzes", als er des Gesetzes Sinn und Zweck, seine Erfüllung und sein Erfüller war und ist (Rom 10,4). Manche Aussagen Luthers, die Herr Klappert in seinem Referat beigebracht hat, erläutern den Sinn dieser paulinischen Aussagen. Auf alle Fälle ist das Gesetz seit dem Kommen Christi nicht mehr etwas Offenes und Unerfülltes, z. B. eine bloße Möglichkeit oder Notwendigkeit, sondern durch Jesus Christus geschah etwas mit dem Gesetz. Jetzt ist es nicht mehr dasselbe wie zuvor: Es ist erfüllt. Wie geschah diese Erfüllung? Sicher nicht durch „Gesetzeswerke", d. h. durch die Selektion einzelner Gebote und Gehorsamsakte, die vor Gott als pars pro toto dienen sollen! Paulus spricht von der „Liebe" und dem „Glauben" Jesu Christi, wenn er den „Gehorsam" des Messias (Rom. 5,19; Phil. 2,8) darstellen will: „Er liebte mich und gab sich selbst für mich" (Gal. 2,20; vgl. Eph. 5,2.25). Liebe aber ist „des Gesetzes Erfüllung" (Gal. 5,14) und Summe (Rom. 13,9), die größte Gabe Gottes (1. Kor. 13). In dieser Liebe ist der Glaube des Messias (Gal. 2,16.20; 3,22.26; Phil. 3,9; Rom. 3,22.26) „wirksam" (Gal. 5,6). Laut Habakuk (2,4; zit. in Gal. 3,11 und Rom. 1,17) ist Glaube gleichbedeutend mit Erfüllung des Gesetzes. So ist der Glaube Jesu Christi an Gott (oder seine Treue Gott gegenüber) und seine Liebe zu den Menschen die Erfüllung des Gesetzes, die Paulus den Heiden verkündet, wenn er vom gekreuzigten und auferstandenen Christus spricht. 256

Dazu verkündet Paulus, daß jetzt der Heilige Geist gegeben ist - jener Geist, durch welchen die Liebe Gottes in menschliche Herzen, auch in die Herzen von Heiden, ausgegossen ist (Rom. 5,5). Laut Gal. 5,22 gehört auch der Glaube zu den Früchten des Geistes. Aufgrund der Herzenserneuerung durch den Geist „tun" jetzt Heiden freiwillig, was das Gesetz getan haben will, obwohl sie das Gesetz, das Israel gegeben wurde, gar nicht „haben" (Rom. 2,14-15, interpretiert im Lichte von Jer. 31,31-34; vgl. das Logion Jesu über die Nineviten, Mt. 12,41). Vom Geist getaufte Heidenchristen beschämen jene Juden, die das Gesetz nur haben, aber nicht tun; die geistliche Beschneidung stellt die nur fleischliche Beschnittenheit in den Schatten (Rom. 2,13-29). Wo Christus und der Geist regieren, geschieht somit nach Paulus der Wille Gottes. Paulus ist aber fern davon, den Heiden ein noch zu erfüllendes, erschreckendes oder tötendes Gesetz aufzuoktroyieren. Der in den Paulusbriefen evidente Zusammenhang zwischen Jesus Christus, dem Heiligen Geist und der Gesetzeserfüllung zwingt dazu, die augustinische, thomistische, reformatorische und späteren Lehren vom Gesetz noch einmal neu zu überdenken. Hauptanlaß dazu ist folgendes: Gottes heiliges, gerechtes und gutes Gesetz (Rom. 7,12.24) ist nach Paulus einzig und allein dem Volke Israel gegeben worden. Jeder Versuch, es als für jedermann gültig zu erklären (sei es denn auch nur, mit der Formulierung meines Vaters, als „Form des Evangeliums"), wird von Paulus radikal bekämpft. In Rom. 4 und Gal. 3 zeigt der Apostel nachdrücklich, daß das Gesetz nur Israel gegeben ist; denn nur, wo zuerst Verheißung und Bund gegeben sind, gibt Gott auch sein Gesetz. Somit ist die Bundesliebe Gottes der Boden und Grund des Gesetzes. Gibt es aber ohne Bund und Verheißung kein Gesetz, so ist es Unsinn, solchen Menschen, welche „fern den Bünden der Verheißung" standen (Eph. 2,12), jetzt das Gesetz im Namen Jesu Christi, zur pädagogischen Vorbereitung auf ihn, oder als Test wahrer Gerechtigkeit aufzudrängen, geschweige von ihnen einzelne Gesetzeswerke als Ersatz für vollen Gehorsam zu verlangen. b) Die Anfrage an M. Luther und K. Barth Die Frage, die ich aus dem Vorhergehenden an Luther ableite, ist folgende: Hat nicht Luther in seiner Lehre von Gesetz und Evangelium (und mit ihm die sog. Lutherische Theologie seit der Reformationszeit bis heute) der Intention der paulinischen Gesetzeslehre geradezu ins Gesicht geschlagen? Luther hat, so scheint es mir, in seiner eigenen Weise, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, genau das getan, was die sogenannten Judaisten zur Zeit des Paulus propagiert hatten. Sie waren offensichtlich davon überzeugt, daß das Gesetz als Gebot bestimmter Aktivität, 17

Klappert, Promissio

257

d. h. als Vorschrift von bestimmten „Werken", die der Mensch zu vollziehen hatte, den getauften Heiden auferlegt werden müsse, wenn sie zu Gottes Volk gehören wollten. Luther hat zwar diesen Gesetzesaktivismus verworfen; er hat aber trotzdem alle Menschen nur durch das Gesetz hindurch zu Christus führen wollen. Statt aussichtslosen Aktivismus und Selbstruhm zu erzeugen, sollte das Gesetz alle Menschen mundtot und passiv machen, indem es jedermann seine Schuld, seine Verdammung und seine gerechte Hinrichtung erfahren ließ. Nachdem Luther selbst durch das Erlebnis der Aussichtslosigkeit der Werkgerechtigkeit gegangen war, lehrte er, daß jeder Mensch (nicht nur die Juden; doch handelt ζ. B. Rom. 3,20 nur von Juden) Gottes Gnade erst dann empfangen und erleben kann, wenn ihm zuerst das Gesetz mit seinem vernichtenden Recht und seiner tödlichen Gewalt gepredigt ist. So machte Luther das Gesetz für die ganze Menschheit und jeden Einzelnen zu einem zugleich furchtbaren und heilsamen Instrument der Vorbereitung auf die Gnade. Paulus aber spricht in Gal. 3 nur von einem Zuchtmeister Israels; auch beschreibt er in Rom. 7 nur jene spezielle Erfahrung, welche er selbst oder die Judenchristen mit ihm mit dem Gesetz Gottes gemacht haben. Luther gleicht den Judaisten, weil er so gut wie jene alten Irrlehrer das Gesetz im Zusammenhang mit Christus als eine auch für Heiden notwendige Größe predigt. Sprachen die alten Judaisten in grimmiger oder optimistischer Weise von Gesetzeswerken des aktiven Menschen, so predigt der Reformator passives Erleiden der Wirkung des Gesetzes. Die pessimistische, negative Form der Gesetzespredigt schlägt aber der paulinischen Lehre von der Rechtfertigung „ohne des Gesetzes Werke" ebenso ins Gesicht, wie die frühere, optimistische Version. Passivität ist an sich nicht heiliger als Aktivität. Im einen wie im anderen Fall kann Selbsterlösung und Selbstrechtfertigung des Pudels Kern sein. Diese Kritik an Luther schließt eine Kritik an allen Versuchen ein, das Gesetz als Form oder Vehikel oder pädagogisches Instrument zur Verkündigung des Evangeliums zu bezeichnen oder zu benutzen. Die Gesetzeslehre Calvins, welche (auf der Grundlage stoischer Lehren?) den welterhaltenden und aufbauenden Charakter des recht verstandenen und recht benutzten Gesetzes sicherstellen wollte, enthält Elemente und Argumente, die Paulus fremd sind. Auch wir Reformierten haben viel zu universalistisch und generell vom richtenden und tötenden Gesetz, vom Zusammenhang von Evangelium und Gesetz und vom tertius usus legis gesprochen. Die hier vorgetragene Lutherkritik stammt ursprünglich nicht von mir, sondern - zu Ehren unvoreingenommener, lutherischer exegetischer Arbeit soll dies betont sein - von dem schwedischen Lutheraner Krister Stendahl (The Apostle Paul an the Introvert Conscience of the West, in: Harvard Theol. Review 56, 1963, 199-215). 258

c) Unterschiede zwischen den Juden und den Heiden Nach Paulus hat das Gesetz nur für die Juden Gültigkeit. Es gehört zu den Privilegien Israels. Doch wird es auch zu Israels besonderer Last, weil es nicht gehalten wird. Auf alle Fälle wird nur Israel durch das Gesetz schuldig erklärt und getötet. Rom. 2,12 stellt fest: Die Heiden, die ohne das Gesetz gesündigt haben, gehen ohne das Gesetz zugrunde; die Juden, die unter dem Gesetz gesündigt haben, werden durch das Gesetz verurteilt. Es gibt also nach Paulus Sünde in zwei Erscheinungen (obwohl laut Rom. 3,22-23 kein Unterschied in der Totalität der Sünde besteht): Die eine besteht in der Gesetzesübertretung der Juden. Sie erfolgt quasi mit erhobener Hand und ist eine Beleidigung Gottes selbst. Die andere Form der Sünde besteht in dem Götzendienst der Heiden. Auch diese Sünde ist gegen Gott selbst und seine Ehre gerichtet, weil Gott sich ja auch den Heiden seit der Schöpfung durch seine großen Erwählungstaten bekannt gemacht hat (ζ. B. durch die Behütung der Patriarchen, den Exodus aus Ägypten, die Führung durch die Wüste, die Landnahme, die Monarchie, das Exil etc.; vgl. Rom. 1,19-20 im Lichte von Ps. 98,1-3). Dementsprechend gibt es einen gerechten Zorn Gottes gegen die Heiden - obwohl die Heiden nie durch das Gesetz Gottes in Zucht genommen worden waren. Noch einmal: Der „Zuchtmeister" von Gal. 3 wurde einzig den Nachkommen Abrahams gegeben. Sterben also die Glieder des Volkes Israel durch das Gesetz (Rom. 2,12; 7,9-10; Gal. 2,19; 2. Kor. 3,6), so gehen die Heiden ohne das Gesetz in den Tod. Ohne gesetzliche Hilfe sind sie laut Eph. 2,1-2 und Kol. 2,13 schon tot in ihren Sünden und Übertretungen. Jene bewußte oder unbewußte Gesetzesübertretung, jene Anrechnung als Folge der Gesetzgebung und jenen Fluchtod als Sold der Sünde, denen Israel ausgesetzt ist, gibt es bei den gesetzlosen Heiden nicht. Und niemand soll wünschen oder versuchen, daß sie dasselbe wie Israel erleiden müssen. Einer der vielen Fehler der Judaisten alter Schule bestand darin, daß sie partiellen Gehorsam in Form von Gesetzeswerken stipulierten, ohne zu erwägen, daß Ungehorsam gegen ein einziges Gebot ganzem Ungehorsam gleich ist (Jak. 2,10; Rom. 2,25; Gal. 3.10). Der Irrtum der reformatorischen Judaisten besteht darin, daß sie Menschen, welche ohnehin unter dem Zorn Gottes stehen und tot in ihren Sünden sind, noch einmal mit dem Gesetz disziplinieren, bedrohen, erschrecken, verurteilen und schlagen zu müssen meinen. Paulus aber beschützt die außerhalb des Gesetzes stehenden Menschen vor dem Zugriff und der Anmaßung aller falschen Gesetzesmenschen, mit Einschluß der dialektischen Gesetzesfreunde, die an der durch das Gesetz ausgesprochenen Verurteilung ihrer Mitmenschen Gefallen zu haben scheinen. Die Heiden haben nicht 17*

259

nötig, noch einmal mit dem Gesetz erschlagen zu werden, nachdem ihr Götzendienst sie schon tief genug ins Unheil, in totale Unordnung, und in den Tod hinein geführt hat (Rom. 1,24-32). Auch die bestgemeinte Verkündigung des Gesetzes vor dem Evangelium (wie sie im ersten und gewöhnlich anschaulicheren Teil mancher Durchschnittspredigt, doch auch im Ablauf einer klassischen reformierten Liturgie, in der Existenzanalyse eines modernen Kanzelredners und in gar mancher angeblich „evangelistischer" Ansprache erfolgt) hat wenig oder nichts mit dem zu tun, was Paulus „Verkündigung des Sohnes unter den Heiden" nennt. d) Die dreifache Funktion des Gesetzes für Israel Wir sagten schon, daß die Gabe des Gesetzes an Israel ein Gnadengeschenk Gottes ist, durch welches Israel in seiner privilegierten Stellung als Gottes Erwählter bestätigt wird (Rom. 3,2; 9,4). Die spezielle Funktion des Gesetzes ist die einer Ausführungsbestimmung zum Bunde. Sie macht deutlich, daß Israel ganz unter der Erwählung und Liebe Gottes steht und nur davon leben kann. Aussagen über den Segen Abrahams, mit dem sich schließlich alle Geschlechter der Erde segnen werden (Gen. 12,1-3), über den priesterlich-königlichen Auftrag Israels unter den Nationen (Ex. 19,6) und über Israel als Licht der Völker und Bundesmittler (Jes. 42,6; 49,6) zeigen, daß Israel von Anfang an nicht nur um Gottes und seiner selbst, sondern auch um der Heiden willen von Gott erwählt wurde. Daher ist das ganze Gesetz, mit wëlchem Israel gebunden und unter Gottes Disziplin gestellt wurde, als eine Art von Priesterkodex zu verstehen. Wie ein Priester unter den Laien, so ist Israel unter den Völkern ein berufener Zeuge Gottes. Drei Aspekte der priesterlichen Disziplin seien hervorgehoben: 1. Der Bundespartner Gottes soll so leben, daß sich Gottes Gerechtigkeit, Wahrheit und Treue in menschlicher Gerechtigkeit, Wahrheit und Treue widerspiegeln. Das Gesetz dient also dazu, eine bilaterale Beziehung zu schaffen, in der eine Abbildung Gottes im menschlichen Bundespartner stattfindet und somit die Bestimmung des von Gott geschaffenen Menschen (Gen. 1,26-27) erfüllt wird. In griechischer (auch paulinischer) Sprache heißt diese Abbildung μίμησις. Im Hebräischen ist sie vielleicht mit der Unterscheidung von Pix und πριν, noN und Π3ΊΩΝ gemeint. 2. Das Gesetz enthält Fluchdrohungen an den Übertreter. N u r der Erwählte Gottes: der Jude, ist in der Bibel ausdrücklich vom Fluche Gottes bedroht. Der Zorn Gottes droht allen Menschen, und oft erweist er sich als die Temperatur der Liebe Gottes und währt nicht länger als eine bestimmte Zeit. Der Fluch Gottes aber ist viel ärger. Nicht jedermann, sondern nur Gottes Bundesvolk wird mit dem Fluche bedroht; 260

denn nur dieses Volk kann den Bund Gottes brechen und sein Gesetz übertreten. Wer das Gesetz hält, hat den Fluch nicht zu fürchten: Er behält das Leben und die Freiheit. Während das Gesetz unmöglich Leben schaffen kann, sondern die Gabe des Lebens und die Freiheit des Bundespartners voraussetzt, bewirkt die Nichteinhaltung des Gesetzes den Verlust des Lebens. 3. Eine dritte Funktion des Gesetzes ist noch zu nennen: Es qualifiziert den Erwählten Gottes als einen Gotteszeugen unter den Heiden. Das Gesetz soll also nicht nur deshalb gehalten werden, weil der Bundespartner Gott ähnlich sein und seiner Güte und Treue entsprechen soll; auch nicht nur mit dem Zweck, den Erwählten Gottes vor dem angedrohten Zorn zu bewahren; sondern vor allen Dingen aus dem Grunde und mit der Absicht, daß der Segen Abrahams, das Licht oder die Stimme Gottes von Zion ausgehe und unter den Völkern verbreitet werde. Israel wird nicht zum Licht der Heiden, indem es sein Gesetz propagiert und exportiert. Der Segen Abrahams, nicht das Gesetz Moses ist von Anfang an auch für die Heiden bestimmt. Darum hat allein Israel das Gesetz zu halten, weil es in besonderer Weise Gottes Zeuge unter den Heiden, eben ein glaubhafter, königlicher Priester zugunsten der Heiden sein darf und soll. In Gottes Rechtsstreit mit der Welt soll gerade dieser Zeuge für Gottes Treue und Macht, aber auch für echte Menschlichkeit sprechen. Kommt aber Israel selbst unter den Fluch, so kann seine Mission unter den Heiden nicht ausgeführt werden. Man denke ans Exil oder an Jona: Erst nachdem Gott gezüchtigt und vergeben hat, wird von ganz Israel oder einem einzelnen Juden die Mission unter den Heiden ausgeführt. e) Jesus Christus und die dreifache

Funktion des Gesetzes

Nach Paulus entspricht das Verhältnis Jesu Christi zum Gesetz genau der dreifachen Funktion des Gesetzes innerhalb Israels. 1. Jesus Christus hat den aktiven Gesetzesgehorsam geleistet, zu dem Israel aufgerufen war, den es aber Gott schuldig geblieben ist. Sein einzigartiger und vollkommener Glaube, erwiesen in seiner einzigartigen und vollkommenen Liebe, ist die Erfüllung des Gotteswillens, von der die Rechtfertigung des Menschen abhängt. Er ist das Bild Gottes. 2. Jesus Christus hat sich gehorsam der Folge der Gesetzesübertretung durch Israel: dem Fluch Gottes unterzogen. Er ist ein Fluch geworden unter denen und für alle, die vom Gesetze verflucht waren (Gal. 3,10-13): für Israel. Jesus Christus hat daher durch seinen Tod zunächst (nur!) diejenigen, die unter dem Gesetz sind, erlöst. Gal. 4,4 heißt in der Tat: „Er wurde dem Gesetz unterworfen, damit er die dem Gesetz Unterworfenen loskaufe." So entspricht der aktiven Erfüllung des 261

Gesetzes durch Jesus Christus im Glauben und in der Liebe die passive Erfüllung des Willens Gottes im Erleiden des Fluchtodes am Kreuz zugunsten Israels. In seinem Tun und in seinem Leiden repräsentiert Jesus Christus ganz Israel. 3. Indem Jesus Christus aktiv und passiv das Gesetz erfüllt, übernimmt er die Sendung Israels unter den Heiden. Laut Gal. 3,13-14 und 4,4-6 hat das Kommen und das Werk des Messias je verschiedene Wirkung für Juden und Heiden. Werden die Menschen unter dem Gesetz vom Fluch losgekauft, so wird den Menschen außerhalb des Gesetzes der Segen Gottes und die Adoption zu Kindern zuteil. Jesus Christus erfüllt die dritte Funktion des Gesetzes, indem er nach seiner Auferstehung durch den Geist in der Aussendung der Apostel die Mission unter den Heiden vollzieht. Jetzt wird der Segen Abrahams unter die Heiden hinausgetragen (Gal. 3,14; vgl. Eph. 3,5-6). Die Gründung der Kirche, des aus Juden und Heiden bestehenden Gottesvolkes, gehört daher zur Erfüllung des Gesetzes durch Jesus Christus, bedeutet aber nicht die Ablösung des Gesetzes durch eine ganz andere Ordnung oder durch Unordnung. Nur insofern das Gesetz zu einer von Gott und den Mitmenschen trennenden Mauer gemacht wurde, ist es in der Tat von Jesus Christus invalidiert worden (Eph. 2,11-19; Mt. 5-7; 23). Luther und Calvin haben zwar von der aktiven und passiven Gesetzeserfüllung durch Christus gesprochen. Doch wird bei ihnen kaum deutlich, daß das aktive und das passive Element ein altruistisches Motiv hat, das auf etwas viel Tieferes als leichtfertige Abschaffung oder bessere Auslegung und Anwendung des Gesetzes hinausläuft. Die Sendung und Mission Israels unter den Völkern der Welt spielt in der Theologie der Reformation kaum eine Rolle. So fand denn auch die spezielle Verpflichtung der Menschen unter dem Gesetz für die Menschen außerhalb des Gesetzes, d. h. die missionarische Verantwortung, die auf jeder Seite der paulinischen Schriften bezeugt ist, keine ausführliche Behandlung. In dem Heft „Evangelium und Gesetz" meines Vaters bleibt diese Sendung ebenfalls noch verborgen, um erst in K D IV/3 auf den Leuchter gestellt zu werden. Immerhin ist auch dort das Verhältnis zwischen Gesetz und Mission, und ist auch anderorts die positive und negative Bedeutung des Gesetzes für menschliche Mitmenschlichkeit erst in Ansätzen angedeutet, deutlicher in Auslegung von Abschnitten der Bergpredigt als in Exegesen paulinischer Texte. Es ist möglich, das positive Element dieser Kritik an der reformatorischen und nachreformatorischen Interpretation der paulinischen Gesetzeslehre in einer soziologischen Begrifflichkeit zu formulieren. Die Gesetzeslehre des Paulus hat ihren Sitz im Leben in der Spannung zwischen einer sich ihrer Erwählung und ihrer Privilegien rühmenden in-group einerseits, und einer verachteten und verstoßenen, doch in ihrer Weise 262

nicht minder selbstsicheren out-group andererseits. Innerhalb dieses Konfliktes der Habenden und Nichthabenden stellt sich die Frage: Haben die Besitzenden das Recht und die Pflicht, den Nichtbesitzenden ihre Traditionen und Maßstäbe als Bedingung für den Beitritt zu ihrer Gruppe aufzuerlegen? Oder soll die in-group sich um des lieben Friedens willen oder aus Furcht oder Bequemlichkeit an die out-group assimilieren, indem sie sich die Gesetzlosigkeit der letzteren zu eigen macht und an ihrem Götzendienst teilnimmt? Paulus verwirft beide Lösungen, den Export des Gesetzes zu den Heiden so gut wie die Auslieferung der von Gott zuvor zu seinem Dienste Erwählten an Götzendienst und Unzucht. Mitten in den haßerfüllten Kampf der zwei Gruppen verkündet er die Intervention Gottes in Jesus Christus, am Kreuz und in der Auferstehung. Als Erfüller des Gesetzes am Kreuz und als segnender Priester seit der Auferstehung schafft Jesus Christus Frieden. Die Kirche, nicht primär ein privater und nur innerlicher Seelenfrieden, ist die erste Frucht und der greifbare Beweis für den Erfolg dieses Friedenswerkes, obwohl sie die weltweite Dimension des hergestellten Friedens bestenfalls andeuten, niemals aber selbst ausfüllen kann. Innerhalb der durch die Kirche zeichenhaft dargestellten Einheit gibt es laut Paulus die Freiheit zu verschiedenen Formen von Gottesdienst. Paulus hat nichts dagegen, daß gläubige Juden unter sich weiterhin die Beschneidung in Ehren halten. Er selbst unterwirft sich gelegentlich jüdischen Ritualen und bleibt somit „den Juden ein Jude". Zugleich fühlt er sich frei, mit Heiden Tischgemeinschaft aufzunehmen. Während eines Konflikts in Antiochien insistiert er geradezu darauf, daß Rechtfertigung durch Glauben, die Erfüllung des Gesetzes durch Christus, kurz das „Gesetz Christi", in keiner andern Weise als in der Tischgemeinschaft von Juden mit Heiden bekannt und gefeiert werden kann (Gal. 2,11-31; 6,2; vgl. 1. Kor. 7,17-24; 9,19-21; Rom. 14-15). Ich habe den Eindruck, daß wir diese „soziologische" Komponente der Gesetzeslehre (und der Rechtfertigungslehre) des Paulus bisher zu stark vernachlässigt haben. Die Differenzierung zwischen Juden und Heiden, die Paulus gerade angesichts der Intervention des Messias Jesus zugunsten beider aufrechterhält, ist von größter Bedeutung nicht nur für die Diskussion der Friedensfrage in allen Bereichen der Kultur, Politik, Ökonomie etc., sondern auch für das Suchen und Finden eines gangbaren Weges zum Frieden selbst6. B. Klappert: Zunächst zwei exegetische Fragen, die nicht nur an die in Jes. 2,1-5 angekündigte Völkerwallfahrt zum Zion zum Empfang der „Tora", 6 M. Barth hat ausführlicher zum selben Thema geschrieben in: EvTh 33, 1973, 496-526.

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nicht nur an die prophetischen Fremdvölkersprüche, in denen die Völker unter die Anklage des Jahwerechtes gestellt werden, nicht nur an die in Dt jes. 42,1-4; 51,4 ausgesagte Rechts- und Toramitteilung durch den Knecht an die Völker denken, sondern die auch in der Linie der von J . Fangmeier gestellten Fragen liegen, ob sich in der neutestamentlichen Gemeinde, die sich als das wahre Israel versteht, eine illegitime Übernahme der Heiligen Schrift des Alten Bundes und damit auch des Dekaloges vollzogen hat: a) Sie haben in ihrem exegetischen Exkurs die Tora des Bundes Gottes mit Israel nicht in Beziehung gesetzt etwa zur Bergpredigt bei Matthäus, d. h. Sie haben eigentlich nicht die Frage gestellt, wie das Verhältnis von der exklusiv und ausschließlich dem Volk Israel gegebenen Tora und der in Christus erfüllten Tora zu sehen ist. Bei Matthäus wird gerade die von Christus proklamierte und in seinem Tod erfüllte Tora zum universalen Gebot und zur universalen „Lebensordnung" (KD II/2, 767) für die Völker (Bergpredigt - Passion - Missionsbefehl Mt. 28,16-20). Auf dieses Verhältnis zwischen Israels Tora einerseits und der durch Christus proklamierten, erfüllten Tora als der „Lebensordnung" auch der Heiden andererseits sind Sie nicht eingegangen. Auf diesen Zusammenhang einzugehen wäre aber deshalb wichtig gewesen, weil doch gerade bei Matthäus das in Christus erfüllte Gebot zur universalen Lebensordnung der Gemeinde unter den Völkern wird. b) Kann man im Hinblick auf die Verhältnisbestimmung zwischen Israels Tora und universalem Gebot für die Völker zwischen Matthäus und Paulus eine Differenz aufmachen? Die Exegese Ihres Vaters in „Evangelium und Gesetz" - aber nicht nur dort - sah gerade hier keine Differenz zwischen Paulus und Matthäus. Sodann zwei systematische Fragen: a) In der meinem Referat zugrundeliegenden Konzeption, die die systematisch-theologische Konzeption K. Barths darstellte, war das richtende Gesetz gerade nicht als ein abstraktes, d. h. als ein vom Bund Gottes gelöstes, noch dazu in der Verkündigung zu wiederholendes und insofern auf die Heiden zu übertragendes Gesetz verstanden7. M. a. W.: Was Sie kritisch gegen Luthers richtendes Gesetz in der Predigt ausführten, war K. Barth zufolge gerade systematisch ausgeschlossen. Kann die kritische Anfrage an Luther von daher legitim zugleich als kritische Anfrage an K. Barth formuliert werden? 7 K. Barth: „Oder wer könnnte uns weiter heißen, uns bei der Frage nach der Sünde nun doch wieder an dem abstrakt gelesenen Gesetz des seiner Erfüllung erst entgegengehenden [!] Bundes der alttestamentlichen Ökonomie zu orientieren? . . . Als ob es wohl getan wäre, die Christen anzuweisen, zunächst einmal. . . Juden zu werden, sich an diesem Gesetz zu orientieren - um dann von da aus gewiß ebenfalls nie und nimmer zur Erkenntnis der Sünde vorzustoßen!" (KD IV/1, 155 f.).

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b) Die Konzeption Κ. Barths ging dahin, daß das in Christus erfüllte Gesetz das universale Gebot und als solches auch das der Sünde überführende „Gesetz" der Heiden ist. Ich habe in meinem Referat in diesem Zusammenhang von der Universalisierung dieses Besonderen gesprochen. Sie haben jetzt aber faktisch so argumentiert, als wenn ich einer Verallgemeinerung der Tora Israels und ihrer Übertragung auf die Heiden das Wort geredet hätte. Es liegt aber gerade das Spezifikum des Barthschen Entwurfes darin, daß er sagt: die erfüllte Tora Israels, nicht einfach die Tora Israels, wird zur „Lebensordnung" der Gemeinde und der Heiden, insofern der Messias Israels als die Erfüllung der Verheißung und des Gebotes Israels der Herr der Gemeinde und der Welt ist. Nicht von der Universalisierung der exklusiv Israel gegebenen Tora (Rom. 9,4) war also hier die Rede, denn das liefe in der Tat faktisch auf deren Verallgemeinerung hinaus! M.a.W.: Kann Ihre Anfrage dann noch als Anfrage an die vorgetragene Konzeption verstanden werden? M. Barth: Zur Exegese: Ich bin überzeugt davon, daß Paulus ein ebenso überzeugter Judenchrist ist wie Matthäus. Wahrscheinlich bedeutet die „bessere Gerechtigkeit" und der „Weg der Gerechtigkeit" bei Matthäus nichts wesentlich Anderes als der Begriff „Gerechtigkeit Gottes" bei Paulus. Die Bergpredigt darf daher sowenig wie die fünf Teile des Matthäusevangeliums als „neue Tora" verstanden werden. Es ist aber des Matthäus spezifische, bei Paulus nicht in gleicher Weise oder in gleichen Worten formulierte Intention, Menschen in die Nachfolge und zu Jüngern des das Gesetz erfüllenden Messias zu rufen. „Er", der Gehorsame und der Richter, der Leidende und Siegende, nimmt „es", das bisher unerfüllte Gesetz, so in seine Hände, daß wie beim reichen Jüngling, nicht mehr einzelne Gehorsamsakte gegenüber dem Gesetzesbuchstaben, sondern nur noch ganzes Vertrauen auf und ganze Hingabe an den gekreuzigten und von Gott gerechtfertigten Gottesknecht den Weg der Jünger aus Israel und aus den Völkern bestimmen können. Den Begriff „Lebensordnung" halte ich für eine weniger glückliche Beschreibung des Inhalts und der Intention der Bergpredigt. „Konstitution des Reiches Gottes" oder „Messianische Regierungserklärung" verdienen vielleicht den Vorzug. Zur Dogmatik: Mit der Art und dem Inhalt dessen, was Herr Klappert soeben in Auslegung und Zusammenfassung der KD über die Konkretheit und die Universalität des vor, für und durch Israel geoffenbarten Gotteswillens gesagt hat, kann ich mich völlig einig bekennen, weil ich glaube, daß Paulus genau in diese Richtung weisen wollte. Immerhin ist es bemerkenswert, daß es bei Paulus selbst einen Begriff wie „universal" (und sein Gegenstück: partikular) überhaupt nicht gibt. Paulus denkt 265

weniger in abstrakten Begriffen als in seelsorgerlicher Ausrichtung auf bestimmte Menschengruppen und Einzelne. Er ist vor allen Dingen Missionar, Prediger, Friedensbote, sei es denn auf Kosten des Ranges eines Lehrers von Fundamental- oder Universaltheologie. Weil mein Vater (schon in seinem Briefwechsel mit Harnack, 1923) wissenschaftliche Theologie als eine Art von Predigt verstanden wissen wollte, glaube ich, seiner Intention zu folgen, wenn ich nach einem noch intensiveren christologischen, ethischen und sozialen Verständnis der paulinischen Rechtfertigungs- und Gesetzeslehre rufe.

3. Das Verhältnis der christologischen Wirklichkeit zur kerygmatischen Tätigkeit der Kirche H. G. Geyer: Die Frage, die zur Diskussion ansteht, ist die nach d e m Verh ä l t n i s der c h r i s t o l o g i s c h e n W i r k l i c h k e i t und der k e r y g m a t i s c h e n T ä t i g k e i t der K i r c h e : Handelt es sich bei der Geschichte Jesu Christi um so etwas wie um die Bedingung der Möglichkeit der kerygmatischen Gnadenausteilung durch die Kirche oder ist die Geschichte Jesu Christi selbst die Vermittlung der Gnade, die im Kerygma nur noch allen Menschen bezeugt wird, wobei diese dann zu Zeugen dieser Gnadenwirklichkeit in Christus werden? Man kann auch sagen, es ist die Frage nach dem Gnadenmittelcharakter der Verkündigung und nach der b e s o n d e r e n E i g e n t ü m l i c h k e i t des G l a u b e η s : Ist der Glaube die heilsaneignende, die heilsergreifende Tätigkeit von der Seite des Menschen oder ist der Glaube so etwas wie eine Mimesis der göttlichen Gnadenwirklichkeit, der Treue Gottes, die die Pistis des Menschen als eine Spiegelung, als eine Abschattung, als eine Darstellung und indirekte Verweisung hervorbringt? Es wurde in diesem Zusammenhang ja von Herrn Klappert die These aufgestellt, daß die eigentümliche Struktur der Gnadengeschichte Jesu Christi es ausschließt, das Kerygma als Wiederholung dieser Geschichte mit dieser Struktur zu verstehen, so daß man sagen müßte: die Geschichte der Ereignung der Gnade Gottes in Jesus Christus vollzieht sich in der Geschichte des Zusammenhangs von Kreuzigung und Auferwekkung und nur in dieser Geschichte. Und alle menschliche Verkündigung dieser Geschichte und aller menschlicher Glaube hat seine Würde darin, die freie Antwort und das freie Zeugnis der Dankbarkeit im Blick auf dieses Geschehen zu sein, kann aber niemals in sich so etwas wie die Reproduktion dieser Gnadenereignung in Christus bedeuten. Während im anderen Fall nun doch immer die Tendenz besteht, lediglich von der universalen Versöhnungsqualität der gestifteten Gnade zu sprechen, die 266

Aktualität aber im Verhältnis von Kerygma zum Glauben und im Glauben sich ereignen zu lassen. Die von Herrn Klappert im Referat herausgearbeitete präzise Antithese lautete also: bei Luther Ereignung der Gnade unter dem Doppelschlag von Töten und Lebendigmachen in nobis, in uns, mindestens auch, bei Barth dies exklusiv in Jesus Christus. Und wir nur in Dankbarkeit bezeugende Darsteller dieses Geschehens und Träger der Kunde von diesem Geschehen in die Welt. Ist diese Antithese, die hier aufgemacht wird, ist diese Alternative eine exklusive oder ist hier eine Vermittlung zwischen Barth und Luthers Position möglich? H.

Gollwitzer:

Könnte Herr Klappert noch etwas deutlicher machen, ob sich im Sinne Barths auf der kerygmatischen Ebene wirklich überhaupt nichts wiederholt? Daß es sich bei Barth nicht so wiederholt und auch nicht so wiederholen darf, wie es bei Luther mindestens sehr häufig ist, ist mir klar. Man kann sich das Problem vielleicht an der Frage am deutlichsten machen: Wie steht es mit der Predigt des Gerichtes? Das Gericht, so hieß es immer wieder, ist exklusiv in Christus, aber indem mir dies erzählt wird, trifft es. Es wird mir erzählt als das mir geltende: er ist pro me gestorben, er ist meinen Tod gestorben, oder: ich bin mit ihm gestorben, - etwas, was mich nicht gleichgültig lassen kann, was ja auch eine furchtbare Botschaft ist: es hat ein anderer für mich sterben müssen. Zwar damit ich nicht diesen Tod sterbe, aber sein Tod war doch mein Tod. Den Tod, den ich eigentlich sterben sollte, hat er sterben müssen. Das ist der Schrecken, der bleibt; dieser terror conpcientiae bleibt. Das ist die erste Wiederholung auf der kerygmatischen Ebene. Und die zweite Wiederholung ist ein Nein Gottes über meine Wege, das das Gesetz ausspricht; das Nein Gottes zu meinem Leben, zu meinem Unglauben, zu meinem Versagen als Jünger. Dies alles ist mit dem Gericht über den Gekreuzigten nicht abgetan, sondern es wiederholt sich jetzt in sehr konkreten Dingen meines eigenen Lebens und im Leben und in der Geschichte meines Volkes. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Barth zwar in seinen Predigten in der Basler Strafanstalt von diesem Richten Gottes gerade zu denen, die von Menschen gerichtet worden sind, zu reden keinen Anlaß hatte, daß aber wohl in Barths politischen Predigten nach 1945 deutlich vom Gericht Gottes über die Deutschen die Rede ist. Das ist doch auch ein Stück Wiederholung des Gerichtes. Also was bleibt an Gerichtspredigt, an richtendem Gesetz in der kerygmatischen Tätigkeit der Kirche?

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/ . Fangmeier: Eine weitere Frage: In K D IV/3 sehe ich wohl eine bemerkenswerte Entklerikalisierung und Entsakramentalisierung der Verkündigung, aber doch nicht eine Entkerygmatisierung! Obwohl Barth in IV/3 die Entsakramentalisierung der Verkündigung vollzieht, verleiht die Christologie der Verkündigung zugleich neues Gewicht, indem diese an der Kampfesgeschichte Jesu Christi partizipiert. Barth rechnet doch damit, daß nicht nur, aber auch durch die Predigt diese Kunde und deren K r a f t ad hominem gelangt (z. B. K D IV/3, 843). Und es ist mir immer aufgefallen, wie Barth überhaupt, insbesondere aber in K D IV/1-3, trotz der die Menschen umschließenden Christologie und trotz der Ablehnung des Begriffs der Gnadenmittel so manifest vor dem Problem des Getroffenwerdens des Menschen durch Christus steht. Dieses ,Ubergangsproblem' wehrt bei Barth der Entlassung des Kerygmas. M. Geiger: Wenn es zutrifft, daß bei Barth die Tätigkeit der Kirche zwar entsakramentalisiert, aber nicht entkerygmatisiert wird, dann stellt sich erneut die Frage: Was ist die Funktion und was beinhaltet die Funktion des Kerygmas und wie nimmt der angesprochene Hörer das Kerygma auf und was hat dieses Aufnehmen für eine Bedeutung? In diesem Fragenkreis begegnet bei Barth immer wieder die Unterscheidung zwischen „ontisch" und „noetisch", so daß ich Herrn Klappert folgendes fragen möchte: Halten Sie die Anwendung dieses Begriffspaares mit der darin angesprochenen Unterscheidung für sinnvoll und zutreffend, wenn gesagt wird: Unser Heil ist ontisch in Christus vorhanden, die Aufgabe des Kerygmas ist die, noetisch die Augen zu ö f f nen? Handelt es sich bei Kerygma und fides um einen noetischen Akt in dem Sinne, daß wir ontologisch bereits zu Christus gehören, aber es uns noetisch noch nicht aufgegangen ist? Und schließlich noch eine Frage hinsichtlich des Glaubens: Wird der Glaube bei Barth nicht zu einer Art Gnosis, zu einem bloßen Erkennen von etwas und verschiebt sich damit nicht die Qualität des Glaubens, die im reformatorischen Bereich durch die dreifache Kennzeichnung als notitia, assensus, fiducia charakterisiert worden war? Ist das nicht eine noetische Verschiebung im Inhalt dessen, was Glaube eigentlich meint? B. Klappert: Es ist im Sinne Barths sicher richtig, daß die Entsakramentalisierung und Entklerikalisierung des Kerygmas keine Entkerygmatisierung bedeutet, insofern von der übergreifenden Prophetie Jesu Christi her alles Gewicht gerade auf die Verkündigung der Gemeinde fällt. Im Gegenteil: Barth vollzieht darüber hinaus eine Kerygmatisierung des Glaubens 268

und des Werkes. Es bleibt also bei der Entsakramentalisierung und es vollzieht sich keine Entkerygmatisierung der Verkündigung, aber die Art und Weise, wie Barth den Glauben als Echo, Reflex und Zeugnis faßt, müßte ergänzend dahin präzisiert werden, daß Barth der Entsakramentalisierung der Verkündigung die Kerygmatisierung des Glaubens zur Seite stellt, indem er in einer zunächst etwas merkwürdigen, von mir nicht konstruierten Reihenfolge sagen kann: Bekenntnis, Leiden, Buße, Demut, Werke der Christen, aber auch (!) Taufe und Abendmahl können und sollen dieses Ereignis bezeugen. Kurz: Barth kennt keine Entkerygmatisierung der Verkündigung, vielmehr eine Kerygmatisierung des Glaubens und des Werkes. Die Kerygmatisierung des Glaubens hängt mit folgendem aufs engste zusammen: Besteht für Luther eine Unumkehrbarkeit zwischen promissio und fides, so entsteht bei Barth im Unterschied zu Luther eine gewisse Wechselseitigkeit eben dadurch, daß der Glaube auch zum Zeugnis werden kann, ohne daß er damit von der Verkündigung unabhängig würde, vielmehr so, daß sich in der Korrelation von Verkündigung und signifikativem Glauben auf der kerygmatischen Signalebene die Korrelation zwischen Christusgeschichte (KD IV/1-2) und Christusverkündigung (KD IV/3) auf der christologischen Realebene widerspiegelt. Es wurde nach dem Stellenwert und der Problematik des Schemas „ontisch-noetisch" bei Barth gefragt. Barth hat in K D IV/3, 210 ff. den Begriff des Noetischen im Sinne des hebräischen 5Π1 präzisiert. Wenn man also fragt: Was heißt hier noetisch? oder: Besagt die Kategorie des Noetischen nicht zu wenig?, dann müßte man mit Barth gegenfragen: Warum eigentlich „nur noetisch"? Barth präzisiert nicht zufällig in K D IV/3, 210 ff., das heißt im Rahmen des § 69,3 und seiner im Hinblick auf unser Problem ebenfalls überaus charakteristischen Überschrift „Jesus ist Sieger", daß er das Noetische im Sinne des hebräischen Erkenntnisbegriffs durchaus als eine existentielle Kategorie begreift. Es kommt hinzu, daß der Glaube bei Barth darum unmöglich zur Gnosis werden kann, weil er seinem Wesen nach als dankbare Entsprechung zur übergreifenden Prophetie Jesu Christi verstanden wird. Als dankbare Entsprechung zur übergreifenden Prophetie Jesu Christi aber ist der Glaube seinem Begriff nach die spontane und freie Selbstbestimmung des Menschen und als solcher von einer gnostischen Kategorie oder der abstrakten Kategorie des „Nur-Noetischen" zu unterscheiden. Noetisch meint und charakterisiert im Sinne Barths den gesamten Lebensvollzug des Glaubens. Wenn der Glaube als dankbare und freie Entsprechung zu dieser übergreifenden Prophetie verstanden wird, dann kann er eigentlich nicht im Sinne der Gnosis, dann kann er auch nicht „nur noetisch" verstanden, sondern so nur mißverstanden werden. Im Hinblick auf den Stellenwert des Noetischen bei Barth ist schließ269

lieh überaus charakteristisch, daß Barth die Prophetie Jesu Christi, die er bekanntlich unter dem Christus-victor-Thema beschreibt, als das Noetische des Ontischen der Versöhnung begreift, so daß das Christusvictor-Thema im Sinne Auléns bei Barth nicht zufällig im Themenkreis gerade der Prophetie Jesu Christ auftaucht. D. h. das Noetische hat für Barth ontische Implikation, was nicht zuletzt daraus erhellt, daß Barth das Noetische der Prophetie Jesu Christi als eine Kampfesgeschichte beschreibt. Es ist also von Bedeutung, daß das Thema Blumhardts und das der nordischen Schule bei Barth im Rahmen des Noetischen des Ontischen der Versöhnung und nicht anderswo auftaucht. Eine letzte Erwägung zum Problem des Noetischen bei Barth: Es ist nicht zufällig, daß im Zusammenhang der Äußerungen Barths zur futurischen Eschatologie der Begriff des Noetischen immer wieder auftaucht. Von daher meint Eschatologie bei Barth durchaus nicht - wie einer falschen Vorstellung vom Begriff des Noetischen bei Barth zufolge immer wieder behauptet worden ist - nur Apokalypsis, nur Enthüllung, sondern das Noetische der Eschatologie ist Barth zufolge voller ontischschöpferischer Implikationen im Sinne von eschatologischer Neuschöpfung. Für Barth ist von daher die Versöhnung keine Prolepse der Erlösung, sondern die Erlösung die noetische Enthüllung der Versöhnung und des in ihr erfüllten Bundes, wobei dieses Noetische der Enthüllung das Ontische der Neuschöpfung impliziert. Dieses Implikationengefälle ist für Barth nicht umkehrbar. Barths Konzeption der Eschatologie wird also da mißverstanden, wo sie lediglich im Sinne der Apokalypsis, der Enthüllung eines bereits Vorhandenen verstanden wird. Eschatologie ist zwar Apokalypsis der Versöhnung und des erfüllten Bundes, aber Apokalypsis des erfüllten Bundes meint bei Barth zugleich Neuschöpfung an den Dingen. Die Eschatologie der Enthüllung ist zugleich Auferweckung der Toten und Neuschöpfung an den Toten 8 . D. h. sowohl 1. vom hebräischen JTP und 2. vom Verständnis des Glaubens als der spontanen, freien und dankbaren Entsprechung und Selbstbestimmung des Menschen her als auch 3. vom Verständnis des Noetischen der Prophetie Jesu Christi als Kampfesgeschichte und 4. des Noetischen der Eschatologie als Neuschöpfung her wird man die Kategorie des Noetischen bei Barth zu verstehen und dann zu fragen haben, warum Barth dieses Noetische streng systematisch als das Noetische des Ontischen erfüllter Bundesgeschichte und verwirklichter Versöhnung verstanden wissen wollte. Soviel zum Begriff des Noetischen bei Barth. 8

Vgl. zu diesem Problemkreis J. Moltmann, Probleme der neueren evangelischen Eschatologie, VuF 1966/2, 100-124, bes. 107 ff. und meine Überlegungen in: Die Auferweckung des Gekreuzigten 321 ff.

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Von Herrn Gollwitzer ist schließlich die Frage gestellt worden, inwieweit nicht doch das Gericht ein Moment der Verkündigung der Gemeinde bleibt. Ich würde meinen: in dem Sinne, in dem das Gebot die Form des Evangeliums ist. Wenn das pro nobis verkündigt wird, entsteht angesichts dieses pro nobis und des erinnernden Verweises auf das in Christus an unserer und aller Menschen Stelle ergangene Gericht der Aufruf zur Umkehr. Die Annahme des pro nobis impliziert die Erkenntnis des contra nos, der Zuspruch der Sündenvergebung impliziert die Anerkennung des eigenen Sünderseins, die Annahme der Versöhnung mit Gott impliziert das Schämen über das eigene Unversöhntsein. Deshalb würde ich meinen: Gerade nicht der terror conscientiae als Wirkung der Gerichtspredigt im Sinne Luthers, sondern die Furcht des Menschen angesichts der zugesprochenen Liebe (Barth kehrt nicht zufällig die Reihenfolge Luthers „fürchten und lieben" um: Furcht infolge zugesprochener Liebe!) und infolgedessen das Schämen angesichts der Erkenntnis eigener Nichtentsprechung würde im Sinne Barths das Moment des „Gerichtes" in der Verkündigung bedeuten. Anders formuliert: Wenn der promissorische Indikativ „sei, der du in Christus bereits bist!" verkündigt wird, dann folgt aus dieser Zusage bei dem Hörenden die Erkenntnis der Nichtentsprechung: er entspricht seiner Wirklichkeit und Bestimmung in Jesus Christus noch nicht. Und genau in dieser Erkenntnis der Nichtentsprechung liegt das Moment der „Wiederholung" des Gerichtes bei Barth. Aber kann und sollte man dann noch von Wiederholung reden? Barth jedenfalls hat diesen Begriff für den soeben umschriebenen Sachverhalt in IV/1, 378 ff. entschieden abgelehnt. Herr Gollwitzer hat nun weiter darauf hingewiesen, daß insbesondere in den politischen Predigten Barths gerade das Gerichtsmoment eine wichtige Rolle spielt. Man wird dies nicht in Abrede stellen dürfen. Würde Barth aber nicht doch dahingehend differenzieren, daß es sich auch in diesen politischen Gerichtspredigten lediglich um den Aufweis von Zeichen des in Jesus Christus ergangenen Gerichtes, aber nicht um dessen Wiederholung handelt? Barth hat in K D I I / l , 442 ff. in diesem Sinne von den Zeichen des Gerichtes Gottes in der Geschichte Israels und in der Weltgeschichte als den Zeichen des Gerichtes Gottes im Kreuz Christi gesprochen, die den Zeichen der Prophetic Jesu Christi als den Zeichen der Auferweckung entsprechen. Entsprechend wird das eigene individuelle Sterben des Menschen von Barth in K D III/2, 725 ff. als das Zeichen des Gerichtes Gottes in Christus, nicht aber als dessen Wiederholung verstanden. „Der Tod ist der Sünde Sold" (Rom. 6,23): dieser paulinische Satz gilt nach Barth exklusiv vom Kreuz Christi. Unser Tod ist das Zeichen dieses Gerichtes, nicht aber dessen Wiederholung. Und von diesen Aussagen Barths über die Zeichen des Gerichtes Gottes in der Geschichte Israels, der Weltgeschichte und im individuel271

len Sterben her ist zu folgern, daß die Gerichtsaussagen, die in Barths politischen Predigten in der Tat erscheinen, das Zusagen und Aufzeigen dieser Zeichen sind, aber nicht als Aufweis eines sich dort vollziehenden Gerichtes verstanden werden können. In meinen Analysen ist die schwierige Frage nach dem Verhältnis der Lehre Barths von der „dreifachen Gestalt des Wortes Gottes" in K D 1/1 zu dem im Rahmen von K D IV/3 und zuletzt in seiner „Einführung in die Evangelische Theologie" entwickelten Wortverständnis im Sinne des signifikativen Zeugendienstes ausgeklammert, weil das Verhältnis von K D 1/1 zu K D IV/3 einer sorgfältigen Analyse und eines genauen Vergleichs bedürfte. Geschieht da bei Barth im Weg von K D 1/1 zu K D IV/ 3.4 eine Korrektur oder nur eine Modifikation? Barth, der in K D 1/1 von den „drei Gestalten des Wortes Gottes" gesprochen hat, hat das in K D IV/3.4 nicht mehr getan. Aber kann man sich an dem Begriff der drei Gestalten des einen Wortes Gottes orientieren oder ist auch bereits in K D 1/1 - der Begrifflichkeit von der dreifachen Gestalt zum Trotz - ein gegenläufiges Gefälle und eine unterschwellige Tendenz zu erkennen, die dann in K D IV/3.4 beherrschend werden? Daß eine gewisse Modifikation im Wortverständnis Barths vorliegt, könnte man an Barths Äußerung zur Tauffrage von 1943 sehen, in der das Moment des Sakramentalen für die Taufe noch reklamiert wird, was in K D IV^4 dann völlig verschwindet. Und es könnte ein weiteres Kennzeichen einer solchen Modifikation in der angezeigten Richtung sein, daß Barth im Vorwort von IV/2 auf die Frage nach der Kontinuität oder Diskontinuität seines theologischen Denkens darauf hinweist, daß er mit der Anwendung und dem Gebrauch des Sakramentsbegriffs sparsamer geworden sei. Es gibt also in der Kirchlichen Dogmatik eine Tendenz dahingehend, daß das Sakrament mehr und mehr zu einer christologischen Kategorie, und zwar zu einer exklusiv christologischen Kategorie wird. W.

Kreck:

Kurz vor seinem Tod hat Barth im kleineren Kreis geäußert, er würde nicht mehr, wie noch in KD Hl von den drei Gestalten des Wortes Gottes reden. Und er gebrauchte dann zur Charakterisierung der Verkündigung das Bild von dem Klingeln des Meßdieners, das die Verwandlung der Messe anzeigt, sie aber nicht selber vollzieht. Im Hinblick auf das Hauptproblem, auf die Frage nämlich, welchen Rang eigentlich die Verkündigung vom Versöhnungsgeschehen in der Theologie Barths einnimmt, muß man m. E. doch zunächst sehen, daß Barth nicht in dem Sinne vom perfektischen Geschehen der Versöhnung redet, als ob das nicht mehr ein Geschehen sei, sondern Christus selbst ist ja der Offenbarer dieses Geschehens. VersöhnungsgescÄ/c^te meint also nicht eine vergangene Vorhandenheit, die nur historisch mitgeteilt wer272

den müßte, sondern Christus selbst tut sich kund und bezeugt sich selbst. Er ist der Zeuge. Sodann kämpft Barth gegen ein Mißverständnis der Gnade im Sinne einer Sache, die von Christus erworben und dann durch die Kirche sakramental übermittelt wird. Hier steht bei Barth der Begriff des Zeugen: Der Zeuge ist nicht der Richter, der Zeuge ist auch nicht der Freisprecher, der Zeuge ist nicht der Mittler, der die Absolution vollzieht, sondern der Zeuge ist derjenige, der das Geschehen bezeugt und darum auch nicht der Garant im Sinne des instrumental-sakramentalen Denkens, das die Reformatoren - Luther jedenfalls massiver, Calvin etwas vorsichtiger, aber in der Sache nicht anders - im Hinblick auf die Gnadenmittel und das Amt ausgebildet haben. Demgegenüber läuft das Heilsgeschehen bei Barth nicht sozusagen durch den Kanal des Zeugen, des Sakraments oder der Predigt in dem Sinne hindurch, daß wir darüber irgendwie verfügen und die Gegenwart Christi vermitteln könnten. Aber gleichzeitig kann Barth - übrigens auch im Taufband - doch davon reden, daß es nicht ohne die Verkündigung der Kirche geschieht. Es gibt ja auch bei Paulus diese zwei Linien: Auf der einen Seite kann Paulus sagen, der Glaube kommt aus der Predigt, aus der άκοή, aus dem Hören des Wortes Gottes. Das sind Sätze, die für sich genommen, ganz in die lutherische Gnadenmittellehre hineinführen. Aber anderseits kann Paulus genauso massiv sagen: Nicht Apollos, nicht Paulus, wir sind's nicht, sondern Gott ist's, der es macht. Wir sind nur Diener, weder der pflanzt noch der begießt, ist etwas. Und diese zweite Linie, die also sagt, daß wir nicht darüber verfügen, Instrument des Wortes Gottes zu sein, wird bei Barth zunehmend stärker betont, bis schließlich der Mittelcharakter alles menschlichen Tuns in der Kirche ganz bestritten wird. Damit ist aber im Sinne Barths nicht ausgeschlossen, daß Gott sich auch des Zeugnisses seiner Gemeinde und seiner Boten, daß Gott sich auch des Dienstes von Menschen bedienen kann. Nur kann der Mensch nicht in dem Sinne damit rechnen, daß er darüber verfügt. Das bedeutet Entsakramentalisierung. H. Gollwitzer: Im Frühjahr 1961 waren H. Diem und ich zwei Tage mit Barth zusammen, um über die Tauffrage zu sprechen. Wir haben Barth damals zu seiner Überraschung darauf hingewiesen, daß, wenn er über die Wassertaufe so rede, er über die Predigt ja nicht mehr so reden könne wie in KD 1/1. Barth hat dann im Gespräch KD 1/1 sofort zurückgezogen, da er nicht mehr von den drei Gestalten des Wortes Gottes reden würde. Ich versuchte Barth dann deutlich zu machen, daß er das nicht muß: Wie man auch über die Wassertaufe spricht, es könnte die Predigt etwas anderes sein. 18

Klappert, Promissio

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Ich habe also nicht einsehen können, warum Barth exklusiv zueinander setzt: entweder Hinweis oder Instrument. Denn bei dem Begriff des Instrumentum, beim instrumentalen Verständnis der Verkündigung braucht man nicht eine gewisse Automatik Luthers zu übernehmen, die dieser beim Sakrament, aber auch bei der Predigt hat, insofern, der Prediger, der schriftgemäß verkündigt, nicht um die Vergebung der Sünden zu bitten braucht. Die Grundfrage ist deshalb Luthers Bindung des Geistes an das verbum externum. Vielleicht kommen wir hier auf einen wirklichen Gegensatz zwischen Luther und Barth. Nach Luthers Lehre vom verbum externum muß man sagen - entsprechend dem heute manchmal gehörten Spruch: Gott hat keine anderen Hände als unsere Hände - : Gott hat keinen anderen Mund als unseren Mund. Das ist kein absoluter Satz. Gottes Geist wirkt. Wo aber Gottes Geist wirkt, wirkt er durch das instrumentum dieses unseres Mundes, durch das verbum externum. Durch das Bekanntmachen Jesu Christi durch unseren Mund kommt euangelion und pneuma zu den Menschen. Das hat im Unterschied zum Schwenckfeldschen Spiritualismus den tiefen Sinn, daß Gott uns mitmenschlich ständig aufeinander angewiesen macht. Ich bekomme die Kunde von Christus nicht direkt von oben, sondern ich bekomme sie durch andere Menschen, ich bin ganz angewiesen auf den anderen Menschen, und andere Menschen sind ganz angewiesen auf mich. Also: keinen sakramentalen Automatismus, aber - so habe ich Barth gefragt - : Warum eigentlich nicht Instrumentalität der menschlichen actio? W. Kreck: Und. was hat Barth auf diese Frage geantwortet? H.

Gollwitzer:

Barths Antwort war zögernd und merkwürdig pragmatisch. Er begründete seinen Einwand gegen den instrumentum-Begriff mehr mit einer Gefahr als mit einem Verdikt: Das Verständnis des kirchlichen Tuns als Mittel des göttlichen Tuns könne sich immer noch einfügen in ein „bombastisches" Selbstbewußtsein der Kirche; sie meine dann, daß sie selbstverständlich Mittel ist, nicht, daß sie es durch Gottes freie Gnade je und je werden dürfe, was er natürlich nicht bestreiten wolle. Weil der instrumentum-Begriff nach aller Erfahrung vor solchem Selbstbewußtsein nicht geschützt sei und nicht schütze, lasse er ihn lieber fallen und begnüge sich mit dem Verständnis des kirchlichen Tuns als eines Hinweises auf das freie Tun Gottes. Es folgte dann die ihm liebe Erinnerung an den Nährvater Joseph auf mittelalterlichen Bildern, der Heben dem Bett der Maria mit dem Jesuskinde - dem Bild des Ereignisses selber 274

dienend das Feuer für die beiden wärme. Eine Josephologie9 anstelle einer Mariologie hätte die römische Kirche als Bestimmung ihres eigenen Seins entwickeln sollen. - Es war nach Barths Aussagen zugleich positiv die Aufnahme des Themas des 2. Römerbriefes, was die Instrumentalität menschlicher actio unmöglich macht: der ganz andere Gott, der nirgends sich mit dem Menschen einfach identifiziert, und vor allem, den der Mensch nicht mit seinen Aktionen identisch erklären darf. - Und dann ein letztes Motiv, das Barth bei Mozart und seiner Freimaurerei angedeutet hat: Ist denn Gott gebunden an unseren Mund, id est an die Grenzen der Kirche? Wie steht es mit denen, denen seit Jahrtausenden kein Evangelium verkündigt wurde, wie steht es mit den vielen anderen? Barth wollte sie nicht nur de iure in Christus haben, sondern wollte besonders in den letzten Jahren seines Lebens die Möglichkeit auftun, daß Nichtchristen, die nichts von Christus wissen, auf irgendeine Weise de facto in Christus sind. Für die Juden hat er das ζ. B. in Amerika ausdrücklich gesagt. H.

Stoevesandt:

In unserer Diskussion über das Verhältnis von KD 1/1, der Lehre Barths von den drei Gestalten des Wortes Gottes, und K D IV/3, der Lehre von dem der Prophetie Jesu Christi entsprechenden Zeugendienst der Gemeinde, ist eigentlich sehr viel stärker die Diskontinuität als die Kontinuität beachtet worden. Ich meine, es besteht beides, also auch Kontinuität. Und zwar deshalb, weil diese Lehre von den drei Gestalten des Wortes Gottes in K D 1/1 ja mindestens eine doppelte Pointe hat: Einerseits liegt die Pointe, die später problematisiert wird, im Begriff der Gestalten des Wortes Gottes und bedeutet die Auszeichnung insbesondere des geschriebenen und verkündigten Wortes. Andererseits liegt die Pointe in K D 1/2, in dem unumkehrbaren Begründungsgefälle innerhalb der drei Gestalten des Wortes Gottes von der ersten über die zweite zur dritten Gestalt. Ist es ein Zufall, daß wir bis jetzt die mittlere Gestalt des Wortes Gottes völlig überschlagen haben, also einseitig immer von dem Ereignis des Wortes Gottes einerseits und von der Verkündigung andererseits gesprochen haben? Vermittelt ist nach Barth aber beides innerhalb der ausgeführten Lehre in KD 1/1 durch die Schrift. Und das entfällt niemals! Dies taucht auch beim ganz späten Barth in seiner „Einführung in die Evangelische Theologie" in veränderter Fassung wieder auf, wobei die Differenz zwischen dem Primärzeugen (Schrift) und dem Sekundärzeugen (Verkündigung) auf ihrer Ebene ebenso wichtig ist wie die Dif9 Vgl. zur „Josephologie" K. Barth, Briefe 1 9 6 1 - 1 9 6 8 , in: Karl Barth Gesamtausgabe V. Briefe 1975, 103, 117, 132, 395.

18»

275

ferenz zwischen dem Wort Gottes selbst und seinen Zeugen überhaupt. Das ist also eine unverwischbare Differenz. D a ß Barth sich selber an diese Regel gehalten hat, kann man an der Arbeitsweise der Kirchlichen Dogmatik selber verfolgen, in der von Band zu Band offenbar die historischen und theologiegeschichtlichen Exkurse immer mehr zugunsten der biblischen Exkurse zurücktreten, was zeigt, daß die explizite biblische Begründung seiner Lehre Barth immer mehr am Herzen lag. Die streng exklusiv und restriktiv christologische Konzentration und Fassung des Heilsereignisses bei Barth, wie sie Herr Klappert zutreffend vorgeführt hat, erfordert das Medium des Wortes Gottes - darum ist Theologie und Verkündigung auch nötig - , wie auch immer es stehe mit der von Barth gemeinten Beziehung zwischen Christus und den von der Verkündigung nicht erreichten Menschen. Barth will hier sagen, daß die Macht Jesu Christi entschieden weiter reicht, als die Reichweite der christlichen Verkündigung. Dies aber ermäßigt und erübrigt nicht unseren Auftrag der Verkündigung, und zwar der Verkündigung mit einem Vorrang vor jeglichem Lebenszeugnis, weil nämlich der Inhalt der Verkündigung, gerade weil er extern ist, nicht in der Weise gelebt werden, wie er gesagt werden kann, was also einen Vorrang des Sprechens, der Verkündigung vor dem gelebten Glauben zur Folge hat. Deshalb meine Gegenthese zu der von Herrn Klappert aufgemachten Korrelation: ich glaube, daß diese Korrelation, die Sie innerhalb der Signalebene konstatiert haben, nicht einfach eine Korrelation ist, sondern daß Barth da auch ein Gefälle und infolgedessen eine unumkehrbare Relation - zwischen Schrift und Verkündigung einerseits und zwischen Verkündigung und Glauben andererseits sieht.

4. Die ekklesiologischen und gesellschafts-politischen Konsequenzen der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot H. Th. Goebel: Die Entsakramentalisierung, die Luther gegenüber der katholischen Kirche vollzogen hat, insofern er das Sakrament im verbum externum lokalisierte, ist Barth konsequent einen Schritt weitergegangen, indem er das Sakrament in das Christusgeschehen, d. h. in die Wortgeschichte Jesu Christi zurückverlegt. Wo liegt eigentlich die christologische Begründung für diesen Schritt bei Barth? Und was sind d i e Folgen f ü r das K i r c h e n - bzw. G e m e i n d e v e r s t ä n d n i s ?

276

Β.

Klappert:

In These VII, die die Differenz der christologischen Begründung des Nacheinanders von Gesetz und Evangelium bei Luther und Barth behandelte, wurde ausgeführt, daß Barth im Unterschied zu Luther zwischen der Wahrheitsgeschichte des Bundes und der Gestalt- bzw. Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung unterscheidet, daß er die Wahrheitsgeschichte des Bundes als Weg von der Verheißung zur Erfüllung und die Gestaltgeschichte der Versöhnung als in Gericht und Rechtfertigung sich vollziehende Durchsetzung der Bundesgeschichte angesichts des Zwischenfalls der Sünde versteht. D a ß Barth auf dem Hintergrund dieser Differenzierung - und das im Unterschied zu Luther und der gesamten theologischen Tradition - der Wahrheitsgeschichte des Bundes das Ineinander von Erniedrigung und Erhöhung und der Gestaltgeschichte der Versöhnung das Nacheinander von Kreuz und Aujerwekkung zuordnet und daß diese Differenzierung im Grunde das Nebeneinander des Abschnittes § 59,1 „Der Weg des Sohnes Gottes in die Fremde" und § 59,2 „Der Richter als der . . . Gerichtete" bestimmt, insofern die beiden Abschnitte nicht wie oft in der Barthexegese gemeint, das Nacheinander von Inkarnation und Kreuz im Sinn der traditionellen Inkarnationschristologie, sondern - wie in „Evangelium und Gesetz" - die Vorordnung der Wahrheitsgeschichte des Bundes gegenüber der Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung meinen. These V I I hat weiter darauf aufmerksam gemacht, daß sich in § 59,2 „Der Richter als der . . . Gerichtete", Barths Interpretation des Kreuzes, nocheinmal dieser Unterschied zur theologia crucis Luthers anmeldet, insofern Barth unter dem Thema des gerichteten Richters vier Punkte namh a f t macht (1. der den Bund aufrichtende Richter, 2. der gerichtete Richter, 3. der vernichtete Richter und 4. der den Bund haltende Richter) und innerhalb dieser vier Punkte nocheinmal sorgfältig eine Umklammerung der das Grundthema der Christologie Luthers bestimmenden Wirklichkeitsgeschichte des gerichteten und vernichteten Richters (2. und 3. Punkt) durch die Aussagen von dem den Bund aufrichtenden und dem dem Bund entsprechenden Richter (1. und 4. Punkt) vollzieht. Auch hier, in der Mitte der Kreuzeschristologie, erscheint also nochmals das für Barths systematische Konzeption so überaus charakteristische Umgriffensein der peccator-maximus-Aussagen Luthers durch die persona-maxima-Aussagen der Wahrheitsgeschichte des Bundes, und diese Umklammerung bringt im Sinne Barths zum Ausdruck, daß Luthers theologia crucis von dem gerichteten Richter nur im Rahmen dieser Bundesgeschichte und ihrer Dialektik zu verstehen ist. These V I I hat schließlich darauf aufmerksam gemacht, daß Barth ganz konsequent - wiederum im Unterschied zu Luther - nun auch 277

im Zusammenhang des § 59,3 unterscheidet 1. zwischen der Auferwekkung als der Offenbarung der Wahrheitsgeschichte des Bundes, wobei sich diese noetische Offenbarung der Wahrheitsgeschichte des Bundes auf die Gehorsamsgeschichte des Sohnes Gottes zurückbezieht, und 2. dem „Urteil des Vaters", d. h. der ontischen Validierung der Uberwindungs- oder Gestaltgeschichte der Versöhnung. Der noetische Aspekt der Auf erweckung ist dabei als die Offenbarung der Wahrheitsgeschichte des Bundes und der ontische Aspekt der Auferweckung als die Inkraftsetzung und das Rechtsurteil des Vaters über die Versöhnungsgeschichte des gerichteten Richters verstanden. Und Barths These ist es angesichts des Zusammenhangs von Kreuzigung und Auferweckung, daß diese Versöhnungsgeschichte als erfüllte Bundesgeschichte 3. übergreift in der Prophetie Jesu Christi. Denn die Identifizierung des Gekreuzigten als des Auferweckten durch Gott ist keine vergangene Geschichte, sondern die Geschichte Jesu Christi übergreift als geschehene Geschichte in der Prophetie Jesu Christi alle Zeit und Geschichte - Jesus Christus ist der Herr der Zeit und der Geschichte! - und bedeutet darin die radikale Kritik einer am sakramentalen Verkündigungswort orientierten und im Grunde die Prophetie Jesu Christ auf den ekklesiologischen Bereich restringierenden Kirche. Daß hier von Barth keine Wahrheitsgeschichte des Bundes jenseits der Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung aufgemacht wird, sondern es sich hier exklusiv um die Entfaltung der Geschichte Jesu Christi in Kreuz und Auferweckung handelt, kann nicht deutlich genug hervorgehoben werden. Barth entfaltet in „Evangelium und Gesetz" - so muß man noch präziser formulieren - nacheinander die Wahrheit der Bundesgeschichte in der Wirklichkeit der Versöhnungsgeschichte, sodann die Wirklichkeit der Versöhnungsgeschichte auf dem Hintergrund der Wahrheit der Bundesgeschichte und schließlich die Erfüllung der Bundesgeschichte als die Durchsetzung der Wahrheit der Bundesgeschichte in der Wirklichkeit der Versöhnungsgeschichte. Es liegt hier also ein Begriff von Wahrheit und Wirklichkeit bzw. von Wahrheits- und Wirklichkeitsgeschichte zugrunde, der Wahrheit nicht jenseits von Wirklichkeit begreift, sondern als die die Wirklichkeit bestimmende Wahrheit der Christusgeschichte. Die Pointe dieser aspektivischen Differenzierung liegt nun aber darin, daß Barth aus der Dialektik der Christusgeschichte und ihres Ineinanders von Bundes- und Versöhnungsgeschichte das Ineinander von Evangelium und Gebot als Kategorie der Bundesgeschichte und das Nacheinander von richtendem Gesetz und rechtfertigendem Evangelium als Kategorie der Versöhnungsgeschichte ableitet und schließlich die Durchsetzung der Wahrheitsgeschichte des Bundes in der Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung als die Wiederherstellung des Gebotes als der Form des 278

Evangeliums und damit als die Wiederherstellung der Zuordnung von Evangelium und Gebot durchsichtig macht. Entspricht diese Interpretation dem Duktus des theologischen Denkens K. Barths, so würde das bedeuten, daß Barth das richtende Gesetz und das rechtfertigende Evangelium exklusiv christologisch versteht und daß er der Meinung ist, daß Luthers Nacheinander von richtendem Gesetz und rechtfertigendem Evangelium nur im Kontext der Bundesgeschichte, d. h. nur von der Zuordnung von Evangelium und Gebot, der Relation Gottes zum Menschen und der darin begründeten Relation des Menschen zu Gott her zu verstehen ist. W. Kreck: Welches ist der Sinn und die Wichtigkeit dieser Unterscheidung, die Herr Klappert, wie ich meine im Grunde richtig, hervorgehoben hat, nämlich daß diese Wahrheitsgeschichte, die Bundesgeschichte, das Wesen des Bundes einerseits und die Kreuz- und Auferstehungsgeschichte als Wirklichkeitsgeschichte andererseits zu unterscheiden sind, daß die Einordnung der letzteren in die erstere von Barth intendiert ist und daß das Konsequenzen für die Frage nach dem Verhältnis von „Evangelium und Gebot" und „Gesetz und Evangelium" hat? Es müßte deutlich werden, welches starke theologische Interesse an dieser Sache eigentlich liegt. Barth will nicht idealistisch eine Wesensgeschichte aufmachen, als deren Erscheinung dann auch noch irgendwo das Kreuz zur Sprache kommt, sondern Barth will deutlich machen, daß der Zwischenfall der Sünde die ganze Geschichte Jesu Christi letztlich nicht allein bestimmt, sondern daß Gott sein Gottsein, seine Selbstbestimmung zum Bund, in dem er von Ewigkeit her er selbst ist, gerade auch in der Gestalt des Kreuzes verwirklicht hat. D. h. also, daß der Gott, der im Kreuz sich hingibt, in der Tat dieser Gott i s t von Ewigkeit her. M. Geiger: Im Hinblick auf die Wahrheitsgeschichte des Bundes und die Wirklichkeitsgeschichte der Versöhnung scheint es mir außerordentlich wichtig, daß diese beiden Begriffe - ich will nicht sagen: identifiziert - , daß aber doch ihre Zusammengehörigkeit ernstgenommen und auch ausgesprochen wird. Es ist doch offensichtlich so, daß für viele Zeitgenossen die Barthsche Theologie darum Schwierigkeiten bereitet, weil da scheinbar diese beiden Ebenen unterschieden und voneinander abgehoben werden. Für viele von uns ist es demgegenüber so, daß wir nur noch auf der Wirklichkeitsebene zu denken und zu leben vermögen. Wie können wir zeigen, daß das, was hier als Wahrheitsgeschichte bezeichnet wird, mit der Wirklichkeitsgeschichte zusammengehört? Ich verstehe K. Barth so, daß ihm entscheidend daran liegt, daß die Bundesgeschichte 279

wirklichkeitsbezogen ist, ohne daß sie in die empirische Wirklichkeit aufgeht. Dazu müßte aber deutlicher als bisher gesagt werden, was das Wesen dieser Bundesgeschichte eigentlich ist. H. Tb. Goebel: Zu Ihrer Gesamtanfrage hinsichtlich der Nützlichkeit und Notwendigkeit der Differenzierung in Bundes- und Versöhnungsgeschichte eine Bemerkung: Ich meine, dieses mühsame Auseinandernehmen der Begrifflichkeit ist in der heutigen Situation deswegen unumgänglich, weil wir uns anders nicht die methodischen Grundentscheidungen deutlich machen können, die im Barthschen Werk vorhanden sind. H. Gollwitzer: Gegenüber der bisherigen Terminologie in der Theologie ist die von Herrn Klappert im Anschluß an Barth verwendete Begrifflichkeit neuartig. Da geschieht eine Bundesgeschichte und eine Versöhnungsgeschichte. Früher hätte man gesagt: da ist der Wille Gottes über seiner Menschheit, der sich auch trotz des Sündenfalls durchhält und entgegen der Wirklichkeit der Sünde, gegen das Verderben, das die Sünde anrichtet, sein Recht aufrichten will. Da unterschied man also nicht zwischen einer Bundesgeschichte und einer Versöhnungsgeschichte, sondern kannte dort einen Gotteswillen und hier diese Wirklichkeitsgeschichte der Menschheit auf Erden. Demgegenüber hieß es im Referat These II/6: „Barth vollzieht in ,Evangelium und Gesetz' die bundestheologische Grundlegung der Zuordnung von Evangelium und Gebot im Rahmen der von der Verheißung auf die Erfüllung tendierenden Bundesgeschichte, ohne auf die Wirklichkeit der Ungehorsamsgeschichte des Menschen als des Bundespartners zu rekurrieren", was dann die Versöhnungsgeschichte wäre. Wie müssen wir uns diese Bundesgeschichte denken, die Jesus Christus heißt, von Verheißung auf Erfüllung geht und scheinbar ganz unabhängig von der Sünden- bzw. Wirklichkeitsgeschichte verläuft? Und in welchem Verhältnis steht sie zu der Versöhnungsgeschichte? H. G. Geyer: Hier ist noch die Vorstellung im Raum, als gäbe es zwei Schichten, zwei Ebenen. Das muß weg! Das ist eine völlig falsche Vorstellung. Was Herr Klappert zum Ausdruck brachte, war nicht etwa die Vorstellung, als stückte sich die Geschichte Jesu Christi aus einem Teil der Bundesgeschichte und einem anderen Teil der Versöhnungsgeschichte zusammen oder als spielten da zwei Geschichten auf zwei verschiedenen Ebenen Theater mit Doppelbühne! Sondern es handelt sich um Bundesgeschichte, wobei ein zweifacher Aspekt an ihr zu unterscheiden ist: der Aspekt 280

des Bundes und der Aspekt der Versöhnung. Nicht zwei Wirklichkeiten oder die Trennung von Wahrheit und Wirklichkeit sind hier gemeint, sondern es geht um die Wahrheit und die Wirklichkeit ein und derselben Geschichte und dies ist die Geschichte Israels und Jesu Christi als der einen, einzigen Bundes- und Versöhnungsgeschichte. M.

Geiger:

Wie unterscheiden sich aber diese beiden Aspekte der Bundesgeschichte und was ist eigentlich das Wesen des Bundes? W.

Kreck:

Das Wesen des Bundes - und damit die Wahrheit des Bundes - ist die Freiheit zwischen Gott und Mensch, ist das Miteinander des freien Gottes und des freien Menschen. Die Wahrheit des Bundes, die Wahrheit dieser Geschichte i s t die Freiheit. Die Unterscheidung, die Barth vollzieht und die das Referat von Herrn Klappert herausgestellt hat, ist notwendig und zwar deswegen, weil - wozu es ja auch Ansätze in der heutigen Diskussion gibt - das Kreuz nicht einfach in Gott hineininterpretiert werden kann. Sondern es muß unterschieden und gefragt werden: Wer ist dieser Gott in seinem eigentlichen Wesen? - Der in Freiheit Liebende, der Vater mit dem Sohn, das ist das Wesen Gottes. Mit dem Begriff der Bundesgeschichte ist dieses In-Freiheit-Lieben von Barth gemeint. Ist aber Gott seinem Wesen nach der in Freiheit Liebende, so wird dieses In-Freiheit-Lieben Gottes nicht erst durch den Sündenfall des Menschen Wirklichkeit und nicht dadurch überhaupt erst ausgelöst. Die Sünde ist nicht; der Motor der ganzen Geschichte Gottes mit dem Menschen. Sondern in der Bundesgeschichte wird das Verhältnis Gottes zum Menschen, das Verhältnis der freien Liebe Gottes und der in Freiheit antwortenden Liebe des Menschen Ereignis. Und angesichts der Sünde als unwiderruflich eingetretener Zwischenfall nimmt nun diese Bundesgeschichte die Gestalt des Kreuzes und der Versöhnung an. Wenn man es sich so klarmacht, gehören Bundes- und Versöhnungsgeschichte unlösbar zusammen, sind sie aber nicht begrifflich zu identifizieren. - Und warum nicht? Weil sonst jeder in die Geschichte Jesu Christi hineininterpretiert, was er als die heutige Frage und Aporie des Menschen ansieht und infolgedessen Gott nur noch als Prädikat des Menschen und seiner Bedürfnisses verstanden wird. D. h. Jesus Christus ist nicht einfach nur der Erfüller des Gesetzes, so daß man also vom Gesetz und der Sünde her denken müßte, um Christus als Heilmittel oder als Aufbaumittel zu verstehen, sondern umgekehrt: Im Christusgeschehen geht es zwar um die Versöhnung und auch um die Erfüllung des Gebotes, aber beides erscheint bei Barth als in die Bundesgeschichte ein281

gebettet. Dieser in Freiheit liebende Gott, der seinem Wesen nach auch ganz abgesehen von der Sünde des Menschen - dieser Gott ist, möchte im Grunde diesen freien, ihm antwortenden Menschen, wobei es durch den Zwischenfall der Sünde allerdings notwendig geworden ist, daß dieser Bund Gottes die Gestalt der Versöhnung im Kreuz angenommen hat. B. Klappert: Die von Barth in der Versöhnungslehre KD IV/1.2 vorgenommene Unterscheidung ist eine Unterscheidung innerhalb der Wirklichkeit der Christusgeschichte selber, insofern nämlich innerhalb dieser Christusgeschichte die Geschichte der Durchführung des Bundes des freien Gottes und der darin gegründeten Freiheit des Menschen von der Geschichte der Versöhnung in Gericht und Rechtfertigung zu unterscheiden ist. Gegenüber einem sog. empirischen Ansatz in der Theologie verklammert Barth Gericht und Rechtfertigung und infolgedessen auch „Gesetz und Evangelium" so mit der Bundesgeschichte, daß eine Isolierung dieses Gesetzes von der Bundesgeschichte theologisch nicht mehr möglich bzw. legitim ist. Die Christologie Barths ist damit der angesichts der neuprotestantischen Identitätstheologie und ihrer unheilvollen Konsequenzen bis zur Identifizierung von Volksnomos und Gottesgesetz durchgeführte Entwurf einer systematischen Verunmöglichung des Versuches, nocheinmal den Ansatz der Theologie bei der Geschichtlichkeit, dem Selbstverständnis oder der empirischen Verlegenheit des Menschen zu wählen. Das ist eine zentrale Konsequenz dieser Differenzierungen innerhalb der Christologie Barths. Deshalb stehen für Barth auch nicht die an der Anfechtungserfahrung orientierten peccator-maximus-Aussagen Luthers im Zentrum, sondern diese christologischen Aussagen Luthers werden von Barth voll aufgenommen, sie werden nicht etwa eliminiert, sie stehen aber - und das ist das Entscheidende - im Kontext der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch als eines Verhältnisses des freien Gottes und des in dieser Freiheit Gottes begründeten freien und dankbaren Menschen. Das scheint mir überhaupt das treibende Moment der ganzen Kirchlichen Dogmatik zu sein: um die Wirklichkeit des Menschen zu treffen, gerade um der Wirklichkeit des Menschen willen dürfen Theologie und Christologie nicht an der Verlegenheit des Menschen orientiert und lediglich deren religiöse Interpretation und Überhöhung sein. Karl Barths Kirchliche Dogmatik ist damit der wirksame theologische Protest gegen die religiöse Interpretation der Wirklichkeit des Gesetzes in ihrer existential-ontologischen oder universalgeschichtlichen Variante. Die Isolierung des Gesetzes vom Evangelium, der Barth im Kirchen282

kämpf durch die Umkehrung von „Gesetz und Evangelium" einen Riegel vorschob, oder die Isolierung des Gesetzes etwa in der Theologie G. Ebelings, d. h. jegliche Isolierung des Gesetzes ist auf dem Boden der Barthschen Theologie nicht mehr möglich. Der Ansatz bei einem solchen Gesetz ist angesichts der Verklammerung mit der Dialektik der Bundesgeschichte in Jesus Christus unmöglich geworden. Das scheint mir das Aktuelle der Christologie Barths und ihrer Differenzierungen im Kontext der heutigen Debatte zu sein. H.

Gollwitzer:

Wir sprechen über die ekklesiologischen Konsequenzen unseres Themas und haben bei der Diskussion über das „äußere Wort" die Frage nach dem Amt und der Anstaltlichkeit der Kirche, nach der, wie H e r r Geyer gesagt hat, fehlenden Radikalität der Revolutionierung der mittelalterlichen Kirche bei Luther, schon besprochen. Wir haben schon das Verhältnis der Christen zu den Nichtchristen als denen, die bei Barth ganz in das umgreifende Christusgeschehen einbezogen sind, berührt. Was haben sie von der Kirche, was hat die Kirche von ihnen zu erwarten, wenn sie schon zu Christus gehören? Was hat das überhaupt für eine konkrete praktische Bedeutung, daß alle Menschen zu Christus gehören, schon die von Christus Umgriffenen, wenn auch noch nicht die ihn Ergreifenden, schon die von Christus Erkannten, wenn auch noch nicht die ihn Erkennenden sind? Und weiter: Wie verhält sich die schon geschehene Versöhnung der Welt in der Geschichte Jesu Christi zu dem von M. Buber bis D. Solle vorgebrachten Hinweis auf das Noch-Nicht, auf die noch nicht vollbrachte Errettung der Welt und des Menschen? M. Geiger: Es wurde die Frage gestellt: Von welcher Kirche spricht Barth eigentlich? Meint er die verfaßte Kirche oder eine ideale Wesenskirche? Ich habe es immer so verstanden, daß Barth, wenn er von der Kirche spricht, die wahre Kirche meint, die er inmitten der problematischen Institutionalisierungen und Pervertierungen kirchlichen Lebens glaubt. Barth sagt: Ich glaube, daß in dieser problematischen Äußerung von Christenheit das da ist, was das credo ecclesiam bezeichnet. Damit ist keine ecclesia invisibilis gemeint. B. Klappert: Herr Gollwitzer hat darauf hingewiesen, daß Luthers Lehre vom verbum externum („Gott hat keinen Mund als unseren Mund"), d. h. Luthers sakramentales Wortverständnis des mündlich zugesprochenen Absolutionswortes den Sinn hat, daß uns Gott mitmenschlich ständig aufeinander angewiesen macht. Ich frage mich, ob die Entsakramentalisierung 283

der Verkündigung der Kirche nicht in anderer zeitgeschichtlicher Situation bei Barth dieselbe Funktion hat, die Angewiesenheit des Menschen auf die Verkündigung und den Zeugendienst der Gemeinde, aber auch umgekehrt (!) die Angewiesenheit der Gemeinde und ihres Zeugendienstes auf den Menschen „außerhalb" deutlich zu machen. Das Wissen darum, daß auch der bereits von Christus Erkannte, aber Christus noch nicht Erkennende der Gemeinde jederzeit zum Zeugen der Prophetie Jesu Christi werden kann, wird im Sinne Barths von Anfang an systematisch und praktisch unmöglich machen, was das sakramentale Wort- und Verkündigungsverständnis bis hin zur Amts- und Anstaltskirche offenbar nicht hat verhindern können: eine im Grunde inhumane, von der Versöhnung der Welt mit Gott in der Durchführung des Bundes her inhumane Differenzierung zwischen Erwählten und Nichterwählten, Besitzenden und Nichtbesitzenden, Zeugen und Angeredeten aufzumachen. Barths Entsakramentalisierung der Verkündigung ist von dieser Seite her die konsequente Durchführung seiner These, daß die Form der Verkündigung dem verkündigten Inhalt zu entsprechen und von ihm Struktur und Organisation zu empfangen hat. Ist aber der Inhalt der Verkündigung der die Freiheit des Menschen begründende und provozierende Gott des freien und dankbaren Menschen, dann muß auch die Gestalt der Verkündigung der Gemeinde eine humane, eine mitmenschliche Gestalt sein. Die humane, mitmenschliche Form des Zeugendienstes ist aber K D IV/3 zufolge durch das Wissen charakterisiert, daß auch der Bereich außerhalb der Gemeinde bereits von der Herrschaft Christi umgriffen, daß jeder - auch der Jesus Christus noch nicht erkennende - Mensch bereits von Jesus Christus erkannt ist und daß es auch außerhalb der Gemeinde Zeichen der Prophetie und Herrschaft Jesu Christi geben kann, die der Gemeinde zum Zeugnis eines von ihr unterschlagenen oder vergessenen Elementes christlicher Verkündigung werden können10. So sehr 1 0 Die zeitgeschichtliche und gesellschaftspolitische Relevanz der von Barth in K D I V / 3 vorgetragenen Lehre von den Zeichen der Prophetie und Herrschaft Jesu Christi außerhalb der Gemeinde zur Erinnerung der Gemeinde zeigt sich - zeitlich schon viel früher - nicht nur in dem von Barth 1 9 4 7 im Rahmen einer Diskussion aufgestellten Satz, „daß im Materialismus des Marxismus etwas steckt von der Botschaft von der Auferstehung des Fleisches" (Kupisch 120 f.), sondern auch in dem gleichzeitigen, von Barth mit initiierten „Darmstädter W o r t " des Bruderrates der E K D zum politischen Weg unseres Volkes v o m 8. 8. 1947, w o es insbesondere in These 5 heißt: „Wir sind in die Irre gegangen, als wir übersahen, daß der ökonomische Materialismus der marxistischen Lehre die Kirche an den Auftrag und die Verheißung der Gemeinde für das Leben und das Zusammenleben im Diesseits hätte gemahnen müssen . . . Die Kirche wehrte sich im Bund mit den . . . angegriffenen Gesellschaftsschichten für die Scheinexistenz der durch wirtschaftliche Verhältnisse nicht bedingten Persönlichkeit. . . Anstatt sich durch den ökonomischen Materialismus daran erinnern [ ! ] zu lassen, daß es in der Bi-

284

im Sinne Barths die sogenannte „latente Kirche" außerhalb der Gemeinde kein Ziel und Programm der bezeugenden Gemeinde und ihres Zeugendienstes sein kann, so sehr hat die Gemeinde auf die ihr von außerhalb zukommenden Zeichen der Prophetie Jesu Christi in Dankbarkeit und mitmenschlicher Solidarität zu achten. Die Entsakramentalisiermg der Verkündigung, die von der Prophetie Jesu Christi her gerade alles Gewicht auf den Zeugendienst der Gemeinde legen will, ist zugleich im Sinne Barths die Humanisierung der Verkündigungs- und Organisationsformen der Gemeinde. Barth kennt in der Tat keine ecclesia invisibilis, keine ideale Wesenskirche jenseits der konkreten Kirche. Barth definiert aber in KD 1/1 die Funktion der Dogmatik dahingehend, daß sie den Vollzug der Predigt in der konkreten Kirche auf ihren Inhalt als auf ihr einziges Kriterium hin befragt. Die Kirchliche Dogmatik bis zur Tauflehre ist der Vollzug dieses kritischen Prozesses der Befragung der Kirche, ob sie von ihrem Inhalt, vom Worte Gottes her sich in die Krisis, d. h. in das Kriterium stellen lassen will, von dem her sie selber verkündigt. Barths Darstellung der übergreifenden Prophetie Jesu Christi mit der Implikation der Entsakramentalisierung der Verkündigung der Kirche, die zeitgeschichtlich nicht zufällig nach Treysa und der dort grundgelegten erneuten Konstituierung der Volkskirche mit ihren gesellschaftspolitischen Konsequenzen11 erfolgte, repräsentiert die kritische Frage, inwiefern die bestehende Kirche in ihrer Funktion und ihrer Organisation dieser übergreifenden Prophetie entspricht. Insofern ist bis zu Barths Tauflehre die ganze Kirchliche Dogmatik in der Tat zeitgeschichtlich aktuell, befragt sie also eine bestehende Sakraments- und Kindertaufkirche daraufhin, inwieweit sie bereit ist, sich von ihrem Gegenstand, von Jesus Christus her, entsakramentalisieren zu lassen12. bei die Trennung v o n Leib und Seele nicht g i b t . . . Die Lehre v o n der Auferstehung des L e i b e s . . . wurde spiritualisiert zur griechischen Lehre v o n der Unsterblichkeit der Seele . . . Diese Spiritualisierung des christlichen Glaubens führte zu einer rein jenseitig verstandenen Zukunftshoffnung und damit zu einer völlig unbliblischen

Abwertung

des irdischen Lebens. D a ß in der Bibel das Ziel und E n d e der Wege Gottes die A u f richtung seines Reiches in dieser W e l t i s t . . . - all das w u ß t e m a n nicht mehr und ließ sich auch nicht d a r a n erinnern [ ! ] , als K a r l M a r x sagte: ,Es ist leicht, ein Heiliger zu sein, w e n n m a n kein Mensch mehr sein m u ß ' " (Stimme der Gemeinde 16, 1964, H . 1, 3 - 1 4 , 8 f). 11

Vgl. K . B a r t h , Ü b e r Treysa, in: K . Kupisch, Quellen zur Geschichte des deutschen

Protestantismus

von

1945

bis

zur

Gegenwart

1,

1 5 9 , 1 9 7 1 , 4 7 ff. und E . W o l f , Bilanz des Protestantismus.

Siebenstern-Taschenbuch Kritischer Rückblick

von

1 9 4 5 bis 1 9 6 1 , in: U n t e r w e g s 1 9 , 4 7 ff. 12

Vgl. z. B. Barths

Wirklichkeit" -

in seinem A u f s a t z

aber nicht nur d o r t ! -

„Die christlichen Kirchen und die heutige geäußerte Meinung, die K i r c h e n seien

sächlich auch nach diesem großen K r i e g bestenfalls in einer gewissen

„tat-

Restauration,

aber gerade nicht in der ihnen bitter nötigen R e f o r m a t i o n begriffen" (zit. bei Kupisch,

285

Barth hat nicht zufällig im Gegensatz zu seinem 1943 gehaltenen und dann in ThEx N F 1947/4 veröffentlichten Vortrag über die „Die kirchliche Lehre von der Taufe" in seiner Lehre von der Taufe als der Begründung des christlichen Lebens in KD IV/4 die Tauflehre noch einmal anders und zwar von der übergreifenden Prophetie Jesu Christi her so konzipiert, daß er einer das corpus christianum mit der Praxis der Kindertaufe festschreibenden Kirche hier noch einmal ihr inhaltliches Kriterium mit der Frage vorgehalten hat, ob sie bereit ist, dieser übergreifenden Prophetie Jesu Christi im Sinne des signifikativen Zeugendienstes der Einweisung des Menschen in die Freiheit zu entsprechen, ob sie in Konsequenz dessen bereit ist, ihre ganze Praxis und Organisation und also auch die Taufpraxis von ihrem Gegenstand her so zu organisieren, daß die Taufe nicht die Verhinderung, sondern die Einweisung und Erlaubnis der Freiheit für den Menschen bedeutet. Es wurde von den ekklesiologischen Konsequenzen gesprochen, die die Umkehrung von Gesetz und Evangelium und die Zuordnung des Heilsgeschehens und der Verkündigung bei Barth notwendig nach sich ziehen. Es würde aber eine verengte Fragestellung und Perspektive bedeuten und der durch Barth mit dieser Umkehrung intendierten umfassenden Revision nicht Rechnung getragen, wenn man nicht zumindest auf folgende Konsequenzen aufmerksam machen würde: Luther hat in den Antinomerdisputationen auf den ^Zusammenhang zwischen politischem Staatsgesetz und richtendem Gottesgesetz' hingewiesen. Die Aufhebung des richtenden Gesetzes in der Verkündigung so argumentiert er gegen Agricola - zieht die Aushöhlung und damit die Aufhebung des strafenden Staatsgesetzes nach sich (WA 39/1, 358,26 ff.; vgl. WA 40/1, 479,24 ff. und Schmalkaldische Artikel III BSLK 435,18 ff.) Bürgerliches Gesetz, Staatsgesetz ist hier wesentlich als anklagendes, strafendes Gesetz verstanden. Und diese Korrespondenz von Staatsbegriff und Begriff des richtenden Gesetzes hat sich bis in die lutherische Staatsmetaphysik der Gegenwart (z. B. Künneth) durchgehalten 13 . Ist aber im Sinne Barths das richtende Gesetz Gottes im Kreuz Christi lediglich die Gestalt der Durchführung seines Bundeswillens und ist das richtende Gesetz (usus elenchticus) in der Verkündigung kerygmatisch nicht wiederholbar und infolgedessen im bürgerlichen Bereich (usus civilis) strafrechtlich nicht einfach anwendbar, dann hat das unmittelbare Quellen 106). Die „Verschiebung" im Sakramentsverständnis Barths (KD IV/2, Vorwort IX) ist ohne diesen zeitgeschichtlichen Kontext nicht zu verstehen. Barths Dogmatik erweist sich also auch von daher in ihrer zeitgeschichtlichen Aktualität und Bezogenheit! 13 Vgl. E. Wolf, Naturrecht oder Christusrecht. Todesstrafe, Unterwegs 11, bes. 51 ff.

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Konsequenzen für die Zwei-Reiche-Lehre. Denn nicht mehr das richtende Gesetz, sondern das Bundesgebot als Form des Evangeliums der Königsherrschaft Christi als Inhalt wird dann die übergreifende Klammer für die Zuordnung von geistlichem und weltlichem Regiment bilden müssen. Barth hat von daher ζ. B. gegenüber der Verteidigung der Todesstrafe und ihres Verständnisses als antizipatorischer Vollzug des Gesetzesurteils und Zornesgerichtes Gottes in der Geschichte (W. Künneth, E. Hirsch, P. Althaus u. a.) in K D III/499 ff. argumentiert, daß die Todesstrafe deshalb nicht als vergeltende Sühne gefordert werden kann, weil das richtende Gesetz und die vergeltende Gerechtigkeit Gottes als Gestalt seiner Bundesliebe sich schon im Kreuz Christi ausgewirkt haben14. Die positive Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Recht im Gegensatz zur negativen Verhältnisbestimmung von richtendem Gottesgesetz und vergeltendem Strafgesetz besonders in der lutherischen Tradition, die Unmöglichkeit einer Wiederholung des richtenden Gesetzes des Kreuzes Christi im kerygmatischen und zivilen Bereich und also die positive Verhältnisbestimmung von Christengemeinde und Bürgergemeinde sind die unmittelbaren Konsequenzen der Zuordnung von „Evangelium und Gebot" bei Barth. Die von Luther systematisch zumindest nicht ausgeschlossene Möglichkeit und von Barth eindeutig herausgestellte Unmöglichkeit, die usus-Bestimmung des richtenden Gesetzes auf die Wahrheitsbestimmung eines Vergeltungs- und Leistungsgesetzes zu hinterfragen und von diesem her das Verhältnis der zwei Reiche zu bestimmen, hat also im Sinne Barths unmittelbar gesellschaftliche und politische Relevanz. H.

Gollwitzer:

Bedenkt man, wie unser ganzes gesellschaftliches Leben von jeher durch repressive Herrschaftsgewalt geprägt worden ist und wie dafür auch die lutherische Lehre vom usus civilis des Gesetzes eine Rechtfertigung geboten hat, dann kann man ermessen, welche Auswirkungen die Barthsche Veränderung im Verhältnis von Gesetz und Evangelium auf alle Gebiete der politischen Theologie haben wird. Für das wichtige Ge14 E. Wolf hat auf den Zusammenhang zwischen dem in· der Verteidigung der Todesstrafe vorausgesetzten Vergeltungsgesetz und der Art und Weise der Zuordnung von Gesetz und Evangelium aufmerksam gemacht. In seiner Studie zur „Todesstrafe" und zum Problem „Naturrecht oder Christusrecht" sagt er: „P. Althaus hat K. Barths Ablehnung der Todesstrafe als Sühne von der in Jesus Christus geschehenen Sühne her Verquickung von Gesetz und Evangelium [!] v o r g e w o r f e n . . . Man wird [aber] - so fährt Wolf fort - jenem . . . Vorwurf gegenüber zu fragen haben, ob ihm nicht jene Lehre von Gesetz und Evangelium zugrundeliegt, die eine Abstraktion von . . . Vergeltungsgesetz [!] n e b e n Gottes Handeln mit der Welt in Christus stellt, das allein auch in der Gestalt von Gebot, Weisung und E r m a h n u n g . . . für den Christen gilt" (Unterwegs 11,68).

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biet von Strafrecht und Strafvollzug hat Barth selbst noch, woran ich hier nur erinnern will, die Linie ausgezogen in seinen „Antworten auf Grundsatzfragen der Gefangenenseelsorge", die er 1960 auf einer Konferenz deutscher Gefängnispfarrer in Fulda als Thesen vorgetragen und kommentiert hat. Ich habe sie in einem Sammelband über Strafvollzug vor einiger Zeit interpretiert und dabei besonders die Verankerung der konkreten Forderungen Barths an eine Reform des Strafvollzugs im Zentrum seiner Theologie hervorgehoben (U. Kleinert, Strafvollzug, Analysen und Alternativen, München 1972, 46-67). W. Koch: Gibt es Verbindungslinien zwischen Luthers Verständnis des Gesetzes und seinem Versagen in den Bauernkriegen und den Juden gegenüber oder ist sein Verhalten lediglich aus den gesellschaftspolitischen Bindungen seiner Zeit zu erklären? H.

Gollwitzer:

Luther unterscheidet die Judasverzweiflung und die Petrusbuße, die desperatio inutilis und die desperatio salutaris. Das Referat von Herrn Klappert hat darauf aufmerksam gemacht, wie die Reformatoren des 16. Jahrhunderts unter der Suggestion der Vorstellung standen, daß das Ergreifen des Heils - gleichgültig ob man das Ergreifen mehr prädestinatianisch oder mehr synergistisch beschreibt - in diesem Leben je vom Einzelnen geschieht, und daß erst dieses Ergreifen eigentlich über ihr Heil entscheidet. Dadurch gliedert sich die Menschheit in electi und reprobati, in Erwählte und Verworfene, wobei es dafür Indizien gibt. Auch wenn die Lutheraner nicht die Lehre vom Syllogismus practicus übernommen haben, so gibt es auch ihnen zufolge mindestens Indizien für die Verworfenheit eines Menschen, indem sich nämlich zeigt, daß ein Mensch die Gnadenbotschaft entweder überhaupt nicht hört oder, wenn er sie hört, sie nicht annimmt. Dies bestimmt auch Luthers Stellungnahme zu den Juden: Am Anfang hat sich Luther ihnen gegenüber wohlwollend geäußert. Denn daß sie aus der mittelalterlichen Verkündigung nicht das Evangelium hören konnten, war ihm klar. Deshalb war die jüdische Ablehnung des Evangeliums verzeihlich. Aber jetzt, wo infolge der Reformation das Evangelium wiederentdeckt, seit Jahren verkündigt wird und die Juden immer noch verstockt sind, jetzt ist ihre Ablehnung und VerStockung unverzeihlich. Darum die Unmenschlichkeit in den Aussagen Luthers über die Juden. Luthers Verhalten gegenüber den Bauern15 wiederum ist dadurch be1 5 Vgl. Barths Stellungnahme zu Luthers Verhalten im Bauernkrieg in K D 1/2,743 f., K D 111/4,500. - Vgl. neuerdings Markus Barth, der im Hinblick auf

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stimmt, daß die Bauern in dem Augenblick, wo sie nicht darauf verzichtet haben, aus dem Evangelium gesellschaftspolitische Konsequenzen zu ziehen, nämlich die Freiheit des Evangeliums auch als gesellschaftliche Freiheit zu wollen, mit Luthers Zwei-Reiche-Lehre und der ihr zugrundeliegenden Vorstellung von dem Leistungs- und Yergeltungsgesetz in Konflikt gerieten.

Luthers Schrift „Daß Jesus ein geborener Jude sei" (1523; W A X I , 341 ff.) a u s f ü h r t : „Erwartet man unter diesem Titel eine A n t w o r t auf die Frage, die uns heute beschäftigt, so erlebt man eine Überraschung und Enttäuschung. Man erfährt einzig, d a ß Jesus Christus im Alten Testament genau so geweissagt wurde, wie er dann tatsächlich gekommen ist, und d a ß deshalb die Juden sich jetzt, da endlich k r a f t der Reformation das Evangelium wieder rein und lauter gepredigt werde, schleunigst und total zu Jesus Christus bekehren, d. h. sich taufen lassen sollten. Die H o f f n u n g Luthers erfüllte sich nicht. Daher schrieb er zwanzig J a h r e später die abscheulichen Pamphlete ,Von den Juden und ihren Lügen' (WA 53,412 ff.) und ,Vom Schern H a m p h o r a s und vom Geschlecht Christi' (WA 53, 579 ff.)" (M. Barth, Der Jude Jesus, Israel und die Palästinenser 1975, 10 f.). Vgl. weiter K. Kupisch, Das Volk der Geschichte 1961 3 69 f f . 19

Klappert, Promissio

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Personenregister Agricola, J. 136, 236 f., 253 f., 255, 286 Althaus, P. 31 f., 41, 80, 151, 203, 231 f., 234, 236, 240, 251, 287 Andersen, W. 93 Bandt, H . 204-209, 211-215 Barth, K. passim Barth, M. 256-263, 265, 288 Bayer, O. 38 f., 41, 142, 171-173, 177 Berkhof, H . 163, 232 Bernet, W. 163 Bizer, E. 13, 26, 42, 170-174, 253 Bonhoeffer, D. 236 Bornkamm, G. 28 f., 175 Bornkamm, H . 202 Bornkamm, K. 159 f., 162, 192 Bultmann, R. 161, 163, 168-170, 172 Busch, E. 252 f. Calvin, J. 24, 240 Duensing, F. 83 Ebeling, G. 14, 16, 20 f., 25-27, 80, 90 f., 169, 243 Eichholz, G. 21, 29 f., 175, 237, 241 Eiert, W. 83, 231 f., 234 ' Fangmeier, J. 33, 240, 242, 250, 268 Fürst, W. 163-165 Geiger, M. 243, 248, 268, 279, 281, 283 Geyer, H . G. 6, 245 f., 248 f., 266, 280 Goebel, H . Th. 244 f., 247 f., 276, 280 Gogarten, F. 80-88 Gollwitzer, H . 26, 65, 85, 94, 112, 116, 151, 233, 237 f., 240, 243, 245 f., 248, 250, 252-254, 267, 271, 273 f., 280, 283, 288 Hacker, P. 245 Haendler, K. 15, 17, 235 Hausammann, S. 120 f., 135 f., 139 f., 253 Heintze, G. 31, 127, 142, 233-235 Hermann, R. 43, 101 f., 156-158, 236 Herrmann, W. 85 Hesse, F. 231 Iwand, H . J. 11 f., 14 f., 18-20, 28, 32, 38, 46, 54, 81, 88, 127-129, 158 f., 161, 192-194, 196, 198 f., 204-206, 211, 237, 245 Joest, W. 14, 26, 31 f., 64 f., 101, 111 f., 192 f., 196, 198, 231 Josuttis, M. 163 Jüngel, E. 96, 172, 175, 202 Käsemann, E. 232, 241 Kinder, E. 15, 17, 193, 235 Kleinen, U. 288 Koch, W. 288 Kraus, H . J. 6, 232, 241

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Krause, G. 236 Kreck, W. 24, 26, 28, 79, 81, 161, 167, 169, 175 f., 190, 231, 237, 241, 245 f., 255, 272, 274, 279, 281 Krötke, W. 32, 94 Kupisch, K. 234 f., 289 Künneth, W. 154 f., 286 f. Lohse, E. 29, 237 Luther, M. passim Manecke, D. 161 Mannheim, K. 80 Mausebach, J. 236 Matthias, W. 121 f. Melanchthon, Ph. 83, 104, 120, 136, 140, 168, 195, 221, 227, 234, 240, 253, 255 Möllmann, J. 220 f., 270 Noth, M. 232 Osten-Sacken, P. von der 30, 237 Ott, H . 147 Pannenberg, W. 170, 220 f. Perlitt, L. 232 f. Pesch, O. H. 35, 53, 144 Peters, G. 239 Prenter, R. 145, 232, 251 Rad, G. von 41 f., 114 f., 232 Rogge, J. 253 Rückert, H . 202 Schellong, D. 27 f. Schlichting, W. 203 Schlink, E. 6, 31, 83 f., 231, 233, 237, 240 Schloemann, M. 43, 46, 57, 139, 154, 236, 251, 253 Schwarzwäller, K. 215 Schweizer, E. 29 Sommerlath, E. 231 Stoevesandt, H . 275 Thielicke, H . 144, 231 f., 242 Thomas von Aquin 35, 235 f. Trillhaas, W. 236, 242 Troeltsch, E. 46 Weber, Η . E. 38 f., 169 f., 173, 192 Westermann, C. 125 Weth, R. 202 Wilckens, E. 236 Wingren, G. 135, 231-233 Wolf, E. 11 f., 30, 38, 46, 73, 99, 101, 128 f., 137 f., 154 f., 165 f., 167-171, 173, 181, 195 f., 198, 211, 213, 220, 230, 234, 241, 285 f., 287 Zimmerli, W. 6, 41 f., 63, 113-116, 124 f., 148 f., 231 f., 233, 237 Zwingli, H . 24